Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges


144 87 6MB

German Pages 564 [556] Year 1991

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Front Cover
Titel
Impressum
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Verzeichnis der Quellen in chronologischer Reihenfolge
Thematisches Quellenverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Einleitung
Quellen
Personen- und Sachregister
Back Cover
Recommend Papers

Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

AUSGEWÄHLTE QUELLEN ZUR DEUTSCHEN GESCHICHTE DER NEUZEIT F R E I H E R R V O M S T E I N - G E D Ä C H T N I S A U S GA B E

Begründet von Rudolf Buchner und fortgeführt von Winfried Baumgart

Band XXIX

DEU TSCHE QUELLEN ZUR GESCHI CHTE DES ERSTEN WELTKRIEGES

Herausgegeben von WO L F D I ETER B I H L

W I S S ENSCHAFTL I C H E BUCHGESELLSCHAFT DA R M S TA D T

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkriegs I hrsg. von Wolfdieter Bibi. - Darmstadt: Wiss. Buchges ., 1991 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit; Bd . 29) ISBN 3-534-08570-1 NE: Bibi, Wolfdieter [Hrsg.]; GT

Bestellnummer 08570-1

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 1991 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Offsetpapier Satz: Fotosatz Janß, Pfungstadt Druck und Einband : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt Printed in Germany Schrift: Linotype Garamond, 9/11

ISBN 3-534-08570-1 ebook (PDF): ISBN 978-3-534-74491-0

I N H A LT Abkürzungsverzeichnis

IX

o

Verzeichnis der Quellen in chronologischer Reihenfolge Thematisches Quellenverzeichnis Quellen- und Literaturverzeichnis

o

XI XIX XXI

Einleitung Quellen

43

0

Personen- und Sachregister

o

509

AB KÜRZ U N G SVERZE I C H N I S AA AK AOK Div. (D]OHL GdA Gd I GdK GFM GM GL GO Hptm. I. R. k.u.k. LegRat LegSekr. Lt. MdR Mjr. MSPD Oberlt. Oberstlt. ÖUA RGBl Rgt. SAG S.M. USPD

Auswärtiges Amt Armeekorps Armeeoberkommando Division Deutsche Oberste Heeresleitung General der Artillerie General der Infanterie General der Kavallerie Generalfeldmarschall Generalmajor Generalleutnant Generaloberst Hauptmann Imperator Rex kaiserlich und königlich (österreichisch-ungarisch) Legationsrat Legationssekretär Leutnant Mitglied des Reichstages Major Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands Oberleutnant Oberstleutnant Österreich-Ungarns Außenpolitik (vgl. im Quellen- und Literaturverzeich­ nis : Bittner, Ludwig) Reichsgesetzblatt Regiment Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft Seine Majestät Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands

VERZE I C H N I S D E R Q U E L L E N I N C H RO N O LO G I S C H E R R E I H EN F O L G E 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9.

10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 1 7. 18. 19. 20. 21 . 22. 23 . 24. 25. 26. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33.

Erste Balkonrede Wilhelms I l . , 3 1 . 7. 1 9 1 4 . Bekanntmachung des Oberbefehlshabers i n den Marken, 3 1 . 7. 1 9 1 4 Plakat des Oberbefehlshabers i n den Marken, 3 1 . 7. 1 9 1 4 Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken, 31. 7./1 . 8 . 1 9 1 4 Zweite Balkonrede Wilhelms I I . , 1 . 8 . 1 9 1 4 . Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken, 1 ./4 . 8 . 1914 Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken, 1 ./4 . 8 . 1914 Telegramm Wangenheims an das AA, 2 . 8. 1914 Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrates z u wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse, 4. 8. 1 9 1 4 Eberlein, Erinnerungen, Auszug, 4 . / 5 . 8 . 1 9 1 4 Kriegstagebuch Davids, Auszug, 5 . 8 . 1914 . Aufruf Wilhelms li., 6. 8. 1 9 1 4 . Aufruf des SPD-Vorstandes und der Generalkommission der Gewerkschaften, 6. 8. 1 9 1 4 Kriegstagebuch Davids, Auszug, 1 8 . 8 . 1 9 1 4 Kriegstagebuch Davids, Auszug, 21 . 8 . 1 9 1 4 Brief Solfs an Jagow, 28. 8 . 1914 Brief des preußischen Kriegsministeriums an die Redaktion des >VorwärtsIm SchützengrabenZur Beurteilung AmerikasGriff nach der Welt­ macht< ( 1961 ) . Seitdem ist die Flut von Arbeiten über den Ersten Weltkrieg nicht mehr verebbt. Die Erschließung neuer Quellen und die mit Leidenschaft geführten Kon­ troversen haben der Forschung großen Auftrieb gegeben. Gerade aus der Di­ stanz von 50 und mehr Jahren ist es immer mehr deutlich geworden, daß der Erste Weltkrieg eine der ganz großen Zäsuren der europäischen Geschichte ge­ wesen ist. Winfried Baumgart sprach von der "Urkatastrophe in der bisheri­ gen Geschichte des 20. Jahrhunderts" 2• Vor allem wurde der Erste (und der Zweite) Weltkrieg als eine "Selbstentmachtung Europas" 3 empfunden, die erst den Aufstieg der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion zu Weltmächten ermöglicht habe. Schon während des Krieges wurde die Frage nach den Hintergründen des Konflikts gestellt. 4 Es kam in den Hauptstädten Europas zur Veröffentlichung 1 Walther Hubatsch, Der Weltkrieg 1914/1918. In: Handbuch der deutschen Ge­ schichte. Hrsg . v. Leo Just. Bd. 4/Il, Konstanz ( 1955), S. 2 . 2 Winfried Baumgart [Hrsg. ], Die Julikrise und der Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914, Darmstadt 1983, S. XI (Texte zur Forschung. Quellentexte zur neueren und neuesten Geschichte, Bd. 44). 3 So der Titel eines Werkes von Erwin Hölzle (siehe Quellen- und Literaturverzeich­ nis). 4 Wichtigste bibliographische Hilfsmittel zu Vorgeschichte und Geschichte des Ersten Weltkrieges bei Baumgart, Julikrise, S. Xl f. , Anm . 1. Siehe auch Rudolf Ernst Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 5, Stuttgart 1978 , S. 10-12; Anton Wagner, Der Erste Weltkrieg, Wien 21981, S. 396-409 (Truppendienst-Taschenbücher,

2

Einleitung

von sog. Farbbüchern, die jeweils zur Rechtfertigung des eigenen Verhaltens dienten und eine objektive Klärung gar nicht anstrebten. Nicht zuletzt aus propagandistischen Gründen wurde der Krieg von allen Beteiligten als Vertei­ digungskrieg hingestellt und der etwaige eigene Schuldanteil verdrängt. Aus diesem Rahmen fällt eigentlich nur eine Publikation der Bol'seviki, die nach ihrer Machtübernahme Akten der Zarenregierung veröffentlichten . Die Artikel 231 des Versailler Vertrages und 177 des Vertrages von St. Ger­ main-en-Laye wurden von den Reichsdeutschen und Österreichern als er­ zwungenes Bekenntnis zur moralischen Alleinverantwortung für die Verur­ sachung des Krieges und aller sich daraus ergebenden Folgen aufgefaßt. Diese 'Kriegsschuldartikel' wurden in allen Schichten und Parteien zu einem Bd. 7); Eberhard Büssem u. a. [Hrsg.], Arbeitsbuch Geschichte. Neuzeit 3: 1871-1914 . Repetitorium 2. Teil, München [u . a.] 1982, S. 578, 580 f. (Uni-Taschenbücher, Bd. 1 144); Wolfdieter Bibi, Austrian Publications Since 1945 on World War I and Austria­ Hungary During the War. In: Austrian History Yearbook 19-20. Part 2 (1983 -1984) (Minneapolis 1989), S. 181-242 . Quellenkunde: Winfried Baumgart [Hrsg.], Quellen­ kunde zur deutschen Geschichte der Neuzeit von 1500 bis zur Gegenwart, Bd. 5, 2 Teil­ bände, Darmstadt 1977 (überarb . Neuaufl. 1991 ). Wehrverfassung und Wehrgeschichte: Rudolf Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Bd. 1, Boppard a. Rh. 1969, S. 325 373 (Schriften des Bundesarchivs, Bd. 16/I); Jürgen Rohwer, Neue Forschungen zum Ersten Weltkrieg. Literaturberichte und Bibliographien, Stuttgart 1985 (Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte, Bd. 25); zur Kriegsschulddiskussion in der Weimarer Zeit vgl. Ulrich Heinmann, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 59); zur Kriegsschulddiskussion 1914-1980 vgl. Wolfgang Jäger, Historische Forschung und politische Kultur in Deutschland. Die Debatte 1914 1980 über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Göttingen 1984 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft, Bd. 61); zur Sicht der DDR vgl. Willibald Gutsche, Zur Ent­ fesselung des ersten Weltkrieges . Aktuelle Probleme der Forschung. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 33 ( 1985), S. 779-793 . Siehe auch Wolfdieter Bihl, Von der Do­ naumonarchie zur Zweiten Republik. Daten zur Österreichischen Geschichte seit 1867, Wien, Köln 1989, S. 70 -136 (Böhlau Studienbücher). Vgl . David E. Kaiser, Germany and the Origins of the First World War. In: The Journal of Modern History 55 ( 1983), S. 442 -474; Volker Ullrich , Das deutsche Kalkül in der Julikrise 1914 und die Frage der englischen Neutralität. In: Geschichte in Wiss . u . Unterricht 34 ( 1983), S. 79-97; James Joll, The Origins of the First World War; London, New York 2 1984 (Origins of Modern Wars); Politik und Geschichte. Europa 1914 . Krieg oder Frieden, Kiel 1985; Klaus Hildebrand, Julikrise 1914 : Das europäische Sicherheitsdilemma. Betrachtungen über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges . In: Geschichte in Wiss . u. Unterricht 36 (1985), S. 467- 502; Gregor Schöllgen, Das Zeitalter des Imperialismus, München 1986 (Oldenbourg, Grundriß der Geschichte, Bd. 15) [1. Weltkrieg: S. 75 - 89, 156-174, 216-225) .

Einleitung

3

Trauma. Dabei hätte schon die Position der Artikel in den beiden Vertrags­ werken auf die alliierte Absicht einer zivilrechtliehen Haftbarmachung für die Kriegsschäden, also die Erzwingung von Reparationen, hinweisen können. Eine moralische Verurteilung wäre wohl in der Präambel erfolgt. Die leidenschaftliche Reaktion gegen die vermeintliche moralische Allein­ schuldthese bewirkte eine verstärkte wissenschaftliche und publizistische Beschäftigung mit den Kriegsursachen und dem Kriegsausbruch, verständ­ licherweise vor allem bei den Besiegten. Bereits im Jahre 1919 wurde mit der Herausgabe der reichsdeutschen Vorkriegsakten begonnen, wodurch auch die Regierungen der anderen am Weltkrieg beteiligten Mächte unter Zugzwang gerieten. So entstanden Aktenveröffentlichungen zur britischen, französischen, österreichisch-ungarischen und russischen Vorkriegspolitik. Nur Jugoslawien zögerte und konnte sich erst seit 1980 zu einer entsprechenden Publikation entschließen . 5 Allerdings hatten bereits 1944/45 Fritz v. Reinöhl bzw. Ludwig Bittner, Alois Hajek und Hans Uebersberger Teile der 1941 erbeuteten serbi­ schen Geheimakten ediert. 6 Fritz Würthle hat die Wissenschaftlichkeit dieser von der Forschung kaum zur Kenntnis genommenen Edition eindeutig klar­ gestellt. 7 Während bei der Editionstätigkeit die Reichsdeutschen die Initiative ergrif­ fen hatten, waren die Amerikaner monographisch führend tätig: Harry E . Barnes ( 1926) und Sidney B . Fay ( 1928) entlasteten Berlin von der Allein­ schuld am Kriegsausbruch . Gegen solche Revision sprach sich allerdings Ber­ nadotte E. Schmitt 1930 aus . 1942/43 erschien die ausführlichste Darstellung der Julikrise aus der Feder des italienischen Journalisten Luigi Albertini; sie kritisierte die Haltung aller führenden Politiker und Militärs, besonders aber die der reichsdeutschen . Inzwischen war man in der internationalen Diskussion dazu gekommen, die 'Schuld' ausgewogener zu verteilen. Der britische Premierminister Lloyd George stellte 1933 fest, daß keine Regierung den Krieg mit Vorbedacht pro­ voziert habe. Diese These machte sich auch der Nestor der französischen Weltkriegsforschung, Pierre Renouvin, zu eigen. Auf einer Tagung bundesdeut­ scher und französischer Historiker 1951 in Mainz unterschrieb er mit Gerhard 5 Vladimir Dedijer u. a. [Hrsg.], Documents sur Ia politique exterieure du royaume de Serbie, Bd. 7/1-2, Beograd 1980; Milos Boghitschewirsch [Bogicevic] , Die auswär­ tige Politik Serbiens 1903 -1914, Bd. 1-3, Berlin 1928 -1931, ist eine private Sammlung des bis 1914 in Berlin amtierenden serbischen Geschäftsträgers. Vgl. Baumgan, Quellen­ kunde S. 48-50. 6 Siehe Quellen- und Literaturverzeichnis . Vgl. Baumgart, Quellenkunde S . 48-50. 7 Friedrich Würthle, Dokumente zum Sarajevoprozeß, Wien 1978, S . 120 -124 (Mitt. d. Österr. Staatsarchivs. Erg. -Bd. 9).

4

Einleitung

Ritter eine Erklärung über den Stand der Erforschung des Kriegsausbruches, verbunden mit der Absicht 8: . . . i m Jahre 1914 [nicht] irgendeiner Regierung oder einem Volk den bewußten Willen zu einem europäischen Krieg zuzuschreiben [ . . . ]. Die deutsche Politik zielte 1914 nicht auf die Entfesselung eines europäischen Krieges; sie war in erster Linie bedingt durch die Bündnisverpflichtung gegenüber Österreich-Ungarn. Um der als gefährlich empfun­ denen Auflösung dieses Staates entgegenzuwirken, hat man der Wiener Regierung Zusi­ cherungen gegeben, die einer Blankovollmacht gleichkamen. Die deutsche Regierung war von der Vorstellung beherrscht, eine Lokalisierung des Konfliktes mit Serbien würde wie 1908/09 möglich sein; gleichwohl war sie bereit, nötigenfalls die Gefahr eines europäischen Krieges auf sich zu nehmen.

Seit 1959 lösten dann die Thesen von Fritz Fischer eine neue, bis heute an­ dauernde Kriegsschulddiskussion aus . Winfried Baumgart hat diese Thesen folgendermaßen zusammengefaßt: 1 . Die europäischen Mächte seien 1914 keineswegs in einen Krieg hineingeschlittert; dieser sei vielmehr im wesentlichen von der deutschen Politik mit Vorbedacht geplant und verursacht worden . . . 2 . Eine . . . zentrale Beweisfunktion spricht er [Fischer] dem sogenannten 'September­ programm' des Reichskanzlers Bethmann Hollweg zu, in dem dieser auf dem Höhe­ punkt der Marneschlacht am 9. September 1914 weitgreifende deutsche Kriegsziele für einen kommenden Friedensschluß niedergeschrieben hat. Dieses Programm sei die unverrückbare Richtschnur für die gesamte deutsche Kriegszielpolitik während des Weltkriegs gewesen. 3. Die verbedachte Weltkriegsplanung und die zielgerichtete Weltkriegsführung seien in erster Linie von Bethmann Hollweg zu verantworten, der als politischer Exponent weiter expansionistischer Kreise des deutschen Volkes zu gelten habe. 4 . Die Einheitlichkeit der in Bethmann Hollweg zum Ausdruck kommenden aggres­ siven Großmacht- und Weltmachtpolitik Deutschlands müsse in eine längere Kon­ tinuitätskette eingefügt, nämlich in den größeren Rahmen der deutschen Vor­ kriegs- und Nachkriegsgeschichte eingebettet werden. Die deutsche imperialistische Weltpolitik der Wilhelminischen Zeit sei die eigentliche Erklärung für den Ersten Weltkrieg9•

Hauptkontrahenten Fritz Fischers waren Egmont Zechlin, Karl Dietrich Erdmann, Gerhard Ritter und Erwin Hölzle. Zechlin sprach von "präventiver 8 Baumgart, Julikrise S. XV. 9 Baumgart, Julikrise S. XVI . - Eine der letzten Arbeiten der Fischer-Schule ist lm­ manuel Geiss, Die manipulierte Kriegsschuldfrage. In: Militärgeschichtliche Mitteilun­ gen 34 ( 1983), S. 31-60. Aus Schweizer Sicht Adolf Gasser, Preussischer Militärgeist und Kriegsentfesselung 1914 . Drei Studien zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, Basel, Frankfurt/M. 1985 . - Siehe Gregor Schöllgen, Griff nach der Weltmacht? 25 Jahre Fischer-Kontroverse. In: Historisches Jahrbuch 106 ( 1986), S. 386-406 .

Einleitung

5

Abwehr" . Erdmann, Herausgeber der Riezler-Tagebücher, erklärte das deut­ sche Verhalten im Juli 1914 als "defensiven Willen zur Selbstbehauptung als Großmacht" . Ritter entdämonisierte die Person Bethmann Rollwegs und sah einen prinzipiellen Gegensatz zwischen ihm und annexionistischen Kreisen um Ludendorff. Hölzle kritisierte an der Fischer-Schule vor allem, daß sie ausschließlich die reichsdeutsche Seite betrachte, die innen- und außenpoli­ tischen Aspekte der anderen Mächte außer acht lasse und trotzdem zu pau­ schalen Urteilen gelange. Ich schließe mich hier Winfried Baumgarts sachlich­ zurückhaltender Position an: Es ist [ . . . ] einem universalgeschichtlichen Phänomen wie dem Weltkrieg allein angemes­ sen, wenn man ihm bei abschließender Würdigung in solcher Sicht beizukommen sucht. Aus einem Kreis von Problernen ein einziges Segment herauszuschneiden oder aus einer Lage von Schichten eine einzige herauszulösen, sie scharf zu beleuchten, die anderen im Dunkel oder Halbdunkel zu lassen und schließlich den Ausschnitt als das Ganze oder Wesentliche auszugeben, ist methodisch von vornherein fragwürdig [ . . . ] Endgültige Klarheit läßt sich [ . . . ] erst erreichen, wenn gleichgeartete Problerne außerhalb der deut­ schen Geschichte, also in der französischen, englischen, russischen usw. Geschichte, mit der gleichen Intensität untersucht und dadurch die Proportionen erst zurecht­ gerückt werden. 10

Erst wenn alle Archive der alliierten Staaten, auch deren Geheimbestände, ebenso uneingeschränkt auswertbar sein werden wie die reichsdeutschen und österreichischen, wird eine größtmögliche Objektivität im gesamteuropäischen, ja Weltzusammenhang möglich sein . Unbestreitbar ist das Verdienst Fischers, zum neuerlichen kritischen Durchdenken von Weltkriegsursachen, -anlaß und -verlauf angeregt zu haben. Ich bin der Meinung, daß alle europäischen Staatsmänner 1914 mit dem Risiko eines Krieges, ja sogar eines Weltkrieges gespielt, diesen wohl aber nicht planmäßig herbeigeführt haben. Natürlich ahnten sie nicht, daß der Krieg vier Jahre dauern und zehn Millionen Tote kosten würde . Vielmehr glaubten sie, daß der Krieg, als Verteidigungskrieg proklamiert, zu Weihnach­ ten 1914 beendet sein würde . Sicher spielte die sogenannte Bündnisautomatik eine große Rolle; der Hauptgrund lag aber meines Erachtens in der verbrei­ teten Vorstellung, daß die vielen aufgestauten Probleme nicht mehr mit fried­ lichen Mitteln zu lösen seien und daß es - so die Formel - das einzig 'Ehren­ hafte' sei, die Waffen sprechen zu lassen . Theoretisch wäre es ja durchaus denkbar gewesen, durch ein europäisches Diplomatentreffen (wie angesichts der Marokkokrisen, der bosnischen Annexionskrise und der Balkankriege) die Julikrise zu entspannen, vielleicht sogar zu lösen, schon anläßlich des Begräbnisses des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand (obwohl es dort 1 0 Baurngart, Julikrise S. XVIII.

6

Einleitung

wegen der k.u.k. Hofetikette in bezug auf die morganatische Ehe zu Schwie­ rigkeiten gekommen wäre) . Der Krieg wurde vielfach als etwas schicksalhaft Unabwendbares aufgefaßt. Als Millionen Soldaten mobilisiert und die Eisenbahnwaggons im Rollen wa­ ren, war der Krieg auch vom 'Technischen' her kaum mehr aufzuhalten. Wäh­ rend des Krieges selbst hielten es breite Volkskreise beider Seiten für unsinnig, ja angesichts der großen Blutopfer für unehrenhaft und schmählich, zum Status quo ante zurückzukehren : Wenn schon Krieg sein müsse, dann müsse er sich machtpolitisch, national und wirtschaftlich 'auszahlen' . Also Siegfrie­ den, Vernichtung des Gegners, Annexionen, Einflußgebiete, Grenzstreifen, Aufteilungen usw. Das Deutsche Reich hat sicher nicht schon vor 1914 einen Weltkrieg 'ge­ plant' . Es hat auch seine Kriegsziele nicht schon im Juli 1914 genau formuliert. Die Generalstäbe Berlins und Wiens haben vor 1914 nur vage Abmachungen getroffen. Während des Krieges war die Koordination der Kriegsplanung und der Kriegsziele der Mittelmächte weniger effizient als die der Ententemächte. Ein einheitlicher Oberbefehl der Zentralmächte kam erst am 6 . September 1916 zustande; Südtiroloffensive und Verdun wurden dem Bündnispartner erst im nachhinein ( ! ) zur Kenntnis gebracht usw. Die Arbeiten Fritz Fellners 11, Peter Brouceks 12 , Rudolf Jei'abeks 13 und Volker Ullrichs 14 haben die reichsdeutsche Politik in schärferen Konturen erscheinen lassen. Ihnen zufolge hat die deutsche Reichsleitung den Zeitpunkt des Thronfolgermordes als gerade noch günstig angesehen, den ohnehin als unvermeidlich angenommenen Waffengang - vor der Vollendung der Rüstung der Ententemächte - zu wagen. Verhängnisvoll mußte es sich auswirken, daß man in Berlin bis zuletzt an ein Nichteingreifen Londons glaubte 1 5 (in Paris war man sich hingegen einer Unterstützung durch Großbritannien sicher). Bezeichnend ist, daß man sich in Berlin eine Paralysierung Englands durch einen irischen Aufstand erhoffte. 16 Zurück zum Anlaß des Weltkrieges : Siehe Quellen- und Literaturverzeichnis . Wie Anm. 1 1 . Wie Anm. 1 1 . Wie Anm . 1 1 . Harry F. Young, The Misunderstanding o f August 1, 1914. In : The Journal o f Mo­ dern History 48 (1976), S. 644 - 665; Young, Prince Lichnowsky and the Great War, Athens 1977; Klaus Wormer, Großbritannien, Rußland und Deutschland, München 1980 (Veröffentl. d. Hist. Inst. d. Univ. Mannheim, Bd. 6); Gregor Schöllgen, Imperia­ lismus und Gleichgewicht. Deutschland, England und die orientalische Frage 1871 1914, München 1984. 1 6 Wolfgang Hünseler, Die irische Bürgerkriegsgefahr im Kalkül der deutschen

11 12 13 14 15

Einleitung

7

Am 28. 6. 1914 ermordete der bosnische Student serbischer Nationalität Gavrilo Prin­ cip den Thronfolger und Generalinspektor der gesamten bewaffneten Macht Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Gemahlin Herzogin Sophie v. Hohenberg in Sarajevo. Damit war der Hauptexponent eines Entgegenkommens gegenüber den österreichisch­ ungarischen Slawen - ein solches hätte die Zugkraft eines südslawischen Reiches unter Führung der Dynastie Karadjordjevic gemindert - gefallen. Eine Gruppe von acht Attentätern, auf serbischem Boden geschult und mit Waffen aus dem Armeelager von Kragujevac ausgerüstet, hatte das Attentat geplant; der serbische Major Tankosic und der serbische Eisenbahner Ciganovic hatten ihre Hände im Spiel. Die Geheimorganisa­ tion 'Vereinigung oder Tod' bzw. 'Schwarze Hand' (mit großserbischen Tendenzen) und die mit ihr in Verbindung stehende Gruppe 'Jung-Bosnien' (Mlada Bosna; mit jugo­ slawischen Endzielen) stand hinter den Attentätern. 1910-1914 waren fünf Attentate vorausgegangen (letztes am 20. 5. 1914 gegen Banus Skerlecz). Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde bekannt, daß der Chef der Nachrichtenabtei­ lung des serbischen Generalstabes und führende Angehörige der 'Schwarzen Hand' Dragutin Dimitrijevic (genannt Apis) das Attentat geplant und sein Untergebener Malobabic es vorbereitet hatte. Dimitrijevic habe sich beim russischen Militärattache Artamanov versichert, daß Rußland Serbien im Konfliktfall nicht im Stich lassen werde, er habe aber Artamanov nicht in die Attentatspläne eingeweiht. Dimitrijevic war mit dem serbischen Ministerpräsidenten Pa5ic tödlich verfeindet; er wurde im Juni 1917 nach einem problematischen Prozeß in Saloniki von einem serbischen Kriegsgericht zum Tode verurteilt und erschossen, vielleicht als Vorausleistung für einen Sonderfrieden Ser­ biens mit der Donaumonarchie. 1924 veröffentlichte der ehemalige serbische Unterrichtsminister Ljuba Jovanovic Memoiren, worin er mitteilte, einige Wochen vor dem Attentat habe Pasic von den Vorbe­ reitungen einiger Männer zu einem Anschlag gegen Franz Ferdinand in Sarajevo gespro­ chen; es sei nicht geglückt, ihren Übertritt nach Bosnien zu verhindern. 1941 wurde im politischen Archiv des serbischen Außenministeriums ein undatierter Handzettel PasiC' (zwischen 2. und 13 . 6. 1914 geschrieben) 17 gefunden, der den Eindruck des Niederschlags

Großbritannienpolitik in der Julikrise 1914. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 32 ( 1982), s . 35 -44. 17 Ludwig, Bittner, u. a. [Hrsg.], Serbiens Außenpolitik 1908 -1918, Wien 1945 , S. 6-13 (Veröffentl. d. Reichsarchives Wien. Reihe 2, B d . 3, 1. Lieferung); Vladimir Dedijer, u. a. (Hrsg.), Documents sur Ia politique exterieure du royaume de Serbie, Bd. 7/1-2, Beograd 1980, S . 340 (Übersetzung aus dem Serbokroatischen): Das Dokument in der Beilage haben wir im Juni 1975 aus Österreich bekommen. Jetzt befindet es sich im Archiv des Bundessekretariates für Auswärtige Angelegenheiten. Auf dem Dokument gibt es keine Signatur, anband deren die Zuordnung zu irgendeiner Behörde des König­ reiches Serbien möglich wäre. Es gibt keinen Anhaltspunkt für den genauen Zeitpunkt seiner Abfassung. Die graphologische Untersuchung hat ergeben, .daß die Marginalien von der Hand des Ministerpräsidenten und Außenministers des Königreiches Serbien Nikola Pa5ic stammen könnten. Was die Frage der Handschrift von Pa5ic anbelangt, so ist festzuhalten, daß die Notizen offensichtlich anläßlich des Studiums irgendwelcher

8

Einleitung

einer ersten Information über den Weg der Verschwörer macht. Dieses Dokument, 1945 ediert, wurde nach dem Krieg als NS-Propaganda abgetan oder gar nicht zur Kennt­ nis genommen; die Authentizität der Edition steht jedoch heute außer Zweifel. 1914 war ein Beweis für die Mitwisserschaft der serbischen Regierung nicht zu erbrin­ gen. Auch heute ist das Ausmaß einer etwaigen Mitwisserschaft der Regierung umstrit­ ten (auch eine Mitwisserschaft würde noch keine Mittäterschaft bedeuten !). Der Über­ tritt der Attentäter nach Bosnien wurde zumindest nicht verhindert, vielleicht aus Furcht vor der 'Schwarzen Hand'. Eine Preisgabe der Verschwörer hätte Konsequenzen für die südslawische Propaganda bzw. für die großserbische Idee gehabt. Ciganovic wurde die Flucht nach Albanien ermöglicht, die Flucht eines anderen Verschwörers, Mehmedbasic, wurde von den montenegrinischen Behörden ermöglicht. Eine Beflaggung in der Ortschaft Metalka an der bosnisch-montenegrinischen Grenze am 30. 6. wurde von den k.u.k. Behörden zuerst als "Feier des Attentats" ausge­ legt, stellte sich aber am 6. 7. als Feier des Geburtstages des montenegrinischen Kron­ prinzen Danilo heraus . 1 8 Die politischen Kreise Europas verabscheuten offiziell die Tat, erwarteten eine rasche Vergeltung von seiten Österreich-Ungarns . In der Habsburgermonarchie war bei Diplo­ maten, Politikern, Publizisten, Militärs die Ansicht vorherrschend, daß Serbien für das Attentat zur Verantwortung gezogen werden müsse, daß nur eine Niederwerfung Serbiens die Bedrohung beenden könne. Der Chef des k.u.k. Generalstabes Conrad v. Hötzendorf war für einen sofortigen Krieg gegen Serbien, der k.u.k. Minister des Äußern Graf Berchtold und der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza wollten erst die Zustimmung aus Berlin abwarten. Berchtold war im Juni/Juli von der am Ballhaus­ platz die antiserbische Politik gestaltenden jüngeren Generation der Diplomaten Oohann Graf Forgach, Alexander Frhr. v. Musulin, Alexander Graf Hoyos) - die von den dynamisch-imperialistischen Grundsätzen Aehrenthals geprägt war - beeinflußt. Hoyos wurde vom Legationssekretär an der deutschen Botschaft Dietrich v. Bethmann Hollweg, dem Neffen des Reichskanzlers, bestärkt. Die Leitmotive Österreich­ Ungarns für die Entscheidungen des Juli 1914 waren: Notwendigkeit einer aktiven Außenpolitik zur Überwindung der inneren Schwierigkeiten; Notwendigkeit einer expansiven Balkanpolitik zur Wahrung der Großmachtstellung Österreich-Ungarns; Demütigung bzw. Zerschlagung Serbiens als Garantie der Großmachtstellung Habs­ burgs, Entschlossenheit, mit Serbien 'abzurechnen' und gegen Serbien Krieg zu führen (Thronfolgermord als weithin akzeptabler Vorwand). Zwischen 3. und 6. 7. 1914 war der Kabinettschef Berchtolds, Hoyos, in Berlin. Am 5. 7. erhielt er den berühmten 'Blankoscheck' Berlins für Wien (schon im Oktober 1908 war eine fast gleichartige Unterstützung Hoyos' erfolgt). Unterstaatssekretär Zimmer­ mann meinte zu Hoyos: "90 % Wahrscheinlichkeit für einen europäischen Krieg, wenn Sie etwas gegen Serbien unternehmen . " 19 Unterstützung und Rückendeckung Berlins

Akten gemacht wurden, zu einem Zeitpunkt, zu dem die (in der Notiz angeführten) Tatsachen schon bekannt waren. 1 8 Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Politisches Archiv, PA I 811. 19 Fritz Fellner, Die 'Mission Hoyos' . In: Recueil des travaux aux Assises scientifi-

Einleitung

9

waren damit für einen Krieg gesichert, der die machtpolitische Situation auf dem Balkan zugunsten Österreich-Ungarns verändern sollte. Am 7. Juli erstattete Hoyos Berchtold und den beiden Ministerpräsidenten unter Beisein des deutschen Botschafters v. Tschirschky (!) mündlich Bericht. Der darauf fol­ gende gemeinsame Ministerrat beschloß die "tunlichst rasche Entscheidung des Streit­ falles mit Serbien im kriegerischen oder friedlichen Sinne" herbeizuführen. Alle Anwe­ senden mit Ausnahme Tiszas waren der Ansicht, "daß ein rein diplomatischer Erfolg, auch wenn er mit einer eklatanten Demütigung Serbiens enden würde, wertlos wäre und daß daher solche weitgehenden Forderungen an Serbien gestellt werden müßten, die eine Ablehnung voraussehen ließen, damit eine radikale Lösung im Wege militärischen Eingreifens angebahnt würde" 2o. Am 8. Juli forderte Tschirschky von Berchtold unverzügliches Handeln gegen Ser­ bien. Tisza, von Berchtold darüber unterrichtet, wollte sich durch diese reichsdeutsche Direktive nicht beeinflussen lassen. Die Stimmung war in Österreich-Ungarn so, als handele es sich um die Schicksalsstunde für das Habsburgerreich; man fürchtete, die Freundschaft des Deutschen Reiches zu verlieren, wenn man nichts unternähme, um Grenzen und Bestand der Monarchie sicherzustellen. Die reichsdeutsche militärische Führung war ab Mitte Juli 1914 mit einer Präventiv­ kriegsplanung beschäftigt. Der Anlaß des Krieges, der österreichisch-ungarische Wunsch der Niederschlagung Serbiens, war von eigenen militärischen Erwägungen verdrängt worden. Der Entwurf für das an Belgien zu richtende Ultimatum wurde schon vor der serbischen Antwort auf das österreichisch-ungarische Ultimatum vom 23. 7. vom deut­ schen Generalstab ausgearbeitet und am 26. 7. (also vor der österreichisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien am 28. 7.) an das deutsche Auswärtige Amt weitergeleitet. 21 Am 24 . Juli schlug Sir Edward Grey vor, daß Großbritannien, das Deutsche Reich, Frankreich und Italien zwischen Österreich-Ungarn und Rußland (nicht zwischen Wien und Belgrad !) vermitteln sollten. Dieser Vorschlag für eine Konferenz in London wurde von Berlin endgültig am 28. Juli abgelehnt; es sei für das Deutsche Reich unmöglich, seinen Bundesgenossen in seiner Auseinandersetzung mit Serbien vor ein europäisches Gericht zu ziehen. Am 25. 7. arbeitete der dem k.u.k. Ministerium des Äußern zugeteilte Universitäts­ professor Holcl-Ferneck für Musulin ein Gutachten aus, das die Gründe darlegte, warum man an Serbien auch dann den Krieg erklären könnte, wenn die serbische Regie­ rung "unsere Forderungen ohne jeden Protest pauschaliter anzunehmen [sich bereit] erklärt" 22 • Am 27. 7. erbat Berchtold von Kaiser Franz Joseph I. die Unterzeichnung der Kriegserklärung mit der Begründung, er "halte es nicht für ausgeschlossen, daß die

ques internationales. Les grandes puissances et Ia Serbie a Ia veille de Ia Premiere guerre mondiale, Beograd 1976, S. 403 (Assise scientifique de l'Academie serbe des sciences et des arts . 4. Classe des sciences historiques 1 ) . 20 Ludwig Bittner, u. a. [Hrsg.], Österreich-Ungarns Außenpolitik von der Bosni­ schen Krise 1908 bis zum Kriegsausbruch 1914, Bd. 8, Wien 1930, S. 344. 21 Fellner, Hoyos S. 405 f. 22 Bittner, ÖUA VIII S. 732 .

10

Einleitung

Tripie-Entente noch einen Versuch machen könnte, eine friedliche Beilegung des Kon­ fliktes zu erreichen, wenn nicht durch eine Kriegserklärung eine klare Situation geschaf­ fen wird" 23 • General Conrad von Hötzendorf erklärte sich außerstanJe, vor einer Frist von vierzehn Tagen den Krieg beginnen zu können. Am 28. 7 . , dem Tag der österrei­ chisch-ungarischen Kriegserklärung an Serbien, machte Kaiser Wilhelm II. seinen 'Halt-in-Belgrad'-Vorschlag (Belgrad als Faustpfand Österreich-Ungarns). Am 29. 7. schlug Grey Berlin vor, daß Österreich-Ungarn seinen Vormarsch nach Besetzung Bel­ grads abbrechen und seine Differenzen mit Rußland der Vermittlung der Mächte anheirnstellen solle (der letzte britische Vermittlungsversuch erging arn 31. 7., als das deutsche Ultimaturn an Rußland gerichtet wurde) . Wenn die Wiener Kriegserklärung an Serbien erst einen Monat nach dem Attentat erfolgte, so lag dies kurioserweise auch daran, daß damals ein erheblicher Teil der Soldaten gerade auf Ernteurlaub war.

Die Burgfriedenspolitik

Die Festigung der nationalen Existenz über alles Trennende hinweg war das Ziel der von Bethmann Hollweg bei Kriegsbeginn proklamierten 'Burgfrie­ denspolitik' . Burgfrieden bedeutete Verzicht auf die Austragung parteipoliti­ scher, konfessioneller, klassen- und verbandspolitischer Konflikte während des Krieges . Bethmanns entscheidender Erfolg war es, daß Freie Gewerk­ schaften und Sozialdemokratische Partei in die nationale Einheitsfront ein­ traten. Die Freien Gewerkschaften bekannten sich durch Ruhenlassen aller unausgetragenen Konflikte am 2. 8. 1914 zur Burgfriedenspolitik. Die An­ nahme der Kriegskredite durch die Sozialdemokratie in den zwölf Reichstags­ abstimmungen vom 4. 8. 1914 bis zum Juli 1918 war eine Bestätigung ihrer Ver­ teidigungsbereitschaft nach außen und der Burgfriedensbereitschaft nach innen . Die von Anfang an vorhandene innerparteiliche Opposition in der sozial­ demokratischen Fraktion fügte sich zunächst der Fraktionsmehrheit, indem sie im Plenum mit der Mehrheit stimmte oder indem sie das Plenum vor der Abstimmung verließ . Der Bruch der Fraktionsdisziplin zunächst durch ein­ zelne Abgeordnete (Liebknecht, Rühle, Dezember 1914 bzw. März 1915), dann durch die anfangs 20 von 44 oppositionellen Abgeordneten umfassende Gruppe Haase (21 . 12 . 1915) bedeutete zugleich auch die Aufkündigung des Burgfriedens durch die sozialdemokratische Linke. Die 'Gruppe Haase' kon23 Bittner, ÖUA VIII S. 811. 24 In den Abschnitten II-IX folge ich weitgehend der Darstellung Hubers (Verfas­ sungsgeschichte V passim, Belege in den Anmerkungen 30-35); meines Erachtens ist sie besonders ausgewogen, durchdacht und klar.

Einleitung

11

stltmerte sich am 30. März 1916 unter dem Namen 'Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft' (SAG) als selbständige Fraktion. Die von Liebknecht ge­ führte 'Gruppe Internationale' bildete sich am 1. Januar 1916 zum 'Spartakus­ Bund' um. Dessen 'Leitsätze' verbanden "Klassenkampf auch im Krieg" , "Klassenaktion des Proletariats aller Länder" gegen den Krieg und "revolutio­ nären Klassenkampf gegen den Imperialismus" der herrschenden Bourgeoi­ sie. Die deutschen Linken nahmen an der Zimmerwalder Konferenz (5 .-8 . 9. 1915), der Jenaer Jugendkonferenz (23 .-24 . 4 . 1916) und an der Kienthaler Konferenz (24 .-30. 4. 1916) teil. Liebknechts Auftreten und Maßregelung im Reichstag (5 / 8 . 4. 1916), die Mai-Demonstration 1916 und die Festnahme Liebknechts, seine Verurteilung durch das Kriegsgericht (28 . 6. 1916), die Reichskonferenz der Opposition (7. 1. 1917) sind weitere Etappen zur Grün­ dung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) (6.- 8 . 4. 1917) . Die Unabhängigen standen offen außerhalb der Burgfriedensfront ('Burg­ krieg, nicht Burgfrieden') . D i e Gewerkschaften hielten a n ihrer Entscheidung, die Produktivkraft der Arbeiterschaft in den Dienst der gemeinsamen kriegswirtschaftlichen Anstrengungen zu stellen, während der ganzen Kriegsdauer fest. Die Staats­ führung zog die Gewerkschaften für öffentliche Funktionen heran: Führende Arbeitnehmervertreter traten 1916 an leitender Stelle in kriegswirtschaftliche Reichszentralbehörden ein, Anfang Oktober 1918 wurde Gustav Bauer, zwei­ ter Vorsitzender der Generalkommission der Freien Gewerkschaften, Staats­ sekretär des Reichsarbeitsamts . Die Festigung der Koalitionsfreiheit erfolgte durch das Gesetz vom 26. 6. 1916 . Das Gesetz zur Aufhebung von § 153 der Reichsgewerbeordnung trat im Mai 1918 in Kraft. Das Hilfsdienstgesetz vom 5. Dezember 1916 sah bei einer Mindestzahl von 50 Beschäftigten obligatori­ sche Arbeiter- und Angestellten-Ausschüsse vor. Der § 14 sicherte den im Hilfsdienst Beschäftigten das Vereins- und Versammlungsrecht (auch das Recht zum arbeitsrechtlichen Streik) zu . Seit 1916 waren die großen Gewerk­ schaftseinrichtungen (Freie, Christliche, Hirsch-Dunckersche) zu einem Kar­ tell verbunden. Nach der Ablehnung des deutschen Friedensangebots vom Dezember 1916 betonten die Gewerkschaftsführer in Schreiben an den Reichs­ kanzler und an das Kriegsamt vom 16. 1. 1917 ihre Übereinstimmung mit der Regierung (Abwehr der Feinde des Reiches) . Der Aprilstreik 1917, durch die 'Revolutionären Obleute' (teils der Spartakusgruppe, teils dem linken Flügel der USPD zugeneigt) organisiert, scheiterte an der Gewerkschaftsführung, die, nachdem sie Zugeständnisse der Behörden erreicht hatte, am zweiten Tag den Streikabbruch durchsetzte. Der Reichstag, am 4. 8 . 1914 vertagt, wurde im Dezember 1914 wieder ein­ berufen. Seitdem kam es nur zu Vertagungen, nicht zur Beendigung der Sit­ zungsperiode durch Schließung. Ab 1915 kehrten die Parteien zur echten par.

12

Einleitung

lamentarischen Diskussion zurück. Die anfängliche Funktionslosigkeit des Parlaments hatte zur Folge, daß die politische Aktivität an außerparlamenta­ rische Kräfte überging: an politische Organisationen der Rechten (z. B. den Alldeutschen Verband), an neugebildete Gruppen (z. B. den Unabhängigen Ausschuß für einen Deutschen Frieden), an die Wirtschaftsverbände und die Gewerkschaften sowie an die revolutionären Untergrundorganisationen der radikalen Opposition . In vielen Streitfragen ergab sich im Reichstag Übereinstimmung, so bei der Reform des Reichsvereinsgesetzes, den Änderungen des Belagerungsgesetzes, der Verabschiedung des Hilfsdienstgesetzes . Bei anderen Fragen (Kriegsziel­ frage, Verfassungsreform) vertieften sich die Spannungen, so daß die Burgfrie­ denspolitik 1917/18 in eine Dauerkrise trat. In bezug auf die Verschiebung von Neuwahlen und die Neutralisierung der Nachwahlen zum Reichstag hielt der Burgfriede unter den großen Parteien bis Kriegsende . Da die Reichsleitung sich zur Einbeziehung der Sozialdemokratie in die na­ tionale Verteidigungsfront entschloß, wurde die bisherige Diskriminierung der­ selben als eine verfassungsfeindliche Partei beendet: Aufhebung des Verbots des Haltens oder Verbreitens sozialdemokratischer Zeitungen in Kasernen (31 . 8 . 1914), staatliche Bestätigung für Sozialdemokraten im Fall ihrer Wahl z u mittel­ baren Staatsbeamten (6 . 1. 1915), Zugang zum unmittelbaren Staatsdienst, auch zu führenden Reichsämtern. Die Mehrheit der Partei verstand unter 'Klassen­ kampf' immer mehr den Kampf um die Gleichberechtigung der Klassen; dieses Ziel ließ sich durch Reformpolitik besser als durch Revolution erreichen. Die Minderheit, die schließlich die Partei verließ, verstand unter Klassenkampf weiter den revolutionären Umsturz, die Zerstörung der bisherigen Oberschicht. Dem wiederholten Versuch der Konservativen, die Aufrichtigkeit der sozial­ demokratischen Verteidigungsbereitschaft in Zweifel zu ziehen, trat Beth­ mann Hollweg in einer Rede im Reichstag am 5. Juni 1916 entgegen. Der Beifall hierfür von seiten der Freikonservativen, Nationalliberalen, des Zen­ trums, der Fortschrittlichen Volkspartei und der Sozialdemokraten zeigte die breite Front der Burgfriedenseinheit. Nur Konservative und radikale Linke schlossen sich von diesem Bekenntnis zur inneren Einheit aus . Das Ziel der 'Neuorientierung' war es, allen Teilen des Volkes das Bewußt­ sein zu geben, am Staat, der Opfer forderte, gleichberechtigten Anteil zu haben . B ethmanns Dilemma war: Wenn er die Politik der Neuorientierung - die der Sozialdemokratie die Einordnung in den Staat ermöglichte - ernst­ haft betrieb, mußte er mit den Konservativen in Konflikt geraten; wenn er in Fragen der inneren Reformen zu vorsichtig taktierte, mußte er den Sozialde­ mokraten als unaufrichtig erscheinen. In diesem Dilemma versuchte der Kanzler eine 'Politik der Diagonale' . Am Ende verdarb er es sich mit beiden Seiten und wurde von der Rechten und Linken gestürzt.

Einleitung

13

Durch verfassungs-, sozial- und wirtschaftspolitische Reformen versuchte Bethmann, den Interessen aller politischen Richtungen entgegenzukommen . Er wollte die Sozialdemokraten durch die preußische Wahlreform und durch sozialpolitische Zusagen zufriedenstellen. Das Zentrum und die Polen sollten durch die Aufhebung konfessions- und nationalpolitischer Benachteiligungen gewonnen werden. Den Konservativen sollten wirtschaftspolitische Kompen­ sationen (Getreidehandelsmonopol, agrarfreundlicher Ausbau der Börsenauf­ sicht, Landwirtschaftsförderung) gegeben werden. Die Nationalliberalen konnten gewisse Modalitäten der Wahlreform (Momente des Pluralwahlrechts) erwarten, die Linksliberalen die Parlamentarisierung der Reichsleitung. Mit dem Gesetz über den Kriegszustand vom 4. 12 . 1916 und dem Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst vom 5. 12 . 1916 wurde ein wichtiges Stück innerer Neuorientierung verwirklicht. Über die Fragen der allgemeinen verfassungspolitischen Reformen kam es 1917 zu schweren inneren Kämpfen, die das Ende des Bur gfriedens zur Folge hatten . In den Reichstagsdebatten vom Februar/März 1917 forderten die Liberalen den Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem, die Sozialdemokra­ ten hatten schon am 1 1 . Oktober 1916 offen Kollegialisierung und Parlamen­ tarisierung der Reichsleitung verlangt. Im April 1917 konstituierte sich ein Ver­ fassungsausschuß des Reichstages 'für die Prüfung verfassungsrechtlicher Fragen, insbesondere der Zusammensetzung der Volksvertretung und ihres Verhältnisses zur Regierung' . Am 15./16 . 5. 1917 wurde im Reichstag über die Parlamentarisierung der Regierungsgewalt und über die parlamentarische Kontrolle der Kommandogewalt debattiert. Der einzige unmittelbare Erfolg des Verfassungsausschuses war die Annahme der Resolution über die Einfüh­ rung des Verhältniswahlrechts in den großstädtischen Wahlkreisen; das diesbe­ zügliche Gesetz trat allerdings erst am 24. 8. 1918 in Kraft. In der Frage des preußischen Wahlrechts widerstrebten die Konservativen einer Reform aus grundsätzlichen Erwägungen; die Nationalliberalen und das Zentrum suchten die Entscheidung in die Nachkriegszeit zu verschieben; selbst in der Fortschrittlichen Volkspartei gab es keine einhellige Meinung. Nur die Sozialdemokraten beharrten auf der sofortigen Behandlung des Pro­ blems . Bethmann versuchte durch Wiedervorlage des Fideikommißgesetzes 1916 einen Teil der Konservativen kompromißbereit zu machen . Einen Auftakt der Reform setzte die 'Osterbotschaft' des Kaisers vom 7. 4. 1917; sie betraf den Gesamtbereich der Neuorientierung, nicht nur die preußische Wahl­ reform. Die Vorbereitung könne noch im Kriege erfolgen, die Inkraftsetzung aber erst nach dem Kriege. Der zeitliche Vorbehalt erweckte den Anschein von Unentschlossenheit und Unsicherheit, obwohl an Wahlen ohne Teilnahme der im Feld stehenden Soldaten nicht gedacht werden konnte. Der Kernfrage des preußischen Wahlrechts, einer Entscheidung für die Wahlrechtsgleichheit,

14

Einleitung

wurde ausgewichen. Mitte Mai 1917 entschieden sich die vier großen Fraktio­ nen des preußischen Abgeordnetenhauses (Freikonservative, Konservative, Zentrum, Nationalliberale) für das Pluralwahlrecht, ein differenzierendes Zu­ satzstimmensystem, und damit gegen die Wahlrechtsgleichheit. Innenminister v. Loebell legte am 18. 6. 1917 einen Wahlgesetzentwurf in diesem Sinne vor.

III . januarstreik und revolutionäre Oktoberbewegung 1918

Beim Streik in der Rüstungsindustrie zu Beginn des Jahres 1918 kam das revolutionäre Kampfmittel des Massenstreiks auf deutschem Boden erstmals zur Anwendung, nachdem es bereits im April 1917 dazu ein Vorspiel gegeben hatte. Träger des Streiks, der kein Lohnstreik, sondern ein gegen die Regie­ rung gerichteter politischer Streik war, waren nicht die Gewerkschaften, sondern die radikalen politischen Geheimorganisationen (Revolutionäre Obleute, Spartakus-Bund, Teile der USPD). Die Streikvorbereitungen gingen in die Zeit der russischen Oktoberrevolution zurück. Die für das Ausrufen des Streiks geeignete Situation entstand, als der Verlauf der Friedensverhand­ lungen in Brest-Litovsk die Hoffnung der breiten Massen auf einen schnellen Frieden im Osten enttäuschte. Die Umbildung der aus den enttäuschten Frie­ denserwartungen hervorgehenden Streikbereitschaft in Revolutionsbereit­ schaft war das strategische Konzept der radikalen Linken. Der Eintritt von drei Mehrheitssozialisten in die Streikleitung erfolgte wohl in der Absicht, die Führung der streikenden Massen nicht den Radikalen zu überlassen, sondern den Weg für eine Vermittlung zwischen Regierung und Arbeiterschaft offenzu­ halten, um den Streik zu beenden. Die Freien Gewerkschaften beschlossen die Neutralität, die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und die Christlichen Gewerkschaften nahmen eindeutig gegen den Streik Stellung. Im Endergebnis war der Januarstreik eine schwere Niederlage der äußersten Linken. Der Ab­ bruch des Streiks, ohne daß die Regierung sich auf Verhandlungen mit den Streikenden eingelassen oder irgendeine der Streikforderungen bewilligt hatte, zeigte die Schwäche des revolutionären Flügels der sozialistischen Be­ wegung. Die staatliche Autorität hatte sich als ungebrochen erwiesen. Die Handhabung des Kriegszustandsrechts zwang die den politischen Um­ sturz betreibenden Gruppen bis in den Sommer 1918 zur Tätigkeit im Unter­ grund . Die auch unter dem Kriegszustand unantastbare Immunität und Rede­ freiheit der Abgeordneten bzw. Freiheit der Parlamentsberichterstattung gaben den revolutionären Gruppen, soweit sie im Parlament vertreten waren, einen gewissen Spielraum von rechtlich gedeckter Agitationsfreiheit. Die ille-

Einleitung

15

gale revolutionäre Agitation war bis zum Sommer 1918 zwar spürbar, doch behielt die Staatsautorität bis zum Ende des vierten Kriegsjahres die Kontrolle über diese Kräfte. Erst mit der seit dem Beginn des fünften Kriegsjahres sicht­ bar werdenden militärischen Niederlage gewannen die revolutionären Grup­ pen schnell an Umfang und Wirksamkeit. Die Mittel des Kriegszustandsrechts reichten nicht mehr aus, um die revolutionäre Bewegung einzudämmen . Zu den revolutionären Gruppen gehörten 1918 von den Parteien nur die USPD, ursprünglich nur der linke Flügel (Ledebour); mehr und mehr wurden die Unabhängigen insgesamt zur revolutionären Partei. Zuletzt geriet auch der linke Flügel der Mehrheitssozialisten in ihren Sog. Der bisherige Unterschied zwischen USPD und Spartakus-Bund verwischte sich immer mehr. Die Stärke der revolutionären Bewegung beruhte Ende 1918 auf der Resonanz, die die revolutionären Parolen zunehmend in der organisierten Industriearbeiterschaft fanden . In den 'Revolutionären Obleuten' besaß die revolutionäre Arbeiter­ bewegung eine Führungsschicht, die in schwer kontrollierbarem Kontakt mit den Massen stand. Erst die innere Revolutionierung von Heer und Flotte konnte den Sieg der Umsturzbewegung herbeiführen. Der revolutionären Bewegung in der Flotte vom Sommer 1917 (eines auf die besonderen Marineverhältnisse der Kriegszeit zurückgehenden Einzelvorganges) konnten die militärischen Stellen schnell Herr werden. Bis zur großen Frühjahrsoffensive 1918 waren Heer und Flotte im ganzen intakt. Die revolutionäre Agitation seit den schweren Rückschlägen des Sommers 1918 trug nicht nur zu einer wachsenden Zahl von Disziplin­ widrigkeiten, sondern auch zu fortschreitenden Auflösungserscheinungen in der Armee erheblich bei . Die eigentlichen Ursachen dieser Erscheinungen waren nicht politischer Natur; aber die revolutionäre Agitation gab diesen militärischen Auflösungstendenzen ein politisches Ziel . Besonders die Besat­ zung der untätig in den Heimathäfen liegenden Schlachtflotte erwies sich als ein Reservoir, aus dem sich eine für den revolutionären Einsatz in der Heimat verfügbare Truppe aufstellen ließ . Es kam nur darauf an, daß sich in einem kri­ tischen Augenblick ein plausibler Beweggrund für eine militärische Gehor­ samsverweigerung bot. Auch die Organisationen der bürgerlichen Friedensbewegung entfalteten, meist unter Führung von Wissenschaftlern, Publizisten, Diplomaten und ehe­ maligen Offizieren, eine kriegsgegnerische Agitation in Anlehnung an die äußerste Linke. Die Kritik der bürgerlichen Radikalen richtete sich gegen 'Feudalismus', Militarismus und Autokratie der bisherigen Führungsschicht. Wegen ihrer intellektuellen Fähigkeiten, ihrer vielfältigen Beziehungen zum Ausland und ihres Zugangs zu höfischen, aristokratischen, bürokratischen und militärischen Kreisen stellten sie ein wichtiges Potential innerhalb der revolutionären Bewegung dar.

16

Einleitung

IV. Verfassungsprobleme bei Kriegsende

Über Bethmann Hollwegs 'Neuorientierung' wurde bereits gesprochen. Unter den Verfassungsfragen des Kabinetts Herding nahm das Parlamentari­ sierungsproblem die erste Stelle ein . Dem vollen Übergang zum parlamentari­ schen Regierungssystem stand nach wie vor die Inkompatibilitätsnorm des Art. 9 Abs . 2 entgegen, die die gleichzeitige Zugehörigkeit zum Bundesrat und zum Reichstag ausschloß . Herding weigerte sich, diesen Artikel zu strei­ chen (selbst unter dem Prinzen Max v. Baden kam es nicht zur Aufhebung dieses Artikels, des letzten formellrechtlichen Bollwerks gegen das parlamen­ tarische System). Auf die 'kleine Reichswahlreform', die Einführung der Ver­ hältniswahl in den großen Reichstagwahlkreisen, wurde bereits verwiesen (sie kam vor der Novemberrevolution nicht mehr zur Anwendung) . Die Auf­ hebung des § 153 der Reichsgewerbeordnung (22 . 5 . 1918) bekundete die Be­ reitschaft des Staates , den Gewerkschaften das Vertrauen demonstrativ zu be­ zeugen. Ein Arbeitskammergesetz kam über das Entwurfsstadium allerdings nicht hinaus . Die Gesetzentwürfe zur Umgestaltung der beiden Häuser der preußischen Volksvertretung sowie zur Änderung des preußischen Staatshaus­ halts (25 . 1 1 . 1917) wurden bis September 1918 ohne endgültige Lösung (Kom­ promiß im Wahlrecht: gleiches Wahlrecht mit Altersstimme) beraten . Der von Auswärtigem Amt und Oberster Heeresleitung als Grundbedin­ gung des Waffenstillstands- und Friedensersuchens betrachtete Übergang zum parlamentarischen Regierungssystem fand s einen Ausdruck im Parlamen­ tarisierungserlaß des Kaisers vom 30. 9 . 1918. Mit dem konstitutionellen Regierungssystem war das Kernstück der Bismarckschen Reichsverfassung preisgegeben worden. Max v. Baden führte die Parlamentarisierung fort: Im engeren 'politischen Kabinett' ('Kriegskabinett') fungierten führende Parla­ mentarier als Staatssekretäre 'ohne Geschäftsbereich' . Der Kanzler hatte hier die Stellung eines primus inter pares . Eine weitere Stärkung des parlamentari­ schen Elements ergab sich durch die am 15. 10. 1918 vollzogene Ernennung von Parteiführern zu politischen Unterstaatssekretären . Unter dem Druck der Wilsonschen Noten und der Mehrheitsparteien des Reichstages mußte der Reichskanzler zwei Reformgesetzen zustimmen, die das Ende des deutschen Reichskonstitutionalismus besiegelten (28 . 10. 1918). Das erste Reformgesetz verfügte u. a. die Aufhebung des Art. 21 Abs . 2 der Verfassung, der den Man­ datsverlust von Reichstagsabgeordneten mit der Berufung in ein besoldetes Reichs- oder Staatsamt vorsah. Das zweite Reformgesetz bestimmte : Notwendigkeit der Zustimmung des Reichstages und des Bundesrates zur Kriegser­ klärung wie zum Friedensschluß unter allen Umständen (Art. 11 ) ; Abhängigkeit der

Einleitung

17

Amtsführung des Reichskanzlers vom Vertrauen des Bundesrates und des Reichstages (Art. 15 Abs . 3); Verantwortlichkeit des Reichskanzlers für alle politisch bedeutsamen Handlungen des Kaisers, auch diejenigen Handlungen, die der Kaiser in Ausübung sei­ ner militärischen Kommandogewalt vornimmt, wenn ihnen "politische Bedeutung" zu­ kommt (Art. 15 Abs . 4); Reichskanzler und Stellvertreter dem Bundesrat wie dem Reichstag außer für die kaiserlichen Akte auch für ihre eigene Amtsführung verantwort­ lich (Art. 15 Abs . 5); Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Beamten des Reichsheeres der Gegenzeichnung des Kriegsministers des betreffenden Kontingentslandes unterworfen (Art. 66 Abs . 3); Personalentscheidungen der Marine von der Gegenzeichnung des Reichskanzlers abhängig (Art. 51 Abs . 1 Satz 3); Gegenzeichnung des Reichskanzlers erforderlich für die Ernennung der Höchstkom­ mandierenden aller Kontingente (d. h. von den Kommandierenden Generalen der Ar­ meekorps an aufwärts), ebenso aller Befehlshaber von Truppenteilen, die sich aus Ange­ hörigen verschiedener Kontingente zusammensetzten, sowie aller Festungskomman­ danten (Art. 64 Abs . 2); Art. 66 Abs . 4 schließlich unterwirft die vier Kriegsminister (Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg) hinsichtlich ihrer Amtsführung der Verant­ wortlichkeit gegenüber Bundesrat und Reichstag.

Die Annahme des gleichen Wahlrechts fand zwar noch die Zustimmung des preußischen Herrenhauses in erster Lesung (24 . 10. 1918). Zu einer zweiten Lesung im Herrenhaus sowie zur Beratung eines entsprechenden Initiativan­ trages des Reichstages vom 8. 1 1 . 1918 kam es nicht mehr. Die Bemühungen um eine Autonomie Elsaß-Lothringens scheiterten ebenso im Oktober 1918. Durch Kabinettsordres vom 28. 10. 1918 hob der Kaiser die Immediatstellung der beiden militärischen Kabinette auf und unterstellte das Militärkabinett dem Kriegsminister, das Marinekabinett dem Staatssekretär des Reichsmarine­ amts . Die parlamentarische Verantwortlichkeit der Ressortchefs erstreckte sich nunmehr auch auf den Dienstbereich der beiden militärischen Kabinette. Die Oberzensurstelle ging aus der Zuständigkeit der Obersten Heereslei­ tung in die des Obermilitärbefehlshabers, die beiden anderen Abteilungen des Kriegspresseamts in die des Kriegsministers über. Die Oberleitung der Reichs­ pressepolitik, besonders die Leitung der im Februar 1918 für die politische Aufklärungsarbeit der Reichsregierung neugeschaffenen 'Zentrale für Heimat­ dienst' übernahm Staatssekretär Erzberger. Der Abbau des Kriegszustandes erfolgte in Etappen: Kaiserlicher Amnestie­ Erlaß vom 12 . 10 . 1918 (für alle politischen Verbrechen und Vergehen, die von Reichsgericht, ordentlichen Strafgerichten und außerordentlichen Kriegs­ gerichten geahndet wurden); kaiserliche Verordnung über die erweiterte Wei­ sungsgewalt des Oberbefehlshabers vom 15. 10. 1918 (den Militärbefehls­ habern übergeordnete Zentralinstanz; alle Anordnungen und Entscheidungen im Einverständnis mit Reichskanzler oder Stellvertreter); kaiserlicher Erlaß vom seihen Tag über das Zusammenwirken von Militär- und Zivilgewalt im Kriegszustandsrecht. Erweiterung der Versammlungs- und Pressefreiheit

18

Einleitung

durch Erlaß des Obermilitärbefehlshabers und Kriegsministers Scheüch an alle Militärbefehlshaber vom 2 . 1 1 . 1918 (auch das Verbot, die Abdankung des Kaisers zu fordern, fiel) . Für die revolutionäre Bewegung war das Kaisertum das Hauptsymbol der zu bekämpfenden Gesellschaftsordnung. Zugleich aber war die Monarchie der schwächste Punkt im gesellschaftlichen System . Denn auch im Bereich des Bürgertums war es schon vor 1914 zu vielfältiger Kritik und dann während des Krieges zum fortschreitenden Verfall des monarchischen Gedankens gekom­ men. Die Wandlungen der gesellschaftlichen und geistigen Struktur des indu­ striellen Zeitalters hatten die irrationalen Kräfte des monarchischen Gedan­ kens weitgehend zum Schwinden gebracht. Die persönlichen Schwachpunkte des Kaisers und Königs hatten Autorität und Institution des Kaisertums in Mißkredit gebracht. Das Vertrauen der Bevölkerung wandte sich mehrheitlich vom Träger der Krone ab und dem Hindenburg-Mythos zu. Auch nach der verlorenen Westoffensive 1918 blieb das Vertrauen in den Feldherrn ungebro­ chen, die Schuld schob man dem Kaiser zu . In der revolutionären Propaganda wurden nicht nur der Kaiser, sondern auch die Institution des Kaisertums zu­ nehmend zum 'Friedenshindernis' . I m Kriegskabinett am 7. 1 0 . 1918 war man einmütig i n der Abwehr der Zumutung eines Thronwechsels . Die Wilsonschen Noten vom 14 . und 23 . Okto­ ber legten den Rücktritt des Kaisers bzw. generell die Abschaffung der Monar­ chie nahe. Wilhelm I I . bekannte sich in einer Rede vor den Staatssekretären ausdrücklich zu der in Entwicklung begriffenen neuen Ordnung (diese Reformrede wurde erst am 4. 1 1 . veröffentlicht, als sie keine Wirkung mehr erzielen konnte!). Im Reichstag am 23 . 10. gab Haase die Parole 'Sturz des Kai­ sers und der Monarchie' aus; Noske forderte am 24 10 . die Abdankung, im übrigen waren die Mehrheitssozialisten noch bereit, die Monarchie als 'äußere Staatsform' beizubehalten. Der Reichskanzler suchte nun die Monarchie durch einen Thronverzicht Kaiser Wilhelms l i . und des Kronprinzen Wilhelm und die Einsetzung einer Regentschaft zu retten . Allerdings wollte Max v. Baden dies dem Kaiser nicht persönlich, sondern durch Mittelsmänner be­ greiflich machen . Der Kaiser reiste (ohne den Kanzler zu informieren) am 29. 10. in das Große Hauptquartier nach Spa, wo er Rückhalt zu finden hoffte. Staatssekretär Scheidemann bezeichnete in einem Schreiben an den Reichskanzler am 29. 10. den Kaiser als "Friedensverschlechterer" und emp­ fahl dem Kaiser den freiwilligen Rücktritt. Im Kriegskabinett am 31. 10. erklärte der Kanzler, daß eine Abdankung nur eine freiwillige sein könne. Die erste offene Umsturzaktion gegen die konstitutionelle Staatsordnung war der Matrosenaufstand gegen das Auslaufen der Hochseeflotte am 29. 10. Der vom Chef der Seekriegsleitung, Admiral Scheer, erteilte Einsatzbefehl war kein spontaner Verzweiflungsakt in letzter Stunde, sondern ein von langer .

Einleitung

19

Hand planmäßig vorbereitetes seestrategisches Unternehmen (Kaiser und Reichskanzler hatten ihr Einverständnis mit der Operationsfreiheit der Hoch­ seeflotte erklärt ! ) . Militär- und Zivilgewalt konnten des Kieler Marineaufstan­ des ( 1 .-7. 1 1 . ) nicht Herr werden . Durch Verhandlungen der Vertreter der Reichsleitung (Haußmann, Noske) mit den Aufständischen am 4. 1 1 . wurde die Revolution de facto anerkannt. Noske ließ sich zum Vorsitzenden des Sol­ datenrats wählen; am 7. 1 1 . wurde er auf Beschluß des Soldatenrats Gouver­ neur von Kiel und Chef der Marinestation der Ostsee . Die Mehrheitssozia­ listen hatten die Revolution somit legalisiert und kanalisiert (die förmliche Ernennung Noskes zum Gouverneur fertigte der Staatssekretär des Reichs­ marineamts v. Mann nach dem 9. 11. aus). Dem preußischen Innenminister Drews gegenüber lehnte Wilhelm II. Ab­ dankung und Regentschaft ab ( 1 . 1 1 . ) ; Hindenburg und Groener unterstütz­ ten ihn dabei. Im letzten Augenblick scheiterte eine Intervention des Schwa­ gers Wilhelms II . , des Prinzen Friedrich Kar! v. Hessen, der im Auftrag des Reichskanzlers dem Kaiser einen Plan des Geheimrats Simons (Einsetzung einer Reichsverweserschaft für das Reich, einer Regentschaft für Preußen) vor­ legen sollte. Diese beiden Aktionen des 1. 1 1 . besiegelten das Schicksal der deutschen Monarchie: noch hätten Verweserschaft und Regentschaft eine ge­ wisse Aussicht auf Erfolg gehabt. Groener lehnte am 5. 1 1 . vor dem Gesamt­ kabinett einen Thronverzicht ab ("Wenn nicht schleuniger Wandel geschieht, richtet die Heimat das Heer zugrunde" ; schon am 1. 1 1 . : "Das Gift käme aus der Heimat" - Ursprung der 'Dolchstoßlegende' !). Durch die Erklärung der Obersten Heeresleitung war die Willensbildung des Reichskabinetts in der Abdankungsfrage blockiert. In einer Besprechung Groeners mit mehrheits­ sozialistischen Abgeordneten und Freien Gewerkschaften am 6. 1 1 . in der Reichskanzlei erklärte sich Ebert bereit, sich mit einer Monarchie mit sozia­ lem Einschlag und parlamentarischem System abzufinden; ein kaiserlicher Prinz solle mit der Regentschaft betraut werden. Groener lehnte ab; dieses Nein provozierte die Mehrheitssozialisten zur Preisgabe ihrer Stillhalte-Poli­ tik. Am 7. 1 1 . verlangte die mehrheitssozialistische Führung vom Reichskanz­ ler den Thronverzicht des Kaisers und des Kronprinzen bis 8. 1 1 . Mittag. Auf die Bekanntgabe eines Abschiedsgesuches des Reichskanzlers hin verlängerten die Sozialdemokraten ihr Ultimatum bis 9. 1 1 . Der letzte Appell des Reichs­ kanzlers an den Kaiser war ein von Simons am 7. 11. entworfenes Schreiben, das Max v. Baden um seine eigentliche Wirkung brachte, indem er es in zwei Teile zerlegte: ein noch am Abend des 7. 11. nach Spa abgehendes Telegramm schilderte die kritische Lage, ein am 8 . 1 1 . morgens nachgesandtes Fernschrei­ ben forderte die Abdankung. Der Kaiser lehnte ab . Die Mehrheitssozialisten verlängerten ihr Ultimatum bis zum Abschluß des Waffenstillstandes . Der Reichskanzler appellierte am 8. 1 1 . noch viermal an den Kaiser. Der Kaiser

20

Einleitung

entschied am 8. 1 1 . im Großen Hauptquartier, "an der Spitze des Heeres die Ordnung in der Heimat wiederherzustellen" . Eine Reihe alarmierender Nach­ richten (Eisner in München; Zusammenbruch der Abwehrmaßnahmen in Ber­ lin; Umbildungsversuch des preußischen Kabinetts unter Ausschaltung des Königs usw.) führte zur Preisgabe des Kampfentschlusses . Am Abend des 8. 1 1 . kamen Groener und Hindenburg zur Überzeugung, ein militärisches Vorgehen gegen die Heimat sei aussichtslos, setzten aber den Kaiser davon nicht in Kenntnis . Sie schoben die erforderlichen Entscheidungen vielmehr bis zum 9. 1 1 . auf. Auf die Ereignisse des 9. 1 1 . ist nicht mehr hinzuweisen, da sie bewußt aus dem Band ausgeklammert wurden. Die Frage, ob die Monarchie durch einen rechtzeitigen Thronverzicht des Kaisers und des Kronprinzen hätte gerettet werden können, ist nicht mit Sicherheit zu beantworten. Die Verantwortung für das Versäumnis des recht­ zeitigen Thronverzichts trägt in erster Linie die Oberste Heeresleitung, m zweiter Linie der Reichskanzler. V. Die Kriegswirtschaft

Bei allen Mächten kam es nicht nur zu militärischen, sondern auch zu wirt­ schaftlichen Mobilmachungsmaßnahmen. Der Krieg nahm immer mehr den Charakter eines Wirtschaftskrieges an; er verlangte den Aufbau einer zentral organisierten Kriegswirtschaft. Vor 1914 blieben die vom Staatssekretär des Reichsamts des Innern Clemens v. Delbrück gemachten Vorschläge zur Vorbereitung einer wirtschaftlichen Mobilmachung unausgeführt - man hielt wirtschaftliche Vorkehrungen für entbehrlich, auch scheute man die Konsequenzen einer realistischen Ein­ schätzung der kritischen Wirtschaftslage . Die nur scheinbar improvisierten Kriegsgesetze vom 4. 8. 1914 und die schnell anschließenden weiteren kriegs­ wirtschaftlichen Maßnahmen zeigen, daß man sich der Aufgabe einer den Kriegsnotwendigkeiten entsprechenden Neugestaltung der Wirtschaftsord­ nung bewußt war. Das an der Vorstellung der totalen Mobilmachung orien­ tierte Ermächtigungsgesetz vom 4. 8. 1914 räumte der zivilen Zentralgewalt unter der Generalklausel 'Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen' eine umfas­ sende Regelungskompetenz für das Gesamtgebiet der Wirtschaft ein . Berlin hatte Grund zur Besorgnis: In der Landwirtschaft war die Einbrin­ gung der Ernte nicht gesichert, durch die Einberufungen verloren die Betriebe die erforderlichen Arbeitskräfte; nur notdürftig ließen sich die Erntearbeiten durch den Einsatz arbeitsloser Kräfte der gewerblichen Wirtschaft sichern. In

Einleitung

21

der für das industrielle Kriegspotential entscheidenden Eisen- und Kohlen­ wirtschaft fiel die Produktion im August 1914 auf die Hälfte der Friedenspro­ duktion, erst 1916 näherten sich Produktionsergebnisse dem Vorkriegsstand an. Der Krise der Ernährungslage wurden die Zivilbehörden sich erst im Spät­ herbst 1914 in vollem Umfang bewußt; als im Januar 1915 die 'Brotkarte' ein­ geführt wurde, wurde allen Dienststellen wie auch der Bevölkerung der Ernst der Lage offenbar. Das Prinzip der auf der Basis der Gesetze vom 4. 8. 1914 entwickelten Ordnung war die Indienstnahme der Wirtschaft für die Zwecke der Kriegführung. Dabei galten als kriegsnotwendig in gleichem M aß die Rüstungswirtschaft und die Versorgungswirtschaft, d. h . , die Beschaffung und Verteilung der für den unmittelbaren und mittelbaren Kriegsbedarf erfor­ derlichen Güter. Die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Lebensmitteln, Kleidung und öffentlichen Dienstleistungen galt gleichermaßen wie die Ver­ sorgung der Truppe als Kriegs bedarf. Für die Herstellung und Verteilung der Bedarfsgüter wurden die staatlich festgesetzen Prioritären und Kontingente maßgebend. Das wirtschaftliche Instrument blieb zwar grundsätzlich die Privat­ wirtschaft, nur etwa bei der Stickstoffgewinnung und Aluminiumherstellung ging man zu neugeschaffenen Staatsunternehmen über. Entscheidend war, daß das im Ganzen aufrechterhaltene System der Privatwirtschaft unter die staat­ liche Planungs- und Lenkungshoheit trat. Der Übergang von der Markt- zur Planwirtschaft vollzog sich nicht schlag­ artig, sondern in Etappen. Seit Anfang 1915 war der entscheidende Wandel abgeschlossen . Statt der Selbstregulierung durch den Preismechanismus war die staatliche Planung und Lenkung das den Wirtschaftsprozeß bestimmende Prinzip. Im Mittelpunkt der kriegswirtschaftlichen Planung stand die staat­ liche Preisregulierung mit strafrechtlicher Bekämpfung des Preiswuchers, mit Preisüberwachung und staatlicher Preisfestsetzung (Höchstpreise meist in der Funktion von Mindestpreisen); des illegalen 'schwarzen Marktes' konnte man nicht Herr werden. Die Ernährung bildete eine der Hauptsorgen der deutschen Kriegswirt­ schaft. Da die Einfuhr fast völlig ausfiel und die heimische Produktion durch den Mangel an Arbeitskräften, Saatgut und Gerät beeinträchtigt war, waren staatliche Erfassung, Zuteilung und Preisgestaltung beinahe unumgänglich . Nach anfänglichen Improvisationen entwickelte sich ein System reichseinheit­ lich gesteuerter Zentral-, Regional- und Ortsstellen : Kriegsernährungsamt als Reichszentralbehörde für die Ernährungswirtschaft seit 22 . 5. 1916 (unmit­ telbar dem Reichskanzler unterstellt); seit Januar 1916 als parlamentarisches Beratungsorgan der 'Beirat des Reichstags für Volksernährung' ; Kriegsgesell­ schaften, Reichsstellen und Reichskommissare seit November 1914 (endgültig 1915; Reichsgetreidestelle mit Landesämtern usw. ) .

22

Einleitung

Die Planung und Leitung der Rüstungswirtschaft waren ein Teil der Mili­ tärverwaltung. Für die Heeresrüstung war das preußische Kriegsministerium zuständig, für die Seerüstung das Reichsmarineamt. Bei der Gesamtmobil­ machung der Industrie für die Kriegswirtschaft kam den Unternehmerver­ bänden eine wichtige Organisationsaufgabe zu . Die Wirtschaftsverbände übernahmen die Mittlerfunktion zwischen der staatlichen Leitung des Rü­ stungswesens und der kriegswirtschaftlich eingesetzten Privatindustrie . Im Unterschied zu den Westmächten, die von Anfang an ein spezielles Mu­ nitionsministerium besaßen, kam es im Reich zu einem Zentralen Rüstungs­ amt erst nach Improvisationen (1914 Kriegsrohstoffabteilung) . Am 1. Novem­ ber 1916 wurde das 'Kriegsamt' innerhalb des Kriegsministeriums geschaffen. Rüstungswirtschaftliche Vollzugsbehörden waren die Militärbefehlshaber (d . h. die Stellvertretenden Generalkommandos), die Kriegsamts- und Kriegs­ amtsnebenstellen. Zu den Hauptgrundlagen der Versorgungs- und Rüstungswirtschaft ge­ hörte die Energiewirtschaft, vor allem die Kohlenwirtschaft. Im Februar 1917 wurde ein 'Reichskommissar für die Kohlenverteilung' eingesetzt.

VI . Militärgewalt und Reichsleitung

Die Frage, ob im Reich während des Weltkrieges ein System der 'Militär­ diktatur' bestand, ist nur zu beantworten, wenn die Besonderheiten des kon­ stitutionellen Verfassungsrechts beachtet werden . Die Doppelstellung des Kaisers, der Inhaber der obersten politischen und militärischen Gewalt war, brachte in das Verhältnis beider Gewalten ein überlagerndes Moment. Eine ernste Schwierigkeit wäre aus dieser Doppelstellung des Kaisers ent­ standen, wenn Wilhelm II. das ihm verfassungsmäßig zustehende Amt des Obersten Kriegsherrn im Sinne einer effektiven Feldherrnschaft ausgeübt und dabei einseitig die militärischen über die politischen Kompetenzen erhoben hätte. In Wirklichkeit überließ der Kaiser die Ausübung der ihm zustehenden militärischen Befugnisse jedoch der Entscheidung der zuständigen Militär­ instanzen, so wie er die politischen Fragen der Entscheidung des Reichskanz­ lers anvertraute. Wenn die deutsche Verfassungswirklichkeit von Zügen einer 'Militärdiktatur' bestimmt war, so gewiß nicht von der Militärgewalt des Kai­ sers, sondern von der wachsenden Militärgewalt der OHL, deren Macht gerade aus der Verdrängung der militärischen Prärogative des Kaisers einen faktischen Vorsprung gewann. Militärgewalt und Zivilgewalt waren, jede im Bereich ihrer abgegrenzten

Einleitung

23

Zuständigkeit, einander gleichgeordnet. Dieses Gleichgewicht setzte voraus, daß im Falle eines Konflikts zwischen Zivil- und Militärgewalt der Kaiser die letzte Entscheidung fällte, mit der er als Träger der höchsten Reichsgewalt den übergeordneten politischen Notwendigkeiten Rechnung trug. Im Ersten Welt­ krieg trat eine enge Verschränkung zwischen dem militärischen und dem poli­ tischen Fragenbereich in Erscheinung. Die großen Komplexe der Verfassungs­ reform - innere Neuorientierung, Parlamentarisierung der Regierungsmacht, Änderung des preußischen Wahlrechts, Integration der Arbeiterschaft in den Staat - schlossen politische Entscheidungen von militärischer Bedeutung ein . Ebenso waren Grundfragen des Militärbereiches - strategische Zielsetzung, operative Führung, Einsatz neuer Kampfmittel, militärische Sicherung des Inlands, militärische Verwaltung besetzter Gebiete, Mobilisierung des ver­ fügbaren Wirtschafts- und Arbeitspotentials für die Kriegführung - auch im Bereich der Verfassungsnotwendigkeiten von Bedeutung. In den aus dieser Verschränkung der beiden Bereiche hervorgehenden Konflikten oblag dem Monarchen die letzte Entscheidung. Der Kaiser suchte in den häufigen Auseinandersetzungen zwischen politi­ scher Reichsleitung und militärischen Instanzen den Vorrang der politischen Gewalt zu wahren. Er stärkte in den ersten Kriegsjahren den Reichskanzler gegen die Militärinstanzen, vor allem gegen das Hauptquartier 'Oberost' (Hindenburg - Ludendorff) und gegen den Admiralstab . Insbesondere in den von 'Oberost' gegen Falkenhayn 1916 entfesselten Angriffen stellte sich der Kaiser vor den Chef des Generalstabes . Erst unter dem starken Druck der öffentlichen Meinung, der Presse und der Parteien fand er sich im Herbst 1916 entgegen seinem eigenen Urteil bereit, Hindenburg und Ludendorff an die Spitze der OHL zu berufen. Auch der von der Öffentlichkeit über alle Par­ teirichtungen hinweg als höchste Autorität gefeierten dritten OHL trat Wil­ helm II. in vielen Fällen entgegen, um den Primat der Regierungsgewalt vor der Militärgewalt zu sichern . Kurioserweise war es gerade die öffentliche Meinung, die durch ihr rück­ haltloses Vertrauen auf die dritte OHL den Primat der Militärgewalt begrün­ dete . In dem Maße, in dem sich das Vertrauen dem Duumvirat zuwandte, san­ ken die Autorität des Kaisers und das Ansehen der Reichskanzler. Der Aufrichtung einer politischen Suprematie der Militärgewalt stand an sich die vielfältige Spannung der obersten militärischen Führungsämter ent­ gegen . Das 'Große Hauptquartier' 25, in dem sich der Kaiser als Oberster Kriegsherr meist aufhielt, war keine einheitlich organisierte Militärbehörde, sondern eine Ansammlung zahlreicher Dienststellen und Stäbe - des Kaisers 25 Zum 'Großen Hauptquartier' siehe Walther Hubatsch, Großes Hauptquartier 1914/18. In: Ostdeutsche Wissenschaft 5 (1959), S. 422 -461.

24

Einleitung

(Generaladjutant, Zivil-, Militär-, Marine-Kabinett), der OHL, des Admiral­ stabs, 1914-1916 auch des Kriegsministers . Dazu kamen als wichtigste Verbin­ dungsstellen zwischen der militärischen und der politischen Führung die Ver­ treter des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amts im Hauptquartier. An der Zweiteilung der dem kaiserlichen Oberbefehl unterstehenden Streit­ kräfte in Reichsheer und Kriegsmarine änderte sich nichts . Es gab keine ein­ heitliche deutsche 'Kriegsleitung' . Die 'Oberste Heeresleitung' (seit August 1914) und die Organe der Seekriegführung (erst seit August 1918 in der 'Ober­ sten Seekriegsleitung' zusammengefaßt) standen ohne institutionelle Verbin­ dung nebeneinander. Der Chef des Generalstabs, der im Frieden eine bloße Planungsbehörde war und über keine Kommandogewalt verfügte, erhielt bei Kriegsausbruch vom Kaiser den Auftrag, die Operationen des Feldheeres zu leiten . Er besaß nun die Vollmacht, anstelle des Kaisers operative Befehle an alle Kommando­ stellen des Feldheeres (Heeresgruppen, Armeen, Armeekorps usw.) zu ertei­ len. Zwar erlangte er in dieser Stellung des Chefs der OHL gegenüber den anderen Immediatstellen keinen formellen Vorrang, doch fiel ihm ein ständig wachsendes substantielles Übergewicht zu . Trotz der Machtfülle, die dem Chef der OHL im Laufe des Krieges zu­ wuchs, blieb die höchste Kommandogewalt in der Hand des Kaisers ; der Chef des Generalstabs hatte formell keine eigene Kommandogewalt. Er trat aber auf Grund der von ihm in Vollmacht des Kaisers ausgeübten Befehlsgewalt an die Spitze der militärischen Hierarchie des Feldheeres (Heeresgruppen, Armeen, Armeekorps). Auch die am 1. November 1914 gebildete Komman­ dostelle des Oberbefehlshabers Ost ('Oberost') war der OHL unterstellt. In den Konflikten, die sich aus dieser Unterstellung ergaben, setzte sich der Chef der OHL gegen den Oberbefehlshaber Ost durch . Der Kaiser erhielt regelmäßig Vortrag über die Kriegslage; vor wesentlichen Entscheidungen wurde seine Zustimmung eingeholt. Konflikte zwischen der OHL und koordinierten oder nachgeordneten Dienststellen hatte er zu ent­ scheiden . Die oberste Kriegsleitung lag aber praktisch in der Hand des Chefs des Generalstabs . Neben dem Generalstab bestanden als zentrale militärische Immediatstellen das Kriegsministerium und das Militärkabinett. In bezug auf das Feldheer hatte der Kriegsminister die Aufgabe, den Ersatz an Mannschaften und Material zu beschaffen. Er sollte den Forderungen der OHL im Rahmen des Möglichen ent­ sprechen, war aber nicht an deren Weisungen gebunden . Er wurde im Kriege als oberste Instanz der militärischen und wirtschaftlichen Mobilmachung die maß­ gebende Verbindungsstelle zwischen OHL, Zivilverwaltung, Wirtschaft und Berufsverbänden. Das mit der Rüstungsbeschaffung betraute Kriegsamt war dem Kriegsministerium eingegliedert, arbeitete zugleich eng mit der OHL zusammen.

Einleitung

25

An sich war der Kriegsminister auch während des Krieges ohne Komman­ dogewalt gegenüber den militärischen Befehlsinstanzen . Nicht nur die mit Kriegsbeginn dem Feldheer zugeteilten Armeekorps, sondern auch die in den Korpsbezirken zurückbleibenden Stellvertretenden Generalkommandos waren nicht dem Kriegsminister, sondern unmittelbar dem Kaiser unterstellte Immediatbehörden . Dem Kriegsminister gelang es, auch ohne formelle Kom­ mandogewalt den Vorrang gegenüber den Militärbefehlshabern im Bereiche des Kriegszustandsrechts zu erlangen . Als Obermilitärbefehlshaber wurde der Kriegsminister Ende 1916 auch rechtlich mit einer koordinierenden Leitungs­ funktion und Ende 1918 mit einer echten Entscheidungsfunktion gegenüber den Militärbefehlshabern ausgestattet. Zu den Aufgaben des Kriegsministers gehörte auch die Vertretung aller Angelegenheiten des Feldheeres und des Heimatheeres gegenüber dem Reichstag. Zu den Kompetenzen des Militärkabinetts gehörte die persönliche Beratung des Kaisers. Der Chef des Militärkabinetts hatte auch bei der Besetzung der obersten militärischen Führungsämter wie bei der Entscheidung von Konflik­ ten zwischen rivalisierenden militärischen Instanzen oder zwischen Militär­ gewalt und Zivilgewalt mitzureden. Militär- und Marinekabinett waren oft Verbündete der Zivilgewalt gegen die OHL. Zur Zeit des jüngeren Moltke, eines Verfechters der Idee des defensiven Präventivkrieges, räumte Bethmann Hollweg den vom Generalstab geltend gemachten militärischen Notwendigkeiten den Vorrang vor politischen Er­ wägungen ein . Falkenhayn gegenüber versuchte der Reichskanzler, in mili­ tärischen Fragen von politischer Bedeutung die Entscheidung für sich als den verantwortlichen Träger der Staatsführung in Anspruch zu nehmen . Trotz vieler Auffassungsgemeinsamkeiten in bezug auf die Kriegslage, die Kriegsziele und einen Separatfrieden mit Rußland kam es zwischen Bethmann und Falkenhayn zu heftigen Konflikten (Primat der Westfront oder der Ost­ front; Entscheidung im Osten oder Sicherung der Dardanellen/Ringen um den Serbienfeldzug; Friedensverhandlungen mit Serbien; Kampf um das 'Oberkommando Ostfront'). Unter Mithilfe des Reichskanzlers erhielt Rin­ denburg das erweiterte Oberkommando über die Ostfront und wurde Chef der OHL. Die Ablösung Falkenhayns war nur vordergründig ein Sieg der politischen Gewalt. Mit der Betrauung der Oberost-Generäle hatte der Reichskanzler selbst eine Bresche für das System militärischer Suprematie geschlagen. Hindenburg wurde der Sache nach O berbefehlshaber des Feldheeres; Ludendorff wurde sein erster Ratgeber in allen operativen und sonstigen Füh­ rungsfragen . In Fragen der inneren Politik hatte Falkenhayn sich kaum eingemischt. Die

26

Einleitung

dritte OHL griff in Innen- und Außenpolitik (Programm der inneren Neu­ orientierung, Kriegszustandsrecht, Kriegswirtschaft und allgemeiner Arbeits­ einsatz, Personalentscheidungen des auswärtigen Dienstes, polnische Frage, Kriegszielfragen usw.) ein. Von weitreichenden Konsequenzen war der Sieg der Militärgewalt über die politische Reichsleitung in der Frage der Eröffnung des uneingeschränkten V-Boot-Krieges .

VII . Die Auseinandersetzung um den U-Boot-Krieg

Das Reich hatte den Handelskrieg mit V-Booten 1914 in der völkerrechtlich legalen Form des 'Kreuzerkriegs nach Prisenordnung' (Anhalten, Durch­ suchen, Aufbringen) eröffnet. Seit November 1914 drängte der Chef des Admi­ ralstabs und spätere Chef der Hochseeflotte v. Pohl darauf, einen Ausgleich für die defensive Flottenstrategie im eigentlichen Seekrieg durch Forcierung des V-Boot-Handelskrieges zu schaffen . Innerhalb einer zum Kriegsgebiet er­ klärten Sperrzone sollten feindliche und neutrale Handelsschiffe warnungslos durch Torpedos versenkt werden. Da Großbritannien seit Kriegsbeginn das geltende Seekriegsrecht durch die völkerrechtswidrige Verhängung der totalen Fernblockade der deutschen Küsten verletzt hatte, war ein verschärfter deut­ scher V-Boot-Handelskrieg als Vergeltungsmaßnahme völkerrechtlich zu rechtfertigen. Daneben war die militärische Frage nach den Erfolgsaussichten des V-Boot-Handelskrieges zu stellen, andererseits die politische Frage, ob etwaige militärische Erfolge nicht mit politischen Nachteilen verbunden wä­ ren, die die militärischen Erfolge übersteigen würden. Pohl überschätzte die Erfolgsaussichten der deutschen U-Boote und unterschätzte die politischen Gefahren (Deutschenhaß bei den Neutralen, wahrscheinlichen Kriegseintritt der USA) . Pohl hatte von Anfang an die deutsche Öffentlichkeit bis weit nach links auf seiner Seite. Führende Vertreter der Wissenschaft traten in Denkschriften für den verschärften U-Boot-Krieg ein . Bethmann und Wilhelm Il. stimmten der Bekanntmachung des deutschen Admiralstabs vom 4. 2. 1915 zu, nach der das Seegebiet um Großbritannien und Irland ab 18. 2. zum Kriegsgebiet erklärt werden sollte . Am 17. 2. erhielten die U-Boote die Weisung, neutrale Schiffe im Sperrgebiet zu schonen. Auf Drängen des Reichskanzlers wurde am 7. 7. 1915 der Verzicht auf den warnungslosen V-Boot-Handelskrieg ausgespro­ chen (dieser kaiserliche Befehl wurde aber vor dem In- und Ausland geheim­ gehalten). Nach der Verschärfung des Verhältnisses zu den USA (Versenkung der 'Lusitania' am 7. 5. 1915 , der 'Arabic' am 19. 8. 1915) setzte Bethmann den

Einleitung

27

kaiserlichen Befehl vom 30. 8 . 1915 durch, feindliche Passagierdampfer nur nach den Regeln des Kreuzerkrieges zu versenken. Der protestierende Chef des Admiralstabs Bachmann wurde durch v. Holtzendorff ersetzt, Tirpitz' Entlassungsgesuch wurde vom Kaiser nicht stattgegeben. Holtzendorff er­ teilte am 18. 9. den geheimen Befehl, bis auf weiteres an der britischen West­ küste und im Kanal jede Form des U-Boot-Handelskrieges einzustellen und in der Nordsee nur noch Handels- Kreuzerkrieg zu führen. Am 5 . 1 . 1916 einigten sich Armee (Falkenhayn, Wild v. Hohenborn) und Marine (Tirpitz, Holtzendorff) darauf, für die Wiederaufnahme des verschärf­ ten U- Boot- Handelskrieges einzutreten. Ein entsprechender kaiserlicher Be­ fehl erging am 1 1 . 2. 1916 (laut einem Ausführungsbefehl vom 23 . 2. sollten aber feindliche Passagierschiffe nicht angegriffen werden). Bethmanns schärfster Gegner Tirpitz wurde am 15. 3 . 1916 entlassen . Unter Druck geriet Bethmann durch eine Reichstagsresolution (Rechtsparteien, Linksliberale, Sozialdemokraten) vom 6. 4 . 1916, die forderte, "wie von allen militärischen Machtmitteln, so auch von den U-Booten denjenigen Gebrauch zu machen, der die Erringung eines die Zukunft Deutschlands sichernden Friedens verbürgt, und bei Verhandlungen mit auswärtigen Staaten die für die Seegeltung Deutschlands erforderliche Freiheit im Gebrauch dieser Waffe unter Beachtung der berechtigten Interessen der neutralen Staaten zu wahren" . Nach dem 'Sussex'-Zwischenfall (24. 3 . 1916) gab Holtzendorff auf Grund der Vorstellungen Bethmanns am 24. 4. den Befehl, den U-Boot-Handels­ krieg nur noch nach der Prisenordnung zu führen. Holtzendorff meinte da­ mals, der Bruch mit den USA würde alle Vorteile, die der uneingeschränkte U-Boot-Krieg gegenüber England bringen könne, zunichte machen. Der Kai­ ser entschied am 1 . 5. 1916 gemäß Bethmanns Vorschlag gegen den unein­ geschränkten U-Boot-Krieg. Flottenchef Scheer, der den Krieg nach Prisen­ ordnung als militärisch undurchführbar ansah, hatte allerdings am 27. 4. die U-Boote aus dem Fronteinsatz zurückberufen. Nach der Bestellung der dritten OHL geriet Bethmann unter starken Druck. Am 2 8 . 9. 1916 erklärte er im Reichstag, ein deutscher Staatsmann, der sich scheue, gegen England "jedes ·taugliche, den Krieg wirklich abkürzende Kampfmittel zu gebrauchen", verdiene "gehängt zu werden" . Der seine Meinung revidierende Holtzendorff erwirkte am 1 5 . 10. 1916 den kaiserlichen Befehl zur Wiederaufnahme des U-Boot-Kreuzer-Krieges . Nach der Ablehnung des Friedensangebotes vom 12 . 12 . 1916 durch die Alli­ ierten konnten sich OHL und Admiralstabschef beim Kaiser in Richtung uneingeschränkten U-Boot-Krieg (warnungslose Versenkung aller Handels­ schiffe im Sperrgebiet) durchsetzen . Bethmann stellte am 9. 1. 1917 im Kronrat resignierend fest, trotz der Bedenken könne er nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dem Kaiser gegen dessen militärische Ratgeber die Ablehnung

28

Einleitung

des uneingeschränkten V-Boot-Krieges zu empfehlen . Er fand sich mit der dem Kaiser von der Militärgewalt abgerungenen Entscheidung ab, im Be­ wußtsein, daß sie den Kriegseintritt der USA zur Folge haben werde.

VIII. Die Kriegszielpolitik des Reiches

Nach dem Ausbruch des Krieges stellten beide Seiten extreme Kriegsziele auf. Doch heißt das nicht, daß die Gegner den Krieg um dieser Ziele willen ausgelöst hätten . Die Kriegszielpolitik ist ein Mittel der Kriegführung. Sie soll auf das eigene Land und auf die Verbündeten als Ermutigung, auf die Gegner als Entmutigung, Drohung oder Zersetzung wirken. Daher ist für jedes Land die Einheitlichkeit des Kriegszielprogrammes eine existentielle Notwendig­ keit. Die offene Diskussion widersprüchlicher Kriegsziele beeinträchtigt die Kampfkraft jedes Staates . Alle kriegführenden Staaten beriefen sich darauf, einen Verteidigungskrieg zu führen; zugleich traten alle Kriegsbeteiligten mit annexionistischen Pro­ grammen hervor. Die aufgestellten Gebietsforderungen überschritten weit­ hin rational begründete Ansprüche auf Entschädigung und Sicherung. Dem Sieger sollte eine hegemoniale Stellung innerhalb eines europäischen oder außereuropäischen Großraumes auf Dauer gewährleistet sein. Die Alliier­ ten vertraten amtlich einen Annexionismus und legten ihn in Vereinbarungen fest; der reichsdeutsche Annexionismus schlug sich zwar in den Kriegsziel­ programmen politischer, wirtschaftlicher und intellektueller Gruppen nie­ der, die Reichsleitung jedoch vermied es, sich offen zu solchen Gebietsfor­ derungen zu bekennen; sie sagte sich von ihnen zunächst aber auch nicht eindeutig los . Angeregt von Vorstellungen Ratbenaus und Gwinners über eine deutsche Wirtschaftshegemonie über Mitteleuropa (ebenbürtige Weltmacht neben den USA, Großbritannien und Rußland), verfaßte Bethmann am 9. 9. 1914, vor der Marne-Niederlage, eine 'Vorläufige Aufzeichnung über die Richtlinien unse­ rer Politik beim Friedensschluß' . Sie war kein fertiges oder verbindliches deut­ sches Kriegszielprogramm, sondern Grundlage für eine Diskussion zwischen den verschiedenen obersten Reichsämtern . Hauptsatz ist wohl "Sicherung des Deutschen Reiches nach West und Ost auf erdenkliche Zeit" . Angestrebt wird eine reichsdeutsche Wirtschaftshegemonie über Mitteleuropa. Die britische und russische Weltmachtstellung sollte unangetastet bleiben . Die deutschen annexionistischen Programme entstanden in einer Zeit, in der man noch mit einem Sieg über Frankreich rechnete . Ein Teil der Annexio-

Einleitung

29

nisten hielt auch später am Annexionsprogramm fest; ein anderer Teil revidierte stillschweigend oder offen die ursprüngliche Haltung. Dieser Annexionismus war eine Sache von Parteien, Verbänden, Gruppen und Einzelpersonen . 1914 gab es im Deutschen Reich eine annexionistische Bewegung, aber keine amtliche annexionistische Kriegszielpolitik. Für annexionistische Forderungen traten in den ersten Kriegsjahren neben dem �lldeutschen Verband' und neben den Rechtsparteien (den Konservati­ ven, Freikonservativen, Nationalliberalen) auch das Zentrum (Spahn, Gröber, Erzberger) ein. Annexionistisch waren eine große Zahl von Vertretern der Wissenschaft unterschiedlicher politischer Richtungen, viele Führer der Un­ ternehmerschaft und der großen Wirtschaftsverbände (Schwerindustrie, verar­ beitende Industrie, Handwerk, Landwirtschaft). Annexionisten gab es in den ersten Kriegsjahren aber auch auf der Linken, nämlich in der Fortschrittlichen Volkspartei und im rechten Flügel der Sozialdemokratie . Der deutsche Anne­ xionismus war keineswegs nur eine Sache der gebildeten und besitzenden Schichten, auch die mittleren Schichten und die Arbeiterschaft formulierten Gebietsforderungen. Nachdem die Voraussetzung der Septemberaufzeichnung Bethmanns, der Sieg über Frankreich, nicht eingetreten war, richteten sich Bethmanns Be­ mühungen auf den Versuch von Sonderfriedensverhandlungen und auf die Ermittlung der Aussichten einer Gesamtregelung. Taktische Überlegungen hinderten den Kanzler, die Folgerung aus der Kriegslage öffentlich auszuspre­ chen. Ein Verzicht auf Gebietsansprüche hätte nach außen als ein Eingeständ­ nis der drohenden Niederlage gewirkt, er hätte die Siegeszuversicht der Feinde gestärkt und die Neigung bisher neutraler Staaten, auf die Gegenseite zu treten, erhöht, er hätte wohl auch bei Friedensgesprächen die Berliner Verhandlungsposition geschwächt. Nach innen hätte Bethmann sich die Geg­ nerschaft der militärischen Führung, der Wirtschaftsverbände, der Presse, der Wissenschaftler und der Mehrheit der politischen Parteien zugezogen. In die­ ser Lage sah sich Bethmann gezwungen, seine Einstellung zur Kriegszielfrage im Unbestimmten zu lassen. Dies setzte aber voraus, daß es gelang, die öffent­ liche Kriegszieldiskussion zu verhindern. So bemühte sich Bethmann, mit der Formel 'Reale Garantien für die künftige Sicherheit Deutschlands' eine Schwä­ chung der deutschen Verhandlungsposition nach außen zu vermeiden und nach innen eine gemeinsame Plattform für divergierende Kriegszielvorstellun­ gen zu versuchen. Seit der Reichstag ab Dezember 1914 wieder zu regelmäßigen Sitzungen zu­ sammentrat, ließen sich öffentliche Kriegszieldebatten nicht mehr vereiteln. Die Parteien nahmen in der Ära Bethmann Hollweg folgende Haltung ein: Die beiden konservativen Parteien, die Nationalliberalen und das Zentrum, erhoben Gebietsansprüche im Westen und Osten . Die Mehrheit der Fort-

30

Einleitung

schrittliehen Volkspartei verfocht zwar weniger weitgehende, aber doch erheb­ liche territoriale Forderungen . Der rechte Flügel der Sozialdemokraten be­ kämpfte zwar den Annexionismus, lehnte aber nicht alle Gebietsforderungen ab . Nur die sozialistische Linke sprach sich gegen jegliche territoriale Ex­ pansion aus . Die Burgfriedenspolitik der Regierung zwang die Parteien, sich im Parlament nur zurückhaltend über die Kriegszielfrage zu äußern . Die Wirtschaftsverbände und intellektuellen Gruppen waren von solchen Bindungen frei. Die von der Regierung über die Kriegszielfrage verhängte Zensur hinderte die gesellschaftlichen Organisationen zwar an der öffent­ lichen Stellungnahme; in der nichtöffentlichen Werbung für ihre Ideen waren sie indes frei . Da die öffentliche Diskussion der Kriegszielfrage in der Presse, in Flug­ schriften und in Versammlungen durch das Kriegszustandsrecht verboten war, nahm die Kriegszielbewegung ihre Zuflucht zum verfassungsrechtlich unan­ fechtbaren Mittel der Petition an das Parlament. Zu nennen sind hier die Ein­ gaben der Wirtschaftsverbände vom 10. 3. und 20. 5. 1915 (auch die Denk­ schriften-Aktion durch Vermittlung des Generals Egon Frhr. v. Gay! im Juni 1915), die Intellektuellen-Eingabe vom 8 . 7. 1915 (dagegen Aktionen der Gruppe um Hans Delbrück) . Bethmann versuchte die getrennten Lager durch die öffentliche Proklama­ tion der Formel "ausharren, bis wir uns alle nur möglichen realen Garantien und Sicherheiten dafür geschaffen und erkämpft haben, daß keiner unserer Feinde [ . . . ] wieder einen Waffengang wagen wird" am 2 8 . 5. 1915 zu verbin­ den. Am 9. 12 . 1915 erklärte der Kanzler im Reichstag, je länger der Krieg dauere, um so höhere Garantien müsse das Reich für die Zukunft fordern . Am 5 . 4. 1916 präzisierte Bethmann die 'realen Garantien' im Reichstag: Einen status quo ante könne es nicht mehr geben. Die russischen Ostseepro­ vinzen und Polen sollten von der russischen Herrschaft befreit werden. Bel­ gien sollte nicht annektiert werden, doch dürfe es nicht als englisch-französi­ scher Vasallenstaat "militärisch und wirtschaftlich als Vorwerk gegen Deutsch­ land" ausgebaut werden . Zur Unterstützung der Bethmannschen Kriegszielpolitik bildete sich am 6. 7. 1916 der 'Deutsche Nationalausschuß' aus Vertretern der Diplomatie, der Staatsverwaltung, der Konfessionen, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Als Gegenschlag erfolgte am 22 . 7. 1916 die Gründung des 'Unabhängigen Aus­ schusses für einen Deutschen Frieden' . Die sozialdemokratische Parteiführung bezog in der Kriegszielfrage im August eine schärfere Position (899 149 Unterschriften für die Friedenspetition vom 18. 8 . , Bethmann am 16. 12 . 1916 überreicht) . Am 27. 1 1 . 1916 gab der Oberkommandierende in den Marken auf einer

Einleitung

31

Pressekonferenz in Berlin die Kriegszieldiskussion frei; sie durfte aber nicht zu verletzenden Angriffen gegen Andersdenkende, zur Beeinflussung der Kriegführung, zur Stiftung von Mißhelligkeiten unter den Verbündeten oder gegenüber den Neutralen benutzt werden . Gebietserweiterungen, die über "die Zwecke unserer Verteidigung und Selbsterhaltung" hinausgingen, durften nicht gefordert, die Räumung der von deutschen Truppen besetzten Gebiete durfte nur unter dem Vorbehalt entsprechender Gegenleistungen verlangt werden. Die Enttäuschung über die Zurückweisung des deutschen Friedensange­ botes und die Hoffnung auf schnelle Erfolge des V-Boot-Krieges gaben der Kriegszielagitation der nationalen Verbände neuen Auftrieb . Die Kriegsziel­ frage wurde am 18 ./19. 1. und 15./16. 2. 1917 im preußischen Abgeordneten­ haus erörtert. Im Reichstag ergänzte der Reichskanzler am 27. 2. 1917 den bis­ herigen Anspruch auf Sicherung durch den Anspruch auf Entschädigung für die dem Reich zugefügten Schäden. Das deutsch-österreichisch-ungarische Kriegszielprogramm vom 16. 3. 1917 verzichtete nicht auf Annexionen und Entschädigungen, zeigte aber, daß man bei ernsthaften Friedensgesprächen von ausgreifenden Gebietserwerbungen Abstand nehmen würde . Das Resümee der Kriegszielbesprechungen Czer­ nins mit Bethmann Hollweg am 26 ./27. 3. 1917 sah als Minimalprogramm den Status quo ante bellum vor; bei günstigem Kriegsausgang sollten "der Osten" (= Polen) für das Deutsche Reich, "vor allem Rumänien" für Österreich-Un­ garn in Frage kommen . Reichsdeutsch-österreichisch-ungarische Kriegsziel­ besprechungen am 23 . 4. sahen vor, Kurland und Litauen dem Reich zu über­ antworten; Russisch-Polen sollte unter Berliner Vorherrschaft kommen. Deutsch-österreichisch-ungarische Kriegszielbesprechungen am 17./18. 5 . 1917 regelten die beiderseitigen Einflußsphären i m Osten und auf dem Balkan. Bethmann Hollweg lehnte am 15. 5 . 1917 im Reichstag die von ihm verlangte programmatische Erklärung zur Frage der Kriegsziele ab . Die Friedensverträge mit der Ukrainischen Volksrepublik (9. 2 . 1918) und mit Rußland (3 . 3 . 1918) sowie der (ohne Wissen der Bündnispartner) am 27. 8. 1918 abgeschlossene deutsch-russische Ergänzungsvertrag bewirkten in be­ zug auf den Osten (bis in den Kaukasus) euphorische reichsdeutsche (und österreichisch-ungarische) Kriegszielerwartungen und -Utopien . Grundlegend für die Südost- und Orientpolitik war das Bündnis mit dem Osmani­ schen Reich vom 2. 8. 1914 (Militärkonvention am 18. 10. 1917) . Auf dem Schienenweg erreichbar wurde Konstantinopel erst durch die auch mit bulgarischer Hilfe gelungene Niederwerfung Serbiens . Vom 6. 9. 1915 datieren die deutsch-österreichisch-ungarisch­ bulgarische Militärkonvention, der deutsch-bulgarische Freundschafts- und Bündnis­ vertrag und das deutsch-bulgarische Geheimabkommen . Das einzige Bündnis der Mit­ telmächte, das bis November 1918 gehalten hat, ist das reichsdeutsch-österreich-ungari-

32

Einleitung

sehe gewesen. Es ist aber vielen Belastungen ausgesetzt gewesen. Man hat Fragen eines 'Zollbundes' (Herbst 1915), eines neuen 'Schutz- und Trutzbündnisses' (Herbst 1917, Frühjahr 1918), eines 'Waffenbundes' (Frühjahr 1918) diskutiert. Unter dem 5. 9. 1918 kommt es zu einer reichsdeutsch-östereichisch-ungarischen Friedensdemarche. Kriegs­ zielerörterungen zwischen Berlin und Wien sind zu erwähnen, auch der Streit zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn Russisch-Polens wegen (ab August 1915). Jagow spricht sich am 31. 10. 1915 gegen die Forderung an Serbien aus, bedingungslos die Waffen zu strecken, ebenso gegen einen selbständigen albanischen Staat. Auch in bezug auf Rumänien gibt es Rivalitäten. Berlin hat auch Angst vor einem Sonderfrieden Österreich-Ungarns, obwohl es selbst öfters an einen solchen Weg denkt. Die Meinungen der reichsdeutschen Politiker über den österreichisch-ungarischen Bundesgenossen sind nicht immer freundlich. Bethmann Hollweg schreibt am 14 . 1 1 . 1914 : "Österreich ist schlecht, aber vielleicht doch nicht ganz so schlecht, wie man es macht. " Am 10 . / 1 1 . 1 1 . 1915 meint der Reichskanzler zu Burian, daß es eine Lebensfrage für das Deutsche Reich sei, "daß dem deutschen Element in Österreich-Ungarn seine alte berechtigte Stellung zurückgegeben und der weiteren Slavisierung Einhalt geboten würde" . Tschirschky kritisiert am 28. 9. 1916 "die beklagenswerten Zustände" beim k. u.k. Oberkommando, die "Hinterhältigkeit und Unaufrichtigkeit der dortigen leitenden Stelle" [ . . . ] "die Führung hat versagt" [ . . . ] "Der Pessimismus [ . . . ] beherrscht die Gemüter [ . . . ] mehr denn je". Tschirschky spricht weiter von den "traurigen wirtschaftlichen Zuständen", den trostlosen "innerpolitischen Verhältnissen", der "landesüblichen 'Schlamperei' und Protektionswirtschaft", dem drohenden "Gespenst des Staatsbanke­ rotts" , von "jahrzehntelange[ r] Mißwirtschaft" . Bei einer Besprechung zwischen Reichskanzler Michaelis und der OHL am 7. 10. 1917 lassen sich Hindenburg und Ludendorff folgendermaßen aus : Hindenburg: "Vorsicht gegen Österreich . Österreich hat viel ausgespielt und gegen uns intrigiert. Es besteht die Gefahr, daß die Hohenzollern zu Vasallen werden der Habs­ burger. Ein starkes Österreich wird versuchen seine Herrschaft auszudehnen [Russisch­ Polen] . Möglichkeit eines Krieges mit Österreich . " Ludendorff: "Wir werden nicht dasselbe erreichen mit Österreich wie mit den süddeut­ schen Staaten . Wir wollen Österreich nicht stark machen . Polen wird den Krieg mit Österreich bringen. " Hindenburg: "Das Deutschtum i n Österreich ist nichts wert. " In einer Sitzung des preußischen Staatsministeriums am 4. 2. 1918 stellt Justizminister Spahn fest: "Das Ge­ samtverhältnis zu Österreich befinde sich [ . . . ] in einer akuten Krise."

Einleitung

33

IX. Friedensbestrebungen

Die Polemik der pazifistischen Organisationen ('Deutsche Friedensgesell­ schafe seit 1892, 'Bund Neues Vaterland' seit 16. 1 1 . 1914, nach dessen Verbot 1916 'Zentralstelle Völkerrecht'), in ihrer Tätigkeit durch das Kriegszustands­ recht eingeschränkt, richtete sich gegen den Imperialismus der annexionisti­ schen in- und ausländischen Gruppen. Mit der Freigabe der Kriegszieldiskus­ sion erhielten auch sie eine größere Agitationsfreiheit; umgekehrt verschärfte sich der gegen sie gerichtete Kampf der nationalen Verbände und Parteien . Ihre Hauptthese war, daß die Berliner Regierung die Schuld am Kriegsaus­ bruch trage, daß durch deren Kriegszielpolitik die Beendigung des Krieges verhindert werde. Die Beziehungen der sozialistischen Linken zum bürger­ lichen Pazifismus waren eher taktischer Art. Der seit August 1918 wieder aktiv werdende 'Bund Neues Vaterland' schloß sich trotz meist bürgerlicher Her­ kunft seiner Anhänger den sozialistischen Linken immer stärker an. In seinem Programm vom 8. 1 1 . 1918 bekannte er sich zur "deutschen sozialistischen Republik" . Deutsche Friedensbestrebungen hatte es bereits 1914/15 gegeben; doch waren die Bemühungen um einen Sonderfrieden mit Rußland oder Belgien ebenso ergebnislos geblieben wie die Erkundungen zur Vorbereitung eines all­ gemeinen Friedens . Die Formulierung Bethmanns vom 9. 12 . 1915 im Reichs­ tag, Berlin sei zu einem Frieden bereit, der die "Würde und Sicherheit" des Reiches unangetastet lasse, fand kein positives Echo . Inoffizielle Friedensver­ suche der Reichsleitung gab es auch 1916 (Sonderfrieden mit Japan und Ruß­ land, positives Eingehen auf eine im Mai 1916 unternommene Friedensaktion Wilsons). Bethmann erklärte am 28. 9. 1916 im Reichstag, nach den Zurück­ weisungen der Bereitschaft zu Friedensverhandlungen gebe es nur die Parole 'Ausharren und Siegen' . Der günstige Verlauf des rumänischen Feldzuges gab jedoch der deutschen Regierung freie Hand für einen neuen Friedensschritt. Der k.u.k. Minister des Äußern Burian regte bei einem Besuch in Pleß am 17. 10. 1916 eine gemein­ same Friedensaktion der Mittelmächte in der Form einer an die feindlichen Regierungen zu richtenden Friedensnote an. Bethmann hatte ähnliche Vorstel­ lungen, versicherte sich zunächst des Einverständnisses der Obersten Heeres­ leitung und der Ermächtigung durch den Kaiser. Am 15./16. 1 1 . trafen sich Bethmann und Burian zu Verhandlungen über die beiderseitigen Friedens­ bedingungen in Berlin; sie stellten Maximalforderungen auf, mit denen man in die Verhandlungen eintreten wollte, um zu sehen, was sich als durchsetzbar erweisen werde. Die Berliner Kriegsziele lagen auf der Linie, die der im Ein-

34

Einleitung

vernehmen mit dem Reichskanzler arbeitende 'Nationalausschuß' öffentlich vertrat. In einem innen- und außenpolitisch günstigen Zeitpunkt - das Hilfs­ dienstgesetz und die Gesetze zur Änderung des Kriegszustandsrechtes fan­ den im Reichstag eine breite Mehrheit, der Feldzug gegen Rumänien wurde siegreich abgeschlossen, wechselseitige Besuche Kaiser Karls und Kaiser Wil­ helms II. bekräftigten das Bündnis - ließen die Vierbundmächte am 12 . 12 . 1916 durch Vermitdung neutraler Staaten den feindlichen Regierungen gleichlau­ tende Friedensnoten überreichen, in denen sie den Eintritt in Friedensver­ handlungen vorschlugen. Am selben Tag gab Bethmann dem Reichstag den deutschen Friedensschritt bekannt. Das Friedensangebot war wohl ein auf­ richtiger Versuch, den europäischen Frieden wiederherzustellen. Bethmann mußte das Verhandlungsangebot unter den diplomatisch gebotenen Vorsichts­ maßregeln aussprechen . Durch ein Angebot mit einem Blankoverzicht auf alle deutschen Ansprüche hätte er die Ansprüche der alliierten Seite nur gesteigert und die deutsche Verhandlungsposition geschwächt. Die Alliierten wiesen das Friedensangebot der Mittelmächte am 30. 12. als Scheinangebot zurück; sie lehnten auch Wilsons Friedensnote vom 18. 12 . 1916, die die Mittelmächte akzeptiert hatten, am 10. 1. 1917 ab . Angesichts des Umfanges der alliierten Gebietsforderungen vom 10 . 1. 1917 ist es sicher, daß der um die Jahreswende 1916/17 mögliche Friede am alliierten, nicht am deutschen Annexionismus gescheitert ist. Berlin ging auch auf Wilsons Aufruf zu einem 'Frieden ohne Sieg' ein (22 . 1. 1917) . Die gegen Bethmanns Willen herbeigeführte Entscheidung für den uneingeschränkten U-Boot-Krieg machte eine weitere amerikanische Vermitdung unmöglich . Nach dem Scheitern des deutschen Friedensangebotes erreichte das Miß­ trauen der oppositionellen Rechten gegen Bethmann den Höhepunkt. In den Parlamenten bildeten die Deutschkonservativen und der rechte Flügel der Nationalliberalen den Kern der Kanzlerfronde; im außerparlamentarischen Raum war der 'Unabhängige Ausschuß für einen Deutschen Frieden' der orga­ nisatorische Rahmen für die Kanzlergegner. Der Widerstand gegen die 'Neu­ orientierung' , das Mißtrauen gegen die offizielle Kriegszielpolitik, der Unmut über die Bethmann angelastete Verzögerung des uneingeschränkten Einsatzes der U-Boot-Waffe lieferten die Vorwände, um den Sturz des Reichskanzlers mit allen Mitteln zu betreiben . Der Ausbruch der russischen Februarrevolu­ tion und der Druck der USPD führten zu einem eindeutigen Umschwenken der Mehrheitssozialisten auf ein antiannexionistisches Friedensprogramm; die sozialdemokratische Friedensresolution vom 19. 4. 1917 feierte den "Sieg der russischen Revolution" und forderte einen Frieden "ohne Annexionen und Entschädigungen" . Die Ablehnung des Friedensangebotes der Mittelmächte und der Bruch zwischen Berlin und Washington veranlaßten Kaiser Karl, Sonderfriedensver-

Einleitung

35

handlungen anzubahnen . Er beauftragte seinen im belgiseben Militärdienst stehenden Schwager, Prinz Sixtus v. Bourbon-Parma, mit Sondierungen ge­ genüber der französischen Regierung. Im März 1917 gab Czernin Bethmann Kenntnis von der Absicht, in Vorbesprechungen mit einem Vertrauensmann der Westmächte einzutreten. Mit deutscher Zustimmung erhielt Graf Mens­ dorff den Auftrag, vorfühlende Besprechungen in der Schweiz zu führen. Am 23 ./24. 3 . 1917 traf Kaiser Karl mit Sixtus in Laxenburg zusammen; Karl über­ reichte dem Prinzen ein eigenhändiges, von Prälat Musil formuliertes, an Sixtus gerichtetes, aber zur Übermittlung an die französische Regierung be­ stimmtes Schreiben (Czernin kannte dessen Inhalt nicht), das Sixtus am 31. 3 . Poincare weitergab ("gerechte Rückforderungsansprüche Frankreichs auf El­ saß-Lothringen"). Reichsdeutsche Friedensangebote mußten nun aussichtslos bleiben, seit der Entente dieses Dokument einer etwaigen Wiener Bereitschaft zum Absprung vom Bündnis vorlag. Kaiser Karl schlug bei einem Besuch im Großen Hauptquartier (3 . 4. 1917) vor, Berlin solle Frankreich Elsaß-Lothringen anbieten; nur so sei es möglich, zu einem Frieden zu kommen. Um die Reichsleitung den Wiener Vorstellungen gefügiger zu machen, ließ Kaiser Karl Wilhelm II . am 14 . 4. eine vom 12. 4 . datierte Denkschrift Czernins überreichen, die eine sehr düstere Schilderung der Kriegslage enthielt. Die Antwort Bethmanns auf diese Denkschrift war ge­ lassen ( 4. 5. 1917); sie beurteilte die Gesamtlage als "günstig" , hielt am Ziel, "einen ehrenvollen, den Interessen des Reichs und [seiner] Verbündeten ge­ recht werdenden Frieden sobald wie möglich herbeizuführen" , fest. Man solle "den Entwicklungs- und Zersetzungsprozeß in Rußland aufmerksam [ . . . ] verfolgen und [ . . . ] begünstigen" . Am 13 . 5 . erhielt Bethmann in Wien Kennt­ nis von der Sixtusaktion (nicht von Karls Briefen [2 . Brief vom 9. 5 .]); dem Vermittlungsversuch als solchem stimmte er zu . In den Kreuznacher Abma­ chungen einigten sich Berlin und Wien über ein gemeinsames KriegszieL Die östereichisch-ungarischen Sonderfriedensbemühungen (Revertera-Armand) gingen im Einvernehmen mit der Reichsregierung weiter. Bethmann äußerte sich am 6. 7. 1917 zu Payer als Vertreter des lnterfraktio·· nellen Ausschusses und zu Vertretern des Zentrums, der Nationalliberalen und der Mehrheitssozialisten in bezug auf die Friedensfrage, die vorzeitige Festlegung auf die Formel 'ohne Annexionen und Entschädigungen' beein­ trächtige die Aussichten auf einen Verständigungsfrieden, den er mit aller Kraft anstrebe. Am 7. 7. verlangte Scheidemann im Hauptausschuß eine Frie­ denspolitik auf der Grundlage des Annexionsverzichtes . Der Interfraktionelle Ausschuß konnte sich am 7. 7. nicht über den Ent­ wurf einer Friedensresolution einigen. Die Nationalliberalen wollten vorerst die Friedensresolution nicht unterstützen . Ihr Vorschlag war: Zunächst Parla­ mentarisierung der Reichsleitung, dann Regierungserklärung des neuen Kanz-

36

Einleitung

lers, daß der Krieg nicht zum Zwecke gewaltsamer Gebietserwerbungen fort­ gesetzt werden solle; der Reichstag solle die Friedensinitiative der Regierung überlassen und diese durch ein Vertrauensvotum unterstützen. Im Interfrak­ tionellen Ausschuß fand am 10. 7. die Friedensresolution in einer dritten Fassung Annahme, trotzdem zeigten sich ernste Schwierigkeiten zwischen den Parteien. Am 12 . 7. stellte der Interfraktionelle Ausschuß den endgültigen Wortlaut der von den drei Parteien getragenen Friedensresolution fest (die Nationalliberalen nahmen nicht teil), für Bethmann war sie unannehmbar (am 13 . 7. demissionierte er) . Die von der Reichstagsmehrheit (Zentrum, Fortschrittliche Volkspartei, Mehrheitssozialisten) am 17. 7. eingebrachte Friedensresolution bekannte sich zu einem Verständigungs- und Versöhnungsfrieden unter wechselseitigem Verzicht auf 'erzwungene Gebietserwerbungen' ('vereinbarte' Gebietser­ werbungen ließ sie offen ! ) . Mit ihr beanspruchte das Parlament die verbind­ liche Aufstellung der Richtlinien für die Kernfrage der Außenpolitik. Die für die Reichspolitik maßgebliche Auslegung der Resolution kam nach Auf­ fassung des neuen Reichskanzlers Michaelis diesem zu ("Diese Ziele lassen sich im Rahmen Ihrer Resolution, wie ich sie auffasse, erreichen" , 19. 7 . ) . Als überparteiliche Sammelbewegung der Rechten gegen die Friedensreso­ lution wurde Ende August/Anfang September 1917 die 'Deutsche Vater­ landspartei' ins Leben gerufen. Für das Friedensprogramm setzte sich seit Dezember 1917 der 'Volksbund für Freiheit und Vaterland' (linker Flügel des Zentrums, Fortschrittliche Volkspartei, rechter Flügel der Mehrheitssoziali­ sten, die Gewerkschaften, sozialliberale Gruppe des 'Deutschen Nationalaus­ schusses') ein . Die Kurie ließ die päpstliche Friedensnote vom 1. 8 . 1917 am 15. 8 . den Re­ gierungen der kriegführenden Staaten überreichen. Schon in der Amtszeit Bethmann Rollwegs hatte sie die Vorverhandlungen über die päpstliche Frie­ densaktion eingeleitet. Mit der amerikanischen Antwortnote auf die päpst­ liche Note (27. 8 . ) - sie lehnte den Vorschlag des Papstes, durch einen Frieden der Versöhnung zum status quo ante bellum zurückzukehren, ab - stand fest, daß die päpstliche Friedensaktion schon in ihren Anfängen gescheitert war. In­ terfraktioneller Ausschuß, Hauptausschuß des Reichstages, ein 'Freier Ausschuß beim Reichskanzler' befaßten sich mit dem päpstlichen Vorschlag. Der Kron­ rat vom 1 1 . 9. sprach sich für einen Verzicht auf Belgien aus ; dieser Verzicht sollte aber als deutsche 'Vorleistung' nicht öffentlich bekanntgegeben werden. Die deutsche Antwortnote vom 19. 9. vermied konkrete Vorschläge oder Zu­ geständnisse zu Einzelfragen . Der Brief Michaelis' an Nuntius Pacelli (24 . 9 . ) hielt die Tür für Verhandlungen jedoch offen. Der Weg der vertraulichen Vor­ besprechung, der allein zu Friedensverhandlungen auf dem Boden der Parität hätte führen können, war verschlossen, als die Sondierungen Kühlmanns über

Einleitung

37

den spanischen Gesandten in Brüssel Villalobar in London scheiterten (die bri­ tische Regierung entschied am 6. 10 . , daß sie deutsdie Mitteilungen über die Friedensfrage nur offiziell entgegennehme) . Auch andere diplomatische Ak­ tionen ergaben, daß es bei den Westmächten an Friedensbereitschaft unter der Vorbedingung der Gleichberechtigung fehlte: die Versuche, ein vorbereiten­ des Friedensgespräch zwischen Lancken-Wakenitz und Exminister Aristide Briand auf Schweizer Boden zu führen, scheiterten ebenso, wie die Sondie­ rungen Brockdorff-Rantzaus in Kopenhagen über den dänischen Außenmini­ ster Scavenius und den Reeder Andersen fehlschlugen . Vielmehr konzentrier­ ten sich die britisch-französischen Friedensbemühungen erneut darauf, Wien durch verlockende Angebote zum Bündnisabfall zu verleiten . Gleichzeitig hoffte man, durch die in Aussicht stehende amerikanische Hilfe den vollstän­ digen deutschen Zusammenbruch herbeizuführen. Das entscheidende Hin­ dernis der Friedensbemühungen des Jahres 1917 war wohl nicht das taktie­ rende Verhalten der deutschen Reichsleitung in der belgischen Frage, sondern der französische Anspruch auf Elsaß-Lothringen. Am 18. 9 . , also noch bevor die deutsche Antwortnote amtlich an die Kurie gelangt war, gab Ministerpräsident Painleve Kriegszielerklärungen ab, die jeden Verständigungsfrieden ausschlossen . Die Eroberung Elsaß-Lothringens wurde mit dem Terminus 'Desannexion' verhüllt, um ihn der Friedensformel 'keine Annexionen' anzupassen . Der frühere britische Premierminister Asquith stellte in einer Rede vom 26. 9. die französische Forderung auf ganz Elsaß-Lothringen als alliierte Friedensbedingung gleichwertig neben die For­ derung auf Freigabe Belgiens . Staatssekretär Kühlmann lehnte am 9. 10 . alle französischen Ansprüche auf das Reichsland ab . Diese Erklärung bedeutete das offizielle Ende der Friedensgespräche. Die deutsche Bereitschaft zu gewis­ sen Zugeständnissen in Elsaß-Lothringen (Abtretung von Teilen des Oberel­ saß gegen einen Gebietsausgleich in Lothringen) neben der Freigabe Belgiens hatte zu dem von Teilen der Reichstagsmehrheit erstrebten Ausgleich gehört. Die Abtretung des ganzen Reichslandes war eine Forderung, die nicht nur für die Reichsleitung, sondern für alle großen Reichstagsparteien, auch für die mehrheitssozialistischen Anhänger der Formel 'keine Annexionen und Ent­ schädigungen', indiskutabel war. Der Friedensvertrag mit Rußland (3 . 3 . 1918) trägt sicherlich Zeichen eines Diktatfriedens . Der Reichstag nahm ihn am 22 . 3. mit großer Mehrheit an . Vorher hatten Westarp und Stresemann die Mehrheitsparteien darauf hin­ gewiesen, daß die Friedensresolution vom 19. 7. 1917 sich in der Gebietsfrage vor den harten Realitäten in Nichts aufgelöst habe; die Resolution werde auch für einen künftigen Westfrieden keine Geltung mehr besitzen. Die Mehrheits­ sozialisten entschlossen sich zu einer Stimmenthaltung. Vor der Schlußabstim­ mung über den Friedensvertrag setzten sie gemeinsam mit den bürgerlichen

38

Einleitung

Parteien der Juli-Mehrheit eine Resolution zur Sicherung des Selbstbestim­ mungsrechtes der Randvölker durch . Am 14 . 8 . 1918 kam der Kronrat zum Entschluß, "im geeigneten Moment" eine neutrale Friedensvermittlung, etwa über Königin Wilhelmina der Nieder­ lande, zu erwirken. Bei einer Parteiführerkonferenz am 21. 8. erklärte Staats­ sekretär Hintze, es sei notwendig, "Fäden für den Frieden anzuspinnen" ; von einem offiziellen Friedensangebot, das einem Eingeständnis der deutschen Niederlage gleichkomme, werde die Reichsleitung absehen. Im Interfraktio­ nellen Ausschuß am 12 . 9. meinte Ebert, eine neue Friedensaktion sei erst nach der Stabilisierung der Frontlage sinnvoll. Burian richtete am 14 . 9. an alle kriegführenden Mächte eine Note, in der er vorschlug, in unmittelbare mündliche Erörterungen zur Herbeiführung eines Verständigungsfriedens einzutreten und zu diesem Zweck Delegierte der Regierungen zu einem Ge­ dankenaustausch über die Grundprinzipien eines Friedensschlusses an einen neutralen Ort zu entsenden . In einer halbamtlichen Verlautbarung begrüßte die Reichsregierung die Note als neuen Beweis der oft bekundeten Friedensbe­ reitschaft der Mittelmächte, zugleich gab sie dem Zweifel am Erfolg des Wie­ ner Vorgehens Ausdruck. In der deutschen Antwortnote an Wien (20 . 9 . ) hieß es, Berlin sei bereit, an dem vorgeschlagenen Gedankenaustausch teilzuneh­ men. Die Alliierten wiesen den Wiener Konferenzvorschlag zurück. Wilson hielt in einer Rede am 27. 9. einen Verständigungsfrieden mit den Mittelmäch­ ten für unmöglich . Am 28. 9. entstand der Entschluß zum sofortigen Waffenstillstandsan­ suchen gleichzeitig in der OHL und (unabhängig davon) im Auswärtigen Amt; an beiden Stellen war man sich über das Junktim von Parlamentarisie­ rung und Waffenstillstandsansuchen einig. Der Kronrat sanktionierte am 29. 9. diese Vorgehensweise. Ohne den designierten Reichskanzler Max v. Baden zu unterrichten, tat die O H L einen Schritt, der den Entschluß zum Waffen­ stillstandsersuchen unwiderruflich machte: Sie ließ den Parteiführern durch Major Erich Frhr. v. d. Bussche-lppenburg am 2. 10. über die mit dem Abfall Bulgariens eingetretene militärische Lage reinen Wein einschenken; der Ge­ danke an eine Fortsetzung des Krieges sei als aussichtslos aufzugeben . Ein deutsches Friedensangebot müsse die Grundlage der Konzentration der Hei­ mat auf eine 'geschlossene Front' bilden, damit, falls der Feind keinen Frieden wolle, Heer und Heimat zum Abwehrkampf vereinigt seien. Der Kronrat sprach sich noch am 2. 10. für die Waffenstillstandsnote an Wilson aus . Gegen die Bedenken Max v. Badens ging die deutsche Note in der Nacht vom 3. zum 4. 10. an die Schweizer Regierung ab . Der Schweizer Gesandte in Washington übergab die Note am 7. 10. Staatssekretär Lansing. Die nächsten, sich überstürzenden Ereignisse sind am besten in die Form eines Kalenders zu fassen: 5. 10. : Rede Max v. Badens (Verlautbarungen Wilsons

Einleitung

39

als Grundlage der Friedensverhandlungen); 8. 10 . : amerikanische Note; 7./8 . 10 . : Rathenaus Gedanke einer 'levee en masse' (von Ludendorff am 9. 10. abgelehnt); 12 . 10. : deutsche Note (Unterwerfung unter die Forderungen Wil­ sons, Kabinett als Exponent der Parlamentsmehrheit); 11 .-15 . 10. : Kanzler­ krise; 14 . 10 . : zweite US-Note; 17. 10 . : Kabinettsberatungen über die Antwort an Wilson; 19. 10 . : Entwurf der deutschen Antwortnote und deutscher Ver­ zicht auf U-Boot-Krieg; Nacht 20./21. 10 . : deutsche Note zur zweiten Wil­ son-Note abgegangen; 23 . 10 . : dritte Wilson-Note (zerstört Illusion eines 'Rechtsfriedens'); 26. 10 . : Entlassung Ludendorffs; 27. 10 . : deutsche Antwort auf dritte Wilson-Note; 5. 1 1 . : vierte Wilson-Note (am 6. 1 1 . in Berlin ein­ getroffen); 6. 1 1 . : Abreise der deutschen Waffenstillstandsdelegation nach Compiegne (Waffenstillstand 11. 1 1 . 1918).

X. Auswahlgesichtspunkte

Die vorliegende Dokumentensammlung ist das Ergebnis eines langen, um Ausgewogenheit bemühten Aussonderungsprozesses . Ursprünglich als Do­ kumentation reichsdeutscher und alliierter Quellen, dann aber des reichsdeut­ schen Gesamtanteils am Komplex des Ersten Weltkrieges konzipiert, mußte diese auf das politische 'Handeln' im Deutschen Reich beschränkt werden (Quellen zum politischen 'Denken' hat Hans Fenske zusammengestellt 26); bestimmte Teilthemen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte (z . B. das Hilfs­ dienstgesetz vom 5. 12 . 1916) wird Walter Steitz dokumentieren 27• Eine Ein­ schränkung bedeutete auch die Vorgabe, in erster Linie Material amtlich-staat­ licher Stellen aufzunehmen (ziviler und militärischer, aber auch Texte aus dem Bereich der Wirtschaft und der politischen Parteien) . Aus Platzgründen ist auf die Hereinnahme der Friedensverträge von Brest-Litovsk und Bukarest 28 verzichtet worden. Der Bereich 'Kultur' ist ausgespart worden, ebenso der Bereich ']ugend' 29, weitestgehend auch die Perspektive 'Alltagsgeschichte', die einem späteren Band der Reihe vorbehalten bleibt. 26

Siehe Quellen- und Literaturverzeichnis . In einem Band der Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. 28 Friedensvertrag mit der Ukrainischen Volksrepublik in RGBI 1918 S. 10 10 -1055; Friedensvertrag mit Rußland in RGBI 1918 S. 480-653; Friedensvertrag mit Rumänien in Schulthess' Europäischer Geschichtskalender N .F. 34 ( 1918), S. 696 -705 . 29 Dazu zuletzt Klaus Sau!: Jugend · im Schatten des Krieges. In: Militärgeschicht­ liche Mitteilungen 34 ( 1983), S. 91 -184. 27

40

Einleitung

Die 251 Dokumente sind naturgemäß eine subjektive Auswahl, sie stellen natürlich nur einen Bruchteil aller publizierten reichsdeutschen Dokumente zum Weltkrieg dar. Angesichts der Fülle, Mannigfaltigkeit und Vielgestaltigkeit des Materials einerseits und des zur Verfügung stehenden Raumes andererseits erwies es sich als notwendig, nicht nur Dokumente in extenso aufzunehmen, sondern auch Dokumente in Auszügen vorzuführen . Für manche Bereiche konnte aus Platzmangel nur ein repräsentatives Dokument genommen werden (z. B. für Elsaß-Lothringen 58, für Griechenland 184). Für das Jahr 1914 wurden 38 Dokumente ausgewählt, für das Jahr 1915 46, für 1916 36, für 1917 48 und für 1918 83 Dokumente. Themenschwerpunkte der oben skizzierten allgemeinen Auswahlperspektive sind Gesellschaft, Parteien, Gewerkschaften, innere Lage, Stimmung 30; Verfassungspolitik und -entwick­ lung (einschl . Zensur) 31; Verhältnis Reichsleitung - OHL32; Kriegswirt­ schaft 33; Verhältnis zu den Verbündeten (zum Teil mit dem Thema Kriegsziel­ politik verknüpft); Kriegszielpolitik 34; militärische Ereignisse, Kriegslage, U-Boot-Krieg; Friedensfrage, Friedensbemühungen, Friedensbedingungen, Pazifismus, Friedensvermittlung 3s. 30 Darstellung bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 95-138, 161-191, 432 -449, 615 -621 . 31 Darstellung bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 39-73, 140 -161, 467-496, 531534, 547-549, 584 -600, 621-636, 656- 669. 32 Literatur zu Bethmann Hallweg bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 11, 279 f. , Peter Graf Kielmansegg: Deutschland und der Erste Weltkrieg. Stuttgart 21980, S. 705, 712, 714, 717, 724, 727, 730. Literatur zu Michaelis bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 312 . Literatur zu Hertling bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 388. Literatur zu Max v. Baden bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 535. Literatur zu Falkenhayn bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 192 f.; dazu Heinz Kraft: Staatsraison und Kriegfüh­ rung im kaiserlichen Deutschland 1914 -1916. Göttingen [u. a.] 1980. Literatur zu Hin­ denburg und Ludendorff bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 192 f. Zuletzt Ekkehart P. Guth: Der Gegensatz zwischen dem Oberbefehlshaber Ost und dem Chef des Gene­ ralstabes des Feldheeres 1914/15 . Die Rolle des Majors v. Haeften im Spannungsfeld zwi­ schen Hindenburg, Ludendorff und Falkenhayn. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 35 (1984) S. 75 -1 1 1 . Zum U-Boot-Krieg Huber, Verfassungsgeschichte V S. 261-279. ­ Zum Verhältnis OHL - Reichsleitung: Huber, Verfassungsgeschichte V, S. 143 -216. 33 Darstellung bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 73 -94. 34 Literatur: Wolfdieter Bihl: Österreich-Ungarn und die Friedensschlüsse von Brest-Litovsk. Wien [u. a.] 1970, S. 19 Anm. 36, S. 152-154; Huber, Verfassungsge­ schichte V S. 217f., 406 f. ; Kielmansegg S. 714 - 716, 728 f. Darstellung bei Huber, Verfas­ sungsgeschichte V S. 218 -244. 35 Literatur bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 244 f. , 279 f. , 335, 551 f. ; dazu L[ancelot] Farrar: Divide and Conquer. New York 1978 (East European Monographs. Bd. 45). Darstellung bei Huber, Verfassungsgeschichte V S. 241-258, 279-296, 316- 321,

Einleitung

41

Die Dokumente sollten für sich sprechen . Um den Leser nicht in eine be­ stimmte Richtung zu lenken, wurde - von sparsamen Sacherläuterungen und Querverweisen abgesehen - bewußt auf eine Kommentierung verzichtet. Zur technischen Einrichtung der Edition: Der Wortlaut der Dokumente wurde unverändert aus den Vorlagen, wenn möglich aus den Erstdrucken, übernommen; nur sinnstörende Druckfehler wurden korrigiert. Kursive und fettgedruckte Stellen der Vorlagen wurden generell in leichte Sperrungen um­ gesetzt. Im Text vorkommende Orts- und Datumsangaben am Beginn oder am Ende der Dokumente wurden (außer bei Reichsgesetzen) ohne Auslas­ sungszeichen getilgt. Aus den Köpfen der Originalquellen wurden etwaige Adressen (z. B. "Der Chef des Generalstabes an den Reichskanzler") und Aktennummern entfernt. Auslassungszeichen wurden belassen, wenn sie mit­ ten im Text vorkamen oder nur einmal am Anfang oder am Schluß standen . Das Auslassungszeichen "[ . . . ]" stammt vom Herausgeber dieses Bandes, das Auslassungszeichen " . . . " aus dem Original.

335 -360, 513 -521, 551-584. Siehe auch Akira Hayashima: Die Illusion des Sonderfrie­ dens . Deutsche Verständigungspolitik mit Japan im Ersten Weltkrieg. München, Wien 1982; Wilhelm Ernst Winterhager: Mission für den Frieden. Europäische Mächtepolitik und dänische Friedensvermittlung im Ersten Weltkrieg. Von August 1914 bis zum italie­ nischen Kriegseintritt Mai 1915. Stuttgart 1984 (Quellen u. Studien zu den Friedensver­ suchen des Ersten Weltkrieges, Bd. 5); Wolfgang Steglieh [Hrsg.] : Die Friedensversuche der kriegführenden Mächte im Sommer und Herbst 1917. Quellenkritische Unter­ suchungen, Akten und Vernehmungsprotokolle. Stuttgart 1984 (Quellen u. Studien zu den Friedensversuchen des Ersten Weltkrieges, Bd. 4).

QUELLEN

1.

Erste Balkonrede Wilhelrns 11.

Rechtfertigung des Kaisers. Kriegs-Rundschau I, S. 37

Berlin, 31. Juli 1914 Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen. Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, daß, wenn es nicht in letzter Stunde Meinen Bemühun­ gen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhal­ ten, wir das Schwert mit Gottes Hilfe so führen werden, daß wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können . Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg von uns erfordern. Den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutschland zu reizen. Und nun empfehle ich euch Gott, geht in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer!

2.

Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken

Erklärung des Kriegszustandes 1. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernern Jahr [unpaginiert] .

Berlin, 3 1 . Juli 1914 Bekanntmachung Durch Allerhöchste Verordnung ist für B e r l i n und die P r o v i n z B r a n ­ d e n b u r g der K r i e g s z u s t a n d erklärt. Die vollziehende Gewalt geht hierdurch an mich über. Mit Bezug hierauf setze ich hiermit die Artikel 5, 6, 27, 28, 29, 30 und 36 1 Der Kaiser erließ arn 31. 7. 1914 unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers die 'Ver­ ordnung betreffend die Erklärung des Kriegszustandes im Reichsgebiet' (galt für das Reichsgebiet ohne Bayern). König Ludwig Ill. von Bayern traf die gleiche Maßnahme am 31. 7. 1914 mit der 'Verordnung betreffend die Verhängung des Kriegszustandes in Bayern' . Die Militärbefehlshaber erließen arn 31. 7. 1914 'Bekanntmachungen über die Erklärung des Kriegszustandes' .

46

1914

der Verfassungsurkunde vorn 31. Januar 1850 2 für den in Kriegszustand erklär­ ten Bezirk bis auf weitere Bestimmung außer Kraft und verordne, was folgt: a) Die Zivilverwaltungs- und Gemeindebehörden verbleiben in ihren Funk­ tionen, haben aber meinen Anordnungen und Aufträgen Folge zu leisten. b) Haussuchungen und Verhaftungen können von den dazu berechtigten Behörden und Beamten zu jeder Zeit vorgenommen werden. c) Alle Fremden, welche über den Zweck ihres Aufenthalts sich nicht gehö­ rig ausweisen können, haben im Falle der Aufforderung durch die Ortspolizei­ behörde den in Kriegszustand erklärten Bezirk binnen 24 Stunden zu verlas­ sen . d) Der Verkauf von Waffen, Pulver und Sprengrnitteln an Zivilpersonen ist verboten . Zivilpersonen dürfen nur dann Waffen tragen, wenn es ihnen von mir oder von der Ortspolizei ausdrücklich gestattet ist. Wer sich mit Waffen betreffen läßt, ohne eine solche Erlaubnis zu haben, wird sofort entwaffnet. e) Wegen der Verpflichtung der Gerneinden zum Ersatz des bei öffentlichen Aufläufen verursachten Schadens verweise ich auf das Gesetz vorn 1 1 . März 1850 (Gesetzsarnrnl. S. 199) . Der Oberbefehlshaber in den Marken 3

3.

Plakat des Oberbefehlshabers in den Marken

Strafbestimmungen des Gesetzes über den Belagerungszustand. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

Berlin, 31. Juli 1914 Wa r n u n g Nachdem durch Allerhöchste Verordnung der Kriegszustand für Berlin und die Provinz Brandenburg erklärt worden ist, werden die Strafbestimmungen der §§ 8 und 9 des Gesetzes über den Belagerungszustand vorn 4. Juni 1851 t, welches hiermit in Kraft tritt, in Erinnerung gebracht.

2 Siehe Huber, Dokumente I, S. 402 -404. 3 Gustav v. Kessel. 1 Vgl. Huber, Dokumente I, S. 415 -416.

Belagerungszustand

47

§8 Wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte der vor­ sätzlichen Brandstiftung, der vorsätzlichen Verursachung einer Überschwem­ mung, oder des Angriffs oder des Widerstands gegen die bewaffnete Macht oder Abgeordnete der Zivil- oder Militärbehörde in offner Gewalt und mit Waffen oder gefährlichen Werkzeugen versehen sich schuldig macht, wird mit dem Tode bestraft. Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann statt der Todesstrafe auf zehn- bis zwanzigjährige Zuchthausstrafe erkannt werden. §9 Wer in einem in Belagerungszustand erklärten Orte oder Distrikte a) in Beziehung auf die Zahl, die Marschrichtung oder angeblichen Siege der Feinde oder Aufrührer wissentlich falsche Gerüchte ausstreut oder ver­ breitet, welche geeignet sind, die Zivil- oder Militärbehörden hinsichtlich ihrer Maßregeln irrezuführen, oder b) ein bei Erklärung des Belagerungszustandes oder während desselben vom Militärbefehlshaber im Interesse der öffentlichen Sicherheit erlassenes Verbot übertritt, oder zu solcher Übertretung auffordert oder anreizt, oder c) zu dem Verbrechen des Aufruhrs, der tätlichen Widersetzlichkeit, der Befreiung eines Gefangenen oder zu andern im § 8 vorgesehenen Verbrechen, wenn auch ohne Erfolg, auffordert oder anreizt, oder d) Personen des Soldatenstandes zu Verbrechen gegen die Subordination oder Vergehungen gegen die militärische Zucht und Ordnung zu verleiten sucht, soll, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft werden. Der Oberbefehlshaber in den Marken

48 4.

1914 Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken

Zur Verhängung des Kriegszustandes. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

Berlin, 31 . Juli/1 . August 1914 Bekanntmachung Seine Majestät der Kaiser hat das Reichsgebiet in Kriegszustand erklärt. Die hierzu von mir, als obersten Militärbefehlshaber für Berlin und die Provinz Brandenburg gegebenen Ausführungsbestimmungen habe ich bereits 1 be­ kanntgemacht. Diese Maßregeln sind nur allein deshalb erforderlich, um die rasche und gleichmäßige Durchführung der Mobilmachung zu gewährleisten. Die Vaterlandsliebe, die die Bürgerschaft Berlins und die Märker von jeher ausgezeichnet hat, und die patriotische Begeisterung, die sich in diesen ernsten Tagen gezeigt hat, geben die sichere Gewähr, daß niemand in den schweren Zeiten, denen wir entgegengehen, es an vaterländischer Gesinnung wird feh­ len lassen. Die Schnelligkeit und Sicherheit unseres Aufmarsches erfordert aber ein­ heitliche und zielbewußte Leitung der gesamten vollziehenden Gewalt. Wenn durch die Erklärung des Kriegszustandes die Gesetze verschärft werden, so wird dadurch doch niemand, der das Gesetz beachtet und den Anordnungen der Behörden Folge leistet, in seinem Tun und Wirken beschränkt. Ich werde im übrigen von meiner Vollmacht, die bestehenden Gesetzesbe­ stimmungen zu verschärfen, nur insoweit Gebrauch machen, als das Wohl und die Sicherheit des Vaterlandes es gebieterisch erheischen. Daß die Bevölkerung Berlins und der Provinz Brandenburg mit allen Kräf­ ten freudig und rückhaltlos die Militär- und Zivilbehörden unterstützen wird, dessen bin ich gewiß . Jedermann kann dadurch an seiner Stelle dazu beitra­ gen, daß der Armee die Erfüllung ihrer hohen vaterländischen Pflichten er­ leichtert wird. Dann wird das Heer auch seinen alten Waffenruhm aufrechter­ halten und mehren und mit Ehren bestehen vor den Augen des Kaisers und des deutschen Volkes . Der Oberbefehlshaber in den Marken von Kessel, Generaloberst

1 Siehe Nr. 2 .

Belagerungszustand 5.

49

Zweite Balkonrede Wilhelms II.

Einheit des deutschen Volkes. Kriegs-Rundschau I, S. 43 .

Berlin, 1 . August 1914 Ich danke euch für alle Liebe und Treue, die ihr Mir in diesen Tagen erwie­ sen habt. Sie waren ernst, wie keine vorher! Kommt es zum Kampf, so hören alle Parteien auf! Auch Mich hat die eine oder die andere Partei wohl angegrif­ fen. Das war in Friedenszeiten. Ich verzeihe es heute von ganzem Herzen! I c h k e n n e k e i n e P a r t e i e n und auch keine Konfessionen mehr; wir sind heute alle deutsche Brüder und nur noch deutsche Brüder 1• Will unser Nach­ bar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe Ich zu Gott, daß unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervor­ geht. 6.

Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken

Folgen des Belagerungszustandes. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert].

Berlin, 1. /4 . August 1914 Bekanntmachung I n Ergänzung zu meiner Bekanntmachung über die Verhängung des Kriegs­ zustandes 1 bestimme ich : Wo in der genannten Bekanntmachung von Vorschriften der Preußischen Verfassung gesprochen wird, gelten die Anordnungen der Bekanntmachung auch für alle an deren Stelle getretenen reichsrechtlichen Vorschriften. Außer den bereits getroffenen Anordnungen bestimme ich hiermit weiter: Alle öffentlichen Versammlungen bedürfen der Genehmigung, die wenigstens 48 Stunden vor Beginn der Versammlung bei der Polizeibehörde nachzu­ suchen ist. 1 Sinngemäß wiederholt in Wilhelms Thronrede im Weißen Saal des Stadtschlosses in Berlin am 4. 8. 1914 : "Ich kenne keine Partei mehr, Ich kenne nur Deutsche" (vgl. Huber, Dokumente II, S. 455). Das Kaiserwort war keine Improvisation Wilhelms, sondern eine von der Reichsleitung vorbereitete Proklamation des Burgfriedens für die Dauer des Krieges (Urheber: Otto Hammann, Pressechef der Reichsregierung). 1 Siehe Nr. 2 .

1914

50

Im übrigen bleiben die bisher bestehenden gesetzlichen Bestimmungen maßgebend, soweit ich nicht im Interesse des Staates und der öffentlichen Si­ cherheit im allgemeinen oder in einzelnen Fällen anderweitige Anordnungen erlasse . Der Oberbefehlshaber in den Marken

7.

Bekanntmachung des Oberbefehlshabers in den Marken

Folgen des Belagerungszustandes. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

Berlin, 1. /4. August 1914 Bekanntmachung Ich verbiete hiermit Veröffentlichungen und Mitteilungen militärischer An­ gelegenheiten. Übertretungen dieses Verbots werden streng bestraft. Gegen unbefugte Ver­ breiter von derartigen Nachrichten wird gemäß § 9 b des Gesetzes vom 4 . Juni 1851 eingeschritten. Wer dieses Verbot übertritt oder zu solcher Übertretung auffordert oder anreizt, soll, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe be­ stimmen, mit Gefängnis bis zu einem Jahre bestraft werden. Der Oberbefehlshaber in den Marken

51

Osmanisches Reich 8.

Telegramm Wangenheims an das AA 1

Vertrag zwischen dem Deutschen und dem Osmanischen Reich 2• Die Deutschen Dokumente zum Kriegs­ ausbruch III, S. 184f.

Therapia, 2. August 1914 Übersetzung 1. Die beiden vertragschließenden Teile verpflichten sich, gegenüber dem gegenwärtigen Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien strikte Neutralität zu bewahren. 2. Falls Rußland mit aktiven militärischen Maßnahmen eingreifen und da­ durch für Deutschland den casus foederis gegenüber Österreich-Ungarn her­ beiführen sollte, so würde dieser casus foederis ebenfalls für die Türkei in Kraft treten. 3 . Im Kriegsfalle wird Deutschland seine Militärmission zur Verfügung der Türkei belassen. Die Türkei ihrerseits sichert der genannten Militärmission entsprechend den zwischen Sr. Exz . dem Kriegsminister 3 und Sr. Exz . dem Chef der Mili­ tärmission 4 unmittelbar getroffenen Vereinbarungen, einen wirksamen Ein­ fluß auf die allgemeine Armeeführung zu . 4. Deutschland verpflichtet sich, das Gebiet des ottomanischen Reiches im Falle der Bedrohung nötigenfalls mit den Waffen • . . . 5 . Dieses Abkommen ist getroffen, um die beiden Reiche vor den interna­ tionalen Verwicklungen zu schützen, die aus dem gegenwärtigen Konflikt entstehen könnten; es tritt in Kraft, sobald es durch die erwähnten Bevoll­ mächtigten unterzeichnet ist, und bleibt nebst den gegenwärtigen ähnlichen Verpflichtungen bis zum 31. Dezember 1918 in Gültigkeit. 6. Falls dieser Vertrag nicht durch einen der hohen vertragschließenden

Der Satz ist folgendermaßen zu korrigieren und zu ergänzen: .[ . . . ] im Falle der Bedrohung durch Rußland nötigenfalls mit den Waffen zu verteidigen" . 1 Dem Generalstab, Kriegsministerium, Admiralstab und Reichsmarineamt nicht mitgeteilt. 2 Weitere Verträge: Deutsch-osmanischer Geheimvertrag 1 1 . 1. 1915, deutsch-osma­ nischer Geheimvertrag 28. 9. 1916, deutsch-osmanischer Vertrag über die Kapitulatio­ nen 1 1 . 1. 1917, Rechtsverträge 8 . / 1 1 . 1. 1917, Zusatzverträge 27. 1 1 . 1917; Militärkonven­ tion 1 8 . 10. 1917 (siehe Nr. 158). 3 Enver Pascha. 4 Liman v. Sanders . •

52

1914

Teile sechs Monate vor Ablauf des hier oben genannten Termins gekündigt wird, bleibt er für einen weiteren Zeitraum von fünf Jahren in Kraft. 7. Die vorliegende Urkunde wird durch S . M. den deutschen Kaiser, König von Preußen und S. M. den Kaiser der Ottomanen ratifiziert, und die Ratifi­ kationen werden binnen eines Monats nach dem Datum der Unterzeichnung ausgetauscht. 8. Der gegenwärtige Vertrag bleibt geheim und kann erst nach einem zwi­ schen den beiden hohen vertragsschließenden Teilen getroffenen Übereinkom­ men veröffentlicht werden. Zu Urkund dessen usw.

9.

Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle krie­ gerischer Ereignisse 1 RGB1 1914, S. 327 f.

Berlin, 4. August 1914 W i r Wi l h e l m , v o n G o t t e s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, Kö n i g von Preußen etc . verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt: §1 Wird in Veranlassung kriegerischer Ereignisse die rechtzeitige Vornahme einer Handlung, deren es zur Ausübung oder Erhaltung des Wechselrechts oder des Regreßrechts aus dem Scheck bedarf, durch höhere Gewalt verhin­ dert, so verlängern sich die für die Vornahme der Handlung vorgeschriebenen Fristen um so viel als erforderlich ist, um nach Wegfall des Hindernisses die Handlung vorzunehmen, mindestens aber bis zum Ablauf von sechs Werk­ tagen nach dem Wegfall des Hindernisses . Als Verhinderung durch höhere Gewalt gilt es insbesondere, 1. wenn der Ort, wo die Handlung vorgenommen werden muß, von dem Feinde besetzt ist; es sei denn, daß sie bei Anwendung der im Verkehr erfor­ derlichen Sorgfalt trotzdem bewirkt werden kann; 2 . wenn die zwecks Herbeiführung der Handlung zu benutzende Postverbin1 Neben dem 'Ermächtigungsgesetz' wurden am 4. 8. 1914 das Kriegskreditgesetz, 5 Kriegsfinanzgesetze, 3 Schutzgesetze für Wehrpflichtige und ihre Angehörigen, 4 Kriegswirtschaftsgesetze und 3 Kriegssozialgesetze erlassen. Zwischen 6. 8. 1914 und 7. 11. 1918 ergingen 825 Bundesratsverordnungen (betreffend das Bewirtschaftungs-, Währungs-, Finanz-, Zivil-, Arbeits-, Sozial- und gerichtliche Verfahrensrecht).

Kriegswirtschaft

53

dung derart unterbrochen ist, daß ein geregelter Postverkehr nicht mehr be­ steht. §2 Unbeschadet der Vorschrift des § 1 können die dort bezeichneten Fristen im Falle kriegerischer Ereignisse durch Kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesrats für das gesamte Reichsgebiet oder für Teile des Reichsgebiets um einen bestimmten Zeitraum verlängert werden. Diese Vorschrift findet auf die Schutzgebiete mit der Maßgabe Anwendung, daß es der Zustimmung des Bundesrats nicht bedarf. §3 Der Bundesrat wird ermächtigt, während der Zeit des Krieges diejenigen gesetzlichen Maßnahmen anzuordnen, welche sich zur Abhilfe wirtschaft­ licher Schädigungen als notwendig erweisen. Diese Maßnahmen sind dem Reichstag bei seinem nächsten Zusammentritt zur Kenntnis zu bringen und auf sein Verlangen aufzuheben. §4 Dieses Gesetz tritt mit seiner Verkündung in Kraft. Der Zeitpunkt, in dem das Gesetz außer Kraft tritt, wird durch Kaiserliche Verordnung mit Zustim­ mung des Bundesrats bestimmt. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Berlin im Schloß, den 4. August 1914 . Wilhelm Delbrück 10.

Eberlein, Erinnerungen, Auszug

Reaktion Rosa Luxemburgs und ihrer Freunde aufdie Zustimmung der SPD-Reichstags­ fraktion zu den Kriegskrediten. Kar! und Rosa, S. 57f.

Berlin, 4 ./5 . August 1914 Dann holte ich noch am Abend die besten uns bekannten Genossen zu einer Besprechung in Rosa Luxemburgs Wohnung zusammen. Der alte Franz Meh­ ring kam, tobte und schimpfte, wie nur Franz Mehring schimpfen konnte. Es kamen unsere alten Freunde Julian Marchlewski, Hermann Duncker, Wilhelm Pieck und Ernst Meyer, und wir einigten uns, alle uns bekannten Genossen, von denen wir überzeugt waren, daß sie gleich uns den Verrat am deutschen Proletariat nicht mitmachen würden, zu einer Besprechung zusammenzuru­ fen. Über 300 Telegramme trug ich am nächsten Tag zur Post. Das Resultat

54

1914

war katastrophal . Clara Zetkin war die einzige, die sofort und uneinge­ schränkt ihre Zustimmung sandte. Die wenigen anderen, die überhaupt ant­ worteten, gebrauchten dumme und faule Ausreden. Der Kriegskoller hatte sie gepackt. Wir beschlossen, in der Partei zu bleiben und den Kampf gegen den Krieg in der Organisation zu führen und zu organisieren. Schon in den nächsten Tagen kamen noch ein paar treue Kampfgenossen zu uns : Karl Liebknecht, Leo Jogiches, Otto Gäbel aus Niederbarnim, Otto Geithner aus Gotha, Käte Duncker, Martha Arendsee und andere. Wir vereinbarten die Herausgabe einer Erklärung, die, von Karl Lieb­ knecht, Rosa Luxemburg, Franz Mehring und Clara Zetkin unterschrieben, am 20. Oktober 1914 in der "Berner Tagwacht" erschien. Und nun begann die Arbeit in der Organisation. Die Funktionäre von Charlottenburg und die Ortsgruppe Mariendorf waren die ersten, die sich rückhaltlos zu uns bekannten. So war der 4. August 1914 1 nicht nur der Tag des schmählichsten Verrats der Führung der Sozialdemokratischen Partei, sondern gleichzeitig der Tag des Beginns der Sammlung der wahrhaft internationalistischen Kräfte in der deut­ schen Arbeiterbewegung, die ihren Kampf gegen den imperialistischen Krieg konsequent fortsetzten.

1 Die Sozialdemokraten stimmten in 12 Reichstagsabstimmungen zwischen August 1914 und Juli 1918 für die Annaltme der Kriegskredite: 1. Kriegskredit 4. 8. 1914 : Zaltl der Ja- und Nein-Stimmen in der Vorabstimmung der SPD-Fraktion 78 : 14, im Plenum des Reichstages Nein-Stimmen 0 (2 Enthaltungen: Kar! Liebknecht, Otto Rühle); 2. : 2. 12 . 1914 : 82:: 17, Plenum: 1 (Liebknecht); 3 . : 20. 3. 1915 : 77 : 23, Plenum: 2 (Liebknecht, Rühle); 4 . : 20. 8. 1915: 72 : 36, Plenum: 1 (Liebknecht); 5 . : 21. 12 . 1915 : 66 : 44, Plenum: 20 (Gruppe Haase); 6. : 7. 6 . 1916: 64 : 23, Plenum: nein SAG; 7. : 27. 10. 1916: 57 : 15, Plenum: nein SAG; 8 . : 23. 2. 1917: große Mehrheit gegen 10, Plenum: nein SAG; 9 . : 20. 7. 1917: 61 : 14, Plenum: nein USPD; 10. : 1. 12.1917: große Mehrheit gegen 6, Plenum: nein USPD: 1 1 . : 22 . 3 . 1918: 49 : 15, Plenum : nein USPD: 12 . : 13 . 7. 1918: �?;roße Mehrheit gegen 8, Plenum : nein USPD .

55

Kriegsbereitschaft 11.

Kriegstagebuch Davids, Auszug

Reaktion aufdie Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten. Kriegstagebuch David, S . 13 .

[o . 0. ] 5 . August 1914 Die Wirkung unserer Zustimmung nach außen ist sehr stark. Das Gefühl der nationalen Geschlossenheit beherrscht alles und hebt das Vertrauen, so daß man den Beitritt Englands zu der Koalition der Gegner getrosten Mutes hinnimmt.

U.

Aufruf Wilhelms II.

Bereitschaft des Deutschen Reiches. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

Berlin, 6. August 1914 A n d a s D e u t s c h e Vo l k Seit der Reichsgründung ist es durch 4 3 Jahre Mein und Meiner Vorfahren heißes Bemühen gewesen, der Welt den Frieden zu erhalten und im Frieden unsere kraftvolle Entwickelung zu fördern. Aber die Gegner neiden uns den Erfolg unserer Arbeit. Alle offenkundige und heimliche Feindschaft von Ost und West, von jen­ seits der See haben wir bisher ertragen im Bewußtsein unserer Verantwortung und Kraft. Nun aber will man uns demütigen. Man verlangt, daß wir mit ver­ schränkten Armen zusehen, wie unsere Feinde sich zu tückischem Überfall rüsten, man will nicht dulden, daß wir in entschlossener Treue zu unserem Bundesgenossen stehen, der um sein Ansehen als Großmacht kämpft und mit dessen Erniedrigung auch unsere Macht und Ehre verloren ist. So muß denn das Schwert entscheiden . Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf! zu den Waffen ! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter neu sich gründeten. Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß . Und

56

1914

wir werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war. Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war. Wilhelm

13.

Aufruf des SPD-Vorstandes 1 und der Generalkornmission der Gewerkschaften 2

Aufgaben der Mitglieder während des Krieges. Dokumente u. Materialien 11/1, S. 26 f.

Berlin, 6. August 1914 Genossinnen und Genossen! Es ist selbstverständlich, daß die Partei- und Gewerkschaftsorganisationen alles tun müssen, was in ihren Kräften steht, um auch in diesen schweren Zeiten den Angehörigen der zum Waffendienst Einberufenen mit Rat und Tat beizustehen. Die Organisationen werden diese Pflicht nur dann erfüllen können, wenn die nicht zu den Waffen gerufenen Mitglieder alle ihre Kräfte anspannen, um die Organisationen intakt zu halten. Es muß unter allen Umständen dafür gesorgt werden, daß die in den Vor­ ständen und Ausschüssen der Organisationen entstehenden Lücken sofort besetzt und daß die Beiträge regelmäßig gezahlt oder einkassiert werden. Alle Angestellten der Gewerkschaften verzichten während der Dauer des Krieges zugunsten der Unterstützungseinrichtungen auf einen erheblichen Teil ihrer Gehälter. Alle Angestellten der Partei tun das gleiche angesichts der gesamten Lage. Sind die nicht zu den Waffen gerufenen Organisationsmitglieder sich ihrer schweren Pflicht bewußt - wir zweifeln nicht daran, daß sie es sind -, dann wird es möglich sein, unsere Organisationen und die von ihnen geschaffenen und unterhaltenen Institute auch während der Kriegszeiten aufrechtzuerhal­ ten. Wir fordern die Organisationen dringend auf, überall, wo es möglich ist, Auskunftsstellen einzurichten . Wo Arbeiter- und Parteisekretariate bestehen, werden diese sich in einheitlichem Zusammenwirken dieser Aufgabe zu unter1 Parteivorstand 1914 aus den gleichberechtigten Vorsitzenden Friedrich Ebert und Hugo Haase, ferner aus Friedrich Bartels, Otto Braun, Albin Gerisch, Hermann Mol­ kenbuhr, Hermann Müller, Wilhelrn Pfannkuch, Philipp Scheidernann, Otto Wels, Robert Wengels, Luise Zietz (Haase, Wengels, Zietz zum linken Flügel). 2 Vorsitzender seit 1890: Carl Legien.

Aufgaben der SPD-Mitglieder

57

ziehen haben. Ihre Aufgabe wird vornehmlich sein, Auskünfte und Ratschläge in Unterstützungsangelegenheiten zu geben. Aber auch andere wichtige Fra­ gen werden zu beantworten sein. Über die Einrichtung der Auskunftsstellen müssen sich Gewerkschafts- und Parteiorganisationen in den einzelnen Orten sofort verständigen. Bei der Tätigkeit der Auskunftsstellen ist die Mithilfe der Frauen unbedingt notwendig. Gerade unsere Genossinnen werden in der Lage sein, wertvolle persönliche Beziehungen aufrechtzuerhalten, den Frauen der im Felde stehen­ den Männer Beistand zu leisten und sich der Kinder in jeder Weise anzuneh­ men. Die Auskunftsstellen werden den Gemeindeverwaltungen wertvolle Dienste leisten, insbesondere bei der Verteilung der Gemeindeunterstützungen an die Angehörigen der Kriegsteilnehmer und bei der Festsetzung der Maximalpreise der Lebensmittel. Die Auskunftsstellen haben darauf zu achten, daß die Partei- und Gewerk­ schaftsmitglieder, die sich für Erntearbeiten zur Verfügung stellen, sich bei den gewerkschaftlichen Vermittlungsstellen melden. Unsere Jugendlichen, die nicht ins Feld ziehen, werden, geleitet von den idealen Anschauungen, mit denen wir sie erfüllt haben, den Anregungen der Auskunftsstellen freudig folgen, um auch, soweit es ihre Kraft erlaubt, dem Ganzen zu dienen, namentlich im inneren Samariterdienst. Genossinnen und Genossen ! Helft alle in dieser schweren Zeit, wo immer ihr dazu in der Lage seid. Alt und jung können und müssen jetzt helfen. Wir wissen, daß unser Aufruf nicht vergeblich sein wird. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands

14.

Kriegstagebuch Davids, Auszug

Warten auf die Entscheidung im Westen. Kriegstagebuch David, S. 1 8 .

[o. 0.] 1 8 . August 1914 Von Tag zu Tag wächst die Erwartung auf eine große Entscheidung. Eine dumpfe Spannung liegt im Untergrund der Seele. Jetzt erfährt man, was Mas­ senpsychosen sind . Gemeinsame Furcht, Hoffnung, Schmerz, Jubel ergreifen mit elementarer innerer Macht den einzelnen und zwingen ihn in die Richtung der Umgebung. Die Befreiung davon, das kritische Darüberstehen gelingt selbst den nüchternen, verstandesmäßig geschulten Denkernaturen nur schwer und unvollkommen.

58 15.

1914 Kriegstagebuch Davids, Auszug

Erste größere Erfolge im Westen. Kriegstagebuch David, S. 19 f.

[o . 0 . ] 21. August 1914 Deutsche Truppen sind in Brüssel eingerückt 1 [ ] Am Nachmittag kommt die Nachricht von gewaltiger Schlacht und großem Sieg zwischen Metz und Vogesen 2• Man atmet auf. •

16.





Brief Solfs an Jagow

Die kolonialen Kriegsziele und die Nützlichkeit einer indirekten Expansion in Europa. Gutsche, Nr. 95 .

Berlin, 28. August 1914 Nach Empfang Ihrer freundlichen Zeilen aus dem Hauptquartier vom 25. habe ich Ihnen zunächst telegraphiert, daß das gewünschte Kartenmaterial morgen expediert und die dazu gehörige Denkschrift etwas später nachfolgen wird. Die Karten * habe ich hoffentlich so schmackhaft gemacht, daß auf ihnen das Studium meiner Vorschläge bequemer ist, als auf der ursprünglich vorgelegten Skizze. Bei meiner Verteilung der afrikanischen Kolonien Frankreichs, Belgiens und Portugals bin ich von dem Standpunkt ausgegangen, daß eine größere territoriale Expansion in Europa unsererseits nicht beabsichtigt ist und daß der Erwerb solcher Kolonien, deren Besitz nur durch starke Besatzung von weißen Truppen aufrecht erhalten werden kann, nicht in Frage kommt. Un­ sere Wehrkraft dürfen wir nicht zersplittern! Deswegen habe ich Marokko fortgelassen, deswegen auch die asiatischen Besitzungen Frankreichs. Für das Ausschalten der letzteren aus unseren Zukunftsplänen schien mir auch maßge­ bend sein zu sollen, daß für Asien sich doch wohl der Grundsatz wird bilden müssen : Asien für die Asiaten! Die dritte Voraussetzung meiner akademischen Grenzverschiebungen ist eine negative und doch wesentliche, insofern als ich den Optimismus meiner Landsleute, die England bereits geknechtet und seine •· Dem Schreiben waren Karten beigefügt, die verschiedene Versionen eines deut­ schen Kolonialreiches in Afrika empfahlen. 1 20. 8. 1914. 2 20. 8 . 1914 .

59

Kriegsziele

Flotte zerstört sehen, noch nicht zu teilen wage. Ich setze also bei allen un­ seren Friedensabmachungen ein mehr oder weniger zu berücksichtigendes Placet Großbritanniens voraus . Weitere Erklärungen und nähere Ausführungen nebst statistischem Material über den Wert der zu erwerbenden Kolonien sende ich Ihnen später in Form einer Denkschrift nach. Mit dem Fall eines totalen Sieges über England und mit der Möglichkeit, daß Deutschland als arbiter mundi den Völkern Europas die Friedensbedingungen diktiert, habe ich geglaubt, nicht rechnen zu sollen. In weiten Kreisen Deutschlands, nicht nur bei den Alldeutschen, macht sich aber mit elementarer Zuversicht der Wunsch geltend, möglichst viel Land von unseren Feinden zu bekommen; insonderheit wird verlangt, auch von sonst gemäßigten Leuten, daß man Belgien völlig den Garaus machen müsse, daß der Krieg ja gar keinen Zweck hätte, wenn wir nicht einige Häfen an der Eng­ land gegenüberliegenden Küste Belgiens und Frankreichs, also Antwerpen und Calais und die Grenzfestungen in deutschen Besitz nähmen. Wie darüber an maßgebender Stelle gedacht wird, weiß ich nicht. Ich kann mir aber nicht denken, daß wir Belgien und große Teile von Frankreich als integrierenden Be­ standteil in das Deutsche Reich einverleiben wollen. Exempla docent! Elsaß­ Lothringen hat uns Mühe genug gemacht. Auch die Erfahrungen mit den Dänen und Polen sollten uns vor dem Versuch bewahren, die gegebenen Gren­ zen der Nationalität zu überschreiten. Wenn es Sie interessiert, die mannig­ fachen, zum Teil recht abenteuerlichen Vorschläge über die Zukunft Polens, die Gestaltung Europas nach dem Frieden zu erfahren, gebe ich Ihnen gern ein Florilegium. Es werden aber wohl dieselben Ideen ihren Weg ins Haupt­ quartier finden. Das sind aber nicht meine Sorgen, wenigstens nicht vom Standpunkt meines Ressorts aus .

17.

Brief des preußischen Kriegsministeriums

an

die Redaktion des >Vorwärts
Tags< unter der Überschrift "Deutsch­ lands größter Sieg" vom Landrat a. D. von Dewitz. Der Verfasser führt aus, daß die Sozialdemokratie nach dem Friedensschlusse auf ihre Bewilligung pochen werde, daß die Stärkung der revisionistischen Richtung eine größere Gefahr bedeute als die von Klassenhaß genährte Sozialdemokratie und daß man keinen Zweifel darüber aufkommen lassen dürfe, daß selbst die prompte Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflicht die Sozialdemokratie den bürgerlichen Parteien nicht gleichwertig mache, solange sie nicht ihr kommunistisches Pro­ gramm begrabe. Ich verzichte auf eine eingehende Erörterung dieses Zu­ kunftsproblems, zumal sich zur Zeit nicht übersehen läßt, welche erzieheri­ sche Wirkung der gegenwärtige Krieg und seine Gefahren für die deutsche Volkswirtschaft auf die Reihe der sozialdemokratischen Mitkämpfer ausübt. In Friedenszeiten würde dem Verfasser des Artikels auch gewiß nicht verwehrt werden können, im Sprechsaal des Tages diese seine Ansichten zu vertreten, 1 Gefallen am 3. 9. 1914 bei Noissoncourt.

Sozialdemokratie

65

die von einer großen Mehrheit seiner Parteigenossen geteilt werden mögen. In dem gegenwärtigen Augenblick aber ist der Aufsatz zum mindesten inoppor­ tun, da er die Geschlossenheit des deutschen Volkes im höchsten Maße gefähr­ det. Es kann nicht ausbleiben, daß die Wiederholung derartiger Angriffe die Sozialdemokratie zur Erwiderung reizen müßte, wodurch die so dringend nötige Einigkeit der Parteien einen Riß erhielte. Diese Einigkeit der Parteien in nationalen Fragen aufrechtzuerhalten, erscheint mir aber nicht nur ein Ge­ bot der taktischen Klugheit für die Zeit des gegenwärtigen Kriegszustandes, sondern auch eine Forderung weitsichtiger Sozialpolitik angesichts der Zu­ kunft des deutschen Volkes. Gewiß wird die Sozialdemokratie auch in Zu­ kunft eine scharf oppositionelle Partei sein und eine Gefahr für den inneren Frieden des deutschen Volkes bilden, solange sie an ihrem kommunistischen und antimonarchischen Programm festhält. Wenn aber jemals der Versuch ge­ macht werden soll, die Arbeiterschaft aus sich heraus zu einer politischen Ge­ sundung zu führen, so ist dies nur in Zeiten der nationalen Erhebung möglich, wie wir sie jetzt erleben . Eine günstigere Gelegenheit dürfte in den nächsten 100 Jahren kaum je wiederkommen. Der Versuch muß daher gemacht werden. Aber nicht dadurch, daß man die Brücken der Verständigung abbricht und auf die die bürgerlichen Parteien von der Sozialdemokratie trennende unüber­ windliche Kluft hinweist, sondern dadurch, daß man sich auf dem gemeinsa­ men Boden des Nationalbewußtseins begegnet und dieses ideale Moment pflegt, dessen Stärke und Lebenskraft in den letzten Wochen so überraschend zu Tage getreten ist. Es erscheint mir daher dringend notwendig, die Presse der bürgerlichen Parteien immer wieder auf die Notwendigkeit hinzuweisen, in diesem Sinne zu wirken und ihr die Verantwortung vor Augen zu führen, die sie übernimmt, wenn durch ihre Schuld die schweren Opfer, die das deut­ sche Volk in diesem Kriege bringt, für seine innere Gesundung und Entwick­ lung ohne Früchte bleiben sollten. Ich bitte Euere Excellenz daher, die Angelegenheit in diesem Sinne mit dem Herrn Stellvertreter des Reichskanzlers zu besprechen und ermächtige Euere Excellenz, ihm auf Wunsch eine Abschrift dieses Erlasses zu übergeben . Über die Ausführung sehe ich einer geschätzten Anzeige entgegen. gez . Vitzthum 2 2 Bethrnann antwortete Salza arn 22. 9. 1914 : "Euerer Excellenz beehre ich mich mit­ zuteilen, daß ich mit den Ausführungen des Herrn Staatsministers Graf Vitzthurn von Eckstaedt, wie sie in seinem an Euere Excellenz gerichteten Schreiben vorn 10. d. M. niedergelegt sind, in jeder Hinsicht einverstanden bin. Auch mir erscheint es in höch­ stem Maße erwünscht, daß die verbündeten Regierungen auch in Fragen der inneren Politik in steter Fühlung miteinander bleiben und nach einheitlichen Grundsätzen han­ deln. Dem dahin zielenden Vorschlag des Grafen Vitzthurn kann ich daher nur vollauf

66 24.

1914 Plakat nach der ersten Befreiung Ostpreußens

Lob und Erwartungen von seiten des Magistrats. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

lnsterburg, 11 ./12. September 1914 E i n H u r r a u n s e r n b r av en K r i e g e r n ! Wer den Jubel heute sah, als die erste deutsche Ulanenpatrouille wieder auf unsern Markt sprengte, wie wir uns alle die Hände reichten mit innigem, hel­ lem Blick, der vergißt das nicht wieder in seinem Leben . Hinter uns liegen gut 21;2 Wochen der Knechtschaft; nicht so grausam, wie wir anfangs fürchteten - wir wollen gerecht sein auch dem Feinde gegenüber, der seine Manneszucht hielt - a b e r d o c h l a s t e n d w i e B l e i a u f u n s e r e r S e e l e , n i e o h n e G e f a h r f ü r d e n E i n z e l n e n : und wie Mehltau wars ge­ fallen auf unsern frischen Mut, auf unsere Hoffnung. Von aller Welt, so viel­ fach auch von unsern nächsten Lieben abgeschnitten, in allem Wesentlichen angewiesen auf dürftige, für uns künstlich zugeschnittene Nachrichten aus dem weiten Kriegsfelde, mußten wir den langen Hoffnungsfaden spinnen in die Zukunft. Und wenn dann hin und wieder der Schleier ein wenig sich zu lüften schien, wenn bald von den raschen glorreichen Siegen an der West­ grenze des großen Vaterlandes, bald von dem zähen blutigen Ringen im Westen und Süden unserer engeren Heimat eine dunkle Kunde kam, wie haben wir dankbar das genossen, dankbar und doch immer voll Sorge ob der helle Schein standhielt, ob er nicht gar zu bald wieder verschlungen würde durch eine düstere Wolke! Und nun heute nach den bangen Stunden der Erwartung, als der dumpfe Donner der Geschütze und zuletzt daneben der hellere Ton des Kleingewehrfeuers uns immer näher rückte, als schließlich der Kampf an un­ sere Tore drang, wie still waren die Straßen, wie zagten wir da dem Erlösungs­ wort entgegen, und wie hell klang schließlich der Siegesjubelt Wer in diesen Wochen seiner Pflicht getreu stand hielt, der durfte in der schweren Zeit nicht nur, wie sonst die Freuden, er durfte auch einmal die Sor­ gen mit seinen Mitbürgern teilen, er konnte auch so viel ungeahnte Tatkraft, so viel selbstlose, nie ruhende Arbeit für das Wohl unserer Stadt bewundern. beipflichten. Insbesondere bin ich mit den Anregungen bezüglich Behandlung der So­ zialdemokratie sehr einverstanden. Ich habe angeordnet, daß das Schreiben des Grafen Vitzthum allen Bundesregierun­ gen zur Kenntnis gebracht wird . " (Cartarius, Nr. 96 . )

Befreiung Ostpreußens

67

Wir haben alle gelernt; der Krieg hat auch uns alle in die Schule genommen; Mannesmut und ruhiges schlichtes Gottvertrauen werden wir nie wieder ge­ ring achten, und ein festes Zusammenschließen zu edlem, tüchtigem Zweck werden wir schätzen . Eins aber ist doch das Schönste: Unsere eignen Väter, Brüder, Söhne sind es, die uns den Tag der Freiheit wieder gaben, und wenn's auch nicht ohne schwere Opfer ging, die alte Tüchtigkeit und Tapferkeit unse­ res Heeres hat nach Gottes Fügung doch schließlich wieder die Flut der Feinde geworfen; auch bei uns im Osten wird bald keine Russenhand mehr ein Fleckchen deutscher Erde festhalten. Drum aus tiefem Herzen und mit vollem Klang: Ein Hurra unseren braven Kriegern! Gottes Segen mit unserm Vaterland ! Dr. 0. Lücke Bekanntmachung Meine lieben Mitbürger! Aus der Begeisterung, mit welcher Sie gestern unsere braven Truppen bei ihrem Einzuge in unsere liebe Vaterstadt begrüßt haben, habe ich ersehen, wel­ che Freude Sie empfunden haben, endlich von der ruchlosen Knechtschaft erlöst zu sein. Ich erwarte von der Bürgerschaft, daß sie auch weiterhin die Ordnung nach allen Richtungen hin aufrecht erhalten wird und halte es für notwendig, zu diesem Zwecke das bisherige Verbot des Verkaufs alkoholischer Getränke an die Truppen und Zivilbevölkerung streng aufrechtzuerhalten . Sämtliche Destillationen und Restaurationen müssen geschlossen bleiben. Der Magistrat i. V. Dr. Bierfreund 25.

Brief Delbrücks an Bethmann Hollweg

Die äußeren und inneren Kriegsziele. Gutsche, Nr. 100.

Berlin, 13 . September 1914 Euerer Exzellenz geneigtes Schreiben vom 9. d. M . 1 ist gestern hier ein­ getroffen und von mir mit Freuden begrüßt, weil es mit seinen bestimmten Vorschlägen den Erörterungen über die beim Friedensschluß zu ergreifenden handelspolitischen Maßnahmen etwas von ihrem hypothetischen Charakter 1

=

Nr. 21.

68

1914

nimmt und sie damit auf eine etwas schmalere Basis stellt. Ich hatte bereits Ende voriger Woche die unmittelbar beteiligten Ressortchefs und zwar diese allein zu einer vorbereitenden Besprechung zusammenberufen. Man war mit mir darin einig, daß eigentliche kommissarische Verhandlungen und ein schriftlicher Votenwechsel zu vermeiden seien, daß die Angelegenheit bei mir zu bearbeiten und die Referenten der einzelnen Ressorts nach Bedarf hinzu­ gezogen und schließlich zu einer Kommission zusammengenommen werden sollten. Das entspricht im wesentlichen Eurer Exzellenz Anordnungen. Sach­ lich hat die Besprechung mit den Herren Ressortchefs, wie ich erwartete, nichts Erhebliches zu Tage gefördert. Ich hatte auch nur die Absicht, sie recht­ zeitig mit den für sie alle überraschenden Plänen einer mitteleuropäischen Wirtschaftsvereinigung vertraut zu machen . Abgesehen von den mannigfa­ chen Eventualitäten, die auch in Eurer Exzellenz Programm noch stecken, liegt die Schwierigkeit der Bearbeitung in der Neuheit der Aufgabe, die nur je­ mand lösen kann, der an ihre Durchführbarkeit glaubt und nicht von vornher­ ein mit Zweifeln an sie herantritt. Ich habe daher ausschließlich für diese Sache den früheren Gouverneur von Rechenberg als Hilfsarbeiter in das Reichsamt des Innern einberufen, der schon vor Wochen mit einer ähnlichen Anregung an mich herangetreten war und, wie ich in einer langen Unterredung, an der auch die Herren Wahnschaffe und HelHerich teilnahmen, festgestellt habe, von den mir zur Verfügung stehenden Leuten unbedingt der geeignetste ist. Den Direktor Müller, der an sich der Berufenste gewesen wäre, konnte ich für diese Sache, die ihn vollständig in Anspruch genommen haben würde, nicht frei machen, da der "wirtschaftliche Krieg" ihn und seine durch Einberufun­ gen zur Fahne von 8 auf 2 Köpfe reduzierte Abteilung voll in Anspruch nimmt. Es wird tatsächlich seit Wochen Tag und Nacht gearbeitet, und ich werde versuchen müssen, einen der einberufenen Herren zu reklamieren . Herr von Rechenberg, dem der zuständige Dezernent meines Amtes beigege­ ben wird, soll natürlich unter meiner und meines Unterstaatssekretärs 2 Lei­ tung und in Fühlung mit dem Direktor Müller arbeiten. Was die Arbeit selbst betrifft, so habe ich angeordnet, daß als erstes ein allgemeines Programm für den Wirtschaftsverband, seine Aufgaben, seine Organisation, seinen Umfang und Vorschläge für die Regelung der Übergangszeit und der Übergangsbe­ stimmungen ausgearbeitet werden. Von dem Ergebnis dieser Arbeit wird es abhängen, wie die übrigen Punkte " d e r a l l g e m e i n e n Z i e l e" zu lösen bzw. zu modifizieren sein werden . Die Vorschläge zu 1 bis 3 quadrieren nicht ganz mit der Forderung zu 4. Es kann beispielsweise zweifelhaft sein, ob man ein Land wirtschaftlich bis auf das letzte erschöpft, das man dem eigenen Wirtschaftsgebiet anzugliedern hofft. Die Annexion des Erzbeckens 2 Max Richter.

Kriegsziele

69

von Briey kann überflüssig werden, wenn Frankreich und Deutschland ein Wirtschaftsgebiet werden und dergl. mehr. Im übrigen wird die Arbeit Eurer Exzellenz Wünschen entsprechend nach Möglichkeit beschleunigt werden . Immerhin wird zunächst nicht mehr als die technische Seite der Frage behandelt werden können. Ob ein Zollverein in dem von Eurer Exzellenz ge­ wünschten oder auch geringerem Umfang erreichbar sein wird, hängt von den schließliehen Erfolgen unserer Waffen und vor allem der unserer Verbündeten und von dem Ausgang unseres wirtschaftlichen Krieges mit England ab . Aber auch wenn, wie ich zuversichtlich erwarte, alle diese Voraussetzungen erfüllt sein werden, werden m. E. starke innerpolitische Schwierigkeiten zu überwin­ den sein. Ein Zollverein, der den größten Teil Europas umfaßt, bedeutet einen Bruch mit unserer Wirtschaftspolitik und leitet einen Abbau unserer Zölle ein. An die Stelle unserer spezialisierten Tarifverträge werden Meistbegünsti­ gungs- oder Reciprocitätsverträge mit einem nach nordamerikanischem Mu­ ster zu handhabenden Doppeltarif treten müssen. Während wir bisher die "nationale Arbeit" durch hohe Zölle und Tarifverträge mit allen europäischen Staaten zu schützen suchten, soll in Zukunft auf dem großen Gebiete von den Pyrenäen bis zur Memel, vom Schwarzen Meer zur Nordsee, vom Mittelmeer bis zur Ostsee in der Hauptsache das freie Spiel der Kräfte walten. Der franzö­ sische und italienische Wein wird dem deutschen Weine, ungarische Agrarpro­ dukte werden unserem ostelbischen Landwirt uneingeschränkte Konkurrenz machen. Die Krefelder Seidenweber werden in unseren Grenzen den Wettbe­ werb in Lyon auszuhalten haben. Man wird für eine solche radikale Umwäl­ zung zweierlei anführen können. Die Voraussetzungen, auf denen unsere bis­ herige Wirtschaftspolitik beruhte, liegen nicht mehr vor, wir kämpfen nicht mehr um die Herrschaft auf dem inneren Markte, sondern um die Herrschaft auf dem Weltmarkt, und den übermächtigen Produktionsmöglichkeiten der transatlantischen Welt kann nur ein zollgeeintes Europa mit dem nötigen Nachdruck gegenübertreten; wir sollen Gott danken, daß der Krieg uns den Anlaß und die Möglichkeit gibt, ein wirtschaftliches System zu verlassen, das den Höhepunkt seiner Erfolge zu überschreiten im Begriff steht. Ich glaube nicht, daß es leicht sein wird, ohne die Möglichkeit einer vorherigen Wirt­ schaftspolitik eine Gefolgschaft für einen Systemwechsel in Deutschland zu gewinnen, und man wird sich darüber klar sein, daß eine solche Politik nicht mit der Rechten und nicht ohne die Sozialdemokratie, jedenfalls nur mit einer liberalen Mehrheit durchzuführen sein wird . Damit taucht die Frage auf, die allgernein die Gemüter bewegt, ohne daß sie in der Öffentlichkeit erörtert wird, wie wird unsere innere Politik nach dem Kriege orientiert. Vertreter aller Parteien, mit Ausnahme der konservativen, sind bei mir gewesen, die einen schüchtern fragend, die anderen fordernd. Die

70

1914

Polen rechnen mit der Aufhebung des Enteignungsgesetzes 3, der Einführung der polnischen Sprache im Religionsunterricht, das Zentrum erwartet den endlichen Fall des Jesuitengesetzes 4, die Sozialdemokraten erwarten Besei­ tigung der gegen sie bestehenden Ausnahmebestimmungen auf dem Gebiete der Verwaltung. Die Liberalen begnügen sich mit der Formel, daß nach dieser einhelligen patriotischen Erhebung des ganzen Volkes mit Ausnahmegesetzen nicht mehr regiert werden könne. Die preußische Wahlrechtsfrage erscheint in einer neuen Beleuchtung. Über eine Unterredung mit dem Abgeordneten David habe ich eine Niederschrift aufnehmen lassen, von der ich Abschrift beifüge. Die Reformisten in der sozialdemokratischen Partei sind in einer schwierigen Lage, sie erstreben die Überführung der internationalen Sozialde­ mokratie in eine nationale Demokratie. Leute wie Südekum drängen noch weiter. Sie wünschen mit der Monarchie zunächst "mindestens auf Grußfuß zu kommen", sie fürchten aber, daß nach dem Kriege die Radikalen die Ober­ hand gewinnen, wenn für die Partei keinerlei Erfolge herausspringen. Die Konservativen wünschen dringend, daß die Sozialdemokratie wieder in ihre alten Gewohnheiten zurückfällt und der alte Kampf je eher je lieber durch Schuld der Sozialdemokratie wieder auflebt. Ich glaube, wir würden es vor dem deutschen Vaterlande nicht verantwor­ ten können, wenn wir nicht den Versuch machten, als Preis des Krieges , eine Reform der Sozialdemokratie nach der nationalen und monarchischen Seite anzubahnen. Allen an uns ergehenden Anfragen gegenüber haben Herr Wahnschaffe und ich uns mit der Formel geholfen: Es sei klar, daß dieser Krieg mit der gewal­ tigen nationalen Erhebung, mit den ungeheuren Opfern an Gut und Blut, die alle Teile des Volkes voller Begeisterung brächten, auch auf dem Gebiete der inneren Politik manches wandeln müsse. Welche Konsequenzen aber aus die­ ser Erkenntnis zu ziehen seien, könne erst nach dem Frieden entschieden wer­ den. Bis dahin müßten alle inneren Kämpfe ruhen, das sei aber nicht möglich, wenn die Regierung jetzt viel umstrittene Fragen, wie das Enteignungsgesetz und dergl . einer plötzlichen Lösung entgegenführte. Wir müssen versuchen, mit dieser hinhaltenden Politik möglichst weit zu kommen, wir müssen uns aber allmählich darüber klar werden, ob und welche Konzessionen wir machen können und daß wir uns diese nicht abringen lassen dürfen, wenn sie einen politischen Effekt haben sollen. Sie werden im gege­ benen Augenblick in feierlicher Form von Allerhöchster Stelle proklamiert werden müssen. 3 § 13 des preußischen Ansiedlungsgesetzes vom 20. 3. 1908 ermöglichte die Enteig­ nung polnischen Grundbesitzes . 4 4. 7. 1872 (Huber, Dokumente II, S. 363 f.). Siehe Nr. 134.

Nordfrankreich

71

Ich bitte Eure Exzellenz, diese etwas langatmigen, nach Form und Inhalt nicht völlig durchgearbeiteten Betrachtungen gütigst entschuldigen zu wol­ len. Ich habe geglaubt, diese Eindrücke und Erwägungen Eurer Exzellenz nicht vorenthalten zu sollen, zumal Eure Exzellenz aus den zensurierten Zeitungen wenig erfahren und Besuche im Felde nicht empfangen können. Zu einer besseren Durcharbeitung reicht aber bei dem außergewöhnlich starken Geschäftsbetriebe die Zeit nicht aus . 26.

Brief Bethmann HoBwegs an Zimmermann, Auszug

Enteignung von Gruben und Hütten im Gebiet von Briey. Gutsche, Nr. 101.

Berlin, 14 . September 1914 In den hier erg[änzend] beigef[ügten) Eingaben der Vorsitzenden der Ge­ werkschaft Deutscher Kaiser sowie der Gelsenkirchener Bergwerks-Aktien­ Gesellschaft v. 5. d. M. wird der Antrag auf Zuweisung bestimmter Erzgru­ ben in dem Gebiet des von unseren Truppen besetzten Erzbezirks von Briey als Entschädigung für die Verluste der genannten Unternehmungen durch ihre Beteiligung an den Ouenza-Gruben gestellt. Ich hatte Herrn Thyssen bereits auf die gleichfalls anliegende Eingabe vom 21 . v. M . , die sich teilweise mit der Eingabe vom 28. v. M. deckt, darauf hingewiesen, daß eine Inbetriebnahme der französischen Gruben mit dem völkerrechtlichen Grundsatz der Unver­ letzlichkeit des Privateigentums im Landkriege in Widerspruch stehen würde. Inzwischen hatten S[eine] M[ajestät] der Kaiser die Beschlagnahme des gesam­ ten französischen Gruben- und Eisenwerk-Besitzes in dem bezeichneten Be­ zirk verfügt, der• unter die Verwaltung des Bezirkspräsidenten von Metz unter dem Befehl des Gouverneurs von Metz1 gestellt worden ist. In einer Konferenz, die am 12 . d. M. unter dem Vorsitz des Gouverneurs v[on] Metz stattgefunden hat und in der die gesamte niederrheinische, lothrin­ gische und die Saarindustrie vertreten war, wurde entgegen dem von Herrn Thyssen vertretenen Standpunkt einstimmig festgestellt, daß keine Notwen­ digkeit vorliege, wegen der durch den Krieg behinderten Zufuhr ausländischer Eisenerze, zu einer Ausbeutung der französischen Gruben im Interesse der deutschen Eisenindustrie zu schreiten. Es ergab sich als allgemeine Ansicht, daß die vorhandenen Erzvorräte sowie die deutschen Eisensteingruben in Lothringen und an der Lahn vollkommen Randvermerk von unbekannter Hand: "bis zur Linie Tellancourt- Longuyon­ Billy- Etain-Harville-Jointville südlich Pagny" . 1 Gdl v. Oven. •

1914

72

ausreichten, um den stark verringerten Bedarf der deutschen Werke während des Krieges zu decken und daß hier in erster Linie die Wiederinbetriebnahme der deutschen Gruben zu erstreben sei . Die Verwendung der verfügbaren Ar­ beitskräfte auf den französischen Gruben werde lediglich das Ergebnis haben, die Inbetriebnahme der deutschen Gruben zu erschweren und deren Selbst­ kosten durch die Entziehung von Arbeitskräften zu steigern. Es wurde be­ schlossen, falls sich in der Zukunft wider Erwarten doch ein in Deutschland nicht zu deckender Erzbedarf herausstellen sollte, die Frage ob und wie dieser Bedarf etwa durch Inbetriebnahme der einen oder der anderen Grube in dem Bezirk von Briey zu decken sein würde, einer von dem Gouverneur von Metz zu ernennenden Kommission von Vertretern der verschiedenen Interessen­ gruppen der deutschen Eisenindustrie zur Begutachtung vorzulegen . Im übri­ gen sollte sich das Eingreifen der deutschen Zivilverwaltung einstweilen dar­ auf beschränken, die zur Erhaltung der Gruben erforderlichen Maßnahmen zu treffen und insbesondere das Ersaufen derselben zu verhindern. Auf meine Weisung hin wurde in der Konferenz festgestellt, daß es sich bei der Beschlag­ nahme der Gruben nicht um eine Enteignung der französischen Besitzer, son­ dern nur um eine der Maßnahmen handele, die zweckmäßig als "Schutzver­ waltung" zu bezeichnen sei . . . Euer Hochwohlgeboren wollen bitte . . . prüfen, ob und inwieweit beim Friedensschlusse die Reklamationen etwa Berücksichtigung finden könnten, die die Antragsteller gegen die französische Regierung zu haben glauben. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß die von den Herren Thyssen und Kirdorf vorgeschlagene Form der Entschädigung nicht in Frage kommen kann. Sollte beim Friedensschluß der Bezirk von Briey an Deutschland fallen, so würde, wenn, wie das allerdings erwünscht erscheint, gleichzeitig eine Ent­ eignung der französischen Hütten- und Grubenbesitzer ausbedungen werden sollte, dem Reich als Rechtsnachfolger die Verfügung über die enteigneten Objekte vorbehalten bleiben.

27.

Aufruf des Kriegsausschusses der deutschen Industrie

Lebensfragen der deutschen Industrie. Cartarius, Nr. 34.

Berlin, [nach August 1914] Deutschland ist von Feinden umringt; die deutsche Entwicklung der letzten Jahrzehnte ist ihnen ein Dorn im Auge. Deshalb sollen die Früche der deut­ schen Arbeit zerstört werden . Die Feindschaft gilt der deutschen nationalen Arbeit; denn sie ist die Stütze unserer Weltmachtstellung.

Deutsche Industrie

73

Während draußen an Deutschlands Grenzen die Operationen beginnen, gilt es jetzt hier im Herzen des Landes, neben vielem anderen, auch dafür zu sorgen, daß die wirtschaftliche Arbeit, soweit irgend möglich, aufrecht erhal­ ten und die hierfür verfügbaren Kräfte auf rationellste Weise gesammelt und organisiert werden, damit vor allem Zersplitterung und Vergeudung wirt­ schaftlicher Machtmittel vermieden werden . Zu diesem Zwecke haben sich der C e n t r a l ve r b a n d D e u t s c h e r I n d u ­ s t r i e l l e r und der B u n d d e r I n d u s t r i e l l e n 1 vereinigt; sie haben zunächst die Unterzeichneten, die im Augenblick erreichbar und in Berlin anwesend sind, zusammengerufen mit der Bitte, dieser Gemeinschaftsarbeit ihre Kraft zu leihen . Wir, die Unterzeichneten, sind dem Rufe ohne Zögern gefolgt und haben uns heute zu dem K r i e g s a u s s c h u ß d e r d e u t s c h e n I n d u s t r i e mit dem Vorbehalt zusammengetan, daß weitere Vertreter aus den übrigen deutschen Landesteilen hinzugezogen werden . Die Zusammenfassung der gesamten geistigen und materiellen Mittel, wel­ che die Industrie in sich vereinigt, unter einheitlicher Leitung durch die be­ währtesten Führer der deutschen Arbeit, in Fühlung mit der Reichsverwal­ tung und der deutschen Finanzkraft, das ist die große Aufgabe, die wir lösen müssen . Es handelt sich um ein planmäßiges Zusammenwirken der bereits vorhandenen industriellen Organisationen für eine kraftvolle Arbeitsteilung und die zweckmäßigste Verwendung der vorhandenen nationalen wirtschaft­ lichen Kräfte, nicht allein für unsere Landesverteidigung an den Grenzen, sondern auch für Ve r s o r g u n g d e s i n n e r e n B e d a r f e s w ä h r e n d d e r Dauer des Krieges . Es sind Lebensfragen der deutschen Industrie, die auf dem Spiel stehen . Wir müssen uns eine systematische Verteilung und Unterbringung der An­ gestellten und Arbeiter sowohl in der Landwirtschaft wie in der Industrie sichern. Wir können die Unterstützung und Beschäftigung der infolge des Krieges notleidenden Zweige der Industrie durch die außergewöhnlich in Anspruch genommenen Industrien, die Überweisung von Teilen des Erzeugungsprozes­ ses u. dgl. vermitteln . Wir wollen die schnellste Verbreitung der Lieferungsausschreibungen des Staates und seiner einzelnen Verwaltungszweige (Militär-, Post-, Eisenbahn­ verwaltung usw. ) organisieren . Durch die Herausgabe fortlaufender Mitteilungen über die für die Kriegs1 Im Unterschied zu dem mehr schwerindustriell orientierten 'Centralverband' (seit 1876) war der 'Bund' (seit 1895) eine Interessenvertretung der exportierenden Leicht­ und Fertigwarenindustrie, in der die Klein- und Mittelbetriebe dominierten.

74

1914

zeit erlassenen Gesetze, Verordnungen und Bekanntmachungen der Behörden wollen wir die Industrie aufklären und belehren, durch Auskunftserteilung in Verwaltungs- und Rechtsfragen, wie sie sich aus dem Kriegszustande ergeben, ihr zur Seite stehen. Wir wollen die industriellen Kräfte auch sammeln für die Förderung allge­ meiner nationaler Zwecke und uns bereit halten für alle weiteren Aufgaben, die in dieser ernsten Zeit an die Industrie herantreten werden. Der ' K r i e g s a u s s c h u ß d e r d e u t s c h e n I n d u s t r i e ' i s t s o fo r t i n T ä t i g k e i t g e t r e t e n . D e r C e n t r a l ve r b a n d D e u t s c h e r I n d u s t r i e l l e r und d e r B u n d d e r I n d u s t r i e l l e n haben sich dem Kriegsausschuß mit ihren sämtlichen Organisationen und Einrichtungen zur Verfügung gestellt. Wir bitten alle Industriellen, von der Tätigkeit dieses 'Kriegsausschusses' Gebrauch zu machen, ihn aber auch in jeder Richtung nach Möglichkeit zu unterstützen. Wir erhoffen insbesondere die Mitarbeit der Landes- und Fach­ verbände, die unerläßlich ist, wenn die gesteckten Ziele erreicht und verwirk­ licht werden sollen. Wir glauben deshalb, auf ihre Mithilfe bestimmt rechnen zu können. Die G e s c h ä ft s s t e l l e des 'Kriegsausschusses' befindet sich Berlin W 9, Linkstraße 25 Ill. (Unterschriften)

28.

Brief Bethmann Hollwegs an Zimmermann

Bindung Belgiens an das Deutsche Reich. Gutsche, Nr. 105 .

Großes Hauptquartier, 18. Oktober 1914 Es wird nötig sein, sich rechtzeitig die verschiedenen Möglichkeiten zu­ rechtzulegen, die sich uns im Falle eines entscheidenden Sieges für die Lösung der belgischen Frage bieten. Zu diesen gehört in erster Linie die Wiederher­ stellung Belgiens als eines Tributärstaates , der der Form nach möglichst frei bleiben, faktisch aber uns sowohl in militärischer als wirtschaftlicher Bezie­ hung zur Verfügung stehen muß . Euer Hochwohlgeboren bitte ich, die ver­ schiedenen für eine solche Lösung in Betracht kommenden staatsrechtlichen Formen prüfen zu lassen und die in großen Zügen festzulegenden Entwürfe hier einzureichen . Es wird darauf ankommen, Formen zu finden, die uns nicht mit politischer Exekutive belasten, aber die wirtschaftliche Durchdrin­ gung ermöglichen und uns militärisch für den Fall weiterer Kriege die Küste, Festungen und Transportmittel sichern.

Neue Innenpolitik 29.

75

Programm aus dem Reichsamt des Innern 1

Die neue Innenpolitik. Gutsche, Nr. 108 .

Berlin, 27. Oktober 1914 Der Krieg, wie er auch ausgehen möge, stellt das Reich innerpolitisch vor eine neue Situation. Das Einzelne mag vielfach von dem schließliehen Ergeb­ nis der dann eintretenden neuen auswärtigen Lage und den Aufgaben, die sie an die Nation stellt, abhängen. Eine wesentliche neue Situation aber tritt in jedem Falle ein. Die Anstrengung, Einheit, Opferwilligkeit aller Schichten des Volkes, aller Berufsstände und Erwerbsklassen gibt dem Staat und dem Staatsgedanken eine vorher verborgene Stärke. Es ist der Staat, der die ungeheure Leistung ermög­ licht hat. Das Neue ist, daß sich die breiteren Schichten des Volkes fähig erwiesen haben und fähig glauben, diesen Staat und seine Idee zu tragen. Daraus ergibt sich die Aufgabe, breitere Schichten des Volkes dem Staate zu gewinnen, oder die durch die große Bewegung dem Staate gewonnenen Schichten festzuhal­ ten. Das wird nur• unter der Parole der Heranziehung breiterer Schichten für die Aufgaben des Staates möglich sein. Wenn bisher das feste Gefüge des preu­ ßischen Staates und seine aristokratisch-militärische Grundlage als verläß­ licher Rückhalt des Reiches unter der Begründung intakt gehalten wurde, daß die Schichten, auf denen Preußen ruht, der geschichtlichen Leistung und Tra­ dition nach, die einzigen und besten Träger des Staatsgedankens seien, so ist diese Begründung durch die neuen Ereignisse überholt worden, die Notwen­ digkeit eines solchen Rückhalts hat an Dringlichkeit verloren. Der preußische Staatsgedanke hat das deutsche Volk mehr, als inmitten der Tageskämpfe of­ fenbar wurde, für sich gewonnen. Das Volk wird die Forderung erheben, mehr als bisher aktiv Träger dieses Staats zu sein. Die Bedenken, die gegen eine breitere Heranziehung geltend gemacht werden, hat es in diesem Krieg zu zerstreuen gewußt. Eine breitere Fundierung ist unvermeidlich und unbe­ denklich geworden. Sie wird indes ohne Umwälzung, organisch zu erfolgen haben, das innere Wesen dieses Staates intakt lassen müssen. Handschriftlicher Randvermerk von unbekannter Hand: "nur??" 1 Das in den Akten der Reichskanzlei 'Vorbereitung des Friedensschlusses' abgelegte Dokument trägt keine Unterschrift und keine Hinweise auf seine Provenienz. Ebenso fehlt das Datum seiner Ausfertigung. Der Präsenzvermerk des Reichskanzlers im Gro­ ßen Hauptquartier (27. 10. 1914) weist darauf hin, daß es von Delbrück in Fortführung des Gedankenaustausches (vgl. Nr. 25) mit dem Reichskanzler ins Große Hauptquar­ tier gesandt worden ist. Am 28 . 10. 1914 zeichnete Riezler das Schriftstück ab . •

1914

76

An der allgemeinen Erhebung haben die nicht deutschen Untertanen des Königs von Preußen loyal teilgenommen . Nachdem sie dem Staat die Treue gewahrt haben, wird es in Zukunft schwer möglich sein, Ausnahmegesetze aufrechtzuerhalten. Im einzelnen werden die hier zu treffenden Entscheidun­ gen an dem weiteren freundschaftlichen Verhalten Dänemarks und der Form abhängen, in welcher sich die polnische Frage nach dem Kriege präsentieren wird. Im allgemeinen werden die Ausnahmegesetze incl. des Jesuitengesetzes, als für den erstarkten Staat nicht mehr nötig, abzuschaffen sein . Auch Elsaß-Lothringen wird durch den Krieg dem Gesamtstaat gewonnen sein . Neue Fesseln binden es an das Reich . Eine Rückwärtsrevidierung der Verfassung 2 wird menschlichem Ermessen nach nicht mehr in Frage kommen. Auch das deutsche Problem im ganzen, d. h. das Verhältnis zwischen Preu­ ßen und dem Reich, stellt sich in veränderter Form dar. Es ist kein Zweifel, daß Preußen neue große moralische Eroberungen im übrigen Deutschland ge­ macht hat, daß aber gleichzeitig Süddeutschland sich als in viel tieferem Sinne dem preußischen Staatsgedanken gewonnen erwiesen hat, als dem Anschein der politischen Tageskämpfe nach angenommen werden konnte . Aus beidem ergibt sich eine Lage, in der Süddeutschland gewillt sein wird, Preußen in allen Fragen mehr als bisher ohne Mißtrauen und Kleinlichkeit zu folgen, andererseits aber Preußen dem übrigen Deutschland ohne Bedenken gegen dessen politische Tragfähigkeit entgegenkommen kann . Diese Lage wird zur Stärkung und Zusammenfassung des Gesamtstaates auszunutzen sein. Diese günstige Stunde würde schnell vorübergehen, wenn sie nicht durch ein großzügiges praktisches Programm festgehalten wird, das die neue Stim­ mung in neuen Aufgaben bindet. Ohne neue praktische Aufgaben wird die Nation schnell wieder in den alten Phrasenstreit versinken . Einzelne solcher Aufgaben werden durch die neue außerpolitische Situation gestellt werden, und lassen sich heute noch nicht übersehen . Andere lassen sich schon heute aufstellen: 1 . Die endgültige Regelung der Reichsfinanzen und der finanziellen Bezie­ hungen zwischen Reich und Einzelstaaten. Sie kann nur auf der Grundlage von Monopolen erfolgen. Für deren Finanzierung (Entschädigung) wird ein Teil der eventuellen Kriegsentschädigung heranzuziehen sein. Das wird die wirtschaftlich rationellste Verwendung der Kriegsentschädigung sein. 2. In Preußen der Bau des Mittellandkanals . Urbarmachung der Öd- und Moorländereien und innere Kolonisation . 3 . Eine Neuregelung der Nationalitätenpolitik unter möglichster Ausschal­ tung von Ausnahmebestimmungen, mehr auf der Grundlage der Staatsgesin­ nung als des Deutschtums . 2 191 1 .

Neue Innenpolitik

77

4. Die Wahlrechtsform in Preußen. Wohl in der Form des geheimen und direkten Wahlrechts unter Beibehaltung der übrigen Bestimmungen des beste­ henden Wahlrechts . Dabei wird zu sagen sein, daß es ein ideales Wahlrecht nicht gibt und eine gründliche Umgestaltung unter Änderung des ganzen Wahlsystems eine nicht von heut auf morgen lösbare Aufgabe ist, die der Zukunft zu überlassen ist. 5. Ein siegreicher Krieg, der Deutschland neue weltpolitische Entwick­ lungsmöglichkeiten gibt, stellt das deutsche Volk vor neue politische Auf­ gaben und Einflußmöglichkeiten, denen die heutige politische Bildung des Volkes nicht genügt, die auch nicht von einer dünnen politischen Oberschicht allein, sondern nur durch eine politisch verständige Mitarbeit aller gelöst wer­ den können. Die erforderliche Verbreitung einer mehr politischen Bildung wird der Staat, durch größere Berücksichtigung der Politik auf den Universi­ täten, eventuell durch Gründung einer politischen Akademie für höhere Beamte, Offiziere der Armee und Marine, zu fördern haben. 6. Die höhere Beamtenlaufbahn ist prinzipiell breitren Volksschichten zu öffnen. Es ist zu prüfen, durch welche Verwaltungsmaßnahmen das im einzel­ nen geschehen kann . Wo Schranken bestehen bleiben müssen, ist der Schein der Schranken zu beseitigen . 7. Die durch eine neue Situation nötig werdende Ausnutzung der wirt­ schaftlichen Kräfte zu politischen Zwecken wird vielleicht einige Änderungen auf dem Gebiete der Börsengesetzgebung erfordern. Geht der Krieg glücklich aus , so wird die Berliner Börse instand zu setzen sein, das Erbe der Londoner Börse, soweit es mit der Gesundheit unseres Wirtschaftslebens verträglich, zu übernehmen. 8 . Die Umgestaltung der Arbeiterbewegung. Es ist kein Zweifel, daß die gemeinsame Gefahr die deutsche Arbeiterschaft der Nation gewonnen hat. Es bietet sich die vielleicht letzte Gelegenheit, sie nicht nur der Nation sondern dem Staate zu gewinnen. Die als sieggekrönte Soldaten heimkehrenden Arbei­ ter werden nicht disponiert sein, einer vaterlandsfeindlichen und umstürzleri­ schen Sozialdemokratie zu folgen. Sie werden indes Arbeiter bleiben. Der Staat wird versuchen müssen, die Arbeiterbewegung nicht als staatsfeindlich zu behandeln, ihre Träger, die Gewerkschaften, heranzuziehen, und den staatsfeindlichen Dogmatikern der alten Sozialdemokratie keine Parole an die Hand zu geben, unter der sie die Arbeiter wieder gegen den Staat führen können. Die Regierung wird mit diesem Programm, ehe die Parteien sich auf For­ derungen festlegen, in die Öffentlichkeit hervorzutreten haben . Sie muß sich die Aufstellung der neuen Parole, unter der die innerpolitischen Kämpfe der nächsten Jahre sich abspielen werden, sichern. Sie muß selbst die Fahne der in­ nerpolitischen Einigung, der Stärkung des Staats und der Verbreiterung seiner

1914

78

Grundlage entfalten. Sie wird versuchen müssen, die Mittelparteien auf dieses Programm zu einigen, eventuell durch Heranziehung einzelner Führer zu Regierungsstellen. Es erschiene an und für sich gerechtfertigt, den unter ganz anderen Verhältnissen gewählten Reichstag aufzulösen und unter der neuen Parole an das Volk zu appellieren; indes nur, wenn die Auflösung als gegen keine Partei gerichtet erschiene und der Wahlkampf sich unter einer starken auf die Zukunft gerichteten Volksbewegung abspielen könnte . Es wäre zu ver­ suchen, ob sich auf dieser Grundlage ein festerer Zusammenschluß der Mittel­ parteien sowohl für die Wahlen als für die Durchführung des Arbeitspro­ gramms erreichen ließe.

30.

Denkschrift v. Loebells, Auszug

Kriegsziele des Reiches. Volkmann, Annexionsfragen, An!. 1 1 .

Berlin, 29. Oktober 1914 Gedanken über die Ziele, die Deutschland durch einen siegrei­ chen Krieg erreichen könnte und Ziele , die nicht erstreben swert sind Es handelt sich für uns beim Friedensschluß einzig und allein darum: " Wa s brauchen wir und was können wir geb rauchen im Interesse u n s e ­ r e r g r ö ß e r e n n a t i o n a l e n Z u k u n f t ?" Die Beantwortung dieser Frage erfährt zwei Modifikationen: 1. Wir müssen verzichten auf das, was wir zwar brauchen könnten, was uns aber unverdaulich ist. 2. Wir müssen nehmen, was wir unmittelbar nicht brauchen, was aber dem Gegner genommen werden muß, damit er uns gegenüber künftig schwächer ist. Wir können brauchen: bessere Häfen und eine geräumigere Küste mit freiem Ausgang zum Weltmeer, eine krafrvollere kontinentale Position gegen­ über dem englischen Rivalen; wir brauchen: bedingungslose Freiheit der Meere, Kolonien mit schiffbaren Häfen, die verteidigungsfähig sind, uns Roh­ stoffe liefern und möglicherweise Absatzmärkte sein können, die vielleicht von ihrer eigenen wirtschaftlichen Stärke leben können und dem englischen Kolonialreich gegenüber Geschlossenheit und B ewegungsfreiheit haben. Keine verlorenen, unhaltbaren Posten in aller Welt. Diese Gewinne liegen im Zuge der unter unserem Kaiser beschrittenen weltpolitischen Wege, um die wir nun ja in erster Linie kämpfen. Wir brauchen gegen Westen eine Grenze, die uns möglichst die Schlüssel nach Frankreich in die Hand gibt. Wir können

Kriegsziele

79

gebrauchen Erz- und Kohlendistrikte, die an unsere Grenze unmittelbar an­ schließen. Militärisch ist eine bessere Grenze für Ostpreußen wünschenswert. Endlich brauchen wir eine Kriegsentschädigung, die möglichst Frankreich auf lange Zeit hinaus wirtschaftlich bindet und unfähig hält, sich in der anderen Welt zu unserem mittelbaren Schaden finanziell zu engagieren. Damit ist gesagt, daß die Erfüllung unserer Bedürfnisse direkt auf Kosten Frankreichs in erster Linie erfolgen muß, eine grundstürzende Änderung der belgiseben Verhältnisse bedingt, mindestens starke partielle Erfolge gegen England zur Voraussetzung hat, und daß wir von Rußland wenig oder gar nichts brauchen können. Und es ist gewiß kein Zufall, daß damit sowohl die Linie unserer geschichtlichen Entwicklung gewahrt bleibt, als auch der künf­ tigen politischen Entwicklung am besten in die Hände gearbeitet wird, vor allem dann, wenn wir zu einer restlosen Auseinandersetzung mit Großbritan­ nien für dieses Mal nicht kommen und darum auch die Dinge im Fernen Osten in der Schwebe lassen müssen . Kriegerisch sind unsere sämtlichen Gegner natürlich gleichmäßig zu werten unter dem Gesichtspunkt ihrer militärischen Überwindung, nicht so poli­ tisch. Politisch ist Großbritannien nunmehr derjenige Feind geworden, der seine Lebensinteressen gegen die unseren gesetzt hat, mit dem wir früher oder später zu Ende kommen müssen, weil England ein starkes, weltpolitisches, aktionsfähiges Deutschland nicht neben sich dulden will. Diese Feindschaft ist die Karte für unser künftiges weltgeschichtliches Spiel, und wir können, wir dürfen niemals hoffen, etwa über einen halben Ausgleich hinaus zu einer späteren Verständigung zu gelangen, die die Garantie der Dauer in sich trägt. War diese Hoffnung noch bis vor kurzem nicht ohne Fundament, so sind ihr durch den Krieg alle Grundlagen für alle Zukunft entzogen . Im Hinblick auf die Zukunft europäischer, ja menschlicher Kulturentwicklung wird das jeder gebildete Deutsche bedauern. Aber es ist einmal so, daß die Kulturentwick­ lung der Politik folgt, nicht umgekehrt die Politik von Kulturrücksichten ge­ leitet werden kann . Wir werden uns möglicherweise sogar abzufinden haben mit der Tatsache, daß durch die deutsch-englische Auseinandersetzung im Ver­ folg wertvolle kulturelle Errungenschaften in der weiteren Welt für die Dauer vernichtet und kostbare Anfänge europäischer Kulturpropaganda zertreten werden. Dieser Gedanke ist gerade dem Deutschen schmerzlich . Aber da es um Deutschlands Leben und Zukunft geht, bekommen Kulturfragen vorerst einen untergeordneten Wert. Die Macht und das Leben Deutschlands tragen ja auch in sich stärkere und segensvollere kulturelle Kräfte als jede Kulturge­ meinschaft zwischen uns und den alten Westvölkern, wenn die Gemeinschaft nur auf Kosten deutscher Macht und Expansionskraft zu erhalten ist. Frankreich ist der historisch gewordene Feind Deutschlands. Wir mußten Jahrzehnte hindurch damit rechnen. Frankreich ist in jeder feindlichen Korn-

80

1914

bination zu finden. Soll das in Zukunft anders werden, so müssen wir Frank­ reich an Volkskraft, Landmacht und wirtschafdich so weit und so dauernd schwächen, daß es nicht Mittel und nicht Kräfte behält, sich aufs neue in Kon­ spirationen mit kriegerischer Spitze gegen uns einzulassen . Diese Ruhe nach Westen ist uns Existenzfrage, sie fordert allein, daß wir den Friedenspreis zum weitaus größten Teil auf Kosten Frankreichs beanspruchen. Diese Forderung wird ja dadurch erleichtert, daß Frankreich uns auch am meisten zu bieten hat. Daß Frankreich unter unseren Gegnern der tapferste ist und derjenige, der aus den relativ edelsten Motiven zu den Waffen gegriffen hat, ist eine Tat­ sache nicht ohne weltgeschichtliche Tragik. Aber wir haben nicht nach den Motiven und Gesinnungen der Gegner zu fragen, sondern nach unseren deut­ schen Interessen und Bedürfnissen . Moralische Fragen stehen ja in diesem Kriege nicht zur Entscheidung. Hinsichtlich Rußlands ist zu bedenken, daß es uns für fast anderthalb Jahr­ hunderte ein selten unbequemer, oft gefälliger Nachbar gewesen ist. Nicht aus Sympathie für Deutschland, sondern weil wirkliche fühlbare Interessens­ gegensätze zwischen Deutschland und Rußland nicht vorhanden sind . Der ge­ genwärtige Krieg Rußlands gegen Deutschland beruht auf momentanen, nicht auf grundsätzlichen Gegensätzen. Doch in erster Linie als den Bundesgenos­ sen Österreich-Ungarns will uns Rußland treffen, soweit es durch eine un­ klare und mehr von Instinkten als Interessen genährte Politik im letzten Jahr­ zehnt überhaupt noch Herr seines politischen Willens war. Daß Rußland uns im Falle seines Sieges Land rauben würde, darf nicht täuschen über die Ein­ sicht, daß es um diese Landvermehrung selbst aus eigenem Bedürfnis nicht mit uns Krieg angefangen hätte. Die lnteressensgegensätze, soweit sie Rußland an­ gehen, spielen durchaus zwischen ihm und Österreich, nicht zwischen ihm und Deutschland . Da nun aber Österreich unser Bundesgenosse ist und seine Bundesgenossenschaft uns im ersten Stadium des Krieges im Osten wichtige allgemeine Kriegshilfe geleistet hat, sind wir für seine Interessen so weit ver­ bunden, wie unsere eigenen Interessen das gestatten. Weiter freilich nicht. Unsere nationalen Bedürfnisse wie Rücksicht auf die künftige Politik wider­ streben der Ausführung g r o ß e r Um- und Neugestaltungen an unserer Ost­ grenze durchaus . Die Landstrecken, die wir uns selbst aneignen könnten, sind für uns meist ganz und gar unverdaulich . Halb- oder ohnmächtige Pufferstaa­ ten mit unbefriedigtem Ehrgeiz sind nur Zündstoff, können nur dazu dienen, den Absichten größerer Staaten für uns unbequeme Vorspanndienste zu lei­ sten, wie Serbien, wie Belgien, wie in früheren Jahrhunderten Polen . Endlich haben wir keinerlei Interesse daran, uns ohne zwingende Notwendigkeit im Osten einen Gegner mit gleichem Revanchebedürfnis auf Jahrzehnte vorzu­ legen wie Frankreich im Westen von 1871-1914 . Vor allem, da gleiche natio­ nale, militärische und wirtschaftliche sowie Prestige-Interessen wie 1870 nicht

Kriegsziele

81

vorliegen. Last not least ist nicht abzusehen, wie wir in kommenden Ausein­ andersetzungen bestehen wollen, wenn die Phalanx unserer verbündeten Feinde, in derselben Zusammensetzung und mit vermehrtem Rachegefühl ge­ laden, bestehen bleibt, während unser Bundesgenosse Österreich durch eine (nach seinen in Italien wohl bekannt gewordenen geringen militärischen Lei­ stungen sehr mögliche) weitere Verschärfung der österreichisch-italienischen Frage oder durch eine erneute und ungünstige Verschiebung des Nationalitä­ tenverhältnisses in der Donaumonarchie auf Wege geschoben wird, die nicht die unseren sein können. Man sagt, die polnische Frage müsse durch diesen Krieg von uns aus ihre Lösung finden . Das ist nicht wahr. Eine eigentlich polnische Frage gibt es für uns lediglich in der inneren Politik. Vollends lösbar ist sie geschichtlich nie, es sei denn gegen uns . Soweit sie in unserem Interesse lösbar war, ist sie durch die polnischen Teilungen und im Wiener Kongreß gelöst worden. Und gerade die seit 1815 gefundene Lösung ist dem Fürsten Bismarck stets und in den schwie­ rigsten Lagen nützlich gewesen, um Preußen-Deutschland die sichere und ausschlaggebende Stellung neben und zwischen Rußland und Österreich zu schaffen. Jede vorurteilslose Prüfung der Frage, ob für Deutschland die Wiederauf­ richtung polnischen Staatslebens in irgendeiner Form Vorteile birgt, muß zu einem verneinenden Ergebnis führen. Ein selbständiges starkes Polen ist uns unbequem wegen seiner Anziehungskraft auf unsere polnisch bevölkerten Landesteile, die wir niemals entbehren können, es ist aber vor allem mit allen seinen Sympathien überall anders, bei Rußland, Österreich, Frankreich, Eng­ land, nur nicht bei uns . Rußland würde es schon wegen der Rassenverwandt­ schaft sehr leicht haben, Polen an sich heranzuziehen, abgesehen davon, daß alle wirtschaftlichen Interessen Polen geradezu an Rußland herandrängen. Wir hätten also gegen Rußland gar keinen Gewinn, im Gegenteil. Ein s c h w a ­ c h e s Polen stände z u Rußland geradeso wie ein starkes, würde auf unsere Polen in gleichem Maße beunruhigend wirken und schlösse alle Gefahren, die schwache, in sich selbst nicht existenzfähige Staaten für den Frieden des stär­ keren Nachbarn bergen, ein. Fast bedenklicher noch ist der Anschluß des gan­ zen oder größten Teiles von Russisch-Polen an Österreich. In dem Maße, in dem Österreich noch mehr slawisch wird, als es schon ist, muß es sich von Deutschland entfremden und andere, ja entgegengesetzte Interessen in Eu­ ropa bekommen wie wir. Es ist in der Politik, zumal der auswärtigen, allein der Wechsel beständig und kein Bündnis so fest und dauerhaft, daß es gegen jeden Interessenwechsel gefeit wäre. Eine geschichtliche Dankbarkeit hat es noch nie gegeben, politische Sentiments sind sehr vergänglich, und die Folge­ wirkungen der Waffenbrüderschaft werden in Zukunft nicht nachhaltiger sein, als sie es früher gewesen sind. Wir dürfen keinesfalls Österreich kraft des Er-

82

1914

folges vor allem u n s e r e r Waffen so stark machen und in eine solche Grenz­ stellung zu uns bringen, daß wir gezwungen werden, künftig seine Freund­ schaft auch dann zu suchen, wenn unsere Lebensinteressen uns auf Freiheit und andere Wege weisen. Ein etwa von drei Seiten von österreichischem Ge­ biet eingeschlossenes Schlesien wäre gar nicht ertragbar für uns . Bietet sich uns die Möglichkeit, nach errungenem Siege im Osten zu einem für uns und Österreich vorteilhaften und ehrenvollen Frieden mit Rußland zu kommen, so wäre es fast frivol gegen das deutsche Blut und gegenüber unserer sonstigen schweren Kriegslage, den Krieg gegen Rußland bis zum Weißbluten fortzuset­ zen, nur um Österreich zu einer uns durchaus unerwünschten Vergrößerung auf polnischem Boden zu verhelfen. Der bisherige Gang der Ereignisse legt ohnehin schon vielen Deutschen die Meinung recht nahe, daß wir für Öster­ reich schon fast zu viel getan haben. Es ist gesagt worden, daß es gut wäre, wenn wir nicht mehr an Rußland angrenzen, und man hat dann außer von der polnischen Staatsgründung von einer litauischen gesprochen und noch einigen anderen. Abgesehen davon, daß man nicht Staaten gründen darf, die die geschichtliche Entwicklung nicht vorgebildet hat, fehlt doch völlig der Beweis, daß Puffer- und Zwischenstaa­ ten für uns bequemer und ungefährlicher sind als die russische Großmacht. Wir haben unter allen unseren Nachbarn während des ganzen Verlaufs der preußisch-deutschen Geschichte mit keinem so selten und so ohne innere Notwendigkeit die Waffen gekreuzt wie mit Rußland. Der gegenwärtige Zu­ sammenstoß vollzieht sich doch im Rahmen der größten, allgemeinsten welt­ politischen Verwicklungen, und wenn man auch die Wirkung der panslawisti­ schen Welle ohne Skepsis in Rechnung stellt, bleibt es immer noch die Frage, ob Rußland sich innerhalb der Tripie-Entente militärisch gegen Deutschland engagiert hätte, wenn wir nicht Verbündete seines Balkanrivalen Österreich­ Ungarn wären. Man darf nicht vergessen, daß bis zum Rücktritt Englands Rußland im Zweibund auf Frankreichs Revanchegelüst eher abkühlend als aufmunternd gewirkt hat. Man irrt am Ende gar nicht so weit von der Wahr­ heit ab, wenn man sagt, daß der Krieg Rußlands gegen uns viel weniger aus dem russisch-französischen Zweibund als aus dem deutsch-österreichischen Bündnis entsprungen ist. Die Wahrheit ist, daß Rußland für uns keineswegs ein unerträglicher Nachbar gewesen ist, im Gegenteil in unseren schwierigsten Lagen denkbar bequem. Ein auf Revanche wartendes Rußland aber wäre für alle Zukunft eine dauernde Bedrohung im Osten, wir würden es ebenso grundsätzlich unter unseren Feinden zu suchen haben wie bisher Frankreich, ganz gleich, ob Staatenkonstruktionen zwischen unsere und die russischen Grenzen eingeschoben werden oder nicht. Diese Staaten wären für Rußland nie etwas anderes als die erste im Kriege zu erobernde Provinz - für den Fall, daß es das überhaupt notwendig finden würde.

Kriegsziele

83

Unsere Interessen weisen uns mit einer Ausnahme nirgends auf gegenwärtig russisches Gebiet, dessen Besitz uns nur aus den Bahnen unserer nationalen Geschichte weisen und uns Aufgaben zur Lösung stellen würde, die wir nach den bisherigen Erfahrungen nur schwer bewältigen könnten. Wirtschaftlich wertvoll wären die an Oberschlesien angrenzenden Montanbezirke, wertvoll, jedoch nicht notwendig. N o t we n d i g j e d o c h e r s c h e i n t e i n b e s s e r e r G r e n z s c h u t z O s tp r e u ß e n s an N i e m e n u n d N a r e w. Die jetzt so schwer heimgesuchte preußische Provinz wird nicht mit Unrecht eine Siche­ rung beanspruchen, die ihr Gewähr scheint, ihre kommende Arbeit des Wie­ deraufbaus und der Erneuerung nicht wieder feindlichen Einfällen schutzlos preisgegeben zu sehen. Rußland wird dieses Land von geringem wirtschaft­ lichen Wert um so leichter und schmerzloser entbehren, wenn es an seinem polnischen Besitz ungeschmälert bleibt, dessen Erhaltung jedem Russen vom Zaren bis zum Bauern Ehrenpunkt geworden ist, dessen Verlust einen Revan­ chegedanken hervorbringen würde, der dem französischen nicht nachsteht, aber getragen wird von einem Staat, der stets zum Kriege schnell entschlossen ist, Rücksichten auf die Zerstörung wirtschaftlicher und kultureller Güter nicht fürchtet und gleich Frankreich um sein Fortbestehen als Großmacht nicht zu bangen braucht. Natürlich wird man von Rußland anfangs viel mehr fordern müssen, um das eigentlich Gewünschte so erhalten zu können, daß Rußland vor der Welt und sich das Landopfer an der Grenze verhältnismäßig leicht verschmerzen kann. Nicht Sympathie, sondern gesundes Interesse ge­ bietet die möglichste Schonung Rußlands beim Friedensschluß . Denn es erhebt sich doch immer wieder die Frage, wie wir uns für die mit ziemlicher Gewißheit auch nach diesem Kriege zu erwartende weitere Ausein­ andersetzung mit Großbritannien einrichten sollen und wie wir weiterhin unsere Stellung im Fernen Osten wiedergewinnen und ausbauen können. Der russisch-englische Gegensatz hat durch Menschenalter die europäische wie die Weltpolitik beherrscht. Er hätte sehr wohl das Mittel sein können, Deutschland auf seinem weltpolitischen Wege an England vorüber zum Ziele zu führen . Es ist aber Rußland unschwer zur besten Karte in unserem weltpolitischen Spiel gegen England zu machen . Neben Nordamerika hat England allein außer Deutschland Rußland zu fürchten und fürchtet es . Rußland ist der explo­ sionsfähigste Staat Europas und reicht dabei mit seiner ungeheuren kompak­ ten Landmasse quer durch Asien und vermag an mehreren Stellen unmittelbar auf das englische Weltreich zu drücken, wo es am empfindlichsten ist; Ruß­ land ist nicht selten dem Meistbietenden ohne alle Skrupel gefolgt und würde für uns nicht minder verwendbar sein wie für England und Frankreich, beson­ ders da es Reibungsflächen mit uns nirgends hat. Leidenschaftslose Überlegung muß es als einen schweren, in seinen Folgen

84

1914

unübersehbaren Fehler ansehen, wenn wir uns verleiten lassen wollten, den Frieden so zu formen, daß Rußland uns unversöhnlicher Gegner wird. Den Frieden mit Frankreich können wir nur gleichzeitig mit dem englischen schließen; denn der Genuß der kolonialen Erwerbungen, die wir auf Kosten Frankreichs und Belgiens machen müssen, ist solange für uns illusorisch, wie die Weltmeere nicht wieder frei sind und unsere alten Kolonien sich nicht wie­ der in unserem Besitz befinden . Wir können nicht wohl nach einem gegen Frankreich siegreich beendeten Krieg mit dem von Rußland unterstützten England um den Siegespreis fechten. Auch einen Separatfrieden mit England wird es in Ehren für uns kaum ge­ ben, vor allem nicht mit Garantien künftiger Sicherheit. Es würde ja auch eine etwaige englische Neigung zum Frieden Frankreich mit Sicherheit nachzie­ hen. Unmöglich wäre für uns der Zustand, daß England ohne Gewinn für uns aus dem Kriege ausscheidet, uns nach Ost und West weiterkämpfen läßt und, ausgeruht, uns beim Friedensschluß im Interesse Frankreichs und Belgiens in den Arm fällt: eine Methode, die den englischen Traditionen ebenso entspre­ chen würde wie den englischen Interessen. Das Schicksal Belgiens steht ja im Mittelpunkt der politischen Erörterungen und bietet ein schweres Problem . Die belgisehe Küste bis hin nach Calais ist gewiß ebenso verlockend wie der schöne Handelshafen Antwerpen, ja auch erwünscht. Solcher Besitz schlössse aber einmal die volle Annektion Belgiens ein, andererseits wäre es ein Preis, den uns zu wehren, England den Krieg bis aufs Messer führen würde und führen müßte . Die deutsche Okkupation der Nordseeküste ist das geeignete Mittel, England zu einem uns genehmen Frieden selbst dann zu zwingen, wenn uns ein ausrei­ chender See-Erfolg nicht beschieden sein sollte. Bequemt sich England sehr lange nicht zu einem solchen Frieden, so müßte die Okkupation allmählich notwendig zur Annektion werden . Wir müssen also darauf rechnen, eventuell unsere kühnsten belgiseben Hoffnungen gegen einen angemessenen Frieden mit England einzuhandeln. Ein Gewinn, der keineswegs gering einzuschätzen wäre, wenn wir über partielle Erfolge gegen England nicht hinauskommen. Der Übergang von Belgisch-Kongo in deutschen Besitz gehörte natürlich in den angemessenen Frieden mit England hinein. Wir kämpfen für unsere weltpolitische Zukunft. Zu ihrer Sicherung gehört naturgemäß in erster Linie eine ausreichende territoriale und bündnispoliti­ sche Eindeckung auf dem Kontinent gegenüber Angriffen auf das Mutterland, eine Sicherung, die an tatsächlichem Wert derjenigen gleichkommt, die Eng­ land durch das Meer besitzt. Diese Sicherung gebietet eine dauernde Schwä­ chung Frankreichs und Verstärkung unserer Westgrenze. Sie gebietet eine Beendigung des als unhaltbar erwiesenen belgiseben Zustandes . Sie verbietet eine zu weitgehende Slawisierung bzw. Polonisierung Österreich-Ungarns .

Kriegsziele

85

Sie verbietet schließlich, daß uns ein neuer auf Revanche denkender Nachbar ersteht, den jeder Gegner als unseren Feind vorfindet. Sie läßt endlich wün­ schenswert erscheinen, daß England wie auch Japan einem fortgesetzten Druck ausgesetzt bleiben, der nur von einem uns willigen Rußland ausgeübt werden kann. Denn da Rußland eine machtpolitische Realität ist, die nicht hinwegzukonstruieren ist, und wir ein Bedürfnis nach Bereicherung auf seine Kosten nicht empfinden, müssen wir zusehen, wie wir es unseren weltpoliti­ schen Interessen nutzbar machen können. Andere Ziele als solche, die unseren Interessen und Bedürfnissen, unserer geschichtlichen Entwicklung und unserer eigenen größeren Zukunft dienen, brauchen wir nach siegreichem Kriege beim Friedensschluß nicht zu erreichen und dürfen es auch nicht. Es wird gut sein, der Bevölkerung rechtzeitig solche und ähnliche Gesichtspunkte geläufig zu machen, damit die Deutschen sich nicht noch mehr als schon geschehen unter dem Einfluß unpolitischer Phanta­ sten und Feuilletonisten in falsche Hoffnungen und Vorstellungen verirren und damit die Regierung sich nicht plötzlich vor ungerechte allgemeine Vor­ würfe gestellt sieht und die einmütige nationale Volksstimmung zum Schaden der monarchischen und ihrer Autorität zerrinnen sieht. von Loebell

31.

Flugblatt der Potsdamer Handelskammer

Aussichten des Handelskrieges. Cartarius, Nr. 31.

Berlin-Potsdam, Oktober 1914 1 Die letzten kriegerischen Ereignisse, wie der Fall von Antwerpen 2 und das Vorrücken der deutschen und Österreichischen Truppen in Russisch-Polen und in Galizien, weisen darauf hin, daß weitere entscheidende Schläge nahe bevorstehen. Daß die durch England bewirkte Übertragung der Kriegsfüh­ rung auf das wirtschaftliche Gebiet an dem Ausgang des Krieges nichts ändern würde, ist schon vor Wochen von verschiedenen Seiten nachgewiesen worden. Neuerdings mehren sich die Zeichen, daß dieser wirtschaftliche Kampf, in welchem England vor der Verletzung von privaten Rechten und Neutralitäts­ rechten nicht zurückschreckt, ihm nicht nur nichts nützt, sondern ihm sogar großen Schaden bringt. An die Aushungerung eines Landes wie Deutschland, dessen Landwirt1 Bei Cartarius, S. 49, fälschlich September 1914. 2 9. 10. 1914 .

86

1914

schaft über erstaunliche Erträge von Brotgetreide und Kartoffeln sowie über vollkommen ausreichende Viehbestände verfügt, kann überhaupt nicht ge­ dacht werden. Aber auch eine Schädigung des Außenhandels wird für Deutschland viel leichter zu ertragen sein als für England . Englands Handels­ größe beruht auf der Ausführung seiner Industrieerzeugnisse, namentlich nach dem europäischen Kontinent und auf der Vermittlung des Überseever­ kehrs nach den europäischen Ländern. Deutschlands wirtschaftliche Stärke liegt in seiner außerordentlich leistungsfähigen Landwirtschaft und der großen Aufnahmefähigkeit seines Inlandsmarktes für seine bedeutende industrielle Produktion. Während England reiner Handels- und Industriestaat geworden ist, hat sich Deutschland neben der bedeutenden Entwicklung seiner Industrie und seines Handels eine kräftige Landwirtschaft erhalten, die den Umfang der Ernten von Brotgetreide und Kartoffeln in den letzten 30 Jahren ungefähr ver­ doppelt hat. Deutschland ist also Industrie- und Agrarstaat. Englands Handel ist zu vier Fünftein auf den Absatz im Auslande angewie­ sen, Deutschlands Handel nur zu einem Fünftel. Dabei ist aber zu beachten, daß der Wert der jährlichen deutschen Produktion auf ungefähr ein Viertel höher veranschlagt werden muß als der Wert der englischen Gütererzeugung. Diese Zahlen zeigen die selbständige wirtschaftliche Stellung Deutschlands und lassen erkennen, daß für den deutschen Wirtschaftskörper keine ver­ nichtenden Folgen eintreten würden, selbst wenn es gelänge, den deutschen Außenhandel lahmzulegen. England hat aber nicht die Macht; den deutschen Außenhandel wirksam zu hindern . Die Ausfuhrstatistiken beider Länder beweisen, daß Englands Aus­ fuhr durch den Krieg die größeren Hemmungen erfahren muß . Den Haupt­ markt für die Erzeugnisse beider Länder bildet Europa. Für England ist die Ausfuhr nach seinem Hauptabnehmer, nach dem Deutschen Reiche, sowie nach Österreich-Ungarn und dem eroberten Belgien aufgehoben . Rußland wird nach dem Einfrieren des Hafens Archangelsk im Weißen Meer vom Welt­ verkehr vollkommen abgeschnitten sein, da seine Ostseehäfen von deutschen Kriegsschiffen überwacht werden und die Dardanellensperre den Handel nach den russischen Häfen am Schwarzen Meere unterbindet. Die Handelswege von England nach Frankreich sind zum Teil durch deutsche Truppen besetzt, zum Teil bereits stark bedroht. Auch ist der französische Markt nur noch in sehr geringem Maße aufnahmefähig, da die französischen Geldverhältnisse sehr schwierig liegen und das sich auf französischem Boden abspielende Rin­ gen der Riesenarmeen beider Parteien gewaltige wirtschaftliche Schädigungen und ein Stocken von Handel und Wandel für das ganze Land im Gefolge hat. Nach den genannten Ländern betrug aber im Jahre 1910 die englische Ausfuhr 2700 Millionen Mark, hingegen nach dem übrigen Europa nur 1458 Millionen Mark. D a s h e i ß t a l s o , d a ß d e r b i s h e r i g e Ve r l a u f d e s K r i e g e s E n g -

Handelskrieg

87

land b ereits von seinen wichtigsten A b s atzgebieten abgeschnit­ ten hat. Anders liegen die Ausfuhrverhältnisse für Deutschland. Die deutsche Aus­ fuhr nach England, Frankreich und Rußland einschließlich Finnlands betrug 2266 Millionen Mark, dagegen nach dem übrigen Europa 3357 Millionen Mark. Selbst wenn der deutsche Handel nach Spanien, Portugal und den Bal­ kanländern Schwierigkeiten erfahren sollte und Belgien als weniger aufnahme­ fähig angesehen würde, so bleibt doch der deutsche Handel nach den dem Deutschen Reiche naheliegenden befreundeten und neutralen Staaten, wie Österreich-Ungarn, Dänemark, Schweden, Norwegen, Holland, Schweiz und Italien, offen. Die deutsche Ausfuhr nach diesen Ländern betrug immer noch 2748 Millionen Mark, überstieg also die Summe der Ausfuhr nach Eng­ land, Frankreich und Rußland wesentlich. Die deutschen Handelsbeziehun­ gen nach Schweden, Norwegen und Dänemark werden aufrecht erhalten und zum Teil noch wesentlich erweitert, da die deutsche Flotte die Ostsee be­ herrscht. Die Handelsbeziehungen nach den direkt angrenzenden befreunde­ ten und neutralen Staaten sowie nach Italien werden durch Einführung ermä­ ßigter Tarife gefördert. London, einst die Vermittlungsstelle für ungeheure Warenmengen, scheidet als solche aus . Dem neutralen Handel fällt heute eine große Aufgabe und ein großes Betätigungsfeld zu. Es läßt sich nicht verken­ nen, daß die kontinentale Lage Deutschlands in dem gegenwärtigen Kriegszu­ stande große wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt. Englands vollständig auf Überseebeziehungen aufgebauter Handel leidet sehr unter den hohen Seever­ sicherungsprämien und unter ständigen Schiffsverlusten und wird im Verlaufe der weiteren militärischen Operationen mit großer Wahrscheinlichkeit noch viel mehr gefährdet werden. Damit sind aber auch Englands Ernährung und Industrie, die beide weit überwiegend von den Überseebeziehungen abhängig sind, auf das ärgste gefährdet. Wenn England die deutsche Industrie dadurch zu schädigen versucht, daß es dem Deutschen Reiche die Zufuhr industrieller Rohstoffe abschneidet, so­ weit ihm das überhaupt möglich ist, so kommt ihm selbst dieser Versuch am teuersten zu stehen. Deutschland bezieht aus den britischen Kolonial- und Einflußgebieten für ungefähr 1350 Millionen Mark Waren, fast durchweg Roh­ stoffe, während es nur für ungefähr 450 Millionen Mark Waren nach diesen Gebieten ausführt. Eine genaue Prüfung der betreffenden Rohstoffe und ihrer Herkunftsländer ergibt, daß d i e d e u t s c h e I n d u s t r i e d u r c h a u s n i c h t auf den B e z u g a u s englischen G e b i eten angewiesen ist, s ondern i n d e n Vo l k s w i r t s c h a f t e n n e u t r a l e r S t a a t e n r e i c h e Q u e l l e n f ü r i h r e n R o h s t o ffve r b r a u c h a l s E r s a t z f ü r e n g l i s c h e B e z ü g e v o rfi n ­ det. Für die neutralen Staaten stellt gerade zur Jetztzeit Deutschland einen wich-

88

1914

tigen und kaufkräftigen Absatzmarkt dar; denn unter den Volkswirtschaften aller kriegführenden Staaten ist die deutsche Volkswirtschaft diejenige, die in­ folge ihrer vorzüglichen Organisation unter Vermeidung eines Moratoriums ihre Tätigkeit am meisten aufrecht erhält. Bekannt ist, daß demgegenüber in England Industrie und Handel in sehr großem Umfang eingeschränkt werden mußten. So liegt z. B. die Textilindustrie Englands, eine seiner Hauptlebens­ adern, vollkommen darnieder. Ein Land, dessen Nationalwirtschaft selbst schwer erschüttert ist, ist natür­ lich nicht in der Lage, seine Industrie zu erweitern und neue Industriezweige ins Leben zu rufen, um die feindliche Konkurrenz von ihren ausländischen Absatzmärkten zu verdrängen. Auch können nicht in wenigen Monaten be­ deutende Industriezweige errichtet werden, zu deren Aufbau die organisatori­ sche und wissenschaftliche Arbeit von Jahrzehnten nötig gewesen ist. Bezeich­ nend für die englischen Verhältnisse ist folgende Äußerung der Londoner Finanz-Wochenschrift >Statist< vom 19. September: "Bankiers und Diskont­ häuser haben noch nicht die Nervenerschütterung überwunden, die ihnen der Kriegsausbruch verursacht hat. Die Kaufleute (und Unternehmer) beklagen sich überall, daß sie ihr Bemühen, die Arbeit, die Deutschland jetzt nicht leisten kann, an sich zu reißen, nicht in die Tat umsetzen können, weil sie die dafür nötige Bankunterstützung nicht erhalten. Wir können keine neuen Maschinen aufstellen oder alte Anlagen verbessern, einfach deshalb, weil, so sagen sie, die Bankiers uns nicht den Kredit gewähren, den wir unbedingt dazu brauchen. So wird die Gelegenheit verpaßt. Und doch war niemals die Notwendigkeit, den Handel in jeder nur möglichen Richtung auszudehnen, dringender als heute. Die Ausgaben für den Krieg werden ungeheuer sein, und sie müssen aus Einnahmen gedeckt werden. Wenn aber der Handel nicht lebensfähig bleibt, nicht nach jeder Richtung hin ausgedehnt wird, wie kann er dann die nötigen Einnahmen für den Staat aufbringen ? Von größter Wich­ tigkeit ist es, daß jeder, der arbeiten will, auch zu angemessenem Lohne Be­ schäftigung bekommt. Wie kann das aber erzielt werden, wenn die Kaufleute nicht das nötige Entgegenkommen finden ? Es war nicht überraschend, daß ein so plötzlicher Kriegsausbruch weithin Bestürzung verbreiten und eine Zeitlang den Geldmarkt stören mußte. Aber es ist sicher eine enttäuschende Tatsache, unsere Bankiers so bar der Initiative zu finden, wie es jetzt der Fall ist." Die Nervenerschütterung der englischen Bankiers ist begreiflich, und es ist sehr zweifelhaft, ob sie sich während des Krieges mindern wird. Aber auch der ihnen vorgeworfene Mangel an Initiative ist erklärlich . Selbst wenn sie in der Lage wären, Kredite für industrielle Neuanlagen zu gewähren, so würde ihnen eine nüchterne Kalkulation sagen müssen, daß der gegenwärtige Kriegs­ zustand, während dessen Dauer alle Märkte der Welt in ihrer Aufnahmefähig-

Westfront

89

keit eingeschränkt sind, für den Aufbau neuer Exportindustrien ungeeigneter denn je ist. Ku r z g e s a g t , d e r e n g l i s c h e H a n d e l s k r i e g i s t e i n S c h l a g i n s Wa s s e r ! D o c h e i n s w i r d e r z u r b l e i b e n d e n F o l g e h a b e n : E i n e b e ­ d e u t e n d e M i n d e r u n g d e r S t e l l u n g L o n d o n s a l s Ve r m i t t l u n g s ­ s t e l l e i n t e r n a t i o n a l e r Z a h l u n g e n u n d ü b e r s e e i s c h e r R o h s t offe !

32.

Riezler, Tagebücher ', Auszug

Beurteilung der militärischen Lage durch die OHL. Riezler, Tagebücher, S. 226 .

[o. 0 . ] 8 .-22 . November 1914 Als ich hier zurück war, sagte mir der Kanzler, Falkenhayn wäre jetzt jeden Tag da, wäre sehr pessimistisch, frage wegen Waffenstillstand etc. Gründe Riesen-Verluste im Westen, Mangel an Munition, die erst wieder in 4 Wochen reichlich .

33.

Brief Bethmann Hollwegs an Harnmann

Deutsche Kriegsziele im Westen. Vietsch, S. 326 f.

Charleville, 14 . November 1914 Mein lieber Hammann ! Ich habe Ihnen schon ungezählte Male schreiben wollen. Nehmen Sie es nicht übel, daß ich es nicht getan . Ich muß offen gestehen, der furchtbare Ernst der Zeit, der ewige Wechsel, der immer wieder unser Geschick auf des Messers Schneide zu stellen scheint, sind zu gewaltig, als daß ich klare Worte 1 Zum Quellenwert der Tagebücher siehe Fischer, Juli 1914; Zechlin, Juli 1914; sowie Sösemann, Die Erforderlichkeit und Rezension Fellner zur Edition der Tagebücher. Vgl. auch Sösemann, Die Tagebücher Kurt Riezlers . Untersuchungen zu ihrer Echtheit und Edition. In: Historische Zeitschrift 236 (1983), S. 327 -369; Erdmann, Zur Echtheit der Tagebücher Kurt Riezlers . Eine Antikritik. In: Historische Zeitschrift 236 ( 1983), S. 371-402; Agnes Blänsdorf, Der Weg der Riezler-Tagebücher. Zur Kontroverse über die Echtheit der Tagebücher Kurt Riezlers . In: Geschichte in Wiss . u . Unterricht 35 (1984), S. 651-684; Bernd F. Schulte, Die Verfälschung der Riezler-Tagebücher. Ein Bei­ trag zur Wissenschaftsgeschichte der 50iger und 60iger Jahre, Frankfurt [u. a.] 1985.

90

1914

finden könnte, die nicht von der Stimmung des Tages und von dieser verfluch­ ten Stimmung des Hauptquartiers beeinflußt würden. Und nebliges Zeug mag ich Ihnen nicht sagen. Es wäre unwürdig und unfruchtbar. Aber meinen Dank sollen Sie haben. Ich bin immer voller Scham, wenn ich vergleiche, was in Ber­ lin geleistet wird, und was wir hier nicht tun - komme ich gar zur Front und sehe die gelichteten Reihen unserer grauen Jungen - neulich sah ich meinen guten [Adjutant Frhr. v.] Sell mit den Franzern von den gräulichsten Schützen­ gräben bei Arras kommend in das Morden um Ypern 1 marschieren - dann geht es hlir durch Mark und Bein . Aber ich will und darf ja nicht das Gefühl reden lassen. Also will ich Ihnen für all die große und gute Arbeit danken, die Sie leisten. Ich weiß von den Reibungen . Ich hoffe, Sie werden sie ertragen, wie Sie schon viele ertragen haben . Trösten Sie sich mit mir. Maulwürfe und Unken gibt es auch hier genug. Obwohl ich ja leicht geneigt bin, ins Schwarze zu sehen, halte ich doch den Kopf hoch . Manches verstehe ich ja nicht. Aber aus unserem Faustpfand in Belgien und Frankreich sollen sie uns erst einmal heraustreiben, und die Russen dürfen wir auch nicht überschätzen. Österreich ist schlecht, aber vielleicht doch nicht ganz so schlecht, wie man es macht. Wenn sie in Krakau-Przemysl defensiv stehen, kann es noch gehen. Heute ka­ men einige Anzeichen, als ob die Franzosen kriegsmüde würden . Nur ganz leise. Aber das würde doch die beste Lösung geben. Die Franzosen werden in absehbarer Zeit nicht wieder anfangen, ob sie einen mehr oder weniger harten Frieden nehmen müssen. Nur keinen unehrenhaften. Schließlich stehen sie uns von unseren Gegnern doch noch am nächsten, wenigstens komplementär. In diesem, allerdings klerikalen und mit vlämischen Umschwüngen durchsetz­ ten gallischen Winkel tritt das freilich vielleicht besonders herb hervor, ohne zu Generalisierungen zu berechtigen . Belgien ist eine harte Nuß . Ich habe an­ fangs die Phrase vom halbsouveränen Tributärstaat nachgeschwatzt. Jetzt halte ich das für eine Utopie. Selbst wenn wir den Bären schon erlegt hätten. Ein Ägypten ist im kontinentalen Europa doch wohl nicht möglich . Militäri­ sches Besatzungsrecht in Lüttich, Namur, Antwerpen usw. , in diesem Lande, das uns hundert Jahre lang hassen wird, wie man nur hassen kann, würde Bar­ tholomäusnächte 2 geradezu heraufbeschwören. Die Zukunft, aber erst eine späte, kann eine Aufteilung zwischen uns, Frankreich, Holland und Luxem­ burg bringen . Luxemburg muß man wohl vorwegnehmen. Für uns die Sache vorbereiten, das heißt das annektieren, was die Soldaten und Matrosen unbe­ dingt verlangen und was selbst ein vernünftiger dem unvernünftigen Deut­ schen nicht abschlagen kann. Aber möglichst wenig. Höchstens Antwerpen mit einem Korridor und Seebrügge als Seeplatz . Dazu wirtschaftliche Verein1 Kämpfe bei Ypern 10. 10.-18 . 1 1 . 1914 . 2 Bartholomäusnacht 24. 8 . 1572 (Hugenottenmorde).

91

Kriegsziele

barungen. Frankreich wird sich, wie ich fürchte, j e t z t nicht am Raube betei­ ligen wollen, auch nicht an Kompensation kleiner Gebietsteile, die wir ihm doch wohl nehmen werden m ü s s e n - wenn alles gut geht. Briey und West­ abhang der Vogesen. - Zum Reichstag werde ich kommen. Riezler doktort an der Rede. Ich bin noch nicht in der Stimmung, rechte Worte zu finden. Hof­ fentlich kommt es noch. - Sie wollen Bülow nach Rom haben. Ich habe einst­ weilen noch Bedenken. Nicht aus subjektiven Gründen. Die sind mir absolut egal. Aber man traut ihm nicht. Nirgends, auch nicht in Italien. Ist das das Richtige ? Sie wissen, ich liebe nichts for show. Momentan würde es auch wie Schwäche aussehen. Ich weiß noch nicht [für] wen ich mich entscheide. - Die deutsche Tageszeitung ist ja gräßlich . Beinahe so gräßlich wie der Lokalanzei­ ger. Wenn Deutschland nach dem Kriege so aussehen soll, dann Gnade uns Gott. Ich will schließen. Beim Durchlesen merke ich, daß ich besser gar nicht hätte anfangen sollen. Es ist Kraut und Rüben. Ich schrieb ja auch nur, weil ich mich in Ihrer Schuld fühle . Mein Dank und meine besten Wünsche sind mit Ihnen und mit Ihrer Arbeit. Aufrichtigst der Ihre v. Bethmann Hollweg 34.

Brief Bethmann Hollwegs an Zimmermann, Auszug

Separatfriede mit Rußland als Voraussetzungfür eine siegreiche Beendigung des Krieges. Scherer-Grunewald I, Nr. 13.

Großes Hauptquartier, 19. November 1914 Lieber Zimmermann, General von Falkenhayn beurteilte die Situation folgendermaßen: So lange Rußland, Frankreich und England zusammenhielten, sei es uns un­ möglich, unsere Gegner so zu besiegen, daß wir zu einem anständigen Frieden kämen. Wir würden vielmehr Gefahr laufen, uns langsam zu erschöpfen. Ent­ weder Rußland oder Frankreich müsse abgesprengt werden. Gelingt es, was in erster Linie annzustreben sei, Rußland zum Frieden zu bringen, so würden wir Frankreich und England so niederzwingen können, daß wir den Frieden diktierten, selbst wenn die Japaner über See nach Frankreich kämen, und wenn England immer neue Nachschübe ins Feld schickte. Es sei aber mit Sicherheit zu erwarten, daß, wenn Rußland Frieden machte, auch Frankreich klein beigäbe. Dann würden wir England, wenn es uns nicht völlig zu Willen wäre, dadurch niederzwingen, daß wir es gestützt auf Belgien durch Blockade aushungerten auch wenn dazu Monate erforderlich sein sollten. [ . . ] .

1914

92

Nachdem die Niederwerfung Frankreichs in der ersten Kriegsperiode miß­ glückt ist und nach dem Verlauf, den unsere militärischen Operationen im Westen im jetzigen zweiten Kriegsabschnitt nehmen, muß auch ich bezweifeln, daß eine militärische Niederwerfung unserer Gegner noch möglich ist, so lange die Tripie Entente zusammenhält. Bleibt Hindenburg Sieger, so werden wir uns allerdings diesen Winter über Preußen, Posen und Schlesien von rus­ sischer Invasion freihalten können. - Wie sich die Dinge auf dem galizischen Kriegsschauplatz abspielen werden, läßt sich absolut nicht übersehen . - Im Westen wird es uns, so lange starke Heeresabteilungen im Osten stehen blei­ ben müssen, zwar gelingen, das bisherige Okkupationsgebiet zu halten, viel­ leicht auch in geringem Umfang auszudehnen, mit der Zeit Verdun zu nehmen und damit den Rückzug der Franzosen von der Aisne- in die Marnestellung zu erzwingen; eine völlige Besiegung und Vernichtung unserer Gegner aber in entscheidender Schlacht erscheint, nach den allerdings stets reservierten Mitteilungen des Generalstabs , ausgeschlossen. Diese Situation wird sich den Winter über halten, kann auch von uns als p o l i t i s c h durchaus günstig ertra­ gen werden, eröffnet aber auch für die Folge keine Chancen für einen entschei­ denden m i l i t ä r i s c h e n S i e g. Ein solcher kann vielmehr, soweit ich die Lage beurteilen kann, nur dann wenigstens erhofft werden, wenn wir unsere im Osten engagierte Armee nach Frankreich werfen können. Dann könnten wir, wenn wir es für richtig hielten, selbst ein etwaiges Friedensangebot Frank­ reichs zurückweisen, Frankreich, wenn uns das Glück zur Seite steht, militä­ risch so auf die Knie zwingen, daß es jeden von uns gewünschten Frieden an­ nehmen muß und zugleich, wenn die Marine hält, was sie verspricht, England unsern Willen aufzwingen. Wir könnten also gegen den Preis, daß gegenüber Rußland die Verhältnisse im Wesentlichen so blieben wie vor dem Kriege, ge­ gen Westen hin die uns passenden Zustände schaffen. Somit wäre zugleich die Tripie Entente beseitigt. [ . ] Nimmt man alles in allem, so muß man trotz aller Zuversicht die Situation als ernst bezeichnen. Typisch ist vielleicht die Entwicklung der Dinge bei Ypern . Trotz größter Bravour unserer Truppen gelingt kein entscheidender Schlag, sondern nur ein schrittweises Vordringen bei partiellen Mißerfolgen und allgemeinen ungeheuren Verlusten . Dem fortgesetzten Drängen des Generals von Falkenhayn auf Separatver­ ständigung mit Rußland kann ich mich deshalb nicht entziehen . Die Möglich­ keiten dazu müssen mindestens bis zum Ende durchgedacht werden. Anzei­ chen dafür, daß Rußland zur Verständigung bereit wäre liegen mir einstweilen nicht vor. Auch ein erneuter Sieg Hindenburgs würde nach meinem Dafürhal­ ten nicht hinreichen, um eine solche Bereitwilligkeit zu erzeugen. Hinzutre­ ten müßte wohl jedenfalls noch die Besetzung des größten Teils Polens durch uns, resp . Österreich . Wir würden dieses Faustpfand schon brauchen, um mit .

.

Kriegsziele

93

ihm eine Kriegsentschädigung durchzusetzen. Die würde dann wohl zum grö­ ßeren Teil an Österreich fallen. Die Doppel-Monarchie ihrerseits würde außer der Kriegsentschädigung zweifellos einen Teil Serbiens für sich beanspruchen, einen anderen Teil Bulgarien zuschlagen wollen . Was mit der Türkei werden sollte, ist mir einstweilen noch nicht klar. Es würde wohl auf eine Verstän­ digung mit Rußland über den status quo hinauslaufen. Eine Initiative unsererseits würde, wenn sie erfolglos bliebe, uns von der gesamten Tripie Entente als Schwäche ausgelegt werden und etwaige Friedens­ neigungen Frankreichs im Keime ersticken. General von Falkenhayn ist geneigt, alle diese Schwierigkeiten gering einzu­ schätzen, wobei der Wunsch für alle Fälle die Schuldfrage günstig zu regulie­ ren, wohl mitspricht. [ . . ] .

35.

Rede Bethmann Hallwegs vor dem Reichstag, Auszug

Neuorientierung als verfassungspolitisches Ziel. Stenogr. Ber. , Bd. 306, S. 20.

Berlin, 2 . Dezember 1914 Und, meine Herren, wenn ein ruhmvoller, wenn ein glücklicher Frieden er­ kämpft sein wird, dann wollen wir diesen Geist hochhalten als das heiligste Vermächtnis dieser furchtbar ernsten und großen Zeit. (Wiederholter lebhaf­ ter Beifall. ) Wie vor einer Zaubergewalt sind die Schranken gefallen, die eine öde und dumpfe Zeit lang die Glieder des Volkes trennten, die wir gegeneinan­ der aufgerichtet hatten in Mißverstand, in Mißgunst und in Mißtrauen . Eine Befreiung und eine Beglückung ist es, daß nun einmal dieser ganze Wust und Unrat weggefegt ist (lebhaftes Bravo), daß nur noch der Mann gilt, einer gleich dem anderen, einer dem anderen die Hand reichend für ein einiges , heiliges Ziel. (Stürmisches Bravo .) 36.

Aufzeichnung Vitzthum v. Eckstaedts über sein Gespräch mit Bethmann Hall­ weg, Auszug

Kriegsziele des Reiches. Gutsche, Nr. 110.

Dresden, 3 . Dezember 1914 D e r R e i c h s k a n z l e r fuhr mit der Frage fort, ob wir uns in Sachsen schon mit weitreichenden Zukunftsplänen beschäftigten wie die Bayern. I c h entgeg­ nete, wir seien ja auf die Anregung des Grf. Herding nach Berlin gekommen,

94

1914

um durch unsere Teilnahme an der Eröffnungssitzung des Reichstags bei die­ sem Akte den föderalistischen Charakter des Reichs in die Erscheinung treten zu lassen. Im übrigen sei ich mir der Wahrheit des Sprichwortes bewußt, daß man das Fell des Bären nicht verteilen dürfe, ehe er erlegt sei. Wenn aber ein anderer in letzter Zeit viel zitierter Satz von Clausewitz ebenso richtig sei, daß der Krieg nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, so sei man wohl berechtigt, die Frage aufzuwerfen, welche politische Zwecke durch den Krieg verfolgt würden. Weiter stünde nun wohl die Tatsa­ che fest, daß Belgien zum großen Teile erobert sei u. so hätten wir ein begreif­ liches Interesse zu erfahren, was mit diesem Lande geschehen solle. Bayern scheine den Gesichtspunkt zu vertreten, daß es bei einer Aufteilung der "Beute" nicht leer ausgehen dürfe u. begründe diese Forderung mit dem föde­ ralistischen Charakter des Reichs . Uns könnte es ja sehr recht sein, wenn die­ ser föderalistische Gesichtspunkt auch Sachsen gegenüber zur Geltung käme, aber ich verkennte die Schwierigkeiten nicht, Sachsen irgendwelche Kompen­ sationen anzubieten. Meine Reg[ierung] habe auch noch keine Gelegenheit ge­ habt, zu der Frage Stellung zu nehmen . Ich würde aber dankbar sein, über die Absichten des Reichskanzlers unterrichtet zu werden. Der R e i c h s k a n z l e r erwiderte: Es könne selbstverständlich nicht die Rede davon sein, daß bei diesem Kriege Preußen oder Bayern Länder für sich eroberten, sondern wenn etwas erobert würde, so mache das R e i c h die Er­ oberungen . Was mit dem eroberten Lande später zu geschehen habe, sei dann Sache der Reichsgesetzgebung. Es könne auch dem Wunsche des Gfn. Hert­ ling nicht entsprechen, den Bundesrat als solchen bei dem Frieden mitwirken zu lassen . Selbstverständlich würde er sich, wenn es einmal so weit wäre, mit dem Gfn. Hertling, mit mir u. Minister Weizsäcker vertraulich in Verbindung setzen u. unsere Meinung über die eine oder andere Frage erbitten, aber der Abschluß des Friedens sei Sache des Kaisers . Was nun Belgien anlange, so sei er früher dafür gewesen, Belgien seine Selbständigkeit zu belassen. Er sei jetzt davon abgekommen. Wie man aber die Frage regeln solle, wisse er noch nicht. Die Schaffung eines neuen R e i c h s l a n d e s müsse man zu vermeiden suchen. Die Aufnahme Belgiens als B u n d e s s t a a t in den Verband des Deutschen Reichs scheine ihm noch weniger ausführbar. Ob es ferner möglich sei, einen europäischen Staat ähnlich wie dies bei Ägypten durch England geschehe, zu regieren u. ihm die Wahrnehmung seiner auswärtigen Politik abzunehmen, sei ihm zweifelhaft. Jedenfalls müsse man B elgien wirtschaftlich fest mit uns verbinden u. es militärisch so schwächen, daß es uns nicht gefährlich werden könne. Ich warf ein, ob die Häfen an der belgischen Küste sich als Stütz­ punkte für die deutsche Flotte eigneten u. ob man daran gedacht habe, sich mit Holland wegen der Scheidemündung zu verständigen. Der R e i c h s k a n z 1 e r entgegnete: Unsere Situation sei schwierig genug, man dürfe sie nicht noch

Kriegsziele

95

durch Differenzen mit Holland erschweren. Man müsse vielmehr Holland wirtschaftlich so einkreisen, daß es ein Interesse hätte, sich uns wirtschaftlich anzuschließen. Was die Nordseeküste anlange, so wolle ja die Marine die ganze Küste womöglich über Calais hinaus bis Boulogne. Das hinge aber selbstverständlich v. unseren militärischen Erfolgen ab . Man müsse sich auch darüber klar sein, daß Frankreich seine Küste nicht hergeben werde, wenn es nicht gänzlich vernichtet wäre. Aber auch dann, wenn wir die Abtretung der Küste im Frieden durchsetzten, würden wir damit nur einen neuen Grund zu französischen Revanche-Gedanken legen. Wir würden damit Frankreich nur noch fester mit Rußland verbinden, dessen Masse auch in Zukunft auf uns drücken werde. England vor allem würde sich durch diese Besitzergreifung bedroht fühlen u. so würde nach einem Frieden, der Frankreich seine Nord­ küste nehme, der Dreiverband v. Rußland, Frankreich, England fester sein denn je. Die weitgehenden Hoffnungen u. Wünsche der Alldeutschen ließen sich eben nicht verwirklichen . I c h f r a g t e : Beabsichtigt man noch eine Inva­ sion in England ? Der R e i c h s k a n z l e r : Nein. I c h : Man spräche aber doch von dem Bau großer Flöße u. Transportschiffe ? Der R e i c h s k a n z l e r : Man kann ja nicht wissen, welche Wendung der Krieg noch nimmt, vorläufig dienen diese Vorbereitungen aber nur dazu, England in Schrecken zu setzen . Die Entscheidung England gegenüber wird auf dem Wasser gesucht werden, ob unsere Flotte dazu stark genug ist, kann ich nicht beurteilen. I c h : Welche Absichten hat man mit Polen ? Der Rk. : Es ist im Anfang des Krieges erwogen worden, ein selbständiges polnisches Reich zu schaffen. Auch davon bin ich abgekommen . Man wird es wohl, abgesehen von einigen Grenzberich­ tigungen, die wir im mil[itärischen] Interesse brauchen, den Österreichern überlassen . Im übrigen liegt die Situation so: Bittet Frankreich um einen Son­ derfrieden, so wird man ihm einen anständigen Frieden bewilligen, bittet Rußland um einen solchen, so wird man auch Rußland gegenüber entgegen­ kommend sein. Voraussichtlich würde dann auch Frankreich alsbald nachfol­ gen . . . Jeder Reichskanzler, der den nächsten Frieden schließt, wird sich nicht hal­ ten können, sondern mit faulen Äpfeln beworfen werden. Wir müssen Japan gegenüber doch immer mit der M ö g l i c h k e i t eines Eingreifens auf dem euro­ päischen Festland rechnen . Auch Holland wird seine Kolonien einmal an Eng­ land verlieren, unsere Flotte wird niemals groß genug sein, den Schutz der holländischen Kolonien zu übernehmen. Holland wird froh sein müssen, wenn wir ihm seine Selbständigkeit in Europa schützen . Unsere Kolonial­ politik kann nur darin bestehen, uns in Afrika ein Kolonialreich von solcher Größe zu schaffen, daß es schon seiner ganzen Ausdehnung wegen uns nicht genommen werden kann . I c h : Was wird mit Luxemburg geschehen ? D e r R e i c h s k . : Die Iuxemburgische Bevölkerung hat mir einen sehr schlechten

96

1914

Eindruck gemacht, aber auf die Dauer wird man einen kleinen kläffenden Köter nicht vor seiner Türe dulden können. Und die eine Stimme im B[undes] R[a)t u. im Reichstag wird man wohl noch verdauen können . Im Verlauf der Unterredung berührte der Reichskanzler auch die Tatsache, daß Elsaß-Lothringen weder als Bundesstaat noch als Reichsland bestehen bleiben könne . Die Stimmung dort sei sehr schlecht. Nun sei vielleicht mit Recht gesagt worden, man habe 1870 den Fehler gemacht, Elsaß u. Lothringen nicht zwischen benachbarten Bundesstaaten aufzuteilen. Das sei bekanntlich daran gescheitert, daß der Großherzog von Baden Elsaß abgelehnt habe . Er hätte sich nicht nach Straßburg setzen wollen. "Und wie ich höre" , fuhr der Rk. fort, "wird mir Minister Dusch heute sagen, daß Baden das Elsaß nicht haben wolle. " Es käme da wohl eine Teilung zwischen Preußen u. Bayern in Frage. Der Statthalter v. Dallwitz habe ihm gesagt, man sei sich im Elsaß dar­ über klar, daß die Selbständigkeit nicht zu retten sei, so hoffe man wenigstens ungeteilt an Preußen zu fallen. Herding wiederum wolle gehört haben, Elsaß­ Lothringen wolle mit Bayern vereinigt werden. Baden würde wohl auch kaum in der Lage sein, die schwierige Bevölkerung um Mülhausen herum in Ord­ nung zu halten . Im Interesse des Grenzschutzes liege es auch, daß die Gewalt an der Grenze in einer Hand liege. Württemberg käme nicht in Frage, auch Sachsen läge zu weit ab . I c h b e m e r k t e : Ich hätte mich ja dem Gfn. Herding gegenüber dafür ausgesprochen, daß mir der Grundsatz, den größeren Bun­ desstaaten Kompensationen zu geben, falls Preußen sich vergrößere, vom föderalistischen Gesichtspunkt aus durchaus willkommen erschiene, anderer­ seits müßte ich ihm, dem Reichskanzler, sagen, daß mir eine Vergrößerung Bayerns, wenn Sachsen leer ausginge, doch recht bedenklich erschiene, zumal wenn damit eine Vermehrung der Stimmenzahl im Bundesrate verbunden sei. Im allgemeinen gingen unsere wirtschaftlichen Interessen mehr mit den preu­ ßischen . Der R e i c h s k a n z l e r erklärte: Selbstverständlich würden sich bei einer Aufteilung von Elsaß-Lothringen die Stimmen dieses Staates im Bundes­ rat erledigen. An den Stimmenverhältnissen dürfe überhaupt nicht gerüttelt werden . Zum Schluß fragte ich den Reichskanzler nach der militärischen Lage. Ich hätte in Berlin den Eindruck gewonnen, als ob das Vertrauen in die Heereslei­ tung etwas geschwunden sei . Gegenüber den enormen Verlusten vor Ypern seien die Fortschritte doch auch recht gering. D e r R k . entgegnete: Hierüber ein Urteil zu gewinnen, sei doch sehr schwer. Die Eigentümlichkeit eines solchen Positionskrieges liege wohl darin, daß die Schützengräben mit Fron­ talangriffen eben nicht zu nehmen seien, wenn man nicht etwa 3 Armeekorps opferte u. mit 5 frischen Korps darüber hinweg einen Durchbruch machen wolle. In derselben Lage seien die Franzosen. Fände sich nicht irgend eine ge­ niale Idee, diese Schwierigkeit zu überwinden, so bliebe nichts anderes übrig,

Belgien

97

als die Entscheidung im Osten abzuwarten. Wenn diese, wie wir hoffen könn­ ten, zu unseren Gunsten ausfiele, würden wir damit rechnen können, daß sie nicht ohne Rückwirkung auf den Widerstand der Franzosen bleiben würde.

37.

Brief Bethmann Hollwegs an Bissing

Gewinnung der Flamen. Gutsche, Nr. 1 1 1 .

Berlin, 16. Dezember 1914 Unabhängig von der Frage des späteren territorialen Schicksals Belgiens, scheinen mir unsere Interessen schon jetzt zu erfordern, daß das Deutsche Reich bei einem starken Teil der belgischen Bevölkerung sich die Stellung eines natürlichen Beschützers und zuverlässigen Freundes erwirbt und sichert. Nach Lage der Verhältnisse kann sich ein Gefühl der Zusammengehörigkeit nur in den flämischen Landesteilen heranbilden, deren uralte Kultur und Spra­ che der unsrigen verwandt ist und deren berechtigte nationale Bestrebungen im Kampf gegen die französierenden Einflüsse vor dem Kriege nur teilweise und zögernd Anerkennung gefunden haben. Mit Dank würde ich es daher be­ grüßen, wenn Euere Exzellenz dem flämischen Problem nachhaltig und einge­ hend Ihr Interesse zuwenden und dafür Sorge tragen wollten, daß alle damit in Verbindung stehenden Fragen einheitlich, vielleicht von einer besonderen damit zu betrauenden Stelle, behandelt werden. Besonders wichtig erscheint, neben allmählicher Fühlungnahme mit den geistigen und wohl auch religiösen Führern der Bewegung, die weitestgehende Förderung der flämischen Sprache (unter Verzicht darauf, in den flämischen Landesteilen der deutschen Sprache eine übergeordnete Rolle zuzuteilen), fer­ ner die Ausgestaltung der Universität in Gent zu einer rein flämischen Lehran­ stalt, und die Herstellung einer für die militärischen Interessen annehmbaren publizistischen Verbindung zwischen Holland und den flämischen Gebieten . Die Reichsbehörden, insbesondere das Auswärtige Amt, werden Anweisung erhalten, Euerer Exzellenz Bestrebungen in jeder Weise zu fördern. Um den in Ost- und Westflandern aus der Zugehörigkeit dieser Provinzen zum Operationsgebiet etwa erwachsenden Schwierigkeiten zu begegnen, werde ich zwecks Verständigung des Armee-Oberkommandos IV mich mit der Obersten Heeresleitung in Verbindung setzen . ':·

'' Dies geschah am 16. 12. 1914 .

38.

Neujahrsgruß Scheidemanns

Willen zum Durchhalten bis zum Sieg. Bergische Arbeiterstimme, 25. Jg. , Nr. 304 (31 . 12 . 1914).

Berlin, 31. Dezember 1914 D i e b e s t e n Wü n s c h e z u m n e u e n J a h r e ! Schwere Sorge lastet auf uns allen . . . Quälend sind die schlaflosen Nächte, in denen wir unserer Lieben gedenken, die im Felde stehen. Grausam wühlt der Schmerz im Herzen derer, die das Liebste schon haben hergeben müssen Hut ab vor den Helden, die für unser Vaterland gefallen sind ! Größer als die Sorgen und Schmerzen müssen unser unbeugsamer Wille, unsere unerschütterliche Entschlossenheit sein . Wir wollen die furchtbare Zeit nicht nur in klarem Bewußtsein mit offenen Augen durchleben, wir wollen auch die Absichten unserer Feinde zuschanden machen: w i r w o l l e n siegen ! Und so wünsche ich zum Jahreswechsel a l l e n die K r a ft, Kummer und Schmerzen niederkämpfen zu können . Ich wünsche allen den unerschütter­ lichen W i l l e n z u m D u r c h h a l t e n b i s z u m S i e g e ! Unsern verwundeten und kranken Soldaten wünsche ich baldige und voll­ kommene Genesung. Ihnen und ihren Kameraden, die in den Schützengräben hausen, zur See oder auf der Wacht dem Vaterlande dienen - ihnen drücke ich herzhaft die Hand! Ihnen ganz besonders rufe ich zu: H a l t e t a u s ! Von Euch hängt es ab, was aus unserem L a n d e und w a s a u s d e r d e u t s c h e n A r b e i t e r s c h a ft wird . Möge uns das neue Jahr baldigen Sieg und dauernden Frieden bringen ! Philipp Scheidemann

Wiener Sonderfriedenswünsche 39.

99

Riezler, Tagebücher, Auszug

Angst vor österreichisch-ungarischen Sonderfriedenswünschen. Riezler, Tagebücher, S. 240, 242 .

[o. 0 . ] 7.-17. Januar 1915 Meine Angst ist Separatfriede Österreichs 1 aus Angst vor Italien und Rumä­ nien. Abtretung Galiziens. Österreich muß Angst haben alles zu verlieren. Die Russen machen dann nicht Frieden mit uns[,] wir können dann die Grenze nicht halten . Dies die immer noch vorhandene Möglichkeit eines Zusammenbruchs [ . . . ] [ . . . ] nun haben wir ihnen die Hilfe in den Karpathen versprochen, nun sind sie gleich wieder hoch .

40.

Riezler, Tagebücher, Auszug

Das geplante Vorgehen gegen Liebknecht. Riezler, Tagebücher, S. 242 f.

Berlin, 20. Januar 1915 Vortrag wegen Hungersnot. Es geht aber nur mit den energischsten Maß­ regeln. Liebknecht - aufgefangener Funkspruch vom Eiffelturm, die ganze Sozialdemokratie in Deutschland wäre gegen den Krieg. Energisches Vorge­ hen, von den Sozialdemokraten herauswerfen verlangen, dann zum Militär einziehen und wegen Geisteskrankheit in ein Lazarett, beobachten * .

'' I n einem Artikel für die Weihnachtsnummer des >Labour Leader< hatte Liebknecht ausgeführt, in der deutschen Arbeiterbewegung herrsche stärkere Opposition gegen den Krieg, als man allgemein annehme. Im Anschluß daran veröffentlichte der Rotter­ dantsche Courant vom 16. 1. 1915 einen Artikel seines Londoner Korrespondenten: "Liebknecht teilte den Führern der Internationale mit, daß unter den deutschen Sozia­ listen eine Bewegung gegen den Krieg sich bemerkbar mache und daß die sozialistischen Vereine nahezu ohne Ausnahme seinen Standpunkt teilten und sich gegen den Krieg er­ klärten. " Diese Nachricht wurde in Frankreich als Funkspruch verbreitet. 1 Vgl. Zechlin, Österreich-Ungarn und die Bemühungen um einen russischen Son­ derfrieden.

100 41.

1915 Brief des preußischen Kriegsministeriums an Bethmann Hollweg

Begründung der Beschlagnahmung der Claßschen Kriegszieldenkschrift 1. Deist, S. 223 f.

Berlin, 7. Februar 1915 Das stellvertretende Generalkommando XVIII. Armeekorps 2 [ ] hat diese Maßnahme für notwendig befunden, weil durch die trotz ausdrücklicher Warnung durch den Herrn Reichskanzler und den Herrn Unterstaatssekretär Z i m m e r m a n n erfolgte Versendung dieser Schrift in großem Umfange das Reichsinteresse für gefährdet gehalten wurde. Der Herr Reichskanzler hat sich unter dem 5. Januar mit der Beschlagnahme einverstanden erklärt [ . . . ] •

42.





Erlaß des preußischen Ministers des Innern an die Oberpräsidenten

Richtlinien für die Handhabung der Zensur durch die Polizeibehörden. Deist, S. 8 8 f.

Berlin, 9. Februar 1915 [ . . . ] Eine Präventivzensur ist allgemein vorgeschrieben lediglich für militä­ rische Artikel (vgl. Merkblatt für die Presse) . Von ihrer Einführung für politi­ sche Artikel oder den sonstigen Inhalt der Zeitungen wird - falls der zustän­ dige militärische Befehlshaber nicht andere Anordnungen trifft - nach den während des Krieges in dieser Hinsicht gemachten Erfahrungen in der Regel abzusehen sein . Unberührt bleibt, auch wenn eine Präventiv-Zensur nicht be­ steht - das Recht und die Pflicht der Zensurbehörden eine genaue Kontrolle der Presse auszuüben und jedem Versuche, den Burgfrieden zu stören, evtl. nach Benehmen mit den Militärbehörden entgegenzutreten. Erheblichere oder häufigere Verstöße gegen den Burgfrieden können unter Umständen zur Verhängung der politischen Präventivzensur über bestimmte Blätter führen.

1 'Denkschrift betreffend die national-, wirtschafts- und sozialpolitischen Ziele des deutschen Volkes im gegenwärtigen Kriege' von Heinrich Claß (September 1914), als Handschrift gedruckt im Dezember 1914 . 2 Frankfurt a. M .

101

Persienpolitik 43.

Protokoll einer Sitzung in der Deutschen Botschaft Konstantinopel

Persienpolitik der Mittelmächte. Gehrke, S. 309f.

Konstantinopel, 11. Februar 1915 D e u t s c h e r B o t s c h a ft e r1 legt dar, daß Persien mit Türkei und Deutsch­ land gehen m ö c h t e, wenn es nicht noch immer zu sehr durch russische und englische Einflüsse im Lande gebunden w ä r e . P e r s i s c h e r B o t s c h a ft e r 2 stimmt dem zu, erhofft baldige Aktion r e g u ­ l ä r e r türkischer Truppen, warnt vor Vertrauen auf persische S t ä m m e . E n v e r P a s c h a stellt baldigen Einmarsch der Division Halil, deren Vor­ truppen bereits Mossul passierten, in Aussicht. Etwa 10 000 Reguläre (Irregu­ läre nicht taxierbar. ) Ankunft in Täbris in ca. 4 Wochen. (350 km .) S c h we d i s c h e r G e n d a r m e r i e o ff i z i e r 3 bekundet, daß auf persische Stämme kein Verlaß . Bachtiaren im englischen Sold, häufig gegen Rußland ver­ wendet, andere gegen England, Luren gegen Alle. Aber auch Gefechtswert der Stämme = 0. 500 persische Gendarmen (von schwedischen Offizieren aus­ gebildet und geführt) hätten wiederholt Tausende dieser Stämme in die Flucht geschlagen. Im Lande ca. 7000 zuverlässige, ausgebildete persische Gendar­ men, die auf 10 000 zu erhöhen sein. Fe l d m a r s c h a l l v. d . G o l t z stellt Forderung auf, daß Aserbeidschan, als Schlüssel Persiens und Brückenkopf für Teheran, sowie die Arras Grenze durch türkische Truppen in festen Besitz genommen werde. D e u t s c h e r B o t s c h af t e r : Einige deutsche Offiziere bei diesen Truppen würden wesentlich zur Beruhigung der persischen Bevölkerung und zur Ver­ hinderung türkischer Übergriffe dienen. E n v e r P a s c h a u n d P e r s i s c h e r B o t s c h a ft e r vereinbaren, daß n a c h dem Kriege Aserbeidschan ohne Minderung dem persischen Reich wieder zu­ rückgestellt werden solle . Pe r s i s c h e r B o t s c h a ft e r beklagt, daß bisher häufig durch die türkischen Unterbefehlshaber die Stimmung des Landes unnütz erregt und gereizt wor­ den sei und daß die Türkische Oberleitung immer ohne vorheriges Benehmen mit ihm resp . der persischen Regierung gehandelt habe. E n v e r P a s c h a verspricht Abhülfe. D e u t s c h e r B o t s c h a f t e r wünscht, daß die deutschen Expeditionen einer­ seits nicht durch türkische Unterbeamte mit Willkür behandelt, festgehalten 1 Hans v. Wangenheim. 2 Mirzä Mai)müd Hän. 3 Nils de Mare.

1915

102

und beraubt werden, daß aber andererseits die Tätigkeit dieser Expeditionen sich nach den großen Plänen der türkischen Heeresleitung richten solle. E n ve r P a s c h a giebt zu, daß Einige der deutschen Offiziere gut mit den türkischen Offizieren an der Truppenbildung in Baghdad arbeiten, Andere aber im höchsten Grade selbstherrisch und untraitable seien. Es wird vereinbart, daß den Führern Klein und Niedermayer in Zukunft die berechtigten Wünsche des türkischen Hauptquartiers durch den deutschen Militär-Attache 4 übermittelt werden sollen, sodaß sie unter deutscher Ober­ leitung bleiben. Derart würde am besten für ihre eigene Sicherheit gesorgt und die guten Kräfte der deutschen Expedition ausgenützt.

44.

Bericht des Berliner Polizeipräsidenten t, Auszug

Stimmung der Bevölkerung. Cartarius, Nr. 190 .

Berlin, 13 . Februar 1915 Preiserhöhungen, der Kartoffelmangel und die verschiedenen Maßnahmen zur Streckung der Mehl- und Komvorräte haben bei den durch äußerliche Anlässe leicht bestimmbaren unteren Volksschichten die Zuversicht auf das wirtschaftliche Durchhalten vorübergehend getrübt. Dadurch hat die auf einen baldigen selbst ruhmlosen Friedensschluß hindrängende Tätigkeit der radika­ len Opposition einen besseren Resonanzboden gefunden, als sie ihn vorher hatte.

4 Oberst v. Leipzig. t

Traugott v. Jagow.

103

Goldablieferung 45.

Aufruf des Königsherger Magistrates

Goldablieferung. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

Königsberg, 5 . März 1915 G o l d g e h ö r t in d i e R e i c h s b a n k Zur siegreichen Beendigung des Krieges soll und kann jeder Deutsche bei­ tragen. Er kann es, wenn er mithilft, die Finanzkraft des Reiches zu stärken. Das kann nicht wirksamer als durch die Abführung des Goldes an die Reichsbank geschehen, das in erheblichen Beträgen noch überflüssigerweise im Verkehr ist oder gar unnütz im Kasten ruht. Für 20 M. Gold kann die Reichsbank 60 M. in Banknoten ausgeben. D arum : Zur Reichsb ank mit allem Golde das noch im P rivat­ besitz i s t ! G o l d g e l d w i r d v o n a l l e n ö f fe n t l i c h e n K a s s e n , S p a r k a s s e n a n ­ g e n o m m e n u n d a n d i e R e i c h s b a n k a b g e fü h r t . Der Magistrat Dr. Körte 46.

Telegramm Brockdorff-Rantzaus

an

das AA

Deutsch-russische Friedensfühler. Scherer-Grunewald I, Nr. 55.

Kopenhagen, 1 1 . März 1915 Ganz geheim. Etatsrat Andersen bestätigte in Hauptsache fast wördich die mir vorgestern von Herrn von Scavenius gemachten Mitteilungen, die er in einigen Punkten ergänzte. Ich leitete unsere Unterredung mit den Worten ein, Herr von Scave­ nius habe mir von seiner resignierten Bemerkung, "je weiter er reise, desto weiter entferne er sich von dem Friedensgedanken" , Kenntnis gegeben; der Minister habe dabei geäußert, die Russen seien offenbar für diesen Gedanken noch nicht "reif" ; mir scheine - fügte ich hinzu - die Russen brauchten "um reif zu werden" noch einige schwere Niederlagen. Andersen erwiderte, die

104

1915

Russen seien "Kinder" und gegenwärtig noch sehr "groß " , ein Stimmungsum­ schlag könne aber bekanntermaßen in Rußland unerwartet plötzlich eintreten. Ich wisse, daß er aufrichtig und ohne Nebenabsichten sich um den Frieden be­ mühe, er werde dabei, was er auch in St. Petcrsburg betont habe, keineswegs durch besondere Sympathien für eine Partei geleitet. Im Interesse des ange­ strebten Zieles halte er es für seine Pflicht, mir offen zu sagen, daß die in der deutschen Presse vor einigen Wochen verbreiteten Nachrichten von einem Separatfrieden zwischen Deutschland und Rußland der Sache sehr geschadet hätten. Herr Sassonow habe ihm eine deutsche Zeitungsmeldung vorgelegt, die gerade erschienen war und erklärt, bei jeder derartigen Nachricht kämen der englische und der französische Botschafter sofort, um ihn darauf aufmerk­ sam zu machen und Aufklärung zu verlangen . Von seiner Audienz bei Kaiser Nikolaus erzählte Andersen, der Zar habe sich mit großer Bestimmtheit gegen einen Separatfrieden ausgesprochen und erklärt, er werde seine Verbündeten niemals im Stiche lassen . Graf Witte habe allerdings versucht, für einen Separatfrieden Stimmung zu machen, Witte be­ sitze aber keinen Einfluß mehr und irre sich, wenn er glaube, daß er wieder zur Macht gelangen werde . "Ich bin - hat Kaiser Nikolaus etwa wörtlich ge­ sagt - bereit, durch meinen Vetter den König von Dänemark 1 zu verhandeln, lehne aber jede Vermittelung von unberufener Seite ab . " Aus Andeutungen Andersens entnehme ich, daß Kaiser Nikolaus persönlich noch ganz unter englischem Einfluß steht und der Überzeugung ist, daß ihm der Krieg aufge­ zwungen wurde. Sicherlich hat jetzt der englische Botschafter eine zweideutige Rolle gespielt und wie es scheint, die Audienz Andersens zu hintertreiben versucht. Sir George Buchanan hat Andersen, als dieser ihn aufsuchte, mit den Worten empfangen, er komme wohl, um für einen Separatfrieden mit Deutschland zu arbeiten, der französische Botschafter 2 sei auch bereits über diese Pläne infor­ miert. Andersen hat sehr scharf erwidert, er komme im Auftrage des Königs von Dänemark höchstwelcher ihn persönlich bei dem Zaren angemeldet habe. Herr Sassonow, von dem Andersen bemerkte, er habe ihm den Eindruck einer starken Persönlichkeit gemacht, ist zu Beginn der Unterredung sehr re­ serviert gewesen, schließlich aber "aufgetaut" . Andersen ist der Ansicht, daß sein Eintreten für den Friedensgedanken nicht ohne Eindruck auf Sassonow geblieben ist. Einen p o s i t i v e n Erfolg scheint mir Andersen nur bei der Kaiserin Mut­ ter 3 gehabt zu haben; er hält ihren Einfluß für stärker als je. Die Kaiserin hat 1 Christian X. 2 Maurice Paleologue. 3 Dagmar (Marija Feodorovna), Prinzessin von Dänemark.

Russische Friedensfühler

105

ihm gesagt, sie sei fest entschlossen, für den Frieden zu arbeiten. Während der Unterredung, die zwischen Andersen und Herrn Sassonow stattfand, hat der Zar bei ihr gespeist. Die Kaiserin hat, bevor der Zar nach Zarskoje Selo zu­ rückkehrte, an Andersen telephoniert und ihn gefragt, wie seine Unterredung mit Herrn Sassonow abgelaufen sei. Andersen hat darauf geantwortet, er hoffe zufrieden sein zu können, worauf die Kaiserin sehr erfreut erklärte, sie werde den Kaiser sofort verständigen . Am nächsten Tage erhielt Andersen un­ mittelbar vor seiner Abreise ein Billet der Kaiserin Witwe, in dem sie ihm schreibt, das Eisen sei heiß und er könne sich darauf verlassen, daß sie kräftig mitschmieden werde. Ganz geheim und mit der ausdrücklichen Bitte, keine Meldung zu erstat­ ten, erzählte Andersen in diesem Zusammenhang, er habe einen Brief der Kai­ serin Witwe an ihren Bruder den Prinzen Waldemac mitgebracht. In diesem schreibt die Kaiserin: "Wenn mein Mann noch lebte, wäre der Friede schon zustande gekommen. " Andersen hat, um keine Unterbrechung in den direk­ ten Beziehungen zwischen König Christian und Zar eintreten zu lassen, eine kurze Aufzeichnung über seine Eindrücke in St. Petersburg ausgearbeitet, die der König mit einem eigenhändigen Schreiben an Kaiser Nikolaus senden wird. Er sagte mir, der König sei glücklich in dem Gedanken, für den Frieden wirken zu können. Als ich einwarf, mir sei offen gestanden nicht klar, auf wel­ cher Basis nach den Beobachtungen, die er in Petersburg gemacht habe, jetzt mit Aussicht auf ein positives Ergebnis für den Frieden gearbeitet werden könne, entgegnete Andersen wörtlich : "Auf der Basis, die wir besprochen haben. " Andersen wollte, wie ich aus dieser Bemerkung entnehmen zu kön­ nen glaube, damit andeuten, daß er aufrichtig bestrebt sein wird, unseren Standpunkt zur Geltung zu bringen. Herr von Scavenius, den ich sofort von der Unterredung verständigte, teilt diese Auffassung und betonte, er halte es unbedingt für richtig, den Etatsrat nicht auszuschalten; daß Andersen die Kaiserin Witwe gewonnen habe, sei zweifellos ein bedeutender Erfolg, und wenn auch sonst die Reise nach Peters­ burg nicht das Ergebnis gehabt habe, das er (der Minister) und ich wünsche, wäre doch denkbar, daß Andersen uns vermöge seiner eigenartigen Beziehun­ gen gerade in Rußland noch einmal sehr nützliche Dienste leisten könnte. Andersen ersuchte mich am Schluß unserer Unterredung zu melden, daß er, falls es gewünscht werde, bereit sei, schon in den nächsten Tagen nach Berlin zu kommen, und daß er um baldigen Bescheid bitte. Auf Grund meiner ver­ traulichen Aussprache mit Herrn von Scavenius halte ich eine Ablehnung die­ ses Anerbietens nicht für erwünscht. Erbitte Drahtweisung behufs Verständigung Andersens . Rantzau

47.

Verordnung des Charlottenburger Magistrates

Erhebung der Kartoffelvorräte. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert] .

Charlottenburg, 1 1 . März 1915 E r h e b u n g d e r K a r t o f fe l v o r r ä t e Auf Grund der Bekanntmachung des Bundesrates vom 4 . März 1915 wird für den Bezirk der Stadt Charlottenburg angeordnet: Wer mit Beginn des 15 . März Vorräte an Kartoffeln in Mengen von min­ destens 1 Zentner hat, ist verpflichtet, die Vorräte dem Magistrat der Stadt Charlottenburg anzuzeigen. Vo r r ä t e u n t e r 1 Z e n t n e r s i n d n i c h t a n ­ z u z e i g e n . Anzuzeigen sind nur Vorräte, die i m Gebiet der Stadt Charlotten­ burg lagern . Anzeigepflichtig ist jeder, der Kartoffeln in Mengen von 1 Zentner und mehr in Gewahrsam hat, g l e i c h v i e l o b e r d e r E i g e n t ü m e r i s t o d e r nicht . Die Anzeige hat schriftlich auf einem vorgeschriebenen Formular zu erfol­ gen. Diese Formulare werden von Sonnabend, den 13 . März ab auf den Poli­ zei-Revieren, in den Brotkommissionen und im Statistischen Amt der Stadt Charlottenburg, Rathaus, Zimmer 131 kostenlos abgegeben. Die ausgefüllten und unterschriebenen Formulare sind bis Mittwoch, den 17. März bei den Brotkommissionen oder auf dem Statistischen Amt der Stadt Charlottenburg, Rathaus (Zimmer 131 ) abzugeben, oder dem Statistischen Amt einzusenden. Vorräte, die sich am 15. März auf dem Transport befinden, sind unverzüg­ lich nach dem Empfang von dem Empfänger zu melden. Wer vorsätzlich die Anzeige nicht in der gesetzten Frist erstattet oder wis­ sentlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht, wird mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu zehntausend Mark bestraft; auch können Vorräte, die verschwiegen sind, im Urteil für den Staat verfallen erklärt werden. Wer fahrlässig die Anzeige, zu der er auf Grund dieser Verordnung ver­ pflichtet ist, nicht in der gesetzten Frist erstattet oder unrichtige oder unvoll­ ständige Angaben macht, wird mit Geldstrafe bis zu dreitausend Mark oder im Unvermögensfalle mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft. Der Magistrat

Sozialdemokratie 48.

107

Brief des stellv. Generalkommandos des XIII . AK 1 an das Württembergische Mi­ nisterium des lnnern, Auszug

Kontrolle des radikalen Flügels der Sozialdemokratie durch die Zivi/behörden. Deist, S. 230f.

Stuttgart, 23 . März 1915 [ . . . ] wird das K. Ministerium um gefällige Erteilung folgender Anweisun­ gen an die nachgenannten Behörden ergebenst ersucht. 1. Die Ortspolizeibehörden haben dauernd ihre volle Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Anhänger des radikalen Flügels der Sozialdemokratie und insbesondere auf etwa geplante nichtöffentliche Versammlungen zu richten. Sobald sie von einem solchen Vorhaben Kenntnis erhalten, haben sie die Ver­ anstalter zur Angabe des Gegenstandes der beabsichtigten Vorträge und Erör­ terungen sowie der Namen der vorgesehenen Redner zu veranlassen und als­ bald dem Oberamt von der Sache und der erhaltenen Auskunft Mitteilung zu machen. 2 . Die Oberämter bezw. die Stadtdirektion Stuttgart haben Versammlungen, in denen Führer oder Anhänger des radikalen Flügels der Sozialdemokratie als Leiter oder Redner auftreten sollen, im Auftrag des Generalkommandos zu untersagen.

49.

Verordnung des Charlottenburger Magistrates

Einschränkung des Kuchenbackens. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginien] .

Charlottenburg, 25. März 1915 Ve r o r d n u n g ü b e r d i e E i n s c h r ä n k u n g d e s Ku c h e n b a c k e n s §1 Hefe, Backpulver und ähnlich wirkende Mittel dürfen zum Bereiten von Kuchen nicht verwendet werden . Kuchen darf an Roggen- und Weizenmehl insgesamt nicht mehr als 10 % des Kuchengewichts enthalten . 1 Stuttgan.

108

1915

Die Vorschriften dieses Paragraphen beziehen sich auf jede Herstellung von Kuchen, auch auf die in den H a u s h a l t u n g e n . §2 Vo m 2 6 . M ä r z b i s 1 2 . A p r i l 1 9 1 5 i s t d a s B e r e i t e n v o n j e g l i c h e m Ku c h e n i n d e n H a u s h a l t u n g e n u n t e r s a g t. I n der gleichen Zeit dürfen Bäckereien, Konditoreien und ähnliche Betriebe Kuchenteig, der außerhalb ihres Betriebes hergestellt ist, nicht verbacken. §3 Der Magistrat trifft die erforderlichen Ausführungsbestimmungen und ist berechtigt, in einzelnen Fällen Abweichungen zuzulassen. §4 Z u w i d e r h a n d l u n g e n gegen diese Verordnung werden gemäß §44 der Bekanntmachung des Bundesrats vom 25 . Januar 1915 (Reichsgesetzblatt S. 35) m i t G e f ä n g n i s b i s zu 6 M o n a t e n o d e r m i t G e l d s t r a f e b i s z u 1 5 0 0 M a r k bestraft. Auch kann gemäß § 2 derselben Bekanntmachung d i e S c h l i e ß u n g d e r G e s c h äf t e a n g e o r d n e t we r d e n . §5 Die Verordnung tritt mit dem 26. März 1915 in Kraft. Der Magistrat

50.

Brief Westarps an Bethmann Hollweg, Auszug

Ober die vollständige Einverleibung Belgiens. Westarp II, S. 46-48.

Berlin, 17. April 1915 Euer Exzellenz bitte ich folgendes vortragen zu dürfen: Herr Abgeordneter Hirsch (Essen) hat mir Mitteilungen über den Inhalt der Unterredung gemacht, die Eure Exzellenz Ende März mit ihm gehabt haben . Danach haben, wenn ich recht verstanden habe, Eure Exzellenz ihm erklärt, wenn die Frage des Friedens­ schlusses hervortrete, so solle die Armee entscheiden, ob man weiterkämpfen könne und müsse. Bezüglich Belgiens neige Eurer Exzellenz Meinung dahin, daß die wirtschaftliche Angliederung anzustreben, die Annektierung aber ab­ zulehnen sei; indessen sollten auch hierüber Armee und Marine entscheiden. [ . .] .

Belgien

109

Ich darf deshalb, was im besonderen Belgien betrifft, betonen, daß mir die wirtschaftliche Angliederung nicht das Entscheidende zu sein scheint. Entscheidend ist nach meiner Auffassung die unbedingte Notwendigkeit, die militärische Herrschaft über Belgien, seine Festungen und seine Nordsee­ küste, die wir erobert haben, dauernd fest in der Hand zu behalten. Das ist ohne sehr weitgehende politische und wirtschaftliche Angliederung nicht zu erreichen, und um dieses Zieles willen muß die Aufgabe gelöst werden, in die­ ser oder jener Form der Schwierigkeiten der Angliederung Herr zu werden und müssen selbst die Reste von Nachteilen, die der Lösung nicht weichen wollen, in Kauf genommen werden. Denn nur die vollkommene Herrschaft über Belgien und über seine befestigten Häfen in der Nähe Englands und des Kanals gibt uns diejenige Stärkung unserer Stellung, die wir auf Generationen hinaus gegen die durch Verständigung und Verträge allein nicht zu beseiti­ gende Feindseligkeit Englands und Frankreichs gebrauchen . Fällt Belgien nach dem Kriege in den früheren oder einen ihm ähnlichen Zustand schein­ barer Unabhängigkeit und Neutralität zurück, so bedeutet das gegen den Zustand vor dem Kriege eine wesentliche Verschlechterung unserer Lage, weil B elgien nach diesem Kriege mehr denn je zuvor ein feindliches Boll­ werk für Angriffe gegen uns und für unsere Absperrung vom Meere werden würde [ . . . ] Eine Regierung aber, die Belgien ohne die zwingende Notwendigkeit schwerster, die jetzige militärische Lage grundlegend ändernder Schicksals­ schläge aufgeben wollte, würde in einer für die Monarchie und die Zukunft des Landes verhängnisvollen Weise den Boden bei den weitesten und den be­ sten Teilen des Volkes verlieren [ . ] .

51.

.

Brief Bethmann Hollwegs an Westarp t, Auszug

Militärische und wirtschaftliche Abhängigkeit Belgiens. Westarp II, S. 48 f.

Berlin, 23 . April 1915 Ich darf mein Bedauern darüber aussprechen, daß Sie auf Grund eines durchaus unvollständigen Berichtes über meine Unterredung mit dem Ab­ geordneten Hirsch (Essen) sich nicht nur die Mühe gemacht haben, in einem längeren Schreiben gegen die Äußerungen und Ansichten zu polemisieren, die nicht die meinigen sind, sondern auch einen engen Kreis der maßgebendsten Freunde mit der Angelegenheit befaßt haben. Ich habe Herrn Hirsch weder 1 Antwort auf Nr. 50.

110

1915

erklärt, daß bei einem Auftauchen der Friedensfrage die Armee und Marine zu entscheiden habe, ob man weiter kämpfen könne und müsse, noch daß nur die wirtschaftliche Angliederung Belgiens zu erstreben sei, worüber indessen auch Armee und Marine zu entscheiden hätten. [ . . . ] Was die wirtschaftliche Angliederung Belgiens betrifft, so habe ich dem Ab­ geordneten Hirsch nicht gesagt, daß sie das einzige Erstrebenswerte, sondern das nach meinem Dafürhalten unter allen Umständen Erreichbare darstellt. Der Unterschied springt in die Augen. [ . . . ] Ich habe dem Abgeordneten Hirsch allerdings keinen Zweifel darüber gelas­ sen, daß die von ihm vertretenen Annexionsbestrebungen, die sich auf Nord­ frankreich, auf die Linie Verdun-Belfort und auf die Linie Czenstochau- Pei­ pussee erstrecken, für mich außerhalb praktischer Diskussion liegen. Ich könnte mir denken, daß auch im Falle einer gänzlichen Niederwerfung aller unserer Gegner, die ein derartiges Programm überhaupt erst diskutabel machte, ich doch gegen die Anhänger solcher Ideen im Geiste Bismarcks eine Politik relativer Mäßigung durchzukämpfen hätte, und würde mich bei einer solchen Lage über diesen Kampf herzlich freuen. [ . . . ] Wenn ein dauerhafter Friede erkämpft werden soll, so muß Belgien zum mindesten für uns unschädlich gemacht werden. Wir müssen militärische, po­ litische und wirtschaftliche Garantien dagegen schaffen, daß England oder Frankreich bei den politischen Gegensätzen der Zukunft Belgien gegen uns fruktifizieren können. Diese Garantien setzen zum mindesten die militärische und wirtschaftliche Abhängigkeit des Landes von Deutschland voraus . 2

2 Z u dieser Passage äußerte Westarp gegenüber Ernst v. Heydebrand und der Lasa in einem Schreiben vom 25. 4. 1915, der Reichskanzler habe sich nun über Belgien in einer Weise geäußert, "gegen die nichts mehr einzuwenden ist, und ich erblicke darin einen Fortschritt und Erfolg" (Westarp II, S. 50).

Einheit der SPD 52.

111

Rundschreiben des Parteivorstandes der SPD an die Vorstände der Bezirks- und Landesorganisationen, Auszug

Einheit der Partei. Spartakus im Kriege, S. 43 .

Berlin, 23 . April 1915 An

die Vorstände der Bezirks- und Landesorganisationen I Werter Genosse!

Mancherlei Vorkommnisse der letzten Zeit lassen immer klarer die Tatsache erkennen, daß eine kleine Gruppe daran arbeitet, die Einigkeit der deutschen Arbeiterbewegung zu zerstören. Diese kleine Gruppe ist keineswegs mit jener Minderheit identisch, die mit den Abstimmungen der Reichstagsfraktion am 4. August, am 2. Dezember 1914 und am 20. März 1915 nicht einverstanden ist. Sie bildet vielmehr inner­ halb der Minderheit selbst wieder nur eine sehr kleine Minorität. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, sind alle Parteigenossen einig in dem festen Ent­ schluß, die Aktionskraft der Arbeiterklasse zu erhalten, deren Geschlossen­ heit nach Abschluß des Krieges notwendiger sein wird, denn je. Dazu ist aber notwendig, daß Meinungsverschiedenheiten sachlich ausge­ tragen werden, daß man es unterläßt, mit Unterstellungen, Verdächtigungen und Verleumdungen zu arbeiten. Das gilt selbstverständlich für Ausschreitun­ gen auf der linken wie auf der rechten Seite. Einige wenige überhäufen systematisch in Veröffentlichungen des In- und Auslandes sämtliche gewählten Vertretungskörper der Arbeiterklasse mit un­ erhörten Schmähungen. [ . . . ]

53.

Instruktionen für den 'Verbindungsoffizier für den Kaukasus' Schulenburg, Aus­ zug

Revolutionierung des Kaukasus. Bihl, Kaukasuspolitik, S. 69.

Berlin, 2. Mai 1915 a) Vorbereitung und Einleitung der Aufwiegelung des Kaukasus gegen Rußland sowie Regelung aller die Durchführung des Aufstandes betreffenden Fragen im Einvernehmen mit dem Revolutionskomitee und der türkischen Heeresleitung.

1 12

1915

b) Aufnahme und Aufrechterhaltung der Verbindung zwischen den Aufstän­ dischen und den zuständigen deutschen und türkischen Stellen sowie sonstigen mit der Bewegung im Zusammenhang stehenden Unternehmungen. c) Vermittlung von Nachrichten von und nach dem Kaukasus und den be­ nachbarten Gebieten. [ . . . ] Die Verbindung unter den verschiedenen revolutionären Gruppen im Kau­ kasus, zwischen diesen und den deutschen und türkischen Behörden sowie sonstigen im Zusammenhang stehenden Unternehmungen . . . ist derart zu vermitteln, daß alle Beteiligten über die Gesamtlage und die einzelnen Unter­ nehmungen, soweit es sie angeht, unterrichtet sind . Vor allem ist darauf zu achten, daß Reibungen unter den verschiedenen Beteiligten vermieden werden .

54.

Denkschrift Delbrücks, Auszug

Notwendige Klärung des Inhalts der 'Neuorientierung'. Gutsche, Nr. 122 .

Berlin, 23 . Mai 1915 Persönlich Euer Exzellenz beehre ich mich anbei unter Bezugnahme auf meine heutige Besprechung mit Herrn Unterstaatssekretär Wahnschaffe eine kurze Aufzeich­ nung über die Neuorientierung 1 der inneren Politik ergebenst zu überreichen. Die Aufzeichnung soll weder eine erschöpfende Darstellung aller zu lösenden Fragen geben, noch bestimmte Vorschläge für diese Lösung formulieren, son­ dern lediglich Euer Exzellenz Anhaltspunkte für die bevorstehende Bespre­ chung mit den Vertretern der Parteien geben . . . Am 4 . August vorigen Jahres hat Seine Majestät der Kaiser an die im Weißen Saal versammelten Reichstagsabgeordneten die Worte gerichtet: "Ich kenne keine Parteien mehr, sondern nur noch Deutsche. " Dieses seitdem oft zitierte Kaiserwort hat der inneren Politik seit dem Beginn des Krieges die Signatur gegeben. Der ihm zugrunde liegende Gedanke ist in dem sogenannten Burg­ frieden zum Ausdruck gekommen . . . Man hat in den Worten Seiner Majestät des Kaisers auch eine Verheißung für die Zeit nach dem Friedensschluß erblickt und nach gesetzlichen Garantien dafür verlangt, daß diese versöhnliche Haltung der Regierung auch nach dem Frieden in Geltung bleiben möchte. Diesen Wünschen gegenüber ist seitens des Herrn Reichskanzlers , seitens des Herrn Ministers des lnnern, seitens des 1 Begriff 'Neuorientierung' von Delbrück am 6. 11. 1914 geprägt.

Neuorientierung

113

Staatssekretärs des Innern wiederholt in mehr oder minder bestimmter Weise eine Neuorientierung der inneren Politik in Aussicht gestellt, indessen eine Erörterung über die Einzelheiten dieser Frage für die Dauer des Krieges abge­ lehnt. Diese Zusage wird erfüllt werden müssen, und es kann zweifelhaft sein, ob bei längerer Dauer des Krieges nicht doch ein näheres Eingehen auf die sei­ tens der Parteien geäußerten Wünsche notwendig werden wird. Jedenfalls wird es notwendig werden, schon während des Krieges innerhalb der Regie­ rung zu einer Klarheit darüber zu gelangen, was denn eigentlich geschehen soll, um die Wünsche der Parteien zu erfüllen, denn es erscheint unbedingt erforderlich, mit dem Friedensschluß mit einem bestimmten Programm an die Öffentlichkeit zu treten und die Durchführung dieses Programms so vorzube­ reiten, daß alsbald zu seiner Durchführung geschritten werden kann . Es ist das notwendig, weil unter allen Umständen vermieden werden muß, daß spä­ terhin in der Öffentlichkeit über die Nichterfüllung einer in feierlicher Stunde gegebenen Zusage Seiner Majestät des Kaisers geklagt wird . Es ist aber auch ein Akt der politischen Klugheit und Gerechtigkeit, entschlossen der Tatsache Rechnung zu tragen, daß das gesamte Volk ohne Rücksicht auf die Nationali­ tät und die Zugehörigkeit zur Partei seine ganze Kraft in den Dienst des Vater­ landes gestellt hat, und daß insbesondere auch die wirtschaftlichen Organisa­ tionen der Arbeiter, welcher Partei sie auch angehören mögen, seit Kriegsbe­ ginn dem Vaterlande wertvolle Dienste geleistet haben. Dennoch wird es nicht ganz leicht sein, die gegebenen Zusagen zu erfüllen, bzw. den Erwartungen zu entsprechen, die an diese Zusagen geknüpft sind. Die Wünsche, die in der Öffentlichkeit laut geworden sind, zerfallen in der Hauptsache in zwei Gruppen: Einmal handelt es sich um die Reform des preu­ ßischen Wahlrechts und andererseits um die Beseitigung aller sogenannten Ausnahmegesetze, d. h. derjenigen gesetzlichen Bestimmungen, welche sich ausdrücklich gegen bestimmte politische Parteien richten - also in erster Linie die zum Schutze des Deutschtums erlassenen Gesetze - oder gegen bestimmte Klassen der Bevölkerung oder bestimmte politische Parteien vorzugsweise wirksam werden. Die Frage des preußischen Wahlrechts und die sogenannte Polenpolitik der preußischen Regierung kann hier außer Betracht bleiben. Es handelt sich also in erster Linie um eine Abänderung des Vereinsgesetzes 2 und um eine Erweiterung der auf die sogenannte Koalitionsfreiheit der Arbeiter bezüglichen Vorschriften. Was das Vereinsgesetz betrifft, so kommt in Frage eine Abänderung der §§ 1 3, 12 4 und 17 5• Soweit bezügliche Wünsche von der 2 Vom 19. 4. 1908 (Huber, Dokumente II, S. 374- 378).

3 Huber, Dokumente Il, S. 374. 4

Huber, Dokumente II, S. 376 (am 19. 4. 17 aufgehoben).

5 Huber, Dokumente II, S. 377 (17a eingefügt am 26. 6. 16).

1 14

1915

Sozialdemokratie ausgesprochen sind, kommt es im wesentlichen auf eine Umgestaltung dieser Paragraphen an, insoweit sie eine Beschränkung für die Betätigung der Gewerkschaften in sich schließen . Man verlangt eine Bestim­ mung, welche die Anwendung des Vereinsgesetzes auf die Gewerkschaften ausschließt. Eine solche Vorschrift würde zur Folge haben, daß die Gewerk­ schaften allen anderen Korporationen und wirtschaftspolitischen Vereinen gegenüber privilegiert würden. Dem Eintritt der Jugendlichen in die Gewerk­ schaften würde nichts mehr im Wege stehen; ebenso würden die Bestimmun­ gen des Sprachenparagraphen auf gewerkschaftliche Versammlungen keine Anwendung finden. Wenn trotzdem von sozialdemokratischer Seite auch noch die Beseitigung des § 17 ausdrücklich verlangt wird, so beruft man sich darauf, daß dieser Paragraph eine Verschärfung des preußischen Vereinsgeset­ zes enthalte, das nur Schülern und Lehrlingen die Zugehörigkeit zu politi­ schen Vereinen untersagt habe, und man behauptet ferner, daß die Hand­ habung des § 17, insbesondere in Preußen dahin geführt habe, daß Jugendlichen die Zugehörigkeit zu jeder Art von Vereinen untersagt wurde, sofern diese Vereine nur irgendwie im Zusammenhange mit der sozialdemokratischen Par­ tei stünden. Diesen Klagen wird eine gewisse Berechtigung nicht versagt wer­ den können. Die preußische Verwaltungspraxis geht in der Tendenz dahin, Gewerkschaften, die irgendwelche Beziehungen zur sozialdemokratischen Partei haben, unter das Vereinsgesetz zu stellen, eine Praxis, die offenbar der überwiegend wirtschaftlichen Bedeutung der Gewerkschaften nicht gerecht wird und auch im Widerspruch steht mit den regierungsseitig bei der Verab­ schiedung des Vereinsgesetzes abgegebenen Erklärungen, wonach Gewerk­ schaften, welche ihre Tätigkeit auf den Aufgabenkreis des § 152 der Gewerbe­ ordnung 6 beschränken, nicht unter das Vereinsgesetz fallen. Ferner kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, daß das Vereinsgesetz auch auf Vereine von Jugendlichen angewandt ist, die wohl von Sozialdemokraten geleitet, sich aber im übrigen auf die Betätigungsgebiete beschränken, welche unpolitisch sind, wie die Turnvereine und sogenannte Bildungsvereine. Es ist vorgekom­ men, daß Veranstaltungen für Jugendliche verboten sind, bei denen lediglich Deklamationen aus deutschen Klassikern und Darbietungen musikalischer Art und unverfänglichen Inhalts beabsichtigt waren. Alle diese Beschwerden würden beseitigt werden können, wenn tatsächlich die Praxis der Behörden, insbesondere in Preußen, eine liberalere würde, d. h. das Gesetz nicht exten­ siv, sondern restriktiv interpretiert würde. Da aber, selbst wenn eine solche Praxis eintreten sollte, eine Gewähr für ihre Dauer nicht gegeben werden kann, verlangt man gesetzliche Garantien . Nun liegt es auf der Hand, daß man nicht die Gewerkschaften schlechthin 6 Vom 21 . 6. 1869 (Wortlaut von § 152 bei Huber, Dokumente II, S. 247) .

Neuorientierung

1 15

von den Bestimmungen des Vereinsgesetzes eximieren kann. Es geht das nicht, weil der Begriff der Gewerkschaft oder des Berufsvereins schwer zu formu­ lieren ist und weil man, wenn man die Gewerkschaften einschränkungslos ex­ imierte, die Möglichkeit schaffen würde, politische Ziele aller Art in der Form der Gewerkschaften zu verfolgen. Man wird auch, selbst wenn man den Spra­ chenparagraphen für reformbedürftig ansieht, nicht vollständig auf die Mög­ lichkeit verzichten könnten, die polnische, die dänische und die französische Sprache in denjenigen Fällen zu verbieten, in denen sie gepflegt und angewen­ det wird, in der ausgesprochenen Absicht, staatsfeindliche Ziele zu fördern. Bei dieser Sachlage bieten sich zwei Wege. Man könnte versuchen, das Ver­ einsgesetz dahin abzuändern, daß seine Anwendbarkeit auf Gewerkschaften insoweit und solange ausdrücklich ausgeschlossen wird, als sich die Gewerk­ schaften auf den Aufgabenkreis des § 152 der Gewerbeordnung und die damit unmittelbar zusammenhängenden wirtschaftspolitischen Fragen beschrän­ ken. Damit würde man zweifellos die Bewegungsfreiheit der Gewerkschaften in etwas erweitern. Der Streit, ob die gezogenen Grenzen innegehalten wer­ den, wird aber damit nicht aus der Welt geschafft. Der zweite Weg wäre der, daß man die Rechtsverhältnisse der Berufsvereine gesetzlich regelt und alle diejenigen Vereine, die nach diesem Gesetz organisiert sind, von der Anwend­ barkeit des Vereinsgesetzes befreit. Diese Lösung der Frage ist indessen nicht ohne Bedenken, weil den Gewerkschaften an einer gesetzlichen Regelung der Rechtsverhältnisse der Berufsvereine nur dann gelegen ist, wenn diese Rege­ lung in liberalem Sinne erfolgt und gleichzeitig mindestens die Ansätze zu einer Regelung des Tarifrechtes und zur Schaffung von Schiedsinstanzen zur Beilegung gewerblicher Streitigkeiten, die sich aus dem Arbeitsverhältnisse ergeben, vorsieht. Ein solches Gesetz bis zum Friedensschluß fertigzustellen, wird nicht ganz leicht sein und seine Verabschiedung im Reichstage nur mit großen Schwierigkeiten möglich sein. Die Wünsche der Polen und Dänen richten sich in erster Linie gegen den § 17 und den § 12 des Vereinsgesetzes . Sie verlangen zunächst die Beseitigung des § 17, würden sich aber wohl mit einer Regelung begnügen, die solchen Vereinen Jugendlicher die Existenzberechtigung gibt, die sich lediglich auf die Pflege der polnischen Sprache - Poesie und Kunst - beschränken . Vor allen Dingen richten sich aber ihre Wünsche auf die Beseitigung des § 12, der in sei­ ner jetzigen Fassung und seiner bisherigen Anwendung zweifellos zu Härten Veranlassung gegeben hat. Diese Härten liegen aber auch wieder weniger im Gesetz, als in der Art seiner Anwendung. Wenn die Behörden der Bundes­ staaten, insbesondere Preußens, sich entschließen würden, den Paragraphen milder anzuwenden, wenn Preußen sich entschließen könnte, von den Voll­ machten im letzten Absatz des § 12 Gebrauch zu machen und durch Landes­ gesetzgebung ein etwas freieres Recht zu schaffen, so würde man wohl um

116

1915

eine Abänderung des § 12 hinwegkommen können. Freilich wird der gute Wille Preußens, eine solche mildere Praxis, selbst wenn sie jetzt in Aussicht gestellt wird, aufrecht zu erhalten, stark bezweifelt werden. Auch wird man in die Dauerhaftigkeit einer freieren preußischen Gesetzgebung wenig Vertrauen setzen. Es muß auch anerkannt werden, daß die jetzige Fassung des § 12 nicht glücklich ist. Wenn man berücksichtigt, daß es während des Krieges nicht möglich war, in einer öffentlichen Versammlung Vorträge über die Volksernäh­ rung in polnischer Sprache zu halten, während andererseits der Gebrauch der polnischen Sprache in Wahlversammlungen zulässig ist, so wird man zugeben müssen, daß dieser Paragraph verbesserungsbedürftig ist. Was den § 17 betrifft, so würde man ihn wohl am ersten entbehren können, namentlich wenn man berücksichtigt, daß er in der Vorlage der verbündeten Regierungen nicht enthalten war und damals, also auch von der preußischen Regierung, für entbehrlich erachtet wurde. Vielleicht könnte man auch die völlige Beseitigung dieses Paragraphen abhängig machen von dem Zustande­ kommen des Gesetzentwurfes über die Vorbereitung der Jugend für den mili­ tärischen Dienst. Eine Forderung, die weiterhin erhoben wird, geht dahin, daß die Zuge­ hörigkeit der Arbeiter in den fiskalischen Betrieben zu Gewerkschaften ohne Rücksicht auf ihre politische Richtung freigegeben werden möchte . Diese For­ derung hat eine einschneidende Bedeutung eigentlich nur für die Arbeiter der Eisenbahnbetriebe. In allen übrigen Betrieben, insbesondere denen des Berg­ baues und der Marine, wird die Zugehörigkeit auch zu einer sozialdemokra­ tischen Gewerkschaft geduldet, solange die Betreffenden sich der öffentlichen Agitation für die sozialdemokratische Partei enthalten. Vielleicht könnte man die Frage in der Weise lösen, daß man den Eisenbahnarbeitern die Zugehörig­ keit zu solchen Organisationen gestattet, die den Streik als Kampfmittel in Streitigkeiten über die Lohn- und Arbeitsverhältnisse ausschließen . Wie nun aber im Einzelnen auch diese Fragen gelöst werden mögen, wenn man überhaupt die gemachten Zusagen in irgendeiner Weise einlösen will, wird man sich entschließen müssen, der gewerkschaftlichen Entwicklung und B etätigung eine größere Freiheit zu gewähren als bisher. Man wird kaum einen stichhaltigen Grund finden können, eine solche Forderung im Prinzip abzulehnen, wenn man berücksichtigt, daß die große wirtschaftliche Bedeutung der Gewerkschaften durch den Krieg und durch ihre Betätigung in demselben zweifellos bestätigt ist und daß alle Parteien einschließlich der Sozialdemokra­ tie im Kriege bewiesen haben, daß sie, wenn es gilt, das Vaterland zu schützen, ohne Einschränkung ihren Mann stehen.

117

Höchstpreise 55.

Verordnung des Magistrates Berlin-Lichtenberg

Höchstpreise für Gebäck. Die historischen Dokumente aus Deutschlands Eisernem Jahr [unpaginiert].

Berlin, 4. Juni 1915 Ve r o r d n u n g ü b e r H ö c h s tp r e i s e f ü r G e b ä c k Der P r e i s f ü r G e b ä c k darf i m Kleinverkauf n i c h t ü b e r s t e i g e n : bei Roggenbrot im Gewicht von 1950 Gramm 80 Pfg. 42 Pfg. bei Roggenbrot im Gewicht von 1 Kilogramm 3 Pfg. bei Weizenbrot im Gewicht von 50 Gramm B e i A b g a b e d e s G e b ä c k s i n Te i l e n g e l t e n d i e s e P r e i s e e n t s p r e ­ chend m i t der Maßgab e , daß B ruchteile von Pfennigen als volle P fe n n i g e g e r e c h n e t we r d e n . §2 Die Bestimmungen des § 1 finden keine Anwendung auf Zwieback, Pum­ pernickel und ähnliche besondere Gebäckarten, die der Magistrat bestimmt. Sie finden ferner keine Anwendung auf Weizenbrot, das mit Vollmilch her­ gestellt ist, sofern der Bäcker dem Magistrat angezeigt hat, daß er solches Wei­ zenbrot in seinem Betriebe herstellt. §3 Kleinverkauf ist die Abgabe unmittelbar an den Verbraucher. §4 Diese Anordnung ist in den Räumen, in denen Gebäck im Kleinverkauf abgegeben wird, an deutlich sichtbarer Stelle anzubringen . §5 Z u w i d e r h a n d l u n g e n g e g e n d i e s e A n o r d n u n g we r d e n gemäß § 6 des Höchstpreisgesetzes m i t G e f ä n g n i s b i s z u e i n e m J a h r o d e r m i t G e l d s t r a f e b i s z u 1 0 0 0 0 M a r k b e s t r a ft. §6 Diese Anordnung tritt mit dem 7 . J u n i 1 9 1 5 in Kraft. Sie tritt an die Stelle unserer Anordnung vom 23 . April 1915 . Der Magistrat Der städtische Ausschuß für die Nahrungsmittelversorgung Dr. Marotzky, Stadtsyndikus

1915

118 56.

Flugblatt Bernsteins, Haases und Kautskys

Das 'Pronunciamento'. Prager, S . 72-74.

Leipzig, 19. Juni 1915 Das Gebot der Stunde D i e S t u n d e d e r E n t s c h e i d u n g i s t g e k o m m e n . Die deutsche Sozial­ demokratie ist vor eine Frage gestellt, die für die Geschicke des deutschen Volkes, für die Zukunft der Kulturwelt von der größten Tragweite ist. Forderungen, für die schon in früheren Monaten eine gewisse Presse, sowie Vereinigungen, denen keine größere Bedeutung beigelegt wurde, systematisch Stimmung gernacht hatten, sind in den letzten Wochen von Persönlichkeiten in hervorragender Stellung, sowie von einflußreichen Körperschaften in teil­ weise sogar noch verschärfter Form vertreten worden. Programme werden aufgestellt, die dem gegenwärtigen Krieg den Stempel eines E r o b e r u n g s ­ k r i e g e s aufdrücken. Noch ist es in aller Erinnerung, daß der Präsident des preußischen Herrenhauses, Wedel-Piesdorf in der Sitzung des Herrenhauses vorn 15 . März 1915 erklärte: Deutschland stehe jetzt als Sieger da: "Und wenn wir nichts weiter wollten, als den Angriff der Feinde abschla­ gen, so glaube ich, würde es nicht allzu schwer sein, einen Frieden in kurzer Frist zu erlangen . Damit aber kann sich Deutschland nicht befriedigt erklären. Nach den ungeheuren Opfern, die wir gebracht haben, an Menschen sowohl wie an Hab und Gut, müssen wir mehr fordern, wir können das Schwert erst wieder in die Scheide stecken, wenn D eutschland eine Sicherung erlangt hat dagegen, daß in ähnlicher Weise wie diesmal die Nachbarn über uns herfal­ len . " I n der Reichstagssitzung vorn 29. Mai 1915 haben die Abgeordneten Graf v. Westarp als Vertreter der Konservativen und Schiffer als Vertreter der Natio­ nalliberalen u n u m w u n d e n s i c h f ü r A n n e x i o n e n a u s g e s p r o c h e n ; der erstere unter Berufung auf eine Erklärung des d e u t s c h e n R e i c hs k a n z l e r s vorn Tage zuvor, die dahin ging, Deutschland müsse alle nur möglichen " r e a ­ l e n G a r a n t i e n u n d S i c h e r h e i t e n " dafür schaffen, daß keiner seiner Feinde, "nicht vereinzelt, nicht vereint" , wieder einen Waffengang wagen werde. Diese Auslegung der Worte des Reichskanzlers hat von der Reichs­ regierung keine Zurückweisung erfahren. Es ist fernerhin bekanntgeworden, daß s e c h s g r o ß e W i r t s c h a f t s v e r ­ e i n i g u n g e n , voran der großkapitalistische Zentralverband deutscher Indu­ strieller und die Kampforganisation der Agrarier, der Bund der Landwirte, die der Politik des Deutschen Reiches so oft schon die Richtung gewiesen haben,

Sozialdemokratie

119

unter dem 20. Mai 1915 1 eine Eingabe an den Reichskanzler gerichtet haben, worin sie fordern: G e w i n n u n g e i n e s g r o ß e n Ko l o n i a l r e i c h e s , a u s ­ r e i c h e n d e K r i e g s e n t s c h ä d i g u n g u n d A n n e x i o n e n i n E u r o p a , die allein im Westen über zehn Millionen Menschen - mehr als sieben Millionen Belgier und über drei Millionen Franzosen - zwangsweise unter deutsche Herrschaft stellen würden. Wie diese Zwangsherrschaft gedacht ist, kenn­ zeichnet der Satz der Eingabe, wonach Regierung und Verwaltung in den an­ nektierten Ländern so geführt werden müssen, daß "die Bewohner keinen Einfluß auf die Geschicke des Deutschen Reiches erlangen" . Das heißt mit anderen Worten, diese gewaltsam annektierte Bevölkerung soll p o 1 i t i s c h r e c h t l o s gemacht und gehalten werden. Und weiter wird gefordert, aller Be­ sitz, der einen starken wirtschaftlichen und sozialen Einfluß gewähre, "müsse in deutsche Hände übergehen" , im Westen besonders der industrielle Besitz aller großen Unternehmungen, im Osten besonders der landwirtschaftliche große und Mittelbesitz. Mehr noch . In den allerletzten Tagen hat ein deutscher Bundesfürst, der Kö n i g v o n B ay e r n , in einer Ansprache in Fürth 2 Forderungen in bezug auf die Ausdehnung unserer Grenzen im Westen ausgesprochen, "durch die wir für Süd- und Westdeutschland g ü n s t i g e r e Ve r b i n d u n g e n z u m M e e r e bekommen" . Angesichts aller dieser Kundgebungen muß sich die d e u t s c h e S o z i a l ­ d e m o k r a t i e die Frage vorlegen, o b sie mit ihren Grundsätzen und mit den Pflichten, die ihr als H ü t e r i n d e r m a t e r i e l l e n u n d m o r a l i s c h e n I n ­ t e r e s s e n d e r a r b e i t e n d e n K l a s s e n D e u t s c h l a n d s obliegen, verein­ baren kann, in der Frage der Fortführung des Krieges an der Seite derjenigen zu stehen, deren Absichten in schroffstem Widerstand sind zu den Sätzen der Erklärung unserer Reichstagsfraktion vom 4. August 1914, in denen diese aus­ sprach, daß sie im Einklang mit der Internationale j e d e n E r o b e r u n g s ­ k r i e g ve r u r t e i l t . Dieser Satz würde zur Lüge gestempelt werden, wenn die deusehe Sozialdemokratie jenen Erklärungen aus den Kreisen der Machthaber gegenüber es bei dem Aussprechen akademischer Friedenswünsche bewenden ließe. Zu deutlich haben wir es erfahren müssen, daß man auf solche Bekun­ dungen auch nicht die geringste Rücksicht nimmt. Was verschiedene unter uns befürchtet haben, zeichnet sich immer bemer­ kenswerter ab : M a n e r l a u b t d e r d e u t s c h e n S o z i a l d e m o k r a t i e , d i e K r i e g s m i t t e l z u b e w i l l i g e n , man geht aber kühl über sie hinweg bei den für die Zukunft unseres Volkes folgenschwersten Beschlüssen. Dürfen wir dieses Verhältnis fortbestehen lassen, das uns die Möglichkeit 1 Siehe Fenske, Nr. 121 .

2 Beim Festmahl des Bayerischen Kanalvereins am 7. 6. 1915 .

120

1915

raubt, die Kraft der deutschen Arbeiterklasse für eine Politik geltend zu ma­ chen, die nach unserer innersten, auf die Erfahrungen der Geschichte gestütz­ ten Überzeugung das Interesse des deutschen Volkes und mit diesem das aller beteiligten Völker gebietet? Ungeheuer sind die Opfer, die dieser Krieg den in ihn hineingerissenen Völ­ kern schon verursacht hat und die jeder Tag vermehrt. Die Weltgeschichte kennt keinen zweiten Krieg, der auch nur annähernd gleich mörderisch ge­ wirkt hätte. Es ist die G r a u s a m k e i t b a r b a r i s c h e r Z e i t a l t e r , verbunden mit den raffiniertesten Mitteln der Zivilisation, welche die Blüte der Völker hinrafft. Nicht minder unerhört sind die Opfer an Gütern, die der Krieg den Völkern entreißt. Weite Gebiete werden verwüstet, und Summen, die für Kul­ turzwecke in einem Jahre auszugeben man sich gescheut hat, werden in die­ sem Kriege in einer Woche für die Tötung von Menschen und die Vernichtung von Grundlagen künftiger Wohlfahrt ausgegeben . A l l e n b e t e i l i g t e n N a t i o n e n s t a r r t b e i Ve r l ä n g e r u n g d e s K r i e g e s d e r B a n k r o t t e n t ­ g e g e n. In weiten Kreisen unseres Volkes und derjenigen Völker, mit denen das Deutsche Reich im Kriege liegt, macht sich denn auch immer stärkere F r i e ­ d e n s s e h n s u c h t geltend . Während die Herrschenden davon zurückschrek­ ken, diesem Friedensbedürfnis zu entsprechen, blicken Tausende und aber Tausende auf die Sozialdemokratie, die man als die P a r t e i d e s F r i e d e n s zu betrachten gewohnt war, und erwarten von ihr das erlösende Wort und das ihm entsprechende Verhalten. Nachdem die E r o b e r u n g s p l än e vor aller Welt offenkundig sind, hat die Sozialdemokratie die volle Freiheit, ihren gegensätzlichen Standpunkt in nachdrücklicher Weise geltend zu machen, und die gegebene Situation macht aus der Freiheit eine Pflicht. Das Proletariat erwartet sicherlich, daß ebenso wie im Jahre 1870 sich bei einer ähnlichen Situation alle Sozialdemokraten, trotz ihrer Meinungsverschiedenheiten beim Ausbruch des Krieges, zu einem einmütigen Handeln zusammenfanden, d i e S o z i a l d e m o k r a t i e a u c h j etzt in gleicher Einmütigkeit zus ammenstehen wird. Wir wissen, daß die F r i e d e n s b e d i n g u n g e n , die von einer Seite der Kriegführenden der anderen aufgezwungen werden, keinen wirklichen Frie­ den bringen, sondern nur neue Rüstungen mit dem Ausblick auf neuen Krieg bedeuten . Ein wirklicher und dauernder Friede ist nur möglich auf der G r u n d l a g e f r e i e r Ve r e i n b a r u n g. Diese Grundlage zu schaffen, ist nicht der Sozialdemokratie eines einzelnen Landes gegeben . Aber jede einzelne Par­ tei kann nach Maßgabe ihrer Stellung und ihrer Kräfte dazu beitragen, daß diese Grundlage hergestellt wird . Die gegenwärtige Gestaltung der Dinge ruft die deutsche Sozialdemokratie auf, e i n e n e n t s c h e i d e n d e n S c h r i t t zu d i e s e m Z i e l e zu t u n . Sie ist

Sozialdemokratie

121

heute vor die Wahl gestellt, diesem Gebote Folge zu leisten oder dem Ver­ trauen einen tödlichen Stoß zu versetzen, das sie bisher im deutschen Volke und in der gesamten Welt als Ve rfe c h t e r i n d e s Vö l k e rfri e d e n s genoß . Wir zweifeln nicht, daß unsere Partei diejenigen Folgerungen ziehen wird, die sich für unsere parlamentarische und außerparlamentarische Haltung hier­ aus ergeben. Mit den schönsten Überlieferungen der Sozialdemokratie s t e h t d i e Z u k u n f t u n s e r e s Vo l k e s a u f d e m S p i e l , s e i n e Wo h l f a h r t u n d s e i n e F r e i h e i t. Hat unsere Partei nicht die Macht, die Entscheidungen zu treffen, so fällt doch uns die Aufgabe zu, als treibende Kraft die Politik in der Richtung vorwärtszudrängen, die wir als die richtige erkannt haben . Eduard Bernstein Hugo Haase Karl Kautsky

57.

Erklärung Haases

Zurückweisung der Vorwürfe des rechten Parteiflügels. Vorwärts, 32. Jg. , Nr. 171 (23 . 6. 1915).

Berlin, 22 . Juni 1915 Zur Klarstellung Unter dieser Überschrift erlassen Mitglieder des Vorstandes der Partei und der Reichstagsfraktion eine Erklärung gegen mich t, weil ich mich unterfangen habe, mit den Genossen Eduard Bernstein und Karl Kautsky in einer Partei­ zeitung einen Artikel: "Das Gebot der Stunde" zu veröffentlichen. Ein eigen­ artiges Verfahren und eine in jeder Beziehung neue Erscheinung des Partei­ lebens ! Mir wird vorgeworfen, daß ich in keiner der beiden Körperschaften An­ träge auf eine Aktion im Sinne meines Aufrufes gestellt oder irgendeine Mittei­ lung von der Absicht meines Vorgehens gemacht habe. Nun ist allgemein bekannt, daß ich im S i n n e j e n e s A r t i k e l s seit Kriegs­ ausbruch u n a u fh ö r l i c h im Vorstande der Partei und der Fraktion tätig ge­ wesen bin. Der erste Vorwurf geht also fehl; und der zweite mutet recht sonderbar an . Er erinnert sehr stark an die Gracchen, die sich über Aufruhr beklagen. Seit Monaten haben einige Mitglieder des Vorstandes , welche jetzt Stellung gegen mich nehmen zu müssen glauben, Artikel und offene Briefe in die Welt ge­ setzt, ohne dem Vorstand der Partei oder der Fraktion vorher Mitteilung da1 21./22 . 6. 1915.

1915

122

von zu machen; sie haben sich bemüht, d i e P a r t e i fü r g e w i s s e P a r o l e n , so die Parole des Durchhaltens, z u g e w i n n e n, ohne daß der Vorstand vor­ her davon in Kenntnis gesetzt worden war. Keine öffentliche Zensur ist ihnen deswegen von irgendeinem Vorstandsmitgliede erteilt worden. Danach scheint mehr der I n h a l t d e s A r t i k e l s , als die Tat s a c h e d e r Ve r ö f fe n t l i c h u n g v o r d e r M i t t e i l u n g a n d e n Vo r s t a n d für die neue Methode maßgebend zu sem . Die Mitglieder des Partei- und Fraktionsvorstandes, welche bisher schrie­ ben, was sie im Interesse der Partei zu schreiben für nötig oder nützlich hiel­ ten, übten damit ihr gutes Recht aus, das ich ihnen nie bestritten habe, wenn ich auch an ihren Ausführungen Kritik übte, soweit ich sie für falsch hielt. Das, was den anderen recht war, muß mir billig sein, und ich lehne es jeden­ falls ab, mir das Recht der freien Meinungsäußerung beschränken zu lassen. Die Einmütigkeit der Partei wird durch Entrüstungspolitik nicht gefördert; wohl aber wirkt im Interesse des Zusammenschlusses der Partei, wer Mei­ nungsverschiedenheiten sachlich erörtert, und daß der Artikel: "Das Gebot der Stunde" streng sachlich gehalten ist, hat mir noch jeder zugegeben, der mit mir darüber gesprochen hat. Hugo Baase 58.

Brief Delbrücks an Bethmann Hollweg

Elsaß-Lothringen. Scherer - Grunewald I, Nr. 109

Berlin, 25 . Juni 1915 Streng geheim! Während des Krieges sind vielfach Stimmen laut geworden, die eine Neuordnung der elsaß-lothringischen Verfassungsverhältnisse in dem Sinne fordern, daß die staatliche Selbständigkeit Elsaß-Lothringens aufhören und das Land einem oder mehreren benachbarten Bundesstaaten angegliedert werden soll; insbesondere ist der Herr Statthalter in Elsaß-Lothringen 1 von der Not­ wendigkeit einer solchen Regelung überzeugt. Damit sind Erörterungen neu belebt worden, die niemals zur Ruhe gekommen sind, so lange Elsaß-Lothrin­ gen Reichsland ist. Bereits im Jahre 1871 ist im Bundesrate die Einverleibung des Landes in Preußen gefordert worden (Nr. 58 der Drucksachen des Bun­ desrats), und bei der Verfassungsreform vom Jahre 191 1 ist der Gedanke einer Einverleibung in Preußen oder Aufteilung an die benachbarten Bundesstaaten Preußen, Bayern und Baden sowohl in Regierungs- wie in parlamentarischen 1 Dallwitz.

Elsaß-Lothringen

123

Kreisen und in der Presse lebhaft erörtert worden. Dem Gedanken konnte im Jahre 191 1 keine weitere Folge gegeben werden, weil im Jahre 1871 aus politi­ schen Rücksichten allgerneiner Art ein anderer Weg betreten und 191 1 mangels eines ausreichenden Anlasses ein vollständiges Abgehen von der Bahn unmög­ lich war, die Fürst Bisrnarck vorgezeichnet und die verbündeten Regierungen durch die Jahrzehnte hindurch innegehalten hatten. Jetzt ist die Lage eine andere. Wenn nach glücklich beendetern Kriege die Zugehörigkeit Elsaß­ Lothringens zu Deutschland für alle Zeiten besiegelt sein wird, wird es nicht nur möglich, sondern sogar notwendig sein, nochmals grundsätzlich die Frage zu erörtern, welche Stellung das Land im Deutschen Reiche endgültig einneh­ men soll. Um hierzu den richtigen Standpunkt zu gewinnen, wird man nicht der Frage ausweichen dürfen, wie sich die Verfassung von 191 1 bewährt hat. Die ersten und bisher einzigen Landtagswahlen nach der Reform haben den Nationalisten eine vernichtende Niederlage beigebracht, und der Landtag ist demgemäß auch bei Gelegenheit, so besonders bei der Erörterung der elsaß­ lothringischen Anträge auf Abänderung des Vereins- und Presserechts, weit von den Nationalisten abgerückt. Daß im übrigen die nationalistische Bewe­ gung nicht sofort mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung aufhören würde, ist seitens der Regierung nie erwartet worden . Vielmehr habe ich so­ gleich bei der Einführung des Gesetzentwurfs mit der Verfassungsreform in der Sitzung des Reichstags vorn 26. Januar 191 1 betont, daß der Hauptträger der nationalistischen Ideen, die Bourgeoisie, auch künftighin noch Schwierig­ keiten machen werde. Deshalb ist es verfehlt, betrübliche Vorgänge der letzten Jahre (z. B. Grafenst.lden 2, Zabern 3 ) mit der Verfassung in Verbindung zu bringen, d. h . , wie der Herr Reichskanzler in der Sitzung des Reichstags vorn 4. Dezernher 1913 gesagt hat, "aus dem post hoc ein propter hoc zu konstru­ ieren" . Die I. Kammer des Landtags hat sich überraschend gut bei der Bevöl­ kerung eingeführt und auch gut bewährt. Beide Kammern haben ihre Pflich­ ten insofern erfüllt, als sie die Etats rechtzeitig verabschiedet haben. Sie haben sogar das schwierige Werk der Besoldungsreform zustande gebracht. Infolge­ dessen lag keine Veranlassung vor, die außerordentlichen Machtrnittel, die die Verfassung der Regierung in die Hand gibt (z. B. Verbesserung der Majoritäts­ verhältnisse in der I. Kammer, etatslose Regierung, Ausübung des Norverord­ nungsrechts usw.), zur Anwendung zu bringen. Anderseits hat der Landtag im Etat (Gnadenfonds, Polizeifonds, Kaiserliche Jagd, Repräsentationsgelder des Statthalters) Streichungen vorgenommen, die vorn partikularistischen Standpunkt zum Teil erklärlich, vorn nationalen Standpunkt aber unerfreulich 2 Siehe Wehler, S. 54. 3 Siehe Fenske, S. 337, Anm. 1.

124

1915

und für das monarchische Empfinden verletzend waren . Ferner hat die II. Kammer gelegentlich der Erörterung des Grafenstadener Falles für die na­ tionalen Interessen, die hierbei in Frage standen, so wenig Verständnis gezeigt, daß sie am 7. Mai 1912 der Regierung für ihr vom nationalen Standpunkt aus selbstverständliches Verhalten einstimmig ein Mißbilligungsvotum aussprach . Die Behandlung dieses Falles durch den Landtag zeigt seinen Hauptfehler. Er hat zu wenig Empfinden für die nationalen Interessen, sein Verständnis reicht im allgemeinen nicht über die Kirchturminteressen des kleinen Landes hinaus, das er vertritt. Zufolge der heftigen Kämpfe um die Verfassungsreform, der er sein Bestehen verdankt, ist die Aufmerksamkeit der politischen Welt auf seine Verhandlungen in einer Weise gelenkt worden, die mit seiner tatsächlichen Be­ deutung außer jedem Verhältnis steht. Nicht nur in Berlin, sondern auch in Pa­ ris werden diese Verhandlungen mit einem Interesse verfolgt, das der ruhigen Entwickelung des Landes abträglich ist. Der Landtag ist so zu einem weithin tragenden Sprachrohr des elsaß-lothringischen Partikularismus geworden . Er betont diesen Partikularismus mit einer Leidenschaftlichkeit, die ein Echo bei denjenigen französischen Kreisen findet, welche noch immer auf einen Wie­ dergewinn Elsaß-Lothringens hoffen. Auch wenn nach einem glücklichen Ende des Krieges derartige Hoffnungen für alle Zeiten begraben sein müßten, so wird doch die elsaß-lothringische "Frage" nicht zur Ruhe kommen, so lange dieser Landtag besteht. Es kommt hinzu, daß infolge des Krieges mancher Elsaß-Lothringer seine Maske hat fallen lassen und eine klare Scheidung der Geister eingetreten ist. Dabei hat sich mit voller Klarheit ergeben, daß der elsaß-lothringische Parti­ kularismus, den Fürst Bismarck nach seiner programmatischen Reichstags­ rede vom 25. Mai 1871 benutzen wollte, um die Elsaß-Lothringer für das Deutschtum zu gewinnen, in Wirklichkeit meist nicht der berechtigte Aus­ druck elsaß-lothringischer Eigenart, sondern vielfach der Deckmantel für deutschfeindliche Bestrebungen oder wenigstens nationale Gleichgültigkeit ist. Allerdings hat Herr Statthalter an den Herrn Reichskanzler am 3 . August 1914 telegraphieren können : "Die Stimmung in der Bevölkerung des ganzen Elsaß ist vorzüglich . Die Truppen werden bei ihren Durchzügen mit Begeisterung begrüßt. Die Presse der verschiedensten Parteirichtungen erkennt an, daß wir einen gerechten Krieg zu führen haben und fordert die elsässischen Soldaten auf, keinen Flek­ ken auf den Ehrenschild elsässischen Soldatenruhms kommen zu lassen. Zahl­ reiche Elsässer melden sich als Kriegsfreiwillige . Die Mobilmachung ist nach eingegangenen Meldungen bisher im Lande glatt verlaufen . " und am 7. August 1914 hinzufügen können

Elsaß-Lothringen

125

"daß auch Haltung der Iothringischen Bevölkerung und Presse vorzüglich . Lothringische Soldaten tun nach Mitteilung Kommandierenden Generals Metz 4 volle Schuldigkeit im Gefecht. " E s ist auch kein Zweifel, daß s o mancher Elsaß-Lothringer i n diesen schwe­ ren Zeiten in der Kampffront oder Heimat seine kerndeutsche Gesinnung be­ wiesen hat. Daneben tritt aber eine Fülle höchst unerfreulicher Beobachtun­ gen. Der Herr Statthalter ist in der betrüblichen Lage gewesen, in der anlie­ genden Denkschrift 5 über das Verhalten der elsaß-Iothringischen Bevölkerung während des Krieges eine lange Reihe beschämender und besorgniserregender Vorkommnisse festzustellen, der gegenüber jeder Deutsche die Überzeugung gewinnen muß, daß einem Volke, das solche Vertreter in die Parlamente schickt und in so großer Zahl Verräter in seinen Reihen birgt, nicht die selb­ ständige Wahrnehmung seiner Landesinteressen innerhalb des Deutschen Reichs überlassen bleiben kann . Eine Regierung, die darauf angewiesen ist, sich lediglich auf diese Bevöl­ kerung und das von ihr gewählte Parlament zu stützen, ist außerstande, den großen staatlichen und kuturellen Aufgaben, die an unserer Westgrenze zu be­ wältigen sind, in dem Maße gerecht zu werden, wie es die Interessen des Reichs erfordern. Das zeigt z. B. ein Überblick über die Finanzen des Reichs­ landes, den der Herr Statthalter in der beiliegenden Denkschrift 6 über die finanzielle Lage Elsaß-Lothringens gibt. Ich kann mich seiner Auffassung nur anschließen, daß unter den gegenwärtigen Verfassungsverhältnissen ein Aus­ weg aus den dort geschilderten gegenwärtigen und zukünftigen Schwierigkeiten finanzieller Art kaum denkbar ist. Das Tatsachenmaterial, das der Herr Statthalter in den beiden Denkschrif­ ten beigebracht hat, wird in bemerkenswerter Weise ergänzt und beleuchtet durch die in einem Abdruck beigefügte Eingabe 7 an den Bundesrat, in der an­ gesehene Männer aus Straßburg, Mitglieder der elsaß-Iothringischen Vereini­ gung, ihre Ansichten über die Zukunft Elsaß-Lothringens niedergelegt haben . Es wird darin - man mag zu den einzelnen Ausführungen stehen wie man will - mit viel Verständnis der Nachweis geführt, daß Elsaß-Lothringen nach seiner bisherigen Entwicklung nicht die Fähigkeit besitzt, innerhalb des Deut­ schen Reichs ein lebenskräftiges und entwickelungsfähiges selbständiges Staatswesen zu bilden . 4 GdK v. Moßner. 5 Denkschrift und Dokumente über das Verhalten der elsaß-lothringischen Bevölke­ rung während des Krieges . 6 Denkschrift über die Entwicklung der Landesfinanzen Elsaß-Lothringens. 7 Denkschrift über die Zukunft Elsaß-Lothringens .

126

1915

Überblickt man die Gründe, die nach diesen drei Denkschriften gegen die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes sprechen, so wird man zu dem Schlusse kommen müssen, daß die Regierung die durch den Krieg ge­ schaffene, nach menschlichem Ermessen letzte Gelegenheit zu einer Umkehr in der elsaß-lothringischen Politik benutzen und eine endgültige Regelung der Verhältnisse durch die Angliederung Elsaß-Lothringens an einen oder meh­ rere Bundesstaaten herbeiführen muß . Es unterliegt keinem Zweifel, daß die Mehrheit der elsaß-lothringischen Bevölkerung einer solchen Regelung leb­ haften Widerspruch entgegensetzen wird. Aber sie wird sich damit abfinden, sobald sie die großen Vorteile verspüren wird, die sich aus dieser Regelung für das Land ergeben . Im Falle der Angliederung würde mit einem Schlage die staatsrechtliche Zwitterstellung des Landes wegfallen, die mit den durch die Reichsverfassung geschaffenen bundesstaatliehen Verhältnissen nicht in Ein­ klang zu bringen ist. Der elsaß-lothringische Partikularismus würde zwar wei­ ter fortbestehen, aber ohne staatliche Organe für politische Betätigung und demgemäß auch ohne erhebliche politische Bedeutung. Das Glück, in einem großen Einheitsstaate leben zu dürfen, das die Elsaß-Lothringer aus der Zeit der französischen Herrschaft noch nicht vergessen haben, kann ihnen auf die­ sem Wege zurückgegeben werden, besonders durch die Einverleibung in Preu­ ßen, das jetzt der Bevölkerungszahl nach größer ist als Frankreich im Jahre 1870. Die Elsaß-Lothringer, die in ihrer Erinnerung an die schrankenlose Zugehörigkeit zu Frankreich die Grenzen der benachbarten Bundesstaaten Preußen, Bayern und Baden bisweilen deutlicher empfunden haben mögen, als dies zwischen den einzelnen Bundesstaaten der Fall ist, und die sich viel­ leicht oft durch die Geltendmachung bundesstaatlicher Sonderinteressen ihrer Nachbarn zurückgestoßen gefühlt haben, würden sich nach der Zuteilung als Glieder eines Bundesstaats fühlen können, der sich schon, im Interesse völli­ ger Verschmelzung der einzelnen Landesteile, ihrer Interessen annehmen müßte und somit die Eindeutschung Elsaß-Lothringens fördern würde. Die parlamentarischen Vertreter Elsaß-Lothringens, die ihre partikularistischen Bestrebungen und Sonderinteressen über die nationalen Forderungen zu stel­ len gewöhnt sind, würden innerhalb der bundesstaatliehen Parlamente nur eine bescheidene Rolle spielen können und nicht mehr imstande sein, die För­ derung nationaler und kultureller Aufgaben zu verhindern oder von schwer erträglichen Bedingungen abhängig zu machen . Hierzu kämen die Vorteile auf finanziellem Gebiete. Jeder der in Betracht kommenden Staaten würde ohne allzugroße Schwierigkeiten in der Lage sein, das bei ihm bestehende Steuer­ system auch auf die ihm zufallenden Teile Elsaß-Lothringens auszudehnen und damit die Steuerreform einzuführen, um die die elsaß-lothringische Lan­ desregierung seit langem vergeblich kämpft. Auf der Grundlage einer solchen Finanzreform würde sich bald ein günstiges Verhältnis zwischen den Einnah-

Elsaß-Lothringen

127

men und Ausgaben herausbilden, zumal da die Kosten der Regierung durch den Wegfall des Statthalters, des Ministeriums und des Parlaments verbilligt werden würden. Eine große Zahl kultureller und wirtschaftlicher Maßnah­ men, die bis jetzt mangels der erforderlichen Mittel oder auch, wie z. B. die Mosel- und Saarkanalisation, infolge widerstrebender Interessen der bisheri­ gen Nachbarstaaten unterbleiben mußten, würden zum Segen für die Bevölke­ rung durchgeführt werden können . Auch auf dem Gebiete der Verwaltung würden die Vorteile fühlbar sein . Durch die Möglichkeit eines größeren Beam­ tenaustausches würde der Gefahr einer Stagnation der Beamtenschaft in erheblichem Maße entgegengewirkt und insbesondere der drohende, zum Teil vielleicht schon eingetretene M angel an Lehrkräften, die in nationaler Beziehung durchaus zuverlässig sind, behoben werden können . Die von der elsaß-lothringischen B eamtenschaft seit langem vergeblich angestrebte Gleichstellung mit den neben ihr arbeitenden Post- und Reichs-Eisenbahn­ Beamten würde, wenigstens in den Gebietsteilen, die preußisch würden, mit einem Schlage erreicht, und den begabten Söhnen des Landes eröff­ neten sich größere Zukunftsmöglichkeiten als j etzt innerhalb der engen Landesgrenzen . Die Verhandlungen, die der Herr Reichskanzler mit den Regierungen der nächstbeteiligten Bundesstaaten über die Frage der Angliederung Elsaß-Loth­ ringens führt, sind noch nicht abgeschlossen, es wäre nicht angebracht, wenn ich während dieser Verhandlungen eine grundsätzliche Erörterung darüber an­ regen wollte, ob die Einverleibung des ganzen Reichslandes in Preußen oder eine Aufteilung zwischen Preußen und Bayern oder unter den drei benachbar­ ten Bundesstaaten den Vorzug verdient. Preußen wird sich als Präsidialmacht im Falle einer Neuregelung der elsaß-lothringischen Verhältnisse unter keinen Umständen den Verpflichtungen entziehen können, die sich hieraus ergeben; es ist auch, wie keiner weiteren Darlegung bedarf, vor allen anderen Bundes­ staaten befähigt, die mit einer solchen Einverleibung verbundenen Aufgaben und Belastungen auf sich zu nehmen, zumal da die Einverleibung des ganzen Reichslandes territorial nur eine Vermehrung von etwa 4,16 % , der Bevölke­ rung nach eine solche um etwa 4,66 % , bedeuten würde. Wird hiernach eine grundsätzliche Erörterung der Angelegenheit durch Votenwechsel z. Zt. un­ terbleiben können, so erscheint es mir auf der anderen Seite bedenklich, wenn die einzelnen Ressorts der preußischen Staatsverwaltung sich erst nach Abschluß der Verhandlungen mit den Bundesregierungen mit den Fragen ver­ traut machen wollten, die sich für sie aus einer solchen Regelung der elsaß­ lothringischen Verhältnisse ergeben würden. Diese Fragen werden vielmehr schon jetzt und jedenfalls noch während des Krieges in allen Einzelheiten ge­ klärt werden müssen, weil die im Reichstag zu erwartenden großen Schwierig­ keiten m. E. nur zu überwinden sein werden, wenn die Angelegenheit unmit-

128

1915

telbar nach Beendigung des Krieges im Zusammenhange mit den sonstigen organisatorischen Veränderungen, die er möglicherweise mit sich bringt, zur Entscheidung gebracht wird. Ich habe deshalb Anordnung getroffen, daß das gegebenenfalls erforderliche Reichsgesetz innerhalb meines Amtes vorbereitet wird. Eure Exzellenz beehre ich mich zu ersuchen, soweit erforderlich, im Benehmen mit den beteiligten Herren Ressortchefs, das entsprechende Lan­ desgesetz gefälligst vorbereiten zu lassen, das gleichzeitig mit diesem Reichs­ gesetze zu verabschieden sein würde . An mein Ersuchen darf ich folgende Bemerkungen anknüpfen: Um der politischen Ziele willen, die mit der Angliederung elsaß-lothringi­ schen Gebiets an Preußen erstrebt und nur auf dem Wege innigster Verschmel­ zung zu erreichen sein werden, wird die Gleichstellung der Elsaß-Lothringer mit den Preußen in allen öffentlichrechtlichen Beziehungen von vornherein mit Nachdruck betrieben werden müssen. Das bedingt eine möglichst be­ schleunigte Einführung der preußischen Landesgesetzgebung für die hinzu­ tretenden Gebiete. Selbstverständlich kann dieses Ziel angesichts der zu über­ windenden Schwierigkeiten nur schrittweise erreicht werden . Es scheint aber erforderlich, daß die ersten Schritte nach dieser Richtung schon bei der Ein­ bringung des Einverleihungsgesetzes getan werden, dessen Vorbereitung ich Eurer Exzellenz anheimgebe. Hauptsächlich wird in diesem Gesetze den El­ saß-Lothringern als Ersatz für die Beseitigung ihres Landtags die Möglichkeit einer Vertretung in beiden Häusern des Preußischen Landtags nach Maßgabe der preußischen Gesetzgebung eingeräumt werden müssen. Das elsaß-lothrin­ gische Volk, das seit 45 Jahren zum Deutschen Reiche gehört und sich, zumal seit der Verfassungsreform von 1911, weitgehender verfassungsmäßiger Rechte und Freiheiten erfreuen darf, wird nicht unvertreten bleiben können . Ich ver­ kenne nicht, daß hierbei sehr große Schwierigkeiten zu überwinden sein wer­ den. Denn selbst wenn es gelingen sollte, bis dahin eine Verständigung über die Wahlreform in Preußen herbeizuführen, wird das künftige preußische Wahlrecht von dem gegenwärtig in Elsaß-Lothringen geltenden Wahlrecht so sehr abweichen, daß die in der Hauptsache demokratisch veranlagte Bevölke­ rung des Landes, besonders die Elsässer in der Einführung jenes Wahlrechts eine Verschlechterung ihrer Rechtslage erblicken werden. Eine allzugroße Bedeutung möchte ich indessen diesem Umstand nicht beimessen, weil der elsaß-lothringische Landtag bei der Angelegenheit nicht zur Mitwirkung be­ rufen ist. Aber im Reichstag, wo der Herr Reichskanzler die tiefgehenden Unterschiede, die bezüglich des Wahlrechtsproblems zwischen Preußen und Elsaß-Lothringen bestehen, in der Sitzung vom 28. Februar 1911 mit besonde­ rem Nachdruck betont hat, wird die Einführung des preußischen Wahlrechts für die preußisch werdenden Gebiete bei den Verhandlungen über die zukünf­ tige Gestaltung der elsaß-lothringischen Verhältnisse im Vordergrunde des In-

Elsaß-Lothringen

129

teresses stehen und es ist zu besorgen, daß bei nicht rechtzeitiger Klärung die­ ser Seite der Angelegenheit die ganze große Frage der endlichen Gewinnung Elsaß-Lothringens für das Deutschtum durch seine Einverleibung in Bundes­ staaten im Sande verlaufen wird. Minder schwierig, aber ebenso wichtig erscheint es mir, daß die elsaß­ lothringischen Beamten, die Preußen zu übernehmen haben wird, sogleich durch das Einverleihungsgesetz den preußischen Beamten in allen Beziehun­ gen gleichgestellt werden, damit in Zukunft jede im politischen oder dienst­ lichen Interesse erforderliche Versetzung oder Auswechslung preußischer und elsaß-lothringischer Beamter ohne Schwierigkeit durchgeführt werden kann. Die elsaß-lothringische Beamtengesetzgebung einschließlich der Regelung der Titel- und Rangverhältnisse entspricht im wesentlichen schon jetzt der preußi­ schen. Dagegen wird in bezug auf das Diensteinkommen die von mir befür­ wortete Gleichstellung eine erhebliche Aufbesserung der elsaß-lothringischen Beamten zur Folge haben, die ihnen den Übergang in die neuen Verhältnisse sicherlich erleichtern wird . Schließlich darf ich noch auf eine Frage ergebenst hinweisen, die zwar durch Reichsgesetz zu regeln, aber für Preußen gegebenenfalls von so großer Wichtigkeit sein wird, daß ich die Angelegenheit schon in diesem Zusammen­ hange zur Sprache bringen möchte . Der Herr Statthalter in Elsaß-Lothringen hält es für unerläßlich, daß der Rechtszustand, wie er in Elsaß-Lothringen vor der Aufhebung des Diktaturparagraphen 8 im Jahre 1902 bestanden hat, wenig­ stens auf dem Gebiete des Vereins- und Presserechts wieder hergestellt wird, gleichviel wie sich die Verhältnisse Elsaß-Lothringens gestalten werden. So­ weit sich die Begründung dieses Standpunkts nicht bereits aus der beigefügten Denkschrift über das Verhalten der elsaß-lothringischen Bevölkerung wäh­ rend des Krieges ergibt, darf ich auf die Motive zu den elsaß-lothringischen Anträgen beim Bundesrate wegen Regelung des Vereins- und Presserechts vom 2. Mai 1913 (Nr. 63, 64 der Bundesratsdrucksachen) Bezug nehmen. Der Herr Statthalter bringt jetzt folgende reichsgesetzliche Bestimmung in Vor­ schlag: "Das Gesetz über die Presse vom 7. Mai 1874 (Reichs-Gesetzbl. S. 65) sowie die Vorschriften der Gewerbeordnung für das Deutsche Reich über die Preßgewerbe treten in Elsaß-Lothringen als Reichsgesetze in Kraft. Bei Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ist die Landeszen­ tralbehörde in Elsaß-Lothringen ermächtigt, alle Maßnahmen ungesäumt zu treffen, welche sie zur Abwendung der Gefahr für erforderlich erachtet. Sie ist insbesondere ermächtigt, innerhalb des der Gefahr ausgesetzten Bezirkes die 8 § 10 des Organisationsgesetzes vom 30. 12. 1871, der als § 2 in das Statthaltergesetz vom 4. 7. 1879 übernommen wurde.

130

1915

Freiheit der Presse sowie das Recht, Vereine zu bilden und sich zu versam­ meln, zu beschränken oder aufzuheben und einzelnen Personen den Aufent­ halt im Lande zu untersagen. Zuwiderhandlungen gegen die nach Abs . 2 getroffenen Anordnungen wer­ den mit Geldstrafe bis zu 1000 Mark oder mit Haft oder mit Gefängnis bis zu 6 Monaten bestraft . " Daß ich i n Übereinstimmung mit dem Herrn Statthalter von der Notwen­ digkeit einer derartigen oder ähnlichen Regelung überzeugt bin, habe ich schon in meinem Votum vom 21. Mai 1913 - C . B . 845 - zum Ausdruck ge­ bracht. Die schlimmen Erfahrungen des Krieges haben mich in dieser Über­ zeugung nur bestärken können und ich erachte es - besonders auch im Hin­ blick auf die zum Teil verfehlten Maßnahmen, die die Militärbefehlshaber während des gegenwärtigen Kriegszustandes in Elsaß-Lothringen ergriffen haben, Maßnahmen, die noch auf Jahre hinaus eine tiefe Erregung in der Be­ völkerung wachhalten und zu leidenschaftlichen Erörterungen Anlaß geben werden - für ausgeschlossen, daß in Elsaß-Lothringen unmittelbar nach dem Kriege ohne außerordentliche Machtmittel regiert werden kann. Andererseits wird man bei der Erörterung über die Einbringung einer derartigen Vor­ schrift, um in den Grenzen des Erreichbaren zu bleiben, nicht vergessen dürfen, daß sie im Reichstag lebhaften Widerspruch finden wird, wie die Be­ sprechung der Interpellation wegen der eben erwähnten elsaß-lothringischen Anträge in den Reichstagssitzungen vom 30. und 31. Mai 1913 gezeigt hat. Wenn ich es auch nicht für ausgeschlossen erachten möchte, daß sich der Reichstag nach den Erfahrungen dieses Krieges von der Notwendigkeit einer derartigen Regelung wird überzeugen lassen, so wird doch von vornherein eine Fassung erwogen werden müssen, die dem Reichstag die Zustimmung erleichtert. Viel­ leicht kann das in der Weise geschehen, daß man die Wiederherstellung des Diktaturparagraphen nicht dem Reichstag selbst zumutet, sondern vor­ schlägt, daß das Recht, für elsaß-lothringisches Gebiet Ausnahmen von der reichsgesetzlich gewährleisteten Vereins- und Pressefreiheit zuzulassen oder entsprechende Ermächtigungen der Regierung zu erteilen, der Landesgesetz­ gebung der beteiligten Bundesstaaten eingeräumt werden soll, ähnlich wie das im sogenannten Sprachenparagraphen des Vereinsgesetzes geschehen ist. Letz­ ten Endes besteht, was auf die Beschlüsse des Reichstags nicht ohne Einfluß sein wird, die Möglichkeit, den gegenwärtigen, in Elsaß-Lothringen ver­ schärften Kriegszustand gemäß Artikel 68 der Reichsverfassung für das elsaß­ lothringische Gebiet während einer langen Zeit des Überganges in die neuen Verhältnisse mit den organisatorischen Abweichungen fortbestehen zu lassen, die sich aus den innerpolitischen Gründen für seine Aufrechterhaltung erge­ ben . Da diese Angelegenheit die Vorbereitung des wegen Elsaß-Lothringens gegebenenfalls zu erlassenden Reichsgesetzes unmittelbar berührt, würde ich

131

Stimmung

zu besonderem Danke verpflichtet sein, wenn Eure Exzellenz mir Ihren Standpunkt zu dieser Einzelfrage möglichst bald mitteilen wollten. Abschrift dieses Schreibens und seiner Anlagen habe ich sämtlichen Herren Staatsministern mitgeteilt. Delbrück 59.

Bericht des Berliner Polizeipräsidenten, Auszug

Stimmung der Bevölkerung. Cartarius, Nr. 195 .

Berlin, 25. Juni 1915 Die Margarine ist knapper und teurer geworden. Die Gemüse sind wegen der anhaltenden Dürre im Preise wieder gestiegen. Die übrigen Lebensmittel sind bei dem bisher hohen Preisstande verblieben . Irgendeine Verbilligung steht nicht zu erwarten. Wessen Lohn durch den Krieg erheblich gewachsen ist, der kann unter den gegenwärtigen Umständen die frühere Lebenshaltung fortsetzen. In allen anderen Haushaltungen aber ist man zu ständig größeren Einschränkungen, insbesondere auf dem Gebiet des Fleischgenusses, genö­ tigt. Im allgemeinen wird dies mit Gelassenheit getragen . "Hungerrevolten" stehen uns nicht bevor. Wohl aber leidet unter dieser Teuerung die Stimmung, zumal die Dauer des Krieges nicht abzusehen ist, die große Trockenheit keine gute Ernte verspricht und in der Masse die durch eine geschickte Agitation ge­ stärkte Auffassung vorherrscht, daß ein großer Teil der hohen Preise fast ganz auf gewissenlose Spekulation zurückzuführen ist.

60.

Brief Wahnschaffes an Valentini, Auszug



Die wachsende Fronde gegen den Reichskanzler. Gutsche, Nr. 126.

Berlin, 29. Juni 1915 Außerdem laufen die bekannten Gegnerschaften, die auf innerpolitische Motive zurückzuführen sind, weiter. Die nationalliberalen Drahtzieher hof­ fen, sich gegen den Reichskanzler vor eine zu inszenierende forschnationale Agitation mit Annexionsprogramm usw. hinzustellen und dabei einen beson­ deren Walfischfang zu tun. Andere hoffen, die innerpolitischen Reformwün­ sche des Volkes in einer großen auswärtigen Mißstimmung zu begraben. Nun •

Randvermerk Valentinis : "Seiner Majestät vorgetragen 7. 7. 1915."

132

1915

hat man das Gerücht ausgesprengt, der Kanzler wolle den U-Boot-Krieg auf­ geben. Damit hat man tatsächlich in den letzten Tagen auch in breiten nationa­ len Kreisen ziemliche Verwirrung angerichtet. Das Gerücht ist natürlich grundlos : Allerdings müssen wir Amerika und die Neutralen überhaupt etwas vorsichtiger anfassen, als die Marine, die die Zusammenhänge mit der Kriegs­ führung zu Lande nicht übersieht . . . Die ganzen Treibereien haben zudem auf sozialdemokratischer Seite die größten Rückwirkungen. Die Friedens­ sehnsucht der Arbeiterschaft ist sehr groß und wird nur durch die Bemühun­ gen der Führer am offenen Ausbruch verhindert. Das heftige Treiben auf der rechten Seite nährt das Mißtrauen, die Regierung könne doch den Krieg aus Eroberungssucht länger als zum Schutze des Vaterlandes not tue, weiterfüh­ ren, der Kanzler, zu dem man das Vertrauen hat, daß er keine phantastischen Pläne hat und sich nur von seiner Pflicht leiten läßt, werde gestürzt werden usw. Eine Verkündung von Eroberungsabsichten durch die Regierung, wozu die Rechte und ein Teil der Nationalliberalen drängt, würde ohne Zweifel die Stimmung links zum Umschlag bringen und die Entfachung einer großen Propaganda für baldigen Frieden zur Folge haben, über deren große Zugkräf­ tigkeit wir uns nicht täuschen dürfen . . . Eine andere böse Ecke gibt es in der Schwerindustrie: Hugenberg/Kirdorf. Ich habe guten Grund, anzunehmen, daß auch bei der Besprechung, die hier vor einer Woche ca. 300 Professoren und einige andere Männer unter Seebergs Vorsitz abgehalten haben 1 und in der die anliegende Eingabe beschlossen wor­ den ist, Bugenberg seine Händchen im Spiele gehabt hat. Den letzten durch­ strichenen Passus habe ich Seeberg noch ausgeredet, aber auch so bleibt das Dokument noch grandios genug. Es soll, wie ich höre, dem Kanzler mit ca. 800 Unterschriften übersandt werden. Beim stellvertretenden Kommandieren­ den in Münster 2 sind Hugenberg, Stinnes, Kirdorf erschienen, haben ihm ihre Befürchtungen wegen eines faulen Friedens ausgesprochen und ihm einige Denkschriften überreicht, die er dem Kanzler vorgelegt hat. In einer von Bugenberg verfaßten wird im Osten die Grenze an den Peipus-See gelegt und Brest-Litowsk noch preußische Festung.

1 Sog. Professoreneingabe, Bethmann Hollweg am 8 . 7. 1915 überreicht. 2 Gdl Egon Frhr. v. Gay!.

Polen 61.

133

Aufzeichnung Bethmann Hollwegs

Gespräch mit Buridn über Polen. Gutsche, Nr. 129.

Großes Hauptquartier, 13 . August 1915 Baron Burian hat mir heute über die Zukunft Polens folgende Gedanken unverbindlich entwickelt. An sich habe Österreich-Ungarn keinen Wunsch, Polen zu erwerben. Die militärischen Ereignisse könnten aber, wenn kein Rückschlag mehr erfolge, dahin führen, daß wir von Polen nicht mehr loskommen könnten, möchten wir wollen oder nicht. Wenn, wie er annehmen zu dürfen glaube, Deutschland auf den Erwerb Polens keinen Wert lege, werde nichts übrig bleiben, als Kon­ greßpolen mit Galizien, vielleicht unter Ausschluß der ruthenischen Teile dieses Königreichs, zu einem Königreich Polen zu vereinigen und diese dem Kaiserreiche Österreich anzugliedern. Das neu zu bildende Königreich würde weitgehende Autonomie mit einem eigenen Landtage erhalten und für seine Landesbedürfnisse auf eigene Finanzen angewiesen werden, so daß die bishe­ rigen Beschwerden der Deutschen über ungerechtfertigte Subventionierung der Polen aus gemeinsamen Mitteln für die Zukunft abgestellt werden wür­ den. Im übrigen würde das Königreich Polen zu den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern gehören. Baron Burian gab dem Verhältnis, in dem • das Königreich Polen stehen würde, den Namen "Subdualismus" . Den Trialismus lehnte er grundsätzlich ab, weil für den Bestand der Monar­ chien unerträglich. Übrigens würde nach seiner Ansicht der Trialismus für das Deutschtum besonders gefährlich sein, weil dieses alsdann die Gefahr des Überstimmtwerdens laufen würde. Auch sei die vorstehende Kombination von deutschen Staatsmännern in Wien gutgeheißen worden. Ich habe erwi­ dert, daß ich diese Vorschläge nur als hypothetische ansehen und ad refe­ rendum nehmen könne. Die Vertretung eines Königreichs Polen im Reichsrat werde die Deutschen in Österreich zur Ohnmacht verdammen. In allen Streit­ fragen, in denen nationale Gegensätze eine Rolle spielten, würden sich Polen, Tschechen und Slowenen gegen die Deutschen mit erdrückender Majorität zu­ sammentun, auch werde bei der immer zunehmenden Bedeutung parlamenta­ rischer Regierungsformen das Polenturn auch die Regierung ausschließlich be­ herrschen. Hier handele es sich nicht mehr um Fragen der inneren Politik Österreichs, sondern um Fragen von internationaler Bedeutung, die die Le­ bensinteressen des Deutschen Reiches unmittelbar berührten. Ich müßte des•

Im Original irrtümlich "der" .

1915

134

halb schon jetzt meine schwersten Bedenken gegen die vorgesehene Kombina­ tion aussprechen. Übrigens sei Deutschland auch mit seinen wirtschaftlichen Interessen sehr lebhaft beteiligt. Von unserer Ausfuhr nach Rußland verbleibe mehr als die Hälfte in Polen . Es würde Vorsorge getroffen werden müssen, daß unsere wirtschaftliche Position auf keinen Fall verschlechtert würde, auch würden wir keine Überwanderung von Polen und Juden nach Deutschland vertragen können, die Saisonarbeiterfrage müsse sichergestellt werden und an­ deres mehr. Das Gouvernement Suwalki sei als wesentlich litauisch von Polen abzutrennen, auch würden wir alle für uns strategisch notwendigen Grenz­ berichtigungen beanspruchen, wahrscheinlich auch das Eigentum an Kron­ und Dotationsgütern in Polen behufs Ansiedlung der Polen aus den uns zufal­ lenden Grenzländereien. Diese Detailfragen, so wichtig sie an sich seien, träten indessen zunächst hinter die Prinzipialfrage, wie eventuell Polen an Österreich angegliedert wer­ den solle, zurück, und hier müsse ich meinen schweren Bedenken wiederholt entschiedenen Ausdruck geben. Baron Burian sagte zu, sobald seine Kombinationen festen Körper ange­ nommen haben würden, eine Aufzeichnung darüber mitzuteilen. Der Mini­ ster drängte im übrigen wiederholt darauf, daß wir, falls Polen von Rußland losgelöst würde, Litauen und Kurland westlich der von Riga nach Süden lau­ fenden Linie an uns nehmen müßten.

62.

Beschlüsse von SPD-Reichstagsfraktion und -Parteiausschuß

Leitsätze zur Friedens/rage. Sozialdemokratische Partei-Correspondenz, 10. Jg. , Nr. 7 ( 1 1 . 9. 1915).

Berlin, 14 .-16. August 1915 R e i c h s t a g s f r a k t i o n und P a r t e i a u s s c h u ß beschäftigten sich in g e ­ m e i n s a m e n Sitzungen am 14 . , 1 5 . und 16. August 1915 mit der Frage der K r i e g s z i e l e. Die Abgeordneten D av i d und B e r n s t e i n leiteten durch R e ­ f e r a t e die Besprechung ein. Beide Referenten unterbreiten L e i t s ä t z e , die der Besprechung zugrunde gelegt worden sind . In g e t r e n n t e r A b s t i m ­ m u n g wurden von den beiden Körperschaften die folgenden L e i t s ä t z e z u r Friedensfrage beschlos s e n : "In Wahrnehmung der nationalen Interessen und Rechte des eigenen Volkes und in Beachtung der Lebensinteressen aller Völker erstrebt die deutsche So­ zialdemokratie einen Frieden, der die Gewähr der Dauer in sich trägt und die europäischen Staaten auf den Weg zu einer engeren Rechts-, Wirtschafts- und

Friedensfrage

135

Kulturgemeinschaft führt. Demgemäß stellen wir folgende Richtpunkte für die Friedensgestaltung auf: 1. Die Sicherung der politischen Unabhängigkeit und Unversehrtheit des Deutschen Reiches heischt die Abweisung aller gegen seinen territorialen Machtbereich gerichteten Eroberungsziele der Gegner. Das trifft auch zu für die Forderung der Wiederangliederung Elsaß-Lothringens an Frankreich, einerlei, in welcher Form sie erstrebt wird. 2 . Zwecks Sicherung der wirtschaftlichen Entwickelungsfreiheit des deut­ schen Volkes fordern wir: "Offene Tür" , d. h. gleiches Recht für wirtschaftliche Betätigung in allen kolonialen Gebieten; Aufnahme der Meistbegünstigungsklausel in die Friedensverträge mit allen kriegführenden Mächten; Förderung der wirtschaftlichen Annäherung durch möglichste Beseitigung von Zoll- und Verkehrsschranken; Ausgleichung und Verbesserung der sozialpolitischen Einrichtungen im Sinne der von der Arbeiterinternationale erstrebten Ziele. Die Freiheit der Meere ist durch internationalen Vertrag sicherzustellen. Zu diesem Zweck ist das Seebeuterecht zu beseitigen und die Internationalisie­ rung der für den Weltverkehr wichtigen Meerengen durchzuführen. 3. Im Interesse der Sicherheit Deutschlands und seiner wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit im Südosten weisen wir alle auf Schwächung und Zertrüm­ merung Österreich-Ungarns und der Türkei gerichteten Kriegsziele des Vier­ verbandes zurück. 4. In Erwägung, daß Annexionen volksfremder Gebiete gegen das Selbstbe­ stimmungsrecht der Völker verstoßen und daß überdies durch sie die innere Einheit und Kraft des deutschen Nationalstaates nur geschwächt und seine po­ litischen Beziehungen nach außen dauernd aufs schwerste geschädigt werden, bekämpfen wir die darauf abzielenden Pläne kurzsichtiger Eroberungspoliti­ ker. Vom Standpunkt des deutschen Interesses nicht minder wie von dem der Gerechtigkeit halten wir die Wiederherstellung Belgiens darum für geboten. 5 . Die furchtbaren Leiden und Zerstörungen, die dieser Krieg über die Menschheit gebracht hat, haben dem Ideal eines durch internationale Rechts­ einrichtungen dauernd gesicherten Weltfriedens die Herzen von neuen Millio­ nen gewonnen. Die Erstrebung dieses Zieles muß als höchstes sittliches Pflichtgebot für alle gelten, die an der Gestaltung des Friedens mitzuarbeiten berufen sind. Wir fordern darum, daß ein ständiger internationaler Schieds­ gerichtshof geschaffen werde, dem alle zukünftigen Konflikte zwischen den Völkern zu unterbreiten sind. "

1915

136 63.

Erlaß des preußischen Kriegsministeriums

an

die Militärbefehlshaber, Auszug

Gegen die Verbreitung parteipolitischer Druckschriften. Deist, S. 251 f.

Berlin, 27. August 1915 Der Umstand, daß die Verbreitung unerwünschter Veröffentlichungen in der Tagespresse durch die Tätigkeit der Zensur verhindert wird, hat in ver­ stärktem Maße zu Versuchen geführt, die Zensur durch Verbreitung von Flugblättern und Druckschriften zu umgehen . Solche Drucksachen werden vielfach "als Handschriften" ohne Angabe der Druckerei und des Verlages ge­ druckt und in Briefen nach dem In- und Auslande und auch an die Front ver­ sandt. Zum Teil wird auch zunächst durch geschriebene Briefe mit im Felde stehenden Soldaten eine Anknüpfung gesucht, um unter ihnen geeignete Per­ sönlichkeiten zu finden, die dann eine Weiterverbreitung übersandter Druck­ schriften übernehmen sollen. Diese Art der Stimmungsmache erfordert besondere Aufmerksamkeit aller beteiligten Stellen. Besonders muß verhütet werden, daß bedenkliche Beziehungen mit dem Auslande angeknüpft werden und ferner, daß eine politische Agitation in die Truppe getragen wird. In dieser Beziehung wird eine entsprechende Kontrolle an der Grenze sowie eine unauffällige Überwachung des Briefverkehrs gewis­ ser Persönlichkeiten erforderlich sein. Wenn Veranlassung dazu vorliegt, steht auch nichts im Wege, auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand zu verbieten, daß den Soldaten ins Feld solche Drucksachen und Schriften - außer Zeitungen - mitgegeben oder zugesandt werden, die versuchen, für bestimmte parteipolitische Ziele Stimmung zu machen und mit dem von allen Parteien gewollten Zusammenhalten während des Krieges in Widerspruch stehen . [ . . ] .

64.

Erklärung des stellv. Generalstabes vor der Pressekonferenz 1m Reichstag, Auszug

Zur Freigabe der Kriegszieldiskussion durch die Zensur. Deist, S. 255 -258.

Berlin, 3 . September 1915 In einer der letzten Pressebesprechungen ist die Frage aufgeworfen worden, ob es nicht möglich wäre, das Verbot der öffentlichen Erörterungen der Kriegsziele und Friedensbedingungen dadurch zu mildern, daß die Veröffent­ lichung allgemein gehaltener Betrachtungen freigegeben würde und nur das

Kriegszieldiskussion

137

Eingehen auf bestimmte greifbare Forderungen auch ferner unzulässig bleibe. [ . .] Zunächst liegt klar zutage, daß die Freigabe der allgemein gehaltenen Be­ trachtungen in erster Linie denen zugute kommen würde, die grundsätzlich für den Verzicht auf jede Gebietserweiterung eintreten. Denn man kann diese grundsätzliche Auffassung verfechten, ohne sich irgendwie auf Einzelbetrach­ tungen einzulassen. Dazu kommt aber noch, daß es abstrakte Erörterungs­ formen gibt, die auf die politischen Gegner viel herausfordernder wirken als takt- und maßvoll gehaltene Erörterungen konkreter Art. Da jedermann weiß, welche konkreten Fragen die öffentliche Meinung bewegen, würde man überdies allgemein sehr schnell von jeder abstrakten Erörterung die geistige Brücke zu ihrer praktischen Nutzanwendung auf die tatsächlichen Verhält­ nisse schlagen und damit auf das verbotene Gebiet der Streitfragen gelangen, die mit Rücksicht auf den Burgfrieden nicht berührt werden dürfen. [ . . . ] Glaubt man uns innerlich schwach, so kämpft man weiter in der Hoffnung auf den Sieg. Fürchtet man, von uns vergewaltigt zu werden, so setzt man den Krieg fort, um nicht ohne Widerstand die Ehre und alles andere aufzugeben, was das Leben erst lebenswert macht. Schon daraus folgt, daß die öffentliche Erörterung der künftigen Friedens­ bedingungen uns nur schaden kann, solange die endgültige Entscheidung der Waffen noch nicht gefallen ist [ . . ] Selbst ein gemäßigter und taktvoller Aufsatz über die Kriegsziele ruft fast jedesmal sehr viel weniger taktvolle Gegner auf den Plan, und eine jede von Entgegenkommen diktierte Zensurentscheidung zieht den Behörden die schwersten Vorwürfe derer zu, die jeweils glauben, benachteiligt zu sein. Nicht immer ist der Störer des so bedrohten Burgfriedens da zu suchen, wo der e r s t e Artikel erschienen ist. Oft genug bedeutet erst die Antwort auf ihn den eigentlichen Kampf und damit den Auftakt zu einem Durcheinander an Mißklängen, an dem das feindliche Ausland seine Freude hat. Genau wie die Parteien und die Presse sind obendrein die Zensurbehörden selber sehr oft ganz verschiedener Ansicht darüber, wo die Grenze zwischen dem harmlosen und dem schädlichen liegt. Jede Abweichung von dem unbe­ dingten Verbot, das die Oberste Heeresleitung im Einvernehmen mit dem Herrn Reichskanzler und dem Kriegsministerium erlassen hat, führt daher zu mehr oder minder starken Erschütterungen des ganzen Zensurapparates und beschwört eine Zerfahrenheit herauf, die sich ebensowenig mit den Geboten der öffentlichen Ordnung wie mit dem immer wieder geäußerten Wunsch der Presse nach einheitlicher Handhabung der Zensur verträgt. Angesichts dieser Tatsachen ist es klar, daß nur die v ö l l i g e Ve r h i n d e ­ r u n g jeder das strittige Gebiet berührenden Veröffentlichung den inneren Frieden wahren und bedenklichen Wirkungen nach außen vorbeugen kann . .

.

138 65.

1915 Brief Bethmann Hollwegs an Falkenhayn

Mitteleuropäischer Staatenbund. Scherer - Grunewald I, Nr. 137.

Berlin, 5. September 1915 Euere Exzellenz haben in unserer Unterredung vom 28. v. M. und daran anschließend in dem Telegramm vom 30. v. M . 1 die Schaffung eines mitteleu­ ropäischen Staatenbundes angeregt, um dadurch die Hoffnung Englands, uns oder unsere Bundesgenossen zu erschöpfen, zu nichte zu machen. Zur Aus­ führung dieses Planes empfehlen Euere Exzellenz die Abschließung langfristi­ ger zugleich auf wirtschaftliche und kulturelle Ziele abgestellter Schutz- und Trutzbündnisse mit Österreich-Ungarn, Bulgarien und der Türkei, wenn möglich auch mit anderen Staaten, wie Schweden, der Schweiz, vielleicht auch Griechenland. Seine Majestät der Kaiser haben auf entsprechenden Vortrag Euerer Exzellenz dem Gesandten von Treuder zur Mitteilung an mich Aller­ höchst seine Willensmeinung dahin kundgegeben 2, daß die militärischen Maßnahmen gegenüber unsern Gegnern durch eine großzügige politische Ak­ tion unterstützt werden müßten, indem das durch unsere Eroberungen und politische Verträge erweiterte Gebiet durch wirtschaftliche bzw. Handelsab­ machungen zusammengeschlossen und organisiert würde. Daß der Durchführung des hiermit angeregten Planes große Schwierigkei­ ten entgegenstehen, wird von Euerer Exzellenz selbst hervorgehoben. Diese Schwierigkeiten dürften indes kein Hindernis bieten, wenn ihre Überwindung einen großen Erfolg für die Kriegführung nach sich zöge. Daß durch die Bil­ dung eines mitteleuropäischen Staatenbundes die militärische, politische und wirtschaftliche Kriegsmacht unserer Gegner nicht unmittelbar geschwächt wird, dürfte auf der Hand liegen. Nur in der etwaigen Stärkung unserer und unserer Bundesgenossen eigenen Kriegsmacht wäre der Vorteil zu suchen. Nun stellt unsere Kriegsgemeinschaft mit Österreich-Ungarn und der Türkei schon jetzt alle für den Krieg verfügbaren Kräfte der drei Reiche der Krieg­ führung in vollem Umfang zur Verfügung. Es kann nicht angenommen wer­ den, daß die Umwandlung der bestehenden Verträge langfristige Schutz- und Trutzbündnisse mit wirtschaftlicher und kultureller Unterlage diese Kräfte vermehren oder unsere Gegner von der Verfolgung ihrer Erschöpfungsarbei­ ten abschrecken werde. Lediglich die Angliederung anderer Staaten an den deutsch-österreichisch-türkischen Block könnte derartige Wirkungen hervor­ rufen. Unsere Verhandlungen mit Bulgarien streben dieses Ziel an. Ähnliche 1 Siehe Scherer-Grunewald I, Nr. 134 .

2 Siehe Scherer-Grunewald I, Nr. 135 .

Mitteleuropa

139

Verhandlungen mit Griechenland und Rumänien anzuknüpfen, wäre jeden­ falls gegenwärtig völlig aussichtslos. Günstigere Vorbedingungen gegenüber diesen beiden Staaten werden natürlich auszunutzen sein, werden sich aber rücksichtlich Griechenlands, wenn überhaupt, dann erst in einem Zeitpunkt entwickeln, in dem seine Angliederung zwar für die Zukunft nach dem Frie­ densschluß, nicht aber mehr für die Kriegführung sein könnte. Es blieben also nur die skandinavischen Reiche sowie etwa Holland und die Schweiz. Von diesen wäre Schweden das einzige Land, mit dem vielleicht noch während des Krieges ein Schutz- und Trutzbündnis erreicht werden könnte. Die anderen Staaten wären jetzt unter keinen Umständen dazu zu gewinnen. Zu berücksichtigen bleibt aber bei diesen Staaten, daß ihre Angliederung an uns sie dem stärksten Drucke Englands aussetzen und damit uns der Möglich­ keit berauben würde, von ihnen noch weiterhin für unsere Kriegführung not­ wendige Rohstoffe und sonstige Waren zu beziehen. Bei unserer schon so star­ ken Beschränkung auf die Binnenwirtschaft bin ich geneigt, diesen wirtschaft­ lichen Nachteil höher als den moralischen Vorteil einzuschätzen, den uns die Angliederung in ihrer Wirkung auf die Kriegsstimmung unserer Gegner etwa eintragen könnte. Nur Schweden würde vielleicht eine Ausnahme machen, wenn die Euerer Exzellenz bekannten Anstände gegen sein Losschlagen mit uns überwunden sein werden. So entschieden es unser Zukunftsprogramm sein muß, die Balkanstaaten durch Loslösung vom russischen Einfluß und die germanischen Länder des Kontinents durch politische und wirtschaftliche Beziehungen uns näher zu verbinden, so glaube ich doch kaum, daß g e g e n w ä r t i g mit Aussicht auf praktischen Nutzen für die Kriegführung über die bereits im Gange befind­ lichen Verhandlungen hinaus etwas geschehen kann. In dieser Annahme bestärken mich auch die Erfahrungen, die Deutschland mit der Politik langfristiger Bündnisse bisher gemacht hat. Sie sind allgemein bekannt, werfen aber doch ein Licht auf die gegenwärtige Situation . Langsfristige Verträge haben wir bisher mit Österreich-Ungarn 3, Italien 4 und Rumänien 5 gehabt. Nur einer von diesen hat im Ernstfall standgehalten, zwei haben versagt. Schon dieses Beispiel kann zu berechtigten Zweifeln über den Wert langfristiger Verträge Anlaß geben. Die Politik der einzelnen Staaten ist zu sehr dem Wechsel von Personen und Interessen unterworfen, als daß pa­ pierne Verträge unter allen Umständen Garantien für die langdauernde Durch­ führung der ursprünglich angenommenen Richtlinie geben könnten. Dies gilt besonders bei demokratisch-parlamentarisch regierten Ländern. Die deutsche 3 1879. 4 1882 . s 1883 .

140

1915

Treue ist dabei ein Nachteil gegenüber der größeren Skrupellosigkeit anderer Nationen. Und so paradox es klingen mag, aber der mächtigere Staat ist durch die übernommenen Verpflichtungen meist schwerer belastet und damit mehr gefährdet, als der schwächere. Als Rumänien Silistria begehrte, standen wir vor der Gefahr eines Krieges mit Rußland . Es fragt sich, ob nicht ad hoc ge­ schlossene Abkommen oft nützlicher sind als langfristige Bindungen, die wechselnden Interessen gegenüber doch die gleichen Verpflichtungen bestehen lassen und die Handlungsfreiheit der Staaten beengen. Europa stand in den letzten Jahrzehnten unter dem von Bismarck bereits gefürchteten Cauchemar der Verträge, die schließlich zu der großen Konflagration geführt haben. Der Bund mit Italien wurde unter dem Druck geschlossen, den die Anne­ xion von Tunis durch Frankreich auf Italien geübt hatte. Der gallophobe Crispi war sein Hauptvertreter. Zeiten und Menschen wechselten. Italien hatte sich mit dem Verlust von Tunis abgefunden und seine Beziehungen zu Frankreich einer Revision unterworfen. Englands Haltung gegenüber dem Dreibund hatte sich geändert. Der Bund mit Rumänien beruhte hauptsächlich auf der Person des Königs Carol. Ihm waren in der letzten Zeit die Dinge aus der Hand geglitten; die ungarische Rumänienfrage hatte sich verschärft. So­ wohl mit Italien wie Rumänien verbanden uns wirtschaftliche und kulturelle Interessen . Italiens Finanzen wurden in ihrem kritischsten Stadium durch das deutsche Kapital vor dem Zusammenbruch gerettet. Unermüdlich und nicht erfolglos ist die deutsche Industrie in Italien tätig gewesen. Die neuere italieni­ sche Wissenschaft hat mit der deutschen in fortgesetztem Zusammenhang gestanden und aus ihr geschöpft. Niebuhr, Mommsen, Gregorovin 6 waren grundlegend für römische Geschichte . Wir haben drei wissenschaftliche Insti­ tute in Rom, eines in Florenz, eine Kunstakademie in Rom, die berühmte zoo­ logische Station in Neapel. Rumänien finanziert seine Anleihen seit Jahren in Berlin. Seine Petroleumindustrie ist zum großen Teil in Händen der deutschen Banken . Ein deutsches Fürstenhaus hat den Thron inne. Zahlreiche deutsche Schulen sind in Italien und Rumänien gegründet und wurden auch von vielen Landeskindern besucht. Spanien ist von den europäischen Ländern vielleicht dasjenige, in dem deutscherseits am wenigsten geschehen war. Und doch haben sich aus anderen Gründen gerade dort jetzt wohl die stärksten Sym­ pathien für uns gezeigt. Auch mit den Staaten, durch die uns neuerdings Verträge verbinden bzw. verbinden sollen und welche Euere Exzellenz für den Staatenbund auch in Aussicht nehmen, der Türkei und Bulgarien, haben wir teils schon seit lange, teils neuerdings wirtschaftliche und kulturelle Bande zu knüpfen gesucht. Ich nenne die Bagdadbahn, die Entwässerung der Koniaebene, die vielen Schulen 6 Richtig: Gregorovius.

141

Mitteleuropa

in der Türkei, unsere Militärmissionen. Jetzt haben wir Bulgarien Anleihen gegeben. Was die skandinavischen Länder betrifft, so sind Versuche, ein engeres poli­ tisches Verhältnis anzuknüpfen, bisher vergeblich gewesen. In den Akten des Generalstabs werden Euere Exzellenz Verhandlungen über eine Militärkon­ vention finden, die schwedischerseits fallen gelassen wurden. Von Dänemark trennten uns die Ereignisse des Jahres 1864, die wirtschaftlichen Beziehungen des agrarischen Exportlandes wiesen viel mehr nach England . Trotzdem hat die dänische Regierung jetzt eine ausgesprochen wohlwollende Haltung uns gegenüber eingenommen. In Norwegen genoß Deutschland starke Sympa­ thien, aber die Furcht vor England zog das Land während des Weltkriegs mehr in die englische Enflußsphäre . In den Niederlanden ist das Volk zäh und eigen­ sinnig auf seine durch Jahrhunderte verteidigte Unabhängigkeit bedacht. Jede Initiative, Holland heute auf unsere Seite zu ziehen, würde dort nur Miß­ trauen hervorrufen und abstoßen . Nur allmählich kann hierin durch verän­ derte Verhältnisse sich ein Wandel vollziehen . So scheinen mir auch diese E rwägungen - leider - zu dem Ergebnis zu führen, daß unsere Kriegslage durch eine Politik erweiterter Bündnisse gegen­ wärtig nicht gefördert werden kann. Bei der außergewöhnlichen Bedeutung der von Euerer Exzellenz angereg­ ten Frage wäre ich indes zu besonderem Danke verpflichtet, wenn Euere Exzellenz die Güte haben wollten, mich über die Gesichtspunkte, die Sie zu einer abweichenden Beurteilung geführt haben, näher zu unterrichten, um da­ durch gegebenen Falles mein eigenes Urteil berichtigen zu können . von Bethmann Hollweg

66.

Vertrag Deutsches Reich - Österreich-Ungarn - Bulgarien

Militärkonvention gegen Serbien. Tanew, S. 9 f.

Pleß, 6. September 1915 M i l i t ä r k o n ve n t i o n z w i s c h e n D e u t s c h l a n d , Ö s t e r r e i c h - Un g a r n und Bulgarien 1 . Die drei vertragschließenden Oberkommandos verpflichten sich z u ge­ meinsamem Vorgehen gegen Serbien, und zwar: Deutschland und Österreich­ Ungarn nach einer Frist von dreißig Tagen, Bulgarien nach einer Frist von fünfunddreißig Tagen, haben gegen die serbische Grenze vorzugehen,

142

1915

Deutschland und Österreich-Ungarn mit wenigstens je sechs Divisionen, Bul­ garien mit vier seiner organisationsmäßigen Divisionen. 2 . Das Oberkommando über die unter 1 erwähnten Truppen wird dem Generalfeldmarschall von Mackensen anvertraut. Ihm wird folgende Aufgabe gestellt: das serbische Heer zu schlagen, wo er es findet und baldmöglichst die Verbindung zu Lande zwischen Ungarn und Bulgarien herzustellen. 3 . Die Befehle des Generalfeldmarschalls von Mackensen sind bedingungs­ los maßgebend für die ihm unterstellten Truppen. Er hat auch das Recht, die Ausgangspunkte des Vorgehens zu bestimmen und den Beginn die Opera­ tionen nach Ablauf der in 1 erwähnten Frist. Dabei ist abgemacht, daß die bul­ garischen Kriegshandlungen am fünften Tage nach dem Beginn der deutschen und österreichisch-ungarischen Kriegshandlungen anzufangen haben. Dem Stabe des Generalfeldmarschalls wird wenigstens je ein höherer öster­ reichisch-ungarischer und bulgarischer Offizier zugeteilt, nicht als Attache, sondern als ordentlicher Mitarbeiter. 4. Das deutsche Oberkommando verpflichtet sich, sofort nach Öffnung des Weges nach Bulgarien auf bulgarischen Wunsch eine gemischte Infanterie-Bri­ gade nach Warna und Burgas zu entsenden und nach Möglichkeit für die Her­ beischaffung von Unterseebooten zu sorgen. Die Unterbringung dieser Trup­ pen geschieht durch die bulgarische Regierung. Für die Verpflegung werden sie selbst sorgen. 5. Das deutsche Oberkommando übernimmt die Verpflichtung, auf bulgari­ schen Wunsch die türkische Heeresleitung zu veranlassen, genügende Kräfte zur Verteidigung von Dedeagatsch 1 gegen den Versuch einer Landung zu ent­ senden. Bei gemeinsamen Operationen werden die türkischen Truppen unter bulgarischem Befehl stehen . Die Türkei wird ohne Zweifel sich damit einver­ standen erklären. 6. Das deutsche Oberkommando hat von der deutschen Regierung die Ver­ sicherung erhalten, daß Bulgarien in kürzester Frist eine Kriegsbeihilfe von 200 Millionen Franken erhalten kann. Die Einzelheiten sind von den beider­ seitigen Finanzbehörden zu vereinbaren . 7. Deutschland erklärt seine Bereitwilligkeit, Bulgarien Kriegsmaterial jeder Art zu liefern, soweit es die Rücksicht auf die eigenen deutschen Bedürfnisse gestattet. Meinungsverschiedenheiten sind endgültig von dem Chef des Stabes des deutschen Feldheeres zu entscheiden. 8. Von dem Tage des Abschlusses dieser Konvention werden die drei vertrag­ schließenden Staaten jeden als gemeinsamen Feind betrachten, der einen von ihnen angreift und als solchen behandeln. Bulgarien versichert, bis zur Been­ digung der Operationen gegen Serbien bedingungslose Neutralität gegenüber 1 Bulg. Dedeagac, griech. Alexandroupolis, türk. DedeagaVorwärts< vom 1. 12. 1915.

2

Seit Oktober 1915; Leiter bis 1918 Major Alfred v. Olberg.

3 Zum Kriegspresseamt siehe Absolon, S. 343 .

166

1915

Wie sich der Gegensatz dann mehr und mehr zu einem parteipolitischen gestaltet hat, und wie die friedensfreundliche und wahllosen Annexionen ab­ geneigte Haltung der Sozialdemokratie den Konservativen und den von der Industrie abhängigen gemäßigten Liberalen, zum Teil auch dem Zentrum will­ kommenen Anlaß bot, und bietet, die Notwendigkeit der alten unveränderten Kampfstellung gegen die Sozialdemokratie als ein Gebot nationaler Gesin­ nung hinzustellen, darauf ist [ . . . ] hingewiesen.

79.

Gesetz betr. Abänderung des Gesetzes über den Belagerungszustand vom 4. Juni 1851 1 RGBI. 1915, S. 813 .

Großes Hauptquartier, 1 1 . Dezember 1915 W i r W i l h e l m , v o n G o t t e s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, Kö n i g v o n Preußen etc . ; verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt: §1 Bei Zuwiderhandlungen gegen § 9 b des preußischen Gesetzes über den Be­ lagerungszustand vom 4. Juni 1851 (Gesetz-Samml. 1851, S. 451 ) kann, wenn der Kriegszustand vom Kaiser erklärt ist (Artikel 68 der Reichsverfassung), bei Vorliegen mildernder Umstände auf Haft oder auf Geldstrafe bis zu fünf­ zehnhundert Mark erkannt werden. § 2 Dieses Gesetz tritt mit dem Tage der Verkündung in Kraft. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Großes Hauptquartier, den 1 1 . Dezember 1915 . Wilhelm von Bethmann Hollweg

1 Auf Initiative des Reichstagsabg. Schiffer. Für Bayern galt statt der Iex Schiffer der neue Art. 4 Abs . 2 des Kriegszustandsgesetzes, eingefügt durch das Gesetz vom 4. 12 . 1915. Die Militärbefehlshaber leiteten ihr selbständiges Verordnungsrecht aus dem Preuß . Ges . über den Belagerungszustand, § 9 b bzw. § 4 Nr. 2 Kriegszustandsgesetz her.

Reichsvereinsgesetz 80.

167

Protokollarische Aufzeichnung einer Rede Bethmann Hollwegs im preußischen Staatsministerium, Auszug

Notwendigkeit einer Anderung des Reichsvereinsgesetzes. 1 Gutsche, Nr. 136.

Berlin, 11. Dezember 1915 Der Herr Ministerpräsident führte aus, das Staatsministerium habe sich in seiner letzten Sitzung damit einverstanden erklärt, daß im Reichstag eine Er­ klärung abgegeben werde, wonach die verbündeten Regierungen nach dem Kriege eine Vorlage über die Abänderung des Vereinsgesetzes in der Richtung machen würden, daß die Berufsvereine unter gewissen Voraussetzungen nicht als politische Vereine zu behandeln seien . . . Die sozialdemokratischen Parteiführer revisionistischer Richtung bestürm­ ten ihn schon seit längerer Zeit mit dem Wunsche, die den Gewerkschaften zugedachten Konzessionen doch schon j etzt zu machen. Infolge der langen D auer des Krieges werde die Haltung des radikalen Flügels der Sozial­ demokratie immer schroffer . . . Die Situation sei dadurch sehr ernst ge­ worden, und es würde kaum möglich sein, den revisionistischen Flügel in dem bisherigen Geleise zu halten, wenn man ihm nicht durch irgendwel­ chen Erfolg auf dem Gebiete der inneren Politik eine E rleichterung ver­ schaffe. Aus diesem Grunde würde er es für politisch wichtig halten, wenn man im Reichstage die Novelle zum Vereinsgesetz nicht erst für die Zeit nach dem Kriege in Aussicht stelle, sondern schon j etzt einbringe. Es würde genügen, wenn man sagen könne, der Entwurf liege im Bundesrat und werde alsbald, spätestens aber in der Märztagung, dem Reichstage zugehen . . . Er wolle nochmals darauf hinweisen, daß die Führer der Revisionisten wäh­ rend der Dauer des Krieges bis jetzt an keiner Stelle versagt hätten. Die Reden von Scheidemann und Landsberg gelegentlich der Friedensinterpellation der Sozialdemokraten im Reichstage hätten hierfür wieder den besten Beweis er­ bracht. Die Schwierigkeiten, welche die Revisionisten in ihrer eigenen Partei hätten, lägen auf der Hand. Um so mehr sei das starke Bekenntnis zur natio­ nalen Gesinnung zu begrüßen, welches namentlich Landsberg zum Ausdruck gebracht habe. Die Spaltung in der sozialdemokratischen Partei werde weiter­ gehen, und wenn die Regierung die Mittel unbC!nutzt lasse, welche eine ihr günstige Entwicklung in der Partei unterstützten, so lade sie damit eine ernste Schuld auf sich. Bei der zunehmenden Schwierigkeit der Kriegführung sei diese Frage von der allergrößten Bedeutung. Die Gewerkschaften legten auf 1 19. 4. 1908 (Huber, Dokumente li, S. 3 74 - 3 78).

168

1915

die in Aussicht genommene Änderung des Vereinsgesetzes den größten Wert. Sie gehören ja aber gerade zu den verständigen Elementen unter den Sozial­ demokraten, und aus diesem Grunde sei es besonders angezeigt, ihren Wün­ schen entgegenzukommen .

81.

Liebknechts 'Kleine Anfragen' im Reichstag

Das Reich im Weltkrieg. Stenogr. Ber. , Bd. 306, S. 448 -450 .

Berlin, 14. Dezember 1915 P r ä s i d e n t 1 : [ ] Zur Verlesung der Anfrage hat das Wort der Herr Ab­ geordnete Dr. Liebknecht. Dr. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: 1. Ist die Regierung bei entsprechender Bereitschaft der übrigen Kriegführenden bereit, auf der Grundlage des Verzichts auf Annexionen aller Art in sofortige Friedensverhandlungen einzu­ treten ? Diese am 10. November gestellte Anfrage ziehe ich zurück, nachdem am Donnerstag der Herr Reichskanzler sie bereits verneint hat. (Glocke des Präsi­ denten. ) Die Regierung will den Eroberungskrieg und nicht den Frieden. (Glocke des Präsidenten. - Lebhafte Unruhe.) 2 . Auf welcher sonstigen Grundlage ist die Regierung bereit, in sofortige Friedensverhandlungen einzutreten ? P r ä s i d e n t : Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Staats­ sekretär des Auswärtigen Amts. v. J a g o w, Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevoll­ mächtigter zum Bundesrat: Das erforderliche Material zur Beurteilung der Entstehung des Weltkriegs und der Neutralitätsfrage ist bereits veröffentlicht worden 2 Die Regierung beabsichtigt auch fernerhin über wichtige diplomati­ sche Verhandlungen P r ä s i d e n t : Ich darf wohl bemerken, daß die Ziffer 1 der Anfrage auf Nr. 152 der Drucksachen zurückgezogen worden ist. Es steht nur die Ziffer 2 zur Verhandlung. v. J a g ow, Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevoll­ mächtigter zum Bundesrat: Ich konnte es nicht verstehen; es war zu leise ge­ sprochen. Nach den Verhandlungen vom 9. d. M . muß ich es ablehnen, auf diese •







1 Kaempf.

2

Deutsches Weißbuch, am 4. 8. 1914 dem Reichstag vorgelegt.

Liebknecht

169

zweite Frage zu antworten. (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Ich bitte ums Wort zu einer Ergänzung der Anfrage gemäß § 31 b der Geschäftsordnung! ) P r ä s i d e n t : Z u einer Ergänzung der Anfrage hat das Wort der Herr Abge­ ordnete Dr. Liebknecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Welches Verhalten denkt die Regierung einzuschlagen gegenüber einem Friedensvermittlungsvorschlag neutraler Re­ gierungen, wie er jetzt von der Schweizer Sozialdemokratie beim Schweizer Bundesrat beantragt worden ist? P r ä s i d e n t : Das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage, die nicht zulässig ist (Sehr richtig! ) Wir kommen zu der Anfrage Nr. 4, Dr. Liebknecht (Nr. 153 der Drucksachen) . Das Wort zur Verlesung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Lieb­ knecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Ist die Regierung endlich bereit, die Dokumente und das sonstige amtliche und halbamtliche Material über die un­ mittelbare Entstehung des Weltkrieges, insbesondere a) über die diplomatische Vorgeschichte des Österreichischen Ultimatums an Serbien vom 23 . Juli 1914, darunter die offiziellen und offiziösen Verhandlun­ gen zwischen der deutschen und der Österreichischen Regierung seit dem Mord von Serajewo, b) über die Vorgeschichte des Bruchs der Iuxemburgischen und belgiseben Neutralität, dem Reichstag und dem deutschen Volk vorzulegen ? Ist sie bereit, für die sofortige Einsetzung einer parlamentarischen Unter­ suchungskommission einzutreten, die unter Kontrolle der Öffentlichkeit die Verantwortlichkeiten prüfen und die Verantwortlichen der Sühne zuführen soll ? P r ä s i d e n t : Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort der Herr Staats­ sekretär des Auswärtigen Amts . v. J a g o w, Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevoll­ mächtigter zum Bundesrat: Das erforderliche Material für die Beurteilung der Entstehung des Weltkriegs und der Neutralitätsfragen ist bereits veröffentlicht worden. (Sehr richtig!) Die Regierung wird aber auch fernerhin über wichtige diplomatische Verhandlungen Veröffentlichungen vornehmen, soweit ihr dies für die Aufklärung der Öffentlichkeit erforderlich erscheint. Für die Einset­ zung einer parlamentarischen Kommission einzutreten, lehnt die Regierung ab . (Bravo! ) Die Verantwortlichkeit und Sühne trifft nur unsere Gegner. (Leb­ hafter Beifall. ) P r ä s i d e n t : Wir kommen zur - (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Ich bitte um das Wort zu einer Ergänzungsfrage!) Für welche Nummer? (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Für diese Nummer 4 ! )

170

1915

Das Wort zur Ergänzung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Lieb­ knecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Ist die Regierung wenigstens bereit, das gesamte amtliche dokumentarische Material über die erwähnten Vorgänge sofort vorzulegen ? P r ä s i d e n t : Zur Beantwortung der Ergänzung hat das Wort der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts . v. J a g ow, Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevoll­ mächtigter zum Bundesrat: Ich habe nichts hinzuzusetzen. (Bravo! - Abgeord­ neter Dr. Liebknecht: Noch eine Ergänzung, Herr Präsident! - Heiterkeit.) P r ä s i d e n t : Das Wort zu einer Ergänzung der Anfrage auf Nr. 153 hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Ist dem Herrn Reichskanzler bekannt, daß nach einer am 5 . Dezember v. J . gehaltenen unwidersprochenen Kammer­ rede des neutralistischen früheren italienischen Ministerpräsidenten Giolitti die Österreichische Regierung schon im August 1913 (Glocke des Präsidenten. - Lebhafte Zurufe: Neue Frage! ) P r ä s i d e n t : Das ist eine neue Frage. Zur Verlesung der Anfrage auf Nr. 154 hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Herr Präsident, ich habe gemäß § 31 b der Geschäftsordnung das Wort zu einer Ergänzung der Anfrage auf Nr. 153 erbeten . P r ä s i d e n t : Sie haben schon zwei Ergänzungen gestellt. (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Die Geschäftsordnung sieht keinerlei Einschränkung vor! Heiterkeit. ) Gut! Bitte, zur Ergänzung von Nr. 153 ! D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Warum hat der Herr Reichskanzler dem Reichstag vor und in der Kriegssitzung vom 4. August vorigen Jahres das am 2. August ergangene belgisehe Ultimatum verschwiegen ? (Große Unruhe und Zurufe .) P r ä s i d e n t : Das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage, die ich nicht zulassen kann. Haben Sie noch eine Ergänzung zur Nr. 153 ? (Schallende Heiterkeit - Zuruf des Abgeordneten Dr. Liebknecht.) Das Wort zur Ver­ lesung der Anfrage auf Nr. 154 der Drucksachen hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht. (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Herr Präsident, ich habe noch eine Ergänzungsfragel - Große Heiterkeit. ) Das geht nun aber nicht! (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Herr Präsident, Sie haben mich gefragt! ) Da ich Ihnen schon das Wort zu der nächsten Anfrage erteilte, werden wir mit die­ ser fortfahren. Das Wort zur Verlesung der Anfrage Nr. 154 hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht. (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Herr Präsident, ich habe noch um das Wort gebeten zu einer Ergänzung der Anfrage!)

Liebknecht

171

Ich war schon zu Nr. 154 übergegangen. Ich bitte Sie, nunmehr die Anfrage Nr. 154 zu verlesen. D r. L i e b kn e c h t , Abgeordneter: Ist der Regierung bekannt, daß die Masse des deutschen Volkes die maßgebende Bestimmung über die auswärtige Politik Deutschlands für sich beansprucht, d. h. die Ersetzung der Geheim­ diplomatie durch eine unter dauernder Kontrolle der Öffentlichkeit stehende auswärtige Politik und deren allgemeine Demokratisierung fordert ? Ist die Regierung bereit, dem Reichstag noch während des jetzigen Tagungs­ abschnittes einen Gesetzentwurf vorzulegen, der diese Forderung erfüllt und die Entscheidung über Krieg und Frieden der Volksvertretung überträgt ? P r ä s i d e n t : Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Staats­ sekretär des Auswärtigen Amts . v. J a g o w, Staatsminister, Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Bevoll­ mächtiger zum Bundesrat: Die Regierung ist nicht bereit, den sub b genann­ ten Wünschen des Herrn Abgeordneten Dr. Liebknecht zu entsprechen und eine hierfür erforderliche Verfassungsänderung vorzuschlagen. Damit erledigt sich auch der erste Teil der Anfrage. (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Neu­ orientierung! - Lachen. ) P r ä s i d e n t : Wir kommen zur Anfrage Nr. 6, Dr. Liebknecht (Nr. 155 der Drucksachen). Zur Verlesung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Lieb­ knecht. Dr. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Weiß die Regierung, in welch schwerer wirtschaftlicher Not sich die Masse des deutschen Volkes infolge des Krieges , der Gewinnsucht kapitalistischer Interessengruppen und des Versagens der Regierung befindet? Ist die Regierung endlich bereit, zur Steuerung dieser Not bei energischer Steigerung der allgemeinen Kriegsfürsorge ohne weiteres Zögern unter Beisei­ teschiebung aller Sonderinteressen die erforderlichen Schritte zur ausreichen­ den Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln (Nahrung, Kleidung, Unterkunft, Heizung, Beleuchtung) zu tun, und zwar durch Regelung der Produktion nach den Interessen der Allgemeinheit, durch Beschlagnahme der Vorräte und ihre gleichmäßige Verteilung auf die Gesamtbevölkerung, so zwar, daß sie den Bedürftigen bei einfachster und weitherzigster Prüfung der Bedürftigkeit, unter scharfer Anspannung öffentlicher Mittel, aber unter grundsätzlicher Ausschaltung der Armenfürsorge auf diesem Gebiete, kosten­ los oder zu leicht erschwinglichen Preisen in ausreichender Menge zur Ver­ fügung stehen? P r ä s i d e n t : Das Wort zur Beantwortung der Anfrage hat der Herr Direk­ tor im Reichsamt des lnnern Dr. Lewald. D r. L e w a l d , Direktor im Reichsamt des Innern, stellvertretender Bevoll-

172

1915

mächtigter zum Bundesrat: Der Herr Reichskanzler lehnt die Beantwortung dieser Frage ab . (Bravo ! - Abgeordneter Dr. Liebknecht: Ich bitte um das Wort zur Ergänzung! ) P r ä s i d e n t : Das Wort zur Ergänzung dieser Anfrage hat der Herr Abge­ ordnete Dr. Liebknecht. D r. L i e b k n e c h t, Abgeordneter: Erkennt die Regierung an, daß nach den bisherigen Erfahrungen die allgemeine Beschlagnahme der vorhandenen Vor­ räte die notwendige Grundlage für alle weiteren Maßregeln bilden muß ? P r ä s i d e n t : Herr Abgeodneter Dr. Liebknecht, das ist keine Ergänzung, sondern eine neue Anfrage. (Sehr richtig! - Abgeordneter Dr. Liebknecht: Das ist eine Ergänzung und keine neue Anfrage! Ich bitte um das Wort zu einer neuen Ergänzung!) Das Wort zu einer neuen Ergänzung der Anfrage hat der Herr Abgeordnete Dr. Liebknecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Wird die Regierung wenigstens die Be­ schlüsse der Budgetkommission, die in der Richtung dieser meiner Forderun­ gen liegen, ausführen ? P r ä s i d e n t : Zur Beantwortung dieser Ergänzung hat das Wort der Herr Direktor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald . D r. L e w a l d , Direktor im Reichsamt des Innern, stellvertretender Bevoll­ mächtigter zum Bundesrat: Ich lehne im Namen des Herrn Reichskanzlers die Beantwortung dieser Ergänzungsfrage ab. (Bravo ! - Abgeordneter Dr. Lieb­ knecht: Das wird das Volk verstehen !) P r ä s i d e n t : Wir kommen zu der Anfrage Nr. 7, Dr. Liebknecht (Nr. 156 der Drucksachen). Zur Verlesung der Anfrage hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Lieb­ knecht. D r. L i e b k n e c h t , Abgeordneter: Welchen Begriff verbindet die Regierung mit dem Wort "Neuorientierung" der inneren Politik ? Hat sie ein konkretes Programm zu dieser Neuorientierung? Welches ist dieses Programm im einzelnen ? Wann gedenkt die Regierung es zu verwirklichen ? Ist die Regierung bereit, noch im Laufe des jetzigen Tagungsabschnitts oder wann sonst die erforderlichen Vorlagen zur Demokratisierung von Verfassung, Gesetzgebung und Verwaltung des Deutschen Reichs und seiner Einzelstaa­ ten, insbesondere zur Reform des Wahlrechts für die gesetzgebenden und Verwaltungskörperschaften und zur Demokratisierung der Wehrverfassung zu machen ? P r ä s i d e n t : Zur Beantwortung der Anfrage hat das Wort der Herr Direk­ tor im Reichsamt des Innern Dr. Lewald . D r. L e w a l d , Direktor im Reichsamt des Innern, stellvertretender Bevoll-

173

Kriegskredite

mächtigter zum Bundesrat: Der Herr Reichkanzler lehnt die Beantwortung auch dieser Frage ab. (Abgeordneter Dr. Liebknecht: Das wird das Volk verstehen! )

82.

Rede Friedrich Geyers im Reichstag (mit Stellungnahme Liebknechts)

Ablehnung der Kriegskredite durch 20 SPD-Abgeordnete. Stenogr. Ber. Bd. 306, S. 507f.

Berlin, 21. Dezember 1915 Die Militärdiktatur, die rücksichtslos alle Friedensbestrebungen unter­ drückt und die freie Meinungsäußerung zu ersticken sucht, macht es uns un­ möglich, außerhalb dieses Hauses unsere S t e l l u n g z u d e r K r e d i t v o r l a g e zu begründen. (Sehr richtig! bei einem Teile der Sozialdemokraten. ) Wie wir Eroberungspläne, die von Regierungen und Parteien anderer Länder aufge­ stellt werden, mit aller Kraft bekämpfen, so wenden wir uns mit derselben Entschlossenheit auch gegen das verhängnisvolle Treiben der Annexionspoliti­ ker unseres Landes, (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten) die in gleicher Weise wie jene das stärkste Hindernis für die Einleitung von Friedensverhand­ lungen sind . (Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten .) Diese gefährliche Politik hat der Reichskanzler am 9 . Dezember, als er zu der sozialdemokratischen Interpellation das Wort ergriff, nicht von sich ge­ wiesen . Er hat ihr vielmehr Vorschub geleistet, (Zustimmung bei den Sozial­ demokraten) und die sämtlichen bürgerlichen Parteien haben in Unterstüzung seiner Ausführungen ausdrücklich Gebietserwerbungen gefordert. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten. ) Erfolgversprechende Friedensverhandlun­ gen sind aber nur möglich auf der Grundlage, daß kein Volk vergewaltigt, daß die politische und wirtschaftliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit jedes Volkes gewahrt, daß allenthalben Eroberungsplänen jeder Art entsagt wird . (Erneute Zustimmung bei den Sozialdemokraten. ) Unsere Landesgrenzen und unsere Unabhängigkeit sind gesichert. Nicht der Einbruch feindlicher Heere droht uns . Wohl aber gehen unser Reich wie das übrige Europa bei Fortsetzung des Krieges der Gefahr der Vernichtung der Lebenskräftigsten, der Verarmung der Völker und der Verwüstung ihrer Kultur entgegen. (Leb­ hafte Rufe: Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Der deutschen Regierung käme es zu, da Deutschland sich mit seinen Ver­ bündeten in günstigerer Kriegslage befindet, den ersten Schritt zum Frieden zu tun. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokraten.) Von der sozialdemokratischen Fraktion ist sie aufgefordert worden, den Gegnern ein Friedensangebot zu

174

1915

machen. Der Reichkanzler hat dies jedoch schroff abgelehnt. Der entsetzliche Krieg geht weiter, jeder Tag schafft neue unsägliche Leiden. Eine Politik, die nicht alles tut, um diesem namenlosen Elend Einhalt zu gebieten, eine Politik, die in ihrer gesamten Betätigung in schreiendem Gegensatz zu den Interessen der breiten Massen der werktätigen Bevölkerung steht, durch unser parlamen­ tarisches Verhalten zu unterstützen, ist uns unmöglich. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Es gilt, dem in allen Ländern hervortretenden und wach­ senden Friedensbedürfnis einen kräftigen Antrieb zu geben . Unseren Frie­ denswillen und unsere Gegnerschaft gegen Eroberungspläne können wir nicht vereinbaren mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten. Wir lehnen die Kredite ab . (Bravo! und Händeklatschen bei einem Teil der Sozialdemokraten. ) 1

83.

Denkschrift Falkenhayns, Auszug

Militärstrategische Pläne 1916. Falkenhayn, S. 176 f., 181, 183 f.

Großes Hauptquartier, um Weihnachten 1915 Frankreich ist militärisch und wirtschaftlich - dies durch dauernde Entzie­ hung der Kohlenfelder im Nordosten des Landes - bis nahe an die Grenze des Erträglichen geschwächt. Rußlands Wehrmacht ist nicht voll niedergerungen, aber seine Offensivkraft doch so gebrochen, daß sie in annähernd der alten Stärke nicht wieder aufleben kann. Serbiens Heer kann als vernichtet gelten. Italien hat zweifellos eingesehen, daß es auf Verwirklichung seiner Raubge­ lüste in absehbarer Zeit nicht rechnen kann, und würde deshalb wahrschein-

1 Liebknecht meinte dazu: "So erfreulich und wertvoll die heutige Abstimmung der zwanzig und die Tatsache der Abgabe einer Erklärung im Plenum ist, sie wird - zumal bei dem Inhalt der Erklärung ­ i h r e B e d e u t u n g e r s t d u r c h d i e we i t e r e Po l i t i k d i e s e r G e n o s s e n e r h a l ­ t e n . Nur wenn sie durch diese Politik als Ku n d g e b u n g d e s e n t s c h l o s s e n e n W i l ­ l e n s z u r Au fn a h m e des Klassenkampfes, zur g r u n d s ä t z l i c h e n Z e r s t ö r u n g d e s p a r l a m e n t a r i s c h e n B u r g f r i e d e n s gekennzeichnet wird, wird sie mehr sein als eine ,schöne Geste' . Eine konsequente, unerbittliche Opposition im Reichstag, u. zw. gegen den Willen der Fraktionsmehrheit, ist das ,Gebot der Stunde', dieser Stunde . Versagen hier die zwanzig, so verdammen sie sich selbst zur Ohnmacht, ihre Ohn­ macht wird offenbar, ihr aufkeimender Einfluß auf die Massen geht zum Teufel, und Fraktionsmehrheit wie Regierung werden in Zukunft p a r l a m e n t a r i s c h stärker sein als vor dem 21 . Dezember 1915 . " (Spartakusbriefe, S. 89f.).

Pläne für 1916

175

lieh froh sein, das Abenteuer auf irgendeine anständige Weise bald liquidieren zu können. Wenn aus diesen Tatsachen nirgends Folgerungen gezogen wurden, so liegt dies an vielen Erscheinungen, in deren Erörterung man im einzelnen nicht ein­ zutreten braucht. Nur an der hauptsächlichsten darf man nicht vorübergehen. Sie ist der ungeheuerliche Druck, den England noch immer auf seine Verbün­ deten ausübt. [ . . . ] Um so notwendiger ist es, daß gleichzeitig alle jene Mittel rücksichtslos zur Anwendung gebracht werden, die geeignet sind, England auf seinem eigensten Gebiet zu schädigen. Es sind dies der Unterseekrieg und die Anbahnung eines politischen und wirtschaftlichen Zusammenschlusses Deutschlands nicht nur mit seinen Verbündeten, sondern auch mit allen noch nicht ganz im Bannkreis Englands gefesselten Staaten. Sich mit diesem Zusammenschluß zu beschäf­ tigen, ist nicht Sache dieser Darlegung. Die Lösung der Aufgabe liegt aus­ schließlich der politischen Leitung ob. Der Unterseekrieg dagegen ist ein Kriegsmittel wie jedes andere . Die Ge­ samtkriegsleitung darf sich der Stellungnahme zu ihm nicht entziehen. [ . . . ] Ein Vorgehen auf Moskau führt uns ins Uferlose. Für keine dieser Unter­ nehmungen verfügen wir über ausreichende Kräfte. Mithin scheidet auch Rußland als Angriffsobjekt aus . Es bleibt allein Frankreich übrig. [ . . . ] Hinter dem französischen Abschnitt der Westfront gibt es in Reichweite Ziele, für de­ ren Behauptung die französische Führung gezwungen ist, den letzten Mann einzusetzen. Tut sie es, so werden sich Frankreichs Kräfte verbluten, da es ein Ausweichen nicht gibt, gleichgültig, ob wir das Ziel selbst erreichen oder nicht. Tut sie es nicht und fällt das Ziel in unsere Hände, dann wird die mora­ lische Wirkung in Frankreich ungeheuer sein. Deutschland wird nicht gezwun­ gen sein, sich für die räumlich eng begrenzte Operation so zu verausgaben, daß alle anderen Fronten bedenklich entblößt werden. Es kann mit Zuversicht den an ihnen zu erwartenden Entlastungsunternehmungen entgegensehen, ja hoffen, Kräfte in genügender Zahl zu erübrigen, um den Angriffen mit Gegenstößen begegnen zu können. Denn es steht ihm frei, seine Offensive schnell oder langsam zu führen, sie zeitweise abzubrechen oder sie zu ver­ stärken, wie es seinen Zwecken entspricht. Die Ziele, von denen hier die Rede ist, sind Belfort und Verdun. Für beide gilt das oben Gesagte . Dennoch verdient Verdun den Vorzug. [. . .]

176

1916

84.

Curt Geyer, Erinnerungen, Auszug

Die Kriegsziele. Die revolutionäre Illusion, S. 45 .

Leipzig, 1915 Auf der anderen Seite entwickelten ich und meine Freunde in der Frage der Kriegsziele eine große Empfindlichkeit für alles, was nach Verrückung von Grenzpfählen aussah. Wir waren während des ganzen Verlaufs des Krieges un­ bedingt Gegner jedes Annexionismus und die eigentlichen status quo-Politiker. Das tiefere Motiv für diese unsere Haltung lag darin, daß wir weiterhin den Gang der Geschichte bestimmt zu sehen glaubten durch Klassenauseinander­ setzungen, nicht Völkerkämpfe, und daß wir nicht wünschten, daß die Klas­ senauseinandersetzungen innerhalb der Nationalstaaten durch Grenzverände­ rungen und darauf beruhende nationalistische Erregungen gestört würden.

85.

Rosa Luxemburgs Leitsätze, Auszug

Die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie. Spartakus im Kriege, S. l l l f.

Berlin, 1. Januar 1916 [ . . ] 12 . Angesichts des Verrats der offiziellen Vertretungen der sozialisti­ schen Parteien der führenden Länder an den Zielen und Interessen der Arbei­ terklasse, angesichts ihrer Abschwenkung vom Boden der proletarischen In­ ternationale auf den Boden der bürgerlich-imperialistischen Politik, ist es eine Lebensnotwendigkeit für den Sozialismus, eine neue Arbeiterinternationale zu schaffen, welche die Leitung und Zusammenfassung des revolutionären Klassenkampfes gegen den Imperialismus in allen Ländern übernimmt. Sie muß, um ihre historische Aufgabe zu lösen, auf folgenden Grundlagen beruhen: 1. Der Klassenkampf im Innern der bürgerlichen Staaten gegen die herr­ schenden Klassen und die internationale Solidarität der Proletarier aller Länder sind zwei unzertrennliche Lebensregeln der Arbeiterklasse in ihrem welthistorischen Befreiungskampfe. Es gibt keinen Sozialismus außerhalb der internationalen Solidarität des Proletariats und es gibt keinen Sozialismus außerhalb des Klassenkampfes . Das sozialistische Proletariat kann weder im Frieden noch im Kriege auf Klassenkampf und auf internationale Solidarität verzichten, ohne Selbstmord zu begehen. 2. Die Klassenaktion des Proletariats aller Länder muß im Frieden wie im .

Luxemburg

177

Kriege auf die Bekämpfung des Imperialismus und Verhinderung der Kriege als auf ihr Hauptziel gerichtet werden. Die parlamentarische Aktion, die ge­ werkschaftliche Aktion, wie die gesamte Tätigkeit der Arbeiterbewegung muß dem Zweck untergeordnet werden, das Proletariat in jedem Lande aufs schärf­ ste der nationalen Bourgeoisie entgegenzustellen, den politischen und geisti­ gen Gegensatz zwischen beiden auf Schritt und Tritt hervorzukehren, sowie gleichzeitig die internationale Zusammengehörigkeit der Proletarier aller Län­ der in den Vordergrund zu schieben und zu bestätigen . 3 . In der Internationale liegt der Schwerpunkt der Klassenorganisation des Proletariats . Die Internationale entscheidet im Frieden über die Taktik der nationalen Sektionen in Fragen des Militarismus, der Kolonialpolitik, der Handelspolitik, der Maifeier, ferner über die gesamte im Kriege einzuhaltende Taktik. 4. Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der Internationale geht allen anderen Organisationspflichten voran . Nationale Sektionen, die ihren Be­ schlüssen zuwider handeln, stellen sich außerhalb der Internationale . 5 . In den Kämpfen gegen den Imperialismus und den Krieg kann die entscheidende Macht nur von den kompakten Massen des Proletariats aller Länder eingesetzt werden. Das Hauptaugenmerk der Taktik der nationalen Sektionen ist somit darauf zu richten, die breiten Massen zur politischen Aktionsfähigkeit und zur entschlossenen Initiative zu erziehen, den interna­ tionalen Zusammenhang der Massenaktion zu sichern, die politischen und ge­ werkschaftlichen Organisationen so auszubauen, daß durch ihre Vermittlung jederzeit das rasche und tatkräftige Zusammenwirken aller Sektionen gewähr­ leistet und der Wille der Internationale so zur Tat der breitesten Arbeitermassen aller Länder wird. 6. Die nächste Aufgabe des Sozialismus ist die geistige Befreiung des Pro­ letariats von der Vormundschaft der Bourgeoisie, die sich in dem Einfluß der nationalistischen Ideologie äußert. Die nationalen Sektionen haben ihre Agita­ tion in den Parlamenten wie in der Presse dahin zu richten, die überlieferte Phraseologie des Nationalismus als bürgerliches Herrschaftsinstrument zu de­ nunzieren. Die einzige Verteidigung aller wirklichen nationalen Freiheit ist heute der revolutionäre Klassenkampf gegen den Imperialismus . Das Vater­ land der Proletarier, dessen Verteidigung alles andere untergeordnet werden muß, ist die sozialistische Internationale.

178 86.

1916 Brief Bethmann Hollwegs an Beseler, Auszug

Methoden, Polen in den deutschen Machtbereich einzubeziehen. Gutsche, Nr. 139.

Berlin, 6 . Januar 1916 Ich stimmte mit Ew. Exz. im August vorigen Jahres dahin überein, daß es zunächst darauf ankam, in dem eben erst besetzten Lande einigermaßen ge­ ordnete Verhältnisse zu schaffen, seine wirtschaftlichen Kräfte nach Möglich­ keit wieder zu wecken und nutzbar zu machen. Für unsere Beziehungen zu den Polen konnte bei der Ungewißheit über die Dauer der Okkupation wie über den schließliehen Ausgang des Krieges kein anderer Grundsatz aufge­ stellt werden, als unser Interesse, der Bevölkerung des Okkupationsgebietes eine gute Erinnerung an eine geordnete und loyale Verwaltung ihres Landes durch Deutschland zu hinterlassen. Heute sind wir durch den Fortgang der Ereignisse gezwungen, dieses Programm politisch zu ergänzen . . . Bei einer Okkupation, deren Dauer nicht abzusehen ist, und einem Gang des Krieges, der die Rückkehr der Russen wohl immer unwahrscheinlicher macht, müssen wir damit rechnen, daß die polnische Freiheitsbewegung mit oder ohne unser Zutun ihren Fortgang nimmt. Wir haben nur die Macht, ihre öffentlichen Äußerungen zu unterbinden . . . Wir haben ein hervorragendes Interesse daran, daß die polnische Freiheits­ bewegung beim Schluß des Krieges ihre Spitze gegen Rußland und nicht gegen uns richtet . . . Die Westmächte . . . werden bei einer Lostrennung des Landes von Rußland die Forderung einer vollen Unabhängigkeit eines machtlosen Pufferstaates, der zum Zankapfel zwischen uns und Rußland werden müßte, aufstellen. Diese Lösung der polnischen Frage wäre für uns wie für unsere Verbündeten ungünstig . . . Ihr gegenüber müssen wir über eine Stimme in dem Lande selbst verfügen, die die auf der Hand liegenden Nachteile dieser Lösung erkennt und aus unse­ rem Verhalten die gefühlsmäßige Erfahrung gemacht hat, daß ein Anschluß an die Zentralmächte auch ohne vollständige staatliche Selbständigkeit keine Unterdrückung der polnischen Eigenart bedeutet . . . Wenn wir auch die Verwaltung und die Gewalt ohne Zweifel in eigener Hand behalten müssen, so ist es vielleicht doch möglich, die Einheimischen durch von uns einzusetzende Ausschüsse und Beiräte heranzuziehen und ihnen an man­ chen Stellen anstelle tatsächlicher Macht den Schein der Macht zu geben . . . Wir müssen unter allen Umständen versuchen, das polnische Volk äußerlich und innerlich von Rußland zu lösen und die Grenzen, an denen die Zukunft Deutschlands verteidigt wird, hinter den Bug zu legen.

Belgien 87.

179

Brief Falkenhayns an Bethmann Hollweg

Militärische Beherrschung Belgiens, Beginn des uneingeschränkten U-Boot-Krieges. Gutsche, Nr. 140.

Großes Hauptquartier, 13 . Februar 1916 Euere Exzellenz haben bei unseren Besprechungen in Pless meine Stellung­ nahme zur belgischen und zur U-Boot-Frage verlangt. Bei der Wichtigkeit der Gegenstände beehre ich mich, die Antworten hier kurz zusammengefaßt zu wiederholen: 1 . Was die Zukunft Belgiens anlangt, so kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Land als Aufmarschgebiet, zum Schutz der wichtigsten deutschen Industriegegend und als Hinterland der für unsere maritime Geltung unent­ behrlichen Stellung an der flandrischen Küste uns zur Verfügung bleiben muß . Aus dieser Ford�rung ergibt sich von selbst die Notwendigkeit der unbe­ dingten militärischen Beherrschung Belgiens durch Deutschland einschließ­ lich derjenigen der Eisenbahnen und Straßen, welche letzte von der ersten heute überhaupt nicht zu trennen ist. Die Formen, mitteist deren dieses Ziel gesichert werden soll, können sehr verschieden sein. Sie werden in erster Linie bestimmt durch die Umstände, un­ ter denen es zum Frieden mit den Westmächten kommt. Man wird sich also, bevor die Bedingungen des allgemeinen Friedens zu übersehen sind, in Bezug auf Belgien nicht binden dürfen. Das ist aber für Belgien durchaus nicht un­ vorteilhaft. Im Gegenteil! Belgien würde den Rubikon überschreiten, indem es auf unsere Seite tritt. Sicherlich werden wir ihm in den Formen, auch denen der militärischen Suprematie später, um so mehr entgegenkommen, je eher der Übertritt etwa erfolgt und je größeren Nutzen er uns daher bringt. Die Hauptsache freilich bleibt, conditio sine qua non: die militärische Sicherung Belgiens in oben skizziertem Umfange für die mitteleuropäische Kraftgruppe . Ohne diese conditio verliert Deutschland den Krieg i m Westen . 2. Mit dieser Feststellung wird gleichzeitig zum guten Teil die andere durch Euere Exzellenz angeregte Frage geklärt. Ebenso wie für uns der Krieg als ver­ loren gelten muß, wenn der Eintritt Belgiens in unseren "Concern" nicht er­ zwungen wird, ebenso verliert ihn England, wenn es eine solche Verschiebung zulassen muß. Mit anderen Worten: England kann schon jetzt nicht anders handeln wie wir, d. h. es muß den Krieg bis zum bitteren Ende führen. Der trotzdem oft versuchte Einwand gegen den sogenannten rücksichtslosen U-Bootkrieg, erst durch seine Anwendung würde England zum Äußersten getrieben werden, entbehrt also der Begründung. Vom militärischen Stand­ punkte aus ist er ja auch an sich nicht einen Augenblick haltbar. Aber wenn er

1916

180

auch so zuträfe, wie er in der Tat nicht zutrifft, würde er meine Haltung in dieser Frage nicht schwächen, sondern stärken. Denn der uneingeschränkte U-Bootkrieg ist das einzige Kriegsmittel, durch dessen Anwendung England sicher und unmittelbar in seinen Lebensbedin­ gungen getroffen werden kann, - die Wirksamkeit des Mittels erachte ich nach der dienstlichen Erklärung des Chefs des Admiralstabes 1 für gegeben . Gegen den Gewinn, den uns die S i c h e r h e i t , England niederzuringen, bringt, kann der Nachteil nicht ausschlaggebend ins Gewicht fallen, daß die M ö g l i c h k e i t dadurch hervorgerufener Verwicklungen mit Neutralen besteht. Und zwar um so weniger, als sich die Verwirklichung der Möglichkeit durch zweckmäßige politische und diplomatische Vorbereitung sehr wohl hinhalten, vielleicht so­ gar ausschalten läßt. Allerdings würde die Vorbereitung nicht in dem Geiste geführt werden dürfen, der in der mir zugänglich gemachten Denkschrift des Gesandten im Haag 2 die Feder geführt hat und ein völliges Verkennen der Grundbedingungen des gegenwärtigen Krieges zeigt. Aus vorstehenden Betrachtungen ergibt sich meiner Ansicht nach, daß die Kriegsleitung gar nicht das Recht hat, auf den U-Bootkrieg zu verzichten. Ist das aber der Fall, so kann auch der politischen Leitung nicht das Recht zuste­ hen, der Kriegsleitung die Anwendung des zum Siege notwendigen Kriegsmit­ tels unmöglich zu machen . Man braucht sich ja nur unsere wahrscheinliche Lage im nächsten Winter ohne U-Bootkrieg zu vergegenwärtigen, um die Richtigkeit der oben aufge­ stellten Behauptung zu erkennen. Ob eine solche Lage eintreten wird, ist eine andere Frage. Ich glaube es nicht. Denn ich halte es für sicher, daß schon wäh­ rend der allmählichen Zuspitzung der Lage in den nächsten Monaten die Macht der Verhältnisse auch die heute am meisten widerstrebenden Faktoren dazu bringen wird, dem U-Bootkrieg zuzustimmen. Dann wird er aber nicht mehr die furchtbare Waffe gegen England sein, die er heute darstellt. Aus dem kräftigen Hieb, den wir jetzt damit führen können, wird dann eine schwäch­ liche Parade geworden sein. Eine derartige Entwicklung zulassen, hieße weder nach unseren besten Überlieferungen noch nach gesunden Kriegsregeln han­ deln und würde - letzten Endes - uns vor den Verwicklungen mit übelwollen­ den Neutralen doch nicht bewahren. Ich halte daher nach Pflicht und Gewissen den Beginn des uneingeschränk­ ten U-Bootkrieges, sobald er möglich wird, also nach Angabe der Marine von Mitte März ab, für geboten.

1

Holtzendorff.

2 Kühlmann.

U-Boot-Krieg 88.

181

Brief Bethmann Hallwegs an Zimmermann

Vorstellungen zur Führung des V-Boot-Krieges. Gutsche, Nr. 141 .

Berlin, 19. Februar 1916 Anliegend meine gegenwärtigen Gedanken über den U-Bootkrieg. Prokla­ mation führt zum unabwendbaren Konflikt mit Amerika. Eintritt in Verhand­ lungen macht wohl auch eine proklamationslose Verschärfung des U-Boot­ krieges unmöglich . Die Taktik im Ganzen wird von der Stellung Amerikas zu unserem letzten Weißbuch abhängen. Anlage. Gegenüber der übereinstimmenden Stellung von Falkenhayn und Holtzen­ dorff ist es, auch ganz abgesehen von der öffentlichen Meinung, unmöglich, die U-Boote an die Kette zu legen oder nur auf das Mittelmeer zu beschrän­ ken. Die Ausdehnung ihrer Tätigkeit auf die englischen Küsten vermehrt na­ türlich die Konfliktsgefahren mit Amerika. Aber wie die Dinge liegen, müssen diese Gefahren nun einmal getragen werden. Unsere Aufgabe ist es, die Kon­ fliktsmöglichkeiten tunliehst zu beschränken und uns den Weg offen zu hal­ ten, eingetretene Konflikte durch Entschuldigung und Entschädigung zu begleichen, ohne daß es zum wirklichen Bruch kommt. Diese Möglichkeit würden wir uns verschließen, wenn wir den grundsätz­ lichen rücksichtslosen U-Bootkrieg ankündigen und dabei versuchen wollen, Amerikas Zustimmung durch das Angebot zu erreichen, bestimmt bezeichnete oder auf bestimmte Route fahrende amerikanische Schiffe schonen zu wollen. Auf ein derartiges Arrangement geht Amerika nicht ein, kann es auch nach sei­ ner bisherigen Haltung gar nicht eingehen, ohne offenkundig in unser Lager abzuschwenken. Dafür fehlt es an jeder Voraussetzung. Werden aber, wie mit Sicherheit vorauszusehen, unsere Vorschläge abgelehnt, so können wir nicht mehr zurück, und der Bruch ist da. Die Marine m u ß , ohne die Wirkung des U-Bootkrieges nennenswert abzu­ schwächen, im Stande sein, die Konfliktsmöglichkeiten einzuschränken . Dazu wäre erforderlich : 1 . Unbedingte Schonung der a m e r i k a n i s c h e n Passagierdampfer. Deren sind, so viel ich weiß, nur vier vorhanden. Wann und wo sie fahren, ist be­ kannt, ebenso ihr Typus . 2. Unbedingte Schonung der e n g l i s c h e n Liners 1, ausgenommen vielleicht die bewaffneten Liners, wie wir das Amerika schon vor längerer Zeit zugesagt 1 Überseepassagierdampfer.

182

1916

und auch praktisch durchgeführt haben. Eine zweite Lusitania 2 bringt unter allen Umständen den Bruch mit Amerika, trägt aber in keiner Weise dazu bei, England niederzuringen. 3 . Schonung aller sonstigen a m e r i k a n i s c h e n Schiffe, die als solche er­ kannt werden. Auch wenn die Erkennung nicht in allen Fällen mit Sicherheit möglich ist, ist sie es doch in Einzelfällen. Anders ist mit Holland, den skandinavischen Reichen und Spanien ( ?) zu verfahren. Ihnen ist im Anschluß an unser letztes Weißbuch zu sagen, daß unsere U-Boot-Kommandanten zwar den Befehl hätten, nur bewaffnete eng­ lische Dampfer ohne Beachtung der Formen des Kreuzerkrieges zu versen­ ken. Mißgriffe aber seien, wie die Dinge nun einmal lägen, leider nicht ganz ausgeschlossen. Vor allem bestehe Minengefahr. Uns läge am Herzen keine Zwischenfälle mit den Neutralen zu haben, auch wenn sie, wofern sie sich er­ eigneten, durch Entschädigung beglichen werden sollten . Wir bäten deshalb, ihre Schiffe nicht durch den Kanal, sondern um Schottland herum fahren zu lassen. Diese Belästigung sei ungleich geringer, als die englischen Eingriffe in ihren Handel. Tun wir das nicht, so bekommen wir ernsten Zwist namentlich mit Holland, und der wäre ganz besonders fatal. Der Haken dabei ist allerdings der, daß unsere Gespräche mit Holland usw. natürlich Amerika bekannt werden und Washington zur Aufstellung von Forderungen an uns veranlassen würden, deren notwendige Ablehnung mög­ licherweise den sofortigen Bruch herbeiführt. Vorsorge hiergegen ist vielleicht möglich, wenn wir bei der Erörterung der nach Zeitungsmeldungen schon jetzt zu erwartenden amerikanischen Einwen­ dungen gegen unser letztes Weißbuch vorsichtig auf die Verwechslungsgefahren aufmerksam machen. Praktisch würde sich die Sache hiernach so gestalten, daß die U-Boote im März den Handelskrieg ohne Ankündigung, aber mit den angegebenen Scho­ nungsbefehlen beginnen. Erweist sich, daß wir England großen Schaden zu­ fügen und geht die Sache auf den Landkriegsschauplätzen gut, so können wir auch in der Abhaltung neutraler Schiffe von den englischen Küsten sukzessive schärfer werden. Letzten Endes sogar auf die Gefahr eines Bruches mit Ame­ rika, der schon an sich um so geringer wird, je mehr sich unsere allgemeinen Kriegsaussichten offenkundig verbessern. Andernfalls müssen wir stoppen • und auf unser Glück vertrauen, daß bis dahin der Bruch mit Amerika vermie­ den wird . a

Wort nicht eindeutig zu entziffern.

2 Am 7. 5. 1915 hatte ein deutsches U-Boot den englischen Passagierdampfer 'Lusi­ tania' (der auch Kriegsmaterial an Bord hatte) versenkt, wobei 1 198 Passagiere, unter ihnen 139 Amerikaner, ertrunken waren. Siehe Huber, Verfassungsgeschichte, V, S. 264 Anm . 22.

183

SAG

Holländische und dänische Liners wären unter allen Umständen zu schonen, auf welcher Route sie auch fahren. Vorbedingung, daß alles das glückt, wäre, daß die Marinepresse abgepfiffen wird und die Parlamentarier vom Reichsmarineamt dahin instruiert werden, daß der U-Bootkrieg geführt wird, aber ohne Ankündigung und sonstiges Tamtam.

89.

Aufruf der Sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft

Konstituierung als selbständige Gruppe innerhalb der SPD-Reichstagsfraktion. Leipziger Volkszeitung, 23. Jg., Nr. 74 (30. 3 . 1916).

Berlin, 24 .-29. März 1916 Parteigenossen ! Die Mehrheit der Fraktion hat uns durch ihren Beschluß alle Rechte, die uns als Fraktionsmitgliedern zustehen, entzogen. Danach sollen wir s t u m m e M i t g l i e d e r der Fraktion sein; sollten in ihr nicht reden und nicht abstim­ men, weder im Plenum noch in den Kommissionen die Partei vertreten dür­ fen. D am i t w a r e n w i r t a t s ä c h l i c h a u s d e r F r a k t i o n h i n a u s g e ­ d r ä n gt. Zu einer neuen Arbeitsgemeinschaft vereinigt, b l e i b e n wir Ve r t r e t e r der Partei. An die Parteigenossen richten wir die dringende Aufforderung, i m R a h ­ m e n u n s e r e s O r g a n i s a t i o n s s t a t u t s sich weiter z u betätigen und die durch die Zugehörigkeit zur Partei gegebenen Verpflichtungen zu erfüllen. Wir zweifeln nicht daran, daß, sobald die Parteigenossen auf Grund freier Rede und Gegenrede ihr Urteil über die politischen Vorgänge seit dem 1. Au­ gust 1914 abgeben können, u n s e r Vo r g e h e n von ihnen als e i n A k t p o l i t i ­ s c h e r N o t we n d i g k e i t gebilligt werden wird. Das Interesse des Proletariats erfordert in dieser Zeit gebieterisch eine s e l b s t ä n d i g e , g r u n d s ä t z l i c h e Politik wie wir sie stets und am nachdrücklichsten dann betätigt haben, w e n n d e r D r u c k a m s t ä r k s t e n w a r. Unser Auftreten schädigt n i c h t das A n s e h e n der Partei, sondern h e b t es im In- und Auslande. Unser Auftreten wirkt n i c h t s p a l t e n d und z e r s t ö ­ r e nd , sondern s a m m e l n d und o r g a n i s a t i o n s e r h a l t e n d . Unser Auf­ treten ist k e i n Disziplin- und Treubruch, sondern ein Gebot der Treue gegen die Parteigrundsätze, die Beschlüsse der Parteitage und der internationalen Kongresse.

184

1916

N i c h t w i r, sondern Angehörige der Mehrheit haben am 24 . März "lär­ mende Aktionen" unter stürmischem Beifall der Gegner veranstaltet. Angehö­ rige der Mehrheit haben - ein in der parlamentarischen Geschichte unerhörter Vorgang - dafür gestimmt, daß i h r e n e i g e n e n P a r t e i g e n o s s e n das Wort entzogen werde. Jetzt gilt es zu arbeiten, das Proletariat stark zu machen für die schweren Kämpfe, die ihm bevorstehen . Parteigenossen! S t e h t f e s t z u d e n G r u n d s ä t z e n , auf die wir stets mit Recht stolz gewesen sind . Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft

90.

Rede Bethmann Hallwegs in der 51. Sitzung der Kommission für den Reichshaus­ haltsetat, Auszug

Beginn des uneingeschränkten V-Boot-Krieges. Gutsche, Nr. 143 .

Berlin, 28 ./29. März 1916 [28 . 3. 1916] Wenn ein Moment kommt, den ich herbeiwünsche, wo es möglich ist, die vorhandenen U-Boote, wenn es geht, ohne jede Rücksicht gegen England agieren zu lassen, wenn es möglich ist, ohne daß ich mir die übrige neutrale Welt auf den Hals ziehe, dann soll das geschehen, und diesen Tag sehne ich herbei, daß er kommen möge. Aber er ist heute nicht da, meine Herren! . . . Ich stimme mit den Anträgen, die eingebracht sind . . . in einer Beziehung vollkommen überein: auch das rücksichtsloseste Mittel, das uns zum Siege und zum schnellen Siege führt, muß angewendet werden. Das ist selbstver­ ständlich. [29 . 3 . 1916] Ich kämpfe nicht um das Völkerrecht, ich kämpfe um die Existenz Deutsch­ lands: und um die zu wahren, um die Zukunft Deutschlands zu wahren, ist mir jedes Mittel recht, keines zu schlecht.

Mai-Demonstration 91.

185

Bericht Globigs, Auszug

Mai-Demonstration auf dem Potsdamer Platz in Berlin. Kar! und Rosa, S. 97-99.

Berlin, 1. Mai 1916 Unsere Jugendgenossen waren davon unterrichtet, daß die Spartakusgruppe den 1. Mai 1916 mit einer Demonstration gegen den imperialistischen Krieg begehen wollte. Die Demonstration war gut vorbereitet. Es wurden Tausende von Flugblättern hergestellt und verteilt, überall klebten die kleinen Zettel. Die Linken hatten alle Organisationen aufgefordert, an dieser Maidemonstra­ tion teilzunehmen. [ . . . ] Die Demonstration sollte abends in der achten Stunde auf dem Pots­ damer Platz stattfinden, wenn viele Menschen unterwegs waren. Wir trafen uns schon lange vor der festgesetzten Zeit, denn wir wollten sehen, was sich in der Umgegend tat. Im Rund des Leipziger Platzes standen die wohlgenährten, gesattelten Pferde der Polizei, während die Mannschaften die umliegenden Häuser besetzt hielten. Wir wanderten zwischen Leipziger und Potsdamer Platz hin und her. Nach und nach trafen immer mehr Genossen ein, schließlich hatte sich eine ganze Gruppe zusammengefunden. Langsam bewegten wir uns wieder auf den Potsdamer Platz zu und standen in der Nähe des Bahnhofs . Viele Menschen, mehr als sonst, belebten die umliegenden Stra­ ßen und den Platz. Wir erwarteten Karl Liebknecht auf der Terrasse von Cafe Josty am Potsdamer Platz. [ . . . ] Liebknecht kam aus dem Bahnhof, ohne per­ sönlichen Schutz, so, wie er in jede andere Versammlung gegangen wäre. In seiner Begleitung waren Rosa Luxemburg und einige andere Genossen. Die kleine Gruppe konnte wegen des starken Verkehrs nur schwer weiterkommen. Die Spitzel hatten sich bereits um Karl Liebknecht geschart, um ihn am Weitergehen zu hindern. Und so kam es, daß Liebknecht gar nicht bis zum Cafe J osty vordringen konnte, sondern mitten auf dem Potsdamer Platz seine berühmte Losung rief: "Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! " Der Ruf war weithin z u hören, er pflanzte sich fort, wurde weitergetragen. Im Handumdrehen war alles ein einziges Knäuel; Genossen versuchten, Liebknecht von den Spitzeln und Polizisten loszureißen, Rosa Luxemburg hängte sich an ihn . Aber es gelang nicht, Karl Liebknecht vor der Verhaftung zu bewahren. Die Polizeibeamten führten ihn ab . Noch bis in die Nachtstunden dieses 1 . Mai waren die Straßen in der Nähe des Bahnhofs mit demonstrierenden Menschen gefüllt, gegen die immer wie­ der Polizei eingesetzt wurde . Aber Karl Liebknechts "Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung! " war nicht mehr auszulöschen.

186 92.

1916 Aufzeichnung Kemnitz'

Deutsch-japanische Verhandlungen 1• Scherer - Grunewald I, Nr. 242 .

Berlin, 8 . Mai 1916 I. L e i s t u n g e n J a p a n s 1 . Sofortige Einstellung der Kriegslieferung an unsere Feinde. 2. Friedensvermittlung bei Rußland auf folgender Grundlage: a. Rußland tritt ab Polen, Litauen und Kurland und willigt ein, daß Persisch Kurdistan, Luristan und Chusistan an Türkei fallen. Es desinteressiert sich auf dem Balkan. Es willigt in die Aufhebung der Kapitulation in der Türkei. b. Rußland erhält den eroberten Teil von Türkisch Armenien, den Rest von Persien, Ostturkestan, Kukunor, Dsungerei 2, Äußere Mongolei, Nördl. Mandschurei, Kensu, Schensi '. Es erhält das Recht der Durchfahrt durch die Meerengen für einzelne Kriegsschiffe. 3 . Geldentschädigung für Tsingtau und Südseebesitzungen. Tsingtau wird chin[ esischer] Vertragshafen mit internationaler Niederlassung. 4. Sicherstellung bestehender deutscher wirtschaftlicher Unternehmungen in China und Meistbegünstigung für den deutschen Handel nach China, abge­ sehen von Japan. Zusage, daß, falls Japan fremde Unterstützung bei wirt­ schaftl[ichen] Unternehmen in China braucht, es sich zunächst an Deutsch­ land wendet. 5. Defensivbündnis gegen England und Frankreich nach Beendigung des Weltkriegs , spätestens nach Ablauf des engl. -französischen Bündnisvertrags ( 13 . Juli 1921 ) 3 • 6 . Anerkennung, daß Niederländ[isch] Indien nicht jap[anische] Interes­ sensphäre ist.

Vermerk: "Die Unabhängigkeit und Integrität von China muß nominell gewahrt bleiben wegen Einleitung zu engl. -japan. Bündnisvertrag" [vom 13 . 7. 191 1 ] . 1 Dazu Scherer-Grunewald I Nr. 228 - 229, 231-232, 237-239, 243 -246, 248, 252 -253, 255. Hölzle, Selbstentmachtung S . 508 -530. Ikle, Japanese-German Peace Negotiations. 2 Dsungarei. 3 Muß heißen: "engl.-japanischen Bündnisvertrags" . •

187

Deutsch-japanische Verhandlungen

I I . Leistungen D eutschlands 1 . Abtretung von Tsingtau und der von Japan besetzten deutschen Besitzun­ gen in der Südsee. 2 . Übernahme der Kosten für die Internierung der deutschen Kriegsgefan­ genen in Japan. 3 . Einverständnis mit Errichtung eines japan[ischen] Protektorats über China •, abgesehen von den Gebietsteilen, die in die russische Interessens­ phäre fallen (I 2 b). 4 . Defensivbündnis gegen England und Frankreich wie zu I 5. Kemnitz Die Verhandlungen sind an einem neutralen europäischen Orte zu führen, wohin Japan geeigneten Unterhändler mit entsprechenden Vollmachten zu entsenden hat. [. . .] 93.

Aufzeichnung Capelies

Deutsch-japanische Verhandlungen. Scherer - Granewald I, Nr. 246.

Berlin, 9. Mai 1916 Ganz geheim! durch Offizier geschrieben. Votum S . Exzellenz des Herrn Staatssekretärs des Reichsmarineamts Admirals v. Capelle zur Japan Angelegenheit Wenn durch die gedachten Abtretungen an Japan sowohl der Frieden mit diesem als auch ein uns vorteilhafter Separatfrieden mit Rußland gesichert werden kann, so würde darin nach meiner Kenntnis der Gesamtverhältnisse eine so bedeutende Chance liegen, den Krieg im ganzen siegreich für uns zu beenden, daß demgegenüber die Nachteile dieser Abtretungen zurückzutreten hätten. Unter dieser Voraussetzung kann ich, indem ich mich dabei lediglich auf den Boden der großen Politik stelle, dem geplanten Vorgehen - das übrigens, wenn ich recht verstanden, schon als vollendete Tatsache an mich herantritt nachträglich zustimmen. Würde der erhoffte Preis nicht voll zu erreichen sein, so sehe auch ich zwar zur Zeit keinen Weg Tsingtau wieder zu erhalten, möchte aber dann einem freiwilligen Verzicht nicht das Wort reden .

188

1916

Vorbedingung für die tatsächliche Ausführung wird daher m. E. sein müs­ sen, daß der Separatfrieden mit Japan und Rußland vorher gesichert ist. Der Abtretung der von Japan besetzten Südseeinseln kann ich in Überein­ stimmung mit dem Chef des Admiralstabes auch vom militärischen Stand­ punkt aus zustimmen. Begrüßen würde ich eine Regelung, die Deutschland im Besitz einer oder einiger Inseln für den Ausbau eines eigenen Welt F[unk] T[elegraphie] Netzes ließe, dessen Wert als Gegengewicht gegen den englischen Welt-Nachrichten­ dienst für den Frieden bestehen bleibt, selbst wenn mit alsbaldigem Verlust in einem großen Kriege gerechnet werden muß . Für wichtig genug, um die Ver­ ständigung mit Japan hieran scheitern zu lassen, halte ich diesen Punkt jedoch nicht. Hinsichtlich der Behandlung der in Tsingtau und Schantung vorhandenen deutschen Privatinteressen halte ich für ausgeschlossen, daß durch Staatsver­ trag Japan eine Handhabe gegeben werden darf, die deutschen Wirtschaftsin­ teressen gegen Geldentschädigung aus diesem Gebiet völlig zu beseitigen. Ein derartiger Rückgang würde unsere gesamte wirtschaftliche Stellung im fernen Osten unheilbar schädigen . Wir würden damit einen der wenigen überhaupt noch uns zugänglichen Märkte und zwar den zukunftsreichsten kampflos aufgeben. Selbst wenn ein Teil der dortigen Interessenten im Augenblick die Geld­ abfindung vorziehen sollte, müßte m. E. im Staatsinteresse durchgesetzt wer­ den, daß Japan deutschen Firmen in Tsingtau und Schantung mindestens die gleichen Garantien für wirtschaftliche Betätigung gibt, wie sie deutsche und andere europäische oder amerikanische Firmen in Japan genießen . Noch besser wäre selbstverständlich eine Vereinbarung, die den Grundsatz der offenen Tür für Deutschland ausdrücklich anerkennt. In welcher Weise die Firmen sich mit trotz solcher Garantien zu erwarten­ den Schikanen der Japaner abzufinden wissen, wird der Entwicklung überlas­ sen bleiben können 1• v. Capelle

1 Abgezeichnet von Bethmann Hollweg am 9. 5. 1916 .

Hungerunruhen 94.

189

Bericht der Leipziger Polizei an die Berliner Polizei

Leipziger Hungerunruhen 13.-15. Mai 1916. Dokumente u. Materialien II/1, S. 392 .

Berlin, 16. Mai 1916 Abteilung III. Exekutive I. Kommissariat Durch ein Telefongespräch mit zuverlässiger Stelle in Leipzig wird von dort folgendes mitgeteilt: Am Sonnabend, Sonntag und Montag fanden in Leipzig, hauptsächlich im Westen (Lindenau-Plagwitz), größere Lebensmittelkrawalle statt. Da die Polizei machtlos war, wurden drei Kompanien Infanterie und eine Schwadron Kavallerie requiriert. Die Truppen waren mit scharfen Patronen ausgerüstet, haben aber nicht geschossen. Die Truppen hatten die Anweisung, die Menge, Frauen und halbwüchsige Burschen, vor sich herzutreiben und zurückzudrängen, was auch geschehen ist. Es sollen verschiedene Personen verletzt und auch nach dem Krankenhaus geschafft sein. Bis jetzt soll eine Person verstorben sein. Von der Volksmenge sind während der dreitägigen Unruhen etwa 100 große Schaufensterscheiben eingeschlagen worden. Schinken und dergl. flogen auf die Straße und zwischen die Menge . Auch Straßenbahnwagen und Straßen­ laternen sind zerstört worden. Seit etwa acht Tagen sollen fast alle Lebensmit­ telgeschäfte geschlossen sein, was von dem Publikum als künstliche Zurück­ haltung der nötigsten Lebensmittel angesehen wird. Dietrich Kriminalschutzmann 1677 95.

Aufzeichnung Kemnitz'

Oberlegungen im Auswärtigen Amt betr. deutsche Friedensbedingungen anläßtich der deutsch-japanischen Verhandlungen (s. Nr. 92) . Scherer - Grunewald I, Nr. 252 .

Berlin, 17. Mai 1916 A. Friedensbedingungen I . Leistungen D eutschlands 1 . Deutschland veranlaßt Österreich-Ungarn zur Abtretung des von Ruß­ land besetzten Teiles von Ostgalizien. (Im Notfalle ist die Abtretung des ganzen ruthenischen Ost­ g a l i z i e n s m i t L e rn b e r g z u z u g e s t e h e n , e b e n s o w i e d e s r u t h e n i -

1916

190

s e h e n Te i l s d e r B u ko w i n a , d e r e n r u m ä n i s c h e r Te i l d a n n a n Ru m ä n i e n f ä l l t . ) 2 . Deutschland veranlaßt die Türkei: a. Rußland das Recht der Durchfahrt einzelner Kriegsschiffe durch die Meerengen zuzugestehen; b. den von Rußland besetzten Teil von Türkisch-Armenien an dieses abzu­ treten. 3 . Deutschland erkennt ganz Persien mit Ausnahme der der Türkei zu über­ lassenden Provinzen (111, 6) als russische Interessensphäre an, ebenso Afgha­ nistan . 4. Deutschland dehnt die in der Potsdamer Abmachung 1 Rußland für das nördliche Persien gegebene Zusage auf das ganze Land aus, und ebenso auf Afghanistan. 5. Deutschland erkennt die japanische und die russische Interessensphäre in China (II, 1 u. III, 7) an. 6. Deutschland tritt die durch den Kiautschau-Vertrag 2 in Schantung er­ worbenen politischen und wirtschaftlichen Vorzugsrechte an Japan ab . 7. Deutschland veranlaßt, falls Japan dies wünschen sollte, die Schantung­ Eisenbahn-Gesellschaft zur Abtretung ihrer sämtlichen Rechte an Japan gegen volle Entschädigung. 8 . Deutschland tritt die Karolinen, Marianen und Marschallinseln an Japan ab . Deutschland behält das Recht, auf einer der abgetretenen Inseln eine Station für drahtlose Telegraphie zu unterhalten. 9. Deutschland übernimmt die Kosten für die Internierung seiner Gefange­ nen in Japan und Rußland und sorgt dafür, daß seine Verbündeten die gleiche Verpflichtung übernehmen. 10. Deutschland gewährt Rußland für alle Zukunft die Meistbegünstigung, doch findet diese Abmachung keine Anwendung auf Vorzugszölle, die Deutschland etwa Österreich-Ungarn einräumen sollte, sofern die Differen­ zierung nicht 20% des Warenwertes übersteigt. Die mit Japan und Rußland bestehenden Handelsverträge und sonstigen Staatsverträge der Zentralmächte bleiben in Kraft.

II. L e i s t u n g e n J a p a n s 1 . Japan erkennt die chinesische Provinz Kansu, Chinesisch-Ostturkestan, Kukunor, die Dsungarei, die äußere Mongolei und die nördliche Mandschurei 1 Nikolaus II. - Wilhelm II. (4 ./5 . 1 1 . 1910).

z

Vom 6. 3 . 1898.

Deutsch-japanische Verhandlungen

191

als russische Interessensphäre an. Die nähere Auseinandersetzung bleibt Japan und Rußland überlassen. 2. Japan erstattet Deutschland die Hälfte seines in Tsingtau aufgewendeten Kapitals (im ganzen etwa 175 Mill. M . ) und entrichtet Deutschland für die Ka­ rolinen dieselbe Summe, die Deutschland seinerzeit an Spanien gezahlt hat. ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f ve r z i c h t e t we r d e n . ) 3 . Japan gibt die Stadt Tsingtau an China zurück, welches daraus einen chinesischen Vertragshafen mit internationaler Niederlassung macht. Werden nationale Niederlassungen eingerichtet, erhält Deutschland auch eine. ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f v e r z i c h t e t we r d e n . ) 4 . Japan verpflichtet sich, den deutschen wirtschaftlichen Unternehmun­ gen in China keine Hindernisse zu bereiten. Falls Japan bei wirtschaftlichen Unternehmungen in China fremder Hilfe bedarf, wird es sich zunächst an Deutschland wenden . 5 . Japan erkennt an, daß Niederländisch-Indien außerhalb seiner Interes­ sensphäre liegt. ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f ve r z i c h t e t we r d e n . ) 6 . Die mit den Zentralmächten bestehenden Handelsverträge und sonsti­ gen Staatsverträge bleiben in Kraft. Japan wird den Zentralmächten in seiner chinesischen Interessensphäre mindestens dieselben Rechte wie allen anderen fremden Mächten einräumen . 7. Japan tritt bei den Westmächten für die Annahme der in der Anlage auf­ geführten Mindestforderungen der Zentralmächte ein. Lehnen erstere diese ab, so erhalten die Zentralmächte gegen Japans bisherige Verbündete völlig freie Hand, und Japan enthält sich jeder Unterstützung derselben .

III. L e i s t u n g e n Ru ß l a n d s 1 . Rußland tritt an Deutschland Kurland und Lithauen ab . ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f v e r z i c h t e t we r d e n . ) 2 . Rußland tritt an Deutschland und Österreich-Ungarn das Land westlich der allgemeinen Linie Niemen-Grodno-Brest Litowsk-oberer Bug (die bei­ den genannten Städte eingeschlossen) ab . Die Auseinandersetzung bleibt Deutschland und Österreich-Ungarn überlassen. 3. Rußland desinteressiert sich auf dem Balkan und erklärt sich damit ein­ verstanden, daß : a. die Regelung der serbischen Frage Österreich-Ungarn und Bulgarien über­ lassen bleibt; b. Montenegro nur in den Grenzen, die es vor dem Balkankriege besaß, und nur unter der Voraussetzung wiederhergestellt wird, daß es mit Österreich-

192

1916

Ungarn ein Schutz- und Trutzbündnis schließt, in den österreichisch-ungari­ schen Zollverband eintritt und Österreich-Ungarn das Besatzungsrecht in Podgoritza 3 einräumt; c. die Regelung der albanischen Frage ausschließlich Österreich-Ungarn, Bul­ garien und Griechenland überlassen bleibt. 4. Rußland willigt nach dem Vorgange der Zentralmächte in die Aufhebung der Kapitulationen in der Türkei 4• 5. Rußland verzichtet gegen Entschädigung auf schon erworbene Eisen­ bahnkonzessionen in der asiatischen Türkei und erklärt, daselbst auch in Zu­ kunft solche weder selbst erwerben, noch dahin zielende Gesuche russischer Untertanen unterstützen zu wollen. 6. Rußland überläßt Persisch-Kurdistan, Luristan und Chusistan der Türkei . 7. Rußland erkennt das Land der 18 Provinzen außer Kansu, die innere Mongolei und die südliche Mandschurei als japanische Interessensphäre an. Die nähere Auseinandersetzung bleibt Japan und Rußland überlassen . 8. Die von den russischen Zivil- und Militärbehörden aus den unter 1. und 2 . aufgeführten abzutretenden Gebieten vertriebene B evölkerung kehrt, soweit sie nicht deutscher Zunge und christlichen Glaubens ist, dorthin nicht mehr zurück, sondern wird von Rußland versorgt und eventuell ent­ schädigt. 9. Rußland gestattet den russischen Untertanen deutscher Zunge die Aus­ wanderung nach Deutschland unter Mitwirkung deutscher amtlicher Organe. 10. Rußland gewährt vollen Ersatz des in Ostpreußen, Galizien und der Bukowina angerichteten Schadens. Wenn Rußland hierzu zunächst außer­ stande ist, mag es seine Unfähigkeit erklären, seine äußere Staatsschuld ferner­ hin zu verzinsen und zurückzuzahlen . Den jährlichen Betrag, den es hierfür bisher aufzuwenden hatte, zahlt es einige Jahre lang an Deutschland und Österreich-Ungarn . ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f v e r z i c h t e t we r d e n . ) 1 1 . Rußland verzichtet auf die noch rückständige türkische Kriegsentschä­ digung. 12 . Rußland vergütet den Schaden, den Untertanen der Zentralmächte während des Krieges und in der Woche vor dessen Ausbruch unter Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze auf russischen Gebieten erlitten haben. 13 . Rußland ersetzt den Zentralmächten die Kosten für die Internierung der russischen Kriegsgefangenen. 14 . Rußland gewährt Deutschland für alle Zukunft die Meistbegünstigung. 3 Podgorica. 4 8. 9. 1914 (mit Wirksamkeit vom 1. 10. 1914).

Deutsch-japanische Verhandlungen

193

Die zwischen Rußland und den Zentralmächten geschlossenen Handelsver­ träge und sonstige Staatsverträge bleiben in Kraft. Rußland wird den Zentralmächten in seiner chinesischen Interessensphäre mindestens dieselben Rechte wie allen anderen fremden Mächten einräumen. 15. Rußland tritt bei den Westmächten für die Annahme der in der Anlage aufgeführten Mindestforderungen der Zentralmächte ein. Lehnen erstere dies ab, so erhalten die Zentralmächte gegen Rußlands bisherige Verbündete völlig freie Hand, und Rußland enthält sich jeder Unterstützung derselben .

Anlage I. L e i s t u n g e n D e u t s c h l a n d s 1 . Deutschland überläßt Frankreich das zum wallonischen Sprachgebiet gehörige Dreieck Meenen (Menin)-Namen (Namur)-Givet (ausschließlich dieser drei Orte). 2. Deutschland tritt Togo an Frankreich ab . ( N u r i m N o t f a l l e . ) 3 . Deutschland tritt Kaiser Wilhelms Land, den Bismarck Archipel, die Salomoninseln und Samoa an England ab . 4. Deutschland erkennt die Annexion Egyptens durch England an. 5 . Deutschland übernimmt die Kosten für die Internierung seiner Gefange­ nen. 6. Deutschland gewährt Frankreich für alle Zukunft die Meistbegünsti­ gung, doch findet diese Abmachung keine Anwendung auf Vorzugszölle, die Deutschland etwa Österreich-Ungarn einräumen sollte, sofern die Differen­ zierung nicht 20% des Warenwertes übersteigt. Die Handelsverträge und sonstigen Staatsverträge mit England, Frankreich, Italien und Portugal bleiben in Kraft. Il. L e i s t u n g e n Ö s t e r r e i c h - Un g a r n s 1. Österreich-Ungarn tritt Italien die besetzten Grenzgebiete ab . 2. Wie I, 4. 3 . Wie I , 6 Abs . 2 . I I I . L e i s t u n g e n d e r Tü r k e i 1 . Wie I , 4. 2. Wie I, 5 . 3 . Wie I, 6 Abs . 2 .

194

1916

IV. L e i s t u n g e n B u l g a r i e n s 1 . Wie I , 4 . 2 . Wie I, 5 . 3 . Wie I , 6 Abs . 2 . V. L e i s t u n g e n E n g l a n d s 1 . England tritt an Deutschland das Gebiet von Jola S , die Walfischbai, Sansibar und Pemba, Britisch-Somaliland, Sokotra und die Tschusan Inseln 6 ab . (Auf B ritisch S o m aliland u n d S o kotra kann im Notfalle ver­ z i e h t e t we r d e n . ) 2 . England tritt an die Türkei die Sinai-Halbinsel bis etwa zum 33. Längen­ grad ab . 3 . England willigt ein, daß Belgien bis zur Maas mit Lüttich und Namen (Namur) an Deutschland fällt, und daß aus dem übrigen Teil des Landes, so­ weit er nicht französisch wird, (1, 1 ) , unter einer anderen deutschen katho­ lischen Dynastie ein selbständiges Königreich Flandern gebildet wird, welches dem deutschen Zollverband beitritt und mit Deutschland ein Schutz- und Trutzbündnis schließt. Deutschland erhält das Besatzungsrecht in Antwer­ pen, Seebrügge und Dünkirchen (vgl. VI, 2). Sollten Deutschland und die Niederlande dies wünschen, so ist England da­ mit einverstanden, daß die drei Nordzipfel der bisherigen belgiseben Provinz Antwerpen an die Niederlande fallen . Die belgisehe Kongokolonie erhält Deutschland . ( I m N o t f a l l e i s t B e l g i s c h - Ko n g o F l a n d e r n z u ü b e r l a s s e n . ) 4 . England willigt ein, daß Luxemburg dem Deutschen Reiche einverleibt wird. Das deutsche Sprachgebiet von Arel (Arlon) wird Luxemburg zuge­ schlagen . 5 . England zahlt den Zentralmächten eine Kriegsentschädigung von 20 Milliarden M[ark], deren Verteilung diesen überlassen bleibt. ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f b i s z u r H äl f t e ve r z i c h t e t we r d e n . ) 6 . England willigt in die Aufhebung der Kapitulation in der Türkei . 7. England vergütet den Schaden, den Untertanen der Zentralmächte wäh­ rend des Krieges und in der Woche vor dessen Ausbruch unter Verletzung völkerrechtlicher Grundsätze auf britischem Gebiete erlitten haben. 8 . England ersetzt die Kosten für Internierung der englischen Kriegsgefan­ genen . 9. Die zwischen England und den Zentralmächten abgeschlossenen Han­ delsverträge und sonstigen Staatsverträge bleiben in Kraft. 5 An der Westgrenze von Kamerun. 6 Wohl Tschagos-Inseln im Indischen Ozean.

Deutsch-japanische Verhandlungen

195

10. England tritt den zwischen Deutschland, Japan und Rußland getroffe­ nen Abmachungen, insoweit sie zur Bekanntgabe an Vierte bestimmt sind, bei. VI . L e i s t u n g e n F r a n k r e i c h s 1 . Frankreich tritt das Gebiet nordöstlich und östlich der allgemeinen Linie Nomeny-Etain-Rocroi-Givet einschließlich dieser vier Orte an Deutschland ab. ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f ve r z i c h t e t we r d e n . ) 2 . Frankreich tritt Französisch-Flandern bis einschließlich Gravelingen (Gravelines) an das neu zu bildende Königreich Flandern ab . 3 . Frankreich tritt Französisch-Kongo und Französisch-Somaliland mit Obok und Dschibuti an Deutschland ab . ( I m N o t f a l l e k a n n a u f F r an z ö s i s c h - S o m a l i l a n d ve r z i c h t e t we r den . ) 4 . Wie V, 3 . 5 . Wie V, 4 . 6. Frankreich zahlt den Zentralmächten eine Kriegsentschädigung von 10 Milliarden M[ ark] , deren Verteilung diesen überlassen bleibt. ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f b i s z u r H äl f t e ve r z i c h t e t we r d e n . ) 7. Wie V, 6. 8 . Wie V, 7. 9. Wie V, 8. 10. Frankreich gewährt Deutschland für alle Zukunft die Meistbegünsti­ gung. Die zwischen Frankreich und den Zentralmächten geschlossenen Han­ delsverträge und sonstigen Staatsverträge bleiben in Kraft. 1 1 . Wie V, 10. VII . L e i s t u n g e n I t a l i e n s 1 . Italien desinteressiert sich auf dem Balkan und überläßt Valona 7 Griechenland. 2. Italien überläßt Griechenland die besetzten türkischen Inseln. 3 . Wie V, 6 . 4 . Wie V, 8 . 5 . Wie V, 9. 6 . Wie V, 10. VIII . L e i s t u n g e n Po r t u g a l s 1 . Portugal tritt entweder Madeira oder die Kapverdischen Inseln an Deutschland ab . 7

Alban. Vlore, türk. Avlonya.

1916

196

2. Portugal tritt Säo Tome und Prinzipe 8, sowie den südlich des 14 .0 süd­ licher Breite und östlich des 18.0 östlicher Länge gelegenen Teil von Angola an Deutschland ab . ( I m N o t f a l l e k a n n h i e r a u f ve r z i c h t e t we r d e n . )

B . Bündnis- und Neutralitäts-Verträge I. G e h e i m ve r t r a g z w i s c h e n D e u t s c h l a n d , J a p a n u n d Ru ß l a n d 1. Wird eine der drei Vertragsmächte von England angegriffen, s o leisten ihr die beiden anderen bewaffnete Hilfe zu Lande und zu Wasser. Kommt eine oder mehrere andere Mächte England zu Hilfe, so wird der Krieg von den drei Vertragsmächten auch gegen diese gemeinsam geführt. 2. Nach Ablauf des englisch-japanischen Bündnisses (13 . Juli 1921 ) erhält der Anfang von Ziffer 1 folgende Form : "Gerät eine der drei Vertragsmächte mit England in Krieg" usw. (Ziffer 2 ist auch vor Österreich-Ungarn geheim zu halten. )

li.

G e h e i m ve r t r a g z w i s c h e n D e u t s c h l a n d , J a p a n u n d Ö s t e r r e i c h - Un g a r n

1. Wird Deutschland oder Österreich-Ungarn von Rußland angegriffen, so Ieistet Japan ihnen bewaffnete Hilfe zu Lande und zu Wasser. 2. Wird Japan von Rußland angegriffen, so leistet Deutschland und Öster­ reich-Ungarn Japan bewaffnete Hilfe zu Lande und zu Wasser. (Auch vor Rußland geheim zu halten. )

III . G e h e i m ve r t r a g z w i s c h e n D e u t s c h l a n d u n d Ru ß l a n d 1. Greift Frankreich Deutschland an, s o bleibt Rußland neutral. 2. Greift Japan oder Österreich-Ungarn Rußland an, so bleibt Deutschland neutral. (Auch vor Japan und Österreich-Ungarn geheim zu halten .)

8

Principe.

197

Wirtschaftsbeziehungen mit Wien 96.

Niederschrift über die Besprechung Koerners mit Vertretern führender Wirt­ schaftsverhände in Berlin *

Die Neugestaltung der Wirtschaftsbeziehungen zu Österreich-Ungarn. Gutsche, Nr. 145 .

Berlin, 31. Mai 1916 Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung um 41;4 Uhr und bezog sich auf das den Teilnehmern an den früheren Verhandlungen zugegangene Protokoll vom 8. und 19. Mai. Von einzelnen Seiten wurde die i n beiden Protokollen enthaltene Zusam­ menstellung des Ergebnisses der Verhandlungen durch den Vorsitzenden be­ mängelt. Insbesondere wurde von Herrn Landrat Roetger und Herrn Geheimen Finanzrat Hugenberg erklärt, daß der Zentralverband deutscher Industrieller, der Bund der Industriellen, der Bund der Landwirte, der Deutsche Bauern­ bund, die Vereinigung der Deutschen Bauernvereine und der Reichsdeutsche Mittelstandsverband nach einer inzwischen abgehaltenen Besprechung ihrer Vertreter darauf Wert legten, festzustellen, daß sie sich auf die in der Zusam­ menstellung als Auffassung der Mehrheit angegebenen Anschauungen nicht festlegen wollen. Die Frage unter Ziffer II, 2 des Programms für die Sitzungen vom 8. und 19. Mai sei vielmehr nach der Meinung der genannten Körper­ schaften folgendermaßen zu beantworten: "In weiten Kreisen der Industrie und des Handels besteht die Befürchtung, daß ein Vorzugszollsystem zwischen Österreich-Ungarn und uns die Han­ dels- und Absatzinteressen des Deutschen Reiches auf dem Weltmarkte beein­ trächtigen müsse, die nach allseitiger Auffassung von so überwiegender Be­ deutung sind, daß ersteres nicht mit ihrer Schädigung erkauft werden darf. Ein sicherer Tag, dies zu vermeiden, eröffnet sich n u r d a n n , wenn bei Kriegsschluß die Machtverhältnisse so liegen, daß wir Rußland und Frank­ reich gegenüber unter vorläufiger Bevorzugung der über die Landgrenze die­ ser Länder eingehenden Waren für uns die Meistbegünstigung im bisherigen

'' An der Beratung unter Vorsitz von P. v. Koerner nahmen führende Vertreter des Zentralverbandes deutscher Industrieller, des Bundes der Industriellen, des Deutschen Handelstages, des Hansabundes, des Handelsvertragsvereins, des Deutschen Landwirt­ schaftsrates, des Bundes der Landwirte, des Deutschen Bauernbundes, der Vereinigung der deutschen Bauernvereine, des Deutsch-Österreichisch-Ungarischen Wirtschaftsver­ bandes und des Mitteleuropäischen Wirtschaftsverbandes und des Mitteleuropäischen Wirtschaftsvereins für Deutschland teil.

198

1916

Umfange aufrecht erhalten, dagegen zwecks Abschneidung einer gegen un­ sern Weltabsatz gerichteten Zollpolitik für uns die allgemeine Ausnahme durchsetzen können, daß die Meistbegünstigung für Rußland und Frankreich k e i n e n A n s p r u c h a u f d e n M i t g e n u ß v o n Vo r z u g s b e d i n g u n g e n begründet, die das Deutsche Reich anderen Staaten auf Grund b e s on d e r e r Zugeständ n i s s e gewäh r t . Un t e r d i e s e n Vo r a u s s e t z u n g e n und f a l l s mit dem Vorzugszollsystem ferner die Vereinbarung verbunden wird, daß - etwa mit Ausnahme einiger weniger von vornherein festzulegender Sätze - alle nach dem bisherigen Ver­ hältnisse bestehenden Zollsätze im beiderseitigen Verkehr dauernd als H ö c h s t s ä t z e gelten sollen, so erscheint eine Vorzugsbehandlung zwischen dem Deutschen Reiche und Österreich-Ungarn im beiderseitigen Interesse möglich und durchführbar. Vereinbarungen, die darüber vor dem Friedens­ schlusse etwa getroffen werden, dürfen uns nur für den Fall der Verwirklichung obiger Voraussetzungen binden. Der Umfang dieser Vorzugsbehandlung ist von der künftigen Entwicklung der handelspolitischen Verhältnisse auf dem Weltmarkte, namentlich von dem handelspolitischen Ergebnisse des Friedensschlusses abhängig, dessen Erör­ terung außerhalb der Aufgabe der Versammlung liegt. In bezug auf seine Fest­ legung gelten deshalb die Vorbehalte, die von verschiedenen Seiten, u. a. auch in der Eingabe der 6 Verbände 1 gemacht sind . Ist man nicht gewillt, beim Friedensschluß obige Voraussetzungen zu verwirklichen, oder hält man ihre Verwirklichung nicht für erreichbar, so widerspricht es dem deutschen Interesse, mit Österreich-Ungarn über eine ge­ genseitige Zollbevorzugung zu verhandeln. " Diese Erklärung fand nicht auf allen Seiten Zustimmung. Insbesondere wurde hervorgehoben, daß es nicht auf Frankreich und Rußland allein an­ komme, sondern daß ebenso darauf Wert zu legen sei, daß durch eine etwaige Vorzugsbehandlung Österreich-Ungarns auch unsere handelspolitischen Beziehungen zu anderen Staaten wie England, Italien, Schweiz nicht beein­ trächtigt würden. Von Herrn Professor Dade und Herrn Dr. Gerber wurde erklärt, daß die von ihnen vertretenen Körperschaften der Festhaltung an dem Prinzip der all­ gemeinen Meistbegünstigung (Seite 3 der Niederschrift vom 8. Mai) nicht zustimmen könnten. Die allgemeine Diskussion über die Frage der Gewährung von Vorzugszöl­ len zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn und ihre Rückwirkung auf unser handelspolitisches Verhältnis zu anderen Staaten wurde hierauf fest-

1 Vorn 10. 3. und 20. 5. 1915 (vgl. Fenske Nr. 121 ).

199

Vereinsgesetz

gesetzt •. Schließlich einigte man sich dahin, daß in der nächsten, vom Vorsit­ zenden anzuberaumenden Versammlung eine kurze Zusammenstellung des Ergebnisses der bisherigen Verhandlungen vorgelegt werden soll. Ferner soll durch den Vorsitzenden und die Herren Professor Dr. Dade, Kommerzienrat Friedrichs und Dr. Soetbeer versucht werden, ein spezialisier­ tes Arbeitsprogramm für etwa einzusetzende Ausschüsse aufzustellen. Dieses Programm soll ebenfalls der nächsten Versammlung vorgelegt und von dieser sodann entschieden werden, ob, in welchem Umfange und in welcher Zusam­ mensetzung solche Ausschüsse eingesetzt werden sollen.

97.

Gesetz zur Änderung des Vereinsgesetzes vom 19. April 1908 1 RGB1 1916, 1, S. 635.

Großes Hauptquartier, 26. Juni 1916 W i r W i l h e l m , v o n G o t t e s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, Kö n i g v o n Preußen etc . verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt: Hinter § 17 des Vereinsgesetzes wird eingefügt: § 17a Die Vorschriften der §§ 3, 17 über politische Vereine und deren Versamm­ lungen sind auf Vereine von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Behufe der Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht aus dem Grunde anzuwenden, weil diese Vereine auf solche Angelegenheiten der Sozialpolitik oder der Wirtschaftspolitik einzuwirken bezwecken, die mit der Erlangung oder Erhaltung günstiger Lohn- oder Arbeitsbedingungen oder mit der Wahrung oder Förderung wirtschaftlicher oder gewerblicher Zwecke zugunsten ihrer Mitglieder oder mit allgemeinen beruflichen Fragen im Zusammenhange stehen. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Großes Hauptquartier, den 26. Juni 1916 . Wilhelm Dr. HelHerich a

Wohl richtig: "fortgesetzt" .

1 Siehe Huber, Dokumente Il, S. 374 - 3 78 ( § 17 S . 3 77).

1916

200 98.

Entschließung der 'Vereinigung der christlichen deutschen Bauemvereine', Aus­ zug

Sicherstellung der Ernährung. Schu!thess 32 (1916), S. 343 f.

[o . 0 .] 4. Juli 1916 1. Die "Vereinigung der christlichen deutschen Bauernvereine" richtet in Anbetracht der gesteigerten Knappheit an Nahrungsmitteln der verschieden­ sten Art, die bis zur nächsten Ernte noch bestehen wird, an die deutschen Landwirte die dringende Bitte, alles aufzubieten, um möglichst viel Nah­ rungsmittel zu erzeugen und sich auch für sich und ihren ganzen Hausstand in dem Verbrauch in noch vermehrtem Maße einzuschränken, um auf diese Weise der städtischen und Industriebevölkerung die gegenwärtige Kriegsnot möglichst zu erleichtern. Die Reichsleitung möge dahin trachten, daß als Grundprinzip unserer Kriegswirtschaftspolitik planmäßige systematische Vorratsansammlung in den Überschußgebieten angesehen wird . Soweit Regu­ lierungen notwendig sind, ist es zu empfehlen, dieselben möglichst gleich­ zeitig für alle Teile des Reiches vorzunehmen. Besondere Schwierigkeiten herrschen zur Zeit in der Fleisch- und Fettversorgung, weshalb es dringend er­ wünscht ist, daß diejenigen Landwirte, die noch von ihren Vorräten durch ver­ mehrte Sparsamkeit etwas erübrigen können, möglichst bald eine entspre­ chende Menge an die städtische Bevölkerung zu angemessenen Preisen abge­ ben. Hinsichtlich der Getreideversorgung ist es dringend erwünscht, daß die Selbstbewirtschaftung der Kommunalverbände in möglichst weitem Umfange durchgeführt wird . Die Feststellung der Qualität des abzuliefernden Ge­ treides muß auf den Verladestationen erfolgen, da sich nur auf diese Weise die unangenehmen Differenzen mit den Mühlen vermeiden lassen. Es ist darauf zu achten, daß die Mühlen die aus dem angelieferten Getreide erhaltenen Pro­ dukte vollständig wieder abliefern, wobei eine erhebliche Herabsetzung der Staub- und Schwundprozente möglich sein dürfte, um zu verhindern, daß nicht die aus deutschem Getreide gewonnenen Produkte als Auslandsmehl und Auslandskleie in den Handel kommen können. Den für die Kommunal­ verbände und das Reich mahlenden Mühlen ist jeder Handel mit Mehl und Kleie zu verbieten. [ . . ] .

201

Linke Streikagitation 99.

Aufruf der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands

Gegen die Streikagitation von 'Links'. Correspondenzbl. d. Generalkomm. d. Gewerkschaften Deutschlands, Jg. 26 Nr. 31 (29. 7. 1916).

Berlin, 25. Juli 1916 Arbeiter und Arbeiterinnen ! Der langandauernde Krieg lastet schwer auf allen Völkern; die Opfer sind gewaltig und an die Spannkraft des einzelnen im Felde und daheim werden hohe Anforderungen gestellt. Da ist es nur zu begreifen, daß Mißmut und Unzufriedenheit ausgelöst werden. Diese Stimmung wird leider in unverantwortlicher Weise von einzelnen Leuten mißbraucht, die die Arbeiterschaft verlocken wollen, zu Mitteln zu greifen, die nicht im geringsten geeignet sind, die Last zu erleichtern, wohl aber den Druck steigern. In anonymen Flugblättern, die im Laufe der letzten Monate in Partei- und Gewerkschaftskreisen verbreitet wurden, wird versucht, Haß und Mißtrauen gegen die von den Arbeitern selbst gewählten Vertrauensleute zu säen . Gegen Männer, die seit vielen Jahren an der Spitze der Organisation der deutschen Arbeiterklasse stehen, wird der Vorwurf erhoben, daß sie die sozialistischen Grundsätze preisgeben, die Beschlüsse deutscher Parteitage und internationaler Kongresse mißachten, Parteiverrat betreiben und anderes mehr. Diese Verdächtigungen und wüsten Schimpfereien könnte man unbeachtet lassen, wenn nicht zugleich die Arbeiterschaft zu unbesonnenen Handlungen aufgefordert und gewissenlos die Propaganda für Streiks und Massenaktionen betrieben würde, für die die Gewerkschaften und die sozialdemokratische Partei jede Verantwortung ablehnen müssen. Durch die Beschlüsse des Mann­ heimer Parteitages vom Jahre 1906 ist ausdrücklich die Vereinbarung mit den Gewerkschaften getroffen, daß bei politischen Massenaktionen vorher eine Verständigung und Beratung mit dem Vorstand der Sozialdemokratischen Par­ tei und der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands erfolgen muß . Wir konstatieren ausdrücklich, daß die sozialdemokratische Partei und die Leitung der Gewerkschaftsbewegung mit dieser Propaganda nichts gemein hat. Sie ist das Werk einzelner. Wohin soll es führen, wenn die Arbeiterschaft Aktionen unternehmen würde, die von Unberufenen auf eigene Faust und zwecklos eingeleitet sind? Die Folgen solch unbesonnener Handlungsweise müßte jeder einzelne tragen; denn weder die Partei noch die Gewerkschaften könnten hier mit Unterstützungen eingreifen.

202

1916

Wi r h a l t e n e s d e s h a l b f ü r u n s e r e P fl i c h t , d i e A r b e i t e r s c h a ft vor d e m Tr e i b e n d e r im D u n k e l d e r A n o n y m i t ä t w i r k e n d e n P r o ­ t e s t - u n d G e n e r a l s t r e i k ap o s t e l n a c h d r ü c k l i c h z u w a rn e n . Die Einleitung von Lohnbewegungen und Streiks ist Aufgabe der zuständi­ gen Gewerkschaftsorganisationen; sie tun zurzeit alles, um den berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder Nachdruck zu verleihen. In der Lebensmittelversorgung bestehen außerordentliche Schwierigkeiten; wir haben nicht unterlassen, mit den uns zu Gebote stehenden Mitteln die hier auftretenden Mißstände zu bekämpfen. Unausgesetzt sind wir bemüht gewe­ sen, die Leistungen der Fürsorge für die Arbeitslosen, die Kriegsfrauen, die Wirwen und Invaliden zu verbessern. Ablehnen müssen wir indes, Mittel in Anwendung zu bringen, denen von vornherein jeder Erfolg versagt ist. Deshalb haben wir auch sofort nach der Verkündigung des Kriegszustandes vor unüberlegtem Handeln gewarnt unter ausdrücklichen Hinweis auf die im Kriege geltenden Strafbestimmungen . Diese Warnung erneuern wir heute, wo mehr denn je kaltes Blut und ruhige Besonnenheit am Platze ist. Gerade jetzt, wo an allen Fronten unsere B rüder im Waffenrock unter unsäglichen Opfern dem gewaltigen Ansturm der gegnerischen Massenheere standhalten müssen, wo kurz vor der Ernte die Lebensmittelversorgung die größten Schwierigkeiten bereitet, müßte jede unbesonnene Aktion verhäng­ nisvoll wirken und vor allem die Arbeiterklasse selbst am schwersten treffen. Wie bisher, so muß auch im Kriege die einheitliche Aktion der Arbeiter­ klasse aufrechterhalten werden. Das war die Stärke der sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften, und diese wollen wir uns auch für die Arbeit nach dem Kriege erhalten. Wem es ernst ist mit der deutschen Arbeiterbewe­ gung, der weise diejenigen, die die Arbeiter zu törichten Handlungen verleiten wollen, mit aller Entschiedenheit zurück. Wer das putschistische Treiben einzelner, jeden Veranrwortlichkeitsgefühls barer Personen mitmacht oder an­ dere dafür zu gewinnen sucht, der dient weder der Arbeiterbewegung noch der Sache des Friedens, sondern trägt eher zur Verlängerung des Krieges bei. Unsere wichtigste Aufgabe ist aber die baldige Herbeiführung des Friedens . Dieser großen Pflicht sind sich die berufenen Körperschaften der Arbeiterbe­ wegung bewußt und sind unermüdlich bestrebt, sie zu erfüllen. A r b e i t e r, s t e h t t r e u z u E u r e n O r g a n i s a t i o n e n u n d we i s t a l l e Z e r s p l i t t e r u n g s ve r s u c h e z u r ü c k ! Der Parteivorstand Die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands

Separatfrieden mit Rußland 100.

Telegramm Grünaus

an

203

das AA

Möglichkeit eines Separatfriedens mit Rußland. Scherer - Grunewald I, Nr. 305.

Großes Hauptquartier, 15. August 1916 Geheim. Für den Herrn Reichskanzler. Seine Majestät läßt Euere Exzellenz dringend bitten zu verhüten, daß über etwaige Abmachungen mit Wiener Regierung bezüglich Polens irgendetwas in die Öffentlichkeit gelangt. Der Kaiser rechnet damit, daß durch die ergriffe­ nen Gegenmaßnahmen die russische Offensive zum Stehen gebracht und hier­ durch Rumänien ausgeschaltet wird, daß die englisch-französische Offensive keine nennenswerten Erfolge mehr erzielt und daß das Versagen der Offensive im Westen und Osten den Russen die Fortsetzung des Kriegs verleidet. Seine Majestät hofft, daß infolgedessen im . . . • der nächsten Monate der Augenblick eintreten wird, in dem wir zu einem Separatfrieden mit Rußland gelangen können. Diese Chance darf nicht dadurch präjudiziert werden, daß durch Ver­ lautbarung der Pläne hinsichtlich Polens eine neue Scheidewand aufgerichtet wird. In längeren Ausführungen erging sich der Kaiser darüber, daß seitens politi­ scher Leitung die Vorkehrungen getroffen und die Verbindungen angeknüpft werden sollten, die es ermöglichen, sobald militärisch die Vorbedingungen ge­ schaffen und der psychologische Moment eingetreten sei, sofort zuzufassen und zum Abschluß mit Rußland zu gelangen. Die offizielle Diplomatie könne dies aus naheliegenden Gründen nicht tun, am geeignetsten wären wohl die Juden, unter denen sich sicher ein Mann von entsprechendem Geschick mit den erforderlichen Verbindungen finden lasse, der an Ort und Stelle die Dinge genau beobachten und im geeigneten Moment Berlin verständigen müsse. Die Geldfrage solle keine Rolle spielen, wenn es sich darum handelte, eine maß­ gebende Persönlichkeit in Petersburg für den Frieden zu gewinnen. Ich erwiderte, daß wir meines Wissens solche Leute an der Hand hätten, daß immer wieder Fühler ausgestreckt worden seien, daß aber bisher auf der anderen Seite keinerlei Disposition zu Verhandlungen festgestellt werden konnte . Sobald hierin infolge des Verlaufs der kriegerischen Ereignisse eine Änderung eintreten würde, würden wir auch wohl in der Lage sein, durch unsere Leute Nutzen daraus zu ziehen. Seine Majestät betonte, daß Er mit dem Gesagten keinen Vorwurf ausspre­ chen, sondern nur auch seinerseits auf die sich bietenden Möglichkeiten hin•

Wahrscheinlich : 'Laufe'.

1916

204

weisen wolle, da Er es für Seine Pflicht halte nichts unversucht zu lassen, was uns dem Frieden näherbringt. Dem Kaiser schwebt, wie ich seinen weiteren Äußerungen entnehme, vor, daß man Rußland gegenüber auch mit einem Appell an eine gewisse Solidarität der dynastischen Interessen der 3 Kaiser im Gegensatz zu der Advokaten-Regierung der Westmächte operieren könnte. Ich habe den Eindruck, daß Seine Majestät Sich nunmehr auf den von Euerer Exzellenz längst vertretenen Standpunkt stellt, Rußland militärisch zu fassen, daß es aus der Koalition herausgedrängt wird, wodurch wahrscheinlich Frank­ reich nachgezogen wird und wir freie Hand gegen England erhalten. General v. Falkenhayn, mit dem der Kaiser auch hierüber gesprochen hat, teilt diese Ansicht. Wie wenig konsequent er aber ist, ergibt sich aus folgendem : Gestern hat General v. Falkenhayn die Chefs der Armeen kommen lassen, um vor seiner Abreise die Lage zu besprechen. Dabei wurde zwischen Herrn v. Falkenhayn und Knobelsdorf vereinbart, daß die Angriffe gegen Verdun von neuem aufgenommen werden sollen; insbesondere ist eine abermalige Unter­ nehmung gegen Souville geplant, worüber der Kronprinz 1 und Schulenburg außer sich sind. Kronprinz hat wiederholt um Einstellung der Offensive gebe­ ten. Herr v. Falkenhayn . . . b ferner erlaubt, daß kleinere Offensiven gemacht werden dürfen. Unsere auf beiden Seiten der Maas aufgestellten Kräfte, zu­ sammen etwa 30 Divisionen, werden also wiederum gebunden sein und Herr v. Falkenhayn kann auch dann sagen, daß aus dem Westen nichts abgegeben werden kann. Wenn er ernsthaft die Bekämpfung der Russen als nächstes Ziel ins Auge faßte, würde er vor Verdun anders disponieren und reichliche Kräfte nach dem Westen abgeben können. Wenn man nicht Böswilligkeit annehmen will, so zeigt das jedenfalls, daß Herr v. Falkenhayn ein Mann der halben Maß­ regeln ist, statt eine als notwendig und durchführbar erkannte Aufgabe mit allen Mitteln zu lösen. Wie ich auf der dem Kaiser vorliegenden Karte sah, sind hinter dem Süd­ Flügel der Süd-Armee und dem Nord-Flügel der 3. Armee die 10. bayerische, 48. Reserve- und 103 . Division sowie die 44 . Österreichische als Reserven auf­ gestellt. Diese Divisionen stammen aus dem Osten, nur die 10. bayerische wurde auf das neulich erwähnte 1. Telegramm von Hindenburg aus dem We­ sten gesandt. Jenes Telegramm hatte Graf v. Moltke auf unserer letzten Reise der Operationsabteilung zur Entzifferung gegeben, sodaß Herr v. Falkenhayn es vor dem Kaiser las . Er gab sofort Befehl zum Abtransport der 10 . Division, und als er vom Kaiser wegen des Telegramms zum Vortrag befohlen wurde, sagte er, daß er bereits eine weitere Division abgesandt habe, mehr aber nicht abgeben könne. b

Gruppe von fehlenden Wörtern.

1 Wilhelm.

205

Kriegszielpetition

Nachdem nun einmal der Kaiser sich auf den oben skizzierten Standpunkt hinsichtlich Rußlands gestellt hat, würden Euere Exzellenz daran anknüpfend den Kaiser auch dafür gewinnen können, daß die militärischen Maßnahmen mit aller Konsequenz dem gesteckten Ziel angepaßt werden, nämlich strikte Defensive im Westen und Einsatz alles Verfügbaren im Osten .

101.

Telegramm des preußischen Kriegsministeriums an die Militärbefehlshaber

Verhinderung der Unterschriftensammlung für die Kriegszielpetition der SPD. Deist, S. 418 .

Berlin, 1 6 . August 1916 Die sozialdemokratische Partei sammelt Unterschriften für eine Massen­ petition an den Reichskanzler, in der die Kriegsziele der Partei dargelegt werden. Da die an eine Volksabstimmung über Kriegszielfragen erinnernde Form der Agitation besonders unerwünscht ist, ersucht das Kriegsministerium erge­ benst, das Sammeln von Unterschriften zu verhindern, hierbei aber nach Möglichkeit scharfe Maßnahmen, wie Verhaftungen und Haussuchungen, zu vermeiden . Die Besprechung der Petition und der gegen sie getroffenen Maßnahmen in der Presse ist nur insoweit zu verhindern, als sie den Burgfrieden verletzt oder gegen die bisherigen Bestimmungen über Kriegszielerörterungen verstößt. In Vertretung gez. v. Wandel 102.

Kabinettsordre Wilhelms li.

Ernennung Hindenburgs und Ludendorffs.

Wippermann - Purlitz 1916 li, 1, S. 208 f.

Großes Hauptquartier, 29. August 1916 An den General der Infanterie v. Falkenhayn, Chef des Generalstabs des Feldheeres [. . .] Mein lieber General v. Falkenhayn ! Indem ich Ihrem Wunsche um Enthe­ bung von Ihrer bisherigen Stelle nicht entgegen sein will, nehme ich Veranlas­ sung, Ihnen aus vollem Herzen zu danken für die Hingabe und Pflichttreue,

206

1916

mit der Sie nunmehr in zwei Jahren Ihres schweren und verantwortungsvollen Amtes unter entsagungsvoller Einsetzung Ihrer Kräfte und Ihrer Person ge­ waltet haben . Was Sie insbesondere in tatkräftiger und vorausschauender Arbeit, in unermüdlichem Schaffensdrange für die Armee und das Vaterland geleistet haben, soll Ihnen nicht vergessen werden. Die volle Würdigung Ihrer jetzt im Kriege an der Spitze des Generalstabs erworbenen Verdienste wird aber einer späteren Zeit vorbehalten sein müssen. Mir persönlich sind Sie ein treuer, selbstloser Berater gewesen. In Dankbarkeit hierfür begleiten Sie meine besten Wünsche für die Zukunft und verleihe ich Ihnen das Kreuz und den Stern der Komture des Königl. Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern. Sie beziehen Ihr bisheriges Gehalt aus dem Etatkapitel für Offiziere in be­ sonderen Stellungen, bis ich über Ihre anderweite Verwendung Entscheidung gez. : Wilhelm R. getroffen habe. An den Generalfeldmarschall v. Beneckendorff und v. Hindenburg. Ich ernenne Sie zum Chef des Generalstabs des Feldheeres und bin überzeugt, daß ich diese Stellung in keine besseren Hände legen kann. Ich erwarte mit Ver­ trauen, daß Sie meiner Armee und dem Vaterlande die erdenklich besten Dien­ ste in dieser Stellung leisten werden. Erneut benutze ich diesen Anlaß, um dem siegreichen Beschützer unserer Ostfront warmen Dank zu sagen für alles das, was er während zweier Kriegsjahre für das Vaterland geleistet hat. gez. : Wilhelm R. An den Generalleutnant Ludendorff. Ich ernenne Sie unter Beförderung zum General der Infanterie zum Ersten Generalquartiermeister mit den Ge­ bührnissen eines kommandierenden Generals und spreche Ihnen bei dieser Gelegenheit warmen Dank aus für die vortrefflichen Dienste, die Sie während zweier Kriegsjahre mir und der Armee geleistet haben. gez. : Wilhelm R.

Durchhalteaufruf 103.

207

Aufruf des Hansa-Bundes 1

Das deutsche Volk muß durchhalten. Mitt. u. Nachrichten d. Kriegszentrale d. Hansa-Bundes, Jg. 1916, Nr. 42 (Erste August-Nr.).

Berlin, August 1916 An die H e r r e n M i t g l i e d e r d e s D i r e k t o r i u m s u n d d e s G e s a m t ­ a u s s c h u s s e s , d i e H e r r e n Vo r s t a n d s m i t g l i e d e r d e r L a n d e s - u n d P r o v i n z i a l ve r b ä n d e , s ow i e d e r s ä m t l i c h e n B e z i r k s - u n d O r t s ­ grup p e n . Zu Beginn des dritten Kriegsjahres wendet sich das Präsidium des Hansa­ Bundes an Sie: Wir sind dessen gewiß, daß sämtliche Mitglieder des Hansa-Bundes mit uns einmütig des Sinnes sind, daß wir alle in diesem Kriege durchhalten müssen und wollen bis zum Siege! In den nunmehr abgelaufenen zwei Jahren sind aus unserem Volke heraus Taten getan und Opfer gebracht worden, größer als jemals bisher in der Welt­ geschichte. Tiefe Dankbarkeit empfinden wir für alle jene tausende und abertausende Männer, die in Sonnenbrand und Winterkälte, im Trommelfeuer feindlicher Geschütze und in den Schwaden giftiger Gase dem Ansturm gegnerischer Mil­ lionen-Heere immer wieder und wieder standhalten; wir gedenken dankbar aller derjenigen, die in der Luft und im Schützengraben, auf dem Meere und unter dem Wasser für uns kämpfen, für uns ihre Wunden empfangen, für uns siegen und sterben; wir neigen uns in Ehrfurcht vor jenen Frauen, Müttern und Vätern, die in aufrechter Trauer um ihre Lieben, die sie dem Vaterlande hingegeben haben, unter uns wandeln. Wir sind stolz auf unser deutsches Volk, das in opferfreudiger Disziplin alle Beschränkungen und Entbehrungen auf sich nimmt, die der Kampf gegen den Aushungerungskrieg, den unsere Feinde, vor allem England, über uns ver­ hängt haben, von uns fordert. Wir sind stolz auf unser deutsches Volk, auf die Arbeiter und Angestellten ebenso wie auf die Leiter unserer wirtschaftlichen Unternehmungen; sie alle, in Wahrheit eine Armee von Heimkriegern, haben in treuer Arbeitsamkeit und in wagendem Mut geschafft, was nur immer unsere Wirtschaft bedarf, und sie haben unsere Heere versorgt mit allem, dessen sie benötigen. Wir sind stolz auf unsere Gelehrten und Ingenieure, die durch ihr Sinnen und Finden uns

1 Seit 1909 (s. Fenske S. 281-284).

208

1916

neue Stoffe und Konstruktionen gebracht haben zur Stärkung unserer Wirt­ schaft wie zur Abwehr unserer Feinde; und wir sind stolz auf die deutschen Frauen, die sich nicht nur unermüdlich in Werken der Nächstenliebe und Für­ sorge an unseren Kriegern wie an den Armen und Elenden daheim betätigen, sondern die auch zu vielen tausenden entschlußfreudig selbst die schwerste Männerarbeit auf sich genommen haben. Wir sind stolz auf die gewaltigen Leistungen, die in diesem Kriege unsere Industrie, unsere Banken und unsere Landwirtschaft aufweisen; wir freuen uns, daß es auch dem Handwerk gelungen ist, sich den Erfordernissen der Kriegszeit in weitem Umfange anzupassen; opferwillig hat unser Handel und unsere Reederei die ungemein schweren Lasten und Einschränkungen, die ih­ nen auferlegt worden sind, auf sich genommen. Unser Stolz auf diese glänzenden Erfolge unserer deutschen Wirtschaft wird dadurch nicht ins Wanken gebracht, daß auch in dieser großen gewalti­ gen Zeit sich Selbstsucht und Eigennutz hervorgewagt haben; mit uns verur­ teilen auch Sie diese Volksschädlinge; der Hansa-Bund hat sich aber davon ferngehalten und wird sich davon fernhalten, Verfehlungen einzelner, mögen es auch viele sein, ganzen Berufen zur Last zu legen; im Gegenteil, er wird jedem Versuche solcher unzulässigen und unpatriotischen Verallgemeinerung scharf entgegentreten . Wir sind stolz auf die Pflichttreue, die Arbeitsamkeit und die Organisa­ tionsgabe unseres Beamtentums; in diesem Urteil sind wir nicht irre gewor­ den, auch wenn Fehlgriffe vorgekommen sind auf Gebieten und in Methoden, die bisher nie gekannt und nie geübt worden sind. Unser günstiges Urteil hat uns natürlich nicht behindert, in zahlreichen Einzelfällen andere Ansichten zu vertreten, wie sie sich bei den Behörden fanden, und oft genug in scharfem Widerstreit zu behördlichen Plänen und Maßnahmen zu stehen. Das wird, soweit wir es für notwendig halten, immer wieder geschehen. Die Opfer, riesengroß, die das deutsche Volk in der Verteidigung gegen die frevelhaften Vernichtungsabsichten unserer Feinde bringt, verlangen ein Er­ gebnis des Krieges, das uns für die Zukunft Sicherheit gegen einen neuen der­ artigen Kampf verbürgt. Der Hansa-Bund hat sich von der Erörterung über unsere Kriegsziele ferngehalten, er ist der Auffassung, daß zunächst aller Sinnen und Handeln auf den Sieg, und was zu seiner Erlangung frommt, gerichtet sein muß . Der Hansa-Bund steht aber selbstverständlich nicht plan- und ziellos unserer deutschen Zukunft gegenüber; können auch unsere Kriegsziele jetzt noch nur allgemein angegeben werden, so sind wir doch auch in diesen schweren Tagen, wo sich unsere Feinde zu gemeinsamem Ansturm gegen uns zusammengefunden haben, des Endsieges, der uns zufallen wird, gewiß . Was unser Direktorium am 15. September 1915 beschlossen, wenn auch

Durchhalteaufruf

209

nicht veröffentlicht hat, das hat für uns auch heute noch Gültigkeit. In diesem Beschlusse heißt es : daß Deutschland, welches seinerseits auch n a c h der mit Sicherheit zu erwar­ tenden siegreichen Beendigung des Weltkrieges keine a u s s c h 1 i e ß 1 i c h e Herrschaft zu Wasser und zu Lande anstrebt, entschlossen sein müsse, die F r e i h e i t d e r M e e r e von jeder ausschließlichen Herrschaft und von der erdrückenden Vorherrschaft eines einzigen Staates im eigenen Interesse und in dem aller anderen Staaten zu erkämpfen. Es heißt darin ferner: daß das deutsche Volk in seiner weit überwiegenden Mehrheit gewillt sei, G e ­ b i e t s e rw e i t e r u n g e n zuzustimmen, soweit sie einerseits unter Berücksich­ tigung unserer nationalen Politik nach außen und nach innen unbedenklich und andererseits dazu erforderlich sind, uns gegen eine Wiederholung jeder Angriffs- und Einkreisungspolitik möglichst dauernd zu schützen. Und es heißt endlich : daß wir außerdem die Rückgabe unseres k o l o n i a l e n B e s i t z e s , ferner die Zahlung einer angemessenen Kriegskostenentschädigung und die Erfüllung aller sonstigen berechtigten Entschädigungsansprüche durch die Gegner sowie die Schadloshaltung der völkerrechtswidrig geschädigten Auslanddeutschen für notwendig halten. Wir kämpfen um des Friedens willen, eines gesicherten, ehrenvollen Frie­ dens nach außen hin, von dem wir hoffen, daß er Deutschlands Stellung in der Welt erhöhen wird. Wir erhoffen aber auch einen Frieden und wir arbeiten für ihn, der uns im Innern eine neue, größere und schönere Zeit bringt, als sie vor­ dem war. Diese Jahre des Zusammenstehens unseres ganzen Volkes gegen Feinde ringsum, diese Jahre voll der gemeinsamen Kämpfe und gemeinsamen Opfer, in denen Fürst und Arbeiter nebeneinander im Schützengraben gekämpft und ihr Blut gemeinsam hingegeben haben für ihr gemeinsames Vaterland, die Erlebnisse und Erfahrungen dieser Zeit müssen fortwirken in den Frieden hinein. Eine neue Zeit wird heraufziehen und diese neue Zeit wird nur beruhen können auf gegenseitigem Vertrauen von Volk und Regierung, auf dem frei­ heitlichen Ausbau unserer staatlichen Rechte und Einrichtungen, auf der ver­ ständnisvollen Förderung aller Kulturaufgaben, auf der gleichmäßigen Pflege von Industrie, Landwirtschaft, Handel, Gewerbe und Handwerk und auf der für das Wohl unseres Vaterlandes unerläßlichen gleichberechtigten Teilnahme aller Staatsbürger an der Verwaltung und Leitung des Staates. Der Hansa-Bund mit seinen Hunderttausenden Mitgliedern aus allen Schichten des erwerbstätigen Bürgertums wird es als seine Pflicht und seine Ehre betrachten, für die Erfüllung dieser neuen Zeit alle seine Kräfte einzuset­ zen, in der Gewißheit, daß er damit echte und rechte Hansa-Bund-Arbeit, nämlich Dienst am Vaterlande, leistet.

210

1916

Sie aber, sehr geehrter Herr, bitten wir, auch fernerhin mit uns zusammen­ zuhalten, in Rat und Tat mit uns zu arbeiten und alle unsere Mitglieder mit dem gleichen Geiste zu erfüllen. Hansa-Bund für Gewerbe, Handel und Industrie Der Präsident: Dr. Rießer, M. d. R. Der Geschäftsführer: Dr. Leidig

104.

Regelung der Zentralmächte

Einheitlicher militärischer Oberbefehl. Arz, S. 127-129.

Kreuznach, 6 . September 1916 "Bestimmungen für den einheitlichen Oberbefehl der Zentralmächte und ihrer Verbündeten. 1. Zur Sicherstellung der einheitlichen Führung der künftigen bulgarisch­ deutsch-österreichisch-ungarisch-türkischen Operationen übernimmt Seine Majestät der Deutsche Kaiser die Oberleitung der Operationen der Zentral­ mächte und ihrer Verbündeten. 2. Die Hoheitsrechte der Obersten Kriegsherren der verbündeten Wehr­ mächte hinsichtlich ihrer Streitkräfte werden hiedurch nicht berührt. 3. Die Oberleitung erstreckt sich auf die - der Gesamtsituation entspre­ chende - einheitliche Anlage und Durchführung der Operationen im großen, vornehmlich auf a) die grundlegenden Ziele der auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen zu führenden Operationen, b) die hiefür verwendeten Kräfte und c) da, wo Truppen mehrerer Verbündeter teilnehmen sollen, auch hinsicht­ lich der Befehls- und Unterordnungsverhältnisse. 4. Zur Ausübung der Oberleitung stehen dem Deutschen Kaiser die Ar­ meeoberkommandanten (Generalissimus) der verbündeten Wehrmächte und deren Generalstabschefs zur Verfügung. Sie sind vor jeder wichtigen Entscheidung, die die Gesamtinteressen berüh­ ren, zu hören. Dabei wird ein vollständiges Einvernehmen der Heeresleitun­ gen angestrebt werden. 5. Die nach Anhörung der Armeeoberkommandanten (Generalissimus) vom Deutschen Kaiser getroffenen Entscheidungen sind für alle verbündeten Wehrmächte bindend. 6. Die Armeeoberkommandanten (Generalissimus) der verbündeten Wehr­ mächte sind verpflichtet, dem Deutschen Kaiser

Mittelmächte-Oberbefehl

211

a) über die Situation der ihnen unterstellten Streitkräfte, b) über ihre operativen Absichten, c) über die ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel und ihre Verteilung und Verschiebung fortlaufend Bericht zu erstatten . 7. Alle Entscheidungen Seiner Majestät des Deutschen Kaisers, sowie son­ stige Mitteilungen an die Armeeoberkommandanten (Generalissimus) der ver­ bündeten Wehrmächte werden 'Für die Oberste Kriegsleitung' vom Chef des Generalstabes des deutschen Feldheeres gefertigt. 8 . Die Führung der Verhandlungen zwischen den verbündeten Heereslei­ tungen steht der Deutschen Obersten Heeresleitung zu. Anregungen können von jeder der verbündeten Heeresleitungen ausgehen. 9. Der dienstliche Verkehr zwischen den Armeeoberkommandanten (Ge­ neralissimus) und ihren Obersten Kriegsherren, sowie den Zentralbehörden ihrer Staaten erleidet keine Änderung. Ein Dienstverkehr der Obersten Kriegsleitung mit diesen Stellen findet nicht statt. 10. Die Zuführung und materielle Versorgung der zur Teilnahme an einer gemeinsamen Operation bestimmten Heereskörper obliegt grundsätzlich den zuständigen Heeresleitungen. Abweichungen hievon sind nur auf Grund be­ sonderer Abmachungen zulässig. 1 1 . Diese Bestimmungen treten nur im Falle der Zustimmung der Obersten Kriegsherren aller Wehrmächte in Kraft. Der Zeitpunkt des Inkrafttretens wird nach Einholung dieser Zustimmung festgesetzt. " Diese Zustimmung war unsererseits mit der Unterfertigung durch General­ oberst von Conrad gegeben, der hiezu vorerst die Genehmigung Seiner Maje­ stät eingeholt hatte. Um einem Bedenken des k. u . k. Chefs des Generalstabes Rechnung zu tra­ gen, war zwischen der öst. -ung. Heeresleitung in Teschen und der deutschen in Pleß noch folgender Geheimzusatzartikel vereinbart worden : "Mit der Übernahme der Oberleitung der Operationen der Zentralmächte und ihrer Verbündeten übernimmt Seine Majestät der Deutsche Kaiser die Ver­ pflichtung, sich sowohl bei Führung der Operationen, wie bei jeder Art in die Kriegführung einschlägiger Verhandlungen von dem Grundsatze leiten zu las­ sen, den Schutz und die Integrität der Gebiete der österreichisch-ungarischen Monarchie jenen des Deutschen Reiches gleich zu halten. Wenn in Fällen, welche diese Integrität betreffen, das Armeeoberkom­ mando sein Einverständnis nicht zu erklären vermag, verpflichtet sich Seine Majestät der Deutsche Kaiser, nicht ohne Zustimmung Seiner Kaiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät zu entscheiden . " Nachdem infolge des Ablebens weiland Seiner Majestät des Kaisers und

1916

212

Königs Franz Josef I. Seine Majestät Kaiser und König Kar! das Armeeober­ kommando übernommen hatte, wurden die "Bestimmungen für den einheit­ lichen Oberbefehl der Zentralmächte und ihrer Verbündeten" , soweit diese das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn betrafen, dahin festgestellt: "a) Vor allen operativen Entscheidungen hat das Einvernehmen, welches sich auf Punkt 3 der 'Bestimmungen etc . ' erstreckt, zwischen den beidersei­ tigen Heeresleitungen einzutreten. b) Wenn dieses Einvernehmen nicht erzielt würde, so tritt die Entschei­ dung durch die beiden Allerhöchsten Kriegsherren ein, c) wenn auch dann noch eine Divergenz der Auffassung erübrigt, so würde Seine K. u. K. Apostolische Majestät die Entscheidung Seiner Majestät dem Deutschen Kaiser überlassen . "

105.

Bericht Tschirschkys an Bethmann Hollweg 1

Lage Österreich-Ungarns. Scherer - Grunewald I, Nr. 332.

Wien, 28. September 1916 Ganz geheim ! Euerer Exzellenz beehre ich mich anliegend einen Bericht über die Lage in der Monarchie vorzulegen . Mit Rücksicht auf den ganz vertraulichen Inhalt desselben würde ich unmaßgeblich vorschlagen, denselben aus dem Geschäftsgange herauszu­ halten und nur den obersten maßgebenden Stellen der Reichs- und Heereslei­ tung zur Kenntnis zu bringen, da ein Durchsickern unserer Beurteilung der hiesigen Verhältnisse im Interesse der Sache besser zu vermeiden sein würde. Mit dem Ausdruck ausgezeichnetster Verehrung Euer Exzellenz ganz ergebenster von Tschirschky Ganz vertraulich! Je länger der Krieg dauert, desto mehr drängt sich einem die bange Frage auf, wie lange die österreichisch-ungarische Monarchie noch im Stande sein wird, den Kampf auszuhalten, und zwar sowohl in militärischer wie auch in wirtschaftlicher Beziehung. 1 Abgezeichnet von Bethmann Hollweg am 30. 9. 1916 . Vermerk: "Exz. v. Hinden­ barg z. Vortrag" , Paraphe "H[indenburg] 1 / 10" . Abgezeichnet vom Kaiser am 1. 10. 1916.

Österreich-Ungarn

213

Über die beklagenswerten Zustände, die beim K. und K. Oberkommando in Teschen herrschen, habe ich mir erlaubt, Euere Exzellenz bereits eingehend zu unterrichten . Die Hinterhältigkeit und Unaufrichtigkeit der dortigen lei­ tenden Stelle ist ja wiederum in den Anordnungen, betreffend die polnische Legion, drastisch zu Tage getreten. Es ist kein Wunder, daß diese Verhältnisse auf die Armee einen äußerst schädlichen Einfluß ausüben. Einerseits wirkt der mangelnde Ernst ansteckend, andererseits wird bei den breiten Schichten Un­ zufriedenheit und bei den gewissenhaften Elementen ein Zustand der Resigna­ tion hervorgerufen, der für eine energische Kriegführung die übelsten Folgen haben muß . Das Menschenmaterial ist - von gewissen tschechischen und anderen Ausnahmen abgesehen - gewiß nicht schlecht, aber die Führung hat versagt, und die Klagen über die Offiziere - besonders im Generalstab - sind allgemein . Dazu kommt, daß das Soldaten-Reservoir sich seiner Erschöpfung nähert, und daß wir damit rechnen müssen, im nächsten Frühjahr Österreich­ Ungarn am Ende seiner militärischen Kräfte zu sehen, wenn nicht wenigstens auf dem Gebiete der Geschütz- und Munitionserzeugung bis dahin unter unserer Leitung entscheidende Fortschritte gemacht werden sollten. Der Pessimismus, zu dem man ja hierzulande von Anfang des Krieges an ge­ neigt gewesen ist, beherrscht die Gemüter daher mehr denn je. Äußerungen des Bedauerns über die siegreiche Einnahme von Tutrakan 2 und Silistria 3 - da ja der Krieg durch solche Erfolge nur verlängert werde - geben zu denken. Diese Niedergedrücktheit findet aber auch - leider sehr berechtigter Weise reichliche Nahrung in den traurigen wirtschaftlichen Zuständen . Diese, sowie die im engsten Zusammenhang mit ihnen bestehenden innerpolitischen Ver­ hältnisse sind einfach trostlos . Es fehlt an jeder durchgreifenden Organi­ sation, und wo Ansätze dazu nach unserem Muster gemacht worden sind, müssen diese doch an der landesüblichen "Schlamperei" und Protektionswirt­ schaft scheitern. Nirgends wird systematisch vorgegangen, Verordnungen werden ohne Sachkenntnis und ohne Anhörung von Fachleuten und meist nur durch das eine oder das andere Kronland erlassen, was eine durchaus unge­ rechte Verteilung der Lebensmittel zur Folge hat. Das Volk in den Vorstädten Wiens hungert und ist durch das viele Stunden dauernde, oft auch noch ergeb­ nislose "Anstellen" vor den Lebensmittelgeschäften auf das äußerste gereizt, sodaß wir, wie der Finanzminister von Leth mir neulich sagte, es eines Tages erleben können, daß es eine gewaltsame Lösung der immer bedrohlicher wer­ denden Ernährungsfrage auf der Ringstraße zu erzwingen sucht. Die Hauptschuld an diesen ernsten Zuständen muß man, was Österreich betrifft, dem Ministerpräsidenten Grafen Stürgkh zusprechen, der in fast 2 (bulg.), rumän. Turtucaia; Einnahme 5. 9. 1916. 3 Silistra (türk. Silistre); Einnahme 9. 9. 1916 .

214

1916

frevelhaft zu nennendem Gleichmut dem Lauf der Dinge zuschaut und sich zu keiner energischen Tat aufraffen kann . Bei einem solchen Haupte kann man auch von den Gliedern nichts Gutes erwarten. Dazu kommen die nicht sehr günstigen diesjährigen Ernten 4 in Österreich und in Ungarn, sowie die unglückseligen wirtschaftlichen B eziehungen zwischen beiden Ländern, die, vor allem was Ungarn betrifft, eine loyale ge­ genseitige Unterstützung der anderen Reichshälfte mit Lebensmitteln unter­ binden . Die ungarische Regierung, Graf Tisza an der Spitze, treibt enge ma­ gyarische Politik; sie kennt trotz aller hochtönenden Phrasen keine großen Gesichtspunkte, und es fehlt ihr jedes Verständnis für die gemeinsame Not und für die gemeinsamen hohen Ziele. Auch hier fehlt die Persönlichkeit, die von oben herab die Wahrung der g e m e i n s a m e n Interessen diktiert. Baron Burian, der als Vorsitzender des gemeinsamen Ministerrats hierzu an erster Stelle berufen wäre, würde einen verständnislos anblicken, wenn man ihm so etwas zumuten wollte. Er hat so gut wie keinen Kontakt mit den politischen und wirtschaftlichen Kreisen beider Länder, kennt die Verhältnisse in Öster­ reich garnicht und in Ungarn nur durch die Tiszasche Brille; er "denkt nur mit seinem Kopf" , wie er sich wiederholt geäußert hat und konstruiert sich eine Welt aus diesem seinen Kopf heraus. Bei einem solchen Chaos kann eine wirtschaftliche Katastrophe bald vor der Tür stehen; ist es doch schon so weit gekommen, daß man sich an uns um Unterstützung mit Brotgetreide gewendet hat. Was es heißen will, daß Deutschland dem ausgesprochenen Agrarland von seinem Getreide abgeben soll, bedarf keiner weiteren Erörterung. Sollten wir in der Lage sein, auch nur ein geringes Quantum von Nahrungsmitteln an Österreich abzugeben, so müßten wir uns meines Erachtens hierfür Sicherheit zu verschaffen suchen, daß unsere Unterstützungen in Getreide auch zweckentsprechend verwendet werden. Man kann es dem deutschen Volke, das selbst mit äußerster Sparsam­ keit und Einschränkung leben muß, nicht zumuten, ohne diese Sicherheit vom Eigenen herzugeben. Ähnlich steht es mit den Finanzen. Der Finanzminister, der den besten Willen hat, Ordnung zu schaffen, ist in heller Verzweiflung, weil es ihm nicht gelingt, den Ministerpräsidenten zu ernsten Maßregeln zu bewegen. Deutsch­ land zahlt seinem Bundesgenossen monatlich 100 Millionen und schießt ihm außerdem die regelmäßig an Bulgarien und die Türkei zu leistenden Unterstüt­ zungen vor; überdies wird Österreich demnächst wohl noch mit weiteren Wünschen zur Aufrechterhaltung des Kronenkurses an uns herantreten. Spä­ ter, nach dem Friedensschluß, kommt dann noch die große Valuta-Anleihe . 4 September 1916 Österreich 4 9 Mill. Zentner (1913 : 91 ), Ungarn 7 8 Mi!!. ( 1913 : 146 Mi!! . ) .

Österreich-Ungarn

215

Da fragt es sich wiederum, ob wir solche Opfer vor unserem Volke verantwor­ ten können, ohne uns feste Garantien zu verschaffen. Das Gespenst des Staats­ bankerotts wartet vor der Tür, und die kürzlich amtlich genehmigte Zwei-, ja Vierteilung der Zweikronen-Noten ist symptomatisch. Ich habe mir bereits wiederholt erlaubt, sowohl mündlich wie schriftlich auf die bedenklichen Zustände in der Monarchie hinzuweisen, und ich halte es für meine Pflicht, nochmals auf das Nachdrücklichste auf die ernsten Gefah­ ren aufmerksam zu machen, die mit der Existenz Österreich-Ungarns auch unsere Lebensinteressen bedrohen, denn, wie die Verhältnisse liegen, und bei der hiesigen Tendenz, mit verdeckten Karten zu spielen, können wir es erle­ ben, daß die bisher unbestreitbar bewiesene Elastizität der Monarchie versagt, und man uns plötzlich erklärt, nicht mehr weiter zu können. Man ist sich hier, außer an den leitenden Stellen, durchweg völlig über die Unhaltbarkeit der Lage klar und schreit geradezu nach deutscher Hilfe, die den Staatswagen aus dem Schlamme ziehen soll. Ich komme daher nochmals auf den Euerer Exzellenz von mir gemachten Vorschlag zurück, den Erzherzog-Thronfolger 5 in das Hauptquartier einzula­ den und ihn auf die großen Gefahren, die der Monarchie drohen, nachdrück­ liehst aufmerksam zu machen. Ich kann nur in einem Wechsel an den leitenden Stellen der Monarchie noch die Möglichkeit erblicken, den Willen zum Durchhalten in den breiten Schichten neu zu beleben. Diese Ansicht wird hier in ernsten Kreisen ebenso wie im Volke durchweg geteilt. Ich bin mir völlig klar darüber, daß es über Menschenvermögen geht, mit einem Schlage die durch Jahrzehnte lange Mißwirtschaft in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Beziehung hervorgerufenen Zustände zu ändern . Ich glaube aber, daß es gelingen könnte, einigermaßen Ordnung zu schaffen und einen Zusammenbruch hintanzuhalten, wenn eine energische Persönlichkeit - und ich denke hierbei besonders an den Posten des Österreichischen Ministerpräsi­ denten - zur Leitung der Staatsgeschäfte berufen würde. Sollte der Thronfolger den Wunsch nach einem positiven Vorschlage hinsichtlich der hierfür in Frage kommenden Persönlichkeit äußern, so würde meines Erachtens als der Ge­ eignetste der Erzherzog Eugen zu bezeichnen sein. Der Einwand, daß es für einen Erzherzog nicht angängig sei, Ministerpräsident zu werden, dürfte hin­ fällig sein, da ein Präzedenz in der Ministerpräsidentschaft des Erzherzogs Rainer besteht. Der Erzherzog würde nur während der Kriegsdauer an die Spitze der Regierung zu berufen sein, solange das Parlament nicht tagt. Der Erzherzog Eugen ist mir als ein ruhiger, zielbewußter und ernster Mann be­ kannt, der auch über die inneren Verhältnisse hier Bescheid weiß und sicher­ lich in einem uns genehmen Sinne vorzugehen bestrebt sein würde. Er wäre 5 Kar! .

216

1916

vielleicht der Einzige, der den Willen und die Macht hätte, dem Deutschtum die ihm gebührende Stellung im Staate wieder zu verschaffen. In dieser An­ nahme werde ich unter anderem durch eine Reihe zu meiner Kenntnis ge­ brachter Denkschriften bestärkt, die in diesem Geiste abgefaßt sind und vom Erzherzog sanktioniert waren . Schließlich würde es auch, wenn es ihm ge­ länge, Ordnung zu schaffen und das Vertrauen des Volkes zu gewinnen, für die Dynastie von Nutzen sein, deren Prestige leider ganz außerordentlich ge­ sunken ist. Ich brauche hierbei nur an die Mißerfolge des Erzherzogs Josef Ferdinand in Ost-Galizien zu erinnern und kann nicht umhin, zu betonen, daß auch das Ansehen Seiner Majestät des Kaisers Franz Joseph in den breiten Schichten sehr starke Einbuße erlitten hat. Dies gilt sogar von dem bisher durchaus schwarzgelben Lande Tirol. Die bisherige militärische Stellung des Erzherzogs Eugen würde es ihm auch erleichtern, einen engeren Kontakt zwi­ schen Militär- und Zivil-Verwaltung herzustellen. Der Einwand, daß ein Wechsel in den leitenden Stellen der Monarchie bei unseren Feinden einen schlechten Eindruck hervorrufen könnte, der, wie ich höre, wiederholt vom Kaiser Franz Joseph vorgebracht worden ist, ist, meines gehorsamsten Dafür­ haltens bei dem Ernste der Lage nicht stichhaltig. Der Erzherzog-Thronfolger müßte bei einer Rücksprache auch dahin veranlaßt werden, bei dem Vortrage, den er Seiner Majestät dem Kaiser Franz Joseph auf ausdrücklichen Wunsch unseres Allergnädigsten Herrn zu halten hätte, etwaige solche Bedenken des Kaisers zu zerstreuen. Ich möchte auch darauf hinweisen, daß im Laufe des Krieges das Verhältnis zwischen den beiden Staaten der Monarchie sich erheblich verschlechtert hat. Hatte es anfangs den Anschein, als ob die gemeinsame Gefahr das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärken und zu einer Annäherung Ungarns an Öster­ reich führen würde, so ist durch den Lauf der Begebenheiten gerade das Gegenteil eingetreten. Ungarn strebt mehr denn je danach das Band, das es mit Österreich verbindet, zu lockern . Der ungarische Chauvinismus blüht in erhöhtem Maße, und wie man bekennen muß, ist daran Österreich in erster Linie schuld. Die Häufung der Fehler in der militärischen Oberleitung, die ausschließlich in Österreichischen Händen liegt, hat in Ungarn unendlich ver­ bitternd gewirkt. Die Sünden der inneren Österreichischen Politik seit Jahr­ zehnten, die den Verrat der Tschechen möglich gemacht haben, und durch den Tausende von Ungarn hingeopfert wurden, hat die ungarischen Kreise tief ver­ bittert. Eine ungarische Gräfin von sehr bekanntem Namen erklärte z. B . an­ läßlich der Kaisergeburtstagfeier am 18. August, sie habe keinen Anlaß, an diesem Tage in die Kirche zu gehen und für Kaiser Franz Joseph zu beten, der Ungarn nur ins Unglück gestürzt habe. Ich darf auch auf die Rede hinweisen, die Prinz Ludwig Windischgrätz in der geheimen Sitzung des ungarischen Parlaments gehalten hat, die ich anderweitig einzureichen mich beehre. Unga-

Österreich-Ungarn

217

rische Regimenter garnisonieren in Böhmen, um dort keine Unruhen aufkom­ men zu lassen, anstatt zur Verteidigung des heimischen Bodens verwendet zu werden. Neulich sagte mir ein österreichischer Politiker: "eigentlich ist Böh­ men von den Ungarn besetzt" . Daß man in Österreich auch jetzt nicht gewillt ist, in Bezug auf die Tschechen einen anderen Kurs einzuschlagen, wird durch die Tatsache erhärtet, daß gerade die beiden Minister, die, nicht etwa wegen ihrer besonderen Befähigung, sondern als Vertreter des tschechischen Volkes im Kabinett sitzen, vor kurzem durch die Verleihung der Baronie ausgezeichnet wurden. Eine autoritative Persönlichkeit wie Erzherzog Eugen, der auch dem Gra­ fen Tisza gegenüber Gewicht besitzen würde, wäre vielleicht noch im Stande, jetzt während des Krieges, die Verhältnisse in Österreich selbst, sowie die Beziehungen zwischen den beiden Staaten der Monarchie, auf gesündere Basis zu stellen. Ich glaube, daß von uns aus der Versuch gemacht werden müßte, eine Sanie­ rung der hiesigen Verhältnisse herbeizuführen. Wir setzen uns sonst der Ge­ fahr aus, daß die Monarchie plötzlich tödlich erkrankt, und das Deutsche Reich mit ins Verderben zieht. von Tschirschky

106.

Denkschrift des Chefs des Kriegspresseamtes t, Auszug

Vor- und Nachteile einer öffentlichen Kriegszieldiskussion. Deist, S. 431-435.

Berlin, 5 . Oktober 1916 I. Seit der Entstehung meiner Denkschrift vom 2 0 . Dezember 1915 2 über die öffentliche Erörterung der Kriegsziele haben sich die für die Entscheidung dieser viel umstrittenen Frage maßgebenden Umstände wesentlich verschoben. Damals herrschte bei uns fast allgemein die auch in der Denkschrift zum Ausdruck kommende Anschauung, daß der Verlauf der Kriegsereignisse unsere Feinde mit ihren Hoffnungen fast ausschließlich auf das politische und wirtschaftliche Gebiet verwiesen habe . Militärische Leistungen, die uns den errungenen Gewinn noch einmal ernstlich streitig machen könnten, traute man den Gegnern meistens nicht mehr zu . Die weiteren Erwägungen, die für das Festhalten an dem Verbot der Kriegs1 Oberstleutnant Erhard Eduard Deutelmoser (s . 15. 10. 1915). 2 Nicht auffindbar.

218

1916

zielerörterungen entscheidend waren, liefen im wesentlichen darauf hinaus, daß es auf politischem Gebiet unter der erwähnten Voraussetzung vor allem die Wahrung des Burgfriedens und damit unserer inneren Geschlossenheit sei, was das Emporkeimen der Friedensneigung auf der feindlichen Seite beschleu­ nigen und den Krieg verkürzen müsse. Die von der öffentlichen Erörterung der Kriegsziele untrennbare innere Erschütterung sollte deshalb vermieden werden. Dafür sprach auch ferner die Erwägung, daß sich damals noch weniger als jetzt übersehen ließ, wie der militärische Abschluß aussehen würde, von dem die mögliche Höhe unserer politischen Ansprüche an die Gegner abhängen mußte. [ . . . ] Von diesen Voraussetzungen haben sich zunächst die militärischen zum Teil als trügerisch erwiesen. Es hat sich herausgestellt, daß unsere Feinde noch zu sehr beträchtlichen militärischen Kraftanstrengungen fähig waren, und daß ihre Hoffnung auf den endlichen Sieg durchaus nicht ganz oder auch nur fast ausschließlich von politischen und wirtschaftlichen Berechnungen ausging. Es hat sich ferner gezeigt, daß das Maß von innerer Geschlossenheit, dessen wir bedurft hätten, um selbst einen militärisch endgültig passiv gewordenen feindlichen Bund von der Stärke der Entente auch jeder sonstigen Hoffnung zu berauben, trotz allem Zensurdruck, allen Mahnungen und aller Anfeuerung nicht zu erzielen war. Die wichtigste unter den mannigfaltigen Ursachen dafür waren ohne Zweifel die Schwierigkeiten der Volksernährung. [ . . ] Der Umstand, daß die Aufhebung des Erörterungsverbotes von der weit überwiegenden Mehrzahl der Parteien und ihrer Presse gewünscht wird, ist in meinen Augen zunächst nur ein Beweis dafür, daß jede der politischen Haupt­ gruppen hofft, die andere mit Hilfe der Regierung niederkämpfen zu können. Dabei wird - ganz abgesehen von dem verfassungsrechtlichen Grundirrtum, den die parlamentarische Selbstüberschätzung hiermit begeht - viel zu wenig bedacht, wie dringend die Bedrohung durch den äußeren Feind es gerade bei uns erfordert, daß nicht nur die Mehrheit des Volkes sondern dessen Gesamt­ heit mit der vollen Kraft der persönlichen Überzeugung jedes Einzelnen kämpft. Mit leichtem Herzen wird unter diesen Umständen niemand dazu die Hand bieten können, daß dem ohnehin schon so lebhaften inneren Meinungs­ streit durch die Freigabe der Kriegszielerörterung noch weiterer Konfliktstoff zugeführt wird. Es ist indessen nicht zu verkennen, daß eine Reihe triftiger Gründe dafür spricht, diesen Schritt gerade jetzt trotz alledem zu wagen. .

Kriegszieldiskussion

219

II . Vor allem ist hier die Tatsache anzuführen, daß sich unsere Gegner, seit ihre militärische Angriffskraft wieder aufgelebt ist, auch in der Presse immer offe­ ner zu Eroberungsplänen bekennen. Für uns ergibt sich daraus erstens die Möglichkeit, auch d e m Teil der deut­ schen Bevölkerung die Augen zu öffnen, der das Wesen dieses Krieges immer noch nicht begriffen, oder der im Laufe der Zeit an innerer Festigkeit einge­ büßt hat. Wird jeder Beleg für die feindliche Habgier und Rachsucht in diesem Sinne zielbewußt verwertet, so müssen alle, die überhaupt belehrbar sind und ihr Vaterland lieben, zu der klaren Erkenntnis kommen, daß es uns i m Au g e n b l i c k jedenfalls an einem deutlich bezeichneten Zweck unserer Opfer nicht fehlt. Das unmittelbare Verteidigungskriegsziel steht dann deutlich vor jedermanns Augen . Zweitens bieten aber auch gerade die maßlosen Forderungen, die die Geg­ ner jetzt erheben, einen unwiderleglichen Beweis dafür, wie töricht es wäre, wenn wir selber uns für den Fall des Sieges darauf festlegen wollten, den Geg­ nern durch den grundsätzlichen Verzicht auf Gebietserweiterungen eine Scho­ nung zuzugestehen, an die sie uns gegenüber nicht im Schlafe denken würden . Ich bin überzeugt, daß diese Logik auch die Mehrheit der Sozialdemokratie begreifen würde. Die bekannte Redewendung Scheidemanns von dem Kinds­ kopf deutet ja schon darauf hin. Wenn zur Zeit auch die Blätter der sozialde­ mokratischen Mehrheit beinahe durchweg auf die grundsätzliche Ablehnung aller Gebietserweiterungen gestimmt sind, so scheint mir das vor allem mit dem jetzigen Stande der Kriegslage und mit daran anknüpfenden allgemeinen und parteitaktischen Erwägungen zusammenzuhängen. [ . . . ] Mit anderen Worten: Wie im Frieden die Mobilmachung für den Krieg, so muß im Kriege die für den Frieden vorbereitet werden, und das können die Behörden unmöglich allein. Es hat sich gezeigt, wie falsch es war, daß wir im Frieden nicht viel mehr die im Volke vorhandenen freien Kräfte des Geistes und der Erfahrung vorausdenkend ausgenutzt haben, die besonders auf den Gebieten des Wirtschaftslebens und der Presse erst im Kriege von uns nach ihrem vollen Wert als Bundesgenossen gewürdigt und erschlossen worden sind. Wir dürfen diesen seihen Fehler nicht wiederholen, wenn es den Frieden vorzubereiten gilt. Diese Erwägung ist der gesunde Kern, der in dem allgemei­ nen Ruf nach der Freigabe der Kriegszielerörterung enthalten ist. [ . . . ]

107.

Protokoll einer Sitzung der preußischen Staatsministeriums, Auszug

Polen.

Scherer - Grunewald I, Nr. 351.

Berlin, 24. Oktober 1916 Anwesend : der Präsident des Staatsministeriums D . Dr. von Bethmann Hollweg, der Vizepräsident des Staatsministeriums Dr. von Breitenbach, die Staatsminister Dr. Beseler, Dr. Sydow, D . Dr. von Trott zu Solz, Dr. Frhr. von Schorlemer, Dr. Lentze, von Loebell, von Jagow, Wild von Hohenborn, Dr. Helfferich; als Kommissar des Reichskanzlers, der Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei, Wirkliche Geheime Rat Wahnschaffe; der Unterstaatssekretär Heinrichs. In der heutigen Sitzung des Königlichen Staatsministeriums wurde folgen­ des verhandelt: [ .] 2. Der Herr Ministerpräsident erklärte, daß er noch einmal auf die polni­ sche Angelegenheit zurückkommen müsse . Über die prinzipielle Frage sei ja im Staatsministerium wiederholt gesprochen und auch eine Einigung erzielt. Dagegen seien die Meinungen darüber noch wesentlich auseinandergegangen, ob das zu erlassende Manifest alsbald zu veröffentlichen oder der Zeitpunkt noch weiter hinauszuschieben sei. Er habe bereits gelegentlich der Anwesen­ heit des Generalgouverneurs von Warschau 1 mitgeteilt, daß er die Angelegen­ heit mit der Obersten Heeresleitung besprochen habe. In der vorigen Woche sei er nochmals im Großen Hauptquartier gewesen, habe wiederum mit Hin­ denburg und Ludendorff eingehend Rücksprache genommen und darauf auch mit dem dort anwesenden Baron Burian und Feldmarschall von Conrad . Der Feldmarschall von Hindenburg und der General Ludendorff verträten mit äußerster Entschiedenheit die Auffassung, daß sofort in der Sache vorgegangen werden müsse. Es sei unabsehbar, wie lange der Krieg noch dauere. Darum sei das größtmögliche Aufgebot an Menschen und Material unbedingt nötig. Jede vorhandene Quelle müsse ausgenutzt werden und es müsse alles geschehen, um auch den letzten Mann bereitzustellen, der mit zum Siege beitragen könne . Die Nutzbarmachung der polnischen Mannschaften sei deshalb ohne einen Tag Zeitverlust nötig. Beide Herren seien übrigens in Übereinstimmung mit Exzellenz von Beseler der Ansicht, daß eine nennenswerte Zahl Polen zu .

.

1 Hans Hartwig v. Beseler.

Polen

221

den Fahnen kommen würde. Wenn diese Truppen auch nicht sogleich schlag­ bereit sein würden, so würden doch zu Beginn des nächsten Jahres die Cadres so weit ausgebildet sein, daß sie dann unter Umständen von ausschlagge­ bender Bedeutung werden könnten. Hindenburg und Ludendorff seien auf diesem Standpunkte stehen geblieben, nachdem er ihnen ausführlich die Be­ denken, die im Staatsministerium und unter den Parteiführern gegen den so­ fortigen Erlaß des Manifestes beständen, dargelegt und sie dabei auch auf die Sorge hingewiesen habe, daß durch das Manifest ein Sonderfrieden mit Ruß­ land erschwert werden würde. Trotzdem hätten beide an ihrem Standpunkte mit aller Entschiedenheit festgehalten . Der Baron Burian habe sich dem Standpunkte Hindenburgs und Luden­ dorffs angeschlossen. Unter diesen Umständen glaube er die Verantwortung dafür nicht überneh­ men zu können, daß er durch Verweigerung des Manifestes die Möglichkeit einer Katastrophe im nächsten Frühjahr heraufbeschwöre . Auch Seiner Majestät dem Kaiser habe er neuerdings eingehend in der Sache Vortrag gehalten. Der Kaiser habe erklärt, jetzt sei die Möglichkeit gegeben, Polen - ein Land mit 12 Mill. Einwohnern - in den westeuropäischen Konzern aufzunehmen. Diese Möglichkeit müsse ergriffen werden. Die Bedenken, die gegen diese Maßnahmen sprächen, übersehe Er keineswegs . Er schätze aber die Vorteile, die durch die Errichtung eines an Deutschland angelehnten auto­ nomen polnischen Pufferstaates erwachsen würden, entschieden höher ein als die Nachteile, welche die unmittelbare Nachbarschaft des expansionsfähigen und expansionslüsternen Rußlands böten. Der Kaiser sei über die ganze polni­ sche Frage durch ihn, wie auch durch Hindenburg, Ludendorff und Beseler genau informiert, auch über die bestehenden innerpolitischen Widerstände. Er halte aber mit großer Entschiedenheit daran fest, daß jetzt vorgegangen werden müsse. Über den Tenor des Manifestes schwebten noch Verhandlun­ gen mit dem Wiener Kabinett. Nach Feststellung des Wortlautes beabsichtige er eine ihm angesagte polnische Deputation zu empfangen, die ihm die Bitte unterbreiten wolle, daß Deutschland und Österreich-Ungarn die Selbständig­ keit Polens wiederherstellen möchten. Er werde darauf die Bereitwilligkeit Deutschlands hierzu in allgemeinen Wendungen kundgeben, dabei aber auch zum Ausdruck bringen, daß das Vertrauen polnischerseits gerechtfertigt wer­ den müsse. Dann werde die Deputation auch in Wien empfangen werden und dort eine entsprechende Antwort erhalten. Das Manifest werde danach etwa am nächsten Montag 2 erlassen werden können. Daran werde sich dann alsbald der Werbeaufruf des Generalgouverneurs anschließen. In Pleß sei mit Öster­ reich vereinbart, daß die aufzustellenden Freiwilligenkorps ausschließlich, 2 30. 10. 1916.

1916

222

auch im Lubliner Bezirk, unter deutsche Leitung gestellt werden sollten. Bese­ ler habe darüber auch in Warschau mit den Österreichern verhandelt. Er wisse sehr wohl, daß die Bedenken, die hier im Staatsministerium wegen der beabsichtigten Lösung der polnischen Frage laut geworden seien, inzwi­ schen nicht ausgeräumt, ja teilweise sogar verstärkt worden seien. Es wäre ihm erwünscht gewesen, wenn in dieser großen und weltgeschichtlichen Frage die bevorstehende Aktion die einhellige Billigung des Staatsministeriums gefun­ den hätte . Er wolle hierauf nicht weiter zurückkommen, müsse aber betonen, daß er seinerseits sich heute in einer Zwangslage befände, der er Rechnung tra­ gen müsse . Er sei hierzu um so eher geneigt, als er trotz der mancherlei Beden­ ken, die auch er habe, einen besseren Weg nicht zu finden vermöge. Der Herr Minister des Innern 3 führte aus, die Frage sei ja durch die frühe­ ren Verhandlungen und durch die heutigen Erklärungen des Herrn Minister­ präsidenten entschieden . Er müsse allerdings bestätigen, daß die Bedenken ge­ gen die beabsichtigte Lösung der polnischen Frage nicht behoben seien; bei ihm seien sie noch verstärkt, zumal es auch Exzellenz von Beseler für unmög­ lich halte, positive und reale Garantien von den Polen für späteres Wohlverhal­ ten zu erlangen. Man müsse sich indessen jetzt, nachdem auch Seine Majestät entschieden habe, loyal fügen und für eine möglichst glatte Durchführung der Maßnahmen zu sorgen bestrebt sein. Das werde allerdings um so schwieriger sein, als der hauptsächliche und für die Regierung maßgebende Grund - das wäre die militärische Seite - öffentlich nicht betont werden könnte. Sehr wesentlich werde es auf den Inhalt des Manifestes ankommen und er werde dankbar sein, wenn dessen Inhalt dem Staatsministerium noch vor der Veröf­ fentlichung zur Kenntnis gebracht werde. Der Herr Finanzminister 4 erklärte, er müsse sich trotz großer Bedenken in der Sache bescheiden, stelle aber die Frage, ob denn jetzt der Deputation be­ reits ins einzelne gehende Zugeständnisse wegen eines eigenen Heeres, eigener Eisenbahnen usw. gemacht werden sollten. Er hätte große Besorgnis, schon jetzt den Polen solche Freiheiten in Aussicht zu stellen. Der Herr Ministerpräsident erwiderte, daß er diese Absicht nicht aus­ gesprochen habe und sie ihm auch absolut fern liege. Ein solches Vorgehen würde den Interessen Deutschlands und Preußens widersprechen. Was er sagen werde, hänge zunächst von dem Wortlaut der Rede der Deputation ab. Die Deputation werde von einem selbständigen Staat mit einem König und einem eigenen Heere sprechen, er über die Anlehnung an Deutschland; auf Einzelheiten werde er sich nicht einlassen. Das Manifest würde so abzufassen sein, daß eine spätere Verständigung mit Rußland nicht mehr gefährdet werde 3

v.

Loebell.

4 Lentze.

Polen

223

als nötig. Deshalb könnten bestimmte Andeutungen darüber, daß z. B. das Heer im Kriege unter dem Oberbefehl des Kaisers stehen werde, wegen der Folgen im Auslande nicht gemacht werden. Große Schwierigkeiten verursache es, wie der Herr Minister des Innern bereits angedeutet habe, [daß] der aus­ schlaggebende Punkt - die militärische Seite - öffentlich nicht hervorgehoben werden könne. Deshalb wäre es von so großer Bedeutung, daß es glücke, bei den ferneren Besprechungen in der Presse und in den Parlamenten die gegen den Schritt der Regierung bestehenden Bedenken möglichst in den Hinter­ grund zu schieben. Denn wenn die Sache in den Parlamenten in Grund und Boden geredet werde, so läge allerdings die Gefahr vor, daß die Rekrutenaus­ hebung und damit die ganze Sache Fiasko mache. Eine Sicherheit dafür daß Rekruten sich stellen würden, könne natürlich niemand geben, aber der Gene­ ralgouverneur habe ja die Überzeugung, daß auf eine nennenswerte Zahl zu rechnen sei. Das Risiko sei und bleibe immerhin ein großes . Jedenfalls werde es um so größer, je mehr die Bedenken in der Öffentlichkeit in den Vorder­ grund gestellt würden. Herr Staatsminister Dr. Helfferich führte aus, das Manifest schaffe noch nicht den selbständigen Staat, sondern stelle nur seine Bildung in Anlehnung an die Zentralmächte in Aussicht. Vorläufig sei es also ein Rahmen ohne Bild . Ein Rahmen ohne Bild sei im allgemeinen nicht wünschenswert, habe aber, wie im vorliegenden Fall die Dinge lägen, immerhin gewisse Vorzüge. Wenn wir beim Friedensschluß nicht in der Lage seien, unsere heutigen Absichten zu verwirklichen, oder wenn die Polen den "Anschluß" an Deutschland an­ ders verständen als wir und in bezug auf Heer, Verkehrswesen, auswärtige Po­ litik usw. Ansprüche stellten, die wir nicht erfüllen könnten, mit einem Worte, wenn später eine Einigung mit den Polen nicht erzielt werden könne, dann sei Deutschland nach seiner Ansicht frei. Dem werde und müsse die Auf­ fassung des Manifestes Rechnung tragen . Es empfehle sich, in demselben nicht von einem "selbständigen" Staate, sondern von einem "autonomen" Staate zu sprechen. Der offenbleibende freie Spielraum sei so groß, daß er seine Bedenken gegen den bevorstehenden Schritt abschwäche. Der Herr Justizminister 5 wies darauf hin, daß mit dem bevorstehenden Schritte naturgemäß ein gewisses Risiko verbunden sei. Ohne ein solches Risiko gehe es überhaupt bei der jetzigen Kriegslage nicht ab . Nach Rückspra­ che mit dem Herrn Generalgouverneur halte er aber einen Mißerfolg nicht für wahrscheinlich . Die Polen brennten darauf, für ihr Land zu kämpfen . Das sei die Auffassung des Generalgouverneurs und dieser habe, soviel ihm bekannt, sehr große und weitgehende Fühlung im Lande . Man dürfe nicht vor den be­ vorstehenden Schwierigkeiten zurückschrecken, sondern müsse die ganze s

Max v. Beseler.

1916

224

Aktion mit fester und sicherer Hand durchführen. Den Ausdruck "autonom" im Manifest würde er auch seinerseits vor dem Ausdruck "selbständig" vorzie­ hen . Der Herr Ministerpräsident erklärte, er sei dem Herrn Justizminister für seine Worte sehr dankbar. Jeder Entschluß, der in der jetzigen großen und schweren Zeit gefaßt werde, müsse von dem Vertrauen getragen sein, daß wir siegen wollten und siegen würden. Wenn wir siegten, hätten wir die Kraft, Polen in der Form uns anzugliedern, die uns erwünscht sei. Wenn wir unter­ lägen, würden auch alle Bedingungen und Einschränkungen nichts nützen. Man müsse daher mit vollem Vertrauen an die Sache herangehen. Der Herr Vizepräsident erklärte, auch er sei von der Notwendigkeit durch­ drungen, daß das Manifest sofort erlassen werden müsse. Er habe nur die Sorge, daß, wenn in dem Manifest nur zum Ausdruck komme, daß Polen "im Anschluß" an Deutschland zum selbständigen Staate gemacht werden solle, zu wenig Klarheit darüber geschafft würde, wie wir uns diesen Anschluß dächten . Wenn es mit Rücksicht auf das Ausland nicht angängig erscheine nähere Andeutungen im Manifest selbst zu machen, so würde doch vielleicht von dem Generalgouverneur von Beseler mit den Polen in dieser Richtung noch weiter zu verhandeln sein . Es würde ihnen dabei klarzumachen sein, daß, wenn sie unseren auf militärischem, wirtschaftlichem, verkehrs- und han­ delspolitischem Gebiete liegenden Bedingungen sich nicht fügen wollten, unser Entschluß, für ihre Selbständigkeit einzutreten, hinfällig werden würde. Der Herr Kultusminister6 führte aus, der Standpunkt des Herrn Minister­ präsidenten, daß man jetzt bei jeder bedeutenden Entscheidung ein gewisses Risiko übernehmen müsse, sei sicher richtig. Indessen käme es doch auf das Maß des Risikos an. Darum sei es wichtig sich möglichst schon jetzt über die Wirkung zu unterrichten, welche das Manifest auf die Bereitwilligkeit der Polen für ihr Land zu kämpfen, üben werde. Vielleicht könnte schon von der zu empfangenden Deputation namens der Polen der Wunsch und der Wille ausgesprochen werden, für die Wiedererlangung ihrer Selbständigkeit in den Kampf einzutreten. Im übrigen glaube er, daß es uns, falls wir als Sieger aus dem Kriege hervorgingen, nicht schwer fallen würde, die Bedingungen für die Angliederung Polens festzusetzen. Der Herr Kriegsminister 7 sprach seine Freude darüber aus, daß die Sache jetzt so weit gediehen sei und daß auch Seine Majestät der Kaiser sich für die Errichtung eines autonomen Polens und für den alsbaldigen Erlaß des Manife­ stes ausgesprochen habe. Er wiederhole, daß er die Verantwortung nicht über­ nehmen könne, irgendeine Hilfsquelle zur Vermehrung des Truppenersatzes 6 Trott zu Solz . 7 V.

Wild.

Polen

225

aus der Hand zu lassen, und freue sich, daß dieser Standpunkt auch von der Obersten Heeresleitung mit solcher Entschiedenheit vertreten werde. Das Verhältnis der zukünftigen polnischen Armee zu Deutschland solle durch eine Militärkonvention geregelt werden, die in seinem Ministerium bereits in Ar­ beit genommen sei. Jetzt könne sie den Polen noch nicht vorgelegt werden, aber wenn Deutschland gesiegt habe, würden die Polen schon Verständnis für eine derartige Militärkonvention haben. Gerade die wiederholten Verhandlun­ gen im Staatsministerium hätten doch ergeben, daß die in Aussicht genom­ mene Lösung der polnischen Frage die wenigsten Bedenken in sich schließe. Auch er halte es für eine militärische Notwendigkeit diesen Schritt alsbald zu tun. Der Herr Minister des Innern führte aus, heute stehe es nur noch in Frage, in welcher Weise der beabsichtigte Schritt durchzuführen sei, einmal um die durch ihn entstehenden gegenwärtigen Schwierigkeiten zu überwinden, und zweitens um uns für die Zukunft nicht mehr als jetzt erforderlich zu binden. Er stimme deshalb dem Herrn Staatsminister Dr. HelHerich zu, daß das Mani­ fest nicht zu eng, sondern möglichst weit gefaßt werden müsse. Es dürfe keine Details enthalten, sondern müsse nur von dem "engen Anschluß" sprechen . Dann würden wir es in der Hand halten, unsererseits die für notwendig befun­ denen Bedingungen zu stellen, und äußerstenfalls es auch Rußland überlassen können seinerseits den Polen die Autonomie zu geben . Am schwierigsten werde die Information der Presse sein. Man könne nicht sagen, die militärische Lage erfordere diesen Schritt. Man könne nur sagen, was wir den Polen zugesichert hätten, sei für uns erträglich und es sprächen gewichtige Gründe dafür diesen Schritt jetzt zu tun . Der Herr Ministerpräsident teilte hierauf den ihm soeben zugegangenen Entwurf des Manifestes im Wortlaute wie folgt mit: An die Bewohner des Generalgouvernements Warschau. Seine Majestät der Deutsche Kaiser und Seine Majestät der Kaiser von Österreich und Apostolischer König von Ungarn, getragen von dem festen Vertrauen auf den endgültigen Sieg ihrer Waffen und von dem Wunsche gelei­ tet, die von ihren tapferen Heeren mit schweren Opfern eroberten russisch­ polnischen L andesteile einer glücklichen Zukunft entgegenzuführen, sind dahin übereingekommen, aus diesen Gebieten einen selbständigen Staat mit erblicher Monarchie und konstitutioneller Verfassung zu bilden. Die genauere Bestimmung der Grenzen der Königreichs Polens bleibt vorbehalten. Das neue Königreich wird im engen Anschluß an die beiden verbündeten Mächte die Bürgschaften finden, deren es zur freien Entfaltung seiner Kräfte bedarf. In einer eigenen Armee sollen die ruhmvollen Überlieferungen der polnischen Armee früherer Zeiten und die Erinnerung an die tapferen polnischen Mit-

226

1916

streiter in dem großen Kriege der Gegenwart fortleben. Ihre Organisation, Ausbildung und Führung wird im gemeinsamen Einvernehmen geregelt wer­ den. Die verbündeten Monarchen geben sich der zuversichtlichen Hoffnung hin, daß sich die Wünsche nach staatlicher Selbständigkeit und nationaler Entwick­ lung des Königreichs Polen nunmehr unter gebotener Rücksichtnahme auf die allgemeinen p olitischen Verhältnisse Europas und auf die Wohlfahrt und Sicherheit Ihrer eigenen Länder und Völker erfüllen werden. Die großen westlichen Nachbarvölker des Königreichs Polens aber werden an ihrer Ostgrenze einen freien, glücklichen und seines nationalen Lebens frohen Staat mit Freuden neu erstehen und aufblühen sehen. Auf Allerhöchsten Befehl Seiner M aj estät des D eutschen Kaisers und Königs von Preußen. Der Generalgouverneur gez . Beseler 8 Der Staatsminister Dr. HelHerich führte aus, das Manifest bewege sich in allgemeinen Formen, die kein sehr großes Risiko in sich schlössen. Er würde doch vorziehen, wenn statt "selbständig" "autonom" gesagt werde, obwohl die Rücksicht auf das Ausland mehr für das Wort "selbständig" spreche. Ob ein Sonderfrieden mit Rußland durch dieses Manifest erheblich erschwert werde, sei eine offene Frage. Rußland kenne unsere Absichten betreffs Polen schon lange und habe seinerseits doch nichts getan, um uns zuvorzukommen oder auf andere Weise unsere Pläne zu durchkreuzen . Wir wüßten jedenfalls nicht, ob wir einen Sonderfrieden erreichen würden, wenn wir auf den aus Polen zu erwartenden militärischen Zuwachs verzichteten. Deshalb müsse jetzt dem Verlangen der Obersten Heeresleitung Rechnung getragen werden. Von weiteren Verhandlungen mit den Polen könne er sich im gegenwärtigen Augenblicke nichts versprechen . Im Gegenteil halte er es für bedenklich schon jetzt im einzelnen Bedingungen zu stellen . Dadurch würden wir uns nur selbst in unbequemer Weise binden. Der Herr Finanzminister erklärte, daß seine Bedenken gegen den bevorste­ henden Schritt durch die neuliehen Ausführungen des Generalgouverneurs keineswegs gänzlich beseitigt seien . Er habe diese als sehr optimistisch be­ trachtet. Der Generalgouverneur glaube, daß Polen über das deutsche Ge­ schenk der Selbständigkeit dankbar sein würde. Das glaube er nicht. Nach der Rede, die der Prinz Radziwill kürzlich im Hotel Adlon gehalten habe 9, wür8 Gebilligt durch Wilhelm li . am 2. 1 1 . 1916, Proklamation am 5. 1 1 . 1916. Siehe Conze, Polnische Nation S . 165 -257. 9 5 . 10. 1916.

Polen

227

den die Polen nur fordern. Durch die Ausführungen des Herrn Ministerpräsi­ denten und durch den Wortlaut des Manifestes würden seine Bedenken aber wesentlich in den Hintergrund gedrängt. Wie die Sache heute liege, müsse das Manifest jetzt erlassen und das Risiko getragen werden. Ob dadurch ein Sepa­ ratfrieden mit Rußland verhindert werden würde, müßten die Diplomaten be­ urteilen. Wie er höre, stände Rußland im Begriff an Polen und Litauen die Autonomie zu geben. Dem würde man durch die jetzige Aktion in gewisser Weise zuvorkommen. Der Herr Kriegsminister führte aus, daß wenn die Polen keinen Dank emp­ fänden, wir doch für die Sicherheit unserer militärischen Interessen auch ohne solche Gefühle auf polnischer Seite zu sorgen imstande sein würden. Dazu wäre insbesondere die Militärkonvention berufen. Der Herr Ministerpräsident betonte, man müsse sich doch klarmachen, unter welchen Verhältnissen sich die Gründung des neuen Staates vollziehen werde. Unsere siegreichen Armeen ständen in Polen und unsere Regierung führe den König ein und oktroyiere die Verfassung. Es läge also durchaus in der Hand Deutschlands, die Verfassung so zu gestalten, daß sie für uns alle erforderlichen Sicherheiten böte. Zu diesen gehöre besonders auch der Ab­ schluß der Militärkonvention . Das, was der Presse zu ihrer Orientierung gesagt werden müsse, habe der Herr Minister des Innern bereits zutreffend ausgeführt. Wegen der rechtzeiti­ gen Orientierung der Parteien werde zunächst noch mit den Führern gespro­ chen werden müssen. Er bitte die Herren Staatsminister nochmals um ihre Unterstützung, nachdem jetzt auch Seine Majestät Sich für den alsbaldigen Erlaß des Manifestes ausgesprochen habe. Der Herr Vizepräsident erklärte, er habe seinerseits nicht vorschlagen wol­ len, daß mit der Deputation über einzelne Bedingungen verhandelt werden solle, sondern sei nur der Meinung gewesen, daß man den Polen die wesent­ lichen Einschränkungen, die man dem neuen Gebilde auferlegen wolle, zweckmäßigerweise rechtzeitig vorher mitteilen solle . Indessen sei er durch die Ausführungen des Herrn Ministerpräsidenten und des Herrn Kriegsmini­ sters insofern beruhigt, als danach ja die Möglichkeit bestehe, alle erforder­ lichen Vorbehalte zu machen, sowohl in militärischer, verkehrs- und handels­ politischer Beziehung als auch in bezug auf die Verwaltung und die Organisa­ tion des Eisenbahnwesens . Insbesondere sei er in dieser Hinsicht durch die inzwischen mitgeteilte Fassung des Manifestes beruhigt worden. Der General­ gouverneur wolle ja auch seinerseits für die Zukunft die nötigen Bindungen, wolle nur im gegenwärtigen Augenblicke die Stimmung nicht verderben . Nachdem sodann der Herr Handelsminister 10 noch darauf hingewiesen 10

Sydow.

1916

228

hatte, daß für die Information der Presse das Schlagwort ausgewertet werden müsse: Es handele sich hier um die große Frage, ob sich Polen der westlichen oder der östlichen Kultur anschließen wolle, wurde die Besprechung geschlos­ sen. gez. von Bethmann Hollweg von Breitenbach Beseler Sydow von Trott zu Solz Frhr. von Schorlerner Lentze von Loebell von Jagow Wild von Hohenborn HelHerich gez. Heinrichs

108.

Urteil des Reichsmilitärgerichtes 1 gegen Kar! Liebknecht 2

Revision verworfen. Cartarius, Nr. 125 .

Berlin, 4. November 1916 Urteil I n der Strafsache gegen den Armierungssoldaten Kar! L i e b k n e c h t vom Armierungsbataillon Nr. 118 hat das Reichsmilitärgericht, I. Senat, in der Sitzung vom 4. November 1916 [ . . ] auf die Revision des Angeklagten nach mündlicher Verhandlung für Recht erkannt: Die Revision gegen das Urteil des Oberkriegsgerichts bei dem Königlichen Gouvernement der Residenz Berlin vom 23 . August 1916 wird verworfen. Gründe Der Angeklagte hat innerhalb der gesetzlichen Frist schriftlich Revision ein­ gelegt und gleichzeitig Verletzung des materiellen Rechts gerügt, hierbei auch geltend gemacht, daß die Anfechtung und der Aufhebungsantrag sich auf den ganzen Inhalt des Urteils erstrecke . Hiermit ist eine sachliche Rüge erhoben und liegen, da ein begründeter Re.

1 Aufnahme der Tätigkeit 1. 10. 1900 . 2 Das Kommandanturgericht Berlin verurteilte Liebknecht am 2 8 . 6. 1916 wegen ver­ suchten Landesverrates, Ungehorsams gegen die Gesetze und Widerstands gegen die Staatsgewalt zu 2\lz Jahren Zuchthaus. Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte lehnte das Gericht ab, weil der Verurteilte nicht aus ehrloser Gesinnung gehandelt habe. Das Oberkriegsgericht verschärfte im Berufungsverfahren durch Urteil vom 23 . 8. 1916 die Strafe auf 4 Jahre 1 Monat Zuchthaus; auch erkannte es dem Verurteilten, dem es Handeln aus "ehrloser Gesinnung" vorwarf, die bürgerlichen Ehrenrechte auf 6 Jahre ab . Im Revisionsverfahren bestätigte das Reichsmilitärgericht am 4. 1 1 . 1916 diese Ent­ scheidung. Mit der Rechtskraft des Urteils verlor Liebknecht seine Mandate in Reichs­ tag und preußischem Abgeordnetenhaus.

Urteil gegen Liebknecht

229

visionsantrag gestellt ist, die Voraussetzungen für eine Vernehmung nach § 404 der Militärstrafgerichtsordnung 3 nicht vor. Der Angeklagte hat zwar bei Erhebung dieser Rüge bemerkt, daß weitere Begründung nach Eingang des Urteils und Eingang des Protokolls erfolge und hierbei auf § 404 der Militärgerichtsordnung verwiesen. Diese als Vorbehalt anzusehende Bemerkung kann aber nach der feststehen­ den Rechtsprechung des Reichsmilitärgerichts nichts an der Tatsache ändern, daß durch die Erhebung der sachlichen Rüge die Vernehmung nach § 404 der Militärstrafgerichtsordnung ausgeschlossen ist. Denn der § 404 der Militär­ strafgerichtsordnung will dem Angeklagten nicht die Möglichkeit geben, seine innerhalb der Frist erklärten Revisionsgründe nach Ablauf der Frist noch zu ergänzen; er greift vielmehr nur dann Platz, wenn der Angeklagte in­ nerhalb der Frist eine dem Gesetz entsprechende Rechtfertigung der eingeleg­ ten Revision ü b e r h a u p t unterlassen hat. Entsch . des R M G . 10, 171 ( 172); 17, 45 . Die von Amts wegen zu prüfende Frage, ob der Angeklagte wegen der ihm zur Last gelegten Straftaten der Militärstrafgerichtsbarkeit untersteht, war zu bejahen. Er war bei Ausbruch des Krieges ausgebildeter Landsturmpflichtiger I. Aufgebots, von dem Aufrufe des Landsturmes betroffen - Kaiserliche Ver­ ordnung vom 15. August 1914, Reichsgesetzblatt Seite 371, § 2 - und gehörte, nachdem er zum Dienste einberufen und verschiedenen Formationen zugeteilt gewesen war, zur Zeit der Tat als Armierungssoldat dem Armierungsbataillon Nr. 118 an. Er war zwar bis zur Beendigung der Reichstagssitzung vom Dien­ ste befreit, nicht aber zur Verfügung des Bezirkskommandos entlassen . Die Voraussetzungen des § 1 Ziff. 1 der Militärstrafgerichtsordnung sind somit gegeben. Die erhobene sachliche Rüge nötigt zur Nachprüfung des gesamen Inhaltes des Urteils auf seine Gesetzlichkeit. Zunächst ergibt diese Nachprüfung, daß die Verurteilung wegen versuchten Kriegsverrats im Sinne der §§ 56, 57, 9 des Militärstrafgesetzbuchs 4, 89, 43, 44, 45 des Strafgesetzbuchs durch die getroffenen Feststellungen getragen wird. Die Voraussetzungen der Begehung der Tat im Felde, § 9 des Militär­ strafgesetzbuchs, liegen nach der äußeren und inneren Seite vor. Das Oberkriegsgericht hat angenommen, daß unter "feindlicher Macht" im Sinne des § 89 des Strafgesetzbuches nicht nur die eigentliche Kriegsmacht des Feindes, sondern im weiteren Sinne die ganzen dem Feinde zu Gebote stehen­ den Mittel zur Durchführung der Niederwerfung seines Gegners, also die ganze feindliche Staatsgewalt, zu verstehen sei. 3

Am 1. 10. 1898 verkündet, am 1. 10. 1900 in Kraft getreten.

4 >Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche ReichIm SchützengrabenJour­ nal of commerce< bezeichnend : "Das schmeckt stark nach toll gewordenem Optimismus . " England hat drei Quellen, sich Schiffsraum z u verschaffen. Erstens : Weg­ nahme unter neutralem Schutz liegender deutscher Schiffe. Diese Quelle hat im Ganzen etwa 1 Millionen Tonnen gebracht und war bald erschöpft. Zwei­ tens : Wegnahme von Schiffen neutraler Handelsflotten. Diese Quelle wurde im Sommer 1917 in Anspruch genommen, und der gewaltsame Druck gegen die Neutralen erpreßte etwa 1,5 Millionen Tonnen. Drittens: Neubauten. Dies ist die jetzt noch einzig mögliche Quelle zur Ergänzung des Schiffs­ raums, und es kommen hierfür nur England und Amerika in Frage. Beide zu­ sammen sind nach den Angaben ihrer eigenen Fachleute nicht imstande, mit den Versenkungen Schritt zu halten. Mit Absicht lasse ich die mir vorliegen­ den Zahlen und Berechnungen, die vielfach auf beiden Seiten gemacht wur­ den, hier fort; man behält sie doch nicht. Das Bild ist aber ein klares gewor­ den: wir bauen immer bessere und größere U-Boote und erheblich mehr, als untergehen; die Gegner bauen trotz größter Anstrengung erheblich weniger Schiffe, als wir versenken. Raub und Kauf in Mengen, die irgendwie ins Ge­ wicht fallen könnten, kommen für England nicht mehr in Frage, nur noch eigener und amerikanischer Schiffsneubau . Es muß also in durchaus absehba­ rer Zeit der Augenblick kommen, wo unsere Gegner wegen Schiffsraumman­ gel nicht mehr imstande sind, gleichzeitig Krieg zu führen u n d zu leben. Schon im Sommer vorigen Jahres sagte der amerikanische Militärschriftsteller Emerson : "In dem verzweifelten Ringen, bei dem Wettrennen zwischen Zer­ stören und Bauen haben die Deutschen alle Chancen auf ihrer Seite. " Als Abwehrmittel gegen U-Boote hatten unsere Gegner anfangs die Bewaff­ nung der Handelsschiffe, Flieger, Zerstörer, U-Bootfallen, Netze, Minen usw. In den letzten Monaten lassen sie zur größeren Sicherheit ihre Schiffe in Geleitzügen fahren, deren Zusammenstellung, langsame Fahrt und umständ­ liche Löschung viel kostbare Zeit verschlingt. Das ergab für unsere U-Boote zuerst einige Schwierigkeiten. Bald aber waren die Erfahrungen über die Me­ thoden der Sicherungsfahrzeuge gesammelt, und jeder U-Bootkommandant weiß, daß einem amerikanischen Geleitzug anders beizukommen ist als einem =

380

1918

englischen. Sie schießen ja fast täglich die tiefgehenden Transporter heraus, ja vernichten ganze Geleitzüge. Also auch das Mittel versagt. Man hat bisher die Wunderblume, die gegen das U-Boot gewachsen sein soll, nicht entdecken können. In den letzten Monaten sind mehrfach U-Boote zurückgekehrt, die in wo­ chenlangem Suchen in den Sperrgebieten nur einen einzigen Geleitzug und ganz wenig einzeln fahrende Schiffe angetroffen haben . Es ist leer und still ge­ worden auf den einst so lebhaften Frachtstraßen der Meere . Und dabei lagern Unmengen von Lebensmitteln aller Art auf den Stapelplätzen der Welt für unsere Feinde . In Australien, um ein Beispiel anzuführen, sind bereits 3 Mil­ lionen Tonnen Getreide von den Mäusen aufgefressen worden. Es fehlt der Schiffsraum zum Transport, und zu Hause in England hungern die Armen, leben die Reichen noch wie früher. [ . . . ]

179.

Protokoll einer Sitzung des preußischen Staatsministeriums.

Polen. Scherer - Grunewald III, Nr. 225 .

Berlin, 4. Februar 1918 Anwesend : der Präsident des Staatsministeriums : Dr. Graf von Hertling. der Vizepräsident des Staatsministeriums : Dr. Friedberg; die Staatsminister Dr. von Breitenbach, Dr. Sydow, von Stein, Graf von Roe­ dern, von Waldow, Dr. Spahn, Dr. Drews , Dr. Schmidt, von Eisenhart­ Rothe, Hergt, Wallraf; der Erste Generalquartiermeister General der Infanterie Ludendorff mit Ge­ neralmajor von BartenwerHer und Oberst von Winterfeldt; der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Wirkliche Geheime Rat Dr. von Kühlmann; als Kommissar des Reichskanzlers der Unterstaatssekretär in der Reichskanzlei von Radowitz . der Unterstaatssekretär Wirkliche Geheime Rat Heinrichs und der Vortra­ gende Rat beim Staatsministerium Geheime Regierungsrat Valentiner. Im Anschluß an die heutige Sitzung des Staatsministeriums 1 fand eine wei­ tere Besprechung über die polnischen Fragen im Beisein des auf einen dahin ausgesprochenen Wunsch des Staatsministeriums an der Sitzung teilnehmenden Ersten Generalquartiermeisters General der Infanterie Ludendorff statt.

1

Scherer-Grunewald III Nr. 224.

Polen

381

Nach Begründung durch den Herrn Ministerpräsidenten führte der Herr Generalquartiermeister folgendes aus : Der Verlauf des Krieges liefere den Beweis, daß die Grenzen Ostpreußens nicht gesichert seien. Selbst wenn man in Zukunft beabsichtigen sollte, mehr Truppen dort zu versammeln, dann böten doch die Eisenbahnverhältnisse allzu große Schwierigkeiten. Aber auch der große Bogen, welchen Polen nach Westen bilde, stelle eine große Schwäche des Deutschen Reichs dar. Hätten die Russen diese Schwäche ausgenutzt und schon im August und September 1914 das getan, was sie nachher im Oktober getan hätten, dann wäre für uns eine große Krise entstanden. Dem russischen Gros, das sich westlich Iwango­ rod 2 vorbewegt hatte, hätten wir nichts entgegensetzen können. Wir müßten deshalb dafür sorgen, daß die Verhältnisse nach dem Kriege anders würden, als wie sie gewesen seien. Zuerst sei freilich das russische Reich zusammenge­ brochen und nicht mehr zu fürchten. Wie aber werde es nach einem Menschenalter sein ? Wir dürften unsere Maßnahmen nicht auf Grund des jet­ zigen gesicherten Zustandes, sondern unter Berücksichtigung eines wieder­ gefestigten Rußlands treffen. Diese Erwartung bedinge eine gesicherte Grenze zunächst für Ostpreußen . Deshalb müsse Kurland und Litauen so abhängig vom Deutschen Reiche gemacht werden, daß es als militärisches Aufmarsch­ gebiet betrachtet werden könne. Was Ostpreußen und Posen anbelange, so sei von der Obersten Heeresleitung immer betont worden, daß die von Polen zu fordernden Grenzberichtigungen sich danach richten müßten, in welches Verhältnis Polen zu Deutschland trete. Je sicherer in militärischer Beziehung dies Verhältnis für uns ausfalle, desto ge­ ringere Grenzberichtigungen würden erforderlich und umgekehrt. In jedem Fall aber seien Grenzberichtigungen nötig. Auch die Eisenbahnverhältnisse vor dem Kriege seien sehr ungünstig gewesen . Sie seien dann während des Krieges dauernd verbessert worden und gerade gegenwärtig erbitte die Oberste Heeresleitung die vierte Linie. Das Eisenbahnnetz müsse unbedingt vervoll­ kommnet werden . Dies sei in Preußen nicht möglich . Die Einschnürung zwi­ schen Danzig und Thorn sei zu gefährlich und die Weichsel für den Feind eine sehr gute Fliegerstraße. Die genannte Einschnürung müsse verbreitert und durch diese Verbreiterung eine Bahnlinie geführt werden. Dann würde eine Reihe von Aufmarschstraßen durch das neu erworbene Gebiet zum Schutze von Ostpreußen und je nachdem auch zum Schutze von Kurland und Litauen führen. Ohne die erwähnte Verbreiterung sei die Bahn und damit der Schutz des Landes unmöglich, und deshalb könne die Oberste Heeresleitung nur be­ tonen, daß sie diese Bahn für unentbehrlich halte. Im Ostteil bedinge die Bahn die Anlehnung der Grenze an den Narew bis etwa Ostrolenka. 2 Dc;blin.

382

1918

Im Westen Polens fordere unsere Sicherung das Vorschieben eines Streifens bis zirka Konin. Eine weitere Grenzberichtigung sei im Süden bei Bendzin und in Richtung Czenstochau erforderlich . Das oberschlesische Kohlenrevier sei eine der Kraftquellen für den nächsten Krieg. Leider liege es ebenso an der Grenze wie unsere anderen Kraftquellen, das lothringische Erzbecken und das rheinisch-westfälische Industriegebiet. Welche hohe militärische Bedeu­ tung diesen Kraftquellen zukomme, habe erst dieser Krieg im vollen Maße gezeigt. Ohne Longwy-Briey würden wir jetzt nicht leben können. Jeder feindliche Schlag würde sich deshalb gegen diese Zentren richten. Folglich seien gerade die Grenzberichtigungen unerläßlich . Eine Unterlassung in die­ sem Punkte könnte künftig verhängnisvoll werden. Nun könnte man ja viel­ leicht sagen, das oberschlesische Kohlenrevier sei auch mit der vorgeschlagenen Grenze nicht genügend zu schützen. Das sei richtig; aber wenigstens könne man es gegen die gewöhnliche Artillerie sichern, worauf es hauptsächlich an­ komme . Um so mehr stelle die dort vorgeschlagene Grenzberichtigung das mindeste dar, was nach pflichtmäßigem Ermessen der Obersten Heeresleitung gefordert werden müsse. Sollte Galizien mit Polen verbunden werden, dann würde noch der äußerste Nordwestzipfel dieses Kronlandes hinzugenommen werden müssen. Die Feststellung der Grenzberichtigung sei übrigens ohne Rücksicht auf das dortige Kohlenvorkommen erfolgt. Militärisch vorteilhafter wäre es auch, Czenstochau hinzuzunehmen, aber die Rücksicht auf die religiöse Bedeutung dieser Stadt für das Polenturn hätte davon abgehalten. Für die Linienführung von Czenstochau in Richtung auf Konin seien fol­ gende Gründe maßgebend gewesen: Durch die austro-polnische Lösung wür­ den Verhältnisse geschaffen, welche die Oberste Heeresleitung für ungünstig ansehe, weil sie fürchte, daß sie den Kern eines späteren Zerwürfnisses mit Österreich-Ungarn in sich trage. Die Polen würden ja dauernd nach Posen, Gnesen, Danzig und Wilna sehen und dabei schließlich einen Rückhalt in Wien finden. Damit sei dann das Zerwürfnis da. Hierdurch werde die Provinz Schlesien bei ihrer Lage zwischen Polen und Böhmen in starke Mitleiden­ schaft gezogen. Das zwinge zu einer Verbreiterung der Basis . In Oberschle­ sien könne keine Armee aufmarschieren. An sich wäre deshalb die Warthelinie die wichtigste militärische Grenze gewesen. Aber auf Wunsch des Herrn Reichskanzlers und des Herrn Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes sei die Oberste Heeresleitung trotz ihrer militärischen Bedenken ein beträchtliches Stück zurückgegangen. Eine größere Beschränkung sei nicht möglich, um die bekannte gefährliche Einbuchtung südöstlich von Posen zu verringern. Er erinnere daran, daß im Herbst 1914 Kosakenpatrouillen bis nach Pleschen gelangt seien. Bei diesen Grenzberichtigungen müsse die Oberste Heeresleitung stehen bleiben; sonst sei eine erneute Verschlechterung der Zukunft Deutschlands die

Polen

383

Folge . Die Oberste Heeresleitung sei sich durchaus bewußt, daß der Zuwachs polnischer Elemente für Preußen sehr unbequem sei . Gerade deshalb hätte sie auch die austro-polnische Lösung sehr bedauert, die ja zu solchem Zuwachs zwinge. In dieser Erkenntnis hätte sie einen Gedanken des Herrn Reichskanz­ lers von Bethmann-Hollweg und des Herrn Unterstaatssekretärs Wahnschaffe aus dem Jahre 1915 wieder aufgegriffen, und hätte geprüft, ob und inwieweit eine Aussiedlung polnischer Elemente aus dem Grenzstreifen möglich wäre. Hierzu bäte er dem Herrn Generalmajor von BartenwerHer das Wort gestatten zu wollen. Herr Generalmajor von BartenwerHer legte dar, wie die Oberste Heeres­ leitung Wert darauf lege, daß der Grenzstreifen auch d e u t s c h w ü r d e . Die militärischen Gründe für eine Verdeutschung seien folgende : Der Grenzstrei­ fen stelle das wahrscheinliche Aufmarschgelände dar. Für so wichtige militäri­ sche Bewegungen sei es unmöglich, daß man polnische Bewohner diesseits und jenseits der Grenze habe. Die Erfahrungen, die man zu Beginn des Krie­ ges an der Iothringischen Reichsgrenze gemacht habe, schreckten zu sehr. Über die Frage der Verdeutschungsmöglichkeit hätten kürzlich gemeinsame Beratungen im Reichsamt des Innern stattgefunden. Dabei sei allgemein der Wunsch ausgesprochen worden, daß diese Eindeutschung möglichst ohne Zwang durchgeführt werde. Zur Verringerung des polnischen Besitzes auf legalem Wege sei der Gedanke erörtert worden, von den rund 24 000 Quadrat­ kilometern, welche der Grenzstreifen umfasse, etwa 4000 Quadratkilometer, also schon den sechsten Teil, für militärische Übungsplätze, Schießplätze und Flugplätze zu beanspruchen und längs der vom Herrn Generalquartiermeister erwähnten strategischen Bahn sowie vielleicht auch durch Anlegung eines Ka­ nals nach der Warthe, Gelände auf beiden Seiten der Linienführung den Polen zu entziehen und deutscher Ansiedlung vorzubehalten . Man sei ferner der Meinung gewesen, daß die "landlosen Polen" im Grundbezirke bleiben könn­ ten, weil man sie als Landarbeiter nötig habe. Hierdurch wäre die Zahl der nationalpolitisch gefährlichen Elemente schon nicht unbeträchtlich verringert. Zu den letzteren gehörten namentlich auch die Juden. Sie seien meist Russen, übrigens nicht ansässig und meist nur mit Rücksicht auf die besseren Ernäh­ rungsverhältnisse dort anwesend . Man könne sie also verpflanzen und auch zur Auswanderung nach Amerika anregen . Gefährlich sei weiter der polnische Landbesitz. Vielleicht sei hier ein Tausch mit deutschem, in Polen gelegenen Besitz möglich . Schließlich würden die Donationsgüter und Staatsgüter, die von Rußland im Friedensvertrag abgetrennt werden könnten, im großen Umfang (etwa 200 000 ha) mit Deutschen besiedelt werden können . Als sofort zu ergreifende Maßnahmen kämen in Betracht die Abschiebung der Juden, die Erkundung des Geländes hinsichtlich seiner Eignung zu Übungsplätzen, sowie die Sperrung des gesamten Besitzwechsels und der Freizügigkeit im

384

1918

Grenzstreifen. Das Generalgouvernement in Warschau sei bereits mit einer Feststellung der Besitzverteilung im Grenzstreifen beschäftigt. Der Minister des Innern 3 führte vom Standpunkt der inneren Polenpolitik aus, daß, wenn der anzugliedernde Grenzstreifen ein geschlossenes Gebiet darstellte, es möglich sein würde, eine besondere Provinz zu bilden, die immer­ hin leichter zu verwalten wäre. Nun habe aber der Grenzstreifen eine wurm­ artige Gestalt und deshalb würde es auf die Dauer verwaltungstechnisch nicht zu vermeiden sein, ihn den angrenzenden preußischen Provinzen anzugliedern. Es werde dann schwierig sein, die Polen und Juden zu staatserhaltenden Untertanen zu machen. Der Streifen an der schlesischen und ebenso an der ostpreußischen Grenze entlang sei in dieser Hinsicht unbedenklich . Besondere Schwierigkei­ ten aber werde der Teil verursachen, der den Provinzen Posen und Westpreu­ ßen vorgelagert sei . Das sei gerade das bevölkertste Gebiet, und hier wohne der am festesten verankerte wohlhabende polnisch-kujavische Bauernstand. Ohne Zwang werde der sich nicht hinausdrängen lassen und eine kräftige Un­ terstützung der jetzt schon starken polnischen Bevölkerung in den preußi­ schen Grenzkreisen bilden . Mit Zwang hinausgedrängt werde er aber die Feindschaft Polens gegen uns verdoppeln . Aus allen diesen Gründen bitte er zu erwägen, ob es nicht möglich sei, hier die Grenze zurückzuschieben. Der Herr Generalquartiermeister erwiderte, der Umstand, daß der Grenz­ streifen eine wurmartige Form habe, sei erst dadurch entstanden, daß die Wünsche der Obersten Heersleitung politisch für zu weitgehend erklärt wor­ den seien . Die Oberste Heeresleitung würde auch lieber eine Provinz als Grenzschutz sehen. Übrigens weise er darauf hin, daß im fraglichen Gebiet auch Deutsche in nicht geringer Zahl lebten, z. B. seien 40 % der Bevölkerung der Stadt Lipno deutsch . Herr Staatsminister von Waldow meinte, daß eine gesonderte und damit erleichterte Verwaltung des neuen Gebiets wenigstens teilweise, etwa von Kalisch bis Mlawa möglich sein würde. Herr Staatsminister Graf von Roedern hielt gerade eine gesonderte Verwal­ tung für noch schwieriger als eine Verwaltung im Anschluß an die angrenzen­ den Provinzen . Die Erfahrungen in Elsaß-Lothringen wiesen jedenfalls darauf hin. Der Herr Finanzminister 4 regte an zu prüfen, ob nicht südlich von Wlocla­ wek eine Verschmälerung des Grenzstreifens möglich wäre . Der Herr Ministerpräsident bemerkte, die Einverleibung eines so beträcht­ lichen Teiles von Polen würde in der Tat einer neuen Teilung Polens gleich­ kommen und uns die Polen auf immer zu Feinden machen. 3 Drews .

4 Hergt.

Polen

385

Der Herr Generalquartiermeister sagte hierauf zu, nochmals untersuchen zu wollen, ob etwa südöstlich der Linie Konin-Wloclawek nicht doch noch eine Einschränkung der Breite des Grenzstreifens durchführbar sein werde . Freilich habe er nur geringe Hoffnung, denn je näher die Grenze an die Bahn herankomme, desto geringer sei natürlich die Sicherung. Wesentlich werde sich deshalb an der Grenzführung kaum etwas ändern lassen. Der Herr Handelsminister s erklärte, den Ausführungen des Herrn Gene­ ralquartiermeisters hinsichtlich der Sicherung des oberschlesischen Kohlen­ reviers durch Einverleibung des Kreises Bendzin und eines Streifens bei Czenstochau durchaus beitreten zu müssen . Der Herr Finanzminister regte an, den Kreis Bendzin, der ohne Zweifel "eingedeutscht" werden könne, separat zu behandeln und unserm Kreischef bald Direktiven dahin zu geben, die Juden und vielleicht auch einen Teil der Polen nach Möglichkeit rechtzeitig von dort zu entfernen . Es sei dies, wie er wisse, dort durch Verwaltungsmaßnahmen möglich. Zu der vom Herrn Gene­ ralquartiermeister zugesagten erneuten Prüfung der Grenzführung bat er, auch die Verlegung der Bahn näher an Thorn heran in Erwägung ziehen zu wollen . Was die Aussiedlung von Polen aus dem Grenzstreifen und dessen Besiedlung mit Deutschen anbelange, stelle er weitgehende finanzielle Bereit­ willigkeit seines Ressorts in Aussicht. Der Herr Kriegsminister 6 betonte, daß gerade südöstlich von Thorn die Erbreiterung von besonderer Wichtigkeit sei. Demgegenüber wünschte auch der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten 7, wenn irgend möglich, eine Ver­ schmälerung des Streifens im Vorgelände von Thorn und dementsprechend die Projektierung der Eisenbahnlinie mehr nach Norden. Auch erwähnte er, daß das Malapane-Prozna Kanalprojekt wohl hinter einem anderen Kanalprojekt zurückzutreten haben würde. Auf eine Anfrage des Herrn Ministerpräsidenten, ob der Standpunkt der Obersten Heeresleitung hinsichtlich der Ausdehnung des Grenzstreifens eine Änderung etwa dann erfahren würde, wenn an Stelle der austro-polnischen Lösung die Gründung eines völlig selbständigen Polens treten sollte, erwiderte der Herr Generalquartiermeister, daß die Auffassung der Obersten Heeres­ leitung auch dann im wesentlichen unverändert bleiben würde, wiederholte indessen seine Bereitwilligkeit zu einer erneuten Prüfung. Vielleicht würde in der Linie Konin-Wloclawek eine kleine Berichtigung sich erzielen lassen. Bei Bendzin - Czenstochau sei sie jedoch ausgeschlossen. Der Herr Ministerpräsident bemerkte hierzu, daß der künftige Staat Polen 5 Sydow. 6 Stein. 7

Breitenbach .

386

1918

grade die dortigen Kohlenschätze nur schmerzlich entbehren und ungern abgeben werde. Der Herr Justizminister 8 erbat Aufklärung nach zwei Richtungen, einmal dahin, ob das Verhältnis zu Österreich geklärt sei, und ferner darüber, welche Grenzberichtigungen im Westen gedacht seien . Hierauf führte der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes aus, die Verhandlungen mit Österreich hätten ergeben, daß gegen die Linie am Augustow-Kanal kein Widerspruch erhoben werde, daß die Mittellinie in einem gewissen Umfang noch durch­ setzbar wäre, daß aber im Süden eine Grenzberichtigung von Österreich kaum zugestanden werden würde. Das Gesamtverhältnis zu Österreich be­ finde sich gerade jetzt in einer akuten Krise. Es sei dort Kriegsmüdigkeit und Unlust zum Kämpfen vorhanden. Gerade deshalb habe der Graf Czernin die jetzt stattfindenden Beratungen gewünscht. Die militärischen Schwierigkeiten erkenne er an, aber ohne Einwilligung des polnischen Staates könnten wir das fragliche Gebiet nicht bekommen, und diese Zustimmung von ihm zu erlangen, werde außerordentlich schwer halten . Herr Staatsminister Graf von Roedern teilte mit, daß Exzellenz Graz 9 kürzlich aus Anlaß wirtschaftlicher Verhandlungen bei ihm gewesen sei. Die­ ser habe ihm gesagt, Polen müsse noch enger an Österreich angelehnt werden als jetzt Ungarn, und zwar müsse es mit Österreich zollpolitisch eine vollkom­ mene Einheit bilden. Demgegenüber müsse er seinerseits betonen, daß das Deutsche Reich dem unter keinen Umständen zustimmen könne. Vorausset­ zung unsererseits bei allen bisherigen Verhandlungen mit Österreich-Ungarn sei lediglich eine Personalunion zwischen Polen und Österreich. Wir müßten anstreben, unsere wirtschaftlichen Beziehungen zu Polen gegen jetzt nicht nur nicht zu verschlechtern, sondern zu verbessern. Aus allem gehe hervor, daß die austro-polnische Lösung noch sehr in der Schwebe sei . Der Herr Generalquartiermeister erklärte zu den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs von Kühlmann, wonach die Zustimmung des polnischen Staates zur Grenzberichtigung nur schwer zu erlangen sein werde, folgendes : Als im Herbst 1916 das Königreich Polen proklamiert werden sollte, habe die Oberste Heeresleitung dringend gebeten, in den Aufruf aufzunehmen, daß nicht nur die Grenze Polens im allgemeinen, sondern auch insbesondere seine Westgrenze berichtigt werden müßte . Der damalige Herr Reichskanzler und der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes seien formell dagegen, aber sachlich einverstanden gewesen . Deshalb sei nur ganz allgemein gesagt "die genauere Bestimmung der Grenzen bleibe vorbehalten" . Daraus folgere er, daß die Grenze noch nicht feststehe und also auch nicht mit den Polen 8 9

Spahn. Richtig: Gratz.

Polen

387

darüber verhandelt zu werden brauche, sondern daß wir das für notwendig gehaltene Land einfach behalten könnten. Der Herr Handelsminister schloß sich den Ausführungen des Herrn Staats­ ministers Grafen von Roedern dahin an, daß ein engerer wirtschaftlicher Ver­ band zwischen Polen und Österreich nicht zugegeben werden könne. Wir müßten dort die gleichen Rechte erzielen wie Österreich-Ungarn, da Polen für unsere Ausfuhr der wichtigste Teil des bisherigen russischen Reichs für uns gewesen se1 . Der Herr Finanzminister erklärte, daß ihm die Beurteilung der staatsrecht­ lichen Verhältnisse zwischen uns und dem Staate Polen, wie sie der Herr Staatssekretär von Kühlmann vorgetragen habe, neu seien. Er sei bisher der Meinung gewesen, daß wir hinsichtlich der Grenze nicht mit Polen zu verhan­ deln brauchten. Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes erwiderte, er wisse nicht, wie die Grenzberichtigung ohne Einwilligung des polnischen Staates möglich sein werde. Gehörte Polen noch zu Rußland, dann würde die Grenzberich­ tigung einen Teil des Friedensvertrages bilden. Aber Polen sei nach jetzt ver­ tretener Theorie, nach welcher Rußland nicht mehr in Polen hineinzureden habe, selbständig. Er wäre deshalb für einen Vorschlag dankbar, wie man das militärisch notwendige Gebiet ohne Einwilligung des Staates Polen uns würde einverleiben können. Der Herr Generalquartiermeister sprach seine Überraschung hierüber aus . Er sehe dann überhaupt keine Möglichkeit für die Einverleibung, und es werde dann nur noch der Machtstandpunkt einzunehmen sein, wonach wir in Polen blieben. Der Herr Minister des Innern hielt es ebenfalls für ausgeschlossen, daß die Polen einer solchen Einverleibung je zustimmen würden. Rußland müsse gegenüber beiden Mächten erklären, einverstanden zu sein, daß das Gebiet Polens aus Rußland ausscheide. Aus dem ausgeschiedenen Gebiet würde dann von beiden Mächten ein bestimmter Teil dem polnischen Staate zuzuweisen sein . Danach würde der Rest von den Okkupanten einverleibt werden kön­ nen . Dieser Weg sei der einzig mögliche. Herr Staatsminister von Waldow sprach sich dahin aus, daß die beiden Kaiser den Staat Polen vorbehaltlich der Grenzfestsetzung geschaffen hätten, also auch für die Bestimmung der Grenze zuständig seien. Der Herr Vizepräsident vertrat die gleiche Auffassung wie der Herr Mini­ ster des Innern und bezeichnete es in diesem Sinne als günstig, daß Rußland den Staat Polen nicht ohne weiteres anerkannt habe. Auch der Herr Handels­ minister vertrat dieselbe Auffassung. Die Festsetzung der Grenzen sei von beiden Mittelmächten als militärisch wichtige Maßregel ausdrücklich vorbe­ halten worden.

388

1918

Der Herr Ministerpräsident erklärte, das sei ursprünglich in der Tat so ge­ wesen. Aber inzwischen sei der Regentschaftsrat eingesetzt und damit habe in Polen die Auffassung Platz gegriffen, daß alle Zuständigkeiten der Monarchen Deutschlands und Österreich-Ungarns auf den Regentschaftsrat übergegangen seien. Der Herr Generalquartiermeister erklärte, die Oberste Heeresleitung habe immer dringend gebeten, den Polen reinen Wein einzuschenken und keinen Zweifel darüber zu lassen, daß die Grenzberichtung im Westen noch erfolgen müsse. Er bedaure, daß Polen in einem anderen Glauben gelassen worden sei. Wenn nicht bei der Proklamation am 5. November 1916, so hätte doch im Kaiserlichen Erlaß vom 12 . September 1917 10 von uns erklärt werden müssen, daß wir uns die Festsetzung der Grenzen im Westen Polens vorbehielten . Wenn wir uns erst mit den Polen in Verhandlungen einließen, würden wir nichts erreichen . Der Herr Finanzminister teilte mit, daß er kürzlich bei dem Empfang des Regentschaftsrats mit Herrn Ostrowski ganz offen von den Grenzberichti­ gungen gesprochen habe und daß dieser gar nicht erstaunt gewesen sei . Daraus schließe er, daß die Polen auf eine Grenzberichtigung durchaus vorbereitet se1en. Der Herr Minister der öffentlichen Arbeiten betonte, daß wir bei allen Verhandlungen mit Polen oder Österreich die B eeinflussung des polnischen Eisenbahnwesens im Auge behalten müßten, dann hätten wir die Polen in der Hand, zumal wir jederzeit unsere Betriebsmittel zurückziehen könn­ ten. Herr Staatsminister Graf von Roedern pflichtete dem entschieden bei unter dem Hinweis darauf, daß wir viele Millionen in die Polnischen Eisenbahnen hineingesteckt hätten. Auch der Herr Generalquartiermeister teilte diese Auf­ fassung durchaus . Zu der zweiten Frage des Herrn Justizministers hinsichtlich der Sicherung unserer Grenzen im We s t e n erklärte der Herr Generalquartiermeister end­ lich noch, die Oberste Heeresleitung stehe auf dem Standpunkte, daß Elsaß­ Lothringen keine Autonomie erhalten dürfe, daß eine Grenzberichtigung im Gebiete des Erzbeckens von Longwy-Briey und der Beitritt Luxemburgs zum Deutschen Reiche gefordert werden müsse; ferner müsse Belgien verpflichtet werden, eine Zollunion mit dem Deutschen Reiche einzugehen und bis zu deren Durchführung müsse die Okkupation aufrechterhalten werden. Schließlich müsse Hand auf Lüttich zum Schutz des rheinisch-westfälischen Industriegebiets gelegt werden. Zur Küstenfrage wolle er sich zur Zeit nicht äußern. 10

Vgl. Scherer-Grunewald II, Nr. 247.

389

Kriegsziele

Der Herr Ministerpräsident schloß hierauf die Verhandlungen mit einem Dank an den Herrn Generalquartiermeister für seine Beteiligung. Graf von Hertling, Dr. Friedberg, von Breitenbach, Sydow, von Stein, Graf von Roedern, von Waldow, Spahn, Drews, Schmidt, von Eisenhart-Rothe, Hergt, Wallraf, Ludendorff, von Kühlmann. Heinrichs 180.

Bericht über die deutsch-österreichisch-ungarischen Verhandlungen Reichskanzlei, Auszug

m

der

Bündnis, Kriegsziele. Ludendorff, S. 468-470.

Berlin, 5. Februar 1918 [ . . . ] Besprechung mit Czernin im Reichskanzlerpalais. Es wird verabredet, wie folgt, vorzugehen: 1 . Frieden mit Ukraine, 2. Frieden mit Rumänien, 3 . möglichst auch Frieden mit Großrußland . Zu 1 . erklärt Czernin, daß Österreich, dem Verlangen der Ukraine entspre­ chend, bereit sei, in Galizien ein ukrainisches Kronland zu schaffen 1. Ein großes Opfer! Der Anfang des föderalistischen Staates ! Österreich müsse dieses Opfer bringen, es brauche die Ukraine, da es bis zur Ernte nicht durchhalten könne. Kühlmann ist bereit, 24 Stunden nach Abschluß mit den Ukrainern den Bruch mit Trotzki zu vollziehen. Das Verlangen, unter allen Umständen aus Brest etwas nach Hause mitzu­ bringen, selbst unter Preisgabe des Bündnisses mit Deutschland, veranlaßt den Grafen Czernin, ohne daß er Kühlmann "trotz Besprechung vieler politi­ scher Fragen in Brest" irgendetwas von seiner Absicht gesagt hatte, am 5. 2 . die Frage anzuschneiden, wie weit Österreich durch das Bündnis mit Deutsch­ land verpflichtet sei. Daß außer den Kreuznacher Abmachungen vom 17./ 18. 5 . 1917 noch ein "Wiener Dokument", am 27. 3 . 1917 zwischen Czernin und Bethmann vereinbart, die Grundlagen des Bündnisses bildete, war allen deutschen Vertretern überraschend. Es war am 17./18 . 5. 1917 in Kreuznach von Bethmann nicht erwähnt worden. Herr v. Kühlmann kannte es bezeich­ nender Weise auch nicht, ebensowenig Dr. Helfferich . Es umfaßt ein Minimal­ programm der Friedensbedingungen und ein Programm für einen besonders günstigen Kriegsausgang 2. [ . . . ] 1 Geheimes Kronlandsprotokoll am 8. 2. 1918.

2 Siehe Nr. 129.

390

1918

Czernin führte aus : "Österreich muß jetzt wissen, wie weit es in diesem Kriege mit Deutschland zusammengehen soll. Das verlange die innere Lage Österreichs . In dem Dokument vom 27. 3. 1917 sei die Integrität der beiden Staaten vereinbart; Österreich müsse also kämpfen, bis der Besitzstand quo ante bellum gesichert sei und umgekehrt; es sei nicht verpflichtet mitzuma­ chen, wenn Deutschland, beim Vorhandensein einer militärisch günstigen Lage, um bessere Bedingungen zu erreichen, weiterkämpfen will . Pflicht und Recht beider Staaten müsse also in Fall 1 klarer gefaßt werden, und zwar durch ein neues , genaueres Programm der beiden Monarchen mit Gegenzeichnung der Reichsleitungen und Mitzeichnung der O . H . L . " Deutscherseits wurde betont, daß auch der wirtschaftliche status quo ante bellum wiederhergestellt werden müßte. General Ludendorff sprach sich ge­ gen einen "Vertrag mit nur negativen Kriegszielen" aus, wir brauchten Siche­ rungsgelände für die wirtschaftlichen Kraftzentralen in Deutschland, daher "positive Kriegsziele" . - Czernin legte den Entwurf eines Dokuments zur Festlegung der Frage "Wie lange muß Österreich Stange halten ?" vor (siehe nachstehend) . Der Kanzler legte fest, daß deutscherseits gegen die Österreichi­ sche Aufzeichnung keine Bedenken bestehen, wenn auf die positiven Kriegs­ ziele nicht eingegangen würde. Weiteres solle zwischen Czernin und Kühl­ mann geregelt werden. E n t w u rf fü r e i n n e u e s B ü n d n i s - D o k u m e n t . Vorgelegt von Graf Czernin am 5. Februar 191 8 . I n authentischer Interpretation zum Bündnisvertrage wird festgestellt, daß das Bündnis zwischen dem Deutschen Reich und Österreich-Ungarn - seinem defensiven Charakter entsprechend - keinem Teile Verpflichtungen auferlegt, die über die Wahrung des territorialen status quo ante bellum hinausgehen . Sobald der territoriale Besitzstand vor dem Kriege für den einen Teil gesichert ist, ist der andere Teil nicht verpflichtet, auf Grund des Bündnisvertrages den Krieg fortzusetzen. Da jedoch ein Wirtschaftskrieg der Entente gegen die Zentralmächte den letzteren, und insbesondere Deutschland, einen Schaden zufügen würde, der selbst geringe territoriale Zugeständnisse überwiegen würde, erklären beide Teile in sinngemäßer Auslegung des Bündnisvertrages, daß keiner von ihnen einen Frieden schließen wird, solange die Entente sich nicht bereit erklärt auf jeden Wirtschaftskrieg zu verzichten. Beide Teile erklären jedoch, daß sie von der Möglichkeit, nach Erreichung der eben erwähnten Ziele unabhängig vom anderen Teile Frieden zu schließen, nicht Gebrauch machen werden, solange sie nicht durch vollständige Erschöp­ fung oder andere zwingende Gründe unbedingt gezwungen sind, von diesem Rechte Gebrauch zu machen .

Januarstreiks

391

Sie werden in diesem Falle den Krieg fortsetzen, bis ein Friede möglich ist, der ihnen eine Vermehrung ihrer politischen Sicherheiten und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten gewährleistet. Als solche ist zu betrachten: Deutscherseits : . . . Österreichisch-ungarischerseits : . . . Endlich verpflichten sich beide Teile, in den Friedensverhandlungen einan­ der nachdrücklich zu unterstützen in dem Bestreben, daß beide Teile in bezug auf ihre wirtschaftliche Lage - besonders mit Rücksicht auf ihre Auslands­ beziehungen, - womöglich dieselbe Position wiedererlangen, die sie vor dem Kriege besessen haben.

181.

Immediatbericht Steins an Wilhelm II . , Auszug

Die januarstreiks. Cartarius, Nr. 224 .

Berlin, 5 . Februar 1918 Dem Kriegsministerium waren schon vor einigen Wochen Nachrichten zugegangen, daß vom feindlichen Auslande, namentlich von Rußland, eine Agitation ins Werk gesetzt sei, in Deutschland und Österreich-Ungarn die Re­ volution zu entfachen. Flugblätter tauchten auf, die die Arbeiter aufforderten, die Regierungen der Vierbundmächte zum Frieden zu zwingen und die Lö­ sung der Friedensfrage selbst in die Hand zu nehmen . . . . Gewiß haben die Vorgänge in Rußland auf verhetzte Teile der Arbeiterschaft in Deutschland und Österreich-Ungarn ihren zur Nachahmung reizenden Ein­ druck nicht verfehlt. Auch haben jene Ideen mit der Zeit in den radikalen Krei­ sen der Arbeiter Fuß gefaßt, und werden sie von den Führern der unabhängigen Sozialdemokratie durch versteckte Agitation dauernd in einer Weise weiter ge­ nährt, da bei diesem Teile der Bevölkerung die in großzügiger Weise schon seit langem stattfindende Aufklärungsarbeit leider versagt. Nach meiner Überzeu­ gung würde diese Agitation trotzdem nicht ausgereicht haben, einen Teil der Ar­ beiter zum Streik greifen zu lassen, wenn sie nicht von außen gekommen wäre. Sie wird in so geheimer Weise betrieben, daß ihr schwer beizukommen ist. Hinzu kommt noch, daß kürzlich in Österreich die Streiks zu Erfolgen der Arbeiter geführt haben, die für die deutschen Arbeiter geradezu eine Auf­ stachelung bedeuten mußten, gleiche Versuche zu wagen . . . . Die letzten Streiks haben ihr Zentrum in Berlin und finden ihre Unterstüt­ zung nicht nur seitens der Parteileitung der unabhängigen, sondern auch der rechtsstehenden Sozialdemokratie.

392

1918

Als sich in Berlin ein Arbeiterrat nach russischem Muster gebildet hatte, er­ ließ ich am 29. Januar 1918 Weisung an die stellvertretenden Generalkomman­ dos usw. , solche Arbeiterräte und Aktions-Komitees nicht zu dulden. Vom Oberkommando in den Marken wurden der Arbeiterrat in Berlin aufgelöst. Dieser hatte die Absicht, mit Unterstützung von Abgeordneten beider sozial­ demokratischer Richtungen Verhandlungen mit der Regierung zu pflegen und verschiedene radikal-politische Forderungen zu stellen, worüber Euerer Kai­ serlichen und Königlichen Majestät von dem Herrn Reichskanzler berichtet sein dürfte. Da die Streikenden Arbeitswillige an der Fortsetzung ihrer Arbeiten zu hin­ dern versuchten, erließ ich am 31. Januar 1918 eine erneute Anweisung zum Schutze der Arbeitswilligen. Am 31. Januar 1918 wurde vom Oberkommando in den Marken infolge Ausschreitungen, bei denen leider ein Schutzmannwachtmeister sein Leben eingebüßt hat, der verschärfte Belagerungszustand über Berlin verhängt. Die damit in Wirksamkeit getretenen außerordentlichen Kriegsgerichte haben ihre Tätigkeit am 2. Februar aufgenommen. Ferner hat das Oberkommando in den Marken 7 kriegswichtige Betriebe vom 4. Februar 1918 ab unter militärische Leitung gestellt . . . . Über den Verlauf der Streikbewegung im Einzelnen melde ich alle unter­ tänigst folgendes : Im Gegensatz zu früheren Arbeitsniederlegungen, welche in unmittelbaren Forderungen der Arbeiter begründet waren, wurden diesmal p o l i t i s c h e Ansprüche in den Vordergrund gerückt. Der Ausgangs- und Mittelpunkt der ganzen Bewegung war naturgemäß Berlin. Hier setzte am 28. Januar der Ausstand in 3 8 der bedeutendsten kriegswich­ tigen Betriebe ein, in denen die Zahl der Ausständigen im Laufe dieses Tages eine Höhe von ungefähr 45 000 Mann erreichte. Am 29. Januar steigerte sich die Zahl der Streikenden, doch war bereits eine starke Spaltung in der Arbei­ terschaft und ein bedeutender Mangel an einheitlicher Leitung bemerkbar. Am 30. Januar erreichte die Bewegung mit einer Zahl von 150 000 -180 000 Ausständigen ihren Höhepunkt, von dem sie am 31. Januar wieder auf schät­ zungsweise 140 000 herabsank. Während an den Vortagen die Ruhe nirgends gestört war, kam es an diesem Tage im Norden und Nordosten der Stadt zu Störungen der öffentlichen Ruhe und des Verkehrs . Obgleich die rege Agitation für den Massenstreik fortwährte, vermehrte sich am 1. Februar die Streikmüdigkeit, die sich am 2. und 3 . Februar noch weiter verstärkte, so daß in den meisten Betrieben mit einem großen Teil der Belegschaft wieder gearbeitet wurde und in den nächsten Tagen die volle Wie­ deraufnahme der Arbeit in Aussicht steht. Die Ausstrahlung der Bewegung war je nach der Stärke der politischen

Januarstreiks

393

Wühlarbeit sehr verschieden. Am frühesten und mit der größten Wirkung trat die Ausstandsbewegung in Kiel ein, wo sich die Zahl der ausständigen Werftarbeiter am 2 9 . Januar auf 23 000 Mann steigerte und die Arbeit in allen Betrieben stark beeinträchtigt war. Mit dem 30. Januar begann aber auch hier ein Rückgang, der am 1. Februar zur vollen Wiederaufnahme der Arbeit führte. In Harnburg traten am 2 8 . Januar gleichfalls eine Reihe von Werften in Aus­ stand, deren Betrieb am 29. und 30. Januar mit 24 000 Mann streikenden bedeutend herabgesetzt wurde. Die Ausdehnung der Bewegung nach Altona, Lübeck, Rostock und Schwerin war nur von kurzer Dauer und geringer Be­ deutung. Dagegen traten die Werften in Bremen am 1. Februar mit 3600 Arbei­ tern in Ausstand, der bei gleichbleibender Zahl heute noch fortbesteht. Im Rheinisch-Westfälischen Industriegebiet sowie im Bezirke des VIII. Ar­ meekorps war die Arbeit nur in geringem Umfang gestört. An Metallarbeitern hatten sich nur gegen 20 000 Mann der Arbeitsniederlegung angeschlossen, während auf den Kohlenzechen ungefähr 15 000 Mann streikten. Die Bewe­ gung ist aber auch hier im Abnehmen. Im Saargebiet ist alles ruhig. Im Gebiete des stellvertretenden Generalkommandos XI. Armeekorps flammte die Arbeitsniederlegung nur kurz und in nicht bedeutendem Umfange auf. Das gleiche gilt von der Bewegung im Gebiete des IV. Armeekorps in Magdeburg und Halle, wo am 2 8 . und 29. Januar ungefähr 17 000 Mann streikten. Im Süden Deutschlands kam es nur in Bayern, in Nürnberg-Fürth am 2 8 . und 29. Januar z u stärkerer Arbeitseinstellung mit 53 000 Streikenden, die aber am 30. und 31. Januar schon wieder völlig zurückgegangen war, um dann freilich noch einmal in München kurz aufzuflackern. Im Königreich Sachsen waren nach völliger Ruhe bis zum 30. Januar am 31. Januar nur etwa 3500 Mann an der Bewegung beteiligt, die am 2. Februar bereits wieder abgeflaut war. Der Osten Deutschlands, vor allem Schlesien, war nicht in Mitleidenschaft gezogen, mit Ausnahme von Danzig, wo am 31. Januar 2500 Arbeiter, vor allem Jugendliche, bis zum 2. Februar streikten. Soweit sich die W i r k u n g e n a u f d i e Rü s t u n g s i n d u s t r i e heute bereits übersehen lassen, ergibt sich folgendes Bild: Durch den Streik sind ohne Zweifel gewisse Rückschritte auf dem Gebiet der Waffe n - u n d M u n i t i o n s -A n f e r t i g u n g eingetreten. Zu der großen Gesamterzeugung sind sie aber von keiner einschneidenden Bedeutung. Am empfindlichsten wird ein Ausfall in der Anfertigung von Amonpulver in der Amonpulverfabrik der A . E . G . in Hennigsdorf bei Span­ dau sein, der etwa 50 t beträgt.

394

1918

Dieser Ausfall macht zu der Gesamtlieferung von 10 000 t im Monat nur etwa 0,02 % der Gesamtlieferung aus . Die Anfertigung von neuen F l u g z e u g e n ist durch den Streik bei den F l u g z e u g f a b r i k e n nur unwesentlich berührt worden. Auch bei den M o ­ t o r e n f a b r i k e n wird der Ausfall voraussichtlich nur gering sein . Das gleiche gilt für den L u ft s c h i f f b a u . Dagegen wird die Anfertigung von P a n z e r ­ k r aftwa g e n erheblicher in Mitleidenschaft gezogen, da 3 für die Herstellung dieser Kraftwagen wichtige Fabriken in Berlin stillgelegen haben. Aus dem Bereich der Marine sind durch den Streik hauptsächlich die Tor­ pedowerkstatt in Friedrichsort und die Firma Schwartzkopff in Berlin mit Torpedolieferungen, und die Ubootswerften in Kiel, Hamburg, Bremen und zum Teil auch in Danzig betroffen worden . Die Wirkungen des Streiks lassen sich zur Zeit noch nicht voll übersehen. Sie hängen von dem mehr oder minder gestörten Zusammenarbeiten der Unterlieferanten mit den Bauwerften ab . Die Minderproduktion an Torpedos beträgt ungefähr 140 Stück. Sie hat augenblicklich keinen unmittelbaren Einfluß auf die Kriegführung. Die im Bau befindlichen Uboote werden ungefähr eine der Dauer des Streiks entspre­ chende 8tägige Ablieferungsverzögerung erleiden. Die Streikbewegung hat, auch wenn sie noch nicht ganz erloschen ist, dank der festen Haltung der Behörden mit einem völligen Zusammenbruch geendigt. Immerhin ist ein erneutes Aufleben, möglicherweise in verstärktem Maße, nicht ausgeschlossen. Die Bewegung wird weiter scharf im Auge behalten; das Kriegsministerium steht mit dem Oberkommando in den Marken, den stell­ vertretenden Generalkommandos usw. und mit dem stellvertretenden Gene­ ralstab der Armee in dauerndem Nachrichtenaustausch . Die bewährten Maßnahmen der stellvertretenden Generalkommandos usw. und eine feste Haltung der Regierung bieten dafür Gewähr, auch einer erneu­ ten Bewegung mit Erfolg Herr zu werden . Die Ereignisse haben unzweifelhaft den Beweis geliefert, daß eine Bekämp­ fung derartiger Bewegungen nur bei unveränderter Aufrechterhaltung des Belagerungs-Zustandes möglich ist. v. Stein

Vorgehen gegen Rußland 182.

395

Müller, Tagebuch, Auszug

Besprechung in Bad Homburg: Vorgehen gegen Rußland. Regierte der Kaiser? S. 353 -355.

Homburg, 13 . Februar 1918 Großer Kriegsrat hier. Hindenburg, Ludendorff, Hertling, Kühlmann, Payer, Holtzendorff und die zuhörenden Kabinettschefs. Herding sah sehr alt und angegriffen aus . Der Kaiser gab ihm zunächst das Wort. Dann Kühlmann mit der wenig taktvollen • Einleitung, er möge sich aber kürzer fassen wie in Brest-Litowsk. Kühlmann führte sehr geschickt aus , in welcher Weise er den Schwerpunkt auf den Frieden mit der Ukraine 1 gelegt habe und wie ein Wiederbeginn des Krieges mit Nordrußland 2 große Enttäuschung im eigenen Volke und bei den Bundesgenossen auslösen und auch der Propaganda der Feinde gegen den deutschen Militarismus Nahrung geben würde. Hindenburg und dann auch Ludendorff traten für alsbaldige Aktion zum Schutze der Deutschen in Livland und Estland, zur Unterstützung der Finnen und zur Entlastung der Ukraine ein . Eine Kanonade von Valmy 3 sollte es nicht werden. Natürlich auch hohe Worte über Verantwortung gegenüber Kai­ ser und Volk. Wir müßten im Osten zum Schluß kommen, damit wir dann ruhig weitere Divisionen nach dem Westen werfen könnten. Payer trat warm ein für Rücksichtnahme auf die Stimmung des Volkes (Streikgefahr) und besonders des Reichstages, in welchem sich bei der dem­ nächst - am 20. wieder beginnenden Tagung sehr ernste Interpellationen über einen neu begonnenen Krieg im Osten ereignen würden. Er wolle sich nicht in die Verantwortung der Militärs einmischen, aber er sei doch verpflich­ tet, auch die Verantwortlichkeit der Politiker zu betonen . Da kam wieder Ludendorff und behauptete, der Chef des Generalstabes -

Gemäß handschriftlichem Vermerk am Rande der Abschrift der Tagebücher. In der Abschrift steht nur "wenig freundlichen" (Einleitung). Gemeint ist eine Äußerung des Kaisers, als er Kühlmann das Wort gab . 1 Proklamation der Ukrainischen Volksrepublik (bei Verbleib in einer Föderation mit der russischen Republik) am 20. 1 1 . 1917. Ukrainisch-bolschewikische Gegenregierung in Chafkov am 26. 12 . 1917. Proklamierung der Ukrain. VR. zum souveränen, vom rus­ sischen Staatsverband losgelösten Staat am 22 . 1. 1918. Friede der Ukrain. VR. mit den Mittelmächten am 9. 2. 1918 (Brest-Litovsk). 2 Trockijs einseitige Aufhebung des Kriegszustandes am 10. 2. 1918 (siehe Hahlweg, Brest-Litowsk, S. 540). 3 20. 9. 1792 . •

396

1918

und er arbeiteten auch mit ganzer Seele für den Frieden, aber dazu brauchten sie eben eine neue Aktion im Osten, damit Truppen für die entscheidende, den Frieden erzwingende Offensive im Westen frei würden. Der Chef des Admiralstabes bemerkte, die Marine sei jetzt in der "Eiszeit" außerstande, im Osten zu helfen, auch würden alle Minensuchmittel usw. dringend in der Nordsee gebraucht im Interesse der Aufrechterhaltung des U-Bootkrieges . Nun hätte meiner Ansicht nach der Kaiser sagen müssen: Die für den Westen benötigten Divisionen können gleich abtransportiert werden. Ich übernehme die Verantwortung dafür, daß die Russen nicht angreifen . Dem deutschen Volke ist nicht zuzumuten, neue Blutopfer für die deutschen Barone in Livland und Estland zu bringen. Auch würde unser Einrücken in diese Provinzen wahrscheinlich zu einem sofortigen Massacre unter den dor­ tigen Deutschen führen. Statt dessen betonte er die Pflicht, den Deutschen zu helfen. Dazu bedürfe es aber nur des Einrückens von einer Art Gendarmerie­ Kommandos , die Ordnung stiften und halten sollten . Die Sache müsse so frisiert werden, daß wir einem Hilfeschrei der Provinzen nachkommen . Dann müßten wir den Bolschewismus vernichten, der die Revolution nach Deutschland bringen will. Das sei schon aus dynastischem Interesse geboten. Habe doch Wilson die Beseitigung der Hohenzollern als Kampfziel prokla­ miert und unterstütze nun mit der ganzen, internationalen Judenschaft h - der Groß-Orient-Loge - die Bolschewisten. Auch würden sich die Engländer sofort im Baltikum festsetzen, wenn wir nicht in Livland und Estland einrückten. Das könne Se. Majestät vor dem deutschen Volke nicht verantworten. Diese Ausführungen des Kaisers machten offensichtlich einen sehr ungün­ stigen Eindruck. Es wurde nun angeordnet, die Herren sollten sich am Nach­ mittag noch über die Form des "polizeilichen Vorgehens" beraten. Das ist dann auch von 5 -71Jz Uhr geschehen. Etwas ganz Interessantes sagte Ludendorff in seinem Vortrage über die Chancen eines Vormarsches gegen Petersburg, nämlich: "Zu welchem Resul­ tat das führt, kann ich nicht sagen. Wir wußten bei Tannenberg 4 auch vorher nicht, ob es gelingen würde, die Narew-Armee * mit drei Kavallerieregimen'' Offenbar ein Hörfehler des Verfassers : Gerneint ist hier die 1. russische (Njernen)­ Arrnee unter General Edler v. Rennenkarnpff, gegenüber der im August 1914 nur die 1. Kavallerie-Division die Sicherung übernommen hatte, während die 2. russische (Na­ rev)-Arrnee unter General Sarnsonov dann bei Tannenberg vernichtend geschlagen wurde. b Späterer Zusatz des Verfassers [Müller] : Es ist nach meinem Erinnern das erste Mal, daß der Kaiser in seinen politischen Erwägungen eine antisemitische Note hineinge­ bracht hat. 4 25 .-31. 8. 1914 .

Rußland

397

tern aufzuhalten. Dadurch unterscheidet sich vielleicht der Soldat vom Feld­ herrn, der es im Gefühl hat, was richtig ist." In der Nachmittagssitzung, an der die Kabinettschefs nicht teilnahmen, weil auch Se. Majestät nicht dabei war, ist dann etwas geschäftsmäßiger ver­ handelt worden, nachdem Hertling, Kühlmann und Payer erklärt hatten, sie könnten nicht in ihren Stellungen bleiben, wenn es zu einem neuen Kriege an der Ostfront käme. Da ist allmählich ein Mittelweg gefunden worden, näm­ lich Kündigung des Waffenstillstands, Einrücken mit vorläufigem Ziel Walk 5, d. h. halbwegs nach dem Peipus-See zu, zum Schutz der durch Banden be­ drohten Deutschen, und Erklärung, daß das Einrücken keine Annexionsab­ sichten bedeute. Der wichtigste militärische Grund ist die . . . Entlastung der Ukraine, die einen schweren Stand gegenüber den bolschewistischen Truppen hat. Auf diese Formel hin erklärten Hertling, Payer und Kühlmann, im Amt bleiben zu wollen. Kühlmann, neben dem ich bei der Abendtafel saß, war sehr traurig, daß sich der Kanzler zu diesem Kompromiß hatte bereit finden lassen. Andererseits wäre eine Militärdiktatur, die sonst wohl gekommen wäre, der Anfang vom Ende .

183.

Telegramm Lersners an das AA

Friedensbedingungen Ludendorffs. Deutsch-sowjetische Beziehungen I, s . 420 -423 .

Großes Hauptquartier, 20. Februar 1918 Abschrift Nach langen Sitzungen, in denen ich General Ludendorff von erheblich weitergehenden Forderungen abbringen konnte, hat der General Friedensbe­ dingungen aufgestellt: 1. Das Deutsche Reich und Rußland erklären die Beendigung des Kriegszu­ standes . Beide Nationen sind entschlossen, fortan in Frieden und Freund­ schaft zusammen zu leben. 2 . Rußland nimmt die in der politischen Kommission vom 9. 2 . 1918 mit­ geteilte Linie, und zwar: östlich Dagö, Moon und Öse!; östlich Riga; westlich Dünaburg 1; Driswjaty; westlich Widsy 2; östlich Swenzjany 3, östlich Lida; 5 1 2 3

Len. Valka, estn. Valga. Len. Daugavpils . Vidzy. Svenijany (Svenconis) .

398

1918

Lauf des Njmen bis zur Einmündung in Selwjanka; halbwegs Wolkowysk-Slo­ nim; westlich Prushany 4, nördlich Brest-Litowsk (Näheres siehe Karte) als russische Grenze an. Sie ist in Gegend Dünaburg bis zur Ostgrenze Kurlands zu verlegen . Die Gebiete, die westlich dieser Linie liegen und zum Russischen Reich gehört haben, werden der territorialen Hoheit Rußlands nicht mehr un­ terliegen. Aus ihrer ehemaligen Zugehörigkeit zum Russischen Reich werden ihnen keinerlei Verpflichtungen gegenüber Rußland erwachsen . Deutschland ist bereit, sobald der Friede mit Rußland geschlossen und die russische Demobilisierung durchgeführt (siehe auch Ziffer 6) sowie Ruhe und Ordnung in Rußland hergestellt ist, das östliche der obengenannten Linien gelegene Gebiet zu räumen. 3 . Livland und Estland werden von russischen Truppen und Roter Garde unverzüglich geräumt und von deutscher Polizeimacht besetzt, bis Landesein­ richtungen die Sicherheit gewährleisten und die staatliche Ordnung hergestellt ist. Alle aus politischen Gründen verhafteten Landesbewohner sind sofort freizulassen. 4. Rußland schließt sofort Frieden mit ukrainischer Volksrepublik (und ge­ gebenenfalls Finnland) . Ukraine und Finnland werden ohne jeden Verzug von russischen Truppen und Roter Garde geräumt. Rußland erkennt die Selbstän­ digkeit dieser beiden Staaten sowie ihre Friedensschlüsse mit dem Deutschen Reich an. 5. Rußland wird alles in seinen Kräften Stehende tun, um alsbald ordnungs­ mäßige Rückgabe ostanatolischer Provinzen an Türkei sicherzustellen, und anerkennt Abschaffung türkischer Kapitulationen. a) Die völlige Demobilmachung des russischen Heeres einschließlich der bolschewistischen Neubildungen ist unverzüglich durchzuführen. b) Russische Kriegsschiffe in Ostsee, Eismeer und Schwarzem Meer sind im Liegeplatz bei Friedensschluß festzulegen, haben Munition, Handwaffen und Torpedos von Bord zu geben und die Besatzung auf ein Fünftel des Friedens­ etats zu reduzieren . Diese Beschränkungen hören auf bei allgemeinem Frie­ densschluß . Russische Kriegsschiffe, die sich obigen Anforderungen nicht fügen, werden von beiden Vertragsschließenden als Rebellen angesehen und behandelt. c) In der Ostsee wird die Handelsschiffahrt östlich vom 15. Grad Ost­ Länge von Greenwich wieder aufgenommen . Im Schwarzen Meer wird die Handelsschiffahrt allgemein wieder aufgenommen . Einzelheiten werden durch besondere Kommissionen geregelt. Minen-Räumen im Schwarzen Meer hat sofort zu beginnen, in der Ostsee, sobald die Verhältnisse dies zulassen. d) Die Sperrgebiete werden in voller Ausdehnung von Rußland als berech4 Pruhny.

Friedensbedingungen

399

tigte deutsche Kriegsmaßnahme anerkannt. Das Sperrgebiet im Eismeer bleibt bis zum allgemeinen Friedensschluß bestehen . e) Kriegsschiffe der Entente im russischen Machtbereich in den zu b) ange­ gebenen Meeren sind wie die russischen Kriegsschiffe zu behandeln . 7. Deutsch-russischer Handelsvertrag von 1904 tritt wie im Artikel VII, Ziffer 2A Friedens mit der Ukraine wieder in Kraft unter Wegfall der in Arti­ kel l l , Ziffer 3, Absatz 3 Handelsvertrages vorgesehenen besonderen Vergün­ stigungen für asiatische Länder; ferner wird später erster Teil Schlußproto­ kolls wiederhergestellt. Dazu kommen : Sicherung Ausfuhrfreiheit für Erze; alsbaldige Verhandlung über Abschluß neuen Handelsvertrages; Sicherung der Meistbegünstigung bis mindestens 1925 auch für den Fall Kündigung des Pro­ visoriums; endlich Bestimmungen entsprechend Artikel ? Ziffer 3, Ziffer IV Absatz 1 und Ziffer V Friedens mit Ukraine. 8. Rechtspolitische Angelegenheiten werden geregelt auf Grundlage der Beschlüsse erster Lesung deutsch-russischer Rechtskommission, soweit Be­ schlüsse noch nicht endgültig gefaßt sind, also insbesondere Ersatz von Zivil­ schäden auf Grundlage besonderer Vorschläge. Ersatz der Aufwendungen für Kriegsgefangene auf Grundlage russischen Vorschlags . Rußland läßt durch Deutschland zu bestimmende Kommissionen zum Schutze und zur Fürsorge für deutsche Kriegsgefangene, Staatsangehörige und Rückwanderer in Rußland zu und verpflichtet sich, diese Kommissionen mit allen Mitteln zu unterstützen . 10. Rußland verpflichtet sich, jeglicher Agitation und Propaganda gegen die vier verbündeten Regierungen und ihre Staats- und Heereseinrichtungen, auch in den von den Zentralmächten besetzten Gebieten, einzustellen. 1 1 . Vorstehende Bedingungen sind in 48 Stunden anzunehmen. Russische Bevollmächtigte haben sich unverzüglich nach Brest-Litowsk zu begeben und dort binnen drei Tagen Frieden zu unterzeichnen, der innerhalb weiterer 2 Wochen ratifiziert sein muß . " General Ludendorff nimmt dabei an, daß i n den vorstehenden Artikeln die Abtretung des gesamten russischen Staatseigentums einschließlich aller Rechte und Gerechtsamen des russischen Staates und der russischen Krone in den besetzten Gebieten, desgleichen aller Staats- und Privatbahnen daselbst an das Deutsche Reich ausbedungen ist, ferner, daß die Fragen der Prisen, Embargo-Schiffe, der zu Unrecht im neutralen Hoheitsgebiet versenkten oder weggenommenen Handelsschiffe sowie die Wiederaufnahme des Seehandels in dem beim Auswärtigen Amt bekannten Sinne des Admiralstabes der Marine geregelt werden. Eure Exzellenz darf ich gehorsamst bitten, dem Vorstehenden baldmög­ lichst zuzustimmen. Lersner

1918

400 184.

Bericht Grünaus an Herding

Griechenland.

Scherer - Granewald IV, N r. 16.

Homburg, 10. März 1918 Seine Majestät der Kaiser ließ mich heute rufen, um mir seine Gedanken über unsere künftige Balkanpolitik zu entwickeln, auf die wir uns schon jetzt einstellen und für die wir bei den in Bukarest schwebenden und den sich weiter daran anschließenden Verhandlungen die Voraussetzungen schaffen sollten . Der Kaiser beauftragte mich, seine Ausführungen Euerer Exzellenz mitzuteilen; sie sind im Nachstehenden zusammengefaßt: Bei den Bukarester Verhandlungen und den Besprechungen mit den Bun­ desgenossen empfiehlt es sich, sich immer wieder vor Augen zu halten, daß über die Verständigung mit Rumänien hinaus das gesamte Balkanproblem zu lösen ist und dabei ganz besonders an die Rolle gedacht wird, die Griechen­ land späterhin in unserer Politik zu spielen haben wird. Rumänien, dem frü­ her eine führende Rolle auf dem Balkan zugedacht war, scheidet als eigentliche Balkanmacht aus . An seine Stelle tritt Bulgarien, das mit einem außerordent­ lichen Machtzuwachs aus dem Kriege hervorgeht; ihm wird die Vormachtstel­ lung auf dem Balkan zufallen . Es wird aber vermieden werden müssen, daß diese Stellung uns in unserer Handlungsfreiheit behindert; Bulgarien darf nicht zu einer Gefahr für unsere Verbindung mit der Türkei und für unsere vorderasiatischen Interessen werden. Daher müssen wir uns neben den Siche­ rungen für die freie Benutzung des Handelsweges nach dem Orient auch ein p o l i t i s c h e s Gegengewicht gegenüber Bulgarien schaffen, und zwar in Griechenland. Voraussetzung für diese Politik ist, daß auf dem Balkan selbst Ruhe und Ordnung herrscht; die internen Reibungsmöglichkeiten sollen auf ein tun­ lichts geringes Maß herabgesetzt werden . Zu diesem Zweck müssen die b e ­ r e c h t i g t e n Forderungen Bulgariens und der Türkei erfüllt werden. Zugleich wäre aber auch den griechischen Interessen Rechnung zu tragen und dafür zu sorgen, daß Griechenland - abgesehen von den schon in Aussicht genomme­ nen notwendigen Abtretungen an Bulgarien - in seinem Besitzstand wieder hergestellt und in Südalbanien entschädigt wird . Griechenland soll, soweit dies im Rahmen der bestehenden Bündnisse möglich ist, gestärkt und in seiner Wehrkraft entwickelt werden. Es ist anzunehmen, daß Griechenland nach seinen Erfahrungen mit der Entente leicht für uns gewonnen werden kann, zu­ mal wenn wir ihm bei der Reorganisation des Landes, insbesondere der Armee und der Flotte, nach dem Kriege von Anfang an behilflich sind. Wird Griechenland in unseren Interessenkreis einbezogen und zu einem beachtens-

Griechenland

401

werten Gegengewicht gegenüber Bulgarien herangebildet, dann sind unsere Orientinteressen in viel größerem Maße geschützt, als wenn wir uns ganz allein auf Bulgarien verlassen wollten, das ohne Konkurrenten weit eher der Versuchung erliegen würde, seine Machtstellung uns gegenüber zu miß­ brauchen. Auch die Stellung der Türkei in Europa würde dadurch besser geschützt sein. Die nächste Gefahr für Konstantinopel droht von Sofia her; aber auch Griechenland hat Aspirationen auf Konstantinopel und daher ein lebhaftes Interesse daran, daß Bulgarien nicht nach Konstantinopel vorstößt. Jeder von beiden Staaten würde also eifersüchtig darüber wachen, daß der andere der Türkei nicht zu nahe tritt, und beide wären in unserer Hand ein Instrument, um Konstantinopel zu schützen. Eine Vereinigung beider g e g e n Konstan­ tinopel ist nicht denkbar, da der Satz divide et impera hier nicht durchführbar ist. Aber auch für unsere Mittelmeergeltung würde Griechenland einen unent­ behrlichen Stützpunkt abgeben. Die Griechen sind ein seemännisches und handeltreibendes Volk von alters her. Ihre Interessen liegen an allen Mittel­ meerküsten, während Bulgarien rein kontinentale Interessen hat, dessen Flotte immer nur eine künstliche Schöpfung bleiben wird ohne innere Not­ wendigkeit. Die große griechische Handelsflotte bedarf aber eines gewissen Schutzes durch eine den griechischen Verhältnissen angepaßte Kriegsflotte (Uboote, Torpedoboote). Diese zu beschaffen und auszubilden müssen wir uns angelegen sein lassen . In Griechenland selbst könnten wir uns durch Pach­ tung (z. B. auf Kreta in der Sudabai) Stützpunkte für unsere Flotte schaffen. Auch dadurch würde Konstantinopel eine weitere Sicherung erhalten. Die Er­ fahrungen dieses Krieges haben gelehrt, daß eine Verteidigung Konstantinopels aus dem engen Hals der Dardanellen heraus eine sehr zweifelhafte Sache ist. Die maritime Verteidigung Konstantinopels muß bereits im Mittelmeer begin­ nen, so daß die dort befindlichen Seestreitkräfte einer etwa nach den Dar­ danellen vorstoßenden feindlichen Flotte in den Rücken fallen können. Wir werden nach dem Kriege genötigt sein, dauernd größere Seestreitkräfte im Mittelmeer zu halten, schon weil Italien wohl bei der Entente verbleiben und dadurch das Gleichgewicht zu Ungunsten Österreich-Ungarns verschoben werden wird, und dann auch aus Gründen der Ausbildung. Alle Ziele, die wir wegen unserer Orientpolitik bei Griechenland verfolgen müssen, können wir aber nur erreichen, wenn wir als die Befreier Griechen­ lands von dem Joch der Entente und ihres Exponenten Venizelos erscheinen und wenn wir den Griechen die Möglichkeit geben, von dem Selbstbestim­ mungsrecht der Völker für sich selbst Gebrauch zu machen. Das ganze Verhal­ ten der Griechen und das Fiasko der venizelistischen Kriegspolitik haben ge­ zeigt, daß Griechenland nur auf den Augenblick wartet, in dem es auf einen

1918

402

Anstoß von außen her seine Freiheit wieder gewinnen und seinen rechtmäßi­ gen König 1 wieder in seine Rechte einsetzen kann. Empfängt Griechenland seine Freiheit und seinen König aus unserer Hand, dann ist der König in der Lage, uns die Vorteile einzuräumen, auf die es uns ankommt. Daher müssen wir alles so vorbereiten, daß der König - vielleicht mit dem Görlitzer griechi­ schen Korps 2 oder mit Teilen desselben - an unserer Seite sein Land betritt, sobald wir uns gegen Saloniki in Bewegung setzen. Ein größerer Angriff gegen Saloniki wird wohl bald nach Bereinigung der Angelegenheiten im Südosten vorbereitet werden. Die Teilnahme des Königs an dem Vormarsch ist unerläß­ lich, damit nicht die Bulgaren aus der Abwesenheit des Königs Vorteil ziehen und dadurch die Lage erschweren. Ich vermute, daß Hauptmann von Falkenhausen, der sich auf Wunsch der Königin von Griechenland 3 nach der Schweiz begeben hat, teilweise diese Gesichtspunkte dort besprechen wird, wenigstens soweit es sich um nächstlie­ gende Ziele und gewisse Zusicherungen des Königs für die Zeit nach dem Kriege handelt. Grünau

185.

Verfügung des Kriegsamts 1 an die Kriegsamtsstellen 2, Auszug

Aufklärung der Rüstungsarbeiter nach dem januarstreik. Deist, S. 930 f.

Berlin, 13 . März 1918 Die letzte Streikbewegung 3 hat gezeigt, daß vielfach in Arbeiterkreisen das Verständnis für die Notwendigkeit ständiger und ununterbrochener Anspan­ nung der Arbeitskraft jedes Einzelnen noch nicht durchgedrungen ist. Die Gründe dafür liegen neben anderen zweifellos auch in der teilweise noch sehr mangelhaften Aufklärung der Arbeiterschaft. Das Kriegsamt verkennt nicht, 1

Konstantin I.

2 Am 1 1 . 9. 1916 ergab sich das Kavala verteidigende IV. griech . AK (6000 Mann) kampflos den Deutschen, wurde von diesen als Kriegsgefangene in das Lager von Görlitz verbracht. Die Griechen konnten dort einer friedlichen Beschäftigung fast frei nachgehen, wurden de facto nicht als Gefangene behandelt. 3 Sophie v. Preußen. 1 Am 1. 1 1 . 1916 im Kriegsministerium als Zentralstelle für die gesamte Kriegswirt­ schaft errichtet. 2 Mit Erlaß des Kriegsministeriums vom 18. 1 1 . 1916 errichtet; bildeten die Organe des Kriegsamtes bei den Stellv. Generalkommandos. 3 Streik der Berliner Rüstungsarbeiter vom 28. 1 . bis 3 . 2. 1918.

Aufklärung der Arbeiter

403

daß eine solche Aufklärung besonderen Schwierigkeiten begegnen wird und mit besonderem Takt und großer Vorsicht zu handhaben ist, wenn nicht das Gegenteil des eigentlichen Zwecks erreicht werden soll. Andererseits erfor­ dert die augenblickliche Lage gebieterisch, daß Wege gefunden werden, auf denen in weiterem Umfang als dies bisher geschehen ist, eine Aufklärung der Arbeiter vor allem in den Rüstungsbetrieben erfolgt. Die guten Erfahrungen, welche nach hier vorliegenden Berichten mit Vor­ trägen (Lichtbilder! ) durch Offiziere, Geistliche und Mannschaften gemacht worden sind, die auf Grund ihrer Fronterlebnisse über die Verwendung, die Wirkung, den Bedarf etc . , der von den verschiedenen Rüstungsbetrieben her­ gestellten Waffen, Munition, Flugapparate, Fesselballons etc. in Fabriken sprachen, veranlassen das Kriegsamt, den Kriegsamtstellen die Prüfung der Frage nahezulegen, ob nicht auch für ihren Bereich die Abhaltung derartiger Vorträge angezeigt ist. Es wird darauf ankommen, daß geeignete Redner unter Vermeidung jeglichen Eingehens auf politische Fragen den Arbeitern überzeu­ gend darlegen, wie ihre ihnen vielleicht unwesentlich erscheinende Arbeit zu ihrem Teil zum Gelingen des Gesamterfolges beizutragen vermag. Von einer allgemeinen Anordnung möchte das Kriegsamt wegen der Ver­ schiedenheit der örtlichen Verhältnisse, die verschiedene Arten der Durch­ führung oder nach Umständen auch deren Unterlassung bedingen können, absehen.

186.

Bericht des stellv. Generalkommandos des I. bayer. AK an das preußische und bayerische Kriegsministerium, Auszug

Lenin-Trockij-Flugblatt >An die deutschen Soldaten! Soldaten, Brüder!< Cartarius, Nr. 233 .

München, 23. März 1918 Das an die deutschen Soldaten gerichtete Flugblatt von Lenin und Trotzky wurde bei dem Arbeiter Johann Unterleitner aufgefunden . Dieser nahm in der Münchener Ortsgruppe der unabhängigen sozialdemokratischen Partei eine leitende Stelle ein und beteiligte sich auch an der hiesigen Ausstandsbewegung in führender Weise . Er ist deshalb wegen Landesverrat verhaftet; das Strafver­ fahren ist beim Reichsgerichte anhängig. Er will das Blatt von einem Unbe­ kannten bei einer der Zusammenkünfte erhalten haben, die unter dem geistigen Einfluß der unabhängigen sozialdemokratischen Partei standen. Daß eine grö­ ßere Anzahl solcher Aufrufe zur Verteilung kam, ließ sich nicht feststellen . Der Student Ernst Toller, der kurz vor dem Ausstand von Berlin nach

1918

404

München kam und später als Führer der Bewegung hervortrat, befand sich ebenfalls im Besitz eines russischen Aufrufs . Er bestreitet, daß es das oben er­ wähnte Flugblatt war. Es soll vielmehr ein russisches Flugblatt gewesen sein, das zum Abschluß eines Waffenstillstandes aufrief. Er hat den Aufruf in einer der obenerwähnten Zusammenkünfte verlesen. Gegen Toller schwebt ein Strafver­ fahren wegen Landesverrats beim Gerichte der stellv. I . Inf. Brig. in München. Bei dem Handlungsgehilfen Richard Kämpfer, einem Vorstandsmitglied der Münchener Gruppe der unabhängigen sozialdemokratischen Partei, fand man in größerer Zahl den beiliegenden Aufruf, der offenbar zur Verteilung unter den Parteigenossen bestimmt war. Da Kämpfer erst in den letzten Tagen we­ gen Landesverrats auswärts festgenommen wurde, sind die Einzelheiten über den Erwerb und die Bestimmung des Flugblattes noch nicht ermittelt . . . .

187.

Brief Ludendorffs an Hertling

Bulgarien, Rumänien. Bredt, S. 257-259.

Großes Hauptquartier, 24. März 1918 Aus einem Fernschreiben des Staatssekretärs v. Kühlmann an Herrn v. Lers­ ner (Nr. 410) entnehme ich, daß er die Verwirklichung deutscher Souveränität in Constanza und längst der Bahn Constanza- Cernavoda für ausgeschlossen erklärt. Er begründet dies mit dem Widerstande Bulgariens, das mit Entschie­ denheit und Einstimmigkeit - Regierung, Sobranje 1 und Presse - den Gedan­ ken ablehne. Ich bedauere, daß die laut Fernschreiben des Herrn v. Grünau erfolgte Zustimmung Seiner Majestät zu den Darlegungen des Staatssekretärs trotz der früheren gemeinsamen Abmachungen in dieser Frage und trotz ihrer militär­ politischen Bedeutung ohne meine Beteiligung eingeholt worden ist. Ich be­ dauere aber auch die Lösung selbst auf das lebhafteste, um so mehr als ich den Eindruck habe, daß der bulgarische Widerstand sich wohl hätte überwinden lassen. Unsere Bündnisbeziehungen zu Bulgarien vertragen, wie ich nun auch durch mehrjährige, fast tägliche Abwehr bulgarischer Anmaßung erfahren habe, eine recht starke Belastungsprobe, denn der Bulgare ist durch die Rei­ bungsflächen mit allen seinen Nachbarn, hervorgerufen durch seine unbe­ grenzte Begehrlichkeit und Rücksichtslosigkeit, auf das Zusammengehen mit uns angewiesen . Scheu vor seinem Abfall hätte uns also nicht zur Nachgiebig­ keit verleiten dürfen . 1 Parlament.

Bulgarien, Rumänien

405

Da Staatssekretär v. Kühlmann den Gedanken eines deutschen Constanza mir gegenüber bisher nie ausdrücklich abgelehnt hat, so habe ich mich auch in dem berechtigten Glauben befunden, daß er allen Ernstes dafür eintreten werde. Daß er diese Absicht schon seit längerer Zeit nicht gehabt hat, geht aus seinem Fernschreiben an die Politische Abteilung der Militärverwaltung in Rumänien vom Februar hervor, von dem ich durch seine Meldung an Seine Majestät den Kaiser Kenntnis erhalte: "Ein deutsches Constanza würde ein zweites Kiautschou sein und unwei­ gerlich zur Folge haben, daß Bulgarien im nächsten Kriege nicht unser Bun­ desgenosse, sondern unser Gegner wäre. Richtige Lösung ist: Schaffung einer Gesellschaft, die Bahn und Hafen mit sämtlichen Anlagen einschließlich der Ölleitung zu übernehmen und zu betreiben hätte. Dieser Gesellschaft wäre eventuell auch die Konzession für einen Kanal zu sichern. Das deutsche Kapital müßte nach jeder Richtung den ausschlaggebenden Einfluß ausüben" 2 • Ich hätte wohl erwarten dürfen, daß Staatssekretär von Kühlmann mir von dieser Änderung seiner Absichten und Weisungen Kenntnis geben würde, um in Bukarest bei unseren Stellen nicht zwei verschiedene Auffassungen walten und gegeneinander wirken zu lassen . Daß das Auswärtige Amt auch abma­ chungsgemäß mir davon Mitteilung hätte machen müssen, indem es diese wichtige Direktive über den militärischen Dienstweg leitete, möchte ich nur berühren . Ich muß mich aber gegen das mir jetzt häufig entgegengehaltene Schlagwort vom "zweiten Kiautschou" wenden. Ich habe niemals die Ansicht geäußert, daß Constanza ein m i l i t ä r i s c h e r deutscher Stützpunkt werden sollte . So­ viel militärische Einsicht darf ich für mich in Anspruch nehmen, erkennen zu können, daß es unmöglich ist, Constanza in einem Kriege gegen Bulgarien zu halten. Küstenbefestigungen bei einem deutschen Constanza habe ich solange für notwendig gehalten, wie wir im Schwarzen Meer mit einem starken Ruß­ land rechnen mußten. Seither habe ich aber dem Chef des Admiralstabes 3 gegenüber auch diese Forderung fallen lassen. Constanza sollte nur ein reiner Handelsstützpunkt mit Unterschlupf für leichte Seestreitkräfte sein, um Ru­ mänien, demgegenüber bei der austro-polnischen Lösung uns ein anderes Druckmittel fehlte, zur Erfüllung unserer wirtschaftlichen Ansprüche anhal­ ten zu können. Wenn auch die wirtschaftlichen Vereinbarungen mit Rumänien nicht unter dem Gesichtswinkel der austro-polnischen Lösung getroffen worden sind und daher ein Druck auf Rumänien auch durch das nunmehr wirtschaftlich beteiligte, benachbarte Österreich-Ungarn ausgeübt werden kann, so halte ich 2 J

Vgl. Scherer-Grunewald III Nr. 282. Holtzendorff.

406

1918

dennoch den Handelsstützpunkt Constanza auch heute noch für die beste Lösung, und zwar nicht etwa in der vom Staatssekretär angestrebten privat­ rechtlichen Form, sondern mit deutscher Souveränität. Denn ich bin der Überzeugung, daß Bulgarien alles darauf ablegen wird, in Constanza, wenn es dort unumschränkt herrscht, uns Schwierigkeiten zu machen und den Ort mit Hafen und Bahn zugunsten von Varna und Burgas verkümmern zu lassen. Bulgarien wird es dabei noch leichter haben, wenn auch noch der Gedanke des Staatssekretärs zur Ausführung kommen sollte, Österreich-Ungarn, Ru­ mänien, Bulgarien und die Türkei an einer Hafen- und Bahnbetriebsgesell­ schaft Constanza zu beteiligen. Diese wird eine Quelle von Reibungen bilden, namentlich mit Österreich-Ungarn, die das politische Zusammenhalten der beteiligten Staaten häufig gefährden wird . Daran wird Deutschlands Über­ gewicht, das auch der Staatssekretär unbedingt gewahrt wissen will, von dem es mir aber zweifelhaft ist, ob es sich gegenüber den vier anderen Staaten errei­ chen läßt, nichts ändern . Im deutschen Interesse darf die Gesellschaft nur eine deutsche mit schwä­ cherer, ausschließlich bulgarischer Beteiligung sein, und dieses Privatunter­ nehmen bedarf dabei nach dem Kriege einer nicht geringeren diplomatischen Vertretung, als die Wahrung der deutschen Souveränität. Da ich nach Lage der Dinge kaum hoffen kann, daß der Gedanke an ein deutsches Constanza noch zu retten ist, so habe ich es für meine Pflicht gehal­ ten, Euerer Exzellenz die dringende Bitte vorzulegen, wenigstens dafür einzu­ treten, daß die deutschen Interessen durch Schaffung einer deutschen Gesell­ schaft mit schwächerer bulgarischer Beteiligung gewahrt werden . Sie hätte die Bahn und den Hafen mit sämtlichen Anlagen einschließlich der Ölleitung und der telegraphischen Verbindung Cernavoda- Constanza zu übernehmen und zu betreiben . Ihr muß auch die Konzession für einen Kanal, bei dessen Anlage Deutschland hinsichtlich seiner Führung, Maße und Einrichtungen entschei­ dend mitzusprechen hätte, gesichert werden. Mit der Verbesserung des Hafens von Constanza hat es, soviel ich unterrich­ tet bin, noch Zeit, so daß ein großer Reichszuschuß zunächst nicht notwendig wäre. I . A. : gez . Ludendorff.

Stellung der OHL 188.

407

Max von Baden, Erinnerungen, Auszug

Siegeszuversicht der kämpfenden Truppe. Max v. Baden, S. 265 .

[Baden-Baden ?] März 1918 Das Gefühl der Unwiderstehlichkeit, das bei Beginn der Schlacht unsere Truppen begleitete, läßt sich nicht beschreiben. Die jahrelange Erstarrung der Front löste sich. Der Glaube an Führung und Sieg war nie größer gewesen, auch im August 1914 nicht.

189.

Riezler, Tagebücher, Auszug

Machtstellung der OHL nach Beginn der Westoffensive. Riezler, Tagebücher, S. 459 f.

Berlin, 15. April 1918 Kaum mehr verschleierte Militärdiktatur. Auch Valentini fiel, weil Luden­ dorf{ seinen Rücktritt forderte, sein Abschiedsgesuch einreichte etc. 'f . Der Kaiser hat sich sehr schwer von ihm getrennt. Er hat abgedankt. Die milites gloriosi sind allmächtig - gestützt auf ihre Erfolge, auf die namenlose Militär­ frommheit des Volkes, die Parteimaschine der Vaterlandspartei etc. Notdürftig verschleierte Militärdiktatur. [ . . . ] Alles hängt von der Offensive 1 ab - glückt sie völlig, so kommt die freudig vom Volke ertragene Militärdiktatur - glückt sie nicht, eine schwere mora­ lische Krise, die friedlich zu bewältigen wohl keiner der jetzigen Regierungs­ männer die Kunst hat. Das Volk (von oben) • bis in den Kleinbürgerstand hinein - läuft dem Erfolg nach. In rührender Zuversicht sieht es schon die Entente niedergerungen, eskomptiert genau so schnell wie in den ersten Kriegsmonaten, hat die bittersten Erfah­ rungen vergessen und ist trotz allem immer noch voll der gleichen Hybris. Beamte und Journalisten, durch 4 Jahre Censur Lüge und Heuchelei gänz­ lich umnebelt. Es beginnt das große "ruere in Servitium" wie Bethmann nach * Am 16. 1. 1918 gelang es Hindenburg, die Entlassung Valentinis unter fadenscheini­ gen Vorwänden - man machte ihn für den verständigungsbereiten innenpolitischen Kurs der Regierung Hert!ing verantwortlich - vom Kaiser zu erzwingen. ( . . . ) nachträglich eingefügt. 1 Seit 21. 3. 1918 in Gange. •

408

1918

Tacitus 2 sagt. Das wird sich bei Erfolgen steigern und allen anständigen und vernünftigen, die Bescheid wissen, wird nichts anderes übrig bleiben, als ein­ sam zu schmollen.

190.

Aufzeichnung Bauers \ Auszug

Politisches Engagement der OHL. Deist, S. 121 1 .

Großes Hauptquartier, 23 . April 1918 Der Friede mit Rußland 2, der Ukraine 3 und Rumänien 4 ist zwar endlich zustande gekommen, dank der Erfolge unserer Waffen und dank des wieder­ holten energischen Eingreifens der Obersten Heeresleitung, sonst verhandel­ ten wir wahrscheinlich heute noch in Brestlitowsk. Das Auswärtige Amt hat restlos versagt.

191.

Aufsatz Staudingers (>Zur Beurteilung AmerikasMeine Londoner Mission 1912 1914< beendet, das die Haltung Berlins 1914 kritisierte. Ende März 1918 war der deutsche Text in englische Hände gelangt.

446

1918

Rohstoffen und Fabrikaten a l l e i n m i t d e r Z e i t die verbündeten Zentral­ mächte zerschmettern müßten. Nach Ansicht unserer Feinde arbeitet die Zeit für sie. Je länger der Krieg dauert, desto mehr vermindert sich in den Zentral­ mächten der Bestand an Menschen, Rohstoffen und Fabrikaten, während die Alliierten in allen drei Punkten auf Vermehrung rechnen. In jüngster Zeit ist bei den Alliierten hierzu die Hoffnung getreten, dem Faktor Zeit durch militä­ rische Erfolge nachhelfen zu können . Soviel für den Feind . Die Neutralen sind überaus kriegsüberdrüssig; auch bei ihnen befestigt sich die Meinung, daß allein durch die Zeit die Zentralmächte zur Niederlage verurteilt seien; allerdings würden die Neutralen am liebsten sehen eine Frie­ den ohne einen Sieg für irgendwelche Partei. Aus Gefühlsrücksichten ist den meisten Neutralen der Sieg unserer Feinde sympathischer. Vor allem aber wol­ len sie das Kriegsende sehen, gleichgültig welches. Daher sind sie auch bereit, auf unsere Niederlage hin mitzuarbeiten. Ein Beweis sei das Vorgehen Spa­ niens gegen unsere Torpedierungen, welches uns vor das Problem stellt, ent­ weder den U-Bootkrieg einzuschränken, oder Krieg. Dieser Vorgang sei um so bedenklicher, als bei Bekanntwerden andere Neutrale ihm folgen würden. Verbündete: Österreich erklärt - und unsere eigenen Nachrichten geben eine Bekräftigung dieser Meinung -, daß es am Ende seiner Kräfte angelangt sei, daß es nicht länger als durch den Winter aushalten könne, daß selbst ein Winterfeldzug mehr als zweifelhaft sei. Bulgarien stellt größte Anforderungen an Subsidien und Lieferung von Waren und ist wegen Erschöpfung seiner Armee angeblich wenig leistungsfä­ hig. Die Türkei hat sich in einen Mord- und Beutekrieg im Kaukasus gestürzt, kommt uns dort in die Quere und setzt unseren Einwendungen und Mahnun­ gen die bekannte Resistenz des Orientalen und des Schwächeren entgegen. Wir haben die Wahl, unsere Bundesgenossen gewähren zu lassen oder uns mit ihren anspruchsvollen Forderungen einverstanden zu erklären . In unserer Lage ist die Wahl von vornherein entschieden . Der Chef des Generalstabes des Feldheeres hat die kriegeri­ s c h e S i t u a t i o n d a h i n d e fi n i e r t , d a ß w i r d e n K r i e g s w i l l e n u n s e r e r Feinde d u rch kri e g e r i s c h e Handlungen nicht m e h r zu brechen h o ffen d ü r f e n , u n d d a ß u n s e r e K r i e g f ü h r u n g s i c h a l s Z i e l s e t z e n m u ß , d u r c h e i n e s t r a t e g i s c h e D e f e n s ive d e n K r i e g s w i l l e n d e s Feindes mählich zu lähmen ' . Die p o litische Leitung beuge sich v o r d i e s e m Au s s p r u c h der größten Feldherren, die dieser Krieg hervor­ gebracht habe, u n d z i e h e d a r a u s d i e p o l i t i s c h e Ko n s e q u e n z , d a ß politisch wir außerstande sein würden , den Kriegswillen des ' Die Sperrungen sind bei der Herausgabe vorgenommen [durch Ludendorff] .

Kriegslage

447

Gegners zu brechen , und daß wir daher gezwungen seien, dieser Kriegslage in der Führung unserer Politik hinfort Rechnung zu tragen . S. Kgl. Hoheit der Kronprinz erklärt, alles, was der General Ludendorff und der Staatssekretär gesagt hätten, zu unterschreiben, und betont, es müßte in strengerer Zucht die innere Front zusammengefaßt werden . Seine Majestät: Die Stellvertretenden Kommandierenden Generale und der Kriegsminister müssen im Innern bessere Ordnung halten. An die Generale wolle er diesbezüglich neue Order erlassen. Die Zivilbehörden hätten mitzu­ wirken an strikterer Durchführung der Staatsgewalt. In bezug auf Ersatz müsse besser ausgekämmt werden. In Berlin liefen noch eine Menge junger Leute frei herum . Seine Majestät billigen die Ausführungen über die außenpolitische Lage, doch leidet auch der Feind, es würden ihm viele Menschen totgeschlagen, seine Industrie finge schon an, brach zu liegen infolge Mangels an Rohstoffen; a u c h L e b e n s m i t t e l m a n g e l t e n . Die diesjährige Ernte in England sei schlecht; die Tonnage vermindert sich ständig, vielleicht kommt d u r c h d i e ­ sen Mangel England allmählich d az u , sich zum Frieden zu b e ­ kehren. Seine Majestät erklären die Charakteristik der politischen Situation für rich­ tig, e s m ü s s e a u f e i n e n g e e i g n e t e n Z e i t p u n k t g e a c h t e t we rd e n , w o w i r u n s m i t d e m F e i n d z u ve r s t ä n d i g e n h ä t t e n . Neutrale Staaten (der Kaiser bezeichnet solche) seien geeignete Media. Zur Schwächung der Siegeszuversicht des Feindes, zur Hebung der Zuversicht des deutschen Vol­ kes sei die Bildung einer Propagandakommission erforderlich . Flammende Reden müßten gehalten werden von angesehenen Privatpersonen (Ballin, Heckscher) oder von Staatsmännern . In die Kommission seien Männer von entsprechenden Fähigkeiten zu berufen, nicht sowohl Beamte. Die politischen Direktiven müsse das Auswärtige Amt geben. Die einzelnen Ressorts müßten nicht wie b i s l a n g g e g e n e i n a n d e r a r b e i t e n u n d v o r e i n a n d e r G e h e i m n i s k r ä m e r e i t r e i b e n . Die Militär- und Zivilbehörden müßten zusammenarbeiten, der Kriegsminister müsse die Kommandierenden Generale unterstützen und sie nicht im Stiche lassen . Der Reichskanzler spricht sich für eine energische Aufrechterhaltung der Autorität im Innern aus . Bezüglich der Propaganda bestehe ein reichhaltiges Programm, das schon verwirklicht würde. Diplomatisch müßten Fäden betreffend e i n e Ve r s t ä n d i g u n g mit dem Feinde im geeigneten Moment angesponnen werden. Ein s o l c h e r M o m e n t b ö t e s i c h n a c h d e n n ä c h s t e n E r f o l g e n i m We s t e n . G e n e r a l f e l d m a r s c h a l l von Hindenburg führt aus, d a ß e s g e l i n g e n

448

1918

we r d e , a u f f r a n z ö s i s c h e m B o d e n s t e h e n zu b l e i b e n u n d d a d u r c h s c h l i e ß l i c h d e n Fe i n d e n u n s e r n W i l l e n a u f z u z w i n g e n b . Folgen die Unterschriften: H. 14 . 8 . L . 14 . 8 . V. H. 14 . 8 . Herding 17. 8 .

207.

Wilhelm I. R . V. B . 1 9 . 8 . Wilhelm, Kronprinz.

Protokoll der Besprechung in Spa am 14 . August 1918 zwischen OHL und k. u. k. AOK.

Kriegslage. Baumgart, Größenwahn, S. 256-258.

[Spa, 14 . August 1918'] GFM . v. H . : dankt für das Entgegenkommen des k. u. k. AOK. in jeder Be­ ziehung, besonders in der Entsendung von Divisionen nach dem Westen, Bei­ stellung von Benzin usw. Hebt den großen Eifer, Fleiß der Offiziere hervor, die an die Westfront kommandiert sind, und ihr hohes Verständnis für die Sache. GO. v. A. : befaßt sich mit der Darlegung der Lage, der Auffassung und der eigenen Verhältnisse u. zw. : . O s t f r o n t: Eingreifen der Japaner. GFM . v. H . : Das Eingreifen der Japaner gibt zu Befürchtungen keinen An­ laß . Eine Änderung der eigenen Lage an der russischen Front wird hiedurch kaum herbeigeführt werden. Hingegen ist die DOHL. überzeugt, daß sich die Sowjet-Regierung nicht lange halten werde und daher die Frage aufzuwerfen sei, wie man sich der neuen Regierung gegenüber zu verhalten haben werde . Werde sie sich auf Deutschland stützen wollen, dann werde man es tun. Neue Truppenzuschübe sind aber keineswegs geplant. Eine Stützung erfahre Finn­ land. Weiters würde man dann aktiv eingreifen, wenn man die Ententekräfte an der Murmanküste treffen würde . U k r a i n e: Das militärische Interesse wird aufzuhören haben, wenn wir die Überzeugung gewinnen, w i r t s c h a ft l i c h nichts aus dem Lande herauszuho­ len. Es sind dort Kräfte engagiert, die man anderswo dringend brauchen b Dieser Satz des Generalfeldmarschalls lautete in dem Protokoll ursprünglich: G. v. H. "hofft", daß es "dennoch" gelingen werde usw. Die Änderung in die bestimm­ tere Form "führt aus, daß es gelingen werde" stammt nach Schrift und benutztem Stift von General Ludendorffs Hand . ' Wurde am 17. 8. 1918 ausgefertigt.

Kriegslage

449

würde. Für uns handelt es sich um Erwerbung von Lebensmitteln und Roh­ stoffen. (Folgerung: Organ hinsenden, daß klar werden muß, ob militärisches Kraftaufgebot mit materieller Auswertung in einer guten Relation steht.) GO. v. Arz: Wirft Frage wegen Donezgebiet auf, ob sich die Bewirtschaf­ tung rentiert. Kohle ist wohl sehr notwendig. GFM . v. H . : Donezgebiet braucht viel Kräfte. Wenn Betrieb der Kohlen­ schächte nicht entsprechen wird, dann wäre es zweckmäßiger, Besetzung auf­ zulassen. GO. v. Arz: Wir würden dann Dnjepr-Linie als Ostgrenze ansehen. Ru m ä n i e n : GFM . v. Hindenburg: Momente deuten darauf hin, daß Regierung in Schwierigkeiten und bewaffnetes Eingreifen eventuell wieder ins Auge gefaßt werden müßte. GO. v. Arz: Hiezu stehen die 2 Divn in Rumänien zur Verfügung und wei­ tere in der Ukraine frei zu machende Verbände. Weitere Divn könnten nicht abgegeben werden. Armenien: GFM. v. Hindenburg: Das Ersuchen der DOHL. , dahin einige k. u. k . Baone z u entsenden, wird zurückgezogen. Deutschland hat a n Armenien kein Interesse. DOHL. will gerne dem Wunsche des AOK. nachkommen, österr. ung. Einfluß in Baku geltend zu machen. Baku müsse in deutsche Hände kommen, weil die Türkei nicht imstande sei, die wertvollen Petroleumquellen rationell auszubeuten. DOHL. werde mit der Türkei im Einvernehmen han­ deln. GO. v. Arz: weist nochmals darauf hin, daß wir einen Teil an Betrieb und Ergebnis in Baku beanspruchen. Gdi . Ludendorff: ist damit vollkommen einverstanden . Teilnahme von 1-2 Baonen wird die Handhabe dazu bilden. A l b ani en: GO. v. Arz: Gegenwärtig ist eine Verstärkung der Truppen und der mate­ riellen Mittel ausgeschlossen, um eine große Operation in die Wege zu leiten . Sobald die allgemeine Lage es zulassen wird, wird k. u. k. AOK. auf die frühere Absicht eines Angriffs auf Valona zurückkommen, wozu etwa 2 Divn frei­ gemacht werden müßten . Ad r i a: GO. v. Arz: Unsererseits sind keine weiteren Maßnahmen in der Adria in Aussicht genommen, weil die Mittel hiezu fehlen. Wir werden bestrebt sein, Landungen der Italiener möglichst zu verhindern, und hiebei auch die deut­ schen U-Boote heranziehen. S ü d we s t f r o n t:

450

1918

Die Kalküle sind folgende : Eine größere Operation, die die Front bis an die Brenta vorreißt. Eigene Kräfte sind hiezu nicht ausreichend . Teilnahme von etwa 8 deutschen Divn wäre erforderlich . Eine kleinere Operation zur Besitznahme des Grappa Gebietes und des M. Sulder und Montello : benötigt einen großen Aufwand an Kraft, Brücken hinter dem Montello werden immer im f[ ein]d[lichen] Artilleriefeuer liegen, daher schwieriger Zustand; dieser Kalkul wird daher zurückgestellt. Schließlich Auftrag bereits ergangen, Erwägungen für eine Stellungskorrek­ tur bis an den Südrand des Grappa Gebietes anzustellen. Zunächst handelt es sich aber darum, alle Kräfte und Mittel verfügbar zu machen, um die bevorstehende italienische Offensive abzuwehren. Hieraus Folgerung: Eine weitere Abgabe von Divn an die Westfront ist nur nach Besserung der Standesverhältnisse möglich . GFM . v. H . : Wiewohl der Zutransport weiterer k. u . k. Divn an die West­ front sehr gerne gesehen werden würde, ist DOHL . einverstanden, daß - wie bereits vereinbart - das AOK. selbst den Zeitpunkt wahrnimmt, wann weitere Kräfte zugeschoben werden können. GO . v. Arz : Reflexionen über die Lage in der Ukraine, Hinterland, Alba­ nien, SWfront - daher momentan keine Kräfte verfügbar. Verfassung der eigenen Armee: Mangel an Offizieren und UO . , wenig Ersätze. Von den 500 000 Heimkehrern mußten 300 000 als Ersatz für die Jahr­ gänge 67, 68 und 69 verwendet werden. Assentierung der 18jährigen ist nicht in Aussicht genommen . Lauter unterernährte Burschen, die nichts aushalten . Nach der Einstellung von 200 000 Heimkehrern bleiben für den rollenden Er­ satz nur mehr die Genesenen übrig. In Rußland wohl noch 1 12 Million Kriegs­ gefangene, auf deren Rückkehr wegen der tschecho-slovakischen Umtriebe aber nicht zu rechnen ist. Hand in Hand mit dem schlechten Ausblick auf Ersatzmöglichkeiten ist auch die schlechte Arbeiterlage. Was die m a t e r i e l l e n Ve r h ä l t n i s s e bei der Armee betrifft, so ist nicht zu leugnen, daß die Produktion von Jahr zu Jahr um einen Monat zurückgeht. Die Ursachen liegen : in dem Mangel an Kohle, an Arbeitern, die unterernährt sind und wenig leisten, und im Mangel an Rohstoffen. Dies hat zufolge, daß kein Kalkul aufrechterhalten werden kann . So auch in der Frage der Muni­ tionsbeschaffung. Das Hindenburg-Programm 1 ist nicht einhaltbar, da bloß 1 Von der OHL Anfang September 1916 entworfen. Sah vor, bis zum Frühjahr 1917 die Erzeugung von Munition zu verdoppeln, die von MGs und Geschützen zu verdrei­ fachen. Dazu sollte die ganze Wirtschaft den Rüstungsbedürfnissen unterstellt werden. Folge war das Hilfsdienstgesetz vom 5. 12 . 1916 . In den folgenden Wochen zeigte es

Kriegslage

451

1-Hiz Mill Schuß anschaffbar. Die Munitionserzeugung reicht nicht aus, um eine mehrwöchige Schlacht führen zu können . So hat der 15. Juni allein 2 Mil­ lionen Schuß verbraucht. Die Unzulänglichkeit unserer F l i e g e rwaffe ist allgemein bekannt. Sie ist es sowohl wegen der Zahl der Apparate als auch der Piloten. Alle getroffenen Maßnahmen haben die Situation nicht bessern können. Nun sind solche außerordentlicher Art in Aussicht genommen, deren Wirksamwerden aber be­ deutend Zeit erfordert, worauf wir quantitativ aber noch immer in der Hinter­ hand bleiben werden . Gdi . v. L . : bietet Unterstützung, soweit es möglich ist, insbesondere an Motoren. GO . v. Arz: nimmt dankbar an. Alle diese Verhältnisse zusammengenommen müssen die Frage berechtigt erscheinen lassen: Was will man in der Zukunft, wie lange will man den Krieg führen, wie und wann wären Maßnahmen zu ergreifen, um sich mit der Entente in Verbindung zu setzen . Nach eigener Überzeugung sind die Mittelmächte nicht mehr in der Lage, den Feind so entscheidend zu schlagen, daß man den Frieden diktieren könnte. Ob Deutschland hiezu in der Lage sei, entziehe sich dem Ermessen . Zu berücksichtigen sei, daß der Feind immer stärker werde, daher der Schlag möglichst früh erfolgen müßte . GFM . v. H. und Gdi . L . : bestätigt die dargelegte Auffassung der derzeiti­ gen militärischen Lage. Die Möglichkeit eines entscheidenden Schlages bzw. des entscheidenden Sieges besteht nicht. Derzeit ist aber noch nicht der Zeit­ punkt gekommen, die Verhandlungen mit dem Feinde direkt aufzunehmen, da momentan schwieriger Zustand und eigene Lage nicht entsprechend . GO. v. Arz : Es entsteht die Frage, ob es nicht zweckmäßig wäre, den schwächeren Gegner gemeinsam anzugehen . GFM . v. H. und Gdi . L . : sprechen ihre Geneigtheit zu dieser Absicht aus . Der Zeitpunkt für die Fassung dieses Entschlusses sei aber noch nicht gege­ ben, da es sich der DOHL . zunächst darum handle, das Gleichgewicht an der Westfront herzustellen, durch lokale Zurücknahme der eigenen Front diese zu kürzen und zu kräftigen und sich neue Reserven zu schaffen. GO . v. Arz: Die Frage, wieweit der Krieg zu führen sei, muß auch insoweit betrachtet werden, daß die Fortführung des Krieges nicht bis zu jenem Stadium führen dürfe, wo die Armeen aufgebraucht seien . Sie werden dann für andere Zwecke - Aufrechterhaltung der Ordnung im Innern des Landes usw. - notwendig sein . sich, daß das Rüstungsprogramm der OHL nicht annähernd erfüllt werden konnte und verhängnisvolle Auswirkungen auf die Wirtschaft hatte.

452

1918

GFM . v. H . : Zu dieser Reflexion ist auch die DOHL. gekommen . Darüber einig, daß Friede zu machen ist, jede Gelegenheit ist wahrzunehmen, die es er­ möglicht, mit dem Feinde in Verhandlungen zu treten. Dies müsse jedoch der­ zeit noch geheim geschehen, durch Vermittlung von Unterhändlern, von Neu­ tralen . Nicht aber durch ein offenes Hervortreten der Absicht, da die eigene Lage im Westen hiefür nicht die günstigste Grundlage bilde, der Zeitpunkt somit noch nicht gekommen ist. Gdl . L . : glaubt, daß eine aufklärende Propaganda viel erreichen könnte, die den Ententestaaten nahelegen würde, wie gefährlich für sie das aktive Ein­ greifen Amerikas und Japans sei . Die DOHL . habe die Absicht, der Friedens­ frage näherzutreten, jedoch nicht momentan. Als Zeitpunkt käme etwa Anfang des Herbstes in Betracht. Das auszumachen sei Sache der Diplomatie. b Als Grundlage für den Frieden sei der status quo ante anzugeben . Es wird sich dann zeigen, was erreichbar sein wird b . Besprochen wurde noch : a) Aushilfen an k. u. k. Artillerie sollen deutsches Material und deutsche Munition erhalten, uns also gewissermaßen vorgeliehen. b) Auf das Erfassen der Verpflegungsmittel in Ungarn wäre besonderer Nachdruck zu legen. In unserem Kalkul fehlt vorläufig Rumänien und die Ukraine. Sind Reserve. c) Ablösung des Kapitäns zur See Bene bei Mackensen - wird mit Hahn­ dorf{ besprochen werden. d) Verhandlungen mit GM. v. Landwehr sind wieder aufzunehmen - wird auch von Hahndorff geregelt werden .

208.

Denkschrift HelHerichs an Hertling, Auszug

Rußland. Baumgart, Ostpolitik, Dok. 6 .

Berlin, 19 . August 1918 Der erste Leitsatz unserer Ostpolitik scheint mir zu sein, daß das Entstehen einer neuen Ostfront während des Krieges verhindert werden muß . Darüber hinaus ist m. E . anzustreben, daß die unerläßlichen militärischen Sicherungen nach Osten hin geschaffen bzw. aufrecht erhalten werden, sowie daß der Boden für gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu dem Staate oder den staatlichen Gebilden, die sich aus den Trümmern des alten b-b Gestrichen. Dazu Randvermerk (Waldstättens ?): "Dies ist keine für uns gangbare Basis ! " Daneben Vermerk Arz': "wurde nicht erwähnt - gestrichen" .

Reichstagswahl

453

Rußlands heraus entwickeln werden, bereitet wird. [ . . . ] es ist wahrschein­ lich, daß ein deutsches militärisches Eingreifen in die innerrussischen Kämpfe zu Gunsten der Bolschewiki alle nicht bolschewistischen Elemente Rußlands der Entente in die Armee treiben und damit dieser die Schaffung einer neuen Ostfront geradezu erleichtern würde. Es bleibt also nur der zweite Weg, das rechtzeitige Abrücken von den Bol­ schewiki und der Versuch, zu den konstituierenden Elementen des neuen Rußlands ein gutes Verhältnis herzustellen . [ . . . ] Lassen wir die Dinge treiben, so wird die Entente das Spiel gewinnen . Nur ein entschlossenes Abrücken von den Bolschewiki kann ihren Plan durchkreuzen. In hohem Grade erwünscht wäre es, wenn es darüber hin­ aus gelänge, mit den Gruppen, die bei der Begründung des neuen Rußlands in maßgebender Weise mitwirken werden, rechtzeitig zu einer Verständigung zu gelangen.

209.

Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstags und die Verhältniswahl in großen Reichstagswahlkreisen RGB1 1918, 2, S. 1079 -1083 .

Großes Hauptquartier, 24 . August 1918 Wi r Wi l h e l m , v o n G o t t e r s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, K ö n i g v o n Preußen etc . verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt: §1 Die Zahl der Mitglieder des Reichstags wird auf 441 erhöht. §2 Die Stadtgebiete von Berlin, Breslau, Frankfurt a. M . , München und Dres­ den sowie das Harnburgische Staatsgebiet bilden je einen Wahlkreis. §3 Zu je einem Wahlkreis werden vereinigt: 1. die Wahlkreise Cöln 1 und 2 sowie der zur Stadt Cöln gehörende Teil des Wahlkreises Cöln 6 (Wahlkreis Cöln), 2 . der Wahlkreis Düsseldorf 4 mit dem zur Stadt Düsseldorf gehörenden Teile des Wahlkreises Düsseldorf 12 (Wahlkreis Düsseldorf), 3. der Wahlkreis Düsseldorf 2 mit dem zur Stadt Elberfeld gehörenden Teile des Wahlkreises Düsseldorf 1 (Wahlkreis Elberfeld),

454

1918

4. der Wahlkreis Düsseldorf 5 mit dem zur Stadt Essen a. d. Ruhr gehören­ den Teile des Wahlkreises Düsseldorf 6 (Wahlkreis Essen), 5. der Wahlkreis Düsseldorf 6 mit dem zur Stadt Oberhausen gehörenden Teile des Wahlkreises Düsseldorf 5 (Wahlkreis Duisburg), 6. der Wahlkreis Hannover 8 mit dem zur Stadt Linden gehörenden Teile des Wahlkreises Hannover 9 (Wahlkreis Hannover), 7. die Wahlkreise Sachsen 12 und 13 (Wahlkreis Leipzig), 8. der Wahlkreis Württemberg 1 mit dem zur Stadt Stuttgart gehörenden Teile des Wahlkreises Württemberg 2 (Wahlkreis Stuttgart) . §4 Für die nach den §§ 2 und 3 gebildeten Wahlkreise sowie die Wahlkreise: Potsdam 6 (Wahlkreis Niederbarnim), Potsdam 10 (Wahlkreis Teltow), Oppeln 5 (Wahlkreis Königshütte), Oppeln 6 (Wahlkreis Hindenburg), Schleswig-Holstein 7 (Wahlkreis Kiel), Münster 3 (Wahlkreis Recklinghausen), Arnsberg 5 (Wahlkreis Bochum), Arnsberg 6 (Wahlkreis Dortmund), Mittelfranken 1 (Wahlkreis Nürnberg), Sachsen 16 (Wahlkreis Chemnitz), Baden 11 (Wahlkreis Mannheim) und Bremen (Wahlkreis Bremen) treten an die Stelle des § 6 Abs . 1 und der §§ 11 und 12 des Wahlgesetzes für den Deutschen Reichstag vom 31 . Mai 1869 (Bundesgesetzbl. S. 145) die Vor­ schriften der folgenden §§ 5, 7 bis 15. §5 Im Wahlkreis Berlin werden 10, im Wahlkreis Teltow 7, im Wahlkreis Harn­ burg 5, in den Wahlkreisen Bochum und Leipzig je 4, in den Wahlkreisen Cöln, Breslau, Duisburg, Dortmund, Essen, Niederbarnim, München und Dresden je 3 und in den übrigen in §§ 2 bis 4 genannten Wahlkreisen je 2 Ab­ geordnete nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. §6 Beträgt die Zahl der auf einen Wahlkreis entfallenden reichsdeutschen Ein­ wohner nach den beiden letzten allgemeinen Volkszählungen mehr als 300 000, so tritt bei der nächsten allgemeinen Wahl für jede weiteren ange­ fangenen 200 000 reichsdeutschen Einwohner j e ein neuer Abgeordneter hinzu .

Reichstagswahl

455

Die Abgeordneten dieser Wahlkreise sind nach den Grundsätzen der Ver­ hältniswahl zu wählen. §7 Bei dem Wahlkommissar sind spätestens am 21. Tage vor dem Wahltag Wahl­ vorschläge einzureichen. Die Wahlvorschläge müssen von mindestens 50 im Wahlkreis zur Ausübung der Wahl berechtigten Personen unterzeichnet sein. Sie dürfen höchstens zwei Namen mehr enthalten, als Abgeordnete im Wahl­ kreis zu wählen sind. Von jedem vorgeschlagenen Bewerber ist eine Erklärung über seine Zustim­ mung zur Aufnahme in den Wahlvorschlag anzuschließen. In demselben Wahlkreis darf ein Bewerber nur einmal vorgeschlagen wer­ den. §8 Mehrere Wahlvorschläge können miteinander verbunden werden. Die Verbindung muß von den Unterzeichnern der betreffenden Wahlvor­ schläge oder ihren Bevollmächtigten übereinstimmend spätestens am 7. Tage vor dem Wahltag beim Wahlkommissar schriftlich erklärt werden . Verbundene Wahlvorschläge können nur gemeinschaftlich zurückgenom­ men werden. Die verbundenen Wahlvorschläge gelten den anderen Wahlvorschlägen ge­ genüber als ein Wahlvorschlag. §9 Für die Prüfung der Wahlvorschläge und ihrer Verbindung wird für jeden Wahlkreis ein Wahlausschuß gebildet, der aus dem Wahlkommissar als Vorsit­ zendem und vier Beisitzern besteht. Auf die Beisitzer findet § 9 Abs . 2 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 Anwendung. Der Wahlausschuß faßt seine Beschlüsse mit Stimmenmehrheit. Nach der öffentlichen Bekanntgabe der zugelassenen Wahlvorschläge kön­ nen diese nicht mehr zurückgenommen und ihre Verbindung kann nicht mehr aufgehoben werden. § 10 Die Stimmzettel sind außerhalb des Wahlraums mit den Namen der Bewer­ ber, denen der Wähler seine Stimme geben will, handschriftlich oder im Wege der Vervielfältigung zu versehen. Die Namen auf den einzelnen Stimmzetteln dürfen nur einem der öffentlich bekanntgegebenen Wahlvorschläge entnommen sein. § 11 Behufs Vermittlung des Wahlergebnisses ist festzustellen, wieviel gültige Stimmen abgegeben und wie viele hiervon auf jeden Wahlvorschlag und auf die verbundenen Wahlvorschläge gemeinschaftlich entfallen sind.

456

1918

§ 12 Die Abgeordnetensitze werden auf die Wahlvorschläge nach dem Verhältnis der ihnen nach § 11 zustehenden Stimmen verteilt. Zu dem Zwecke werden diese Stimmenzahlen nacheinander durch 1, 2, 3, 4 usw. geteilt und von den sich hierbei ergebenden Teilzahlen so viele Höchstzahlen der Größe nach aus­ gesondert, als Abgeordnete zu wählen sind. Jeder Wahlvorschlag erhält so viel Abgeordnetensitze, als auf ihn Höchstzahlen entfallen . Wenn die an letzter Stelle stehende Höchstzahl auf mehrere Wahlvorschläge zugleich entfällt, ent­ scheidet das Los . Verbundene Wahlvorschläge werden hierbei mit der Gesamtzahl der ihnen nach § 11 zustehenden Stimmen als ein Wahlvorschlag in Rechnung gestellt. Die ihnen zukommenden Abgeordnetensitze werden auf die einzelnen Wahl­ vorschläge nach Abs . 1 verteilt. Wenn ein Wahlvorschlag oder eine Gruppe verbundener Wahlvorschläge weniger Bewerber enthält, als auf sie Höchstzahlen entfallen, so gehen die überschüssigen Sitze auf die Höchstzahlen der anderen Wahlvorschläge über. § 13 Für die Verteilung der einem Wahlvorschlage zugeteilten Abgeordnetensitze unter die einzelnen Bewerber ist die Reihenfolge der Benennungen auf den Wahlvorschlägen maßgebend. § 14 Den Wahlvorständen und den Wahlkommissaren können für die Prüfung der Abstimmung und die Ermittlung des Wahlergebnisses Beamte als Hilfsar­ beiter beigegeben werden. Die Hilfsarbeiter nehmen an der Beschlußfassung nicht teil. § 15 Wenn ein Abgeordneter die Wahl ablehnt oder nachträglich aus dem Reichs­ tag ausscheidet, tritt an seine Stelle ohne die Vornahme einer Ersatzwahl der Bewerber, der demselben Wahlvorschlag, oder wenn dieser erschöpft ist, einem mit ihm verbundenen Wahlvorschlag angehört und nach dem Grundsatz des § 13 hinter dem Abgeordneten an erster Stelle berufen erscheint. Ist ein solcher Bewerber nicht vorhanden, so bleibt der Abgeordnetensitz für den Rest der Legislaturperiode unbesetzt. § 16 Die noch erforderlichen Einzelvorschriften und Ausführungsbestimmun­ gen über die Beschaffenheit und Prüfung der Wahlvorschläge, die Prüfung der Stimmzettel, die Ermittlung des Wahlergebnisses und die Bestimmung von Ersatzmännern erläßt der Bundesrat in einer Wahlordnung.

Schleichhandel

457

Die Wahlordnung sowie jede Änderung derselben bedarf der Zustimmung des Reichstags. § 17 Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des § 16 erst mit Ablauf der gegenwär­ tigen Legislaturperiode in Kraft. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Großes Hauptquartier, den 24. August 191 8 . Wilhelm Dr. Graf von Hertling

210.

Bericht Bauers an Haeften, Auszug

Schleichhandel und Wucher. Cartarius, Nr. 52.

Berlin, 26. August 1918 Der Schleichhandel zerstört die ganze Moral und das gesamte Wirtschafts­ leben. . . . die Ration reicht nicht aus, folglich müssen die Leute zukaufen. Das ist durch den Schleichhandel möglich, aber die Preise sind geradezu unge­ heuerlich, beispielsweise 30 Mark für 1 Pfund Butter im Industriegebiet. Es kommt hinzu, daß auch für Bekleidung und Schuhwerk unerhörte Wucher­ preise gefordert werden . . . . Wir müssen . . . die Gefahren des Schleichhan­ dels beseitigen. Das geht nur dadurch, daß man das Gewissen des Volkes wie­ der schärft und dazu kann meines Erachtens die Presse ganz außerordendich mithelfen . Außerdem würde es natürlich nötig sein, gegen die Auswüchse des Schleichhandels - denn zu beseitigen ist er nicht mehr - Maßnahmen zu tref­ fen, das heißt schnell und mit rücksichtsloser Schärfe gegen alle Wucherpreise vorzugehen.

458 211.

1918 Leitartikel Heyderhoffs

Das vierte Kriegsjahr. Die Feldgraue Kriegszeitschrift mit Bild­ schmuck, 3. Jg. Nr. 8 (August-Heft 1918).

[o . 0.] August 1918 D as vierte Kriegsj ahr Das vierte 1 ahr des Weltkrieges ist zu Ende gegangen, ein 1 ahr tiefgreifender Entscheidungen und großer Erfolge für die deutschen Waffen. Es hat uns den Frieden im Osten gebracht: das war sein wichtigstes und, wie wir hoffen dür­ fen, bleibendes Ergebnis . Rußland schied aus dem Kriege aus, Rumänien folgte nach : die östliche Umklammerung hörte auf. Wir konnten aufatmen wie Friedrich d. Gr. 1762 , als er durch den Tod der Zarin Elisabeth, seiner per­ sönlichen Feindin, von dem russischen Druck befreit wurde. Ein plötzlicher Umschwung zu seinen Gunsten trat damals ein : der neue Zar Peter war sein Freund und Verehrer und schickte ihm, wenn auch nur für kurze Zeit, seine Truppen zu Hilfe. Die Wendung, die wir erlebt haben, ist andrer Art: kein ein­ facher Regierungs- und vorübergehender Systemwechsel, sondern völliger Zusammenbruch eines Riesenreiches , Sturz seiner Dynastie, Übergang vom Absolutismus zur Republik, zur Regierung der Arbeiter- und Soldatenräte . Das große, scheinbar einheitliche Rußland hat sich in seine Teile aufgelöst; die Ukraine, der Kaukasus, Sibirien sind zu eigenen Staatswesen mit republikani­ scher Verfassung geworden; auch Finnland hat mit unserer Hilfe seine Selb­ ständigkeit erlangt. Die Lebensfähigkeit dieser neuen Gebilde muß sich noch erweisen, ihre bloße Existenz aber genügt, um auf absehbare Zeit die Wieder­ aufnahme der früheren russischen Eroberungspolitik auszuschließen. Ruß­ land zählt nicht mehr mit unter den großen Mächten; seine alten Verbündeten, England voran, sehen in ihm nur noch ein Ausbeutungsobjekt für eigene Zwecke. Wir als die Sieger haben die Gunst der Stunde benutzt, um uraltes deutsches Gut, die deutschen Ostseeprovinzen, zurückzugewinnen. Kur­ land 1 ist in Personalunion mit der preußischen Krone getreten; Livland und Estland 2, die unsere Truppen von der alle Kultur zerstörenden Vernichtungs1 Der kurländische Landesrat beschließt am 8. 3. 1918 Verleihung der Herzogskrone an Wilhelm II. Dieser anerkennt am 29. 3. 18. das Herzogtum Kurland als freies und selbständiges Staatswesen . 2 Proklamation der Unabhängigkeit durch Livland am 27. 1. 1918. Der Vereinigte Landesrat von Livland, Estland, Riga und Oesel richtet am 12. 4. 1918 Adresse an Wilhelm II. (Personalunion mit dem Deutschen Reich) . Wilhelm I I. anerkennt am 22 . 9.

Viertes Kriegsjahr

459

wut bolschewikischer Banden befreien mußten, haben sich für den Anschluß an uns erklärt. Die Grundlage zu diesen Erfolgen hat der schlachtenreiche Sommer von 1915 gelegt, der Durchbruch von Tarnow-Gorlice 3 und was dar­ auf folgte. Die letzte Ursache für Rußlands inneren Zusammenbruch ist seine militärische Niederlage. Die deutschen Waffen haben uns die Bahn im Osten freigemacht; wir hoffen und vertrauen, daß sie auch im Westen die Friedens­ bereitschaft unserer noch immer Vernichtung schreienden Gegner erzwingen werden . Schon sind sie ja am Werk; mächtige Hiebe sind schon gefallen . Dasselbe Kriegsjahr, das die russische Front veröden und Millionen deutscher Kämpfer gen Westen strömen sah, verzeichnet auch mehrere glorreiche Offensiven ge­ gen die englische und französische Front. An starken Stützpunkten sind die feindlichen Linien durchstoßen und weit zurückgedrängt worden: Amiens, Ypern, Reims gerieten in Gefahr; schon konnte die Marne zum zweiten Male überschritten werden und für Paris drohten die bangen Septembertage von 1914 wiederzukehren. Wohl ist inzwischen ein vorübergehender Rückschlag eingetreten; wir stehen wieder hinter der Marne. Aber ist diese Stockung, die die Gegner mit Riesenopfern erkauft haben, eine ernstliche Schwächung unse­ rer Kraft? Selbst die französische Presse, die so gern von einem zweiten Mar­ nesieg gesprochen hätte, warnt vor diesem Irrtum: allzu deutlich haben die letzten Wochen gezeigt, daß Fochs Gegenoffensive über ihren kleinen An­ fangserfolg nicht hinauskommt. Lassen wir den Franzosen die Freude über ihre wiedereroberten Dörfer; was liegt daran ? Zum Endsieg führt uns nicht der Besitz dieser oder jener Ortschaften, sondern allein das Zerbrechen der feindlichen Kampfkraft. Die aber ist in den letzten Angriffen gewaltig ver­ braucht worden, während unsere Heeresleitung durch rechtzeitige Zurück­ nahme der Front unnötige Opfer vermieden und das heilige Gut unserer Volkskraft geschont hat. Wir sind ihr dankbar dafür; wir wissen, daß sie die Taktik Brussilowscher Massenangriffe nicht kennt. Mögen die Gegner in nutzlosem Anrennen ihre Verluste häufen, ihre Reserven verbrauchen! Um so eher wird es uns möglich sein, im rechten Augenblick mit sicherer Aussicht auf Erfolg eine große Schlachtentscheidung herbeizuführen. Das abgelaufene Kriegsjahr hat uns im Osten die Ernte aus der blutigen Saat von 1915 bis 1917 gebracht. Wir dürfen uns nicht der Hoffnung hingeben, 1918 1918 Livland, Estland, Riga und Oesel als frei und selbständig. Alfred v. Goßler-Schätz ab 1. 8. 1918 Verwaltungschef für das gesamte Baltikum (Kurland, Livland, Estland). Litauen und Kurland durch den Brester Frieden vom 3 . 3 . 1918 aus der russischen Staats­ hoheit gelöst, Livland und Estland durch den deutsch-russischen Ergänzungsvertrag vom 27. 8. 1918. 3 2 . - 5 . 5 . 1915.

1918

460

im Westen zugleich säen und ernten zu können. Wir sind noch nicht am Ziel. Die Schuld, daß der Menschheit der ersehnte Friede noch immer vorenthalten bleibt, trägt vor allem der Kriegsverlängerer in der neuen Welt, das kriegs­ wütige Amerika. Wir haben unser Dasein und unsere Weltgeltung nun auch gegen den Zusammenschluß der angelsächsischen Rasse zu verteidigen. Unser endgültiger Sieg wird dadurch aufgehalten, entrissen werden kann er uns nicht mehr. Diese Gewißheit stählt uns für die kommenden Kämpfe. Wir gehen ihnen mutig entgegen; wir wissen, daß es die letzten sein werden . Die äußerste aller Möglichkeiten ist gegen uns ausgespielt. Auch Amerika wird sich die blu­ tige Lehre holen, daß der Lebenswille unseres Volkes nicht zu brechen ist. Wenn diese Einsicht bei unseren Gegnern durchgedrungen ist, wird es Sinn haben, an Frieden zu denken; bis dahin haben wir nur das eine Ziel, unsere Pflicht zu tun für das Vaterland, ein jeder an seiner Stelle. Ldstm. Dr. Heyderhoff.

212.

Unsignierte Aufzeichnung einer Besprechung zwischen Burian und Hintze in Wien am 5. September 1918, 10 Uhr

Friedensdemarche. Scherer - Grunewald IV, Nr. 230 (Kurz­ fassung bei Volkmann, Annexionsfragen An!. 23).

Wien, 5. September 1918 Anwesend : Der k. u. k. Minister des Äußern Graf Burian, der k. u. k. Bot­ schafter von Merey, der Sektionschef von Matscheko, der Legationsrat von Masirevich, der Legationsrat Graf Colloredo, der Staatssekretär des Auswär­ tigen Amts von Hintze, der Botschafter Graf von Wedel, der Unterstaatssek­ retär von Stumm, der Botschaftsrat Prinz Hatzfeld, der Legationssekretär von Vietinghoff. G r af B u r i a n : erläutert nochmals kurz das Projekt Friedensdemarche. Vorgestern sei zwischen ihm u. Herrn von Hintze kurzes Resurne gemacht worden. Deutschland habe prinzipiell zugestimmt, Dringlichkeit anerkannt, jedoch der von ihm vorgeschlagenen Form nicht beigestimmt sondern einem Schritt durch Anlegung einer neutralen Macht vorzuschlagen. Hr. v. Hintze habe über die Bereitwilligkeit einer solchen Macht Mitteilungen gemacht. Von seinen Bedenken gegen die von deutscher Seite angeregte Form habe sich nur eines durch die Darlegung des Staatssekretärs von Hintze zerstreuen lassen, nämlich die Fiktion, daß die neutrale Macht die Vermittlung scheue aus Furcht

Friedensdemarche

461

vor Entente & Amerika. Seine anderen Bedenken blieben voll bestehen. Für eine Vermittlung sei keine rechte Basis vorhanden; eine solche könne nur Nut­ zen haben, wenn es sich darum handele, die Grundlage zu einem Frieden durch Austausch der gegenseitigen Bedingungen zu ermitteln. Das sei hier nicht der Fall . Sein Vorschlag sei ja gerade deshalb gemacht, um einen solchen Schritt zu vermeiden. Dieser sein Schritt würde Kommentare von einer dritten Seite vermeiden. Durch die Nennung von Friedenszielen, die bei einer Vermit­ telung nicht zu umgehen wären, würde der Schritt sofort zum Stillstand kom­ men. Denn die Friedensziele müßten entweder sehr gering sein, dann kämen sie einer Kapitulation gleich, oder zuversichtlich gehalten, dann hätten sie keine Aussicht auf Annahme. Viel ersprießlicher wäre daher direkte Hinwen­ dung an den Feind. Graf Burian geht darauf ein, wie sich eine Vermittlung praktisch abspielen würde. Ohne Vorbereitung würde die Entente Schritte eines Neutralen a priori ablehnen, also müßte Sondierung Entente-Amerikas vorausgehen . In Frage kommende Neutrale hätten nicht genügendes politisches Ansehen; ihre Intervention würde keine genügende Autorität haben, barsche Ablehnung voraussichtlich . Ganz anders lägen die Dinge, wenn einer der Kriegführenden das Wort ergreife, niemanden zwänge, sondern nur mit Argumentation an den Feind heranträte . Es würde dem Feinde hier etwas vorgeschlagen, was gerade infolge seiner Ungewöhnlichkeit alle Aussicht auf Beachtung habe. Die Vermittelung bringe Gefahr, daß wir verhindert würden, etwas zu erreichen. Er müsse infolgedessen bitten, von dem Gedanken einer Vermittelung abzu­ sehen. Die k. u. k. Regierung könne nicht mitmachen . Er hielte die Vermitte­ lung für wirkungslos, autoritativlos, Stoß in die Luft. Graf Burian betont nochmals, daß der von ihm vorgeschlagene Schritt außerordentlich dringlich sei. Jeder künftige Tag sei schlechter als der heutige. Die Bevölkerung in Österreich-Ungarn fordere, daß die Regierung selbst etwas unternehme . Bei einer Vermittelung würde dies nicht der Fall sein. Es mehrten sich die Anzeichen, daß Amerika sich den Beschlüssen der Londoner Konferenz 1 anschließen wolle. Sobald dies erfolgt sei, wäre es zu spät. Er müsse daher mit großer Entschiedenheit bitten, seinen Vorschlägen zuzustim­ men. Die Wirkung würde sein, daß in allen Ländern Stimmen ertönen wür­ den, die sagten, warum man so etwas nicht annähme. Er würde es fast als leichtfertig ansehen, den jetzigen Augenblick für den von ihm vorgeschlage­ nen Schritt unter der zugestandenen Beschränkung bezüglich der Wahl des Tages zu verpassen. Eine Vermitdung eines Neutralen könnte immer noch ein­ treten, nachdem der von ihm vorgeschlagene Schritt unternommen worden sei. 1 Londoner Abkommen vom 5 . 9. 1914 zum Verbot eines Sonderfriedens (Großbri­ tannien, Frankreich, Rußland; Beitritt ]apans am 19. 10. 1915, Italiens am 26. 4. 1915).

462

1918

S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e: Die Deutsche Regierung habe sich ent­ schlossen, neben den Waffen auch diplomatische Mittel zur Beendigung des Krieges anzuwenden. Die Vermittelung einer neutralen Macht solle nur zur Aussprache zwischen Teilnehmern der kriegführenden Mächte verhelfen etwa­ ige Darlegung der Kriegsziele zu der Aussprache vorzubehalten. Die Deut­ sche Regierung erstrebe demnach dasselbe Resultat wie die österreichisch­ ungarische; nur in der Methode bestehe Abweichung. Die k. u. k. Regierung wolle ihr Ziel erreichen durch ein Novum, die Deutsche dagegen meine, daß der gewöhnliche Weg dem Feinde mehr zusagen werde und die Ablehnung bezw. das For[ ?] erschweren werde. Die Autorität der in Frage kommenden Neutralen sei allerdings gering; darin liege aber ein Vorteil, denn damit falle der Verdacht einer Drohung fort die bei einer Mediation durch eine Groß­ macht gemeint werden könnte . Umso wirkungsvoller müsse die Betonung menschlicher Momente wirken . Die vom Grafen Burian gemachte Beanstan­ dung, daß eine Vermittelung ohne Angabe von Kriegszielen zu Boden fallen müsse, träfe auch auf den österreichischerseits geplanten Schritt zu. Letzterer solle kein Friedensangebot darstellen, ebenso auch die neutrale Macht solle nur zu gemeinsamer Aussprache auffordern. Gegenüber der Befürchtung, daß die neutrale Macht sich erst vergewissern müßte, wie ihr Schritt aufgenommen würde, habe er zu sagen, daß er aus Gesprächen mit neutralen Staatsmännern wisse, daß sie solche Bedenken nicht hätten . Den kleinen Mächten stehe etwas zur Seite, was den großen fehle: moralisches Gewicht und nichts weiter. Dies würde vom Feind anerkannt werden müssen. Allerdings würde die Vermitte­ lung einige Zeit in Anspruch nehmen, aber auf Tage könne es nicht ankom­ men. Was den Schritt, der österreichischerseits vorgeschlagen werde, im ein­ zelnen betreffe, so sei zu erwarten, daß Feind mit Schwäche antworten werde. Die Wirkung auf die feindlichen Regierungen würde selbst österreichischer­ seits bezweifelt. Bei den Völkern scheine sie ihm aber auch nicht sicher. In die­ sem Moment sei jeder, der in England oder Amerika vom Frieden spreche, ein Verbrecher. Das Echo im Feindesland würde sein : Feind eingesteht, daß er ge­ schlagen ist. Der Schritt würde daher im besten Falle mit Schweigen empfan­ gen werden, aber auch dann von der Presse mit Hohn überschüttet werden. Welchen Eindruck nun würde ein solcher Schritt dem deutschen Volke machen ? Die Presse sei schwer zu beeinflussen, aber selbst wenn es gelänge, stelle sie nicht die öffentliche Meinung dar. Im Volke würde es heißen: Öster­ reich hat uns verraten, hat uns im Stich gelassen. Im Österreichischen Volke würde der Schritt das Friedensbedürfnis die Sehnsucht n[ach] Frieden noch mehr stärken . Die Rückwirkung auf die Armee sei unermeßlich . Er müsse den Schritt daher als verhängnisvoll empfehlen. G r af B u r i a n: Sehr viele der berechtigten Argumente des Staatssekretärs von Hintze träfen nicht nur den Österreichischen sondern auch den deutschen

Friedensdemarche

463

Vorschlag. Er teile die Bewunderung für die Leistungen der Heere, aber warne davor, in Phraseologie zu verfallen . Der Moment wäre nahe, wo die Leistun­ gen am Ende wären. Der Schritt müsse erfolgen, ehe dies eingetreten sei, denn darnach sei er gänzlich aussichtslos . Österreich-Ungarn könne den Krieg nicht mehr weiterführen . "Bei uns ist absolut Schluß . " G r af B u r i a n führt dies weiter aus (Ernährung, Bekleidung, Kohlen) . Das begründe äußerste Eile! Die Ungewöhnlichkeit des Schrittes wird zugegeben, aber der Feind würde ihn nicht darnach werten, sondern darnach, wie er sich ihm darstelle, vom Gesichtspunkt seiner Interessen. Eine Antwort durch Schweigen wäre auch bei einer Vermittelung möglich. Was die Fiktion be­ treffe, daß der Neutrale aus eigenem Antrieb handele, so glaube er, daß sie sich keine 24 Stunden aufrecht erhalten lassen würde. Die Darlegungen des Herrn von Hintze über die Kriegspsychose beim Feinde könne ihn nicht dazu bekehren, auf einen namhaften Aufschub einzugehen. Der Einwand, daß ein di­ rekter Schritt ein cri de detresse darstellen würde, träfe auch auf die Vermittelung zu. Betreffs der Wirkung des Schrittes in Deutschland und Österreich-Ungarn hege er nicht die Befürchung, daß diese verhängnisvoll sein würde. Er lehne je­ den Gedanken an die Möglichkeit eines Separatfriedens oder ähnliches ab; der würde nur von einigen Verrückten gehegt. Im übrigen würde die Zustimmung der Verbündeten derartige Gedanken entkräften. Er erkläre sich bereit, selbst auf die Gefahr hin, die Wirkung seines Schrittes zu vermindern, auf irgendeinen Vorschlag einzugehen, der zur Betonung der Solidarität diene. Bezüglich der Wirkung auf das Publikum betonte Graf Burian nochmals, daß das Volk einen solchen Schritt fordere. "Österreichisch-ungarisches Publikum erwartet einen eigenen Schritt; wir sind dazu gezwungen und unsere Lage erfordert ihn. Es (das Volk) würde es sehr übel aufnehmen, wenn verlautete, daß Deutschland einen solchen Schritt verzögert hat. Es ist oft die Impression entstanden, daß Deutsch­ land politisch zu sehr gezögert hat, daß es zugewartet hat. Es darf nicht sein, daß in Österreich-Ungarn die Überzeugung vorherrscht, daß Deutschland ihm die Hand festhält. " Der Kaiser hielte es durchaus für seine Pflicht, einen solchen Schritt zu tun. Er, Graf Burian, garantiere dafür, daß der Eindruck, Österreich­ Ungarn lasse seinen Verbündeten im Stich, keine 24 Stunden bestehen würde. Dies zu erreichen, liege in Österreich-Ungarns Macht. Graf Burian äußerte sich dann noch über die militärischen Machtmittel des Feindes, stellt demgegenüber die Lage in Deutschland. (Ernährung, mangeln­ der Ersatz, Bekleidung. ) Er resumierte seine Argumentation: "Wir haben keine Zeit. " S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e: E s sei von einem der Verbündeten Deutschland schon wiederholt erklärt worden, daß jetzt Schluß sei und trotz­ dem seien darnach von ihm große und bedeutende Siege erfochten worden. Er möchte annehmen, daß dies auch jetzt wieder der Fall sei.

464

1918

G r af B u r i a n : fällt dem Staatssekretär von Hintze ins Wort und sagt: Österreich hätte nie eine derartige Erklärung abgegeben. Un t e r s t a a t s s e k r e t ä r v o n S t u m m und B o t s c h a f t e r G r a f v o n We d e l stellen unter Anführung von Daten fest, daß dies doch der Fall gewe­ sen sei, worauf G r af B u ri a n erklärt, daß er sich füge. Graf Burian fährt fort, nochmals die Dringlichkeit des von ihm vorgeschla­ genen Schrittes darzulegen, gibt aber auf Einwendungen des Grafen Wedel zu, daß es natürlich nicht auf 2 bis 3 Wochen ankäme. Im übrigen verhandele man nicht über den Tag sondern über den Schritt im allgemeinen . S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e gegenüberstellt Österreichische und deut­ sche Vorschläge und stellt fest, daß die deutscherseits vorgeschlagene Vermitt­ lung etwa 2 bis 3 Wochen später einsetzen würde als der österreichischerseits vorgeschlagene Schritt. Er schlägt als Amendement vor daß man beides in Aussicht nimmt und zwar zuerst die Vermittelung eines Neutralen. Erfolge der Österreichische Schritt zuerst, so sei die Vermittelung unmöglich; um­ gekehrt aber stände, falls die Vermittelung versage, der österreichischerseits vorgeschlagene Schritt offen . G r af B u r i a n erklärt, daß der von ihm vorgeschlagene Schritt nach Fehl­ schlagen der Vermittelung eines Neutralen unmöglich sein würde; er würde nur lächerlich wirken. B o t s c h a ft e r v o n M e r e y meint, das Amendement, das Staatssekretär von Hintze vorschlage, würde denkbar sein, wenn man mehrere Monate Zeit hätte. Aber so, wie die Dinge liegen, müsse sofort gehandelt werden . Der Österreichische Schritt würde also gleich auf den Schritt seitens eines Neutra­ len Staates folgen müssen und dann allerdings würde er den Charakter eines cri de detresse bekommen. S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e und G r a f B u r i a n gehen noch in einige Einzelheiten ein. Das Ergebnis der Besprechungen wird in einer Erklärung festgelegt.

213.

Unsignierte Aufzeichnung einer weiteren Besprechung zwischen Burian und Hintze am 5. September 1918, 16 Uhr 30

Polen. Scherer - Grunewald IV, N r. 231 .

Wien, 5 . September 1918 Anwesend : Der k. u . k. Minister des Äußern Graf Burian, der k. u. k. Bot­ schafter von Merey, der Sektionschef von Matscheko, der Legationsrat von

Polen

465

Masirevich, der Legationsrat Graf Colloredo, der Staatssekretär des Auswär­ tigen Amts von Hintze, der Botschafter Graf von Wedel, der Unterstaats­ sekretär von Stumm, der Botschaftsrat Prinz Hatzfeld, der Legationssekretär von Vietinghoff. G r af B u ri a n schlägt vor, die praktische Lösung der polnischen Frage zu besprechen. Deutscherseits sei vorgeschlagen, die Polen selber an der Lösung der Frage teilnehmen zu lassen. Die Besprechungen in Berlin 1, Spa 2 und Wien 3 hätten jedoch nur Verwirrung ergeben . Graf Burian gibt einen historischen Blick über den Gang der Verhandlun­ gen. Von deutscher Seite sei gesagt worden, daß Deutschland den Polen voll­ kommen freie Wahl lassen wolle, zugleich jedoch sei eine besondere Vorliebe für eine Seite der Lösung dokumentiert worden. Die k. u. k. Regierung könne diese Auffassung nicht annehmen. Schon in Spa habe Graf Burian Stellung ge­ nommen gegen die von deutscher Seite vorgeschlagene Lösung (Wahl eines Kandidaten) . Heute spreche er die Bitte aus, daß die Besprechungen fortge­ setzt würden. Die Polen nähmen jetzt unsere Proklamation vom 6. November 1916 ernst. Eine Lösung sei daher unmöglich, ohne die Polen anzuhören. Bei der von deutscher Seite vorher vorgeschlagenen Lösung sei sehr wenig die Rede von Interesse der Doppelmonarchie. So sei z. B. die zukünftige Beruhi­ gung der Ostgrenze nicht gesichert. Die Durchführung der deutschen Wün­ sche würde ein direktes Friedenshindernis sein. Er müsse dagegen protestie­ ren, daß Deutschland seine Versprechung an Polen danach differenziert, wie die Wahl ausfällt. Die Personalunion würde zur Folge haben, daß die Polen in das Bündnis aufgenommen würden. Es sei von Deutschland aus Polen an­ gedeutet worden, daß die Angliederung Polens an Österreich-Ungarn das Bündnis lockern würde . S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e widerspricht dem, daß die Andeutung der Polen gemacht sei tatsächlich aber wurde das Bündnis durch die austro-polni­ sche Lösung gelockert. G r af B u ri a n fährt fort: Eine einzige Möglichkeit, Polen in ein gutes Ver­ hältnis zu Deutschland zu bringen, sei die Angliederung an Österreich-Un­ garn . Die Polen wollten nicht ein engeres Band mit Deutschland, Polen wolle durchaus die austro-polnische Lösung. Polen würde ein Pfeiler der Monarchie werden und die Polen würden zu dem ausgezeichneten Verhältnis zu den Deutschen in Österreich zurückkehren. Was die Gefahr der Slavisierung be­ träfe, so sei schon jetzt eine slavische Majorität in der Monarchie. Man müsse nicht sprechen von Slaven, sondern von Polen, Tschechen, Südslaven. Käme es 1 1 1 ./12. 6. 191 8 .

2 14 .-15. 8 . 1918.

3

3 .-4. 9. 191 8 .

466

1918

nicht zur austro-polnischen Lösung, so würden 2 Irredentas in der Monarchie entstehen, eine in Polen und eine in Galizien. Dagegen würde die Angliede­ rung Polens die Monarchie stärken, was auch im Interesse Deutschlands . Graf Burian glaubt, daß alle wirtschaftlichen Interessen Deutschlands durch die austro-polnische Lösung gesichert werden würden; die militäri­ schen Interessen dadurch, daß Polen in ein neues militärisches Bündnis aufge­ nommen würde. Es sei ein Axiom der Entente, daß nicht ein Zoll breit polni­ schen Gebietes annektiert werden dürfe, dagegen gehe aus vielen Äußerungen der Entente hervor, daß die austro-polnische Lösung nicht ganz abgelehnt werden würde. Graf Burian schließt seine Ausführungen mit dem Vorschlage, die Verhand­ lungen über die polnische Frage unverweilt fortzusetzen durch Kommissions­ beratung. In diesen sollte festgestellt werden, was von Polen zu fordern sei und mit diesen Vereinbarungen solle dann mit den Polen in Pourparlers ein­ getreten werden. S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e: Auch Deutschland halte fest an der Prokla­ mation vom 6. November 1916 . Durch die austro-polnische Lösung entstehe ein Reich von 20 000 000 Einwohnern an der Ostgrenze Deutschlands . Die mi­ litärischen Autoritäten hielten bei der Entstehung eines solchen Großpolens die Bildung eines Aufmarschterrains für nötig; das erfordere Grenzberich­ tigungen. Der Widerwille gegen eine weitere Zweigung polnischen Gebietes und Volkes sei sehr groß . Daher würde die Kaiserliche Regierung Österreich dankbar sein, wenn es sie nicht dazu zwänge . Deutschland befürchte, daß bei der austro-polnischen Lösung Polen mit den übrigen Slaven in der Monarchie gemeinsame Sache machen würde. Dadurch würde das Bündnis gefährdet. Polen würde sich auf dem Nährboden Österreichs großziehen, dann von Österreich abfallen und Österreich sowie Deutschland würden einen starken Feind im Osten haben. Die Versprechungen der Entente seien billig. Daß die Polen sich trotzdem an die Zentralmächte hielten, sei ein Beweis dafür, daß sie nach harter Schule einer realen Politik zugewandt hätten. Die Polen hätten der Deutschen Regierung gegenüber bezüglich der austro-polnischen Lösung das Gegenteil von dem gesagt, was Graf Burian anführte. Der Staatssekretär begrüßt den praktischen Vorschlag des Grafen Burian, er selbst habe denselben Vorschlag machen wollen und erklärt, daß die Kaiser­ liche Regierung mit Beratungen durch Kommissare einverstanden sei . G r a f B u r i a n geht zu dem bevorstehenden Besuch des Großwesirs Talaat Pascha über. Er erwartet von diesem unbequeme Forderungen . Der Zusatz­ vertrag zwischen Deutschland und Rußland 4 habe die Kaukasusfrage sehr kompliziert. Die Tatsache, daß nur Georgien anerkannt sei, ließe den Schluß 4 27. 8. 1918.

Türkei, Georgien

467

zu, daß die Fortsetzung der russischen Oberhoheit über die übrigen Gebiete anerkannt werde. Er würde sich Talaat Pascha gegenüber so reserviert wie möglich verhalten und ihm anraten, sich mit Rußland zu verständigen, mit anderen Worten, er würde die Türkei auf Verhandlungen mit Rußland verwei­ sen . Er befürchte, daß Talaat auch die Friedensfrage anschneiden werde. Die Türkei erstrebe den Status quo ante. Österreich und die Türkei könnten sich mit dem Status quo ante leichter abfinden als Deutschland und Bulgarien, die die schwierige Frage zu entscheiden hätten über die Zukunft der Gebiete, die sie tatsächlich besetzt hielten. Er beabsichtige, Talaat zu sagen, daß Österreich solidarisch mit der Türkei vorgehen, daß es eintreten werde für die Integrität aller Verbündeten . Bezüglich der Maritzafrage erklärt der Graf Burian, Pallavicini habe dem bulgarischen Gesandten den Status quo ante angeboten . Bulgarien sei aber zu keiner Konzession bereit. Die bulgarischen Annexionen seien dem Kongreß vorzubehalten. Ungeschriebenes Balkangesetz. Bulgarien führe verdächtige Konversationen mit dem Feinde. Deshalb müsse Dobrudscha baldmöglichst an Bulgarien gegeben werden. Armenien will Graf Burian nicht der Türkei überlassen, sondern aus Rück­ sicht auf die Feinde beschützen . S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e rektifiziert die Bemerkung des Grafen Burian bezüglich der Anerkennung Georgiens. Diese sei im Zusatzvertrag nicht ausgesprochen 5 • Bezüglich der anderen Gebiete sei absichtlich nichts gesagt. Die Türkei habe trotz vielfacher Mahnungen und trotz ihrer eigenen Versicherung sich gegen diese Länder gewandt. Der Staatssekretär bespricht die Frage Baku 6, welches intakt zu halten das gemeinsame Interesse Deutschlands und Öster­ reichs sei. Es müßten dort Kämpfe vermieden werden. Über die Reiseziele Talaats sei auch in Berlin nichts näheres bekannt. G r a f B u ri a n bespricht nochmals den türkisch-bulgarischen Gegensatz. Es wäre wünschenswert, den Eintritt des Kondominiums in der Dobrudscha zu vermeiden. S t a a t s s e k r e t ä r v o n H i n t z e : Die Deutsche Regierung sei in demselben Sinne bemüht. Er fragt an, ob die k. u. k. Regierung bereit sein würde, Talaat Vorhaltungen zu machen betreffs des türkischen Vorgehens gegen Baku . G r af B u r i a n sagt dies zu und läßt sich dann des längeren über die Verhält­ nisse in Rußland aus .

5 In Art. 13 hieß es, Rußland erkläre sich damit einverstanden, daß Deutschland Georgien als selbständiges Staatswesen anerkenne. 6 Siehe Baumgart, Größenwahn, passim.

1918

468 214.

Riezler, Tagebücher, Auszug

Umschwung an der Westfront. Riezler, Tagebücher, S. 475 .

Oberstdorf, 13 . September 1918 Ende August in Berlin . Nahezu alles verändert. Ungeheure Wirkung des Umschwungs an der Front '' . Die bisher größten Schreier zittern am meisten. Doppelte Angst der Bourgeoisie Revolution und Niederlage. Von der ersten redet alles, mit Ausnahme der Sozialdemokraten, von der zweiten wagt nie­ mand zu sprechen - und auch die nüchternsten wissen nicht, was die bedeu­ tet. Alles furchtbar traurig. Der aus Rußland kommende sieht schlimme Parallelen, solcher Nebel lag über dem vorrevolutionären Rußland, solche Nullen und Schieber spielten auch dort die ersten Geigen die gleiche Ermüdung und Fatalismus bei den Wissenden und unten beginnende Gesetzlosigkeit und Anarchie - und über alles Blindheit geschüttet damit das ganze ins Verderben taumele. [ . . . ]

215.

Aufzeichnung Hatzfelds und Seeligers

Deutsch-österreichisch-ungarische Besprechungen über Polen. Scherer - Grunewald IV, Nr. 286.

Berlin, 30. September 1918 Die Besprechungen mit den österreichisch-ungarischen Kommissaren über die politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Errichtung des polnischen Staates, sind in sehr freundschaftlicher Weise geführt worden 1• Für die Haltung der deutschen Vertreter waren zwei Gesichtspunkte maß­ gebend : 1. zu versuchen, ein möglichst genaues Bild über die österreichisch-ungari­ schen Pläne im Falle der austro-polnischen Lösung zu gewinnen; 2. der österreichisch-ungarischen Agitation möglichst wenig Material für ihre Tätigkeit gegen die von Deutschland gewünschte Bildung eines selbstän­ digen polnischen Staates zu liefern. "· Der franz. Angriff auf den Marnebogen am 18. 7. 1918 und der eng!. Angriff bei Amiens am 8. 8. beendeten die deutschen Offensiven von 1918 endgültig. Am 20. 8. grif­ fen die Alliierten erneut an, und von jetzt an wurde die deutsche Front gezwungen, langsam zurückzuweichen . 1 Vgl. Scherer - Grunewald IV, Nr. 279, 285.

Polen

469

Es stellte sich gleich bei Beginn der Verhandlungen heraus, daß österrei­ chisch-ungarischerseits unbedingt an der austro-polnischen Lösung festgehal­ ten wird. Zur Begründung wurden die bekannten Ausführungen des Grafen Burian fast wörtlich wiederholt. Nur kam die Besorgnis, daß Galizien im Falle der Kandidatenlösung für die Krone Habsburg verloren sei, stärker zum Ausdruck. Deutscherseits wurden politische Bedenken gegen den österrei­ chisch-ungarischen Plan geltend gemacht und auf die militärischen und wirt­ schaftlichen Notwendigkeiten Deutschlands hingewiesen. Die österreichisch-ungarischen Kommissare sprachen den Wunsch aus, durch Feststellung der politischen und wirtschaftlichen Bedingungen einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen die Polen sich frei für eine Lösung sich selbst entscheiden sollten. Für die Abfassung des ersten Teils der Niederschrift über die kommissari­ schen Verhandlungen waren hauptsächlich österreichisch-ungarische, des zweiten deutschen Vorschlags maßgebend . Es zeigte sich bei den Verhandlun­ gen sehr bald, daß der Wunsch, einen allgemeinen Rahmen zu schaffen, nicht ausführbar war, da die einzelnen Voraussetzungen für die Schaffung des polni­ schen Staates sich grundsätzlich verschieben, je nachdem die austro-polnische oder die Kandidatenlösung (Pufferstaatlösung) vereinbart wird . In der Nie­ derschrift mußten daher im einzelnen, trotz des österreichisch-ungarischen Antrages für die eine oder andere Lösung, verschiedene Grundsätze auf­ gestellt werden. Aus den Verhandlungen ist hervorzuheben, daß die österrei­ chisch-ungarischen Vertreter auch bei der Pufferstaatlösung unbedingt an einer Gleichstellung Polens mit Deutschland in j e d e r B e z i e h u n g festhalten. Auf die für Polen und Deutschland gleich wichtige Frage, wie sich Öster­ reich-Ungarn die Stellung Polens innerhalb der Habsburger Gesamtmonar­ chie denke, vermochte Baron Ugron keine Auskunft zu geben. Nach seinen Angaben ist man zu definitiven Beschlüssen dieserhalb noch nicht gekommen; nur soviel soll feststehen, daß die pragmatische Sanktion auf Polen ausgedehnt werden soll. Zu den einzelnen Punkten bemerken wir noch folgendes : zu I . 3 . Deutscherseits wurde hervorgehoben, die Wahl des Königs könne nur wirklich frei erfolgt angesehen werden, falls keiner der Thronkandidaten imstande wäre, durch Anbieten besonderer Vorteile die Wahl zu seinen Gun­ sten zu beeinflussen. Das lnaussichtstellen der Vereinigung mit Galizien ent­ spreche aber nicht dieser Bedingung. Österreich-ungarischerseits wurde dar­ auf erwidert, eine solche Vereinigung setze soviel Verhandlungen, auch parla­ mentarischer Art voraus, daß sie sich jahrelang hinziehen könne. Zu I . 9 . Die deutsche Zustimmung zu Absatz 2 ist aus dem Grunde erfolgt, um keinen Vorwand für die österreichisch-ungarische Agitation zu bieten . Zu Absatz 3 hob Baron Ugron hervor, bei den Grenzrektifikationen könne

470

1918

es sich nur um ganz unbedeutende Gebiete handeln; auf keinen Fall um die Narew- oder Warthe-Linie, von der früher gesprochen sei. Deutscherseits wurde in der Diskussion nur auf die Narew-Linie eingegangen. In einem uns von Graf Czernin zugestellten Vorschlage für Grenzberichtigungen sei eben­ falls die Narew-Linie vorgesehen. Baron Ugron erklärte, dies sei ihm un­ bekannt. Als ihm darauf die Karte gezeigt wurde, sagte er, es könne bloß ein gänzlich unverbindlicher Vorschlag von militärischer Seite sein, zu dem poli­ tisch nicht Stellung genommen sei. Zu I . 10. Wir ließen durchblicken, daß die Kaiserliche Regierung gegen die­ sen Punkt voraussichtlich Einwendungen erheben würde. Zu II. 1 . Österreich-Ungarn hält für den Fall der austro-polnischen Lösung die Überwälzung lediglich österreichisch-ungarischer Schulden auf Polen für angemessen. Es ist aber bereit, sich in irgendeiner Weise mit Deutschland ab­ zufinden. Diese Abfindung soll nicht notwendigerweise etwa in der Über­ nahme eines entsprechenden Teiles der deutschen Kriegslasten bestehen, son­ dern kann nach österreichischer Auffassung auf dem Gebiete der Zölle oder der Finanzregelung oder sonstwie erfolgen. Dieses ist in der Niederschrift nicht ausdrücklich hervorgehoben worden, sollte aber mit den Worten "vor­ behaltlich der sodann zu treffenden Abmachungen" gesagt werden . Zu II. 2 . Bezüglich dieses Punktes bestand eine grundsätzliche Meinungs­ verschiedenheit. Während deutscherseits die Ansicht vertreten wurde, daß die Okkupationsmächte durch den Brest-Litowsker Friedensvertrag Rechtsnach­ folger des russischen Staats geworden seien, waren die österreichisch-ungari­ schen Vertreter der Meinung, daß der polnische Staat der Rechtsnachfolger sei. Die protokollierte Fassung sucht die Meinungsverschiedenheit zu über­ brücken. Zu II. 3 . Es wurde deutscherseits hervorgehoben, daß Deutschland aus militärischen und wirtschaftlichen Gründen dauernden Einfluß auf das polni­ sche Eisenbahnwesen behalten müsse. Die Form der Privatbahn sei für die polnische Empfindlichkeit die geeignetste, biete Polen auch in finanzieller Beziehung größere Vorteile als die von Österreich-Ungarn vorgeschlagene Form der Staatsbahnen . Aus der eingehenden Aussprache, welche über die­ sen Punkt stattfand, hatten wir den Eindruck, daß Österreich-Ungarn selbst bei der Frage der austro-polnischen Lösung sich wohl oder übel damit einverstanden erklären würde, daß in der zu schaffenden Eisenbahngesell­ schaft der deutsche Einfluß vorherrsche . Es ist dies zwar im Protokoll nicht zum Ausdruck gekommen; aus den mündlichen Darlegungen ließe es sich aber entnehmen. Zu II. 4 C, Absatz 3 . Österreichisch-ungarischerseits wurde vorgeschlagen, Polen in Danzig dieselben Vorrechte zu gewähren, die Rußland in dem Zu­ satzvertrag zu dem Brest-Litowsker Friedensvertrag bezüglich einiger balti-

Lagebericht

471

scher Häfen gewährt worden sind. Deutscherseits wurde dies abgelehnt und darauf verwiesen, daß der bestehende Zustand den berechtigten Ansprüchen Polens vollauf genüge. Hatzfeld - Seeliger

216.

Vortrag Major v. d . Bussches

Lagebericht. Ludendorff, S. 535-538.

Berlin, 2 . Oktober 1918 Am 2. Oktober, 9 Uhr vormittags, sprach ich vor den Parteiführern des Reichstages (Graf Westarp, v. Gamp , Stresemann, Groeber, Seyda, Fischbeck, Ebert, Haase) unter Vorsitz des Vizekanzlers v. Payer: "Die militärische Lage vor den letzten großen Ereignissen ist durch General v. Wrisberg bekanntgegeben. In wenigen Tagen hat sie sich grundlegend geän­ dert. Der Zusammenbruch der bulgarischen Front warf unsere Dispositionen über den Haufen. Die Verbindung nach Konstantinopel war bedroht, ebenso wie der für unsere Versorgung unentbehrliche Schiffahrtsweg auf der Donau . Wir waren gezwungen, wollten wir der Entente nicht völlig freie Hand auf dem Balkan lassen, das Schwarze Meer und Rumänien preiszugeben, deutsche und für die Westfront bestimmte österreichisch-ungarische Divisionen einzu­ setzen . Schnellster Entschluß war nötig. Die Anfänge unserer Truppen sind ausgeladen. Es besteht begründete Hoffnung, die Lage auf dem Balkan, soweit es für unsere Interessen nötig ist, wiederherzustellen, leider, wie ich ausführen werde, nicht ohne schwerwiegenden Schaden für die Gesamtlage. Fast gleichzeitig mit der Offensive in Mazedonien setzten gewaltige An­ griffe im Westen ein . Sie fanden uns nicht unvorbereitet. Alle Maßnahmen, sie abzuwehren, waren getroffen. Ostdivisionen zum Freimachen von erprobten Westdivisionen waren im Anrollen. Leider mußte ein Teil von ihnen nach dem Balkan abgedreht werden. Der letzte wehrfähige Mann aus dem Osten war herangezogen. Wir sahen mit Ruhe dem Entscheidungskampf entgegen. An welchen Stellen der Front die Angriffe einsetzen würden, verstand die Entente geschickt zu verschleiern . Vom Meere bis zur Schweiz zeigten sich Angriffs­ vorbereitungen . Am stärksten gegen Lothringen und den Sundgau . Wir waren gezwungen, unsere Reserven zu verteilen und die ganze Front mehr oder weniger abwehrbereit zu halten. Namhafte Kräfte mußten besonders in Lothringen und dem Sundgau zum Schutz deutschen Bodens bereitgestellt werden.

472

1918

Nach Durchführung der erforderlichen Bewegungen bestand die sichere Zuversicht, die bevorstehenden Schlachten siegreich zu bestehen und den Ver­ nichtungswillen unserer Gegner durch ihre zu erwartenden großen Verluste zu brechen . In der Folge gelang es überall, den Feind da, wo er durch Tanks, Überra­ schung oder Übermacht in unsere Linie eingedrungen war, aufzuhalten, sei­ nen Stoß durch rechtzeitig herangeführte Reserven aufzufangen . Die Kämpfe der letzten sechs Tage sind trotz Einbuße an Gefangenen und Gerät siegreich bestanden. Der Gegner hat im Vergleich mit unseren Erfolgen in den Früh­ jahrsoffensiven geringe Fortschritte erzielt. An den meisten Stellen sind seine mit ungewöhnlicher Zähigkeit fortgesetzten Stürme abgewiesen. Nach Mel­ dung unserer Truppen hat er schwerste Verluste erlitten. Unsere Truppen haben sich in überwiegender Zahl vortrefflich geschlagen und Übermenschliches geleistet. Der alte Heldensinn ist nicht verlorengegan­ gen . Die feindliche Übermacht hat die Truppe nicht erschreckt. Offizier und Mann wetteifern miteinander. Trotzdem mußte die Oberste Heeresleitung den ungeheuer schweren Ent­ schluß fassen, zu erklären, d a ß n a c h m e n s c h l i c h e m E r m e s s e n k e i n e Au s s i c h t m e h r b e s t e h t , d e m Fe i n d e d e n F r i e d e n a u f z u z w i n g e n •. Entscheidend für den Ausgang sind vor allem zwei Tatsachen: D i e Ta n k s . Der Gegner setzte sie in unerwartet großen Mengen ein. Wo sie, noch dazu nach sehr ausgiebiger Vernebelung unserer Stellungen, überraschend auftra­ ten, waren ihnen häufig die Nerven unserer Leute nicht mehr gewachsen. Dort brachen sie durch unsere vordersten Linien durch, bahnten ihrer Infan­ terie den Weg, erschienen im Rücken, erzeugten örtliche Paniken und brach­ ten die Gefechtsführung durcheinander. Waren sie erst erkannt, wurden unsere Tankabwehrwaffen und unsere Artillerie schnell mit ihnen fertig. Dann aber war das Unglück schon geschehen, und lediglich aus den Erfolgen der Tanks sind die hohen Gefangenenzahlen, die unsere Stärken so empfindlich herabsetzten und einen schnelleren Verbrauch der Reserven, als bisher gewohnt, herbeiführten, zu erklären . Dem Feind gleiche Massen deutscher Tanks entgegenzustellen, waren wir nicht in der Lage. Sie herzustellen, ging über die Kräfte unserer aufs äußerste angespannten Industrie, oder andere wichtige Dinge hätten liegen bleiben müssen . Restlos entscheidend ist die Ersatzlage h geworden. Das Heer ist in die große Schlacht mit schwachen Beständen gegangen. Trotz aller Maßnahmen ' Im Weißbuch hervorgehoben . Der Verfasser [Ludendorff] . b Major Frhr. v. dem Bussehe hat den sinkenden Geist der Heimat nicht erwähnt. Ich stelle dies ausdrücklich fest. Der Verfasser [Ludendorff] .

Lagebericht

473

sanken die Stärken unserer Bataillone von rund 800 im April auf rund 540 Ende September. Auch diese Zahl ließ sich nur durch Auflösen von 22 Infante­ rie-Divisionen (= 66 Infanterie-Regimentern) halten. Die bulgarische Niederlage fraß weitere 7 Divisionen. Es besteht keine Aussicht, die Stärken auf größere Höhen zu bringen . Der laufende Ersatz, Wiedergenesene, Ausgekämmte, wird nicht einmal die Verluste eines ruhigen Winterfeldzuges decken. Nur die Einstellung des Jahrgangs 1900 wird die Ba­ taillonsstärken einmalig um etwa 100 Köpfe erhöhen. Dann ist unsere letzte Menschenreserve verbraucht. Die Verluste der im Gange befindlichen Schlacht sind, wie gesagt, über Er­ warten groß, besonders an Offizieren . Das ist ausschlaggebend. Die Truppe verlangt mehr denn je, soll sie halten oder angreifen, das Beispiel ihrer Offi­ ziere. Die Offiziere mußten und haben sich rücksichtslos eingesetzt und geop­ fert. Die Regiments-Kommandeure und höheren Führer kämpften mit in den vordersten Linien. Nur ein Beispiel : Eine Division verlor in zwei Kampf­ tagen ihre sämtlichen Offiziere, tot oder verwundet, drei Regiments-Kom­ mandeure tot. Der geringe noch vorhandene Stamm an aktiven Offizieren ist zusammengeschmolzen . Der Aufbau der aus dem Großkampf kommen­ den Divisionen ist kaum noch durchführbar. Das gleiche wie vom Offizier­ gilt vom Unteroffizierkorps. D e r F e i n d i s t d u r c h d i e a m e r i k a n i s c h e H i l f e i n d e r L a g e , s e i n e Ve r l u s t e z u e r s e t z e n c . D i e a m e r i k a n i ­ s c h e n T r u p p e n a l s s o l c h e s i n d n i c h t v o n b e s o n d e r e m We r t o d e r g a r d e n u n s ri g e n ü b e r l e g e n d . Wo sie durch Waffeneinsatz anfängliche Erfolge erzielten, wurden sie trotz ihrer Übermacht abgewehrt. Entschei­ dend wurde aber, daß sie weite Frontstrecken übernehmen konnten und da­ durch dem Engländer und Franzosen die Möglichkeit gaben, eigene kampf­ gewohnte Divisionen freizumachen und sich fast unerschöpfliche Reserven zu schaffen . Bis jetzt reichten unsere Reserven aus, um die Lücken zu füllen. Die Eisen­ bahn brachte sie rechtzeitig heran. Unerhört schwere Anstürme wurden ab­ gewiesen . Die Kämpfe werden als von bisher nicht dagewesener Schwere ge­ schildert. Nun gehen unsere Reserven zu Ende. Greift der Gegner weiter an, so kann es die Lage fordern, daß wir auf großen Frontstrecken kämpfend aus­ weichen. Wir können auf diese Art den Krieg noch auf absehbare Zeit weiter­ führen, dem Gegner schwere Verluste beibringen, verwüstetes Land hinterlassen, gewinnen können wir damit nicht mehr. Diese Erkenntnis und die Ereignisse ließen in dem Herrn Generalfeldmar­ schall und General Ludendorff den Entschluß reifen, Seiner Majestät dem c

d

Im Weißbuch hervorgehoben. Der Verfasser [Ludendorff] . Von mir hervorgehoben. Der Verfasser [Ludendorff] .

474

1918

Kaiser vorzuschlagen, zu versuchen, den Kampf abzubrechen, um dem deut­ schen Volke und seinen Verbündeten weitere Opfer zu ersparen. Ebenso wie unsere große Offensive vom 15. Juli sofort eingestellt wurde, als ihre Fortführung nicht mehr im Verhältnis zu den zu bringenden Opfern stand, ebenso mußte jetzt der Entschluß gefaßt werden, die Fortsetzung des Krieges als aussichtslos aufzugeben. Noch ist hierzu Zeit. Noch ist das deut­ sche Heer stark genug, um den Gegner monatelang aufzuhalten, örtliche Erfolge zu erringen und die Entente vor neue Opfer zu stellen. Aber jeder Tag weiter bringt den Gegner seinem Ziel näher und wird ihn weniger geneigt machen, mit uns einen für uns erträglichen Frieden zu schließen. Deshalb darf keine Zeit verloren gehen . Jede 24 Stunden können die Lage verschlechtern und dem Gegner Gelegenheit geben, unsere augenblickliche Schwäche klar zu erkennen. Das könnte die unheilvollsten Folgen für die Friedensaussichten, wie für die militärische Lage haben. Weder Heer noch Heimat dürfen irgend etwas tun, was Schwäche erkennen ließe. Im Gegenteil, Heimat und Heer müssen fester noch als bisher zu­ sammenhalten . Gleichzeitig mit dem Friedensangebot muß eine geschlossene Front in der Heimat erstehen, die erkennen läßt, daß der unbeugsame Wille besteht, den Krieg fortzusetzen, wenn der Feind uns keinen Frieden oder nur einen demütigenden Frieden geben will. Sollte dieser Fall eintreten, dann wird das Durchhalten des Heeres entschei­ dend von der festen Haltung der Heimat und dem Geist, der aus der Heimat zum Heere dringt abhängen.

217.

Brief Hindenburgs an Max v. Baden

Forderung nach sofortigem Friedensersuchen an die Feindmächte. Max v. Baden, S. 348 f.

Berlin, 3. Oktober 1918 • D i e O b e r s t e H e e r e s l e i t u n g b l e i b t a u f i h r e r am S o n n t a g , d e m 2 9 . Septem b e r d . J . , g e s t e l l t e n F o r d e r u n g d e r s ofortigen H e r­ a u s g a b e d e s F r i e d e n s a n g e b o t e s an u n s e r e F e i n d e b e s t e h e n .• Infolge des Zusammenbruchs der mazedonischen Front, der dadurch not­ wendig gewordenen Schwächung unserer Westreserven und infolge der Un­ möglichkeit, die in den Schlachten der letzten Tage eingetretenen sehr erheb•-•

Hervorgehoben von Max von Baden.

Friedensersuchen

475

liehen Verluste zu ergänzen, besteht nach menschlichem Ermessen keine Aussicht mehr, dem Feinde den Frieden aufzuzwingen . Der Gegner seinerseits führt ständig neue, frische Reserven in die Schlacht. Noch steht das deutsche Heer festgefügt und wehrt siegreich alle Angriffe ab ! D i e L a g e ve r s c h ä r ft s i c h a b e r t ä g l i c h u n d k a n n d i e O b e r s t e H e e r e s l e i t u n g z u s c h w e r w i e g e n d e n E n t s c h l ü s s e n z w i n g e n •. Unter diesen Umständen ist es geboten, den Kampf abzubrechen, um dem deutschen Volke und seinen Verbündeten nutzlose Opfer zu ersparen. •1 e d e r ve r s ä u m t e T a g k o s t e t Tau s e n d e n v o n t a p f e r e n S o l d a t e n d a s L e b e n•. v. Hindenburg Generalfeldmarschall

218.

Erste deutsche Note an Wilson

Friedensersuchen. Ludendorff, S. 535.

Berlin, 3. Oktober 1918 Die Deutsche Regierung ersucht den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, die Herstellung des Friedens in die Hand zu nehmen, alle krieg­ führenden Staaten von diesem Ersuchen in Kenntnis zu setzen und sie zur Entsendung von Bevollmächtigten zwecks Anbahnung von Verhandlungen einzuladen . Sie nimmt das von dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Kundgebungen, namentlich der Rede vom 27. September aufgestellte Pro­ gramm als Grundlage für die Friedensverhandlungen an. Um weiteres Blutvergießen zu vermeiden, ersucht die deutsche Regierung, den sofortigen Abschluß eines Waffenstillstandes zu Lande, zu Wasser und in der Luft herbeizuführen. gez. Max, Prinz von Baden Reichskanzler

219.

Kriegstagebuch Davids, Auszug

Das deutsche Waffenstillstandsangebot. Kriegstagebuch David, S. 288.

Berlin, 6 . Oktober 1918 Das Friedens- und Waffenstillstandsangebot 1 ist von der Obersten Heeres­ leitung gewünscht worden. Die Front hält nicht mehr. Telegramm Luden­ dorffs 2 war durchschlagend. - Ich war dafür, daß dies in der Rede des Kanz­ lers 3 und aus dem Hause klargestellt würde, um zu verhindern, daß die alldeutsch-konservative Presse den Schritt der Mehrheit und dem Prinzen in die Schuhe schiebt, was, wenn er mißlingt, verhängnisvoll werden kann . Die Wendung in der Rede des Prinzen: "im Einverständnis mit allen dazu berufe­ nen Stellen" ist darauf zurückzuführen.

220.

Hopman-Tagebuch, Auszug

Ernüchterte Lageeinschätzung. Baumgart, Von Brest-Litovsk zur deut­ schen Novemberrevolution, S. 615 f.

[o . 0.] 6. Oktober 1918 Es ist gekommen, wie ich vorausgesehen, nicht nur in den letzten Wochen, sondern lange, lange vorher. Die Weltgeschichte ist das Weltgericht. Was Deutschland in den letzten 3 Jahrzehnten gesündigt hat, muß es büßen. Es war politisch erstarrt durch das blinde Vertrauen, die sklavische Unterord­ nung unter den Willen eines in Eitelkeit und Selbstüberschätzung strotzenden Narren . Ohne Kampf kein Sieg! Politisch haben wir seit 3 Jahrzehnten nicht gekämpft, sondern nur gespielt, gespielt wie die Kinder in Illusionen und Selbsttäuschungen . Daher sind wir politisch Kinder geblieben, keine Männer geworden und haben keine Männer hervorgebracht. Nun kommt die bittere Enttäuschung des Kindes, das sich plötzlich der harten grausamen Welt gegen­ übersieht. Alle unsere militärisch eigentlich unüberwindliche Kraft, unser Fleiß, unsere Arbeit, unsere Volkskraft sind nutzlos vergeudet, das herrliche, schier unerschöpfliche Kapital, das Bismarck vererbt hat, ist verloren. Möch­ ten wir durch das Unglück doch endlich zur Besinnung kommen, dann wer1 Siehe Nr. 217.

2 Vom 1. 10. 1918 an das AA, daß die Front nur noch 48 Stunden zu halten sei. 3 Reichstagsrede vom 5 . 10. 191 8 .

477

Grundlage der Friedensverhandlungen

den unsere Kinder und Enkel die Früchte der blutigen Saat ernten, wenn sie auch anders aussehen werden, als jetzt die meisten Menschen denken. Es gibt eine neue Welt, eine neue Gesellschaftsordnung, eine neue Art des Kampfes, in dem Recht und friedliche Arbeit die Hauptrolle spielen werden. Der Deut­ sche hat das Zeug dazu, in solchem Kampfe zu unterliegen, nur muß er poli­ tisch, d. h. vor allem innerlich bescheiden sein. Ich will nicht mehr schreiben, es ist mir zu schwer ums Herz. [ . . . ] Ich bin felsenfest überzeugt, daß es zum Frieden kommt, hoffe nur auf den sich bildenden Gegensatz zwischen Amerika und England, der letzteres da­ von abhalten mag, uns zu sehr niederzuwerfen. England und Frankreich sind auch so mitgenommen, daß sie weitere Opfer scheuen und Amerika nicht als einzigem noch leistungsfähigem Weltstaat den Ruhm unserer endgültigen Niederwerfung zukommen lassen wollen .

221.

Zweite deutsche Note an Wilson

Vierzehn Punkte Wilsons als Grundlage der Friedensverhandlungen. Ludendorff, S. 551 .

Berlin, 12 . Oktober 1918 In Beantwortung der Fragen des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt die deutsche Regierung: Die deutsche Regierung hat die Sätze angenommen, die Präsident Wilson in einer Ansprache vom 8. Januar 1918 und in seinen späteren Ansprachen als Grundlagen eines dauernden Rechtsfriedens niedergelegt hat. Der Zweck der einzuleitenden Besprechungen wäre also lediglich der, sich über die praktischen Einzelheiten ihrer Anwendung zu verständigen. Die deutsche Regierung nimmt an, daß auch die Regierungen der mit den Vereinigten Staaten verbundenen Mächte sich auf den Boden der Kundgebung des Präsidenten Wilson stellen. Die deutsche Regierung erklärt sich im Einverständnis mit der österrei­ chisch-ungarischen Regierung bereit, zur Herbeiführung eines Waffenstill­ standes dem Räumungsvorschlage des Präsidenten zu entsprechen. Sie stellt dem Präsidenten anheim, den Zusammentritt einer gemischten Kommission zu veranlassen, der es obliegen würde, die zur Räumung erforderlichen Ver­ einbarungen zu treffen. Die jetzige deutsche Regierung, die die Verantwortung für den Friedens­ schritt trägt, ist gebildet durch Verhandlungen und in Übereinstimmung mit der großen Mehrheit des Reichstages . In jeder seiner Handlungen, gestützt

478

1918

auf den Willen dieser Mehrheit, spricht der Reichskanzler im Namen der deut­ schen Regierung und des deutschen Volkes . gez . Solf Staatssekretär des Auswärtigen Amtes

222.

Riezler, Tagebücher, Auszug

Verhalten von OHL und Alldeutschen angesichts der Niederlage. Riezler, Tagebücher, S . 482.

Berlin, 13 . Oktober 1918 Seit 8 Tagen im A-A. als Kabinettschef von Solf. Entsetzliches Knarren der Staatsmaschine. Der Prinz natürlich arger Dilettant, läßt sich von lauter out­ sidem beraten, glaubt allen Leuten, sonst aber sehr ordentlich und richtig in der großen Verantwortung [ . . . ] die OHL sehr gebrochen, aber immer wird noch verbreitet, für den Friedensschritt trage die Civilregierung, die die Ner­ ven verloren habe, die volle Verantwortung etc etc, dem nicht widersprochen werden kann und darf. Krampfhafter Versuch der Alldeutschen, ihre eigne Schuld in einem Anti­ bethmannrummel zu entlasten .

223.

Verordnung zur Ergänzung der Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über den Kriegszustand vom 4. 12 . 1916. RGBI 1918, 2, S. 1237.

Großes Hauptquartier, 15. Oktober 1918 W i r W i l h e l m , v o n G o t t e s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, Kö n i g v o n Preußen etc . verordnen auf Grund des Gesetzes über den Kriegszustand vom 4. Dezember 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 1331 ) im Namen des Reichs, was folgt: Die Verordnung zur Ausführung des Gesetzes über den Kriegszustand vom 4. Dezember 1916 (Reichs-Gesetzbl. S. 1332) 1 wird, wie folgt geändert: 1. § 1 erhält folgenden Abs . 2 : Der Obermilitärbefehlshaber kann Anordnungen mit verbindlicher Kraft für die Militärbefehlshaber erlassen . 1 Siehe Nr. 1 14 .

Obermilitärbefehlshaber

479

2 . Es wird folgender § 3 hinzugefügt: Der Obermilitärbefehlshaber trifft alle seine Anordnungen und Entscheidun­ gen im Einverständnisse mit dem Reichskanzler oder dem von diesem bestell­ ten Vertreter. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Großes Hauptquartier, den 15. Oktober 191 8 . Wilhelm Max Prinz von Baden

224.

Kaiserlicher Erlaß an Reichskanzler und Kriegsminister

Befugnisse der Militärbefehlshaber. Armee-Verordnungsblatt 1918, S. 596.

Großes Hauptquartier, 15. Oktober 1918 Auf den Mir gehaltenen Vortrag bestimme Ich hiermit, daß die Militärbe­ fehlshaber die Befugnisse, die ihnen auf Grund des in der Verordnung vom 31 . Juli 1914 (Reichs-Gesetzbl. S. 263) erklärten Kriegszustandes zustehen, nur im Einverständnis mit dem von den Landeszentralbehörden bestimmten Verwaltungsbehörden ausüben. Kommt ein Einverständnis zwischen dem Militärbefehlshaber und der Verwaltungsbehörde nicht zustande, so ist unver­ züglich die Entscheidung des Obermilitärbefehlshabers einzuholen. Wilhelm 225.

Brief Wild v. Hohenborns

an

seine Frau, Auszug

Zur zweiten Antwort Wilsons an die deutsche Regierung. Deist, S. 1315 f.

Berlin, 16. Oktober 1918 [ . . . ] Eben kam die 2. Antwort Wilsons t, dieses verdammten Pharisäers . Mein Stab ist verdutzt - ich nicht! Ich hatte nichts Anderes erwartet. Die Entente fordert bedingungslose Übergabe nach dem Rezept Bulgariens . Anders k o n n t e es nicht kommen, die Leute, die Anderes erwarteten, sind Verbrecher oder Schafsköpfe oder beides [ . . ] I c h glaube kaum, daß d i e s e Regierung uns den Frieden bringt! E s sei denn, daß die Übergabe auf Gnade oder Ungnade erfolgt. .

1 14 . 10. 1918 (Max v. Baden, S. 407f.).

480 226.

1918 Paquet, Tagebuch, Auszug

Kritik am deutschen Volk. Baumgart, Von Brest-Litovsk zur deut­ schen Novemberrevolution, S. 181 f.

Frankfurt a. M . , 18 . Oktober 1918 Äußerlich stille Tage, aber voll Sorge und Erregung; das Begreifen, daß es mit den früheren deutschen Träumen zu Ende ist . . . . Ich bin schließlich außer mir vor Wut auf das deutsche Volk, das es nicht besser verdient hat, als jetzt am Ende eines mit wahnsinnigen Opfern geführten Krieges als ein Bettler dazustehen: denn es war dumm, beschränkt, schlimmer als führerlos; seine eigenen Phrasen hauen ihm jetzt aufs Maul, die Franzosen und Engländer mit ihren schnöden Redensarten haben recht behalten . Es ist nichts zu wollen mit dieser unehrlichen verfluchten Bande. Unaufrichtiges, schielendes Gesindel! Sklavenmasse! Dickköpfe! Sie reden vom alten Fritzen und vergessen, daß dieser zwar ein Preuße war, aber Preu­ ßen nur retten konnte, weil er Ententist war, weil selbst seine Feinde ihn bewunderten, Franzosen, Engländer, Russen zu ihm kamen, Amerika ihn ver­ götterte. Und unsere "Helden" wollen einen Krieg gegen die ganze Welt ge­ winnen ohne Genie, nur mit roher Kraft. Hole sie der Teufel . Ich kann dies öde, tragische Feldgrau, diese müden erschütterten Männergesichter nicht mehr sehen. - . . . 227.

Dritte deutsche Note an Wilson

Verwahrung gegen den Vorwurf ungesetzlicher Handlungen; Mitwirkung der Volksver­ tretung. Ludendorff, S. 574 f.

Berlin, 20. Oktober 1918 Die deutsche Regierung ist bei der Annahme des Vorschlages zur Räumung der besetzten Gebiete davon ausgegangen, daß das Verfahren bei dieser Räu­ mung und die Bedingungen des Waffenstillstandes der Beurteilung militäri­ scher Ratgeber zu überlassen sei und daß das gegenwärtige Kräfteverhältnis an den Fronten den Abmachungen zugrunde zu legen ist, die es sichern und ver­ bürgen. Die deutsche Regierung gibt dem Präsidenten anheim, zur Regelung der Einzelheiten eine Gelegenheit zu schaffen. Sie vertraut darauf, daß der Präsident der Vereinigten Staaten keine Forderungen gut heißen wird, die mit der Ehre des deutschen Volkes und mit der Anbahnung eines Friedens der Gerechtigkeit unvereinbar sein würden.

Dritte deutsche Note

481

Die Deutsche Regierung legt Verwahrung ein gegen den Vorwurf ungesetz­ licher und unmenschlicher Handlungen, der gegen die deutschen Land- und Seestreitkräfte und damit gegen das deutsche Volk erhoben wird. Zerstörungen werden zur Deckung eines Rückzuges immer nötig sein und sind insoweit völkerrechtlich gestattet. Die deutschen Truppen haben die strengste Weisung, das Privateigentum zu schonen und für die Bevölkerung nach Kräften zu sorgen . Wo trotzdem Ausschreitungen vorkommen, werden die Schuldigen bestraft. Die Deutsche Regierung bestreitet auch, daß die deutsche Marine bei Versenkung von Schiffen Rettungsboote nebst ihren Insassen absichtlich ver­ nichtet habe. Die Deutsche Regierung schlägt vor, in allen diesen Punkten den Sach­ verhalt durch neutrale Kommissionen aufklären zu lassen . Um alles zu verhüten, was das Friedenswerk erschweren könnte, sind auf Veranlassung der Deutschen Regierung an sämtliche Unterseebootkomman­ danten Befehle ergangen, die eine Torpedierung von Passagierschiffen aus­ schließen, wobei jedoch aus technischen Gründen eine Gewähr nicht dafür übernommen werden kann, daß dieser Befehl jedes auf See befindliche Unter­ seeboot vor seiner Rückkehr erreicht. Als grundlegende Bedingung für den Frieden bezeichnet der Präsident die Beseitigung jeder auf Willkür beruhenden Macht, die für sich, unkontrolliert und aus eigenem Empfinden den Frieden der Welt stören kann. Darauf antwortet die Deutsche Regierung: Im Deutschen Reich stand der Volksver­ tretung ein Einfluß auf die Bildung der Regierung bisher nicht zu. Die Verfas­ sung sah bei der Entscheidung über Krieg und Frieden eine Mitwirkung der Volksvertretung nicht vor. In diesen Verhältnissen ist ein grundlegender Wan­ del eingetreten. Die neue Regierung ist in völliger Übereinstimmung mit den Wünschen der aus dem gleichen, allgemeinen, geheimen und direkten Wahl­ recht hervorgegangenen Volksvertretung gebildet. Die Führer der großen Par­ teien des Reichstages gehören zu ihren Mitgliedern . Auch künftig kann keine Regierung ihr Amt antreten oder weiterführen ohne das Vertrauen der Mehr­ heit des Reichstages zu besitzen. Die Verantwortung des Reichskanzlers ge­ genüber der Volksvertretung wird gesetzlich ausgebaut und sichergestellt. Die erste Tat der neuen Regierung ist gewesen, dem Reichstag ein Gesetz vorzu­ legen, durch das die Verfassung des Reichs dahin geändert wird, daß zur Ent­ scheidung über Krieg und Frieden die Zustimmung der Volksvertretung erfor­ derlich ist. Die Gewähr für die Dauer des neuen Systems ruht aber nicht nur in den gesetzlichen Bürgschaften, sondern auch in dem unerschütterlichen Willen des deutschen Volkes , das in seiner großen Mehrheit hinter diesen Reformen steht und deren energische Fortführung fordert.

482

1918

Die Frage des Präsidenten mit wem er und die gegen Deutschland verbün­ deten Regierungen es zu tun haben, wird somit klar und unzweideutig dahin beantwortet, daß das Friedens- und Waffenstillstandsangebot ausgeht von einer Regierung, die, frei von jedem willkürlichen und unverantwortlichen Einfluß, getragen wird von der Zustimmung der überwältigenden Mehrheit des deut­ schen Volkes . gez . Solf

228.

Rede Wilhelms Il. an die Staatssekretäre

Bekenntnis zum parlamentarischen Regierungssystem.

Max v. Baden, S. 473 f.

Berlin, 21 . Oktober 1918 Meine Herren! Ich heiße Sie in Ihren neuen Ämtern willkommen, in die Sie als die Vertrauensmänner des Volkes berufen sind . Mit Meinem Erlaß vom 30. September, auf Grund dessen Ihre Ernennung erfolgt ist, habe Ich den ent­ scheidenden Schritt getan, der das deutsche Volk in neue Verfassungszustände hinüberführt. In den furchtbaren Stürmen des Weltkrieges ist uns die Aufgabe gestellt worden, den Bau des Reiches im Innern durch neue und breitere Grundlagen zu sichern . Die Erschütterungen des Krieges haben uns erkennen lassen, wo die Stützen des uns alle schirmenden Hauses schwach und veraltet sind, wo sie der Erneuerung bedürfen . Sie haben uns aber auch die frischen quellenden Kräfte zur Anschauung gebracht, die in unserem Volke zum Licht streben . Unauslöschlich stehen Mir die Eindrücke der ersten Kriegstage vor dem Gedächtnis, und nur noch tiefer haben sie sich Mir eingeprägt in diesen Jahren des Kampfes, in denen unser Volk eine wahrhaft erhabene Größe be­ wiesen hat, sich wehrend gegen eine immer drückendere Übermacht, arbei­ tend unter immer schwereren Bedingungen, leidend in immer härterer Not. Ein Volk, das so heldenhaft gekämpft, so Übermenschliches geleistet hat, steht für alle Zeit in Ehren da. All dies ist Mir tief ins Herz geschrieben, und erneut lege Ich davon heute Zeugnis ab . In einer Reihe von Kundgebungen habe Ich Meinen Entschluß bekräftigt, daß der neuen Zeit eine neue Ordnung entsprechen soll . In umfassender Weise soll das deutsche Volk berufen sein, an der Gestaltung seiner Geschicke mitzu­ wirken, an politischer Freiheit keinem Volk der Erde nachstehend, an innerer Tüchtigkeit und fester Staatsgesinnung keinen Vergleich scheuend . Sie, Meine Herren, haben die Aufgabe, Deutschland mit hinüberzuführen in die neuen Zustände. Ich weiß, daß keiner unter Ihnen ist, der sich nicht der Größe dieser Aufgabe und seiner ungeheuren Verantwortung bewußt wäre.

Stimmung der Heimatbevölkerung

483

Mir aber liegt es am Herzen, Ihnen in dieser Stunde auszusprechen, daß es Mein fester Wille ist, zu Meinem Teil alles daran zu setzen, um mit Ihnen und der Volksvertretung die in dem Erlaß vom 30. September gewiesenen Ziele zu erreichen. Mit Ihnen, Meine Herren, die Ich heute zum ersten Male als Meine Mitarbeiter begrüße, weiß Ich Mich eins in dem heiligen Willen, das Deutsche Reich aus der Not dieser Zeit zu einer ruhigen und friedlichen Entwicklung zurückzuführen . Ich hoffe, daß es uns, durch heiße Vaterlandsliebe und das Gefühl starker Verantwortung verbunden, gelingen wird, dem neuen Deutschland den Weg zu einer hellen und glücklichen Zukunft zu bahnen . Daran wollen wir alle unsere Kraft setzen, bereit, den Weg des Friedens zu ge­ hen, bereit aber auch zu kämpfen bis auf den letzten Hauch und den letzten Hieb, wenn unsere Feinde es nicht anders wollen.

229.

Aufruf des stellv. Generalkommandos des X. AK an die Presse des Korpsbereichs

Mitwirkung an der Wiederaufrichtung der vaterländischen Stimmung im Volke. Deist, S. 1328-1330.

Hannover, 23 . Oktober 1918 Die gegenwärtige Stimmung der Heimatbevölkerung bedeutet eine ernste Gefahr für die Gestaltung unserer militärischen Lage und unserer Aussichten bei etwaigen Friedensverhandlungen, indem unsere Feinde aus unserer inne­ ren Zerrissenheit und verzagten Stimmung neue Kraft zu Angriffen, neue Ent­ schlossenheit zu hohen Forderungen schöpfen. Feind und neutrales Ausland beginnen, in uns nicht mehr ein Volk zu sehen, das freudig alles setzt an seine Ehre . Reichsleitung und Heeresleitung stimmen darin überein, daß es jetzt gilt, mit allen Mitteln dahin zu wirken, daß eine einheitliche vaterländische Stimmung in allen Stämmen und Schichten des deutschen Volkes lebendig wird und deutlich erkennbar in die Erscheinung tritt. An dem felsenfesten Willen des Volkes, gegen jede demütigende Bedingung sich bis aufs äußerste zu wehren, darf niemand zu zweifeln Veranlassung haben. Nur dann findet das Heer die Kraft, der Übermacht zu trotzen; nur dann finden unsere Unterhändler den Rückhalt für ihre schweren Aufgaben am Unterhandlungstisch . Jedem Deutschen müssen die furchtbaren Gefahren eines Friedens um jeden Preis klar und deutlich immer wieder vor Augen geführt werden. In öffentlichen Kundgebungen aller Art muß der Wille zum Ausdruck kommen, daß es für das deutsche Volk nur zwei Wege gibt: Ehrenvoller Frieden oder Armut bis zum Äußersten ! Das Vertrauen auf unsere gerechte Sache, der Stolz

484

1918

auf unsere gewaltigen Leistungen in vier Kriegsjahren gegen die stärkste Koali­ tion der Geschichte, das Bewußtsein allezeit bewährter Bundestreue, und die unerschütterliche Zuversicht auf des deutschen Volkes Zukunft müssen uns in den Frieden hinübergeleiten und uns die Achtung vor uns selbst und die Achtung des Auslandes bewahren. An die Presse richtet das Generalkommando die dringende Bitte, ihrerseits mit allen Mitteln und immer wieder im Sinne vorstehender Ausführungen auf die Bevölkerung einzuwirken, selbst aber die vom Volke geforderte Einheit­ lichkeit der vaterländischen Stimmung dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß sie alle parteipolitischen Gegensätze und Streitfragen vor dem Ernst der Stunde zurücktreten läßt. Angriffe gegen die Hohenzollern, die Monarchie, gegen die politische oder militärische Leitung, wie auch das unzeitgemäße Aufwerfen von Schuldfragen usw. müssen unterbleiben. Sie bilden eine Quelle innerer Streitigkeiten, aus denen der Feind lediglich Hoffnungen auf unseren Zusammenbruch schöpft.

230.

Vierte deutsche Note an Wilson

Der Volksregierung sind auch die militärischen Gewalten unterstellt. Ludendorff, S. 580.

Berlin, 27. Oktober 1918 Die deutsche Regierung hat von der Antwort des Präsidenten der Vereinig­ ten Staaten Kenntnis genommen . Der Präsident kennt die tiefgreifenden Wandlungen, die sich in dem deutschen Verfassungsleben vollzogen haben und vollziehen. Die Friedensverhandlungen werden von einer Volksregierung geführt, in deren Händen die entscheidenden Machtbefugnisse tatsächlich und verfassungsmäßig ruhen. Ihr sind auch die militärischen Gewalten unter­ stellt. Die deutsche Regierung sieht nunmehr den Vorschlägen für einen Waf­ fenstillstand entgegen, der einen Frieden der Gerechtigkeit einleitet, wie ihn der Präsident in seinen Kundgebungen gekennzeichnet hat. gez. Solf Staatssekretär des Auswärtigen Amtes

Stellvertretung des Reichskanzlers 231.

485

Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung und des Gesetzes betr. die Stellver­ tretung des Reichskanzlers vom 17. März 1878 RGB1 1918, 2, S. 1273 f.

Großes Hauptquartier, 28. Oktober 1918 W i r Wi l h e l m , v o n G o t t e s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, Kö n i g v o n Preußen etc . verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt: §1 Der Artikel 2 Abs . 2 der Reichsverfassung 1 wird aufgehoben. §2 Im Gesetze, betreffend die Stellvertretung des Reichskanzlers, vom 17. März 1878 (Reichs-Gesetzbl. S. 7) werden im § 1 die Worte "nach Maß­ gabe der folgenden Bestimmungen" und im § 2 der zweite Satz gestrichen 2, ferner im § 1 folgender Abs . 2 angefügt: Die Stellvertreter des Reichskanzlers müssen im Reichstag auf Verlangen je­ derzeit gehört werden. §3 Dieses Gesetz tritt am Tage der Verkündung in Kraft. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel . Gegeben Großes Hauptquartier, den 2 8 . Oktober 1918. Wilhelm Max Prinz von Baden

1 Huber, Dokumente I I , S . 295 .

2 Huber, Dokumente II, S. 314 .

1918

486 232.

Gesetz zur Abänderung der Reichsverfassung RGBI 1918, 2, S. 1274 f.

Großes Hauptquartier, 28. Oktober 1918 W i r W i l h e l m , v o n G o t t e s G n a d e n D e u t s c h e r K a i s e r, K ö n i g v o n Preußen etc . verordnen im Namen des Reichs, nach erfolgter Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags, was folgt: Die Reichsverfassung wird wie folgt abgeändert: 1 . Im Artikel l l werden die Absätze 2 und 3 1 durch folgende Bestimmun­ gen ersetzt: Zur Erklärung des Krieges im Namen des Reichs ist die Zustimmung des Bundesrats und des Reichstags erforderlich. Friedensverträge sowie diejenigen Verträge mit fremden Staaten, welche sich auf Gegenstände der Reichsgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustim­ mung des Bundesrats und des Reichstags . 2 . Im Artikel 15 2 werden folgende Absätze hinzugefügt: Der Reichskanzler bedarf zu seiner Amtsführung des Vertrauens des Reichstags . Der Reichskanzler trägt die Verantwortung für alle Handlungen von politi­ scher Bedeutung, die der Kaiser in Ausübung der ihm nach der Reichsverfas­ sung zustehenden Befugnisse vornimmt. Der Reichskanzler und seine Stellvertreter sind für ihre Amtsführung dem Bundesrat und dem Reichstag verantwortlich . 3 . Im Artikel 17 werden die Worte gestrichen 3• "welcher dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt" . 4. Im Artikel 53 Abs . 1 4 wird folgender Satz hinzugefügt: Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Beamten der Marine erfolgt unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers . 5. Im Artikel 64 Abs . 2 5 werden im ersten Satze hinter dem Worte "Kaiser" die Worte eingeschaltet: "unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers" . 6. Im Artikel 66 6 werden folgende Absätze 3 und 4 hinzugefügt: 1 Huber, Dokumente II, S. 294 .

2 Huber, Dokumente II, S. 294 .

3 Huber, Dokumente II, S. 294 .

4 Huber, Dokumente II, S. 300.

5 Huber, Dokumente II, S. 303 . 6 Huber, Dokumente II, S. 303 .

Abdankung des Kaisers ?

487

Die Ernennung, Versetzung, Beförderung und Verabschiedung der Offiziere und Militärbeamten eines Kontingents erfolgt unter Gegenzeichnung des Kriegsministers des Kontingents . Die Kriegsminister sind dem Bundesrat und dem Reichstag für die Verwaltung ihres Kontingents verantwortlich. Urkundlich unter Unserer Höchsteigenhändigen Unterschrift und beige­ drucktem Kaiserlichen Insiegel. Gegeben Großes Hauptquartier, den 2 8. Oktober 1918. Wilhelm Max Prinz von Baden

233.

Brief Scheidemanns an den Reichskanzler

Die Abdankung des Kaisers ist zu erwirken.

Max v. Baden, S. 531 .

Berlin, 29. Oktober 1918 Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die große Mehrheit der Bevölke­ rung des Deutschen Reiches die Überzeugung gewonnen hat, daß die Aus­ sicht, zu erträglichen Bedingungen des Waffenstillstands und des Friedens zu gelangen, durch das Verbleiben des Kaisers in seinem hohen Amte verschlech­ tert wird. Würde ein ungünstiger Friede geschlossen werden, während der Kaiser in seinem Amt verbleibt, so würde später gegen ihn und die Regierung der Vorwurf erhoben werden, daß sie lieber schwere Nachteile für das Volk auf sich genommen, als daß sie aus einer nun einmal gegebenen Sachlage die zum Wohle des Ganzen notwendigen Konsequenzen gezogen hätten . Es kann weiter nicht bezweifelt werden, daß die Friedensverhandlungen be­ trächtlich günstigere Aussichten bieten, wenn die im Deutschen Reich voll­ zogene Änderung des Systems durch einen Wechsel an der höchsten Stelle des Reichs nach innen und außen deutlich sichtbar gemacht wird. Die ganze poli­ tische Situation legt die Vermutung nahe, daß der hier vorgeschlagene Schritt nur hinausgezögert, aber doch nicht vermieden werden kann . Deshalb ist es besser, wenn der Kaiser jetzt schon aus der gesamten Situation die Konsequen­ zen, die nach Auffassung auch zahlreicher deutscher Staatsmänner gezogen werden müssen, so schnell als möglich zieht.

488 234.

1918 Rede des Reichskanzlers vor dem Kriegskabinett 1

Abdankung des Kaisers kann nur eine freiwillige sein. Max v. Baden, S. 538

Berlin, 31 . Oktober 1918 Ich habe die Frage der Abdankung Seiner Majestät des Kaisers ohne Unter­ laß seit Tagen erwogen. Ich habe Vertrauensmänner Seiner Majestät bei mir ge­ habt und mit diesen die Frage eingehend besprochen. Ich habe ihnen Material gegeben, um sie in den Stand zu setzen, Seine Majestät über die Lage im In­ und Ausland aufzuklären . Ich werde dafür sorgen, daß diese Aufklärung nicht unterbrochen wird. Ich erkläre aber ausdrücklich, daß eine Abdankung Seiner Majestät des Kaisers nur eine freiwillige sein kann und darf, denn so allein kann das Reich und das Heer vor Schaden bewahrt, die Würde Deutschlands gewahrt werden. Voraussetzung für mein eigenes Handeln muß sein, daß mir die Freiheit des Handeins nicht beeinträchtigt und vermieden wird, einen Druck auf mich aus­ zuüben.

235.

Gespräch Wilhelms II. mit Drews im Großen Hauptquartier, Auszug

Ablehnung der Abdankung. Mattbias - Morsey, Regierung, S. 461 f.

Großes Hauptquartier, 1. November 1918 Nun, ich will Ihnen gleich erklären: ich danke nicht ab. Es würde dies mit den Pflichten, die ich als preußischer König und Nachfolger Friedrichs des Großen vor Gott, dem Volke und meinem Gewissen habe, unvereinbar sein. Ich kann und darf meinen Posten nicht im gefährlichsten Moment verlassen. Meine Abdankung würde der Anfang vom Ende aller deutschen Monarchien sein. Die Idee, meinen unmündigen Enkel zum Kaiser und König unter einer Regentschaft zu machen, würde dem Vaterlande, das doch gerade jetzt die starke persönliche Mitarbeit der monarchischen Spitze bei der Neugestaltung der Dinge braucht, schweres Unheil bringen. Im übrigen haben mir auch meine sämtlichen Söhne in die Hand versprochen, eine Regentschaft an 1 Engeres 'politisches Kabinett' (Reichskanzler, Vizekanzler, vier parlamentarische Staatssekretäre 'ohne Geschäftsbereich' sowie die Staatssekretäre des Reichsschatzam­ tes, des AA und des Innern). Gesamtkabinett = erweitertes Kabinett (mit allen Reichs­ Staatssekretären).

Deutschland als Volksstaat

489

meiner und des Kronprinzen Stelle nicht zu übernehmen. Vor allem aber ver­ bietet mir auch meine Pflicht als oberster Kriegsherr, jetzt die Armee im Stich zu lassen. Das Heer steht im heldenhaften Kampfe mit dem Feinde. Sein fester Zusammenhalt beruht in der Person des obersten Kriegsherrn. Geht dieser fort, so fällt die Armee auseinander und der Feind bricht ungehindert in die Heimat ein. [ . . . ]

236.

Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk

Umwandlung Deutschlands in einen Volksstaat. Buchner I, S. 56f.

Berlin, 4 . November 1918 An d a s d e u t s c h e Vo l k ! Die Not der Zeit lastet auf der Welt und auf dem deutschen Volke. Wir müssen diese schweren Tage und ihre Folgen überwin­ den . Heute schon müssen wir arbeiten für die glücklicheren Zeiten, auf die das deutsche Volk ein Anrecht hat. Die neue Regierung ist am Werk, diese Arbeit zu leisten . Wichtiges ist erreicht: Das gleiche Wahlrecht in Preußen ist gesichert 1• Eine neue Regierung hat sich aus den Vertretern der Mehrheitsparteien des Reichs­ tages gebildet. Der Reichskanzler und seine Mitarbeiter bedürfen zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages und damit des Volkes 2• Grund­ legende Rechte sind von der Person des Kaisers auf die Volksvertretung über­ tragen worden. Kriegserklärung und Friedensschluß unterliegen der Geneh­ migung des Reichstages . Die Unterstellung der Militärverwaltung unter den verantwortlichen Reichskanzler ist durchgeführt. Eine weitgehende Amnestie wurde erlassen. Preßfreiheit und Versammlungsrecht sind gewährleistet 3• Doch viel bleibt noch zu tun. Die Umwandlung Deutschlands in einen Volksstaat, der an politischer Freiheit und sozialer Fürsorge hinter keinem Staate der Welt zurückstehen soll, wird entschlossen weitergeführt. Die Neugestaltung kann ihre befreiende und heilende Wirkung nur aus­ üben, wenn sie einen Geist in den Verwaltungs- und Militärbehörden findet, der ihre Zwecke erkennt und fördert. Wir erwarten von unseren Volksgenos­ sen, die in amtlicher Stellung dem Gemeinwesen zu dienen berufen sind, daß sie uns willige Mitarbeiter sein werden. 1 Durch Beschluß des preuß . Herrenhauses vom 24. 10. 1918.

2 Siehe Nr. 231-232 .

3 Erlaß des Obermilitärbefehlshabers an die stellv. Generalkommandos, Gouverne­ ments und Kommandeure über Versammlungs- und Pressefreiheit (2 . 1 1 . 1918).

490

1918

Wir brauchen in allen Teilen des Staates und des Reiches die Aufrechterhal­ tung der öffentlichen Sicherheit durch das Volk selbst. Wir haben Vertrauen zu dem deutschen Volk. Es hat sich in vier furchtbaren Kriegsjahren glänzend be­ währt. Es wird sich nicht von Phantasten sinnlos und nutzlos in neues Elend und Verderben hineintreiben lassen. Selbstzucht und Ordnung tun not. Jede Disziplinlosigkeit wird den Ab­ schluß eines baldigen Friedens auf das schwerste gefährden . Die Regierung und mit ihr die Leitung von Heer und Flotte wollen den Frieden. Sie wollen ihn ehrlich und sie wollen ihn bald . Bis dahin müssen wir die Grenzen vor dem Einbruch des Feindes schützen . Den seit Wochen in hartem Kampf stehenden Truppen muß durch Ablösung Ruhe geschaffen wer­ den. Nur zu diesem Zwecke, aus keinem anderen Grunde, sind die Einberu­ fungen der letzten Zeit durchgeführt worden . Den Mannschaften des Landheeres und der Flotte wie ihren Führern ge­ bührt unser besonderer Dank; durch ihren Todesmut und ihre Manneszucht haben sie das Vaterland gerettet. Zu den wichtigsten Aufgaben gehört der Wiederaufbau unserer Volkswirt­ schaft, damit die von der Front in die Heimat zurückkehrenden Soldaten und Matrosen in geordneten Verhältnissen die Möglichkeit vorfinden, sich ihre und ihrer Familie Existenz wieder zu sichern. Alle großen Arbeitgeberver­ bände haben sich bereit erklärt, ihre früheren jetzt eingezogenen Angestellten und Arbeiter sofort wieder einzustellen. Arbeitsbeschaffung, Erwerbslosen­ unterstützung, Wohnungsfürsorge und andere Maßnahmen auf diesem Gebiet sind teils in Vorbereitung, teils schon ausgeführt. Mit dem Friedensschluß wird sich bald eine Besserung der Ernährung wie aller Lebensverhältnisse einstellen. Deutsche Männer und Frauen! Kampf und Friede sind unsere gemeinsame Aufgabe. Staat und Reich sind unsere gemeinsame Zukunft. Euer Vertrauen, das uns unentbehrlich ist in der Stunde der Gefahr, ist in Wahrheit nichts an­ deres, als das Vertrauen des deutschen Volkes zu sich selbst und zu seiner Zukunft. Die gesicherte Zukunft Deutschlands ist unser Leitstern . Berlin, 4. November. Der Reichskanzler: Max Prinz von Baden. Der Stell­ vertreter des Reichskanzlers : v. Payer. Der Vizepräsident des Preußischen Staatsministeriums : Dr. Friedberg. Die Staatssekretäre: Dr. Solf. Graf v. Roedern . Dr. v. Krause . Rüdlin. v. Waldow. Freiherr v. Stein . Scheidemann. Gröber. Erzberger. Haußmann. Bauer. Trimborn. Der Staatssekretär des Reichsmarineamts : Ritter v. Mann. Der Kriegsminister: Scheüch .

491

Meuterei der Hochseeflotte 237.

Aufruf der Reichsregierung an die Matrosen und Werftarbeiter 1

Meuterei der Hochseeflotte.

Max v. Baden, S. 572 f.

Berlin, 4. November 1918 Seeleute ! Arbeite r ! Tiefbedauerliche Ereignisse haben sich in den letzten Tagen zugetragen. Zwischen Mannschaften, welche die Ordnung gewaltsam zu stören versuch­ ten, und anderen, die beauftragt waren, sie aufrechtzuerhalten, ist es zu Zusammenstößen gekommen, b e i d e n e n e s To t e u n d Ve r w u n d e t e g e ­ g e b e n h at . E i n e Un t e r s u c h u n g d e r Vo r f ä l l e i s t e i n g e l e i t e t, bei der alle Umstände sorgfältig geprüft werden sollen, die zu diesen bekla­ genswerten Ereignissen geführt haben . Nach den uns bisher gewordenen Nachrichten ist die herrschende Erregung durch u n s i n n i g e G e r ü c h t e hervorgerufen worden. Es wurde b e h a u p ­ t e t, die Offiziere der Kriegsflotte seien mit der Friedenspolitik der Regierung nicht einverstanden und planten einen Handstreich, der die Mannschaften nutzlos dem Tode überliefern würde. Die O f fi z i e r e d e r K r i e g s fl o t t e l e i s t e n d e r R e g i e r u n g G e h o r s am, und der gegen sie gerichtete Vo r ­ w u rf, sie hätten diesen Gehorsam verletzt oder wollten ihn verletzen, ist u n ­ b e r e c h t i gt. Niemand denkt daran, das Leben von Volksgenossen, Familien­ vätern zwecklos aufs Spiel zu setzen . Die Regierung hat schon am 5. Oktober den Gegnern den Abschluß eines Waffenstillstandes vorgeschlagen, um zweck­ loses Blutvergießen zu vermeiden . We n n d e r Wa ff e n s t i l l s t a n d n o c h n i c h t a b g e s c h l o s s e n i s t , s o k o m m t d a s d a h e r, d a ß d i e G e g n e r i h r e B e d i n g u n g e n n o c h n i c h t genannt haben . Solange die Kriegshandlungen durch den Willen der anderen Seite fortgehen, bes trebt sich die deutsche Kriegs­ führung zu Lande und zur See, mit Menschenleben s o zu sparen , w i e d i e s m i t d e n Z w e c k e n n o t we n d i g e r A b we h r ve r e i n b a r i s t. Die Aufgabe, u n n ü t z e s B l u t ve r g i e ß e n zu vermeiden, kommt aber nicht nur der Regierung, sondern dem ganzen Volke zu. W i r w o l l e n d e n Vö l k e r k r i e g n i c h t a b s c h l i e ß e n , u m d e n B ü r g e r k r i e g z u b e g i n ­ n e n. Gewissenlos handelt, wer durch Ausstreuung phantastischer Gerüchte Unruhe verbreitet und die Flamme des Bürgerkrieges entfacht. 1 Verfasser war der Chefredakteur des >VorwärtsVorwärts< vom 9. November hatte scharfe An­ griffe gegen einen Truppenteil gebracht. Die Mannschaften verlangten, daß eine Abteilung mit Maschinengewehren sofort zur "Aufklärung" nach der Re­ daktion führe, da der Sachverhalt unrichtig dargestellt sei. Der Kommandeur gab die Erlaubnis . Sie sind zum "Schutz" dortgeblieben und überhaupt nicht mehr zurückgekehrt! Da im Laufe des Nachmittags die Befehle von den verschiedenen Korn­ mandostellen sich häuften, die Schloßinsel unbedingt frei zu halten, keines­ falls aber von der Schußwaffe Gebrauch zu machen und meine dauernden Versuche, die Behörden telefonisch auf die Unmöglichkeit der Durchführung unter solchen Umständen hinzuweisen und Weisungen zu erbitten, wegen nicht zu erreichender Verbindung erfolglos geblieben waren, beschloß ich ge­ gen 1 Uhr persönlich nach dem Schloß zu gehen, wohin sich der Stab des Stell­ vertretenden Generalkommandos begeben hatte. Die Schloßinsel war fast menschenleer. Die Brücken waren von starken Schutzmannsposten gesperrt. In der Gegend des Schinkelplatzes fuhr ein Transportauto mit Soldaten, die eine große rote Fahne schwenkten. Jenseits der Brücken aber in der Richtung nach dem Brandenburger Tor, der Breiten­ straße und der Kaiser-Wilhelmstraße war es schwarz von Menschen. Die Tore vom Schloß waren geschlossen und bewacht. Auf dem Schloßplatz befanden sich mehrere hundert Schutzleute und eine aus nur besonders zuver­ lässigen Leuten zusammengesetzte Kompagnie von 250 Gewehren.

Revolution in Berlin

507

Ich fand den Stab des Generalkommandos in den Räumen über der Wache. Ich erstattete eingehenden Bericht über alles, was ich in den letzten 24 Stun­ den erlebt hatte, über den Zustand der Truppen sowie deren Versagung und bat vor allem um Weisungen, wie ich dem Befehl, die Schloßinsel zu schützen unter gleichzeitigem Verbot, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen, ge­ recht werden könne. Es wurde mir lebhaft versichert, daß ein solcher Befehl nicht ergangen sei. Ich konnte mich freilich des Gefühls nicht erwehren, daß die maßgebenden Stellen der außerordentlich schweren und verantwortungs­ vollen Aufgabe nicht gewachsen waren. Unter der Last der tage- und nächte­ langen Aufregungen schienen die an sich schon kränklichen Herren körper­ lich und seelisch wie gebrochen, und es rächte sich hier bitter, daß auf diesen wichtigen Posten in solcher Zeit Offiziere gestellt waren, die ihrer schwachen Gesundheit wegen an der Front nicht verwendungsfähig waren. Daß sie in echt preußischer Pflichtauffassung nach bestem Wissen und Können bis zum physischen Zusammenbruch gearbeitet haben, gereicht ihnen trotzdem zur Ehre. Während unserer Besprechungen ertönte plötzlich von draußen her tau­ sendfaches Stimmgewirr, das sich von Minute zu Minute verstärkte. Gleich­ zeitig kam die Meldung, daß die Menge die Schutzmannskette durchbrochen habe und über die Brücke vorgestürmt sei. Auf dem ganzen Platz vor dem Schloß bis zum Lustgarten, auf der Südseite bis zur Breitenstraße, drängte und schob sich eine unübersehbare Menschenmasse in aufgeregtem Schreien und Johlen. Und überall rote Fahnen, Dutzende, in allen Größen. Sie ließen keinen Zweifel mehr über das, was sich vor unseren Augen und Ohren abzu­ spielen begann. Bald darauf ließen sich einige Herren melden, die mit dem Kommandieren­ den General zu sprechen wünschten. Sie wiesen sich uns als Sozialdemokrati­ sche Abgeordnete aus und erklärten - übrigens in durchaus verbindlicher Form - daß sie als Volksbeauftragte kämen, um auf Wunsch der Massen da draußen mit den im Schloß befindlichen Sicherheitstruppen zu sprechen und sie aufzufordern, ihre Waffen niederzulegen. Nach verschiedenem Hin und Her erhielten sie die Erlaubnis . Nachdem die Schutzleute ihre Waffen abgelie­ fert hatten, sprach einer der Abgeordneten zu den Soldaten der Sicherheits­ kompagnie. Er teilte ihnen mit, daß die bisherige Staatsregierung beseitigt sei und das Volk sich der Gewalt bemächtigt und der Kaiser abgedankt habe. Es gäbe keine Militärgewalt mehr. Jeder Soldat sei von dem Augenblick an frei und könne gehen, wohin er wolle. Der Kasernenzwang habe aufgehört, Vor­ gesetzte gäbe es nicht mehr. Wer dagegen seine Waffen behielte - und keiner solle etwa gezwungen werden, sie abzugeben - müsse selbst die Verantwor­ tung tragen für alles, was ihm daraus folgen werde. Eine Bürgschaft für sein Leben könne er, der Abgeordnete, dann freilich nicht übernehmen. Toten­ stille folgte den Worten. Plötzlich legte ein Soldat Gewehr und Seitengewehr

508

1918

nieder, wenige Sekunden später bedeckten 250 Gewehre d e r b e s o n d e r s z u ve r l ä s s i g e n L e u t e den Schloßplatz, "zweihundertfünfzig besonders ausgesuchte und zuverlässige Leute" hatten kapituliert! Kurze Zeit darauf erschien unangemeldet im Zimmer der Offiziere ein älte­ rer Mann in abgerissener Uniform. Mit der zerknautschten und verdreckten Mütze auf dem Kopf fragte er nach dem Kommandierenden General und ver­ langte darauf in patzigem Ton, es solle sofort die rote Fahne auf dem Schloß gehißt und die dort befindlichen Maschinengewehre zurückgezogen werden. Als ihm bedeutet wurde, daß seinen Wünschen nicht Folge geleistet werden könnte, verließ er laut schimpfend die Stube . Etwa eine halbe Stunde später erschienen wieder die beiden Abgeordneten und erklärten, daß das Volk draußen verlange, daß Schutzleute und Soldaten sofort den Schloßhof verließen. Auf die Erwiderung, daß dann wahrscheinlich die Menge das Schloß stürmen würde, entgegnete einer der Herren etwa wört­ lich: "Meine Herren, da unterschätzen Sie unsere Macht. Ohne unseren aus­ drücklichen Befehl betritt kein Mensch das Schloß, wir haben unsere Leute fest in der Hand . " Nach kurzer Beratung wurde von maßgebender Stelle dem immer dringlicher gestellten Antrag Folge geleistet. Die Tore wurden geöffnet - und wenige Minuten später füllten brüllende und tobende Massen den Schloßhof! Soldaten herrschten vor, alle nur erdenklichen Uniformen des Gar­ dekorps, besonders der Kavallerie, waren vertreten. Nicht einer gehörte nach meiner festen Überzeugung rechtmäßig in seine Uniform! Mit geschwunge­ nem Säbel und vorgehaltener Pistole stürmten einige die Treppen hinauf, gegen geschlossene Türen mit Gewehr und Säbel polternd - ein unvergeßlich widerlicher, herzzerreißender Anblick!

P E R S O N E N - UND S AC H R E G I STER Aehrenthal s . Lexa Albert I. (1875 -1934), Kg. d. Belgier 17. 12 . 1909 -17. 2. 1934 236 Albrecht Eugen, Hzg. v. Württemberg, Sohn des GFM Hzg. Albrecht (geb . 1895) 301 Alix (Aleksandra Feodorovna), Zarin (1872 -1918) 104-105 Andersen, Hans Niels (1852 -1937), dän. Etatsrat, Gen. -Dir. d. Ostasien-Kom­ panie 37. 103 -105 Andnissy v. Csik-Szent Kiraly u. Kraszna-Horka, Julius (Gyula) Gf. , d. Ä. (1823 -1890), 14. 1 1 . 18718 . 10 . 1879 k. u . k. Min. d . Äußern 161 Andrian-Werburg, Dr. Leopold Frhr. v. (1875 -1957), LegRat seit 26. 2 . 1914, Vertreter d. k. u. k. Min. d. Äußern in Warschau 16. 12 . 1915 -15 . 1. 1917 322. 325 -326. 328 Apponyi v. Nagy-Appony, Albert Gf. ( 1846-1933), ung. Unterrichtsmin. 15. 6. 1917- 8 . 5 . 1918 162 Arendsee, Martha (1885 -1953), 1906 Mitgl. d. SPD, 1917 d. USPD 54 Armand, Abel Gf. (1863 -1919), Mjr. im frz. Kriegsministerium 35 Artamanov, Vasilij , russ. Militärattache in Belgrad 7 Arz v. Straußenburg, Arthur Frhr. ( 18571935), GO seit 9. 2. 1918, seit 1. 3 . 1917 Chef d. k. u. k. Generalstabes 352 . 414 . 416. 421. 448 -452 Asquith, Herbert Henry ( 1852 -1928), 1908-1916 brit. Premierminister 37 Bachmann, Gustav (1860 -1943), 1915 Ad-

miral, Chef d. Marine-Stat. d. Ostsee 24. 2. 1914-2. 2. 1915, 3. 9. 1915 13 . 12 . 1918, Chef d. Admiralstabes 2. 2. 1915 - 3 . 9. 1915 27 Ballin, Albert ( 1857-1918), Reeder (Gen . ­ Dir. d. Harnburg-Amerika-Linie seit 1899) 447 Bartels, Friedrich (geb . 1871), Parteisekr. beim Vorstand d. SPD 56 Anm. 1 Bartenwerffer, Paul v. (1867-1928), GM, 1914 -1916 Oberquartiermeister i. d. OHL, 1916-1918 Chef d. Polit. Abt. beim Chef d. Generalstabes d. Feldhee­ res 322 . 383 Bassermann, Ernst ( 1854 -1917), 1904 1917 MdR (Nationallib.), Vors . d. Na­ tionallib . Partei u. d. nationallib. Reichstagsfraktion 253 Bauer, Gustav (Adolf) (1870 -1944), 1908 -1918 2. Vors . d. Generalkomm. d. Freien Gewerkschaften, 4. 10. 191813 . 2 . 1919 Staatssekr. d . Reichsarbeits­ amts, MdR (SPD) 1909-1918 1 1 . 490. 494 Anm. 1 Bauer, Max ( 1869-1929), Oberstlt. im Gr. Hauptquartier, 1914 -1918 artilleristi­ scher Beirat d. Chefs d. Generalstabes, 1916-1918 Abt. Chef d. OHL, 1918 Oberst, Verbindungsmann Luden­ dorffs z. Wirtschaft, Gewerkschaften u. Parteien 252 . 260 . 457 Beckers, Johann (geb . 1892), Heizer auf Linienschiff "Prinzregent Luitpold" 304 -305 Bene,Hans (1872 -1943), Kpt. z. S . , seit Nov. 1916 Admiralstabsoffz. beim AOK Mackensen in Rumänien 452 Benedikt XV. (Giacomo Marchese della

510

Personen- und Sachregister

Chiesa) ( 1854 -1922 ) , Papst 3. 9. 1914 22. 1 . 1922 36. 243 . 302 Berchtold von und zu Ungarschitz, Frat­ ting u. Pullitz, Leopold Gf. ( 1863 1942 ) , 17. 2. 1912 -13 . 1. 1915 k. u. k. Min. d. Äußern 8-9 Berg, Friedrich Wilhelm v. ( 1866 -1939) , Jan.-1 1 . 10. 1918 Chef d. Zivilkabinetts 445. 448 Bergen, Dr. Carl-Ludwig Diego v. ( 18721944 ) , Wirk!. LegRat m. d. Titel und Range eines ao . Ges . u. bevollm. Min . ; Vortragender Rat u . Leiter d. polit. Abt. (AA) 319 Anm . 1. 322 . 328 Bernstein, Eduard ( 1850 -1932 ) , MdR (SPDIUSPD) 1912-1918 1 1 8 . 121 . 134 Bernstorff, Johann Heinrich Gf. v. ( 1862 -1939) , 2 8 . 8 . 1917-29. 10. 1918 Botschafter in Konstantinopel 441 . 44 Beseler, Hans Hartwig v. ( 1850 -1921 ) , GO, Gen. Gouv. Warschaus seit 1915 178 . 220-222 . 224 . 226 Beseler, Dr. Maximilian v. ( 1841-1921 ) , 21 . 1 1 . 1905 - 5 . 8 . 1917 preuß. Justiz­ min. 220. 223 -224. 228 Bethmann Hollweg, Dietrich v. , LegSekr. a. d. dt. Botschaft in Wien 8 Bethmann Hollweg, Theobald v. ( 18561921 ) , 14 . 7. 1909 -13 . 7. 1917 dt. Reichskanzler u . preuß . Min. Präs . 45 . 10-13 . 16. 25-36. 61 . 65. 67. 71 . 74 75 . 89. 91 . 93 -97. 100 . 108-110. 1 12 . 122 -124. 127-128 . 131-13 3 . 1 3 8 . 141 . 153 . 160-168 . 170. 172-174. 178 -179. 181. 184. 188. 203 . 205 . 212 . 220 . 222 . 224 -225 . 227-228 . 234-237. 244. 246 . 256. 258. 260 -266. 271 . 279. 284 -285. 293 -295 . 330-331 . 383. 434 Bieber, Adolf, Obermatrose auf Linien­ schiff "Helgoland" 304 Bierfreund, Dr. , Angehöriger d. Magi­ strats Insterburg 67 Bismarck-Schönhausen, Otto (Eduard Leopold), Fürst v. , Hzg. v. Lauenburg ( 1815 -1898 ) , preuß . Min. Präs . 1862 -

1873, 1873 -1890, dt. Reichskanzler 21 . 3. 1871-20. 3. 1890 16. 81. 123 -124. 140 . 253 . 476 Bissing, Moritz Ferdinand Frhr. v. ( 1844 1917) , GO, Gen. Gouv. v. Belgien 27. 1 1 . 1914 -14. 4. 1917 97 Boehn, Max v. ( 1850-1921 ) , GO 436 Boris, bulg. Kronprinz, späterer Kg. (Zar) Boris III. ( 1894-1943 ) 424 Braeuner, Ludwig ( 1893 -1958 ) , Oberhei­ zer auf Linienschiff "Kaiserin" 305 Bra.tianu, Johann (Ion) ( 1864-1927) , ru­ män. Min. -Präs . 16. 1 . 1914 -9. 2. 1918 356. 359 Braun, Otto ( 1872 -1955 ) , 191 1-1920 im Parteivorstand d . SPD, Mitgl. preuß . Abg. Hauses 1913-1918 56 Anm. 1 Breitenbach, Paul v. ( 1850 -1920 ) , Mai 1906-9. 1 1 . 1918 preuß. Min. d. öf­ fentl. Arbeiten, 22. 5. 1916 -9. 1 1 . 1917 Vizepräs. d. preuß. Staatsministeriums 220. 228 . 380. 385. 388 -389 Briand, Aristide ( 1862 -1932 ) , frz. Min. Präs . u. Außenmin. 29. 10. 191517. 3 . 1917 37 Brockdorff-Rantzau, Ulrich (Kar! Chri­ stian) Gf. v. ( 1869-1928 ) , Ges . in Kopenhagen 1912 -1918 37. 103 . 105 . 366 Brussilow (Brusilov), Aleksej Alekseevic ( 1853 -1926) , Mai-Juni 1917 OB d. russ. Heeres 343 . 459 Buchanan, Sir George William ( 18541924 ) , 1910- 6 . 1 . 1918 brit. Botschafter in Petersburg 104 Bundesstaaten 76 . 93 -96. 127-129. 347351 . 424 -425 Burian v. Rajecz, Stefan (Istvan) Gf. (seit 1918 ) ( 1851-1922 ) , k. u. k. Min. d. Äu­ ßern 13. 1. 1915-22. 12 . 1916, 16. 4.24. 10. 1918 32 - 3 3 . 3 8 . 133-134. 153 158. 161-163 . 214. 220-221 . 234. 242 . 415 -416. 420 . 460-467. 469 Bussche-Haddenhausen, Hilmar Frhr. v. d. ( 1867-1939 ) , seit 30. 1 1 . 1916 Unter-

Personen- und Sachregister staatssekr. i. AA 319 Anm. 1. 322 . 328. 360. 441 Bussche-Ippenburg, Erich Frhr. v. d. (1878 -1957), Abt. Chef b. Stab d. Chefs d. OHL (Mjr.) 3 8 . 471-472 Capelle, Eduard v. (1855 -1931 ), Admiral, Staatssekr. d. Reichsmarineamtes 15. 3. 1916 -11. 8. 1918 187-188. 304. 310 Carol I. (Kar! Eitel Friedrich Zephyrin Ludwig v. Hohenzollern-Sigmaringen) ( 1839-1914), 26. 3. 1881-10. 10. 1914 Kg. v. Rumänien 140 Carp, Peter (Petru) (1837-1919), rumän. Min.Präs . 191 1-1912 357-358 Cavell, Edith, brit. Krankenschwester 272 Anm. 2 Christian X. (Kar! Friedrich Albert Alex­ ander Wilhelm) (1870 -1947), dän. Kg. 14 . 5. 1912 -20. 4. 1947 104 Ciganovic, Milan (geh. 1888), serb . Eisen­ bahnbeamter bosn. Herkunft 7 Claß, Heinrich ( 1868 -1953), Justizrat, Vors. d. Alldeutschen Verbandes 19081939 100 Clausewitz, Carl v. ( 1780-1831), preuß . Offz. u. Kriegstheoretiker 94 Cohen (recte: Cohn), Dr. Oskar ( 18601934), MdR 1912 -Nov. 1918 (SPD, ab 1917 USPD) 3 77 Colloredo-Mannsfeld, Ferdinand Gf. zu (1878 -1967), LegRat li. Kategorie, seit 21. 1. 1917 Chef d. Kabinetts d. k. u. k. Min. d. Äußern 322 . 328. 460 . 465 Conrad v. Hötzendorf, Franz Gf. (1852 1925), Nov. 1906-30. 1 1 . 191 1, 12 . 12. 1912 -28. 2. 1917 Chef k. u. k. Generalstabes, 1916 Feldmarschall 8. 10. 143 . 21 1. 220 Cramon, August v. (1861-1940), GM, zu­ letzt GL, 27. 1. 1915 -1918 Bevollm. dt. General beim k. u. k. AOK 360. 414 . 416

511

Crispi, Francesco (1819-1901), ital . Min . ­ Präs . 1893 -1896 140 Curzon, George, Earl (seit 191 1 ) (18591925), brit. Politiker (kons .) 442 Czernin von und zu Chudenitz, Ottokar Gf. (1872 -1932), 25. 5. 1913 27. 8 . 1916 k. u. k. Ges . in Bukarest, 22. 12. 1916-14 . 4. 1918 k. u. k. Min. d. Äußern 35. 262. 319-320. 322 . 324 329. 335 Anm. 2. 347. 349. 362 . 367368. 389-390. 412 . 414. 470 Dade, Dr. Heinrich, Prof. , Funktionär d. Dt. Landwirtschaftsrates 198-199 Dänische Minderheit 59. 1 15 Dagmar (Mari ja Feodorovna), Prinzessin v. Dänemark, Zarinmutter ( 18471928) 104 Dallwitz, Johann v. ( 1855 -1919), Statthal­ ter in Elsaß-Lothringen 1914 -1918 122 . 124 -125. 129-130 Dandl, Otto Ritter v. (1868 -1942), bayer. Min. Präs . 10. 1 1 . 1917- 8 . 1 1 . 1918 347348. 351 Danilo, montenegrin. Kronprinz (18711929) 8 David, Dr. Eduard (1863 -1930), MdR (SPD) 1903 -1918 55. 57-58. 60. 70. 134. 164. 279. 297. 312. 494 Anm. 1 David, Gertrud, Ehefrau Eduard Davids 60 Deak v. Kehida, Franz (Ferenc) (1803 1876 ), ung. Politiker 161 Delbrück, Clemens v. (seit 1916) (18561921 ), Vizekanzler u. Staatssekr. d. In­ nern 14 . 7. 1909-22. 5 . 1916 20. 53. 67. 112. 122 . 131. 147. 497 Delbrück, Dr. Hans ( 1848 -1929), Prof. in Berlin (Nachfolger Treitschkes) 30 Deutelmoser, Erhard Eduard (1873 1956), Oberstlt. , Chef d. Kriegspresse­ amtes seit 15. 10. 1915, seit Jan. 1917 Min.Dir. d. Nachrichtenabt. d. AA, seit 7. 1 1 . 1917 Pressechef b. Reichs­ kanzler 217. 284

512

Personen- und Sachregister

v. Dewitz, Landrat a. D. 64 Dietrich, Kriminalschutzmann 189 Dimitrijevic, Dragutin ( 1876-1917) , 1913 Oberst u. Chef d. serb . Evidenz­ büros 7 Djemal Pascha, Ahmed ( 1872 -1922 ) , osman. Marinemin . 442 Drews, Dr. Bill ( 1870-1938 ) , 5. 8. 19179. 11. 1918 preuß . Min. d. Innern 19. 380. 384. 387. 389. 497 Düringer, Dr. Adalbert ( 1855-1924 ) , 22. 12 . 1917-14 . 1 1 . 1918 Min. d . großhzgl . bad. Hauses, d. Justiz u. des Auswärtigen 340-341. 350 Duisberg, Dr. Carl ( 1861-1935 ) , Prof. (Chemie), 1912 Gen.-Dir. d. Farben­ fabriken, vorm . Friedrich Bayer & Co. , regte 1916 den Zusammenschluß von Bayer, BASF u. Hoechst zur "In­ teressengemeinschaft" an 255 . 289 Duncker, Hermann ( 1874-1960 ) , Mit­ begr. d. Spartakusgruppe u. d. KPD 53. 60 Duncker, geb . Döll, Käte ( 1871-1953 ) , Mitbegr. d. Spartakusgruppe u. d. KPD 54 Dusch, Alexander Frhr. v. ( 1851-1923), bad. Min.Präs . 8. 3. 1905 -22. 12. 1917 96 Eberlein, Hugo ( 1887-1944 ) , Mitgl. d. Spartakusgruppe 53 Ebert, Friedrich ( 1871-1925 ) , seit 1913 mit Hugo Haase Parteivors . , 1916 auch Vors . d. Reichstagsfraktion d. SPD, MdR 1912 -1918 19. 3 8 . 56 Anm. 1. 297. 310. 471 . 494. 497. 501 Edhem Bey, osman. Botschaftsrat in Ber­ lin 441 Eduard VII . ( 1841-1910 ) , Kg. v. Groß­ britannien u. Irland 1901-1910 278 Ehringhaus, evang. Pfarrer 336 Eisenhart-Rothe, Paul v. ( 1857-1923 ) , 5. 8. 1917- 9. 1 1 . 1918 preuß . Landwirt­ schaftsmin. 380. 389

Eisner, Kurt ( 1867-1919), Mitgl. d. USPD 20 Elisabeth ( 1709 -1762 ) , Zarin 1741-1762 458 Elsaß-Lothringen 17. 37. 76 . 122 -131. 424 -425 Enver Pascha ( 1881-1922 ) , seit 1914 os­ man. Kriegsmin. , Vizegeneralissimus 51. 101-102 . 313 . 318. 442 Erzberger, Mathias ( 1875 -1921 ) , MdR (Zentr. ) 1903 -1918 17. 29. 253 . 297. 302 . 490. 493 Anm. 2 Essad Pascha ( 1863 -1920 ) , Sept. 1914 24. 2. 1916 Staatspräs. v. Albanien 156 Eugen, Erzherzog ( 1863 -1954 ) , Feldmar­ schall 215 -216 Falkenhausen, Hptm . v. 402 Falkenhausen, Ludwig Frhr. v. ( 18441936 ) , GO, Gen. Gouv. v. Belgien 22. 4. 1917-18. 1 1 . 1918 271 Falkenhayn, Erich v. ( 1861-1922 ) , Gdi, Chef d . Generalstabes d. Feldheeres 1914 -1916, preuß . Kriegsmin . 23-25. 27. 60. 89. 91-93 . 138 . 143 . 157. 174. 179 . 204-205 Fehrenbach, Constantin ( 1852 -1926), MdR (Zentr. ) 1903 -1918 297 Ferdinand I. ( 1861-1948 ) , Kg. (Zar) d. Bulgaren 1887-1918 242-243 . 424 Ferdinand I. ( 1865 -1927 ) , rumän. Kg. 1914 -1927 358 Fischbeck, Otto ( 1865 -1931 ) , MdR 19071918 (Dt. Freisinnige Volkspartei/Dt. Fortschritt!. Volkspartei) 297. 471 Fischer, Josef (geb . 1892 ) , Oberheizer auf Kreuzer "Pillau" 305 Fischer, Richard ( 1855 -1926 ) , MdR (SPD) 1898 -1918 64 Foch, Ferdinand ( 1851-1929 ) , Marschall, 1917 Chef d. frz. Generalstabes, seit April 1918 OB d. Verbündeten in Frankreich 459. 493 . 502 Anm. 1 Forgach v. Ghymes u. Gäcs, Dr. Johann Qinos) Gf. ( 1870-1935 ) , 1913-

Personen- und Sachregister 4. 1. 1917 Sekt. Chef im k. u. k. Min. d. Äußern 8 Fortschrittliche Volkspartei 12 -13 . 2930. 36. 297-298. 312 Anm. 1 . 321 Anm. 1 Francke (recte: Franke), Gd!, Chef d. Feldzeugmeisterei 363 Frank, Dr. Ludwig ( 1874-1914 ) , MdR (SPD) 1907-1914 64 Franz Ferdinand v. Österreich-Este ( 1863 -1914 ) , Erzhzg. , seit 1913 Gene­ ralinsp. d. ges . bewaffneten Macht 5. 7 Franz Joseph I. ( 1830 -1916 ) , 2. 12. 1848 21 . 1 1 . 1916 Kaiser v. Österreich u . Apostol. K g . v. Ungarn 9 . 212. 216. 225 Freikonservative 12 . 14 . 29 Friedberg, Dr. Robert ( 1851-1920 ) , 9. 1 1 . 1917-12 . 1 1 . 1918 Vizepräs. d. preuß . Staatsministeriums 380. 387. 389. 490 Friedensfrage, Friedensbemühungen, Friedensbedingungen, Pazifismus, Friedensvermittlung (Verhandlungen in Brest-Litovsk unter Kriegszielpolitik/ "Rußland") 19. 33-39. 158 -160 . 176 177. 185. 202 . 287-289. 296-298 . 302 304 . 377. 474-484. 487-508 Friedrich 11. ( 1712 -1786 ) , Kg. v. Preußen 31. 5. 1740 -17. 8. 1786 458. 488 Friedrich 11. ( 1857-1928 ) , 1907-1918 Großhzg. � Baden 96 Friedrich Kar! Landgraf v. Hessen ( 18681940 ) , Schwager Wilhelms 11. 19. 357 Friedrichs, Heinrich, Kommerzienrat, Vors . d. "Bundes d. Industriellen" 199 Fürstenberg, Maximilian Egon 11 . , Fürst zu ( 1863 -1941 ) , preuß . Oberstmar­ schall, k. k. Geh.Rat, Vizepräs. d. österr. Herrenhauses 364 Fürstenberg-Stammheim, Egon Franz Gf. v. ( 1869-1925 ) , dt. Gen. Konsul in Budapest Juni 1912 -1920 363

513

Gäbe!, Otto ( 1885 -1953 ) , seit 1917 Mitgl. d. USPD u. d. Spartakusgruppe 54 Gamp-Massaunen, Kar! Frhr. v. ( 18461918 ) , MdR 1884-1918 (Dt. Reichspar­ tei) 471 Gantschew (Gancev), Peter (Petar) ( 1874 1952 ) , seit 15. 1 0 . 1918 Oberst, 1915 1918 bulg. Mil.Bevollm. im dt. Gr. Hauptquartier, zugleich Flügeladjutant Zar Ferdinands 143 Gay!, Egon Frhr. v. , Stellv. Komm. Gene­ ral d. VII. AK 1. 12 . 1914 -1918 30. 132 Geithner, Otto ( 1876 -1948 ) , seit 1917 Mitgl . d. USPD, 1918 Vors. d. Arbei­ ter- und Soldatenrates in Gotha 54 Gerber, Dr. , Funktionär d. "Bundes d. Landwirte" 198 Gerisch, Kar! Alwin ( 1857-1922 ) , 1912 1917 Sekr. im SPD-Parteivorstand 56 Anm. 1 Gewerkschaften 10-12 . 14 . 16 . 19. 36 . 56-57. 114-116. 167. 201-202 . 376377. 433 Geyer, Dr. Curt ( 1891-1967) , 1917-1920 Redakteur d. "Leipziger Volkszei­ tung" 176 Geyer, Friedrich ( 1855 -1937) , MdR (SPD!USPD) 1890-1918, 1917 Mitbegr. d. USPD 173 Giolitti, Giovanni ( 1842 -1928 ) , ital. Min. -Präs . 27. 3 . 191 1-10. 3 . 1914 170 Globig, Martha (geb . 1901 ) , Mitgl. d. Spartakusgruppe 185 Goltz, Dr. Joachim v. d. (geb . 1892 ) , 1914 -1918 Artillerieoffz. 436 -437 Goltz, Wilhelm Leopold Colmar Frhr. v. d. ( 1843 -1916 ) , preuß. GFM, Gen. Gouv. v. Belgien, osman. Marschall 101 Goßler-Schätz, Alfred v. , Verwaltungs­ chef f. d. Baltikum ab 1. 8. 1918 459 Anm . 2 Gothein, Dr. Georg ( 1857-1940 ) , MdR 1901-1918 (Freisinn. Ver. ) 297

514

Personen- und Sachregister

Graevenitz, Friedrich v. , GL, württem­ berg. Mil.Bevollm. im Gr. Hauptquar­ tier 424 Graevenitz, Hans-Joachim v. (1874 1938), 1 1 . 8 .-14 . 1 1 . 1917 Unterstaats­ sekr. i. d. Reichskanzlei, seit 31. 1. 1918 Leiter d . Reichsgetreidestelle 309 Gratz, Dr. Gustav (Gusztav) (18751946), 15. 6 .-16. 9. 1917 ung. Finanz­ min . , seit 25. 2. 1917 Sekt.Chef im k. u. k. Min. d. Äußern 386 Gregorovius, Ferdinand (1821-1891 ), Kulturhistoriker u . Schriftsteller 140 Grey, Sir Edward (1916 Viscount of Fallo­ don) ( 1862 -1933), 1905-1916 Staats­ sekr. d. brit. AA 9 Gröber, Adolf (1854 -1919), MdR (Zentr. ) 1887-1918, Staatssekr. o. G. seit 4. 10. 1918 471 . 490 Groener, Wilhelm (1867-1939), 1916 GL u. Chef d. Kriegsamtes bis 1917, Gene­ ralstabschef HGr. Eichhorn 1918, seit 26. 10. 1918 Erster Generalquartiermei­ ster 19-20. 238. 377. 440 . 492 . 494 Grünau, Dr. Werner Ernst Otto Frhr. v. (1874 -1956), LegRat, 9. 8 . 1914 Vertre­ ter Treutiers im Gr. Hauptquartier, 1916-1918 Vertreter d. Reichskanzlers u. AA im Gr. Hauptquartier (Aller­ höchsten Gefolge) 203 . 263 . 279. 309 Anm . 2 . 400 . 402 . 404 . 498 . 500 Gündell, Erich v. (1854 -1924), Gdl 493 Anm. 2 Gwinner, Arthur v. ( 1856-1931), Bank­ direktor 28 Haase, Hugo ( 1863 -1919), MdR (SPD , USPD) 1912 -1918 10. 18. 54 Anm . 1 . 5 6 Anm . 1 . 1 1 8 . 121-122 . 471 Haeften, Hans v. (1870 -1937), Oberst, Verbindungsoffz. d. OHL im AA 457. 494 Haenisch, Konrad (1876-1925), Mitgl. d . preuß . Abg. Hauses (SPD) 1913 -1918 60

Hahndorff, GL, Generalquartiermeister 452 Halil Bey, osman. Außenmin. (seit 24 . 10. 1915), Justizmin. (seit 4. 2. 1917) 442 Halil Pa�cha, osman. General 101 Hammann, Otto ( 1852 -1928), Vortr. Rat im AA, Pressechef d. Reichsregierung 49 Anm . 1. 89 Handgrödinger, Kar!, Heizer 304 Hatzfeld-Wildenburg, Hermann Fürst v. , Hzg. v. Trachenberg (1867-1941 ), LegRat, seit 16. 4 . 1917 in der Polit. Abt. d. AA m. d. Bearbeitung d. poln. Angel. betraut 322 . 328. 460 . 465 . 468 . 471 Hauß, Kar! (1871-1925), MdR (Zentr. ) 1907-1918 297 Haußmann, Dr. Conrad (1857-1922), MdR (Fortschritt!. VP) 1890-1918, Staatssekr. o. G. 14 . 10 .-14 . 11. 1918 19 . 297. 330. 333 . 490 Heckscher, Dr. Siegfried (1870-1929), MdR (Fortschritt!. VP) 1907-1918 447 Heine, Wolfgang (1861-1944), MdR (SPD) 1898 -1918 278 Heinrichs, Adolf (geb . 1857), 1914 -1919 Unterstaatssekr. im preuß . Staatsmini­ sterium 220 . 228 Helfferich, Dr. Kar! (1872-1924), 31. 1. 1915-22. 5. 1916 Staatssekr. d . Innern, 22 . 5 . 1916 -9. 1 1 . 1917 d t . Vize­ kanzler 68. 199. 220 . 223 . 225 . 228 . 240 -242 . 267-268 . 322 . 325 -326. 328 - 329. 333 . 353. 389. 452 Hentig, Dr. Werner Otto v. (1886 -1984), LegSekr. 419 Hentsch, Friedrich Heinrich Richard (1869-1918), seit April 1914 Abt. Chef im preuß . Generalstab (Oberstlt. ), 1916 Oberquartiermeister d. HGr. Macken­ sen, seit 1917 Oberst u. Chef d. Stabes d. Mil.Verw. in Rumänien 207-208 . 356

Personen- und Sachregister Hergt, Oskar ( 1869-1967) , 5. 8. 19179. 1 1 . 1918 preuß . Finanzmin. 380. 394 . 387-389 Hertling, Georg Gf. v. ( 1843 -1919) , 25. 10. 1917- 3 . 10. 1918 dt. Reichskanz­ ler u. preuß. Min.Präs . 16. 93 - 94 . 96. 331-332 . 334-335 . 359. 380. 389. 395 . 397. 404. 407. 427. 432 -433 . 452 . 457 Heydebrand u. d . Lasa, Dr. Ernst v. ( 1851-1924) , MdR (Kons . ) 1903 -1918 110 Anm. 2 Heyderhoff, Dr. 458 . 460 Hindenburg: v. Beneckendorff und v. Hindenburg, Paul ( 1847-1934 ) GFM, Chef d. Generalstabes d. Feldheeres 1916-1918 18-20. 23 . 25. 32. 92 . 205 206. 212 Anm. 1. 221 . 244 -245 . 254255. 262 . 271 . 295 . 302 . 306-307. 321322 . 325 . 340- 341. 351-352. 355-356. 359. 395 . 407. 413 -416. 419-421 . 425 . 433 . 445 -452 . 473 -475 Hintze, Paul v. ( 1864 -1941 ) , Admiral, 9. 7.- 3 . 10. 1918 Staatssekr. im AA 3 8 . 444 -445 . 447-448. 460. 462-467 Hirsch, Paul ( 1868 -1940 ) , Mitgl. d. preuß. Abg.Hauses (SPD) 1908 -1918 108-110 Hoffmann, Adolph ( 1858 -1930 ) , Mit­ begr. d. USPD 1917, Mitgl. d. preuß . Abg.Hauses (SPD/USPD) 1908 -1918 153 Hoffmann, Max ( 1869 -1927) , 1914· Chef d. Generalstabes d . 8. Armee, seit Aug. 1916 Chef d. Generalstabes d. OB Ost Pz. Leopold v. Bayern, seit 30. 10. 1917 GM 338. 353 . 373 Hohenberg, Sophie Herzogin v. (geh . Gräfin v. Chotek) ( 1868-1914 ) 7 Hohenlohe-Schillingsfürst, Gottfried Prinz zu ( 1867-1932 ) , 1914 -1918 k. u. k. Botschafter in Berlin 153 . 322 . 416 Hold-Ferneck, Dr. Alexander Frhr. v. ( 1875 -1955 ) , Wiener Univ.Prof. (Völ­ kerrecht) 9

515

Holtzendorff, Henning v. ( 1853 -1919) , Admiral, Chef d. Admiralstabes 1915 31. 7. 1918 27. 180. 188. 246 . 271. 283 . 395 - 396 . 405 Hoover, Herbert Clark ( 1874 -1933 ) , ame­ rikan. Politiker (Rep.), organisierte im Weltkrieg die Lebensmittelversorgung der USA 276 Anm. 5 Hopman, Albert ( 1865 -1942 ) , seit 1917 Vizeadmiral 476 Hoyos, Alexander Gf. ( 1876 -1937) , LegRat, Kabinettschef im k. u. k. Ministerium d. Äußern 8 - 9 Hugenberg, Dr. Alfred ( 1865 -1951 ) , Dir. d. Fried. Krupp AG in Essen 132 . 197 Innenpolitik, innere Lage, Stimmung 10. 45. 49. 55-58. 60. 63-67. 75 -78 . 93 . 98 -100 . 102 . 112-116. 118 -122 . 131132. 146 . 165-166. 168-174. 183 -185. 189. 201-202. 207-210. 253 -254. 256. 258-263 . 266 -267. 284-289. 293 �9. �4 -3� . m - m . m-ll2 . DO333. 336-338. 376-378. 391-394. 403 -404 . 407. 432 . 468 . 474-480. 482 -484. 489-508 Interfraktioneller Ausschuß 35-36. 38. 298 Anm. 1 Jaehmann,Kommandant d. Alexander­ Kasernen seit 8 . 1 1 . 1918 504 Jagow, Gottlieb v. ( 1863 -1935 ) , 1 1 . 1. 1913 -22. 11. 1916 Staatssekr. d. AA 32. 58. 147. 153 . 158. 160. 163 . 168 -171 . 220 . 228 . 234. 236 . 254 Jagow, Traugott v. ( 1865 -1941 ) , Polizei­ präs . v. Berlin 102 . lJl . 146. 261 . 321 Joffe (Ioffe) Adol'f Abramovic ( 1883 1927) , Vors . d. russ . Friedensdel. in Brest-Litovsk, Botschafter in Berlin 418 Jogiches-Tyszka, Leo ( 1867-1919 ) , Mit­ begr. u. Leiter d. Spartakusgruppe 54. 256. 268

516

Personen- und Sachregister

Josef Ferdinand, Erzhzg. ( 1872 -1942 ) , GO 216 Jovanovic, Ljuba, serb. Unterrichtsmin. 7 Kaempf, Dr. Johannes ( 1842-1918 ) , 1912 1918 Präs . d. Reichstags 168 -172 Kämpfer, Richard, Handlungsgehilfe (USPD) 404 Kaledin, Aleksej Maksimovic ( 18611918), russ . General, Befehlshaber im Dongebiet 341 Kamenev, Lev Borisovic ( 1883 -1936 ) , Mitgl. d. russ. Friedensdel. in Brest­ Litovsk 369 Karadjordjevic, serb. Dynastie 7. 157 Kar! I . (Carl Franz Joseph Ludwig Hu­ bert Georg Otto Maria) ( 1887-1922 ) , 21 . 1 1 . 1916 -11. 1 1 . 1918 Kaiser v. Öster­ reich u. Apostol . Kg. v. Ungarn 3435. 212 . 215 . 306. 320. 342 . 416 Kautsky, Kar! ( 1854 -1918 ) , marxist. Theoretiker (SPD, 1917 USPD) 118. 121 Kemnitz, Arthur v. ( 1870 -1955 ) , 1916 1917 Ostasienreferent im AA 186-187. 189 Kerenskij , Aleksandr Fedorovic ( 18811970 ) , Mai-Juli 1917 russ . Kriegsmin. , dann bis 7 . 1 1 . 1917 Min.Präs . 330 Kessel, Gustav v. (1846-1918 ) , GO, OB in den Marken 31. 45-50. 152 153 Kirdorf, Emil ( 1847-1938), Industrieller (Gelsenkirchener Bergwerks-AG, Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndi­ kat) 72 . 132 Kitchener, Horatio Herbert, Earl of Khartoum ( 1850 -1916 ) , 191 1-1914 brit. Oberkommissar in Ägypten, 1914 Kriegsmin . 154 Klein, Fritz, Hptm . , Führer der Kärün­ Expedition 102 Knobelsdorf s. Schmidt v. Knobelsdorf Köbis, Albin ( 1892 -1917) , Heizer auf

Linienschiff "Prinzregent Luitpold" 304- 305 Koerner, Paul Ernst v. ( 1849-1930), Dir. d. Handelspolit. Abt. d. AA 18991914, seit 1904 Wirk!. Geh .Rat 197 Körsten, Richard ( 1856 -1924 ) , MdR (SPD) 1912 -1918 377 Körte, Dr. , Magistratsmitgl. Königsberg 103 Konservative 12 -14. 29-30. 70. 1 1 8 . 312 Anm . 1 Konstantin ( 1868 -1923), Kg. v. Griechen­ land 18. 3. 1913 -12 . 6. 1917 155 . 402 Kornilov, Lavr Georgievic ( 1870 -1918), russ. General, OB d. Heeres Juli-Aug. 1917, Organisator d. Frw. Armee 341 Krause, Dr. Paul v. (1852 -1923 ) , 7. 8. 1917-13 . 2. 1918 Staatssekr. im Reichsjustizamt 490 Kreß v. Kressenstein, Friedrich Frhr. v. ( 1870 -1948 ) , Oberst, seit Mai 1918 GM, Chef d. Dt. Delegation im Kau­ kasus 422 -423. 443 Kriegswirtschaft 20-22. 52 -53. 61. 72 74 . 85-89. 103 . 106-108. 1 17. 147-152 . 200. 237-23 8 . 254 -255 . 257. 289-292 . 438 - 440. 457 Kriegszielpolitik allgemein: 28-32. 5 8 - 59. 61- 62. 6771 . 78 -85. 93 -97. 176. 246 -251. 269-271 . 281-284 . 300-302. 305 310. 334-336. 422 -427. 437-438 Westen allgemein; Frankreich : 71-72 . 89-91. 217-219 Mitteleuropa: 138 -141 Belgien: 74 . 97. 108-110. 179. 271-278 Großbritannien: 366-367 USA: 408 -410 Osten allgemein; Rußland/Ba!tikum/ Ukraine/Finnland: 91-93 . 103-105. 203 -205 . 279-280. 329-330. 340 351. 367-375. 395 -397. 41 1-412 . 440 -441 . 444 -445 . 452 -453 Polen: 133 -134. 178 . 220-228. 338340. 360-365. 380- 389. 464 -471

Personen- und Sachregister Serbien: 153 -158. 328 Rumänien: 355-359. 404 -406 Griechenland : 400 -402 Japan : 186 -196 Orient: 101-102, 1 1 1-112, 428 -431 Kries, Wolfgang Moritz Ludwig (18681945), Frühjahr 1915 -Nov. 1917 Chef d. Zivilverw. im Gen. Gouv. Warschau 307. 309 Kühlmann, Dr. Richard v. (1873 -1948), 1915 -1916 Ges . im Haag, 6. 8. 191716. 7. 1918 Staatssekr. d. AA (Dienst­ antritt 8. 8. 1917, Bewilligung d. Rück­ trittsgesuchs am 9. 7. 1918) 37. 180. 307- 309. 319. 322 - 323 . 326-329. 334 -335 . 340 . 343 -347. 352. 367-368. 374 - 3 75 . 380. 382. 387. 389. 395 . 397. 404 -405 . 412 . 414 . 416. 419-420. 422 427 Künstler, Fanny (1867-1923), Schriftstel­ lerin 61 Lancken-Wakenitz, Oscar Frhr. v. d. (1867-1939), Ges . , Leiter d. Polit. Abt. b . d. Gen. Gouv. in Belgien 1914 -1918 37. 271 Landsberg, Otto (1864-1957), MdR (SPD) 1912 -1918 167. 494 Anm . 1 Landwehr v. Pragenau, Ottokar (18681944), k. u . k. GM, Vors . d. Gern . Er­ nährungsausschusses 452 Langfeld, Adolf v. , leitender mecklen­ burg. Statsmin. , Min. d. auswärt. An­ gel. 350 Lansing, Roben (1864-1928), amerik. Staatssekr. (Ausw.) seit 24. 6. 1915 38 Ledebour, Georg (1850 -1947), MdR (SPD/USPD) 1910-1918, 1917 Mitbegr. d. USPD 15 Legien, Carl (1861-1920), MdR (SPD) 1903 -1918 56 Anm. 1. 494 Anm . 1 Leidig, Dr. Ernst, Syndikus, Geschäfts­ führer d. Hansa-Bundes 210 v. Leipzig, Oberst z. D . , März-28. Juni

517

1915 dt. Militärattache in Konstanti­ nopel 102 Lenin (eig. Ul'janov), Vladimir Il'ic (1870-1924), russ. Revolutionär 403 Lentze, Dr. August (1860 -1945), 28. 6. 1910- 5 . 8. 1917 preuß . Finanz­ min. 220 . 222 . 226 . 228 Lerchenfeld auf Köfering u. Schönberg, Hugo Philipp Gf. von u. zu (1843 1925), 1880-1918 bayer. Ges . in Berlin, Bevollm . zum Bundesrat in Berlin 309 Lersner, Dr. Kurt Frhr. v. (1883 -1954), Rittmeister d. Res . , LegRat, ab Okt. 1916 dem Vertreter d. AA bei der OHL (im Gr. Hauptquartier) Grünau zuge­ teilt, ab 5. 3. 1917 Vertreter d. AA bei der OHL (im Gr. Hauptquartier) 309 Anm . 2. 322 . 329-330. 397. 404. 444 Leth, Dr. Kar! Ritter v. (1861-1930), 3. 11. 1915 -21 . 10. 1916 österr. Finanz­ min. 213 -214 Lewald, Dr. Otto Friedrich Theodor (1860-1947), Dir. im Reichsamt d. In­ nern 171-172 Lexa v. Aehrenthal, Aloys Gf. (18541912), k. u. k. Min . d. Äußern 24. 10. 1906 -17. 2 . 1912 8 Lichnowsky, Kar! Max Fürst v. (1860 1928), Botschafter in London 1912 1914 445 Liebknecht, Dr. Kar! (1871-1919), MdR (SPD/fraktionslos) 1912-1917 10-1 1 . 5 4 . 9 9 . 168 -173 . 1 8 5 . 228 Liman v. Sanders, Otto (1855 -1929), preuß. GdK, Chef d. Dt. Militär­ Mission in Konstantinopel, osman. Marschall 51 Anm . 1 v. Lindstedt, Oberstlt. 233 Linke, Richard, Obermatrose auf Linien­ schiff "Helgoland" 304 Linsingen, Alexander v. (1850-1935), GO, OB in den Marken, Gouv. v. Berlin 494-495

518

Personen- und Sachregister

Lloyd George, David (1863 -1945), 10. 12. 1916 -19. 10. 1922 brit. Premier­ min. 3. 379 Loebell, Friedrich Wilhelm v. (18551931 ), 18. 4. 1914 - 5 . 8 . 1917 preuß . Min. d. Innern 14 . 78. 85. 220. 222 . 225. 227-228 Lossow, Otto v. (1868 -1938), GM, Mil.­ Bevollm . in Konstantinopel 418 . 428 431. 443 Ludendorff, Erich (1865 -1937), Gdl, 29. 8. 1916 -26. 10. 1918 Erster Gene­ ralquartiermeister 23 . 26. 32. 39. 206 . 220-221 . 254. 266 . 271. 293 -295. 298 . 306-309. 322 -327. 334. 338 -342. 344-345. 348. 351-355. 360. 380-381. 383-389. 395-397. 399. 404 . 412 -427. 432. 438. 445 -449. 451-452 . 476 Ludwig III. (Leopold J osef Maria Alois Alfred) (1845 -1921 ), Kg. v. Bayern 5. 11. 1913 -7./8. 1 1 . 1918 45 Anm. 1 . 1 19 Lücke, Dr. 0. , Bürgermeister v. Inster­ burg 67 Luxemburg, Dr. Rosa (1870-1919), Mit­ begr. d. Spartakusgruppe u. d. KPD 53-54. 176 . 185. 344 Mackensen, August v. (1849-1945), GFM, Nov. 1914 -April 1915 OB d. 9. Armee, dann bis Sept. 1915 der 1 1 . Armee, zugleich seit April 1915 OB d. HGr. Mackensen in Polen (bis Sept. 1915), OB in Serbien u. Makedonien (bis Juli 1916), in Rumänien (bis 1918) 355 . 359. 452 Malobabic, Rade, Hauptagent d. serb. Kundschaftsdienstes in Österr. -Un­ garn 7 Mann, Edler v. Tiechler, Ernst (Kar! Au­ gust) Ritter v. (1864-1934), Nov. 191813. 2 . 1919 Staatssekr. d. Reichsmarine­ amts 490. 492 Mannerheim, Carl Gustav Frhr. v. (18671951 ), finn. General u. Staatsmann 417

Marchlewski-Karski, Dr. Julian ( 18661925), Mitbegr. d . Spartakusgruppe 53 Marchtaler, Otto v. ( 1854 -1920), Gdl (GO), württemberg. Kriegsmin. 11. 6. 1906 -6. 1 1 . 1918 440 Mare, Nils de, schwed. Hptm. u. pers . Mjr. d. Gendarmerie 101 Marghiloman, Alexander (1854 -1925), rumän. Min.Präs . 19. 3 .-10. 1 1 . 1918 358 Maria, Kgn. v. Rumänien (v. Edinburgh [Sachsen-Coburg-Gotha]) (18751938) 358 Marotzky, Dr. Oskar (geb . 1881), 1914 1918 Leiter d. Lebensmittelversorgung Berlins 1 17 Marschall gen. Greiff, Ulrich Frhr. v. (1863 -1923), GM, Chef d. Mi!. Kabi­ netts u. Gen.Adjutant d. Kaisers 27. 6.-Nov. 1918 445 Masirevich, Konstantin v. (geb. 1879), k. u. k. LegRat I . Kategorie 460 . 465 Matscheko, Franz v. (geb. 1876), k. u. k. Sekt. Chef 460. 464 Max(imilian) Alexander Friedrich Wil­ helm Prinz v. Baden ( 1867-1929), 4. 10.-9. 11. 1918 dt. Reichskanzler u. preuß . Min.Präs . 16. 18 -19. 38. 474 475 . 479. 485 . 487-48 8 . 490 -493 . 495 - 503 Mayer(-Kaufbeuren), Dr. Wilhelm (1874 1923), MdR (Zentr. ) 1907-1918 297 Mehmed V. ( 1844 -1918), osman. Sultan 1909-1918 52 . 313 Nehmedbasic, Muhamed, hercegovin. Tischler, Mitattentäter in Sarajevo 8 Mehring, Dr. Franz ( 1846 -1919), Mit­ begr. d. Spartakusgruppe u. d. KPD 54. 60 Mensdorff-Pouilly Fürst v. Dietrichstein zu Nikolsburg, Albert Gf. (18611945), 1904 -1914 k. u. k. Botschafter in London 35

Personen- und Sachregister Mercier, Desin! Joseph ( 1851-1926 ) , 1906 Erzbischof v. Mecheln, 1907 Kardinal 275 Merey v. Kapos-Mere, Kajetan ( 18611931 ) , 4 . 3. 1910-23. 5. 1915 k. u. k. Botschafter in Rom 244 . 322 . 326. 328 -329. 460 . 464 Menon, Dr. Richard ( 1881-1960 ) , 1915/16 beim Gen. Gouv. in Brüssel, 1916 im Kriegsernährungsamt, 1916/17 im Kriegsamt 2. Adjutant Groeners, 1917/ 18 Vors. d. Wirtschaftsausschusses d . Etappeninspektion d. 4. Armee, 1918 Adjutant Groeners in der Ukraine, Vorstandsvors. d. Metallgesellschaft AG Frankfun a. M. 237 Menz v. Quirnheim, Hermann Ritter (geh. 1866 ) , Oberst bzw. GM, 1914 1. Generalstabsoffz. d. 6. Armee, Chef der am 15. 8. 1916 begründeten Opera­ tionsabt. B im Generalstab d. Feldhee­ res 252. 293 -294 Meyer, Dr. Ernst ( 1887-1930 ) , Mitbegr. d. Spanakusgruppe u. d. KPD 53. 496 Michaelis, Dr. Georg ( 1857-1936 ) , 14 . 7.24 . 10. 1917 dt. Reichskanzler u. preuß . Min. Präs . 32. 36. 297. 300. 302 . 304. 310. 312 . 321. 331 Michahelles, Gustav, dt. Ges . in Sofia 1913 -1916 144. 146 Militärische Ereignisse, Kriegslage (mit Ausnahme U-Boot-Krieg) 58. 63 . 85. 89-92. 174 -175 . 342 . 407. 436-437. 445 -452 . 458 -460. 468 . 471-476 Mirbach-Harff, Wilhelm Gf. v. ( 18711918 ) , Ges . in Moskau seit 2. 4. 1918 423 Mirzä Mal}müd lj:än, pers . Botschafter in Konstantinopel 101 Mittag v. Lenkheym (geh . 1872 ) , Rudolf Frhr. , LegRat I. Kategorie, Titel u. Charakter eines ao. Ges . u. bevollm. Min. im k. u. k. Min. d. Äußern seit 8. 5. 1917 322 . 328

519

Molkenbuhr, Hermann ( 1851-1927) , MdR (SPD) 1890-1918 56 Anm . 1. 297 Mo!tke, Helmuth v. ( 1848 -1916 ) , 190614 . 9. 1914 Chef d. Gr. Generalstabes, GFM 204 Mommsen, Dr. Theodor ( 1817-1903 ) , Prof. in Zürich, Breslau, Berlin; MdR (Nationallib.) 1881-1884 140 Monro, Sir Charles Carmichael ( 18601929) , brit. General 154 v. Moßner, GdK, Komm. General v. Metz 25 Müller, Georg Alexander v. ( 1854 -1940 ) , Admiral, Chef d. Marinekab. 1. 4. 1908 -28. 1 1 . 1918 (seit 28. 10. 1918 be­ urlaubt) 395 Müller, Gustav, Dir. im Reichsamt d. In­ nern 68 Müller( -Franken), Hermann (18761931 ) , MdR (SPD) 1916-1918 56 Anm . 1 Müller(-Fulda), Richard ( 1851-1931 ) , MdR (Zentr.) 1903 -1918 297 Müller(-Meiningen), Dr. Ernst (18661944 ) , MdR (Freisinnige VP) ( 1898 1918 ) 297 Musil, Dr. Alois ( 1868 -1944 ) , Univ.Prof. Wien (biblische Hilfswissenschaften u. arabische Sprache) 35 Musulin v. Gomirje, Dr. Alexander Frhr. ( 1868 -1947) , 1903 -1910 Leiter d. orien­ tal. Referats, 1910 -1916 des Kirchen­ polit. Referats im k. u. k. Min . d. Äußern, Ges . i. Bern seit 2 . 4 . 1917 8-9 Napoleon I I I . (Charles Louis Napoleon) ( 1808-1873 ) , 1852 -1870 Kaiser der Franzosen 271 Nationalliberale 12-14. 29-30. 34-36. 118. 253 . 298 Anm. 1. 312 Anm. 1. 332 Naumann, Friedrich ( 1860 -1919 ) , MdR (Freisinn. Ver./Fonschrittl. VP) 1913 1918 332

520

Personen- und Sachregister

Niebuhr, Barthold Georg (1776 -1831 ), Historiker (seit 1825 Prof. in Bonn) u. Staatsmann 140 Niedermayer, Dr. Oskar Ritter v. (18851948), kgl. bayer. Oberlt. , Hptm . 17. 8. 1916, z. Generalstab versetzt 28. 6. 1917; Leiter d. Afghanistan-Ex­ pedition 1915 102 . 418 Nikolaus (Nikolaj) II. (1868 -1918), russ . Zar 1. 9. 1894 -15 . 3. 1917 104-105 . 190 Anm. 1 Noske, Gustav (1868 -1946), MdR (SPD) 1906 -1918 18 -19 Oberndorff, Alfred Graf v. (1870-1963), Ges . in Sofia 20. 2. 1916 -11. 10. 1918 493 Anm . 2 Oederlin, Friedrich, Schweizer Ge­ schäftsträger in Washington 38 Olberg, Alfred v. , Mjr. , Leiter d. Ober­ zensurstelle d. Kriegspresseamts 165 Anm . 2 Oldershausen, Erich Frhr. v. ( 1872 1945), Oberstlt. bzw. Oberst, Chef d . Feldeisenbahnwesens Nov. 1916-1918 307. 422 Oskar Prinz v. Preußen, Sohn Wilhelms II. (1888 -1958) 357 Ostrowski, J6zef Gf. (1850 -1925), Mitgl. d. poln. Regentschaftsrates 1917/18 388 v. Oven, Gdl, Gouv. v. Metz 71-72 Paasche, Dr. Hermann (1851 -1925), MdR (Lib . Vereinigung/Nationallib .) 1893 1918 64 Pacelli, Eugenio, Nobile di Aquapen­ dente e di San Angelo in Vado ( 18761958), Mai 1917-1925 Nuntius in Mün­ chen (Papst Pius XII . ) 36. 303 Painleve, Paul (1863 -1933), frz. Min . ­ Präs . 1 2 . 9.-13. 1 1 . 1917 37 Paleologue, Maurice (1859-1944), frz . Botschafter in Petersburg 1914 -1917 104

Pallavicini, Johann Ganos) Markgraf v. (1848 -1941 ), 1906-1918 k. u . k. Bot­ schafter in Konstantinopel 158 Paquet, Alfons (1881-1944), Journalist, Romancier, Nationalökonom, Dichter 480 Pasic, Nikola ( 1846 -1926), serb. Min.­ Präs . 1912 -1918 ( 1915/18 im Exil) 7 Payer, Friedrich v. (1847-1931), 9. 1 1 . 1917-9. 11. 1918 dt. Vizekanzler 35. 297. 332-333. 395 . 397. 416 . 471 . 490 Petrovic, montenegrin. Dynastie 157 Pfannkuch, Wilhelm (1841-1923), 19171923 Sekr. im Parteivorstand d. SPD, MdR 1912 -1918 56 Anm. 1 Pieck, Wilhelm (1876 -1960), Mitgl. d. Spartakusgruppe 53 Plessen, Hans Georg Hermann v. (18411929), seit 1893 Generaladjutant, 1892 1918 Kommandeur d. kaiserl. Haupt­ quartiers, 1908 GO m. Rang eines GFM 445 Pohl, Hugo v. (1855 -1916), 1913 Admiral, 1. 4. 1913 -2. 2. 1915 Chef d. Admiral­ stabes, 1. 2. 1915 -15. 1. 1916 Chef d. Hochseeflotte 26 Poincare, Raymond (1860 -1934), frz. Staatspräs. 18. 2. 1913-18. 2. 1920 35 Polnische Minderheit (in Preußen) 59. 76 . 81. 115 -116 Potiorek, Oskar (1864-1933), FZM, seit 10. 5. 191 1 Chef d. Landesregierung f. Bosnien-Hercegovina, seit 6. 8. 1914 Kommandant 6. Armee u. OB d. Bal­ kanstreitkräfte (23 . 12 . 1914 enthoben) 154 Princip, Gavrilo (1894 -1918), bosn. Gymnasiast, Attentäter in Sarajevo 7 Prittwitz u. Gaffron, Friedrich Wilhelm v. ( 1884 -1954), LegSekr. , 18. 7. 191717. 1 1 . 1918 der Reichskanzlei zugeteilt, Begleiter u. Adjutant d. Reichskanzler Michaelis, Hertling, Prinz Max v. Baden 305

Personen- und Sachregister Radoslawow (Radoslavov), Wasil (Vasil') ( 1854 -1929 ) , bulg. Min .Präs . 18. 7. 1913 -16. 6. 1918 144. 146. 424 Radowitz, Wilhelm v. ( 1875 -1939 ) , Leg­ Rat, 10. 1 1 . 1917-10. 10. 1918 Unter­ staatssekr. in d. Reichskanzlei 340 . 380 Radziwill, Ferdinand Fürst v. ( 18341926 ) , MdR (Pole) 1874-1918 226 Rainer, Erzherzog ( 1827-1913 ) , Leitender Min. v. Österreich 4. 2. 186126. 6 . 1865 215 Rathenau, Walther ( 1867-1922), Präs . d. AEG, 1914/15 Leiter d. Kriegsrohstoff­ abt. im preuß . Kriegsministerium 39. 61 Rechenberg, Dr. Albrecht Frhr. v. ( 18611935 ) , Gen. Konsul in Warschau, Wirk!. Geh.Rat, MdR (Zentr. ) 1914 1918 68 Reichpietsch, Max ( 1894 -1917) , Ober­ heizer auf .Friedrich der Große" 304305 Reichsleitung - OHL, Verhältnis 22-26. 252. 293 -295. 338 - 340. 352 -355. 359-360. 407-408 . 478 Rennenkampf, Paul Edler v. ( 1854 -1918 ) , russ. General 396 Revertera v. Salandra, Nicolaus Gregor Friedrich Maria Gf. ( 1866 -1951 ) , k. u. k. LegRat li. Kat. seit 1902 35 Richter, Max, Unterstaatssekr. im Reichs­ amt d. Innern 68 Rießer, Dr. Jakob ( 1853 -1932 ) , MdR (Nationallib.) 1916 -1918 210 Riezler, Dr. Kurt ( 1882 -1955 ) , Geh . Leg­ Rat, Privatsekr. Bethmann Hollwegs 75 Anm. 1. 89. 91 . 99. 468 Roedern, Siegfried Gf. v. ( 1870-1954 ) , 1914 Staatssekr. f. Elsaß-Lothringen, 22. 5. 1916 -14. 1 1 . 1918 Staatssekr. d. Reichsschatzamtes, 1917 preuß . Staats­ min. 307-309. 340. 351 . 380. 384. 386-389. 435 . 490 Roetger, Max ( 1860-1923 ) , 1909-1919 Vors . d. Centralverbandes dt. Indu-

521

strieller bzw. d. Kriegsausschusses d. dt. Industrie 197 Rosenberg, Dr. Fn!deric Hans v. ( 1874 1937) , Wirk!. Geh . LegRat, 1 9 . 12 . 1917 Rang und Titel eines Ges . im AA 322 . 328 . 424 Rüdlin, Otto ( 1861-1928 ) , Staatssekr. im Reichspostamt 5. 8. 1917-6. 2. 1919 490 Rühle, Otto ( 1874 -1943 ) , MdR (SPD/par­ teilos) 1912 -1918 10. 54 Anm. 1 Ruppin, Ina Marie Gräfin (seit 27. 7. 1914 ) (früher v. Bassewitz) ( 1888 -1973 ) , Gemahlin Oskars v. Preu­ ßen 357 Sachse, Willy ( 1896-1944 ) , Oberheizer auf Linienschiff .Friedrich der Große" , Mitgl. d. USPD 304- 305 Salm-Horstmar, Otto li . , Fürst u. Rhein­ graf zu ( 1867-1941 ) , Mitgl. d. preuß . Herrenhauses, 1902 -1908 Vors . d. Dt. Flottenvereines 253 Salza v. Lichtenau, Ernst Frhr. v. ( 18601926 ) , sächs. Ges . in Berlin 1909-1916 63 Samsonov, Aleksandr Vasil'evic ( 18591914 ), russ. General 396 Sasonow (Sazonov), Sergej Dmitrievic ( 1861-1927) , russ . Außenmin. 28. 9. 1910 -23 . 7. 1916 104-105 Scavenius, Erik ( 1877-1962 ) , dän. Außen­ min. 1913 -März 1920 37. 103 . 105 Scheer, Reinhard ( 1863 -1928 ) , Admiral, Chef d. Seekriegsleitung 18. 27 Scheidemann, Philipp ( 1865 -1939 ) , MdR (SPD) 1903 -1918 18. 3 5 . 56 Anm . 1 . 6 0 . 9 8 . 164 . 167. 297. 377. 487. 490 . 492 . 494. 496-497 Scheüch, Heinrich v. ( 1864-1946 ) , GM, Chef d. Kriegsamts 1917-1918, 9. 10.9. 11. 1918 preuß . Kriegsmin. 18. 435. 490 Schiffer, Eugen ( 1860-1954 ) , MdR (Na­ tionallib .) 1912 -1917 1 1 8 . 166 Anm . 1

522

Personen- und Sachregister

Schmidt, Dr. Robert ( 1864 -1943 ) , MdR (SPD) 1903 -1918, seit 15. 10. 1918 polit. Unterstaatssekr. im Kriegsernährungs­ amt 380. 389. 494 Anm. 1 Schmidt v. Knobelsdorf, Kar!, GL, Chef d. Generalstabes d. 5. Armee 204 Schönerer, Georg Ritter v. ( 1842 -1921 ) , 1873 -1888, 1897-1907 Mitgl. d. österr. Reichsrats (Alldt.) 361 Schorlemer-Lieser, Dr. Klemens Frhr. v. ( 1856-1922 ) , 1 8 . 6. 1910 - 5 . 8 . 1917 preuß. Landwirtschaftsmin. 220. 228 Schulenburg, Friedrich Bernhard Graf v. d. ( 1865 -1939 ) , GdK, Generalstabs­ chef HGr. Dt. Kronprinz 204 Schulenburg, Friedrich Werner Graf v. d. ( 1875 -1944 ) , Gen. Konsul in Tiflis 111. 419 Seeberg, Reinhold ( 1859-1935 ) , Prof. d. evang. Theologie in Berlin (seit 1898 ) 132 Seeliger, Geh . LegRat (AA) 468 . 471 Seil, Frhr. v. , Adjutant Bethmann Holl­ wegs 90 Severing, Carl ( 1875 -1952 ) , MdR (SPD) 1907-1912 377 Seyda, Wladislaus Kasimir ( 1863 -1939) , MdR (Pole) 1907-1918 471 Simons, Walter ( 1861-193 7) , Geh . LegRat 19 . 498 Anm. 1. 499 Anm. 1 Sixtus, Prinz v. Bourbon-Parma ( 18861934 ) , Dr. jur. , kgl. belg. Artillerie­ hptm. 35 Skerlecz v. Lomnicza, lv:in Frhr. ( 1873 1951 ) , Banus v. Kroatien 1913 -1917 7 Skoropadskyj, Pavlo ( 1873 -1945 ) , Het'­ man d. Ukraine 29. 4.-14 . 12. 1918 411 Anm. 3. 441 Soetbeer, Dr. Heinrich, Gen. Sekr. d. Dt. Handelstages 199 Solf, Dr. Wilhelm ( 1862-1936 ) , 20. 12. 191 1-13 . 12. 1918 Staatssekr. d. Reichskolonialamts, 4 . 10.-13. 12. 1918 Staatssekr. d. AA 58. 478 . 482 . 484. 490. 503

Sophie v. Preußen ( 1870 -1932 ) , Gemahlin Kg. Konstantins von Griechenland 402 Sozialdemokraten, SAG 10-15. 18 -19. 27. 29-30. 35-36. 53 - 57. 59-60. 63 65 . 70. 77. 99. 107. 1 1 1 . 1 14. 118 -122 . 134-135. 152 -153. 164 -168. 173 -174 . 176-177. 183 -184. 201-202 . 2 7 8 . 286289. 297-298 . 310-312 . 321 Anm. 1. 332. 391-392. 468. 495 . 497-499. 501503 Spahn, Dr. Peter ( 1846 -1925 ) , MdR (Zentr. ), 5. 7. 1917-9. 1 1 . 1918 preuß . Justizmin. 29. 32. 332. 380. 386 Spartakusgruppe 11. 14 -15 . 256 . 268 . 376 - 3 78 . 495 Stampfer, Friedrich ( 1874 -1957) , Chef­ redakteur des "Vorwärts" 491 Anm. 1 Staudinger, Dr. Hermann ( 1881-1965 ) , Prof. d. Chemie 408 Stein zu Nord- und Ostheim, Hans Kar! Frhr. v. ( 1867-1942 ) , Staatssekr. d . Reichswirtschaftsamts 2 0 . 1 1 . 19178 . 1 1 . 1918 353. 435 . 490 Stein, Hermann v. ( 1854 -1927) , GL (GdA), 29. 10. 1916 -9. 10. 1918 preuß . Kriegsmin. 63. 262. 307. 313 . 318. 380. 385. 389. 391. 394 . 435 Stinnes, Hugo ( 1870-1924 ) , Großkauf­ mann 132 Stresemann, Dr. Gustav ( 1878 -1929 ) , MdR (Nationallib . ) 1914-1918 37. 471 Stücklein, eig. Stücklen, Daniel ( 18691935 ) , MdR (SPD) 1903 -1918 60 Stürgkh, Dr. Kar! Reichsgraf v. ( 18591916 ) , 3 . 11. 191 1-21. 10. 1916 österr. Min. Präs . 213 Stumm, Wilhelm August Frhr. v. ( 18691935 ) , 191 1-1916 Dirigent d . polit. Abt. d. AA, 22 . 11. 1916 -1918 Unterstaats­ sekr. im AA 247. 249. 300 . 322 -325. 327-329. 460 . 464 -465 Südekum, Dr. Albert ( 1871-1944 ) , MdR (SPD) 1900-1918 64 . 70. 297. 494

Personen- und Sachregister

523

Sydow, Dr. Reinhold v. ( 1851-1943 ) , 14 . 7. 1909 -5. 10. 1918 preuß. Min. f. Handel u. Gewerbe 220. 227-228. 380. 385. 389 Sylvester, Dr. Julius ( 1854 -1944 ) , Präs . d. österr. Abg.Hauses 21 . 7. 191130. 5 . 1917 363

9. 3. 1918-1924 341. 368- 369. 375. 389. 403 Tschenkeli (Cchenkeli), Akaki, georg. Außenmin. 429-431 Tschirschky u . Bögendorff, Heinrich Leonhard v. ( 1858 -1916 ) , Botschafter in Wien 1907-1916 9. 32 . 153 . 212 . 217

Talaar Pascha,Mehmed ( 1872/74 -1921 ) , osman. Großvezir Febr. 1917-0kt. 1918 442 . 466 -467 Tankosic, Vojislav, serb . Mjr. 7 Thoma, Dr. Ludwig (1867-1926 ) , Schriftsteller 331 Thyssen, August ( 1842 -1926 ) , Industriel­ ler (Thyssen & Co. KG) 71-72 Tirpitz, Alfred v. ( 1849-1930) , 1 8 . 6. 1897-15. 3 . 1916 Staatssekr. d. Reichsmarineamts; Großadmiral 27. 253 Tisza v. Borosjenö u. Szeged, Stephan (Isrvin) Gf. ( 1861-1918 ) , ung. Min . ­ Präs . 1913 -15. 6. 1917 8 -9. 157. 214 . 217. 363 -364 Toller, Ernst ( 1893 -1939) , Schriftsteller, Mitgl. d. USPD 403 -404 Toscheff (Tosev), Andrea (Andrej), bulg. ao . Ges . u. bevollm. Min. in Wien 1915-1918 243 Trepov, Aleksandr Fedorovic ( 1862 1928 ) , russ . Min. Präs . 23 . 1 1 . 1916 9. 1. 1917 244 Treutler, Kar! Georg v. ( 1858 -1933 ) , LegRat, Vertreter d. AA i. Gr. Haupt­ quartier 1914 -1916, preuß . Ges. in München 1916-1918 138 Trimborn, Kar! (1854 -1921 ) , Staatssekr. im Reichsamt d. lnnern 6. 10.9. 11. 1918 490 Trott zu Solz, D. Dr. August v. (18551938 ) , 14 . 7. 1909 - 5 . 8 . 1917 preuß . Kultusmin. 220. 224. 228 Trotzki (Trockij), Lev Davidovic ( 18791940 ) , russ . Volkskomm. f. ausw. An­ gel. 1917- 9 . 3. 1918, f. Verteidigung

U-Boot-Krieg 26-28. 31. 34. 132. 179184. 253 -255. 378-380. 394 Ugron v. Abranfalva, Stephan (Isrvan) ( 1862 -1948 ) , Vertreter d. k. u. k. Min. d. Äußern i. Warschau seit 15. 1 . 1917 469-470 Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands (USPD) 1 1 . 14 -15. 34. 253 . 266-267. 310. 312 . 391-392 Unterleitner, Johannes (geb . 1890) , Me­ tallarbeiter (USPD) 403 Valentiner, Geh. Reg.Rat 380 Valentini, Rudolf v. ( 1855 -1925 ) , 1908Jan. 1918 Chef d. Zivilkabinetts Wil­ helms Il. 131. 165 . 253 . 407 Vanselow, Ernst (geb . 1876 ) , Kpt. z. S. 493 Anm. 3 Verfassung, Verfassungspolitik, Verfas­ sungsentwicklung (incl. Belagerungs-, Kriegszustand, Zensur) 12 -14 . 16-20. 26. 45 - 50. 59-60. 100. 1 13 -116. 136137. 153 . 159-160. 165 -168. 199. 205. 217-219. 228-233 . 237-242 . 264 -265 . 267-268 . 279. 284 -285. 294. 304-305 . 402 -403 . 427. 434 -435 . 453 -457. 478 -4.79. 482 -483 . 485 -490. 492 500. 502 - 504 Verhältnis zu den Verbündeten Österreich-Ungarn: 99. 133 -134. 153 158. 160 -163 . 197-199. 212 -217. 220-221. 234 -237. 262 . 269-270. 281-282. 300-301. 305-310. 319320. 322 -329. 335. 342 . 349. 351. 355 -358. 360-365. 382. 386 -391. 412 -422. 437. 441 . 446. 448 -452 . 460 -471

524

Personen- und Sachregister

Osmanisches Reich: 51-52. 101-102 . 11 1-112. 158. 313 -318. 441-444 Bulgarien: 141 -146 . 242 -244 . 404 406 Oberbefehl der Zentralmächte: 210 212 v. Vietinghoff, LegSekr. (AA) 460 . 465 Villalobar: Saavedra y Vinent, Rodrigo Ramfrez de, Marqwis de Villalobar (1866 -1926), span. Ges . in Brüssel 37. 278 Vitzthum v. Eckstaedt, Christof Gf. (1863 -1944), sächs. Min. d. Innern u. d. Äußern 1. 7. 1909 -26. 10. 1918 63 . 65 . 93 . 348. 350 Wahlrecht 13 -14. 16-17. 23 . 70 . 77. 113. 259. 264 -265 . 294 . 453-457. 501 Wahnschaffe, Arnold (1865 -1941 ), Chef d. Reichskanzlei (1907- 5 . 8. 1917 Un­ terstaatssekr.) 68. 70 . 1 12. 131. 220 . 383. 500 Waldemar, dän. Prinz (1858 -1939) 105 Waldow, Wilhelm v. (1856 -1937), 19171918 Staatssekr. d. Reichsschatz- u. d. Kriegsernährungsamts, preuß . Staats­ min . 380. 384. 387. 389. 490 Waldstätten, Alfred Frhr. v. (1872 -1952), 17. 8. 1917 k. u. k. GM, 9. 1. 1918 Stellv. d . Chefs d. k. u. k. General­ stabes 452 Wallraf, Max (1859 -1941 ), Aug.-Okt. 1917 Unterstaatssekr. , dann 21 . 10. 1917-6. 10. 1918 Staatssekr. d. Reichsamtes d. Innern u. preuß . Staats­ min. (21 . 10. formelle Ernennung, "mit der Wahrnehmung beauftragt" seit 5. 8. 1917) 380. 389. 435 Wandel, Franz Gustav v. , GL, Sept. 1914 1916 stellv. preuß . Kriegsmin. 205 Wangenheim, Hans Frhr. v. (1859 -1915), dt. Botschafter in Konstantinopel 1912 -1915 101 Weber, Willy (geh . 1892), Oberheizer auf "Friedrich der Große" 304-305

Wedel, Botho Gf. v. , Herr auf Oberahm in Oldenburg u. Philippsburg in Ost­ friesland (1862 -1943), seit 27. 1 1 . 1916 Botschafter in Wien 242 . 244 . 322 . 328. 360. 365 . 412 . 415 . 460 . 464 -465 Wedel-Piesdorf, Wilhelm v. (1837-1915), Präs . d. preuß . Herrenhauses 118 Weizsäcker, Carl Frhr. v. (1853 -1926), 4 . 12 . 1906 -6. 11. 1918 württemberg. Min .Präs . u. Außenmin. 94 . 349 Wels, Otto (1873 -1939), MdR (SPD) 1912 -1918 56 Anm. I Wengels, Robert, Mitgl. d. $PD-Partei­ vorstandes 56 Anm. 1 Wesendonk, Dr. phil . , jur. et rer. pol. Otto Günther v. (1885 -1933), LegSekr. i. AA (Orientreferat) 419 Westarp, Kuno Gf. v. (1864-1945), MdR (Dt. Kons . , Dt. Nat . , Kons . ) 19081918 37. 109-110. 1 1 8 . 471 Wetzell, Georg Wilhelm ( 1869 -1947), Oberstlt. , Chef d. Operations-Abt. I der OHL Aug. 1916 -Sept. 1918, dann als Oberst Chef d. Generalstabes d. 5 . Armee 293 Wied, Wilhelm Prinz zu (1876 -1945), 7. 3 .-2. 9. 1914 Mbret (Fürst) v. Alba­ nien 156 Wild v. Hohenborn, Adolf ( 1860 -1925), GL, 21 . 1 . 1915 -29. 10. 1916 preuß . Kriegsmin. 27. 200. 224 . 228 . 479 Wilhelm I . (1797-1888), seit 1861 Kg. v. Preußen, 1871 Dt. Kaiser 264 Wilhelm II. (1859 -1941 ), 15 . 6. 1888 9. 1 1 . 1918 Dt. Kaiser u. Kg. v. Preu­ ßen, passim. Wilhelm (1882 -1951 ), dt. u. preuß. Kron­ prinz, OB d. 5. Armee 1914 -Nov. 1916, dann bis Nov. 1918 d. Heeresgruppe Dt. Kronprinz 18. 204 . 436. 445 . 447448 . 498-499. 501- 502 Wilhelm, Prinz v. Preußen ( 1906 -1940), Sohn d. Kronprinzen Wilhelm 502 Wilhelm, Hzg. v. Urach, Gf. v. Württem­ berg (1864 -1928), GdK, von d. litaui-

Personen- und Sachregister sehen Volksvertretung (Taryba) am 13 . 7. 1918 z. "Kg. Mindaugas II. v. Litauen" proklamiert 348 Wilhelmina (1880 -1962), Kgn. d. Nieder­ lande 1890 -1948 38 Wilson, Thomas Woodrow ( 1856-1924), Präs . d. USA 4. 3. 1913 -4. 3. 1921 16. 1 8 . 33-34. 38-39. 303 . 475 . 477. 479480. 484. 493 . 499 Windischgrätz, Ludwig (Lajos) Prinz zu (1882 -1968), ung. Min. f. Volksernäh­ rung 25. 1 .-31. 10. 1918 216 Winterfeldt, Detlof v. (1867-1940), Oberst bzw. GM, Vertreter d. OHL b . Reichskanzler Aug. 1917-Nov. 1918 279-280. 340 -341 . 381. 416. 426 . 493 Anm . 3 Witte (Vitte), Sergej Jul'evic (1849-1915), russ . Min.Präs . 29. 8. 1903 - 5 . 5. 1906 104

525

Wrisberg, Ernst v. (1862 -1927), GM, 1915 -1918 Dir. d. Allgem. Kriegsdepar­ tements im preuß . Kriegsministerium 471 Zeki Pascha, seit Dez. 1914 osman . Gene­ ral "a Ia suite S.M. d. Dt. Kaisers" 418 Zentrum 297-298 . 312 Anm. 1. 332 Zetkin, Clara (1857-1933), Mitgl. d. Spar­ takusgruppe, 1917 USPD 54 . 344 Zietz, Luise (1865 -1922), MdR (SPD/ USPD) 56 Anm . 1 Zimmermann, Arthur (1864 -1940), 19111916 Unterstaatssekr. im AA, 25. 1 1 . 1916 - 5 . 8. 1917 Staatssekr. im AA 8. 71 . 74 . 91. 100 . 162 . 181. 234 . 242 . 271 . 279 Zugmayr (recte: Zugmayer), Dr. Erich, Prof. , Konsul 423