Veteranen des Ersten Weltkrieges: Der Kyffhäuserbund von 1918 bis 1933 9783839450895

Using the example of the Kyffhäuserbund: The socially accepted image of a veteran of World War I largely resulted from i

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German Pages 304 Year 2020

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Table of contents :
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Inhalt
Vorwort
Einleitung
I. Soldat von gestern, Veteran von morgen – der Kyffhäuserbund an der Schwelle einer neuen Zeit 1918/19
1. Denkmalsbewegung und Gründungsphase im ausgehenden 19. Jahrhundert
2. Der Kyffhäuserbund während des Ersten Weltkrieges und in der Novemberrevolution
3. Konsolidierung und inhaltliche Neuausrichtung in der frühen Weimarer Republik
II. Veteranenbilder im Übergang – die Veteranen des Ersten Weltkrieges im Spiegel der Vergangenheit
1. Die Wirkungskraft weltkriegsimmanenter Narrative und Mythen
1.1 Versailles, die Kriegsschuldlüge und die Liquidierung des Krieges
1.2 Kameradschaft – Lernen am Vorbild des Veteranen
2. Stellungskrieg der Denkmäler
2.1 Vom Kaiserreich zur Republik: Kyffhäuser-Denkmal und die Erinnerungskultur der 1920er Jahre
2.2 Gemeinsame Kriegserfahrungen? Die Kontroverse um das Reichsehrenmal
2.3 Avantgardistischer Heroismus und ›steinernes Unglück‹: das ›39-Denkmal‹ in Düsseldorf
3. Veteranenbilder im Deutungskampf – die mediale Verarbeitung des Ersten Weltkrieges
3.1 Der Krieg und die Schriftsteller – der Veteran in der Populärliteratur
3.2 Krieg auf der Leinwand – der Weltkriegssoldat im Spielfilm
III. Der Veteran in Zivil – privater und öffentlicher Alltag in der Weimar Republik
1. Zur politischen Agenda eines unpolitischen Verbandes –der Kyffhäuserbund und die Tagespolitik der 1920er Jahre
1.1 Kameradschaft in der Kontroverse – Kriegervereine und Tagespolitik
1.2 Der Veteran als Wähler
1.2.1 Vom Sonderfall zum Streitfall – der Ehrenpräsident und die Reichspräsidentenwahlen der Jahre 1925 und 1932
1.2.2 Schadensbegrenzung und Fehleranalyse statt Siegestaumel
1.3 Internationale Beziehungen und Pazifistische Bewegung
2. Der Körper des Veteranen als (sozial-)politisches Objekt
3. Ein Verband für alle – das organisatorische Potential der Kyffhäuser-Veteranenfamilie
3.1 Frauen im Kyffhäuserbund
3.2 »Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft« –Jugend- und Erziehungskonzepte
3.2.1 Gedanken über die ›Wege‹ der deutschen Nachkriegsjugend
3.2.2 Der Kyffhäuser-Jugendbund – militärische Erziehung und ideologische Indoktrinierung
IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund – Zukunftsplanungen und Zukunftserwartung
1. Der Kyffhäuserbund und der Krieg der Zukunft
1.1 Innovationen in der Kriegstechnik und das Gesicht des modernen Krieges
1.2 Ziviler Luftschutz und Internationale Abrüstungsbestrebungen
2. Volkskameradschaft als Gesellschaftsmodell – die Bedeutung der Veteranen und des Kriegervereinswesens für die deutsche Post‐war-society
3. Im Gleichschritt in eine neue Zeit
3.1 Der Kyffhäuserbund und die nationalsozialistische Machtübernahme:politischer Umbruch und gesellschaftlicher Aufbruch
3.2 Rückkehr zur Monopolstellung und Ausblick
Schlussbetrachtung
Abbildungsverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Ungedruckte Quellen
Periodika
Gedruckte Quellen
Darstellungen
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Veteranen des Ersten Weltkrieges: Der Kyffhäuserbund von 1918 bis 1933
 9783839450895

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Benjamin Schulte Veteranen des Ersten Weltkrieges

Histoire  | Band 172

Benjamin Schulte, geb. 1986, ist Dozent beim Bundesministerium des Innern. Nach dem Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften in Bielefeld und Köln war er zuvor als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität zu Köln tätig, an dem er auch promovierte. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Kultur- und Mentalitätsgeschichte des kaiserlichen Deutschlands, des Ersten Weltkrieges sowie der Weimarer Republik.

Benjamin Schulte

Veteranen des Ersten Weltkrieges Der Kyffhäuserbund von 1918 bis 1933

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Georg Pahl: Die große Kyffhäuser-Parade in Potsdam, 1933. © Bundesarchiv (Bild 102-14742) Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-5089-1 PDF-ISBN 978-3-8394-5089-5 https://doi.org/10.14361/9783839450895 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

Vorwort .................................................................................. 7 Einleitung ................................................................................ 9 I. 1. 2. 3. II. 1.

2.

3.

III. 1.

Soldat von gestern, Veteran von morgen – der Kyffhäuserbund an der Schwelle einer neuen Zeit 1918/19...................... 37 Denkmalsbewegung und Gründungsphase im ausgehenden 19. Jahrhundert .............. 37 Der Kyffhäuserbund während des Ersten Weltkrieges und in der Novemberrevolution .. 44 Konsolidierung und inhaltliche Neuausrichtung in der frühen Weimarer Republik........54 Veteranenbilder im Übergang – die Veteranen des Ersten Weltkrieges im Spiegel der Vergangenheit ................................................................. 65 Die Wirkungskraft weltkriegsimmanenter Narrative und Mythen ..............................65 1.1 Versailles, die Kriegsschuldlüge und die Liquidierung des Krieges .................. 67 1.2 Kameradschaft – Lernen am Vorbild des Veteranen .....................................82 Stellungskrieg der Denkmäler ........................................................................... 87 2.1 Vom Kaiserreich zur Republik: Kyffhäuser-Denkmal und die Erinnerungskultur der 1920er Jahre ..........................................................................90 2.2 Gemeinsame Kriegserfahrungen? Die Kontroverse um das Reichsehrenmal ......96 2.3 Avantgardistischer Heroismus und ›steinernes Unglück‹: das ›39-Denkmal‹ in Düsseldorf ......................................................................................106 Veteranenbilder im Deutungskampf – die mediale Verarbeitung des Ersten Weltkrieges ................................................ 113 3.1 Der Krieg und die Schriftsteller – der Veteran in der Populärliteratur.............. 117 3.2 Krieg auf der Leinwand – der Weltkriegssoldat im Spielfilm .......................... 127 Der Veteran in Zivil – privater und öffentlicher Alltag in der Weimar Republik...... 141 Zur politischen Agenda eines unpolitischen Verbandes – der Kyffhäuserbund und die Tagespolitik der 1920er Jahre .................................... 141 1.1 Kameradschaft in der Kontroverse – Kriegervereine und Tagespolitik ........... 143 1.2 Der Veteran als Wähler.......................................................................... 149

1.2.1

2. 3.

IV. 1.

2. 3.

Vom Sonderfall zum Streitfall – der Ehrenpräsident und die Reichspräsidentenwahlen der Jahre 1925 und 1932 .................................. 151 1.2.2 Schadensbegrenzung und Fehleranalyse statt Siegestaumel ............. 161 1.3 Internationale Beziehungen und Pazifistische Bewegung ............................. 164 Der Körper des Veteranen als (sozial-)politisches Objekt ....................................... 171 Ein Verband für alle – das organisatorische Potential der Kyffhäuser-Veteranenfamilie ............................ 181 3.1 Frauen im Kyffhäuserbund ................................................................... 183 3.2 »Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft« – Jugend- und Erziehungskonzepte ...........................................................190 3.2.1 Gedanken über die ›Wege‹ der deutschen Nachkriegsjugend............. 192 3.2.2 Der Kyffhäuser-Jugendbund – militärische Erziehung und ideologische Indoktrinierung ..............................................................196 Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund – Zukunftsplanungen und Zukunftserwartung ............................................................... 205 Der Kyffhäuserbund und der Krieg der Zukunft .................................................. 205 1.1 Innovationen in der Kriegstechnik und das Gesicht des modernen Krieges ..... 208 1.2 Ziviler Luftschutz und Internationale Abrüstungsbestrebungen ..................... 217 Volkskameradschaft als Gesellschaftsmodell – die Bedeutung der Veteranen und des Kriegervereinswesens für die deutsche Post-war-society ............................... 224 Im Gleichschritt in eine neue Zeit .................................................................... 238 3.1 Der Kyffhäuserbund und die nationalsozialistische Machtübernahme: politischer Umbruch und gesellschaftlicher Aufbruch ................................ 238 3.2 Rückkehr zur Monopolstellung und Ausblick ............................................. 247

Schlussbetrachtung .................................................................... 255 Abbildungsverzeichnis ................................................................. 265 Quellen- und Literaturverzeichnis ...................................................... 267 Ungedruckte Quellen ............................................................................................ 267 Periodika ........................................................................................................... 268 Gedruckte Quellen ............................................................................................... 268 Darstellungen ..................................................................................................... 272

Vorwort

Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Oktober 2018 unter dem Titel »Umkämpfte Erfahrung(en). Der Kyffhäuserbund, das Erbe des Ersten Weltkrieges und die Konstruktion des Veteranen, 1918 bis 1933« von der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln angenommen wurde. Die Disputatio fand am 15. Januar 2019 statt. Zur Entstehung dieser Arbeit haben zahlreiche Menschen und Institutionen beigetragen, denen ich an dieser Stelle danken möchte. In erster Linie gilt mein Dank meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans-Peter Ullmann für sein Vertrauen in meine Person und die Förderung meiner Forschungsvorhaben. Seine unbeirrte Unterstützung und konstruktive Kritik, seine Geduld und Akribie sowie die vielen anregenden Diskussionen, in denen er mir stets als hilfreicher Berater und neugieriger Gesprächspartner zur Seite stand, haben maßgeblich zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen. Weiterhin danke ich Prof. Dr. Ute Planert für die Übernahme des Zweitgutachtens, dem Historischen Institut der Universität zu Köln für die langjährige Unterstützung des Projektes sowie der a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne für die organisatorische Betreuung meiner Promotion. Darüber hinaus danke ich den zahlreichen Archiven und Bibliotheken, die meine Recherchen vor Ort ermöglicht haben, sowie den Rechteinhabern für die Gewährung der Bildlizenzen. Schließlich sei dem transcript Verlag für die Aufnahme in die Schriftenreihe »Histoire« gedankt. Allen Kommilitonen und Freunden, die meine Dissertation in den vergangenen Jahren begleitet und mir auf vielfältige Weise geholfen haben, dieses Buch letztlich zu vollenden, möchte ich meinen Dank aussprechen. Für die vielen fachlichen wie privaten Gespräche und produktiven Hinweise möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen des Historischen Instituts der Universität zu Köln bedanken. Zu besonderem Dank bin ich sodann allen verpflichtet, die den Entstehungsprozess dieses Buches von der ersten Idee bis zum fertigen Manuskript begleitet und durch ihre Ratschläge, Kommentare sowie Korrekturen bereichert haben: Thomas Handschuhmacher, Manuela & Michael Homberg, Lennart Pieper und Sebastian Schlinkheider.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Vor allem aber danke ich Birte und meiner Familie, die meine Forschung und die vielen Stunden am Schreibtisch in den vergangenen Jahren immer geduldig ertragen und bedingungslos mitgetragen haben – und ohne die dieses und vieles Andere nie möglich gewesen wäre. Ihnen sei dieses Buch gewidmet.   Köln, im Oktober 2019 Benjamin Schulte

Einleitung

»Wer Deutschlands Söhne kämpfen sah, der kann den Glauben an Deutschlands Zukunft nicht verlieren. Wir müssen zusammenstehen, Mann zu Mann, wie einst draußen an der Front; wir müssen uns als einziges und einiges Volk fühlen und danach handeln. So nur kann unser Vaterland noch gerettet werden. Die deutschen Kriegervereine gehen diesen Weg, sie stehen über den Parteien und wollen nichts, als nur ein lebensfähiges Deutschland behalten.«1 Diese Worte Josias von Heeringens aus dem Jahr 1918 zeugen von einem tief verwurzelten Glauben an die soldatische Kameradschaft und an den Zusammenhalt der Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges. Es war ein Glaube, der auch durch den Zusammenbruch des kaiserlichen Heeres und trotz der revolutionären Unruhen sowie des Verschwindens des alten politischen Systems nicht zu erschüttern war. Allerdings können diese idealisierte Rückschau auf die Vergangenheit und dieser fast trotzige Optimismus nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Worten des Präsidenten des Kyffhäuserbundes der Deutschen Landeskriegerverbände (im Folgenden Kyffhäuserbund) eine implizite Skepsis zugrunde lag. Denn die Ereignisse, die sich seit dem November 1918 auf deutschem Boden abspielten, mussten die Leitung des größten Veteranenverbandes des vergangenen Deutschen Kaiserreiches und der neuen Republik von Weimar tief verunsichern. Bemerkenswert an der Aussage von Heeringens ist dennoch ihre explizite Zukunftskomponente im Augenblick der Niederlage: Die im Weltkrieg viel beschworene imaginäre Schicksalsgemeinschaft der deutschen Soldaten wurde über die Zeit des aktiven Waffendienstes hinaus verlängert und um die Figur des Veteranen sowie die ihn aufnehmenden Veteranenverbände erweitert. Den heimkehrenden Weltkriegssoldaten wurde in dieser Ausnahmesituation der deutschen Geschichte die Funktion eines ausgleichenden und vermittelnden Bindeglieds zwischen divergierenden sozialen Gruppen und widerstreitenden gesellschaftlichen Interessen zugedacht. Hierfür qualifizierten den

1

Josias von Heeringen: Generaloberst von Heeringen an die deutschen Kriegervereine. Aus dem geistigen Vermächtnis unseres heimgegangenen Führers, herausgegeben von Otto Riebicke und William Erlitz, Berlin 1926, S. 9f.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Veteranen genau die Eigenschaften, die ihn schon während seines aktiven Fronteinsatzes ausgezeichnet hatten – er hatte in einer vierjährigen, exzeptionellen Krisensituation seinen Durchhalte- und Aufopferungswillen sowie seine Leistungsbereitschaft in einem extremen Umfeld bereits oft genug unter Beweis gestellt. »Siegreich, nicht geschlagen, kehrte unser tapferes Heer in die Heimat zurück, sich nach Ruhe und friedlicher Arbeit sehnend. Was fand es vor? War das noch das alte, stolze, freie Vaterland, in dem es sich glücklich gefühlt hatte? Wohl wurde ihm gesagt: Euch soll eine bessere Freiheit, eine Brüderlichkeit, eine Gleichheit werden, Ihr sollt einer neuen Zeit entgegengeführt werden! Diese neue Zeit haben wir nun schon längere Zeit kennen gelernt, mancher ist verzagt und kleinmütig geworden, noch immer ist kein Friede. […] Die Gegenwart braucht Männer mit freiem offenen Sinn, mit mutigem Herzen und mit festem Willen. Nicht Scheu und Furcht sollen uns beherrschen, sondern edler Bekennermut. Wir sind Kriegervereinsmitglieder, wir wollen, daß unser geliebtes Vaterland nicht verderbe, sondern wieder stark und mächtig werde.«2 Das Land aber, für das die Soldaten in den Krieg gezogen waren, für das sie vier Jahre lang gekämpft und ihr Leben riskiert hatten, gab es bei ihrer Rückkehr aus dem Feld nicht mehr. Anstelle der ersehnten Ruhe und eines geordneten Alltags erwartete sie eine Heimat, die ebenfalls stark unter dem Krieg gelitten hatte und die ein verändertes Gesicht zeigte; eine Heimat, die sich mitten im Übergang zu einer neuen staatlichen wie sozialen Ordnung befand und die hierüber im Chaos zu versinken drohte. Der Krieg in den Schützengräben mochte zwar beendet sein, doch hatten die Ereignisse der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Sicht vieler Zeitgenossen den Frontverlauf lediglich in die Mitte der deutschen Gesellschaft verlagert. Da auch der Waffenstillstand die Menge der zu bewältigenden Aufgaben und Herausforderungen nicht verringert hatte, wurde der Veteran in dieser Notsituation durch den Kyffhäuserbund zum gesellschaftlichen Leitbild erhoben. Sich an seinen Merkmalen und Tugenden zu orientieren hieß aus der Sicht des Verbandes, vormals ursoldatische Eigenschaften auf das alltägliche Leben zu übertragen. Dem Vorbild der Veteranen zu folgen, sollte in diesem Kontext also letztlich helfen, Hoffnung und Ordnung aufrecht und das deutsche Volk in Zukunft trotz aller äußeren und inneren Widrigkeiten überlebensfähig zu halten. Von seiner erwiesenen Kompetenz, mit schwierigen Situationen umzugehen, und seiner gestalterischen Fähigkeit sollte nunmehr die gesamte deutsche Gesellschaft profitieren. Zumindest was die Präsenz der Veteranen in den 1920er Jahre angeht, war dieses offensiv propagierte Programm nicht so unrealistisch, wie es auf den ersten

2

Heinrich Führ: Wesen und Wirken der Kriegervereine. Ihre Bedeutung für das deutsche Staats-, Volks- und Wirtschaftsleben, Berlin 1919, S. 9f.

Einleitung

Blick erscheinen mochte. Denn nach der Beendigung der offiziellen Kampfhandlungen im Anschluss an das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne waren die Millionen von demobilisierten und heimkehrenden Soldaten eine der augenfälligsten und problematischsten Hinterlassenschaften des Ersten Weltkrieges. Eine bis dahin unbekannte Zahl an Veteranen und Kriegsversehrten erinnerte die deutsche Gesellschaft unentwegt an die Jahre von 1914 bis 1918 und stellte als neue soziale Gruppe den Wohlfahrtsstaat vor große humanitäre Herausforderungen. Doch wäre es zu kurz gegriffen, die Veteranen des Ersten Weltkrieges ausschließlich als Objekte sozialstaatlicher und bürokratischer Verwaltungsakte oder als eine amorphe Gruppe zu beschreiben, die sich lediglich durch die Gemeinsamkeit ähnlicher sozioökonomischer Lagemerkmale oder des geleisteten Militärdienstes auszeichnete. Denn was die ehemaligen Kriegsteilnehmer darüber hinaus verband, waren ihre Erlebnisse und Erfahrungen aus der Kriegszeit, welche die Sozialfigur des Veteranen überhaupt erst konstituierten, profilierten und fest in der Gesellschaft der 1920er und 1930er Jahre verankerten. Der Veteran und die an seine Figur geknüpften, spezifischen Diskurse fanden vielerorts Eingang in das öffentliche Bild sowie die Populär- und Erinnerungskultur der Weimarer Republik.3 Dennoch war eine der drängendsten Fragen für viele Zeitgenossen nach 1918 eine ganz einfache: Wer konnte überhaupt als Veteran des Ersten Weltkrieges bezeichnet werden? Welche Eigenschaften und Merkmale waren ihm zuzuschreiben? Was musste ein Soldat zwischen 1914 und 1918 geleistet haben, um als Veteran zu gelten? Wie konnte dieser typisiert oder kategorisiert werden? Der Ausdruck Veteran war im deutschen Sprachgebrauch lange Zeit kaum geläufig und rekurrierte noch um 1900 vornehmlich auf die lateinische Etymologie des Wortes. So konnte es sich in gängigen Nachschlagewerken bei einem Veteranen sowohl um einen (römischen) Soldaten, der »lange gedient hat[te]«, als auch um einen »altbewährte[n] Beamte[n]«4 handeln. Andere Definitionen, die an ähnliche antike Überlieferungen anknüpften, bemerkten ergänzend, dass der Begriff 3

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Vgl. Stephan Moebius/Markus Schroer: Einleitung, in: dies. (Hg.): Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Frankfurt a.M. 2010, S. 7-11, Zitat auf S. 8. Sozialfiguren sind nach Moebius/Schroer »zeitgebundene historische Gestalten, anhand deren ein spezifischer Blick auf die Gegenwartsgesellschaft geworfen werden kann«. Mit starkem Fokus auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges und danach sowie dem Motiv der Kameradschaft argumentiert Thomas Kühne, versucht sich jedoch an der Definition der Sozialfigur des Soldaten. Fraglich ist, ob der Frontkämpfer nach 1918 pauschal als vermeintlicher Prototyp eines neuen Menschen betrachtet werden kann, siehe Thomas Kühne: Der Soldat, in: Ute Frevert/Heinz-Gerhard Haupt (Hg.): Der Mensch des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a.M. 1999, S. 344-372. Siehe weiterhin Benjamin Ziemann: Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in den Milieukulturen der Weimarer Republik, in: Thomas F. Schneider (Hg.): Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des ›modernen‹ Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film, Band I: Vor dem Ersten Weltkrieg/Der Erste Weltkrieg, Osnabrück 1999, S. 249-270. Diese Definition gibt der Duden von 8 1900, S. 368 unter dem Lemma Veteran.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

als Benennung für »alte (ausgediente) Krieger«5 diene. Solche Deutungen entsprachen der internationalen Verwendung des Wortes, in welcher der Veteran einen römischen Legionär beschrieb, der seinen Wehrdienst über die üblichen zwanzig Jahre hinaus verlängert hatte.6 Im zeitgenössischen Volksmund war der Begriff hingegen kaum gebräuchlich. Ehemalige Soldaten definierten sich vor 1914 in erster Linie darüber, dass sie Männer waren, die den Fahneneid abgelegt und ihren Militärdienst abgeleistet hatten.7 Der Erste Weltkrieg erweiterte dieses diffuse Verständnis vom Veteranen um weitere semantische Ebenen, was dazu führte, dass Bedeutung sowie Konnotation des Begriffs nun kontextabhängig je nach Zeit und Gebrauch oszillierten. Veteran war nach dem Ende des Krieges zuerst ein rechtlich-administrativer Begriff und bezeichnete den sozialen Status aller deutschen Männer, die ihre Dienstzeit in der Armee oder der Marine abgeleistet hatten. In diesem staatlich-nationalen Rahmen diente er also als Sammelbegriff für alle ehemaligen Teilnehmer eines Krieges, die lebendig aus dem Feld heimgekehrt waren und hieraus einen Versorgungsanspruch ableiten konnten.8 Viele Soldaten bezeichneten sich dagegen wechselweise auch als ehemalige Kriegsteilnehmer, Front- oder Weltkriegssoldaten.9 Auf einer allgemeineren Beschreibungsebene wiederum ist zu beobachten, dass ein Soldat nach 1918 in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen »weder aufgrund seiner Herkunft, noch Ausbildung, noch nicht einmal durch die Kriegsteilnahme oder Verwundung

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Meyers großes Konversations-Lexikon von 6 1909, S. 128. Dieser Definition folgt auch Brockhaus’ Kleines Konversations-Lexikon von 5 1911, S. 919. Vgl. Encyclopædia Britannica. Volume 28, Vetch to Zymotic Diseases, Cambridge 11 1911, S. 2. So beispielsweise in den Satzungen des Preußischen Landes-Kriegerverbandes, Berlin 1899, S. 6. Vgl. Reichsarbeitsministerium: Das Reichsversorgungsgesetz (R.V.G) vom 12. Mai 1920. Mit Ausführungsverordnungen und Ausführungsbestimmungen, Berlin 1920, S. 1-5. Methodische Vorüberlegungen zum Problem der Anerkennung von Veteranen der Befreiungskriege im Deutschen Kaiserreich finden sich bei Jakob Vogel: Der Undank der Nation: Die Veteranen der Einigungskriege und die Debatte um ihren ›Ehrensold‹ im Kaiserreich, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 60 (2001), S. 343-366. Auch in Frankreich war – analog zum Deutschen – von den heimkehrenden Soldaten als ancien combattant die Rede. Siehe Antoine Prost: René Cassin and the Victory of French CitizenSoldiers, in: Julia Eichenberg/John Paul Newman (Hg.): The Great War and Veterans’ Internationalism, Basingstoke 2013, S. 19-31, hier S. 19.

Einleitung

im Krieg«10 automatisch zu einem Veteranen wurde.11 Hiervon zeugen allein die zahlreichen Fälle von nachweislich gedienten Weltkriegssoldaten, die in der Zwischenkriegszeit kontinuierlich um die Bestätigung ihres sozialen Status rangen, gegen die eigene Marginalisierung ankämpften oder entschieden dafür eintreten mussten, dass ihre Leiden und Verdienste im Krieg durch die Kameraden sowie die Öffentlichkeit als formal gleichwertig anerkannt und entsprechend gewürdigt wurden – wie es sich etwa anhand der Gruppe der ehemaligen Kriegsgefangenen oder der jüdischen Frontsoldaten nachvollziehen lässt.12 Angesichts einer solchen Begriffsvielfalt liegt es nahe, das, was nach 1918 unter dem Begriff Veteran verstanden und verhandelt wurde, in erster Linie als das Produkt von intersubjektiven Erfahrungsdiskursen des Weltkrieges und somit von Konstruktionsprozessen zu verstehen, die in zeitgenössische Aushandlungs- und Kommunikationszusammenhänge eingebettet waren. Die Bedeutung des Begriffs Veteran unterlag nach dem Ersten Weltkrieg einem Form- und Funktionswandel, in dessen Verlauf der Terminus auf verschiedenen Ebenen und bedingt durch die jeweiligen historischen Rahmenbedingungen kontinuierlich um weitere Elemente ergänzt wurde. Die vielfältigen Diskurse um die Erfahrungen des Krieges veränderten bislang gültige Wahrnehmungsschemata und brachten mit der Zeit erst hervor, was unter dem Phänomen des Veteranen genau zu verstehen war. Der Veteran des Ersten Weltkrieges war keine Sozialfigur, die plötzlich aus dem Nichts erschien, sondern einerseits ein Konglomerat von gruppeninternen Definitionsversuchen, andererseits Projektionsfläche gesellschaftlicher Zuschreibungen und Erwartungen. Seine diskursiven Umrisse entwickelten sich prozesshaft, wurden stetig mit Inhalten verschiedener Art gefüllt, so dass sukzessive ein Gesamtbild

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Julia Eichenberg: Kämpfen für Frieden und Fürsorge. Polnische Veteranen des Ersten Weltkrieges und ihre internationalen Kontakte, 1918-1939, München 2011, S. 14. Eichenbergs Ansatz bleibt insgesamt jedoch relativ eindimensional und verharrt an der Oberfläche, da er den Schwerpunkt auf Versorgung und Frieden im polnischen bzw. viel eher internationalen Kontext legt. Hier wird der Veteran dadurch definiert, ob ihn staatliche Fürsorgeregelungen erfassen oder ob er sich einem Verband anschließt und dort aktiv für Frieden und internationale Verständigung einsetzt. Auch nur in Ansätzen, aber leider ohne Vertiefung bei Julia Eichenberg/John Paul Newman: Introduction. The Great War and Veterans’ Internationalism, in: dies. (Hg.): The Great War and Veterans’ Internationalism, Basingstoke 2013, S. 1-15. Vgl. hierzu auch Benjamin Ziemann: Die Konstruktion des Kriegsveteranen und die Symbolik seiner Erinnerung 1918-1933, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Essen 2002, S. 101-118, hier S. 108. Vgl. hier beispielsweise Rainer Pöppinghege: ›Kriegsteilnehmer zweiter Klasse‹? Die Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener 1919-1933, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 64 (2005), S. 391-423; sowie Ulrich Dunker: Der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten 1919-1938. Geschichte eines jüdischen Abwehrvereins, Düsseldorf 1977; oder Tim Grady: Fighting a Lost Battle: The Reichsbund jüdischer Frontsoldaten and the Rise of National Socialism, in: German History 28 (2010), S. 1-20.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

entstand. Er konstituierte sich aus einer Schnittmenge verschiedener Selbst- und Fremdbilder.13 Nach 1918 Veteran zu sein und als solcher von Kameraden sowie der Öffentlichkeit akzeptiert zu werden, bedeutete demzufolge für die unmittelbar beteiligten Akteure in erster Linie, einem Veteranenbild zu entsprechen, das sich über mehr als nur die basale Voraussetzung des aktiven Waffendienstes definierte. Die sich in der Figur des Veteranen widerspiegelnden Erfahrungsdiskurse sowie die hieran anknüpfenden Vorstellungen, Erwartungen und Normen sollen im Anschluss an die diskurstheoretischen Überlegungen Michel Foucaults als ein Bündel von Aussagen und Praktiken definiert werden, die sich wiederholt auf weltkriegsspezifische Themen bezogen und somit das gesellschaftliche Wissen über den Weltkrieg und die Wesensart seiner Akteure erst konstituierten, beeinflussten und modifizierten.14 Die Relevanz der Aussagen leitet sich aus der Streuung und Häufigkeit ab, mit der sie innerhalb der Diskursgemeinschaft der Veteranen auftauchten.15 Sie waren innerhalb dieser Gemeinschaft historisch eingrenzbare und sich thematisch wiederholende »Redezusammenhänge«,16 die das soziale Handeln sowie den Wissensvorrat der Gruppenmitglieder strukturierten17 und durch ein Set externer sowie interner Regeln und Kontrollmechanismen bestimmten, was innerhalb der Gemeinschaft als sagbar und nicht-sagbar galt, welche Praktiken legitim oder illegitim waren, wer zur Diskursgemeinschaft gehörte und wer ausgeschlossen wurde.18 Die innerhalb der Veteranengemeinschaft der 1920er Jahre zirkulierenden Kriegserfahrungen rekurrierten zwar auf die subjektiven Kriegserlebnisse und -erinnerungen des ehemaligen Frontsoldaten, verknüpften diese jedoch mit den individuellen Erlebnissen und Erinnerungen anderer Veteranen 13

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Vgl. Jörg Baberowski: Selbstbilder und Fremdbilder: Repräsentation sozialer Ordnung im Wandel, in: ders./Hartmut Kaelble/Jürgen Schriewer (Hg.): Selbstbilder und Fremdbilder. Repräsentation sozialer Ordnung im Wandel, Frankfurt a.M. 2008, S. 9-13. Vgl. Michel Foucault: Archäologie des Wissens, Frankfurt a.M. 1981, S. 170f. Siehe hierzu ferner Philipp Sarasin: Autobiographische Ver-Sprecher. Diskursanalyse und Psychoanalyse in alltagsgeschichtlicher Perspektive, in: Werkstatt Geschichte 7 (1994), S. 31-41. Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt a.M. 14 2014, S. 27. Zu den Diskursiven Formationen siehe Foucault: Archäologie, S. 106-112. Philipp Sarasin: Subjekte, Diskurse, Körper. Überlegungen zu einer diskursanalytischen Kulturgeschichte, in: Wolfgang Hardtwig/Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Kulturgeschichte Heute, Göttingen 1996, S. 131-164, hier S. 142. Alfred Schütz zufolge setzt sich der gesellschaftliche Wissensvorrat aus eigenen sowie von anderen übernommen Erfahrungen zusammen und wird von Individuen fraglos als Bezugsschemata akzeptiert. Der Wissensvorrat bietet situative Lösungsvorschläge an, kann aber ebenso durch unvorhergesehene Ereignisse oder gesellschaftlichen Wandel aus den Fugen geraten und werde ein Individuum somit dazu veranlassen, die bisher ausreichende Typisierung seiner Alltagswelt zu hinterfragen und anzupassen. Grundlegend hierzu ist Alfred Schütz/Thomas Luckmann: Strukturen der Lebenswelt. Band 1, Frankfurt a.M. 1979, S. 3036; sowie dies.: Strukturen der Lebenswelt Band 2, Frankfurt a.M. 2 1990, S. 13f. Vgl. Foucault: Ordnung, S. 13f. und S. 17.

Einleitung

und lieferten die intersubjektive thematische Füllung für verschiedene sinnstiftende, gegenwarts- und zukunftsorientierte Diskurshüllen. Somit waren die Diskurse und das Wissen um den Ersten Weltkrieg nicht monolithisch oder autark, sondern strikt in historische Kontexte sowie eine Aufeinanderfolge sozialer Praktiken eingebettet.19 Auf diese Weise zeitigten die Erfahrungsdiskurse Effekte und unterlagen dabei selbst historischem Wandel und brachten – wie Achim Landwehr es ausdrückt – durch ihre strukturiert-strukturierende Wirkung mitunter erst das hervor, wovon sie handelten.20 In diesem Zusammenhang sind die wissenssoziologischen Theorien von Alfred Schütz sowie Peter L. Berger und Thomas Luckmann weiterführend, die das Sinnstiftungspotential von kommunikationsbasierten, auf Erlebnissen beruhenden Erfahrungen besonders hervorheben.21 Durch die Einbeziehung von diskursiven Objektivationen22 als Produkten externalisierter Erfahrungen erschließt sich zudem für die historische Forschung ein umfangreiches Quellenkorpus, das Materialien in Wort und Bild umfasst sowie Rückschlüsse auf die Wahrnehmung und die Rezeption spezifischer historischer Sachverhalte zulässt. Die Erfahrungsgeschichte transferiert jene erfahrungsbasierten Diskurse der Veteranen auf eine historische Ebene.23 Sie betont, dass sich auf Erlebnissen beruhende Erfahrungen nur in einem Sinnstiftungsprozess generieren lassen, 19 20

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Vgl. hierzu Andreas Reckwitz: Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist 2000, S. 272f. Vgl. Achim Landwehr: Historische Diskursanalyse, Frankfurt a.M. 2008, S. 127f.; ferner Foucault: Archäologie, S. 74 und 171. Bei Foucault stellt sich die Wissensproduktionen als eine Sequenz historisch bestimmbarer Diskursiver Praktiken dar, d.h. einer »Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben.« Theoretische Grundlagen bei Schütz/Luckmann: Strukturen, Band 1 und 2; hierauf aufbauend Peter L. Berger/Thomas Luckmann: Die Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie, Frankfurt a.M. 23 2010. Ergänzend hierzu ist Max Preglau: Phänomenologische Soziologie: Alfred Schütz, in: ders.u.a. (Hg.): Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter, München 8 2007, S. 67-89. Berek beschreibt Objektivationen nach Schütz als (im-)materielle Produkte menschlichen Handelns und Ausdrücke des Wissensvorrates der Alltagswelt. Dabei werden Erfahrungen anonymisiert sowie idealisiert und in allgemein zugängliche Zeichensysteme übersetzt. Sie sind somit Äußerungen von Sinnstrukturen und können den gesellschaftlichen Wissensvorrat modifizieren. Vgl. hierzu Martin Berek: Kollektives Gedächtnis und die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Erinnerungskulturen, Wiesbaden 2009, S. 58-67. Objektivationen sollen daher im Folgenden als Vergegenständlichungen menschlichen Wissens verstanden werden. Vergleiche hier die dezidiert kultur- bzw. erfahrungsgeschichtlich orientierten Studien des Tübinger SFB 437. Siehe einführend den Sammelband von Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Dieter Langewiesche/Hans-Peter Ullmann (Hg.): Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs, Essen 1997; sowie bilanzierend im

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und kann so durch die quellenkritische Untersuchung von Objektivationen als Ausdruck geteilter, divergenter oder disparater Erfahrungen Aussagen über die vorherrschenden gegenwärtigen Deutungsmuster auf der Grundlage des Vergangenen sowie den sich hieraus ableitenden Zukunftserwartungen treffen.24 Indem sie einen intersubjektiven Erfahrungsbegriff fokussiert, unterstreicht die Erfahrungsgeschichte den evolutionären Charakter bestimmter historischer Phänomene und identifiziert diese als Produkte permanenter Kommunikationsprozesse.25 Die Erfahrungsgeschichte schlägt daher eine Brücke zwischen den reziproken Ebenen des sozialen Austauschs von Akteur und Gesellschaft, zwischen subjektiven und intersubjektiven Formen der Alltagswelt.26 Hierdurch akzentuiert sie letztlich auch den progressiven, dynamischen Charakter von Kriegserfahrungen, wenn sie auf die kontinuierlichen Umdeutungsprozesse als deren wesentlichen Bestandteil abhebt.27 Dies bedeutet, dass sinngebende »affektive Haltungen, mehr oder weniger bewußte Einstellungen und auch die gedanklichen Konstrukte (›Ideen‹), die für die Weltwahrnehmung von einzelnen und von gesellschaftlichen Gruppen und ihre gesellschaftlich-politische und kulturelle Orientierung und deren Wandel

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Band von Georg Schild/Anton Schindling (Hg.): Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit, Neue Horizonte der Forschung, Paderborn 2009. Eine solche Annahme deckt sich weiterhin mit Jörn Rüsens Vorstellung, dass Geschichte eine Praxis der Orientierung und Sinnbildung über Zeiterfahrung darstellt. Siehe hierzu Jörn Rüsen: Historische Orientierung. Über die Arbeit des Geschichtsbewußtseins, sich in der Zeit zurechtzufinden, Schwalbach 2 2008; und ders.: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft, Köln 2013. Konzeptionelle Vorüberlegungen für die Geschichtswissenschaft bei Reinhart Koselleck: Der Einfluß der beiden Weltkriege auf das soziale Bewußtsein, in: Wolfram Wette (Hg.): Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1995, S. 324-343; Klaus Latzel: Vom Kriegserlebnis zur Kriegserfahrung. Theoretische und methodische Überlegungen zur erfahrungsgeschichtlichen Untersuchung von Feldpostbriefen, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 56 (1997), S. 1-30. Weiterhin die Beiträge von Nikolaus Buschmann/Horst Carl: Zugänge zur Erfahrungsgeschichte des Krieges. Forschung, Theorie und Fragestellung, S. 11-26,und Nikolaus Buschmann/Aribert Reimann: Die Konstruktion historischer Erfahrung. Neue Wege zu einer Erfahrungsgeschichte des Krieges, S. 261-271, in: Nikolaus Buschmann/Horst Carl (Hg.): Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2001. Vgl. Ute Planert: Der Mythos vom Befreiungskrieg. Frankreichs Kriege und der deutsche Süden, Alltag, Wahrnehmung, Deutung, 1792-1841, Paderborn 2007; ebenso Benjamin Ziemann: Front und Heimat. Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914-1923, Essen 1997, S. 18-32. Das hier zugrundeliegende Verständnis von historischer Erfahrung unterscheidet sich vom Erfahrungsbegriff der Alltagsgeschichte. Vgl. Alf Lüdtke (Hg.): Alltagsgeschichte. Zur Rekonstruktion historischer Erfahrungen und Lebensweisen, Frankfurt a.M. 1989. Vgl. Ute Planert: Zwischen Alltag, Mentalität und Erinnerungskultur. Erfahrungsgeschichte an der Schwelle zum nationalen Zeitalter, in: Nikolaus Buschmann/Horst Carl (Hg.): Die Erfahrung des Krieges. Erfahrungsgeschichtliche Perspektiven von der Französischen Revolution bis zum Zweiten Weltkrieg, Paderborn 2001, S. 51-66; und dies.: Mythos, S. 29-66.

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wichtig waren, sowie die symbolischen Formen von Politik«28 von Veteranen zwischen 1918 und 1933 im Fokus stehen. Für die Artikulation dieser Erfahrungsdiskurse und der hieran anknüpfenden Soldaten- und Veteranenbilder brauchte die Gruppe der Heimkehrenden eine institutionelle Rahmung, also Plattformen, durch welche die subjektiven Kriegserlebnisse und -erinnerungen kanalisiert, in intersubjektive Bezugsschemata eingebettet und nach außen in der Öffentlichkeit propagiert werden konnten.29 Die Veteranenverbände der 1920er Jahre stellten dieses organisatorische Grundgerüst zur Verfügung und bildeten den diskursiven Ort, um unterschiedlichste Veteranen- und Soldatenbilder miteinander zu vereinen und anschließend zu verbreiten: In den Verbänden bewegten sich die Veteranen des Weltkrieges abseits der europäischen Schlachtfelder nach wie vor in einer Gruppe von formal Gleichgesinnten (primary group),30 mit denen sie vor allem aufgrund der Gemeinsamkeit des Kriegserlebnisses eine spezielle Form des Zusammengehörigkeitsgefühls (Wir-Beziehungen)31 – im zeitgenössischen Vokabular als Kameradschaft32 bekannt – tradierten und pflegten. Sie fanden sich hier unter anderen Soldaten wieder, die wie sie selbst den Weltkrieg an der Front erlebt und mit denen sie 28

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Wolfgang Hardtwig: Einleitung: Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit, in: ders. (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005, S. 7-22, hier S. 9f. Vgl. Georg Kneer: Institution/Organisation. Über die Paradoxie des Organisierens, in: Stephan Moebius/Andreas Reckwitz (Hg.): Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2008, S. 124-140. Siehe zur institutionalisierten Disziplin und Machtausübung ferner Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt a.M. 1994, S. 173-219. In Ansätzen auch bei Benjamin Ziemann: Republikanische Kriegserinnerung in einer polarisierten Öffentlichkeit. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als Veteranenverband der sozialistischen Arbeiterschaft, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 357-398. Schütz weist eindrücklich auf die Entfremdungsproblematik der heimkehrenden Soldaten des Zweiten Weltkrieges und hieraus entstehende Notwendigkeit der Reintegration hin: »To each of the partners the other’s life becomes, thus, a part of his own autobiography, an element of his personal history. What he is, what he grew to be, what he will become is codetermined by his taking part in the manifold actual or potential primary relationships which prevail within the home-group.« Alfred Schütz: The Homecomer, in: American Journal of Sociology 5 (1945), S. 369-376, Zitat auf S. 372. Vgl. Alfred Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt. Eine Einleitung in die verstehende Soziologie, Wien 1932, S. 181-186. Der durchaus schillernde Begriff Kameradschaft zeichnet sich durch seine Komplexität und seinen Facettenreichtum aus. Er konnte zu verschiedenen Zeiten eine unterschiedliche (mythische) Aufladung erfahren. Im Kontext der Studie soll er vorerst als überzeitliche Ordnungskategorie der Primärgruppe verstanden und später (siehe Kapitel II, 1.2) inhaltlich am Beispiel des Kyffhäuserbundes genauer bestimmt werden. Vgl. Thomas Kühne: Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert, Göttingen 2006, S. 19; ferner ders.: Art. Kameradschaft, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2 2014, S. 602f.

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über viele Jahre hinweg mehr Zeit verbracht hatten als in ihrem sozialen Umfeld in der Heimat. Ebenso hatten der Krieg und die ihm nachfolgenden Umwälzungen in vielen Fällen zu einer Entfremdung der Betroffenen von den zuvor alltäglichen heimatlichen (Kommunikations-)Strukturen geführt.33 Die Kriegervereinswelt füllte diese entstandenen Leerstellen und linderte die auftretenden lebensweltlichen Irritationen der Veteranen dadurch, dass sie als Form institutionalisierter Vergemeinschaftung eine ihnen vertraute Atmosphäre über das reale Kriegserlebnis hinaus konservierte und ihnen einen Platz bot, an dem sie sich verstanden fühlten.34 Die Heimkehrer aus dem Ersten Weltkrieg suchten nach gültigen, gruppenspezifischen Relevanzsystemen35 und fanden sie in den Kriegervereinen der Weimarer Republik. Diese mentalen Anknüpfungspunkte für die Schützengrabengemeinschaft in den Veteranenverbänden gab den ehemaligen Soldaten die Möglichkeit, ihre subjektiven Kriegserlebnisse und -erinnerungen in einer geschützten, gewissermaßen familiären Umgebung unter ihresgleichen zu kommunizieren. Hierdurch wurden diese im Laufe der Zeit mit fremden Erlebnissen und Erinnerungen angereichert und geronnen so zu kollektiv geteilten Erfahrungsdiskursen des Krieges, die den Verbandsmitgliedern ein Selbstbild

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»Any soldier knows that his style of living depends upon the military group to which he belongs, the job allotted to him within this group, the attitude of his officers and comrades. […] When the soldier returns and starts to speak – starts to speak at all – he is bewildered to see that his listeners, even the sympathetic ones, do not understand the uniqueness of these individual experiences which have rendered him another man.« Schütz: Homecomer, S. 373f. Zu den Strukturen der Alltagswelt und den Bedeutungsschemata siehe ferner Schütz/Luckmann: Strukturen 1, S. 25-38. Richard Grathoff beschreibt diesen Zustand in Anlehnung an Schütz als situative Transzendenz. Zwar orientiert sich das subjektive Handeln in der Alltagswelt im Wesentlichen an »der unmittelbaren Präsenz eines umweltlichen Gegenübers«, zugleich verweist jede Handlung allerdings auch auf appräsente Momente »einer anderen Sinnprovinz einer Vor- und Nachwelt.« Siehe Richard Grathoff: Milieu und Lebenswelt. Einführung in die phänomenologische Soziologie und die sozialphänomenologische Forschung, Frankfurt a.M. 1989, S. 50-56, Zitat auf S. 55. Ferner Schütz/Luckmann: Strukturen 1, S. 13. Schütz beschreibt ein Relevanzsystem (»system of relevance«) – unter Rückgriff auf die heimkehrenden amerikanischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges – als ein Zivilisationsmuster, also ein (personelles) soziales System, welches das Wissen der Gruppe über sich selbst und ihre Umwelt strukturiert. Vgl. Schütz: Homecomer, S. 373; weiterhin Ders.: The Stranger: An Essay in Social Psychology, in: American Journal of Sociology 49 (1944), S. 499-507, hier S. 500f.; und ders.: On Multiple Realities, in: Philosophy and Phenomenological Research 5 (1945), S. 533-576.

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gaben.36 Die Erfahrungsdiskurse strukturierten weiterhin die Erinnerungspolitik der Verbände und ihre Sicht auf die Vergangenheit der Weltkriegsjahre. Darüber hinaus formten sie die verbandspezifischen Deutungsmuster sowie Diagnosen der Gegenwart und beeinflussten die Überlegungen sowie Konzepte der Verbände zur Zukunft der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Obwohl der Veteran als Sozialfigur im gesellschaftlichen Alltag der Zwischenkriegszeit omnipräsent war, blieb die Rolle, welche die Forschung ihm und den Veteranenverbänden für Geschichte der Weimarer Republik zuschreibt, in den meisten Fällen vergleichsweise marginal. Dieser Befund mag verwundern, denn die bürgerlich-liberale bis völkisch-nationalistische Vereinswelt war – ebenso wie die gesellschaftliche Relevanz ihrer Mitglieder – für den deutschen Fall ein seit jeher viel diskutiertes Themenfeld.37 Manchen Autoren – wie etwa Hans-Ulrich Wehler – galten solche Verbände zudem als eine der zentralen Triebfedern einer »vorandringenden Fundamentalpolitisierung«38 im Deutschen Reich. Die Historiographie, welche die 1920er Jahre untersucht, nahm die Veteranen(-verbände) allerdings oftmals als gegebene gesellschaftliche Konstante hin und beschränkte ihre Untersu36

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Vgl. Berek: Gedächtnis, S. 60f. Somit können Kriegserfahrungen Bestandteil des Wissensvorrates von der Alltagswelt werden (Tradierung und Repetierung), ohne, dass sie überhaupt von allen erlebt wurden. Dabei werden Erfahrungen anonymisiert und idealisiert, in einem allgemein zugänglichen Zeichensystem verobjektiviert und können somit den gesellschaftlichen Wissensvorrat modifizieren. Zu den Relevanzsystemen vgl. Schütz/Luckmann: Strukturen 1, S. 224-276. Zur Entstehung und gesellschaftlichen Bedeutung im Allgemeinen siehe die Aufsätze von Thomas Nipperdey: Verein als soziale Struktur in Deutschland im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Fallstudie zur Modernisierung I, S. 174-205 und ders.: Interessenverbände und Parteien in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, S. 319-337, in: ders. (Hg.): Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, Göttingen 2 2011; sowie Hans-Peter Ullmann: Interessenverbände in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988. Exemplarisch zur weiteren Entwicklung, Expansion und Einflussnahme im Kaiserreich siehe Hans-Peter Ullmann: Der Bund der Industriellen. Organisation, Einfluß und Politik kleinund mittelbetrieblicher Industrieller im Deutschen Kaiserreich 1895-1914, Göttingen 1976; und Hans-Peter Ullmann: Politik im Deutschen Kaiserreich 1871-1918, München 2 2005; zum weiteren Wirken von Verbänden in der Weimarer Republik Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band: Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2008, S. 372-397. Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band: Von der ›Deutschen Doppelrevolution‹ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849-1914, München 2005, S. 1038. Vergleiche hier ferner für das Kaiserreich Dirk Stegmann: Die Erben Bismarcks. Parteien und Verbände in der Spätphase des Wilhelminischen Deutschlands, Sammlungspolitik 18971918, Köln 1970; Geoff Eley: Reshaping the German Right. Radical Nationalism and Political Change after Bismarck, New Haven 1980; sowie Axel Grießmer: Massenverbände und Massenparteien im wilhelminischen Reich. Zum Wandel der Wahlkultur 1903-1912, Düsseldorf 2000; zuletzt nach wie vor präsent bei James Retallack: The German Right, 1860-1920. Political Limits of the Authoritarian Imagination, Toronto 2006.

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chung im Sinne einer eng geführten Organisationsgeschichte auf die Ebene ihrer politischen Aktivitäten.39 Unter anderem durch eine solche Herangehensweise erlangten die Zusammenschlüsse ehemaliger Weltkriegssoldaten eine zweifelhafte Geltung als mutmaßliche Reservoirs politischer Gewalt und einer antidemokratischen Kultur, die sich wie ein roter Faden vom ausgehenden Kaiserreich bis hin zur nationalsozialistischen Diktatur zog.40 Auch die kurzlebigen Freikorps und Einwohnerwehren41 wurden vornehmlich unter einer politischen Perspektive in den Blick genommen und galten vielen Autoren als Prototypen radikaler Kampfverbände sowie als Symbole für einen auch nach dem Krieg ungebrochenen Militaris39

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Nicht nur ältere, sondern ebenso Darstellungen jüngeren Datums beschränken sich fast ausschließlich auf die Betrachtung dieser (partei-)politischen Krieger- und Wehrverbände. Siehe klassischerweise Karl Rohe: Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ein Beitrag zur Geschichte und Struktur der politischen Kampfverbände zur Zeit der Weimarer Republik, Düsseldorf 1966; Volker Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1935, Düsseldorf 1966; Kurt G. P. Schuster: Der Rote Frontkämpferbund. 1924-1929, Düsseldorf 1975. Mit Schwerpunkt auf den Übergang von der Republik zum Nationalsozialismus Conan Fischer: Stormtroopers. A Social, Economic and Ideological Analysis, 1925-1935, London 1983; Richard Bessel: Political Violence and the Rise of Nazism. The Storm Troopers in East Germany, 1925-1934, New Haven 1984;Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, München 1989; ausschließlich das Verhältnis zum Stahlhelm analysiert Wieland Vogel: Katholische Kirche und nationale Kampfverbände in der Weimarer Republik, Mainz 1989;mit regionalen Schwerpunkten schreiben David Magnus Mintert: ›Sturmtrupp der Deutschen Republik‹. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold in Wuppertal, Grafenau 2002; Carsten Voigt: Kampfbünde der Arbeiterbewegung. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Rote Frontkämpferbund in Sachsen 1924-1933, Köln 2009; zuletzt Marcel Böhlers: Im Gleichschritt für die Republik. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold im Südwesten, 1924 bis 1933, Essen 2016; und der Sammelband von Yves Müller/Reiner Zilkenat (Hg.): Bürgerkriegsarmee. Forschungen zur nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA), Frankfurt a.M. 2013; und mit einem innovativen Fokus auf die Geschichte der SA nach 1934 Daniel Siemens: Stormtroopers. A New History of Hitler’s Brownshirts, New Haven/London 2017. Vgl. James M. Diehl: Von der ›Vaterlandspartei‹ zur ›Nationalen Revolution‹: Die ›Vereinigten Vaterländischen Verbände Deutschlands (VVVD)‹ 1922-1932, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 33 (1985), S. 617-639; Richard Bessel: Militarismus im innenpolitischen Leben der Weimarer Republik: Von den Freikorps zur SA, in: Klaus-Jürgen Müller/Eckardt Opitz (Hg.): Militär und Militarismus in der Weimarer Republik. Beiträge eines internationalen Symposiums an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg am 5. und 6. Mai 1977, Düsseldorf 1978, S. 193-222; und insbesondere bei Hans Mommsen: Militär und zivile Militarisierung in Deutschland 1914 bis 1938, in: Ute Frevert (Hg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, S. 265-276; zuletzt Johannes Leicht: Heinrich Claß 1868-1953. Die politische Biographie eines Alldeutschen, Paderborn 2012. Vgl. Hagen Schulze: Freikorps und Republik 1918-1920, Boppard am Rhein 1967; weiterhin James M. Diehl: The Organization of German Veterans. 1917-1919, in: Archiv für Sozialgeschichte 11 (1971), S. 141-184; sowieders.: Veterans’ Politics under Three Flags, in: Stephen R. Ward (Hg.): The War Generation. Veterans of the First World War, Port Washington 1975, S. 135-186; und ders.: Paramilitary Politics in Weimar Germany, Bloomington 1977.

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mus.42 Mehr noch, die Organisationsformen der Veteranen wurden zu Horten einer archaischen Männlichkeit reduziert, in denen martialische Soldatenbilder und exzessive Gewaltvorstellungen vorherrschten und ausgelebt wurden.43 Als lange Zeit ebenso einflussreich erwies sich in diesem Kontext die These von der Brutalisierung der Soldaten nach 1918, die als Konsequenz der Erlebnisse in den Weltkriegsjahren erfolgt sei.44 Diese Brutalisierung wurde als zentral für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in den 1920er Jahren ausgemacht und diente als ein Erklärungsansatz für den Weg der deutschen Gesellschaft in die NS-Diktatur und den Zweiten Weltkrieg.45 So ist es wenig überraschend, dass das Agieren von Veteranen und ihrer Zusammenschlüsse zwischen 1918 und 1933 lange Zeit in strikte Aktions-Reaktions-Schemata eingebettet wurde, um zu eruieren, wie militant, systemfeindlich oder rückwärtsgewandt diese waren. Für die historische Einordnung der Veteranen des Ersten Weltkrieges blieb letztlich die Frage entscheidend, ob sie einen Beitrag zur Erhaltung der Demokratie oder der nationalsozialistischen Diktatur Vorschub geleistet hatten. So gesehen wurden die (Veteranen-)Verbände nach 1918 bis dato kaum für sich untersucht, sondern stets unausweichlich mit dem Scheitern der Weimarer Republik verknüpft. Neue Forschungsansätze im Umfeld des cultural turn begannen, viele dieser historiographischen Zwangläufigkeiten zu hinterfragen, und gingen dazu über, die Republik nicht teleologisch, sondern aus sich heraus zu betrachten.46 Sie kamen dabei zu differenzierteren Ergebnissen, was eine generelle affirmative Gewaltbereitschaft betraf, und relativierten zudem die brutalisierende Wirkung des Fronter-

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Mit klarem foreshadowing und Fluchtpunkt 1932/33 schreibt Nigel H. Jones: Hitler’s Heralds. The Story of the Freikorps 1918-1923, London 1987. Weiterhin Hans-Joachim Mauch: Nationalistische Wehrorganisationen in der Weimarer Republik. Zur Entwicklung und Ideologie des ›Paramilitarismus’, Frankfurt a.M. 1982. So etwa die lange Zeit einflussreiche Lesart von Klaus Theweleit: Männerphantasien. Band 1/2, Frankfurt a.M. 1977/78. Zuerst bei George Mosse: Der Erste Weltkrieg und die Brutalisierung der Politik. Betrachtungen über die politische Rechte, den Rassismus und den deutschen Sonderweg, in: Manfred Funke u.a. (Hg.): Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa, Düsseldorf 1987, S. 127-139; und ders.: Fallen Soldiers. Reshaping the Memory of the World Wars, New York 1990; ferner rezipiert bei Eric J. Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München 5 1997. Bilanzierender Forschungsüberblick und mit konstruktivem Ausblick bei Benjamin Ziemann: Germany after the First World War – A Violent Society? Results and Implications of Recent Research on Weimar Germany, in: Journal of Modern European History 1 (2003), S. 80-95. Zuerst bei Peter Fritzsche: Did Weimar Fail?, in: Journal of Modern History 68 (1996), S. 629656. Siehe hierzu weiterhin den Forschungsbericht von Benjamin Ziemann: Weimar was Weimar. Politics, Culture and the Emplotment of the German Republic, in: German History 28 (2010), S. 542-571.

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lebnisses stark,47 indem sie etwa die Erscheinungsformen politisch motivierter Gewalt als Ausdruck eines allgemeineren Wandels und der Polarisierung politischer Performanz deuteten48 oder Interdependenzen zwischen Akteuren auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen herausarbeiteten.49 In jüngster Zeit ist in Ergänzung hierzu häufig attestiert worden, dass sich die Klientel rechter Kampfbünde und Splittergruppen, die sich durch ihre Härte und ihren ideologischen Radikalismus auszeichnete, nicht vorrangig aus dem Sammelbecken der ehemaligen Weltkriegssoldaten,50 sondern vielmehr aus den Reihen der sogenannten überflüssi47

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Überlegungen zur Plausibilität der Brutalisierungsthese finden sich bei Dirk Schumann: Europa, der Erste Weltkrieg und die Nachkriegszeit: eine Kontinuität der Gewalt?, in: Journal of Modern European History 1 (2003), S. 24-43; oder mit einer klaren Absage hieran in ders.: Gewalterfahrungen und ihre nicht zwangsläufigen Folgen. Der Erste Weltkrieg in der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts, in: Zeitgeschichte-online, Thema: Fronterlebnis und Nachkriegsordnung. Wirkung und Wahrnehmung des Ersten Weltkriegs, Mai 2004; sowie in Ansätzen bereits bei Ziemann: Front und Heimat, S. 9-18. Zur erfolgreichen Reintegration der Weltkriegssoldaten in das zivile Leben siehe ferner Richard Bessel: Germany after the First World War, Oxford 1995; sowie ders.: Kriegserfahrungen und Kriegserinnerungen: Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges auf das politische und soziale Leben der Weimarer Republik, in: Marcel van der Linden/Gottfried Mergner (Hg.): Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien, Berlin 1991, 125-140. Zum Formwandel des Politischen Bernd Weisbrod: Gewalt in der Politik. Zur politischen Kultur Deutschlands zwischen den beiden Weltkriegen, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43 (1992), S. 391-404;und ders.: Die Politik der Repräsentation. Das Erbe des Ersten Weltkrieges und der Formwandel der Politik in Europa, in: Hans Mommsen (Hg.): Der Erste Weltkrieg und die europäische Nachkriegsordnung. Sozialer Wandel und Formveränderung der Politik, Köln 2000, S. 13-41. Einschlägig zur politischen Gewalt in der ersten Nachkriegszeit, jedoch regional eingeschränkt, ist Dirk Schumann: Politische Gewalt in der Weimarer Republik 1918-1933. Kampf um die Straße und Furcht vor dem Bürgerkrieg, Essen 2001; sowie weiterhin Petra Maria Schulz: Ästhetisierung von Gewalt in der Weimarer Republik, Münster 2004. So etwa bei Sven Reichardt: Faschistische Kampfbünde. Gewalt und Gemeinschaft im italienischen Squadrismus und in der deutschen SA, Köln 2002; oder Pamela E. Swett: Neighbors & Enemies. The Culture of Radicalism in Berlin, 1929-1933, Cambridge 2004. Vgl. hier u.a. Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 5 2011, S. 43-50. Zuletzt kam Rene Rohrkamp am Beispiel der Waffen-SS zu ähnlichen Befunden, siehe hier: Die Rekrutierungspraxis der Waffen-SS in Frieden und Krieg, in: Jan Erik Schulte/Peter Lieb/Bernd Wegner (Hg.): Die Waffen-SS. Neue Forschungen, Paderborn 2014, S. 42-60; ebenso Jan-Philipp Pomplun: Keimzellen des Nationalsozialismus? Sozialgeschichtliche Aspekte und personelle Kontinuitäten südwestdeutscher Freikorps, in: Daniel Schmidt/Michael Sturm/Massimiliano Livi (Hg.): Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933, Essen 2015, S. 73-88. Der Versuch einer Analyse der Zusammensetzung der Freikorps und Zeitfreiwilligenverbände findet sich bei Matthias Sprenger: Landsknechte auf dem Weg ins Dritte Reich? Zu Genese und Wandel des Freikorpsmythos, Paderborn 2008, S. 49-54.

Einleitung

gen Generation der Geburtskohorten ab 1900 rekrutierte51 – ein Phänomen, dessen sich bereits die Zeitgossen durchaus bewusst waren.52 Abseits dieser Schwerpunkte der historischen Forschungen ist neuerdings der Versuch zu beobachten, von einer eng gefassten Organisationsgeschichte abzugehen, indem bestimmte Einzelaspekte der Rolle kaiserlicher Soldaten in der Weimarer Republik,53 wie etwa die finanziellen oder bürokratischen Gesichtspunkte der Versorgung von Kriegsteilnehmern und Kriegsbeschädigten auf der politisch-administrativen Ebene, stärker akzentuieret werden.54 Zudem erschienen kulturgeschichtliche Analysen, die sich mit der diskursiven Konstruktion von Männlichkeitsbildern vorrangig am Beispiel von Kriegsinvaliden auseinandersetzen.55 Ferner hat sich in den letzten Jahren die Einbettung der Veteranenbewegungen und paramilitärischen Gewalt sowie der 51

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Siehe Detlev J. K. Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a.M. 1987, S. 25-31. ausführlicher in ders.: Jugend zwischen Krieg und Krise. Lebenswelten von Arbeiterjungen in der Weimarer Republik, Köln 1987. Vgl. Günther E. Gründel: Die Sendung der Jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise, München 1933, S. 22-24. Etwa Richard Bessel: Die Heimkehr der Soldaten. Das Bild der Frontsoldaten in der Öffentlichkeit der Weimarer Republik, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich (Hg.): »Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …«. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Frankfurt a.M. 1996, S. 221-239; oder ders.: Mobilization and Demobilization in Germany. 1916-1919, in: John Horne (Hg.): State, Society, and Mobilization in Europe during the First World War, Cambridge/New York 1997, S. 212-222. Vgl. Michael Geyer: Ein Vorbote des Wohlfahrtsstaates. Die Kriegsopferversorgung in Frankreich, Deutschland, und Großbritannien nach dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 230-277; Robert W. Whalen: Bitter Wounds. German Victims of the Great War, 1914-1939, Ithaca 1984; sowie Werner Abelshauser: Die Weimarer Republik – ein Wohlfahrtsstaat?, in: ders. (Hg.): Die Weimarer Republik als Wohlfahrtsstaat. Zum Verhältnis von Wirtschafts- und Sozialpolitik in der Industriegesellschaft, Stuttgart 1987, S. 9-31; und Ewald Frie: Vorbild oder Spiegelbild? Kriegsbeschädigtenfürsorge in Deutschland 1914-1919, in: Wolfgang Michalka (Hg.): Der Erste Weltkrieg. Wirkung – Wahrnehmung – Analyse, München 1997, S. 563-580. Siehe Christine Beil: Zwischen Hoffnung und Verbitterung. Selbstbild und Erfahrungen von Kriegsbeschädigten in den ersten Jahren der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1 (1998), S. 139-157; Deborah Cohen: The War come Home. Disabled Veterans in Britain and Germany, 1914-1939, Berkeley 2001; Sabine Kienitz: Beschädigte Helden. Zur Politisierung des Kriegsinvaliden Soldatenkörpers in der Weimarer Republik, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Essen 2002, S. 199-214; dies.: Körper – Beschädigungen. Kriegsinvalidität und Männlichkeitskonstruktionen in der Weimarer Republik, in: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): Heimat-Front. Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. 2002, S. 188-207; Maren Möhring: Kriegsversehrte Körper. Zur Bedeutung der Sichtbarkeit von Behinderung, in: Anne Waldschmidt/Werner Schneider (Hg.): Disability Studies, Kultursoziologie und Soziologie der Behinderung. Erkundungen in einem neuen Forschungsfeld, Bielefeld 2007, S. 175-197; Sabine Kienitz: Beschädigte Helden. Kriegsinvalidität und Körperbilder 1914-1923, Paderborn 2008;und Nils Löffelbein: Ehrenbürger der Nation. Die Kriegs-

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Aufstieg faschistischer Bewegungen in einen europäisch-transnationalen Kontext als lohnendes – wenn auch nicht immer ergiebiges – Forschungsfeld etabliert.56 Hierbei wird allerdings mit zum Teil kurzen Untersuchungszeiträumen gearbeitet, oder die Studien zeichnen sich durch eine hohe Selektivität ihrer Gegenstände aus. Eine solche verengte Sichtweise verstellt wiederum den Blick auf tiefer liegende, mittel- und langfristige Prozesse der Konstruktion und Aneignung, Bedeutungsaufladung und historischen Wandelbarkeit von Kriegserfahrungen. Einzig Benjamin Ziemann hat zuletzt mit einer gewinnbringenden Arbeit zum pro-republikanischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold sowie dem mit ihm eng verbundenen Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen eine alternative Lesart vorgeschlagen. Er löst sich von gängigen Deutungsmustern, indem er die Untersuchung der kulturellen Aneignung und der politischen Praxis der Erinnerungskultur des Weltkrieges innerhalb des sozialistischen Veteranenmilieus miteinander verschränkt.57 Insgesamt aber muss konstatiert werden, dass eine umfassende historische Untersuchung der Erfahrungsdiskurse der Veteranen des Ersten Weltkrieges, die den Kommunikations- und Konstruktionsprozessen innerhalb eines institutionalisierten verbandsmäßigen Rahmens Rechnung trägt, für die Weimarer Jahre noch immer ein Desiderat darstellt. Unter allen Veteranenverbänden im Deutschen Reich war der Kyffhäuserbund der einzige, der in drei politischen Systemen existierte. Als Dachorganisation des deutschen Kriegervereinswesens stellte er den zahlenmäßig weitaus größten Verband seiner Art dar und war über viele Jahrzehnte hinweg führend bei der Kommunikation und Deutung, der Repräsentation und öffentlichen Artikulation soldatischer Erfahrungsdiskurse.58 Umso bemerkenswerter ist es daher, dass dem Kyffhäuserbund in den skizzierten Forschungskontexten bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde und er unbesehen seiner »immens hohen Mitgliederzahl«

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beschädigten des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus, Essen 2013. Vgl. Robert Gerwarth (Hg.): Twisted Paths. Europe 1914-1945, Oxford 2007; und den Sammelband von Robert Gerwarth/John Horne (Hg.): War in Peace. Paramilitary Violence in Europe after the Great War, Oxford 2012; weiterhin Eichenberg/Newman: The Great War; zuletzt Ángel Alcalde: War Veterans and Fascism in Interwar Europe, Cambridge 2017. Benjamin Ziemann: Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918-1933, Bonn 2014, [zuerst: Contested Commemorations. Republican War Veterans and Weimar Political Culture, Oxford 2013]. Im Jahr 1926 beispielsweise verfügte der Kyffhäuserbund über etwa 2,5 Millionen, in rund 27.000 einzelnen Kriegervereinen organisierten, Mitglieder; vergleiche hierzu: Deutscher Reichskriegerbund ›Kyffhäuser‹: 25. Geschäftsberichte für das Jahr 1926, Berlin 1927, S. 102. Im Vergleich hierzu konnte das 1924 gegründete Reichsbanner-Schwarz-Rot-Gold als nächst größerer Veteranenverband zu seinen Spitzenzeiten – ebenfalls in den Jahren 1925/26 – nie mehr als rund 900.000 Mitglieder an sich binden; Vgl. Ziemann: Veteranen, S. 21.

Einleitung

immer noch »zu einer der am meisten unterschätzten Gruppen der Weimarer Republik«59 zählt. Soweit seine Geschichte untersucht wurde, waren es anfänglich die Bemühungen der DDR-Historiographie, welche die Veteranenorganisationen der Weimarer Republik en bloc als nationalistisch-militaristische Organisationen interpretierte. Hierdurch sollte, wie schon in der Forschung zur Brutalisierung der Weimarer Nachkriegsgesellschaft, eine Kontinuitätslinie imperialistischer, protofaschistischer Agitation von den Kriegervereinen des Deutschen Kaiserreichs über die Veteranenverbände der Weimarer Republik bis zu den nationalsozialistischen Parteiorganisationen gezogen werden.60 Auf der anderen Seite ist der Kyffhäuserbund Gegenstand äußerst fragwürdiger, rechtspopulistisch eingefärbter Sichtweisen und Auffassungen von Geschichte geworden.61 In einschlägigen Überblicksdarstellungen zur Geschichte der 1920er Jahre hingegen ist das deutsche Kriegervereinswesen auffällig unterrepräsentiert62 oder wurde nur rudimentär auf regionaler Ebene als primäre Anlaufstelle bierseliger Gemeinschaft und Schauplatz dörflicher Brauchtumspflege sowie als Ort der militärischen Festkultur oder Traditionspflege beleuchtet.63 59

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Mit einem starken regionalen Schwerpunkt Frank Bösch: Das konservative Milieu. Vereinskultur und lokale Sammlungspolitik in ost- und westdeutschen Regionen (1900-1960), Göttingen 2002, zum Kyffhäuserbund im Allgemeinen S. 68-77, Zitat auf S. 68. Siehe hierzu exemplarisch Kurt Finker: Die militaristischen Wehrverbände in der Weimarer Republik. Ein Beitrag zur Strategie und Taktik der deutschen Großbourgeoisie, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 3 (1966), S. 357-377; sowie Werner Bramke: Die Stellung des Kyffhäuserbundes im System der militaristischen Organisationen in Deutschland 1918-1934, o. O. 1968; und Dieter Fricke/Kurt Finker: Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landeskriegerverbände (KB) 1900-1943, in: Dieter Fricke (Hg.): Die bürgerlichen Parteien in Deutschland. Handbuch der Geschichte der bürgerlichen Parteien und anderer bürgerlicher Interessenorganisationen vom Vormärz bis zum Jahre 1945, Band II: Fraktion Augsburger Hof – Zentrum, Leipzig 1970, S. 296-312; zuletzt Erwin Könnemann: Einwohnerwehren und Zeitfreiwilligenverbände. Ihre Funktion beim Aufbau eines neuen imperialistischen Militärsystems (November 1918 bis 1920), Berlin (Ost) 1971. Mit einer solch eindeutigen Tendenz zum Beispiel bei Werner Landhoff: Großdeutscher Reichskriegertag 1939. Zeitgeschichte in Farbe, Kiel 2006. Vgl. Peukert: Krisenjahre. Sie weiterhin Heinrich August Winkler: Weimar 1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993; letztlich auch bei Peter Fritzsche: Rehearsals for Facism. Populism and Political Mobilization in Weimar Germany, New York 1990. Vielmehr ist zuletzt das Phänomen zu beobachten, dass Veteranenvereinigungen zusehends aus dem Fokus der (internationalen) Forschung verschwinden, etwa bei Larry Eugene Jones (Hg.): The German Right in the Weimar Republic. Studies in the History of German Conservatism, Nationalism, and Antisemitism, New York 2014. Diese Auffassung vertritt beispielsweise Kurt Dröge: Zwischen Volksfest und Soldatenstammtisch. Zum Festwesen der Kriegervereine von 1871 bis 1939, in: ders./Imke Tappe (Hg.): Festkultur in Lippe. Beiträge zum öffentlichen Festwesen im 19. und 20. Jahrhundert, Münster 1994, S. 185-252; ebenso mit einem regionalen Schwerpunkt, aber kaum etwas über die Kriegervereine, sondern lediglich über die lokalen Zusammenhalte findet sich bei Wolfram

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Insgesamt aber ist ein mehrheitliches Desinteresse der Forschung am Kyffhäuserbund festzustellen, da ihm im Gesamtgefüge der parteinahen Kampfbünde und Veteranenvereinigungen der Weimarer Republik nur geringe Bedeutung und Wirkungskraft beigemessen wurde, zeichnete sich der Kyffhäuserbund doch im Gegensatz zu konkurrierenden Organisationen nicht durch einen vordergründigen (partei-)politischen Aktionismus oder Radikalismus aus.64 Wie allerdings zu zeigen sein wird, trügt die Annahme, dass es sich beim Kyffhäuserbund um einen politisch neutralen Zweckverband handelte, der sich der bloßen Traditionsund Brauchtumspflege verschrieb.65 Denn eine solche Perspektive vernachlässigt die augenfällige Tatsache, dass den Kriegervereinen des Kyffhäuserbundes »allein schon durch ihre Massenbasis eine Schlüsselstellung«66 innerhalb der Republik zukam. Zudem wird leichthin übersehen, dass sich das Handeln des Kyffhäuserbundes im Wesentlichen an den Erfahrungsdiskursen seiner Veteranen an der Basis orientierte. Weiterhin darf nicht unterschätzt werden, in welchem hohen Maße der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder einen reziproken mentalen sowie ideologischen Einfluss aufeinander und somit auch auf große Teile der Weimarer postwar-society ausübten, eine Nachkriegsgesellschaft, die Zeit ihres Bestehens damit

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Pyta: Dorfgemeinschaft und Parteipolitik 1918-1933. Die Verschränkung von Milieu und Parteien in den protestantischen Landgebieten Deutschlands in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1996; oder etwa Ludwig Arndt: Militärvereine in Norddeutschland. Vereinsleben, Abzeichen, Auszeichnungen, Denkmäler, Norderstedt 2008. Zu diesem Ergebnis kommen vereinzelte, wenig einschlägige Arbeiten, die sich in verkürzter und deskriptiver Form auf organisations-, politik- oder ideologiegeschichtliche Fragestellungen bei zugleich eingeschränkter Quellenbasis konzentrieren. Vgl. Christopher James Elliott: Ex-Servicemen’s Organisations and the Weimar Republik, London 1971; und ders.: The Kriegervereine and the Weimar Republic, in: Journal of Contemporary History 10 (1975), S. 109-129. Zeitlich sehr verkürzt und lediglich auf den politischen Umbruchsprozess der 1930er Jahre beschränkt ist Karl Führer: Der Deutsche Reichskriegerbund Kyffhäuser 19301934. Politik, Ideologie und Funktionen eines ›unpolitischen‹ Verbandes, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 36 (1984), S. 57-76. Vgl. Klaus Saul: Der ›Deutsche Kriegerbund‹. Zur innenpolitischen Funktion eines ›nationalen‹ Verbandes im kaiserlichen Deutschland, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 6 (1969), S. 95-159; zwar sehr detailliert und umfangreich geschrieben, aber zuweilen auch ebenso erschöpfend ist Harm-Peer Zimmermann: ›Der feste Wall gegen die rote Flut‹. Kriegervereine in Schleswig-Holstein 1864-1914, Neumünster 1989; sowieThomas Rohkrämer: Der Militarismus der ›kleinen Leute‹. Die Kriegervereine im Deutschen Kaiserreich 1871-1914, München 1990. Eingebettet eine allgemeinere abwägende Betrachtung mit regionalem Schwerpunkt bei Frank Bösch: Militante Geselligkeit. Formierungsformen der bürgerlichen Vereinswelt zwischen Revolution und Nationalsozialismus, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005, S. 151-182, hier S. 164-182, Zitat auf S. 165.

Einleitung

beschäftigt war, die materiellen, physischen und vor allem psychischen Folgen des verlorenen Ersten Weltkrieges zu verarbeiten.67 In der vorliegenden Studie wird davon ausgegangen, dass die Erfahrungsdiskurse des Ersten Weltkrieges nicht nur die Figur des Veteranen konstruierten, sondern analog dazu die Erfahrungsgemeinschaft des Kyffhäuserbundes als eine imagined community im Sinne Max Webers und Benedict Andersons konstituierten.68 Der Verband war als größte Ansammlung ehemaliger Soldaten in den 1920er und 1930er Jahren mehr als eine bloße Plattform, auf welcher Kriegserlebnisse und erinnerungen in geselliger Atmosphäre ausgetauscht werden konnten. Vielmehr beteiligte sich der Kyffhäuserbund aktiv an der Definition des Veteranen, indem er die diversen Diskurse um die Kriegserfahrungen seiner Mitglieder bündelte und kanalisierte. Innerhalb des Kyffhäuserbundes bewegten sich die Veteranen des Ersten Weltkrieges in einer klar definierten Gruppe und konnten sicherstellen, dass der Verband nur denjenigen Kameraden Zugang gewähren würde, die mutmaßlich dasselbe erlebt hatten wie sie selbst und vor allem Willens waren, sich in das vom Verband und seinen Mitgliedern propagierte Veteranenbild einzuschreiben. Der Kyffhäuserbund als Institution etablierte für seine Akteure Klassifikationsund Bezugsschemata der Wissensordnung und Sinnstiftung69 und überwachte als gate keeper stellvertretend für seine Mitglieder den Zugang zum diskursiven Wissensvorrat der Erfahrungsgemeinschaft.70 Er erfüllte somit letztlich eine doppelte Scharnierfunktion: Erstens bot er seinen Mitgliedern nicht nur die institutionellen Rahmenbedingungen, um ihre individuellen Kriegserlebnisse und -erinnerungen zu kommunizieren und mit anderen Kameraden auszutauschen, sondern offerierte auch Möglichkeiten zur gemeinschaftlichen Aushandlung und Adaption von in-

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Dieser Ausdruck findet sich zuerst bei Bessel: Germany, S. 283; weiterhin bei Gottfried Niedhart: Deutsche Geschichte 1918-1933. Politik in der Weimarer Republik und der Sieg der Rechten, Stuttgart 1994, S. 43f. Teile der vorangestellten Überlegungen in dieser Arbeit beruhen im Wesentlichen auf meiner 2011 der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln vorgelegten Masterarbeit »Das Scheitern ›kultureller Demobilisierung‹ nach dem Ersten Weltkrieg: die Ruhrkrise 1923«. Vgl. Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, Tübingen 6 1972, S. 252; und Benedict Anderson: Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London 1991, S. 5-7.Andersons Überlegungen zu den imagined comminities bauen im Wesentlichen auf den zeitgenössischen Erkenntnissen Max Webers zur Bildung sozialer Gruppen auf, wenngleich Weber hierbei noch den zentralen Terminus der Idee verwendet. Siehe zu dieser Thematik den gewinnbringenden Aufsatz von Philipp Sarasin: Die Wirklichkeit der Fiktion. Zum Konzept der ›imagined communities’, in: ders. (Hg.): Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M. 2003, S. 150-176. Vgl. Reckwitz: Transformation, S. 137f. Vgl. Annie Waldherr: Gatekeeper, Diskursproduzenten und Agenda-Setter – Akteursrollen von Massenmedien in Innovationsprozessen, in: Barbara Pfetsch/Silke Adam (Hg.): Massenmedien als politische Akteure. Konzepte und Analysen, Wiesbaden 2008, S. 171-193.

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tersubjektiven Kriegserfahrungen. Zweitens konturierte der Kyffhäuserbund das öffentliche Bild des Veteranen, indem er den ehemaligen Weltkriegssoldaten die (semi-)öffentliche Umgebung seiner Erfahrungsgemeinschaft zur Verfügung stellte. Denn der Verband machte sich die Erfahrungsdiskurse seiner Mitglieder zu Nutze und setzte sie für seine eigene Außendarstellung sowie als Argumentationsgrundlage in politischen Debatten ein. Er trug die in den Diskursen destillierten Kriegserfahrungen seiner Mitglieder nach außen und prägte so öffentlichkeitswirksam das Bild des typischen Veteranen des Ersten Weltkrieges entscheidend mit, arbeitete also gezielt daran, eine Version des Veteranenbildes durzusetzen, das im Wesentlichen mit seinem eigenen deckungsgleich war. Um sein Veteranenbild in Konkurrenz zu anderen Deutungsmustern behaupten zu können, war es für den Kyffhäuserbund überlebenswichtig, dieses einer möglichst breiten Mitgliederschar glaubhaft zu vermitteln. Das Angebot an Kriegsdeutungen in der Weimarer Republik war derweil so heterogen, dass viele Möglichkeiten existierten, verschiedenen Veteranenbildern zuzustimmen, diese zu teilen, zu adaptieren und schließlich auch zu modifizieren. Dem Verband war durchaus bewusst, dass er den Konkurrenzkampf mit anderen Vereinigungen ehemaliger Weltkriegssoldaten um die Gunst von Mitgliedern nur dann würde für sich entscheiden können, wenn er sich als maßgebliche Interpretationsinstanz der Weltkriegsjahre und des Bildes des Veteranen inszenieren konnte. Deshalb musste er die verbandsspezifischen Sichtweisen der Vergangenheit, Gegenwartsdiagnosen sowie Zukunftserwartungen über die kommende Rolle der Veteranen des Ersten Weltkrieges für die deutsche Gesellschaft nach innen und außen mit Nachdruck vertreten. Auf diese Weise strukturierten und steuerten die Erfahrungsdiskurse einerseits die Erinnerungspolitik des Kyffhäuserbundes, seine gegenwärtigen Hoffnungen/Utopien und Ängste/Dystopien, seine kulturelle und soziale Agenda sowie sein öffentliches Auftreten und seine strategische Zukunftsausrichtung; andererseits wurden diese durch den Verband und seine Akteure weiterentwickelt und verändert. Die Kriegserfahrungen der Veteranen zeitigten somit praktische Konsequenzen, indem sie den Kyffhäuserbund dazu anhielten, fortwährend Lösungskonzepte für aktuelle Probleme der eigenen Mitglieder zu entwickeln. Anknüpfend an diskurs- und erfahrungsgeschichtliche Forschungsperspektiven wird die vorliegende Studie am Beispiel des Kyffhäuserbundes untersuchen, wie die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges das Veteranenbild des Verbandes in der Nachkriegszeit prägten und die Figur des Veteranen darüber hinaus konstruierten. Die Kommunikationszusammenhänge, die damit ins Zentrum rücken, sollen Aufschluss darüber geben, welche Selbst- und Fremdbilder in den Reihen der Kyffhäuser-Veteranen zirkulierten. Sie erlauben ferner Rückschlüsse darauf, welche Diskurse, Argumentationsstrategien und Interpretationsangebote sich im Feld der umkämpften Kriegserfahrungen als hegemonial erwiesen oder marginalisiert wurden, ob diskursive Verschiebungen des Veteranenbildes im Laufe der Zeit er-

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folgten, oder welche historischen Kontexte auf den Konstruktionsprozess des Veteranen einwirkten. Zuletzt kann ebenso der Frage nachgegangen werden, welche Rolle dem Kyffhäuserbund als Institution der Sinnstiftung und Erfahrungsvermittlung in diesem Prozess zukam: Existierten Ähnlichkeiten oder Divergenzen zwischen seinem Veteranenbild und demjenigen anderer Veteranenverbände? Wie positionierten sich der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder in den Auseinandersetzungen um die widerstreitenden Veteranenbilder der 1920er Jahre und wie überführte er die Kriegserfahrungen seiner Mitglieder in kulturelle sowie politische Handlungen? Welchen Beitrag leisteten der Verband und seine Veteranen nach dem Krieg zum Abbau einer etwaigen Kriegskultur,71 zur Durchsetzung einer Kultur der Niederlage72 oder zur Durchführung respektive Verweigerung der kulturellen Demobilisierung nach 1918?73 Durch welche thematischen Schwerpunkte sowie inhaltlichen Hauptmerkmale zeichnete sich das spezifische Veteranenbild des Kyffhäuserbundes aus? Eine kulturalistisch ausgerichtete Erweiterung der Forschung zu den im Kyffhäuserbund organisierten Veteranen zwischen 1918 bis 1933 vermag aufzuzeigen, wie der Erste Weltkrieg auf diskursiver Ebene von den Zeitgenossen wahrgenommen, (um-)gedeutet und verarbeitet wurde. Sie verweist somit letztlich auf die Interdependenzen zwischen Erfahrungsträgern und Institution im Konstruktionsprozess des Veteranen: Die Erfahrungsdiskurse seiner Mitglieder bestimmten die politisch-kulturelle Perspektive des Kyffhäuserbundes auf seine programmatischen Vergangenheitsdeutungen, Gegenwartsdiagnosen und Zukunftserwartungen. In diesem Verarbeitungsprozess erzeugte der Verband ein

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Vgl. exemplarisch die Studien zur Kriegskultur in Frankreich von Jean-Jacques Becker/Jay M. Winter/Gerd Krumeich (Hg.): Guerre et cultures 1914-1918, Paris 1994; Stéphane AudoinRouzeau/Annette Becker: 14-18. Retrouver la guerre, Paris 2000; Jean-Jacques Becker (Hg.): Histoire culturelle de la Grande Guerre, Paris 2005; Jean-Jacques Becker/Gerd Krumeich: Der Große Krieg. Deutschland und Frankreich 1914-1918, Essen 2010, hier insbesondere S. 105113; sowie Wolfram Pyta: Der Erste Weltkrieg und seine Folgen in Deutschland und Frankreich. Kulturelle Deutungen und politische Ordnungsvorstellungen 1914-1933, in: ders./Carsten Kretschmann (Hg.): Burgfrieden und Union sacrée. Literarische Deutungen und politische Ordnungsvorstellungen in Deutschland und Frankreich 1914-1933, München 2011, S. 1-31; Forschungsüberblick bei Stéphane Audoin-Rouzeau: Von den Kriegsursachen zur Kriegskultur. Neuere Forschungstendenzen zum Ersten Weltkrieges in Frankreich, in: Neue Politische Literatur 39 (1994), S. 203-217. Vgl. Wolfgang Schievelbusch: Die Kultur der Niederlage. Der amerikanische Süden 1865, Frankreich 1871, Deutschland 1918, Berlin 2001. Vgl. John Horne: Kulturelle Demobilmachung 1919-1939. Ein sinnvoller historischer Begriff?, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005, S. 129-150; mit einem Anwendungsbeispiel bei Benjamin Schulte: Das Scheitern kultureller Demobilisierung nach dem Ersten Weltkrieg: die Ruhrkrise 1923, in: Historisch-Politische Mitteilungen 19 (2012), S. 109-136.

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verbindliches und für ihn gültiges Deutungsmuster des Veteranen, das zum einen das gesellschaftliche Bild vom ehemaligen Kriegsteilnehmer prägte und zum anderen auf seine eigene Erfahrungsgemeinschaft zurückstrahlte. Die vorliegende Studie trägt zwei Desideraten der Forschung Rechnung: Sie untersucht erstmals die Konstruktion des Veteranen durch die Erfahrungsdiskurse des Ersten Weltkrieges und fragt zugleich nach der Rolle und Funktionsweise des Kyffhäuserbundes in diesem Konstruktionsprozess. Die Produkte dieser kontinuierlichen Kommunikations- und Aushandlungsprozesse zwischen den Veteranen des Ersten Weltkrieges und ihrem Kyffhäuserbund sind in den Quellen greifbar. Der Kyffhäuserbund entwickelte seit seiner Gründung eine rege publizistische Tätigkeit, die noch keiner umfassenden, systematischen Analyse unterzogen wurde. Insbesondere die Quellen des hauseigenen, nach dem Ersten Weltkrieg in Berlin etablierten Kyffhäuser-Verlages sind von großem Wert. Seine medialen Produkte und Repräsentationen öffnen den Blick für spezifische semantische Strukturen und Erinnerungspraktiken sowie Kommunikations- und Distributionsprozesse von Erfahrungsdiskursen und konstruierten Kriegserfahrungen. Sie lenken den Blick auf die Hauptströme der verbandseigenen Kommunikations- und Aushandlungsprozesse von Kriegserfahrungen und ihrer gesellschaftlichen Wirkung. Zudem spiegeln sich in ihnen die – teils kontrovers diskutierten – Kriegserfahrungen einer spezifischen Erfahrungsgemeinschaft wider. Darüber hinaus lassen sich durch sie die relevanten, kriegsimmanenten semantischen Strukturen sowie die Formen des individuellen und kollektiven Gedenkens an den Ersten Weltkrieg untersuchen. Dazu eignen sich verschiedene Quellengattungen. So wird sich die Studie bei der Untersuchung des Fortwirkens kriegsimmanenter Elemente in den Jahren der Weimarer Republik auf ein Quellenkorpus stützen, das Zeugnisse der alltagskulturellen Kriegsdarstellung und -verarbeitung umfasst. Die breite Fächerung der Quellengrundlage ist in zweierlei Hinsicht unabdingbar: Einerseits erlaubt sie, die medialen Gesellschafts- und Geschichtskonstruktionsprozesse, die Inszenierungsmodi des Politischen, deren Adressaten und Rezipienten und sowohl die Selbst- und Fremdbilder als auch die Soldaten- und Veteranenbilder74 der beteiligten Akteure zu untersuchen. Andererseits ist die archivalische Überlieferung zum Kyffhäuserbund recht überschaubar, da die zentralen, im Reichsarchiv Potsdam archivierten Bestände des Verbandes und seiner Führungsgremien die Zeit des Zweiten Weltkrieges nicht überdauert haben. 74

Der Begriff Bilder meint in diesem Kontext sowohl semiotisch-semantische Bilder als auch mit Sinn aufgeladene visuelle Produkte. Vgl. hier exemplarisch Gerhard Paul: Vom Bild her denken. Visual History 2.0.1.6., in: ders./Jürgen Danyel/Anette Vowinckel (Hg.): Arbeit am Bild. Visual History als Praxis, Göttingen 2017, S. 15-72; William J. T. Mitchell: Was ist ein Bild?, in: Volker Bohn (Hg.): Bildlichkeit. Internationale Beiträge zur Poetik, Frankfurt a.M. 1990, S. 17-68; sowie Umberto Eco: Einführung in die Semiotik, München 9 2002;und zuletzt Otto Baumhauer: Das Bild als politisches Zeichen, in: Publizistik 31 (1986), S. 35-52.

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Den Schwerpunkt der Untersuchung bildet daher eine erstmalige, breit angelegte und systematische Auswertung und Analyse regelmäßig erscheinender und größtenteils bislang unerschlossener Verbandperiodika sowie der illustrierten Publizistik des Kyffhäuserbundes. Die »massenmediale Sattelzeit«75 mit ihrem schlagartigen Anstieg von neuen Zeitungen und Zeitschriften sowie wachsenden Auflagenzahlen fiel mit der Gründung des Verbandes zusammen und ging an diesem nicht spurlos vorbei. Schon früh erkannte der Kyffhäuserbund den propagandistischen Wert der Printmedien und etablierte ein reichsweites Publikationsnetzwerk, das er stetig ausbaute und professionalisierte. Die Berliner Zentrale des hauseigenen Kyffhäuser-Verlages veröffentlichte die publizistischen Bundesorgane und die (Kriegs-)Belletristik; während die Landesverbände dezentral die Verbreitung regionaler Nachrichten und Bekanntmachungen steuerten. Seine Printmedien schätzte der Verband als »eines der mächtigsten, wenn nicht das stärkste Mittel politischer Einwirkung«, das »im Sinne objektiver Wahrhaftigkeit […] ein Volkserziehungsmittel im besten Sinne des Wortes, eine lebenslängliche Fortbildungsschule in praktischer Lebenskenntnis, im Besonderen in Erfassung des Wesens und der Zusammenhänge aller politischen Dinge« sei. Somit vermöge vor allem das Zeitungswesen, mit der »langsamen aber ständigen, um so tieferen und nachhaltigeren Beeinflussung [einen] wahren Dienst am Volke zu leisten.«76 In der historischen Rückschau zeigt sich allerdings noch mehr: Die Zeitungen und Zeitschriften des Kyffhäuserbundes eignen sich als multiperspektivische Quellen.77 Bereits während des Ersten Weltkrieges erschien beispielsweise die Verbandszeitung Parole – Deutsche Kriegerzeitung in einer speziellen Feldausgabe für die Soldaten mit einer Auflage von über 200.000 Exemplaren und wurde als wirkungsstarkes Instrument der propagandistischen Erziehung und Meinungslenkung an der (Heimat-)Front gesehen.78 Als Arenen des öffentlichen Interesses bildeten die unterschiedlichen Presseerzeugnisse in der Weimarer Republik Kommunikationsund Erfahrungsräume, in denen Angelegenheiten tagesaktueller gesellschaftlicher 75

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Habbo Knoch/Daniel Morat: Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880-1960. Zur Historischen Kommunikologie der massenmedialen Sattelzeit, in: dies. (Hg.): Kommunikation als Beobachtung. Medienwandel und Gesellschaftsbilder 1880-1960, München 2003, S. 9-33, hier S. 20. Knoch und Morat verorten die Kernphase der massenmedialen Sattelzeit zwischen 1880 und 1930. Groos – »Kyffhäuser an die Front!«, in: Kyffhäuser – Zeitschrift für das Deutsche Haus, 2.2.1930, S. 5f. Vgl. Frank Bösch: Mediengeschichte. Vom asiatischen Buchdruck zum Fernsehen, Frankfurt a.M. 2011, S. 109-128; und Knoch/Morat: Medienwandel. Weiterhin Christian Haller: Militärzeitschriften in der Weimarer Republik und ihr soziokultureller Hintergrund. Kriegsverarbeitung und Milieubildung im Offizierskorps der Reichswehr in publizistischer Dimension, Trier 2012. Vgl. Anne Lipp: Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914-1918, Göttingen 2003, S. 27-89.

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Relevanz für die ehemaligen Kameraden nicht nur besprochen, sondern darüber hinaus emotionalisiert werden konnten.79 Auf einer Metaebene hingegen waren sie darüber hinaus Plattformen der Erfahrungsdistribution, auf denen spezifische Sichtweisen auf die Erlebnisse des vergangenen Weltkrieges, deren Wirkung in der je aktuellen Situation der Republik und deren Einfluss auf die Zukunft des Kriegervereinswesens sowie des deutschen Volkes verhandelt wurden. Auf diese Weise fungierten die Medien des Kyffhäuserbundes als »agenda setter der Wissenszirkulation«,80 trieben spezifische Diskurse und Gegendiskurse voran und transportierten Selbst- wie Fremdwahrnehmungen. Bei den untersuchten Hauptorganen handelt es sich um die Krieger-Zeitung – Illustrierte Wochenschrift. Organ des Deutschen Reichskriegerbundes Kyffhäuser (erschienen von 1918 bis 1925) sowie Kyffhäuser – Zeitschrift für das deutsche Haus (erschienen von 1926 bis 1933). Diese wurden flankiert von reichhaltigen Beilagen oder Spezialzeitschriften des Verbandes, die sich nur an ausgewählte Mitgliederkreise beziehungsweise Familienangehörige der Veteranen richteten.81 Ferner existieren noch Teilüberlieferungen an Verbandsdrucksachen und -interna des Kyffhäuserbundes sowie von Vereinsmitgliedern und vorständen in verschiedenen Archiven, die das Quellenmaterial komplettieren. Geschäftsberichte, diverse Festschriften, Handbücher, Ratgeber, Erinnerungs- und Tatsachenromane sowie fiktionale Literatur des hauseigenen Kyffhäuser-Verlags runden schließlich das Quellenkorpus ab. Im Verlauf der Weimarer Jahre versuchte der Kyffhäuserbund kontinuierlich, gesellschaftlich relevante und öffentlichkeitswirksame Bereiche zu besetzen, die sich zugleich als Themenfelder einer kulturhistorischen Untersuchung der Erfahrungsdiskurse des Ersten Weltkrieges anbieten und als Strukturierung der Studie entlang verschiedener Zeitebenen eignen.82 Das Einstiegskapitel wird zunächst in aller Kürze den Weg des Kyffhäuserbundes von seiner Gründungszeit in den 1890er Jahren über seine Rolle im Ersten Weltkrieg bis in die Schwellenzeit von 1918/19 und die Anfangsjahre der Weimarer Republik nachzeichnen. In dieser Übergangsperiode zwischen dem Waffenstillstand von Compiègne, dem Zusammenbruch der al79

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Vgl. Frank Bösch/Manuel Borutta: Medien und Emotionen in der Moderne. Historische Perspektiven, in: dies. (Hg.): Die Massen bewegen. Medien und Emotionen in der Moderne, Frankfurt a.M. 2006, S. 13-41. Michael Homberg: Reporter-Streifzüge. Metropolitane Nachrichtenkultur und die Wahrnehmung der Welt 1870-1918, Göttingen 2017, S. 25. Hierzu zählen u.a. die Versorgung und Fürsorge – Verband der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen des Deutschen Reichskriegerbundes Kyffhäuser und seiner Landesgruppen, das KriegerWaisenhaus, Für unsere Kleinen. Monatliche Beilage, die Kyffhäuser-Jugend – Amtliches Nachrichtenblatt für Jugendpflege und Jugendfürsorge, Die deutsche Frau, Der Monat. Bild- und Modeschau sowie Das Kriegerheim – Unterhaltungsbeilage der Kriegerzeitung. Vgl. Anne Lipp: Diskurs und Praxis. Militärgeschichte und Kulturgeschichte, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.): Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000, S. 211-227, hier S. 222-227.

Einleitung

ten staatlichen Ordnung und der Gründungsphase der Weimarer Republik musste der Verband sein eigenes Selbstverständnis sowie seinen gesellschaftlichen Geltungsanspruch hinterfragen und die ideologischen sowie programmatischen Weichen für seine Arbeit in den nächsten Jahrzehnten stellen. Wie positionierten sich der Kyffhäuserbund und seine Veteranen zu einer vormals glorreichen Vergangenheit, die nun nach 1918 einen eklatanten Bruch auswies? Das zweite Kapitel untersucht daher zunächst die Neuausrichtung des Kyffhäuserbundes nach dem Kriegsende, die durch die Auf- und Verarbeitung der Vergangenheit des Weltkrieges auf verschiedenen Ebenen bestimmt wurde. Klassischerweise engagierte sich der Kyffhäuserbund auf dem Gebiet der Denkmalskultur sowie der Denkmalsbewegungen. Seine Sichtweise des Vergangenen spiegelt sich in der Art und Weise wider, wie er sich gegenüber verschiedenen Denkmalsprojekten und der Einrichtung zentraler Erinnerungsorte des Weltkrieges in den 1920er Jahren positionierte. Zudem schrieb er mit den zahlreichen Publikationsorganen des hauseigenen Kyffhäuser-Verlages die Narrative und Topoi des Weltkrieges fort. So versuchte der Verband, öffentlichkeitswirksame semantische Strukturen und Symbole zu etablieren, um die Verarbeitung des Weltkrieges in seinem Sinne zu lenken. Ferner diente dieses Vorgehen der eigenen ideologischen Neukonstituierung nach dem Krieg, fungierten die in bestimmten Narrativen mitschwingenden soldatischen Eigenschaften doch letztlich auch als Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Wie sehr diese Eigenschaften und Vergangenheitsdeutungen für das Selbstbild der Erfahrungsgemeinschaft konstitutiv waren, zeigt sich beispielhaft daran, wie der Kyffhäuserbund auf die Darstellung von Weltkriegssoldaten in kulturellen Erzeugnissen wie etwa dem erinnerungsbasierten Weltkriegsroman oder -film reagierte. Das dritte Kapitel rückt im Anschluss hieran die Ebene der Gegenwart in den Fokus der Untersuchung. Die historische Forschung hat die Jahre der Weimarer Republik unterschiedlich charakterisiert. Ihre Interpretationen reichen vom »Laboratorium der Moderne«83 über eine Republik ohne wirkliche Republikaner, die letztlich ihre Freiheit verspielte,84 bis zur »Krisenzeit der klassischen Moderne«.85 In der vorliegenden Studie wird die Auffassung vertreten, dass Weimar weder ein Laboratorium noch eine latente Krisenzeit war. Die Republik soll stattdessen als ein

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Winkler: Weimar, S. 11. Vgl. Hans Mommsen: Die Verspielte Freiheit. Der Weg der Republik von Weimar in den Untergang, 1918 bis 1933, Berlin 1989. Peukert: Krisenjahre, S. 11. Die Krisenjahre der klassischen Moderne finden sich in abgewandelter Form auch bei Karl Dietrich Bracher, der auf die Spannungsfelder gesellschaftlicher Modernisierung zwischen Politik und Kultur aufmerksam macht. Vgl. Karl Dietrich Bracher: Geist und Politik: Das Doppelgesicht der Zwischenkriegszeit, in: ders. (Hg.): Geschichte als Erfahrung. Betrachtungen zum 20. Jahrhundert, München 2001, S. 172-185, hier S. 173.

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Möglichkeitsraum verstanden werden,86 in dem Gegenwart und Zukunft von verschiedenen Akteuren vor dem Hintergrund der Vergangenheit gestaltet wurden. Ein solcher Ansatz betont die pluralistische Offenheit sowie Vielfältigkeit gesellschaftlicher und kultureller Gestaltungsmöglichkeiten und vermeidet einen historischen Determinismus. Er trägt zudem der Tatsache Rechnung, dass eine Untersuchung des Konstruktionsprozesses des Veteranen ohne die Einbeziehung aller drei Zeitebenen nicht denkbar ist, da in seiner Figur Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenfallen.87 An diesen ergebnisoffenen Gestaltungsprozessen innerhalb des Möglichkeitsraumes der Republik beteiligte sich auch der Kyffhäuserbund. Zum einen bezog der Verband in der Öffentlichkeit in zunehmendem Maße Stellung zu politischen Kontroversen, bei denen es beispielsweise um wirtschaftliche oder allgemeine innen- und außenpolitische Fragen ging und verstärkte sein Engagement im Vorfeld von Reichstags- oder Reichspräsidentenwahlen. Zum anderen wurde der private Raum des Veteranen vom Kyffhäuserbund sukzessive durchdrungen, indem er die ganze Familie in den Fokus rückte, um eine Weitergabe des Veteranenbildes an die nächste Generation zu erreichen. Schließlich entwickelte der Verband Vorstellungen und Konzepte zur Erziehung der Jugend sowie zur Funktion der Frau im soldatischen Haushalt. Das vierte Kapitel, das sich der Ebene der Zukunft widmen wird, untersucht sodann die Versuche des Kyffhäuserbundes, zukunftsträchtige Themen zu besetzen und seine Konzepte für die Zukunft seiner Veteranen sowie für die deutsche Gesellschaft öffentlichkeitswirksam zu propagieren. Diese waren zwar nicht durchweg positiv besetzt, aber zu den konkreten Ängsten gesellte sich immer wieder

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Ziemann führt den äußerst fruchtbaren Begriff des Möglichkeitsraums ein, greift diesen aber leider in späteren Arbeiten nicht wieder auf. Die Zukunft als in der Gegenwart umrissener Möglichkeitsraum bleibt nicht nur ein gedankliches Konstrukt einzelner Individuen, sondern wurde auf den Ebenen der Sprache und der politischen Praxis umgesetzt. Vgl. Benjamin Ziemann: Die Zukunft der Republik? Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold 1924-1933, Bonn 2011, S. 12. Ebenso betrachtet Bavaj den Aufstieg und die Etablierung des Nationalsozialismus aus einer innovativen raumanalytischen Perspektive, indem er untersucht, wie der NS durch die Aneignung des (öffentlichen) Raumes seine Herrschaft festigte. Siehe Riccardo Bavaj: Der Nationalsozialismus. Entstehung, Aufstieg und Herrschaft, Berlin 2016, S. 7-10. Zur Raumthematik in der historischen Forschung siehe weiterhin exemplarisch Susanne Rau: Räume. Konzepte, Wahrnehmungen, Nutzungen, Frankfurt a.M. 2013; ferner Christof Dipper/Lutz Raphael: ›Raum‹ in der Europäischen Geschichte, in: Journal of Modern European History 9 (2011), S. 27-41; und Karl Schlögel: Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, Wien 2003. Achim Landwehr schlägt hierfür den Begriff der Pluritemporalität vor. Dieser beschreibt die Möglichkeit, verschiedene Zeitebenen miteinander zu verknüpfen und ihnen Bedeutung zuzuschreiben. Vgl. Achim Landwehr: Von der ›Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹, in: Historische Zeitschrift 295 (2012), S. 1-24; und ferner ders.: Geburt der Gegenwart. Eine Geschichte der Zeit im 17. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2014, S. 248-253.

Einleitung

die Hoffnung, dass das Deutsche Reich die Nachkriegszeit erfolgreich überstehen werde. Bis es soweit war, galt es allerdings, die Weichen für die Zukunft zu stellen. Dazu mussten die Reichsgrenzen im Falle eines prognostizierten zukünftigen Krieges militärisch gesichert sowie die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung im Falle eines Angriffes verstärkt werden. Vor allem die Innovationen in der Kriegstechnik weckten das besondere Interesse des Kyffhäuserbundes. Gleichzeitig ging ihm aber auch darum, die innergesellschaftlichen Spannungen der 1920er Jahre zu glätten und durch gezielte Initiativen für potentielle Mitglieder attraktiv zu werden. Im Widerstreit der politischen und ideologischen Konzepte in der Endphase von Weimar stand die Frage im Raum, welchen Kurs die Republik einschlagen sollte. Der Kyffhäuserbund antwortete darauf mit eigenen Ideen zur Vergemeinschaftung, die sich in erster Linie auf die verloren gegangenen deutschen Werte und Tugenden zurückbesannen. In diesem Zusammenhang muss auch auf konkrete Führererwartungen sowie die Einstellung der Veteranen und des Kyffhäuserbundes zu einer möglichen neuen politischen Ordnung am Beginn der 1930er Jahre eingegangen werden. Schließlich erblickte der Verband in der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung jene Kraft, die eine Überwindung der Gegenwart und eine positive Gestaltung der Zukunft versprach. Daher schwenkte er letztlich auf den politischen Kurs des neuen Regimes ein und stellte seine organisatorische Kraft für dessen Zwecke bereitwillig zur Verfügung.

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I. Soldat von gestern, Veteran von morgen – der Kyffhäuserbund an der Schwelle einer neuen Zeit 1918/19

Die Geschichte des Kyffhäuserbundes reicht zurück bis in die Zeit des Deutschen Kaiserreiches und erstreckt sich über insgesamt drei politische Systeme. Zunächst sollen daher die wichtigsten Stationen auf seinem Weg zum größten Veteranenverband des Deutschen Reiches skizziert werden. Dann wird anhand der Gründungsphase um das Projekt des Kyffhäuser-Denkmals die Rolle des Kyffhäuserbundes im Ersten Weltkrieg und vor allem während der revolutionären Gründungsphase der Weimarer Republik eingehender betrachtet. Abschließend rücken seine programmatische Anpassung an die neue Staatsform und seine inhaltliche Umstrukturierung an der Zeitenwende von 1918/19 in den Fokus der Untersuchung: So wurde das schmale Zeitfenster zwischen der revolutionären Gründungs- und anschließenden Konsolidierungsphase der Weimarer Republik für den Verband zum Ausgangspunkt und zur Projektionsfläche vieler Probleme, Konflikte und Themen, die sein weiteres Handeln in den 1920er Jahren prägen sollten.

1.

Denkmalsbewegung und Gründungsphase im ausgehenden 19. Jahrhundert

An der Wende zum 20. Jahrhundert gab es im Deutschen Reich kein kohärentes, zentral gelenktes Veteranenverbands- oder Kriegervereinswesen. Zwar war der Kyffhäuserbund über viele Jahrzehnte hinweg als Dachverband der deutschen Landesverbände und lokalen Kriegervereine führend auf dem Feld der Kommunikation und Deutung, Repräsentation und öffentlichen Artikulation soldatischer Kriegserfahrungen. Damit er diese Position erlangen und bewahren konnte, bedurfte es zäher, langandauernder Verhandlungen, die sich insgesamt über fünfundzwanzig Jahre hinzogen. Diese Tatsache ist insofern bemerkenswert, als bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Anschluss an die Napoleonischen Kriege unzählige loka-

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le Kriegervereine gegründet1 wurden und im Zuge der Reichsgründung von 1871 eine Tendenz zur Vereinheitlichung auf vielen Ebenen der staatlichen Verwaltung sowie des öffentlichen Lebens nach preußischem Muster und unter der Hegemonie Berlins zu beobachten war. Die Ursachen für diese augenscheinlich gegenläufige Entwicklung liegen auf den zweiten Blick im Reichseinigungsprozess selbst begründet. Denn das vermeintliche Bild eines unitaristisch-zentralistischen Nationalstaates trügt, waren es doch nach wie vor gerade die föderalen Strukturen, welche die Kriegervereine des kaiserlichen Deutschland prägten. Die Auseinandersetzung zwischen dem Selbsterhaltungstrieb der einzelnen Landesverbände und dem Streben nach einem überregionalen Zusammenschluss bildete für lange Zeit die dominante Konfliktlinie innerhalb des deutschen Kriegervereinswesens. Die Bildung von regionalen Kriegervereinen setzte zwar bereits unmittelbar nach den Befreiungskriegen 1815 ein, doch erhielt die Bewegung einen wirklichen Schub erst im Anschluss an die Reichseinigungskriege. In der nationalen Euphorie rund um die Reichsgründung wurde ein erster Versuch unternommen, die einzelnen Landesverbände unter einem reichsweiten Banner zu vereinen. Zwar gelang es bereits 1873, mit dem Deutschen Kriegerbund (DKB) erstmals eine Vereinigung ins Leben zu rufen, die als Dachverband aller deutschen Veteranen auftrat. Doch nach dem »ersten Feuer der Begeisterung«,2 das sich an seiner Gründung bei vielen Verantwortlichen entzündete, kehrte ob der offen zutage tretenden Probleme und langwierigen Auseinandersetzungen zusehends Ernüchterung ein. Denn obgleich der DKB unter den preußisch-norddeutschen Landesverbänden regen Zuspruch erfuhr, blieben ihm die süddeutschen Verbände demonstrativ fern. Explizit hing dieser Boykott mit der zentralistischen Organisationsstruktur des DKB zusammen: Die süddeutschen Veteranen wähnten ihre föderativen Länder- und Regionalinteressen ignoriert sowie ihre Eigenständigkeit in Gefahr; ihre Landesherren fürchteten um ihre partielle Militärhoheit in einem vom preußischen Staat abhängigen Zentralverband und witterten eine Übervorteilung durch Berlin in Zeiten des Kulturkampfes.3 Implizit lag der Boykott aber im eigentlichen Zweck des DKB begründet: der Einrichtung einer vereinsübergreifenden, allgemeinen Unterstützungskasse für Kriegsversehrte, Witwen und Waisen. Da dieser Fond nicht nur

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Die Aufgabenbereiche dieser Kriegervereine wiesen noch einen starken regionalen Bezug auf: Sie verschrieben sich vorrangig der militärischen Traditionspflege, der Unterstützung von Hinterbliebenen, der Abhaltung von Leichenzügen und der Beisetzung toter Kameraden mit militärischen Ehren. Im Kern waren sie also tief in die face-to-face Gesellschaft ihrer Mitglieder und die lokalen Strukturen der Dorfgemeinschaft eingebettet. Vgl. Alfred Westphal: Handbuch für die Kriegervereine des Preußischen Landes-Kriegerverbandes, Berlin 5 1917, S. 3 und 14; sowie Rohkrämer: Militarismus, S. 27. Karl Schulz-Luckau: Soldatentum und Kameradschaft. Anderthalb Jahrhunderte Deutscher Reichskriegerbund, Berlin 1936, S. 23. Vgl. Zimmermann: Der feste Wall, S. 132f.

I. Soldat von gestern, Veteran von morgen

durch Spenden und Beiträge, sondern vorwiegend durch die Zusammenlegung der bereits bestehenden karitativen Vermögen der neuen DKB-Mitgliedsverbände finanziert und zudem fortan aus Berlin verwaltet werden sollte, verweigerten die süddeutschen Verbände, die ihre ökonomischen Autonomie nicht preisgeben wollten, den Beitritt.4 Dem Verband blieb daher auch das Protektorat Wilhelms I. und somit die staatliche Legitimation verwehrt, stellvertretend für alle deutschen Veteranen sprechen zu können.5 Die fast fünfzehn Jahre währende Blockade innerhalb des deutschen Kriegervereinswesens sollte erst durch den Tod Wilhelms I. 1888 ein Ende finden und in eine Sammlungsbewegung übergehen, die letztlich in die Gründung des Kyffhäuserbundes mündete. Diese Entwicklung ist maßgeblich mit der Person Alfred Westphals6 verbunden. Westphal, der vielen als der »eigentliche und verdienstvollste Organisator des gesamten deutschen Kriegervereinswesens«7 galt, lenkte dessen Geschicke über drei Jahrzehnte lang und verfolgte unnachgiebig das Ziel der Neugründung eines reichsweiten Dachverbandes der deutschen Veteranen. Er leitete zwischen 1886 und 1918 den DKB – ab 1899 dann de facto auch den Preußischen Landeskriegerverband (PLKV) sowie den Kyffhäuserbund in Personalunion – und verfasste als Schriftführer bis 1914 alle Geschäftsberichte der drei Verbände. Welche Stellung Alfred Westphal inne hatte, lässt sich etwa daran ermessen, dass er während seiner Laufbahn nicht nur vom preußischen Innenministerium sowie vom Kaiser mit Geld aus der Staatskasse protegiert, sondern dass seine umfangreiche Apanage auch in der Weimarer Republik bestätigt wurde.8 Westphal hatte erkannt, dass eine Vereinigung aller Veteranen nicht durch direkte Verhandlungen, sondern nur auf einem indirekten Weg jenseits von regionalen Befindlichkeiten und Partikularinteressen zu erreichen war. So wollte er die

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Vgl. Alfred Westphal: Die Kriegervereine, in: Deutschland als Weltmacht. Vierzig Jahre Deutsches Reich, herausgegeben vom Kaiser-Wilhelm-Dank, Berlin 1911, S. 761-770, hier S. 763; sowie Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 24f. Vgl. Zimmermann: Der feste Wall, S. 133-134; Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 28. Alfred Westphal wurde 1850 in Leutesdorf geboren (gest. 1924), diente in der preußischen Armee und wurde im Rang eines Majors der Infanterie aus dem aktiven Dienst entlassen. Nach seiner militärischen Karriere war er in der Position eines Regierungsrates und Abteilungsleiters – später wurde er sogar zum Geheimen Regierungsrat und 1893 zum Professor ernannt – am Geodätischen Institut in Potsdam tätig und pflegte beste Verbindungen zum politischen Berlin, die es ihm ab 1900 als Frühpensionär bei vollen Bezügen erlaubten, sich ganz der Verbandstätigkeit widmen zu können. Vgl. hierzu Herrmann A. L. Degener: Wer ist’s? Biographien nebst Bibliographien, Angaben über Herkunft, Familie, Lebenslauf, Werke, Lieblingsbeschäftigungen, Parteiangehörigkeit, Mitgliedschaft bei Gesellschaften, Adresse, Andere Mitteilungen von allgemeinem Interesse, Leipzig 1911, S. 1595; sowie in der Ausgabe von 1922, S. 1682. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 37. Vgl. Zimmermann: Der feste Wall, S. 160-162.

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zerstrittenen Gruppierungen durch die gemeinsame Beteiligung an einem überregionalen Großprojekt im Dienste der deutschen Identitäts- und Traditionsbildung dazu bewegen, den Föderalismus zu überwinden.9 Dies sollte durch die Errichtung eines Denkmals geschehen, das sich mit seinen Dimensionen und seiner symbolischen Aufladung in die Liste der großen deutschen Nationaldenkmäler des 19. Jahrhunderts einreihte.10 Nur wenige Tage nach dem Tod Wilhelms I. schlug Westphal vor, ein Denkmal zu seinen Ehren auf dem Kyffhäuserberg im Harz zu erbauen. Diese Initiative führte dazu, dass sich erstmals Vertreter sämtlicher Landeskriegerverbände zur Lösung einer gemeinsamen Aufgabe zusammenfanden. 1892 wurde ein Ständiger Ausschuß der vereinten deutschen Kriegerverbände für die Verwaltung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf dem Kyffhäuser eingesetzt, in dem nur selbstständige Landesverbände gleichberechtigt agierten.11 Daraufhin beschleunigte sich die weitere Entwicklung: Nachdem das Kyffhäuserdenkmal 1896 eingeweiht worden war,12 einigten sich die Landesvertreter 1899 darauf, einen Dachverband aller deutschen Kriegervereine zu gründen. Dieser wurde zwar zentral von Berlin aus verwaltet, sollte aber eine föderale Struktur aufweisen und tangierte somit die für die süddeutschen Verbände wichtigen territorialen Hoheitsrechte seiner Mitglieder nicht. Die Satzung des Ausschusses wurde dahingehend erweitert, dass seine Beratungen fortan alle Fragen des Kriegerverbandswesens betreffen sollten, woraufhin ihm 1900 das Korporationsrecht verliehen wurde.13 Am 10. Mai 1900 erfolgte die Konstituierung und am 15. August 1900 schließlich die Eintragung in das Vereinsregister des Amtsgerichts Berlin-Charlottenburg, durch welche der Ständige Kyffhäuser-Denkmalsausschuss in den Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landeskriegerverbände umgewandelt wurde.14 Mit der gleichzeitigen Verleihung des Korporationsrechts erhielt er den Status einer Juristischen Person im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches.15 9

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Grundlegend hierzu ist Eric J. Hobsbawm: Introduction: Inventing Traditions, in: ders./Terrence Ranger (Hg.): The Invention of Tradition, Cambridge 1983, S. 1-14; siehe weiterhin Anderson: Communities, S. 5-7. Vgl. Thomas Nipperdey: Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 206 (1968), S. 529-585. Vgl. ferner Kapitel II, 2.1. Vgl. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 37-42. Vgl. Kapitel II, 2.1. Vgl. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 43. Vgl. Landesarchiv Berlin, B Rep. 042 Nr. 26096, Bd. 1, Amtsgericht Charlottenburg – General=Akten: Kyffhäuser-Bund der deutschen Landeskriegerverbände, Bl. 1: Anmeldung des Kyffhäuserbundes beim Amtsgericht Berlin. Das reichsweite Vereinsrecht und die Verleihung des Korporationsrechtes (Status einer Juristischen Person mit bürgerlichen Rechten und Pflichten) wurden seit 1900 durch § 21 BGB geregelt: »Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts.« Voraussetzung hierfür waren die Vorlage einer Vereinssatzung (§ 25), ein durch eine Mitgliederversammlung bestellter Vorstand als gesetzlicher Vertreter und Geschäftsführung

I. Soldat von gestern, Veteran von morgen

Dreh- und Angelpunkt in der Verbandshierarchie des neu gegründeten Kyffhäuserbundes war ab 1900 das in Berlin angesiedelte Leitungsgremium, dem auch die Oberaufsicht über den DKB und den PLKV oblag. In personeller Hinsicht waren die Spitzen der drei Verbände identisch: Satzungsgemäßer Vorsitzender des Kyffhäuserbundes war der Vorsitzende des PLKV.16 Der Vorstand des Kyffhäuserbundes bestand aus professionellen Verwaltungsbeamten und kontrollierte in Personalunion nicht nur den Dachverband des deutschen Kriegerverbandswesens, sondern auch seinen größten Landesverband. Er führte die Tagesgeschäfte des Kyffhäuserbundes, verfasste Jahres- und Geschäftsberichte, verwaltete das KyffhäuserDenkmal und kümmerte sich um die Finanzverwaltung sowie die Wohlfahrtseinrichtungen. Das Präsidium bestand aus dem jeweiligen Landesherrn und hochrangigen, pensionierten Offizieren.17 Der Beitritt zum Kyffhäuserbund oder einem seiner zahllosen Kriegervereine unterlag formal keinen sonderlich strengen Restriktionen: Mitglied werden konnten alle erwachsenen, männlichen Personen, die ihren Militärdienst abgeleistet hatten. In ideologischer Hinsicht erwartete man von den Mitgliedern, dass sie eine klare nationalpatriotische Gesinnung aufwiesen und sich zu den staatlichen Symbolen sowie Repräsentanten des kaiserlichen Deutschland bekannten.18 Mit der Betonung der überindividuellen Grundwerte als dem ideellen Bindeglied des Verbandes hatte es jedoch noch eine ganz konkrete Bewandtnis. So versuchte der Kyffhäuserbund alles, um den Anschein strikter Überparteilichkeit zu wahren. Die satzungsmäßige Verpflichtung zu absoluter politischer Neutralität stellte daher eine seiner obersten Maximen dar. Nur dadurch, dass »das Parteiinteresse dem Gesamtinteresse untergeordnet wird«,19 schien es überhaupt möglich, die Millionenorganisation des Verbandes mit seiner heterogenen und regional ausdifferenzierten Sozialstruktur zusammenzuhalten und dafür zu sorgen, dass das Kriegervereinswesen möglichst »ein glücklicher Vereinigungspunkt für Männer der verschiedensten politischen Anschauungen«20 blieb. Die oberflächliche politische Neutralität verschleierte jedoch, dass die vom Verband erwartete Kaiser-

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(§ 26 und § 27) sowie die Versicherung der gesetzlichen Haftbarkeit im Schadensfall (§ 31). Siehe Bürgerliches Gesetzbuch. Nebst Einführungsgesetz, München 11 1921, S. 15-19. Vgl. Alfred Westphal: Das Deutsche Kriegervereinswesen. Seine Ziele und seine Bedeutung für den Staat, Berlin 1903, S. 10. Zusammensetzung der Führungsgremien des Kyffhäuserbundes und seiner Landesverbände nach Berufsgruppen im Jahr 1913 (von 60): 25 ehemalige Offiziere, 21 Beamte, neun selbstständige Gewerbetreibende, fünf Vertreter aus dem Bildungswesen, ein Rechtsanwalt. Vgl. Kyffhäuser-Bund der Deutschen Landes-Kriegerverbände: 14. Geschäftsbericht für das Jahr 1913, Berlin 1913, S. 4-6. Vgl. Rohkrämer: Militarismus, S. 37. Alfred Westphal: Kriegervereine gegen Sozialdemokratie. Ein Mahnwort an die gebildeten Stände, Berlin 2 1899, S. 10. Ebd., S. 9.

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treue auch ein klares Bekenntnis seiner Mitglieder zur nationalkonservativen Weltanschauung und Gesellschaftsordnung des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates voraussetzte. Insofern vertrat der Kyffhäuserbund politisch dezidiert konservative Standpunkte, die abweichende Gesellschaftsvorstellungen nicht zuließen. Ein prominentes Beispiel war die Bekämpfung der Sozialdemokratie. Denn von der politisch organisierten Arbeiterbewegung nahm der Kyffhäuserbund an, dass sie eine antimonarchische und internationalistische Tendenz verfolge und somit der eigenen nationalistischen Ausrichtung diametral entgegenstünde. Daher versuchte er einerseits, eine Mitgliedschaft erklärter Sozialdemokraten in den Kriegervereinen zu verhindern. Ehemalige Soldaten, die sich der SPD anschlössen, seien aus Sicht der Verbandsführung ihrem Fahneneid sowie den Vereinssatzungen untreu geworden und sollten daher aus der Erfahrungsgemeinschaft der Veteranen ausgeschlossen werden. Andererseits versuchte der Kyffhäuserbund, der SPD und der politisch organisierten Arbeiterbewegung durch umfassende materielle Versorgungsleistungen entgegenzuwirken. Ganz in der Tradition des Bismarckschen Sozialversicherungssystems sollte eine aktive Bekämpfung der Arbeiterbewegung und zugleich eine effektive Bindung der Mitglieder an die eigene Organisation dadurch erfolgen, dass der Bund die karitativen Felder und Markenkerne sozialdemokratischer Politik öffentlichkeitswirksam besetzte.21 Dazu entwickelte sich der Kyffhäuserbund auf dem Gebiet des Wohlfahrts- und Unterstützungswesens zu einem der größten Dienstleister im Reich. Die Kriegervereine hatten sich schon vor der Verbandsgründung als gemeinnützige Einrichtungen verstanden, und ihre karitativen Strukturen mit den Schwerpunkten auf Fürsorge und Wohlfahrt blickten auf eine lange Tradition zurück.22 Finanziert wurden die Sozialleistungen im Wesentlichen durch die Mitgliederbeiträge, die im Schnitt zwischen 25 und 30 Pfennige monatlich ausmachten, sowie durch freiwillige Beitragszahlungen für das Versicherungswesen des Kyffhäuserbundes.23 Hinzu kamen Einnahmen aus der Verpachtung von Immobilien, die Eintrittsgelder des Kyffhäuser-Denkmals oder Zuwendungen aus der Privatschatulle des Kaisers. Ein Großteil dieser Einkünfte investierte der Verband in diverse Kapitalanlagen, um mit den hieraus erwachsenden Erträgen bedürftige Kameraden oder ihre Hinterbliebenen mit Finanz- oder Sachleistungen zu unterstützen oder Stiftungstätigkeiten zu finanzieren.24 Ferner richtete der Kyffhäuserbund zahl21 22 23 24

Vgl. Westphal: Das Deutsche Kriegervereinswesen, S. 6f. und S. 13-20. Vgl. ebd., S. 20. Westphal: Die Kriegervereine, S. 767. Addiert man beispielsweise alle Leistungen des Jahres 1909 zusammen, so gab der Kyffhäuserbund in diesem Jahr rund fünf Millionen Mark für das eigene Wohlfahrts- und Unterstützungswesen aus. Welches Gewicht diese Summe hatte wird deutlich, wenn man sie zu den Ausgaben des Deutschen Reiches im selben Zeitraum in Relation setzt: Hier zahlte das Reich respektive das Reichministerium des Inneren bei einem ordentlichen Gesamtetat von über

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lose Publikationsplattformen ein, um für seine Kriegerwohlfahrtsgemeinschaft25 zu werben sowie seine propagandistischen Botschaften zu verbreiten. Einerseits handelte es sich um offizielle Verbandsdrucksachen wie die Geschäftsberichte und Jahrbücher des Kyffhäuserbundes, die seit 1888 regelmäßig publiziert und denen oftmals Rundschreiben und Handbücher beigegeben wurden.26 Andererseits erschien bereits ab 1877 mit der Parole27 ein wöchentliches Organ der preußischnorddeutschen und elsass-lothringischen Kriegervereine, das als »angenehmes Familienblatt […] nicht nur den Kriegervereinsmitgliedern, sondern auch ihren Familien reichen Unterhaltungs- und Belehrungsstoff«28 bieten sollte. 1905 kam mit der Kyffhäuser-Korrespondenz eine redaktionelle Nachrichtenagentur der deutschen Landes-Kriegerverbände hinzu, die wöchentliche Miszellen in national-konservativen und liberalen Blättern schaltete.29 Mit dieser Vorgehensweise verband der Kyffhäuserbund einen gesamtgesellschaftlichen Geltungsanspruch: Er wollte die »monarchische und nationale Gesinnung, Treue für das angestammte Königs- und Herrscherhaus und für das eigene Vaterland, Treue für Kaiser und Reich hinauszutragen in die weitesten Kreise des Volkes.«30 Das Kriegervereinswesen sollte als umfassende Fürsorgeeinrichtungen fest im öffentlichen Bewusstsein verankert werden. Darüber hinaus bildeten die Kriegervereine die Fortsetzung der aktiven Armee, und ihre Veteranen stellten eine »Armee im Bürgerrocke«31 dar. Als Wilhelm II. im Juni 1913 das Protektorat über

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zwei Milliarden Mark für das Jahr 1909 lediglich ca. fünf Millionen Mark an Unterstützungen und Zuschüssen für die Witwenversorgungskasse aus. Vgl. Westphal: Die Kriegervereine, S. 766; sowie Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich. Herausgegeben vom Kaiserlich Statistischen Amte, 30. Jahrgang 1909, Berlin 1909, S. 306-314. 1910 verwaltete allein die Bundes-Sterbekasse des Kyffhäuserbundes ein Vermögen von ca. 5 Millionen Mark und einen Versicherungsbestand von ca. 31 Millionen Mark. Vgl. hierzu Westphal: Die Kriegervereine, S. 766f. Diese Kriegerwohlfahrtsgemeinschaft umfasste etwa die verbandseigenen Kyffhäuserwaisenheime, die Kyffhäusererholungsheime für Veteranen sowie deren Frauen und Kinder, die Deutsche Kriegerfechtanstalt als finanzielle Organisationseinrichtung, Rechtsbeihilfen, Sterbegeldkassen oder ein umfangreiches Versicherungswesen. Vgl. Führ: Wesen und Wirken, S. 4-7. Siehe beispielsweise Westphal: Handbuch. Die Parole erschien im Verlag von Rudolf Mosse in Berlin. Chronik des Deutschen Kriegervereinswesens von 1872 bis Ende 1905. Herausgegeben vom Vorstande des KyffhäuserBundes der Deutschen Landes-Kriegerverbände, Berlin 1908, S. 19. Führ: Wesen und Wirken, S. 6. Die Publikation der Kyffhäuser Korrespondenz wurde durch überregionale Zeitungen wie beispielsweise die (Nord-)Deutsche Allgemeine Zeitung betrieben. Vgl. auch Westphal: Handbuch, S. 124. Ferner Schulz-Luckau: Soldatentum, 173-177; Zimmermann: Der feste Wall, S. 162-165; sowie Fricke/Finker: Kyffhäuserbund, S. 296; und Saul: Der Deutsche Kriegerbund, S. 114. Westphal: Das Deutsche Kriegervereinswesen, S. 3. Ebd.

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den Verband übernahm, schien das von Westphal gesteckte Ziel, den Kyffhäuserbund und mit ihm das Kriegervereinswesen fortan zum »Kristallisationspunkt […] für die Sammlung aller Vaterlandsfreunde«,32 zu einem verlängerten Arm des kaiserlichen Heeres zu machen, endlich erreicht zu sein: Am Vorabend des Ersten Weltkrieges waren dem Kyffhäuserbund knapp 32.000 Vereine mit insgesamt fast 2.840.000 Mitgliedern assoziiert, was einer Zahl von durchschnittlich knapp 90 Mitgliedern pro Verein entsprach.33

2.

Der Kyffhäuserbund während des Ersten Weltkrieges und in der Novemberrevolution

Während des Ersten Weltkrieges standen die Tagesgeschäfte des Kyffhäuserbundes – abgesehen von der Unterstützungstätigkeit für Kriegsversehrte und Kriegerhinterbliebene – nahezu still. Denn für viele Mitglieder des Verbandes war »der Ort ihrer nunmehrigen Tätigkeit […] der Schützengraben.«34 Etwa eineinhalb Millionen Mitglieder des Kyffhäuserbundes legten in den Weltkriegsjahren entweder wieder die feldgraue Uniform des Frontsoldaten an35 oder halfen in der Heimat bei der Bewachung von Brücken, Eisenbahnen und Kriegsgefangenen. Weiterhin engagierte sich der Kyffhäuserbund beim Roten Kreuz, beim Versand von Hilfspaketen an die Front oder bei der Unterstützung bedürftiger Familien, so dass sich die Ausgaben des Bundes während des Krieges auf schätzungsweise 27½ Millionen Mark beliefen.36 Schon während des Krieges beschäftigten sich seine Führungsgremien mit der Zukunft des Kriegerverbandswesens nach einem prognostizierten Sieg sowie mit den Problemen der Rekrutierung neuer und der Wiedereingliederung der heimkehrenden Vereinsmitglieder nach dem Krieg.37 Ebenso frühzeitig, En32 33

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Ebd., S. 29. Vgl. Kyffhäuserbund: 14. Geschäftsbericht für das Jahr 1913, Berlin 1913, S. 123. Die Sozialstruktur des Verbandes wurde an der Basis in erster Linie von Landarbeitern, kleinen Landwirten, Arbeitern, Gewerbetreibenden und Handwerkern geprägt; die Verbandsspitze hingegen rekrutierte sich vorwiegend aus den Kreisen des Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums, ehemaligen Militärs sowie höheren Verwaltungsbeamten. Vgl. Gunther Mai: ›Für Kaiser und Reich‹. Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Kyffhäuser, in: ders. (Hg.): Das KyffhäuserDenkmal 1896-1996. Ein nationales Monument im europäischen Kontext, Köln 1997, S. 148177, hier S. 151. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 58. Vgl. Karl Eckert – »Wesen und Wirken des Kyffhäuser-Bundes I«, in: Kriegerzeitung – Illustrierte Wochenschrift. Amtliches Blatt des Deutschen Kriegerbundes, 5.1.1919, S. 4-6. Vgl. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 58. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 29, Bd. 3, Ministerium des Inneren, Kriegervereine 1917-1924, Bl. 346-348: Westphal: Zeitige Bedürfnisse des Kriegervereinswesens; ferner GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 29, Bd. 2, Ministerium des Inneren, Kriegervereine 1908-1917, Bl. 190: Kyffhäuserbund nach dem Krieg; sowieebd., Bl. 197-200: Entwurf eines Schreibens

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de 1915, befasste sich der Kyffhäuserbund mit Fragen der Kriegsinvalidenfürsorge und deren Finanzierung und strebte eine Vereinheitlichung des Unterstützungswesens an.38 Ferner beschloss der Verband 1915 eine Lockerung seiner Satzungen, die es seinen Kriegervereinen nun ausdrücklich erlaubte, auch nachweislich sozialdemokratische Mitglieder aufzunehmen.39 Denn der Kyffhäuserbund hatte mit Wohlwollen registriert, dass die SPD durch die Bewilligung der Kriegskredite im Parlament bewiesen habe, eine staatstragende und national denkende Partei zu sein, und man nicht mehr behaupten könne, dass »unsere Sozialdemokratie […] vaterlandslos und antinational«40 sei. Diese Öffnung hin zur Sozialdemokratie erscheint jedoch nur auf den ersten Blick als eine Versöhnungsgeste. Vielmehr war die Einbindung möglichst vieler Mitglieder aus dem Arbeitermilieu als eine erzieherische Maßnahme gedacht: Die Verbandsspitze hatte mittlerweile das große personelle Potential der politisch organisierten Arbeiterbewegung erkannt und hoffte, möglichst viele Arbeiter im Geiste des Kyffhäuserbundes umerziehen und so dem Einfluss der Sozialdemokratie entfremden zu können.41 Alles in allem schien sich der Kyffhäuserbund also den Gegebenheiten der Zeit anzupassen: Er sanktionierte durch moderate Modernisierungsmaßnahmen die Burgfriedenspolitik im Reich und verschrieb sich zugleich mit seiner ganzen organisatorischen Kraft den deutschen Kriegszielen, deren Erreichung er in ideeller, finanzieller sowie personeller Hinsicht voll und ganz förderte.42 Umso unvorbereiteter trafen den Kyffhäuserbund das abrupte und in dieser Form vollkommen unerwartete Ende des Krieges sowie die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit, welche die bisherige Ordnung völlig auf den Kopf zu stellen drohten.

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an die Landesverbände; letztlich GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 49, Krieger-Vereine; Acta betr. Den Deutschen Reichskriegerbund »Kyffhäuser«, Bl. 47f.: Westphal, Restrukturierung. GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 29, Bd. 2, Ministerium des Inneren, Kriegervereine 19081917, Bl. 206-211: Kriegsinvalidenfürsorge; und GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 29, Bd. 3, Ministerium des Inneren, Kriegervereine 1917-1924, Bl. 238-247: Westphal: Kyffhäuser=Bund und Deutscher Kriegerbund. Vereinheitlichung der Organisation des deutschen Kriegervereinswesens. Vgl. Kyffhäuserbund: 15. Geschäftsbericht, S. 29-35. Ebd., S. 29. Vgl. ebd., S. 29-35. Vgl. Susanne Miller: Burgfrieden und Klassenkampf. Die deutsche Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg, Düsseldorf 1974, S. 51-74; sowie Wolfgang Kruse: Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914/15, Essen 1994; und Steffen Bruendel: Solidaritätsformel oder politisches Ordnungsmodell? Vom Burgfrieden zur Volksgemeinschaft in Deutschland 1914-1918, in: Wolfram Pyta/Carsten Kretschmann (Hg.): Burgfrieden und Union sacrée. Literarische Deutungen und politische Ordnungsvorstellungen in Deutschland und Frankreich 1914-1933, München 2011, S. 33-50.

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»Bittere Enttäuschungen und schwere Sorgen hat der unglückliche Ausgang des Krieges über das deutsche Volk gebracht, und die ungeahnten staatlichen Umwälzungen, die noch im Fluß sind, machen es mit ihren unabsehbaren Folgen ganz unmöglich, schon jetzt das alles zu erfassen, was die Zukunft von uns erfordert.«43 Der Verband wähnte sich an »der Schwelle einer neuen Zeit«, die absehbar eine Zukunft »voll tiefer Trauer«44 mit sich bringen werde. In dieser an sich schon irritierenden Situation tat sich für den Kyffhäuserbund eine weitere, scheinbar akute und existenzielle Bedrohung auf: »Geschwunden ist, was seit Bestehen der Kriegervereinsorganisation ihr Leitstern gewesen und wofür sie eingetreten ist, die Monarchie. Aufgehoben ist der Fahneneid, der den Soldaten an die Person des Kaisers, des Königs, des Landesherrn gebunden hat und der bisher die Grundlage des Kriegervereinswesens war.«45 Die durchaus komfortable Macht- und Monopolstellung des Verbandes gründete seit jeher in hohem Maße auf der Patronage der untergegangenen Staatsform und deren adligen Regenten. Nun waren das alte politische System und mit ihm seine überkommenen Machteliten fast lautlos über Nacht verschwunden und mit ihnen fast alle traditionellen Bezugspunkte des Kriegervereinswesens.46 In dieser Atmosphäre, die zwischen dem phantastischen »Traumland der Waffenstillstandsperiode«47 und revolutionärem Umsturz changierte, rang der Kyffhäuserbund sichtbar darum, ein Mindestmaß an Orientierung zu behalten. Die prinzipielle Offenheit der Situation wie der Handlungsspielräume in der Übergangsphase von 1918/19 stellte für ihn in vielerlei Hinsicht eine Überforderung und so etwas wie die Stunde Null dar.48 In der Entstehungs- und anschließenden Selbstbehauptungsphase der republikanischen Staatsform mussten ad hoc Übergangslösungen für politischsoziale Probleme gefunden und gleichzeitig die dringendsten Folgeerscheinungen

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Kattwinkel – »Die ›Arbeit‹ im neuen Deutschland«, in: Kriegerzeitung, 24.11.1918, S. 2f. »Die Heimgekehrten. Wiederaufbau des Familienlebens«, in: ebd., S. 3f. »Die Aufgaben der Kriegervereinsorganisation im neuen deutschen Volksstaat«, in: Parole Buch – Bekanntmachungen für das Kriegervereinswesen, 11.12.1918, S. 1f. Vgl. Lothar Machtan: Die Abdankung. Wie Deutschlands gekrönte Häupter aus der Geschichte fielen, Berlin 2008; sowie ders.: Der erstaunlich lautlose Untergang von Monarchie und Bundesfürstentum – ein Erklärungsangebot, in: Alexander Gallus (Hg.): Die vergessene Revolution von 1918/19, Göttingen 2010, S. 39-56. Ernst Troeltsch [Spectator] – »Nach der Entscheidung«, in: Der Kunstwart und Kulturwart. Halbmonatschau für Ausdruckskultur auf allen Lebensgebieten (26.6.1919/S. 72-75). Vgl. Eckhard Jesse: Friedrich Ebert und das Problem der Handlungsspielräume in der deutschen Revolution 1918/19, in: Rudolf König/Hartmut Soell/Hermann Weber (Hg.): Friedrich Ebert und seine Zeit. Bilanz und Perspektiven der Forschung, München 1990, S. 89-110; und Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.): 1918. Die Deutschen zwischen Weltkrieg und Revolution, Berlin 2018, S. 41-58.

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des Weltkrieges inmitten revolutionärer Umsturzversuche bewältigt werden.49 Um einen letzten Rest an Einfluss auf den Staatsapparat zu wahren und diesen von seiner Kooperationsbereitschaft zu überzeugen sowie letztlich der zunehmend unüberschaubaren Lage im Reich entgegenzutreten, stellte sich der Kyffhäuserbund in einer ersten symbolischen Maßnahme »hinter die neue Volksregierung und hinter jede vom Volkswillen künftig eingerichtete Regierung.«50 Die Veteranen des Kyffhäuserbundes sahen in der Republik nicht bloß die Nachfolgerin einer verloren gegangenen, altbekannten Ordnung. Sie erblickten in ihr einen Möglichkeitsraum, einen Entfaltungshorizont, der ihnen hinreichende inhaltliche Gestaltungsmöglichkeiten offerierte und durch eine enge Zusammenarbeit mit den neuen politischen Verantwortlichen zudem die Chance bot, die Gegenwart und die weitere Zukunft des Deutschen Reiches nach den eigenen Vorstellungen aktiv mitzugestalten. Daher fällte der Kyffhäuserbund in einer ersten unmittelbaren Reaktion und als Sofortmaßnahme zur Neuausrichtung eine einschneidende personelle Entscheidung: Mit Alfred Westphal zog sich die dominante Persönlichkeit aus den Jahren des Kaiserreichs aus den Tagesgeschäften des Kyffhäuserbundes zurück und überließ fortan dem Verbandspräsidenten die Führung und die weitere Entwicklung des Bundes. Für diese wichtige Aufgabe konnte die Verbandsspitze den ehemaligen Preußischen Kriegsminister und General der Infanterie Josias von Heeringen51 gewinnen, der nach seiner Verabschiedung aus dem aktiven Dienst vom November 1918 bis zu seinem Tod im Jahr 1926 den Kyffhäuserbund führte und somit für die Neuausrichtung des Verbandes nach dem Ersten Weltkrieg verantwortlich zeichnete (vgl. Abb. 1).

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Grundlegend zur (revolutionären) Ausgangslage bei Kriegsende und zur turbulenten Gründungsphase ist Heinrich-August Winkler: Von der Revolution bis zur Stabilisierung. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918 bis 1924, Berlin/Bonn 1984, S. 19-133; sowie Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009; und Helga Grebing (Hg.): Die deutsche Revolution 1918/19. Eine Analyse, Berlin 2008. Eine gewinnbringende Zusammenfassung mit einem bilanzierenden Forschungsüberblick findet sich bei Alexander Gallus: Die vergessene Revolution von 1918/19 – Erinnerung und Deutung im Wandel, in: ders. (Hg.): Die vergessene Revolution von 1918/19, Göttingen 2010, S. 14-38. »Die Aufgaben der Kriegervereinsorganisation im neuen deutschen Volksstaat«. Josias von Heeringen wurde 1850 in Kassel geboren und hatte bereits eine klassische militärische Karriere in der preußischen Armee durchlaufen, bevor er von 1909 bis 1913 das Amt des preußischen Kriegsministers bekleidete. Während des Ersten Weltkrieges wurde er als General der Infanterie vornehmlich an der Westfront in Elsass-Lothringen sowie zur Verteidigung der Küste eingesetzt – Pour le Mérite 1915. Vgl. von Heeringen: An die deutschen Kriegervereine, S. 12-16; Degener: Wer ist’s?, 1911, S. 559 und 1922, S. 599f; sowie GStA PK, I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 26, Bd. 3, Ministerium des Inneren, Preußischer Landeskriegerverband, 1907-1926, Bl. 400: Sitzung des Vorstandes des Preußischen Landeskriegerverbandes vom 10. Oktober 1918.

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Von Heeringen zur Seite stand in dieser Zeit Otto Riebicke, der seit Juni 1918 ebenfalls mit der Neugestaltung des Kyffhäuserbundes betraut war (vgl. Abb. 2). Riebicke übernahm in einer Doppelfunktion das Erbe Alfred Westphals als neuer Schriftleiter des Bundesvorstandes sowie als Chefredakteur des Kyffhäuser-Verlags und der Kriegerzeitung beziehungsweise des Kyffhäuser.52 Er, der künftig als Sprachrohr des Verbandes in Pressefragen die Fäden zog, hatte im Ersten Weltkrieg in der Pressestelle der OHL gedient und dort aus nächster Nähe das Potential der Printmedien als Instrument der Meinungslenkung kennengelernt.53 Seine Erfahrung und Expertise auf diesem Gebiet stellte er nunmehr in den Dienst des Verbandes. Diese personellen Neubesetzungen standen stellvertretend für eine neue Partizipationsstrategie des Verbandes, die sich nicht nur auf die Spitzenpositionen beschränkte. Waren es zur Zeit des Kaiserreiches vor allem kundige Verwaltungsbeamte gewesen, welche die Geschicke des Bundes bestimmt, und pensionierte hochrangige Militärs, welche rein repräsentative Aufgaben versehen hatten, setzte der Kyffhäuserbund bei der Neugestaltung in der Nachkriegszeit auf allen Ebenen auf erfahrene Weltkriegssoldaten. Damit tat der Verband einen wichtigen Schritt in Richtung einer Professionalisierung und Durchstrukturierung seiner Führungsgremien nach militärischem Vorbild. Auf diesem Weg setzte er einerseits auf die Kompetenz derjenigen, die selbst über Kriegserlebnisse aus erster Hand verfügten und somit die Legitimation besaßen, diese Erlebnisse stellvertretend für viele Angehörige der Diskursgemeinschaft zu deuten sowie mit Sinn zu versehen. Andererseits wurden die Veteranen des Ersten Weltkrieges frühzeitig in die administrativen Strukturen des Verbandes eingebunden, damit sie von der ersten Stunde an Verantwortung für die aktive Konturierung und Verbreitung des Veteranenbildes des Kyffhäuserbundes übernehmen konnten. Als eine der ersten Amtshandlungen richtete sich von Heeringen unmittelbar an die Verbandsmitglieder und informierte sie über den aktuellen Stand der Dinge sowie die akuten Notwendigkeiten der Zeit. Noch habe sich, so der neue Präsident, das deutsche Volk nicht vom unerwarteten Zusammenbruch und der Niederlage

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Otto Riebicke wurde 1889 in Altruppin geboren. 1914 meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst und diente im kaiserlichen Heer zunächst als Armierungssoldat. Nach einer Verwundung im Jahr 1916 wurde er als Reserveoffizier zum Pionier-Bataillon Nr. 28 abkommandiert und 1918 dem Kriegspresseamt als Offiziersberichterstatter zugeteilt – Verwundetenabzeichen und Eisernes Kreuz II. Klasse. Seit Kriegsende u.a. Mitglied Vereins Berliner Presse und Reichsverbands der deutschen Presse; später Mitglied der NSDAP (gest. 1965 in Berlin). Auch Riebickes Bruder Gerhard, seines Zeichens Sportfotograf, war in späteren Jahren als Fotograf in die Verbandsarbeit eingebunden. Vgl. Robert Volz: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild, Zweiter Band (L-Z), Berlin 1931, S. 1528; sowie Kyffhäuserbund (Hg.): Nachschlagewerk des Deutschen Kriegerbundes (Kyffhäuserbund) e.V. Zum 150jährigen Bestehen, Berlin 1936, S. 25. Vgl. Lipp: Meinungslenkung, S. 27-61.

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Abbildung 1: Josias von Heeringen; Abbildung 2: Otto Riebicke.

erholt; es stehe vielmehr in tiefer Trauer und Fassungslosigkeit da. Der Schock über den Ausgang des Krieges und den Verlust der Monarchie sitze noch tief in den Kriegervereinen, war diese doch die Grundfeste der Verbandsarbeit. Nun aber heiße es, »den Kopf hoch zu halten und für das Vaterland, für das deutsche Volk weiter zu kämpfen, weiter zu streiten, weiter zu arbeiten! Mit dem festen Entschluß hierzu muß unser Kriegervereinswesen in den Kampf gehen! Werbet unter den zurückgekehrten Kriegsteilnehmern zum Eintritt in die Kriegervereine! Nehmet die jungen Kräfte, die den Geist der Neuzeit mitbringen, in die Vorstände der Verbände und Vereine auf! Laßt sie mit tätig sein an unserer Weiterarbeit und an der Neugestaltung des Kriegervereinswesens.«54 Unterstützung erfuhr von Heeringen an dieser Stelle durch Paul von Hindenburg, der nach der Abdankung Wilhelms II. den Ehrenvorsitz des Kyffhäuserbundes übernommen hatte.55 Auch Hindenburg rief sowohl die freiwilligen jungen als auch die alten Kameraden zu einer entschlossenen Arbeit für das Vaterland auf, wurde hier allerdings konkreter: Nach dem Ende des Krieges gegen die äußeren Feinde gelte nun es einen Abwehrkampf im Inneren zu führen, um »den alten 54 55

Josias von Heeringen – »Zum Jahreswechsel«, in: Kriegerzeitung, 29.12.1918, S. 2. Vgl. Dankesschreiben Hindenburgs und Annahme des ihm angetragenen Ehrenvorsitzes, in: Kriegerzeitung, 21.9.1919, S. 1. Hindenburg bekleidete dieses Amt von 1919 bis zu seinem Tod 1934, ab 1925 zeitweise parallel zu seinem Amt als Reichspräsident.

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deutschen Boden vor dem neuen Feinde, dem Bolschewismus, der die Kulturwelt bedroht«,56 zu verteidigen. Der Kyffhäuserbund folgte dem Aufruf seines Ehrenpräsidenten, musste sich unter den aktuellen Rahmenbedingungen allerdings dem Provisorischen beugen und auf eine Politik des Augenblicks verlegen. In der unmittelbaren Nachkriegszeit reagierte der Verband in erster Linie auf die tagesaktuellen Ereignisse und die Erfordernisse der Zeit. Als eine der dringendsten Aufgaben erachtete er die Stabilisierung der inneren Verhältnisse im Deutschen Reich. Daher schaltete sich der Kyffhäuserbund energisch und direkt in den Prozess der Demobilmachung ein, um die Frontsoldaten so schnell wie möglich wieder in die Heimat zurückzuführen.57 Damit handelte er ganz im Sinne des Rats der Volksbeauftragten.58 Durch eine geordnete Demobilmachung sollten die heimkehrenden Soldaten für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft eingesetzt werden, um die »wirtschaftliche Sicherstellung Millionen deutscher Familien«59 zu erreichen. So hatten aus Sicht des Verbandes gerade die Veteranen für eine möglichst reibungslose Abrüstung und Umstellung von einer Kriegs- auf eine Friedenswirtschaft einzutreten, da dies »der Anfang einer besseren Zukunft für alle deutschen Männer und Frauen«60 sei. Eine zügige Arbeitsvermittlung war mithin das Gebot der Stunde, auch, um eventuellen Disziplinlosigkeiten und aufkommendem Müßiggang vorzubeugen. Die Veteranen wurden aufgerufen, sich unmittelbar nach der Rückkehr an ihre ehemaligen Arbeitgeber zu wenden, um rasch wieder ihre früheren Stellen einzunehmen.61 Da der Kyffhäuserbund die staatlichen Vermittlungsorgane für unzureichend hielt, richtete er für die noch erwerbslosen Kriegsteilnehmer und für die Kriegsbeschädigten eine umfassende Arbeitsvermittlung ein und rief alle Arbeitgeber in den Kriegervereinen auf, bei der Vermittlung offener Stellen in den eigenen Betrieben tatkräftig mitzuwirken.62 Dahinter stand die Idee, einerseits möglichen Unruhen im Reich durch die zügige Rückkehr zu einem geregelten Alltagsleben zu

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Paul von Hindenburg – »An die Arbeit zum Besten des Vaterlandes«, in: Kriegerzeitung, 23.2.1919, S. 2. Grundlegend hierzu Bessel: Germany, S. 69-90. Vgl. Reichsgesetzblatt: Erlaß über die Errichtung des Reichsamts für die wirtschaftliche Demobilmachung (Demobilmachungsamt). Vom 12. November 1918, Berlin 1918. Aufruf – »Die erste Forderung unserer Krieger«, in: Kriegerzeitung, 18.12.1918, S. 1. »Die Abrüstung des Krieges und der Aufbau der Friedenswirtschaft«, in: Kriegerzeitung, 22.12.1918, S. 3f.; Vgl. ferner Bessel: Germany, S. 91-124; und Gerald D. Feldman: The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, 1914-1924, Oxford 1997, S. 99-155. Vgl. Hans Oswald – »Die deutsche Demobilmachung II«, in: Kriegerzeitung, 1.12.1918, S. 4f.; weiterhin »Die Abrüstung des Krieges und der Aufbau der Friedenswirtschaft«. Vgl. Aufruf – »Die erste Forderung unserer Krieger«; sowie »Kriegervereine und Arbeitsvermittlung – ein Gebot der Stunde!«, in: Kriegerzeitung, 27.11.1918, S. 3.

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begegnen. Hierzu sollte auch die Sicherstellung stabiler wirtschaftliche Verhältnisse beitragen, von denen letztlich auch der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder profitierten. Andererseits plante er für den Ernstfall etwaiger radikaler Umsturzversuche mit einem massiven Einsatz paramilitärisch organisierter Veteranen als Ordnungskräfte innerhalb der Reichsgrenzen. Daher wies der Kyffhäuserbund alle Mitglieder schon Ende November 1918 unmittelbar an, »ihre bewährte Kraft auch unter den neuen Verhältnissen in den Dienst des Vaterlandes und des Volkes zu stellen. Pflicht unserer Kameraden […] ist es, sich der neuen Regierung zur Verfügung zu stellen und zur Aufrechterhaltung der Ordnung mitzuhelfen. Wo seitens der Regierung oder der Arbeiter- und Soldatenräte Bürgerwehren errichtet werden, sollen unsere Vereine ihnen beitreten.«63 Eine solcher Appell war gleichbedeutend mit einer Aufrechterhaltung der Wehrbereitschaft der heimkehrenden Truppenteile. Der Kyffhäuserbund begrüßte – ebenso wie die provisorische Reichsregierung64 – die Einrichtung der Arbeiter- und Soldatenräte sowie der Freikorps und trat für eine enge Kooperation der Kriegervereine mit ihnen ein.65 Die Freikorps galten ihm als ein potentes Kontrollmittel zur Durchsetzung der öffentlichen Ordnung und – ganz im Sinne ihrer soldatischen Tradition – als ein der Obrigkeit treu ergebenes Machtinstrument, das als verlängerter Arm des Heeres vorläufig die Sicherheit innerhalb der Reichsgrenzen garantierte. Der Rätebewegung wiederum räumte er weitgehende Rechte ein: »Es wird darauf ankommen, daß unsere Truppen nun, wo sie durch die Bildung von Soldatenräten selbstständig geworden sind, beweisen, daß sie die Selbstständigkeit in richtiger Weise zu gebrauchen wissen.«66 Darüber hinaus verfolgte der Verband noch andere Intentionen. Zum einen erhoffte er sich vom steigenden Einfluss der ehemaligen Frontsoldaten, die politische Kontrolle in den vermeintlich von linken Kräften dominierten Arbeiter- und Soldatenräte zu gewinnen. Zum anderen sollte unbedingt vermieden werden, dass sich Soldaten und lose Truppenteile unkontrol-

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»Aufruf der Bundesleitung des Kyffhäuserbundes«, in: ebd., S. 1. Vgl. Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 291 vom 10.12.1918: Bekanntmachung des Rates der Volksbeauftragten und des Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte. Siehe hier weiterhin Nr. 277 vom 23.11.1918 und Nr. 279 vom 26.11.1918; sowie Eberhard Kolb: Die Arbeiterräte in der deutschen Innenpolitik 1918-1919, Frankfurt a.M. 1978, S. 99-113; und Reinhard Rürup: Friedrich Ebert und das Problem der Handlungsspielräume in der deutschen Revolution 1918/19, in: Rudolf König/Hartmut Soell/Hermann Weber (Hg.): Friedrich Ebert und seine Zeit. Bilanz und Perspektiven der Forschung, München 1990, S. 69-87, hier S. 79-82. Vgl. »Das schwarze Jahr. Ein Rückblick von Hermann Th. Drege«, in: Kriegerzeitung, 29.12.1918, S. 3f. Hans Oswald – »Die deutsche Demobilmachung I«, in: Kriegerzeitung, 24.11.1918, S. 4f.

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liert und auf eigene Faust in die Heimat durchschlugen und sich dort womöglich revolutionären Umtrieben oder separatistischen Bewegungen anschlossen.67 Ein solches Schreckensszenario erhielt durch den Generalstreik im Januar 1919 sowie durch die anschließende Radikalisierung und Eskalation der Gewalt in den Straßen der Hauptstadt während des Januaraufstandes68 oder der Berliner Märzunruhen69 zusätzliche Nahrung. Hier zeigte sich nur zu deutlich, dass der Kyffhäuserbund kompromisslos bereit war, gegen alle vermeintlichen Störer und Feinde des fragilen Friedens im Innern, insbesondere aus dem sozialistisch-kommunistischen Milieu, notfalls auch mit offener paramilitärischer Gewalt vorzugehen. Er stigmatisierte beispielsweise die sozialistischen Führer und ihre Ziele unter Rückgriff auf bekannte stereotype Allgemeinplätze des Kaiserreiches70 als eine »Zusammenfassung jener besonders radikalen Kommunisten, die sich […] zu einer besonderen Kampftruppe zusammengeschlossen haben und in ihrer Kampfweise sich vor allem jener berüchtigten ›Propaganda der Tat‹ bedienen, wie sie der Anarchismus zum ersten Male in so schrecklicher Weise zur Anwendung gebracht hat.«71 Die von den sozialistischen Führern »aufgewiegelte Arbeiterschaft und zahlreiche ›Urlauber‹ und Deserteure«72 spielten auf unverantwortliche Weise mit dem Terror und lähmten obendrein die Handlungsfähigkeit der Regierung. Um diesen vermeintlich von links provozierten »anarchischen Zuständen«73 ein Ende zu setzen, betrachtete es der Verband als Ehrenpflicht jedes Mitgliedes, sich den kurzfristig gebildeten Freiwilligen-Bataillonen, sprich: Freikorps, anzuschließen, um »der jungen Republik in ihrer schwersten Stunde, die vielleicht über ihre Existenz überhaupt entscheidet, zu Hilfe zu kommen.« Dies sei hoffentlich der »letzte Kampf, den das neue Vaterland gegen allerlei Raubgesindel von außen und von innen zu führen« habe. Etwaigen Zweiflern hielt der Kyffhäuserbund entgegen, dass in den

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Vgl. »Die Abrüstung des Krieges und der Aufbau der Friedenswirtschaft«. Vgl. »Der Bolschewismus«, in: Kriegerzeitung, 12.1.1919, S. 3f.; und ferner Alan Kramer: Dynamic of Destruction. Culture and Mass Killing in the First World War, Oxford 2008, S. 309312. Vgl. Wolfram Wette: Gustav Noske. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1987, S. 315-340 und 410-427. Vgl. Carola Dietze: Terrorismus im 19. Jahrhundert: Politische Attentate, rechtliche Reaktionen, Polizeistrategien und öffentlicher Diskurs in Europa und den Vereinigten Staaten 18781901, in: Karl Härter/Beatrice de Graaf (Hg.): Vom Majestätsverbrechen zum Terrorismus. Politische Kriminalität, Recht, Justiz und Polizei zwischen Früher Neuzeit und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 2012, S. 179-196; sowie Fabian Lemmes: Der anarchische Terrorismus des 19. Jahrhunderts und sein soziales Umfeld, in: Stefan Malthaner (Hg.): Radikale Milieus. Das soziale Umfeld terroristischer Gruppen, Frankfurt a.M. 2012, S. 73-120. »Sozialismus, Kommunismus, Bolschewismus und Spartakismus…«, in: Kriegerzeitung, 16.3. 1919, S. 5f. »Das schwarze Jahr. Ein Rückblick von Hermann Th. Drege«. Ebd.

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Freiwilligenverbänden mittlerweile keine »unerwünschten Elemente« mehr seien, sondern »wirklich nur einwandfreie Persönlichkeiten, die mit Herz und Seele bei der Sache sind, und denen das Wohl des Vaterlandes über schmutzige eigennützige Interessen hinaus geht.«74 Er schlug sich somit während der von der sozialdemokratisch geführten Reichsregierung selbst proklamierten »Stunde der Abrechnung« Anfang des Jahres 1919 rückhaltlos auf die Seite des Staates und half diesem, die sogenannte »Schreckensherrschaft«75 linksgerichteter Gruppierungen blutig niederzuschlagen.76 Hier zeigte sich, dass trotz der Öffnung hin zur Sozialdemokratie nationalkonservative Ressentiments das Kriegsende unbeschadet überlebt hatten; nur, dass die neuen Reichsfeinde der Kommunismus und der Anarchismus waren. In der unmittelbaren Nachkriegszeit bildeten eine tiefe Verunsicherung und die Angst vor einer ausufernden und zunehmend unkontrollierbaren Gewalt die Triebfedern des gesellschaftlichen Handelns des Kyffhäuserbundes.77 Die tief sitzende Furcht vor einem Abdriften des Reiches in chaotische, bürgerkriegsähnliche Zustände oder vor einem weiteren Ausgreifen der Revolution veranlasste den Verband, an die militärische Erfahrung seiner Mitglieder zu appellieren und diese mit Nachdruck zum Eintritt in die Freikorps zu bewegen. Sympathie für die und Altruismus gegenüber der Republik waren allerdings nicht die treibenden Beweggründe. Zum einen ging von den nicht absehbaren Folgen eines konsequenten politischen Umsturzes aus Verbandssicht eine ernst zu nehmende Bedrohung der eigenen Vereinsstrukturen aus. Zum anderen wollte der Kyffhäuserbund in der angespannten innenpolitischen Situation der Übergangsphase von 1918/19 der Regierung durch seinen vermeintlich prorepublikanischen Aktionismus sein großes organisatorisches Potential vor Augen führen und sich selbst als eine für die Republik unentbehrliche patriotische Ordnungsmacht in Krisenzeiten inszenieren. Paradoxerweise setzte der Verband durch den Primat des bedingungslosen Republikschutzes die von ihm gefürchtete Spirale destabilisierender Gewalt überhaupt erst mit in Gang.78 Denn durch seine bereitwillige Unterstützung der Freikorps nahm er deren Gewaltexzesse gegen wirkliche und vermeintliche sozialistische Aufständische sowie Teile der Arbeiterbewegung – die in der Ermordung ihrer politischen

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»Bolschewismus innen und außen!«, in: Kriegerzeitung, 23.2.1919, S. 2f. Deutscher Reichsanzeiger, Nr. 7 vom 9.1.1919: Aufruf der Reichsregierung an die Berliner Bevölkerung vom 8. Januar 1919. Vgl. Gustav Noske: Von Kapp bis Kiel. Zur Geschichte der deutschen Revolution, Berlin 1920, S. 87-93. Vgl. Mark Jones: Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik, Berlin 2017 [zuerst: Founding Weimar. Violence and the German Revolution of 1918-19, Cambridge 2016], S. 46-73. Vgl. Rüdiger Bergien: Republikschützer oder Terroristen? Die Freikorpsbewegung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung 18 (2008), S. 14-17.

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Führer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht sowie hunderter Arbeiter gipfelten79 – nicht nur billigend in Kauf, sondern sanktionierte sie indirekt als legitime Vorgehensweise gegen als solche wahrgenommene Reichsfeinde. Er trug hierdurch dazu bei, gewisse Formen von Gewalt als akzeptables Mittel der Problemlösung zu etablieren80 und den Weltkrieg mit vielen seiner Folgeprobleme erst von den Fronten in die republikanische Nachkriegsgesellschaft hineinzutragen. Kurz nach dem Krieg waren allerdings auch die ersten Konturen des neuen Veteranenbildes der 1920er Jahre erkennbar. In den Augen des Verbandes hatte ein wahrhafter Veteran national zu denken und sich keinen Bewegungen anzuschließen, die andere als nationale Ziele verfolgten. Vielmehr sollte er seine ganze körperliche und geistige Kraft in den Dienst der nationalen Gemeinschaft stellen und jedwede Bedrohung für das Gemeinwesen abwenden. Hier scheint bereits ein wesentliches Charakteristikum des deutschen Soldaten und Veteranen auf: Ein wahrer Soldat rastete und ruhte nicht. Soldat zu sein hieß in den Augen des Kyffhäuserbundes, ein ausgeprägtes Ordnungsbewusstsein und eine ausgeprägte Arbeitsmoral verinnerlicht zu haben und diese Tugenden auch nach dem aktiven Wehrdienst zum Wohle aller einzusetzen. Der ehemalige Soldat und jetzige Veteran stellte sich ohne zu zögern ganz in den Dienst des neuen deutschen Staates. Die ihm zugeschriebene untadelige Gesinnung und die Pflichttreue, die soldatische Kameradschaft und die Arbeitsmoral waren wichtige Eigenschaften und machten ihn zu einem Vorbild, an dem es sich zu orientieren galt. Der Veteran des Ersten Weltkrieges war stets einsatzbereit, auch nach seiner Demobilisierung: Nach der Rückkehr von der Front brachte er die Ordnung von außen in das Vaterland hinein, in eine instabile Heimat, die dem Chaos zu verfallen schien.

3.

Konsolidierung und inhaltliche Neuausrichtung in der frühen Weimarer Republik

Nachdem die drängendsten Probleme der Übergangsphase von der Kriegs- zur Friedensgesellschaft bewältigt zu sein schienen, wurde der pragmatische Aktionismus des Kyffhäuserbundes während der Geburtsstunden der Republik sukzessive von Überlegungen grundsätzlicher Natur abgelöst. Denn der Verband fand nun endlich die Zeit, sich den drängendsten Fragen und Problemen der eigenen programmatischen Neugestaltung sowie organisatorischen Neuausrichtung nach dem Krieg zu stellen. Wie wollte oder sollte er unter diesen geänderten konstitutionellen Rahmenbedingungen fortan die Gegenwart und Zukunft gestalten? Welche

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Vgl. Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Papst – eine deutsche Karriere, Hamburg 2009, S. 117-174; ferner Jones: Gewalt, S. 212-275. Vgl. Schumann: Politische Gewalt, S. 49-83; und Schulz: Ästhetisierung, S. 10-16.

I. Soldat von gestern, Veteran von morgen

Bedeutung und Daseinsberechtigung hatten die Kriegervereine noch im neuen, republikanischen Deutschland, nachdem »das deutsche Kaiserreich zu Grabe«81 getragen worden war?82 Der Kyffhäuserbund argumentierte, dass die Monarchie zwar der Vergangenheit angehöre und die heimkehrenden Soldaten eine andere Heimat vorfinden würden, das Kriegervereinswesens aber unbeschadet aller Umwälzungen der Zeit fortbestehe. Denn mit dem Untergang der alten Staatsform sei zwar der monarchische Grundgedanke verfallen, die eigentlichen Traditionen des Kriegervereinswesens und die Gemeinschaft der ehemaligen Soldaten beständen jedoch fort. Die Kriegervereine würden nach wie vor »ein Hort der Vaterlandsliebe sein und sich die Betätigung aller soldatischen Tugenden im bürgerlichen Leben angelegen sein lassen.«83 Diese gesellschaftliche Vorreiterfunktion sollte sich in verschiedenen Tätigkeitsbereichen und Zielen widerspiegeln: Hierzu zählten insbesondere die Pflege soldatischer Kameradschaft unter den Veteranen, die Durchsetzung mittel- und langfristiger sozialpolitischer Verbesserungen für Veteranen(Familien) in prekären Situationen, die Optimierung der Arbeitsvermittlung und die damit verbundene Steigerung der wirtschaftlichen Prosperität der Mitglieder sowie die Erziehung der Jugend und die Einbindung Frauen in die Verbandsarbeit.84 Hinter diesen angestrebten Reformen und dem intensiveren öffentlichen Auftreten des Kyffhäuserbundes stand eine grundlegende Sorge: Der Verband registrierte nach Kriegsende eine Austritts- und Auflösungswelle bedenklichen Ausmaßes.85 Diese Entwicklung verbunden mit rückläufigen Neueintritten bedrohte erstens seine wirtschaftliche Stabilität und gefährdete so die Altersvorsorge vieler Veteranen. Denn mit der Auflösung eines Kriegervereines ging zumeist eine Teilung des Vereinsvermögens einher, was insbesondere die älteren Veteranen getroffen hätte, die jahrzehntelang Beiträge gezahlt hatten und nun Gefahr liefen, im Alter völlig mittellos dazustehen, da sie beispielsweise in einen Pensionsfonds des Vereins eingezahlt hatten.86 Zweitens schmälerte der einsetzende Mitgliederschwund den politischen Einfluss des Kyffhäuserbundes. Er stellte sich daher nicht ganz zu 81 82 83 84 85

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Heinrich Führ – »Die Revolution und die Kriegervereine. Gedanken eines Außenstehenden«, in: Kriegerzeitung, 11.12.1918, S. 3f. Vgl. H. Wilcke – »Stellungnahme der Kriegervereine zu den politischen Umwälzungen«, in: Kriegerzeitung, 29.12.1918, S. 7-9. Heinrich Führ – »Die Revolution und die Kriegervereine. Gedanken eines Außenstehenden«. Vgl. Karl Eckert – »Wesen und Wirken des Kyffhäuser-Bundes II«, in: Kriegerzeitung, 12.1.1919, S. 6f.; ebenso Kapitel II, 1.2 und III. Im Vergleich zu 1917 (ca. 2.640.000) verringerte sich die Mitgliederzahl bis 1921 (ca. 2.200.000) um etwa 16,7 %. Im gleichen Zeitraum sank zudem die Zahl der assoziierten Kriegervereine von rund 32.400 auf nur noch rund 27.700 (-14,5 %). Vgl. Kyffhäuserbund: 16. Geschäftsbericht für das Jahr 1917, Berlin 1918, S. 86 und 20. Geschäftsbericht für das Jahr 1921, Berlin 1922, S. 109. H. Wilcke – »Stellungnahme der Kriegervereine zu den politischen Umwälzungen«.

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Unrecht die Frage, ob »das Kriegervereinswesen sich überlebt hat und zum alten Eisen getan werden kann?«87 Wenngleich der Verband zugeben musste, dass die Kriegervereine wie das Deutsche Reich eine schwere Krise durchlebten, konnte er diese Frage doch unmöglich bejahen. Deshalb argumentierte der Kyffhäuserbund, dass es sich bei den abtrünnigen Mitgliedern um »taube Früchte«, um »die Selbstsüchtigen, die Lauen und die Mitläufer«88 handele, die keine innere Leidenschaft für das Kriegervereinswesen hegten und die man ohnehin nicht vermissen werde. Diese Feststellung entsprach allerdings nur zum Teil der Wahrheit. Vielmehr hatte der Kyffhäuserbund an Attraktivität eingebüßt. Die Austritte und Vereinsauflösungen waren auch auf die zunehmende Pluralisierung des Veteranenverbandswesens nach 1918 zurückzuführen,89 welche die vormals komfortable Machtposition des Kyffhäuserbundes im Deutschen Reich sowie seine öffentliche Bedeutung schwinden ließen. Denn im gesellschaftlichen Gefüge der Weimarer Republik war der Kyffhäuserbund ein Gebilde »zwischen den Zeiten«,90 das einerseits fest in den militärischen Strukturen und verbandsmäßigen Traditionen der Vergangenheit des 19. Jahrhunderts wurzelte. Andererseits sah es sich mit den gegenwärtigen Problemen einer industriellen Leistungsgesellschaft sowie den sich zusehends abzeichnenden zukünftigen Herausforderungen durch eine hoch technisierte Kriegsführung mit europäischen Massenheeren konfrontiert.91 Innerhalb des organisierten Veteranenverbandswesens der Weimarer

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Pomeranus – »Neue Aufgaben – neue Wege für das Kriegervereinswesen« in: Kriegerzeitung. 3.8.1919, S. 6-8. Ebd. Allein der Fakt, dass nun auch sozialdemokratisch geprägte Friedens- und Interessenverbände für Veteranen – die 1924 in der Gründung des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold aufgingen – existierten, bedeutete eine enorme Konkurrenz für den Kyffhäuserbund, ebenso, wie der Stahlhelm – Bund der Frontsoldaten als Massenverband das rechte Spektrum abdeckte. Abgesehen hiervon setzte eine Tendenz zur Bildung von Spezialverbänden ein, deren Attraktivität darin bestand, dass sie sich an der Provenienz ihrer potentiellen Mitglieder orientierten, wie bspw. der Marine-Offizier-Verband, der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, die Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener oder der Deutsche Kolonialkriegerbund. Siehe hierzu – mit einem äußerst fragwürdigen Vergangenheits- und Geschichtsbild – Werner Haupt: 100 Jahre Traditionsverband. Mitteilungsblatt des Traditionsverbandes ehemaliger Schutz- und Überseetruppen, Jubiläumsbericht Teil 1 und 2, o. O. 1996. Zudem Heinrich Walle: 90 Jahre MOV. Weg einer Wertegemeinschaft, in: Marine-Offizier-Vereinigung (Hg.): 90 Jahre Marine-Offizier-Vereinigung. Der Weg einer Wertegemeinschaft – Eine Erfolgsbilanz, o. O. 2008, S. 11-79. Hans-Peter Ullmann: Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Frankfurt a.M. 1995, S. 7. Siehe hierzu Ullmann: Kaiserreich, S. 31-37; sowie Wehler: Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band, S. 355-368; und ders.: Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band, S. 102-106. Vgl. ferner grundlegend Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009; und bilanzierend bei David Blackbourn: Das Kaiserreich transna-

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Republik war der Kyffhäuserbund ein Vertreter der alten Ordnung, der fortwährend darum ringen musste, nicht den Anschluss an die aktuellen Erfahrungsdiskurse des Krieges und den Bezug zu den neuen, durch den Weltkrieg geschaffenen, alltäglichen Bedürfnissen seiner Mitglieder zu verlieren.92 Auch deshalb musste sich der Kyffhäuserbund widerwillig mit dem Trend zur Ausdifferenzierung des Verbandswesens abfinden: »Im Flusse der Ereignisse liegt es wohl, daß sich da und dort Gruppen und Verbände […] gebildet haben, die ihre Interessen in einer eigenen Organisation besser wahrzunehmen glauben als im Rahmen des Kriegervereinswesens.«93 Dennoch versuchte der Verband, das Beste aus der gegebenen Situation zu machen, und reichte den Konkurrenzverbänden freundschaftlich die Hand, trat man doch letzten Endes zumeist für die gleichen Interessen und Ziele ein. Was er hingegen klar ablehnte, war eine Zusammenarbeit mit anderen Veteranenverbänden, die auf politischen oder konfessionellen Grundlagen fußten oder internationalistische Grundgedanken pflegten.94 In diese Debatten mischten sich der alte wie der neue Wortführer des Kyffhäuserbundes, Alfred Westphal und Otto Riebicke, mit programmatischen Artikelserien ein. Unter dem Eindruck von Kriegsende, revolutionären Unruhen und Staatsgründung sowie den allmählich bekanntwerdenden Friedensbedingungen und den Zukunftsängsten musste es dem Kyffhäuserbund vor allem darum gehen, einen ideellen Unterbau auf Grundlage der gegenwärtigen Handlungsspielräume sowie neuer Zukunftskonzepte zu entwerfen. Westphal sah die größte und schwierigste Aufgabe des Kriegervereinswesens darin, den eigenen Mitgliedern wieder den Glauben an eine positive Zukunft und an die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln. Denn der »Fluch der Eigenbrödelei« hafte noch immer »auf dem Charakter des deutschen Volkes«95 und habe im Weltkrieg trotz aller historischen Erfahrungen abermals den Feinden in die Hände gespielt. Letztlich habe man sich nicht der Übermacht des Gegners beugen müssen, vielmehr habe das Volk »Selbstmord an sich getrieben«96 und so die Niederlage selbstverschuldet herbeigeführt. Daher müsse der Kyffhäuserbund einen Erneuerungsprozess anstoßen und eine damit

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tional. Eine Skizze, in: Sebastian Conrad/Jürgen Osterhammel (Hg.): Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen 2004, S. 302-324. Vgl. analog zu dieser Thematik auch Bernd Weisbrods Diagnose eines Repräsentationswandels der politischen Öffentlichkeit sowie die vielfältigen Überlegungen Gerd Krumeichs zur Mentalitätsgeschichte der Weimarer Republik. Vgl. Weisbrod: Repräsentation; und Gerd Krumeich/Joachim Schröder (Hg.): Der Schatten des Weltkriegs. Die Ruhrbesetzung 1923, Essen 2014; sowie ders. (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010. Karl Eckert – »Wesen und Wirken des Kyffhäuser-Bundes II«. »Kameradentreue. Ein Kapitel zur Kriegsteilnehmerorganisation«, in: Kriegerzeitung, 24.8.1919, S. 5. Professor Dr. Westphal – »Die Lehren deutscher Geschichte«, in: Kriegerzeitung, 13.4.1919, S. 4f. Ebd.

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verbundene umfassende Erziehungs- und Aufklärungsarbeit einleiten. Insbesondere seine Millionen an Veteranen, die schon im Schützengraben über so lange Zeit gemeinsam gelitten hatten, sollten dem Volk wieder ein Bewusstsein für Einigkeit und Zusammenhalt vermitteln.97 Sie hatten die Aufklärungsarbeit dezentral über die regionalen Kriegervereine in alle Schichten des Volkes hineinzutragen und ihm seine historischen Leistungen aber auch Verfehlungen in Politik und Kultur, Militär und Krieg, Wirtschaft und Wissenschaft sowie Technik und Landwirtschaft vor Augen zu führen. Um einer besseren Zukunft willen appellierte der Verband an die Verantwortung jedes Einzelnen für die Gesamtgesellschaft und versuchte zu verdeutlichen, dass »die Lehren der Bolschewisten und Kommunisten von einem paradiesischen Leben ohne Arbeit, gemeingefährliche Hirngespinste sind.«98 Westphal beschrieb den Kyffhäuserbund und sein Kriegervereinswesen als eine fest zusammenhaltende, planmäßig agierende und fein gegliederte Organisation innerhalb der deutschen Gesellschaft. Von seiner organisatorischen Basis aus sollte eine gewaltige gemeinnützige Arbeit geleistet werden und eine Vorbildfunktion ausgehen, um das gesamte deutsche Volk zu einer gemeinsamen Friedens- und Aufbauarbeit zu motivieren.99 Wer aufbauen will, muß zunächst den Bauplatz herrichten und die Fundamente legen. Der Bauplatz, auf dem der neue deutsche Volksstaat aufgebaut werden soll, sieht trostlos und wüst aus; er ist bedeckt mit den Trümmern des niedergebrochenen stolzen Deutschen Reiches. Der Bauplatz muß aufgeräumt und ein neues Fundament muß gelegt werden. Dies Fundament muß heißen: Glaube und Vertrauen des Volkes zu sich und seiner Kraft. Beides ist tief gesunken und muß aus den Trümmern ausgegraben und wieder aufgerichtet werden.«100 Da die Veteranen in einem vierjährigen Krieg einmütig für die Belange der Heimat eingetreten seien, würden sie auch im zivilen Leben das Gemeinwohl des Volkes im Auge haben – diese Einstellung hätte der Verband nicht zuletzt in jüngster Vergangenheit bewiesen, indem er die neue Verfassung anerkannt und die Regierungstruppen bei ihrem Einsatz im Innern unterstützt habe. Das Kriegervereinswesen wolle auch in der neuen Zeit zentraler Sammlungspunkt für alle ehemaligen Soldaten und Kriegsteilnehmer sein, unabhängig und frei von jedweder Parteipolitik

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Vgl. Professor Dr. Westphal – »Die Kriegervereine als Pflanzstätten vaterländischen Fühlens und Denkens I«, in: Kriegerzeitung, 20.4.1919, S. 3f. 98 Professor Dr. Westphal – »Die Kriegervereine als Pflanzstätten vaterländischen Fühlens und Denkens II«, in: Kriegerzeitung, 27.4.1919, S. 3f. 99 Vgl. ebd. 100 Professor Dr. Westphal – »Die Kriegervereine als Pflanzstätten vaterländischen Fühlens und Denkens I«.

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und ausschließlich auf dem Gedanken vaterländischer Arbeit aufbauen.101 Diese Sichtweise blieb allerdings nicht unwidersprochen. Außenstehende warfen dem Kyffhäuserbund prinzipienlosen Opportunismus und Traditionsbruch vor. Andere wiederum bemängelten seine angeblich unzureichende Unterstützung für die kriegsbeschädigten Mitglieder. Diesen Stimmen hielt Westphal entgegen, dass solche Vorwürfe gegen die Kriegervereine nicht neu seien, sondern seit längerem »planmäßig […] in den deutschen Frontarmeen« verbreitet worden wären und »eine dicke Lüge«102 darstellten, die zumeist politisch motiviert sei. Wenn jedoch erst einmal alle Kriegsteilnehmer aus dem Feld in die Heimat zurückgekehrt seien und wieder Fuß in ihrem alltäglichen Leben gefasst hätten, würde man erkennen, was die Kriegervereine für die Zukunft des Deutschen Reiches bedeuteten und leisteten.103 Die Bekanntgabe der Friedensbedingungen am 7. Mai 1919 brachte für die Zukunftsplanungen des Kyffhäuserbund einen herben Rückschlag und holte ihn auf den Boden der tagespolitischen Tatsachen zurück. Nun war es an Riebicke, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen. Indem er die gegenwärtigen Entwicklungen einordnete und Zukunftsperspektiven entwarf, stieg er endgültig zum Chefideologen des Verbandes auf. Mit ihm wurde der vormals nüchterne bis sachliche Tonfall deutlich schärfer und pathetischer. »Die Sintflut des Weltkrieges war vorüber, aber wir hörten unsere Knochen brechen. Die Katastrophe des Weltkrieges ist durch die Seelenkatastrophe dieses Weltfriedens überholt worden. Die Furcht vor dem Frieden, die sich in den entsetzlichen Jahren des Blutbades herausgebildet hatte […], diese Furcht vor dem Frieden, die sich endlich in wahnwitzigster Knebelung unseres Volkes überwandt, ist so beispiellos in der Geschichte der Menschheit, wie es nur der Krieg selbst gewesen ist.«104 Die Hoffnungen, die der Kyffhäuserbund ebenso wie große Teile der deutschen Öffentlichkeit nach dem Waffenstillstand auf einen milden Wilson-Frieden auf der Grundlage des 14-Punkte-Programms des US-Präsidenten gesetzt hatten, wurden zerschlagen. Auch der Völkerbund, »der den Krieg krönen, den Tod und die Qual unerforschter Millionen« hätte rechtfertigen können, vermochte die Erwartungen nicht zu erfüllen. Während die Sieger darangingen, die Friedensbedingungen zu diktieren und die finanzielle Wiedergutmachung für die Kriegsschäden zu beziffern, liege »mitten im Trümmerfeld der vernichteten Ideale dieser Welt das Chaos

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Vgl. Professor Dr. Westphal – »Die Kriegervereine als Pflanzstätten vaterländischen Fühlens und Denkens III«, in: Kriegerzeitung, 4.5.1919, S. 4f. 102 Ebd. 103 Vgl. ebd. 104 Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! I«, in: Kriegerzeitung, 5.10.1919, S. 2f.

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Deutschland.« Riebicke betonte jedoch, dass man bei aller Entrüstung und Enttäuschung nicht das Recht habe, den siegreichen Völkern hieraus einen Vorwurf zu machen. Ebenso habe das deutsche Volk keine Veranlassung »diese psychologische Selbstverständlichkeit«105 des Siegers über zu bewerten oder gar mit Hass zu erwidern. Stattdessen empfahl er, abzuwarten und auch im Angesicht der Niederlage Würde zu bewahren.106 Der »Körper«107 des Volkes aber war – so Riebicke – noch immer schwer gezeichnet von den Anstrengungen des Krieges und stand nach wie vor unter dem Eindruck seiner unmittelbaren Folgen.108 Der »Revolutionstaumel« tanze »durch Ballsäle und Armenhäuser«, alles »greift nach Neugestaltung, rücksichtslos gegen Verstand und besseres Wissen.«109 Das Problem bestand aus Riebickes Sicht nicht darin, dass die deutsche Gesellschaft die Pariser Friedensbedingungen vorerst akzeptierte. Verwerflich war für ihn vielmehr, dass sie sich durch ihr lethargisches Verhalten an den Millionen von Soldaten, die im Feld ihr Leben riskiert hatten, und an dem Andenken der Millionen gefallenen Kameraden versündigte. »In blutlosem Dünkel spreizt sich Weltbürgeridee, und mit schlaffen Armen nur verteidigt sich Nationalbewußtsein. Und das ist das Entsetzliche und Trostlose in der deutschen Tragödie, […]. Zum Siegestaumel der Feinde scheut man sich nicht, die Musik zu geben und aus einem Lande, in dem Treue noch stets mehr galt als alles andere, die letzten Gefühle der Ehre herauszureißen, indem man den heiligen Tod unserer Gefallenen einem Geldkonzern wie dem ›Völkerbunde‹ verschachert.«110 Dennoch konnte Riebicke seiner düsteren Gegenwartsdiagnose auch etwas Gutes abgewinnen: In dieser Situation musste sich zeigen, welche Teile der Gesellschaft einen wertvollen Beitrag zum Wiederaufbau der Nation leisteten. Der Zusammenbruch wurde von ihm als eine Art Ausleseprozess interpretiert, eine Prüfung höherer Mächte, die nur die Besten bestehen würden.111 Die Katastrophe des Ersten Weltkrieges und seine Folgen wurden somit durchaus auch als eine Chance für die deutsche Gesellschaft gedeutet, sich am Tiefpunkt der eigenen Geschichte vor aller Welt zu beweisen. 105 Ebd. 106 Vgl. ebd. 107 Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! III«, in: Kriegerzeitung, 19.10.1919, S. 2. 108 Zum Diskurs um die Körpermetaphorik vgl. Moritz Föllmer: Der ›kranke Volkskörper‹. Industrielle, hohe Beamte und der Diskurs der nationalen Regeneration in der Weimarer Republik, in: Geschichte und Gesellschaft 27 (2001), S. 11-67. 109 Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! III«. 110 Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! IV«, in: Kriegerzeitung, 26.10.1919, S. 2f. 111 Vgl. ebd.

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Ein Wiederaufstieg sollte vor allem durch die Arbeit aller gesellschaftlichen Schichten erreicht werden. In diesem Kontext war mit dem Begriff Arbeit in erster Linie aber nicht die klassische Lohnarbeit gemeint. Zwar habe, so Riebicke, die massive Geldentwertung der letzten Zeit einen Anstieg der Löhne erforderlich gemacht. Gänzlich erniedrigend und entwürdigend aber sei das Vorgehen der Gewerkschaften sowie der Lohnbewegung mit ihren Arbeitskämpfen, mache sie doch »alle Werkleute von Schöpfern zu Sklaven der Arbeit, die freudlos und ziellos zum Werktische marschieren, um sich bezahlen zu lassen.«112 Riebicke kritisierte aber nicht nur jene, die für höhere Löhne eintraten, sondern auch die rein materialistische Einstellung vieler Zeitgenossen, die ihr egoistisches Einzelinteresse über das Wohl des Volkes stellten. Arbeit wurde in den Kreisen des Kyffhäuserbundes als eine Form der Sinnstiftung begriffen. Diese vermeintlich höhere Form grenzte Riebicke von der Lohnarbeit als »deutsche Arbeit« ab, eine Arbeit, die aus der Verantwortung gegenüber der deutschen Gesellschaft und aus Idealismus geleistet werde. »Deutsche Arbeit« definiere sich nicht durch einfache Bezahlung, die Konsum und Freizeit ermögliche, sondern sei eine »sittliche Auffassung«,113 die dazu diene, die Kraft zur Arbeit zu erhalten, eine tiefe Zufriedenheit zu spenden und vor allem den innergesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Mit diesem Rekurs griff Riebicke die seit dem 19. Jahrhundert zirkulierenden Semantiken um Wesen und Wert »nationaler Arbeit« für eine egalitäre Gemeinschaft auf114 und verknüpfte diese Diskurse mit gegenwärtigen Problemen sowie aktueller Konsumkritik.115 Ihm kam es vor allem darauf an, das Bewusstsein für das höhere Ideal der »deutschen Arbeit« wieder in den Köpfen der Bevölkerung zu schärfen und zu verankern. So sollte diese von einer ausschließlich auf Bezahlung fokussierten Arbeit weggeführt werden, die »besonders uns Deutschen wesensfremd ist.«116 Für den Kyffhäuserbund lebte der heimkehrende Veteran dieses Ideal, da er schon als Soldat im Weltkrieg sein Leben für ein höheres, der Gemeinschaft dienendes Ziel riskiert hatte. So mahnend, tröstend oder aufbauend diese Worte auch sein mochten, konnten sie doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es den Verantwortlichen des Kyffhäuserbundes an konkreten Vorschlägen für eine realistische Gestaltung von Gegenwart und Zukunft nach der Niederlage und dem politischen Systemwechsel

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Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! III«. Ebd. Vgl. Marc Buggeln/Michael Wildt: Arbeit im Nationalsozialismus (Einleitung), in: dies (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S. IX-XXXVIII, hier insbesondere S. IX-XIV. Vgl. Gunilla Budde: Bürgertum und Konsum: Von der repräsentativen Bescheidenheit zu den ›feinen Unterschieden‹, in: Heinz-Gerhard Haupt/Claudius Torp (Hg.): Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890-1900. Ein Handbuch, Frankfurt a.M. 2009, S. 131-144. Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! III«.

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mangelte. Vielmehr gaben auch sie sich der allgemeinen Ohnmacht der unmittelbaren Nachkriegszeit hin. Ihre Verlautbarungen glichen in hohem Maße semantischen Allgemeinplätzen und erinnerten stark an die bekannten Phrasen der Durchhalte- und Propagandaparolen aus der Zeit des Weltkrieges.117 Die Anregungen des Verbandes wirkten häufig recht oberflächlich und fielen insgesamt sehr kryptisch aus. Was genau unter den erwähnten Idealen und Tugenden zu verstehen war, blieb vorerst ohne scharfe Konturen oder praktische Konsequenzen. Für den Kyffhäuserbund mündeten diese programmatischen wie ideellen Überlegungen allerdings in einer kompletten Restrukturierung des Verbandes im Jahr 1921. Auf einer Vertretertagung in Lübeck wurde der Beschluss gefasst, den Kyffhäuserbund nun auch formal den neuen Verhältnissen in der Weimarer Republik anzupassen und neu auszurichten.118 Dieser Modernisierungsprozess wurde jedoch nicht aus völlig freien Stücken initiiert, sondern reagierte vor allem auf die sich ändernden Rahmenbedingungen und insbesondere auf die wachsende Konkurrenz der neuen Veteranenverbände von links und rechts. Diese engagierten sich immer stärker im öffentlichen Raum und in der Meinungslenkung, veranstalteten Kundgebungen und Aufmärsche zu politischen Themen oder initiierten publikumswirksame Plebiszite.119 Zwar blieb der Kyffhäuserbund auch nach dem Krieg die mit Abstand größte Veteranenorganisation, es bereitete ihm aber zunehmend Probleme, sich endgültig mit den veränderten Verhältnissen zu arrangieren oder die junge Frontgeneration in die eigenen Reihen zu integrieren. Dadurch büßte er seine Monopolstellung und die für die Kriegervereinsbewegung identifikatorisch so wichtige obrigkeitsstaatliche Patronage ein. Der Kyffhäuserbund stand zwar weiterhin zu seiner soldatischen Tradition, beugte sich aber den Notwendigkeiten der Republik: Er ließ den Bezug und die Treueverpflichtung gegenüber Kaiser und Landesherren nunmehr offiziell aus den Satzungen entfernen und nahm Abstand von militärischen Betätigungen. Was hingegen blieb, war der unbedingte Zwang, sich durch eine Arbeit, die den mentalen wie materialen Bedürfnisse der Heimkehrer aus dem Weltkrieg Rechnung trug, massenwirksam zu profilieren, wollte der Verband im Vergleich zu anderen politisch agierenden

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Vgl. Horne: Kulturelle Demobilmachung; und Schulte: Scheitern. 1922 wurde der Kyffhäuserbund der Deutschen Landes-Kriegerverbände im Zuge dieser Umstrukturierungsmaßnahmen als Deutscher Reichskriegerbund »Kyffhäuser« e. V. in einen festen Bund umgewandelt. Ferner passte dieser neue Bund seine Satzung an die neuen Verhältnisse im Deutschen Reich an. Der Deutsche Kriegerbund wurde formal aufgelöst, seine karitative Struktur firmierte fortan als Deutsche Krieger-Wohlfahrtsgemeinschaft als ein rein wirtschaftlicher Zweckverband. Weiterhin wurde die Abteilung für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene des Kyffhäuserbundes ausgelagert und in einen eigenen Verband überführt. Vgl. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 65f. Vgl. Kapitel III, 1.1.

I. Soldat von gestern, Veteran von morgen

Organisationen ehemaliger Kriegsteilnehmer mittel- und langfristig nicht ins Hintertreffen geraten. Die Probleme des Kyffhäuserbundes waren jedoch nicht allein den kurzfristigen Folgen des Ersten Weltkrieges geschuldet. Denn in den Jahren der Weimarer Republik brachen sich die bereits an der Wende zum 20. Jahrhundert angelegten »Spannungsfelder der gesellschaftlichen Modernisierung«120 endgültig Bahn und brachten ein breites Spektrum soziokultureller Veränderungen sowie ökonomischer Neuerungen mit sich. Umso größer war nach 1918 der gefühlte Bruch mit dem Vorangegangenen, den das Kriegsende markierte. Die Zäsur der Katastrophe des Ersten Weltkrieges, die hieraus resultierende Niederlage und die auf sie folgenden Konsequenzen für die deutsche Gesellschaft sowie die Herausforderungen der Moderne,121 welche die Kriegsfolgen verstärkten und die Nachkriegszeit verlängerten, trafen im Deutschen Reich der Nachkriegsära aufeinander. Die vorläufigen Überlegungen und Lösungsansätze konnten daher erst der Anfang weitreichenderer Bemühungen sein, um die sich abzeichnenden Probleme der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu bewältigen. »Der Weltkrieg ist zu Ende, aber die Weltumwälzung hat erst in Mitteleuropa begonnen. Im Strom der geschichtlichen Entwicklung der Welt ist dieser Friedensschluß nur Zwischenspiel. Alle Schande, alle Verachtung, die wir als willenloses Volk auf uns genommen haben, sind noch nicht als solche entschieden. Sie stehen in der epochalen Umwälzungsgeschichte der Menschheit noch im ersten Kapitel und sie werden sich anders deuten, wenn wir den Mut haben, der flüchtigen Einschätzung der heuten Welt in bewußtem Nationalgefühl zu trotzen.«122

120 Peukert: Krisenjahre, S. 87. 121 Der Begriff Moderne soll hier in Anlehnung an Andreas Reckwitz als ein Übergangsprozess der Umformatierung und formalen Rationalisierung traditional verfasster Gesellschaften verstanden werden. Hierzu zählt auch die funktionale Ausdifferenzierung verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche, die in diesem Zuge einer, wie Reckwitz sich ausdrückt, »Allgemeinisierung«, einem doing generality, unterworfen werden. Vgl. Andreas Reckwitz: Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017, S. 28-31, Zitat auf S. 29. Zur Modernisierungsdiskussion und Kritik am Begriff der Moderne siehe ferner Andreas Reckwitz: Moderne. Der Kampf um die Öffnung und Schließung von Kontingenzen, in: ders./Moebius, Stephan (Hg.): Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2008, S. 226-244; und Carola Dietze: Toward a History on Equal Terms: A Discussion of Provincializing Europe, in: History and Theory 47 (2008), S. 69-84. 122 Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! IV«.

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II. Veteranenbilder im Übergang – die Veteranen des Ersten Weltkrieges im Spiegel der Vergangenheit

1.

Die Wirkungskraft weltkriegsimmanenter Narrative und Mythen

Weltkriegsimmanente Narrative und Mythen gehörten in den 1920er Jahren zum festen Repertoire der Weimarer politischen Kultur und waren fest im öffentlichen Bewusstsein verankert. Weltkriegsimmanent bedeutet in diesem Zusammenhang zweierlei: Zum einen waren dies Narrative und Mythen, die schon während des Krieges existiert hatten. Hierzu zählte etwa die viel beschworene Euphorie bei Kriegsausbruch, das sogenannte Augusterlebnis oder auch die Ideen oder der Geist von 1914.1 Von diesen Konstrukten sollte zwischen 1914 und 1918 eine einigende Wirkung ausgehen, um außer den Soldaten an der Front auch die Zivilbevölkerung an der Heimatfront zum Durchhalten während des Krieges zu animieren und Hoffnung sowie Zuversicht zu vermitteln. Sie strukturierten hier wie dort letztlich die Handlungspraktiken, um die physischen und psychischen Belastungen des Krieges durchzustehen.2 Nach 1918 gingen die Narrative und Mythen zumeist in den Erfahrungsschatz einer verklärenden Erinnerung an die Kriegszeit über. So habe es etwa im August 1914 »eine Woge heiliger Begeisterung« und »nur noch Deutsche«3 als ein einiges Volk ohne Ansehen von sozialem Status oder politischer Überzeugung gegeben.

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Grundlegend hierzu ist Jeffrey Verhey: Der ›Geist von 1914‹ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000; weiterhin Steffen Bruendel: Volksgemeinschaft oder Volksstaat. Die ›Ideen von 1914‹ und die Neuordnung Deutschlands im Ersten Weltkrieg, Berlin 2003; und Wolfgang Kruse: Die Kriegsbegeisterung im Deutschen Reich zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Entstehungszusammenhänge, Grenzen und ideologische Strukturen, in: Marcel van der Linden/Gottfried Mergner (Hg.): Kriegsbegeisterung und mentale Kriegsvorbereitung. Interdisziplinäre Studien, Berlin 1991, S. 73-87. Wie weit die Ebenen von Narrativ und Wirklichkeit mitunter auseinanderlagen zeigt Ziemann: Front und Heimat, S. 39-54. Vgl. Arnd Bauerkämper/Elise Julien: Einleitung: Durchhalten! Kriegskulturen und Handlungspraktiken im Ersten Weltkrieg, in: dies. (Hg.): Durchhalten! Krieg und Gesellschaft im Vergleich 1914-1918, Göttingen 2010, S. 7-28. »Der Geist von 1914«, in: Kriegerzeitung, 2.8.1925, S. 1f.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Zum anderen entstanden viele Narrative und Mythen aber auch erst nach dem Friedensschluss oder erhielten im Anschluss hieran ihre eigentliche Konnotation und wurden anschließend virulent. In diesem Fall handelte es sich oftmals um intersubjektive Erklärungsmuster oder Rechtfertigungsversuche für die Kriegsniederlage des Deutschen Reiches. Eines der prominentesten und gleichzeitig fatalsten Beispiele für die Wirkungskraft kriegsimmanenter Narrative war die bereits seit Kriegszeiten zirkulierende Dolchstoßlegende.4 Die ehemalige dritte Oberste Heeresleitung, Paul von Hindenburg und sein Generalquartiermeister Erich Ludendorff, nutzte im November 1919 den Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu Ursachen und Verlauf des Ersten Weltkrieg als Bühne, um bereits kursierende Kernelemente der Dolchstoßlegende aufzugreifen und öffentlichkeitswirksam zu lancieren.5 Durch ihre Aussagen entzogen sich die Generalität und das gesamte Militär nicht nur der Verantwortung für den deutschen Zusammenbruch, sondern verliehen der Dolchstoßlegende endgültig ihren antirepublikanischen sowie antidemokratischen Impetus und ihren Charakter als Instrument der Schuldzuweisung.6 Auf dieser Grundlage entfaltete die Legende in den folgenden Jahren ihre beispielhafte Wirkmacht als »das Passepartout für die Deutung der Niederlage und die visuelle Folie, auf der diese Deutung emotionalisiert wurde«,7 sowie als rhetorische Waffe gegen die Republik und ihre Unterstützer, die sogenannten Novemberverbrecher.8 Flankiert wurde die Dolchstoßlegende durch die Erzählung vom deutschen Heer, das während des Krieges im Felde unbesiegt geblieben war. Wenngleich die4 5

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Vgl. Lipp: Meinungslenkung, S. 279-306. Hindenburg gab bei seiner Anhörung zu Protokoll, dass die »Revolution […] nur den Schlußstein« gebildet habe. »Ein englischer General sagt mit Recht: ›Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.‹ Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld. Seine Leistung ist ebenso bewunderungswürdig wie die des Offizierskorps. Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen.« Stenographischer Bericht über die öffentlichen Verhandlungen des Untersuchungsausschusses. 14. Sitzung des 2. Unterausschusses, Dienstag den 18. November 1919, Berlin 1919, S. 731. Vgl. Boris Barth: Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914-1933, Düsseldorf 2003, S. 553-560; sowie Gerd Krumeich: Die Dolchstoß-Legende, in: Etienne Francois/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Band I, München 2001, S. 585-599; und Ulrich Heinemann: Die Last der Vergangenheit. Zur politischen Bedeutung der Kriegsschuld- und Dolchstoßdiskussion, in: Karl Dietrich Bracher u.a. (Hg.): Die Weimarer Republik: 1918-1933. Politik – Wirtschaft – Gesellschaft, Düsseldorf 1987, S. 371-386. Gerhard Paul: Der Dolchstoß. Ein Schlüsselbild nationalistischer Erinnerungspolitik, in: ders. (Hg.): Das Jahrhundert der Bilder. Band I: 1900 bis 1949, Bonn 2009, S. 300-307, hier S. 302. Vgl. Gerd Krumeich: Art. Dolchstoßlegende, in: ders./Gerhard Hirschfeld/Irina Renz (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2 2014, S. 444f; und Hagen Schulze: Versailles, in: ders./Etienne Francois (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Band I, München 2001, S. 407-421, hier S. 414-421.

II. Veteranenbilder im Übergang

se Formel das Potential zum integrativen Topos der deutschen Nachkriegsgesellschaft hatte,9 unterstützte sie letztlich doch nur die Stoßrichtung der Dolchstoßlegende gegen die republikanischen Entscheidungsträger der ersten Stunde, wenn diese, wie etwa Friedrich Ebert oder der Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer, den heimkehrenden Soldaten bescheinigten, dass die »feldgrauen Brüder« im Weltkrieg »nicht besiegt und nicht geschlagen«10 worden seien. Zwar wurde eine solche Trostformel nur allzu bereitwillig aufgegriffen,11 allerdings lieferte sie keinen Verantwortlichen für die deutsche Niederlage. Der Dolchstoß hingegen bot ein alternatives Deutungsmuster, das nicht nur einen konkreten Vorwurf formulierte, sondern auch die Möglichkeit bot, dieses nach den eigenen Erfahrungen mit Inhalt zu füllen. Der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder bedienten sich anklagender und integrativer weltkriegsimmanenter Narrative sowie Mythen. Dieses waren auf der einen Seite allgemein geteilte Bilder wie Versailles oder die sogenannte Kriegsschuldlüge. Auf der anderen Seite handelte es sich um solche, die für die Erfahrungsgemeinschaft und das Selbstverständnis des Kyffhäuserbundes konstitutiv waren und eine Vorbildfunktion sowie Relevanz des Veteranen für die deutsche Gesellschaft implizierten. Die Konzentration auf weltkriegsimmanente Narrative hatte für den Verband und seine Gemeinschaft jedoch noch einen weiteren Vorteil: Sie konnten auf diese Weise das Problem relativieren, dass relevante Bezugsschemata der Vorkriegszeit, wie beispielsweise die Kaisertreue oder die Treue gegenüber den Landesherren, ihre sinnstiftende Gültigkeit verloren hatten. So zeugen sie von einem durch den Krieg evozierten Erfahrungswandel und sind historisch greifbare Beispiele für sedimentierte Formen von Kriegserfahrungen.12

1.1

Versailles, die Kriegsschuldlüge und die Liquidierung des Krieges

Neben der Dolchstoßlegende zählten insbesondere Versailles und die hierauf aufbauende Kriegsschuldlüge zu den zentralen, in allen Teilen der deutschen Gesellschaft zirkulierenden Narrativen der Weimarer Jahre. Die Ablehnung von Versailles und die Bekämpfung der Kriegsschuldlüge nahmen sogar solche Ausmaße an, dass die gegen diese Narrative geführten Initiativen nicht in privaten Händen einzelner Gruppierungen verblieben, sondern darüber hinaus zur offiziellen Staatsräson

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Vgl.: Schievelbusch: Niederlage, S. 242-244. Interview Adenauers mit Lucien Chassaigne, Januar 1919, zitiert nach Werner Biermann: Konrad Adenauer. Ein Jahrhundertleben, Berlin 2017, S. 112. Rede von Heeringens auf dem Abgeordnetentag des Deutschen Kriegerbundes in Kassel, August 1919, in: von Heeringen: An die deutschen Kriegervereine, S. 17. Vgl. Berger/Luckmann: Wirklichkeit, S. 72-75.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

erhoben wurden.13 Denn trotz der aktenkundigen Erkenntnis, dass die kaiserliche Regierung 1914 durch ihre Politik des kalkulierten Risikos maßgeblich zur Eskalation der Julikrise beigetragen hatte, sahen das Kabinett Scheidemann und Reichspräsident Ebert von einer entsprechenden Veröffentlichung der belastenden Dokumente vorerst ab.14 Bei den Friedensverhandlungen in Versailles beharrte die deutsche Delegation daher weiterhin auf der offiziellen Version der Geschichte, nach der die Kriegserklärung des Kaiserreiches einen rein defensiven Charakter gehabt, man ab 1914 einen reinen Verteidigungskrieg geführt habe.15 Auch für den Kyffhäuserbund lag die Verantwortung für den Ausbruch des Weltkrieges in erster Linie bei den europäischen Nationen; doch ging er auch mit der deutschen Politik der Vorkriegszeit hart ins Gericht: »Die jüngsten Ereignisse haben uns die letzte Binde von den Augen gerissen: wir sehen jetzt in unerbittlicher Klarheit, daß wir seit Bismarcks Sturz in der äußeren Politik falsche Wege eingeschlagen haben. Seine Nachfolger waren ihren Aufgaben nicht gewachsen. Es ist unsere Schuld, die Schuld der Regierung wie des Volkes, die Fehler der so einseitigen und auf so geringem psychologischen Weltverstehen aufgebauten deutschen Rechnung nicht erkannt, ja, sie noch geflissentlich durch fortdauernde Rüstungen gesteigert zu haben.«16 Somit sei es nicht verwunderlich, dass ein solches politisches System mit dem Ende des Krieges seinen Zusammenbruch erleben und dieser in inneren politischen Kämpfen münden musste.17 In einem europäischen Kontext sei es beklagenswert, dass Staatsmänner jahrzehntelang die Geschicke ihrer Länder gelenkt hätten, die unter tragischer Verkennung der Gesamtlage »allzu leicht höheren Augenblickseingebungen erlagen«,18 als dem Prinzip der Vernunft zu folgen. Auf Grund dieser Gesamtkonstellation war der Kyffhäuserbund aber auch der festen Überzeugung, dass ein europäischer Krieg über kurz oder lang ausbrechen musste. Der Weltkrieg 13

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Vgl. Thomas Lorenz: ›Die Weltgeschichte ist das Weltgericht‹. Der Versailler Vertrag in Diskurs und Zeitgeist der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2008, S. 411-423; und Michael Dreyer/Oliver Lembecke: Die deutsche Diskussion um die Kriegsschuldfrage 1918/19, Berlin 1993. Akten der Reichskanzlei: Band 1. Das Kabinett Scheidemann, 13. Februar bis 20. Juni 1919, bearbeitet von Hagen Schulze, Boppard am Rhein 1971, S. 84-91. Dok. Nr. 20 (22.3/1919), 11:30Uhr/TOP 8., 9., 10.: Abrüstung, Völkerbund und Schuldfrage werden verbunden; weiterhin ebd., S. 145-150, Dok. Nr. 38 (8.4.1919), 20:00Uhr, Weimar, Schloß/TOP 3.: Schuldfrage; und Auswärtiges Amt (Hg.): Das Deutsche Weissbuch über die Schuld am Kriege: mit der Denkschrift der Viererkommission zum Schuldbericht der Alliierten und Assoziierten Mächte vom 29. März 1919, Berlin 2 1927, S. 77. Vgl. Ulrich Heinemann: Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik, Göttingen 1983, S. 47-52. Hermann Th. Drege – »Die Schuld am Kriege«, in: Kriegerzeitung, 8.12.1918, S. 3f. Vgl. »Heer und Wehr«, in: Kriegerzeitung, 12.1.1919, S. 2f. Hermann Th. Drege – »Die Schuld am Kriege«.

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war für ihn eine »Folge der Einstellung der europäischen oder besser gesagt der Weltkultur auf den Kampf ums Dasein und auf den nationalen Egoismus, der als die höchste Tugend galt.«19 Vielleicht hätte das Deutsche Reich den sich abzeichnenden Weltkrieg verhindern können, indem das ohnehin »kosmopolitischste Volk der Erde, [dass] immer die Ziele der Menschheit über die nationalen Interessen gestellt«20 habe, einseitig auf seinen nationalen Egoismus verzichtet hätte. Aber für einen solchen uneigennützigen Akt sei die Nation noch zu jung gewesen. So habe man sich von den umgebenden, viel älteren Nationen dazu verleiten lassen, in den Konkurrenzkampf der nationalen Egoismen einzutreten: »Diese Unterlassungssünde ist die deutsche Schuld am Weltkriege.«21 Gänzlich unberührt von jedweder Kritik blieben hingegen die damaligen militärischen Entscheidungsträger; ihnen wurde eine Mitverantwortung für den katastrophalen Zusammenbruch des deutschen Heeres und für die gegenwärtigen Verhältnisse abgesprochen. Dementsprechend groß war die allgemeine Empörung, als die alliierten Friedensbedingungen bekannt wurden. Umgehend richtete der Vorstand des Kyffhäuserbundes eine Eingabe an die Reichsregierung, in welcher er diese »im Andenken an unsere Toten, im Namen unserer Kriegsbeschädigten und gefangenen Mitglieder« aufforderte, »diesen entehrenden und vernichtenden Frieden nicht zu unterzeichnen.«22 Er argumentierte, dass ein Friedensvertrag zu diesen Konditionen einen »Gewaltfrieden« und eine »Umkehrung der Begriffe von Gerechtigkeit, Humanität und Zivilisation« darstelle, gegen den das »Abschlachten besiegter Völkerscharen in früheren barbarischen Zeiten human«23 gewesen sei. Hatte der Verbandes auf relativ milde und auf Ausgleich bedachte Bedingungen gehofft, die sich im Wesentlichen am 14-Punkte-Plan Wilsons orientierten, sah er sich ob des Resultates einem »großen Betrug« ausgesetzt, den »die Entente gegen das gutgläubige deutsche Volk begangen hat, [das] feig um seine Waffen betrogen wurde, um dann willenlos der Raublust von 23 ›Siegerstaaten‹ preisgegeben zu werden.«24 Besonderen Anstoß nahmen der Kyffhäuserbund und die gesamte deutsche Öffentlichkeit an Artikel 231 des Vertragswerkes: Dieser wurde in der allgemeinen Reaktion als Schmachparagraph interpretiert, welcher angeblich den Alleinschuldvorwurf für den Kriegsausbruch gegen das Reich richtete und die Deutschen als »Verbrecher-

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»Deutschlands Schuld am Weltkriege«, in: Kriegerzeitung, 23.2.1919, S. 3. Ebd. Ebd. Eingabe des Verbandsvorstandes an die Reichsregierung nach Bekanntwerden der Konditionen des Friedensvertrages im Mai 1919, zitiert nach Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 66f. Ebd. Kurt Trampler – »Gegen Versailles. Deutsche Jugend, auf zum Kampf!«, in: Kriegerzeitung, 9. 11.1924, S. 15f.

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volk«25 stigmatisierte.26 Ebenso große Empörung riefen die Strafbestimmungen des Vertrages hervor, welche die Auslieferung Wilhelms II. und die Durchführung von Kriegsverbrecherprozessen verlangten.27 Der Versailler Vertrag wurde zwar von der deutschen Delegation in Ermangelung einer realistischer Alternative am 28. Juni 1919 unterschrieben und trat am 10. Januar 1920 in Kraft, von einer abschließenden Liquidierung des Ersten Weltkrieges oder gar einer Annahme des Friedens von deutscher Seite konnte jedoch keine Rede sein. Wenngleich seine Bewertung ambivalent ausfallen muss, kann das Friedenswerk aus der Perspektive der Longue durée durchaus als annehmbarer Kompromiss bezeichnet werden.28 Entscheidender sind allerdings die psychologischen Folgen des Vertrages für die zeitgenössischen Mentalitäten, die ihn als vollkommen unzureichende Lösung erscheinen ließen. So enthielt das Vertragswerk für alle Beteiligten hinreichend Spielräume, um auf eine Revision zu drängen und eine verspätete Durchsetzung der eigenen Interessen anzustreben. Im deutschen Fall waren es noch mehr als die materiellen Wiedergutmachungen und Gebietsabtretungen die emotionalisierenden Vertragsinhalte, durch die sich ein lückenloser Ablehnungskonsens herstellen und die »innere Negierung des Friedens zu einem Massenphänomen«29 entwickeln konnte.30 Denn dass alle menschlichen und ökonomischen Opfer, die man während des Weltkrieges erbracht hatte, nicht nur umsonst gewesen waren, »sondern einem Verbrechen entsprungen sein soll-

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Heinemann: Niederlage, S. 230. Artikel 231 (Teil VIII/Wiedergutmachungen) des Versailler Vertrages formulierte allerdings lediglich eine generelle juristische Haftbarkeit des Deutschen Reiches für die Verluste und Kriegsschäden, indem er Deutschland und seine Verbündeten als Urheber dieser identifizierte. Vgl. Eberhard Kolb: Der Frieden von Versailles, München 2005, S. 64-69. Siehe Der Friedensvertrag von Versailler, Berlin o.J., Artikel 227ff. (Teil VII). Vgl. ferner Reichsgesetzblatt: Gesetz über den Friedensschluß zwischen Deutschland und den alliierten und assoziierten Mächten. Vom 16. Juli 1919, Berlin 1919; zur Debatte um die sogenannten Schmach- und Schandparagraphen vgl. Gerd Hankel: Die Leipziger Prozesse. Deutsche Kriegsverbrechen und ihre strafrechtliche Verfolgung nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2003, S. 19-57; Jost Dülffer: Frieden schließen nach einem Weltkrieg? Die mentale Verlängerung der Kriegssituation in den Friedensschluß, in: ders./Gerd Krumeich (Hg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Essen 2002, S. 19-37; sowie Gerd Krumeich: Einleitung, in: ders. (Hg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001, S. 11-14. Vgl. Kolb: Frieden, S. 103-107; Margaret MacMillan: Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte, Berlin 2001, S. 632-640; sowie Jost Dülffer: Versailles und die Friedensschlüsse des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Gerd Krumeich (Hg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001, S. 17-34. Wehler: Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band, S. 409. Vgl. Andreas Platthaus: Der Krieg nach dem Krieg. Deutschland zwischen Revolution und Versailles 1918/19, Berlin 2018, S. 199-315.

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ten«,31 konnten viele Deutsche nicht akzeptieren. Somit hatte der Krieg zwar auf den europäischen Schlachtfeldern geendet, nicht aber in den Köpfen vieler Zeitgenossen. Letztlich waren Narrative wie Versailles oder die Kriegsschuldlüge aber ebenso Ausdruck einer tief sitzenden Enttäuschung über die Vergangenheit, der Unzufriedenheit über die gegenwärtigen Verhältnisse sowie der Angst vor der persönlichen und gesellschaftlichen Zukunft. Auch der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder werteten die Situation nach der Unterzeichnung des Vertrags nicht als Friedensschluss, sondern als fortwährende existenzielle Bedrohung und vor allem als kühl kalkulierten Racheakt der Feinde an den unterlegenen Gegnern. »Mit jenem ›Friedensvertrag‹, in dem die Wurzel aller Not und aller Bitterkeit ruht, mit diesem Dokument des Hasses, von dem wir kaum glauben mögen, daß es Menschen erdenken konnten, hat man ungezählten Millionen das Licht der Freude ausgestoßen, den Glauben genommen, daß das Leben ein Geschenk Gottes ist und nicht nur da ist, damit wir uns abrackern und abmühen, sondern auch, damit wir im Frohsinn handeln und Freude gewinnen an den Werken, die wir schaffen, damit wir auch Feierstunden der Besinnlichkeit und Beschaulichkeit haben.«32 Es setzte daher eine intensive Agitation des Verbandes ein, um »unablässig daran zu arbeiten, die Ketten von Versailles zu brechen« und im deutschen Volk das Bewusstsein dafür zu schärfen, »was uns tatsächlich das Diktat von Versailles geraubt hat.«33 Diese Aufklärungsarbeit hatte für den Kyffhäuserbund schon in der Schule zu beginnen, wo den Schülerinnen und Schülern außer einem Exemplar der Reichsverfassung ein Abdruck des Versailler Vertrages ausgehändigt werden sollte. So würde im »heranwachsenden Geschlecht die Erkenntnis aufgehen, wie jedes Ungemach, das auf unserem armen Vaterland lastet, in ihm seine Wurzeln hat.«34 Grundsätzlich sollten sich aber auch alle anderen Gesellschaftsschichten keinen Illusionen über den Inhalt und die realpolitischen Konsequenzen des Vertrages für das Reich hingeben35 und sich nicht von den »unentwegten Anhängern des Völkerbundgedankens im eigenen Lande«36 in die Irre führen lassen, dieser würde eine

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Gerd Krumeich: Versailles 1919. Der Krieg in den Köpfen, in: ders. (Hg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001, S. 53-64, hier S. 63. Otto Riebicke – »Dunkele Weihnacht«, in: Kriegerzeitung, 15.12.1922, S. 1. Kurt Trampler – »Gegen Versailles. Deutsche Jugend, auf zum Kampf!«. Heinrich Niemerlang – »Friedensvertrag und Völkerbund«, in: Kriegerzeitung, 5.4.1925, S. 1f. Zu den aus Kyffhäusersicht einschneidensten Konsequenzen zählte bspw. eine angenommene Verschlechterung der zukünftigen Wehrfähigkeit des Reiches auf Grund der Rüstungsbeschränkungen und der Limitierung der Reichswehr auf 100.000 Mann. Vgl. Heinrich Niemerlang – »Moderner Militarismus«, in: Kyffhäuser, 13.6.1926, S. 3f. Heinrich Niemerlang – »Friedensvertrag und Völkerbund«.

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Verbesserung der deutschen Stellung im internationalen System bewirken. Stattdessen müsse man sich seiner »gefährdeten Lage im Herzen Europas«37 bewusst sein und ein Beispiel an Frankreich nehmen, das trotz seiner Unterschrift unter den Frankfurter Frieden im Jahr 1871 »vor der Welt niemals auf sein vermeintliches Recht auf Elsaß-Lothringen verzichtet«38 und dieses Ziel nunmehr erreicht habe. Um die eigenen Argumente zu unterstreichen, bemühte sich der Kyffhäuserbund, unterstützende Stimmen des Auslandes einzufangen. So zitierte er etwa einen französischen Sachverständigen, der mit den am Friedensvertrag beteiligten Nationen hart ins Gericht ging: »In Frankreich, in England und Amerika wie überall enden die angestellten Untersuchungen damit, daß man die Wahrheit unter Bergen von Verleumdungen hervorzieht, unter welchen man hofft, sie begraben zu haben. […] Sie selbst [die Verfasser des Versailler Vertrages, B.S.] sind es, die jetzt die Tür zu der unvermeidlichen Revision öffnen…und die dermaßen ihre eigene These von früher außer Kraft setzen…Nur durch Lüge war es möglich, die Völker im Jahre 1914 gegeneinander aufzuhetzen, man wird sie auch nicht anders versöhnen als durch Enthüllung der Wahrheit.«39 Ähnlich verhielt es sich mit den Meinungen von Veteranen anderer am Krieg beteiligter Nationen. So registrierte der Verband mit Genugtuung, dass Mitglieder der größten amerikanischen Veteranenorganisation, der American Legion, sich während eines Aufenthalts in Europa für eine Revision der Friedensverträge aussprachen.40 Solche Verweise sollten zeigen, dass sich die allgemeine Stimmung zum Vertrag auch international in Richtung einer für das Deutsche Reich günstigeren Lösung entwickelte. Der Agitation gegen Versailles wurde ebenso durch regelmäßige Aufrufe an die Reichsregierung unterstützt, in denen diese zum offenen und planmäßigen Vorgehen gegen den Versailler Vertrag sowie zur gezielten Revision seiner Bestimmungen aufgefordert wurde.41 Wie unbefriedigend die Versailler Lösung für viele der beteiligten Staaten war, zeigte sich letztlich bei der Ruhrkrise im Frühjahr 1923. Diese rief nicht nur heftige Reaktionen auf deutscher Seite hervor, sondern sorgte auch dafür, dass viele Ressentiments und Stereotype der Kriegszeit – insbesondere frankophobe – wiederauflebten. Im Anschluss an das Scheitern der Erfüllungspolitik der Regierung Wirth und dem Ausbleiben deutscher Sachleistungen begannen französische und

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Heinrich Niemerlang – »Moderner Militarismus«. Heinrich Niemerlang – »Friedensvertrag und Völkerbund«. »Fort mit der Kriegsschuldlüge!«, in: Kriegerzeitung, 26.10.1924, S. 1f. Vgl. »Amerikanische Kriegsteilnehmer gegen Versailles«, in: Kyffhäuser, 31.5.1931, S. 2. Vgl. bspw. »An die deutsche Reichsregierung!«, in: Kyffhäuser, 30.6.1929, S. 1; sowie »Versailles!«, in: Kyffhäuser, 26.6.1932, 2.

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belgische Truppen am 11. Januar 1923 damit, wichtige Industriestandorte des Ruhrgebietes zu besetzen, um die Leistung materieller Reparationsforderungen durch eine Politik der Produktiven Pfänder zu erzwingen. Die deutsche Regierung rief ihrerseits die Bevölkerung im Ruhrgebiet zu einem von Berlin finanzierten, passiven Widerstand auf, was das Deutsche Reich in eine Hyperinflation und fast in den Ruin trieb.42 Der Kyffhäuserbund sah sich in der Annahme bestätigt, dass Frankreich nie ein ehrliches Interesse daran gehabt hätte, den Frieden aufrecht zu erhalten. Für ihn war der Truppeneinmarsch gleichbedeutend mit »dem Tage, da Frankreich und Belgien den Versailler Vertrag zerbrechen, um über ihn hinaus Gewalt vor Recht gehen zu lassen.«43 Die vermeintliche Nichterfüllung der Forderungen sei nur ein Vorwand gewesen, den Frankreich genutzt habe, um »das Schanddiktat« zu brechen und »den Räubereinfall ins Ruhrgebiet« zu rechtfertigen. Unterstützt würden die Besatzer durch »Verräterlumpen in den Rheinlanden, die für schmierigen Judaslohn ihr Vaterland«44 verkauften. Der Kyffhäuserbund bewertete den Versailler Vertrag als Mittel zum Zweck, das es Frankreich unter dem Deckmantel einer Intervention45 erlaube, ungestraft und ungehemmt den eigenen machtpolitischen Hegemonialbestrebungen nachzugehen. Frankreich wolle »Europa nicht aufbauen, sondern ausbeuten und zu diesem Zwecke militärisch beherrschen.«46 Im Einklang mit der heimischen Industrie, klagte er, greife die französische Regierung nach dem Herz des deutschen Wirtschaftslebens und lege somit »den Schlußstein zur Begründung der militärisch-wirtschaftlichen Oberherrschaft Frankreichs über Europa. Von den Chauvinisten getrieben, marschiert das imperialistisch gerichtete Frankreich!«47 Die Eskalation der Ruhrkrise von 1923 brachte die ehemaligen Kombattanten des Ersten Weltkrieges an den Rand eines neuen Waffenganges.48 Wenngleich dieser letztlich vermieden werden konnte, lebte der Weltkrieg doch zumindest in Wort und Bild wieder auf. Vor allem Frankreich, das den Eindruck erweckte, jede Streitigkeit zum Anlass zu nehmen, um seine Kriegsziele in der Nachkriegszeit mit anderen Methoden weiterzuverfolgen, galt dem Kyffhäuserbund als Hauptverantwortlicher für die labile europäische Nachkriegsordnung.49 Der Versailler Vertrag wurde von ihm als eine Bedrohung wahrgenommen, die genauso akut war wie die 42 43 44 45 46 47 48

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Siehe Conan Fischer: The Ruhr Crisis 1923-1924, Oxford 2003. Josias von Heeringen – Aufruf »Lasset uns zu Stahl werden!«, in: Kriegerzeitung, 15.1.1923, S. 1. Kurt Trampler – »Gegen Versailles. Deutsche Jugend, auf zum Kampf!«. Vgl. Der Friedensvertrag von Versailler, §18, Anhang II, Teil VIII. »Der wahre Grund«, in: Kriegerzeitung, 15.1.1923, S. 7f. »Wie die Franzosen im Ruhrgebiet Propaganda treiben«, in: Kriegerzeitung, 15.2.1923, S. 9f. Vgl. Gerd Krumeich: Der ›Ruhrkampf‹ als Krieg: Überlegungen zu einem verdrängten deutsch-französischen Konflikt in: ders./Joachim Schröder (Hg.): Der Schatten des Weltkriegs. Die Ruhrbesetzung 1923, Essen 2014, S. 9-24. Amann – »Krieg im Frieden«, in: Kyffhäuser, 17.5.1931, S. 2.

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Kriegszeit selbst. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass der Krieg und viele mit ihm assoziierte kriegsimmanente Themen und Narrative auf der kulturellen Ebene fortlebten (vgl. Abb. 3).50

Abbildung 3: Herbert Rothgängel – Das Brandmal im Herzen Europas.

Hierzu zählten vor allem die alten Feindbilder und Feindschaften aus Kriegszeiten, die nach 1918 nach wie vor als existent angesehen und gepflegt wurden. Versailles wurde in diesem Kontext als ein Brandmal im Herzen Europas wahrgenommen, als ein Instrument der Willkür und Unterdrückung, das es ehemaligen Kriegsgegnern wie Frankreich erlaubte, den Weltkrieg ungehindert und nach eigenem Gutdünken mit anderen Mitteln fortzuführen.51 Mehr noch als die Tatsache, 50

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John Horne argumentiert, dass in militärischen Konflikten eine Kriegskultur das Leitbild gesellschaftlicher Handlungsweisen bestimmt. Nach dem Ende des Konflikts sei es daher notwendig, neben der Demobilisierung von Heer, Wirtschaft und Politik, auch eine kulturelle Demobilisierung durchzuführen, um den Übergang zu einer friedlichen Gesellschaft zu garantieren. Eine solche kulturelle Demobilisierung vollzieht sich nicht auf einer materiellen Ebene, sondern ist im Bereich von Werten, Einstellungen und Mentalitäten anzusiedeln. Die kulturelle Demobilisierung kann allerdings auch verweigert werden oder scheitern. So fruchtbar diese Überlegungen auch sind, so unklar bleiben sie in einigen Punkten konzeptionell und bedürfen einer Präzisierung. Siehe hierzu: Horne: Kulturelle Demobilmachung, S. 129f.; und vertiefend hierzu Schulte: Scheitern, S. 109-111. Vgl. Schulte: Scheitern, S. 130-132.

II. Veteranenbilder im Übergang

dass Deutschland den Versailler Vertrag »in allerhöchster Not« unterzeichnet hatte und von diesem nur ein trügerischer Frieden auszugehen schien, war für die deutschen Veteranen entscheidend, dass sich alle »Vergewaltigungen« der ehemaligen Feinde auf das »von Deutschland leider unterschriebene Bekenntnis von der alleinigen Schuld« am Weltkrieg stützte. Für den Kyffhäuserbund war die Höhe etwaiger Reparationsforderungen vorerst sekundär; er definierte die in Artikel 231 enthaltene Schuldfrage als den »Kern des Friedensvertrages«, die dem Reich »die Alleinschuld, die Urheberschaft am Kriege zudiktiert«, eine »bewußte Unwahrheit«, mit der man »die Wahrheit vergewaltigt«52 habe. Man müsse sich mit aller Macht gegen den »Fundamentbau des Friedensvertrages stemmen, der Deutschlands Schuld am Kriege heißt! Mit der Schuldfrage steht oder fällt der Block von Versailles; das Schuldbekenntnis, das man uns aufzwingt, ist die Ursache unserer Not. Deutschland hat den Krieg nicht gewollt. Die Wahrheit muß, die Wahrheit wird siegen!«53 Solche Äußerungen lassen erkennen, dass der Verband dem Kampf gegen die Kriegsschuldlüge eine ebenso große geschichtspolitische Bedeutung beimaß wie offizielle Regierungsstellen. Denn als Reaktion auf den in Artikel 231 formulierten Alleinschuldvorwurf richtete die Weimarer Nationalversammlung am 21. August 1919 den 15. Untersuchungsausschuss – gegliedert in vier Unterausschüsse – ein, der sich mit zentralen militärischen und politischen Fragen rund um die Zeit des Weltkrieges befassen sollte.54 Die 28-köpfige Enquete-Kommission – darunter Experten wie der ebenso namhafte wie streitbare Historiker Hans Delbrück – arbeitete von 1919 bis 1932 und bezog das Reichsarchiv sowie zahlreiche Sachverständige mit ein. Die Ermittlungen des 1. Unterausschusses (Die Vorgeschichte des Weltkrieges) waren besonders brisant und standen von Anfang an unter gesteigerter Beobachtung, da seine Ergebnisse das Deutsche Reich historischrechtlich sowie moralisch entlasten und den Vorwurf der Alleinschuld entkräften sollten. Diese Erwartung hatte zur Folge, dass die überparteiliche Stellung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zusehends durch massive behördliche Einflussnahme aufgeweicht wurde und sich seine Arbeit zu einer »kryptobürokratischen Veranstaltung mit eindeutig funktionalem Charakter für

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Josias von Heeringen bei einer Kundgebung gegen die alleinige Kriegsschuld Deutschlands. 21. Juni 1922, in: von Heeringen: An die deutschen Kriegervereine, S. 23f. Otto Riebicke – »Dunkele Weihnacht«, in: Kriegerzeitung, 15.12.1922, S. 1. Neben dem Themenkomplex Die Vorgeschichte des Weltkrieges (1. Untersuchungsausschuss) standen auch die Frage nach den Friedensmöglichkeiten während des Weltkrieges (2. Untersuchungsausschuss), den Ursachen des deutschen Zusammenbruches im Jahre 1918 (4. Untersuchungsausschuss) und Das Völkerrecht im Weltkrieg (3. Untersuchungsausschuss) im Fokus der Untersuchungen.

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die offizielle deutsche Außenpolitik«55 entwickelte. Nach langwierigen Verhandlungen wurden die Abschlussberichte der Unterausschüsse schließlich zwischen 1925 und 193056 mit umfangreichem Quellenmaterial publiziert.57 Die Ergebnisse blieben jedoch hinter den gesteckten Zielen zurück und waren geprägt von einem »Übergewicht konservativ-apologetischer Tendenzen«,58 so dass sie der Debatte keine grundlegend neuen Erkenntnisse hinzufügen konnten. Der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder waren durchaus bereit, die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses differenziert sowie ausgewogen zu beurteilen und als amtlich sanktionierte Form der Wahrheit über den Weltkrieg zu akzeptieren. Seine Enttäuschung darüber, dass diese eine vollständige Entlastung in der Kriegsschuldfrage schuldig blieben, veranlasste den Verband allerdings gleichzeitig dazu, seine Agitation gegen den Versailler Vertrag und die verbundene Kriegsschuldlüge unbeirrt fortzusetzen. Denn obwohl der Abschlussbericht der »einmütigen Ueberzeugung« des Ausschusses Ausdruck gab, dass »von einer kriminellen Schuld in keinem Fall die Rede« sein könne, ließ sich bei der weiterführenden Frage nach einer etwaigen moralischen oder historischen Verantwortung des Deutschen Reiches unter seinen Mitgliedern kein Konsens erzielen. Doch trotz der Ambivalenz der Ergebnisse erkannte der Kyffhäuserbund die Pionierarbeit des Unterausschusses an: »Sie [die Arbeit des Untersuchungsausschusses, B.S.] hat eine Menge Material zutage gefördert, das für den Forscher von unschätzbarem Wert sein wird. So soll sie nicht gescholten werden, mag man sie auch als alter Soldat schmerzlich genug empfinden.« Nach einer angemessenen Zeitspanne sei es die Aufgabe kommender Generationen, ihre Ergebnisse mit dem nötigen Abstand »unbefangen gerecht zu beurteilen.« Immerhin habe die Arbeit des Ausschusses noch einmal unterstrichen, dass die »deutsche Kampffront […] bis zuletzt alles geleistet [hat], was in ihren Kräften stand.«59

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Heinemann: Niederlage, S. 197. Vgl. Das Werk des Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages. Reihe 1: Die Vorgeschichte des Weltkrieges, herausgegeben von Georg Gradnauer, Rudolf Breitscheid und Clara BohmSchuch, Berlin 1930. Vertiefend hierzu Markus Pöhlmann: Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914-1956, Paderborn 2002, S. 267-283; Der.: Art. Untersuchungsausschuß, parlamentarischer, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2 2014, S. 938f.; sowie Heinemann: Niederlage, S. 155-218. Pöhlmann: Geschichtspolitik, S. 282. Heinrich Niemerlang – »Die Ursachen des Militärischen Zusammenbruchs 1918. Zum Ergebnis der Untersuchung des Untersuchungsausschusses des Reichstages«, in: Kriegerzeitung, 9.8.1925, S. 1f.

II. Veteranenbilder im Übergang

Wieso war die kurze Passage um Artikel 231 im Vertragswerk von so großer Bedeutung, dass sie zu einem der Kernnarrative des Kyffhäuserbundes avancierte?60 Die sogenannte Kriegsschuldlüge enthielt mehr als nur den Vorwurf der alleinigen Kriegsschuld des Deutschen Reichs und seine Machteliten. Ihr lag ferner die implizite Behauptung zugrunde, dass das Deutsche Heer mit seinem Einmarsch in neutrales belgisches Staatsgebiet einen verbrecherischen Angriffskrieg geführt hatte. Diese im Subtext des Versailler Vertrages angelegte Anschuldigung lief der verbandseigenen Version der Vergangenheit diametral entgegen. In dieser konnten sich die Kyffhäusermitglieder wenigstens damit trösten, als Soldaten ehrenhaft gekämpft und bis zuletzt durchgehalten zu haben, auch wenn sie den Krieg letztlich verloren hatten. So waren die deutschen Soldaten in einen Verteidigungskrieg gegen eine Welt voller Aggressoren ausgezogen, die den rechtmäßigen Aufstieg der verspäteten Nation Deutschland zur Weltmacht aufhalten wollten: »Aber mit der Macht wuchs die Zahl der Neider, schloß sich zusammen zum Verderb des unbequemen Rivalen. Gewitterschwüle lag seit Jahren über Europa.«61 Man wägte sich also in dem Glauben, zumindest moralisch im Recht zu sein, eine Auffassung, die durch das Narrativ von der Kriegsschuldlüge nachhaltig infrage gestellt wurde. Ihre eigentliche Sprengkraft lag für den Kyffhäuserbund und seine Veteranen also darin, dass sie die soldatische Ehre, das Selbstbild und das öffentliche Ansehen der Weltkriegssoldaten massiv angriff, indem sie diesen unterstellte, einen unrechtmäßigen Angriffskrieg geführt zu haben. Daher musste um jeden Preis die Überzeugung in der Retrospektive aufrechterhalten werden, dass »das deutsche Volk sich im August 1914 ohne Ansehen der Partei, völlig einig zur Verteidigung des Vaterlandes« erhoben hatte. Jeder Soldat hatte in dem Bewusstsein agiert, dass es sich »um die Abwehr eines feindlichen Ueberfalles handelte«,62 da jedem klar gewesen sein musste, dass das deutsche Volk durch ein Fortwähren des Friedens mehr zu gewinnen hatte als durch einen Krieg. Der Eintritt in den Ersten Weltkrieg erfolgte aus dieser Perspektive somit ausschließlich durch äußeren Zwang. Die Narrative des Ersten Weltkrieges überdeckten einerseits jedwede Notwendigkeit, eine rationale Diskussion über die Ursachen, den Ausbruch und den Verlauf des Ersten Weltkrieges führen zu müssen. Mit der Kriegsschuldlüge und der Dolchstoßlegende wurden Erklärungskonstrukte geschaffen und perpetuiert, die emotionale Fluchtpunkte darstellten und zugleich einer empfundenen Fremdbestimmtheit Ausdruck verliehen. In dieser Opferrolle konnte die eigene Verantwortung der Veteranen für die Geschehnisse zwischen 1914 und 1918 erfolgreich mar60

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Für den Untersuchungszeitraum finden sich nur vergleichsweise wenige Quellen, die sich mit anderen und konkreten Sachforderungen oder etwa den kolonialen Gebietsabtretungen im Zuge des Versailler Vertrages beschäftigen. »Der Geist von 1914«. Rede von Heerringens auf dem Abgeordnetentag des Deutschen Kriegerbundes in Lübeck. August 1921, in: von Heeringen: An die deutschen Kriegervereine, S. 17.

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ginalisiert werden. Andererseits strukturierten sie die Handlungsweise des Kyffhäuserbundes, die einer Aktion zur Rettung der Ehre des deutschen Soldaten entsprach. Daher ließ der Verband auch in den Jahren nach dem Abschlussbericht des Unterausschusses die Thematik nicht ruhen und setzte sich weiterhin für eine aktive Bekämpfung der Kriegsschuldlüge ein: »Zwölf Jahre sind es jetzt, daß uns die Welt mit dem schweren Vorwurf zu belasten sucht, wir hätten in frevelhafter Weise den Krieg verschuldet. Zwölf Jahre lang führen wir nunmehr den Kampf gegen diese infame und heuchlerische Lüge. Dank deutscher Rührigkeit und Zähigkeit sind jetzt allmählich die dichten Nebelwolken, die anfangs über der Entstehungsgeschichte des Krieges lagerten, soweit gelichtet, daß klare Sicht möglich ist. Freilich, man muß sehen wollen. Das Recht ist auf unserer Seite, aber damit allein hätten wir nichts zu beweisen vermocht.«63 Der Kyffhäuserbund suchte und sammelte ergänzende Dokumente, Quellen und Äußerungen vermeintlicher Experten zu verschiedensten Themen und Fragestellungen rund um den Kriegsausbruch, welche die ersehnte Entlastung des Deutschen Heeres und vor allem die Wiederherstellung der Ehre des deutschen Soldaten bringen sollten. Er konstruierte Stück um Stück eine Beweiskette alternativer Fakten, publizierte deren neueste Erkenntnisse in regelmäßigen Abständen und griff neue Entwicklungen auf, die um den Themenkomplex Kriegsschuldlüge kreisten. So entstand eine Art Chronik des Narrativs, die zwischen informativer Aufklärungsarbeit (juristische Basis des Versailler Vertrages und der Kriegsschuldlüge) und pathetischer Agitation (»Das zehnte Jahr des Versailler Vertrages als Kampfjahr gegen die Schuldlüge«64 ) changierte.65 Mit ebenso großer Vehemenz wehrte sich der Verband gegen die für ihn ehrabschneidenden Vorwürfe, dass sich die deutschen Soldaten zwischen 1914 und 1918 an Kriegsverbrechen (die sogenannten Kriegsgräuel) in den besetzten Gebieten beteiligt hätten.66 Diese Behauptungen seien eine »schamlose Verleumdung der deutschen Frontsoldaten.«67

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Friedrich von Schilgen – »Zwölf Jahre Kriegsschuldlüge«, in: Kyffhäuser, 8.8.1926, S. 2. Otto Riebicke – »Die Nacht soll weichen! Die deutschen Weltkriegssoldaten und die Kriegsschuldlüge«, in: Kyffhäuser, 20.1.1929, S. 2f. Etwa Otto Riebicke – »Deutschlands barbarische Kriegsführung«, in: Kyffhäuser, 22.5.1927, S. 8f.; Wilhelm Schaer – »Ein neuer Zusammenbruch der Kriegsschuldlüge«, in: Kyffhäuser, 25.9.1927, S. 2; Friedrich Sell – »Wie die Franzosen weiterlügen«, in: Kyffhäuser, 23.10.1927, S. 2f.; und »Kampf gegen die Kriegsschuldlüge!«, in: Kyffhäuser, 11.9.1932, S. 2. Vgl. »Die Lüge von den Kriegsverbrechen«, in: Kyffhäuser, 3.2.1929, S. 5. Siehe zu diesem Thema vertiefend John Horne/Alan Kramer: Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004. »Die Nacht soll weichen! Die deutschen Weltkriegssoldaten und die Kriegsschuldlüge«, in: Kyffhäuser, 20.1.1929, S. 2f.

II. Veteranenbilder im Übergang

»Die Seelen der Menschen, bis zur einfältigsten Negerseele hinab, sind mit einem fressenden Gift infiziert worden, das eine bis dahin beispiellose, raffinierte und skrupellose Propaganda in die Adern der Völker geleitet hat. Dies Gift ist die Ueberzeugung von den Greueln, die eine tierisch verrohte deutsche Soldateska in Feindesland begangen haben soll.«68 Um diesen Anschuldigungen entgegenzutreten, verwies der Kyffhäuserbund auf die unmittelbare Zeugenschaft der Soldaten, welche die Geschehnisse an der Front und in der Etappe besser einschätzen könnten als Berufspolitiker, und forderte alle Mitglieder dazu auf, »das Wort der Wahrheit, die wir erlebten und kennen!«69 zu propagieren und den »mit deutscher Ehre, deutschem Recht und mit dem gesamten deutschen Schicksal so eng verbundene[n] Kampf um die Wahrheit« aufzunehmen. Denn es stand nichts weniger auf dem Spiel als das Ansehen seiner Veteranen. Die Auseinandersetzung um den Versailler Vertrag wurde so zu einer Schicksalsfrage erhoben, die »in erster Linie eine Angelegenheit der alten Soldaten« war, die nun beweisen müssten, dass sie »im Weltkriege […] reinen Herzens in den Kampf zogen, um ihr Vaterland zu verteidigen, die das Schwert mit reinen Händen führten und unbefleckt den Schild der Soldatenehre heimtrugen.«70 Dieser Verteidigungsmythos lebte auch im Bildprogramm des Kyffhäuserbundes fort (vgl. Abb. 4 und 5). Der Illustrator Herbert Rothgängel71 schaffte es, die narrative Komplexität der Kriegsschuldlüge für die Verbandszeitung bildlich einzufangen: Seine Grafiken waren geprägt von Licht und Schatten, von szenischen Gegenüberstellungen und vor allem vom zentralen Motiv des Kampfes der Wahrheit gegen die Lüge. Auf der einen Seite steht der aufrechte und ehrenhafte deutsche Soldat, der sich schützend vor die Heimat stellt oder auf dem Altar der Wahrheit schwört, durch sein Handeln Recht und Gerechtigkeit walten zu lassen. Auf der anderen Seite stürmen bedrohlich und barbarisch aussehende Horden heran, die anhand der Ikonographie als die ehemaligen Feinde des Ersten Weltkrieges zu erkennen sind und der Lüge zum Sieg verhelfen wollen. Über dieser Lüge der Feinde hinweg strahlt hingegen die Wahrheit, als künde sie vom Anbruch einer neuen und besseren Zeit. Für den Kyffhäuserbund war die Wahrheit im Hinblick auf die Kriegsschuldlüge keine Frage der Sichtweise oder der Interpretation, zu diesem Thema war keine alternative Meinung zulässig. Historische Wahrheit war im Kontext des Diskurses

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Friedrich von Schilgen – »Kampf den Greuellügen!«, in: Kyffhäuser, 27.3.1927, S. 2. Otto Riebicke – »Die Nacht soll weichen! Die deutschen Weltkriegssoldaten und die Kriegsschuldlüge«. Ebd. Rothgängel war zudem der Schöpfer der Bildpropaganda zum Volksbegehren gegen den Young-Plan. Aus seiner Feder stammte beispielsweise das mittlerweile sinnbildliche Plakat Bis in die dritte Generation müßt ihr fronen!

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

um die Schuld am Ersten Weltkrieg eine Sicht auf die Vergangenheit, die durch die Kriegserfahrungen vorstrukturiert wurde. Das Bildprogramm Rothgängels lieferte hierzu die visuelle Folie, vor deren Hintergrund die Kriegsschuldlüge weiter emotionalisiert werden konnte.

Abbildung 4: Herbert Rothgängel – Wahrheit soll siegen – Lüge erliegen.

Abbildung 5: Herbert Rothgängel – Wahrheit!

II. Veteranenbilder im Übergang

Die Beweisführung des Verbandes zeitigte praktische Konsequenzen: In regelmäßigen Abständen – mindestens aber einmal jährlich am Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages – rief der Kyffhäuserbund seine Kriegervereine auf, sich mit ihren Mitgliedern an reichsweiten Kundgebungen gegen die Kriegsschuldlüge zu beteiligen, denn »solange noch Männer von Ehre und Gewissen« lebten, so lange werde »der Kampf gegen die Kriegsschuldlüge fortgeführt werden, bis die durch einzelne Machthaber geknebelte Wahrheit frei geworden und damit zum Siege gekommen ist.«72 Man wollte nicht vor dem Versailler Vertrag und der Kriegsschuldlüge kapitulieren, die Niederlage und ihre Konsequenzen nicht einfach akzeptieren und daher die Debatte in der Öffentlichkeit am Leben erhalten.73 Denn eine Aufgabe stünde den ehemaligen Soldaten, so der Kyffhäuserbund, schlecht an, nachdem sie »in tausend Schlachten des Weltkrieges« gekämpft hätten. Man werde weiterhin »als Kämpfer aufziehen in den Reihen derer, die sich für die deutschen Ziele offen und ehrlich einsetzen, für den Kyffhäusergeist, der mit offenem Visier allem entgegentreten, was unseres Volkes Ehr und Wehr besudelt, und alle bekämpft, die nicht wollen, daß aus dieses Volkes Vergangenheit wieder eines großen Volkes Zukunft werde.«74 Den sogenannten Kyffhäusergeist verstand der Verband als eine Art geistige Grundhaltung, als ein Gemeinschaftsgefühl, das auf der soldatischen Kameradschaft aufbaute, über individuelle Egoismen sowie politische Einstellungen erhaben war und das Ziel, eine nationale Gemeinschaft zu schaffen, absolut setzte.75 Der Kyffhäusergeist war eine Amalgamierung aus der soldatischen Kameradschaft der Erfahrungsgemeinschaft des Kyffhäuserbundes und inklusiven Elementen des Konzeptes der Volksgemeinschaft, wie sie bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts kursierten.76 Er speiste sich aus den Kriegserfahrungen der Veteranen und stellte eine veteranenspezifische Analogie zur Volksgemeinschaft dar. Der Verband propagierte ihn als einen bewussten Gegenpart und als ein Heilmittel für die moderne, von Konflikten und Antagonismen geprägte gegenwärtige Gesellschaft, das an die absolute Opferbereitschaft aller für das Volk und die Nation appellierte.

72 73 74 75 76

Otto Riebicke – »Die Nacht soll weichen! Die deutschen Weltkriegssoldaten und die Kriegsschuldlüge«. Vgl. Erich Lattmann – »Kriegsschuldlüge – Deutschlands Schicksal«, in: Kyffhäuser, 14.4.1929, S. 2f. »Kriegervereine und Kriegsschuldfrage«, in: Kyffhäuser, 5.10.1930, S. 2f. Vgl. ebd.; und weiterhin Kapitel IV, 2. Vgl. Jörg Retterath: ›Was ist das Volk?‹ Volks- und Gemeinschaftskonzepte der politischen Mitte in Deutschland 1917-1924, Berlin 2016, S. 33-50 und 67-97; weiterhin Bruendel: Solidaritätsformel; und ders.: Volksgemeinschaft, S. 258-275.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

1.2

Kameradschaft – Lernen am Vorbild des Veteranen »Im Stahlbad des Weltkrieges sind wir hart geworden, entschlossen und selbstsicher, angesichts der Not sind wir zusammengewachsen zu einer Gemeinschaft der Seelen, die das Ich vergaßen, um der Sache zu dienen, Träger des Kampfes um Deutschlands Freiheit und Vollstrecker von Forderungen, die bislang in dieser Reinheit und Größe nur überkommene, aber nicht selbst durchlebte Begriffe waren. So wurde die Kameradschaft lebendiger Inhalt unseres Lebens, als Leid- und Kampfgenossen schweißte uns ein gewaltiges Schicksal zusammen und zwang uns zu Selbstentäußerung und opferfreudiger Hingabe an die Gesamtheit, weil der einzelne schwach war und hilflos, aber stark wurde und zur moralischen Größe des Heeres sich auswuchs in der willigen Gemeinschaft. Kameradschaft – welcher Zauber liegt in dem Wort, welche Fülle innerer Erhebung, welche tiefe Erkenntnis davon, was Menschen im Innersten zusammenführt und -hält, die eine Aufgabe im Dienste ihres Volkes zu erfüllen haben.«77

Wie diese Beschreibung verdeutlicht, ist die Kameradschaft ebenso abstrakt wie mehrdimensional. Sie umschreibt eine mentale Form der überindividuellen Vergemeinschaftung, beruhend auf dem geteilten Kriegserlebnis. Sie ist Ausdruck gelebter soldatischer Werte und beispielhafter Eigenschaften, spendet Trost und Sinn sowie Motivation zum Durchhalten in aussichtslosen Situationen, zeugt von der Opferbereitschaft und der kämpferischen Entschlossenheit ihrer Träger. Im Unterschied zu den »Zwillingslegenden«78 von Versailles und der Kriegsschuldlüge bildete sie ein soldaten- und veteranenexklusives Narrativ und im positiven Sinne ein integratives Kernelement der Kyffhäuser-Ideologie mit gesamtgesellschaftlicher Strahlkraft.79 Da der Begriff zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche, zum Teil mythische Aufladungen erfuhr und mit anderen Kategorien wie Heroismus oder Aufopferung verschränkt war, muss Kameradschaft stets historisch und situativ kontextualisiert werden.80 Denn der Begriff Kameradschaft bot eine variable Projektionsfläche für viele Lebensentwürfe und blieb gleichzeitig inhaltlich vage genug: Einerseits egalisierte er soziale Distinktionen, ohne Hierarchien zu negieren; andererseits gründete er nicht auf Individualität und Persönlichkeit, sondern beruhte im Wesentlichen auf »Kodex und Pflicht.«81 Bestimmte Konnotationen von 77 78 79

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Erich Lattmann – »Kameradschaft und Zukunft«, in: Kyffhäuser, 16.10.1927, S. 6. Kolb: Frieden, S. 102. Vgl. Ulrike Ludwig/John Zimmermann: Ehre und Pflicht als Codes militärischer Tugenden. Einführende Bemerkungen, in: dies./Markus Pöhlmann (Hg.): Ehre und Pflichterfüllung als Codes militärischer Tugenden, Paderborn 2014, S. 11-30. Vgl. im Hinblick auf die Begriffsverwendung in der Wehrmacht sowie in der frühen Bundesrepublik Kühne: Kameradschaft, S. 10-38; sowie ders.: Art. Kameradschaft. Martin Broszat: Einleitung, in: ders. (Hg.): Kommandant in Auschwitz. Autobiographische Aufzeichnungen von Rudolf Höß, Stuttgart 1958, S. 7-21, hier S. 20.

II. Veteranenbilder im Übergang

Kameradschaft bildeten sich im Fall des Kyffhäuserbundes schon vor 1914 aus und wurden nach Kriegsende weiter tradiert.82 Andere Bedeutungsdimensionen wiederum ergaben sich erst während der Jahre von 1914 bis 1918: Erstens wurde Kameradschaft aufgrund der Länge sowie der Intensität des Ersten Weltkrieges mehr denn je als eine Form der Schicksals- und Leidensgemeinschaft wahrgenommen, in welcher die Aufopferung des Einzelnen für das Vaterland und für die Gemeinschaft der Soldaten eine sakrale Form, ähnlich der Imitatio Christi, annahm. Ihr wurde zweitens eine potentielle Massenwirkung zugeschrieben, ein unhinterfragtes und einigendes, unsichtbares Band zwischen den Truppenteilen, das ein Gefühl der »Ubiquität einer alle militärischen Ränge und sozialen Klassen umfassenden Kameradschaft der Frontsoldaten«83 erzeugte. Drittens wurde Kameradschaft als Ordnungsbegriff und symbolisches Ordnungsmodell zum zentralen Bezugsschema der Primärgruppe und so zum unverrückbaren Fixpunkt in einer Welt aus Schützengräben, die mit dem Fortdauern des industrialisierten Tötens vollends aus den Fugen zu geraten sein schien. Nach dem Krieg blieben viele dieser Charakteristika erhalten und behielten mit modifizierten Konnotationen ihre Gültigkeit als Wertekompass und wesentliches Bindeglied der Erfahrungsgemeinschaft des Kyffhäuserbundes, wenngleich die Gewalt an der Front aus dem Kosmos der Kameradschaft herausgelöst und das Grauen der Materialschlachten sowie des Stellungskrieges nur noch ästhetisiert dargestellt wurde. Kameradschaft galt auch nach 1918 als Allheilmittel um die Krisen der Zeit zu überwinden, und der Wertekanon der Kameraden wurde zum gesellschaftlichen Vorbild erhoben. Der Begriff Kameradschaft hatte somit maßgeblichen Anteil an der Konstruktion und öffentlichen Darstellung des Veteranen. Das Verständnis der Veteranen von Kameradschaft zeichnete sich nach 1918 erstens durch eine unbedingte sowie bedingungslose Hilfsbereitschaft, auch im Sinne der Nächstenliebe, auf allen Ebenen aus: »Eine edle Kameradschaft muß hilfsbereit sein und werktätig allen gegenüber, die Hilfe brauchen.«84 Hiermit war zunächst die materielle Hilfe durch das wirtschaftliche Unterstützungswesen des Kyffhäuserbundes gemeint,85 fand doch die Tätigkeit der Kriegervereine seit jeher einen starken Rückhalt in den Wohlfahrts- und Unterstützungseinrichtungen ihres Dachverbandes. Diese halfen den einzelnen Vereinen, wenn sie ihre »kame-

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84 85

Wie etwa traditionellen Betätigungsfelder der Kriegervereine im dörflichen Umfeld bei der Beisetzung verstorbener Vereinsmitglieder mit militärischen Ehren. Thomas Kühne: Imaginierte Weiblichkeit und Kriegskameradschaft. Geschlechterverwirrung und Geschlechterordnung, 1918-1945, in: Karen Hagemann/Stefanie SchülerSpringorum (Hg.): Heimat-Front. Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. 2002, S. 237-257; Zitat auf S. 241. »Die neuen Aufgaben des Kyffhäuser-Bundes«. Vgl. Kapitel I.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

radschaftlichen Pflichten«86 gegenüber bedürftigen Mitgliedern sowie deren Familien ausübten. Nach 1918 wurde diese Aufgabe durch die steigende Zahl von Kriegsversehrten oder Kriegerhinterbliebenen umso drängender, da »diejenigen, die ihre Gesundheit oder ihren Ernährer dem Vaterlande in seiner schwersten Not zum Opfer gebracht haben, der gemeinsame Rechtsanspruch auf wirtschaftliche Sicherstellung durch die Volksgenossen zusammenführt.«87 Die Kameradschaft, respektive: Kamerad zu sein, schuf somit einen moralischen Anspruch auf materielle Unterstützung durch andere. Kameradschaftliche Hilfsbereitschaft ging für den Kyffhäuserbund jedoch über den Rahmen materieller Hilfsleistungen hinaus und war eine Frage der inneren Einstellung und Lebensauffassung. Ein hilfsbereiter Kamerad zu sein bedeutete mehr, als »auf Du und Du [zu] stehen und sich beim Glase Bier oder in der Hochstimmung eines Festes Ueberschwänglichkeiten«88 auszutauschen: »Kameradschaft ist das Einsetzen des einen für den andern, ist die stille Hilfsbereitschaft. Kamerad sein heißt in der Stille wirken, heißt dem andern ein wahrer Berater sein, ihm helfen und nützen, wenn es not tut. Kamerad zu sein heißt, dem seelisch Leidenden Trost zu geben, den Zusammenbrechenden stützen und ihm Nut zuzusprechen. Nicht in glücklichen Stunden zeigt und beweist sich Kameradschaft, sondern dann, wenn den andern Unglück getroffen hat, wenn er in der Not Hilfe sucht und in seinem Leide getröstet werden muß.«89 Kameradschaftliches Handeln zeigte sich somit insbesondere in den kleinen, alltäglichen Gesten, wie schon während der Zeit des Krieges »draußen im Schützengraben und im Granattrichter«, wenn man seine letzte Ration teilte, den Verwundeten erste Hilfe leistete und diese aus dem Kampfgeschehen zum Verbandsplatz brachte oder »wenn Wenige sich opferten, um die Kompagnie vor dem Untergang zu retten.«90 Diese Überlegungen führen zu einer zweiten Komponente der KyffhäuserKameradschaft: der Kameradschaft als Ausdruck einer tiefen Verbundenheit, entstanden aus einer gemeinsam geteilten Vergangenheit und Opferbereitschaft. Wer das Erlebnis des Weltkrieges geteilt, seine Entbehrungen und Opfer oder auch die Gefangenschaft erlebt und somit seine soldatische Pflicht gegenüber dem Vaterland und seinen Kameraden erfüllt hatte, den verband, so die Argumentation, die lebenslange Kameradschaft der Frontsoldaten. »Vor dieser Kameradschaft

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Professor Dr. Westphal – »Die Kriegervereine als Pflanzstätten vaterländischen Fühlens und Denkens II«. »Kameradentreue. Ein Kapitel zur Kriegsteilnehmerorganisation«. Otto Riebicke – »Die Kameradschaft im Kyffhäuserbund«, in: Kyffhäuser, 10.10.1926, S. 3. Ebd. Ebd.

II. Veteranenbilder im Übergang

fallen die Schranken des Standes, der Konfession und der Partei.«91 Dieses der Kameradschaft zugrunde liegende Soldatenbild verknüpfte die romantisierte Sichtweise des Soldaten und des Krieges aus längst vergangenen Tagen92 mit den realen und konkreten sinnstiftenden Bedürfnissen der Zeit. Hierzu zählte die Beschwörung des Augusterlebnisses von 1914 ebenso wie die Annahme, dass vom Kriegervereinswesen eine Signalwirkung zur Überwindung aller gesellschaftlichen und politischen, sozialen oder religiösen Gegensätze ausgehen konnte. »Nicht Monarchie, nicht Republik, nicht rechts, nicht links ist heute die deutsche Lebensfrage, sondern das tätige Bekenntnis zur deutschen inneren Einheit. Wer deutsch denkt und fühlt, wer deutsch ist, muß endlich vereinigt werden in der Arbeit am Aufbau, nicht mit bloßen Redensarten, sondern mit Taten.«93 Bevor eine solche auf kameradschaftlichen Grundprinzipien fußende Gesellschaftsform zustande kommen konnte, war es jedoch aus Sicht des Verbandes notwendig, sich derjenigen Personen zu erwehren, die versuchten, sich durch »widerwärtiges Maulfechtergebaren« Gehör zu verschaffen und die »vom Schützengrabenleben und Trommelfeuer nicht allzu viel genossen zu haben scheinen.«94 Kameradschaft hatte so gesehen nicht nur integrative Elemente, sondern konnte ebenso als ein Exklusionsmechanismus gegenüber denjenigen angewendet werden, die nicht den ideologischen Vorstellungen des Kyffhäuserbundes entsprachen. Denn sein Kameradschaftsbegriff wurde in einem weiteren Schritt größer, über den üblichen Rezipientenkreis hinausgedacht. Er sollte sich nicht bloß auf diejenigen Deutschen beziehen, »die einst die Uniform des Heeres trugen, Gefährten waren im Dienste für das Vaterland und Gefährten auch bleiben wollen.« Die Kameradschaft sollte vielmehr »sowohl dem einzelnen als auch der Gesamtheit [dienen], sie ist das ausgleichende Element, das Band des Zusammenhalts weitester Kreise. Kamerad sein heißt wohl dem einzelnen helfen, darüber hinaus aber: dem Vaterlande dienen.«95 Die Kriegervereine des Kyffhäuserbundes sollten nach dem Ende des Krieges jene Orte darstellen, wo die Erinnerung an das gemeinsame Kriegserlebnis weiterhin gepflegt und tradiert werden konnte und von denen der Dienst an Volk und Vaterland ausgehen sollte.96 Drittens bedeutete die gelebte Kameradschaft für den Kyffhäuserbund, diese zur obersten Handlungsmaxime und zum handlungsweisenden Leitmotiv zu

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»Kameradentreue. Ein Kapitel zur Kriegsteilnehmerorganisation«. Vgl. »Kameradschaft. Skizze von Alfred Günnemann«, in: Kyffhäuser, 18.12.1927, S. 7. Oberst Immanuel – »Die Kriegervereine als Brücke über die inneren Spaltungen«, in: Kriegerzeitung, 21.10.1922, S. 1f. »Auf der Schwelle der Heimat. Stimmungsbild aus einem Durchgangslager für Kriegsgefangene«, in: Kriegerzeitung, 2.11.1919, S. 2f. Otto Riebicke – »Die Kameradschaft im Kyffhäuserbund«. Vgl. »Die neuen Aufgaben des Kyffhäuser-Bundes«.

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erheben: »Kameradschaft ist das Sprungbrett, die innere Triebfeder der einzelnen, um durch die Gemeinschaft den Weg zu größeren Taten offen zu halten.«97 Kameradschaft sollte die Grundlage aller weiteren Arbeit sein. Die Anforderungen des Krieges wurden mit den Anstrengungen gleichgesetzt, die nun notwendig waren, um zu einer Friedensgesellschaft zurückzukehren. Bereits der Krieg hätte »den höchsten Einsatz aller sittlichen und körperlichen Kräfte« erfordert; diese sollten jetzt nahtlos in den »Wiederaufbau des deutschen Vaterlandes aus Niederlage und Zusammenbruch, aus Not und seelischer Zerrüttung« überführt werden. Dem Kyffhäuserbund war durchaus bewusst, dass ein solcher Wiederaufbau mehr erforderte als kameradschaftliche Gedanken, hegte aber die Hoffnung, dass sich »durch das Mittel der Kameradschaft […] der Zukunftsglaube und -wille stärken«98 würde. Die Auffassungen des Kyffhäuserbundes von Kameradschaft wurden Ende der 1920er Jahre in einem zwölf Punkte umfassenden Leitsatzprogramm gebündelt und fest verankert.99 Durch die praktische Überführung der Kameradschaft in materielle und ideelle soziale Fürsorge für die Mitglieder und ihre Familien, für Kriegsbeschädigte und Kriegerhinterbliebene wollte der Verband den öffentlichen Behauptungen entgegentreten und der Weimarer Öffentlichkeit endgültig vor Augen führen, dass die von vielen Zeitgenossen angenommene Verrohung der heimgekehrten Soldaten durch den Krieg nicht der Wahrheit entspräche.100 Abermals wurde hier definiert, wer zur Gruppe der Kameraden zu zählen war. Außer den Soldaten an der Front und in den Schützengräben waren dies alle Deutschen, die während des Weltkrieges in der Etappe und der Heimat gearbeitet hatten – namentlich und in erster Linie die Frauen in der Rüstungsindustrie. Folglich hätte auf eine gewisse Art und Weise »der allergrößte Teil der ganzen Nation sein ›Frontoder doch Kriegserlebnis‹«101 gehabt und wäre somit in der Lage zu begreifen, was den wesentlichen Kern der Kameradschaft ausmachte. »Krieg und Kriegsfolgen, so viel Leid, Not und auch Verderbnis sie bringen, so heben doch gerade sie die edleren Kräfte, so Glauben und Idealismus, deren Inbegriff, deren praktische Auswirkung, die tätige Liebe ist. Dies Innerste und Höchste des Fronterlebnisses soll und darf uns der Alltag nicht nehmen. Die Not der Zeit soll uns nicht selbstsüchtig, sie soll uns bereit finden, die Not, wo und wie wir

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Erich Lattmann – »Kameradschaft und Zukunft«. Ebd. Vgl. »Leitsätze«, in: Kyffhäuser, 23.9.1928, S. 7; sowie Kapitel IV, 2. Vgl. Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes«, in: Kyffhäuser, 5.5.1929, S. 3f. Ebd.

II. Veteranenbilder im Übergang

können, zu lindern. Dazu aber ist Gelegenheit, vielleicht mehr noch als im Kriege selbst, gegeben.«102

2.

Stellungskrieg der Denkmäler

Der Erste Weltkrieg bedeutete in vielerlei Hinsicht einen Bruch mit vormals gültigen Mentalitäten, Sichtweisen und Traditionen. Dieser Bruch trat nach 1918 vor allem in den Denkmalsbewegungen und -stiftungen offen zu Tage. Er zeigte die Schwäche des traditionellen Denkmalsbildes des kaiserlichen Deutschlands im 19. Jahrhundert auf, das der glorreichen Nation oder ihren exponierten Persönlichkeiten huldigte.103 Dieses euphorisch-affirmative Bild der Vergangenheit hatte mit der Niederlage des Deutschen Reiches und dem politischen Systemwechsel weitestgehend ausgedient und seine Integrationskraft für die Bevölkerung zumeist eingebüßt. Dabei war die Krise der Denkmalskultur im Nachkriegsdeutschland vor allem durch eine Krise der Bildsprache gekennzeichnet: Da diese nach 1918 schlecht an die traditionellen Darstellungsformen der siegreichen Nation anknüpfen konnte, standen speziell die Stifter von neuen Kriegs- und Kriegerdenkmälern vor der Schwierigkeit, das massenhafte und industrialisierte Sterben auf den europäischen Schlachtfeldern bildlich und gestalterisch adäquat umzusetzen. In die Atmosphäre einer allgemeinen »Sprachlosigkeit«104 in der unmittelbaren Nachkriegszeit mischten sich daher gleichzeitig deutungsoffene Erinnerungs- und Sinnstiftungsangebote von verschiedenster Seite.105 Diese versuchten, durch alternative Gestaltungskonzepte für Erinnerungsorte oder die Umdeutung bereits bestehender Denkmäler, den Bedürfnissen der trauernden Gemeinschaft zu genügen und ihr Trost zu spenden, indem sie eine neue Symbolik zu Ehren der gefallenen Soldaten entwar-

102 Ebd. 103 Vgl. hierzu exemplarisch Hans-Walter Hedinger: Bismarck-Denkmäler und BismarckVerehrung, in: Ekkehard Mai/Stephen Waetzoldt (Hg.): Kunstverwaltung, Bau- und Denkmal-Politik im Kaiserreich, Berlin 1981, S. 277-314; sowie Charlotte Tacke: Denkmal im sozialen Raum. Nationale Symbole in Deutschland und Frankreich im 19. Jahrhundert, Göttingen 1995; ferner Ralph Erbar: Die Wacht am Rhein. Das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim. Nation und Nationalismus in Deutschland, in: Bernd Heidenreich/Klaus Böhme (Hg.): Hessen. Geschichte und Politik, Stuttgart 2000, S. 317-327. 104 Reinhart Koselleck: Einleitung, in: ders./Michael Jeismann (Hg.): Der politische Totenkult. Kriegerdenkmäler in der Moderne, München 1994, S. 9-20, hier S. 18. 105 Vgl. Alan Kramer: The First World War and the German Memory, in: Heather Jones/Jennifer O’Brien/Christoph Schmidt-Supprian (Hg.): Untold War. New Perspectives in First World War Studies, Leiden/Boston 2008, S. 385-415; und Reinhart Koselleck: Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, in: ders. (Hg.): Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a.M. 1989, S. 349-375.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

fen.106 Allerdings gingen die Meinungen darüber, wie man des Ersten Weltkrieges und seiner Toten angemessen gedenken sollte, mitunter weit auseinander.107 So setzten die (Um-)Deutungs- und Aushandlungsprozesse in der Denkmalskultur zwar unmittelbar nach Kriegsende ein, erwiesen sich jedoch als derart umkämpftes Terrain, dass erst ab der Mitte der 1920er Jahre mit dem Bau neuer Denkmäler begonnen werden konnte.108 Hinzu kam noch ein praktisches Problem: Die instabilen politischen wie wirtschaftlichen Verhältnisse im Reich mit der entmilitarisierten Zone in Westdeutschland, der alliierten Rheinland- oder Ruhrbesetzung von 1923 sowie dem stetig voranschreitenden Wertverfall der Mark seit Kriegsende machten es lange Zeit unmöglich, die Denkmalsvorhaben vor Beginn der Phase der relativen Stabilisierung der Republik umzusetzen.109 Das Resultat war schließlich eine Reihe staatlich und privat initiierter Projekte, in denen die verschiedensten Formen des Gedenkens an den Ersten Weltkrieges und seiner Toten Ausdruck fanden und in deren Allegorien sich die Imagination unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen widerspiegelte – und die daher in puncto Repräsentations- und Authentizitätsanspruch oft miteinander in Konkurrenz standen.110 Ästhetisch wie stilistisch entwickelte sich der zeitgenössische Trend weg von der klassischen Formgebung der Vorkriegszeit hin zu architektonisch schnörkellosen Denkmälern, zur Umsetzung von räumlichen Gebilden mit vereinfachten Formen oder idealisierten figürlichen Soldatendarstellungen, die das anonyme Massensterben des Individuums in Form gossen.111 Hierdurch konnte gleichzeitig ein weiteres, rein administratives Identifikationsproblem umgangen werden: Denn die staatliche Seite musste sich bei offiziellen Denkmalsprojekten 106 Konzeptionelle Überlegungen bei Insa Eschebach: Öffentliches Gedenken. Deutsche Erinnerungskulturen seit der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2005, S. 60-65; und Michaela Stoffels: Kriegerdenkmale als Kulturobjekte. Trauer- und Nationskonzepte in Monumenten der Weimarer Republik, Köln 2011, S. 12f. Siehe ferner Christian Saehrendt: Der Stellungskrieg der Denkmäler. Kriegerdenkmäler im Berlin der Zwischenkriegszeit (1919-1939), Bonn 2004, S. 90f. 107 Vgl. Susanne Brandt: Denkmalpolitik und Grabmalkunst 1919-1924, in: Gertrude CeplKaufmann/Gerd Krumeich/Ulla Sommers (Hg.): Krieg und Utopie. Kunst, Literatur und Politik im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, Essen 2006, S. 389-393, hier S. 392. 108 Vgl. Reinhart Koselleck: Kriegerdenkmale als Identitätsstiftungen der Überlebenden, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hg.): Identität, München 1979, S. 255-276, hier S. 272. 109 Vgl. Kristine Pollack: Das 39er Denkmal in Düsseldorf, in: Skulptur und Macht. Figurative Plastik im Deutschland der 30er und 40er Jahre, Eine Ausstellung im Rahmen des Gesamtprojekts der Akademie der Künste ›Das war ein Vorspiel nur…‹ vom 8. Mai-3. Juli 1983, Düsseldorf 1984, S. 155-157, hier. S. 155;vgl. zudem Susanne Brandt: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Denkmäler zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Düsseldorf, in: Jörg Engelbrecht/Clemens von Looz-Corswarem (Hg.): Krieg und Frieden in Düsseldorf. Sichtbare Zeichen der Vergangenheit, Düsseldorf 2004, S. 201-212, hier S. 203. 110 Vgl. Koselleck: Totenkult, S. 16. 111 Vgl. Saehrendt: Stellungskrieg, S. 91.

II. Veteranenbilder im Übergang

die Frage stellen, wie Denkmäler aussehen sollten, die von einer neu gegründeten Republik gestiftet wurden, welche den Weltkrieg nicht geführt hatte.112 Ein Denkmal ist, was als Denkmal gilt.113 Diese Formulierung Thomas Nipperdeys lässt sich ohne weiteres auf den Konstruktionsprozess des Veteranen übertragen: Ein Veteran ist, wer als Veteran gilt, und ein Denkmal, das die Veteranen des Kyffhäuserbundes repräsentieren sollte, musste in erster Linie die von ihnen vertretenen Erfahrungsdiskurse des Ersten Weltkrieges abbilden. Denkmäler waren ein Teil des Konstruktionsprozesses des Veteranen, da sie mehr Funktionen erfüllten als die eines einfachen Erinnerungs- oder Trauerortes. Sie stifteten zum einen der Erfahrungsgemeinschaft Sinn wie Identität und transportierten zum anderen eine bestimmte Sicht der Vergangenheit sowie ein Bild der Gruppe, die sie symbolisierten. So erklären sich die verschiedenen Kontroversen um die Denkmalskultur der Weimarer Republik. Denn eine prinzipielle Einigung über die Notwendigkeit eines entsprechenden Denkmals bedeutete noch lange nicht seine tatsächliche Umsetzung. Darüber hinaus waren Denkmäler nicht a priori mit Sinn aufgeladen. Ihre Sinnhaftigkeit wurde ihnen erst durch die Akteure und ihre Deutungen, durch soziale Praktiken sowie durch die von ihnen repräsentierten Erfahrungen zugeschrieben und konnte sich im Laufe der Zeit durchaus wandeln.114 Die Kriegs- und Kriegerdenkmäler des Ersten Weltkrieges waren in erster Linie verobjektivierte Erfahrungsdiskurse des Weltkrieges und historische Zeugnisse, in denen sich ein Bild des Vergangenen mit Gegenwartsdiagnosen verband. In ihnen kumulierten die steingewordenen Ideen verschiedenster Gruppierungen, und deren konkurrierende Deutungen der Vergangenheit standen sich mitunter bildhaft gegenüber. Viele der neu erbauten Weltkriegsdenkmäler fanden unter den Veteranen des Kyffhäuserbundes auf Anhieb keine Zustimmung, sondern riefen im Gegenteil heftige Ablehnung innerhalb der Erfahrungsgemeinschaft hervor. Vielfach sahen die Veteranen sich selbst und ihre Entbehrungen für das Vaterland im Krieg nicht angemessen repräsentiert. Wiederum andere Denkmalsprojekte – wie beispielsweise ein Reichsehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges – verließen nie die Planungsphase, obwohl sie ausdrücklich durch den Kyffhäuserbund befürwortet und von ihm in Zusammenarbeit mit dem Reichskunstwart unterstützt wurden.115

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Brandt: Das Sichtbare und das Unsichtbare, S. 204. Vgl. Nipperdey: Nationalidee, hier insbesondere S. 532. Vgl. Tacke: Denkmal, S. 18. Vgl. exemplarisch Peter Bucher: Die Errichtung des Reichsehrenmals nach dem ersten Weltkrieg, in: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 7 (1981), S. 359-386; und Ziemann: Veteranen der Republik, S. 191-227.

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2.1

Vom Kaiserreich zur Republik: Kyffhäuser-Denkmal und die Erinnerungskultur der 1920er Jahre

Das verbandseigene Kyffhäuser-Denkmal stellt einen Sonderfall dar. Neben den Kategorien des verwirklichten und abgelehnten sowie des erwünschten und nie verwirklichten Weltkriegsdenkmals bildete es zur Zeit der Weimarer Republik als bestehendes und umgewidmetes Kriegerdenkmal eine dritte Form. Auf Grund seiner Entstehungsgeschichte wies es weder eine rein lokale Anbindung noch einen eindeutigen Personenbezug auf. Hierdurch war es möglich, dass das Denkmal mit unterschiedlichen Bedeutungen über die Zeit hinweg aufgeladen werden und auch den Bruch sowie den politischen Systemwechsel von 1918 relativ unbeschadet überdauern konnte. Das Denkmal wurde zwischen 1888 und 1896 nach einem Entwurf des Architekten Bruno Schmitz erbaut; die rund 1,5 Millionen Mark an Baukosten brachten überwiegend private Spender auf. Stilistisch folgte es der für das Deutsche Kaiserreich klassischen Gestaltungsform als Denkmalsturm. Dieser überragte das an seinem Fuße stehende Reiterstandbild Wilhelms I., barg eine Ehrenhalle in sich und wurde mit der Kaiserkrone, dem Reichsadler sowie den Wappen der Bundesstaaten als Zeichen des neuen Reiches geschmückt. Der monumentale Turm (ca. 81 Meter) überragte die Landschaft als weithin sichtbares Symbol der Wehrhaftigkeit. Am Sockel des Turmes, am Fuß des Berges, tat sich vor dem Betrachter das alte Reich in einem natürlichen Felsenhof mit dem thronenden Barbarossa auf.116 Dieser griff auf die Sage des schlummernden Stauferkaisers Barbarossa zurück und stand beispielhaft für die Reichseinheitssehnsüchte des deutschen Volkes.117 Durch das Kaiser-Wilhelm-Denkmal im Mittelpunkt verknüpfte es schließlich die Herrscherhäuser der Staufer und der Hohenzollern sowie deren prominenteste Träger der Reichsidee miteinander und vollendete geschickt die Meistererzählung von der historischen Kontinuität der deutschen Nation vom mittelalterlichen Friedrich Barbarossa bis zum preußischen Wilhelm Barbablanca als dessen »Testamentsvollstrecker« (vgl. Abb. 6).118 Viel wichtiger war allerdings die symbolische Wirkung auf einer anderen Ebene: Das Kyffhäuser-Denkmal setzte den Schlussstrich unter eine fast zwanzig Jahre währende Auseinandersetzung und die Fragmentierung des deutschen Veteranenverbandswesens. Es war Zeichen der kameradschaftlichen Einigkeit der deutschen 116 117

118

Vgl. hierzu Mai: Kaiser-Wilhelm-Denkmal, S. S. 154-177; und Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 184-198. Zur Rezeption des Barbarossa-Mythos vgl. Kamilla G. Kaul: Friedrich Barbarossa im Kyffhäuser. Bilder eines nationalen Mythos im 19. Jahrhundert, Köln 2007; sowie Arno Borst: Barbarossas Erwachen – Zur Geschichte der deutschen Identität, in: Odo Marquard/Karlheinz Stierle (Hg.): Identität, München 1979, S. 17-60; und zuletzt Herfried Münkler: Die Deutschen und ihre Mythen, Reinbek bei Hamburg 2009, S. 37-68. Vgl. Mai: Kaiser-Wilhelm-Denkmal, S. S. 176.

II. Veteranenbilder im Übergang

Abbildung 6: Das Kyffhäuser-Denkmal im Harz um 1900, im Hintergrund die Ruine der Reichsfeste Kyffhausen.

Soldaten und zugleich steingewordener Ausdruck der neuen Einigung durch den Zusammenschluss der Kriegervereine im Kyffhäuserbund. Aufgrund dieser ambiguen inhaltlichen Aufladung entstanden nach 1918 keine interpretatorischen Probleme – so wurde es etwa nachträglich um Bismarck- und Hindenburgstatuen erweitert. Zwar sollte das Denkmal nach wie vor auch die tiefe Dankbarkeit gegenüber dem Reichseiniger und ersten deutschen Kaiser ausdrücken, doch kamen nun zeitlose Motive zum Tragen. Zu diesem Zweck wurde dem Kyffhäuser-Denkmal kurzerhand seine primäre Intention eines Barbarossa-und-Barbablanca-Denkmals entzogen und ihm der Status eines Denkmals für die deutsche Bevölkerung verliehen. Auf diese Weise gelang der Übergang von einem Denkmal für den deutschen Kaiser zu einem Kriegerdenkmal zu Ehren aller deutschen Soldaten und Gefallenen des Ersten Weltkrieges sowie zu einem Erinnerungsort für die viel beschworene Einigkeit der Nation im August 1914 über alle sozialen Grenzen hinweg. Zugleich sollte es ein »Volksdenkmal für das deutsche Volk in Waffen«119 sein, das die deutsche Gesellschaft ermahnte, die Einheit des Reiches zu erhalten. Vom KyffhäuserDenkmal ging also in der Gegenwart ein Aufruf zur Arbeit an der eigenen Zukunft vor dem Hintergrund des Vergangenen aus.120 Durch diese alternative Sichtweise 119 Engelfeld – »Das Kyffhäuser-Denkmal – was es uns ist«, in: Kriegerzeitung, 21.6.1921, S. 5f. 120 Vgl. ebd.; und Kyffhäuserbund (Hg.): Das Kaiser-Wilhelm-Denkmal auf dem Kyffhäuser, Berlin 4 1921, S. 3.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

konnte das Kyffhäuser-Denkmal seinen Charakter als Wallfahrtsort aller patriotisch gesinnten Deutschen und als Symbol der Abwehr auch nach dem Krieg wahren (vgl. Abb. 7) – sowohl gegen die vermeintlichen Reichsfeinde im Innern, als auch gegen eine äußere Welt in Waffen und voller Feinde.121 Verständlicherweise vertrat der Kyffhäuserbund bei Denkmalsneubauten, deren Ausgestaltung sowie der sie umgebenden Gedenkkultur klare Positionen und publizierte entsprechende Instruktionen, galten ihm Denkmäler doch als »Gedächtniszeichen«, die »einst der Nachwelt Prüfsteine unserer völkischen Kultur sein«122 werden. Man müsse sich daher im Klaren sein, dass selbst das »kleinste Mal, einen Beitrag unseres Volkes für das große Bilderbuch der Menschheit bedeutet.«123 Bei einer Denkmalssetzung waren erstens billige Materialen oder gar Massenware aus dem Katalog unbedingt zu vermeiden, denn dies wurde als eine zu unpersönliche und gedankenlose Ehrung der gefallenen Soldaten erachtet. Waren keine ausreichenden Geldmittel vorhanden, sollte stattdessen lieber eine kunstvolle Gedächtnistafel mit Inschriften als Ehrenzeichen etwa an Kirchen angebracht werden. Den Begriff des Denkmals galt es mit Blick auf die möglichen Ausführungsformen daher, nicht von vorn herein zu eng zu fassen. Zweitens sollte, egal, für welche Ausführung man sich entschied, das Projekt auf jeden Fall in die Hände eines fachkundigen Handwerkers, Architekten oder Künstlers gelegt werden. Drittens hatte man sich von der Devise leiten zu lassen, dass der Zweck und der Standort die Ausführung und das Material bestimmten, wenngleich auch die Auswahl der Lage wichtig war. Viertens sollte dringend davon Abstand genommen werden, Heldenhaine anzulegen, denn diese würden lange Zeit »aussehen wie Baumschulen.«124 Insgesamt aber sollten Schlichtheit und Einfachheit zum Leitmotiv erhoben werden: Das Kriegerdenkmal war weder unnötig aufwendig noch zu abstrakt zu gestalten, sondern musste dem Ernst der Zeit und der Würde des Gegenstandes angemessen sein.125 Wie diese Leitsätze ohne großen Aufwand umgesetzt werden konnten, machte der Hausarchitekt des Kyffhäuserbundes, der Berliner Kunstprofessor Hermann Hosaeus,126 mit seinen zahlreichen Projekten vor (vgl. Abb. 8).

121 122 123 124 125 126

Vgl. Westphal: Die Kriegervereine, S. 764. Ernst May – »Kriegerehrungen«, in: Kriegerzeitung, 23.11.1919, S. 3-6. Hermann Hosaeus – »Das Denkmal«, in: Kriegerzeitung, 21.11.1920, S. 5f. Ebd. Vgl. Ernst May – »Kriegerehrungen«; sowie Hermann Hosaeus – »Das Denkmal«. Hermann Hosaeus (1875-1958) lehrte seit 1918 erst als Dozent, dann als Professor für Architektur an der Fakultät für Bauwesen der Technischen Hochschule Berlin. Nebenberuflich betätigte er sich als Bildhauer und schuf im Auftrag des Kyffhäuserbundes nach dem Ersten Weltkrieg mehrere regionale Kriegerdenkmäler sowie 1939 das Hindenburg-Standbild als Erweiterung für das Kyffhäuser-Denkmal. Vgl. Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a.M. 2007, S. 268.

II. Veteranenbilder im Übergang

Abbildung 7: Der feste Wall gegen die Rote Flut; Abbildung 8: Kriegerdenkmal im Stil eines Epitaphs, eingelassen in einen Turm der mittelalterlichen Stadtmauer von Osnabrück.

Wie das Osnabrücker Kriegerdenkmal stellvertretend für weitere Denkmäler des Kyffhäuserbundes verdeutlicht, fehlte es dem Erfahrungs- und Bildrepertoire des Verbandes an Ausdrucksmöglichkeiten für das konkrete und industrialisierte Massensterben an den Fronten im Westen und Osten. Sein Bild zeigte den immer aufrechtstehenden und markanten Prototypen des deutschen Soldaten, gepflegt und in tadelloser Ausrüstung. Die Thematisierung von Hunger und Verwahrlosung, Angst und Verletzlichkeit oder gar des Sterbens sucht man indessen vergebens (vgl. hier bspw. auch Abb. 10 und 15). Wie sich im Vergleich zeigt, wandten sich auch andere Veteranenverbände schlichten Formen der plastischen Gestaltung von Erinnerung zu, die aber nicht minder mythologisch aufgeladen waren als die Vorkriegsdenkmäler (vgl. Abb. 9).127 Zugleich war eine solche Umsetzung der Denkmalsprojekte offensichtlich ganz im Sinne des Präsidiums des Kyffhäuserbundes, das sich widerwillig in die Belange seiner Kriegervereine einmischen musste, um diese, so nachvollziehbar ihm der Wunsch nach Erinnerung auch erschien, zum Sparen anzuhalten. Denn über den

127

Vgl. Michael Stolleis: Das Auge des Gesetzes. Materialien zu einer neuzeitlichen Metapher, in: Lothar Gall (Hg.): Jahrbuch des Historischen Kollegs (2001), München 2002, S. 15-43.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Abbildung 9: Ehrenmal des Reichbundes Jüdischer Frontsoldaten, Jüdischer Friedhof Köln-Bocklemünd.

Aspekt des Gedenkens, hieß es, dürfe die finanzielle Notlage und die Bedürftigkeit vieler Vereinsmitglieder und deren nächster Angehöriger nicht aus den Augen verloren werden. Man sollte daher auch in den einzelnen Vereinen – wie im Gesamtverband – nach dem Grundsatz handeln: Erst das Notwendige, dann das Nützliche und zuletzt das Schöne. Die aktuelle Situation sei nicht vergleichbar mit der von 1870/71. Man hätte einen vier Jahre dauernden Krieg geführt und diesen letztlich verloren. Die ungeheure Zahl an Kriegsversehrten und Kriegerhinterbliebenen stelle alles zuvor Bekannte in den Schatten. Durch die wirtschaftliche Notlage der Zeit seien insbesondere die Kriegsversehrten und Hinterbliebenen vielfach in arge finanzielle Bedrängnis geraten. Die soldatische Pflicht gegenüber den Vereinskameraden und ihren Familien gebiete es daher, dass die Vereine die Opfer des Krieges in den eigenen Kreisen nach besten Kräften unterstützten. Die Anschaffung teurer Fahnen für bis zu 10.000 Mark oder Umsetzung überambitionierter Denkmalsprojekte müsse vor diesem Hintergrund hintangestellt werden. »Wenn aber die Vereine anders handeln, dann zeigen sie, daß sie die Notwendigkeiten der Zeit noch nicht erkannt haben, nicht fortgeschritten, sondern in der Anschauung der Zeit vor dem Krieg stehengeblieben sind, und wie überall, so bedeutet Stillstand auch hier Rücktritt.«128

128

»Fahnenweihe und Denkmalsenthüllungen«, in: Kriegerzeitung, 1.9.1921, S. 2f.

II. Veteranenbilder im Übergang

Solange diese kameradschaftlichen Pflichten wahrgenommen wurden, hatte die Verbandsleitung aber nichts gegen Fahnenkäufe oder Denkmalssetzungen welcher Art auch immer einzuwenden.129 Diese Ermahnungen folgten jedoch auch dem Trend innerhalb des Kyffhäuserbundes, den klassischen Denkmalsgedanken hin zu immateriellen Formen des Gedenkens zu verlagern. »Es ist heute in dem arm gewordenen Deutschland keine Zeit, ein Denkmal um das andere aus Stein, Marmor und Kunstmetallen zu setzen. Das Denkmal der Erinnerung an die im Kriege Gefallenen sollen wir uns im eigenen Herzen selbst errichten. Um der Toten und ihrer Taten halber sollte ein jeder Deutsche in seinem Herzen ein Denkmal errichten. Ein Denkmal der Erinnerung an jene harte und doch so große Zeit. Es ist notwendig, daß unser Volk sich des unvergleichlichen Opfermutes bewußt bleibt, den die deutsche Bevölkerung in dem Weltkriege zeigte. Dieser Erinnerung an den Opfermut einer gesamten Bevölkerung aller deutschen Lande sei ein Denkmal in jeder einzelnen deutschen Brust errichtet.«130 Diese Sichtweise individualisierte den Akt des Gedenkens zwar stärker als gemeinschaftliche Denkmalsprojekte und festliche Einweihungsfeiern, korrespondierte aber mit der Meinung vieler Mitglieder des Kyffhäuserbundes. Auch ohne Denkmäler und konkrete Erinnerungsorte sollte der Einzelne die Möglichkeit wahrnehmen, das Andenken der Kriegstoten zu ehren. Das Sterben von fast zwei Millionen Soldaten durfte trotz der gegenwärtigen Sprachlosigkeit und der aktuellen Krise der traditionellen Denkmalskultur nicht in Vergessenheit geraten. Die Kriegserfahrungen waren in diesem Kontext das Vehikel einer erfahrungsbasierten, volkstümlichen Erinnerungskultur und formten einen Teil des immateriellen kulturellen Gedächtnisses der deutschen Nachkriegsgesellschaft.131 Auffällig ist, dass beim konkreten Akt des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg und des Trauerns um die Gefallenen versucht wurde, die Erinnerung an die Toten von der Erinnerung an die Niederlage im Weltkrieg zu entkoppeln und auf eine höhere Ebene zu transzendieren. Diese abstrakte Gedenkform verquickte zusehends sakrale mit mythisch-apotheotischen Elementen. In der verklärten lyrischen Erinnerung hatte das »graue, schlafende Heer« den Tod überwunden: »Sie heben sich auf und nieder,/Die klappernden Knochen auf und nieder,/Es klappt und klirrt, ein

129 Vgl. ebd. 130 Bnetz – »Das Denkmal«, in: Kriegerzeitung, 21.10.1921, S. 1f. 131 Zu dieser Thematik grundlegend ist Jan Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität, in: ders./Tonio Hölscher (Hg.): Kultur und Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1988, S. 9-19; sowie Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 5 2010; und Jay M. Winter: War beyond Words. Language of Rememberance from the Great War to the Present, Cambridge 2017.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Lärmen und Rufen/Und Drängen und Stoßen auf hölzernen Stufen,/Der Graben füllt sich, es füllt sich die Wehr/Mit den Brüdern vom wachenden Geisterheer.«132 Die Gefallenen entstiegen der Erde der Schlachtfelder, um sich abermals in den Schützengräben heldenhaft an der Seite der Kameraden zu bewähren und die Heimat vor den Feinden zu schützen. Solche Vorstellungen hingen in Teilen immer noch einem romantisch ästhetisierten Soldatenbild der Vorkriegszeit, mit Komponenten wie etwa Heldenmut oder Opferbereitschaft, nach und projizierten dieses auf eine lebensfrohe, dynamische Jugend voller Enthusiasmus, der Verwundung und Tod nicht anzusehen war und die sich vom äußeren Erscheinungsbild her nicht von den Lebenden unterschied (vgl. Abb. 10). Gleichzeitig illustrieren solche Darstellungen aber nur allzu deutlich die Suche nach Trost sowie nach Verarbeitungsmechanismen, um überhaupt mit dem massenhaften Kriegstod bisher ungekannten Ausmaßes umgehen zu können. Um ihrem Sterben weiterhin irgendeinen Sinn zu verleihen, wurden die Gräber der gefallenen Soldaten als das »Saatfeld der Ewigkeit«133 interpretiert, das vom Sieg des deutschen Heeres kündete. Diese Saatfelder und das Gedenken an die Toten des Weltkrieges wurden zur Grundlage für den Wiederaufbau der Nation. Die Erfahrungen des Krieges sollten darüber hinaus ein Vorbild für die Jugend sein und diese dazu aufrufen, sich aktiv und tatkräftig an dieser Arbeit für die Zukunft der deutschen Gesellschaft zu beteiligen.134

2.2

Gemeinsame Kriegserfahrungen? Die Kontroverse um das Reichsehrenmal

Die Ehrung der Gefallenen des Ersten Weltkrieges durch einen zentralen Gedenkort stand für alle Veteranenverbände der Weimarer Jahre ganz oben auf ihrer Agenda. So vielfältig das Spektrum an Verbänden verschiedenster politischer und gesellschaftlicher Couleur war, so unterschiedlich fielen auch ihre Ideen zum Standort, zur künstlerischen Ausgestaltung sowie symbolisch-ideologischen Aufladung eines zentralen Reichsehrenmals aus. Auch wenn der Kyffhäuserbund mit dem Denkmal auf dem Kyffhäuserberg bereits über einen verbandseigenen Erinnerungsort für die Kriegsgefallenen verfügte, engagierte er sich doch an vorderster Front in den Planungsgremien, die ab 1920 von offizieller staatlicher Seite initiiert sowie vom Reichskunstwart Edwin Redslob koordiniert und geführt wurden. Außer dem Kyffhäuserbund beteiligten sich auch alle anderen großen Veteranenverbände an dem Projekt, unter anderem das sozialdemokratische Reichsbanner-Schwarz-Rot-Gold,

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Vgl. Arthur Adler – »Geisterschlacht«, in: Kyffhäuser, 4.3.1928, S. 5. »Die Gedächtnisfeier des Kyffhäuser-Bundes im Dom zu Berlin«, in: Kriegerzeitung, 28.11.1920, S. 2f. Vgl. »Totensonntag«, in: Kriegerzeitung, 21.11.1920, S. 2-4; und »Die Gedächtnisfeier des Kyffhäuser-Bundes im Dom zu Berlin«.

II. Veteranenbilder im Übergang

Abbildung 10: Herbert Rothgängel – Geisterschlacht.

der nationalistisch-konservative Stahlhelm, der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, der Deutsche Offiziersbund oder die Vereinigung ehemaliger Kriegsgefangener.135 Diese bemerkenswerte Koalition von Verbänden zeigt eindrücklich, dass die Umsetzung eines zentralen Reichsehrenmals für alle beteiligten Verbände eine Angelegenheit darstellte, die über der (partei-)politischen Ausrichtung rangierte. Die Ehrung der im Krieg gestorbenen Kameraden war der kleinste gemeinsame Nenner, der die konkurrierenden Verbände an den Verhandlungstisch brachte. Darüber hinaus gestaltete sich eine konstruktive Zusammenarbeit jedoch schwierig, da die Verbände alle als Nachlassverwalter des Vermächtnisses der Gefallenen auftraten und beanspruchten, das Denkmal zu repräsentierende Veteranenbild federführend zu deuten. Zusätzlich erschwert wurde das Projekt durch die verschiedenen föderalen und staatlichen Institutionen und Gremien, die am Planungsprozess beteiligt werden mussten. Der endgültige Startschuss zum Projekt eines Reichsehrenmals fiel im Anschluss an einen Aufruf von Reichspräsident Friedrich Ebert und Reichskanzler Wilhelm Marx, die eine Idee Gustav Stresemanns aufgriffen und am 3. August 1924 135

Zur Diskussion um das Reichsehrenmal aus sozialdemokratischer Perspektive siehe Ziemann: Veteranen der Republik, S. 191-227.

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anlässlich einer Trauerfeier zum zehnten Jahrestag der Wiederkehr des Kriegsausbruches erneut die Errichtung eines zentralen Denkmals für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges forderten – zumal in den meisten anderen am Krieg beteiligten Nationen derartige zentrale Erinnerungsorte geschaffen worden waren.136 Der ursprüngliche, wenn auch noch etwas vage Entwurf sah eine monumentale Erinnerungssäule vor, die vornehmlich durch Spenden und Beiträge der Länder finanziert werden sollte. Grundsätzlich zeigten sich die größten Veteranenverbände des Reiches diesem Entwurf gegenüber offen, forderten allerdings mehr Mitspracherecht, wenn der Bau einer solchen Säule durch sie unterstützt werden sollte. Denn viel mehr als die Frage der architektonisch-ästhetischen Formgebung hatte für die beteiligten Verbände die Frage des Standortes oberste Priorität, was das Innenministerium als ausführende Behörde vor Probleme stellte. Die bürokratische Regelung der offiziellen Beteiligung der größten deutschen Veteranenverbände sowie offene Fragen der Finanzierung führten schließlich dazu, dass die konkreten Planungen erst Ende 1925 konzentriert weiterverfolgt werden konnten.137 Für das nach dem Weltkrieg neu geschaffene Amt des Reichskunstwartes in Person Edwin Redslobs war die Planung und Errichtung eines Reichsehrenmal einerseits eine der ersten Aufgaben, welche ihm die Weimarer Nationalversammlung zuwies.138 Andererseits sollte das Ehrenmal ein Projekt sein, das Redslob während seiner gesamten Amtszeit bis 1933 verfolgte und das er nie verwirklichen konnte, gelang es ihm doch nicht, die Empfindungen und Bedürfnisse aller beteiligten Parteien in einem umsetzungsfähigen Entwurf zu bündeln. Redslob Biographie selbst mag zudem Aufschluss darüber geben, warum er gerade diesem Projekt seine volle Aufmerksamkeit, Beharrlichkeit und Energie widmete: Denn Redslobs Vater Ernst diente nicht nur während des Deutsch-Französischen Krieges von 1870/71, sondern vertrat auch als Gesandter den Großherzoglich Sächsischen Krieger- und Militärvereinsbund in den Führungsgremien des gerade erst neu gegründeten Kyffhäuserbundes.139 136

137 138 139

Vgl. Benjamin Ziemann: Die deutsche Nation und ihr zentraler Erinnerungsort. Das ›Nationaldenkmal für die Gefallenen im Weltkriege‹ und die Idee des ›Unbekannten Soldaten‹ 19141935, in: Helmut Berding/Klaus Heller/Winfried Speitkamp (Hg.): Krieg und Erinnerung. Fallstudien zum 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2000, S. 67-91, hier S. 67f. Für einen zusammenfassenden Überblick siehe Rüdiger Haufe: Das Reichsehrenmal, in: Thüringen – Blätter zur Landeskunde 78 (2008), o. A. Vgl. Bucher: Errichtung des Reichsehrenmals, S. 359-361. Vgl. Christian Welzbacher: Edwin Redslob. Biografie eines unverbesserlichen Idealisten, Berlin 2009, S. 177. Diese Position hatte Ernst Redslob zwischen 1902 und 1910 inne, anschließend diente er nochmals während des Ersten Weltkrieges und befehligte dort eine Versorgungseinheit. Vgl. hierzu exemplarisch Kyffhäuserbund: 3. Geschäftsbericht. Jahr 1902, Berlin 1902, S. 61; sowie ferner Welzbacher: Redslob, S. 17-19.

II. Veteranenbilder im Übergang

Das größte Problem stellte sich Redslob jedoch gleich zu Anfang seiner Arbeit: Mehrere Veteranenverbände – zum harten Kern zählten der Kyffhäuserbund, das Reichsbanner-Schwarz-Rot-Gold, der Stahlhelm sowie der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten140 – drängten darauf, unmittelbar an der Planung des Projektes beteiligt zu werden, und forderten als Interessenvertreter der ehemaligen Frontsoldaten ein Mitspracherecht ein. »Die Angelegenheit des Reichsehrenmals verträgt keine Vertagung mehr. Die Frontkämpfer, welche Schulter an Schulter mit den Gefallenen den gigantischen Kampf ausfochten und Freud und Leid mit den Gefallenen teilten, haben wohl das erste Anrecht, maßgeblich gehört zu werden.«141 Wollten der Reichskunstwart und Reichsinnenminister Wilhelm Külz (DDP) diesem Drängen nachgeben, mussten sie davon absehen, wie sich die beteiligten Verbände gegenüber der Republik politisch positionierten: Um die Utopie einer verbindenden gemeinsamen Vergangenheit verwirklichen zu können, musste die tagespolitische Realität der Weimarer Republik möglichst ausgeblendet werden. Ferner musste Redslob abwägen, wie ein Denkmal aussehen sollte, das eine Republik in Auftrag gab, die nicht für den Ausbruch des Weltkrieges verantwortlich war und in vielen Teilen der Gesellschaft nicht ohne weiteres akzeptiert wurde. Somit verstrichen für den Reichskunstwart die ersten fünf Jahre mit reiner Organisationsarbeit.142 In dieser Zeit gingen bei Redslob unzählige Vorschläge für den Standort und die Formgebung ein, darunter auch ein Vorschlag des Kyffhäuserbundes für eine Ehrenhalle unter den Felsen des Kyffhäusers.143 Schließlich kristallisierten sich drei mögliche Standorte für das Ehrenmal heraus: erstens der Rhein beziehungsweise eine der vielen Rheininseln wie etwa Grafenwerth, zweitens ein Standort im Großraum Berlin oder drittens ein Ort in den deutschen Mittelgebirgen.144 Redslob selbst favorisierte ein Waldstück bei Bad Berka, das unweit seiner eigenen Heimatstadt Weimar lag und seit jeher durch die Anknüpfung an alte germanische und 140 Vgl. BArch Berlin, R 32/357, Reichskunstwart, Zusammenarbeit mit Verbänden und Institutionen, Bl. 19: Schreiben des Reichsinnenministers an Redslob vom 16. März 1926 betr. der Verbände, die in die Entscheidungsfindung miteinbezogen werden sollten. 141 Fritz Hilpert: Das Reichsehrenmal und die Frontkämpfer. Nach authentischem Material der Frontkämpferverbände Reichskriegerbund Kyffhäuser, Reichsbanner, Stahlhelm und Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Berlin 1927, S. 8. 142 Vgl. Welzbacher: Redslob, S. 177. 143 Vgl. Bucher: Errichtung des Reichsehrenmals, S. 362. 144 Welzbacher: Redslob, S. 178; sowie Saehrendt: Stellungskrieg, S. 128. Offizielle Stellen und auch Hindenburg selbst präferierten Berlin als Standort. Bei einer Besprechung zwischen Hindenburg und Vertretern der größten Veteranenverbände am 12. Februar 1926 sieht dieser jedoch von seiner Präferenz für Berlin ab und stimmt dem Projekt eines Ehrenhains außerhalb der Hauptstadt zu.

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deutsche Sagen mythisch aufgeladen worden war. Das Reichsbanner Schwarz-RotGold und der Stahlhelm sprachen sich in einer ersten Reaktion ungewohnt einmütig gegen den Standort Berlin und für die Erschließung eines »Heiligen Gebietes«145 im Herzen Deutschlands aus und forderten zudem, dass das Reichsehrenmal »durch eine Reihe von Gesetzen und Bestimmungen […] vor jeder Beschädigung und Entweihung zu schützen« sei.146 Diesem Votum schlossen sich der Kyffhäuserbund sowie der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten an.147 Die Vertreter der vier Verbände waren sich einig – ohne dass konkrete Vorschläge zu Formgebung und Finanzierung, Bau oder Umsetzung des Ehrenmals gemacht worden waren –, dass »lediglich die Errichtung eines Ehrenhaines […] an einer leicht zugänglichen Stelle in Mitteldeutschland« infrage käme. Sie baten den Reichskunstwart zudem, das Bauprojekt schleunigst voranzutreiben.148 Jedoch gerieten ab diesem Zeitpunkt die Planungsarbeiten abermals ins Stocken. Nachdem Bad Berka Anfang des Jahres 1926 durch Innenminister Külz offiziell zum Standort für das Reichsehrenmal auserkoren worden war, musste die Bewilligung des Projektes wegen Finanzierungsschwierigkeiten, abermaligen Standortkontroversen sowie politischen Spannungen im Reichstag immer wieder vertagt werden. Bei den Veteranenverbänden machte sich daher bald eine gewisse Ungeduld mit den politischen Entscheidungsträgern breit. In einer öffentlichen Eingabe der beteiligten Verbände an den Reichstag hieß es etwa: »Deutschlands Herz schlägt in seinen Wäldern, so sei auch die Erinnerung an die Toten des großen Krieges diesem Herzen anvertraut.«149 Diese markante symbolische Aufladung der Denkmalsumgebung rekurrierte auf die Ideen sowie Traditionen der Denkmalsbewegungen 19. Jahrhunderts. Sie gab der Präferenz der Verbände für einen Ehrenhain als einem Ort der stillen Kontemplation und Einkehr anstelle eines metropolitanen Standortes – wie etwa der Neuen Wache in der Reichshauptstadt – Ausdruck. Durch diese Standortwahl sollten Anknüpfungspunkte für eine erneute Einigung der deutschen Nation durch die Rückbesinnung auf eine mythische Vergangenheit geschaffen werden, wie sie bereits in anderen Denkmalsprojekten der 145

BArch Berlin, R 32/357, Reichskunstwart, Zusammenarbeit mit Verbänden und Institutionen, Bl. 13: Eingabe des Bundesführers des Stahlhelms an den Reichsminister des Innern vom 9. Dezember 1925 betr. »Standort eines Reichsehrenmals«. 146 Vgl. ebd., Bl. 6: Der Bundesvorstand des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an das Reichsministerium des Innern vom 10. Dezember 1925 betr. »Standort eines Reichsehrenmals«; sowie ebd., Bl. 10f.: Denkschrift des Stahlhelms vom Oktober 1925 bezgl. des Standortes eines Reichsehrenmals. 147 Vgl. ebd., Bl. 14: Schreiben des Reichsministers des Innern an verschiedene Stellen betr. der Errichtung eines Nationaldenkmals für die Gefallenen im Weltkriege vom 2. Januar 1926. 148 Ebd., Bl. 15: Protokoll einer Besprechung zwischen Vertretern des Stahlhelms, des Reichsbanners, des Reichsbundes jüdischer Frontsoldaten und des Kyffhäuserbundes vom 29. Dezember 1925 betr. »Standort eines Reichsehrenmals«. 149 Hilpert: Das Reichsehrenmal und die Frontkämpfer, S. 8.

II. Veteranenbilder im Übergang

Vorkriegszeit angelegt waren: Ihre Träger sahen in der Region und der urwüchsigen Natur einen Spiegel der deutschen Nation und ihrer Seele.150 Bei einer Besprechung des Reichsinnenministers am 10. August 1926 mit dem Reichsverband Deutscher Kriegsbeschädigter, dem Deutschen Offiziersbund, der Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener, dem Bund erblindeter Krieger, dem Kyffhäuserbund sowie dem Zentralverband der Kriegsbeschädigten betonte der Kyffhäuserbund nachdrücklich, dass der Rhein für den Verband als Standort indiskutabel sei und er ein Hainprojekt in Mitteldeutschland nach wie vor favorisieren würde. Bei einem anderen Standort würde sich der Kyffhäuserbund unmittelbar aus dem Projekt zurückziehen. Daher drängte er wieder mit Nachdruck darauf, dass zumindest die Standortwahl endgültig geklärt werden sollte.151 Zusätzlicher Handlungszwang entstand durch die für 1927 geplante Einweihung des in seinen Grundzügen fertiggestellten Tannenberg-Denkmals in Ostpreußen. Insbesondere für die Weimarer Republik wäre es eine herbe Niederlage gewesen, wenn das durch private Spenden finanzierte Monument des militaristischen Revisionismus, dem republikanisch-demokratischen Denkmalsprojekt den Rang als Ehrenmal für die Weltkriegssoldaten abgelaufen hätte. Schließlich mischte sich Reichspräsident Hindenburg persönlich in die Diskussion ein152 und sprach sich noch einmal ausdrücklich für Bad Berka aus. Als Lösung für die andauernden Umsetzungsprobleme wurde eine im Reichsinnenministerium angesiedelte Stiftung ins Leben gerufen, der außer Mitgliedern der Reichsregierung auch Vertreter der Soldatenverbände angehörten. Allerdings konnte die Stiftung auf Grund der Weltwirtschaftskrise ihre Arbeit erst im April 1931 aufnehmen. Mitten in der Krise kam es dann allen ökonomischen Zwängen zum Trotz zu einer ersten Ausschreibung für Denkmalsentwürfe. Da der Ausschreibungstext jedoch keine exakten Gestaltungsvorgaben machte und den einreichenden Künstlern weitgehende Freiheiten einräumte, konnte man sich bis Ende 1932 nicht auf einen finalen Entwurf einigen (als Gestaltungsbeispiel vgl. Abb. 11).

150 Vgl. Tacke: Denkmal, S. 63-76; und Reinhard Alings: Monument und Nation. Das Bild vom Nationalstaat im Medium Denkmal – zum Verhältnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871-1918, Berlin 1996, S. 467-491; ferner Wolfgang Hardtwig: Nation – Region – Stadt. Strukturmerkmale des deutschen Nationalismus und lokalen Denkmalskulturen, in: Gunther Mai (Hg.): Das Kyffhäuser-Denkmal 1896-1996. Ein nationales Monument im europäischen Kontext, Köln 1997, S. 53-83. 151 BArch Berlin, R 32/357, Reichskunstwart, Zusammenarbeit mit Verbänden und Institutionen, Bl. 120f.: Protokoll über die auf Veranlassung des Herrn Ministers erfolgte Besprechung mit den Teilnehmern der mit der Frage der Kriegsopfer beschäftigten Verbände am 10. August 1926. 152 Vgl. BArch Berlin, R 32/357, Reichskunstwart, Zusammenarbeit mit Verbänden und Institutionen, Bl. 16f.: Eingabe an Reichspräsident Hindenburg vom 26. Januar 1926.

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Abbildung 11: Das Reichsehrenmal im Stil der Neuen Sachlichkeit, Luftansicht.

Auch der Kyffhäuserbund schien inzwischen der Verhandlungen müde geworden zu sein und zog sich endgültig aus dem Projekt zurück. Er dürfte die Hoffnung aufgegeben haben, dass es bei den Streitigkeiten um das Reichsehrenmal zeitnah zu einer Lösung kommen würde. So schien er – zumindest temporär – das 1927 offiziell eingeweihte Tannenberg-Denkmal in Ostpreußen als alternatives Nationaldenkmal und als zentralen Gedenkort für die gefallenen Weltkriegssoldaten akzeptiert zu haben. Im Zentrum der Anlage befand sich ein von einem Kreuz gekrönter, symbolischer Grabhügel, stellvertretend für alle Toten des Ersten Weltkrieges. Umschlossen wurde der Innenhof von einem Oktogon, in dessen Seiten jeweils ein Turm errichtet worden war. Das Tannenberg-Denkmal wies somit die stilisierten Charakteristika einer mittelalterlichen Wehranlage auf, einer steingewordenen Mahnung an die ehemaligen Feinde und neuen Nachbarn im Osten des Reiches (vgl. Abb. 12).153 Für den Kyffhäuserbund umgab das Denkmal unmittelbar eine Aura des Sakralen, wie sein Bericht über die pathetischen Einweihungsfeierlichkeiten am 18. September 1927 verdeutlicht: »Ernst die Stimmung, ernst die Landschaft, in der aufragt das Denkmal! Weite Höhen, kahle Stoppelfelder, dunkle Tannenwälder ringsum! Und inmitten der 153

Tannenberg als Erbauungsort hatte eine doppelte Bedeutung: 1410 war das Heer des Deutschen Ordens von polnisch-litauischen Verbänden vernichtend geschlagen worden. Diese ›deutsche‹ Niederlage sollte nun ob des Sieges in der Tannenbergschlacht 1914 und der Errichtung des Denkmals in den Hintergrund treten. Vgl. Eschebach: Gedenken, S. 65-74.

II. Veteranenbilder im Übergang

Bau, gewaltig, trotzig, ein ›steinernes Dennoch‹! Zu seinen Füßen wir, Ostpreußen, Deutschland, eins in Dankbarkeit, eins in Verehrung, eins in Trauer um die, die auf diesen Feldern litten und starben.«154

Abbildung 12: o. A. – Tannenberg-Denkmal, im Vordergrund Kriegsgräber gefallener russischer Soldaten, ca. 1930

Den Anfang machten die Ehrenkompagnien der Kriegervereine, die in geschlossener Formation in das zwingburgartige Denkmal mit seinen trutzigen Türmen Einzug hielten. Dort erwarteten sie die zerschossenen und zerfetzten Fahnen und Feldzeichen der kaiserlichen Armee als Symbole für »Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerung und Hoffnung!«155 Geadelt wurde der Festakt durch die Anwesenheit aller hochrangigen militärischen Repräsentanten des alten politischen Systems, an ihrer Spitze Paul von Hindenburg in seiner Doppelfunktion als ehemaliger Generalfeldmarschall des Ersten Weltkrieges und Held von Tannenberg sowie amtierender Reichspräsident der Weimarer Republik. Hindenburg beschwor in einer feierlichen Ansprache die tiefe Dankbarkeit an die toten Mitkämpfer des Krieges und mahnte das deutsche Volk zur Einigkeit über alle Parteigrenzen hinweg.156 Weiterhin führte er aus:

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Albert Lehsten – »Am Denkmal von Tannenberg«, in: Kyffhäuser, 25.9.1927, S. 4. Ebd. Vgl. ebd.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

»Das Tannenberg-Nationaldenkmal gilt in erster Linie dem Gedächtnis derer, die für die Befreiung der Heimat gefallen sind. Ihr Andenken, aber auch die Ehre meiner noch lebenden Kameraden verpflichtet mich dazu, in dieser Stunde und an dieser Stätte feierlich zu erklären: Die Anklage, daß Deutschland schuld sei an diesem größten aller Kriege, weisen wir, weist das deutsche Volk in allen Schichten einmütig zurück! […] Reinen Herzens sind wir zur Verteidigung des Vaterlandes ausgezogen und mit reinen Händen hat das deutsche Heer das Schwert geführt.«157 Durch diesen Akt materialisierte sich der Mythos von der siegreichen Schlacht in einem Denkmal, in dem fürderhin die Erinnerung an die gefallenen Soldaten mit dem Narrativ des im Felde unbesiegten Heeres sowie dem Kult um dessen vergötterten Führer miteinander verschmolzen.158 Nach der Dolchstoßlegende wurde auch das Narrativ der Kriegsschuldlüge öffentlich und von höchster Stelle sanktioniert und konnte ein Teil der offiziellen Weimarer Erinnerungskultur werden. Hindenburgs Funktion als erster politischer Repräsentant des Reiches trat in dieser Situation vollends hinter seine Rolle als Feldmarschall des Weltkrieges zurück: Er sprach nicht der Reichspräsident zum Volk, sondern der Soldat zu seinen Kameraden (vgl. Abb. 13). Das Tannenberg-Denkmal wurde dementsprechend vom Kyffhäuserbund angepriesen, und er warb stark für patriotische Wallfahrten dorthin: Durch die Jugendherbergen in den Türmen des Denkmals sowie einen angeschlossenen Sportplatz erhalte das Denkmal einen »lebendigen Wert« für Jugendliche, die »hier an geweihter Stätte auf historischem Boden an die Heldentaten ihrer Väter erinnert werden [sollten].« Darüber hinaus gebe es, »abgesehen vom Denkmal und dem Schlachtfeld mit seinen zahlreichen schönen Heldenfriedhöfen« auch viele andere Sehenswürdigkeiten. Es sei daher für jeden »nationalgesinnten Deutschen […] eine Ehrenpflicht, […] eine Wallfahrt zum Tannenberg-Nationaldenkmal zu unternehmen.«159 Diese Meinung teilten jedoch nicht alle Veteranen. Gerade republiktreue Kräfte wie das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold oder der Reichsbund jüdischer Frontsoldaten blieben der Einweihung demonstrativ fern, da sie keine Statisten in einer

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159

Zitiert nach Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender: Neue Folge 43 (1927), München 1928, S. 153. Vgl. Frithjof Benjamin Schenk: Tannenberg/Grunwald, in: Etienne Francois/Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte. Band I, München 2001, S. 438-454, hier S. 448-450; siehe weiterhin Wolfgang Wippermann: Die Geschichte des ›Reichsehrenmals Tannenberg‹. Ein historisches Lehrstück, in: Niemandsland. Zeitschrift zwischen den Kulturen 1 (1987), S. 5869. »Wallfahrten zum Tannenberg-Nationaldenkmal«, in: Kyffhäuser, 20.05.1928, S. 10.

II. Veteranenbilder im Übergang

Abbildung 13: Einweihungsfeier des Tannenberg-Denkmals, 18. September 1927

nationalistischen Inszenierung sein wollten, in dessen Mittelpunkt nicht das Gedenken der toten Soldaten stand, sondern eine als heldenhaft verklärte Interpretation der Vergangenheit, die sie nicht teilten (vgl. exemplarisch Abb. 13). Dadurch verstärkten sie allerdings nur den antirepublikanisch-reaktionären Tenor der Veranstaltung.160 Mit der partiellen Akzeptanz des Tannenberg-Denkmals als alternatives Reichsehrenmal etablierte sich unter den deutschen Veteranen endgültig ein Erinnerungsdualismus. Dieser Dualismus zeigte einerseits die Grenzen der Kooperationsbereitschaft der verschiedenen Verbände entlang der Trennungslinien der politischen und ideologischen Lager auf. Andererseits zeugte er von einer zutiefst gespaltenen Sichtweise auf die Vergangenheit des Weltkrieges und die Gegenwart der Republik: Die Pluralität der Erfahrungsdiskurse, die sich gegen Ende der 1920er Jahre immer deutlicher entfaltete und durch welche der Weltkrieg wahlweise zur positiven oder negativen Identitätsstiftung herangezogen werden konnte, machte eine einheitliche inhaltliche sowie symbolische Ausgestaltung der Erinnerungskultur unmöglich. Letztlich setzten sich die Kriegserfahrungen in den Diskursen um den Ersten Weltkrieg durch, die eine siegreiche Vergangenheit beschworen, und nicht jene, die auf die Auseinandersetzung mit der Niederlage pochten.

160 Vgl. Jesko von Hoegen: Der Held von Tannenberg. Genese und Funktion des HindenburgMythos, Köln 2007, S. 286-289; und Anna Von der Goltz: Hindenburg. Power, Myth and the Rise of the Nazis, Oxford 2009, S. 126-128.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Am Ende brachte die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Februar 1933 das endgültige Aus für ein Reichsehrenmal in Mitteldeutschland, da sich zuerst die am Projekt beteiligten Veteranenverbände aus der Stiftung zurückzogen und Hitler nach der Beisetzung Hindenburgs in der Gruft des Tannenberg-Denkmals 1934 dieses kurzerhand zum Nationaldenkmal für die Gefallenen des Weltkrieges erklärte.161 Der Kyffhäuserbund konnte sich hiermit bestens arrangieren. Tannenberg war kein reiner Trauerort, sondern ein Zeichen des Sieges, ein sakraler Erinnerungsort, in dem die unter den Veteranen idealisierten Kriegserfahrungen der soldatischen Wehrhaftigkeit mit dem unbedingten Aufopferungswillen für das Vaterland verschmolzen. Letztlich schloss sich der Kyffhäuserbund dem im TannenbergDenkmal repräsentierten Bild des siegreich kämpfenden Soldaten an, der ohne zu zögern für sein Vaterland den glorreichen Heldentod sterben würde. Tannenberg wurde kurzer Hand zum neuen Nationaldenkmal und dem zentralen Ort eines nationalen Totenkultes erhoben. Das Denkmal trieb die plastische Abstraktion der gefallenen Kameraden und toten Soldatenkörpern architektonisch auf die Spitze und blieb so in viele Richtungen hin anschlussfähig. Die hier zelebrierte Erinnerung war jedoch in erster Linie nicht die einer stillen Einkehr und Trauer über die toten Kameraden, sondern wiederum die Heroisierung einer vermeintlich heldenhaften Vergangenheit. Die Kontroversen und Verzögerungen beim Bauprojekt Reichsehrenmal halfen den politischen Verantwortlichen im Reichsinnenministerium indes nicht, das Vertrauen der Veteranen in die Republik und deren Handlungsfähigkeit zu stärken. Diese waren auf der Suche nach einem für sie adäquaten Vergangenheitsbild, das zudem noch ihr eigenes Selbstbild unterstützte, längst weitergezogen. So umgingen sie abermals das Problem, einen visuellen Ausdruck dafür finden zu müssen, wie die Niederlage zu bewältigen sei.

2.3

Avantgardistischer Heroismus und ›steinernes Unglück‹: das ›39-Denkmal‹ in Düsseldorf

Die Suche nach einer angemessenen Bildsprache bei der Umsetzung von Kriegsdenkmälern beziehungsweise von Ehrenmalen für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges war ein mitunter schwieriger und langwieriger Prozess, in dem den unterschiedlichsten Ansichten und Befindlichkeiten Rechnung getragen werden musste. Selten herrschte unter den ehemaligen Kriegsteilnehmern jedoch so großer Konsens, wie in der leidenschaftlichen Ablehnung des Ehrenmals für die Veteranen des

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Vgl. Christian Fuhrmeister: Im Einsatz für das Reich bei Tag und Nacht. Edwin Redslobs Bemühungen um das ›Reichsehrenmal‹, in: Christian Welzbacher (Hg.): Der Reichskunstwart. Kulturpolitik und Staatsinszenierung in der Weimarer Republik von 1918-1933, Weimar 2010, S. 217-231.

II. Veteranenbilder im Übergang

ehemaligen Niederrheinischen Füsilierregiments Nr. 39 in Düsseldorf.162 Konnten sich die Veteranenverbände auf der einen Seite bei vielen Denkmalsprojekten nur schwer auf einen gemeinsamen Entwurf einigen, war es auf der anderen Seite umso klarer, welche Formgebung von ihnen nicht akzeptiert werden konnte. Interessanterweise ging die Initiative für das Düsseldorfer Ehrenmal in diesem Fall nicht von höchsten staatlicher Stellen, sondern von Veteranen des Regiments selbst aus. Nach dem Waffenstillstand von 1918 wurde das Niederrheinische Füsilierregiment Nr. 39 zuerst demobilisiert und schließlich aufgelöst, da Düsseldorf nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages in der entmilitarisierten Zone östlich des Rheins lag. Kurz zuvor hatte es noch im Oktober 1918 zu Ehren seines ehemaligen Kommandanten den Beinamen General Ludendorff erhalten. Erst 1925 entstanden die ersten Kriegervereine aus ehemaligen Angehörigen des Regiments und begannen Anfang 1926 sogleich, die Planungen für ein Denkmal in Düsseldorf voranzutreiben. Binnen eines Jahres wurden hierfür Spenden in Höhe von rund 27.000 RM gesammelt.163 Außerdem richtete der Verein einen Denkmalsausschuss ein, der für die Formgebung und Umsetzung des Denkmals verantwortlich zeichnete. Im Herbst 1927 startete schließlich die Ausschreibung, und bis Dezember desselben Jahres gingen insgesamt 83 Entwürfe ein. Da diese entweder nicht den Vorstellungen der Preisrichter entsprachen oder für den gewählten Standort im Düsseldorfer Hofgarten ungeeignet erscheinen, konnte keiner der eingereichten Beiträge überzeugen. Die Jury entschloss sich daher, keinen ersten Preis zu verleihen, gab aber doch dem Düsseldorfer Bildhauer Jupp Rübsam164 den Zuschlag für seinen Entwurf, da dieser laut Preiskomitee »die Idee eines Kriegerdenkmals stark und rein

162

Siehe hierzu Christa-Maria Zimmermann: Das 39er Denkmal – Eine Dokumentation, Düsseldorf 1978, S. 1. 163 Vgl. Pollack: 39er Denkmal, S. 155. 164 Jupp Rübsam (geb. 1896) unterbrach im Sommer 1914 seine Ausbildung und meldete sich als Kriegsfreiwilliger. Er wird als Achtzehnjähriger Soldat in eben jenem Düsseldorfer Füsilierregiment Nr. 39, für das er sein Ehrenmal entwirft. Rübsam wurde als Meldegänger an der Westfront stationiert, geriet jedoch bereits 1915 in französische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst nach Ratifizierung des Versailler Vertrages 1920 nach Düsseldorf zurückkehrte. Dort stieß er zur aufstrebenden Künstlergruppe Junges Rheinland. Vgl. hierzu Jutta Pitzen: ›Ich habe immer geformt‹. Jupp Rübsam – Bildhauer am Niederrhein, in: dies. (Hg.): Jupp Rübsam. 1896-1976, Krefeld 1991, S. 35-104, hier S. 36-43. Nach der Enthüllung seines Denkmals sah sich der Künstler allerhand Anfeindungen ausgesetzt, die in der Behauptung gipfelten, Rübsam könne die wirklichen Empfindungen der ehemaligen Frontkämpfer nicht nachvollziehen, da er selbst nicht am Krieg teilgenommen habe. Siehe Pitzen: Rübsam, S. 37; ferner Gerd Krumeich: Denkmäler zwischen Mahnmal und Schandmal, in: Jörg Engelbrecht/Clemens von Looz-Corswarem (Hg.): Krieg und Frieden in Düsseldorf. Sichtbare Zeichen der Vergangenheit, Düsseldorf 2004, S. 219-230, hier S. 226. Diese Form der Diskreditierung war in den 1920er Jahren ein weit verbreitetes Motiv. Vgl. hierzu Pöppinghege: Kriegsteilnehmer.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

zum Ausdruck« bringe und zudem »eine einwandfreie rein plastische Lösung«165 sei. Auch der Denkmalsausschuss beschloss einstimmig den Ankauf und die Umsetzung des Ehrenmals, so dass 1928 mit den Bauarbeiten begonnen und die Einweihungsfeier auf den symbolträchtigen Sedantag (2. September) des Jahres gelegt werden konnte.166 Nach der Enthüllung des Denkmals entbrannte allerdings eine Kontroverse, die wohl keines der beteiligten Ausschussmitglieder sowie der Künstler selbst vorausgesehen hatte. Denn Rübsams Entwurf brach gezielt mit klassischen Denkmalsformen der Vorkriegszeit und folgte einem für damalige Verhältnisse avantgardistischem Kunstverständnis, das den Idealen des Jungen Rheinlands entsprach.167 Sein Innere Festigung betiteltes Werk maß vier mal acht Meter im Grundriss sowie vier Meter in der Höhe und war aus Basaltlava modelliert. Auf dem Sockel zeigte es zwei, zu Sphinxen stilisierte, liegende Soldaten, die Ellenbogen aufgestützt, die Unterarme sowie die Beine flach ruhend. Der linke Soldat trug einen Stahlhelm, der rechte einen Kopfverband. Hiervon abgesehen waren keine soldatischen oder militärischen Attribute erkennbar. Die beiden Figuren reichten sich im Liegen die Hände; die Sockelinschrift erinnerte an die Gefallenen des 39. Niederrheinischen Füsilierregiments General Ludendorff (vgl. Abb. 14). Außer der offensichtlichen Verwunderung, welche die Enthüllung hervorrief, erhielten die Feierlichkeiten einen weiteren Dämpfer: Mit Erich Ludendorff fehlte der prominenteste Gast und Namensgeber des Regiments, der es demonstrativ abgelehnt hatte, an der Veranstaltung teilzunehmen.168 Somit geriet die Einweihungsfeier zu einer recht betrüblichen Veranstaltung. Die Auseinandersetzung um die Interpretationshoheit über das Denkmal und die hiermit verknüpften Diskussionen um eine akkurate Darstellung der ehemaligen Frontsoldaten, die symbolische Umsetzung ihrer soldatischen Werte sowie der allgemeinen künstlerischen Angemessenheit sollte aber erst beginnen. Insbesondere Ludendorff selbst befeuerte mit seinen mehr als ablehnenden Kommentaren die Debatte um das 39erDenkmal. Seiner Kritik schlossen sich schnell auch völkisch-nationale Kreise und

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Heinz Schmidt-Görtz: ›Wir bauen euch ein Mal…‹, in: P. Herbrand (Hg.): Gedenkschrift zur Einweihung des Ehrenmals der Gefallenen des Füselierregiment General Ludendorff (Niederrheinisches) No. 39 sowie seiner Kriegsformationen Reserve-Infanterie-Regiment No. 39 und Landwehr-Infanterie-Regiment No. 39 verbunden mit Regimentsappell sämtlicher ehemaliger 39er Füsilier-Reserve- u. Landwehr-Regt. 39 in Düsseldorf am 1. – 2. Sept. 1928, Düsseldorf 1928, S. 4. 166 Vgl. Pitzen: Rübsam, S. 56-59. 167 Vgl. Stephan von Wiese: Gert H. Wollheim. Kunst und Politik im Umkreis des ›Jungen Rheinland‹, in: Gertrude Cepl-Kaufmann/Gerd Krumeich/Ulla Sommers (Hg.): Krieg und Utopie. Kunst, Literatur und Politik im Rheinland nach dem Ersten Weltkrieg, Essen 2006, S. 84-92. 168 Vgl. Pitzen: Rübsam, S. 60.

II. Veteranenbilder im Übergang

Abbildung 14: Einweihungsfeier des Ehrenmals Innere Festigung am 2. September 1928

andere Medien an. So schrieb Ludendorff in einem an die Presse lancierten Protestbrief an den Düsseldorfer Oberbürgermeister Robert Lehr (DNVP): »Das Denkmal stellt eine derartige Verhöhnung der Helden des Weltkrieges und der gefallenen Helden meines Regimentes dar, daß ich meinen guten Deutschen Namen von weltgeschichtlichem Klang nicht mit diesem Denkmal dadurch in Zusammenhang gebracht sehen will, daß er auf der Stirnwand des Unterbaues, auf dem die viehischen Rohlinge liegen, angebracht ist. […] Ich bitte meinen Namen zu entfernen.«169 Auch in seinen Lebenserinnerungen ließ der ehemalige General seiner Kritik ungezügelt freien Lauf und demonstrierte den Lesern seine Sicht der Dinge rund um die Denkmalsenthüllung: »Auf Rat meiner Frau ließ ich nun aber im August noch rechtzeitig Photographien des Denkmals schicken und erkannte nun in ihm eine grauenvolle Verhöhnung soldatischen Heldentums. Die beiden liegenden Rohlinge im feldgrauen Rock waren plumpe, niederrassische Halbtiere, geeignet, den Soldaten des alten Heeres und Soldatentum und Heldenverehrung an der Westgrenze des Reiches im Sinne jüdischer Weltanschauung herabzusetzen […]. Wie hätten sich die überstaatlichen Mächte gefreut, wenn ich die Enthüllung des Düsseldorfer Denkmals vorge-

169 Düsseldorfer Stadt-Anzeiger, 16.10.1928.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

nommen und dabei mit ihm zusammen abgebildet wäre. Ich sagte also die Feier ab. Auch dieser Streich war mißglückt. […] Es dauerte sehr lange, bis ich durchdrang. Erst allmählich öffneten sich auch die Augen der Kameraden. An dem Widerstand aber, den ich immer wieder auch bei der Stadt fand, konnte ich erkennen, wie wichtig den überstaatlichen Mächten dieses Denkmal war.«170 In der Tat entfaltete sich nach der Enthüllung von Rübsams Innerer Festigung eine breite überregionale Diskussion, die im Kern die Frage zum Gegenstand hätte, wie eine angemessene Darstellung soldatischer Kriegserfahrungen aussehen müsste. Das Hauptaugenmerk der Kritik lag insbesondere auf der Ausgestaltung der Physiognomie der beiden Figuren, die als zu »hinterasiatisch« oder »semitisch« bezeichnet wurde.171 Zudem enthielt das Denkmal keinerlei Symbole eines offensichtlichen Heroismus, keine Aufopferungsgesten oder gar Auferstehungsverheißungen. Die kommunistische Freiheit schrieb in einem noch eher harmlosen Kommentar, das Denkmal sei »vom künstlerischen Standpunkt […] geschmacklos« und ging auf die symbolische Ausdeutung der Figuren nicht ein. Das Blatt kritisierte in erster Linie das große »Tamtam« und den »Denkmals-Rummel als einseitigste militärisch-nationalistische Mache, die das Geld von allen Kreisen nimmt, aber bei der Feier schwarz-weiß-rot-hakenkreuzlerisch unter sich sein«172 wolle. Andere Beiträge aus dem völkischen und nationalkonservativen Lager wurden hier deutlicher. Der Düsseldorfer Mittag etwa war der klaren Meinung: »Dieses Denkmal hat das Regiment nicht verdient.«173 Die München-Augsburger Abendzeitung ging sogar so weit zu sagen, das Denkmal sei »eine Verhöhnung des deutschen Soldaten«, und die beiden Figuren seien »wirklich kein Gegenstand, auf den der alte Neununddreißiger die Gefühle übertragen könne, die er für das Regiment und die Opfer, die es hat bringen müssen, hegt«.174 Ebenso sah es die Deutsche Zeitung, in der von einer »Verzerrung und Verhöhnung des deutschen Frontgeistes«175 die Rede war. Andere Blätter wiederum nahmen die Ausführungen Ludendorffs zum Vorbild und beschrieben die beiden abgebildeten Soldaten als »zwei liegende unglaublich scheußliche, und plumpe Gestalten, […] Typen stupider Halbtiere.«176 Ein großer Kritikpunkt waren die angeblich »undeutschen« Köpfe der abgebildeten Soldaten, die »für die Allgemeinheit eine wahrhafte Entgleisung« darstellen würden. »Ein deutsches Kriegerantlitz, tiefzerfurcht und verwittert, von seiner Energie beseelt,

170 Erich Ludendorff: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. II. Band: Meine Lebenserinnerungen von 1926 bis 1933, Stuttgart 1951, S. 178-180. 171 Vgl. Krumeich: Denkmäler, S. 227. 172 Die Freiheit. Organ der Kommunistischen Partei Deutschlands, 03.09.1928. 173 Der Mittag, 03.09.1928. 174 München-Augsburger Abendzeitung, 16.10.1928. 175 Deutsche Zeitung, 18.10.1928. 176 Düsseldorfer Zeitung, 17.10.1928.

II. Veteranenbilder im Übergang

sieht unbedingt anders aus! Das Denkmal in seiner gegenwärtigen Gestalt ist daher ein Faustschlag für jeden christlich denkenden und ästhetisch fühlenden Menschen.«177 In dieser öffentlich geführten Debatte um das Denkmal der 39er half es letztlich wenig, dass die Künstlergemeinschaft in diversen Artikeln den künstlerischen Wert der Arbeit durchweg positiv beurteilte.178 In die Phalanx der entschiedenen Kritik an der Inneren Festigung reihte sich auch der Kyffhäuserbund ein. So urteilte Hermann Hosaeus, dass man lange suchen müsste, »um ein so groteskes und tragikomisches Beispiel zu finden für den immer vorhandenen Zwiespalt zwischen Wollen und Können in der Kunst.«179 Der Kyffhäuserbund bezog »mit aller Schärfe gegen das Kriegerdenkmal der 39er in Düsseldorf Stellung.« Er war fest davon überzeugt, dass das Denkmal »in seiner künstlerischen Auffassung alles andere als eine würdige Kriegerehrung«180 darstelle, und merkte konsterniert an, dass »dieses ›steinerne Unglück‹ […] immer noch auf seinem Platze« stehe und »der Abbau […] unter Angabe belangloser Gründe« von der Stadtverwaltung künstlich verzögert würde, obgleich das Denkmal »das innerste Gefühl weiter Kreise auf das tiefste verletzt.«181 Tatsächlich hatten auch die ehemaligen 39er mit ihrem Denkmal abgeschlossen und forcierten ab 1930 seinen sofortigen Abbau. Um diesem Ansinnen Nachdruck zu verleihen und mit ihrem Protest einen möglichst weiten Kreis ehemaliger Kameraden zu erreichen, nutzten sie den Kyffhäuserbund als Propagandaplattform. In einem Schreiben des erweiterten Vorstandes des Verbandes, das auch der Düsseldorfer Stadtverwaltung vorlag, stellten die ehemaligen 39er fest, »daß die Stadtverwaltung der von uns gewünschten Beseitigung der Figuren am Gefallenendenkmal Schwierigkeiten bereitet«, obwohl »das Füsilier-Regiment […] über fünfzig Jahre mit der Stadt Düsseldorf aufs engste verbunden war und mit seinen Kriegsformationen unerhörte Blutopfer auch für Düsseldorf brachte« und daher »einen berechtigten Anspruch auf eine Berücksichtigung seiner Wünsche«182 habe. Dieses Ansinnen sollte jedoch erst nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Erfüllung gehen. Denn im Gegensatz zu den vormaligen politischen Verantwortlichen entsprach die NSDAP dem ausdrücklichen Wunsch des Kyffhäuserbundes und seines Düsseldorfer Kriegervereins und veranlasste im März 1933 den unverzüglichen Abbau von Rübsams Innerer Festigung.183 Während der Auseinandersetzungen hatte der Verband des ehemaligen Düsseldorfer Füsilier-Regiments stets unmissverständlich betont, »daß alle Schwie177 178 179 180 181 182 183

Düsseldorfer Nachrichten, 24.04.1929. Vgl. Pitzen: Rübsam, S. 77f. »Das steinerne Unglück der 39er«, in: Kyffhäuser, 3.2.1929, S. 10. »Der Düsseldorfer Denkmalsskandal«, in: Kyffhäuser, 25.5.1930, S. 4. Ebd. Ebd. Vgl. Pitzen: Rübsam, S. 77-79.

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rigkeiten den Verband ehem. 39er nicht davon abhalten werden, ein würdiges Erinnerungsmal an das Füsilier-Regiment und seine Kriegsformationen zu schaffen.«184 Dieses Ziel wurde seit 1930 mit allem Nachdruck verfolgt. Um während des langwierigen bürokratischen Streits mit der Stadtverwaltung um den Abbau des Rübsam-Denkmals nicht untätig zu sein, hatte der Verband zwischenzeitlich damit begonnen, Spenden für ein neues Denkmal zu sammeln. Dieses wurde ab 1938 von den Architekten Klophaus und Tachill nach einem Entwurf von Richard Kuhöl umgesetzt und im Juli 1939 eingeweiht, kurz nachdem deutsche Truppen in das nach dem Münchener Abkommen noch verbliebene Staatsgebiet der Tschechoslowakischen Republik einmarschiert waren, um dieses zu annektieren, und kurz vor dem Angriff der deutschen Wehrmacht auf Polen und dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges (vgl. Abb. 15).

Abbildung 15: Neues Denkmal der 39er am Reeser Platz in Düsseldorf.

Das achtzehn Meter lange und fünf Meter breite Monument wurde im Stile einer Gruft errichtet, deren Innerstes eine Gedenkplatte sowie einen Schrein für die Gefallenen beherbergte. Aus der Mitte der vergitterten Gruft marschieren links und rechts deutsche Soldatentrupps heraus, die auferstehen, um abermals für das Vaterland ins Feld zu ziehen.185 »Vormarsch und Angriff hieß die Parole der Stunde. Schmerz und Trauer oder Erinnerungen an das Grauen des Krieges waren jetzt

184 »Der Düsseldorfer Denkmalsskandal«. 185 Vgl. Pollack: 39er Denkmal, S. 156; sowie Fritz Wiesenberger: Die Knüfkes und ihre drei Monumente – Vor 50 Jahren entstand das 39er-Denkmal auf dem Reeser Platz, in: Düsseldorfer Hefte 3 (1988), S. 6-8, hier S. 8.

II. Veteranenbilder im Übergang

nicht mehr angebracht.«186 Das Denkmal entwarf und verbreitete ein transzendentales Bild des Soldaten und Veteranen als Helden, dessen Körper bis in den Tod hinein keinen Makel duldete und dem erst recht kein solcher anzusehen war (siehe vergleichend Abb. 8 und 10). Der tote Soldat wurde der Sphäre des realen Alltags im Schützengraben entrückt. Das neue Denkmal mit seinen aufrecht marschierenden Soldaten korrespondierte mit einer apotheotischen Sicht des Heldentodes, da es diesen nur auf einer Metaebene andeutete. Sein Bildprogramm war daher an tagespolitischer Aktualität kaum zu überbieten, fügte sich nahtlos in den historischen Kontext sowie die nationalsozialistische Verheißung eines wiedererstarkten Deutschlands ein und stand der Bildsprache des nunmehr demontierten RübsamDenkmals diametral entgegen; es war ein symbolischer Vorbote des neu heraufziehenden Krieges.

3.

Veteranenbilder im Deutungskampf – die mediale Verarbeitung des Ersten Weltkrieges

Mit der Phase der relativen Stabilisierung und der wirtschaftlichen Erholung der Republik ab der Mitte der 1920er Jahre gingen im Deutschen Reich ein Aufschwung von Kunst und Kultur sowie eine umfassende Medialisierung des gesellschaftlichen Zusammenlebens einher – ein Zeitabschnitt, der in der Forschung und der öffentlichen Wahrnehmung hinlänglich als die Goldenen Zwanziger Jahre bekannt ist.187 Im Windschatten dieser kulturellen Blütezeit feierten auch der erinnerungsbasierte Kriegsroman und Kriegsfilm in der Weimarer Republik beachtliche Publikumserfolge. Dabei bestachen diese beiden Genres durch ihren Facettenreichtum und ihre Variabilität der Stilrichtungen und Sujets sowie ihrer inhaltlich-moralischen Quintessenz.188 Den Buchmarkt dominierten bis in die Mitte der 1920er Jahre vor allem die eher schlicht gehaltenen Regimentsgeschichten und die Schriften der ehemaligen deutschen militärischen Führungskreise, die ihre Kriegsmemoiren als Vehikel der persönlichen Rechtfertigung und Schuldzuweisung nutzten.189 Sekundiert

186 Ebd. 187 Vgl. Werner Faulstich: Einleitung: ›Ein Leben auf dem Vulkan‹? Weimarer Republik und die ›goldenen‹ 20er Jahre, in: ders. (Hg.): Die Kultur der 20er Jahre, München 2008, S. 7-20; und Eberhard Kolb/Dirk Schumann: Die Weimarer Republik, München 8 2013, S. 95-111 und 212218. 188 Immer noch grundlegend zur Beschreibung der Weimarer Republik als künstlerischer Stilepoche ist hier Peter Gay: Die Republik und die Außenseiter. Geist und Kultur in der Weimarer Zeit: 1918-1933, Frankfurt a.M. 1970, hier insbesondere S. 158-189. 189 Exemplarisch Paul von Hindenburg: Aus meinem Leben, Leipzig 1920; oder Erich Ludendorff: Meine Kriegserinnerungen. 1914-1918, Berlin 1919. Vgl. ferner Hans-Harald Müller:

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wurden diese offiziösen Kriegserinnerungen von den Vertretern des Soldatischen Nationalismus, einer nationalistisch-konservativen Gruppe jüngerer Autoren aus den Reihen der Frontgeneration,190 die das heroische Kriegserlebnis zum zentralen Bildungserlebnis und zum Ausgangspunkt der politischen Sinnstiftung sowie zur Grundlage einer nationalen Erneuerung verklärten.191 Diese »kriegsapologetische Literatur«192 blieb allerdings nicht lange unwidersprochen. Sie provozierte die Reaktion von Linken und Pazifisten, die mit ihren antimilitaristischen Werken eine kritische Reinterpretation der Weltkriegsjahre und eine literarische Gegengeschichte zum affirmativen Kriegserlebnis lieferten.193 Diese Auseinandersetzung war der Ausgangspunkt eines grundlegenden Wandels in der literarischen Szene der Weimarer Republik, der sich ab dem Ende der 1920er Jahre endgültig Bahn brach: Die erzählerische Ästhetik und Imagination entwickelten sich hin zu einem kritischen Realismus ähnlich der Neuen Sachlichkeit, der in der Periode von 1928 bis 1933 einen wahren Boom bei der Veröffentlichung eines fast unüberschaubaren Spektrums von (Welt-)Kriegsliteratur auslöste.194 Denn die nun erscheinenden Bücher berichteten im Wesentlichen von den Kriegserfahrungen ihrer auffallend jungen Autorenschaft und verlegten infolgedessen den Schwerpunkt der Erzählungen zusehends auf das Kriegserlebnis des einfachen Weltkriegssoldaten im Schützengraben.195 Auf diese Weise wirkten die literarisch aufbereiteten KriegserfahrunDer Krieg der Schriftsteller. Der Kriegsroman der Weimarer Republik, Stuttgart 1986, S. 2132. 190 Die Mitglieder dieser Gruppe entstammten fast alle den Jahrgängen zwischen 1890 und 1900. Zu ihren maßgeblichen Exponenten zählten bspw. Ernst Jünger, Werner Beumelburg oder Franz Schauwecker. Vgl. Klee: Kulturlexikon, S. 50, 286f. und 516f. 191 Vgl. Karl Prümm: Die Literatur des Soldatischen Nationalismus der 20er Jahre (1918-1933). Gruppenideologie und Epochenproblematik, Kronberg 1974, S. 1-10. 192 Vgl. Ulrich Baron/Hans-Harald Müller: Die Weltkriege im Roman der Nachkriegszeiten, in: Gottfried Niedhart/Dieter Riesenberger (Hg.): Lernen aus dem Krieg? Deutsche Nachkriegszeiten 1918 und 1945, München 1992, S. 300-318, hier S. 302. 193 Problematik zusammenfassend bei Thomas Kühne: Der nationalsozialistische Vernichtungskrieg im kulturellen Kontinuum des Zwanzigsten Jahrhunderts. Forschungsprobleme und Forschungstendenzen der Gesellschaftsgeschichte des Zweiten Weltkrieges, Zweiter Teil, in: Archiv für Sozialgeschichte 40 (2000), S. 440-486, hier S. 442f; vgl. weiterhin Baron/Müller: Weltkriege im Roman, S. 300-310; und Sigrid Bock: Wirkungsbedingungen und Wirkungsweisen der Antikriegsliteratur in der Weimarer Republik, in: Zeitschrift für Germanistik 5 (1984), S. 19-32. 194 Vgl. Christan Meierhofer/Jens Wörner: Der Weltkrieg und das Populäre. Ein interdisziplinärer Vorschlag, in: dies. (Hg.): Materialschlachten. Der Erste Weltkrieg und seine Darstellungsressourcen in Literatur, Publizistik und populären Medien 1899-1929, Göttingen 2015, S. 9-63. 195 Vgl. Bernadette Kester: Film Front Weimar. Representations of the First World War in German Films of the Weimar Period (1919-1933), Amsterdam 2003, S. 124f.;sowie Wolfram Pyta: Die Privilegierung des Frontkämpfers gegenüber dem Feldmarschall. Zur Politikmächtigkeit literarischer Imagination des Ersten Weltkrieges in Deutschland, in: Ute Daniel u.a. (Hg.):

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gen der Veteranen des Ersten Weltkrieges »wie ein Brennspiegel, durch den die Charakteristiken des Grabenkrieges und seine Bedeutung für die Gegenwart beobachtet und interpretiert werden konnten.«196 Auf Grund seiner Qualität als zeitgenössisches Sinnstiftungsmittel für den einfachen Veteranen und als wirkmächtiges volksbildnerisches Instrument197 sowie als Produzent politischer Deutungskultur198 expandierte das Genre des Kriegsromans und avancierte gerade in der Spätphase der Weimarer Republik zum auflagenstarken Verkaufsschlager.199 Betrachtet man diesen großen Erfolg der Kriegsliteratur im Spiegel der zeitgenössischen Debatten und Kontroversen, lässt sich wohl feststellen, dass man »den Geist der zwanziger Jahre ohne George, Hesse und den ›Zauberberg‹ verstehen [kann]; er kann aber nicht verstanden werden, ohne die Geistesverfassung der Überlebenden von Langemark, Verdun oder der Somme einzubeziehen.«200 Auch die Kinematographie erlebte nach 1918 ihren endgültigen Durchbruch als massenkompatibles Unterhaltungs- und Belehrungsmedium und bescherte dem auf Filmstreifen gebannten Weltkrieg einen breiten Publikumserfolg.201 Die ungeahnten Gestaltungsmöglichkeiten der Filmtechnik erlaubten es, das volle visuelle Spektrum der Weltkriegsjahre abzurufen und in die Kinosäle des Reiches zu bringen. Hinzu trat ab etwa 1929 die medienhistorische Zäsur des Tonfilms, die den

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Politische Kultur und Medienwirklichkeit in den 1920er Jahren, München 2010, S. 147-180. Ferner Walter Laqueur: Weimar. Die Kultur der Republik, Berlin 1976, S. 169-174; und Thomas Becker: Literarischer Protest und heimliche Affirmation. Das ästhetische Dilemma des Weimarer Antikriegsromans, Butzbach-Griedel 1994, S. 1-6. Vgl. Ziemann: Veteranen, S. 269-300. Vgl. Ulrich Fröschle: Dichter als Führer und Ingenieure der menschlichen Seele. Zur literarischen Verhandlung von Führung in der Zwischenkriegszeit, in: Ute Daniel u.a. (Hg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeit in den 1920er Jahren, München 2010, S. 204-231. Vgl. Wolfram Pyta: Politikwissenschaft und Literaturwissenschaft, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 36 (2011), S. 381-400, hier S. 382f. Vgl. Fabian Baar: Literatur und Literaturbetrieb im dritten Jahrzehnt, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der 20er Jahre, München 2008, S. 161-173. Im Zeitraum von 1928 bis 1933 erschienen auf dem deutschen Buchmarkt nicht weniger als zweihundert Romane über den Ersten Weltkrieg, im Vergleich hierzu erschienen in den ersten zehn Jahren der Republik nicht einmal hundert von ihnen. Vgl. Müller: Schriftsteller, S. 2. Laqueur: Weimar, S. 170. Allein seit der Gründung der UFA im Dezember 1917 verdoppelte sich die Zahl der Kinos in Deutschland von rund 2.300 Kinos auf über 5.000 im Jahr 1930; mit der Einführung des Tonfilms im Jahr 1929 änderte sich das Kunstfeld noch einmal von Grund auf. Vgl. Helmut Korte: Filmkultur der 1920er Jahre, in: Werner Faulstich (Hg.): Die Kultur der 20er Jahre, München 2008, S. 199-215; und ebenso Ofer Ashkenazi: ›A New Era of Peace and Understanding‹: The Integration of Sound Film into German Popular Cinema, 1929-1932, in: Christian Rogowski (Hg.): The Many Faces of Weimar Cinema. Rediscovering Germany’s Filmic Legacy, New York 2010, S. 249-267.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Stummfilm ablöste und die Intensität des Gezeigten nun auch akustisch untermalte. Das bewegte, mit Ton unterlegte Bild bot die künstlerische Freiheit, das individuelle Erlebnis der Weltkriegsjahre auf eine intersubjektiv geteilte Leinwand zu transportieren und dem Betrachter das Gefühl des physisch fast spürbaren (Mitund Wieder-)Erlebens zu vermitteln.202 Allerdings setzte in den deutschen Kinos eine konkrete filmische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg als Teil der populärkulturellen Erinnerung erst zeitverzögert zum Kriegsende in der Mitte der 1920er Jahre ein.203 Denn für die aufwendigen Kriegsfilme fehlten den Produktionsfirmen in der Krisenzeit der Republik vorerst die finanziellen Mittel; erst in der Phase der relativen wirtschaftlichen Stabilisierung stand das hierfür nötige Kapital zur Verfügung.204 Das künstlerische Themenspektrum reichte von den (Material)Schlachten an der West- und Ostfront sowie dem Heldenmut der einzelnen Soldaten über die vermeintliche Objektivität des individuellen Kriegserlebnisses bis hin zu dem Versuch, die Gefühlswelten des Einzelnen zwischen Siegestaumel und bitterer Verzweiflung einzufangen. Auf diese Weise verschmolzen in den Weltkriegsfilmen oftmals Realistik und Wahrhaftigkeitsanspruch mit künstlerischer Freiheit und fiktionalen Elementen, was dazu führte, dass vielen Filmen von der zeitgenössischen Kritik die tendenziöse Absicht einer einseitigen Publikumsbeeinflussung unterstellt wurde.205 Gemeinsam ist den meisten Kriegsfilmproduktionen, dass sie sich an einer aus ihrer Sicht möglichst realitätsgetreuen Darstellung der einfachen Soldaten sowie den sie umgebenden Umständen versuchten und den Frontsoldaten oftmals zum Hauptprotagonisten ihrer Plots machten. An den Rändern der Weimarer Kulturlandschaft standen sich Avantgardisten und Traditionalisten unversöhnlich gegenüber. Denn im erinnerungsbasierten

202 Vgl. Gerhard Paul: Trommelfeuer aufs Trommelfell. Der Erste Weltkrieg als akustischer Ausnahmezustand und die Grenzen der Reproduktion, in: ders./Ralph Schock (Hg.): Sound der Zeit. Geräusche, Töne, Stimmen – 1889 bis heute, Göttingen 2014, S. 83-90. 203 Ein Phänomen, welches bereits den Zeitgenossen des Kyffhäuserbundes bekannt war. Siehe Wilhelm Brotz – »Kriegsfilm und Filmkrieg«, in: Kyffhäuser, 17.8.1930, S. 3f. 204 Produktionsschwerpunkt für Kriegsfilme (Stumm/Ton) war in Deutschland zwischen 1925 und 1933. In den Jahren zuvor wurden vorwiegend experimentell-expressionistische Filme produziert, die dem Programmkino oder der Rubrik special interest zuzuordnen sind. Vgl. Kester: Film Front Weimar, S. 16f. und 219. Siehe ferner Philipp Stiasny: ›Franzosen? Deutsche? Die Unterschiede verschwinden‹. Verdun in der filmischen Erinnerung in Deutschland und Frankreich 1928-1933, in: Christian Meierhofer/Jens Wörner (Hg.): Materialschlachten. Der Erste Weltkrieg und seine Darstellungsressourcen in Literatur, Publizistik und populären Medien 1899-1929, Göttingen 2015, S. 473-501, hier S. 473. 205 Vgl. Daniela Kalscheuer: Wider den Krieg oder Warten auf die Fortsetzung? Der Weltkriegsfilm der späten Weimarer Republik, in: Christian Meierhofer/Jens Wörner (Hg.): Materialschlachten. Der Erste Weltkrieg und seine Darstellungsressourcen in Literatur, Publizistik und populären Medien 1899-1929, Göttingen 2015, S. 415-439.

II. Veteranenbilder im Übergang

Kriegsroman und Kriegsfilm drehte sich alles um die Frage: Was ist das authentische Kriegserlebnis und wie kann oder soll der deutsche Soldat angemessen dargestellt werden?206 Mitunter reklamierten alle Veröffentlichungen – unbesehen ihrer politischen Stoßrichtung oder ihrer Lehren, die sie aus dem Ausgang des Krieges zogen – dieses Renommee für sich. Auf der literarischen wie auf der filmischen Ebene sticht bei allen Diskussionen um die dichterische Authentizität des Kriegserlebnisses vor allem ein Titel symptomatisch hervor: Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Das Buch, das seinen großen Erfolg in erster Linie einem beispiellosem marketingtechnischen Coup des Ullstein-Verlages verdankte, avancierte am Ende der 20er Jahre zu einem der größten Aufreger nicht nur innerhalb der Kunst- und Kulturszene, sondern darüber hinaus auch zu einem Politikum, das in weiten öffentlichen Kreisen diskutiert wurde.207 Drehund Angelpunkt der Kritiken an dem im Stil einer journalistischen Reportage gehaltenen Werk war Remarques Thematisierung des sinnlosen Sterbens an der Front sowie sein Umgang mit der Frage und Suche nach deutscher Schuld und Verantwortung. Insbesondere die in Teilen nihilistische Einstellung der Hauptfigur, die schwankend »auf der Scheidelinie zwischen einer Affirmation des Krieges qua Teilnahme und innerer Distanz zu ihm verharrt«,208 wurde von Vertretern des nationalkonservativen Milieus oftmals als anstößig, diffamierend oder als Verhöhnung des Andenkens des Weltkriegssoldaten empfunden.209 Die Debatten um Remarque standen allerdings nur stellvertretend für die tiefer liegende Frage nach dem Wahrheitsgehalt massenmedialer Erzeugnisse, welche die Weltkriegsjahre sowie deren Protagonisten zum Thema hatten. Aber es ging auch darum, bis zu welchem Grad alternative Sichtweisen toleriert werden konnten und welche Erzählmuster es einzuhalten galt, um Kriegserfahrungen korrekt wiederzugeben.

3.1

Der Krieg und die Schriftsteller – der Veteran in der Populärliteratur

Im literarischen Kosmos des Kyffhäuserbundes existierte eine ganz klare Trennlinie für die Unterscheidung eines guten von einem schlechten Weltkriegsroman. Gleichzeitig reklamierte der Verband beim erinnerungsbasierten Kriegsroman die

206 Vgl. Jan Süsselbeck: Im Angesicht der Grausamkeit. Emotionale Effekte literarischer und audiovisueller Kriegsdarstellungen vom 19. bis zum 21. Jahrhundert, Göttingen 2013, 119-124; sowie Ann P. Linder: Princes of the Trenches. Narrating the German Experience of the First World War, Columbia 1996, S. 45-49. 207 Zur Rezeptionsgeschichte von Im Westen nichts Neues siehe Thomas F. Schneider: ›Die Meute hinter Remarque‹. Zur Diskussion um Im Westen nichts Neues 1928-1930, in: Jahrbuch zur Literatur der Weimarer Republik 1 (1995), S. 143-170. 208 Ebd., S. 290. 209 Vgl. Jörg Vollmer: Imaginäre Schlachtfelder. Kriegsliteratur in der Weimarer Republik, Eine literatursoziologische Untersuchung, o. O. 2003, S. 172-189.

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Deutungs- und Interpretationshoheit über die Vergangenheit des Weltkrieges klar für sich. Er griff den Boom der schriftlich niedergelegten soldatischen Kriegserfahrungen in der Populärkultur bereitwillig auf und stilisierte sich zur obersten, quasi-amtlichen Kritikerinstanz, die über die Authentizität sowie den Realitätsgehalt der veröffentlichten Werke zu richten hatte. Dass der Kyffhäuserbund diese Ambitionen gerade ab der Mitte der 1920er Jahre intensivierte, war kein Zufall. Er sah sich vielmehr durch die zunehmende Veröffentlichung teils kritischer literarischer Auseinandersetzungen mit dem Ersten Weltkrieg210 zum Handeln genötigt, um die Öffentlichkeit über das aus seiner Sicht in manchen Werken falsch gezeichnete Soldatenbild aufzuklären und stattdessen das eigene zu vermitteln. Rezensionen waren daher spätestens mit dem Beginn der Hochphase des Weimarer Weltkriegsromans ab 1927 fester Bestandteil in den Medien des Kyffhäuser-Verlages und wurden in regelmäßiger Häufigkeit abgedruckt. Da sich dessen Schriftleiter nach eigenem Verständnis durchaus selbst zur erlauchten Riege der Weltkriegsliteraten zählte, brachte Otto Riebicke seine Expertise stets als erster Kritiker ein.211 Trotz der Menge an neu erscheinender Literatur war der Kyffhäuserbund der Ansicht, dass die Publikation des umfassenden deutschen »Volksromans«212 über den Weltkrieg nach wie vor ein Desiderat darstellte.213 Zur gleichen Auffassung kam er bei der Soldatenliteratur für die Bühne. Lediglich manche Laientheaterstücke seien in der Lage gewesen, die Gedankenwelt der jungen Frontgeneration in Ansätzen zu vermitteln.214 Die Bedingungen für eine aus Verbandssicht gelungene literarische Umsetzung des Weltkrieges wurden klar formuliert: Eine volksnahe Darstellung musste den Verlauf des Krieges, seine Helden und Personengruppen sowie die Entwicklungen und einzelnen Handlungen typischer Vertreter in einfacher und verständlicher Prosa mit zugleich stärksten dichterischen Mitteln zu einem überzeugenden und

210 Wie etwa Arnold Zweigs Der Streit um den Sergeanten Grischa (1927). 211 So wurde beispielsweise Hans Grimms Volk ohne Raum zur Pflichtlektüre erklärt, während gegen die Kriegserinnerung eines Lawrence von Arabien als »billige Prahlerei« abgeurteilt wurde. Vgl. B.D. Bachter – »Volk ohne Raum«, in: Kyffhäuser, 30.1.1927, S. 2f.; Otto Riebicke – »Der Stolz auf den Feind«, in: Kyffhäuser, 3.4.1927, S. 3. 212 Hans Schoenfeld – »Voraussetzungen des deutschen Kriegsromans«, in: Kyffhäuser, 17.3.1929, S. 6. 213 Alle Veröffentlichungen, die den Weltkrieg thematisierten, seien entweder übereilig angepriesene »Tendenzromane« (etwa Zweigs Sergeant Grischa oder »Ringelnatzens spottbillige Art, sein Kriegserlebnis abzutun«) oder, wenn auch glänzend verfasst, nur verengte Seelengemälde (wie die Werke Jüngers oder Schauweckers). 214 Vgl. Georg Falkenberg – »Der Soldat in der deutschen Literatur«, in: Kyffhäuser, 9.2.1930, S. 12f. Moderne Bühnenstücke von recht »problematischem Werte« seien u.a. Fritz von Unruhs Louis Ferdinand Prinz von Preußen (1913) oder Wolfgang Goetz’ Neidhardt von Gneisenau (1925).

II. Veteranenbilder im Übergang

wirkmächtigen Gesamtbild verschmelzen. Die Lupe dabei auf typische Teilvorgänge zu richten, könne nur einem geborenen sowie technisch versiertem Erzähler gelingen. Dabei sollte die Erzählung von jedweder politischen und moralischen Tendenz und Beeinflussung befreit sein und von der dichterischen Nähe zu Setting und Figuren zeugen.215 »Dem Dichter des großen deutschen Volks-Kriegsromans wird es vorbehalten bleiben, auf bezeichnend deutsche Art objektiv und wahrhaftig das Hüben und Drüben gleichmäßig mit Licht und Schatten zu bedenken und in höherer Menschlichkeit zu krönen. Er und nur er wird vom Seelischen her auf ganz deutsche Art die Dinge auszudeuten und den starren – an sich brutal gleichgültigen – Vorgang so zu durchdringen wissen, daß daraus der tiefere, deutschgewollte Sinn des Krieges und seiner hundertfältigen Widersprüche wie Reibungen hervorgeht.«216 Dieser bislang unbekannte Dichter war nach Meinung des Kyffhäuserbundes kein studierter oder professioneller Schriftsteller, sondern kam aus der Mitte der Frontsoldaten. So hatte er den Krieg an vorderster Front und in allen seinen Einzelheiten miterlebt und das Erlebte so internalisiert, dass er dessen verschiedene Facetten lebendig und ohne Schwierigkeiten wiedergeben konnte. »Dieser Roman, dessen Mittelpunkt der heldische und heutige Mensch in allen Abschattierungen bildet, wird ein Meilenstein am Wege der deutschen Geistigkeit sein, die in ihrer Selbstbesinnung damit starken Antrieb erhält und bewußt den richtigen Pfad einschlägt – ein Beweis mehr für das deutsche Wiedererwachen. Dieser Roman wird aufleuchten als ein Fanal weit über Deutschland in Europa hinein.«217 Dafür, dass ein solcher Roman bislang nicht erschienen war, machte der Kyffhäuserbund den literarischen Massenmarkt mit seiner inflationären Flut an Kriegsbüchern verantwortlich, die auf den kurzfristigen Profit, nicht aber auf inhaltliche Qualität ausgelegt seien. Der Krieg als solcher interessiere die Verlagshäuser (wie auch die meisten Autoren) gar nicht; er sei lediglich Mittel zum Zweck und biete den zurzeit besonders nachgefragten Hintergrund, vor dem sich beliebige Geschichten abspielten. Durch geschickte Werbestrategien würden die »negativen und billigen Begierden der Massenseele« angesprochen, und den hierauf eingestellten Büchern sei bedingt durch die »Gunst der Massenpsychose« ein gewisser »Augenblickserfolg«218 beschieden. Der Kriegsroman der 1920er Jahre wurde aus dieser Perspektive zu einem schnelllebigen Konsumobjekt degradiert, zu einer 215 216 217 218

Vgl. Hans Schoenfeld – »Voraussetzungen des deutschen Kriegsromans«. Ebd. Ebd. Hans Schoenfeld – »Geschäft oder mehr? Eine Betrachtung zur Kriegsliteratur«, in: Kyffhäuser, 31.8.1929, S. 10.

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charakterlosen Wegwerfware, die von der Konjunktur und den Geschäftsinteressen der Verlage abhing.219 Der Kyffhäuserbund musste resigniert feststellen, dass der Literaturmarkt ebenso wie alle anderen den Gesetzten von Angebot und Nachfrage unterlag. Er kam zu dem Schluss, dass die gegenwärtigen Publikationen wohl dem Geschmack der breiten Masse Rechnung trugen, dass die Leserschaft aber offenbar noch nicht bereit war, das ungeheure Kriegserlebnis und die hieraus erwachsenden wichtigen Erkenntnisse in literarischer Gestalt aufzunehmen. »Es ist betrüblich, daß der Instinkt weiter Leserkreise noch immer so versagt.«220 Als weiteren Beweis für die beklagte Instinktlosigkeit musste dem Kyffhäuserbund der Erfolg von Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues erscheinen, dessen pazifistische und antibellizistische Ausrichtung nicht weiter von der vom Verband geforderten nationalistischen Deutung des Krieges hätte wegführen können. Im Westen nichts Neues wurde am 31. Januar 1929 offiziell beim Ullstein-Imprint Propyläen veröffentlicht und fand eine breite mediale Aufmerksamkeit. Denn der Verlag warb erfolgreich damit, dass Remarque »kein Schriftsteller von Beruf« sei, sondern »ein junger Mensch in den ersten Dreißigern«, der »plötzlich vor einigen Monaten den Drang und Zwang empfunden [hat], das in Worte zu fassen, zu gestalten und innerlich zu überwinden, was ihm und seinen Schulkameraden, einer ganzen Klasse von jungen, lebenshungrigen Menschen, von denen keiner wiederkehrte, geschehen war.«221 Der Roman wurde so »als authentischer Bericht des einfachen Soldaten Remarque präsentiert, den dieser sich ›von der Seele‹ geschrieben habe.«222 Durch die attestierte, zutiefst intrinsische Motivation des literarischen Dilettanten sollte subjektive Authentizität erzeugt werden und das Buch umso ehrlicher und wahrheitsgetreuer erscheinen. Remarques Ich-Erzähler schreibt aus der Perspektive des einfachen Soldaten Paul Bäumer und schafft durch das ein Mensch-wie-Du-und-Ich-Motiv eine erzählerische sowie identifikatorische Nähe zu ihm. Die Hauptfigur schildert die desillusionierende Monotonie des Frontalltages und des Lebens in der Etappe mit derber Sprache, Langeweile und Angst, Angriffen und Elend, Verletzungen und Tod, beschreibt aber auch den Zusammenhalt der Schützengrabengemeinschaft in Not und Sterben. Die Kameradschaft erhält der Truppe von Soldaten im Niemandsland des Frontverlaufs einen letzten Rest Humanität, die aber zugleich durch den

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Zu den Diskursen um und der Kritik an der Populär- und Massenkultur seit dem 18. Jahrhundert vgl. Thomas Hecken: Populäre Kultur. Mit einem Anhang ›Girl und Popkultur‹, Bochum 2006, S. 35-84; weiterhin ders.: Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter, Bielefeld 2010, S. 17-21 und 27-29. 220 Hans Schoenfeld – »Geschäft oder mehr? Eine Betrachtung zur Kriegsliteratur«. 221 Aus dem Sonderprospekt des Propyläen-Verlages im Mai 1929. Zitiert nach Bärbel Schrader: Der Fall Remarque. Im Westen nichts Neues – Eine Dokumentation, Leipzig 1992, S. 9. 222 Vollmer: Schlachtfelder, S. 175.

II. Veteranenbilder im Übergang

schlagartigen Wechsel zu animalischen Verhaltensweisen kontrastiert wird.223 Der Krieg erscheint als entindividualisierendes und gesichtsloses sowie tödliches Massenphänomen. Auch werden im Verlauf des Plots die nationalistischen, imperialistischen oder sozioökonomischen Beweggründe der einzelnen Personen für ihre Teilnahme am Weltkrieg nicht erklärt. Vielmehr herrscht unter den beschriebenen Soldaten eine resignativ-fatalistische Akzeptanz des Krieges, mit »kleinbürgerlicher Schicksalsergebenheit«224 als kleinstem gemeinsamen Nenner. Die Handlung scheint daher aus sich heraus zu funktionieren: Der Krieg fließt vor sich hin. Ein jeder tut, was eben getan werden muss, ohne das höhere Ziel zu kennen oder gar zu hinterfragen. Hier grenzt sich Remarque von anderen Autoren wie beispielsweise Ernst Jünger ab, da der Krieg für Bäumer und seine Kameraden keine sinn- oder identitätsstiftende Funktion erfüllt.225 Remarque charakterisiert und enttarnt den Ersten Weltkrieg in allen Einzelheiten als ein Nicht-Erlebnis. Wegen dieser Darstellung des Weltkrieges und der deutschen Soldaten stieß das Werk in den Reihen des Kyffhäuserbundes auf vehementere Ablehnung als alle anderen Kriegsromane vor ihm und wurde dementsprechend bekämpft. Man erkannte in ihm, anders als es die Werbung suggerierte, nicht das »von allen Toten geschriebene Buch unseres unbekannten Soldaten«, sondern sah darin bloß »eine Herabsetzung unserer gefallenen Kameraden und einen Angriff auf den heldischen Geist des deutschen Volkes.«226 Diesem Urteil lag die Tatsache zugrunde, dass das von Remarque beschriebene Kriegserlebnis fernab jedweder soldatischen Ehre oder Tugend spielt, die der Kyffhäuserbund hochhielt. Der Krieg ist hier eine Aneinanderreihung von wiederkehrenden Ereignissen, ein Abspulen stumpfsinniger Routine. Er oszilliert zwischen verschiedenen Stationen im monotonen Zyklus des Frontalltages ohne erkennbares Ende. Die Protagonisten, die in den Krieg hineingeworfen worden sind, erscheinen nicht als Helden mit einer erwiesen vaterländischen Gesinnung, mit soldatischer Disziplin oder nachträglich idealisierten Werten und Tugenden, kein wagemutiger Haufen von Aufopferungswilligen. Ihnen geht es in erster Linie darum, aus der Sinnlosigkeit des Krieges mit seinem massenhaften Sterben und der offensichtlichen Unfähigkeit der Befehlshaber wenigstens mit dem eigenen Leben davonzukommen. Auf diese Weise interpretiert Remarque den Weltkrieg als ein Fanal und eine Katastrophe nicht nur für den Einzelnen, sondern für eine ganze Generation. Aus Sicht des Kyffhäuserbundes stand 223 Für die Analyse der Struktur des Romans grundlegend sind Hubert Rüter: Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues. Ein Bestseller der Kriegsliteratur im Kontext, Paderborn 1980; sowie Thomas F. Schneider: Erich Maria Remarques Roman ›Im Westen nichts Neues’. Text, Edition, Entstehung, Distribution und Rezeption (1928-1930), Tübingen 2004. 224 Süsselbeck: Grausamkeit, S. 132. 225 Vgl. Vollmer: Schlachtfelder, S. 178-180. 226 Otto Riebicke – »Remarque in der Mädchenschule – und was ein Provinzial-Schulkollegium dazu sagt«, in: Kyffhäuser, 27.10.1929, S. 3f.

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dieses Bild vom soldatischen Anti-Helden für jene, die er in eigenen Kreisen gern als Drückeberger oder als die Lauen und Kraftlosen titulierte. Die Kameradschaft von Remarques Anti-Helden stand seinen Vorstellungen vom Veteranen des Ersten Weltkrieges diametral entgegen. Andere Veteranenverbände kamen zu entgegengesetzten Urteilen über das Buch. Das republikanische Reichsbanner etwa bewertete den Roman als einen Ausgangspunkt, um einer breiten Öffentlichkeit die authentische und »richtige Interpretation des Kriegserlebnisses«227 der einfachen Soldaten näherzubringen. Mit der Feststellung, dass Remarques narrative Schilderung des Frontalltages fast schon zu realistisch sei, positionierten sich die republiktreuen Veteranen gegen das Fazit des Kyffhäuserbundes, welcher der Darstellung des Kriegsgeschehens und der beteiligten Akteure jedwede Authentizität absprach.228 Kommunistischen Vertretern ging der Roman in seinem Realismus indes nicht weit genug. Statt einer fotografisch genauen Schilderung des Fronterlebnisses erwarteten sie vielmehr, dass ein großer Roman des einfachen Soldaten die sozio-ökonomischen Hintergründe des Krieges schonungslos offenlegen und die ehemaligen Machteliten viel deutlicher anklagen musste.229 Ein Blick auf die überragenden Verkaufszahlen des Romans gibt Aufschluss darüber, welche dieser widerstreitenden Meinungen am ehesten durch die Leserschaft sanktioniert wurde.230 Der Kyffhäuserbund musste zwar widerwillig anerkennen, dass der Roman ein Millionenpublikum in aller Welt zu erreichen verstand und Remarque einen durchaus guten literarischen Stil schrieb, er unterstrich zugleich aber, dass Im Westen nichts Neues wohl kaum dessen Selbsterlebnisse im Weltkrieg wiedergab.231 Aus der Tatsache, dass Remarques Kriegsdienst nur etwa einen Monat gewährt hatte, leitete der Verband die Schlussfolgerung ab, dass sein Buch die soldatischen Kriegserfahrungen und »das Frontkämpfertum in einer Weise darstellt, die weder innerlich noch äußerlich der Wahrheit entspricht.«232 Diese Meinung bedeutete im 227 Ziemann: Veteranen, S. 285. 228 Vgl. ebd., S. 282-286; und Rohe: Reichsbanner, S. 142-147. 229 Vgl. Jens Ebert: Der Roman Im Westen nichts Neues im Spiegel der deutschsprachigen kommunistischen Literaturkritik der 20er und 30er Jahre, in: Thomas F. Schneider (Hg.): Erich Maria Remarque. Leben, Werk und weltweite Wirkung, Osnabrück 1998, S. 99-108. 230 Vgl. Matthias Prangel: Das Geschäft mit der Wahrheit. Zu einer zentralen Kategorie der Rezeption von Kriegsromanen in der Weimarer Republik, in: Jos Hoogeveen/Hans Würzner (Hg.): Ideologie und Literaturwissenschaft, Amsterdam 1986, S. 47-78. 231 Für Remarque selbst was das Erlebnis des Ersten Weltkrieges lediglich eine kurze Episode: nach dem Notexamen kam er im Juni 1917 an die Westfront, wo er im Juli 1917 verwundet wurde. Den Rest des Krieges verbrachte er dann in einem Duisburger Lazarett. 232 Otto Riebicke – »Ueber unsere Kriegsbücher«, in: Kyffhäuser, 9.2.1930, S. 13. Der Kyffhäuserbund versuchte, die eigene Kritik nicht nur auf einer ideellen Grundlage, sondern auch in literaturwissenschaftlicher Hinsicht zu belegen. Selbst, wenn die kurzen Kriegserlebnisse partiell mit denen anderer Kameraden deckungsgleich seien, so wären doch die gewonne-

II. Veteranenbilder im Übergang

Klartext: Nur wer den Weltkrieg selbst – und angemessen lang – mit allen seinen Facetten erlebt hatte, konnte verstehen, was das Kriegserlebnis des Frontsoldaten überhaupt ausmachte und es sich folglich anmaßen, die Geschehnisse der Jahre 1914 bis 1918 in ihrer Gesamtheit sowie die hieraus erwachsenden Konsequenzen wahrheitsgetreu literarisch wiederzugeben und somit stellvertretend für seine Kameraden zu sprechen. Da dem Kyffhäuserbund eine bessere Begründung fehlte, erklärte den großen Auflagenerfolg des Buches mit der intensiven Werbung des Ullstein-Verlages, ohne die dem Werk niemals eine solche Resonanz beschieden gewesen wäre. Immerhin sei es ein Verdienst des Remarqueschen Romans, dass er den Buchmarkt belebt und die Nachfrage nach Weltkriegsliteratur gesteigert habe. Nun müsse man hoffen, dass sich ob des Booms von Im Westen nichts Neues die Leserschaft fortan »weit wertvollerer«233 Kriegsliteratur zuwenden werde, die ein Zeugnis des authentischen Kriegserlebnisses ablege. Solche Erwartungen wurden vielfach allerdings wohl nicht ganz ohne Hintergedanken oder vollkommen uneigennützig formuliert. Denn viele Autoren, und zu dieser Gruppe gehörte auch der Kyffhäuser-Schriftleiter Riebicke, die sich unmissverständlich zur Trägerschaft jenes authentischen Kriegserlebnisses zählten, waren zuvor mit ihren Werken zum Thema Weltkrieg auf dem Weimarer Buchmarkt gefloppt.234 Zudem habe der Erfolg geholfen, die anfängliche Skepsis und Scheu einer breiteren Öffentlichkeit gegenüber der als zu militaristisch oder nationalistisch geltenden Kriegsliteratur abzubauen. »Gerade die Kameraden, die den feldgrauen Rock trugen, sollten weit mehr als bisher bei allen Gelegenheiten auf die guten Kriegsbücher zurückgreifen und helfen sie mitverbreiten, damit das große Erlebnis des Krieges sich nicht so festsetze in unserem Volke, wie Remarque es schildert, sondern wie wir Frontkämpfer es in und um uns erlebten.«235 Jedoch führte dem Kyffhäuserbund spätestens der große Erfolg des Romans vor Augen, dass jenseits seiner strikten diskursiven Richtlinien für einen authentischen Kriegsromans und der hieran anknüpfenden Wiedergabe von Kriegserfahrungen alternative Deutungsmuster der Jahre von 1914 bis 1918 und ihrer Akteure existierten, die eine große Anhängerschaft hinter sich vereinigen konnten. nen Eindrücke und der hieraus erwachsende höhere Sinn entscheidend. Vgl. »Im Kampf um die Deutung des Krieges«, in: Kyffhäuser, 19.7.1931, S. 5f. 233 Otto Riebicke – »Ueber unsere Kriegsbücher«. 234 Mit eher bescheidenem Erfolg erschien Otto Riebicke: Als Schipper in der Front. Aufzeichnungen des Armierungssoldaten Otto Riebicke, Magdeburg 1916; ders.: Ringen an der Somme und im Herzen. Aufzeichnungen des Feldpioniers Otto Riebicke, Feldausgabe, Magdeburg 1917 [später neu aufgelegt u.d.T.: Ringen an der Somme. Das seelische Erleben eines Frontkämpfers, Berlin 1928]; sowie ders. Ambroisine. Eine Brüsseler Spionen-Novelle, Siegen 1918. 235 Otto Riebicke – »Ueber unsere Kriegsbücher«.

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Im Fall von Im Westen nichts Neues versuchte der Kyffhäuserbund, was er sonst selten tat, direkten politischen Einfluss auszuüben, ja, er riskierte sogar eine handfeste Auseinandersetzung mit verschiedenen Behörden, um das eigene Veteranenbild zu verteidigen und die konkurrierende Deutung aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernen zu lassen. Anlass hierfür war die progressive Einstellung des Provinzial-Schulkollegiums für Berlin und die Provinz Brandenburg, das Remarques Roman umgehend in den Bibliotheken höherer Lehranstalten der Provinzen einführte. Der Kyffhäuserbund kritisierte, dass die Schulverwaltung ihrer Verantwortung für die sittliche Bildung in den Schulen offensichtlich nicht nachkomme, wenn sie es zuließ, dass 14jährige dieses Buch zu Gesicht bekämen. Selbst die Einwände altgedienter Frontkämpfer des Weltkrieges, die als besorgte Väter eine »Gefährdung der sittlichen und vaterländischen Auffassung«236 ihrer Kinder befürchteten, würden dabei geflissentlich ignoriert. Der Verband unterstellte sogar, dass viele Studienräte und Vertreter der Schulbehörden das Buch selbst nicht gelesen hätten, da ihnen sonst klar geworden wäre, wie ungeeignet dieses ob seines anstößigen Inhaltes für Schülerinnen und Schüler sei – die besagten Szenen steuerte man nebst Leseproben sogleich bei.237 Abgesehen davon verbreite der Roman unglaublichen sachlichen Unsinn, etwa bei der Darstellung von Frontkämpfern oder der Beschreibung Kriegsverletzter – auch hier folgten entsprechende Textbeispiele. Nicht zuletzt stellte der Kyffhäuserbund die rhetorische Frage, ob man diese »Schauergeschichten […] und solchen Unsinn in der Lehrstunde [erzähle], damit sie [die Schülerinnen und Schüler, B.S.] das Gruseln bekommen?«238 Deshalb richtete der Verband eine offizielle Anfrage an das zuständige Provinzial-Schulkollegium und bat zu klären, wie das Gremium zur Empfehlung des Buches als Schullektüre stehe, welche Maßnahmen die Behörde treffen werde, um eine sittliche und moralische Gefährdung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrerschaft und die von ihr ausgewählte tendenziöse Literatur künftig auszuschließen bzw. dieser vorzubeugen und ob das Kollegium gewillt wäre, den Remarqueschen Roman wieder aus den Schulbibliotheken zu entfernen. Als Antwort bekam der Kyffhäuserbund knapp zu hören, dass die oberste Schulbehörde keine Veranlassung sehe, den Roman wieder aus den Schulen zu entfernen, da er im Unterricht der Oberklassen gute und wichtige Dienste leiste. Auch sehe man die sittlichen Grundlagen der Schuljugend weder durch das Buch noch durch die Lektüreauswahl die Lehrerschaft gefährdet. Die implizite Unterstellung, dass es

236 Otto Riebicke – »Remarque in der Mädchenschule – und was ein Provinzial-Schulkollegium dazu sagt«. 237 Vgl. ebd. 238 Ebd.

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den Lehrkräften an Verantwortungsbewusstsein gegenüber der ihr anvertrauten Jugend mangele, wies die Schulbehörde entschieden zurück.239 Nach dieser Antwort stellte der Kyffhäuserbund durchaus sachlich fest, dass er und seine Millionen Mitglieder wohl eine andere Auffassung von der Erziehung und Führung der Jugend hätten als das Provinzial-Schulkollegium. Der Verband bewertete Remarques Im Westen nichts Neues nach wie vor als »eine grobe Verunglimpfung« und »schamlose Herabwürdigung« aller im Krieg gedienten Frontsoldaten sowie – und dies wog am schlimmsten – als eine Ursache für die Entfremdung der Kinder ehemaliger Kriegsteilnehmer von ihren Väter, die »ihr Leben für das Vaterland unter wahrlich anderen Bedingungen eingesetzt haben, als Herr Remarque«, und zwar »auf Grund der unwahren, übertriebenen […] Auslassungen dieses Schriftstellers der sein Kriegserlebnis nur in einem Frontrekrutendepot hatte.«240 Sodann wandte sich der Verband mit einer Eingabe an die nächst höhere Instanz, das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, in der er »schärfste Verwahrung« dagegen erhob, »daß das Buch ›Im Westen nichts Neues‹ in den Schulen irgendeine Verwendung findet.«241 Ein Antwortschreiben ließ jedoch über ein Vierteljahr auf sich warten, und es bedurfte erst mehrerer Nachfragen sowie offizieller Beschwerden, bis es eintraf. Der Brief enthielt die recht lakonische Rückmeldung, dass das Ministerium den Fall einer eingehenden Prüfung unterziehen werde.242 Derweil witterte der Kyffhäuserbund schon ein politisches Ränkespiel. Denn mittlerweile hatte sich an der Spitze des Preußischen Kultusministeriums ein personeller Wechsel vollzogen, der aus der Perspektive des Verbandes wie ein schlechter Scherz anmuten musste: Kultusminister Carl Heinrich Becker, der zum Zeitpunkt der Eingabe amtiert hatte, übergab im Januar 1930 die Geschäfte an seinen Nachfolger Adolf Grimme,243 eben jenen Mann, der als Vizepräsident des Provinzial-Schulkollegiums für Berlin und Brandenburg mit der Anfrage des Kyffhäuserbundes befasst gewesen war. Man mutmaßte sogar, dass das Ministerium intern in Grimme schon den »kommenden Mann« und »Exponent[en] einer Machtgruppe« sah und daher eine schnellere Bearbeitung absichtlich hinauszögert hatte, aber schließlich war dem Kultusministerium »nichts anderes übrig [geblie-

239 Vgl. »Das Schulbuch ›Im Westen nichts Neues‹« (Antwortschreiben), in: Kyffhäuser, 2.2.1930, S. 2f. 240 Otto Riebicke – »Remarque in der Mädchenschule – und was ein Provinzial-Schulkollegium dazu sagt«. 241 Ebd. 242 Vgl. »Das Schulbuch ›Im Westen nichts Neues‹« (Antwortschreiben). 243 Adolf Grimme war einer der profiliertesten Kulturpolitiker (SPD) der späten Weimarer Republik und nach 1945 erster Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks.

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ben], als mit der Antwort herauszurücken.«244 So kam es, dass Kultusminister Grimme nach fast einem halben Jahr der Überprüfung abermals kurz und knapp beschied: »Der Auffassung des Deutschen Reichskriegerbundes über das Buch ›Im Westen nichts Neues‹ von Remarque vermag ich mich nicht anzuschließen.«245 Doch beharrte der Kyffhäuserbund auf seiner Position, war er doch der festen Überzeugung, dass »mit Wissen und Willen des Kultusministeriums durch dieses ›Unterrichtsbuch‹ der Frontsoldat in den Kinderseelen verunglimpft und eine schamlose Herabwürdigung der Väter unserer heranwachsenden Jugend vorgenommen«246 werde. Zur Unterstützung seiner Argumente scheute er nicht einmal davor zurück, sich die Kritik der ehemaligen Feinde aus Frankreich zu eigen zu machen und veröffentlichte die Übersetzung einer vernichtenden Rezension von Marius Boissons im Pariser Comoedia.247 Auch habe der Verband, da Minister Grimme, der »verantwortliche deutsche Kulturführer in diesem Falle gegen die Gefährdung der sittlichen und vaterländischen Auffassung unserer Jugend« leider nichts unternehme, Reichwehrminister Groener »als Vertreter des Wehrgedankens und Hüter der Tradition« über die Auseinandersetzung mit dem Ministerium ins Bild gesetzt.248 Erst mit den Wahlerfolgen und dem wachsenden politischen Einfluss der NSDAP in den Landesparlamenten änderte sich die offizielle politische Einstellung zu Remarques Im Westen nichts Neues. Der Sächsische Landtag nahm beispielsweise Anfang 1931 gegen die Stimmen von DDP und SPD einen nationalsozialistischen Antrag an, der den Roman aus sämtlichen Schulbibliotheken und aus dem Unterricht verbannte. Diesen längst überfälligen Schritt begrüßte der Verband ausdrücklich.249 Sehr zum Ärger des Kyffhäuserbundes zeigte sich Kultusminister Grimme aber immer noch unbeeindruckt und standhaft, wenngleich sich mittlerweile auch Reichswehrminister Wilhelm Groener der Meinung des Verbandes angeschlossen hatte, dass »dieses pazifistische und das Ansehen der alten deutschen Armee herabwürdigende Remarque-Buch aus den Schulen entfernt werden müsse.«250 Lange musste der Kyffhäuserbund allerdings nicht mehr auf ein reichsweites Verbot von 244 »Der Kultusminister antwortet… ›Im Westen nichts Neues‹ bleibt Schulbuch«, in: Kyffhäuser, 11.5.1930, S. 2. 245 Ebd. 246 Ebd. 247 Boisson urteilte dort, dass diejenigen, die das Buch als ein großes Werk empfehlen wollten, dieses wohl nicht gut gelesen hätten. Es zeuge von »sehr schlechtem Geschmack, den Seelenzustand eines Soldaten zu analysieren, wie er seinen lieben Nächsten um die Ecke bringt.« Boisson schließt, dass niemand sehe, »daß ein skrupelloser, bedauernswerter Schriftsteller […] zum zweiten Male einen kämpfenden Soldaten umbringt.«, in: »Der Kultusminister antwortet… ›Im Westen nichts Neues‹ bleibt Schulbuch«. 248 Ebd. 249 Vgl. »Sachsen verbietet das Remarque-Schulbuch!«, in: Kyffhäuser, 8.3.1931, S. 4. 250 Ebd.

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Im Westen nichts Neues warten. Am 10. Mai 1933 brannten allerorts im Deutschen Reich symbolträchtig die Scheiterhaufen, und auf ihnen wurde auch der beim Kyffhäuserbund so verhasste Remarquesche Kriegsroman den Flammen überantwortet. »Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.«251

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Krieg auf der Leinwand – der Weltkriegssoldat im Spielfilm

Der Kyffhäuserbund erkannte schon früh das unterhaltende wie erzieherische Potential des Films, waren doch viele seiner Mitglieder bereits während des Krieges mit dem im Januar 1917 von der Obersten Heeresleitung in der Propagandaabteilung eingerichteten Bild- und Filmamt (BUFA) – aus dem im Dezember 1917 die Universum Film AG (UFA) hervorging252 – in Berührung gekommen. Er richtete daher unmittelbar nach dem Ende des Krieges mit eigenen Mitteln eine FilmAbteilung ein, die Lichtbild- und Filmvorführungen als Wanderlichtspielbewegung in die Kriegervereine brachte. Die Wanderlichtspiele waren in die Presseabteilung eingegliedert. Sie wollten den Vereinen Lichtbild- und Kinoabende zu erschwinglichen Preisen ermöglichen und dadurch das Vereinsleben beleben und attraktiver gestalten. Die Film-Abteilung stellte drei verschiedene Varianten – LichtbildAbende zu 50 Mark, Kino-Abende zu 300 Mark und Lichtbild-Kino-Abende zu 200 Mark – abendfüllender Programme inklusive aller benötigten Vorführmaterialen zur Verfügung und versuchte dabei, besondere Wünsche der Vereine zu berücksichtigen. So fertigte sie etwa auf Anfrage der Vereine Glaslichtbilder (10 Mark pro Stück) von eingereichten Fotografien an. Auch Werbematerialen, Plakate und Eintrittskarten für die Abende konnten gegen ein geringes Entgelt mitbestellt werden.253 Beim Filmverleih kooperierte der Kyffhäuserbund eng mit der Kulturabteilung der UFA254 und empfahl seinen Vereinsleitungen zur Auswahl geeigneten 251

7. Feuerspruch des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes bei der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933. Zitiert nach Werner Treß (Hg.): Verbrannte Bücher 1933. Mit Feuer gegen die Freiheit des Geistes, Bonn 2009, S. 47. 252 Zur Geschichte des BUFA und dem Übergang zur UFA vgl. Wolfgang Mühl-Benninghaus: Vom Augusterlebnis zur UFA-Gründung. Der deutsche Film im 1. Weltkrieg, Berlin 2004; ferner Kester: Film Front Weimar, S. 39. 253 Vgl. »DKB-Lichtspiele«, in: Kriegerzeitung, 5.12.1920, S. 8. 254 Die Kulturabteilung der UFA wurde von Major a.D. Ernst Krieger geleitet. Krieger (Jg. 1876) absolvierte zuerst eine klassische militärische Ausbildung, bevor er Anfang 1917 zum BUFA bei der Obersten Heeresleitung abkommandiert wurde und dort die Leitung der militärischen Abteilung übernahm. Mitte 1918 wechselte er auf eigenen Wunsch hin in die Kulturabteilung der neu gegründeten UFA und war dort verantwortlich für die Herstellung der UFA-

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Materials den Besuch von Mustervorführungen, welche die Abteilung in vielen Teilen des Reiches organisierte.255 Der Kyffhäuserbund erhoffte sich von seiner Wanderlichtspielbewegung dreierlei: erstens eine Belebung der Vereinstätigkeit und hierdurch einen Mitgliederzuwachs sowie eine Aufbesserung der Vereinskassen. Zweitens wollte er die propagandistische Kraft des Films für sein Kriegervereinswesen nutzen. Drittens schließlich sollten die Filmvorführungen bei der »Bekämpfung des Schundfilms durch Darbietung erstklassiger Vorführungen«256 helfen, die Volksbildung durch Unterhaltungs- und Lehrfilme fördern und somit letztlich zum Wiederaufbau Deutschlands beitragen.257 Insbesondere der Aspekt der Volksbildung war für den Kyffhäuserbund zentral. Er sah im Kinematographen ein wichtiges Bildungsmittel, das vor allem für die ländliche Bevölkerung eine geistige Ergänzung zum harten körperlichen Arbeitsalltag darstellte. Von einer Expansion der Kinematographie sollte weiterhin vor allem die Jugend profitieren. Um Filme als Erziehungsmittel nutzen zu können, war es laut Verband allerdings erforderlich, den Zugang der Jugend zu diesen zu reglementieren und deren Inhalte stärker zu kontrollieren. Der Kyffhäuserbund wollte in Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen sowie der Filmindustrie daher dafür sorgen, den volksbildnerischen Film fester in den Spielplänen der Kinos zu verankern, um »die wahre Kulturmission des Films zu erfüllen«, die »Lichtspielkunst zu einer Volkskunst im besten Sinne« zu machen, und um das »Verderbliche im Film«258 zu bekämpfen. Die bereits im Kaiserreich geführte Debatte um Schmutz und Schund in der deutschen Medienlandschaft259 wurde nach 1918 auf den Film ausgeweitet und um die Kontroverse erweitert, wie offizielle Stellen den künstlerischen und ästhetischen Anspruch des Kinos gegen unerwünschte Einflüsse schützen könnten.260 Dem Kampf gegen die Profanierung des Films und dem Engagement für seine intensivere inhaltliche Reglementierung schloss sich auch der

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Dokumentarfilme. Laut eigenen Angaben wurden dort bis 1926 rund 400 Filme produziert. Vgl. Kurt Mühsam/Egon Jacobsohn: Lexikon des Films, Berlin 1926, S. 98. Vgl. »Die volksbildnerischen Aufgaben des Films«, in: Kriegerzeitung, 25.7.1920, S. 3f. »Wander-Lichtspiele des DKB«, in: Kriegerzeitung, 11.2.1921, S. 1f. Vgl. Walter Thielemann – »Die Wander-Lichtspiel-Bewegung«, in: Kriegerzeitung, 1.1.1922, S. 4f. Walter Thielemann – »Die Wander-Lichtspielbewegung«, in: Kriegerzeitung, 11.4.1921, S. 4f. Vgl. Kaspar Maase: Die Kinder der Massenkultur. Kontroversen um Schmutz und Schund seit dem Kaiserreich, Frankfurt a.M. 2012; sowie Ute Dettmar: Der Kampf gegen ›Schmutz und Schund‹, in: Norbert Hopster (Hg.): Die Kinder- und Jugendliteratur in der Zeit der Weimarer Republik. Teil 1, Frankfurt a.M. 2012, S. 565-586; weiterhin Georg Jäger: Der Kampf gegen Schmutz und Schund. Die Reaktion der Gebildeten auf die Unterhaltungsindustrie, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 31 (1988), S. 163-191. Vgl. Isabelle Engelhardt: Der Kampf gegen die moralische Vergiftung, in: dies./Thorsten Eitz (Hg.): Diskursgeschichte der Weimarer Republik. Band 2, Hildesheim 2015, S. 261-312; und David Steinitz: Geschichte der deutschen Filmkritik, München 2015, S. 38-97.

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Kyffhäuserbund an, da aus seiner Sicht die Behörden hier allein machtlos waren. Erfolg versprach für ihn nicht nur eine strengere Handhabung und Durchsetzung der Filmzensur und Einrichtung neuer Prüfstellen, sondern auch eine allgemeine Steigerung der kulturellen Qualität der Filmerzeugnisse. Der Verband bewies mitunter Instinkt, wenn es darum ging, die Vorteile moderner Medien für propagandistisch Zwecke zu nutzen, etwa, um komplexe Inhalte anschaulich aufzubereiten. Dies hatten seiner Meinung nach bereits die vielen positiven Erfahrungen in den Abstimmungsgebieten in den deutschen Grenzräumen dokumentiert, wo Filme agitatorischen Inhaltes vorgeführt wurden und die Volksabstimmungen im Zuge des Versailler Vertrages zu Gunsten des Deutschen Reiches beeinflusst hätten.261 Ebenso zeigte sich der Kyffhäuserbund offen gegenüber dem technischen Fortschritt in der Medienlandschaft. Denn der Stumm- und in einem noch größeren Maße der Tonfilm schienen ungeahnte Möglichkeiten der audiovisuellen Vermittlung von Kriegserfahrungen zu eröffnen. Dennoch blieb das Verhältnis des Verbandes zum Film trotz dieser für ihn positiven Eigenschaften zwiespältig. Wie schon bei den Kriegsromanen ging bei den Kriegsfilmen, die in die Kinos kamen, die Schere zwischen dem Anspruch des Kyffhäuserbundes und den von der Öffentlichkeit frequentierten medialen Produkten weit auseinander. Dies warf freilich die Frage auf, was für den Kyffhäuserbund eine gute Kriegsfilmproduktion ausmachte, welche Inhalte sie transportieren sollte und welchen künstlerischen Maßstäben sie gerecht werden musste. Zuerst sollte ein Film in der Lage sein, sein Publikum zu fesseln und für eine gewisse Zeit dem tristen Alltagsleben zu entreißen. »So flüchten wir in das Reich der Phantasie, der Träume, zaubern uns eine Welt von Kriegsgeschrei, von Soldaten, von Geschützen auf die Leinwand, auf die Bretter. […] Kann es anders sein? Schwingen nicht unser aller Gedanken Tag und Nacht um das große Erlebnis unseres Lebens, um den Krieg, um unsere stolzeste Erinnerung, um unsere Soldatenzeit, da wir mit Leib und Blut einstehen durften für Weib und Kind, Vaterland und Freiheit?«262 Viele Produktionen der letzten Zeit ließen allerdings, klagte der Kyffhäuserbund, den angemessenen Ernst und geforderten Anspruch vermissen. Sie seien in ihrer Konzeption zu sehr auf Witze und Lacher bedacht, würden hastig und billig produziert sowie in erster Linie dem Massengeschmack Rechnung tragen, garantierten sie doch volle Kassen. Der Verband verwahrte sich entschieden gegen diese »Verkitschung und Heimatkämpfer-Verniedlichung eines so ungeheuren Geschehens« wie des Weltkrieges um des Profits Willen und sah hierin »eine Herabwürdi261 Vgl. Walter Thielemann – »Die Wander-Lichtspielbewegung«. 262 Heinrich Niemerlang – »Militarismus auf der Bühne und im Film«, in: Kyffhäuser, 20.2.1927, S. 2.

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gung des Frontkämpfertums.«263 Die Filmindustrie greife zu Stoffen, die zwar im militärischen Gewand daherkämen, ihrem Wesen nach dem militärischen Fühlen und Denken aber entgegenliefen.264 Alles, was in Deutschland bislang an Kriegsfilmen geschaffen worden war, wurde für den Verband dem tatsächlichen Erleben des Weltkrieges nicht gerecht.265 »Die deutsche Filmindustrie ist im ganzen am Thema Krieg gescheitert. Sie hat bisher dem deutschen Frontsoldaten noch kein wirklich würdiges Denkmal gesetzt, hat Millionen von Frontkämpfern enttäuscht gelassen.«266 Aus Sicht des Verbandes war es bedauerlich, dass deutsche Regisseure nicht den Mut zu »einem vaterländischen, soldatischen Werke« aufgebracht hätten, »das die Wahrheit der Empfindungen mit der fortreißenden Spannung der Darstellung verbindet.«267 Hier seien die Filmemacher im Ausland bereits einen Schritt weiter.268 Tatsächlich war es gerade ein französischer Weltkriegsfilm, den der Kyffhäuserbund als »ein Erleben«269 feierte und anpries. Gemeint war der international viel beachtete Film Verdun, visions d’Histoire (F 1928), in dem Regisseur Léon Poirier die eigenen Erlebnisse des Ersten Weltkrieges verarbeitete und der an Originalschauplätzen gedreht worden war.270 Seine filmische wie künstlerische Bewertung durch den Verband fiel geradezu euphorisch aus: »Der Film ist gewaltig, er ist das ungeheure Furioso dieser Schlacht, die zum ersten Male den Begriff der Vernichtung bis zum Letzten aufkommen ließ, er ist Heldentum, Opfermut, Kameradschaft, Pflichttreue bis zum äußersten, er ist furchtbar 263 K. Bander – »Kriegsfilm und das wirkliche Sterben«, in: Kyffhäuser, 4.1.1931, S. 14. 264 So etwa Es blasen die Trompeten (D 1926), In der Heimat, da gibt’s ein Wiedersehn! (D 1926), Die Sporck’schen Jäger (D 1927) oder der österreichische Frontfilm Namenlose Helden (D 1924) von Kurt Bernhardt, der die »üble Tendenz« habe, »durch rührselige, übertriebene Bilder eine Kluft zwischen Arbeiter und anderen Berufsständen aufzureißen« und von dem man erwarte, dass »die Filmoberprüfstelle sich diesen merkwürdigen Hetzfilm einmal etwas näher ansieht.« F. K. – »Auch ein – Frontfilm«, in: Kyffhäuser10.4.1927, S. 2. 265 Beispiele für dieses Versagen seien Weltkrieg 1914/18 von der UFA, welcher der »seelischen Auseinandersetzung mit dem Krieg aus dem Weg« gehe und eine »Art verfilmter Heeresbericht« sei. Ferner Die Somme (D 1930), der Wesentliches übersehe, Wirkliches entstelle und nicht zur Seele des Frontkämpfers an der Somme vordringe. Zudem verzichteten beide Filme auf das wesentliche Ausdrucksmittel des Tons. Lediglich Westfront 1918 (D 1930) von Georg Wilhelm Papst wisse einigermaßen zu überzeugen und die Jahre des »übermenschlichen Kampfes im Westen« näherzubringen, auch, wenn die Toneffekte zu oft von den Dialogen ablenkten. 266 Wilhelm Brotz – »Kriegsfilm und Filmkrieg«. 267 Heinrich Niemerlang – »Militarismus auf der Bühne und im Film«. 268 Vgl. ebd. 269 Otto Riebicke – »Der Film ›Verdun‹«, in: Kyffhäuser, 30.6.1929, S. 3f. 270 Zum Film selbst sowie zur filmischen Inszenierung des Ersten Weltkrieges in Frankreich vgl. Stiasny: Erinnerung, S. 476-479.

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und stolz und voller Größe, er ist ein Abbild der seelischen Skala, die den Frontsoldaten hüben und drüben trug, er ist das riesenhafte Gemälde einer jener entsetzenerregenden Material- und Nervenschlachten, die mit Verdun begannen, sich fortsetzten an der Somme, bei Arras, Lens, Ypern und in den Lehmsumpffeldern Flanderns verflackerten.«271 Besonders positiv hervorgehoben wurde vom Kyffhäuserbund, dass die deutschen Soldaten durch die französischen Filmmacher »sympathisch« und »beseelt«272 gezeichnet würden und als Menschen, die ebenso tapfer kämpften wie ihre Feinde. Für ihn verstand es die Regie vor allem, die unendliche Leere des Schlachtfeldes, die Natur des Niemandslandes, die Zerstörungen und Kämpfe, die Soldaten und deren Kameradschaft wahrheitsgetreu einzufangen. Der Tatsache, dass an der Entstehung auch ehemalige deutsche Kriegsteilnehmer und Schauspieler mitgewirkt hätten, verdanke der Film wohl auch sein »Fluidum«, das man von Verbandsseite als »Objektivität«273 anerkennen konnte. Der Kyffhäuserbund rief seine Mitglieder daher auf, ihre eigenen Kriegserfahrungen als Expertise bei deutschen Kriegsfilmproduktionen einzubringen, um den »Film aus den Niederungen der Unterhaltungsstücke emporzuheben« und zu »moralischen Anstalten«274 werden zu lassen. Wie schon bei der Weltkriegsliteratur konnte auch der Weltkriegsfilm für den Kyffhäuserbund am ehesten subjektive Authentizität und eine unzweifelhafte Wertschätzung erzeugen, wenn glaubhaft vermittelt werden konnte, dass gediente Frontsoldaten, die den Krieg selbst miterlebt hatten, an der Entstehung beteiligt gewesen waren. Die Kriegserfahrungen der Veteranen bürgten für die künstlerische Qualität und Wahrhaftigkeit der Filme. Die erste deutsche Kriegsfilmproduktion, die den Ansprüchen des Kyffhäuserbundes gerecht werden konnte, war gleichzeitig eine der letzten großen Stummfilmproduktionen in Deutschland. Leo Laskos zweiteiliger Kompilationsfilm Der Weltkrieg (D 1927/28), ein ursprünglich sogar auf drei Teile275 ausgelegtes Mammutprojekt der UFA, entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Reichsarchiv. Finanziert wurde das Projekt von Alfred Hugenberg, der die UFA kurz zuvor gekauft und saniert hatte, und redaktionell betreut durch den Leiter der Kulturabteilung der UFA, Major a.D. Ernst Krieger.276 Der Film hatte einen quasi-dokumentarischen Charakter, d.h. er setzte sich zu gleichen Teilen aus Originalfilmmaterial der Kriegszeit in- und ausländischer Provenienz sowie nachgestellten Sze-

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Otto Riebicke – »Der Film ›Verdun‹«. Ebd. Ebd. Vgl. Heinrich Niemerlang – »Militarismus auf der Bühne und im Film«. Erster Teil: Kriegsausbruch, zweiter Teil: Höhepunkt und Ausgang, dritter Teil: Zeit des Waffenstillstands und der Revolution. 276 Vgl. Anm. 463.

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nen mit Schauspielern an Originalschauplätzen zusammen.277 Für die Erstellung der Drehbücher sowie die dramaturgische Leitung zeichneten die Reichsarchivräte und Majore a.D. George Soldan und Otto Erich Volkmann278 verantwortlich, so dass der Verband keinen Zweifel hegte, dass »das Filmwerk unbedingt ein wahrheitsgetreues Dokument wird.«279 Die einzelnen Teile entfalteten vor ihrem Publikum ein Weltkriegsdiorama der Jahre von 1914 bis 1918, das alle Aspekte des Krieges von den großen militärischen Operationen bis hin zu den kleinsten Details des Kriegsalltages mit allen Möglichkeiten der Technik und mit gewaltigem Aufwand filmisch umzusetzen versuchte.280 Durch interaktive Karten sowie dynamische Kameraeinstellungen und Schnittmontagen von überliefertem und nachinszeniertem Filmmaterial sollte der Zuschauer eine physische Nähe zu den Soldaten empfinden und das Gesehene miterleben, anstatt nur von außen zu beobachten – was den Nebeneffekt zur Folge hatte, dass das Publikum teilweise historische und fiktive Szenen nicht auseinanderhalten konnte.281 Somit trage, betonte Otto Riebicke, der Film »die graue Vision der deutschen Not in die deutschen Filmtheater, das Heldenlied der deutschen Soldaten, des deutschen Volkes« und zeige der Bevölkerung, »was es an physischer und sittlicher Größe in jener schwersten Zeit geleistet«282 hätte. Zu diesem Urteil gelangte Riebicke, da der Film durch verschiedene Schnittmontagen immer wieder die engen Verflechtungen zwischen dem kämpfenden Heer an der Front und der arbeitenden Heimat in den kriegswichtigen Betrieben aufzeigte.283 Der Kyffhäuserbund gab sich mitunter tief ergriffen von dem filmischen Resultat, das Der Weltkrieg auf die Leinwand brachte. Seine Bilder seien so »mächtig, daß das Blut wieder in unsern verharschten Wunden klopft und die Augen sich hartbrennen wie einst in den Trommelfeuern vor Gorlice und Verdun und an der Somme…Das macht [der Film, B.S.], weil wir wissen, was das war. […] Er gibt die Tragödie der Welt, die Heldensinfonie der Männer aller Nationen, das erhabene Siegfriedtum der Deutschen und unser großes schweres Leid. […] Er will die Wahrheit.«284

277 Vgl. Stiasny: Erinnerung, S. 476-479. 278 Volkmann arbeitete parallel auch als Gutachter und Sachverständiger für den Untersuchungsausschuss für die Schuldfragen des Ersten Weltkrieges. 279 Otto Riebicke – »Der deutsche Weltkriegsfilm«, in: Kyffhäuser, 6.3.1927, S. 3. Vgl. weiterhin Kester: Film Front Weimar, S. 90-95. 280 Vgl. Gustav Goers – »Der Weltkriegsfilm«, in: Kyffhäuser, 10.4.1927, S. 2. 281 Vgl. George Soldan: Wie der Weltkriegsfilm entstand, in: UFA-Magazin. Sondernummer: Der Weltkrieg. Ein historischer Film, Berlin 1927. 282 Otto Riebicke – »Der Film vom Frontsoldaten – Der 2. Teil des deutschen Weltkriegsfilms«, in: Kyffhäuser, 19.2.1928, S. 17. 283 Vgl. Gustav Goers – »Der deutsche Weltkriegsfilm – 2. Teil: ›Des Volkes Not‹«, in: Kyffhäuser, 5.2.1928, S. 3. 284 Otto Riebicke – »Der Film vom Frontsoldaten – Der 2. Teil des deutschen Weltkriegsfilms«.

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Damit erachtete der Kyffhäuserbund bei aller harschen Kritik an der deutschen Filmindustrie interessanterweise einen Film als authentisch, bei dem – laut Aussage des Regisseurs – nur gut zehn Prozent der historischen Aufnahmen wirklich den Beständen des Reichsarchivs entstammten.285 Führte die Buchfassung von Remarques Im Westen nichts Neues bereits zu heftigen Erregung in den Reihen des Kyffhäuserbundes, vermochte die Verfilmung des Stoffes diese fast zur Hysterie zu steigern. Da er den Inhalt des Romans kannte, ließ schon die Ankündigung des in den USA von Carl Laemmle jun. und seinen Universal Studios produzierten Filmes von Lewis Milestone286 den Verband aufhorchen. Er befürchtete, dass der deutsche Soldat, der über vier Jahre hinweg sein Leben zum Schutz des Vaterlandes riskiert hatte, »als ein willenloses, untertäniges und entseeltes Geschöpf«287 dargestellt werde. »Wir wollen keinen billigen Ruhm, wir wollen auch nicht die Furchtbarkeit und das Grauen des Weltkrieges beschönigt sehen, wir wollen beileibe keinen Hurrapatriotismus, keine Hetze nach außen oder innen, kein Kampfbild, in dem nur wir die Helden sind – aber wir wollen die Wahrheit und nicht ein Zerrbild unserer Taten und unserer Seele!«288 Der Kampf um das mediale Andenken der Weltkriegssoldaten wurde als ein Kampf um Wahrheit und Authentizität ausgetragen. In diesem Zusammenhang forderte der Kyffhäuserbund immer wieder eine objektive Darstellung,289 die diesem Andenken gerecht würde und die im Wesentlichen auf den Erfahrungsdiskursen der Veteranen selbst basierte. Damit setzte der Kyffhäuserbund die auf dem individuellen Erlebnis basierenden, intersubjektiven Kriegserfahrungen seiner Veteranen mit den überindividuellen Kategorien von Wahrheit, Authentizität und Objektivität gleich. Als Im Westen nichts Neues am 4. Dezember 1930 in den deutschen Lichtspielhäusern startete, lief der Film dem Verständnis von Wahrheit, Authentizität und Objektivität, wie der Kyffhäuserbund sie verstand, diametral entgegen.290 Seine erste Kritik galt jedoch nicht dem Film, sondern der zuständigen Film-Oberprüfstelle in

285 Vgl. Stiasny: Erinnerung, S. 478. 286 Vgl. Helmut Korte: Der Spielfilm und das Ende der Weimarer Republik. Ein rezeptionshistorischer Versuch, Göttingen 1998, S. 103-109. 287 Otto Riebicke – »Der Krieg im Tonfilm – Drei Kriegsfilme kommen«, in: Kyffhäuser, 16.2.1930, S. 4. 288 Ebd. 289 Vgl. Lorraine Daston/Peter Galison: Objektivität, Frankfurt a.M. 2007; weiterhin Jörn Rüsen: Geschichte im Kulturprozeß, Köln 2002, S. 99-124. 290 Die Stummfilmfassung wurde im April 1930 in USA uraufgeführt, die Tonfilmfassung feierte im Juni 1930 in London Premiere, Starttermin im Deutschen Reich war schließlich im Dezember 1930.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Berlin, die den Streifen gegen die eindeutige Empfehlung des Reichwehrministeriums und trotz der aus seiner Sicht klar erkennbaren deutschfeindlichen Tendenzen zur Aufführung zuließ. Der Verband bedauerte zutiefst, dass einer amerikanischen Filmgesellschaft gerade aus dem Absatzmarkt Gelder zuflössen, gegen das sich seine Propaganda richte.291 Anlässlich der Premiere stellte der Kyffhäuserbund in einer offiziellen Stellungnahme an die deutsche Presse fest, dass es im Ausland scheinbar »immer noch genügend Filmproduzenten« gebe, die versuchten, »mit der Herabwürdigung anderer Nationen Geschäfte zu machen.« Als offizieller Vertreter der Veteranen verbat er sich in aller Deutlichkeit, dass für diesen Profit »das Kämpfen und Sterben der deutschen Soldaten im Weltkrieg verzerrt und entstellt«292 werde. Die Darstellung junger deutscher Kriegsfreiwilliger im Film empfand er als ehrabschneidend, und er wünschte eine derartige Karikierung des deutschen Soldaten in ausländischen Filmen nicht zu sehen. Deshalb hoffte der Kyffhäuserbund, dass die Reichsregierung ein Einsehen haben und weitere Aufführungen untersagen sowie dem Film die Zulassung entziehen werde, da dieser ganz offen das Ansehen der alten deutschen Armee beleidige und zu einem »Konglomerat jämmerlicher, auf Fressen, Feigheit, Dreck, Drill und Schinderei eingestellter Kerle«293 degradiere. Diese Argumentation richtete sich über den Film hinaus generell gegen die Amerikanisierung der deutschen Kulturlandschaft seit 1918, in diesem Fall die Übervorteilung deutscher Produktionsfirmen durch finanzstarke US-amerikanische Studios. Damit ging die verbreitete Annahme einher, Ästhetik und künstlerischer Anspruch würden durch die billig und schnell produzierte filmische Massenware aus Hollywood verfallen.294 Am schlimmsten erschienen dem Kyffhäuserbund und hier zuallererst Otto Riebicke jedoch die Meinungen der sogenannten Tendenzkritiker, welche den antideutschen Film als authentisches Spiegelbild des Weltkrieges feierten. Dem Verband war schleierhaft, wie diese zu einem solchen Urteil gelangen könnten, wenn man den »Idealtyp deutschen Kameradschaftsgedankens durch eine Figur [Louis Wolheim in der Rolle des Katczinsky, B.S.] verkörpern läßt, die der Ausdrucksphysiognomie eines Zuchthäuslers abgelauscht zu sein scheint und sehr viel Aehnlichkeit hat mit jenem Gorillakerl, durch dessen Darstellung die Feindbundpropaganda im Weltkriege den Haß gegen den deutschen Soldaten in aller Welt geschürt hat.«295 291 292 293 294

Vgl. »Der Film ›Im Westen nichts Neues‹«, in: Kyffhäuser, 7.12.1930, S. 3. Otto Riebicke – »Der Skandal um den Remarque-Film«, in: Kyffhäuser, 14.12.1930, S. 2f. Ebd. Zum Diskurs um die amerikanische Massenkultur in Deutschland siehe Egbert Klautke: Unbegrenzte Möglichkeiten. ›Amerikanisierung‹ in Deutschland und Frankreich (1900-1933), Wiesbaden 2003, S. 239-268; ferner Harm G. Schröter: Winners and Losers. Eine kurze Geschichte der Amerikanisierung, München 2008, S. 41-46. 295 Otto Riebicke – »Der Skandal um den Remarque-Film«.

II. Veteranenbilder im Übergang

Riebicke bezeichnete es weiterhin als »schamlos«,296 dass gerade die Zeitungen des linken Spektrums jene Figur als Personifikation des deutschen Kriegshelden anführten und so die feindliche Kriegspropaganda im Nachhinein guthießen. Aber wer »niemals das Ehrenkleid des deutschen Soldaten trug, wer nichts von dem inneren Auftrieb der Kriegsfreiwilligen, nichts von der heiligen Pflichterfüllung dem Vaterlande gegenüber weiß«, könne sich schließlich auch kein Urteil darüber bilden, »ob durch diesen Film die deutsche Armee verächtlich gemacht wird oder nicht.« Die Armee habe im Gegenteil aus Männern bestanden, die mit »todesverachtendem Angriffsgeist«297 deutsches Recht und deutsche Ehre verteidigt hätten. An dieser Stelle kam abermals das Motiv zum Tragen, dass eine realistische Darstellung des Weltkrieges und seiner Teilnehmer nur demjenigen gelingen konnte, der den Krieg am eigenen Leibe miterlebt hatte. Wer dieser offiziellen Sichtweise des Verbandes widersprach und dem hiervon abweichenden, filmischen Soldatenbild Authentizität bescheinigte, geriet schnell in den Ruf, selbst nicht am Krieg teilgenommen zu haben. Ein solcher Erklärungsversuch zeigt jedoch umso mehr, wie schwer es dem Verband fiel, alternative Sichtweisen auf den Weltkrieg und seine Akteure zuzulassen sowie deren Sinnstiftungspotential für viele Veteranen zu akzeptieren. Mit Genugtuung registrierte der Kyffhäuserbund daher, dass die Aufführung von Im Westen nichts Neues vielfach nicht widerstandlos hingenommen wurde und es in Berlin bereits zu Unruhen gekommen war. Er distanzierte sich offiziell zwar von jeder politisch motivierten Anwendung von Gewalt, billigte aber jedem das Recht zu, seine Meinung frei zu äußern. Wenn es hier zu gewalttätigen Ausschreitungen komme, so der Verband, sei die Schuld nicht einseitig bei den Demonstranten zu suchen, sondern ebenso bei denjenigen, welche die Aufführung des Filmes zugelassen hätten. Die immer größere Erregung, die der Film in der Bevölkerung hervorrufe, zeige lediglich, wie sehr sich diese über die »bodenlose Verlogenheit dieser amerikanischen Arbeit« echauffiere und wie stark der Film die deutsche »Volksseele«298 verletze. Wenn dieser am Ende verboten werden sollte, sei dies nicht als »Sieg des Hakenkreuzpöbels über die Staatsautorität« zu werten, wie etwa linksstehende Zeitungen behaupteten, sondern als Ausdruck der mehrheitlichen Meinung der Bevölkerung.299 Die Kontroverse um die Filmversion von Im Westen nichts Neues verdeutlicht, wie weit die inhaltlichen Debatten auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise von politischen Grabenkämpfen überlagert wurden. Die anhaltenden – zu großen Teilen von der SA provozierten – Ausschreitungen während vieler Filmvorführungen sowie die Anträge der Landesregierungen

296 297 298 299

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Thüringens und Braunschweigs, Bayerns und Württembergs veranlassten die FilmOberprüfstelle schließlich zu einer Neubewertung der deutschen Fassung von Im Westen nichts Neues. Das Resultat war ein reichsweites Aufführungsverbot, das zum 11. Dezember in Kraft trat. Das Gutachten eines Sachverständigen des Reichswehrministeriums, das dem Urteil maßgeblich zugrunde lag, führte als Begründung aus, dass der Film auf subtile Art und Weise eine deutschfeindliche Einstellung zu verbreiten verstehe. Diese trete fast nie offen zutage, sondern würde stofflich in die Rahmenhandlung eingebettet, so dass eine dramaturgische Entwicklung weg von der »primitiven Hetze des Krieges zur unauffälligen und vorsichtigen Verunglimpfung«300 erfolge. Hinzu komme die unwürdige Darstellung der deutschen Kriegsfreiwilligen als klägliche und würdelose Gruppe. Ohnehin würde der Film die Berufsgruppe der Militärs als bevorzugte »Zielscheibe der Verunglimpfung«301 wählen. Die negativen Effekte dieser antideutschen Propaganda seien bereits im Ausland messbar.302 Das Gutachten des Reichwehrministeriums schloss erwartungsgemäß damit, dass mit »der Herabsetzung des Ansehens der Wehrmacht [auch] eine Schädigung des ganzen deutschen Ansehens«303 einhergehe. Für die zuständige Kommission der Film-Oberprüfstelle summierten sich im vorliegenden Fall schließlich genügend Einzelaspekte, die ein Verbot des Filmes rechtfertigten.304 Nach dem Misserfolg beim Versuch, den Roman in Schulen und Bibliotheken zu verbieten, verbuchte der Kyffhäuserbund das Verbot des Films als klaren Sieg. Das Urteil der Oberprüfstelle entsprach für ihn zweifelsohne dem Willen der großen Mehrheit des deutschen Volkes. Vor allem aber war es für den Verband wichtig, dass mit dem Film zugleich ein aus seiner Sicht verzerrtes Vergangenheitsbild des Weltkrieges und seiner Akteure aus den Kinosälen verschwand, das sich nicht mit den eigenen Kriegserfahrungen und dem eigenen Veteranenbild deckte: »Der Kampf gegen den Film mußte kommen, weil dieser Film sich auf ein Buch stützt, der das Kriegserlebnis der Schwachen ist, das ausgesprochene Bekenntnisbuch einer am Weltkriege zerbrochenen Generation, nicht aber das Erlebnis jener

300 SächsHStA, Ministerium des Innern, Nr. 11339, Bl. 33-45: Zur Verhandlung über die Anträge auf Widerruf der Zulassung des Bildstreifens: »Im Westen nichts Neues«, vom 11. Dezember 1930. 301 »Der deutschfeindliche Film – Das Gutachten des Reichswehrministeriums über den Remarque-Film«, in: Kyffhäuser, 21.12.1930, S. 7f. 302 Das Gutachten führte eine Befragung unter englischen Schulkinder der Liga für den Völkerbund von 1929 an, die ihre Eindrücke nach dem Ansehen von Kriegsfilmen möglichst objektiv schildern sollten. Das Ergebnis fiel so aus, dass die Kinder die englischen Soldaten als tapfer kämpfend, die deutschen hingegen als grausam und feige empfanden. 303 SächsHStA: Zur Verhandlung über die Anträge auf Widerruf der Zulassung des Bildstreifens: »Im Westen nichts Neues«. 304 Zum ausführlichen Entscheidungsfindungsprozess und zur Urteilbegründung der FilmOberprüfstelle siehe ebd.

II. Veteranenbilder im Übergang

wahrhaften Männer, die zwischen Argonnen und Flandern viereinhalb Jahre heroisch kämpften und aushielten in Willen und Pflicht.«305 Die Behauptungen der sogenannten »Allerwelts-Linkspresse«306 und des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, die Auseinandersetzung um den Film sei nichts weiter als eine Machtprobe der Nationalsozialisten, ein Erfolg des nationalistischen Straßenmobs, sei völlig absurd, erklärte der Kyffhäuserbund. Wie könne es anders sein, dass sich die mitte-links geführte preußische Landesregierung in die Riege der Filmbefürworter einreihe – man erinnerte sich hier nur allzu gut an die Konfrontation mit dem sozialdemokratischen Kultusminister Grimme.307 Eine Hintertür blieb allerdings offen: Die Novellierung des Lichtspielgesetzes (Lex Remarque) vom 31. März 1931 erlaubte es ausdrücklich, »Bildstreifen, gegen deren unbeschränkte Vorführung Versagungsgründe« vorlägen, »zur Vorführung vor bestimmten Personenkreisen oder unter beschränkenden Vorführungsbedingungen«308 zuzulassen, so dass der umstrittene Remarque-Film im Rahmen geschlossener Veranstaltungen weiterhin gezeigt werden konnte. Eine Vorführgenehmigung konnten (Berufs-)Verbände und Vereine, Arbeitsgemeinschaften oder Standes- und Bildungsvereinigungen, also weite Personenkreise, erwirken.309 Der Kyffhäuserbund kritisierte daher nicht zu Unrecht, dass diese Regelung das Filmverbot nicht nur umgehen, sondern faktisch aushebeln würde und legte hiergegen scharfen Protest ein.310 Am 2. September 1931 erfolgte die Wiederzulassung des Filmes ohne Beschränkungen im ganzen Reichsgebiet in einer politisch entschärften, gekürzten Fassung. Dadurch sei zwar die »Hetztendenz des Films« abgeschwächt worden, betonte der Verband; allerdings sei sie eine »Irreführung« der Zuschauer, da diesen nunmehr kaum verständlich sei, wie der Film »als Beleidigung des deutschen Heeres und Volkes empfunden werden konnte und den ungeheuren Sturm der Entrüstung hervorrief«,311 der schließlich zu seinem Verbot führte. Vielmehr würde der Eindruck erweckt, dass die Welle der Empörung um den Film nur eine politische Kampagne extremnationalistischer Gruppierungen gewesen sei. Die ganze Angelegenheit um Im Westen nichts Neues sei für Deutschland mittlerweile so gründlich verfahren, dass es eigentlich nur eine logische Konsequenz gebe:

305 306 307 308

Otto Riebicke – »Ende des deutschen Remarque-Films«, in: Kyffhäuser, 21.12.1930, S. 2. Vgl. ebd. Vgl. ebd. Reichsgesetzblatt: Gesetz zur Änderung des Lichtspielgesetzes. Vom 31. März 1931, Berlin 1931. 309 Vgl. SächsHStA, Ministerium des Innern, Nr. 11339, Bl. 33-45: Kammersitzung vom 8. Juni 1931 über den Bildstreifen: »Im Westen nichts Neues«. 310 Vgl. »Wieder Remarque-Film!«, in: Kyffhäuser, 21.6.1931, S. 3. 311 Otto Riebicke – »Und wieder Remarquefilm!«, in: Kyffhäuser, 13.9.1931, S. 3.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

»man verbiete den Film in deutscher Fassung und geben ihn in seiner Weltfassung für Deutschland frei, damit das deutsche Volk in allen seinen Schichten die wahre Grimasse dieser Hetze sieht und ihm einmal reiner Wein eingeschänkt [sic!] wird darüber, welche Beleidigungen wir als ein wehr- und waffenloses Volk einstecken müssen. Und dann vor allem wird man im Auslande erst die wahre Meinung der Deutschen über diesen Film hören können […].«312 Linksgerichtete Veteranen, allen voran das Reichsbanner, konnten die ganze Aufregung um die Verbots- und Zensurverfahren nicht nachvollziehen. Ihrer Ansicht nach zeige der Film doch nur schonungslos den »Massenmord des Krieges in seiner ganzen Eindringlichkeit«313 und gebe somit wahrheitsgetreues Zeugnis über Kriegserlebnis von Millionen von Soldaten.314 Letztlich ging es bei allen (Verbots-)Debatten um den Roman sowie die Verfilmung von Im Westen nichts Neues aber auch nur sekundär darum, wie realistisch oder fiktional das Gelesene und Gesehene war. Vergleicht man exemplarisch die Reaktionen des Kyffhäuserbundes auf die Filmwerke Weltkrieg und Im Westen nichts Neues, wird deutlich, dass der Faktor Authentizität ein vergleichsweise weiches und darüber hinaus stark subjektives Gütekriterium darstellte. Wie wahrheitsgetreu ein Film aus Sicht des Verbandes war, konnte schon dadurch entschieden werden, dass vermeintlich authentisches Material vorgeführt wurde und Experten aus dem militärischen Umfeld an seiner Produktion beteiligt waren – die reine bildliche Suggestion und Imagination von Realität spielte hier eine Rolle. Stilistisch bevorzugte der Kyffhäuserbund eine Form des vermeintlichen Realismus, die beinahe einem Eskapismus gleichkam, einer literarisch sowie filmisch retuschierten Version einer Erinnerung an die gute alte Zeit. Primär war sowohl bei der literarischen als auch bei der filmischen Umsetzung der Erfahrungsdiskurse des Ersten Weltkrieges für die Veteranen des Kyffhäuserbundes vielmehr das Motiv der Dankbarkeit der Bevölkerung gegenüber den Soldaten und ihren Leistungen während des Krieges entscheidend. Der Verband und seine Mitglieder wollten, dass dem ehemaligen Soldaten literarische und filmische Denkmäler dafür errichtet wurden, dass er vier Jahre lang sein Leben für die Heimat riskiert und dem Reich sowie seiner Bevölkerung gegenüber treu gedient hatte. Diese Charaktereigenschaften wollte man auf der Leinwand repräsentiert sehen. Es war ein Bild des Soldaten und des Krieges oder vielmehr eine Rolle, in der man sich selbst gefiel und die vor allem die breite Öffentlichkeit zu Gesicht bekommen sollte. Die durch den Verband scharf kritisierten Bücher und Filme verhielten sich inkongruent zu den Kriegserfahrungen seiner Mitglieder sowie dem 312 313 314

Ebd. Ernst Kerkow – »Wir sahen ihn doch! Den Film ›Im Westen nichts Neues‹«, in: ArbeiterJugend 23 (1931), Heft 2, S. 43-46, Zitat auf S. 44. Vgl. Ziemann: Veteranen, S. 290-293.

II. Veteranenbilder im Übergang

Veteranenbild, das er nach außen hin transportiert wissen wollte. Sie demontierten dieses Selbstbild und ließen die Kyffhäuser-Veteranen fürchten, dass ihr öffentliches Ansehen beschädigt werden könnte. Es spricht also einiges dafür, dass das vom Kyffhäuserbund propagierte und vehement eingeforderte objektive Soldatenund Veteranenbild ein Konglomerat nachträglich konstruierter Erfahrungsdiskurse der Nachkriegszeit darstellte, welches die vorgeschobenen Kategorien der Authentizität und Wahrheit überformte. Denn die von ihm gefeierten Kategorien des Heldentums und der Ehre waren Eigenschaften, die in den wenigsten Fällen dazu führten, dass man lebend aus dem Schützengraben in die Heimat zurückkehrte. Die Kriegserinnerungen Einzelner waren hier zu idealisierten Kriegserfahrungen geronnen. Wie bereits im Fall des Romans erübrigten sich bald auch alle Anfeindungen gegenüber der Filmversion von Im Westen nichts Neues. Denn im Zuge der Machtübernahme der Nationalsozialisten hielt ein Veteranenbild Einzug im Deutschen Reich, das mit der Programmatik des Kyffhäuserbundes konform ging, und die weitere Aufführung des Filmes wurde umgehend verboten.

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III. Der Veteran in Zivil – privater und öffentlicher Alltag in der Weimar Republik

1.

Zur politischen Agenda eines unpolitischen Verbandes – der Kyffhäuserbund und die Tagespolitik der 1920er Jahre

Auch wenn die historische Forschung die Geschichte des Kyffhäuserbundes bislang stark vernachlässigt hat, trieb sie doch beständig eine Frage um: Wie politisch oder unpolitisch war der Kyffhäuserbund und wie demokratiefeindlich agierte er auf dem Boden der republikanischen Staatsordnung? Bei der Beantwortung dieser Frage machte es sich die bisherige Forschung allerdings oftmals zu einfach, oder ihre Analyseperspektiven griffen zu kurz, indem sie sich an einem zu engen Politikbegriff orientierte.1 Die kulturalistisch ausgerichtete Politikgeschichte hat wiederholt und überzeugend darauf hingewiesen, dass es gewinnbringender ist, sich von einer starren Verwendung und einem monolithischen Verständnis des Politischen zu lösen und stattdessen die »Rekonstruktion von Diskursen, Praktiken und Objektivationen, in denen sich die zeitgenössischen Bedeutungsstrukturen greifen lassen« stärker in den Blick zu nehmen. Das Politische ist in einer solchen Lesart ein historischer Kommunikations- und Handlungsraum, »in dem es um die Herstellung und Durchführung kollektiv verbindlicher Entscheidungen geht.«2 Es gilt daher, zwischen einem enger und einem weiter gefassten Politikbegriff zu unterscheiden.3 In einem engeren Sinne partizipierte der Kyffhäuserbund kaum am parlamentarischen oder politischen Entscheidungsprozess. Eingaben

1 2

3

Vgl. Einleitung. Barbara Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Einleitung, in: dies. (Hg.): Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, Berlin 2005, S. 9-24, hier S. 13f. Weiterhin vertiefend bei Thomas Mergel: Kulturgeschichte der Politik, Version: 2.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.10.2012; sowie Willibald Steinmetz/Heinz-Gerhard Haupt: The Political as Communicative Space in History: The Bielefeld Approach, in: dies./Ingrid Gilcher-Holtey (Hg.): Writing Political History Today, Frankfurt a.M. 2013, S. 11-33. Vgl. exemplarisch Thomas Mergel: Politikbegriffe in der Militärgeschichte. Einige Beobachtungen und ein Vorschlag, in: Thomas Kühne/Benjamin Ziemann (Hg.): Was ist Militärgeschichte?, Paderborn 2000, S. 141-156.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

an die Reichsregierung oder eine gezielte Lobbyarbeit zur Durchsetzung der eigenen beziehungsweise der Interessen seiner Mitglieder sind bis auf vereinzelte wirtschafts- und sozialpolitische Themen kaum nachweisbar. Eine direkte Einmischung in parteipolitische Belange oder gar eine konkrete Stellungnahme zu Gunsten einer politischen Partei zu vermeiden musste für den Kyffhäuserbund oberste Priorität haben, wollte er für möglichst weite Kreise verschiedener gesellschaftlicher Sozialmilieus in der Weimarer Republik anschlussfähig bleiben.4 Dennoch entfernte sich der Verband nach Kriegsende immer mehr von seiner propagierten politisch und konfessionell neutralen Position.5 Denn in einem weiteren Sinne hatte der Kyffhäuserbund sehr wohl teil an der politischen Kultur der Weimarer Republik, indem er wiederholt tagespolitische Themen aufgriff. Gerade in der Endphase der Republik mischte er sich stärker in die Politik ein und nahm häufiger zu politischen Fragen Stellung, was wohl auch als Reaktion auf die wachsende propagandistische Instrumentalisierung des Frontsoldatenbildes durch konservativ-nationalistische und nationalsozialistische Kreise zu werten ist.6 Zudem stellte die zunehmende Bedeutung der Parteien in der Nachkriegszeit den Kyffhäuserbund immer häufiger vor ein Dilemma: Auf dem politischen Parkett der 1920er Jahre7 geriet er immer mehr in den Ruf, bloß ein Scheinriese zu sein, der seinen großen nationalen Worten keine Taten folgen lasse. Seine formal neutrale Haltung wurde ferner durch einen personellen Wechsel an der Verbandsspitze Mitte der 1920er weiter unterminiert. Nach dem Tod Josias von

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5

6 7

Vgl. Siegfried Weichlein: Sozialmilieus und politische Kultur in der Weimarer Republik. Lebenswelt, Vereinskultur, Politik in Hessen, Göttingen 1996, S. 13-15; zum Konzept der sozialen Milieus siehe M. Rainer Lepsius: Parteiensystem und Sozialstruktur. Zum Problem der Demokratisierung in Deutschland, in: ders. (Hg.): Demokratie in Deutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen, Göttingen 1993, S. 25-50;weiterhin Karl Rohe: Wahlen und Wählertraditionen in Deutschland. Kulturelle Grundlagen deutscher Parteien und Parteiensysteme im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1992, S. 19-28. Neben der politischen legte der Kyffhäuserbund ebenso großen Wert auf eine formale konfessionelle Neutralität. Diese bezog sich neben den christlichen Konfessionen auch auf den jüdischen Glauben. Denn, so die Argumentation des Verbandes, es lasse sich kein Grund erkennen, warum ein Jude, der wie alle anderen Kameraden im Weltkrieg gekämpft hatte, nicht gleichzeitig auch ein national fühlender Deutscher sein könne. Inwieweit nicht dennoch ein deutschnationaler Antisemitismus an der Basis praktiziert wurde, lässt sich nicht nachweisen. Vgl. »Kyffhäuserbund und Antisemitismus«, in: Kyffhäuser, 9.1.1927, S. 3. Schulz: Ästhetisierung, S. 113-162. Zur zunehmenden Theatralisierung des Politischen in den 1920er Jahren vgl. Wolfgang Hardtwig: Performanz und Öffentlichkeit in der krisenhaften Moderne. Visualisierung des Politischen in Deutschland 1871-1936, in: ders. (Hg.): Politische Kultur der Moderne. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 2011, S. 135-155. Eine komprimierte Darstellung der Endphase der Republik bietet Dirk Blasius: Weimars Ende. Bürgerkrieg und Politik 1930-1933, Göttingen 2005.

III. Der Veteran in Zivil

Heeringens im Jahr 1926 brach Rudolf von Horn8 als neuer Präsident mit den alten Traditionen des Kyffhäuserbundes und führte diesen auf das ebenso ambivalente wie gewagte Terrain verstärkter politischer Profilierung und Aktivität. Das blieb wiederum nicht unwidersprochen und trug ihm häufig die Kritik der Mitglieder an der Basis ein. Diese schleichende Politisierung und wachsende politische Aktivität des Verbandes ab Mitte der 1920er Jahre lässt sich daran nachvollziehen, wie der Kyffhäuserbund auf verschiedene tagespolitische Sachverhalte reagierte.

1.1

Kameradschaft in der Kontroverse – Kriegervereine und Tagespolitik

Von Horns erste Bewährungsprobe im Amt bildete eine Auseinandersetzung von höchster politischer Brisanz: der Flaggenstreit von 1926.9 Für das Präsidium des Kyffhäuserbundes war dieses Thema besonders heikel, da es die grundsätzliche Frage aufwarf, wie sich der Verband zur traditionellen Symbolik des Kaiserreichs verhalten sollte – in diesem Fall zu den alten Reichsfarben, die zugleich die Verbandsfarben des Kyffhäuserbundes darstellten. Für die Kriegervereine war die Frage der Flaggenfarben eine durchaus emotionale, gehörte die schwarz-weiß-rote Ornamentik doch zum festen Bestandteil ihrer Traditionspflege. Von Horn stand nun vor der schwierigen Aufgabe, zwischen dem schwarz-weiß-roten Traditionsbewusstsein seiner Mitglieder und den schwarz-rot-goldenen Staatsfarben der Republik zu vermitteln. Der Präsident hielt es in dieser Situation für nötig, seine grundsätzliche Meinung in der Flaggenfrage offiziell zum Ausdruck zu bringen: »Die im Deutschen Reichskriegerbund ›Kyffhäuser‹ zusammengeschlossenen 30.000 Kriegervereine stehen fest und unerschütterlich als Träger der Tradition zu den ruhmreichen Farben Schwarz-Weiß-Rot. […] Sie stehen unter der Fahne, unter der Deutschland seine Einigung vollzog, unter der 13 Millionen deutscher

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Rudolf von Horn wurde 1866 in Nieder-Giersdorf geboren. Nach der Kadettenschule schlug er wie schon sein Vater die Offizierslaufbahn im kaiserlichen Heer ein. Während des Ersten Weltkrieges befehligte er verschiedene Feldartillerie- und Infanterieverbände an der Westfront – Pour le Mérite 1918. 1920 trat er im Rang eines Generalleutnants in die Reichswehr ein, wo er 1926 unter Verleihung des Charakters eines Generals der Artillerie aus dem Dienst ausschied. Vgl. Robert Volz: Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft. Das Handbuch der Persönlichkeiten in Wort und Bild, Erster Band (A-K), Berlin 1930, S. 802; sowie Dermot Bradley: Die Generale des Heeres 1921-1945. Die militärischen Werdegänge der Generale, sowie der Ärzte, Veterinäre, Intendanten, Richter und Ministerialbeamten im Generalsrang, Band 6: Hochbaum-Klutmann, Osnabrück 2002, S. 143f. Vgl. Robert Schmölder – »Wie ist Schwarz-Rot-Gold zur Nationalflagge geworden?«, in: Kyffhäuser, 28.11.1926, S. 2; zudem Thorsten Eitz: ›Die Reichsfarben sind schwarz-rot-gold.‹, in: ders./Isaebelle Engelhardt (Hg.): Diskursgeschichte der Weimarer Republik. Band 1, Hildesheim 2015, S. 32-99, hier insbesondere S. 67-86; und ferner Arnold Rabbow: dtv-Lexikon politischer Symbole A-Z, München 1970, S. 81-88.

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Brüder den schwersten Kampf auskämpften, den je die Welt gesehen hat, unter der 2 Millionen treuer Kameraden den Tod für ihre Heimat starben. Sie führen die Fahne, unter der alle Deutschen den Ehrendienst für das Vaterland taten, nicht als Fahne einer Partei, sondern als Fahne großer, glänzender Vergangenheit und als Banner der Hoffnung auf ein dereinst wieder geeintes deutsches Volk.«10 Den Kern der Argumentation von Horns bildete die Traditionsbildung und die symbolische Bedeutung der alten Reichsfahne nicht nur für den Kyffhäuserbund, sondern auch für den Teil der deutschen Gesellschaft, der die Gründung des Kaiserreiches unter den Farben Schwarz-Weiß-Rot miterlebt hatte. Gleichzeitig wählte er seine Worte mit Bedacht, um keine Angriffsfläche zu bieten. Denn für Kritiker, die eine unterschwellige politische Aussage in dieser Stellungnahme sehen wollten, wurde es schwierig, Argumente gegen die Verwendung einer Fahne und von Farben zu finden, die mit dem Tod von Millionen von Soldaten und der Erinnerungskultur von Millionen von Veteranen verknüpft waren. Im gleichen Atemzug schränkte von Horn den Vergangenheitsbezug jedoch ein, indem er vor dem Hintergrund der Traditionswahrung die weiteren Anforderungen für den Kyffhäuserbund formulierte. »Wir müssen die Aufgaben der Gegenwart verstehen, um an der Zukunft bauen zu können. Wir müssen uns klar darüber sein, daß alle diejenigen, die sich zum Staate bekennen, die gewillt sind, am Staate und im Staate mitzuwirken – und das wollen wir, weil wir es für notwendig halten – auch verpflichtet sind, die Staatsautorität zu stützen. Wir waren Träger des Kampfes um Deutschlands heiligste Güter, wir wollen auch Träger des Kampfes sein um den Wiederaufbau und die Zukunft unseres Vaterlandes!«11 Von Horn appellierte somit an den Patriotismus seiner Verbandsmitglieder, der über die Farben der Reichsfahne erhaben war. Das Präsidium wies seine Kriegervereine daher – was auch als eine Art Kompromisslösung zu verstehen war – per Dekret an, bei offiziellen Anlässen und öffentlichen Aufmärschen entweder sowohl die alten als auch die neuen Reichsfarben zu zeigen oder ihre schwarz-weiß-roten Fahnen nur verhüllt mitzuführen, um somit für alle sichtbar ihre politische Neutralität zu signalisieren.12 Ein solcher Pragmatismus war in der Realität allerdings nur schwer bei den Mitgliedern an der Basis durchzusetzen, vor allem in dörflichen Regionen an der 10 11 12

Rudolf von Horn – »Unsere Fahne. Gedanken über die Flaggenfrage«, in: Kyffhäuser, 20.11.1927, S. 2. Ebd. Vgl. NiLaA Os, Rep 450 Bent II Nr. 392, Kriegerverein zu Emlichheim: Schreiben des Landrats der Grafschaft Bentheim an den Schriftführer des Kriegervereins Emlichheim (Pruust) vom 28. Juli 1922; Ebd.: Antwortschreiben vom 15. September 1922.

III. Der Veteran in Zivil

Peripherie des Reiches. Hier häuften sich die Berichte und auch polizeilichen Anzeigen über Kriegervereine, die bei öffentlichen Aufzügen und Kundgebungen sowie der Einweihung von Denkmälern ausschließlich und ganz offen Fahnen mit den Farben des kaiserlichen Deutschland mit sich führten.13 Der Flaggenstreit von 1926 war allerdings nur ein Vorbote der Kontroversen, in welche die politische Landschaft Weimars die Kriegervereinsorganisation des Kyffhäuserbundes in den folgenden Jahren stürzen sollte. Tatsächlich äußerte sich der Kyffhäuserbund höchst selten zu tagespolitischen Ereignissen, welche die verbandsinterne Harmonie bedroht hätten. Genau diese Einstellung wurde ihm aber immer häufiger zum Vorwurf gemacht, was ihn vor erhebliche Schwierigkeiten stellte: »Die politische Haltung der Kriegervereinsorganisation, die sie nach der Staatsumwälzung als Richtkultur für ihre vaterländische Tätigkeit festgelegt hat, wird von links und von rechts angegriffen. Von links wird ihre nationale Richtung, oder wie der verschwommene neue Ausdruck lautet, ihre nationalistische Betätigung bekämpft; die Kriegervereine sind den linksradikalen Parteien zu national und vaterländisch gesinnt, und sie gelten denen, denen vaterländisches Empfinden ein Greuel ist, als Reaktionäre. Von rechts wird die nationale Haltung der Kriegervereine angegriffen, weil sie ihnen schwächlich und nicht scharf genug betont ist.«14 Die zunehmenden Anfeindungen traten gegen Ende der 1920er Jahre immer offener zutage – beispielsweise beim Volksbegehren gegen den Young-Plan 1929, der die Zahlungsverpflichtungen des Deutschen Reiches auf Grundlage des Versailler Vertrages neu regeln sollte.15 So forderte der deutschnationale Stahlhelm vom größten Veteranenverband der Republik eine offizielle und eindeutige öffentliche Stellungnahme zum anstehenden Volksbegehren: »Es ist dringend erforderlich, dass eine sofortige Aufklärung aller Mitglieder des Kyffhäuserbundes […] dahin erfolgt, dass jedes Mitglied seinem Vaterlande ge13

14 15

Im Jahr 1922 beispielsweise erging Anzeige gegen drei Kriegervereine aus dem südwestlichen Emsland, die bei der Einweihungsfeier eines Kriegerdenkmals in Veldhausen schwarzweiß-rote Vereinsfahnen in einem öffentlichen Aufmarsch durch die Gemeinden trugen. Vgl. NiLaA Os, Rep 450 Bent II Nr. 393, Kriegerverein zu Uelsen: Schreiben des Oberlandjägers Bullerdieck (Neuenhaus) an den Hilfsbeamten zu Neuenhaus vom 24.09.1922. Professor Alfred Westphal – »Die politische Neutralität und die vaterländischen Aufgaben der Kriegervereinsorganisation«, in: Kriegerzeitung, 21.11.1921, S. 1f. Vgl. Otmar Jung: Direkte Demokratie in der Weimarer Republik. Die Fälle ›Aufwertung‹, ›Fürstenenteignung‹, ›Panzerkreuzerverbot‹ und ›Youngplan‹, Frankfurt a.M. 1989, S. 109-146; Philipp Heyde: Das Ende der Reparationen. Deutschland, Frankreich und der Youngplan, Paderborn 1998, S. 65-75; und ders.: Plebiszitärer Durchbruch 1929? Zur Bedeutung von Volksbegehren und Volksentscheid gegen den Young-Plan für die NSDAP, in: Geschichte und Gesellschaft 15 (1989), S. 489-510; sowie Führer: Reichskriegerbund, S. 57f.

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genüber die unbedingte Pflicht hat, zum Volksbegehren persönlich Stellung zu nehmen, um so mehr, als ja auch der Kyffhäuserbund die Beseitigung der Kriegsschuldlüge zu seiner Sache gemacht hat. Am besten wäre es, wenn der Kyffhäuserbund jetzt, wo es um’s Ganze geht, aus seiner Reserve herausträte und sich offen und geschlossen zum Volksbegehren bekennen würde. Alle Bedenken müssen jetzt zurückstehen! Verlorenes, wie ›Traditionen pp‹, kann später wieder ersetzt werden.«16 Der Stahlhelm spielte dabei auf den aus seiner Sicht eng mit dem Young-Plan und den Reparationsforderungen der Alliierten verbundenen Artikel 231 und somit letztlich auf die Kriegsschuldlüge an und wendete die vollmundigen Forderungen des Kyffhäuserbundes gegen ihn selbst. Wichtiger, als die Tradition der politischen Neutralität zu wahren, sei es zu diesem Zeitpunkt, sein massenorganisatorisches Potential für ein Gelingen des Volksbegehrens einzusetzen. Die neuerliche Verpflichtung des Bundes zu politischer Neutralität nach 1918 sei zwar durchaus erklärlich und löblich gewesen, auf Grund der veränderten politischen Verhältnisse jedoch nicht mehr zeitgemäß und erst recht in der aktuellen Situation nicht mehr aufrechtzuerhalten.17 Von Horn bedauerte in einem Antwortschreiben diese Sichtweise des Stahlhelms und widersprach den erhobenen Anschuldigungen schlicht mit Verweis auf die Satzungen sowie die heterogene Sozialstruktur seines Verbandes, die auch in diesem Fall keine eindeutige Stellungnahme erlaubten.18 Auf die Bitte des Stahlhelms, die Differenzen zwischen den Verbänden in einem vertraulichen Gespräch der beiden Vorstände aus der Welt zu schaffen,19 antwortete die Verbandsspitze knapp, dass eine solche Aussprache aus ihrer Sicht wenig erfolgversprechend sei, da »die Wege, die der Stahlhelm, als politischer Kampfverband einschlägt andere sind, als wir sie nach unseren Satzungen einschlagen können.«20 Dennoch hielt sich der Kyffhäuserbund bei seiner Empfehlung für die Mitglieder zum anstehenden Volksbegehren eine Hintertür offen: Zwar wiederholte er öffentlich, dass er zum Volksbegehren selbst nicht Stellung nehmen könne, da »es sich um eine im Brennpunkt des parteipolitischen Kampfes stehende Frage handelt«, und stellte weiterhin klar, dass sich der Kyffhäuserbund entgegen anderslautender Meinungen nie eindeutig für oder gegen das Volksbegehren ausgesprochen habe. Gleich16

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BArch Berlin, R 72/285, Stahlhelm: Bünde und Parteien – Reichskriegerbund »Kyffhäuser«, Bl. 118: Schreiben des Stahlhelms an das Präsidium des KB (von Horn) vom 03. Oktober 1929 bzgl. des Volksbegehrens. Vgl. ebd., Bl. 138-140: Entwurf eines Begleitschreibens des Stahlhelmes an den Kyffhäuserbund betr. das Verhältnis der beiden Verbände vom 27. November 1929. Vgl. ebd., Bl. 142: Antwortschreiben von Horns vom 10. Dezember 1929. Vgl. BArch Berlin, R 72/285, Stahlhelm: Bünde und Parteien – Reichskriegerbund »Kyffhäuser«, Bl. 143: Reaktion des Stahlhelms vom 04. Januar 1930. Ebd., Bl. 144: Antwort des Vorstandes des Kyffhäuserbundes (Karwiese), 22. Januar 1929.

III. Der Veteran in Zivil

zeitig aber betonte die Verbandsspitze, dass es jedem Mitglied des Verbandes in seiner Rolle als Staatsbürger selbstverständlich offen stehe, »sich […] in dieser Lebensfrage des deutschen Volkes nach bestem Wissen und Gewissen«21 zu entscheiden. Insgesamt war der Kyffhäuserbund bemüht, den Anschein politischer Neutralität zu wahren, wenngleich es Anzeichen in den Reihen der Mitglieder gab, dass man sich dort ein stärkeres offizielles Eintreten der Verbandsspitze für das Volksbegehren gewünscht hätte.22 Weiteres Konfliktpotential entstand in der Folgezeit durch den erneut vom Stahlhelm sowie weiteren republikfeindlichen Gruppierungen initiierten Volksentscheid zur Auflösung des Preußischen Landtages 1931.23 Auch in dieser Debatte zeigte sich der Kyffhäuserbund inhaltlich offen, war hin und her gerissen zwischen Traditionswahrung und konkreter politischer Einflussnahme. Eine abermalige Anfrage des Stahlhelms, ob der Kyffhäuserbund nach der gescheiterten Anti-YoungPlan-Kampagne nun gewillt sei, aktiv an dem Volksbegehren mitzuwirken,24 beantwortete die Verbandsspitze noch am selben Tag abschlägig. Zur Begründung hieß es, dass man sich in keinem Fall an »innenpolitischen Kämpfe [sic!], die von Parteipolitik nicht zu trennen sind«,25 beteiligen und diese Auseinandersetzungen nicht in die Kriegervereine hineintragen wolle. Wegen seines neutralen bis abwartenden Verhaltens sah sich der Kyffhäuserbund dieses Mal allerdings nicht nur den Anfeindungen rechts-konservativ gesinnter Parteien ausgesetzt; auch linke Verbände bezweifelten stark die tatsächliche Neutralität des Bundes in dieser Angelegenheit.26 Obendrein zog sich der Verband auch noch die harsche Kritik vieler seiner eigenen Mitgliedsvereine zu, die sich eine klarere Stellungnahme zugunsten des Volksbegehrens oder wenigstens Richtlinien für ein gemeinsames Ver-

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»Kyffhäuserbund und Volksbegehren«, in: Kyffhäuser, 22.9.1929, S. 2. Vgl. BArch Berlin, NS 26/925, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund – Volksbegehren gegen den Young-Plan, Bl. 2-4: Schreiben von Oertzens an das Präsidium; und Ebd., Bl. 5: Antwortschreiben des KB-Präsidiums an von Oertzen vom 20. Januar 1930; sowie ferner »Die Ungültigkeit des Youngplans«, in: Kyffhäuser, 6.12.1931, S. 2. Vgl. Wilhelm Ribhegge: Preußen im Westen. Kampf um den Parlamentarismus in Rheinland und Westfalen 1789-1947, Münster 2008, S. 487-494; und Heinrich August Winkler: Der Weg in die Katastrophe. Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1930 bis 1933, Bonn 2 1990, S. 385-391. Vgl. BArch Berlin, NS 26/926, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund – Volksbegehren betr. Aufl. Landtag 1931, Bl. 5-7: Schreiben des Stahlhelms an den Kyffhäuserbund vom 7. Februar 1931. Ebd., Bl. 15: Antwortschreiben des Kyffhäuserbundes an den Stahlhelm. Vgl. hierzu BArch Berlin, R 1501/126033, Reichsministerium des Innern – Krieger- und Offiziersvereinigungen, Lf. 01/30-04/34, Bl. 2: Artikel – »Verkappte Faschisten. Die ›politisch neutralen‹ Kriegervereine«, in: Das Reichsbanner, 21.11.1931.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

halten gewünscht hätten.27 Insbesondere der Preußische Landeskriegerverband sorgte sich um die innere Sicherheit und Ordnung in Preußen und befürchtete eine Gewalteskalation zwischen den von Reichsbannermitgliedern verstärkten Polizeikräften auf der einen Seite und den Anhängern des Volksbegehrens auf der anderen. Sollte offene Gewalt in den Straßen der Hauptstadt ausbrechen, wollte der Landesverband eigenmächtig eine »taugliche Mannschaft aus unseren Reihen den Behörden« zur Verfügung stellen, »um Staats- und Privateigentum unmittelbar vor Verwüstung und Plünderung zu schützen.«28 In dieser aufgeheizten Atmosphäre fühlte sich der Kyffhäuserbund zum Handeln genötigt. Das Präsidium des Verbandes sah durch die fortgesetzte Einmischung des Stahlhelms die innere Stabilität der ganzen Organisation gefährdet. Darüber hinaus wollte er sich durch den Profilierungsdrang eines Konkurrenzverbandes nicht in politische Streitfragen hineinziehen oder gar übervorteilen lassen. Die nachweislichen Versuche des Stahlhelms, einzelne Kriegervereine mit seinen Mitgliedern zu unterwandern und dort »durch Majorisierung einen Beschluss zu fassen, der dem Stahlhelm sehr genehm«29 war, konnte der Kyffhäuserbund nicht hinnehmen. Er veröffentlichte daher eine längere Denkschrift, in welcher sich der Verband direkt auf die Ereignisse der letzten Jahre bezog, seine bisherige Handlungsweise rechtfertigte und sich selbst sowie seinen Veteranen eine herausragende Stellung innerhalb der deutschen Gesellschaft zuschrieb.30 Da ein stärkeres politisches Engagement die Gefahr einer Spaltung vergrößere, argumentierte der Kyffhäuserbund, dass er sich gerade aus Gründen der inneren Stabilität von der Sphäre des Politischen sowie den innen- und parteipolitischen Kämpfen fernhalten müsse. Denn es sei das zentrale Merkmal des Verbandes, Veteranen unterschiedlichster sozialer Herkunft und politischer Orientierung unter dem Banner des gemeinschaftsstiftenden Kyffhäusergeistes in seinen Kriegervereinen zu vereinen, den er als »das Blut, das den ganzen deutschen Volkskörper durchströmen und allen Teilen zu Gute kommen soll«,31 und somit einmal mehr als probateres Mittel zur Lösung der gegenwärtigen Probleme ansah.32 Die innenpolitischen Auseinandersetzungen im Reich – wie etwa um die Volksbegehren gegen den Young-Plan oder zur Auflösung des Preußischen Landtages – seien in erster Linie gekennzeichnet durch 27

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Siehe exemplarisch BArch Berlin, NS 26/926, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund – Volksbegehren betr. Aufl. Landtag 1931, Bl. 33f. und 64f.: Eingabe des Kriegervereins Schlesien und Antwortschreiben des Präsidiums des Kyffhäuserbundes. Ebd., Bl. 144-148: Kurzer Bericht über die Vorstandssitzung des Preußischen LandesKriegerverbandes am 28. Februar 1931. Ebd. Vgl. BArch Berlin, NS 26/926, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund – Volksbegehren betr. Aufl. Landtag 1931, Bl. 80-93: Manuskript von Dr. Georg Hartmann-Rathstock – »Kyffhäuser und Volksbegehren«. Ebd. Zur Analogie von Kyffhäusergeist und Volksgemeinschaft siehe Kapitel II, 1.

III. Der Veteran in Zivil

den unbedingten Willen bestimmter Gruppierungen, ihre innenpolitischen Interessen mit aller Macht durchzusetzen. Eine solche Vorgehensweise verstellte für den Kyffhäuserbund den Blick auf höhere gesellschaftlichen Ziele, die es vorzüglich zu erreichen gelte: »Die deutsche Kultur zu retten und dazu einen deutschen Gesamtwillen als Staatswillen zu erzeugen, der auch die deutsche Arbeiterschaft umfasst.«33 Mit dieser Begründung rechtfertigte der Kyffhäuserbund seine Neutralität bei den von anderen Veteranenverbänden initiierten Volksbegehren. Die angeführten Kontroversen verdeutlichen exemplarisch, wie der Kyffhäuserbund in den 1920er Jahren auf dem Feld des Politischen lavierte. Die Nachkriegszeit hielt komplexere Probleme und vielfältigere politische Auseinandersetzungen bereit, als dies im Kaiserreich der Fall gewesen war. In der Monarchie mit ihrem ideellen Bezug auf den Souverän konnte sich der Verband auf die Treue zum Kaiser konzentrieren und so politische Differenzen überformen oder ausblenden. Deshalb musste er sich nicht mit Parteien oder den Niederungen der Parteipolitik en détail auseinanderzusetzen. Diese Probleme kamen aber mit dem Umbau des politischen Systems und der massiven Aufwertung der Parteien durch die republikanische Staatsform umso stärker auf ihn zu. Das Ausweichen des Kyffhäuserbundes vor politischen Festlegungen führte jetzt fast zwangsläufig zu Anfeindungen durch andere Gruppierungen sowie zu einer zunehmenden Diskrepanz zwischen der Linie der Verbandsführung und den Vorstellungen der Mitglieder an der Basis. Denn allseits erwartete man vom größten Veteranenverband mit seinen annähernd drei Millionen Mitgliedern früher oder später ein klares politisches Bekenntnis. Die Probleme spitzten sich immer weiter zu, besonders bei den Reichspräsidentenwahlen, da wegen der Kandidaten die Interessen des Verbandes mit dem selbst gesteckten Anspruch auf politische Neutralität unübersehbar kollidierten.

1.2

Der Veteran als Wähler

Die Kriegervereine des Kyffhäuserbundes verfügten auch nach dem Weltkrieg mit ihren konstant annähernd 2,3 Millionen Mitgliedern »über eine exzeptionelle Machtbasis«34 und stellten damit einen Machtfaktor dar, der von den politischen Entscheidungsträgern schwerlich ignoriert werden konnte. Diesen Einfluss versuchte der Verband vor allem im Vorfeld von Kommunal-, Landtags- oder Reichstagswahlen geltend zu machen, indem er sich in der Rolle des staatspolitischen Erziehers betätigte und seine Veteranen über ihre Verantwortung sowie

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BArch Berlin, NS 26/926, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund – Volksbegehren betr. Aufl. Landtag 1931, Bl. 80-93: Manuskript von Dr. Georg Hartmann-Rathstock – »Kyffhäuser und Volksbegehren«. Bösch: Militante Geselligkeit, S. 180.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

das Prozedere beim bevorstehenden Wahlen aufklärte.35 Zuallererst wurden das System der Verhältniswahl und die antretenden Parteien eingehender erläutert. Die Art des Wahlsystems bringe es mit sich, dass »die politischen Parteien in der Wahlpolitik eine ganz andere und viel bedeutendere Rolle«36 spielten, als dies vorher der Fall gewesen sei, erläuterte der Verband. Diese Tatsache habe einerseits zu einer Pluralisierung, zu Veränderungen und Neubildungen innerhalb des Parteiwesens geführt. Andererseits hätte das Bekenntnis vieler Parteien zur Republik markante Unterschiede in ihrer Programmatik verwischt, was von den Parteien am rechten Rand bis hin zur Sozialdemokratie gelte. Einzig die USPD sowie die KPD stünden nicht auf dem Boden der Verfassung, wollten diese vielmehr vernichten und auf den Trümmern eine neue sozialistische und internationalistische Welt aufbauen.37 Die Ausübung des Wahlrechts besaß für den Kyffhäuserbund einen hohen Stellenwert, sah er hierin doch die »Erfüllung der staatsbürgerlichen Pflicht« und spiegelte sich in den Wahlergebnissen der unmittelbare Ausdruck des Volkswillens im demokratischen Prozess wider. Wählen zu gehen war für ihn daher eine »sittliche Forderung«, ein »unabänderliches Gebot für jeden, der in die Zukunft denkt und der sein Vaterland lieb hat.«38 Er erwartete daher, »daß in alter soldatischer Gewissenhaftigkeit jedes Mitglied sein Wahlrecht ausübt« und nur solchen Parteien seine Stimme gab, die sich dem »Kampf für die Freiheit und Ehre der Nation, [dem] Kampf für den großdeutschen Gedanken, und für die Erhaltung des bedrängten Deutschtums in den losgerissenen Gebieten und in den neuen Versailler-Staaten«39 verschrieben hätten. Die Kriegervereine und ihre Mitglieder sollten ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern mit gutem Beispiel vorangehen und demonstrieren, was »wahre patriotische Gesinnung, die sich selbst und ihre besonderen Ansichten und Belange dem Gesamtwohl opfert«,40 bedeutete. Der Gang zur Wahlurne wurde zu einem selbstverständlichen soldatischen Gebot und der Veteran zu einem Vorbild erklärt, dessen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft über den Krieg hinaus bestehen blieb: »Für uns sei die Wahlpflicht ein Befehl, den wir uns aus unserm vaterländischen Herzen heraus selbst geben, und den wir ausführen werden, komme, was kommen mag! In ernster Prüfung wollen wir Mann für Mann zur Wahlurne gehen und

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Vgl. Heinrich Führ – »Die Revolution und die Kriegervereine. Gedanken eines Außenstehenden«. Kattwinkel – »Die politischen Parteien im neuen Deutschland«, in: Kriegerzeitung, 12.1.1919, S. 4f. Vgl. ebd. Otto Riebicke – »Die Kriegervereine im Wahlkampf«, in: Kyffhäuser, 25.3.1928, S. 2f. Ebd. Ebd.

III. Der Veteran in Zivil

dort unsere Stimme abgeben, so, wie es uns das Gewissen sagt, in Treue zu unserem Vaterlande, und bewußt der Verantwortung, die wir als Träger des Vermächtnisses unserer gefallenen Kameraden und Mitgestalter einer Gegenwart haben, die für unser Volk nicht in Not und Finsternis enden soll, sondern aufgehen möge in einer Zukunft voll Segen und Sonne!«41 Der Kyffhäuserbund rief seinen Mitgliedern ins Bewusstsein, dass dringende innen- und außenpolitische Probleme gelöst werden müssten. Doch stand, wie er beklagte, der Bedeutung der Wahlen eine anhaltend niedrige Wahlbeteiligung gegenüber, wenngleich diese bei den Plebisziten auf Reichsebene zwischen 1919 und 1933 nicht niedriger lag als bei den Reichstagswahlen im Kaiserreich, in den meisten Fällen sogar höher ausfiel.42 Nichtwähler waren für den Kyffhäuserbund eine Gruppe, für die »Volk und Vaterland Begriffe ohne innere Bindung« seien und die diesen »gegenüber kein Verantwortungsgefühl« besäßen. Nicht wählen zu gehen, kam einer »Sabotage gegen die Zukunft des Volkes«43 gleich. Hinter solchen Mahnungen standen die Befürchtungen des Verbandes, dass eine niedrige Wahlbeteiligung ein weiteres Erstarken linker Parteien wie die KPD begünstigte.44 Der Veteran sollte moralisch über der Zerrissenheit der Parteien und den politischen Antagonismen seiner Zeit stehen, seine einzigen Referenzen stellten sein Gewissen und das Vaterland dar. Die »Liebe zum deutschen Vaterlande, verbunden mit der Hochhaltung der alten, schönen, stolzen Soldatenüberlieferung, der Kameradschaft und der unwandelbaren Treue«45 waren für den Verband die Grundpfeiler des Kriegervereinswesens, die es zu einem »Bollwerk gegen die innere Entwurzelung«46 machten. Das sich eine solche Position dauerhaft nur schwer aufrechterhalten ließ, verdeutlicht der handfeste Interessenkonflikt, der sich für den Kyffhäuserbund nach dem Tod von Reichspräsident Friedrich Ebert am 28. Februar 1925 ergab.

1.2.1

Vom Sonderfall zum Streitfall – der Ehrenpräsident und die Reichspräsidentenwahlen der Jahre 1925 und 1932

Über die Deutung und Bedeutung der Kandidatur Paul von Hindenburgs zum Reichspräsidenten sowie seine Wahl 1925 und Wiederwahl 1932 für die Geschichte der Weimarer Republik ist in der Forschung hinreichend diskutiert worden. Die 41 42

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Otto Riebicke – »Du mußt wählen!«, in: Kyffhäuser, 7.9.1930, S. 2. Vgl. Jürgen W. Falter/Thomas Lindenberger/Siegfried Schumann: Wahlen und Abstimmungen in der Weimarer Republik. Materialien zum Wahlverhalten 1919-1933, München 1986, S. 67-75; und Bernhard Vogel/Dieter Nohlen/Rainer-Olaf Schultze: Wahlen in Deutschland. Theorie, Geschichte, Dokumente, 1848-1970, Berlin 1971, S. 106-119. Otto Riebicke – »Du mußt wählen!«. Vgl. »Kyffhäuserbund und Reichstagswahlen«, in: Kyffhäuser, 31.8.1930, S. 2. Oberst Immanuel »Zur Reichstags- und Landtagswahl«, in: Kriegerzeitung, 30.11.1924, S. 1f. Otto Riebicke – »Die Kriegervereine im Wahlkampf«.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Erklärungen reichen von der Wahl eines Ersatzkaisers in das höchste Staatsamt, der die Republik quasi-monarchisch regierte,47 bis hin zu den an Max Weber angelehnten Konzepten charismatischer Herrschaft48 oder der Betonung der mythischen und sinnstiftenden Qualitäten der Figur des Generalfeldmarschalls und Siegers von Tannenberg.49 In der Historiographie bislang nicht zur Geltung gekommen ist die Perspektive des einfachen Weltkriegssoldaten auf die für die Veteranen des Kyffhäuserbundes in jeder Hinsicht besonderen innenpolitischen Großereignisse der 1920er Jahre und ihre Einstellung zu einem Staatsoberhaupt, das in der Vergangenheit ihr oberster militärischer Führer gewesen war. 1925 herrschte in der Verbandszentrale vorerst noch die übliche Routine im Vorfeld von Wahlen auf Reichsebene vor, da der Ehrenpräsident des Kyffhäuserbundes erst im zweiten Wahlgang antrat. Dementsprechend mahnte die Verbandsführung die Veteranen wie üblich, sich ihrer soldatischen Pflichten gewahr zu sein und aktiv an der Wahl zu beteiligen: »Wahlenthaltung ist Fahnenflucht. Darum, liebe Kameraden, wählet Mann für Mann, und wählet vaterländisch als alte Soldaten!«50 Zwar sprach sie erneut keine klare Wahlempfehlung aus, und es fielen offiziell auch keine Namen. Doch war an den von ihr aufgelisteten persönlichen und fachlichen Qualitäten, die das Amt von seinen Inhaber für sich verlangte, unschwer erkennbar, dass die Verbandsleitung den Kandidaten des nationalkonservativen Reichsblocks, den Duisburger Oberbürgermeister und DVP-Abgeordneten Karl Jarres, favorisierte.51 Da der erste Wahlgang der Reichspräsidentenwahlen am 29. März 1925 für keinen der Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit brachte,52 erfolgte vor dem zweiten Wahlgang am 26. April eine Rochade der Kandidaten: Die Parteien der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, DDP) schlossen sich zum sogenannten Volksblock zusammen, der sich auf den Zentrumspolitiker und ehemaligen Reichskanz-

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So bspw. bei Münkler: Mythen, S. 66; als auch bei Karl Dietrich Bracher: Die Auflösung der Weimarer Republik. Eine Studie zum Problem des Machtverfalls in der Demokratie, Düsseldorf 5 1971, S. 44; und Niedhart: Deutsche Geschichte, S. 98. Vgl. Wolfram Pyta: Paul von Hindenburg als charismatischer Führer der deutschen Nation, in: Frank Möller (Hg.): Charismatische Führer der deutschen Nation, München 2004, S. 109147; ders.: Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Berlin 2007, hier insbesondere S. 285-294. Pyta verwendet das Charismakonzept Max Weber allerdings in erster Linie dazu, um seinerseits das Konzept des Charismatransfers einzuführen, um die Machtübernahme Hitlers erklären zu können. Vgl. Pyta: Hindenburg, S. 869-871. Etwas verkürzend, aber innovativ ist Von der Goltz: Hindenburg. Oberst Immanuel – »Reichspräsidentenwahl«, in: Kriegerzeitung, 22.3.1925, S. 1. Vgl. Oberst Immanuel – »Reichspräsidentenwahl«. Jarres, als Kandidat des Reichsblocks, errang insgesamt 38,8 %, der preußische Ministerpräsident Otto Braun erhielt 29,0 %, auf den Zentrumskandidaten Wilhelm Marx entfielen 14,5 %, der Kommunist Ernst Thälmann erhielt 7,0 %, der DDP-Kandidat Willy Hellpach lag bei 5,8 % der Stimmen. Ebenfalls angetreten, aber unter 5 % blieben Erich Ludendorff und der Bayerische Ministerpräsident Heinrich Held. Vgl. Falter/Lindenberger/Schumann: Wahlen, S. 46.

III. Der Veteran in Zivil

ler Wilhelm Marx als gemeinsamen Kandidaten verständigte. Alle anderen Bewerber um das Amt bis auf Ernst Thälmann zogen ihre Kandidatur zurück. An der Spitze des Reichsblocks (DVP, DNVP, Wirtschaftspartei) gab es dagegen eine personelle Veränderung: Nach scharfen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Lagern wurde der im ersten Wahlgang erfolgreiche Karl Jarres durch den früheren Chef der Obersten Heeresleitung und Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg ersetzt. Damit hatte der Reichsblock eine Persönlichkeit gefunden, die in der Republik politisch ein bislang unbeschriebenes Blatt war, die sich weiten Bevölkerungskreisen daher als überparteilich vermitteln ließ und die von der immer noch ungebrochenen mythischen Strahlkraft und dem hohen gesellschaftlichen Ansehen des Siegers von Tannenberg zehrte.53 Die Kandidatur des eigenen Ehrenpräsidenten löste in den Reihen des Kyffhäuserbundes wahre Begeisterungsstürme aus und veranlasste ihn, Hindenburg zum Wahltag eine ganze Ausgabe seiner Kriegerzeitung zu widmen. Zugleich ließ der Verband seine vielgerühmte und zäh verteidigte politische Neutralität fahren und mischte sich aktiv in den Wahlkampf ein. Zuerst wandte sich Hindenburg persönlich an seine wohl treuesten Wähler. Er legte dar, dass er die Kandidatur nach reiflicher Überlegung und aus tiefer soldatischer Treue gegenüber seinem Vaterland angenommen habe, da er es als »Pflicht und Schuldigkeit« erachtete, diesem »aufzuhelfen zu alter Ehre.« Er appellierte an die Mitglieder der Kriegervereine, an die »alten Kriegskameraden, die in schwerer Stunde stets bereit waren, Leib und Leben einzusetzen. Sie müssen auch im Frieden ihre Kräfte dem Vaterlande widmen. Jetzt haben wir eine Zeit, die sich Frieden nennt, die aber kein Frieden ist. Unablässig wollen wir der Einigkeit des Vaterlandes dienen und jene, die verblendet sind, nicht von uns stoßen durch Ablehnung, sondern ihnen wollen wir die Bruderhand geben, um sie mit uns zusammenzubringen.«54 Hindenburgs Appell zeigt, wie die Sphäre des Politischen von soldatischen Tugenden, wie der Pflichterfüllung und der Liebe gegenüber dem eigenen Land und seiner Gesellschaft, durchdrungen wurde. Ein Soldat sollte diese Tugenden auch in Friedenszeiten leben, und der Veteran hatte seine persönlichen Interessen hintanzustellen und seinen Mitbürgerinnen wie Mitbürgern auch weiterhin beispielhaft voranzugehen. Die Übernahme von Verantwortung durch die ehemaligen Soldaten wurde zu einer Notwendigkeit erklärt, da den politischen Entscheidungsträgern, die sich auf die Interessen der eigenen politischen Partei konzentrierten, die Fähigkeit abging, die Belange der deutschen Gesellschaft im Auge zu behalten. Als

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Vgl. Pyta: Hindenburg, S. 441-478; von der Goltz: Hindenburg, S. 84-103. »Hindenburg an alle ehemaligen Soldaten«, in: Kriegerzeitung, 26.4.1925, S. 2.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

womöglich künftiger Reichspräsident sah sich Hindenburg hier stellvertretend für alle Veteranen in der Pflicht: »Als Soldat habe ich immer nur die ganze Nation im Auge gehabt, nicht die Parteien. Sie sind in einem parlamentarisch regierten Staate notwendig, aber das Staatsoberhaupt muß über ihnen stehen, unabhängig von ihnen für jeden Deutschen walten. Es bedarf langer, ruhiger, friedlicher Arbeit. Es bedarf vor allem der Säuberung unseres Staatswesens von denen, die aus der Politik ein Geschäft gemacht haben. Ich reiche jedem Deutschen die Hand, der national denkt, die Würde des deutschen Namens nach innen und außen wahrt und den konfessionellen und sozialen Frieden will.‹«55 Das Motiv der überparteilichen Pflichterfüllung und der Übernahme von Verantwortung für die ganze Nation griff der Kyffhäuserbund bereitwillig auf und verbreitete es weiter. Daher stand es für ihn außer Frage, welchem Kandidaten seine Mitglieder am 26. April ihre Stimme zu geben hatten. Das gebiete »an sich schon der Geist der Zusammengehörigkeit, der Kameradschaft, der Gemeinsamkeit.« Auch sei jetzt die Gelegenheit, unter Beweis zu stellen, dass sich »der hohe Gesichtspunkt der Vaterlandstreue und der Geschlossenheit«56 in praktische Ergebnisse umsetzen lasse. Gegen den Einwand fehlender politischen Neutralität gab sich der Kyffhäuserbund betont gelassen. Er berief sich darauf, dass Hindenburg wie die Veteranen des Verbandes, dem er als Ehrenpräsident vorstand, keiner Partei angehörte und »mit seinem innersten Wesen in einer Zeit [wurzelte, B.S.], die besser und anders war als die heutige.«57 Hindenburg und die Parteipolitik waren für den Verband ein Antagonismus. Vor dem Hintergrund der Biographie Hindenburgs argumentierte er, dass dieser immer nur das deutsche Volk und dessen Interessen als Ganzes vertreten habe, die Parteien hingegen würden nur die Partikularinteressen einzelner Gruppen berücksichtigen. Die Stimmentscheidung für den Generalfeldmarschall des Weltkrieges wurde somit mit einem Bekenntnis für das »Vaterland« und die »Volksgemeinschaft«58 gleichgesetzt. Paul von Hindenburg war für den Kyffhäuserbund mehr als ein Ehrenpräsident. In der Zeit seiner Kandidatur um das Reichspräsidentenamt wurde der »Heros und Recke«59 des alten Deutschen Reiches zu einer Art Messias verklärt, einem Erlöser aus einer tristen wie zerstrittenen Gegenwart, der sich in erster Linie an seinem inneren soldatischen Wertekompass orientierte und nicht zögerte, aus dem Ruhestand zurückzukehren, wenn das deutsche Volk ihn brauche. Der Mythos

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von Hindenburg – »An das deutsche Volk«, in: ebd. Oberst Immanuel – »Für unsern Hindenburg!«, in: Kriegerzeitung, 26.4.1925, S. 2. »Der Retter«, in: ebd. Oberst Immanuel – »Für unsern Hindenburg!«. Ebd.

III. Der Veteran in Zivil

und der Nimbus der Figur Hindenburg und die »Frische seiner Soldatenpersönlichkeit«60 überdeckten die Fragen nach der personellen Eignung für das höchste Staatsamt oder nach dem bereits stattlichen Lebensalter des Kandidaten. Hindenburg wurde als Prototyp des Soldaten zur Projektionsfläche für die Veteranen, zu einer Art Retter-Figur und zum Ausgangspunkt für den Aufbruch in eine positivere und harmonischere Zukunft für die gesamte deutsche Gesellschaft. »Hindenburg ist Deutschland selbst, ist nationales Selbstbewußtsein, Sehnsucht und Erfüllung zugleich. […] Die Größe Hindenburgs wird Wunder wirken! Sie wird die rettende Insel sein in dem Meer nationaler Verzweiflung, wird Kurs halten, wenn wir wieder plan- und ziellos hin und her getrieben werden sollten in den Wogen eigensüchtiger Parteigeschäftlichkeit. […] Der Feldmarschall muß führen, nicht allein dem Vorbilde nach, sondern als Wirklichkeit, als Zimmerer einer Volksgemeinschaft, die eine deutsche in Wahrheit sei! […] Wir leben wieder im Zeichen Hindenburgs und werden in ihm siegen. Gott mit uns!«61 Am 26. April 1925 siegte Paul von Hindenburg mit einer dünnen Mehrheit über seinen Kontrahenten Wilhelm Marx, da im zweiten Wahlgang bereits die einfache Stimmenmehrheit ausreichte.62 Entsprechend euphorisch reagierte der Kyffhäuserbund. Er hoffte, dass von der Wahl Hindenburgs, nachdem sich die erhitzte Wahlkampfatmosphäre wieder gelegt hatte, eine einigende Wirkung über die Grenzen der Kriegervereinsorganisation des Kyffhäuserbundes hinaus ausgehen werde.63 Grund zu dieser Annahme gab dem Verband das Ergebnis der Wahl: Nicht nur die nationalkonservativen Kräfte, sondern auch viele Vertreter anderer Milieus der Republik hatten sich gut mit einem Reichspräsidenten Hindenburg arrangieren können. Nach den Krisenjahren stand dieser als militärische Führungspersönlichkeit für eine vorrepublikanische Tradition, in der starke Männer und nicht einzelne Parteikoalitionen die Geschicke des Staates gelenkt hatten. Eine solche Feststellung soll nicht den Thesen vom Ersatzkaiser das Wort reden. Hindenburg betonte beispielsweise, dass er gedenke, dass Amt so auszufüllen, wie es die Verfassung vorschreibe, was er letzten Endes während seiner ersten Amtszeit auch weitestgehend tat. Die schlimmsten Befürchtungen seiner Kritiker erfüllten sich damit vorerst nicht.64 Ausschlaggebend für die Wahl Hindenburgs war vielmehr, dass

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»Der Retter«. Ebd. Hindenburg entschied die Wahl mit 48,3 % der Stimmen zu seinen Gunsten, gegenüber Marx mit 45,3 % und Thälmann mit 6,4 %. Vgl. Falter/Lindenberger/Schumann: Wahlen, S. 46. Vgl. »Unser Ehrenpräsident Reichspräsident!«, in: Kriegerzeitung, 3.5.1925, S. 1. Vgl. »Hindenburg an alle ehemaligen Soldaten«; und von Hindenburg – »An das deutsche Volk«. Ferner Pyta: Hindenburg, S. 859-865; sowie Kolb/Schumann: Weimarer Republik, S. 121f.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

er sich als pflichtbewusster Soldat inszenierte, der fernab des Weimarer Parteibetriebes allein seinem Gewissen und dem Ideal soldatischer Kameradschaft folgte. Insofern war er nicht nur für die Veteranen des Kyffhäuserbundes, sondern auch für andere ehemalige Kriegsteilnehmer wählbar. Diese trafen keine Entscheidung primär aus politischen Gründen, sondern gaben ihre Stimme einem Repräsentanten der Wertewelt und der Erfahrungsdiskurse des Weltkrieges.

Abbildung 16: Otto Flechtner – Ein Frontsoldat wählt Adolf Hitler!, ca. 1932

Hatte sich der Kyffhäuserbund bei der Reichspräsidentenwahl des Jahres 1925 noch voller Elan in den Wahlkampf gestürzt, war die Ausgangssituation 1932 eine völlig andere. Denn im Zuge der zweiten Reichspräsidentenwahl der Republik kandidierte mit Adolf Hitler ein ehemaliger Weltkriegssoldat, der für sich mit den

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Kriegserfahrungen des einfachen Gefreiten warb (vgl. Abb. 16) und vom Verband als ernst zu nehmende Bedrohung für seinen Ehrenpräsidenten wahrgenommen wurde. Die Einmischung in den Wahlkampf stürzte den Kyffhäuserbund in eine schwere innere Krise. Jetzt zeigte sich, welche Spannungsfelder durch die Doppelfunktion Hindenburgs in den letzten sieben Jahren entstanden waren und wie weit die Vorstellungen über die zukünftige politische Weichenstellung der Republik zwischen den Mitgliedern an der Basis und ihrem Verbandsvorstand mittlerweile auseinanderklafften.65 Prinzipiell waren für die Verbandsführung die Vorzeichen der Reichspräsidentenwahl von 1932 zunächst keine anderen als 1925. Denn in den sieben Amtsjahren war erkennbar geworden, dass Hindenburg und seine Art der Amtsführung die Probleme des Weimarer Staates und die existentiellen Krisen der 1920er Jahre nicht ad hoc hatten lösen können. Auch bei der immer wieder postulierten Einigung der Bevölkerung hatte es keine nennenswerten Fortschritte gegeben; im Gegenteil, die politischen Gräben und gesellschaftlichen Antagonismen schienen sich eher noch verstärkt zu haben. Hinzu kam, dass auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise und der Arbeitslosigkeit im Deutschen Reich die radikaleren Parteien an den rechten und linken Flügeln des Parteienspektrums an Zuspruch und an politischem Gewicht gewannen. Dies führte dazu, dass eine Bestätigung Hindenburgs im Amt die einzig verbliebene Option der republiktreuen politischen Kräfte darstellte. Denn mit Hitler (NSDAP), Thälmann (KPD) und Theodor Duesterberg (DNVP, Stahlhelm) stellten sich ohne Ausnahme antirepublikanische Kandidaten zur Wahl. Für die Leitung des Kyffhäuserbundes ergab sich hieraus ein Dilemma: Wollte man Hindenburg im Amt des Reichspräsidenten halten, musste man einerseits ein informelles Bündnis mit den ihn unterstützenden Parteien der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, DStP) eingehen und von eigenen nationalkonservativen Standpunkten abrücken. Andererseits erkannte man zwar deutlich, dass Hindenburgs Rückhalt in den Reihen der Veteranen bröckelte, konnte aber im Falle seiner erneuten Kandidatur dem eigenen Ehrenpräsidenten nicht einfach die Unterstützung entziehen. Nach längerem Zaudern sprach sich der Verband in Person seines Präsidenten Rudolf von Horn dennoch in einem offiziellen Wahlaufruf für den amtierenden Reichspräsidenten aus. »Laßt die Parteibindung beiseite und handelt in reinem Kyffhäusergeist! Stellt Euch über die Partei, prüft und erkennt die großen deutschen Notwendigkeiten. […] Wer soll unser zerrissenes Volk in seiner tiefsten Not und in seiner größten Gefahr zusammenhalten und nach außen vertreten? Wer hat den Willen und die Kraft, die ungeheueren [sic!] inneren Spannungen, die zur Entladung drängen, 65

Siehe hierzu Jürgen W. Falter: The Two Hindenburg Elections of 1925 and 1932: A total Reversal of Voter Coalitions, in: Central European History 23 (1990), S. 225-241; sowie ders.: Hitlers Wähler, München 1991.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

zum Segen des Volkes auslaufen zu lassen? Da ich als verantwortungsbewußter Führer und auf Wunsch der Organisation Stellung nehmen muß, so soll sie – erhaben über alles parteipolitische Getriebe und unabhängig von jeder Partei jedem Ausschuß, lediglich geleitet von dem Streben für das Wohl des Vaterlandes – lauten: Bewahren wir alten Soldaten unserem verehrten Ehrenpräsidenten das Vertrauen, das er verdient, und die Treue, die er uns gehalten hat! Verlassen wir unseren Hindenburg nicht!«66 Die Rede vom Kyffhäusergeist ist in diesem Kontext eigentümlich und sein Gebrauch schillernd: Indem der Begriff durch Rudolf von Horn politisch gewendet wurde, verband er Elemente der Volksgemeinschaft von 1914 mit Überresten der Burgfriedensemantik der Weltkriegszeit.67 Der Kyffhäusergeist der Nachkriegszeit oszillierte zwischen soldatischer Kameradschaft, dem Appell zur Bewahrung des innergesellschaftlichen Friedens, der Mahnung zur politischen Verantwortung und überparteilicher Neutralität. Gleichzeitig sollten er und der in ihm mitschwingende Führergedanke individuelle politische Überzeugungen, mithin Heterogenität überdecken, dort Überparteilichkeit suggerieren, wo es keine apolitische Haltung gab. Dieser letztlich gekünstelt wirkende Versuch, Konformität zu konstruieren, musste für die Spitze des Kyffhäuserbundes zu handfesten Problemen führen. Wie schon 1925 brachte auch 1932 erst der zweite Wahlgang am 10. April die einfache Majorität und die endgültige Entscheidung.68 Wenn das Ergebnis letztlich auch relativ klar ausfiel, hatte es für den Kyffhäuserbund doch einen faden Beigeschmack: Hindenburg wurde zwar im Amt bestätigt, aber nicht mit der erhofften Unterstützung der konservativen Kräfte, sondern mit der von Sozialdemokraten, Katholiken und linken Liberalen, die ihn nicht aus Überzeugung wählten, sondern lediglich, weil sie in ihm das kleinere Übel sahen.69 Die Analyse der Wahlergebnisse von 1925 und 1932 bestätigt den veränderten Rückhalt für Hindenburg und spiegelt die klaren Verschiebungen in den Wählerkonstellationen deutlich wider: Sie zeigt, dass die Mehrheit der ehemaligen Hindenburgwähler von 1925 bei den Reichspräsidentenwahlen von 1932 für Hitler votierte.70 Ebenso deutlich lassen sich aber auch die Anzeichen eines Erfahrungswandels erkennen: Diejenigen Wähler, die für Hitler stimmten, sahen nunmehr den Anführer der nationalsozialistischen Bewegung in der Rolle eines Sinnstifters, dem die Lösung der Krisen zugetraut wurde. Konnte Hindenburg 1925 noch von seinem Status des oberhalb 66 67 68 69 70

Von Horn – »Der Kyffhäuserbund zur Reichspräsidentenfrage«, in: Kyffhäuser, 21.2.1932, S. 1. Vgl. Pyta: Weltkrieg. Hindenburg erhielt 53 % (13. März = 49,5 %), Hitler 36,8 % (30,1 %) und Thälmann 10,2 % (13,2) der gültigen Stimmen. Vgl. Falter/Lindenberger/Schumann: Wahlen, S. 46. Vgl. Winkler: Weimar, S. 454. Vgl. Falter: Hindenburg Elections; und Thomas Childers: The Nazi Voter. The Social Foundation of Facism in Germany, 1919-1933, Chapel Hill 1983, S. 192-211.

III. Der Veteran in Zivil

der politischen Querelen stehenden Weltkriegshelden zehren, war er sieben Jahre später trotz seiner nach wie vor konservativen Haltung zu einem Teil des Systems geworden, gegen das Adolf Hitler und die NSDAP heftig opponierten. Hitler gelang es zudem erfolgreich, sich gegenüber den Veteranen als einfacher und überparteilicher Gefreiter des Weltkrieges zu inszenieren, als ein Mann aus ihrer Mitte, der die Schützengrabenerfahrungen mit ihnen teilte und nach außen hin repräsentierte.71 Die Proteste vieler Kyffhäusermitglieder und ihre Eingaben an die Verbandsführung nach Bekanntwerden der Wahlempfehlung von Horns belegen exemplarisch, wie die Strategie der Nationalsozialisten, an die Kriegserfahrungen und an das Kameradschaftsgefühl des einzelnen Veteranen zu appellieren, aufging. »Ich habe keine Lust, auch mich von Ihrem Herrn Horn als Stimmvieh für einen Hindenburg benutzen zu lassen. […] Einmal, im Jahre 25 haben wir uns für Hindenburg die Köpfe blutig schlagen lassen, ich selbst habe sogar dabei einen Messerstich in den Kopf bekommen, nun dieser Hindenburg mit den Marxisten durch dick und dünn geht bezw. gegangen ist, da kann es einfach nicht mehr unser Mann sein. […] Gottseidank sind wir noch genug Leute, die ebenso denken wie ich, und vor allem Manns genug um für einen Adolf Hitler in die Bresche zu springen, nur er wird das deutsche Volk zu Aufstieg führen, niemals aber ein Mann, der sich dem Marxismus und dem Pfaffentum verschrieben hat. […] sie werden es ja noch erleben, was Ihr Herr Horn mit seinem Tun angerichtet hat, von meinem Standpunkt aus, für mich alten Soldaten und alten langjährigen Frontkämpfer, sowie 8 jährigem Afrikakämpfer ist eine solche Situation nicht mehr diskutabel. Ich passe.«72 Die Verbandsbasis teilte die vielerorts verbreitete Ansicht, dass sich trotz eines Reichspräsidenten Hindenburg in den letzten sieben Jahren nicht viel verändert hatte; sie nahm die aktuellen Verhältnisse nach wie vor als prekär und krisenhaft wahr: »Wir Deutsche haben nicht mehr so viel zu verlieren, um uns den Luxus der Unfähigkeit der Führung fürderhin noch leisten zu können. Der Patient verblutet…«73 Zudem verloren die Mitglieder zusehends ihr Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des politischen Systems – ganz davon abgesehen, dass sie die parteipolitische Zusammensetzung der Koalition zur Unterstützung Hindenburgs ablehnten. Viele kritisierten die Entscheidung von Horns daher als »Dolchstoss [sic!] gegen die nationale Front«,74 mit dem der Präsident seinem »Bunde einen Bärendienst 71

72 73 74

Vgl. Thomas Weber: Hitlers erster Krieg. Der Gefreite Hitler im Weltkrieg – Mythos und Wahrheit, Berlin 2011 [zuerst: Hitler’s First War. Adolf Hitler, the Men of the List Regiment, and the First World War, Oxford 2010], S. 338-381; und Gerhard Paul: Aufstand der Bilder. Die NS-Propaganda vor 1933, Bonn 2 1992, S. 95-99. BArch Berlin, NS 26/930, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl I, Bl. 68: Dem Reichskriegerbund Kyffhäuser, 17. Februar 1932. Ebd., Bl. 64: Postkarte Dr. Gruhl an von Horn, 18. Februar 1932. Ebd., Bl. 122: Weber an Herrn General von Horn, 23. Februar 1932.

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erwiesen«75 hätte. Ferner warf man der Verbandsführung vor, die bisherige parteipolitische Neutralität aufgegeben und politisch instinktlos gehandelt zu haben. Die gegenwärtigen Verhältnisse machten es »heute wohl dem grössten Teile unmöglich, einem Aufruf zu folgen, der uns parteipolitisch in ein ganz anderes Fahrwasser leitet, als wir unserer Gesinnung nach eingestellt sind. Es geht im Ernste doch nicht um die Person unseres verehrten Feldmarschalls, sondern es dreht sich um die Aufrechterhaltung jener Parteiwirtschaft, um die Fortführung jener Misswirtschaft, die unser deutsches Vaterland in den Abgrund gestürzt hat. […] Diese Parteien haben mit ihrer Vogel-StraussPolitik einen so grossen Riss in das deutsche Volk gebracht, dass eine Verständigung nicht mehr möglich erscheint, sondern nur eine reinliche Scheidung der Geister die notwendige Klarheit bringen kann.«76 In der Folgezeit steigerte sich die Empörung, und es wurden vermehrt Stimmen laut, die offen den Rücktritt von Horns forderten und damit drohten, aus dem Verband auszutreten.77 Zuspruch oder gar Unterstützung für das Vorgehen des Verbandspräsidenten gab es nur vereinzelt.78 Nicht wenige prophezeiten zudem, 75 76

77

78

Ebd., Bl. 141: Kurt Zoepke an von Horn, 23. Februar 1932. BArch Berlin, NS 26/930, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl I, Bl. 86f.: A. Blitz an den Hr. 1. Präsidenten des Deutschen Reichskriegerbundes Kyffhäuser, 17. Februar 1932. Vgl. etwa ebd., Bl. 81: E. Schmidt an den Vorsitzenden des Kameraden-Vereins ehem. 50er, 18. Februar 1932; Ebd., Bl. 104: F. Nitsche an die Schriftleitung des »Kyffhäuser«, 22. Februar 1932; Ebd., Bl. 108f.: An den 1. Vorstand des Deutschen Reichskriegerbund »Kyffhäuser«, 20. Februar 1932; Ebd., Bl. 111: E. Knospe an den Vorsitzenden des Kyffhäuserbundes, 20. Februar 1932; Ebd., Bl. 115; Ebd., Bl. 118: Nationalverband Deutscher Offiziere an den Deutschen Reichskriegerbund Kyffhäuser, 23. Februar 1932; Ebd., Bl. 121: Oswald Fritsche an den Kyffhäuserbund, 20. Februar 1932; Ebd., B. 126: Hellmuth Röhnert an den Präsidenten des Kyffhäuserbundes, 22. Februar 1932; Ebd., Bl. 130: Falkenau an Sr. Exzellenz Herrn General der Artillerie, 21. Februar 1932; Ebd., Bl. 134-139: Bresler an den Vorsitzenden des Kyffhäuserbundes, 22. Februar 1932; Ebd., Bl. 144f.: Erwin Delius an S. Exellenz, den Herrn General der Artillerie a. D. von Horn, 20. Februar 1932; Ebd., Bl. 151: Aus Pitschen, an den Hr. Präsidenten des Reichskriegerbundes Kyffhäuser, 23. Februar 1932; Ebd., Bl. 152: Paul Beyer an den Deutschen Reichskriegerbund Kyffhäuser, 22. Februar 1932; Ebd., Bl. 156: Fritz Harms an Hr. General d. Artillerie von Horn, 23. Februar 1932; Ebd., Bl. 157: von Versen an das Präsidium des Deutschen Reichskriegerbundes »Kyffhäuser«, 24. Februar 1932; Ebd., Bl. 172: A. Rath, Herrn General von Horn, »Kyffhäuser-Verlag«, 22. Februar 1932; und ebd., Bl. 188: Aus Klockow, Hochzuverehrender Herr General!, 28. Februar 1932. Ferner BArch Berlin, NS 26/931, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl II, Bl. 17ff.: Dr. Joachim Tiburtius (Oberregierungsrat a.D.) an den Vorsitzenden des Vereins Ehemaliger Gardeschützen, 19. März 1932. Vgl. BArch Berlin, NS 26/930, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl I, Bl. 110: An Seine Exzellenz, Herrn General der Artillerie a. D. von Horn, 20. Februar 1932; Ebd., Bl. 120: Andrae an den Herrn Präsidenten des Kyffhäuser-Bundes, 20. Februar 1932; Ebd., Bl. 127: Hoffmann an Seine Exzellenz Herrn General von Horn, 22. Februar 1932; Ebd., Bl.

III. Der Veteran in Zivil

dass die parteipolitischen Verwicklungen des Verbandes in den Reichspräsidentschaftswahlkampf zukünftig noch weitaus ernstere Konsequenzen für den Kyffhäuserbund und seine Leitung nach sich ziehen würden. »[…] sind wir jetzt durch das unverständliche Vorgehen seiner Exzellenz, des Herrn General von Horn, völlig erschüttert. Abgesehen davon, daß wir seine einseitige Stellungnahme als eine politische Kurzsichtigkeit verurteilen, lehnen wir seine Stellungnahme auf parteipolitischer Basis vollkommen ab. Wir sind überzeugt, daß durch dieses falsche Handeln unseres Leiters der Kyffhäuserbund der schwersten Belastungsprobe unterworfen worden ist, die er je zu bestehen gehabt hat.«79

1.2.2

Schadensbegrenzung und Fehleranalyse statt Siegestaumel

In der öffentlichen Selbstdarstellung bemühte sich der Kyffhäuserbund daher vorerst um Schadensbegrenzung, indem er verlauten ließ, dass die ursprüngliche Kundgebung von Horns zweifelsohne »durch den einsetzenden Parteikampf um machtpolitische Fragen in wesentlichen Punkten für agitatorische Zwecke ausgenutzt« und missbraucht worden sei. Aus Sicht des Verbandes hatte sein Präsident nie vorgehabt, eine klare Empfehlung zu Gunsten einer Partei auszusprechen, sondern wollte lediglich dazu aufrufen, bei der Wahl seinem »soldatischen und vaterländischen Treuempfinden« zu folgen und »dem Ehrenpräsidenten Vertrauen und Treue zu bewahren«,80 wobei jederzeit darauf hingewiesen wurde, dass die Veteranen bei ihrer Wahlentscheidung einzig ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich seien. Weiterhin versuchte der Kyffhäuserbund, die Schuld für die Meinungseskalation auf den Stahlhelm sowie die Presse des HugenbergKonzerns abzuwälzen, die diese Äußerungen in vollster Absicht missverstanden, aus dem Zusammenhang gerissen und propagandistisch für ihre eigenen Zwecke verwendet hätten.81 Anstelle von Siegesfeierlichkeiten war der Vorstand des Kyffhäuserbundes primär damit beschäftigt, die eigene Vorgehensweise im Reichspräsidentschaftswahlkampf einer eingehenden und kritischen Revision zu unterziehen. Zuerst widmete er sich der Aufarbeitung des Ablaufs der Reichspräsidentenwahl sowie der Frage, wie die eingetretene Situation überhaupt hatte entstehen können. Ein Gutachten, das der Vorstand in Auftrag gegeben hatte, kam zu folgendem Ergebnis: In der

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146f.: Karl Müller an den 1. Präsidenten des Deutschen Reichskriegerbundes Kyffhäuser, 23. Februar 1932; Ebd., Bl. 214-218: George Wittig, An den Vorsitzenden des Kyffhäuserbundes, 04. März 1932. Ebd., Bl. 76: An die Leitung des Kyffhäuserbundes, 19. Februar 1932. »Die blockierte Wahrheit. Die Angriffswelle auf den Kyffhäuserbund«, in: Kyffhäuser, 6.3.1932, S. 2. Vgl. ebd.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

fraglichen Verlautbarung von Horns habe dieser einerseits am Anfang zu strikter politischer Neutralität aufgerufen, diese andererseits aber zugleich untergraben, indem er am Ende die Mitglieder des Kyffhäuserbundes zur Treue gegenüber Hindenburg aufgefordert habe. In diesem rhetorischen Missverhältnis erkannte der Gutachter den Ursprung allen Ärgers, der auch durch den Nachtrag nicht mehr abgemildert werden konnte, dass es jedem Mitglied selbstverständlich freistehe, »nach seiner politischen Auffassung zur Wahl des Reichspräsidenten Stellung zu nehmen.«82 Dennoch ging das Gutachten davon aus, dass von Horn »der ehrlichsten und aufrichtigsten Ueberzeugung« gewesen sei, »mit diesem Rat oder dieser Empfehlung die in den Satzungen des Kyffhäuserbundes vorgeschriebene Ueberparteilichkeit und Neutralität nicht zu verletzten [sic!].«83 Als nicht absehbar schätze es hingegen den Vertrauensverlust unter den Verbandsmitgliedern sowie die Beschädigung des öffentlichen Ansehens des Kyffhäuserbundes infolge dieses rhetorischen Fauxpas ein.84 Der Vorstand ließ es jedoch nicht bei diesem Gutachten bewenden, sondern strengte weitere interne Untersuchungen an. Er versuchte unter strengster Geheimhaltung, die genauen Vorgänge minutiös zu rekonstruieren, die den Verband überhaupt erst in diese Lage gebracht hatten. Die ursprüngliche Initiative zur Wiederwahl Hindenburgs, stellte die Verbandsführung fest, ging von Reichskanzler Heinrich Brüning aus. Danach versuchte der Verband zu sondieren, welche Haltung der Stahlhelm in der Reichspräsidentenfrage einnehmen werde. Diesem kam die Rolle des Züngleins an der Waage zu: Nach den erfolglosen Bemühungen des Stahlhelms, die NSDAP und Hitler im Vorfeld der Wahlen bei den Beratungen in Bad Harzburg zu einem antirepublikanischen Bündnis zu bewegen,85 versuchten die Deutschnationalen, den Kyffhäuserbund in der Frage einer gemeinsamen Kandidatenkür für sich zu gewinnen – und brachten die Verbandsspitze damit in die Bredouille. Der Kyffhäuserbund hoffte nämlich, den Stahlhelm für die Unterstützung einer erneuten Kandidatur Hindenburgs gewinnen zu können. Um die Chancen dafür zu sondieren, fanden Ende Januar 1932 vertrauliche Gespräche zwischen Major a.D. Siegfried Wagner und von Horn statt, die sich auf einen gemeinsamen Kandidaten Hindenburg einigten. Danach wurde die Verständigung mit Alfred Hugenberg gesucht, der sich aber nicht endgültig auf Hindenburg festlegen wollte und die Verantwortlichen vertröstete. Denn im Hintergrund liefen noch immer Verhandlungen zwischen Reichskanzler Brüning und dem DNVP-Chef über 82 83

84 85

Ebd., Bl. 261-266: Manuskript von Dr. Georg Hartmann-Rathstock: »Warum die Aufregung? Ein Beitrag zur Beruhigung in der Kyffhäuserkrise wegen der Reichspräsidentenfrage«. BArch Berlin, NS 26/930, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl I, Bl. 261-266: Manuskript von Dr. Georg Hartmann-Rathstock: »Warum die Aufregung? Ein Beitrag zur Beruhigung in der Kyffhäuserkrise wegen der Reichspräsidentenfrage«. Vgl. ebd. Vgl. Berghahn: Stahlhelm, S. 179-191.

III. Der Veteran in Zivil

umfassende Zugeständnisse im Rahmen einer konservativen Umbildung des Kabinetts, mit der sich der Kanzler die Zustimmung der Deutschnationalen sichern wollte. Als diese Übereinkunft letztlich platzte, sahen Hugenberg wie der Stahlhelm keine Veranlassung mehr, sich nach wie vor an eine Unterstützung Hindenburgs gebunden zu fühlen. Nachdem auch die letzten Vermittlungsversuche von Horns in einem Vieraugengespräch mit Hugenberg gescheitert waren, trug der Kyffhäuserbund Hindenburg schließlich am 15. Februar die erneute Kandidatur im Alleingang an, die dieser wegen des vermeintlichen Rückhalts bei den Veteranen annahm.86 Wenn das Verhalten des Kyffhäuserbundes in der Reichspräsidentenfrage 1932 auch nicht unbedingt als Naivität zu bezeichnen ist, muss doch mindestens konstatiert werden, dass der Verband die Gesamtlage klar verkannt hatte. Von seiner ideologischen Warte aus konnte er nicht nachvollziehen, dass der Stahlhelm und die DNVP ihre Zusage für Hindenburg an politische Zugeständnisse knüpfen könnten und beide daraus politisches Kapital schlagen wollten. Stattdessen musste der Kyffhäuserbund verwundert feststellen, dass der Stahlhelm unmittelbar nach Bekanntgabe der Kandidatur Hindenburgs begann, ihn zu attackieren. Denn im Verständnis des Verbandes war die Reichspräsidentenfrage eine staats- und keine parteipolitische Angelegenheit. Trotzdem musste auch der Vorstand zugeben, dass »die Angelegenheit durch den Verlauf der Verhandlungen in ein parteipolitisches Fahrwasser gekommen war. […] Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass nach wie vor die Bundesführung bestrebt sein muss, den Kyffhäuserbund den parteipolitischen Kämpfen fernzuhalten, nicht nur weil es der Satzung entspricht, sondern weil jede auch ungewollte Berührung mit parteipolitischen Strömungen den Bund, wie sich auch jetzt schon gezeigt hat, ernstlich gefährdet. Gewiss werden Absplitterungen erfolgen, die nicht zu vermeiden sind.«87 Von Horn stand verbandsintern ab sofort zur Disposition. Sein Ansehen war durch die Affäre arg beschädigt worden, und durch sein ebenso unbedachtes wie vorschnelles Handeln hatte er viele Landesverbände gegen sich aufgebracht. Der amtierende Präsident versuchte, den Vorstand zu beschwichtigen, indem er erklärte, dass »der Kyffhäusergedanke in seiner ganzen Tiefe, in seiner Bedeutung und in seiner Notwendigkeit noch nicht überall genügend verstanden und gewürdigt werde.«88 Aus den jüngsten Ereignissen ergebe sich für ihn keine Notwendigkeit, die 86

87 88

BArch Berlin, NS 26/931, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl II, Bl. 57ff.: Der Geschäftsführende Vorstand des Preussischen Landes-Kriegerverbandes. Berlin, den 18. April 1932. Die Wahl Hindenburg’s, Vorgänge und Betrachtungen – Nicht für die Presse bestimmt. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 91: Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des KB vom 1. Mai 1932 – Kurzer Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des Deutschen Reichskriegerbundes ›Kyffhäuser‹ am 30. April und 1. Mai 1932 auf dem Kyffhäuser.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Richtlinien oder gar die Satzung zu ändern.89 Der Konflikt um die Kandidatur Hindenburgs offenbarte exemplarisch ein grundlegendes Problem des Kyffhäuserbundes gegen Ende der Weimarer Republik: Er verharrte zu häufig auf überkommenen Standpunkten und den Traditionen vergangener Zeiten, um einen Machtfaktor in der politischen Landschaft der 1920er Jahre darzustellen oder im politischen Ränkespiel der Hauptstadt bestehen zu können.

1.3

Internationale Beziehungen und Pazifistische Bewegung

Die Veteranen aller am Weltkrieg beteiligten Nationen gründeten nach dem Ende des Krieges – so sie nicht vereinzelt schon bestanden – vor dem Hintergrund der eigenen Kriegserlebnisse neue und umfassende Organisationen, die formal gesehen auch als Interessenvertretungen zu betrachten sind.90 Darüber hinaus ist der Versuch zu beobachten, ein Netzwerk transnationaler Beziehungen zwischen den einzelnen Veteranenverbänden zu knüpfen. Als institutioneller Überbau und Plattformen für eine geregelte Kommunikation wurden daher in Frankreich 1920 die FIDAC (Fédération Interalliée des Anciens Combattants) – als Hilfsnetzwerk der alliierten Veteranen – und 1926 die CIAMAC (Conférence Internationale des Associations de Mutilés et Anciens Combattants) – als Vertretung der kriegsversehrten Veteranen – gegründet. Beide Organisationen wurden von der International Labour Organisation sowie dem Völkerbund anerkannt und verschrieben sich der Wahrung der materiellen Interessen ihrer Mitglieder und dem Engagement gegen den Krieg. Durch die engen Verbindungen zum Pazifismus und zur Friedensbewegung war die Arbeit der beiden Verbände von Anfang an von Spannungen geprägt, stand doch der internationalistische Einfluss dieser beiden Strömungen in scharfem Kontrast zu

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Vgl. ebd. Dieser Druck kann in einer erweiterten Perspektive als ein transnational gültiges Phänomen bezeichnet werden, egal, ob die betreffende Nation den Krieg gewonnen oder verloren hatte. Exemplarisch für Großbritannien Niall Barr: ›The Legion that Sailed out but Never Went‹. The British Legion and the Munich Crisis of 1938, in: Julia Eichenberg/John Paul Newman (Hg.): The Great War and Veterans’ Internationalism, Basingstoke 2013, S. 32-52. Für Frankreich Antoine Prost/Jay M. Winter: René Cassin and human rights. From the Great War to the Universal Decleration, Cambridge 2013. Für Österreich Martin Moll: Konfrontation – Kooperation – Fusion. Das Aufgehen des Steirischen Heimatschutzes in der österreichischen NSDAP, in: Daniel Schmidt/Michael Sturm/Massimiliano Livi (Hg.): Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933, Essen 2015, S. 105-123. Sowie sozialdemokratische Variante Otto Naderer: Der bewaffnete Aufstand. Der Republikanische Schutzbund der österreichischen Sozialdemokratie und die militärische Vorbereitung auf den Bürgerkrieg (1923-1934), Graz 2004. Oder für die USA Stephen R. Ortiz (Hg.): Veterans’ Policies, Veterans’ Politics. New Perspectives on Veterans in the Modern United States, Gainsville 2012.

III. Der Veteran in Zivil

der vorwiegend nationalistischen Ausrichtung der Verbandsmitglieder.91 Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch der Kyffhäuserbund dem Projekt einer transnationalen Veteranenvereinigung unter diesen Vorzeichen ablehnend gegenüberstand und folglich nicht in ihr mitwirkte. Er sah das Engagement deutscher Vertreter – wie etwa des Reichsbanners oder Reichsbundes92 – in jenen Netzwerken mehr als kritisch und bezweifelte, dass von den regelmäßig stattfindenden internationalen Kongressen eine große Signalwirkung ausgehen und ihnen eine lange Lebensdauer beschieden sein werde.93 Zwar betonte der Kyffhäuserbund im Einklang mit anderen Veteranenverbänden, dass er sich keinen neuen Krieg wünsche, für eine Unterstützung von friedenspolitischen oder gar gemäßigten pazifistischen Initiativen fanden sich seine Veteranen dagegen nicht bereit. Stattdessen beobachtete der Verband die Tätigkeit anderer ausländischer Veteranenverbände genau. Hierbei ging es in erster Linie darum, sich ausländischer Vorwürfe zu erwehren, der Verband stelle sich insgeheim als Soldatenreservoir zur Verfügung, um die Bestimmungen des Versailler Vertrages zur Größe der Reichswehr zu umgehen. Der Kyffhäuserbund konterte solche Kritik, indem er vorrechnete, auf welches militärische (Reserve-)Potential andere europäische Staaten wie Frankreich, Polen oder selbst Belgien durch ihre Wehrverbände zurückgreifen könnten. Im Unterschied zum Kyffhäuserbund begnügten sich diese allerdings nicht, betonte er, »mit der Aufrüttelung der Geister, mit der Weckung und Stärkung des Nationalbewußtseins«, sondern reihten sich stattdessen ein »in die Front der aktiven Regimenter.«94 Dennoch zog sich der Kyffhäuserbund nicht auf eine isolationistische Position zurück, versuchte vielmehr, transnationale Verbindungen nach eigenen Maßgaben zu knüpfen. Das geschah in erster Linie durch die zahlreichen Dependancen des Verbandes in aller Welt.95 Vor allem in den USA erfreuten sich die Kriegerverei-

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Vgl. Eichenberg/Newman: Introduction. Vgl. Ziemann: Veteranen, S. 180-188; und Rohe: Reichsbanner, S. 147-157. Ferner Christian Weiß: ›Soldaten des Friedens‹. Die pazifistischen Veteranen und Kriegsopfer des ›Reichsbundes‹ und ihre Kontakte zu den französischen anciens combattants 1919-193, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005, S. 183-204; sowie letztlich William Mulligan: German Veterans’ Associations and the Culture of Peace: The Case of the Reichsbanner, in: Julia Eichenberg/John Paul Newman (Hg.): The Great War and Veterans’ Internationalism, Basingstoke 2013, S. 139-161. Vgl. »Ein Fehlschlag. Eindrücke von einem interalliierten Frontkämpferkongreß«, in: Kyffhäuser, 7.8.1927, S. 3. Benary – »Wehrverbände des Auslandes«, in: Kyffhäuser, 4.12.1932, S. 3. Im Kaiserreich war es dem Kyffhäuserbund gelungen, ein transnationales Netzwerk aus assoziierten Kriegervereinen und eigenen Dependancen in Übersee zu etablieren. So existierten Vereinsbüros des Deutschen Kriegerbundes in New York und Chicago, deren Mitglieder es sich zu Bismarcks siebzigstem Geburtstag nicht nehmen ließen, eine Abordnung nach Friedrichsruh zu entsenden. Siehe Horst Kohl: Bismarck-Jahrbuch. Zweiter Band, Berlin 1895,

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

ne des Kyffhäuserbundes eines regen Zulaufs, so dass dort regelmäßige Vertretertagungen des Deutschen Kriegerbundes von Nordamerika abgehalten wurden. Der größte Kriegerverein hatte seinen Sitz in Chicago, zählte in etwa vierhundert Mitglieder und bestand zu zwei Dritteln aus Weltkriegsteilnehmern. Die ausländischen Kriegervereine gereichten dem Kyffhäuserbund zudem in wirtschaftlichen schwierigen Zeiten – beispielsweise während der Hyperinflation des Jahres 1923 – zum Vorteil, da sie ihren Dachverband in »echt kameradschaftlicher Weise«96 durch Spenden und Notsammlungen unterstützten.97 Auch in Südamerika waren die Kriegervereine des Kyffhäuserbundes so stark vertreten, dass regelmäßige Soldatentage, etwa in Santiago de Chile, unter großer Anteilnahme ehemaliger deutscher Soldaten, hoher chilenischer Offiziere und der einheimischen Bevölkerung abgehalten werden konnten.98 Darüber hinaus sollte von diesem weltumspannenden Netzwerk aus Kriegervereinen Pionierarbeit geleistet werden, um das Ansehen Deutschland im Ausland wieder zu verbessern: »Sie künden von Ruhm und Ehre Deutschlands und sind Vorkämpfer für die Weltgeltung unseres Volkes.«99 Ferner empfing der Kyffhäuserbund zu seinen Reichskriegertagen auch Delegationen ausländischer Veteranenorganisationen (vgl. Abb. 17).100 Eine besonders rege und bemerkenswerte Korrespondenz – insbesondere ab 1937 – unterhielt der Verband mit japanischen Veteranenverbänden; der Kontakt wurde über die Deutsch-Japanische Gesellschaft hergestellt.101 Ende der 1930er Jahre und insbesondere nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges intensivierte der Verband

S. 612f.; sowie Deutscher Kriegerbund New York von 1884 (German-American Veterans): 84. Stiftungs-Feier mit Herbst-Manoever-Ball, New York 1968. Weiterhin existierten Dependancen in Südamerika. Vgl. Vereinigung ehemaliger deutscher Kriegsteilnehmer Sao Paulo: Alte Kameraden. Nachrichtenblatt der Vereinigung ehemaliger deutscher Kriegsteilnehmer S. Paulo E.V. Ebenso wurden 1902 Kriegervereine in Windhoek und Swakopmund gegründet, 1903 trat der Marineverein von Kiautschou dem Kyffhäuserbund bei. Vgl. Kyffhäuserbund: 3. Geschäftsbericht 1902, S. 50; sowie Kyffhäuserbund: 4. Geschäftsbericht 1903, S. 43. 96 Otto Riebicke – »Von den deutschen Kriegervereinen in Amerika«, in: Kyffhäuser, 16.1.1927, S. 3. 97 Vgl. ebd. 98 Vgl. Edmund Riß – »Deutscher Soldatentag in Chile«, in: Kyffhäuser, 6.10.1929, S. 7. 99 »Deutscher Soldatentag in Chile«, Kyffhäuser, 12.1.1930, S. 2. 100 Vgl. BArch Berlin, R 8034 III/364, Reichslandsbund Pressearchiv – ReiRei, Bl. 43: Artikel vom 4.7.1936 – »Oberst Reinhard begrüßt ausländische Frontkämpfer. Beim Reichskriegertag in Kassel«. 101 Vgl. BArch Berlin, R 64 IV/251, Deutsch-Japanische Gesellschaft, Bl. 37: Schreiben der Auslands-Abteilung des NSRKB an die Deutsch-Japanische Gesellschaft vom 22. Oktober 1937; weiterhin BArch Berlin, R 64 IV/233, Deutsch-Japanische Gesellschaft, Bl. 50: Internes Schreiben des NSRKB bezgl. der Einladung der Deutsch-Japanischen Gesellschaft vom 13. Januar 1942.

III. Der Veteran in Zivil

Abbildung 17: Kyffhäuserbund und amerikanische Veteranen ziehen durch das Brandenburger Tor, August 1934

den Nachrichtenaustausch mit den japanischen Veteranen, denen er sich eng verbunden fühlte: »Wenn uns auch Kontinente und Meere trennen so stehen wir im Geiste und in der Tat Schulter an Schulter in treuer Kameradschaft gegenüber dem feindlichen Ansturm der Dunkelmächte welche die Bestrebungen einer neuen und gerechten Weltordnung hindern.«102 Ferner bündelte der Kyffhäuserbund die bisher lose zusammenlaufenden Enden seiner Auslandsbeziehungen in einer neu eingerichteten Auslandsabteilung. Ihre vornehmliche Aufgabe bestand darin, die »der Erhaltung des Weltfriedens dienende Annäherung und das Verstehen der Völker« zu fördern. Hierzu sollte sie »die Fühlung mit den Frontkämpfer-Organisationen aller Länder« aufnehmen, respektive bereits bestehende Kontakte vertiefen und »kameradschaftliche Zusammentreffen diesseits und jenseits der deutschen Grenze«103 organisieren. Zum erklärten Feindbild auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen avancierten für den Kyffhäuserbund jedoch der Pazifismus und die Friedens-

102 BArch Berlin, R 64 IV/233, Deutsch-Japanische Gesellschaft, Bl. 58: Telegramm von Reinhard an Generaloberst Ikutaro Inouye (Japan) vom 27. August 1941. 103 BArch Berlin, R 64 IV/251, Deutsch-Japanische Gesellschaft, Bl. 38: Schreiben Reinhards an die Deutsch-Japanische Gesellschaft vom 8. September 1937.

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bewegung.104 Entsprach der Pazifismus der Vorkriegszeit zwar nicht unbedingt den eigenen soldatischen Wertvorstellungen, konnte der Verband ihm doch eine »Weltanschauung von hohem ethischen und moralischen Wert« attestieren und »edle Beweggründe«105 zubilligen. Anders verhielt es sich mit den neu aufkommenden pazifistischen Strömungen im Anschluss an den Ersten Weltkrieg. Deren Weltsicht sei »in ein wildes Extrem verfallen [und] von einer Monomanie besessen«, die vor allem den alten Kriegsgegnern helfen würde. Diese Einschätzung des Kyffhäuserbundes gipfelte in dem Vorwurf, dass sich die Pazifisten des »Verrates am eigenen Vaterlande«106 schuldig machen würden. Die größten Probleme hatte der Verband zum einen mit der Ablehnung von Waffengewalt als Mittel der zwischenstaatlichen Konfliktlösung und zum anderen mit der betont internationalistischen, auf Völkerverständigung setzenden Ausrichtung jener Bewegungen, um ihren Leitspruch und ihr Ziel – Nie wieder Krieg! – zu erreichen.107 Zwar betonte der Kyffhäuserbund, dass auch er nie wieder einen Weltkrieg miterleben wolle, die Ziele der pazifistischen Bewegung erachtete aber er dennoch als reine Phantasterei.108 Solange Nationalismus und nationale Egoismen existierten, werde es auch weiterhin Kriege geben, stellte der Kyffhäuserbund fest. Den Anhängern des Pazifismus hielt er entgegen, dass der Nationalismus etwas durchweg Positives sei, ganz natürlich und »für gesund empfindende Menschen selbstverständlich […]. Er ist Egoismus, und zwar der gesunde Egoismus, ohne den sich kein Volk erhalten kann.«109 Hier zeigt sich, wie Weltanschauungen in den 1920er Jahren und die hieran anschließenden Argumentationen einander diametral entgegenliefen und oftmals unvereinbar blieben. Unterschiedliche Kriegserfahrungen und die Pluralität divergierender Erfahrungsdiskurse führten zu abweichenden Konsequenzen für die Gegenwart und Schlussfolgerungen für die Zukunft. Hatte die pazifistische Bewegung vor allem die übersteigerten Nationalismen der europäischen Staaten als Ursache für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges ausgemacht, war der nationale Egoismus für den Kyffhäuserbund das Fundament der Nation, das es auch nach einem verlorenen Krieg zu schützen und zu verteidigen galt.

104 Vgl. Dieter Riesenberger: Geschichte der Friedensbewegung in Deutschland. Von den Anfängen bis 1933, Göttingen 1985, S. 124-236; ferner Karlheinz Lipp u.a. (Hg.): Frieden und Friedensbewegung in Deutschland 1892-1992. Ein Lesebuch, Essen 2010, S. 117-218. 105 Friedrich von Schilgen – »Pazifismus und Landesverrat«, in: Kyffhäuser, 25.9.1927, S. 3f. 106 Ebd. 107 Siehe Karl Holl: Pazifismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988, S. 138-203; und ders./Wolfram Wette (Hg.): Pazifismus in der Weimarer Republik. Beiträge zur historischen Friedensforschung, Paderborn 1981. 108 Vgl. Generalleutnant a.D. Heckert – »Pazifismus und Krieg«, in: Kyffhäuser, 15.5.1927, S. 2. 109 Otto Gramzow – »Nationalismus und Internationalismus«, in: Kriegerzeitung, 9.11.1924, S. 2.

III. Der Veteran in Zivil

»Die Anhänger des Pazifismus spiegeln sich die ehrlich verbissene Ansicht vor, daß nur wir Deutschen den Frieden zu wollen brauchten und daß er dann wirklich erhalten bleibe. Weiter machen sie sich selbst vor, der einzige Hinderungsgrund eines ewigen Friedens sei, daß nicht alle Deutsche den ewigen Frieden wollten. Als die Störer des Weltfriedens, die sie deshalb mit Feuer und Schwert bekämpfen und austilgen müssen, sehen sie diejenigen Deutschen an, die der Ansicht sind, daß eine geschichtliche Erfahrungstatsache, die man nicht ungestraft in den Wind schlagen darf, die ewige Wiederkehr von Kriegen ist.«110 Die Wiederkehr von Kriegen erschien aus dieser Perspektive als eine Konstante der Menschheitsgeschichte. Über Krieg und Frieden zu befinden, lag für den Kyffhäuserbund außerhalb der menschlichen Handlungsmöglichkeiten und war als Problem daher nicht allein auf staatlicher Ebene zu lösen. Der Krieg war für ihn eine Naturgewalt, eine Gesetzmäßigkeit, die unvorhersehbar durch eine höhere Kraft und durch das Schicksal gesteuert wurde. Daher zielten die »heimatlichen Ideenkämpfe« der Pazifisten darüber, »ob es wieder einmal einen Krieg geben kann oder ob wir den ewigen Weltfrieden herbeiführen können«,111 aus der Sicht des Kyffhäuserbundes am eigentlichen Problem vorbei und damit ins Leere. Der Verband glaubte aus historischer Erfahrung feststellen zu können, dass solche Versuche zur Völkerverständigung, welche die friedliche Regelung der Beziehungen von Nationen untereinander anstrebten, stets gescheitert waren. Auch den Völkerbund ordnete er in diese Reihe gescheiterter Bemühungen ein.112 Stattdessen war der Verband der festen Überzeugung, dass ein neuerlicher Krieg mittelfristig unausweichlich sein werde.113 Bei einer solchen fatalistischen Grundhaltung mussten die Ideen und Vorstellungen der Friedensbewegung zwangsläufig wie reine Utopien wirken. Für den Verband stellte die Konzentration auf streng nationalistische Belange nach wie vor das Maß aller Dinge sowie das Gebot der Stunde dar. »Bekennt sich nicht die überwältigende Mehrheit zum tatkräftigen Nationalismus, dann droht der Untergang von Reich und Volk gewiß. Darum ist die ungeheure Spannung zwischen Nationalisten und Internationalisten als etwas Natürliches verständlich. Aus vielen Anzeichen kann man schließen, daß der Tag des Entscheidungskampfes zwischen beiden Richtungen kommen wird. Soll diesem Kampf noch vorgebeugt werden, dann ist es nötig, daß sich schnellstens die große Mehrheit unseres Volkes für den Nationalismus entscheidet. Nur dadurch kann den Internationalisten die Hoffnung genommen werden, die Vaterlandslosigkeit

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Karl Klein – »Pazifismus und Weltkämpfe«, in: Kyffhäuser, 24.10.1926, S. 2. Ebd. Vgl. Sally Marks: The Illusion of Peace. International Relations in Europe 1918-1933, London 1979, S. 108-146. Vgl. Kapitel IV, 1.

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weiter ausbreiten zu können. Aus eigenem Entschluß werden diese Menschen ihr schädliches und schändliches Treiben nicht einstellen.«114 Der Kyffhäuserbund ließ daher keine sich bietende Gelegenheit ungenutzt verstreichen, ohne die pazifistische Bewegung, ihre Mitglieder oder ihre »Irrlichter«115 verbal zu attackieren und wiederholt auf die Unvereinbarkeit von Soldatentum und Pazifismus hinzuweisen.116 Mit wachsendem Interesse und einer gewissen Genugtuung verfolgte er auch das juristische Vorgehen gegen prominente pazifistische Führungspersönlichkeiten. Solche (Verleumdungs-)Prozesse – etwa gegen die Vorsitzenden der Deutschen Friedensgesellschaft Paul von Schoenaich und Fritz Küster117 – wurden wegen des Verdachts auf Landesverrat angestrengt, da Behauptungen laut wurden, pazifistische Gruppen bekämen vielfach Unterstützung aus ausländischen Regierungsfonds, um einen Umsturz im Reich vorzubereiten.118 Auch wenn solche Verdächtigungen bei näherer Betrachtung jedweder Grundlage entbehrten, sah sich der Kyffhäuserbund durch die öffentlichkeitswirksamen Gerichtsverfahren in seiner Vermutung bestätigt, dass alle Pazifisten und Anhänger der Friedensbewegung finanziell von der Sowjetunion abhängig waren und durch die Bolschwiken indoktriniert wurden. Für ihn war der Tatbestand des Landesverrates auch ohne richterliches Urteil erfüllt.119 Er forderte daher ein umso konse-

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Otto Gramzow – »Nationalismus und Internationalismus«, in: Kriegerzeitung, 9.11.1924, S. 2. Metsch – »Pazifistische Irrlichter«, in: Kyffhäuser, 20.7.1930, S. 2. Vgl. hierzu etwa Hugo Weyher – »Was können wir vom Völkerbund erwarten?«, in: Kriegerzeitung, 26.10.1924, S. 11; »Landesverrat! Etwas über die ›Menschheit‹ und die Korrespondenz ›Genf‹«, in: Kyffhäuser, 6.11.1927, S. 2f.; Ella Mensch – »Friedensliebe und Pazifismus«, in: Kyffhäuser, 12.2.1928, S. 5f.; Heinrich Niemerlang – »Reichswehr, Frontsoldaten und Pazifismus«, in: Kyffhäuser, 29.4.1928, S. 3; Erich Lattmann – »Wehrhaftigkeit und Pazifismus«, in: Kyffhäuser, 7.10.1928, S. 2f.; »Die Schlagworte Pazifismus, Imperialismus, Militarismus«, in: Kyffhäuser, 14.10.1928, S. 2; Erich Lattmann – »Pazifismus und Friedensliebe«, in: Kyffhäuser, 2.11.1930, S. 2; Otto Riebicke – »Enthüllter Pazifismus«, in: ebd., S. 2f.; sowie letztlich Metzsch – »Der Pazifismus als Beispiel!«, in: Kyffhäuser, 19.4.1931, S. 2. Paul von Schoenaich diente im Ersten Weltkrieg als Generalmajor und wurde mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet, seine Pensionierung erfolgte 1920. Nach Kriegsende engagierte sich Schoenaich dann als Publizist und als Initiator der Deutschen Friedensgesellschaft als politischer Aktivist. Daher wurde von Schoenaich vom Kyffhäuserbund als sogenannter »Reichsbannergeneral« tituliert und auf Grund seiner Arbeit zum wiederholten Ziel von propagandistischen, antipazifistischen Angriffen. Vgl. bspw. Otto Riebicke – »Der Krieg im Tonfilm – Drei Kriegsfilme kommen«. Siehe zudem Ziemann: Veteranen, S. 233-239. Vgl. Helmut Donat: Die radikalpazifistische Richtung in der Deutschen Friedensgesellschaft, in: Karl Holl/Wolfram Wette (Hg.): Pazifismus in der Weimarer Republik. Beiträge zur historischen Friedensforschung, Paderborn 1981, S. 27-45, hier S. 39-45. Vgl. Heinrich Niemerlang – »Pazifisten unter sich«, in: Kyffhäuser, 13.121931, S. 1f.; und »Entlarvter Pazifismus«, in: Kyffhäuser, 27.9.1931, S. 2.

III. Der Veteran in Zivil

quenteres staatliches Vorgehen gegen alle, die »zum planmäßigen Landesverrat«120 aufriefen.

2.

Der Körper des Veteranen als (sozial-)politisches Objekt

Bereits unmittelbar nach Kriegsende rückte der (kriegsversehrte) Körper des Veteranen in den Mittelpunkt sozialpolitischer Interventionen sowie der Interessenpolitik des Kyffhäuserbundes. Seinen Ursprung hatte die Beschäftigung mit diesem Thema im traditionellen Unterstützungswesen des Verbandes, das es seit seiner Gründung gab.121 Neu war hingegen die Auseinandersetzung mit zuvor auffallend unterrepräsentierten Fragen rund um den kriegsversehrten Veteranen und seine gesellschaftliche Stellung.122 Kernaspekte und -fragen der (männlichen) Körperlichkeit waren bereits mit dem Kriegsausbruch vollends in den Fokus der diskursiven Konstruktion von Männlichkeitsbildern gerückt.123 Im Mittelpunkt der Diskussionen seit 1914 standen der männliche Soldatenkörper und mit zunehmender Dauer des Krieges auch dessen Leistungsfähigkeit in physischen wie psychischen Ausnahmesituationen.124 Der Erste Weltkrieg provozierte letztlich eine Krise der Männlichkeit, da sich die Kriegserfahrungen der Soldaten vom anonymen industrialisierten Töten und den massenhaft auftretenden Verstümmelungen des Körpers nicht mit dem heroischen Männlichkeitsideal der Vorkriegszeit deckten.125 Diese (Männlichkeits-)Diskurse wurden nach dem Ende 120 Otto Riebicke – »Gegen Landesverräter und Verleumder! Endlich strenge gesetzliche Maßnahmen?«, in: Kyffhäuser, 5.4.1931, S. 3. 121 Vgl. Kapitel I. 122 Verschiedene Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 1,5 und 2,7 Millionen deutsche Soldaten als Kriegsversehrte aus dem Ersten Weltkrieg heimkehrten. Vgl. Cohen: Disabled Veterans, S. 4; und Kienitz: Helden, S. 11. 123 Vgl. zur grundlegenden theoretischen Diskussion Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz: Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt a.M. 2008, S. 51-76; sowie Philipp Sarasin: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers, 1765-1914, Frankfurt a.M. 2001, S. 11-31; und ferner Judith Butler: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Frankfurt a.M. 1995, S. 21-49. 124 Vgl. Philipp Sarasin: Die Rationalisierung des Körpers. Über ›Scientific Management‹ und ›biologische Rationalisierung‹, in: ders. (Hg.): Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a.M. 2003, S. 61-99; weiterhin Susanne Michl: Im Dienste des ›Volkskörpers‹. Deutsche und französische Ärzte im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2007, S. 57-110; und weiterhin Jason Crouthamel/Peter Leese (Hg.): Psychological Trauma and the Legacies of the First World War, London 2017. 125 Vgl. Ute Frevert: Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert: Sozial-, kultur- und geschlechtergeschichtliche Annäherungen, in: dies. (Hg.): Militär und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1997, S. 7-16.; und Thomas Kühne: ›…aus diesem Krieg werden nicht nur harte Männer heimkehren‹. Kriegskameradschaft und Männlichkeit im 20. Jahr-

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des Krieges virulent und am Beispiel des kriegsbeschädigten Soldatenkörpers entspann sich ein weites Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten. Sie reichten von einem versorgungsbedürftigen, durch Prothesen reparierbaren Objekt bis hin zu einer Projektionsfläche, die situativ politisch aufgeladen sowie instrumentalisiert werden konnte.126 Die historische Figur des Kriegsversehrten war daher kein »homogenes, eindimensionales bzw. symbolisch als eindeutig festgeschriebenes«127 Produkt des Krieges oder ein reines Spiegelbild des individuellen Aufopferungswillens und der Niederlage. Der Kriegsversehrte konstituierte sich als diskursive Schnittmenge wohlfahrtsstaatlicher Sozialgesetzgebung,128 der Einschätzung von Experten sowie unterschiedlicher ästhetischer Normierungen der Nachkriegszeit.129 Im Kyffhäuserbund orientierte sich die Auseinandersetzung mit dem versehrten Veteranenkörper primär an sozialpolitischen Gesichtspunkten wie etwa der Bedürftigkeit und der sozialen Fürsorge. Die konstruktiv-körpergeschichtlichen Komponenten von kriegsversehrter Männlichkeit wurden hier semantisch überformt: Anstatt die körperlichen Verwundungen und seelischen Schäden der Veteranen zu thematisieren, wurden Kriegsverletzungen im Vereinsalltag nur indirekt diskutiert und weitestgehend bagatellisiert. In der Öffentlichkeit ließ man Leidensgenossen ausführlich zu Wort kommen, die zu berichten wussten, dass »der Verlust eines Gliedes nicht so schlimm ist, wie man allgemein annimmt.«130 Die Hürden des alltäglichen Lebens, etwa die Ausübung des alten Berufes oder gar das versierte Klavierspielen, seien nach einem entsprechenden harten Training ohne fremde Hilfe problemlos mit einem verbliebenen Arm zu meistern.

hundert, in: ders. (Hg.): Männergeschichte – Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne, Frankfurt a.M. 1996, S. 174-192, hier S. 176-180. 126 Vgl. Nils Löffelbein: ›Die Kriegsopfer sind Ehrenbürger des Staates!‹: Die Kriegsinvaliden des Ersten Weltkriegs in Politik und Propaganda des Nationalsozialismus, in: Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S. 207-225; und Sabine Kienitz: Fürs Vaterland? Körperpolitik, Invalidität und Geschlechterordnung nach dem Ersten Weltkrieg, in: Gabriele Metzler/Dirk Schumann (Hg.): Geschlechter(un)ordnung und Politik in der Weimarer Republik, Bonn 2016, S. 155-179, hier S. 161-166; zudem Christina Jarvis: Kampfbereite Männerkörper und der Weg in den Zweiten Weltkrieg, in: Jürgen Martschukat/Olaf Stieglitz (Hg.): Väter, Soldaten, Liebhaber. Männer und Männlichkeiten in der Geschichte Nordamerikas, Ein Reader, Bielefeld 2007, S. 277-292. 127 Sabine Kienitz: Der verwundete Körper als Emblem der Niederlage? Zur Symbolik der Figur des Kriegsinvaliden in der Weimarer Republik, in: Horst Carl u.a. (Hg.): Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, Berlin 2004, S. 329-342, hier S. 341. 128 Vgl. Geyer: Vorbote, S. 234. 129 Zur diskursiven Polyvalenz vgl. Kienitz: Emblem; sowie Möhring: Kriegsversehrte Körper, S. 186-191. 130 Schwarz – »Erlebnisse eines Kriegsbeschädigten«, in: Kriegerzeitung, 25.5.1919S. 5f.

III. Der Veteran in Zivil

»So kann ich wirklich ehrlich sagen, daß mir das Fehlen meines rechten Armes nie ernsten Kummer gemacht hat, und daß ich ihn auch fast nie vermisse. Es klingt freilich etwas frivol, aber manchmal hat man fast das Gefühl, daß zwei Arme ein Luxus sind.«131 Auch wenn solche begeisterten Selbstberichte Mut und Hoffnung verbreiten sollten, wirkte aus diesem Blickwinkel eine ernsthafte Kriegsverletzung, etwa der Verlust von Gliedmaßen oder Organen, wie eine Nebensächlichkeit. Mit ihr zurecht zu kommen und seinen Alltag zu meistern war lediglich eine Frage des Willens, des Fleißes und der positiven Einstellung.132 Dennoch fand auch im Kyffhäuserbund noch zu Kriegszeiten eine umfassende Politisierung des kriegsversehrten Soldatenkörpers statt, im Zuge dessen für die staatsbürgerlichen Rechte der Veteranen gestritten und eine dezidierte Aufklärungsarbeit für die Mitglieder betrieben wurde. Hierbei stand die Sorge des Verbandes im Mittelpunkt, wie sich kriegsversehrte Veteranen wieder in das öffentliche (Arbeits-)Leben integrieren ließen und »ihre Arbeitskraft dem Wirtschaftsleben erhalten werden«133 könnte. »Je eher der Kriegsbeschädigte einer Tätigkeit, einer Arbeit wieder zugeführt werden kann, desto besser für ihn und seine Zukunft. Er darf nicht zum Nachgrübeln über seine Zukunft kommen und mutlos werden. Von dem Grundsatz ausgehend, daß jegliche Arbeit gesundheitsfördernd, heilend, ermutigend und belebend wirkt, wird der Beschädigte, sobald es seine Verwundung zuläßt, zum Tätigsein angeregt.«134 Um für eine möglichst zügige Rückkehr dienstuntauglicher Frontsoldaten in das Erwerbsleben zu sorgen, warb der Kyffhäuserbund für kommunale Verwundetenschulen, in denen kriegsversehrte Soldaten von Fachkräften und -ärzten im Umgang mit ihrer körperlichen Beeinträchtigung geschult wurden. Dank solcher gezielten Anleitung sollten Kriegsversehrte wieder in ihrem alten Beruf arbeiten können. Falls dies wegen des Grades der körperlichen Behinderung – wie etwa Armamputationen – auch unter Zuhilfenahme künstlicher Gliedmaßen nicht möglich war, wurde der Veteran in speziellen Kursen für ein alternatives Berufsfeld ausgebildet. Das Angebot dieser Schulen erschöpfte sich aber nicht in der Berufsausbildung. Sie unterwiesen ihre Schüler darüber hinaus darin, wie sie Dinge des alltäglichen Lebens, etwa Waschen oder Anziehen, ohne fremde Hilfe verrichten konnten.135

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Ebd. Vgl. ebd. Weber – »Verwundeten-Schulen und -Werkstätten für Kriegsbeschädigte«, in: Kriegerzeitung, 20.10.1918, S. 5f. Ebd. Vgl. ebd.

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Diese Hilfe hatte allerdings einen kriegstaktischen Hintergrund. Denn in erster Linie ging es darum, dass dienstuntaugliche Soldaten schnellstmöglich wieder in den Rüstungsbetrieben zum Einsatz kamen: »Die Verwundeten und Kriegsbeschädigten helfen so die Waffen schmieden für ihre Kameraden draußen. Die Kriegsbeschädigten sind wieder nützliche Glieder des Volksganzen geworden und stehen ihren Mann wieder in der Heimat, wie einst draußen.«136 Der Körper des kriegsversehrten Veteranen war immer noch – wie auch der unversehrte Soldatenkörper – ein essentieller Bestandteil des Volkskörpers und somit der Vorstellung einer organischen Einheit von Volk und Nation.137 Auch nach dem Ende des Krieges wollte der Kyffhäuserbund seine Bedeutung und Daseinsberechtigung für die deutsche Gesellschaft in erster Linie durch sein feinmaschiges Netz verschiedenster Fürsorge- und Wohlfahrtseinrichtungen unter Beweis stellen.138 Er musste allerdings bald erkennen, dass sich das Niveau an Unterstützungsleistungen aus der Vorkriegs- und Kriegszeit nicht aufrechterhalten ließ. Das lag an der langen Dauer des Weltkrieges und der Quantität der eingesetzten Soldaten sowie den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen in der Nachkriegszeit und nicht zuletzt an der hohen Zahl an Kriegerhinterbliebenen und -beschädigten. Zwar konnte der wachsende finanzielle Bedarf zunächst noch durch die Ersparnisse des Verbandes gedeckt werden, mittel- und langfristig aber sollten die fehlenden Geldmittel teilweise durch größere Zuwendungen Dritter sowie eine Erhöhung der Mitgliedbeiträge beschafft werden.139 Um die eigene finanzielle Belastung zu verringern und zugleich seinem Selbstverständnis als einer herausragenden Fürsorgeinstitution weiterhin gerecht werden zu können, schaltete sich der Kyffhäuserbund mehr denn je und ganz im Sinne eines klassischen Interessenverbandes140 intensiv in den Gesetzgebungsprozess ein. Mehrere Eingaben an die Reichsregierung forderten beispielsweise eine Weiterzahlung der Familienunterstützung, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Kriegsbeschädigte oder die Einrichtung von Kriegerheimstätten, um der wachsenden Wohnungsnot entgegenzuwirken. Vorgeschlagen wurden auch die gemeinnützige Sammlung von Kleidungs-

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Ebd. Zur (zeitgenössischen) theoretisch-methodischen Diskussion siehe Föllmer: Volkskörper; weiterhin Thorsten Halling/Julia Schäfer/Jörg Vögele: Volk, Volkskörper, Volkswirtschaft – Bevölkerungsfragen in Forschung und Lehre von Nationalökonomie und Medizin, in: Rainer Mackensen/Jürgen Reulecke (Hg.): Das Konstrukt ›Bevölkerung‹ vor, im und nach dem ›Dritten Reich‹, Wiesbaden 2005, S. 388-428; sowie Retterath: Volk, S. 343-362; und Michl: Ärzte, S. 54-57. 138 Vgl. Kapitel I. Ebenso Kyffhäuserbund: Nachschlagewerk, S. 30-39; und Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 121-156. 139 Pomeranus – »Neue Aufgaben – neue Wege für das Kriegervereinswesen«. 140 Vgl. Ullmann: Interessenverbände, S. 114-133.

III. Der Veteran in Zivil

stücken für die heimkehrenden Soldaten sowie Steuererleichterungen für Kriegsbeschädigte und ehemalige Kriegsteilnehmer.141 Der Kyffhäuserbund sorgte aber nicht nur für materielle Zuwendungen, sondern verstand sich auch als eine Art sozialpolitische Vermittlungsinstanz, die Anträge und Anfragen der Mitglieder sammelte, beantwortete oder gegebenenfalls an die zuständigen staatlichen Institutionen weiterleitete. Hierfür errichtete er ein umfassendes Netzwerk dezentraler Beratungsstellen im ganzen Reich.142 Die häufigsten Anfragen der Mitglieder betrafen die Heimführung der vielen, auch nach Waffenstillstand und Kriegsende noch verbliebenen Kriegsgefangenen. Insbesondere die »willkürliche und grausame Behandlung« in den französischen Kriegsgefangenenlagern wurde angeprangert, und der Kyffhäuserbund forderte »die Reichsleitung auf, flammenden Protest bei der zivilisierten Menschheit gegen die militärisch und politisch zwecklose Verschärfung der Lage dieser Unglücklichen einzulegen.«143 Dem diente auch eine offizielle Protestnote von Heeringens an die deutschen Verhandlungsführer auf der kurz zuvor eröffneten Pariser Friedenskonferenz. Von Heeringen warb dafür, dass »nach fast 4 ½ jährigem Weltenbrand und Völkerzorn endlich das Morgenrot einer Völkerverständigung anbrechen [sollte], damit die durch den Krieg zerstörten sittlichen und kulturellen Werte in inniger Gemeinschaft der Völker wieder aufgebaut werden können.«144 Damit ein solches friedliches Zusammenleben und eine Rückkehr des Deutschen Reiches in die internationale Gemeinschaft möglich werde, sei es in einem ersten Schritt unabdingbar, dass die letzten noch in »französischer Gefangenschaft schmachtenden deutschen Krieger ihrer Heimat und ihrer Familie zurückgegeben werden«,145 um dort ihr geregeltes Alltagsleben wiederaufzunehmen und wieder Normalität in die deutschen Haushalte einkehren zu lassen. Auch nach Kriegsende standen die Motive der Pflichtschuldigkeit und der Verantwortung gegenüber den Soldaten im Mittelpunkt, die ihren Einsatz an der Front mit einer dauerhaften körperlichen Beeinträchtigung bezahlt hatten. »Und sind wir es nicht unseren Kriegsinvaliden schuldig, sie zu zufriedenen Menschen zu machen? Die Forderung derer, die ihre gesunden Knochen, ihre Gesundheit für das Vaterland geopfert haben, sie haben ein Recht auf Zufriedenheit und Glück.«146 Der Dank des Vaterlandes sollte sich nach wie vor in einer schnellen Wiedereingliederung

141 Vgl. Karl Eckert – »Wesen und Wirken des Kyffhäuser-Bundes I«. 142 Vgl. Karl Eckert – »Wesen und Wirken des Kyffhäuser-Bundes II«. 143 »Eintritt des Kyffhäuser-Bundes für schnelle Rückbeförderung unserer Kriegsgefangenen. Eingabe an die Reichsleitung«, in: Kriegerzeitung, 1.12.1918, S. 5. 144 BArch Berlin, R 904/96, Waffenstillstandskommission: Von Heeringen an die Deutsche Waffenstillstandskommission vom 20. Februar 1919. 145 ebd. 146 Wilhelm Klessner – »Ansiedelung der Kriegsverletzten auf dem Lande«, in: Kriegerzeitung, 9.2.1919, S. 5f.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

in das soziale Leben sowie in materieller Unterstützung niederschlagen.147 Eine besondere Stellung unter den Kriegsversehrten nahmen die erblindeten Soldaten ein, »eine der traurigsten Folgeerscheinungen dieses furchtbaren Krieges.«148 Es sei keine Lösung, betonte der Kyffhäuserbund, diese Kriegsversehrten einfach in Wohltätigkeitseinrichtungen zu stecken; das widerspreche »jedem Gefühl von Verantwortlichkeit dem Vaterlande und seinen tapferen Verteidigern gegenüber.«149 Auch Kriegsblinde sollten nach eingehender Prüfung ihrer Fähigkeiten und unter Beachtung besonderer Vorsichtsmaßnahmen wieder in gewerbliche Betriebe integriert werden. Der Verband stellte erfreut fest, dass bereits ein Entgegenkommen der Arbeitgeber zu verzeichnen sei, die Blinde fortan beschäftigen wollten.150 Seine Beratungstätigkeit gipfelte sogar in kreativen Fragen wie etwa: »Ist der Kriegsbeschädigte vermöge seines körperlichen Zustandes geeignet, die schwer erlernbare Bienenzucht zu betreiben?«151 Der Verband wollte vor allem dafür sorgen, dass sich ein Kriegsversehrter »als vollwertiger Volksgenosse fühlen kann, der wirtschaftlich nutzbare Arbeit schafft.«152 Ein kriegsversehrter Veteran sollte sich nicht ex negativo über seine körperliche Beeinträchtigung, sondern positiv über seine nach wie vor wertvolle und geschätzte Arbeitskraft definieren, die seine Verwundung als nebensächlich erscheinen ließ.153 Die Wertschätzung immaterieller menschlicher Attribute sollte helfen, den körperlichen Verlust zu überwinden und einem möglichen Abgleiten in Lethargie, Antriebslosigkeit und letztlich auch in die Verarmung vorbeugen.154 Diese Bemühungen des Kyffhäuserbundes sollten die zuletzt häufiger von ihm beobachteten Auswüchse von Bettelei vieler Kriegsversehrter beheben, die sich nach 1918 rasant in den Straßen auszubreiten schien. Die »bettelnden Feldgrauen« stießen im Verband auf großes Unverständnis, da sie »auf den soldatisch wie den sozial Empfindenden beschämend und niederziehend«155 wirken mussten, wurden doch aus seiner Sicht – auch vom Staat – bereits alle nur erdenklichen Maßnahmen getroffen, um die Not der demobilisierten Frontkämpfer zu lindern und »den Kriegsbeschädigten bald wieder zu einem vollwertigen Mitgliede der 147

Vgl. Cohen: Disabled Veterans, S. 61-87; und James M. Diehl: The Thanks of the Fatherland. German Veterans after the Second World War, Chapel Hill 1993, S. 6-30. 148 Paul Perls – »Kriegsblinde in gewerblichen Betrieben«, in: Kriegerzeitung, 1.12.1918, S. 6f. 149 Ebd. 150 Vgl. ebd. 151 Siegfried Herrmann – »Sollen Kriegsbeschädigte Bienenzucht betreiben?«, in: Kriegerzeitung, 9.2.1919, S. 9f. 152 Neumann – »Über Verwendungsmöglichkeiten Kriegsbeschädigter«, in: Kriegerzeitung, 19.10.1919, S. 6f. 153 Vgl. Schwarz – »Erlebnisse eines Kriegsbeschädigten«, in: Kriegerzeitung, 25.5.1919, S. 5f. 154 Vgl. Hans Liedke – »Erwerbslosenfürsorge«, in: Kriegerzeitung, 8.12.1918, S. 4f.; »Die Wiedereinstellung der Kriegsteilnehmer«, in: Kriegerzeitung, 26.1.1919, S. 10. 155 Pomeranus – »Feldgraue Bettler«, in: Kriegerzeitung, 21.9.1919, S. 5f.

III. Der Veteran in Zivil

werktätigen Volksgemeinschaft zu machen.« Der Kyffhäuserbund warf daher die provozierende Frage auf, ob »diese Bettler in Feldgrau wirklich kriegsbeschädigte Soldaten« seien, »die unverschuldet bittere Not zum Bettlerhandwerk«156 getrieben hätte. Für ihn stand zweifelsfrei fest, dass sich ein ehrenhafter Veteran niemals zur öffentlichen Bettelei hinreißen lassen würde und man es bei jener »unwürdige[n] wie beklagenswerte[n] Erscheinung« gar nicht mit richtigen Kriegsbeschädigten, sondern »mit gewerbsmäßigen Bettlern und mehrfach vorbestraften Schwindlern zu tun habe, die Uniform und Auszeichnungen zu Unrecht trügen.«157 Dass ein Veteran wegen seiner persönlichen Notsituation zum Betteln gezwungen wurde, war für den Verband unvorstellbar, lief dieses doch vor allem seinem soldatischen Ethos des Veteranen diametral entgegen. Einen geeigneten Beruf zu finden sowie für ein angemessenes finanzielles Auskommen zu sorgen, sich im neuen Leben der Nachkriegsgesellschaft trotz Verwundung zurechtzufinden, war für ihn eine Frage der bereits im Weltkrieg erlernten sowie praktizierten Disziplin und Leistungsbereitschaft, der richtigen Persönlichkeit und Einstellung sowie beharrlicher und ausreichender Bemühungen. Der Kyffhäuserbund unterschied daher nicht zwischen kriegsversehrten und körperlich unversehrten ehemaligen Kriegsteilnehmern im eigentlichen Sinne. Beide Gruppen waren Veteranen, wenngleich die eine etwas mehr auf die hilfsbereite Kameradschaft der anderen angewiesen war. Ihre körperliche Versehrtheit und eventuelle Hilfsbedürftigkeit änderte nichts an ihrem Status als Veteran, solange sie die ideellen Werte der Erfahrungsgemeinschaft – etwa die Arbeitsbereitschaft oder die kameradschaftliche Hilfe – teilten. Eine angemessene finanzielle Unterstützung und die Chance, auch nach dem Krieg wieder im angestammten Beruf zu arbeiten, waren Privilegien, die der Veteran auf Grund seiner Verletzung gegenüber der Gesellschaft und dem Staat einfordern konnte. Dabei wurde ihm allerdings nur ein Anrecht auf Unterstützung, aber keine Sonderbehandlung eingeräumt. Der Kyffhäuserbund hatte klare Vorstellungen davon, wie sich ein bedürftiger und/oder kriegsversehrter Veteran zu verhalten hatte. In seinen Augen sozial unerwünschtes Verhalten, wie etwa das öffentliche Betteln, wurden mit dem Entzug des Veteranenstatus sanktioniert. Die Konturen des kriegsversehrten Veteranenkörpers wollten sich nicht recht in das heroische und makellose Veteranenbild des Kyffhäuserbundes einpassen lassen. Mit diesem Problem stand der Verband aber nicht allein da. Die Frage, wie körperliche Schäden mit dem Motiv des virilen und wehrhaften Weltkriegssoldaten in Einklang gebracht werden konnten, beschäftigte vor allem diejenigen Veteranenvereinigungen des nationalkonservativen bis nationalsozialistischen Lagers – wie die NS-Kriegsopferversorgung –, welche die Vergangenheit verklärten und in 156 157

Ebd. Ebd.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

ihrer Selbstdarstellung wiederholt auf ein mythisch überhöhtes Frontkämpferbild rekurrierten.158 Unproblematischer gestaltete sich der Umgang mit den Kriegsversehrten hingegen in den Reihen des Reichsbanners bzw. des ihm nahestehenden Reichsbundes, da der Grundgedanke ihres Veteranenbildes ein anderer war: Aus ihrer Sicht war der kriegsversehrte Soldat in erster Linie das unschuldige Opfer eines von den herrschenden Eliten angezettelten Krieges.159 Diese Viktimisierung des beschädigten Soldatenkörpers erleichterte seine Integration in das Veteranenbild linker Verbände erheblich. Außer den Versuchen, die Wiedereingliederung kriegsversehrter Veteranen in den Arbeitsmarkt zu beschleunigen, kanalisierte und intensivierte der Kyffhäuserbund seine Aufklärungsarbeit, welche über die staatlichen Fürsorgeregelungen sowie der Rechte von Kriegsversehrten informierte.160 Hierzu zählten beispielsweise die sogenannte Verstümmelungszulage, die etwa beim Verlust von Gliedmaßen, bei schweren Entstellungen des Gesichts, bei Verlust der Zeugungsorgane oder bei der Erblindung eines oder beider Augen prozentual gezahlt wurde und durch Teuerungszulagen, Rentenzuschläge oder andere Zuwendungen aufgestockt werden konnte. Diese Zulage griff auch bei chronischen gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder den Folgen von psychischen Störungen.161 Außerdem informierte der Verband über die Möglichkeiten der Hauspflege für Kriegsbeschädigte, die einer Vereinsamung und Einschließung in der eigenen Wohnung durch regelmäßige Gesellschaft vorbeugen sollte und zudem eine Art Heimunterricht für kriegsversehrte Veteranen darstellte, um diese darin zu schulen, ihren gewohnten Alltag trotz körperlicher Beeinträchtigung zu meistern.162 Ferner stellte er die Einrichtung von amtlichen Fürsorgestellen für Kriegerhinterbliebene vor, die auf kommunaler Ebene dafür zuständig waren Kriegerwitwen und deren Kinder zu beraten und Ansprüche gegenüber dem Staat durchzusetzen.163 Gleichzeitig warf der Verband einen kritischen Blick darauf, wie – in den meisten Fällen um vieles besser – die Kriegsversehrtenfürsorge in anderen am Krieg beteiligten Nationen funktionierte.164 Bei allem Umfang und bei aller Vielfältigkeit der Versorgungsre-

158 Vgl. Löffelbein: Ehrenbürger, S. 65-88. 159 Vgl. Ziemann: Veteranen, S. 42-54. 160 Vgl. »Was Kriegsbeschädigte und Kriegsteilnehmer wissen müssen«, in: Kriegerzeitung, 26.9.1919, S. 9-12. 161 Vgl. Neumann – »Die wichtigen Neuerungen in der Kriegsbeschädigtenfürsorge«, in: Kriegerzeitung, 13.4.1919, S. 9f.; weiterhin Michl: Ärzte, S. 181-192. 162 Vgl. Herbst – »Die Hauspflege für Kriegsbeschädigte«, in: Kriegerzeitung, 7.9.1919, S. 5f. 163 Vgl. »Ausbau der amtlichen Fürsorgestellen«, in: Kriegerzeitung, 6.11.1918, S. 2f. 164 Vgl. etwa »Kriegsbeschädigtenfürsorge in England«, in: Kriegerzeitung, 9.2.1919, S. 8f.; »Die Kriegsbeschädigtenfürsorge im feindlichen Ausland«, in: Kriegerzeitung, 16.3.1919, S. 8f.; oder Max Schroeder – »Wie Amerika für seine Kriegsteilnehmer sorgt«, in: Kyffhäuser, 13.12.1931, S. 6.

III. Der Veteran in Zivil

gelungen der Nachkriegszeit erkannte der Verband aber auch die Notwendigkeit einer Reformierung des Versorgungsrechtes an. Um sein eigenes Unterstützungs- und Versorgungssystem sowie die Fürsorge für Kriegsversehrte und Kriegerhinterbliebene nach dem Krieg besser koordinieren zu können, entschloss sich der Kyffhäuserbund im Januar 1920 zu einer Neugliederung. Diese sollte die verschiedenen Unterstützungs- und Beratungszweige des Kriegervereinswesens sowie die Interessenvertretung speziell für die beiden angesprochenen Gruppen organisatorisch bündeln. Institutionell wie juristisch wurde dieser Beschluss im Rahmen einer Satzungsänderung verankert. Diese Änderung sah vor, in jedem Landeskriegerverband Unterabteilungen einzurichten, die auf Reichsebene im Verband deutscher Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebener zusammengefasst wurden. Die formelle Autonomie dieses Verbandes vom Kyffhäuserbund wurde durch seine finanzielle Auslagerung und durch die Berufung eines eigenen Vorstandes sowie einer eigenen Geschäftsführung besiegelt.165 Diese Maßnahme war jedoch nicht ausschließlich intrinsisch motiviert, sondern reagierte auch auf die Änderung der gesetzlichen Regelungen durch das neue Gesetz über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschädigungen (Reichsversorgungsgesetz) vom 12. Mai 1920.166 Dieses ersetzte das seit 1871 geltende Gesetz betreffend die Pensionierung und Versorgung der Militärpersonen des Reichsheeres und der kaiserlichen Marine sowie die Bewilligung für die Hinterbliebenen solcher Personen, novellierte die seit 1916 unveränderten Versorgungsund Bezugsregelungen für Kriegsinvalide167 und bildete den legislativen Abschluss der seit Kriegsende expandierenden staatlichen Sozialleistungen.168 Das Reichsversorgungsgesetz legte als Anspruchsberechtigte einen Personenkreis fest, welcher durch »die gesundheitsschädigende Einwirkung, die durch militärische Dienstverrichtungen oder durch einen während der Ausübung des Militärdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Militärdienst eigentümlichen Verhältnisse« dienstunfähig geworden war.169 Diese konnte Ansprüche auf Heilbehandlungen und Pflegezulage, Kranken-, Haushalts- und Übergangsgeld sowie zusätzliche Rentenansprüche geltend machen, die sich am Grad der körperlichen Behinderung sowie der hierdurch entstehenden Minderung der Erwerbsfähigkeit orientierten und entstehende Einkommenseinbußen abfedern sollten.170 Geregelt wurden 165 166

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Vgl. »Zusammenfassung der kriegsbeschädigten Mitglieder der Kriegervereine und der Kriegerhinterbliebenen innerhalb des Kyffhäuser-Bundes«, in: Kriegerzeitung, 22.2.1920, S. 2f. Vgl. Reichsgesetzblatt: Gesetz über die Versorgung der Militärpersonen und ihrer Hinterbliebenen bei Dienstbeschädigung (Reichsversorgungsgesetz). Vom 12. Mai 1920, Berlin 1920. Vgl. Westphal: Handbuch, S. 235-254. Vgl. Whalen: Wounds, S. 131-140; ferner Löffelbein: Ehrenbürger, S. 35-63. Reichsgesetzblatt: Reichsversorgungsgesetz von 1920, § 2. Bspw. wurde der Verlust eines Beines oder eines Armes mit einer Erwerbsfähigkeitsminderung von 50 % (= 1.200 Mark/p.A.), der Verlust beider Hoden, des Gliedes oder der Gebärmut-

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

zudem der Einfluss des familiären Status auf die Rentenhöhe und die Ansprüche von Hinterbliebenen auf Hinterbliebenen- sowie Witwen- und Waisenrente.171 Insgesamt zeigte sich der Kyffhäuserbund mit dem Bestimmungen des Reichsversorgungsgesetzes zufrieden, auch wenn er nicht alle seine Forderungen verwirklicht sah, woran die Regierung aus seiner Sicht allerdings keine Schuld trug.172 Vielmehr drängte er alle anderen Verbände, ihre noch bestehenden Forderungen zu vereinheitlichen und auf ein erfüllbares Maß zu reduzieren, das den zeitlichen Gegebenheiten Rechnung trug. Wenngleich der Verband betonte, dass er vieles für seine Mitglieder habe durchsetzen können, hegte er doch nach wie vor große Bedenken, etwa gegen die Streichung der Militärrenten ab einem bestimmten Nebeneinkommen. Er befürchtete, dass ein entsprechendes Nebeneinkommen – selbst wenn es brutto höher war als die Rente – nach Steuern und nach Berücksichtigung einer etwaigen Teuerungszulage von 25 % am Ende eine Kürzung des verfügbaren Nettoeinkommens und damit aufgrund der Kalten Progression eine wirtschaftliche Schlechterstellung für die Kriegsversehrten zur Folge haben könnte.173 Weiterhin kritisierte der Kyffhäuserbund die in seinen Augen in vielen Fällen unzureichende Rechtsprechung des Reichsversorgungsgerichtes.174 Doch hatte das Reichsversorgungsgesetz gravierendere Schwachstellen. Vor allem gegen Ende der 1920er Jahre zeigte sich während der Weltwirtschaftskrise, dass das Versorgungsniveau für den Weimarer Wohlfahrtsstaat nicht aufrecht zu erhalten war.175 Der Kyffhäuserbund erkannte sofort, dass Einschnitte bei der staatlichen Versorgung von Kriegsversehrten und Kriegerhinterbliebenen viele seiner Mitglieder an den Rand des finanziellen Ruins bringen würden und protestierte lautstark: »Keinesfalls darf die Finanznot des Reiches dazu führen, diejenigen vor anderen unter Sparmaßnahmen leiden zu lassen, die die größten

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ter mit einer Minderung von 30 % (= 720 Mark/p.A.) oder der Verlust beider Ohrmuscheln mit einer Minderung von 20 % (= 480 Mark/p.A.) berechnet. Vgl. Reichsarbeitsministerium: Reichsversorgungsgesetz. Vgl. ebd., S. 38-48; sowie Reichsarbeitsministerium: Renten-Tafeln zum Reichsversorgungsgesetz in der Fassung vom 30. Juni 1923, Berlin 1923. Vgl. hierzu auch die umfangreiche Ratgeberliteratur für die Vereinsmitglieder aus dem Kyffhäuser-Verlag: Eugen Claessens/Karl Meinhardt: Reichsversorgung und Fürsorge für Kriegshinterbliebene. Wegweiser durch die neueste Gesetzgebung, Mit 17 Mustern zu Eingaben, Beispielen und Tabellen für Hinterbliebenenrenten, für Kapitalabfindung, Steuererleichterung usw., Berlin 1921. Vgl. »Kritische Betrachtungen zum Reichsversorgungsgesetz«, in: Versorgung, 6.6.1920, S. 1f. Vgl. »Mängel der Rechtsprechung in Versorgungsfragen«, in: Kriegerzeitung, 23.11.1924, S. 17. Zu Spitzenzeiten betrug die Haushaltsbelastung für die Versorgung von Kriegsversehrten und Kriegerhinterbliebenen annähernd 20 % des gesamten Jahresetats der Reichsregierung. Vgl. Cohen: Disabled Veterans, S. 7.

III. Der Veteran in Zivil

Opfer für die Verteidigung des Vaterlandes gebracht haben.«176 Er rief die Reichsregierung stattdessen dazu auf, das bestehende Versorgungssystem durch gezielte Eingriffe zu reformieren und an anderer Stelle zu sparen.177 Letzten Endes konnte aber auch die Verbandsspitze mit ihren Protesten und Eingaben nicht verhindern, dass die staatlichen Versorgungsleistungen durch mehrere aufeinanderfolgende Notverordnungen zwischen 1930 und 1932 empfindlich beschnitten wurden.178 Die Erfahrung der körperlich versehrten Veteranen mit der Weimarer Republik blieb somit letztlich ambivalent: Zwar leitete die Reichsregierung eine umfassende Gesetzesinitiative ein, um das Versorgungssystem der Vorkriegszeit zu reformieren und den Kriegsversehrten gegenüber den Dank des Vaterlandes für ihre Opfer im Krieg zum Ausdruck zu bringen. Diese Bemühungen reichten aber nicht aus, da das Niveau der Versorgungsleistungen gerade in wirtschaftlich schweren Zeiten nicht aufrecht zu erhalten war. Das führte letztlich zur Enttäuschung der kriegsversehrten Veteranen, zu einem Vertrauensverlust in den Weimarer Wohlfahrtsstaat sowie letztlich zu einer generellen Offenheit für alternative Erfahrungskonzepte, die ihnen und ihren Leistungen zudem eine vermeintlich größere Wertschätzung entgegenbrachten.179

3.

Ein Verband für alle – das organisatorische Potential der Kyffhäuser-Veteranenfamilie

Nach dem Kriegsende und im Zuge der Pluralisierung des Veteranenverbandswesens in der Weimarer Republik änderte sich auch die Einstellung des Kyffhäuserbundes gegenüber den Mitgliedern der Familien seiner Veteranen. Denn bis zum

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»400.000 Kriegsbeschädigte und Kriegerhinterbliebene appellieren an den Reichstag«, in: Kyffhäuser, 26.10.1930, S. 1. Vgl. »Für die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen!«, in: Kyffhäuser, 26.4.1931, S. 1f.; »Die Frühjahrsvorstandssitzung des Deutschen Reichskriegerbundes ›Kyffhäuser‹ am 16. und 17. Mai 1931«, in: Kyffhäuser, 24.5.1931, S. 2. Ferner BArch Berlin, NS 26/931, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl II, Bl. 91: Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des KB vom 1. Mai 1932 – Kurzer Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des Deutschen Reichskriegerbundes ›Kyffhäuser‹ am 30. April und 1. Mai 1932 auf dem Kyffhäuser. Vgl. Reichsgesetzblatt: Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände. Vom 26. Juli 1930; Ebd.: Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. Vom 5. Juni 1931; und ebd.: Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens. Vom 8. Dezember 1931; sowie Löffelbein: Ehrenbürger, S. 141f. Vgl. zu den hieraus entstehenden politischen Implikationen weiterhin Kapitel III, 1. Zudem James M. Diehl: Victors or Victims? Disabled Veterans in the Third Reich, in: The Journal of Modern History 59 (1987), S. 705-736; und Löffelbein: Ehrenbürger, S. 277-311.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Kriegsausbruch waren die Veteranenfrauen und -kinder in der Organisationsstruktur des Verbandes nur marginal repräsentiert. Durch den Verlust der Monopolstellung nach 1918 wurde das anders: Die Konkurrenzverbände in den 1920er Jahren – wie der Rote Frontkämpferbund oder der Stahlhelm – hatten im Gegensatz zum Kyffhäuserbund das organisatorische Potential der Veteranenfamilie von Beginn an erkannt und bei ihrer Gründung sogleich Frauen-, Mädchen- und Jugendabteilungen in ihre Verbandsstrukturen integriert.180 Diese Öffnung zeitigte sogleich positive Ergebnisse, indem sie den Verbänden einen starken Zuwachs an Mitgliedern bescherte. Der Kyffhäuserbund hatte dagegen seit dem Ende des Ersten Weltkrieges mit einem kontinuierlichen Mitgliederschwund zu kämpfen, da er gerade für junge Menschen nicht attraktiv war. Vor allem die (Jugend-)Parteiorganisationen der aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung, wie etwa die SA,181 die Hitlerjugend182 oder der Bund Deutscher Mädel,183 übten durch ihr juveniles Auftreten, ihre sportlich-militaristischen Aktivitäten und ihren jugendlichen Gemeinschaftscharakter eine erheblich höhere Anziehungskraft aus, als ein Verband aus der Zeit des kaiserlichen Deutschlands, der in dem Ruf stand, reine Traditionspflege zu

180 Der Stahlhelm gründete bereits 1923 unter dem Eindruck der Ruhrkrise den Jungstahlhelm als Schulungsorganisation für Jugendliche. Der Rote Frontkämpferbund folgte 1925 mit der Einrichtung der Roten Jungfront. Vgl. Irmtraud Götz von Olenhusen: Vom Jungstahlhelm zur SA: Die junge Nachkriegsgeneration in den paramilitärischen Verbänden der Weimarer Republik, in: Wolfgang R. Krabbe (Hg.): Politische Jugend in der Weimarer Republik, Bochum 1993, S. 146-182; sowie Berghahn: Stahlhelm, S. 32f. Weiterhin richtete der Rote Frontkämpferbund 1926 den Rote Frauen- und Mädchenbund ein. Vgl. Schuster: Frontkämpferbund, S. 116-132. 181 Siemens: Stormtroopers, S. 75-86; weiterhin Albrecht Lehmann: Kap. Militär und Militanz zwischen den Weltkriegen, in: Dieter Langewiesche/Heinz-Elmar Tenorth (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band V: 1918-1945, Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, München 1989, S. 407-432, hier S. 420f.; weiterhin Reichardt: Kampfbünde, S. 267-271; und exemplarisch für den Berliner Raum Martin Schuster: Die SA in der nationalsozialistischen ›Machtergreifung‹ in Berlin und Brandenburg 1926-1934, Berlin 2005, S. 83. 182 Vgl. Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich. Hitler-Jugend und ihre Gegner, Düsseldorf 1982, S. 77-95; weiterhin Michael H. Kater: Hitler-Jugend, Darmstadt 2005, S. 7-16. 183 Vgl. Dagmar Reese: Straff, aber nicht stramm – herb, aber nicht derb. Zur Vergesellschaftung von Mädchen durch den Bund Deutscher Mädel im soziokulturellen Vergleich zweier Milieus, Weinheim 1989 [auch erschienen u.d.T.: Growing up female in Nazi Germany, Ann Arbor 2006]; und dies.: Mädchen im Bund Deutscher Mädel, in: Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Band 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart, Frankfurt a.M. 1996, S. 271-282; und Martin Klaus: Mädchen im 3. Reich. Der Bund Deutscher Mädel, Köln 1998.

III. Der Veteran in Zivil

betreiben.184 Der Kyffhäuserbund war darum gezwungen zu reagieren. Er musste seine Strukturen öffnen und sein Engagement in der Frauen- und Jugendarbeit intensivieren und so neue Mitglieder werben, um sich für die Zukunft breiter aufzustellen und im Vergleich mit anderen Veteranenorganisationen nicht ins Hintertreffen zu geraten.

3.1

Frauen im Kyffhäuserbund

Die ältere Forschung betonte lange und übereinstimmend, dass der Erste Weltkrieg die klassischen hierarchischen Strukturen der patriarchalisch geprägten Geschlechterverhältnisse in der deutschen Gesellschaft sowie die getrennten Aufgabenbereiche der Geschlechter im Kaiserreich nachhaltig erodieren ließ. (Haus-)Frauen und Mütter wurden ab 1914 zum notwendigen Rückhalt, zu unverzichtbaren Arbeitskräften an einer idealisierten Heimatfront in einem entgrenzten Krieg, der längst nicht mehr allein durch den Frontverlauf in Ost und West eingehegt wurde. Soldatenfrauen arbeiteten, da männliche Arbeitskräfte fehlten, in kriegswirtschaftlich wichtigen Betrieben oder anderen Bereichen des öffentlichen Lebens und bewährten sich als Haupternährerinnen ihrer Familie.185 Mit diesem Wandel einher ging die gesteigerte öffentliche Wahrnehmung der Frauen im Alltagsleben, was sich auch in einem Zuwachs an weitreichenden, größtenteils vom Mann unabhängigen Handlungskompetenzen widerspiegelte.186 Diese wurden nach 1918 durch die neue Weimarer Reichsverfassung zumindest in Teilen bestätigt.187 Die neuere Forschung hinterfragte diese Interpretation und bezweifelte in zunehmendem Maße, ob oder inwiefern von dieser »Emanzipation auf

184 Vgl. Bernd A. Rusinek: Krieg als Sehnsucht. Militärischer Stil und ›junge Generation‹ in der Weimarer Republik, in: Jürgen Reulecke (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 127-144. 185 Grundlegend hierzu sind Ute Daniel: Arbeiterfrauen in der Kriegsgesellschaft. Beruf, Familie und Politik im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1989;und Ute Frevert: Frauen-Geschichte. Zwischen bürgerlicher Verbesserung und neuer Weiblichkeit, Frankfurt a.M. 1986, S. 146-199. Weiterhin Susanne Rouette: Sozialpolitik als Geschlechterpolitik. Die Regulierung der Frauenarbeit nach dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt a.M. 1993, S. 15-21; sowie ferner Kattwinkel – »Frauen und Kriegervereine«, in: Kriegerzeitung, 11.12.1918, S. 5f. 186 Vgl. Karen Hagemann: Heimat – Front. Militär, Gewalt und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, in: dies./Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): Heimat-Front. Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. 2002, S. 13-52, hier S. 15-26; sowie Birte Kundrus: Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg, Hamburg 1995, S. 98-182. 187 Vgl. Angelika Schaser: Zur Einführung des Frauenwahlrechts vor 90 Jahren am 12. November 1918, in: Feministische Studien 1 (2009), S. 97-110; und Karen Hagemann: Frauenalltag und Männerpolitik. Alltagsleben und gesellschaftliches handeln von Arbeiterfrauen in der Weimarer Republik, Bonn 1990, S. 11-22.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Leihbasis«188 ein wirklicher Impuls für eine Veränderung oder Neuordnung der Geschlechterverhältnisse ausgegangen sei.189 Denn wie sie zurecht herausstellte, prägte der Erste Weltkrieg paradoxerweise die bereits bestehende Geschlechterdichotomie schärfer aus, etwa durch Gegensatzpaare wie Front – Heimat, mit den sich komplementär ergänzenden geschlechtlichen Figuren des Frontkämpfers und der Soldatenfrau. An beide knüpften sich Vorstellungen von bestimmten Verhaltensweisen, mentalen Einstellungen sowie Rechten und Pflichten, die das Kriegsende überdauerten und auch nach 1918 das selbstreferenzielle Konstrukt von der typischen Frontsoldatenfamilie bildeten.190 Die Folgen des Krieges waren mithin ambivalent. Solche Ambivalenzen kennzeichneten auch das Frauenbild des Kyffhäuserbundes. Auf der einen Seite konservierte der Verband die emanzipationsfeindliche Grundhaltung des Kaiserreiches und tradierte das klassische Konzept von Familie und Mutterschaft sowie von der Frau als Haushaltsvorstand in die Nachkriegszeit hinein.191 Nach dem Ende des Krieges war es für den Verband an der Zeit, dass der Anteil der Frauen im Erwerbsleben, das »in vielen Fällen Raubbau an unserer Frauenkraft war«, wieder reduziert wurde. Ohnehin würden »viele Frauen auch froh sein […], die Last der schweren Berufsarbeit loszuwerden, weil der heimkehrende Mann nun wieder für sie sorgen« könne. So würden »sie wohl nichts dage-

188 Vgl. Daniel: Arbeiterfrauen, S. 259-265, Zitat auf S. 265; sowie dies.: Der Krieg und die Frauen 1914-1918: Zur Innenansicht des Ersten Weltkriegs in Deutschland, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich (Hg.): »Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch …«. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Frankfurt a.M. 1996, S. 131-149. 189 Ein knapper Überblick über die andauernde Diskussion, inwieweit der Erste Weltkrieg eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse mit sich brachte, findet sich bei Birte Kundrus: Geschlechterkriege. Der Erste Weltkrieg und die Deutung der Geschlechterverhältnisse in der Weimarer Republik, in: Karen Hagemann/Stefanie Schüler-Springorum (Hg.): HeimatFront. Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt a.M. 2002, S. 171-173. Vgl. hierzu weiterhin Aibe-Marlene Gerdes: Der Krieg und die Frauen. Geschlecht und populäre Literatur im Ersten Weltkrieg, Eine Annäherung, in: dies./Michael Fischer (Hg.): Der Krieg und die Frauen. Geschlecht und populäre Literatur im Ersten Weltkrieg, Münster 2016, S. 9-27; und Christa Hämmerle/Oswald Überegger/Birgitta Bader Zaar: Introduction: Women’s and Gender History of the First World War – Topics, Concepts, Perspectives, in: dies. (Hg.): Gender and the First World War, Basingstoke 2014, S. 1-15. 190 Vgl. Kundrus: Geschlechterkriege, S. 173-180. 191 Vgl. Irene Stoehr: Housework and motherhood: debates and politics in the women’s movement in Imperial Germany and the Weimar Republic, in: Gisela Bock/Pat Thane (Hg.): Maternity and Gender Politics. Women and the Rise of the European Welfare States, 1880s-1950s, London 1991, S. 213-232.

III. Der Veteran in Zivil

gen haben, wenn viele Arbeitgeber anerkannt haben, daß die Frauen den Männern weichen«192 müssten.193 Auf der anderen Seite bekam dieses traditionell-konservative Bild, in welchem die Frau im öffentlichen Vereinsleben bislang keine Rolle gespielt hatte, durch den Krieg aber auch immer deutlichere Risse und begann sich zu wandeln. Dieser Wandel war zum einem den unübersehbaren Leistungen sowie der Bedeutung der Frauen während des Krieges geschuldet und beruhte ferner auf der Erkenntnis, dass »Frauen […] in der Not der Zeit zu einem aktiven staatlichen und wirtschaftlichen Faktor geworden«194 waren. Zum anderen hatte die Weimarer Reichsverfassung den Frauen mit der staatsbürgerlichen Gleichstellung umfassende politische Rechte, unter anderen das volle Wahlrecht, eingeräumt und sie so zu einem gewichtigen politischen Faktor gemacht.195 Der Kyffhäuserbund empfahl deshalb seinen Vereinen, sich den »befruchtenden Einfluß weiblicher Mitarbeiter« zu sichern und Frauengruppen einzurichten, damit das Kriegervereinswesen fortan zu einer »Familiensache«196 werden könnte, in welcher der »deutsche Geist, wahre Liebe und Treue gehegt« sowie »echter Kyffhäusergeist«197 gepflegt würden. Solche Empfehlungen zeigen, dass der Kyffhäuserbund erkannt hatte, dass Frauen auch ohne einschlägige Fronterlebnisse durchaus Trägerinnen von eigenen Kriegserfahrungen sein konnten. Abgesehen von den heimkehrenden Frontsoldaten seien durch den Weltkrieg auch die »Frauen und heranwachsenden Kinder zu ganz neuen Menschen geworden. Die Verhältnisse der alten Tage haben sich gründlich geändert! […] Die heimkehrenden Männer werden Frauen vorfinden, die jahraus, jahrein in harter und zäher Arbeit für den Unterhalt der Familie gesorgt, die mit bewundernswerter Ausdauer Haus und Besitz erhalten haben, und somit aus eigener Kraft an dem Glück weiterbauten, das Mann und Frau gemeinsam aufrichteten und bewahren wollten.«198 Die Frauen seiner Verbandsmitglieder stellten mit ihren Erfahrungen von der Heimatfront während des Krieges eine komplementäre Ergänzung des Frontsoldaten

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Hans Oswald – »Die deutsche Demobilmachung II«. Zur Demobilmachung der Frauenarbeit siehe Richard Bessel: ›Eine nicht allzu große Beunruhigung des Arbeitsmarktes‹. Frauenarbeit und Demobilmachung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, in: Geschichte und Gesellschaft 9 (1983), S. 211-229. 194 Kattwinkel – »Frauen und Kriegervereine«. 195 Vgl. Pomeranus – »Neue Aufgaben – neue Wege für das Kriegervereinswesen«. 196 Kattwinkel – »Frauen und Kriegervereine«. 197 NiLaA Os, Rep 450 Wit Nr. 1126, Kriegerverein Venne 1888-1903: Bericht der 59. Bezirkstagung in Venne 1933. 198 »Die Heimgekehrten. Wiederaufbau des Familienlebens«, in: Kriegerzeitung, 24.11.1918, S. 3f.

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dar. Nach dem Kriegsende trugen sie in jenem Maße zur Funktionalität der Veteranenfamilie bei, in welchem sie bereits während des Weltkrieges mitgeholfen hatten, die Funktionalität des Heeres und der Front aufrecht zu erhalten. Durch eine solche Analogie durchliefen die Veteranenfrauen eine Entwicklung von der unverzichtbaren gesamtgesellschaftlichen Unterstützerin der Kriegsjahre hin zur unentbehrlichen Hüterin und Bewahrerin des fragilen Familienlebens in der Nachkriegszeit. Der Rückzug der Frau aus dem öffentlichen Arbeitsleben und ihre Rückkehr in den heimischen Haushalt als Ehe- und Hausfrau wurden daher nicht als Rückschritt gewertet, sondern galten als notwendig, um den veränderten Anforderungen der Zeit Rechnung zu tragen und beim Wiederaufbau der Veteranenfamilie mitzuwirken. Sie wurden ferner in dem Sinne positiv gewendet, als der Kyffhäuserbund an die fürsorglichen wie mütterlichen Gefühle der Veteranenfrauen appellierte, indem er die zumeist im Hintergrund arbeitende (Haus-)Frau und Mutter zur unverzichtbaren Stütze beim Neuaufbau der Familie erkor. Im Anschluss an den Arbeitseinsatz außerhalb der eigenen vier Wände zwischen 1914 und 1918 war es aus Verbandssicht für die Veteranenfrauen wieder an der Zeit, sich erneut auf ihre klassischen Arbeitsfelder zurückzubesinnen: »Weib ihres Mannes, Mutter ihren Kindern zu sein, ist noch immer der Hauptberuf aller Frauen.«199 So war die Frau des Veteranen erstens dafür zuständig, weniger die sichtbaren Verwundungen des Körpers als vielmehr die gefährlichen und schwerwiegenden »Wunden des Herzens und der Seele« ihres heimkehrenden Mannes zu heilen. Selbst der Kyffhäuserbund musste erkennen, dass das romantisch überhöhte Bild der heroischen Männlichkeit von den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges mit seinem Massensterben, dem industrialisierten Töten und der (seelischen) Verkrüppelung vieler Soldaten längst von der Realität ein- und überholt worden war.200 Im Kontrast zu diesem beschädigten rohen und starken Männlichkeitsbild stand das liebevolle und fürsorgliche Wesen der (Ehe-)Frau. Ihr »verstehendes Ein- und Mitfühlen«201 sowie ihr »verständnisvolles Eingehen auf die Eigenheiten des andern«202 wurden als die wichtigsten weiblichen, für die Gemeinschaft gewinnbringenden Charaktereigenschaften hervorgehoben. Außer dem Umsorgen des Ehemannes war den Frauen zweitens vor allem die Rolle als Erzieherin der Kinder zugedacht. Gerade die unsteten Verhältnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit wurden als große Gefahr für die Jugend angesehen. 199 Ebd. 200 Zu Erosion der Geschlechtsstereotype siehe Ute Planert: Kulturkritik und Geschlechterverhältnis. Zur Krise der Geschlechterordnung zwischen Jahrhundertwende und ›Drittem Reich‹, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, München 2007, S. 191-214. 201 M. Rogge – »Der Friede und die deutsche Frau«. 202 »Die Heimgekehrten. Wiederaufbau des Familienlebens«.

III. Der Veteran in Zivil

Die Jugendlichen seien latenten Gefahren und unmoralischen Verführungen ausgesetzt, betonte der Kyffhäuserbund. Diese verleiteten fortwährend dazu, sich den Verlockungen und Vergnügungen der modernen Gesellschaft ungehemmt hinzugeben. Darüber hinaus hatten die Jahre an der Front in vielen Fällen eine (vorübergehende) Entfremdung der Männer von der eigenen Familie bewirkt und einen Wandel des patriarchalischen Männlichkeitsbildes hervorgerufen.203 Da viele Familienväter unter dem lange nachwirkenden Eindruck ihrer Kriegserfahrungen standen, von den Kriegserlebnissen traumatisiert oder vom Krieg körperlich stark gezeichnet aus dem Feld heimkehrten, waren sie oftmals nicht in der Lage, die ihnen zugewiesene Vaterfigur auszufüllen. In diesem Fall mussten ihre Frauen die Kinder auch nach 1918 allein erziehen.204 Da sich der Kyffhäuserbund dieser Problematik durchaus bewusst war, wurde für ihn das Bild von der Frau als einfühlsamer Mutter umso wichtiger, deren Aufgabe es war, ihren Kindern »mit aller Kraft ihres Herzens die Stählung des Willens, frühzeitige Gewöhnung an Entbehrungen und Entsagungen, aber vor allem auch jenes Selbstgefühl« anzuerziehen, »aus dem heraus dann die Persönlichkeit wird.«205 Aber nicht nur bei der Persönlichkeitsbildung, sondern auch im national-kulturellen Kontext – etwa indem sie die »Ehrfurcht vor der Muttersprache«206 weckte – sollte die deutsche Frau als Erzieherin tätig werden. Drittens kam der Veteranenfrau die Rolle der klugen Wirtschafterin in Heim und Haushalt des Veteranen zu.207 Die wirtschaftlich schweren Anfangsjahre der Weimarer Republik, die in der Hyperinflation des Jahres 1923 ihren vorläufigen Höhepunkt fanden, machten eine »Rationalisierung der Haushaltsführung«208 unumgänglich. Für die Frau als Haushaltvorstand war es daher umso wichtiger, sich in Sparsamkeit und Bescheidenheit zu üben und eine »gründlichere wirtschaftliche Vorbildung« an die eigenen Töchter weiterzugeben. Der Kyffhäuserbund war vollkommen überzeugt davon, dass der »werktätige[n] Frau« nach dem Krieg auch abseits des aktiven Erwerbslebens an vielen Stellen ausreichend »Tore für die Mitarbeit am Gemeinwohl« offenstanden.209 Doch der Kyffhäuserbund ging über diese Eingeständnisse hinaus und räumte den Frauen seiner Mitglieder eine eigene Rubrik in der Verbandszeitung ein, um »auch der Frau ein Plätzchen im ›Kyffhäuser‹ zu geben.« Mit der neuen Beilage Die

203 Siehe zur Erosion und zur Krise der Männlichkeit im Anschluss an den Ersten Weltkrieg weiterhin Kapitel III, 2, Anm. 648. 204 Vgl. »Die Heimgekehrten. Wiederaufbau des Familienlebens«. 205 Ebd. 206 »Ehret eure deutsche Sprache!« (Die deutsche Frau), in: Kyffhäuser, 21.11.1926, S. 17. 207 Vgl. Preisausschreiben – »Die deutsche Frau«, in: Das Kriegerheim. Unterhaltungsbeilage der Krieger-Zeitung, 1.1.1921, S. 1. 208 »Die Bedeutung der Hauswirtschaft für unsere Zeit«, in: Kyffhäuser, 4.4.1926, S. 17f. 209 M. Rogge – »Der Friede und die deutsche Frau«.

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deutsche Frau sollten »die Belange der deutschfühlenden Frau in besonderem Maße zum Ausdruck kommen«, sollten »Wege des Aufbruchs und der Mithilfe gewiesen« sowie »das Bild der patriotischen Betätigung der Hausfrau gezeigt werden«, da die Frau »mehr als in der Vorkriegszeit dem Manne als Kamerad zur Seite«210 stehe. Bei allen Gleichstellungsambitionen ließ der Verband aber keinen Zweifel daran, wo man den zentralen Tätigkeitsort dieser neuen »Kameradin« des Mannes erblickte: nämlich im Haushalt des Veteranen, dem Platz »an den sie im Lebenskampfe hingehört, an dem sie tatkräftig mitwirken kann am nationalen, überparteilichen und interkonfessionellen Aufbau.«211 Abgesehen davon, dass der Kyffhäuserbund den Frauen seiner Mitglieder eine eigene Zeitungsrubrik widmete, ließ er diese mitunter auch selbst zu verschiedenen Themen zu Wort kommen und offen ihre Forderungen und Ansichten äußern.212 Zuallererst hielten die Autorinnen die Erinnerungen an die Leistungen der Frauen während des Weltkrieges lebendig, indem sie von ihren eigenen Erfahrungen im Arbeitsalltag berichteten: »Wie furchtbar erschien es diesen Leuten, in der Straßenbahn von einer Frau gefahren zu werden, womöglich sogar weibliche Lokomotivführer und Omnibuskutscher einzustellen. Wirkliche Patrioten haben sich allerdings sehr schnell eines besseren besonnen und den Frauen herzlich für ihre aufopfernde Tätigkeit gedankt, […].«213 Gleichwohl räumten diese Zeitzeuginnen ein, dass es aus ihrer Sicht besser war, dass die Männer nach dem Krieg ihren angestammten Platz in körperlich anstrengenden Berufen wieder einnahmen, »da ihnen ja aus jahrelanger Praxis ganz andere Erfahrungen zur Verfügung standen, und da rein physisch der Mann dazu besser geeignet« erschien. Dies galt allerdings nicht für alle Berufszweige. Insbesondere durch ihre Eigenschaft als »geborene Gesundpflegerin«214 sei die Arbeit der Frau in vielen – vor allem medizinischen – Bereichen von großem Wert. Mit klaren Worten kritisierten andere Autorinnen den Staat. Sie echauffierten sich vor allem darüber, dass der Hausfrau bei allen ihren täglichen Anstrengungen und der Vielfältigkeit ihrer Aufgaben die berufliche oder zumindest die staatliche Anerkennung bislang verwehrt geblieben war. Denn wenngleich durch den Achtstundentag viele Arbeiter beruflich entlastet würden, bliebe die Hausfrau doch letztlich von solchen Verbesserungen ausgenommen; ihre Arbeitskraft für den Haushalt und die Familie würde vielmehr als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Frauen der

210 211 212 213 214

»An unsere Leserinnen« (Die deutsche Frau), in: Kyffhäuser, 4.4.1926, S. 17. Ebd. Vgl. Von einer deutschen Frau – »Wie sie hetzen«, in: Kriegerzeitung, 15.11.1922, S. 10. Eitel Raper – »Entschlossene Frauen« (Die deutsche Frau), in: Kyffhäuser, 23.1.1927, S. 17. Ebd.

III. Der Veteran in Zivil

Kyffhäuser-Veteranen beschwerten sich über die aus ihrer Sicht bislang ausgebliebene staatliche Anerkennung ihrer Leistungen im Krieg. Als Beweis hierfür führten sie an, dass die Hausfrauen bei allen neuen staatlichen Regelungen zur Verbesserung der Arbeitsverhältnisse stets durch das Raster fielen und dass von einer vollkommenen Gleichberechtigung der Geschlechter daher keine Rede sein konnte.215 Eine wirkliche Verbesserung ihrer Situation konnte daher erst eintreten, »wenn die Anschauung sich Bahn bricht, daß die Grundlage des Staates nicht auf dem Einzelnen, sondern auf der Familie beruht.«216 Letztlich betonten die zu Wort kommenden Frauen noch ihren unbedingten Willen, sich für eine möglichst positive Entwicklung der deutschen Gesellschaft in der Zukunft einzusetzen. Sie sahen ihre Aufgabe nicht darin, mit »großen Worten und Redensarten um sich zu werfen. Worte sind billig wie Brombeeren.« Vielmehr wollten sie sich darauf verlegen, »ruhig zu sein, sachlich einzuwirken und – Opfer zu bringen.«217 Dem lag die Beobachtung zugrunde, dass Deutschland von einer »Welle der Nervosität« erfasst und geprägt sei von einer Atmosphäre, in der »verzweifelte, ängstliche oder empörte Worte«218 jene Nervosität nur weiter unnötig steigern würden.219 Gerade in dieser aufgeladenen Stimmung sei es unbedingt notwendig, dass zumindest die deutschen Frauen die Ruhe bewahrten und sich einmütig ihr großes organisatorisches Potential vor Augen führten, um im Hintergrund umso wirksamer zu agieren. »Die Frauen sind heute mit Träger massenwirkender Stimmungen. Auf hundert Frauen innerhalb der deutschen Reichsgrenzen kommen heute noch achtzig Männer. Das Zahlenübergewicht macht sich bemerkbar zumal, wenn von diesen hundert Frauen etwa sechzig außer dem Hause tätig sind, oder den Mann in seinem aufregenden Berufe zu vertreten bemüht sind. Ohne große Worte zu machen, sollen wir sachlich auf die Stimmung um uns einwirken!«220 Den Frauen des Kyffhäuserbundes kam somit letztlich die Rolle des Ruhepols für eine Gesellschaft innerhalb eines Zeitalters zu, das von den Zeitgenossen als von Nervosität geprägt wahrgenommen wurde. Das Bild des Verbandes von der beson-

215 216 217 218 219

Vgl. »Die Hausfrau als Aschenbrödel des Staates«, in: Kriegerzeitung, 15.11.1922, S. 9. Ebd. G. Buetz – »Eine Frauenpflicht in schwerster Zeit«, in: Kriegerzeitung, 14.3.1920, S. 5f. Ebd. Vgl. zum Diskurs um die Nervosität Joachim Radkau: Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998; weiterhin ders.: Nationalismus und Nervosität, in: Wolfgang Hardtwig/Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Kulturgeschichte Heute, Göttingen 1996, S. 284-315. 220 G. Buetz – »Eine Frauenpflicht in schwerster Zeit«.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

nenen Frau bildete in diesem Kontext somit auch das diskursive Gegenstück zur hysterischen Frau des 19. Jahrhunderts.221

3.2

»Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft« – Jugend- und Erziehungskonzepte »Die alte Generation empfindet diese Jugend bereits als etwas Unheimlich-Neues jenseits einer Kluft und sieht sich gezwungen, irgendwie zu ihr Stellung zu nehmen: die einen sehen in uns, den Kommenden, die letzte Hoffnung; die anderen glauben, sich schon heute völlig enttäuscht von uns abwenden zu müssen. Man spricht allgemein von der neuen Jugend schon als von einer einheitlichen ›Generation‹. Doch wir, diese viel umstrittene Jugend selbst, haben uns bis heute noch nicht über Parteien und Meinungen hinweg kollektiv als neue Einheit erlebt, die aus neuen Kräften eine neue Welt schaffen soll: die neuen Streitkräfte sind da; aber ihre Front ist noch nicht eindeutig.«222

Ernst Günther Gründel veröffentlichte 1932 seine vielbeachtete Studie Die Sendung der jungen Generation. Versuch einer umfassenden revolutionären Sinndeutung der Krise, in der er – selbst Jahrgang 1903 – seine Generation in allen ihren Facetten beschrieb. Seine Studie bietet mehr als eine oberflächliche Bestandsaufnahme zeitgenössischer Jugendkultur der Jahrgänge von 1890 bis 1910. Gründel kam es vielmehr darauf an, die »neue Jugend« der Nachkriegszeit als ein eigenes Phänomen zu analysieren, über das seiner Meinung nach viel »Aufregung wie Unklarheit« herrschte. Aus der Erzählerperspektive des Miterlebenden und selbst Betroffenen definierte er jene Geburtskohorten als eine Generation, die »zwischen Hoffnung, Aufbegehren und Mutlosigkeit […] tausend Träume« träumte, ohne jedoch jemals »durchgreifenden Einfluß auf die Gestaltung der Dinge zu gewinnen.«223 Erstaunlich präzise und weitsichtig analysierte Gründels Untersuchung den Einfluss des Weltkrieges auf die Mentalität der deutschen Jugend. Der Krieg habe den Heranwachsenden zunächst »ihren ganzen älteren Führerstamm«224 entzogen, um ihn dann vielfach nicht wieder in die Heimat zurückkehren zu lassen. Dieses »Kollektiverlebnis« – unbesehen ob aktiv oder passiv – sowie das Erlebnis des anschließenden revolutionären Systemwechsels und der teils chaotischen Verhältnisse der unmittelbaren Nachkriegszeit waren aus Gründels Sicht das für die »seelische Formung unserer Generation zweifellos bedeutsamste generationsbildende Moment.«225 Er unterschied innerhalb seiner Generationenkohorte von 1890 bis 1910 drei verschiedene 221 222 223 224 225

Vgl. Radkau: Zeitalter, S. 121-144. Gründel: Sendung, S. 1. Ebd. Ebd., S. 19. Ebd., S. 22.

III. Der Veteran in Zivil

Gruppen von Jugend: erstens die Gruppe der vor 1900 Geborenen, die selbst noch in den Krieg zogen, die sogenannte »junge Frontgeneration«, zweitens die Jahrgänge ab 1900, die »Kriegsjugendgeneration«, und drittens die Jahrgänge nach 1910, die »Nachkriegsgeneration.«226 Mit seiner zeitgenössischen Charakterisierung und Kategorisierung der deutschen Jugend in den 1920er Jahren nahm Gründel viele Fragen und Untersuchungsergebnisse der neueren historischen Forschung vorweg und bildete für viele einschlägige Studien Ausgangspunkt und Grundlage.227 Die Arbeiten zeigten die Spannweite der Bereiche Jugend und Erziehung in der Weimarer Republik: Diese reichte von Fragen der konkreten Bildungspolitik und der Erziehung von Kindern228 über die Auseinandersetzung mit experimentellen Pädagogikkonzepten und avantgardistischer Jugendkultur229 bis hin zur Betrachtung des Engagements Jugendlicher in Partei-Jugendorganisationen sowie der Fragmentierung, Desintegration und Radikalisierung der Jugendbewegung an den Rändern der politischen Lager des Weimarer Staates.230 In diesem Kontext interessierten insbesondere jene Teile der Jugendbewegung, die sich durch ihre völkisch-nationale Ideologie und Nähe zum Nationalsozialismus auszeichneten.231 Abseits der Hauptlinien der historischen Forschung lassen sich zwei weitere Themenschwerpunkte feststellen: Zum einen ging es darum, welche Bedeutung der Jugend für den republikanischen Neuanfang zukam; zum anderen wurde untersucht, welchen Einfluss der Weltkrieg auf die Erziehung der Jugend in der Zwischenkriegszeit hatte.232 Für

226 Ebd., S. 23f.; vgl. zur eingehenderen Beschreibung der Gruppen weiterhin S. 22-48. 227 Dies gilt etwa für Detlev Peukerts Generationskonzept. Siehe Peukert: Krisenjahre, S. 25-31; und ders.: Jugend. 228 Siehe bspw. Marjorie Lamberti: The Politics of Education. Teachers and School Reform in Weimar Germany, New York 2002; sowie Elizabeth Harvey: Youth and the Welfare State in Weimar Germany, Oxford 1993. 229 Vgl. Jonas Kleindienst: Die wilden Cliquen Berlins. ›Wild und frei‹ trotz Krieg und Krise, Geschichte einer Jugendkultur, Frankfurt a.M. 2011; sowie Ulrich Herrmann (Hg.): ›Neue Erziehung‹ – ›Neue Menschen‹. Ansätze zur Erziehungs- und Bildungsreform in Deutschland zwischen Kaiserreich und Diktatur, Weinheim 1987. 230 Siehe Winfried Speitkamp: Jugend in der Neuzeit. Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 2008, S. 162-206; Wolfgang Krabbe: Die gescheiterte Zukunft der Ersten Republik. Jugendorganisationen bürgerlicher Parteien im Weimarer Staat (1918-1933), Opladen 1995; sowie Walter Laqueur: Die Deutsche Jugendbewegung. Eine historische Studie, Köln 1978, S. 101-207. 231 Vgl. Ulrike Treziak: Deutsche Jugendbewegung am Ende der Weimarer Republik. Zum Verhältnis von Bündischer Jugend und Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1986. 232 Siehe Arndt Weinrich: Der Weltkrieg als Erzieher. Jugend zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus, Essen 2013; und Richard Bessel: The ›front generation‹ and the politics of Weimar, in: Mark Roseman (Hg.): Generations in Conflict. Youth revolt and generation formation in Germany 1770-1968, Cambridge 1995, S. 121-136.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

den Kyffhäuserbund standen diese beiden Fragen bei seiner Beschäftigung mit der Nachkriegsjugend im Mittelpunkt.

3.2.1

Gedanken über die ›Wege‹ der deutschen Nachkriegsjugend

Gründel versuchte mit seiner Studie, in erster Linie den Nerv der Zeit zu treffen. Er wollte auf die Probleme der deutschen Nachkriegsjugend in der Republik und auf die schwierigen Rahmenbedingungen nach dem Krieg aufmerksam machen sowie Verständnis für seine eigene Generation wecken, welche der Erste Weltkrieg bei den Opferzahlen und durch die (ökonomisch) instabile Nachkriegsordnung am Härtesten getroffen hatte.233 Wie gering das Verständnis der Älteren für die Nöte und Bedürfnisse der Jüngeren teilweise war und wie stark sich die generationellen Gegensätze vor allem nach dem Krieg ausprägten, zeigte die Haltung des Kyffhäuserbundes, mit der er sich den Themen Jugend und Erziehung annahm. Einerseits problematisierte der Verband, dass viele Vertreter der Geburtskohorten ab 1890 vor dem Gesetz durchaus erwachsen waren, ihnen andererseits aber häufig die Mündigkeit abgesprochen werden musste oder sie nicht als adoleszent erachtet werden konnten.234 Welche Gründe veranlassten den Kyffhäuserbund zu einer solchen harschen Meinung? Der Verband argumentierte in Person von Otto Riebicke, dass wegen der vierjährigen Abwesenheit der Väter eine erzieherische Hand gefehlt habe, dass die Erziehung in dieser Zeit fast ausschließlich von den Frauen übernommen worden sei und es somit lange an einer starken Vaterfigur gemangelt habe. Diese Jugend des Krieges, »deren Väter ins Feld zogen und meist blieben, […] die mit 14 Jahren in den Strudel der entsitteten Revolutionszeit hineingetreten« war, zeichnete sich seiner nach Meinung dadurch aus, dass sie »ungeschult durch die Erziehung, unerzogen durch die Schule« war. Für Riebicke hatte der Krieg das geordnete Familienleben zerrüttet und somit ein Heranwachsen der Jugend »frei von Verantwortung« und »frei von selbsterschafften inneren Werten«235 begünstigt. Diese Tendenz hatte sich aus seiner Sicht in der Nachkriegszeit nur noch weiter verstärkt und zu einer endgültigen Entfremdung der Jugend von den Traditionen des elterlichen Haushalts geführt.

233 Vgl. Leo Grebler/Wilhelm Winkler: The Cost of the World War to Germany and AustriaHungary, New Haven 1940, S. 76-102; und K. Gaebel: Die Erwerbslosigkeit der Jugendlichen, in: Reichsarbeitsverwaltung (Hg.): Berufsberatung, Berufsauslese, Berufsausbildung. Beiträge zur Förderung des gewerblichen Nachwuchses, Berlin 1925, S. 165-183;ferner Manfred Hermanns: Jugendarbeitslosigkeit seit der Weimarer Republik. Ein sozialgeschichtlicher und soziologischer Vergleich, Opladen 1990, S. 18f. 234 Vgl. bspw. Otto Riebicke – »Die Halbstarken«, in: Kriegerzeitung, 21.10.1922, S. 5; und Von der Goltz – »Jugend und Frontsoldaten«, in: Kriegerzeitung, 21.10.1922, S. 5f. 235 Otto Riebicke – »Die Halbstarken«.

III. Der Veteran in Zivil

Neben der Familie erklärte der Kyffhäuserbund das Militär und die nunmehr abgeschaffte Wehrpflicht zu den großen Säulen der Erziehung der Jugend. Er kam zu dem Befund, dass sich gerade dank der militärischen Erziehung der Vorkriegszeit aus Jugendlichen mündige Männer entwickelt hatten, denen Disziplin und Hierarchie, Pflichtbewusstsein und moralisches Empfinden noch geläufig waren.236 Der wichtigste Punkt dieser Ausbildung war für den Verband allerdings, dass diese den jungen Rekruten »die Segnungen der Kameradschaft, das Verstehen des Andern, das Mitfühlen in Freud und Leid«237 nähergebracht habe. Insgesamt zeichneten der Verband und Riebicke das Bild einer haltlos umherirrenden und in jeder Hinsicht gefährdeten Nachkriegsjugend, denen diese militärischen Werte abgingen und die auf der Suche nach einer ideellen gesellschaftlichen Orientierung war, die ihnen der Krieg, die (geistige) Abwesenheit des Elternhauses, der Tod des Vaters und vor allem die Neuordnungen der Nachkriegszeit genommen hatten. Die Entbehrungen des Weltkrieges hätten der deutschen Gesellschaft, so die Meinung des Kyffhäuserbundes, »böse Jahrgänge« beschert, die »unerzogen [und] selbstsüchtig«238 weder die Staatsordnung noch die Hierarchie des elterlichen Haushaltes anerkannte. Für die Jugend in der Nachkriegszeit sei charakteristisch, dass sie nur auf der Suche nach schnell verdientem Geld und anschließender Freizeit sei und keinen Sinn für die Ideale ihrer Väter hätte – diese seien für sie veraltete, unmoderne oder gar lächerliche Phrasen.239 Das klang einerseits wie die typische Kritik der alten an der ihr nachfolgenden Generation. Doch war die Feststellung, die Jungend – vor allem in den metropolitanen Ballungsräumen – bedürfe einer besonders intensiven Pflege und Erziehung, um sie schädlichen Einflüssen zu entziehen, kein exklusives Thema des Kyffhäuserbundes, sondern orientierte sich an generellen Debatten und Diskursen über die Jugendkultur im Kaiserreich und in den 1920er Jahren.240 In der Figur des haltlosen und unkontrollierbaren Nachkriegsjugendlichen fielen alle Kritikpunkte an einer als defizitär diagnostizierten Zeit zusammen. Andererseits legten solche Beschwerden aber auch die ersten Ansätze eines sich abzeichnenden Generationenkonfliktes offen.241 Der Prozess des Erwachsenwerdens und der Sozialisation 236 237 238 239 240

Vgl. ebd. Ebd. Otto Riebicke – »Gedenke, daß Du ein Deutscher bist! II«, in Kriegerzeitung, 12.10.1919, S. 2. Vgl. ebd. Vgl. hier insbesondere Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 234-257;und Kleindienst: Cliquen, S. 17-27; weiterhin Budde: Bürgertum und Konsum; sowie Urs Stäheli: Der Spekulant, in: Stephan Moebius/Markus Schroer (Hg.): Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Frankfurt a.M. 2010, S. 353-365; zuletzt Peukert: Jugend, S. 245-284. 241 Zur Auseinandersetzung mit dem Konzept der Generationalität in der Geschichtswissenschaft siehe Ulrike Jureit: Generationenforschung, Göttingen 2006; sowie den Sammelband von Reulecke (Hg.): Generationalität.

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fand für die junge Nachkriegsgeneration unter vollkommen veränderten Bedingungen – nämlich im Kontext der Weimarer Nachkriegsgesellschaft – statt als für die vorangegangene Generation, für welche die Adoleszenz untrennbar mit einer mittlerweile romantisch verklärten Erinnerung an das August- oder das Fronterlebnis und die Feuertaufe im Schützengraben verbunden war.242 Das Problem der Kommunikation von Kriegserfahrungen sorgte im Kyffhäuserbund auf der einen Seite für Unverständnis und ein gewisses Maß an Ratlosigkeit, wie man sich einer Jugend nähern sollte, die scheinbar nicht mehr verstehen konnte oder wollte, auf welchen Diskursen und auf welchem Bild des Weltkrieges oder des Veteranen die Erfahrungsgemeinschaft des Verbandes basierte. Auf der anderen Seite mehrten sich allerdings auch die Stimmen kritischer Autoren, die darauf hinwiesen, dass es dem Kyffhäuserbund nicht gelänge, die Jugend – also die letzten Jahrgänge im wehrfähigen Alter, die noch für das kaiserliche Heer im Weltkrieg eingezogen worden waren – zu einem Beitritt in seine Kriegervereine zu bewegen, und die zugleich die Frage nach den Gründen hierfür aufwarfen. Sie konstatierten durchaus selbstkritisch, dass der Kyffhäuserbund und seine Vereine ihre Attraktivität gerade für junge Menschen steigern müssten, da das traditionelle Kriegervereinswesen in Jugendkreisen derzeit als altmodisch gelte. Diese Kritiker verlangten daher schon früh – auch wegen der stagnierenden Mitgliederzahlen des Kyffhäuserbundes – eine bessere Werbung und engere Anbindung: »Wer die Jugend hat, dem gehört die Zukunft. Darum muß es das allerernsteste Bestreben aller Vereinsvorstände und eines jeden älteren Kameraden sein, die jungen Kreise zu gewinnen, damit sie sich bei uns wohlfühlen, heimisch werden und einen gesunden nachwuchs bilden.«243 Eine Gruppe Reformwilliger um den Kulturpolitiker und Leiter der KyffhäuserPressestelle, Marcello Rogge,244 meinte, es sei ein recht billiger Vorwurf, die deutsche Nachkriegsjugend dafür zu kritisieren, dass sie den Glauben an Ideale (»Gott, Freiheit, Ehre und Vaterland«245 ) und an eine bessere Zukunft verloren hätte, solange ihr Vorbilder und Zukunftsoptionen fehlten. Man könnte ihr zwar unterstel-

242 Vgl. Schievelbusch: Niederlage, S. 276-278; und Hans Mommsen: Generationenkonflikt und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, in: Jürgen Reulecke (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert, München 2003, S. 115-126. 243 »Die Kriegervereine als Träger der Schlichtung innerer Mißstände«, in: Kriegerzeitung, 1.4.1923, S. 4f. 244 Marcello Rogge (geb. 1883 in Dresden) arbeitete nach dem Studium als Literaturkritiker und kulturpolitischer Mitarbeiter bei verschiedenen deutschen Tageszeitungen. Während des Ersten Weltkrieges diente er als Referent im Kriegspresseamt und leitete anschließend die Pressestelle der ›Liga zum Schutze der deutschen Kultur‹. Seit 1924 Schriftleiter und Leiter der Hauptpressestelle beim Kyffhäuserbund. Vgl. Kyffhäuserbund: Nachschlagewerk, S. 25. 245 Ewald Kiffing – »Deutsche Jugendideale« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 8.1.1928, S. 10.

III. Der Veteran in Zivil

len, dass sie »verweichlicht, verroht, verbildet« sei, müsste sich aber selbst bei aller begründeten Kritik die Frage nach den tieferen Gründen hierfür stellen. Solche Einwürfe verdeutlichen, dass die beklagte Krise der Jugend in den Augen vieler Kyffhäuser-Veteranen zum Teil durch die Erwachsenen selbst verschuldet worden war. Diese hatten sich, so die Meinung, nach dem Krieg ihrer Verantwortung für die Jugend entzogen und es versäumt, ihr mit gutem Beispiel voranzugehen. Solange die deutsche Jugend in einem Umfeld aufwachse, das »voller neuzeitlicher parteipolitischer Gifte« stecke und ihr das »Zyankali des Materialismus«246 einflöße, brauchten sich die Erwachsenen nicht zu wundern, dass sie den Verlockungen der modernen Nachkriegsgesellschaft erliege. Zudem gebe die Zerrissenheit der politischen Parteien mit ihren diversen Lagerkämpfen kein sonderlich harmonisches Bild der deutschen Gesellschaft ab. Denn, »Jugend, die verhetzt wird vom ersten Augenblicke an, da der junge Geist aufnahmefähig wird für die Elendsatmosphäre ringsum, muß brüchig werden. Sie ist nicht schuld, daß die Fundamente unserer Gesellschaftsordnung zerbrachen. Sie kümmert nur auf den Trümmern, die übrig geblieben sind. Wir sollen auch nicht Steine werfen auf jene Jugend, deren Brüchigkeit schon nahe seelischer Verwerfung ist.«247 Statt sich gegenseitig in Kritik an der deutschen Jugend zu überbieten, war es nach Ansicht der Befürworter eines stärkeren Engagements des Kyffhäuserbundes im Bereich der Jugend angebracht, selbst Verantwortungsbewusstsein zu demonstrieren und sich die Zeit zu nehmen, sich gründlicher mit dem seelischen Innenleben der von so vielen kritisierten Jugend auseinanderzusetzen und zu erkennen, unter welchen geänderten Rahmenbedingungen diese heranwuchs und von welchen neuen Einflüssen sie umgeben war. In dieser »gewitterschwangeren Zeit«248 sollten vor allem die Veteranen der Jugend einen Ausweg aus ihrer aktuellen Notsituation aufzeigen.249 »Diese Jugend wird das Fundament zukünftigen Staates sein und dereinst heraufziehen, was uns hinaufzutragen nicht möglich war in einer Zeit, die alle Kräfte beansprucht, erst einmal neue Grundsteine zu legen für die Wiedergeburt eines nationalen Deutschlands, eines wahrhaftigen Vaterlandes in des Wortes schönster und höchster Bedeutung.«250 Die Reformer schlugen daher vor, junge Menschen durch ein erweitertes Mitspracherecht und neu geschaffene Ämter in der Verwaltung stärker in die Verbandsar246 247 248 249 250

»Deutscher Jugend Zukunftsstaat« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 14.8.1932, S. 13. Ebd. Von der Goltz – »Jugend und Frontsoldaten«. Vgl. ebd. »Deutscher Jugend Zukunftsstaat« (Wege der Jugend).

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beit einzubinden.251 Solche Vorschläge sollten zum einen dafür sorgen, »die jüngere Generation mit ihren anderen Interessen zu gewinnen«252 und den »Anschluß an die neue Zeit«253 nicht zu verpassen. Zum anderen zielte eine solche »Blutauffrischung der Vereine«254 darauf ab, die für den Kyffhäuserbund so wichtigen Kriegserfahrungen der jungen Frontgeneration stärker als zuvor in seine Reihen zu integrieren, um an den aktuellen Erfahrungsdiskursen partizipieren und das Veteranenbild des Weltkrieges nach seinen Vorstellungen modellieren zu können. Gegen Ende der 1920er Jahre tauchte in diesem Zusammenhang ein weiteres Problem auf: Die Erfahrungsdiskurse der Kyffhäuser-Gemeinschaft waren mit konkreten Kriegserlebnissen und den Kriegserinnerungen in den Lebensläufen ihrer Veteranen verschränkt. Der demographische Wandel sorgte hier für eine Verschiebung: Mit dem Übertritt der jungen Generation, also der Kohorte der zwischen 1900 und 1910 Geborenen, in das Erwachsenenalter häuften sich die Kommunikations- und Vermittlungsschwierigkeiten, da diese oftmals über keine direkten Kriegserinnerungen oder gar -erlebnisse verfügten, den Weltkrieg also meistens nur aus Erzählungen kannten.255 So drohte dem Kyffhäuserbund der Zugriff auf die nächste Generation zu entgleiten und deren Bindung an seine Organisation zu misslingen. Die entscheidende Frage war aus Verbandssicht daher, welche Institution den jungen Heranwachsenden die für den Kyffhäuserbund zentralen Werte und Ordnungsvorstellungen vermitteln sollte. Wer konnte die Jugend vor einem weiteren Abdriften retten, auf den rechten Weg zurückführen und dafür Verantwortung tragen, dass aus ihr das künftige Fundament der deutschen Gesellschaft hervorging? Die Antwort lag für den Verband klar auf der Hand: das Kriegervereinswesen und seine Veteranen als Träger und Bewahrer militärischer Traditionen und Tugenden.

3.2.2

Der Kyffhäuser-Jugendbund – militärische Erziehung und ideologische Indoktrinierung

Der Kyffhäuserbund beließ es also nicht bei seinen Vorstellungen und Klagen über die deutsche Jugend und ihre Erziehungsdefizite, sondern wurde aktiv. Um die ideologische Erziehung der Jugend in seinem Sinne in geordnete Bahnen zu lenken, gab er ein eigenes Jugendmagazin heraus. Mit den Wegen der Jugend entstand unter Federführung Rogges 1924 ein Magazin für Jugendliche mit jugendlichen Themen. Gleichzeitig diente es dazu, die Erlebnisse und vor allem das geschichtliche Wissen der Veteranen vom Kaiserreich und den Heldentaten früherer Genera251 252 253 254 255

Vgl. Pomeranus – »Neue Aufgaben – neue Wege für das Kriegervereinswesen«. »Kriegervereine und Arbeitsvermittlung – ein Gebot der Stunde!«. »Frisches Blut in die Kriegervereine!«, in: Kriegerzeitung, 8.12.1918, S. 5f. »Kriegervereine und Arbeitsvermittlung – ein Gebot der Stunde!«. Vgl. Wolfgang Seiferth – »Die aussterbenden Kriegsteilnehmer«, in: Illustrierte Republikanische Zeitung, 23.11.1929; ferner Ziemann: Veteranen, S. 275f.

III. Der Veteran in Zivil

tionen im Weltkrieg an die Jugend weiterzugeben.256 Die diagnostizierten erzieherischen Defizite sollten durch die Kriegserfahrungen der Veteranen ausgeglichen werden, die sich auf diese Weise »seelenbildnerisch«257 an der nächsten Generation betätigen konnten. Weiterhin wollte der Kyffhäuserbund der deutschen Jugend ständig vor Augen führen und ihr Bewusstsein dafür wachhalten, wer an ihrer derzeitigen materiell aussichtslosen Situation und der ihr attestierten moralischen sowie spirituellen Haltlosigkeit schuld sei: die ehemaligen Feinde des Weltkrieges und der von ihnen erzwungene Versailler Friedensvertrag mit seinen Folgen für die deutsche Gesellschaft.258 Der Kyffhäuserbund widmete sich in der Folgezeit den aus seiner Sicht entstandenen Problemen bei der Erziehung von Jugendlichen, die für ihn durch den Wegfall der Wehrpflicht und die Militärbeschränkungen des Versailler Vertrages entstanden waren. Durch die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht werde die »wichtigste Quelle zur Erziehung und Ertüchtigung unserer heranwachsenden Geschlechter verstopft.« Denn für den Verband war die allgemeine Wehrpflicht nicht nur eine Maßnahme zur Sicherung der Reichsgrenzen, sondern darüber hinaus auch »eine körperliche und geistige Erziehungsanstalt für das ganze Volk, eine Schule der Jugend zur Gewöhnung an Ordnung und Pflichttreue, an Ein- und Unterordnung unter das Gebot allgemeiner vaterländischer Notwendigkeit.«259 Der Verband nahm die fehlende Wehrpflicht zum Anlass, seine Jugendarbeit weiter auszubauen sowie besser zu strukturieren und zu koordinieren. Dazu rief er den Kyffhäuser-Jugendbund ins Leben. Seine Leitung wurde Rittmeister a.D. Hans Barthels, Generalmajor a.D. Gerhard von Enckevort und Oberstleutnant a.D. Erich Karwiese übertragen, die schon lange im Vorstand des Verbandes tätig waren.260 Formal wurde sie als Jugendabteilung in die Organisation des Kyffhäuserbundes eingefügt und aus der Verbandskasse finanziert.261 Die im Bund assoziierte deutsche Jugend sei »eine Jugend der Tat, eine Jugend, die in der Erkenntnis, daß es um ihr eigenes Wohl und Wehe, um ihre Zukunft gehe, Gewaltiges geleistet hat.«262 256 Vgl. M. Rogge – »Wege der Jugend«, in: Kriegerzeitung, 12.10.1924, S. 15; sowie »Deutsches Heldentum« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 13.3.1927, S. 13f.; sowie A. Wiegand – »Der Heldenglaube unserer Jugend«, in: Kyffhäuser, 21.11.1926, S. 13f.; und Heinz Steguweit – »Jugend und Vaterland«, in: Kyffhäuser, 9.9.1928, S. 10. 257 M. Rogge – »Wege der Jugend«. 258 Vgl. Arthur Adler – »Deine Aufgabe – Deutsche Jugend« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 3.10.1926, S. 13; und Beate – »An unsere deutsche Jugend zum Sonntag ›Reminiscere‹« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 21.2.1932, S. 19. 259 Rede von Heeringens auf der Vertretertagung des Kyffhäuserbundes im September 1920, in: von Heeringen: An die deutschen Kriegervereine, S. 22. 260 Vgl. Kyffhäuserbund: Nachschlagewerk, S. 22. 261 Vgl. Kyffhäuserbund: 28. Geschäftsbericht für das Jahr 1929, S. 63-75; sowie Fricke/Finker: Kyffhäuserbund, S. 309. 262 Hans Wolff – »Jugendbewegung im Reichskriegerbunde«, in: Kriegerzeitung, 1.2.1922, S. 5.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Durch die von allen Mitgliedern respektierte überparteiliche und überkonfessionelle Ausrichtung des Verbandes böte der Kyffhäuserbund, so hieß es, der Jugend ein harmonisches Umfeld, das es ihr erlaube, unbefangen den eigenen Interessen und Neigungen nachzugehen.263 Zugleich wollte der Verband die Jugend an seine Organisation binden und neue Mitglieder werben. Wie groß das organisatorische Potential der Jugend war und wie wichtig Jugendorganisationen waren, um den eigenen Nachwuchses heranzuziehen und ihn ideologisch zu lenken, hatte sich der Kyffhäuserbund bei den parteipolitisch gebundenen Jugendorganisationen abgeschaut.264 Doch lehnte er eine offene Politisierung der Jugend ab, machte ihr vielmehr integrative Angebote und warb mit seinen universellen, überpolitischen Werten und Tugenden. »Was die Jugend bei uns findet, was ihr in Gemüt gepflanzt und in zäher Gemeinschaftsarbeit zum Segen des Volksganzen immer mehr vervollkommnet werden soll, das sind jene Tugenden, durch deren Besitz Deutschland frei werden kann: Treue in allen Dingen, soldatische Genügsamkeit, Ehrung und dankbares Gedenken der Taten der Väter und Kameraden des Weltkrieges, innige Liebe zur deutschen Heimat und der unüberwindbare, begeisterungsvolle Wille, alles für die Ehre und Freiheit, Schönheit und Größe des heute so bedrängten Vaterlandes einzusetzen!«265 Um die Jugend an den Kyffhäuserbund zu binden, brauchte es geeigneter Jugendführer: »Nun ergibt sich die Frage: Kann und soll nicht gerade der ehemalige Soldat sich dieser Jugend als Führer zur Verfügung stellen?«266 Da die Antwort für den Verband auf der Hand lag, warb er dafür, dass sich möglichst viele junge Veteranen der wichtigen und verantwortungsvollen Aufgabe des Jugendführers annahmen.267 Diese sollten sich schnell ein Bild von den Anliegen und Sorgen der ihnen Anvertrauten machen und sich in ihre Situation sowie Gefühlswelt hineinversetzen können. »Damit ist dann der erste Zielpunkt erreicht, und in den jungen Menschenherzen jener Keim des Bedürfnisses nach dem Mitmenschen, einer selbstlosen Kameradschaftlichkeit gelegt, die dem Egoismus unserer Zeit fast völlig fremd ist.«268 So sollte die Jugend mit dem Kameradschaftsprinzip, der militäri263 264 265 266 267

Vgl. ebd. Vgl. Julius Geise – »Jugend und Kriegervereine«, in: Kriegerzeitung, 1.9.1922, S. 5f. Martin Winkel – »Die Jugend zu uns«, in: Kyffhäuser, 28.8.1932, S. 3. Arnd von Kirchbach – »Dienst an der Jugend«, in: Kriegerzeitung, 21.10.1922, S. 6. Vgl. BArch Berlin, NS 26/931, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl II, Bl. 91: Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des KB vom 1. Mai 1932 – Kurzer Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des Deutschen Reichskriegerbundes ›Kyffhäuser‹ am 30. April und 1. Mai 1932 auf dem Kyffhäuser; und Martin Winkel – »Die Jugend zu uns«. 268 Wilhelm Kortenbach – »Führer und Führerschaft« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 4.7.1926, S. 13.

III. Der Veteran in Zivil

schen Hierarchie und dem Führergedanken in Berührung gebracht werden, die dem Kyffhäuserbund und seinem Kyffhäusergeist zugrunde lagen. »Den jungen Leuten selbst unbewußt, legt so ihr Führer aus seinem innersten Bestreben heraus und aus seiner tiefsten Seele schöpfend den sie veredelnden Keim in die junge empfängliche Brust, und mit Freude wird er einmal wahrnehmen, daß die Saat, die er ausgestreut hat, auf fruchtbarem Boden fiel, daß hier und da einer jenen großen Vorbildern nacheifert und ein leises Hoffen läßt ihn mit Freuden in die Zukunft schauen, wo dieses Samenkorn zum Baum heranwachsen, der großen Gemeinschaft des von ihm so heißgeliebten deutschen Volkes einmal segenbringende Früchte bescheren wird.«269 Die Führer des Kyffhäuser-Jugendbundes sollten in erster Linie für die militärische Erziehung und die »geistige Wehrhaftmachung« ihrer Schützlinge sorgen. Ihnen oblag es, die jungen Männer an »Zucht und Sitte, an Ordnung und Reinlichkeit, an Stolz und Würde« zu gewöhnen, um »mit gesunder Strenge aus heranreifenden Jünglingen Männer« zu machen, auf die »ein Volk seine Zukunft und seine Hoffnungen setzen kann und muß.«270 Die Jugend an militärische Umgangsformen heranzuführen und sie militärisch auszubilden, geschah beim Kyffhäuserbund durch die spielerische Auseinandersetzung im sportlichen Wettkampf. Geländespiele, Orientierungsübungen bei Tag und Nacht, Findigkeitsübungen sowie reine Wehrsport- und Schießübungen mit Kleinkaliberwaffen, Reisemärsche und Hindernisläufe gehörten zum festen Repertoire einer körperlichen Ertüchtigung.271 Als Vorbilder und Vergleichsfolien für eine solche Arbeit dienten dem Kyffhäuserbund Mussolinis faschistische Jugend Italiens oder auch die nationalsozialistische Hitlerjugend – auch was die einheitliche Uniformierung seiner Jugendgruppen anging (vgl. Abb. 18).272 Als ebenso wichtig wie die körperliche Ertüchtigung sah der Kyffhäuserbund die geistige Ausbildung der Jugend an. Die Jugendführer sollten ihre Gruppe mit 269 Ebd. 270 »Militär und Jugend« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 19.12.1926, S. 13. 271 Vgl. Preußischer Landes-Krieger-Verband (Hg.): Die Kyffhäuser-Jugend-Gruppe im Geländespiel, Berlin 1932; weiterhin Otto Conrad – »Was unsere Jugend von der soldatischen Erziehung wissen muss« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 23.2.1930, S. 10; sowie »Wehrgeist und Jugend«, in: Kyffhäuser, 14.6.1931, S. 2. Weiterhin wurden auch moderne Betätigungsfelder für die Jugend, wie etwa das Sportfliegen, in die körperliche Ausbildung miteinbezogen. Siehe »Neue Wege der Fliegerausbildung« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 19.2.1928, S. 9f. 272 Vgl. Hermann Pörzgen – »Vom Ideal der faschistischen Jugend Italiens« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 6.12.1931, S. 15. Für ähnliche Interdependenzen vgl. Allesio Ponzio: Ein totalitäres Projekt des italienischen Faschismus. Die Ausbildung des Führungsnachwuchses in ONB und der GIL im Vergleich zur Hitlerjugend, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 88 (2008), S. 489-511.

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den großen kulturellen Stätten der deutschen Vergangenheit und den bedeutenden Männern der deutschen Geschichte vertraut machen, die den Jugendlichen als Vorbilder dienen konnten.273 Das verstand der Verband unter einer Erziehung »zum bewußten Deutschtum«, welche die »Idee des deutschen Volkstums« und »den Glauben an die deutsche Nation«274 vermittelte. Diese war aus Sicht des Kyffhäuserbundes notwendig, weil die Schulen allein nicht in der Lage waren, deutsche Geschichte akkurat und korrekt zu vermitteln.275 Auch diese Aufgabe hatten die Jugendführer zu übernehmen, die geeignete Lehrkräfte wie etwa ortansässige Lehrer, Pfarrer oder Ärzte zu Rate ziehen sollten. Kernfächer des politisch scheinbar streng neutralen Unterrichts waren deutsche Geschichte und Heimatkunde; besondere Schwerpunkte gab es bei der Kolonialfrage und bei der Behandlung des Versailler Vertrages.276 »Die Würdigung der deutschen Arbeit, das Vorbild unserer Großen in der deutschen Geschichte soll unsere Jugend aufwärts- und vorwärtsführen, so daß sie rechtzeitig Ausblick und eigene Urteilskraft gewinnt, um sich später einsetzen zu können dafür, daß die Wunden unseres Volkstums, unsere Kultur, Wissenschaft und Politik allgemein erkannt und geheilt, alle Schwächen aber rücksichtslos bekämpft und daraus beseitigt werden.«277 Im Zusammenspiel von körperlicher Ertüchtigung und geistiger Erziehung sollten aus Jungen militärisch geschulte, gedrillte und waffentechnisch hochspezialisierte Männer werden, welche »die Faust ballen, wenn man ihnen frech entgegentritt, und die zuschlagen, wenn man sie schlagen will. [Männer], die nicht Amboß, sondern Hammer sein wollen, denen die Ehre ihres Vaterlandes ans Herz gewachsen ist, die bereit sind, diese Ehre zu schützen und dafür zu sterben, wenn es nötig ist.«278 Dieses aggressiv-militaristische Auftreten führte gelegentlich auch zu Zusammenstößen zwischen der Kyffhäuser-Jugend und dem Roten Frontkämpferbund.279 Soldatentum und Jugendbewegung gingen für den Kyffhäuserbund Hand

273 Vgl. Wilhelm Kortenbach – »Führer und Führerschaft« (Wege der Jugend). 274 Kohnen – »Geistige Wehrhaftmachung unserer Jugend« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 10.5.1931, S. 5. 275 Vgl. »Pazifistische Erziehungsmethoden«, in: Kyffhäuser, 17.7.1932, S. 3. 276 Vgl. Hoyer – »Die geistige Ausbildung in unseren Kyffhäuser-Jugendgruppen« (Wege der Jugend), in: Kyffhäuser, 8.3.1931, S. 18. 277 Ebd. 278 Hermann Kassebaum – »Jugend und Wehrgeist«, in: Kyffhäuser, 19.7.1931, S. 2f. 279 Vgl. Landesarchiv Berlin, A Rep. 358-01 Nr. 809, Generalstaatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin – Strafverfahren 1919-1933: Ermittlungen und Verhandlungen bezüglich des Übergriffes einer Gruppe des Rotfronkämpferbundes auf Angehörige des KyffhäuserJugendbundes.

III. Der Veteran in Zivil

in Hand, ergänzten sich und gingen schließlich ineinander auf (vgl. Abb. 18).280 Allerdings lag der Jugendausbildung des Kyffhäuserbundes auch ein wehrpolitisches Kalkül zugrunde: Sollte es erneut zu einem großen Krieg kommen – wovon, wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, der Verband fest ausging –, wollte man sich nicht allein auf das Einhunderttausendmannheer der Reichswehr verlassen müssen, sondern auf eine paramilitärisch bestens ausgebildete Reserve zurückgreifen können.281 Diese intensivere Beschäftigung mit dem Thema Jugendarbeit zahlte sich für den Kyffhäuserbund letztlich aus: Nach eigenen Angaben verfügte der Verband in seinen Landesverbänden 1928 über 679 Jugendgruppen, deren Stärke bis 1932 auf rund 74.000 Mitglieder zunahm.282 Die Mitgliederstärke der Jugendorganisationen anderer Verbände dürfte sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegt haben.283 Die Sorge um die Jugend der Verbandsmitglieder begann für den Kyffhäuserbund bereits im Kindesalter. Zu diesem Zweck richtete er überall im Reich Waisenhäuser für Kinder ein, die durch den Krieg elternlos geworden waren.284 Sein drittes Kriegerwaisenhaus entstand 1897 in Osnabrück (als Kyffhäuser Kinder- und Waisenheim Osnabrück bzw. Renthe-Fink-Haus, vgl. Abb. 19), das Platz für 120 Kinder bot und nach rund zweijähriger Bauzeit im Juli 1899 im Beisein des preußi-

280 Vgl. Richard Steffler – »Soldatentum und Jugendbewegung«, in: Kyffhäuser, 26.6.1927, S. 3. Siehe hierzu ferner Jürgen Reulecke: Neuer Mensch und neue Männlichkeit. Die ›junge Generation‹ im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Lothar Gall (Hg.): Jahrbuch des Historischen Kollegs (2001), München 2002, S. 109-138. 281 Vgl. »Wehrgeist und Jugend«, in: Kyffhäuser, 14.6.1931, S. 2. 282 Die Mitgliederstärke der Jugendbünde betrug 1931 ca. 69.000. Vgl. Rittmeister a.D. H. Barthels – »Entwicklung, Zweck und Ziele des Kyffhäuserjugendbundes«, in: KyffhäuserJugend. Amtliches Nachrichtenblatt für Jugendpflege und Jugendfürsorge des Preußischen Landes-Kriegerverbandes 2 (1928), Berlin 1928, S. 3-8, hier S. 3-6; weiterhinKyffhäuserbund: 30. Geschäftsbericht für das Jahr 1931, S. 119; sowie Kyffhäuserbund: 31. Geschäftsbericht für das Jahr 1932, S. 115. 283 Alle Zahlen zur Mitgliederstärke – auch die der Kyffhäuser-Jugend – beruhen zumeist auf den eigenen Angaben der Verbände. Das Jungbanner, die Jugendorganisation des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, gab demnach für 1928 eine völlig utopische Gesamtzahl von über 700.000 Mitgliedern zwischen 14 und 25 Jahren an. Vgl. Wolfgang R. Krabbe: Kritische Anhänger – Unbequeme Störer. Studien zur Politisierung deutscher Jugendlicher im 20. Jahrhundert, Berlin 2010, S. 71. Die Hitlerjungend und der Bund Deutscher Mädel wiesen 1932 zusammen eine ungefähre Stärke von etwa 113.000 Mitgliedern auf. Vgl. Reese: Straff, S. 35; Kater: HitlerJugend, S. 19-22; und Klaus: Bund Deutscher Mädel, S. 82-92. Die Rote Jungfront verzeichnete 1928 kurz vor ihrem Verbot etwa 27.000 Mitglieder. Vgl. Schuster: Frontkämpferbund, S. 240. 284 Neben dem Waisenhaus in Osnabrück unterhielt der Kyffhäuserbund ferner Einrichtungen in Römhild (Thüringen), Kanth in Schlesien, Wittlich bei Trier sowie in Annaburg (Kreis Torgau). Vgl. Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 128.

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Abbildung 18: Fahnenappell der Kyffhäuser-Jugend in Uniform.

Abbildung 19: Kyffhäuser-Waisenheim Osnabrück.

schen Kronprinzenpaares feierlich eingeweiht wurde.285 Bis 1936 war die Deutsche Krieger-Wohlfahrtsgemeinschaft Träger des Waisenhauses, das von Friedrich Harmening geleitet wurde. Es beherbergte eine evangelische Konfessionsschule mit 285 Vgl. NiLaA Os, Dep 3b XVI Nr. 10, Zeitungsausschnittsammlung Freund 1896-1923: 1. Dezember 1897, Das 3. Kriegerwaisenhaus kommt nach Osnabrück; Ebd.: 8. Mai 1898, Grundsteinlegung mit Festakt; Ebd.: 18. Juli 1899, Einweihung des Kriegerwaisenhauses; und ebd.: 1. Oktober 1899, Inbetriebnahme des Waisenhauses.

III. Der Veteran in Zivil

drei Lehrern und einer Lehrerin. Die Zahl der schulpflichtigen Kinder schwankte zwischen 75 (1931) und 110 (1939), der Gesamthaushalt lag in den 1930er Jahren im Schnitt bei etwa 100.000 Reichsmark.286 Zwar verblieb das Kyffhäuser-Waisenhaus auch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten unter der Aufsicht des Kyffhäuserbundes, doch passte er sich auch hier dem neuen Regime weitestgehend an. Die Lehrerinnen und Lehrer durften fortan nur unterrichten, wenn sie den sogenannten Ariernachweis erbracht hatten, und waren zumeist Mitglied der NSDAP.287 1936 übernahm Julius Randa die Leitung des Waisenhaus, ein Veteran des Ersten Weltkrieges, der zuvor beim Stahlhelm und anschließend in der SA sowie SS politische Karriere gemacht hatte und tief in der NS-Ideologie verwurzelt war.288 Im Oktober 1943 wurde das Kyffhäuser-Waisenhaus in Osnabrück schließlich geschlossen: »Der Führer hat angeordnet, daß elternlose Kinder nicht mehr in besonderen Waisenhäusern, sondern in Deutschen Heimschulen, Nationalpolitischen Erziehungsanstalten oder Adolf-Hitler-Schulen gemeinschaftlich mit den übrigen Kindern erzogen werden sollen.«289 286 Vgl. NiLaA Os, Dep 3b IV Akz 2014/078 Nr. 1, (Stadt Osnabrück) Schulaufsicht über die private Volksschule Renthe-Fink-Haus; und NiLaA Os, Erw A 100 Nr. 24, (NL Rudolf Lemke) Deutsche Krieger-Fecht-Anstalt, Verband Osnabrück betr. Neubau des dritten Krieger-Waisenhauses, 1895-1899. 287 NiLaA Os, Rep 430 Dez 400 Nr. 412, Private Volksschule des Kyffhäuser-Waisenhauses Osnabrück (Renthe-Fink-Haus). 288 Randa (geb. 1894 in Leer) diente von 1914-18 als Kriegsfreiwilliger beim Oldenburgischen Infanterieregiment 91 und war anschließend zwischen 1918 und 1921 Kompanieführer beim Freiwilligen Landesschützenkorps. 1924 wurde er Mitglied im Stahlhelm und trat 1934 der SA-Reserve bei. Vgl. NiLaA Os, Rep 430 Dez 400 Nr. 412, Private Volksschule des KyffhäuserWaisenhauses Osnabrück (Renthe-Fink-Haus). Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges meldete sich Randa umgehend abermals als Kriegsfreiwilliger, danach verliert sich seine Spur; das Waisenheim wurde in seiner Abwesenheit bis 1945 stellvertretend von seiner Frau geleitet. Vgl. NiLaA Os, Dep 3b IV Akz 2014/078 Nr. 1, (Stadt Osnabrück) Schulaufsicht über die private Volksschule Renthe-Fink-Haus: Schreiben des Oberbürgermeisters an die Zeitungen vom 6. Juli 1940; und NiLaA Os, Rep 430 Dez 400 Nr. 3107, Kinder-Erziehungsheim »RentheFink-Haus« Osnabrück 1943-1949. 289 BArch Berlin, R 2/12768, Reichsfinanzministerium – Erziehungsheime des Reichskriegerbundes, Bl. 9: Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung – Inspektion der Deutschen Heimschulen – an den Reichsminister der Finanzen vom 1. Oktober 1943 betr. Übernahme der Kinder-Erziehungsheime des ehemaligen NSReichskriegerbundes. Nachdem es zunächst der Unterbringung von Soldaten und Material gedient hatte, wurde das ehemalige Waisenhausgebäude schließlich Ende November von der Luftwaffe beschlagnahmt und als Lazarett benutzt. Zwar existierte eine Vereinbarung zwischen dem Kyffhäuserbund und dem Reichsfiskus über eine angemessene Ausgleichszahlung für die entstandenen Verluste, diese wurde aber vom Reich bis Kriegsende nicht geleistet. Vgl. BArch Berlin, R 2/12768, Reichsfinanzministerium – Erziehungsheime des Reichskriegerbundes, Bl. 1: Schreiben vom 9. März 1943; und ebd.: Bl. 6: Ausarbeitung eines Erlassentwurfes zur weiteren Verwendung der Kyffhäuser-Erziehungsheime vom 9. August

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1943. Vgl. weiterhin NiLaA Os, Rep 430 Dez 400 Nr. 3107, Kinder-Erziehungsheim »RentheFink-Haus« Osnabrück 1943-1949.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund – Zukunftsplanungen und Zukunftserwartung

1.

Der Kyffhäuserbund und der Krieg der Zukunft »Die Gesamtmobilisierung der Nation für den Kriegsfall geht von dem Gedanken aus, daß in Zukunft ein Krieg nicht durch die bewaffnete Macht allein, sondern durch das gesamte Land mit allen seinen personellen, materiellen, wirtschaftlichen, geistigen und moralischen Kräften geführt werden muß. […] Alles, was lebt, erdacht und erzeugt wird, wird auf den Krieg und dessen Bedürfnisse eingestellt, die Einzelpersonen sowohl wie alle Produktionsquellen des Landes, die wirtschaftlichen Anlagen und Werte, Staatseigentum und Privatbesitz. Alles wird im Frieden bereits auf das sorgfältigste organisiert und vorbereitet und alles getan, was notwendig ist, um das Volk im Frieden bereits geistig und seelisch für den Krieg zu schulen, sein Selbstvertrauen zu heben und seine moralische Widerstandskraft im Kriege selbst zu gewährleisten.«1

Diese Definition des totalen Krieges entstammt der Niederschrift eines Vortrages, den Major a.D. August Götz 1932 vor verschiedenen Gremien des Kyffhäuserbundes gehalten hat. Im Verlauf seiner Ausführungen dozierte er nicht nur über die aktuelle Einsatzfähigkeit der Reichswehr im Kriegsfall oder theoretisierte über die Merkmale des modernen Krieges, sondern referierte auch über die technische wie personelle Optimierung der Schlagkraft der deutschen Streitkräfte. Sein Vortrag verdeutlicht, dass das organisierte Kriegervereinswesen bei seinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen und seiner traditionellen Weltanschauung zwar immer wieder anachronistische Standpunkte einnahm, es sich aber nicht den wissenschaftlichen Neuerungen und Fortschritten seiner Zeit verschloss.2 Mit regem Interesse ver1 2

August Götz: Ist Frankreichs Sicherheit gefährdet?, Frankenthal 1932, S. 4. Ferner war der Kyffhäuserbund Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für deutsche Wehrverstärkung (AdW), einem von den Nationalsozialisten dominierten Netzwerk von Privatiers, Vereinen und Verbänden, das es sich zum Ziel gesetzt hatte, gesellschaftlich und wissenschaftlich relevante Einrichtungen für eine dezidierte Aufrüstung des Deutschen Reiches zu mobilisieren. Vgl. Götz: Sicherheit. Kyffhäuserbund und AdW schlossen sich 1932 gemeinsam mit dem

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folgte der Kyffhäuserbund insbesondere die Weiterentwicklung der Waffentechnik mit Blick auf ihre taktische Bedeutung für kommende Konflikte. Die Planungen für einen zukünftigen Krieg begannen schon wenige Jahre, nachdem der letzte geendet hatte, indem zuerst verdeckte Vorbereitungen getroffen und ab der Mitte der 1920er Jahre offensiv – und manchmal auf kreative Art und Weise3 – versucht wurde, die Bestimmungen des Versailler Vertrages zu umgehen und Rüstungspolitik zu betreiben.4 Wie für viele andere Zeitgenossen und Vertreter des militärischindustriellen Komplexes5 stand für den Verband fest, dass ein erneuter Waffengang der europäischen Großmächte unausweichlich und nur eine Frage der Zeit sei. Bei einem kommenden Konflikt sah er – wie schon 1914 – nicht das Deutsche Reich, sondern wiederum die ehemaligen Feinde des Ersten Weltkrieges als die wahrscheinlichen Aggressoren. Die rege Partizipation des Kyffhäuserbundes an den Debatten der Zwischenkriegszeit hatte unterschiedliche Motive: die Revanche an den alten Feinden des Weltkrieges, die Prävention eines drohenden Angriffes und die Revision des Versailler Vertrages. Als Wurzel der weiterhin bestehenden Kriegsgefahr sah der Verband zuallererst den Versailler Vertrag und empfand seine Bestimmungen als eine ernste Bedrohung: »In dem Dokument von Versailles liegt der Keim der Konflikte, die geeignet sind, neue Kriege zu entfachen, die Welt abermals in Blut zu baden. In dem Diktat der Mächtegruppen zum Abschluß des einen Krieges ruhen bereits die Anfänge weiterer Kriege. […] Das Dokument von Versailles, das jeden einzelnen von uns zu Boden drückt, ist zugleich ein Pestherd für die ganze Welt. Es muß vernichtet werden.«6

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5

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völkisch-nationalen Arbeitsausschuß Deutscher Verbände zum Aufklärungsausschuß für nationale Sicherheit zusammen, der im Wesentlichen gegen die Rüstungsbestimmungen und -beschränkungen des Versailler Vertrages agitierte. Siehe »Aufklärungsausschuß für nationale Sicherheit«, in: Kyffhäuser, 31.7.1932, S. 2. Siehe etwa Manfred Zeidler: Reichswehr und Rote Armee 1920-1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit, München 1993. Vgl. Rüdiger Bergien: Die bellizistische Republik. Wehrkonsens und ›Wehrhaftmachung‹ in Deutschland 1918-1933, München 2012, S. 193-249; sowie William Mulligan: The Creation of the Modern German Army. General Walther Reinhardt and the Weimar Republic, 1914-1930, New York 2005; und Michael Geyer: Aufrüstung oder Sicherheit. Die Reichswehr in der Krise der Machtpolitik 1924-1936, Wiesbaden 1980; und zuletzt ders.: Deutsche Rüstungspolitik. 1860-1980, Frankfurt a.M. 1984, S. 118-153. Vgl. Ernst Willi Hansen: Zum ›Militärisch-Industriellen-Komplex‹ in der Weimarer Republik, in: Klaus-Jürgen Müller/Eckardt Opitz (Hg.): Militär und Militarismus in der Weimarer Republik. Beiträge eines internationalen Symposiums an der Hochschule der Bundeswehr Hamburg am 5. und 6. Mai 1977, Düsseldorf 1978, S. 101-140. Otto Riebicke – »Die Schuld am künftigen Kriege«, in: Kriegerzeitung, 21.10.1922, S. 3.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Mit dieser Einschätzung reihte sich der Kyffhäuserbund nahtlos in die Phalanx der Anti-Versailles-Agitation aller politischen Lager ein.7 Auch nach der Ratifizierung des Vertrages seien noch in keinem der beteiligten Staaten »Kriegsschiffe zu Handelsschiffen« gemacht oder »Kanonen zu Glocken« gegossen worden, betonte er. Stattdessen werde überall weiterhin aufgerüstet, um aus dem Frieden von gestern den Krieg von morgen werden zu lassen: »Schon morgen kann der Scheinfriede um uns aus sein, morgen schon kann die Welt widerhallen von den Explosionen der Flugzeugbomben, der Ferngeschütze und dem Verzweiflungsschrei aus giftigen Gaswolken.«8 Nur durch die Überwindung von Versailles konnte, so sah es der Kyffhäuserbund, die deutsche Gesellschaft ihre innere Ruhe und die Hoffnung auf eine positive Zukunft wiedererlangen. Er war allerdings der Ansicht, dass die hierfür erforderliche Neubewertung oder gar Außerkraftsetzung des Friedensvertrages nicht am Verhandlungstisch zu bewerkstelligen sein werde. Denn der Weltkrieg sei durch den Vertrag nicht beendet worden, vielmehr würde ein Funke ausreichen, um den »glimmenden Weltbrand neu entflammen zu lassen […] und die Welt abermals in Blut zu baden.«9 Weiterhin berief sich der Verband auf das Recht der Selbstverteidigung des deutschen Volkes. Die Erforschung neuer Waffen und Techniken, die strategischen Planungen für den Kriegsfall sowie die Aufrüstung des deutschen Heeres waren für ihn eine Notwendigkeit, damit sich die deutsche Gesellschaft gegen eine Welt voller Feinde behaupten konnte: »Die Struktur, die der Weltkrieg durch den Gewaltspruch von Versailles hinterlassen hat, ist so, daß unscheinbare Ereignisse über Nacht Katastrophenwirkungen hervorrufen können. Hinter den Grenzen der zu Boden gestampften Nationen stehen waffenstarrende Völker, gerüstet bis an die Zähne, auflauernd sich gegenseitig […]. Wohin sich diese Waffen auch wenden mögen, sie sind gewachsen auf dem Boden des Friedensvertrages, gewalkt, gehämmert und geworden in der Teufelsschmiede von Versailles […].«10 Dass es über kurz oder lang zu einem erneuten Krieg kommen und dieser von den ehemaligen Entente-Gegnern begonnen werden würde, stand für den Kyffhäuserbund außer Zweifel.11 Die einzig drängende Frage war nur, wie und mit welchen

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8 9 10 11

Vgl. Heinemann: Niederlage, S. 254; ferner Fritz Klein: Versailles und die deutsche Linke, in: Gerd Krumeich (Hg.): Versailles 1919. Ziele – Wirkung – Wahrnehmung, Essen 2001, S. 314322. Otto Riebicke – »Der Krieg von morgen«, in: Kyffhäuser, 6.7.1930, S. 5f. Otto Riebicke – »Die Schuld am künftigen Kriege«. Ebd. Vgl. Otto Riebicke – »Der nächste Krieg. Frankreichs furchtbare Vorbereitungen«, in: Kriegerzeitung, 15.12.1922, S. 4.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Mitteln sich das Deutsche Reich am besten auf einen kommenden Kriegsausbruch vorbereiten konnte.

1.1

Innovationen in der Kriegstechnik und das Gesicht des modernen Krieges

In manchen Bereichen wurden die Theorien und prophetischen Kriegserwartungen der 1920er Jahre in konkretere Kriegsplanungen überführt. Der Kyffhäuserbund erkannte die Tragweite technischer und wissenschaftlicher Neuerungen für den militärischen Einsatz. Seine Arbeit am Zukunftskrieg konzentrierte sich daher einerseits darauf, in einer möglichst nüchternen Analyse die Fehler, die im vergangenen Weltkrieg gemacht worden waren, zu erkennen und aus ihnen zu lernen, um sie künftig zu vermeiden.12 Andererseits ging es ihm darum herauszufinden, wie sich das Deutsche Reich mit den gegebenen Rüstungsbeschränkungen des Versailler Vertrages am besten arrangieren und wie eine moderne Kriegsführung unter dessen Bestimmungen aussehen konnte. Eine realistische Option sah er in einer weiteren Professionalisierung sowie hochgradigen Spezialisierung des auf 100.000 Mann reduzierten Heeres und setzte mithin auf die Formel: Qualität statt Quantität. Dabei sollte das kleine Berufsheer der Reichswehr im Bedarfsfall durch ein milizartiges Volksheer ergänzt werden.13 Auch musste die militärische Spitzengliederung angepasst und die Motorisierung des Heeres sowie die Ausbildung von Spezialisten in verschiedenen militärischen Bereichen vorangetrieben werden.14 Im Falle eines Kriegsausbruches galt es, zuerst bedeutsame Knotenpunkte der Infrastruktur durch gezielte Angriffe zu zerstören und dadurch die Kriegsindustrie sowie deren Nachschubwege nachhaltig zu schwächen. Alsdann sollten Luftangriffe sowie schnell vorrückende Panzerdivisionen die feindlichen Stellungen durchbrechen, um der Infanterie das Vordringen zu erleichtern. Dieses Szenario war der Erkenntnis geschuldet, dass die militärisch teils schlecht ausgebildeten Massenheere des Ersten Weltkrieges keinen wesentlichen Vorteil gebracht hatten. »Massenheere werden eine Kriegsentscheidung nicht mehr bringen können. Der Krieg der Massenheere wird im Stellungskampf erstarren, über diesen hinweg aber werden die Flug- und Tankgeschwader in das Hinterland eindringen und dem kämpfenden Heere jeden Lebensnerv durchschneiden. Das Massenheer wird

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Vgl. Markus Pöhlmann: Großer Krieg und nächster Krieg: Der Erste Weltkrieg in den Kriegslehren und Planungen von Reichswehr und Wehrmacht, in: Gerd Krumeich, Gerd (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S. 285-297. Vgl. Oberst a.D. Immanuel – »Die deutsche Miliz der Zukunft. Eine Frage von entscheidender Bedeutung für das deutsche Volk«, in: Kyffhäuser, 23.4.1933, S. 3f. Vgl. Hans Jürgensen – »Fragen neuzeitlicher Kriegsführung«, in: Kyffhäuser, 25.1.1931, S. 14f.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

zum Unsinn, denn es bietet den Angriffswaffen, der Artillerie und dem Maschinengewehr, das Massenziel. Zum Bedienen der modernen Waffen genügt eine kleine, hoch ausgebildete Waffe, das Qualitätsheer der Techniker.«15 Dagegen spielte der Faktor Mensch beziehungsweise der Frontsoldat in den taktischen Entwürfen der Planer des Zukunftskrieges eine relativ untergeordnete Rolle. Diese verabschiedeten sich endgültig von der militärischen Strategie der Kriegsund Vorkriegszeit, die das »Allheilmittel gegen die Fortschritte der Technik in einer Anhäufung der Kämpferzahl«16 gesehen hatte. Denn wie der Weltkrieg gelehrt hatte, erwies sich die Hoffnung auf einen raschen Sieg durch einen massiv geführten Angriff als Trugschluss, mündeten doch alle Offensiven letztlich in einer Erstarrung der Front und im Stellungskrieg.17 Statt auf die kurzfristige Aushebung von ungeschulten Massenheeren sollte der Fokus lieber auf eine mittel- und langfristige Stärkung des militärisch-industriellen Komplexes gelegt werden. Der Vorteil einer engeren Kooperation zwischen Heer und Industrie lag zum einen darin, dass man aktuelle Trends und Neuerungen in der Waffentechnik gezielter aufgreifen konnte und keine übergroßen Arsenale mit technisch veralteten Waffen mehr verwaltet werden mussten. Zum anderen erlaubte eine stärkere Einbeziehung der Industrie in wehrpolitische Fragen eine zeitlich optimierte und höhere Produktion von Ausrüstung und Waffen. Diese Überlegungen tangierten auch die Frage der Planung und Umstellung der Friedens- auf eine Kriegswirtschaft generell.18 Das Ziel war – wie schon im Bereich der militärischen Jugenderziehung19 – die Wehrhaftigkeit, die Wehrbereitschaft und den Wehrgedanken dauerhaft im Bewusstsein der deutschen Gesellschaft zu verankern, anstatt im Krisen- oder Kriegsfall ad hoc Lösungen in Fragen der Wehrpolitik oder des Republikschutzes finden zu müssen.20 Die Theoretiker des Zukunftskrieges gingen zum einen fest davon aus, dass der kommende Krieg die Zivilbevölkerung noch härter treffen würde, als dies im Weltkrieg der Fall gewesen war. Eine intensive Aufklärung breiter Bevölkerungskreise für den Ernstfall und ihre Schulung in paramilitärischen Abwehrmaßnahmen waren somit unabdingbar. Zum anderen erwarteten die Planer, dass sich die primären Kriegsziele verschieben würden. Denn die Erfahrungen des Weltkrieges hätten

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Otto Riebicke – »Der Krieg von morgen«. Albert Lebsten – »Der Mensch und die Schlacht der Zukunft«, in: Kriegerzeitung, 8.11.1925, S. 11. Vgl. ebd. Vgl. Major a.D. L. Drees – »Waffenschmieden im Zukunftskrieg«, in: Kyffhäuser, 8.4.1928, S. 3. Vgl. Bernd-A. Rusinek: Die Kultur der Jugend und des Krieges. Militärischer Stil als Phänomen der Jugendkultur in der Weimarer Zeit, in: Jost Dülffer/Gerd Krumeich (Hg.): Der verlorene Frieden. Politik und Kriegskultur nach 1918, Essen 2002, S. 171-197. Vgl. Bergien: Republik, S. 75-190.

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gezeigt, dass es im 20. Jahrhundert nicht mehr ausreiche, einen Kampf Streitkräfte gegen Streitkräfte auszutragen, sondern dass die operative Kriegsführung viel stärker als bislang die »Kraftquellen des feindlichen Landes«21 miteinbeziehen müsste. Das bedeutete letztlich die Konzentration entweder auf die Zerstörung oder die Eroberung der gegnerischen Wirtschaftsgebiete; eine Entwicklung, die sich bereits im Verlauf des letzten Krieges angedeutet hatte. Auch angesichts der vergrößerten Reichweite der Waffen gab man sich keinerlei Illusionen hin, insofern, als »dem Uebergreifen der Waffenwirkung in das Hintergelände schon jetzt bezüglich Fliegerreichweite überhaupt keine Grenzen mehr gezogen sind, betreffs Artilleriewirkung der Langrohre aber wohl noch mit ganz erheblicher Steigerung zu rechnen«22 sei. Insgesamt zeichnete der Kyffhäuserbund folgendes Bild vom Krieg der Zukunft: Er ging bei einem Kriegsausbruch von einer schnellen, punktuellen Kriegsführung mit kleinen, aber dafür hochbeweglichen und speziell ausgebildeten Truppenkontingenten aus. Diese sollten die feindlichen Linien rasch durchstoßen und kriegswichtige Objekte im Hinterland ausschalten. Hohe Erwartung knüpfte der Verband an die Durchschlagskraft einer modernen Waffentechnik mit neuen Ferngeschützen sowie Flugzeugtypen, die binnen kürzester Zeit weite Distanzen überwinden konnten. Er verabschiedete sich damit von der Idee der Massenheere sowie den auf die Zermürbung des Gegners zielenden Materialschlachten und setzte stattdessen auf eine effizientere Kooperation von Industrie und Militär. Dass das Deutsche Reich einen kommenden Krieg gegen die »Einkreisungsstaaten«23 trotz aller Maßnahmen und der taktischen Anpassung seiner Kriegsstrategie nicht würde für sich entscheiden können, war allen Beteiligten klar. Daher sollte die Spezialisierung und Technisierung des Heeres von einer offensiven Außenpolitik flankiert werden, die gezielt nach neuen Verbündeten – wie z.B. England – suchte.24 Auch müsse Deutschland – wenn schon nicht beim Wettrüsten – seine Kapazitäten bei der wissenschaftlich-technischen Kriegsplanung weiter ausbauen. »Stillstand ist bekanntlich Rückschritt, und unser heutiges schnell pulsierendes Zeitalter drängt mit Vehemenz nach vorwärts, insonderheit ja gerade auf allen technischen Gebieten. Dieses Fortschreiten der Technik aber wird sich unweigerlich auf die Weiterentwicklung der neuzeitlichen Kampfgebilde, ihre Fechtweise,

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Major a.D. Drees – »Kriegsführung und Kriegsauswirkung in der Zukunft«, in: Kyffhäuser, 28.4.1929, S. 6f. Ebd. Otto Riebicke – »Der Krieg von morgen«. Vgl. ebd.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Bewaffnung und sonstige Ausrüstung auswirken. Ungeahnte Entwicklungsmöglichkeiten mögen daher noch im Schoße der Zeiten ruhen.«25 Diese Gemengelage, in welcher der Vorstellungskraft zuweilen freier Lauf gelassen wurde, gab dem Kyffhäuserbund zugleich Anlass zu der ernsthaften Sorge, dass die technischen Innovationen der Nachkriegszeit »dem Krieg in seinen drei Dimensionen – Heftigkeit, Ausdehnung, Geschwindigkeit – riesige Ausmaße verleihen«26 würden. Intensiv wurde vor allem über die Möglichkeiten und Grenzen sowie die Weiterentwicklung und den Einsatz von chemischen Kampfstoffen diskutiert. Gaskampfstoffe waren im Weltkrieg von allen Kriegsparteien gut erforscht worden, und chemische Kampfstoffe, wie beispielsweise Chlorgas oder Phosgen, kamen auf deutscher Seite seit 1915 regelmäßig zum Einsatz.27 Nachdem der Weltkrieg bereits »die außerordentliche Bedeutung der Anwendung von Gas als Kampfmittel gezeigt« hatte, herrschte Mitte der 1920er Jahre »über die taktische Anwendung der Kampfgase und deren physische Wirkung völlige Klarheit.«28 Der Kyffhäuserbund argumentierte, dass der Einsatz von Gaswaffen vor allem zu einer Humanisierung der Kriegsführung beitrage, da diese im Gegensatz zu anderem Kriegsgerät rein statistisch gesehen nicht unmittelbar tödlich wirkten, sondern den Gegner kampfunfähig machten und nur in den wenigsten Fällen letal wirkten oder bleibende Schäden hinterließen.29 Der Verband kritisierte daher eine Ächtung von chemischen Waffen durch den Völkerbund als eine Absage an eine »humane Kriegsführung.«30 Weitere Vorzüge der Gaswaffen sah er in deren psychologischer Wirkung: »Die Schwierigkeit, rechtzeitig festzustellen, ob der Feind Gas anwendet, verursacht dauernd Nervosität und Unsicherheit. Soldaten von niedrigem Kulturstand können nur in geringem Grade standhalten. So kamen russische Truppen schon beim bloßen Gerücht über beabsichtigten deutschen Gasangriff außer Fassung. Auch die farbigen englischen und französischen Truppen, von weißen Offizieren

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Major a.D. Drees – »Kriegstechnik der Gegenwart«, in: Kyffhäuser, 17.4.1927, S. 3f. M. Emil Schröder-Spandau – »Chemische Kriegsführung«, in: Kriegerzeitung, 15.2.1925, S. 11. Vgl. Dr. Franz Kittler – »Die Chemie und der Krieg«, in: Parole – Deutsche Krieger-Zeitung, 11.4.1915, S. 7f. Siehe hierzu die naturwissenschaftlich orientierten Studien von Günther W. Gellermann: Der Krieg, der nicht stattfand. Möglichkeiten, Überlegungen und Entscheidungen der deutschen Obersten Führung zur Verwendung chemischer Kampfstoffe im Zweiten Weltkrieg, Koblenz 1986; und Dieter Martinetz: Der Gaskrieg 1914/18. Entwicklung, Herstellung und Einsatz chemischer Kampfstoffe, Das Zusammenwirken von militärischer Führung, Wissenschaft und Industrie, Bonn 1996. F. M. – »Der Gaskrieg und seine Wirkung«, in: Kyffhäuser, 13.6.1926, S. 4. Vgl. Heinrich Niemerlang – »Gas«, in: Kriegerzeitung, 7.6.1925, S. 1f. F. M. – »Der Gaskrieg und seine Wirkung«.

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geführt, versagten im Gaskampf. Aber selbst Deutsche, Franzosen und Engländer brachen nicht selten in der Gasatmosphäre zusammen.«31 Ein Fehler der Kriegsführung zwischen 1914 und 1918 sei es gewesen, der Ausbildung von Kriegsfreiwilligen und Offizieren einen zu hohen Stellenwert auf Kosten eines effizienteren Einsatzes der neuen Kriegstechnik einzuräumen. Die Materialschlachten des Weltkrieges, in denen der Gegner mit tagelangem Artilleriefeuer eingedeckt wurde, das jedoch im Grabenkrieg keinen nennenswerten Schaden anrichtete, hätten die Wirkungslosigkeit dieser Strategie klar vor Augen geführt. In der falschen Annahme, den Krieg durch eine immer höhere Anzahl von Soldaten für sich entscheiden zu können, »verschmähte man technische Kampfmittel und unterließ es, die Chemie auf das Schlachtfeld zu führen.«32 Der Kyffhäuserbund listete eine Vielzahl chemischer Kampfstoffe auf, die situativ und taktisch effizient zum Einsatz kommen konnten. Beim sogenannten Blasverfahren beispielsweise wurden Giftgase mit dem Wind in Richtung der feindlichen Schützengräben geblasen. Dabei wurde zumeist Chlorgas verwendet, das auf Grund seiner Schwere in die feindlichen Gräben sank und stark lungenschädigend wirkte, sich aber schnell in der Luft verflüchtigte. Chlorgas war vor allem in der Zweiten Flandernschlacht bei Ypern 1915 von deutscher Seite auf breiter Front zum Einsatz gekommen; da zu diesem Zeitpunkt in den beteiligten Armeen das Mitführen von Gasmasken noch nicht üblich war, hatte es eine verheerende Wirkung. Da das Blasverfahren allerdings anfällig für Witterungsänderungen – insbesondere für das Drehen des Windes – war, wurde im Verband die Möglichkeit diskutiert, Flugzeuge in Zukunft mit Chemiewaffen zu bestücken, die »durch besondere Vorrichtungen nach Art von Regenmaschinen« das Gas schnell und wolkenartig verteilen könnten. Hierfür eignete sich vor allem Senfgas, da dieses sich nicht leicht verflüchtigte und stark hautverätzend wirkte. Weiterhin könnten durch den Einsatz von Phosphorgranaten hartnäckige Brandherde in den gegnerischen Stellungen gelegt werden, die zudem eine stark demoralisierende Wirkung hätten. Ein weiterer kriegsökonomischer Vorteil eines Phosphorangriffs lag aus Sicht des Kyffhäuserbundes darin, dass sich beim Vorstoß der Infanterie der »Munitionsverbrauch auf die Hälfte beschränken«33 ließ. Schließlich wurde der Einsatz von Kohlenstoffverbindungen diskutiert, da diese zumeist farb-, geruchsund geschmacklos seien und eine innere Vergiftung des Körpers auslösten.34

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Ebd. Friedrich von Schilgen – »Der Gaskampf im Weltkriege«, in: Kyffhäuser, 28.11.1926, S. 2f. M. Emil Schröder-Spandau – »Chemische Kriegsführung«. Vgl. ebd.; und Friedrich von Schilgen – »Der Gaskampf im Weltkriege«.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Außer den Chemiewaffen regte vor allem das Feld der Aviation die Phantasie des Kyffhäuserbundes an.35 Insbesondere das Flugzeug und die Fliegerei hatten nach dem Ersten Weltkrieg einen raschen technischen Fortschritt bei Tragfähigkeit, Steigvermögen und Reichweite erlebt und wurden verstärkt in die Rüstungsplanungen verschiedener Staaten einbezogen. Steckte die Luftwaffe zur Zeit des Weltkrieges noch in den Kinderschuhen, so hatte sie sich mittlerweile »zu einem selbstständigen, in ihrer strategischen Bedeutung der Armee und der Marine kaum nachstehenden Kampfinstrument entwickelt. […] Es fehlt sogar nicht an Äußerungen führender Militärs, die der Auffassung Ausdruck geben, daß auch die Zivilbevölkerung unmittelbar durch die Luftwaffe angegriffen werden solle, um durch die Verbreitung von Panik und Schrecken den Widerstandswillen des Gegners zu brechen und ihn zu einem schnellen Diktatfrieden zu zwingen.«36 Selbst wenn solche Überlegungen nicht Wirklichkeit werden sollten, musste sich der Verband doch eingestehen, wie schutzlos deutsche Großstädte und ihre Umgebung dalagen. Eine solche Angst war in Teilen sicherlich nicht unbegründet, waren doch bereits im Ersten Weltkrieg vereinzelt Städte – wie etwa bei der Eroberung von Lüttich 1914 – aus der Luft bombardiert worden und hatten deutsche Zeppeline ihren Weg hinter den Frontverlauf und bis nach England gefunden (vgl. Abb. 20).37 Wenngleich die Wahrscheinlichkeit, einen Luftangriff zu erleben, gemessen an allen übrigen militärischen Operationen des Ersten Weltkrieges relativ unwahrscheinlich war, legten die intersubjektiven Kriegserfahrungen und deren tiefgreifende psychologische Wirkung doch den Schluss nahe, dass diese Art der Kriegsführung in einem erneuten Konflikt aufgrund des derzeitigen Entwicklungsstandes der Technik umso konsequenter angewendet und ihre Auswirkungen noch verheerender sein würden.38 In diesem Fall hatte also eine diskursive Erweiterung der Kriegserfahrungen durch die Veteranen stattgefunden, die eine Verselbstständigung der Erfahrungsdiskurse des Weltkrieges hervorrief. Zur weiteren Erläuterung führte der Kyffhäuserbund aus, dass ein zielgenauer Bombenabwurf nahezu unmöglich und es daher nicht auszuschließen sei, dass flä35 36 37

38

Vgl. Peter Fritzsche: A Nation of Fliers. German Aviation and the Popular Imagination, Cambridge 1992, S. 133-184. Werner Peres – »Luftschutz tut not!«, in: Kyffhäuser, 4.12.1932, S. 2f. Vgl. Reichsarchiv (Hg.): Der Weltkrieg. 1914 bis 1918, Band 1: Die Grenzschlachten im Westen, Berlin 1925, S. 115; weiterhin »Zeppelin-Angriffe auf Calais und Paris«, in: Parole, 24.3.1915, S. 3f.; sowie »Der deutsche Luftangriff auf London«, in: Parole, 3.6.1915, S. 6f.; »Der Zeppelinangriff auf England«, in: Parole, 3.10.1915, S. 4f.; »Wirkungsvoller Luftangriff auf England«, in: Parole, 8.7.1917, S. 1; und »Paris und London bombardiert«, in: Parole, 13.3.1918, S. 1. Vgl. Thomas Hippler: Krieg aus der Luft: Konzeptuelle Vorüberlegungen zur Entstehungsgeschichte des Bombenkrieges, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, München 2007, S. 403-422.

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chendeckende Bombardements von großen Menschenansammlungen verheerende Folgen haben würden. Erschwerend kam für ihn hinzu, dass dem Deutschen Reich aufgrund des Versailler Vertrages eine umfassende Luftrüstung und damit wirksame Gegenmaßnahmen untersagt waren. »Mit kaltblütiger Ueberlegung haben unsere früheren Gegner Deutschland der Luftgefahr ausgeliefert, deren Abwehr sie uns so gut wie unmöglich gemacht haben. Wir müssen also erkennen, daß außer den militärischen Abwehrmaßnahmen zivile Schutzmaßnahmen vorbereitet werden müssen, um die Wirkung von Luftangriffen auf die Bevölkerung abzuschwächen.«39 Bei der sich stetig weiterentwickelnden Kriegstechnik – insbesondere bei der chemischen und lufttaktischen Kriegsführung – war es für den Verband wichtig, dass auch das Deutsche Reich auf diesem Gebiet aktiv wurde, um bei einem drohenden Konflikt nicht ins Hintertreffen zu geraten. Da vielerorts im Ausland spezielle Forschungslabore zur Entwicklung chemischer Kampfstoffe, Schulungseinrichtungen den taktischen Einsatz von Giftgasen sowie enge Kooperationen zwischen militärischen und zivilen Einrichtungen existierten,40 könne es als sicher gelten, »daß seit dem Weltkrieg auf keinem anderen Feld so rastlos und systematisch gearbeitet worden ist.«41 Was hier stattfand war eine (bildliche) Durchmischung von Realität und Fiktion, von vorhandenen Ängsten und utopischen Phantasien. Das Ergebnis waren teils alarmistische Neuigkeiten und Gerüchte über neue Giftgase, die in der Lage wären, ganze Großstädte binnen kürzester Zeit zu entvölkern, über Geschosse, die ihre todbringende Ladung über 150 Kilometer weit schleuderten, über Flugzeuge, die alle Geschwindigkeitsrekorde brächen oder über eine revolutionäre Kriegsführung mit sogenannten Todesstrahlen.42 Zusätzlich befeuert wurden viele dieser phantastischen Nachrichten durch die illustrierte Belletristik des Kyffhäuser-Verlages, die – wie beispielsweise Karl August von Lafferts Flammen aus dem Weltenraum – dem Genre der frühen Science Fiction zuzuordnen ist (vgl. Abb. 21).43 Der Kyffhäuserbund bemühte sich bei seiner Aufklärungsarbeit über die Innovationen in der Waffentechnik und den Krieg der Zukunft dagegen, einen möglichst sachlichen Ton anzuschlagen. So veröffentlichte der ehemalige Oberst

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Werner Peres – »Luftschutz tut not!«, in: Kyffhäuser, 4.12.1932, S. 2f. Vgl. F. M. – »Die Gaswaffe in Europa und Amerika«, in: Kyffhäuser, 5.2.1928, S. 2f. Ebd. Hiermit war wahrscheinlich die gezielte Fernauslösung von Geschossen und Bomben mittels Funk oder Infrarot gemeint. Vgl. Otto Riebicke – »Der Krieg von morgen«. Vgl. beispielsweise Karl August von Laffert: Flammen aus dem Weltenraum. Ein ZukunftsRoman, Berlin 1927.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

und Vorsitzende des Kreiskriegerverbandes Marburg, Friedrich Immanuel,44 im Kyffhäuser-Verlag eine Monographie mit dem apodiktisch-reißerischen Titel Der große Zukunftskrieg – Keine Phantasie!45 , die eine betont nüchterne Skizze über das Gesicht des nächsten großen Krieges sein sollte: »Dieses Buch, emporgewachsen aus persönlicher Kriegserfahrung und aus dem Eindringen in die sittlichen Kräfte, meidet jegliche Phantasie. Ich will beruhigen und mahnen zugleich. Ich trete der Verwirrung und Ängstigung entgegen.«46 Wie schon bei Remarque wurde das Werk mit der Augenzeugenschaft seines Autors beworben, in diesem Fall bürgte allerdings der Status des Kyffhäuser-Veteranen für Authentizität und Qualität des Inhalts. Immanuel führte einleitend aus, dass der »große Zukunftskrieg trotz aller Versöhnungs-, Ausgleichs-, Abrüstungs- und Entwaffnungsversuche« oder trotz eines Dialogs der Nationen im Völkerbund unausweichlich sei. »Die Zahl und Wucht der Gegner und Spannungen sind allzu groß, als daß im Verlauf einer noch nicht absehbaren Zeit eine gewaltsame Lösung vermieden werden kann. Deutschland wird an ihr ebensowenig die Schuld tragen, wie es den Weltkrieg 1914 entfesselt hat.«47 Die Schuld am zukünftigen Krieg trugen für ihn dagegen die weltwirtschaftlichen Entwicklungen, die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages, die von den vermeintlichen Nutznießern des Vertragswerkes gnadenlos umgesetzt würden, sowie die »drohende Wetterwolke der weltproletarischen, kommunistischen Lehren.«48 Das Hauptaugenmerk von Immanuels Studie lag allerdings auf den Innovationen in der Waffentechnik. Allein die Fortschritte auf den Gebieten des Luft-, Gasund U-Boot-Krieges, der Entwicklung von Panzerwagen und Maschinengewehren sowie bestimmter Ferngeschütze bis 1918 hätten eine »Umgestaltung der Kriegsund Kampfführung [bewirkt], an die bei Ausbruch des Krieges 1914 noch niemand gedacht« hätte. Hieraus folge die logische Konsequenz, dass die »Erfahrungen des letzten großen Krieges eifrig untersucht«49 und – wenn auch im deutschen Fall nur in theoretischer Hinsicht – zum Ausgangspunkt für kriegstechnische Verbesserungen würden. Dass immer wieder phantastische Pläne für allerlei Technik und Wunderwaffen des Zukunftskrieges auftauchten, sei in dieser Situation nachvollziehbar, deren ernsthafte Diskussion aber nicht zielführend. Stattdessen sollte man 44

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Friedrich Immanuel (geb. 1857), lehrte ab 1905 an der Kriegsakademie und verfasste nach dem Ersten Weltkrieg mehrere militärwissenschaftliche Bücher und Artikel im KyffhäuserVerlag und in den verschiedenen Verbandszeitungen. Vgl. BArch Berlin, NS 26/930, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl I, Bl. 175. Vgl. Oberstleutnant a.D. Benary – »Der große Zukunftskrieg«, in: Kyffhäuser, 20.12.1931, S. 2f. Oberst a.D. (Friedrich) Immanuel: Der große Zukunftskrieg – Keine Phantasie!, Berlin 1932, S. 5. Ebd. Ebd., S. 5f. Ebd., S. 81.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

sich auf den sinnvollen Ausbau und die Verbesserung bereits bestehender Techniken konzentrieren.50 Immanuel zählte hierzu beispielsweise die Entwicklung lenkbarer Luftschiffe, von Zeppelinen bis hin zu Flugzeugen, die Spreng-, Brand- und Gasbomben über den feindlichen Linien und Städten abwerfen konnten, die Verbesserung treibstoffbefeuerter Fernartillerie (vgl. Abb. 22), die weitere Forcierung der Motorisierung des Heeres51 oder die Indienstnahme neuer U-Boot-Typen und »Flugzeugmutterschiffe.«52 Die weitaus größte Bedrohung für die eigenen Truppen sowie für die Zivilbevölkerung in einem zukünftigen Krieg erkannte aber auch der pensionierte Oberst in der chemischen Kriegsführung. Neben dem Einsatz von Gaskampfstoffen wusste er von Gerüchten zu berichten, nach denen mittlerweile sogar mit Seuchenkeimen wie etwa Typhus- oder Choleraerregern experimentiert werde, die in modifizierter Form über die Luft im feindlichen Gebiet ausgebracht werden sollten.53

Abbildung 20: Graphische Darstellung eines deutschen Luftangriffes 1915; Abbildung 21: Die Todesstrahlen; Abbildung 22: Ferngesteuerte, mit Treibstoff betriebene Rakete im Anflug auf eine Großstadt.

Die Aktivitäten des Kyffhäuserbundes im Bereich der Rüstungspolitik hatten eine klare Intention: Er wollte in konkrete militärische (Lern-)Prozesse sowie in wehrstrategische Planungen einbezogen werden, in die linke wie rechte Veteranenverbände schon längst durch die verantwortlichen Reichswehrkreise integriert worden waren. Ortgruppen des Stahlhelms etwa wurden von Reichswehrchef Hans 50 51 52 53

Ebd., S. 81-83. Vgl. ebd., S. 83-107. Ebd. S. 150; vgl. ferner S. 149-154. Vgl. ebd., S. 88-92 und S. 96-99; sowie H. S. Burg – »Die Bomber kommen!«, in: Kyffhäuser, 4.12.1932, S. 20.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

von Seeckt zwischen 1923 und 1927 in den Grenzregionen im Norden und Osten mit dem Aufbau eines hiesigen, paramilitärischen Landesschutzes aus Veteranen betraut. Auch das Reichsbanner hatte seinen anfänglichen Argwohn gegen die getarnten Rüstungsbestrebungen der Reichswehr abgelegt und bemühte sich um eine stärkere Einbindung in wehrpolitische Fragen. Das treibende Motiv war in diesem Fall allerdings nicht der Schutz der Republik nach außen, sondern ihre Verteidigung gegen die erstarkenden inneren Feinde ab dem Ende der 1920er Jahre.54 Der Kyffhäuserbund versuchte dadurch, dass er die Kriegserfahrungen seiner Veteranen in die allgemeinen Diskurse um den Krieg der Zukunft einspeiste, nicht nur Impulse in gesamtgesellschaftlich relevanten Bereichen zu setzen. Diese sollten ihm über einen Umweg helfen, mit den Führerkorps der Reichswehr in Gespräche einzutreten und ihm so die Türen zu hohen politischen Entscheidungsträgern öffnen. Mit der Lenkung der militär- und wehrpolitischen Debatten durch die Kriegserfahrungen der Kyffhäuser-Veteranen wollte der Verband zudem erreichen, dass auch seine Veteranen von der Öffentlichkeit – wie die Mitglieder anderer Verbände – als einsatzbereites Heer von nach wie vor aktiven Soldaten anerkannt wurden.

1.2

Ziviler Luftschutz und Internationale Abrüstungsbestrebungen

Das Motiv, die Kriegserfahrungen der Kyffhäuser-Veteranen zu verbreiten und öffentlichkeitswirksame Themenkomplexe diskursiv zu besetzen, spiegelte sich auch in der Beschäftigung mit dem Luftschutz und der Abrüstung wider. Mit den neuen Einsatzmöglichkeiten für chemische Kampfstoffe ging die Frage nach einem effektiven Schutz der eigenen Zivilbevölkerung einher: Schon während des Ersten Weltkrieges hatte der Beginn des modernen Luftkrieges die Grenze zwischen Front und Heimat verwischt und die Notwendigkeit eines besseren Zivil- sowie Luftschutzes offensichtlich gemacht.55 Der Kyffhäuserbund war fest von der Notwendigkeit des Ausbaus und der Verbesserung des Luft- als Teil des Zivilschutzes überzeugt,

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Vgl. Berghahn: Stahlhelm, S. 56-63; sowie Rohe: Reichsbanner, S. 169-182. Vgl. Dietmar Süß: Tod aus der Luft. Kriegsgesellschaft und Luftkrieg in Deutschland und England, München 2011, S. 27-38; weiterhin »Vom wehrhaften Geist«, in: Kyffhäuser, 12.6.1927, S. 2. In Ansätzen bei Bernd Lemke: Zivile Kriegsvorbereitungen in unterschiedlichen Staatsund Gesellschaftssystemen. Der Luftschutz im 20. Jahrhundert – ein Überblick, in: ders./Jörn Brinkhaus (Hg.): Luft- und Zivilschutz in Deutschland im 20. Jahrhundert, Potsdam 2007, S. 67-88; und Jörn Brinkhaus: Ziviler Luftschutz im ›Dritten Reich‹ – Wandel seiner Spitzenorganisation, in: Dietmar Süß (Hg.): Deutschland im Luftkrieg. Geschichte und Erinnerung, München 2007, S. 27-40. Für den Zweiten Weltkrieg hinreichend untersucht etwa bei Jörg Arnold/Dietmar Süß/Malte Thießen (Hg.): Luftkrieg. Erinnerungen in Deutschland und Europa, Göttingen 2009.

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denn dieses Thema war für ihn eng mit dem Krieg der Zukunft verknüpft.56 Da der Verband Giftgase als Hauptkampfmittel des kommenden Krieges ansah und prophezeite, dass vermehrt Flugzeuge eingesetzt würden, um die tödliche Fracht weit über den Frontverlauf hinaus in das Hinterland und über die deutschen Großstädte zu tragen, mussten die entsprechenden offiziellen Stellen seiner Meinung nach aktiv werden.57 Dagegen schenkte der Kyffhäuserbund – und hier wieder allen voran Friedrich Immanuel – den Abrüstungsbeteuerungen der internationalen Staatengemeinschaft keinen Glauben und konstatierte stattdessen: »Hält sich etwa Frankreich bloß zum Schein Tausende von Kampfflugzeugen und einige Dutzend Bombengeschwader nahe der deutschen Grenze, Polen und die Tschechoslowakei in entsprechender Weise ebenso? Kurzum, wir müssen im Zukunftskrieg mit der Tatsache rechnen, daß sich die Staaten, sobald es ums Dasein, um den Kampf auf Leben und Tod geht, überhaupt an keine Verträge kehren, sondern die Kampfmittel rücksichtslos gebrauchen werden, von denen sie sich die schnelle Bezwingung der Gegner und ihren eigenen Sieg erhoffen. Hierzu gehören Luftangriff, Bombenabwurf, Gas!«58 Wie ein solcher Angriff ablaufen würde, schienen der Kyffhäuserbund und Immanuel schon sicher zu wissen. Zuerst würden die feindlichen Luftgeschwader über ihrem Zielgebiet Sprengbomben abwerfen, um Hausdächer abzudecken, gefolgt von Brandbomben, die Feuersbrünste entfachten, so Verwirrung und Panik stifteten und die Menschen auf die Straßen trieben, sowie von Gasbomben, um die schutzlose Bevölkerung zu töten.59 Welche Gegenmittel standen dem Deutschen Reich zur Verfügung, wenn es laut Versailler Vertrag keine Fluggeschwader zur Abwehr unterhalten durfte? Schutz bieten konnten Flugabwehrkanonen oder Gasmasken mit entsprechendem Zubehör. Da auch Kanonen nach dem Friedensvertrag nur eingeschränkt zur Verfügung standen – insgesamt nur acht ortsfeste Flak an der Festung Königsberg60 –, blieb nur die Produktion und Verteilung von Gasmasken sowie die Einrichtung gassicherer Schutzunterkünfte. Solche Gasschutzunterkünfte, die über entsprechende technische Pump- und Sauerstoffvorrichtungen verfügten, gab es bis zum Ende der 1920er Jahre im Reich allenfalls in Anfängen. Ähnlich sah es mit der flächendeckenden Verfügbarkeit von Gasmasken aus:

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Mit dieser Auffassung stand der Kyffhäuserbund indes nicht allein da. Auch die Hitlerjugend und der Bund Deutscher Mädel hatten Zivil- und Luftschutzübungen fest in ihr Repertoire übernommen. Vgl. Klaus: Mädchen, S. 99-105. Vgl. Major a.D. Drees – »Kriegsführung und Kriegsauswirkung in der Zukunft«; siehe weiterhin Zeidler: Reichswehr, S. 123-127. Oberst a.D. Immanuel – »Gasschutz!«, in: Kyffhäuser, 26.7.1931, S. 2. Vgl. Dipl.-Ing. Pittius, Hauptmann a.D. – »Luftschutz tut not!«, in: Kyffhäuser, 1.5.1932, 2f. Vgl. ebd.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Diese gehörten bislang nur zur festen Ausrüstung der Reichswehr sowie von Teilen der Schutzpolizei und der Feuerwehr.61 Angesichts dieser Sachlage galt die Gefahr aus der Luft als die größte Bedrohung für die Zivilbevölkerung, zumal, und diese Angst äußerte der Kyffhäuserbund, durch den technischen Fortschritt auch die entlegensten Winkel des Reiches nach Ausbruch eines Krieges binnen kurzer Zeit angreifbar wären. »Die Städte als Mittelpunkte des Verkehrs und des Handels, des Sitzes der Verwaltungs- und Fürsorgebehörden werden die Anziehungspunkte für die feindlichen Flieger sein. So kann eine jede Stadt in Deutschland ihren Luftangriff mit katastrophalen Folgen erleben, wenn man sich nicht rechtzeitig rüstet, großzügig Schutzmaßnahmen vorzubereiten.«62 Diese Schutzmaßnahmen wurden unter dem Stichwort ziviler Luftschutz subsumiert. Ein entsprechender Antrag des Kyffhäuserbundes an die Reichsregierung, mehrere Millionen Reichsmark für den Gasschutz zu bewilligen, wurde mit Rücksicht auf die wirtschaftlich prekären Verhältnisse abgelehnt. Dennoch mahnte der Verband dazu, nicht in Panik zu verfallen. Vielmehr sollten die ehemaligen Frontsoldaten, die im Weltkrieg mit dem Einsatz und der Abwehr von Giftgas Erfahrungen gesammelt hatten, die Bevölkerung über das richtige Verhalten bei einem Gasangriff aufklären. Koordiniert werden sollte diese Aufklärungsarbeit durch verschiedene ortansässige Arbeitsausschüsse.63 Weiterhin forderte der Kyffhäuserbund die Einrichtung von Luftgefahr-Warn- und Meldediensten auf kommunaler Ebene. Diese sollten entsprechende Warnmeldungen an örtliche Alarmstellen weiterleiten, die in enger Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden die weiteren notwendigen Schritte zu ergreifen hatten: die Räumung von öffentlichen Plätzen und Straßen, die Verdunkelung der Fenster bei Nacht und das Aufsuchen von Kellern und Schutzräumen.64 Im Übrigen verwies der Kyffhäuserbund auf den Krisenplan des Reichswehrministeriums. Dieser sah eine Einteilung der Bevölkerung in zwei Gruppen vor: einerseits die Aktiven, also Menschen, wie etwa Feuerwehrleute oder Sanitäter, die im Ernstfall an ihren Arbeitsplatz gebunden waren, und andererseits die Passiven, also die restliche schutzbedürftige Bevölkerung. Für die erste Gruppe wurde eine kriegswissenschaftliche sogenannte Giftgasschule auf dem Gelände einer Gasmaskenfabrik in Oranienburg bei Berlin eingerichtet. Hier lernten die Besucher in theoretischen Vorträgen und praktischen Übungen alle notwendigen Verhaltensmaßregeln im Falle eines Gasangriffes. Zuerst wurden die Teilnehmer einer Giftgasschulung unterzogen, welche ihnen die verschiedenen Arten 61 62 63 64

Vgl. Oberst a.D. Immanuel – »Gasschutz!«. Dipl.-Ing. Pittius, Hauptmann a.D. – »Luftschutz tut not!«. Vgl. Oberst a.D. Immanuel – »Gasschutz!«. Vgl. Erich Lattmann – »Ziviler Luft- und Gasschutz«, in: Kyffhäuser, 17.7.1932, S. 2f.; und Dipl.-Ing. Pittius, Hauptmann a.D. – »Luftschutz tut not!«.

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und Eigenschaften der Gase vorstellte. Im Anschluss daran wies man die Schüler in die verschiedenen Techniken des Atemschutzes und der Wirkungsweisen von Gasmasken ein. Schließlich folgte der praktische und konditionelle Teil der Ausbildung. Hierzu gehörte der Umgang mit Gasmasken in unterschiedlichen Einsatzsituationen, die durch verschiedenen Turnübungen simuliert wurden, sowie die Nachstellung von Rettungsversuchen in eigens angelegten Bergwerksstollen.65 Abgerundet wurde der Lehrgang durch verschiedene Rettungs- und Bergungsübungen an Puppen, zuletzt unter möglichst realen Bedingungen, d.h. unter Vernebelung des gesamten Übungsstollens.66 Wenngleich die Zivilschutzagitation des Kyffhäuserbundes einerseits darauf abzielte, möglichst sachlich und nüchtern über das Verhalten bei einem möglichen Gasangriff aufzuklären und somit das Bewusstsein der Zivilbevölkerung zu schärfen, schürte er andererseits durch seine teilweise fatalistische Form der Berichterstattung über die Ziele und die tödlichen Folgen für breite Bevölkerungskreise die Angst vor dem (Gas-)Krieg der Zukunft (vgl. Abb. 23).

Abbildung 23: Luft- und Gasschutz tut not! Luftschutz ist nationale Pflicht.

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Vgl. Peter Prätorius – »Besuch in Deutschlands Giftgasschule«, in: Kyffhäuser, 7.8.1932, S. 8. Vgl. ebd.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Der Kyffhäuserbund räumte, wie nicht zuletzt aus seiner Einstellung zum Pazifismus der Zwischenkriegszeit abzulesen ist, internationalen Abrüstungsbestrebungen oder -konferenzen kaum realistische Chancen ein, eine nachhaltige und dauerhafte Friedenssicherung herbeizuführen.67 Für ihn war die Geschichte der weltweiten Friedens- und Abrüstungsbemühungen eine Farce und lief doch immer wieder auf eine Geschichte der massiven Aufrüstung hinaus. Seit den ersten Friedenskonferenzen in Den Haag 1899 und 1907 seien etliche Konferenzen abgehalten wie etwa die Genfer Konferenzen von 1927 oder Kriegsächtungspakte wie der Briand-Kellogg-Pakt von 1928 beschlossen worden, ohne dass sich irgendwo ein wirklicher Abrüstungswillen Bahn gebrochen hätte oder die bestehenden internationalen Antagonismen hätten gelöst werden können.68 Auch schenkte der Kyffhäuserbund allen weiteren Verfahren zur Sicherung des Friedens keinen Glauben. Insbesondere das mehrstufige Appellationsverfahren des Völkerbundes im Vorfeld eines drohenden Kriegsausbruches hielt er für nicht realisierbar, da die Vergangenheit bereits zu häufig gezeigt habe, dass der Vorteil eines Überraschungsangriffs den Gedanken der Verständigung in den Hintergrund gedrängt hatte. Letztlich tat er den Pazifismus als Phantasterei ab und bezeichnete ihn als »die größte geistige Gefahr, die über Deutschland schwebt.«69 Seine Ideen und Ziele seien insofern gefährlich, als er der deutschen Gesellschaft ein Sicherheitsversprechen durch freiwillige, unilaterale Abrüstung suggerierte, das in einer feindlich gesinnten, hochgerüsteten Umwelt nicht einzuhalten sei. Im Gegenteil würde ein solches Vorgehen nur dazu führen, die Wehrbereitschaft der Deutschen zu schwächen. Auch die Schrecken eines Zukunftskrieges dürften Staaten und Völker nicht davon abhalten, gegeneinander Kriege zu führen. Die Geschichte der Nationen war aus seiner Sicht eine unvermeidbare und »eine ununterbrochene Kette gewaltiger Entladungen«,70 die auch die Etablierung von Demokratien nicht zu durchbrechen vermocht hätte. Wer hier anderer Meinung war, dem hielten die Redakteure des Kyffhäuserbundes, die den Weltkrieg zumeist selbst an der Front miterlebt hatten, entgegen, dass »alle gerüsteten Nationen irgendwelche expansiven Ziele [haben], denen zuzustreben, sie für ihre kulturelle Mission, also Pflicht halten. Kann klarer bewiesen werden, daß Slawen und vernegerte Romanen auf deutscher Flur den Zukunftskrieg ausfechten werden, wenn wir den Zukunftskrieg nur deshalb ablehnen, weil 67

68 69 70

Vgl. BArch Berlin, NS 26/931, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund: Reichspräsidentenwahl II, Bl. 91: Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des KB vom 1. Mai 1932 – Kurzer Bericht über den Verlauf der Vorstandssitzung des Deutschen Reichskriegerbundes ›Kyffhäuser‹ am 30. April und 1. Mai 1932 auf dem Kyffhäuser; sowieFriedrich Böer: Welt in Waffen. Berichte, Photos, Zahlen zur Debatte über Sicherheit und Abrüstung, Berlin 1933. Vgl. Generalleutnant a.D. von Metzsch – »Pazifismus und Zukunftskrieg«, in: Kyffhäuser, 14.12.1930, S. 3. Ebd. Ebd.

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uns der Pazifismus Schöneres vorgaukelt? […] Der Zukunftskrieg dagegen ist für das Deutschtum das, was wir aus ihm machen. Er wird – wie alle Kriege – das Fazit des vorausgegangenen Menschenalters sein.«71 Angesichts dieser düsteren Zukunftsvision sah der Kyffhäuserbund eine umfassende deutsche Aufrüstung als einzige Sicherheitsgarantie an, damit das Deutsche Reich inmitten Europas auch künftig bestehen konnte. Dabei bediente sich der Verband abermals der populären Theorie der sogenannten Einkreisung Deutschlands durch seine feindlich gesinnten Nachbarländer, die bereits am Vorabend des Ersten Weltkrieges allgegenwärtig gewesen war.72 Von daher argumentierte der Kyffhäuserbund, dass eine einseitige Abrüstung des Deutschen Reiches zur Sicherung des Friedens – wenngleich er eine allgemeine europäische Abrüstung begrüßt hätte – wenig erfolgversprechend sei, solange alle anderen europäischen Nationen ihr Militärbudget und ihre Streitkräfte kontinuierlich aufstockten.73 »Die Welt starrt vor Waffen! Kann es oft genug gesagt werden? Gibt es nicht immer noch Leute, die sich als Sachkenner aufspielen und behaupten, die Aufrüstung der Welt sei nur ein Hirngespinst derer, die Deutschland aus den Fesseln von Versailles herauslösen wollen, damit sie ihm ein Angriffsheer und neuen Krieg geben können?«74 Der Kyffhäuserbund echauffierte sich daher über die »Abrüstungsheuchelei«75 dieser Staaten und gab seiner wachsenden Sorge Ausdruck, dass offenbar Truppenkontingente gerade an der Grenze zu Deutschland verstärkt wurden (vgl. Abb. 24).76 Es ergab für den Kyffhäuserbund somit keinen Sinn, weiterhin vor der Tatsache die Augen zu verschließen, dass erneute Kriege unvermeidbar waren. Der Traum von einem dauerhaften Frieden und einer entmilitarisierten Welt würde wohl auf absehbare Zeit ein Traum bleiben, betonte er. Das wäre in einer militarisierten Welt voller Waffen die einzig logische Schlussfolgerung. Denn solange die staatlichen Rüstungsausgaben auf dem bisherigen Niveau verharrten und solange es existentielle Konflikte gab, war ein Krieg für den Kyffhäuserbund nach wie vor der einzig gangbare Weg, um die eigenen Interessen gegen feindliche Widerstände

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Ebd. Vgl. Gerd Krumeich: Art. Einkreisung, in: ders./Gerhard Hirschfeld/Irina Renz (Hg.): Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2 2014, S. 452f. Vgl. Heinrich Niemerlang – »Wider die Lügenpropaganda!«, in: Kriegerzeitung, 18.1.1925, S. 11. Otto Riebicke – »Abrüstung? Aufrüstung!«, in: Kyffhäuser, 17.5.1931, S. 2f. Dr. Quarck – »Abrüstungslügen«, in: Kyffhäuser, 1.5.1927, S. 2. Vgl. Heinrich Niemerlang – »Der Rüstungstaumel«, in: Kyffhäuser, 20.3.1927, S. 3; und Martin Winkel – »Die Kriegervereine im Kampf um die Abrüstung«, in: Kyffhäuser, 18.9.1932, S. 4.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Abbildung 24: Gravens – Die Friedenstaube Frankreichs.

durchzusetzen.77 Für dieses Szenario war allerdings nicht alleine die Tatsache der stetigen Aufrüstung verantwortlich. »Die Weltatmosphäre ist geladen mit Feindschaft. Die Beziehungen der Völker zueinander sind schwer belastet mit den Gefühlen von Bitterkeit, Haß, Mißtrauen, Furcht, Neid. Dementsprechend sind die Kampfmittel, mit denen die Völker einen ständigen moralischen Krieg führen. Wenn etwas notwendig ist, um die Menschheit wieder in einigermaßen erträgliche Verhältnisse zu bringen, so ist es eine ›moralische Abrüstung‹.«78 Dem Verband war also durchaus bewusst, dass ohne eine kulturelle Demobilisierung der weltkriegsimmanenten Narrative und Rhetoriken, Chauvinismen und Weltanschauungen, die sich in Teilen seit 1918 konserviert hatten, auch mit einer weitgehenden militärischen Abrüstung kein Frieden zu erreichen wäre. Daher stellte er fest, dass die Staatenwelt vom Deutschen Reich keine einseitige kulturelle Demobilisierung erwarten konnte, die

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Vgl. »Vom wehrhaften Geist«. Friedrich von Schilgen – »Moralische Abrüstung«, in: Kyffhäuser, 3.4.1932, S. 2f.

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»das verleumdete, diffamierte, geschändete, wirtschaftlich und finanziell ausgepowerte, beraubte, zermürbte und waffenlose deutsche Volk auch in die geistige Zwangsjacke steckt und ihm selbst die Möglichkeit des Widerspruchs gegen alle ihm angetragenen Scheußlichkeiten nimmt.«79 Der Kyffhäuserbund machte es sich daher zur Aufgabe, die deutsche Gesellschaft aus dieser ideologischen Opferrolle und Schutzlosigkeit herauszuführen. Dies sollte in erster Linie geschehen, indem der deutschen Bevölkerung vor Augen geführt wurde, welches Vorbild das Kriegervereinswesen und die in ihm praktizierten Gemeinschaft darstellte.

2.

Volkskameradschaft als Gesellschaftsmodell – die Bedeutung der Veteranen und des Kriegervereinswesens für die deutsche Postwar-society

Seit 1928 war ein Wandel in der öffentlichen Selbstdarstellung des Kyffhäuserbundes zu beobachten: Er versuchte, durch ein verstärktes politisch-ideologisches Engagement seine Präsenz im öffentlichen Raum und im öffentlichen Bewusstsein zu festigen. Dieses Engagement und das Drängen in die Öffentlichkeit hatten einen ganz bestimmten Grund: Der Verband rühmte sich stets damit, über annähernd drei Millionen Mitgliedern zu verfügen. Das war jedoch schon lange nicht mehr aktuell, da der eklatante Rückgang der Mitgliederzahl,80 der bereits seit dem Ende des Weltkrieges erkennbar wurde, sich gegen Ende der 1920er Jahre immer weiter beschleunigt hatte. Nun trat deutlich zutage, dass der Kyffhäuserbund trotz aller Maßnahmen und Initiativen sein Rekrutierungspotential am Ende der zwanziger Jahre nahezu ausgeschöpft hatte. Für die Veteranen, die starben oder sich anderen Verbänden anschlossen, rückten kaum oder jedenfalls nicht in ausreichendem Maße neue nach, um das Mitgliederniveau auch nur annähernd halten zu können.81 Zählte der Kyffhäuserbund beispielsweise im Jahr 1929 noch etwa 2,6 Millionen Beitragszahler, schrumpfte diese Zahl in nur drei Jahren um mehr als zehn Prozent auf unter 2,3 Millionen Mitglieder.82 Im gleichen Zeitraum beispielsweise gewann die NSDAP annähernd 800.000 neue Mitglieder;83 ebenso rasant war der Anstieg

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Ebd. Vgl. Kapitel III, 3. Diese Probleme brachen sich seit etwa 1928 endgültig Bahn, hatten sich in Ansätzen allerdings schon vorher angedeutet. Vgl. hierzu Kapitel III, 3.2 Berechnungen des Autors anhand von Kyffhäuserbund: 28. bis 31. Geschäftsbericht für die Jahre 1929 bis 1932, Berlin. Vgl. Michael Grüttner: Das Dritte Reich. 1933-1939, Stuttgart 10 2014, S. 101.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

bei der SA.84 Auch das Reichbanner konnte im Zeitraum von 1929 bis 1932 einen Mitgliederzuwachs von etwa sieben Prozent verzeichnen.85 Um also nicht in der drohenden Bedeutungslosigkeit zu versinken, musste der Kyffhäuserbund neue ideologische, gemeinschaftsstiftende Konzepte vorlegen. Hierbei ging es darum, seine Verbandsarbeit, die bis dahin in erster Linie den Veteranen gegolten hatte, auf die gesamte deutsche Gesellschaft auszuweiten. Der Kyffhäuserbund musste sich fragen, welchen Beitrag er außer zur Bewältigung der Vergangenheit und der Gestaltung der Gegenwart für eine bessere Zukunft der Post-war-society leisten bzw. welche Bedeutung ihm in einem solchen Gestaltungsprozess zukommen konnte. Seit Ende der 1920er Jahre wurden die Krisendiskurse und Zukunftsängste in vielen Bevölkerungskreisen der Weimarer Republik virulent. Für die deutsche Nachkriegsgesellschaft wurde die als allgegenwärtig empfundene Krise in den verschiedensten Bereichen des alltäglichen Lebens zum vorherrschenden Deutungsmuster der Gegenwart.86 Die neuere Forschung hat sich zuletzt von klassischen Interpretationen gelöst und die Krisendiskurse der Weimarer Jahre sowie ihre Wirkmächtigkeit einer Neubewertung unterzogen. Sie verabschiedete sich von dem seit Detlev Peukert stilbildende Paradigma einer »Krise in Permanenz«87 und hob hervor, dass trotz aller Krisendiskurse doch der Optimismus und der Glaube an eine positive Gestaltung der Zukunft überwogen.88 Bei allen durchaus vorhandenen Ängsten gab es immer wieder affirmative Elemente, die das Bild von den Krisenjahren der klassischen Moderne relativieren.89 Eine abschließende Bewertung muss

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Im Herbst 1930 zählte die SA rund 60.00, im Dezember 1932, nach der Aufhebung des SAVerbotes, bereits etwa 470.000 Mitglieder. Vgl. Longerich: Bataillone, S. 93 und 159; zudem Andreas Werner: SA und NSDAP. SA: ›Wehrverband‹, ›Parteitruppe‹ oder ›Revolutionsarmee‹? Studien zur Geschichte der SA und der NSDAP 1920-1933, o. O. 1965, S. 355. Vgl. Rohe: Reichsbanner, S. 74f. Vgl. Moritz Föllmer/Rüdiger Graf/Per Leo: Einleitung: Die Kultur der Krise in der Weimarer Republik, in: dies. (Hg.): Die ›Krise‹ der Weimarer Republik. Zur Kritik eines Deutungsmusters, Frankfurt a.M. 2005, S. 9-41; weiterhin Rüdiger Graf: Optimismus und Pessimismus in der Krise – der politisch-kulturelle Diskurs in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, München 2007, S. 115-140. Ziemann: Zukunft, S. 9. Siehe zu dieser Forschungsdiskussion zusammenfassend Christoph Thonfeld: Krisenjahre revisited. Die Weimarer Republik und die Klassische Moderne in der gegenwärtigen Forschung, in: Historische Zeitschrift 302 (2016), S. 390-420. Zur Ambivalenz der Deutungsmuster für die Zeit von 1918 und 1939 sowie der Dringlichkeit einer Relativierung gegensätzlicher Interpretationspole der Zwischenkriegszeit siehe Tim B. Müller: Nach dem Ersten Weltkrieg. Lebensversuche moderner Demokratien, Hamburg 2014; sowie der Sammelband von Tim B. Müller/Adam Tooze (Hg.): Normalität und Fragilität. Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2015; sowie Steffen Kailitz: Nach dem ›Großen Krieg‹ – vom Triumph zum Desaster der Demokratie 1918/19 bis 1939, in: ders.

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daher auch im Fall der Veteranen letztlich ambivalent ausfallen. So wurde die Republik von den ehemaligen Kriegsteilnehmern durchaus als ein Möglichkeitsraum wahrgenommen, der ausreichend Gestaltungspotential bot, um das eigene Schicksal zum Positiven zu wenden. Jedoch zirkulierten in den Kreisen der Veteranen seit 1918 ebenso Diskurse, die sich aus materiellen und ideellen Zukunftsängsten, aus Modernisierungs- und Materialismuskritik sowie Kulturpessimismus speisten und in der zeitgenössischen Wahrnehmung immer mehr den Eindruck erzeugten, dass der Erste Weltkrieg nicht mit dem Friedensschluss von Versailles geendet habe.90 In den Zukunftsdiskursen der Weimarer Republik verdichteten sich wahrgenommene Krisen, reelle soziale wie wirtschaftliche Belastungen, das Konfliktpotential gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse, der allgegenwärtige Schatten des Ersten Weltkrieges und tradierte weltkriegsimmanente Narrative zu einem mitunter irrational dystopischen Konglomerat, das in der Meinung vieler Zeitgenossen nur durch einen radikalen Bruch mit den gegenwärtigen Verhältnissen aufgelöst werden konnte.91 Dass die Gegenwart der Republik vor allem von den Mitgliedern und Verantwortlichen des Kyffhäuserbund als krisenhaft beurteilt und immer mehr zu einem Zustand wurde, den es mit allen Mitteln zu überwinden galt, ist bei einer Betrachtung sowohl der Vorgeschichte als auch des weiteren Weges des Verbandes in den 1920er Jahren nicht verwunderlich. Erstens waren mit dem Kaiser und der Monarchie die zentralen Bezugspunkte im ideologischen Kosmos des Kyffhäuserbundes verschwunden. Seine Mitglieder waren über Nacht von ihrem Treuegelöbnis auf den obersten militärischen Führer entbunden worden, und auch das Vaterland als weiterer Bezugspunkt zeigte nach den Gebietsabtretungen der Versailler Friedensordnung ein verändertes Gesicht. Zweitens war das Militär als weitere große Säule des Kriegerverbandswesens nahezu weggebrochen: einerseits als potentieller Arbeitgeber, andererseits in seiner Funktion als maßgeblicher Erzieher einer nun als haltlos wahrgenommenen Jugend, auf die man aus Sicht des Verbandes keine stabile Zukunft aufbauen konnte. Drittens erschienen die Arbeitsweise und Effizienz

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(Hg.): Nach dem ›Großen Krieg‹. Vom Triumph zum Desaster der Demokratie 1918/19 bis 1939, Göttingen 2017, S. 27-50. Vor allem in intellektuellen Kreisen waren solche Diskurse die vorherrschenden Themengeber, wie sich am Beispiel von Oswald Spenglers einflussreichem Werk Der Untergang des Abendlandes nachvollziehen lässt. Zusammenfassend bei Thomas Vordermayer: Bildungsbürgertum und völkische Ideologie. Konstitution und gesellschaftliche Tiefenwirkung eines Netzwerkes völkischer Autoren (1919-1959), Berlin 2016, S. 45-59 und 68-79. Siehe Rüdiger Graf: Die Zukunft der Weimarer Republik. Krisen und Zukunftsaneignungen in Deutschland 1918-1933, München 2008. Weiterhin Martin H. Geyer: ›Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen‹. Zeitsemantik und die Suche nach der Gegenwart in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, München 2007, S. 165-187. Vgl. ferner Bessel: Kriegserfahrungen.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

des neuen republikanischen Staates zunehmend als unzulänglich. Hatte sich der Kyffhäuserbund in der revolutionären Gründungsphase der Republik noch auf die Seite der Regierung gestellt und die junge Demokratie verteidigt, klagte er nun immer vernehmlicher über die unzureichende materielle Versorgung seiner Mitglieder, über das inadäquate Stellenangebot auf dem Arbeitsmarkt, über die Verelendung der Veteranen durch die Weltwirtschaftskrise oder über die innen- wie außenpolitischen Streitigkeiten und Krisen der zwanziger Jahre. Viertens – und dieser Punkt war für den Verband mitunter am wichtigsten – diagnostizierte er außer den materiellen Verwerfungen der Zeit und den Problemen des Staatswesens eine Krise der deutschen Geisteshaltung sowie den Verlust des Glaubens an typisch deutsche Fähigkeiten und Eigenschaften. An die Stelle von Zukunftsoptimismus und Einigkeitsgedanken waren »Gewalt und Roheit [sic!], Dummheit und Frechheit« getreten und hatten »das innere Leben unseres Volkes […] völlig matt gesetzt und werden es bei weiterem Vorherrschen noch zum völligen Absterben bringen.«92 Hierzu geselle sich, betonte der Verband, eine allgemeine Gleichgültigkeit der Menschen: »Sehr viele sagen sich, daß nach den Erschütterungen des Weltkrieges, der Umsturzzeit und deren Nachwehen der einzelne das Anrecht auf ›ungestörte Ruhe‹ hat, um lediglich seiner Person, seinem Wohlergehen, seiner Zukunft zu leben.«93 Der Kyffhäuserbund sah die deutsche Nachkriegsgesellschaft durch Müßiggang und Egoismus, aber auch durch persönliche Tragödien und einen dramatischen Energieverlust gekennzeichnet. Hinzu kam eine allerorts greifbare Resignation und Schicksalsergebenheit: »So viele sind verzweifelt, weil unser Reich zusammengebrochen ist. Sagt man ihnen: ›So helft es doch neu aufbauen! Helft ihm zur Freiheit!‹, dann begegnet man wohl einem bequemen Achselzucken. ›Wir erleben’s ja doch nicht‹, hört man alsdann; aber sie vergessen nicht, ihr Leid im Alkohol zu ertränken. Sie schlagen ihre Zeit tot und verzweifeln zugleich an dieser ihrer Zeit!«94 Die Gründe für diesen Niedergang lagen für den Kyffhäuserbund zum einen in der Niederlage im Weltkrieg und zum anderen in der inneren Spaltung der deutschen Gesellschaft. Auch wenn diese nicht neu schienen, war sie doch während des Weltkrieges umso deutlicher zum Vorschein gekommen. Der Verband war der festen Überzeugung, ein einmütiges und geschlossenes deutsches Volk hätte jedem Kriegsgegner getrotzt und der Krieg in diesem Fall eine andere Wendung genommen. Nach Waffenstillstand und Friedensschluss waren die inneren Gräben nicht etwa zugeschüttet, sondern hatten sich durch die parteipolitische Zerklüftung mit

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Wiegand – »Der deutsche Kriegerverein und die Pflege des deutschen Vaterlandsgeistes«, in: Kriegerzeitung, 1.3.1922, S. 1-5. Immanuel – »Die Gewinnung neuer Mitglieder«, in: Kriegerzeitung, 11.9.1922, S. 3f. Franz Lüdike – »Der Deutsche und sein Staat«, in: Kriegerzeitung, 8.1.1925, S. 1f.

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ihren unversöhnlichen Antagonismen und ihrer feindseligen Rhetorik gegen den politischen Gegner weiter vertieft. Zu diesen inneren Faktoren kamen der außenpolitische Druck und die wirtschaftliche Not.95 »Seufzen und stöhnen doch Millionen deutscher Brüder und Schwestern, und unter ihnen hunderttausende Kriegervereinskameraden unter dem Drucke eines Feindes, dessen Grausamkeit und Rohheit seit Jahrhunderten keine Grenzen kennt, so oft er seinem Hasse und seiner Rachsucht freien Lauf zu lassen Gelegenheit findet, und der auch geschriebenen Verträgen gegenüber in der Durchsetzung seiner Willkür keinen Halt kennt.«96 Die entscheidende Frage in diesem Kontext war: Wie konnte man auf dieser Basis an einer positiveren Gestaltung der Gegenwart arbeiten und der deutschen Gesellschaft von Neuem Hoffnung für die Zukunft geben? Und von wem sollte der Anstoß dazu ausgehen? Hier lag die Aufgabe der Kriegervereine des Kyffhäuserbundes mit ihren langen Traditionen und gewachsenen Strukturen: »Der alte Soldatengeist in seiner trutzigen Eigenart«97 war für ihn als Ausgangspunkt einer breiten geistigen Volksbewegung prädestiniert. Allerdings hatte die Botschaft, dass das Kriegervereinswesen eine tragende Rolle bei der Gestaltung von Gegenwart und Zukunft zukommen sollte, noch keine öffentliche Resonanz gefunden. Dies lag zunächst daran, dass die Kriegervereine ein Teil der deutschen Nachkriegsgesellschaft waren und mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten wie alle anderen Deutschen auch. Ihr Vorteil im Unterschied zur übrigen Bevölkerung war jedoch, dass die Mitglieder der Kriegervereine über alle notwendigen Eigenschaften wie etwa Soldatentreue und Kameradschaft verfügten, um zu einem einflussreichen und vor allem einigenden Machtfaktor im Deutschen Reich zu werden.98 Der erste Schritt und das erklärte Ziel musste sein, der deutschen Gesellschaft die Bedeutung des Kriegervereinswesens ins Bewusstsein zu rufen. Die Verbandsführung hielt ihre Vereine und deren Mitglieder daher an, ihre zuweilen vorhandene Selbstgenügsamkeit abzulegen, sich breiteren gesellschaftlichen Kreisen zu öffnen und diesen zu vermitteln, dass der Kriegerverein die Vereinsform in Deutschland sei, welche »vor allem die Einheit des Volkes zu wahren hat.«99 »Die Kriegervereine müssen Träger einer nationalen Tat sein. Diese Tat kann aber nur auf ein bestimmtes Ziel hinsteuern. Dieses Ziel muß sein, den im deutschen

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Oberst Immanuel – »Die Kriegervereine als Brücke über die inneren Spaltungen«. »50 Jahre Deutscher Kriegerbund«, in: Kriegerzeitung, 15.4.1923, S. 7f. Wiegand – »Der deutsche Kriegerverein und die Pflege des deutschen Vaterlandsgeistes«. Vgl. Heinrich Führ – »Der große Gedanke im Kriegervereinswesen«, in: Kriegerzeitung, 15.12.1922, S. 2; weiterhin Oberst Immanuel – »Die Kriegervereine als Brücke über die inneren Spaltungen«. Heinrich Führ – »Der große Gedanke im Kriegervereinswesen«.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Volke lebenden Zug nach Internationalismus zu bekämpfen. Die Kriegervereine betätigen sich heute schon nach dieser Richtung, indem sie die Pflege der Liebe und Treue zum Vaterlande, die Pflege des Deutschbewußtseins, der vaterländischen Ehre als ihre höchste und vornehmste Aufgabe in ihren Satzungen verankert haben.«100 Der Kyffhäuserbund musste sich bei allem Optimismus aber eingestehen, dass die traditionelle Kriegervereinsorganisation allein derzeit nicht genügend Strahlkraft und Attraktivität besaß, als dass von ihr ein solcher gesellschaftsverändernder Impuls ausgehen konnte. Dem Verband mangelte es nach wie vor an einer öffentlichkeitswirksamen Corporate identity. Im Kyffhäuserbund hatte sich über die Jahre hinweg ein spürbarer Unmut über den vermeintlichen öffentlichen Bedeutungsverlust des Verbandes angestaut und ein Gefühl der Nichtbeachtung breitgemacht. Dieser Eindruck wurde dadurch verstärkt, dass es etwa dem Reichsbanner SchwarzRot-Gold und dem Roten Frontkämpferbund oder der SA gelang, den öffentlichen Raum publikumswirksam zu besetzen und mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.101 Dabei war der Verband zutiefst davon überzeugt, mit seinen moralischen sowie kameradschaftlichen Wert- und Weltvorstellungen sowie seinen Aktivitäten einen wertvollen Beitrag zu leisten und dies auch für die Zukunft des Reiches zu tun. Das Problem bestand nur darin, dass niemand sein Engagement zu würdigen schien und er vom öffentlichen Diskurs über die Zukunft des Deutschen Reiches ausgeschlossen wurde. Merklich enttäuscht konstatierte er: »Es kann kein Zweifel darüber sein: Der Kyffhäuserbund hat im Gesichtswinkel der breiten Oeffentlichkeit nicht die Bedeutung, die ihm zukommt. Was weiß man in breiterer Oeffentlichkeit davon, daß der Kriegerverein von heute sich eine nationale Aufgabe gestellt hat, daß er den geistigen und moralischen Kampf aufgenommen hat für die Auferstehung des deutschen Volkes? Nichts oder wenig!«102 Die Konkurrenz anderer Veteranenorganisationen und der aufstrebenden linken und rechten politischen Gruppierungen war gegen Ende der zwanziger Jahre wieder einmal und mehr denn je spürbar geworden.103 So musste der Verband neue Strategien für seine Außendarstellung entwickeln, um nicht zwischen den politischen Ideologien aufgerieben zu werden. Darüber hinaus sollte eine solche Standortbestimmung seinen Mitgliedern verdeutlichen, für welche Grundsätze und Ideen der Kyffhäuserbund stand und wie er sich zukünftig in der Republik zu positionieren gedachte. Intern wurde es mittlerweile als dringend empfunden, dass 100 Ebd. 101 Vgl. Rohe: Reichsbanner, S. 392-461; Schuster: Frontkämpferbund, S. 139-156; Longerich: Bataillone, S. 93-164. 102 »Die Bedeutung des Kyffhäuserbundes«, in: Kyffhäuser, 13.11.1932, S. 2f. 103 Vgl. Kapitel III.

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der Kyffhäuserbund sein immer noch vergleichsweise großes organisatorisches Potential nutzte, um politischen Einfluss auszuüben. Hierbei musste ein schwieriger Kompromiss zwischen der nach wie vor propagierten politischen sowie konfessionellen Neutralität einerseits und einer größeren politischen Einflussnahme andererseits gefunden werden. Um seinen gesamtgesellschaftlichen Anspruch zu untermauern, stellte der Kyffhäuserbund ein zwölf Punkte umfassendes politisches Grundsatzprogramm auf und nutzte die Gelegenheit, sein Image als altbackener Traditionsverband abzulegen. So argumentierte er, dass er sich nach wie vor aus allen konfessionellen und parteipolitischen Streitigkeiten heraushalten wolle, seine neuen Ziele aber »unser ganzes deutsches Volk betreffen und unser deutsches Volkstum retten« sowie auf »nationalem, sittlichen und sozialem Gebiet Veredelung der Gesinnungswerte schaffen« sollten. Zwei existentielle »Todesgefahren«104 für die deutsche Gesellschaft machten, so Präsident von Horn, die Leitsätze des Kyffhäuserbundes notwendig: einerseits der Versailler Vertrag und seine Bestimmungen im Westen, andererseits die Ausbreitung der bolschewistischen Ideen im Osten. Die zwölf Leitsätze bildeten ein nationalkonservatives Gegenprogramm zu diesen Bedrohungen und umfassten: 1. die Ehrung der im Krieg gefallenen Soldaten, 2. die Erhaltung des Andenkens an die deutsche Vergangenheit, 3. die Erziehung der Jugend zu eigenverantwortlichen »charaktervollen Persönlichkeiten«,105 4. die Sicherung der Wehrbereitschaft und die Bewahrung der Kraft »zu todeswilliger Opferbereitschaft«,106 5. die Stärkung des Freiheitsgedankens, 6. das Streben nach nationaler Einigkeit, 7. der Kampf gegen die Kriegsschuldlüge und für »Ehre, Recht und Wahrheit«,107 8. die Bewahrung der soldatischen Pflicht und Treue, 9. das Wiedererstarken des »deutschen Idealismus« sowie das Eintreten für »deutsche Frömmigkeit« und die Pflege »deutschen Familientums«,108 10. die praktische Bewährung der Kameradschaft in der sozialen Fürsorge, 11. die »Durchdringung der Jugend mit unserem Kyffhäusergeist: Vaterlandsliebe, Kameradentreue, Erziehung zur Ehrhaftigkeit und Wehrhaftigkeit, zu festem kampfbereitem Mannestum«109

104 »Leitsätze«. 105 Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes – dritter Leitsatz«, in: Kyffhäuser, 17.3. 1929, 2f. 106 Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes – vierter Leitsatz«, in: Kyffhäuser, 24.3. 1929, S. 2. 107 Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes – siebter Leitsatz«, in: Kyffhäuser, 14.4. 1929, S. 3. 108 Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes – neunter Leitsatz«, in: Kyffhäuser, 28.4. 1929, S. 3f. 109 Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes – elfter Leitsatz«, in: Kyffhäuser, 12.5. 1929, S. 3.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

und schließlich 12. die Aufrechterhaltung der Verbindungen zu den Veteranen im Ausland.110 Mit seinem Leitsatzprogramm verließ der Kyffhäuserbund endgültig das Terrain eines reinen Traditionsverbandes für Veteranen und erweiterte seinen Tätigkeitsbereich um einen integrativen ganzheitlichen Ansatz, der alle wesentlichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens adressierte und nur die Tagespolitik ausklammerte. Nach wie vor wollte er sich nicht mit den (partei-)politischen Organisationen gemein machen, sondern den Nimbus einer übergreifenden Interessenvertretung mit weitgesteckten Zielen bewahren. Dies führte freilich dazu, dass seine Leitsätze lediglich verbale Allgemeinplätze reproduzierten, inhaltlich beliebig blieben und zudem eine Antwort auf die Frage der Umsetzung offenließen. Praktische und realisierbare Ansätze, wie die Krise zu lösen sei, hatte der Verband nicht. Zwar war die Erkenntnis gereift, dass es mittlerweile nicht mehr genügte, dass »wir unseren Weg als richtig erkennen«,111 sondern dieser auch konsequent und tatkräftig beschritten werden musste. Doch fehlte dem Verband hierfür eine zündende Idee. »Wir wollen Führer sein, denn Führer sind nicht nur diejenigen, die über viele herrschen, sondern jeder ist Führer, der durch seine sittliche Kraft auf andere wirkt, Führer sind die Starken, die ihren Weg unbeirrt gehen, getragen von der religiösen Kraft eines starken, leidenschaftlichen Glaubens. Unser Volk braucht solche Führer und will solche Führer und folgt solchen Persönlichkeiten, die vom Glauben durchglüht sind. Unserem Volk muß geholfen werden, seine deutsche Seele wieder zu finden, die verkörpert ist in deutscher Kultur und christlichem Idealismus und die verlorengegangen ist in Mammonismus und Materialismus.«112 Eine solche Führungsfigur war bislang noch nicht gefunden, geschweige denn war der Kyffhäuserbund in der Lage, eine solche aus seinen eigenen Reihen hervorzubringen. Dennoch blieben dieser (politische) Messianismus und der Führergedanke omnipräsent. Wenige Jahre später allerdings schloss man sich bereitwillig dem ersten Repräsentanten einer aufstrebenden Bewegung an, der die Erwartungen und Führerqualitäten aus Sicht des Verbandes und seiner Mitglieder füllte.113

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Vgl. »Leitsätze«; sowie weiterhin Groos – »Gedanken zu den Leitsätzen des Kyffhäuserbundes«. »Der Weg des Kyffhäuserbundes. Eine programmatische Rede des 1. Bundespräsidenten«, in: Kyffhäuser, 22.9.1929, S. 2f. Ebd. Thomas Mergel: Führer, Volksgemeinschaft und Maschine. Politische Erwartungsstrukturen in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus 1918-1936, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Politische Kulturgeschichte der Zwischenkriegszeit 1918-1939, Göttingen 2005, S. 91127; Michael Wildt: Volksgemeinschaft und Führererwartung in der Weimarer Republik, in: Ute Daniel u.a. (Hg.): Politische Kultur und Medienwirklichkeit in den 1920er Jahren, Mün-

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Bis zu diesem Zeitpunkt blieben alle Bemühungen des Kyffhäuserbundes oberflächliche ideologische Imagekampagnen, die sich nur schwerlich in eine soziale Bewegung überführen ließen. Zu diesen Projekten zählte die Bildung einer sogenannten Deutschen Front im Sommer 1930. Wie die Namenswahl verdeutlicht, sollte es sich um die gedachte, überparteiliche sowie überkonfessionelle Gemeinschaft aller Deutschen handeln, die gewillt waren »sich nun endlich unter Ueberwindung des Trennenden und Gegensätzlichen zusammenzufinden in gemeinsamem Wirken für unsere Zukunft.« In der Bildung eines solchen gemeinsamen Willens des deutschen Volkes lag für den Kyffhäuserbund der Schlüssel für die »Durchsetzung einer wirklichen Liquidation des Weltkrieges.«114 Wiederum war es der Verband, der mit seinen Mitgliedern jene »Schicksalsgemeinschaft und Volkskameradschaft« beispielhaft im Kleinen vorlebte. Zu den Hauptaufgaben der Deutschen Front zählten der »Kampf um Freiheit und Ehre der Nation«, der »Kampf zur Erhaltung des Wehrwillens und der Wehrfreudigkeit als höchste sittliche Pflicht eines Volkes«, der »Kampf für den großdeutschen Gedanken und für die Erhaltung des bedrängten Deutschtums in den losgerissenen Gebieten und in den neuen Versailler Staaten«,115 das Streben nach einer großdeutschen Lösung mit dem Anschluss Österreichs sowie der Kampf gegen den Bolschewismus. Erklärtes Ziel der Deutschen Front war die Herstellung einer sogenannten »Volkskameradschaft«.116 Konzeptionell griff dieser verbandseigene Neologismus die Kernelemente des Kyffhäusergeistes und der soldatischen Kameradschaft sowie die Orientierung an militärischen Ordnungsstrukturen und Hierarchien – etwa das durch die Nationalsozialisten populär gewordene Führerprinzip bzw. die Führerautorität117 – auf, und verband sie zu einem überindividuellen Gemeinschaftsmodell, das, ausgehend von den Kriegervereinen, eine gesamtgesellschaftliche Breitenwirkung entfalten sollte.118 Der Kyffhäuserbund formulierte mit dem unmissverständlich soldatischen Impetus seines Gemeinschaftsgedankens einen ganz bewussten und klaren Gegensatz zu der von den Politikern verschiedenster Parteien immer wieder öffentlich propagierten Volksgemeinschaft. Für den Verband war dieser Begriff über die Jahre hinweg zu einer leeren Worthülse und vielgehörten Phrase geworden, war zu sehr von den politischen

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chen 2010, S. 181-204; und Klaus Schreiner: Politischer Messianismus, Führergedanke und Führererwartung in der Weimarer Republik, in: Manfred Hettling u.a. (Hg.): Was ist Gesellschaftsgeschichte? Positionen, Themen, Analysen, München 1991, S. 237-247. »Aufruf zur Bildung einer deutschen Front«, in: Kyffhäuser, 18.5.1930, S. 2. Ebd. Ebd. Die Führerrhetorik war seit dem Beginn der 1930er bei den Veteranenverbänden fast aller politischen Gruppen der Weimarer Republik – von den Kommunisten bis hin zu den VölkischNationalen – en vogue. Siehe hierzu Rohe: Reichsbanner, S. 116-118. Vgl. Dr. Hoinka – »Volksgemeinschaft«, in: Kyffhäuser, 25.5.1930, S. 3f.; siehe hierzu ferner Kapitel II, 1.2.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Interessengruppen je nach situativem Nutzen instrumentalisiert und inhaltlich verwässert worden, ohne dass es nach Meinung des Verbandes im Deutschen Reich nennenswerte Fortschritte gegeben hätte.119 »Seit Jahren spricht man von der Notwendigkeit einer Volksgemeinschaft. Ja, nichts tut uns so not, wie diese Gemeinschaft! Stünden wir geschlossen da in einer Einheitsfront, das Ausland würde ganz anders aus unsere Stimme hören; und wir könnten unseren Standpunkt in einer Weise vertreten, wie es eines großen Volkes würdig ist. […] Einigung ist nur möglich auf dem Gebiete des Ideellen. Auf Ideen kann man ein Volk einen. Warum gehen hier die Parteien nicht vor?«120 Die Desillusionierung, die in diesen Worten offen mitschwingt, teilten die Veteranen verschiedener politischer wie ideologischer Lager. Nicht nur der Kyffhäuserbund, auch andere Verbände und deren Mitglieder hatten aus ihrer jeweiligen Sicht in den zurückliegenden Nachkriegsjahren schwere Enttäuschungen hinnehmen müssen. In den Reihen der Veteranen führten diese ab den späten 1920er Jahren zu einer noch stärkeren Rückbesinnung auf die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, die hierdurch umso grundlegender auf die ideologischen Diskurse über die Zukunft der deutschen Gesellschaft einwirkten. Die von soldatischen Erfahrungen geprägten Gemeinschaftsentwürfe, wie die Volkskameradschaft des Kyffhäuserbundes, gaben daher letztlich dem Wunsch vieler Veteranen nach einer auf kameradschaftlichen Prinzipien fußenden, egalitären und weitestgehend konfliktfreien Gesellschaftsordnung sowie einem nationalen Wiederaufstieg Ausdruck. Doch auch wenn die Konzepte verschiedener Gruppierungen im Punkt der diskursiven Füllung Parallelen auswiesen, herrschte bei der Frage Uneinigkeit, unter welchen Voraussetzungen ein solcher grundlegender gesellschaftlicher Wandel gelingen konnte und mit welchen Mitteln er zu erreichen war: im Einklang mit dem bestehenden politischen System oder erst durch dessen Überwindung.121 Der Kyffhäuserbund setzte in diesem Zusammenhang in erster Linie auf eine ideologische Überzeugungsarbeit und nicht auf direkte Aktionen, die auf ei-

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Vgl. Michael Wildt: Die Ungleichheit des Volkes. ›Volksgemeinschaft‹ in der politischen Kommunikation der Weimarer Republik, in: ders./Frank Bajohr (Hg.): Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2009, S. 24-40; sowie Stefan Breuer: Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1993, S. 78-86 und 180-191. 120 »Die Bedeutung des Kyffhäuserbundes«. 121 Rohe etwa stellt im Fall des sozialdemokratischen geprägten Reichsbanners heraus, dass auch die republiktreuen Veteranen nach anfänglicher Skepsis den Begriff der Volksgemeinschaft adaptierten. Auch für sie war er allerdings kein Kampfbegriff gegen das politische System, sondern Ausdruck eines integrativen Denkens, dass auf eine Versöhnung der Bevölkerung sowohl untereinander als auch mit dem Staat abzielte. Vgl. Rohe: Reichsbanner, S. 245-258. Siehe hierzu weiterhin Mergel: Führer; sowie Wildt: Volksgemeinschaft.

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nen (radikalen) politischen Umbruch abzielten; die Idee sollte für sich stehen und sprechen, nicht die unmittelbare Tat. Seine Volkskameradschaft war daher nicht als politischer Kampfbegriff, sondern als eine affirmative und integrative Formel für die Bevölkerung zu verstehen, die parallel zur Tagespolitik existieren konnte. Träger dieser geistigen Revolution sollten die Veteranen der lokalen Kriegervereine sein, welche die Idee der Volkskameradschaft in ihren Reihen bereits umsetzten.122 Der Verband wähnte sich nach wie vor in einer Sphäre über den Parteien und den verschiedenen politischen Richtungen. Allein eine solche Position konnte dazu beitragen, den latenten innenpolitischen »Kulturkampf«123 beizulegen und sich auf den wahren Kern des Problems zu konzentrieren: die Förderung einer einigenden, auf Ideen basierenden Geisteshaltung.124 Aber auch für den Kyffhäuserbund gab es bei dieser geistigen »Auferstehung«125 des deutschen Volkes eine klare Demarkationslinie: deutsch versus undeutsch, wobei für den Verband im Wesentlichen das als deutsch galt, was er selbst in seinem Leitsatzprogramm formuliert hatte und was er in seiner Selbstwahrnehmung bereits aktiv mit seinem Kriegervereinswesen praktizierte. »Rotten wir alles Undeutsche, das mit der Revolution über uns gekommen ist, restlos aus, dann stehen uns zur Seite alle diejenigen, die wirklich deutsch sind, die nur leben können und leben wollen, um deutsch zu sein und deutsch zu bleiben!«126 Weiterführende Ideen und Visionen für eine gemeinsame Zukunft der deutschen Gesellschaft wurden in der angenommenen Notsituation als umso dringender erachtet. Allein das politische Berlin hatte die als latent empfundene Krise, in der man das Deutsche Reich seit 1918 wähnte, durch die bisherigen Maßnahmen nicht lösen können. Im Gegenteil schienen die Parteikämpfe und immer schnelleren Regierungswechsel sowie Präsidialkabinette den Eindruck einer sich immer weiter verschärfenden Krise nur noch zu bestärken. Vor diesem Hintergrund musste die Arbeit des Kyffhäuserbundes umso bedeutsamer erscheinen, da diese einer tiefen

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Erich Lattmann – »Von Fronterlebnis und Volksgemeinschaft«, in: Kyffhäuser, 29.1.1928, S. 5f. 123 »Die Bedeutung des Kyffhäuserbundes«. 124 Zur zeitgenössischen methodisch-theoretischen Bedeutung von Ideen siehe Daniel Timothy Goering: Einleitung. Ideen- und Geistesgeschichte in Deutschland – eine Standortbestimmung, in: ders. (Hg.): Ideengeschichte heute. Traditionen und Perspektiven, Bielefeld 2017, S. 7-53; sowie Moritz Föllmer/Andreas Meissner: Ideen als Weichensteller? Polyvalenz, Aneignung und Homogenitätsstreben im deutschen Nationalismus 1890-1933, in: Lutz Raphael/Heinz-Elmar Tenorth (Hg.): Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, München 2006, S. 313-336. 125 »Die Bedeutung des Kyffhäuserbundes«. 126 Ebd.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Sorge um das Wohl des deutschen Volkes entsprang. Für den Verband stand zweifelsfrei fest, dass die aktuellen politischen wie sozialen Spannungen ausschließlich den Folgen des Weltkrieges geschuldet waren. Er nahm die Überbrückung dieser Gegensätze daher als die historisch größte Herausforderung seiner Organisation an und fasste sie ferner als Prüfung der kameradschaftlichen Geschlossenheit seiner Veteranen auf.127 Am 5. Juni 1931 hielt Rudolf von Horn in Königsberg anlässlich des dort stattfindenden Reichskriegertages eine bemerkenswerte Grundsatzrede, in welcher er die aktuellen Initiativen vorstellte, den Kyffhäuserbund in Vergangenheit, Gegenwart und vor allem in der Zukunft verortete sowie die Rolle und Wirkung des Verbandes auf allen drei Zeitebenen bestimmte. Von Horn konstatierte, dass sich die Aufgaben des Kriegervereinswesens über die Jahre und Jahrzehnte von Grund auf gewandelt hätten: »Die Zeiten sind vorüber, in denen es nur galt, den bewährten alten Soldatengeist zu erhalten und treue Soldatenkameradschaft durch die Tat zu pflegen. Heute gilt es, entscheidend am Wiederaufbau unseres Vaterlandes mitzuarbeiten und die Kameradschaft auszudehnen auf das ganze Volk. Ehrung unserer grossen [sic!] Vergangenheit, verständnisvolle Mitarbeit in der Notzeit der Gegenwart. Vertrauen in die Zukunft sind die Leit- und Glaubenssätze unserer vaterländischen Tätigkeit geworden.«128 Grundlage einer solchen vaterländischen Tätigkeit sollte nach wie vor die Besinnung auf eine vermeintlich große Vergangenheit sein. Die Erinnerung an die sogenannten Einigungskriege, an das kaiserliche Deutschland, die Treue gegenüber seinen ehemaligen adeligen Machteliten sowie das Andenken an die großen Männer der deutschen Geschichte und ihre Taten vor 1918 standen dabei zweifelsfrei im Mittelpunkt. Aus dieser Erinnerung leitete sich die Pflicht ab, das Andenken an die gefallenen Soldaten zu wahren, sowie die Pflicht der älteren Verbandsmitglieder, das eigene Traditionsbewusstsein der Kriegervereine und den »Geist des Heldentums«129 vergangener Tage an die jüngere Soldatengeneration weiterzugeben. Als umso betrüblicher schätze von Horn die gegenwärtigen Verhältnisse im Deutschen Reich ein: Die innen- und außenpolitisch schweren Zeiten, die wirtschaftliche Verelendung breiter Bevölkerungsschichten sowie die Antagonismen innerhalb der deutschen Gesellschaft gaben ihm ernsten Anlass zur Sorge:

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Vgl. Martin Winkel – »Kyffhäusergeist und Gegenwart«, in: Kyffhäuser, 27.12.1931, S. 2f. BArch Berlin, NS 26/927, Hauptarchiv NSDAP, Kyffhäuserbund – Bolschewismus und Kommunismus und deren Bekämpfung, Bl. 26f.: Ansprache von Horns beim Reichskriegertag in Königsberg am 5. Juni 1931. Ebd., Bl. 26.

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»Man hat einmal gesagt: ›Wir mussten den Krieg vielleicht verlieren, um die Nation zu gewinnen.‹ Kameraden, darum geht es heute: Um Rettung und Gewinn unserer deutschen Nation. Deshalb müssen Führer und Geführte kraftvoll und rücksichtslos den deutschen Willen in den Mittelpunkt allen staatlichen Geschehens stellen.«130 Das Gelingen dieser postulierten Rettungsaktion erklärte von Horn kurzerhand zur nationalen Schicksalsfrage und zum obersten Punkt auf der Agenda des Kyffhäuserbundes. Als wichtiger geistiger Grundpfeiler, um das Zusammengehörigkeitsgefühl der Bevölkerung abseits der Tagespolitik und der Parteienlandschaft zu stärken, war bereits die Deutsche Front gegründet worden. Sie sollte dabei helfen, die verschiedenen Lösungsansätze des Verbandes für die diagnostizierten Kernprobleme der deutschen Gesellschaft ideologisch zu koordinieren. Auch daran, wer Träger dieses Erneuerungsgedankens sein sollte, ließ von Horn keinerlei Zweifel: »Wer anders ist berufener, Vorkämpfer in diesem Ringen zu sein als der alte Soldat und Kriegsteilnehmer, der in jahrelanger Todesgefahr und Todesbereitschaft die Erkenntnis gewonnen hat, dass es noch etwas Gewaltigeres gibt als das Schicksal: den Menschen, der es nicht nur trägt, sondern überwindet und gestaltet. Wir wollen uns bekennen zu der Einsicht, dass jeder Einzelne von uns Teil dieser Nation ist und bleiben muss und Wir wollen uns bekennen zum unerschütterlichen Glauben an die deutsche Zukunft und an die deutsche Sendung.«131 Mit der programmatischen Neuausrichtung des Kyffhäuserbundes und seiner Aufgabenfelder durch die neuen Leitsätze sowie die Bildung der Deutschen Front veränderte sich auch seine Selbstdarstellung. Die Mission des Verbandes umfasste vom Anspruch her nun nichts Geringeres als alle gesellschaftlichen Bereiche. Der Hauptprotagonist dieses Wandels sollten die Mitglieder des Verbandes sein: Ihre Kriegserfahrungen führen dazu, dass dem Veteranen nach 1918 auch besondere soziale Qualifikationen zugeschrieben wurden. Die soldatische Kameradschaft der Kyffhäuser-Veteranen und ihr Kyffhäusergeist erlebten zudem als umgewidmete und ideologisch aufgefrischte Volkskameradschaft eine an die Bedürfnisse der Zeit angepasstes Neuauflage im großen Maßstab. Der Kyffhäuserbund stellte durch diese Maßnahmen seine ideologischen Weichen neu und war fest überzeugt, damit dem allgemeinen Trend für ein verstärktes politisches Engagement vieler Teile der deutschen Gesellschaft zu folgen. Zugleich relativierte er in Teilen sein öffentliches Image als Bewahrer von Tradition und Vergangenheit und reklamierte für sich eine stärkere geistige Führerschaft in Fragen der Zukunft. In einer sich zusehends polarisierenden sowie politisierenden Öffentlichkeit, in welcher die

130 Ebd., Bl. 28f. 131 Ebd., Bl. 31: Ansprache von Horns beim Reichskriegertag in Königsberg am 5. Juni 1931.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

politische Mitte allmählich zwischen linken und rechten Kräften aufgerieben wurde, war ein solches klares Bekenntnis allerdings früher oder später unausweichlich geworden. Also schwenkte der Kyffhäuserbund letztlich unter äußerem Druck und dem Deckmantel einer übergesellschaftlichen Kameradschaft sowie einer einigenden Ideologie auf den Kurs einer klaren, politisch geprägten nationalkonservativen Agitation ein. Wenngleich sich die Initiativen des Kyffhäuserbundes nicht unmittelbar gegen den Weimarer Staat richteten, geben sie doch zumindest Aufschluss darüber, wie sehr das Vertrauen des Verbandes und seiner Mitglieder in die Handlungsfähigkeit der politischen Entscheidungsträger und ihre Problemlösungskompetenz in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren geschwunden war. Mit seinen Ideen für eine breit angelegte Bewegung innerhalb der deutschen Gesellschaft zur Überwindung der gegenwärtigen Krisen stand der Kyffhäuserbund indes nicht allein. So nahm er auf der einen Seite Teile der ideologischen Stoßrichtung anderer wirkmächtiger antirepublikanischer Bewegungen vorweg,132 die ihrerseits versuchten, die Demokratie entweder mit demokratischen Mitteln zu untergraben oder mit unverhohlener Gewalt zu bekämpfen. Auf der anderen Seite kamen die Bemühungen des Verbandes zu spät, wenn es darum ging, junge Mitglieder für seine Zwecke zu werben und diese dauerhaft an sich zu binden; jüngere Konkurrenzorganisationen wie etwa die SA liefen ihm sukzessive den Rang ab. Der wirkliche Kampf um die Zukunft des Deutschen Reiches hatte ohnehin das Stadium der ideologischen Entwicklung längst hinter sich gelassen und wurde spätestens mit dem Einsetzen der Weltwirtschaftskrise ab 1929 ganz praktisch auf der politischen Bühne des Reichstages und in den Straßen der Reichshauptstadt ausgetragen.133 Der Kyffhäuserbund war im Gefüge der Parteien und Verbände der Weimarer Republik mit ihren klaren und widerstreitenden politischen Botschaften, ihren Zukunftsvorstellungen und vor allem ihrer Bereitschaft, diese auch in konkrete Handlungen umzusetzen, am Ende der 1920er mehr denn je ein Relikt aus den alten Zeiten, ein Überbleibsel des kaiserlichen Deutschland und so zu einem organisatorischen Auslaufmodell geworden.

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Vgl. Larry Eugene Jones: Nationalists, Nazis, and the Assault against Weimar: Revisiting the Harzburg Rally of October 1931, in: German Studies Review 29 (2006), S. 483-494; sowie Volker Berghahn: Die Harzburger Front und die Kandidatur Hindenburgs für die Reichspräsidentenwahlen 1932, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 64-82. Vgl. Sven Reichardt: Die SA im ›Nachkriegs-Krieg‹, in: Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S. 243-259; sowie ders.: Totalitäre Gewaltpolitik? Überlegungen zum Verhältnis von nationalsozialistischer und kommunistischer Gewalt in der Weimarer Republik, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Ordnungen in der Krise. Zur politischen Kulturgeschichte Deutschlands 1900-1933, München 2007, S. 377-402; weiterhin Conan Fischer: The German Communists and the Rise of Nazism, London 1991, S. 138-161; sowie Schumann: Politische Gewalt, S. 271-333; und Ziemann: Veteranen, S. 269.

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3.

Im Gleichschritt in eine neue Zeit

3.1

Der Kyffhäuserbund und die nationalsozialistische Machtübernahme: politischer Umbruch und gesellschaftlicher Aufbruch »In rasendem Tempo geht die Zeit vorwärts. Mit einer Aktivität, wie sie noch niemals von der Führung des deutschen Volkes ausging, schlägt die Regierung der nationalen Erhebung Sieg auf Sieg. Die Arbeit kann beginnen – und die Arbeit hat begonnen. Jetzt erst, wenn wir den Blick zurückwerfen, sehen wir, durch welches Chaos, durch welche Schlammflut wir hindurchmußten, wie tief wir in den Morast gesunken waren, […]. Wir leben in einer Zeitenwende, die in ihrer Bedeutung heute gar nicht umfassend erkannt werden kann, weil wir noch in ihr stehen, weil noch immer die Revolution um uns ist. Vielleicht wird man später einmal sagen, daß der Weltkrieg nicht 1918, sondern 1933 endete…«134

Für den Kyffhäuserbund ging von der nationalsozialistischen Bewegung eine unglaubliche Dynamik und Kraft aus, die vom Anbruch einer neuen Zeitrechnung kündete. Adolf Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 durch Reichspräsident Hindenburg war für den Verband umso bedeutender, erfüllte sie doch seine Erwartung an eine starke Führerpersönlichkeit für die deutsche Gesellschaft.135 Die mythische Überhöhung Hitlers weckte im Verband die Erinnerung an den preußisch dominierten Obrigkeitsstaat mit dem deutschen Kaiser als dessen Souverän und die herausragende Stellung des Kaiserreichs vor dem Weltkrieg. Zwischen diesen beiden Führern der deutschen Gesellschaft lag für den Kyffhäuserbund das buchstäbliche »Chaos«, eine »Schlammflut« und ein »Morast«136 aus gesellschaftlicher Uneinigkeit und politischen Antagonismen, welche die Kriegszeit in die Friedensjahre hinein verlängert hatten. Der Kyffhäuserbund feierte den »Frontsoldatenkanzler«137 Hitler als Träger soldatischer Kriegserfahrungen, als Überwinder einer als krisenhaft empfundenen Gegenwart und als Gestalter einer positiven Zukunft.138 Gleichzeitig zog der Verband einen scharfen Schlussstrich unter die als unzulänglich angesehene jüngere Vergangenheit: »Um diese Schöpfertat Hitlers 134 135

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Otto Riebicke – »Zum nationalen und wehrhaften Staat! Der Sieg von Potsdam«, in: Kyffhäuser, 2.4.1933, S. 2f. Vgl. Ian Kershaw: Der Hitler-Mythos. Führerkult und Volksmeinung, Stuttgart 1999, S. 27-65. Zum Erfahrungswandel und Dilemma hinsichtlich der Kandidatur Hitlers und den sich hieraus ergebenden, verbandsinternen Antagonismen nur ein Jahr zuvor im Rahmen der Reichspräsidentenwahl siehe Kapitel III, 1.2. Otto Riebicke – »Zum nationalen und wehrhaften Staat! Der Sieg von Potsdam«. Vgl. »Der große Soldatenbund. Eingliederung der Reichsvereinigung ehem. Kriegsgefangener in den Kyffhäuserbund«, in: Kyffhäuser, 30.7.1933, S. 2. »Mit neuer Tatkraft bereit. Erste Landesführerversammlung des Kyffhäuserbundes«, in: Kyffhäuser, 17.9.1933, S. 2f.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

in ihrer ganzen Größe zu würdigen, muß man sich klar sein über den seelischen Zustand des deutschen Volkes, den die antinationale Verbrecher-Revolution von 1918 hervorgerufen hatte.« Die schlechte psychische wie physische Verfassung der deutschen Gesellschaft vor 1933 galt dem Kyffhäuserbund als Spiegelbild der bis zu diesem Zeitpunkt währenden Nachkriegszeit, als symptomatisch dafür, dass das Deutsche Reich und seine unfähigen politischen Entscheidungsträger keine nennenswerten Fortschritte erzielt hätten. Im Kontext dieser Krise der Gegenwart verband sich mit der NS-Bewegung und ihren Versprechen die Hoffnung auf eine positive Gestaltung der Zukunft.139 Die Kanzlerschaft Hitlers erschien als »ein Wunder der Vorsehung«, und es war schon unmittelbar nach seiner Ernennung das »unsterbliche Verdienst« des neuen Reichskanzlers, die »deutsche Volksseele […] von dem Abgrund der Auflösung zurückgerissen zu haben.«140 Wegen dieser Einschätzung Hitlers als Messias suchte die Verbandsspitze unverzüglich die Nähe zum nationalsozialistischen Regime, machte sich mit dessen Zielen gemein und stellte die organisatorische Stärke des Verbandes in seinen Dienst. Noch am Vorabend der Reichstagswahl von 1933 sandte Präsident von Horn ein Schreiben an Hitler, in welchem er die besten Wünsche des Vorstandes des Kyffhäuserbundes übermittelte. Von Horn hob das Engagement seines Verbandes auf den verschiedensten »vaterländischen und sozialen Gebieten« hervor, welches der »nationalen Erhebung« wertvolle Vorarbeit geleistet hätte – beispielsweise durch die Gründung der Deutschen Front. Umso bedauerlicher war es für ihn, dass das »wenig geräuschvolle jahrelange Wirken der grössten Soldatenorganisation der Welt mit annähernd 3 Millionen Mitgliedern in den letzten Wochen und Monaten kaum Beachtung gefunden hat, und die Organisation bisher weder personell noch materiell zur Mithilfe herangezogen wurde.« Der Präsident des Kyffhäuserbundes erklärte, er würde es ausdrücklich begrüßen, wenn seine Organisation »neben den anderen vaterländischen Verbänden bei der Aufbauarbeit der neuen Regierung genügende Berücksichtigung fände.«141 Nach dem Erfolg der NSDAP bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 – die nicht zuletzt durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat ermöglicht wurden – beglückwünschte von Horn Hitler zu diesem Ergebnis und nutze die Gelegenheit, beim Reichskanzler für gesetzliche Änderungen zu Gunsten seiner Verbandsmitglieder zu werben. Es sei leider immer noch der Fall, dass »hunderttausende aller Soldaten, die im Weltkrieg unter Einsetzung von Leben und 139

Vgl. Wolfgang Hardtwig: Die Krise des Geschichtsbewußtseins in Kaiserreich und Weimarer Republik und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in: Lothar Gall (Hg.): Jahrbuch des Historischen Kollegs (2001), München 2002, S. 47-75. 140 Georg Hartmann-Rathstock – »Die Tat Adolf Hitlers. Bekenntnis eines alten Konservativen«, in: Kyffhäuser, 4.6.1933, 3f. 141 BArch Berlin, R 43-II/824, Reichskanzlei – Militär=Vereine, Bl. 3f.: Schreiben von Horns an den Reichskanzler vom 4. März 1933.

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Gesundheit ihre vaterländische Pflicht erfüllten, arbeitslos sind, zum Teil seit Jahren.«142 Der Präsident des Kyffhäuserbundes regte an, Betriebe per Gesetz zu verpflichtet, ehemalige Frontsoldaten und kriegsversehrte Veteranen bevorzugt einzustellen.143 Am 14. März antwortete der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers für Hitler, dass dem Reichskanzler die Wünsche des Kyffhäuserbundes selbstverständlich sehr am Herzen lägen. »Die seit langen Jahren geleistete vaterländische Arbeit des Kyffhäuser-Bundes weiß der Herr Reichskanzler sehr wohl zu würdigen. Dem Wunsch des Bundes, neben den anderen vaterländischen Verbänden bei der Aufbauarbeit der neuen Regierung Berücksichtigung zu finden, will der Herr Reichskanzler gern Rechnung tragen.«144 Zu diesem Zweck seien bereits Reichsinnenminister Wilhelm Frick, Reichsarbeitsminister Franz Seldte sowie Reichswehrminister Werner von Bloomberg kontaktiert worden. Von Horn versuchte auch weiterhin, die genaue Position und Rolle des Kyffhäuserbundes im neuen nationalsozialistischen Deutschland auszuloten, indem er gezielt eine Mitarbeit der Veteranen etwa beim Reichsarbeitsdienst oder bei der Hilfspolizei in Preußen zur Sprache brachte. In diesem Zusammenhang kritisierte er insbesondere die Einstellungspraxis der preußischen Hilfspolizei, die bislang lediglich Angehörige von SA, SS und Stahlhelm aufgenommen habe.145 Um diese und andere Angelegenheiten zu erörtern, vermittelte Lammers von Horn einen Termin zur persönlichen Vorsprache bei Hitler; bei dieser Gelegenheit wäre auch der preußische Innenminister Hermann Göring zugegen, dem er seine weiteren Anliegen vortragen könne.146 In den folgenden Wochen passte sich der Kyffhäuserbund immer weiter an das NS-Regime und die neuen Gegebenheiten der Zeit an. Anlässlich eines Empfangs für Vertreter der Presse in seiner Verbandszentrale in Berlin Ende April 1933 gab von Horn eine öffentliche Erklärung ab, in der er das bisherige Engagement und die ideellen Ziele des Verbandes hervorhob und einen Ausblick auf dessen zukünftige Entwicklung in einem nationalsozialistisch geprägten Deutschland gab. Er verwies zuerst auf die schwierige Arbeit des Verbandes in der Nachkriegszeit, die durch den zersplitterten Weimarer Parteienstaat weiter erschwert worden sei. Dennoch wäre der Kyffhäuserbund jederzeit unbeirrt seinen Weg gegangen und 142 Ebd., Bl. 7: Schreiben des Kyffhäuserbundes an die Deutsche Reichsregierung z.Hd. des Herrn Reichskanzlers Hitler vom 11. März 1933. 143 Vgl. ebd. 144 Ebd., Bl. 6: Antwortschreiben des Staatssekretärs in der Reichskanzlei an den Vorstand des Deutschen Reichskriegerbundes »Kyffhäuser« vom 14. März 1933. 145 Vgl. ebd, Bl. 10: Antwortschreiben des Präsidenten des Kyffhäuserbundes an Staatssekretär Lammers vom 18. März 1933. 146 Vgl. ebd., Bl. 11: Lammers an den Präsidenten des Kyffhäuserbundes vom 1. April 1933.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

hätte sich seinen selbstgesetzten großen Aufgaben stets mit Nachdruck gestellt. Unter den geänderten politischen Rahmenbedingungen sah von Horn die Aufgabe des Kyffhäuserbundes künftig darin, »die nationale Einigung, die in der Regierung zur Tatsache geworden ist, nun auch im Volk zur Wirklichkeit werden zu lassen. Keine Organisation ist so gut geeignet dafür wie unser Kyffhäuserbund. Wir brauchen nicht umzulernen, Grundlage, Wege und Ziele müssen dieselben bleiben, wir müssen nur leidenschaftlicher an die Arbeit gehen und die Organisation durch entsprechende Satzungsänderungen mehr auf diesen Kampf einstellen!«147 Dass eine Annäherung des Kyffhäuserbundes an die NS-Bewegung relativ spannungsfrei verlaufen könnte und dass die jeweiligen Veteranenbilder in vielen Punkten kongruent waren, hatte sich bereits bei mehreren Gelegenheiten am Ende der 1920er Jahre angedeutet. Der Verband teilte in vielerlei Hinsicht die Sichtweise der Nationalsozialisten auf die Vergangenheit der Weltkriegsjahre, beispielsweise bei der Denkmalskultur, die ein heroisches Veteranenbild ohne Makel präsentierte, der anklagenden sowie die eigene Schuld negierenden Narrative, oder wenn es um die literarische wie filmische Darstellung des Weltkriegssoldaten ging. Anknüpfungspunkte ergaben sich weiterhin bei der militärischen Erziehung und Indoktrinierung der Jugend oder bei den ideologischen Überlegungen zu einer Neugestaltung der deutschen Gesellschaft, wenngleich der Kyffhäuserbund die hieraus erwachsenden Konsequenzen anders interpretierte. Mit den Nationalsozialisten übernahm nun jene politische Kraft im Weimarer Parteienspektrum die Regierungsverantwortung, die für den Kyffhäuserbund die bei weitem größte Schnittmenge mit seinen eigenen Anschauungen, Vorstellungen sowie Zielen bot, und die für ihn die beste politische Verkörperung seines Veteranenbildes versprach. So war es nur konsequent, dass das Präsidium den Kyffhäuserbund am 7. Mai 1933 in allen Belangen der nationalsozialistischen Bewegung unterstellte und mit der Parteiführung der NSDAP über die Neugestaltung des Verbandes im neuen NS-Staat verhandelte.148 Diese Verhandlungen zogen Ende Mai eine Satzungsänderung nach sich, durch die sich der Kyffhäuserbund zur »Pflege der deutschen Volksgemeinschaft und Erziehung in nationalsozialistischem Geiste«149 verpflichtete und die Gleichschaltung des Bundes bekanntgab. Es folgte eine weitreichende Umstrukturierung des Verbandes, die zum Herbst 1933 weitestgehend abgeschlossen war. Zu den einschneidendsten Veränderungen zählten die Übernahme 147

»Kyffhäuserbund in vorderster Linie des Freiheitskampfes! Bedeutsame Erklärung des Bundespräsidenten vor der Presse«, in: Kyffhäuser, 30.4.1933, 2. 148 Vgl. BArch Berlin, R 43-II/824, Reichskanzlei – Militär=Vereine, Bl. 49: Staatssekretär Lammers an von Horn vom 13. Mai 1933; ferner Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft, Kultur: Nachtragsband I, Januar bis Mai 1933, Berlin 1933, S. 359f. 149 Wilhelm Reinhard: Der NS-Reichskriegerbund, Berlin 1939, S. 15.

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des Führerprinzips und die Berufung von Vorstandsmitgliedern durch die Parteiführung, die Besetzung der Führungsgremien mindestens zur Hälfte mit Mitgliedern der NSDAP und der Vorsitze der Landesverbände nach nationalsozialistischen Maßgaben sowie die Schmückung der Fahnen der Kriegervereine mit dem Hakenkreuz und nicht zuletzt eine einheitliche Uniformierung der Mitglieder.150 Weiterhin wurde zwischen der Kyffhäuser-Jugend und der Hitlerjugend eine Kooperationsvereinbarung getroffen, die es dieser erlaubte, die Kleinkaliberschießstände und das Ausbildungsgerät der Kyffhäuser-Jugend zu nutzen.151 Auf diese Weise hatte sich der Kyffhäuserbund de facto in eine NS-Parteiorganisation verwandelt und war auch durch sein Erscheinungsbild nicht mehr von einer solchen zu unterscheiden (vgl. Abb. 25).

Abbildung 25: Deutsche Weihestunde 1935, letzte Reichsgründungsfeier des Kyffhäuserbundes.

Die vollständige, formelle Angliederung an die nationalsozialistische Parteiorganisation erfolgte dann mit der Ablösung Rudolf von Horns, der im Umfeld der

150 Vgl. BArch Berlin, R 43-II/824, Reichskanzlei – Militär=Vereine, Bl. 59-61: Führeranordnung vom 21. Mai 1933; und ebd., Bl. 62f.: Telegramm von Horns an Hitler vom 22. Mai 1933; sowie Das Archiv. Nachschlagewerk für Politik, Wirtschaft, Kultur: Nachtragsband II, Juni bis Oktober 1933, Berlin 1993, S. 744; weiterhin»Aus der Reserve heraus! Bekenntnis des Kyffhäuserbundes zur Führerautorität«, in: Kyffhäuser, 14.5.1933, S. 2; und »Ins neue Deutschland! – Die Neugestaltung des Kyffhäuserbundes«, in: Kyffhäuser, 28.5.1933, S. 2f. 151 Vgl. Wilhelm Reinhard: Der NS-Reichskriegerbund, in: Paul Meier-Benneckenstein (Hg.): Das Dritte Reich im Aufbau. Übersichten und Leistungsberichte, Band 3: Wehrhaftes Volk. Der organisatorische Aufbau, Berlin 1939, S. 129-170, hier S. 143-145.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

Reichspräsidentenwahl von 1932152 unglücklich und letztlich gegen die NSDAP unter Hitler agiert hatte, durch SS-Gruppenführer Wilhelm Reinhard153 am 27. Januar 1934. Zuvor war der Kyffhäuserbund mit seinen Mitgliedern bereits am 6. November 1933 formal in die SA-Reserve II (Männer ab dem 45. Lebensjahr) eingegliedert worden, die bereits Reinhards Oberbefehl unterstellt war.154 Trotz aller dieser Maßnahmen und im Gegensatz zu anderen Verbänden gelang es aber dem Kyffhäuserbund, seine organisatorische Eigenständigkeit zu bewahren.155 Insofern unterschied sich seine Eingliederung in den NS-Staat trotz mancher Parallelen deutlich von dem des Stahlhelms, der sukzessive personell ausblutete und so eine Auflösung auf Raten erlebte. Ende März 1934 wurden seine organisatorischen Reste in den Nationalsozialistischen Deutschen Frontkämpferbund überführt, der bereits am 7. November 1935 wieder aufgelöst wurde.156 Außer der formellen Neugestaltung seiner Verbandsstrukturen und einer optischen Anpassung an das Regime gab der Kyffhäuserbund zuletzt auch seine vielgerühmte politische wie konfessionelle Neutralität auf.157 Er adaptierte in- und exkludierende Kernelemente der Weltanschauung und Propaganda der NSDAP, wie etwa den radikalen Antisemitismus158 152 153

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Vgl. Kapitel III, 1.2.2. Wilhelm Reinhard wurde 1869 in Lutau geboren. Nach dem Kadettenkorps durchlief auch er die Offiziersausbildung und diente während des Ersten Weltkrieges an zahlreichen Kriegsschauplätzen sowohl an der West- als später auch an der Ostfront – Pour le Mérite 1917 (mit Eichenlaub 1918). Nach dem Waffenstillstand spielte er als Führer der nach ihm benannten Freikorps-Brigade eine maßgebliche Rolle bei der Niederschlagung des Spartakusaufstandes in Berlin. 1919 zur Disposition gestellt, seit 1933 Führer der SA-Reserve II, ab 1934 Bundesführer des Deutschen Reichskriegerbundes Kyffhäuser, seit 1936 MdR ab 1938 Reichsführer des NS-Reichskriegerbundes (gest. 1955 in Dortmund). Vgl. Degener: Wer ist’s?, 1935, S. 1280; sowie Kyffhäuserbund: Nachschlagewerk, S. 21; und Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt a.M. 2005, S. 488. Vgl. Hans Volz: Daten der Geschichte der NSDAP, Leipzig 10 1939, S. 101; sowie Rudolf Absolon: Die Wehrmacht im Dritten Reich. Band 1: 30. Januar 1933 bis 2. August 1934, Boppard am Rhein 1969, S. 90-92. Vgl. Hans Buchheim: Kyffhäuserbund und SA, in: Institut für Zeitgeschichte (Hg.): Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, München 1958, S. 377-380. Vgl. Berghahn: Stahlhelm, S. 263-274; Volz: Daten, S. 100f.; und Hans Buchheim: Die Eingliederung des ›Stahlhelm‹ in die SA, in: Institut für Zeitgeschichte (Hg.): Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte, München 1958, S. 370-377. Zur ambivalenten Bedeutung der Frontgemeinschaft im Stahlhelm und das Verhältnis zum Nationalsozialismus siehe Anke Hoffstadt: Frontgemeinschaft? Der »Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten« und der Nationalsozialismus, in: Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S. 191-206. Vgl. Kapitel I. Vgl. Ian Kershaw: Adolf Hitler und die Realisierung der nationalsozialistischen Rassenutopie, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.): Utopie und politische Herrschaft im Europa der Zwischenkriegszeit, München 2003, S. 133-144; sowie Dirk Walter: Antisemitische Kriminalität und Gewalt. Judenfeindschaft in der Weimarer Republik, Bonn 1999, S. 222-256; und Armin Nolzen: ›Totaler Antisemitismus‹. Die Gewalt der NSDAP gegen die Juden, 1933-1938/39, in: Det-

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und die nationalsozialistisch aufgeladene Variante der Volksgemeinschaft,159 und übertrug diese auf den Veteranen. Noch vor 1933 war der Verband nicht müde geworden zu betonen, dass in seinen Reihen Veteranen aller Konfessionen – auch Veteranen jüdischen Glaubens – Aufnahme finden würden, das jeder Mann im Kyffhäuserbund willkommen sei, »sofern er es nur ehrlich meint und aus nationalem Geiste handelt.«160 Weiterhin hatte er klar und deutlich bekundet: »Wir verurteilen insbesondere jenen Antisemitismus, der in jedem Juden einen Feind unseres deutschen Volkes sieht [und] wir denken nicht daran, zu glauben, daß ein Jude nicht nationaldeutsch sein könne, wir rücken ab von jenem verallgemeinernden Antisemitismus.«161 Diese Einstellung änderte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten grundlegend.162 Nun urteilte der Kyffhäuserbund im Einklang mit der nationalsozialistisch-antisemitischen Propaganda, dass die Juden »Verbrecher am deutschen Volke« seien, für die »Landesverrat Ehrensache«163 war. Die Berichte über Angriffe und Verbrechen gegen Juden tat der Verband als eine angeblich von Kommunisten und mit diesen assoziierte Zionisten inszenierte »Kriegspropaganda gegen das nationalrevolutionierende Deutschland« ab, »wo nicht einem einzigen Juden ein Haar gekrümmt wurde.«164 Eine solche Berichterstattung sei bis 1933 noch ungehindert möglich gewesen und von den politischen Verantwortlichen einfach hingenommen worden; diese Passivität gehöre nach dem vollzogenen Regierungswechsel der Vergangenheit an.165 »Solche Gastfreundschaft unwürdigen Juden gegenüber hat ja nun gottseidank restlos aufgehört. Wenn aber das internationale Judentum weiter in dieser unge-

lef Schmiechen-Ackermann (Hg.): ›Volksgemeinschaft‹. Mythos, wirkmächtige soziale Verheißung oder soziale Realität im ›Dritten Reich‹? Propaganda und Selbstmobilisierung im NS-Staat, Paderborn 2011, S. 179-198. 159 Vgl. Zur Etymologie, dem historischen Wandel und der Verwendung, der ideologischen Aufladung durch die Nationalsozialisten und der anhaltenden kontroversen Diskussion des Begriffes in der Historiographie siehe exemplarisch Ian Kershaw: Volksgemeinschaft. Potenzial und Grenzen eines neuen Forschungskonzepts, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), S. 1-18; den Sammelband von Schmiechen-Ackermann: (Hg.): Volksgemeinschaft; und Michael Wildt: ›Volksgemeinschaft‹, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 03.06.2014. 160 »Kyffhäuserbund und Antisemitismus«. 161 Ebd. 162 Siehe zur diskursiven Verschiebung des Begriffes in den 1920er Jahren Lisa Konietzni/Christian Kreuz: Antisemitismus in der Weimarer Republik, in: Isabella Engelhardt/Thorsten Eitz (Hg.): Diskursgeschichte der Weimarer Republik. Band 2, Hildesheim 2015, S. 28-113, hier S. 90-112. 163 »Der Judenkrieg gegen Deutschland«, in: Kyffhäuser, 2.4.1933, S. 3. 164 Ebd. 165 Vgl. ebd.

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heuerlichen Weise gegen Deutschland hetzen sollte, obwohl inzwischen längst überall die Lügen enthüllt sind, dann werden wir nach der unzweideutigen Erklärung der Regierung eine Abwehrreaktion in die Wege leiten, über deren Folgen sich die Juden in Deutschland bei ihren ausländischen Glaubensgenossen bedanken können. Das Deutschland der nationalen Erhebung wird nie und nimmer vor der internationalen Judenschaft zu Kreuze kriechen.«166 Das Motiv der positiven Überwindung der Vergangenheit und Neugestaltung der Zukunft kam auch bei den gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen zum Tragen. Insbesondere der radikalnationalistischen Interpretation der Volksgemeinschaft gegenüber zeigte sich der Kyffhäuserbund jetzt aufgeschlossen.167 Diese war für ihn ein Sehnsuchtsort und zugleich ein Heilsversprechen, das eine in- und exklusive Gemeinschaft ohne Standes- und Klassenunterschiede in Aussicht stellte.168 Ferner war diese Auffassung von Gemeinschaft im Wesentlichen deckungsgleich mit der kameradschaftlich-egalitären Stoßrichtung seines Kyffhäusergeistes und seiner propagierten Volkskameradschaft:169 »Kyffhäusergeist und wahre Volksgemeinschaft sind zwei eng zusammenhängende Begriffe.«170 Der Kyffhäuserbund betonte daher, dass er den Begriff intern schon seit Langem zur Beschreibung seiner eigenen Veteranengemeinschaft verwendet und unermüdlich an einer planmäßigen Verbreitung dieses Konzeptes zur »unlösbaren Schicksalsverbundenheit aller Deutschen«171 gearbeitet habe. Kerntugenden der Volksgemeinschaft seien für ihn die soldatische Gefolgschaft, die kameradschaftliche Geschlossenheit sowie die unverrückbare Gesinnungstreue. Die Arbeit des Kyffhäuserbundes und sein Einsatz für die Verwirklichung der Volkskameradschaft in den vergangenen vierzehn Jahren bildeten, so sah es der Verband, für die neue Regierung daher eine unschätzbar wertvolle Grundlage. Seinen Mitgliedern müsste diese das Konzept der Volkskameradschaft nicht mehr näherbringen, da es dort längst an der Basis vorbildhaft gelebt werde.

166 Ebd. 167 Vgl. Michael Wildt: Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007, S. 26-68; ferner Michael Wildt/Frank Bajohr: Einleitung, in: dies. (Hg.): Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 2009, S. 7-23. 168 Vgl. Dietmar von Reeken/Malte Thießen: ›Volksgemeinschaft‹ als soziale Praxis? Perspektiven und Potentiale neuer Forschungen vor Ort, in: dies. (Hg.): ›Volksgemeinschaft‹ als soziale Praxis. Neue Forschungen zur NS-Gesellschaft vor Ort, Paderborn 2013, S. 11-33, hier S. 19-26; und Thomas Handschuhmacher: ›Volksgemeinschaft‹ als Gegenstand sozialer Praktiken. Eine Untersuchung am Beispiel der NSDAP-Ortsgruppe Lohmar, in: Geschichte im Westen 28 (2013), S. 91-117. 169 Vgl. Kapitel IV, 2. 170 Martin Winkel – »Kyffhäuserbund und Volksgemeinschaft«, in: Kyffhäuser, 7.5.1933, S. 8. 171 Ebd.

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Zu den kommenden einschneidenden und zukunftsweisenden Veränderungen und Herausforderungen für die deutsche Gesellschaft bemerkte der Schriftführer des Kyffhäuserbundes, Otto Riebicke, in einer Abhandlung mit dem vielsagenden Titel Vom Frontgeist zum Volksgeist: »Wir ehemaligen Soldaten werden eine Ehre darin sehen, das uns fast naturverbundene Führerprinzip im Kyffhäuserbund mit den edelsten Kräften der Disziplin, des Verantwortungsbewußtseins und des Vertrauens segensvoll zu entwickeln. Wir werden es tun im Sinne der besten soldatischen Tradition – aber auch im Sinne des hohen Pflichtsbewußtseins, das jeder von uns für die Zukunft seines Volkes trägt. Denn der Kyffhäuserbund soll in seiner ganzen Größe und mit seinem ganzen Inhalt ein wertvolles Glied im neuen deutschen Staat sein, in dem nationalsozialistischen Staate, der Deutschland ist und Deutschland bleiben wird für alle Zukunft!«172 Riebicke gerierte sich vollends als Apologet der NS-Bewegung und erzählte eine Art mythische überhöhte Erlösungsgeschichte des einfachen Weltkriegssoldaten und -veteranen. Da der Staat von Weimar den ehemaligen Weltkriegssoldaten den gerechten Lohn für ihre Mühen und Leiden nicht hatte zuteil werden lassen, habe der Weltkrieg für diese auch niemals wirklich geendet beziehungsweise hätten sie nie wirklich mit dem Krieg abschließen können. Ihre Rückkehr von der Front sei erst durch die Nationalsozialisten und Adolf Hitler möglich geworden.173 »Nun erst kehren wir Soldaten des großen Krieges wahr und wahrhaftig in die Heimat zurück, für die wir gekämpft, gelitten, geblutet, geopfert haben.«174 Für den Kyffhäuserbund schloss sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten ein historischer Kreislauf von der verklärten Vergangenheit des Deutschen Kaiserreiches und des Ersten Weltkrieges über die krisenhafte Gegenwart der Weimarer Republik bis hin zu den verheißungsvollen Zukunftsversprechungen der Nationalsozialisten. Durch die Eingliederung des Verbandes in die NS-Bewegung erfüllte sich aus seiner Sicht die historische Bestimmung des Kyffhäuserbundes: »Dadurch wird die Veteranenorganisation mit einem Ruck zu dem straffen wahrhaften Soldatenbunde, der schon im Wunschbild ihrer Schöpfer und ihrer weiterschauenden Mitglieder ruhte.« Soldaten der Vergangenheit – Veteranen der Gegenwart – Soldaten der Zukunft, so lautete sein Kredo im nationalsozialistischen Deutschen Reich, der selbst erklärten dritten und letzten Etappe nach Kaiserreich und Republik, die seine traditionelle Arbeit für die deutsche Gesellschaft zum Abschluss bringen sollte.

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Otto Riebicke: Vom Frontgeist zum Volksgeist. Die Kriegervereine im Dritten Reich, Berlin 1934, S. 15f. Vgl. ebd., S. 2-11. Ebd., S. 2.

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Das geradezu euphorische Urteil über das nationalsozialistische Regime und seine Machtübernahme sowie die Neugestaltung des Kyffhäuserbundes wurde von den Mitgliedern der ausländischen Verbandsdependancen175 und den Verbandsmitgliedern an der Basis voll und ganz geteilt. So zeigte sich beispielsweise der Bezirks-Kriegerverband Osnabrück auf seiner Jahresversammlung im Juli 1933 beindruckt von der Schnelligkeit, in welcher der »einfache Gefreite des Weltkrieges« seiner Meinung nach nicht nur das Ansehen des Deutschen Reiches im Ausland gesteigert, sondern »auch die Herzen aller wahrhaft deutschen Volksgenossen sich im Sturme zu erwerben« verstanden hatte. Für die Veteranen der lokalen Kriegervereine war Hitler ein Mann aus ihrer Mitte und seine Eigenschaft als ehemaliger Kriegsteilnehmer verlieh ihm aus ihrer Sicht die Befähigung für höhere Aufgaben: »Gott hat uns in Adolf Hitler den Retter gesandt, der mit starker Hand die Regierungszügel ergriff und alles vernichtete, was gegen den deutschen Geist war. […] Die alten Soldaten unseres Bezirks danken dem Manne, der unser Volk und Vaterland vor dem Verderben rettete, danken dem Gefreiten und ihrem Kameraden aus dem grossen Weltkriege, dem Volkskanzler für seine Tat mit dem Gruss des erwachten deutschen Volkes: Heil – Hitler!«176 Mit der vorbehaltlosen Eingliederung in den nationalsozialistischen Staat legte der Kyffhäuserbund große Teile seiner eigenen Vergangenheit und Tradition ab. Für ihn und seine Mitglieder endete der Erste Weltkrieg vollständig erst im Jahr 1933, nachdem eine Retter- und Erlöserfigur, ein Mann aus ihren eigenen Reihen der einfachen Frontsoldaten, die Nachkriegszeit endgültig überwunden hatte. Zugleich hatte der Verband erkannt, dass die nationalsozialistische Bewegung und ihr Führer Adolf Hitler keine politische Augenblickserscheinung darstellten – wie manche hochrangige Politiker der Weimarer Republik noch zu diesem Zeitpunkt annahmen –, sondern in Zukunft einen nachhaltigen und dauerhaften Einfluss auf die Geschicke der deutschen Gesellschaft ausüben würden.

3.2

Rückkehr zur Monopolstellung und Ausblick

Das Jahr 1933 und die Machtübernahme der Nationalsozialisten brachten für den Kyffhäuserbund in vielerlei Hinsicht gravierende Veränderungen mit sich. Die Tat175

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So etwa von den Kriegervereinen des Kyffhäuserbundes in Buenos Aires. Diese telegrafierten ihre Glückwünsche nach Deutschland und sicherten der neuen Regierung ihre vorbehaltlose Unterstützung und Bereitschaft zu, an der Verwirklichung der Ziele der NS-Bewegung auch im Ausland mitzuwirken. Vgl. BArch Berlin, R 43-II/824, Reichskanzlei – Militär=Vereine, Bl. 147: Schreiben von Horns an Hitler vom 6. November 1933. NiLaA Os, Rep 450 Wit Nr. 1126, Kriegerverein Venne 1888-1903: Bericht der 59. Bezirkstagung in Venne 1933.

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sache, dass sich der Verband dem neuen Regime massiv angedient und bewusst dessen Nähe gesucht hatte, zahlte sich für ihn letztlich aus, da er mit der Gunst Adolf Hitlers belohnt wurde. So konnte der Kyffhäuserbund nicht nur eine relative Eigenständigkeit im NS-Staat bewahren, während alle anderen großen Organisation ehemaliger Soldaten sukzessive aufgelöst wurden,177 für ihn rückte sogar die Chance in greifbare Nähe, seine alte Monopolstellung aus der Zeit des Kaiserreiches wieder zu erlangen. Allerdings drängte mit der 1933 gegründeten Nationalsozialisten Kriegsopferversorgung (NSKOV) ein neuer, nationalsozialistisch geprägter Interessenverband für kriegsversehrte Veteranen unter der Führung von Hanns Oberlindober178 mit aller Macht in den Vordergrund, dessen Struktur und Tätigkeitsbereiche dem Kyffhäuserbund ähnelten.179 Beide Organisationen und insbesondere ihre Führer konkurrierten seit 1933 darum, welche von ihnen der federführende Veteranenverband im neuen nationalsozialistischen Deutschland werden sollte. Hierbei bedienten sich beide einer offensiven Werbungsstrategie, um möglichst viele Mitglieder des jeweils anderen Verbandes zum Übertritt in die eigenen Reihen zu bewegen. Wie so häufig im nationalsozialistischen Herrschaftssystem ging es letztlich aber vor allem um die Anhäufung von Macht und Kompetenzen, das genaue Abstecken von Einflussbereichen sowie die persönliche Nähe zu Hitler. Beide Vorsitzenden führten diese Auseinandersetzung daher auch nicht direkt miteinander, sondern korrespondierten wechselseitig mit der Reichskanzlei und anderen NS-Größen, um die jeweils andere Seite bei der Parteiführung in Misskredit zu bringen und eine endgültige Entscheidung Hitlers zu erwirken. So schrieb Reinhardt beispielsweise an Himmler, dass eine »enge der Verbindung der NSKOV mit dem Deutschen Reichskriegerbund […] nur in der Weise möglich [sei], dass die NSKOV eine Abteilung des Deutschen Reichskriegerbundes wird. Dieses lehnte Herr Oberlindober ab.«180 Weiterhin betrieb die NSKOV ganz ungeniert und massiv Werbung für sich in den Reihen des Kyffhäuserbundes, und dies nicht 177

Der Rote Frontkämpferbund wurde bereits 1929 verboten bzw. agitatorisch bedeutungslos, das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold wurde Anfang 1933 aufgelöst. Zur Auflösung des Stahlhelms siehe Kapitel IV, 3.1; sowie ferner Voigt: Kampfbünde, S. 566. 178 Oberlindober (geb. 1886 in München) war die Schlüsselfigur der nationalsozialistischen Veteranenbewegung. Als Mitglied einer bayerischen Pionierkompanie nahm er von 1914 bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil und schied schwer verwundet aus dem Militärdienst aus (Eisernes Kreuz II. und I. Klasse). Bereits 1922 trat er der NSDAP bei; zuletzt SA-Brigadeführer; seit 1930 MdR und Herausgeber der Zeitschrift Der Dank des Vaterlands. Ab 1933 Mitbegründer und Führer der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung. Vgl. Löffelbein: Ehrenbürger, S. 91-109. 179 Vgl. Hanns Oberlindober: 5 Jahre Arbeit für Führer und Volk. Ein Rechenschaftsbericht über die Tätigkeit des Hauptamts für Kriegsopfer der N.S.D.A.P. und der Nationalsozialistischen Kriegsopferversorgung e.V. für die Jahre 1933-1938, Berlin 1938. 180 BArch Berlin, NS 19/1912, fol. 1-4, Persönlicher Stab Reichsführer SS, Bl. 3: Schreiben Reinhards an den Reichsführer SS Heinrich Himmler vom 6. April 1937.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

nur unter kriegsversehrten Weltkriegssoldaten. Umso dringender versuchte Reinhard daher in der Folgezeit, direkt zu Hitler vorgelassen zu werden, um diesem ein Anliegen »von innerpolitischer Bedeutung«,181 nämlich eine Vereinigung beider Verbände unter seiner Führung, persönlich vorzutragen. Bei diesem Versuch scheiterte er allerdings wiederholt bereits in den Vorzimmern der Reichskanzlei, wo Reinhards Anliegen nicht die höchste Priorität eingeräumt und dieser immer wieder vertröstet wurde.182 Nach einem halben Jahr gelang es ihm endlich, einen Besprechungstermin bei Hitler für den 23. Oktober 1935 zu bekommen und diesen von seinen Plänen zu unterrichten.183 Im Vortrag beschwerte sich Reinhard über die unlauteren Werbemaßnahmen der NSKOV und die Ausweitung ihres eigentlichen Kompetenzbereiches sowie die Einflussnahme auf die nicht kriegsversehrten Veteranen des Kyffhäuserbundes: »Sie, mein Führer, brachten mir gegenüber zum Ausdruck, daß die N.S.K.O.V. lediglich ein Zweckverband der Partei sei zur Betreuung der Kriegsopfer und der Hinterbliebenen der Gefallenen. […] Diese Werbung der N.S.K.O.V. muß zu einer immer schärfer werdenden Spannung zwischen den unteren Gliederungen der N.S.K.O.V. und denen des Reichskriegerbundes führen. Die Fürsorge für die Kriegsopfer ist aber nicht allein eine Angelegenheit der alten Soldaten, sondern des gesamten deutschen Volkes.«184 Reinhard argumentierte, der Kyffhäuserbund sei durchaus bereit, die NSKOV zu tolerieren, solange diese sich im Gegenzug dazu bereit erkläre, ausschließlich Kriegsversehrte zu organisieren, eine Regelung, wie sie bereits kurz zuvor bei der Aufteilung der Mitglieder des aufgelösten Stahlhelms zwischen beiden Verbänden zur Anwendung gekommen war.185 Da aus der Parteizentrale in Berlin keine unmittelbare Reaktion erfolgte und keine Einmischung erfolgte, wandte sich Reinhard schließlich direkt an Oberlindober und forderte diesen auf, die Werbemaßnahmen der NSKOV in den Reihen des Kyffhäuserbundes unverzüglich einzustellen.186 Da sich Oberlindober keiner Schuld bewusst war,187 leitete Reinhard seinerseits eine umfassende Werbungsak181

BArch Berlin, R 43-II/823b, Reichskanzlei – N.S. Reichskriegerbund, Bl. 8: Schreiben Reinhards an Dr. Meerwald (Reichskanzlei) vom 5. August 1935. 182 Vgl. ebd., Bl. 6: Schreiben Reinhards an Dr. Meerwald (Reichskanzlei) vom 19. Juli 1935; sowie ebd., Bl. 7: Schreiben Meerwalds an Reinhard vom 2. August 1935. 183 Vgl. ebd., Bl. 9: Schreiben Meerwalds an Reinhard vom 9. August 1935; und ebd.: Schreiben Reinhards an Dr. Meerwald (Reichskanzlei) vom 3. Oktober 1935. 184 Vgl. ebd., Bl. 16: Beschwerdeschrift Reinhards an Hitler vom 23. Oktober 1935. 185 Vgl. ebd.; sowie Berghahn: Stahlhelm, S. 263-274. 186 Vgl. BArch Berlin, R 43-II/823b, Reichskanzlei – N.S. Reichskriegerbund, Bl. 29: Schreiben Reinhards an Oberlindober vom 28. Februar 1936 betr. der Werbung der NSKOV. 187 Vgl. ebd., Bl. 20: Erwiderung Oberlindobers zur Beschwerdeschrift Reinhards vom 13. März 1936.

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tion des Verbandes ein, die auf lokaler Ebene durch die Kyffhäuser-Bezirks- und Kreisleiter durchgeführt werden sollte.188 Diese Maßnahme hatte wiederum eine Beschwerde Oberlindobers an die Reichskanzlei zur Folge, in welcher er die Werbungstätigkeit des Kyffhäuserbundes zu unterbinden bat.189 Gleichzeitig war allerdings nunmehr eine gewisse Neigung des Leiters der NSKOV zu erkennen, den Streit mit Reinhard beizulegen. So habe das Nebeneinander beider Verbände, schrieb Oberlindober, so lange recht gut funktioniert, bis sich der Präsident des Kyffhäuserbundes über die Werbemethoden der NSKOV bei der Reichskanzlei beschwert habe. Dieses Vorgehen habe in ihm die »Überzeugung wachgerufen, als ob der Reichskriegerbund es wünsche, mit der NSKOV nur durch Vermittlung amtlicher Stellen zu verkehren.« Weiterhin kritisierte er die bereits angelaufene Werbekampagne des Kyffhäuserbundes und das angeblich von ihm verbreitete Gerücht, dass »die NSKOV zum grössten Teil aus Marxisten bestünde.« Stattdessen hoffe er, dass beide »Bünde ohne Hegemoniebestrebungen weder des einen noch des anderen, langsam zusammenwachsen werden zu einer Ehrenkameradschaft deutscher Frontsoldatenverbände, zu gemeinsamem Dienst an Führer und Volk.«190 Das Einlenken Oberlindobers führte dazu, dass sich beide Verbände schließlich auf ein Abkommen über ihre jeweiligen Zuständigkeits- und Wirkungsbereiche sowie die Mitgliederwerbung verständigen konnten.191 Dieses sah vor, dass sich die Aktivitäten der NSKOV nachfolgend ausschließlich auf die Erfassung und Betreuung von Kriegsversehrten beschränkten; der Kyffhäuserbund sollte alle übrigen Veteranen sowie Kriegervereine zusammenfassen und vertreten.192 Darüber hinaus unterstellte sich Reinhard mit seinem Verband direkt dem Reichsführer SS Heinrich Himmler. Dieser Schritt bildete aus Sicht des Präsidenten die »politische Verankerung« der Kyffhäuser-Veteranen in der SS und ermögliche diesen die »aktive Mitwirkung an Aufgaben«, die ihnen allein oder »gemeinsam mit der SS vom Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei im Bedarfsfall«193 gestellt würden. Mit der Unterstellung des Kyffhäuserbundes unter die Oberaufsicht und Patronage Himmlers bekam die gesamte Vereinbarung einen offiziellen Charakter und legte die Kompetenzstreitigkeiten beider Verbände formal bei. Weiterhin zeigt 188 Vgl. ebd., Bl. 76: Schreiben des Kyffhäuserbundes an die Bezirks- und Kreisführer vom 20. April 1936. 189 Vgl. ebd., Bl. 77: Beschwerde Oberlindobers über die Werbungstätigkeit des Kyffhäuserbundes vom 20. Juni 1936. 190 Vgl. ebd., Bl. 83-85: Schreiben Oberlindobers an Reinhard vom 2. Juli 1936. 191 Vgl. BArch Berlin, NS 10/108, Persönlicher Adjutant des Führers und Reichskanzlers, Bl. 116118: Abkommen zwischen KB und NSKOV über Zuständigkeits- und Wirkungsbereiche, Vereinbarungen zur Mitgliederwerbung. 192 BArch Berlin, R 43-II/823b, Reichskanzlei – N.S. Reichskriegerbund, Bl 108f.: Abschrift: Abkommen zwischen dem Deutschen Reichskriegerbund und der NSKOV vom 15. Dezember 1937. 193 Ebd.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

dieser Schritt, dass Reinhard das Potential der rasant im Aufstieg begriffenen SS erkannt hatte. Denn Himmler hatte es parallel zur Entmachtung der SA ab 1934 verstanden, ein Amalgam aus verschiedenen Kompetenzbereichen und Behörden zu schaffen, dem er selbst als Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei vorstand.194 Indem er sich diesem »Imperium«195 und dem kommenden starken Mann im NS-Staat andiente, versuchte der Präsident des Kyffhäuserbundes seinen Verband vor der organisatorischen Bedeutungslosigkeit in der SA-Reserve zu bewahren und signalisierte zugleich, dass sich seine Veteranen im Dritten Reich nicht mit einer Reservistenrolle begnügen würden. Die Kyffhäuser-Veteranen sollten von den NS-Machthabern als ein Aktivposten wahrgenommen werden, als ein einsatzbereiter und verlässlicher Soldatenbund und nicht nur als ehemalige Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges. Diese Vereinbarung bedeutete allerdings nur einen Zwischenschritt auf dem Weg zur Monopolstellung des Kyffhäuserbundes, da Reinhard sich selbst mit dieser Absprache nicht zufrieden gab und weiterhin darauf bedacht war, seinen Machtbereich weiter auszubauen.196 Sein beharrliches und geradezu enervierendes Auftreten gegenüber der Reichskanzlei sollte schließlich von Erfolg gekrönt sein: Hitler beauftragte Reinhard am 4. März 1938, einen NS-Reichskriegerbund zu organisieren. Dieser wurde mit Wirkung zum 1. Oktober 1938 gegründet, erhielt den Namen NS-Reichskriegerbund Kyffhäuser und war künftig die einzige Veteranenorganisation im Dritten Reich. Die NSKOV blieb zwar formal bestehen, versah aber fortan lediglich noch Sonderaufgaben für Kriegsversehrte.197 Mit der Kapitulation der deutschen 6. Armee im Kessel von Stalingrad und der Kriegswende des Winters 1942/43 neigte sich schließlich auch die Geschichte der verbandsmäßig organisierten Veteranenbewegung in Deutschland ihrem Ende entgegen. Sein großes Reservoir an potentiellen Soldaten hatte in Berlin Begehrlichkeiten geweckt. Nachdem entsprechende Pläne der Reichskanzlei zur Verbandsspitze durchgesickert waren, der Kyffhäuserbund stehe kurz vor der Auflösung durch die NS-Parteileitung, wandte sich Reinhard am 17. Februar 1943 mit einer Eingabe persönlich an Hitler, um diesen doch noch umzustimmen. Er prophezeite, dass die Auflösung des Bundes eine »ungeheure Unruhe und Erregung nicht nur in den Kreisen der altgedienten Soldaten, sondern darüber hinaus in der ganzen Bevölkerung auslösen« werde. Die Veteranen hingen mit ihrem ganzen Herzen an ihrem »Kameradenbunde« und seien »stolz auf dessen über 150jährige 194 Vgl. Peter Longerich: Heinrich Himmler, München 2008, S. 189-210; und Grüttner: Das Dritte Reich, S. 140-145. 195 Grüttner: Das Dritte Reich, S. 143. 196 Vgl. BArch Berlin, R 43-II/823b, Reichskanzlei – N.S. Reichskriegerbund, Bl. 112-118: Denkschrift Reinhards an Hitler vom 10. Februar 1938. 197 Vgl. BArch Berlin, NS 10/108, Persönlicher Adjutant des Führers und Reichskanzlers, Bl. 5962: Weisung Hitlers an Reinhard vom 4. März 1938 zur Bildung des NS-Reichskriegerbundes.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

Geschichte.« Seine Auflösung ohne erkennbaren Grund würde »daher in höchstem Grade niederschmetternd«198 und das Vertrauen in die Partei sowie das Ansehen ihrer Führung, aber auch die Einsatzbereitschaft der Veteranen im weiteren Kriegsverlauf massiv untergraben. Er fühle sich daher seinem »vaterländischen Gewissen« verpflichtet, ein »vaterländisches Unheil abzuwenden« und darauf hinzuweisen, dass »der NS.-Reichskriegerbund […] eine der zuverlässigsten Stützen der Heimatfront im Kriege« darstellte. Als Alternative unterbreitete Reinhard Hitler folgenden Vorschlag: Eine stark verschlankte Verbandsleitung sowie die Kriegervereine auf lokaler Ebene sollten als Organisation zur »Wahrung vaterländischer Belange« und als »Halt der Bevölkerung in Krisenzeiten« bestehen bleiben. Im Gegenzug sollten noch mehr Mitglieder für den aktiven Waffendienst oder für Aufgaben der Landesverteidigung freigesetzt werden. Viele Mitglieder – laut Reinhard rund 300.000 – würden sich ohnehin bereits als Kriegsfreiwillige an der Front befinden oder für die »Heimatflakbatterien, für die Bewachung von Konzentrationsund Gefangenenlagern, zur Verstärkung der SS und Polizei«199 sowie als Polizeibataillone in den besetzten Gebieten eingesetzt.200 Letztlich ging es Reinhard aber auch ganz eigennützig darum, seinen eigenen Einfluss und seine umfassenden Machtbefugnisse als Präsident des Kyffhäuserbundes zu konservieren: »3 Millionen gedienter Soldaten, die bisher gewohnt waren, sich auf meinen Befehl nach der Parole ›Soldatentum, Nationalsozialismus‹ für die Belange von Volk und Staat rücksichtslos einzusetzen, werden führerlos sein, sobald die Reichskriegerführung zu bestehen aufhört. Ob das im Interesse des Vaterlandes liegt, wage ich zu bezweifeln. Ich bitte mir daher die Möglichkeit zu geben, den NS.Reichskriegerbund, wen auch unter notgedrungener Einschränkung des Bundesdienstes, über die Kriegszeit hinweg zu erhalten, damit er nach dem Siege seine volle Tätigkeit zum Nutzen der Volksgemeinschaft wieder aufnehmen kann.«201 Alle Appelle, Interventionen und Vorschläge der Verbandsführung konnten allerdings nicht mehr verhindern, was längst beschlossene Sache war. Der Kyffhäuserbund sollte in eine Stiftung überführt werden, der Reinhard formal vorstand. »Dabei sei in Aussicht genommen worden, daß das Vermögen des Reichskriegerbundes auf eine ›Kyffhäuser-Stiftung‹ übertragen werden solle. Die Finanzhoheit über diese Stiftung soll der Reichsschatzmeister haben.«202 Die noch verbliebenen Kriegervereine wurden unmittelbar der Parteiführung unterstellt; ihre Mit198 BArch Berlin, NS 18/455, Reichspropagandaleiter der NSDAP, Bl. 988-992: Denkschrift Reinhards zur Auflösung des Kyffhäuserbundes vom 17. Februar 1943. 199 Ebd. 200 Vgl. ebd. 201 Ebd. 202 BArch Berlin, R 2/12768, Reichsfinanzministerium – Erziehungsheime des Reichskriegerbundes, Bl. 1: Schreiben vom 9. März 1943.

IV. Von der Veteranenorganisation zum Soldatenbund

glieder bildeten später das Fundament des Volkssturmes. Dies bedeutete ferner, dass Reinhard einer Stiftung vorstand, in der er weder Handlungsoptionen noch Budgethoheit besaß.203 Die offizielle Anordnung Hitlers zur Auflösung des Kyffhäuserbundes erging am 2. Juli 1943.204 »In Ausführung der Verfügung des Führers vom 3.3.1943 ordne ich an: 1.) Der NS.-Reichskriegerbund wird mit Wirkung vom 30.6.1943 aufgelöst. […] 2.) Eine Liquidation findet nicht statt. […] 3.) Für die mit der Auflösung im Zusammenhang stehenden vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist der Reichsschatzmeister der NSDAP. zuständig. […]«205 Der Kyffhäuserbund hatte aufgehört zu existieren; er war Geschichte.

203 Vgl. ebd., Bl. 9: Schreiben des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung – Inspektion der Deutschen Heimschulen – an den Reichsminister der Finanzen vom 1. Oktober 1943 betr. Übernahme der Kinder-Erziehungsheime des ehemaligen NSReichskriegerbundes; sowie BArch Berlin, R 43-II/663, Reichskanzlei – Vereinfachungsmaßnahmen und Einsparungen im Bereich der NSDAP. 204 BArch Berlin, NS 18/455, Reichspropagandaleiter der NSDAP, Bl. 910-912: Reichsverfügungsblatt vom 2. Juli 1943, Ausgabe A, Anordnung A 40/43 betr. Auflösung des NSReichskriegerbundes; weiterhin ebd., Bl. 935: Reichsverfügungsblatt vom 6. April 1943, Ausgabe A, Anordnung A 24/43 betr. Ausführungsbestimmungen zu der Verfügung des Führers V 3/43 – Auflösung des NS-Reichskriegerbundes. 205 Reichsverfügungsblatt – Ausgabe A: Anordnung A 40/43, Betrifft: Auflösung des NS.Reichskriegerbundes.

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Schlussbetrachtung

Der Veteran der 1920er Jahre war eine ebenso ambivalente wie facettenreiche Figur. Zwar war er in erster Linie ein Soldat, der lebend aus dem Krieg zurückgekehrt war; abseits dieses kleinsten gemeinsamen Nenners blieben seine Konturen jedoch unscharf. Die Singularität des Weltkrieges tat ein Übriges, um diese vage Vorstellung vollends aufzulösen und eine Pluralisierung sozialer Rollen, Begrifflichkeiten und Eigenschaften herbeizuführen, welche die Gruppe der heimkehrenden Soldaten näher bestimmten und mit denen eine Vielzahl an Zuschreibungen einherging. Der Veteran war beispielsweise ehemaliger Kriegsteilnehmer und Frontsoldat, war Kamerad und Kriegsheld, Vaterlandsverteidiger und Kriegsverlierer; er war aber auch Wähler und politischer Aktivist, Bildungsbürger und Konsument massenmedialer Produkte, Jugendlicher und Arbeitssuchender, Familienvater und Ehemann, prekarisierter Kriegsversehrter und Empfänger staatlicher Sozialleistungen; er war mithin ein Akteur aus der Mitte der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Anders als lange Zeit angenommen handelte es sich bei den Veteranen daher weder um eine amorphe Gruppe, die im Off der gesellschaftlichen Bühne Weimars agierte, noch um eine latent gewalt- und kampfbereite Horde von durch den Krieg brutalisierten Männern, die je nach Belieben sowie politischer Couleur agitiert werden konnte. Denn solche Interpretationen vernachlässigen eine ganz zentrale Frage: Wie wurde überhaupt aus einem ehemaligen Kriegsteilnehmer ein Veteran des Ersten Weltkrieges? Zweifelsohne war der Kriegseinsatz für alle beteiligten Soldaten ein persönlichkeitsprägendes Erlebnis mit biographischem Zäsurcharakter. Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, den Veteranen als das alleinige »Ergebnis der biographischen Organisationsleistung eines konkreten Individuums« sowie dessen »intensive Form der lebensgeschichtlichen ›Illusion‹«1 zu beschreiben. Denn es bedurfte weitaus mehr als der Konstruktionsleistung des Einzelnen, um das individuelle Erleben und Erinnern in ein gleichermaßen gesellschaftstaugliches wie von anderen Weltkriegssoldaten akzeptiertes Veteranenbild zu überführen. Vielmehr flossen die individuellen Erlebnisse und Erinnerungen der ehemaligen Kriegsteilnehmer in verschie-

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Ziemann: Konstruktion, S. 104.

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

dene Verarbeitungs- und Umdeutungsprozesse ein und wurden Teil intersubjektiver Kriegserfahrungen. Diese formten zwar immer noch kein uniformes Bild des einen Veteranen, dennoch hatten sich durch sie allmählich argumentative Hauptlinien in den Diskursen herauskristallisiert, welche die Merkmale eines bestimmten Veteranenbildes akzentuierten und von einer abgrenzbaren Gemeinschaft ehemaliger Soldaten geteilt wurden. Diese Diskurse, nach denen sich die Veteranen typologisieren ließen, basierten auf den intersubjektiven Kriegserfahrungen ihrer Trägerschaft, wurden durch ihre Kriegserfahrungen fortlaufend angereichert und modifiziert. Die Konstruktionsprozesse um die Figur des Veteranen waren daher nie abgeschlossen. Um diese Prozesse zu kanalisieren und zu lenken brauchte es institutionelle Rahmenbedingungen und organisatorische Plattformen. Der Kyffhäuserbund griff die individuellen Erinnerungen und Erlebnisse der ehemaligen Kriegsteilnehmer auf, überführte sie in intersubjektive Kriegserfahrungen und spiegelte diese als verbandsspezifisches Veteranenbild zurück in die Lebenswelt seiner Mitglieder, indem er versuchte, alle lebensweltlich relevanten Bereiche der Verbandsangehörigen und ihrer Familien diskursiv und praktisch zu besetzen. Dieses kyffhäusereigene Veteranenbild umfasste bestimmte Sichtweisen und Interpretationen der Vergangenheit, einen Kodex für und Erwartungen an das Verhalten der Veteranen in der Gegenwart sowie Vorstellungen von der Zukunft. Gleichzeitig entfaltete es neben seiner Innen- auch eine Außenwirkung und verweist somit zugleich auf die Reziprozität und Interdependenz von Institution und Akteur im Konstruktionsprozess: Die Erfahrungsdiskurse des Verbandes und seiner Mitglieder prägten das Veteranenbild der Öffentlichkeit ebenso wie dieses sich von den die Republik prägenden Diskursen durchdrungen zeigte. So ambivalent und mehrdeutig wie die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges war daher auch die Geschichte des größten deutschen Veteranenverbandes. Der Kyffhäuserbund war ein Gebilde »zwischen den Zeiten«.2 Seine organisatorischen Wurzeln und gemeinschaftsstiftenden Traditionen, seine eigene verbandsmäßige Sozialisation reichten zurück bis in die Anfangstage des Deutschen Kaiserreichs. Nachdem die Schwierigkeiten einer reichsweiten Sammlungsbewegung sowie die Probleme bei der Nivellierung regionaler Eigenheiten ausgeräumt worden waren, stieg der Dachverband der deutschen Landeskriegerverbände schnell zu einer Millionenorganisation mit einem weit verzweigten Netzwerk national wie international agierender Kriegervereine auf. Ihm half, dass der neu gegründete Dachverband großzügig durch den preußisch-deutschen Obrigkeitsstaat protegiert wurde. Im Gegenzug verschrieb sich der Kyffhäuserbund satzungsgemäß der Treue zum deutschen Kaiser sowie der Bindung an den Fahneneid und verknüpfte sein Schicksal untrennbar mit dem des deutschen Nationalstaates. Wenn2

Ullmann: Kaiserreich, S. 7.

Schlussbetrachtung

gleich er sich als überparteilich und überkonfessionell gab, setzte seine Mitgliedschaft doch eine erwiesen nationalkonservative politische Gesinnung voraus. Von der Verbandszentrale in Berlin aus steuerte und verwaltete der Kyffhäuserbund im Stile eines Interessenverbandes des ausgehenden 19. Jahrhunderts seine auch wirtschaftlich bedeutsame Gesamtorganisation. Für seine Mitglieder richtete der Verband ein umfassendes, beitragsfinanziertes Wohlfahrtswesen ein, das von Pensionen und Versicherungen über Erholungsheime bis hin zur Unterstützung von Hinterbliebenen reichte und in manchen Teilen sogar das staatliche Versorgungssystem für ehemalige Soldaten übertraf. Auf diese Weise konnte er sich eine unangefochtene Monopolstellung als Interessenvertreter der deutschen Kriegsteilnehmer und alleiniger Sachwalter soldatischer Kriegserfahrungen erarbeiten. Die Jahre des Ersten Weltkrieges und insbesondere sein katastrophaler Ausgang für das Deutsche Reich wurden vom Kyffhäuserbund als eine einschneidende Zäsur wahrgenommen. Hatte der Verband die deutsche Kriegszielpolitik und die militärische Hofkamarilla um Wilhelm II. vier Jahre lang bedingungslos unterstützt, stand er nun vor den Trümmern des kaiserlichen Deutschland. Da mit der Niederlage des Deutschen Reiches außer dem deutschen Kaisertum auch der Einfluss der adligen Machteliten der Vergangenheit angehörte, musste sich der Verband notgedrungen neu organisieren. Um ein gänzlich unkontrollierbares Ausgreifen der Revolution in der Übergangsphase zwischen Monarchie und Republik zu verhindern und aus Angst vor einer völligen Umgestaltung des deutschen Staates nach sowjet-russischem Vorbild, stellte er seine Massenbasis den neuen republikanischen Machthabern zur Verfügung, um mit Hilfe der Rätebewegung und der Freikorps die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und letztlich alle Aufstände blutig niederzuschlagen. Nachdem die ersten akuten Krisen der Übergangszeit bewältigt waren, musste sich der Kyffhäuserbund notgedrungen der Frage stellen, wie es mit ihm in der Republik weitergehen sollte und wie er sich auf deren Boden programmatisch positionieren wollte. Dieser Übergang wurde nach 1918 durch einen personellen Wechsel erleichtert: Mit Josias von Heeringen und Otto Riebicke rückten Veteranen in die verantwortlichen Positionen an der Verbandsspitze vor, die im Ersten Weltkrieg gedient hatten und über eigene Kriegserfahrungen verfügten. Der ideologische Neuanfang gestaltete sich indes schwierig. Denn der Kyffhäuserbund fand sich innerhalb der deutschen Nachkriegsgesellschaft in einem Spannungsfeld von Beharrung und Tradition sowie Eskapismus und Aufbruch wieder. Die 1920er Jahre waren für den Verband ein ambivalentes Terrain, geprägt von Widersprüchen und zusehends auch von Schwierigkeiten, sich den neuen Entwicklungen und zeitlichen Gegebenheiten anzupassen. Die Gründe hierfür waren vielfältig, hingen aber vor allem mit zwei Problemen zusammen: Einerseits war dies die aufkommende Konkurrenz von anderen Veteranenverbänden linker und rechter Provenienz, welche die Monopolstellung des Kyffhäuserbundes untergruben. Andererseits erhöhte

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

diese Konkurrenz den Druck, sich offen zu einer (partei-)politischen Richtung zu bekennen und entsprechend zu handeln. Um das Bild des Veteranen war nach 1918 ein Deutungskampf entbrannt. Die Kriegserfahrungen der Verbandsmitglieder oszillierten im Raum des Politischen sowie der weltkriegsimmanenten Erfahrungsdiskurse und wurden je nach Ausrichtung politisch aufgeladen und für die Erinnerungskultur des Weltkrieges instrumentalisiert. Der Kyffhäuserbund reagierte auf diese Herausforderungen, indem er sein Veteranenbild im Feld der widerstreitenden Kriegserinnerungen und Kriegserfahrungen entlang der drei Zeitebenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umso deutlicher zu schärfen und zu konturieren versuchte. Das Veteranenbild des Kyffhäuserbundes in den 1920er Jahren zeichnete sich durch Mehrdimensionalität und Multitemporalität aus, fielen doch in der verbandsspezifischen Figur des Veteranen verschiedene Eigenschaften sowie Vergangenheitsinterpretationen, Gegenwartsdiagnosen und Zukunftshoffnungen zusammen. Auf diese Weise definierte der Verband nicht nur seinen eigenen Idealtypus eines Veteranen des vergangenen Krieges, sondern entwarf auch, indem er die Kriegserfahrungen seiner Veteranengemeinschaft in weltkriegsimmanente Diskurse einspeiste, zugleich den Prototypen des gegenwärtigen und zukünftigen Soldaten. Dieser Konstruktionsprozess erfolgte erstens über die Deutung der Vergangenheit des Weltkrieges. Dabei schloss sich der Kyffhäuserbund bekannten weltkriegsimmanenten Narrativen wie etwa der Kriegsschuldlüge an. Für ihn hatten die Veteranen einen Verteidigungskrieg gegen die Aggression von Feinden in aller Welt geführt. Mit der Form der Vergangenheitsbewältigung, die alle anderslautenden Erkenntnisse negierte, hielt der Kyffhäuserbund die Mär vom untadeligen und ehrenhaften Veteranen als Grundpfeiler seines Selbstbildes aufrecht. Weiterhin war er bemüht, eigene inklusive Narrative zu etablieren. Im Mittelpunkt stand das Konzept der Kameradschaft, eine Verbindung von soldatischen Eigenschaften und Elementen egalitärer Gesellschaftsvorstellungen, das eine Gleichrangigkeit innerhalb der Erfahrungsgemeinschaft jenseits aller Standes- und Klassenunterschiede suggerierte. Ferner engagierte sich der Kyffhäuserbund verstärkt auf dem Feld der Erinnerungs- und im Besonderen der Denkmalskultur. Hier versuchte er, ein erfahrungsbasiertes makelloses Veteranenbild zu etablieren, das einerseits den realen Kriegsalltag mit Verwundung, Töten und Sterben ausblendete. Andererseits hatte er klare Vorstellungen davon, wie den Toten des Weltkrieges angemessen gedacht werden sollte. Diesen Ideen blieb der Verband kompromisslos treu, wenn neue Denkmalsprojekte diskutiert oder errichtet wurden. Auch hier neigten der Kyffhäuserbund und seine Mitglieder dazu, sich einer Form der Erinnerung anzuschließen, welche die Vergangenheit systematisch verklärte. Eine kulturelle Demobilisierung, mithin eine Abrüstung der Sprache und der Bildpropaganda des Ersten Weltkrieges, der kriegsimmanenten Einstellungen und Mentalitäten durch die Kyffhäuser-Veteranen und mit ihnen der deutschen

Schlussbetrachtung

Nachkriegsgesellschaft, scheiterte an dieser Stelle. Eine solche Sichtweise machte es ebenfalls praktisch unmöglich, eine Kultur der Niederlage aufzubauen oder wenigstens eine kritische Auseinandersetzung über die deutsche Politik in der Vorkriegs- sowie Kriegszeit und die Gründe für die Niederlage im Weltkrieg anzustoßen. Diese Deutungen der Vergangenheit schlugen sich auch im Umgang des Kyffhäuserbundes mit literarischen oder filmischen Darstellungen des Veteranen und der Zeit des Weltkrieges nieder. Hierbei traten die Probleme des Verbandes mit dem zeitgenössischen Geschmack und der populären Massenkultur ebenso offen zutage wie mit solchen medialen Produkten, die den Kriegserfahrungen seiner Veteranen zuwiderliefen. In der Auseinandersetzung um das Buch und den Film Im Westen nichts Neues gerierte sich der Verband zur obersten Kritikerinstanz: Die Augenzeugenschaft und das Miterlebens seiner Mitglieder wurden zum Gradmesser dafür, ob man das Fronterlebnis verstehen konnte. Er behielt sich ausdrücklich vor, das letzte Wort zum Wahrheitsgehalt, zur Authentizität und zur Objektivität von Kriegsliteratur und Kriegsfilmen zu haben. Letztlich spiegelten diese auslegbaren Kategorien aber nur diejenigen Erfahrungsdiskurse wider, die sich aus den geronnenen Kriegserlebnissen und -erinnerungen der Erfahrungsgemeinschaft der Kyffhäuser-Veteranen speisten. Zweitens positionierte der Kyffhäuserbund sich und seine Veteranen im Möglichkeitsraum der Weimarer Republik. Obwohl er seine Gemeinschaft wiederholt als (partei-)politisch neutral darstellte, waren der Verband und seine Mitglieder doch zu jedem Zeitpunkt politisch denkende Akteure, die versuchten, ihre Ansichten und Ziele gegen konkurrierende durchzusetzen. Ebenso war der Kyffhäuserbund eine wirtschaftlich handelnde Interessengemeinschaft mit klar umrissenen Vorstellungen von den Rechten und Pflichten seiner Mitglieder sowie von der Verantwortung des Verbandes und des Staates ihnen gegenüber. Daher betätigte sich der Verband als Lobbyorganisation für seine Mitglieder und intervenierte vor allem auf sozialpolitischer Ebene. Dennoch reagierte er im Bereich des Politischen eher, als dass er selbst agierte. Der Kyffhäuserbund wirkte im Weimarer Parteiensystem mit seinen politisierten und polarisierenden Verbänden und Organisationen oft wie ein Anachronismus. Er war zu sehr ein Kind des 19. Jahrhunderts und des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates, wo die politische Debattenkultur und das Parlament durch die Autorität des Kaisers überstrahlt wurden. Dieses Agieren auf ungewohntem Terrain und seine oftmals an den Tag gelegte zeitweilige Passivität führten immer häufiger zu handfesten Problemen. Denn im Laufe der Zeit musste sich bei den anderen Veteranenverbänden der Eindruck festigen, dass der Kyffhäuserbund nur halbherzig reagierte, anstatt aus Überzeugung heraus zu agieren und aktiv zu gestalten. Dieses Lavieren lässt sich am Beispiel des Ehrenpräsidenten des Kyffhäuserbundes Paul von Hindenburg nachvollziehen. Hindenburgs Eigenschaften als militärischer Führer und der ihn umgebende Mythos von Tannenberg trugen ihn 1925 bis in das höchste politische Amt der Weimarer Repu-

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

blik. Seine Position war jedoch nicht so gefestigt, dass sie einen Erfahrungswandel der Veteranen hätte dauerhaft abfedern und aufhalten können. Diese Diskursverschiebung zugunsten eines alternativen Erfahrungsträgers an der Staatsspitze kumulierte in der Wahl des Reichspräsidenten von 1932, bei welcher die Meinungen der Verbandsspitze und der Basis quer zueinander lagen. Gegen Ende der 1920er Jahre drängte mit Hitler der personifizierte Frontsoldatenmythos in den Vordergrund und konnte erfolgreich auf die Kriegserfahrungen der einfachen Soldaten und Veteranen rekurrieren. Zwar wurde Hindenburg letztlich im Amt bestätigt, die Verbandsspitze bezahlte diesen Erfolg aber mit einem Vertrauensverlust der Mitglieder – denn diese gaben größtenteils dem Gefreiten und nicht dem Feldmarschall ihre Stimme. Außer den Erfahrungswandel verdeutlichen diese Konflikte aber auch den sich vollziehenden Generationen- sowie Mentalitätswandel im Verband, und sie unterstreichen zudem, dass sich seine starren Ordnungsvorstellungen sowie seine traditionelle Weltanschauung langsam überlebt hatten – auch wenn dies durch Begriffe wie (Volks-)Kameradschaft oder Kyffhäusergeist kaschiert werden sollte. Dieser Wandel und die mit ihm einhergehenden Konflikte traten auch in der Jugend- und Frauenarbeit offen zutage. Hier prallten immer häufiger anachronistische Sichtweisen und moderne Gesellschaftsauffassungen aufeinander. Jugendliche und Frauen waren nach dem Ende des Krieges in den Fokus fast aller Veteranenvereinigungen gerückt und verstärkten deren Mitgliederbasis. Mit zeitlicher Verspätung öffnete am Ende auch der Kyffhäuserbund seine traditionell patriarchalischen Verbandsstrukturen für Frauenabteilungen und Jugendgruppen. Diese Entwicklung stellte einen logischen Effekt der Erfahrungsdiskurse dar, da der Erste Weltkrieg aufgrund seiner Länge und seiner Intensität letztlich ein gesamtgesellschaftliches Phänomen war. Dennoch hatte der Kyffhäuserbund im Verlauf der 1920er Jahre in zunehmendem Maße Probleme, neue Mitglieder zu akquirieren. Mit Traditionspflege und Kameradschaft allein war er weder in der Lage, dauerhaft alte Mitglieder an sich zu binden, noch neue, junge Mitglieder für sich zu gewinnen. Insbesondere die Jugend strebte den neuen, dynamischen politischen Gruppierungen zu und kehrte dem Kyffhäuserbund den Rücken. Der Verband musste alternative Strategien entwickeln, um einen Imagewandel zu vollziehen und sich wieder stärker im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Der Kyffhäuserbund versuchte daher drittens, vor dem Hintergrund der Kriegserfahrungen seiner Mitglieder Einfluss auf den zukünftigen Weg der deutschen Gesellschaft zu nehmen. Das geschah zum einen gewissermaßen auf seinen Spezialgebieten, nämlich der Wehrpolitik und der Rüstungsplanungen für den Krieg der Zukunft. Letztere wurden dominiert von den Erfahrungen des vergangenen Krieges, die der Verband als Blaupause für künftige Konflikte heranzog. Dabei reicherten sich die Erfahrungsdiskurse zu diesem Thema zusehends mit fiktionalen Elementen an und bekamen schließlich phantastische Züge. In der

Schlussbetrachtung

Konsequenz schlossen sich an diese erfahrungsbasierten Gedankenspiele Überlegungen an, wie ein effektiver Schutz der Zivilbevölkerung organisiert werden könnte. Auch hier sollten die Veteranen mit ihren Weltkriegserfahrungen beratend zur Seite stehen, beispielsweise wenn es darum ging, die Effizienz des Gasschutzes zu erhöhen. Zum anderen versuchte der Kyffhäuserbund, sich ideologisch konturenschärfer und öffentlichkeitswirksamer zu positionieren, indem er die Kriegserfahrungen seiner Veteranen mit gesamtgesellschaftlichen Themen und Bedürfnissen der Zeit verknüpfte und so eigene Konzepte für eine positivere Gestaltung der Zukunft vorstellte. Das Ergebnis dieser Bemühungen kann als eine Form der Nachkriegs-Kriegskultur beschrieben werden, die kriegsimmanente Motive mit gegenwarts- und zukunftsbezogenen Themenkomplexen vermengte. Diese enthielt Elemente der Vergemeinschaftung aus (Vor-)Kriegszeiten wie etwa den Kyffhäusergeist oder die Volkskameradschaft, griff aber gleichzeitig aktuelle Gegenwartsdiagnosen wie Diskurse auf. Sie war damit im Feld der widerstreitenden Weltanschauungen gerade in völkisch-nationalen Kreisen anschlussfähig, ohne die politische Radikalität anderer Gesellschaftskonzepte der extremen Linken wie Rechten teilen zu müssen. Auch wenn der Kyffhäuserbund und seine Veteranen nach 1918 die Republik anerkannten und sich auf den Boden der Verfassung stellten, verharrten sie in der Folgezeit doch stets in einer Position abwartender Distanz zur neuen Staatsform – die ihnen oft genug als Passivität ausgelegt wurde –, ohne sie aktiv zu bekämpfen oder zu unterstützen. Für den Kyffhäuserbund war das Motiv der gesellschaftlichen Stabilität zentral, bedeutet diese doch letztlich auch Stabilität für seine eigenen Strukturen und bei der Versorgung seiner Veteranen. So lange diese im weitesten Sinne gegeben war, sah er keinen Grund, gegen das bestehende politische System zu opponieren. Zwar formulierte der Verband in vielen gesellschaftlichen Bereichen Verbesserungsvorschläge und Forderungen (etwa bei der Sozialgesetzgebung), neigte aber nicht zu ideologischen Experimenten oder gar politischen Aktivismus, der sich gezielt gegen das politische System richtete wie im Fall der Volksbegehren. Der Verband begab sich im Laufe der 1920er Jahre zusehends in eine passive Beobachterrolle und überließ den Kampf anderen Veteranenverbänden mit klareren politischen Zielen. In einer vergleichenden Perspektive zeigt sich, dass der Kyffhäuserbund im Spektrum der verschiedenen Veteranenverbände der Weimarer Republik eine Mittelposition einnahm. Er teilte weder den Radikalismus des Stahlhelms, des Roten Frontkämpferbundes oder der SA, welche die demokratische Ordnung der Weimarer Republik von ihrer jeweiligen politischen wie ideologischen Warte aus kontinuierlich unterminierten und darauf abzielten, einen Systemwechsel herbeizuführen, noch vermochte er sich dem republikbejahenden Optimismus des Reichsbanners anzuschließen. Der Erste Weltkrieg endete für den Kyffhäuserbund und seine Veteranen in zweifacher Hinsicht nicht mit dem Waffenstillstandsabkommen von Com-

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Veteranen des Ersten Weltkriegs

piègne oder dem Friedensvertrag von Versailles. Zum einen suggerierten aus Sicht des Verbandes die äußeren Einflüsse, dass das Bedrohungsszenario des Weltkrieges auch über das Jahr 1918 hinaus fortbestand. Zum anderen ergab sich für ihn aus dieser Einsicht die Konsequenz, dass die heimkehrenden Soldaten in mentaler Hinsicht nicht in ihr wohlverdientes Privatleben entlassen werden konnten. Auch wenn sie ihre feldgrauen Uniformen abgelegt hatten, blieben die Kyffhäuser-Veteranen für den Verband eine Basis, von der aus ein Wiederaufbau der deutschen Gesellschaft nach dem verlorenen Krieg erfolgen konnte. Die im Krieg angewandten Tugenden und gesammelten Erfahrungen sollten die ehemaligen Soldaten nunmehr als Veteranen auf die Nachkriegsgesellschaft anwenden und ihr helfen, sich von den materiellen, physischen und psychischen Kriegsfolgen zu erholen. Das lang erwartete Ende dieser kriegsbedingten Rekonvaleszent schien 1933 in greifbare Nähe gerückt zu sein. Im Aufstieg der nationalsozialistischen Bewegung erblickte der Kyffhäuserbund die Chance, einen starken politischen Verbündeten zu gewinnen, der ein ähnliches Veteranenbild vertrat wie er selbst und der ein für ihn ebenso erfolgversprechendes wie überzeugendes Zukunftskonzept für die deutsche Gesellschaft vorstellte. Im Zuge der Machtübernahme setzte er daher voll und ganz auf die neuen Entscheidungsträger im Staat und ließ das Kapitel Weimar bereitwillig hinter sich. Die vom Kyffhäuserbund erhoffte und aus seiner Sicht durch die NS-Bewegung und Adolf Hitler erreichte positive Überwindung von Vergangenheit und Gegenwart erwies sich für den Verband allerdings als Anfang des eigenen Endes. Die Dienste des Kyffhäuserbundes wurden im neuen, nationalsozialistischen Deutschland letztlich nicht mehr benötigt; er hatte sich selbst überlebt. Seine Organisation fiel jenem Regime zum Opfer, in das er seine ganzen Erwartungen und Hoffnungen auf eine bessere Zukunft für seine Veteranen und die deutsche Gesellschaft gesetzt hatte und das schließlich einen Krieg entfesselte, der abermals in die Katastrophe führte. Der Kyffhäuserbund und seine Veteranen waren also weder ein reiner Hort bierseliger Männlichkeit noch ein reaktionärer Zirkel, der die republikanische Ordnung untergrub, wo er nur konnte; er war weit mehr. Dank seiner Massenbasis konnte der Verband eine große Bandbreite der deutschen Nachkriegsgesellschaft der 1920er Jahre abbilden und Einfluss ausüben. Diese reichte von den traditionell geprägten Strukturen in den lokalen Kriegervereinen über die Kulturindustrie bis hinein in die höchsten Regierungszirkel, denen der eigene Ehrenpräsident als Reichspräsident vorstand. Der Kyffhäuserbund war ein Konglomerat aus Traditionspflege und Kriegsgedenken, aus politischen und kulturellen Aktivitäten, aus familiärem Bewusstsein und Jugendorientierung, aus Wissenschaftsinteresse und Fortschrittsdenken. An der Schnittstelle dieser thematisch-zeitlichen Ebenen bildete sich das exklusive Veteranenbild des Kyffhäuserbundes heraus, für das die Zeit des Ersten Weltkrieges und die Kriegserfahrungen der ehemaligen Soldaten stets

Schlussbetrachtung

das Passepartout waren. Der Kyffhäuserbund und seine einstigen Soldaten erschufen den Veteranen, indem sie ihre intersubjektiven Kriegserfahrungen sukzessive in jene Diskurse einspeisten, die ihn konstruierten. Die soldatischen Kriegserfahrungen veränderten Wahrnehmungen, Sicht- und Handlungsweisen sowie Mentalitäten und unterlagen so letztlich selbst dem historischen Wandel. Sie bezeichneten Phänomene und Sachverhalte, die erst durch die Interpretation der Betroffenen und durch die Kommunikation zwischen ihnen Gestalt annahmen. Die Veteranen des Ersten Weltkrieges und ihre Kriegserfahrungen formten die Sicht auf die Vergangenheit, gestalteten die Gegenwart und suchten nach Wegen in eine positivere Zukunft. Die Geschichte der Veteranen des Weltkrieges und des Kyffhäuserbundes ist daher ein fester Bestandteil und zugleich untrennbar verbunden mit der Geschichte der deutschen Nachkriegsgesellschaft der 1920er Jahre und der Weimarer Republik.

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: BArch, Bild 146-2006-0067: Nicola Perscheid – Porträt Generaloberst Josias von Heeringen, stehend (Postkarte). Abbildung 2: Otto Riebicke, aus: Kyffhäuserbund: Nachschlagewerk, S. 25. Abbildung 3: Herbert Rothgängel – Das Brandmal im Herzen Europas, aus: Kyffhäuser, 1.5.1932, S. 1. Abbildung 4: Herbert Rothgängel – Wahrheit soll siegen – Lüge erliegen, aus: Kyffhäuser, 22.5.1927, S. 1. Abbildung 5: Herbert Rothgängel – Wahrheit!, aus: Kyffhäuser, 23.6.1929, S. 1. Abbildung 6: Das Kyffhäuser-Denkmal im Harz um 1900, im Hintergrund die Ruine der Reichsfeste Kyffhausen, Postkarte im Privatbesitz des Autors. Abbildung 7: Der feste Wall gegen die rote Flut, aus: Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 55. Abbildung 8: Hermann Hosaeus, Kriegerdenkmal im Stile eines Epitaphs in Osnabrück, Fotografie des Autors. Abbildung 9: Ehrenmal des Reichsbundes Jüdischer Frontsoldaten, Jüdischer Friedhof Köln-Bocklemünd, Fotografie des Autors. Abbildung 10: Herbert Rothgängel – Geisterschlacht, aus: Kyffhäuser, 4.3.1928, S. 5. Abbildung 11: Das Reichsehrenmal im Stil der Neuen Sachlichkeit, Luftansicht, aus: Ernst Trommler: Das Reichsehrenmal bei Bad Berka, Groß-Gerau 1931, Tafel IV. Abbildung 12: BArch, Bild 146-2016-0058: o. A. – Hohenstein/Ostpreußen. Tannenberg-Denkmal, im Vordergrund Kriegsgräber von gefallenen russischen Soldaten, ca. 1930. Abbildung 13: BArch, Bild 102-04817: Georg Pahl – Die feierliche Enthüllung des Tannenberg-National-Denkmals in Hohenstein/Ostpreußen, 18. September 1927. Abbildung 14: Einweihungsfeier des Ehrenmals Innere Festigung am 2. September 1928, aus: Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (Hg.): Kriegsdenkmäler als Lernorte friedenspädagogischer Arbeit, Duisburg 2012, S. 25.

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Abbildung 15: Neues Denkmal der 39er am Reeser Platz in Düsseldorf, aus: Duisburger Institut: Kriegsdenkmäler, S. 28. Abbildung 16: BArch, Plak 002-016-053: Otto Flechtner – Ein Frontsoldat wählt Adolf Hitler!, ca. 1932. Druck/Verlag: M. Müller und Sohn, München. Abbildung 17: BArch, Bild 102-03816: Georg Pahl – Der Kyffhäuserbund zieht durch das Brandenburger Tor mit den Frontkämpfern Amerikas am 21. August 1934. Abbildung 18: Fahnenappell der Kyffhäuser-Jugend in Uniform, aus: SchulzLuckau: Soldatentum, S. 89. Abbildung 19: Kyffhäuser-Waisenhaus in Osnabrück, aus: Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 129. Abbildung 20: Graphische Darstellung eines deutschen Luftangriffes, 1915, aus: Parole, 6.3.1915, S. 6. Abbildung 21: Die Todesstrahlen, aus: Laffert: Flammen, S. 27. Abbildung 22: Ferngesteuerte, mit Treibstoff betriebene Rakete im Anflug auf eine Großstadt, aus: Laffert: Flammen, S. 2. Abbildung 23: Luft- und Gasschutz tut not! Luftschutz ist nationale Pflicht, aus: Kyffhäuser, 6.11.1932, S. 1. Abbildung 24: Gravens – Die Friedenstaube Frankreichs, aus: Kyffhäuser, 6.3.1932, S. 1. Abbildung 25: Deutsche Weihestunde 1935, letzte Reichsgründungsfeier des Kyffhäuserbundes, aus: Schulz-Luckau: Soldatentum, S. 99.

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Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA PK) Ministerium des Inneren I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 26, Bd. 3 I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 29, Bd. 2 I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 29, Bd. 3 Krieger-Vereine I. HA Rep. 77 Tit. 1137, Nr. 49

Landesarchiv Berlin Amtsgericht Charlottenburg B Rep. 042 Nr. 26096, Bd. 1 Generalstaatsanwaltschaft A Rep. 358-01 Nr. 809

Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Osnabrück (NiLaA OS) Schulaufsicht (Stadt) Dep 3b IV Akz 2014/078 Nr. 1 Zeitungssammlung Freund Dep 3b XVI Nr. 10 Nachlass Rudolf Lemke Erw A 100 Nr. 24 Private Volksschule Rep 430 Dez 400 Nr. 412 Kinder-Erziehungsheim Rep 430 Dez 400 Nr. 3107

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Kriegerverein zu Emlichheim Rep 450 Bent II Nr. 392 Kriegerverein zu Uelsen Rep 450 Bent II Nr. 393 Kriegerverein Venne Rep 450 Wit Nr. 1126

Sächsisches Hauptstaatarchiv, Dresden (SächsHSta) Ministerium des Innern Nr. 11339

Periodika Arbeiterjugend, Jahrgang 1931 Das Archiv, Jahrgang 1933 Der Kunstwart und Kulturwart, Jahrgang 1919. Der Mittag, Jahrgang 1928 Die Freiheit, Jahrgang 1928 Deutsche Zeitung, Jahrgang 1928 Deutscher Reichsanzeiger, Jahrgänge 1918 und 1919 Düsseldorfer Nachrichten, Jahrgang 1929 Düsseldorfer Stadt-Anzeiger, Jahrgang 1928 Düsseldorfer Zeitung, Jahrgang 1928 Illustrierte Republikanische Zeitung, Jahrgang 1929 Kriegerzeitung, Jahrgänge 1918-1925 Kyffhäuser, Jahrgänge 1925-1933 Kyffhäuser-Jugend, Jahrgang 1928 München-Augsburger Abendzeitung, Jahrgang 1928 Parole, Jahrgänge 1915-1918 Parole Buch, Jahrgang 1918 Reichsgesetzblatt, Jahrgänge 1918-1920 und 1930-1931 Reichsverfügungsblatt – Ausgabe A, Jahrgang 1943 Schulthess’ Europäischer Geschichtskalender: Neue Folge 43 (1927)

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Geschichtswissenschaft Reinhard Bernbeck

Materielle Spuren des nationalsozialistischen Terrors Zu einer Archäologie der Zeitgeschichte 2017, 520 S., kart., 33 SW-Abbildungen, 33 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-3967-4 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-3967-8

Gertrude Cepl-Kaufmann

1919 – Zeit der Utopien Zur Topographie eines deutschen Jahrhundertjahres 2018, 382 S., Hardcover, 39 SW-Abbildungen, 35 Farbabbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4654-2 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4654-6

Thomas Etzemüller (Hg.)

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Geschichtswissenschaft Nina Kleinöder, Stefan Müller, Karsten Uhl (Hg.)

»Humanisierung der Arbeit« Aufbrüche und Konflikte in der rationalisierten Arbeitswelt des 20. Jahrhunderts 2019, 336 S., kart., 1 Farbabbildung 34,99 € (DE), 978-3-8376-4653-5 E-Book: 34,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4653-9

Alexandra Przyrembel, Claudia Scheel (Hg.)

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Eva von Contzen, Tobias Huff, Peter Itzen (Hg.)

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