Wege zur Volksfront: Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis [Reprint 2021 ed.] 9783112598061, 9783112598054


175 31 55MB

German Pages 236 [237] Year 1979

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Wege zur Volksfront: Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis [Reprint 2021 ed.]
 9783112598061, 9783112598054

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Werner Herden

Wege zur Volksfront

Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte

Werner Herden

Wege zur Volksfront Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis

Akademie-Verlag • Berlin 1978

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1978 Lizenznummer: 202 • 100/204/78 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 5227 Bestellnummer: 753 487 8 (2150/65) • LSV 8021 Printed in G D R D D R 7,50 M

Inhalt

Vorbemerkung

7

Positionsbestimmung des Exils. Grundelemente literarischer und gesellschaftlicher Selbstverständigung auf dem Wege zur Volksfront

11

Zum Beitrag Georgi Dimitroffs für die Grundlegung des Volksfrontbündnisses in der antifaschistischen Literaturbewegung

38

Verteidigung der Kultur - Ausgangs- und Verständigungsformel im antifaschistischen Kampf

53

„Die Verteidigung heißt Antifaschismus.. ." Beiträge bürgerlich-humanistischer Autoren zur Volksfrontdiskussion . . .

77

Forum der literarischen Volksfront. Zur bündnispolitischen Wirksamkeit der Monatsschrift „Das W o r t "

98

Anthologien und Dokumentationen im Kontext des antifaschistischen Kampfes

133

Heinrich Mann und Johannes R. Becher. Zu literaturpolitischen Aspekten der Beziehungen zwischen beiden Schriftstellern

152

Auf der Suche nach antiimperialistischen Positionen . . . . Im Spannungsfeld der Weimarer Republik Wechsel auf die Zukunft - im Bündnis gegen Faschismus und Krieg

152 163 188

Anmerkungen

210

Personenregister

231

5

Vorbemerkung

Auf das engste mit der Volksfrontstrategie verbunden und diese aktiv mitgestaltend, wurden die Bündnisbeziehungen zwischen sozialistischen und bürgerlichen Autoren zu einem wesentlichen Entwicklungsmoment der antifaschistischen Literatur. Sie standen in ihrer grundsätzlichen Bestimmung wie in ihren Realisierungsformen im Einklang mit der Notwendigkeit, die auf Grund der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus objektiv gewachsenen Möglichkeiten zur Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront konsequent zu nutzen und den Protest bürgerlicher Schriftsteller und Künstler gegen bestimmte Erscheinungsformen des imperialistischen Machtmechanismus stärker als in den Jahren der Weimarer Republik mit der progressiven geschichtlichen Bewegung zu verbinden. Mit dieser Orientierung förderte die von den revolutionären Kräften initiierte Bündnispolitik einen ebenso weitgreifenden wie vielfältig differenzierten Entwicklungsprozeß: Der Vollzug des Bündnisses in der konkreten Auseinandersetzung mit Faschismus und Krieg gab der Suche bürgerlicher Autoren nach einer humanistischen Alternativposition zur bestehenden Gesellschaft eine qualitativ neue Dimension und ermöglichte ihnen, so wie dies Lenin als ein grundlegendes Prinzip und Wirkungsmoment proletarischer Bündnisstrategien charakterisiert hat, den Vorstoß zu einem „revolutionären Selbstbewußtsein". In dem geschichtlichen Kontext, der durch diese Entwicklungsprozesse bezeichnet wird, erhalten auch die Fragen nach der Volksfrontformel von der Verteidigung der Kultur, nach dem Charakter und der Differenziertheit der ästhetischen Posibionsbildungen, nach den Aufgaben, den Wirklichkeitsbeziehungen und dem Aktionsradius der antifaschistischen Literatur ihren spezifischen Stellenwert. Im Aufgreifen und in der Analyse dieser Fragen schließt die vorliegende Arbeit an eine Reihe von Erkenntnissen und Grundpositionen an, die vor allem in den sechziger und siebziger Jahren erarbeitet

7

wurden und als gesicherte Ausgangsbasis weiterführender Studien betrachtet werden können. Eine Reihe von Impulsen verdankt die Arbeit in diesem Sinne insbesondere der von Klaus Jarmatz 1966 vorgelegten Untersuchung Literatur im Exil sowie dem unter Leitung von Hans Kaufmann entstandenen Band 10 der Geschichte der deutschen Literatur (Berlin 1973). Ebenso steht sie mit den Arbeitsergebnissen, die von der Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur an der Akademie der Künste der D D R zur Diskussion gestellt wurden, sowie mit den Studien von Werner Berthold, Werner Mittenzwei und Dieter Schiller, auf die im Text im einzelnen Bezug genommen wird, in einem unmittelbaren konzeptionellen Zusammenhang. Von den zentralen Fragestellungen her ist die Arbeit schließlich auch eine Weiterführung der Heinrich-Mann-Studien des Verfassers, die besonders in dem Band Geist und Macht (1971) sowie in der Herausgabe des Essaybandes Verteidigung der Kultur (1973) ihren Ausdruck gefunden haben. Von einem weiterführenden Ansatz kann vor allem insofern gesprochen werden, als es auf der Grundlage der bislang erreichten Untersuchungsergebnisse nunmehr möglich und notwendig erscheint, den von der Volksfront inspirierten Anschluß von Intellektuellen, von Schriftstellern und Künstlern an die revolutionäre Bewegung, die Prozesse der Annäherung und des Übergangs zum sozialistischen Humanismus in ihrem strategischen Charakter wie in ihren vielfältigen Erscheinungsformen und ihren Widersprüchen umfassender und differenzierter herauszuarbeiten. Verbunden damit erfordern auch die Funktionen und die Wechselwirkungen von politischer und ästhetischer Konzeptionsbildung sowie die Dialektik von Allgemeinem und Besonderem, von wesentlichen Gemeinsamkeiten und individuellen Erfahrungsbereichen und Positionen, von Nationalem und Internationalem verstärkte Aufmerksamkeit. Im Rahmen der hier bezeichneten und nur durch kollektive Arbeit zu bewältigenden Aufgaben verstehen sich die vorliegenden Studien vor allem als der Versuch, zu einer vertieften Analyse jener Entwicklungsfaktoren und Prozesse beizutragen, die für die Herausbildung und die Intensität der Bündnisbeziehungen in der antifaschistischen deutschen Literatur bestimmend wären. Mit den Fragen nach dem geschichtlichen Kontext, dem Wirklichkeitsbezug und den Wirkungsintentionen der antifaschistischen Literatur rücken dabei zugleich generelle Entwicklungs- und Polarisierungsprozesse innerhalb der humanistisch orientierten Intelligenz in das Blickfeld. 8

Unter ausgewählten Aspekten werden diese Ausgangspositionen und Zusammenhänge zunächst im Hinblick auf die Positionsbestimmung des Exils, den Widerstand gegen die faschistische Kulturbarbarei sowie die Rolle und Wirksamkeit antifaschistischer Zeitschriften, Anthologien und Dokumentationen verfolgt. Weitere Studien sind dem Beitrag Georgi Dimitroffs zur Entwicklung des antifaschistischen Bündnisses sowie der potentiellen Verbundenheit und der Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Autoren in der Volksfrontbewegung gewidmet. Sie verdeutlichen insgesamt den aktiven Anteil der Literatur an den Kämpfen, den Erfahrungen und den Erkenntnisfortschritten, die mit dem Namen der Volksfront verbunden sind. Auf dieser Grundlage wird gleichzeitig der Vorstoß zu komplexer gewordenen Einsichten in das Beziehungsgefüge zwischen Literatur und Gesellschaft erkennbar: Gegenüber Tendenzen der Resignation und des Verzichts auf öffentliche Wirksamkeit bezeichnen die Diskussionen zu den Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten der Volksfront eine neue Stufe des geschichtlichen Selbstverständnisses auch über Aufgaben und Funktion der antifaschistischen Literatur, ihre Verbundenheit mit den Lebensinteressen des Volkes und ihr Vermögen, zum Bewußtwerden und zur bewußten Gestaltung der sozialen Lebensbeziehungen beizutragen. Sind die Studien zu den genannten Themenkomplexen im wesentlichen als Querschnittsdarstellung angelegt, so folgt das abschließende Kapitel, das die Beziehungen zwischen Heinrich Mann und Johannes R. Becher zum Gegenstand hat, dem methodischen Prinzip, die Entwicklung und die Produktivität der Bündnisbeziehungen in einem speziellen, diachron angelegten Problemaufriß zu erfassen. Schon von diesen Voraussetzungen her steht dieser Teil der Studien bei aller Eigenständigkeit mit den anderen Teilen in einem inneren, korrelativen Zusammenhang. Viele seiner Ausgangs- und Bezugspunkte weisen auf die vorangegangenen Untersuchungen zurück, ebenso wie diese durch die exemplarische Darstellung der Beziehungen zwischen Heinrich Mann und Becher in wesentlichen Aspekten ergänzt, präzisiert, veranschaul'cht und weitergeführt werden. Dies geschieht nicht zuletzt durch eine Betrachtungsebene, die auf Grund ihres Gegenstandes wie ihrer Prämissen auch die Vorgeschichte des antifaschistischen Bündnisses sowie seine fortgesetzte Bewährung in den Kriegsund Nachkriegsjahren ausdrücklich in den Aufriß der Frage- und Problemstellungen einbezieht. In den Analysen und der Beweisführung stützt sich die Arbeit vor9

nehmlich auf Dokumente und Materialien der Volksfrontbewegung sowie auf die Auswertung von Archivunterlagen und von Publikationsorganen der antifaschistischen deutschen Emigration. Als ein notwendiger Bestandteil der Untersuchungen erwies sich durchweg die Kritik antikommunistischer Vorbehalte gegenüber den im Zeichen der Volksfront begründeten Bündnisbeziehungen. Insbesondere waren Positionen zurückzuweisen, die dadurch charakterisiert sind, daß sie den strategischen Charakter und die Tragfähigkeit des Bündnisses nicht nur verkennen, sondern auch entstellen und bewußt herabsetzen. Auf weitergehende Fragestellungen, die mit den Ansätzen und den Ergebnissen der vorliegenden Studien im Zusammenhang stehen, ohne daß sie in dem gegebenen Rahmen näher verfolgt werden konnten, wird im Text bzw. in den Anmerkungen an geeigneter Stelle verwiesen. Für Vorschläge und Anregungen zu konzeptionellen und zu Einzelfragen bin ich vor allem Hans-Dietrich Dahnke, Klaus Jarmatz, Dieter Schiller und Siegfried Streller zu Dank verpflichtet. Ebenso danke ich den Mitarbeitern des Zentralinstituts für Literaturgeschichte an der Akademie der Wissenschaften der D D R , die den Abschluß und die Drucklegung der Arbeit gefördert haben. Berlin, Juni 1977

Werner Herden

Positionsbestimmung des Exils. Grundelemente literarischer und gesellschaftlicher Selb st Verständigung auf dem Wege zur Volksfront

Fragen zur Positionsbestimmung des Exils nahmen bereits in den ersten Diskussionen und Darstellungen zur Entwicklung der antifaschistischen deutschen Literatur einen zentralen Platz ein. W i e unterschiedlich die Gründe für die Verbannung aus dem faschistischen Deutschland auch gewesen sein mochten, der Aufenthalt und die Arbeit im Exil stellten die emigrierten Autoren vor die Notwendigkeit einer Selbstverständigung über den Charakter und die Bedingungen der Exilsituation, über die mit ihr gegebenen Aufgaben, Möglichkeiten und Begrenztheiten. Dieser Prozeß der Selbstverständigung und Positionsbestimmung empfing seine Impulse und Denkansätze primär aus praktischen Erfordernissen. Er wurde entscheidend durch die Aufgabe geprägt, Schaffens- und Wirkungsmöglichkeiten zu erkunden, die die Grundlage für eine Weiterführung der literarischen Arbeit, für die Aufnahme und Verarbeitung neuer Wirklichkeitserfahrungen bildeten. Unter den konkreten geschichtlichen Voraussetzungen konnte dies weniger denn je ein ausschließlich innerliterarischer Vorgang sein. Der Versuch, über die Ursachen und Auswirkungen des Exils Klarheit zu gewinnen, seinen geschichtlichen Platz zu bestimmen und seinen ungezählten Widrigkeiten und Begrenztheiten zu begegnen, war auf vielfältige Weise mit politischen und weltanschaulichen Konsequenzen verbunden. Vielfach war er im buchstäblichen Sinne eine Frage auf Leben und Tod. Er führte zu weitgreifenden Positionsgewinnen und zur Verkettung tragischer Umstände; mit Notwendigkeit jedoch erwies er sich, bei aller Differenziertheit im einzelnen, als eine Aufgabe von existentieller Bedeutung. Wie bei der Untersuchung dieser Fragen stets die zeitgeschichtlichen Voraussetzungen und der Charakter der antifaschistischen Emigration zu berücksichtigen sind, so hat man sich immer wieder auch der Tatsache zu versichern, daß der Anteil der Schriftsteller und Publizisten unter jenen Intellektuellen, die nach dem 30. Januar 1933 das 11

faschistische Deutschland verließen oder nach diesem Zeitpunkt nicht in ihre Heimat zurückkehrten, ungewöhnlich hoch war. Nach vorläufigen Angaben und Übersichten zwang die faschistische Diktatur annähernd 1500 Schriftsteller, Kritiker und Publizisten, unter ihnen die überwiegende Mehrheit der international anerkannten Autoren, zur Emigration. Moralisch diffamiert, physisch bedroht und oft nur mit Mühe dem faschistischen Terror entgangen, sahen sie sich aus den gewohnten Arbeits- und Existenzmöglichkeiten herausgerissen und mit der Aufgabe konfrontiert, ihre Arbeit außerhalb des Landes ihrer Herkunft und Sprache, außerhalb der Einflußsphäre der „Reichsschrifttumskammer" fortzusetzen. Die Verfolgungen, mit denen der Faschismus die sozialistische und wesentliche Richtungen der bürgerlichen Literatur sowie deren Repräsentanten bedrohte, erstreckten sich von Beginn an nicht nur auf einzelne exponierte Autoren und nicht lediglich auf eine bestimmte Gruppierung von Intellektuellen; sie nahmen ein Ausmaß an, für das die Literaturgeschichte kaum vergleichbare Beispiele kennt. Zu den innerhalb weniger Wochen in das Exil getriebenen Autoren gehörten sowohl führende Mitglieder der Preußischen Akademie der Künste als auch des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller, Autoren unterschiedlichster Provenienz, Weltanschauung und Schreibart. Ihre Haltungen berührten sich in einer politisch-moralisch motivierten Distanz gegenüber dem Machtvollzug und den Machtansprüchen des faschistischen Regimes, gegenüber der offen praktizierten Geist- und Kulturfeindlichkeit, der Gleichschaltung kultureller Institutionen, den Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933, dem Mißbrauch des humanistischen Erbes, dem Terror gegen alle demokratischen Kräfte. Diese Distanz gegenüber den Ansprüchen und Praktiken des Regimes war indessen keineswegs an bestimmte politische, soziale, weltanschauliche oder ästhetische Positionen gebunden. Sie beruhte auf sehr verschiedenartigen Anlässen und Beweggründen, die sich folgerichtig auch in den Versuchen der Selbstverständigung über die zeitgeschichtlichen Ereignisse und die Triebkräfte dieser Ereignisse widerspiegelten. Zum Nachweis der politisch-ökonomischen Zusammenhänge, die das Heraufkommen des Faschismus ermöglicht und bedingt hatten, gesellten sich Diagnosen, die vorrangig psychologische, pathologische, ethnische und biologische Faktoren zur Erklärung der sozialen Vorgänge bemühten. Neben militanten, auf akdven Widerstand zielenden Reaktionen standen Distanzierungen, die sich auf den Ausdruck der 12

persönlichen Enttäuschung reduzierten oder sich in der Resignation gegenüber antihumanen Haltungen erschöpften. Während marxistische Autoren die Vertreibung der humanistischen Literatur als Symptom für die weitere Verschärfung der Widersprüche innerhalb der imperialistischen Gesellschaft werteten, artikulierten sich zugleich Auffassungen, die dem Exil als vermeintlichem Sinnbild einer generellen, gleichsam naturgeschichtlich wirkenden und stets gegenwärtigen Bedrohung des Humanen eine metaphysische Sinngebung zuordneten. Sowenig demnach die vielfältig differenzierten Motive für die Emigration und die damit verbundenen Positionsbildungen zu ignorieren sind, so wenig sind andererseits die gemeinsamen Ausgangspunkte für das Wirken der antifaschistischen Autoren unter den Bedingungen des Exils zu übersehen. Neben der Distanzierung von der herrschenden Geist- und Kulturfeindlichkeit bestand nach den Worten Heinrich Manns eine der grundlegenden Gemeinsamkeiten der antifaschistischen Schriftsteller darin, daß sie ihre Sache auf die Leistung gestellt hatten anstatt auf die Begünstigung durch das faschistische Regime. Die antifaschistische Literatur, so führt Heinrich Mann diesen Gedanken in seinem Grußschreiben an den sowjetischen Schriftstellerkongreß vom Sommer 1934 weiter, sei in Wirklichkeit die einzige deutsche Literatur, weil nur sie die Gedanken- und Gewissensfreiheit behalten habe und weil zum anderen durch Verbannung, Not und Mühen die Begabungen vertieft und die Schriftsteller streng gesiebt würden. Während im Lande die allerlumpigste, zweckbewußteste Gleichschaltung betrieben werde und die Dummheit ihr übliches Maß weit hinter sich gelassen habe, sei die emigrierte Literatur, zu der auch einige in Deutschland Verbliebene gehörten, auf dem Wege, besser zu werden, als sonst der Durchschnitt der Literatur es gewesen sei. „Wenn das spätere Deutschland selbst einmal besser werden sollte, als es sonst war, dann wird diese Literatur sich hoffentlich herausstellen als seine geistige Vorwegnahme." 1 Auch von diesen Überlegungen und Gesichtspunkten her bestätigt sich die von F. C. Weiskopf gegebene Bestimmung, daß die antifaschistische deutsche Exilliteratur als ein heterogenes Gebilde mit elementaren Gemeinsamkeiten zu begreifen ist.2 Zahlreiche literarische Debatten über die Exilproblemaeik beziehen gerade aus diesem dialektischen Spannungsverhältnis zwischen Heterogenität und Gemeinsamkeit, zwischen divergierenden politischen, weltanschaulichen und ästhetischen Standorten und gemeinsamen Ausgangspunkten in 13

der Distanz zum faschistischen Regime sowie in der Exilerfahrung ihre Brisanz, ihre Ausstrahlungskraft, ihre spezifische Färbung. Für' eine Betrachtung, die nach charakteristischen Haltungen zur Exilproblematik fragt, bleibt zudem ständig die unter dem Einfluß der realen geschichtlichen Prozesse sich vollziehende Entwicklung und Veränderung der Positionen zu beachten. Eine Erörterung der aufgeworfenen Fragen wird sich daher nicht auf ein statisches Erfassen einzelner Tendenzen, Äußerungen, Debatten und Entwicklungsmomente beschränken können, sondern mit dem Blick auf weiterführende oder retardierende Einsichten, auf positionsbildende Entwicklungs- und Klärungsprozesse zu verbinden sein. Wie der Distanzierung vom Faschismus durchaus unterschiedliche Einsichten in das Wesen seines Machtmechanismus zugrunde lagen, so wirkten diese Einsichten auch in äußerst differenzierter Weise auf die Bemühungen ein, den geschichtlichen Platz des Exils und den Einfluß der Exilsituation auf das literarische Schaffen zu bestimmen. Die im Exil wirkenden sozialistischen Autoren wußten sich in ihren Erkenntnissen sozialer, politischer und ökonomischer Kausalzusammenhänge in Übereinstimmung mit den von der proletarisch-revolutionären Bewegung erarbeiteten Analysen der Ereignisse: Sie werteten das faschistische Regime als eine spezifische Form der auf den gegebenen Besitz- und Machtverhältnissen beruhenden Klassenherrschaft, als die offene und terroristische Diktatur der reaktionärsten und aggressivsten Kreise des Finanzkapitals. Ausgehend von dem Plädoyer für ein gemeinsames Wirken der emigrierten Autoren und für eine kameradschaftliche Auseinandersetzung um strittige Fragen, wies Wieland Herzfelde bereits im September 1933 - im ersten Heft der Neuen Deutschen Blätter - auf eine Reihe von Konsequenzen hin, die sich aus einer derart klassenmäßigen Sicht der faschistischen Diktatur für die literarische Arbeit unter den Bedingungen des Exils ergaben. Gegen die Begrenztheiten bürgerlicher FaschismusInterpretationen gewandt, betonte Herzfelde die Notwendigkeit, den Blick nicht allein auf bestimmte Erscheinungsformen des Faschismus zu lenken, sondern zugleich dessen Wesen und geschichtliche Funktion zu erfassen. Aus der Einsicht, daß der Faschismus nicht eine zufällig entstandene Herrschaftsform, sondern „das organische Produkt des todkranken Kapitalismus" darstellt, resultierte die weiterführende Fragestellung: „Ist da nicht jeder Versuch, liberalistischdemokratische Verhältnisse wiederherzustellen, ein Verzicht darauf, das Übel mit der Wurzel auszurotten? Ist nicht jeder Kampf, 14

der nur der Form gilt, im Grunde ein Scheinkampf ? Gibt es eine andere reale Kraft, die den endgültigen Sieg über Not und Tyrannei zu erringen vermag, als das Proletariat? Wir sind überzeugt, daß die richtige Beantwortung dieser Fragen gerade auch für den Schriftsteller bedeutungsvoll ist, denn die Wahrhaftigkeit der Darstellung und sogar die formale Qualität der Literatur hängen ab von der Tiefe des Wissens um das gesamte Geschehen und seine Ursachen." 3 Die Erkenntnis der sozialen und ökonomischen Ursachen, die den Faschismus hervorgebracht hatten, schloß in diesem Sinne von vornherein ein Exilverständnis aus, in welchem der Verzicht auf eine bewußte gesellschaftliche Wirksamkeit und die bloße Negation eines antihumanen Machtvollzugs dominierten. Vielmehr leitete sich aus dieser Erkenntnis die Konsequenz her, die Arbeit im Exil in die Kontinuität des historischen Prozesses zu stellen, sie als einen neuen, durch spezifische Bedingungen charakterisierten Abschnitt der geschichtlichen Auseinandersetzung zwischen den progressiven Kräften und den Kräften der Reaktion, zwischen Sozialiismus und Imperialismus zu begreifen. Dies bedeutete, die Spezifik der Exilsituation weder zu ignorieren noch zu verselbständigen. 4 So entschieden von den konkreten Bedingungen des Exils auszugehen war, sowenig waren diese Bedingungen aus ihren geschichtlich-sozialen Voraussetzungen und Zusammenhängen herauszulösen. Wenn in den Arbeiten marxistischer Autoren Reflexionen über die Problematik des Exils demnach konzeptionelle Überlegungen über den Inhalt und den Charakter des antifaschistischen und antiimperialistischen Kampfes in seiner Gesamtheit eingeordnet wurden, so war dies folglich kein beiläufiger Umstand, sondern ein konstituierendes Element eines sozialistischen Zeit- und Geschichtsverständnisses. Diesem Verständnis stellte sich das Exil weder als Ausdruck einer ahistorisch gefaßten, jenseits der sozialen Determiniertheiten wirkenden Gefährdung humaner Werte und Existenzmöglichkeiten dar, noch rückte es die Vertreibung aus dem faschistischen Deutschland tendenziell in die Nähe einer aus freien Stücken gewählten Auswanderung, die ebensosehr von Resignation und Abkehr wie von dem Willen zur dauernden Integration in ein anderes Land, einen anderen Wirkungskreis getragen war. In seinem Gedicht Über die Bezeichnung Emigranten aus dem Zyklus der Svendborger Gedichte hat Brecht die Positionen der mit dem antifaschistischen Kampf verbundenen Autoren eindeutig von einer solchen Lesart des Emigrations-Begriffes unterschieden: 15

Immer fand ich den Namen falsch, den man uns g a b : Emigranten. D a s heißt doch Auswanderer. Aber wir Wanderten doch nicht aus, nach freiem Entschluß Wählend ein anderes Land. Wanderten wir doch auch nicht Ein in ein Land, dort zu bleiben, womöglich für immer. Sondern wir flohen. Vertriebene sind wir, Verbannte. Und kein Heim, ein Exil soll das Land sein, das uns aufnahm. Unruhig sitzen wir so, möglichst nahe den Grenzen Wartend des Tags der Rückkehr, jede kleinste Veränderung Jenseits der Grenze beobachtend, jeden Ankömmling Eifrig befragend, nichts vergessend und nichts aufgebend Und auch verzeihend nichts, was geschah, nichts verzeihend.. . 5 Die sorgsame, vom persönlichen Erfahrungsbereich ausgehende Differenzierung der Begriffe, die in den ersten Zeilen gegeneinander gesetzt werden, zielt vor allem auf eine Charakteristik jener Haltungen, welche sich bewußt dem antifaschistischen Widerstand einordneten. Die entschiedene Absage gilt den Herrschenden, nicht dem Land, das sie unterjocht haben; die Kämpfe, die ausgetragen werden, werden als K ä m p f e handelnder gesellschaftlicher Kräfte erkannt. Einer Position des Verzichts wird das Bewußtsein vom Fortgang der Kämpfe gegenübergestellt, wobei die eigene Arbeit, auch und gerade die Arbeit im Exil, bei all ihren Besonderheiten und Schwierigkeiten als Element dieser Kämpfe verstanden wird. Dieses Bewußtsein des Einbezogenseins in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, in den Kampf gegen die faschistische Barbarei, bestimmt bis in die Details die von Brecht beschriebene Haltung im E x i l : die unausgesetzte Verbundenheit mit dem Land bis hin zur Wahl des Exillandes, die Aufmerksamkeit gegenüber jeder Nachricht und Mitteilung, die über die Grenzen gelangt, die Entschlossenheit zur Selbstbehauptung und zum Widerstand. Auch in der Selbstverständigung und in den Reaktionen bürgerlicher Autoren dokumentierte sich nicht weniger schlüssig der positionsbildende Einfluß, den die Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Faschismus unter den Bedingungen des Exils gewann. D i e zögernde 16

und abwartende Haltung Thomas Manns in den ersten Exiljahren noch im Januar 1934 konnte er davon schreiben, d a ß sein Urteil nicht vom „Emigrantengeist" bestimmt oder beeinflußt sei 6 - ist nicht von der Vorstellung zu trennen, d i e Existenz des faschistischen Staates, seine Rechtsbrüche und Rechtsverletzungen seien eine zeitweilige Anomalie, wobei diese Vorstellung insbesondere mit dem Versuch korrespondierte, die bestehenden Arbeitskontakte mit Verlagsunternehmen und damit die Verbindung mit dem gewohnten Leserkreis so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. Kurt Tucholskys resignative Haltung im Exil, zusammengefaßt in der Aussage, er habe mit diesem Lande, dessen Sprache er so wenig w i e möglich spreche, nichts mehr zu schaffen, 7 resultiert wesentlich aus der weitgehenden Identifizierung des Faschismus mit dem deutschen Volk. Nicht wenige bürgerliche Autoren schließlich, unter ihnen in den ersten Exiljahren auch Feuchtwanger und Heinrich Mann, sahen im Faschismus zunächst und vor allem den Ausdruck und die zügellose Entfaltung irrationaler Triebe und barbarischer Instinkte, einen anachronistischen Rückfall in die Vernunftwidrigkeit, in das Zeitalter der Inquisition. Bestimmte Symptome der offen zutage getretenen Geist- und Kulturfeindlichkeit wurden dabei oftmals einer prinzipiellen und scharfsinnigen Kritik unterzogen, ohne d a ß die politischen, sozialen und ökonomischen Grundlagen dieser Symptome in gleichem M a ß e in das Blickfeld traten. Erschien in dieser Sichtweise das faschistische Herrschaftssystem als die Verkörperung der zur staatlichen Macht gelangten Irrationalität, so w u r d e demgegenüber das antifaschistische Exil zugleich als jenes Wirkungsfeld erkannt, auf welchem sich Vernunft und humanistisches Denken, geistige Tradition und literarische Leistung zu behaupten hatten. Obgleich eine derart verstandene Antinomie Vernunft - WiderVernunft durchaus die Bereitschaft und die Entschlossenheit zur Verteidigung der Humanität einschloß und damit Tendenzen der Resignation und der Selbstaufgabe entgegenwirkte, blieb von dieser Position aus der W e g zu einer Analyse des Klassencharakters der faschistischen Bewegung und der durch sie repräsentierten Kräftekonstellation weitgehend versperrt. W a s sich im Verständnis marxistischer Autoren als Resultat realer Klassenkämpfe erwies, als konkreter Ausdruck der rapide verschärften allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, erschien hier als ein geistig-moralischer Anachronismus, als ein Inferno des Wahnsinns und der Irrationalität. Wenn sozialistische Autoren w i e Becher, Brecht, Marchwitza, Petersen, 2

Herden, Volksfront

17

Bredel und Herzfelde dieser Auffassung mit sachlicher Entschiedenheit begegneten, wenn sie auf die Inkonsequenzen einer derartigen Haltung hinwiesen, so entsprach dies weiterreichenden Einsichten in den Kausalkomplex politisch-ökonomischer und geistig-kultureller Entwicklungsfaktoren und bedeutete zum anderen keineswegs, den erklärten Willen bürgerlicher Autoren zur Verteidigung der Kultur und der Humanität zu ignorieren. Gerade die Bereitschaft zur Behauptung humanistischer Positionen ermöglichte und erforderte vielmehr die klärende Diskussion darüber, durch welche gesellschaftlichen Kräfte Barbarei und Widervernunft benötigt und hervorgebracht wurden. Wer das Exil als Feld zur Behauptung der Vernunft und geistiger Überlieferung begriff, konnte auf diesem Felde um so wirksamer tätig sein, je mehr sich ihm nicht nur die intellektuelle, sondern auch die soziale Physiognomie der Vernunftwidrigkeit und der mit ihr verbundenen Kulturfeindlichkeit erschloß. Nicht zuletzt aus diesen Gründen forderte Becher in seiner Rede auf dem Pariser Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur im Sommer 1935 dazu auf, das g a n z e Geheimnis der Unterdrückung aufzuspüren und die sozialen Vorgänge als Ausdruck und Resultat objektiv wirkender gesellschaftlicher Bewegungsgesetze erkennbar zu machen. D i e gleiche Forderung wurde auf dem Pariser Kongreß unter spezifischen Gesichtspunkten auch von Henri Barbusse und Martin Andersen Nexö, von Bertolt Brecht und Anna Seghers erhoben. Brecht plädierte in seinem Beitrag, eine von Herzfelde im September 1933 in die Debatte eingeführte Formel aufnehmend, mit Nachdruck dafür, über die W u r z e l d e r Ü b e l nachzudenken und zu sprechen. Roheit und Barbarei seien nicht in sich selbst, sondern in der Existenz der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse begründet. Die Grausamkeiten des Faschismus seien keine unnötigen Grausamkeiten, sondern nötig zur Aufrechterhaltung dieser Eigentumsverhältnisse. 8 D i e Kritik einer Position, in deren Selbstverständnis Vernunft und Roheit, geistige Tradition und Barbarei überwiegend als abstrakte Größen fungieren, verstand sich in diesen wie in anderen Darstellungen sozialistischer Autoren als Bestandteil eines Klärungsprozesses, der darauf zielte, die Verteidigung der Kultur nicht auf die Abwehr dieser oder jener Willkürakte zu begrenzen, sondern sie folgerichtig mit dem Kampf um menschenwürdige Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu verbinden. Zwischen der kameradschaftlichen Auseinandersetzung um diese Fragen, deren Wert und Notwendigkeit Wieland Herzfelde bereits im 18

Geleitwort der Neuen Deutschen Blätter betont hatte, und dem Bemühen, die Gemeinsamkeiten der im Exil wirkenden Autoren geltend zu machen, bestand dabei um so weniger ein Widerspruch, als jedes sachliche Urteil, jede Verständigung über gemeinsame Schritte nicht von Wunschbildern, sondern von der Analyse der realen Gegebenheiten auszugehen hatte. Zudem konnte eine abstrakt angelegte Konfrontation Vernunft - Widervernunft unter dem Eindruck neuer geschichtlicher Erfahrungen und Erkenntnisse durchaus relativiert oder aufgelöst werden; sie konnte aber auch zu Konsequenzen führen, die einer Aktionseinheit keineswegs förderlich waren. Dies war vor alem insoweit der Fall, wie sich resignative Haltungen verfestigten und den Anstrich einer konzeptionell gestützten Legitimation erhielten. Wo die Vernunftswidrigkeit abstrakt, anonym und unerklärbar blieb, mußte ihr gewaltsames Vordringen als eine ebenso anonyme und unerklärbare Bedrohung des menschlichen Schicksals an und für sich erscheinen, so daß sich unter diesen Vorzeichen die Exilsituation als der zugespitzte Ausdruck einer Gefährdung der Humanität spiegelte, die verstanden und interpretiert wurde als eine elementare, im Sozialen nicht faßbare Begleiterscheinung geschichtlicher Abläufe. Für eine Reihe von Autoren stellte sich das Exil somit in bestimmendem Maße als eine Erlebnissphäre dar, in der die Brüchigkeit der bestehenden Verhältnisse, die zunehmende Isolierung des Individuums in der bürgerlichen Gesellschaft und die damit verbundenen Symptome des Persönlichkeitsverlustes, das heißt Entfremdungserscheinungen, die teilweise bereits unter den Bedingungen des ersten Weltkrieges, der revolutionären Nachkriegskrise und der relativen Stabilisierung des Kapitalismus empfunden und in differenzierter Weise gestaltet worden waren, eine weitere Zuspitzung und Verschärfung erfuhren, ohne daß die Ursachen dafür hinreichend in den Bereich der Erkennbarkeit traten. Die Vertreibung der humanistischen Literatur durch einen weder geistig noch moralisch legitimierten, grotesk aufgeputzten und brutal zuschlagenden Machtmechanismus, aber auch die aufreibenden und nicht selten ergebnislosen Kämpfe um Existenzund Arbeitsmöglichkeiten, um Pässe und sicheren Aufenthalt, die zahllosen Mühseligkeiten und Widrigkeiten, die dem Verbannten auf Schritt und Tritt begegneten, legten so wiederholt den Schluß nahe, das Exil geradezu als eine Entfremdungssituation par excellence zu begreifen und ihm dadurch zugleich einen relativ selbständigen Stellenwert einzuräumen. Als charakteristisch dafür können in bestimmter Weise die Posi2*

19

tionen gelten, die René Schickele und Franz Werfel nach dem Anbruch der faschistischen Diktatur bezogen. Verbal gleichfalls darum bemüht, „das Übel an der Wurzel" zu zeigen, vertrat René Schickele unter vorsätzlichem Verzicht auf eine soziale Analyse den Standpunkt, daß die Politik für die zeitgeschichtlichen Ereignisse nur den Vorwand oder bestenfalls das „die innerste Triebfeder" auslösende Moment liefere. Zum Zeitbezug und zu den Intentionen seiner literarischen Arbeit schrieb er im Februar 1934: „Ausdrücklich wollte ich jede aktuelle Beziehung vermeiden und das Übel an der Wurzel zeigen. Denn für das, was heute geschieht, bildet die Politik nur den Vorwand . . . Ich sehe in alledem die K a t a s t r o p h e d e s M e n s c h e n , d e r s e i n G e w i s s e n v e r l o r . Er hat die alten metaphysischen Bindungen abgelegt, ohne neue zu finden, und rast wie ein zur Unzeit befreiter Sklave." 9 Die krisenhafte Situation der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie im Faschismus ihren potenzierten politischen und sozialen Ausdruck fand, erscheint somit als eine generelle Krise humaner Werte, die ihre Wurzeln nicht im Sozial-Ökonomischen, sondern im Verlust metaphysischer Bindungen hat. In den Äußerungen Franz Werfeis, der von einem „Weltzustand der vollkommenen Wertzerstörung" spricht, welcher sich namentlich „in beklemmender Ratlosigkeit" und „seelischer Atonie" äußere, wird die metaphysische Sicht des Exils bis hin zu den Details der Wortwahl ablesbar. In seinem Vortrag Ohne Divinität keine Humanität, einem im Januar 1939 auf einem Kolloquium in Paris vorgetragenen Text, erklärte er das Phänomen der Emigration mit den Worten: „Die Zentrifuge hat einen bestimmten Teil der Menschheit erfaßt und ausgeschleudert."10 Der daraus abgeleiteten Frage, ob diese „Ausschleuderung" eine Form der Aussonderung oder Erwählung sein könnte, wird sogleich die Frage gegenübergestellt, ob die von Schalter zu Schalter gehetzten Emigranten überhaupt imstande seien, Träger eines geschichtlichen Sinnes zu sein. Auch aus einer Reihe anderer Äußerungen und Bekenntnisse bürgerlicher Autoren wird ersichtlich, in welchem Maße die Exilsituation als eine potenzierte Entfremdungssituation empfunden wurde, als das Anwachsen einer rational nicht erfaßbaren Bedrohung, die die Sicherheit menschlicher Existenz ebenso wie den Sinn des künstlerischen Schaffens radikal in Frage stellte. Stefan Zweig kommt in seiner 1944 in Stockholm postum veröffentlichten Autobiographie Die Welt von Gestern zu folgendem Resümee : „Und ich zögere nicht zu beken20

nen, daß seit dem Tage, da ich mit eigentlich fremden Papieren oder Pässen leben mußte, ich mich nie mehr ganz als mit mir zusammengehörig empfand. Etwas von der natürlichen Identität mit meinem ursprünglichen und eigentlichen Ich blieb für immer zerstört." 11 In ähnlicher Weise urteilt Alfred Döblin, wenn er im Rückblick auf die Exiljahre bekennt: „Ich erinnere mich nicht, zu je irgendeiner Zeit meines Lebens so wenig 'ich' gewesen zu sein! Ich war weder 'ich' in den Handlungen (meist hatte man nicht zu handeln, man wurde getrieben, man blieb liegen), noch war meine Art zu denken und zu fühlen die alte." 12 Von dieser Erlebnissphäre aus war durchaus eine detaillierte und eindringliche Darstellung der Bedrohung humaner Werte möglich; ihre Grenzen lagen vor allem darin begründet, daß die dargestellten Entfremdungsprozesse wohl in ihren Erscheinungsformen, nicht jedoch in ihrem sozialen Bedingungsgefüge erfaßt wurden. Dies wiederum hatte zur Folge, daß auch die reale Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse, gefaßt als Veränderung durch die geschichtliche Aktion progressiver sozialer Kräfte, gänzlich oder weitgehend außerhalb des Blickfeldes und der Darstellung blieb. Ebenso bezeichnend wie aufschlußreich sind in diesem Zusammenhang die Feststellungen, zu denen Matthias Wegner in seiner Arbeit Exil und Literatur gelangt, einer der ersten der in der Bundesrepublik vorgelegten Untersuchungen zur Entwicklung der antifaschistischen deutschen Exilliteratur. Wegner stützt sich durchaus auf nachweisbare Sachverhalte, wenn er das „Bewußtwerden der Selbstentfremdung" und „das Gefühl des Umhergestoßenwerdens von einer undechiffrierbaren Gewalt" als eines der wesentlichen Momente des Exilerlebnisses von Döblin und ihm nahestehender Autoren charakterisiert. 13 Obgleich auch hier einschränkend darauf zu verweisen ist, daß verschiedentlich eine stärkere Differenzierung der Positionen und ihrer Entwicklungen geboten erscheint, werden mit diesen Beobachtungen zweifellos Elemente realer, für bestimmte bürgerliche Autoren charakteristischer Positionsbildungen erfaßt. Anders verhält es sich jedoch, wenn der Versuch unternommen wird, diese Positionsbildungen zu generalisieren, wenn an die Stelle der konkreten und differenzierten Analyse die summarisch bilanzierende Aussage gesetzt wird, d i e E m i g r a t i o n habe die fundamentale Unsicherheit menschlicher Verhältnisse aufgedeckt, sie habe die Abgründe jenseits der physischen Existenz sichtbar gemacht, das Exil sei zum Symbol für die ruhe- und ziellose Wanderschaft des Menschen geworden, 21

gleichsam zu einem zeitlos gefaßten Grundmodell menschlicher Existenz. W o im Rahmen dieser Interpretation, die unter verschiedenen Aspekten auch in anderen bürgerlichen Darstellungen zur Exilproblematik eine maßgebliche Rolle spielt, auf das Beziehungs- und Spannungsverhältnis zwischen dem Exilverständnis und weiterreichenden Zielvorstellungen eingegangen wird, geschieht dies in einer derart mechanischen Betrachtungsweise, d a ß die kausalen Beziehungen zwischen den einzelnen Elementen der Positionsbildung kaum zur Geltung kommen. D i e geistige Auseinandersetzung mit der Exilsituation und die Einordnung dieser Situation in ihre geschichtlichen Zusammenhänge erscheinen nahezu als gegensätzliche Komponenten. So schreibt Wegner über das Exilverständnis bürgerlicher bzw. sozialistischer Autoren: „Während das Leben im Exil nichtmarxistische Schriftsteller zwar häufig zur Überprüfung des eigenen literarischen Schaffens veranlaßte und zur Beschäftigung mit der besonderen Situation des Schriftstellers im Exil anregte, war für die Kommunisten nicht eine geistige Bewältigung des Exils, sondern der Sieg des Sozialismus die eigentliche Aufgabe." 1 4 Gezieltere Auseinandersetzungen sozialistischer Autoren mit der Exilproblematik beispielsweise in der Lyrik Bechers und Brechts - werden kurzerhand zu „Ausnahmen" erklärt. So richtig es ist, d a ß im Epochenverständnis sozialistischer Autoren die Exilproblematik nicht verselbständigt, nicht ins Existentielle ausgeweitet wird, wie dies zum Beispiel im Schaffen René Schickeies, Stefan Zweigs oder Hermann Brochs in differenzierter Weise zu beobachten ist, so fragwürdig bleiben die Schlußfolgerungen und Urteile, die Wegner daraus ableitet. E r übersieht zunächst die Tatsache, daß die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen im Exil nicht nur bürgerliche, sondern auch marxistische Autoren „zur Überprüfung des eigenen literarischen Schaffens" veranlaßten. D i e Reflexionen, Debatten und Auseinandersetzungen zu den Aufgaben und Möglichkeiten der literarischen Arbeit, zu Grundfragen der Tradirionsbeziehungen und des Schaffensprozesses bilden einen immanenten Bestandteil der Geschichte der antifaschistischen Exilliteratur. In nicht geringerem M a ß e verkennt Wegner zum anderen den elementaren Zusammenhang, der zwischen der geistigen Bewältigung des Exils und dem Kampf für eine menschenwürdige gesellschaftliche Ordnung im Wirken sozialistischer Autoren bestand. Nur wer sich in den Prüfungen des Exils über ungezählte Schwierigkeiten und Z w e i f e l

22

hinweg zu behaupten vermochte, konnte seine Arbeit überhaupt als Element geschichtlicher Auseinandersetzungen begreifen und wirksam werden lassen, als Element von Auseinandersetzungen und Kämpfen, die in der Tat nicht auf die Zeitspanne des Exils begrenzt waren. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß die Formulierungen Wegners vom „Sieg des Sozialismus" als der „eigentlichen Aufgabe" auch an der strategischen Zielsetzung des antifaschistischen Kampfes und ihrer geschichtlichen Dialektik vorbeigehen. Die von Wegner entwickelte Argumentation verdeutlicht in ihrer Gesamtheit einen für bestimmte Tendenzen der bürgerlichen Exilforschung durchaus symptomatischen Sachverhalt: Wo die geistige und moralische Bewältigung des Exils gewissermaßen zum Selbstzweck erhoben wird, führt dies letztlich zu einem enthistorisierten, seiner konkreten gesellschaftlichen Prämissen beraubten Exilbegriff. Aus einer Verselbständigung spätbürgerlicher Positionsbildungen resultiert eine Anwendung von Wertungskriterien, die nicht geeignet sind, ein dialektisches Verständnis der geschichtlichen Bewegung zu fördern. Analoge Tendenzen zu einer Enthistorisierung des Exils finden sich unter speziellen Aspekten auch in den Arbeiten von Peter Laemmle und Werner Vordtriede. Während Laemmle die Exilforschung unter anderem durch eine „Psychopathographie" der Exilsituation erweitert und präzisiert sehen möchte, unterbreitet Vordtriede in seiner Untersuchung Vorschläge für eine generalisierte, auf ein pauschal gefaßtes „Fremdsein" in staatlichen Herrschaftsformen bezogene Typologie d e r Exilliteratur schlechthin.15 Es ist offensichtlich, daß auf diese Weise ein Verständnis der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und ihrer Widerspiegelung in der Literatur zur Geltung gebracht wird, das sich zunächst über die sozialen und ökonomischen Grundlagen des faschistischen Machtmechanismus strikt hinwegzusetzen sucht. Die verschärfte Krise des kapitalistischen Systems, das zur Aufrechterhaltung seiner Macht nicht vor dem Einsatz extrem terroristischer Methoden zurückschreckt, wird umgemünzt zu einer generellen Unsicherheit klassenindifferent gefaßter „menschlicher Verhältnisse". Gleichzeitig wird damit - beide Momente sind eng miteinander verbunden - eine Exilauffassung statuiert, die bestimmte bürgerliche Positionen in krassem Maße verabsolutiert und den Positionsbildungen marxistischer Autoren sowie der politisch-weltanschaulichen und ästhetischen Entwicklung zahlreicher bürgerlich-humanistischer Autoren in keiner Weise gerecht wird. Gerade in der Erkenntnis und Darstellung des Faschismus als einer 23

d e c h i f f r i e r b a r e n und damit angreifbaren Gewalt lag für die marxistischen Autoren eine der Schlüsselfragen für das Verständnis der zeitgeschichtlichen Ereignisse, ihrer Voraussetzungen, Hintergründe und Verflechtungen. Was die äußeren - im einzelnen natürlich außerordentlich verschieden gearteten - Bedingungen der Exilsituation betrifft, so hatten sich Schriftsteller wie Becher und Brecht, Anna Seghers, Friedrich Wolf und Willi Bredel, Hans Marchwitza und Bodo Uhse in nicht geringerem Maße als bürgerliche Autoren in den Prüfungen des Exils zu behaupten; sie begegneten wie diese der bitteren Erfahrung, „abgespalten zu sein vom lebendigen Strom der Muttersprache" 1 6 und von der unmittelbaren Beziehung zu einem gewohnten Leserkreis; sie erlebten und empfanden ebenso unmittelbar die vom Faschismus ausgehende Bedrohung der humanistischen und kulturellen Werte. Im Ergebnis einer historisch-materialistischen Analyse und Wertung der Ereignisse verstanden sie diese Bedrohung jedoch nicht als eine schicksalhafte, in ihren Ursprüngen in mystisches Dunkel gehüllte Grundsituation menschlicher Existenz, sondern als konkreten Ausdruck realer geschichtlicher Konstellationen und Auseinandersetzungen. Im gleichen Maße, wie dadurch der Mechanismus der herrschenden Macht an Anonymität und Undurchsichtigkeit verlor, wurden in zunehmend deutlicheren Konturen auch die gewachsenen Möglichkeiten und Notwendigkeiten erkennbar, der Bedrohung der Humanität mit der gebotenen Entschiedenheit zu begegnen. D a ß in der Bestimmung des Exils unterschiedliche und teilweise auch gegensätzliche Akzente gesetzt wurden, daß die Reaktionen auf die grundlegend veränderten Schaffens- und Lebensbedingungen ein breites Gefälle aufwiesen, entsprach insgesamt der Differenziertheit in den politischen, weltanschaulichen und ästhetischen Grundpositionen der emigrierten Autoren. Wenn diese Differenziertheit, noch verstärkt durch Exilerlebnisse und -erfahrungen unterschiedlichster Art, auch nicht allein durch den Akt der Vertreibung und Ausbürgerung aufgehoben werden konnte, so verlangte insbesondere jedoch die Frage, inwieweit die gemeinsame Distanz gegenüber der faschistischen Barbarei eine Reihe übergreifender Gemeinsamkeiten zu begründen imstande war, zunehmende Aufmerksamkeit. Allerdings begegneten sich auch hier wiederum oftmals konträre Positionen: Nicht wenige Autoren verwiesen ausschließlich auf das Fortbestehen etablierter Auffassungen und Gruppierungen und lehnten es teilweise grundsätzlich ab, der Frage nach dem Beziehungs- und Spannungsverhältnis zwischen divergierenden Standpunkten und potentiellen Übereinstim-

24

mungen auch nur nachzugehen. Andererseits mangelte es auch nicht an der illusionären Erwartung, daß allein die Tatsache des gemeinsamen Exils unterschiedliche Positionen gegenstandslos machen und eine Gemeinschaft neuer und grundsätzlicher Art konstituieren könnte. Wer von der Notwendigkeit ausging, nach den objektiv gegebenen Gemeinsamkeiten der durch den Faschismus in das Exil getriebenen Autoren zu fragen und diese Gemeinsamkeiten handlungswirksam zu machen, konnte sich daher keineswegs auf konforme oder auch nur angenäherte Ausgangspositionen und Erwartungshaltungen beziehen. Er mußte zudem die Probleme und Schwierigkeiten in Rechnung stellen, die sich aus den individuellen Lebensbedingungen und Erfahrungswerten, aus der geographischen Zersplitterung der Emigration, vielfach auch aus einer tiefverwurzeken Skepsis und resignativen Haltung ergaben. Die Emigration, so forderte Hermann Budzislawski im März 1934 in der Neuen Weltbühne, deren Redaktion er im gleichen Monat übernommen hatte, müsse erstens Defätismus und Müdigkeit hinter sich lassen, und sie müsse sich zweitens Aufgaben setzen, positive Aufgaben.17 Sosehr in diesen Überlegungen noch der Aufforderungscharakter dominierte, so eindeutig reflektierten sie zum anderen die Ansatzpunkte jener Diskussionen und Initiativen, die bereits in den ersten Exiljahren, im Vorfeld der späteren Bemühungen um die antifaschistische Volksfront, auf die Aktivierung potentieller Gemeinsamkeiten der im Exil wirkenden Autoren und damit zugleich gegen die Dogmatisierung unterschiedlicher Haltungen und Standpunkte gerichtet waren. Ähnlich wie Budzislawski setzte auch Josef Halperin die Existenz grundlegender Gemeinsamkeiten der antifaschistischen Emigration voraus, als er - gleichfalls in der Neuen Weltbühne - die Richtung zu bestimmen suchte, in der ihre Aufgaben vorrangig zu suchen waren: „Die Tatsache, daß es die Emigration gibt, ist eine weltweite Warnung, nicht mehr und nicht weniger. Daraus erwächst der Emigration die Aufgabe, unberührt von dem tückischen Vorwurf der Kriegshetze, in Erfüllung der Pflicht gegenüber jenen Millionen, im Bewußtsein öffentlicher Verantwortung überhaupt, zu denken, zu klären und dadurch aufzuklären."18 Obgleich die Überlegungen Budzislawskis und Halperins, die in vielem mit den für die Neuen Deutschen Blätter geschriebenen Geleitworten Wieland Herzfeldes korrespondierten, noch eine Reihe abstrakt bleibender Elemente aufwiesen, verdienen sie schon deshalb Aufmerksamkeit, weil sie einen zentralen Ausgangs25

punkt der Debatten über den Standort und die Situation des Exils bezeichneten: Sollte die Emigration nicht nur Distanz oder Verzicht ausdrücken, so mußte sie folgerichtig als A u f g a b e , und zwar bewußt als politisch akzentuierte Aufgabe, bestimmt und verstanden werden. Mit bemerkenswerter Konsequenz und zu einem relativ frühen Zeitpunkt fand diese Erkenntnis namentlich in den publizistischen Arbeiten Heinrich Manns ihren Niederschlag. Nachdem Heinrich Mann bereits 1933 mit dem in deutscher und französischer Sprache veröffentlichten Essayband Der Haß den antihumanen und geistfeindlichen Charakter des Hitlerregimes und die politisch-moralische Physiognomie seiner Führungsschicht bloßgelegt hatte, unternahm er mit den Aufsätzen Schule der Emigration und Sammlung der Kräfte den Versuch, zu einer notwendigen Verständigung über den Sinn und die Aufgaben der antifaschistischen Emigration beizutragen. Beide Aufsätze wurden 1934 veröffentlicht: der erste in einer Broschüre des Pariser Verlages Europäischer Merkur mit dem Titel Der Sinn dieser Emigration, der andere in der von Klaus Mann in Amsterdam herausgegebenen Zeitschrift Die Sammlung. Ein längerer, auf zentrale Positionen der Beweisführung konzentrierter Auszug aus der Arbeit Schule der Emigration war zudem bereits am 14. Dezember 1933 unter dem Titel Aufgaben der Emigration in der Neuen Weltbühne erschienen. Schon die Überschriften der Beiträge kennzeichnen das Anliegen, dem die Überlegungen Heinrich Manns verpflichtet waren: Indem die Pflicht zur Selbstbehauptung und zur Sammlung der Kräfte betont wurde, rückte von vornherein die Möglichkeit eines bewußten und aktiven Widerstandes gegen das „Regiment des Unmenschentums" in das Blickfeld. Ohne die Tatsache außer acht zu lassen, daß viele Emigranten „ihre Klasse, ihren Rang, ihre gesellschaftlichen Ansprüche, geistigen Reservate und ihr strenges wirtschaftliches Eigenleben" unbeschädigt in die Verbannung mitgebracht hatten, verwies der Aufsatz Schule der Emigration auf eine Reihe grundlegender, den Partikularitäten übergeordneter Aufgaben: „Die Emigration als Schicksalsgemeinschaft hat Aufgaben. Die erste ist die materielle Versorgung der Emigranten, die zweite ihr physischer Schutz. Weiter muß sie mit ihrer Sache die Öffentlichkeit der Welt beschäftigen, wie ihr jüdischer Teil es schon jetzt tut. Endlich muß sie die Emigranten politisch erziehen. Im Politischen ist wohlverstanden das Sittliche und das Geistige mitinbegriffen."19 Ähnlich wie in den Beiträgen und Stellungnahmen Herzfeldes, 26

Weiskopfs, Budzislawskis, Halperins und anderer Autoren wird der Begriff Emigration im vorliegenden Kontext derart gefaßt, daß er in einer Deutung, die ausschließlich den Vorgang der Auswanderung meint, nicht aufgeht. Heinrich Mann spricht von den Aufgaben, von der Selbsterhaltung, der Propaganda, von den Verpflichtungen der Emigration, von ihrer Zusammengehörigkeit mit den Antifaschisten im Lande, von der Emigration als Schicksalsgemeinschaft usw. Auf diese Weise erhält der Begriff Emigration (und dieser Sprachgebrauch ist für zahlreiche antifaschistische Schriften bezeichnend) in zweifacher Hinsicht eine konkretisierte Aussagefunktion: Er wird als Synonym für die Gesamtheit der antifaschistischen Kräfte im Exil gesetzt, und er erfaßt die Emigration bei allen Beschränkungen, die ihr das Exil auferlegte, zugleich als Subjekt geschichtlichen Handelns. Zu dem mit dem Essayband Der Haß vorgelegten Versuch einer ersten Analyse des faschistischen Regimes tritt der Versuch, die ersten Schritte und Maßnahmen zu analysieren, die Selbstbehauptung und Widerstand von den antifaschistischen Kräften im Exil verlangten. In das Zentrum der als notwendig erkannten Aktivitäten stellt der Aufsatz Schule der Emigration die Aufgabe, aus einem namenlosen Dasein ein öffentliches zu machen, weniger das der Emigration angetane Unrecht als vielmehr ihre Überlegenheit und ihre Verbundenheit mit den Interessen des Volkes und seinen humanistischen Traditionen zu betonen. „Die Emigration allein darf Tatsachen und Zusammenhänge aussprechen. Sie ist die Stimme ihres stumm gewordenen Volkes. Sie sollte es sein vor aller Welt. Private Flüchtlinge, die nur gerade selbst durchkommen möchten, werden auf die Dauer keiner Teilnahme begegnen. Die Emigration wird darauf bestehen, daß mit ihr die größten Deutschen waren und sind, und das heißt zugleich: das beste Deutschland."20 Im Zusammenhang mit den sozialen und politischen Aufgaben der Emigration werden damit auch die Aufgaben der antifaschistischen Literatur in den Prozeß der Selbstverständigung einbezogen. Die gleichermaßen als Sachverhalt und als Auftrag formulierte Charakteristik der Emigration als der „Stimme ihres stumm gewordenen Volkes" verbindet sich mir der Besinnung auf eine Literatur, die - wie es in dem Essay Sammlung der Kräfte heißt - gerade unter den Bedingungen des Exils, unter äußerster Anspannung der Kräfte die Fähigkeit erlangt, „die herrschende Macht zu überragen in der Kenntnis und Führung des Menschen"21. Wie andere Arbeiten Heinrich Manns aus den ersten Exiljahren, so tendierten auch die der Exilproblematik gewidmeten Aufsätze ins27

gesamt dahin, der Preisgabe und dem Mißbrauch geistig-kultureller Werte zu begegnen und die Formierung einer humanistischen Gegenposition zum herrschenden Regime zu fördern. Sie wirkten damit einer Apologie des Verzichts, des Rückzugs von politisch-moralischer Wirksamkeit und jener Mystifizierung des Exilerlebnisses entgegen, die die Sinnfälligkeit geschichtlichen Handelns ebenso negierte wie die Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dennoch sind die konzeptionell bedingten Grenzen dieser Arbeiten nicht zu übersehen: Erstens artikuliert sich die Kritik am Faschismus noch immer - ähnlich wie in dem Essayband Der Haß - vorrangig als Kritik der herrschenden Geist- und Kulturfeindlichkeit. Zum andern weist die postulierte Wirksamkeit der Emigration vor allem insofern abstrakte Züge und Elemente auf, als die Frage nach der konkreten Konstellation der Kräfte und nach dem organisierenden Zentrum dieser Wirksamkeit nahezu unberücksichtigt bleibt. Wie der Schriftsteller den Intellektuellen im wesentlichen als mahnenden Repräsentanten der Vernunft und sozialer Verantwortung begreift, so hält er im übrigen auch an einer Reihe von Vorbehalten gegenüber der proletarisch-revolutionären Bewegung sowie an einer generellen Vorrangstellung geistig-erzieherischer Momente und Entwicklungsfaktoren fest. Die Stellung, die Heinrich Mann in der Emigration bezogen habe, sei wie in voraufgegangenen Jahren liberalistisch, schrieb Werner Türk im Mai 1934 in einer in der Neuen Weltbühne veröffentlichten Rezension der Broschüre Der Sinn dieser Emgiration. Vielleicht unterscheide sie sich jedoch dadurch von der früheren, daß sie ein wenig näher an die proletarische Kampfsphäre herangerückt sei.22 Obwohl dieser Gedanke noch nicht näher verfolgt wurde, kennzeichnet er einen wichtigen Ansatzpunkt: In stärkerem Maße als andere zeitgenössische Rezensenten wies Werner Türk bereits auf die Konturen erkennbarer Übergänge, auf den P r o z e ß der Positionsbildung hin. Wie berechtigt diese Beobachtung war, bestätigten nicht zuletzt die Entwicklungen, die sich im politischen und literarischen Wirken emigrierter Autoren vor allem seit der Mitte der dreißiger Jahre vollzogen. Mitunter wurden verschiedene Interpretationen und Auffassungen bereits während oder unmittelbar nach der Publikation einzelner Arbeiten durch die Aufnahme neuer Erkenntnisse und Wirklichkeitserfahrungen ergänzt, präzisiert oder auch in Frage gestellt. So hat René Schickele in seinen Tagebuchaufzeichnungen vom 6. April 1934 die Äußerung Heinrich Manns überliefert, er finde seine soeben 28

erschienene Schrift vom Sinn dieser Emigration veraltet, von den Ereignissen überholt; 23 und in der Tat stellen spätere Arbeiten Heinrich Manns, unter ihnen die Volksfrontaufsätze und die antifaschistischen Streitschriften aus der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre, eine beträchtliche Weiterentwicklung der in den Schriften der ersten Exiljahre erkennbaren Positionen dar. So eindeutig demnach eine Verselbständigung dieser Schriften den Erfordernissen einer historischen Betrachtung widerspricht, sowenig gerechtfertigt erscheint andererseits der Versuch, ihren Stellenwert als Ausgangsposition vertiefter Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten der geschichtlichen Bewegung zu schmälern. Die fortgesetzten Bemühungen, den Sinn und die Aufgaben der Emigration und damit den geschichtlichen Standort des Exils zu bestimmen, standen zudem durch eine Vielzahl unmittelbarer Bezugspunkte in einem engen Zusammenhang mit der Selbstverständigung und den Diskussionen zu programmatischen Grundlagen der antifaschistischen Literatur. Was die ersten Exiljahre betrifft, so gilt dies für Johannes R. Bechers Rede auf dem I. Unionskongreß der Sowjetschriftsteller im Sommer 1934 in Moskau ebenso wie für Brechts Traktat Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit, für F. D. Weiskopfs im Gegen-Angriff veröffentlichte Zweijahresbilanz der antifaschistischen Literatur ebenso wie für Willi Bredels Beiträge in der Zeitschrift Das Wort, für die Ansprache Friedrich Wolfs auf dem amerikanischen Schriftstellerkongreß 1935 in New York oder für die Essays Alfred Kurellas zur Geburt und zur Standortbestimmung des sozialistischen Humanismus. Gleichzeitig wurden in diesen Darstellungen, vor allem in denen Johannes R. Bechers und Alfred Kurellas, die Symptome und Elemente des Übergangs bürgerlich-humanistischer Autoren auf neue Positionen, die in der erwähnten Rezension Werner Türks nur als Andeutung, als Vermutung fixiert waren, einer ausführlichen, theoretisch fundierten Analyse unterzogen. Johannes R. Becher ging in seiner Rede auf dem Moskauer Schriftstellerkongreß, die eine Reihe grundlegender Positionen der im Exil wirkenden sozialistischen Autoren formuliert und insofern als paradigmatisch gelten kann, wiederholt auf Einsichten, Argumentationen und Bestimmungen ein, die insbesondere von Heinrich Mann, aber auch von anderen bürgerlichen Autoren in den ersten Monaten des Exils vertreten wurden. Als übereinstimmende Ausgangspunkte machte Becher die Distanz zur faschistischen Ideologie und den gemeinsamen Willen zur Verteidigung der humanistischen und kul29

turellen Werte gegen den Faschismus kenntlich; mit Nachdruck plädierte er, auch hier an Bestrebungen bürgerlicher Autoren anknüpfend, f ü r die Zusammenfassung und Aktivierung aller antifaschistischen K r ä f t e : „Die Aufgabe des Tages, in der sich alles zusammenpreßt, ist der Kampf gegen Faschismus und imperialistischen Krieg. Im Zeichen der drängenden Notwendigkeiten des heutigen Tages, im Zeichen der Zukunft werben wir für den gemeinsamen Kampf aller Feinde des Faschismus, aller Widersacher neuer mörderischer Kriegsgreuel. In diesem Zeichen strecken wir den humanistischen Schriftstellern, den literarischen Vertretern der realistischen Vernunft, allen Suchern der Wahrheit die H a n d entgegen." 24 Die Notwendigkeit, das Bündnis der antifaschistischen K r ä f t e zu formieren, wird im einzelnen aus drei eng miteinander verbundenen Entwicklungsmomenten hergeleitet: aus der unmittelbar gegebenen Situation des antifaschistischen Kampfes, aus den Gemeinsamkeiten in der Verteidigung des Erbes und aus dem Auftrag zur künftigen Gestaltung einer menschen- und lebenswürdigen Gesellschaft. Schon aus diesem Begründungszusammenhang ergibt sich in logischer Konsequenz die Zielsetzung, nicht nur ein zeitweiliges Zusammengehen zu ermöglichen, sondern - eben weil „die Sache der Gegenwart, der Vergangenheit und der Z u k u n f t " dies erfordert - ein dauerhaftes Bündnis zu sichern. Im Vergleich, zu den Vorschlägen, die Heinrich Mann in seinem Essay Schule der Emigration unterbreitet hatte (und die dem Autor schon zum Zeitpunkt der Publikation selbst als unzureichend erschienen waren), werden damit wesentlich weiterreichende Vorstellungen in die Debatte über die Aufgaben der antifaschistischen Emigration eingebracht. Einer der zentralen und konzeptionsbildenden Ausgangspunkte für die Darstellung Bechers ist die Integration der Exilproblematik in größere geschichtliche Zusammenhänge. Dies wiederum hängt ursächlich mit der Charakteristik des Faschismus zusammen, der bei Becher nicht als ein kaum begreifbares Intermezzo der Vernunftwidrigkeit gewertet wird, sondern als der konzentrierte Ausdruck für die umfassende Krise und die historische Überlebtheit des kapitalistischen Systems. D i e E x i l p r o b l e m a t i k erscheint somit als Teil der E p o c h e n p r o b l e m a t i k , und es ist daher kein Zufall, wenn Becher die Aktualität der Marxschen Voraussicht betont, in Zeiten, da sich der Klassenkampf der Entscheidung nähere, nehme der Auflösungsprozeß innerhalb der ganzen alten Gesellschaft einen so heftigen, so grellen Charakter an, daß ein kleiner Teil der 30

herrschenden Klasse sich von ihr lossage und sich der revolutionären Klasse anschließe, welche die Zukunft in ihren Händen trage. Aus dieser Sicht ergibt sich des weiteren eine sehr viel stärkere Betonung des Zusammenhangs zwischen den Kräften des antifaschistischen Widerstandes im Lande und den Kräften der antifaschistischen Emigration, als dies in vergleichbaren Darstellungen der ersten Exiljahre zu beobachten ist. Schließlich besteht auch zwischen den Begriffen S a m m l u n g d e r K r ä f t e und a n t i i m p e r i a l i s t i s c h e s B ü n d n i s der Titel von Bechers Rede im Sommer 1934 in Moskau lautete Das große Bündnis - mehr als ein nur verbaler Unterschied. Blieb der Appell an die antifaschistische Emigration zur Bewährung und zur Solidarität bei aller Eindringlichkeit, mit der er vorgetragen wurde, weitgehend auf sich gestellt, so verband sich die Orientierung auf das antiimperialistische Bündnis mit einer konkreten Analyse der realen gesellschaftlichen Interessen und Erfordernisse und mit einer eindeutigen Antwort auf die Frage nach dem organisierenden Zentrum dieses Bündnisses. Ohne divergierende Standpunkte zu bemänteln und ohne bestimmte Vorbehalte bürgerlicher Antifaschisten gegen die proletarisch-revolutionäre Bewegung zu übersehen, gab Johannes R. Becher der Überzeugung Ausdruck, daß der Wille zum tiefen Begreifen der Geschehnisse, der ehrliche Wille zur Wahrheit Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und viele andere Hasser des Faschismus der revolutionären Arbeitersache und damit auch dem Verständnis für die geschichtliche Stellung des Proletariats nahebringen werde: Alle Zeichen der Zeit seien dazu angetan, Schriftsteller, denen es ernst sei mit Kosmopolitismus, Vernunft und Freiheit, zum Bündnis mit der Arbeiterklasse zu bewegen; unter den konkret-historischen Bedingungen sei der Kampf der Arbeiterklasse identisch mit der Zukunft und dem allgemeinen Interesse der Menschheit.25 Diese in späteren Darstellungen vertiefte und präzisierte Einordnung der „drängenden Notwendigkeiten" des Tages in einen übergreifenden geschichtlichen Kontext gibt auch der Argumentation Brechts, den Analysen Kurellas, den Erörterungen Bredels, Weiskopfs, Herzfeldes und Friedrich Wolfs ihr besonderes Gewicht. Sie macht zudem deutlich, daß der wiederholt unternommene Versuch, die von der revolutionären Arbeiterbewegung in den dreißiger Jahren initiierte Bündnispolitik als ein von taktischen Vorbehalten diktiertes Provisorium zu sehen, als ein bloßes Manöver, für das bereits 1937 oder 31

1938 das Interesse wieder erloschen sei, die Voraussetzungen und das Wesen sowohl des Geschichtsverständnisses sozialistischer Autoren als auch ihrer bündnispolitischen Initiativen von Grund auf verfehlen muß. Wenn diesen Initiativen Erfahrungen und Einsichten zugrunde lagen, die unmittelbar aus den zeitgeschichtlichen Vorgängen und dem Exilerlebnis resultierten, so verstanden sie sich jedoch keineswegs als die Hinwendung zu einer ausschließlich auf die Prüfungen des Exils begrenzten Zusammenarbeit. Die Analyse der für das Bündnis gegebenen objektiven und subjektiven Voraussetzungen ermöglichte es, die potentielle Verbundenheit der antifaschistischen Kräfte nicht schlechthin auf eine „Schicksalsgemeinschaft" der Emigration zurückzuführen, sondern sie bis zu ihren tiefer liegenden sozialen und historischen Wurzeln und bis hin zu ihren künftigen Möglichkeiten zu verfolgen. Es steht dabei außer Frage, daß sich die Auffassungen darüber, wie und in welchem Maße die Gemeinsamkeiten der antifaschistischen Kräfte geltend und wirksam zu machen waren, nicht im Selbstlauf, nicht ohne Widersprüche, nicht ohne Auseinandersetzungen herausbildeten. Die Verständigung über diese Sachverhalte erforderte einen fortgesetzten Klärungsprozeß, in dessen Verlauf auch die sozialistischen Autoren zu neuen Erkenntnissen und Positionen vorstießen. Gerade dadurch jedoch, daß sich die von der revolutionären Arbeiterklasse und der ihr verbundenen sozialistischen Literaturbewegung initiierte Bündnispolitik auf g r u n d l e g e n d e Gemeinsamkeiten orientierte und diese produktiv zu machen suchte, erhielt sie von vornherein eine historische Dimension, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf dialektische Weise miteinander verband. In dem Maße, wie dieser Klärungsprozeß sich auf Grundfragen des Zeit- und Geschichtsverständnisses bezog, stand er mit der literarischen Arbeit, der sich durch sie vollziehenden Aufnahme und Verarbeitung neuer Wirklichkeitsmomente und -erfahrungen, in einem vielfältig vermittelten Zusammenhang. Seine Konzentrationspunkte lagen weniger in gelegentlichen Stellungnahmen, so wichtig diese im einzelnen auch sein mochten, als vielmehr in der Wirksamkeit des literarischen Schaffens, seinem spezifischen Beitrag zum Kampf gegen Faschismus und Krieg. So wurde schon zu einem verhältnismäßig frühen Zeitpunkt in einer Reihe von Diskussionen und in Exilschriften die Frage aufgeworfen, inwieweit sich die antifaschistische Literatur der Aufgabe gewachsen zeigte, „Stimme ihres stumm gewordenen Volkes", Verkörperung und Fortsetzung der vom Faschismus miß32

brauchten, ignorierten oder verfälschten humanistischen Traditionen zu sein. Der Versuch, diese Frage zu beantworten bzw. Materialien zu einer möglichen Antwort bereitzustellen, stieß indessen auf nicht geringe Schwierigkeiten, die schon beim Erfassen der realen Entwicklungstendenzen und beim Einsatz gesicherter Bewertungskriterien begannen. Bei alledem mußten zugleich die durch die Exilsituation bedingten, das heißt außerordentlich eingeengten Wirkungsmöglichkeiten der antifaschistischen Literatur in angemessener Weise mitreflektiert werden. So kamen neben Versuchen einer sachlichen Bestandsaufnahme auch betonte Erwartungen und ausgeprägt kritische Stimmen zu Wort; summarische Urteile standen oft unvermittelt neben detaillierten Einzelanalysen; nicht selten auch wurde von einzelnen Werken erwartet oder verlangt, was erst die Gesamtheit der antifaschistischen Literatur zu leisten imstande war. Eine der ersten aus marxistischer Sicht geschriebenen Übersichtsdarstellungen zur Entwicklung der antifaschistischen Literatur im Exil veröffentlichte F. C. Weiskopf unter dem Titel Hier spricht die deutsche Literatur! am 12. Mai 1935 im Gegen-Angriff. Diese Darstellung verdient auch deshalb Interesse, weil sie in einem konzeptionellen Zusammenhang mit den literaturkritischen Arbeiten steht, mit denen der Gegen-Angriff in den ersten Jahren des Exils insgesamt einen wichtigen (bisher erst in Ansätzen erschlossenen) Beitrag zur Analyse literarischer Entwicklungstendenzen leistete. Weiskopf bezeichnete seinen Aufsatz als eine Zweijahresbilanz der „Verbrannten" und verwies darauf, daß die von den emigrierten Schriftstellern eingeschlagenen Wege bis hin zur Flucht in die Mystik und in die Exotik ebenso vielgestaltig waren wie die Ursachen, die im einzelnen zur Emigration geführt hatten. Es sei indes sichtbar geworden, daß „gerade die zukunftsreichsten und kräftigsten Talente innerhalb der deutschen literarischen Emigration" von der Bereitschaft und dem Willen ausgingen, ihr Schaffen mit dem antifaschistischen Kampf zu verbinden. 26 Als wesentliche Leistungen der Exilliteratur von 1933 bis zum Frühjahr 1935 charakterisiert Weiskopf die in diesem Zeitraum vorgelegten Gedichtbände Johannes R. Bechers, Bertolt Brechts, Erich Weinerts und Walter Mehrings, Friedrich Wolfs Drama Professor Mannheim (das später unter dem Titel Professor Mamlock erschien), Prosaarbeiten von Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Bertolt Brecht (Der Dreigroschenroman), Anna Seghers und anderer Autoren. Kritisch signalisiert er das mit einem Verlust an künstlerischer Geschlossenheit verbundene Ausweichen vor dringlichen aktuellen Frage3

Herden, Volksfront

33

Stellungen in historischen Romanen von Stefan Zweig, Alfred Neumann und Bruno Frank, die Flucht in den Nebel der Legende und der Mystik in Werken von Joseph Roth und Hermann Kesten. Auch wenn die Darstellung Weiskopfs keine bis ins Detail gehende Analyse gab, wenn sie sich, dem gewählten Übersichtscharakter gemäß, darauf beschränkte, einige Umrisse zu skizzieren, so setzte sie jedoch in der« Diskussion um die Aufgaben der antifaschistischen Literatur und die Positionsbestimmung des Exils eine Reihe wichtiger Akzente. Indem sie die in den ersten Exiljahren entstandenen und zugänglich gewordenen Werke in die Diskussion einbezog, ermöglichte sie gegenüber vorangegangenen Erörterungen, gegenüber der Anmeldung bloßer Erwartungen oder Wünsche zweifellos ein höheres Maß an Konkretheit und Differenziertheit in der Bewertung der literarischen Prozesse und ihrer Vermittlungen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit. Die Grenzen einer Betrachtungsweise, der es an einer derartigen Konkretheit und Differenziertheit mangelte, hatte wenige Monate zuvor insbesondere die in der Zeitschrift Das Neue Tage-Buch geführte Diskussion zum Standort und zu den Leistungen der Exilliteratur verdeutlicht. Diese Diskussion war im Dezember 1934 durch eine Reihe kritischer Notizen des niederländischen Schriftstellers Menno ter Braak an die Adresse der emigrierten deutschen Autoren und der Exilzeitschriften ausgelöst worden. Menno ter Braak hatte die Emigration aufgefordert, ihre - nicht näher bezeichnete - „europäische Aufgabe" zu verstehen und literarische Werke hervorzubringen, die sich wesentlich von der vorhitlerischen Produktion unterscheiden sollten. Auf diese kritischen Einwände, die ihrem Anliegen nach als wohlwollender Kommentar angelegt waren, in ihrer Abstraktheit und moralistischen Diktion jedoch der notwendigen Selbstverständigung über die Aufgaben der antifaschistischen Literatur wenig dienlich sein konnten, antworteten im Januar 1935 Joseph Bornstein, der unter dem Pseudonym Erich Andermann schrieb, Ludwig Marcuse und Hans Sahl. Auch Menno ter Braak griff mit einer Antwort an Andermann und Marcuse noch einmal in die Debatte ein. Bornstein und Marcuse vertraten übereinstimmend die Auffassung, daß allenfalls von der Verantwortung des Schriftstellers für das künstlerische Wort, nicht aber von gemeinsamen politisch-literarischen Standpunkten und Aufgaben der Exilliteratur gesprochen werden könne. Sie stellten nicht nur eine imaginäre „europäische Aufgabe" der Emigration in Frage, sondern wandten sich zugleich auch gegen Positionsbestimmungen, die eine potentielle Verbundenheit der antifaschistischen 34

Kräfte betonten und auf das Wirksamwerden dieser Verbundenheit zielten. Gegen die von Bornstein und Marcuse vertretenen Thesen machte Hans Sahl in seinem Diskussionsbeitrag Emigration - eine Bewährungsfrist^ eine Reihe grundsätzlicher Einwände geltend. Dem Versuch, die Aufgaben der emigrierten Autoren auf eine unverbindlich bleibende Sprach- und Traditionspflege zu begrenzen, setzte er folgende Einsichten und Überlegungen entgegen: „Mit Verlaub, wir können mit solchen Formulierungen nicht mehr viel anfangen. Auch der Nationalsozialismus behauptet, an die Tradition des deutschen Geistes anzuknüpfen, wenn er an das Unbewußte, an das Dunkle, an das Mystische und Gefühlsmäßige appelliert. Wir müssen uns also bemühen, unsere Ansprüche klarer, verpflichtender und unmißverständlicher zu begründen, als es denen gegeben ist, die mit dem historischen Vermächtnis von Generationen Mißbrauch treiben." 28 Unter Hinweis auf Diskussionen, die von antifaschistischen Schriftstellern in Paris geführt worden waren, bekannte sich Sahl zu der Schlußfolgerung, Emigration sei nicht nur ein von Hitler aufgezwungener Verlagswechsel, sondern eine geistige Haltung. Als Ansätze und Beispiele einer solchen geistigen Haltung, die den geographischen Abstand zu den deutschen Ereignissen durch geistige Nähe zu überwinden suchte, wertete er die im Exil geschriebenen Sonette Johannes R. Bechers (auf den künstlerischen Rang dieser Sonette verwies 1935 auch Heinrich Mann), eine Reihe politischer Gedichte und den Dreigroschenroman Brechts, literarische Arbeiten von Heinrich Mann, Ernst Toller und Friedrich Wolf. Im konzeptionellen Entwurf über die Beiträge Bornsteins und Marcuses hinausgreifend, blieb diese Charakteristik des Exils als geistiger Haltung insofern allerdings inkonsequent und unterschiedlichen Interpretationen offen, als sie die Kriterien für den Begriff der geistigen Haltung trotz des Hinweises auf einzelne literarische Arbeiten und deren Grundtendenz weitgehend im Ungefähren beließ. Während einerseits vermieden wurde, den Begriff in abstracto zu bestimmen, wurde er andererseits ähnlich wie die von Menno ter Braak apostrophierte „europäische Aufgabe" außerordentlich weit und undifferenziert gefaßt. Die Darstellungen Bechers, Bredels und Kurellas sowie die Zweijahresbilanz F. C. Weiskopfs näherten sich der Verständigung über die Aufgaben der antifaschistischen Literatur demgegenüber nicht nur mit einem anderen Begriffsapparat, sondern auch von anderen Aus3*

35

gangspositionen: Sie bestimmten das politische und literarische Wirken der im Exil arbeitenden Autoren als einen spezifischen Bestandteil der zentralen geschichtlichen Auseinandersetzungen, und sie bemaßen den Rang und den Stellenwert der antifaschistischen Literatur nach ihrer Fähigkeit, mit poetischen Mitteln zur gesellschaftlichen Selbstverständigung beizutragen, die Triebkräfte der geschichtlichen Bewegung erkennbar zu machen und produktive Lebenshaltungen herauszubilden. Auf Grund ihrer konkreten analytischen Betrachtungsweise förderten sie zudem ein weitaus diffenzierteres Erfassen der realen Entwicklungsprozesse als weithin moralisierend angelegte und zum Teil spekulative Erörterungen. Wesentliche neue Impulse erhielten die charakterisierten Ansätze und Bemühungen, den geschichtlichen Platz des Exils und die Aufgaben der antifaschistischen Literatur zu bestimmen, seit der Mitte der dreißiger Jahre vor allem durch die antifmaschistische Volksfrontbewegung. Sie verallgemeinerte die Erfahrungen der realen geschichtlichen Kämpfe und stellte damit auch die Zusammenarbeit der antifaschistischen Kräfte auf gesicherte, über bloße Erwartungen hinausreichende Grundlagen. Zu den ersten literaturkritischen Arbeiten, die den damit verbundenen Konsequenzen für die im Exil wirkende Literatur nachzugehen versuchten, gehörte der im Frühjahr 1937 in der Zeitschrift Das Wort veröffentlichte Aufsatz Vier Jahre von Kurt Kersten, der in seinen Ausgangspositionen an die von F. C. Weiskopf gegebene Zweijahresbilanz anknüpfte. Kersten gruppierte seine Darstellung um die These, daß von den emigrierten Autoren nicht nur Besinnung auf sich selbst und nicht nur die Fähigkeit verlangt werde, sich über materielle Schwierigkeiten hinwegzusetzen, sondern in gleichem Maße auch die Fähigkeit, moralische Kräfte zu entwickeln und sich der geschichtlichen Verantwortung in den Kämpfen des Zeitalters bewußt zu sein. Die Jahre der Sammlung und Sichtung, so argumentiert Kersten im Hinblick auf die Entwicklung der antifaschistischen Literatur, könne man im wesentlichen bereits als abgeschlossen betrachten; ein von den politischen Wandlungen des Jahres 1936, von den Erfahrungen und Kämpfeh der Volksfront bestimmter Neuansatz müsse konstatiert werden: „Wir gelangen jetzt in ein neues Gebiet, aus den Kämpfen der Volksfront schöpft die Literatur ihre neuen Kräfte . . . Unsere Literatur wird näher an die Zeit heranrücken, näher an den Menschen dieser Tage mit seiner Not, vor allem aber mit seiner Leistung für die Realisierung menschenwürdiger Zustände, für die Regeneration der Gesittung, der Kultur." 29 36

Auf die zunächst nur in Umrissen skizzierte Beobachtung, daß die Kämpfe der Volksfront eine nicht zu übersehende Zäsur für die Positionsbildungen innerhalb der antifaschistischen Emigration darstellten, daß sie die Notwendigkeit politisch-moralischer Entscheidungen deutlicher hervortreten ließen, lenkte im Herbst 1937 auch Heinrich Mann die Aufmerksamkeit. Mit seinem in der Neuen Wfiltbühne publizierten Aufsatz Kampf der Volksfront erneuerte er das Bekenntnis zur Zusammenarbeit aller potentiell antifaschistischen Kräfte, ohne einem abstrakten, ausschließlich auf die Emigration bezogenen Gemeinschaftsbegriff das Wort zu reden. In der Polemik gegen antikommunistische, offen gegen die Volksfront gerichtete und mit ihrem Programm in der Tat nicht zu vereinbarende Tendenzen wies er darauf hin, daß die Emigration der deutschen Volksfront nicht verwechselt werden dürfe mit anderen Emigrationen, die im schroffen Gegensatz zu ihr und zur Verfügung des Angreifers stünden.30 Wesentlich ist dabei, daß die Polarisierungstendenzen, die im einzelnen ebenso wie die Bemühungen um die antifaschistische Volksfront eine weiterführende Analyse und Darstellung verlangen, unmittelbar aus gesellschaftlich determinierten Entscheidungen abgeleitet werden, namentlich aus der Entscheidung zwischen den Intentionen der Volksfront oder der Restauration der bestehenden Besitz- und Machtverhältnisse. Gegründet auf vertiefte Einsichten in den Charakter der Epoche und die Gesetzmäßigkeiten des Zeitalters, kristallisiert sich gerade diese Entscheidung als ein tragendes und übergreifendes Element der Positionsbildung heraus - einschließlich des Selbstverständnisses über den geschichtlichen Platz des Exils.

Zum Beitrag Georgi Dimitroffs für die Grundlegung des Volksfrontbündnisses in der antifaschistischen Literaturbewegung

In seinem zu Beginn des Jahres 1936 veröffentlichten und der Volksfrontdiskussion zugehörigen Aufsatz Der Wert des Friedens würdigte Heinrich Mann den Einsatz und die Leistungen, mit denen Georgi Dimitroff maßgeblich dazu beigetragen hatte, die Volksfrontbewegung gegen Krieg und Faschismus praktisch wie theoretisch zu begründen. Die Wertungen und Urteile, die - wenige Monate nach dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale - in diesem Aufsatz entwickelt werden, sind schon insofern außerordentlich aufschlußreich, als Heinrich Mann einen unmittelbaren Zusammenhang herstellt zwischen dem Auftreten Dimitroffs im Leipziger Reichstagsbrandprozeß und der auf dem VII. Weltkongreß erfolgten Ausarbeitung der strategischen Grundlagen für die antifaschistische Einheitsund Volksfrontpolitik. Verbunden mit dieser Sicht- und Betrachtungsweise ist die Konsequenz, daß die faschistische Diktatur nicht als eine anonyme Bedrohung humaner Existenz verstanden und gewertet wird, sondern als ein ebenso erkennbares wie angreifbares soziales und geschichtliches Phänomen: „Der Weltbund für den Frieden, die universale Volksfront, mußte ins Werk gesetzt werden. Das übernahm bezeichnenderweise der merkwürdige Mann, der den nationalsozialistischen Machthabern ins Gesicht gesehen hat, ohne Schaden zu nehmen. Georgi Dimitroff war einst in ihrer Hand, blieb aber Sieger und verließ frei das Dritte Reich, während die Machthaber höchst ohnmächtig mit den Zähnen knirschten. Andere Opfer sind den Brandstiftern von der Weltöffentlichkeit abgerungen worden. Dimitroff hat selbst gegen sie gekämpft und Erfolg gehabt. Er weiß daher: sie sind zu treffen; die Furcht, die sie der Welt einflößen, kommt auf Rechnung ihrer lügenhaften Propaganda und ihrer feigen Grausamkeit gegen Wehrlose." 1 Heinrich Manns Beobachtungen und Urteile kennzeichnen zunächst den Sachverhalt, daß das Wirken Dimitroffs in den dreißiger Jahren 38

untrennbar mit der Ausarbeitung der Strategie und Taktik der Einheits- und Volksfrontpolitik im Kampf gegen Faschismus und Krieg verbunden ist. Ausgehend von den Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes, die die proletarisch-revolutionäre Bewegung in zahlreichen Ländern gesammelt hatte, entwarf Dimitroff in seinen Reden und Schriften, insbesondere in seiner programmatischen Rede auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale im Sommer 1935 in Moskau, die konzeptionellen Grundlagen für das bündnispolitische Zusammenwirken der Arbeiterklasse mit allen antiimperialistischen Kräften. Indem er die verhängnisvollen Auswirkungen nachwies, die von der Spaltung der Arbeiterklasse ausgegangen waren, begründete er zugleich die Notwendigkeit, im elementaren Lebensinteresse der vom Faschismus bedrohten Völker die proletarische Einheitsfront und, auf ihrer Grundlage und durch die lebendige Dialektik des Kampfes mit ihr verbunden, eine breite antifaschistische Volksfront zu schaffen. Verweisen diese Wirksamkeit und der Einfluß, den sie ausübte, auf den hohen persönlichen Anteil Dimitroffs an der theoretischen und praktischen Klärung von Grundfragen des antifaschistischen Kampfes, so wird man den Vermerk, er habe die Volksfront „ins Werk gesetzt", allerdings nicht in der Weise aufgreifen und verstehen können, als sei dies gleichsam im Alleingang und zum andern ohne Widerstände, ohne weitreichende Auseinandersetzungen und Konflikte geschehen. In seinen Reden und Schriften zur Einheits- und Volksfrontpolitik verstand sich Dimitroff stets als Sprecher der internationalen kommunistischen Bewegung; seine Analysen und Einsichten basierten auf den Ergebnissen kollektiver Diskussionen und Verallgemeinerungen der realen geschichtlichen Prozesse. Im Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale, zu dessen Generalsekretär er im Sommer 1935 gewählt wurde, arbeitete er auf das engste mit Jacques Duclos, Klement Gottwald, O. W . Kuusinen, D. S. Manuilski, Wilhelm Pieck, Maurice Thorez, Palmiro Togliatti und anderen Repräsentanten der proletarisch-revolutionären Bewegung zusammen. Gleichermaßen bleibt zu betonen, daß sich die Entwicklung der Volksfrontkonzeption in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der entschiedenen Kritik und der Überwindung zünftlerischer und sektiererischer Tendenzen vollzog, die bis in die erste Hälfte der dreißiger Jahre einen beträchtlichen Einfluß behaupteten und die Einbeziehung bürgerlicher und kleinbürgerlicher Schichten in das antifaschistische Bündnis in massiver Weise erschwerten oder 39

gar blockierten. Wie Dimitroff hervorhob, verlor das Sektierertum unter den Bedingungen des antifaschistischen Kampfes den Charakter einer bloßen „Kinderkrankheit"; es wurde zu einem gefährlichen Hindernis auf dem Wege zur notwendigen Erarbeitung und Durchsetzung der Einheits- und Volksfrontstrategie. Einen zentralen Bezugspunkt für die Begründung dieser Positionen bildete die Leninsche Revolutionstheorie. Bereits in seiner Schrift Der „linke Kadikalismus", die Kinderkrankheit im Kommunismus hatte Lenin die Stellung der Bündnisstrategie im revolutionstheoretischen Konzept eindeutig von sektiererischen Auffassungen abgesetzt und betont, wer nicht die Notwendigkeit begriffen habe, selbst die kleinste Möglichkeit zu nutzen, um Verbündete im revolutionären Kampf zu gewinnen, auch wenn dies unsichere, schwankende, bedingte Verbündete sein mögen, der habe „auch nicht einen Deut vom Marxismus und vom wissenschaftlichen, modernen Sozialismus ü b e r h a u p t begriffen". Wer nicht während einer beträchtlichen Zeitspanne und in verschiedenartigen Situationen die Fähigkeit bewiesen habe, diese Wahrheit in der Tat anzuwenden, der habe es noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kampf um die Befreiung der gesamten werktätigen Menschheit von ihren Ausbeutern zu helfen. „Und das Gesagte", so fährt Lenin fort, „gilt in gleicher Weise für die Periode v o r und n a c h der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat."2 Mit gleicher Entschiedenheit hatte sich Lenin gegen die Vorstellung gewandt, daß das bündnispolitische Zusammenwirken insofern problematisch oder gar unrealistisch sei, als das Proletariat und bürgerliche Schichten keinen einheitlichen Willen haben könnten: „Dieser Einwand ist nicht stichhaltig, denn er fußt auf einer abstrakten, 'metaphysischen' Auslegung des Begriffs 'einheitlicher Wille.' Der Wille kann ja in einer Beziehung einheitlich, in einer anderen nicht einheitlich sein. Daß der Wille in den Fragen des Sozialismus und im Kampf für den Sozialismus nicht einheitlich ist, schließt nicht aus, daß er in den Fragen des Demokratismus und im Kampf für die Republik einheitlich ist. Das vergessen hieße den logischen und historischen Unterschied zwischen der demokratischen und der sozialistischen Umwälzung vergessen. Das vergessen hieße vergessen, daß die demokratische Umwälzung ihrem Charakter nach das g a n z e V o l k umfaßt: wenn sie das 'ganze Volk' umfaßt, so g i b t es also einen 'einheitlichen W i l l e n ' , und zwar insofern, als diese Umwälzung die Bedürfnisse und Erfordernisse des gesamten Volkes befriedigt." 3 40

Mit der Aufnahme und Weiterführung dieser Erkenntnisse, in denen der Gedanke einer auf objektiven Gegebenheiten begründeten Volksfront substantiell bereits enthalten ist, wurde die Orientierung auf das antifaschistische Bündnis, seine realen Möglichkeiten, seine Ziele und Aufgaben in entscheidendem Maße gefördert. D i e von der proletarisch-revolutionären Bewegung erarbeiteten Analysen der zeitgeschichtlichen Ereignisse erhärteten die Auffassung, im bündnispolitischen Zusammenwirken aller potentiell antiimperialistischen Kräfte weniger denn je ein wie immer auch motiviertes Abgehen von marxistischen Positionen, sondern umgekehrt mehr denn je ihre konsequente Anwendung zu erkennen. Was die Perspektiven und die Entscheidungen der humanistisch gesinnten Intelligenz betrifft, so blieb zudem die Tatsache geltend zu machen, daß der Kapitalismus in seiner Endetappe, wie Dimitroff 1934 schrieb, „zum Niedergang der Kultur, der Technik, der Wissenschaft und Kunst" führt 4 , und zwar nicht auf Grund lediglich subjektiver Intentionen, nicht auf Grund der Geist- und Kulturfeindlichkeit einzelner Repräsentanten der spätbürgerlichen Gesellschaft, obwohl auch derartige subjektive Momente durchaus einen gewissen Einfluß auszuüben vermochten, sondern im Ergebnis der generellen Verschärfung aller Widersprüche des kapitalistischen Systems. Gerade der Ubergang zur faschistischen Diktatur verdeutlichte, daß der Imperialismus, unfähig, diese Widersprüche zu lösen und geschichtlich ohne Perspektive, auch die Entwicklung der Künste und Wissenschaften bedingungslos den Gesetzen und Mechanismen der Profitmaximierung unterwirft. Aus dieser Erkenntnis leitete Georgi Dimitroff schon in den Diskussionen, die dem V I I . Weltkongreß der Kommunistischen Internationale vorangingen, eine Reihe grundlegender Konsequenzen ab, die geeignet waren, auch die Klärungs- und Entwicklungsprozesse innerhalb der antifaschistischen Literaturbewegung zu fördern. Im Dezember 1934 betonte er in seinem Beitrag zum Internationalen Studentenkongreß gegen Krieg und Faschismus: „Für die Studenten, für alle Intellektuellen, die sich nicht für Zerstörung und Barbarei mißbrauchen lassen, sondern ihre Kräfte in den Dienst der Menschheit und ihres Fortschritts stellen wollen, gibt es nur einen W e g : sich an die Seite des kämpferischen Proletariats stellen und in den Reihen der Einheitsfront gegen Krieg und Faschismus den Kampf gegen das kapitalistische System aufnehmen." 5 Aus der Analyse und Verallgemeinerung realer geschichtlicher Kämpfe gewonnen, wirkte diese - im Sommer 1935 vom V I I . Weltkongreß der Kommunistischen Inter41

nationale aufgenommene und zusammengefaßte - Orientierung in mannigfaltiger Weise auf die Formierung der antifaschistischen Kräfte zurück. Unmittelbar verbunden mit dem Aufarbeiten eigener Erfahrungen fand sie im politischen und literarischen Wirken von Maxim Gorki und Henri Barbusse, von Johannes R. Becher und Martin Andersen Nexö, von Attila Jözsef und Todor Pawlow sowie im Schaffen und in den bündnispolitischen Initiativen zahlreicher anderer Autoren eine lebendige Resonanz. Nicht zuletzt bestimmte sie auch die Intentionen und den Inhalt der Gespräche, die seit dem Herbst 1934 zwischen sozialistischen und bürgerlich-humanistischen Schriftstellern zur Vorbereitung des Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur und zur Einleitung weiterer gemeinsamer Schritte im Kampf gegen die faschistische Barbarei geführt wurden. Alle diese Aktivitäten, bewußt auf die Zusammenfassung und Aktivierung der antifaschistischen Kräfte gerichtet, basierten dabei keineswegs auf bloßen Erwartungshaltungen, geschweige denn auf Spekulationen. Ihre gemeinsame Ausgangsposition lag in dem erklärten Ziel, die auf Grund der Verschärfung der allgemeinen Krise des Kapitalismus o b j e k t i v gewachsenen Möglichkeiten und Erfordernisse zur Schaffung einer breiten antiimperialistischen Volksbewegung konsequent zu nutzen. Besondere Bedeutung maß Dimitroff in diesem Zusammenhang der Aufgabe bei, rational begründete, wissenschaftlich haltbare und fundierte Einsichten in das soziale und ökonomische Wesen der faschistischen Diktaturen zu fördern und Tendenzen zu einer Mystifizierung der bestehenden Gesellschaftsstrukturen ebenso beharrlich wie entschieden entgegenzuwirken. Seine gleichfalls bereits im Dezember 1934 vorgetragene, an die akademische Jugend und die Intellektuellen gerichtete Aufforderung, „die eigentlichen kapitalistischen Wurzeln des Faschismus und des imperialistischen Krieges" zu erkennen und zu studieren, 6 stellte keine apodiktische Vorbedingung für das Zusammenwirken der revolutionären Arbeiterbewegung mit bürgerlichen Gegnern des Faschismus dar, rückte jedoch nachdrücklich den kausalen Zusammenhang zwischen der historischen Überlebtheit des Kapitalismus und dem Entstehen faschistischer Diktaturen, zwischen der ökonomischen Basis und der politischen Praxis des Faschismus in das Blickfeld. Dies geschah vor allem in dem Bewußtsein und der Überzeugung, der insbesondere auch Gorki, Barbusse und Brecht wiederholt Ausdruck verliehen, 7 daß die Einsicht in den Charakter und den Mechanismus der faschistischen Barbarei eine wesentliche Voraussetzung 42

dafür bildete, um sie mit der gebotenen Entschiedenheit und Wirksamkeit zu bekämpfen. Zwischen der Erkenntnis des Klassencharakters der faschistischen Diktatur, der Erkenntnis, daß der Faschismus die „unverhüllte, terroristische Diktatur der extrem reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals" darstellt, 8 und der Orientierung auf den Zusammenschluß aller antifaschistischen Kräfte unter Führung der revolutionären Arbeiterklasse bestand daher kein Gegensatz, sondern ein dialektischer Zusammenhang. Gerade die Verschärfung aller Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft ermöglichte und erforderte zugleich verstärkte Anstrengungen zum Zusammenschluß aller potentiell antifaschistischen Kräfte. Umgekehrt lagen die Grenzen bürgerlicher FaschismusInterpretationen, die das Heraufkommen der faschistischen Barbarei als das Werk einzelner verbrecherischer oder krankhaft abnormer Abenteurer zu deuten suchten oder es auf außergesellschaftliche bzw. rational nicht faßbare Ursachen zurückführten, zu einem wesentlichen Teile gerade darin, daß sie dem Bündnis der antifaschistischen und antiimperialistischen Kräfte keine oder nur geringe Bedeutung beimaßen, daß sie weitgehend auf den Positionen moralischer Distanz und moralischen Protestes verharrten und unter bestimmten Umständen und Voraussetzungen sogar die Sinnfälligkeit menschlicher Existenz und menschlichen Handelns generell in Frage stellten. Im Gegensatz zu dem Versuch, eine Diskussion dieser Fragen zu umgehen oder auszuklammern, begriff Dimitroff die systematische Darstellung des Zusammenhangs zwischen der faschistischen Diktatur und den imperialistischen Besitz- und Machtverhältnissen, wobei er indessen auch hier vor Vereinfachungen und Überspitzungen warnte, 9 als einen unerläßlichen Bestandteil des Kampfes gegen die politischadministrativen Erscheinungsformen und die Ideologie des Faschismus. Ohne gemeinsame Aktionen proletarischer und bürgerlicher Antifaschisten von definitorischen Übereinstimmungen abhängig zu machen, verwies er auf die Dringlichkeit einer sozialen und ökonomischen Analyse, die das Wesen und die Ursachen des Faschismus und damit auch die realen Möglichkeiten seiner Überwindbarkeit zu erfassen imstande war. Zu betonen und zu berücksichtigen bleibt bei alledem, daß diese Positionen, auf Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes gegründet und mit Zugeständnissen an die bürgerliche Ideologie ebenso unvereinbar wie mit sektiererischen und dogmatischen Verengungen, konsequent erarbeitet, behauptet und im Zusammenhang mit neuen Entwicklungstendenzen weiter präzisiert und ausgebaut 43

werden mußten. Wie für theoretisch begründete Konzeptionen in anderen gesellschaftlichen Funktions- und Handlungsebenen, so gilt auch für Bündnisstrategien, daß sie nicht a priori gegeben sind, sondern aus intensiver sozialer und politischer Analyse der geschichtlichen Bewegung resultieren. Historisch entstanden und wirkend, sind sie selbst Teil dieser Bewegung, so daß keinesfalls auf die ständige Reflexion ihrer Voraussetzungen, ihrer bestimmenden Faktoren und Möglichkeiten verzichtet werden kann. Unter diesen Aspekten muß schließlich auch die Verständigung über den strategischen Charakter der Einheits- und Volksfrontkonzeption gesehen und von einer auf gelegentliche Aktionen hinsteuernden Taktik abgesetzt werden, die sich mit dem Zustandekommen einzelner Appelle oder Interventionen begnügte. W o eine solche Beschränkung dominierte, konnte es in der T a t zugleich als gerechtfertigt erscheinen, eine sachliche, klärende Auseinandersetzung zu Grundfragen des Zeit- und Geschichtsverständnisses zurückzustellen oder gänzlich auszusparen. D i e von der Kommunistischen Internationale entwickelte Epochencharakteristik intendierte demgegenüber jedoch sehr viel weiterreichende Ziele: Sie orientierte darauf, notwendige Aktionen gegen die Bedrohungen durch den Faschismus so weit wie möglich mit grundsätzlichen Entscheidungen in den gesellschaftlichen Polarisierungsprozessen zu verbinden, so daß im besonderen auch die Entscheidungssituation kenntlich gemacht und verdeutlicht wurde, die sich den Intellektuellen in der Niedergangsphase der kapitalistischen Gesellschaft, im Stadium der permanenten Zuspitzung aller ihrer Widersprüche mit Notwendigkeit eröffnet. Diese vor allem in den Jahren von 1933 bis 1935 in prinzipieller Auseinandersetzung mit retardierenden Einflüssen erarbeiteten Ausgangspositionen, die den strategischen Charakter der von der Arbeiterklasse initiierten bündnispolitischen Aktivitäten widerspiegelten, erhielten durch die fortgesetzten Analysen der geschichtlichen Vorgänge und der durch sie vermittelten Einsichten zunehmend differenziertere Konturen. Bereits im Zusammenhang mit der Begründung der Einheits- und Volksfrontpolitik wurden sie von Dimitroff namentlich durch Hinweise und Explikationen zur gesellschaftlichen Funktion der Literatur, zur Aufnahme und Aufarbeitung revolutionärer Traditionen sowie zur Dialektik von Nationalem und Internationalem ergänzt und weitergeführt. Auf diese Erörterungen, in deren Ansatzpunkten und Inhalten wiederum ein lebendiger Bezug zu den Erfahrungen und Lehren des antifaschistischen Kampfes bestimmend ist, kann in dem

44

hier gegebenen Rahmen nicht umfassend, sondern nur unter ausgewählten Aspekten eingegangen werden; sie sind hier lediglich insoweit zu verfolgen, als sie mit der Entwicklung der Bündnisbeziehungen in der antifaschistischen Literatur in einem durchgängigen Zusammenhang stehen. Fragen nach der Funktion der Literatur in den gegenwärtigen geschichtlichen Kämpfen bildeten den zentralen Gegenstand der von Dimitroff am 28. Februar 1935 im Moskauer Haus der Sowjetschriftsteller vorgetragenen Überlegungen zu dem Thema: Die revolutionäre Literatur im Kampf gegen den Faschismus. Zu den vom sowjetischen Schriftstellerverband eingeladenen Gästen dieser Veranstaltung gehörten neben anderen antifaschistischen deutschen Autoren auch Johannes R. Becher und Willi Bredel, die sich in den folgenden Monaten in ihren Briefen und Schriften wiederholt auf die Darstellungen Georgi Dimitroffs bezogen.10 Ausgehend von persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen, insbesondere von der Begegnung mit Tschernyschewskis Was tun?, umriß Dimitroff die Fähigkeit der Literatur, tief und nachhaltig auf das Denken, Fühlen und Handeln des Menschen einzuwirken, zur Herausbildung eines revolutionären Weltverständnisses beizutragen. Er bekannte sich zu der Überzeugung, daß der Literatur „eine gewaltige Bedeutung für die Erziehung einer revolutionären Generation" zukommt, und schloß daran den Appell an die versammelten Autoren: „Helfen Sie uns, helfen Sie der Partei der Arbeiterklasse, geben Sie uns zuverlässige Waffen in künstlerischer Form, in Gedichten, Romanen und Novellen! Helfen Sie mit Ihrem künstlerischen Schaffen, Kader von Revolutionären zu erziehen!" 11 Daß die Darstellung Dimitroffs mit besonderem Nachdruck die erzieherische Rolle der Literatur betonte, ihren Einfluß auf die Entwicklung von Charaktereigenschaften wie Ausdauer, Standhaftigkeit, Zuversicht und Konsequenz, entsprach ebenso den gesellschaftlichen Notwendigkeiten, die der Kampf gegen den Faschismus und Krieg auf die Tagesordnung gesetzt hatte, wie einem Literaturverständnis, das in der literarischen Aneignung der Wirklichkeit ein wesentliches Element der gesellschaftlichen Selbstverständigung erkannte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang vor allem die Entschiedenheit, mit der sich Dimitroff gegen eine Geringschätzung der künstlerischen Leistung und gegen Tendenzen wandte, die literarische Gestaltung bewegender menschlicher Schicksale durch die bloße Illustration philosophischer Thesen und historischer Sachverhalte zu ersetzen. So eindeutig die erzieherische Funktion der Literatur betont 45

wird, so eindeutig wird, verbunden mit kritischen Anmerkungen zu künstlerischen Unzulänglichkeiten in Werken der proletarisch-revolutionären Literatur, der Nachweis geführt, daß die ständige Wiederholung revolutionärer Losungen keine revolutionäre Literatur produziert, daß die Wirkungsmöglichkeiten der Literatur vielmehr in entscheidendem M a ß e aus ihrem Vermögen resultieren, mit ihren spezifischen Mitteln lebendige Beispiele menschlicher Bewährung, aber auch Beispiele menschlichen Scheiterns zu entwerfen - immer in konkrete Beziehung gesetzt zur individuellen wie zur gesellschaftlichen Lebenstätigkeit. Ständen diese Überlegungen zur erzieherischen Funktion der Literatur somit in einem wohlverstandenen Gegensatz zu einer vordergründigen Verselbständigung didaktischer Elemente, so wandten sie sich andererseits in nicht geringerem Maße gegen Zweifel an den Wirkungspotenzen und -möglichkeiten der antifaschistischen Literatur, gegen resignative und defaitistische Tendenzen. In der Verbindung der Literatur mit dem Lebensprozeß des Volkes und in dem uneingeschränkten Ausschreiten ihrer Möglichkeiten, zum Bewußtwerden und zur bewußten Gestaltung sozialer Lebensbeziehungen und geschichtlicher Vorgänge beizutragen, werden jene Ansätze und Grundpositionen erkannt, die den Funktions- und Gebrauchswert der antifaschistischen Literatur, ihre Position in den zeitgeschichtlichen Auseinandersetzungen bestimmen. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch der Hinweis Dimitroffs, daß der Schriftsteller fortschrittliche, den Interessen der Werktätigen verpflichtete Politiker zu Freunden braucht, ein Hinweis, der als Bestandteil eines weitreichenden literaturpolitischen und bündnisstrategischen Konzepts verstanden werden muß. Vor allem durch das Wirken sozialistischer Autoren vermittelt, gewannen die von Dimitroff vorgetragenen Überlegungen wesentlichen Einfluß auf den Prozeß der Selbstverständigung sowohl über die Aufgaben der antifaschistischen Literatur als auch über die Möglichkeiten eines Zusammenwirkens sozialistischer und bürgerlicher Schriftsteller. Sie trugen in nicht unbeträchtlichem Maße dazu bei, funktionsverengende, aber auch illusionäre Vorstellungen über das literarische Schaffen zurückzudrängen und das Bemühen um „einen höheren und lebendigeren Begriff von den zentralen Aufgaben der künstlerischen Gestaltung" 1 2 zu fördern. D i e Herausbildung eines solcherart vertieften Literaturbegriffes, der nach den Worten Bechers nicht länger die Version oder den Eindruck zuließ, bei der Literatur handele es

46

sich um „irgendeine Unterabteilung Agitprop", kann in ihrem Stellenwert für die Entwicklung der bündnispolitischen Beziehungen in der antifaschistischen Literatur nicht hoch genug veranschlagt werden. Indem ein solcher Literaturbegriff einer allzu kurzschlüssigen Interpretation des Zusammenhangs zwischen der Volksfrontärbeit und der literarischen Arbeit begegnete, gleichzeitig jedoch die wesentlichen und bestimmenden Momente dieses Zusammenhangs sichtbar werden ließ, gab er auch dem gemeinsamen Wirken sozialistischer und bürgerlicher Autoren entscheidende Impulse. Insbesondere wurde damit die Erkenntnis erhärtet, daß es notwendig war, die antifaschistischen Schriftsteller als S c h r i f t s t e l l e r für den antifaschistischen Kampf zu gewinnen - mit dem Einsatz ihrer ganzen Persönlichkeit, mit ihren spezifischen Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen. Mit welcher Entschiedenheit diese Erkenntnis zur Geltung gebracht und gegen vereinfachende, mechanistische Auffassungen gesetzt wurde, zeigt unter anderem die unter der Überschrift Vor neuen, größeren Aufgaben! veröffentlichte Nachbetrachtung Willi Bredels zum VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale. „Antifaschistischer Schriftsteller zu sein", so heißt es hier unter ausdrücklichem Hinweis auf die von Dimitroff begründete Orientierung, „ist keine Sache des Lippenbekenntnisses, z. B. nicht einmal eine Frage des bekundeten antifaschistischen Standpunkts, sondern eine A n g e l e g e n h e i t des l i t e r a r i s c h e n S c h a f f e n s . Die Legitimation der antifaschistischen Kämpferqualitäten der Schriftsteller sind ihre Schriften."13 Von gleichem konstruktivem Charakter und von gleicher Bedeutung auch für die Bündnisbeziehungen in der antifaschistischen Literatur waren die von Dimitroff entwickelten und auf theoretischen Arbeiten Lenins basierenden Positionen zur Aufnahme und Verarbeitung progressiver geschichtlicher Traditionen. In seiner programmatischen Rede auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale charakterisierte er das Traditionsverständnis des revolutionären Proletariats in folgender Weise: „ U n s g e h t j e d e w i c h t i g e F r a g e nicht nur der G e g e n w a r t und Z u k u n f t , sondern auch der V e r g a n g e n h e i t unseres eigen e n V o l k e s a n . Wir Kommunisten führen doch keine enge Politik der zünftlerischen Interessen der Arbeiter. . . Wir verteidigen die Lebensinteressen aller ausgebeuteten werktätigen Schichten, das heißt der überwältigenden Mehrheit des Volkes in jedem kapitalistischen Land." 14 47

In sachlich-analytischer Argumentation, die auch auf polemische Akzente nicht verzichtete, verwies Dimitroff mit dieser Klarstellung energisch auf eine Reihe notwendiger Aufgaben des Kampfes gegen Krieg und Faschismus. D i e Verantwortung der revolutionären Arbeiterbewegung für „jede wichtige Frage nicht nur der Gegenwart und Zukunft, sondern auch der Vergangenheit" wurde dabei nicht aus zeitweiligen Zweckbestimmtheiten hergeleitet, sondern auf ihre entscheidenden historisch-sozialen Grundlagen zurückgeführt und in Beziehung gesetzt zur geschichtlichen Rolle des Proletariats, die ihrerseits so verstanden wurde, daß sie das Bündnis mit allen anderen werktätigen Schichten und die Wahrnehmung ihrer Interessen nicht aus-, sondern einschließt. Damit wurden zugleich jene „zünftlerischen" Auffassungen ad absurdum geführt, die eine pseudorevolutionäre Negation der geschichtlichen Überlieferungen propagierten oder die Beziehungen der Arbeiterklasse zur Geschichte auf plebejische und proletarische Traditionen einzuengen suchten. Wenn Dimitroff gegen derartige Einengungen polemisierte und die Notwendigkeit der Herausbildung eines vertieften Verhältnisses zur Geschichte in ihrer Gesamtheit betonte, so distanzierte er sich jedoch nicht minder eindeutig von einer formalen, zur Konvention erstarrten, um ihrer selbst willen betriebenen Traditionspflege. D i e Aufforderung, den gegenwärtigen Kampf mit den revolutionären Traditionen zu verbinden 15 , läßt als übergreifendes Moment eines vertieften Geschichtsverständnisses vielmehr die Aufgabe sichtbar werden, Energien zur Lösung gegenwärtiger geschichtlicher Probleme freizusetzen. Dieser Grundaspekt des Verhältnisses zur Geschichte nahm auch, wie aus zahlreichen Beiträgen sozialistischer und bürgerlicher Autoren ablesbar ist, in den Debatten innerhalb der antifaschistischen Literaturbewegung einen breiten Raum ein. Speziell im Hinblick auf die Fragen nach der Gestaltung historischer Stoffe wurde er auch in der bereits erwähnten Stellungnahme Willi Bredels zu den Beratungen und Beschlüssen des V I I . Weltkongresses der Kommunistischen Internationale aufgegriffen. Im unmittelbaren Anschluß an die Darlegungen Dimitroffs steckte Bredel ein weites Aufgabenfeld für die antifaschistische deutsche Literatur a b : „Noch haben wir antifaschistischen Schriftsteller Heldengestalten der Geschichte unseres Volkes wie Thomas Müntzer, Florian Geyer, Ulrich von Hutten oder die Geschichte des Bauernkrieges oder die siegreichen Kämpfe der dithmarschen Bauern gegen die Könige Dänemarks und die Herzöge von Holstein nicht gestaltet. Wir haben unserem Volke dies beste und

48

edelste Erbgut unserer Geschichte bis heute nicht vermittelt. Wo haben wir den 'Mannesstolz vor Königsthronen' so herrlicher Kämpfergestalten wie etwa Lessings, Uhländs, Georg Büchners in unserer Literatur wachgehalten? Wir haben noch nicht einmal die ersten Jahre und Jahrzehnte der deutschen Arbeiterbewegung als wichtigstes Erbe aufgenommen, verarbeitet und in unserem schöpferischen Schaffen behandelt." 16 Tatsächlich wurde der Einfluß, der von den skizzierten Bestimmungen und Charakteristiken Dimitroffs auf die antifaschistische Literaturbewegung ausging, zunächst in einer stärkeren Hinwendung der Autoren zu historischen Stoffen und Sujets augenscheinlich. Diese Stoff- und Sujetwahl, wie sie von Bredel gefordert und begründet wurde, ist - zumal in der antifaschistischen deutschen Exilliteratur wesentlich mit der Intention verbunden, der faschistischen Verzerrung und Verfälschung des Geschichtsbildes entgegenzuwirken. 17 Die Diskussion der von Dimitroff aufgeworfenen Fragen blieb indessen nicht auf diesen - freilich wesentlichen - stofflichen Aspekt begrenzt. Sie förderte die aktuelle Verständigung über das Beziehungsfeld von Geschichte und Gegenwart und, vom Inhaltlichen eng damit verflochten, über die geschichtliche Rolle der Arbeiterklasse im antiimperialistischen Kampf gleichzeitig in der Komplexität der gesellschaftlichen und ästhetischen Bezugspunkte und Komponenten, die für die Entwicklung der antifaschistischen Literatur maßgebend waren. Das zeigte sich in besonderer Weise darin, daß im Verlauf dieser Entwicklung „zünftlerische" Überspitzungen und Einseitigkeiten auch in der Aufnahme und Verarbeitung literarischer Traditionen überwunden wurden und verstärkte Bemühungen einsetzten, den Charakter und die Traditionsbeziehungen der sozialistischen Literatur in ihrer Dialektik von Kontinuität und Diskontinuität in konzeptioneller Geschlossenheit herauszuarbeiten. In welchem Maße dieser Klärungsprozeß, zu dessen Voraussetzungen, Elementen und Resultaten im einzelnen speziellere Untersuchungen notwendig sind, auch für die Begründung und den Ausbau der Bündnisbeziehungen in der antifaschistischen Literatur bedeutsam wurde, ist von Johannes R. Becher bereits im Herbst 1934 expressis verbis dargestellt worden. Becher hatte in den vorangegangenen Monaten in verschiedenen Exilländern Gespräche mit antifaschistischen deutschen Schriftstellern geführt, darunter mit Heinrich Mann, Thomas Mann, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf und F. C. Weiskopf, Gespräche, die vorrangig dem Ziele dienten, gemeinsame 4

Herden, Volksfront

49

Aktionen antifaschistischer Autoren gegen die vom Faschismus ausgehende Bedrohung der Kultur und der Humanität in die Wege zu leiten. In einer für die Internationale Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller (IVRS) bestimmten Analyse zog er aus der Tatsache, daß die Frage nach den Traditionsbeziehungen in diesen Gesprächen einen wichtigen Platz eingenommen hatte, folgende Konsequenz: „Die Frage der Einheitsfront ist nach allen Erfahrungen, die ich hier machte, unmittelbar mit dieser Frage unseres Verhältnisses zur Vergangenheit verbunden. Wenn es uns nicht gelingt, eine Konzeption unserer Literatur zu entwickeln, das heißt Ausblicke auf die Höhen der sozialistischen Dichtung usw. zu' zeigen, dann wird unsere Einheitsbewegung auf dem Gebiete der Literatur nur eine sehr brüchige Angelegenheit ohne Solidarität und lange Sicht sein." 18 Becher verband diese im antifaschistischen Kampf vielfach bestätigten Erfahrungen mit dem Bekenntnis zu der Aufgabe, Traditionsbewußtsein und Neuerertum, Verantwortung für das Erbe und für die Gegenwart ebenso in dialektische Beziehungen zueinander zu setzen wie die Entwicklung der sozialistischen Literatur und die Herausbildung ihrer Zusammenarbeit - einer Zusammenarbeit auf „lange Sicht" - mit progressiven, der humanistischen Tradition verpflichteten bürgerlichen Autoren. Schon aus diesem der Volksfrontstrategie unmittelbar zugehörigen Ansatz ergab sich, daß es sich dabei nicht allein um eine Erweiterung des Traditionsfeldes und der stofflichen Bezüge handelte, sondern um Grundelemente einer auf die geschichtliche Verantwortung der sozialistischen Literatur in ihrer Gesamtheit orientierten Konzeptionsbildung. Im übrigen zeigen die von Becher mitgeteilten Einsichten ein weiteres Mal, wie verfehlt und unzulässig es wäre, wollte man die sozialistischen Autoren lediglich als die Adressaten bestimmter, auf politischer Ebene getroffener Verallgemeinerungen betrachten und damit den aktiven Anteil ignorieren, den sie selbst an ihrer Erarbeitung, am Vorstoß zu jenen Erkenntnissen hatten, die den geschichtlichen Aufgaben und Notwendigkeiten, den Bedürfnissen des Kampfes entsprachen. Was die prinzipiellen Aspekte betrifft, so gilt dies in gleicher Weise auch für die Fragen nach der Dialektik von Nationalem und Internationalem im Selbstverständnis der kommunistischen Bewegung und im Prozeß der Formierung der antifaschistischen Volksfront. „Wir Kommunisten", so erklärte Dimitroff in seiner Rede auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, „sind u n v e r s ö h n l i c h e g r u n d s ä t z l i c h e G e g n e r des bürger-

50

liehen Nationalismus in allen seinen Spielarten. Aber wir s i n d n i c h t A n h ä n g e r d e s n a t i o n a l e n N i h i l i s m u s und dürfen niemals als solche auftreten." 19 Mit diesen Aussagen, bei deren Begründung sich Dimitroff insbesondere auf Lenins Aufsatz Über den Nationalstolz der Großrussen bezog, wurde der Standpunkt der revolutionären Arbeiterbewegung zur nationalen Frage sowohl von einer chauvinistischen Übersteigerung wie von einer Abwertung des Nationalen eindeutig abgegrenzt. Dem Versuch, nationale Momente und Traditionen zu verselbständigen oder sie ein für allemal mit dem Ausdruck nationaler Borniertheit zu identifizieren, wurde ein dialektisches Erfassen der Wechselbeziehungen von Nationalem und Internationalem, von nationalgeschichtlichen und weltgeschichtlichen Prozessen entgegengestellt. D a ß die präzise und pointierte Charakteristik dieses Standpunkts auch für die Konzeptionsbildungen innerhalb der antifaschistischen Literatur von grundsätzlicher Bedeutung war, steht außer Zweifel. Ein anschaulicher Beleg dafür ist die Tatsache, daß sich in der sozialistischen Literatur mehr und mehr die Auffassung durchsetzte, daß zwischen der Aufnahme nationaler Traditionen und einer internationalistischen Haltung, zwischen dem Erschließen nationaler Momente und Besonderheiten in der Charakter- und Landschaftszeichnung, in der Wahl von Stoffen, Motiven und Symbolen und dem internationalistischen Gehalt kein Gegensatz, sondern vielmehr ein Zusammenhang bestand, ein Zusammenhang vor allem insofern, als die Dialektik von Nationalem und Internationalem geradezu einschloß, im Prisma nationaler Momente und Erscheinungsformen menschheitliche Probleme zu erfassen und zu gestalten. Das Bezugsverhältnis zwischen der Verständigung über diese Fragen, von der zugleich nachhaltige Anstöße für die Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Autoren ausgingen, und der vom VII. Weltkongreß begründeten und in zahlreichen Debatten und Dokumenten weitergeführten Orientierung liegt offen zutage und wird im einzelnen in einer Vielfalt individueller Konzeptionen und Schaffensimpulse erkennbar. Zu erinnern ist, ohne daß diesen Sachverhalten hier detaillierter nachgegangen werden kann, beispielsweise an die Überlegungen von Anna Seghers zum Begriff des Vaterlandes und der Vaterlandsliebe und an Bechers Programm einer nationalen Dichtung, „die an Breite und Tiefe alles das in sich zu erfassen sucht, was bisher die deutsche Dichtung geschaffen hat", einer Dichtung, die auch die Liebes- und Naturbeziehungen des Menschen sowie die Verantwortung für das überlieferte Sprachgut 4*

51

in sich einschließt. 20 Sowohl das konsequente Ringen um die „bewußte poetische Eroberung eines nationalen Gehalts" als auch das Bekenntnis zur „schöpferischen Fortführung a l l e r humanistischen Traditionen", Postulate, mit denen Grundzüge der Herausbildung einer sozialistischen Nationalliteratur im Kampf gegen den Faschismus umrissen werden 21 , sind in wesentlichem Maße durch die Aufgaben zur Verteidigung der Kultur und der Humanität, durch den Charakter und die Ziele der Einheits- und Volksfrontstrategie geprägt. Im Kontext der damit verbundenen geschichtlichen Entwicklung, des praktischen Kampfes gegen den Faschismus und der theoretischen Arbeiten, die Erfahrungen dieses Kampfes zu systematisieren und zu verallgemeinern, gewinnt auch der Beitrag, den Georgi Dimitroff zur Grundlegung der Einheits- und Volksfrontstrategie leistete, seine besondere Prägung und seinen Stellenwert. Fragt man nach den Voraussetzungen und den wesentlichen Merkmalen, die diesen Beitrag bestimmten, so wird man beim Versuch einer Antwort vor allem auf die Tatsache hinzuweisen haben, daß sich im Wirken Dimitroffs die Einheit von revolutionärer Theorie und revolutionärer Praxis auf geradezu exemplarische Weise verkörperte und daß er, die Lebensinteressen des Volkes verteidigend, gerade dadurch „zum Symbol des Weltkampfes gegen Faschismus und Krieg" 22 werden konnte. Es ist weder ein zufälliges noch ein vereinzeltes Faktum, wenn in dem eingangs genannten Aufsatz Heinrich Manns die Anklage des faschistischen Regimes vor dem Leipziger Tribunal und die konzeptionelle Begründung der Einheits- und Volksfrontpolitik als miteinander verbundene Komponenten einer Haltung gewertet werden, die sich von Tendenzen der Selbstaufgabe unverkennbar abhebt und auf die Mobilisierung revolutionärer Energien im Kampf gegen die Bedrohung des Friedens und der Humanität gerichtet ist. Gegenüber allen Versuchen einer Mystifizierung der bestehenden sozialen Verhältnisse erscheint es als wesentlich, und das heißt zugleich, als Impuls für die eigene Selbstverständigung und die eigene Arbeit, daß der Faschismus als erkennbar und als angreifbar gezeigt wird: erkennbar als reale gesellschaftliche Macht, als konkret fixierbare soziale und historische Erscheinung; angreifbar durch entschlossenes und zielbewußtes Handeln im Sinne eines streitbaren und kämpferischen Humanismus.

52

Verteidigung der Kultur - Ausgangs- und Verständigungsformel im antifaschistischen Kampf

Im Frühjahr 1932 wandten sich verschiedene amerikanische Korrespondenten mit einer Anfrage zu aktuellen Ereignissen und zu Entwicklungsprozessen in der Sowjetunion an Maxim Gorki. Vor dem Hintergrund der heraufziehenden faschistischen Gefahr bekundeten sie ihren Willen und ihre Bereitschaft, der „allgemein-menschlichen Kultur" zu dienen und diese gegen einen Rückfall in die Barbarei zu verteidigen. Maxim Gorki nahm diese Erklärung zum Anlaß, die aufgeworfenen Fragen nach der Bedrohung der Kultur und der politisch-gesellschaftlichen Verantwortung der Intelligenz differenziert darzustellen. In seinem Antwortschreiben wies er darauf hin, daß der Begriff der „allgemein-menschlichen Kultur" eher auf Mißverständnisse und Illusionen hindeutete, als daß er Klarheit über die reale Gefährdung der Kultur und über die notwendigen Schritte zu ihrer Verteidigung zutage förderte. Er forderte die amerikanischen Korrespondenten auf, sich die einfache Frage zu stellen: „Was können Sie heute und morgen zur Verteidigung dieser Kultur tun, die, nebenbei bemerkt, bisher noch niemals eine 'allgemein-menschliche' war und keine solche sein kann, solange die national-kapitalistischen staatlichen Organisationen bestehen . . . Fragen Sie sich doch einmal, was Sie den kulturzerstörenden Tatsachen entgegensetzen können - der Arbeitslosigkeit, der Entkräftung der Arbeiterklasse durch Hunger, der wachsenden Kinderprostitution? Begreifen Sie, daß die Entkräftung der Massen eine Entkräftung des Bodens bedeutet, dem die Kultur entsprießt?" 1 Gorkis Darstellung zeichnet sich in hervorragendem Maße dadurch aus, daß sie nicht nur Fragen schlechthin beantwortet, sondern umgekehrt auch vorgegebene und scheinbar gesicherte Antworten auf ihre Tragfähigkeit und Tauglichkeit hin befragt. Sie gibt einen ersten Aufriß jener Probleme, die mit der Verteidigung der zunehmend bedrohten geistig-kulturellen Werte verbunden waren, und gipfelt in der 53

berühmt gewordenen Frage: Mit wem seid Ihr, „Meister der Kultur"? 2 Der Unterschied gegenüber einer verbalen, unverbindlich bleibenden Anrufung kultureller Werte und Traditionen ist unübersehbar: Gefragt wird nach den gesellschaftlichen Konstellationen, die Kultur und Humanität bedrohen, nach dem Inhalt und Charakter der „kulturzerstörenden Tatsachen" sowie nach den Notwendigkeiten und Möglichkeiten wirksamer Gegenmaßnahmen. In dem Maße, wie die Bedrohung der Kultur auf die Kulturfeindlichkeit der bestehenden Gesellschaft, auf die sozialen und ökonomischen Herrschaftsstrukturen und ihre Mechanismen zurückgeführt wird, erhält dabei auch die Verteidigung der Kultur einen konkret-historischen Stellenwert. Sie schließt die Kritik am Wesen und an den Erscheinungsformen des spätbürgerlichen Kulturbetriebs ein und erscheint als ein notwendiger Bestandteil des von der Arbeiterklasse geführten Kampfes gegen die imperialistischen Besitz- und Machtverhältnisse, eingeordnet in den Gesamtprozeß der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die den Charakter der Epoche, den Übergang vom Imperialismus zu sozialistischen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmen. Dieser Zusammenhang ist es, in den gleichermaßen auch die Frage nach der gesellschaftlichen Position und Verantwortung der Intelligenz, insbesondere der künstlerischen Intelligenz, in den Kämpfen des Zeitalters gestellt wird. Wie die geschichtlichen Erfahrungen zeigten, war die Geist- und Kulturfeindlichkeit der herrschenden Bourgeoisie seit dem Übergang des Kapitalismus in sein imperialistisches Stadium deutlicher und unverhüllter denn je zutage getreten. Die in der Praxis des Kapitalismus sich vollziehende „Desillusionierung des klassischen Individualitäts- und Humanitätsideals" hatte die Intelligenz, wie Gert Mattenklott und Klaus R. Scherpe betont haben, „zu subjektiven Gegenpositionen zwischen angestrengter Innerlichkeit und moralischem Aktivismus" gedrängt. 3 Formen eines antikapitalistischen Protestes bzw. einer Distanz zu den Verfallsprozessen der imperialistischen Gesellschaft stießen jedoch vor allem dort auf ihre Grenzen, wo sich die Kritik auf einzelne Seiten oder Auswüchse der Machtausübung beschränkte und wo sie mit Vorbehalten oder ablehnenden Haltungen gegenüber der revolutionären Bewegung verknüpft blieb. Gorkis Aufforderung an die Intellektuellen, bis zu den Ursachen für die Bedrohung der Kultur vorzudringen und gemeinsam mit der Arbeiterklasse gegen die Bourgeoisie und „für die Schaffung neuer Lebensformen" 4 zu kämpfen, muß zunächst und zu einem wesentlichen Teil als Reaktion auf die Begrenztheiten einer derartigen Position gesehen 54

werden. Sowohl der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion als auch das Anwachsen restaurativer und faschistischer Tendenzen in den kapitalistischen Ländern verlangten weiterreichende Entscheidungen, als sie mit der partiellen Kritik an bestimmten Krisen-Symptomen und mit dem Versuch einer verbalen Distanzierung von den „kulturzerstörenden Tatsachen" der Epoche gegeben waren. Indem sich Gorki darauf konzentrierte, die Notwendigkeit und Dringlichkeit dieser Entscheidungen zu betonen, wandte er sich zugleich konsequent gegen eine vermeintliche Autonomie der geistigkulturellen Lebenssphäre und gegen Vorstellungen, denen zufolge der Intelligenz eine ebenso autonome Rolle als Trägerin und Beschützerin dieser Sphäre zukam. Daß demgegenüber analytische Fragen nach den Voraussetzungen und den konkreten Realisierungsformen eines erwarteten und als notwendig bejahten Bündnisses zurücktraten, hängt nicht allein mit dem zentralen Ansatz, der Diktion und dem Appellcharakter der Antwort Gorkis zusammen, sondern vor allem auch mit der Tatsache, daß diese Antwort selbst Verständigungs- und Entwicklungsprozesse a u f d e m W e g e zur Einheits- und Volksfrontstrategie widerspiegelt. Setzt man die in der Mitte der dreißiger Jahre geführten Debatten zur Verteidigung der Kultur, die auf die Herausbildung und die Wirksamkeit des antifaschistischen Bündnisses einen maßgeblichen Einfluß erlangten, in Beziehung zu den von Gorki 1932 aufgeworfenen Fragen, so zeigen sich dabei ebenso entschiedene Anknüpfungen wie eine Reihe neuer, aus den konkreten Aufgaben des antifaschistischen Kampfes abgeleiteter Wirkungsmomente. Barbusse, Aragon, Andersen Nexö, Becher, Anna Seghers und zahlreiche andere Autoren gingen in diesen Debatten nicht anders als Gorki davon aus, grundsätzlich nach den U r s a c h e n für die Bedrohung der Kultur und nach den Möglichkeiten zu fragen, dieser Bedrohung zu begegnen. Hatte Gorki 1932 darauf hingewiesen, daß die „Entkräftung" des Bodens, dem die Kultur entsprießt, erst verständlich wird im Zusammenhang mit der Entkräftung der Massen, so schrieb Brecht wenige Jahre später, daß mit dem „Generalangriff auf die ökonomischen und politischen Positionen der deutschen und italienischen Arbeiterschaft" auch der „Generalangriff auf die Kultur" erfolgte. Und die Schlußfolgerung daraus lautete: „Die Kultur, lange, allzu lange nur mit geistigen Waffen verteidigt, angegriffen aber mit materiellen Waffen, selber nicht nur eine geistige, sondern auch und besonders sogar eine materielle Sache, muß mit materiellen Waffen verteidigt werden." 5

55

In der Orientierung auf diese Aufgaben spielte auch die von Gorki pointiert aufgeworfene Frage: Mit wem seid Ihr, „Meister der Kultur"? eine wesentliche Rolle. Schon die Art und Weise, in der die Frage gestellt worden war, implizierte die Kritik an sektiererischen Haltungen, die der bürgerlichen Intelligenz pauschal den Habitus einer reaktionären Schicht zugeordnet und sie damit von vornherein aus dem Kreis möglicher Bündnispartner ausgeschlossen hatten. Ohne Verzicht auf die kritische Auseinandersetzung mit Begrenztheiten und Inkonsequenzen orientierte sich Gorkis Appell demgegenüber bewußt auf die Möglichkeit, bürgerliche Schriftsteller und Künstler als Verbündete im Kampf gegen die Destruktion kultureller Werte und die dafür ursächlich verantwortlichen Gesellschaftsverhältnisse zu gewinnen. Diese Grundintentionen erwiesen sich nach dem Anbruch der faschistischen Diktatur in Deutschland, die einen zügellosen Terror gegen die humanistische Literatur und Kunst und deren Repräsentanten entfaltete, als unvermindert aktuell; ihre Bedeutung trat zu einem beträchtlichen Teil sogar in noch schärferen Konturen in das Blickfeld. Gerade deshalb wird man die Aktualität der von Gorki aufgeworfenen Fragen nach der gesellschaftlichen Stellung und Perspektive der Intellektuellen nicht derart eng fassen dürfen, daß man sie auf einen abstrakt-moralischen Appell reduziert, der, einmal formuliert, lediglich von Zeit zu Zeit wiederholt und erneuert werden mußte. Mit dem weiteren Vordringen des Faschismus waren nicht nur zeitgeschichtliche Erkenntnisse und Erfahrungen bestätigt, sondern auch neue Tatsachen geschaffen, neue Entwicklungsmomente sichtbar geworden, die eine sorgfältige Analyse und die ihr entsprechenden Konsequenzen verlangten. Verfolgungen, Verbote, Ausbürgerungen und Bücherverbrennungen hatten die Kulturfeindlichkeit des Imperialismus in einem bisher nicht gekannten und erlebten Ausmaß enthüllt. Terror, Expansionsbestrebungen und Kriegsgefahr bedrohten in wachsendem Maße die sozialen Rechte und Lebensinteressen aller Schichten des Volkes. Bedeutete der Übergang zur faschistischen Diktatur somit die rapide Verschärfung aller Widersprüche des imperialistischen Systems, so resultierten daraus zugleich neue Ansatzpunkte und Erfordernisse für den bewußten und organisierten Widerstand gegen dieses System. Die entschiedene „Verteidigung der Rechte der Werktätigen gegen den Faschismus beziehungsweise der Sturz des faschistischen Regimes und die Herstellung wahrhaft demokratischer Verhältnisse" wurden zur vordringlichen Aufgabe und zum 56

„strategischen Ziel des Kampfes der kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern". 6 Auf dieser Grundlage entstanden auch für die antifaschistische Aktionseinheit neue, weiter zu fassende Aufgaben und Möglichkeiten. Dies gilt in allen wesentlichen Bezügen auch für die Verständigung und Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Autoren im antifaschistischen Kampf, für die Diskussionen um die Möglichkeiten und Inhalte einer „Einheitsbewegung auf dem Gebiete der Literatur" (Becher). Als elementare Grundlage dieser Bewegung erwiesen sich ungeachtet beträchtlicher Unterschiede in der Analyse und Bewertung der sozialen und ökonomischen Vorgänge vor allem die gemeinsame Distanz gegenüber der offen praktizierten Kulturbarbarei und zum überwiegenden Teil auch die Bereitschaft, geistig-kulturelle Werte und Überlieferungen vor dem faschistischen Zugriff zu schützen. „Die Frage der Einheitsfront", so resümierte Becher nach einer Vielzahl von Gesprächen mit emigrierten bürgerlichen Schriftstellern in den Jahren 1933 und 1934, „ist nach allen Erfahrungen, die ich hier machte, unmittelbar mit dieser Frage unseres Verhältnisses zur Vergangenheit verbunden." 7 Bezogen auf die Substanz dieser Einsichten und Erfahrungen, die mit Grunderkenntnissen der antifaschistischen Literaturbewegung auch in anderen Ländern korrespondierten, wurde die Formel von der Verteidigung der Kultur zu einem zentralen Ausgangs- und Bezugspunkt für die Entwicklung der Bündnisbezichungen in der antifaschistischen Literatur. Sie erhielt dabei im Vergleich zu der Darstellung Gorkis vom Frühjahr 1932 eine weitaus stärker ausgeprägte begriffliche Fixierung, indem sie so gefaßt wurde, daß sie nicht nur die Unvereinbarkeit humanistischer Intentionen mit der Praxis der imperialistischen Ausbeutung betonte, sondern zugleich auch konkrete Gemeinsamkeiten der antifaschistischen Kräfte und die Notwendigkeit ihres Zusammenwirkens zur Geltung brachte. Indem sie auf gemeinsame Aktionen des Widerstandes gegen die Destruktion humaner Werte orientierte, kann in diesem Sinne auch von ihrem organisierenden Charakter oder ihrer organisierenden Funktion im antiimperialistischen Kampf gesprochen werden. Was die antifaschistische deutsche Literatur betrifft, so waren bereits in den ersten Monaten des Exils zahlreiche Initiativen emigrierter Autoren darauf gerichtet, dem Mißbrauch und der Verfälschung kultureller Leistungen durch das faschistische Regime zu begegnen. Zu diesen Aktivitäten, die in sehr viel stärkerem Maße als einzelne Protestaktionen in den Jahren der Weimarer Republik

57

sozialistische und bürgerliche Autoren zusammenführten, zählten sowohl die Wirksamkeit von Publikationsorganen in den verschiedenen Exilzentren als auch die vom SDS, dem im Sommer 1933 in Paris neugegründeten Schutzverband Deutscher Schriftsteller, organisierten Veranstaltungen, Diskussionsforen und Ausstellungen sowie die Gründung der Deutschen Freiheitsbibliothek am ersten Jahrestag der faschistischen Bücherverbrennung. Weitere herausragende Ereignisse in diesem Kontext waren die Herausgabe antifaschistischer Anthologien und Dokumentationen und, gleichsam als Quintessenz der ersten Phase des Kampfes gegen die vom Faschismus geschaffenen „kulturzerstörenden Tatsachen", der Internationale Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur vom 21. bis zum 25. Juni 1935 im Theatersaal der Pariser Mutualité. Bevor mit diesem Kongreß die Formel von der Verteidigung der Kultur allgemeine Verbreitung erlangte, wurde, zumal in den ersten Exiljahren, vielfach auch von der Rettung, dem Schutz, der Bewahrung und Erhaltung der vom Faschismus bedrohten kulturellen Werte gesprochen. So begründete Heinrich Mann am 14. April 1934 den Entschluß antifaschistischer Autoren, eine Deutsche Freiheitsbibliothek zu schaffen, mit dem Willen „zur Rettung und Erhaltung aller historischen und lebendigen Kulturgüter, die das Deutschland des achtzehnten, neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts hervorgebracht und der Welt übergeben hat"8. In ähnlicher Weise stellte Werner Türk im Gegen-Angriff die Fragen nach der Zerstörung und der Rettung der Kultur bewußt in den Kontext der zeitgeschichtlichen Auseinandersetzungen9, und Johannes R. Becher bekannte sich in seiner Rede auf dem Moskauer Schriftstellerkongreß im Sommer 1934 zum bewußten Einsatz für „die Wiederherstellung und Weiterentwicklung des Besten aus dem kulturellen Erbe der Jahrhunderte" 10 . Mit dem Ziel, die Ausgangspositionen für eine Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Autoren zu umreißen, hob er gleichzeitig hervor, daß der Kampf gegen den Faschismus die proletarisch-revolutionären Kräfte mit all denen verbindet, „die der Menschheit und der Kultur dienen wollen, mit allen, die die edelsten Güter der Jahrtausende wahren, fruchtbar machen, erneuern und vermehren wollen" 11 . Bechers Argumentation beansprucht auch insofern besondere Aufmerksamkeit, als sie auf wesentliche Elemente der in der sozialistischen Literaturbewegung geführten Selbstverständigungsdebatten über die herangereiften Aufgaben des antifaschistischen Kampfes verweist. Vor allem durch ihren konzeptionellen Ansatz, ihre Geschlossenheit 58

und durch die Einheit von theoretischer Bewußtheit und Operativität nehmen die von Becher begründeten Einsichten in diesen Debatten, die mit dem Moskauer Schriftstellerkongreß 1934 einen ersten Höhepunkt erreichten, einen exponierten Platz ein. Deutlich abgesetzt von einer Rückzugs- oder Defensivposition, wird die Verteidigung kultureller Werte und Leistungen als ein immanenter Bestandteil des antifaschistischen Kampfes gefaßt. Die Aufgabe, das humanistische Erbe „von der faschistischen Beschmutzung" zu retten und zu reinigen 12 , schließt dabei in einem dialektischen Verständnis zugleich die prinzipielle Auseinandersetzung mit den Verfallserscheinungen der spätbürgerlichen Kunstproduktion bis hin zu der „stählernen Romantik" der nationalistisch eingefärbten Blut-und-Boden-Literatur ein. Diese Differenzierung in der Sache bedingt und ermöglicht zum anderen auch eine differenziertere Handhabbarkeit der verwendeten Begriffe: Sie zeigt und stellt klar, daß es um die Verteidigung fortwirkender kultureller W e r t e geht, daß diese Verteidigung einen o f f e n s i v e n und s t r e i t b a r e n Charakter hat und daß mithin - wie Brecht einige Jahre später formuliert hat - nur die Künste gerettet werden, „die sich an der Rettung der Menschheit beteiligen" 13 . Objektiv und unmittelbar damit verbunden ging es in der Selbstverständigung sozialistischer Autoren darum, die eigenen Beziehungen zur Gesamtheit des humanistischen Erbes vertiefter und umfassender herauszuarbeiten, wobei auch diese Aufgabe - Becher spricht von der Eroberung der „Pamire des geistigen Erbes" - in den übergreifenden Kontext des antiimperialistischen Kampfes integriert ist. Das damit bezeichnete grundsätzliche Anliegen engt in keiner Weise den Spielraum individueller Neigungen, Traditionsbezüge und Konzcptionsbildungen i n n e r h a l b der sozialistischen Literatur ein; deutlich wird jedoch, daß sich unter den neuen Bedingungen des Kampfes auch die Frage nach der Rolle radikalistischer und „zünftlerischer" Tendenzen mit neuer Schärfe stellt. Die Überwindung sektiererischer Einflüsse erscheint nicht länger als eine bloße Ermessensfrage abseits der zentralen Positionen gesellschaftlicher Selbstverständigung; sie wird zur Voraussetzung für eine Wirksamkeit, die dem geschichtlichen Auftrag der Arbeiterklasse verpflichtet und auf die Schaffung eines breiten antiimperialistischen Bündnisses gerichtet ist. Diente der Moskauer Schriftstellerkongreß vom Sommer 1934 der grundsätzlichen Diskussion und Klärung dieser Fragen in der sozialistischen Literaturbewegung, so wurde der Internationale Schrift59

Stellerkongreß zur Verteidigung der Kultur im Juni 1935 in Paris bereits zum Ausdruck für die Tragfähigkeit und die Wirkungsmöglichkeiten des Volksfrontbündnisses sozialistischer und bürgerlicher Autoren. Die Einladungen zu diesem Kongreß, an dem Schriftsteller aus siebenunddreißig Ländern teilnahmen und der allein schon durch diese Tatsache den internationalistischen Charakter des Kampfes gegen die vom Faschismus ausgehende Kulturbarbarei unterstrich, waren von einer Initiativgruppe französischer Schriftsteller ausgegangen. Gemeinsam mit Henri Barbusse und anderen französischen Autoren waren auch Ilja Ehrenburg und Johannes R. Becher maßgeblich an den Vorbereitungsarbeiten beteiligt. In der Einladung, über die F. C. Weiskopf am 19. April 1935 im Gegen-Angriff ausführlich informierte, hatten die Initiatoren ihre Ansichten und Ziele wie folgt umrissen: „Angesichts der Gefahren, die der Kultur in einigen Ländern drohen, ergreifen einige Schriftsteller die Initiative, einen Kongreß einzuberufen, um Maßnahmen ihrer Verteidigung zu treffen und zu erörtern. Sie wollen die Bedingungen des literarischen Schaffens und die Verbindung des Schriftstellers mit den Menschen präzisieren, an die er sich wendet."14 Entsprechend den hier formulierten Aufgaben umfaßte das Beratungsprogramm dieses Kongresses sowohl Probleme des Humanismus und des kulturellen Erbes als auch Referate und Diskussionen zur Rolle des Schriftstellers in der Gesellschaft und zum Themenkomplex Nation und Kultur. Für alle Einzelthemen jedoch bildete die Formel von der Verteidigung der Kultur das verbindende Moment und insofern auch den übergreifenden Aspekt, der die Begegnung und den Gedankenaustausch der auf dem Kongreß vertretenen Autoren bestimmte. Wie Wolfgang Klein nachgewiesen hat, wurde diese Formel in Frankreich im September 1934 von Paul Vaillant-Couturier in die Diskussion über Grundfragen der Verständigung und Zusammenarbeit der antifaschistischen Schriftsteller eingeführt. Sie erhielt dabei eine solche Akzentuierung, daß sie nicht allein als Reaktion auf die faschistischen Bücherverbrennungen und andere Terrorakte angelegt wurde, sondern zugleich auf den Kampf gegen das kulturfeindliche System des Kapitalismus in seiner Gesamtheit orientierte. Die kommunistischen Schriftsteller - und dies gilt sinngemäß auch für die Positionsbildungen progressiver Autoren in anderen Ländern - brachten demnach „die ganze Motivation ihres revolutionären Kampfes" in das Konzept zur Verteidigung kultureller Werte ein: „Kulturfeindlichkeit des Kapitalismus, auch das wird hier deutlich, wurde gesehen vor 60

allem in dem vom Kapitalismus verhinderten Kontakt von Kultur und Massen. Und die Herstellung des Kontaktes, die Verteidigung der Kultur, wurde gebunden an die unmittelbaren Notwendigkeiten der Klassenauseinandersetzung. Erbe war hier kein angestauntes Sammelbecken höchster Geistigkeit, Verteidigung der Kultur war die Frage nach ihrer Funktion, ihrem Brauchbarwerden in der konkreten sozialen Bewegung." 1 5 Während der Beratungen des Pariser Schriftstellerkongresses, dem 1937 und 1938 weitere Manifestationen der antifaschistischen Autoren zur Verteidigung der Kultur folgten, wurden die Überlegungen zum Funktionswert der Kultur in den geschichtlichen Kämpfen in gleichem Maße aufgenommen, wie die bereits von Gorki gestellte Frage: Mit wem seid Ihr, „Meister der Kultur"? in Relation gesetzt wurde zu den herangereiften Erfordernissen des antifaschistischen Kampfes. Henri Barbusse bezeichnete in seiner Rede den Schriftsteller als einen Mann der Öffentlichkeit, dessen Auftrag „heute und morgen" darin bestehe, „die Wirklichkeit zu erkennen, wie sie ist, und sich am Scheidewege zwischen zwei grundlegenden Strömungen zu entschließen: Erhaltung der bestehenden Ordnung oder Änderung im Sinne des Allgemeinwohls". E s gelte für die Schriftsteller, „sich mit der Masse der Menschen zu vereinen, die allein fähig sind, die soziale Gerechtigkeit und den Frieden zu verwirklichen" 16 . Auch Jean-Richard Bloch, Louis Aragon, Paul Nizan, Martin Andersen Nexö, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht und Anna Seghers betonten in ihren Beiträgen den Zusammenhang zwischen der Abwehr einzelner Übergriffe der faschistischen Barbarei und den notwendigen generellen Entscheidungen in den Auseinandersetzungen der Epoche. Sowenig der gemeinsame Protest sozialistischer und bürgerlicher Autoren gegen die Bedrohung der Kultur gemeinsame weltanschauliche und ästhetische Positionen zur Voraussetzung oder Vorbedingung hatte, so legitim und so unerläßlich blieb gleichzeitig die Aufgabe, nach den realen gesellschaftlichen Ursachen für diese Bedrohung und nach den Möglichkeiten für die Herbeiführung gesellschaftlicher Zustände zu fragen, in denen - wie es in Brechts Rede auf dem Pariser Kongreß heißt - „die Barbarei überflüssig wäre" 1 7 . Für die sozialistischen Autoren bedeutete die Formel von der Verteidigung der Kultur daher keineswegs, erworbene Einsichten in gesellschaftliche Zusammenhänge, in die Machtstrukturen des kapitalistischen Systems und das Wesen des Faschismus aus irgendwelchen taktisch motivierten Erwägungen zurückzustellen oder gar zu verber61

gen. Sie stellte eine Verständigungsbasis dar, die auf potentielle Gemeinsamkeiten der antifaschistischen Kräfte verwies und zugleich die Diskussion über die effektivsten Schritte zur Bewahrung und Weiterführung kultureller Werte ermöglichte, ohne daß divergierende Antworten dazu führen mußten, diese Gemeinsamkeiten in Zweifel zu ziehen oder aufzukündigen. Schon in der Disposition des Verhältnisses zum literarischen Erbe in seiner Gesamtheit und zu bestimmten Richtungen, Strömungen, Schulen usw. gab es innerhalb des antifaschistischen Bündnisses selbstverständlich eine beträchtliche Spannweite unterschiedlich akzentuierter Positionen. Ebenso unterschieden sich die Antworten, die bürgerliche Autoren auf dem Pariser Kongreß hinsichtlich der Ursachen für die Bedrohung der Kultur und der wirksamsten Möglichkeiten ihres Schutzes zur Diskussion stellten, nicht unerheblich von den Analysen und Einsichten sozialistischer Autoren. Mit aller Deutlichkeit zeigte sich dies zum Beispiel in dem Versuch, die Barbarei auf ein Überhandnehmen der Roheit und Dummheit an sich oder auf einen vorherrschenden Mangel an geistiger Integrität und Widerstandskraft zurückzuführen. Daß diese und andere Fragen umstritten, Gegenstand der Auseinandersetzungen blieben, daß das Bündnis den sachlich-kritischen Disput der Partner nicht aus-, sondern einschloß, daß auch innerhalb des Bündnisses um die besten Argumente und um die Hegemonie gerungen wurde, stellte indessen - im Unterschied zu militant antikommunistischen Haltungen - weder die Ausgangspositionen noch die gemeinsame Bereitschaft zur Abwehr der faschistischen Barbarei in Frage. Die Formel von der Verteidigung der Kultur konnte unter diesen Voraussetzungen und Aspekten um so mehr als Verständigungsgrundlage dienen, als sie die notwendige Zusammenarbeit der antifaschistischen Kräfte weder durch überspitzte sektiererische Forderungen noch durch Konzessionen an die bürgerliche Ideologie gefährdete. Indem sie auf objektiv existierende Gemeinsamkeiten orientierte, zielte sie zugleich darauf ab, diese Gemeinsamkelten nicht nur zu registrieren, sondern auch zu befestigen und zu vertiefen. In welchem Maße sie dadurch im Vergleich zu einem vorwiegend rhetorischen Gebrauch präzisiert wurde, zeigten besonders die von Paul Vaillant-Couturier entwickelten Überlegungen und Vorschläge, die von der Integrationskraft des antifaschistischen Bündnisses ausgingen und in dieser Hinsicht als repräsentativ für die Positionsbildungen innerhalb der sozialistischen Literatur betrachtet werden können: „Bieten wir jedem ein Minimalprogramm der Verteidigung der Kultur, das mit allem 62

vereinbar ist, was in ihm noch an Einflüssen der alten Welt verblieben ist. Helfen wir den Menschen guten Willens, Schritt um Schritt zu machen. Der Dienst am Menschen und der Dienst an der Wahrheit machen die Geduld leichter. Und Geduld ist die große revolutionäre Tugend." 18 Einem in dieser Weise verstandenen „Minimalprogramm der Verteidigung der Kultur" lag der Konsens zugrunde, daß Kultur im weitesten und zugleich im originalen Sinne des Wortes nicht ein wie immer auch geartetes ornamentales Beiwerk, sondern essentielle Fragen der menschlichen Existenz und ihrer Humanisierung betrifft. Ihre Verteidigung setzte sich mithin in ihrem innersten Kern zum Ziele, die Würde des Menschen und seine schöpferischen Potenzen gegen alle Versuche zu seiner Entmündigung und Erniedrigung zu behaupten. So stellte Heinrich Mann, verbunden mit der Anklage des faschistischen Regimes, das die Arbeiter „versklavt" und die Nation „zu tierischen Diensten" erniedrigt hatte, den Begriff der Kultur bereits im Sommer 1934 mit dem der „Menschenpflege", mit der Entwicklung und Vervollkommnung humaner Potenzen gleich19 - eine Charakteristik, die die Verantwortung für das humanistische Erbe in seiner menschenbildenden Kraft, in seiner Fähigkeit, selbst zur Abwehr der Barbarei und zur Verteidigung der Humanität beizutragen, ausdrücklich in sich einbezog. Auch der Beitrag Johannes R. Bechers auf dem Pariser Schriftstellerkongreß im Juni 1935 basierte in bezug auf den Zusammenhang zwischen Erbe und humanistischem Anspruch auf weitgehend analogen Voraussetzungen: „Ehre und Nachfolge jenen großen Träumern der Menschheit, jenen von einer tiefen Sehnsucht beunruhigten Realisten, Verherrlichern der Bestimmung des Menschen, die, indem sie die Größe der menschlichen Leidenschaften schilderten, die Macht des Menschen, seine Würde, seine umstürzende Schöpferkraft priesen." 20 Wenngleich unter den gegebenen Bedingungen terminologische Fragen des Kulturverständnisses und -begriffes gegenüber der Aufgabe zurücktraten, konkrete Aktionen gegen das Vordringen der faschistischen Kulturbarbarei ins Werk zu setzen, so waren mit diesen Ausgangspositionen doch Prämissen gegeben, denen für die Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Schriftsteller entscheidende Bedeutung zukam. Wurden kulturelle Leistungen und Werte grundsätzlich in ihrem Bezug zu den gesellschaftlich determinierten Möglichkeiten gesehen, die Entwicklung menschlicher Anlagen und Fähigkeiten zu fördern oder aber zu behindern, so mußte auch die Ver63

teidigung der Kultur und im weiteren Sinne die Verteidigung der Humanität als eine eminent politisch-gesellschaftliche Aufgabe verstanden werden. Im Unterschied zu einem Kulturbegriff, „zu dessen Gestaltung Musik, Metaphysik, Psychologie, eine pessimistische Ethik, ein individualistischer Bildungsidealismus sich vereinigt hatten, der aber das politische Element geringschätzig ausschied", gewann daher, wie Thomas Mann 1939 in seinem Aufsatz Kultur und Politik ausgeführt hat, die Erkenntnis an Raum, „daß das Politische und Soziale ein Teilgebiet des Menschlichen ausmacht, daß es der Totalität des humanen Problems angehört, vom Geiste in sie einzubeziehen ist, und daß diese Totalität eine gefährliche, die Kultur gefährdende Lücke aufweist, wenn es ihr an dem politischen, dem sozialen Element gebricht". 21 Es darf als sicher gelten, daß die Einbeziehung des Politischen und Sozialen in die „Totalität des humanen Problems", wie sie in diesen Thesen von Thomas Mann auf Grund geschichtlicher Erfahrungen dargestellt, motiviert und auch gegen das unveränderte Festhalten an einer „politikfremden deutschbürgerlichen Geistigkeit" gesetzt wird, in maßgeblicher Weise auf den Willen zur Behauptung humanistischen Denkens und kultureller Überlieferungen zurückging. Sie bedeutete nicht den Übergang auf sozialistische Positionen, bildete jedoch eine wesentliche Voraussetzung für die Annäherung und für das Zusammenwirken bürgerlicher und sozialistischer Autoren im Kampf gegen die faschistische Kulturbarbarei. In diesem Kampf erwies und bewährte sich gerade die gemeinsame Verteidigung der Kultur als Grundelement eines Bündnisses, das auf substantiellen Gemeinsamkeiten beruhte und schon deshalb nicht als ein von taktischen Vorbehalten bestimmtes Provisorium, sondern nach einem Wort Heinrich Manns als ein „Wechsel auf die Zukunft" angelegt war. Über die Entdeckung dieser Gemeinsamkeiten schrieb Heinrich Mann noch unter dem unmittelbaren Eindruck des Pariser Kongresses vom Juni 1935: „Es war etwas völlig Neues: so viele schaffende Intellektuelle aus vielen Ländern, mehreren Erdteilen, aber alle von derselben Front, alle zur 'Verteidigung der Kultur' entschlossen. Die Knechtung des Geistes ist vorherrschend in einem Teil der Welt. Das mußte erst kommen, damit wir alle zusammenfanden und Marxisten sowie bürgerliche Schriftsteller ihre tiefe Verwandtschaft entdeckten. Beide wollten eine denkende Gesellschaft anstatt einer verdummten." 22 Verwies der Terminus Verteidigung der Kultur auch hier gezielt auf ein „Minimalprogramm" antifaschistischer Gemeinsamkeit, 64

das geeignet war, die Zusammenarbeit aller demokratischen und sozialistischen Kräfte im Kampf gegen die Bedrohung der Kultur und der Humanität zu fördern und zu inspirieren, so lag zum andern gerade im Vollzug dieser Zusammenarbeit auch die Möglichkeit einer weitergehenden Verständigung beschlossen, die Möglichkeit, zu den sozialen und ökonomischen Ursachen für die „Knechtung des Geistes" und zu einer tragfähigen humanistischen Alternativposition gegenüber der imperialistischen Gesellschaft vorzudringen. Die Tatsache, daß im einzelnen durchaus unterschiedliche Vorstellungen über soziale und geistig-kulturelle Zusammenhänge und ihre Wechselbeziehungen in das Bündnis eingebracht wurden, hat verschiedene Autoren und Literarhistoriker dazu veranlaßt, im Hinblick auf den Terminus Verteidigung der' Kultur gelegentlich auch von einer Kompromißformel zu sprechen, das heißt von einer Formel, die pragmatischen Erfordernissen Rechnung trug, ohne daß sie auf einer Identität bürgerlich-demokratischer und sozialistischer Vorstellungen basierte. 23 Wenngleich von einer solchen Identität tatsächlich nicht die Rede sein kann - schon eine derartige Erwartung ginge an den Voraussetzungen des Bündnisses vorbei - , so bleibt doch der Begriff Kompromißformel vor allem insoweit problematisch, als er dem Stellenwert, der - im Unterschied zu zeitweiligen und zweckbezogenen Zugeständnissen - der „Entdeckung" objektiv existierender Gemeinsamkeiten der antiimperialistischen Kräfte zukommt, nicht oder zumindest nicht hinreichend gerecht zu werden vermag. Er richtet sich betont, und dies mit guten Gründen, gegen ein Verwischen unterschiedlicher Ausgangspositionen innerhalb des Bündnisses, ist andererseits jedoch wenig geeignet, um in gleicher Weise auch dessen strategischen Ansatz kenntlich zu machen. Dem Sachverhalt näher und angemessener erscheint es daher, eher von einer Verständigungsformel oder einer Verständigungsgrundlage zu sprechen, die wesentliche Seiten der potentiellen Verbundenheit sozialistischer und bürgerlicher Autoren ebenso bezeichnete und ins Blickfeld rückte wie reale Möglichkeiten ihrer Annäherung und Zusammenarbeit. Zudem darf in diesem Zusammenhang nicht außer acht gelassen werden, daß es zunächst um praktische Schritte im antiimperialistischdemokratischen Kampf und nicht um den Vollzug sozialistischer Vorstellungen ging. Dies entsprach den realen geschichtlichen Gegebenheiten und verwies auch in den bündnispolitischen Konsequenzen auf den bereits von Lenin nachdrücklich geltend gemachten „logischen und historischen Unterschied" zwischen der demokratischen und der 5

Herden, Volksfront

65

sozialistischen Veränderung gesellschaftlicher Strukturen und Beziehungen. „Daß der Wille in den Fragen des Sozialismus und im Kampf für den Sozialismus nicht einheitlich ist", so hatte Lenin in seiner Schrift Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution betont, „schließt nicht aus, daß er in den Fragen des Demokratismus und im Kampf für die Republik einheitlich ist. Das vergessen hieße den logischen und historischen Unterschied zwischen der demokratischen und der sozialistischen Umwälzung vergessen."24 Das strategische Konzept der Einheits- und Volksfrontpolitik, das die kommunistischen und Arbeiterparteien im Kampf gegen den Faschismus entwickelten, stellte die Anwendung dieser Grundsätze und Erkenntnisse auf die konkreten Bedingungen dar, die sich in der Mitte der dreißiger Jahre herausgebildet hatten. Wenn die Arbeiterklasse ihre führende Rolle im Kampf gegen Faschismus und Krieg dabei nicht in der Isolierung von anderen antifaschistischen Kräften, sondern nur in der Zusammenarbeit mit ihnen wahrnehmen konnte, so galt dies in uneingeschränktem Maße auch für die Stellung der sozialistischen Schriftsteller innerhalb der antifaschistischen Literaturbewegung. Sektiererische Vorbehalte und Verhaltensweisen gegenüber den natürlichen Bündnispartnern hatten nach den Worten Dimitroffs ebenso wie ein „unfruchtbares R ä s o n i e r e n über den Charakter des Faschismus 'im allgemeinen'" unvermeidlich zur Folge, daß die notwendige „Entfaltung des Massenkampfes gegen den Faschismus"25 behindert und beeinträchtigt wurde. In der Verteidigung der Lebensinteressen aller vom Faschismus unterdrückten Schichten mußte es statt dessen darauf ankommen, solche Losungen aufzustellen und solche Kampfformen zu finden, die unmittelbar „aus den Lebensbedürfnissen der Massen, aus dem Grad ihrer Kampffähigkeit in der gegebenen Entwicklungsetappe"26 resultierten. Bezieht man den generellen Ansatz dieser Maxime auf die Entwicklung der Bündnisbeziehungen in der antifaschistischen Literatur, dann kann die in den Jahren 1932 bis 1935 entwickelte Formel von der Verteidigung der Kultur zweifellos als eine derart konzipierte Losung charakterisiert werden - um so mehr, als sie im engsten Zusammenhang mit der Strategie der antifaschistischen Aktionseinheit, der Volksfront gegen Faschismus und Krieg entstand und nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene eine beträchtliche Wirksamkeit erlangte. Daß sich diese Wirksamkeit nicht im Selbstlauf herstellte, sondern das E r g e b n i s von Erfahrungen, Klärungsprozessen und Ausein-

66

andersetzungen war, bleibt dabei ebenso zu betonen wie die Tatsache, daß einmal errungene Positionen ständig neu behauptet, befestigt und weiterentwickelt werden mußten. Die These von der Verteidigung der Kultur als der gemeinsamen Aufgabe aller antifaschistischen und humanistischen Kräfte stieß teilweise nicht nur auf Unverständnis und Vorurteile, sondern auch auf unvermittelte und theoretisch ambitionierte Ablehnung. In den Begründungen dafür spielten vor allem Argumente eine Rolle, die sich um zwei zentrale Bezugspunkte gruppierten: Von Theoretikern wie Herbert Marcuse und Theodor Adorno wurde die überlieferte Kultur als eine „affirmative", die kapitalistischen Verhältnisse abstützende Kultur apostrophiert, wobei diese Charakteristik die Schlußfolgerung implizierte, daß die als affirmativ verstandene Kultur konsequenterweise zu negieren, nicht jedoch zu verteidigen sei. Zum andern behaupteten sich bei einer Reihe bürgerlicher Autoren elitäre und zum Teil militant antikommunistische Auffassungen, die ihrem Wesen nach davon ausgingen, daß die Kultur zwar eine verteidiigungswerte Potenz darstellte, ihre Bewahrung und Erhaltung jedoch keinerlei Gemeinsamkeit zwischen den bürgerlichen und den sozialistischen Kräften in der Literatur begründete. Weder den Voraussetzungen noch den Ansprüchen dieser Argumentationen und Auffassungen kann in dem gegebenen Rahmen im einzelnen nachgegangen werden. Doch erscheint es als notwendig, auf ihre konzeptionellen Ansätze zumindest insoweit hinzuweisen, als sie sich mehr oder minder bewußt als „Gegenkonzeption zur Literaturpolitik der Volksfront" 27 herausbildeten. Herbert Marcuse entwickelte seine der „kritischen Theorie" nahestehenden Auffassungen in einer Reihe von Aufsätzen, die in der Mitte der dreißiger Jahre in der in Paris herausgegebenen Zeitschrift für Sozialforschung veröffentlicht wurden. Sein Interesse richtete sich dabei zunächst vorrangig auf die historisch-kritische Analyse des faschistischen Systems, das er unter dem Begriff des „total-autoritären Staates" zu fassen suchte, und auf die Kritik des bürgerlich-kapitalistischen Kulturbetriebs. Ausgehend von der Darstellung des Zusammenhangs zwischen der liberalistischen und der monopolistischen Phase des Kapitalismus, charakterisierte er in dem 1934 vorgelegten Aufsatz Der Kampf gegen den Liberalismus in der Staatsauffassung den total-autoritären Staat als „die dem monopolistischen Stadium des Kapitalismus entsprechende Organisation und Theorie der Gesellschaft" 28 . Obgleich die Identifizierung zwischen Monopolherrschaft und faschistischen Machtstrukturen allzu verkürzt und undifferenziert hergestellt wird, waren diese Einsichten mit ihrer 5*

67

immanenten Polemik gegen metaphysische, psychologische oder biologistische Interpretationen in einem bestimmten Maße durchaus geeignet, einer gerade in den ersten Exiljahren bei bürgerlichen Autoren verbreiteten Mystifizierung des Faschismus entgegenzuarbeiten. Der Versuch einer historisch-konkreten Bestimmung der gesellschaftlichen Phänomene wird andererseits jedoch so weit verselbständigt, daß die objektiven Erfordernisse des antifaschistischen Kampfes dagegen weitgehend oder sogar völlig zurücktreten. In noch stärkerem Maße gilt dies für die konzeptionellen Ausgangspunkte, die Argumentationen und die Grundthesen des Aufsatzes Über den affirmativen Charakter der Kultur, der in dem gegebenen Zusammenhang von besonderem Interesse ist. Marcuse übt in diesem Aufsatz eine ebenso prinzipielle wie massive Kritik an der überlieferten bürgerlichen Kultur, deren Funktion darauf reduziert wird, der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft zu dienen: „Auf die Not des isolierten Individuums antwortet sie mit der Schönheit der Seele, auf die äußere Knechtschaft mit der inneren Freiheit, auf den brutalen Egoismus mit dem Tugendreich der Pflicht. Hatten zur Zeit des kämpferischen Aufstiegs der neuen Gesellschaft alle diese Ideen einen fortschrittlichen, über die erreichte Organisation des Daseins hinausweisenden Charakter, so treten sie in steigendem Maße mit der sich stabilisierenden Herrschaft des Bürgertums in den Dienst dei Niederhaltung unzufriedener Massen und der bloßen rechtfertigenden Selbsterhebung: sie verdecken die leibliche und die physische Verkümmerung des Individuums."29 Die Kulturkritik Herbert Marcuses bewegt sich damit in einem deutlich vorgezeichneten Verständnishorizont: Nicht die Unfähigkeit der Bourgeoisie, die humanistischen Traditionen ihrer Aufstiegsepoche zu behaupten und weiterzuführen, wird in das Zentrum der kritischen Analyse gestellt, sondern die überlieferten kulturellen Werte selbst werden als fragwürdig und regressiv denunziert. Die Kritik gilt weniger dem Mißbrauch und der Verfälschung überlieferter humanistischer Ideen als vielmehr ihrem vermeintlichen Mangel an fortwirkender Progressivität, weniger dem affirmativen G e b r a u c h als dem vermeintlich vorgegebenen affirmativen C h a r a k t e r der überlieferten bürgerlichen Kultur. Wie Robert Steigerwald differenziert nachgewiesen hat, liegt der theoretische Grund für die damit verbundene Schwäche der Kulturkritik Marcuses in ihrem Mangel an Dialektik: Seine Negation der bürgerlichen Kultur ist so radikal, daß eine Negation der Negation unnötig wird. 30 Völlig eindimensional auf die 68

Funktion festgelegt, das kapitalistische System zu stabilisieren, bleibt diese Kultur Gegenstand der Kritik, nicht aber der kritischen und schöpferischen Aneignung. Decken die von Robert Steigerwald vorgelegten Analysen die g r u n d s ä t z l i c h e n theoretischen Schwächen und Inkonsequenzen der Kulturkonzeption Herbert Marcuses im wesentlichen überzeugend auf, so sind sie jedoch in den hier vorgestellten Zusammenhängen gerade im Hinblick auf die zeitgeschichtlichen Prämissen zu ergänzen, unter denen die Arbeiten Marcuses in den dreißiger Jahren entstanden. Der Aufsatz Uber den affirmativen Charakter der Kidtur, 1937 in der Zeitschrift für Sozialforschung publiziert, die das emigrierte Frankfurter Institut für Sozialforschung in den ersten Exiljahren in Paris herausgab, stand sowohl in zeitlicher als auch inhaltlicher Korrespondenz zur antifaschistischen Sammlungsbewegung, zur Konstituierung des Bündnisses zwischen sozialistischen und bürgerlichen Schriftstellern im Zeichen der Volksfront, zu den Schriftstellerkongressen für die Verteidigung der Kultur. Zwar vermeidet Marcuse eine direkte Bezugnahme auf die konzeptionellen Ansätze und Intentionen des Pariser Kongresses und der Volksfrontbewegung, so daß vordergründig der Eindruck entstehen kann, als ginge es der „kritischen Theorie" um Erkenntnisse sui generis; dennoch läßt die gesamte Anlage und die Begründung der These vom affirmativen Charakter der Kultur nicht den mindesten Zweifel an ihrem diametralen Gegensatz zu der Volksfrontformel von der Verteidigung der Kultur. Wo die überlieferte bürgerliche Kultur als Rechtfertigung „antagonistischer Daseinsverhältnisse" verstanden und mit der Aufgabe identifiziert wird, der „Niederhaltung unzufriedener Massen" zu dienen und die „Verkümmerung des Individuums" zu verdecken, muß es als geradezu absurd erscheinen, diese Kultur auch noch verteidigen zu wollen. In welchem Maße Marcuse die Verteidigung der Kultur in der Tat als anachronistisch hinzustellen sucht, zeigt seine Erklärung, „die wirkliche Befriedigung der Individuen" lasse sich nicht „in eine idealistische Dynamik einspannen, welche die Erfüllung immer wieder hinausschiebt oder überhaupt nur in das Streben nach dem nie schon Erreichten verlegt. Nur g e g e n die idealistische Kultur kann sie sich durchsetzen; nur g e g e n diese Kultur wird sie als allgemeine Forderung laut." 31 Der radikalen Negation, die sich hier selbst in den Hervorhebungen im Text akzentuiert, verfallen dabei ausdrücklich auch die Kunstleistungen der klassischen deutschen Literatur, wie die 69

Kunst überhaupt als das für die affirmative Kultur „repräsentativste Gebiet" ausgegeben wird. Nachdem Marcuse den kategorischen Imperativ Kants als „die Zusammenfassung aller affirmativen Tendenzen der Kultur" bezeichnet hat, schreibt er über das Persönlichkeitsbild der deutschen Klassik: „Die Persönlichkeit, wie sie mit der Vollendung der affirmativen Kultur 'höchstes Glück' der Menschen sein soll, hat die Grundlagen des Bestehenden zu respektieren; Achtung vor den gegebenen Herrschaftsverhältnissen gehört zu ihren Tugenden." 32 Auf dieser Grundlage wird der „idealistischen" und „affirmativen" Kultur schließlich noch ein erheblicher Teil an Mitverantwortung für die Manipulierbarkeit der Individuen durch den autoritären, das heißt durch den faschistischen Staat aufgebürdet: „Daß die nun seit über vierhundert Jahren befreiten Individuen so gut in den Gemeinschaftiskolonnen des autoritären Staates marschieren, dazu hat die affirmative Kultur ein gut Teil beigetragen." 33 Mit dem offenkundigen Mangel an dialektischem Denken, mit der Weigerung und der Unfähigkeit, bedeutende Kunstleistungen auch des bürgerlichen Zeitalters bei allen ihren Widersprüchen in ihrer fortwirkenden Kraft und Progressivität, in ihrem menschheitlichen Anspruch, ihrer Vergegenständlichung sozialer und historischer Erfahrungen zu begreifen, bezeugten diese Urteile und Wertungen zugleich ein ausgeprägtes Unverständnis für die Erfordernisse des antifaschistischen Kampfes, für die von der Volksfrontbewegung entwickelte strategische Konzeption. Der Zugang für ein angemessenes Verständnis des gemeinsamen Einsatzes sozialistischer und bürgerlicher Antifaschisten für die Verteidigung der Kultur bleibt unter den vorgegebenen Aspekten versperrt; dem Bekenntnis zur überlieferten Kultur, zur „Befreiung des Erbes aus den Händen derer, die es widerrechtlich in Besitz genommen haben"34, wie Becher 1935 auf dem Pariser Schriftstellerkongreß formulierte, wird die Etikettierung und Abwertung humanistisch intendierter Traditionen als affirmativ entgegengesetzt. Wie schroff sich diese Thesen von dem Prozeß der Selbstverständigung innerhalb der antifaschistischen Volksfront unterschieden, zeigt übrigens auch Heinrich Manns Aufsatz Das geistige Erbe, der im gleichen Jahr - 1937 - wie Marcuses Arbeit Über den affirmativen Charakter der Kultur veröffentlicht wurde und in dem Goethes Wort von der Persönlichkeit als dem höchsten Glück der Erdenkinder eine völlig andere Interpretation und Sinngebung erhält: „Die ganze Kultur der großen Deutschen, ihr Wunderwerk von Einheitlichkeit in der Vielfalt, will auf die Erziehung jedes Einzelnen 70

hinaus, sein höchstes Maß und seine Würde. Das ist revolutionär von jeher, wie das Leben und die Wahrheit - drücke man es mit Goethe aus: Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit; oder mit Schiller, Würde des Menschen: Freunde, nichts mehr von ihr, zu essen gebt ihm, zu wohnen! Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst." 35 Obgleich Herbert Marcuse die Auffassung, daß „die Kultur der bürgerlichen Gesellschaft" schon so weit der Vergangenheit angehöre, daß die Voraussetzungen für eine „Situation der Erbschaft" anders als noch im 19. Jahrhundert nicht mehr gegeben seien, in dem Aufsatz Philosophie und kritische Theorie ein weiteres Mal zu rechtfertigen suchte,36 fanden seine Thesen in den dreißiger Jahren - andere Rezeptionsbedingungen waren bei bestimmten linksbürgerlichen Kreisen drei Jahrzehnte später gegeben - nur einen relativ geringen Widerhall. Insbesondere auf die Diskussionen in der antifaschistischen Literaturbewegung und ihren Publikationsorganen blieben sie bei aller Rigorosität des Urteils und bei allem Aufgebot an philosophiegeschichtlichen Exkursen ohne bestimmenden Einfluß. Gegenüber dem Bekenntnis zur Verteidigung der Kultur, das von sozialistischen wie von bürgerlich-humanistischen Schriftstellern bekräftigt wurde und ein wichtiges Bindeglied zwischen ihnen darstellte, präsentierten sie sich als Ausdruck einer stark auf sich selbst bezogenen, außenseiterischen Position, die zwar Detailerkenntnisse insbesondere in der kritischen Analyse des spätbürgerlichen Kulturbetriebs und der Sterilität der ihm entspringenden Erbebeziehungen nicht ausschloß, im ganzen jedoch die Notwendigkeit und Inhalte des antifaschistischen Kampfes nicht minder verfehlte als das dialektische Verhältnis zwischen Traditionsbezug und künstlerischem Neuerertum. So entsprach es dem Verständnis der mit der Volksfront verbundenen Autoren, daß nicht die Verteidigung der Kultur als fragwürdig empfunden wurde, sondern umgekehrt eine mechanistisch gefaßte Negation, die überlieferte Kunstleistungen einschließlich der klassischen deutschen Literatur als affirmativ abstempelte und damit auch die Sinnfälligkeit ihrer Verteidigung vor dem faschistischen Zugriff verleugnete. Zwar blieben die Fragen danach, was als verteidigungswert zu gelten hatte, insbesondere unter den Werken der bürgerlichen Literatur des 20. Jahrhunderts, Gegenstand fortgesetzter Diskussionen und vielfach umstritten; 37 doch entwickelten sich diese Diskussionen grundsätzlich auf dem Boden jener Erkenntnisse, die den Grundtenor des Pariser Schriftstellerkongresses im Juni 1935 geprägt hatten und 71

die von Heinrich Mann 1938 in einer Stellungnahme zum Volkskulturtag in Reichenberg noch einmal nachdrücklich in Erinnerung gebracht und bekräftigt wurden: „Man behauptet sich mit seiner überlieferten Kultur oder gar nicht. Kultur ist kein geruhsamer Genuß, heute weniger als je. Auf ihre alleräußerste Verteidigung sei jeder bedacht, und, wer steht, daß er nicht falle." 38 Einen besonders markanten Ausdruck fand die kritische Distanz gegenüber den Auffassungen von Marcuse und Adorno, namentlich gegenüber ihrer Kulturkonzeption, in der Haltung Brechts, der mit den Positionen beider Theoretiker in den vierziger Jahren im amerikanischen Exil auch durch einige persönliche Begegnungen konfrontiert wurde. Vor allem der künstlerisch bewußte und beharrlich fortgesetzte Versuch, das Erbe für die gegenwärtigen Kämpfe nutzbar zu machen, markierte eine Reihe entschiedener sachlicher Gegensätze. Wie Werner Mittenzwei anhand des Brechtschen Arbeitsjournals und der Erinnerungen Hanns Eislers gezeigt hat, gaben Marcuse und Adorno für Brecht darüber hinaus „das literarische Vorbild für den Tui ab, den Intellektuellen in der Zeit der Märkte und Waren, der seinen Intellekt vermietet, um die wahren Gründe des menschlichen Elends unauffindbar zu machen"39. Während sich die kulturkritischen Exkurse zum Begriff und zum Charakter des Affirmativen darauf konzentrierten, den Kunst-, Gebrauchs- und Verteidigungswert der Kultur oder zumindest eines bedeutenden Teiles der Kultur in Frage zu stellen, wurden gegen die Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Schriftsteller im antifaschistischen Kampf gleichzeitig auch massive Einwände geltend gemacht, die, ohne der Kulturkonzeption der „kritischen Theorie" zu folgen, nicht minder ausgeprägte und exponierte Zweifel an der geschichtlichen Legitimität einer Orientierung auf die proletarisch-revolutionären Kräfte zur Grundlage hatten. Stützten sich die Thesen Marcuses auf die Annahme, daß die Bedingungen für eine „Situation der Erbschaft" nicht mehr in der Weise gegeben seien, wie sie von der materialistischen Gesellschaftstheorie des 19. Jahrhunderts prognostiziert worden waren, so gingen verschiedene bürgerliche Intellektuelle in offen und militant vorgetragenen antikommunistischen Auffassungen davon aus, einerseits zwar an der Existenz eines verteidigungswerten Erbes festzuhalten, andererseits aber zwischen diesem Erbe und der revolutionären Bewegung nur ein Verhältnis der Diskontinuität, einen a priori gegebenen und nicht überbrückbaren Gegensatz zu sehen. Symptomatisch dafür waren bereits verschiedene Reaktionen, die 72

im Februar 1933 den unter faschistischem Druck vollzogenen Ausschluß von Heinrich Mann und Käthe Kollwitz aus der Preußischen Akademie der Künste begleiteten. Als äußerer Anlaß für diesen Ausschluß diente die Zustimmung beider Akademiemitglieder zu einem Dringenden Appell, dessen Unterzeichner sich für ein Zusammengehen der SPD und der K P D bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 ausgesprochen hatten, und zwar mit dem erklärten Ziel, die Etablierung einer faschistischen Diktatur und den drohenden Zustand der Barbarei zu verhindern. Ebenso wie andere Mitglieder der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste offiziell aufgefordert, zu dem Votum Heinrich Manns und den damit verbundenen Vorgängen Stellung zu nehmen, schrieb Alfred Mombert am 18. Februar 1933, es sei „für die Meisten geradezu unbegreiflich", wie ein großer Künstler und „ein einsichtiger Geist sich heute vom Kommunismus die Rettung der deutschen Kultur erhofft". Er bedauere, daß die Akademie einen Künstler wie Heinrich Mann verlieren mußte, könne „das Vorgehen des derzeitigen verantwortlichen Reichskommissars" - gemeint sind die ultimativen Forderungen des faschistischen Ministers Rust nach dem unverzüglichen Ausschluß von Heinrich Mann und Käthe Kollwitz - jedoch nicht mißbilligen. 40 Ähnlich wie die Illusionen über den Charakter der faschistischen Diktatur, die in diesen Urteilen mitschwingen und deren Brüchigkeit sich schon sehr bald erwies - Alfred Mombert wurde bereits am 5. Mai 1933 selbst aus der Preußischen Akademie der Künste ausgestoßen und einige Jahre später von der Gestapo in ein Internierungslager verschleppt - , wurden die hier explizit vorgetragenen Haltungen und Positionen zur „Rettung der deutschen Kultur" in der Tat von einem nicht unbeträchtlichen Teil bürgerlicher Intellektueller geteilt. Auch Schriftsteller wie René Schickele, Georg Kaiser, Fritz von Unruh, Franz Werfel und Rudolf Pannwitz, die bis zum Mai 1933 gleichfalls der Preußischen Akademie der Künste angehörten, bekannten sich zu einem produktiven Dialog mit dem literarischen und künstlerischen Erbe, ohne in seiner Verteidigung eine gemeinsame Aufgabe, ein verbindendes Anliegen sozialistischer und bürgerlicher Antifaschisten zu sehen und zum Verständnis für die geschichtliche Rolle und Funktion des Proletariats vorzudringen. Eine weitgehende Isolierung von den gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen, von den konkreten Formen des antifaschistischen Kampfes spielte dabei ebenso eine Rolle wie die Infiltration antikommunistischer Einflüsse und die Vorstellung, eine mehr oder minder reformierte, von faschisti73

sehen Auswüchsen gereinigte bürgerliche Gesellschaft als angemessene Lebensform behaupten zu können. Auf dem Boden eines derart akzentuierten Selbstverständnisses wurde verschiedentlich selbst die Zusammenarbeit mit sozialistisch oder linksbürgerlich orientierten Verlagen und Exilzeitschriften brüsk abgelehnt. Schon die Tatsache, daß der Amsterdamer Querido-Verlag, der in den ersten Exiljahren unter anderem Alfred Döblins Babylonische Wanderung, Lion Feuchtwangers Die Geschwister Oppenheim, Ernst Tollers Rine Jugend in Deutschland, Anna Seghers' Roman Der Kopflohn und die Henri-Quatre-Romane Heinrich Manns herausbrachte, die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit sozialistischen Autoren nicht ausschloß, veranlaßte zum Beispiel René Schickele zur Distanzierung von diesem Verlag. Bei Querido wisse man nicht, schrieb er am 18. November 1933 an Thomas Mann, in welche Gesellschaft man gerate, und er wolle weder mit offenem noch mit getarntem Bolschewismus etwas zu tun haben.41 Im Zusammenhang mit den Debatten über die von Klaus Mann in Amsterdam herausgegebene Zeitschrift Die Sammlung, für die Heinrich Mann, André Gide und Aldous Huxley das Patronat übernommen hatten, bekräftigte Schickele diese Haltung wenige Monate später durch die Aussage, er habe die Zusammenarbeit mit dem Querido-Verlag von vornherein abgelehnt, weil er „das schwachmütige Flirten mit den Bolschewiken verabscheue"42. So zugespitzt und unangemessen diese Wertungen und die mit ihnen verknüpften Vorbehalte auch sein mochten und sowenig sie im einzelnen der Arbeit des Querido-Verlages gerecht wurden, so reflektierten sie jedoch ebenso wie das Unverständnis Alfred Momberts und anderer Akademiemitglieder gegenüber der Handlungsweise von Heinrich Mann und Käthe Kollwitz eine Reihe charakteristischer Haltungen, die die Entwicklung der bündnispolitischen Zusammenarbeit zwischen sozialistischen und bürgerlichen Autoren nicht unwesentlich behinderten. Wo den proletarisch-revolutionären Kräften eine Programmatik des Sektierertums, des Ökonomismus und „totalitaristischer" Ambitionen unterstellt wurde und verfestigte antikommunistische Ressentiments das Feld behaupteten, fehlte es zwangsläufig auch an der Herausbildung von Motivationen für eine gemeinsame Verteidigung der Kultur. Bei einer Reihe von Autoren verhärtete sich diese Haltung in einem solchen Ausmaß, daß auch die Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes keinen Neuansatz zu begründen vermochten. „Ich gehöre keiner Kulturkammer an", heißt es bei René Schickele, „und 74

werde keiner angehören. Da aber der totale kommunistische Staat für mich ( w e n n a u c h s c h w e r e n H e r z e n s ) so unannehmbar ist wie der faschistische, muß ich allein bleiben . . ," 43 Andererseits erwiesen sich jedoch gerade die Erfahrungen des antifaschistischen Kampfes und das Einbezogensein in diesen Kampf als Grundlagen einer weiterreichenden geschichtlichen Neuorientierung, die gleichermaßen auch durch den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in der Sowjetunion und durch die Entwicklung der Volksfront in Frankreich und Spanien wesentliche Anregungen empfing. Einen exemplarischen Rang nehmen dabei sowohl die Volksfrontarbeit Heinrich Manns als auch die von ihm formulierten Erkenntnisse ein, daß die Literatur unweigerlich zu den Arbeitern geht, „weil bei ihnen die Menschlichkeit geachtet und die Kultur verteidigt wird" 4 4 , d a ß die Zusammenarbeit der Intellektuellen mit dem Proletariat „das allein Vernünftige" ist, „da das Proletariat fortan die staatsbildende Klasse und der Träger der Kultur ist". 45 Gründeten sich diese Erkenntnisse auf die konkrete „Beobachtung der Wirklichkeit und der menschlichen Tatsachen" 46 , so vollzog sich die Hinwendung bürgerlicher Autoren zur bewußten Zusammenarbeit mit der sozialistischen Literatur und mit der Arbeiterklasse dennoch nicht cinfach im Ergebnis einer bloßen additiven Erweiterung des Erfahrungsarsenals. Verbunden mit der Bereitschaft, den Bannkreis einer Verabsolutierung bürgerlicher Denk- und Lebensformen zu durchbrechen, erforderte sie ein beträchtliches M a ß an Konsequenz, Bekennermut und ungebrochener Fähigkeit zur Aufnahme und produktiven Verarbeitung neuer geschichtlicher Einsichten. Der Vorstoß zu einer derart neu akzentuierten Wirklichkeitsbeziehung wurde nicht zuletzt auch durch das politische und literarische Wirken der mit der Arbeiterklasse verbundenen Autoren, durch ihr Bekenntnis und ihren praktischen Einsatz zur Verteidigung der Kultur in vielfältiger und, bedingt durch unterschiedliche Entwicklungen, Wirkungsmöglichkeiten, Intentionen, Temperamente usw., differenzierter Weise gefördert. Von besonderem Aufschluß ist in diesem Zusammenhang, auf den hier lediglich verwiesen werden kann, das Urteil Heinrich Manns über die antifaschistische Wirksamkeit von Henri Barbusse. Aus der Sicht persönlicher Erlebnisse und Begegnungen und zugleich in verallgemeinernder Darstellung betont Heinrich Mann, daß Barbusse, als aktiver Kommunist die Zusammenarbeit „mit allen anderen Antifaschisten" suchend, vor allem durch eine in inneren Kämpfen gereifte und gefestigte, gleichwohl „unauf75

dringliche Überzeugung" an Einfluß gewann, durch die Synthese von Erfahrung und Intellektualität, durch die Fähigkeit, andere zu achten, auf sie zu warten und sie zu geleiten: „Der große Intellektuelle beherrscht Wege, die andere nicht durchmachen und nicht begreifen: vom Artisten zum Denker, vom Bürgerlichen zum Arbeiter, vom Zweifel bis in das Land, wo man weiß. Auch den Weg von einem genußsüchtigen Pessimismus bis zur ernsten Freudigkeit können wir zurücklegen, und dieser war ihm gewiß bekannt. Wer nun soviel versteht, der will andere seinesgleichen - vielleicht noch aneifern oder bekehren, und auch das nur durch sein lebendiges Beispiel; drängen, schulmeistern, beherrschen will er keinen. Er ist sicher: auch sie werden kommen, vorausgesetzt, daß sie das Ende des Weges noch erleben und die Wahrheit mit Augen sehen." 47

„Die Verteidigung heißt Antifaschismus .. Beiträge bürgerlich-humanistischer Autoren sur Volksfrontdiskussion

Mit der Orientierung auf die Einheits- und Volksfrontpolitik, wie sie vor allem in den Dokumenten der Brüsseler und Berner Konferenz ihren Ausdruck fand, entsprach die K P D der geschichtlichen Notwendigkeit, dem Hitlerregime das geschlossene Handeln der Arbeiterklasse und aller antifaschistischen Kräfte des deutschen Volkes entgegenzusetzen. Ausgehend von den Lehren und Erfahrungen, die die zeitgeschichtlichen Ereignisse vermittelt hatten, und auf der Grundlage der Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale entwickelte die Partei das Programm des gemeinsamen Kampfes aller Hitlergegner für den Sturz der faschistischen Diktatur und für den Aufbau einer gesicherten antifaschistisch-demokratischen Ordnung. In der Resolution der Brüsseler Konferenz vom Oktober 1935 - die Konferenz tagte in der Nähe Moskaus und wurde aus Gründen der Sicherheit für die illegal aus dem faschistischen Deutschland angereisten Delegierten in den offiziellen Mitteilungen als Brüsseler Konferenz bezeichnet - wurden „die Schaffung der antifaschistischen Volksfront, die Vereinigung aller Gegner des faschistischen Regimes auf ein p o l i t i s c h e s K a m p f p r o g r a m m gegen die faschistische Diktatur, die Herstellung des Kampfbündnisses mit den Bauern, Kleinbürgern und Intellektuellen" als die zentrale Aufgabe der Partei und als „die entscheidende Voraussetzung für den Sturz der Hitlerdiktatur" charakterisiert. 1 Dieser in späteren Dokumenten weiter präzisierten Aufgabenstellung lag die Erkenntnis zugrunde, daß mit der außerordentlichen Verschärfung aller Widersprüche der imperialistischen Gesellschaft nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit wuchs, eine politisch bewußte und organisierte Zusammenarbeit der Arbeiterklasse mit ihren natürlichen Bündnispartnern zu sichern. Auf das strategische Ziel gerichtet, alle Kräfte für den Kampf gegen Faschismus und Krieg und die Sicherung demokratischer Rechte und Freiheiten zu mobilisie77

ren, war diese Zusammenarbeit weder mit Konzessionen an die bürgerliche Ideologie noch mit überspitzten und unrealistischen Vorbedingungen verknüpft. Nichtsdestoweniger implizierte „die Herstellung des Kampfbündnisses mit den Bauern, Kleinbürgern und Intellektuellen" jedoch die Aufgabe, die Bündnispartner, wie dies von Lenin am Beispiel der Beziehungen zwischen Proletariat und Bauernschaft dargestellt worden ist, „zum revolutionären Bewußtsein emporzuheben"2, so daß auch innerhalb des Bündnisses nicht ein Kurs auf provisorische Zugeständnisse, sondern das Moment der Entwicklung, das heißt der dialektische Zusammenhang zwischen gegenwärtigen und weiterführenden Aufgaben bestimmend blieb. Im Ergebnis eines intensiven ideologischen Klärungsprozesses und eines entschiedenen Kampfes gegen sektiererische Tendenzen zur Geltung gebracht, basierte die Strategie der antifaschistischen Einheitsund Volksfront durchweg auf der konsequenten Anwendung und Weiterentwicklung der Leninschen Revolutionstheorie. Mit den Beschlüssen der Brüsseler Konferenz wurden die von Lenin namentlich in der Schrift Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution dargestellten Grunderkenntnisse über die geschichtliche Stellung und die Bündnispolitik des revolutionären Proletariats sowie über die Aufgaben und Möglichkeiten der demokratischen Revolution „erstmalig vollständig auf die Verhältnisse in Deutschland" angewandt. 3 Einen festen Platz innerhalb der Völksfrontprogrammatik hatte dabei von Beginn an das Bekenntnis zu den progressiven geschichtlichen Traditionen, zur Verteidigung der vom Faschismus bedrohten Kultur und zur Zusammenarbeit zwischen der Arbeiterklasse und den Repräsentanten der bürgerlich-humanistischen Kunst und Literatur. Die Resolution der Brüsseler Konferenz, mit der die Kernthesen des von Wilhelm Pieck vorgetragenen Referates zusammengefaßt wurden, umriß die damit verbundenen Aufgaben in folgender Weise: „Wir Kommunisten wollen in der antifaschistischen Volksfront alle Kräfte der deutschen Nation vereinigen, die der K u l t u r r e a k t i o n d e s F a s c h i s m u s feindlich gegenüberstehen. Wir Kommunisten wollen den kulturellen und geistigen Schatz des deutschen Volkes, seine Sprache, seine Literatur, seine Kunst und Wissenschaft vor den faschistischen Barbaren retten und für die höhere Entwicklung der Kulturgüter kämpfen."4 Die Vorschläge und Initiativen zur Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront, die vom VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale, von der Brüsseler Konferenz und, im engen 78

Zusammenhang damit, von den Erfahrungen der Volksfront in Frankreich und Spanien ausgingen, lösten auch in der antifaschistischen deutschen Literaturbewegung eine lebhafte Diskussion aus. Bereits wenige Wochen nach der Brüsseler Konferenz begannen Exilzeitschriften wie Die neue Weltbühne, Der Gegen-Angriff, die AIZ und die seit dem Frühjahr 1936 in Paris herausgegebene Deutsche VolksZeitung mit der Publikation von Diskussionsbeiträgen zur Bildung einer deutschen Einheits- und Volksfront. Die Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek, die im Sommer 1935 in mehreren Ausgaben Beiträge zum Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur veröffentlicht hatten, wurden seit November 1935 ausschließlich als Diskussionsforum der Volksfrontbestrebungen weitergeführt. Parallel dazu setzten unter aktiver Mitwirkung emigrierter antifaschistischer Autoren verstärkt Bemühungen ein, die vereinzelt gegen den Faschismus operierenden Kräfte zu gemeinsamen Aktionen der Solidarität und des Widerstandes zusammenzuführen. Am 2. Februar 1936 berieten auf einer ersten größeren Volksfronttagung, zu der Heinrich Mann in das Pariser Hotel Lutetia eingeladen hatte, 118 Vertreter verschiedener Oppositionsgruppen gegen das Hitlerregime über Möglichkeiten einer Verständigung und Zusammenarbeit im antifaschistischen Kampf. Unter ihnen befanden sich als Vertreter der K P D Walter Ulbricht und Franz Dahlem, die Sozialdemokraten Rudolf Breitscheid und Max Braun, die Schriftsteller Ernst Toller, Rudolf Leonhard, Willi Bredel und Bodo Uhse sowie vier Vertreter der katholischen Oppositionsbewegung gegen Hitler. Weitere Beratungen des Lutetia-Kreises am 8. April und am 9. Juni 1936 führten zur Bildung des vorbereitenden Ausschusses zur Schaffung einer deutschen Volksfront, in dem unter dem Vorsitz Heinrich Manns erstmals in diesem Ausmaß Gegner des Hitlerregimes aus verschiedenen sozialen Kräftegruppierurigen zusammenwirkten. Dokumente der Volksfrontbewegung wie zum Beispiel der Aufruf für die deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot! vom 21. Dezember 1936 trugen die Unterschriften sowohl von Funktionären der Arbeiterbewegung wie Wilhelm Pieck und Rudolf Breitscheid als auch von bürgerlichen Antifaschisten und von Schriftstellern und Publizisten wie Heinrich Mann, Johannes R. Becher, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Ernst Toller, Bodo Uhse, Wolf Franck, Balder Olden, Rudolf Leonhard, Klaus Mann, Hermann Budzislawski, Wieland Herzfelde und Kurt Kersten. In gleicher Weise äußerte sich die 79

mit diesem Aufruf bekundete Gemeinsamkeit in wiederholten Stellungnahmen gegen die Terrorakte der Gestapo und die Praktiken der „Reichskulturkammer", in den Forderungen nach der Freiheit für Ernst Thälmann, Carl von Ossietzky und alle anderen Verfolgten des Naziregimes, im Bekenntnis zum Freiheitskampf des spanischen Volkes und zum Widerstand gegen die faschistische Aggressionspolitik. Schon auf Grund des faschistischen Terrors und der Exilsituation entwickelten sich die Ansätze antifaschistischer Aktionseinheit indessen unter ungewöhnlichen, außerordentlich komplizierten Bedingungen. Weitere beträchtliche Schwierigkeiten resultierten aus einer fortwirkenden, nicht allein durch moralische Appelle aufhebbaren Zersplitterung der demokratischen Kräfte, insbesondere auch aus dem anhaltenden Widerstand rechtssozialistischer Führungskreise gegen ein breites antifaschistisches Bündnis. Was die Positionen bürgerlicher Autoren betrifft, so erforderte das Bekenntnis zur Volksfront nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Weiterführung der geschichtlichen Einsichten, die in den Sammlungsbestrebungen der ersten Exiljahre und in den Manifestationen des Internationalen Pariser Schriftstellerkongresses vom Juni 1935 ihren Niederschlag gefunden hatten. Die Verteidigung der Kultur, sollte sie nicht auf einzelne Proteste beschränkt bleiben, verlangte eine p o l i t i s c h - g e s e l l s c h a f t l i c h e W i r k s a m k e i t , die vor allem den Kampf gegen jene Kräfte und Kräftekonstellationen einschloß, von denen die Bedrohung der-Kultur und der Humanität ihren Ausgang nahm. „Jetzt dagegen", so formulierte Heinrich Mann im Juni 1936, „muß in fünf Sechsteln der Welt die Humanität verteidigt werden gegen Angreifer, die sie vernichten wollen. Die Verteidigung heißt Antifaschismus und ist die Auflehnung gegen eine hereingebrochene Unmenschlichkeit. Antifaschismus ist daher eine Bejahung und bedeutet Menschlichkeit." 5 Ohne thematische, erfahrungs- und standortbedingte Differenzierungen im Aufriß der Probleme und in der Argumentation außer acht zu lassen, kann der Vorstoß zu dieser Erkenntnis als ein Grundzug der gesamten Volksfrontdiskussionen innerhalb der antifaschistischen Literatur angesehen werden. Der im Sinne der Volksfront verstandene, streitbar humanistisch intendierte Antifaschismus ging unmißverständlich von der Absage an einen geist- und kulturfeindlichen Machtmechanismus aus, verharrte jedoch keineswegs in der Negation. Zu der Aufgabe, gemeinsame Aktionen von Antifaschisten gegen die „hereingebrochene Unmenschlichkeit" zu sichern, trat die Diskussion 80

grundsätzlicher Inhalte einer demokratischen Alternative zum faschistischen Regime, ebenso wie damit Fragen nach dem Verhältnis von Einheits- und Volksfront sowie nach dem internationalistischen Charakter des Kampfes gegen Faschismus und Krieg auf die Tagesordnung gesetzt wurden. In der Diskussion dieser Fragen sowohl im Volksfrontausschuß als auch in Publikationsorganen der antifaschistischen Emigration nahmen die Beiträge bürgerlich-humanistischer Autoren, bislang zum überwiegenden Teile nur summarisch erfaßt, insgesamt einen wesentlichen Platz ein. Sie erstreckten sich in ihrer inhaltlichen Spannweite von partiellen Einsichten in die Notwendigkeit einer „Sammlung der Kräfte" bis hin zur Annäherung an Positionen des sozialistischen Humanismus und gewannen einen eigenständigen und aktiven Einfluß auf den Prozeß der kollektiven Selbstverständigung über Grundfragen des antifaschistischen Kampfes und konkrete Schritte auf dem Wege zur Aktionseinheit. Eine Reihe charakteristischer Denkansätze in dieser Richtung wird bereits in den Fragen evident, die von Lion Feuchtwanger zu Beginn des Jahres 1936 in der Volksfrontdiskussion der Neuen Weltbühne aufgeworfen wurden. Feuchtwanger ging es um ein unbeirrtes Festhalten an humanistischen Positionen und um Möglichkeiten ihrer ebenso unbeirrten und aktiven Verteidigung: „Wenn aber die Stimme der Empörten nicht mehr zur Geltung kommt, dann liegt das daran, daß sie vereinzelt rufen, so daß die einzelne Stimme verhallt. Kann n'an nicht einmal durch eine große gemeinsame Aktion der gesamten zivilisierten Welt dem Dritten Reich zeigen, daß diese Welt noch wach ist und nicht die Augen zumacht vor seiner Roheit? . . . Eine solche gemeinsame Aktion würde dem Dritten Reich vor Augen führen, wie gewaltig die Übermacht seiner Gegner ist; und diesen Gegnern, von denen manche zu Depressionen geneigt sind, wie stark sie sind, wenn sie zusammenhalten."6 Ähnliche Fragen und Überlegungen, teils noch im Vorfeld der Verständigung über konkrete Aufgaben und Erfordernisse, indessen deutlich abgesetzt von einer metaphysischen Sicht der Zeitereignisse und des Exilschicksals, stellten Heinrich Mann und Arnold Zweig, Ernst Toller und Rudolf Olden, Georg Bernhard, Hermann Budzislawski und Rudolf Leonhard zur Diskussion. Gegenüber einer resignativen Zurückhaltung und der Tendenz, das künstlerische Schaffen von der politischen Lebenssphäre abzuschirmen, trafen sich diese Beiträge namentlich in der Bereitschaft, die Begrenztheit eines individuellen Aufbegehrens gegen Willkür und Unrecht zu durchbrechen und geistig-moralische Verantwor6

Herden, V o l k s f r o n t

81

tung bewußt mit geschichtlichem Handeln, mit der organisierten antifaschistischen Aktion zu verbinden. Im Frühjahr 1936 bekannte sich auch Thomas Mann öffentlich zur antifaschistischen Emigration, indem er sowohl die Diskreditierung der emigrierten Autoren als auch die von dem Züricher Journalisten Eduard Korrodi verbreitete Version zurückwies, sein eigenes Schaffen sei von der Exilliteratur abzugrenzen. Ebenso deutlich und entschieden wie in dem bekannten Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Bonner Universität bekräftigte er diese Haltung in einem bislang weniger beachteten Begrüßungsschreiben an die Volksfronttagung vom 10. und 11. April 1937, das zudem die grundsätzliche Übereinstimmung mit den Intentionen der Volksfront zum Ausdruck brachte: „An der Beratung, zu der das Volksfrontkomitee am 10. April 1937 zusammentritt, nehme ich im Geiste aufs lebendigste teil und wünsche von Herzen, daß die Besprechungen die Klärung der uns bewegenden Probleme fördern mögen. Worauf es ankäme, wäre, eine Plattform zu schaffen, welche allen Deutschen, die im Lande und außerhalb guten Willens sind und sich nach einem Staate sehnen, der das Attribut deutsch wirklich verdient, die Möglichkeit zur Mitarbeit bietet. Es gilt, den heute verleugneten und beschmutzten Ideen der Freiheit und Humanität zu ihrem Rechte zu verhelfen; denn sie allein werden einen neuen und besseren deutschen Staat tragen können, und mit ihnen allein kommt man der Sehnsucht, die heute das deutsche Volk beseelt, entgegen. Ich glaube mich einig mit der deutschen Volksfront in dieser Überzeugung und freilich auch in der, daß es eine Freiheit sein muß, die für sich einzustehen weiß, und eine Humanität, die gegen ihre Mörder keine Schwäche kennt."7 Die abschließenden Passagen aus diesem Schreiben („eine Freiheit . . d i e für sich einzustehen weiß, und eine Humanität, die gegen ihre Mörder keine Schwäche kennt") wurden, wie ein Textvergleich zeigt, wörtlich in die von der Apriltagung des Volksfrontkomitees beschlossene Botschaft an das deutsche Volk aufgenommen. Die Äußerungen Lion Feuchtwangers und Thomas Manns waren übereinstimmend - auch darin anderen Beiträgen bürgerlicher Autoren zur Volksfrontdiskussion vergleichbar - so angelegt, daß die Stellungnahme, nicht der Versuch zu einer historisch-analytischen Darstellung dominierte. Dennoch reflektieren sie, im einzelnen differenziert nach individuellen Erfahrungsbereichen und Ausgangspositionen, in dem Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit und zum gemeinsamen Handeln der antifaschistischen Kräfte Einsichten grundsätzlicher 82

Art, die seit den Jahren 1935 und 1936 einen maßgeblichen Einfluß auf die Diskussion über die Aufgaben und Wirkungspotenzen der antifaschistischen Literatur gewannen. Vor allem ermöglichte es der konzeptionell gefaßte Begriff der Volksfront, weniger die Unterschiede zwischen den Antifaschisten „im Lande und außerhalb" als vielmehr ihre Gemeinsamkeiten hervorzuheben und damit die Bedingungen des Wirkens im Exil sehr viel entschiedener mit denen des illegalen antifaschistischen Widerstands in Beziehung zu setzen, als dies beispielsweise eine weitgehend auf die Exilproblematik begrenzte Betrachtungsweise gestattete. Auf gleiche Erfahrungswerte bezog sich Rudolf Leonhard, als er betonte, die Volksfront könne nur das Bündnis von Organisationen sein, wenn diese die Verbindung mit dem Volke hielten, wenn das Volk selbst sich in ihnen geformt habe, „das Volk, nicht zu vergessen ist das, im Innern des Landes wie in der Emigration, in lebendigem Zusammenspiel" 8 . Leonhard verwies in seiner Argumentation auf zahlreiche Briefe und Dokumente von Arbeitern, Bauern und Gläubigen aus dem Lande, die den im Exil wirkenden Volksfrontausschuß erreicht hatten und deren Forderungen den Kern des Volksfrontprogramms darstellten, das in den Aufrufen des Komitees und seines Vorsitzenden Heinrich Mann entworfen wurde. Gerade die fortdauernde und vertiefte Verbundenheit mit dem Volke, das Einbezogensein in seine Kämpfe und Niederlagen, das keine Sache rhetorischer Formeln ist, sondern auch den Schmerz und die Qualen der Einsamkeit kennt, legte nach den Worten Heinrich Manns auch den Grund dafür, „neue, unverhoffte Aussichten" auf die Geschichte und die geschichtliche Wirksamkeit zu eröffnen. 9 Begründet durch den Einsatz und die Standhaftigkeit revolutionärer Arbeiter im antifaschistischen Widerstand, artikulierte sich in vielen Diskussionsbeiträgen insbesondere ein wachsendes Verständnis für die geschichtliche Rolle der Arbeiterklasse und für ihre Stellung innerhalb der antifaschistischen Volksfront. „Auch wir hier bemühen uns", schrieb Heinrich Mann am 27. April 1936 in einem wenig bekannten Brief an Arnold Zweig, „ich darf Sie dessen versichern; und die entstehende Volksfront wäre ohne uns schwerlich so weit gediehen. Drinnen aber sind schlechthin Helden: jetzt mache ich die Erfahrung und neige mich, was wohltut und unerwartet kommt." 10 Daß die Bewährung revolutionärer Tatkraft in der Wirklichkeit des antifaschistischen Kampfes einen wichtigen Ausgangspunkt vertiefter, auch ästhetisch bedeutsamer Einsichten in die Gesetzmäßigkeiten der geschicht6*

83

lichen Bewegung bildete, wurde in nachhaltiger Weise ebenso von Arnold Zweig und Ernst Toller kenntlich gemacht. Arnold Zweig bekannte in seinem Beitrag zur Volksfrontdiskussion der Neuen Weltbühne: „Man kann den menschlichen Mut und die Überzeugungstreue schildern, Kameradschaft, Glaube an die Zukunft, Verachtung der Gewalt und Bereitschaft zum Tode für die Idee, ohne sich anderer Kostüme und Landschaften bedienen zu müssen als der simplen Kleidung des heutigen Arbeiters und jener Straßenzüge im Berliner Osten oder in Altona, die wir alle kennen." 11 Weitgehend analoge Einsichten finden sich in der Ansprache Ernst Tollers auf dem Deutschen Tag in New York im Dezember 1936, insbesondere in der Antwort auf die häufig gestellte Frage nach dem anderen Deutschland: „Oft fragen mich Ausländer, die am deutschen Volke verzweifeln: 'Wo, wo ist denn das andere Deutschland, an das Sie glauben?' Und ich erzähle ihnen von Edgar André, von Erich Mühsam, von den Hunderten von Männern, jungen und alten, die mit der gleichen Würde starben. Ich erzähle ihnen von den 200 000 Gefangenen in den deutschen Konzentrationslagern, von jenen Tausenden," die Verbannung, Exil und Fremde der Unfreiheit vorziehen. Hier, sage ich ihnen, ist das andere Deutschland!" 12 Mit dem Versuch, die Volksfrontposition aus den wirklichen Kämpfen der Volksfront abzuleiten, erhielt zum anderen auch die Hinwendung zu den Aufgaben und Wirkungsmöglichkeiten der antifaschistischen Aktionseinheit ein höheres Maß an konkreter Bestimmtheit. Über die verbale Erwartungshaltung hinaus, daß die antifaschistische Emigration eine in sich selbst ruhende Gemeinsamkeit begründen könnte, wurde die Aufmerksamkeit in zunehmendem Maße auf das Beziehungsfeld zwischen der Einheits- und der Volksfront gelenkt. Zumeist auf empirisch gewonnene Einsichten gestützt, setzten sich nicht nur sozialistische, sondern auch bürgerliche Autoren im Interesse der Volksfront wiederholt und demonstrativ für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse ein. Ein Beispiel für die Eindringlichkeit, mit der dies geschah, gibt unter anderem die Stellungnahme Rudolf Oldens : „Als wir Deutschland verließen, war unter den Erinnerungen, die wir mitnahmen, eine der schlimmsten der Gedanke an die gegenseitige Zerfleischung der Arbeiterparteien. Schon Jahre vorher konnte man voraussagen, daß sie zur Vernichtung der Arbeiterrechte führen mußte. Ein Unglück, das man Tag für Tag heranrücken sah, eintreten zu sehen, ist noch niederdrückender, als eine unerwartete Katastrophe es sein kann." 13 Unter Bezugnahme auf die Einheitsfrontverhandlun84

gen, die am 23. November 1935 zwischen offiziellen Vertretern der K P D und der SPD in Prag geführt worden waren, setzte Rudolf Olden hinzu, daß der erreichte Zustand gesitteter Verhandlungen demgegenüber ein gewaltiger Fortschritt sei und einen unschätzbaren Vorteil darstelle, welcher nicht wieder verlorengehen dürfe. Diese Auffassung wurde, in den Motivationen zum Teil weiter präzisiert, in der Diskussion über die Aufgaben und Möglichkeiten der Volksfront mit besonderem Nachdruck auch von Georg Bernhard und Heinrich Mann vertreten. Georg Bernhard, Chefredakteur des Pariser Tageblatts und aktives Mitglied des Lutetia-Kreiises und des Volksfrontausschusses, führte die Beobachtung, daß die Zersplitterung der Arbeiterparteien den wohnlichen Ausbau der Weimarer Republik verhindert und erneut die alten Mächte des Großagrariertums und der Schwerindustrie zur Macht gebracht habe, bis zu der Konsequenz weiter, die Einigung der sozialistischen Parteien als eine Aufgabe von allgemeinem und nicht aufschiebbarem Interesse zu begreifen. „Wie das geschehen kann und soll, ist eine Frage, die die Sozialisten selbst angeht. Wir, die wir außerhalb dieser Parteien stehen, können nur die Forderung stellen. Wir sind aber verpflichtet und berechtigt, sie zu erheben, weil das Gelingen auch unseres Kamp-' fes von der Herstellung dieser Einigkeit abhängt." 14 Heinrich Mann, der bereits im Dezember 1935 den gemeinsamen Protest deutscher Kommunisten und Sozialdemokraten gegen die Ermordung von Rudolf Claus als ein Symptom der sich herausbildenden Einheitsfront begrüßt hatte, sprach in Notizen für die Arbeit des Lutetia-Kreises im gleichen Sinne vom „sozialistischen Kern" der Volksfront 15 , und in seinem 1936 entstandenen, in der Zeitschrift Internationale Literatur veröffentlichten Essay Der Weg der deutschen Arbeiter beschrieb er den dialektischen Zusammenhang zwischen der Einheitsfront und der Volksfront mit folgender Formel: „ . . . eine Klasse wird in der Not erst ganz sie selbst, wird Element und einigt sich elementar. Ihre Einigkeit bekommt den Wert, der verkannt war; denn die Freiheit, ihr gemeinsames Ziel, erscheint endlich zum Leben notwendig wie Brot und Salz. Dann ist das Wichtigste getan, da die Einheitsfront der Arbeiter, überall wo sie auftritt, die Front des ganzen werktätigen Volkes nach sich zieht . . . Die anderen Abteilungen der Volksfront werden mitkommen, wenn sie eine Kraft fühlen." 16 Zu diesen „anderen Abteilungen der Volksfront" rechnete der Vorsitzende des deutschen Volksfrontausschusses nicht nur die Bauernschaft und das humanistisch gesinnte Bürgertum, sondern ebenso auch 85

christliche Kreise und die antifaschistischen Kräfte innerhalb der Armee. Zur Zusammenarbeit zwischen Sozialisten und Christen, wie sie der Volksfrontausschuß praktizierte und wie sie auch in der Arbeit der Exilzeitschriften ihren Ausdruck fand, erklärte er 1936 in seinem Essayband Es kommt der Tag: „Wir wollen, daß jeder Sozialist sich des humanistischen Zieles bewußt wird, jeder Christ der humanistischen Herkunft. Wir müssen erreichen, daß Christ und Sozialist in ihren Zielen, ihrer Herkunft nicht mehr das Unterscheidende höchst wichtig nehmen, sondern das, was sie ähnlich macht." 17 In mehreren Volksfrontaufsätzen, Flugschriften und Briefen begründete Heinrich Mann des weiteren die Aufgabe, „immer neue Schichten", darunter die Kaufmannschaft und das Militär, wie es zum Beispiel in einem Brief an Paul Merker vom 26. März 1939 heißt, 18 für die Sache der Volksfront zu gewinnen. Mit diesen Vorschlägen wurde eine Aufgabenstellung aufgegriffen, die konsequent dem generellen Anliegen des antifaschistischen Kampfes zugeordnet war und die des weiteren die historische Kontinuität bezeugt, die von der Arbeit des Volksfrontausschusses bis zum Wirken des Nationalkomitees Freies Deutschland und von hier aus bis in die Phase des antifaschistisch-demokratischen und sozialistischen Neuaufbaus führt. In dem Maße, wie der Antifaschismus als eine „Bejahung", als Kennzeichnung einer h u m a n i s t i s c h e n P o s i t i o n verstanden wurde, gewann in der Volksfrontdiskussion schließlich auch die Frage nach der Verständigungsbasis der antifaschistisch-demokratischen Kräfte zunehmend an Bedeutung. Der Versuch, potentielle Gemeinsamkeiten in einer „Plattform" für den antifaschistischen Kampf und die demokratische Erneuerung zusammenzufassen, erwies sich allerdings nicht nur als eine notwendige, sondern auch als eine ebenso vielschichtige und schwierige Aufgabe. Eines der offenkundigsten Hemmnisse bestand in dem Widerstand der sozialdemokratischen Führung gegen die Einheits- und Volksfront, in einer „Widersetzlichkeit", die Heinrich Mann „angesichts der immer entschiedeneren, immer vermehrten Zeugnisse" des Verständigungswillens aus dem Lande selbst im Oktober 1937 als „bedauernswert töricht" bezeichnete.19 Weitere Störmanöver gegen die Volksfront gingen von pseudoradikalen und trotzkistischen Gruppen aus, deren Wortführer unter anderem auch in den Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek die Auffassung vertraten, die revolutionäre Vorhut dürfe sich, sofern sie nicht den reaktionären Kräften behilflich sein wolle, „keinesfalls auf eine Demokratie als Staatsform verpflichten"- 0 . 86

Zum anderen behaupteten sich in weiten Kreisen linksbürgerlich und demokratisch orientierter Intellektueller, und zwar vor allem insoweit, als die realen gesellschaftlichen Konfrontationen auf einen abstrakt gefaßten Widerspruch zwischen Vernunft und Unvernunft zurückgeführt wurden, vielfach Vorstellungen über die Priorität einer geistig-moralischen Erneuerung. Ebenso blieb verschiedentlich die Tendenz wirksam, die Fragen nach dem konkreten Inhalt notwendiger gesellschaftlicher Veränderungen vorerst auszuklammern oder nur in allgemeinen Umrissen zu beantworten. In Anbetracht dieser Gegebenheiten bedeutete schon die Bereitschaft, überlieferte Urteile in Frage zu stellen und die zeitgeschichtlichen Erfahrungen kritisch aufzuarbeiten, einen wichtigen Schritt zur Verständigung der antifaschistischen Kräfte. So zeichnete sich in vielen Diskussionsbeiträgen bürgerlichhumanistischer Autoren zur Volksfrontproblematik zunächst die Entschlossenheit ab, keine Wiederholung der Inkonsequenzen, Schwächen und Halbheiten der Weimarer Republik zuzulassen. Ohne daß die Konzeption einer vorwiegend auf geistig-moralische Aspekte orientierten Faschismus-Kritik völlig an Einfluß verlor, wurde sie wiederholt durch neue Einsichten in politische und ökonomische Zusammenhänge erweitert und modifiziert, so zum Beispiel in den Diskussionsbeiträgen von Ernst Toller und Alfred Kerr21. Selbst dort, wo der faschistische Terror noch nicht als Ausdruck sozial bestimmter Widersprüche gewertet wurde, erfolgte weithin ein Abbau bürgerlich-reformistischer Illusionen. Einen aufschlußreichen Einblick in den Zusammenhang zwischen der Kritik an der Weimarer Republik und der antifaschistisch-demokratischen Positionsbildung vermittelt unter anderem der Originalbeitrag Emil Julius Gumbels zu der 1936 in Basel veröffentlichten Broschüre Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront, in der im übrigen auch die von der Lutetia-Tagung am 2. Februar 1936 verabschiedeten Aufrufe publiziert wurden. Gumbel ging im Entwurf von Grundlinien einer antifaschistisch-demokratischen Gesellschaftskonzeption bewußt von der Aufgabe aus, den klaffenden Widerspruch zwischen der Proklamation von Verfassungsgrundsätzen und der gesellschaftlichen Realität zu überwinden: „Wir wollen nicht, wie 1848 und 1918, mit dem Aufbau einer Verfassung beginnen, die zu schön ist, um der Not standzuhalten, welche politische Rechte verspricht und wirtschaftliche Sicherungen unterläßt. Wir wollen vielmehr die agrarischen und industriellen Drohnen, die das Kaiserreich, die Republik und das III. Reich beherrschen, zugunsten der Arbeitsamen enteignen, 87

damit wir die Not von heute durch mühsame Arbeit in den Überfluß verwandeln, den der jetzige Stand der Produktionstechnik verbürgt."22 Die auf Erfahrungen und zeitgeschichtliche Analysen gegründete These, daß die erstrebten demokratischen Rechte und Freiheiten „wirtschaftliche Sicherungen" verlangten, wurde in der Volksfrontdiskussion auch von Heinrich Mann aufgenommen und mit Entschiedenheit vertreten. In Übereinstimmung mit den Richtlinien für die Ausarbeitung einer politischen Plattform der deutschen Volksfront, die Wilhelm Pieck im Namen des Zentralkomitees der K P D im Juni 1936 dem Volksfrontausschuß zur Diskussion übermittelt hatte,23 bezeichnete Heinrich Mann in seiner Rede auf der Volksfronttagung am 10. April 1937 die demokratische Volksrepublik als das einigende Kampfziel aller Freunde des Friedens und der Freiheit in Deutschland. Über die Charakteristik des Faschismus als des gemeinsamen Gegners hinaus tritt die Gemeinsamkeit der antifaschistischen Kräfte beim Aufbau neuer Formen des menschlichen Zusammenlebens in das Zentrum der Betrachtung: „In dieser demokratischen Volksrepublik wird das deutsche Volk selbst frei über seine Geschicke entscheiden. Es wird den Faschismus mit der Wurzel ausrotten. Es wird nicht die folgenschweren Fehler und Schwächen von 1918 wiederholen, sondern eine starke Volksmacht gegen die Feinde der Volksfreiheit schaffen."24 Wie diese Erklärung, die unter dem Titel Was will die deutsche Volksfront? in einer Sondernummer der Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek verbreitet wurde, gingen auch zahlreiche weitere Schriften und Stellungnahmen Heinrich Manns, darunter die Aufsätze Eine große Neuheit, Es kommt der Tag, Der Weg der deutschen Arbeiter, Die deutsche Volksfront, Geburt der Volksfront, Kampf der Volksfront und Ziele der Volksfront, unmittelbar aus der Arbeit des Lutetia-Kreises und des Volksfrontausschusses hervor. Vom Bekenntnis zu einem tätigen und streitbaren Humanismus bestimmt, leisteten sie insgesamt einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Volksfrontkonzeption und zur kollektiven Selbstverständigung der antifaschistischen Kräfte. 25 Zu den Wesenszügen dieser Selbstverständigung gehörte unabdingbar, beginnend mit der Verteidigung der vom Faschismus bedrohten geistig-kulturellen Werte, die Integration national bedingter Erfahrungen in einen weiter gefaßten, durch internationalistische Bezüge und Haltungen geprägten Zusammenhang. Entscheidende Anstöße erhielt die Volksfrontdiskussion vor allem durch den geschichtlichen Auf88

stieg der Sowjetunion sowie durch die Erfahrungen des antiimperialistischen Kampfes in Frankreich, Spanien und anderen Ländern. In Reiseberichten und essayistischen Darstellungsformen beschäftigten sich Schriftsteller wie Balder Olden und Ernst Toller, Oskar Maria Graf und Lion Feuchtwanger detailliert mit den Ergebnissen der sozialistischen Kulturrevolution, dem enormen Bildungs- und Lesedrang, der zunehmenden Entfaltung des geistig-kulturellen Lebens in der U d S S R . Ebenso wie in Stellungnahmen bürgerlicher Autoren zur sowjetischen Verfassung von 1936 und zum 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution wurden dabei jedoch nicht nur einzelne Sachverhalte registriert, sondern auch grundsätzliche Fragen des Zeit- und Geschichtsverständnisses zur Sprache gebracht. So betonte zum Beispiel Ernst Toller in der Polemik mit bestimmten Auffassungen des englischen Schriftstellers H. G. Wells, daß in der Sowjetunion „nicht nur neue Fabriken und neue Stadtteile . . . gebaut werden, sondern daß e i n n e u e r M e n s c h e n t y p u s heranwächst, der sich fundamental von den Menschen in faschistischen Ländern unterscheidet. Während in faschistischen Ländern der Intellekt gehaßt und verfolgt wird, sieht man in der U d S S R überall, wie sich die arbeitenden Menschen bemühen, ihr Leben geistig zu fundieren, um zu den großen kulturellen Werten der Vergangenheit und der Gegenwart eine lebendige Beziehung zu gewinnen." 26 Wie die Volksfrontdiskussion zeigt, wurde die Neuorientierung vieler Intellektueller bis hin zur Annäherung an Positionen des sozialistischen Humanismus gerade unter diesen Aspekten maßgeblich durch den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft, durch das Beispiel und die Lebenskraft neuer gesellschaftlicher Beziehungen in der U d S S R beeinflußt und mitbestimmt. Andererseits standen die permanent gegen die Volksfrontbestrebungen vorgetragenen und politisch motivierten Vorbehalte und Attacken, die unter anderem seit dem Herbst 1937 die Arbeit des vorbereitenden Volksfrontausschusses zunehmend blockierten, zugleich im Zeichen eines forcierten Antikommunismus und Antisowjetismus, so daß die fortgesetzte Polarisierung der Kräfte auch in dieser Hinsicht nicht aus dem Kontext der durch die internationalen Entwicklungen bedingten Gegebenheiten herauszulösen ist. Gleiches gilt für die Impulse und Einflüsse, die auf die Klärungsprozesse in der antifaschistischen Literaturbewegung von den Fortschritten der Volksfront vor allem in Frankreich und Spanien sowie vom Freiheitskampf des spanischen Volkes ausgingen. Ebenso wie diese Vorgänge den internationalistischen Charakter des Kampfes

89

um die Verteidigung der Humanität und die Notwendigkeit eines aktiven und organisierten Handelns verdeutlichten, stellten sie auch die gewachsenen Möglichkeiten unter Beweis, die für das Bündnis der Arbeiterklasse mit den anderen werktätigen Schichten gegeben waren. Ergänzt und vertieft durch neue historische Erfahrungen, behielten die damit verbundenen Einsichten und Positionen - Maurice Thorez hat am Beispiel der französischen Volksfront davon gesprochen, daß die Zusammenarbeit mit den Werktätigen für die Intellektuellen „eine wahre geistige und moralische Wiedergeburt" bedeutete 27 - auch in späteren Entwicklungsphasen ihren Einfluß und ihre Wirksamkeit. Insgesamt vermitteln die Diskussionen um die Aufgaben und Möglichkeiten der Volksfront in ihren Erkenntnissen wie in ihren Widersprüchen einen Einblick in charakteristische Denk- und Verhaltensweisen antifaschistisch-demokratischer Autoren. Die aus biographischen und historischen Darstellungen bekannte Tatsache, daß sich Schriftsteller wie Thomas Mann, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger oder Ernst Toller mit der antifaschistischen Sammlungsbewegung solidarisierten, wird durch den Verlauf und den Inhalt der Diskussionen konkret ausgewiesen und präzisiert. Auf diese Weise wird zugleich die Unhaltbarkeit der von reaktionären Kreisen vorgetragenen Versuche deutlich, die Intensität, den demokratischen Charakter und die Ernsthaftigkeit der um die Aufgaben und Ziele der Volksfront geführten Diskussionen in Frage zu stellen. Es genügt in diesem Zusammenhang, beispielsweise an die Behauptungen zu erinnern, der politisch-moralische Einsatz für die Volksfront habe zur Preisgabe einer unabhängigen Haltung geführt, 28 Schriftsteller wie Heinrich Mann und Arnold Zweig hätten sich zu einem „unprüfenden Engagement" verleiten lassen,29 die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, zumal zwischen den Intellektuellen und der Arbeiterklasse, sei überwiegend ein „literarischer Wunschtraum" gewesen30. Analysiert man den tatsächlichen Verlauf und die Ergebnisse der Diskussionen, so erweisen sich derartige Thesen schon bald als willkürliche Konstruktionen, die mit den realen Ereignissen und Entwicklungstendenzen nicht im mindesten zu vereinbaren sind. Zum andern bleibt zu beachten, daß die Zusammenarbeit zwischen der Arbeiterklasse und anderen sozialen Gruppierungen einschließlich der Intelligenz keineswegs statisch zu fassen ist, sondern eine stets aufs neue herzustellende Übereinstimmung zwischen geschichtlichen Erfordernissen und subjektiven Konsequenzen voraussetzt. Es hieße die Vielschichtigkeit und Differenziertheit der antifaschisti90

sehen Sammlungsbewegung gründlich verkennen, wollte man beispielsweise von der Annahme ausgehen, die im Zeichen der Volksfront stehende Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Schriftsteller habe sich gleichsam im Selbstlauf eingestellt, sie sei von Beginn an völlig naheliegend und nahezu selbstverständlich gewesen. Die unterschiedlichen Positionen, die sich insbesondere in den gesellschaftlichen und literarischen Auseinandersetzungen der Weimarer Republik herausgebildet und teilweise zu scharfen Kontroversen geführt hatten, konnten nicht durch bloße Erwartungen oder Wunschvorstellungen gegenstandslos werden. Sie wirkten in der verschiedensten Weise fort und hatten unter anderem auch zur Folge, daß in manchen Stellungnahmen sozialistischer Autoren, zumal in den ersten Exiljahren, die Kritik an Inkonsequenzen und Fehlinterpretationen bürgerlicher Autoren zunächst sehr viel stärker akzentuiert wurde als die potentiellen Möglichkeiten antifaschistischer Gemeinsamkeit. Nicht immer war die Explikation des eigenen Standorts frei von überspitzten Forderungen, die Verbindung von Prinzipienfestigkeit mit Umsicht, Geduld und Feinfühligkeit nicht immer von vornherein gegeben. W i e die Kritik Dimitroffs an einer „zünftlerischen" Wahrnehmung proletarisch-revolutionärer Interessen und an einer ungenügenden Berücksichtigung der Dialektik von Nationalem und Internationalem, so initiierte die gesamte Orientierung des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale einen weitreichenden Prozeß der Selbstverständigung innerhalb der sozialistischen Literatur, der auch die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Autoren wesentlich förderte und der in seiner geschichtlichen Bedeutung zudem keineswegs auf die zweite Hälfte der dreißiger Jahre einzuengen ist. Auch aus der Sicht bürgerlicher Autoren bedeutete das Bekenntnis zur antifaschistischen Volksfront und zur Zusammenarbeit mit der sozialistischen Literaturbewegung zumeist eine Entscheidung grundsätzlicher Art. Zwar hatte es bereits in den Jahren der Weimarer Republik eine Reihe übereinstimmender Proteste gegen Willkürakte der bürgerlichen Klassenjustiz gegeben, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem gegen Johannes R. Becher angestrengten Hochverratsprozeß und dem berüchtigten Schund- und Schmutzgesetz, das unter dem Deckmantel ethischer Belange eine Handhabe zur Reglementierung der progressiven Literatur bot; doch reichte die im Zeichen der Volksfront aufgenommene Zusammenarbeit mit den Repräsentanten der Arbeiterklasse und der sozialistischen Literatur substantiell und perspektivisch über derartige Ansätze übereinstimmender Haltungen

91

weit hinaus. Sie bedeutete schon insofern den Schritt zu einer qualitativ neuen Entwicklung, als sie eine Reihe wesentlicher potentieller Gemeinsamkeiten zwischen der sozialistischen und der bürgerlichhumanistischen Literatur sehr viel deutlicher als in den vorangegangenen Jahren in das Bewußtsein hob und diese Gemeinsamkeiten zugleich in einer Weise handlungswirksam zu machen verstand, die den inneren Zusammenhang zwischen der Verteidigung der Kultur und der Notwendigkeit einer grundlegenden antifaschistisch-demokratischen Erneuerung nachdrücklich zur Geltung brachte. D a ß dieser Entwicklungsprozeß nicht geradlinig und widerspruchsfrei verlief, daß er auch rückläufige und gegenläufige Tendenzen in sich einschloß, ist bereits in anderem Zusammenhang betont worden. Wo der Faschismus unter metaphysischen Vorzeichen betrachtet und gewertet wurde, wo die von ihm ausgehenden Bedrohungen als außerordentlich „geringfügige Ereignisse der Zeitgeschichte" hingestellt wurden, 31 die allenfalls Verachtung, aber keine nennenswerte Aufmerksamkeit verdienten, überall dort lag es nahe, schon die Frage nach der potentiellen Gemeinsamkeit der antifaschistischen Kräfte und nach der möglichen Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Autoren als irrelevant aus dem Prozeß der Selbstverständigung auszuschließen. Neben prononcierten Rückzugspositionen, die sich im Verzicht auf gesellschaftliche Wirksamkeit und in fortgesetzten Zweifeln an der Sinnfälligkeit der geschichtlichen Vorgänge äußerten, traten schließlich auch antikommunistische Intentionen und Haltungen, offen oder verdeckt gegen die Volksfront gerichtet, auf den Plan. Von verschiedenen Autoren wurde selbst die Mitarbeit an sozialistisch oder linksbürgerlich orientierten Zeitschriften und Verlagen rigoros abgelehnt. In einem für die Neue Weltbühne geschriebenen Diskussionsbeitrag zu dem Thema Der Intellektuelle in der Volksfront versuchte M. Georg bereits im Herbst 1937, einige generelle Konsequenzen aus diesen Polarisierungstendenzen abzuleiten. In seiner Argumentation ging er von der These aus, daß Emigrationen als erzwungene Auswanderungen zu betrachten seien, in denen sich zahlreiche Kräfte und Gruppen vereinigten. Ihre Subsumierung unter dem Begriff der Emigration sei vielfach zufällig, und dies bringe es mit sich, daß nach einiger Zeit Prozesse der Selektion einsetzten, die unter den entstandenen Bedingungen besonders dort erkennbar seien, wo die Gegnerschaft zur Volksfront mit einem psychischen Unvermögen korrespondiere, den Gang der Weltgeschichte in seiner Dialektik zu ertragen, 92

wo sich Intellektuelle als Feuerwerker eines sich selbst genügenden Geistes verstünden. Die Darstellung Georgs ist in manchen Einzelheiten und Schlußfolgerungen nicht frei von Überspitzungen; sie fällt gelegentlich in sektiererische Ressentiments gegenüber den Intellektuellen zurück und vereinfacht auch in der These, daß der Intellektuelle nicht „als Persönlichkeit zu glänzen, sondern als einfacher Soldat zu kämpfen habe"32. Wenn sie insofern der Differenziertheit der persönlichen Lebensbeziehungen, Interessen, Erfahrungen und Bekenntnisse nicht gerecht wird und damit auch die Differenziertheit des Vorstoßes zu neuen Positionen nicht hinreichend erfaßt, so wird man ihr jedoch in der Beobachtung zustimmen können, daß sich in den Kämpfen um die Volksfront eine nicht zu übersehende Zäsur für die Positionsbildungen innerhalb der antifaschistischen Emigration abzeichnete. Zu einem der militantesten Gegner der Volksfrontkonzeption entwickelte sich in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre Leopold Schwarzschild, der Herausgeber der von 1933 bis 1940 in Paris verlegten Wochenschrift Das Neue Tage-Buch. Schwarzschild setzte sich in seiner Zeitschrift wiederholt kritisch mit der faschistischen Rüstungs- und Expansionspolitik auseinander, kaprizierte sich dabei jedoch von vornherein auf eine Wertung, die „das eigentliche Wesen des Nationalsozialismus" weniger in seinen politischen Veranstaltungen als vielmehr in der „Rückwandlung des Homo sapiens zum Pithecanthropus", in einer krampfigen und allumfassenden „Rückbildung der Gattung Mensch in der Richtung auf die Stufe der Menschenfresserei"33 zu erfassen suchte. Während Schwarzschild die ersten Ansätze zur Sammlung der antifaschistischen Kräfte noch unterstützt und zum Beispiel an den ersten Beratungen des Lutetia-Kreises teilgenommen hatte, distanzierte er sich im Verlaufe des Jahres 1936 mit aller Schärfe von der Volksfrontbewegung, wobei diese Distanzierung mit einem vehementen Antisowjetismus, mit der völligen Identifizierung von Faschismus und Bolschewismus verbunden war. In der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre wurde Schwarzschild, wie Hans-Albert Walter festgestellt hat, „zu einem der fanatischsten Antikommunisten der deutschen Emigration": „Enttäuschte Liebe und persönliche Verärgerung verbanden sich mit einem rabiaten, fast paranoiden Haß wider Kommunisten, Kommunismus und Sowjet-Union. Was er etwa zum zwanzigjährigen Bestehen der Sowjet-Union schrieb, war tief unter seinem Niveau. Der Haß ließ ihn nun seinerseits zu den lächerlichsten Unterstellungen greifen . . ." M 93

Wesentlich für die hier verfolgten Zusammenhänge ist dabei vor allem folgender Umstand: Nicht wenige namhafte bürgerliche Schriftsteller, die in den ersten Exiljahren am Neuen Tage-Buch mitgearbeitet hatten, unter ihnen Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger, brachen ihre Beziehungen zu Schwarzschild ab, als dessen Zeitschrift mehr und mehr die Geschäfte eines aggressiven Antikommunismus besorgte. Als Antifaschist, so faßte Heinrich Mann, nachdem er seine Mitarbeit am Neuen Tage-Buch eingestellt hatte, diese Erfahrung zusammen, müsse man nicht Kommunist, aber man könne auf keinen" Fall Antikommunist sein. „Wir in unserer Lage, in der deutschen Lage, können uns keinen .Antikommunismus' erlauben. Die d. Freiheitsbewegung würde sich selbst tödlich treffen."35 Forcierte antikommunistische und antisowjetische Haltungen, wie sie neben Schwarzschild insbesondere von verschiedenen Renegaten vertreten wurden, bildeten denn auch jene Scheidelinie, die die Grenzen eines - wie immer auch motivierten - Antifaschismus, der sich der Zusammenarbeit mit der Arbeiterklasse und damit der Volksfrontbewegung verschloß, mit aller Deutlichkeit markierte. Die Fragwürdigkeit dieser Positionen rückte auch Lion Feuchtwanger in das Licht kritischer Analyse, als er im Sommer 1939 in einem für die Deutsche Volks-Zeitung geschriebenen Aufsatz unter dem Titel Ein ernstes Wort den Vorschlag von Schwarzschild zurückwies, Deutschland nach dem Sturz des faschistischen Regimes unter die Vormundschaft fremder Mächte zu stellen. „Sehen diese Leute nicht", so schrieb Feuchtwanger, „welches Unheil sie anrichten? Sie gefährden die Verbindung der deutschen Emigration zu der deutschen Opposition innerhalb der Reichs grenzen; zahllose Illegale, die innerhalb Deutschlands arbeiten, kehren sich daraufhin angewidert von der deutschen Emigration ab, andere sind deprimiert über die politische Instinktlosigkeit solcher Emigranten."36 Feuchtwanger fügte hinzu, daß man auch im Ausland nicht die Verachtung für jene Deutschen verhehle, die bereit seien, ihr eigenes Land derart aufzugeben, und er schloß mit der - im Substantiellen auch in den Volksfrontaufsätzen Heinrich Manns angelegten - Feststellung: „So gewiß ein deutscher Emigrant, der gegen Sowjet-Rußland polemisiert, das Hitlerregime unterstützt,... so gewiß auch leistet ein deutscher Emigrant, der für eine Fremdherrschaft über Deutschland eintritt, dem Faschismus Vorschub."37 Verschiedentlich stützten sich Gegenpositionen zur Volksfront auch auf soziologisch orientierte Auffassungen, deren Vertreter der Intelli94

genz und zumal der künstlerischen Intelligenz eine weitgehend oder völlig autonome Funktion in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zuzuordnen suchten. Charakteristisch für derartige Auffassungen ist die Studie des 1933 nach Dänemark und später nach Schweden emigrierten Soziologen Theodor Geiger Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft. Geiger konzentriert sich in seiner Untersuchung, die 1944 - ein Jahr nach der Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland - in Stockholm publiziert wurde, ausdrücklich auf die s c h ö p f e r i s c h e Intelligenz, zu der er Künstler, Dichter, Komponisten und Forscher rechnet. Im kritischen Verhalten dieser schöpferischen Intelligenz zur politischen Macht erblickt er „die einzige Aufgabe, die ihr auf der politischen Ebene legitim zukommt"38. Der abstrakt und ahistorisch gefaßten politischen Macht, der Geiger a priori die Verzerrung geistig-ideeller Entwürfe und Vorstellungen zuschreibt, wird die Intelligenz als die Bewahrerin eines nicht minder abstrakt gefaßten Geistes konträr gegenübergestellt. Sie habe, so postuliert Geiger, den Geist gegen die Macht, den Gedanken gegen die Wirklichkeit zu behaupten; dies sei das oberste Gesetz ihres Daseins. Aus dieser Konstruktion ergibt sich, daß die Isolation, die Heimatlosigkeit, ja, die „Duldereinsamkeit" geradezu zu einem Lebenselement der Intelligenz hochstilisiert wird. Die in den Volksfrontdebatten zur Geltung gebrachten Erkenntnisse über die potentiellen Gemeinsamkeiten zwischen der Arbeiterklasse und der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz werden dabei ebenso ignoriert wie der Umstand, daß sich im Ergebnis der Volksfrontarbeit zahlreiche freundschaftliche Verbindungen zwischen Schriftstellern und Politikern herausgebildet hatten. Geiger bezweifelt die Möglichkeiten einer derartigen Zusammenarbeit und Freundschaft nicht nur punktuell, sondern grundsätzlich und bezeichnet sie als einen Widerspruch in sich selbst: „Die gesellschafts- und machtkritische Intelligenz hat niemanden zum Freunde. Ihr bitterster Gegner aber ist der gewerbsmäßige Politiker." 39 Die realen gesellschaftlichen Widersprüche und Auseinandersetzungen werden damit in eine starre Antinomie gezwängt, innerhalb derer selbst die Kritik am Faschismus nur als ein Sonderphänomen der Kritik jeglicher politischer Macht erscheint. Für die Dialektik der geschichtlichen Bewegung ist in diesem starren Antinomie-Gebilde ebensowenig Platz wie für die konkrete historische Analyse. Nicht der in den ökonomischen Machtstrukturen wurzelnde und vom Profitstreben bestimmte Mechanismus der imperialistischen Gesellschaft, sondern eine abstrakt anvisierte Schicht machtausübender professionel95

ler Politiker erscheint als der Gegenpol zu den Bestrebungen der humanistisch gesinnten Intelligenz. D a ß diese Konzeption ihrer Substanz nach, das heißt durchaus unabhängig von den Intentionen, die ihr zugrunde lagen, dazu beitrug, die w i r k l i c h e n Machtverhältnisse im Dunkeln zu belassen, und daß sie im übrigen darauf abzielte, die Kräfte der wissenschaftlichen und künstlerischen Intelligenz zu neutralisieren, erklärt hinlänglich, daß die in ihr enthaltenen Elemente einer Kritik an sozialen und ökonomischen Mißständen so weit paralysiert wurden, daß sie keine ernsthafte Gefahr für die kapitalistische Gesellschaft darstellten. Ohne daß die Auffassungen Geigers zur sozialen Struktur und zum Status der Intelligenz hier weiter verfolgt werden können, bleibt als ihr Grundanliegen der Versuch zu konstatieren, einen unaufhebbaren Antagonismus zwischen der Intelligenz als der Sachwalterin der Kultur, des Geistes und der Vernunft auf der einen und den Politikern und Administratoren als Repräsentanten der Macht auf der anderen Seite aufzurichten, wobei der auf diese Weise etablierten „Heimatlosigkeit" und „Duldereinsamkeit" der Intelligenz zugleich ein verklärender Anstrich verliehen wird. Bei aller Kritik an einer derartigen theoretischen Konstruktion und ihren Verabsolutierungen wird man davon ausgehen können, daß damit durchaus - wenn auch nur punktuell und ohne durchgreifende Analyse - bestimmte Wirklichkeitserfahrungen der bürgerlichen Intelligenz reflektiert wurden. Nicht wenige bürgerliche Autoren standen diesen Vorstellungen auch deshalb nahe, weil sie die Möglichkeit boten, antikapitalistische Haltungen zu akzentuieren, ohne den Boden tradierter bürgerlicher Denkund Verhaltensweisen zu verlassen. Die Volksfrontkonzeption bedeutete demgegenüber in mehrfacher Hinsicht einen entscheidenden Neuansatz: Sie orientierte sich auf die Arbeiterklasse als den „sozialistischen Kern" der Volksfront, erkannte in der humanistisch gesinnten Intelligenz den notwendigen und natürlichen Bündnispartner der Arbeiterklasse im antiimperialistischen Kampf und ebnete so einer Zusammenarbeit den Weg, die geeignet war, auch die gesellschaftliche Isolierung und „Heimatlosigkeit" der Intellektuellen abzubauen und zu überwinden. Wie vielschichtig sich dieser Prozeß im einzelnen auch vollzog, zu seinen Grundkomponenten gehörte es, daß Vorstellungen über eine hegemoniale Rolle der Intellektuellen durch den praktischen Vollzug der Zusammenarbeit zurückgedrängt wurden, ohne daß andererseits Tendenzen zu einer Geringschätzung oder Uniformierung des schöp96

ferischen Denkens das Feld behaupteten. „Es fällt ins Auge", schrieb Heinrich Mann 1937, „daß zu unserer Zeit die Volksmassen eines Landes auf die Volksmassen der anderen Länder unmittelbar einwirken. Intellektuelle können für sich allein so viel nicht leisten." 40 Hatten diese Erkenntnisse und die damit verbundenen Möglichkeiten, die Intellektuellen in den Kampf der Volksmassen einzubeziehen, ihre Grundlagen im geschichtlichen Einsatz der proletarisch-revolutionären' Kräfte, so zeigen die dargestellten Beispiele nicht minder den aktiven Anteil und damit die Subjektposition bürgerlich-humanistischer Autoren bei der Herausbildung und Realisierung der Volksfrontkonzeption.

7

Herden, Volksfront

Forum der literarischen Volksfront. Zur bündnispolitischen Wirksamkeit der Monatsschrift „Das Wort"

Eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen sozialistischen und bürgerlichen Schriftstellern spielten in den dreißiger und vierziger Jahren antifaschistische Publikationsorgane der deutschen Emigration: Zeitschriften wie die Neuen Deutschen Blätter, Die neue Weltbühne, die AIZ, die literarische Monatsschrift Das Wort, die deutschsprachige Ausgabe der Internationalen Literatur und die in Mexiko herausgegebene Zeitschrift Freies Deutschland profilierten sich zu organisierenden Zentren dieser Zusammenarbeit. Im Zeichen der gemeinsamen Verteidigung der Kultur gegen die faschistische Barbarei vollzog sich dies in einem Maße, daß das Zusammenwirken emigrierter Autoren unterschiedlicher weltanschaulicher und ästhetischer Positionen zu einem Faktor wurde, der die Entwicklung und die Wirksamkeit dieser Zeitschriften maßgeblich bestimmte oder zumindest mitbestimmte. Wie bereits begründet und dargestellt, war diese Tatsache indessen nichts weniger als selbstverständlich. Ebensowenig erscheint es berechtigt, sie ausschließlich auf die Besonderheiten der Exilsituation zurückzuführen. Nicht anders als verschiedene öffentliche Stellungnahmen und eine Reihe von Anthologien, die in den Jahren des antifaschistischen Exils von sozialistischen und bürgerlichen Schriftstellern gemeinsam initiiert wurden, wird sie erst aus den Impulsen und konzeptionellen Neuansätzen verständlich, die aus der Volksfrontbewegung resultierten und die in vielfältiger Weise auch auf die Entwicklung der antifaschistischen Literatur einen nachweisbaren Einfluß erlangten. Der Versuch, einige Aspekte dieses Einflusses am Beispiel der literarischen Monatsschrift Das Wort darzustellen, die von 1936 bis 1939 unter redaktioneller Verantwortung von Bertolt Brecht, Willi Bredel und Lion Feuchtwanger in Moskau herausgegeben wurde, rechtfertigt sich durch den exponierten Platz, den diese Zeitschrift im Ensemble der antifaschistischen Publikationsorgane der deutschen 98

Emigration einnahm. In ihrer Wirksamkeit von Beginn an Ausdruck und Ergebnis des antifaschistischen Bündnisses zwischen sozialistischen und bürgerlichen Autoren, wurde sie ein zentraler geistiger Sammelpunkt der mit der Volksfront verbundenen Literatur. Ihre Arbeit begann jedoch weder voraussetzungslos, noch entwickelte sie sich isoliert von anderen literarischen und publizistischen Aktivitäten, so daß gerade im Hinblick auf die Entwicklung der antifaschistischen Aktionseinheit der zeitliche und kausale Zusammenhang zur Arbeit, zum Aktionsradius und zu den Erfahrungen anderer Exilzeitschriften berücksichtigt werden muß. Bereits in den ersten Exiljahren gingen namentlich von der Zeitschrift Neue Deutsche Blätter wichtige literatur- und bündnispolitische Initiativen zur Sammlung und Aktivierung der antifaschistischen Kräfte aus. Unter der Redaktion von Oskar Maria Graf, Wieland Herzfelde, Jan Petersen und Anna Seghers vom September 1933 bis August 1935, das heißt in der Phase der Ausarbeitung der Volksfrontstrategie, in Prag herausgegeben, setzten sich die Neuen Deutschen Blätter von vornherein eine vertrauensvolle Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlich-humanistischer Autoren im Kampf gegen den Faschismus zum Ziel. Die Redaktion lud auch jene bürgerlichen Antifaschisten, so weit sie nicht auf extrem antikommunistischen Positionen standen, zur Mitarbeit ein, die einer klassenmäßigen Einschätzung des Faschismus und seiner ökonomischen Wurzeln nicht oder noch nicht zu folgen vermochten: „Wir wollen den Prozeß der Klärung, der Loslösung von alten Vorstellungen, des Suchens nach dem Ausweg durch gemeinsame Arbeit und kameradschaftliche Auseinandersetzung fördern und vertiefen. Wir werden alle - auch wenn ihre sonstigen Überzeugungen nicht die unseren sind - zu Wort kommen lassen, wenn sie nur gewillt sind, mit uns zu kämpfen." 1 Entsprechend diesen programmatisch formulierten Zielen kamen schon in den ersten Heften der Zeitschrift neben sozialistischen Autoren auch Schriftsteller wie Jakob Wassermann, Walter Mehring, Hermann Kesten, Rudolf Olden und Arnold Zweig mit literarischen und publizistischen Beiträgen zu Wort. In gleicher Weise förderte die Redaktion den Prozeß der kollektiven Selbstverständigung in der antifaschistischen Emigration durch detaillierte Berichte und Informationen über den I. Unionskongreß der sowjetischen Schriftsteller im Sommer 1934 in Moskau und über den Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur ein Jahr später in Paris. Besonderes Gewicht erhielten weiterhin die Verbindungen, die die 7*

99

Zeitschrift zu antifaschistischen Schriftstellergruppen innerhalb der Landesgrenzen unterhielt: Unter der ständigen Rubrik Die Stimme aus Deutschland veröffentlichte sie fortlaufend Arbeiten illegal im Lande wirkender Autoren, darunter Auszüge aus dem in Berlin entstandenen Roman Unsere Straße von Jan Petersen, der seit der Gründung der Zeitschrift, aus naheliegenden Sicherheitsgründen in der Anonymität bleibend, zu ihren Herausgebern und Mitarbeitern gehörte. Auf der anderen Seite standen den Bemühungen der Redaktion, den Mitarbeiterkreis der Zeitschrift systematisch zu erweitern, nicht wenige Schwierigkeiten entgegen. So erklärten sich beispielsweise Thomas Mann und Carl Zuckmayer, im einzelnen aus durchaus unterschiedlichen Motiven, nicht zu der ihnen im Sommer 1933 von Wieland Herzfelde angetragenen Mitarbeit an den Neuen Deutschen Blättern bereit. Während Thomas Mann Rücksichten auf seinen Berliner Verlag und die noch bestehenden Publikationsmöglichkeiten im faschistischen Deutschland ins Feld führte, gründete sich die Zurückhaltung des in Österreich lebenden Carl Zuckmayer weitgehend auf ein Unverständnis für die geschichtliche Notwendigkeit der antifaschistischen Aktionseinheit.2 Zu diesen Absagen trat der Umstand, daß «ich verschiedene bürgerliche Autoren in den ersten Exiljahren auf die Mitarbeit an der von Klaus Mann herausgegebenen Monatsschrift Die Sammlung konzentrierten, die zeitlich parallel zu den Neuen Deutschen Blättern von 1933 bis 1935 im Amsterdamer Querido-Verlag erschien und für die André Gide, Aldous Huxley und Heinrich Mann das Patronat übernommen hatten.3 Schließlich hatten nicht wenige Autoren, unter ihnen Bernard von Brentano, Walter Hasenclever, Alfred Kerr, Klaus Mann, Friedrich Torberg und Alfred Wolkenstein, der Redaktion bereits ihre Mitarbeit zugesagt, konnten diese jedoch bis zum Sommer 1935, als materielle und finanzielle Schwierigkeiten die Einstellung der Zeitschrift erzwangen, nicht mehr realisieren. Verdeutlichen diese Gegebenheiten die komplizierten Bedingungen, unter denen die redaktionelle Arbeit zu leisten war, so schmälerten und schmälern sie jedoch nicht die Verdienste, die sich die Neuen Deutschen Blätter, deren Auflagenhöhe im ersten Jahrgang bei 7000 Exemplaren lag und die in vielen europäischen und außereuropäischen Ländern Verbreitung fanden, für die antifaschistische Sammlungsbewegung erwarben. Wie Johannes R. Becher hervorgehoben hat, bedeutete die Arbeit der Zeitschrift „tatsächlich eine Durchbrechung zu einer Einheitsfrontbewegung aller antifaschistischen Kräfte der 100

deutschen Literatur'" i . Zahlreiche weiterführende Initiativen zur Entwicklung der Bündnisbeziehungen in der antifaschistischen Literatur bis hin zur Gründung und zur Wirksamkeit der Zeitschrift Das Wort knüpften an diese Durchbruchs-Leistung an, nutzten das durch die redaktionelle Arbeit der Neuen Deutschen Blätter bereitgestellte Reservoir an politischen, konzeptionellen, journalistischen und technisch-organisatorischen Erfahrungen. In der Mitte der dreißiger Jahre verstärkten auch die Wochenschriften Der Gegen-Angriff, Die neue Weltbühne und die A1Z (Arbeiter-Illustrierte Zeitung) ihre Bemühungen, die Zusammenarbeit der antifaschistischen Kräfte zu fördern und bürgerliche Autoren in den Prozeß der Meinungsbildung zu aktuellen Fragen des Kampfes gegen die faschistische Barbarei einzubeziehen. Der Gegen-Angriff, der in den ersten Exiljahren in Prag erschien und dessen Aufgaben danach von der in Paris herausgegebenen Deutschen Volks-Zeitung (DVZ) wahrgenommen und weitergeführt wurden, publizierte zum Beispiel im November 1934 in mehreren Ausgaben Stellungnahmen antifaschistischer Autoren, denen das Hitlerregime auf Grund ihrer Tätigkeit im Exil die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen hatte. Neben Willi Bredel, Wieland Herzfelde, Erich Weinert, Friedrich Wolf und Bodo Uhse bekräftigten dabei auch Klaus Mann, Balder Olden, Erwin Piscator und Prinz Max Karl zu Hohenlohe-Langenburg ihre Kritik an der faschistischen Barbarei. Weitere Beiträge emigrierter Autoren waren dem Kampf um die Befreiung Ernst Thälmanns, dem Plebiszit über das Saargebiet im Januar 1935 sowie generellen Fragen des antifaschistischen Bündnisses gewidmet. Über ihre Reisen durch die Sowjetunion im Sommer und Herbst 1934 berichteten in ausführlichen Darstellungen Balder Olden und Ernst Toller. 5 Daneben veröffentlichte der Gegen-Angriff in seinem Kulturteil regelmäßig Berichte, Informationen, Rezensionen und Analysen, die - wie zum Beispiel F. C. Weiskopfs Zwei)ahresbilanz vom 12. Mai 1935 - die Entwicklung der antifaschistischen Literatur kritisch begleiteten und förderten. Gesellschafts- und kulturpolitische Grundfragen der antifaschistischen Sammlungsbewegung bildeten auch den Mittelpunkt der Volksfrontdiskussionen, die seit Herbst 1935 in der von Hermann Budzislawski redigierten Exilzeitschrift Die neue Weltbühne und, teilweise parallel dazu, in den Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek geführt wurden. An diesen Diskussionen, die vor allem die notwendige Aktivierung aller politisch-moralischen Kräfte im Kampf gegen den 101

Faschismus zum Ziel hatten, beteiligten sich sowohl Repräsentanten der Arbeiterparteien, unter ihnen Walter Ulbricht, Franz Dahlem, Alexander Scnifrin, Siegfried Aufhäuser, Karl Böchel und Max Seydewitz, als auch Vertreter des liberalen Bürgertums und führende Exponenten der im Exil wirkenden antifaschistischen Intelligenz. Zeigte sich schon allein darin die Tragfähigkeit der vom VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale und von der Brüsseler Konferenz der KPD erarbeiteten Beschlüsse und Dokumente, so griffen die Diskussionen auch in ihrer Substanz, in der Begründung der antifaschistischen Gemeinsamkeit und in der Verständigung über notwendige und mögliche gemeinsame Schritte, zum überwiegenden Teil über das Geltendmachen allgemein gehaltener und damit relativ unscharf konturierter Erwartungen hinaus. Gleichzeitig wurde der Einfluß der Neuen Weltbühne auf die antifaschistische Sammlungsbewegung auch dadurch markiert, daß sie einem breiteren Leserkreis - die Auflagenhöhe der Zeitschrift, die bis zum 2. Juni 1938 in Prag und danach bis Ende August 1939 in Paris erschien, betrug bis zu 9000 Exemplaren - grundlegende Dokumente und Materialien der Volksfrontarbeit zugänglich machte.6 Eine nicht geringere Rolle spielten die Diskussionen über die Ziele und Aufgaben der antifaschistischen Volksfront in den Exiljahrgängen der A1Z, deren Redaktion im Prager Exil von Hermann Leupold, F. C. Weiskopf, Louis Fürnberg und Fritz Erpenbeck geleitet wurde und für die John Heartfield eine Reihe hervorragender Fotomontagen als Titelblätter schuf. Seit dem Frühjahr 1936 erschien die AIZ mit einer gesonderten Rubrik unter der Titelzeile: Tribüne der deutschen Volksfront. Ähnlich wie in der Neuen Weltbühne legten auch hier Antifaschisten unterschiedlicher Herkunft und Denkweise ihre Standpunkte zu Erfahrungen und Notwendigkeiten des antifaschistischen Kampfes dar. „In der Tribüne der deutschen Volksfront", so begründete die Redaktion ihre konzeptionellen Ausgangspunkte, „bringen wir Artikel von Vertretern aller gegen das braune Regime gerichteten oppositionellen Strömungen, darunter auch solche, mit deren Ausführungen wir nicht in allen Einzelheiten und Folgerungen übereinstimmen; wir bringen sie, weil wir es für wichtig halten, unsere Leser über die Meinungen aller für die große deutsche Volksbewegung gegen das Hitlerregime in Betracht kommenden Strömungen bekannt zu machen."7 Bereits im Dezember 1935 enthielt die dem Kampf Georgi Dimitroffs gewidmete Sondernummer, die dessen Auftreten vor dem faschistischen Reichsgericht mit der Entwicklung 102

der Volksfrontstrategie in Beziehung zueinander setzte, neben Beiträgen von Henri Barbusse, Anna Seghers und Walter Ulbricht auch Stellungnahmen der beiden langjährigen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Siegfried Aufhäuser und Rudolf Breitscheid. Heinrich Mann stellte der AIZ mehrere Arbeiten zum Brüsseler Weltfriedenskongreß vom September 1936, zum Freiheitskampf des spanischen Volkes und zu anderen aktuellen Anlässen zur Verfügung. Weitere Beiträge zur Tribüne der deutschen Volksfront lieferten unter anderem Arnold Zweig, Alexander Sohifrin, Willi Münzenberg und Johann Gottlieb Wagner, einer der Wortführer der katholischen Opposition gegen Hitler. Ihre Verbundenheit mit der Volksfrontbewegung brachte die AIZ, die zudem wiederholt über Beratungen und Aktivitäten des in Paris gebildeten Ausschusses zur Schaffung einer deutschen Volksfront berichtete, im übrigen auch durch die Veränderung ihres Titels zum Ausdruck: Seit Herbst 1935 erschien sie mit dem Untertitel Das illustrierte Volksblatt und seit dem 19. August 1936 mit dem neuen Titel Die Volksillustrierte (VI). Konzentrierten sich der Gegen-Angriff und Die neue Weltbühne iin Zusammenhang mit ihren politischen Aufgaben im wesentlichen darauf, die Volksfrontarbeit und die Entwicklung der antifaschistischen Literatur durch sachkundige und problembewußte Erörterungen, durch Kritik und Diskussion zu fördern, so entsprach es dem Charakter der AIZ als einer illustrierten Wochenschrift, daß sich ihr konsequentes Engagement für die antifaschistische Volksfront ebenso in der Publikation von Bildberichten, Reportagen, Kurzgeschichten, Erzählungen und einzelnen Fortsetzungsromanen - darunter Willi Bredels Die Prüfung und Ludwig Tureks Die letzte Heuer - widerspiegelte. Mit Reportagen waren vor allem Egon Erwin Kisch, Maximilian Scheer und Fritz Erpenbeck, mit Erzählungen F. C. Weiskopf, Adam Scharrer, Alex Wedding und Johannes Wüsten vertreten. So wichtig diese Publikationsmöglichkeiten waren und sosehr diese Beiträge den Charakter und die Ausstrahlungskraft der AIZ mitbestimmten, so konnten sie jedoch die Existenz einer selbständigen L i t e r a t u r z e i t s c h r i f t der antifaschistischen Emigration nicht ersetzen. Im Gegenteil: Die Aufgabe, ein eigenständiges Publikationsorgan der antifaschistischen deutschen Literatur zu schaffen, wurde um so dringlicher, nachdem im Sommer 1935 sowohl die Neuen Deutschen Blätter als auch Die Sammlung ihr Erscheinen eingestellt, andererseits aber die Volksfrontdiskussionen den Boden für eine verstärkte Zusammenarbeit der antifaschistischen Schriftsteller bereitet hatten. 103

Unter diesen Voraussetzungen wurden auf Initiative Johannes R. Bechers während des Internationalen Schriftstellerkongresses zur Verteidigung der Kultur im Juni 1935 in Paris erste Verständigungsgespräche über die Möglichkeiten und die erforderlichen Schritte zur Neugründung einer literarischen Exilzeitschrift geführt. Wie Fritz Erpenbeck mitgeteilt hat, ging Becher von der Überlegung aus, neben der in Moskau in mehreren Sprachen erscheinenden Internationalen Literatur „eine spezifisch deutsche Literaturzeitschrift der Volksfront" ins Leben zu rufen, 8 eine Zeitschrift, die von Beginn an dem Bündnis zwischen der sozialistischen und der bürgerlich-humanistischen Literatur verpflichtet war. Bertolt Brecht, Willi Bredel und Lion Feuchtwanger erklärten sich im Anschluß an die Beratungen des Pariser Kongresses bereit, verantwortlich an der Herausgabe und Gestaltung einer solchen Zeitschrift mitzuwirken. Zahlreiche weitere antifaschistische Autoren sagten in persönlichen Gesprächen bzw. im Ergebnis einer über mehrere Monate unter anderem von Becher, Willi Bredel, Fritz Erpenbeck, Wieland Herzfelde und Maria Osten geführten Korrespondenz ihre Mitarbeit zu. Zum Charakter der in Aussicht genommenen Zeitschrift schlug Lion Feuchtwanger in einem Brief vom 10. Februar 1936 an Becher vor, in erster Linie zeitgenössische Romane, Lyrik und Novellen und in einem analytischen Teil literaturkritische Arbeiten vorzustellen und bei der Auswahl der Beiträge durchweg vom Gesichtspunkt der künstlerischen Qualität auszugehen. Im gleichen Brief unterbreitete Feuchtwanger eine Reihe von Titelvorschlägen: Deutschland und die Welt, Die Weltliteratur, Der vollgedeckte Tisch, Stimmen der Völker und Das Wort,9 bei deren Diskussion sich Herausgeber und Verlag schließlich auf den zuletzt genannten Vorschlag verständigten. Die Bereitschaft antifaschistischer Autoren zur Mitarbeit und die Vorschläge zur Gestaltung der Zeitschrift konnten freilich nur in dem Maße tragfähig werden, wie es gelang, die für eine kontinuierliche Publikation notwendigen politischen, ökonomischen und technischorganisatorischen Verbindlichkeiten zu sichern. Dies geschah im Frühjahr 1936 vor allem dank der Vermittlung und Unterstützung durch führende sowjetische Autoren wie Maxim Gorki, Alexander Fadejew und Michail Kolzow, mit denen Johannes R. Becher als Vorsitzender der Deutschen Sektion des Sowjetischen Schriftstellerverbandes in engen Arbeitskontakten stand. 10 Mit dem von Fadejew und Kolzow inspirierten Beschluß des für die Moskauer Verlage zuständigen Volksbildungskommissariats der RSFSR vom 19. Februar 1936 zur 104

Herausgabe eines deutschsprachigen literaturkritischen Journals im Jourgaz-Verlag und mit der Empfehlung, alle in der Emigration wirkenden antifaschistischen deutschen Autoren zur Mitarbeit an diesem Journal zu gewinnen, wurden für die Gründung und für die Wirksamkeit der Zeitschrift Das Wort entscheidende Voraussetzungen geschaffen. Die Aufnahme der Zeitschrift in das offizielle Verlagsprogramm des zu diesem Zeitpunkt von Michail Kolzow geleiteten Jour-1 gaz-Verlages, ein Akt solidarischer Verbundenheit mit der antifaschistischen deutschen Literatur, erleichterte im Vergleich zu anderen Exilpublikationen in vielerlei Hinsicht Herstellung und Vertrieb und ermöglichte es der verantwortlichen Redaktion, nach verhältnismäßig kurzer Vorbereitungszeit bereits im Juli 1936 das erste Heft vorzulegen. Mit dem Juliheft 1938 übernahm der Moskauer Verlag Das Internationale Buch die Herausgabe der Zeitschrift. Bis zum März 1939 erschienen, durchweg unter der gemeinsamen Redaktion von Brecht, Bredel und Feuchtwanger, insgesamt 32 Ausgaben (darunter ein Doppelheft), wobei sich der Umfang in den letzten beiden Jahrgängen von 112 Seiten auf 160 Seiten pro Heft erhöhte. Die Ausgangspunkte und generellen Intentionen der im Untertitel als Literarische Monatsschrift ausgewiesenen Zeitschrift wurden in einem redaktionellen Vorwort für das erste Heft in folgender Weise umrissen: „ N o c h n i e b e d u r f t e e i n e Z e i t s c h r i f t s o w e n i g d e r B e g r ü n d u n g i h r e s E r s c h e i n e n s wie Das Wort; denn noch nie waren die wesentlichen Vertreter einer großen Literatur in einer Lage wie heute die meisten zeitgenössischen deutschen Schriftsteller . . . Bis vor Jahresfrist erschienen die Neuen Deutschen Blätter in Prag und Die Sammlung in Amsterdam. Getrennt marschierend erlagen diese beiden Literatur-Zeitschriften jedoch politischen und ökonomischen Schwierigkeiten. Das Wort erscheint unter ungleich günstigeren Voraussetzungen. Es zählt zu seinen Mitarbeitern ausschließlich alle Schriftsteller deutscher Sprache, deren Wort dem Dritten Reich nicht dient." 11 In diesem Sinne verfolgten die Herausgeber der Zeitschrift und die Redaktion mit ihrer Arbeit erklärtermaßen das Ziel, ein Zentrum der antifaschistischen Literaturbewegung zu schaffen und, wie an gleicher Stelle betont wurde, das gemeinsame Wirken sozialistischer und bürgerlicher Autoren „in der Front des kämpferischen Humanismus" zu fördern. 12 Nach dem Urteil Fritz Erpenbecks „ein Kind der Volksfront", sammelte Das Wort entsprechend dieser Zielsetzung „um sich einen Kreis antifaschistischdemokratisch gesinnter Autoren vom Kommunisten bis zum Christen, 105

vom parteilosen bis zum deutsch-nationalen Hitlergegner", die sich „trotz manchmal weltweiter geographischer Trennung" im Bekenntnis zur Verteidigung der vom Faschismus bedrohten Kultur verbunden wußten. 13 Gerade aus der geographischen Zersplitterung der Emigration ergab sich für die Redaktionsarbeit indessen eine Vielzahl fortgesetzter, im einzelnen kaum vorhersehbarer Schwierigkeiten. Die Manuskripte aus den verschiedenen Exilzentren erreichten die Redaktion oft nur unregelmäßig und auf Umwegen; die Beratung mit den Autoren blieb zumeist auf eine weitverzweigte und zeitraubende Korrespondenz angewiesen. Überdies hatten auch die Mitglieder des Redaktionskollegiums ihren Wohnsitz in verschiedenen Exilländern; nur Willi Bredel lebte bis zu seiner Teilnahme am spanischen Befreiungskampf zeitweilig in Moskau, dem Erscheinungsort der Zeitschrift und dem offiziellen Sitz der Redaktion. Die Zusammenarbeit mit Feuchtwanger und Brecht, die in Frankreich bzw. in Dänemark Zuflucht gefunden hatten, vollzog sich auf der Grundlage einer Übereinkunft, die in ihren wesentlichen Zügen auf einen Vorschlag der Redaktionsmitarbeiterin Maria Osten zurückging: Den für die Zeitschrift verantwortlich zeichnenden Autoren wurden in einem Vorlauf von mehreren Wochen jeweils geschlossene Arbeitsmanuskripte für die einzelnen Hefte zur Durchsicht und Stellungnahme übermittelt; die Rückantworten und zum Teil auch weitergehende Anregungen wurden bei der Schlußredaktion und gegebenenfalls bei der Vorbereitung neuer Hefte berücksichtigt. Dieses auf eine effektive und vertrauensvolle Zusammenarbeit gerichtete Verfahren behielt auch Fritz Erpenbeck bei, als ihm auf Vorschlag Willi Bredels zu Beginn des Jahres 1937 die Verantwortung für die in Moskau zu leistenden und zu koordinierenden redaktionellen Arbeiten übertragen wurde. Bredel selbst blieb während seines Aufenthaltes in Spanien der Zeitschrift weiterhin verbunden; sowohl durch eigene Beiträge wie durch redaktionelle Empfehlungen bewies er sein fortgesetztes Engagement für ihre Arbeit. Ebenso lassen die Stellungnahmen und Arbeitsnotizen Brechts und Feuchtwangers erkennen, daß die Mitwirkung am Wort von ihnen keineswegs so verstanden wurde, als sei es lediglich um das Zugeständnis gegangen, der Zeitschrift einen möglichst repräsentativen Namen zur Verfügung zu stellen. Nach Maßgabe der Möglichkeiten nahmen beide, im einzelnen auch durch Vorschläge zur Aufnahme bestimmter Beiträge und Themen und zur Heranziehung neuer Mitarbeiter, aktiven Anteil an der Entwicklung der Zeitschrift, an der 106

Ausbildung ihres eigenständigen Profils. Feuchtwanger hatte noch in seinem bereits genannten Brief vom 10. Februar 1936 an Becher Bedenken hinsichtlich seiner Möglichkeiten angemeldet, Verpflichtungen zur Durchsicht von Manuskripten und ähnliche Aufgaben zu übernehmen, stellte diese Bedenken jedoch schon wenige Monate später im Interesse der gemeinsamen Arbeit an der Zeitschrift zurück. Bereits im Mai 1936 übermittelte er dem im Jourgaz-Verlag untergebrachten Redaktiotisbüro seine - zu einzelnen Beiträgen zum Teil recht kritisch gehaltenen - Anmerkungen und Vorschläge zum Arbeitsmanuskript des ersten Heftes. Auch die folgenden Stellungnahmen verweisen auf eine sorgfältige Lektüre der vorgelegten Arbeiten. In einem Schreiben an Willi Bredel vom 2. Juli 1936 faßte Feuchtwanger seine Eindrücke zu den Manuskripten für das zweite Heft beispielsweise in folgendem Urteil zusammen: „Im Ganzen finde ich das Heft sehr respektabel. Der Fortschritt vor dem ersten Heft springt in die Augen. Vor allem die Abteilung Dichtung ist diesmal gut geglückt. Starken Eindruck hat mir die Skizze von Ottwalt gemacht, und ausgezeichnet finde ich das erste Gedicht von Brecht. Korrigieren Sie aber in der drittletzten Zeile des ersten Absatzes statt 'dem sagenhaften Atlantis* 'der sagenhaften Atlantis' und in der vorletzten Zeile dieses Absatzes statt 'wo das Meer es verschlang' 'wo das Meer sie verschlang' (Atlantis ist feminin)." 14 Ergänzt wurde dieses Urteil durch die Anerkennung der vorgelegten essayistischen Arbeiten und der ausgewählten Beiträge aus dem Kulturerbe, während Feuchtwanger die für das gleiche Heft vorgesehenen Rezensionen und auch die Glossen als nicht in gleichem Maße befriedigend bewertete. Verbunden damit war der Vorschlag, besonders der Literaturkritik stärkeres Augenmerk zu widmen. Der gemeinschaftliche, auch in solchen Details sichtbar werdende Einsatz der Herausgeber - als ein weiteres Symptom dafür sind die Gespräche zu werten, die Feuchtwanger im August 1936 in seinem französischen Wohnort Sanary mit Maria Osten über die Gestaltung der Zeitschrift führte15 - trug zusammen mit einer Reihe anderer Faktoren wesentlich dazu bei, daß sich Das Wort binnen kurzem zu einem anerkannten, in vielen Ländern verbreiteten Publikationsorgan der literarischen Volksfront entwickelte. Nach redaktionellen Angaben im Jahrgang 1938 befanden sich Auslieferungsstellen der Zeitschrift unter anderem in Prag, Barcelona, Paris, Brüssel, London, Kopenhagen, Stockholm, Oslo, Amsterdam, Zürich, Riga, Kaunas, Sidney, New York (für Nord- und Südamerika), Haifa, Istanbul und 107

Moskau. Zu ihren Mitarbeitern zählten ebenso führende Vertreter der sozialistischen Literatur wie Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Hans Marchwitza, Ludwig Renn, Anna Seghers, Erich Weinert und Friedrich Wolf wie Repräsentanten der bürgerlich-humanistischen Literatur und anderer literarischer Strömungen, unter ihnen Alfred Döblin, Oskar Maria Graf, Heinrich Mann, Thomas Mann, Ernst Toller und Stefan Zweig. Viele weithin bekannt gewordene Arbeiten emigrierter Schriftsteller, so zum Beispiel Brechts Gedicht Fragen eines lesenden Arbeiters (auf das sich Feuchtwangers Korrekturvorschläge vom 2. Juli 1936 bezogen), Die schönsten Sagen vom Räuber Woynok von Anna Seghers, Louis Fürnbergs Festliche Kantate, Erich Weinerts Das Gästebuch des Fürsten Jussupow oder Feuchtwangers Exkurs Größe und Erbärmlichkeit des Exils, fanden durch Das Wort ihren Weg in die Öffentlichkeit. Einen beträchtlichen Raum unter den veröffentlichten Beiträgen, die hier nicht im Detail verfolgt werden können, nahmen Erzählungen, Reportagen, Auszüge aus größeren epischen und dramatischen Werken sowie Gedichte zur Thematik des antifaschistischen Widerstandes, zum sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion und zum Freiheitskampf des spanischen Volkes ein. Mit Erzählungen zu zeitgeschichtlichen Stoffen waren unter anderem Max Brod, Paul Burda, Oskar Maria Graf, Alfred Kurella, Rudolf Leonhard, Ernst Ottwalt, Bodo Uhse, F. C. Weiskopf, Paul Zech und Hedda Zinner vertreten; zu den Romanen, die Das Wort in verschiedenen Auszügen vorstellte, gehörten Willi Bredels Dein unbekannter Bruder, Oskar Maria Grafs Anton Sittinger, Hermann Kestens Spanien-Roman Die Kinder von Gernika, Adam Scharrers Familie Schuhmann, Anna Seghers' Die Rettung und Friedrich Wolfs Zwei an der Grenze. In den Lyrik-Veröffentlichungen spannte sich der Bogen von Brechts Satiren für den Deutschen Freiheitssender, Beiträgen Erich Weinerts und Vorabdrucken aus Bechers Gedichtband Der Glücksucher und die sieben Lasten über Gedichte Max Herrmann-Neißes, Berthold Viertels und Herta Gotthelfs bis hin zu Arbeiten jüngerer, zum Teil erst in der Emigration hervorgetretener Autoren wie Erich Arendt, Stefan Heym, Henryk Keisch und Kuba. Einen repräsentativen Querschnitt aus dem dramatischen Schaffen antifaschistischer Autoren in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre vermittelten unter anderem mehrere Szenen aus Brechts Zyklus Furcht und Elend des Dritten Reiches, darunter die Szenen Rechtsfindung 1934, Die jüdische Frau und Arbeitsbeschaffung, das 1936 entstandene Zwei-Personen-Stück Bessie Bosch 108

von Johannes Wüsten, der unter dem Pseudonym Peter Niki publizierte, der an der spanischen Front spielende und dort 1938 aufgeführte Sketch Mein Maultier, meine Frau und meine Ziege von Ludwig Renn, Auszüge aus Ernst Tollers Stücken Nie wieder Frieden und Pastor Hall sowie aus Schauspielen von Julius Hay, Gustav von Wangenheim und Friedrich Wolf. Ohne die Vielfalt und Differenziertheit der im einzelnen erkennbaren weltanschaulichen und ästhetischen Positionen außer acht zu lassen, kann für die Gesamtheit dieser Beiträge gesagt werden, daß sie, so wie dies Heinrich Mann im Oktober 1938 im Wort für den Becherschen Gedichtband Der Glücksucher und die sieben Lasten formuliert hat, „eines der bündigsten Zeugnisse" für die Lebenskraft der antifaschistischen Literatur sind, daß sie die Verbundenheit dieser Literatur mit den geschichtlichen Kämpfen und damit ihr Vermögen widerspiegeln, „weder zu vereinsamen noch sich unterzuordnen".16 Ein solches Wirklichkeitsverhältnis stellt sich dabei selbst als Moment der Hinwendung zu einem praktischen und streitbaren Humanismus dar, als Element einer der Volksfront verbundenen und sie in spezifischer Weise mitgestaltenden Literaturkonzeption. Begründet in der Beziehung zu den Aktionen der Volksfront und des antifaschistischen Widerstandes, wird damit zugleich der qualitative Neuansatz gegenüber einem Selbstverständnis sinnfällig, das, unter welchen Vorzeichen auch immer, zu einer introvertierten Haltung und zu einem Rückzug auf elitäre Positionen tendierte. So liegt einer der grundlegenden Bezugspunkte der im Wort veröffentlichten Arbeiten darin, daß sie bei aller Differenziertheit der individuellen Schaffensintentionen nicht nur den P r o t e s t gegen die Bedrohung geistig-kultureller Werte, sondern ebenso auch d e n h u m a n i s t i s c h e n G e h a l t d e s a n t i f a s c h i s t i s c h e n K a m p f e s bewußt zu machen suchen. Dies geschieht nicht allein in Arbeiten, die unmittelbar zeitgeschichtlichen Stoffen und Themen verpflichtet sind; der Entwurf einer real-humanistischen Gegenposition zur Destruktion des Humanen wird gleichermaßen dort sichtbar, wo neue Erfahrungen und Ansätze gewonnen werden, um die Beziehungen des Menschen zur Natur, zur Kunst, zur Überlieferung, zur Geschichte aufzugreifen und zu gestalten. In diesem Sinne manifestiert sich gerade auch in solchen Arbeiten wie Bechers Sonetten Goethes Tod, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Rembrandt und Riemenschneider, die Das Wort im Juli 1937 veröffentlichte, in seinen Neuen Gedichten vom Dezem109

ber 1938 oder in Anna Seghers' Sagen vom Räuber Woynok eine bewußte, den zeitgeschichtlichen Kämpfen zugewandte Verteidigung der Humanität, die in dem Maße, wie sie sich auf die Gesamtheit menschlicher Lebensäußerungen und -tätigkeiten erstreckt, auch Tendenzen einer Verkürzung oder Verengung des Literaturbegriffes hinter sich läßt. Charakteristisch für den damit verbundenen Positionsgewinn, für die vertiefte Sicht auf die Wirkungsmöglichkeiten der Literatur ist das Motto, das Anna Seghers, weithin parallel zu Bechers Überlegungen, den g a n z e n M e n s c h e n zu erfassen, den Woynok-Sagen im Juniheft des Jahrgangs 1938 voranstellte: „Und habt ihr denn etwa keine Träume, wilde und zarte, im Schlaf zwischen zwei harten Tagen? Und wißt ihr vielleicht, warum zuweilen ein altes Märchen, ein kleines Lied, ja nur der Takt eines Liedes, gar mühelos in die Herzen eindringt, an denen wir unsere Fäuste blutig klopfen? Ja, mühelos rührt der Pfiff eines Vogels an den Grund des Herzens und dadurch auch an die Wurzeln der Handlungen." 17 In gleicher Weise zeigt sich der Einfluß der Volksfrontkonzeption sowie der aktive Anteil der Literatur an ihrer Herausbildung in den verstärkten Bemühungen, die geschichtlichen Traditionen dem faschistischen Mißbrauch zu entreißen, sie in ihrer ungeschmälerten Fülle aufzuarbeiten und für die gegenwärtigen und künftigen Kämpfe produktiv zu machen. Was die im Wort veröffentlichten Beiträge betrifft, so sind sie auch in dieser Hinsicht ein Spiegelbild genereller Entwicklungsprozesse innerhalb der antifaschistischen Literatur. Neben Bechers Inschriften auf Persönlichkeiten wie Riemenschneider, Leonardo da Vinci und Rembrandt stehen unter anderem Feuchtwangers Essay Francis Bacon, die Gneisenau-Novelle Willi Bredels Nach dem Sieg, Johannes Wüstens Porträt des Bauernkriegsführers Jakob Rohrbach, Auszüge aus Feuchtwangers Roman Der falsche Nero, aus dem Spartakus-Roman Der Gladiatorenkrieg von Arthur Koestler, aus der Schiller-Biographie Friedrich Burschells und der RichardWagner-Biographie von Ludwig Marcuse. Die Reichweite dieser Beiträge wird weiterhin durch ein Echnaton-Porträt von Emil Ludwig, durch den „Filmplan" Cagliostro. Der große Scharlatan von Alfred Kerr und durch den „Entwurf zu einem Film" über den Landvogt Geßler von Ferdinand Bruckner bezeugt. Schon erste und im einzelnen weiterzuführende Beobachtungen deuten gleichzeitig auf die unterschiedlichen Ansätze und Betrachtungsebenen innerhalb dieser Beiträge hin: Gewinnt im Aufgreifen historischer Stoffe verschiedentlich der Versuch einer pointierten, mitunter auch lehrstückhaften Analogie110

bildung zu gegenwärtigen Ereignissen die Oberhand, so tritt zum anderen bei einer Vielzahl von Übergängen und Nuancierungen ein Zuwachs an Historizität und Perspektivbewußtsein in der Wirklichkeitserfassung vor allem insoweit zutage, wie das Fortschreiten zu humanen Existenzbedingungen als Resultat des Kampfes progressiver geschichtlicher Kräfte ins Bild gesetzt wird. Wesentlich für die politische und ästhetische Konzeptionsbildung bleibt in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Rezeption geschichtlicher Traditionen und Erfahrungen keineswegs auf Ereignisse und Konstellationen reduziert wird, die ausschließlich für die eigene Nation von Belang sind. Sowohl in der Hinwendung zu Gegenwartsstoffen als auch in den Beiträgen, die mit dem Ziel konzipiert waren, dem faschistischen Mißbrauch der Geschichte entgegenzuwirken, orientierte sich die Zeitschrift Das Wort, auch hierin die Volksfrontkonzeption aufnehmend und mitgestaltend, bewußt auf den i n t e r n a t i o n a l i s t i s c h e n Charakter des Antifaschismus und der antifaschistischen Literatur. „Die Kultur", so schrieb Heinrich Mann in einem der letzten Hefte der Zeitschrift, „kann nur noch international verteidigt werden. Die Barbarei, wie das deutsche Regime sie in der Welt ausbreitet, hält nachgerade zu viel Raum besetzt. Eine vereinzelte, nationale Kultur kann ihr nicht mit Erfolg widerstehen . . . Die Demokratien selbst werden genötigt sein, einen Block zu bilden, gesetzt, sie wollen bestehen bleiben. Staat und Person, beide gehören heute einer Weltpartei der Freiheit an, oder sie haben künftig weder mitzureden noch den Verlauf der Geschichte zu entscheiden."18 Eine deutlich akzentuierte Gegenposition zu nationalistischen Tendenzen bezog Das Wort auch durch die Aufnahme von Übersetzungen, die auf wesentliche Seiten und Momente internationaler literarischer Wechselbeziehungen verwiesen. Mit Arbeiten von Gorki, Fadejew und Alexej Tolstoi, mit Auszügen aus dem Spanischen Tagebuch von Michail Kolzow und dem 1937 erschienenen Roman Kotschubej von Arkadi Perwenzew, mit Nachdichtungen zeitgenössischer sowjetischer Lyrik und weiteren Beiträgen wurden, unter anderem in Übertragungen von Alfred Kurella, Erich Weinert, Hugo Huppert, Hedda Zinner und Klara Blum, aktuelle Entwicklungstendenzen der sowjetischen Literatur in das Blickfeld gerückt. Zusammen mit Balder Olden legten Alfred Kurella und Erich Weinert ferner Übertragungen von Gedichten und Liedern vor, die spanische Autoren und Mitglieder der Internationalen Brigaden dem Kampf gegen 111

den faschistischen Putsch und für die Sache der Volksfront in Spanien gewidmet hatten. In Übersetzungen von Margarete Steffin, einer der engsten Mitarbeiterinnen Brechts, veröffentlichte Das Wort Nordahl Griegs Schauspiel über die Pariser Kommune Die Niederlage, zu dem sich Brecht in seinem Stück Die Tage der Commune unmittelbar in Beziehung setzte,19 sowie Auszüge aus Martin Andersen Nexös Erinnerungen. Für das Kapitel Unter offenem Himmel dieser autobiographischen Arbeit zeichneten Margarete Steffin und Brecht gemeinsam als Übersetzer verantwortlich. Auch für Übertragungen aus dem Tschechischen bzw. dem Jiddischen gewann die Redaktion mit F. C. Weiskopf und Hedda Zinner bekannte antifaschistische Autoren. Erweitert wurde der Kreis dieser Beiträge durch eine Reihe von Nachdichtungen, die Werke des literarischen Erbes neu erschlossen, darunter durch Nachdichtungen Brechts (Sechs chinesische Gedichte), Alfred Wolkensteins (der Schlußteil von Shelleys Poem The Mask of Anarchy) und Erich Weinerts (Pottiers Gedichte Mach Feuer, Hans, das Holz ist dein! und Überfluß). Überhaupt war die Arbeit der Redaktion im Sinne der vom Pariser Schriftstellerkongreß im Juni 1935 und von der Volksfrontbewegung vertretenen kulturpolitischen Grundkonzeption auf das engste mit dem Bemühen um die systematische Pflege und Erschließung des vom Faschismus mißbrauchten und verfälschten geistig-kulturellen Erbes verknüpft. Dieses Bemühen führte nicht nur zur Aufnahme und Gestaltung der ständigen Rubrik Kulturerbe, sondern gab auch den kulturpolitischen und theoretischen Diskussionen der Zeitschrift das Gepräge. In der Rubrik Kulturerbe (in den ersten fünf Heften unter der Titelzeile Unser Kulturerbe) veröffentlichte Das Wort vorwiegend Beiträge, die unter dem Gesichtspunkt ausgewählt worden waren, den Kontrast zwischen der humanistischen Tradition und der faschistischen Ideologie zu verdeutlichen. Ein Beispiel dafür gaben die im ersten Jahrgang abgedruckten Auszüge aus Schillers Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande von der spanischen Regierung und Herders Briefen zur Beförderung der Humanität; für die nachfolgenden Hefte wurden unter anderem Texte von Ernst Moritz Arndt, Johann Gottlieb Fichte, Heinrich Heine, Alexander von Humboldt, Heinrich von Kleist, Nikolaus Lenau, Fritz Reuter, Ludwig Uhland und Richard Wagner ausgewählt. Weitere Publikationen standen im Zusammenhang mit bestimmten Gedenktagen, so zum Beispiel dem 100. Todestag Büchners, Puschkins und Grabbes, dem 200. Geburtstag Schubarts oder dem 120. Geburtstag Gottfried Kellers. Obgleich sich 112

in den einzelnen Beiträgen, bedingt durch die Modifikationen der Auswahl und den begrenzten Raum (die Rubrik Kulturerbe umfaßte jeweils nur wenige Seiten), die Volksfrontkonzeption zur Verteidigung der Kultur vielfach nur punktuell und im Ansatz widerspiegelte, bezeichneten diese Beiträge in spezifischer Weise den Vorstoß zu einem Traditionsverständnis, das sich auf die Bereitschaft und die Entschlossenheit gründete, die Verantwortung für das progressive und humanistische E r b e organisch in die Gesamtheit des antifaschistischen Kampfes einzubeziehen. Auf das Bewußtmachen und das bewußte Wahrnehmen dieser Verantwortung konzentrierten sich auch die essayistischen und literaturpolitischen Arbeiten, mit denen sich Das Wort von Beginn an der Erörterung theoretischer Grundfragen des antifaschistischen Kampfes und seiner literarisch-künstlerischen Widerspiegelung zuwandte. Bereits in dem ersten, im Juli 1936 erschienenen Heft wurde mit den Beiträgen Alfred Kurellas ( D e r Mensch als Schöpfer seines Selbst), Ludwig Marcuses (Der Fall Humanismus) und Stefan Zweigs {Ein Gewissen gegen die Gewalt) der Auftakt zu einer - in dieser Form und dieser Breite durchaus neuartigen - Diskussion sozialistischer und bürgerlicher Autoren über Grundlagen, Ziele und Möglichkeiten des Humanismus gegeben. Lagen die Ausgangspunkte dieser Debatte in der Erkenntnis, daß sich der Humanismus als „positiver Inhalt des Kampfes aller Antifaschisten" 20 erwiesen hatte, daß die Idee der humanitas für die Gegner des Faschismus jene „ZentralIdee" darstellte, „in der alles wurzelt, was mehr als nur Gegen ist" 21 , so bedeutete dies andererseits nicht, divergierende Erfahrungswerte, Denkansätze und Überzeugungen aus irgendwelchen taktischen Gründen zu bemänteln. D e r Weg zur Volksfront führte unverkennbar über das Bekenntnis zum Humanismus, zur Würde des Menschen und zur Humanisierung seiner Existenzbedingungen; sollte das Bündnis jedoch mehr sein als ein kurzfristiges Zweckunternehmen, so mußte es sich prinzipiell auch in einer weiterführenden Verständigung über den Inhalt des Humanismus-Begriffes und die konkreten Aufgaben humanistischer Wirksamkeit bewähren. Auch hier schloß die Einheitlichkeit des Willens in antifaschistisch-demokratischen Grundpositionen das Ringen um die Hegemonie innerhalb des Bündnisses in einem dialektischen Verständnis nicht aus, sondern ein; auch hier ging es für die proletarisch-revolutionären Kräfte darum, die Bündnispartner in der Gemeinsamkeit des antifaschistischen Kampfes „zu revolutionärem Bewußtsein emporzuheben" 22 , vom Erreichten in dem Maße 8

Herden, Volksfront

113

zu neuen Aufgaben fortzuschreiten, wie es möglich wurde, die subjektiven Voraussetzungen des Bündnisses in eine stets aufs neue herzustellende Übereinstimmung mit den geschichtlichen Notwendigkeiten zu bringen. In seinem Beitrag Der Mensch als Schöpfer seines Selbst entwikkelte Alfred Kurella unter diesen Vorzeichen die These, daß im Kampf gegen die Praxis und die Theorie des Faschismus von einer „Einheitsfront des modernen Humanismus"23 - synonym dazu wird auch der Terminus „realer Humanismus" verwendet - gesprochen werden könne. Doch erhält dieser Begriff, aus der konkreten Situation und konkreten Erfahrungen abgeleitet, keineswegs eine metaphysische, die Dialektik des geschichtlichen Prozesses ignorierende Bestimmung. Betont wird vielmehr, daß sich der „moderne Humanismus" im Kampf gegen all jene Tendenzen herausbildet, die „das a b s t r a k t e Individuum und seine individualistischen Äußerungen, unabhängig von dem realen Inhalt ihrer Äußerungen in bezug auf die ganze Gesellschaft und ihre fortschrittliche Bewegung, als höchsten, wahrhaft menschlichen Wert verherrlichen, oder die an die Möglichkeit einer R ü c k k e h r zu d e m a b s t r a k t e n Hum a n i s m u s des ausgehenden 18. Jahrhunderts und zu seinen aufklärerischen Methoden denken"24. Ein solcher abstrakter Humanismus, so begründet Kurella, unter anderem auch mit dem Hinweis auf einige Passagen in Stefan Zweigs Roman Castellio gegen Calvin, müsse vor allem deshalb kritisch analysiert werden, weil er seinen Vertretern die Möglichkeit nimmt, mit den Problemen des realen Geschichtsprozesses fertig zu werden: „An Stelle eines konkreten Bildes der Geschichte, das erlaubt, jeden Teilvorgang, jede Handlung einzelner oder ganzer gesellschaftlicher Gruppen aus der jeweiligen historischen Situation und in bezug auf die wirklich treibenden Kräfte der gesellschaftlichen Entwicklung zu verstehen und zu bewerten, tritt ein blutloses Schema von 'Gut' und 'Böse', von 'Geist' und 'Materie', wo es keine eigentliche Entwicklung g i b t . . .'. Wie in dem Aufsatz Einen Schritt weiter! so wird auch hier die Abgrenzung von den linksbürgerlichen Intellektuellen bis zur äußersten Konsequenz getrieben; krasser noch als in den kritischen Anmerkungen der Linkskurve zu dem Roman Die große Sache wird das Scheitern einer künstlerischen Existenz beschworen und als irreversibel hingestellt. Das Verharren Heinrich Manns in bürgerlich-demokratischen Denkweisen erscheint ebenso wie das damit korrespondierende Votum für 182

Hindenburg als eine ein für allemal gegebene Entscheidung für das kapitalistische System. „Ihre ganze Produktion war Kampf", so heißt es in dem offenen Brief, „solange es galt, die veralteten kapitalistischen Formen des wilhelminischen Deutschlands mit modernen kapitalistischen Formen auszutauschen (auch dieser Kampf war kurzsichtig und unzulänglich und nur vom Standpunkt eines bürgerlich Radikalen aus geführt) - aber dieser Kampf hat aufgehört, sobald Sein oder Nichtsein des bürgerlichen Systems und die Befreiung der Arbeiterklasse auf der Tagesordnung stand." 46 Zweifellos wird man Sie Eindringlichkeit und Schärfe dieser Polemik in jenen Kontext stellen müssen, der durch die herangereifte politische Entscheidungssituation im Frühjahr 1932, vor allem durch die zunehmende Gefahr eines Übergangs zu faschistischen Machtstrukturen bezeichnet wird. Becher ging es, wie der offene Brief zeigt, primär um die Warnung vor diesen Gefahren, nicht um die Überzeugung der in das kapitalistische Staatsgefüge integrierten Autoren. Aus ihrem Verhalten, ihren Fehlurteilen und -entscheidungen sollten andere - Becher wendet sich besonders an die Jugend, an „junge begeisterungsfähige Menschen" die notwendigen Lehren ziehen. Sosehr dieser Gesichtspunkt in Rechnung zu stellen ist und so begründet auch die an eine Wahl Hindenburgs geknüpften Erwartungen zurückgewiesen wurden, sowenig erwiesen sich indessen die ebenso summarisch wie brüsk vorgetragenen Schlußfolgerungen, der Autor des Untertan sei nunmehr unwiderruflich zu seiner Gestalt zurückgekehrt, er sei zu einem Rahmabschöpfer und Schmarotzer, zu einem verstockten Anpasser, zu einem Agitator der faschistischen „Volksgemeinschaft" geworden, als gerechtfertigt und haltbar. Freilich traten in der Stellungnahme Heinrich Manns zur Präsidentenwahl 1932 die Inkonsequenzen einer bürgerlichen Gesellschaftskritik, die am Primat einer geistig-moralischen Erneuerung und an Vorbehalten gegenüber der proletarisch-revolutionären Bewegung festhielt, gleichsam gebündelt zutage. Eine prinzipielle, an die Wurzel greifende Kritik dieser Haltung mußte als unerläßlich gelten, und zwar um so mehr, als Heinrich Mann nicht als irgendein Bohemien oder Außenseiter in Erscheinung trat, sondern ein beträchtliches Maß an Erfahrung, Einfluß und Autorität in die Waagschale zu werfen hatte. Der in monographischen Arbeiten gelegentlich unternommene Versuch, die Zugespitztheit der Kontroversen lediglich auf einen beiderseitigen Mangel an „Verständnis füreinander" zurückzuführen/' 7 schwächt zum einen den Charakter der Auseinandersetzungen ab, re183

duziert sie auf Mißverständnisse und ignoriert zum anderen das konkret-historische Wechselverhältnis objektiver und subjektiver Faktoren. Daß die Polemik Bechers, zuweilen zu überhöhten, übersteigerten Urteilen tendierend, bestimmte Differenzierungen überging, kann ebensowenig wie die Haltung Heinrich Manns als Beleg für eine Interpretation akzeptiert werden, der zufolge das Wirksamwerden potentieller Gemeinsamkeiten nicht sosehr als Resultat geschichtlicher Bedingungen und Kämpfe erscheint, sondern eher als ein Akt des guten Willens, der persönlichen Kompromißbereitschaft. Eine andere - und sehr viel wesentlichere - Frage ist es, daß es in der Tat, wie Becher im März 1928 vorausgesehen hatte, „weiterer Ereignisse" bedurfte, um die mitunter zurückgedrängten, teils sogar aufgekündigten, dessen ungeachtet jedoch fortbestehenden Gemeinsamkeiten zwischen der sozialistischen und einem wesentlichen Teil der bürgerlichen Literatur geltend und wirksam zu machen. Diese „Ereignisse" standen weitgehend im Zeichen des Kampfes gegen den heraufziehenden und später gegen den zur Macht gelangten Faschismus. Je mehr der „Industrie-Absolutismus" demokratische Ansprüche seinem Besitz- und Machtstreben unterwarf, um so mehr verlangte der notwendige Widerstand die Schaffung einer breiten antifaschistischen Aktionseinheit, das Zusammenwirken - und damit auch die Organisation dieses Zusammenwirkens - aller vom Faschismus bedrohten Kräfte. Im öffentlichen Wirken Heinrich Manns kündigte sich der Übergang zu einer neuen Bewertung der gesellschaftlichen Kräftekonstellation an, noch ehe die Kontroversen um die Präsidentenwahl vom Frühjahr 1932 abgeklungen waren. Bürgerlichreformistischen Tendenzen standen in einem widersprüchlichen Mitund Nebeneinander wesentliche Ansätze zu einer analytisch vertieften Wirklichkeitssicht gegenüber. Als das Berliner Tageblatt Ende März 1932 eine Diskussion über die Möglichkeiten einer Vereinigung der Linkskräfte in die Wege leitete, sprach sich Heinrich Mann nachdrücklich für eine Verständigung der beiden Arbeiterparteien im Kampf gegen den Faschismus aus. Die Arbeiter müßten damit rechnen, so betonte er, daß der Faschismus, zur Macht gelangt, nichts übrig ließe von allem, was in achtzig Jahren von ihnen erkämpft worden sei. In diesem Sinne zielte der Appell zum Zusammenwirken der proletarischen Kräfte zunächst darauf ab, das Erreichte gegen das Vorrücken der faschistischen Reaktion zu verteidigen. Gleichzeitig schließt dieser Appell jedoch weiterreichende Aufgaben ein; er wird mit der Zielsetzung verbunden, gesicherte demokratische Lebensfor184

men zu konstituieren: „Die verbündeten Arbeiterparteien könnten mit Geduld und mit Kampf, viel Kampf, viel Geduld, aus der Demokratie eine wirkliche Volksherrschaft machen."48 Was hier noch, überüberlagert durch konträre Reflexionen und Entscheidungen, im Konjunktiv formuliert wird, sollte in den Jahren des antifaschistischen Exils zu einem Grundelement der politisch-sozialen Erkenntnisse und Überzeugungen des Schriftstellers werden. Im Sommer 1932 bekannte sich Heinrich Mann erneut zu einer „fruchtbaren Gegenwirkung gegen die zerstörenden, verneinenden Kräfte: Krieg, Unterdrückung, Ausbeutung, Entwürdigung des Menschen, Nichtachtung des Lebens"49. Zu den Möglichkeiten einer solchen „fruchtbaren Gegenwirkung" zählte der Schriftsteller unter anderem auch die Aktivitäten der Antikriegsbewegung; insbesondere solidarisierte er sich mit den grundlegenden Zielen des Internationalen Kongresses gegen den imperialistischen Krieg, der vom 27. bis zum 29. August 1932 in Amsterdam zusammentrat und dessen Einberufung maßgeblich auf den Einsatz von Henri Barbusse und Romain Rolland zurückging. In einer Grußbotschaft an den Kongreß, die unter dem Titel Der Schriftsteller und der Krieg am 11. September 1932 im Berliner Tageblatt veröffentlicht wurde, bekräftigte er auf der Grundlage antifaschistisch-demokratischer Positionen sowohl das Bekenntnis zur gesellschaftlichen Verantwortung des Schriftstellers und der Literatur als auch die Übereinstimmung mit dem Anliegen, den Rüstungsund Kriegsplänen entgegenzutreten und chauvinistischen, gegen die Verständigung der Völker gerichteten Mobilisierungstendenzen Einhalt zu gebieten. Der Amsterdamer Kongreß gegen den imperialistischen Krieg gewann insgesamt einen nachweisbaren Einfluß auf die herangereiften Klärungs- und Entwicklungsprozesse innerhalb der progressiven und humanistisch orientierten Intelligenz- Er initiierte gemeinsame Schritte proletarisch-revolutionärer und bürgerlicher Kräfte gegen die zunehmende Bedrohung der Humanität, und er verdeutlichte zum andern in seiner gesamten Anlage, über Debatten und Aktivitäten im lokalen und nationalen Rahmen hinausweisend, den internationalistischen Charakter der Bewegung zum Schutz und zur Sicherung des Friedens. Seinen besonderen Ausdruck fand dies in der Bildung des Weltkomitees gegen den imperialistischen Krieg unter dem Vorsitz von Henri Barbusse. Gemeinsam mit Albert Einstein und Clara Zetkin erklärte Heinrich Mann seine Bereitschaft zur Mitarbeit in diesem Komitee, das unter anderem mit einer eigenen Schriftenreihe zur Strategie und 185

Taktik des antiimperialistischen Kampfes an die Öffentlichkeit trat und das seine Arbeit seit 1933 unter dem Namen Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus fortsetzte. Den Grundgedanken seiner von reaktionären Kräften scharf attakkierten Botschaft an den Amsterdamer Kongreß folgte Heinrich Mann auch in seinem Bekenntnis zum Übernationalen, einer im Dezember 1932 in der Neuen Rundschau veröffentlichten zeitgeschichtlich-essayistischen Darstellung, in der er zugleich eine erste Bilanz über die Möglichkeiten, aber auch über die Halbheiten und tödlichen Versäumnisse der Weimarer Republik zu geben versuchte. Zwar verblieben die kritischen Verweise auf den restaurativen Charakter und auf die Kriegsvorbereitungen des „zerfallenden Hochkapitalismus" noch im Bereich einer bürgerlich-demokratischen Konzeptionsbildung; dennoch ließen sie, verbunden mit dem Engagement für die von Barbusse inspirierte Bewegung gegen den imperialistischen Krieg, die entschieden antifaschistische Grundhaltung Heinrich Manns, der über die N S D A P urteilte, daß sie weder national noch sozialistisch, weder deutsch noch eine Arbeiterpartei sei, sehr viel deutlicher als manche der vorangegangenen Stellungnahmen erkennbar werden. 50 Mit den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen, die den Niedergang der Weimarer Republik begleiten, vollzogen sich im übrigen auch innerhalb der Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste weitere Differenzierungen. Ein anschauliches, freilich auch für die Handlungsunfähigkeit der Sektion bezeichnendes Beispiel dafür lieferten die Debatten über den von Franz Werfel am 6. Dezember 1932 unterbreiteten Vorschlag einer öffentlichen Warnung vor der nationalistisch-,,völkischen" Literaturgeschichte Paul Fechters. Heinrich Mann legte den Sektionsmitgliedern noch im gleichen Monat den Entwurf einer Stellungnahme vor und bezeichnete darin Fechters auch von der Deutschen Buchgemeinschaft in hoher Auflage verbreitetes Elaborat als einen einzigen „Angriff auf die Literatur selbst, die Literatur als geistige Erscheinung, als Darstellung der erlebten Welt, als Kritik an Zeit und Menschen, als Trägerin und Bekennerin des Menschlichen und des Idealen" 51 . Nur wenige Autoren - unter ihnen Thomas Mann 52 und Alfons Paquet - schlössen sich indessen dem vorgelegten Protest gegen die „mutwilligen Beleidigungen" der Kultur an. Während ein Teil der Sektionsmitglieder wiederum auf einen allgemeiner gehaltenen Text insistierte, sprachen sich Rudolf Binding, Ricarda Huch, Ina Seidel und andere, wenn auch im einzelnen aus unterschiedlichen Motiven, gänzlich gegen den Vorschlag Werfeis 186

und den Entwurf Heinrich Manns aus. Da keine Einigung zustande kam, wurde in der Sektionssitzung vom 6. Februar 1933, der letzten unter dem Vorsitz Heinrich Manns, schließlich von einer gemeinsamen Erklärung Abstand genommen. Zu diesem Zeitpunkt, wenige Tage nach dem Machtantritt des faschistischen Regimes, hatten zudem die aktuellen Ereignisse und die notwendig gewordenen Entscheidungen im politischen Handlungsbereich den Disput über die - nach dem Urteil Jakob Wassermanns „widerwärtige" - Literaturgeschichte Paul Fechters in den Hintergrund gedrängt. Heinrich Mann bekannte sich in den ersten Februartagen 1933 zu einem Dringenden Appell, mit dem eine Gruppe sozialistisch und linksbürgerlich orientierter Intellektueller anläßlich der für den 5. März 1933 anberaumten Reichstagswahlen für die Aktionseinheit der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Partei Deutschlands eintrat. „ D i e V e r n i c h t u n g a l l e r p e r s ö n l i c h e n u n d p o l i t i s c h e n F r e i h e i t in Deutschland", so heißt es in diesem auch in Plakatform verbreiteten Appell, „steht unmittelbar bevor, wenn es nicht in letzter Minute gelingt, unbeschadet von Prinzipiengegensätzen alle Kräfte zusammenzufassen, die in der Ablehnung des Faschismus einig sind- Die nächste Gelegenheit dazu ist der 5. März. Es gilt, diese Gelegenheit zu nutzen und endlich einen Schritt zu tun zum A u f b a u e i n e r einheitlichen A r b e i t e r f r o n t , die nicht nur für die parlamentarische, sondern auch für die weitere Abwehr notwendig sein wird . . . Sorgen wir dafür, daß nicht Trägheit der Natur und Feigheit des Herzens uns, in die Barbarei versinken lassen!" 53 Inhalt und Zielrichtung dieses auch von Käthe Kollwitz und Paul Oestreich unterzeichneten Appells implizierten die Erkenntnis, daß sich die an die Vernunft bürgerlicher Politiker und erst recht die an Hindenburg geknüpften Erwartungen als illusionär erwiesen hatten; sie ließen darüber hinaus den Weg sichtbar werden zu einer von reformistischen Einflüssen und Tendenzen unverstellten Alternativposition zur bestehenden Gesellschaft. Vom faschistischen Regime wurde das Bekenntnis Heinrich Manns zu dem Dringenden Appell mit unverhüllten Drohungen und - bereits am 15. Februar 1933 mit dem Ausschluß des Schriftstellers aus der Preußischen Akademie der Künste beantwortet. In den Reaktionen auf diese Vorgänge traten die Polarisierungstendenzen innerhalb der bürgerlichen Literatur mit neuer Schärfe zutage: Nicht nur, daß verschiedene in antikommunistischen Vorurteilen befangene Autoren, die nach wie vor die Be187

drohung durch den Faschismus unterschätzten, ihr Unverständnis über die Haltung Heinrich Manns zum Ausdruck brachten, stieß diese Haltung auch auf den dezidierten Widerspruch profaschistischer Autoren wie Gottfried Benn, der - zum 60. Geburtstag Heinrich Manns im März 1931 noch einer der offiziellen Fest- und Lobredner - bei dem Ausschlußverfahren und kurze Zeit später bei der völligen Gleichschaltung der Akademie eine höchst unrühmliche Rolle spielte. Zum andern muß das Bekenntnis zum „Aufbau einer einheitlichen Arbeiterfront" im Zusammenhang mit weiterreichenden Entwicklungsmomenten gesehen werden. Durch seinen exponierten Charakter deutlich unterschieden von einer beiläufigen Stellungnahme zu gelegentlichen Umfragen oder Interpellationen, bezeichnete es den politisch-sozialen Neuansatz einer Orientierung, die in den Jahren des antifaschistischen Kampfes zunehmend an Wirksamkeit gewann nicht zuletzt auch in den Beziehungen zwischen den Vertretern der sozialistischen und der bürgerlich-humanistischen Literatur.

Wechsel auf die Zukunft — im Bündnis gegen Fasebismus und Krieg Der Übergang von der Weimarer Republik zur faschistischen Diktatur, die nach den Worten F- C. Weiskopfs nicht nur einzelne Schriftsteller, sondern eine ganze Literatur in die Emigration trieb, 54 verschärfte die Widersprüche des imperialistischen Systems in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Deutlicher und ausgeprägter denn je erwiesen sich die Klasseninteressen der Bourgeoisie als unvereinbar mit den Grundbedingungen des gesellschaftlichen Fortschritts. Mit seiner offen praktizierten Geist- und Kulturfeindlichkeit potenzierte der Faschismus den vorherrschenden Gegensatz zwischen Geist und Macht in so zugespitzter Weise, daß die Erwartungen hinsichtlich einer politisch-moralischen Erneuerungsfähigkeit der bestehenden Gesellschaft weithin desillusioniert wurden. Gleichzeitig bildeten sich in der Verteidigung humanistischer und kultureller Werte gegen die faschistische Barbarei neue bündnispolitische Erfordernisse und Möglichkeiten heraus. Gemeinsam mit den Repräsentanten der sozialistischen Literatur wandten sich bürgerlich-humanistische Schriftsteller gegen den Terror und die Ansprüche der faschistischen Diktatur, gegen die Bücherverbrennungen vom 10. Mai 1933 und den Mißbrauch des kulturellen Erbes, gegen die Verfolgung demokratischer 188

Kräfte und gegen die anwachsende Kriegsgefahr. „Die antifaschistischen Schriftsteller", schrieb Heinrich Mann 1934, „sind solche, die ihre Sache auf die Leistung gestellt haben, anstatt auf die Begünstigung durch das Regime. Sie werden in der Mehrzahl sozialistisch denken; die Hauptsache bleibt, daß sie überhaupt denken wollen." 55 Kurze Zeit später ergänzte der Schriftsteller diesen Gedanken, indem er hervorhob, der Begriff „Antifaschist" sei neu und wichtig, er stelle eine wirkliche, große Menschengemeinschaft her. 56 Es ist kein Zweifel, daß sich aus dieser Konstellation auch für die Beziehungen zwischen Johannes R. Becher und Heinrich Mann - beide gehörten zu den ersten deutschen Schriftstellern, die das faschistische Regime ausbürgerte und die ihrerseits diesem Regime den entschiedensten Kampf ansagten - neue Ausgangspositionen und Entwicklungsmomente ergaben. Weder Becher noch Heinrich Mann setzten das antifaschistische Exil mit einer Position des Verzichts oder resignierenden Abwartens gleich. Beide betrachteten es vielmehr als den Auftrag der emigrierten Schriftsteller, sich durch Festigkeit und Leistung zu behaupten und dem „Regiment des Unmenschentums" eine humanistische Wirksamkeit entgegenzusetzen, die sich auf die Lebensinteressen der Nation wie die Erfordernisse des sozialen Fortschritts orientierte. Sosehr die verbindenden Momente dieser antifaschistischen Haltung zu betonen sind, sowenig kann zum andern übersehen werden, daß im einzelnen in einer Vielzahl von Fragen gleichwohl unterschiedliche Auffassungen, Standpunkte und Urteile fortwirkten. Heinrich Mann stellte sich mit seinem Essayband Der Haß, mit dem er 1933 die Reihe seiner antifaschistischen Streit- und Bekenntnisschriften einleitete, die Aufgabe, dem Entwicklungsgang deutscher Zeitgeschichte zu folgen und der „Vernunftwidrigkeit" des Faschismus die Besinnung auf ein vernunftbestimmtes Handeln entgegenzusetzen. Die kritische Bestandsaufnahme der zeitgeschichtlichen Vorgänge, die auch die Möglichkeiten szenischer Darstellung nutzte, trug wesentlich dazu bei, die moralische Verderbtheit und Haltlosigkeit des Hitlerregimes bloßzustellen, ohne daß sie im einzelnen schon eine schlüssige Antwort auf die Frage nach den politisch-sozialen Erfordernissen des - als notwendig erkannten und bejahten - antifaschistischen Widerstandes zu geben vermochte. Johannes R. Becher setzte sich in seiner Rede auf dem I. Unionskongreß der Sowjetschriftsteller im Sommer 1934 mit generellen Entwicklungsproblemen der antifaschistischen Literatur auseinander 189

und analysierte in diesem Zusammenhang auch die von bürgerlichen Schriftstellern wie Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger vertretenen Positionen. Mit unmittelbarem Bezug auf den Essayband Der Haß hob er hervor, daß Heinrich Mann die Feder des Romanciers mit der des politischen Streiters vertauscht und daß er mit manchem klaren und kühnen Wort der Kritik des Faschismus, dem entschiedenen Protest gegen die Kulturbarbarei Geltung verschafft habe. Die Widersprüche in der Haltung Heinrich Manns werden dabei weder verschwiegen noch verabsolutiert; sie sind Gegenstand einer sachlichen, von gewachsenen Erfahrungen bestimmten Analyse: „Aber gestehen wir es, derselbe Heinrich Mann hat auch manches Wort gegen den Kommunismus gesagt, er hat sich in manchen Widersprüchen verfangen, er hat zuweilen den betrügerischen Phrasen der deutschen Sozialdemokratie Glauben geschenkt. Wir werden es Heinrich Mann nicht ersparen: wir werden 'Nein' sagen zu manchen von seinen Ideen und Verkündigungen. Aber wir achten und ehren den tapferen antifaschistischen Kämpfer - ihn, der in seinem Gruß an diesen Kongreß erklärt hat, daß 'die emigrierte Literatur, zu der auch einige der in Deutschland Verbliebenen gehören, auf dem Wege ist, besser zu werden, als sonst der Durchschnitt der Literatur es war', und der mit großer Hoffnung die antifaschistische deutsche Literatur als die 'geistige Vorwegnahme' des künftigen Deutschlands bezeichnet hat. Im Namen dieses künftigen Deutschlands, in dem die wirkliche Demokratie der Werktätigen, die Sowjetdemokratie, herrschen wird, werben wir für das Bündnis aller ehrlichen Hasser des Faschismus und der Kulturbarbarei.""' Bechers Rede auf dem I. Unionskongreß der Sowjetschriftsteller bildete in ihrer gesamten Anlage einen wichtigen Bestandteil jenes Klärungsprozesses, der den Weg zu einer bewußten bündnispolitischen Zusammenarbeit der antifaschistischen Kräfte in der Literatur freilegte. Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Front gegen Faschismus und Krieg wurde dabei ebenso aus den objektiven Gegebenheiten des historischen Prozesses wie aus der substantiellen Verbundenheit der vom Hitlerregime verfolgten Autoren hergeleitet: der gemeinsamen Absage an die faschistische Barbarei, dem Bekenntnis zum humanistischen Erbe und dem Auftrag zur Gestaltung einer lebenswürdigen menschlichen Gesellschaft. Auf diese Weise konnte die erstrebte Zusammenarbeit bewußt in einen größeren geschichtlichen Zusammenhang gestellt werden, so daß sie sich, verbunden mit der Korrektur punktuell begrenzter und administrativ vorgetragener The190

sen, zugleich eindeutig von dem Versuch unterschied, dem antifaschistischen Bündnis lediglich provisorischen Charakter beizumessen. Im Vergleich zu Arbeiten und Stellungnahmen aus den zwanziger und den frühen dreißiger Jahren bis hin zum Offenen Brief an Heinrich Mann vom April 1932 zeichnen sich in den Argumentationen Johannes R. Bechers vor allem zwei Momente oder Ansatzpunkte einer vertieften Wirklichkeitsanalyse und -erkenntnis ab: Erstens gelingt es Becher, die Positionen bürgerlicher Autoren differenzierter zu erfassen, Widersprüche in den Haltungen gründlicher zu analysieren, das Aufeinandertreffen progressiver und retardierender Momente in der Entwicklung dialektisch zu werten. Eng damit hängt zweitens zusammen, daß die Dynamik, die Veränderbarkeit in den Positionsbildungen mit sehr viel deutlicheren Konturen in das Blickfeld tritt. Erkennbar wird eine - in den folgenden Jahren weiter ausgeprägte und bewußt praktizierte - bündnispolitische Orientierung, die Prinzipienfestigkeit und Konsequenz mit differenzierter Analyse zu verbinden weiß und die es erlaubt, ausgehend von den Einsichten und Intentionen des potentiellen Bündnispartners, Möglichkeiten der Entwicklung, des Fortschreitens zu neuen Positionen zu betonen: „Wir sind fest davon überzeugt, daß dieser Wille zum tiefen Begreifen der Geschehnisse unserer Tage, daß dieser ehrliche Wille zur Wahrheit Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger und viele andere Hasser des Faschismus der revolutionären Arbeitersache nahebringen wird. Wir erwarten viel von ihrer Mithilfe, von ihrer klar bekundeten Bereitschaft, mit der Macht ihres Wortes einzutreten in die Arena des Kampfes gegen den Krieg und gegen den Faschismus."58 Von diesen Urteilen und Erwartungen wurden auch die Gespräche geprägt, zu denen Johannes R. Becher und Heinrich Mann im Herbst 1934 in Prag und im Frühjahr 1935 in Frankreich zusammentrafen. Ursprünglich hatte Becher an ein erstes Treffen in Nizza, dem französischen Wohnort Heinrich Manns, zu Beginn des Jahres 1935 gedacht. Eine Vortragsreise Heinrich Manns nach Prag anläßlich der Ehrungen des tschechischen PEN-Zentrums zum 175. Geburtstag Friedrich Schillers ermöglichte indessen einen früheren Zeitpunkt der Begegnung. Am 26. Oktober 1934 kam es in Prag zu einer Unterredung beider Schriftsteller, die dem erklärten Ziele diente, Möglichkeiten eines gemeinsamen Vorgehens gegen die faschistische Barbarei zu erkunden. Vermittelt und vorbereitet durch F. C. Weiskopf und Oskar Maria Graf, begründete dieses Gespräch die politische und persönliche Verbundenheit, die für die Beziehungen zwi191

sehen Heinrich Mann und Johannes R. Becher in den Jahren des antifaschistischen Kampfes bestimmend werden sollte. Becher faßte die Ergebnisse des Gespräches vom 26. Oktober 1934, dem sich im Frühjahr 1935 weitere Begegnungen beider Autoren in Nizza und Paris anschlössen, wie folgt zusammen: „1. Er war begeistert über einen Plan der Sammlung, versprach alles dafür zu tun und will auf unsere Anregung hin (mit Budzisl. bereits gesprochen) einen Attikel in der WB schreiben. 2. Er ist bereit, in die Direktion solch eines Verbandes einzutreten. 3. Er wird das Manuskript seines neuen Romans direkt an die IVRS schicken. 4. Er hat hier in Zusammenarbeit mit Tk. die Freiheitsbibliothek gegründet. 5. Er ist bereit, sowohl für die IL wie für die NDB zu schreiben, augenblicklich ist er allerdings mit Aufträgen zu sehr überlastet. 6. Eine Reise nach drüben will er unbedingt unternehmen, im Augenblick will er sich aber noch auf keinen Termin festlegen. 7- Er bezeichnet die IL als die interessanteste, beste Zeitschrift, die er kennt, man würde selbst die langen Artikel mit Interesse lesen. Es wäre wichtig zu wissen, daß eine solche Zeitschrift auf Grund ihres Standorts Lebensdauer garantiert." 59 Die Ergebnisse der Begegnung und des Gedankenaustausches in den Notizen Bechers wird von einer „längeren Unterredung" gesprochen - waren ein deutlicher Ausdruck für die Tragfähigkeit der bündnispolitischen Konzeption, die Becher im Sommer 1934 auf dem Unionskongreß der Sowjetschriftsteller entwickelt hatte. In dem Maße, wie die Beziehungen zwischen beiden Schriftstellern eine neue Grundlage erhielten, begann eine Phase intensiver Zusammenarbeit im Kampf gegen den Faschismus. Nachhaltig bestätigt wurden dabei sowohl der Stellenwert persönlicher Kontakte und Begegnungen als auch die Funktion antifaschistischer Zeitschriften wie der Neuen Weltbühne, der Internationalen Literatur und der Neuen Deutseben Blätter, die sich als organisierende Zentren des Zusammenwirkens zwischen sozialistischen und bürgerlichen Autoren bewährten. Wie aus den Berichten Bechers hervorgeht, nahmen in dem Gespräch vom 26. Oktober 1934 und in den folgenden Begegnungen auch Fragen des Traditionsverständnisses, der Beziehungen zum humanistischen Erbe einen exponierten Platz ein. Die Verteidigung der Kultur gegen die faschistische Barbarei wurde zu einem wesentlichen Element des antifaschistischen Kampfes. Becher präzisierte in den 192

Gesprächen den Standort der proletarisch-revolutionären Literatur; er umriß Grundpositionen und Entwicklungsmomente im Schaffen sozialistischer Autoren und wirkte der Tendenz entgegen, diese Positionen unbesehen mit einer sektiererischen Enge zu identifizieren. Auf dem Boden neuer Wirklichkeitserfahrungen gewann gleichzeitig die Erkenntnis Raum, daß verstärkte Anstrengungen notwendig waren, um das Traditionsverständnis der antifaschistischen Kräfte mit der gebotenen Klarheit zu bestimmen und so den dialektischen Zusammenhang zwischen der Aufnahme, Bewahrung und Weiterführung des Erbes und einem streitbaren Antifaschismus herauszuarbeiten. Einer grundsätzlichen Verständigung über .die damit verbundenen Fragen diente der Internationale Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur vom 21. bis zum 25. Juni 1935 in Paris, dessen Thematik somit auf zentrale Aufgaben und Probleme der antifaschistischen Sammlungsbewegung verwies. Von einer Initiativgruppe französischer Schriftsteller einberufen, gliederte sich der Kongreß bewußt in die Gesamtheit des internationalen Kampfes gegen Krieg und Faschismus ein. Diesem politischen Anliegen entsprach der öffentliche Charakter des Kongresses: Seine Beratungen fanden nicht in internen Arbeitsgruppen, sondern jeweils - im Theatersaal der Mutualité vor einem Forum von drei- bis viertausend Zuhörern statt. Das Tagungsprogramm umfaßte sowohl Probleme des kulturellen Erbes und des Humanismus als auch Fragen des künstlerischen Schaffens und der gesellschaftlichen Verantwortung des Schriftstellers. Becher und Heinrich Mann gehörten neben Lion Feuchtwanger und Bertolt Brecht zu den führenden Autoren, die auf dem Kongreß die im Exil wirkende antifaschistische deutsche Literatur repräsentierten. Ihr gemeinsames Auftreten stand in einer Linie mit den Übereinkünften des Prager Gesprächs vom 26. Oktober 1934 und dokumentierte die übereinstimmende Entschlossenheit zur Behauptung humanistischer Positionen und zur Zusammenarbeit der antifaschistischen Kräfte. „Nicht deshalb", so begründete Becher in seiner Diskussionsrede zum Thema Humanismus am 22. Juni 1935, „ist dieser Kongreß ein Weltkongreß, weil ihn soundso viele Länder beschickt haben, sondern weil sich auf ihm eine Weltkraft manifestiert: das Beste der Vergangenheit verbündet mit dem Kampfe der Arbeiterschaft. Dieses Bündnis bedeutet die Sicherung einer des Menschen würdigen Zukunft." 60 Heinrich Mann gelangte in seinen Urteilen über den Verlauf und die Bedeutung des Pariser Kongresses und über die mit ihm manifestierte Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlicher Autoren zu weit13

Herden, Volksfront

193

gehend analogen Wertungen. In seinem für die Internationale Literatur geschriebenen Aufsatz Ein denkwürdiger Sommer zog er, ausgehend von persönlichen Erlebnissen und Eindrücken, folgendes Resümee: „Der Sommer 1935 wird mir denkwürdig bleiben durch den Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur, der Ende Juni in Paris abgehalten wurde. Es war etwas völlig Neues: so viele schaffende Intellektuelle aus vielen Ländern, mehreren Erdteilen, aber alle von derselben Front, alle zur .Verteidigung der Kultur' entschlossen. Die Knechtung des Geistes ist vorherrschend in einem Teil der Welt. Das mußte erst kommen, damit wir alle zusammenfanden und Marxisten wie bürgerliche Schriftsteller ihre tiefe Verwandtschaft entdeckten. Beide wollten eine denkende Gesellschaft, anstatt einer verdummten."61 Der Pariser Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur widerlegte in diesem Sinne nicht nur Zweifel hinsichtlich der Möglichkeiten einer breiten antifaschistischen Aktionsgemeinschaft, sondern er charakterisierte und verdeutlichte auch jene Positionen, auf deren Grundlage sich die weitere Entwicklung der bündnispolitischen Zusammenarbeit vollzog. Der potentiellen Verbundenheit, der „tiefen Verwandtschaft" zwischen der sozialistischen und der progressiven bürgerlichen Literatur lagen das gemeinsame Bekenntnis zu einem tätigen und realen Humanismus und die Suche nach Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zugrunde, die geeignet waren, den Antagonismus zwischen humanistischen Erkenntnissen und der bestehenden sozialen Wirklichkeit zu überwinden. Die Verteidigung der Kultur verstand sich daher nicht als ein Rückzug auf abgegrenzte poetische Provinzen; sie wurde in dem Maße, wie sie das Bemühen um eine harmonische Entwicklung des Menschen, um „sein höchstes Maß und seine Würde" 62 aufnahm und weiterführte, zu einem eminent politisch-gesellschaftlichen Anliegen. Auch hier, in einem bei allen Differenzierungen in Details bewußten und programmatisch formulierten Verhältnis zum Erbe, begegneten sich die Bemühungen Heinrich Manns und Johannes R. Bechers. Die Entschlossenheit Heinrich Manns, an den progressiven humanistischen Traditionen festzuhalten („Wir sind die Fortsetzer und Verteidiger einer großen Überlieferung: Wir, nicht aber die anderen, die den Unterdrückern des Gedankens zu willen sind oder ihnen Sympathie zeigen"63), korrespondierte mit der Antwort Johannes R. Bechers an die faschistischen Machthaber, die das humanistische Erbe „verraten und geschändet" hatten: 194

Nicht einen Klang geb ich Euch ab. Nicht eine Der Farben wird freiwillig überlassen . . .fi/1 Keineswegs auf die Abwehr einzelner Übergriffe begrenzt, erhielt die Verteidigung der Kultur somit einen offensiven und streitbaren Charakter. Sie durchbrach die Begrenztheit eines individuellen Aufbegehrens und begründete eine Reihe von Einsichten und Aktivitäten, die nicht nur im literarischen, sondern auch im politischen Wirken ihren spezifischen Ausdruck fanden. Sowohl Becher wie Heinrich Mann bekannten sich mit der gleichen Konsequenz, mit der sie die überlieferten geistig-kulturellen Werte gegen die faschistische Barbarei verteidigten, auch zur Herausbildung der antifaschistischen Aktionseinheit, der Volksfront gegen Krieg und Faschismus. Wenn Heinrich Mann in seinen Aufsätzen über Henri Barbusse in der Mitte der dreißiger Jahre hervorgehoben hat, d a ß die geschichtlichen Ereignisse den Weg freilegten „vom Zweifel bis in das Land, wo man weiß", d a ß sie aus einem „Träumer der Vernunft" einen „praktischen K ä m p f e r " machten 65 , dann trifft dieses Urteil in seiner Grundtendenz auch auf die Wegstrecke zu, die Heinrich Mann selbst in den Jahren des antifaschistischen Kampfes zurückgelegt hat. H a t t e er in dem Gespräch mit Becher vom 26. Oktober 1934 seine Bereitschaft erklärt, „einen Plan der Sammlung" aktiv zu unterstützen und in der „Direktion" einer Vereinigung der antifaschistischen K r ä f t e mitzuwirken, so gewann diese Bereitschaft mit dem Engagement für den Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur und mit dem Einsatz für die Volksfrontbewegung - im Juni 1936 übernahm Heinrich Mann den Vorsitz des vorbereitenden Ausschusses zur Schaffung einer deutschen Volksfront - konkrete Gestalt und Wirksamkeit. Wie die Volksfrontbewegung den humanistischen Protest gegen die Bedrohung der Kultur mit dem organisierten Kampf der Arbeiterklasse verband, so erweiterten und vertieften sich im Verlauf des antifaschistischen Kampfes auch die Beziehungen zwischen sozialistischen und bürgerlich-humanistischen Schriftstellern. Gemeinsam mit Barbusse und Aragon sprach Heinrich Mann zum Beispiel auf Meetings der französischen Volksfront, mit Alexej Tolstoi und Egon Erwin Kisch vertrat er die antifaschistische Literatur auf dem Brüsseler Weltfriedenskongreß im September 1936, mit Johannes R. Becher, Willi Bredel und Rudolf Leonhard war er führend an der Ausarbeitung von Dokumenten des Lutetia-Kreises und des deutschen 13'

195

Volksfrontausschusses beteiligt. D i e im Zeichen der antifaschistischen Aktionseinheit eingeleitete und nach dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale verstärkte Zusammenarbeit blieb indessen nicht auf gemeinsame Appelle und Willensbekundungen beschränkt; sie förderte zugleich in wesentlichem Maße den Gedankenaustausch und die Verständigung über Probleme des literarischen Schaffens und eröffnete auch dem gegenseitigen Kennen- und Verstehenlernen neue Möglichkeiten. Wenige Wochen nach dem Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur veröffentlichte Heinrich Mann im Pariser Tageblatt eine Rezension des Becherschen Gedichtbandes Der Mann, der alles glaubte, die d a f ü r ein erstes bemerkenswertes Beispiel lieferte. Heinrich Mann wertete den Gedichtband, der 1935 gleichzeitig in der Sowjetunion und in Frankreich erschienen war, als Ausdruck einer sozialistischen Gesinnung, die von der Veränderbarkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse ausging und es dadurch ermöglichte, „vom Menschen heiterer und freundlicher zu denken", als es sonst der Fall wäre. Mit dieser Überlegung war zugleich der Ansatzpunkt gewonnen, um die erreichte poetische Leistung zu charakterisieren: „ D a s Talent dieses Johannes R. Becher ist kaum wiederzuerkennen, soviel deutlicher und schöner hat das wahre und wohlüberlegte G e f ü h l für seine 'Klasse' es gemacht. D i e Klasse muß wohl das Volk sein, sonst schriebe er nicht so volkstümlich. ( - ) In dem Buch vom 'Mann, der alles glaubte' stehen als besondere Merkwürdigkeit einige der schönsten Sonette, die seit den klassischen Zeiten hervorgebracht wurden. D a s ist viel: volkstümlich sein und humanistisch, ein Bildungs- und Erziehungsgesetz haben neben dem wirtschaftlichen. Wie, wenn es das erste Schimmern, noch hinter dem Horizont einer zweiten Renaissance wäre? Seien wir unbescheiden, damit wir vorwärts kommen!" 6 6 Wie genau Heinrich Mann mit diesen Urteilen, auch mit dem Hinweis auf die Synthese von sachlich-strengem Beobachten mit Leichtigkeit und Einfachheit im Ausdruck, die dem Gedichtband zugrunde liegenden Intentionen erkannt und umrissen hatte, bestätigte sich nicht zuletzt in den Reaktionen Johannes R. Bechers. Wiederholt bezog er sich in den folgenden Jahren ausdrücklich zustimmend auf die von Heinrich Mann getroffenen Wertungen; der Begriff •der „zweiten Renaissance" wurde von ihm, wie Ernst Stein in seinem Kommentar zu den Gedichten der dreißiger Jahre festgestellt hat, geradezu leitmotivisch aufgenommen. 6 7 Gleiches gilt auch für den

196

Gedanken von der Verbindung des Humanistischen mit dem Volkstümlichen, der mehrfach im direkten oder indirekten Zitat in den essayistischen Arbeiten Bechers erscheint, darunter in dem 1938 veröffentlichten und programmatisch angelegten Aufsatz Die großen Prinzipien in unserer Literatur. Diesem Aufsatz gingen mehrere Arbeiten voran, die von der intensiven Auseinandersetzung Bechers mit den von Heinrich Mann aufgeworfenen Fragen und Überlegungen zeugten. Eine erste Bezugnahme auf den Renaissance-Begriff findet sich in dem Essay Aus der Welt des Gedichts vom Juni 1936. „Unsere soziale Dichtung", so •erklärt Becher, „ist nicht mehr Arme-Leute-Dichtung und Elendspoesie, sie begnügt sich nicht mehr mit Herwegh und Freiligrath, wenn sie zurückgreift, sie ist im Begriff, eine Renaissance einzuleiten, die, wie wir gesehen haben, sich nicht nur auf eine Zeit beschränkt." 68 Nicht weniger aufschlußreich als das Aufgreifen dieser Fragestellung ist die Tatsache, daß Becher im unmittelbaren Anschluß daran, in der Gedankenführung des Essays fast unvermittelt, eine deutliche Korrektur jener zugespitzten Thesen vornimmt, die er im April 1932 in .seinem offenen Brief Vom „Untertan" zum Untertan formuliert hatte: „Wo steht ein Dichter? Dort, wo er als Dichter steht: inmitten des Besten, was er geschaffen hat. Nicht unbedingt dort, wo er seine Unterschrift hinsetzt und sich politisch bekennt. Sich umstellen, das heißt, eine Klasse, der man verfallen war, verlassen und mit einer anderen Klasse auch als Dichter verwachsen, ist ein langer Übergang, ein historischer Prozeß, kein Privatsprung. Die Flaggen werden nicht einfach miteinander vertauscht, und das neue Wehen beginnt." 69 Mit diesen Erkenntnissen, die nicht von den Erfahrungen der Volksfrontarbeit zu trennen sind, wird einer Betrachtungsweise Raum gegeben, die den Prozeß des Übergangs von bürgerlichen zu sozialistischen Positionen derart in den geschichtlichen Kontext stellt, daß die Gemeinsamkeiten in der Aufgliederung aus der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber bestimmten Besonderheiten der zwanziger oder dreißiger Jahre uneingeschränkt als das übergreifende Moment erscheinen. Damit entsteht nicht nur die Möglichkeit, dieses oder jenes Urteil zu überdenken, sondern auch eine dialektische Sicht, die sowohl die autobiographisch-bekenntnishafte Reflexion als auch die aus dem Kampf um die antifaschistische Aktionseinheit gewonnenen Einsichten zur Geltung bringt. Eine vereinfachende Sichtweise, die einzelne Entwicklungsmomente verabsolutiert oder die Dimensionen des Übergangs verkennt, scheidet dabei ebenso als unangemessen aus wie eine 197

ausschließlich retrospektiv angelegte Darstellung. 70 Die vorgetragenen Einsichten und Argumente zielen, und dies verweist auf den inneren Zusammenhang mit den Reden Bechers auf dem Moskauer und dem Pariser Schriftstellerkongreß, auf eine Verständigung über Grundfragen des antifaschistischen Kampfes und des Funktionszusammenhangs, in dem sich die antifaschistische Literatur entwickelt. Probleme des literarischen Schaffens und der Zusammenarbeit im antifaschistischen Kampf standen auch im Mittelpunkt des im Herbst 1935, zeitlich parallel zu der Rezension des Gedichtbandes Der Mann, der alles glaubte im Pariser Tageblatt, einsetzenden Briefwechsels zwischen Heinrich Mann und Johannes R. Becher. Einen erheblichen Raum in der Korrespondenz nahmen zunächst Fragen ein, die sich aus der Mitarbeit Heinrich Manns an der von Becher redigierten deutschsprachigen Ausgabe der in Moskau publizierten Monatsschrift Internationale Literatur ergaben. Nicht wenige der dort veröffentlichten Beiträge Heinrich Manns, darunter die Aufsätze Ein denkwürdiger Sommer, Gestaltung und Lebre und Die Französische Revolution und Deutschland, gingen auf direkte Anregungen Bechers zurück. Auch der Vorabdruck des Romans Die Vollendung des Königs Henri Quatre, begonnen im Heft 1/1937 der Internationalen Literatur und im Heft 4/1939 abgeschlossen, erfolgte auf Grund der Vermittlung und der Initiative Johannes R. Bechers. Unter den Bedingungen des Exils gewann dieser Einsatz, der erneut auf den Stellenwert der Internationalen Literatur und anderer Zeitschriften für die Entwicklung der Zusammenarbeit sozialistischer und bürgerlich-humanistischer Schriftsteller verweist, nicht nur in politisch-moralischer, sondern auch in materieller Hinsicht an Bedeutung. Bereits in den Notizen über das Gespräch vom 26. Oktober 1934 hatte Becher gesicherte Wirkungsmöglichkeiten und Honorarüberweisungen als Element einer zuverlässigen Partnerschaft gekennzeichnet. Heinrich Mann versicherte sich der Mittlerrolle Bechers in diesen Fragen unter anderem auch dadurch, daß er ihm am 16. Februar 1936 mittels einer handschriftlichen Vollmacht die Vertretung seiner Interessen beim Moskauer Staatsverlag übertrug. Noch im Juni 1948 erinnerte er sich, bezogen auf diese Vorgänge, mit Dankbarkeit des Einsatzes und der Bemühungen von Becher.71 Wenn sich der Briefwechsel zwischen beiden Schriftstellern im wesentlichen auf dringlich-aktuelle Fragen der Verständigung und der Zusammenarbeit konzentrierte, so läßt er gleichwohl sichtbar werden, wie sich mit der Entdeckung und Bewährung der Verbun198

denheit im antifaschistischen Kampf auch die persönlichen Beziehungen zunehmend vertieften und enger gestalteten. Bechers Erkenntnis, daß der Dichter „inmitten des Besten" steht, was er geschaffen hat, wurde zudem durch die Achtung ergänzt, mit der er das politische und literarische Wirken Heinrich Manns im Exil verfolgte. G e r a d e den Zusammenhang zwischen der literarischen Arbeit und der antifaschistischen Wirksamkeit Heinrich Manns betonend, schrieb er in seinem Brief vom 15. Oktober 1936: „Sie haben wohl in Ihren Werken der deutschen Sprache eine bis dahin nicht erreichte Wendigkeit und Sensibilität verliehen, aber - und das ist das einzigartige und bewundernswerte - Sie haben dabei nicht Ihr geschichtliches Rückgrat verloren. Dieses 'geschichtliche Rückgrat' ist das, was so vielen auch unserer näheren Freunde abgeht. Mit einem solchen Mangel behaftet, ist aber kaum etwas Vorbildliches und Richtunggebendes zu schaffen. Man kann Charakterschwund durch keine noch so ausgeklügelte Virtuosität ersetzen." 72 Der Achtung, die aus diesen Zeilen spricht, hat Becher wiederholt auch öffentlichen Ausdruck verliehen. In einem Vorwort zur russischen Ausgabe des Romans Der Kopf, die 1937 im Moskauer Staatsverlag erschien, bezeichnete er die gesellschaftsanalytischen Romane Heinrich Manns, ohne Widersprüche in dessen Entwicklung zu übergehen oder zu glätten, als „großartige und bedeutende Gemälde", die die Wirklichkeit des bürgerlichen Lebens kritisch sondieren und beleuchten. 73 In dieses Urteil bezog Becher auch den Roman Der Kopf ein, wobei er bestimmte Schwächen und „Ungereimtheiten" des Romans als Ausdruck für die Probleme und Schwierigkeiten des Versuchs interpretierte, an demokratischen Ansprüchen innerhalb der spätbürgerlichen Gesellschaft festzuhalten. „Die Bedeutung des heutigen Heinrich Mann und unsere Achtung vor ihm", so setzte Becher hinzu, „wachsen um so mehr, wenn wir ihn damit vergleichen, was er war, wenn wir sehen, womit er in dieser Periode fertig werden mußte." 7 4 Diesen mehr kursorisch als analytisch angelegten Hinweisen schloß sich die Charakteristik dessen an, was die Achtung vor dem Weggefährten im antifaschistischen Exil in besonderer Weise begründete: „Bei allen Unterschioden beider Literaturen und ihrer Vertreter kann man sagen, d a ß Heinrich Mann die Sache unseres Henri Barbusse fortsetzt. E r stellt im Kampf mit dem barbarischen Hitlerfaschismus die E h r e aller wahren Deutschen wieder her, ist das gewaltige Sprachrohr all derer, die aufrichtig und wahrhaft der Sache des Friedens dienen." 7 5 199

Diese Wertungen und Positionen lagen auch dem im Frühjahr 1937 von Becher unternommenen Versuch zugrunde, durch Vermittlung von Schriftstellern wie André Malraux und Thomas Mann dem z u ständigen Komitee die Auszeichnung Heinrich Manns mit dem Literatur-Nobelpreis vorzuschlagen. Thomas Mann antwortete in einem Schreiben vom 29- März 1937 an Becher, daß dieser Vorschlag wahrhaftig nahe genug liege und über die Würdigkeit kein Streit sein könne, daß die Aussichten jedoch äußerst gering seien: „Ich kenne ungefähr die geistige Verfassung des Comité's, namentlich des ausschlaggebenden Literaturhistorikers, der auch mir den Preis in allererster Linie für meinen bürgerlichen Jugendroman zugesprochen hat und auch das, glaube ich, persönlich nicht besonders gern. Meine Genugtuung über die damalige Auszeichnung wurde immer schon beträchtlich eingeschränkt durch den Gedanken, wer alles den Preis n i c h t erhalten hat. Wenn Sie bedenken, daß weder Tolstoi, noch Ibsen, noch Strindberg, noch Gorki, noch Wedekind zu dieser Ehre gelangt sind, so dürfen Sie sich nicht wundern, daß auch eine Erscheinung wie mein Bruder zu denen gehört, die wohl keine Aussicht darauf haben." 7 6 Zu dem von Thomas Mann geltend gemachten Sachverhalt, der in der Tat die Kandidatur Heinrich Manns für den Nobelpreis verhinderte, trat im übrigen noch ein weiterer Umstand: Institutionen und Behörden des faschistischen Regimes, darunter die gleichgeschaltete und später zunehmend entmachtete Akademie der Künste (in der Sektion Dichtkunst besetzten seit dem Sommer 1933 Hanns Johst, Hans-Friedrich Blunck und Werner Beumelburg die maßgeblichen Funktionen) versuchten ihrerseits, eine Zuerkennung des Nobelpreises an antifaschistische Emigranten mit allen gegebenen Mitteln zu verhindern, auch mit den Mitteln diplomatischer Intervention. Heinrich Mann beurteilte das zuständige Gremium in Stockholm und damit die Aussichten des von Becher unterbreiteten Vorschlags ähnlich wie sein Bruder Thomas. Unabhängig von diesem schrieb er Becher am 2. April 1937: „Was soll ich zu Ihrem kühnen Gedanken hinsichtlich des Nobelpreises sagen. Ich freue mich Ihrer Freundschaft und Anerkennung, auch wenn das Preis-Comité von diesen Gefühlen einigermaßen entfernt sein sollte." 7 7 Abgesehen von dem Zusatz Heinrich Manns, daß ein solcher Schlag selten bei der ersten Anstrengung gelinge, war damit bereits das Wesentliche zum Thema Nobelpreis gesagt. W a r der Vorstoß Bechers seinem Wesen und Charakter nach eine Demonstration für das Werk Heinrich Manns, so verdient ebenso festgehalten zu werden, daß die Beziehungen zwischen beiden

200

Schriftstellern in diesem Zusammenhang von Heinrich Mann erstmals mit dem Begriff der Freundschaft umrissen wurden. Als einen Ausdruck seiner Wertschätzung gegenüber dem politischen und literarischen Wirken Heinrich Manns im Exil verstand Becher schließlich auch das Sonett Die Brüder, das er im August 1937, nur wenige Wochen nach den Diskussionen zum Thema Nobelpreis, in der Zeitschrift Internationale Literatur veröffentlichte. Es muß zweifellos vor dem Hintergrund gesehen werden, der sowohl durch die Erfahrungen der Volksfrontarbeit als auch durch die klare. Absage an die faschistische Barbarei bestimmt wurde, die Thomas Mann zu Beginn des Jahres 1937 in seinem Brief an den Dekan der Philosophischen Fakultät der Bonner Universität ausgesprochen hatte. Diese Ereignisse und die mit ihnen verbundenen Entscheidungen gaben Becher die Gewißheit, daß die einem humanistischen Anliegen verpflichtete Literatur in ihrer Gesamtheit den Anschluß an die Zukunft gewinnen werde: E r zögert manchmal, wenn er rückwärts schaut. Er möchte das Vergangne nicht verlieren. Viel Großes ist von dort ihm anvertraut. Er soll es in die Zukunft überführen. Der Bruder aber hat es schon gewagt. Er will sich ganz der Zukunft anvertrauen. Er wird zum Bild, von Tausenden befragt. Er ruft die Völker auf aus ihrem Grauen. Das Wägende und das Gewagte sind In euch vereint, Sich nicht mehr widersprechend. Das Große wirkt in euch, kehrt in euch wieder, Der Zukunft zugewandt, die ihr gewinnt. Das Wort, (die Lüge schwächend und zerbrechend, Macht brüderlich. Auch darum seid ihr Brüder. 78 Die in den Eingangsstrophen gegebenen Charakterisierungen, bei aller sachlichen Verknappung zum differenzierten Erfassen der Positionen genutzt, werden in den beiden Terzetten auf neuer Ebene wieder aufgenommen und weitergedacht: Die Darstellung faßt „das Wägende" und „das Gewagte" in einem dialektischen, durch die geschichtliche 201

Erfahrung bestätigten Zusammenhang; sie setzt das Motiv des Brüderlichen, ohne dessen Assoziationsreichtum einzuschränken, für eine Verbundenheit, die sich im Handeln bewährt und auf das gemeinsame Streben nach der Verteidigung der Humanität, nach einer menschenwürdigen Gesellschaft gegründet ist. Einen ausdrücklichen Hinweis auf die mit dem Sonett erfaßten und gestalteten Beziehungen gab Becher in seinem Brief vom 9. März 1938, mit dem er Heinrich Mann seinen neuerschienenen Gedichtband Der Glücksucher und die sieben Lasten übermittelte. „Ich habe die Freude", schrieb Becher, „Ihnen das erste Exemplar meines neuen Buches schicken zu dürfen. Damit soll nicht nur meine literarische Verehrung, sondern auch mein menschliches Gefühl Ihnen gegenüber ausgedrückt sein. Ich habe diese meine Beziehung zu Ihnen und Ihrem Bruder ja bereits in dem Sonett 'Die Brüder' zu gestalten versucht, sodaß ich es als aufdringlich empfinde, noch weitere Worte beizufügen."79 Die freundschaftliche Verbundenheit, die sich in diesen Zeilen mitteilt, ist ein weiterer Beleg dafür, daß sich die Beziehungen zwischen beiden Schriftstellern in den Jahren des antifaschistischen Exils vor allem in dem Maße vertieften und konsolidierten, wie sie mit konkreten Formen der Zusammenarbeit und mit dem Meinungs- und Gedankenaustausch zu aktuellen Problemen des literarischen Schaffens einhergingen, wie sie zum Verständnis der poetischen Leistung und zu einer fest begründeten gegenseitigen Achtung führten. Was den Band Der Glücksucber und die sieben hasten angeht, so hatte Becher im übrigen gewichtige Gründe, die Meinung und das Urteil Heinrich Manns zu erbitten. An diesem Urteil mußte ihm schon insofern gelegen sein, als Heinrich Mann bereits den vorangegangenen Gedichtband Der Mann, der alles glaubte rezensiert und dabei den Begriff von der „zweiten Renaissance" geprägt und besonders auf die Verbindung des Volkstümlichen mit dem Humanistischen aufmerksam gemacht hatte. Eine vergleichende oder weiterführende Betrachtung konnte in der Tat, wie Becher in seinem Schreiben vom 9. März 1938 vermerkte, „ein mächtiger Ansporn zur Weiterarbeit" sein. Schließlich spielten auch Erwägungen eine Rolle, durch fundierte und weithin anerkannte Urteile Verlagsunternehmen in den Exilländern zu einer stärkeren Verbreitung der antifaschistischen Literatur zu ermutigen und dadurch Zweifeln an den Wirkungsmöglichkeiten dieser Literatur zu begegnen. Heinrich Mann antwortete auf die Brief- und Buchsendung Johannes R. Bechers bereits am 20. März 1938 mit der Skizzierung erster 202

Leseeindrücke: „Ihre Gedichte verdienen die höchste Achtung und Bewunderung. Sie machen reine Poesie aus den realen Tatsachen der Zeit. Zu vergleichen wäre die Sprache Platens mit der Ihren, und der gelungene Versuch wäre festzustellen, wie die klassische Form neu erfüllt wird." 80 Nach dem Abschluß seiner Arbeiten an dem Roman Die Vollendung des Königs Henri Quatre unterzog sich Heinrich Mann dieser - im Brieftext zunächst im Konjunktiv formulierten Aufgabe in einer Rezension, die im Oktober 1938 in der Zeitschrift Das Wort veröffentlicht wurde und die im gleichen Jahr auch in russischer und französischer Übersetzung erschien. Sie kann zu den wichtigsten Aussagen gerechnet werden, die über die Beziehungen .zwischen beiden Autoren Auskunft geben. Erneut wird der enge Zusammenhang zwischen der poetischen Leistung und der Verbundenheit des Autors mit seinem Volk, mit den progressiven Bestrebungen seiner Epoche herausgestellt: „Damit ein Talent sich vollenden kann, muß es Partei ergriffen haben - die richtige Partei, die des menschlichen Glücks. Das erleichtert die eigenen Lasten, da es fortan lohnt, sie getragen zu haben. Das macht die Gedichte stark, erstens, weil die Form erstarkt. Form und Kunst hängen durchaus vom Leben ab, und daß man entschlossen ist, es zu beherrschen. Talent vorausgesetzt, bekommen Gedichte die unverkennbare Gestalt der Dauer, wenn der Dichter zum Volk steht."81 Den Tendenzen der Resignation und des Verzichts in der Exildichtung des 19. Jahrhunderts stellt der Rezensent die veränderten Positionen gegenüber, die in der poetischen Konzeption des Glücksucher-Bandes erkennbar sind: das neue Verhältnis des sozialistischen Dichters zum Vaterland, das Wissen um die Veränderbarkeit der sozialen Beziehungen, die lebendige Einheit von Überlieferung und Neuerertum, von Traditions- und Zukunftsbewußtsein. Der Standort, von dem aus die Leistungen Bechers im einzelnen charakterisiert werden, verweist dabei wiederum auf die im antifaschistischen Kampf entdeckte „tiefe Verwandtschaft" beider Autoren. Ebenso wie Johannes R. Becher grenzt Heinrich Mann das deutsche Volk, seine Geschichte, seine Kultur, seine Lebensinteressen, entschieden von den Unterdrückern der Nation, den Feinden des Menschenglücks ab; mit dem Autor des Glücksucher-Bandes teilt er das Bekenntnis zu einer Literatur, die sich der progressiven geschichtlichen Bewegung des Zeitalters verbunden weiß und daher weder vereinsamt noch vor der Wirklichkeit resigniert. Daß der Versuch Heinrich Manns, festzustellen, „wie die klassische Form neu erfüllt wird", in dieser Weise mit essayistischen Zügen einer 203

bekenntnishaften Darstellung verknüpft ist, daß er die Gemeinsamkeit des Bestrebens dokumentiert, Überlieferung und Zukunft zu verbinden, reflektiert im Vergleich zu der Rezension des Gedichtbandes Der Mann, der alles glaubte vom Herbst 1935 wesentliche Momente der geistigen Annäherung, der gewachsenen Verbundenheit zwischen beiden Schriftstellern. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß Heinrich Mann ein Jahr nach der Niederschrift der Anmerkungen zum Glücksucber-Band, die im handschriftlichen Original mit dem Titel Johannes R. Becher - sein Hoheslied versehen sind, noch einmal auf die hier vorgetragenen Überlegungen zurückgriff. Am 4. Juli 1939 schrieb er an Becher: „Sie wissen schon, daß ich ein Freund Ihrer Sonette bin. In Reih und Glied erscheinen sie als einziges Gedicht, der Vollendung so nahe wie unser Beginnen sein kann. Es ist sehr schön, daß Sie in allem Kampf, dieser täglichen Ungewißheit sich hinzugeben vermögen an das, was bleiben soll."82 Ungeachtet der Tatsache, daß nur wenige Wochen später durch die Ereignisse des zweiten Weltkrieges viele Kontakte, viele organisatorische Verbindungen der deutschen Antifaschisten unterbrochen oder eingeschränkt wurden, bildete die in den Volksfrontbestrebungen der dreißiger Jahre erprobte und bewährte Verbundenheit auch in den Kriegs- und Nachkriegsjahren die Grundlage der Zusammenarbeit zwischen den Repräsentanten der sozialistischen und der bürgerlichhumanistischen Literatur. Wiederum erwiesen sich antifaschistische Zeitschriften wie die Internationale Literatur oder die im Oktober 1941 in Mexiko begründete Zeitschrift Freies Deutschland als Zentren dieser Zusammenarbeit. So hielt Heinrich Mann an der im Frühjahr 1939 gegenüber Becher ausgesprochenen Bereitschaft, dem Redaktionskomitee und dem engeren Mitarbeiterkreis der Zeitschrift Internationale Literatur anzugehören, auch in den Jahren seines kalifornischen Exils entschieden fest. Neben verschiedenen Aufsätzen stellte er der Zeitschrift in der ersten Hälfte der vierziger Jahre Auszüge aus seinem Roman Lidice und der essayistischen Rechenschaft Ein Zeitalter wird besichtigt zur Verfügung. Daß diese Wirkungsmöglichkeiten auch nach dem Ausbruch der Kriegshandlungen fortbestanden, zeugt zudem von der dauerhaften solidarischen Verbundenheit der Sowjetunion mit der antifaschistischen Literatur. Rechenschaft und geschichtliche Selbstverständigung, Bewährung und Neubeginn sind -die zentralen Themenkreise und Problemstellungen, die von Heinrich Mann wie von Johannes R. Becher in diesen Jahren in vielfältiger Form aufgenommen, analysiert und gestaltet 204

wurden. Die Bilanz des zurückgelegten Weges, auf deren verschiedene Aspekte hier nur in wenigen Umrissen hingewiesen werden kann, war dabei weder als Selbstzweck noch als unverbindliche Reflexion angelegt; sie bildete die Voraussetzung und die Grundlage, um die Frage nach den herangereiften geschichtlichen Erfordernissen, nach den Kriterien für das „Anderswerden", für die als notwendig erkannten Veränderungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens aufzuwerfen und nach dem Maß an Erfahrungen und Einsichten in den Grundzügen zu beantworten. Bechers Roman Abschied (1940), in den zahlreiche autobiographische Elemente eingegangen sind, erfaßt das A b s c h i e d n e h m e n von den Lebensformen der bürgerlichen Gesellschaft und das A n d e r s w e r d e n als einen exemplarischen Vorgang: In der Entwicklung des Bürgersohns Hans Gastl, in seinem Ausbruch aus der nationalistisch-konservativen Vorstellungswelt des Elternhauses und seiner Suche nach neuen Lebensinhalten und sozialen Bindungen, spiegeln sich im individuellen Schicksal Notwendigkeiten und Probleme des Epochenwechsels, des Übergangs von der bürgerlichen zur sozialistischen Gesellschaft. Das Motiv des Abschiednehmens weist somit, auf dialektische Weise mit dem Motiv des Anderswerdens verknüpft, über den Reflex einer kritischen Sondierung überholter Zustände hinaus; es stellt die Fragen nach der Veränderbarkeit des Menschen und seiner sozialen Existenzbedingungen in den Mittelpunkt des Interesses. Beide Motive spielen auch in dem 1941 geschriebenen Stück Schlacht um Moskau, das von Becher später unter dem Titel Winterschlacht publiziert wurde, eine entscheidende Rolle. Aus dem Sujet des Stückes und seiner Handlungsstruktur ergeben sich freilich erhebliche Modifizierungen in der Darstellung der Wandlungsprozesse, die die Hauptfiguren durchlaufen. Verglichen mit dem Roman Abschied erweist «ich, wie Sigrid Töpelmann festgestellt hat, „die Notwendigkeit zum Anderswerden als zwingender; rascher und nachdrücklicher wird nach dem praktischen Verhaken eines jeden gefragt, nach seiner Position im weltanschaulichen Entwicklungsprozeß"83. Außerdem wird das „ A n d e r s w e r d e n " der beiden Hauptfiguren Gerhard Nohl und Johannes Hörder maßgeblich beeinflußt und gefördert durch das A n d e r s s e i n der sowjetischen Bürger und Soldaten, auf das bereits im Vorspiel mehrfach eingegangen wird und auf dessen Bedeutung für das Stück auch Brecht in seinen Arbeitsnotizen zur Inszenierung der Winterschlacht aufmerksam gemacht hat. 84 205

Das von Becher in zahlreichen Variationen eingesetzte und verwendete Wandlungsmotiv korrespondiert in bemerkenswerter Weise mit Erkenntnissen und Überlegungen, die in dem 1944 abgeschlossenen autobiographischen Essaywerk Heinrich Manns Ein Zeitalter wird besichtigt einen zentralen Platz einnehmen. In der „menschlichen Verwandlung" erkennt Heinrich Mann, den Zusammenhang von individueller und gesellschaftlicher Erfahrung, von sozialen und sittlichen Momenten der Entwicklung betonend, „das sicherste Zeichen für den Übergang eines Zeitalters in ein nächstes"85. Bilanz und Rechenschaft werden in dem Maße vorangetrieben, wie sie für die gegenwärtige Selbstverständigung bis hin zum Entwurf künftiger Aufgaben und Möglichkeiten als unerläßlich erscheinen. Auf der Grundlage eines Geschichtsverständnisses, das durch die Orientierung auf die revolutionären Kräfte der Epoche und durch die Aufnahme wichtiger Elemente historisch-materialistischen Geschichtsdenkens charakterisiert wird, erhält der Begriff der „menschlichen Verwandlung" dabei eine konkrete sozialhistorische Bestimmtheit; er verweist auf die durch die Oktoberrevolution eingeleitete Entwicklung und den geschichtlichen Platz der Sowjetunion: „Ein neuer Mensch, ein anderes Zeitalter nehmen ihren Anfang hier. Die menschliche Fähigkeit der Verwandlung erreicht ihr relatives Höchstmaß diesmal. Eine sittliche Welt ohne Vorgang und Vergleich entsteigt - unnütz zu fragen, welchen weitläufigen Zusammenhängen. Sie ist da, sie erhält sich - erhält sich nunmehr länger als die Französische Revolution, einbegriffen den Kaiser.-Die Sowjetmenschheit, 'mit dem Bewußtsein, was sie soll, geboren', siegt. Aber mehr, ihr sieghaftes Lebensgefühl ergreift andere."86 Fragen nach den Inhalten und Formen individueller und gesellschaftlicher Wandlungsprozesse stehen bei beiden Schriftstellern ebensowohl im Zentrum der Selbstverständigung wie der Bemühungen, mit den Mitteln der Literatur zur Erkenntnis der Wirklichkeit und zum „Anderswerden" beizutragen. Sie sind das dominierende Thema auch der in den Jahren 1943 und 1944 entstandenen essayistischen Arbeiten, die sich, übereinstimmend mit den Zielen und der Wirksamkeit des im Juli 1943 gebildeten Nationalkomitees Freies Deutschland, bereits auf Probleme der demokratischen Erneuerung nach dem Sturz des Faschismus konzentrieren, so wie dies beispielsweise für Bechers Aufsätze Deutsche Sendung. Ein Ruf an die Nation und Deutsche 'Lehre sowie für die Arbeiten Heinrich Manns Über das deutsche Volk und seine Zukunft und Über Schuld und Erziehung charakteri206

«tisch ist. Zu den gemeinsamen Ausgangspositionen dieser Arbeiten gehört die Entschlossenheit, mit dem Hitlerregime zugleich jene Macht- und Besitzverhältnisse zu überwinden, die den Mißbrauch und die Erniedrigung des Menschen hervorbringen und die Kultur auf das äußerste gefährden. Die Forderung Heinrich Manns nach einer „Revision aller Existenzbedingungen, der nationalen und der individuellen"87 verweist darauf ebenso wie Bechers Aufruf zu einer „radikalen, das heißt tiefgründigen Generalrevision auf allen unseren deutschen Lebens- und Wissensgebieten"88. Die gleichen Ziele ¡bilden auch den konzeptionellen Drehpunkt des Aufrufes An das Volk von Berlin!, den Heinrich Mann im März 1945 anläßlich der bevorstehenden Befreiung Berlins vom Faschismus im Auftrage und im Namen des Lateinamerikanischen Komitees der Freien Deutschen verfaßte. In Übereinstimmung mit der von Becher begründeten Notwendigkeit, „die geschichtlichen Fehler erster Ordnung" aufzudecken und die „wahren Triebkräfte" des Hitlerkrieges zu zeigen89, wendet sich der Aufruf energisch gegen den Versuch, die Verantwortung für die faschistischen Verbrechen auf die Person eineseinzelnen gewissenlosen Abenteurers einzuengen. Verdeutlicht wird, daß die notwendige „Revision" der Existenzbedingungen nicht nur die Entmachtung des Generalstabs und der Junker, sondern auch und vor allem die Entmachtung des Industrie- und Finanzkapitals umfaßt. Verbunden damit ist das Bekenntnis zu einem Staat, der im Gegensatz zur Weimarer Republik in allen seinen Entscheidungs- und Vollzugsorganen den Lebensinteressen des Volkes, dem sozialen und sittlichen Fortschritt verpflichtet ist. Wenige Wochen nach dem Sturz des Hitlerregimes am 8. Mai 1945 - zu diesem Zeitpunkt erschien der Aufruf An das Volk von Berlin! in einer Sondernummer der Zeitschrift Freies Deutschland kehrte Johannes R. Becher als einer der ersten Schriftsteller aus dem antifaschistischen Exil nach Deutschland zurück. Seit Juni 1945 war er im befreiten Berlin, dem sich der Aufruf Heinrich Manns in besonderer Weise zugewandt hatte, in verantwortlichen Funktionen und Aufgabengebieten am Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung beteiligt. Als Mitbegründer des Aufbau-Verlages wie als Präsident des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung setzte er sich aktiv für eine demokratische Kulturentwicklung und für die Verbreitung und Pflege der humanistischen Literatur ein, die durch das faschistische Regime verfemt, verboten und verbrannt worden war. Eingeschlossen in diese Bemühungen, die kontinuierlich an Erfah207

rungen der Volksfrontarbeit anknüpften, war der bewußte und konsequente Einsatz für das Werk Heinrich Manns. „Daß es möglich war", so bilanzierte Peter Goldammer für den Aufbau-Verlag, „bereits im Jahre 1946 - angesichts der komplizierten verlagsrechtlichen Situation und der Schwierigkeiten im internationalen Zahlungsverkehr - den 'Untertan' als eines der ersten Bücher herauszugeben und bis zum Jahre 1947 mehr als 40 000 Exemplare zu drucken, das ist nicht zuletzt das Verdienst Johannes R. Bechers, des Initiators und Gründers unseres Verlages." 90 Gleichzeitig unternahm Becher in diesen Jahren wiederholt Vorstöße, um eine Rückkehr Heinrich Manns und damit dessen Mitwirkung am antifaschistisch-demokratischen Aufbau zu ermöglichen. Im Namen des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands betonte er zum Beispiel in seinem Grußschreiben zum 77. Geburtstag Heinrich Manns im März 1948 unter ausdrücklichem Hinweis auf die editorischen Bemühungen des Aufbau-Verlages: „Sie werden verstehen, daß wir anläßlich Ihres 77. Geburtstages neben den herzlichsten Glückwünschen, die wir Ihnen übermitteln, auch zutiefst bedauern, daß Sie nicht in unserer Mitte weilen und auf diese Weise vorbildlich und führend an unserer Arbeit teilnehmen können. Zu einem gewissen Teil allerdings ist es die Tatsache, daß wir Ihre Werke in unserem Aufbau-Verlag veröffentlichen durften, die uns dieses Bedauern nicht ganz so schmerzlich fühlen läßt. Ihre Anwesenheit ' i m Werk, die wir an vielen Äußerungen verspüren, mag uns über Ihre persönliche Abwesenheit ein wenig hinwegtrösten, aber es bleibt der Wunsch: Sie mögen wiederkehren. Es bleibt unser Versprechen, daß wir bei einer Absicht Ihrer Wiederkehr Ihnen alle die Möglichkeiten bieten werden, die Sie für Ihr Leben und Ihr Werk benötigen." 91 Im Herbst des gleichen Jahres erneuerte Becher die Einladung und unterbreitete Heinrich Mann zugleich den Vorschlag, nach der Rückkehr aus dem Exil die Präsidentschaft einer neu zu gründenden Dichterakademie zu übernehmen. 92 Noch bevor Heinrich Mann sein Einverständnis zu diesem später auch in offizieller Form übermittelten Vorschlag bekundete - nur der Tod sollte die bereits bis in die Einzelheiten geplante Rückkehr verhindern - , hatte er in seinem Antwortschreiben auf die Glückwünsche vom März 1948 seine Beziehungen zu Johannes R. Becher in bekenntnishafter Form zusammengefaßt: „Ihr Brief mit den Wünschen des Kulturbundes erfreut und ehrt mich. Ich danke von Herzen. Mit 77 wind es wohl Zeit, daß man die endgültigen Glückwünsche bekommt, 208

und erfährt, woher. Wie Sie, haben unsere Freunde Pieck und Grotewohl mich brieflich ausgezeichnet. ( - ) Ich habe, wenn ich schrieb, immer nur kundgegeben, was ich glaube und bin. Dasselbe tun Sie; um so besser, wenn wir schließlich feststellen dürfen, daß wir bleibende Achtung erworben haben gerade dort, wo sie uns erwünscht ist." 9 3 D i e Bilanz, die mit diesem Urteil gegeben wird, basierte auf nachprüfbaren geschichtlichen Erfahrungen und Einsichten: Von der gemeinsamen Kritik des imperialistischen Machtmechanismus führte ein ebenso differenzierter wie weitreichender Entwicklungs- und Klärungsprozeß über die divergierenden Positionen und Lösungsvorschläge, über die Konflikte und Auseinandersetzungen in den Jahren der Weimarer Republik bis hin zu der Entdeckung jener „tiefen Verwandtschaft" des humanistischen Denkens und Handelns, in der die Beziehungen zwischen beiden Schriftstellern ihren bestimmenden und e n d g ü l t i g e n Ausdruck fanden. Die im Zeichen der Volksfront gegen Krieg und Faschismus aufgenommene Zusammenarbeit, die in vielerlei Hinsicht als repräsentativ für das Bündnis sozialistischer und bürgerlicher Autoren in der antifaschistischen Literaturbewegung betrachtet werden kann, orientierte sich auf real existierende Gemeinsamkeiten und gewann ihre Produktivität in dem Maße, wie sie die Verteidigung der Kultur mit den notwendigen Konsequenzen im politisch-gesellschaftlichen Handlungsbereich verband und sich auf einer konzeptionellen, den objektiven Erfordernissen des Zeitalters gemäßen Grundlage herausbildete. Gerade unter diesem Aspekt wurde sie zum Ausgangspunkt einer Verbundenheit, die im Kampf gegen das „Regiment des Unmenschentums" ihre geschichtliche Bewährungsprobe bestand und die Heinrich Mann auf dem Pariser Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur als einen hoffnungsvollen Wechsel auf die Zukunft bezeichnet hat.

14

Herden. Volksfront

209

Anmerkungen

Abkür%jmgsver%eichnis Aktionen

Arbeitsjournal

Becher-Archiv Brecht Briefwechsel

Das Wort

Dialog

Dimitroff

Erpenbeck

HMA IML-ZPA Iz istorii Jens

Aktionen. Bekenntnisse. Perspektiven. Berichte und Dokumente vom Kampf um die Freiheit des literarischen Schaffens in der Weimarer Republik. Hg. v. der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Berlin-Weimar 1966. Bertolt Brecht: Arbeitsjournal. Bd. 1 : 1 9 3 8 - 1 9 4 2 . Bd. 2 : 1 9 4 2 - 1 9 5 5 . Hg. v. Werner Hecht. Frankfurt am Main 1973. Johannes-R.-Becher-Archiv der Akademie der Künste der DDR. Bertolt Brecht: Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. 1: 1 9 2 0 - 1 9 3 9 . Bd. 2 : 1 9 3 4 - 1 9 5 6 . Berlin-Weimar 1966. Thomas Mann/Heinrich M a n n : Briefwechsel 1 9 0 0 - 1 9 4 9 . Hg. v. der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Berlin-Weimar 1969. Das Wort. Literarische Monatsschrift. Redaktion: Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, W i l l i Bredel. Moskau 1936 bis 1939. Dialog und Kontroverse mit Georg Lukäcs. Der Methodenstreit deutscher sozialistischer Schriftsteller. Hg. v. Werner Mittenzwei. Leipzig 1975. Georgi Dimitroff: Ausgewählte Schriften in drei Bänden. Auswahl aus der vierzehnbändigen bulgarischen Ausgabe. Bd. 1. Berlin 1956. Bd. 2 u. 3. Berlin 1958. Fritz Erpenbeck: Nachwort. In: Das Wort. Registerband. Mit einem Nachwort zur Zeitschrift von Fritz Erpenbeck. Berlin 1968. Heinrich-Mann-Archiv der Akademie der Künste der DDR. Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. Zentrales Parteiarchiv. Iz istorii mezdunarodnogo ob-edinenija revoljucionnich pisatelej. Moskva 1969. Inge Jens: Dichter zwischen rechts und links. Die Ge-

210

schichte der Sektion für Dichtkunst der Preußischen A k a demie

der

Künste

dargestellt

nach

den

Dokumenten.

München 1971. Kießling

W o l f g a n g Kießling: Alemania Libre in Mexiko. Bd. Ein

Beitrag zur Geschichte des antifaschistischen

( 1 9 4 1 - 1 9 4 6 ) . Berlin

1974 (Literatur und

1:

Exils

Gesellschaft).

Levisite

Johannes R. Becher: ( C H C L ) , As (Levisite) oder D e r ein-

Marcuse

H e r b e r t Marcuse: Kultur und Gesellschaft. Bd. 1. F r a n k -

NDB

N e u e Deutsche Blätter. Monatsschrift für Literatur

zig gerechte Krieg. Berlin-Weimar 1969. furt am Main 1965. und

Kritik. R e d a k t i o n : O. M. G r a f , W . Herzfelde, A. Seghers. Prag-Wien-Zürich-Paris-Amsterdam

(1933-1935).

NTB

D a s N e u e Tage-Buch. H g . : L e o p o l d Schwarzschild. Paris-

NW

D i e neue Weltbühne. Wochenschrift für Politik,

Amsterdam ( 1 9 3 3 - 1 9 4 0 ) . Wirtschaft. Resolution

Prag-Wien-Zürich-Paris

Kunst,

(1933-1939).

Resolution der Brüsseler Parteikonferenz der K P D

vom

O k t o b e r 1935. I n : Wilhelm Pieck: D e r neue W e g zum gemeinsamen Kampf für den Sturz der Hitlerdiktatur. Berlin 1960. Schickele

R e n e Schickele: W e r k e in drei B ä n d e n . Bd. 3.

Köln/

(West-) Berlin 1959. Schiller

D i e t e r Schiller: „ . . . von G r u n d auf anders". P r o g r a m m a tik der Literatur im antifaschistischen K a m p f w ä h r e n d der dreißiger Jahre. Berlin 1974 (Literatur und Gesellschaft).

Tradition

Z u r Tradition

der sozialistischen

Literatur in

Deutsch-

land. E i n e Auswahl von D o k u m e n t e n . Hg. u. kommentiert von der Deutschen Akademie der K ü n s t e zu Berlin. Berlin 1962. Verteidigung

Heinrich M a n n : Verteidigung der K u l t u r . Antifaschistische Streitschriften und Essays. Hg. v. W e r n e r H e r d e n . BerlinW e i m a r 1971.

WB

Weimarer

Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft,

Ästhetik und Kulturtheorie. Walter

Hans-Albert W a l t e r : Deutsche Exil-Literatur Bd. 7 : Exilpresse I. D a r m s t a d t - N e u w i e d

Wegner

1933-1950.

1974.

Matthias W e g n e r : Exil und Literatur. Deutsche Schriftsteller im Ausland 1 9 3 3 - 1 9 4 5 . F r a n k f u r t am Main-Bonn 1967.

Weisstein

Ulrich

Weisstein:

Literaturkritik

schriftcn: D e r Fall Das Wort.

in

deutschen

Exilzeit-

I n : E x i l und innere Emigra-

tion. II. Internationale Tagung in St. Louis. Hg. v. Peter U w e H o h e n d a h l u. Egon Schwarz. F r a n k f u r t am Main 1973.

211

Positionsbestimmung des Exils. Grundelemente literarischer und gesellschaftlicher Selbstverständigung auf dem Wege %ur Volksfront 1 Heinrich Mann: An den Kongreß der Sowjetschriftsteller. In: Verteidigung, S. 88-89. 2 Vgl. Irmfricd Hiebel: F. C. Weiskopf - Schriftsteller und Kritiker. BerlinWeimar 1973, S. 164. 3 Wieland Herzfelde: Wir wollen deutsch reden. In: NDB 1 (1933) 1, S. 2 - 3 . 4 Auf dieses Moment der Kontinuität des antifaschistischen Kampfes verwies z. B. Erich Weinert, als er zu seiner Ausbürgerung, die das faschistische Innenministerium offiziell mitgeteilt hatte, am 14. 11. 1934 im Gegen-Angriff schrieb, man habe „auf amtlichem Wege" davon unterrichtet, daß er „noch da und auf dem a l t e n Posten" sei. 5 Bertolt Brecht: Über die Bezeichnung Emigranten. In: Bertolt Brecht: Gedichte. Bd. IV. Berlin 1961, S. 141. 6 Vgl. Thomas Mann: Briefe 1889-1936. Hg. v. Erika Mann. Berlin-Weimar 1965, S. 384. 7 Kurt Tucholsky: Juden und Deutsche. In: NW (1936) 6, S. 164. 8 Brecht, Bd. 1, S. 198. — Die von Hans Mayer vertretene These, Brechts Hinweis auf die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse als Wurzel der Übel habe im Widerspruch zu den Intentionen des Pariser Kongresses gestanden, deren Veranstalter offenbar das „taktische Verschweigen richtiger Erkenntnisse" beabsichtigt hätten (Hans Mayer: Brecht und die Tradition. Pfullingen 1961, S. 75), ist sachlich in keiner Weise zu rechtfertigen, ganz abgesehen davon, daß sie das substantielle Anliegen der bündnispolitischen Aktivitäten, die der Pariser Kongreß zur Geltung brachte, völlig verkennt. Vgl. dazu Werner Mittenzwei: Brechts Verhältnis zur Tradition. Berlin 1972, S. 4 1 - 4 4 (Literatur und Gesellschaft). 9 Schickele, S. 1192-1193 (Hervorhebung im Original). - Vgl. dazu die Analyse von Ruth Greuner: Betrachtungen zur „Witwe Bosca". In: NDL 24 (1976) 7, S. 111-128. 10 Franz Werfel: Ohne Divinität keine Humanität. In: Alma Mahler-Werfel: Mein Leben. Frankfurt am Main 1960, S. 244. 11 Stefan Zweig: Die Welt von Gestern. Frankfurt am Main 1962, S. 374. 12 Alfred Döblin: Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis. Frankfurt am Main 1949, S. 27. 13 Wegner, S. 158-161. 14 Ebenda, S. 61. 15 Peter Laemmle: Vorschläge für eine Revision der Exilforschung. In: Akzente 20 (1973) 6, 509-519; Werner Vordtriede: Vorläufige Gedanken zu einer Typologie der Exilliteratur. In: Akzente 15 (1968) 6, S. 556 bis 573. - Zur Auseinandersetzung mit diesen Positionen vgl. Sigrid Bock: Zur bürgerlichen Exilforschung. In: WB 21 (1975) 4, S. 99-129. 212

16 Lion Feuchtwanger: Arbeitsprobleme des Schriftstellers im Exil. In: Freies Deutschland 4 (1944) 4, S. 7. 17 Hermann Budzislawski: Ein Jahr Emigration. In: N E W (1934) 11, S. 320. 18 Josef Halperin: Hitler wird toleriert. In: N W (1934) 11, S. 3 2 2 - 3 2 3 . 19 Heinrich M a n n : Schule der Emigration. In: H. Mann und ein junger Deutscher: Der Sinn dieser Emigration. Paris 1934, S. 14. 20 Ebenda, S. 33. 21 Heinrich M a n n : Sammlung der Kräfte. In: Die Sammlung 2 (1934) 1, S. 8. 22 Werner T ü r k : Der Sinn dieser Emigration. In: N W (1934) 19, S. 590. 23 Schickele, S. 1084. 24 Johannes R. Becher: Das große Bündnis. In: Tradition, S. 3 8 0 - 3 8 1 . 25 Ebenda, S. 3 7 9 - 3 8 0 . 26 F. C. Weiskopf: Hier spricht die deutsche Literatur! Zweijahresbilanz der „Verbrannten". In: Der Gegen-Angriff 3 (1935) 19, S. 6. 27 Hans S a h l : Emigration - eine Bewährungsfrist. I n : N T B 3 (1935) 2, S. 45. - Schon die Überschrift läßt erkennen, daß der Begriff der Emigration hier bewußt in die Nähe eines E x i l -Begriffes gerückt wird. 28 Ebenda. 29 Kurt Kersten: Vier Jahre. In: Das Wort 2 (1937) 4 - 5 , S. 36. 30 Heinrich M a n n : Kampf der Volksfront. In: N W (1937) 49, S. 1 5 3 2 - 1 5 3 9 .

Zum Beitrag Georgi Dimitroffs für die Grundlegung des Volksfrontbündnisses in der antifaschistischen 'Literaturbewegung 1 2 3 4 5 6 7

Verteidigung, S. 188. W . I. Lenin: Werke. Bd. 31. Berlin 1959, S. 5 6 - 5 7 . Ebenda, Bd. 9. Berlin 1957, S. 73. Dimitroff, Bd. 2, S. 507. Ebenda, S. 509. Ebenda, S. 508. Vgl. z. B. das Grußschreiben Maxim Gorkis an den Kongreß zum Schutze der Kultur. I n : Maxim Gorki: Für Frieden und Demokratie. Berlin 1954, S. 3 4 5 - 3 4 7 ; Henri Barbusse: Nation und Kultur. In: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 4 (1935) 28, S. 1402—1403; Bertolt Brecht: Eine notwendige Feststellung zum Kampf gegen die Barbarei. In: Brecht, Bd. 1, S. 2 9 2 - 3 0 0 .

8 Mit dieser Bestimmung bezog sich Georgi Dimitroff auf die vom 13. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale gegebene Charakteristik des Faschismus. Vgl. Georgi Dimitroff: Ausgewählte W e r k e in zwei Bänden. Bd. 1. Sofia 1967, S. 606. 9 Dimitroff wies z. B. darauf hin, daß man sich den Machtantritt des Faschismus nicht so vereinfacht und glatt vorstellen dürfe, „als faßte irgendein Komitee des Finanzkapitals den Beschluß, an dem und dem T a g e die fa-

213

schistische Diktatur aufzurichten" (Dimitroff, Bd. 2, S. 527). Ebenso warnte er vor einem „unfruchtbaren Räsonieren" über verselbständigte Begriffe und vor dem Fehler, „irgendein allgemeines Entwicklungsschema des Faschismus für alle Länder und alle Völker aufstellen zu wollen" (ebenda, S. 630). 10 Zu den Briefen Johannes R. Bechers und Willi Bredels an Georgi Dimitroff vgl. Klaus Mammach: Georgi Dimitroffs Hilfe für die Führung der K P D im antifaschistischen Kampf. In: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung 14 (1972) 4, S. 566-582. Becher bezog sich in seinem Brief vom 22. 3. 1935 besonders auf die Forderung Dimitroffs, Helden der proletarischen Bewegung sowie den Kampf gegen den imperialistischen Krieg zu gestalten. Ebenso unterstützte er den Gedanken einer freundschaftlichen Verbundenheit zwischen Schriftstellern und Politikern. 11 Dimitroff, Bd. 2, S. 512. 12 Johannes R. Becher: Das große Bündnis. In: Tradition, S. 374. 13 Willi Bredel: Vor neuen, größeren Aufgaben! Einige Fragen der neuen Orientierung in der antifaschistischen Kulturpolitik. In: Deutsche ZentralZeitung v. 26. 10. 1935. 14 Dimitroff, Bd. 2, S. 607 (Hervorhebung im Original). 15 Ebenda. - Vgl. dazu Werner Berthold: Marxistisches Geschichtsbild Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution. Berlin 1970, S. 11-36. 16 Willi Bredel: Vor neuen, größeren Aufgaben! Einige Fragen der neuen Orientierung in der antifaschistischen Kulturpolitik. In: Deutsche ZentralZeitung v. 26. 10. 1935. 17 Eine der ersten zusammenfassenden Darstellungen dieses Sachverhalts gab Georg Lukäcs in seiner 1937 entstandenen Arbeit Der historische Roman. Ausführlicher eingegangen wird auf diese Problematik ferner in den Arbeiten von Klaus Jarmatz (Literatur im Exil, Berlin 1966), Hans Dahlke (Geschichtsroman und Literaturkritik im Exil, Berlin-Weimar 1976) sowie im Bd. 10 der Geschichte der deutschen Literatur (Berlin 1973), aus bürgerlicher Sicht u. a. in den Arbeiten von Matthias Wegner (Exil und Literatur, Frankfurt am Main-Bonn 1967) und Elke Nyssen (Geschichtsbewußtsein und Emigration, München 1974). 18 Becher-Archiv, Briefwechsel 1934/35, Bl. 544. 19 Dimitroff, Bd. 2, S. 607. 20 Vgl. zu dieser Problematik Horst Haase: Johannes R. Bechers DeutschlandDichtung. Berlin 1964; Klaus Jarmatz: Literatur im Exil. Berlin 1966. 21 Klaus Jarmatz: Literatur im Exil. Berlin 1966, S. 23. 22 Ernst Ottwalt: Dimitroff - das Vorbild. In: Der Gegen-Angriff 3 (1935) 38, S. 6.

214

Verteidigung der Kultur — Ausgangs- und Verständigungsformel im antifaschistischen Kampf 1 Maxim Gorki: Mit wem seid ihr, „Meister der Kultur"? In: Gorki. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Weimar 1956, S. 413-414. 2 Ebenda, S. 420. 3 Gert Mattenklott/Klaus R. Scherpe: Positionen der literarischen Intelligenz zwischen bürgerlicher Reaktion und Imperialismus. Kronberg 1973, S. 4. 4 Maxim Gorki: Mit wem seid ihr, „Meister der Kultur"? In: Gorki. Ein Lesebuch für unsere Zeit. Weimar 1956, S. 420. 5 Brecht, Bd. 1, S. 303-305. 6 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5. Berlin 1966, S. 108. 7 Becher-Archiv, Briefwechsel 1934/35, Bl. 544. 8 Heinrich Mann: Die Deutsche Freiheitsbibliothek. In: Der Gegen-Angriff 2 (1934) 15, S. 8. 9 Werner Türk: Wer rettet die Kultur? Eine Frage an die deutsche Intelligenz. In: Der Gegen-Angriff 3 (1935) 40, S. 6. 10 Johannes R. Becher: Das große Bündnis. In: Tradition, S. 380. 11 Ebenda, S. 365. 12 Ebenda, S. 380. 13 Arbeitsjournal, Bd. 2, S. 517. 14 Vgl. F. C. Weiskopf: „Zur Verteidigung der Kultur!" In: Der GegenAngriff 3 (1935) 16, S. 6. - Nach der Vorankündigung von F. C. Weiskopf sollte der Kongreß ursprünglich bereits am 3. Juni 1935 eröffnet werden. Zum Verlauf und zur Bedeutung des Kongresses vgl. Hans Baumgart: Schriftsteller im Kampf gegen den Faschismus. In: NDL 9 (1961) 11, S. 140-148; Schiller, S. 4 1 - 6 3 ; Klaus Kandier: Im Zeichen der antifaschistischen Einheit. In: WB 21 (1975) 4, S. 68-98. 15 Wolf gang Klein: Französische Volksfront - Humanismus - Schriftsteller (1930-1935). In: WB 21 (1975) 8, S. 70-71. 16 Henri Barbusse: Nation und Kultur. In: Rundschau über Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung 4 (1935) 28, 1402—1403. 17 Brecht, Bd. 1, S. 299. 18 Zit. nach: Wolfgang Klein: Französische Volksfront - Humanismus Schriftsteller (1930-1935). In: WB 21 (1975) 8, S. 54. 19 Heinrich Mann: Sammlung der Kräfte. In: Die Sammlung 2 (1934) 1, S. 3. - In dem Aufsatz Kultur, veröffentlicht in der Deutschen VolksZeitung v. 26. 6. 1938, wurde diese Bestimmung von Heinrich Mann erneut bekräftigt: „Das Denkmal dieser Kämpfe ist die Kultur. Der Ausdruck heißt Pflege, Menschenpflege. Er heißt keineswegs Spielerei und Müßiggang." 20 Johannes R. Becher: Im Zeichen des Menschen und der Menschheit. In: Tradition, S. 416. 21 Thomas Mann: Gesammelte Werke. Bd. 12. Berlin-Weimar, S. 828-829. 22 Hcinrich Mann: Ein denkwürdiger Sommer. In: Verteidigung, S. 140.

215

23 Der Begriff der „Kompromißformel" findet sich in jüngster Zeit u. a. in den Arbeiten von Dieter Schiller (Schiller, S. 31) und Wolfgang Klein: Französische Volksfront - Humanismus - Schriftsteller (1930-1935). In: WB 21 (1975) 8, S. 53. Weiterreichende Bestimmungen gibt Dieter Schiller in der Charakteristik dessen, was die Losung von der Verteidigung der Kultur im Grundsätzlichen bedeutete: „Ihr mobilisierender, ja organisierender Charakter bestand darin, daß sie den Feind bezeichnete, das Gemeinsame im Kampf gegen den faschistischen Gegner hervorhob und zur sozialistischen Perspektive hinführte." In: Schiller, S. 31. 24 W. I. Lenin: Werke. Bd. 9. Berlin 1957, S. 73. 25 Dimitroff, Bd. 2, S. 542. 26 Ebenda, S. 555. 27 Werner Mittenzwei: Brechts Verhältnis zur Tradition. Berlin 1972, S. 54 (Literatur und Gesellschaft). 28 Herbert Marcuse: Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung. In: Marcuse, S. 32. 29 Herbert Marcuse: Über den affirmativen Charakter der Kultur. In: Marcuse, S. 66. - Erstveröffentlichung in: Zeitschrift für Sozialforschung 6(1937) 1. 30 Vgl. Robert Steigerwald: Herbert Marcuses „dritter Weg". Berlin 1969, S. 145-146. 31 Herbert Marcuse: Über den affirmativen Charakter der Kultur. In: Marcuse, S. 68. 32 Ebenda, S. 91. 33 Ebenda, S. 93. 34 Johannes R. Becher: Im Zeichen des Menschen und der Menschheit. In: Tradition, S. 416. 35 Heinrich Mann: Das geistige Erbe. In: NW (1937) 36, S. 1121. - Vgl. dazu auch die Feststellung von Heinrich Mann in dem Aufsatz Kultur: „Die klassischen Denker und Dichter sind die Vollstrecker der Geschichte. Sie geben dem wesentlichen Erlebnis ihres Volkes den vollkommenen Sinn und verewigen den Anspruch des Menschen. Sein Anspruch ist die Freiheit und ist, vermittels der Freiheit, das erreichbare Erdenglück. Goethe beginnt mit dem Götz, einem Krieger, der mit dem Volk geht. Die endgültige Erscheinung Goethes ist der alte Faust: der Mensch selbst, in seiner vollendeten Gestalt." In: Deutsche Volks-Zeitung v. 26. 6. 1938. 36 Herbert Marcuse: Philosophie und kritische Theorie. In: Marcuse, S. 126. 37 Ein anschauliches Beispiel dafür ist die in den Jahren 1937 und 1938 in der literarischen Monatsschrift Das Wort geführte Expressionismus-Diskussion. Vgl. in diesem Zusammenhang ferner Werner Mittenzwei: Die Brecht-Lukäcs-Debatte. In: Sinn und Form 19 (1967) 1, S. 235-269. 38 Heinrich Mann: Kultur. In: Deutsche Volks-Zeitung v. 26. 6. 1938. 39 Werner Mittenzwei: Brechts Verhältnis zur Tradition. Berlin 1972, S. 57 (Literatur und Gesellschaft). 40 Zit. nach: Jens, S. 188.

216

41 Schickele, S. 1180. 42 Ebenda, S. 1209. - Vgl. Günter Härtung: Klaus Manns Zeitschrift „Die Sammlung". In: WB 19 (1973) 5. u. 6. 43 Schickele, S. 1193. 44 Heinrich Mann: Nur das Proletariat verteidigt Kultur und Menschlichkeit. In: Verteidigung, S. 136. 45 Heinrich Mann: Verwirklichte Idee. In: Verteidigung, S. 438. 46 Ebenda, S. 437. 47 Heinrich Mann: Henri Barbusse. In: Verteidigung, S. 394.

„Die Verteidigung beißt Antifaschismus ..." Beiträge bürgerlicb-bumanistischer Autoren %ur Volksfrontdiskussion 1 Resolution, S. 163. 2 W. I. Lenin: Werke. Bd. 9. Berlin 1957, S. 48. 3 Walter Ulbricht: Referat zum „Grundriß der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung". In: Einheit 17 (1962) Sonderheft, S. 43. - Vgl. dazu Werner Berthold: Marxistisches Geschichtsbild - Volksfront und antifaschistisch-demokratische Revolution. Berlin 1970; Siegfried Vietzke: Die KPD auf dem Wege zur Brüsseler Konferenz. Berlin 1966. 4 Resolution, S. 166. 5 Heinrich Mann: Die Olympiade. In: AIZ 15 (1936) 24, S. 378. 6 Lion Feuchtwanger: Für eine Weltaktion. In: NW (1936) 5, S. 142. Ein Jahr später schrieb Lion Feuchtwanger der Deutschen Volks-Zeitung: „Sie wissen, ich habe den Aufruf zur Unterstützung der Volksfront in Paris unterschrieben, und je mehr ich reise, je tiefer ich in die Verhältnisse Einblick tun kann, desto notwendiger erscheint mir, daß die Volksfront in Deutschland zustande kommt." In: Deutsche Volks-Zeitung v. 14. 2. 1937. 7 Das Schreiben Thomas Manns an das Volksfrontkomitee wurde in Nr. 16/ 1937 der Wochenschrift Die neue Weltbühne unter der Rubrik Antworten (S. 508) veröffentlicht. 8 Rudolf Leonhard: Heinrich Mann und die Volksfront. In: NW (1937) 51, S. 1613. 9 Heinrich Mann: Im Exil. In: NW (1937) 32, S. 989. 10 Brief Heinrich Manns vom 27. 4. 1936 an Arnold Zweig. In: HMA. 11 Arnold Zweig: An der Schwelle des 4. Kriegsjahres. In: NW (1936) 5, S. 151. 12 Ernst Toller: Unser Kampf um Deutschland. In: Das Wort 2 (1937) 3, S. 50. 13 Rudolf Olden: Unser Großer Generalstab. In: NW (1936) 5, S. 135. 14 Georg Bernhard: Gemeinsame Front. In: NW (1936) 5, S. 139-140. 15 HMA, I B 18/11. 16 Heinrich Mann: Der Weg der deutschen Arbeiter. In: Internationale Literatur 6 (1936) 11, S. 15. 217

17 Heinrich Mann: Es kommt der Tag. Zürich 1936, S. 237. 18 Am 26. 3. 1939 schrieb Heinrich Mann an Paul Merker, Mitglied des Z K der K P D : „Ich würde vor allem zustimmen, daß versucht wird, immer neue Schichten im Lande zu beeinflussen - nach der Kaufmannschaft das Militär." Quelle: IML-ZPA, 3/1/453. - Vgl. ferner Heinrich Mann: Das Heer mit dem Volk. In: Pariser Tageszeitung v. 18. 2. 1938; Heinrich Mann: Einig gegen Hitler! In: Verteidigung, S. 3 3 1 - 3 4 2 . 19 Brief Heinrich Manns vom 17. 10. 1937 an Maximilian Beck. In: HMA, I B 6/8. 20 Stefan: Zum Bündnis mit den Mittelschichten. In: Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek. Nr. 15, Januar 1937, S. 26. 21 Ernst Toller: Unser Kampf um Deutschland. In: Das Wort 2 (1937)

3,

S. 4 6 - 5 3 ; Alfred Kerr: Draußen und drinnen. In: Deutsche Volks-Zeitung v. 10. 7. 1938. 22 E. J . Gumbel: Kommt mit uns! In: Eine Aufgabe. Die Schaffung der deutschen Volksfront. Hg. v. der Deutschen Freiheitsbibliothek. Basel 1936, S. 8. 23 Vgl.

Geschichte

der

deutschen

Arbeiterbewegung.

Bd.

5.

Berlin

1966,

S. 149. 24 Heinrich Mann: Was will die deutsche Volksfront? In: Pariser Tageszeitung v. 12. 4. 1937, S. 1 - 2 . 25 Zur Arbeit Heinrich Manns in der Volksfrontbewegung und zu seinen essayistischen Bemühungen im Exil vgl. meine Untersuchung: Geist und Macht. Heinrich Manns Weg an die Seite der Arbeiterklasse. Berlin-Weimar 1971. 26 Ernst Toller: Antwort an H. G . Wells. Von der Kultur in der Sowjetunion. In: Der Gegen-Angriff 2 (1934) 45, S. 12. 27 Maurice Thorez: Ein Sohn des Volkes. Berlin 1961, S. 262. 28 Vgl. Wilhelm Herzog: Menschen, denen ich begegnete. Bern-München 1959, S. 262. 29 Bruno Berger:

Der

Essay.

Form

und Geschichte. Bern-München

1964,

30 Lorenz Winter: Heinrich Mann und sein Publikum. Köln-Opladen

1965,

S. 2 3 2 - 2 3 3 . S. 83. 31 Die Formel

„so geringfügige Ereignisse

der Zeitgeschichte,

wie es das

Dritte Reich oder die Emigration von 1933 bis 19. . sind" wurde von Hermann Kesten in der Schrift Fünf Jahre verwendet. Vgl.

Hermann

Kesten:

Der

nach unserer Abreise

(Paris 1938)

Geist der Unruhe.

Literarische

Streifzüge. Köln-(West)Berlin 1959, S. 58. 32 M.

Georg: Der

Intellektuelle

in der Volksfront. In:

NW

(1937)

46,

S. 1453. 33 Leopold Schwarzschild: Rückbildung der Gattung Mensch. In: N T B 1 (1933) 3, S. 51. 34 Hans-Albert Walter: Leopold Schwarzschild und das „Neue Tage-Buch". In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik 21

218

(1966)

8,

35 36 37 38 39 40

S. 556-557. - Hans-Albert Walter fügt an gleicher Stelle hinzu: „Selbst sein einstiger enger Mitarbeiter Ludwig Marcuse spricht in seinen Memoiren von ihm als einem .deutschen McCarthy', wobei Schwarzschild der traurige Ruhm gebührt, lange vor McCarthy dessen Praktiken angewendet zu haben." Ebenda S. 556. Vgl. dazu Ludwig Matcuse: Mein zwanzigstes Jahrhundert. München i960, S. 204. HMA, I B 15/4 (Abkürzung im Original). Lion Feuchtwanger: Ein ernstes Wort. In: Deutsche Volks-Zeitung v. 13. 8. 1939. Ebenda. Theodor Geiger: Aufgaben und Stellung der Intelligenz in der Gesellschaft. Stuttgart 1949, S. 71 (Erstveröffentlichung: Stockholm 1944). Ebenda, S. 153. Heinrich Mann: Im Exil. In: NW (1937) 32, S. 990.

Forum der literarischen Volksfront. Zur bündnispolitischen der Monatsschrift „Das Wort"

Wirksamheit

1 NDB 1 (1933) 1, S. 2. 2 Vgl. Wieland Herzfelde: Vorwort. In: Neue Deutsche Blätter. Prag 1933 bis 1945. Bibliographie einer Zeitschrift. Bearbeitet v. Helmut Praschek. Berlin-Weimar 1973, S. 5 - 1 3 . 3 Vgl. Günter Härtung: Klaus Manns Zeitschrift „Die Sammlung". In: WB 19 (1973) 5 u. 6. 4 Zit. nach: Neue Deutsche Blätter. Prag 1933-1945. Bibliographie einer Zeitschrift. Bearbeitet v- Helmut Praschek. Berlin-Weimar 1973, S. 9. 5 Balder Olden: Die geistige Atmosphäre in der Sowjetunion. In: Der GegenAngriff 2 (1934) 43, S. 8; Ernst Toller: Antwort an H. G. Wells. Von der Kultur in der Sowjetunion. In: Der Gegen-Angriff 2 (1934) 45, S. 12. 6 Die neue Weltbühne veröffentlichte u. a. den im Dezember 1936 vom Volksfrontausschuß verabschiedeten Aufruf zur Schaffung einer deutschen Volksfront (Nr. 3/1937), die von der Apriltagung 1937 des Volksfrontausschusses beschlossene Botschaft an das deutsche Volk (Nr. 17/1937), das Begrüßungsschreiben von Thomas Mann zu dieser Volksfronttagung (Nr. 16/ 1937), die Stellungnahme Brechts für den „Kampf gegen den Faschismus auf breitester Grundlage" (Nr. 46/1937) sowie die beiden Aufrufe An das deutsche Volk und An die Völker der demokratischen Länder! (Nr. 39/1938). 7 AIZ 15 (1936) 5, S. 70. 8 Erpenbeck, S. 7. 9 Brief Lion Feuchtwangers vom 10. 2. 1936 an Johannes R. Becher. In: Iz istorii, S. 189-190. 10 Vgl. Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935-1945. Berlin 1976, S. 62 (Literatur und Gesellschaft). - Fritz Erpen219

11 12

13 14

15

16 17 18 19

20 21 22

23 24 25 26

beck hat in seinem durch persönliche Erinnerungen bestimmten Bericht über Das Wort besonders den Anteil von Michail Kolzow an der Gründung der Zeitschrift hervorgehoben. Vgl. Erpenbeck, S. 6. Das Vorwort. In: Das Wort 1 (1936) 1, S. 3. Bei manchen Berührungspunkten liegen hier zugleich unterschiedliche Akzentuierungen im Vergleich zu der Exilzeitschrift Maß und Wert, die vom September 1937 bis zum April 1940 von Thomas Mann und Konrad Falke in der Schweiz herausgegeben wurde. Zur Zielsetzung und zur Arbeit von Maß und Wert vgl. Klaus Hermsdorf: Vorwort. In: Maß und Wert. Zürich 1937-1940. Bibliographie einer Zeitschrift. Bearbeitet v. Volker Riedel. Berlin-Weimar 1973, S. 5-14. Erpenbeck, S. 7-8. Zit. nach: Iz istorii, S. 202. - Feuchtwangers Hinweise beziehen sich auf die Skizze Der JJnmensch von Ernst Ottwalt und Brechts Gedicht Fragen eines lesenden Arbeiters. Seine Korrekturvermerke wurden beim Abdruck des Brecht-Gedichts im Juliheft 1937 (S. 19) berücksichtigt; in späteren Veröffentlichungen und Nachdrucken behielt Brecht jedoch die ursprüngliche Fassung des Gedichts bei. Im Ergebnis dieser Gespräche regten Feuchtwanger und Maria Osten in einem gemeinsamen Schreiben an Willi Bredel vom 6. 8. 1936 u. a. an, thematisch orientierte Hefte zur Kurzgeschichte, zur Emigrationsliteratur, zur zeitgenössischen russischen Literatur, zur Lyrik und zu biographischen Darstellungen in die Arbeitsplanung aufzunehmen. Vgl. Iz istorii, S. 205-206. Weitere Gespräche zu Fragen der redaktionellen Arbeit führte Feuchtwanger während seines Aufenthalts in der Sowjetunion im Winter 1936/37. Das Wort 3 (1938) 10, S. 103. Das Wort 3 (1938) 6, S. 22. Heinrich Mann: Mut. Vorwort zur Schriftenreihe „10. Mai". In: Das Wort 4 (1939) 2, S. 105. Vgl. die Anmerkung Brechts: „Das Stück Die Tage der Commune wurde 1948/49 in Zürich nach der Lektüre von Nordahl Griegs Die Niederlage geschrieben. Aus der Niederlage wurden einige Züge und Charaktere verwendet, jedoch sind Die Tage der Commune im ganzen eine Art Gegenentwurf." In: Bertolt Brecht: Stücke. Bd. 10. Berlin-Weimar 1968, S. 308. Alfred Kurella: Der Mensch als Schöpfer seiner selbst. Berlin 1958, S. 11. Ludwig Marcuse: Der Fall Humanismus. In: Das Wort 1 (1936) 1, S. 66. Vgl. den vorhergehenden Abschnitt dieser Arbeit: „Die Verteidigung heißt Antifaschismus..." Beiträge bürgerlich-humanistischer Autoren zur Volksfrontdiskussion. Das Wort 1 (1936) 1, S. 74. Ebenda. Ebenda, S. 74-75. Das Wort 2 (1937) 9, S. 35.

220

27 Walter, S. 327. 28 Bernhard Ziegler (d. i. Alfred Kurella): „Nun ist dies Erbe zuende . . In: Das Wort 2 (1937) 9, S. 43. 29 Vgl. insbesondere Werner Mittenzwei: Der Expressionismus. Aufbruch und Zusammenbruch einer Illusion. In: Menschheitsdämmerung. Ein Dokument des Expressionismus. Leipzig 1968; Reinhard Weisbach: Wir und der Expressionismus. Studien zur Auseinandersetzung der marxistisch-leninistischen Literaturwissenschaft mit dem Expressionismus. Berlin 1972 (Literatur und Gesellschaft); Schiller, S. 224-253. 30 Das Wort 3 (1938) 6, S. 113. 31 So nahm Lukäcs z. B. den Vorschlag Hanns Eislers, „klassisches Material" für den antifaschistischen Kampf auszusondern und zu präparieren, zum Anlaß für das Verdikt, „fremder, hochmütiger, ablehnender" könne man sich „zu der glorreichen literarischen Vergangenheit des deutschen Volkes nicht verhalten". Ebenda, S. 135. 32 Werner Mittenzwei: Gesichtspunkte. Zur Entwicklung der literaturtheoretischen Position Georg Lukäcs'. In: Dialog, S. 71. - Zur Gesamteinschätzung des Verhältnisses von Lukäcs zur Volksfrontpolitik schreibt Werner Mittenzwei an gleicher Stelle: „Die Unterstützung, die die Volksfrontpolitik durch die literaturtheoretischen und philosophischen Arbeiten Georg Lukäcs' erhalten hat, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der theoretische Kern seiner Volksfrontpolitik mit den Auffassungen dieser Politik durch das Kollektiv der Kommunistischen Partei nicht übereinstimmte. Unterschiedliche Auffassungen gab es vor allem in zwei wesentlichen Punkten: der Hegemonie des Proletariats und der demokratischen Diktatur." Ebenda, S. 82. 33 Vgl. Kurt Batt: Erlebnis des Umbruchs und harmonische Gestalt. Der Dialog zwischen Anna Seghers und Georg Lukäcs. In: Dialog, S. 204-248. 34 Brecht, Bd. 2, S. 80. - Im gleichen Sinne hatte Brecht bereits im März 1937 an Becher geschrieben, es müsse „verhindert werden, daß jetzt in der Emigration ein öffentlicher literarischer Formenstreit entsteht, der unbedingt große Schärfe annehmen würde". Zit. nach: Dialog, S. 269. 35 Das Bekenntnis, wichtig sei unter den gegebenen Umständen „allein der umfassende, mit allen Mitteln geführte unermüdliche Kampf gegen den Faschismus auf breitester Grundlage", findet sich in einem Schreiben Bertolt Brechts an die Generalversammlung des SDS in Frankreich, das Die neue Weltbühne am 11. 10. 1937 veröffentlichte. 36 Arbeitsjournal, Bd. 1, S. 25-26. 37 Brecht, Bd. 2, S. 80-81. 38 Brechts Aufsätze Weite und Vielfalt der realistischen Schreibweise und Volkstümlichkeit und Realismus wurden zuerst 1954 bzw. 1958, weitere Arbeitsnotizen des Schriftstellers zur Expressionismus-Debatte in den danach folgenden Jahren veröffentlicht. Wie Dieter Schiller unterstrichen hat, gehören diese Arbeiten gleichwohl zu den wichtigsten und nachhaltig wirkenden Ergebnissen dieser Debatte. Vgl. Schiller, S. 250. 221

39 Bernhard Zieglcr (d. i. Alfred Kurella): „Schlußwort". In: Das Wort 3 (1938) 7, S. 105. 40 Zum II. und III. Kongreß der Internationalen Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur vgl. Klaus Kändler: Im Zeichen der antifaschistischen Einheit. In: WB 21 (1975) 4, S. 66-98. 41 Vgl. dazu insbesondere die Beiträge von Bertolt Brecht und Heinrich Mann zum II. Internationalen Kongreß der Schriftsteller zur Verteidigung der Kultur. In: Das Wort 2 (1937) 10, S. 5 8 - 5 9 u. 75-76. 42 Brief Lion Feuchtwangers vom 10. 2. 1936 an Johannes R. Becher. In: Iz istorii, S. 189-190. 43 Brecht, Bd. 2, S. 7. 44 Ebenda. 45 Weisstein, S. 40-41. 46 Vgl. Hans Dahlke: Geschichtsroman und Literaturkritik im Exil. BerlinWeimar 1976, S. 220-272. 47 Brief Lion Feuchtwangers vom 27. 10. 1936 an Willi Bredel. In: Iz istorii, S. 214. 48 Weisstein, S. 25-26. 49 Willi Bredel: Das Vorwort. In: Das Wort 2 (1937) 4 - 5 , S. 4. 50 Die Aufnahme von Glossen und Kurzkommentaren war unter den Lesern des Worts durchaus umstritten. In Leserbriefen, die die Zeitschrift im Heft 6/1937 auf den Seiten 110-111 auszugsweise veröffentlichte, wurden neben insgesamt anerkennenden Urteilen gerade zum Glossenteil kritische Stimmen laut. So heißt es in einem Brief von B. U. (vermutlich Bodo Uhse): „Ich bin gegen die kleinen Beiträge, gegen die Art, Almanach machen zu wollen. Lieber zwei, drei große gehaltvolle Beiträge, die das Heft füllen und ihm ein entsprechendes Gesicht geben." F. C. Weiskopf vermerkte: „Glossen nicht gut, warum immer mit Kanonen schießen." Ähnlich fiel auch das Urteil von W. F. (vermutlich Wolf Franck) aus: „Der Glossenteil scheint mir in allen bisherigen Nummern zu negativ — unfruchtbar - polemisch. Der positive Gehalt, der sich auf unserer Seite befindet, müßte gegenüber gestellt werden . . . Insgesamt möchte ich sagen, daß in bezug auf Fülle. Buntheit, Reichhaltigkeit und Niveau sich die Hefte auf ansteigender Linie befinden." 51 Zit. nach Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935-1945. Berlin 1976, S. 64 (Literatur und Gesellschaft). 52 Soja N. Petrowa: Zurnal „Das Wort", organ nemeckoj antifasistskoj literaturnoj emigracii. Ijul 1936-Mart 1939 g. Phil. Diss., Moskva 1973. 53 Walter, S. 358. 54 Hans-Albert Walter: Internationale Literatur - Deutsche Blätter: Eine Exilzeitschrift in der Sowjet-Union. In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik 24 (1969) 9, S. 589. 55 Wegner, S. 78. 56 Weisstein, S. 31.

222

57 Zit. nach: Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Halle 1963, S. 249. 58 Johannes R. Becher: Bildnis eines Freundes. In: Alexander Abusch. Bildnis eines Revolutionärs. Freunde und Genossen über ihre Begegnungen mit Alexander Abusch in fünf Jahrzehnten. Berlin-Weimar 1972, S. 107. 59 In seiner Arbeit zur Geschichte des antifaschistischen Exils in Mexiko hat Wolfgang Kießling darauf hingewiesen, daß allein im ersten Jahrgang der Zeitschrift Freies Deutschland 118 Schriftsteller und politische Persönlichkeiten zu Wort kamen und daß in den Jahrgängen v. 1941-1946 insgesamt Beiträge von mehr als 200 Autoren aus nahezu 20 Ländern veröffentlicht wurden. Vgl. Kießling, S. 90. 60 Dies gilt beispielsweise für die Ausführungen von Matthias Wegner zur Volksfrontarbeit Heinrich Manns, die selbst ein Mindestmaß an Quellenkenntnis vermissen lassen und eindeutig außerhalb einer wissenschaftlichen Beweisführung stehen. Vgl. Wegner, S. 65-66. 61 Walter, S. 317. 62 Ebenda, S. 317-318. 63 So erklärt Wegner z. B., die Kontroverse von Georg Lukäcs „mit Anna Seghers über den Realismus füllt eine Reihe von Heften und stellt einen literatur-kritischen Höhepunkt des redaktionellen Programms dar" (Wegner, S. 79). Tatsächlich erschien der Briefwechsel zwischen G. Lukäcs und A. Seghers nicht im Wort (was für die letzten Briefe schon zeitlich gar nicht möglich war), sondern in der Internationalen Literatur (Nr. 5/1939) - auch hier übrigens nicht in einer „Reihe von Heften". 64 Anna Seghers: Zum Schriftstellerkongreß in Madrid. In: Die Internationale (1937) 5 - 6 II (Tarnausgabe), S. 23. - Zur gleichen Problematik schrieb Alexander Abusch ebenfalls 1937: „Wir Kommunisten haben eindringlich und unzweideutig unsere Bereitschaft zur Volksfront ausgedrückt. Wir ringen im Lande und in der Emigration um die Schaffung der Volksfront. Wie wir auf dem Gebiet des allgemeinen politischen Kampfes gegen Hitler nicht von den anderen Hitlergegnern die Aufgabe ihrer Grundsätze oder Weltanschauung fordern, so verlangen wir auch auf dem Kulturgebiet keineswegs von anderen Antifaschisten die Anerkennung unserer marxistischen Auffassungen als Voraussetzung für ein gemeinsames Handeln. Was uns auch mit jenen Hitlergegnern einigt, die noch idealistische Kulturauffassungen pflegen, ist der g e m e i n s a m e K a m p f w i l l e gegen die nazistische U n f r e i h e i t u n d K u l t u r z e r s t ö r u n g . " Ernst Beyer (d. i. Alexander Abusch): Die Verteidigung der deutschen Kultur und die Volksfront. In: Die Internationale (1937) 5 - 6 I (Tarnausgabe), S. 23. 65 Brecht, Bd. 2, S. 9-10. - Nach Angaben v. Werner Hecht im gleichen Bd. (S. 10) ist diese Notiz vermutlich „etwa 1937" entstanden.

223

Anthologien und Dokumentationen im Kontext des antifaschistischen Kampfes 1 Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror. Basel 1933, S. 5. 2 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 5, Berlin 1966, S. 46. Ebenda heißt es zur Verbreitung und Erarbeitung des Braunbuches: „Es unterstützte die Organisierung der internationalen Solidaritätsaktionen für die Befreiung Georgi Dimitroffs, der anderen angeklagten Kommunisten sowie aller in den Gefängnissen und Zuchthäusern eingekerkerten Antifaschisten. In Deutschland wurde es in großer Anzahl als illegale Tarnschrift vertrieben. Bei der Fertigstellung dieses Braunbuches, beim Druck und bei der Übersetzung sowie beim Vertrieb spielten das Sekretariat des Zentralkomitees der Internationalen Arbeiterhilfe in Paris, dessen Leiter W i l l i Münzenberg war, und der Verlag 'Editions du Carrefour' eine wichtige Rolle." 3 Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitler-Terror. Basel 1933, S. 5. 4 Ebenda, S. 1 4 6 - 1 4 7 (Hervorhebung im Original). 5 Deutsch für Deutsche (Tarnschrift), S. 2. Im Vorwort zeichnen unter dem Datum vom Juni 1935 der Schutzverband Deutscher Schriftsteller und die Deutsche Freiheitsbibliothek als Herausgeber. 6 Lexikon sozialistischer deutscher Literatur. Von den Anfängen bis 1945. Halle 1963, S. 145. 7 Dem Kämpfer für Frieden und Freiheit Ernst Thälmann. Moskau 1936, S. 5. 8 Ebenda, S. 4 2 - 4 3 . 9 Ebenda, S. 47. 10 Ebenda, S. 48. 11 Deutsche Frauenschicksale. Hg. v . der Union für Recht und Freiheit Prag. London 1937, S. 5. 12 Thomas M a n n : Fort mit den Konzentrationslagern! In: Ebenda, S. 31. 13 A l e x W e d d i n g : Deutsche Frauenschicksale. I n : Das Wort 2 (1937) 8, S. 9 6 - 9 7 . 14 Die Bitte, ein Vorwort zu der Dokumentation über die Judenpogrome zuf schreiben, hatte Paul Merker in einem Brief vom 3. 4. 1939 an Heinrich Mann herangetragen. Nach den (allerdings nicht belegten) Angaben des Katalogs Exil-Literatur 1933-1945 (Frankfurt am Main 1965) fungierte als Herausgeber der anonym erschienenen Dokumentation der Publizist Konrad Heiden. 15 Heinrich M a n n : Vorwort. In: Der Pogrom. Zürich-Paris 1939, S. VIII-IX. 16 Brief des Präsidenten des PEN-Clubs Jules Romain an 54 Landesorganisationen des PEN. I n : Der Pogrom. Zürich-Paris 1939, S. 2 0 3 - 2 0 4 . 17 Der Pogrom. Zürich-Paris 1939, S. 212. 18 Baidur von Schirach: Goethe an uns. Rede vom 14. 6. 1937 zur Eröffnung der Weimarer Festspiele der deutschen Jugend. In: Goethe an uns. Sonderdruck aus „Wille und Macht". Hg. Baidur von Schirach. Berlin 1943, S. 5.

224

19 Heinrich Mann: Es kommt der Tag. Zürich 1936, S. 115. - Weitere Belegstellen zur Charakteristik des Faschismus finden sich im gleichen Bd. auf den Seiten 14, 18, 45, 76, 1 2 6 - 1 2 7 . 20 Vgl. das Kapitel: Sehen - Verachten - Lernen. In: Werner Herden: Geist und Macht. Heinrich Manns Weg an die Seite der Arbeiterklasse. Berlin-Weimar 1971, S. 1 0 1 - 1 2 8 . 21 Deutsches Brevier. Politisches Lesebuch. Hg. v. Edgar Alexander. Zürich 1938, S. 12. 22 Ebenda. 23 Vgl. Bruno Frei: Der Mythos Hitler. Zu dem Buch von Edgar Alexander. In: Deutsche Volks-Zeitung v. 5. 9. 1937. 24 Vgl. Kießling, S. 2 2 5 - 2 3 0 . 25 Die Sammlung „Und sie bewegt sieb doch!" (Vorwort Oskar Kokoschka, Umschlaggestaltung John Heartfield) enthält im ersten Teil ausgewählte Gedichte von Rolf Anders, Max Herrmann-Neiße, Werner Ilberg, Freimut Schwarz, Bertolt Brecht, Wieland Herzfelde, Hans Marchwitza, Johannes R. Becher, Klara Blum und Erich Weinert. Im zweiten (ursprünglich zur selbständigen Veröffentlichung gedachten) Teil werden Gedichte Max Zimmerings vorgestellt. - Vom Freien Deutschen Kulturbund Großbritannien wurde ferner u. a. die Anthologie Das Wesen der Freiheit. Essays, Prosa, Lyrik (London 1944) herausgegeben. 26 10 Jahre Kulturbarbarei im Dritten Reich. 10 Jahre freie deutsche Kultur im Exil. London [o. J.], S. 1. 27 Während es sich bei den Arbeiten in Großbritannien lebender Autoren zum großen Teil um Originalbeiträge handelte, wurden die Beiträge von Schriftstellern aus anderen Exilländern zumeist bereits vorliegenden Publikationen entnommen, die Aufsätze von Heinrich Mann und Anna Seghers z. B. der in Mexiko herausgegebenen Zeitschrift Freies Deutschland. 23 Vgl. dazu den redaktionellen Vorspann zu der Sammlung „Und sie bewegt sieb doch!" (London 1943), in dem es heißt: „Daß die den ersten Teil einnehmende kleine Anthologie ihrer Zusammensetzung nach unvollkommen ist und die Auswahl der Gedichte sehr dem Zufall unterworfen war, wird jedem verständlich sein, der die Schwierigkeiten kennt, die einer planmäßigen Materialbesorgung unter den Bedingungen des Krieges entgegenstehen." 29 Das Wort der Verfolgten. Gedichte und Prosa, Briefe und Aufrufe deutscher Flüchtlinge von Heinrich Heine und Georg Herwegh bis Bertolt Brecht und Thomas Mann. Hg. v. Oswald Mohr. Basel 1945, S. 1 5 - 1 6 . 30 Charakteristisch dafür ist die Aufnahme von Arbeiten Stephan Hermlins (Ballade vom brüten der Städte im Winter, Ballade vom Elend in unserer Zeit..., Nike von Samothraka, Ballade für die guten Leute auf allen Märkten zu singen), die sämtlich nach dem Manuskript wiedergegeben wurden. 31 Unter den umfangreicheren Textsammlungen sind hier vor allem zu nennen: Verboten und verbrannt. Deutsche Literatur 12 Jahre unterdrückt. Hg. v. 15

Herden, Volksfront

225

32 33 34 35 36

Richard Drews u. Alfred Kantorowicz. Berlin-Münchcn 1947; Erwin Reiche: Dies Buch gehört der Freiheit. Deutsche Dokumente aus fünf Jahrhunderten. Weimar 1949. Morgenröte. Ein Lesebuch. Einführung von Heinrich Mann. Hg. v. den Gründern des Aurora-Verlages. New York 1947, Klappentext. Ebenda, S. 13. Ebenda, S. 12. Ebenda, S. 21. Ebenda, S. 11-12.

Heinrich Mann und Johannes R. Becher. Zu literaturpolitischen der Beziehungen %wischen beiden Schriftstellern

Aspekten

1 Der Wortlaut dieser Erklärung wurde in den Zeitschriften Phoebus (München 1914, 1. Jg., Nr. 2) und Die Aktion (Berlin 1914, 4. Jg., Nr. 24) veröffentlicht. 2 Die Erklärung Für die AKTION trägt die Unterschriften von Hugo Ball, Johannes R. Becher, Heinz Eckenroth, Richard Elchinger, Friedrich Eisenlohr, Efraim Fisch, Robert Forster-Larringa, W. Fred, Joachim Friedenthal, Max Halbe, Hans Harbeck, Wilhelm Hansenstein, Georg Hecht, Hans Ludwig Held, Karl Henckell, Wilhelm Herzog, Friedrich M. Huebner, W. Kandinsky, Klabund, Gottfried Kölwel, Walter Kühn, Artur Kutscher, Heinrich Mann, Thomas Mann, Kurt Martens, Nadja Strasser, Friedrich W. Wagner, Hans von Weber und Frank Wedekind. 3 Alfred Klein: Nachwort. In: Johannes R. Becher. Gesammelte Werke. Bd. 1. Berlin-Weimar 1966, S. 590-591. 4 HMA, S B 140/12. 5 Briefwechsel, S. 150. 6 Zit. nach: Heinrich Mann 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Berlin-Weimar 1971, S. 484-485. 7 Unter dem Datum vom 1. 10. 1914 schrieb Julia Mann ihrem ältesten Sohn u. a.: „Ich lasse nicht gelten, daß Du Deutschland die Schuld am Kriege gibst. . . Mein lieber guter Heinrich, sprich nicht so gegen Dein Vaterland, weil es sich nach allen Seiten jetzt mit a l l e r M a c h t , die erlaubt ist, verteidigt; - wo es nur seine B u n d e s t r e u e halten wollte, wurde es in diesen furchtbaren Kampf getrieben, der ihm das Leben kosten sollte, wie die Feinde wünschen." Quelle: HMA (Hervorhebungen im Original). 8 Heinrich Mann: Vorwort zu einer Abhandlung über Zola. In: Das Forum 2 (1915) 4, S. 178. 9 Johannes R. Becher: Einleitung zu meinem neuen Versbuche. In: Die Aktion 5 (1915) 45-46, S. 561-562. 10 Heinrich Mann: Zola. In: Heinrich Mann: Essays. Bd. 1. Berlin 1954, S. 170.

226

11 12 13 14 15 16

17 18

19 20 21 22 23 24 25 26 27 28

29

30

15*

Ebenda, S. 232. Johannes R. Becher: Verbrüderung. Leipzig 1916, S. 35-36. Briefwechsel, S. 363. Frank Wedekind: Gesammelte Briefe. Bd. 1. München 1924, S. 325. Hans Kaufmann: Krisen und Wandlungen der deutschen Literatur von Wedekind bis Feuchtwanger. Berlin-Weimar 1966, S. 263. Vgl. dazu Werner Herden: „Sie ist mir nahe - und ich ihr." Zur Verbundenheit Heinrich Manns mit der Sowjetunion. In: Begegnung und Bündnis. Hg. V. Gerhard Ziegengeist. Berlin 1972, S. 377-387. Johannes R. Becher: Gesammelte Werke. Bd. 2. Berlin-Weimar 1966, S. 18. Der Begriff der „sozialen und weltanschaulichen Heimatlosigkeit" der frühen Lyrik Bechers wurde von Alfred Klein eingeführt. Vgl. Alfred Klein: Nachwort. In: Johannes R. Becher, Gesammelte Werke. Bd. 1. BerlinWeimar, S. 615. Heinrich Mann: Der Kopf. Berlin-Wien-Leipzig 1931, S. 522. Heinrich Mann: Sieben Jahre. Chronik der Gedanken und Vorgänge. BerlinWien-Leipzig 1929, S. 254. Heinrich Mann: Der Kopf. Berlin-Wien-Leipzig, S. 436. Levisite, S. 176. Ebenda, S. 557. Paul Rilla: Vom bürgerlichen zum sozialistischen Realismus. Leipzig 1967, S. 234. Levisite, S. 562. Friedrich Albrecht: Deutsche Schriftsteller in der Entscheidung. BerlinWeimar 1970, S. 221. Zit. nach: Friedrich Albrecht: Deutsche Schriftsteller in der Entscheidung. Berlin-Weimar 1970, S. 663. Der Aufruf Gegen das Schund- und Schmutzgesetz trägt u. a. die Unterschriften von Hans Baluschek, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, George Grosz, Georg Kaiser, Heinrich Mann, Thomas Mann, Carl von Ossietzky, Erwin Piscator und Heinrich Zille. Er wurde ferner durch zahlreiche Verbände bzw. Organisationen unterstützt, u. a. auch durch die Gewerkschaft deutscher Volksschullehrer. Diese Forderungen wurden von einem „Neutralen Komitee für Max Hoelz" in dem Aufruf Heraus mit Max Hoelz! Her mit der Wiederaufnahme des Verfahrens! erhoben. Der Aufruf, von 88 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens unterzeichnet, erschien am 26. 4. 1927 in der Roten Fahne. Zur Biographie und zum literarischen Schaffen von Max Hoelz vgl. Alfred Klein:' Im Auftrag ihrer Klasse. Weg und Leistung der deutschen Arbeiterschriftsteller. Berlin-Weimar 1972, S. 241-246. Heinrich Mann übermittelte der Redaktion folgende Stellungnahme: „Ich bin für die von Ihnen geforderte Vollamnestie. Denn ich bin gegen die Parteilichkeit der Justiz, gegen die Willkürakte des Staates gegen seine Bürger, und ich verlange menschliche Anständigkeit auch im öffentlichen Leben."

227

31 Heinrich Mann: Das größte Unglück. In: Das Tage-Buch 8 (1927) 35, S. 1390-1391. 32 Aktionen, S. 36-37. 33 Vgl. Jens, S. 172-173. 34 Preußische Akademie der Künste. Jahrbuch der Sektion für Dichtkunst 1929. Berlin 1929, S. 86. 35 Ebenda, S. 124. 36 Ebenda, S. 125-126. 37 Ebenda, S. 125. 38 Ebenda, S. 127. 39 Zit. nach: Aktionen, S. 120-121. 40 Friedrich Albrecht: Deutsche Schriftsteller in der Entscheidung. BerlinWeimar 1970, S. 253-263. 41 Johannes R. Becher: Einen Schritt weiter! In: Die Linkskurve 2 (1930) 1, S. 2. 42 Ebenda, S. 3. 43 Die Linkskurve 3 (1931) 6, S. 28-29. 44 Die Stellungnahme Heinrich Manns zur Reichspräsidentenwahl 1932 wurde in der Publikationsreihe Deutscher Aufstieg und im Berliner Tageblatt veröffentlicht. Sie hat folgenden Wortlaut: „Solange die Republik weiter besteht, ist noch Hoffnung, daß das Leben für alle einmal besser wird. Um zu dauern, wird die Republik gar nicht anders können, als ihre schweren Fehler abzulegen, entschlossener und reiner zu werden. Alle Hoffnungen aber sind zu Ende, wenn die Alleinherrschaft ergriffen worden ist, vom Nationalismus in seiner schlimmsten Ausartung, der hochkapitalistisch-volksfeindlichen. Ein nationalsozialistischer Reichspräsident würde bedeuten und besiegeln: Nie wieder Ruhe, nie wieder eine gesicherte Existenz, nie wieder Menschenglück - aber immer und ewig Haß, Erniedrigung, Katastrophe. Wenn Hindenburg dagegen der Damm sein kann, dann befestigen wir mit unseren Stimmen den Damm!" In: Berliner Tageblatt v. 12. 3. 1932, S. 1. - Der Vermerk, die Veröffentlichung dieser Stellungnahme sei „bisher unbekannt" (vgl. Heinrich Mann 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Berlin-Weimar 1971, S. 247), wird durch die hier vorgestellten Sachverhalte korrigiert. 45 Johannes R. Becher: Vom „Untertan" zum Untertan. Offener Brief an Heinrich Mann. In: Die Linkskurve 4 (1932) 4, S. 2. 46 Ebenda, S. 3. 47 Die These, daß den kommunistischen und den linksbürgerlichen Intellektuellen viele Enttäuschungen und manche Mißerfolge erspart geblieben wären, wenn beide Seiten schon in der Weimarer Republik „etwas mehr Verständnis füreinander" bewiesen hätten, findet sich z. B. in der Arbeit von Werner Middelstaedt: Heinrich Mann in der Zeit der Weimarer Republik - die politische Entwicklung des Schriftstellers und seine öffentliche Wirksamkeit. Phil. Diss., Potsdam 1964, S. 142.

228

48 Heinrich Mann: Die Entscheidung. In: Berliner Tageblatt v. 27. 3. 1932. 49 Heinrich Mann: Die Demokratie bleibt unbesiegbar. I n : Berliner Tageblatt v. 10. 7. 1932. 50 Vgl. dazu Werner Herden: Geist und Macht. Heinrich Manns Weg an die Seite der Arbeiterklasse. Berlin-Weimar 1971, S. 2 6 - 3 1 . 51 Zit. nach: Jens, S. 2 7 6 - 2 7 7 . 52 Thomas Mann übermittelte der Akademie am 21. 12. 1932 seine Zustimmung mit folgendem Schreiben: „Mit den Worten meines Bruders gegen jene 'Literaturgeschichte' erkläre ich mich rückhaltlos einverstanden

und

würde mich freuen, wenn die Akademie sie sich zu eigen machte." Zit. nach: Jens, S. 277. 53 Zit. nach: Dieter Schmidt: In letzter Stunde. Dresden 1964, S. 27. 54 F . C. Weiskopf: Unter fremden Himmeln. Ein Abriß der deutschen Literatur im Exil 1 9 3 3 - 1 9 4 7 . Berlin 1948, S. 11. 55 Verteidigung, S. 88. 56 Ebenda, S. 135. 57 Johannes R. Becher: Das große Bündnis. In: Tradition, S. 376. 58 Ebenda, S. 377. 59 Becher-Archiv, Briefwechsel 1934/35, Bl. 673. - Die Abkürzungen Budzisl. und Tk. beziehen sich auf den Herausgeber der Neuen

Weltbübne

Hermann

Budzislawski und den Mitarbeiter der Zeitschrift Werner Türk. 60 Johannes R. Becher: Im Zeichen des Menschen und der Menschheit. In: Tradition, S. 410. 61 Verteidigung, S. 140. 62 Ebenda, S. 161. 63 Ebenda, S. 128. 64 Johannes R. Becher: Der Glücksucher und die sieben Lasten. Moskau 1937, S. 110. 65 Verteidigung, S. 3 9 4 ; Heinrich Mann: Stalin-Batbusse. In: N W (1935) 43, S. 1 3 4 1 - 1 3 4 5 . 66 Verteidigung, S. 397. 67 Ernst Stein: Nachwort. In: Johannes R. Becher: Gesammelte Werke. Bd. 4. Berlin-Weimar 1966, S. 8 6 6 - 8 6 7 . 68 Johannes R. Becher: Aus der Welt des Gedichts. In: Sinn und Form. Zweites Sonderheft Johannes R. Becher. Berlin [o. J.], S. 237. 69 Ebenda. 70 Noch deutlicher warnte Becher später in dem Band Poetische

Konfession

vor einer simplifizierten Darstellung, die den Schriftsteller als ein „Ausstellungsobjekt" behandelt und aus der nicht erkennbar wird, daß z. B. der von Heinrich Mann erreichte politisch-weltanschauliche Standpunkt als das Ergebnis

einer Entwicklung verstanden werden muß, die wiederholt

auch Phasen „mancherlei Irrens und Sichverkennens" durchlief. Vgl. Johannes R. Becher: Poetische Konfession. Berlin 1954, S. 1 0 - 1 1 . 71 In einem Brief an Karl Lemke vom 19. 6. 1948 schrieb Heinrich Mann zur

229

72

73

74 75 76 77 78 79

80 81 82 83 84

85 86 87 88 89 90

91 92

93

Edition seiner Bücher in der Sowjetunion: „Hier (in Frankreich - W. H.) wandte ich mich eines Tages nach Moskau, an Becher, dem ich für seine Hilfe dankbar bin." Vgl. Heinrich Mann: Briefe an Karl Lemke. Berlin 1963, S. 118. Brief Johannes R. Bechers vom 15. 10. 1936 an Heinrich Mann. In: HMA. - Ein Teil des Briefwechsels Johannes R. Becher - Heinrich Mann wurde veröffentlicht in: Sinn und Form 18 (1966) 2, S. 3 2 5 - 3 3 3 . Zit. nach dem Dokumentenanhang in der Arbeit von Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935-1945. Berlin 1976, S. 2 1 4 - 2 1 8 (Literatur und Gesellschaft). Ebenda. Ebenda. Brief Thomas Manns vom 29. 3. 1937 an Johannes R. Becher. In: BecherArchiv. Brief Heinrich Manns vom 2. 4. 1937 an Johannes R. Becher. In: HMA. Johannes R. Becher: Die Brüder. In: Internationale Literatur 7 (1937) 8, S. 22. Brief Johannes R. Bcchers vom 9. 3. 1938 an Heinrich Mann. In: HMA. Dieser Brief wurde von der Zeitschrift Sinn und Form (vgl. Anmerkung 72) ebenso wie der Bestand außerhalb des HMA nicht berücksichtigt. Brief Heinrich Manns vom 20. 3. 1939 an Johannes R. Becher. In: HMA. Verteidigung, S. 3 9 8 - 4 0 0 . Brief Heinrich Manns vom 4. 7. 1939 an Johannes R. Becher. In: HMA. Sigrid Töpclmann: Autoren - Figuren - Entwicklungen. Zur erzählenden Literatur in der DDR. Berlin-Weimar 1975, S. 83. In Brechts Notizen zur Winterschlacht heißt es: „Der russische Sieg ist kein Materialsieg in diesem Stück. Das 'Anderssein' der Russen bricht das 'Soscin' der Deutschen." Vgl. Bertolt Brecht: Aus den Arbeitsnotizen zur Winterschlacht. In: Sinn und Form. Zweites Sonderheft Johannes R. Becher. Berlin [o. J.], S. 323. Heinrich Mann: Ein Zeitalter wird besichtigt. Berlin-Weimar 1973, S. 501. Ebenda, S. 509. Heinrich Mann: Über Schuld und Erziehung. In: Freies Deutschland 4 (1944) 1, S. 9. Johannes R. Becher: Erziehung zur Freiheit. Berlin-Leipzig 1946, S. 54. Ebenda, S. 54-55. Peter Goldammer: Das Werk Heinrich Manns im Aufbau-Verlag. In: Heinrich Mann am Wendepunkt der deutschen Geschichte. Arbeitsheft der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin. Berlin 1971, S. 215. Brief Johannes R. Bechers vom 24. 3. 1948 an Heinrich Mann. In: HMA. Dieser Vorschlag wurde Heinrich Mann in den folgenden Monaten auch in offizieller Form übermittelt. Der Begriff „Dichterakademie" verweist noch auf den in der Weimarer Republik üblichen Sprachgebrauch. Brief Heinrich Manns vom 27. 4. 1948 an Johannes R. Becher. In: HMA.

230

Personenregister

Benn, Gottfried 115 188 Berendsohn, Walter A. 119 122 Berger, Klaus 115 Bernhard, Georg 81 85 Berthold, Werner 8 Beumelburg, Werner 200 Billinger, Karl 135 Binding, Rudolf 136 186 Bloch, Ernst 115-116 119 124 149

Abusch, Alexander 128 223 Adorno, Theodor 67 72 Albrecht, Friedrich 178 Alexander, Edgar 144-146 Andermann, Erich (d. i. Joseph Bornstein) 34 Anders, Rolf 225 Andersen Nexö, Martin 18 42 61 112 122 134 138 André, Edgar 84 Aragon, Louis 55 61 195 Arendt, Erich 108 129 Arndt, Ernst Moritz 112 Arnold, Maria 122 Aufhäuser, Siegfried 102-103

55

Ball, Hugo 226 Bahr, Hermann 174 Balazs, Bela 120 Baluschek, Hans 227 Barbusse, Henri 18 42 55 6 0 - 6 1 75 103 159 172 185 195 199 Barlach, Ernst 120 Baumann, Curt 124 Becher, Johannes R. 9 1 7 - 1 8 22 24 2 9 - 3 1 33 35 42 45-46 4 9 - 5 1 55 5 7 - 6 1 63 70 79 91 100 104 107-110 121 126 128-129 136 138 147 152-209 214 221 225-227 229 Bccher, Ulrich 129 Behrend, Hans siehe Norden, Albert Benario-Ptestes, Olga 141

Bloch, Jean-Richard 61 Blum, Klara 111 122 225 Blunck, Hans-Friedrich 200 Böchel, Karl 102 Bornstein, Joseph 34-35 Braak, Menno ter 34-35 Braun, Max 79 Brecht, Bertolt 15-18 22 24 29 31 33 35 42 55 59 61 72 98 104-108 111-112 116-123 131-132 136 147 148-150 171 193 205 212 220 225 227 230' Bredel, Willi 18 24 29 31 35 45 4 7 - 4 9 79 98 101 103-108 110 119 124 129 135 138 143 195 220 Brcitscheid, Rudolf 79 103 Brentano, Bernard von 100 Broch, Hermann 22 Brod, Max 108 141 Bruckner, Ferdinand 110 119 129

231

136 149 Brägel, Fritz

136

Budzislawski, Hermann 25 27 81 101 143 192 Büchner, Georg 49 112 119 Burda, Paul 108 Burschell, Friedrich 110 123 Camacho, Manuel Avila Capek, Karel 121 Claudius, Matthias 144 Claus, Rudolf 85

79

146

Dahlem, Franz 79 102 Dahnke, Hans-Dictrich 10 Däubler, Theodor 174 181 Dimitroff, Georgi 9 3 8 - 5 2 66 91 102 134-135 137 213 214 224 Döblin, Alfred 21 74 108 118 149 174 181 227 Duclos, Jaques 39 Durus, Alfred 115 120 Ehrenburg, I. G. 60 Eckenroth, Heinz 226 Einstein, Albert 143 185 Eisenlohr, Friedrich 226 Eisler, Hanns 72 116 221 Elchinger, Richard 226 Engels, Friedrich 149 Erpenbeck, Fritz 102-106 121-122 127 219-220 Fadejcw, Alexander 104 111 Falke, Konrad 220 Fechter, Paul 186-187 Feuchtwanger, Lion 17 31 33 49 74 79 81-82 8 9 - 9 0 94 98 104-108 110 119-120 122-123 129 135 141 149 171 190-191 193 217 220 Fisch, Efraim 226 Fichte, Johann Gottlieb 112 Folien, Karl 149 Fontane, Theodor 144 Forster-Larringa, Robert 226

Franck, Wolf 79 125 222 Frank, Bruno 34, 129 Frank, Leonhard 181 Fred, W. 226 Frei, Bruno 124 128 Freiligrath, Ferdinand 197 Friedenthal, Joachim 226 Fürnberg, Louis 102 108 Fulda, Ludwig 174 Gabor, Andor 121 Geiger, Theodor 95-96 Georg, Manfred 92-93 Geyer, Florian 48 Gide, Andre 74 100 119 Gneisenau, August Neithardt 110

von

Goebbels, Joseph 124 Göring, Hermann 134-135 Goethe, Johann Wolfgang 70-71 124 143 155 216 Goldammer, Peter 208 Gorki, Maxim 42 53-57 61 104 111 116 138-139 1 7 2 - 1 7 3 200 Gotthelf, Herta 108 Gottwald, Klemcnt 39 Grabbe, Christian Dietrich 112 Graf, Oskar Maria 49 89 99 108 119-120 122 129 136 138 149 171 191 Grieg, Nordahl 112 220 Grosz, George 227 Grotewohl, Otto 209 Gumbel, Emil Julius 87 119 124 Halbe, Max 226 Halperin, Josef 25 27 Hansenstein, Wilhelm 226 Harbeck, Hans 226 Hasenclever, Walter 100 Hay, Julius 109 122 Heartfield, John 102 135 Hecht, Georg 226 Heckert, Fritz 137

232

225

Heiden, Konrad 224 Heine, Heinrich 112 121 148 Held, Hans-Ludwig 224 Henckel, Karl 226 Herder, Johann Gottfried 112 150 Hermlin, Stephan 225 Herrmann-Neiße, Max 108 121 136 171 225 Herwegh, Georg 148 197 Herzfelde, Wieland 14 18 2 5 - 2 6 31 79 99-101 104 119 139 149 225 Herzog, Wilhelm 226 Heym, Stefan 108, 141 Hiller, Kurt 136 181-182 Hindenburg, Paul von 136 181-183 228

Kaiser, Georg 73 227 Kandinsky, W. W. 226 Kant, Immanuel 70 144 155 Katz, Leo 129 Kaufmann, Hans 8 Keisch, Henryk 108 121 Keller, Gottfried 112 144 Kerr, Alfred 87 100 110 138-139 171 Kersten, Kurt 36 79 115 118-119 122 Kesten, Hermann 34 99 108 218 Keun, Irmgard 121 Kisch, Egon Erwin 103 129 136 143 146 171 178 195 Klabund 226 Klein, Alfred 154 173 227 Klein, Wolfgang 60 216 Kleist, Heinrich von 112 Koestler, Arthur 110 Kokoschka, Oskar 146 225 Kollwitz, Käthe 7 3 - 7 4 120 187 Kölwel, Gottfried 226 Kolzow, M. J. 104-105 111 220 Korrodi, Eduard 82 Kuba (d. i. Kurt Bartel) 108 Kühn, Walter 226 Kurella, Alfred (Pseud. Bernhard Ziegler) 29 31 35 108 111 113-116 118 120-122 129 Kutscher, Artur 226 Kuusinen, O. W. 39

Hinrichs, Klaus 141 Hitler, Adolf 126-127 136-137 145 181 Hoelz, Max 171 227 Hohenlohe-Langenburg, Max Karl zu 101 Holitscher, Arthur 141 Hromâdka, J. L. 139 Huch, Ricarda 174 186 Huebner, Friedrich W. 226 Humboldt, Alexander von 112 Huppert, Hugo 111 Hutten, Ulrich von 48 Huxley, Aldous 74 100 122 Ibsen, Henrik 200 Uberg, Werner 115 225

Laemmle, Peter 23 Langhoff, Wolfgang 136 149 Lask, Berta 129 171-172 Lemke, Karl 229 Lenau, Nikolaus 112 Lenin, W. I. 7 40 47 51 6 5 - 6 6 78

Jacob, Hans 124 Jarmatz, Klaus 8 10 Jaurès, Jean 229 Jhering, Herbert 171 Johst, Hanns 200 Jözsef, Attila 42 Kaiser, Bruno (Pseud. Oswald Mohr) 146 148-149

Leonard, Ernst 136 Leonhard, Rudolf 79 81 115 123 138 143 195 Leschnitzer, Franz 122

233

83

108

Lessing, Gotthold Ephraim Leupold, Hermann 102 Loerke, Oskar 174 Ludwig, Emil 110 136 Lukäcs, Georg 116-119 147 214 221 223

49

122-123

Majerovä, Marie 121 Malirovä, Helena 140 Malraux, André 137-138 200 Mann, Heinrich 8 - 9 13 26-31 33 35 37-38 49 52 58 63-64 70 72-75 7 9 - 8 1 83 85-86 88 90 94 97 100 103 108-109 111 116 119 121-122 128-129 136-138 140-141 143-145 147 149-151 152-209 215-216 218 223-230 Mann, Julia 156 226 Mann, Klaus 26 74 100-101 114 116 122-123 136 Mann, Thomas 17 49 64 73 82 90 100 108 116 119 121 129 140 143 147-148 155-156 159 171 186 200-201 220 226-227 229 Manuilski, D. S. 39 Marchwitza, Hans 17 24 108 143 225 Marcuse, Herbert 6 7 - 7 2 Marcuse, Ludwig 34-35 110 113 118-119 122 143 219 Martens, Kurt 226 Marx, Karl 30 149 Masereel, Frans 120 Mattenklott, Gert 54 Mayer, Hans 212 Mehring, Walter 33 99 136 Merker, Paul 86 141 218 224 Michaelis, Karin 138 Middelstaedt, Werner 228 Mittenzwei, Werner 8 72 116 221 Modersohn-Becker, Paula 120 Molo, Walter von 174

Mohr, Oswald siehe Kaiser, Bruno Mombert, Alfred 73-74 Mühsam, Erich 84 136 Müller, Rudolf 124 Müntzer, Thomas 48 Münzenberg, Willi 103 224 Neumann, Alfred 34 Nezval, Vit 121 Nietzsche, Friedrich 144 Niki, Peter siehe Wüsten, Johannes Nizan, Paul 61 Norden, Albert (Pseud. Hans Behrend) 109 Obermann, Karl 124 Oestreich, Paul 187 Olden, Balder 79 89 101 111 122-123 129 138 Olden, Rudolf 81 84-85 99 118-119 136 Ossietzky, Carl von 80 137 227 Osten, Maria 104 106-107 220 Ottwalt, Ernst 107-108 136 220 Pannwitz, Rudolf 73 Paquet, Alfons 186 Pawlow, Todor 42 Perwenzew, A. A. 111 Petersen, Jan 17 99-100 147 Petrowa, S. N. 126 Pfemfert, Franz 152 154 Pieck, Wilhelm 39 7 8 - 7 9 88 137 209 Piscator, Erwin 101 171 227 Plivier, Theodor 147 Politzer, Heinz 121 Ponten, Josef 181 Pottier, Eugène 112 Pujmanovâ, Marie 140 Puschkin, A. S. 112

234

Regner, K. K. 125 Reich, Bernhard 119

Rembrandt

110

Renn, Ludwig 129

108-109

119

122

146

Reuter, Fritz

112

Riemenschneider, Tilman Rilla, Paul

Stein, Ernst

196

Stern, Kurt

129

Sternheim, Carl

153

Strasser, Nadja

226

Streller, Siegfried

110

10

Stresemann, Gustav

167 110

Rolland, Romain

116 138 159 172

185

200

Thälmann, Ernst

Romain, Jules

142

Roth, Joseph

169-170

Strindberg, August

Rohrbach, Jakob

80

34 121

Thorez, Maurice

39 90

73

Timm, Friedrich

119 124

Rust, Bernhard

Togliatti, Palmiro Sabo-Ewert, Elisabeth Sahl, Hans

Toller,

141

103

Scheer, Maximilian

108

129

136 138

136

103

Scherpe, Klaus R.

54

Schickele, René

20

22

28

73-74

155 Alexander

Schiller, Dieter

10

216 71

110 112

Schirach, Baldur von

81

84

101 1 0 8 - 1 0 9 119

134

74

79

171

Tolstoi, A. N.

111 195

Tolstoi, L. N.

200

Töpelmann, Sigrid

205

Torberg, Friedrich

100

Tucholsky, Kurt

221 144

155 191

45

171

Turek, Ludwig

103 28-29

Türk, Werner

58

192

143

Schönstedt, Walter

136

Schubart,

Friedrich

Christian

Daniel

Uhland, Ludwig

49

112

Uhse, Bodo

79

101

Ulbricht, Walter

79

102-103

Unruh, Fritz von

73

112

24

108

129

146 222

Schiitt, Hanna

140 225

Schwarz, Freimut

Schwarzschild, Leopold

93-94

Seghers, Anna

33

119

137-138

39

35

Tschernyschewski, N. G.

102-103

Schiller, Friedrich

61

Ernst

87 8 9 - 9 0

34-35

Scharrer, Adam

Schifrin,

101

181

74

18

99

103

128-129

151 223

108

131

51

110

136

219 55 117

Vaillant-Couturier, Paul Vanüura, Vladislav

146-147

Victor, Walther Viertel, Berthold

186

Vinci, Leonardo da

Sernau, Lola

123

Seydewitz, Max Shelley, P. B.

Vogeler, Heinrich

102

60

62

121

120

225

Seidel, Ina

108

129

110 115

Vordtriede, Werner

120

23

112

Simone, André

146

Spengler, Oswald Stalin, J . W .

24

145

126-127

Steffin, Margarete Steigerwald, Robert

112 122 68-69

Wagner, Friedrich W.

226

Wagner, Johann Gottlieb Wagner, Richard Waiden, Herwarth Waldinger, Ernst

235

110 115 149

112

103

149

Walter, Hans-Albert 93 115 126 130-131 219 Wangenheim, Gustav von 109 115 123 Wassermann, Jakob 99 174 187 Weber, Hans von 226 Wedding, Alex 103 119 141 Wedekind, Frank 153 160-161 168 200 226 Wegner, Matthias 21-23 126-127 130-131 223 Weinert, Erich 33 101 108 111-112 129 136 138 141 171 212 225 Weiskopf, F. C. 13 27 29 31 33 35-36 49 60 101-103 108 112 121-122 129 149 178 188 191 215 222 Weisstein, Ulrich 122-123 126 Welk, Ehm 171 Wells, H. G. 89 Werfel, Franz 20 73 186 Werner, Alfred 172 Werth, Heinrich 125 Westheim, Paul 120 124

Wiechert, Ernst 124 Wilhelm II. 155 Wolf, Friedrich 24 29 31 33 35 101 108-109 119 129 136 Wolkenstein, Alfred 100 112 121 123 Wüsten, Johannes (Pseud. Peter Niki) 103 109-110 Zarek, Otto 123 Zech, Paul 108 129 Zetkin, Clara 185 Ziegler, Bernhard siehe Kurella, Alfred Zille, Heinrich 120 227 Zimmering, Max 147 225 Zinner, Hedda 108 111-112 Zola, Emile 156 158-160 166 Zuckmayer, Carl 100 Zweig, Arnold 79 81 83-84 90 99 103 119-120 128 138 151 171 Zweig, Stefan 113-114 118

236

20

22

34

108