Französische Schriftsteller und ihre Nation im Ersten Weltkrieg 9783110939699, 9783484550438

This study examines the construction of national identity in the First World War as exemplified by representative French

234 43 14MB

German Pages 402 [404] Year 2004

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Table of contents :
Abkürzungsverzeichnis
I. Einleitung
1. Forschungsstand: Erster Weltkrieg, nationale Identität und französische Literatur
2. «L’Armée de la plume»: Zur Konstruktion nationaler Identität im Medium des französischen Kriegsromans
II. Die französische Nation
1. Nation, Patrie, République: Nationenkonzepte
1.1 Das katholisch-lateinische Frankreich
1.2 Die Harmonisierung der «deux France»
1.3 Pazifistischer Internationalismus als Alternative zum nationalen Bezug
2. Die kriegführende Nation zwischen Einheit und inneren Gegensätzen
2.1 Die ‹Union sacrée›
2.2 Die Soldaten
2.3 Die Heimat
2.4 Frankreichs Alliierte
III. Der deutsche Feind
1. Der Unsichtbare
2. Der Kriegsschuldige
3. Der Barbar
3.1 Die beiden Deutschlands
3.2 Der «ewige» Feind
3.3 Der brutale Unmensch
3.4 Politische Rückständigkeit
4. Der Kranke
5. Das Tier
6. Die Verkörperung des Bösen
6.1 Täuschung, Verrat, Verstellung
6.2 Der Feind Gottes
7. Der Leidensgenosse
8. Zur Funktion des Feindbildes
IV. «Mourir pour la patrie»: Legitimations Strategien und Deutung des Krieges
1. Der Verteidigungskampf
2. La guerre civilisatrice
3. La guerre régénératrice
4. Religiöse Bilder
4.1 Die Passion Christi: Opfer, Erlösung und Auferstehung
4.2 Die Hölle
4.3 Apokalyptische Vorstellungen
V. Selbstverständnis und Wirkung der «écrivains de la Grande Guerre»
1. Probleme der Kriegsliteratur aus der Sicht der Schriftsteller
1.1 Die Darstellung des Krieges zwischen Realität und Fiktion
1.2 Erinnern und Vergessen: Funktionen von Kriegsliteratur
2. Der ‹écrivain combattant›
2.1 Selbstbilder von ‹écrivains combattants›
2.2 Der schriftstellerische Gefallenenkult
3. Zur Rezeption der Kriegsliteratur
3.1 Die zeitgenössische Rezeption
3.2 Zur Rezeption der Literatur des Ersten Weltkriegs nach 1945
VI. Schlussbetrachtung
Anhang 1: Analysierte Autoren
Anhang 2: Sigelverzeichnis
Anhang 3: Literaturverzeichnis
1. Primärtexte
2. Rezensionen und zeitgenössische Aufsätze zur Kriegsliteratur
3. Ungedruckte Quellen
4. Sekundärliteratur
Anhang 4: Namensverzeichnis
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Französische Schriftsteller und ihre Nation im Ersten Weltkrieg
 9783110939699, 9783484550438

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mimesis Untersuchungen zu den romanischen Literaturen der Neuzeit Recherches sur les litteratures romanes depuis la Renaissance

Herausgegeben von / Dirigees par Reinhold R. Grimm, Joseph Jurt, Friedrich Wolfzettel

43

Almut Lindner- Wirsching

Französische Schriftsteller und ihre Nation im Ersten Weltkrieg

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2004

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung und der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Freiburg im Breisgau

D25 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-55043-0

ISSN 0178-7489

© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2004 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Anne Fischer, Computersatz, Remlingen-Malmsheim Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Industriebuchbinderei Nädele, Nehren

Vorwort

Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner im Februar 2002 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg eingereichten Dissertation «L'Armee de la plume». Französische Schriftsteller und ihre Nation im Ersten Weltkrieg. Ohne die Unterstützung einer Reihe von Personen und Institutionen hätte diese Arbeit nie in der nun vorliegenden Form erscheinen können. Es ist unmöglich, sie alle zu nennen. Meinen Freunden und Verwandten möchte ich auf diesem Wege herzlich für ihren Zuspruch, ihre Anregungen und ihre Kritik danken. Den Mitarbeitern der besuchten Bibliotheken und Archive danke ich für ihre freundliche Hilfsbereitschaft. Einige Personen und Institutionen möchte ich namentlich erwähnen. Mein Doktorvater, Prof. Dr. Joseph Jurt, stand mir bei allen auftretenden Fragen und Problemen mit Rat und Tat zur Seite, ließ mir aber zugleich vollkommene Freiheit bei der inhaltlichen Gestaltung. Angeregt und ermöglicht wurde diese Arbeit durch die Teilnahme an dem von ihm gemeinsam mit Prof. Dr. Gerd Krumeich und Prof. Dr. Erich Pelzer geleiteten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt «Die Konstruktion nationaler Identitäten in Deutschland, England und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert» im Rahmen des Freiburger Sonderforschungsbereichs 541 «Identitäten und Alteritäten». Von dem Austausch und der Zusammenarbeit innerhalb des Projekts habe ich in hohem Maße profitiert. Für ihre konstruktive Kritik möchte ich ganz besonders Dr. Wiebke Bendrath danken. Die Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, die Wissenschaftliche Gesellschaft in Freiburg im Breisgau und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben die Drucklegung dieser Arbeit durch großzügige Beihilfen gefördert. Herausgebern und Verlag danke ich für die Aufnahme in die Reihe «mimesis». Mein herzlicher Dank geht an Lilly Biuk, Michaela Sgoff, an Anne, Marion und Lauriane Fourrier, an meine Schwiegermutter und an meine Eltern, durch deren tatkräftige Unterstützung bei der Betreuung unserer kleinen Tochter ich Zeit und Ruhe für die Schlussredaktion gefunden habe. Zuletzt und gleichzeitig zuvorderst möchte ich meinem Mann Florian für seine Geduld, liebevolle Unterstützung und Ermutigung über all die Jahre hinweg danken. Frankfurt am Main, im September 2003 Almut Lindner-Wirsching

V

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

X

I.

1

Einleitung

1. Forschungsstand: Erster Weltkrieg, nationale Identität und französische Literatur 2. «L'Armee de la plume»: Zur Konstruktion nationaler Identität im Medium des französischen Kriegsromans

22

II. Die französische Nation

31

1. Nation, 1.1 1.2 1.3

31 33 35

1.3.1 1.3.2 1.3.3

Patrie, Republique: Nationenkonzepte Das katholisch-lateinische Frankreich Die Harmonisierung der «deux France» Pazifistischer Internationalismus als Alternative zum nationalen Bezug Henri Barbusse Romain Rolland Leon Werth

1

41 41 50 55

2. Die kriegführende Nation zwischen Einheit und inneren Gegensätzen 60 2.1 Die 60 2.2 Die Soldaten 68 2.2.1 Die Erfahrung der Isolation vom zivilen Leben 70 2.2.2 Einheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: die «Frontgemeinschaft» als Modell einer idealen Gemeinschaft? 75 2.2.3 Literarische Typisierungen des «soldat de France» 83 2.2.3.1 Gaspard 86 2.2.3.2 Bourru 87 2.2.3.3 Un Tel 90 2.2.4 Die militärische Führung 93 2.2.5 «La plus grande France»? Die Soldaten aus den Kolonien 100 2.3 Die Heimat 107 2.3.1 Die Frauen 107 2.3.1.1 Frauenbilder bei Schriftstellerinnen 110 2.3.1.2 Frauenbilder im Frontroman 119 2.3.2 Drückeberger und Kriegsgewinnler 127 2.3.3 Der «innere Feind» 141 2.3.4 Generationen 147 VII

2.4 2.4.1 2.4.2

Frankreichs Alliierte Der Feind von gestern: Großbritannien «Les freres latins»: Italien

155 155 158

III. Der deutsche Feind

161

1. Der Unsichtbare 2. Der Kriegsschuldige 3. Der Barbar 3.1 Die beiden Deutschlands 3.2 Der «ewige» Feind 3.3 Der brutale Unmensch 3.4 Politische Rückständigkeit

163 165 169 170 172 175 181

4. Der Kranke 5. Das Tier 6. Die Verkörperung des Bösen 6.1 Täuschung, Verrat, Verstellung 6.2 Der Feind Gottes

184 185 188 188 190

7. Der Leidensgenosse 8. Zur Funktion des Feindbildes

192 200

IV. «Mourir pour la patrie»: Legitimationsstrategien und Deutung des Krieges

203

1. 2. 3. 4.

Der Verteidigungskampf La guerre civilisatrice La guerre regeneratrice Religiöse Bilder 4.1 Die Passion Christi: Opfer, Erlösung und Auferstehung 4.2 Die Hölle 4.3 Apokalyptische Vorstellungen

205 209 214 220 230 243 251

V. Selbstverständnis und Wirkung der «ecrivains de la Grande Guerre»

257

1. Probleme der Kriegsliteratur aus der Sicht der Schriftsteller 1.1 Die Darstellung des Krieges zwischen Realität und Fiktion 1.2 Erinnern und Vergessen: Funktionen von Kriegsliteratur

257 258 272

2. Der 2.1 Selbstbilder von 2.2 Der schriftstellerische Gefallenenkult

276 280 286

3. Zur Rezeption der Kriegsliteratur 3.1 Die zeitgenössische Rezeption

297 298

VIII

3.1.1 3.1.2 3.2

Erster Weltkrieg 300 Zwischenkriegszeit 310 Zur Rezeption der Literatur des Ersten Weltkriegs nach 1945 .... 317

VI. Schlussbetrachtung

325

Anhang 1: Analysierte Autoren

333

Anhang 2: Sigelverzeichnis

351

Anhang 3: Literaturverzeichnis 1. Primärtexte 2. Rezensionen und zeitgenössische Aufsätze zur Kriegsliteratur 3. Ungedruckte Quellen 4. Sekundärliteratur

353 353 356 360 361

Anhang 4: Namensverzeichnis

387

IX

Abkürzungsverzeichnis

AEC

Association des Ecrivains Combattants

AN

Archives Nationales

ARAC

Association Republicaine des Anciens Combattants

BDIC

Bibliotheque de Documentation Internationale Contemporaine

BNF

Bibliotheque nationale de France

CGT

Conf6deration Generale du Travail

CRDP

Centre Regional de Documentation Pedagogique

FNSP

Fondation Nationale des Sciences Politiques

NRF

Nouvelle Revue Frangaise

PCF

Parti Communiste Frangais

PUF

Presses Universitaires Franijaises

X

I. Einleitung

1. Forschungsstand: Erster Weltkrieg, nationale Identität und französische Literatur Blumengeschmückte Gewehrläufe und Eisenbahnwaggons mit Aufschriften wie «Ä Berlin!» oder «Auf Wiedersehen auf dem Boulevard!», die unter dem Jubel der Massen zur Front abfuhren - dieses Bild, das schon die ersten Kinofilme vermittelten,' verbindet sich in Schulbüchern 2 und populärwissenschaftlichen Geschichtsdarstellungen noch heute mit dem Ersten Weltkrieg. 3 Die jüngere historische Forschung hat das so genannte «Augusterlebnis», die Vorstellung von einer die gesamte Gesellschaft erfassenden «Kriegsbegeisterung» und Einheitseuphorie, inzwischen fast vollständig revidiert.4 Doch besteht immer noch weitgehende Einigkeit darüber, dass der Krieg von 1914-1918 den Höhepunkt des Nationalgefühls, ja des Nationa-

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3

4

Cf. Jean-Jacques Becker: 1914. Comment les Frangais sont entres dans la guerre. Contribution ά I'etude de I'opinion publique, printemps-ete 1914, Paris, Presses de la FNSP, 1977, p. 573. Als Beispiele seien genannt: Geschichte und Geschehen 9, Ausgabe N, Gymnasium, Stuttgart u.a., E.Klett Schulbuchverlag, 1996, p.239-241; Heinz Dieter Schmid (ed.): Fragen an die Geschichte, t. 3, Frankfurt/M., Hirschgraben, J1980, p.274; Wolfgang Hug (ed.): Unsere Geschichte, t. 3, Frankfurt/M., Diesterweg, 1986, p. 34, 38. Diese drei Bände werden noch heute im Geschichtsunterricht an Gymnasien in Schleswig-Holstein eingesetzt. Siehe z.B. den vom Deutschen Bundestag herausgegebenen Katalog Fragen an die deutsche Geschichte. Wege zur parlamentarischen Demokratie. Historische Ausstellung im Deutschen Dom in Berlin, Bonn, Deutscher Bundestag, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 19., neu bearb. Aufl. 1996, p. 199 sq.; Mario Isnenghi: La Grande Guerra, Firenze, Giunti/ Casterman, 3 1997, p.22. Zum Kriegsbeginn in Frankreich siehe Becker: 1914\ ders.: «Voilä le glas de nos gars qui sonne». In: Patrick Fridenson (ed.), 1914-1918. L'autre front, Paris, Ed. Ouvrieres, 1977 (Cahiers du Mouvement Social, n° 2), p. 13-33, auch in: Centre de Recherche de l'Historial de Peronne (ed.), 14-18. La Tris Grande Guerre, Paris, Le Monde-Editions, 1994, p. 23-28. Einen deutsch-französischen Vergleich legte Thomas Raithel vor (Das «Wunder» der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges, Bonn, Bouvier, 1996). Zum Kriegsbeginn in Deutschland siehe Jeffrey Todd Verhey: Der und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg, Hamburger Edition, 2000 (engl. Orig.: The 'Spirit of 1914>. The Myth of Enthusiasm and the Rhetoric of Unity in World War I Germany, Diss. University of California, Berkeley 1991); Christian Geinitz: Kriegsfurcht und Kampfbereitschaft: Das Augusterlebnis in Freiburg. Eine Studie zum Kriegsbeginn 1914, Essen, Klartext-Verlag, 1998; Wolfgang Kruse: Krieg und nationale Integration. Eine Neuinterpretation des sozialdemokratischen Burgfriedensschlusses 1914, 15, Essen, KlartextVerlag, 1993. 1

lismus in Europa darstellt.5 In der Intensität dieses Nationalgefühls, das sich in den zeitgenössischen Äußerungen vor allem als defensiver Patriotismus präsentierte, wird eine wesentliche Erklärung für die heute so schwer nachvollziehbare Bereitschaft der Kriegsteilnehmer gesucht, vier lange, äußerst verlustreiche Kriegsjahre hindurch an der Front und in der Heimat unsägliche Entbehrungen und Leiden zu ertragen.6 Für alle Beteiligten war der 1914 beginnende Krieg ein zumindest in Ansätzen «totaler Krieg»,7 nicht nur, weil in ihm Millionen von Männern im wehrfähi-

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Cf. Jacques Julliard: «L'assassin du Chemin des Dames». In: Le Nouvel Observateur, n° 1774, 12.-18.11.1998, p. 25: «[...] si l'on ne sait toujours rien de convaincant sur les , nous savons bien ce qui l'a alimentee: le nationalisme, le stupide et criminel nationalisme». Stephane Audoin-Rouzeau: Combattre, Amiens, CRDP de Picardie, 1995, p. 74: «La Grande Guerre correspond ä Γapogee du sentiment national en Europe, et marque souvent le vrai debut de l'idee de nation dans les pays non europeens, mais de culture europeenne, qui ont pris part au conflit. Dans le cas des combattants, on pourrait definir le sentiment national de 1914-1918 comme l'ensemble des liens, fortement interiorises, rattachant les soldats ä leur nation et les obligeant, face ä une menace adverse, ä la defendre. On peut parier aussi de patriotisme defensif. Teile fut Taxe central des representations combattantes et de l'obligation de ». - Siehe auch ders., Annette Becker [et al.]: «Epilogue: souffrances, attentes et consentement». In: 14-18. La Tres Grande Guerre, p. 260 sq.; JeanJacques Becker, Stephane Audoin-Rouzeau: La France, la nation, la guerre 1850-1920, Paris, Sedes, 1995, p. 335 sq.; Jean-Baptiste Duroselle: La Grande Guerre des Frangais. L'Incomprehensible, Paris, Perrin, 21998, p. 48-67. Dass entsprechende Vorstellungen schon während des Ersten Weltkrieges im Umlauf waren, zeigt das Beispiel Leon Daudets, der im September 1918 ein Buch mit dem Titel La guerre totale veröffentlichte (Paris, Nouvelle Librairie Nationale, 1918). Die Totalisierung des Kriegsbegriffs fand auch in Deutschland schon vor dem Zweiten Weltkrieg ihren Ausdruck in Erich Ludendorffs berühmtem Buch Der totale Krieg (München, Ludendorff, 1935). Unter heutigen Historikern ist jedoch strittig, ob sich schon für 1914— 1918 von einem «totalen Krieg» sprechen lässt. Verwendet wird der Begriff bei Stephane Audoin-Rouzeau und Annette Becker (La Grande Guerre 1914-1918, Paris, Gallimard, 1998), Eric J. Hobsbawm (Age of Extremes. The short twentieth century 1914-1991, London, Penguin, 1994), John Cruickshank (Variations on Catastrophe. Some French Responses to the Great War, Oxford, Clarendon Press, 1982, p. 33) und Hagen Schulze (Staat und Nation in der europäischen Geschichte, p. 278-285). Bezeichnenderweise sind die Vorbehalte bei den deutschen Historikern am größten. Reinhard Rürup etwa erscheint es vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges unangemessen, schon den Ersten Weltkrieg als «totalen Krieg» zu bezeichnen (cf. Reinhard Rürup: « - - . Die Bedeutung des Ersten Weltkrieges für die deutsche Geschichte». In: Rolf Spilker, Bemd Ulrich (ed.), Der Tod als Maschinist. Der industrialisierte Krieg 1914-1918. Eine Ausstellung des Museums Industriekultur Osnabrück im Rahmen des Jubiläums «350 Jahre Westfälischer Friede», 17. Mai 23. August 1998, Katalog, Bramsche, Rasch, 1998, p. 15). Cf. auch Gerd Krumeich: «Verdun: ein Ort gemeinsamer Erinnerung?». In: Horst Möller, Jacques Morizet (ed.), Franzosen und Deutsche. Orte der Geschichte, München, Beck, 1996, p. 163; ders.: «? Der Erste Weltkrieg als Religionskrieg». In: ders., Hartmut Lehmann (ed.), «Gott mit uns». Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2000, p. 273-283.

gen Alter kämpften, sondern auch, weil ganze Nationen wirtschaftlich und geistig mobilisiert wurden, weil «die Massenstimmungen, die Mobilisierung der Köpfe und Herzen, eine so große Rolle spielten wie nie zuvor». 8 Auf der Grundlage eines vor allem durch die Schule vermittelten Patriotismus wurde der Erste Weltkrieg zum Musterbeispiel intellektueller Selbstmobilmachung. Obwohl die Politik- und Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges sowie die Kriegsursachen mittlerweile recht gut erforscht sind, gibt die «Urkatastrophe» des 20. Jahrhunderts (George F. Kennan) noch in vieler Hinsicht Rätsel auf. Für F r a n c i s Füret etwa ist «la Grande Guerre», wie der Krieg von 1914—1918 in Frankreich noch heute bezeichnet wird, eine «enigme», für Jean-Baptiste Duroselle «Γincomprehensible». Wichtige neue Erkenntnisse werden inzwischen vor allem von der Kulturund Mentalitätsgeschichte erwartet.9 In den späten achtziger Jahren entdeckte die Historiographie den ideologischen Aspekt als die große Neuheit dieses als «Kulturkrieg»10 proklamierten Konfliktes." Das Konzept der «culture de guerre», das sich mit dem deutschen Terminus «Kriegskultur» nur unzureichend wiedergeben lässt,12 steht im Zentrum der Forschungen des 1989 entstandenen und den Pazifismus - und nur eine mögliche Folge dieser Haltungen: Wer im Krieg eine «cause sacree» sehe, müsse sein eigenes Leben dafür einsetzen, und wer sich Frieden wünsche, dürfe ebenfalls niemand anderes Ein seiner Stelle in den Krieg schicken (cf. CS, 297). War für Barbusse und Rolland der französische Sieg die unabdingbare Voraussetzung für eine künftige Friedensordnung, so ist Werths Clavel bereit, einen Frieden um jeden Preis zu akzeptieren (cf. CS, 310). Nur in Werths Roman stellt der pazifistische Internationalismus eine wirkliche Alternative zum nationalen Bezug dar. Allerdings handelt es sich bei seinem desillusionierten Revolutionär Clavel nicht um «Internationalismus» in dem neuen, revolutionären Sinn, den das Wort während des Ersten Weltkrieges bekam."2 Dass Werth den Kern des nationalen Konsenses, die Gerechtigkeit der französischen Sache, anzuzweifeln wagt, unterscheidet ihn von allen übrigen und erklärt, weshalb sein Roman erst nach dem Waffenstillstand veröffentlicht werden konnte. Bei Barbusse und Rolland bleibt die eigene Nation der primäre Bezugsrahmen, aus dem heraus sie ihre internationalistischen Ziele zu verwirklichen suchen.

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Nach Friedemann und Hölscher entwickelte sich «Internationalismus» in dieser Zeit zum sozialistischen Kampfbegriff, in dem sich die Bereitschaft artikulierte, die erwartete Weltrevolution selbst einzuleiten und aktiv voranzutreiben (cf. Friedemann, Hölscher: «Internationale, International, Internationalismus», p. 395 sq.).

Nation und Nationalismus sollen zwar nach ihren Vorstellungen in der Zukunft durch die Schaffung einer Weltrepublik überwunden werden, doch die Bindung an ein Vaterland wird nicht in Frage gestellt."3 Hinsichtlich des Pazifismus der drei Autoren lässt sich feststellen, dass Clavels Verurteilung des Krieges zwar radikaler ist als diejenige Barbusses, doch hat sie keine praktischen Konsequenzen wie bei dem Verfasser von Le Feu. Unter den drei Schriftstellern bekennt sich Rolland von seiner Warte «au-dessus de la melee» noch am ehesten zur Gewaltlosigkeit, doch erscheint auch ihm der einmal entfesselte Krieg als unaufhaltbar. Wie Audoin-Rouzeau zu Recht feststellt, war die uneingeschränkte Ablehnung des Krieges ein Phänomen der Nachkriegszeit: «Pour Barbusse comme pour la plupart des intellectuels , le refus total de celle-ci ne s'est pas manifeste pendant le conflit, mais essentiellement apres [kursiv i. Orig.] la victoire fran5aise»."4 Während des Krieges war der radikale Pazifismus aus Gründen der Zensur, aber auch wegen der breiten öffentlichen Zustimmung zur Kriegspolitik der Regierung zum Schweigen verurteilt. Erst in den zwanziger und dreißiger Jahren, als sich die Durchhaltepropaganda erübrigt hatte und Friedensliebe und Abscheu vor dem Krieg als ehrenhafter galten, entwickelte sich der Pazifismus zur Norm in der Kriegsliteratur."5 Zahl und Einfluss der radikalen Kriegsgegner waren in Frankreich während des Konflikts äußerst gering."6 Nach Jean-Frangois Sirinelli herrschte ein Quasi-Konsens über die Notwendigkeit der nationalen Verteidigung, der auf mehr oder weniger stark nationalistisch geprägten Motiven beruhte."7 Das Engagement bekannter Pazifisten aufseiten Frankreichs konnte sogar als Bestätigung der französischen Positionen gewertet werden: «les pacifistes, avec leurs utopies idealistes, leurs frenesies humanitaires, leurs anxietes scrupuleuses, leurs phobies militaristes, nous rendent d'abord le tres precieux service de nous confirmer dans la foi et la justice de notre cause», schrieb Saint-Alban im Juli 1915 im Mercure de France."*

113

Wie Marc Ferro (La Grande Guerre 1914-1918, Paris, Gallimard, 1985, p.70) feststellt, war die nationale Bindung schon für die Internationalisten der Vorkriegszeit charakteristisch. Die Teilnehmer der verschiedenen Kongresse der II. Internationale verteilten sich nicht nach ihrem politischen Standpunkt (etwa: Radikale, Revisionisten, Marxisten, Nichtmarxisten) auf die Sitze, sondern nach ihrer Nationalität. Das Internationale Sozialistische Büro (ISB), das die Aktionen der Beteiligten koordinieren sollte, hatte keine organisatorische Macht oder gar Exekutivgewalt. Cf. Kriegel: Aux origines du communisme frangais, t. 1, p.47, und Agnes Biensdorf: Die Zweite Internationale und der Krieg. Die Diskussion über die politische Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien 1914-1917, Stuttgart, Klett-Cotta, 1979.

114

Becker, Audoin-Rouzeau: La France, la nation, la guerre, p. 293. Cf. Annette Becker: La Guerre et la foi. De la mort ά la memoire. 1914-1930, Paris, A. Colin, 1994, p. 28. Siehe hierzu Sirinelli: Intellectuels et passions frangaises, p. 38-40; Blänsdorf: Die Zweite Internationale und der Krieg. Sirinelli: «Les intellectuels franfais et la guerre», p. 149 sq. Saint-Alban: «Les pacifistes fransais et la guerre». In: Mercure de France 111, 1.7.1915, p.436.

115

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117 118

59

Ein Quasi-Konsens herrschte aber nicht nur über die Notwendigkeit der Landesverteidigung, sondern auch über das Territorium als konstitutives Element der Nation. Die in ihrer territorialen Integrität bedrohte Nation wurde nun zwar auch noch über die gemeinsame Geschichte und politische Traditionen definiert, aber der Boden - der bei Barbusse selbstverständlich eine ganz andere Bedeutung hat als bei Bertrand - wurde übereinstimmend als wichtigstes Kriterium betrachtet und drängte das Renansche voluntaristische Nationenkonzept in den Hintergrund.

2. Die kriegführende Nation zwischen Einheit und inneren Gegensätzen Nachdem im vorangegangenen Kapitel untersucht wurde, wie die Schriftsteller ihre politisch-sozialen Idealvorstellungen auf der Ebene der Literatur vermittelten, soll es im folgenden Abschnitt um ihre Wahrnehmung der gesellschaftlichen Realität gehen. Diese war entscheidend von der jeweiligen Kriegserfahrung des Betrachters abhängig. So kamen die Zivilisten in der vom Krieg weitgehend verschonten Heimat zu ganz anderen Bildern von der kriegführenden Nation als die Schriftsteller, die als Frontsoldaten direkt in das Kampfgeschehen involviert waren. Ein wichtiger Faktor war aber auch die Zeit - einerseits die in den Romanen dargestellte Kriegsphase, und andererseits der Zeitpunkt des Schreibens selbst. Wurde im ersten Kriegsjahr noch die beschworen, so trat später die Wahrnehmung von einer in Front und Heimat zweigeteilten Nation an ihre Stelle. Nationale Einheit und innerfranzösische Gegensätze verkörperten sich im Verlauf des Krieges in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen.

2.1 Die Die ist, mehr noch als viele andere politische Schlagworte, zum Symbol für die Haltung der Franzosen in den ersten Kriegsmonaten, ja sogar des gesamten Ersten Weltkrieges geworden. Aus der Distanz von fünfundzwanzig Jahren und vor dem Hintergrund einer als zutiefst gespalten erlebten Nation erschien Henry Malherbe der Krieg von 1914—1918 als Beispiel seltener Einmütigkeit des französischen Volkes: Dans sa majorite, notre nation etait alors mue par les memes sentiments. Une teile fraternite s'etait nouee entre les hommes du front et ceux de l'arriere qu'ils se rassemblaient moralement et presque physiquement. Les discours des non-combattants etaient meme colores d'un heroisme plus voyant que les propos des veritables combattants ... Pendant les mois qui suivirent la guerre, nous retrouvions sur les faces de ceux qui nous approchaient les masques de ceux que nous avions connus en premieres lignes, de ceux qui y avaient ete blesses, de ceux qui y etaient morts.'"

119

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Henry Malherbe, «L'avenirdu roman». In: Confluences 3, n° 21-24, 1943, p. 394.

Die wird hier als eine die französische Gesellschaft bis in die Nachkriegszeit einigende moralische Haltung gedeutet. Die Sinngebungsversuche der Zivilisten, während des Krieges mit dem Vorwurf des «bourrage de cräne» belegt, bezeichnet Malherbe nun beschönigend als «hero'fsme plus voyant». Wie Jean-Jacques Becker gezeigt hat, war die berühmte Formel von der jedoch sehr widersprüchlich konnotiert. So galt sie den einen als schlagender Beweis für den «Verrat» der Sozialisten, anderen dagegen als seltener Moment in der Geschichte eines ansonsten zerstrittenen Volkes, und für dritte wiederum bedeutete sie die allgemeine Bejahung nationalistischer Ideen durch die Gesamtheit der französischen Nation.120 Der Begriff wurde von Staatspräsident Raymond Poincare geprägt. Am Nachmittag des 4. August 1914 verlas Ministerpräsident Viviani dessen Botschaft an das Parlament, in der es hieß: Messieurs, la France vient d'etre l'objet d'une agression premeditee qui est un insolent defi au droit des gens ... Etroitement unie en un meme sentiment, la nation perseverera dans le sang-froid dont eile a donne, depuis l'ouverture de la crise, l'exemple quotidien ... Elle sera heroi'quement defendue par tous ses fils, dont rien ne brisera devant l'ennemi l'Union sa121 cree.

Das entscheidende Signal zum Burgfriedensschluss war aber schon am Vormittag desselben Tages gegeben worden, als man den ermordeten Sozialistenführer Jean Jaures zu Grabe trug. Nach dem Wunsch der Regierung sollte das Begräbnis den Charakter einer Versöhnungsfeier zwischen den politischen Gegnern haben. So nahmen neben den Vorsitzenden der Abgeordnetenkammer und des Senats auch die Mehrzahl der Minister und selbst Vertreter der nationalistischen , allen voran Maurice Barres, an der Beerdigung teil. Leon Jouhaux, als Generalsekretär der CGT die Galionsfigur der Gewerkschaftsbewegung, hielt eine viel beachtete Grabrede, in der er mit seinem bisherigen Antimilitarismus brach und seine uneingeschränkte Zustimmung zur nationalen Verteidigung erklärte.'22 Für Barres bedeutete diese Rede, die als repräsentative Stellungnahme der organisierten Arbeiter aufgefasst wurde, die Besiegelung einer alle Erwartungen übertreffenden «prodigieuse union de nos esprits et de nos coeurs». Er begrüßte den 4. August in L'Echo de Paris als «Le jour sacre».123 Obwohl die CGT schon vor Jaures' Ermordung auf die gemäßigte Position der Sozialistischen Partei eingeschwenkt war, hatte das französische Bürgertum bis zuletzt am Patriotismus der Arbeiterklasse gezweifelt. Dies erklärt, warum Jouhaux'

12

° Cf. Becker: 1914, p.581. Zit. nach Duroselle: La Grande Guerre des Frangais, p. 49. - Maurice Barres betitelte den ersten, 1915 erschienen Band von L'Ame frangaise et la guerre, einer Sammlung seiner taglichen Artikel für L'Echo de Paris, mit «L'Union sacree», und Poincare selbst griff den Ausdruck im Titel des vierten Bandes seiner Souvenirs wieder auf. 122 Cf. Becker: «Jouhaux, le 4 aoüt, devant la tombe de Jaures», p. 35-40. 123 Cf. Bartes: Chronique de la Grande Guerre, 1.1, Paris, Plön, 1920, p.97 sq.

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Grabrede eine so große Bedeutung zukam. Die Antikriegsdemonstrationen der Sozialisten noch im Juli 1914 und die Androhung eines internationalen Generalstreiks im Falle eines Krieges hatten Erwartungen eines allgemeinen Mobilmachungsboykotts geschürt, gegen den man sich mit dem so genannten zu wappnen versucht hatte.124 Die Überraschung und Erleichterung über die tatsächliche nationale Solidarität der Arbeiter und die offizielle Versöhnung der bisher zutiefst zerstrittenen politischen Gegner ließ die neu gewonnene Einheit wie ein «Wunder» erscheinen.125 Die politische wurde am 26. August 1914 durch die erstmalige Beteiligung zweier führender Sozialisten, Marcel Sembat und Jules Guesde, an einer Art überparteilichen Notstandsregierung besiegelt und hielt bis zum Regierungsantritt Painleves im September 1917. Die bedeutete jedoch keine Aufhebung der politischen und sozialen Gegensätze, sondern nur das Einvernehmen darüber, die innenpolitischen Auseinandersetzungen vorübergehend ruhen zu lassen.126 In den zeitgenössischen Quellen ist daher meistens von einer «treve des partis» die Rede, einem innenpolitischen Waffenstillstand in Erwartung eines kurzen Krieges. Es handelte sich, wie JeanJacques Becker betont, ursprünglich um eine kurzfristig angelegte politische Praxis in einer Ausnahmesituation, die sich auf den Minimalkonsens über die Notwendigkeit der Vaterlandsverteidigung stützte. Erst in einer zweiten, Mitte 1917 beginnenden Phase, als das Kriegsende in unbestimmte Ferne gerückt war, habe sich die zu einer rechten bürgerlichen Ideologie entwickelt, die abweichende Haltungen zum Krieg als verräterisch brandmarkte. Die sei größtenteils Fiktion gewesen und nur in der allgemeinen Verteidigungsbereitschaft Wirklichkeit geworden.127 Ob Fiktion oder bloße politische Praxis, die blieb auf ideologischer Ebene nicht wirkungslos. Die Erfahrung des gemeinsamen Kampfes half, die Trennlinien aus der Zeit vor 1914 zu überbrücken. Auch Becker gesteht der eine konsolidierende Wirkung auf die Nation zu.128

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Zum , das Innenminister Malvy schließlich gar nicht anwendete, siehe JeanJacques Becker: Le Carnet B. Les pouvoirs publics et l'antimilitarisme avant la guerre de 1914, Paris, Klincksieck, 1973. Cf. Thomas Raithel: Das «Wunder» der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkrieges, Bonn, Bouvier, 1996 (zugl. Diss. Univ. Erlangen, 1994). Zum Richtungswechsel der Sozialisten und der Gewerkschafter in den ersten Augusttagen siehe Annie Kriegel, Jean-Jacques Becker: 1914. La guerre et le mouvement ouvrierfrangais, Paris, A. Colin, 1964. «Globalement, l'Union sacree c'est la decision spontanee d'oublier toutes les divisions et toutes les querelles au benefice d'une cause qui, tres soudainement, apparait comme la plus haute de toutes: la defense de la patrie que Ton estime injustement attaquee par un agresseur, lequel, au surplus, passe pour etre l'. Ce n'est evidemment pas la disparition des divergences, mais un accord pour les passer sous silence.» (Duroselle: La Grande Guerre des Frangais, p. 48)

Cf. Becker: 1914, p. 581; ders.: «Union sacree et Ideologie bourgeoise». In: Revue historique 264 (1980), p. 65-74; ders.: La France en guerre, p. 21-39. 128 Cf. ibid., p. 39-60.

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In der zeitgenössischen Erzählliteratur wird die nationale Einheitseuphorie zu Rriegsbeginn hauptsächlich von den zivilen Schriftstellern thematisiert. Insgesamt spielt die in den Romanen eine untergeordnete Rolle, wohl auch deswegen, weil Konflikte für die Literatur ein interessanterer und beliebterer Gegenstand sind. La Veillee des armes. Le depart: Aoüt 1914 von Marcelle Tinayre kann jedoch geradezu als «roman de l'Union sacree» avant la lettre bezeichnet werden. Auf knapp 300 Seiten schildert die Autorin, die neben Anna de Noailles und Colette zu den großen Namen der Jahrhundertwende zählt,129 wie Paris die 48 Stunden zwischen dem 31. Juli und dem 2. August 1914 erlebte, jene moments inoubliables oü nos ämes n'etaient plus que des parcelles de l'äme nationale, oü nos affections particulieres se fondaient en un sentiment collectif, oü le plus faible d'entre nous sentait battre en son cceur mortel le cceur eternel de la France. (VA, 1 sq.)

Ahnlich wie später Julien Benda130 setzt Tinayre den Höhepunkt des französischen Nationalgefühls unmittelbar vor der deutschen Kriegserklärung an Frankreich an. Sie präsentiert ihren im Mai 1915 vollendeten Roman als Rückblick auf eine endgültig vergangene, ideale Zeit, was sie auch durch die Wahl des Passe simple im Vorwort verdeutlicht. La Veillee des armes erschien zu einem Zeitpunkt, als der Stellungskrieg jede Aussicht auf ein baldiges Ende der Kampfhandlungen zunichte gemacht hatte, und ist deutlich als patriotische Botschaft und Versuch der geistigen Mobilmachung zu verstehen. In Tinayres Roman geht es um die Reaktionen verschiedener sozialer Schichten auf den drohenden Krieg, auf den Mord an Jaures und den Mobilmachungsbefehl. Im Mittelpunkt steht die junge, glücklich verheiratete Simone Davesnes, die zwischen ihrer bescheidenen Vorstadtwohnung und dem großbürgerlichen Haushalt der befreundeten Familie Raynaud im Stadtzentrum hin- und herpendelt und dadurch zur Zeugin zweier unterschiedlicher Erfahrungswelten wird. Besonders breiten Raum nimmt die Beschreibung der Welt der einfachen Leute ein, die in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Davesnes leben. Binnen 48 Stunden, so erfährt der Leser, ist nichts mehr, wie es war: Das Plakat mit dem Mobilmachungsdekret ist eine «plaque indicatrice au carrefour de deux epoques» (VA, 225). Aus einem Volk, das Streit und Widerspruch liebte, wird ein

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Cf. Henriette Charasson: «La litterature feminine». In: Eugene Montfort (ed.), Vingt-cinq ans de litterature frangaise. Tableau de la vie litteraire de 1895 ä 1920, t. 2, Paris, Librairie de France, o. J. [1925], p. 77 sq.; Erica Eisinger: «Tinayre». In: Christiane P. Makward, Madeleine Cottenet-Hage, Dictionnaire litteraire desfemmes de langue frangaise de Marie de France ä Marie NDiaye, Paris, Karthala, 1996, p. 586-588. «La volonte des Fran9ais d'etre une nation ne s'est vraiment realisee qu'au bout de vingt siecles, le 2 aoüt 1914. Ce jour-lä, et ce jour-lä seulement, je vois la totalite des Framjais, nobles et roturiers, hommes d'armes et marchands, hommes de villes et hommes des campagnes, democrates et absolutistes, capitalistes et ouvriers, communier dans l'unique sentiment de leur appartenance au meme groupe.» (Julien Benda: Esquisse d'une histoire des Frangais dans leur volonte d'etre une nation, Paris, Gallimard, 1932, p. 101)

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einig Volk von Brüdern (VA, 189 sq.). Die Franzosen vergessen ihre «querelles de famille» und blicken gemeinsam nach Osten, beherrscht von einem einzigen Gedanken: «Une pensee commune habitait quarante millions d'etres» (VA, 52). Individuelle Wünsche und Sorgen werden plötzlich bedeutungslos, die Einzelexistenzen gehen im größeren Ganzen der Nation auf: «Demain, les existences particulieres se fondraient en la vie collective de la nation [...]» (VA, 116). Gegen alle Erwartungen stiftet Jaures' Ermordung keine Zwietracht, sondern gibt Anlass zur Versöhnung aller Parteien (VA, 174 sq.). Politische und soziale Gegensätze spielen keine Rolle mehr; was zählt, ist allein die nationale Zugehörigkeit: «II n'y a plus de Camelots du roi et de syndicalistes; il n'y a que des soldats de France» (VA, 175). Die «unanimite du sentiment et de l'opinion» (VA, 189), die weder Feiern noch Revolutionen zu schaffen vermochten, sondern erst der drohende Krieg, verleiht nun den Franzosen aller Altersgruppen und Schichten «une seule äme et presque un seul visage» (VA, 121). Plötzlich verschwinden selbst die sonst so ausgeprägten physiognomischen Unterschiede zwischen den Franzosen. Die gemeinsamen Sorgen, Gedanken und Gefühle verleihen ihnen eine auch äußerlich erkennbare Familienähnlichkeit: Les physionomies, si differenciees dans notre race, perdaient leur caractere individuel et revelaient un indefinissable . Une cordialite tacite naissait dans le coudoiement sans brusquerie, dans le dialogue impromptu, dans le coup d'oeil echange par les femmes qui songeaient ä leurs enfants, par les hommes qui songeaient ä leur pays. (VA, 121)

Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Franzosen wird jedoch durch die äußere Bedrohung nicht geschaffen, sondern nur verstärkt und bewusst gemacht. Nach Tinayre basiert die nationale Identität vor allem auf Rasse, Sprache und einer sehr langen, ruhmreichen Geschichte.' 3 ' Die gemeinsame Nationalität schafft ein Gefühl der Brüderlichkeit und des Vertrauens: «Le fait qu'on etait Fran^ais creait des liens, fortifiait la confiance» (VA, 190). Die nationale Einheit erscheint im Roman um so mehr als ein «Wunder», als die Autorin in ihren Beschreibungen Vorkriegszeit und «veillee des armes» polarisiert.132 So wird die wiederentdeckte «fraternite de la race» (VA, 178, cf. RI, 58), die Übereinstimmung der Gefühle und Meinungen von den Franzosen selbst als «plaisir tout nouveau» empfunden, weil sie dem Stereotyp des Widerspruchs- und diskussionsfreudigen Volkes so vollkommen widerspricht (cf. VA, 189 sq.) Die neu entstandene Eintracht verkörpert sich beispielhaft in Simones Ehemann, dem Reserveoffizier F r a n c i s Davesnes, der den ihm politisch so fern stehenden Mediziner Maxime Raynaud jetzt nur noch als Bruder betrachtet, genau wie alle

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«II tressaillait, cet amour, au coeur des etres unis par la race, la langue, l'heritage commun d'une tres ancienne et glorieuse histoire, plus etroitement unis par la menace allemande et le defi releve devant l'ennemi masse aux frontieres.» (VA, 231) Tinayre betont die Zerstrittenheit der politischen Lager, die öffentliche Wirkung der pazifistischen Propaganda der Sozialisten, die Bedeutung des Klassenkampfes und der religiösen Konflikte, die sich über Nacht in nichts auflösen.

seine Landsleute. Für Franfois hat die Zugehörigkeit zur selben «race» und der gemeinsame Kampf für Frankreich Priorität gegenüber allen politischen und religiösen Identitäten: [...] avant tout, je suis Francis, et, devant l'ennemi, tout homme de ma race, qui va combattre avec moi, est mon frere, et je ne lui demande pas comment il a vote, s'il a fait ses Päques, s'il est affilie ä un syndicat rouge ou s'il aspire ä restaurer la monarchic. Unissonsnous pour arreter les Allemands sur nos frontieres et retablir la paix en Europe. (VA, 176 sq.)

Francis ist weit davon entfernt, die ideologischen Gegensätze zu leugnen; er vertagt sie nur auf die Zeit nach dem Krieg. Der gemeinsame Nenner ist die Einsicht in die Notwendigkeit, das bedrohte Frankreich zu verteidigen. Aus dem Gefühl der Brüderlichkeit erwächst jedoch auch ein größeres Verständnis füreinander. So hat Franc i s spontan das Bedürfnis, sich Maxime mitzuteilen, «parce que celui-lä etait citoyen et soldat, comme lui, et, que pour tous deux, les mots avaient le merae sens» (VA, 182). Er beobachtet, dass das Verhältnis zwischen Arbeitern und Ingenieuren in seinem Betrieb herzlicher und konfliktfreier geworden ist (cf. VA, 168). Selbst die organisierten Arbeiter grüßen jetzt ihre Vorgesetzten (VA, 195, 254) und erweisen sich zu F r a n c i s ' großer Überraschung als aufrichtige Patrioten. Der Pazifismus habe sich überlebt, der Klassenkampf sei ausgesetzt, so bemerkt Frangois: «C'etait tout simple. Chacun reprenait sa place dans le rang. II n'y avait plus de discussion et de desaccord possible. Les Allemands, ici; les Franijais, lä» (VA, 154 sq., cf. 217). Selbst die sozialen Klassen scheinen aufgehoben, wie auch Jack de Bussy in ihrem Roman Refitgiee et infirmiere de guerre feststellt.133 Die Bedeutung des Einzelnen ergibt sich nicht mehr aus seinem Vermögen oder politischen Einfluss, sondern nur noch aus seinem Beitrag zur nationalen Verteidigung, zum «effort national». In dieser «verkehrten Welt» befiehlt der Kammerdiener der reichen Familie Raynaud als Unteroffizier der Reserve über die vornehmen Salonbesucher, und nun schlägt auch die Stunde von Franfois Davesnes, der bisher ein äußerst bescheidenes Leben führte und jetzt zur idealen Verkörperung des französischen Soldaten wird: Maintenant, dans l'epreuve oü tous ceux de sa generation donneraient leur mesure, il etait exactement le Fran9ais dont la France en peril avait besoin, energique et modeste, domptant par la plus froide volonte 1'emotion du coeur le plus tendre, profondement humain jusque dans les violences de la lutte, dedaigneux des mots, sachant voir en face toutes les realites, et pret au sacrifice anonyme. Partout, il trouverait, il tiendrait la place qui lui etait due: au plus grand danger, au plus grand honneur. (VA, 281 sq., cf. 168)

Francis ist überwältigt von dem radikalen Wandel, den der bevorstehende Krieg in seiner Umgebung auslöst. Nicht nur die Arbeiterschaft, sondern auch seine reichen 133

Cf. die Beschreibung der fliehenden Zivilisten im Bahnhof von Montparnasse: «Les milieux sociaux qui se rencontrent dans le hall, dans les cours et partout, apparaissent ä peine differents, si ce n'est par un mince detail de costume. Tout cachet inherent ä chaque individu a disparu de lui-meme. Sur les bancs, on s'assied sans dedain du voisin. Le mot fratemite a trouve un sens aujourd'hui.» (RI, 58)

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Freunde Jean und Nicolette Raynaud geben ihre antipatriotische Haltung auf.134 Die Komplexität des öffentlichen Lebens ist auf einen alles beherrschenden Gedanken, ein gemeinsames Ziel, einen einzigen Gesichtsausdruck reduziert: «Paris n'etait plus le Paris que j'avais quitte le matin ... Toute sa vie, si complexe, divisee en mille et mille interets, n'avait plus qu'un sens et qu'un but...» (VA, 255) Das Bewusstsein, Zeuge eines einzigartigen historischen Augenblicks zu sein, macht ihn wie trunken. Doch handelt es sich, wie die Autorin an mehreren Stellen hervorhebt, um eine rein geistige Trunkenheit, die ihn ruhig und beherrscht bleiben lässt: «Alors, j'ai ete pris par une espece d'ivresse oü il n'y avait ni plaisir ni trouble, pas meme de l'enthousiasme, beaucoup plus que de l'emotion: une ivresse qui agissait sur mon cerveau et non pas sur mes nerfs et qui pourtant me soulevait la poitrine» (VA, 255). Auch seine Landsleute tragen ihr Schicksal resigniert, aber entschlossen und bleiben in ihrer patriotischen Begeisterung besonnen (cf. VA, 196 sq., cf. 169). F r a n c i s ' Frau Simone fällt es wesentlich schwerer, ihr «devoir [...] atroce» (VA, 211) zu akzeptieren und sich von ihrem Mann zu trennen. Sie durchlebt einen fast zwei Tage dauernden Konflikt zwischen Liebe und patriotischem Pflichtbewusstsein. Schließlich wird ihr die Haltung der einfachen Leute zum Vorbild. Nach der Bekanntmachung des Mobilmachungsdekrets am 1. August geht sie durch die Straßen von Paris und entdeckt, dass die zwischenmenschlichen Beziehungen eine neue Qualität gewonnen haben, dass sie emotionaler, herzlicher und selbstloser geworden sind: [...] une tendresse remuait la foule, qui la gagna, eile aussi, dans un chaud frisson, et eile comprit qu'ä cette minute, les affections individuelles se confondaient en un seul amour. [...] Maintenant, quarante millions de Fran?ais composaient seulement la Familie frangaise. Les egoi'smes fondaient ä la flamme pure du sacrifice universel. Tous ceux qui restaient voyaient en ceux qui partaient des freres et des fils; et les larmes, dans les yeux resignes, n'etaient plus que de la lumiere. (VA, 231)

Die Krise macht den Franzosen bewusst, dass sie über alle Interessengegensätze hinweg eine große Familie bilden - womit sich die Autorin einer Metapher bedient, die wiederum den Gegensatz zum voluntaristischen Nationenkonzept Renans verdeutlicht. Leon Daudet datiert den entscheidenden Wendepunkt im Nationalgefühl der Franzosen nicht erst auf den Tag der Mobilmachung, sondern schon auf den 31. Juli, den Tag der Ermordung des Sozialistenführers Jean Jaures, die in Daudets Spionageroman La Vermine du monde (1916) verharmlosend als «tripotee soignee» (VM, 271) für Antipatrioten und Antimilitaristen bezeichnet wird. Für Daudet ist das Gefühl der nationalen Einheit latent vorhanden und wird durch den Kriegsausbruch nur ins Bewusstsein aller sozialer Schichten gerufen. Die bis dahin zerstrittenen, stark auf das Ausland und insbesondere das feindliche Deutschland fixierten Franzo134

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«Die Arbeiterklasse» und «die Reichen» sind auch für Alfred Bouchinet die zwei typischen Vertreter des Antipatriotismus (cf. «Le patriotisme. Sensibilite individuelle et sensibilite nationale». In: Mercure de France 125, 16.2.1918, p.621).

sen erweisen sich nun durch alle politischen Lager hindurch als wahre Patrioten, die konsequent für die Vaterlandsverteidigung eintreten. Ähnlich wie bei Tinayre kommt es auch in La Vermine du monde zu einem grundlegenden Wertewandel, der die politische Rechte bestätigt: Pazifismus, Antimilitarismus, der Klassenkampf und das Bemühen um eine Verständigung mit Deutschland erweisen sich als Illusionen, als vorübergehende Verirrungen (VM, 265-271). Die mangelhafte Vorbereitung Frankreichs auf den Krieg wird durch das blinde Vertrauen ausgeglichen, das die Nation nun ihren «chefs energiques, lucides et solides» (VM, 306) entgegenbringt. Deren Handeln ist nur deshalb von Erfolg gekrönt, weil eine gut funktionierende Zensur öffentliche Debatten über militärische Fragen verhindert. Die starke nationale Einheit entsteht nach Ansicht von Daudet hauptsächlich durch die allgemeine Einsicht in den Primat des Nationalen und die unbedingte Anerkennung der militärischen und politischen Führung. Hatte Tinayre die Einheitseuphorie während der «veillee des armes» als zeitlich eng begrenzte Ausnahmesituation beschrieben, so ist für Daudet der Bruch zwischen einer als negativ erinnerten Vergangenheit und einer euphorisch erlebten Gegenwart endgültig: Der Kriegsausbruch wird als Beginn einer politisch-gesellschaftlichen Revanche für die Vorkriegsjahre erlebt. Im Krieg zeigen die Franzosen ihr wahres, patriotisches Gesicht, und die Deutschen müssen zu ihrer großen Enttäuschung feststellen, dass ihre Gegner «avec une cocarde dans le coeur» zur Welt kommen (VM, 252) und sich wohl niemals wieder so verwundbar zeigen werden wie im Juli 1914 (cf. VM, 316 sq.). Frankreich bewährt sich im Kampf, während die Organisation der deutschen Spionage und ihr in langen Jahren in Frankreich aufgebautes Kommunikationsnetz versagen (cf. VM, 277). Bezeichnenderweise lässt Daudet die Romanhandlung mit dem französischen Sieg in der Marneschlacht enden, die in seinen Augen das wichtigste Kriegsziel der Deutschen, nämlich die Eroberung von Paris, zunichte gemacht hat (cf. VM, 315). Der auf den Mamesieg folgende Stellungskrieg, der die auf eine harte Probe stellte, wird in seinem Roman ausgespart. Benjamin gehört zu den wenigen ,135 die die gesamte Nation durch die feindliche Bedrohung geeint sehen. In seinem Roman Gaspard taucht der Krieg in zwei Kontexten als Einheitsstifter auf: zum einen macht er dem Einzelnen seine Integration in die Nation bewusst, und zum anderen sorgt er über eine Vermischung der sozialen Schichten für die gegenseitige Korrektur von Vorurteilen und die Überwindung von Konflikten. Zur Versöhnung der Gegensätze kommt es vor allem in der Armee, aber auch zwischen Soldaten und Zivilisten in der Heimat. So stellt der Titelheld Gaspard fest, dass die großbürgerliche Krankenschwester seine Ideen über die Deutschen, den Marnesieg und die Zerstörung der Kathedrale von Reims teilt (G, 202), und kommt zu dem Schluss, dass der Krieg eine Verständigung zwischen Franzosen überhaupt erst ermöglicht hat (G, 249). 135

Es ist allerdings umstritten, ob und wie lange Benjamin Fronterfahrung sammeln konnte (cf. Cru: Temoins, p. 567 sq.).

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Leon Werth stellt in Clavel soldat (1919) die und die spätere Desillusionierung über die Kriegsursachen und -ziele aus der Perspektive der französischen Linken dar. Ganz im Gegensatz zu Daudet interpretiert Werth gerade den Kriegsbeginn als einen Moment der Verirrung und des Verrats an den Prinzipien des Sozialismus. Die Erfahrung des Krieges bedeutet für seinen Protagonisten Clavel den Verlust seiner moralischen Orientierungspunkte und politischen Vorbilder. Clavel, der geglaubt hatte, für ein Ideal zu kämpfen, muss nun einsehen, dass er nur die Politik der Regierung unterstützt hat (CS, 144-146). In den Romanen der anderen und später auch bei Colette und Rachilde ist von einer die ganze Nation erfassenden Gemeinsamkeit der Anschauungen und Empfindungen schon keine Rede mehr. Zwar wird der Minimalkonsens über die Notwendigkeit der Verteidigung Frankreichs hier nirgends in Frage gestellt, doch wird jetzt der Gegensatz zwischen Front und Heimat zum Topos der Kriegsliteratur. Die hat sich in den Augen mancher Schriftsteller in die Schützengräben zurückgezogen, wo sie als «Frontgemeinschaft» weiterlebt. Schon in Benjamins Roman Les Soldats de la guerre. Gaspard, der im selben Jahr 1915 veröffentlicht wurde wie Tinayres La Veillee des armes, ist das Bewusstsein nationaler Einheit über alle sozialen Schichten und weltanschaulichen Gegensätze hinweg nur noch unter den Soldaten zu fmden. Franconi stellt die aus dem Rückblick des letzten Kriegsjahres als eine Illusion dar, die möglicherweise ihren Zweck erfüllt habe, der Wirklichkeit aber auf Dauer nicht standhalten könne: weder hätten alle Menschen ihre Gesinnung wirklich geändert, noch würden sie die Notwendigkeit der Verteidigung Frankreichs einsehen (cf. UT, 105 sq.).

2.2 Die Soldaten Das in den Romanen Tinayres und Daudets entwickelte Bild von einer durch die äußere Bedrohung geeinten Nation wird seitens der in zunehmendem Maße hinterfragt. Das Bewusstsein einer Spaltung zwischen Front und Heimat, aber auch die Abgrenzung von den höheren Offizieren, die besonderen Lebensbedingungen im Schützengraben und die gemeinsame Opferrolle, die sich die Soldaten zuschrieben, förderte die Herausbildung einer eigenständigen Gruppenidentität der Frontkämpfer.'36 Diese wurde allerdings von den einzelnen Autoren sehr unterschiedlich definiert. So konnte die Gemeinschaft der Soldaten entweder als bloße Schicksalsgemeinschaft beschrieben werden, in der widrige äußere Umstände eine Gleichheit des Leidens geschaffen hatten, sie konnte als Solidargemeinschaft gewürdigt werden, die das Leben erleichterte und häufig erst das Überleben ermöglichte, oder aber als «Frontgemeinschaft» im engeren Sinne, als Männerbund und 136

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Zur Opferrolle der Frontkämpfer siehe Charles Dedeyan: «L'unite se fait contre l'autorite superieure souvent accusee de manquer d'intelligence et contre l'arriere egoi'ste et inconscient ou sciemment planque loin du danger. Iis sont eux, les combattants, toujours les memes, les leses.» (Une guerre dans le mal des hommes, p. 246, cf. ibid., p. 246-252)

Wertegemeinschaft, glorifiziert werden. Eric J.Leed hat die «Frontgemeinschaft», ausgehend von der deutschen Kriegsliteratur, als eine organische, durch Einheit des Willens, Zusammenarbeit, Auflösung der Individualität und Aufhebung von Klassengegensätzen gekennzeichnete Gemeinschaft charakterisiert.137 Der Kameradschaftsgedanke war selbstverständlich nicht erst während des Ersten Weltkrieges aufgekommen, sondern gehört, wie George L. Mosse gezeigt hat, zur Mythologie aller Wehrpflichtigenarmeen seit der Französischen Revolution. Unter den Bedingungen des Schützengrabenkrieges erreichte jedoch die Verherrlichung der Idee von der «Frontkameradschaft» ihren absoluten Höhepunkt, auch wenn sie der Praxis nicht immer standhielt.138 Bei einigen Veteranen bildete die Sehnsucht nach Gruppenzugehörigkeit und nach einer «certaine forme d'exaltation suscitee par l'immersion complete dans les formes de combat apparues lors de ces quatre annees» die Grundlage für die Attraktion faschistischer Bewegungen in der Zwischenkriegszeit.139 Im folgenden Abschnitt geht es um die Selbstwahrnehmung der Soldaten als Gruppe und ihren Bezug zur Nation. War das Ideal der «Frontgemeinschaft» die Fortsetzung der en miniature oder eher ein Gegenentwurf zum Mythos von der nationalen Einheit? Welchen Personenkreis umfasste die Frontkameradschaft, und von welchen Gruppen grenzten sich die Soldaten ab? Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst die Wahrnehmung und Deutung des Bruchs mit der eigenen Vergangenheit und der zivilen Gesellschaft untersucht werden, wie sie in den Romanen zum Ausdruck kommt. In einem zweiten Schritt geht es um die Auseinandersetzung der mit dem Konzept der «Frontgemeinschaft». Ein dritter Untersuchungsbereich betrifft das Soldatenbild, das Benjamin, Vignes Rouges und Franconi durch die typisierende Behandlung ihrer Romanfiguren vermitteln. Inwiefern waren ihre Titelhelden Prototypen des französischen Staatsbürgers und Verkörperungen republikanischer Ideale? Die Selbstdefmition der Soldaten, aber gleichzeitig auch der Nation, soll abschließend durch die Untersuchung des Bildes von der militärischen Führung und der Kolonialtruppen — zweier Gruppen, die zwar zu den Soldaten gehörten, von diesen teilweise aber auch als Alterität wahrgenommen wurden - vervollständigt werden.

137 Cf. Leed: No Man's Land, p. 83-88. 138 Cf. George L. Mosse, «Rushing to the Colors: On the History of Volunteers in War». In: Religion, Ideology and Nationalism in Europe and America. Essays Presented in Honor of Yehoshua Arieli, ed. Hedva Ben Israel, A. Goren [et al.], Jerusalem, The Historical Society of Israel and the Zalman Shazar Center for Jewish History, 1986, p. 178. - Zur Bedeutung der «fraternite des tranchees» für die Kriegsveteranen-Bewegung in Frankreich siehe Antoine Prost: Les Anciens Combattants et la societe frangaise 1914-1939, t. 3: Mentalites et ideologies, Paris, Presses de la FNSP, 1977, p. 24-33. 139 Cf. Audoin-Rouzeau: Combattre, p. 12.

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2.2.1 Die Erfahrung der Isolation vom zivilen Leben Das Leben in den Schützengräben trennte die Soldaten nicht nur räumlich von den Menschen in der Heimat, sondern auch von ihrer früheren bürgerlichen Existenz und von der menschlichen Zivilisation schlechthin. Abgeschnitten vom Rest der Welt, eingegraben in die Erde und ständig mit dem Tod konfrontiert, fühlten sie sich verbannt in ein Niemandsland ohne eindeutige Grenzen zwischen Leben und Tod. Gerade die ständige Bedrohung des Lebens machte aus der Front einen besonderen Raum und vermittelte den Soldaten das Gefühl, eine Art Inseldasein zu fuhren. Pierre Chaine assozierte diese Isolation einerseits mit einem Verlust von Freiheit - so setzte er die Aufnahme seines Protagonisten in die Armee mit einer Gefangennahme gleich (MR, 44, 57) - und andererseits mit dem Abschied vom Leben. «[...] notre premiere impression fut celle d'un isolement terrible», schrieb der Autor der Memoires d'un rat über die Ablösungsmannschaft, die nach der Durchquerung einer Mondlandschaft die vorderste Linie erreichte: «Mures entre deux zones de mort, nous nous sentions dejä retranches des vivants» (MR, 110). Da sich die Kampflinie ständig verschieben konnte und das Schlachtfeld so stark zerstört war, dass es keine optischen Orientierungspunkte mehr bot, ergaben sich die Grenzlinien allein aus dem Übergang in eine neue Gefahrenzone, die andere Verhaltensweisen erforderlich machte.140 «II y a longtemps dejä que nous sommes places aux frontieres de l'humanite que nous pouvons passer d'un instant ä l'autre» (FP, 13), so erklärt Malherbes Erzähler seine übernatürlichen nächtlichen Begegnungen mit der personifizierten Erinnerung, der Liebe und dem Tod. Das zweijährige Leben in und unter der Erde wird gar mit dem körperlichen Zerfall nach dem Tod verglichen (FP, 47), so dass die eigentliche Beerdigung letztlich nur als Verlängerung der Existenz im Schützengraben erscheint (FP, 41). Das Gefühl des absoluten Bruchs mit der zivilen Gesellschaft und der eigenen Vergangenheit lässt eine Rückkehr in das zivile Leben, ja in das Leben schlechthin ausgeschlossen erscheinen: Für die Soldaten gibt es nichts als den Krieg, «[e]t ä la limite de cet horizon etouffant, la mort...» (FP, 134) Diese Fixierung auf den Tod unterscheidet sie in Malherbes Augen grundlegend von den Zivilisten: «Les autres vivent leur vie et nous commemjons de vivre notre mort ...»"" Die Soldaten haben zwar alle menschlichen Bindungen zur Heimat gelöst, teilen aber das Gefühl der Isolation mit ihren vielen Kameraden: «Nous sommes seuls et innombrables, solidaires et etrangers» (FP, 217). Lebende und tote Soldaten bilden nach Malherbes Vorstellung eine große Gemeinschaft außerhalb der menschlichen Gesellschaft: Sie sind beide auf ihre Weise begraben und vereint durch ihren Status als Eingeweihte, 140

«Le champ de bataille de Verdun pouvait se diviser en trois zones, qui se succedaient de rarriere ä l'avant. La premiere ne possedait pas du cote de l'arriere une frontiere bien precise. [...] L'entree dans la zone des boyaux n'etait pas determinee, comme on pourrait le croire par l'existence materielle de ces demiers, mais par le moment oü la prudence exigeait qu'on y descendit. — A cette epoque, ce point psychologique etait marque geographiquement par le tunnel de Tavannes.» (MR, 105) 141 FP, 217; cf. FP, 208, 218: «II nous faut un autre monde ...».

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denen das Mitleid und die Trauerreden der Zivilisten nichts bedeuten: «Les morts et les vivants de nos armees combattantes sont dejä lies au meme mystere originel, englues dans la meme glaise ...» (FP, 219). Die Pläne, die Kraft und die Leidenschaft des toten Freundes leben im Erzähler weiter (cf. FP, 207 sq.); die Toten werden nicht in ein Totenreich verbannt, sondern in die Mitte der Lebenden aufgenommen - «ce sont nos families» (Β, 239), heißt es bei Vignes Rouges. Wie Malherbe und Adrien Bertrand142 präsentiert auch Henri Barbusse die Frontsoldaten als lebendig Begrabene: «On est enterre au fond d'un eternel champ de bataille [...]» (LF, 29). Seine Darstellung des Krieges beginnt mit dem Kapitel Dans la terre und liest sich zunächst wie ein Reisebericht über exotische Völker, mit dem Unterschied, dass der Erzähler selbst zu den Beschriebenen gehört. Im Morgengrauen erscheint das Schlachtfeld wie ein «desert [...] immense et plein d'eau» (LF, 28), bevölkert von Menschen, die Polarbewohnern oder Wilden gleichen.143 Als Ort der Höhlenmenschen'44 und Wilden bildet die Front eine Gegenwelt zur Zivilisation: Der Soldat Tulacque trägt bei seinem ersten Auftritt im Roman eine «hache ancien modele» (LF, 35), die er bei Erdarbeiten ausgegraben hat und die sich als authentisches prähistorisches Werkzeug erweist (cf. LF, 35). Die Illusion eines Frühmenschen ist perfekt: «II brandit sa hache d'homme quaternaire et semble lui-meme un pithecanthrope affuble d'oripeaux, embusque dans les entrailles de la terre» (LF, 35). Das Leben in der Erde macht die Soldaten zu «troglodytes sinistres emergeant ä moitie de leurs cavernes de boue» (LF, 73). Der Topos vom Rückfall in die Steinzeit ist Ausdruck einer negativen Bewertung der Isolierung vom normalen menschlichen Dasein,145 die Primitivität hat jedoch auch positive Konsequenzen. So ist sie zum einen das verbindende Element, das alle noch so großen Unterschiede des Alters, der Herkunft, der Bildung und der persönlichen Verhältnisse innerhalb der Korporalschaft aufhebt: «A travers la meme silhouette grossiere, on cache et on montre les memes mceurs, les memes habitudes, le meme caractere simplifie d'hommes revenus ä l'etat primitif» (LF, 43). Zum anderen lässt sie die Soldaten, die den dürftigen Lebensbedingungen trotzen und hingebungsvoll an Aluminiumringen für ihre Frauen arbeiten, noch menschlicher erscheinen.'46 Für Barbusse ist der zivilisatori-

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Die Soldaten, von denen kein einziger die Schlacht im Schlusskapitel überleben wird, ahnen bereits, dass der Weg zu den Schützengräben eine «marche ä la mort» (AS, 207) ist. Beim Abstieg in die Laufgräben glauben sie das Reich der Lebenden zu verlassen: «On penetra dans le premier boyau; on avait brusquement la sensation de descendre dans sa tombe; on ne participait dejä plus aux choses; on venait de franchir le seuil du neant.» (AS, 207)

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«Nous sommes emmitoufles ä la maniere des populations arctiques.» (LF, 29); «En voilä un qui se montre, avec sa couverture formant capuchon. On dirait un sauvage ou plutöt la tente d'un sauvage [...].» (LF, 30). Cf. LF, 295: «les mises des hommes des cavernes». Siehe hierzu Leed: No Man's Land, p. 139. «Dans ces trous denudes de la terre, ces hommes inclines avec respect sur ces bijoux legers, elementaires, si petits que la grosse main durcie les tient difficilement et les laisse couler, ont Γ air encore plus sauvages, plus primitifs, et plus humains, que sous tout autre aspect.» (LF, 70)

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sehe Rückschritt in den Schützengräben letztlich nur ein äußerlicher, der sich auf Kleidung und Alltagsleben beschränkt. Um so krasser wirkt der Gegensatz zur Gefühls- und Gedankenwelt der Soldaten, und um so gewaltiger erscheint auch das Opfer, das ihnen abverlangt wird. Im Hauptkapitel Le Feu betont Barbusse, dass es sich bei den Soldaten um entwurzelte Zivilisten handle, um gesunde Männer, die sich bei klarem Verstand und vollem Bewusstsein in den Irrsinn des Krieges stürzen: Ce ne sont pas des soldats: ce sont des hommes. Ce ne sont pas des aventuriers, des guerriers, faits pour la boucherie humaine - bouchers ou betail. Ce sont des laboureurs et des ouvriers qu'on reconnalt dans leurs uniformes. Ce sont des civils deracines. Iis sont prets. Iis attendent le signal de la mort et du meurtre; mais on voit, en contemplant leurs figures entre les rayons verticaux des bai'onnettes, que ce sont simpleraent des hommes. [...] Iis ne sont pas insouciants de leur vie comme des bandits, aveugles de colere comme des sauvages. Malgre la propagande dont on les travaille, ils ne sont pas excites. Iis sont au-dessus de tout emportement instinetif. Iis ne sont pas ivres, ni materiellement, ni moralement. C'est en pleine conscience, comme en pleine force et en pleine sante, qu'ils se massent lä, pour se jeter une fois de plus dans cette espece de röle de fou impose ä tout homme par la folie du genre humain. (LF, 309)

Dorgeles dagegen stellt den Übergang vom zivilen Leben zur Soldatenexistenz in Les Croix de bois als Verlust von Menschlichkeit, als sittliche Verrohung und Verwilderung dar.147 «[H]ier encore, ils vivaient comme des hommes» (CB, 6), stellt der Erzähler Jacques Larcher über die drei Neuankömmlinge fest, die ihrerseits die erfahreneren Soldaten betrachten «comme s'ils etaient tombes chez les sauvages» (CB, 7). Primitiv und unzivilisiert erscheinen auch die Beutegier, die Essensausgabe, das Kochen, die Unterkünfte, ja selbst die Vergnügungen.148 Die abgelösten Soldaten betrachten die Zeichen der Zivilisation in der ersten kleinen Stadt hinter der Front «avec une hebetude eblouie de sauvages, sans nous lasser de crier notre joie» (CB, 194). Während Chaine, Dorgeles und insbesondere Barbusse die Erfahrung der Isolation von der Welt der Zivilisten als schreiende Ungerechtigkeit begreifen, wird sie in der kriegsapologetischen Literatur der beiden letzten Kriegsjahre, zu der auch der bereits erwähnte Malherbe zu zählen ist, durch ein ausgeprägtes Elitebewusstsein kompensiert. Hier lassen sich zum Teil verblüffende Parallelen zur Standesethik feststellen, wie sie im höfischen Roman eines Chretien de Troyes zum Ausdruck

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Ähnlich bei Maurice Genevoix (SV, 248). «A chaque halte, il [...] se delestait de quelque chose [...] - un tas d'objets saugrenus que les camarades se disputaient sauvagement sans savoir au juste ce qu'ils en feraient.» (CB, 31); «C'est ainsi que les sauvages doivent faire leur cuisine, j'imagine.» (CB, 62); «Tous les cuistots suivent en file indienne, charges de [...] tout un attirail rudimentaire de negresses ravitaillant leur tribu.» (CB, 69 sq.); «II ne reste plus, des fragiles paillotes construites en septembre, que quelques hutte malgaches [...]. Pourtant le cantonnement s'appelle toujours le village negre. Ceux que je visitais, enfant, pour vingt sous, n'etaient pas plus amusants, et je crois, quand je nous regarde, retrouver les memes sauvages - un peu moins noirs tout de meme - qui preparent leur couscous dans des gamelles de fer-blanc.» (CB, 104); «[...] Broucke mime une danse canaque, en brandissant sa hachette.» (CB, 66)

kommt.'49 Diese Standesethik war nach Erich Auerbach durch die Kriterien der Absolutheit und der Exklusivität definiert und gab demjenigen, der ihr unterworfen war, das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft von Auserwählten, einem von der Masse der Menschen abgegrenzten «Solidaritätskreis».150 Malherbes Soldatenbild zeugt von einer großen inneren Zerrissenheit. Einerseits leugnet er nicht, dass die Schützengrabenexistenz große Beschränkung und Entbehrung für die Menschen bedeutet, sie abstumpfen lässt und geistig uniformiert (FP, 134). Andererseits wird der endlose, zermürbende Stellungskrieg bei Malherbe zum Prüfstein für Elitesoldaten. Nicht der Wagemut der dramatischen ersten Kriegswochen, sondern das zähe Weiterkämpfen in einem endlos scheinenden Krieg zeichne die Besten aus: Nous avons cru, nous autres, qui avons lutte les premiers mois de la Campagne, que nous ne verrions pas de plus hauts spectacles de sacrifice humain. Mais non. C'est aujourd'hui qu'il est beau de combattre et d'oser. Apres plusieurs mois de guerre, seules, les grandes ämes ne sont pas rassasiees. Ceux dont la furie dure et qui allient la ruse actuelle ä l'audace ancienne sont les premiers des hommes. (FP, 117)

Die ständige Bedrohung ihres Lebens macht die Soldaten einerseits zu Todgeweihten, sie lässt ihnen aber andererseits besondere Erkenntnisse zuteil werden: «Ces soldats qui grouillent, sombres et violents, sur les lignes des batailles, sont dejä des trepasses ... Mais la guerre leur donne une optique speciale. Iis sont assez puissants pour s'emparer d'un peu de verite» (FP, 218). Egalisierung und Persönlichkeitsverlust werden von den Einzelnen zwar als negativ erfahren, aber akzeptiert, weil sie die Effizienz der Soldaten steigern.151 Soldat zu sein bedeute, alle Gedanken und Sinne rein funktionell auf den Kriegseinsatz zu richten,152 der Aktion oberste Priorität einzuräumen und sich im Schweigen zu üben (cf. FP, 133). Die Degradierung des Soldaten zum Handlanger an Maschinen, die Reduzierung des Menschen auf seine gegenwärtige Funktion, wird positiv als eine Verinnerlichung des Kampfes gedeutet, als eine harmonische Einheit von Mensch und Maschine: Les servants vivent depuis si longtemps avec leurs canons qu'ils ont la meme grace oscillante, et ils ressemblent ä des automates rapides, souples et precis. Les gestes du 149

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Paul Fussell hat aufbauend auf Erich Auerbach eine Parallele zwischen den Erzählmustern des höfischen Romans und denen des britischen Kriegsromans gezogen, die sich auch auf einige französische Beispiele anwenden lässt (cf. The Great War and Modern Memory, p. 135). Cf. Erich Auerbach: Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen/Basel, Francke, '1994, Kap. VI, besonders p. 131-133, 136-138. «On peut nous oublier et nous confondre. Nos personnalites sont dechirees. [...] Nous sommes le sol en mouvement, nombreux et forts comme les arbres de la foret battue par les orages. On ne nous reconnait plus dans les branches emmelees de ces maquis, de ces massifs, de ces halliers.» (FP, 20) «L'instinct de chasse et de conservation, quelques idees precises et depouillees, des sens purs, clairs et penetrants nous habitent, et seuls, nous dirigent.» (FP, 68 sq.)

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chargeur ont l'elasticite violente et soumise de la piece qui recule sur les glissieres du frein. Fixe unite d'organes multiples et harmonieux. (FP, 116 sq.)

Malherbe vergleicht wie Massis (LS, 205) das Soldatendasein mit dem Leben im Kloster: Von den Soldaten werde verlangt, die Erinnerungen an ihre frühere zivile Existenz auszulöschen, Phantasie und Gedanken auf «des lignes pures, simples» (FP, 185) zu reduzieren, allem Besitz und allen weltlichen Freuden zu entsagen (cf. FP, 20) und ihr Leben ganz dem «devoir saint» zu weihen: «[...] etre Soldat, c'est etre le glaive nu. [...] C'est se faire aride, puissant et juste. Arne farouche et desertique, d'oü se retirent les prestiges et les jeux, les arts et toutes les graces brillantes et paisibles des societes humaines» (FP, 122). Die klösterliche Strenge und Abgeschiedenheit ihrer Existenz entspricht aber gleichzeitig einem besonderen Reinheitsideal und schafft eine unüberbrückbare Distanz zu den gewöhnlichen Sterblichen, ja sie macht die Soldaten zu einer Gruppe von Fremden, Stigmatisierten: [...] nous avons renonce ä l'amitie, ä l'amour, au bonheur, ä toute la precieuse existence que notre ambition s'etait promise. Ce sacrifice consenti nous a faits si purs qu'aucun homme ne peut plus nous comprendre, ni nous qualifier ... [...] Nous avons rompu tous les liens humains. Nous sommes seuls et innombrables, solidaires et etrangers. [...] Les autres vivent leur vie et nous commen90ns de vivre notre mort... (FP, 216 sq.)

Der Verlust aller menschlichen Züge spiegelt sich in den «visages durs et farouches» der Soldaten und macht sie zu einer «troupe d'automates etranges», die einem Sciencefictionroman entstiegen scheinen (FP, 147). Doch ist die Entmenschlichung für Malherbe nur eine scheinbare, denn unter einer brutal erscheinenden Oberfläche verberge der Soldat «une tremblante delicatesse, une pudeur sentimentale insoupgonnees» (FP, 152). Wie wenig Malherbes Ich-Erzähler selbst der Gestalt des Jägers und Spähers entspricht, der Sprache und Denken auf ein Minimum reduziert hat, erhellt schon aus der Tatsache, dass er den gesamten Roman im Präsens erzählt und dadurch die Reflexion über den Krieg in eine zeitliche Nähe zum Erleben rückt. Auch bei Vignes Rouges bildet die Grenzerfahrung der Frontkämpfer die Grundlage ihres Elitebewusstseins. Doch erst die Reaktionen der «anderen», nämlich die Neugier und Aufmerksamkeit der Zivilisten, führt den Soldaten ihre Exklusivität vor Augen: [...] ä voir tous ces civils curieux et attentionnes, les soldats ressentent l'impression qu'ils viennent reellement d'un endroit oü tout le monde n'a pas ete. Parole d'honneur! ils l'avaient oublie. [...] le Front leur apparait maintenant comme une sorte d'atelier sinistre et grandiose oü seule une elite - la leur - est admise ä accomplir la terrible besogne. (B, 227)

Vignes Rouges rückt diese Elitevorstellung in eine quasi-religiöse Sphäre, wie das folgende Beispiel zeigt: «Voilä un bataillon parti vers Vauquois! [...] Les paysans contemplent le convoi avec les yeux etonnes que l'on voit, sur les images pieuses, ä ceux qui regardent un elu monter au ciel» (B, 78 sq.). Die Soldaten gehören zu einem Kreis von Erwählten, zu dem sie erst nach Bestehen verschiedener «Prüfungen» Zugang erhalten haben. Um auf den Hügel von Vauquois, die «colline sacree» 74

zu gelangen, muss sich der junge «neophyte» (B, 80) - man beachte die religiöse Metaphorik - einer Initiation unterziehen: «[...] on n'aborde pas la colline avec familiarite; comme pour approcher une deesse trönant au fond d'un temple mysterieux, une initiation s'impose: il faut se rendre digne du terrible baiser qu'elle vous donnera» (B, 79). Die Front ist bei Vignes Rouges ein vom normalen Leben abgeschirmter Ort der Bewährung, dem sich der Soldat nähert wie der Ritter im höfischen Roman dem Schauplatz der «aventure». Bei Franconi wird die Front sogar explizit als Welt der «aventure» bezeichnet: «Un Tel entre, avec son bataillon, dans cette mysterieuse region de l'aventure» (UT, 33); «les troupes avanfaient, allaient ä l'aventure» (UT, 147). Sein Held besteht «aventures guerrieres» (UT, 81), und seine Kameraden sind keine Leidensgenossen, sondern «compagnons d'aventure» (UT, 89). Dass die Waffentaten in Un Tel darüber hinaus häufig mit der Liebesthematik verknüpft sind, ist eine weitere Parallele zum Erzählschema des Ritterromans (cf. UT, 72-76, 108). Die Vorstellung von den Frontkämpfern als Elite, die sich im «Abenteuer des Krieges» bewährt, steht in krassem Widerspruch zum Bild von den «Zivilisten in Uniform» bei Barbusse, die sich mit vollem Bewusstsein und klarem Verstand in den Wahnsinn des Krieges stürzen und eben gerade keine Abenteurer sind. Auch Dorgeles distanziert sich von der Verklärung des Krieges als «Abenteuer». Weder Heldenmut noch Abenteuerlust treibt die Soldaten an, die unhaltbar erscheinenden Stellungen zu verteidigen, sondern Disziplin und Gehorsam. Der Autor von Les Croix de bois erwähnt den im Minenkrieg heiß umkämpften Berg ganz im Gegensatz zu Vignes Rouges nur unter seinem düsteren Beinamen «Mont Calvaire» und beschreibt den Weg dorthin als Leidensweg.153

2.2.2 Einheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: die «Frontgemeinschaft» als Modell einer idealen Gesellschaft? Im letzten Kapitel wurde versucht, die Bedeutung der Abgrenzung von den Zivilisten für die Gruppenidentität der Frontsoldaten herauszuarbeiten. Wie sich gezeigt hat, fiel die Abgrenzung von der Heimat bei den Autoren, die die Frontsoldaten als Schützengrabengemeinschaft von «in Stahlgewittem gehärteten», dem zivilen Leben entfremdeten Männern idealisierten, am schärfsten aus. Im Folgenden soll es nun um die Wahrnehmung und Darstellung des inneren Zusammenhalts der «Frontgemeinschaft» gehen. Dabei wird auch danach gefragt, inwieweit die Schützengrabengemeinschaft eine Vorbildfunktion für die Nation hatte. Bei Rene Benjamin entsteht die «Frontgemeinschaft» im Grunde genommen schon bei der Mobilmachung. Das uniformierte, im Gleichschritt marschierende Regiment wird auch geistig zu einer Einheit; individuelle Vorstellungen, Interessen und Gefühle werden bedeutungslos:

153 Cf. CB, 133-141; siehe auch Kap. IV.4.

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Ce qui fait l'etrange beaute d'un regiment qui part, c'est d'abord l'uniforme, cette premiere discipline qui eclate aux yeux. Mais sous des kepis pareils, la pensee eile aussi s'egalise [...]. Que deviennent alors les amours, les interets, les peurs, dans cette mise en route generale, ou la cadence du corps empörte les idees? (G, 31)

Das Aufgehen des individuellen Soldaten in seiner Armeeeinheit wird als positive, neue Erfahrung beschrieben, die den Einzelnen zu einem nationalen Symbol erhöht, ihm eine besondere Kraft und Mission verleiht und den Zivilisten vorenthalten bleibt: Les enfants et les femmes aiment voir passer des soldats, mais les hommes n'aiment pas moins etre des soldats qui passent. Les voilä pris dans une foule qui remue. Sont-ils portes? Donnent-ils de Γ elan? Iis ne savent; ils ne s'appartiennent pas. Iis ne pensent plus ; ils sont devenus , et le coeur se gonfle, comme leur Energie se tend. - Ceux qui n'ont pas servi, qui n'ont pas traverse une ville, sac au dos, ignorent une des plus fortes sensations que l'homme puisse avoir, de n'etre dans la machine sociale qu'un tout petit rouage, tres dependant. Mais c'est une servitude qui donne de l'orgueil, car elle exalte en chacun une valeur nationale. Un homme arme, qui marche au pas, se decouvre une force et une mission. II n'agit plus pour son compte; il devient un Symbole, son uniforme est aux couleurs du pays, et il sent bien que c'est une grande chose qu'un regiment qui part. (G, 32)

Doch auch dem Titelhelden selbst kommt eine wichtige Rolle als Einiger und Mobilisator der Soldaten zu. Beim Auszug des Regiments aus der Stadt fühlt sich ein Notarsgehilfe durch Gaspards Persönlichkeit mitgerissen, will ihm folgen und seine Freundschaft gewinnen (G, 14 sq.). In der Armee gelingt es Gaspard, innerhalb von zwei Tagen «des provinciaux, des campagnards, des Parisiens» zu einer einheitlichen Kompanie Soldaten zusammenzuschmelzen (G, 16), in der alle gute Kumpel sind (G, 26). Die Freundschaften zwischen Männern von ganz unterschiedlicher sozialer Herkunft werden möglich, weil sie nicht auf weltanschaulicher Übereinstimmung beruhen, sondern auf einer «fraternite physique, emouvante et la plus sincere» (G, 279). Die gesellschaftlichen Schranken zwischen dem Hauptmann und dem einfachen Soldaten Gaspard können andererseits auch durch eine gleiche geographische Herkunft überwunden werden: «Tous deux de Paris, n'est-ce pas, on se comprenait...»(G, 16) Ähnlich wie bei Benjamin schmelzen die Soldaten auch bei Malherbe zu einem «fleuve de jeunesse et d'energie» zusammen, in dem sich «des individualites identiques, ardentes et simplifiees» ausprägen (FP, 69). Sie kennen einander so genau und sind einander so ähnlich geworden, dass es zum gegenseitigen Verständnis keiner Worte mehr bedarf (cf. FP, 133). Vignes Rouges und Massis rücken die Brüderlichkeit der Frontsoldaten in den Vordergrund. Die Vauquois-Kämpfer bei Vignes Rouges fühlen sich über alle Rangunterschiede hinweg als eine Gemeinschaft von Brüdern (B, 59) und geistige Einheit, geeint durch «volontes identiques» (B, 10), gegenseitige Ermutigungen und positives Denken (cf. B, 25, 151). In der Schlacht ist der einzelne Soldat kein Handelnder mehr, sondern nur noch ein «fetu empörte par le vent», getragen von der «volonte generale» seiner Armeeeinheit (B, 13). Die wie im Rausch erlebte Auslö76

schung der individuellen Persönlichkeit, die schließlich die Eroberung des Hügels von Vauquois ermöglicht, verankert das Wir-Bewusstsein dauerhaft in jedem einzelnen Vauquois-Kämpfer (cf. B, 13). Für Massis bilden die französischen Soldaten eine «societe d'ämes fratemelles» (LS, 206), deren einzelne Glieder vollkommen austauschbar sind. Die Ablösung einer Kompanie durch eine andere verändere nichts: «[...] c'est une meme volonte, un pareil effort qui se prolonge, les memes hommes, la meme race ...» (LS, 191 sq.) Franconi beschreibt zwar seinen Helden Un Tel als ausgesprochenen Individualisten, der sich der Disziplin nur widerwillig unterordnet und dessen Bedürfnis nach Einsamkeit, Unabhängigkeit und persönlichem Besitz sich im Schützengraben noch verstärkt,154 doch auch er wird bei militärischen Aktionen zu einem Teilchen («atome») in der geballten Kraft der Truppe: Un regiment est un faisceau de volontes, de faiblesses, de joies et de rancoeurs. Un Tel etait un des atomes de cette force, souvent diminuee et toujours renaissante. Certes, l'infinie volonte d'un soldat est une freie chose, neanmoins, multipliee par le courage de ses camarades, eile aboutit ä de puissants resultats. (UT, 141)

Un Tel entdeckt in solchen Augenblicken sogar eine Art «magie captivante» darin, nur eine «infime volonte perdue dans cet immense mecanisme» zu sein (UT, 146). Franconi verurteilt auch die Verstöße einzelner Soldaten gegen die militärische Disziplin auf das Schärfste und hebt die Bedeutung von Einheit und Geschlossenheit hervor: «La reelle force de l'existence militaire, c'est de cimenter ä jamais les esprits et les corps des soldats et de savoir leur imposer les genereux sacrifices de vivre et de mourir ensemble» (UT, 176). Die Zusammengehörigkeit der Soldaten wird dem Protagonisten vor allem bei einem Heimaturlaub deutlich. Un Tel, der sich unter den zivilen Besuchern eines Pariser Cafes verloren fühlt, entdeckt in einem anderen Soldaten sofort einen Gleichgesinnten und «frere», dessen Sorgen und Nöte er teilt «parce que les soldats ont une äme commune» (UT, 117). Die «bonne sante morale» und «calme raison» seines Zechkumpanen trösten Un Tel über «la vilenie et la stupidite de ceux qu'il avait la douleur de nommer ses confreres» (UT, 117) hinweg. Die «Frontgemeinschaft» erscheint bei Franconi tatsächlich wie eine im Kleinen: Nur an der Front kommt es in seinen Augen zu einer tatsächlichen Versöhnung aller gesellschaftlichen Gegensätze. Die allen geltende Bedrohung und die gemeinsam ertragenen Entbehrungen fordern unbedingte Solidarität (cf. UT, 165) und lassen die «cordialite des äges d'or» wieder aufleben (UT, 226). Die Soldaten bilden harmonische «bandes fratemelles» (UT, 227), die ihre Militärführer nach den Kriterien des Mutes und der Geschicklichkeit auswählen: Un contact de Sympathie s'etait etabli entre tous les combattants; ils furent disposes ä se decouvrir des qualites et choisirent pour chefs les plus habiles et les plus courageux. Les caracteres les plus opposes se rapprocherent [...]. (UT, 225)

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Cf. UT, 35, 91, 99, 256.

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Wie bereits in Kapitel II. 1.2 gezeigt wurde, illustriert Franconi die Aufhebung der innerfranzösischen Gegensätze anhand der Waffenbruderschaft zwischen dem kapitalistischen Bildungsbürger Donquixotte und dem revolutionären Sozialisten Citoillien. Die erbitterten politischen Kontrahenten von einst entdecken im Schützengraben elementare Gemeinsamkeiten und erkennen in der Landesverteidigung ihr gemeinsames oberstes Ziel: Donquixotte et Citoillien etaient voisins. Iis s'execraient, se reprochant mille mefaits, entre autres de n'avoir rien ä se reprocher. La guerre vint. La vie de tranchee lia, l'un ä l'autre, les deux adversaires. [...] ils apprirent ä se connaitre, et l'irresistible antagonisme qui les separait se dissipa. [...] Iis se sont decouverts des goüts semblables; ils se sont aper^us que le meme desir de vie heureuse et simple les animait; ils ont compris que, pour realiser leur bonheur personnel, il leur fallait defendre, avant tout, les villes et la terre nationales. (UT, 36-39)

Ihre gegensätzlichen Charaktere ergänzen sich perfekt; der «tranquille courage» des einen gleicht die «audace irraisonnee» (UT, 42) des anderen aus. Ebenso kommt es auch zu einer Annäherung zwischen den sozialen Gegensätzen: Der Dichter Un Tel bewundert die Bauern in seinem Regiment, die ihrerseits ihre «haine jalouse» auf den städtischen Intellektuellen vergessen (UT, 225). Obwohl Franconi die nur in der «Frontgemeinschaft» verkörpert sieht, leitet er aus dieser Einheitserfahrung weitreichende Konsequenzen ab. Dem «peuple de soldats» (UT, 173) schreibt der Autor von Un Tel de l'Armee frangaise eine Stellvertreterfunktion für die gesamte französische Gesellschaft zu. In den Augen der Soldaten spiegelt sich «l'äme de la patrie» (UT, 173), und die versammelten Frontkämpfer werden generalisierend und in Anknüpfung an die Revolutionsheere als «[l]e peuple en armes» (UT, 173) bezeichnet. Die «bandes militaires» der Frontsoldaten mit ihrem Korpsgeist und unter Führung ihrer zugleich bewunderten und gefürchteten «chefs» entsprechen Franconis Ideal einer klassen- und parteienlosen Gesellschaft. Sie bilden in seinen Augen eine einflussreiche neue Gruppe, eine gerechte, starke, unerbittliche «aristocratie» (UT, 228), die sich durch ihre Bewährung im Krieg und ihre Gemeinnützigkeit positiv von den politischen Kräften der Vorkriegszeit absetzt und diese bei der «grande releve» ablösen könnte:155

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Cf. UT, 259 sq. - Der Gedanke, dass die zukünftige öffentliche Rolle eines Bürgers von seinem Engagement an der Front abhängig sein solle, findet sich auch bei Georges Duhamel, der allerdings die Soldaten nicht als bessere Menschen verherrlicht (cf. C, 51). Maurice Barres dagegen bedient sich eines ganz ähnlichen kollektiven «mythe du Sauveur» wie Franconi: Die Kriegsheimkehrer, und insbesondere die unter ihnen, werden als gleichsam natürliche Elite präsentiert, die durch den Krieg wie durch ein Erweckungserlebnis auf eine höhere Seinsstufe gehoben und geistig wie moralisch purifiziert worden sei. Sie trete nun an, um die alte, delegitimierte Führungsschicht der Vorkriegszeit abzulösen: «Chez eux, les cordes de l'honneur et de la volonte viennent d'etre touchees d'une telle maniere qu'elles ne s'arreteront plus de vibrer et donneront le ton ä la pensee religieuse et politique, aux arts, ä Taction, ä la vie totale. Iis vont revenir avec un pouvoir spirituel. Iis depossederont d'un accord spontane, pacifiquement, ceux

Elles se differencieront des groupes, sans honneur, qui regnaient avant la guerre sur la Republique: financiers vereux, demagogues assoiffes, rheteurs ventrus qui pillaient leurs compatriotes, en ce qu'elles auront ete creees, pour des buts nobles, dans l'epreuve et sans autre ambition que de partager des souffrances. En verite, une nouvelle feodalite se leve sur le monde! (UT, 227 sq.) Die «Frontgemeinschaft» ist für Franconi zugleich Vorbild und Kern einer «societe nouvelle» (cf. UT, 265). Hier lassen sich Parallelen zum Nationalismus Franz Schauweckers ziehen, dessen Kern eine idealisierte «Frontgemeinschaft» bildete.156 Der Modellcharakter, den Franconi der militärischen Organisationsstruktur zuschreibt, steht allerdings im Widerspruch zu seiner Forderung nach völliger Gedanken· und Meinungsfreiheit, nach Unabhängigkeit von Parteien und weltanschaulichen Gruppen, die er auf die Formel des «principe absolu de la desunion sacree» (UT, 264) bringt. Das vor allem von Benjamin und Franconi propagierte Bild von der Armee als Schmelztiegel der Nation, der die Soldaten aller Rangstufen brüderlich vereint, wird in Le Feu von Barbusse, aber auch in Civilisation

von Duhamel,157 in Frage gestellt.

Die Korporalschaft als kollektiver Held des Romans Le Feu wird als eine durch den Krieg geschaffene Zwangsgemeinschaft dargestellt, in der eine

unfreiwillige

Gleichheit herrscht: Et puis, ici, attaches ensemble par un destin irremediable, empörtes malgre nous sur le meme rang, par l'immense aventure, on est bien force, avec les semaines et les nuits, d'aller se ressemblant. L'etroitesse terrible de la vie commune nous serre, nous adapte, nous efface les uns dans les autres. C'est une espece de contagion fatale. Si bien qu'un Soldat apparait pareil ä un autre sans qu'il soit necessaire, pour voir cette similitude, de les regarder de loin, aux distances oü nous ne sommes que des grains de la poussiere qui roule dans la plaine. (LF, 43) Die Krankheitsmetapher («contagion fatale») unterstreicht, wie negativ die Auslöschung der Individualität durch den Schützengrabenalltag empfunden wird. Andererseits leugnet auch Barbusse nicht, dass das Verhältnis unter den Frontkämpfern von Solidarität geprägt ist. Diese Solidarität beschränkt sich jedoch, wie die Erzählung des Soldaten Eudore über seinen missratenen Heimaturlaub verdeutlicht, auf die einfachen Soldaten und ist sogar ein Unterscheidungskriterium zwischen ihnen

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qu'ils viennent de sauver. leur diront avec effroi les puissants d'hier. Iis repondront: (Barres, «preface». In: Carlos Larronde, Anthologie des ecrivains frangais morts pour la patrie, 1.1, Paris, Larousse, 1916, p. 11) Cf. Leed: No Man's Land, p. 82 sq., 86-88. Cf. C, 71: «La guerre, entre mille miseres, nous a fait eprouver celle de vivre parfois en la compagnie de gens qu'au temps de paix nous eussions soigneusement eloignes de notre chemin.»; C, 134: «Iis ne se connaissent pas; seule, la raison qui les rassemble leur est commune. Iis en ont l'air gene, excede, et ne parviennent pas ä manifester de l'indifference. [...] Accables d'etre un troupeau, quelques hommes se sont mis ä parier, parce que cela soulage l'orgueil; d'autres se taisent, ä cause de l'orgueil aussi.» 79

und den höheren Dienstgraden: Obwohl Eudore nach einer Reihe von bürokratischen Hindernissen nur eine einzige Nacht mit seiner Frau verbringen kann, zögert er keine Sekunde, vier Kameraden in sein winziges Haus aufzunehmen, denen ein Offizier bei strömendem Regen die Unterkunft in einem Bauemhof verweigert hat (LF, 145-150). Die einfachen Soldaten und ihr Korporal Bertrand, der eine natürliche Autorität besitzt und in entscheidenden Fragen als moralische Instanz gehört wird (LF, 172, 327 sq., 340 sq.), bilden jedoch bei Barbusse keine idealisierte «Frontkameradschaft», sondern - wie bei Duhamel (cf. C, 69) - eine reine Schicksals- und Leidensgemeinschaft. Das Regiment, zu dem die Koiporalschaft gehört, ist in sich homogen, gerade weil es kein repräsentativer Querschnitt der Gesellschaft ist. Es spiegelt vielmehr den gesellschaftlichen Gegensatz zwischen Ausbeutern und Unterdrückten wider. So sind zwar «tous les äges» und «toutes les races» (LF, 40) vertreten, aber nur wenige sozioprofessionelle Gruppen. Das Regiment setzt sich hauptsächlich aus einfachen Arbeitern und Bauern zusammen, Freiberufler fehlen fast ganz: Aux epoques abolies oü on avait une condition sociale, [...] qu'etions-nous? Laboureurs et ouvriers pour la plupart. [...] Nous sommes des soldats combattants, nous autres, et il n'y a presque pas d'intellectuels, d'artistes, ou de riches qui, pendant cette guerre, auront risque leurs figures aux creneaux, sinon en passant, ou sous des kepis galonnes. (LF, 41—43)

Der Hinweis auf die wenigen «kepis galonnes», die während des Krieges an vorderster Front zu sehen waren, zeigt ebenso wie die Eudore-Episode, dass sich die Frontkämpfer in Le Feu scharf von den höheren Offizieren abgrenzen, die einer anderen sozialen Kategorie angehören und nicht denselben Gefahren ausgesetzt sind. Im Schlusskapitel werden die einfachen Soldaten explizit als Opfer fremder Interessengruppen wie Armee (d.h. Berufsoffiziere), Kirche und Nationalisten dargestellt. Mit der metaphorischen Bezeichnung der Soldaten, unter denen sehr viele Bauern waren, als «pauvres ouvriers innombrables des batailles» (LF, 430) überträgt Barbusse den Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf den Gegensatz zwischen Front und Heimat (cf. LF, 430-433). Der Krieg dient in seinen Augen letztlich nur einigen reaktionären Ausbeutern, die den Status quo zu verteidigen suchen. Diese seien unabhängig von ihrer nationalen Zugehörigkeit und auf viel grundsätzlichere Weise Feinde der Frontkämpfer als die deutschen Soldaten, die schließlich nur Opfer ihres Systems seien (cf. LF, 432). Die Arbeiter-Metapher ist Ausdruck der Entfremdung der Soldaten im marxistischen Sinne: Die Erkenntnis, dass die einfachen Soldaten im Krieg gegen ihr Klasseninteresse handeln, bildet die Grundlage für die Forderung, die gesellschaftlichen Verhältnisse dahingehend zu verändern, dass es nie wieder zu Kriegen kommen kann. Bei ihrem Kampf für Frieden und soziale Gerechtigkeit kommt den Soldaten ihre «Unzähligkeit» zugute: Zwar ist der politische und soziale Gegner ernst zu nehmen, aber seine letzte Stunde ist gekommen, und seine Niederlage ermöglicht die Wiederherstellung der gesellschaftlichen Einheit. Barbusse beruft sich hier auf das Prinzip « contre les » - ein Prinzip, an dem die französische Linke 80

nach Alain Bergounioux und Bernard Manin seit Sieyes' Kampfschrift Qu'est-ce que le tiers etat? (1789) festhält. Danach werde die Komplexität der französischen Gesellschaft zugunsten eines dualistischen Schemas aufgelöst und der politische Kampf der Linken als Kampf der überwältigenden Mehrheit der Nation gegen eine winzige Minderheit von Gegnern interpretiert.158 Pierre Chaine ironisiert die Identifizierung der Soldaten mit ihrem Truppenverband, indem er die Perspektive der Ratte Ferdinand wählt. Seit die Ratte von einem Oberst zum lebenden Giftgasalarm bestimmt und damit Teil der französischen Armee wurde, nimmt sie merkwürdige Veränderungen an sich wahr: «[...] un lien mysterieux m'unit au regiment. Je sentis qu'en effet je ne m'appartenais plus; j'etais un rouage minuscule mais necessaire dans le prodigieux engrenage de l'armee» (MR, 43). Als Ferdinand schließlich auch noch eine Uniform mit Regimentsabzeichen bekommt, scheint es ihm, als werde er «un autre rat» (MR, 45). Während die Soldaten bei Barbusse die Zugehörigkeit zur gleichen sozialen Schicht und ihre Solidarität gegenüber Offizieren und Ausbeutern in der Heimat verbindet, bestehen in Dorgeles' Roman Les Croix de bois die sozialen Unterschiede zwischen den Soldaten auch an der Front fort. In seinem dreißig Jahre später erschienenen Werk Bleu horizon stellt Dorgeles die Vorstellung von einer Gemeinschaft der Gleichen als Erfindung der Zivilisten dar: Les jobards de l'arriere se trompaient en supposant que les frottements de la vie commune avaient rendu tous les soldats semblables, et qu'il existait un modele unique de en qui s'incamaient un ou deux millions de jeunes hommes pareillement heroi'ques, blagueurs et mal embouches.15'

Gleich zu Beginn seines Romans Les Croix de bois, unter der Kapitelüberschrift Freres d'armes, beschreibt Dorgeles, wie an der Front soziale Gegensätze und unterschiedliche Erfahrungen aufeinanderprallen (cf. CB, 7-10). Im weiteren Verlauf des Romans entsteht unter den Soldaten zwar ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das in den Kriegserinnerungen des Erzählers eine wichtige Rolle spielt,160 doch bleiben die sozialen Vorurteile und Unterschiede nahezu unverändert bestehen. Dorgeles betont die inneren Gegensätze, indem er große Teile der Handlung aus der Perspektive zweier Intellektueller erzählt, die unter den Soldaten eine Außenseiterrolle einnehmen: Der Erzähler Jacques Larcher und dessen Freund Gilbert Demachy heben sich durch Bildung und Vermögen von den anderen ab, fühlen sich aber andererseits gerade wegen ihres ähnlichen Hintergrundes zueinander hingezogen. Der Kriegs-

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Bergounioux, Manin: «L'exclu de la nation. La gauche fran^aise et son mythe de l'adversaire». In: Le Debat, n°5, octobre 1980, p.45-53; cf. Pierre Birnbaum: Le Peuple et les Gros, Paris, Grasset, 1979. Roland Dorgeles: Bleu horizon. Pages de la Grande Guerre, Paris, Albin Michel, 1949, p. 185. Im Epilog «Et c'est fini» erinnert sich der Erzähler-Autor Dorgeles an die Kriegszeit und an seine verlorenen Kameraden. Seine Verpflichtung gegenüber den Toten erweist sich hier als ein wesentliches Motiv zum Schreiben (cf. CB, 281-284).

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freiwillige Gilbert, der viele autobiographische Züge trägt,161 hat es besonders schwer, als Neuankömmling Fuß zu fassen, weil er schon durch seine auffällige Ausrüstung, seine städtischen Manieren und seine naiven Vorstellungen vom Krieg aus dem Rahmen fällt, weil er körperlich weniger robust ist als die anderen Soldaten (CB, 8, 30 sq.), vor allem aber, weil er «[u]n gars au sous» (CB, 9) ist. Dagegen erkennt ihn der Schriftsteller Jacques Larcher sofort als seinesgleichen an: «Des son arrivee, j'ai compris que Gilbert serait mon ami, je l'ai compris ä sa voix, ä ses mots, ä ses manieres» (CB, 10). Der Reichtum der beiden erweckt den Neid ihrer Kameraden, denn sie können sich an der Front besondere Annehmlichkeiten leisten. Doch kommt es auch bei Dorgeles zu einer Versöhnung ehemaliger Feinde an der Front: Gilbert gewinnt die Freundschaft und Anerkennung seines ärgsten Widersachers, des Arbeiters Sulphart (cf. CB, 27, 128 sq., 271). Gefühle der Einheit werden jedoch nur in entscheidenden Augenblicken bewusst, etwa unmittelbar vor dem Angriff: Toutes les sapes, toutes les tranchees etaient pleines, et de se sentir ainsi presses, reins ä reins, par centaines, par milliers, on eprouvait une confiance brutale. Hardi ou resigne, on n'etait plus qu'un grain dans cette masse humaine. L'armee, ce matin-lä, avait une äme de victoire. [...] Les coeurs sauterent un grand coup, ou un seul coeur pour cette foule armee. (CB, 172-174)

oder bei der Truppenbesichtigung nach der Schlacht, als der General dem siegreichen Regiment seine Ehrenbezeigung macht: Le general s'etait leve sur ses etriers et, d'un grand geste de theatre, d'un beau geste de son epee nue, il salua notre drapeau troue, il Nous salua ... Le regiment, soudain, ne fut plus qu'un etre unique. Une seule fierte: etre ceux qu'on salue! Fiers de notre boue, fiers de notre peine, fiers de nos morts! ... (CB, 197)

Wie bei Dorgeles dominiert das Zusammengehörigkeitsgefühl auch bei Genevoix nur in wenigen Augenblicken. Der Verfasser von Sous Verdun schildert den IchVerlust in der Schlacht als euphorisierendes Erlebnis, das über das Gefühl der Verbundenheit hinausgeht: «Et peu ä peu monte en moi une allegresse qui m'enleve ä moi-meme. Je me sens vivre dans tous ces hommes qu'un geste de moi pousse en avant, face aux balles qui volent vers nous [...]» (SV, 56). Das Aufgehen in der Gruppe wird als ermutigend und stärkend empfunden, die Soldaten werden als geistige Brüder dargestellt: «II semble que nous nous serrions les uns contre les autres, freres vraiment par la foi commune qui vit en nous. Une grace nous possede, qui nous exalte et qui nous arme» (SV, 105). Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Identifikation der Soldaten mit ihrem engeren militärischen Verband, von der Korporalschaft bis zur Kompanie, in allen erwähnten Romanen recht stark ist und in erster Linie durch die Isolierung vom zivilen Leben und die Gleichheit der Lebens- und Leidensbedingungen entsteht. Bei allen Autoren kommt es darüber hinaus zu einer gewissen Annäherung der 161

82

Cf. Dorgeles: Bleu horizon, p. 13 sq.

verschiedenen sozialen Schichten. Erhebliche Unterschiede zwischen den Schriftstellern gibt es jedoch hinsichtlich der Deutung des gemeinsamen «Kriegserlebnisses» als einer nationalen Erfahrung. Für Barbusse, der die einfachen Soldaten als homogene soziale Klasse darstellt, handelt es sich vor allem um die von allen kriegführenden Ländern geteilte Erfahrung gesellschaftlicher Unterdrückung, die in die Forderung nach Überwindung des Nationalismus mündet. Bei Dorgeles und Genevoix ist das Einheitserlebnis der Frontsoldaten genauso kurzlebig und oberflächlich wie die . Benjamin, Malherbe und Vignes Rouges dagegen glorifizieren die «Frontgemeinschaft», zu der sie Soldaten wie militärische Führung rechnen, als Inbegriff nationaler Einheit, doch leiten sie daraus kein Zukunftsprogramm ab. Franconi propagiert als einziger die «Frontkameradschaft» als politisches Modell für die Nachkriegszeit und Gegenentwurf zum bestehenden System.

2.2.3 Literarische Typisierungen des «soldat de France» Es fällt auf, dass Autoren wie Benjamin, Vignes Rouges und Franconi, die in ihren Romanen die «Frontgemeinschaft» idealisieren und die Soldaten als homogene Gruppe mit gleichen Feindbildern, Gewohnheiten und Bedürfnissen, ja sogar mit gleichen Charaktereigenschaften darstellen, auch auf typisierte Soldatenfiguren zurückgreifen. Bei diesen Einzelgestalten handelt es sich um Verkörperungen bestimmter Ideale, die aber gerade keine herausragenden Heldengestalten sind, sondern mit einem eindeutigen Vertretungsanspruch auftreten. Der Wille zur Repräsentativität ist nicht nur bei den drei genannten Autoren, sondern in vielen bekannten Romanen über den Ersten Weltkrieg zu erkennen, so zum Beispiel in Gionos Le grand troupeau, Wells' Mr. Britling sees it through, Remarques Im Westen nichts Neues und in Barbusses Le Feu, wo der typische Frontsoldat durch eine Gruppe von Soldaten dargestellt wird. Barbusse gibt mit dem Untertitel seines Romans («Journal d'une escouade») vor, das Tagebuch einer ganzen Korporalschaft zu führen, d.h. er verwendet eine extrem individualistische Gattung zur Darstellung eines kollektiven Helden und schafft damit so etwas wie ein «kollektives Subjekt». Dass dieser kollektive Held, der Ausdruck der egalisierenden Wirkung des Schützengrabenkrieges ist, stellvertretend für die Soldaten des Ersten Weltkrieges - und nicht nur für die französischen - stehen soll, wird besonders im Schlusskapitel L'Aube deutlich. Holger Klein ordnet in seiner «Typologie des Kriegsromans» die Werke, in denen ein Vertretungsanspruch durch eine einzelne Zentralfigur oder eine zentrale Gruppe, durch den Handlungsverlauf und oft durch explizite Verweise betont wird, dem «Repräsentationstyp» zu. Die ausgesprochene Beliebtheit, der sich dieser Romantyp erfreute, erklärt Klein damit, dass sich in ihm der Krieg am wirkungsvollsten darstellen lasse, «weil er wohl am leichtesten ein Gegengewicht zwischen interessierender Individualisierung und allgemeiner Relevanz erreichen kann». Charakteristisch für den Repräsentationstyp sei, «daß die zentralen Figuren solcher 83

Romane fiktiv sind, trotz (oder aufgrund) ihrer Namen , für das Kriegsgeschehen als ganzes unwichtig, für die Strategie der Hauptquartiere entbehrlich und austauschbar». Romane des «Repräsentationstyps» wollten der Masse der Kämpfenden, die in der Kriegshandlung an der Peripherie stehen, eine Identifizierungsmöglichkeit bieten und seien am leichtesten an den Indizien der Froschperspektive und Ausschnitthaftigkeit zu erkennen.'62 Doch auch wenn der Vertretungsanspruch und sein Zweck, insbesondere den einfachen Frontsoldaten unter den Lesern ein Identifikationsangebot zu machen, vielen Romanen gemeinsam ist, muss man deren geistige Grundlagen und Darstellungsweisen dennoch differenzieren. Ein wesentliches Unterscheidungskriterium zwischen der «repräsentativen» Korporalschaft eines Barbusse und dem «typischen» Soldaten eines Benjamin, Vignes Rouges oder eines - etwas widersprüchlicheren Franconi ist der Antiindividualismus, der in den Romanen der Letzteren zum Ausdruck kommt. Bourru, soldat de Vauquois und Un Tel de l'Armie frangaise weichen auch durch ihren auktorialen Erzähler und die Einbettung des Geschehens in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang von Kleins «Repräsentationstyp» ab. Auch pauschale Aussagen über «den» Soldaten wie: «La joie du soldat est facile et communicative [...]» (UT, 200), «Le soldat est frondeur. II lui faut des refrains symboliques oü s'expriment ses coleres ä l'egard du civil [...]. Mais le soldat est bon gar9on, et sa colere est breve» (UT, 201); «[...] le fantassin accepte sans trop murmurer les marches inutiles, la pluie qui lui cingle la face, le vent qui le terrasse, car il entrevoit au bout de la route le radieux repos dans une grange, les beuveries et les jeux» (UT, 255), sucht man bei Barbusse vergeblich. Die gleiche Tendenz zur Verallgemeinerung und Typisierung ist auch auf der Ebene der Einzelgestalten Gaspard, Bourru und Un Tel zu beobachten, die den Romanen von Benjamin, Vignes Rouges und Franconi ihre Titel geben. Die Anonymität der Helden von Franconi und Vignes Rouges, die sich in der Wahl eines Platzhalternamens wie «Un Tel» (wörtlich: «Soundso»), eines Spitznamens wie «Bourru» und der Attribute «soldat de Vauquois» und «de l'Armee fran^aise» bzw. des Übertitels zu Gaspard, «Les soldats de la guerre», ausdrückt, betonen die Austauschbarkeit der Titelfiguren, die für den französischen schlechthin stehen sollen. Der Vertretungsanspruch der Soldatenfiguren hat seine Wirkung beim Publikum offensichtlich nicht verfehlt. So stellt Jean Vic in seiner Kriegsbibliographie fest, dass Benjamins Roman das Bild des typischen Soldaten der ersten Kriegsmonate in weit stärkerem Maße geprägt habe als alle dokumentarischen Werke: «[...] il est hors de doute [...] que le Gaspard de M. Rene Benjamin a contribue pour une plus grande part que tous les ouvrages de documentation ä faire naitre la conception legendaire du soldat de 1915».163 Für Leon Boquet von der Revue bleue ist Gaspard nicht nur

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Cf. Holger M. Klein: «Zur Typologie des Kriegsromans». In: Vondung (ed.), Kriegserlebnis, p. 212. 163 jean Vic: La litterature de guerre. Manuel methodique et critique des publications de langue frangaise, t. 2, Paris, Les Presses Fran9aises, 1923, p. 741.

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«la synthese du soldat de France», sondern zugleich die ideale Verkörperung des Franzosen: «II est le type national ideal».164 Franconis Titelheld wird in der Revue historique als Inbegriff der «äme jeune, ardente et genereuse du soldat de France, conscient de sa mission et certain de la victoire» präsentiert.165 Für Jean Vic hat der Roman einerseits einen repräsentativen Charakter als «un testament moral de la generation de la guerre», ist aber gleichzeitig, wie auch für viele Zeitgenossen Vics, als Autobiographie des Soldaten Franconi zu lesen.'66 Es ist jedoch fraglich, ob erst die literarischen Typisierungen des den Infanteristen zum typischen Soldaten des Ersten Weltkriegs, zum schlechthin gemacht haben, ob die Schriftsteller also gewissermaßen ein neues Soldatenbild erfunden haben. Vielmehr ist anzunehmen, dass sie mit ihren Typisierungen allgemein verbreitete Auffassungen aufnahmen und diesen Ausdruck gaben. Bemerkenswerterweise sind nämlich nicht nur die drei Hauptfiguren aus den Romanen von Benjamin, Vignes Rouges und Franconi sämtlich Infanteristen, sondern die Perspektive des Fußsoldaten wurde auch von solchen Autoren gewählt, die selbst einer anderen Waffengattung angehörten. So stellt der Kavallerist Adrien Bertrand den Krieg aus der Sicht eines Gebirgsjägerregiments dar, wie er ihn nur indirekt, aus den Erzählungen seines Bruders Georges, kannte, und auch Franconi, bei der Mobilmachung Artillerist, schildert den Krieg der Infanterie. Die Infanteristen waren zwar rein zahlenmäßig der stärkste Teil der Armee, aber das hätte sich nicht zwangsläufig in der Literatur spiegeln müssen, man denke nur an das große Prestige der ersten Flieger.'67 Dennoch enthalten auch Les Croix de bois keinen Hinweis auf die Fliegererfahrung des Autors Dorgeles.168 Die Vorliebe der Schriftsteller erklärt sich wohl vor allem daraus, dass sie einer möglichst großen Leserschaft Identifizierungsmöglichkeiten bieten wollten, indem sie den «Krieg des kleinen Mannes» darstellten. Eine weitere mögliche Erklärung ist darin zu suchen, dass die Infanterie der Nimbus des Gefährlichen umgab (und sie auch tatsächlich die größten Verluste zu beklagen hatte).169 So jedenfalls begründet der Artillerist

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Leon Boquet: «La jeune litterature et la guerre». In: Revue bleue 56, n° 1, 5 - 1 2 janvier 1918, p. 52. Siehe auch Albert Schinz: French Literature of the Great War, New York/London, Appleton, 1920, p. 30 sq. 165 Ch. D.: «Notes bibliographiques: Gabriel-Tristan Franconi, Un tel de l'armee frangaise». In: Revue historique 129 (sept.-oct. 1918), p. 148. 166 vic: La litterature de guerre, t. 3, Paris, Les Presses Fran9aises, 1923, p. 258; Gaston Picard: «L'hommage aux morts: Gabriel-Tristan Franconi». In: Bulletin des fccrivains Combattants, n°45, aoüt-septembre 1918, p. 1 sq.; ders.: «Gabriel-Tristan Franconi». In: Anthologie des ecrivains morts ά la guerre, ed. Association des Ecrivains Combattants, 1.1, Amiens, Edgar Malfere, 1924, p. 278; Fernand Vanderem: «Les lettres et la vie». In: La Revue de Paris 25 (15.10.1918), p. 865; Cru: Temoins, p. 604. 167

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Zu den bekanntesten Fliegerromanen zählen En Escadrille (1918) von Jacques Boulenger und L'Equipage (1923) von Joseph Kessel. Zu den militärischen Biographien der Autoren s. Cru: Temoins, p. 88 sq., 578 sq., 604, 587. Cf. Stephane Audoin-Rouzeau: «L'enfer, c'est la boue!». In: 14-18: Mourir pour la patrie, Paris, Seuil, 1992, p. 139.

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Franconi seinen Wunsch, die Waffengattung zu wechseln: «Pour etre plus pres du danger».170 Die folgende Analyse geht von der Annahme aus, dass die fiktiven Gestalten von Benjamin, Vignes Rouges und Franconi bestimmte Kriegsdeutungen und Vorstellungen vom Soldaten und vom Bürger transportieren, die als Ideal und Norm zugleich dargestellt werden. Die drei «typischen» Titelhelden sollen zunächst einzeln vorgestellt und anschließend miteinander verglichen werden.

2.2.3.1 Gaspard Benjamins Titelheld mit dem Familiennamen Gaspard wird als «homme du peuple de Paris» (G, 83) beschrieben, groß, gut aussehend und mit praktischem Verstand begabt (G, 14, 42 sq.). Er besitzt gerade das nötige Wissen, um ein Schneckengeschäft in der Rue de la Gaite in Montpamasse zu führen. Diese «gaite» bezeichnet nicht nur seinen Wohnort, sondern zugleich seine hervorstechendste Eigenschaft. Gaspard erscheint als ein einfacher Mann «au coeur franc et clair comme un printemps dans l'Ile-de-France» (G, 171), dem Solidarität, Freundschaft und familiäre Bindungen heilig sind (cf. G, 19, 74, 117 sq., 124-129, 135, 198 sq.). Er schimpft auf die Republik und auf die Politiker, von denen er sich verraten und verkauft fühlt (G, 101, 148, 162, 270, 289), zeigt sich aber als glühender Patriot und vor allem Lokalpatriot (G, 30, 72, 162, 263 sq.), der nicht über den Sinn des Krieges nachgrübelt. Gaspard ist ein zutiefst friedfertiger, gar nicht soldatischer Mensch. Seine Uniform ist für ihn ein «deguisement de guerre» (G, 15), er würde den Krieg am liebsten zu Hause verbringen und kann sich nur schweren Herzens von Frau und Kind trennen (G, 20). Einmal verwundet, setzt er alles daran, nicht wieder an die Front zurückzukehren (G, 217-264). An seinem Titelhelden exemplifiziert Benjamin, wie der Krieg zu einer Annäherung zwischen sozialen Gruppen führt, die im zivilen Leben nie miteinander zu tun hatten und sich sogar aus dem Weg gegangen waren: Obwohl der Autodidakt Gaspard mit seiner rudimentären Schulbildung das Gegenbild eines Intellektuellen darstellt, befreundet er sich eng mit dem Journalisten Burette und dem Altphilologen Mousse. Der Krieg gibt Gaspard femer Anlass, verschiedene Vorurteile und Einstellungen zu revidieren. Im Lazarett wird er von Frauen aus dem Großbürgertum gepflegt und schimpft daraufhin nicht mehr über den Müßiggang der Reichen (G, 172 sq.). Plötzlich riskiert Gaspard sogar einen Gefängnisaufenthalt, um seine langjährige Lebensgefährtin heiraten und seinen Sohn für ehelich erklären lassen zu können (G, 246 sq.). Durch seine Begegnungen mit Priestern und Nonnen entwickelt der entschiedene Antiklerikale eine tolerante, geradezu wohlwollende Einstellung zur Kirche und lässt sich sogar kirchlich trauen (G, 63 sq., cf. 207, 251

170

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Zit. nach Picard: «Gabriel-Tristan Franconi». In: Anthologie guerre, t. l , p . 2 7 8 .

des ecrivains morts ä la

sq.). Auch Gaspards Verhältnis zu den Offizieren an der Front, die bei Benjamin sämtlich fürsorglich, gerecht und heroisch sind, bleibt völlig konfliktfrei. Der Willkür und dem Sadismus der Vorgesetzten im Hinterland begegnet Gaspard dagegen mit zähem Trotz. Negative Erfahrungen mit Zivilisten bleiben Gaspard erspart, weil er Beleidigungen in seiner gutmütigen Naivität entweder gar nicht wahrnimmt oder darüber hinwegsieht. Dass der gerade Genesene in einem Restaurant ins Nebenzimmer verwiesen wird, weil sein Anblick die aus Reims geflohene vornehme Gesellschaft beleidigt, empfindet höchstens der Leser als Affront (cf. G, 214 sq.). Am Schluss hat der unerschütterliche Optimist Gaspard, der sich in jeder Lebenslage zu helfen weiß, alle seine intellektuellen Freunde überlebt - zwar mit Beinprothese, aber seelisch unverletzt. 2.2.3.2 Bourru171 Louis Bourru wird gleich im ersten Satz des Romans als der typische Soldat präsentiert, wie man ihn täglich auf der Straße trifft: «Bourru! mais vous le connaissez bien; c'est ce soldat que vous avez rencontre l'autre jour dans la rue» (Β, 3). Der Winzer aus dem burgundischen Dörfchen Bligny mit seinem «visage honnete» (B, 3) kommt durch den Krieg zum ersten Mal nach Paris, zwar etwas abgemagert, aber robust und kerngesund: «On devinait l'homme habitue ä l'effort, rien qu'ä la ίβςοη dont son menton avanfait. Un beau gars de trente ans [...]» (B, 4). Bourru ist ein erfahrener Soldat, seit Kriegsbeginn an der Front und Marnekämpfer (B, 123). Doch obwohl er «un brave» (B, 116) ist, hat dieser «soldat de 2e classe» (B, 112) nichts von einem Helden (B, 27). Er ist vielmehr der Mann aus der Menge, der nur seine Pflicht und Schuldigkeit tut und dennoch zum Inbegriff des Retters der Nation wurde: «[...] l'anonyme ouvrier de guerre, le troupier perdu dans les rangs, le paysan qui a quitte sa charrue pour le fusil, voilä le soldat sacre qui restera le type immortel du sauveur de la Patrie ...» (B, 5) Vignes Rouges betont immer wieder das Einfache, Durchschnittliche, Bescheidene an seinem Protagonisten: «[...] ce Bourru que je vous montre, c'est un soldat tres ordinaire, de l'humanite, dirait Montaigne».172 Bourru ist genauso wenig «intellektuell» wie Benjamins Gaspard und wird dem Leser als «un ami, un frere» (B, 5) vorgestellt, mit dessen Gefühlen er sich identifizieren kann: «[...] vous le comprenez, ce soldat, notre frere ä tous, et peut-etre meme que, par Sympathie, vous partagez sa peur ...» (B, 40) In ihrem typischen Stellvertreter Bourru spiegeln sich die Gefühle aller Soldaten: «Voilä done le bataillon qui reste dans les bois. II devrait etre tres calme, puisqu'il est compose de Bourrus ...» (B, 18) Diese Verwendung des Namens Bourru als 171

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Zu Bourru als typischem siehe Roland de Mares: «Les livres». In: Les Annales politiques et litteraires, n° 1747, 17.12.1916, p.630 sq. B, 18, cf. B, 40: «[...] il n'est qu'un homme, [...] c'est tout de meme avec ces pauvres hommes-lä qu'on prend Vauquois!»

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Appellativum ist ein weiterer Beleg für den Vertretungsanspruch der Figur.173 Bourru beeindruckt in der Schlacht durch seine Gelassenheit und Geistesgegenwart (B, 120, 158), handelt stets praxisorientiert, «en avise paysan», und neigt - wie schon Gaspard - nicht zum Grübeln (B, 62, cf. 23 sq., 66, 88 sq.), auch wenn er nicht gegen Moralkrisen gefeit ist (B, 111). Bourrus Gehorsam und Pflichtbewusstsein gründet auf der Überzeugung, dass sein individuelles Schicksal in das größere Ganze der Nation eingebettet ist und sein Werk von jedem anderen französischen Soldaten vollendet werden kann: C'est l'habitude instinctive, chez les Bourrus, de considerer la tache ä accomplir comme une sainte obligation ä laquelle les individus, les families, les races doivent se subordonner. [...] (Β, 36)

Sein Heldentum besteht darin, in der gefährlichen «zone fatale» auszuharren, seine Angst zu überwinden und weiterzukämpfen (B, 69,116 sq., 217 sq.). Mit den regelmäßigen Briefen an seine Mutter wird Bourru ohne es zu wissen zum Historiographen der Schlacht um Vauquois, genau wie seine Kampfgefährten. Bourru schreibt, um die Daheimgebliebenen, alte Leute und junge Frauen, zu beeindrucken (B, 52-54). Doch erst im Spiegel der anderen wird Bourru sein Heldentum bewusst. Die Bewunderung durch ein imaginäres Publikum führt ihm seine Bedeutung vor Augen: «[...] l'orgueil d'etre un heros commence ä se glisser dans l'äme d'un brave homme. C'est en reflechissant sur ce que les autres penseront de nous que notre personnalite se construit» (B, 54). Seine neue Identität als «soldat de Vauquois», so der Untertitel des Romans, entsteht durch die Zeitungsmeldungen und Mythenbildungen um den Berg Vauquois (B, 58-60, 77-86) und wird durch die Verleihung der sanktioniert: «[...] c'est ä la revue de prise d'armes des decorations que Bourru se sentit devenir reellement » lässt sich Bourru zu dem Beschluss anspornen «qu'il serait brave jusqu'ä la fin de sa vie» (B, 88). Andererseits lässt er sich durch Rangunterschiede nicht beeindrucken und rettet seinem Obersten das Leben, indem er ihn mit kraftvollem Schwung zu Boden wirft (B, 120). Wie seine Kameraden sorgt sich Bourru im Schützengrabenalltag hauptsächlich um sein materielles Wohlergehen und die rechtzeitige Ablösung, schimpft über die Unteroffiziere und die Zivilbevölkerung an der Front und beklagt sich über ungerechte Behandlungen (B, 102 sq., 122). Dennoch steht für ihn außer Frage, dass er bis zu einem Friedensvertrag als Frontsoldat seine Pflicht tun wird (B, 93 sq.). Er stellt fest, dass sich die Lebensbedingungen an der Front schon verbessert hätten (B, 176). Sein Stolz und sein Gewissen verbieten es ihm, um einen Druckposten zu bitten, und mit dieser Einstellung repräsentiert Bourru die Grundpfeiler der französi-

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«Soldats» wird mehrfach durch «Bourrus» ersetzt, cf. B, 36, 57,125, 199.

sehen Nation: «Heureusement, le type Bourru domine dans la compagnie; ces braves gens pas tres debrouillards, mais d'esprit lucide au creneau, sont la solide matiere dont la France est petrie [...]» (B, 105). Bourru ermutigt die Ängstlichen und Zweifelnden unter seinen Kameraden und geht ihnen mit gutem Beispiel voran (B, 66, 93 sq., 172). Bourrus Kinderseele, die sich von einer verschneiten Landschaft und dem Gedanken an Weihnachten verzaubern lässt, kann sich bei einem deutschen Angriff oder dem Anblick deutscher Gräueltaten rasch wieder in eine «äme [...] brutale et farouche» zurückverwandeln (Β, 114) und äußerst rachedurstig werden, ohne jemals die Gesetze der Ritterlichkeit zu missachten (B, 28 sq.). Der einfache Soldat Bourru identifiziert sich genauso stark mit seinem Land wie ein Feudalherr mit seinen Territorien: «Une seconde, Bourru a l'äme violente d'un seigneur feodal qu'on a depossede d'un beau domaine» (B, 116). Obwohl Vignes Rouges mit der Figur des äußerlich glanzlosen Jedermann, der mit ganzer Seele seine Pflicht tut, ohne viel nachzudenken, auf den Wandel des Soldatenbildes im ersten industriell geführten Krieg reagiert, hält er andererseits durch die Betonung militärischer «gloire» an der konventionellen Darstellung des Krieges fest. Das Heldentum der französischen Soldaten, deren Prototyp der Autor im einfachen Infanteristen erkennt, spielt trotz gegenteiliger Beteuerungen eine wesentliche Rolle in Vignes Rouges' Roman. Der Winzer Bourru, der sein schroffes, mürrisches Wesen schon im Namen trägt,174 ist stolz darauf, ein VauquoisKämpfer zu sein, und zeichnet sich in entscheidenden Augenblicken durch ein großes Maß an «bravoure», «courage» und «discipline» aus. Seinem verwaschenem, ausgeblichenem Mantel gibt der Argonner Schlamm «des airs de guenille glorieuse» (B, 4). Auch die Nahkampfszenen knüpfen an herkömmliche Kriegsdarstellungen an: Beim Angriff kämpft Bourru Mann gegen Mann und tötet seinen Gegner mit dem Bajonett (B, 26). Er kann sich in besonderen Aufträgen bewähren (B, 131-138) und ergreift als freier Mann auch einmal selbst die Initiative: Aus reiner Langeweile feuert er Handgranaten auf den deutschen Schützengraben ab. Die Kameraden folgen seinem Beispiel, und mit vereinten Kräften erreichen sie das von Bourru spontan gesetzte Ziel («les faire taire», B, 93). Während Benjamin mit seinem Gaspard vor allem Zuversicht verbreiten wollte, versucht Vignes Rouges, anhand der Gestalt des Durchschnittsmenschen Bourru seine Auffassung von der veredelnden Wirkung des Krieges zu veranschaulichen. Der einfache Bauer entwickelt sich zum «soldat de Vauquois» und erreicht durch den Kampf und durch die Konfrontation mit dem Tod eine höhere moralische Stufe. Beim Gedenken an die gefallenen Marnekämpfer entdeckt Bourru «un sentiment nouveau, la crainte que son frere dorme inconnu, soit oublie pour toujours» (B, 126) und gelobt sich, gegen das Vergessen zu kämpfen: «Et voilä que, par ces attendrissements, ces revokes, cet humble paysan monte ä une vie morale superieure. Bourru 174

Das Adjektiv «bourru» bezeichnet neben einer Charaktereigenschaft auch den ungegorenen Wein.

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ne veut pas oublier; en lui le culte des morts devient une pensee vivante» (B, 128). So leben die toten Soldaten in den lebenden weiter und verleihen diesen «cette etrange impression de noblesse» (Β, 129). Gerade das Beispiel der mittelmäßigen «troupiers qui se rencontrent partout» verdeutliche, welchen enormen Sprung sie durch ihre Opferbereitschaft in der «hierarchie de la noblesse et de la vertu» machten: «Tout ä l'heure, c'etaient des soldats qui pensaient ä leur soupe; maintenant, ce sont des heros qui regardent sans faiblir les immenses perspectives morales du sacrifice volontaire» (B, 148).

2.2.3.3 Un Tel Waren Gaspard und Bourru noch Bürger in Uniform, die - zwar ohne Begeisterung und ohne viel nachzudenken, aber dennoch vorbildhaft - ihre Pflicht erfüllten, so ist Franconis Held Un Tel mit seiner «äme enthousiaste et gamine», seiner «jeunesse eclatante» (UT, 12) die Inkarnation des Soldaten («naturellement dispose ä faire la guerre»; UT, 225) und der vollkommene Vertreter einer Generation von sportlichen Tatmenschen (UT, 226), wie sie die Umfrage des Autorenduos Agathon beschrieben hatte. Als «soldat dont l'äme est toute Tame jeune, ardente et genereuse de l'armee fran9aise» (UT, 265) hat Un Tel an allen siegreichen Schlachten seines Regiments teilgenommen (UT, 17, 66, 141). Seine Gewissheit, den Krieg zu überleben, drängt den kaum Genesenen, sich wieder ins Getümmel zu stürzen (UT, 129, 261). Un Tel wird aber nicht nur als geborener Soldat, sondern auch als Verkörperung Frankreichs präsentiert. In dem «homme du peuple» und Sohn eines Zimmermanns (cf. UT, 11 sq.) sind die beiden Frankreich, die sich als Donquixotte und Citoillien im Schützengraben versöhnen, in ein und derselben Person vereinigt.175 Über seinen Lebenslauf verbinden sich so gegensätzliche Tendenzen wie Anarchismus, Kommunismus, Wissenschaftsglaube und Fortschrittlichkeit176 einerseits mit glühendem Patriotismus und Ordnungsdenken andererseits.'77 Schon vor dem Krieg hat Un Tel in der «patrie» eine über allen Ideologien und Religionszugehörigkeiten stehende Leitidee entdeckt, eine «chose imprecise et vivante qui s'impose ä tout homme» (UT, 19). Obwohl er den Anarchismus als Schimäre verwirft, stellt er sich die Nachkriegszeit als neues «Goldenes Zeitalter» vor, in dem ein menschliches Zusammen-

175

Cf. UT, 39: «Un Tel est le semblable de Citoillien, il est le frere de Donquixotte, il se retrouve en eux.» - Zu Un Tel als «Jedermann» siehe Holger M. Klein: «Projections of Everyman: The Common Soldier in Franconi, Wiechert and Williamson». In: ders. (ed.), The First World War in Fiction, p. 84-100.

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«[·•·] il fallait [...] abattre les monuments du passe» (UT, 18); «Moderne! Quel soldat inspire par les hautes et graves visions entrevues au cours des combats ne saurait l'etre?» (UT, 115) Da sich Un Tel selbst als «modern» betrachtet, kritisiert er die literarische und künstlerische Avantgarde als «phalange ultra-moderne» (UT, 114). Schon lange vor dem Krieg verwirft Un Tel «tous les modernes» (UT, 21) Anarchismus, Kommunismus, Sozialismus, Syndikalismus, Imperialismus - zugunsten der «Patrie» als alleinigem Wert (UT, 19).

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leben nach den Grandsätzen von Gerechtigkeit, Gleichheit und Brüderlichkeit möglich wird (UT, 39, 170). Er steht zwar in einer Traditionslinie mit allen Revolutionären Frankreichs zwischen 1789 und 1871 und würde nicht vor einer Revolution zurückschrecken, um die Rechte der Kriegsveteranen durchzusetzen, kann aber andererseits bei der Truppenbesichtigung der alliierten Könige seine Rührung nicht verbergen (UT, 9, 173). Sein Geburtshaus steht in einer Straße, die den 14. Juli genauso feiert wie Fronleichnam (UT, 214). Er selbst ist kein gläubiger Christ und identifiziert sich nicht mit dem Katholizismus, gesteht aber, dass er mit allen Frontkämpfern ein «desir d'irreel» teile (UT, 79 sq.). Im Krieg sei ein neuer «mysticisme» entstanden, der sich keiner konkreten Religionsgemeinschaft zuordnen lasse und daher ein Angebot an die gesamte Nation, Gläubige wie Atheisten, sei: Der Gefallenenkult ist für Franconi «une religion nouvelle»,178 die Gläubige wie Atheisten vereinen könne (UT, 78). Über die Versöhnung politischer und religiöser Gegensätze hinaus symbolisiert Un Tel die Harmonie von Stadt und Land, Denken und Handeln. Der Tatmensch Un Tel ist gleichzeitig Intellektueller und Künstler (UT, 13, 19, 22 sq.), Stadtmensch und Naturkind (UT, 10, 15, 21, 42). Die Industriegesellschaft lehnt er ebenso ab wie das parlamentarische System. So sieht er sein sozio-ökonomisches Ideal in den kleinen Handwerkerbetrieben verwirklicht (UT, 115 sq.), seinen Lebensinhalt im Kampf und in der Hingabe an eine gemeinsame Aufgabe (UT, 18 sq.). Dennoch begreift sich Un Tel als «homme moderne», gibt sich betont amerikanisch179 und liebt die Geschwindigkeit, den Sport, Kampf und das Abenteuer («animal epris uniquement de vitesse et de joie»; UT, 10; cf. UT 18 sq., 42 sq.). In seinem Äußeren gehen brutale Kraft und sanfte Schönheit eine paradox anmutende Verbindung ein: De sombres etoffes donnent ä son clair visage une lumiere particuliere. II a le pas rythmique du danseur. II marche la tete altiere, Pceil vif, les poings fermes. Petri de force et pare de joliesse, Un Tel est un nerveux Apollon dont la silhouette complexe dessine sur l'ecran du monde une ombre de tendresse et de brutalite. (UT, 13)

Der Einzelkämpfer Un Tel mit seiner «nature independante» (UT, 246), für den Unabhängigkeit von Parteien, Schulen und Gruppen zu den Voraussetzungen seines persönlichen Glücks gehört,180 entwickelt sich in der Armee zum Typus des «entraineu[r] d'hommes» (UT, 259) und charismatischen Führer einer Korporalschaft,'81

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Franconi erwähnt in diesem Zusammenhang die Gräber der Mamesoldaten, die zum «lieu de pelerinage» geworden seien (UT, 78). «Un Tel est au physique un homme moderne, affectant un americanisme voulu, sous lequel apparait aisement une fantaisie d'artiste.» (UT, 13) Cf. UT, 10, 23, 262, 264 sq. «[...] Un Tel [...] avait la propriete de grouper des etres d'exception, venus de tous les points du monde, attires ä lui par une force inconnue.» (UT, 246); «II y a des etres d'attraction, sorte de pöles magnetiques vers qui les hommes se dirigent. Un Tel avait toujours guide la destinee de ses camarades, et nombre de meres inquietes ou de femmes jalouses lui reprochaient son emprise sur la volonte des leurs.» (UT, 246 sq.; cf. UT, 132)

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womit er im Gegensatz zu seinem Autor noch im Mannschaftsrang bleibt.182 Als Verkörperung des treuen Gefolgsmannes genießt Un Tel die Sympathie der Offiziere (UT, 226). So widersprechen sich Führungsrolle und Vertretungsanspruch Un Tels nur auf den ersten Blick, denn auch als «chef de bände» steht Un Tel stellvertretend für Tausende von Franzosen aus allen Ständen: «Iis furent dix mille, vingt mille Un Tel, issus de vieilles families roturieres ou nes dans les chateaux armories, qui affirmerent devant l'histoire le desir de vivre de la race» (UT, 227). Der Soldat Un Tel ist kein bloßer Verteidiger, sondern - ähnlich wie Bourru ein Retter, der die Kontinuität des nationalen Lebens sichert: «N'est-il pas le sauveur, celui sans qui l'eglise archaique aux tours emouvantes, le jardin aux gazons reguliers, l'ecole oü chantent des gamines, n'existeraient plus, ferocement aneantis?» (UT, 101) Un Tel wird als «homme providentiel» präsentiert, dessen Stunde in der nationalen Krise schlägt.183 Es ist daher kein Zufall, wenn die Geschichte des Soldaten Un Tel mit dem «Marnewunder» beginnt.'84 Den drei «typischen» Soldaten Gaspard, Bourru und Un Tel ist gemeinsam, dass sie alle drei als Volkshelden vorgestellt werden: Sie stammen aus dem Milieu der kleinen Händler, Handwerker und Bauern, sind nicht besonders wohlhabend und gehen als einfache Infanteristen in den Krieg. Über ihr Stadtviertel oder Dorf identifizieren sich die drei typischen Soldaten mit ihrer Nation, verteidigen ein bescheidenes Glück und eine bestimmte Art zu leben. Franconis Held Un Tel ist jedoch keine wirklich volkstümliche Figur: Als Ausnahmesoldat und Intellektueller unterscheidet er sich von Gaspard und Bourru, die nicht besonders gebildet sind und zwar entschlossen, aber ohne besondere Begeisterung kämpfen. Während sich Benjamin und Vignes Rouges (wie auch Barbusse und Tinayre) auf den mit seiner revolutionär-jakobinischen Tradition beziehen,'85 setzt Franconi mit seiner Idee einer Militäraristokratie'86 einen deutlich antidemokratischen Akzent. Die drei literarischen Typen sind Ausdruck unterschiedlicher Kriegsdeutungen. So schildert Benjamin den unerschütterlichen Optimismus und die Siegesgewissheit der französischen Soldaten, Vignes Rouges illustriert an seinem Bourru die subli182

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Obwohl Franconi selbst beim Verfassen seines Romans bereits Unteroffizier und wenige Monate später Leutnant war, lässt er seinen Protagonisten nur bis zum Rang eines Korporals, dem niedrigsten Dienstgrad in der französischen Armee, aufsteigen. «Sans que cela se fit ouvertement, Un Tel, parmi ses camarades, devint un chef. Les circonstances l'y aiderent; une chance inoui'e lui permit de ne jamais defaillir, de dompter toutes les difficultes. [...] II ne s'illusionnait pas Sur sa propre valeur; il savait dans quelle exacte mesure la fortune avait aide son reel courage; sa notoriete lui venait de son esprit combatif. [...] Un Tel etait un homme d'action, venu ä l'instant du monde oü Taction etait souveraine, ce qui lui conferait une indiscutable autorite.» (UT, 224-226) «Le Miracle de la Marne» lautet der Titel des vierten Kapitels. Siehe hierzu Gerd Krumeich: «Zur Entwicklung der in Frankreich bis zum Ersten Weltkrieg». In: Roland G. Foerster (ed.), Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, München, Oldenbourg, 1994 (Beiträge zur Militärgeschichte, t. 43), p. 133-136. Cf. UT, 227 sq., siehe auch Kap. II.2.3.2.

mierende Wirkung des Krieges, und Franconis Roman erzählt die Geschichte des sozialen Aufstiegs und der Bewährung seines Helden im Krieg. Schon in Friedenszeiten hatte sich der Dichter Un Tel weiter von seinen bescheidenen Ursprüngen entfernt als seine beiden literarischen Pendants. Im Krieg erweist er sich als gleichsam natürliche Führerpersönlichkeit, wie geschaffen, um die einfachen Leute gegenüber der großen Politik zu vertreten. Den Helden von Benjamin und Vignes Rouges dagegen fehlt dieser politische Anspruch. Während Gaspard durch seine unverwüstliche «gälte» und «debrouillardise» noch eine gewisse Originalität besitzt, soll Bourru der idealtypische Soldat schlechthin sein. Die Frage, warum der typische Soldat in der Literatur des Ersten Weltkrieges Infanterist ist, lässt sich wohl hauptsächlich damit beantworten, dass dieser in zweifacher Hinsicht zum Symbol des Krieges von 1914-1918 wurde: Zum einen gab der Schützengraben- und Minenkrieg, der unter ungeheurem Einsatz von Menschen und Material enorme Opfer forderte, dem Ersten Weltkrieg sein besonderes Gesicht, und zum anderen hatte der Infanterist ein besonders enges Verhältnis zur «terre», zum französischen Boden, um den und auf dem gekämpft wurde, in den man sich zum Schutz eingrub und in dem man begraben wurde. 2.2.4 Die militärische Führung Benjamins Gaspard und Franconis Un Tel haben ihr Pendant in ebenfalls typisierten Vertretern der militärischen Führung, die in kurzen Porträts beschrieben werden. Bei Vignes Rouges dagegen treten die Offiziere nur schlaglichtartig und als Vertreter einer bestimmten Rangstufe auf. Gaspards Kompaniechef, den Hauptmann Puche, hebt sich positiv von den anderen Offizieren ab, weil er keine patriotischen Ansprachen hält und frei von hohlem Pathos ist: Soldat durch und durch, fühlt er sich nicht zum Redner berufen (cf. G, 48). Gewissenhaft und mit stoischer Ruhe erfüllt Puche seine Pflichten, zu denen er vor allem die Sorge um das materielle Wohl und die ständige Übung seiner Soldaten zählt. Befehle führt er auf vollkommen friedliche, «unkriegerische» Weise aus (G, 48). Damit stößt er auf das Unverständnis insbesondere der Pariser, deren ausgeprägtem «goüt du panache» er kaum entspricht (cf. G, 49). Dennoch wird er von seinen Soldaten von Anfang an bewundert, so wie nach Benjamin jeder Hauptmann von seiner Kompanie bewundert wird.187 Gaspard spricht von Puche wie vom lieben Gott (G, 28). Zudem ist der Hauptmann, der die Moral seiner Leute statt durch Reden lieber durch ein Fässchen Wein wiederherstellt, mit seinen Methoden erfolgreich: «Ces deux cent cinquante soldats, leur tonneau vide, prirent un air epique et glorieux. [...] Et ils regardaient presque avec des larmes de reconnaissance le chef tout simple et si tranquille, qui avait eu cette paternelle idee» (G, 80). Puches große Wertschätzung von Disziplin und Gehorsam (G, 49 sq.), seine vollkommene Selbst-

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G, 27 sq. Auch bei der Stammtruppe trifft Gaspard auf einen strengen, aber gerechten Hauptmann (G, 255-258).

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beherrschung und Gelassenheit selbst im schlimmsten Bombenhagel (G, 106-109), seine Nüchternheit und seine Bevorzugung des Handelns gegenüber dem Denken macht ihn zur Verkörperung des überlegenen Soldaten: «Le soldat agit: il ne pense pas. Des qu'il pense, l'ennemi lui saute aux epaules. Le premier acte de la guerre, c'est un eteignoir sur l'imagination. Le capitaine Puche, qui en semblait denue, etait un chef precieux» (G, 50 sq.)· Mit seinen «petits yeux ronds et bourgeois» (G, 104) und seinem Sinn für das Praktische ist er zugleich der idealtypische Vertreter der «bourgeoisie moyenne mais vertueuse qui fait l'ete des confitures pour l'hiver, et qui, toujours pratique, continue, pendant les plus grandes heures, ä croire ä l'importance de toutes les petites choses» (G, 50). Als Gaspard erlebt, wie sich Puche selbst nach seiner tödlichen Verwundung noch um das Wohlergehen seiner Kompanie kümmert, steht für ihn fest, dass sein Hauptmann ein wahrer Held ist (B, 132). Auch die drei Offiziere in Un Tel de /'Armee frangaise, denen Franconi besondere Kapitel widmet, werden sämtlich als heldenhafte Soldaten mit ausgezeichnetem Charakter geschildert. Der Oberleutnant und ehemalige Fremdenlegionär mit dem Spitznamen «Gustave le Rempart de Calonne», «noble Polonais qui guerroya sur la Marne, l'Yser et la Meuse» (UT, 47), ist in den Augen Franconis, der an anderer Stelle gegen Kosmopolitismus und Überfremdung wettert, nicht nur ein exzellenter und dennoch bescheidener Soldat, sondern wird darüber hinaus als begnadeter Erzähler und barocker Genussmensch bewundert. «Le Pote» wiederum steht für den menschlichen Offizier, in dem sich Brüderlichkeit und Wagemut verbinden. Er ist derb und vulgär, aber eine Frohnatur und «un des plus beaux soldats de France» (UT, 154). War er in der Kaserne die Aufmüpfigkeit in Person, «le type accompli du mauvais soldat, irreductiblement indiscipline», so entwickelt er sich an der Front zu einem «exemple de force et de conscience» und zur idealen Führerpersönlichkeit (UT, 152 sq.). Mit Un Tel verbindet ihn die Herkunft aus einfachsten Verhältnissen, die Liebe zu seiner Arbeit und sein Familiensinn. Nach seinem Tod in der Schlacht um Verdun wird «le Pote» zur mythischen Figur (UT, 150). Die Verkörperung des «chef» ist allerdings «le Vieux», als Major gewissermaßen das «Gehirn» des Bataillons, der seine Untergebenen lenkt und für sie denkt. Mit seiner Selbstdisziplin, unerbittlichen Strenge und Unfehlbarkeit flößt «le Vieux» seinen Untergebenen respektvolle Bewunderung ein.188 Seine hagere, aufrechte Gestalt macht ihn zum Symbol der Willenskraft: «Ombre fine et droite, dressee sur la butte reconquise, il etait une statue emouvante de la volonte» (UT, 62 sq.). Doch 188

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«II est l'esprit du bataillon, cette conscience unique et clairvoyante, cette infaillible decision, sans lesquels une foule en armes serait vouee, quel que soit son courage, ä la defaite certaine. [...] Avec lui, l'homme est assure de ne pas errer en vain, recherchant une route perdue. - Le vieux ne risque son bataillon qu'ä l'instant necessaire, ayant scrupuleusement envisage toutes les necessites du combat, sans rien livrer au hasards. Etant donne le grave Probleme que l'attaque pose ä ses troupes, il sait, sans erreur, la plus rapide et la moins sanglante maniere de le resoudre.» (UT, 62 sq.)

unter der harten Schale zeigt sich ein weicher Kern - Güte, Mitgefühl und echte Trauer um seine beiden gefallenen Söhne und um seine Frau (UT, 65 sq.). Das Verhältnis zwischen Soldaten und Offizieren ist in Franconis Augen ein reibungsloses, von wechselseitiger Sympathie und Brüderlichkeit geprägtes Zusammenspiel (cf. UT, 193, 150). Alle Rangstufen sind der gleichen Gefahr ausgesetzt (cf. UT, 161) und leisten den gleichen Beitrag zur Verteidigung.189 Die militärische Hierarchie wird als das Ergebnis eines gleichsam natürlichen und demokratischen Prozesses dargestellt (cf. UT, 225). Franconis Held Un Tel kann nichts Anstößiges daran finden, dass die Generäle Offensiven aus persönlichem Ehrgeiz beginnen, solange die Angriffe siegreich enden: «Aussi bien que le devouement silencieux des soldats, le bruyant orgueil des generaux gagne des victoires» (UT, 144 sq.). Auch bei Vignes Rouges sind die Offiziere das Gehirn der Truppe; alle Fäden laufen in ihren Händen zusammen («la pensee des chefs guidait les soldats»; B, 45). Die Worte und schon die Anwesenheit von Obersten und Generälen motivieren und ermutigen die Soldaten (B, 84). Die Offiziere sind ein Muster an Pflichterfüllung, Selbstdisziplin und Gerechtigkeit: Der besondere Schützling von Bourrus Hauptmann muss sein Leben genauso riskieren wie alle anderen Soldaten auch (B, 141146). Äußerlich zeichnen sich die «chefs» durch ihren energischen und doch freundlichen Gesichtsausdruck aus.'90 Wie der Romanheld Bourru sind auch die Offiziere Vertreter und Vorbilder der Soldaten in einem. In einer Trauerrede wird die grundsätzliche Gleichheit all derer betont, die für ihr Vaterland sterben. Sie alle gehörten, unabhängig von ihrer jeweiligen Rangstufe, derselben «aristocratie» an (B, 209 sq.). Ihre Gleichheit werde auch nicht durch die unterschiedliche Form der Totenehrung in Frage gestellt, vielmehr stehe das Offiziersbegräbnis symbolisch für die unzähligen anderen, denen keine besondere Ehrung zuteil werde und denen die Offiziere auf dem «chemin du sacrifice» vorangegangen seien (B, 210). Während Franconi dem Soldaten im Schützengraben, dem «homme d'action» (UT, 226), eine deutlich höhere Wertschätzung entgegenbringt als den Offizieren im Generalstab,'91 erscheinen bei Vignes Rouges sogar die Generalstabsoffiziere als sympathische, vielbeschäftigte Männer, denen der Soldat Bourru erwartungsvoll und staunend gegenübertritt (B, 219-224). Bourru stellt fest, dass sich auch der General um Detailfragen kümmert, volksnah geblieben ist und sich eigentlich kaum von den

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Auch bei Massis sind Offiziere und Soldaten derselben Gefahr ausgesetzt und ist die Hierarchie eine gewissermaßen natürliche Ordnung, da die Offiziere ihre Untergebenen an Mut und Leidensfähigkeit übertreffen (cf. LS, 172, 191). «Un general passe ... Silhouette solide, trapue, visage ä la fois souriant et calme, de l'energie plein les yeux ... La barbiche accentue encore l'expression volontaire.» (B, 84); «C'est le colonel. Comme toujours, il est d'un chic impeccable [...]; sans souci du reglement, il a son kepi etemellement neuf avec des galons d'or et sous la visiere, deux yeux brillants, volontaires, fixent Bourru [...].» (B, 120) «II est aise, au demeurant, de combattre sur des cartes, le centimetre en main, de prendre des petits postes, en les encerclant d'un trait bleu: il est plus difficile d'agir.» (UT, 226)

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einfachen Soldaten unterscheidet (cf. B, 223). Die frischen Granattrichter in der Nähe eines Unterstandes überzeugen Bourru davon, dass die Schreibstubenoffiziere den gleichen Gefahren ausgesetzt sind wie der einfache Soldat im Schützengraben (B, 220). Vignes Rouges, der selbst die meiste Zeit des Krieges in Generalstabsbüros verbrachte,"2 ist jedoch der einzige Autor, der der geläufigen Assoziation von Büroposten mit Drückebergertum so entschieden widerspricht. Die drei Romane von Benjamin, Vignes Rouges und Franconi stehen für unterschiedlich weite Definitionen von Frontkameradschaft. Während Vignes Rouges sämtliche Armeeangehörige als eine Einheit zu betrachten scheint, zählt Franconi die Rangstufe des Majors zwar noch zur Gemeinschaft der Frontkämpfer, trennt aber deutlich zwischen Kämpfenden und Schreibstubenoffizieren. In Benjamins Gaspard schließlich existiert Frontkameradschaft nur auf der Ebene der Kompanie, d.h. sie umfasst die einfachen Soldaten und die Offiziersdienstgrade bis zum Hauptmann."3 Adrien Bertrand hebt sich von allen anderen untersuchten Schriftstellern dadurch ab, dass er den Krieg nicht aus dem beschränkten Blickwinkel der einfachen Soldaten, sondern ganz aus der panoramatischen Perspektive der Offiziere schildert, wie dies in der Kriegsliteratur vor 1914 üblich war. Bertrands Hauptfiguren beobachten das Verhalten ihrer Untergebenen, machen sich zu deren Sprachrohr, erläutern die Ziele und Hintergründe des Krieges und können dabei auf ihr größeres Wissen und ihre mit dem Dienstgrad steigende Einsicht zurückgreifen. Sie philosophieren über Gegenstände, über welche sich ihre Untergeordneten keine Gedanken machen (cf. AS, 22 sq.). Im Unterschied zu den einfachen Soldaten behalten die Offiziere stets einen kühlen Kopf. Der junge Leutnant Fabre zum Beispiel wächst gerade in gefährlichen Situationen über sich selbst hinaus: «Plus le danger grandissait, plus il se trouvait calme, maitre de lui, maitre de ses hommes» (AS, 43). Hauptmann Nicolai gelingt es mit seiner vollkommenen Selbstbeherrschung, auch in Extremfällen die Moral der Truppe zu erhalten: «Nicolai ne laissait voir aucune trace d'emotion sur sa figure bronzee. [...] - Soyez calmes, dit-il ä Begou: des renforts vont arriver. - Le mot magique illumina les survivants» (AS, 46). Alle Offiziere in L'Appel du sol kümmern sich wie Väter um ihre Soldaten, die sie als «enfants» anreden"4 und denen sie schon einmal das Gepäck tragen (AS, 24). So erscheint es nur natürlich, dass das Verhältnis der Untergebenen zu ihren Vorgesetzten von Sympathie und Bewunderung geprägt ist.195 Die mitreißende, einigende Wirkung, die bei Benjamin

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Cf. Cru: Temoins, p.648.

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Cf. Capitaine Rimbault (zit. nach Jean Norton Cru: Du temoignage, Paris, Allia, 1997 [1930], p. 28): «Les camarades, ce sont ceux qui vont du commandant de compagnie au poilu inclusivement. Les autres, ce sont les chefs.» « - C'est le bapteme du feu, mes enfants, fit le capitaine Nicolai' de sa voix timbree. [...] II se retouma, embrassant ses chasseurs d'un beau regard paternel.» (AS, 13; cf. AS, 42). Cf. AS, 16: «De sa main fine et sale il [le sergent Vaissette, A.L.] brossait la vareuse du capitaine; il mettait dans son geste une tendresse emue et protectrice.»; «II [le lieutenant Serre, A.L.] voulait reprendre en mains sa section. Le moment devenait critique. Les hommes se poussaient du coude, l'admirant.» (AS, 40)

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von dem einfachen Soldaten Gaspard ausging, haben bei Bertrand nur die Offiziere. Als die Schlacht schon verloren scheint, verbreitet Oberleutnant Serre mit seinem Wagemut, seiner tadellosen Ausgehuniform und seinen energischen Befehlen Zuversicht unter seinen Leuten: «Iis etaient commandes. Iis se donnaient tout entiers, ä cette minute, corps et äme, au chef» (AS, 41). Bertrands Roman L'Appel du sol gelangte zwar durch seine Auszeichnung mit dem Prix Goncourt zu einer gewissen Berühmtheit, war aber nicht im Entferntesten so erfolgreich wie Le Feu von Barbusse, was möglicherweise auch damit zu erklären ist, dass L'Appel du sol dem durchschnittlichen Leser weniger Identifzierungsmöglichkeiten bot. Barbusse dagegen ist häufig vorgeworfen worden, dass er in seinem Roman die militärische Führung bewusst ausblende und den Krieg einseitig aus der Perspektive der einfachen Infanteristen darstelle.196 Nach Barbusses eigenen Angaben wollte er in Le Feu in erster Linie die Sichtweise des kleinen Mannes wiedergeben.197 Tatsächlich sind die Mitglieder der Korporalschaft in Le Feu die Hauptakteure und haben mehr Kontakt zu den Zivilisten im Hinterland als zu ihren Offizieren. Dennoch bleibt die militärische Führung nicht unerwähnt, etwa in den Erzählungen der Soldaten und besonders im gleichnamigen Hauptkapitel von Le Feu. Bei der Vorbereitung des Angriffs treten schlaglichtartig fünf Offiziere als Befehlsgeber auf: Ein nicht näher spezifizierter Offizier sowie der Kommandant, ein Hauptmann, ein Leutnant und ein Adjutant (LF, 308, 310, 315, 317). Die wesentlichen Akteure des Krieges sind für Barbusse die einfachen Soldaten und Korporale, die notfalls auch ohne Militärführer zurechtkommen: Als der Adjutant gefallen und der Leutnant nicht mehr zu sehen ist, übernimmt nach kurzem Zögern ein Soldat aus der Menge das Kommando (LF, 316 sq.). Barbusse kritisiert in seinem Roman das eklatante Missverhältnis zwischen der Macht der Militärbefehlshaber und dem vergleichsweise geringen Risiko, dem sie ausgesetzt sind. Seine Soldaten empören sich darüber, dass sie mit zunehmendem Abstand zur Front immer mehr Orden und Abzeichen zu sehen bekommen (LF, 162 sq.) und sie sich in der Kaserne von Offizieren schikanieren lassen müssen, die sich selbst erfolgreich vor der Front drückten (cf. LF, 304 sq., 158 sq.). Paradoxerweise werde gerade den einfachen Soldaten, den «Bürgern in Uniform» ein enormes Opfer abverlangt, während die eigentlichen Berufssoldaten, «ces soldats de profession, pensionnes, medailles» (LF, 159), dem Kriegsgeschehen aus der Ferne zusähen. Trotz aller Kritik an den Offizieren gibt es auch in Le Feu eine Soldatenfigur, die die Stelle des «idealen Offiziers», wie ihn Benjamin, Franconi und Vignes Rouges präsentieren, vertritt. Auch Barbusses Korporalschaft ist keine führerlose Gemeinschaft der Gleichen. Der Korporal Bertrand, der neben dem Ich-Erzähler ein zweites Sprachrohr des Autors ist, trägt nicht nur die Verantwortung für die Korporalschaft, sondern besitzt eine natürliche Autorität und wird in strittigen Fragen als moralische

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Siehe z.B. Jean Guiraud: «Mauvais livre, mauvaise action», erster Teil. In: La Croix, Supplement au n° 10517, 19.6.1917. Barbusse: «Reponse ä mes calomniateurs» [Sommer 1918]. In: ders., Paroles, p. 69.

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Instanz gehört (LF, 172, 340 sq.). Als Vordenker erklärt er dem Erzähler den tieferen Sinn des Konflikts und entwickelt die Vision einer Zukunft ohne Kriege (LF, 327 sq.). Nach Bertrands Tod übernimmt der Erzähler, die zweite, durch ihre Bildung aus der Korporalschaft herausragende Figur, die Rolle des intellektuellen Führers und wird im Schlusskapitel zum Aufklärer der Massen. Auch Chaine, Dorgeles und Werth nehmen in ihren Romanen den Blickwinkel der Soldaten ein. Chaine betont in seinen Memoires d'un rat die prinzipielle Gleichheit und Gleichwertigkeit aller militärischen Rangstufen und Waffengattungen. Schon mit der Entscheidung, einen Kriegsroman in Form von Memoiren einer Ratte zu verfassen, stellt Chaine das besondere Prestige der Kavallerie und der hohen Offiziere ironisch in Frage und betont die egalisierende Wirkung des Schützengrabenkrieges. Dieser Krieg, so erklärt Chaines Protagonist in seinem Widmungsbrief an «Tristan Bernard, Cavalier»,' 98 biete keine Gelegenheit mehr für glanzvolle Auftritte: der allgegenwärtige Schlamm zwinge selbst den stolzen Kavalleristen, zu Fuß durch den Schlamm zu waten, und auch der Helm sei nicht länger das Privileg der Dragoner (MR, 5 sq.). Die militärische Hierarchie entspricht bei Chaine - anders als bei Bertrand oder Vignes Rouges - keiner moralischen oder intellektuellen Rangordnung. Offiziere, Unteroffiziere und Korporalschaften, die in seinen Augen nur drei unterschiedliche Erscheinungsformen des darstellen, unterscheiden sich nach Chaine durch ihre vorrangigen Interessen (Frauen, Beförderungen oder Alkohol) und ihre Essenszeiten (cf. MR, 20). Die Offiziere zeichnen sich bei Chaine gerade nicht durch ihre Selbstbeherrschung und Vorbildhaftigkeit aus, sondern vielmehr durch ihre Willkür. So duzen sie ihre Untergebenen je nach Situation und Laune (MR, 49). Dennoch halten selbst die einfachen Soldaten an der Rangordnung fest. So erklärt sich Ferdinand die Zuneigung seines Herrn, der als «soldat de 2° classe» am untersten Ende der Hierarchie steht, mit dessen Dankbarkeit dafür, endlich selbst über jemanden befehlen zu können (MR, 47). Bei Dorgeles werden nur zwei Offiziere näher beschrieben: der Hauptmann Cruchet als strenger, aber gerechter Kompanieführer, ein schlanker und groß gewachsener Mann, der auch einmal nervös werden kann (CB, 46 sq., 59), und der Adjutant Morache, der Inbegriff von Willkür, Feigheit und Denunziantentum, als sein negatives Gegenstück. Morache harrt während einer zehntägigen Schlacht in einem Kellerverlies aus, in dem er sich seinen Gefechtsstand eingerichtet hatte, um dann als Vertreter des gefallenen Hauptmanns Cruchet seine Kompanie zu schikanieren (CB, 193). Dorgeles betont aber gleichzeitig, dass die Empörung der Soldaten über den Machtmissbrauch und die Drückebergerei Moraches nur halbherzig ist. Schon während des Wehrdienstes in der Kaserne hatten sie ihrem Vorgesetzten Rache für den Fall des Krieges geschworen, die nun abermals in eine unbestimmte Zukunft verschoben wird (CB, 98).

198 Tristan Bernard war Altersgenosse Pierre Chaines und ein bekannter Komödien- und Singspieldichter, der zur Gruppe um die Revue blanche gehörte (s. hierzu Montfort [ed.], Vingt-cinq ans de litterature frangaise, 1.1, p. 160, 165, 175, 250, 260, 272).

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Die Behandlung des Themas der Gehorsamsverweigerung, dem Barbusse, Dorgeles und Franconi in ihren Romanen jeweils besondere Kapitel widmen, veranschaulicht auf eindrucksvolle Weise die Auffassung der drei Autoren von der Gruppenidentität der Soldaten, vom Verhältnis zwischen Soldaten und Offizieren und nicht zuletzt von der französischen Gesellschaft während des Krieges. Barbusse beschreibt in seinem Kapitel Argoval die Empörung der Soldaten über die Vollstreckung der Todesstrafe an ihrem Kameraden Cajard, der zwar etwas feige, aber seit Kriegsbeginn an der Front war und sich nichts hatte zuschulden kommen lassen. Auch der Unteroffizier Suilhard, der den Erzähler aus der friedlichen abendlichen Idylle herausreißt, um ihn an den Ort der Hinrichtung zu führen, zeigt sich betroffen angesichts der Geringfügigkeit des Vergehens: Offensichtlich habe man an Cajard ein Exempel statuieren wollen, denn er habe sich nur einmal vor dem Schützengraben gedrückt und hätte mit einer Gefängnisstrafe davonkommen können, wäre er nicht als Zivilist vorbestraft gewesen. Die Soldaten aus Cajards Korporalschaft, die das Exekutionskommando bildeten, rehabilitierten den Toten mit Inschriften und Protesten auf dem Schandpfahl und durch die Verleihung einer improvisierten : «Ä Cajard, mobilise depuis aoüt 1914, la France reconnaissante» (LF, 176). Die Einrahmung dieses Kapitels durch die Berichte des Soldaten Volpatte über die Zustände in den Generalstabsbüros, wo mitten im Krieg Frieden, Sicherheit und Wohlstand herrschten, lässt Barbusses Kritik an den Schreibstubenoffizieren als den wahren Drückebergern um so deutlicher hervortreten. Dorgeles' Kapitel Mourir pour la patrie weist einige Parallelen zu Barbusses Argoval auf, setzt jedoch andere Schwerpunkte. Während Barbusse über die eigentliche Erschießung des Verurteilten sehr knapp und im Rückblick berichtet, schildert Dorgeles die Verurteilung und Vollstreckung selbst aus der Perspektive des Exekutionskommandos, zu dem auch die Korporalschaft des Erzählers gehört: das verzweifelte Flehen um Gnade, die Schreie des Verurteilten, die Scham und das Entsetzen des Exekutionskommandos und der Nervenzusammenbruch des Soldaten Vieuble. Im grellen Kontrast dazu stehen die Militärmusik («Mourir pour la patrie»), die dem Kapitel seinen sarkastischen Titel gibt, und die Gerichtsszene in einem Ballsaal, der zuletzt Schauplatz einer Veranstaltung unter dem Motto: «Ne pas s'en faire et laisser dire» gewesen war. Der Pflichtverteidiger war halbherzig für eine im Voraus verlorene Sache eingetreten und für seinen Auftritt von einem behandschuhten Regierungskommissar nur belächelt worden. Auch hier klingt Kritik an der Verwaltung in der Heimat an; im Zentrum steht jedoch weniger die Opposition zu den wahren Drückebergern als vielmehr die menschliche Tragödie. Das Vergehen des Verurteilten erscheint noch geringfügiger als dasjenige Cajards: Der Vater zweier kleiner Kinder hatte sich geweigert, in der Nacht nach dem Angriff auf Streife zu gehen, weil er schon am Vortag an der Reihe gewesen war. Beide Autoren betonen, dass die Erschießungsszenen in ihren Romanen auf realen Vorbildern beruhen - Barbusse durch das für einen Roman ungewöhnliche Mittel einer Fußnote, in der er erklärt, er habe nur Namen und Ort verändert (cf. LF, 99

176), Dorgeles in seinem dreißig Jahre später erschienenen Werk Bleu horizon, wo er schreibt, Mourir pour la patrie sei die einzige Episode in seinem Roman, die keine «realite recreee» sei: «Tout s'est passe comme je le raconte. J'ai simplement ecourte les motifs de sa condemnation: peut-etre ai-je eu tort». In Les Croix de bois fehlt jedoch auch die Figur des Generals, der es ablehnte, dem Begnadigungsgesuch des Obersten zu folgen. 1 " Dagegen verfolgt Franconi mit der Darstellung militärischen Ungehorsams ein Ziel, das demjenigen von Barbusse und Dorgeles diametral entgegengesetzt ist. Er wählt keine Erschießungsszene, sondern eine Degradierung, die zwei Soldaten zu Outlaws in der Armee macht. Die Kapitelüberschrift La Degradation nimmt den offiziellen militärischen Ausdruck auf. Die Handlung wird also nicht durch einen ironischen Gegensatz zum Titel kritisiert wie bei Dorgeles, sondern im Gegenteil geächtet. Der Akzent liegt auf dem Ehrverlust und der abschreckenden Wirkung der Zeremonie: Nach Franconi könne kaum ein Soldat die Schande ertragen, nicht mehr zur «Frontgemeinschaft» dazuzugehören, nicht mehr «ce matricule vivant, ce rouage symbolique, ce postulant ä la mort qu'est un modeste soldat» (UT, 175 sq.) zu sein. 2.2.5 «La plus grande France?» Die Soldaten aus den Kolonien Die Ideologie der «plus grande France» entstand fast gleichzeitig mit der Dritten Republik, auch wenn die Bezeichnung für Frankreich und seine überseeischen Kolonien erst 1903 von Jacques Leotard, dem Generalsekretär der , als Auseinandersetzung zwischen den Mächten des Guten und des 57 58

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Noch ausgeprägter ist die Vorstellung vom Krieg als Buße bei Henri Massis. Cf. E, 153: «La guerre, derivatif violent, tonique amer, balayerait tout; Henriette n'echapperait pas aux reflexions saines de la solitude. Qui sait, s'il en rechappait, il retrouverait peut-etre sa femme? Une femme aimante et ä laquelle il se consacrerait». - Zu einer ähnlichen Wiederannäherung kommt es bei dem Ehepaar Raynaud in Tinayres La Veillee des armes. Auch Benjamins Gaspard bezieht die Vorstellung vom Krieg als «grand nettoyage» auf seine persönlichen Lebensverhältnisse, indem er beschließt, seine langjährige Lebensgefährtin zu heiraten und seinen Sohn für ehelich erklären zu lassen (cf. G, 247). Jacques Riviere: Ä la trace de Dieu, Paris, Gallimard, 1925, p. 136 sq. (Riviere war bis Juni 1917 Kriegsgefangener.) - Der Krieg wurde auch in den Kriegspredigten mancher französischer Geistlicher sakralisiert, die auf diese Weise die Kirche mit der Republik zu versöhnen versuchten. Siehe hierzu Becker: La France en guerre, p. 44-47; Ernst Η. Kantorowiez: «Pro patria mori in medieval political thought». In: American historical review 56, n° 2, January 1951, p. 472-492.

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Bösen, als Kampf gegen die Feinde Gottes oder der Menschheit, als nationale «Auferstehung» und als Buße dargestellt wurde. Mit dem Krieg und dem Kriegstod, das zeigen auch die Vorstellungen von der «guerre civilisatrice» und der «guerre regöneratrice», verbanden sich Erlösungs- und Heilserwartungen. Der horazische Topos vom «pro patria mori», der zu einer «Standardformel nationalen und staatsbürgerlichen Engagements»60 aufstieg, enthält zweifellos eine religiöse Komponente, die auch auf der Ebene der politischen Rhetorik zum Ausdruck kommt. Zu denken wäre etwa an die als Bezeichnung für den von Staatspräsident Poincare ausgerufenen innenpolitischen Waffenstillstand, oder an den von Maurice Barres geprägten Namen für die Verbindungsstraße zwischen Bar-le-Duc und Verdun, die 1916 wie eine Nabelschnur die Front mit Nachschub versorgte." Der Marnesieg wurde als «miracle de la Marne» berühmt, Foch als «envoye de Dieu» und Petain als «nouvelle Jeanne d'Arc» verehrt.62 Eine bekannte Ansichtskarte aus dem Jahre 1915 illustriert die Heiligkeit der französischen Sache unter dem Titel «Les gestes de Dieu par les Francs».63 Auch die Rhetorik der Schriftsteller des Ersten Weltkrieges, das zeigt das eingangs erwähnte Beispiel Jacques Rivieres, ist vielfach religiös gefärbt. Leon Daudet etwa parallelisiert in La Vermine du monde die Marneschlacht mit der Genesis: «Dieu sauva la France en sept jours. [...] En sept jours, sur les rives de la Marne, fut ecartee du Fran5ais cette mort nationale, mille fois pire que la mort de chacun de nous» (VM, 308-313). Die sieben Tage, die die Franzosen davor bewahrten, zur «race assujettie» zu werden, ziehen sich leitmotivartig durch Daudets gesamten Kommentar zur Marneschlacht, die heutigen Historikern zufolge gar nicht sieben, sondern sechs bzw. acht Tage dauerte.64 Genauso lang wie der Schöpfungsakt, so wird hier suggeriert, dauerte die erlösende Befreiung («delivrance») Frankreichs. Wie die Schlacht von Poitiers Europa vor dem Islam gerettet habe, so eine weitere christliche Analogie, so habe «la fille ainee de l'Eglise» durch den Marnesieg die Welt auf lange Zeit vor dem «germanisme» und seiner «barbarie pedante» bewahrt (cf. VM, 308, 317). Der Marnesieg wird somit als ein Gottesurteil dargestellt, das die Legitimität des französischen Verteidigungskampfes bestätigt und Deutschlands Aggressivität und Raublust bestraft (cf. VM, 307).

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Jeismann: Das Vaterland der Feinde, p. 95. Siehe hierzu Roze: Les lieux de la Grande Guerre, p. 76, sowie das berühmte Gemälde von Georges Scott («La voie sacree de Verdun») in: Frederic Lacaille, La Premiere Guerre mondiale vue par les peintres, Paris, Citedis, 1998, p. 100. 62 Cf. Maurice Genevoix: «50 ans apres», p. 1. Zum «miracle de la Marne» siehe JeanJacques Becker: «La bataille de la Marne, ou la fin des illusions». In: 14-18: Mourir pour la patrie, Paris, Societe d'Editions scientifiques, 1992, p. 131-133. 63 Siehe Abbildung 13 in: Agulhon, Oulmont: Nation, patrie, patriotisme. Μ Nach Jay Μ. Winter (The Experience of World War I, Oxford, Equinox, 1988, p. 8) und Marc Ferro (La Grande Guerre, p. 100-103) dauerte die Marneschlacht vom 5. bis zum 10. September 1914, nach Jean-Jacques Becker («La bataille de la Marne», p. 130) vom 6. bis zum 13. September 1914. 61

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Für den republikanischen Offizier Vaissette aus Bertrands Roman L'Appel du sol ist der Krieg - ähnlich wie für Riviere - ein Kreuzzug, eine «guerre sainte» (AS, 105), weil die französischen Soldaten nicht nur für das Wohl der eigenen Nation, sondern auch für die weltweite Verbreitung der republikanischen Ideale kämpfen.65 Der katholisch-konservative Hauptmann de Quere glaubt an die Unbesiegbarkeit der französischen Armee, an die läuternde Wirkung des Krieges in Bezug auf die eigene, und an Frankreichs «mission redemptrice» in Bezug auf die anderen Nationen (cf. AS, 100). Als Verteidiger der durch griechisch-römische Antike und Christentum geprägten «civilisation humaine» und der «äme sacree» der antiken Ruinen haben die französischen Soldaten eine quasi-religiöse Funktion inne: «Nous remplissons [...] un sacerdoce» (AS, 107). Damit beschränkt Bertrand den Humanismus, der sonst als Charakteristikum der gesamten abendländischen Zivilisation gilt,66 auf Frankreich und grenzt dessen Feind Deutschland implizit als nicht-humanistisch davon ab.67 Zu dem Bild vom Priesteramt passt auch die Absolution, die die französischen Soldaten ihren deutschen Gefangenen erteilen, wobei sie sich die Natur zum Vorbild nehmen: «Iis les absolvent en la profondeur de leur äme, comme la terre, qui a fait pourtant ellememe les patries, rassemble les corps de tous les ennemis dans son sein» (AS, 204). Auch bei der Beschreibung des Begräbnisses der gefallenen französischen Soldaten bedient sich Bertrand einer religiösen Metaphorik: La terre sacree recouvrait leur depouille, entourait jalousement de ses grains et de sa poussiere leurs corps de martyrs. Le sol reprenait ses fils qui venaient de mourir pour lui. II avait exige le grand sacrifice. II avait bu le sang des victimes, tombees sur les herbes, les sillons ou les javelles, comme sur des autels. II les recueillait en son sein impassible et paternel. (AS, 152)

Die Sakralisierung - bei Bertrand sogar Deifikation - des französischen Bodens und die Gleichsetzung der Gefallenen mit Märtyrern geht auf mittelalterliche Vorstellungen zurück, denen zufolge die Verteidigung Frankreichs mit der Verteidigung des Heiligen Landes an Wert und Konsequenzen vergleichbar war.68 Der Tod 65

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Dieselbe Kreuzzugsidee findet sich auch bei dem Vizepräsidenten der Pour votre cause, elle a donne sans compter ...8β Frankreich sei seit jeher «le salut du genre humain» und das Land, dessen Interesse und Schicksal am stärksten mit denjenigen der Menschheit eins gewesen sei.89 So interpretierte Michelet den Krieg der Ersten Republik gegen die Koalition als «guerre sacree pour la paix, la delivrance du monde». 90 Das revolutionäre Frankreich habe das Erbe der Vernunft und der Freiheit zum Wohl der Menschheit in Gesetzen fixiert und sich für diese aufgeopfert: «Ces lois, ce sang et ces larmes, elle [la France, A.L.] les donnait ä tous, leur disait in der Heimat erlebten oder als ctemoins imaginaires> nur die Autorität der Dabeigewesenen beanspruchten.6 Uber die Art und Weise, wie der Wahrheitsanspruch im literarischen Werk umgesetzt werden sollte, gingen die Meinungen der Schriftsteller weit auseinander. Den einen Pol bildeten Schriftsteller

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Siehe hierzu das Vorwort im ersten Band der Chronik (Maurice Barres: Chronique de la Grande Guerre, 1.1, Paris, Plön, 1920, ρ. Ι-ΙΠ) sowie Michel Baumont: «Un temoignage sur la guerre de 1914-1918: , de Maurice Barres». In: L'information historique 35, n° 1, janvier-fevrier 1973, p. 19-29. Rieuneau: Guerre et revolution dans le roman frangais, p. 23. Siehe hierzu Pomeau: «Guerre et roman dans rentre-deux-guerres», p. 78-80. Die Begriffe , ne dans cette maison le 17 mai 1887, tue au bois de Sauvillers (Somme) le 23 juillet 1918 pour defendre contre l'envahisseur sa maison, sa rue et la place St.-Sulpice.»

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Integrität und besondere Erlebnisse, Un Tel auch durch seine militärischen Leistungen, von seinen Kameraden ab. Auch durch seine Vermittlerrolle nimmt der Erzähler bzw. der Protagonist gegenüber seinen Kameraden eine Vorrangstellung ein. Er hat nicht nur besseren Zugang zu unterschiedlichen Bildungsschichten und militärischen Dienstgraden als der Durchschnittssoldat, er macht auch Grenzerfahrungen und gehört schließlich zu den Überlebenden. 78 Der kämpfende Schriftsteller tritt schließlich als besonders geeigneter Vermittler zwischen Front und Heimat auf, da er die Sprache der Front und der Heimat gleichermaßen beherrscht und das nötige Ausdrucksvermögen besitzt, um seine Erfahrungen wiederzugeben. Die Eigenschaften, die dem zugeschrieben wurden, sind nach Jay Μ. Winter Charakteristika einer : Der Schriftsteller-Soldat beansprucht mit derselben Überlegenheitsgeste wie der romantische Künstler, den Blick der Nichtsehenden auf eine unzugängliche, unbekannte Welt zu lenken. 79 Der stehe damit symbolisch für die allgemeine Verstärkung romantischer Tendenzen in der Literatur, die während des Ersten Weltkrieges zu beobachten gewesen sei. Doch obwohl die Anspruch auf eine Sonderrolle erhoben, bildeten sie keine Elite im antidemokratischen Sinne. Sie verstanden sich vielmehr als Repräsentanten und Interessenvertreter ihrer nichtschreibenden Kameraden80 und begriffen es als ihre Aufgabe, die authentischen Erfahrungen der Frontkämpfer gegen die Lügen und Legenden der Heimat und des Generalstabs zu vertei-

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Jay M.Winter parallelisiert Barbusses Position mit derjenigen der drei Boten aus dem Buch Hiob: «[...] und ich allein bin entronnen, dass ich dir's ansagte.» (Hiob 1, 15-19; cf. Winter: Sites of memory, sites of mourning, p. 181). Cf. Jay M. Winter: «Les poetes-combattants de la Grande Guerre. Une nouvelle forme du sacre». In: Vingtieme siecle, n° 41, janvier - mars 1994, p. 72: «Finalement, le poete-soldat etait lui-meme une figure romantique. C'etait lui qui maintenait les valeurs morales. C'etait lui qui detenait la verite, lui qui avait brave la peur et la mort et qui en parlait au monde encore inconscient de ce qui s'etait passe. II s'aventurait dans le domaine du sacre, le no man's land qui separait les vivants et les morts, et servait d'interlocuteur entre les communautes en deuil: soldats et civils, hommes et femmes, jeunes et vieux.» Siehe hierzu auch Ferguson: La France, nation litteraire, p. 187. Gustave Geffroy, der Vorsitzende der Academie Goncourt, beschreibt die Stellvertreterfunktion der Schriftsteller-Soldaten wie folgt: «[...] ces pages, ces fragments ainsi edites, prennent la valeur representative d'incarner, non seulement la profession de ceux qui signent leur oeuvre, mais aussi la masse anonyme qui disparait sans ecrire, sans parier, sans meme en appeler ä l'avenir. Jamais n'est apparue avec tant de force cette mission possible des travailleurs de l'esprit, hommes de lettres, poetes, historiens, philosophes, savants, artistes de tous ordres, musiciens, reveurs qui cherchent un sens ä la nature, ä la vie. Ceux-lä sont des privilegies, d'abord par leur action meme, qui satisfait leur etre intime, leur desir de beaute, de verite, leur enthousiasme de quelque decouverte, et ils sont des privilegies encore parce qu'ils courent la chance de laisser quelque trace de leur passage parmi les hommes [...]» («Introduction». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre 1914-1918, ed. Association des Ecrivains Combattants, t. 5, Amiens, Edgar Malfere 1926, p. VI sq.). Siehe auch UT, 103 sq.

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digen. Dabei gingen, wie im Kapitel V.l.l gezeigt wurde, ihre Auffassungen über das richtige Verhältnis von Realität und Fiktion bei der Darstellung des Krieges weit auseinander. Insgesamt anerkennen die Schriftsteller eine Verpflichtung zur Wahrheit, lehnen eine Fiktionalisierung jedoch nicht grundsätzlich ab. Dass der mehr oder weniger große Anteil der Fiktion in der Kriegsliteratur vor 1920 auch von den Lesern nicht als Problem empfunden wurde, sondern es vielmehr auf die tatsächliche Fronterfahrung des Schriftstellers ankam, zeigen Aussagen wie die folgenden, die sich zuhauf in den Werken der selbst und auch in den Rezensionen finden: «La guerre seule parle bien de la guerre»,91 «la littirature du front, la seule qui ait le droit de parier de la guerre».82 In ihren Vorworten, Reden und Kriegserinnerungen aus der Nachkriegszeit hielten die zwar weiterhin an ihrem Anspruch fest, als privilegierte Zeugen des Krieges gehört zu werden. Doch rückten nun zwei andere Themen in den Vordergrund: Die Schriftsteller setzten sich nun verstärkt mit der Rolle der Literatur als Mittel der Erinnerung und der Sinngebung sowie mit ihrer eigenen nationalen Bedeutung auseinander. Vertreter der AEC beschrieben die Schriftsteller-Soldaten als Verteidiger des geistigen Erbes der Nation. Aufgrund ihrer Doppelrolle hätten sie mehr zu verteidigen gehabt als die anderen Soldaten, mehr als Freiheit und Unabhängigkeit ihrer Nation83 oder die Integrität des nationalen Territoriums. Ihre besondere Mission habe im Schutz des «genie de la race»84 und der Zukunft der französischen Literatur85 bestanden. Darüber hinaus hätten sie sich durch eine größere Opferbereitschaft ausgezeichnet, da die militärische Disziplin und das Leben im Schützengraben den sensiblen Individualisten, die Schriftsteller nun einmal seien, extreme Entbehrungen abverlangt habe.86 Galten die Soldaten an sich schon als Inbegriff der Nation - «les combattants, c'est la nation elle-meme», sagte Staatspräsident Poincare auf dem Kongress der (UNC) 1923 in Vichy87 - , so legitimierten sich die in doppelter Hinsicht als Bürger ihrer Nation. Zudem dementierten sie mit ihrem Engagement als Frontkämpfer ein negatives Intellektuellen-Bild der Vorkriegszeit, das in den Schriftstellern effeminierte, unheroische Apostel des Humanitarismus oder egozentrische, antipatriotische Unruhestifter sah: «Nous avons etabli que les hommes de pensee sont, souvent, des hommes d'action, que

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Pierre-Alexis Muenier: L'Angoisse de Verdun, Paris, Hachette, 1919, p. 127, zit. nach Cru: Temoins, p. V. Aus dem Brief eines Infanterieleutnants, zit. nach Francois Lebon: «Le livre de Barbusse et l'opinion des soldats». In: L'CEuvre, n°597, 11.5.1917, p. 3. Cf. Georges Lecomte: «Introduction». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, t. 2, p. Vn-XI. Robert de Flers: «Introduction». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, t. 3, p. VI sq. Doumic: «Introduction». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, t. 4, p. VII. De Flers: «Introduction». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, t. 3, p. VI-IX. Siehe auch Barres' Nachruf auf Emile Clermont in: L'Ämefrangaise et la guerre, t. 9, p. 135. Zit. nach Prost: Les Anciens Combattants, 1.1, p. 130.

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l'intelligence est parente de l'energie, du courage et de l'abnegation,» hieß es im Manifest der AEC.8' 2.2 Der schriftstellerische Gefallenenkult Das erste Kriegsjahr begann mit einem traurigen Rekord: In den wenigen Monaten von August bis Dezember 1914 waren 140 gefallene Schriftsteller zu verzeichnen, fast genauso viele wie im ganzen Jahr 1915 und in den beiden Jahren 1916 und 1917 zusammen. In den fünf Bänden der Anthologie des ecrivains morts ä la guerre 1914-1918, die zwischen 1924 und 1926 erschienen, sind die Namen von insgesamt 530 französischen Schriftstellern aufgeführt.'9 Der Tod von Berühmtheiten wie Charles Peguy, Ernest Psichari, Alain-Fournier und Louis Pergaud schon in den ersten Kriegswochen fand ein enormes öffentliches Echo. Um die gefallenen Schriftsteller entstand während des Ersten Weltkrieges ein Kult mit quasi-religiösen Zügen, der nicht nur von den selbst getragen wurde, sondern auch von Nichtkämpfern, allen voran Maurice Barres. Charles Peguy und Ernest Psichari, die von der nationalistischen Rechten als «mattres» und Verkörperung der religiösen und patriotischen Erneuerungsbewegung der Vorkriegszeit vereinnahmt wurden, galten als Propheten, die durch ihren Tod zu Helden geworden waren.90 Barres erklärte die beiden Schriftsteller gar zu neuen Nationalheiligen. Im zweiten Band von L'Ame frangaise et la guerre figurieren Psichari und Peguy neben Jeanne d'Arc als «saints de la France»,91 und in Barres' Nachruf auf Peguy heißt es: II est tombe, les armes ä la main, face ä l'ennemi, le lieutenant de ligne Charles Peguy. Le voilä entre parmi les heros de la pensee fran^aise. Son sacrifice multiplie la valeur de son ceuvre. II celebrait la grandeur morale, l'abnegation, l'exaltation de l'äme. II lui a ete donne de prouver en une minute la verite de son verbe. Le voilä sacre. Ce mort est un guide, ce

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Henry Malherbe, Jose Germain, Jacques Boulenger: «Manifeste» (juin 1919). In: Annuaire de 1'Association des Ecrivains Combattants 9 (1927/1928), p.5. Das negative Intellektuellenbild findet sich generell im Umkreis der Action frangaise, z.B. bei Edouard Berth (Les Mefaits des intellectuels, 1914, zit. bei Victor Brombert: The Intellectual Hero. Studies in the French Novel 1880-1955, Philadelphia/New York, J. B.Lippincott Co., 1960/61, p. 20,29-31). Anthologie des ecrivains morts ä la guerre 1914-1918, ed. Association des Ecrivains Combattants, 5 vol., Amiens, Edgar Malfere, 1924-1926. Sämtliche Zahlen (für das Jahr 1915 157 gefallene Schriftsteller, für die Jahre 1916 bis 1918 81, 62 bzw. 69 Kriegstote) sind dieser Anthologie entnommen. Cf. LS, 13-151; Edmond Pilon: «Les ecrivains morts ä la guerre». In: Eugene Montfort, 25 ans de litterature frangaise. Tableau de la vie litteraire de 1895 ä 1920, t. 2, Paris, Librairie de France, o. J. [1925], p. 138 sq.; Annette Becker: «La mort des ecrivains». In: Centre de Recherche de l'Historial de Peronne (ed.), 14-18. La Tres Grande Guerre, Paris, Le Monde-Editions, 1994, p. 74 sq. Barres: L'Ame frangaise et la guerre, t. 2: Les Saints de la France, Paris, Emile-Paul, '1915, Kap. Χ, XIX, XXII, XXVI.

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mort continuera plus que jamais d'agir, ce mort plus qu'aucun est aujourd'hui vivant. [...] Ci-git la gloire des jeunes lettres frangaises. Mais plus qu'une perte, c'est une semence; plus qu'un mort, un exemple, une parole de vie, un ferment. La Renaissance frangaise tirera parti de l'oeuvre de Peguy, authentiquee par le sacrifice.'2 Psichari und der eng mit ihm befreundete Peguy eigneten sich für eine Mythisierung, weil sie nicht nur in exemplarischer Weise die von Agathon als repräsentativ dargestellte Jugend der Vorkriegszeit verkörperten,93 sondern weil sie zudem in einer Phase des Krieges starben, die noch keine Schützengräben kannte und in der es noch konventionelle Kriegshelden gab. Peguy war aber nicht nur der berühmtere der beiden Schriftsteller, sein Tod ließ sich auch weit stärker symbolisch aufladen als derjenige Psicharis, weil er mit dem ersten Tag der Mameschlacht, dem 5. September 1914, zusammenfiel. So wurde «Charles Peguy, heros de la Marne, soldat de Dieu» 94 bei Henri Massis zur Symbolfigur der «grandeur reconquise» und «heros de la reprise de la France», ja zu einer zweiten Jeanne d'Arc.95 Zwanzig Jahre des Kampfes mit der Feder konnten im Nachhinein als Vorbereitung auf Peguys «Märtyrertod», und dieser als Sublimation seines Lebenswerkes, «le point final ä son oeuvre tout ä coup completee, detachee des choses terrestres, achevee, signee», 96 umgedeutet werden.97

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Maurice Barres: «16 septembre [1914]. Charles Peguy mort au champ d'honneur». In: ders., Chrotiique de la Grande Guerre, 1.1, p. 223-226. Cf. ders.: «Charles Peguy». In: Bulletin des fccrivains, n ° l , novembre 1914, p. 1. - Cf. Henri Massis, LS, 71 sq.: «Au cours de ces trente premiers jours de la guerre, Peguy grandit de fa9on surhumaine et prend quelque chose de saint. L'action le revele, la mort le couronne.» - Jacques Riviere schrieb am 23. April 1915: «Jamais je n'ai senti plus forts sur moi l'action de Peguy et d'Henri [Alain-Fournier] que depuis que je les ai perdus» (A la trace de Dieu, p. 267). Siehe z.B. Henri Massis: «Ernest Psichari, 1883-1914». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, t. 2, p. 591: «[...] ce n'est point seulement la biographie d'un jeune homme qui chercha ses modeles parmi les heros et les saints, c'est l'histoire exemplaire de notre äge; c'est, fraternellement soufferte, partagee, vecue, la Passion de toute une jeunesse, avec eile accomplie dans le sang de la plus belle mort. [...] Sa vie ne fut qu'une lutte spirituelle, un combat d'äme, mais ce combat etait celui-lä meme qui se livrait dans l'äme de toute une race.» Dorgeles: Bleu horizon, p. 221. Cf. LS, 17, 51 sq. - Peguy wurde nicht nur mit Jeanne d'Arc verglichen, sondern war selbst Verfasser eines berühmten Buches über Johanna von Orleans (Le mystere de la charite de Jeanne d'Arc, 1910). Emile Clermont, zit. nach LS, 18. Peguy selbst, stets um die Wahrung seiner persönlichen Unabhängigkeit bemüht, hatte sich gegen die Vereinnahmung vonseiten der Rechten und monarchistischen extremen Rechten gewehrt. Nach eigener Aussage hielt er auch nach seiner Abkehr von der Politik der Sozialistischen Partei an den sozialistischen Idealen fest. Dies hinderte ihn jedoch nicht, in der Praxis die Republikaner des politischen Zentrums zu unterstützen. Sein Nationalismus war weder eindeutig rechts noch links - anders ließe sich auch kaum die in den Vorkriegsjahren so große Resonanz Peguys über alle politischen Lager hinweg erklären. Peguys Verständnis von einem «nationalisme de synthese», nämlich einer Synthese des christlichen Frankreich und der revolutionären Tradition, war in den Zeiten

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Doch nicht nur Persönlichkeiten wie Peguy und Psichari, auch die weniger prominenten waren Gegenstand einer besonderen Verehrung. So ließ Barres im zweiten Kriegsjahr eine Gedenkmedaille für die Familien der gefallenen Schriftsteller anfertigen, deren Symbolik - ganz im Sinne der - das revolutionäre Erbe mit der und der christlichen Tradition Frankreichs verbindet. Auf der Vorderseite der Medaille wird Frangois Rüdes «Marseillaise» vom Sockelrelief «Le depart des volontaires 1792» auf der Ostseite des Pariser Are de Triomphe98 in einen aktuellen Kontext versetzt: das vordere Knie auf eine 75er Kanone gestützt, führt die «Marseillaise» die des Ersten Weltkrieges an. Die Parallele zu den Soldaten der Revolutionsarmee ist unverkennbar, auch wenn die Freiwilligen bei Rude noch als Individuen erscheinen, während sie auf der Medaille hinter Fahnen und Waffen nur zu erahnen sind. Auf der Rückseite der Medaille sieht man eine trauernde Allegorie des Sieges am Grab eines sitzen, das an den drei Attributen: offenes Buch, Degen und zu erkennen ist. Nach antikem Vorbild stützt die geflügelte «Victoire douloureuse» den gesenkten Kopf in die linke Hand, in der rechten hält sie einen Siegeskranz. In der Ferne ist ein strahlendes Kreuz als Symbol der Hoffnung zu sehen." Die Umschrift «Credidi, propter quod locutus sum et mortuus» stellt eine Parallele zu Blutzeugen des christlichen Glaubens her und setzt die gefallenen Schriftsteller mit Märtyrern für das Vaterland gleich. Der Autor des Roman de l'energie nationale, der schon den lebenden überdurchschnittliche Intelligenz, moralische Überlegenheit und eine

der von großer Aktualität. - Zu Peguy s. Geraldi Leroy: «Peguy (Charles)». In: Julliard, Winock (ed.), Dictionnaire des intellectuels frangais, p. 867; Raoul Girardet: Le nationalisme frangais. Anthologie 1871-1914, Paris, Seuil, 1983, p. 251. Zu Peguys «nationalisme de synthese» cf. Peguy: L'Argent suite [1913]. In: CEuvres en prose completes, t. 3, p. 948. Eine ähnliche doppelte Verankerung der französischen Nation bzw. des «genie de la France» ist im Zweiten Weltkrieg bei Louis Aragon zu finden, für den «la conjonction et» das «französischste» Wort überhaupt ist, weil es den Doppelcharakter der «civilisation franjaise», die christliche und die materialistische Tradition Frankreichs, zum Ausdruck bringe («La conjonction et». In: Albert Beguin [ed.], «Controverse sur le genie de la France», Les Cahiers du Rhone 5 [novembre 1942], p. 170 sq.). 98

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Siehe hierzu Marie-Claude Chaudonneret: «Das Bild der französischen Republik 17921889». In: Marianne und Germania 1789-1889. Frankreich und Deutschland. Zwei Welten - eine Revue. Eine Ausstellung der Berliner Festspiele GmbH im Rahmen der «46. Berliner Festwochen 1996» als Beitrag zur Städtepartnerschaft Paris-Berlin im MartinGropius-Bau, Stresemannstr. 110 vom 15. September 1996 bis 5. Januar 1997, ed. MarieLuise von Plessen, Berliner Festspiele GmbH, [o.O.], Argon, [o. J.], p. 24—26. Das Bulletin des Ecrivains meldet in der Dezemberausgabe 1915 (n° 14, p. 2), die Societe des Gens de lettres beginne mit der Verteilung der «medaille commemorative Offerte par Maurice Barres aux families des ecrivains tombes au champ d'honneur.» Siehe auch Barres: «Preface». In: Larronde, Anthologie, 1.1, p.9. Abbildung der Medaille in: Barres: «La Medaille des Ecrivains morts au Champ d'honneur». In: Les Annales, n°1715, 7.5.1916, p. 524 und bei Pilon: «Les ecrivains morts ä la guerre», p. 133.

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«incomparable autorite»100 bescheinigte, glorifizierte erst recht die Toten. Anlässlich der Eröffnung der Buchmesse in Lyon Ende April 1916 hielt Barres eine Rede auf die bis dahin knapp dreihundert gefallenen Schriftsteller. Darin behauptete er, dass der Tod auf dem Schlachtfeld aus einfachen Schriftstellern Meister mache und ihren Werken eine viel tiefere Bedeutung verleihe: Voyez plus loin, constatez l'embellissement des oeuvres de ces heros. Comme leur mort y ajoute d'autorite et de sonorite! Les ouvrages des Peguy, des Psichari, des Clermont ne sont-ils pas devenus plus beaux, plus vrais, plus profonds? On les interroge comme des livres sybillins, on leur demande des conseils, des propheties, tout autre chose desormais que de nous distraire. Iis vont guider les genetions [sie]. Iis etaient de grands ecrivains, les voilä devenus plus sürement des Maitres.101

Auch wenn von den Kreisen um Barres und Massis die ersten Impulse kamen, war der Kult um die gefallenen Schriftsteller jedoch nicht allein die Angelegenheit der nationalistischen Rechten. Die AEC zum Beispiel schrieb neben der Vertretung berufsständischer Interessen «en dehors de toute preoccupation politique et religieuse» vor allem den Totenkult auf ihre Fahne,'02 und sie benutzte weitgehend dieselbe Metaphorik. Auch die Vertreter der AEC verklärten ihre gefallenen Berufsgenossen als Märtyrer, Seher und Schutzheilige der Überlebenden.103 Auffallend ist das religiöse Vokabular, das im Zusammenhang mit den gebraucht wurde. Gustave Geffroy, der Vorsitzende der Academie Goncourt, bezeichnete die Toten als «bataillon sacre».104 Henry Malherbe verglich die Herausgeber der Anthologie des Ecrivains morts ä la guerre 1914-1918 mit den Erbauern der mittelalterlichen Kathedralen, bezeichnete die Textsammlung als «breviaire» und «Legende Doree» und sprach von dem lang gehegten Vorhaben, «[de] confesser la foi de ces martyrs», weil von ihnen Antworten auf die wichtigsten Fragen der Zeit zu erwarten seien. Die gefallenen Schriftsteller sind in Malherbes Augen geradezu Erleuchtete.105

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Barres: L'Ame frangaise et la guerre, t. 9, p. 235 sq. Barres: «Que la mort au champ de bataille fait d'un simple ecrivain un maitre. La Foire de Lyon. In Memoriam». In: ders., L'Ame frangaise et la guerre, t. 9, p. 196-201. Im gleichen Sinne äußert sich der Schriftsteller, Senator und Bürgermeister von Lyon, Edouard Herriot: «[...] il ne convient non pas de juger mais de saluer la memoire heroi'que d'hommes que la mort a places au-dessus de nos contestations [...]» (Herriot: «L'Hommage aux Ecrivains morts pour la France». In: Annales politiques et litteraires 66, 14.5.1916, p. 558). Die Vereinsstatuten sind im Annuaire de l'Association des Ecrivains Combattants de 1914 ä 1918 9 (1927/1928), p. 9 sq. abgedruckt. Siehe z.B. die Vorworte von Henry Malherbe und Jose Gennain in der Anthologie des ecrivains morts ä la guerre 1914-1918,1.1, ρ. ΧΠ sq. und t. 2, p. XIII-XV. Geffroy: «Introduction». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre 1914-1918, t. 5, p. VI. «Dans le desordre qui nous agite, eux nous livrent leurs prineipes purs et hardis. Lorsque nous interrogeons leur souvenir, sur quelles questions ne repond-il pas? Notre regard sera plus profond d'avoir contemple cette elite d'hommes en action. Leur memoire doit nous sauver d'autres malheurs. Chaque moment de leur breve existence leur etait un sujet ä re-

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Henry de Jouvenel, der damalige Minister für das Schulwesen und die Schönen Künste und ebenfalls Mitglied der AEC, präsentierte die gefallenen Schriftsteller als geistige Wegbereiter der überlebenden: «Nous nous familiariserons avec leur souvenir. Nous nous sentons de plus en plus descendre d'eux. Nous commen9ons ä eux. Nous cherchons notre inspiration en eux. Sans doute, nous portons le deuil, mais surtout nous datons de leur ere».106 Die überlebenden begriffen sich als Hüter der Toten und der Erinnerung, als wachsame «petite phalange», die gegen die Übermacht des Vergessens antrat.107 Als eine spezifische Form des Totenkultes sind die beiden Anthologien zu betrachten, die Carlos Larronde und die AEC herausgaben. Diese Textsammlungen ergänzten die bei allen sozioprofessionellen Gruppen üblichen, zahllosen Goldenen Bücher und Nekrologien. Die früheste Anthologie, Larrondes vierbändige Anthologie des ecrivains frangais morts pour la Patrie, zu der Barres das Vorwort schrieb, entstand schon im Jahre 1916.108 «C'est un culte qui commence», war Barres überzeugt.109 Heutigen Lesern werden die in der Anthologie genannten 42 Namen bis auf wenige Ausnahmen, darunter auch der über siebzigjährige Albert de Mun, völlig unbekannt sein. Selbst Barres beschönigt nicht, dass die aufgenommenen Schriftsteller literarisch von sehr unterschiedlichem Rang seien. Doch spiele dies keine Rolle, weil sie durch ihren Opfertod geheiligt und einander ebenbürtig würden: «leur sacrifice est commun et pas un n'echappe ä Γ admiration dont nous entourons leur sainte cohorte»."0 Das wohl umfangreichste Werk dieser Art stellt die ursprünglich auf vier Bände angelegte und dann auf fünf erweiterte Anthologie des ecrivains morts ä la guerre 1914-1918 dar, die schon 1920 geplant war, jedoch erst zwischen 1924 und 1926 erschien. Schon durch ihren Titel hebt sie sich von der LarrondeAnthologie ab: Betonte die ältere Anthologie die nationale Zugehörigkeit der Schriftsteller und gab ihrem Tod einen ganz bestimmten Sinn («ecrivains frangais morts pour la patrie»), so wahrt die von der AEC herausgegebene Anthologie den Vereinsstatuten entsprechend weltanschauliche Neutralität («ecrivains morts ä la

flexion aigue. Dans l'afflux d'energie qu'ils eprouvaient, dans leur conscience grave et nette, ils savaient determiner les verites et concevoir les grands desseins. [...] Ces ecrits [...] revelent une vision supreme du monde.» (Malherbe: «Preface». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, 1.1, ρ. ΧΙ-ΧΙΠ) 106 «Avant-propos d'Henry de Jouvenel». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, 1.1, p. VI. 107

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Cf. Jose Germain: «Preface». In: Anthologie des ecrivains morts a la guerre, t. 2, p. XVI; Roland Dorgeles: «Preface». In: Anthologie des ecrivains morts ä la guerre, t. 3, p. XVI. Carlos Larronde: Anthologie des Ecrivains frangais morts pour la Patrie, 4 Bde., Paris, Larousse, 1916. Das Werk des katholischen Geistlichen M.-A. Janvier: Les ecrivains et les journalistes frangais ou allies morts pendant la guerre de 1914-1915 au service de leur pays, Paris, Lethielleux, 1915, war mir leider nicht zugänglich. Barres: «Preface». In: Larronde, Anthologie, 1.1, p. 11. Ibid., p. 10. Cf. Barres: L'Äme frangaise et la guerre, t.8, Paris, Emile-Paul, '1919, p . 2 6 7 280.

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guerre») und berücksichtigte neben den 530 französischen Schriftstellern auch 18 «etrangers morts pour la France» sowie 13 Belgier. Mit der Anthologie des ecrivains morts a la guerre sollte eine lebendigere, persönlichere Form des Totenkultes verwirklicht werden, die nicht nur Äußerlichkeiten wie Namen, Gesichter und Todesdaten, sondern Gedanken, Gefühle und Persönlichkeiten verewigte." 1 Die Erinnerung an die Toten vermittels ihrer Werke galt als aufrichtigere Form des Gedenkens, da die Frontliteratur als Gegenpol zur offiziellen Kriegsdarstellung betrachtet wurde. Die Veröffentlichung stand unter der Schirmherrschaft des französischen Staatspräsidenten und des Ministerrats sowie verschiedener Schriftstellerverbände (; ; Sous Verdun, einen Monat später Geraldys Erfolgsroman La guerre, Madame ... und posthum Lintiers Tagebuch Ma Piece, im November Bourru, soldat de Vauquois von Jean des Vignes Rouges und Bertrands L'Appel du sol, im Dezember schließlich Le Feu von Barbusse.16' Werke wie diese fanden ein großes Echo insbesondere bei der Zivilbevölkerung, die in den Augenzeugenberichten die unverfälschte Stimme der Front zu entdecken hoffte und dabei so manche stilistische Unzulänglichkeit hinzunehmen bereit war: «Ce qu'on cherche, c'est la page vecue, toute vibrante d'angoissante realite, - et il se trouve parfois qu'elle a la secheresse d'un proces-verbal».170 Die literarische Qualität der Werke spielte in den Augen der Kritik eine untergeordnete Rolle, weil man ihnen vor allem als historische Dokumente Bedeutung beimaß."1 Was aber, wenn die selbst oder ihre Verleger den fiktionalen Charakter ihres Werkes betonten, indem sie es ausdrücklich als «Roman» bezeichneten? Der offensichtliche Widerspruch zwischen der Erwartung des Authentischen und der Beliebtheit der Gattung «Roman» wurde mit dem Hinweis auf den Dokumentcharakter der Werke aufgelöst oder ganz ignoriert. La Grande Revue etwa, die während des Krieges nur «des ceuvres de verite» veröffentlichen wollte, rechtfertigte den Abdruck des Romans Le Miracle du feu (1916) von Marcel Berger mit dem Hinweis, dieser «recit d'une evolution d'äme sous le feu» enthalte einen großen Anteil an «verite vecue».172 In der Revue du Palais schrieb J. Emest-Charles ähnlich über L'Appel du sol: «Μ. Adrien Bertrand nous dit la realite de la guerre». Die Gattungsbezeichnung «Roman» wurde relativiert: L'Appel du sol, so derselbe Kritiker weiter, sei eigentlich gar kein Roman. Es handele sich vielmehr um eine Serie von Kriegsepisoden, um «[c]hoses vues, choses vecues».173 Nach Jean Vic passten die Erzählwerke der fast alle nicht mehr in das traditionelle Gattungsschema. Bei L'Appel du sol könne man noch am ehesten von einem Roman im herkömmlichen Sinne sprechen. Le Feu dagegen sei kein Roman und Vie des Martyrs keine Novellensammlung. Es sei vielmehr eine neue Mischgattung zwischen Essay und Erzählliteratur entstanden, in der die Fiktion nur noch eine begrenzte Bedeutung habe.174 Gustave Lanson, zu seiner Zeit eine Autorität auf dem Gebiet der Literatur, ordnet Duhamels Vie des martyrs und Civilisation, Gene-

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Le Feu war zuvor als Feuilletonroman in L'CEuvre erschienen, L'Appel du sol in der Revue des Deux Mondes und ein Auszug aus Sous Verdun in der Revue de Paris. Roland de Mares: «Les livres. Choses vues et pages vecues». In: Les Annales politiques et litteraires, n° 1725, 16.7.1916, p.77. Cf. de Mares: «Les livres. Choses vues et pages vecues», p. 77: «Quelle que soit leur valeur litteraire proprement dite, les livres refletant ainsi fidelement les choses vues meritent de survivre un peu ä l'heure qui passe, car c'est par eux, en somme, que nous apprendrons le mieux ä ne pas oublier, ce qui sera demain notre premier devoir envers nous-memes.» Marcel B*****, «Le Miracle du feu», Einleitung zum Abdruck des ersten Teils. In: La Grande Revue 89, n° 1, janvier 1916, p. 385. Emest-Charles: «La vie litteraire». In: La Revue du Palais 92, n° 12, dec. 1916, p. 345. Vic: La Litterature de guerre, t. 5, p. 1099.

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voix' Sous Verdun und Andre Fribourgs Croire der Rubrik Memoires et impressions zu, die Werke von Benjamin, Bertrand, Barbusse, Geraldy und Marcel Berger der Rubrik Romans und Malherbes La flamme au poing der Philosophie et Psychologie."5 Barbusses Roman Le Feu wird von vielen Kritikern gar nicht mehr als Roman behandelt. Die pazifistische Zeitschrift La Paix par le Droit bezeichnet Le Feu als «document precis et irrefutable»,176 und Rachilde ist der Ansicht, Barbusse habe seine Gedanken über den Krieg spontan und ohne Rücksicht auf ästhetische Kriterien niedergeschrieben.177 Wie lebendig solche Einschätzungen bis heute geblieben sind, zeigt das Beispiel von Barbusses Biograph Philippe Baudorre, der 1995 über den Roman Le Feu urteilt: «Pas de fiction: les evenements comme les personnages ne sont que la transposition exacte de la realite».178 Wie aus zeitgenössischen Umfragen und Rezensionen hervorgeht, waren die potentiellen Leser von Kriegsliteratur in erster Linie durchschnittlich gebildete Zivilisten, die - oft aufgrund einer selbstauferlegten Verpflichtung - seit dem Beginn des Konflikts nur noch Werke mit Bezug zum Krieg lasen. Viele schienen die Ansicht des berühmten Literaturkritikers und Academicien Emile Faguet zu teilen, «qu'il serait criminel de n'y pas penser, et qu'on aurait du remords de penser ä autre chose».119 Die Soldaten dagegen suchten in der Literatur vor allem Zerstreuung und Ablenkung vom tristen Frontalltag, und diese fanden sie eher in der Unterhaltungsliteratur, bei den beliebten Autoren der Vorkriegszeit und Klassikern wie Montaigne, Rabelais, Pascal, Racine und Voltaire. Nur die Bestseller unter den Kriegsromanen wie Le Feu und Gaspard stießen auch bei den Frontsoldaten auf Interesse.180 Ging es den Zivilisten in erster Linie darum, Einblick in die für sie fremde Welt des Schützengrabenkrieges zu gewinnen und sich der Moral der Truppe zu vergewissern,181 so hofften die Soldaten in der Kriegsliteratur eine getreue Wiedergabe ihres entbehrungsreichen Alltags und damit eine Anerkennung ihrer 175

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Gustave Lanson: Manuel bibliographique de la litterature frangaise moderne. XVF, XVIf, XVIIT et XDC siecles, nouv. ed. revue et augmentee, t.4: Revolution et X D f siecle, Paris, Hachette, 1921, p. 1529-1536. Ed. Dumeril: «Le Feu». In: La Paix par le Droit 27, n° 9-10, 10-25 mai 1917, p. 199. Rachilde: «Le Feu, par Henri Barbusse». In: Mercure de France 119, 1.2.1917, p. 493 sq. Baudorre: Barbusse, p. 153. Emile Faguet am 10. August 1914, zit. nach Victor Giraud: «La litterature de demain et la guerre europeenne», p. 370. Cf. de Mares: «Les livres. Choses vues et pages vecues». In: Les Annales politiques et litteraires, 16.7.1916, p. 76; L.-Ch. Watelin: «La tranchee litteraire». In: Mercure de France 122, 1.7.1917, p. 102. Watelin nennt als beliebtestes Werk die Erfolgsserie Les Pardailhan von Michel Zevaco, als meistgelesene Autoren France, Huysmans, Claude Farrere, Remy de Gourmont, Musset, Alphonse Daudet und Bourget. Siehe auch Andre Bouis: «La lecture au front». In: La Grande Revue 89, n° 1, janvier 1916, p. 558-560. Cf. Paul Gaultier: «La vie litteraire: le courage franijais», partie. In: Revue bleue 54, n° 17, 2 - 9 sept. 1916, p. 539-544; zweiter Teil in: Revue bleue 54, n° 19, 30 sept.-7 oct. 1916, p. 599-602. Die beiden Artikel von Gaultier stehen exemplarisch für die Rezeption der Kriegsliteratur als Informationsbroschüren über die Moral der Frontsoldaten und über den französischen Nationalcharakter.

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Leiden zu finden.182 Bei beiden Lesergruppen war ein Bedürfnis nach Authentizität vorhanden, die die Zivilisten natürlich nicht an ihren eigenen Erfahrungen überprüfen konnten, während die Kriegsromane für die Soldaten z.T. einen Wiedererkennungseffekt besaßen. Wenn der Literaturwissenschaftler Pierre Vaydat behauptet, dass sich der in erster Linie an ein Publikum von Frontkämpfern und Kriegsveteranen richte, das von der Literatur die Sanktionierung und Verewigung eines ins Sakrale erhobenen Soldatenbildes erwarte, so trifft dies erst auf die Nachkriegszeit zu.183 Das Interesse an «romans vrais», an «pages vecues», also an Werken mit dokumentarischem Charakter, ging mit einem Wandel des Soldatenbildes und einem neuen Verständnis von Heldentum einher, das sich nach Meinung der Leser auch in der Literatur spiegeln sollte. Die frühen Kriegsdarstellungen hatten einen Typus des Kriegers popularisiert, der nun als theatralisch empfunden wurde. Der wahre sei kein säbelschwingender Haudegen, sondern vielmehr ein Zivilist in Uniform: Nos n'eurent jamais une mentalite de reitres se plaisant au jeu cruel de la guerre; ils vont ä la bataille par devoir, avec la conscience d'accomplir une chose juste; ils s'abandonnent loyalement aux elans genereux de leur äme, sans arriere-pensee de mediocre gloriole. Ce qui domine chez eux, avec le souvenir du foyer abandonne, c'est le sentiment profondement humain du sacrifice necessaire. C'est par la qu'ils sont reellement des heros."4 Die doppelte Goncourt-Preisverleihung des Jahres 1916 an Barbusse und Bertrand bestätigte den neuen Trend in der Kriegsliteratur. Die Academie Goncourt hatte mit einer Ausnahme nur Werke von Schriftstellern berücksichtigt, die an der Front gewesen waren. Sie entschied sich in einem salomonischen Urteil für zwei ideologisch entgegengesetzte Werke, die jedoch beide die Monotonie und die immensen Opfer des Stellungskrieges thematisierten und einer realistischen Darstellungsweise verpflichtet waren.185

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Siehe z.B. Jacques Meyer: «Publication et retentissement du », p. 72. Cf. Vaydat: «Le roman de la Grande Guerre en France et en Allemagne», p. 211. De Mares: «Les livres. Choses vues et pages vecues». In: Les Annales politiques et litteraires, 16.7.1916, p. 76; cf. ders.: «Les livres». In: Les Annales politiques et litteraires, 17.12.1916, p. 630. - Barbusses Beschreibung der Korporalschaft vor dem Angriff (LF, 309) entspricht diesem neuen Soldatenbild perfekt. 1916 wurde auch der bisher nicht zugeteilte Preis des Jahres 1914 vergeben. In der Literatur sind sehr unterschiedliche Angaben darüber zu finden, welcher Schriftsteller mit welchem Preis ausgezeichnet wurde. Nach Francis Chevassu («Henri Barbusse: Le Feu». In: Le Figaro, n° 3, feuilleton litteraire du 3 janvier 1917, p. 4), Jacques Meyer («Publication et retentissement du », p.70 sq.; cf. Michel Caffier: L'Academie Goncourt, Paris, PUF, 1994, p. 116), Jacques Robichon (Le defi des Goncourt, Paris, Denoel, 1975, p. 357) erhielt Barbusse den Goncourt des Jahres 1916, Bertrand den des Jahres 1914. Dagegen schreiben Henry Bataille («Le Feu». In: L'CEuvre, n°451, 16.12.1916, p. 1), der Mercure de France («Les deux prix Goncourt», gez. Mercure. In: Mercure de France 119, 1.1.1917, p. 184), die Revue bleue («Bibliographie. Le Feu [Journal d'une escouade]». In: Revue bleue 55, n°6, 10-17 mars 1917, p. 192), Michel Perrin («Le prix Goncourt», p. 34) und Barbusses 305

Der Wandel der Lesererwartungen schlug sich auch in der Beurteilung von Benjamins Held Gaspard nieder. Zählte der Kritiker der Revue de Paris im Mai 1916 Gaspard noch zu den seltenen «deux ou trois ouvrages d'une exceptionnelle valeur et d'une saisissante verite»,186 so wurde Benjamins Erfolgsroman schon wenige Monate später wegen seiner aufgesetzten Fröhlichkeit kritisiert. Gaspard galt nunmehr als zwar unterhaltsames, aber oberflächliches und übertrieben optimistisches Werk, das mit den neueren Kriegsromanen nicht mithalten konnte.'87 Barbusse schrieb in einem Brief an seine Frau, die Veröffentlichung des Feu sei zweifellos «un veritable cataclysme moral» für Rene Benjamin gewesen,188 und in der Tat machte der Erfolgsroman Le Feu im Laufe des Jahres 1917 dem bisherigen Bestseller der Kriegsliteratur Gaspard den Rang streitig.189 Le Feu hatte schon während seiner Veröffentlichung im Feuilleton von L'CEuvre zu einer Auflagensteigerung der Tageszeitung beigetragen'90 und wurde nach der Verleihung des Goncourtpreises und dem Erscheinen der zweiten Auflage von 20000 Anfang 1917 zu einem der größten Bucherfolge des 20.Jahrhunderts.'91 Ende Februar 1917 waren bereits 40 000 Exemplare verkauft, und Barbusse konnte sich über eine täglich wachsende Zahl von Leserzuschriften freuen: «Que de lettres! J'en regois de plus en plus! Le Feu prend partout: l'incendie est general».'92 Der Erfolg des Feu schien das Ende der heroisch-erhabenen Kriegsliteratur einzuläuten. «C'etait pour les civils une revelation; pour les combattants, une revanche», so fassen Ducasse, Meyer und Perreux rückblickend die Bedeutung von Barbusses Roman zusammen.193 Jacques Meyer, der Barbusses Buch an der Front gelesen hatte, erinnert sich, mit welcher Erleichterung Le Feu von den Frontsoldaten aufgenommen worden war: «il etait leur revanche collective contre la litterature et la presse de bourrage de cränes [kursiv i. Orig.], qui avait pousse les soldats aux limites de l'exasperation. Le Feu mettait ä nu leurs miseres, leur patience ä les supporter,

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Biographin Annette Vidal (Henri Barbusse, p. 63), dass Barbusse der Goncourt des Jahres 1914, Bertrand der Preis des Jahres 1916 verliehen wurde. Nach Barbusses eigener Aussage erhielt er den Goncourt des Jahres 1916 (Barbusse, « und die Folgen». In: Berliner Tageblatt, Nr. 158, 3.4.1931, Morgenausgabe, 3. Beiblatt). De Chavagnes: «Livres frangais. En marge de la guerre», p. 335. Ernest-Charles: «La vie litteraire». In: La Revue du Palais 92, n° 12, dec. 1916, p. 352. Brief vom 4. Februar 1917. In: Barbusse, Lettres, p. 248. Cf. Barbusses Brief an seine Frau vom 26.2.1917: «Les Fischer m'ecrivent qu' und der . Seine militärische Karriere ging 1922 mit der Ernennung zum Bataillonskommandanten weiter. Ende der zwanziger Jahre war Vignes Rouges Regierungskommissar beim Kriegsgericht.

LEON WERTH ( 1 8 7 8 - 1 9 5 5 )

Leon Werth wurde in Remiremont/Vogesen geboren, seine Familie zog aber schon kurz nach seiner Geburt nach Lyon. Werth war ein brillanter Schüler, der in Paris das Lycee Henri IV besuchte und ein Sprach- und Literaturstudium abschloss. Die Erfahrungen seiner Wehrdienstzeit verarbeitete er in Caserne 1900. Er schrieb einige Theaterstücke, die jedoch nicht aufgeführt wurden. Die Freundschaft zu Octave Mirbeau verschaffte ihm Eintritt in die Redaktion des Paris-Journal. Bei La Phalange machte er sich als Kunstkritiker einen Namen und war neben Severine der wichtigste Mitarbeiter des oppositionellen Journal du Peuple. Im Jahr 1913 entging ihm nur knapp der Prix Goncourt für seinen ersten Roman La Maison blanche. Bei Kriegsausbruch meldete sich der Pazifist und Nonkonformist Werth als Freiwilliger in die Infanterie. Im Februar 1915 wurde er Fernmelder, im August 1915 entließ 348

man ihn aus gesundheitlichen Gründen aus dem Armeedienst. Während seiner Genesungszeit 1916 bis 1917 verarbeitete er seine Desillusionierung über den Krieg in seinem autobiographischen Roman Clavel soldat, der jedoch erst 1919 veröffentlicht wurde. Clavel soldat löste einen Skandal aus, der noch in Crus zehn Jahre später erschienem Werk Temoins nachhallte. Werths Kriegserfahrungen bilden auch die Grundlage des Fortsetzungsbandes Clavel chez les majors (1919) und des Romans Yvonne et Pijallet (1920). In der Nachkriegszeit wurde Werth Mitglied der Gruppe, trat aber schon am 18. Juni 1919 wieder aus mit der Begründung, habe ihre Möglichkeiten, zu politischen Ereignissen durch Worte oder Taten Stellung zu nehmen, nicht genutzt und trenne sich nicht von opportunistischen Mitgliedern. In den zwanziger Jahren schrieb Werth weitere Romane, Kinodrehbücher, Artikel für L'Excelsior sowie einen Essay gegen den Kolonialismus (Cochinchine, 1926). Von 1931 bis 1933, bis zum endgültigen Bruch mit Barbusse, war Werth Chefredakteur der Zeitschrift Monde. Er war Mitbegründer von Emmanuel Berls Wochenzeitung Marianne. 1940 zog sich Werth, der jüdische Vorfahren hatte, in den Jura zurück und zeichnete in 33 jours seine Wahrnehmung der Massenflucht nach. Sein Tagebuch Deposition ist ein wichtiges Dokument für die Jahre 19401944. Nach Kriegsende verfolgte Werth den Prozess gegen Petain als Zuschauer (Impressions d'audience). Antoine de Saint-Exupery hat Leon Werth sein Werk Le Petit Prince gewidmet. Die Neuauflage vieler seiner Werke in den 1990er Jahren durch den Pariser Verlag Viviane Hamy zeugt von Werths ungebrochener Aktualität. Aktuelle Ausgaben der Kriegsromane: Clavel soldat, reimpr., Paris, Viviane Hamy, 1997.

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Anhang 2: Sigelverzeichnis

Die zum Textkorpus gehörenden Werke (Jahr der Erstveröffentlichung in eckigen Klammern) werden durch folgende Sigel abgekürzt: AS

Adrien Bertrand: L'Appel du sol, Monaco, Editions de l'Imprimerie Nationale de Monaco, 1950 [Paris, Calmann-Levy, 1916].

Β

Jean des Vignes Rouges [d.i. Jean Taboureau]: Bourru, soldat de Vauquois, Paris, Perrin, 1917 [1916],

C

Denis Thevenin [d.i. Georges Duhamel]: Civilisation Mercure de France, 1918.

CA

Leon Daudet: Le cceur et I'absence. Roman du temps de guerre, Paris, Flammarion, 1917.

CB

Roland Dorgeles [d.i. Roland Lecavele]: Les Croix de bois, Paris, Albin Michel, 1919 (Le Livre de poche, t. 189).

CS

Leon Werth: Clavel soldat, Paris, Albin Michel, o. J. [ 1919].

CQ

Maurice Genevoix: Ceux de 14, Paris, Flammarion, 1950.

DP

Rachilde [d.i. Marguerite Eymery, Mme Alfred Vallette]: Dans le puits ou La vie inferieure, 1915-1917, Paris, Mercure de France, 1918.

DRB

Isabelle Rimbaud: Dans les remous de la bataille (des Ardennes ä Paris par Reims). In: Mercure de France 116, 16.7.1916 - Mercure de France 117, 16.9.1916 (5 Folgen).

Ε

Paul Margueritte: L'Embusque, Paris, Flammarion, 1926 [1916].

FM

Noelle Roger [d.i. Helene Duffour, Mme Eugene Pittard]: Le Feu sur la montagne. Journal d'une mere 1914-1915, Paris/Neuchätel, Attinger, o. J. [1915],

FP

Henry Malherbe: La Flamme au poing, Paris, A. Michel, 1917.

G

Rene Benjamin: Les Soldats de la guerre. Gaspard, Paris, Fayard, [1915],

GC

Camille Mayran [d.i. Saint-Rene Taillandier, Mme Pierre Hepp]: Histoire de Gotton Connixloo suivie de L'Oubliee, Paris, Plon-Nourrit, "1918 [1918].

GM

Paul Geraldy [d.i. Paul Left vre]: La Guerre, Madame ..., Paris, Cres, "1919 [1916],

1914-1917,

Paris,

173

1928

351

HL

Colette: Les heures longues. In: CEuvres completes, t. 5, Paris, Flammarion, 1949 [Paris, Artheme Fayard, 1917].

LF

Henri Barbusse: Le Feu. Journal d'une escouade suivi du Carnet de guerre, 6d. Pr6facee et annotee par Pierre Paraf, Paris, Flammarion, 1965 [1916].

LS

Henri Massis: Le Sacrifice 1914-1916, Paris, Plön, '1917 [1917],

MR

Pierre Chaine: Les Memoires d'un rat, Paris, L'CEuvre, 1917.

RI

Jack de Bussy [d.i. Jacqueline Liscoät]: Refugiee et infirmiere de guerre, Paris, Eugene Figuiere, 1915.

SCB

Andre Maurois [d.i. Emile Herzog]: Les Silences du colonel Bramble. In: (Euvres completes, t. 1, Paris, Bibliotheque Bernard Grasset chez Artheme Fayard, 1950 [Paris, Grasset 1918],

SV

Maurice Genevoix: Sous Verdun (aoüt-octobre 1914), Paris, Flammarion, 1925 [zensierte Erstausgabe 1916].

UT

Gabriel-Tristan Franconi: Un Tel de l'armee frangaise, Paris, Payot, 1918.

V

Georges Duhamel: Vie des martyrs 1914-1916, Paris, Mercure de France, 1917.

VA

Marcelle Tinayre: La Veillee des armes. Le depart: Aoüt 1914, Paris, Calmann-Levy, 1915.

VM

Leon Daudet: La Vermine du monde. Roman de l'espionnage allemand, Paris, Arthäme Fayard, 1916.

352

Anhang 3: Literaturverzeichnis1

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Jahr der Erstveröffentlichung sowie verwendete Sigel in eckigen Klammern. 353

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