Mars und Museum: Europäische Museen im Ersten Weltkrieg 9783412504656, 9783412503901


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Mars und Museum: Europäische Museen im Ersten Weltkrieg
 9783412504656, 9783412503901

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Christina Kott · Bénédicte Savoy (Hg.)

M A RS & MUSE UM Europäische Museen im Ersten Weltkrieg

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildungen  : Vorderseite (Ausschnitt): Museum Calais, Pas-de-Calais, Februar 1918, Foto: Dufour, ECPAD (Établissement de Communication et de Production Audiovisuelle de la Défense), © ECPAD/France/1918/ Dufour Rückseite: Krankenhausbetten im Nikolaussaal des Winterpalais, Oktober 1915, Foto: I. Ocup, in: Gosudarstvennyj Ėrmitaž. Gospital’ v zimnem dvorce 1915–1917, Katalog vystavki, Sankt Petersburg 2006

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Lektorat  : Julia Blankenstein, Berlin Korrektorat  : Sebastian Schaffmeister, Köln Einbandgestaltung  : Satz + Layout Werkstatt Kluth, Erftstadt Druck und Bindung  : Dimograf, Bielsko Biala Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50390-1

I N H A LT Christina Kott · Bénédicte Savoy

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

  9

I. MUSEEN IM KRIEG – KRIEG IM MUSEUM John Horne

Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 33

Thomas Weißbrich

Trophäen und Tribut. Das Königliche Zeughaus zu Berlin während des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 53

Christian Marchetti

Kriegserfahrung und museale Sedimente. Das Museum für österreichische Volkskunde in Wien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 69

I I . ‚ B U S I N E S S A S U S UA L‘ O D E R D E R K A M P F U M D I E M O D E R N E Wencke Deiters

Die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in der Zeit des Ersten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 85

Alan Crookham · Anne Robbins

Im Angesicht der Moderne. Die Gründung der Britischen Nationalsammlung moderner ausländischer Gemälde 1914–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

 99

Szymon Piotr Kubiak

Walter Riezler – Karl Hofer – Ludwig Gies. Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Inhalt   I    5

117

I I I . M U S E E N U N D P R O PA G A N DA Julien Bastoen

Das Musée du Luxembourg und der Erste Weltkrieg. Ein Museum im Dienst von Kulturdiplomatie und Propaganda.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

131

Felicity Bodenstein

Ernest Babelon (1854–1924). Geschichte als Propaganda in der Ausstellung des Cabinet des médailles in Paris (1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

I V. D I S P L A C E D M U S E U M S Arnaud Bertinet

Paul Jamot (1863–1939). Hüter der Sammlungen des Louvre in Toulouse . . . . . . .

163

Elena Franchi

„Keine Zeit für Inventare“. Der Erste Weltkrieg und der Museumsschutz in Norditalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

177

Agnieszka Gąsior

Der „polnische“ Leonardo im Dresdner Interim. Das Schicksal der Sammlung Czartoryski während des Ersten Weltkrieges.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191

Jaanika Anderson

Das Kunstmuseum der Universität Tartu vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

201

V. K R I E G , R E VO L U T I O N U N D D I E F O LG E N F Ü R D I E M U S E E N Roland Cvetkovski

Weltkunst, Weltkrieg, Weltensturz. Die Ermitage 1899–1920. . . . . . . . . . . . . .

215

Géraldine Masson

Kriegsrisiken vorbeugen. Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen und ihre Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235

Lukas Cladders

1919 und die Folgen. Europäische Museumsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg ..

6  I   Inhalt

253

ANHANG Abstracts.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

267

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

274

Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

302

Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

314

Inhalt   I    7

Christina Kott · Bénédicte Savoy

EI N FÜ H RU NG Im Schatten der Kathedrale, das Museum Am 18. und 19. September 1914 bombardierte die deutsche Artillerie die Kathedrale von Reims, deren Dachkonstruktion in Brand geriet und vollkommen vom Feuer zerstört wurde. Obgleich die Kathedrale von September 1914 bis November 1918 noch unzählige Male beschossen wurde, ist es das Bild des brennenden Kulturdenkmals, das bis heute unsere Wahrnehmung vom Umgang mit dem Kulturerbe im Ersten Weltkrieg prägt. Dass ein in unmittelbarer Nähe gelegenes städtisches Museum bei dem Brand ebenfalls zerstört wurde, wissen heute dagegen nur noch Lokalhistoriker, zumal es sich bei dem Museum im Palais de Tau, dem ehemaligen erzbischöflichen Palast, um ein Museumsprojekt handelte, das im Werden begriffen war, und nur ein Bruchteil seiner ethnografischen Sammlung im September 1914 dem Publikum zugänglich war. Nach dem Willen seines Begründers, des Bürgermeisters der Stadt Reims, hätte es das „große historische Museum der Stadt Reims“ werden sollen – doch das Projekt wurde im Keim erstickt und kam auch nach dem Krieg nie mehr zur Verwirklichung. Das genannte Beispiel ist indes kein Einzelfall  : Schon in den ersten Wochen des Konflikts fielen mehrere französische Provinzmuseen – in Avesnes, in Maubeuge und in Longwy – gänzlich den Kriegshandlungen zum Opfer. Andernorts, in den Operations- und Besatzungsgebieten im Westen wie im Osten Europas, blieb der Museumsbetrieb aufgrund von Kriegsschäden an Gebäuden und der Evakuierung vieler Sammlungen jahrelang gestört  ; die klassischen Funktionen des Museums – Sammeln, Erwerben, Bewahren, Erforschen und Ausstellen von Artefakten – waren ausgesetzt oder unterlagen kriegsbedingten Wandlungen. Doch auch außerhalb der Kriegsgebiete liegende Museen waren auf vielfältige Art betroffen, beispielsweise durch die massenweise Einberufung und oftmals auch den Tod ihrer Mitarbeiter „auf dem Feld der Ehre“. Wenn auch in manchen Museen noch heute Gedenktafeln an die Gefallenen erinnern, so ist doch im Allgemeinen dieser Abschnitt ihrer Geschichte weitgehend in Vergessenheit geraten oder durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs überblendet worden. Die Frage, ob nicht schon der Erste Weltkrieg einen bedeutenden Einschnitt in der Geschichte der europäischen Museen dargestellt hatte, wurde daher lange Zeit nicht gestellt und kommt erst in den letzten Jahren vermehrt ins Bewusstsein zurück. Worin liegt dieses neu erwachte Interesse begründet  ?

Einführung   I    9

Zwischen Gedenken und Aktualität Die 100-jährige Wiederkehr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs 2014 hat, zumindest in Westeuropa, eine Unzahl an Veranstaltungen und Publikationen generiert, ganz als ob die heutigen Generationen das Ereignis für sich neu entdeckten. Im Vergleich zu Frankreich, Belgien, England und den Ländern des Commonwealth, wo der Erste Weltkrieg seit der Zwischenkriegszeit eine wichtige Rolle in der Erinnerungskultur spielt, war in der Weimarer Republik und nach 1945 in beiden Teilen Deutschlands sowie in Österreich als den Nachfolgestaaten der Mittelmächte das Gedenken an diesen verlorenen Krieg eher in den Hintergrund gerückt.1 In Italien besitzt nur der damals stark betroffene Norden eine diesbezüglich ausgeprägte Erinnerungskultur, während in den baltischen Ländern und Polen der Erste Weltkrieg besonders mit dem Gedenken an die (Wieder-)Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit verbunden ist. In Russland schließlich, wo jahrzehntelang der „Große Vaterländische Krieg“, also der Zweite Weltkrieg, im Mittelpunkt stand, wird erst in den letzten Dekaden von offizieller Seite, insbesondere im Rahmen von umfassenden Museumsprojekten, versucht, den „Großen Krieg“ wieder ins kollektive Gedächtnis zurückzurufen.2 Parallel dazu lässt sich ein gesteigertes Interesse am Umgang mit dem Kulturerbe im Krieg beobachten, welches sich auf die Aktualität der Problematik insbesondere seit dem Krieg im Irak,3 den Kulturverwüstungen der Taliban in Afghanistan bis hin zu jüngsten Zerstörungen von syrischen Weltkulturerbe-Stätten im Bürgerkrieg4 bzw. gezielten Sprengungen von antiken Kulturdenkmälern durch die Organisation „Islamischer Staat“ zurückführen lässt.5 Die Parallelen zu den beiden Weltkriegen, und insbesondere dem Ersten Weltkrieg, der zugleich als „Krieg der Kulturen“ und als erster industrieller Krieg in die Geschichte eingegangen ist, sind in der Tat verblüffend  : Damals wie heute werden Kulturzerstörungen und ihre Mediatisierung als psychologisches Kriegsmittel verwendet, damals wie heute liegen die Reaktionen zwischen Empörung und Ohnmacht.6 Die vom französischen Staatspräsidenten François Hollande im Frühjahr 2015 beim Direktor des Musée du Louvre in Auftrag gegebene Maßnahmenliste zum besseren Schutz des syrischen und nordirakischen Kulturerbes vor Kriegshandlungen, Bildersturm und Plünderung beinhaltet Vorschläge, die in ähnlicher Form bereits im Ersten Weltkrieg Anwendung fanden, wie etwa die von ausländischen – im aktuellen Falle französischen – Experten durchzuführende Ausarbeitung von Evakuierungsplänen für lokale Museen sowie die Einrichtung von Museums-Asylen und Exil-Museen in sicheren Gebieten.7 Für die Herausgeberinnen waren dies nicht in engerem Sinne konkrete Anlässe, sondern eher Impulse, um diesen bisher vernachlässigten Aspekt der Kulturgeschichte in den Mittelpunkt einer internationalen wissenschaftlichen Tagung8 zu stellen und die tief greifenden Auswirkungen des Krieges auf die Institution Museum in den Krieg führenden oder von Kriegshandlungen betroffenen Nationen aufzuarbeiten. Das Anliegen der hier versammelten Aufsätze ist es, das Schicksal von Museumsbauten, von Sammlungen sowie des Museumspersonals im Ersten Weltkrieg erstmals vergleichend und transnational zu beleuchten.9 Struktu-

10  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

relle Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Museumsgeschichten im Krieg wurden dabei ebenso in den Blick genommen wie nationale Besonderheiten.

Forschungsstand Während die Geschichte der europäischen Museen im Zweiten Weltkrieg in jüngster Zeit verstärkt ins Blickfeld geraten ist – man denke an Ausstellungen im Louvre10 und in der National Gallery11, an Tagungen in Rom und Berlin12 –, ist ihre Geschichte im Ersten Weltkrieg bislang kaum aufgearbeitet. Waren Universitäten bereits Gegenstand von Forschungen und Publikationen,13 so hat weder die Kunst- bzw. Museumsgeschichte noch die Kulturgeschichte des Ersten Weltkriegs – mit wenigen Ausnahmen – das Thema überhaupt als relevant erkannt. In der aktualisierten Fassung des deutschsprachigen Nachschlagewerks zum Ersten Weltkrieg befindet sich beispielsweise lediglich eine kurze Notiz über „Beutekunst“.14 Nur wenige Museen haben intern über die eigene Institutionsgeschichte geforscht und publiziert, und dabei die Weltkriege nicht ausgespart, wie etwa die Brüsseler Musées Royaux des Beaux-Arts.15 Weitere Ausnahmen bilden kleinere Museen in Nord- und Nordostfrankreich, die in den 2000er Jahren Ausstellungen zur Institutionsgeschichte speziell während des Ersten Weltkriegs veranstaltet haben, so das Musée de la Cour d’Or in Metz,16 das Musée ­Antoine ­Lécuyer in Saint-Quentin17 und das Musée de Cambrai18, wobei letzteres dem Ersten Weltkrieg wiederum nur einen kleinen Abschnitt widmete. 2011 befasste sich eine Tagung in Amiens mit der Problematik des Kulturerbes in den Kriegen und Konflikten des 20. Jahrhunderts.19 Darin nahmen eine Handvoll wissenschaftlicher Aufsätze in französischer Sprache das Schicksal von Museen und Museumsgut in Frankreich in den Fokus  : Catherine Granger untersuchte beispielsweise anhand der Archive der Musées Nationaux die Evakuierung des Louvre und anderer nationaler Museen, während Romain Zechser die Schutzmaßnahmen im Musée de Picardie in Amiens beschrieb, insbesondere die schwierige Abnahme der Gemälde von Puvis de Chavannes im Treppenhaus des Museums.20 Im gleichen Band findet sich ein Beitrag von François Lagrange zum Musée de l’Armée in Paris sowie eine Studie von Eva Knels zur Neuordnung des Louvre nach dem Ersten Weltkrieg als Ergebnis eines deutsch-amerikanisch-französischen Kulturtransfers.21 Weitere Forschungsarbeiten befassen sich mit dem Umgang deutscher Museumskuratoren mit Museumsgut in den besetzten Gebieten an der Westfront sowie den Reaktionen der französischen und belgischen Kollegen auf diese oft ambivalenten Initiativen. Christina Kott erforscht und analysiert den „Kunstschutz“ der deutschen Besatzer in Frankreich und Belgien, der von Museumskonservatoren und Denkmalpflegern initiiert und durchgeführt worden war.22 Die Aktionen dienten unter anderem propagandistischen Zielen  : Zum einen sollte den von der Entente gemachten Vorwürfen der Kulturzerstörung entgegengetreten, zum anderen die Vorbildlichkeit deutscher Museumsarbeit vor Augen geführt werden. Doch verbargen sich hinter diesen Schutz- und Propagandamaßnahmen auch weniger hehre Pläne, nämlich die Einführung   I    11

Verwendung von sichergestellten Kunstwerken aus nordfranzösischen Museen als Faustpfänder, mit denen bei den Friedensverhandlungen die Rückgabe von ehemals napoleonischer Beutekunst erzwungen werden sollte.23 Deutsche Museumskustoden der 1910er-Jahre, allen voran Wilhelm von Bode, waren aktiv an diesen Vorhaben beteiligt und erstellten Listen der zu fordernden Werke.24 Andere Kunsthistoriker wie Ernst Steinmann, Direktor der Bibliotheca Hertziana und ehemaliger Leiter des Schweriner Museums, unternahmen intensive Forschungen in unzähligen Archiven und Bibliotheken mit dem Ziel einer umfassenden Publikation über den Kunstraub Napoleons. Steinmanns propagandistische Studie wurde erst 2007 online veröffentlicht und mit einem begleitenden Aufsatz von Christoph Roolf versehen.25 Der Düsseldorfer Historiker hat außerdem im Rahmen seiner Untersuchungen zur deutschen Besatzungspolitik in Belgien im Ersten Weltkrieg auf gescheiterte Planungen zur Wiederaufnahme von paläontologischen Grabungen durch deutsche Wissenschaftler und der Überführung der erhofften Ergebnisse in deutsche Naturkundemuseen aufmerksam gemacht.26 Ähnliche Bestrebungen beschreibt Vejas G. Liulevicius in seiner Arbeit über die deutsche Besatzungsverwaltung im Gebiet des Oberbefehlshaber Ost, kurz Ober Ost, im Ersten Weltkrieg, ohne jedoch näher auf bestimmte Museen einzugehen.27 Seit 2014 ist Bewegung in die bis dahin eher von vereinzelten Arbeiten oder Nebenprodukten anderer Forschungen geprägte, heterogene Forschungslandschaft geraten. In mehreren ehemaligen kriegsteilnehmenden Staaten erschienen Monografien und Aufsätze, wurden Ausstellungen und Tagungen organisiert. Die Staatlichen Museen zu Berlin haben etwa mit ihrem Band Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen zu Berlin und der Erste Weltkrieg in acht umfangreichen, auf internen Archivquellen fußenden Beiträgen die Situation der Berliner Museen beleuchtet.28 Eine zweiteilige Ausstellung in Nordfrankreich – im Musée de la Chartreuse in Douai und im Forum antique in Bavay – unternahm ebenfalls 2014 den Versuch, die Situation der nordfranzösischen Museen und die Aktivitäten der Kuratoren und Archäologen zu beiden Seiten der Front zu beschreiben29 – ein auch hundert Jahre nach den Ereignissen noch immer vermintes Terrain, da die Aktivitäten der deutschen Kunsthistoriker und Archäologen bis in die jüngste Vergangenheit undifferenziert als Kulturraub und Kulturaneignung angesehen werden, denn als solche sind sie im lokalen kollektiven Gedächtnis fest verankert.30 Eine Tagung in Arras (Pas-de-Calais) versuchte dagegen, in erster Linie die wissenschaftlichen Erzeugnisse der deutschen und österreichischen Kunsthistoriker, Archäologen und Architekten in den besetzten Gebieten unter die Lupe zu nehmen, wobei die Beiträge nur zum Teil Museen betrafen.31 Auch die Präsenz des Krieges in internationalen Forschungszeitschriften wie der Museumskunde ist Gegenstand aktueller Forschungen.32 Desiderat bleibt hingegen eine gesamteuropäische, transnationale und quellenkritische Erforschung der Aktivitäten deutscher und österreichischer Gelehrter an allen Kriegsschauplätzen und ihre Interaktionen mit lokal verantwortlichen Personen und Institutionen, insbesondere in Ostmittel- und Südosteuropa und Italien.33 Ein Forschungsprojekt an der Universität Leipzig, das im April 2015 durch einen Workshop eingeleitet wurde, soll diese Forschungslücke nun schließen helfen.34

12  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

„Heimatfront Museum“  ?

35

Ein Teil der in vorliegenden Aufsätzen an die Institution Museum gestellten Fragen ähnelt jenen, die von der Geschichtswissenschaft auch an andere kulturell-wissenschaftliche Einrichtungen gerichtet wurden und werden. An vorderster Front steht dabei das Motiv der Zäsur, als die der Erste Weltkrieg gemeinhin bezeichnet wird. Inwiefern bedeutete der Krieg auch einen Umbruch in der Museumsarbeit  ? Geht man davon aus, dass Museen wie Universitäten „in hohem Maße historisch sedimentierte“ Institutionen mit großem Beharrungsvermögen sind,36 und in Anbetracht der bisherigen Aussparung des Weltkriegs in den Museumsgeschichten, so könnte die Antwort eher negativ ausfallen. Auffallend ist hingegen, dass alle Fallstudien gerade jene Dichotomie zwischen der „strukturellen Stabilität“ der Institution Museum einerseits und der rasanten Dynamik des Kriegs und seiner zum Teil radikalen Folgen auf die Gesellschaften andererseits bestätigen,37 wobei ganz unterschiedliche Gewichtungen der beiden Pole „Bewahrung“ und „Veränderung“ festzustellen sind. Hieran schließt sich fast unumgänglich die Frage nach der Mobilisierung der Museen bzw. ihrer Selbstmobilisierung zur Unterstützung der Kriegführung an. Hat es in der Tat eine Art „Heimatfront Museum“ gegeben, oder hat sich die Institution eher in einen Elfenbeinturm zurückgezogen bzw. die Devise „Business as usual“ verfolgt  ? Die hier versammelten Beiträge, die sowohl unterschiedliche Museumstypen als auch Museen verschiedener Größe und Trägerschaft behandeln, ergeben kein eindeutiges Gesamtbild, sondern zeigen vielmehr die Vielfältigkeit und die starken Intensitätsvariationen des patriotischen Engagements, welches von der Beleihung oder Organisation kriegsaffiner Ausstellungen über das Verfassen von Propagandaschriften bis hin zur Bereitstellung von Räumen für die Einrichtung eines Lazaretts gehen konnte. Dass der Erste Weltkrieg nicht nur kulturelle, soziale und technische Entwicklungen unterbrochen, sondern durchaus auch Modernisierungsschübe hervorgerufen hat, gehört heute zum Basiswissen jedes Historikers. Auch die Autoren vorliegender Texte beschäftigt die Frage, ob Veränderungen in der Museumsarbeit sich nur auf die Dauer der Kriegshandlungen beschränkten, ob sie Entwicklungen der Vorkriegszeit aufnahmen und ob sie tiefer gehende und weitreichende Umwälzungen in der Nachkriegszeit zur Folge hatten. Tendenziell scheinen sich kriegsrelevante, von außen an die Institution herangetragene Aktivitäten wie Kriegsausstellungen auf die Zeit des Konflikts beschränkt zu haben, während sich museumsrelevante Tätigkeiten und Maßnahmen sowohl auf die Vorkriegszeit bezogen als auch nach dem Krieg weiterwirkten. Eine weitere rekurrente Fragestellung betrifft das von der Geschichtswissenschaft in vielen untersuchten Disziplinen und Körperschaften festgestellte „Ende der Gelehrtenrepublik“ durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs.38 Im letzten Drittel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich auch die Museumswelt zunehmend internationalisiert, auf Studienreisen, internationalen Kongressen und im Rahmen von persönlichen Kontakten und Freundschaften hatte sich der transnationale Austausch zwischen Museumskuratoren intensiviert,39 wenngleich dadurch gegenseitiges Misstrauen sowie Rivalitäten beispielsweise bei Museumserwerbungen oder archäologischen Ausgrabungen nicht unterbunden wurden.40 Die Einführung   I    13

im August und September 1914 von deutschen Truppen begangenen „Kulturgräuel“ in Belgien und Nordfrankreich und die nachfolgende Rechtfertigungskampagne von Seiten deutscher Intellektueller färbten auch auf die Museumsbeziehungen ab und diskreditierten die bis dato hoch angesehene deutsche Museumskunde nachhaltig. Anstatt jedoch die Theorie vom abrupten Ende des transnationalen Museumsnetzwerks zu bestätigen, beschreiben die hier versammelten Aufsätze, die direkt oder indirekt auf die Frage Bezug nehmen, eher Verschiebungen innerhalb der Beziehungsgeflechte, die Intensivierung schon bestehender und die Entstehung neuer Verbindungslinien, und, was die Rolle der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn betrifft, zwar einerseits unterbrochene Beziehungen, andererseits aber die Weiterführung fachlicher Kontakte zwischen Kuratoren nunmehr verfeindeter Staaten.41 Nur die Studien von Arnaud Bertinet und Felicity Bodenstein fokussieren dezidiert auf einzelne Museumsdirektoren oder -kuratoren. Dennoch wird in nahezu allen Aufsätzen die zentrale Bedeutung des jeweiligen Museumsleiters im Zusammenspiel mit staatlichen, regionalen oder feindlichen Behörden deutlich – inwieweit der Krieg ins Museum einzog oder das Museum in den Krieg zog, hing von den fachlichen, politischen und persönlichen Orientierungen seines Leiters sowie von dessen Netzwerken ab.

Museen im Krieg – Krieg im Museum In seinem Beitrag „Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen“ bietet John Horne (Dublin) eine Reflexion über die Zusammenhänge von Krieg, Museum und der musealen Darstellung des Ersten Weltkriegs. Dabei spannt er nicht nur einen weiten chronologischen Bogen von der Antike zur Gegenwart, sondern knüpft auch konzeptuelle Verbindungen zwischen klassischen Funktionen des Museums, der Kriegserfahrung und dem schwierigen Gleichgewicht zwischen Aufklärung und Gedenken. Er erinnert zunächst an die bei Kriegsausbruch erfolgte Wiederaufnahme von antiken Traditionen wie der Zurschaustellung von Kriegstrophäen in Museen sowie anderer herkömmlicher Praktiken wie der Verwüstung des gegnerischen Territoriums, die auch vor Kulturgütern keinen Halt machte, obwohl das moderne Völkerrecht in der Haager Landkriegsordnung von 1907 diese zu Kriegsverbrechen erklärt hatte. Museen wurden zu Orten, die für die jeweiligen kulturellen Werte warben. Die Grund­ impulse und -funktionen des Museums – Sammeln und Ausstellen –, die es freilich mit anderen Institutionen teilte, bekamen eine neue Bedeutung hinsichtlich der von der Realität der „Front“ geprägten Kriegsgesellschaften. Als Kriegsneuheit wurden große Sammlungen und Museen geschaffen, deren Funktion es war, durch Artefakte jedweder Art – Kriegsmalerei, Fotografie, Druckerzeugnisse, Schützengrabenkunst, Waffen, Uniformen, Gebrauchsgegenstände etc. – nicht etwa die Vergangenheit, sondern die unmittelbare Gegenwart des Kriegs an Front und Heimatfront zu dokumentieren. Während das von Ludwig Justi geplante Berliner Reichkriegsmuseum nie verwirklicht wurde (siehe den Beitrag von Thomas Weißbrich), wurden Museen wie das 1917 gegründete Imperial War Museum in London, die 14  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

Bibliothèque-Musée de la Guerre in Paris und die Stuttgarter Weltkriegsbücherei, sowohl was den Entstehungsimpuls als auch was die beiden Funktionen Sammeln und Ausstellen betraf, zu wichtigen Wegmarken für die Entwicklung hin zur kulturellen Demokratisierung. Neben ihrem Status als Bildungseinrichtungen und patriotischen Unternehmungen mit dem doppelten Ziel der Aufklärung und der Re-Mobilisierung kriegsmüder Bürger erfüllten diese Museen, im Gegensatz zu temporären Ausstellungen über den Krieg, zudem die Funktion von „Denkmäler(n) zur Erinnerung an die kollektive nationale Kraftanstrengung“ (Horne) im Hinblick auf die Zukunft. Dass jedoch manches Museumsprojekt an der Ambivalenz von didaktisch-dokumentarischer und symbolisch-mnemonischer Funktion scheitern konnte, zeigt der Autor am Beispiel australischer und kanadischer Kriegsmuseen, was ihn zu der Vermutung veranlasst, Museen könnten möglicherweise als nur teilweise sakrale Gedenkstätten hinter Denkmälern zurückstehen. Nach dem Krieg fand in den genannten Museen keine kulturelle Demobilisierung statt  ; sie blieben zwar den Funktionen des Sammelns und Ausstellens verhaftet, die Schwerpunkte ihrer Vermittlungsziele waren aber dem politischen und gesellschaftlichen Wandel unterzogen. So dienten Museen der ehemaligen Entente-Staaten der Darstellung deutscher Kriegsschuld, während die seit 1921 in Stuttgart eingerichtete Weltkriegsbücherei gerade gegen jenes Postulat antrat, das Anti-Kriegs-Museum in Berlin den Pazifismus propagierte oder Ausstellungen im faschistischen Italien die Kriegserfahrung als nationale Erneuerung glorifizierten. Die Fortdauer des Krieges drückte sich ebenfalls in der Gründung neuer Museen wie dem von französischen Kriegsveteranen 1967 gestalteten und finanzierten Mémorial de Verdun aus, welches durch seine Lage, seinen sakralen Mittelraum und persönliche Erinnerungsgegenstände für sich selbst sprach. Zum Schluss setzt John Horne die frühen Weltkriegsmuseen in einen Bezug zu jüngeren Museumsgründungen, wie dem Historial de la Grande Guerre in Péronne. Das bewusst „Historial“ – im Unterschied zu „Mémorial“ – genannte Museum teilt mit seinen Vorgängern zwar die Behandlung des Krieges in seiner Gesamtheit und die damit verbundenen weit gefassten Sammelschwerpunkte sowie die Verbindung mit einer Bibliothek und einem Forschungszentrum. Im Unterschied zu seinen historischen Vorbildern nimmt es jedoch eine dezidiert transnationale, europäische Perspektive ein und schafft durch seine sachliche Präsentation Distanz zu den Ereignissen – mit Ausnahme eines durch Kunstwerke re-sakralisierten Raumes, der damit an die symbolische Funktion mancher frühen Kriegsmuseen anknüpft. Wie ein historisch gewachsenes, traditionelles Militärmuseum in Europa auf den Ersten Weltkrieg reagierte, zeigt Thomas Weißbrich (Berlin) am Beispiel des Königlichen Zeughauses zu Berlin, in dem die Hohenzollern seit 1883 dem Publikum eine Erfolgsgeschichte der brandenburgisch-preußischen Armee präsentierten, welche im 1870/71 errungenen Sieg über Frankreich kulminierte. Während bis dahin die Armee selbst die Eroberung und den Transport feindlicher Militaria organisiert hatte, ernannte das Kriegsministerium im August 1914 gezielt Beuteoffiziere und richtete Sammelstellen ein. Die erbeuteten Objekte – Fahnen, Maschinengewehre, Geschütze – wurden während der gesamten Dauer des Krieges unter der Leitung des Kunsthistorikers Moritz Julius Binder nach systematisch-typologischen Gesichtspunkten Einführung   I    15

in verschiedenen Räumen, insbesondere im Hof des Zeughauses ausgestellt, nachdem sie in militärisch-patriotischen Paraden öffentlich präsentiert worden waren. Ideologisch reihten sich die neuen Präsentationen in die bereits existierende Interpretation der ruhmvollen Rolle Preußens ein  ; die propagandistische Funktion des Museums im Weltkrieg ergab sich daher per definitionem. Gewandelt hatte sich hingegen die Art der Exponate, die nun mehrheitlich aus modernsten Kampfmaschinen bestanden. Im Gegensatz zu anderen Königlichen Museen hatte das Zeughaus aufgrund des ständigen Wachstums seiner Sammlungen eine vermehrte Aktivität zu verzeichnen. Damit waren allerdings keine innovativen Präsentationsmethoden – etwa begehbare Nachbauten von Schützengräben – verbunden, wie sie in den zahlreichen Kriegsausstellungen umgesetzt wurden. Die Konzeptionen für das bereits erwähnte Reichskriegsmuseum sowie für ein deutschlandweites Netzwerk von Kriegsabteilungen in Geschichtsmuseen zeugen hingegen wie in den anderen Krieg führenden Staaten von dem Willen, durch neuartige Sammel-, Ausstellungs- und Vermittlungsmethoden den Weltkrieg in all seinen Aspekten einem breiten Publikum nahezubringen. Mit dem Ende des Krieges und der Monarchie sowie dem Versailler Vertrag 1919 wurden diese Pläne zu Makulatur. Das zeitweise geschlossene Zeughaus musste den ehemaligen Kriegsgegnern mehr als 2500 kulturgeschichtliche Objekte restituieren, die entgegen der Haager Landkriegsordnung in den besetzten Gebieten oder in vergangenen Kriegen als Beute konfisziert worden waren. Erst 1932 richtete Museumsdirektor Moritz Julius Binder eine Weltkriegsausstellung im Zeughaus ein – sozusagen als Gegenentwurf zu dem nur wenige Straßen entfernt liegenden Anti-Kriegs-Museum von Ernst Friedrich vor seiner Schließung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933. Auch in den von der Forschung weniger beachteten südöstlichen Besatzungsgebieten nutzten Museumsdirektoren der Mittelmächte die Kriegssituation, um ihre Sammlungen zu vermehren. Christian Marchetti (Tübingen) zeigt am Beispiel des Museums für österreichische Volkskunde in Wien, wie komplex sich der museale und wissenschaftliche Umgang mit dem Kulturerbe in eroberten Gebieten gestalten konnte. Im Vergleich zu westeuropäischen Einrichtungen ähnlichen Typs, die eine national-identifikatorische Richtung verfolgten, widmete sich das 1897 eröffnete Museum der „Erforschung und Darstellung der kulturellen Diversität des habsburgischen Imperiums in ihren volkskulturellen Dimensionen“ (Marchetti). Der Kriegsausbruch bedeutete für das aufstrebende Museum unter der Leitung des Indologen Michael Haberlandt zunächst eine Verlangsamung seiner Tätigkeit aufgrund des Wegfalls seiner jüngeren männlichen Mitarbeiter und der Kürzung der staatlichen Subventionen. Doch bot der Weltkrieg mit seinen Objekte und Personen mobilisierenden Effekten gleichzeitig zahlreiche neue Betätigungsfelder für die volkskundliche Museumsarbeit, darunter das bereits in den beiden ersten Beiträgen thematisierte Sammeln von Artefakten zwecks Greifbarmachung des Kriegsgeschehens. Mit der Eroberung Belgrads Ende 1915 und der damit einhergehenden Verfügungsgewalt über das serbische Kulturerbe erweiterten sich die Handlungsräume des Museums nochmals. Bei der Bestandsaufnahme und der durch Kriegseinwirkungen nötigen Notmaßnahmen an Gebäuden und Sammlungen war das Fachwissen des Wiener Kustoden gefragt, kollegiale Beziehungen zum Direktor des serbischen ethnografischen Museums wirkten 16  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

dabei unterstützend. Im Sommer 1916 nahm Arthur Haberlandt, Kustos und Sohn des Museumsdirektors, an der sogenannten „wissenschaftlichen Balkanexpedition“ teil, deren Ziel die Inventarisierung und Sicherung des Denkmalbestandes der eroberten Gebiete war. Obwohl deren materieller Kultur große Bedeutung zugesprochen wurde, galt ein Sammlungs- und Ausfuhrverbot, welches Haberlandt jedoch geschickt umging. Der wissenschaftliche Ertrag erstreckte sich auf schriftliche Notizen, anthropologische Forschungen an Kriegsflüchtlingen und -gefangenen42 und Fotografien von Objekten. Die durch die militärischen Eroberungen sowie durch das staatliche Interesse geförderte Erforschung und museale Präsentation der Volkskulturen der Balkanländer wurde in der Folgezeit zum Markenzeichen des Museums, welches auch die Kriegsniederlage und den Zusammenbruch des Vielvölkerstaats überdauerte und in den völkisch-nationalsozialistischen 1930er- und 1940er-Jahren, insbesondere im Zweiten Weltkrieg, einen neuen „Aufschwung“ erlebte. Heute bildet die Kriegserfahrung des Museums, bestehend aus den zeitüberdauernden Objekten und der dazugehörigen Expertise, eine Art „museales Sediment“ (Marchetti), dessen Rekonstruktion interessante Erkenntnisse über den Zusammenhang von musealer Praxis, der Erforschung eines Kulturgebiets und dem Erfahrungsraum Krieg erlaubt.

‚Business as usual‘ oder der Kampf um die Moderne Wie verhielt es sich in Kriegszeiten mit dem klassischen musealen Tätigkeitsfeld der Sammlungsvermehrung in den großen nationalen Kunstmuseen  ? Wenke Deiters (Wien) berichtet über die Tätigkeiten der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien, insbesondere seines langjährigen Leiters Gustav Glück, im Kontext des Ersten Weltkriegs. Wie in vielen anderen Einrichtungen blieb die Museumsarbeit aufgrund zeitweiser Schließung bzw. eingeschränkter Öffnungszeiten und der Einziehung von Mitarbeitern zum Militär gestört. Diese Umstände hinderten den vom Militärdienst befreiten Galerieleiter nicht an der Fortführung bereits vor dem Krieg begonnener Projekte, wie der Neuhängung der Gemälde nach modernsten museografischen Methoden, die 1916 abgeschlossen war. Auch das Ziel einer Vervollständigung der Sammlung alter Meister gab Glück nicht ganz auf, wenn auch sein Budget für Neuerwerbungen gegenüber der Vorkriegszeit erheblich geschrumpft und die Preissteigerung enorm war. Ein Teil der von Deiters detailreich geschilderten Neuerwerbungen kam daher durch Spendenaktionen zusammen, die das Interesse und die Kaufkraft kunstsinniger Bevölkerungsschichten mitten im Krieg belegen – ähnliche Phänomene lassen sich zeitgleich auch in Stettin (siehe den Beitrag von Szymon Piotr Kubiak) und in Berlin beobachten, wo private Mäzene Neuankäufe für die Königlichen Museen ermöglichten.43 Doch die Wiener Gemäldegalerie beteiligte sich mit Leihgaben auch an patriotisch-propagandistischen Ausstellungen im Ausland, die durch die Darstellungen von Österreichs militärischer Größe, bürgerlicher Idylle sowie der Vielfältigkeit und Modernität der österreichischen Kunst besonders in den neutralen Staaten Holland und Schweiz werben sollten. Einführung   I    17

Während Gustav Glück zwar an zeitgenössische internationale Standards anknüpfte, aber mit seinen Ankäufen alter Meister dennoch in angestammten Bahnen verblieb, nutzten britische Museumstrustees die durch den Krieg entstandene Gelegenheit, eine Sammlung moderner nicht-britischer, also in erster Linie kontinentaleuropäischer Gemälde aufzubauen. Der Einzug der Moderne war in allen Museen der westlichen Welt ein länger andauernder Prozess, der außer in London auch in Paris 1914–18 entscheidend vorangetrieben wurde (siehe den Beitrag von Julien Bastoen), während die Berliner Nationalgalerie bekanntlich schon um 1900 unter Hugo von Tschudi eine qualitativ und quantitativ wichtige Sammlung „ausländischer“, in erster Linie französischer moderner Kunst nach neuesten Präsentationsmethoden zeigte. Wie Alan Crookham und Anne Robbins (London) ausführlich darstellen, ging freilich auch das britische Vorhaben schon auf Pläne des 19. Jahrhunderts zurück, war aber am fehlenden Willen bzw. an der Ablehnung der Trustees gescheitert. Nachdem kurz vor Kriegsbeginn der Bericht einer Kommission unter Vorsitz von Lord Curzon folgerte, dass „die Gründung einer Galerie für moderne ausländische Bilder und Skulpturen […] von höchster Dringlichkeit“ sei, akzeptierte das Museumskuratorium das Angebot des irischen Kunsthändlers und -sammlers Sir Hugh Lane, der National Gallery 39 ausländische moderne, zum Teil als avantgardistisch erachtete Gemälde als Leihgaben zu überlassen. Als Lane im Mai 1915 Opfer des deutschen Angriffs auf die Lusitania wurde, stellte sich heraus, dass er in seinem Testament die Rückführung der Gemälde nach Dublin verfügt hatte, falls sie dort gebührend untergebracht werden könnten. Der folgende jahrzehntelange Rechtsstreit zwischen London und Dublin wurde aber zunächst zugunsten der National Gallery entschieden, die 1917 das Vermächtnis annahm. Da andere Werke des Museums zu ihrer Sicherung gegen Kriegsrisiken abgehängt worden waren,44 konnten an ihrer Stelle die neu erworbenen modernen Gemälde öffentlich ausgestellt werden. Dem neuen Museumsdirektor Charles Holmes, der auf den durch den Krieg verursachten Gesinnungswandel in Bezug auf die moderne ausländische Kunst vertraute, gelang es 1918 mithilfe eines von John Keynes aufgestellten Finanzplans, bei Auktionen in Paris französische Werke des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts aus der Sammlung Degas zu erwerben. Dabei profitierte er zwar von der in der Angst vor Bombardierungen begründeten Abwesenheit potentieller Käufer und von den niedrigen Preisen, musste aber die Konkurrenz mächtiger französischer Käufer, darunter der Louvre, hinnehmen. Wenn auch, wie es die Autoren darlegen, der Aufbau dieser Sammlung keine „kulturelle Antwort auf den Krieg war“, so führten doch die besonderen Umstände der Kriegssituation, das Zusammenspiel unterschiedlicher Akteure – private Sammler und Stiftungen, Museumsbeamte, Finanzexperten und Politiker – sowie die verstärkte London-Paris-Achse zu ihrer Verwirklichung und förderten damit sowohl die Kenntnis und Akzeptanz dieser Kunst als auch die schließlich 1926 erfolgte Eröffnung der Galerie moderner europäischer Kunst als Teil der Tate Gallery. Mit den Beziehungen zwischen der Bildungsinstitution Museum, der zeitgenössischen Kunst und dem Ersten Weltkrieg befasst sich auch der Aufsatz von Szymon Piotr Kubiak (Stettin) anhand des Beispiels des Stettiner Stadtmuseums. Dort versuchte sein Direktor Walter Riezler, der zugleich Spezialist antiker Vasen und Theoretiker des Deutschen Werkbunds war, seit 18  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

1913 dem zumeist konservativen Bildungsbürgertum Stettins moderne Kunst, insbesondere expressionistische Werke, nahezubringen. Das bei Kriegsbeginn geschlossene Museum wurde im September 1914 wieder geöffnet, ein mit ihm zu verbindendes Kriegsmuseum war in Planung, das neben Dokumenten auch Kunstwerke enthalten sollte. Da wie in vielen Städten der Ankaufsetat des Museums wegen der militärischen Ausgaben drastisch gekürzt worden war, sprangen Privatmäzene ein, wie die Unternehmerstochter Flora Tubbenthal, die 100.000 Reichsmark für die Ausführung eines an den Weltkrieg erinnernden Wandgemäldes für den Kuppelsaal des Museums stiftete. Riezler, der dabei nicht etwa an ein Kriegsgemälde oder -denkmal im klassischen Sinn, sondern an eine Komposition in zeitgenössischer Form, aber unter Verwendung alttestamentarischer Ikonografie dachte, lud mehrere Kandidaten zu Proben ein. Nach Otto Hettner fertigte Karl Hofer 1918–20 ein Wandbild an, das für den Künstler typische, archaisch anmutende Gestalten vor einstürzenden Mauern zeigte. 1922 gesellte sich zu den Probefresken der Kruzifixus von Ludwig Gies, eine ursprünglich als Kriegerdenkmal konzipierte, expressionistische Holzskulptur, die trotz ihrer Skandalträchtigkeit von einem privaten Mäzen für das Museum erworben wurde. Offensichtlich traf die monumentale, das Leiden Jesu darstellende Figur, die gleichzeitig an die Schrecken des Krieges erinnerte, ebenso den Nerv der Zeit wie die Christus-Figur des Isenheimer Altars aus Colmar, den 1918/19 an die 100.000 Menschen in München sahen.45 Das mutige Projekt der modernen künstlerischen Gestaltung eines musealen Raums, der dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg als universell-menschlicher Erfahrung gewidmet sein sollte, scheiterte zwar 1933 mit der Entlassung Walter Riezlers durch die Nationalsozialisten und 1937/38 mit der Aktion Entartete Kunst, der sowohl das Kruzifix von Gies als auch die Wandgemälde Hettners und Hofers zum Opfer fielen. Es bestätigt aber vielleicht aus heutiger Sicht die Einschätzung John Hornes, dass Museen sich mit dem sakralen Aspekt des Kriegsgedenkens schwertaten.

Museen und Propaganda In welchem Maß sich moderne, zeitgenössische Kunst im Museum zu propagandistischen und kulturdiplomatischen Zwecken verwenden ließ, veranschaulicht Julien Bastoen (Paris) in seinem Beitrag über das Musée du Luxembourg in Paris. Das 1818 gegründete Museum für Gegenwartskunst – das erste seiner Art in Europa – war als Schauraum für die Vitalität und die Überlegenheit französischer Kunst konzipiert worden, verfügte aber 1914 über keine angemessenen Räume in der ehemaligen Orangerie des Palais du Luxembourg, um seine reichen Sammlungen dem nationalen und internationalen Publikum zu präsentieren. Bei Kriegsausbruch musste der Museumsdirektor Léonce Bénédite die Einquartierung von militärischen und zivilen Flüchtlingen sowie karitativen Einrichtungen in einem als Erweiterungsbau vorgesehenen benachbarten Gebäude hinnehmen  ; die Kunstwerke mussten ausgelagert oder vor Ort geschützt werden. Die so gut wie leere Orangerie bot nun Raum für die Organisation von Ausstellungen von Künstlern verbündeter Staaten, die nach nationalen Schulen präsenEinführung   I    19

tiert wurden – die britische, belgische, italienische sowie in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch die spanische und die amerikanische Schule. Die Intensivierung dieser Schauen während des Ersten Weltkriegs beförderte das Projekt einer eigenen Abteilung moderner ausländischer Kunst, die 1922 im Jeu de Paume in den Tuilerien eröffnet wurde. Parallel dazu verfolgte Bénédite die internationale Ausstrahlung französischer Kunst durch die Teilnahme an Ausstellungen im Ausland, insbesondere in den USA, auch mit dem Ziel, die Vitalität der eigenen Kunstproduktion gegenüber der deutschsprachigen Propaganda zu demonstrieren. Das Zusammenspiel französischer und amerikanischer Akteure aus Kultur, Politik und Diplomatie sowie die Kriegsereignisse, die eine frühere Rückkehr der Werke verhinderten, führten zu einer mehrere Jahre andauernden Tournee der Sammlungen des Luxembourg durch die Vereinigten Staaten, deren Rezeption noch der Aufarbeitung bedarf. Währenddessen beherbergte das Museum zwischen 1915 und 1919 zahlreiche kriegsaffine Ausstellungen, die in teils verherrlichender, teils dokumentarischer Manier Kriegsmalerei, Schützengrabenkunst und Soldatenbildnisse der französischen Armee und ihrer Verbündeten zeigten. Bastoen veranschaulicht am Beispiel des Musée du Luxembourg, dass die Kriegsjahre zwar zur Verhinderung von Projekten führten, im Gegenzug aber auch Motor und Beschleuniger von Aktionen besonders auf dem Gebiet der Kulturdiplomatie und der Kenntnis ausländischer Schulen sein konnten. Die Stigmatisierung des Kriegsgegners, mit dessen Museumsvertretern Bénédite vor dem Krieg noch fachliche und freundschaftliche Kontakte gepflegt hatte, führte zu der eingangs erwähnten Neuordnung der Museumsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit. Die „Frage des Luxembourg“, sprich die Forderung nach einem zeitgemäßen französischen Museum für moderne Kunst, blieb indes weiter aktuell.46 Die Mobilisierung bzw. Selbstmobilisierung der Museen zur Unterstützung und musealen Aufbereitung der Kriegführung konnte neben der Ausstellungstätigkeit auch durch publizistisches und intellektuelles Engagement erfolgen, wie Felicity Bodenstein (Paris) am Beispiel von Ernest Babelon, dem Direktor des Münzkabinetts der französischen Nationalbibliothek, darlegt. Der Anti-Dreyfusard, Traditionalist und konservative Nationalist Babelon verfolgte als Numismatiker und Leiter dieser wichtigen Sammlung das Ziel, die ruhmreiche Vergangenheit des früheren königlichen Münzkabinetts wiederherzustellen. Seine Arbeiten über die Sammlungen liefern einen Zugang zum Gesamtkorpus des Babelonschen Werks, inklusive seiner Propagandaschriften. Zeit seines Lebens betonte er seine Opposition zu deutschen Numismatikern, deren „sterile wissenschaftliche Herangehensweise“ er der eigenen Liebe zum Altertum gegenüberstellte. 1916 startete er seinen Propagandafeldzug mit öffentlichen Vorträgen, auf die 1917 die Publikation von zwei Bänden über den Rhein als zivilisatorische Grenze und die historische Tiefe des damaligen Konflikts zwischen Deutschland und Frankreich folgte. Das Museum mit seinen archäologischen Belegen diente dabei als „Ort endgültiger Beweiskraft“ für die unterlegene germanische Kultur. Seine Geschichtsinterpretation floss aber auch in die während der Auslagerung der Bestände nach Toulouse vorbereitete und 1919 eröffnete Neugestaltung des Münzkabinetts ein. Der merowingische Childerich-Schatz und der sogenannte Grand Camée de France bildeten als Belege für die römische Abstammung der 20  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

französischen Könige die Herzstücke der musealen Inszenierung  ; die den Childerich-Schatz begleitenden Cloisonné-Metallarbeiten verkörperten die erste nationale Kunstform, ohne jeglichen „barbarischen“ bzw. germanischen Einfluss. Zusammen mit der an die Belagerung von Paris 1870/71 erinnernde Dekoration der neuen Säle verdeutlichte die Inszenierung des Münzkabinetts durch Babelon die ruhmreiche Vergangenheit Frankreichs und den immanenten historischen Gegensatz zu jenen Nachfahren der Barbaren, die nach dem Sieg Frankreichs 1918 die Sammlung nicht mehr gefährdeten. Die Metallobjekte des Pariser Münzkabinetts wurden also nicht, wie etwa ihre Berliner Pendants, als Zahlungsmittel eingefordert,47 sondern im Gegenteil durch eine neue Präsentation aufgewertet und als Zeugen der eigenen glorreichen Vergangenheit herangezogen.

Displaced museums Das Pariser Münzkabinett war nach Toulouse evakuiert worden, die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien ließ als präventive Maßnahme 200 Kisten für den eventuellen Abtransport in entlegene Alpentäler herstellen, in Deutschland kam es dagegen nur im grenznahen Rheinland zu Museumsauslagerungen.48 Angesichts der drohenden Gefahr durch Kriegsoperationen reagierten Museen und ihre übergeordneten Behörden mit unterschiedlichen Maßnahmen. Neben der Sicherung in Kellern oder U-Bahnschächten, wie es mit den Sammlungen des British Museum geschah, gehörte dazu die Entfernung des Museumsguts aus kriegsgefährdeten Gebäuden oder Gebieten und seine Unterbringung an Orten, die als sicherer galten. Vor 1914 fehlte es den meisten Museen allerdings an Erfahrungen mit dem Transport von Museumsgut  : Wechselausstellungen mit Leihgaben anderer Herkunft waren noch selten  ; wenn Objekte transportiert wurden, dann in der Regel beim Besitzerwechsel oder bei Umzügen. Die Transportierbarkeit der Objekte hing dabei von ihrer materiellen Beschaffenheit ab – zum Beispiel ließen sich Zeichnungen leicht transportieren, während bei archäologischen Fundstücken die Gefahren des Bruchs und der Temperaturschwankungen einem Transport entgegenstanden.49 Das Musée du Louvre kann diesbezüglich als Ausnahme gelten, konnte es doch 1914 auf die im preußisch-französischen Krieg 1870/71 gesammelten Erfahrungen mit Auslagerungen zurückgreifen, wie Arnaud Bertinet (Paris) in seinem Beitrag darlegt.50 Aufgerüttelt durch die Nachricht vom Brand der Löwener Universitätsbibliothek Ende August 1914 entschlossen sich auch die Kustoden des Louvre schlussendlich zu der Maßnahme, die vor allem vom Unterstaatssekretär der Künste vorangetrieben worden war. Die 770 Kunstwerke, in erster Linie Gemälde und Kunstgegenstände, jedoch – wie schon 1870 – keine schwer transportierbaren Skulpturen, erreichten in auf Züge gestellten Umzugswagen am 3. September 1914 Toulouse und wurden dort in der Jakobinerkirche untergebracht. Bis zum 22. Dezember 1918 unterstanden sie der Obhut von Paul Jamot, dem Kustoden der Frühorientalischen Sammlung des Einführung   I    21

Louvre, wurden strengstens bewacht und regelmäßig auf ihren Zustand geprüft. Die Auswahl der Objekte sowie ihre mehrmalige Umordnung zeugen von einer Geschmackswandlung gegenüber 1870  : So wurde vermehrt französische und ausländische Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als schützenswert erachtet. Die Forderung lokaler Behörden, eine Ausstellung mit den Meisterwerken, darunter Leonardos Mona Lisa, zu veranstalten, konnte abgewehrt werden. Die erfolgreiche Auslagerung zahlreicher öffentlicher und privater Sammlungen im Ersten Weltkrieg überzeugte die Entscheidungsträger in Frankreich von der Effizienz dieser Sicherungsmethode, sodass noch vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bereits umfassende Evakuierungen der Nationalmuseen durchgeführt werden konnten. Neben Frankreich besaß Italien vor 1914 eines der bestorganisierten Systeme staatlicher Denkmalpflege in Europa. Schon vor dem Kriegseintritt Italiens stellte das zuständige Ministerium Richtlinien für den Schutz der Kulturgüter in den gefährdeten Regionen Norditaliens auf, wie Elena Franchi (Vicenza) berichtet. Die Auslagerung der wichtigsten Werke der Region Venetien, in erster Linie aus den Museen und Kirchen Venedigs, drängte sich dabei in den meisten Fällen als effizienteste Maßnahme auf. Franchi unterscheidet dabei zwei Phasen  : Während die Kunsttransporte vor Italiens Kriegseintritt im Mai 1915 nur die Meisterwerke betrafen und im Geheimen organisiert wurden, um die Bevölkerung nicht zu alarmieren, konnte man 1916/17 aufgrund der wiederholten feindlichen Angriffe keine Selektion nach Qualität und Bedeutung einzelner Werke durchführen und die Aktionen nicht mehr verbergen. Im Vergleich zu Frankreich (siehe den Beitrag von Géraldine Masson) und Österreich, wo zeitgleich die Zusammenarbeit von Kriegs- und Kultusministerium zur Gründung zivil-militärischer Kunstschutz-Truppen führte,51 blieb der Amtsweg in Italien aufgrund der vielen Akteure – nationale und regionale Denkmalpflegeämter, städtische Museen und Behörden, Militärbehörden – langwierig und kompliziert. Hinzu kam bei Verlagerungen von kirchlichen Gütern in staatliche Museumsdepots das aufgrund der Enteignungen Ende des 19. Jahrhunderts historisch bedingte Misstrauen kirchlicher Einrichtungen gegenüber dem Staat. Nichtsdestotrotz brachte man hunderte von Werken aus Venedig, Verona, Padua, Cremona, Treviso, Possagno, Mantua, später auch Mailand, in Florenz, Rom und Pisa in Sicherheit. Manche Werke, wie das monumentale Gemälde L’Assunta von Tizian, bedurften besonderer Transport- und Konservierungsvorrichtungen. Das Prinzip der Verteilung auf dezentrale Depots, damit im Falle einer Bombardierung oder Eroberung die Schäden begrenzt blieben, bewährte sich und wurde im Zweiten Weltkrieg, auch von anderen Ländern, übernommen. Nach Kriegsende zogen sich die Rücktransporte der gut erhaltenen Werke in ihre ursprünglichen Museen bis 1919 hin, wobei das Problem von Werken, die Ende des 19. Jahrhunderts aus ihrem sakralen Zusammenhang gerissen worden waren, in manchen Fällen zugunsten einer Rückführung an den kirchlichen Ursprungsort gelöst wurde. Der Erste Weltkrieg hatte zwar die Zerstörung wichtiger Sakralbauten Venetiens verursacht, daneben aber nicht nur die Expertise bei Verlagerungen von Museumsgut, sondern auch die Neuordnung der Museen und die Klärung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche bezüglich des Kulturerbes herbeigeführt.

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Das Schicksal von Privatsammlungen im Ersten Weltkrieg ist ein bisher wenig behandeltes Thema – lediglich aus dem besetzten Nordfrankreich sind Fälle bekannt, in denen Privatleute ihre Sammlungen den öffentlichen Museen zu Schutzzwecken anvertrauten.52 Die polnische Sammlung Czartoryski, deren wichtigstes Gemälde, die Dame mit dem Hermelin, im Mittelpunkt der Studie von Agnieszka Gąsior (Dresden) steht, kann zwar nicht eigentlich als Privatsammlung betrachtet werden, entstand sie doch in der Zeit der polnischen Teilungen um 1800 dezidiert als öffentliches Museum mit dem patriotischem Auftrag der kulturellen, künstlerischen und historischen Bildung. Ihr Schicksal blieb aber eng mit dem ihrer Begründerin bzw. deren Nachfahren verbunden  : Nach dem Exil der Sammlung in Paris, wohin die Familie Czartoryski 1830 geflohen war, kehrte sie in den 1870er-Jahren wieder nach Polen zurück, und es entstanden in Krakau und Gołuchów bei Posen zwei „Museen als private Institutionen öffentlichen Charakters“ (Gąsior). Bei Heranrücken der russischen Armee im Herbst 1914 beschloss die damalige Besitzerin Fürstin Marie Luise, die wichtigsten Objekte für die Dauer des Krieges den Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft in Dresden anzuvertrauen. Letztere unterzeichneten mit der ebenfalls in der Stadt verweilenden Fürstin ein Protokoll, welches die Aufenthaltsbedingungen der Sammlung in den Dresdner Museen festlegte  : Sie sollte öffentlich zugänglich sein, die Besitzerin übernahm aber die alleinige Verantwortung. Die Anfang 1915 eröffnete Ausstellung der Sammlung, besonders eine Auswahl hochrangiger Gemälde wie das Porträt eines jungen Mannes von Raffael und Rembrandts Landschaft mit dem barmherzigen Samariter stieß sofort beim breiten Publikum wie auch in deutschen und ausländischen Kunsthistorikerkreisen auf überragendes Interesse und förderte die stilkritische und materielle Erforschung der Werke. Wilhelm von Bodes Analyse des Gemäldes Dame mit dem Hermelin legte erst die Grundlage für die heute gängige Zuschreibung zum Werk von Leonardo da Vinci. Nach Kriegsende und aufgrund zunehmender Spannungen zwischen dem deutschen Reich und dem neu gegründeten Polen wurde die Rückkehr der Sammlung Czartoryski von deutscher Seite bis ins Jahr 1920 hinausgezögert – eine Haltung, wie sie auch 1919 bei der Rückführung des Isenheimer Altars aus München ins nunmehr französische Colmar zu beobachten war.53 Das Dresdner Interim, so das Fazit Gąsiors, trug nachhaltig und auf internationaler Ebene zur kunsthistorischen Verankerung der Sammlungsobjekte bei, bevor diese in den Wirren des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs für Jahrzehnte verschwanden. Dass sich Sammlungsverlagerungen im Ersten Weltkrieg bis in die heutige Zeit auswirken können, zeigt Jaanika Anderson (Tartu) am Beispiel des Museums der Universität Tartu, damals zum Russischen Kaiserreich gehörig. Als im Juli 1914 der Erlass des russischen Ministeriums für Volksaufklärung erging, die Universität, und damit auch ihr Museum, ins russische Landesinnere zu evakuieren, stand hinter dieser Entscheidung zwar der Wille, die Sammlungen angesichts des Heranrückens der Front vor Kriegseinwirkungen und der Eroberung durch deutsche Truppen zu schützen. Doch drückte sich darin die seit Langem gehegte Absicht aus, den „deutschen Einfluss“ auf die estnische Kultur in den westlichen Gebieten des russischen Reiches auszuschalten. Die 1802 gegründete deutschsprachige Universität, und ihr 1803 entEinführung   I    23

standenes Kunstmuseum, waren in der Tat deutsch-baltische Horte humanistisch-universalistischer Gelehrsamkeit und wichtige Bindeglieder zwischen der deutschen und der russischen Kultur, bis in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine fortschreitende Russifizierung und gleichzeitige Abschottung gegenüber dem Westen stattfand. Im September 1915 wurde die Sammlung des Kunstmuseums nach Nischni Nowgorod gebracht, 1916 folgten Transporte nach Perm im Uralgebirge, bevor 1918 alles in Woronesch zusammengeführt wurde. Unterdessen hatten deutsche Truppen Tartu besetzt und eine neue Universität gegründet. Im Friedensvertrag von Dorpat, der 1920 die Unabhängigkeit Estlands besiegelte, war die Rückführung der estnischen Universität und ihrer Sammlungen vorgesehen. Doch 1922 lagerten noch große Teile der Kunstsammlungen in Woronesch, wo sie schließlich 1933 ins neu gegründete dortige Kunstmuseum integriert wurden. Erst Ende der 1990er-Jahre, nach der erneuten Wiedererlangung der Unabhängigkeit Estlands, mündeten die Verhandlungen zwischen dem neu aufgebauten Museum in Tartu und dem Museum in Woronesch in eine Kooperation, der ein gemeinsamer Sammlungskatalog zu verdanken ist. Dessen geplanter zweiter Band ist allerdings aufgrund der unterbrochenen Zusammenarbeit bis heute nicht erschienen.

Krieg, Revolution und die Folgen für die Museen Aus der Moskauer Perspektive erschien eine Rückführung der estnischen Sammlungen spätestens in dem Moment nicht mehr gerechtfertigt, als sie in einem eigenen Museum dem nunmehr sowjetischen Publikum zugänglich gemacht wurden. Dass die führenden Bolschewiki 1917 nicht zum Bildersturm aufriefen, sondern sich im Gegenteil Museen und andere kulturelle Institutionen des Zarenreichs zu eigen machten, indem sie sie nach ihren Vorstellungen umgestalteten, ist allgemein bekannt. Doch griffen sie dabei durchaus auf Ideen der spätzaristischen Zeit zurück, wie Roland Cvetkovski (Köln) in seinem Beitrag über die Ermitage in Sankt Petersburg anschaulich darstellt. Wenngleich die von Katharina II. zusammengetragenen hochkarätigen Sammlungen seit 1865 dem Publikum zugänglich waren, blieb das Museum bis 1917 eine genuin elitäre Institution. Allerdings setzten bereits um 1900 Demokratisierungs-, Professionalisierungs- und Verwissenschaftlichungsprozesse ein, die durch den Ersten Weltkrieg bzw. die Revolution wesentlich gefördert wurden. Doch zunächst bedeutete der Kriegsausbruch einen Einschnitt, besonders für das Winterpalais, welches von Oktober 1915 bis Oktober 1918 als Kriegslazarett diente. Die Evakuierung der wichtigsten Stücke nach Moskau, die bereits 1913 aus Furcht vor Volksaufständen vorbereitet worden war, fand schließlich im September 1917 statt, nachdem die deutschen Truppen Riga eingenommen hatten. Noch vor Ende der Aktion wurden Ermitage und Winterpalais indes von den Bolschewiki erstürmt und wenig später zu Staatsmuseen deklariert, blieben aber aufgrund der Evakuierung der Sammlungen geschlossen. Die Kontinuität wurde insofern gewahrt, als man alle Museumsmitarbeiter im Amt beließ, wobei sie ihr Misstrauen gegenüber den für die Museen zuständigen bolschewistischen Volkskommissaren nicht verhehlten. In der Folgezeit wurden 24  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

die Museumskustoden herangezogen für die Enteignung und Registrierung der ehemaligen adeligen Privatsammlungen, die die Bestände der Ermitage nahezu verdoppelten, obwohl große Mengen an Kulturgut ins Ausland verkauft wurden oder an Staaten wie die Ukraine und Polen restituiert werden mussten. 1920 hatte das Museum den Bürgerkrieg relativ unbeschadet überstanden, und seine Sammlungen waren nach einigen Verzögerungen, durch eine in Moskau geplante und letztendlich verhinderte Ausstellung, zurückgekehrt. Im November/ Dezember 1920 konnten schließlich die wichtigsten Säle für das Publikum geöffnet werden. Die Forderung nach der Umgestaltung des Kunstmuseums in einen Ort der Öffentlichkeit und der Volkserziehung bestand in den Grundzügen bereits vor 1914 bzw. 1917 – und das nicht nur in Russland, sondern auch in den westeuropäischen Kulturnationen. Für die bolschewistischen Museologen stand allerdings nicht in erster Linie der ästhetische Wert eines Kunstwerks im Mittelpunkt, sondern seine narrative Aussage und vor allem die sozialen Umstände seiner Entstehung. Die Ambivalenz dieser Haltung kam vielleicht gerade in der von Tradition und Kontinuität besonders geprägten Ermitage zum Ausdruck, die als „tragende Säule“ der russischen Kultur besonderen Schutz von Seiten der Revolutionäre genoss. Um Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Museumsarbeit geht es auch im Beitrag von Géraldine Masson (Paris), der sich mit den Auswirkungen des Weltkriegs auf Berufsstand und Arbeitsmethoden der französischen Museumskustoden in den vom Kriegsgeschehen betroffenen Provinzen befasst. Der französische Staat hatte zwischen 1880 und 1913 institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen für die Denkmalpflege und die Museen geschaffen. Der Erste Weltkrieg fiel in eine Zeit der Umstrukturierung des Arbeitsfelds, und damit des Bedeutungswandels des Berufsstands der Kustoden. Die vermehrte Beschäftigung mit konservatorischen Methoden war auch eine Reaktion auf die oftmals unangemessene Unterbringung der Provinzmuseen in Gebäuden, die für andere Zwecke konzipiert worden waren, sowie ihre unzureichende finanzielle Ausstattung. Als der Krieg ausbrach, hatte kaum eines dieser Museen Sicherungspläne aufgestellt, geschweige denn entsprechende Schritte unternommen. Gegen die Vorbehalte der Kustoden gegenüber eines Ortswechsels der Bestände in kommunalem Besitz hatten die nationalen Behörden und die Präfekturen nur wenig Handhabe. Manche Museumsdirektoren wie Emile Théodore in Lille unternahmen Aktionen auf eigene Faust, die einen hohen Grad an Einfallsreichtum aufzeigen. Im Mai 1917 wurde schließlich auf Initiative des Generalinspektors der Denkmäler eine zivil-militärische Kommission zum Schutz der Denkmäler und Kunstwerke im Kriegsgebiet gegründet, die mithilfe materieller Ressourcen und Arbeitskräften die Auslagerung von Museumssammlungen mehrerer Museen in Nordfrankreich und ihre Bergung in Depots durchführen konnte. In den von deutschen Truppen besetzten Gebieten hingegen sahen sich die französischen Kustoden mit den im Rahmen des „Kunstschutzes“ mit der Aufsicht über die französischen Museen beauftragten deutschen Kunsthistorikern und Museumsdirektoren konfrontiert, deren Aktionen sie oftmals als anmaßend empfanden. Aus Angst vor einem Abtransport nach Deutschland stellten sie sich besonders den von den deutschen „Kollegen“ angeordneten Auslagerungen entgegen, während sie andere Konservierungsmaßnahmen und innovative PräsentationsmeEinführung   I    25

thoden durchaus positiv rezipierten. Sowohl deutsche als auch französische Fachleute führten im Ersten Weltkrieg fotografische Dokumentationen der Rettungsaktionen und der davon betroffenen Kunstwerke durch. Insgesamt, so die Bilanz Massons, verursachte der Krieg zwar einen hohen Arbeitsaufwand durch die Bewegung von enormen Mengen an Museumsgut sowie die Zerstörung und Beschädigung von zahlreichen Museumsgebäuden. Die notgedrungene Beschäftigung mit Transport- und Konservierungsbedingungen (Verpackung, Feuchtigkeit, Lichtverhältnisse etc.) in einer extremen Situation und die Kreativität, mit der die Museumsfachleute darauf reagierten, förderte aber zugleich ihre Professionalisierung. Im Zuge der Neuorganisation der Museen nach dem Krieg wurden bei Restaurierungen, Neuerwerbungen sowie der Präsentation und Vermittlung der Werke verstärkt wissenschaftliche Kriterien angelegt. Eine positive Konsequenz der Kriegserfahrungen war auch die bessere Zusammenarbeit von Kustoden, lokalen Behörden und Spezialisten der Konservierung. Masson schließt mit einem dahin gehenden Zitat Emile Théodores von 1924, in dem er zudem den Wunsch nach mehr Kontakt mit deutschen Kollegen äußert. Dieses Begehren eines französischen Museumsdirektors scheint die Thesen von Lukas Cladders (Berlin) zu bestätigen, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Folgen der Weltkrieg mit seinen Zerstörungen, Verlagerungen, Kulturgutforderungen und propagandistischen Schlachten auf die internationalen Kontakte zwischen Museen hatte. Zunächst scheint es so, als ob diese zwischen ehemaligen Kriegsgegnern in den ersten Nachkriegsjahren vergiftet blieben. Die schon während des Konflikts zu nationalen Werten deklarierten Kulturgüter wurden in einer Zeit diplomatischer Spannungen zu „politisch hoch aufgeladenem Verhandlungsgut“ (Cladders). Während die Entstehung und Umsetzung von Artikel 247 des Versailler Friedensvertrags, wonach Belgien Teile seines versprengten „nationalen Kulturerbes“ wieder eingliedern konnte, indem deutsche Museen Teilstücke von Retabeln abtraten, relativ gut erforscht ist, bedürfen der wesentlich kompliziertere Vertrag von Saint-Germain sowie die jahrelangen Verhandlungen mit den Nachfolgestaaten der Donaumonarchie einer Aufarbeitung, die über die rein juristische Perspektive hinausgeht. Unterstrichen wurde die Idee des „nationalen Kulturerbes“ in mehreren Staaten durch die Schaffung von Gesetzen zum Schutz nationalen Kulturguts, welche den Export von Kulturgut – unter anderem aus Privatbesitz – und damit die befürchtete „Abwanderung“ ins Ausland verhindern sollten. Museen, die bei Ankäufen sowohl von staatlichen Subventionen als auch von guten Beziehungen zu Privatsammlern abhängig waren, wurden bei der Umsetzung der Regelungen zu unkonventionellen Methoden gezwungen. Die in deutschsprachigen Ländern bereits vor dem Krieg begonnene Debatte um „Museumsreformen“ wurde – so zeigt jedenfalls der aktuelle Forschungsstand – erst Anfang der 1930er-Jahre international geführt. Nur wenige Forschungen befassen sich hingegen mit den grenzüberschreitend geführten Diskussionen über Fragen des Selbstverständnisses von Museumsbeamten, Restaurierungsmethoden, der Einrichtung von wissenschaftlichen Laboratorien und Fototheken. Dass und inwiefern große Kunstausstellungen nach dem Ersten Weltkrieg als Mittel der Kulturdiplomatie Aufwind bekamen, ist bereits erforscht, doch welche Rolle die Museen bei den Interaktionen von Politik, Kunstmarkt und Zivilgesellschaften 26  I    Christina Kott · Bénédicte Savoy

spielten, bleibt zu untersuchen. Die Frage nach der Neuordnung der Museumsbeziehungen in der Zwischenkriegszeit bedarf laut Cladders ebenfalls weiterer Analysen  : Die simple Einteilung in untereinander kommunizierende Siegerstaaten einerseits und von der Diskussion ausgeschlossene, isolierte Verliererstaaten andererseits scheint ihm zu kurz gegriffen, wenn auch die Überwindung des deutsch-französischen Konflikts erst 1925 durch die Verträge von Locarno gelang. Die ein Jahr später erfolgte Gründung des Internationalen Museumsamts (Office international des musées) beim Völkerbund war ebenfalls ein bedeutender Schritt, der heute oftmals unterbelichtet wird. Schlussendlich plädiert Cladders für die Überwindung von nationalen Perspektiven und mehr Interdisziplinarität in der Erforschung der Museumsgeschichte – ein Appell, dem sich die Herausgeberinnen dieses Bandes nur anschließen können.

Anmerkungen 1 Vgl. zuletzt Bart Zino (Hrsg.), Remembering the First World War, London 2015. 2 Kristiane Janeke u. Claire Aslangul, „‚Il ne doit pas y avoir de terre inexplorée‘. La mémoire de la Première Guerre mondiale en Russie depuis 1989–1991“, in  : Matériaux pour l’histoire de notre temps, Nr. 113/114, 1/2014, 75–83, http://www.cairn.info/revue-materiaux-pour-l-histoire-de-notre-temps2014-1-page-75.htm. 3 Peter G. Stone u. Joanne Farchakh Bajjaly (Hrsg.), The destruction of cultural heritage in Iraq, Wood­ bridge 2008. Für mehr historische Tiefe vgl. Dario Gamboni, La destruction de l’art. L’iconoclasme et le vandalisme depuis la Révolution française, Paris 1999/2015  ; engl. Ausgabe  : ders., The Destruction of Art. Iconoclasm and Vandalism since the French Revolution, London 1997. 4 Mamoun Fansa (Hrsg.), Syrien  : sechs Weltkulturerbe-Stätten in den Wirren des Bürgerkriegs, Mainz 2014. 5 Asor Cultural Heritage Initiatives (Allison Cuneo, Susan Penacho, LeeAnn Barnes Gordon), Special Report  : Update on the Situation in Palmyra, 3.9.2015, http://www.asor-syrianheritage.org/special-­ report-­update-on-the-situation-in-palmyra. 6 Stellvertretend für unzählige andere Reaktionen  : The Bonn Declaration on World Heritage (UNESCO), 29.6.2015, http://www.unesco.org/new/en/iraq-office/culture/resolutions-regarding-­ ­ heritage-­­destruction-in-iraq. 7 Jean-Luc Martinez, Président-directeur du musée du Louvre, 50 propositions françaises pour protéger le patrimoine de l’humanité. Rapport au Président de la République sur la protection du patrimoine en situation de conflit armé, Novembre 2015, Axe V, S. 47–49. Eine Zusammenfassung der Vorschläge findet sich unter http://docs.google.com/viewerng/viewer?url=http://www.lejdd.fr/ var/lejdd/storage/original/media/v1493901460_20151117182747778-001.pdf 8 Die DFG-geförderte internationale Fachtagung fand vom 18.–20.9.2014 in Berlin statt (Technische Universität Berlin, Bode-Museum/Staatliche Museen zu Berlin–Preußischer Kulturbesitz). Tagungsbericht  : Mars & Museum. European museums during the First World War, 18.09.2014– 20.09.2014 Berlin, in  : H-Soz-Kult, 6.11.2014, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungs berichte-5648. Der Dank der Herausgeberinnen gilt Dr. Petra Winter, Mitorganisatorin der Fachtagung, Dr. Julien Chapuis für die großzügige Bereitstellung des Gobelinsaals des Bode-Museums,

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der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung, dem Centre Marc Bloch/Berlin für die Unterstützung sowie Stéphanie Baumewerd für die Koordination der Tagung. Vgl. Andrea Meyer u. Bénédicte Savoy (Hrsg.), The Museum is Open. Towards a Transnational History of Museums, Berlin 2014. Guillaume Fonkenell (Hrsg.), Le Louvre pendant la guerre. Regards photographiques 1938–1947, Ausst.-­ Kat. Louvre, Paris 2009. Suzanne Bosmann, The National Gallery in Wartime, London 2008. Symposium „Musei e monumenti in guerra, 1939–1945. Londra-Parigi-Roma-Berlino“, Rom, November 2012, Musei Vaticani/Galleria Nazionale d’Arte Moderna  ; vgl. Teresa Calvano u. Micol Forti (Hrsg.), Musei e monumenti in guerra 1939–1945. Londra Parigi Roma Berlino, Città del Vaticano 2014  ; Tagung „Museen im Nationalsozialismus“, Deutsches Historisches Museum u. Richard-Schöne-Gesellschaft für Museumsgeschichte e.V., Berlin 2013, Tagungsband  : Tanja Baensch, Kristina Kratz-Kessemeier u. Dorothee Wimmer (Hrsg.), Museen im Nationalsozialismus, Berlin 2016. Trude Maurer (Hrsg.), Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer. Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, München 2006, 223–238. Ähnliche Arbeiten zu Bibliotheken und Archiven sind nicht bekannt. Christina Kott, „Beutekunst“, in  : Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich u. Irina Rens (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2008. Michèle van Kalck (Hrsg.), Les Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique  : deux siècles d’histoire, 2 Bde., Brüssel 2003. Zu belgischen Museen im Ersten Weltkrieg vgl. auch Anneleen Arnout, „Archimedes achterna. De Belgische musea tijdens de Eerste Wereldoorlog“, in  : BEG-CHTP (Bijdragen tot de Eigentijdse Geschiedenis—Cahiers d’Histoire du Temps présent), 22/2010. Isabelle Bardiès (Hrsg.), De la frontière au front  : un point de vue allemand  ; campagnes photographiques 1914/1917, Ausst.-Kat. Musée de la Cour d’Or, Metz 2003. Hervé Cabezas (Hrsg.), Saint-Quentin – Maubeuge, 1917. Les pastels dans la guerre, Ausst.-Kat. Musée Antoine-Lécuyer, Saint-Quentin 2007 (in Zusammenarbeit mit Christina Kott). Mael Bellec, Heurs et malheurs du Musée de Cambrai  : de l’arrivée à Cambrai de Sonia Delaunay, Maurice Denis, Matisse, Maillol, Dürer, Signac, Vuillard, Vlaminck et quelques autres, Ausst.-Kat. Musée de Cambrai, Cambrai 2012. Philippe Nivet (Hrsg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine. Actes du colloque d’Amiens des 16–18 mars 2011, Amiens 2013. Catherine Granger, „La protection du patrimoine des musées nationaux durant la Première Guerre mondiale“, in  : Nivet 2013, 247–260  ; Romain Zechser, „La protection des œuvres d’art du Musée de Picardie à Amiens pendant la Première Guerre mondiale“, in  : Nivet 2013, 305–323. François Lagrange, „Le musée de l’Armée, patriote ou embusqué  ? Force et limites de l’auto-mobilisation du musée de l’Armée pendant la Grande Guerre“, in  : Nivet 2013, 219–244  ; Eva Knels, „Vers un musée moderne  ? Le réaménagement du musée du Louvre après la Première Guerre mondiale“, in  : Nivet 2013, 261–277. Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi  ? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel 2006 (gekürzte Fassung der Dissertation  : dies., Protéger, confisquer, déplacer. Le service allemand de préservation d’œuvres d’art (Kunstschutz) en Belgique et en France occupées pendant la Première Guerre mondiale, 1914–1924, Univ.-Diss., betreut von Michael Werner, EHESS Paris, 2002). Kott 2002/2006  ; vgl. auch dies., „Die deutsche Kunst- und Museumspolitik im besetzten Nordfrankreich im Ersten Weltkrieg – zwischen Kunstraub, Kunstschutz, Propaganda und Wissenschaft“,

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in  : kritische berichte. Zeitschrift für Kunst- und Kulturwissenschaften, 2/1997, 5–24, http://archiv. ub.uni-heidelberg.de/ojs/index.php/kb/article/view/10580/4432 24 Bénédicte Savoy, Patrimoine annexé. Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800, 2 Bde., Paris 2003 (deutsche Übersetzung  : dies., Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien [u. a.] 2011. 25 Christoph Roolf, „Die Forschungen des Kunsthistorikers Ernst Steinmann zum Napoleonischen Kunstraub zwischen Kulturgeschichtsschreibung, Auslandspropaganda und Kulturgutraub im Ersten Weltkrieg“, in  : Ernst Steinmann, Der Kunstraub Napoleons, hrsg. von Yvonne Dohna, online-Publikation der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte, Rom 2007, http://edoc.biblhertz.it/editionen/steinmann/kunstraub. 26 Christoph Roolf, „Dinosaurier-Skelette als Kriegsziel  : Kulturgutraubplanungen, Besatzungspolitik und die deutsche Paläontologie in Belgien im Ersten Weltkrieg“, in  : Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, 27/2004, 5–26. 27 Vejas Gabriel Liulevicius, Kriegsland im Osten  : Eroberung, Kolonialisierung und Militärherrschaft im Ersten Weltkrieg, Hamburg 2002. 28 Jörn Grabowski u. Petra Winter (Hrsg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen und der Erste Weltkrieg, Köln 2014. 29 Isabelle Bollard-Raineau, Christina Kott u. a. (Hrsg.), Sauve qui veut. Des archéologues et des musées mobilisés, 1914–1918, Ausst.-Kat. Douai 2014. 30 Michèle Clarebout-Adamczyck und François Robichon verwenden beispielsweise durchgehend und undifferenziert die Begriffe „pillage“ (Plünderung) und „spoliation“ (Kunstraub), wenn es um die von deutscher Seite organisierten Auslagerungen geht, vgl. dies., „La grande misère du musée de Lille. Émile Théodore, un conservateur exemplaire pendant la Grande Guerre“, in  : Revue du Nord, „La première guerre mondiale dans le nord de la France et en Belgique“, Bd. 96, 1–6/2015, 241–270. 31 Tagung „Des combattants studieux durant la Grande Guerre  : archéologues et historiens de l’art allemands au service du patrimoine“, Arras, Centre de recherche et d’études – Histoire et Sociétés (CREHS), Université d’Artois, 19.–21.3.2015. 32 Andrea Meyer (Technische Universität Berlin) befasst sich derzeit mit der transnationalen Geschichte der Zeitschrift Museumskunde von 1904 bis 1939. 33 Beate Störtkuhl, „Art historiography during World War I  : Kunstschutz and reconstruction in the General Government of Warsawa“, in  : Kunstiteaduslikke uurimusi, Bd. 23, 3–4/2014, 157–181  ; Jona­ than Blower, „Max Dvořak and Austrian Denkmalpflege at War“, in  : Journal of Art Historiography, 1/2009, https://arthistoriography.files.wordpress.com/2011/02/media_139127_en.; Hans Tietze, „Österreichischer Kunstschutz in Italien“, in  : Paul Clemen (Hrsg.), Kunstschutz im Kriege. Berichte über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Maßnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung und Erforschung, Bd. 2, Leipzig 1919, 50–70. 34 Workshop „Apologeten der Vernichtung oder ‚Kunstschützer‘  ? Kunsthistoriker der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg“, 8.–9.4.2015, organisiert von Beate Störtkuhl (Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Oldenburg) u. Robert Born (Geisteswissenschaftliches Zentrum Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas, Universität Leipzig). Bei dem Projekt geht es allerdings nicht nur um Museen, sondern um das Kulturerbe im Allgemeinen. 35 In Anlehnung an den Titel von Andrea Wettmanns Dissertation  : Heimatfront Universität. Preussische Hochschulpolitik und die Universität Marburg im Ersten Weltkrieg, Univ.-Diss. Universität Köln, Köln 2000.

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36 Hans-Werner Prahl, Sozialgeschichte des Hochschulwesens, München 1978, zit. in  : Andrea Wettmann, „Ruhmvoll verödet  ? – Deutsche Universitäten im Ersten Weltkrieg“, in  : Maurer 2006, 29–38, hier 29. 37 Ebd. 38 Vgl. etwa Peter Hoeres, Krieg der Philosophen. Die deutsche und die britische Philosophie im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2004, Kapitel  : Der Zusammenbruch der internationalen Gelehrtenrepublik, 110–130, mit vielen Literaturangaben. 39 Meyer/Savoy 2014, darin besonders die Aufsätze von Xavier-Pol Tilliette, Arnaud Bertinet und Andrea Meyer. 40 Z. B. Bénédicte Savoy (Hrsg.), Nofretete. Eine deutsch-französische Affäre 1912–1931, Wien [u. a.] 2011  ; Charlotte Trümpler (Hrsg.), Das große Spiel. Archäologie und Politik zur Zeit des Kolonialismus (1860– 1940), Köln 2008. 41 In einem kurzen Kapitel ihrer Studie über Militärmuseen in Deutschland und England wies die Historikerin Eva Zwach bereits 1999 auf die Fortexistenz deutsch-britischer Museumskontakte nach Kriegsausbruch hin, vgl. Eva Zwach, Deutsche und englische Militärmuseen im 20.Jahrhundert. Eine kulturgeschichtliche Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Krieg, Münster 1999, 53–55. 42 Wissenschaftliche Forschungen an Kriegsgefangenen aus zahlreichen Ländern und Kulturen wurden auch in Deutschland durchgeführt, vgl. Benedikt Burkhard u. Céline Lebret, Gefangene Bilder  : Wissenschaft und Propaganda im Ersten Weltkrieg, Ausst.-Kat. Historisches Museum Frankfurt, Petersberg 2014. 43 Petra Winter, „Inter arma silent musae  ? Die Könglichen Museen zu Berlin im Ersten Weltkrieg“, in  : Jörn Grabowski u. Petra Winter (Hrsg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen und der Erste Weltkrieg, Köln 2014, 9–50, hier 34–41. 44 Gaynor Kavanagh, Museums and the First World War. A Social History, London 1994, 29–32. 45 Vgl. Ann Stieglitz, „The Reproduction of Agony  : toward a Reception-History of Grünewald’s Isenheim-Altar after the First World War“, in  : The Oxford Journal, Bd. 2, 12/1989, 87–103. 46 Vgl. Jean-Paul Morel (Hrsg.), Pour un musée français d’art moderne. Une enquête de ‚L’Art vivant‘ en 1925, (Reprint, mit einem Vorwort von Yves Michaud), Paris 1996. 47 Winter 2014, 32. 48 Bollard-Raineau/Kott 2014, 70f. 49 Winter 2014, 33f. 50 Vgl. Arnaud Bertinet, Les musées de Napoléon III  : Une institution pour les arts (1849–1872), Paris 2014. 51 Pichon-Meunier 2014  ; Tietze 1919  ; Blower 2009. 52 Kott 2006, 292 u. 348. 53 Hendrik Ziegler, „Le musée de Colmar pendant la Première Guerre mondiale“, in  : Sylvie Lecoq-­ Ramond (Hrsg.), Histoire du musée d’Unterlinden et de ses collections. De la Révolution à la Première Guerre mondiale, Colmar 2003, 317–349, hier 337–340.

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John Horne

VO N MU SE E N I M WELTK R I E G ZU WE LTKR I E G SMU S EE N

Museen aller Art, insbesondere Kriegsmuseen, bieten eine faszinierende Möglichkeit, die Geschichte des Ersten Weltkriegs zu lesen. Im Krieg selbst wiederum offenbart sich die Komplexität von Museen – als Institutionen, darüber hinaus aber auch als Gefüge von Impulsen oder Funktionen. Diese wechselseitige Lesart der Museen zum Ersten Weltkrieg und des Krieges selbst soll in diesem einleitenden Kapitel diskutiert werden. Das Thema beleuchtet bedeutende Aspekte des Krieges  : die Art seiner museografischen Darstellung zu Kriegszeiten sowie die Entwicklung von Wahrnehmungen und Erinnerungen des Krieges im Laufe eines Jahrhunderts. Natürlich sind Museen auch Institutionen mit jeweils eigener Geschichte und Politik, aber es ist wichtig, sie im Hinblick auf Impulse und Funktionen zu sehen. Zwar erhielten sie durch ihren Eintritt in den öffentlichen Raum im 19. Jahrhundert eine institutionelle Selbstbestimmung und ein professionelles Aufgabenspektrum. Sie behielten dabei aber ein flexibles, noch aus der Antike stammendes Merkmalsgefüge, das sie mit anderen Institutionen verband. Wie es im Namen noch anklingt, war das Museum ursprünglich der Tempel der Musen, und in seiner ptolemäischen Form in Alexandria umfasste dies auch eine Bibliothek und Gelehrte. Als der Begriff in der Renaissance in Italien wieder aufkam, bezeichnete er zunächst einen Tempel, eine Bibliothek oder eine Galerie. Erst mit der zunehmenden Spezialisierung im 19. Jahrhundert wurde eine Unterscheidung zwischen Museen und Bibliotheken vorgenommen, und damit zwischen dem Objekt und dem Buch. Aber diese Unterscheidung war nicht unumstößlich  ; weiterhin interagierten Museen und Bibliotheken, manchmal, wie z. B. im Fall des British Museum, auch innerhalb derselben Einrichtung.1 Vielleicht kann man davon ausgehen, dass Museen zur Zeit ihrer Entstehung eine Reihe von Funktionen – oder Impulsen – übernahmen, die ihnen logischerweise vorausgingen und zuvor auch von anderen Einrichtungen getragen wurden. Erstens sammelten sie die Objekte ihres jeweiligen Gebiets mit dem Ziel einer repräsentativen oder sogar enzyklopädischen Darstellung, womit sie dem Wunsch nachkamen, die materielle wie auch die ästhetische Kultur der Menschheit in zunehmend systematischer Weise zu dokumentieren. Darin entsprachen sie nicht nur Bibliotheken und Archiven auf deren ureigenem Gebiet, sondern auch privaten Sammlern. Tatsächlich waren letztere häufig Gründer oder Stifter von Museen. Gleichzeitig breitete sich im 19. Jahrhundert eine Sammelleidenschaft aus, die nun, im Falle etwa von Münzen oder Briefmarken, auch von einfachen Leuten geteilt wurde.2 Somit sammelten öffentliche Museen ihre Raritäten auch im Interesse der Allgemeinheit. Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen  

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Zweitens beschränkten sich Museen nicht auf das bloße Ansammeln von Objekten, sondern waren auch bestrebt, ihre Sammlungsobjekte wissenschaftlich zu untersuchen und zu verstehen. Die Auswahl der Objekte wurde dabei in erster Linie von deren Zweckmäßigkeit bestimmt und die in den Museen angebotenen Erläuterungen waren stark ideologisch beeinflusst. Dies traf nicht nur auf die Schätze zu, die in Nationalmuseen bewahrt wurden, sondern auch auf die in Kolonialmuseen offenkundigen anthropologischen Konzepte oder auf den Positivismus wissenschaftlicher Sammlungen.3 In den Museen verfestigten sich umfassendere Erklärungsmodelle. Drittens entwickelte sich mit der Auswahl der Bestände das Ausstellen zu einem wesentlichen Aspekt der Museen. Darin folgten sie anderen Einrichtungen – von künstlerischen Sezessionen über Handelsmessen bis hin zur Weltausstellung –, die immer mehr Ausstellungen veranstalteten. Wichtigstes Darstellungsmittel vor dem Zeitalter des Kinos war das unbewegte Ausstellungselement, und wenngleich das Museum kein Monopol darauf hatte, blieb es darin doch unübertroffen. Ein weiterer Aspekt ist der unbestritten säkulare und didaktische Charakter der Museen im 19. Jahrhundert – Bildung war damals wie heute eine Schlüsselfunktion. Die Bedeutung der Kunst für die Museen, insbesondere natürlich für Kunstmuseen, legt allerdings nahe, dass weiterhin die ästhetische Dimension hochgehalten wurde, und diese war mit dem Bereich des Geistlichen verknüpft, zumal religiöse Werke einen großen Teil der Kunstausstellungen ausmachten. Da die „Erfindung der Nation“ und politische Ideologien im 19. Jahrhundert das Geistliche teilweise säkularisiert hatten und das Schöne noch immer dem Wahren gleichgestellt wurde, blieben Museen tatsächlich ein Ort der inneren Einkehr, der Musen, und damit so etwas wie ein Tempel. Dieser Essay möchte Reflektionen über die Frage bieten, inwieweit der Erste Weltkrieg einen Einfluss auf Museen, insbesondere Kriegsmuseen, hatte, wobei Museen nicht einfach als Institutionen betrachtet werden, sondern im Hinblick auf ihr oben genanntes Gefüge von Funktionen. Im Mittelpunkt stehen die Museen zur Zeit des Krieges, aber es wird auch die Rolle der Museen bei der Erinnerung an den Krieg und seiner heutigen Darstellung reflektiert. Kurz gesagt geht es um die Entwicklung von Museen im Ersten Weltkrieg zu Museen über den Ersten Weltkrieg.

Museen im Ersten Weltkrieg Als im August 1914 in Europa der Krieg ausbrach, war den Menschen bewusst, dass es sich dabei um das größte Ereignis seit der Niederlage Napoleons ein Jahrhundert zuvor handelte. Die historische Bedeutung war offenkundig. Wenn sich auch niemand vorstellen konnte, wie lang dieser Krieg dauern und welche Veränderungen er mit sich bringen würde, so spürten die Leute (und nicht nur die Elite) in den weiter entwickelten Teilen Europas doch, dass sie eine historische Zeit erlebten, die Karl Kraus satirisch als Die letzten Tage der Menschheit bezeich34  I  John Horne

nete. Ein großer Teil der jungen Männer war einberufen worden. Millionenheere rückten zum Einmarsch oder zum Gegenangriff an. Die blutigsten Kämpfe fanden zu Beginn des Krieges statt – Frankreich hatte fast ein Viertel seiner Kriegstoten bereits Ende 1914 zu beklagen, und die Zahlen auf deutscher Seite waren ähnlich. Das normale Leben, und damit auch das der Museen, kam zum Erliegen. Schon die ersten Kämpfe wirkten sich auf die Museumsarbeit aus. Regimentsflaggen und Kriegsbeute, vor allem Waffen, die den Gegnern abgenommen worden waren, wurden als „Kriegstrophäen“ ausgestellt. Dieser Ritus ist als Zeichen des Sieges zu verstehen und geht auf die Antike zurück. Der Titusbogen in Rom zeigt, wie jüdische Reichtümer nach dem Fall Jerusalems im Jahr 70 n. Chr. in einer Prozession durch das Siegestor getragen wurden. Die seit der Französischen Revolution verbreitete Zurschaustellung gegnerischer Fahnen wurde 1914 von beiden Seiten betrieben  ; in Frankreich wurden die erbeuteten deutschen Fahnen und Waffen im Musée de l’Armée (im Hôtel des Invalides) präsentiert. Natürlich waren es die Armeen, die das Material sammelten, aber das erbeutete Kriegsgerät zierte die Museen und half später bei der Gründung neuer Kriegsmuseen wie dem Imperial War Museum. Im Februar 1915 wandelte das Musée de l’Armée seine Ehrenhalle in eine Halle (deutscher) Kriegstrophäen, die von den Besuchern förmlich überrannt wurde.4 Und noch eine weitere alte Praxis – die der Verwüstung des gegnerischen Territoriums – erfuhr eine neue Bedeutung. Hatte die Abscheu vor einem Sakrileg religiösen Gebäuden und sakraler Kunst noch einen vagen Schutz geboten (wenn auch offensichtlich nicht im alten Jerusalem), so hatte sich mit der Säkularisierung im 19. Jahrhundert die Vorstellung verbreitet, dass jedes Volk oder jede Nation über Kulturgüter wie Museen und Denkmäler verfügte, die gemeinsam mit der Religion ihr kulturelles Erbe bildeten. Die von den Großmächten unterzeichnete Haager Landkriegsordnung von 1907 legte fest  : „Jede Beschlagnahme, jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung von […] geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft ist untersagt und soll geahndet werden.“5 Auch die Zerstörung von Kulturgütern konnte damit ein Kriegsverbrechen darstellen. Im Nachhinein gesehen war das Konzept vom Respekt der Kulturgüter des Gegners ein frühes Opfer der Kriegsführung des 20. Jahrhunderts. Trotzdem sollte nicht verkannt werden, welch feste Überzeugung der internationalen Vertreter einer liberalen und humanitären Einstellung vor 1914 hier zum Ausdruck kam. Diese Überzeugung machte den Schock, als der Krieg ausbrach, umso größer. Eine Reihe von Ereignissen während der Invasion in Belgien und Frankreich im August und September 1914 – vor allem die vorsätzliche Inbrandsetzung der Universitätsbibliothek von Löwen, bei der wertvolle mittelalterliche Handschriften, Inkunabeln und Rara-Bestände verloren gingen, und der Beschuss der Kathedrale von Reims, bei dem der Dachstuhl in Flammen aufging – entfesselten einen Sturm der Entrüstung über den ganz bewussten Angriff der deutschen Regierung und Armee auf die Werte der „Zivilisation“. Die Kathedrale von Reims war nicht nur eine Schatzkammer für mittelalterliche Skulpturen und Buntglasfenster, sondern auch der Ort, an dem traditionell die französischen Könige gekrönt worden waren. Als Ende 1914 der spätgotische Belfried des Rathauses von Arras und die wunderschönen, aus dem 13. Jahrhundert stammenden Tuchhallen in Ypern Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen   

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zerstört wurden, war die wahre Schuldige die schwere Artillerie von beiden Seiten – oder auch der Krieg selbst, jedenfalls nicht der Feind. Doch die Anschuldigungen der Alliierten gegenüber Deutschland gingen weiter und provozierten die berüchtigte Reaktion der 93 Künstler und Intellektuellen, die den Aufruf an die Kulturwelt unterzeichneten, mit dem sie den Vorwurf der Gewalttaten gegenüber Zivilisten und der Kulturvernichtung während der Invasion in Belgien zurückwiesen. Der Erste Weltkrieg war ein Kulturkrieg zwischen rivalisierenden Vorstellungen von „Zivilisation“, bei dem eben die Werte seiner Protagonisten aufs Spiel gesetzt wurden. In diesem Fall verkörperten eine Bibliothek (in Löwen) und eine Kathedrale (in Reims) den Streitpunkt. Aber Museen waren ein wesentlicher Bestandteil des betroffenen kulturellen Erbes, und etliche wurden an der Westfront zerstört. Andere sahen sich gezwungen, ihre Sammlungen zu schützen.6 Die Sammlung des Louvre wurde vorsorglich nach Toulouse evakuiert.7 Das British Museum versah sein Dach mit Kennzeichen, um die deutschen Zeppeline auf die bedeutsamen Stücke darin aufmerksam zu machen, bevor diese sicherer in Kellergewölben verwahrt wurden, wie es im Zweiten Weltkrieg Praxis wurde.8 Eine besondere Rolle kam Museen auch dabei zu, für die kulturellen Werte zu werben, um die sich der Krieg drehte. In Frankreich zum Beispiel wurde die Entrüstung über die Zerstörung von Gebäuden und Statuen an der Westfront mit einer Ausstellung beschädigter Kunstwerke im Petit Palais Ende 1916 zum Ausdruck gebracht.9 Wie Christina Kott aufgezeigt hat, beantwortete Deutschland den Vorwurf des Vandalismus mit der Einrichtung des „Kunstschutzes“, einer Institution zum Schutz der Denkmäler an allen deutschen Fronten, wobei einige dieser Denkmäler nun einem erweiterten deutschen Kulturerbe zugeschrieben wurden.10 Doch dies war erst der Anfang. Der Erste Weltkrieg wurde an der Westfront im Spätherbst 1914, im folgenden Sommer auch an der Ostfront und an der österreichisch-italienischen sowie der mazedonischen Front von Beginn an zu einem Stellungskrieg. Gegen alle Erwartungen kam es zu einer Pattsituation. Im Herbst 1914 geschah es, dass die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Vorstellungen von einem menschengemachten Krieg brutal mit der Wirklichkeit der industriellen Kriegsführung des 20. Jahrhunderts konfrontiert wurden. Ein Angriff der Infanterie konnte wenig gegen die enorme Feuerkraft ausrichten, die mit der Mechanisierung und Industrialisierung seit 1870 entwickelt worden war, deren Ausmaß aber nur wenige verstanden hatten. Hochexplosive Granaten zerfetzten Menschen und pulverisierten Gebäude, Maschinengewehre zogen Feuergürtel über die Schlachtfelder, und Luftstreitkräfte griffen die Soldaten und Zivilisten auch von oben an. Zusammengenommen veränderten sie die Bedingungen des Krieges dramatisch, und in der Folge wurde vor allem die Verteidigung verstärkt. Die logische Reaktion war, Schützengräben in offenem Gelände auszuheben, womit es zum Grabenkrieg kam. Doch jedes Mal, wenn eine Seite versuchte, den Stellungskrieg durch einen Angriff aufzubrechen, wurde so das tödliche Ungleichgewicht der offensiven Kriegsführung wiederhergestellt. Natürlich waren festgefahrene Stellungen nichts Neues in der Militärgeschichte, aber in früheren Belagerungen verteidigte die eine Seite die Stadt oder Festung, während die andere Seite versuchte, sie anzugreifen oder auszuhungern. Die neue Form des 36  I  John Horne

Stellungskrieges war ganz anderer Art. Beide Seiten verteidigten und griffen an, nicht nur an der Westfront, sondern auf dem gesamten Kontinent. Europa selbst befand sich im Belagerungszustand, und die Anstrengungen aller Lager, die jeweils andere Seite vom Nachschub der Versorgung abzuschneiden, wirkten sich auch auf die Weltwirtschaft aus. Auf lange Sicht trugen natürlich neue Technologien und Strategien, die die Feuerkraft mit Panzern, Flugzeugen und weiterentwickelter Artillerie erhöhten, aufgrund der überlegenen wirtschaftlichen Voraussetzungen zum Sieg der Westalliierten bei, wenn auch nicht zu dem erstrebten „totalen“ Sieg. Doch um dieses Ziel zu erreichen, mussten die Nationen und Reiche vollkommen neue Wege zur Unterstützung des wirtschaftlichen und industriellen Aufwands beschreiten, der allein die siegreiche Wende auf dem Schlachtfeld bringen konnte. Im nicht enden wollenden Stellungskrieg wurden die psychologische Standhaftigkeit der Bevölkerung und die Unterstützung und Legitimität ihrer Regierung zu den letzten Ressourcen der Krieg führenden Länder. Mit Russland 1917, Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich 1918 und schließlich Deutschland waren es die schwächsten und der am stärksten unter Druck gesetzte Staat, die daran zerbrachen. Aber auch die Siegermächte zahlten mit über zehn Millionen Gefallenen einen enormen Preis. Kollektive Trauer befiel Europa im Jahr 1914 und in den folgenden Jahrzehnten. Die Herausforderung für die Museen – oder mehr für die Impulse und Funktionen, die sie mit weiten Teilen der Gesellschaft teilten – war groß. Die wechselseitige Belagerung Europas erschuf eine neue Welt – die Welt der „Front“. Vor dem Herbst 1914 war die „Front“ ein technischer Begriff, der die vordere Linie einer militärischen Einheit oder eine Verteidigungslinie bezeichnete und allgemein nicht geläufig war. Im europäischen Stellungskrieg wurde die „Front“ zum Trennbereich, wo zwei aus Schützengräben heraus verteidigte Frontlinien sich gegenüberstanden – und dazwischen das, was die Briten seitdem „No Man’s Land“ nennen. Dahinter verliefen die Transport- und Versorgungswege, die von Kinos und Unterkünften der ausruhenden Truppen bis zu Schienenköpfen, Waffendepots, Flugplätzen und Werkstätten reichten. An der Front wurde der Versuch unternommen, die Stellung mit wiederholten, in den meisten Fällen erfolglosen Angriffen aufzubrechen. Hier wurde das Schicksal jedes Reiches besiegelt, und hier lebten und starben die Soldaten. Bezeichnenderweise wurde mit dem Begriff „Front“ in allen Krieg führenden Ländern ein und dasselbe Wort verwendet. Sich ein Bild von der Front zu machen und sie zu begreifen, war die kulturelle Schlüsselaufgabe in diesem Krieg. Es bedeutete nichts weniger, als den Wandel in der Kriegsführung selbst zu erfassen, denn der war mit dem Sinn des Krieges, dem Bild des Gegners und dem Ziel des Sieges untrennbar verbunden.11 Die „Front“ und die sie unterstützende „Heimatfront“ brachten eine in ihrer Verschiedenheit und Neuartigkeit verblüffende Vielzahl von Gegenständen hervor. Ein Großteil davon, so auch das Kriegsgerät, wurde in von den Kämpfen weit entfernten Fabriken hergestellt. Andere jedoch wurden von den Soldaten an der Front handgefertigt. Sie reichten von improvisierten Waffen wie Messern und Knüppeln bis hin zur sogenannten „Schützengrabenkunst“ – Ringe, Glücksbringer, Kruzifixe und sogar Musikinstrumente, die aus den Trümmern des Schlachtfelds hergestellt wurden (Abb. 1). Der Krieg führte auch zu einer Flut von Druckerzeugnissen, Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen   

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Abb. 1  : Kreuz aus Waffenteilen aus der Sammlung des Historial de la Grande Guerre

von Pamphleten und Grabenzeitungen bis hin zu regulärer Presse, Illustrierten und Postkarten. Papiergewitter war der Ernst Jüngers In Stahlgewittern aufgreifende Titel einer Ausstellung zu diesem Phänomen in Paris 2008. Im Ersten Weltkrieg erreichte die Kultur der Druckmedien ihren Höhepunkt, bevor sie durch das Radio und das Kino, die die Massenmedien im Zweiten Weltkrieg dominierten, in den Hintergrund gerückt wurde  ; die Bedeutung des Kinos war jedoch schon 1914–18 erkennbar.12 Die enorme Produktion machte auch die Notwendigkeit deutlich, den Krieg als ein Epoche machendes Ereignis zu erklären, während er noch andauerte. Das Sammeln, Deuten und Ausstellen war dabei keine Luxusbeschäftigung, sondern ein Erfordernis. Museen sahen sich wie nie zuvor damit konfrontiert, die Gegenwart – nicht die Vergangenheit – dokumentieren zu müssen, und zwar – angesichts des Massensterbens – mit Blick auf die Zukunft. Seit den ersten Trophäenschauen gingen Sammeln und Ausstellen Hand in Hand. Von Soldaten an der Front und Einzelpersonen in der Heimat bis hin zu Waffenkammern und Militärmuseen breitete sich eine wahre Sammelwut aus, als die Menschen versuchten, die Welt im Krieg zu begreifen. Dafür bot sich auch die erstarrte Front selbst an. Als eine Erweiterung der urbanen und industrialisierten Gesellschaft, durch die sie geschaffen wurde, konnte die Front fast nach Belieben besichtigt, erforscht, nach Objekten durchkämmt, dokumentiert, fotografiert, gemalt und kategorisiert werden.13 Soldaten sammelten ihre eigenen Trophäen – Helme und Regimentsknöpfe des Gegners – und schickten Fragmente von der Front und auch ihre Grabenkunst nach Hause. Ausstellungen an der Heimatfront wurden organisiert, um die neuen Gegebenheiten des Krieges zu vermitteln und um patriotische Unterstützung für die Sache der Nation oder des Reiches zu gewinnen – oft in Form von Spendenaktionen für Soldaten und Kriegsopfer, also 38  I  John Horne

Abb. 2: Henri Dangon, Ausstellungsplakat des Salon des Armées im Tuilerien-Park, 1916

Gefangene, Verwundete oder Flüchtlinge. In Deutschland organisierte das Rote Kreuz Wanderausstellungen mit nachgebauten Schützengräben, in denen die Besucher in eine Scheinwelt von Stacheldraht und Unterständen eintreten konnten. Sie konnten dort sogar mit dem Kauf von Munitionssplittern ihre eigene Sammlung erweitern – wenn auch das preußische Kriegsministerium die Ausstellung blutbefleckter Exponate untersagte.14 Auch die Briten versuchten, die physische und mentale Distanz durch Nachbildungen zu überbrücken. Mit größtem Aufwand verwandelten Soldaten im Oktober 1918 den Trafalgar Square mit Tonnen von Sand und Erde in ein kleines Stück Front, um mit einer Spendensammlung für Munition die „Feed the Guns“-Kampagne zu unterstützen.15 Es mag daran gelegen haben, dass der Krieg auf ihrem eigenen Boden stattfand, dass die Franzosen keinen Gefallen an solchen Nachbildungen fanden. Doch wie die anderen Krieg führenden Länder veranstalteten auch sie unzählige Ausstellungen zur Dokumentation der Front mit einem eigenen Platz für Fotografien, Gemälde und Zeichnungen. Es gab zwei viel beachtete Schauen französischer und alliierter Fotografien in Paris, die alle Fronten umfassten. Wie auch in London, Berlin und anderen Städten stellten zahlreiche Galerien die Werke von Kriegsmalern und Soldatenkünstlern aus. Im Winter 1916/17 wurden in der Ausstellung Salon des Armées im Jeu de Paume im Jardin des Tuileries ausschließlich Werke von Frontsoldaten gezeigt (Abb. 2).16 Andere Ausstellungen umfassten weitere Themen wie den Luftkrieg, den Einsatz der Kriegsgeräte und, besonders in Großbritannien, den Seekrieg. Ende 1917 veranstaltete die französische Regierung eine Ausstellung mit dem Titel Souvenez-vous  ! („Erinnert Euch  !“), welche die Erinnerung an die deutschen Verbrechen seit 1914 am Leben halten sollte. Sie bestand aus Fotografien, Zeichnungen und Dokumenten und ging nach ihrer Eröffnung in Paris als Wanderausstellung durch die Provinzen.17 Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen   

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Eine systematische Analyse dieser Ausstellungen in den Hauptstädten des kriegsumtosten Kontinents könnte aufzeigen, wie die Europäer die „Welt der Front“ sahen, die sie selbst geschaffen hatten18 und inwieweit die Künstler im fortwährenden Krieg in der Lage waren, die Diskrepanz zwischen dem Krieg in der Vorstellung der Menschen und der bitteren Wirklichkeit zu erfassen. Der französische Kritiker Robert de la Sizeranne fasste es 1918 in einem Essay mit dem Titel „La nouvelle esthétique des batailles“ auf folgende Weise zusammen  : „Heute sind Schlachten gigantisch, unendlich und ungestalt. Niemand sieht mehr, wie sie sich auf dem Gelände entwickeln […]“ Seine Frage war, wie diese neue Wirklichkeit dargestellt werden könnte.19 Auffällig an der Kunst von der Front ist der – vor allem im späteren Verlauf des Krieges – geringe Stellenwert traditioneller Schlachtengemälde mit ihrer erhobenen Perspektive und der ästhetisierten Darstellung der Heeresführung. Eine Ausnahme bildet das Bild eines berühmten Angriffs einer kanadischen Division bei Courcelette in der Schlacht an der Somme 1916. Dabei handelte es sich jedoch um eine Auftragsarbeit, die einem Nationalepos verpflichtet war (Abb. 3). Tatsächlich war das Hauptthema sowohl der Soldatenkünstler als auch der vielen offiziellen Künstler die fragmentarische Natur der Front  : Die Blicke auf den Feind waren flüchtig, die Schlachtfelder leer. Der Tod, meist durch Artilleriefeuer, war in die Ferne verbannt. Es blieben Mondlandschaften mit spärlich eingesprengten menschlichen Gestalten. Das Ziel der französischen Künstler en mission, die 1916 wieder eingesetzt wurden, war es, „die Atmosphäre an der Front“ einzufangen.20 Die größten Schrecken des Krieges wurden der Öffentlichkeit in keinem Land gezeigt, auch Themen wie Meutereien wurden ausgelassen.21 Bei den Ausstellungen der „British Artists at the Front“ 1918 wurde der Krieg jedoch nur wenig ruhmreich dargestellt, wenn auch natürlich nicht abgelehnt. Ironisch drückt es der offizielle Kriegsmaler Paul Nash aus  : We are Making a New World. Der Schweizer Künstler Félix Vallotton, der sich freiwillig zur französischen Armee gemeldet hatte, fand als offizieller Künstler 1917 mit seinem Gemälde eines gigantischen Soldatenfriedhofs an der Marne einen anderen Weg, das Ausmaß des Sterbens darzustellen (Abb. 4). Sonderausstellungen zum Krieg erforderten einen großen Dokumentationsaufwand, auch hinsichtlich offiziell in Auftrag gegebener oder angekaufter Werke. Einen noch größeren Anstoß für den Prozess des Sammelns gaben jedoch das schiere Ausmaß der vom Krieg hervorgebrachten Objekte und Druckerzeugnisse sowie der Glaube, dass erst in Zukunft die Geschichte des Krieges geschrieben und seine Bedeutung vollständig erfasst werden könnte. Viele etablierte Museen und Bibliotheken beteiligten sich auf lokaler wie auf nationaler Ebene an dieser Bemühung. Militärmuseen wie das Musée de l’Armée, die als wachsende Ansammlung von Kriegstrophäen konzipiert waren, fügten ihren Sammlungen nun auch Ausrüstungen verbündeter Armeen hinzu und kauften Kunstwerke an.22 Staatsministerien und Propagandastellen sowie die Einheiten für Film und Fotografie der Armee und der Marine produzierten allesamt Dokumente für ihren Kriegsbedarf, darunter Literatur und Kunstwerke. Eine der größten Sammlungen zur „Kriegs-Kunst“ in Großbritannien wurde vom Wellington House, der Propagandastelle des Foreign Office, zusammengetragen.23

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Abb. 3: Louis Weirter, Die Schlacht von Courcelette, 1918

Abb. 4: Félix Vallotton, Der Soldatenfriedhof von Châlons-sur-Marne, 1917

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Doch die Neuheit des Ersten Weltkriegs in museografischem Sinne bestand in der Entstehung großer, neuer Sammlungen und schließlich in mehreren Ländern auch von Museen, die sich mit dem Konflikt befassten. Am bekanntesten sind diejenigen, die Susanne Brandt in ihrer Pionierarbeit treffend memory-makers genannt hat, das heißt das Imperial War Museum (IWM) in London, die Leblanc-Sammlung in Paris und die Franck-Sammlung in Berlin sowie später die Weltkriegsbücherei in Stuttgart, die einzige aus einer Reihe solcher Einrichtungen in Deutschland, die auch den Zweiten Weltkrieg überstanden hat.24 Ohne hier weiter auf ihre Geschichte einzugehen, möchte ich nahelegen, dass diese drei großen Institutionen nicht nur an sich bedeutsam sind, sondern ein Teil ihrer Bedeutung darin liegt, wie sie die Funktionen und Impulse derjenigen Museen widerspiegeln, von denen weiter oben die Rede war. Erstens, das Sammeln  : Wenn auch Unterschiede zwischen den einzelnen Einrichtungen bestanden (das IWM stand mit seiner Waffenkammer einem Militärmuseum am nächsten), so stimmten doch alle darin überein, dass die Dokumentation dessen, was sie als Volkskrieg betrachteten, sowohl Druckerzeugnisse als auch materielle Zeugnisse und Kunstwerke umfassen müsste. In ihrer doppelten Eigenschaft als Museum und Bibliothek hallte die funktionelle (oder institutionelle) Ambivalenz des 19. Jahrhunderts nach. Dies lag jedoch nicht auf der Hand, sondern es brauchte das Engagement bemerkenswerter Persönlichkeiten, des Pariser Industriellen Henri Leblanc und seiner Frau Louise sowie des Berliner Kaffee-Unternehmers Richard Franck, um die französische und die deutsche Sammlung zu Beginn des Krieges aufzubauen. Sie waren mit Handelsmessen vertraut und sahen daher Objekte und Druckerzeugnisse als gleichwertig an, ohne Kunstwerke oder sogenannte Ego-Dokumente zu vernachlässigen. Krieg wirkt sich zugunsten des Außergewöhnlichen aus. Gleichwie die industrielle Mobilisierung Führungspersönlichkeiten neuen Stils verlangte – Albert Thomas, Lloyd George und Walther Rathenau waren ungewöhnliche Besetzungen für die Rüstungsministerien –, so waren das Ehepaar Leblanc und Richard Franck als Sammler ebenfalls Außenseiter, die in ihrer Sammelleidenschaft auch Experten zu Rate zogen. Gleichzeitig entsprachen sie auch der klassischen Figur des Unternehmers des 19. Jahrhunderts, der sich vom Privatsammler zum Wohltäter für die Allgemeinheit wandelte.25 Die Ursprünge des Imperial War Museum waren anderer Art und wurden durch die fehlende militärische Tradition im Sinne einer allgemeinen Wehrpflicht in der Vorkriegszeit bestimmt. Es gab kein Militärmuseum, und wenn auch zahlreiche regionale Museen und Bibliotheken Materialsammlungen anlegten und Ausstellungen zeigten, so gab es doch keine vergleichbare Sammlung wie die der Leblancs oder Francks, bis im Frühjahr 1917 die Regierungskoalition Lloyd Georges das National War Museum Committee (NWMC) einberief. Daraus entwickelte sich ein Jahr später das IWM.26 Nach seiner Einrichtung zeigte auch das NWMC eine wahre Sammelwut  ; es konnte aber auch auf Staatsorgane zurückgreifen und so eine Sammlung begründen, die in einem frühen Bericht folgendermaßen beschrieben wurde  : [E]ine Dokumentation und ein Denkmal des Krieges zur See und zu Lande in allen Teilen der Welt, [der] Aufstellung, Ausrüstung und Verlegung der Armeen, der Rüstungsproduktion in

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der Heimat, […] der Leistungen der Frauen und allgemein aller vom Krieg hervorgerufenen Aktivitäten.27

Das Komitee erstellte eine Sammlung zur „Kriegs-Kunst“ sowie eine Dokumentation der Frauenarbeit und durchkämmte die Front nach Ausstellungsmaterial.28 Im Oktober 1917 notierte die Times  : „An einem urigen Platz einige Meilen hinter der Kampflinie werden viele interessante Relikte berühmter Schlachten und Anschauungsmaterial zum täglichen Leben in den Schützengräben aufbewahrt, die zu gegebener Zeit im National War Museum ausgestellt werden sollen.“ Das beinhaltete gegnerische Fahnen, Uniformen und Waffen von den wichtigsten britischen Frontabschnitten.29 Es war kein Zufall, dass die britische Regierung das NWMC 1917 einberief, gerade als die französische Regierung die Leblanc-Schenkung angenommen und die Bibliothèque-Musée de la Guerre gegründet hatte, die laut dem späteren Kultusminister André Honnorat sowohl eine „Werkstatt der Geschichte“ als auch ein „öffentliches Bildungswerk“ darstellen sollte.30 Diese Definition trifft auch auf das IWM zu. Beide Einrichtungen waren Teil einer „Kriegs-Remobilisierung“, mit der die britische und die französische Regierung auf die Kriegsmüdigkeit und die Strapazen der Kämpfe 1917/18 reagierten.31 Um neue Kräfte für das, was Clemenceau „die letzte Viertelstunde“ nannte, zu wecken, musste der nationale Kraftakt in einem Volkskrieg in seiner Gesamtheit dargestellt werden. Dies erforderte einen neuen Ansatz des Sammelns und einen neuen Typus von Museen. Zweitens, der Zweck des Sammelns  : Alle drei Institutionen waren fest in den Krieg eingebunden, der patriotische Unternehmung und nationaler Epos war. Gewiss lieferte das IWM mit Ausstellungen am Trafalgar Square 1918, darunter eine zur „Frauenarbeit“, eine andere zu den „Erfahrungen im Schützengraben“, auch Argumente in eigener Sache.32 Allerdings stellten alle drei Sammlungen die Erfahrungen der einfachen Bürger und insbesondere der Frontsoldaten in den Vordergrund. Dies ist auch der Grund für das enorme Ausmaß, in dem das Sammeln stattgefunden hat. Richard Franck beispielsweise, Großindustrieller und Gründer der Weltkriegsbücherei, betrieb die beinahe mystische Überhöhung des Fronterlebnisses als nationale Inkarnation.33 Das Ehepaar Leblanc stellte die umfassendste Sammlung der jeweils sehr kurzlebigen französischen Grabenzeitungen zusammen, ein Tribut an die poilus, wie die französischen Frontsoldaten genannt wurden. Ihrer gesamten Sammlung wurde später die Eigenschaft attestiert, „die Umstände des Alltagslebens während des Krieges [zu dokumentieren], in denen sich der Gemeinsinn und der Geist einer jeden Nation am besten zeigen“.34 So können die drei Museen als Teil einer kulturellen Demokratisierung angesehen werden, die eines der bedeutendsten Vermächtnisse des Ersten Weltkriegs war. Doch in Bezug auf die oben erwähnte dritte Funktion, den Impuls für die Ausstellung und Bildung, wird deutlich, dass es das Hauptziel aller drei Sammlungen war, den Krieg für die Nachwelt erfahrbar zu machen. Im Gegensatz zu vielen anderen Kriegsausstellungen arbeiteten sie hauptsächlich mit Blick auf die Zukunft, weshalb auch nach dem Krieg – sogar mit noch größerer Intensität – Objekte für die Sammlungen zusammengetragen wurden. Daher waren auch ihr offizieller Status und die dauerhafte Unterbringung in geeigneten Gebäuden Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen   

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so wichtige und spannungsgeladene Themen. Im Wesentlichen waren die drei Sammlungen als künftige Denkmäler zur Erinnerung an die kollektive nationale Kraftanstrengung erdacht. Das hebt einen letzten Aspekt hervor, der vor allem im Fall des IWM und vergleichbarer Ausstellungen in Australien und Kanada augenscheinlich ist. Als Denkmäler hatten die Museen das Potenzial zu mehr als nur künftigen Aufbewahrungsorten mit didaktischem Zweck. Sie waren Gedenkstätten für das beispiellose Leiden und Sterben und besonders für die kollektive Aufopferung der Soldaten. Darüber hinaus widmeten sie sich dem Sakralen, was ihren Kunstausstellungen eine besondere Bedeutung gab. Wie bereits beschrieben hielten die Museen insbesondere mithilfe der Kunst den Krieg als die Verfolgung einer heiligen Mission fest. Das britische Komitee sah vor, dass das künftige Kriegsmuseum um eine Ehrenhalle herum gebaut werden solle, die – „so reich und schön an Charakter, wie Künstler es erdenken können“– das Museum zu einem nationalen Kriegsdenkmal machen würde.35 Das lehnte die Regierung jedoch ab, und das Museum bezog schließlich 1920 eine (unangemessen) bescheidene Unterkunft in dem für die erste Weltausstellung 1851 errichteten Crystal Palace (Abb. 5). Doch noch immer lag die Aura des Sakralen über dem Projekt. König Georg V. erklärte es in seiner Eröffnungsrede zu einem Denkmal für einen „demokratischen Sieg“ und „die Leistung einer Nation in Waffen“. Zweieinhalb Millionen Menschen besuchten das IWM im ersten Jahr.36 Ihre Trauer jedoch vollzog die Nation anderenorts – am Kenotaph in Whitehall, an regionalen Kriegsdenkmälern und den Friedhöfen der Westfront – und in einer symbolischen und der Opfer gedenkenden Weise, die sich von der dokumentarischen und didaktischen Art der Kriegsmuseen stark unterschied. Australien und Kanada hingegen, zwei aus Kolonien hervorgegangene Länder, in denen sich im Laufe des Krieges ein Nationalgefühl entwickelt hatte, errichteten Sammlungen mit sakraler Aura. Es waren zwei bemerkenswerte Persönlichkeiten, der Industrielle Max Aitken (Lord Beaverbrook) in Kanada und der Journalist Charles Bean in Australien, die – ähnlich wie die Leblancs oder Richard Franck, jedoch mit der Unterstützung ihrer Regierung – weitreichende Sammlungen an Kunst, Druckerzeugnissen und Artefakten des Krieges schufen, deren sakraler Charakter eindeutig war. Beaverbrook rief den Canadian War Memorials Fund ins Leben, um die kanadischen Leistungen in Gemälden festzuhalten, und es war eine weltliche Kathedrale geplant, um Werke aufzunehmen, die „eine Botschaft an die Zukunft […], ein Denkmal des Opfermuts und Heldentums“ darstellen sollten.37 Wie in Großbritannien fiel das Vorhaben anderen Trauerritualen zum Opfer, aber die Gemälde überlebten als eine Essenz des Nationalepos. Die australische Regierung entschied sich 1917 für ein Museum, das Beans Sammlung aufnehmen sollte und schließlich unter dem Namen Australian War Memorial eröffnet wurde. Bean wollte den Besuchern 1920 den Eindruck von einer „sakralen Gedenkstätte“ vermitteln.38 Das Gedenken spielte sich in Australien aber auch an eher symbolischen als funktionalen Denkmälern ab, wie beim „Schrein der Erinnerung“ (Shrine of Remembrance) in Melbourne, der rein rituell genutzt wurde (und wird).39 Allgemein präsentierten Museen im Ersten Weltkrieg die Gegenwart in einem neuen Rahmen, indem sie im Sinne der nationalen Sache und gegen den Feind mobil machten. Als sich Europa aber in einem Zustand kollektiver Grabenkämpfe festgefahren hatte, der sich letztlich 44  I  John Horne

Abb. 5: Die Heeresabteilung des Imperial War Museum im Crystal Palace, 1920

als Kern des Konflikts erwies, wurde es zur zentralen Herausforderung zu begreifen, was „die Front“ war. Dabei musste auch die Heimatfront erfasst werden, von deren Mobilisierung der Sieg abhing. Dies war keine geringe Aufgabe und erklärt die bemerkenswerten Bibliotheken-­ Museen des Ehepaars Leblanc, Richard Francks und der Gründer des IWM. Sie verstanden einen Krieg, in den ganze Gesellschaften einbezogen wurden, als einen Volkskrieg und sahen daher die Notwendigkeit, dass die Museen darauf mit einem ebenso allumfassenden Ansatz zu reagieren hätten. Diese drei Institutionen hatten jedoch kaum Distanz zum Kriegsgeschehen. Sie waren Akteure, keine unbeteiligten Zuschauer, und es gab vieles, das sie nicht zeigen konnten, selbst wenn es zu ihrem Sammlungsbestand gehörte. Noch entscheidender war jedoch, dass sie sich mit der Tatsache konfrontiert sahen, dass die Kosten des Krieges in keinem Verhältnis mehr zu seinen Ursachen standen und er weit mehr in Gang setzte, als er lösen konnte. Dies stellte den Sinn des Krieges infrage, vor allem, wenn dem Ergebnis des Krieges das Massensterben gegenübergestellt wurde. An diesem Punkt kam das Sakrale zum Tragen, und es erklärt, warum sogar in den Gesellschaften der sogenannten Siegermächte die Trauer und das Gedenken eher symbolische als didaktische Formen annahmen. Beaverbrook und andere bauten auf Gemälde, um die Kluft zu überbrücken. Möglicherweise war das Problem, dass die „KriegsKunst“ einerseits zu vielstimmig war, andererseits aber dennoch – zumindest öffentlich – zu Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen   

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viele Aspekte des Krieges unbeachtet ließ. Am Ende war es die Trost spendende Ästhetik der Bildhauerei, die das Sakrale der Kriegsdenkmäler ausmachte. Natürlich sind Objekte mnemonisch, und Museen können Erinnerungsorte und damit sakral sein. Doch scheint es, als würden sie in dieser Beziehung hinter Denkmälern zurückstehen.

Der Erste Weltkrieg in Museen Auch wenn ich bislang hauptsächlich Museen im Ersten Weltkrieg behandelt habe, möchte ich gerne dem Titel dieses Aufsatzes gerecht werden und einige kurze Überlegungen zu der Frage anstellen, wie sich die angesprochenen Funktionen und Impulse, die den Museen zugrunde liegen, nach dem Krieg auswirkten – und bis heute noch auswirken. Wie für den Krieg selbst bieten Museen auch hinsichtlich seines Vermächtnisses ein faszinierendes Prisma. In der Zwischenkriegszeit verblieben die aus den Kriegen hervorgegangenen Museen und Sammlungen weiterhin im Krieg, so wie auch der (stets allgegenwärtige) Krieg in den Museen verblieb. Dies ist angesichts der Folgen des Krieges – der Niederlage, der politischen Instabilität und der kollektiven Trauer – wenig erstaunlich. Für viele war der Krieg nicht zu Ende. Mehr noch als in den alliierten Staaten fristeten die Sammlungen zum Krieg in Deutschland ein Schattendasein, da die Erinnerung an die Niederlage und die Desillusionierung wenig erfreulich war. Dennoch nahm Richard Franck das Angebot an, die Sammlung der späteren Weltkriegsbücherei in Stuttgart aufzunehmen, die unter anderem zur Vorbereitung herangezogen wurde, um gegen die Deutschland zugesprochene Kriegsschuld vorzugehen. 1925 wurde hier die Ausstellung über die Kriegspropaganda des Auslandes veranstaltet, die von der nationalistischen Rechten als Haupterklärung für die Niederlage angesehen wurde. Spätere Veranstaltungen der Weltkriegsbücherei zeichneten ein positiveres Bild vom Krieg und deuten bereits auf die nationalsozialistische Zukunft hin.40 Im Gegenzug diente die Bibliothèque-Musée de la Guerre, die nun im Château de Vincennes untergebracht war, der Sache der Alliierten, die das Postulat der deutschen Kriegsschuld aufrechterhielten. Bei diesem Zusammenstoß der Kulturen von Siegern und Besiegten ist es hilfreich, auf das Musée Royal de l’Armée in Brüssel hinzuweisen, dessen wichtigste Galerie zum Ersten Weltkrieg der „Trophäenraum“ war. Dieser mit von den Deutschen zurückgelassenen Waffen gefüllte Raum wurde von dem Gemälde La Belgique mutilée („Die Verstümmelung Belgiens“, auch Les horreurs de la guerre) des Italieners Brignoli beherrscht, das ein Kind mit abgeschlagenen Händen auf einem Leichenberg zeigt (Abb. 6). Das Bild wurde schließlich nach Protesten von deutscher Seite entfernt. „Kriegsschuld“ war von immenser Bedeutung, da die moralischen und politischen Grundlagen der Nachkriegsordnung von ihr bestimmt wurden. Daher mussten sich auch Museen zu diesem Streitpunkt positionieren. Ausstellungen zum Krieg zeigten auch den weiteren ideologischen Kampf, der aus dem Krieg hervorgegangen war. In Italien wurde 1932 die zehnjährige Herrschaft des Faschismus mit der Ausstellung der faschistischen Revolution gefeiert, die die Jahre von 1914 bis 1922 um46  I  John Horne

Abb. 6: Salle des Trophées im Musée Royal de l’Armée mit Luigi Brignolis Gemälde Die Schrecken des ­Krieges

fasste und die Kriegserfahrung als Quelle der nationalen Erneuerung glorifizierte. In der Weimarer Republik hingegen war das berühmteste Kriegsmuseum ohne Zweifel Ernst Friedrichs pazifistisches Anti-Kriegs-Museum mit der Ausstellung und dem gleichnamigen Begleitbuch Krieg dem Kriege. Es war nicht einfach ein Museum gegen den Krieg, es war auch ein Anti-Museum, denn es verweigerte sich der Funktion der umfassenden Sammlungen der Kriegsmuseen. Stattdessen wurde im Interesse der pazifistischen Propaganda das Material ausgewählt, das zu Kriegszeiten nicht veröffentlicht werden konnte – und noch heute eine erschütternde Wirkung hat. Damit verurteilte es den Krieg selbst und prangerte die Kriegstreiber als die wahren Schuldigen an. Es wäre überraschend, wenn die erdrückende Realität der Front, die für die Museen die größte Herausforderung darstellte, und damit die Aufopferung der Soldaten nicht auch in anderen Museen als den drei hier untersuchten ihren Ausdruck gefunden hätte. Die lokalen Ausstellungen entlang der Frontlinien in Belgien, Frankreich und Italien sprachen die Veteranen und ihre Familien, die nun als Pilger oder Touristen kamen, vielleicht am direktesten an. Wenn die früheren Soldaten die verstaubten Objekte in dem kleinen Museum betrachteten, das der Engländer Leo Murphy 1928 in Ypern errichtete, oder wenn sie in die Dioramen sahen, in denen sich die verschwundenen Schlachtfelder wiederentdecken ließen, dann berührte sie die mnemonische Eigenschaft der Dinge und Orte wahrscheinlich in ihrem Innersten. Nachdem der Zweite Weltkrieg die politischen Ergebnisse des vorherigen Krieges zunichte gemacht hatte, kam der Geschichte der Veteranen die größte Bedeutung zu, vor allem Von Museen im Weltkrieg zu Weltkriegsmuseen   

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in den Ländern, in denen die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg am stärksten war, also in Frankreich, Großbritannien und den früheren britischen Dominions. Die letzte kollektive Geste der französischen poilus war die Eröffnung des Mémorial de Verdun 1967. Den Vorsitz über dieses als Denkmal wahrgenommene Museum hatte Maurice Genevoix inne, einer der großen Soldatenschriftsteller  ; finanziert und ausgestattet wurde es durch Spenden von Veteranen. Die Ausdrucksform und der Inhalt der Ausstellung sprachen für sich selbst. Das Museum wurde in Fleury-sous-Douaumont errichtet, dem Ort des weitesten Vormarsches der Deutschen bei Verdun, und seinen Mittelpunkt bildete ein sakraler Raum, der ein nachgebildetes Stück der Front zeigte. Es war von Kampfgegenständen umgeben, die Überlebende dem Museum überlassen hatten. Diese Mischung aus Stolz und der Überzeugung, dass solche Gräuel niemals wieder geschehen dürften, ging von Männern aus, die – wie ihr Museum – trotz des zeitlichen Abstands innerlich noch immer nicht aus dem Krieg zurückgekehrt waren. Vollkommen anderer Art ist dagegen das Historial de la Grande Guerre, das ich für einen abschließenden Vergleich der Darstellungen des Ersten Weltkriegs in modernen Museen heranziehen möchte. Die Bezeichnung „historial“ anstelle von „mémorial“ im Namen steht bereits sinnbildlich für den Unterschied. Natürlich kann ich nicht für alle Museen sprechen. Aber ich glaube, dass all jene Museen, die sich heutzutage mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen, diesen als Forschungsgegenstand nehmen, als Teil der Geschichte, nicht der Erinnerung oder Identität, und dass darum der Krieg heute in den Museen festgehalten ist, die Museen jedoch nicht mehr Teil des Krieges sind. Das 1992, genau ein Vierteljahrhundert nach dem Mémorial de Verdun eröffnete Historial ist ein gutes Beispiel, nicht zuletzt, weil es möglicherweise das einzige Museum des letzten Vierteljahrhunderts ist, das sich mit dem Ersten Weltkrieg in seiner Ganzheit, nicht mit einem Teilaspekt, einem besonderen Ort oder einer Schlacht befasst. Während für das Mémorial als Veteranenmuseum die Botschaft selbstverständlich war, so gilt für das Historial, dass alles rekonstruiert und erläutert werden muss.41 Trotz der Unterschiede zu den hier behandelten Museen gibt es auch einige irritierende Ähnlichkeiten oder zumindest bekannte Themen. Das erste ist das Sammeln  : Ein Museum zum Ersten Weltkrieg aufzubauen bedeutete, sich mit denselben Fragen zu befassen, mit denen sich auch die noch während des Krieges gegründeten Museen-Bibliotheken auseinandersetzten. Objekte, Druckerzeugnisse und Kunst waren gleich wichtig und wurden sowohl in den permanenten als auch in den temporären Ausstellungen gezeigt, während die Bibliothek die Forschungsarbeit der Museen unterstützte. Etwas anders verhält es sich mit der Frage nach dem Gebäude. Heutzutage beinhaltet die Gründung eines Museums normalerweise auch den Bau eines neuen beziehungsweise die spektakuläre Umgestaltung eines vorhandenen Gebäudes. Zum Teil ist das der modernen Museografie geschuldet, in der die Form des Museums die Ausstellungsarchitektur und ihren Eindruck auf das Publikum bestimmt. Das von Henri Ciriani entworfene Historial ist ein spektakuläres geschwungenes Bauwerk aus weißem Beton und glattem Holz, mit vier großen Galerien, mit denen sich jeweils verschiedene Funktionen verbinden. Im Gegensatz dazu wurden die weiter oben behandelten Museen in alte, ursprünglich zu anderen Zwecken errichtete Gebäude gezwängt – worin sich auch widerspiegelt, dass Monumente und Denkmäler, nicht 48  I  John Horne

Abb. 7/8: Der „Front“-Saal des Historial de la Grande Guerre in Peronne

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Museen, nach 1918 an erster Stelle standen. Da jedoch das Publikum die Erinnerung an den Krieg noch in sich trug, konnten die Objekte, Gemälde und Dioramen das vor kurzem Erlebte wieder wachrufen. Das Gegenteil trifft für heutige Besucher zu, die den Krieg nur über das Museum erfahren. Die Museografie des Historial schafft darum einen stilisierten Raum, der darauf hindeutet, dass die Welt der Front, und ihre Verbindungen zur Heimatfront, die zentrale Wirklichkeit des Krieges war (Abb. 7). Ein weiterer Gegensatz betrifft den Zweck des Sammelns und die Erläuterungsmuster. Das Imperial War Museum, die Bibliothèque-Musée de la Guerre und die Weltkriegsbücherei hatten alle das Ziel, den Krieg in seiner Gesamtheit zu erfassen. Sie waren jedoch auch Teil einer nationalen Mobilisierung, die auch die Dokumentation des „Feindes“ beinhaltete, und blieben in ihren nationalen Erfahrungen verankert. Das Historial nimmt explizit eine transnationale Perspektive ein, aus der gleichermaßen Großbritannien, Frankreich und Deutschland in den Blick genommen werden. Wenn es auch keine globale Perspektive einnimmt, so doch mit Sicherheit eine europäische. Dieserart Stellung zu beziehen macht es unmöglich, die Sprache jener Zeit, die Rede von Heldentum und Patriotismus, als etwas anderes denn als einen Forschungsgegenstand zu betrachten. Die dazu nötige Distanz schafft das Historial, indem es die Horizontalität von Leben und Tod an der Front, und damit eine allgemeine menschliche Misere, unterstreicht (Abb. 8). Bedeutet diese Sachlichkeit, dass es für das Sakrale, und damit für das Schöne, keinen Platz mehr gibt  ? Kunstwerke werden im Historial ausgiebig als – oftmals bewegende – Dokumente ausgestellt. Doch im Mittelpunkt des Museums steht ein Platz der Einkehr, in dem riesige fotografische Porträts von Zeitgenossen des Krieges auseinandergerissen werden (in Anspielung auf den Krieg), um so den Blick auf Vitrinen freizugeben, die eines der wenigen Exemplare von Otto Dix’ Radierzyklus Der Krieg von 1924 enthalten, einer Folge, die ich nicht als Einziger als modernes Äquivalent von Goyas Schrecken des Krieges ansehe. Die Verwendung des Werkes von Otto Dix, das irgendwo zwischen den Ausstellungen zur „KriegsKunst“ in der Zeit des Krieges und Ernst Friedrichs erschütternden Anti-Kriegs-Bildern steht, erhebt das Historial ganz bewusst über das Dokumentarische und das Didaktische. Ist es die Rückkehr des Sakralen  ? Zumindest legt es nahe, dass auch das modernste Museum dem Krieg noch nicht vollkommen zu entkommen vermochte. Übersetzt von Johannes Kreimeier

Anmerkungen 1 Marie Bourke, The Story of Irish Museums 1790–2000. Culture, Identity and Education, Cork 2011, 3–24. 2 Tom Stammers, „The bric-à-brac of the Old Régime  : Collecting and Cultural History in Post-Revolutionary France“, in  : French History, Bd. 22, 3/2008, 295–315. 3 Sarah Longair u. John McAleer (Hrsg.), Curating Empire  : Museums and the British Imperial Experience, Manchester/New York, 2012.

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4 François Lagrange, „La Grande Guerre au Musée de l’Armée“, in  : Sylvie Le Ray-Burini (Hrsg.), Vu du front. Représenter la Grande Guerre, Ausst.-Kat. Musée de l’Armée, Paris 2014, 136–140. 5 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs [Haager Landkriegsordnung], 18. Oktober 1907, RGBl. 1910, 107–151, Artikel 56. Siehe hierzu auch John Horne u. Alan Kramer, German Atrocities, 1914  : A History of Denial, New Haven/London 2001, 204–225. 6 Christina Kott, „L’Entrée en guerre  : des monuments et des musées menacés“, in  : Christina Kott [u. a.], Sauve qui veut, 1914–1918  : des archéologues et des musées mobilisés, Douai 2014, 65–80. 7 Vgl. den Beitrag von Arnaud Bertinet im vorliegenden Band. 8 Z. B. die Zerstörung der Abbaye de Saint-Vaast in Arras, die das Museum, die Bibliothek und das Archiv der Stadt beherbergte. Zum British Museum siehe Gaynor Kavanagh, Museums and the First World War. A Social History, London/New York 1994. 9 Henri Lavedan, „Les Grandes Heures (Le cri et les larmes des choses)“, in  : L’Illustration, Nr. 3847, vom 25.11.1916, 487f. u. 505 (Fotografien). Dort wurde im Mai 1915 bereits eine Ausstellung der aus der Kathedrale von Reims geretteten Gobelins und weiterer religiöser Kunst aus beschädigten Kirchen veranstaltet. Vgl. Delphine Lauwers, Le Saillant d’Ypres entre reconstruction et construction d’un lieu de mémoire. Un long processus de négociations mémorielles, de 1914 à nos jours, Univ.-Diss., betreut von Heinz-Gerhard Haupt, European University Institute, Florenz, 2014. 10 Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi  ? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel 2006. 11 John Horne, „Le Front“, in  : Le Ray-Burini 2014, 17–28. 12 Christophe Didier (Hrsg.), 1914–1918  : Orages de papier. Les collections de guerre des bibliothèques, Ausst.-Kat. Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Paris 2008. 13 Susanne Brandt, „The Memory Makers  : Museums and Exhibitions of the First World War“, in  : History and Memory, 1/1994, 95–122, hier 97. 14 Ebd., 104. 15 Lauwers 2014, 76. 16 Anonym, „La photographie de guerre“, in  : L’Illustration, Nr. 3810, vom 7.10.1916, 343  ; zur Fotoausstellung im Musée des Arts Décoratifs  : Anonym, „Au Salon des armées“, in  : L’Illustration, Nr. 3856, vom 27.1.1917, 80  ; Fernand Honoré, „La 2ème exposition des photographies de guerre“, in  : L’Illustration, Nr. 3899, vom 24.11.1917, 524. 17 Horne/Kramer 2001, 318f. 18 Für eine exzellente Übersicht über einen Aspekt der bildenden Kunst zur Zeit des Krieges siehe Richard Cork, A Bitter Truth. Avant-Garde Art and the Great War, New Haven/London 1994. 19 Robert de la Sizeranne, „La nouvelle esthétique des batailles“, in  : ders., L’Art pendant la guerre 1914–1918, Paris 1920, 221–265, hier 239. „Aujourd’hui, les batailles sont gigantesques, interminables et amorphes. Personne ne les voit plus se développer sur le terrain […]“. 20 Claire Maingon, „La Grande Guerre exposée à Paris, 1914–1918“, in  : Le Ray-Burini 2014, 113–122, hier 119f. 21 Thomas Weissbrich, „Dans les tranchées et dans l’atelier  : les peintres de guerre allemands“, in  : Le Ray-Burini 2014, 41–48, hier 46f. 22 Lagrange 2014, 136f. 23 Meirion Harries u. Susie Harries, The War Artists. British Official War Art of the Twentieth Century, London 1983, 5–8. 24 Brandt 1994, siehe hierzu auch ihre Dissertation.

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25 Valérie Tesnière, „Documenter la guerre  : les origines de la Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine“, in  : Le Ray-Burini 2014, 131–135  ; Gerhard Hirschfeld, „La Bibliothèque de la Grande Guerre de Stuttgart et ses collections“, in  : Didier 2008, 28–34. 26 Kavanagh 1994, 126–36. 27 Bericht des Komiteepräsidenten Sir Martin Conway an die britische Regierung, Juni 1917, in  : Kavanagh 1994, 130. („a record and memorial of the war by sea and land in all parts of the world, [of ] the raising, equipment and transportation of armies, of munition manufacture at home […] of the work of women and generally of all activities called forth by the war“). 28 Deborah Thom, „Making Spectaculars  : Museums and How We Remember Gender in Wartime“, in  : Gail Braybon (Hrsg.), Evidence, History and the Great War. Historians and the Impact of 1914–1918, New York/Oxford 2003, 48–66. 29 „A War Museum at the Front  ; Relics Tragic and Comic“, The Times vom 4.10.1917, zit. n. Lauwers 2014, 75. „In a quaint old place some miles behind the battle line are housed many curious relics from famous battlefields and illustrations of phases of daily life in the trenches, destined in due course to form part of the National War Museum.“ 30 Zitat des Kultusministers André Honnorat, der als Leiter der Einrichtung auch für die Akquisition verantwortlich war, in  : Tesnière 2014, 133. 31 John Horne, „Remobilizing for ‚Total War‘  : France and Britain, 1917–1918“, in  : John Horne (Hrsg.), State, Society and Mobilization in Europe during the First World War, Cambridge 1997, 195–211. 32 Kavanagh 1994, 140–143. 33 Hirschfeld 2008, 30. 34 Camille Bloch u. André Heurtret, Visite au château de Vincennes et au musée de la guerre, Paris 1931. 35 Eingabe an die Regierung, zit. n. Kavanagh 1994, 134. 36 Ebd., 149. 37 „Art and War. Canadian War Memorials. A Selection of the Works Executed for the Canadian War Memorials Fund“, London  : Canadian War Records Office, 1919, 15/16  ; Jonathan F. Vance, Death So Noble. Memory, Meaning and the First World War, Vancouver 1997, 140–147. 38 Jennifer Wellington, „Narrative as History, Image as Memory  : Exhibiting the Great War in Australia, 1917–1941“, in  : Longair/McAleer 2012, 109. „sacred and memorial nature“. 39 Ken Inglis, Sacred Places. War Memorials in the Australian Landscape, Melbourne 1998, insb. 82. Inglis fasst zusammen, dass das Australian War Memorial zwar „nicht vollkommen, weder schlicht noch herausragend [… ist], aber sicherlich ein würdiger Ort der Verwahrung sakraler Erinnerung, ein dem Geist des Anzac geweihter Tempel.“ 40 Hirschfeld 2008, 31. 41 Caroline Fontaine (Hrsg.), Les Collections de l’Historial de la Grande Guerre, Paris 2008  ; Jay Winter, „War Museums  : the Historial and Historical Scholarship“, in  : ders., Remembering War  : the Great War between Memory and History in the Twentieth Century, New Haven/London 2006, 222–237.

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Thomas Weißbrich

TRO P H ÄE N U N D TR I B UT Das Königliche Zeughaus zu Berlin während des Ersten Weltkriegs

Den Krieg, der in den krisenhaften Julitagen des Jahres 1914 als lokaler Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien begann und sich durch politisch-militärische Kettenreaktionen in kurzer Zeit zu einem internationalen, globalen Flächenbrand ausweitete, nahmen die Zeitgenossen schnell als ein epochales Ereignis wahr. Der Weltkrieg wich von allen bisherigen Kriegserfahrungen ab, er entwickelte sich zum ersten „totalen Krieg“, der sich nicht nur als militärisches Geschehen an verschiedenen Fronten zugleich abspielte, sondern mit seinen politischen und ökonomischen Auswirkungen auch bald die Zivilgesellschaften in hohem Maße einbezog.1 Eine Folge dieser kollektiv erfahrenen Ereignishaftigkeit war, dass der Krieg nicht erst, wie frühere militärische Konflikte, nachträglich von den Siegern durch Musealisierung und Historisierung ins öffentliche Gedächtnis überführt und dort fixiert wurde  : Durch Sammeln und Ausstellen begleiteten ihn alle Seiten von Anfang an.2 Die in staatliche oder private Museen gebrachten Objekte sollten das gegenwärtige Geschehen nicht nur veranschaulichen und deuten, sondern es zugleich dokumentieren und ein Reservoir für zukünftige Erinnerungsarbeit bilden. Die mit der aktuellen Musealisierung des Krieges verbundenen Aktivitäten des König­ lichen Zeughauses zu Berlin, ein Haus, das beispielhaft für den im späten 19. Jahrhundert in der Museumslandschaft etablierten Typ des Armeemuseums steht, beleuchtet der folgende Beitrag.3 Verbunden mit einer chronologischen Skizze werden Kontinuitäten und Zäsuren, Traditionen und Innovationen der Museumsarbeit während des Krieges umrissen sowie die neu entwickelten Ausstellungskonzepte und Museumspläne erörtert. Das Königliche Zeughaus zu Berlin war der Ort, an dem das Haus Hohenzollern die Geschichte seiner Herrschaft und die Geschichte der preußischen Armee als eine erfolgreiche Schlachten- und Kriegsgeschichte museal inszenierte. Auf Anregung Kaiser Wilhelms I. wurde das im frühen 18. Jahrhundert in der Nähe des königlichen Residenzschlosses erbaute und als Waffenkammer genutzte Gebäude 1877 zu einer „Ruhmeshalle der brandenburgisch-­ preußischen Armee“ und zu einem Waffenmuseum umgestaltet und war seit 1883 der Öffentlichkeit zugänglich.4 Das Erdgeschoss barg in seinen Räumen eine Sammlung von mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und modernen Geschützen, von Schlachtengemälden, Uniformfigurinen, Festungsmodellen und Schlachtfelddioramen. Die im oberen Stock des barocken Gebäudes eingerichtete „Ruhmeshalle“ bestand aus einer zentralen Herrscherhalle und zwei flankierenden Feldherrnhallen.5 Die Herrscherhalle war mit einer Viktoria aus Marmor, bronzenen StandDas Königliche Zeughaus zu Berlin  

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Abb. 1  : Zeughaus-Postkarte, um 1895

bildern der preußischen Könige sowie mit Wandgemälden geschmückt, die teils Allegorien wie Der Krieg und Der Friede, teils historische Szenen wie die Kaiserproklamation zu Versailles am 18. Januar 1871 zeigten. Die beiden Feldherrnhallen enthielten Büsten bedeutender Feldherrn und Wandgemälde zu deren siegreichen Schlachten. In weiteren Räumen des Obergeschosses waren Waffen, Rüstungen und Uniformen zu sehen, viele davon stammten aus persönlichem Besitz der Hohenzollern oder waren Kriegstrophäen. Der „Andenkenraum“ für Friedrich Wilhelm III. enthielt beispielsweise neben Hut, Rock und Waffen des preußischen Königs aus dem Befreiungskrieg 1813–15 auch die in der Schlacht bei Waterloo erbeuteten Waffen, Orden und den Hut Kaiser Napoleons I.6 Von besonderer Bedeutung waren die in diesen Kriegen eroberten gegnerischen Fahnen und Standarten, die, kunstvoll drapiert, als symbolisch aufgeladene Siegeszeichen die Räume schmückten. Die Ruhmeshalle führte den Besuchern die Herrschergeschichte der Hohenzollern vor Augen und legitimierte ihr König- und Kaisertum.7 Diese Erfolgsgeschichte war untrennbar mit der Geschichte der Armee verbunden, die als eine seit 1701 anhaltende Siegesreihe erschien und im 1870/71 errungenen Sieg über den „Erbfeind“ Frankreich gipfelte.8 Dieses militärisch-dynastische (Selbst-)Verständnis des Zeughauses bringt eine um 1895 erschienene Postkarte zum Ausdruck (Abb. 1)  : Sie zeigt neben einer fotografischen Ansicht des Gebäudes ein Medaillon mit dem Profil Kaiser Wilhelms II., unter dem der antike Kriegsgott Mars und der preußische Adler über den Trophäen sitzen. Um die Jahrhundertwende sah die Museums54  I  Thomas Weißbrich

direktion die Hauptaufgabe des Hauses darin, „in unserem Volke die vaterländische, auf das Ideale gerichtete Gesinnung zu pflegen und zu erhalten.“9 Zugleich war das Zeughaus ein wichtiger Veranstaltungsort für höfisch-militärisches Zeremoniell. Vor allem Kaiser Wilhelm II. inszenierte sich und seine Gefolgschaft dort nach 1888 immer gern, beispielsweise bei Feiern zu seinem Geburtstag oder der Ausgabe der Neujahrs­ parole an die führenden Militärs. Nicht zuletzt war das Königliche Zeughaus ein Museum in der Mitte Berlins, das sich als variantenreiches Postkartenmotiv großer Beliebtheit erfreute und für dessen eintrittsfreien Besuch Ausstellungsführer und Reiseführer wie der Baedeker deutschlandweit und international warben  : „the Arsenal, one of the most imposing buildings in Berlin“.10

Trophäen des Krieges Am symbolträchtigen königlichen Schloss und Zeughaus entlang waren im August 1914 die preußischen Regimenter in den Krieg gezogen, begleitet von jubelnden Berlinerinnen und Berlinern.11 In militärischen wie in zivilen Kreisen war zu dieser Zeit die Erwartung weit­ verbreitet, dass der beginnende Krieg ein kurzer sei und dass er für das Deutsche Reich siegreich verlaufen würde. Das preußische Kriegsministerium ergriff schnell Maßnahmen, um diesen Krieg auch durch Sammlungs- und Ausstellungstätigkeiten zu begleiten  ; dadurch bot sich die Gelegenheit, die Museumsbesucher am Geschehen teilhaben zu lassen.12 Während im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und im Boxeraufstand 1900 der Transport eroberter Militaria in die Heimat von einzelnen Regimentern oder dem Kommando organisiert worden war, engagierte sich nun die staatliche Behörde. Im August 1914 setzte das Ministerium Kriegsbeuteoffiziere ein und ließ deutschlandweit verschiedene Sammelstellen für Beute errichten  ; die Hauptstelle befand sich in Berlin.13 Mit den Kampfhandlungen an der West- und Ostfront begann die Jagd nach Trophäen. Vom Ministerium erging die Anweisung  : „Die von preußischen Truppen mit stürmender Hand genommenen Fahnen, Standarten und Geschütze sind als Trophäen dem Zeughause in Berlin zu überweisen.“14 Ein ministerielles Telegramm an den Chef des Generalstabes des Feldheeres vom 28. August 1914 forderte mit Nachdruck  : „Da hier trotz Schreibens vom 20.08.14 Nr. 25/8.14. Z.K. noch so gut wie keine Trophäen eingegangen sind, wird auch in Rücksicht auf die Berliner Bevölkerung dringend gebeten, daß alle von preußischen Truppen erbeuteten Fahnen und etwa 8 Feld- und 4 schwere Geschütze, möglichst zerschossene Stücke, umgehend hierher gesandt werden.“15 Zwei Tage später wurde der General-Quartiermeister Ost ebenfalls dringend gebeten, vier russische Feld- und vier schwere Geschütze zu übersenden.16 In dem Schreiben zeigt sich nicht nur der Wunsch nach anschaulichen Belegen für die Kriegsleistung der Armee, es spiegelt auch den aus patriotisch-nationaler Begeisterung und Kriegsberichterstattung der Medien entstandenen öffentlichen Erwartungsdruck. Das Königliche Zeughaus zu Berlin  

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Abb. 2  : Im Weltkrieg eroberte Feldzeichen in der Herrscherhalle, 1914/15

Wenige Tage später, am 2. September 1914, konnte die Berliner Bevölkerung die ersten Kriegstrophäen bejubeln  : Am Sedanstag, dem Tag, an dem des Sieges über die französische Armee in der Schlacht bei Sedan und der Gefangennahme Kaiser Napoleons III. im Jahre 1870 gedacht wurde, zog eine Parade Unter den Linden entlang mit den ersten von preußischen Truppen an der West- und Ostfront eroberten Fahnen, Geschützen und Maschinengewehren  ; die Choreografie dafür war tags zuvor exakt festgelegt worden.17 Das Erobern von Trophäen an der Front, ihre zeremonielle Präsentation in der Heimat und museales Exponieren waren eng miteinander verbunden. Die eroberten Fahnen kamen ins Zeughaus, über dessen allgemeinen kulturpolitischen Kurs der militärische Kommandant Oberst Gustav von Neumann-Cosel entschied, während der Kunsthistoriker Dr. Moritz Julius Binder als Direktor für die wissenschaftlichen Arbeiten und das Ausstellungswesen verantwortlich war. Ausgestellt wurden die Feldzeichen in der Feldherrnhalle vor der Viktoria-Statue (Abb. 2). Von der Zeughausdirektion und vom Kriegsministerium in die Zeitungen gesetzte Notizen informierten die Öffentlichkeit über jede neue Trophäe und lenkten so die Aufmerksamkeit auf diese Stücke.18 Im Juni 1915 befanden sich 25 erbeutete Feldzeichen im Museum, sieben stammten vom westlichen Kriegsschauplatz, 18 vom östlichen.19 Die Trophäenschauen behielten während des gesamten Krieges ihre Wichtigkeit. Noch am 23. Oktober 56  I  Thomas Weißbrich

Abb. 3: Erbeutete Geschütze im Hof des Zeughauses, 1914

1918 wurde die Zeughausverwaltung vom Kriegsministerium ersucht, drei eroberte französische Fanions und eine Fahne der Roten Garde abzuholen.20 Im Hof des Museums – in dem bislang im Deutsch-Französischen Krieg erbeutete Geschütze gestanden hatten – wurden im Herbst 1914 zusätzlich ein belgisches, britisches, französisches sowie ein russisches Geschütz ausgestellt, um, wie es hieß, „den vielen Nachfragen der Besucher des Zeughauses gerecht zu werden“ (Abb. 3).21 Diese Ausstellung wurde, dem Kriegsgeschehen folgend, immer wieder überarbeitet und durch neue Objekte aktualisiert, im Frühjahr 1916 beispielsweise durch Artilleriegeschosse.22 Geordnet waren die Exponate nach systematisch-typologischen Aspekten, versehen mit kurzen fachlichen Erläuterungen. „Der wirkungsvollen Aufstellung der Stücke“, vermerkte Direktor Binder, „ist es in erster Linie zu verdanken, dass das Zeughaus einen so starken Besuch aufweist.“23 Die Weltkriegsobjekte traten in Beziehung zu den Exponaten aus vergangenen Kriegen. Diese historische Verbindungslinie markierte auch ein Zeitschriftenartikel  : Von den kampfreichen Tagen des Großen Kurfürsten führen diese stolzen Erinnerungen über den Großen Friedrich zu den Befreiungskriegen gegen Napoleon, zum Streit mit Dänemark, Österreich, über 1870/71 zum Weltkrieg von 1914/15. Dieser märchenhafte Aufstieg des hohenzollerisch-brandenburgischen Markgrafentums zur Kaiserherrschaft über ein Weltreich […] hat unter dem Dach dieses Ruhmestempels ungezählte Trophäen. Die jüngst errungenen, Das Königliche Zeughaus zu Berlin  

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die aus dem gegenwärtigen Weltkriege heimgebrachten, sind es vor allem, die den Strom der Besucher an sich ziehen.24

In dieser Deutung erschienen die Weltkriegstrophäen als neuer Höhepunkt der im Zeughaus erzählten preußischen Kriegsgeschichte, und sie sollten beim Publikum die Gewissheit befördern, dass der gegenwärtige Konflikt ebenfalls siegreich beendet werde. Genutzt wurden die Beutestücke auch für direkte propagandistische Zwecke. Eine populäre illustrierte Zeitschrift, Reclams Universum, kommentierte etwa eine von einem russischen Soldaten erbeutete hölzerne Keule, indem sie die Primitivität der gegnerischen Bewaffnung hervorhob  : „Wie dieser große in seinen Ausmaßen und in seiner technischen Ausrüstung noch nie dagewesene Weltkrieg gelegentlich wieder auf die Urformen der Vorweltlichkeit zurückgreift, das führt dem Betrachter ein Beutestück zu Gemüte, das in einer aus rohem Lärchenholz geschnitzten riesigen Keule besteht.“25 Andere Objekte waren dafür vorgesehen, die eigene militärisch-technische Überlegenheit zu demonstrieren  : Durch einen von schweren deutschen Mörsern zerschossenen Panzerturm aus einem Fort bei Antwerpen sollte „das Bild unserer Geschoßwirkung bei der Belagerung des Platzes auch für kommende Geschlechter festgehalten“ und eine „möglichst eindrucksvolle Wirkung auf die Beschauer“ erzielt werden.26 Um diesen dreistöckigen Turm mit zwei schweren Geschützen setzte eine Diskussion ein, in die neben der Zeughausverwaltung auch das preußische Kriegsministerium und der Kaiser verwickelt wurden. Aufgrund der Größe und des Gewichtes des Panzerturmes von 224.000 kg kam das Zeughaus als Standort allerdings nicht in Frage  ; Alternativen wurden diskutiert, eine Entscheidung jedoch nicht getroffen. Als sich die zu erwartenden Transportkosten dann auch noch auf mindestens 10.000 Reichsmark beliefen, verlor sich das Projekt schließlich. Während des Krieges kamen jedoch nicht nur neue Trophäen von den Schlachtfeldern ins Zeughaus. Am 16. August 1914 – also noch bevor die ersten Beutestücke von den Kriegsschauplätzen in Berlin eintrafen – schlug Etappen-Kommandant Major Sterzel vor, „für unser schönes Zeughaus“ aus den Kriegs- oder Besatzungsgebieten weitere historische Objekte zu beschaffen, um auf diese Weise die Sammlungen zu erweitern.27 So verbanden sich mit der Erwartung eines kurzen Krieges und eines neuen Sieges auch konkrete Pläne zur Rückführung von Objekten, die in vergangenen Kriegen von den Franzosen erobert worden waren. Dazu gehörten die vor dem Pariser Musée de l’Armée ausgestellten, im frühen 18. Jahrhundert von Johann Jacobi gegossenen acht Geschützrohre aus der „Kurfürstenserie“ König Friedrichs I. Als Kriegsbeute hatte Kaiser Napoleon I. sie 1806 nach Frankreich bringen lassen.28 Zwar waren viele napoleonische Beutestücke nach der Besetzung von Paris im Jahre 1814 wieder nach Berlin zurückgeschafft worden – zu den prominentesten gehört die Quadriga des Brandenburger Tors –, nicht aber die Kurfürsten-Geschütze. Das Scheitern des Schlieffen-Plans und die Marne-Schlacht im Herbst 1914 ließen diese Wunschvorstellungen indes platzen. Im März 1918 kamen die Geschützrohre dann nochmals ins Gespräch. Während eine deutsche Offensive in Nordfrankreich geführt wurde, richtete das Kriegsministerium an das

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Zeughaus die Frage, welche Museumsstücke in früheren Zeiten aus dem Hause entführt und bei Friedensverhandlungen zurückzufordern seien.29 Im Oktober 1914 sollte aus dem belgischen Gent, ebenfalls auf einen Antrag des Majors Sterzel, ein mittelalterliches Riesengeschütz, die „Dulle Griet“, in das Berliner Zeughaus gebracht werden.30 In einem Brief an das Kaiserliche General-Gouvernement argumentierte der Offizier  : „Da sämtliche Geschütze des Gegners als Kriegsbeute zu betrachten sind, würde auch dieses Stück nach Kriegsrecht in deutsche Hände übergehen. […] Die Waffensammlungen des Zeughauses bedürfen sehr der Vervollständigung.“31 Das General-Gouvernement definierte Kriegsbeute jedoch anders  : Das General-Gouvernement ist nicht der Ansicht, dass die auf dem Markplatz von Gent stehende Bombarde „dulle Griet“ unter den Begriff Kriegsbeute gehört. Zu dieser gehören nur die Waffen, mit denen der deutschen Kriegsmacht in irgend einer Weise Schaden getan wird, eine Auffassung, die auch in Anbetracht aller andern nur mit historischem Interesse zu betrachtenden Waffen als massgebend betrachtet werden kann.32

Dieser Ansicht schloss sich auch der Zeughausdirektor an.33 Nichtsdestoweniger wurden dem Museum im Laufe des Krieges – entgegen der Haager Landkriegsordnung – mehrere kunst- und kulturgeschichtlich bedeutende Objekte überwiesen und dort zur Schau gestellt, wie 1917 eine im späten 19. Jahrhundert gegossene Kirchenglocke aus dem nordfranzösischen Marquillies, deren Inschrift die Hoffnung auf die Wiedervereinigung der nach dem Krieg 1870/71 vom deutschen Kaiserreich annektierten Gebiete Elsass und Lothringen mit Frankreich ausdrückte.34 Das Zeughaus knüpfte an die Tradition des monarchisch-militärischen Heldengedenkens und Reliquienkultes an, nur waren es jetzt keine Uniformen und Waffen von Herrschern oder Feldherren mehr, sondern modernste Kampfmaschinen  : Nachdem im Sommer 1916 der Versuch gescheitert war, einen von Oberleutnant Max Immelmann geflogenen Fokker E 13/15, ein Kampfflugzeug von „zweifellos historischem Wert“, zu bekommen, verfügte Kaiser Wilhelm II., dem Haus ein Jagdflugzeug Hauptmann Oswald Boelckes zu überweisen.35 Während des Krieges sammelten die Museumsmitarbeiter nicht nur spektakuläre Trophäen und profane Reliquien, sondern auch Muster- und Belegstücke.36 Die Waffentechnik erfuhr in den vier Kriegsjahren einen enormen Entwicklungs- und Modernisierungsschub, und die Uniformen und Ausrüstungen der Soldaten änderten sich erheblich. Die Zeughaussammlung wuchs beständig. An den anderen Königlichen Museen konnten die Museumsaufgaben aufgrund von Etatkürzungen und Personalmangel hingegen nur noch mit Schwierigkeiten erfüllt werden.37 Als Leihgeber für Kriegsausstellungen wurde das Armeemuseum immer wieder angefragt. Das Sammeln und Verwalten brachte freilich einen hohen administrativen-bürokratischen Aufwand mit sich, der sich in zahlreichen Telegrammen, Korrespondenzen, Verzeichnissen und Listen niederschlug. Die große Zahl der Neuzugänge führte allerdings bald schon zu räumlichen Engpässen. Bereits im November 1914 kam der Wunsch nach einem Erweiterungsbau auf, wenn das Haus weiterhin zur Darstellung „der rühmlichen Das Königliche Zeughaus zu Berlin  

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Geschichte des Preußischen Heeres“ dienen solle.38 Obwohl immer mehr Objekte an das Zeughaus überwiesen wurden, änderte sich die räumliche Situation nicht. Stattdessen beschäftige sich das Kriegsministerium seit 1917 mit Plänen für ein neues Museum.

Die Deutsche Kriegsausstellung und das „Reichskriegsmuseum“ – Neue Ausstellungs- und Museumskonzepte Das Königliche Zeughaus besaß kein Monopol auf die museale Darstellung des Krieges  : Während des Weltkrieges gab es in Berlin und im gesamten Kaiserreich zahlreiche aktuelle Kriegsausstellungen. Zu den bekanntesten und erfolgreichsten zählt die vom Zentralkomitee der Deutschen Vereine vom Roten Kreuz in Zusammenarbeit mit dem preußischen Kriegsministerium organisierte Deutsche Kriegsausstellung, die in Berlin von Januar bis April 1916 in den Ausstellungshallen am Zoologischen Garten zu sehen war  ; vergleichbare Veranstaltungen gab es auch in anderen Städten (Abb. 4).39 In der Reichshauptstadt waren rund 500 Exponate ausgestellt, ein Vielfaches der im Hof des Zeughauses präsentierten Objekte. Uniformen, Waffen, Flugzeuge, Geschütze und Fahrzeuge sowie Fotos, Grafiken, Kriegsgeld und -briefmarken thematisierten das Geschehen an der West- und Ostfront sowie zur See und in der Luft.40 Zwar gab es in dieser Masse auch wenige „denkwürdige Beutestücke“, aber keine klassischen Feldzeichentrophäen.41 Die Sonderausstellung, für die stark geworben wurde, arbeitete mit modernen Präsentationstechniken. Als spezielle Attraktionen gab es einen nachgebauten, begehbaren Schützengraben und das Holzmodell eines deutschen U-Bootes, das zur Kriegsnagelung diente. Ausstellungsbegleitend erschienen Kataloge und Postkarten, an einem Stand konnten originale Granatsplitter erworben werden. Mit rund einer halben Million zahlender Besucher – nicht eingerechnet die Soldaten, die freien Eintritt hatten – war die Veranstaltung ein großer Publikumserfolg, jeden Tag wurden zwischen 5.000 und 6.000 Reichsmark eingenommen.42 Ziel der Ausstellungsmacher war es nicht nur, Gelder für die karitativen Aufgaben des Roten Kreuzes einzunehmen, sondern auch das Kriegsgeschehen zu veranschaulichen und dadurch „das nationale Interesse wachzuhalten oder neu anzuregen.“43 Es galt, Empathie zu wecken  : In den Besuchern der Ausstellung sollen nicht Haßgefühle und Rachegedanken erweckt werden, nein, nur die Schwere der noch tobenden Kämpfe soll ihnen nähergerückt werden durch den Anblick des kriegerischen Handwerkszeugs unserer Gegner. Bei diesem Anblick soll ihnen auch aufkeimen ein Dankgefühl gegenüber unseren braven Truppen, die unsere Grenzen so mannhaft verteidigen und die sichtbaren Schrecken des Krieges von uns fernhalten. Der Einbildungskraft des einzelnen Beschauers muß es überlassen bleiben, die erbeuteten Stücke mit dem Heldentum des Siegers zu schmücken oder aus den stummen Zeugnissen unserer Erfolge das herauszulesen, was ihm am meisten zusagt.44

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Abb. 4: Werbeplakat für die Deutsche Kriegsausstellung in Berlin, 1916

Im dritten Jahr des Krieges ging es staatlicherseits nicht mehr nur darum, der zivilen Gesellschaft Glanz und Gloria der Armee durch spektakuläre Trophäen zu zeigen, es ging zunehmend darum, die Bevölkerung angesichts spürbarer wirtschaftlicher Folgen wie die sich allmählich verschlechternde Ernährungslage zum Durchhalten und zu weiterer Opferbereitschaft zu bewegen.45 Doch nicht nur neue Ausstellungskonzepte konkurrierten mit dem auf der Fortführung von alten Sammlungs- und Ausstellungstraditionen bedachten Zeughaus, sondern auch weitgehende Museumspläne. Im April 1916 – die erbittert geführte Schlacht um Verdun war wenige Monate zuvor an der Westfront entbrannt und hatte auf deutscher wie auf französischer Seite auch einen Propagandakampf entfacht – reichte der Direktor der Berliner Nationalgalerie, Ludwig Justi, bei Kaiser Wilhelm II. eine Denkschrift ein, in der er die Gründung eines zentralen „Weltkriegsmuseums“ vorschlug.46 Rückblickend schilderte Justi die Planungssituation in einer Mischung aus selbstlosem persönlichem Engagement und vorwurfsvoller Anklage  : An sich wäre die Vorbereitung eines Kriegsmuseums eher die Aufgabe der Zeughaus-Verwaltung gewesen. Aber von dort geschah nichts. Der Direktor, ein trefflicher Kenner und Sammler alter Kunst, faßte das Zeughaus als Museum kostbarer, alter Waffen auf, fand es Das Königliche Zeughaus zu Berlin  

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schon durch meine dortige Aufstellung der Schlachtenbilder herabgewürdigt und wollte von Kriegssammlungen, wie sie anderwärts betrieben wurden, nichts wissen. So stellte sich mir denn jene Aufgabe – als einziger unter den Direktoren deutscher Kunstmuseen.47

Mit Überlegungen, wie der Krieg zu sammeln und auszustellen und wie diese Arbeit am besten zu koordinieren sei, hatte sich zuvor schon der Kunsthistoriker und Museumsdirektor Dr. Karl Koetschau intensiv beschäftigt.48 Auf seine Anregung hin erörterte Dr. Wilhelm Peßler, Direktoralassistent am Vaterländischen Museum in Hannover, ab März 1915 in mehreren Beiträgen der Zeitschrift Museumskunde theoretisch-systematisch die Konzeption von neuen Kriegsmuseen.49 Er plädierte hierbei für ein deutschlandweit zu errichtendes Netzwerk verschiedener, in bereits bestehende Geschichts- und Heimatmuseen zu integrierende „Kriegsabteilungen“.50 Deren Sammlungen sollten nicht mehr nur Militaria umfassen, sondern auch Gegenstände der Alltagskultur  : „Bei der Einrichtung der den Weltkrieg betreffenden Abteilung sind die historischen Museen nicht auf zufällig erhaltene Überreste der Vergangenheit angewiesen, sondern können nach einem einheitlichen Plan alle in Betracht kommenden Lebensbereiche gleichmäßig berücksichtigen und, da die gesammelten Gegenstände der Jetztzeit angehören, mit kleinen Mitteln große Vollständigkeit erreichen.“51 Der „totale Krieg“ brachte somit unzählige neue, bislang kaum für sammlungs- und ausstellungswürdig erachtete Objekte in die Museen, die zukünftig zur Veranschaulichung und Deutung des Geschehens herangezogen werden sollten. Kaiser Wilhelm II. und Generalfeldmarschall Hindenburg, der Chef der Obersten Heeresleitung, befürworteten Justis Museumsprojekt, und auch das Kriegsministerium sowie der Reichstag stimmten zu. Die erste Sitzung der „zur Mitwirkung bei den vorbereitenden Maßnahmen für Errichtung eines Kriegsmuseums bestellten Herren“ fand am 18. Januar 1917 im Kriegsministerium statt.52 Teilnehmer waren Vertreter diverser militärischer und ministerieller Einrichtungen, unter ihnen auch die Museumsdirektoren Justi und Binder.53 Ein Konzeptpapier des Reichskriegsministeriums umriss die Aufgaben des neuen Museums folgendermaßen  : „Das Museum soll den Krieg im Zusammenhang darstellen, sowohl den Kampf als die Arbeit in der Heimat. […] Doch soll das Museum nicht nur die Schaulust befriedigen, es soll dem Laien verständlich, weiten Kreisen, zumal der Jugend ein wirkliches Begreifen des Krieges in seiner militärischen, wirtschaftlichen, staatlichen und geschichtlichen Bedeutung vermitteln.“54 Bald lagen Pläne für das Gebäude und zur Gestaltung der Ausstellungsräume vor. Nach Entwürfen des Architekten August Endell sollte ein zweigeschossiger Flügelbau mit einer Länge von 260 Metern und einer Tiefe von 100 Metern die neue Dauerausstellung beherbergen. Für den Haupteingang war, in klassischer Herrscher- und Feldherrnikonografie, ein Reiterdenkmal Kaiser Wilhelms II. vorgesehen. Der Standort des anvisierten Museums lag zunächst in der Nähe des Schlosses, später an der Heerstraße, wo es auch als Denkmal dienen sollte. Für das neue Museum entstand eine neue Sammlung  : Gemälde und Skizzen von Kriegsmalern wurden angekauft, Schlachtfelddioramen und Modelle in Auftrag gegeben, Publikationen und Fotografien besorgt, Gegenstände von der Kriegsbeutesammelstelle überwiesen. Auch der belgische Panzerturm kam nun wieder ins Spiel.55 62  I  Thomas Weißbrich

Justi wollte, dass in der Ausstellung „alles möglichst lebendig sein solle  ; so werde man nicht einfach Geschützrohre hinstellen, wie im Zeughaus, als kunstgewerbliche Gegenstände, sondern Funktion, Berechnung, Bedienung, Wirkung möglichst anschaulich zeigen, zum Beispiel, welchen Punkt der Mark Brandenburg das Geschoß treffen würde, wenn man es vom Museum aus abfeuerte.“56 Die unterschiedlichen Objekte, insbesondere Militaria und Kunstwerke, sollten zueinander in Beziehung gesetzt werden und in Wechselwirkung treten, um sich dadurch in ihrer Aussagekraft zu erhöhen und beim Betrachter gedächtnisprägende Wirkung zu erzielen. Die konkrete Umsetzung des Museumsgroßprojekts war freilich erst nach dem siegreichen Ende des Krieges vorgesehen. Während das Zeughaus weiterhin als Kultstätte der Hohenzollernmonarchie und als preußische Trophäensammlung und Waffenmuseum fungierte, sollte das zukünftige „Reichskriegsmuseum“ neue Präsentations- und Vermittlungsweisen bieten und als nationales, den deutschen Partikularismus überwindendes Kriegsmuseum Identität stiften. Zugzwang für dieses ambitionierte Projekt entstand nicht zuletzt durch die Arbeit an Kriegsmuseen auf Seiten der Gegner  :57 In Paris trat das Musee de l’Armée mit Ausstellungsaktivitäten hervor, und in London hatte im Frühjahr 1917 die Arbeit an einem nationalen Kriegsmuseum, dem späteren Imperial War Museum, begonnen.58

Tribut des Krieges Die Abdankung Wilhelms II. als König von Preußen und deutscher Kaiser am 9. November 1918 erschütterte die Anhänger der Monarchie  ; sie löste nicht nur eine gesellschaftliche Krise aus, sondern auch eine der staatlichen Einrichtungen. Das Zeughaus mit seiner Hohenzollern-Ruhmeshalle wurde nolens volens zu einem Ort, der für die untergegangene monarchische Ordnung stand, erst recht nach der Ausrufung der Republik. Der am 11. November geschlossene Waffenstillstandsvertrag von Compiègne markierte das Ende der Erfolgsgeschichte der preußisch-deutschen Armee. In den folgenden Wochen, während der Weihnachtskrise und des Spartakusaufstands, blieb das Museum geschlossen. In unmittelbarer Nähe kam es zu Kampfhandlungen. Der im preußischen Kriegsministerium arbeitende und inzwischen zum Oberstleutnant aufgestiegene Hans Sterzel bemühte sich unterdessen, das „Reichskriegsmuseum“ zu retten. In einem fünfseitigen Schreiben forderte er mit Nachdruck die Fort- und Umsetzung des Projekts, immerhin war durch die Vorarbeiten eine gewisse Sachlage geschaffen worden  : [D]er Zeitabschnitt von August 1914 bis auf den heutigen Tag bildet ein unverwelkbares Ruhmesblatt in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Volkes. Das muß der Nachwelt noch nach Jahrzehnten greifbar vor Augen gehalten werden  : unsere Rechtfertigung vor den kommenden Geschlechtern gegenüber verlangt das. Und hierzu ist eine volkstümliche Sammlung das gegebene Mittel, denn sie beweist und belehrt, wenn der Wille zur VolksbelehDas Königliche Zeughaus zu Berlin  

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rung leitender Grundsatz ist, unbedingt anschaulicher und deshalb nachhaltiger als das beste farbenreichste Buch.59

Während die sichere Unterbringung der Reichskriegsmuseumsammlung zunehmend Schwierigkeiten bereitete – sie musste an drei verschiedenen Orten aufbewahrt werden –, taten sich mit den Bedingungen des Waffenstillstands und den Forderungen des Versailler-Friedensvertrags neue Probleme für das Zeughaus auf  : Ende Dezember 1918 forderte die alliierte Waffenstillstandskommission die Museumsdirektion auf, eine Liste der französischen und belgischen Objekte zu erstellen, die während des Krieges ins Haus gekommen waren. Die Stücke sollten bis Anfang Januar 1919 zurückgegeben werden. Artikel 245 des im Juni unterzeichneten Versailler Vertrages bestimmte, dass alle Beutestücke sowie Kunstwerke, Dokumente und Archivalien, die während des Weltkrieges und des Deutsch-Französischen Krieges in deutschen Besitz gekommen waren, ebenfalls zurückzugeben seien.60 Der drohende Verlust der symbolisch stark aufgeladenen Fahnentrophäen führte in Berlin zu einer Protestaktion. Am 23. Juni 1919 verschafften sich ein demobilisierter Leutnant vom Garde-Füsilier-Regiment und zehn Soldaten Zugang zum Museum. Sie entwendeten dort die im Weltkrieg eroberten französischen Fahnen, trugen sieben Feldzeichen zum Denkmal König Friedrichs des Großen und verbrannten sie, umgegeben von einer großen Zuschauermenge (Abb. 5). Der provokante Verstoß gegen den Friedensvertrag rief internationale Aufmerksamkeit hervor. Die französische Regierung protestierte und forderte als Ersatz die Rückgabe von zehn Fahnen aus den Napoleonischen Kriegen.61 Auch innerhalb des Museums gab es Schwierigkeiten. Im Sommer 1919 loderte der seit Jahren schwelende Konflikt zwischen Sterzel und Binder wieder auf. Der Zeughausdirektor wandte sich nämlich dagegen, Gemälde, insbesondere Darstellungen der Feldmarschälle von Hindenburg, von Mackensen und von Eichborn, in der Ruhmeshalle oder im Hof des Museums auszustellen – eine Haltung, die zum scharfen Protest des Offiziers Sterzel führte. Am 22. September empörte dieser sich  : „Gerade diese Bilder soll man der Masse des Volkes zugänglich machen, damit sie dankbar begreifen lernt, dass wir es diesen Männern zu danken haben, wenn die Feinde trotz ihrer riesigen Ueberzahl in die Grenzen unseres Vaterlandes nur in vereinzelten Fällen einfallen und Deutsches Land verwüsten konnten.“62 Ausgestellt wurden die Gemälde trotzdem nicht. In den folgenden Jahren gab das Zeughaus mehr als 2.500 Gegenstände zurück, außer militärischen Objekten auch die Kirchenglocke von Marquillies, deren Überweisung an das Zeughaus „nicht berechtigt gewesen“ sei, wie die Waffenstillstandskommission nun feststellte.63 Um den Kulturgutraub zu vertuschen und einen öffentlichen Skandal zu vermeiden, erfand sie die Geschichte, dass die Glocke zum Einschmelzen nach Deutschland gebracht worden sei, wo ihr künstlerischer Wert erkannt und sie – da ein direkter Rücktransport nach Frankreich nicht möglich war – im Museum sicher aufbewahrt worden sei. In der Zeughausausstellung wurde der Weltkrieg zunächst nicht mehr thematisiert, der in vielerlei Hinsicht als einzigartig geltende Krieg aus der Geschichtserzählung gestrichen. Ein Gegenentwurf zu diesem offiziellen Narrativ bildete das Internationale Anti-Kriegsmuseum, 64  I  Thomas Weißbrich

Abb. 5: Verbrennung französischer Feldzeichen am 23. Juni 1919

das Ernst Friedrich 1925 eröffnete.64 Über sein Privatmuseum, das die Grauen des Krieges nicht verschwieg, sondern stark betonte, schrieb der anarchistische Pazifist  : „Ganz besonders aber sind wir versorgt mit Kaiser- und Kriegsdenkmälern, mit Schlachten-Gemälden, unter Glas gestellten Soldatenuniformen, ‚erbeuteten‘ Fahnen, Orden und sonstigen Utensilien und Requisiten.“65 Mit just solchen Objekten richtete Direktor Moritz Julius Binder dann 1932 im Zeughaus eine Weltkriegs-Ausstellung ein, um das „Andenken an jenen unbezwingbaren Frontgeist wach [zu] erhalten“.66 Mit der Beschwörung und Überhöhung des ereignishaften Kriegserlebnisses bot das Museum einen Anknüpfungspunkt für seine spätere Beanspruchung durch das nationalsozialistische Regime.

Anmerkungen 1 Zum Ereignis-Begriff vgl. Andreas Suter, Manfred Hettling, „Struktur und Ereignis – Wege zu einer Sozialgeschichte des Ereignisses“, in  : Andreas Suter u. Manfred Hettling (Hrsg.), Struktur und Ereignis, Göttingen 2001, 7–32, bes. 23–25  ; Monika Bönisch, Herrad-Ulrike Bussemer u. Susanne Rouette, „Dokumentation. Der Kriegsbeginn in den Schlagzeilen“, in  : Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), August 1914. Ein Volk zieht in den Krieg, Berlin 1989, 11–25  ; aus der Masse der in den vergangenen Jahren erschienenen Forschungen zum Ersten Weltkrieg sei hervorgehoben Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914–1918, Berlin 2013. 2 Vgl. Christine Beil, Der ausgestellte Krieg. Präsentationen des Ersten Weltkriegs 1914–1939, Tübingen 2004, 42–54  ; Susanne Brandt, „Kriegssammlungen im Ersten Weltkrieg  : Denkmäler oder Laboratoires d’histoire  ?“, in  : Gerhard Hirschfeld, Gerd Krumeich u. Irina Gerd (Hsrg.), ‚Keiner fühlt sich Das Königliche Zeughaus zu Berlin  

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hier mehr als Mensch …‘ Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Frankfurt a. M. 1996, 241–258  ; Detlef Hoffmann, „Die Weltkriegssammlung des Historischen Museums Frankfurt“, in  : Detlef Hoffmann (Hrsg.), Ein Krieg wird ausgestellt. Die Weltkriegssammlung des Historischen Museums (1914–1918), Ausst.-Kat. Historisches Museum Frankfurt, Frankfurt a. M. 1976, 62–74. 3 Vgl. z. B. das königliche Armémuseum in Stockholm (eröffnet 1879), das kaiserlich und königliche Heeresmuseum in Wien (eröffnet 1891), das bayerische Armeemuseum in München (eröffnet 1905), das Musée de l’Armée in Paris (eröffnet 1905) und das königlich sächsische Armeemuseum in Dresden (eröffnet 1914). 4 Vgl. Mary-Elizabeth Andrews, ‚Memory of the Nation‘  : Making and re-making German history in the Berlin Zeughaus, Univ.-Diss. University of Sydney 2014, 112–169  ; Heinrich Müller, Das Berliner Zeughaus. Vom Arsenal zum Museum, Berlin 1994, 100–162  ; Regina Müller, Das Berliner Zeughaus. Die Baugeschichte, Berlin 1994, 165–221. 5 Vgl. Monika Arndt, Die ‚Ruhmeshalle‘ im Berliner Zeughaus. Eine Selbstdarstellung Preußens nach der Reichsgründung, Berlin 1985. 6 Vgl. Königliche Zeughaus-Verwaltung (Hrsg.), Amtlicher Führer, Berlin 1914, 144, 151f. 7 Vgl. die Darstellung der Herrschergeschichte im 1877 eröffneten „Hohenzollernmuseum“ in Schloss Monbijou  : Thomas Kemper, Schloss Monbijou. Von der Königlichen Residenz zum Hohenzollern-Museum, Berlin 2005. 8 Zum Begriff des ,Erbfeindes‘ vgl. Michael Jeismann, Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918, Stuttgart 1992, 262–275. 9 Königliche Zeughaus-Verwaltung (Hrsg.), Das Königliche Zeughaus. Führer durch die Ruhmeshalle und die Sammlungen, Berlin 1900, Vorbemerkung, unpag. 10 Karl Baedeker, Berlin and its Environs. Handbook for Travellers, 5. Aufl., Leipzig [u. a.] 1912, 60  ; vgl. z. B. Karl Baedeker, Berlin und Umgebung. Handbuch für Reisende, 18. Aufl., Leipzig 1914, 60–63. 11 Vgl. Berliner Geschichtswerkstatt (Hrsg.), August 1914. Ein Volk zieht in den Krieg, Berlin 1989. 12 Gustav von Neumann-Cosel war vor seiner Ernennung zum Zeughauskommandanten Flügeladjutant Kaiser Wilhelms II., vgl. Peter Winzen, Freundesliebe am Hof Kaiser Wilhelms II., Norderstedt 2010, 146. Neumann-Cosel starb am 4.12.1917 in Charlottenburg  ; seine Stelle wurde nicht neu besetzt. 13 Vgl. Müller, H. 1994, 196. 14 Deutsches Historisches Museum (DHM), Hausarchiv (HArch), Rep. Z/654. 15 Ebd. 16 Ebd. 17 Ebd.; zu den Sedantag-Feiern vgl. Jakob Vogel, „2. September 1870. Der Tag von Sedan“, in  : Etienne François u. Uwe Puschner (Hrsg.), Erinnerungstage. Wendepunkte der Geschichte von der Antike bis zur Gegenwart, München 2010, 201–218. 18 Vgl. DHM, HArch, Rep. Z/655. 19 Hans Land, „Kriegstrophäen von 1914/15“, in  : Reclams Universum, 31/1915, 1003–1007, hier 1004f. – Seit Sommer 1915 wurden an der Westfront keine Regimentsfahnen mehr mitgeführt. 20 DHM, HArch, Rep. Z/205. 21 Ebd. Der Zeughausdirektor bittet das Kriegsministerium am 5.11.1914 um die Überweisung der Geschütze. 22 Vgl. Land 1915, 1003f.; DHM, HArch, Rep. Z/655. 23 Zitiert nach Beil 2004, 99.

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Land 1915, 1003. Land 1915, 1007. DHM, HArch, Rep. Z/205 u. Rep. Z/655. DHM, HArch, Rep. Z/654. Vgl. Sven Lüken, „‚Iohann Iacobi goss mich in Berlin.‘ König Friedrich I. in Preußen, Andreas Schlüter, Johann Jacobi und der Berliner Geschützguß“, in  : Hans-Ulrich Kessler (Hrsg.), Andreas Schlüter und das barocke Berlin, Ausst.-Kat. Bode-Museum Berlin, München 2014, 186–196  ; Christophe Pommier, „Les canons prussiens de la batterie triomphale“, in  : Revue de la Société des Amis du Musée de l’Armée, 142/2011, 60–70, hier 69  ; zur Kriegsbeute Napoleons vgl. Bénédicte Savoy, Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen, Wien [u. a.] 2011. 29 DHM, HArch, Rep. Z/656. 30 DHM, HArch, Rep. Z/654  ; zur deutschen Kunst- und Museumspolitik im Ersten Weltkrieg im besetzten Belgien und Frankreich vgl. Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi  ? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel 2006. 31 DHM, HArch, Rep. Z/205. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 DHM, HArch, Rep. Z/656  ; zur Haager Landkriegsordnung vgl. Eva Zwach, Deutsche und englische Militärmuseen im 20. Jahrhundert. Eine kulturgeschichtliche Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Krieg, Münster 1999, 65f. 35 DHM, HArch, Rep. Z/655. Immelmanns Flugzeug wurde dem sächsischen Armeemuseum in Dresden überwiesen, der Flieger Boelckes, ein Fokker D III 352/16, im Mai 1917 dem Berliner Zeughaus. Boelcke, im Januar 1916 mit dem höchsten preußischen Orden „Pour le mérite“ ausgezeichnet, war am 28. Oktober 1916 bei einem Einsatz an der Somme tödlich verunglückt. 36 Vgl. Müller, R. 1994, 217. 37 Zur Situation der Königlichen Museen vgl. Petra Winter u. Jörn Grabowski (Hrsg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen zu Berlin und der Erste Weltkrieg, Köln 2014. 38 DHM, HArch, Rep. Z/654. 39 Zu den „Deutschen Kriegsausstellungen“ vgl. Beil 2004, 160–177  ; Britta Lange, Einen Krieg ausstellen. Die ‚Deutsche Kriegsausstellung‘ 1916 in Berlin, Berlin 2003  ; Susanne Brandt, Vom Kriegsschauplatz zum Gedächtnisraum  : Die Westfront 1914–1940, Baden-Baden 2000, 88–98  ; Hoffmann 1976. 40 Vgl. das Objektverzeichnis im Katalog Deutsche Kriegsausstellung 1916. Amtlicher Führer, Berlin 1916, 86–112. 41 Deutsche Kriegsausstellung 1916, 97. 42 Lange 2003, 92. 43 Brandt 2000, 90. 44 Deutsche Kriegsausstellung 1916, 83f. 45 Zum propagandistischen Effekt der Ausstellungen vgl. Zwach 1999, 78–80  ; zur Situation an der „Heimatfront“ vgl. Roger Chickering, Das Deutsche Reich und der Erste Weltkrieg, München 2002, 161–203. 46 Vgl. Britta Lange, „Das Kapitel ‚Reichskriegsmuseum‘, Plan eines idealen Themenmuseums“, in  : Kristina Kratz-Kessemeier u. Tanja Moormann-Schulz (Hrsg.), Ludwig Justi – Kunst und Öffentlichkeit. Beiträge des Symposiums aus Anlaß des 50. Todestages von Ludwig Justi (1876–1957), Berlin 2010, 99–105  ; Beil 2004, 55–70  ; Ludwig Justi, Ludwig Justi. Werden – Wirken – Wissen. Lebenserinnerungen aus fünf Jahrzehnten, aus dem Nachlass hrsg. von Thomas W. Gaehtgens und Kurt Winkler, bearbeiDas Königliche Zeughaus zu Berlin  

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tet und kommentiert von Kurt Winkler und Tanja Baensch unter Mitarbeit von Tanja Moormann, Bd. 1, Berlin 2000, 340–343. 47 Justi 2000, Bd. 1, 337. Justis 1936 geschriebene Memoiren stehen unter den Vorzeichen der damals aktuellen politischen und kulturellen Entwicklungen des NS-Regimes. Moritz Julius Binder war 1934 aus seinem Direktorenamt entlassen worden. – Die Schlachtenbilder, hauptsächlich die deutschen Einigungskriege darstellend, waren 1911 von der Nationalgalerie ins Zeughaus überführt und dort im Erdgeschoss ausgestellt worden, vgl. Justi 2000, Bd. 1, 315–317 u. Bd. 2, 206f. 48 DHM, HArch, Rep. Z/205. Koetschau schlug in einem Schreiben vom 12.9.1915 vor, beim Kriegsministerium eine Koordinationsstelle für die entsprechenden Tätigkeiten einzurichten, das dafür jedoch keinen Bedarf sah. Von 1905 bis 1924 war Koetschau Herausgeber der Zeitschrift Museumskunde. 49 Zu Wilhelm Peßler vgl. Zwach 1999, 88–91. 50 Lange 2003, 11f. 51 Peßler 1915–1917, 1915, 73. 52 DHM, HArch, Rep. Z/237. 53 Nach Justis Schilderung äußerte sich Binder als einziger der Anwesenden ablehnend, vgl. Justi 2000, Bd. 1, 345. 54 DHM, HArch, Rep. Z/237. 55 Ebd. 56 Justi 2000, Bd. 1, 350. 57 Parallel zum Berliner „Reichskriegsmuseum“ wurde in Leipzig am „Deutschen Kriegswirtschaftsmuseum“ gearbeitet, vgl. Richard Stegemann, Deutsches Kriegswirtschaftsmuseum. Leitende Gedanken, Leipzig 1917. 58 Vgl. François Lagrange, „La Grande Guerre au Musée de l’Armée“, in  : Vu du front. Représenter la Grande Guerre, Ausst.-Kat. Musée de l’Armée, Paris 2014, 136–140  ; Gaynor Kavanagh, „Museum as Memorial  : The origins of the Imperial War Museum“, in  : Journal of Contemporary History, 23/1988, 77–97. 59 DHM, HArch, Rep. Z/237. 60 Vgl. Reichs-Gesetzblatt, 1919, Nr. 140, 1047f. 61 Vgl. DHM, HArch, Rep. Z/660. 62 DHM, HArch, Rep. Z/237. 63 DHM, HArch, Rep. Z/656  ; Müller, H. 1994, 204. 64 Vgl. Karin Hiller von Gaertingen u. Hans Georg Hiller von Gaertingen, Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern, Berlin/München 2014, 176–178. 65 Ernst Friedrich, Das Anti-Kriegsmuseum, Berlin o. J. [um 1925], 3. 66 Paul Post, Der Weltkrieg im Zeughaus. Amtlicher Wegweiser, Berlin 1933, 4.

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Christian Marchetti

K R I E G S E R FA H R U N G U N D MUS EALE S E DI ME NTE Das Museum für österreichische Volkskunde in Wien

Auftakt  : Zerstörte Museen Im Herbst 1916 trafen im besetzten Belgrad Dr. Arthur Haberlandt, Kustos am Museum für österreichische Volkskunde in Wien und Privatdozent für Ethnografie an der Universität Wien, und Dr. Sima Trojanović, Direktor des serbischen ethnografischen Museums, aufeinander. Haberlandt, damals Leutnant der Reserve und Kriegsfreiwilliger, befand sich auf einer wissenschaftlichen Expedition durch die von habsburgischen Truppen besetzten Gebiete im Südosten, zu deren Abschluss er die von den Kriegsgeschehnissen schwer in Mitleidenschaft gezogenen Museen der serbischen Hauptstadt, speziell die prähistorischen und ethnografischen Sammlungen, inspizieren sollte (Abb. 1). Trojanović war der Evakuierung der serbischen Regierung und Behörden gefolgt, die Sammlungen seines Museums waren nun in Unordnung, teils beschädigt oder bei Abtransporten verloren gegangen. Trotzdem verlief die Begegnung offenbar in kollegialer Atmosphäre. Haberlandt erstattete seinen Vorgesetzten Bericht über die Schäden an Gebäuden und Sammlungen, leitete erste Notmaßnahmen ein, wie die Bekämpfung von Mottenfraß in der Trachtensammlung, und regte weitere Maßnahmen zur Wiedergewinnung des verlorenen Materials – vor allem der wissenschaftlichen Unterlagen des Museumsdirektors – und zur Neuaufstellung der ethnografischen Sammlung an. Für diese Arbeiten schlug er sich selbst bereitwillig als wissenschaftlicher Mitarbeiter vor, der Unterstützung Trojanovićs war er sich sicher.1 Diese Begegnung zweier Museumsleute und Wissenschaftler verfeindeter Staaten bildet eine Episode in einem größeren Zusammenhang, nämlich dem zwischen dem Weltkrieg, hier speziell seines ansonsten eher unbeachteten südosteuropäischen Schauplatzes, und der ethnografisch-volkskundlichen Museumspraxis, die gerade während des Krieges in vielfältiger Weise in Bewegung gebracht wurde. Für die Belgrader Museen und Sammlungen waren die Folgen des Kriegsgeschehens und der Eroberung durch die Truppen der Mittelmächte verheerend. Für das Museum für österreichische Volkskunde in Wien und für die dort betriebene ethnografisch-wissenschaftliche und museale Praxis eröffneten sich mit diesen Eroberungen in Südosteuropa, zumindest für die restliche Dauer des letztlich verlorenen Weltkriegs, hingegen neue Handlungsmöglichkeiten und -zusammenhänge. Diesen soll im Folgenden nachgegangen werden. Der Erste Weltkrieg – sonst oft Urbild des Stellungskrieges – bewirkte eine massenhafte und umfassende Mobilisierung. So bewegten sich nicht nur Armeen und Kriegsmaterial, der Krieg mobilisierte auch die volkskundlich-museale Praxis.2 Für die Wiener Volkskundler erDas Museum für österreichische Volkskunde  

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Abb. 1: Hof des Nationalmuseums in Belgrad nach der Beschießung, Aufnahme von Paul Buberl

öffneten sich dabei vor allem in Südosteuropa neue Forschungsräume, in denen sie mit einer vom Kriegsgeschehen in Bewegung gebrachten, wie auch konkret gefährdeten materiellen Welt konfrontiert wurden. Diese Begegnung unter Kriegsbedingungen führte in der Folge nicht nur eine Anzahl von Gegenständen in den Wirk- und Deutungsbereich des Museums für österreichische Volkskunde, wo sie zu ethnografischen Objekten wurden. Sie eröffnete dem Museum auch neue Erwartungshorizonte, neue Ressourcen und intensivierte wissenschaftliche Handlungsmöglichkeiten. Diese Mobilisierung äußerte sich schließlich zum einen in einer Dienstbarmachung der eigenen musealen und repräsentativen Praxis für den Krieg, zum anderen in Versuchen, die Kriegsführung selbst für die eigenen Zwecke dienstbar zu machen. Auch wenn die Kriegsniederlage die geweckten Erwartungen durchkreuzte, lassen sich die Sedimente dieser Kriegserfahrung, in notwendig gewandelten Erscheinungen, noch bis nahe an die Gegenwart weiterverfolgen.

Das Museum für Volkskunde im Ersten Weltkrieg Das Wiener Museum für österreichische Volkskunde war 1897 in Räumen der Wiener Börse eröffnet worden. Die konkrete Initiative zur Gründung war unter anderem von M ­ ichael 70  I  Christian Marchetti

Haberlandt ausgegangen, einem studierten Indologen, der in subalterner Position in der anthropologisch-ethnografischen Abteilung des Naturhistorischen Hofmuseums arbeitete.3 Getragen wurde das Volkskundemuseum vom Verein für österreichische Volkskunde, die Museumsarbeit trug jedoch zunehmend Züge eines Familienunternehmens, zog doch ­Michael Haberlandt als Direktor zielstrebig seinen Sohn Arthur zum Mitarbeiter und künftigen Nachfolger heran. Neben der repräsentativen Museumspraxis war das Museum auch Ort der Forschung, der am Museum angesiedelte Verein für österreichische Volkskunde gab eine eigene wissenschaftliche Zeitschrift heraus und bildete die Bühne für die Entwicklung der volkskundlichen Wissenschaft vor ihrer universitären Etablierung, die erst am Ende der Monarchie erfolgte.4 Museum, Verein und Zeitschrift widmeten sich der vergleichenden Erforschung und Darstellung der kulturellen Diversität des habsburgischen Imperiums in ihren volkskulturellen Dimensionen.5 Das Museum für österreichische Volkskunde konnte sich so bald europaweit etablieren. Besaß man zu Beginn vor allem Objekte aus den näher um Wien gelegenen Gebieten, erweiterte man den Sammlungsradius ab der Jahrhundertwende auch in die entfernteren Länder der habsburgischen Kaiserkrone und schließlich auch in die Randgebiete Europas. Als Typ stellt das Wiener Museum einen der wichtigsten Vertreter der für Mittel- und Südosteuropa typischen ethnografischen Museen dar, die deutlich unterschieden von den in Westeuropa dominanten Nationalmuseen eigene originäre Repräsentationen der kulturellen Vielfalt im Gebiet der Habsburger Monarchie entwickelten.6 Zunehmend widmete man sich auch der Erkundung und der Darstellung Südosteuropas, wobei das museale und wissenschaftliche Interesse der Wiener Volkskunde eng dem politischen und öffentlichen Aufmerksamkeitsfokus folgte. Gerade mit den Balkankriegen 1912/13 – also am Vorabend des Ersten Weltkriegs – waren die im Südosten Europas entstandenen Nationalstaaten ins Blickfeld der Politik, der Öffentlichkeit und auch der Wissenschaften der Monarchie gerückt. Der Sommer 1913 wurde in Wien zur „Balkansaison“ erklärt.7 Vor allem Albanien, das als bislang verschlossen und weiterhin schwer zugänglich dargestellt wurde, kam viel Beachtung zu, von der auch die Wiener Volkskundler zu profitieren versuchten. So beteiligte man sich an rasch ins Leben gerufenen Komitees und mit einer eigenen volkskundlichen Abteilung an der Adria-Ausstellung im Wiener Prater, der letzten großen Exposition in der Monarchie.8 Anfang 1914 lief es gut für das Museum. Es stand seit nunmehr sechs Jahren unter dem Protektorat des Thronfolgers Franz Ferdinand, der den Museumsangestellten bezahlte Aufträge in der von ihm ebenfalls protegierten Denkmalschutz-Kommission besorgte.9 Ein Ende der ungeeigneten räumlichen Situation in der Wiener Börse rückte in Aussicht, so konnte man sich, ebenfalls dank der Protektion Franz Ferdinands, begründete Hoffnungen machen, in das repräsentative Gartenpalais Schönborn in der Josefstadt umziehen zu können. Gutachten über die eigene Sammlung waren teils äußerst positiv ausgefallen, die erhoffte Verstaatlichung des Museums schien in greifbarer Nähe. Umso unmittelbarer traf das Attentat in Sarajevo auch das Volkskundemuseum. Hatte, so Michael Haberlandt im Jahresbericht des Vereins, das erste Halbjahr 1914 noch unter den „glücklichsten Auspizien“ gestanden, fielen in seiner zweiten Hälfte „die tiefsten Schatten“.10 Das Museum für österreichische Volkskunde  

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Der Mangel an Kriegsbegeisterung ist verständlich, schließlich musste das Museum im Folgejahr 1915 herbe Einschränkungen seiner Subventionen hinnehmen. Da sich Arthur Haberlandt als Kriegsfreiwilliger gemeldet hatte, war das Museum zudem einer wichtigen Arbeitskraft beraubt.11 Alle volkskundlichen Unternehmungen im deutschsprachigen Raum waren vom Wegfall der jüngeren Wissenschaftler betroffen und spürten bald nach Kriegsbeginn die finanziellen Einschnitte. Trotzdem brachte der Weltkrieg Bewegung in die Volkskunde  : So wurden Sammelaktionen von Soldatenliedern, Soldatenaberglauben und Soldatensprache angestoßen und mittels Fragebögen teils direkt an der Front durchgeführt. Der Zivilisationsverlust im Schützengraben sollte den Blick auf primitivere Schichten der Erfahrungsbildung eröffnen.12 Für die volkskundliche Museumsarbeit interessanter als diese wissenschaftlichen Umfragen waren die sich durch den Krieg ergebenden Möglichkeiten zur Sammlungsvermehrung. Der Krieg zeitigte auch weitab der Frontlinien unterschiedlichste direkte und indirekte mobilisierende Effekte in der materiellen Welt. Das ungekannte Ausmaß der technischen Kriegsführung und auch der Propaganda erzeugte eine eigene unübersehbare Flut an Informationen und Artefakten. Diese traf auf einen schnell und umfassend einsetzenden Drang, sich den Krieg sammelnd zu erschließen und ihn damit als kulturelles Ereignis greifbar zu machen.13 Für die museale Volkskunde in Wien waren hierbei etwa die patriotischen Kriegsmetallsammlungen interessant, über die Zentralkommission für Denkmalpflege erhoffte man sich Zugriff auf die bei diesen Sammlungen ausgeschiedenen kunsthandwerklich und volkskundlich interessanten Objekte.14 Weitere Gelegenheiten ergaben sich durch die vom Krieg im Osten ausgelösten Flüchtlingsströme. So konnte das Museum für Volkskunde von ruthenischen Frauen in Flüchtlingslagern erzeugte Textilmusterstücke erwerben, die das Innenministerium zuvor in einer Propagandaausstellung gezeigt hatte.15 Der Umschwung von der kriegsbedingten Hemmung der musealen Arbeit zu einer zunehmend enthemmten Nutzung der Kriegssituation zeichnete sich jedoch erst mit der Eroberung Belgrads Ende 1915 ab. Der Doppelmonarchie fiel damit ein Großteil des kulturellen Wertbestandes des serbischen Nationalstaates in die Hände. Neben den Archiven und Bibliotheken eben auch die Museen mit ihren Sammlungen, viele in denkbar schlechtem, teils schwer beschädigtem Zustand. Der weitere Verbleib der eroberten Kulturgüter wurde sofort zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzung zwischen zivilen und militärischen Stellen und mehr noch zwischen den beiden Reichshälften. So betrachtete der Vertreter des österreichischen Generalstabes die Sammlungen als mögliche „Kriegsbeute“, die im Falle der Räumung der Stadt nach Wien gebracht würde. Beamte aus Bosnien und Kroatien, die mit als erste in Belgrad vor Ort waren, brachten als Verwahrungsorte Sarajevo beziehungsweise Agram (Zagreb) ins Spiel. Gegen all diese Ansinnen opponierten vor allem die aus Budapest entsandten ungarischen Offiziellen heftig.16 Angesichts dieser politischen Blockade schlug die Stunde der Denkmalschutz- und Museumsexperten. Ihr klassifikatorisches und konservatorisches Fachwissen sollte dazu beitragen, die Folgen des Krieges zumindest bis auf weiteres vor Ort zu beheben.

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Abb. 2: Weg nach Ibalja, Aufnahme des Expeditionsteilnehmers Maximilian Lambertz, 1916

Balkanexpedition In Wien trat im Januar 1916 mehrfach eine Kommission mit Vertretern aus Ministerien, wissenschaftlichen Instituten und Museen zusammen, die entsprechende Experten auswählen und rekrutieren sollte. Die militärischen Erfolge der habsburgischen Truppen auf der westlichen Balkanhalbinsel eröffneten im Frühjahr 1916 aber bereits neue Handlungsräume  : Den Truppen des Habsburger Imperiums gelang es aus eigener Kraft, den Kleinstaat Montenegro einzunehmen und daraufhin auch den Norden des an sich neutralen Albaniens zu besetzen.17 In der Wiener Kommission war man der Ansicht, der Eroberung sollte auch die wissenschaftliche Erschließung dieser Gebiete möglichst unmittelbar folgen. Ergebnis dieser Überlegungen, an denen als Kommissionsmitglied auch Michael Haberlandt Anteil hatte, war die Entsendung einer „kunsthistorisch-archäologisch-ethnografisch-linguistischen Balkanexpedition“, meist abgekürzt zur „historisch-ethnografischen“ oder schlicht „wissenschaftlichen Balkanexpedition“ (Abb. 2).18 Die Gruppe war interdisziplinär besetzt, die Hofbibliothek entsandte den Slawisten Franz Kidrić, die Akademie der Wissenschaften die beiden Archäologen Camillo Praschniker und Arnold Schober sowie den Linguisten Maximilian Lambertz, das Unterrichtsministerium den Kunsthistoriker Ernst Buschbeck und als Ethnograph den Volkskundler Arthur Haberlandt. Dieser hatte bis kurz zuvor als Artillerist an der südöstlichen Front gekämpft und war zweimal verwundet worden, die Teilnahme an der Expedition ermöglichte ihm einen weit ungefährlicheren Kriegsbeitrag. Aufgabe dieser ersten wissenschaftlichen Expedition in die besetzten Gebiete im Sommer 1916 sollte die systematische Aufnahme, Inventarisierung und Sicherung des dort befindlichen Denkmalbestandes in Das Museum für österreichische Volkskunde  

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kunsthistorischer, archäologischer und ethnografischer Hinsicht sein.19 Diese museal-konservierende Behandlung der eroberten Länder sollte das ernsthafte wissenschaftliche Interesse des habsburgischen Vielvölkerstaates an der Kultur der eroberten Gebiete demonstrieren. Für die Wiener Wissenschaft stand damit die materielle Kultur dieser Länder von Beginn an im Vordergrund. Dieser schrieben die Auftraggeber der Expedition – erst recht im Krieg – eine besonders große emotionale wie auch nationale Bedeutung für die Bewohner der Balkanländer zu.20 Auf den Abtransport und auch den Ankauf von Objekten sollte ausdrücklich verzichtet werden, auch um der besetzten Bevölkerung keinen Anlass zum Missmut zu geben. Haberlandts Auftrag umfasste ethnografische Aufgaben, wie die Feststellung von Bevölkerungsverschiebungen, die Überprüfung und Vorbereitung von ethnografischen Karten und die Feststellung von Blutracheverhältnissen. Zudem sollte er aber auch eine Orientierung über die im Besatzungsgebiet vorhandenen volkskünstlerischen Denkmäler und entwicklungsfähigen Hausindustrien geben und nicht zuletzt das ethnografische Museum in Belgrad inspizieren.21 Alle Expeditionsteilnehmer, auch die, die nicht im Kriegsdienst standen, erhielten Waffen und militärische Ausrüstung und traten damit als Teil der Besatzungsmacht in Erscheinung, ein Status, den Haberlandt als äußerst hilfreich und Türen öffnend schätzte. Als wissenschaftliche Erträge dienten ihm zunächst seine schriftlich festgehaltenen Reiseeindrücke, die anhand anthropologischer Messungen an einheimischen Kriegsgefangenen und Kriegsfreiwilligen erzeugten Daten und auch „im Feld“ gemachte Fotografien von Objekten.22 Trotz des offiziellen Verbots erwarb er zudem eine Anzahl an Gegenständen  : neben Schmuck diverse Kleidungsstücke und kleinere Gebrauchsgegenstände, Arbeitsgeräte und Hausrat, wie Rauchgeräte, Spiegelbehälter, eine Reihe Spinnrocken, Weberwerkzeug, Schafhalsbänder, Löffel, Körbe, fast alles aus Holz. Zudem ein paar Metallgegenstände  : ein Messer, zwei Sicheln, eine „Schmarrnschaufel“ zum Brotbacken, einen Feuerbock in Tierform, einige Leuchter, einen eisernen Maßstab, montenegrinische Steigeisen. Die meisten der mindestens 132 Gegenstände waren Basarware und entstammten der lokalen Produktion (Abb. 3). Haberlandt kaufte zu erschwinglichen Preisen in Shkodra, Tirana, Elbassan, Üsküb und Prisren und transportierte die Stücke in seinem persönlichen Gepäck. Wegen des Sammelverbotes konnte Haberlandt seine Erwerbungen bei der Rückkehr jedoch nicht sofort als offizielle Expeditionserträge deklarieren. Dem Volkskundemuseum überließ er sie als „Privatgeschenke“. Zur Entschuldigung für die Übertretung des Ausfuhrverbots führte man an, die Ankäufe seien eben rein privat, „in Liebhaberweise“ erfolgt. In Bezug auf ethnografische Sammlungen war der Zeitpunkt für Haberlandt relativ günstig gewesen. Zwar wurde das Sammlungsverbot im kommenden Jahr aufgehoben, der schwunghafte Ausverkauf einheimischer Erzeugnisse als Kriegssouvenirs für österreichische Soldaten trieb jedoch bald die Preise enorm in die Höhe. Nur Buschbeck kehrte im Anschluss an die Expedition zur Truppe zurück, Praschniker und Lambertz fanden Verwendung in Kulturprojekten der Besatzungsverwaltung. So wurde Lambertz zum Sekretär einer literarischen Kommission zur Standardisierung der albanischen Schriftsprache in Shkodra ernannt23 und Praschniker wurde für Ausgrabungen und für Vorarbeiten zu einem geplanten albanischen Landesmuseum wieder in den Südosten entsandt. Art74  I  Christian Marchetti

Abb. 3: Hafnermarkt im Süden, Aufnahme aus dem besetzten Albanien

hur Haberlandt wurde in Wien zur Orientabteilung des Kriegsministeriums abkommandiert, später für seine Arbeit im Volkskundemuseum freigestellt, was es ihm ermöglichte, den Rest des Krieges weitgehend in Wien zu verbringen.

Die Kultur der besetzten Gebiete Ende September 1917 erschien in der vom österreichischen Militärgouvernement in Montenegro herausgegebenen Cetinjer Zeitung ein „Aufruf zum Sammeln volkskundlicher Objekte“.24 Die Armeeangehörigen wurden aufgefordert, volkskundliche Objekte wie alte Volkstrachten, Haus- und Wirtschaftsgeräte, kleine Truhen, Sinija (niedrige Tische), Spinnrocken, verzierte Gefäße und Ähnliches zu erwerben und gegen Ersatz der Spesen an das Museum für Volkskunde in Wien zu senden. Die Mitwirkung sei Ehrenpflicht eines jeden Soldaten und auch eine Wohltat gegenüber dem montenegrinischen Volk, da so seine Produkte in den Gesichtskreis der Moderne gerückt würden. Diese volkskundlichen Sammlungen wurden als Ausdruck der Anerkennung der montenegrinischen Volkskultur und als interkulturelle, zivilisatorische Tat propagiert  : „Mag das Volk noch so klein, seine Eigenart bringt immer etwas Das Museum für österreichische Volkskunde  

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Neues, Schaffendes.“ Und weiter oben  : „Aus dem Zusammenwirken der Kultur aller Völker entsteht das höchste Gut der Menschheit  : die Zivilisation.“25 Die Wiener Volkskundler versuchten so die Besatzung direkt für ihre Zwecke zu nutzen. In einer dem Kriegsministerium vorgelegten Denkschrift zur volkskundlich-wissenschaftlichen Erschließung der besetzten Balkangebiete schrieb man gerade volkskundlicher Sammeltätigkeit eine geradezu propagandistische Wirkung auf die besetzte Bevölkerung zu. Aufgrund der „relativen Rückständigkeit“ der Balkanländer hinge ein großer Teil des nationalen Fühlens und Denkens der Bevölkerung am volkskundlichen Besitztum und würde auch von diesem beeinflusst. Als Produkte einer schützenswerten Hausindustrie seien auch alltägliche Dinge, wie Stickereien oder geschnitzte Holzbecken, Hirtenstöcke, Käsemodel und Holzlöffel, bedeutsam für die „kulturelle Zukunft“ dieser Länder.26 Damit kehrte man auch die Logik, die dem Sammelverbot, das für die Balkanexpedition gegolten hatte, zum eigenen Vorteil um. Aus den „Liebhaberstücken“ wurden so wieder „Volksdenkmäler“, die der wissenschaftlichen und konservatorischen Fürsorge bedurften. Man verwies auch auf die günstigen Gelegenheiten, die speziell der Krieg für die Aufsammlung ethnografischer Gegenstände bot. So ließen sich etwa in Üsküb (Skopje) auf dem Trödelmarkt sehr interessante Stücke aus dem Gut geflüchteter Serben „um Spottpreise“ erwerben. Die andernorts geforderten „Wucherpreise“ sollten hingegen durch Bezahlung in von der Armee bereitgestellten Naturalien wie Zucker und Kukuruz umgangen werden.27 Der Krieg selbst löste Alltagsdinge aus ihrem Verwendungszusammenhang und setzte sie der Gefahr von Zerstörung und Zweckentfremdung aus und die Wiener Volkskundler schlugen konkrete Maßnahmen vor, wie diese kriegsbedingte Mobilisierung der Dinge mithilfe der Armee ins eigene Museum kanalisiert werden konnte. Das Wiener Volkskundemuseum profilierte sich in der Folge vor allem durch die Präsentation dieser neu erschlossenen Gebiete in der eigenen Metropole. Im Oktober 1917 stellte man im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie „Volksarbeiten aus den Balkanländern“ aus. Im Januar 1918 eröffnete man unter Anwesenheit der Militärführung und Vertretern aus Kunst und Wissenschaft eine Ausstellung mit dem Titel Zur Volkskunde der Balkanländer in Räumen der Wiener Universität. Diese präsentierte man als „Früchte des Zusammenwirkens von Front und Wissenschaft im Hinterlande, wie es vor dem Weltkriege nie gedacht werden konnte“.28 Gezeigt wurden hier auch Kreidezeichnungen des vom Museum für Kunst und Industrie in die besetzten Gebiete entsandten Mosaikkünstlers Leopold Forstner (Abb. 4), daneben dominierten die zur Volkskunst erklärten Handarbeitserzeugnisse das Seherlebnis. Der Rezensent Hartwig Fischel pries das „schöne Bild der alten Kultur südlicher Grenzgebiete“, das sie dem Betrachter boten und dessen Reiz sich aus den „Wechselwirkungen“, dem „so reizvolle[n] und mannigfaltige[n] Durchdringen späterer slawischer, früher mohammedanischer und ältester lokaler Traditionen“, ergäbe.29 Michael und Arthur Haberlandt traten jedoch nicht nur als Experten für diese repräsentativen Aspekte der Kultur der besetzten Gebiete auf. So hielten sie Vorträge vor Frontoffizieren über „Angewandte Volkskunde“ und boten der Armeeführung die Herstellung von ethnografischen Karten und Schulungsbroschüren zu Land und Leuten in Albanien an.30 Im Gegenzug für diese teils unerfüllt bleibenden Verspre76  I  Christian Marchetti

Abb. 4: Leopold Forstner, Studie einer Frau in ­albanischer Tracht [„Prileb Mai 1918“]

chungen erlebte das Museum noch im Krieg einen spürbaren Aufschwung. Schon seit März 1917 firmierte man unter nun allerhöchster Protektion als „Kaiser Karl Museum für Öster­ reichische Volkskunde“. Und auch der lang geplante Umzug in ein neues, als angemessen empfundenes Gebäude nahm Fahrt auf. Die Orientabteilung des Kriegsministeriums stellte Militärpersonal als Tischler, Glaser, Tapezierer, Schlosser, Anstreicher, Installateure und Hilfsarbeiter für die Übersiedlung ins Gartenpalais in der Laudongasse und die Neueinrichtung der Ausstellung zur Verfügung. Im neuen Haus baute man nicht nur die europäischen Ausstellungsteile aus, sondern plante, auf Betreiben der Orientabteilung, die eigene Balkan-Abteilung zu einer „kulturwissen­ schaftlichen Zentrale für alle auf die Balkanländer und deren Bevölkerung sich beziehenden Aktionen und Arbeiten“ zu entwickeln. Mit dieser Unterstützung konnte man sich auch gegenüber der Konkurrenz in Wien durchsetzen und beim Oberstkämmerer-Amt erreichen, dass die ethnografisch-anthropologische Abteilung des naturgeschichtlichen Hofmuseums, Haberlandts ehemalige Arbeitsstätte, Objekte aus den Balkanländern dauerhaft an das Volkskundemuseum entlehnen musste. Deren Kurator Franz Heger lief letztlich vergeblich Sturm gegen diesen Bescheid, der, wie er ganz richtig erkannte, bedeutete, dass die Volkskunde dabei war, der Völkerkunde die Darstellungshoheit über die Balkanländer endgültig abzuringen.31 Zeitgleich propagierte man das neue Museum als „Österreichisches Völkermuseum“ und nahm für sich in Anspruch, nicht nur die erste Adresse für die wissenschaftliche ethnografische Darstellung der österreichisch-ungarischen Monarchie zu sein, mehr noch  : Im Jahresbericht für 1917 forderte Michael Haberlandt ein Ende der sozialpolitischen und praktischen Unfruchtbarkeit der Volkskunde und die Anerkennung ihrer immer umfassenderen

Das Museum für österreichische Volkskunde  

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und kräftigeren Einflussnahme auf die Weiterentwicklung und zukünftige Gestaltung der Volkskultur.32

Museale Sedimente Der Erste Weltkrieg stellte den Museumsbetrieb zu Beginn vor ähnliche Hemmungen wie den Wissenschaftsbetrieb, vor allem durch seinen gewaltigen Verbrauch an finanziellen Ressourcen und an Menschenleben. Zugleich erzeugte dieser, vor allem in den deutschsprachigen Gebieten für die Zivilbevölkerung nur vermittelt wahrnehmbare Krieg, eine enorme Nachfrage nach Darstellungen und Erklärungen, Deutungsangeboten und Sinngebungen für das gewaltige und neuartige Geschehen an den Fronten, sowohl seitens der Propagandastellen als auch der Bevölkerung. Auf die zeitgenössische Museums- und Ausstellungskultur wirkte dies nachhaltig dynamisierend.33 Im Krieg intensivierten sich zudem Begegnungen und Verbindungen zwischen militärischen, politisch-administrativen und wissenschaftlich-musealen Akteuren und Institutionen. Ein intensiv und breit sammelndes Museum wie das Museum für Volkskunde in Wien konnte sich dabei die vom Krieg geschaffenen Räume, wie Flüchtlings- oder Kriegsgefangenenlager, besetzte Gebiete und teils auch die Schützengräben selbst, als neue Sammlungs- und Darstellungsräume erschließen und einen privilegierten Zugriff auf die vom Krieg in Bewegung gesetzte materielle Kultur erhalten. Die Kooperation mit den Krieg führenden Institutionen öffnete in der Folge weitere Ressourcenquellen für die eigene Institution. Der Kontakt mit den Akteuren vor Ort lenkte die eigene Praxis zudem in Richtung eines Anwendungsdenkens. Aus all dem leiteten sich teils weitreichende Zukunftspläne ab, an deren Erwartungshorizont jedoch fast immer ein „Siegfrieden“, zumindest ein vorteilhafter Friedensschluss stand. Die Kriegsniederlage traf das Museum für Volkskunde in Wien mitten im Aufbau seiner neuen Ausstellung im neuen Domizil. Während draußen der Vielvölkerstaat zerfiel, der Kaiser abdankte und sich Wien zur großen Hauptstadt eines kleinen Staates herabsinken sah, bestückte man drinnen die Vitrinen mit böhmischen Majoliken, Südtiroler Holzschnitzereien, slowakischen Stickereien und albanischen Spinnrocken. Die Museumsführung steuerte rhetorisch rasch um, man betonte bei den Subventionsstellen nun das „hauptsächlich in glänzender Weise vertretene Sammlungsgebiet ‚DEUTSCH-ÖSTERREICHS‘“, und die übernationalen Verbindungen und die gegenseitigen Befruchtungen, die die weitere Sammlung bisher gezeigt hatte, belegte nun, ohne sich geändert zu haben, die „UMFASSENDE KULTURELLE BEFRUCHTUNG UND BEEINFLUSSUNG DURCH DIE DEUTSCHE KULTUR“34 im ehemaligen österreichischen Staatsrahmen. Trotzdem, als 1925 der Volksliedsammler und Journalist Alois Ulreich das Museum besuchte, wurde ihm fast schwindelig angesichts der unvermittelten Zeitreise zurück in die Monarchie  :

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Es hat hier keinen Krieg gegeben. Es ist noch alles wie früher. Der österreichische Mensch der Vergangenheit ersteht vor unserem Auge. […] Hier wird uns verbliebenen Kleinösterreichern anschaulich dargetan, was wir verloren haben.35

Das Museum selbst, erst vor wenigen Jahren neu eröffnet, erschien ihm bereits als „vergessenes, vernachlässigtes altes Haus“, seinem Zeitungsartikel gab er den Titel Das Haus mit den traurigen Augen. Wenige Jahre später übernahm Arthur Haberlandt die Museumsgeschäfte von seinem Vater. Neuen Schwung, so muss man leider konstatieren, brachte vor allem seine Hinwendung zur „Deutschen Volkskunde“, mithin zum Nationalsozialismus. Vor allem eine jüngere Generation, mit teils dezidiert völkisch-deutscher Gesinnung, übernahm unter ihm das Ruder, bereits vor dem Anschluss Österreichs. Gerade in den nationalsozialistisch völkischen 1930er-Jahren wurde die in den besetzten Räumen des Ersten Weltkriegs erprobte Anwendungsorientierung zu einer wichtigen Ressource für das Museum. Nicht nur durch Sammlung und Ausstellung, sondern auch durch Beratung, Zertifizierung und Prämierung vor allem im Trachtenwesen wurde der „volkspolitische“ und alltagskulturelle Anwendungsanspruch der Volkskunde gefestigt und ins urbane Umfeld übertragen.36 Der Zweite Weltkrieg eröffnete Haberlandt nochmals Möglichkeiten zur Forschung und zur Sammlungsvermehrung in besetzten Gebieten, diesmal im osteuropäischen Besatzungsraum und im Auftrag des Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg. Durch die gesamte Zeit hielt Haberlandt und mit ihm das Museum eine dezidierte Orientierung nach Südosten bei, die sich in engem kollegialem Kontakt zu lokalen Wissenschaftlern und Museumsleuten ausdrückte. Auch seine Expertenstellung konnte er, wie viele der in der Monarchie ausgebildeten Wissenschaftler, weiter aufrechterhalten. So hielt er 1943 einen Fachvortrag über „Deutsche und südosteuropäische Volkskunde“ im besetzten Belgrad.37 Nach dem erneuten Kriegsende musste Haberlandt das Museum endgültig verlassen. Was blieb und bis heute geblieben ist, sind die Objekte und Sammlungen aus dem Balkanraum. Mit diesen richtete das Museum für Volkskunde 1974 eine eigene Außenstelle im Schloss Kittsee ein, direkt an der mit Stacheldraht bewehrten Grenze zur Tschechoslowakei. Als „Ethnographisches Museum für ost- und südosteuropäische Volkskunde“ bestand es bis 2008. Heute sind die Balkansammlungen wieder in den Depots gelagert. Im Nationalmuseum in Belgrad hängt noch heute ein Hinweis auf die Verluste, die die Sammlungen durch den Ersten Weltkrieg erlitten haben und die auch dadurch nicht wiedergutgemacht wurden, dass man am Ende auf der Siegerseite stand. Das Museum für österreichische Volkskunde in Wien hingegen konnte seinen materiellen Nutzen aus der Kriegssituation ziehen, die Niederlage erzwang jedoch mindestens eine Umwertung dieser Erträge. Das, was von der beschriebenen Kriegserfahrung des österreichischen Museums für Volkskunde über den Krieg hinaus blieb, lässt sich vielleicht am besten als eine Art museales Sediment betrachten. Der Krieg bildete in diesem Fall ein Entstehungsmilieu, in dem Dinge mobilisiert und dadurch als Objekte sammelbar wurden. Er bildete auch den Rahmen, in dem sie zuerst gedeutet und gezeigt wurden. Nach dem zusammenbruchartigen Kriegsende brachen auch diese mobilisierenden Effekte bald ab. Die Anpassung an die neuen Verhältnisse war Das Museum für österreichische Volkskunde  

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für das Museum für Volkskunde rhetorisch einfacher zu leisten als materiell und substantiell. In Form persönlicher Expertise, die sich in Texten und Lehrer-Schülerverhältnissen tradierte und in Form der Sammlungsstücke, deren Objektpermanenz und Potenzial zur dinglichen Performanz die Zeit überdauerte, blieben diese Erfahrungen bestehen. Die folgenden historischen Ereignisse und personellen Veränderungen überschichteten, komprimierten und entkontextualisierten diese Ablagerungen jedoch fortschreitend. Als reine Rohstoffquellen für die museale Praxis sind sie heute mäßig interessant. Die Rekonstruktion ihrer Entstehungszusammenhänge mithilfe historisch-ethnografischer Methoden erlaubt jedoch aufschlussreiche Einblicke in den Zusammenhang von musealer Praxis als einer spezifischen Form der kulturellen Weltdeutung, dem Südosten Europas als einem von kultureller Diversität geprägten Kulturgebiet und Krieg als einem spezifischen historischem Erfahrungsraum.

Anmerkungen 1 Arthur Haberlandt, Bericht über die wissenschaftlichen Arbeiten in den prähistorischen und ethnographischen Sammlungen der Museen in Belgrad gelegentlich der historischen-ethnographischen Balkanexpedition des K.K. Ministeriums für Kultus und Unterricht, unveröffentliches Typoskript, Wien 1916. Noch kurz vor dem Weltkrieg hatte Haberlandt gemeinsam mit Trojanović eine Expedition nach Albanien geplant. 2 Siehe  : Christian Marchetti, Balkanexpedition. Die Kriegserfahrung der österreichischen Volkskunde – eine historisch-ethnographische Erkundung, Tübingen 2013. Zur Bedeutung des Ersten Weltkriegs für die Entwicklung der anthropologischen Wissenschaften siehe  : Reinhard Johler, Christian Marchetti u. Monique Scheer (Hrsg.)  : Doing Anthropology in Wartime and War Zones. World War I and the Cultural Sciences in Europe, Bielefeld 2010. 3 Christian F. Feest, „Haberlandtiana. Michael Haberlandt an der anthropologisch-ethnographischen Abteilung des k. k. Naturhistorischen Hofmuseums, 1885–1911“, in  : Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, 59/2005, 251–273. 4 Herbert Nikitsch, Auf der Bühne früher Wissenschaft. Aus der Geschichte des Vereins für Volkskunde (1894–1945), Wien 2006. 5 Reinhard Johler, „Das Ethnische als Forschungskonzept  : Die österreichische Volkskunde im europäischen Vergleich“, in  : Klaus Beitl u. Olaf Bockhorn (Hrsg.), Ethnologia Europaea. 5. internationaler Kongreß der Societe International d’Ethnologie et de Folklore Wien, 12.–16.9.1994, Wien 1995, 69–101. 6 Reinhard Johler, „Dinge, Kulturen, Museen. Ethnographische Repräsentationen und die Darstellung der deutschsprachigen Minderheiten in der Habsburgermonarchie“, in  : Danubiana Carpathica, Bd. 6, Museum und Minderheit, 53/2012, 21–58, hier 25f. 7 So wurde am 6. Juni 1913 in Wien ein „Österreichisches Albanien-Komitee“ gegründet, das die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Monarchie und Albanien und die wissenschaftliche Erforschung des Landes befördern sollte. Als Vertreter des Museums für Volkskunde gehörten Michael und Arthur Haberlandt der wissenschaftlichen Sektion des Komitees an. Siehe  : Österreichisches Albanien-Komitee (Hrsg.), Was will das österreichische Albanien-Komitee  ?, Wien 1914. 8 Michael Haberlandt, „Die Abteilung ‚Volkskunde‘ in der Adria-Ausstellung zu Wien 1913“, in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 19/1913, 128f.

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9 Theodor Brückler, Thronfolger Franz Ferdinand als Denkmalpfleger. Die ‚Kunstakten‘ der Militärkanzlei im Österreichischen Staatsarchiv (Kriegsarchiv), Wien [u. a.] 2009. 10 Michael Haberlandt, „Jahresbericht des Vereines für österreichische Volkskunde für das Jahr 1914“, in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 21/1915–1916, 21. 11 Anonym, „Mitteilungen“, in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 21/1915–1916, 133–135, hier 134. 12 Gottfried Korff (Hrsg.), KriegsVolksKunde. Zur Erfahrungsbindung durch Symbolbildung, Tübingen 2005. 13 Alexandra Kaiser, „‚…das Material zu sammeln, das dieser Krieg in solcher Fülle schuf wie keiner vorher‘. Kriegssammlungen und Kriegssammler im Ersten Weltkrieg“, in  : Gottfried Korff (Hrsg.), Kasten 117. Aby Warburg und der Aberglaube im Ersten Weltkrieg, Tübingen 2007, 87–115 u. Albert Buddecke, Die Kriegssammlungen. Ein Nachweis ihrer Einrichtung und ihres Bestandes, Oldenburg 1917. 14 Michael Haberlandt, „Die Kunstabteilung der Kriegsmetallsammlung“, in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 21/1915–1916, 95f. 15 Katrin Pallestrang u. Julie Thorpe, Stick- und Knüpfmuster ruthenischer Flüchtlinge im Ersten Weltkrieg. Aus der Sammlung des Volkskundemuseums Wien, Ausst.-Kat. Österreichisches Museum für Volkskunde, Wien 2014. 16 Marchetti 2013, 155. 17 Zur Besetzung siehe  : Manfried Rauchensteiner, Der Tod des Doppeladlers. Österreich-Ungarn und der Erste Weltkrieg, Graz [u. a.] 1993, 319–321  ; zu den Besatzungsregimen in den einzelnen Ländern siehe  : Tamara Scheer, Zwischen Front und Heimat. Österreich-Ungarns Militärverwaltungen im Ersten Weltkrieg, Frankfurt a. M. 2009. 18 Dazu ausführlich  : Marchetti 2013. 19 Österreichisches Staatsarchiv (ÖstA), Allgemeines Verwaltungs-Archiv (AVA), 02 Unterricht 15, Nr. 2709, „Kunstwesen Ausland in genere“ vom 26.1.1916. 20 Ebd. 21 Anonym, „Österreichische Balkanexpedition“, in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 21/1915– 1916,176. 22 Diese verarbeitete er vor allem in  : Arthur Haberlandt, Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Volkskunde von Montenegro, Albanien und Serbien. Ergebnisse einer Forschungsreise in den von den k. u. k. Truppen besetzten Gebieten Sommer 1916, Wien 1917  ; Arthur Haberlandt u. Victor Lebzelter, „Zur physischen Anthropologie der Albanesen“, in  : Archiv für Anthropologie, 17/1919, 123–154, Arthur Haberlandt, Volkskunst der Balkanländer. In ihren Grundlagen erläutert von Arthur Haberlandt, Wien 1919. 23 Albanische Literarische Kommission (Komisija Letrare Shqype). 24 Anonym, „Aufruf zum Sammeln volkskundlicher Objekte“, in  : Cetinjer Zeitung vom 27.9.1917, 2. 25 Ebd. 26 Michael Haberlandt, Denkschrift über die volkskundlich-wissenschaftliche Erschließung der besetzten Balkangebiete, Österreichisches Haus-, Hof, und Staatsarchiv, OKäA R 55/A 1917, Pr. Nr. 4155 vom 10.9.1917, gekürzt in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 23/1917, 91f. 27 Ebd. 28 Anonym, „Die volkskundliche Ausstellung aus den besetzten Balkangebieten“, in  : Neue Freie Presse vom 6.1.1918, 9. 29 Hartwig Fischel, „Aus dem Wiener Kunstleben  : Ausstellung zur Volkskunde der besetzten Balkangebiete“, in  : Kunst und Kunsthandwerk, 21/1918, 69. Das Museum für österreichische Volkskunde  

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30 Marchetti 2013, 229–233. 31 Ebd., 361–364. 32 „Jahresbericht des Vereines für österreichische Volkskunde für 1917“, in  : Zeitschrift für österreichische Volkskunde, 24/1918, 68–70. 33 Christine Beil, Der ausgestellte Krieg. Präsentationen des Ersten Weltkriegs 1914–1939, Tübingen 2004. 34 ÖstA, AVA, 02 Unterricht, Nr. 12420, „Kaiser Karl Museum für Volkskunde“ vom 27.10.1919. Hervorhebung im Original. 35 Alois Ulreich, „Das Haus mit den traurigen Augen. Ein Museumsbesuch“, in  : Neues Wiener Journal vom 27.6.1925, 6. 36 Magdalena Puchberger, „Urbane Heimatkultur als ideologische und soziale Schnittstelle in der Ersten österreichischen Republik“, in  : Österreichische Zeitschrift für Volkskunde, Bd. 66/115, 2012, 293–323. 37 Arthur Haberlandt, Deutsche und südosteuropäische Volkskunde. Vortrag, gehalten am 23. Oktober 1943 im Deutschen Wissenschaftlichen Institut in Belgrad, (Schriften des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Belgrad), Belgrad 1944.

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Wencke Deiters

DI E WI E N ER G E M Ä LD E GA L E R I E DE S KU N STH ISTO R I S C H E N MU S EUMS I N DE R Z E IT DE S E RSTEN WELTK R I E G S

Gleich nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren wir alle wie vor den Kopf geschlagen, und unsere Arbeiten, besonders die wissenschaftlichen, stockten ein wenig. Bald aber trachtete ich, meine Tätigkeit nach allen Richtungen hin in der bisherigen Weise fortzusetzen.1

Für die Wiener Gemäldegalerie fiel der Erste Weltkrieg in die Direktionszeit von Gustav Glück (1871–1952), der von 1911 bis 1931 deren Leitung innehatte. Mit Glück besetzte in Wien erstmals ein Kunsthistoriker diesen Posten, der bis dahin Malern bzw. als Malern tätigen Restauratoren vorbehalten gewesen war.2 Als Direktor setzte er von Anfang an neue Akzente durch eine zeitgemäße Neupräsentation der Sammlung und eine gezielte Ankaufspolitik. Glück gelang es auch in Zeiten des Krieges, Handlungsspielraum zu bewahren und an seinen Vorhaben trotz der personellen und monetären Einschränkungen festzuhalten. Die während des Krieges realisierten Ausstellungen wurden jedoch vor dem Hintergrund des Konflikts politisch instrumentalisiert. Die Glorifizierung der Vergangenheit der Habsburger beziehungsweise die Propagierung eines idealisierten Österreichbildes bestimmten die Themenwahl. Diese rückwärts gewandte Ausstellungspolitik stand im Gegensatz zu der Neupräsentation der Gemäldegalerie und den Erwerbungen, mit denen Glück an internationale Entwicklungen anknüpfte. Neben der Unterstützung des Oberstkämmereramtes kamen ihm seine Kennerschaft sowie gute Kontakte zu Sammlern und Kunstfreunden zugute. Auf diese Weise konnte Glück auch in finanziell schwierigen Zeiten zwar wenige, aber qualitätsvolle Werke erstehen und den Bestand der kaiserlichen Sammlung gezielt ergänzen. Von den acht während des Ersten Weltkriegs erworbenen Werken sind fünf bis heute fester Bestandteil der Schausammlung. Grundlage für diesen Beitrag ist ein Forschungsprojekt, das sich mit der Aufarbeitung der Galeriegeschichte des Kunsthistorischen Museums von 1911 bis 1938 befasst.3 Schwerpunkt der Untersuchung ist der Wandel von der kaiserlichen Sammlung zum modernen Museum aus kunsthistorischer Sicht. Die Aufarbeitung basiert auf nicht publiziertem Aktenmaterial aus den Museumsarchiven  : Dazu zählen Galerieakten, die unter anderem die Jahresberichte und die Korrespondenz des Direktors mit den Ministerien, Museen und Sammlern enthalten und Einblick hinsichtlich Sammeltätigkeit, Ausstellungen und Wissenschaftsbetrieb erlauben.4 Des Weiteren der Nachlass von Gustav Glück, der Briefe, persönliche Dokumente und eigenhändige Manuskripte enthält.5

Die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums  

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Die Sammlung Der Kriegsbeginn bedeutete für die Gemäldegalerie eine Zäsur. Das Museum wurde für knapp neun Monate geschlossen, von Mitte August 1914 bis Mitte März 1915. Danach blieb das Haus zunächst für zwei, ab 1917 für drei Wochentage geöffnet.6 Konnte Glück sich bis zu Kriegsbeginn noch auf drei wissenschaftliche Mitarbeiter stützen, wurde die wissenschaftliche Tätigkeit durch den Einzug zweier Kollegen zum Militärdienst stark beeinträchtigt.7 1917 wurde einer von ihnen vom Militärdienst befreit und im Auftrag des Ministeriums für Kultur und Unterricht für „kulturelle Missionen“ nach Istanbul geschickt, um sich der altchristlichen und asiatischen Kunst zu widmen und „dadurch die eventuelle Einrichtung eines österreichischen kunstwissenschaftlichen Institutes“ vorzubereiten.8 Andere Länder unterhielten in der Hauptstadt des Osmanischen Reiches bereits Institute, und auch Österreich wollte seine Position als Kulturnation unterstreichen.9 Der Direktor selbst wurde, so Glück in seinen persönlichen Aufzeichnungen, von militärischen Leistungen enthoben, da ich nach der Meinung der mir vorgesetzten Hofbehörden für das Schicksal der ebenso materiell wie ideell höchst wertvollen Gemälde zu sorgen hatte. In der Tat musste ich für den Fall einer feindlichen Invasion für etwa zweihundert der größten Meisterwerke passende Kisten anfertigen lassen, worin sie in die Verborgenheit unserer Gebirges geschafft hätten werden können. Ich bin froh, dass es dazu nicht gekommen ist und dass die Kisten viel später zu ganz anderen Zwecken verwendet wurden.10

Dieser Umstand dürfte mit ein Grund dafür gewesen sein, weshalb es Glück möglich war, an einem wesentlichen Plan seiner Amtszeit festzuhalten, die Wiener Gemäldegalerie entsprechend den internationalen Entwicklungen künftig modern zu präsentieren  : Dies bedeutete eine Abkehr von der sogenannten Petersburger Hängung, die in drei, bisweilen vier Reihen möglichst viel des Bestandes in einheitlichen Galerierahmen zeigte, hin zu einer lockeren Präsentation in ein bis maximal zwei Reihen, die dem einzelnen Kunstwerk eine größere Bedeutung beimaß.11 Die Schausammlung wurde um etwa ein Drittel des gezeigten Bestandes verkleinert. 1912 hatte Glück mit diesem Vorhaben begonnen, das im Ganzen 15 Säle und 18 Kabinette betreffen sollte. Nach Kriegsausbruch setzte er seine Arbeit mit Unterbrechungen fort. 1916 war die Neuhängung beendet.12 Glück folgte mit dieser Präsentation dem Trend der Zeit  : Als Erster hatte Hugo von Tschudi (1851–1911) um 1910 in München die Alte Pinakothek nach modernen Vorstellungen umgehängt,13 auf nationaler Ebene bewirkte die Künstlerbewegung der Secession um 1890 einen Wendepunkt in der Hängung von Kunstsammlungen.14 In der Restaurierwerkstatt wurden zahlreiche Werke für die Neuhängung gereinigt. Dabei kam es zu Neuentdeckungen  : Bei der Entfernung der Übermalungen einer Madonna mit Kind mit der Zuschreibung an die Venezianische Schule um 1480 wurde, so Glück im Jahresbericht, „das Fragment einer Heiligen- oder Stifterfigur zu Tage gefördert.“15 Die Madonna wurde als Ausschnitt der berühmten verschollen geglaubten Altartafel für San Cassiano von Antonello da Messina identifiziert, die im 17. Jahrhundert in mehrere Teile zersägt worden 86  I  Wencke Deiters

war.16 1928 wurden zwei weitere Fragmente in der Galerie entdeckt, die es ermöglichten, das Altarbild mit Heiligen in Teilen zu rekonstruieren.17 Es ist heute eine der Zimelien der Gemäldegalerie.

Die Ausstellungstätigkeit Während des Krieges wurden ausschließlich Ausstellungen bestückt, die die vergangenen Schlachten der österreichischen Armee glorifizieren beziehungsweise für die „österreichische Kunst im Ausland Propaganda machen sollten.“18 1916 wurden dem Rudolfinum in Prag für die Ausstellung Kriegsbilder im Zeitraum von 1600–1866 historisierende Schlachtendarstellungen des österreichischen Künstlers Carl von Blaas geliehen, einem für seine Historienmalerei vom Kaiserhaus geschätzten Maler der Wiener Schule des 19. Jahrhunderts. Es handelt sich um sechs Schlachtendarstellungen, die für die kaiserliche Armee der vergangenen zwei Jahrhunderte entscheidend und für die österreichische Nation identitätsstiftend waren, darunter Die Schlacht bei Kolin 175719, in der es den österreichischen Truppen gelang, Preußen zu besiegen, oder Die Schlacht bei Aspern 180920, bei der die Habsburger Napoleon die erste Niederlage zufügten.21 Ein Jahr später, 1917, war die Gemäldegalerie in Holland auf einer vom Kriegspressequartier geplanten Kriegsbilderausstellung zur modernen österreichischen und ungarischen Malerei vertreten.22 Im Rahmen einer Sonderausstellung zur Altwiener Malerei bildeten die sechs Leihgaben aus der Zeit des österreichischen Biedermeier den retrospektiven Teil der Ausstellung.23 Die Auswahl traf Dr. Franz Martin Haberditzl, Direktor der Staatsgalerie im Belvedere  : Neben zwei Porträts, Ferdinand Waldmüllers Bildnis der Frau eines höfischen Beamten24 sowie das eines Aristokraten von Friedrich von Amerling25, wurden von August von Pettenkofen der Markt in Szolnok26 und das Interieur einer Stube27 entliehen, von Karl Schindler die Heimfahrt von der Hochzeit28 gezeigt. Im Unterschied zu den Schlachtendarstellungen von Blaas’ wurde hier auf Gemälde zurückgegriffen, die ein idyllisches Österreichbild exportierten. Einzig von Schindler, der auch unter dem Zusatznamen „Soldaten-Schindler“ reüssierte, wurde ein militärisches Sujet präsentiert  : Der Vorposten, eine Szene aus den französischen Befreiungskriegen, zeigt Mitglieder des österreichischen Militärs bei der Beobachtung des herannahenden Feindes.29 Zuletzt wurde die Gemäldegalerie im März 1918 wegen Leihgaben für die Ausstellung Ein Jahrhundert Wiener Malerei angefragt, die im Sommer desselben Jahres in Zürich stattfand. Diesem Ansuchen zufolge sollte sie „das Hervorragendste, was österreichische Künstler im Laufe eines Jahrhunderts hervorgebracht haben, vereinen, um so den Wettbewerb mit den bisherigen Ausstellungen französischer und deutscher Kunst in der Schweiz aufnehmen zu können.“30 Unterstützt wurde die Ausstellung unter anderem vom Österreichischen k. k. Ministerium des Äußeren und dem k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht. Geliehen wurden, neben dem bereits erwähnten Porträt von Amerling, Werke von Friedrich Heinrich Die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums  

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Abb. 1: Willem van den Broecke, gen. Guillelmus Paludanus, Selbstbildnis als Wachsbossierer, 1564

Füger, Moritz von Schwind und Wilhelm Bernatzik. Mit der Auswahl der Künstler wird der Bogen von der Klassik bis zur Moderne gespannt. Die Sujets präsentieren verschiedene Facetten der österreichischen Malerei  : Fügers Porträt seiner Ehefrau und Schauspielerin Josepha Hortensia etwa zieht seine Inspiration aus der englischen Porträtkunst.31 Schwind thematisiert mit Kaiser Maximilian I. in der Martinswand eine wahre Begebenheit aus der Vergangenheit des Habsburgers, der aus einer scheinbar ausweglosen Situation von einem Knaben errettet wurde.32 Maximilian war eine der Identifikationsfiguren für das neue, ab 1804 unter Franz II./I. begründete Kaisertum Österreichs  : Unter ihm wurde das Haus Habsburg im 15. Jahrhundert geeint, durch seine Heiratspolitik die Grundlage für den Aufstieg der Habsburger zur Weltmacht gelegt. Schließlich gelangte mit Bernatziks Vision des heiligen Bernhard, die im nahe bei Wien gelegenen Stift Heiligenkreuz situiert ist, das Werk eines Gründungsmitgliedes der Wiener Secession und Vertreters des Wiener Jugendstils auf Propagandatour in die Schweiz.33

Die Erwerbungspolitik Ein weiteres erklärtes Ziel Glücks bei Amtsbeginn war, die Galerie systematisch zu erweitern und Lücken in den Sammlungsbeständen, deren Schwerpunkte in den Altmeisterbeständen im Bereich der Hochrenaissance und des Barock lagen, zu schließen. Dem Direktor standen, auch im Vergleich zu seinen Vorgängern, größere Summen für Erwerbungen zur Verfügung. Und die Situation auf dem Kunstmarkt war günstig. „Wenn ein programmatisches Sammeln 88  I  Wencke Deiters

möglich war, dann in den Jahren vor dem Krieg.“34 In seinen privaten Aufzeichnungen resümiert Glück  : „Anfänglich erschien mir […] meine Sammeltätigkeit fast unbegrenzt […].“35 Schulen und Epochen, die bisher gar nicht oder nur wenig präsent waren, fanden Eingang. Allein im Zeitraum von drei Jahren, von seinem Amtsantritt bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs, gelang es Glück, 35 Werke – knapp 160 in seiner zwanzigjährigen Ära – zu erwerben. Gekauft wurde im In- und Ausland, unter anderem in Berlin, Paris und Nizza. Im Vergleich hierzu schrumpfte der Neuzugang in den vier Kriegsjahren auf lediglich acht Werke, welche im Folgenden besprochen werden. Und die Ankaufsmöglichkeiten blieben „ausschließlich auf den deutschen Sprachraum beschränkt“.36 Mit Beginn des Ersten Weltkriegs kam die Erwerbungspolitik im Bereich der alten Meister zunächst zum Erliegen. Im Jahresbericht von 1914 äußert Glück noch die Hoffnung, dass trotz des Krieges in den folgenden Jahren bei den alten Meistern Neuzugänge möglich sein würden  : Das völlige Aufhören von Erwerbungen würde der Galerie als öffentlichem Institut jedes Leben und jede Wirksamkeit entreißen [und] das grosse Publikum […] das Interesse an der Sammlung völlig verlieren, wenn nicht von Zeit zu Zeit für neue Bewegungen gesorgt würde.37

In Anbetracht der anlässlich des Ersten Weltkriegs gestiegenen Gemäldepreise nahm Glück von seinem ehrgeizigen Ziel, die Sammlung zu vervollständigen und Lücken zu schließen, Abstand. Da die Gemäldegalerie nur ein Jahresbudget von 45.000 Kronen aufweise, sei es, so Glück, „dringend wünschenswert“, dieses nicht in einem Jahr aufzubrauchen, sondern Teile anzusparen, um schließlich größere Ausgaben für die Werke alter Meister zu ermöglichen.38 1915 kam es im Bereich der alten Meister lediglich zu einer Erwerbung. Es handelt sich um eine Tafel mit dem Porträt eines Bildhauers, die auf 1564 datiert ist und das Monogramm G.P.S. aufweist (Abb. 1).39 Sie war im Wiener Kunsthandel als Werk eines anonymen niederländischen Malers angeboten worden, als Bildnis des Germain Pilon, des französischen Renaissancebildhauers, der im Dienst des französischen Königshauses und der Aristokratie stand. Im Jahresbericht von 1915 beschreibt es Glück als Porträt eines „tüchtigen anonymen niederländischen Meister[s] [….], den spätere Untersuchungen“ mit dem „Antwerpener Künstler Guglielmus Paludanus“40 identifizieren konnten. Es war die Kennerschaft Glücks, die ihm, wie in anderen Fällen – prominentester Fall ist die Entdeckung von Dürers signiertem und datiertem Brustbild einer jungen Venezianerin41 – zur Seite stand und zu einer Aufwertung der Erwerbung führte  : Der Direktor schlug vor, das Monogramm G.P.S. als „Guillelmus Paludanus sculpsit“ zu lesen und den Porträtierten mit dem niederländischen Renaissancebildhauer und Architekten zu identifizieren, hinter dem sich mit bürgerlichem Namen Willem (Guillaume) van den Broecke verbarg. Van den Broecke hatte in Antwerpen und Deutschland gewirkt, allerdings sind nur wenige Arbeiten von ihm überliefert. In der Forschung konnte sich Glücks Vorschlag behaupten. Seit den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gilt es zudem als Selbstporträt des Künstlers42 und als einziges überliefertes Gemälde von Paludanus. Der Kauf dieses Bildnisses eines anonymen Meisters dürfte, gemessen an den bis dahin getäDie Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums  

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tigten Ankäufen, bei denen es sich um prominente Namen wie Francesco Guardi, Sir Joshua Reynolds, Luca Giordano oder Franz Anton Maulbertsch gehandelt hatte, für Glück zunächst eine Ernüchterung bedeutet haben. Erworben wurde das Werk für 9.000 Kronen von der Wiener Kunsthandlung Wendlinger, mit der Glück mehrmals ins Geschäft trat – auch nach dem Krieg mit bedeutenden Erwerbungen.43 Glück blieb der Ankauf bedeutender Kunstschulen ein Anliegen. 1915 weist er auf seinen bereits ein Jahr zuvor gemachten Vorschlag hin, zu diesem Zweck Geldreserven anzulegen.44 Ernüchtert stellt Glück in dem 1919 erschienenen zusammengefassten Jahresbericht der letzten drei Kriegsjahre fest, mit bedeutenden Erwerbungen sei nicht mehr zu rechnen. Das geringe Angebot im Bereich der alten Meister, „das durch die Absperrung vom Ausland entstanden war“, in Kombination mit den Preissteigerungen und den schlechten Stand der österreichischen Währung führt er als Gründe an.45 Am 26. Juni 1918 schreibt Glück an den Oberstkämmerer, der am kaiserlichen Hof für die Kunstsammlungen zuständig war  : Seit einigen Jahren sind die Preise von alten Gemälden zu einer solchen Höhe gestiegen, dass eine Aussicht auf Erwerbungen von hervorragenden Stücken[,] und nur um solche kann es sich handeln für die kaiserliche Gemäldegalerie[,] mit den bisher zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr besteht. Die unterfertigte Direktion hat sich daher an eine Zahl von Kunstfreunden und Sammlern gewendet, denen sie zum größten Teil bei ihren Ankäufen im Laufe der Jahre behilflich hat sein können, sie persönlich um Unterstützung bei den Erwerbungen für die Gemäldegalerie ersucht und dabei grosses Entgegenkommen gefunden.46

Glück gelang es, durch Spenden einen Gesamtbetrag von 599.500 Kronen, das heißt mehr als die dreizehnfache Menge seines Jahresbudgets von 45.000 Kronen, zu erreichen. „Dank dieser Spenden“, so Glück, „war es möglich, die Gemäldegalerie in den letzten drei Jahren durch eine größere Anzahl von bedeutenden Stücken zu vermehren, [welche] die vorhandenen Bestände der einzelnen Schulen vortrefflich ergänzen.“47 Dabei handelte es sich um Gemälde, die den Sammlungsbereich der altdeutschen, flämischen, holländischen und italienischen Malerei betrafen. So konnte die holländische Malerei in der Gemäldegalerie durch zwei weitere Stücke vermehrt werden  : Bei dem einen handelt es sich um eine Erwerbung aus dem Jahr 1917, Jan Steens Genredarstellung Bauern beim Kegelspiel (Abb. 2),48 die, so Glück, „in der vorzüglichen Ausführung der zahlreichen kleinen Figuren, als auch besonders in der ausserordentlich feinen Gestaltung des landschaftlichen Teils von aussergewöhnlichem Reiz ist und neben den schon vorhandenen Gemälden des Künstlers [die Figurenbilder Betrogener Bräutigam49 und Verkehrte Welt50, Anm. W. D.] dessen Kunst von einer ganz neuen Seite zeigt.“51 Dadurch werde deutlich, „dass Jan Steen einer der wichtigsten Nachfolger des grossen Bauernbreughel ist […].“52 Von Letzterem, Pieter Brueghel dem Älteren, besitzt die Wiener Gemäldegalerie die größte Sammlung weltweit, darüber hinaus mit kaiserlicher Provenienz. Die Erwerbung der Kegelspieler von Jan Steen ergänzte damit den bereits vorhandenen Bestand der holländischen Malerei. Das Werk war zudem, obwohl signiert, der Forschung erst seit dem 19. Jahrhundert 90  I  Wencke Deiters

Abb. 2: Jan Steen, Bauern beim Kegelspiel, um 1655

bekannt. Erworben wurden die Kegelspieler durch Ankauf von der Wiener Kunsthandlung Bachstitz. Das Werk, das sich zuvor in einer ungarischen Privatsammlung befunden hatte,53 war Glück persönlich zum Preis von 95.000 Kronen angeboten worden. Dieser Preis, so Glück im Jahresbericht an das Oberstkämmereramt, „darf bei den heutigen Marktverhältnissen als durchaus angemessen, ja als günstig bezeichnet werden […] Schon vor dem Kriege (1913) erzielte ein Werk van Steens auf einer Versteigerung den Preis von 361.500 Kronen.“54 Glück schlug vor, den Betrag in zwei Raten zu zahlen, wobei mehr als ein Drittel (35.000 Kronen) mithilfe von Spenden finanziert werden konnte.55 Bei dem zweiten Werk handelt es sich um ein Damenporträt von Gerard ter Borch56, das der Gemäldegalerie 1918 von der Kunsthandlung Wendlinger für den Betrag von 130.000 Kronen angeboten wurde.57 Ter Borch gilt als einer der wichtigsten Protagonisten der holländischen Genremalerei und Wegbereiter von Vermeer. In kaiserlichem Besitz befand sich bereits ein typisches Werk seiner feinsinnigen „Sittenmalerei“, die Apfelschälerin.58 Als Porträtist stand ter Borch im Dienst der holländischen und spanischen Aristokratie und Regierenden. Mit der Erwerbung dieses strengen Damenbildnisses, das eine Frau in Witwentracht zeigt, wollte Glück eine weitere Facette von ter Borchs Können repräsentiert wissen.59 Der Kauf erwies sich allerdings als weniger geglückt  : Es handelt sich, wie sich später zeigen sollte, um eine Replik nach einem Gemälde in der Londoner National Gallery, das heute als Prototyp Die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums  

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Abb. 3: Jan Brueghel d. Ä., Dorfstraße, 1603

gilt. Die Inschrift auf der Rückseite der Originalleinwand ermöglichte die Identifizierung der Porträtierten mit Hermana von der Cruysee, der Witwe des Bürgermeisters Abraham van Suchtelen aus Deventer,60 der Stadt, in der ter Borch seit 1654 lebte. Im Dezember 1917 gelang es Glück, bei der Versteigerung der Berliner Sammlung Kaufmann das kleinformatige Tafelbild Madonna mit Kind 61 von dem Augsburger Maler Hans Holbein dem Älteren für 63.148 Kronen (bzw. 40.480 Mark) zu erwerben.62 Bei dem Gemälde aus Augsburger Privatbesitz handelte es sich um die einzige Erwerbung außerhalb Österreichs. Von Hans Holbein dem Älteren, der am Übergang von der Gotik zur Renaissance steht, sind vor allem religiöse Darstellungen überliefert. Bei diesem Andachtsbild handelte es sich um das erste Werk des Meisters in der Wiener Gemäldegalerie. Im Falle seines prominenten Sohnes, Hans Holbein dem Jüngeren, konnte sich die Gemäldegalerie auf mehrere Porträts aus altem kaiserlichen Besitz berufen.63 Mit der Erwerbung des Madonnenbildes von dessen Vater ergänzte Glück den Bestand der altdeutschen Malerei, deren Ausbau ihm ebenfalls ein Anliegen war.64 Neun Jahre später, 1926, sollte Glück eine zweite Madonnendarstellung von Hans Holbein dem Älteren, die Madonna mit dem Granatapfel 65, für die Wiener Gemäldegalerie erwerben. 1918 gelang es, die Abteilung der flämischen Malerei durch zwei kleine Gemälde auf Kupfer von Jan Brueghel dem Älteren, Sohn Pieter Brueghels des Älteren, zu bereichern  : Der Weg 92  I  Wencke Deiters

Abb. 4: Antonio Canal, gen. Canaletto, Die Dogana in Venedig, um 1724/1730

zum Markt 66, signiert und datiert, und die Dorfstraße 67 (Abb. 3) wurden der Gemäldegalerie ebenfalls über den Kunsthändler Bachstitz zum Preis von 52.500 Kronen (bzw. 35.000 Mark) angeboten. Sie stammten aus der Berliner Sammlung Carl von Hollitschers, der sie aus dem Kunsthandel in Den Haag erworben hatte. Bei den beiden Gemälden handelt es sich um Gegenstücke, die in zahlreichen Wiederholungen überliefert sind. Glück erstand also ein beliebtes Sujet. Mit der Überschaulandschaft bei dem Weg zum Markt und einer Dorfdarstellung knüpft Jan Brueghel der Ältere an die Bilderfindungen seines Vaters an. In der Wiener Sammlung war Jan Brueghel bis dahin vor allem durch seine bekannten Blumenstillleben sowie christliche und mythologische Darstellungen vertreten. In dieser Hinsicht stellen diese Genreszenen, so Glück, eine „besonders glückliche Ergänzung dar, da bisher Bilder dieser Art von der Hand des sonst schon in der Galerie vortrefflich vertretenen […] Bruegel gänzlich fehlten“.68 Auch wenn die Eigenhändigkeit immer wieder diskutiert wird, sind beide Werke aufgrund ihrer malerischen Qualität bis heute wichtiger Bestandteil der Primärgalerie. Die letzten zwei Erwerbungen galten der italienischen Vedutenmalerei des 18. Jahrhunderts  : 1918 gelang es Glück, die Sammlung um zwei Venedigansichten von Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto, dem wohl wichtigsten Protagonisten der venezianischen Vedutenmalerei, zu ergänzen  :69 Die Dogana in Venedig 70 (Abb. 4) und Die Riva degli Schiavoni in Venedig.71 Der Zuwachs war bedeutend. Glück konnte somit trotz des Krieges die Sammlung Die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums  

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venezianischer Vedutenmalerei des 18. Jahrhunderts für die Wiener Gemäldegalerie vervollständigen.72 Zu Beginn seiner Amtszeit war dieses Genre in der Wiener Gemäldegalerie unterrepräsentiert gewesen. Es war bis dahin allein von Canalettos Neffen Bernardo Bellotto vertreten worden, dessen Veduten sich von Anfang an in kaiserlichem Besitz befanden.73 1912, ein Jahr nach Glücks Amtsantritt, war dem Direktor bereits der Kauf zweier Venedigansichten von Francesco Guardi, dem Schüler Canalettos, gelungen.74 Die beiden jetzigen Veduten von Canaletto vermochte Glück durch die Unterstützung des Wiener Bankiers und Kunstsammlers Stefan von Auspitz zu erwerben. Gegenüber der Wiener Gemäldegalerie hatte sich Auspitz bereits zu einem früheren Zeitpunkt erkenntlich gezeigt  : Er hatte sich nicht nur an der Spendenaktion für die Wiener Gemäldegalerie beteiligt, sondern 1912 der Galerie ein Gemälde vermacht.75 Für den Ankauf der beiden Canalettos hatte Auspitz den Kaufbetrag von 210.000 Kronen vorgestreckt und der Galerie für die ersten drei Monate ein zinsfreies Darlehen angeboten.76 Die Gemälde stammten aus der Sammlung des österreichischen Komponisten Ignaz Brüll und hatten eine venezianische Provenienz.77 Mit dieser Erwerbung gelang es Glück, dieses Genre um zwei „durch helle sonnige Färbung und vortreffliche Perspektive ausgezeichnete Bilder von Antonio Canale, den Schöpfer dieser Gattung […] ganz wesentlich zu ergänzen[…]“78. Die zeitlich früheren Venedigansichten gehören bis heute zum festen Bestand der Primärgalerie. Zum Vergleich  : London, Berlin und München hatten, wenn auch schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts, ihre Bestände mit Guardi ergänzt, Berlin die ersten Canalettos erworben.79 Glück konnte, trotz Krieg, dem Trend der Zeit folgen.

Anmerkungen 1 Gustav Glück, Skizze meines Lebens, Santa Monica, Kalifornien 1952, 9 (Archiv, Kunsthistorisches Museum Wien, Nachlass Gustav Glück IV, 84, 5, 10). 2 Zum Vergleich  : In der Berliner Galerie hatte bereits 1830 mit Gustav Friedrich Waagen ein Kunsthistoriker den Direktionsposten inne. 3 Das Forschungsvorhaben wird vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank (Projekt Nr. 15006) finanziert. 4 Die Galerieakten befinden sich in der Direktion der Gemäldegalerie. 5 Der Nachlass von Gustav Glück befindet sich im Archiv des Kunsthistorischen Museums. 6 Herbert Haupt, Das Kunsthistorische Museum. Die Geschichte des Hauses am Ring. Hundert Jahre im Spiegel historischer Ereignisse, Wien 1991, 62. 7 Zunächst sein Assistent Alfred Stix, später wird der Volontär Ernst Buschbeck zum Kriegsdienst einberufen. Vgl. Jahresbericht für 1914  : Galerieakten 1915, Z  : 25. 8 Zitat, Glück, Brief an den Oberstkämmerer vom 9. März 1917, vgl. Galerieakten 1917  : Z. 12. 9 Ebd. 10 Glück 1952, 9.

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11 Vgl. Ludwig Baldass u. Ernst Buschbeck, „Geschichte der Wiener Gemäldegalerie in den Jahren 1911–1931  : Verzeichnis der Erwerbungen der Galerie während derselben Zeit“, in  : Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, neue Folge, Bd. 5, 1931, 1–31, hier 7. 12 Vgl. Jahresbericht vom 18. Juni 1915 für 1914, in  : Galerieakten 1915, Z  : 25 und Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 13 Vgl. Alexis Joachimides, Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums, 1880–1940, Dresden 2001, 159–165. 14 Vgl. Barbara Wutte, Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums von 1891–1918. Ausstellungspraxis im 19. Jahrhundert in Österreich, unveröffentlichte Diplomarbeit, betreut von Wolfgang Prohaska, Universität Wien 2003, 94. 15 Zitat, Glück im Jahresbericht für 1915 vom 23. Juni 1916 in  : Galerieakten 1916  : Z. 24. 16 Bernhard Berenson, „Eine Wiener Madonna und Antonellos Altarbild in S. Cassiano“, in  : Jahrbuch der Wiener Kunstsammlungen, Bd. 34, Wien 1918, 35–52, hier 33. 17 Kunsthistorisches Museum Wien (KHM), Inv.-Nr. GG 2574. Zur Rekonstruktion siehe Johannes Wilde, „Die ‚Pala di San Cassiano‘ von Antonello da Messina“, in  : Jahrbuch der Wiener Kunstsammlungen, neue Folge, Bd. 3, Wien 1929, 57–72, hier 57. 18 Zitat, Glück im Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 19 Heute befindet sich Die Schlacht bei Kolin von Blaas’ (Inv.-Nr. 3489) sowie die anderen hier besprochenen Gemälde der Wiener Schule aus dem 19. Jahrhundert aufgrund der Neuordnung der Wiener Sammlungen in der Österreichischen Galerie Belvedere oder aber in der Albertina. 20 Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2744. 21 Bei den anderen Werken von Karl von Blaas handelt es sich um Die Übergabe von Belgrad 1789 (Inv.-Nr. 2472), Der Kampf um den Berg Isel 29. Mai 1809 (Inv.-Nr. 2746), Die Schlacht bei Leipzig 1813 (Inv.-Nr. 2747) und Episode nach der Schlacht bei Novara 1849 (Inv.-Nr. 2474). Alle Gemälde befinden sich in der Österreichischen Galerie Belvedere, Wien. 22 Das Kriegspressequartier hatte die Aufgabe, Propagandatätigkeiten von Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkrieges wahrzunehmen. 23 Vgl. Galerieakten 1917, Z  : 28. 24 Es handelt sich um das Porträt der Gattin des Hofbeamten J. v. Stadler, Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2120. 25 Es handelt sich um das Porträt eines älteren Mannes (Graf Breda  ?), Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2108. 26 Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2176. 27 Albertina, Wien, Inv.-Nr. 28436. 28 Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2117. 29 Albertina, Wien, Inv.-Nr. 28239. 30 Zitat, Karl Moll vom 11. März 1918 im Brief an die Direktion der Gemäldegalerie, vgl. Galerieakten 1918, Z  : 14. Der Maler Karl Moll war mit dieser Anfrage an die Direktion der Gemäldegalerie beauftragt worden. 31 Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4191. 32 Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2125. 33 Österreichische Galerie Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 2705. 34 Baldass/Buschbeck 1931, 13.

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35 Gustav Glück, „Die Direktion der Gemäldegalerie und das Ende der Kaiserzeit VI“, in  : Erinnerungen, o. O., o. J. (Typoskript), 5 (Archiv, Kunsthistorisches Museum, Nachlass Gustav Glück IV, 84, 5, 12). 36 Glück o. J., 17. 37 Zitat, Glück im Jahresbericht für 1914 vom 18. Juni 1915, in  : Galerieakten 1915, Z  : 25. 38 Zitat, Glück im Jahresbericht für 1914 vom 18. Juni 1915, in  : Galerieakten 1915, Z  : 25. 39 KHM, Inv.-Nr. GG 6305. 40 Zitat, Glück, im Jahresbericht für 1915 vom 23. Juni 1916, in  : Galerieakten 1916, Z  : 24. 41 KHM, Inv.-Nr. GG 6440. Glück gelang es, das Gemälde 1923 zu erwerben. 42 Theodor von Frimmel, Studien und Skizzen zur Gemäldekunde, Bd. 5, Wien 1920, 161. 43 Schon 1919, ein Jahr nach Kriegsende, gelang es Glück über die Kunsthandlung Wendlinger Adriaen van Ostades Bauern in einer Scheune (Inv.-Nr. GG 6338) und Emanuel de Wittes Das Innere einer gotischen Kirche (Inv.-Nr. GG 6339) zu erwerben. 44 Vgl. Jahresbericht für 1915 vom 23. Juni 1916, in  : Galerieakten 1916, Z  : 24. 45 Vgl. Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 46 Zitat, Glück im Brief vom 26. Juni 1918 an den Oberstkämmerer, Galerieakten 1918, Z  : 33. 47 Zitat, Glück im Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 48 KHM, Inv.-Nr. GG 6319. 49 KHM, Inv.-Nr. GG 714. 50 KHM, Inv.-Nr. GG 791. 51 Zitat, Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 52 Zitat, Glück im Brief vom 11. Juni 1917 an den Oberstkämmerer, vgl. Galerieakten 1917, Z  : 2. 53 Provenienz  : Sammlung Chr. Heusch, London  ; 1841 Kunsthandel Niewenhuy, London  ; Sammlung Williams, London  ; Sammlung H. P. Lane, Dublin  ; Sammlung Baron F. Hatvany, Budapest. 54 Zitat, Glück, vgl. Galerieakten 1917  : Z  : 2. 55 Vgl. Galerieakten 1917  : Z  : 2. 56 KHM, Inv.-Nr. GG 6330. 57 Provenienz  : Sammlung Colonel Hankey, Beaulieu, Hastings  ; Kunsthandlung Ch. Sedelmeyer, Paris, 1899  ; 1900 Kunsth. F. Kleinberger, Paris  ; 1903 ausgestellt bei Kunsthandlung Lawrie & Co, London  ; Slg. Schacky, München  ; Versteigerung Marczell de Nemes, Paris, 1913, 17. 6., Nr. 64. 58 KHM, Inv.-Nr. GG 588. 59 Vgl. Gal. Akt 1918  : Z  : 33. 60 Neil McLaren, National Gallery Catalogue  : The Dutch School, London 1960, 42f. 61 KHM, Inv.-Nr. GG 6327. 62 Vgl. Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für die Jahre 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26 63 U. a. Bildnis eines jungen Kaufmanns (Inv.-Nr. GG 905), Dr. John Chambers, Leibarzt von König Heinrich VIII (Inv.-Nr. GG 882). 64 Glück 1952, 8. 65 KHM, Inv.-Nr. GG 6503. 66 KHM, Inv.-Nr. GG 6328. 67 KHM, Inv.-Nr. GG 6329. 68 Zitat, Glück im Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 69 Vgl. Galerieakten 1912, Z  : 16. – Vgl. Galerieakten 1918, Z  : 7. Vgl. auch Glück o. J., 17. 70 KHM, Inv.-Nr. GG 6331. 71 KHM, Inv.-Nr. GG 6332.

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72 In der Forschung wurde Antonio Canal seit dem 19. Jahrhundert Beachtung geschenkt. Die erste Monografie, wenn auch seiner radierten Stadtansichten, erschien 1878 und auf Deutsch. Vgl. Rudolf Meyer, Die beiden Canaletto Antonio Canale und Bernardo Bellotto, Versuch einer Monographie der radirten Werke beider Meister, Dresden 1878. 73 Die Serie von 13 Veduten hatte Bellotto im Auftrag von Maria Theresia zwischen 1758 und 1761 gemalt. 74 Vgl. Galerieakten 1912, Z  : 16. 75 Es handelte sich um Alessandro Magnascos Das Mahl der Einsiedler (Inv.-Nr. GG 6238), das nach wie vor fester Bestandteil der Schausammlung ist. 76 Galerieakten 1918, Z  : 7. 77 Provenienz beider Gemälde  : Sammlung Manfrin, Venedig  ; Sammlung Festetics, Wien  ; Sammlung Gesellschaft, Wien  ; Sammlung Brüll, Wien. 78 Zitat, Glück im Jahresbericht vom 14. Juli 1919 für 1916, 1917, 1918, in  : Galerieakten 1919, Z  : 26. 79 Vgl. Henning Bock [u. a.], Gemäldegalerie Berlin  : Gesamtverzeichnis, Berlin 1996, 57  ; Peter Eikemeier [u. a.], Alte Pinakothek München, Erläuterungen zu den ausgestellten Gemälden, München 1999, 236f.

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Alan Crookham · Anne Robbins

IM AN G E S I C HT D ER MO D E R N E Die Gründung der Britischen Nationalsammlung moderner ausländischer Gemälde 1914–18

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs gab es in Großbritannien keine Nationalsammlung moderner Gemälde aus dem Ausland  ; am Ende des Krieges verfügte das Land nicht nur über den Grundstock einer solchen Sammlung, sondern es existierten bereits fortgeschrittene Pläne für den Bau einer Galerie, die diese Sammlung beherbergen sollte. Auch wenn es nicht der Krieg selbst war, der zur Gründung einer Sammlung moderner ausländischer Malerei führte – der Entwurf einer solchen Sammlung geht in das 19. Jahrhundert zurück und war in den Vorkriegsjahren bereits heftig debattiert worden – so lässt sich dennoch sagen, dass die Umstände des Krieges deren Verwirklichung begünstigten.1

Moderne Kunst im 19. Jahrhundert Vor dem Krieg waren die modernen ausländischen Gemälde etwas unbeholfen innerhalb der Sammlung der National Gallery untergebracht. Bei ihrer Einrichtung im Jahre 1824 umfasste die Sammlung hauptsächlich alte Meister, einige neuere britische Gemälde und das einsame Bild eines zeitgenössischen britischen Künstlers, David Wilkies The Village Holiday2  ; moderne ausländische Gemälde beinhaltete sie keine. Zur Zeit ihrer Gründung fehlte der Sammlung noch eine klare Ausrichtung, Ankaufsentscheidungen blieben für den Rest des 19. Jahrhunderts vom Grundstock der Sammlung bestimmt und folgten somit eher der Macht der Gewohnheit als einer klaren Strategie. Diese unbefriedigende Situation wurde 1855 mit der Umsetzung der Empfehlungen eines Parlamentsausschusses zwar verbessert, aber noch nicht gänzlich behoben.3 Charles Eastlake wurde als erster Direktor der Galerie eingesetzt und mit der nötigen Vollmacht ausgestattet, Gemälde anzukaufen und die Sammlung zu gestalten. Dennoch gab es nach wie vor keine eindeutige Bestimmung des Sammlungsgebiets, und Eastlake selbst verstand seine eigene Rolle lediglich darin, die vorhandene Sammlung zu erweitern und auf ältere Epochen auszuweiten, anstatt moderne oder zeitgenössische Kunst miteinzuschließen. Zwar wurden in seiner Zeit als Direktor die ersten modernen ausländischen Gemälde in die Sammlung aufgenommen, doch blieben sie die Ausnahme von der Regel und wurden nicht im Rahmen einer aktiven Ankaufspolitik erworben. Zwei Bilder lebender Maler, Josephus L. Dyckmans’ Der blinde Bettler4 (Abb. 1) und Rosa Bonheurs Der Pferdemarkt 5, wurden 1859 mit verschiedenen Nachlässen erworben. Nachfolgende DirektoDie Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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Abb. 1: Josephus Laurentius ­Dyckmans, Der blinde Bettler, 1853

ren führten diese Praxis fort, obwohl die Existenz moderner ausländischer Gemälde bisweilen zu Debatten um deren Bedeutung führte. Als die Regierung 1867 den Bau eines neuen Galeriegebäudes erwog, sprachen sich der Direktor William Boxall und das Board of Trustees (Kuratorium)6 dafür aus, dass darin auch modernen Kunstwerken Platz gegeben werden sollte.7 In ihrem Bericht empfahlen sie die Anschaffung moderner ausländischer Gemälde, da diese auch weitere Nachlässe und Schenkungen ähnlicher Werke begünstigen würden, und sie führten weiter aus, dass es zweckdienlich erscheine, eine Galerie für die Werke bedeutender moderner ausländischer Maler einzurichten. Die wenigen Exemplare, die bereits in der National Gallery präsentiert wurden, hätten sich bereits als attraktive Ergänzungen erwiesen.8 Zu dem Abriss und Neubau der Galerie kam es nie, nur zu einer sehr bescheidenen Erweiterung des Gebäudes, dessen räumliche Gegebenheiten nicht ausreichten, um die Errichtung einer Galerie für moderne ausländische Maler zu ermöglichen. Zu diesem Platzmangel hinzu kamen noch der Mangel an Mitteln und – vielleicht am ausschlaggebendsten – der fehlende Wille, eine Sammlung moderner ausländischer Kunst zu schaffen. Besonders deutlich spiegelt sich das in den Äußerungen des Kuratoriumsmitglieds9 William Russell wider, der meinte, dass die Anschaffung moderner Kunst zurückgestellt werden könne und dass es an anderen Orten schon reichliche Möglichkeiten gebe, Ausstellungen lebender Künstler zu sehen.10 Dies war auch die vorherrschende Sicht, als William Gregory Boxall vom Board of Trustees 1870 drängte, „bei der Demidoff-Auktion einige moderne französische Bilder – Delaroche oder Delacroix etc.“11 zu kaufen. Der Aufruf blieb unbeachtet. Wenn sie auch in der Bedeutung hinter den alten Meistern zurückstanden, so war es um die zeitgenössischen britischen Gemälde doch besser bestellt als um ihre ausländischen Gegenstücke. Von Beginn an wurden sie in der Galerie ausgestellt und machten zur zweiten 100  I  Alan Crookham · Anne Robbins

Hälfte des 19. Jahrhunderts einen erheblichen Anteil der Sammlung aus. Das lag zum Teil an der Ansicht, dass die Sammlung die nationale britische Kunst umfassen und eine nationale Gemäldeschule vorantreiben sollte  ; zum Teil war es aber auch das Ergebnis einiger größerer Schenkungen moderner britischer Kunst, die eine verbesserte Ausgangslage für die Sammlung in diesem Bereich schufen, als sie im Fall ausländischer moderner Kunst gegeben war.12 Der Schenkung von 157 Gemälden britischer Maler von Robert Vernon 1847 folgte 1856 das noch größere Vermächtnis Turners, das wiederum weitere Schenkungen und Vermächtnisse ähnlicher Werke nach sich zog.13 Die National Gallery kaufte auch moderne britische Gemälde an, wenn auch nur vereinzelt, wie etwa 1886 Dante Gabriel Rossettis Ecce Ancilla Domini  ! 14 Der Großteil der zur Verfügung stehenden Akquisitionsmittel wurde jedoch weiterhin für den Erwerb alter Meister genutzt, die ihre privilegierte Stellung gegenüber den moderneren Bildern trotz der erwähnten Schenkungen und Nachlässe beibehielten. Als Henry Tate 1889 der National Gallery seine Sammlung moderner britischer Kunst anbot, führte das zu gemischten Reaktionen. Der Trustee Lord Hardinge schrieb  : „Angesichts unseres beschränkten Platzes für alte Meister missfällt es mir, die Galerie mit weiteren modernen Bildern zu fluten, aber ich fürchte, wir müssen eine solch freigiebige Schenkung annehmen.“15 Tates Gabe wurde erst nach langer Beratung vom Kuratorium akzeptiert und auch nur, nachdem Tate zudem angeboten hatte, auch für eine neue Galerie aufzukommen, in der seine Sammlung untergebracht werden sollte.

Der Kampf um die moderne Kunst Die Eröffnung der Tate Gallery 1897 als Nationalsammlung moderner britischer Kunst zeigte umso deutlicher, dass es keine entsprechende Galerie für moderne ausländische Kunst gab. Brandon Taylor führt an, dass die Eröffnung der Tate Gallery in dem größeren Zusammenhang des Niedergangs imperialistischer Strukturen und dem Anfang vom Ende der alten europäischen Ordnung zu sehen sei, die schließlich im Ersten Weltkrieg resultieren würde.16 Als Symbol für den Stolz der Nation und des Empires entsprach die Tate Gallery auch den Vorstellungen der Aristokratie, die weiterhin fest davon überzeugt war, dass Großbritannien sich auf der Höhe seiner Macht befände. Tatsächlich jedoch sah sich Großbritannien durch die USA und Deutschland von zwei Seiten stärker werdenden Konkurrenten gegenübergestellt, was sich auch auf den Kunstmarkt auswirkte  ; zudem wurde die Stellung der britischen Aristokratie angesichts einer aufstrebenden Mittelschicht geschwächt. Die daraus erwachsenden Spannungen wurden auch innerhalb der National Gallery offenbar. Eine von der Regierung Lord Roseberys verfügte Verwaltungsreform – die sogenannte Rosebery Minute – beschränkte die Befugnis des Direktors, Ankäufe zu tätigen  ; diese Verantwortung wurde nun den mehrheitlich aristokratischen Trustees übertragen.17 Diese hatten großenteils eine Vorliebe für etablierte Kunstwerke und neigten nicht dazu, sich der modernen Malerei zuzuwenden. Damit wurde der Ankauf moderner ausländischer Kunstwerke zwar nicht gänzlich beendet, doch Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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auf die Werke beschränkt, die die Trustees für annehmbar hielten. So akzeptierten sie mit Freude die Bilder aus der Schule von Barbizon, die mit dem Salting-Nachlass von 1910 in die Sammlung einging, eine Leihgabe der Avantgarde-Sammlung des Kunsthändlers Hugh Lane hatten sie 1907 jedoch abgelehnt.18 Der 1875 in Irland geborene und in England aufgewachsene Lane war ein tatkräftiger und vorausdenkender Sammler und Kunsthändler. Nach seiner Lehre in der Galerie Colnaghi in London etablierte er sich als Händler für Gemälde alter Meister. Er widmete sich der Wiederbelebung der keltischen Kultur in seinem Geburtsland und folgte dem Beispiel seiner Tante Lady Gregory, der Gründerin des Irischen Nationaltheaters, indem er sich der Gründung einer Galerie für moderne Kunst in Dublin verschrieb. Mit diesem Ziel vor Augen und mithilfe seiner Kontakte zu Künstlern und seines ästhetischen Gespürs begann er mit der Sammlung moderner irischer und ausländischer Malerei. Im Sommer 1904 reiste Lane gemeinsam mit dem Maler William Orpen nach Paris, wo dieser ihn bei den Impressionisten einführte. Orpen schilderte später, dass Lane „überhaupt nichts über die modernen französischen Maler [wusste]. Ich war mit ihm bei Durand-Ruel, und hinter dessen Rücken fragte er mich  : ‚Was ist das  ? Ein Manet  ?‘ Er hatte nie zuvor einen Manet gesehen.“19 Seine Unkenntnis glich er jedoch mit einer hervorragenden künstlerischen Intuition und einem beachtlichen Ehrgeiz aus. In Paris begann er mit dem Ankauf von Gemälden, die das Herzstück einer erstklassigen Sammlung von Bildern der Schule von Barbizon und impressionistischen Gemälden ausmachen sollten. Diese schließlich der National Gallery zukommende Sammlung hatte Lane ursprünglich für Dublin geplant. Sein erster Ankauf in diesem Gebiet war Puvis de Chavannes’ Die Enthauptung des Heiligen Johannes des Täufers20, das er 1904 von Durand-Ruel erwarb. Wenn es sich bei Puvis auch nicht um einen „modernen“ Maler handelte, so wurde er doch von jüngeren Künstlern verehrt und nachgeahmt  ; bewundert wurde er auch für seine Wandmalereien in Museen und öffentlichen Gebäuden in Frankreich und den USA. Das dürfte auch Lane interessiert haben, der wohl eine ähnlich monumentale Ausstattung für seine geplante Galerie vorsah.21 Während seines Aufenthalts in Paris handelte Lane auch die Leihgabe einer Reihe von Bildern für eine Ausstellung aus, die er in Dublin im November 1904 organisierte22 und mit der er Interesse für sein Galerieprojekt wecken wollte, indem er der irischen Öffentlichkeit die avantgardistischsten Strömungen vorstellte.23 Als Lane sich 1906 erstmals an die National Gallery wandte, um seine Bilder für eine zweijährige Leihgabe anzubieten, war es nicht seine Absicht, damit eine Lücke in der Nationalsammlung zu füllen, der es an derartigen Werken eindeutig fehlte, sondern er wollte vielmehr in London um eine Akzeptanz der Bilder werben, nach deren Anerkennung er in Dublin so sehr strebte. Er glaubte, dass die offizielle Wertschätzung durch die National Gallery dem Dubliner Establishment die Bilder schmackhafter machen würde. In einem Brief an den Direktor Charles Holroyd, der diesen Bildern gegenüber wohlgesonnen war, schrieb Lane  : „Wenn diese Gemälde für einige Jahre in der berühmten Londoner Galerie ausgestellt würden, müssten die Dubliner Behörden ihre Bedeutung und ihren Bildungswert erkennen. Leider muss ich sagen, dass die Bilder ihrer Ansicht nach nicht den Preis ihrer Rahmen wert sind  !“24 Ob sie sich Lanes Taktik nun bewusst waren oder nicht, jedenfalls lehnten die Trus102  I  Alan Crookham · Anne Robbins

tees sein Angebot ab, nicht zuletzt, weil sie Sorge hatten, dass eine solche langfristige Leihgabe von Gemälden eines Händlers als Begünstigung angesehen werden könnte. Es wurde nicht nur infrage gestellt, wie großzügig Lanes Angebot tatsächlich war,25 sondern auch die Bilder schienen einigen Trustees bei weitem zu radikal. Lord Redesdale protestierte  : „Eher kann ich mir einen Gottesdienst der Mormonen in St Paul’s Cathedral vorstellen, als dass diese modernen französischen Kunst-Rebellen im geweihten Bezirk des Trafalgar Square ausgestellt werden.“26 Diese ablehnende Haltung war tief verwurzelt  : 1905 lehnte das Kuratorium einen Degas ab27 und auch eine geplante Schenkung von Monets Lavacourt  : Sonnenschein und Schnee28 scheiterte am Kuratorium.29 Der Monet wurde dann von Lane erworben und machte einen Teil seiner angebotenen Leihgabe aus, die aber erneut kaum eine Aussicht darauf hatte, angenommen zu werden.30 Obgleich Lanes Angebot eine vollständige und zusammenhängende Bildergruppe umfasste, in der anstelle alleinstehender Beispiele wie dem Monet unbedenklichere Barbizon- und Corot-Gemälde einen Zugang zu weitergehenden impressionistischen Gemälden boten, waren die Trustees noch immer nicht gewillt, diese Form moderner Kunst gutzuheißen. Die von Lane angebotenen Bilder stellten wohl einen zu großen Kontrast zur bestehenden Sammlung moderner europäischer Kunst der National Gallery dar, die 1913 infolge eher zufälliger Schenkungen und Vermächtnisse auf 57 Bilder angewachsen war – bemerkenswert ist, dass sich diese Zahl in den vier Jahren des Weltkriegs verdoppeln sollte.31 Die Ausstellung dieser modernen Gemälde aus dem Ausland hatte sich schon als problematisch erwiesen. Nach einem Beschluss der Trustees von 1900, eine Anzahl von modernen britischen Gemälden in die Tate Gallery zu verlagern, wurden auch deren ausländische Gegenstücke dorthin überführt. Das war eine eindeutige Verletzung der Bedingungen, die Tate für seine Schenkung aufgestellt hatte und in denen festgelegt war, dass nur britische Kunstwerke in der von ihm gegründeten Galerie ausgestellt werden dürften. Für die Trustees ergab sich damit jedoch eine Lösung des Problems der Ausstellung einer Gruppe von modernen, wenn auch recht konservativ anmutenden Gemälden, die ihrer Ansicht nach nicht in die Sammlung am Trafalgar Square passten. Angesichts ihrer Entstehungszeit, ihres Stils und ihrer Sujets schienen sie sich besser für eine gemeinsame Hängung mit den modernen britischen Gemälden des Museums zu eignen. In dieser Umgebung und auf die Vorlieben zeitgenössischer britischer Sammler eingehend, wurde angenommen, dass sie der britischen Öffentlichkeit nicht allzu befremdlich erscheinen würden. So erschien Dubufes Überraschung32 wie eine Antwort auf zeitgenössische viktorianische Bilder sentimentaler Themen  ; Rosa Bonheurs Pferdemarkt33 stellte ein – wenn auch realistischeres – Gegenstück zu Landseers Tierbildern dar. In Anbetracht seines Themas und der ausgefeilten Technik dürfte Delaroches Werk Die Hinrichtung der Lady Jane Grey34 (Abb. 2) beim Publikum Anklang gefunden haben. Auch Charles Poussins Pardon Day in Brittany35 mögen die Betrachter als beruhigend vertraut empfunden haben  ; in seinem Format und der Darstellung zeitgenössischer Gesellschaftsszenen mit einem lebhaften Arrangement der Figuren ist es einem Gemälde wie Friths Derby Day36 nicht unähnlich. Das Gleiche kann jedoch von einer anderen Genreszene, Manets Musik im Tuileriengarten37 (Abb. 3), nicht behauptet werden. Dieses Bild hatte Lane 1906 erworben und in sein Leihangebot einige Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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Abb. 2: Paul Delaroche, Die Hinrichtung der Lady Jane Grey, 1833

Monate später miteingeschlossen. Wie das Gemälde von Frith zeigt es das rege Treiben des modernen Lebens, aber seine skizzenhafte Behandlung, die energische Pinselführung und das Fehlen eines zentralen Bezugspunkts machen es zu einem schwierigen Gemälde, das an den Wänden des Museums wohl unpassend erschienen wäre. Die Ausstellung der modernen ausländischen Bilder in der Tate Gallery sorgte von Beginn an für Kritik,38 doch erst 1910 sicherte Holroyd schließlich ihre Rückkehr zum Trafalgar Square. Dabei handelte es sich nur um einen von mehreren Vorfällen, die zu einer zunehmend kritischen Beobachtung der National Gallery führten, da nun eine neue Generation professioneller Kunstverwalter und Kritiker die vermeintlichen Fehlgriffe der Galerie in den Blick rückten. Viele dieser Kritiker hatten sich 1903 zusammengefunden, um den National Art-Collections Fund (NACF) einzurichten, mit dem die Mittel für den Ankauf von Kunstwerken für die nationalen Sammlungen aufgebracht werden sollten. Wie Andrea Geddes Poole angemerkt hat, diente der Fond auch dazu, Gleichgesinnte zusammenzuführen  : „Der Einfluss des NACF weitete sich als verbindende Kraft auf Londons künstlerische und literarische Welt 104  I  Alan Crookham · Anne Robbins

Abb. 3: Édouard Manet, Musik im Tuileriengarten, 1862

aus.“39 Bei der ersten Ausschusssitzung des NACF trafen viele fortschrittlich denkende Persönlichkeiten der Londoner Kunstwelt aufeinander  : D.S. MacColl, Robert Witt, Roger Fry, Claude Phillips, J.P. Heseltine und Charles Holroyd. Im Gegensatz zu den Trustees der National Gallery hatten sie die moderne europäische Kunst auf ihrer Agenda. MacColl erinnerte sich später, dass er, als er erstmals die Gründung einer Gesellschaft zur Unterstützung der National Gallery erwog, „neben den wachsenden Kosten für die alten Meister vor allem an die absolute Leere in Bezug auf moderne Malerei [dachte]  : Ingres, Delacroix, Millet, Daumier, Monticelli, Manet, Degas, Whistler.“40 Mit der Gründung des Burlington Magazine 1903 und der Contemporary Art Society 1910 boten sich kundigen und wortgewandten Kritikern über den NACF hinaus weitere Plattformen, auf denen sie ihre Meinung über die Unzulänglichkeiten der National Gallery verlautbaren konnten. Einen Impuls für Reformanstrengungen gab die Veröffentlichung von Witts Büchlein The Nation and its Art Treasures 1911, in dem er sich für eine weitgehende Reform der National Gallery aussprach und zu dem Schluss kam, dass „die gegenwärtige Verwaltung der Gallery beinahe die schlimmste zu sein [scheint], die man sich vorstellen kann.“41 Einige Monate später schaltete sich D.S. MacColl mit einem Artikel in The Nineteenth Century42 in die Auseinandersetzung ein, in dem er Witts Ansichten aufgriff und auch auf das Thema der modernen ausländischen Kunst einging, wobei er aufzeigte, dass viele der Trustees aufgrund ihrer eigenen Sammlerinteressen den alten Meistern zuneigten und nicht willens waren, modernere Schulen anzunehmen, die nicht ihrem Kenntnisgebiet entsprachen.43 Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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Der Curzon-Bericht Fast gleichzeitig mit dem Erscheinen von Witts Buch 1911 richtete die National Gallery unter dem Vorsitz Lord Curzons einen Ausschuss ein, um „das Zurückhalten wichtiger Gemälde in diesem Land und andere Angelegenheiten bezüglich der nationalen Kunstsammlung zu überprüfen“.44 Gebildet worden war der Ausschuss in erster Linie aus Sorge über die Kritik an der National Gallery infolge der Kontroverse um die kurz zuvor erfolgte Ausfuhr von Holbeins Christina von Dänemark 1909 und die aktuelle Ausfuhr von Rembrandts Die Mühle 1911. Im Herbst 1912 nahm der Ausschuss auch die Aussagen zahlreicher herausragender Persönlichkeiten der Kunstwelt auf, von denen viele wiederum demselben Netzwerk angehörten, das zur Gründung des NACF beigetragen hatte und allgemein stärker der modernen ausländischen Kunst zugetan war. Obwohl dies nicht die vorrangige Aufgabe des Ausschusses betraf, kam doch die entscheidende Frage auf  : „Haben wir eigentlich irgendeine klare Richtlinie für die Sammlung oder Ausstellung der alten Meister oder der britischen und ausländischen Maler, die auf dem Weg sind, alte Meister zu werden  ?“45 Dieses Fehlen einer „klaren Richtlinie“ kam noch deutlicher ans Tageslicht, als im Mai 1912 im Parlament die Frage nach der Eignung auszustellender lebender Künstler in der National Gallery gestellt wurde. Das Kuratorium antwortete, dass es keine andere geeignete Galerie für die Ausstellung solcher Bilder gebe und schlussfolgerte – fünf Jahre nachdem es Lanes Gemäldeleihgabe abgelehnt hatte –, dass „eine separate Galerie für die Ausstellung moderner kontinentaler Bilder vonnöten“46 sei. Das bedeutete einen großen Schritt nach vorn. Im März 1914 legte der Curzon-Ausschuss dem Kuratorium seinen Bericht vor,47 der schließlich am 16. März 1915 veröffentlicht wurde.48 Der Bericht war umfangreich und umfasste die Aufbewahrung bedeutender Kunstwerke in Großbritannien, die Beziehung zwischen der National Gallery und der Tate Gallery, die Rolle des Direktors und die Frage nach einer nationalen Sammlung moderner Kunst aus dem Ausland  : „Die Gemälde moderner ausländischer Künstler, die, obgleich sie es jetzt noch nicht sind, doch in Zukunft zu alten Meistern werden, befinden sich in einer noch misslicheren Lage. Sie sind zwar nicht aus der National Gallery ausgeschlossen, aber die Knappheit der den Trustees zur Verfügung stehenden Mittel und der hohe Maßstab, der für diese Sammlung zu erfüllen ist, ermöglicht ihren Ankauf oder ihre Annahme nur in seltenen Fällen.“49 Dies stellte eine bedeutende Wende dar, und der Curzon-Bericht endete mit der Schlussfolgerung, „dass die Gründung einer Galerie für moderne ausländische Bilder und Skulpturen, wodurch die nach 1850 entstandenen Werke miteingeschlossen sind, eine Angelegenheit von höchster Dringlichkeit ist“.50

Das Lane-Vermächtnis Zurück in Dublin eröffnete Lane 1908 seine Galerie moderner Kunst mit etwa 300 Werken irischer und europäischer Künstler,51 jedoch war die Sammlung weiterhin nur provisorisch 106  I  Alan Crookham · Anne Robbins

untergebracht. Da die Dubliner Stadtverwaltung den Bildern eine dauerhafte Unterbringung versagte, fasste Lane nun London als möglichen Bestimmungsort seiner Sammlung ins Auge. Daher ging Lane 1913 ein weiteres Mal mit einem neuen Vorschlag auf die National Gallery zu, um dieses Mal 39 moderne ausländische Gemälde anzubieten. Somit wurden, noch während die Beratungen des Curzon-Ausschusses andauerten, die Trustees wieder einmal mit der Frage nach der Akzeptanz und der Ausstellung neuerer europäischer Werke konfrontiert. Obgleich avantgardistische Strömungen durch Publikationen und Ausstellungen wie Roger Frys Manet and the Post-Impressionists von 1910 stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt waren, waren einige von Lanes Bildern weiterhin höchst umstritten. Holroyd unterstützte Lanes Angebot, und am 5. August 1913 wurde die Leihgabe angenommen. Allerdings wurden die Bilder in Anbetracht der räumlichen Bedingungen nicht sofort ausgestellt, und am 13. Januar 1914 beschlossen die Trustees, deren Beziehung zu Lane nach wie vor schwierig war, nur eine Auswahl von 15 der 39 Gemälde zu zeigen. Wenig überraschend handelte es sich bei den ausgewählten Bildern von Corot, Stevens etc. um die am wenigsten umstrittenen  ; Renoirs Regenschirme52 wurde eingelagert. Dabei war den Trustees nicht bekannt, dass Lane einige Monate zuvor, im Oktober 1913, ein Testament verfasst hatte, in dem er seine Sammlung moderner europäischer Gemälde nicht Dublin, sondern der National Gallery vermachte, um damit eine Sammlung moderner europäischer Kunst in London zu begründen. Die Weigerung der Trustees, all seine Bilder auszustellen, sowie seine kurz zuvor erfolgte Ernennung zum Direktor der National Gallery of Ireland führten dazu, dass Lane seine Absichten erneut änderte. Im Februar 1915 verfasste er, wieder ohne irgendjemandes Wissen, einen Nachtrag, in dem er verfügte, dass seine Gemälde nach Dublin zurückgeführt werden sollten, sofern ihnen dort ein geeignetes Gebäude für ihre Ausstellung zugewiesen würde. Diese schnelle und verworrene Abfolge widersprüchlicher Entscheidungen auf beiden Seiten, Lanes Unentschlossenheit und die zögerliche, halbherzige Annäherung der National Gallery an die moderne Kunst, spielte sich bereits vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs ab, und der Krieg sollte es auch sein, der das Schicksal dieser Bilder bestimmen würde. Am 7. Mai 1915 starb Lane auf der Lusitania, die vor der irischen Küste von einem deutschen U-Boot torpediert wurde. Es entbrannte eine heftige Debatte darüber, wo diese Bilder nun hinsollten, wobei Lady Gregory eine lange Kampagne für ihre Rückführung nach Dublin startete. „Das Board of Trustees war so entschieden gegen diese Bilder, dass ich annehme, dass es sie liebend gern an Dublin aushändigen wird,“53 bemerkte Holroyd nicht ohne Sarkasmus. Allerdings waren Dublins Aussichten auf eine Bewilligung dieser Bilder gering, da das Vorhaben, eine Galerie für moderne europäische Kunst in London zu gründen, bereits in Gang gebracht war. Als Curzon den Trustees im März 1914 erstmals seinen Bericht vorgelegt hatte, hatte er dies in dem Wissen getan, dass der Kunsthändler Joseph Duveen vertraulich kundgetan hatte, dass er gewillt sein könnte, hinter dem Rücken der Tate Gallery auf einem freien Grundstück eine Galerie für moderne Kunst zu stiften.54 Ein entscheidender Punkt war außerdem, dass Lanes Testamentsnachtrag nicht beglaubigt worden war und darum keine Rechtsgültigkeit hatte, was zu einer Auseinandersetzung zwischen London und Dublin führte, die erst nach Jahrzehnten beigelegt werden sollte. Nach einer umfassenden Rechtsberatung nahm die NaDie Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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tional Gallery das Erbe 1917 schließlich formell an. Diese Keimzelle moderner europäischer Kunst bewegte Claude Phillips zu dem Kommentar, „dass die Tore zum Tempel damit aufgestoßen und die Barrieren der Vorurteile hinweggefegt wurden. Diese Tore können nie mehr geschlossen werden, diese Mauern niemals wiederaufgebaut.“55 Bis zu einem gewissen Grad ermöglichte auch der Krieg, dass die Bilder öffentlich gezeigt wurden. Der neue Direktor Charles Holmes notierte  : Das Kriegsrisiko und die Kriegsbedingungen haben es wünschenswert erscheinen lassen, einige Bilder an unauffällige Zufluchtsorte zu bringen und andere aus Gebäuden zu entfernen, die einstweilen dem Amtsgebrauch vorbehalten sind. […] Daher rührende Veränderungen in der Hängung in einem der französischen Räume erlauben es, den Großteil des so umstrittenen Vermächtnisses von Sir Hugh Lane auszustellen.56

Problematisch blieb jedoch der moderne Charakter der Bilder des „umstrittenen Vermächtnisses“.57 Holmes, der sich der in London vorherrschenden konservativen Haltung bewusst war, bemerkte, „manchen in England erscheinen die Bilder als ultramodern, während sie von der Kunstöffentlichkeit im Ausland schon lange als Klassiker angesehen werden.“58 Eine andere häufige Reaktion auf Lanes Bilder war, dass ihnen ihre charakteristische Modernität abgesprochen wurde  : Anstatt ihre Neuartigkeit zu erfassen, wurde versucht, Parallelen zu den bewährten Gemälden der alten Meister aufzuzeigen. In dem Bemühen, sie in die Geschichte der westeuropäischen Malerei einzugliedern, wurden die zwei Gemälde Puvis’59 mit Bildern Uccellos verglichen, und bei Manets Musik im Tuileriengarten wurde die „an Velazquez gemahnende Weite und Wahrhaftigkeit“60 gepriesen. Dennoch scheint es, als habe der Krieg neue Perspektiven eröffnet, und die Einstellung zur modernen europäischen Kunst begann sich zu wandeln. 1917 schrieb Holmes  : „Es besteht die Hoffnung, dass der Krieg, der unseren Blick auf die Völker und auf die Politik in Europa unermesslich erweitert hat, in gewisser Weise denselben Effekt auf unsere Haltung zur europäischen Kunst haben wird.“61 Holmes’ Einschätzung der sich wandelnden Stimmung wurde bald bestätigt, als sich bei der Versteigerung des Degas-Nachlasses 1918 die Gelegenheit ergab, die noch in den Kinderschuhen befindliche Sammlung moderner europäischer Kunst zu erweitern.

Die Degas-Auktionen Als Degas im September 1917 starb, hinterließ er nicht nur den gesamten Inhalt seines Ateliers, sondern auch seine umfangreiche Sammlung von Gemälden und Grafiken der Hauptvertreter der französischen Kunst des 19. Jahrhunderts sowie die Bilder einiger impressionistischer Wegbegleiter. Diese Sammlung sollte 1918 in drei Auktionen in Paris aufgelöst werden. Kaum ein Jahr nach der äußerst zögerlichen Annahme von Lanes Vermächtnis war Holmes nun bestrebt, den Anspruch der National Gallery auf die Moderne zu unterstreichen.62 Im 108  I  Alan Crookham · Anne Robbins

Vertrauen auf den vom Krieg herbeigeführten Gesinnungswandel in Bezug auf die moderne europäische Malerei beabsichtigte Holmes, moderne ausländische Bilder bei den Degas-Auktionen anzukaufen. Das bedeutete eine wegweisende Veränderung, zumal zu einer Zeit, da die Regierung alle Mittel für die Kriegsführung aufwendete. Mit Lanes Tod hatte der Krieg auf tragische Weise zu der Hinterlassenschaft einiger ausnehmend wichtiger Werke geführt, aber gleichzeitig wurden Holmes aufgrund des Krieges die Akquisitionsmittel versagt, weshalb er, um bei den Auktionen überhaupt mitbieten zu können, andere Wege der Finanzierung finden musste. Unterstützer hatte Holmes in Roger Fry, der ihn auf die Auktionen erst aufmerksam gemacht hatte, und in John Maynard Keynes, der als Wirtschafts- und Finanzexperte damals vorübergehend einen Posten im Finanzministerium innehatte. Um sich die Unterstützung der Regierung zu sichern, bat Holmes Keynes darum, die Hilfe Lord Curzons in Anspruch zu nehmen, da dieser nicht nur Mitglied des Board of Trustees der National Gallery, sondern auch von Lloyd Georges Kriegskabinett war. Curzon wurden 20.000 Pfund bewilligt, die nach Keynes’ geschicktem Finanzplan von der französischen Regierung als Teilrückzahlung ihrer Kriegsschulden in Franc bei der britischen Botschaft in Paris hinterlegt werden sollten.63 Aus Sorge darum, wie sich solche Ausgaben in Kriegszeiten auf die öffentliche Moral auswirken würden, wurde die ganze Angelegenheit streng geheim gehalten.64 Keynes ermöglichte es Holmes, die britische Delegation der International Financial Mission zu begleiten, die in Paris an einer Konferenz der Alliierten teilnehmen sollte. Da seit Beginn des Krieges nur sehr wenige Auktionen stattgefunden hatten, wurde die Versteigerung des Degas-Nachlasses als das Ereignis des Jahres erachtet.65 Sie wurde gleichermaßen herbeigesehnt von europäischen und amerikanischen Sammlern, für die sich ein besonderer Reiz daraus ergab, dass die Bilder von Degas, der auch als Sammler allgemein hoch angesehen war, selbst ausgewählt worden waren. Allerdings blieben auch diese Auktionen nicht unbehelligt von den Umständen, die der Krieg mit sich brachte. Personalkürzungen infolge der Mobilisierung machten die Erfassung des Gesamtbestandes von Degas’ Haus und Atelier zu einer mühsamen Aufgabe für die damit betrauten Kunsthändler Joseph Durand-Ruel und Ambroise Vollard.66 Die Bedrohung durch die heranrückende deutsche Armee und der Beschuss durch ihre Artillerie stellten für Paris eine konkrete Gefahr dar. Es war nicht genug Platz vorhanden, um die Bilder sicher im Keller der Galerie Durand-Ruel zu lagern, wo der Nachlass zeitweise untergebracht worden war. Ein Beschuss des gegenüberliegenden Gebäudes in der Rue Laffitte 15 im März 1918 ließ auch die Fenster der Galerie zerspringen.67 Die Auktion selbst wurde am 26. und 27. März durch Artilleriefeuer aus der Ferne unterbrochen, und bei der Versteigerung versetzten die von der „Dicken Bertha“ und dem „Paris-Geschütz“ auf die Stadt abgefeuerten Geschosse die Bieter in Angst. Holmes, der auf der Zugreise durch die Pikardie das Wüten des Krieges gesehen hatte, schilderte die Situation später so  : Seit einer Stunde hatten wir das Dröhnen gehört, als um drei Uhr ein dumpfer Knall ertönte, als ob eine kleinere Bombe eingeschlagen wäre. ‚C’est le canon‘ hörte man von allen Seiten, und die Leute begannen, den Raum zu verlassen. Doch die Gemälde erschienen immer noch Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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nicht. Um Viertel nach drei verriet ein zweiter Knall, dass wieder ein Geschoss – später erfuhren wir, dass es von der „Dicken Bertha“ war – eingeschlagen war. Es gab einen beträchtlichen Ansturm auf die Tür, und mindestens ein bekannter Pariser Händler war unter den Flüchtenden.68

In dieser angespannten Situation, während draußen die Bomben explodierten, ließ die Konkurrenz nach, und die Preise blieben relativ niedrig. Außerdem war, da die Auktion in großer Eile vorbereitet worden war, der Katalog nicht rechtzeitig in Amerika eingetroffen.69 Davon profitierte Holmes, der für 11.780 Pfund 15 Zeichnungen70 und 13 Gemälde erwarb, darunter Werke von Corot, Théodore Rousseau, Ingres sowie Delacroix’ gefeiertes Porträt des Baron Schwiter 71 (Abb. 4), bei dem er „gegen den Louvre“72 den Zuschlag erhielt und damit für große Empörung sorgte. Holmes dachte an die bestehende Sammlung der National Gallery, als seine Wahl auf den in Lebensgröße und in einer auf Gainsborough und Constable verweisenden Landschaft dargestellten Baron Schwiter fiel, wohl Delacroix’ „englischstes“ Porträt.73 In seinem Gutachten zu Lanes Vermächtnis hatte Holmes angemerkt, dass Ingres nur unzureichend, Delacroix und Géricault überhaupt nicht vertreten seien  : „Diese Verbindung zum 18. Jahrhundert brauchen wir dringend.“74 Sein Bestreben, diese Lücken zu schließen, konnte Holmes in weiten Teilen erfüllen, wenn er sich auch nicht den Greco und den Perronneau sichern konnte, auf die er es ebenfalls abgesehen hatte.75 Auch „moderne“ Gemälde wurden angekauft  : Manets Erschießung des Kaisers Maximilian76 und Frau mit Katze 77 sowie ein Stillleben mit Blumen von Gauguin.78 Obwohl Holmes mehr als 8.000 Pfund an die Staatskasse zurückgab, wurden ihm für die Versteigerung von Degas’ Ateliernachlass vom 6. bis 8. März nur 3.000 Pfund bewilligt.79 In der falschen Annahme, dass auch diese Bilder wieder relativ erschwinglich sein würden, setzte Holmes seine Hoffnung auf einen Brief an Curzon, in dem er die vier erstrebenswertesten Bilder auflistete.80 Dieses Mal kam es jedoch zu einem heftigen Wettbieten, bei dem die National Gallery nicht ein einziges Bild erwerben konnte. Eines der von Holmes begehrten Bilder, Die Familie Bellelli 81, wurde einige Tage vor der Auktion für die beträchtliche Summe von 400.000 Franc von der französischen Regierung angekauft. Eine entrüstete Mary Cassatt, die sowohl Mrs. Havemeyer als auch dem Metropolitan Museum zum Ankauf des Gemäldes geraten hatte, verurteilte den Ankauf durch den Staat für den Louvre  : „Es scheint mir nicht die richtige Zeit für den Staat zu sein, um einen solchen Betrag für ein Gemälde von Degas auszugeben […| Mit dieser Summe hätte auch der Kauf und die Einrichtung eines Anwesens als Sanatorium für die jungen, von der Tuberkulose heimgesuchten Soldaten ermöglicht werden können.“82 Ein Zeichen für den Wandel in der Einstellung zur modernen europäischen Kunst ist auch die Kritik von Roger Fry und seinen Freunden der Bloomsbury Group, die der Misserfolg der National Gallery bei der Versteigerung von Degas’ Ateliernachlass nach sich zog.83 Die Ankäufe bei den Degas-Auktionen markierten jedoch einen Wendepunkt  : Sie erweiterten nicht nur in großem Umfang die Abteilung der modernen europäischen Malerei in der National Gallery, sondern gaben auch das Startsignal für ein aktives Bemühen, vorhandene Lücken zu schließen und die Werke von Künstler anzukaufen, die „dringend nötig [waren], um die 110  I  Alan Crookham · Anne Robbins

Abb. 4: Eugène Delacroix, Porträt des Baron Schwiter, 1826–1830

Entwicklung der modernen Kunst zu veranschaulichen“.84 Duveens Ankündigung, ein Museumsgebäude für moderne europäische Kunst zu stiften, erfolgte einige Monate später, im Juli 1918.85 Im Verlauf der vier verhängnisvollen Kriegsjahre wurde eine bemerkenswerte Sammlung moderner Gemälde begründet. Die Öffentlichkeit hatte damit die Möglichkeit, Werke zu sehen, die die National Gallery nun als essenziell für die Geschichte der Entwicklung der Malerei ansah.

Schluss Von der großen Anzahl an Empfehlungen des Curzon-Berichts nahm die Regierung schließlich nur eine auf, nämlich die Gründung eines separaten Kuratoriums für die Tate Gallery.86 Die Empfehlung, eine Nationalsammlung moderner europäischer Gemälde zu gründen, wurde dem Kuratorium der National Gallery überlassen, und die Umstände, die der Erste Weltkrieg mit sich brachte, ermöglichte es diesem, eine solche Sammlung zu verwirklichen. Es spricht wenig dafür, dass der Aufbau dieser Sammlung eine kulturelle Antwort auf den Krieg war, wie es D.S. MacColl 1915 formulierte  : „Wofür wir kämpfen, das ist die Sicherung der gerade erst behaupteten Werte der Menschheit, der jahrhundertelangen Arbeit der schöpferischen Vorstellungskraft  ; und die Kunst war Prophetin und ist Denkmal dieser Errungenschaften.“87 Vielmehr waren es die vom Krieg bestimmten Umstände, die es der National Gallery ermöglichten, eine Sammlung einzurichten und weiter darauf aufzubauen. Das Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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Vermächtnis Hugh Lanes, der auf der Lusitania zu einem der wahllosen Opfer des Krieges wurde, legte den Grundstock einer Sammlung moderner europäischer Kunst in Großbritannien. Ohne dieses Vermächtnis wäre es womöglich niemals zu der Stiftung einer Galerie für moderne Kunst von Duveen gekommen, die wiederum die National Gallery zu den Ankäufen bei den Degas-Auktionen ermutigte und auch zu weiteren Schenkungen führte, wie etwa dem Courtauld Fund 1923. Gleichzeitig kam es zu einer zunehmenden Professionalisierung und einer wachsenden Kenntnis und Wertschätzung moderner Kunst. Das förderte eine Haltung, die dem Ankauf moderner europäischer Gemälde zugutekam. Als Duveens neue Sammlung moderner Kunst der Tate Gallery angegliedert wurde, beschlossen die Trustees der National Gallery, dass die Tate Gallery nun selbst ihre Verwaltung übernehmen sollte.88 Diese Lösung erlaubte es dem Kuratorium der National Gallery, sich der Verantwortung für die modernen Gemälde aus dem Ausland zu entledigen, die ihnen solche Probleme bereitet hatten, und so wurde die Galerie moderner europäischer Kunst im Jahr 1926 schließlich als Teil der Tate Gallery eröffnet. Übersetzt von Johannes Kreimeier

Anmerkungen 1 Der gebrauchte Terminus „modern foreign paintings“ bezieht sich in diesem Zusammenhang auf moderne Gemälde aus Kontinentaleuropa, also nicht der britischen Schule zugehörig. 2 Tate N00122. 3 National Gallery Archive (NGA) NG15/10, Bericht des Sonderausschusses zur National Gallery, 1853. 4 National Gallery London (NGL) NG600, Flämischer Saal, 31.3.1859 (NGA NGA2/3/2/13). 5 NGL NG623, mit britischen Gemälden zusammen präsentiert, 30.5.1865 (NGA NGA2/3/2/13). 6 Die auch im deutschen Wissenschaftsjargon in Bezug auf anglophone Institutionen gängigen Begriffe „Board of Trustees“ u. „Trustee“ werden nachfolgend synonym zu und im Wechsel mit ihren deutschen Entsprechungen „Kuratorium“ und „Kuratoriumsmitglied“ gebraucht. 7 NGA NG5/169/1, Gutachten der Trustees zu einer Neuen Nationalgalerie, 5.8.1867. 8 Ebd. „[I]t may be deemed expedient to provide a gallery for the works of modern foreign painters of eminence […] some few examples having already been presented to the National Gallery and having proved attractive additions to it.“ Ein ähnlicher Plan für die Gründung einer Galerie für zeitgenössische Kunst wird bei Jonathan Conlin, The Nation’s Mantelpiece, London 2006, 87 erwähnt. 9 „Trustees“ wird im Text synonym zu „Mitglieder des Kuratoriums“ verwendet. 10 NGA NGA1/1/20/18, Russells Anmerkungen zum National Gallery-Bericht über die Vorschläge der Architekten für die neue Nationalgalerie, 1867. 11 NGA NGA1/1/38/4, Brief von Gregory an Boxall, 19.2.1870. Die Auktion beinhaltete Delaroches Gemälde Die Hinrichtung der Lady Jane Grey (NG1909), das später mit dem Vermächtnis von 1902 Teil der Sammlung moderner Gemälde der National Gallery wurde. 12 Frances Spalding, The Tate. A History, London 1998, 9f. 13 Judy Egerton, The British School, London 1998, 11–17. 14 Tate N01210.

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15 NGA NG68/12/12, Hardinge an Charles Locke Eastlake, 31.10.1889. „I rather grudge with our limited space for Old Masters flooding the Gallery with more modern pictures – but I take it we must accept such a liberal donation.“ 16 Brandon Taylor, Art for the nation  : exhibitions and the London public, 1747–2001, Manchester 1999, 100. „[The Tate’s opening] belongs to a wider context of declining imperialism and the beginning of the end of the Old European order that would eventuate in the war of 1914.“ 17 Siehe Andrea Geddes Poole, Stewards of the nation’s art  : contested cultural authority  ; 1890–1939, ­To­ronto 2010. 18 NGA NG1/7, Board Minutes, 19. 2.1907. 19 Lady Gregory, Hugh Lane’s Life and Achievements, with some account of the Dublin Galleries, New York/London 1921, 56f. „[Lane] knew nothing at all about modern French painters. I was with him at Durand-Ruel’s, and he would say to me, behind his back, ‚What is that  ? A Manet  ?‘ – he had never seen Manet before.“ 20 NGL NG3266. 21 Barbara Dawson, Hugh Lane Founder of a Gallery of Modern Art for Ireland, London 2008, 39. 22 Municipal Gallery of Modern Art (Hrsg.), Catalogue of pictures presented to the City of Dublin to form the nucleus of a Gallery of Modern Art  : also pictures lent by the executors of the late Mr. J. Staats Forbes, and others exhibited at the Royal Hibernian Academy, Ausst.-Kat. Royal Hibernian Academy, Dublin 1904. Es folgten zwei weitere Ausstellungen in Dublin 1905 und in Belfast 1906. 23 Robert O’Byrne, Hugh Lane 1875–1915, Dublin 2000, 67. 24 O’Byrne 2000, 187, Anm. 1  : Lane papers, National Gallery of Ireland, Acc. 5073, Lane an Charles Holroyd, Entwurf, 17. 1.1907. „The fact that their being shown in a famous London Gallery for a few years would make the Dublin authorities realise their merit & educational value. I am sorry to say that they think these pictures are not worth the price of the frames  !“ 25 Conlin 2006, 131, Anm. 23. D’Abernon an Holmes, 6.8.1923, BL, AddMSS 48930, f. 163. 26 „I should as soon expect to hear of a Mormon service being conducted in St Paul’s cathedral as to see an exhibition of the works of the modern French Art-rebels in the sacred precincts of Trafalgar Square.“ Zit. n. Conlin 2006, 131, Anm. 21. Redesdale an Curzon, 2.2.1914, BLO, MS EUR F112/56 27 John House, Impressionism for England  : Samuel Courtauld as Patron and Collector, London 1994, 31, Anm. 8. 28 NGL NG3262. Ein Spezialfond hatte die Mittel für den Ankauf aufgebracht, siehe House 1994, 10. 29 Frank Rutter, Since I was Twenty-five, London 1927, 257. 30 NGA NG1/7, Board Minutes, 19.2.1907. 31 1914–18 wurden 58 moderne ausländische Gemälde angekauft. 32 NGL NG457. 33 NGL NG621. 34 NGL NG1909. 35 NGL NG810. 36 Tate N00615 37 NGL NG3260. 38 „Was haben Horace Vernet und Ary Scheffer in einer nationalen Galerie für britische Kunst zu suchen  ?“ („What have Horace Vernet and Ary Scheffer to do in a National Gallery of British Art  ?“), in  : The Graphic vom 5.9.1903, zit. n. John Rothenstein, The Tate Gallery, London 1962, 22. 39 Geddes Poole 2010, 126. „The influence of the NACF extended as a unifying force into London’s artistic and literary worlds.“ Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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40 D. S. MacColl, „The National Gallery. Its problems, resources and administration“, in  : The Nineteenth Century and After, Bd. 71, 1/1912, 24–39, hier  : 38. „[He] had in mind, besides the growing expense of Old Masters, the absolute blank in that collection of modern painting  ; Ingres, Delacroix, Millet, Daumier, Monticelli, Manet, Degas, Whistler.“ 41 Robert C. Witt, The Nation and its Art Treasures, London 1911, 52. „[T]he present system under which the Gallery is administered seems to be almost the worst that can be conceived.“ 42 MacColl 1912. 43 MacColl hatte sich seit spätestens 1894 für die Einbeziehung moderner ausländischer Kunst in die National Gallery ausgesprochen. Maureen Borland, D. S. MacColl. Painter, poet, art critic, Harpenden 1995, 87. 44 George Nathaniel Curzon (Hrsg.), Report of the committee of trustees of the National Gallery appointed by the trustees to inquire into the retention of important pictures in this country and other matters connected with the national art collections, London 1915. Der Ausschuss wurde am 14.11.1911 eingerichtet. 45 Curzon 1915, 3. „Have we, in fact, any definite principle either of collection or exhibition in the case of Old Masters, or of those British and foreign painters who are on the way to become Old Masters  ?“ 46 NGA NG1/8 Board Minutes, 14.5.1912. „[A] separate Gallery for the exhibition of Modern Continental pictures is needed.“ 47 NGA NG1/8 Board Minutes, 24.3.1914. 48 NGA NG1/8 Board Minutes, 16.3.1915. 49 Curzon 1915, 22. „The paintings of modern foreign artists, which, though they are not Old Masters already, will in the future in some cases become so, are in an even worse plight. They are not excluded from the National Gallery, but the paucity of the funds at the disposal of the Trustees, and the high standard which it is necessary to maintain for that collection, render their purchase or admission a rare occurrence.“ 50 Curzon 1915, 39. „[…] the formation of a gallery of modern foreign pictures and sculpture, including in such term works produced since 1850, is a matter of urgent importance.“ 51 O’Byrne 2000, 108. 52 NGL NG3268. 53 Conlin 2006, 132, Anm. 26  : Holroyd an Curzon, 14.9.1915, BL F112/58. „[T]he Board was so much against the pictures that I presume they will hand them over to Dublin with pleasure.“ 54 Borland 1995, 206–208. 55 Sir Claude Phillips, Daily Telegraph vom 10.2.1917, zit. n. House 1994, 229. „[…] that the gates of the temple being thus set open, and the barriers of prejudice swept away, these gates can never again be closed, these barriers can never be re-erected.“ 56 Charles J. Holmes, „New Exhibits at the NG“, in  : Burlington Magazine, Bd. 30, 2/1917, 80–81. „War risk and war conditions have made it desirable to place some pictures in discreet asylums and to remove others from houses devoted for the time being to official use. In consequence […] changes in the hanging of one of the French Rooms permit the greater part of Sir Hugh Lane’s much debated bequest to be placed on view.“ 57 Conlin 2006, 131. 58 Holmes 1917. „[…] to a few in England Sir Hugh Lane’s pictures will appear ultra-modern, whereas to the artistic public abroad they have long been classics.“ 59 NGL NG3266 und NG3267. 60 Phillips 1917, in  : House 1994, 229. „the Velasquez-like breadth and truth“.

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61 Holmes 1917. „It is to be hoped that the war, which has widened immeasurably our outlook upon the peoples and the politics of the continent, will have something of the same effect upon our attitude towards continental art.“ 62 Ann Dumas, Degas as a Collector, London 1996, 6. 63 Dumas 1996, 6, Anm. 18. 64 Alan Crookham, The National Gallery  : An Illustrated History, London 2009, 80. 65 Dumas 1996, 6, Anm. 15. 66 Caroline Durand-Ruel Godfroy, „Les ventes de l’atelier Degas à travers les archives Durand-Ruel“, in  : Degas inédit  : Actes du Colloque Degas, Musée d’Orsay 18–21 avril 1988, Paris 1989, 263–276, hier 265 u. 267. 67 Durand-Ruel Godfroy 1989, 267. 68 Charles Holmes, Self and Partners (Mostly Self ), 1936, 337. „Matters had droned on us for a full hour, when, at three o’clock, a dull “Boom“ sounded outside, as if a smallish bomb had dropped. ‚C’est le canon‘ was heard on all sides, and people began to leave the room. Still, the paintings did not appear. At 3.15 a second ‚Boom‘ showed that what we afterwards knew as Big Bertha had again got going. There was a considerable rush to the door, at least one prominent Paris dealer being among the fugitives.“ 69 Durand-Ruel Godfroy 1989, 266. 70 Zehn von Delacroix, vier von Ingres und eine, die damals Géricault zugeschrieben, später ins British Museum verbracht, siehe Dumas 1996, 4. 71 NGL NG3286. 72 Holmes 1936, 339. 73 Conlin 2006, 340, Anm. 107. 74 Holmes 1917, 81. „Ingres is represented inadequately, Delacroix and Gericault not at all. We badly need these links with the 18th Century.“ 75 Dumas 1996, 6. 76 NGL NG3294. 77 Tate N03295. 78 NGL NG3289. 79 Conlin 2006, 340. 80 British Library (BL), BL F112/57, Curzon papers, Brief von Holmes an Curzon, zit. n.: David Bomford [u. a.], Art in the Making  : Degas, London 2004, 48. Die vier Bilder waren Nr. 4, Portrait de Famille  ; Nr. 8, Mlle Fiocre  ; Nr. 44, La Coiffure (NGL NG4865)  ; Nr. 46, Au Foyer. 81 Musée d’Orsay RF 2210. 82 Brief von Mary Cassatt an Durand-Ruel, 5.5.1918, in  : Durand-Ruel Godfroy 1989, 268–69. „Il me semble que ce n’est pas le moment pour l’Etat de dépenser une telle somme sur un tableau de Degas […] Cette somme aurait permis l’achat et l’installation d’une propriété […] pour un sanatorium pour les jeunes soldats menacés de tuberculose.“ 83 Conlin 2006, 340. 84 Holmes 1936, 335. „badly needed to illustrate the development of modern art“. 85 The Times vom 23.7.1918. 86 NGA NG16/215/1, Treasury Minute 24.3.1917. 87 MacColl 1912, „The Future of the National and Tate Galleries“, in  : The Nineteenth Century, 6/1915, 1390f. „what we are fighting for is the security of hardly won humanities, the age-long work of the creative imagination, and fine art was the prophet and is the remembrancer of such conquests.“ 88 NGA NG1/8, Board Minutes, 13.6.1917. Die Gründung der Britischen Nationalsammlung  

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Szymon Piotr Kubiak

WALTE R R I EZL E R  – KA R L H O FE R   – LU DWI G G I E S Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin

Schon Walter Benjamin (1892–1940) notierte, dass die Idee der Moderne auf paradoxe Weise retrospektiv sei. Die gesellschaftlichen Reformatoren, die sich den Kampf für den Fortschritt auf die Fahnen schrieben und an vorderster Front für das „Neue“ kämpften – weshalb sie auch als „Avantgarde“ bezeichnet wurden –, waren nur scheinbar von nichts anderem als den Problemen des „Morgen“ bewegt.1 Tatsächlich aber war dies lediglich ein Ausdruck der Revolte gegen die Generation der Väter beziehungsweise gegen die letzten im kollektiven Gedächtnis noch präsenten Generationen. In Anlehnung an die beliebte Metapher sei festgestellt, dass das Streben nach einem „Sturm auf die Museen“, verbunden mit einer militärischen, kriegerischen, somit modernen Nomenklatur, in Wirklichkeit darauf aus war, die Fundamente dieser „Grabmale der Zivilisation“ aufzudecken oder sogar deren noch tiefer gelegene Ursprünge freizulegen. „Das Schlaraffenland, das uralte Wunschsymbol“,2 wie Benjamin die utopische Vision einer idealen Welt nannte, ruhte auf den ältesten Zeugnissen der Urzeit  : einerseits der antiken Archaik, andererseits dem späten, expressiven Hellenismus sowie den von dem westeuropäischen Niedergang nicht betroffenen überseeischen indigenen Kulturen. Die Moderne wurde zu einem neuen Historismus, die Archäologen dagegen zu Verfechtern des Futurismus. Einer von ihnen, Dr. Walter Riezler (1878–1965), dessen Forschungsgebiet einst die griechische Vasenmalerei war, der aber gleichzeitig ein fortschrittlicher Theoretiker des Deutschen Werkbundes war, prophezeite in seinem programmatischen Artikel  : Deutschlands Stellung als Kulturstaat wird nach dem Kriege wahrscheinlich eine andere sein als zuvor. Es wird vereinzelt dastehen, abgeschlossen von dem größten Teile Europas, umgeben von grollenden Völkern, selbst bis ins Tiefste verletzt nicht nur durch den kriegerischen Überfall, sondern auch durch die sinnlose Schmähung seines Wesens. Dadurch kommt Deutschland in eine ungewohnte Lage  ; denn deutschem Wesen war es immer eigen, mit ganz offenen Sinnen nach dem Fremden zu schauen und Fremdes in sich zu saugen, seine Aufgabe durch die Jahrhunderte war es, diese fremden Formen mit eigenem Inhalt zu erfüllen und zu vertiefen, und immer neue Kraft und unerhörten Reichtum schöpfte es aus der immer erneuten Berührung. Freilich werden wir auch nach dem Kriege nicht ganz vereinsamt sein  : daß Italien, dessen Reichtum von uns noch lange nicht, wie manche meinen, ausgeschöpft ist, uns geöffnet bleibt, dürfen wir erwarten  ; und alle fremden Schätze der Vergangenheit, vor allem die klassische Welt der Antike, deren Macht auf uns ewig sein muß, bleiben, was sie waren. Zudem wird auch die Verbindung mit dem uns heute feindlichen Ausland in nicht

Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin  

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allzu langer Zeit sich wieder öffnen, weil es heute garnicht anders geht, als daß die Völker in freiem Austausch verkehren.3

Der Krieg – genauer gesagt  : der Erste Weltkrieg – schien hier von zentraler Bedeutung zu sein. Einerseits bildete er eine deutliche Zäsur in der politischen und gesellschaftlichen Geschichte der Alten Welt und begünstigte in gewisser Weise die Modernisierungspläne künstlerischer Avantgarden. Andererseits war der Krieg eine erste gemeinsame generationsbildende Erfahrung der Revolutionäre, aus der sich zugleich auch eine neue Kultur des Nachdenkens und des Erinnerns an diesen Bruch entwickelte. Letztlich war es auch eine Zäsur für das Museum als der Institution, die von ihren Ursprüngen an den Beginn des modernen Geschichtsdenkens verkörpert. Der „Sturm auf die Museen“, die bekannte Parole aus dem Manifesto del futurismo Filippo Tommaso Marinettis (1876–1944), gewann somit eine ganz neue Bedeutung.4 Am 1. April 1910 wurde Riezler zum Direktor des Stadtmuseums Stettin ernannt.5 Die Konstruktion des seit zwei Jahren im Bau befindlichen Gebäudes in der Hakenterrasse, „overlooking the Oder“,6 wie später Alfred Flechtheim (1878–1937) schreiben wird, war schon weit fortgeschritten.7 Der kompakte kubische Baukörper mit einer neugriechischen Vorhalle in Terrakotta-Farben war konzipiert worden, um Exponaten unterschiedlicher Provenienz Platz zu bieten.8 Die bürgerlichen „kunstsinnigen und gemeinnützig denkenden“9 Stifter der Stettiner Sammlung und ihres neuen Gebäudes waren noch der musealen Vision des 19. Jahrhunderts verhaftet  : Zu den didaktischen Pflichten eines Museums gehörte ihrer Meinung nach ein fundierter Überblick über die Entwicklung der menschlichen Zivilisation, in dem die klassische Kunst der Antike den Höhepunkt und immerwährenden Bezugspunkt bilden sollte. Es sei dabei nachrangig, ob die Kunst der vergangenen Epochen anhand originaler oder rekonstruierter beziehungsweise kopierter Werke repräsentiert werde. Riezlers Bewunderung der Antike war im Gegensatz dazu neueren Interpretationsmustern verbunden, wie sie sich in den Arbeiten des Deutsch-Römers Hans von Marées (1837–87) oder der zeitgenössischen Architektur Peter Behrens’ (1868–1940) fanden. Nachahmung war also für ihn ein Fremdwort. Er betrieb mit viel Eifer sein Projekt, in den Sälen des zweiten Stockwerks Arbeiten der Meister der Moderne zu präsentieren, wie Vincent van Gogh (1853–90), der nach Gerhart Rodenwaldt (1886–1945) zu dieser Zeit als expressionistischer Hellenist wahrgenommen wurde.10 Der Schwerpunkt der Sammlungen verlagerte sich von der Glyptothek auf die Gemäldegalerie des 19. und 20. Jahrhunderts.11 Dies führte zum ersten und, wie wir sehen werden, nicht zum letzten Konflikt mit den konservativen Einwohnern Stettins.

Zeitgenössische „Kriegs-Kunst“ im Museum Den wichtigsten Innenraum des Museums, den Kuppelsaal auf demselben zweiten Obergeschoss, „von den Ausmaßen der Sixtina etwa“12 bestimmte Riezler für die Präsentation zeitgenössischer monumentaler Kunst  : Großplastiken und Wandmalereien.13 Der Krieg schien 118  I  Szymon Piotr Kubiak

paradoxerweise bei der Verwirklichung seiner kontroversen Pläne zu helfen. Das anfangs noch geschlossene Stadtmuseum Stettin machte man auf Wunsch des Publikums schon im September 1914 wieder der Öffentlichkeit zugänglich. So wurde einerseits im Magistrat ein Ausschuss einberufen, der Objekte für das künftige, mit dem Stadtmuseum zu verbindende Kriegsmuseum sammelte, „durch das die Erinnerung an die Teilnahme Stettins und des Kreises Randow am Weltkriege festgehalten werden“ sollte. Gemeint waren damit in erster Linie schriftliche Dokumente, obwohl durchaus darauf abgezielt wurde, die neuesten zeitgeschichtlichen Ereignisse im Museum auszustellen.14 Andererseits sprangen nun fortschrittlich denkende Privatmäzene ein, da die öffentlichen Mittel, die für militärische Zwecke verbraucht waren, das Ankaufsbudget nicht mehr unterstützen konnten. Die Familie Keddig setzte beispielsweise Mittel ausschließlich für die Erwerbung von modernen Kunstwerken frei.15 Kurz nach dem Ausbruch des Krieges beschloss eine weitere Bürgerin der Stadt, die Summe von 100.000 Mark zur Ausmalung des Kuppelsaales zu überweisen  : Es ist meine Absicht, mit dieser Stiftung ein Andenken an das große Jahr 1914 zu schaffen, und ich wünsche daher, daß sowohl die Wandgemälde als auch etwa im Kuppelsaale aufzustellenden Statuen sich in irgendeiner Weise auf diese Zeit beziehen, wobei ich ausdrücklich bemerke, daß ich diese Beziehung nicht zu eng fassen will, und daß es vor allem darauf ankommt, daß die allgemein menschlichen Grundlagen der Zeit in den Bildwerken ihren Ausdruck finden […]. Über die Art der Ausführung dieses Planes soll nach Vorschlägen des Museumsdirektors, der jedesmal mein Einverständnis einzuholen hat, eine Kommission beschließen, der angehören  : 1. der Oberbürgermeister, 2. der Stadtbaurat, 3. der Museumsdezernent, 4.–7. vier von mir zu wählende Mitglieder der Museumsdeputation […]. Selbstverständlich ist die Ausführung des Schenkungszweckes von der verfassungsmäßigen Zustimmung des Magistrates abhängig. In Anbetracht der großen Schwierigkeit der Aufgabe ist es mein Wunsch, daß mit den Vorarbeiten sehr bald begonnen werde. Auch wünsche ich, daß mein Name im Zusammenhang mit der Stiftung nicht öffentlich genannt wird.16

Die bescheidene Schenkerin war Flora Tubbenthal (1880–1967), die sehr kunstinteressierte Tochter des ein Jahr zuvor verstorbenen Gutsbesitzers Friedrich Erdmann Tubbenthal (1845– 1913), der die Stettiner Hakenterrasse mitgestiftet hatte.17 Riezler blieb auf gewisse Weise seiner ursprünglichen Ausbildung treu  : So bestimmte er, dass die Kompositionen zwar zeitgenössisch in der Form, jedoch auf Basis der Ikonografie der hebräischen Antike verwirklicht werden sollten.18 Die Universalität des Alten Testaments schien offensichtlich den „allgemein menschlichen Grundlagen der Zeit“ zu entsprechen.19 Die monumentalen Eckzwickel der Kuppel und die Fluchten der Einfassungsmauern sollten von den begabtesten Expressionisten gestaltet werden. Da einer von ihnen, Moritz Melzer (1877–1966), von der örtlichen Meinung mit dem Etikett „der wildestgewordene dieser sogenannten Künstler“ versehen wurde und seine für die Sammlung angekauften Werke „lächerliche Pinseleien“20 genannt wurden, beschlossen der Direktor und der in der Sache wohlwollende Oberbürgermeister ein weniger exponiertes Kabinett zu wählen, das technoDer Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin  

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logisch-kompositorischen Versuchen und Übungen dienen sollte, bevor die endgültige Wahl eines oder mehrerer Freskenmaler getroffen würde. Es war ein rechteckiger, von Norden an den Kuppelsaal grenzender und zusätzlich mit der Seitentreppe verbundener Raum. Auf der längeren Wand, gegenüber den Fenstern, waren über den zwei Türöffnungen und in einem Abstand, der der Breite eines Deckenbalkens entsprach, drei Flächen ausgewiesen. Alle Kompositionen, einschließlich der zwei an den kürzeren Wänden, hätten ein Ausmaß von etwa 325 Zentimeter Höhe und 550 Zentimeter Länge gehabt. Zu den Kandidaten, aus deren Kreis der Freskenmaler ausgewählt werden sollte, gehörten neben Melzer unter anderen Kay Heinrich Nebel (1888–1953), Wilhelm Schmidt (1892–1971) sowie der schon vor Jahren von Baurat Max Berg (1870–1947) empfohlene Oskar Kokoschka (1886–1980).21 Den ersten Auftrag erhielt – kurz vor der Einberufung Riezlers zum Militär am 1. Dezember 191522 – Otto Hettner (1875–1931). Diesen Maler, Bildhauer, Zeichner und Grafiker verbanden mit dem Museumsdirektor eine kosmopolitische Weltanschauung und ähnliche künstlerische Interessen. Sie artikulierten diese im Jahre 1911 als Gegenangriff auf den chauvinistisch-konservativen „Protest deutscher Künstler“.23 Der aus Dresden stammende Hettner führte 1914 die Wandgemälde in der Musterfabrik von Walter Gropius (1883–1969), dem Schüler Behrens’, auf der Werkbundausstellung in Köln aus, die Riezler – nicht nur als Museumsmann, sondern auch als Werkbündler – sehr gut bekannt sein mussten.24 Gleich nach der Freisetzung der Stettiner Mittel wurde der Künstler zu Konsultationen in das Atelier Monumentaler Malerei an der Unterrichtsanstalt des Berliner Kunstgewerbemuseums zu Professor Otto Dannenberg (1867–nach 1937) geschickt. Er arbeitete damals auch im Auftrag des Stadtmuseums Stettin am sogenannten Pompejanischen Kabinett, das im ersten Stockwerk, genau unter dem Saal mit den zeitgenössischen Probefresken, eingerichtet werden sollte.25 Obwohl sein Projekt dem breiten Publikum als getreue Rekonstruktion der antiken Kompositionen in der Nachbarschaft der präsentierten hellenistischen Sehenswürdigkeiten vorgestellt wurde, ging es eher darum, eine unbekannte, schon lange in Vergessenheit geratene Innendekorationstechnik, ähnlich dem stucco lustro, neu zu entdecken, die auch den neuesten Tendenzen entsprach. Riezler schrieb dazu  : Die eigentliche Bedeutung der Dannenbergschen Entdeckung liege ja auch nicht darin, daß es nun möglich ist, antike Wandmalereien zu kopieren  : viel wichtiger ist, daß nun eine Technik der Wandmalerei wiedergefunden ist, die an Feinheit und Reichtum der künstlerischen Möglichkeiten alle bisher bekannten Techniken weit hinter sich läßt. Es ist meiner Überzeugung nach bestimmt damit zu rechnen, daß diese Technik nunmehr auch von denjenigen modernen Künstlern, die Aufgaben der Wandmalerei zu lösen haben, angewendet wird, daß vor allem auch die Architekten sich ihrer in bestimmten Fällen bedienen, zumal da die absolute Glätte und der Hochglanz der Wand dem modernen Empfinden durchaus entgegenkommt.26

All dies lässt erkennen, dass Riezler zumindest anfänglich beabsichtigte, große Beträge für das in der Stadt allgemein akzeptierte Vorhaben aufzuwenden, um die dabei gewonnenen Erfahrungen perspektivisch auf einem Gebiet zu nutzen, das ihn stärker interessierte, aber größere 120  I  Szymon Piotr Kubiak

Kontroversen weckte. Dazu kam es bereits im Jahr 1916, als Hettners Entwurf für die Komposition Sintflut, der in der Hauptstadt auf der Ausstellung der Freien Berliner Secession gezeigt wurde, auf das Ende der ersten Arbeitsetappe aufmerksam machte.27 In der Märzausgabe der Kunstchronik schrieb man  : „Sein dramatisch zugespitztes Bild zeigt Akte von stärkster ausdrucksvoller Bewegung.“ Weiter wurde informiert, dass der Künstler „das Werk in der alten, heute fast ganz vergessenen Freskotechnik unmittelbar auf den Kalk […] gemalt“ habe.28 Für den Auftraggeber galt der Künstler, nicht nur dank dieser Realisierung, sondern auch dank dem für die Museumssammlung angekauften Entwurf der Wandmalerei für eine Stettiner Villa und einer Grafikreihe als Vertreter eines zeitgenössischen Klassizismus, eingereiht unter jene Künstler, die seit Pompejanischer Zeit über Michelangelo bis hin zu Hans von Marées dekorative Kunst schufen.29 Ein Teil der Kritiker hielt die Komposition Hettners für wenig befriedigend, sie hatten mit einem größeren Erfolg des zunächst eingeladenen Künstlers Karl Hofer (1878–1955) gerechnet, da dieser „in einer ganz anderen Weise für solche Aufgabe prädestiniert“ zu sein schien.30 Vor allem sah man in ihm einen der begabtesten Expressionisten und zugleich den letzten Vertreter der Deutsch-Römer, der vor zwei Jahrzehnten die Freskenmalerei Marées’ in Neapel studiert hatte.31 Hettner versuchte ihn zu überreden, den Stettiner Auftrag anzunehmen. Der Dresdner prüfte gerade die technischen Möglichkeiten auf einem kleinen Fragment eines weiteren Gemäldes, diesmal in einer Ecke des zentralen Raumes unter der Kuppel  : Es handelt sich um die Fresken zu Stettin. Also hören Sie. Dort im Museum gibt es einen riesigen, zu Nichts dienenden Kuppelsaal. Architektonisch schlecht. Aber mit großen und schönen Wandflächen. Ferner ist dort ein vernünftiger Museumsdirektor, Dr. Walter Riezler, sehr feiner, prachtvoller Kerl, der diesen Saal nicht „dekorieren“ will, womit er noch immer keinen Zweck erhalten würde, sondern ihm diesen geben will durch monumentale, in Fresko auszuführende Malereien. Ferner gibt es dort Fräulein Flora Tubbenthal, [ein] älteres, einfaches Mädchen, die eine unerwartet große Hinterlassenschaft von ihren Eltern empfing. […] Gott sei Dank kam aber Riezler mit dem Kuppelsaalprojekt, und sie machte die Stiftung. […] Um Preisausschreiben, damit verpuffte Kraft und die sichere Wahl des Dümmsten zu vermeiden, wurde es derart organisiert, daß im Museum ein Saal zu Verfügung gestellt wurde, mit fünf Flächen […] und daß in diesen von den in Frage kommenden „Probefresken“ gegen Kostenentschädigung (2000 Mark, Maurer etc. vom Museum bezahlt) zu liefern sind. Als Thema irgend ein Alt-Testamentarisches.32

Hofer nahm den Vorschlag an und entschied sich, eine Szene aus dem Buch Josua darzustellen. Das Bild mit dem Titel Einsturz der Mauern von Jericho oder Posaunen von Jericho (Abb. 1) wurde nach Ende des Krieges und der Rückkehr Riezlers aus dem Feld begonnen und im Jahre 1920 fertiggestellt. Auf dem Gemälde waren sieben Priester vor den Staubwolken von Gebäudewänden dargestellt, die wie Kristalle zur Mitte hin einstürzten.33 Die für den Künstler charakteristischen „primitiven Gesten“ und die in ihrer Form vereinfachten, breitschultrigen Menschengestalten mit starkem Knochenbau ließen Julius Meier-Graefe (1867–1935) festDer Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin  

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Abb. 1: Karl Hofer, Die Posaunen von Jericho, 1920, Fresko (vernichtet)

stellen, dass man es mit einem „Hodler ohne die sinnliche Vergangenheit Hodlers“,34 sprich mit einer Inspiration nicht nur von Skulpturen der vorklassischen griechischen Idole, sondern auch von afrikanischer Kunst zu tun habe. Auf diese – nicht nur formal – primitivisierende und emotionale Art und Weise ging die Geschichte auch weiter.

Expressionistisches Gedenken an den Krieg Zwei Jahre später nämlich, am 13. Mai 1922, öffnete in München die Deutsche Gewerbeschau, die die Leistungsfähigkeit und – ein Schlüsselwort des Deutschen Werkbundes – „Qualität“ der heimischen Kunst und Industrie sowie des Gewerbes nach dem Weltkrieg zeigen sollte. Der Stettiner Museumsdirektor gehörte, gemeinsam mit anderen Werkbundmitgliedern, zum Hauptausschuss der Ausstellung. So schrieb er in deren Katalog  : Das Wort „Qualität“ scheint abgegriffen zu sein, und wird doch erst allmählich in seiner tieferen Bedeutung erfasst. Lange Zeit verstand man darunter die einwandfreie Arbeit an einem echten und in seiner Eigenart ehrlich gezeigten Material. Heute wissen wir, daß nur da von wirklicher „Qualität“ gesprochen werden darf, wo auch die Form lebendig und organisch entwickelt ist, sodaß das von Menschen geschaffene Ding, wie es in früheren Zeiten ungebrochener Kultur der Fall war, eingeht in den großen Zusammenhang der von den unmittelbaren

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Abb. 2: Ludwig Gies, Kruzifixus, 1921

Kräften des Lebens durchformten Natur. […] So ist es nicht etwa ein Zugeständnis an die Forderungen des Tages und des praktischen Lebens, dass auf der „Gewerbeschau“ neben dem Künstler, ihm gleichberechtigt, der Handwerker und der Industrielle erscheint  : in dieser Dreiheit liegt die einzige Möglichkeit, wirklich ein erschöpfendes Bild der Formungen zu geben, zu denen sich die Arbeit dieser Gegenwart verdichtet.35

In einem nach den Entwürfen des weiteren Werkbündlers Peter Behrens errichteten Pavillon, mittelalterlich „Dombauhütte“ genannt, wurden Arbeiten des expressionistischen und im Kontext der Kriegserinnerung engagierten Bildhauers Ludwig Gies (1887–1966) gezeigt. Unter anderen war es ein Kruzifixus (Abb. 2), der ursprünglich als Kriegerdenkmal für die Lübecker Kirche St. Marien konzipiert worden war.36 Gies verwendete ein ausdruckvolles Formenvokabular, das bis dahin nur einigen zeitgenössischen Malern und Grafikern vertraut war. Der Corpus Christi wurde von ihm blau-grün, das Kreuz rot und der Nimbus samt Strahlen golden gebeizt.37 Als Vorbilder dienten hier die in diesem expressionistischen Künstlerkreis allgemein als faszinierend geltenden spätgotischen Skulpturen sowie die sogenannte Negerplastik, an der Carl Einstein (1885–1940) die im Abendland vergessene und jetzt wieder erwünschte „Plastizität“ und Theodor Däubler (1876–1934) den Weg zum Absoluten erkannte.38 Obwohl diese Fraktion auch lobende Worte für das Kruzifix fand,39 wurde die drei Meter hohe Darstellung des Sterbenden von der breiten Öffentlichkeit kritisiert. In der heftigen Diskussion um das Werk kamen dieselben Stereotype gegen die Moderne zum Tragen wie in dem zuvor erwähnten Stettiner Streit um die Malerei Melzers.40 Umso mehr wollte Riezler die Skulptur als herausragendes Beispiel der handwerklich-­ künstlerischen „Qualität“ schützen, wenngleich sie – ähnlich wie in Lübeck – auch in der Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin  

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Münchner Ausstellung schließlich wegen Protesten abgebaut wurde. Für ihn war gerade die Dombauhütte die erste gemeinsame Errungenschaft der modernen Architektur und bildenden Künste nach dem Krieg – ein Gesamtkunstwerk, wie er es auch mit seinem musealen, mit Fresken ausgemalten Kuppelsaal erschaffen wollte.41 Deswegen führte der Direktor direkte Gespräche mit Gies in Berlin, übergab jedoch die weiteren Verhandlungen dem Stettiner Oberbürgermeister Friedrich Ackermann (1866–1931). Es ist aus heutiger Perspektive erstaunlich, was er dem Künstler schon kurz nach der Entfernung des Kruzifixus aus dem Münchner Pavillon vorschlug  : Ich kann mich nicht dafür aussprechen, die Figur, von der Dr. Riezler mir eine Photographie geschickt hat, unserem allgemeinen Stettiner Publikum an zentraler Stelle des Museums vorzuführen. Sie würde bei der Mehrheit der Besucher weder Verständnis noch Beifall finden  ; wohl aber würde sie die Ihnen wahrscheinlich hinlänglich geläufigen Vokabeln Entweihung, Verzerrung, Verirrung usw., ins derb Pommersche übersetzt, zu Gehör bringen. Das möchte ich weder Ihnen und Ihrer Kunst, noch Herrn Dr. Riezler, noch mir zuziehen. Wohl aber hätte ich den Wunsch dieses Erzeugnis ernstesten Ringens der heutigen Kunst mit unsäglich schweren Problemen hier sehen und Berufenen zeigen zu können. Wir haben hier im Museum einen sehr gut belichteten kleinen Saal, der zu allerlei künstlerischen Versuchen dient und in dem bereits Freskogemälde von Hettner und Karl Hofer hängen [sic  !], die als Probestücke für monumentale Ausmalung des Kuppelsaales dienen sollen. Dieser Saal wird nur Eingeweihten gezeigt und solchen, die ihn zu sehen wünschen. Dort würde der Crucifixus in sehr guter Beleuchtung hängen, und wenn er einem, der ihn dort sieht, kein Verständnis und keinen Gefallen abgewinnt, dann kann dieser sich wenigstens nicht darüber beklagen, dass der Anblick ihm ohne seinen Willen aufgenötigt worden ist […].42

Der Raum mit den Probefresken sollte also eine Art zensierte Schreckenskammer sein, zu der nur Unerschrockene mit starken Nerven und wahrer Leidenschaft für die zeitgenössische Kunst Zutritt hätten, deren radikalste und umstrittenste Kostproben also hinterm Vorhang und mit einer Art Warntafel versehen, von der narrativen Linie der Dauerausstellung abgegrenzt wären – was an heutige Gepflogenheiten im Umgang mit zeitgenössischen Werken im religiösen Kontext erinnert. Auch damals wollte man einen Saal der biblisch – und gleichfalls vom Krieg – inspirierten Moderne einrichten. Die künstlerischen und theologischen Ansätze, die Gies Ackermann in einem kurzen Briefwechsel erläuterte, konnten den Bürgermeister jedoch überzeugen, dass es sich hier nicht nur um bloße Skandallust handelt  : „Die Tiefe des Leidens und zugleich die Seelengröße, die sich darüber erhebt“ in einem abgezehrten „Körper des Asketen, dem das Körperliche überhaupt Nebensache ist“ und der mit der vergewaltigten Hand „noch zu segnen scheint“,43 konnten an den Schrecken des Krieges erinnern und somit mit der Widmung des Stettiner Kuppelsaales in Einklang stehen. Das Kruzifix wurde also für circa zwei Millionen Inflationsmark erworben, nicht durch das Museum selbst, sondern von den von Riezler überredeten privaten Mäzenen aus dem Museumsverein.44 1929 wurde das Werk von einem lokalen Fotoatelier in drei verschiedenen Varianten abgelichtet. Eine der Auf124  I  Szymon Piotr Kubiak

nahmen wurde nach Genehmigung durch den Künstler als Postkarte in Bromsilbertechnik veröffentlicht45 und hatte von den unterschiedlichen Motiven aus der Stettiner Sammlung mit 930 Exemplaren die wohl höchste Auflage.46 Trotz Protesten der konservativen Bürgerschaft blieb das Kruzifix bis zur Machtergreifung der Nazis an der prominentesten Stelle im Kuppelsaal. Noch 1932, als ein Stadtrat vorschlug, das Werk in eine Stettiner Kirche umzusiedeln, sprach der Museumsdirektor von der künftigen Ausmalung des Kuppelsaales, die einen würdigen Hintergrund für das hölzerne Werk schaffen werde.47 Zu dieser Neugestaltung kam es aber nicht mehr. Nach der Entlassung Riezlers am 6. April 1933 wurde es für „notwendig“ erachtet, Gies’ Skulptur zu entfernen und im Magazin einzulagern.48 Dort verblieb sie bis zur Beschlagnahmung „entarteter Kunst“, von der das Städtische Museum im Sommer 1937 ebenfalls betroffen war. Auch die Probefresken von Hettner und Hofer fielen dieser Aktion zum Opfer und wurden noch vor dem 1. April 1938 übermalt.49 Die Idee, den Kuppelsaal mit Wandgemälden auszuschmücken, konnte somit nicht verwirklicht werden. Nachdem auch die Bestände des Kriegsmuseums schon vor einem Jahrzehnt an das neue Provinzialmuseum Pommerscher Altertümer überwiesen worden waren, beschloss man, die Mittel der Flora Tubbenthal-Stiftung nur für die Vollendung des Pompejanischen Kabinetts zu verwenden.50 Dies bedeutete nicht nur das Ende des Stettiner Kampfes um die moderne Kunst, sondern auch des universellen Gedenkens an alle Opfer des Ersten Weltkrieges am Vortag der zweiten Katastrophe des 20. Jahrhunderts.

Anmerkungen 1 Dieser Artikel beruht auf der Studie, die der Autor zusammen mit Volker Probst im Rahmen der Ausstellung Figura. Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Bestand des Nationalmuseums Stettin, 22.10.2012–20.1.2013  : Ernst Barlach Stiftung Güstrow, 1.2.2013–7.4.2013  : Nationalmuseum Stettin, durchgeführt hat. 2 Walter Benjamin, Das Passagenwerk, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 2009, Bd. I, 47. 3 Walter Riezler, Die Kunst im alten und im neuen Deutschland [Sonderdruck aus den Süddeutschen Monatsheften], o. J., 386–389, hier 388. 4 Marinetti schrieb  : „Nous voulons démolir les musées, les bibliothèques […]“, siehe Filippo Tommaso Marinetti, „Manifeste du Futurisme“, in  : Le Figaro, 51/1909, 1. 5 Hans Vogel, „Walter Riezler und die geistige Kultur Stettins von 1933“, in  : Baltische Studien, neue Folge, Bd. 53, 1967, 83–92, hier 84f., auch zur Biografie Riezlers. Siehe auch  : Bogdana Kozińska, „Walter Riezler und das Stadtmuseum Stettin“, in  : Szymon Piotr Kubiak u. Dariusz Kacprzak (Hrsg.), 1913. Święto wiosny / Frühlingsweihe, Szczecin 2013, 62–89. 6 Alfred Flechtheim, „Pommern“, in  : Der Querschnitt, 9/1927, 683–685, hier 685. 7 Wilhelm Meyer-Schwartau, „Das städtische Museum und die Haken-Terrasse in Stettin“, in  : Zen­ tralblatt der Bauverwaltung, 1–3/1915, 1–26, hier 23. 8 Otto Kunkel, „Vom Werden und Wesen des Stadtmuseums auf der Hakenterrasse in Stettin“, in  : Gemäldegalerie der Stiftung Pommern im Rantzaubau des Kieler Schlosses, Neumünster 1971, 7–17,

Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin  

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passim  ; Rafał Makała, Między prowincją a metropolią. Architektura Szczecina w latach 1891–1918, Szczecin 2011, 108–125  ; Rafał Makała, „Die Stettiner Museumssammlungen von Walter Riezler“, in  : Bernfried Lichtnau (Hrsg.), Bildende Kunst in Mecklenburg und Vorpommern von 1880 bis 1950. Kunstprozesse zwischen Zentrum und Peripherie, Berlin 2011, 186–199, passim. 9 Meyer-Schwartau 1915, hier 8. 10 Esther Sophia Sünderhauf, Griechensehnsucht und Kulturkritik. Die deutsche Rezeption von Winckelmanns Antikenideal 1840–1945, Berlin 2004, 248. 11 Über die räumliche Verteilung der Sammlung  : Makała 2011b, passim. 12 Anonym, „Carl Hofer“, in  : Das Kunstblatt, Bd. 4, 1920, 253f., hier 253. 13 Bogdana Kozińska, „Das Stettiner Museum gestern“, in  : Szymon Piotr Kubiak u. Dariusz Kacprzak (Hrsg.), 100 lat muzeum w Szczecinie / 100 Jahre Museum in Stettin, Szczecin 2013, 14–181, hier 113f. 14 Statistisches Amt der Stadt Stettin (Hrsg.), Verwaltungsbericht der Stadt Stettin, Stettin 1915, 49–50  ; Magistrat der Stadt Stettin (Hrsg.), Die Kriegsmaßnahmen der Stettiner Stadtverwaltung, Stettin 1915, 136–138  ; Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 26, 88–89. 15 Statistisches Amt der Stadt Stettin (Hrsg.), Verwaltungsbericht der Stadt Stettin, Stettin 1914, 81–82. 16 Stettin 1914, 82–83. 17 Hans Berkner, Geschichte und Geschichten von der Familie Tubbenthal, unveröffentlichtes Typoskript aus der Privatsammlung Heidemarie Schade, Berlin 1979, 25. Für die Informationen über die Familie Tubbenthal gilt der Dank Frau Dr. Heidemarie Schade sowie Herrn Friedrich Berkner, den Nachkommen der Familie Tubbenthal. 18 Führer durch das Museum der Stadt Stettin, Stettin 1924, 67. Eine Kompromisslösung, somit vorläufig, war es, die schon früher in Auftrag gegebene Kopie des Reiterbildnisses des Bartolomeo Colleoni von Andrea del Verrocchio in der Kuppelhalle aufzustellen. Archivmaterial zeugt von dem nie umgesetzten Willen Riezlers, die Skulptur in den Museumsinnenhof zu verlegen. Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 60. 19 Ebd. 20 Bernfried Lichtnau, „Der Stettiner Museumsstreit im Jahre 1913“, in  : Materiały Zachodniopomorskie, 42/1996, 465–498, hier 485. 21 Briefe Otto Hettners an Karl Hofer von Februar – März 1918, Badische Landesbibliothek, K 2962  ; Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 192, S. 109, 118, 120, 141, 159. Der Dank gilt Linda Karohl von der Städtischen Galerie Dresden, die so freundlich war, dem Autor vor der Veröffentlichung ihres Aufsatzes Einblick in den Briefwechsel zwischen Hettner und Hofer zu gewähren. Siehe  : Szymon Piotr Kubiak, „Der große Jüngling. Ernesto de Fiori und die Riezlersche Vision des neuen Klassizismus“, in  : Szymon Piotr Kubiak u. Volker Probst (Hrsg.), Figura. Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Bestand des Nationalmuseums Stettin / Sztuka pierwszej połowy XX wieku ze zbiorów Muzeum Narodowego w Szczecinie, Szczecin 2012, 11–37, hier 17–19  ; Linda Karohl u. Gilbert Porstmann (Hrsg.), Otto Hettner – Roland Hettner. In der Sammlung der Städtischen Galerie Dresden, Dresden 2014, 17f.; Szymon Piotr Kubiak, Postscriptum 1914  : Wojna/Krieg, Szczecin 2014, 13, 17. 22 Stettin 1915a, 48. 23 Div., Im Kampf um die Kunst. Die Antwort auf den ‚Protest deutscher Künstler‘, München 1911, 10–13, 51–55. Gegen den „Protest“ wandten sich u.a. auch Hofer und Hermann Haller  : 88–89, 91. 24 Karohl/Porstmann 2014, 16–17. 25 Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 85, 339  ; Dannenberg 1931, passim. Siehe Łopuch 2005, passim.

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26 Otto Dannenberg, „Studien und Erfahrungen in antiker Wandmalerei“, in  : Technische Mitteilungen für Malerei, 7/1931, 75–79, hier 75. An dem Pompejanischen Kabinett wurde 20 Jahre lang gearbeitet  ; die Einweihung erfolgte am 30. Mai 1930. 27 Katalog der Schwarz-Weiss-Ausstellung der Freien Secession Berlin 1916, Berlin 1916, 20. 28 Anonym, „Im Stettiner Museum“, in  : Kunstchronik, 23/1916, 228. Siehe auch Anonym, „Museumsfresken für Stettin“, in  : Antiquitäten-Rundschau, 18/1920, 187. Im Jahre 1916 wurden für die Sammlungen des Städtischen Museums Stettin fünf Rötel-Zeichnungen angekauft, die Studien für die Sintflut waren  : Städtisches Museum Stettin. Erwerbungsinventar der Sammlung von Originalen neuerer Kunst, Inv.-Nr. 270–274. In den heutigen Sammlungen des Nationalmuseums in Stettin befinden sich 10 Rötel-Akte Hettners ohne Datumsangabe, die während der Arbeiten am Fresko entstanden sein könnten. 29 Stettin 1924, 83  ; Walter Riezler, „Illustrierte Bücher von Otto Hettner“, in  : Die graphischen Künste, Bd. 47, 1/1924, 51–56, hier 62  ; vergl. William Lossow, Max Hans Kühne. Arbeiten aus den Jahren 1906–1913, Dresden 1913, 27  ; Makała 2011a, 308. 30 Anonym 1920, 253. 31 Julius Meier-Graefe, „Karl Hofer“, in  : Ganymed, 4/1922, 92–108, passim. 32 Brief Hettners an Hofer vom 10. Februar 1918, Badische Landesbibliothek, K 2962. 33 Anonym 1920, 253. Im Jahre 1922 wurde dank der Förderung durch die Haeckelsche Stiftung ein Ölgemälde Hofers für die Sammlungen des Städtischen Museums Stettin angekauft, das ein Entwurf zum Fresco Posaunen von Jericho war, 119 cm x 195 cm  : Städtisches Museum Stettin, Erwerbungs-Inventar der Sammlung von Originalen neuerer Kunst, Inv.-Nr. 499. Das Gemälde wurde im Jahre 1937 im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ aus der Sammlung entfernt und gilt als verschollen  : Forschungsstelle „Entartete Kunst“, Kunsthistorisches Institut der Freien Universität Berlin, EK-Inventar-Nr.: 75689. 34 Meier-Graefe 1922, 98. 35 Edwin Redslob, Deutsche Gewerbeschau München 1922. Amtlicher Bericht, München o. J. [1922], 6. Siehe dazu  : Volker Probst, „Zu Werken der Moderne im Städtischen Museum Stettin und deren Schicksal“, in  : Szymon Piotr Kubiak u. Volker Probst (Hrsg.), Figura. Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem Bestand des Nationalmuseums Stettin / Sztuka pierwszej połowy XX wieku ze zbiorów Muzeum Narodowego w Szczecinie, Szczecin 2012, 39–72, hier 47–49. 36 Redslob 1922, 228. 37 Probst 2012, 44  ; Kubiak 2014, 34f., dort auch die farbliche Rekonstruktion der Skulptur. 38 Carl Einstein, Negerplastik, Leipzig 1915, 17–24  ; Theodor Däubler, „Im Kampf um die moderne Kunst [1919]“, in  : ders., Im Kampf um die moderne Kunst und andere Schriften, hrsg. von Friedhelm Kemp u. Friedrich Pfäfflin, Darmstadt 1988, 117–141, hier 131. 39 Siehe z.B. Oscar Gehrig, Otto Hitzberger, Berlin 1925, 23f.; Probst 2012, 44. 40 Redslob 1922, 12  ; Probst 2012, 48. Zu dem Kruzifixus von Gies und seinem Schicksal siehe auch Jens Eric Howoldt, „Der Kruzifixus von Ludwig Gies. Ein Beispiel ‚entarteter Kunst‘ in Lübeck“, in  : Der Wagen. Ein Lübeckisches Jahrbuch, 1988, 164–174, Bernd Ernsting, „Scandalum Crusis – Der Lübecker Kruzifix und sein Schicksal“, in  : ders. (Hrsg.), Ludwig Gies 1887–1966, Leverkusen 1990, 57–71, Katrin Engelhardt, „Ans Kreuz geschlagen. Die Verhöhnung des ‚Kruzifix‘ von Ludwig Gies in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus“, in  : Uwe Fleckner (Hrsg.), Das Verfemte Meisterwerk, Berlin 2009, 29–47. 41 Walter Riezler, „Religion und Kunst der Gegenwart“, in  : Die Form, 4/1922, 1–10, hier 10  ; Probst 2012, 49. Der Erste Weltkrieg im Stadtmuseum Stettin  

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42 Brief Gies an Friedrich Ackermann vom 23. September 1922, Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 60, 4. 43 Brief Gies an Ackermann vom 11. Oktober 1922, Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 60, 7f. 44 Stettin 1923, 16  ; Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 97, o. Nr. 45 Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 60, 159f.; Probst 2012, 60. 46 Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 96, 43. 47 Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 60, 179  ; Probst 2012, 61. 48 Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 60, 182  ; Probst 2012, 61. 49 Schreiben des Direktors des Städtischen Museums Stettin, Otto Holtze, an Oberbürgermeister Werner Faber vom August–November 1937, Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 97, o. Nr.; Sign. 30, 121f.; Kubiak 2012, 32. Das Kruzifix spielte eine zentrale Rolle während der Tourneeausstellung Entartete Kunst, wurde dann wahrscheinlich im Depot in der Berliner Königsstraße 50 magaziniert und verbrannte am Ende des Krieges samt dem Gebäude. Probst 2012, 65. 50 Staatsarchiv Stettin, Stadtmuseum Stettin, Sign. 30, 121f.; Kubiak 2012, 32.

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Julien Bastoen

DAS MU S ÉE D U LUXE M B O U RG U N D DE R ERSTE WE LTK R I E G Ein Museum im Dienst von Kulturdiplomatie und Propaganda

Mit dem Ziel den blinden Fleck aufzulösen, der die Sicht auf die Geschichte der französischen Nationalmuseen während des Ersten Weltkriegs lange behinderte, entstanden in den letzten Jahren einige Forschungsarbeiten, die sich unter anderem mit dem Louvre in jener Zeit,1 den Auslagerungen und Sicherungen der Sammlungen2 und der Rolle bestimmter Akteure in der Administration des Beaux-Arts wie dem Direktor der Nationalmuseen Henri Marcel beschäftigen.3 Das Musée du Luxembourg, dessen Sammlungen heute in verschiedenste Institutionen in Paris und in der Provinz verstreut sind, ist dem Interesse der Forscher bislang leider entgangen. Dabei hatte diese Mutter aller Museen der Gegenwartskunst, im Jahr 1818 gegründet, zwei entscheidende Aufträge  : erstens ein Schauraum der nationalen Kunst zu sein, und zweitens in der Zeit nach dem Wiener Kongress den anderen europäischen Mächten die Vitalität und die Überlegenheit französischer Kunst vorzuführen (Abb. 1). Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, inwieweit das Musée du Luxembourg durch seinen Status als Nationalmuseum und „Masterpiece“ der kulturellen Ausstrahlung Frankreichs, gerade während eines so kritischen Konflikts wie dem Ersten Weltkrieg, zum kulturellen und politischen Akteur wurde, sowohl national als auch international. Da Studien dazu bislang fehlen, soll hier auf der Grundlage französischer Archivquellen versucht werden zu klären, wie der Ausbruch des Ersten Weltkriegs sich auf die Agenda und den Alltag des Museums auswirkte und die Institution so zu einem Herzstück französischer Propaganda und Kulturdiplomatie machen konnte

Das Aus für den Umzug des Museums Der Beginn des Krieges unterbrach jäh die Pläne für eine Verlegung des Museums in ein größeres und monumentaleres Gebäude, das die internationale Ausstrahlung der Institution und der französischen Hauptstadt stärker akzentuieren sollte. Das Museum war 1818 zunächst in den Sälen des Palais du Luxembourg auf einer Anhöhe südlich der Seine untergebracht worden, bevor es 1886 in der mit Senatsmitteln umgebauten und erweiterten alten Orangerie des Palais ein provisorisches Quartier bezog.4 Dort mangelte es allerdings an Depoträumen und Werkstätten, an Einrichtungen für die Besucher und vor allem an einer dem Reichtum der Sammlungen angemessenen Ausstellungsfläche. Das Musée du Luxembourg  

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Abb. 1: Ansicht der Hauptfassade des Musée du Luxembourg um 1900

Nach dem Scheitern mehrerer Vergrößerungs- oder Neubauprojekte für das Museum zwischen 1886 und 1904,5 vor allem vor dem Hintergrund der Weltausstellung von 1900, rückte angesichts der im Raum stehenden Trennung von Kirche und Staat plötzlich die Möglichkeit der Umnutzung eines nahe gelegenen sakralen Gebäudekomplexes aus staatlichem Besitz in greifbare Nähe  : das circa 100 Meter vom Musée du Luxembourg entfernte Priesterseminar Saint-Sulpice. Auf dieses in den 1830er-Jahren errichtete Gebäude von der Anmutung einer Militärkaserne hatte Léonce Bénédite, der Direktor (conservateur en chef ) des Museums, ein Auge geworfen  ; sein Ziel war es, dort ein „Modellmuseum für moderne Kunst“ zu erschaffen.6 Das Umbauprojekt des Seminars zum Museum, verantwortet vom Unterstaatssekretär für die Künste Étienne Dujardin-Beaumetz, hatte einige Klippen zu umschiffen, besonders in Bezug auf die Modalitäten seiner Finanzierung, die technische Durchführung der Umbauten und die Eignung des ausführenden Architekten Hippolyte Deruaz. Zwischen 1909 und 1913 wurden dem Abgeordnetenhaus mehrmals Entwürfe zur Finanzierung des Projektes vorgelegt, doch nie konnten die Vorlagen eine Mehrheit erreichen. Nichtsdestotrotz begann der Museumsdirektor zwischen August 1913 und Juli 1914, mehr als 600 Kunstwerke (Gemälde, Pastelle, Zeichnungen, Druckgrafik und Marmorskulpturen) in die ebenerdig liegenden Räume des Priesterseminars bringen zu lassen, auch ohne die Sicherheit eines Parlamentsbeschlusses (Abb. 2). Nach Ausbruch des Krieges stimmte Direktor Bénédite dem Einzug einer Truppe von Soldaten ins Seminargebäude zu, im September 1914 dann auch der Unterbringung der Kriegsnothilfe (Secours de Guerre), einer karitativen Einrichtung zur Flüchtlingshilfe in Belgien und Nordfrankreich. Das Zusammenleben der Kunstwerke mit zivilen und militärischen 132  I  Julien Bastoen

Abb. 2: Grundriss des Priesterseminars Saint-­ Sulpice, das 1909 dem Musée du Luxembourg zugeteilt war

Flüchtlingen, deren Zahl innerhalb eines Jahres von 300 auf 1.400 anwuchs, wurde schon bald von Problemen überschattet. Der Direktor musste die Marmorskulpturen verlagern lassen und über Monate hinweg Schutzmaßnahmen für die weiteren Werke verhandeln, unter denen einige seit 1914 bereits Schäden erlitten hatten. Kurz nachdem die Kriegsnothilfe 1920 aus dem Gebäude auszog, scheiterten endgültig die Hoffnungen des Museumsdirektors auf eine Umwandlung des Seminars  ; statt des Museums erhielt das seit 1910 ebenfalls am Gebäude interessierte Finanzministerium den Zuschlag, um dort einen Teil seiner im Louvre angesiedelten Dienste unterzubringen.

Das „Musée des Alliés“, Vorstufe einer Abteilung ausländischer Malerei Eine Abteilung für ausländische Malerei im Musée du Luxembourg, die man schon seit den 1860er-Jahren ins Auge gefasst hatte, wurde erst in den 1890er-Jahren unter der Ägide Bénédites realisiert, wiewohl mit begrenzten räumlichen Möglichkeiten.7 Von 1897 an beanspruchte diese Abteilung einen circa 60 Quadratmeter großen Raum in einem innerhalb weniger Monate errichteten behelfsmäßigen Anbau der Orangerie im Jardin du Luxembourg, in dem auDas Musée du Luxembourg  

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ßerdem die Auswahl impressionistischer Gemälde aus dem Vermächtnis Gustave Caillebottes an den französischen Staat beherbergt war.8 In diesem Raum wurden die Sammlungen „nach nationalen Serien“ gezeigt, in einem Zeitrahmen von einigen Monaten bis zu einem Jahr.9 Spätestens im Dezember 1914, in einem seiner Sammlungen fast vollständig entleerten Museumsgebäude, begann Bénédite Gedankenspiele hinsichtlich einer Neueröffnung des Luxembourg als „Museum der Alliierten“10 anzustellen, in dem endlich der Malerei der Verbündeten Reverenz erwiesen würde, mit der durchaus erwähnenswerten Ausnahme der russischen Kunst.11 Am 10. April 1915 öffneten zwei der belgischen Malerei gewidmete Räume, „denen nicht mehr als zwei, drei große Namen fehlen, um einen ausreichend aussagekräftigen Überblick über die Entwicklungen und Tendenzen der belgischen Schule zu geben“12, sowie ein weiterer Raum, der eine Auswahl von 80 der 250 Grafiken zur Schau stellte, die vom britischen Künstler Frank Brangwyn dem französischen Staat „als Huldigung Frankreichs und seiner wunderbaren Soldaten“ übereignet worden waren. Diese Schenkung erwiderte offensichtlich die Geste Auguste Rodins, dem britischen Staat als Dank für die Intervention des Landes „bei der Rettung des besetzten Belgiens“ Repliken seiner bekanntesten Werke zu vermachen.13 Die Wiedereröffnung des Musée du Luxembourg erwies sich allerdings als kompliziertes Unterfangen, erstens durch die Knappheit an Wachpersonal, das größtenteils zum Kriegsdienst eingezogen worden war, zweitens durch mangelndes Einvernehmen hinsichtlich des Vorhabens des Museums. Exemplarisch für die Misstöne lässt sich eine anonyme Stimme anführen, die die Notwendigkeit in Zweifel zieht, in Anbetracht der Umstände die Kunstwerke den durchaus beträchtlichen Risiken auszusetzen  : „Sollte das Museum etwa einen Teil seiner Räumlichkeiten mit den Werken Brangwyns eröffnen, könnte das doch zum Beispiel für andere Museen werden, ohne dass man erörtert hätte, ob das Luxembourg Recht oder Unrecht habe, die Brangwyn-Schenkung auszustellen und sie damit dem Risiko eines zufälligen Bombentreffers auszusetzen.“14 Der Lauf der Ereignisse hätte den Kritiker darin durchaus bestätigen können  : Zwischen dem 21. und dem 24. März wurde Paris Ziel mehrerer Luftangriffe deutscher Zeppeline, die sechs Menschen verletzten. Den Gefahren zum Trotz hielt Bénédite an der Wiedereröffnung fest. Schon wenig später, ab dem 25. Juni 1915, zeigten zwei weitere Räume die Kunst der englischen Schule. Der erste versammelte zeitgenössische Werke, die seit den 1890er-Jahren in die staatlichen Sammlungen gelangt waren  ;15 der zweite Raum 38 Stücke aus der Sammlung,16 die Edmund Davis, ein südafrikanischer Bergbaumagnat, innerhalb weniger Monate mithilfe des Pariser Museumsdirektors zusammengekauft hatte, um sie dann dem französischen Staat zu schenken.17 Die museale Würdigung der belgischen und englischen Malerei fügte sich bestens in die Intensivierung kulturdiplomatischer Bemühungen Frankreichs um seine Alliierten ein, ebenfalls ließen sich didaktische Synergien mit zeitgleich an der École du Louvre abgehaltenen Kursen zum Thema anstellen. Doch auch die Beschäftigung mit der Malerei der Mittelmeeranrainer ließ nicht lange auf sich warten. In Zusammenarbeit mit dem Generalsekretär der Biennale von Venedig, Antonio Fradeletto,18 und Federico Gentili di Giuseppe, Bankier, Mäzen und Sammler, trug Bénédite im folgenden Jahr – nachdem Italien den Kreis der Verbündeten 134  I  Julien Bastoen

der Entente betreten hatte – eine Auswahl an Kunstwerken zusammen, die „zweifellos sehr unvollständig ist, wie die der anderen Länder, […] aber schon einen lehrreichen Überblick der regionalen italienischen Schulen bietet“.19 Die Auswahl wurde ab dem 8. November 1916 in drei eigens dafür hergerichteten Sälen des Museums gezeigt.20 Eine Ausstellung spanischer Kunst, die zeitgleich mit einer Schau französischer Kunst in Madrid für das Jahr 1918 geplant war, konnte schließlich im Frühjahr 1919 im Musée du Petit Palais ihre Pforten öffnen. Paradoxerweise dauerte es bis 1919, bis das Musée du Luxembourg eine Schau amerikanischer Kunst realisieren konnte. Ein dementsprechendes Projekt diskutierte man zwar schon seit 1913, angetrieben von Bénédite und Hugo Reisinger,21 die an eine Ausstellung im ehemaligen Ballhaus (Jeu de Paume) der Tuilerien gedacht hatten, doch verzögerte sich das Vorhaben immer weiter, zunächst dadurch, dass das Jeu de Paume bis 1916 ausgebucht war, dann durch den Tod Reisingers im Herbst 1914. Auf unbestimmte Zeit verschoben konnte die Ausstellung letztlich doch noch im Oktober 1919 eröffnen. Bénédite, der unzufrieden mit der Auswahl der Werke durch die amerikanischen Mitglieder des vom Maler und Kunstkritiker William A. Coffin geleiteten Beirats der Ausstellung war, schaltete sich nicht nur ein, um Werke aus der Mitte des 19. Jahrhunderts in die Ausstellung zu integrieren, sondern auch, um eine historische Sektion aus circa 60 Gemälden der Sammlungen des Luxembourg unterzubringen.22 Die intensive Ausstellungspraxis der Kriegsjahre, oft in Verbindung mit den Aktivitäten privater Galerien geplant, beförderte die Strategie einer Öffnung des Musée du Luxembourg für die Kunst des Auslands, ein halbes Jahrhundert nach den ersten Bestrebungen, einer allzu nationalistischen Prägung des Museums entgegenzutreten. Zwischen 1919 und 1921 verfolgte Bénédite das Ziel, das Jeu de Paume und die Orangerie im Jardin des Tuileries, nahe dem Louvre am rechten Seineufer, dem Musée du Luxembourg eingliedern zu lassen. Die beiden Gebäude sollten die Entwicklung der Sammlungsbestände nicht-französischer Kunst und die Organisation temporärer Ausstellungen, vor allem der amerikanischen Schule,23 erleichtern, die Spenden der Künstler und Stifter würdigen und somit zu weiteren Schenkungen ermuntern.24 Nur das Jeu de Paume zeigte ab August 1922 ausländische Malerei, die Orangerie indes wurde bald darauf für die Serie Nymphéas von Claude Monet hergerichtet. Der Boykott der deutschen Kunst während des Krieges und sogar danach25 war auch im Falle Bénédites Ausdruck germanophober Ressentiments, die er vor dem Krieg, wie es scheint, noch nicht an den Tag gelegt hatte  : Regelmäßiger Austausch mit seinen deutschen Kollegen, vor allem dem Hamburger Museumsdirektor Alfred Lichtwark,26 und eine ausgedehnte Reise durch Deutschland und Dänemark im Juli 191427 sprechen dafür. Seine Beiträge zu einer Untersuchung der „Kontamination“ der französischen Kunst durch Einflüsse aus dem Ausland lassen hingegen klar einen gegen die deutsche Kunst gerichteten Protektionismus erkennen,28 der im Übrigen auch von höchster Stelle in der Administration des Beaux-Arts betrieben wurde.

Das Musée du Luxembourg  

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„Die Vitalität der französischen Kunst beweisen“ – an allen Fronten und gegen den deutschen Einfluss Der Boykott deutscher Kunst in Frankreich ging einher mit Bestrebungen zur Aufwertung der französischen Kunstproduktion, sowohl in Frankreich selbst als auch im Ausland. Die Panama-Pacific International Exhibition, als Weltausstellung 1915 in San Francisco zur Feier der Fertigstellung des Panama-Kanals ausgerichtet, war in dieser Hinsicht das Trojanische Pferd des Musée du Luxembourg, um auf dem Nordamerikanischen Kontinent die Bekanntheit seiner Sammlungen und das künstlerische und intellektuelle Prestige Frankreichs insgesamt zu befördern. Da die meisten der Krieg führenden Länder ihre Beteiligung an der Ausstellung zurückgezogen hatten, legten deren Organisatoren besonderen Wert auf die Teilnahme Frankreichs.29 Der französische Staat witterte die Möglichkeit, hier den „Beweis [seines] Vertrauens in den Sieg und [seines] Willen[s], die romanische Kultur zum Triumph zu führen“ zu erbringen.30 Die Teilnahme Frankreichs sollte weiterhin eine Demonstration der Stärke zum Nachweis der Vitalität nationaler Kunstproduktion gegenüber der deutschsprachigen Propaganda sein, die laut Bénédite „Gefallen daran fand, die französische Kunst als eine Kunst darzustellen, die in der Vergangenheit zwar unbestreitbares Prestige genossen habe, nun aber, erschöpft und verbraucht, ihre besten Zeiten hinter sich gelassen habe, wohingegen die Zukunft den jungen Generationen deutscher Künstler gehöre  : viriler, gesunder und energischer [als ihre französischen Kollegen]“.31 Bénédite arbeitete mit Jean Guiffrey zusammen,32 dem Koordinator der französischen Sektion der Künste, um einerseits eine retrospektive Schau französischer Kunst von 1870 bis 1914 auf die Beine zu stellen, die ab dem 5. Juni 1915 im französischen Pavillon vor allem Werke des Musée du Luxembourg zeigte,33 und andererseits eine Abteilung zeitgenössischer Malerei zu eröffnen, die in zwei Raumabschnitten des Palace of the Fine Arts ausgestellt und von den Künstlern selbst ausgestattet wurde.34 Nach dem Ende der Ausstellung in San Francisco spät im Jahr 1915 sollten die vom Musée du Luxembourg entliehenen Werke nach Frankreich zurückgeschickt werden. Die Entwicklung des Krieges in Europa und das Interesse der Kustoden großer amerikanischer Museen an den Kunstwerken des Museums gaben den Ereignissen allerdings eine andere Richtung. Zunächst folgten die Sammlungen des Luxembourg der Einladung des Bürgermeisters von San Diego und der Organisatoren der Panama-California Exposition, Konkurrentin der oben genannten offiziellen Weltausstellung, und wurden auf dem Ausstellungsgelände für zwei Monate, von März bis April 1916, in einer speziellen Galerie gegenüber dem dortigen französischen Pavillon zur Schau gestellt.35 Es folgte eine ausgedehnte Tournee der Retrospektive französischer Kunst aus dem Musée du Luxembourg im Nordosten der Vereinigten Staaten, von April 1916 bis April 1919 (Abb. 3). Die Initiative dazu kam weder von Bénédite noch von der Administration des Beaux-Arts, sondern von John W. Beatty und Cornelia Sage, dem Direktor des Carnegie Museum of Art in Pittsburgh und der Direktorin der Albright Art Gallery in Buffalo. Ihnen gelang es, den zunächst angesichts der vielen Transporte der Gemälde skep136  I  Julien Bastoen

Abb. 3: Reiseroute der Retrospektive französischer Kunst aus der Sammlung des Musée du Luxembourg in den Vereinigten Staaten zwischen 1915 und 1919

tischen Bénédite zu überzeugen,36 mehreren nordamerikanischen Museen die Werke auszuleihen. Vor Ort wurden Jean Guiffrey und Albert Tirman, Generalkommissar der französischen Regierung bei der Weltausstellung in San Francisco, von Jean-Jules Jusserand unterstützt, dem Botschafter Frankreichs in den Vereinigten Staaten, sowie von Maurice Heilmann, seinem Wirtschaftsattaché, die beide als Mittler zwischen der französischen Regierung und den Verantwortlichen der amerikanischen Gastgebermuseen fungierten. Es ist wenig erstaunlich, dass Pittsburgh37 und Buffalo38 zwischen April 1916 und 1917 die ersten Etappen der langen Ausstellungsreise waren. John Beatty, der aus dem Carnegie Museum of Art einen regelrechten „amerikanischen Luxembourg“ machen wollte,39 hatte Bénédite schon Jahre zuvor, im Frühjahr 1907, zur Eröffnung des Carnegie Library Building eingeladen.40 Cornelia Sage, die erste Frau an der Spitze eines amerikanischen Museums, hatte sich ihrerseits seit Anfang der 1910er-Jahre als eine wichtige Verfechterin französischer Kunst in den Vereinigten Staaten profiliert  :41 Ihr war es als erste gelungen, Leihgaben aus dem Musée du Luxembourg für eine im Januar 1912 im Art Institute in Chicago eröffnete und der Société des peintres et des sculpteurs (ehemals Société nouvelle) gewidmeten Ausstellung zu erhalten  ;42 1915 organisierte sie dann eine Wanderausstellung43 zu Ehren Alfred Rolls, des PräDas Musée du Luxembourg  

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Abb. 4: Ansicht der Retrospektive französischer Kunst aus der Sammlung des Musée du Luxembourg zu Anlass der Founder’s Day Exhibition, Carnegie Library Museum of Art, Pittsburgh, 1916

sidenten der Société nationale des Beaux-Arts, „des besten Botschafters französischer Kunst in den USA“.44 Für die Eröffnung der Wanderausstellung der Kunstwerke des Luxembourg am 29. Oktober 191645 konnte sie die zu der Zeit in den Vereinigten Staaten tourende französische Starschauspielerin Sarah Bernhardt für eine Eröffnungsrede gewinnen, ein Ereignis, das von mehr als 15.000 Zuschauern verfolgt worden sein soll (Abb. 4).46 Da sich in Europa der Krieg immer weiter in die Länge zog, setzten die Sammlungen des Musée du Luxembourg, statt wie geplant nach der Station in Buffalo nach Frankreich zurückzukehren, bis April 1919 ihre Reise durch den Nordosten der USA fort, auf Betreiben des leitenden Sekretärs des Art Institute of Chicago, Newton H. Carpenter,47 und mit der Unterstützung Beattys und Sages. Die ersten weiteren Etappen waren Chicago 1917 und dann Brooklyn 1918  ; die Anzahl der Stationen ergab sich aus der Devise, dass die Kosten für Transport und Versicherung pro Institution günstiger würden, je mehr Museen die Schau zeigten. Die Ausstellung französischer Werke schlug sich deutlich in der Besucherstatistik der Einrichtungen nieder  : So verdoppelte sich etwa im März 1917 der monatliche Besucherschnitt des Museum of Art in Detroit.48 Der durchschlagende Erfolg der Wanderausstellung wurde noch verstärkt durch die Verbreitung eines Buches über die Sammlungen des Musée du Luxembourg, das sogar in Magazinen wie Vanity Fair beworben wurde, und das Texte des prominenten Kunstkritikers Charles Louis Borgmeyer,49 des ehemaligen Herausgebers des Fine Arts Journal, mit einer üppigen Zahl von Abbildungen illustrierte. 138  I  Julien Bastoen

Die Vereinigten Staaten blieben nicht das einzige Land, in dem die Sammlungen des Musée du Luxembourg als Instrument französischer Kulturdiplomatie dienten. In Spanien, einem zwischen Germanophilie und Frankophilie zerrissenen Land, sollten zwei Ausstellungen französischer Kunst die kulturellen und politischen Bande beidseits der Pyrenäen festigen  : die Exposició d’Art Francès in Barcelona im Frühjahr 1917, an der das Musée du Luxembourg sich eher symbolisch beteiligte,50 und die Ausstellung, die in einem der Ausstellungspavillons des Retiro-Parks in Madrid am 13. Mai 1918 eröffnete. Diese letztere ging auf die Initiative König Alphons’ XIII. zurück, der die französische Académie des Beaux-Arts darum bat, nach Madrid „nur solche Kunstwerke [zu senden], die den reinen französischen Geschmack verkörpern, mit einer im Jahr 1870 einsetzenden Rückschau [französischer Kunst]“,51 was nahe legt, warum das Musée du Luxembourg den Großteil der 190 ausgestellten Werke beitrug.52 Eine Ausstellung spanischer Kunst, die analog dazu im Pariser Luxembourg hätte stattfinden sollen, konnte letztlich erst im Frühjahr 1919 im Petit Palais, dem Kunstmuseum der Stadt Paris, eröffnen. Die Bemühungen, die Vitalität französischer Kunst vorzuführen, mündeten in einer Reihe von Ausstellungen im Musée du Luxembourg selbst, in denen sowohl bislang wenig oder gar nicht gewürdigte Sammlungsteile ans Licht geholt als auch bekannte Künstler gezeigt werden sollten. Im Herbst 1916 ging Bénédite „den lehrreichsten und interessantesten Teil“ der neuen Präsentationen an  :53 eine Auswahl der seit den 1880er-Jahren gebildeten grafischen Sammlung, die seit jener Zeit eines geeigneten Ausstellungslokals hatte harren müssen.54 Die Besucher konnten nun Kartons von Paul Baudry, Pierre Puvis de Chavannes und Albert Besnard sehen, wie auch Aquarelle von Gustave Moreau  ; ein weiterer Raum war einer monografischen Schau der Arbeiten Auguste Lepères vorbehalten.55 Nach Ende des Krieges bereitete Bénédite für August 1919 eine Retrospektive Carolus-Durans vor, einer weiteren zentralen Figur der akademischen französischen Malerei des endenden 19. Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg zeigte weitere Auswirkungen auf die Sammlungen des Luxembourg, die deren Erweiterungen betrafen  : Dem Museum stand 1916 fast der gesamte Ankaufsetat der Réunion des Musées nationaux, der öffentlichen Einrichtung, die seit 1896 den Erwerb von Kunstwerken für die staatlichen Museen finanzierte, zur Verfügung, 1918 waren es immerhin noch nahezu drei Viertel.56 Im Sammlungsausbau führte man die Diversifikation der 1890erJahre fort. So erwarb Bénédite bei der ersten der Versteigerungen des Degas-Nachlasses dessen Portrait de Famille für fast 300.000 Francs. Ebenfalls kaufte er für insgesamt 183.000 Francs Zeichnungen von Alphonse Legros sowie Zeichnungen und ein weiteres Gemälde mit dem Titel Les Malheurs de la Ville d’Orléans von Degas an.57 Im Jahr 1916 begann Bénédite das Scheitern der Umbaumaßnahmen des Priesterseminars Saint-Sulpice zu erahnen. Da er zeitgleich mit der Einrichtung eines Rodin gewidmeten Museums im Hôtel Biron unweit des Invalidendoms im westlichen Teil der Stadt beschäftigt war, stellte er Überlegungen zu einer Zusammenlegung des Musée du Luxembourg mit dem künftigen Musée Rodin an, die einen touristischen Anziehungspunkt erster Güte in Paris geschaffen und damit die internationale Ausstrahlung der französischen Kunst immens befördert hätte. Von 1916 bis 1920 fertigte der Architekt Henri Eustache drei Entwürfe zu einem Das Musée du Luxembourg  

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Neubau des Musée du Luxembourg auf den Freiflächen um das Hôtel Biron an.58 Doch scheiterten alle diese Vorschläge am fehlenden Interesse der Regierung.

Zwischen Verherrlichung und Kriegsdokumentation – das Musée du Luxembourg und die Militärpropaganda Im Zeitraum von 1915 bis 1919 war das Musée du Luxembourg an mehreren Ausstellungen beteiligt, in denen militärische Malerei zu Propagandazwecken instrumentalisiert wurde. Von Juni 1915 an zeigte der zweite Teil der in den Corporation Galleries der Londoner Guildhall organisierten Ausstellung Arts in Wartime59 253 Werke der französischen, englischen, belgischen und russischen Malerei, darunter 40 aus den französischen Nationalmuseen, dem Louvre, Versailles und dem Luxembourg.60 Die Ausstellung hatte der Sammler und Kurator Alfred G. Temple mit dem Ziel konzipiert, über eine ästhetisierende Sichtweise auf den Krieg hinaus durch die von den Bildern transportierten „höchsten patriotischen Ideale, Selbstaufopferung und edelste Pflichterfüllung“ Freiwillige für den Kriegsdienst zu gewinnen.61 Um die Leihgaben der französischen Sammlungen zu erhalten, wurde Alfred G. Temple von Armand Dayot, Mitglied des Conseil supérieur des Beaux-Arts und Gründer der Zeitschrift L’Art et les artistes, unterstützt. Dayot war von der Berechtigung und der Wirkungsmacht einer solchen Ausstellung im Rahmen der von den Regierungen zu Beginn des Krieges genutzten Propagandamaßnahmen überzeugt. Er koordinierte das Projekt einer weiteren Schau, L’Art à la guerre. Tableaux de gloire, tableaux de soldats („Die Kunst im Krieg. Ehrengemälde, Soldatengemälde“), die vom 10. Oktober 1915 an im Ballsaal des Jardin des Tuileries zu sehen war. Diese Ausstellung stand unter der Schirmherrschaft der zur Tageszeitung Le Matin gehörenden Zeitschrift Pays de France, dem Organ des Fremdenverkehrsverbandes (États généraux du Tourisme).62 Sie nahm Teile der Ausstellung aus der Guildhall wieder auf, zeigte sechs Werke aus dem Luxembourg63 und darüber hinaus eine bunt zusammengewürfelte Blütenlese von circa 1.500 Objekten und Kunstwerken, die von den poilus, den französischen Frontsoldaten, in den Schützengräben gefertigt worden waren und deren Verkaufserlöse ihren Schöpfern zugute kamen.64 Die originelle Verbindung von hoher Kunst und Volkskunst überraschte die Berichterstatter und trug maßgeblich zum Erfolg der Ausstellung bei, die schließlich bis zum 10. Januar 1916 verlängert wurde. Ein zweiter Höhepunkt der Engagements des Musée du Luxembourg in Bezug auf die Darstellung und Aktualität des Krieges war in den Jahren 1917 und 1918 die Einrichtung eines Zyklus monatlich wechselnder Gruppenausstellungen von an die Front geschickten Künstlern. Zu Beginn des Krieges hatte man einen ersten Versuch im Pariser Musée de l’Armée unternommen  : Künstler sollten einen Teil des Winters an der Front verbringen und ihre dort entstandenen Arbeiten nach Paris zurückbringen, die dann Februar 1915 im Armeemuseum 140  I  Julien Bastoen

ausgestellt wurden. Mehr als zwei Jahre später ernannte der Unterstaatssekretär der Künste, Albert Dalimier, eine Kommission von Fachleuten, darunter Bénédite, die er mit der Auswahl von Künstlern und der Organisation der Ausstellungen betraute.65 Die Künstler bekamen präzise Anweisungen über die festzuhaltenden Motive  : von Bombardements zerstörte Städte, die Kämpfe an den verschiedenen Fronten, das Truppen-Entertainment hinter den Front­ linien, die Nachschub-, Verpflegungs- und Sanitätskorps, die Militärhäfen, die Waffenfabriken etc.66 Sechs solcher Ausstellungen beherbergte das Musée du Luxembourg zwischen dem 26. März 1917 und Ende März 1918. Bei jeder der Ausstellungen kaufte die Kommission Werke an, in der Regel in großzügigem Verhältnis zur Anzahl der vertretenen Künstler, um daraus schließlich eine künstlerische und gleichzeitig dokumentarische Sammlung über die verschiedenen Facetten des Krieges zu erschaffen. Das Musée du Luxembourg zeigte 1918/19 drei weitere komplementäre Ausstellungen in seinen Räumen. Die erste, eine vom britischen Informationsministerium produzierte Propagandaausstellung mit dem Titel La Grande Guerre  : l’effort et l’idéal de la Grande-Bretagne („Der Erste Weltkrieg  : Die Anstrengungen und das Ideal Großbritanniens“) fand vom 20. Februar bis zum 20. März 1918 statt. In 66 Original-Lithografien von etwa 20 Künstlern wurden in zehn Themen die britischen Kriegsanstrengungen vorgestellt, vom Bau von Kriegsschiffen über Frauen im Arbeitsdienst bis zur Versorgung Verwundeter. Bénédite hält in der Einführung zum Begleitheft der Ausstellung fest, dass sie „uns zeigt, auf welche Art, mit welcher Konsequenz und Organisation die englischen Künstler ihren Landsleuten Moral und Lehre über die Anstrengungen vermitteln, die unternommen werden müssen, und über die Ideale, nach denen ihr großartiges Land streben muss, in diesem unvorstellbaren Abenteuer, in das die deutschen Verbrechen es gestürzt hat.“67 Zwei weitere Ausstellungen eröffneten vom 3. Mai bis zum 8. Juni zeitgleich die Türen. Die mit dem Titel Les Alliés dans la Guerre des Nations („Die Verbündeten im Krieg der Nationen“) schlug mit einem Kaleidoskop von 80 Pastell-Bildnissen von Kriegsteilnehmern aus der Hand des Schweizer Malers Eugène Bur­ nand eine anthropologische Sichtweise auf den Krieg vor.68 Die andere vereinigte 80 Aquarelle des Franzosen Charles Martel mit 1918 und 1919 gemalten Szenen von der Salonikifront (Front oriental), aus dessen Zeit im fotografischen Dienst der Armée française d’Orient.69 Das Musée du Luxembourg spielte schließlich eine Rolle in der Verehrung von Kriegshelden, besonders im Falle Emile Verhaerens und Gabriele D’Annunzios, deren Bildnisse das Museum ab 1916 besaß.70 Mit diesem kurzen und zwangsläufig unvollständigen Überblick sollte deutlich geworden sein, dass die langen Kriegsjahre, die zum Scheitern von Projekten und Ausstellungen – vor allem im Hinblick auf die amerikanische Kunst – führten, und darüber hinaus den ein Jahrzehnt vorher geplanten Umzug des Museums in das Priesterseminar Saint-Sulpice verhinderten, im Gegenzug auch Motor ungeplanter Aktionen wurden und pragmatische Antworten auf die unvorhersehbaren Entwicklungen des Konflikts hervorbrachten. Diese Aktionen auf den Gebieten kultureller Diplomatie und militärischer Propaganda wurden von einer einmaligen Verquickung von Umständen begünstigt  : der Verfügbarkeit musealer Ausstellungsfläche Das Musée du Luxembourg  

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durch die fast völlige Verlagerung der Sammlungen in den Jahren 1913 und 1914, teils schon vor dem Krieg in die Räumlichkeiten des Seminars Saint-Sulpice, teils nach Ausbruch des Konflikts in die Provinz oder ins Ausland. Die Handlungsinitiative für die musealen Aktivitäten des Luxembourg ging dabei nur selten vom Direktor des Museums, Léonce Bénédite, aus, was auch für die in seinem eigenen Haus organisierten Ausstellungen galt. Die massiven Bewegungen der Kunstsammlungen des Musée du Luxembourg in Europa und in den Vereinigten Staaten machten das angesehene Museum zu einem wichtigen Werkzeug der kulturellen Ausstrahlung Frankreichs ins Ausland und halfen, kulturelle Beziehungen zwischen Frankreich und seinen Verbündeten zu festigen. Gleichzeitig bildeten sie einen Beitrag zur Stigmatisierung des Kriegsgegners, vor allem durch den Boykott deutscher Kunst und die Förderung einer frankophilen Haltung in Ländern, die noch keine klare Partei ergriffen hatten. Die Beschäftigung mit französischen Quellen, die zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes nicht zugänglich waren,71 mit amerikanischem Quellenmaterial aus der lokalen Presse (auch der deutschsprachigen) und aus den Archiven vor Ort würde beträchtlich zur Aufklärung über die unmittelbare Rezeption und den Einfluss auf die amerikanische Museumslandschaft jenes Ereignisses beitragen, das wohl als wichtigstes dieser Periode zu bewerten ist  : der Wanderausstellung der Sammlungen des Musée du Luxembourg in den Vereinigten Staaten von Amerika. Übersetzt von David Blankenstein

Anmerkungen 1 Eva Knels, „Vers un musée moderne  ? Le réaménagement du musée du Louvre après la Première Guerre mondiale“, in  : Philippe Nivet (Hrsg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine  : actes du colloque d’Amiens des 16–18 mars 2011, Amiens 2013, 263–277  ; Élodie Chazottes, Le musée du Louvre pendant la Première Guerre mondiale, unveröffentlichte Masterarbeit (Master 2), Université Pathéon-Sorbonne, 2013. 2 Catherine Granger, „La protection des collections des musées nationaux durant la Première Guerre mondiale“, in  : Philippe Nivet (Hrsg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine  : actes du colloque d’Amiens des 16–18 mars 2011, Amiens 2013, 247–260. Siehe auch den Beitrag Arnaud Bertinets in diesem Band. 3 Agathe Dufour, Les musées nationaux au temps d’Henry Marcel (1913–1919), unveröffentliche Masterarbeit (Master 2), betreut von Jean-Michel Leniaud, EHESS, Paris 2006. 4 Jesús Pedro Lorente, Les musées d’art moderne ou contemporain  : une exploration conceptuelle et historique, Paris 2010. 5 Julien Bastoen, L’art contre l’Etat  ? La trajectoire architecturale du Musée du Luxembourg dans la construction de l’illégitimité de l’action artistique publique. 1848–1920, Univ.- Diss., betreut von Pierre Pinon, Université Paris Est, 2015. 6 Léonce Bénédite, „Au jour le jour  : l’installation du musée du Luxembourg dans l’ancien séminaire de Saint-Sulpice“, in  : Le Temps vom 23.1.1907. „musée modèle d’art moderne“.

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7 Geneviève Lacambre, „Les Achats de l’État aux artistes vivants  : le musée du Luxembourg“, in  : Chantal Georgel (Hrsg.), La Jeunesse des musées  : les musées de France au XIXe siècle, Ausst.-Kat. Musée d’Orsay, Paris 1994, 267–277. 8 Pierre Vaisse, Deux façons d’écrire l’histoire. Le legs Caillebotte, Paris 2014. 9 Archives des Musées nationaux (Paris) (nachfolgend „AMN“), 2HH4, Léonce Bénédite, „Note sur la nécessité de la reconstruction du Musée National du Luxembourg“, 21.10.1899, 36 S. „par séries de nationalité“. 10 Diese Bezeichnung wurde insbesondere von Léon Rosenthal, „Nouvelles salles au musée du Luxembourg“, in  : L’Humanité vom 28.11.1916, 2, benutzt. „musée des alliés“ 11 Das Fehlen russischer Kunst wirkt umso erstaunlicher, wenn man bedenkt, dass Léonce Bénédite noch 1912 Russland bereist hatte. Die meisten Malschulen, die während des Krieges ausgestellt wurden, waren schon seit Beginn der 1910er-Jahre aufeinanderfolgend ausgestellt worden. 12 Léonce Bénédite, „La vie artistique pendant la guerre“, in  : Gazette des Beaux-Arts, 6/1916, 257–272, hier 266. „auxquelles il ne manque guère que deux ou trois grands noms pour offrir un tableau synthétique suffisamment expressif du développement et des tendances de l’école“ u. „en hommage à la France et à ses splendides soldats“. 13 Ebd. „au secours de la Belgique envahie“. 14 Anonym, „Lettre ouverte à M. Étienne Grosclaude, directeur du ‚Journal‘“, in  : La Renaissance politique, littéraire et artistique vom 6.2.1915, 1257. „Quand le musée du Luxembourg, par exemple, rouvrira une partie de ses portes avec l’œuvre de Brangwyn, on ne manquera pas de le donner en exemple aux autres musées, sans examiner si le Luxembourg a tort ou raison d’exposer le don Brangwyn au hasard d’une bombe malencontreuse.“ 15 Darunter Werke von Watts, Alma-Tadema, Lord Leighton, Burne-Jones, aber auch von Lorimer u. Melville. 16 Léonce Bénédite, Description des ouvrages de peinture, dessins et aquarelles de l’École britannique moderne  : offerts à la France par M. Edmund Davis, suivie de la nomenclature des ouvrages d’artistes anglais modernes appartenant aux collections nationales, Paris 1915. 17 Olivier Meslay, „La collection de Sir Edmund Davis“, in  : 48/14, La revue du Musée d’Orsay, 8/1999, 40–49. 18 Antonio Fradeletto (1858–1930), Kunstkritiker und Schriftsteller, Professor an der Regia Scuola Superiore di Commercio di Venezia war von 1895 bis 1919 ebenfalls Generalsekretär der Biennale von Venedig, die Léonce Bénédite 1909 u. 1912 besuchte. 19 Léonce Bénédite, Le Musée du Luxembourg  : peintures, pastels, aquarelles et dessins des écoles étrangères, Paris 1924, 13. „bien incomplète sans doute, comme pour les autres pays, […] mais qui offre déjà un aperçu instructif de l’activité des écoles régionales italiennes“. 20 Archives nationales (Pierrefitte) (nachfolgend „AN“), F21 6264. Zur Entstehung der italienischen Abteilung, vgl. Marion Lagrange, Les peintres italiens en quête d’identité  : Paris 1855–1909, Paris 2010, 284. 21 Bibliothèque centrale des Musées nationaux (Paris), fonds Bénédite, 0375 (6,1), Korrespondenz zwischen Léonce Bénédite u. Hugo Reisinger, 1913/14, fol. 41f. 22 Zu den starken Verbindungen des Musée du Luxembourg zur amerikanischen Malerei, siehe Frank Jewett Mather Jr., „The Field of Art, the Luxembourg and American Painting“, in  : Scribner’s Magazine, 47/1910, 381–384 u. Émile Boutroux [u. a.] (Hrsg.), Les États-Unis et la France  : leurs rapports historiques, artistiques et sociaux, Paris 1914. Zu den Ankäufen amerikanischer Kunst durch das Musée du Luxembourg, siehe Véronique Wiesinger, „La Politique d’acquisition de l’État français sous la Das Musée du Luxembourg  

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Troisième République en matière d’art étranger contemporain  : l’exemple américain (1870–1940)“, in  : Bulletin de la Société de l’histoire de l’art français, 1993, 263–299. AN, F21 4905/1, Briefkonzept, Autor [Léonce Bénédite  ?] u. Empfänger [Paul Léon  ?] nicht angegeben, datiert Oktober 1921. AN, F21 4473, Brief von Léonce Bénédite an Paul Léon, directeur des Beaux-arts, vom 13.11.1919. Mathilde Arnoux, „L’absence d’expositions de peinture allemande dans les musées parisiens dans l’entre-deux-guerres – Essai de synthèse“, in  : Bertrand Tillier, Dimitri Vezyroglou u. Catherine Wermester (Hrsg.), Actes du colloque / L’art allemand en France, 1919–1939. Diffusion, réception, transferts, 2010, online veröffentlicht  : http://hicsa.univ-paris1.fr/page.php?r=18&id=394&lang=fr. Mathilde Arnoux, „Que montrer de son voisin  ? La correspondance entre les conservateurs Alfred Lichtwark et Léonce Bénédite, une coopération intellectuelle franco-allemande au tournant du siècle“, in  : Revue de l’art, 153/2006, 57–68. AMN, O30/275, fol. 141. Léonce Bénédite, „De l’art français et des influences qu’il ne doit pas subir“, in  : La Renaissance politique, littéraire et artistique, Nr. 19, vom 15.9.1917, 12. Zu den Umständen der französischen Beteiligung an der Ausstellung in San Francisco, vgl. Alain Dubosclard, L’Action artistique de la France aux Etats-Unis 1915–1969, Paris 2003, 35–39. Albert Dalimier, „Nos richesses d’art sauvées de la destruction“, in  : Lectures pour tous vom 15.10.1915, 140–143. „une preuve de [sa] confiance en la victoire et de [sa] volonté de faire triompher la cause de la civilisation latine“. Bénédite 1916, 258. „se plaisait à représenter l’art français comme un art ayant pu jouir dans le passé d’un prestige incontestable, mais qui était épuisé, usé, avait fait son temps, tandis que l’avenir appartenait aux jeunes générations allemandes, plus mâles, plus saines, plus vigoureuses“. Jean Guiffrey, Kustos-Assistent an den Nationalmuseen, war mit dem amerikanischen Kontext gut vertraut, da er auch am Museum of Fine Arts in Boston als Kurator tätig gewesen war. Der retrospektive Teil der Ausstellung belegte die Säle 5 u. 6 des französischen Pavillons, der als Replik des Palais de la Légion d’honneur innerhalb von neun Wochen vom Architekten Henri Guillaume errichtet worden war. Zur Anzahl der in der Retrospektive gezeigten Kunstwerke gibt es unterschiedliche Angaben. Der Beitrag des Musée du Luxembourg für den Gegenwarts-Teil der Schau scheint sich auf fünf Werke Rodins, den Torse de jeune fille von Legros u. eine Étude pour un monument aux morts von Bartholomé zu beschränken. AN, F21 4074/3, Jean Guiffrey, „Rapport sur les œuvres d’art demeurées aux Etats-Unis après la fermeture de l’exposition de San Francisco“ vom 14.12.1916. AN, F21 4074/2, Brief von Bénédite an einen ungenannten Empfänger vom 20.12.1915. Carnegie Institute, Founder’s day exhibition  ; French paintings from the Museum of the Luxembourg, and other works of art from the French, Belgian, Italian and Swedish collections shown at the Panama-Pacific International Exposition, together with a group of English paintings, Ausst.-Kat. Carnegie Institute, Pittsburgh 1916. Buffalo Fine Arts Academy, Catalogue of a retrospective collection of French art, 1870–1910, lent by the Luxembourg Museum Paris, France, Ausst.-Kat. Buffalo Fine Arts Academy – Albright Art Gallery, Buffalo 1916. Sadakichi Hartmann, „Studio Talk. Pittsburgh, Pennsylvania“, in  : The Studio, Bd. 38, 1906, 262– 266, hier 266. „an American Luxembourg“.

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40 Léonce Bénédite, „The mission of an art museum“, in  : Memorial of the Celebration of the Carnegie Institute at Pittsburgh, Pa., April 11, 12, 13, 1907, Pittsburgh 1907. 41 Die französische Regierung verlieh ihr aus Dankbarkeit für ihr Engagement die Medaille der Ehrenlegion, die ihr Léonce Bénédite 1921 in New York überreichte. 42 Werke von Aman-Jean, Walter Gay, Auguste Lepère u. Lucien Simon. 43 Paul Vitry, Catalogue of an exhibition of paintings and sketches by Alfred Philippe Roll, April 17–May 12, 1915, Ausst.-Kat. Buffalo Fine Arts Academy – Albright Art Gallery, Buffalo 1915. Wenngleich die Retrospektive, die vom 17.4.–12.5.1915 in der Albright Art Gallery in Buffalo im Staat New York stattfand, nur drei seiner Werke aus den Beständen des Musée du Luxembourg nutzte – das Portrait de Mme Roll, Les Troyens à Carthage, et La jeune République –, waren diese jedoch für würdig erachtet worden, den Künstler nach seinem Tod im Louvre zu vertreten. AMN, L11 X, Genehmigungen der Leihgaben vom 13. u. 22.3.1915. 44 Paul Vitry, „Alfred Philippe Roll“, in  : The International Studio, 6/1915, CXI–CXVI. „le meilleur ambassadeur de l’art français aux Etats-Unis“. 45 Die Korrespondenz liegt im Archiv der Albright-Knox Art Gallery in Buffalo. 46 Anonym, „Bernhardt besieged“, in  : New York Clipper vom 1.11.1916. 47 Carpenter hatte die französische Regierung von 1915 an darum angehalten  ; die Korrespondenz liegt in den AN, F21 4075/1. 48 Mehr als 22.000 Besucher im März, verglichen mit 14.000 im Monatsschnitt. Detroit Museum of Art, Annual report for the year 1917, Detroit 1917, 15. 49 Die Artikel erschienen im Fine Arts Journal, im Herbst, dann 1912, schließlich zwischen dem Sommer 1917 und dem Frühling 1918. 50 Der Beitrag des Museums waren zwei Werke  : Le pauvre pêcheur von Puvis de Chavannes u. Maternité von Carrière. Über den diplomatisch-politischen Kontext der Ausstellung schreibt Isabel Valverde, „Quan Barcelona era París  : l’Exposició d’Art Francès de 1917 i la ideologia de la reciprocitat“, in  : Catalonia. Revue du CRIMIC-SEC, 2014, 1–18. 51 Anonym, „Académie des Beaux-arts“, Chronique des arts et de la curiosité, 1–3/1918, 79. „que des œuvres se recommandant du goût purement français avec une section rétrospective commençant en 1870“. 52 Die Kunstwerke, die vom Musée du Luxembourg an die Ausstellung in Madrid entliehen worden waren, wurden im Anschluss und bis zum Ende des Krieges nach Toulouse in ein Schutzdepot gebracht. AMN, L2. 53 Bénédite 1916, 272. „la partie la plus instructive et la plus intéressante“. 54 Nathalie Sylvie, Une ‚collection spéciale’ au Musée du Luxembourg  : La collection spéciale des esquisses, dessins, maquettes et documents originaux concernant les tableaux ou statues qui ont figuré au musée du Luxembourg depuis sa fondation, unveröffentlichte Masterarbeit, betreut von Bruno Foucart, Université Paris 4, 1990. 55 Léonce Bénédite, Catalogue des peintures, dessins, aquarelles, gravures sur bois, eaux-fortes, livres ornés de Auguste Lepère, Ausst.-Kat. Musée du Luxembourg, Paris 1917. 56 Agnès Callu, La réunion des musées nationaux, 1870–1940, genèse et fonctionnement, Genf/Droz/Paris 1994, 264. 57 Nr. 13 der ersten Auktion, heute Scène de guerre au Moyen-Âge genannt. 58 Bastoen 2015. 59 Zu den Umständen der Organisation der Ausstellung, siehe Alfred G. Temple, Guildhall memories, London 1918, 324f. Das Musée du Luxembourg  

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60 Unter den 253 Werken waren 145 französische, von denen 140 von französischen Institutionen entliehen wurden. 61 Alfred G. Temple, „Studio-Talk“, in  : The International Studio, Bd. 56, 07/1915, 204. „[…] as in so many pictures we find expressed, the highest ideals of patriotism, self-sacrifice, and great-hearted devotion to duty.“ 62 Die Zeitschrift Pays de France publizierte regelmäßig Beiträge über die Ausstellung, vor allem in der Ausgabe vom 18.10.1915, die vier Seiten fotografische Abbildungen zur Ausstellung enthielt. 63 Das Musée du Luxembourg war mit Werken von Alphonse de Neuville, François Flameng, Charles Fouqueray, Pierre Lagarde u. Charles Hoffbauer vertreten. Zwei der sechs Gemälde wurden zweifellos speziell für die Pariser Ausstellung verliehen, wie es Dokumente aus den AN, F21 4079, nahelegen. Nr. 136  : Le bataillon carré (Waterloo) von Protais, vgl. Musée du Jeu de Paume, Catalogue général de l’exposition de l’Art à la guerre organisée par le Pays de France  : tableaux de gloire, travaux de soldats, Ausst.-Kat. Musée du Jeu de Paume, Paris 1915. 64 Spazierstöcke, Ringe, Briefbeschwerer, Brieföffner, Federhalter, Musikinstrumente, Zeichnungen u. s. f. 65 Laut François Robichon, „Les missions d’artistes aux armées en 1917“, in  : Les cahiers d’études et de recherche du Musée de l’Armée (CERMA), Nr. 1 Peindre la Grande Guerre, 1914–1918, 2000, „[…] hat die Kommission die Künstler mehr erlitten als ausgewählt“ („la commission a subi plus qu’elle n’a choisi les artistes“). 66 Nach Léonce Bénédite, „Peintres en mission aux armées“, in  : Les Arts, Nr. 160, 07/1917, 20–24. 67 Léonce Bénédite, La Grande Guerre. L’Effort et l’Idéal de la Grande-Bretagne  : Lithographies originales d’artistes britanniques exposées au Musée national du Luxembourg, février/mars 1918, Ausst.-Kat. Musée du Luxembourg, Paris 1918, 9. „[…] nous montre avec quelle méthode, avec quel esprit de suite et d’organisation les artistes anglais ont fait la morale et la leçon à leurs concitoyens sur l’effort que doit tenter et l’idéal que doit poursuivre leur grand pays dans cette aventure inimaginable où ils ont été entraînés par les crimes allemands“. 68 Eugène Burnand, Les Alliés dans la Guerre des Nations. 80 types militaires par Eugène Burnand, Ausst.-Kat. Musée du Luxembourg, Paris 1922. 69 Diese Serie wurde übrigens vom Staat für die Nationalsammlungen erworben. 70 Anonym, „Les Portraits de Verhaeren et de Gabriel d’Annunzio au Musée du Luxembourg“, in  : L’Homme libre vom 30.5.1916. 71 So zum Beispiel der Archivbestand zu Jean Guiffrey am Institut national d’histoire de l’art (INHA) in Paris.

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Felicity Bodenstein

ER N E ST BA B E LO N ( 1 8 54 – 1 9 2 4) Geschichte als Propaganda in der Ausstellung des Cabinet des médailles in Paris (1919)

1922 schrieb Ernest Babelon, Direktor des Cabinet des médailles der Bibliothèque nationale de France in Paris1, einen Beschwerdebrief an seinen deutschen Fachkollegen Julius Menadier, der dem Münzkabinett des Kaiser-Friedrich-Museums in Berlin vorstand. Die Beschwerde betraf das in Gedenken an seinen Kollegen Heinrich Dressel geschriebene Vorwort der Zeitschrift für Numismatik, in der Menadier den Patriotismus und das Deutschtum seines Kollegen betonte, wobei er ironisch anfügte, dass Babelon falsch lag, wenn er Deutschlands Numismatik-Gemeinde von seiner „Verketzerung der deutschen Wissenschaftler als Hunnen“2 ausnahm. Wenn auch weder er selbst noch sein Kollege Dressel den als Manifest der 93 bekannten „Aufruf an die Kulturwelt“ unterzeichnet hätten, mit dem einige der bedeutendsten deutschen Intellektuellen ihre Unterstützung der deutschen militärischen Aktionen kundtaten, so würden sie doch beide der darin ausgedrückten Haltung zustimmen. In seiner Antwort bestreitet Babelon, irgendeine politische Meinung verbreitet zu haben, die danach strebte, Dressel persönlich anzugreifen, und er fügt hinzu  : Es wäre mir niemals auch nur in den Sinn gekommen – und übrigens auch keinem anderen Franzosen –, einem deutschen Wissenschaftler seine patriotischen Gefühle vorzuwerfen oder ihn dafür zu kritisieren, dass er seine Pflicht erfüllt, indem er gegen Frankreich zu den Waffen greift. Jene, die ich als Hunnen bezeichnet habe, waren nicht die deutschen Wissenschaftler, sondern die deutsche Armee, und da ist der Ausdruck leider nur zu berechtigt  : Ich sage „leider“ nicht nur für Frankreich, sondern auch für Deutschland.3

Babelon hatte selbst am Kulturkrieg teilgenommen, einer mit Pamphleten, Manifesten und auch gewichtigen Büchern4 gefochtenen Auseinandersetzung zwischen zwei intellektuellen Lagern, und sein Werk aus dieser Zeit ist repräsentativ für die „Kriegskultur“, die in den letzten Jahrzehnten zu einem zentralen Gegenstand in der Geschichtsschreibung des Ersten Weltkriegs geworden ist.5 Historiker der Geistesgeschichte haben besonders die Vorkriegsjahrzehnte betrachtet, um das Aufkommen eines neuen Typs von Intellektuellen zu verstehen, der beschrieben werden könnte als „inbrünstiger Wächter zivilisatorischer Werte, die immer schon von der zersetzenden Kraft der Dekadenz und der Barbarei bedroht wurden“,6 und der im Allgemeinen der Anti-Dreyfus-Bewegung und der Action française zugerechnet werden kann. In vielerlei Hinsicht entspricht Babelons unerschütterlich traditionalistische und konservative politische Haltung dieser Beschreibung. Kurz nach seiner Wahl in die Académie Ernest Babelon und das Cabinet des médailles  

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des Inscriptions et Belles-Lettres bezog Babelon Stellung zur Dreyfus-Affäre, indem er gemeinsam mit 22 anderen académiciens die gegen Dreyfus gerichtete Petition der Ligue de la patrie française7 unterzeichnete.8 Noch aufschlussreicher als diese anfängliche Hinwendung zur Ligue war Babelons kontinuierliche Verbindung zu ihrem Gründer Charles Maurras9, dessen politische Ausrichtung eine zunehmend royalistische Wendung nahm, die schließlich zur Gründung der Ligue de l’Action française führte. Eine ihrer ersten Unternehmungen war die Organisation eines Gedenkmarsches im März 1905 zu Ehren des Geburtstages des Historikers Numa Denis Fustel de Coulanges (1830–89), bei dem Forscher und Professoren, darunter Ernest Babelon10, aufgerufen wurden, als „Nachfolger Fustels“11 teilzunehmen. François Hartog zufolge waren die Mitglieder des Komitees sicherlich Anti-Dreyfusarden, aber nicht unbedingt Royalisten wie die Mitglieder der Ligue selbst.12 Was sie zelebrierten, war vor allem eine besondere Form des Nationalismus. „Wissenschaft ist nationalistisch und Nationalismus wissenschaftlich,“13 war die Grundidee dieses Nationalismus, der sich Fustel de Coulanges zufolge am stärksten in der Geschichte äußerte  : „Wahrer Patriotismus ist nicht die Liebe zum Land, sondern die Liebe zur Vergangenheit.“14 Das bedeutet, dass Ernest Babelon nicht im eigentlichen Sinne als Royalist Teil dieses Komitees war, sondern vielmehr als politisch weit rechts stehender praktizierender Katholik.15 Wenn also nicht als Royalist im politischen Sinne – tatsächlich finden sich bei ihm keinerlei Hinweise auf eine royalistische Einstellung, sondern im Gegenteil auf ein beständiges Einstehen für republikanische Werte –, so betrachtete Babelon sich selbst doch sicherlich als einen Wahrer der monarchistischen Vergangenheit Frankreichs, verkörpert in den früheren königlichen Sammlungen, die den Altbestand (fonds ancien) des Cabinet des médailles bilden. Seine Publikationen während des Krieges, von denen einige in diesem Artikel noch kurz angesprochen werden, machten Babelon zu einem der führenden militanten Historiker, denen Julien Benda in seinem berühmten Trahison des clercs (1927) später vorwarf, durch die Projizierung ihrer politischen Einstellung auf ihr Werk ihre eigentliche Aufgabe als Historiker verraten zu haben. Babelons aufrichtige Antwort auf Menadiers Vorwurf offenbart, wie selbstverständlich es war, dass ein Gelehrter seine patriotischen Pflichten übernahm, sei es durch den Dienst an der Waffe oder durch sein schriftstellerisches Schaffen. Daher konnte Babelon, selbst wenn er den Standpunkt seiner deutschen Fachkollegen nicht teilte, diese dennoch nicht für ihr nationalistisches Handeln kritisieren. An dieser Stelle ist es wichtig anzumerken, dass Babelons Ausbildung und seine Karriere als Historiker genau in die Zeit fielen, als nach der militärischen Katastrophe von 1870 das nationalistische Gedankengut in Frankreich einen starken Auftrieb erfuhr. 1924 begann Camille Jullian seine Lobrede auf Babelon mit folgender Feststellung  : „Die wissenschaftliche Arbeit Babelons entspricht den großartigen Leistungen der französischen Gelehrsamkeit zwischen den zwei Kriegen, zwischen Niederlage und Sieg.“16 In Jullians Text wird die komplexe Verstrickung von Babelons politischer und professioneller Arbeit als wesentlich und natürlich dargestellt und seine wissenschaftlichen Errungenschaften werden denen der französischen Nation gleichgestellt. Deutlich wird das Bild eines Patrioten gezeichnet, dessen Pflichten und Privilegien mit seinen Leistungen auf wissenschaft148  I  Felicity Bodenstein

lichem Gebiet eng verknüpft sind. In Bezug auf Babelons 1882 verfassten ersten Aufsatz auf dem Gebiet der Numismatik schrieb Jullian  : Jene, die Babelons Gedankengut und seinen Lebensweg kennen, werden ohne Weiteres glauben, dass sein Patriotismus seiner neuen Berufung nicht zuwiderlief. Die Münzkunde war eine der Glanzleistungen Frankreichs, die man nicht verloren geben durfte. Unser Land besaß das berühmteste Münzkabinett und die sorgfältigste Zeitschrift für Numismatik. Seit zwei Jahrhunderten hatten seine Gelehrten auf diesem Gebiet die leuchtendsten Spuren hinterlassen, die weder die Bemühungen der Deutschen noch das Talent und das Renommee des Österreichers Eckhel auslöschen konnten.17

Babelons Patriotismus entsprach dem eines enfant de la République. Als Kind lebte er in bescheidenen Verhältnissen in einer kleinen Stadt im Departement Haute-Marne und zeigte schon früh sein großes Talent. Er profitierte von einer Reihe von Stipendien, die es ihm erlaubten, sich 1874 bei der prestigeträchtigen École nationale des chartes zu bewerben.18 Er blieb seiner petite patrie jedoch eng verbunden und kehrte zeitlebens regelmäßig zu seiner Familie zurück, um bei der Hofarbeit zu helfen. In seinen ersten Jahren im Priesterseminar von Langres freundete er sich eng mit Paul Maistre an, der ein Jahr nachdem Babelon an der École nationale des chartes sein Diplom erhalten hatte, an der Militärschule von Saint-Cyr graduierte und einer der wichtigsten Generäle im Ersten Weltkrieg werden sollte. Babelons Laufbahn beschrieb sein Enkel später als von dem Wunsch getrieben, „an der großen Rachebewegung teilzunehmen, die sich – da er sich nicht mehr durch Waffen ausdrücken konnte – auf dem Gebiet der Forschung manifestieren sollte“.19 Babelons nationalistisch-patriotische Gefühle wurden von seinen Kollegen als außergewöhnlich stark angesehen  ; seinen Biografen zufolge dienten seit seiner ersten numismatischen Studie all seine Schriften, wie spezifisch sie im Einzelnen auch waren, auf die eine oder andere Art einem nationalen Vergangenheitskult, in dessen Zentrum die früheren königlichen Sammlungen von Frankreichs ältestem Museum standen. Dieser Kult liefert auch einen Beitrag zum Verständnis seiner Anstrengungen, die Bedeutung des Münzkabinetts als Zentrum antiquarischer Arbeit wiederzubeleben und eine entsprechende räumliche Umgebung dafür zu bieten. Damit wurden die bis heute geltenden Bedingungen für die Organisation dieser Abteilung geschaffen, die er zusammen mit dem Architekten Jean-Louis Pascal neu gestaltet hat. Gemeinsam trafen sie den Beschluss, den als salon Louis XV bekannten Saal aus dem 18. Jahrhundert zu rekonstruieren, der den Mittelpunkt der Abteilung gebildet hatte, bis im Zuge der Umbauarbeiten durch Henri Labrouste in den 1860er-Jahren das gesamte Dekor verloren gegangen war. Babelon beschreibt diese Arbeiten als eine „Renaissance“, welche es ermöglichen würde, an die ruhmreiche königliche Vergangenheit des Münzkabinetts anzuknüpfen.20 Die Sammlungen der Abteilung und ihre Geschichte liefern einen wesentlichen Zugang, um den Bedeutungszusammenhang der Vielzahl von Themen und Gegenständen – darunter auch die während des Krieges produzierte Propaganda – des Babelonschen Werkes zu begreifen, das als Gesamtkorpus sonst seltsam heterogen erscheinen würde. Ernest Babelon und das Cabinet des médailles  

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Jullian setzt Babelons Vorliebe für die im Münzkabinett vorhandenen „wissenschaftlichen Kuriositäten“21 in Bezug zu seinen unermüdlichen Anstrengungen, die deutsche Forschung zu überbieten, die Jullian zufolge zu sehr Sklavin ihrer strengen Methoden zur Erfassung der wahren Natur der Vergangenheit war. Er unterschied den von Liebe zum Altertum geprägten wissenschaftlichen Ansatz Babelons von der sterilen Herangehensweise der deutschen Wissenschaftler und charakterisierte seine Arbeit als fruchtbare, lebendige Art der Forschung, mit der er die Vergangenheit wirklich habe auferstehen lassen. Mit dieser Unterscheidung bezog sich Jullian auf Fustel de Coulanges, den Autor der Cité antique, dessen Lehre auf der religiös begründeten Auffassung beruhte, dass die Vergangenheit niemals vollständig vergangen sei, sondern ein Lebensfunke, die Seele der Vergangenheit, in irgendeiner Form überdauert habe. Babelon habe die ähnliche Vorstellung gehabt, „dass unser Boden voller Trümmer der Generationen ist, die ihn bearbeitet oder beschritten haben, und dass es in diesen Trümmern immer einen Widerschein der erloschenen Leben gibt.“22 Er lobte Babelon dafür, dass er an eine Fustel de Coulanges’ ontologische Prinzipien aufgreifende antiquarische Tradition anknüpfte, in der die kleinsten und unscheinbarsten Relikte genutzt wurden, um zum Beispiel die Existenz bestimmter in Vergessenheit geratener keltischer Stämme der gallischen Welt festzustellen. In dem Vorwort zu der umfangreichen Studie seines engen Mitarbeiters François de Grailly mit dem Titel La vérité territoriale et la rive gauche du Rhin von 1917 spricht Babelon vom „ewigen Kampf zwischen der romanischen und der germanischen Kultur, zwischen Zivilisation und Barbarei“, der immer schon entlang der vom Rhein gebildeten Grenze gefochten worden sei.23 De Graillys Text liefert ein detailliertes Beispiel für den besonderen nationalistischen Diskurs, der sich an der Rheinfrage entzündet hatte. Er hinterfragt Ernest Renans Definition von der Nation als einem Ideal, das in dem Festhalten eines Volkes an einer gemeinsamen Identität besteht. Wenngleich Renan eingestand, dass sich die Nation durch die Geschichte auch konkret manifestierte,24 war dies für de Grailly unzureichend, da Renans Konzept nicht mit seiner Vorstellung von der „territorialen Wahrheit“ einer Nation in Einklang zu bringen war.25 Für diese Wahrheit lieferten Babelons Schriften dieser Zeit den passenden historischen Hintergrund. Babelon und de Grailly bejahten die Idee der materiellen Verkörperung der Nation durch ihr Territorium und sahen dieses als physischen und moralischen Bestandteil der Nation  ; die Monumente der Vergangenheit, die daraus archäologisch hervorgingen, bildeten ihr historisches Gegenstück oder das „moralische Kapital der Vergangenheit unseres Geschlechts“.26

Babelon als Propagandist Dieser Ansatz war die Grundlage für Ernest Babelons Art des politischen Handelns  ; er postulierte  : „Die Geschichte ist ein guter Ratgeber der Politik. Ihre Lehre gibt die Lösung der schweren Grenzprobleme vor, die der aktuelle Krieg ans Licht gebracht hat.“27 Babelon begann seinen Propagandafeldzug 1916 mit sehr spezialisierten Vorträgen am Collège de France 150  I  Felicity Bodenstein

Abb. 1: Ernest Babelon, La rive gauche du Rhin. Les revendications françaises dans l’histoire, 1917

zu einer Reihe numismatischer Belege für die römische Verteidigung der Rheingrenze. Bald jedoch arbeitete er dieses Thema chronologisch für ein größer werdendes und weniger fachkundiges Publikum aus. Seine Arbeit gipfelte in zwei 1916 und 1917 veröffentlichten umfangreichen Bänden zum Gebiet links und rechts des Rheins und seinem Verhältnis zu den größeren Territorien Frankreichs und Deutschlands.28 Beide Bände waren derart aufgebaut, dass sie die historische Kontinuität eines Konflikts aufzeichneten, der seit über 2000 Jahren die Bevölkerung Frankreichs mit den Bewohnern der linksrheinischen Gebiete durch den gemeinsamen Kampf gegen die Invasionen germanischer Stämme von der rechten Rheinseite vereint habe.29 Zudem wurde Babelon Gründungsmitglied und später Präsident des Comité de la rive gauche du Rhin, das ein regelmäßiges Bulletin herausgab, in dem für die Anerkennung des historischen und strategischen Rechts Frankreichs zur Kontrolle über das linke Rheinufer geworben wurde. In einer Reihe öffentlicher Auftritte verallgemeinerte er auch die in seinen Büchern präsentierten, historisch begründeten Argumente. Aufgrund seiner Publikationen wurde er 1917 gebeten, sich dem Comité d’études anzuschließen, das als eine Art offizieller Think-Tank auf Anregung Aristide Briands entstanden war. Vorsitzender war der berühmte Historiker Ernest Lavisse, ein Experte für preußische Geschichte, und im Laufe seiner zweijährigen Geschichte veröffentlichte das Comité einen umfangreichen Katalog von Studien zu strategischen Fragen und territorialen Gebietsansprüchen Frankreichs und seiner Alliierten.30 Babelons wichtigste Propagandaschrift La rive gauche du Rhin. Les revendications françaises dans l’histoire von 1917 (Abb. 1) kann als beispielhaft für eine Anzahl von damals kursierenden Argumenten angesehen werden. Babelon beginnt mit einigen geografischen und wirtschaftliErnest Babelon und das Cabinet des médailles  

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chen Betrachtungen, doch seine Argumentationsgrundlage liegt in der langen Geschichte des von ihm konstruierten Gegensatzes zwischen dem germanischen und dem gallischen Volk auf ihrer jeweiligen Seite des Flusses, den er, wie bereits dargelegt, nicht nur als geografische, sondern vor allem als zivilisatorische Grenze darstellte. Die Gallier wurden als sesshaftes, kulturell weiter entwickeltes Volk charakterisiert und den nomadisierenden und plündernden Germanenstämmen gegenübergestellt. Zudem wies er die Idee zurück, es könne in irgendeiner Form einen Einfluss germanischer Kultur auf die Bevölkerungsgruppen der linken Rheinseite gegeben haben.31 Ganz im Gegenteil habe die gallische Bevölkerung den germanischen Stämmen ein Vorbild für ihre Entwicklung geboten.32 In seiner Argumentation erscheint das Museum als Ort endgültiger Beweiskraft, doch kurz nachdem er die Bedeutung der materiellen archäologischen Belege unterstrichen hat, wobei er alle ausgestellten Objekte in den Museen für Altertümer in Mainz oder Bonn miteinschließt, macht er sich über deren an der Frontseite eingravierte Bezeichnung „Museum germanicum“ lustig, da sie „kein einziges Objekt, das germanisch wäre“ umfassen würden.33 Das Ergebnis der Friedenskonferenz von 1919 war enttäuschend für Babelon, der seine Bemühungen im Streitfall Saarland fehlgeschlagen sah, von dem er gehofft hatte, es würde Frankreich für Jahrhunderte garantiert zugesichert werden.34 Damit vertrat er eine zu dieser Zeit eher extreme Position, die von den meisten Historikern außerhalb des Comité du rive gauche du Rhin35 nicht geteilt wurde. Angesichts des Ergebnisses seiner Einmischung in die Propaganda lehnte er trotz des Angebots, für den französischen Senat zu kandidieren, eine weitere politische Beschäftigung ab. Er betonte, dass er es vorziehe, sich der anstehenden Instandsetzung des Cabinet des médailles zu widmen.36

Das Cabinet des médailles im und nach dem Krieg Kurz nach dem Krieg berichtete Babelon in dem langen, in der Revue numismatique veröffentlichten Artikel „Le Cabinet des médailles pendant la guerre“ von den Aktivitäten seiner Abteilung. Das Ziel dieses Textes, des einzigen Textes, den er je in der ersten Person verfasste, war es, die Museumsarbeit in dieser schwierigen Zeit zu beschreiben und zu zeigen, wie die Sammlungen und das Münzkabinett ihre Funktionen während des Krieges weiterhin erfüllten. Er beginnt mit der überstürzten Rückkehr von seinem Urlaubsort nach Paris nach der deutschen Kriegserklärung im August 1914 und beschreibt sein Entsetzen über ein Ereignis, das ihm bis dahin unmöglich erschienen war, „denn dergleichen hatte sich in der Geschichte noch nie zugetragen, außer zu Zeiten der großen Barbareninvasionen, und diese Invasionen können sich niemals wiederholen.“37 Zu dieser Zeit, als die Sammlungen größtenteils zur sicheren Aufbewahrung nach Toulouse verschickt wurden, bereitete er die Wiedereinrichtung des Museums im neuen Flügel der Bibliothèque nationale vor, der von den Architekten Jean-Louis Pascal und Alfred Recoura kurz zuvor vollendet worden war. Seine Aufgaben als Kurator, zunächst die Sammlungen der Abteilung sicher zu evakuieren und später ihre Wie152  I  Felicity Bodenstein

Abb. 2: Ernest Babelon neben dem Grand Camée de France, 1912

dereinrichtung zu organisieren, schilderte er als seinen persönlichen Einsatz im Krieg, dessen Auswirkungen er – ähnlich wie seine Söhne – schmerzlich erfahren musste. Jean, der vor Kriegsausbruch ebenfalls im Münzkabinett gearbeitet hatte, war als Gefangener in Deutschland und später in der Schweiz, während Babelons älterer Sohn an der Front kämpfte  ; zwei weitere Mitarbeiter verloren ihr Leben. In diesem Text demonstriert er sein Pflichtbewusstsein und zeichnet das Bild der tiefen, fast priesterlichen Beziehung, die ein Kurator in der Zeit zu den ihm anvertrauten Sammlungen haben konnte. Dies führt zur Frage der Wiedereinrichtung des Museums, die er während des Krieges in den neuen Räumen der 1919 wiedereröffneten Abteilung vorbereitete. Die Sammlung bekam einen neuen Raum, der weit monumentaler war als die vorherige Galerie, die das Münzkabinett in einem anderen Teil der Bibliothek eingenommen hatte, darunter einige Räume, die ursprünglich als Bücherlager gebaut worden waren und denen es sowohl an Licht als auch an Ornamenten fehlte, um eine Sammlung angemessen zu beherbergen. Die Salle des colonnes und die Salle du Grand Camée gaben dem Herzstück der öffentlichen Schau, häufig auch als die „Tribuna“ des Münzkabinetts bezeichnet, einen stilvollen und doch fast kargen Rahmen. Es bestand im Wesentlichen aus einem großen Münzschrank mit einer Vitrine darüber, in dem seit den 1830er-Jahren in wechselnden Serien jeweils einige Objekte präsentiert worden waren, die zu den bedeutendsten der Sammlung gerechnet wurden. Die genauere Betrachtung der Art und Weise, wie Babelon die Hauptstücke der Schau – den Grand Camée de France (Abb. 2) und vor allem die Objekte aus dem Grab König Childerichs – interpretierte und welchen Platz er ihnen gab, gibt einen Einblick, wie sich seine Geschichtsauffassung auf die Museografie der Abteilung auswirkte. Childerichs Schatz wird, wie der Name schon sagt, dem 481 gestorbenen ersten merowin­ gischen König der Franken und Vater Chlodwigs zugeschrieben und gehört im allgemeinen Ernest Babelon und das Cabinet des médailles  

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Verständnis zu den ältesten Memorabilien der französischen Monarchie. Die Stücke, die heute im Cabinet des médailles erhalten sind, wurden 1653 in einem Grab, das auch menschliche Überreste enthielt, in der Stadt Tournai gefunden. Diese heute in Belgien liegende Region gehörte, als der Schatz gefunden wurde, nicht zum französischen Königreich, sondern zu den damals mit Frankreich im Krieg stehenden Spanischen Niederlanden. Durch Erzherzog Leopold Wilhelm von Habsburg, den Statthalter der Spanischen Niederlande, waren die Objekte nach Wien gebracht worden, wo sie als Teil der kaiserlichen Schatzkammer aufbewahrt wurden. Doch 1665 intervenierte der Kurfürst von Mainz, Johann Philipp von Schönborn, und bat den Kaiser, den Schatz Ludwig XIV. zu schenken. Im zweiten Band von Le Rhin dans l’histoire erwähnt Babelon Childerichs Schatz als diplomatisches Geschenk, das am besten den Beitritt Frankreichs zum Rheinischen Bund veranschaulicht, den Ludwig XIV. im August 1658 in Mainz offiziell unterzeichnete. Laut Babelon besiegelte das Geschenk an den französischen König 1665 „den ersten Versuch dieses Bundes der Fürsten vom Rhein, dessen Schutzherr [später] Napoleon werden sollte. […] Jene beteiligten Fürsten nannten sich selbst die Deutschen Frankreichs.“38 Diese Objektsammlung war auch die erste, die direkt aus einem archäologischen Fund kam, und im 17. Jahrhundert diente der Schatz als Beispiel für die Vorstellung, dass die französische Monarchie mit der römischen Antike verbunden sei. Er verwandelte die kleine Kunstkammer, die sich vor dem Umzug nach Versailles 1684 in der königlichen Bibliothek gebildet hatte, in ein „Konservatorium der bis in die Antike reichenden Monarchie, dessen Bestimmung darin lag, die Beständigkeit des Bandes der Zeit zu zeigen, durch das die herrschende Dynastie mit ihren Vätern aus dem ersten Königsgeschlecht, also mit den letzten Tagen des alten Roms verbunden war“.39 Ebendiese Verbindung suchte Babelon aus historischer und kunstgeschichtlicher Perspektive aufzuzeigen und sie anschließend durch die Ausstellung des Schatzes zu bekräftigen. Sowohl zeitlich als auch geografisch kam dieses Objektensemble vom äußersten Rand der romanisierten Welt und repräsentierte die letzte Grenze zum „barbarischen Norden“. Seine Ansichten zu dem Schatz hat Babelon in einer sorgfältig dokumentierten Monografie dargelegt, seinem letzten veröffentlichten Werk, das 1923 erschien.40 Sein Hauptanliegen war es, jegliche Zweifel an der Echtheit von Childerichs Siegel, das zur Identifizierung des Grabes mit dem fränkischen König gedient hatte, zu zerstreuen. Seit der Französischen Revolution hatte es eine andauernde archäologische Debatte um das Siegel gegeben, und trotz der Tatsache, dass das Originalsiegel bei einem Diebstahl 1831 verloren ging,41 wollte Babelon diese Debatte mithilfe einer sorgfältigen ikonografischen Untersuchung endgültig abschließen. Seine Neuinterpretation des Siegels, das er mit der römischen Porträtkunst in Verbindung brachte, machte es für Camille Jullian zu einem „Symbol des Frankenkönigs, der sich als Patricius Roms rühmte und das Werk der Cäsaren entlang des Rheins wieder aufnahm“42. Durch eine genauere Betrachtung der Cloisonné-Metallarbeiten, die in den Waffen- und Schmucküberresten aus dem Grab erhalten sind und die er als erste Form einer nationalen Kunst Frankreichs beschreibt, wollte Babelon mit seiner Untersuchung außerdem aufzeigen, wie die ersten fränkischen Könige durch den künstlerischen Einfluss römischer Gold154  I  Felicity Bodenstein

Abb. 3: Der große Medaillenschrank mit Vitrine (1917–1940)

schmiede und orientalischer Emailleure ihr „barbarisches“ Volk zivilisierten. Er stellte sich damit gegen Louis Courajods Konzept vom „génie germanique“ und übernahm die kunsthistorischen Thesen aus Emile Mâles 1918 erschienenem L’art allemand et l’art français, in dem dieser schlicht feststellte, „dass es keine barbarische Kunst gegeben hat“43. Von diesem Standpunkt aus konnte die Kunst der merowingischen Zeit nur als eine Art Vermischung klassischer und orientalischer Kunsteinflüsse angesehen werden.44 Babelon zufolge war Tournai ein privilegierter Ort für den Einfluss byzantinischer Kunst in Nordeuropa und einer der ersten Schauplätze der Entwicklung von Cloisonné-Metallarbeiten, die aufgrund guter Verbindungen Childerichs zum Oströmischen Reich entstanden und keinesfalls das Werk germanischer Stämme gewesen seien  ; diese Theorie ist seitdem natürlich von der stimmigeren Vorstellung überholt worden, dass die Cloisonné-Arbeiten sich langsam, mehr oder weniger gleichzeitig in allen Teilen Europas ausbreiteten.45 Verständlich wird aus dieser Perspektive jedenfalls die besonders herausgehobene Inszenierung des Objektensembles in einer Vitrine direkt hinter der „Tribuna“ und vor dem Mittelfenster des Grand Camée-Raums46, in derselben zentralen Achse wie die Kamee selbst. Die „Tribuna“ war den wertvollsten Stücken der Metall- und Steinarbeit gewidmet und beinhaltete mehrere Objekte, die Babelon auch für seine Untersuchung des Childerich-Schatzes zum Vergleich herangezogen hatte (Abb. 3). Auf der rechten Seite befanden sich die kostbarsten Objekte des Saint-Denis-Schatzes, der während der Französischen Revolution in die Abteilung Ernest Babelon und das Cabinet des médailles  

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kam, zentrales Ausstellungsstück war ein Kelch persisch-sassanidischer Herkunft, ein sehr seltenes Beispiel orientalischer Cloisonné-Arbeit aus dem 6. Jahrhundert  : die sogenannte Schale von Chosroès, zuvor in Saint-Denis auch Schale des Salomon genannt. Mit der Patera von Rennes und dem merowingischen Schatz von Gourdan, der 1840 gefunden wurde und ein weiteres seltenes und hochklassiges Beispiel für die Metallarbeit jener Epoche liefert, repräsentierten die Stücke links des Grand Camée die Kontinuität vom Römischen Reich zu Gallien. Indem Babelon Childerichs Schatz nicht in der „Tribuna“ platzierte, sondern in der Zentralachse hinter dem Grand Camée, einem der berühmtesten Kulturschätze der julisch-claudischen Dynastie, unterstrich er vermutlich eine Abstammungs- und Traditionslinie zum Römischen Reich mit seinen ersten Kämpfen gegen die germanischen Stämme. Diese Interpretation wird auch von der neuen Lesart der Ikonografie des Grand Camée, die Babelon in den Vorkriegsjahrzehnten entwickelte, unterstützt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war die Kamee allgemein als Apotheose des Augustus interpretiert worden, da im oberen Bildteil der bereits im 17. Jahrhundert von dem Antiquar Nicolas-Claude Fabri de Peiresc eindeutig identifizierte Kaiser als Herrscher über das Himmelreich dargestellt wird. Die Interpretation der Figuren im mittleren Segment war jedoch noch offen, abgesehen von der zentralen, auf einem Thron sitzenden kaiserlichen Figur, die gemeinhin als Tiberius identifiziert wurde. Babelons neue Lesart bezog sich vor allem auf die Figur des vor Tiberius stehenden Heerführers, den er als Germanicus, den Neffen des Augustus, identifizierte, der 17 n. Chr. nach seinem Kampf gegen die germanischen Stämme an den Grenzen des Römischen Reiches in einem Triumphzug nach Rom zurückkehrte.47 Um seiner neuen Zuordnung mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, gab Babelon dem Grand camée einen neuen Namen, den er auch als wissenschaftlich exakter erachtete  : „Die Verherrlichung des Germanicus“. Dieser Name wurde – ebenso wie Babelons Zuordnung – später wieder verworfen  ; heute wird die Figur allgemein als Nero identifiziert, als er 23 n. Chr. zum princeps iuventutis erklärt wurde.48 Der Name Grand Camée de France wurde – aufgrund der langen und ruhmreichen Geschichte dieses Stückes in Frankreich gerechtfertigt – weiter gebraucht  ; tatsächlich jedoch war die Kamee von Ludwig dem Heiligen von Konstantinopel nach Paris in die Sainte-Chapelle gebracht worden. 1791 ließ Ludwig XVI. die Kamee zur sicheren Verwahrung ins Münzkabinett bringen, da er die Zerstörung oder den Verkauf des Schatzes der Sainte-Chapelle befürchtete. Die Kamee mit der vermeintlichen Darstellung der Verherrlichung des Germanicus gab dem Raum, in dem sie ausgestellt wurde, ihren ursprünglichen Namen. Die Decke war den Wünschen Babelons und des Architekten Jean-Louis Pascals entsprechend dekoriert worden. Ihre Ecken zieren große Reproduktionen zeitgenössischer Medaillen, von denen sich zwei direkt auf Ereignisse im Deutsch-Französischen Krieg beziehen  : Die erste ist eine Nachbildung der von Charles Degeorge (1837–1888) im Jahre 1887 entworfenen Medaille zum Gedenken an den Studenten der École des Beaux-Arts, der bei der Verteidigung seiner Heimat fiel (Abb. 4)  ; die zweite Reproduktion, Les aérostats pendant le siège de Paris („Die Ballons während der Belagerung von Paris“) von Jules Clément Chaplain, stellt eine Allegorie der Stadt Paris während der Belagerung 1870 dar. So werden hier das Gedenken der Niederlage und die Glorifizierung des Sieges in einem subtilen und hochgelehrten Narrativ miteinander vereint. Frankreichs 156  I  Felicity Bodenstein

Abb. 4: Detail des Deckendekors der Salle du Grand Camée mit dem Medaillon À la mémoire des élèves de l’école des beaux-arts morts pour la défense de la Patrie 1870–1871 von Charles Degeorge

ruhmreiche Vergangenheit – verkörpert durch den Schatz des Childerich – wird aus dem Blickwinkel der klassischen Quellen der frühesten Kunstform der Nation, der Cloisonné-Metallarbeit, gesehen und damit auch der historische Gegensatz zu jenen „Barbaren“ betont, vor denen Babelon seine Sammlung so sehr zu schützen suchte. Übersetzt von Johannes Kreimeier

Anmerkungen 1 Heute lautet der offizielle Titel „Département des monnaies, médailles et antiques de la Bibliothèque nationale de France“. 2 Julius Menadier, „Zur Einführung“, in  : Zeitschrift für Numismatik, Bd. 33, 1921, 19–23, hier 19. „Der Leiter des Cabinet des médailles in Paris hat geglaubt, die Münzforscher ausnehmen zu sollen bei seiner Verketzerung der deutschen Wissenschaftler als Hunnen  : er hat damit den verewigten Amtsgenossen arg verkannt und uns Überlebende noch mehr. Der Zufall hat es zwar gefügt, dass keiner von uns einen der akademischen Aufrufe zu Beginn des Krieges unterzeichnet hat  : maßgebend aber sind sie für uns alle gewesen.“ 3 BnF CdM, 1 APM 56-1, Brief von Babelon an Menadier vom 11.7.1922. 4 Frank Furedi, First World War  : Still No End in Sight, London 2014, 22–25. 5 Christophe Prochasson u. Anne Rasmussen, Au nom de la patrie  : les intellectuels et la première guerre mondiale (1910–1919), Paris 1996, 7. 6 Ebd., 9. „fervent guardian of civilisational values that were always being menaced by the acid of decadence and barbary“. 7 Bertrand Joly, „L’École des chartes et l’Affaire Dreyfus“, in  : Bibliothèque de l’école des Chartes, Bd. 147, 1989, 611–671, hier 648. Unterzeichnet wurde die Petition auch von dem bedeutenden Numismatiker Anatole de Barthélemy, der mit dem Cabinet des médailles gut vertraut war, außerdem von dem Schriftsteller José-Maria de Heredia, von dem Historiker und Freund Babelons, Ernest de Lasteyrie, und von A. Héron de Villefosse, dem Kurator der Antikenabteilung des Louvre. 8 In seiner Studie zu den von französischen Schriftstellern um 1900 eingenommenen politischen Standpunkten zeigt Christophe Charle, „Champ littéraire et champ du pouvoir  : les écrivains et

Ernest Babelon und das Cabinet des médailles  

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l’affaire Dreyfus“, in  : Annales ESC, 3–4/1977, 240–264, dass unter den französischen Intellektuellen die académiciens des Institut de France die Anti-Dreyfus-Kampagne am stärksten unterstützten. 9 Jean-Pierre Rioux, Nationalisme et conservatisme. La Ligue de la Patrie Française (1899–1904), Paris 1977, 9. 10 Babelon wurde von anderen Historikern und Schriftstellern begleitet, die der Ligue bereits 1899 beigetreten waren, wie Paul Bourget oder Jules Lemaître. Von den 29 Teilnehmern waren acht aktuelle oder zukünftige académiciens, darunter auch der 1906 gewählte Maurice Barrès. Weiterhin zu erwähnen wären der Künstler Auguste Rodin und der Kunsthistoriker Louis Dimier. 11 Albert Marty, L’Action française racontée par elle-même, Paris 1968, 46. 12 François Hartog, Le XIXe siècle et l’histoire  : le cas Fustel de Coulanges, Paris 2001, 180. 13 Ebd.: „la science est nationaliste et le nationalisme scientifique“. 14 Zit. n. Marty 1968, 48  : „Le véritable patriotisme n’est pas l’amour du sol, c’est l’amour du passé.“ 15 Monseigneur Giuseppe de Ciccio, „In Memoriam di Ernest Babelon“, in  : Circolo Numismatico Napoletano, 1–2/1924, 3–9, hier 8. 16 Camille Jullian, „L’œuvre d’Ernest Babelon“, in  : La Revue des deux mondes vom 15.2.1924, 795–806, hier 795. „L’œuvre d’Ernest Babelon correspond aux merveilleux efforts que fit l’érudition française entre les deux guerres, celle de la défaite et celle de la victoire.“ 17 Ebd. „Ceux qui connaissent l’ensemble des pensées et la trame de la vie de Babelon croiront sans peine que le patriotisme ne fut point étranger à cette nouvelle vocation. La science des monnaies était une de ces gloires de la France qu’il ne fallait point laisser perdre. C’était notre pays qui possédait le plus célèbre Cabinet des médailles, la plus consciencieuse des revues numismatiques. Ses érudits avaient, depuis deux siècles, marqué dans ce domaine des traces lumineuses qui n’avaient pu effacer ni les efforts de l’Allemagne, ni le talent et la renommée de l’Autrichien Eckhel.“ 18 Für weitere biografische Details siehe Felicity Bodenstein, „Le salon de Louis XV à la Bibliothèque nationale de France  : l’archéologie et la reconstitution d’un lieu d’histoire (1865–1913)“, in  : Livraisons d’histoire de l’architecture, Bd. 19, 2010, 9–23 u. Jean-Pierre Babelon, „Un chartiste venu du monde rural  : le cas d’Ernest Babelon“, in  : Christophe Pavlidès (Hrsg.), L’École Nationale des Chartes, Histoire de l’École depuis 1821, Thionville 1997, 151–156. 19 Babelon, J. P. 1997, 152. „Concourir à ce renouvellement des connaissances historiques en y appliquant son ardeur patriotique, c’est peut-être ce qui a motivé la ,montée à Paris’ d’E. Babelon, […] ce désir de participer au grand mouvement de revanche qui, s’il ne pouvait plus s’exprimer par les armes, devait se manifester sur le terrain de la recherche.“ 20 Bodenstein 2010, 20. 21 Jullian 1924, 802. 22 Ebd. „Et il pensait de pareille façon que notre terre est pleine des débris des familles qui l’ont cultivé ou traversée, et qu’il y a toujours dans ces débris les reflets des vies éteintes.“ 23 François de Grailly u. Ernest Babelon, 1918. La vérité territoriale et la rive gauche du Rhin, Paris 1918, I. „Dans cette lutte éternelle du Romanisme contre le Germanisme, de la Civilisation contre la Barbarie, de la Liberté des Peuples contre l’Hégémonie féodale du plus fort et du plus audacieux d’entre eux, la France a toujours compris, même en ses écarts, en ses égarements de doctrine politique ou de direction de ses armées, qu’elle devait barrer la route aux Barbares sur le Rhin.“ 24 Ernest Renan, Qu’est-ce qu’une nation  ? Conférence faite en Sorbonne, le 11 mars 1882, Paris 1882, 30. „Une nation est une âme, un principe spirituel. Deux choses qui, à vrai dire, n’en font qu’une, constituent cette âme, ce principe spirituel. L’une est dans le passé, l’autre dans le présent. L’une est la

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possession en commun d’un riche legs de souvenirs  ; l’autre est le consentement actuel, le désir de vivre ensemble, la volonté de continuer à faire valoir l’héritage qu’on a reçu indivis.“ 25 Grailly/Babelon 1918, 220. „Une des erreurs de Renan a été de ne voir dans le territoire que l’espace abstrait, mort, simple substratum, un support, un champ d’évolution, alors qu’il participe vraiment et intensément de toutes les énergies qui lui sont propres à la vie de l’organisme dont il est partie constituante. Il n’assiste pas seulement, témoin passif  ; il coopère. Organe de défense, d’indépendance, de durée, il est aussi, et plus encore peut-être, facteur de l’existence économique  ; car, s’il est vrai que nous vivons tous du travail national, le travaileur en dernière analyse vit du sol.“ 26 Ebd. 221. „Et le territoire ne participe pas moins à notre existence morale qu’à notre existence physique […] en troisième lieu, parce que, pareil au génie gardant les souvenirs et le secret de la tombe, notre territoire garde, avec ses monuments, tout le capital moral du passé de notre race.“ 27 Ernest Babelon, La rive gauche du Rhin, les revendications françaises dans l’histoire, Paris 1917, 33. „L’histoire est bonne conseillère de la politique   ; ses enseignements dictent la solution des graves problèmes de frontières soulevés par la guerre actuelle.“ 28 Olivier Lowczyk, „L’historien et le diplomate en 1919  : l’usage des sciences historiques dans la négociation pour les frontières de la France“, in  : Guerres mondiales et conflits contemporains, Bd. 236, 2009, 27–44, hier 28. 29 Ebd. 30 Peter Schöttler, „Le Rhin comme enjeu historiographique dans l’entre-deux-guerres. Vers une histoire des mentalités frontalières“, in  : Genèses, Bd. 14, 1994, 63–82, hier 66. 31 Babelon 1917a, 5. „Aucun nom du panthéon germain, c’est-à-dire odinique, ne s’est installé sur la rive gauche du Rhin à l’époque gauloise ou gallo-romaine. Ainsi, tout, dans ce pays pendant des siècles et des siècles, fut gaulois ou gallo-romain  : la domination politique, la création des villes, des bourgs, des exploitations rurales, les dieux, les sanctuaires, les noms propres, la langue.“ 32 Ebd. 6. „Il a reçu de la race et de la nation gauloises les éléments de la civilisation  : une population sédentaire pourvue de tous les organes d’une société policée  : des villes, des bourges, des fermes agricoles, une hiérarchie sociale, des armées, des impôts réguliers, un art, une langue écrite, un culte public, l’usage de la monnaie. Les populations y sont, comme dans le reste de la Gaule, attachées au sol et à la maison des ancêtres. Rien de tout cela en Germanie, sur la rive orientale du grand fleuve, immense région forestière et marécageuse où vagabondent les tribus des Barbares, et où il n’y eut jamais, dans toute l’antiquité, ni villes, ni états, ni civilisation.“ 33 Ebd. 5. „Non seulement tout les témoignages anciens nous l’affirment, mais les débris archéologiques qui sont dans les musées des villes rhénanes l’attestent. Les Allemands ont beau graver au frontispice de leurs vastes musées antiques de Mayence ou de Bonn les mots ,Museum germanicum’  : ils ne renferment pas un seul objet qui soit germanique.“ 34 Ernest Babelon, „Le Cabinet des médailles pendant la guerre“, in  : Revue Numismatique, Bd. 22, 1919, 141–162, hier 150. „Le traité de paix démontre avec évidence que ni les négociateurs ni l’opinion publique n’ont été suffisamment instruits et préparés à faire prévaloir une solution qui, tout en respectant les droits des populations rhénanes à disposer d’elles-mêmes, eut pu être, pour des siècles […] la légitime garantie de notre sécurité.“ 35 Lowczyk, 2009, 32 36 André David Le Suffleur, „Ernest Babelon“, in  : Aréthuse, 4/1924, 111–180, hier 134. „Habitué à envisager les questions en historien, il comprenait mal les hésitations des hommes politiques embarrassés de contingences qui lui paraissaient négligeables et il en conçut une amertume qui ne tarda pas à s’exprimer, selon les jours, en paroles violentes ou découragées. Il ne concevait pas que ce qui Ernest Babelon und das Cabinet des médailles  

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s’imposait avec l’évidence de l’histoire et de la logique, ne fût pas réalisé d’un unanime accord et, désabusé, mal compris, jugeant, non sans raison, qu’il avait, dans cet ordre d’idées, rempli largement son devoir, il revint, aussi tôt qui’l lui fut possible, aux travaux où sa compétence était reconnue sans conteste, écartant, peut-être avec regret, mais résolument, l’offre qui lui fut faite alors d’une candidature au Sénat.“ 37 Babelon 1919, 141. „[…] parce que cela ne s’est jamais produit dans l’histoire, sauf au temps des grandes invasions des Barbares, et ces invasions ne sauraient se renouveler.“ Mit „invasions barbares“ werden im französischen Sprachgebrauch die Völkerwanderungen der Spätantike bezeichnet   ; beide Begriffe sind heute überholt und werden oft durch den englischen Begriff „migration period“ ersetzt. 38 Ernest Babelon, Le Rhin dans l’histoire. Les Francs de l’Est. Français et Allemands, Paris 1917, 285f. „le premier essai de cette Confédération des princes du Rhin dont Napoléon devait être le Protecteur. […] Les princes qui en faisaient partie s’appelaient eux-mêmes ‚les Allemands de France’.“ 39 Thierry Sarmant, Le Cabinet des médailles de la Bibliothèque nationale, 1661–1848, Paris 1994, 52. „Le trésor faisait de ce dépôt un conservatoire de l’antiquité de la monarchie, destiné à montrer la solidité de la chaîne des temps qui reliait la dynastie régnante à ses pères de la première race en ce cas précis jusqu’aux derniers jours de l’ancienne Rome. Pour comprendre l’importance d’un tel monument aux yeux des contemporains, il faut rappeler le succès remporté à l’époque par la légende de la dignité consulaire que l’empeureur Anastase aurait conférée à Clovis  : elle semblait donner à la monarchie française l’onction de Rome même.“ 40 Ernest Babelon, Le Tombeau du roi Childéric et les origines de l’orfèvrerie cloisonnée, Paris 1924. 41 Louis Delavaud, „1911. Le vol du trésor de Childéric Ier“, in  : La Revue de Paris, Bd. 18, 1911, 357–367. 42 Jullian, 1924, 805. „… le symbole du roi des Francs se faisant gloire d’être patrice de Rome et de reprendre sur le Rhin l’œuvre des Césars“. 43 Emile Mâle, L’art allemand et l’art français, Paris 1918, 9. 44 Babelon 1924a, 78. „Seulement, à cause de leur rudesse native et de leur inexpérience artistique, en empruntant cet art et ses procédés techniques aux grands centres de traditions classiques et orientales que nous venons de signaler, les Germains n’ont fait, comme le dit justement M. Mâle, que les barbariser en fabriquant des œuvres imitées qui sont bien loin au-dessous des modèles byzantins et persans. Telle est la doctrine nouvelle à laquelle j’adhère sans réserve.“ 45 Patrick Périn u. Michel Kazanski, „La tombe de Childéric, le Danube et la Méditerranée, in  : Laurent Verslype (Hrsg.), Villes et campagnes en Neustrie  : sociétés, économies, territoires, christianisation  ; actes des XXVe Journées Internationales d’Archéologie Mérovingienne de l’AFAM, Montagnac 2007, 29–38, hier 29f. 46 Ernest Babelon, Le Cabinet des médailles et antiques de la Bibliothèque nationale. Notice historique et guide du visiteur. I Les antiques et objets d’art, Paris 1924, 169. „une vitrine spéciale placée devant la fenêtre centrale“. 47 Ernest Babelon, Catalogue des camées antiques et modernes de la Bibliothèque nationale, Paris 1897, 123. „époque où Germanicus vient de s’illustrer dans la guerre contre Arminius et les Germains“. 48 Marie-Pierre Laffitte, 1789, le patrimoine libéré  : 200 trésors entrés à la Bibliothèque nationale de 1789 à 1799, Ausst.-Kat. Bibliothèque nationale de France, Paris 1989, 142, Objekteintrag „Grand Camée de France“ von Irène Aghion.

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Arnaud Bertinet

PAU L JAMOT ( 1 8 6 3 – 1 9 3 9 ) Hüter der Sammlungen des Louvre in Toulouse

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs zeigt sich die vernichtende Kraft moderner Waffen und systematischer Bombardements am Menschen und am Kulturgut.1 Letzteres wird von den Konfliktparteien im Rahmen ihrer Kriegsanstrengungen umfassend instrumentalisiert  : Die Kunstschätze der Kriegsgegner werden mit feindlichen Urteilen überzogen, und Kunsthistoriker wie Museumskustoden werden mobilisiert, nicht nur um gegen die Kultur der Feinde zu polemisieren, sondern auch um herauszustellen, wie diese ihr eigenes Kulturgut gefährden.2 Die Deutschen bezichtigt man der Zerstörung der fremden Kulturschätze, während den Franzosen die Unfähigkeit die ihrigen zu schützen vorgehalten wird, und das schon seit den Zerstörungen der Französischen Revolution.3 Die Kunstschätze würden von den Franzosen gar als kulturelle Schutzschilde missbraucht, bringt es manche Bildunterschrift in der deutschen Karikatur ganz explizit zum Ausdruck  : „Da ihnen die Kathedrale von Reims schon als Deckung gedient hat, werden die schlauen Franzosen bald den Inhalt des Louvre als kugel­sicheres Schanzmaterial verwenden.“4 In den ersten Kriegstagen sind sich die Kustoden des Louvre des „Präzedenzfalls [der Evakuierung] von 1870, der diesbezüglich ungemein erkenntnisreich war“, sehr gewärtig.5 Tatsächlich war damals die Kaiserin Eugénie bei ihrer Flucht aus den Tuilerien am 4. September 1870 durch die Grande Galerie des Louvre geeilt, dessen wichtigste Gemälde schon Richtung Brest, ins dortige Zeughaus, unterwegs waren.6 Von August 1870 bis September 1871 war der Louvre somit seiner wertvollsten Sammlungen entleert, während die Inspection des Beaux-Arts durch den damaligen Inspektor der Provinzmuseen, Arsène Houssaye, schon Schutzmaßnahmen für den Gesamtbestand französischer Museen und Bibliotheken ins Auge fasste.7 In der Folge der Entscheidungen, die im Jahr 1870 angesichts der vorrückenden deutschen Streitkräfte getroffen wurden, verlangte Albert Dalimier, Unterstaatssekretär für die Künste, am 28. August 1914 die Sicherung der französischen Sammlungen. Doch welche Wertmaßstäbe und Perspektiven leiteten die damaligen Akteure, die in größter Eile die Evakuierung der Kulturschätze betreiben mussten  ?

Exil im Midi – die Auslagerungen nach Toulouse Im Louvre veranlassen die Kustoden zügig erste Sicherheitsmaßnahmen gegen Bombardements, um mit Holzbohlen und Sandsäcken vor allem das Museumsgebäude zu schützen.8 Paul Jamot und die Sammlungen des Louvre in Toulouse  

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Abb. 1: Die Salle des États des Louvre im Jahr 1914

Am 24. August wird das Korps der Kustoden von der Regierung über die Dienlichkeit einer Auslagerung der Sammlungen in Richtung Toulouse oder Pau befragt. Diese sehen dazu keinen Anlass, da noch nicht einmal das Jahrhunderthochwasser von 1910 Evakuierungsmaßnahmen nach sich gezogen habe.9 Weiterhin führen sie aus, dass der Feind die ihm sehr gut bekannten Kunstschätze des Louvre im Falle einer Niederlage ohnehin in Geiselhaft nehmen würde.10 Das Kustodenteam scheint sehr viel beunruhigter über mögliche Beschlagnahmungen und den Raub der Kunstwerke zu sein – Deutschland gründet 1915 übrigens die sogenannte Degering-Kommission, um während der Napoleonischen Kriege nach Frankreich verschleppte Kunstwerke zurückzufordern11 – als die politische Führung, deren Besorgnis vorrangig dem Zerstörungspotenzial der in diesem Krieg erstmals zum Einsatz kommenden Waffen gilt. Am 25. August wird ein bedeutender Teil der Stadt Löwen von den Deutschen niedergebrannt, und auch die Universitätsbibliothek wird ein Opfer der Flammen.12 Diese Zerstörung führt zu großen Kontroversen, die unter anderem im Manifest der 93 münden, in dem deutsche Intellektuelle die Regierung unter Wilhelm II. in Schutz nehmen und bekräftigen  : „Aber so wenig wir uns in der Liebe zur Kunst von irgendjemand übertreffen lassen, so entschieden lehnen wir es ab, die Erhaltung eines Kunstwerks mit einer deutschen Niederlage zu erkaufen.“13 Nach einigen kurzen Ausweichmanövern entscheidet sich auch der Unterstaatssekretär der Künste, Albert Damilier, der bereits mit der gesamten Regierung von Paris nach Bordeaux umgesiedelt war, zu einer Auslagerung der Sammlungen.14 Am 28. August weist er Henri Marcel, den Direktor der Nationalmuseen, an, 250 der Hauptwerke aus den Sammlungen 164  I  Arnaud Bertinet

Abb. 2: Die Nike von Samothrake in ihrer Schutzverkleidung im Jahr 1914

des Louvre in Sicherheit zu bringen.15 Die Evakuierung wird unter allergrößtem Zeitdruck durchgeführt und die meisten der Werke in großen Umzugsanhängern verstaut.16 Die beladenen Anhänger verlassen den Louvre stadtauswärts, wo sie auf Güterwaggons verladen werden.17 Wie 1870 handelt es sich bei den Kunstwerken hauptsächlich um Gemälde und kunstgewerbliche Objekte, die in der Eile leichter zu bewegen sind als die Skulpturen. Wenig bekannte Fotografien, die wohl der Kustos-Assistent der Antikensammlung, André de Ridder, anfertigte,18 zeigen die Sicherungsaktion im Louvre (Abb. 1) und erinnern an die Dokumentation der Sicherung von 1940.19 Wie schon 1870 ist die Venus von Milo die einzige Skulptur aus der Antikensammlung,20 die beim ersten Sicherungstransport auf der Ladefläche des Umzugswagens vertäut wird.21 Die Nike von Samothrake (Abb. 2) versucht man an ihrem Platz im Louvre zu sichern.22 Insgesamt 770 Kunstwerke,23 weit mehr als von Dalimier erhofft, werden in den Süden Frankreichs und in die Obhut Paul Jamots24 gebracht, der als Kustode der vorderasiatischen Antiken des Louvre von 1914 an in Toulouse die ausgelagerten Werke betreut.25 Nur 240 Gemälde werden in Kisten geschützt, die anderen reisen „offen, einfach in Papier eingeschlagen in ausgepolsterten Umzugstransportern“.26 Dieser ersten Auswahl aus dem Louvre folgen Werke aus Versailles, aus Chantilly, dem Musée de Cluny und ein Teil der Kunstsammlungen aus Reims, der somit knapp den Bombardements der Kathedrale entgeht.27 Am 3. September kommt der Konvoi nach schwieriger Reise in Toulouse an.28 Eine flüchtige Inaugenscheinnahme der verfügbaren Lagerungsorte führt zur Wahl der Jakobinerkirche, die laut dem Kustoden der frühorientalischen Sammlung drei wesentliche Kriterien vereint  : „Abgelegenheit, Sicherheit, Durchlüftung“.29 Nach einigen Umbauarbeiten im Innenraum werden die Anhänger mit den Werken von den Eisenbahnwaggons entladen und in der KirPaul Jamot und die Sammlungen des Louvre in Toulouse  

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Abb. 3: Das Innere der Jakobinerkirche in Toulouse, um 1916

che abgestellt,30 wie eine in den Archives des Musées nationaux [jetzt Archives nationales] aufbewahrte Folge von Fotografien zeigt (Abb. 3).31 Auf einer Serie von Gemälden hält Paul Jamot sowohl das Äußere der Kirche und deren Umgebung als auch die Kisten und die Anhänger fest.32 Während der gesamten Dauer ihres Exils in Toulouse beschützt ein Dutzend Soldaten die Sammlungen,33 zeitweise erhält Jamot Unterstützung von einigen seiner Kollegen, etwa von Leprieur und Ridder oder Pol Neveux, Generalinspektor der Bibliotheken. Außerdem wird ein drakonisches Sicherheitssystem eingeführt, mit doppelten Kodewörtern, die täglich wechseln.34 Dem Schutz der Kunstschätze wird eine dermaßen hohe Bedeutung beigemessen, dass der Kultusminister persönlich am 21. Juni 1915 die Jakobinerkirche inspiziert.35 Paul Jamot wird in einer „anstrengenden Sitzung“36 mit einem Minister konfrontiert, der verlangt, die großformatigen Gemälde zu entrollen, damit er sich von ihrem guten Zustand überzeugen könne, denn es hätten ihm gegenüber, so schreibt Jamot, „Personen, die er nicht nannte (Künstler, Kunstliebhaber, Kritiker), Befürchtungen über unser kostbares Lager geäußert, besonders in Bezug auf die aufgerollten Gemälde […]“.37 Hinsichtlich der Aufbewahrung der Gemälde ist Paul Jamot durchaus zuversichtlich, wenn er äußert  : „Warum sollen die in Kisten verpackten Gemälde mehr leiden, als sie es 1870 im feuchten Klima von Brest über ein Jahr lang taten  ?“38 Die ministerielle Inspektion hat immerhin zur Folge, dass ihm zusätzliche Mittel bereitgestellt werden, damit „alles in Kisten gepackt werden kann, das 166  I  Arnaud Bertinet

Abb. 4: Die Neuordnung der Sammlungen durch Jamot und Leprieur, Toulouse 1915

eingerollt oder aufgespannt ist und vor zehn Monaten aus Zeitmangel nicht so hat gesichert werden können“.39

Die Auslagerung als Impetus kunsthistorischer Neubewertung Die Lagerung der Werke wird nunmehr von Jamot und Paul Leprieur, dem Chefkustoden für Gemälde des Louvre, neu durchdacht, indem sie Überlegungen zur Geschmacksgeschichte, Fragen des Bewahrens von Sammlungen und zu den Prioritäten ihrer Sicherung auf durchaus faszinierende Art und Weise zusammenbringen.40 Zwischen August und September 1915 überarbeiten sie die Einteilung der in Kisten verpackten Gemälde, aber auch deren Aufteilung auf die Wagen für den Fall eines eventuellen Nottransportes (Abb. 4). Darin werden sie von Madame Chenue unterstützt, Besitzerin der traditionsreichen Kunstspedition, die „selbst nach Toulouse gekommen war, um die Arbeit zu organisieren“,41 ebenso wie von zwei Packern des Transportunternehmens und zwei Wächtern des Louvre.42 Insgesamt 516 neue Gemälde, so Leprieur, „wurden durch diese Verbesserungsmaßnahmen in den Zustand absoluter Sicherheit versetzt“.43 Und Leprieur schließt mit der Feststellung, dass „die Gesamtheit der kostbaren Gemäldefracht zum jetzigen Zeitpunkt, in Anbetracht aller sorgfältigster Voraussicht zu urteilen, vor aller Gefahr geschützt ist“.44 Die 23 Wandteppiche aus dem Musée de Cluny, darunter die Serie der Dame mit dem Einhorn, erhalten jedoch keine Kiste. Der fehlende Schutz dieser Werke verhindert im November 1915 die Rückfahrt der ausgepolsterten Transportanhänger nach Paris.45 Paul Jamot und die Sammlungen des Louvre in Toulouse  

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Zwar haben sich die Arbeitsentwürfe dieser neuen Lagerung und Klassifizierung in den Archiven erhalten, doch ihre Deutung birgt Herausforderungen. Um sie zu begreifen und als Dokumente zu erkennen, die mehr sind als bloße Inventare, muss man zwischen den Zeilen lesen, die Lücken identifizieren, die Streichungen und Auslassungen verstehen und die verschiedenen erhaltenen Versionen derselben Listen vergleichen. Im Kontext geschmacksgeschichtlicher Überlegungen sind es diese Listen, Listenentwürfe und die Bewegungen der Kunstwerke in den im Lager von Toulouse aufbewahrten Kisten, die entscheidend zum Verständnis der Logik des Schutzes der Werke beitragen. Als erste Hürde erweisen sich die den Werken zugewiesenen Nummern, die nicht mit den eigentlichen Inventarnummern übereinstimmen. Vor allem aber sind die Listen nicht datiert und erlauben nach gegenwärtigem Stand der Forschung nicht, auf den Zeitpunkt der jeweiligen Revision zu schließen, der sie sich zuordnen lassen.46 So finden sich etwa nach der ersten Verfrachtung der Werke für den Anhänger mit der Nummer 44, in dem die meisten der Werke des Louvre aufbewahrt werden, 249 Gemälde in 17 Kisten,47 nach der Räumung sind es dann 98 Gemälde, nach wie vor in 17 Kisten.48 Die in den Anhängern aufbewahrten Gemälde entsprechen einem Panoptikum der europäischen Kunstproduktion vom Ende des Mittelalters bis zum 19. Jahrhundert. Wo die Kustoden 1870 mit ihrem Fokus auf die in der Grande Galerie hängenden Werke die geistes- und geschmacksgeschichtliche Vorherrschaft der italienischen alten Meister in ihrer Zeit unterstrichen hatten, treffen sich 1914 nun Rubens, Mantegna, Murillo, David, Champaigne, Poussin, Raffael, Ingres, Chardin, Greuze, Delacroix, Barye, Corot, Courbet, Théodore Rousseau, Millet, Manet, Degas und Sisley in den Transportwagen. Die französischen Künstler des 18. und 19. Jahrhunderts sind also nun zahlenmäßig gut repräsentiert, bei der Sicherungsoperation von 1870 hingegen waren sie fast gänzlich unberücksichtigt gelassen worden. Während Werke von Corot, Delacroix, Ingres oder Manet 1870 noch gar nicht Bestandteil musealer Sammlungen waren, zeigt sich für Chardin oder Greuze, dass die ihnen von Kritikern und Kunsthistorikern wieder zugesprochene Bedeutung sich in der Berücksichtigung ihrer Werke bei der Sicherung von 1914 widerspiegelt. Die persönlichen Vorlieben von Leprieur und vor allem Jamot sind in der neuen Klassifizierung der Werke ebenfalls spürbar. Jamot hat zu dem Zeitpunkt schon viel über alte und neue Meister veröffentlicht, was auf sein Faible für Poussin, Le Nain, Delacroix, den er „wie ein einzigartiges Beispiel höheren Menschentums verehrte“,49 oder Corot, „de[n] Dichter, der noch dem banalsten Motiv unfassbares Mysterium und Größe verleiht“,50 schließen lässt. Ebenjener Künstler ist 1914 der mit den meisten gesicherten Werken. Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung, die nun der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts zuteil wird, ist Manets Olympia, die 1915 im Wagen 143 in Kiste 104 reist, in Gemeinschaft mit Leonardos Felsgrottenmadonna und der Einschiffung nach Kythera von Watteau. Rubens’ Medici-Zyklus gesellt sich in Wagen 177 zu den großformatigen Werken der Meister des 19. Jahrhunderts, darunter die Freiheit auf den Barrikaden von Delacroix, die Krönung Napoleons I. und der Kaiserin Joséphine von David und die Apotheose des Homer von Ingres. Bei den Transporten von 1915 versucht man, die Zahl der Kisten pro Anhänger anzugleichen und 168  I  Arnaud Bertinet

mischt dabei Schulen und Meisterwerke bunt durcheinander. Die Wagen 51 und 143, in denen bei der Abfahrt in Paris nur die genannte Krönung Napoleons I. beziehungsweise die Venus von Milo untergebracht sind, sind für „die endgültige Aufstellung der neuen Kisten“ vorgesehen.51 Einige der Kisten behalten jedoch ihren Inhalt dauerhaft. Das ist etwa der Fall bei der Kiste M.L.1., die nach den Listen von 1914, 1915 und 1918 gleichbleibend neun Gemälde beinhaltet, darunter da Vincis Johannes der Täufer, Salome mit dem Haupt des Johannes von Luini, die Darbringung im Tempel von Gentile da Fabriano oder auch das Bildnis der Hendrickje Stoffels von Rembrandt. Die ansteigende Nummerierung der neuen Kisten liefert wenig Hinweise auf die Prioritäten, die Jamot und Leprieur bei der Auswahl der Werke gesetzt haben, denn jeder Anhänger wurde von ihnen einzeln und getrennt angegangen, und es musste „bis ins Kleinste der verfügbare Platz“ ausgenutzt werden und „neben den alten auch alle neuen Kisten Platz finden“.52 Im Juli 1918 wird der Inhalt der Kisten abermals überprüft, da die zum Schutz der Werke erfolgte Auspolsterung mit nicht durchgetrocknetem Stroh zu Pilzbefall geführt hatte.53 Paul Jamot schlägt daraufhin vor, alle gesicherten Werke nach Pau in ein im Vergleich zur Jakobinerkirche größeres Lager zu bringen, in dem sie bis zu ihrer Rückkehr nach Paris auch ohne Kisten aufbewahrt werden könnten.54 Nachdem er das dortige Schloss und den Winterpalast inspiziert hat, lässt er jedoch von diesem Plan ab und beschließt, die Kunstwerke in Toulouse zu belassen.55 Nach seiner Korrespondenz zu urteilen, zieht sich die Inspektion der Kisten bis zum 11. November 1918 hin,56 und Jamot erklärt, dass „man im Übrigen die langwierige und sorgfältige Arbeit, die wir abgeschlossen haben, nicht bereuen“ solle, denn „neben der Erleichterung, die sie für uns bedeutet, war sie auch nützlich […]. Sie erlaubt unseren Gemälden, ohne Gefährdung die Stunde ihrer Rückkehr zu erwarten. Dass es mir vergönnt sei zu hoffen, diese Stunde bald zu erleben  !“57

Sicherung vs. Sichtbarkeit – der Fall der Mona Lisa Neben den konservatorischen Sorgen intensiviert sich vor allem im Jahr 1916 der Schriftverkehr mit dem Louvre, als es um den Schutz desjenigen Werkes geht, das als wichtigstes der Sicherungsmaßnahmen gilt. Antoine Ellen-Prévot, der Abgeordnete des Departements Haute-Garonne, in dem Toulouse liegt, versucht, zum Entsetzen der Kustoden, eine Ausstellung zu organisieren, deren Schlüsselwerk die Mona Lisa sein soll. Nach dem Raub des Gemäldes 1911 und seiner Rückgabe 1914 besitzt das von Leonardo da Vinci gemalte Bild einen Sonderstatus unter den Kunstwerken in Frankreichs öffentlichen Sammlungen. Die Mona Lisa wird nun zwischen elf Gemälden versteckt, darunter Raffaels Balthasar Castiglione und Jupiter und Antiope von Watteau. Mona Lisas Schicksal hatte alle Franzosen berührt, und so ist es kaum verwunderlich, dass Ellen-Prévot versucht, politisches Kapital aus der Anwesenheit des Gemäldes in seinem Verwaltungsbezirk zu schlagen, indem er dessen Zurschaustellung verlangt.58 Der Abgeordnete wird von Dalimier unterstützt, welcher Henri Paul Jamot und die Sammlungen des Louvre in Toulouse  

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Marcel bittet, „Monsieur Jamot an[zu]halten, sich mit Monsieur Ellen-Prévot in Verbindung zu setzen“.59 Trotz der Einwände Leprieurs wird die Forderung am 17. Januar 1916 bekräftigt  : „die Ausstellung [sei] durch den Ratspräsidenten beschlossen“.60 Paul Jamot wird mit der Organisation der Ausstellung beauftragt, einer „Aufgabe, die gegen [sein] Gewissen“ verstoße.61 Er ist bestürzt über den Gedanken, „mit gefesselten Händen und Füßen, dem Vergnügen der Stadtverwaltung von Toulouse“ ausgeliefert zu sein,62 und erbittet vom Louvre genaue Handlungsanweisungen, um zu verhindern, dass die Auswahl der Werke von der die Ausstellung finanzierenden Kommune getroffen wird. In Paris hoffen Henri Marcel und der Museumsrat vergebens, dass die beträchtlichen Kosten für das Projekt die Ausstellung scheitern lassen.63 Jamot selbst droht mit seiner Kündigung.64 Für Leprieur bedeutet die Tatsache, die Mona Lisa auszustellen, „die Tollheit aufs Höchste zu treiben, ohne jede Notwendigkeit, das höchst­ rangige Meisterwerk unserer Sammlungen den unvermeidlichen Risiken einer öffentlichen Ausstellung auszusetzen, vergrößert noch durch den Kriegszustand  ; ein Werk, das wir vor allen anderen mit der allerhöchsten Achtsamkeit bewahren müssen, nach all den Abenteuern, die es erlitten hat, und nachdem es nur durch einen wundersamen Zufall wieder in unsere Obhut gelangt ist“.65 Es beginnt nun eine Kraftprobe zwischen Politikern und Kustoden, die in der Presse ausgefochten wird. Der Louvre hat die Rückendeckung des Journal des Débats und die einiger Abgeordneter, darunter mit Jean Locquin einen ehemaligen Studenten der École du Louvre,66 die beschließen, die Regierung vor der Nationalversammlung befragen zu lassen.67 Die Auseinandersetzung findet ein enormes Echo in der Pariser Presse,68 und bald geht es um mehr als die Toulouser Ausstellung, nämlich um prinzipielle Fragen der Sicherheit von Kunstwerken. In Anbetracht der Tragweite der Ereignisse entzieht Dalimier dem Ausstellungsvorhaben seine Unterstützung, das nunmehr – geschrumpft auf einige Tapisserien, Möbel und kunsthandwerkliche Objekte – zur reinen Maßnahme der Gesichtswahrung wird.69 Für die Meisterwerke des Louvre hingehen geht „das stille Leben in der Ruhe und im gedämmten Schatten weiter“.70 Wenngleich im Louvre ein Teil der Säle in zwei Zeiträumen wiedereröffnet wird – von März 1916 bis Februar 1917 und von Mai 1917 bis Januar 1918 –, führen die im Kriegsverlauf zunehmenden Zerstörungen und der Friedensvertrag zwischen der Sowjetunion und den Mittelmächten letztlich zur fast vollständigen Auslagerung der Sammlungen der Nationalmuseen71 sowie zahlreicher Museen im Norden und Osten Frankreichs. Im Jahr 1916 wird Toulouse Zufluchtsort der Sammlungen aus Reims, Amiens, Calais und Dünkirchen. Diese Transporte werden durch die ersten Bombenabwürfe auf Paris 1918 noch beschleunigt, und es müssen nun die im Louvre verbliebenen Sammlungsteile, aber auch die des Musée des Arts décoratifs, des Musée du Luxembourg oder des Musée de Cluny in Sicherheit gebracht werden, jeder weitere Verlust von Kulturgut gilt als inakzeptabel. Die Zeichnungssammlung (Cabinet des dessins) und die Sammlung Moreau-Nélaton verlassen den Louvre Richtung Jakobinerkirche im März 1918,72 die in Paris befindlichen Werke der Provinzmuseen werden hingegen ins Schloss Fontainebleau verlagert. An ihrem angestammten Ort verbleiben bloß einige Gemälde des Musée du Luxembourg, „deren Transport in die Provinz nicht angebracht“ erscheint.73 Da Jamot aus gesundheitlichen Gründen nicht in Toulouse verweilt, 170  I  Arnaud Bertinet

nimmt Henry de Chennevières im Juli 1918 die Kisten mit Kunstwerken aus den Abteilungen für frühorientalische, griechische und römische Antike in Empfang, ebenso die der Zeichnungssammlung74 und des Musée de Cluny,75 und am 16. August weitere Kisten mit 574 neuen Gemälden.76 Diese Auslagerung wird durch Fuhren von Kunstwerken aus Privatsammlungen nahezu verdoppelt. Dazu gehören Gemälde von Manet, die Madame Zola gehören,77 oder der Ateliernachlass Carpeaux, der im Besitz seiner Kinder ist.78 Auf diese letzten späten Evakuierungen folgt jedoch bald schon die endgültige Rückführung der Kunstwerke an ihre ursprünglichen Standorte. Auch Paul Jamot verlässt Toulouse nach mehr als vier Jahren im Schutz der Jakobinerkirche am 22. Dezember 1918, um den Konvoi der Transportwagen der Pariser Nationalmuseen anzuführen.79 Die Evakuierungen von 1914 zeigen, dass das jüngere künstlerische Erbe mehr als zuvor einbezogen wurde, so etwa die Kunstwerke, die nach 1870 von Museen gesammelt wurden, oder Künstler, die man im Zeitraum von 1870 bis 1914 wiederentdeckt hatte. Die Sicherung der Werke scheint dabei nicht allzu abhängig von den geschmacklichen Präferenzen der betreffenden Akteure gewesen zu sein. Während des Ersten Weltkriegs hatten die Völker „die Erfahrung ihrer ganz realen Sterblichkeit gemacht“,80 der Schutz des kulturellen Erbes wurde seitdem zu einer neuen Herausforderung im Zuge bewaffneter Auseinandersetzungen. In der Zwischenkriegszeit beschäftigt sich die Ratspräsidentschaft mit dem Schutz des französischen Kulturerbes im Falle neuer Konflikte, die aus den massiven Verwüstungen des Ersten Weltkriegs hervorgehen mochten. In einem geheimen Bericht, der auf Februar 1930 datiert ist,81 wird die weiträumige Organisation eventueller neuer Auslagerungen geplant. Die Auslagerungen von 1939 sind damit die ersten, die sorgfältig vorbereitet und ohne den Druck einer Notsituation durchgeführt wurden, wie es bei den vorherigen Aktionen noch der Fall gewesen war. Vor allem folgt die Sicherungsaktion von 1939 einer neuen Maxime  : Alles wird ausgelagert, um alles zu schützen. Der Forschung zu diesem Thema bleibt noch einiges zu tun, doch es zeichnet sich ab, dass die Entwicklung der gedanklichen Prozesse in dieser für die Kulturgutpolitik langen und einschneidenden Zeit zu neuen Erkenntnissen für eine politische Geschichte des kulturellen Erbes und eine Geschichte des Geschmacks führen wird. Dabei werden auch Möglichkeiten hervortreten, insgesamt neue Perspektiven auf die nationalen und transnationalen Herausforderungen unseres gegenwärtigen Umgangs mit dem Kulturerbe zu entwickeln. Übersetzt von David Blankenstein

Anmerkungen 1 Der Text beruht zu einem Teil auf Forschungen, die im Rahmen einer Dissertation über die französischen Museen durchgeführt wurden, vor allem in dem Kapitel über den Schutz der französischen Kulturschätze während des Krieges von 1870. Weiterhin stützt sich der Beitrag auf Forschungsergebnisse aus einer Masterarbeit über die Museen von Metz im 20. Jahrhundert. Die Entdeckung der Verlagerungsprotokolle von Werken des Louvre aus der Zeit des Krieges von 1870 in den Archives

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des musées nationaux lässt sich mit jener der Metzer Museen von 1939 in Beziehung setzen. Es schien danach nur stichhaltig, die Prozesse des Kulturgutschutzes zu untersuchen, die sich zwischen den beiden Maßnahmen 1870 und 1940 ereignet haben, und vor allem die Auslagerungslisten und sich darin womöglich abzeichnenden Entwicklungen. Diese noch laufenden Forschungen fanden teilweise im Rahmen einer Post-Doc-Stelle am Labex Création, Art, Patrimoine des PRES heSam, am Institut National d’Histoire de l’Art von November 2012 bis August 2013 statt. Vgl. Arnaud Bertinet, La politique artistique du Second Empire  : l’institution muséale sous Napoléon III., Univ.-Diss., betreut von Dominique Poulot, Université de Paris I Panthéon-Sorbonne), 2011 u. ders., L’Histoire mouvementée d’un musée de province  : les musées de Metz de 1918 à 1957, unveröffentlichte Masterarbeit, betreut von Prof. Gérard Monnier, Université Paris I Panthéon-Sorbonne, 1999. 2 Als Beispiel ließe sich der folgende Artikel Ernst Steinmanns anführen  : „Die Zerstörung der Königsdenkmäler in Paris“, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft, 10. Jg. 10–12/1917, 337–379. 3 Ebd. 4 Anonym, Kladderadatsch, Nr. 40, vom 4.10.1914. 5 Archives des Musées nationaux, Z2, Administration 1792–1964, tous départements, 1914–1918, Protection des œuvres d’art (nachfolgend „AMN, Z2“), dossier VI, Brief von Le Prieur an Paul Jamot vom 9.9.1914. „le précédent [de l’évacuation] de 1870 singulièrement éloquent à cet égard“. 6 Joseph-Henri Ussel (Hrsg.)  : Barbet de Jouy, „Barbet de Jouy, Henri, Son journal pendant la Commune“, in  : La revue hebdomadaire, Bd. 10, 9/1898, 178–204, hier 182. 7 Arnaud Bertinet, „From Model Museum to the Fear of the Uhlan. Museum Relations between France and Germany during the Second Empire“, in  : Andrea Meyer u. Bénédicte Savoy (Hrsg.), The Museum is Open. Towards a transnational History of Museums 1750–1940, Berlin 2014, 117–129. 8 AMN, Z2, dossier IV, Bericht des Kultusministers vom 30.11.1917 und Zeichnung der Verstärkungen der Saaldecken des Louvre. 9 AMN, T2 (D), 1910 janvier–novembre, Überschwemmung durch ein Hochwasser der Seine. Bericht u. empfohlene Maßnahmen. 10 AMN, *1BB38, Sitzungsprotokoll des Museumskuratoriums vom 24.8.1914. 11 Bénédicte Savoy, Patrimoine annexé, Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800, Paris 2003, 305–307. 12 Zu den Nachwirkungen der Zerstörung Löwens, vgl. Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi  ? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel 2006, 42f. 13 Kott 2006, 48. 14 AMN, Z2, dossier VI, Konzept eines Briefes von Marcel an Dalimier vom 27.8.1914 mit der Bitte um Bestätigung der mündlichen Evakuationsorder. 15 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Dalimier an Marcel vom 28.8.1914. 16 Diese Anhänger tragen die Nummern 44, 49, 51, 143, 153 u. 177. 17 AMN, Z2, dossier VI, Notiz für den Service des réquisitions vom 6.9.1914. 18 AMN, Z2, dossier IV, Ridder zugeschriebene Fotografie der Evakuierung der Säle vom September 1914. 19 Die vom Fotografen Louis Vavasseur entwickelte Serie besteht aus 28 Fotografien, die den Ablauf der Evakuierung zeigen, AMN, Z2, dossier I. 20 AMN, Z2, dossier I, Brief von Héron de Villefosse an Marcel vom 7.10.1914. 21 AMN, Z2, dossier I, Liste der ausgelagerten Werke. 22 AMN, Z2, dossier I, Fotografie der Nike von Samothrake in ihrer Schutzverkleidung von André de Ridder.

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23 AMN, Z2, dossier I, Liste der ausgelagerten Werke. 24 Paul Jamot (1863–1939) wurde nach dem Krieg Kustode der Gemäldesammlung des Louvre und schließlich Direktor des Reimser Museums. 25 AMN, Z2, dossier VI, Konzept eines Briefes von Marcel an Dalimier vom 31.8.1914, in dem Jamot mit der Begleitung des Auslagerungs-Konvois beauftragt wird. 26 AMN, Z2, dossier VI, Briefentwurf Jamots an das Kultusministerium vom 6.10.1918. „en vrac, simplement enveloppés dans du papier dans les voitures capitonnés de déménagement“. 27 Wie Anm. 24. 28 AMN, Z2, dossier VI, Telegramm Jamots an Marcel vom 3.9.1914. 29 Ebd. „isolement, sécurité, aération“. 30 AMN, Z2, dossier VI, Brief Jamots an Marcel vom 4.9.1914. 31 AMN, Z2, dossier I. 32 Die Gemälde werden im Musée d’Orsay und im Louvre unter den Inventarnummern RF1977-198, RF1941-13, RF1941-14, RF1941-15, RF1941-16 u. INV20444 geführt. 33 AMN, Z2, dossier I, Anweisungen für die Jakobinerkirche, September 1915. 34 AMN, Z2, dossier VI, Umschlag mit den Passwörtern für den September 1915. 35 AMN, Z2, dossier VI, Unterverzeichnis betreffend den Besuch des Ministers und mit Briefen Jamots an Leprieur, 21.6.–2.7.1915. 36 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 21.6.1915. „séance pénible“. 37 Ebd. „des personnes qu’il n’a pas nommées (peintres, amateurs d’art, critiques) lui ont suggéré des craintes sur notre précieux dépôt, particulièrement au sujet des tableaux roulés […]“. 38 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 26.6.1915. „pourquoi les tableaux en caisse souffriraient-ils plus qu’ils ne l’ont fait en 1870, sous le climat humide de Brest, pendant plus d’un an  ?“ 39 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 22.6.1915. 40 AMN, Z2, dossier I, Auflistung der Wägen und Kisten in der Jakobinerkirche 1915–18, neue Aufteilung der nach Toulouse verbrachten Kunstwerke auf die Wägen (nach den im August u. September 1915 vorgenommenen Arbeiten). 41 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 22.7.1915. „venant elle-même à Toulouse pour organiser le travail“. 42 AMN, Z2, dossier VI, Briefentwurf Jamots an das Kultusministerium vom 6.10.1918. 43 AMN, Z2, dossier VI, Bericht Leprieurs an den Kultusminister Sarraut vom 26.9.1915. „ont été par cette mesure rectificatrice placés dans des conditions de sécurité absolue“. 44 Ebd. „La totalité de notre précieux envoi de peintures est donc actuellement autant qu’on puisse l’affirmer dans la mesure de la prévoyance la plus minutieuse, à l’abri de tout danger.“ 45 AMN, Z2, dossier VI, Bericht von Jamot an Marcel vom 7.11.1915. 46 AMN, Z2, dossier I, Auflistung der Wägen und Kisten in der Jakobinerkirche 1915–1918, Entwürfe der neuen Aufteilung der nach Toulouse verbrachten Kunstwerke auf die Wägen (nach den im August u. September 1915 vorgenommenen Arbeiten). 47 Wie Anm. 23. 48 Wie Anm. 39. 49 Christiane Aulanier u. Maurice Denis, Donation Paul Jamot, Paris 1941, V. „vénérait comme un exemple unique d’humanité supérieure“. 50 Ebd., „Le poète qui donne au plus banal motif, je ne sais quel mystère et de la grandeur.“

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51 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 2.7.1915. „pour le placement définitif des caisses nouvelles“. 52 Der regelmäßige Briefverkehr Paul Jamots mit dem Louvre über vier Jahre hinweg erlaubt Einblicke in den Alltag des Depots in der Jakobinerkirche. Eine vollständige Aufarbeitung der Korrespondenz könnte in Zukunft weitere Wege zum Verständnis der Bewegungen eröffnen. Wie Anm. 42. „utiliser au plus juste toute la place disponible [et] y faire tenir avec les caisses anciennes la totalité des caisses nouvelles“. 53 AMN, Z2, dossier VI, Kopie einer Notiz von Pol Neuveux an den Kultusminister vom 7.7.1918. 54 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Paul Jamot an den Kultusminister vom 21.8.1918. 55 AMN, Z2, dossier VI, Kopie eines Briefes von Paul Jamot an Henri Marcel vom 2.9.1918. 56 AMN, Z2, dossier VI, Abschrift eines Berichts von Paul Jamot an den Kultusminister vom 11.11.1918. 57 Ebd. „il ne faut d’ailleurs pas regretter la longue et minutieuse besogne que nous venons d’accomplir. En plus du soulagement qu’elle nous procure, elle a été utile […]. Elle met nos tableaux en état d’attendre sans péril l’heure du retour. Qu’il me soit permis de croire que cette heure n’est plus très éloignée  !“ 58 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Marcel vom 31.1.1916. 59 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Damilier an Marcel vom 27.12.1915. „M. Jamot à se mettre en rapport avec M. Ellen-Prévot“. 60 AMN, Z2, dossier, dossier VI, Brief von Dalimier an Marcel vom 17.1.1916. „l’exposition en question [ayant] été décidée par le Président du Conseil“. 61 AMN, Z2, dossier, dossier VI, Brief von Jamot an Marcel vom 20.1.1916. „besogne qui est contre [sa] conscience“. 62 Ebd., „pieds et poings liés, au bon plaisir de la municipalité toulousaine“. 63 AMN, Z2, dossier, dossier VI, [o. D.], handschriftliche Notiz von Marcel. 64 AMN, Z2, dossier, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 25.1.1916. 65 AMN, Z2, dossier, dossier VI, Brief von Leprieur an Marcel vom 7.2.1916. 66 AMN, Z2, dossier, dossier VI, Brief von Leprieur an Jamot vom 24.3.1916. 67 AMN, Z2, dossier, dossier VI, Brief von Leprieur an Jamot vom 6.2.1916. 68 Vgl. vor allem den Artikel von Henry Lapauze in der Zeitschrift La Renaissance politique, littéraire et artistique, der den anfänglichen Widerstand der Konservatoren des Louvre 1914 gegen die Auslagerungen belegt. Henry Lapauze, „Comment les chefs-d’œuvre du Louvre partirent pour Toulouse“, in  : La Renaissance politique, littéraire et artistique vom 19.2.1916. 69 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 28.4.1916. 70 AMN, Z2, dossier VI, Brief von Jamot an Leprieur vom 5.7.1916. „Leur vie latente se continue dans le calme et l’ombre capitonnée.“ 71 AMN, Z2, dossier VIII, Anordnung der Auslagerung der Sammlungen durch den Kultusminister an den Direktor der Nationalmuseen vom 31.1.1918. 72 AMN, Z2, dossier VI, Abschrift eines Berichts von Paul Jamot an den Kultusminister vom 11.11.1918. 73 AMN, Z2, dossier VI, Notiz von Henri Marcel an Paul Leprieur vom 1.2.1918. „dont il semble inutile d’ordonner le transfert en province“. 74 Zu diesem Anlass werden 1077 Zeichnungen in fünf Kisten nach Toulouse gebracht. Wie Anm. 71. 75 AMN, Z2, dossier VI, Entwurf eines Berichts von Henry de Chennevières an den Kultusminister vom 18.7.1918. 76 Ebd. 77 AMN, Z2, dossier III, Brief von Marcel an Madame Zola vom 8.1.1919.

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78 AMN, Z2, dossier II, Korrespondenz der Direktion der Nationalmuseen mit der Familie Carpeaux, Mai 1918. 79 AMN, Z2, dossier III, Telegramm von Jamot vom 22.12.1918, das den Aufbruch des die Kunstwerke zurückbringenden Konvois ankündigt. 80 Dominique Poulot, Patrimoine et musées. L’institution de la culture, Paris 2007, 141. 81 AMN, R1, Organisation  : plans d’évacuation, premiers projets, dossier 10, Planungen zu Schutz- u. Auslagerungsmaßnahmen von Kunstwerken (geheim) vom 4.2.1930.

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Elena Franchi

„KE I N E Z E IT FÜ R I N V E NTA R E “ Der Erste Weltkrieg und der Museumsschutz in Norditalien

Liebster Vater, ich habe Deine Postkarte erhalten, und den langen Brief von Mutter, ich danke Euch […]. Seit gestern ist die Spedition der Kunstobjekte aus dem Museum abgeschlossen, aber auch der Abtransport aus anderen Einrichtungen, die uns ihre Kunstschätze anvertraut haben, um sie an einen sicheren Ort bringen zu lassen  ; dazu gehört auch die Scuola di San Rocco […]. Man kann keine detaillierte Liste, Kiste für Kiste, anlegen, nicht einmal für die Objekte des Museums haben wir eine solche aufgestellt. In diesen Tagen ängstlichen Bangens, in denen die ersten Vorbereitungen zur Auslagerung getroffen werden mussten, galt es, keine Minute zu verlieren  ; und alles reduzierte sich auf die Rettung der Kunstwerke, auch wenn es nicht möglich war, mit Hilfe des Inventars zu überprüfen, was genau in die einzelnen Kisten gepackt wurde. […] In diesen stürmischen Augenblicken muss man leider alle gewohnten Kriterien exakter Buchhaltung vergessen, ein altbewährter Genuss normaler Zeiten  ! Auf dass sich nur die Kunstschätze der Scuola retten mögen, alles Übrige ist nicht von Bedeutung.1

Mit diesen Worten schilderte am 1. Dezember 1917 Mario Brunetti, zukünftiger Direktor des Museo Correr in Venedig, seinem Vater Marino Brunetti, Kanzler der Scuola Grande di San Rocco, das frenetische Handeln, um die letzten, noch in der Stadt verbliebenen Kunstwerke zu retten. Wenige Monate waren seit der italienischen Niederlage von Caporetto am 24. Oktober 1917 vergangen, und viele norditalienische Städte, darunter auch Venedig, waren dem Risiko einer Invasion durch die Truppen der Mittelmächte ausgesetzt. Es erwies sich als hoffnungslos, auf irgendeinen Schutz in situ zu vertrauen, um die heimischen Kunstschätze zu retten. Man musste vielmehr zur schnellstmöglichen Auslagerung der Kunstwerke schreiten, um sie südlich des Apennins zu deponieren, so wie es bereits 1915 aus Anlass des Eintritts Italiens in den Krieg geschehen war.

Kriegsvorbereitungen Das Problem des Schutzes italienischer Kunstwerke hatte sich schon ab 1914 gestellt, denn bei der Bombardierung der Kathedrale von Reims hatte sich gezeigt, dass die neuen Kriegshandlungen keinesfalls die bewohnten Stadtkerne und deren Kunstschätze aussparen würden. Am Vorabend des Kriegseintritts von Italien erließ die Generaldirektion für Altertümer und Schöne Künste des Erziehungsministeriums (Direzione Generale Antichità e Belle Arti del Museumsschutz in Norditalien  

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Ministero della Pubblica Istruzione) die ersten Richtlinien zum Schutz der Kunstgüter in den im Grenzgebiet liegenden norditalienischen Regionen. Die Pläne, die vorbeugende Maßnahmen zum Schutz der Kunstgüter betrafen, sollten aber im Laufe der Jahre erheblichen, dem Kriegsverlauf entsprechenden Änderungen ausgesetzt sein. Die Lage in Venedig und in Venetien gab Anlass zu großer Besorgnis. Am 25. März 1915 wandte sich der Generaldirektor für Altertümer und Schöne Künste, Corrado Ricci, an den leitenden Konservator der venezianischen Museen (soprintendente alle Gallerie di Venezia) Gino Fogolari, um den Abtransport der wichtigsten Kunstwerke und deren Auslagerung südlich des Apennins zu beschleunigen  : „[…] der Meisterwerke, NUR DER MEISTERWERKE […] ich wiederhole noch einmal, nur der Meisterwerke […]  ; um Gottes Willen, sorgen Sie sich nicht um Zweitrangiges.“2 Um die Bevölkerung nicht zu alarmieren, schlug Ricci vor, die Transporte nachts vorzunehmen und bekanntzugeben, die Museen beabsichtigten, vom Ausbleiben der Besucher zu profitieren, um unaufschiebbare Arbeiten zu erledigen. Am darauffolgenden Tag erschien der Abtransport allerdings nicht mehr so dringlich. Die Hauptsorge der Regierung bestand vielmehr darin, Beunruhigung in der Bevölkerung zu vermeiden und keinen Verdacht beim Feind zu wecken. Der soprintendente der Museen sollte aber weiterhin heimlich alles zur Evakuierung der Kunstwerke Notwendige veranlassen  : „Verhalten Sie sich also dementsprechend, besonders was die Geheimhaltung angeht, die in erster Linie als Patriotismus zu bewerten ist.“3 Was die Kunstwerke in den Provinzstädten betraf, galt die Empfehlung, ausschließlich „Objekte ersten Ranges“ in Sicherheit zu bringen, und zwar, dreimal unterstrichen, „wenige, wenige, wenige“.4 In dieser ersten Auslagerungsphase erfolgten kontroverse Anordnungen. Am 27. März wandte sich Ricci noch einmal an Fogolari  : Wundern Sie sich nicht, wenn auf Anordnungen Gegenmaßnahmen folgen. Jetzt hat das Ministerium doch tatsächlich verordnet, dass nichts bewegt wird  ! Ich kann nicht beurteilen, ob dies einem diplomatischen Kalkül entspricht oder der Furcht vor politischen und zivilen Folgen eines Alarms. Ich jedenfalls werde gehorchen, aber ich ersuche Sie, weiterhin mit äußerster Aufmerksamkeit ein Auge auf das zu richten, was man im Notfall tun kann.5

Im April 1915 begannen heimlich die ersten Auslagerungen von Kunstwerken aus Museen und venezianischen Kirchen (Abb. 1). Die Gemälde wurden mit dem Zug nach Florenz geschafft, in „sehr schnellen Speditionen“, und dort in den Räumen des Cenacolo di San Salvi gelagert  ; der Saal mit dem Abendmahl des Andrea del Sarto wurde mit einbezogen. Die Kunstwerke aus den Mailänder Museen wurden hingegen vor Ort gesichert, um das Risiko einer langen Reise zu vermeiden.6 Der Große Krieg brachte sehr schnell die schwierigen Beziehungen zwischen dem italienischen Staat und den örtlichen Verwaltungen ans Licht. Öffentliche Anstalten, Lokalbehörden und die Kirchen wehrten sich gegen eine Übergabe ihrer Kunstgüter an den Staat, auch wenn es sich um eine Schutzmaßnahme handelte. Zu tief war noch die Angst verwurzelt vor dem, was während der sogenannten soppressioni ottocentesche 7 1866/67 geschehen war, als der eben vereinigte Staat Güter für seine Museen und Bibliotheken einkassiert hatte, die Eigentum der 178  I  Elena Franchi

Abb. 1: Decke der Sala dello Scrutinio nach Abnahme der Gemälde, Dogenpalast, Venedig 1915

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Kirche und wohltätiger Vereine waren. Und lebhaft war noch die Erinnerung an Napoleon, der Ordensgemeinschaften aufgelöst und Kirchen und Klöster demontiert hatte, um seine öffentlichen Sammlungen in Frankreich zu bereichern. Die Scuola Grande di San Rocco in Venedig weigerte sich, die großen Leinwände (Teleri) des Tintoretto abzunehmen, um sie dem staatlichen Amt für Denkmalpflege in Venedig (Außenorgan des Ministeriums) zu übergeben, und sprach sich kategorisch gegen jeglichen Abtransport dieser Gemälde aus. Um aber die entsprechenden Schutzmaßnahmen treffen zu können, war das Amt für Denkmalpflege gezwungen, das am 20. Juni 1909 in Kraft getretene Gesetz Nr. 364 anzuwenden  : Es autorisierte das Ministerium, und demzufolge die Ämter für Denkmalpflege, im Falle der Dringlichkeit und Notwendigkeit Kunstwerke in ihre Obhut zu nehmen, die Eigentum der Kirchen, Regionen und Gemeinden waren. Was nun die Werke sowohl in den Kirchen, in der Scuola Grande di San Rocco und in religiösen Anstalten betraf, kam es schließlich zu einem Kompromiss  : Die Kunstwerke sollten nicht direkt dem Staat, sondern den Gemeindebehörden übergeben werden, die sie ihrerseits dem Schutz des Staates anvertrauen würden – unter Garantie der Zurückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer, sobald die Notlage vorbei sei. Es ergaben sich jedoch noch andere Hindernisse, die einen Schutz der Kunstwerke erschwerten. Den Löwen von der Säule auf der Piazzetta San Marco zu demontieren, hätte als Signal der Entmutigung und des Defätismus gewertet werden können. Und der leitende Konservator der Baudenkmäler in Venedig (soprintendente ai Monumenti di Venezia) Massimiliano Ongaro war selbst ein Gegner einer solchen Kampagne  : „Da der Löwe von San Marco ein Symbol ist, muss zumindest eine Flagge den Ereignissen trotzen.“8 Am 24. Mai 1915 trat Italien in den Krieg ein und bereits nach wenigen Stunden erlitt Venedig einen österreichischen Luftangriff. Am gleichen Tag traf in der Lagunenstadt Ugo Ojetti ein, Unterleutnant der 3. Pioniertruppe, die dem Pionierkommando von Bologna unterstellt war, Kunstkritiker und Spitzenjournalist des Corriere della Sera. Er war beauftragt, die Operationen zur Verteidigung der Kunstgüter zu koordinieren, und sah sich in der schwierigen Rolle des Vermittlers zwischen Kriegsministerium, Generaldirektion für Altertümer und Schöne Künste des Erziehungsministeriums und den lokalen Ämtern für Denkmalpflege. Während des Ersten Weltkrieges kam dem Heer eine bedeutende Rolle in der Verteidigung der italienischen Kunstgüter zu, aber die bürokratische Prozedur zur Bewilligung der Rettungspläne erwies sich als extrem umständlich. Ongaro klagte beim Ministerium darüber, dass den Militärbehörden die Genehmigung der Arbeiten oblag, die zuvor jedoch vom Erziehungsministerium geprüft werden mussten, unter Anhörung der Provinzkommission. Nach Zustimmung der Pionierkommandos ging die Akte zurück ans Ministerium, die diese wiederum zur Ausführung an das Amt für Denkmalpflege weiterleitete.9 1915 wurden etwa zweihundert Meisterwerke aus den Galerien der Akademie (in Venedig) nach Florenz verschickt. Fürst Giovanelli trug die Transportkosten, auch um die wichtigsten Kunstwerke seiner eigenen Sammlung, darunter das berühmte Gewitter (La Tempesta) des Giorgione, in Sicherheit zu bringen. Die italienischen Museen sahen sich nun mit zwei gegensätzlichen Problemen konfrontiert  : Viele Regionalmuseen im Norden waren gezwungen, 180  I  Elena Franchi

ihre Werke zu evakuieren, während andere sich darauf einstellen mussten, diese aufzunehmen. In Venedig selbst stellte die Internationale Galerie für Moderne Kunst im Pesaro-Palast, der übrigens auch Malerateliers beherbergte, einige Säle zur Verfügung für die Kunstwerke aus venezianischen Kirchen, die nicht den Weg nach Florenz genommen hatten.

Bombardierungen und neue Pläne Der Kriegsverlauf erforderte neue Defensivmaßnahmen. Am 15. Mai 1916 begann die sogenannte Strafexpedition mit einem umwerfenden österreichisch-ungarischen Erfolg, und noch am gleichen Tag wurde Venedig erneut angegriffen. Am Abend schlug eine Bombe unmittelbar neben dem Dogenpalast ein, die Fenster des Archäologischen Museums zersprangen dabei in Scherben. Die Säle des Museums waren schon leer geräumt, in fast allen Räumlichkeiten waren Feuerlöscher installiert und Sandbarrieren angehäuft worden. Am 9. August 1916 drangen italienische Truppen in das bis dahin zu Österreich-Ungarn gehörende Görz (Gorizia) ein. Eine Bombe verursachte noch am gleichen Abend den Dachbrand der Kirche Santa Maria Formosa. Es entstanden schwere Schäden, fast als Bestätigung der Drohung, die sich durch die Worte der Gefangenen in der Stadt verbreitet hatte  : „Fällt Görz, wird Venedig zerstört.“10 Als dann am 4. September eine Bombe wenige Meter von der Markusbasilika entfernt einschlug, gaben die Venezianer ihren Widerstand gegen die geplanten Schutzmaßnahmen auf. Die vermehrten Bombenangriffe auf Venedig machten deutlich, dass die Stadt den Kunstwerken keine Sicherheit mehr bieten konnte. Wegen ihres Gewichtes und ihrer Ausmaße stellten einige Objekte jedoch ein auf den ersten Blick unüberwindliches Transportproblem dar. Die Sicherheit des großen Gemäldes Mariä Himmelfahrt (Assunta) von Tizian, das in den Gallerie dell’Accademia in Venedig aufbewahrt wurde, hatte außergewöhnliche Arbeiten an Ort und Stelle erfordert. 1915 war das Bild beidseitig gefüttert worden  ; eingelassen in ein Eisengerüst wurde es dann mittels einer Winde auf den Boden herabgelassen, auf Rollen in einen tonnengewölbten Raum abtransportiert – dabei wurden einige Mauerstücke beschädigt – und dort mit neunhundert Säcken Sand aus den Ziegeleien von der Insel Murano zugedeckt.11 Ursprünglich für den Hochaltar in Santa Maria Gloriosa dei Frari bestimmt, wo es 1518 aufgehängt worden war, wurde Tizians monumentales Gemälde unter napoleonischer Herrschaft in die Accademia di Belle Arti überführt. Diese 1807 gegründete Einrichtung war, wie auch die Pinakothek Brera in Mailand und die Akademie der Schönen Künste in Bologna, ein Museum politischen Ursprungs, dem eine erzieherische Aufgabe zugesprochen wurde. Die venezianische Sammlung konzentrierte sich vorrangig auf die Kunst Venetiens, während die Pinakothek Brera, um den Repräsentationsansprüchen Mailands als Hauptstadt des Königsreichs gerecht zu werden, ein vollständiges Panorama italienischer Kunst anbieten sollte. Mit der Entschuldigung, dass einige Kunstwerke nicht transportfähig seien, da sie entweder gerade restauriert worden waren oder sich in einem prekären Zustand befanden, konnte deren Entfernung aus Venedig verhindert werden. Den Gallerie dell’Accademia in Venedig gelang es Museumsschutz in Norditalien  

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somit, sich das Meisterwerk Tizians zu sichern, das, wie einige Zeitzeugen berichten, vergessen an einem wenig beleuchteten Platz in der Frarikirche hing, unberührt von Schmutz und Schmauch der Kerzen und des Weihrauchs.12 1916 erschien der erste Zufluchtsort der Assunta jedoch nicht mehr sicher  : Die Schutzschichten wurden demontiert und die Tafel in einem anderen Raum der Accademia untergebracht. Aber selbst die neuen Maßnahmen konnten keine Sicherheit garantieren, und so musste schließlich auch dieses bedeutende Bild fortgeschafft werden. Unter dem Geleitschutz des Lagunari-Bataillons des 4. Regiments der technischen Brückentruppen begann die Assunta am 12. März 1917 ihre Flussreise den Po abwärts Richtung Cremona, wo sie am darauffolgenden Tag eintraf und im Museo Civico „Ala Ponzone“ gelagert wurde. Die Nachricht vom Transport hatte sich schnell verbreitet, die Menschen längs der Ufer des Po beobachteten das Vorbeigleiten der Kiste, die das wundertätige Madonnenbild enthielt, und viele Frauen knieten nieder, um zu beten. Im April verließen die Objekte des Archäologischen Museums Venedig in Richtung Florenz. Der soprintendente der Florentiner Museen, Giovanni Poggi, hatte Sicherungsarbeiten im Cenacolo di San Salvi und im Bargello-Museum vornehmen lassen, um den dort zu lagernden Werken besseren Schutz zu gewährleisten  ; darüber hinaus hatte er einige Erdgeschossräume im Palazzo Pitti und mehrere Magazine im Staatsarchiv zur Verfügung gestellt, die venezianische Objekte und Dokumente aufnehmen sollten. Zu Kriegsende sollte sich Florenz wiederfinden als Gastgeber von Kunstwerken aus zahlreichen venezianischen Kirchen und Museen (Gallerie dell’Accademia, Museo Correr, Scuola Grande di San Rocco, Archäologisches Museum, Galleria Querini Stampalia, Museum auf Murano, Sammlung Franchetti) sowie aus den öffentlichen Sammlungen von Verona, Padua und Bassano del Grappa. Auch die Lombardei ließ hektisch ihre Kunstwerke wegschaffen, doch die Lokalbehörden waren zutiefst betroffen von dem Exodus ihrer Kunstobjekte. Nach neuen Anordnungen des Obersten Heerkommandos erließ das Erziehungsministerium den Befehl, die Verlagerung der Kunstwerke aus den Grenzorten auszusetzen. Eine österreichisch-deutsche Offensive durchbrach am 24. Oktober 1917 die Grenzlinie bei Caporetto und fiel der italienischen Formation in den Rücken. Nach dem chaotischen Rückzug der italienischen Truppen war es erforderlich, alle Kunstwerke aus der Frontlinie zu entfernen. Venedig war in Gefahr, und die Flucht der Bevölkerung war in vollem Gange. Den Staatsbeamten, unter ihnen auch die Funktionäre und Angestellten des Amtes für Denkmalpflege, wurde hingegen angeordnet, in ihren Dienstgebäuden zu bleiben und diese nicht ohne Erlaubnis der Militärbehörden zu verlassen  ; bei Nichtbefolgung erfolge eine Haftstrafe im Militärgefängnis. Es war schwierig, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, und es war noch schwieriger sich vorzustellen, im Falle der Besetzung durch den Feind in der Stadt verharren zu müssen. Der soprintendente der Baudenkmäler Venedigs, Massimiliano Ongaro, hat dieses Gefühl dem Ministerium wie folgt beschrieben  : Dass die Regierung uns zu jeglicher, auch gefährlicher Arbeit zwingt, uns hinausschickt, ein Kunstwerk oder ein Baudenkmal zu retten, auch unter Feueralarm, ist einzusehen, ist richtig,

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und niemand, es sei denn, er ist feige, darf sich verweigern. Aber dass sie uns zwingt, dem Feind zu dienen  ! Man kann sich kaum etwas Entwürdigenderes vorstellen.13

Die italienischen Zivil- und Militärbehörden mussten nun entscheiden, ob im Falle eines weiteren Rückzugs der Front Venedig geräumt oder um jeden Preis verteidigt werden sollte. Würde es zur Besetzung der Stadt kommen, hatte das Ministerium bestimmt, dass das Amt für Denkmalpflege in eine andere, in ihrem Zuständigkeitsbereich liegende Ortschaft umziehen sollte  ; in der Provinzhauptstadt sollte eine Amtsvertretung bleiben, bestehend aus Angestellten, deren Anwesenheit sich als für „den Besatzer erträglich“ erweise.14 Dies galt bestimmt nicht für den soprintendente Gino Fogolari, Sohn eines gebürtigen Roveretano – also ein österreichischer Untertan –, der die italienische Staatsangehörigkeit beantragt hatte und Vetter von Cesare Battisti war, ein bekannter Kämpfer für den Verbund des Trentino mit Italien. In diesem Klima wickelte sich nun die fieberhafte Auslagerung der Kunstwerke ab, die noch in Venetien geblieben waren, so wie es der Brief Mario Brunettis an seinen Vater beschreibt. Die Bombardierungen trafen auch die Gipssammlung des Museo Canova in Possagno, wo viele Objekte beschädigt oder zerstört wurden. Ugo Ojetti und das italienische Militär versuchten, so viel wie möglich zu retten.15 Angelehnt an die bei Banken üblichen Verfahren bei Werttransporten, wurden ab November 1917 weitere Kunstwerke aus Museen und Kirchen Venetiens nach Florenz geschafft, wo sie in den Gewölben der Medici-Kapelle gelagert wurden. Florenz war überfüllt von Kunstwerken. Andere kostbare Objekte hingegen, darunter auch die sogenannte Pala d’Oro aus dem Kunstschatz von San Marco in Venedig, wurden in Rom deponiert. Nach der Niederlage von Caporetto war auch die Lombardei großen Risiken ausgesetzt. Von Februar bis Juli 1918 nahm Rom nun auch Kunstwerke aus Mailänder Museen und Privatsammlungen sowie aus anderen Städten der Region auf. Die Werke aus der Pinakothek Brera wurden im Palazzo Venezia gelagert, Gläser und Porzellan aus dem Museo Poldi Pezzoli fanden Zuflucht in den Kellern der Galleria Borghese  ; kostbare Objekte aus der Ambrosiana wurden in der Vatikanstadt untergebracht und standen so unter dem Schutz des Heiligen Stuhls. Auch Cremona war nicht mehr sicher. Am 21. Dezember 1917, soeben aus Venedig eingetroffen, wurde die Pferdequadriga von der Markusbasilika zusammen mit weiteren venezianischen Kunstwerken sofort im Zug nach Rom weitertransportiert und in den Kellergewölben des Castel Sant’Angelo beherbergt. Am Ende des Krieges wurde am 2. Januar 1919 eine kleine Ausstellung zu Ehren des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson organisiert. Die Bronzepferde verließen also Castel Sant’Angelo, um im Palazzo Venezia gezeigt zu werden, in Gesellschaft des Reiterstandbilds des Bartolomeo Colleoni von Verrocchio, ein weiteres Fluchtopfer aus Venedig, und des Reiterdenkmal des Gattamelata von Donatello, das aus Padua gerettet worden war. In den Zeitungen las man, dass der Palazzo Venezia sich in den denkbar schönsten Reitstall verwandelt habe. Um nicht sämtliche Kunstwerke in Florenz und Rom anzusammeln, entschied das Erziehungsministerium, weitere Stücke aus norditalienischen Städten nach Pisa auszulagern. Dazu gehörten auch die Bronzebrunnen aus dem Innenhof des Dogenpalastes in Venedig. Und Museumsschutz in Norditalien  

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Abb. 2: Die Assunta des Tizian und andere Kunstwerke aus Norditalien bei ihrer Ankunft am Bahnhof von Pisa, 1918

im März 1918 erreichte Pisa nun auch die Assunta des Tizian, die – aus Cremona kommend – auf einer flachen, tiefliegenden Lagefläche mit einem Eisenbahnwaggon transportiert wurde, den man speziell entwickelt hatte und der bereits auf die Probe gestellt worden war, um die schweren abgenommenen Fresken des Tommaso da Modena mit Szenen aus dem Leben der Heiligen Ursula aus dem Museo Civico in Treviso ebenfalls nach Pisa zu schaffen (Abb. 2). Der Großteil der Werke wurde im Palazzo Reale in Pisa (heute Sitz des Amtes für Denkmalpflege) deponiert, den das Königshaus zur Verfügung gestellt hatte. Pisa bot zahlreichen Kunstobjekten Zuflucht  : aus dem Museo Civico, dem Archäologischen Museum und dem Museum der Universität in Padua  ; aus Kirchen und Museen in Possagno, Treviso und Mantua  ; aus dem Dogenpalast, dem Museo Correr, dem Archäologischen Museum, der Accademia, der Sammlung der griechischen Gemeinde, den Privatsammlungen Franchetti und Giovanelli in Venedig und natürlich auch aus den Kirchen der Lagunenstadt. Der Krieg endete am 4. November 1918. Das Ministerium mahnte bei den Museen eine Liste der an den Bauten und an den Sammlungen entstandenen Schäden an, um die Höhe der Reparationsansprüche zu ermitteln, die in den Friedensverhandlungen angefordert werden konnten.16 Oft waren die Kunstwerke ein und desselben Museums auf verschiedene Städte verteilt  : Florenz, Rom und Pisa. Die Zurückerstattung dieser Werke an die jeweiligen Museen zog sich bis 1919 hin, denn zunächst mussten die Gebäude renoviert werden, bevor man die Sammlungen wieder dort unterbringen konnte. Deren momentane Auslagerung bot aber 184  I  Elena Franchi

auch Gelegenheit, die Bestände nach moderneren und rationaleren Kriterien neu zu ordnen oder diese an einem geeigneteren Ort unterzubringen. Das Museum Correr, das vorher im Fondaco dei Turchi am Canal Grande untergebracht gewesen war, sollte erst 1922 seine Türen wieder öffnen, und zwar an seinem neuen Sitz in der Ala Napoleonica und einem Teil der Neuen Prokuratien am Markusplatz.

Die Debatte um die Wiederaufstellung der Kunstwerke Die Rückkehr der Kunstwerke aus ihren Zufluchtsorten brachte auch die Frage nach der Unterbringung derjenigen Objekte auf, die nach den Enteignungen des 19. Jahrhunderts als heimatlos galten. Die Befürworter eines Verbleibs der Kunstwerke in den Museen unterstrichen die größere Sicherheit und den Schutz, die eine solche Struktur bieten konnte, zusammen mit einem hinsichtlich der Risiken von Diebstahl und Feuer geschulten Personal, und dies zu einem Zeitpunkt, wo gerade durch das „atemraubende Hochschnellen der Preise und die fiebrige Suche nach Kunstwerken“17 sich die Einbrüche in den Kirchen vermehrten. Darüber hinaus beklagten die Anhänger die geringe Kunstkenntnis der Geistlichen, die die Altäre mit geschmacklosen Dingen und künstlichen Blumen aus Papier und Stoff schmückten und die Bilder dem schädlichen Schmauch von Kerzen und Weihrauch aussetzten. Nicht zuletzt müsse man berücksichtigen, dass in den Museen die Kunstwerke in den Genuss weitaus besserer Lichtverhältnisse kamen, die dem Studium und der Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse durchaus förderlich war. Im Laufe des Ersten Weltkrieges hat es viele Anordnungen gegeben, um die Risiken von Kirchenbränden einzudämmen  : Die Pfarrer wurden dazu aufgefordert, die Holzbänke zu entfernen oder sie von den wichtigsten Kunstwerken abzurücken sowie auf Dekorationen zu verzichten. Die Befürworter der Wiederaufstellung der Werke am Originalort, unter ihnen auch Ugo Ojetti, stellten hingegen die Möglichkeit heraus, diese in der Umgebung bewundern zu können, für die sie konzipiert worden waren, und bekannten sich zu einem ihrer Meinung nach durchaus zunehmenden Kunstempfinden des Klerus, der die Objekte in Verwahrung hatte. Die Ursachen des Widerstandes lagen in den ungelösten Konflikten zwischen Staat und Kirche, der Gegenüberstellung der Erfordernisse von Kunst und Religion auf der einen und der Suche nach einer neuen Identität der staatlichen Museen auf der anderen Seite.18 Das Problem des Kunstverständnisses des Klerus spielte eine wichtige Rolle, wenn es um den Bestimmungsort und die Wiederaufstellung der Werke ging. Im Zuge der Neuordnung der Seminare, die einzigen Einrichtungen zur Ausbildung des Klerus, hatte Papst Pius X. 1907 in das vier Jahre dauernde Theologiestudium den Kurs „Archäologie und Sakralkunst“ eingeführt  ;19 gleichzeitig begann man mit der Publikation von kunstgeschichtlichen Handbüchern, die ausdrücklich für Seminaristen bestimmt waren. Das Unterrichtsfach Kunstgeschichte hielt am Ende des 19. Jahrhunderts seinen Einzug in die höheren Schulen Italiens, wenn auch zunächst auf experimenteller Ebene. Nach der Einheit Italiens war offensichtlich, dass die Museumsschutz in Norditalien  

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Kenntnis der Kunstgüter wie auch das Wissen um Sprache und Literatur dazu beitragen würden, das Nationalbewusstsein der Italiener zu formen  : Ihr Sinn für Ästhetik sollte verfeinert und ihre Einbeziehung in den Schutz der Kunstwerke gefördert werden. Auch die Priester, denen die Kirchenschätze anvertraut waren, sollten lernen, die Kunstobjekte zu erkennen und zu pflegen sowie Restaurierungen, neue Eingriffe und Aufträge zu beurteilen, ohne Gefahr zu laufen, diesen zu schaden, Kaufangeboten zum Spottpreis nachzugeben oder – getäuscht von durchtriebenen Antiquitätenhändlern – kostbare Stücke herzugeben im Tausch gegen moderne Objekten ohne Wert.20 Die Frage war auch von Adolfo Venturi aufgegriffen worden, auf dem X. Internationalen Kunsthistorikerkongress 1912 in Rom  : Nun da der junge Seminarist lernt, die Objekte zu respektieren, die er schützen soll, wird dies wirklich ein Ziel sein, das man erreichen sollte, weil wir sonst mit der kontinuierlichen Ausräumung, die überall in den Kirchen stattfindet, in einer Welt ohne Dinge leben  ; die Objekte werden stattdessen in Museen angehäuft, wir werden sie nicht mehr an den Orten vorfinden, wo ihnen hingegen echte Bedeutung zukam.21

Der am 19. Mai 1918 inkrafttretende Kodex kanonischen Rechts sollte dann die neuen Richt­ linien zur Sakralkunst in Bezug auf Kirchengebäude, Wahl der Kunstwerke und Kirchengeräte und deren Restaurierung, Zensur unpassender Bilder, Veräußerungen und Schutz vorgeben.22 Der Kodex verpflichtete die Verwalter der Kirchengüter, über den Erhaltungszustand der ihnen anvertrauten Objekte zu wachen  ; derjenige Pfarrer, der sich der Fahrlässigkeit schuldig mache, sei umgehend aus seinem Amt zu entlassen. Die Bewegung zugunsten der Rückkehr der Kunstwerke an ihren Ursprungsort war nicht nur auf Venedig beschränkt. In Florenz hatte der soprintendente der Museen, Giovanni Poggi, angeordnet, die Anbetung der Hirten des Domenico Ghirlandaio nach ihrer Auslagerung in der Galleria dell’Accademia wieder in der Cappella Sassetti in der Kirche Santa Trinita anzubringen. In Venedig hingegen konzentrierte sich die Diskussion auf die Wiederaufhängung der Assunta Tizians in der Frarikirche und der Altarbilder von Giovanni Bellini, Vittore Carpaccio und Marco Basaiti in der Pfarrkirche San Giobbe. Die erregte Debatte ging einher mit der Notwendigkeit, eine Unterbringung auch für die Werke zu finden, die nach den Forderungen Italiens aus Wien zurückgekehrt waren. Dabei handelte es sich nicht nur um die während des Krieges deportierten Objekte, sondern auch um diejenigen, die in der Zeit des Habsburger Reiches nach Österreich geschafft und deren Rückführung bereits in den Abkommen von 1866 und 1868 festgelegt worden war. In Venedig gründete der Ateneo Veneto eine Kommission, die sich in den Jahren 1918/19 mit dem Studium der Wiederaufstellung der Werke und einer Neuordnung der Museen beschäftigte. Der Abschlussbericht der Kommission hielt am Prinzip der Rückkehr an den ursprünglichen Aufstellungsort all der Kunstwerke fest, die dies erlaubten, die Aktion solle allerdings von Fall zu Fall entschieden und eine übertriebene Verarmung der Museen vermieden werden. Für die Assunta Tizians wurde eine Probezeit für die Aufhängung am Ursprungsort vorgeschlagen, in Erwartung einer definitiven Entscheidung.23 186  I  Elena Franchi

Abb. 3: Öffnung der Kiste mit der Assunta des Tizian, Santa Maria Gloriosa dei Frari, Venedig 1919

Auch der Gemeinderat von Venedig hatte sich für eine Wiederaufhängung der Assunta in der Frarikirche ausgesprochen. Gino Fogolari hatte sich damit abgefunden, das kostbare Bild für die Gallerie dell’Accademia zu verlieren, auch wenn es bereits Pläne gab, die eine neue Unterbringung in einem anderen Saal des Museums vorsahen  : „Wenn die Venezianer wirklich die Assunta in der Frarikirche hängen sehen wollen, wer wird sich ihrem Wunsch widersetzen  ?“24 Es blieb das Problem der Beleuchtung der Altartafel im Kirchenraum, das so schnell nicht gelöst werden sollte, denn noch am Ende des Zweiten Weltkrieges war das Amt für Denkmalpflege damit beschäftigt, eine künstliche Beleuchtung zu schaffen, die das Meisterwerk Tizians ins beste Licht rücken würde. Die Assunta war in die Frarikirche zurückgekehrt, der Kampf war gewonnen  ; den Kirchen war das Recht zugesprochen worden, wieder in den Besitz ihrer kirchlichen Gemälde zu gelangen, die nicht mehr nur als „isolierte Kunstwerke“25 anzusehen waren, sondern als gegenwärtige Bestandteile des liturgischen Lebens, vor denen die Gläubigen im Gebet niederknieten. Das monumentale Gemälde war am 10. Dezember 1919 nachts auf dem Bahnhof in Venedig eingetroffen  ; am nächsten Morgen wurde es ausgeladen, auf ein Boot (chiatta) gebracht und ans andere Ufer des Canal Grande geschifft. Mittags begann das mühsame Ziehen durch die engen Gassen und über eine improvisierte Holzbrücke bis zum Campo dei Frari. Längs des Zuges waren die Häuser mit Damasten und Fahnen geschmückt, während Frauen und Kinder „die Rückkehr eines geliebten, kostbaren Flüchtlings“ kommentierten und feierten.26 Museumsschutz in Norditalien  

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Abb. 4: Postkarte von Libero Franchi, 1377 Compagnia Mitragliatrici Fiat, an Sara Simi

Am späten Nachmittag kündigte das Glockengeläut den Einzug der Assunta in die Basilika an, nach jahrhundertlanger Abwesenheit (Abb. 3). In Erwartung der Entscheidungen des Obersten Rates für Altertümer und Schöne Künste wurde das große Bild probeweise in der Nähe des Hauptaltars aufgehängt. Diese provisorische Anbringung beunruhigte allerdings den soprintendente Ongaro, der sich am 28. Dezember an die Generaldirektion der Schönen Künste wandte und auf eine endgültige Aufhängung des wertvollen Gemäldes drängte.27 Am 20. März 1920 war es endlich soweit  : Gegen 11 Uhr morgens wurde die Assunta in ihrem Rahmen auf den Hauptaltar gestellt. Wie die lokale Gazzetta di Venezia berichtete, habe selbst Fogolari zugegeben, das Bild sei niemals so schön und so voller Licht erschienen. Nach einer Besichtigung der Frarikirche kam der Oberste Rat für Altertümer und Schöne Künste zu dem Schluss, dass das Meisterwerk Tizians an dem Ort, für den es geschaffen worden war, seine besondere Wirksamkeit entfalte – wie es dies zwar auch in der Accademia tat –, aber dass es gerade hier die wunderbare Harmonie seiner Proportionen zurückgewinne und schon von weitem die Besucher in seinen Bann schlüge.28 Niemand konnte ahnen, dass zwanzig Jahre später die Assunta und andere Werke erneut ihren Standort verlassen würden, um vor weiteren Risiken geschützt zu werden, den noch schlimmeren Gefahren des Zweiten Weltkrieges. In Italien, wo die Erinnerungen der Bevölkerung an den Zweiten Weltkrieg noch im ganzen Land verbreitet und lebendig sind, ist das Gedenken an den Ersten Weltkrieg fast ausschließlich in den Grenzregionen im Norden gegenwärtig. Die Feiern zum hundertsten Jahrestag des Ausbruchs des Großen Krieges lassen viele Italiener einen wichtigen Teil ihrer Geschichte wiederentdecken. Die Generation meiner Großeltern hat beide Weltkriege erlebt. 188  I  Elena Franchi

Im Ersten Weltkrieg hatte mein Großvater die Toskana verlassen, um im Carso-Gebirge in Norditalien zu kämpfen. Von der Front schrieb er seiner Verlobten, meiner Großmutter, die in der Toskana geblieben war (Abb. 4). Die Postkarten zeigen den Stempel der Zensur. Wenige Worte, in Erwartung der Antwort, „Schreib mir, ich warte“. Aber meine Großmutter wusste  : Die Küsse lagen unter den Briefmarken. Übersetzt von Martina Ingendaay

Anmerkungen * Mein Dank gilt Diana Ziliotto, Archiv der Soprintendenza del Polo Museale Veneziano, für ihre Hilfsbereitschaft und Ratschläge und der lieben Freundin und Kollegin Martina Ingendaay für die Übersetzung meines Textes ins Deutsche. 1 Archivio della Scuola Grande di San Rocco, Venezia (nachfolgend  : AScGrSR), Lavori varie, sec. XVIII–1921, b. 2, f. Dossier sulla remozione dei quadri della Scuola per i pericoli di bombardamenti aerei, 1.12.1917. 2 Archivio storico Soprintendenza Speciale per il Patrimonio storico, artistico ed etnoantropologico e polo museale della città di Venezia e dei comuni della Gronda lagunare (nachfolgend  : SSPSAE-VE), Oggetti d’arte 15. Provvedimenti di guerra (1915–1918), b. 1, f. 2. Carteggio privato del soprintendente, 25.3.1915. In der Aufregung des Augenblicks schrieb Ricci, die Kunstwerke sollten nördlich des Apennins ausgelagert werden, ein Fehler, den er am nächsten Tag korrigierte. 3 SSPSAE-VE, Oggetti d’arte 15. Provvedimenti di guerra (1915–1918), b. 1, f. 2. Carteggio privato del soprintendente, 26.3.1915. 4 SSPSAE-VE, Oggetti d’arte 15. Provvedimenti di guerra (1915–1918), b. 1, f. 2. Carteggio privato del soprintendente, 9.4.1915. 5 SSPSAE-VE, Oggetti d’arte 15. Provvedimenti di guerra (1915–1918), b. 1, f. 2. Carteggio privato del soprintendente, 27.3.1915. 6 Für ein ausführliches Bild vom Schicksal der venezianischen Kunstwerke im Ersten und Zweiten Weltkrieg wird verwiesen auf Elena Franchi, I viaggi dell’Assunta. La protezione del patrimonio artistico veneziano durante i conflitti mondiali, Pisa 2010, mit diesbezüglichen Literaturangaben  ; zur Lage in Mailand siehe auch Cecilia Ghibaudi, (Hrsg.), Brera e la guerra. La pinacoteca di Milano e le istituzioni museali milanesi durante il primo e il secondo conflitto mondiale, Mailand 2009, mit Bibliografie. 7 „Soppressioni ottocentesche“, oder auch „Eversione del patrimonio ecclesiastico“, d. h. die Abschaffung der religiösen Orden (1866) und die Konfiszierung aller kirchlichen Güter durch den italienischen Staat (1867). 8 Archivio Centrale dello Stato, Roma (nachfolgend  : ACS), MPI, DG AABBAA, Div. I, 1908–1924, b. 778, f. Piazza San Marco. Leone alato di piazzetta e pili, 9.7.1915. 9 ACS, MPI, DG AABBAA, Div. I, 1908–1924, b. 772, 14.12.1916. 10 Andrea Moschetti, I danni ai monumenti e alle opere d’arte delle Venezie nella guerra mondiale MCMXV–MCMXVIII, Venedig 1932, 57. 11 ACS, MPI, DG AABBAA, Div. I, 1908–1924, b. 771, f. Monumenti e opere d’arte. Gino Fogolari, Riassunto delle operazioni compiute per la difesa del patrimonio artistico, 20.2.1916. Museumsschutz in Norditalien  

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12 Giovanna Nepi Scirè, I capolavori dell’arte veneziana. Le Gallerie dell’Accademia, Venedig 1991  ; Antonio Sartori, Archivio Sartori. Documenti di storia e arte francescana, Padua 1986. 13 ACS, MPI, DG AABBAA, Div. I, 1908–1924, b. 772, 19.11.1917. 14 Archivio storico Soprintendenza per i Beni Architettonici e Paesaggistici di Venezia e Laguna (nachfolgend  : SBAP VE), Guerra I – A, b. B 10, 14.12.1917. 15 Um einen allgemeinen Überblick über das Kulturgut im Veneto während des Ersten Weltkrieges zu gewinnen, wird zusätzlich verwiesen auf Anna Maria Spiazzi, Chiara Rigoni u. Monica Pregnolato (Hrsg.), La memoria della Prima guerra mondiale  : il patrimonio storico-artistico tra tutela e valorizzazione, Vicenza 2008. 16 SSPSAE-VE, Oggetti d’arte. Prov. Guer. Vienna, b. 14, f. z. 7. Anno 1918. 17 Aldo Ravà, „Ancora sul ritorno dei quadri nelle chiese“, in  : Il Lavoro, Nr. 3, vom 12.4.1919, 3. 18 Elena Franchi, „‚I quadri alle chiese‘  : il ritorno dell’Assunta nella Basilica dei Frari e il dibattito sulla collocazione delle opere d’arte“, in  : Isabella Collavizza (Hrsg.), Canova Tiziano. I Frari nell’Ottocento, Venedig [im Druck]. 19 Maurilio Guasco, „La formazione del clero  : i seminari“, in  : Storia d’Italia. Annali, Bd. 9, Turin 1968, 631–715. 20 Carlo Bricarelli, „La storia dell’arte nelle scuole“, in  : La Civiltà Cattolica, Nr. 4, vom 26.11.1908, 533–550. 21 L’Italia e l’arte straniera. Atti del X Congresso internazionale di storia dell’arte, Rom 1922, 22. 22 Adriano Bernareggi, „Le prescrizioni del codice di diritto canonico nel campo dell’arte sacra“, in  : Arte Cristiana, 7/1918, 98–105. 23 Gino Damerini, „Relazione della Commissione per il riordino delle Collezioni d’arte ed Istituti di cultura veneziani“, in  : L’Ateneo Veneto, 1918/19, 30–41. 24 Gino Fogolari, „A proposito dell’Assunta ai Frari“, in  : Gazzetta di Venezia vom 22.5.1919. 25 Celso Costantini, „I quadri alle chiese“, in  : Arte Cristiana, 8/1919, 135–143, hier 135. 26 Elio Zorzi, „Il ritorno dell’Assunta nella chiesa dei Frari“, in  : Gazzetta di Venezia vom 11.12.1919. 27 SBAP VE, Guerra I – A, b. B 10, 28.12.1919. 28 Ministero della Pubblica Istruzione, „Consiglio superiore e giunta per le antichità e belle arti“, in  : Cronaca delle belle arti, supplemento al Bollettino d’arte del Ministero della P. Istruzione, 5–8/1920, 42.

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Agnieszka Gąsior

DE R „ PO L N I S C H E“ LE O N A R D O I M DR E S DN E R I NTE R IM Das Schicksal der Sammlung Czartoryski während des Ersten Weltkrieges

Das Porträt der Cecilia Gallerani, besser bekannt als die Dame mit dem Hermelin, gehört zu den berühmtesten Werken Leonardo da Vincis (Abb. 1). Die verstohlen lächelnde Mätresse Ludovico Sforzas galt in den letzten Jahren als Ausstellungsmagnet in Budapest, Warschau, Madrid oder London und 2011 auch als „Aushängeschild“ der Berliner Schau Gesichter der Renaissance im Bode-Museum. Dieser Aufenthalt im ehemaligen Kaiser-Friedrich-Museum war allerdings nicht der erste Berlinbesuch des Gemäldes. Bereits während des Zweiten Weltkrieges befand sich das damals von den Nationalsozialisten geraubte Bild dort auf einer Zwischenstation. Und schon während des Ersten Weltkrieges hatte die geheimnisvolle Schöne begehrliche Blicke eines Berliners auf sich gezogen – damals gelang es Wilhelm von Bode jedoch nicht, das im Dresdner Zwinger weilende Gemälde nach Berlin zu holen. Doch war es gerade dieser erste, „freiwillige“ Aufenthalt der viel gereisten Dame in Deutschland, der für ihr internationales und wissenschaftliches Renommee von entscheidender Bedeutung sein sollte. Während jedoch das Schicksal der Sammlung Czartoryski, in der sich seit 1800 auch die Dame mit dem Hermelin befindet, als ein Paradebeispiel des nationalsozialistischen Kunstraubs der Jahre 1939–45 viel Aufmerksamkeit erfuhr, blieb die Zeit des Ersten Weltkrieges bisher fast unbeachtet, obwohl gerade sie wichtige Impulse für die wissenschaftliche Erschließung der Bestände gab. Das Anliegen dieses Beitrags ist es, die Auslagerung von Teilen der Czartoryski-Sammlung während des Ersten Weltkrieges an die Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft nach Dresden auf der Grundlage der Dokumente der Generaldirektion der Dresdner Kunstsammlungen sowie des Ministeriums des Kultus und öffentlichen Unterrichts für die Jahre 1914–20 näher zu beleuchten. Bevor die Umstände, der Ablauf und sehr verknappt auch der wissenschaftliche Ertrag dieses Dresdner Interims vorgestellt werden, sollen zunächst in einem historischen Abriss die Bedeutung und der Stellenwert dieser Sammlung, die zu den wichtigsten Polens zählt, umrissen werden. Die Entstehung der Sammlung Czartoryski gehört unmittelbar in den historischen Kontext der polnischen Teilungen. Es war der Verlust der staatlichen Souveränität im ausgehenden 18. Jahrhundert, der die Fürstin Izabela aus der einflussreichen Magnatenfamilie der Czartoryski zur Gründung eines ersten öffentlichen polnischen Museums bewog. Damit griff sie den Plan auf, der im engsten Kreis des letzten polnischen Königs Stanisław August Poniatowski in den 1770er-Jahren aufkam, ein Museum Polonicum als eine wissenschaftliche Das Schicksal der Sammlung Czartoryski  

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Abb. 1: Leonardo da Vinci, Dame mit dem Hermelin, um 1488

und gemeinnützige Institution nach dem Vorbild des British Museum zu schaffen.1 Dieses sollte neben einer Glyptothek, einer Porträtgalerie, einem Münz- und Grafikkabinett sowie diversen anderen Fachsammlungen beispielsweise für Ornithologie, Mineralien oder Physik auch eine Bibliothek und ein Archiv vereinen. Gravierende politische Entwicklungen verhinderten jedoch die Umsetzung dieses Vorhabens. Polen verlor seine Eigenstaatlichkeit im Zuge der Teilungen, der König musste abdanken. Unter dem Eindruck dieser dramatischen Ereignisse griff Fürstin Izabela Czartoryska die königliche Idee auf und verwirklichte sie, jedoch mit einer besonderen inhaltlichen Ausrichtung. In ihrem südöstlich von Warschau in Puławy gelegenen Landschaftspark entstand 1801 nicht nur eine öffentliche Kunstsammlung inklusive Archiv und Bibliothek, sondern auch ein Pantheon des nicht mehr existierenden Königreiches.2 Im Hauptgebäude, dem Sibyllentempel, den Chrystian Piotr Aigner dem antiken Vestatempel von Tivoli nachgebildet hatte (Abb. 2), fanden sich die geretteten nationalen Memorabilia versammelt – im Zentrum die von der Plünderung durch die preußische Armee 1794 geretteten Reste der königlichen Schatzkammer, außerdem wichtige Siegel oder Archivalien, aber auch Artefakte von ideellem Wert. Für die Präsentation von Werken nationaler und internationaler Kunst hatte man das Gotische Haus bestimmt. Das Museum sollte mit patriotischem Auftrag künstlerisch, kulturell und historisch bilden und damit zur Aufrechterhaltung des nationalen Selbstbewusstseins beitragen. Die Gründung erfreute sich großen Zuspruchs und erhielt allseitige Unterstützung, sodass bald eine beachtliche Sammlung unterschiedlichster Exponate zusammenkam, die neben Erinnerungsgegenständen Kunstwerke von höchster Qualität beherbergte. Der gescheiterte Novemberaufstand 1830 gegen Russland hatte für Puławy katastrophale Folgen. Die aktiv beteiligten Czartoryski mussten fliehen, und die Sammlung konnte nur 192  I  Agnieszka Gąsior

Abb. 2: Sibyllentempel im Park von Puławy

mit knapper Not und dank Hilfe aus der Bevölkerung vor Plünderungen durch russische Truppen gerettet werden. Die Familie nahm die Sammlung mit nach Paris, wo man eines der prunkvollsten Innenstadtpalais bezog, das Hôtel Lambert auf der Île Saint-Louis, das kein Geringerer als der Maler Eugène Delacroix für sie ausfindig gemacht hatte. Die Residenz der Czartoryski wurde zum Zentrum des politischen und kulturellen Lebens der polnischen Emigration und zu einem der gesellschaftlichen Mittelpunkte der französischen Hauptstadt. Hier verkehrten Schriftsteller und Künstler wie Frédéric Chopin, Zygmunt Krasiński, Adam Mickiewicz, aber auch George Sand, Honoré de Balzac, Franz Liszt und Delacroix selbst. Mehrere Emigrationszeitschriften wurden mit Unterstützung der Familie herausgegeben, zwei Schulen für polnische Knaben und Mädchen sowie die bis heute bestehende Biblio­ thèque polonaise eingerichtet. Erst den Enkeln der Museumsgründerin eröffnete sich in den 1870er-Jahren die Möglichkeit, in die Heimat zurückzukehren. Einen Teil der Sammlung brachte Fürst Władysław 1876 samt Archiv und Bibliothek in Krakau unter, während seine Schwester Izabela ihren Teil im Schloss von Gołuchów bei Posen öffentlich zugänglich machte (Abb. 3). Die an beiden Standorten nötigen Umbauten wurden konzeptionell von Maurice Ouradou, dem Schwiegersohn des berühmten Eugène Viollet-le-Duc, vorbereitet. Stiftungen auf den Familiengütern in Sieniawy und Gołuchów dienten der Finanzierung beider Museen als private Institutionen öffentlichen Charakters. 1911 vereinte Adam Ludwig Czartoryski beide Erbanteile wieder in einer Hand. Hauptsächlich war es jedoch seine Frau Maria Ludwika beziehungsweise Marie Luise, die sich der inzwischen stark erweiterten Museen annahm, zu deren Bestand Abteilungen für antike Kunst aus Ägypten, Babylon, Griechenland und Rom, italienische, flämische, deutsche, französische und polnische Kunst seit dem Mittelalter, französisches Email und Das Schicksal der Sammlung Czartoryski  

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Abb. 3: Der Museumssaal im Schloss von Gołuchów, 1905

Elfen­bein, flämische Gobelins, persische Teppiche und Miniaturmalerei, alte Waffen und Silber, polnisches Glas und Meißener Porzellan, Kupferstiche des 15. Jahrhunderts und Altdrucke zählten. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges drohte sich das Szenario von 1830 zu wiederholen  : Im Herbst 1914 rückte die russische Armee bis Krakau vor. Um die Sammlungen vor Plünderungen zu schützen, wurde daher die Evakuierung der wichtigsten Objekte aus Krakau und aus Gołuchów beschlossen. Wieder war es eine Frau, die hier entschieden handelte  : Marie Luise ließ sich für die Dauer des Krieges in Dresden nieder und brachte auch die Sammlung dorthin. Vermutlich war es auch für die Auslagerung der Sammlung entscheidend, dort auf ein breites Netz von bereits bestehenden Kontakten zu einflussreichen Kreisen zurückgreifen zu können. Zum ersten Mal sollte hier die Sammlung in einem rein musealen Kontext einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war diese – ob in Puławy, Paris, Krakau oder Gołuchów – stets in einem räumlichen Zusammenhang mit dem Wohnbereich der Familie präsentiert worden. Den Kontakt zu den Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft vermittelte die sächsische Herrscherfamilie, namentlich die Herzogin „Frau Prinzessin Johann Georg“, die in einem Schreiben von Ende November „durch den ehemaligen Hofmarschall von Mangoldt-Reinboldt den Wunsch aussprechen [ließ], die Gemäldegalerie möchte für die Dauer 194  I  Agnieszka Gąsior

des Krieges eine Anzahl sehr wertvoller Bilder und Wandteppiche aus dem Czartoryski-Museum in Krakau und aus dem Schlosse Gołuchów bei Pleschen zur Aufbewahrung für die augenblicklich in Dresden weilende Fürstin L. Czartoryska übernehmen.“3 Am 27. November war der Konservator des Krakauer Museums, Dr. Henry von Ochenkowski, im Zwinger zugegen und erweiterte im Namen der Fürstin die Bitte dahingehend, die Kunstwerke der interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren und zwar nach Möglichkeit zusammenhängend. Für die Dresdner Museen verhandelte der Direktor des Kupferstichkabinetts Dr. Max Lehrs, der für die Dauer des Krieges auch den eingezogenen Direktor der Gemäldegalerie Hans Posse vertrat. Außerdem involviert war Prof. Jean Louis Sponsel, der das Münzkabinett und seit 1914 auch das Grüne Gewölbe leitete. Man vereinbarte, die Czartoryski-Sammlung zur Aufbewahrung in die Gemäldegalerie, das Kupferstichkabinett, das Grüne Gewölbe und das Münzkabinett aufzunehmen, jedoch keinerlei Haftung zu übernehmen.4 Die Fürstin musste außerdem gegenüber dem sächsischen Staatsfiskus ihren Verzicht auf etwaige Entschädigungsansprüche erklären, die sich aus Aufbewahrung und Ausstellung der Gegenstände ergeben konnten. Lehrs regte an, die Gemälde in dem zum damaligen Zeitpunkt geschlossenen Wallpavillon dem „kunstliebenden Publikum“5 zugänglich zu machen. Nachdem die Absprachen mit dem Museum getroffen waren, begann man unverzüglich, noch vor der Unterzeichnung des Protokolls mit den Bedingungen der Aufbewahrung am 19. Dezember 1914, mit dem Transport der Kunstwerke aus Krakau und Gołuchów. In mehreren Fuhren reisten unzählige Kisten mit Gemälden, orientalischen und mittelalterlichen Teppichen, Zeichnungen, Stichen sowie Prachtausgaben von Katalogen und Bilderrahmen an. Die Hauptlieferung nahm Lehrs im Beisein von Ochenkowski, Restaurator Krause und Inspektor Anders am 18. Dezember in Empfang. Sie umfasste 30 Gemälde der Krakauer Sammlung, darunter die drei Glanzstücke – je ein Werk von Leonardo, Raffael und Rembrandt –, zahlreiche Gemälde aus Gołuchów, des Weiteren jeweils eine Kiste mit orientalischen Teppichen, Zeichnungen, Stichen und Prachtausgaben von Katalogen, außerdem drei Teppiche, zwei Koffereinsätze mit Stoffen und neun Bilderrahmen. Wenige Tage später kamen ein versiegelter Koffer, vier deutsche Passionsteppiche der Zeit um 1470 und ein weiterer niederländischer Herkunft aus dem frühen 16. Jahrhundert hinzu. Aus dem versiegelten Koffer sind bereits am Tag darauf drei französische und ein niederländischer Teppich entnommen und dafür ein bereits zuvor angelieferter Aubusson-Teppich und zwei Koffereinsätze mit Stoffen hineingelegt und an die Fürstin zurückgeschickt worden. Am 28. Dezember übergab die Fürstin elf weitere Gemälde, verlangte aber das allegorische Bild von Teofil Kwiatkowski Chopins Polonaise – Ball im Hôtel Lambert zurück. Ebenfalls bat sie Mitte Januar um die Rückgabe der orientalischen Teppiche, ließ aber Mitte Februar von ihrer Gesellschafterin Fräulein von Nowacka zehn Gemälde der altdeutschen und altniederländischen Schule sowie einen Wandteppich des 17. Jahrhunderts anliefern. Kurz darauf wurden noch weitere vier Gemälde und eine französische vergoldete Truhe an das Museum übergeben. Dieses Hin und Her spricht für eine überstürzte Evakuierung der Werke, deren Verpackung und Versand schnell und ohne ausreichendes Hilfs­ personal, das in die Armee eingezogen worden war, bewerkstelligt werden musste, wie eine Notiz des Czartoryskischen Generalbevollmächtigten L. von Radoński andeutet.6 So stellte Das Schicksal der Sammlung Czartoryski  

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sich erst nach dem Auspacken heraus, wo sich welche Werke befanden. Bis in den März 1915 hinein disponierte die Fürstin noch mehrfach um. Einige Objekte nahm sie wieder an sich, um sie für die Einrichtung ihrer Übergangsresidenz in Dresden zu nutzen, andere Stücke ließ sie nachträglich anliefern. Die ab Ende Dezember 1914 im Wallpavillon des Dresdner Zwingers laufenden Vorbereitungen zur Ausstellung blieben davon jedoch unberührt. Lehrs veranlasste die Verlegung der dort ausgestellten älteren Italiener in die Abteilung des 18. Jahrhunderts sowie die Einziehung einer Scherwand, die den Ausstellungsraum der Länge nach teilte und so zusätzliche Aufhängungsfläche bot.7 Da viele reguläre Aufsichtskräfte eingezogen waren, mussten zur Bewachung zwei Hilfswächter für zwei Wochentage eingestellt werden. Für die Besichtigung waren zwei Zahltage in der Woche vorgesehen, auf einen zunächst geplanten, zusätzlichen eintrittsfreien Tag wurde hingegen verzichtet, da Lehrs einen allzu großen Andrang in den beengten Räumen befürchtete. Die in der Presse angekündigte Schau stieß von Beginn an auf großes Interesse. In der Aprilausgabe 1915 des Cicerone stellte Hans Wolfgang Singer in einem reich bebilderten Artikel die Czartoryski-Sammlung umfassend vor, weitere wissenschaftliche Abhandlungen folgten.8 In der Gemäldegalerie gingen zahlreiche Anfragen nach Fotovorlagen oder nach gesonderten Besichtigungsterminen ein, hauptsächlich von Experten oder Verlagen, die Bild- und Geschichtsbände zu Polen herausbrachten. Auch Bildkopien wurden damals angefertigt, Prinz Johann Georg ersuchte beispielsweise um die Erlaubnis, das Jünglingsporträt Raffaels von seinem Maler kopieren lassen zu dürfen (Abb. 4). Gewissenhaft holte Lehrs bei jeder Anfrage die Erlaubnis der Fürstin ein. Czartoryska handelte hier weitgehend eigenmächtig, jedoch im Interesse der Familie und in Übereinkunft mit ihrem Gatten, den sie bei wichtigen Entscheidungen hinzuzog. Die Berufung auf die Autorität des Fürsten konnte durchaus auch taktischen Zwecken dienen, wenn beispielsweise Prinz Johann Georg bei der Anfertigung seiner Raffael-Kopie zur Einhaltung der Museumsvorschriften verpflichtet werden sollte. Die günstige Zugänglichkeit der Sammlung im verkehrstechnisch gut erreichbaren Dresden gab vielen Kunstkennern die einmalige Gelegenheit, die lediglich aus der Literatur anhand unzulänglicher Abbildungen bekannten Objekte in Augenschein zu nehmen und ihre „Echtheit“ zu überprüfen. Viele Werke fanden erst auf diese Weise den Weg in – nicht nur – deutschsprachige Veröffentlichungen.9 So erbat beispielsweise 1915 Betty Kurth aus Wien Abbildungen der vier Passionsteppiche von 1470, um sie in das Kompendium der deutschen Bildteppiche des Mittelalters aufzunehmen, das sie schließlich 1926 dreibändig in Wien herausgab.10 Jan Jacob de Gelder aus Leyden wiederum benötigte aus Dresden druckbare Fotos der Gemälde von Bartholomeus van der Helst für seine Dissertationsschrift über diesen Maler, die 1921 in Rotterdam erschien.11 Viel beachtet wurden außerdem die Glanzstücke der Sammlung, das Porträt eines jungen Mannes von Raffael und Rembrandts Landschaft mit dem barmherzigen Samariter.12 Die Bedeutung der Dresdner Ausstellung für die öffentliche Wahrnehmung der Czartoryski-Sammlung außerhalb Polens sowie ihre wissenschaftliche Erschließung sind nicht zu überschätzen. Das große Interesse am Porträt der Cecilia Gallerani zeigt das hinlänglich. Zum damaligen Zeitpunkt war Leonardos Autorschaft noch umstritten, in der aufgeflamm196  I  Agnieszka Gąsior

Abb. 4: Raffael, Porträt eines jungen Mannes, um 1513, seit 1945 verschollen

ten Diskussion begann sich aber immer mehr die bis heute gängige Meinung durchzusetzen, wobei Wilhelm von Bodes Urteil eine wichtige Rolle spielte. Der Geheimrat hatte die Czartoryski-Ausstellung Anfang 1915 besucht und sich von der Qualität des Gemäldes tief beeindruckt gezeigt. Direktor Lehrs berichtete am 18. Januar darüber nach Gołuchów und überbrachte Bodes Vorschlag, das Gemälde von Restaurator Hauser im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin von den störenden Übermalungen befreien zu lassen und den endgültigen Beweis für die Urheberschaft Leonardos zu erbringen. Doch die Fürstin ließ sich mit der Antwort Zeit. Lehrs und Bode intervenierten mehrmals, Bode wurde sogar persönlich vorstellig, jedoch ohne Erfolg. Die bis heute vorhandenen Übermalungen lassen erkennen, dass auch spätere Bemühungen Lehrs’ um eine Restaurierungserlaubnis erfolglos blieben. Für seinen viel beachteten Leonardo-Artikel im Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen von 1915 erhielt Bode immerhin neue Fotovorlagen.13 Seine profunde Bildanalyse, die Entkräftung der Zuschreibungen an Boltraffio und Ambrogio Preda, letztere vor allem von Waldemar von Seidlitz vertreten,14 sowie die überzeugende Einordnung des Porträts in das Frühwerk Leonardos wirkten in der weiteren Forschung nach.15 Auch gelang es Bode, die ikonografisch richtige Einordnung des Tierchens als Hermelin gegenüber den bis dahin gängigen Benennungen als Wiesel oder Frettchen durchzusetzen. Die Bedeutung des Dresdner Interims für die Etablierung ihrer Sammlung in der europäischen Museumslandschaft und in der Kunstgeschichte erkannten und goutierten auch die Czartoryski, denn obwohl sich die Lage in Krakau inzwischen so stabilisiert hatte, dass man dort 1915 mit der erneuten Einrichtung der Museumsräume und dem Rücktransport der ausgelagerten Werke begonnen hatte, blieben die in Dresden ausgestellten Stücke davon erst einmal ausgeschlossen. Noch wies nichts darauf hin, dass sich die Wiedererlangung der Sammlung als problematisch erweisen könnte. Das Schicksal der Sammlung Czartoryski  

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Am 11. November 1918 endete für das Deutsche Reich der Erste Weltkrieg. Hans Posse kehrte nach Dresden zurück und übernahm in der Gemäldegalerie die Federführung, und der Ton der Korrespondenz wurde spürbar rauer. Die Neugründung Polens war bereits seit dem Frühjahr desselben Jahres eine international beschlossene Sache, die Grenzziehung jedoch noch ungewiss. Im Herbst 1918 verschlechterte sich das deutsch-polnische Verhältnis insbesondere in der Provinz Posen zusehends, dem Ringen um die Unabhängigkeit auf der einen stand die Aufrechterhaltung bestehender Strukturen auf der anderen Seite gegenüber. Im Reich löste dies offenbar Beunruhigung aus, die sich auch der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen zu Dresden mitteilte. In einem Schreiben vom 5. November 1918 unterrichtete sie im vorauseilenden Gehorsam das Sächsische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten über den Verbleib der Czartoryski-Sammlung in Dresden und über deren Marktwert, der sich bei den drei Hauptwerken auf drei Millionen Mark, bei den übrigen Stücken auf schätzungsweise über eine Million belief. Daran knüpfte sie die Empfehlung an die Reichsregierung, angesichts der unklaren Verhältnisse in Österreich und Polen „diesen wertvollen Besitz vorläufig nicht aus den Händen zu geben“.16 Im Antwortschreiben vom 25. November teilte das Ministerium mit, dass sich das Reich die Entscheidung über die Herausgabe der Sammlung vorbehalte und diese gegebenenfalls an Gegenleistungen seitens der polnischen Regierung zu knüpfen gedenke. Eine Bitte um die Rückgabe der Werke war inzwischen tatsächlich aus Polen eingetroffen. Das Museum spielte mit seiner Antwort auf Zeit  : „Der enorme Verkehr durch die zurückflutenden Truppen“ sei dem Rücktransport zum gegebenen Zeitpunkt hinderlich.17 Dass diese Reaktion die Czartoryski alarmierte, ist aus dem Schreiben des Fürsten vom 25. November ersichtlich.18 Umgehend schickte er Johann Kopczyński nach Dresden, um die Lage zu sondieren, dieser konnte jedoch nichts ausrichten. Inzwischen hatten sich auch in Sachsen die politischen Verhältnisse gravierend verändert  : Die Novemberrevolution führte zur Abdankung des sächsischen Königs Friedrich August III. am 13. November 1918, in deren Folge auch die Familie von Prinz Johann Georg Dresden verließ. Damit verloren die Czartoryski ihre mächtigen Verbündeten vor Ort. Ihre durch mehrere Schreiben gestützten Bemühungen um die Rückgabe der Sammlung blieben vorerst ohne Erfolg. Erst im November 1919, nachdem neue Rechtsbestimmungen nach dem Versailler Vertrag in Kraft getreten waren, gaben das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und das inzwischen ebenfalls involvierte Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts grünes Licht für die Rückgabe. Jedoch verzögerten Posse und Lehrs auch jetzt noch den Rücktransport der Czartoryski-Stücke, diesmal schoben sie die Überlastung der Bahn als Grund vor.19 Inwiefern dieses Vorgehen echter Sorge um den Erhalt der Sammlung Rechnung trug oder ob vielmehr Ausdruck des allgemeinen Unmuts war, den die Kunst-Rückgabeforderungen seitens der Siegerstaaten in Deutschland, insbesondere in kunstnahen Kreisen, ausgelöst hatten, muss dahingestellt bleiben. Es sollte bis Mitte Juli 1920 dauern, bis Fürstin Czartoryska ihre Sammlung wieder in Empfang nehmen und sie nach Krakau und Gołuchów überführen lassen konnte, wo sie nur noch wenige Jahre frei zugänglich war.20 Denn bereits 1939 von den deutschen Nationalsozialisten verschleppt – hierbei spielte Posse eine unrühmliche Rolle21 –, 198  I  Agnieszka Gąsior

verschwand die Sammlung anschließend hinter dem Eisernen Vorhang, für Jahrzehnte kaum noch für westliche Forscher erreichbar. So war es eben die Dresdner Ausstellung und deren wissenschaftlicher Nachhall, die einen wichtigen Beitrag dazu leisteten, die großartige Sammlung im Gedächtnis der internationalen Kunstgeschichte zu verankern.

Anmerkungen 1 Diese Pläne publizierte 1775 Michał Jerzy Mniszech, „Myśli Względem Założenia Musaeum Polonicum“, in  : Zabawy przyjemne i pożyteczne, Bd. 11, 2/1775, 211–226. 2 Karolina Kaluza, „Reimagining the Nation in Museums. Poland’s Old and New National Museums“, in  : Simon J. Knell, Peter Aronsson, Arne Bugge Amundsen u. a. (Hrsg.), National Museums  : New Studies from Around the World, New York 2011, 151–162, hier 152  ; Adam S. Labuda, „Musealisierung und Inszenierung patriotischer Sammlungen in polnischen Adelsresidenzen Puławy und Kurnik“, in  : Annette Dorgerloh (Hrsg.), Klassizismus – Gotik. Karl Friedrich Schinkel und die patriotische Baukunst, München u. a. 2007, 201–220  ; Zdzisław Żygulski, „Dzieje zbiorów puławskich“ [Die Geschichte der Sammlungen aus Puławy], in  : Muzeum Narodowe (Hrsg.), Rozprawy i sprawozdania Muzeum Narodowego w Krakowie, 7/1962, 5–264. 3 Das Schreiben Lehrs an die Generaldirektion der Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft vom 28. November 1914, Staatsarchiv Dresden, Akten der Generaldirektion der königl. Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zu Dresden, Rep. II, Kap. 66, 204. Ein ähnliches Schreiben von Sponsel erging an die Generaldirektion am 29. November 1914. Ebd., 203. 4 Das Beschluss-Schreiben der Generaldirektion der Königlichen Sammlungen für Kunst und Wissenschaft an die Direktionen der Gemäldegalerie und das Grüne Gewölbe vom 8. Dezember 1914, Archiv Staatliche Kunstsammlungen Dresden (SKD), Akten der Gemäldegalerie. Ausstellung  : Sammlung Czartoryski Nr. 16, Bd. 8, Nr. 1465, 4. 5 Lehrs am 27. Dezember 1914 an die Generaldirektion, Archiv SKD, Akten der Gemäldegalerie. Ausstellung  : Sammlung Czartoryski Nr. 16, Bd. 8, 20–22. 6 Einen Hinweis darauf gibt ein Antwortschreiben des fürstlichen Czartoryskischen Generalbevollmächtigten L. von Radoński auf die Fotoanfrage von Prof. Emil Kumsch aus dem Königlichen Kunstgewerbemuseum zu Dresden. 7 Die von Lehrs dafür vorgesehenen Maßnahmen wurden von der Generaldirektion in einem Beschluss vom 5. Januar 1915 bestätigt. 8 Hans Wolfgang Singer, „Ausstellung von Werken aus der Sammlung Czartoryski in Dresden“, in  : Der Cicerone 7–8/1915, 131–140. 9 Georg Minde-Pouet, „Die Kunstsammlung Czartoryski in Goluchow“, in  : Zeitschrift für Bildende Kunst, Bd. 50, 8/1915, 197–212  ; Waldemar von Seidlitz, „Die Czartoryskischen Sammlungen in Dresden“, in  : Museumskunde, Bd. 11, 2/1915, 85–112  ; Emmy Voigtländer, „Ein Beitrag zu dem Bildnis der Sammlung Czartoryski“, in  : Kunstchronik, Bd. N. F. 26, 39/1914–15, 473–477  ; Emil Möller, „Leonardos Bildnis der Cecilia Gallerani in der Galerie des Fürsten Czartoryski in Krakau“, in  : Monatshefte für Kunstwissenschaft, 9/1916, 313–326  ; Luca Beltrami, ‚Madonna Cecilia’ di Leonardo, Mailand 1919. 10 Betty Kurth, Die deutschen Bildteppiche des Mittelalters, 3 Bde., Wien 1926.

Das Schicksal der Sammlung Czartoryski  

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11 Jan Jacob De Gelder, Bartholomeus van der Helst  : een studie van zijn werk, zijn levensgeschiedenis, Rotterdam 1921. 12 Georg Gronau, „Bildnisse von Raffael und Leonardo der Czartoryski-Sammlung in Krakau“, in  : Zeitschrift für Bildende Kunst, Bd. 7, 5–6/1915, 145–150  ; Oskar Fischel, Raphael, Bd. 1, Berlin 1962. 13 Wilhelm von Bode, „Leonardos Bildnis der jungen Dame mit dem Hermelin aus dem Czartoryski-Museum in Krakau und die Jugendbilder des Künstlers“, in  : Jahrbuch der Königlich Preußischen Kunstsammlungen, Bd. 36, 1915, 189–207. 14 Waldemar von Seidlitz, „Ambroggio Preda und Leonardo da Vinci“, in  : Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses, Bd. 26, 1/1906, 1–48, hier 41. 15 Im Frühjahr 1915 schrieb Bode an Posse  : „Ich schreibe z[ur]. Z[eit]. gerade an einem Aufsatz pro Leonardo-Czartoryski u[nd]. gegen v[on]. Seidlitz.“ Vgl. Bernard Maar u. Petra Winter (Hrsg.), Kunst-, Welt- und Werkgeschichten. Die Korrespondenz zwischen Hans Posse und Wilhelm von Bode von 1904 bis 1928, Köln u. a. 2012, 154. 16 Eine Abschrift des Schreibens der Generaldirektion an das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten vom 5. November 1918, Archiv SKD, Akten der Gemäldegalerie. Ausstellung  : Sammlung Czartoryski Nr. 16, Bd. 8, 138. 17 Staatsarchiv Dresden, Akten der Generaldirektion der königl. Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zu Dresden, Rep. II, Kap. 66, 144. Obwohl das Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts mit einem Beschluss vom 25. Januar 1919 der Herausgabe der Kunstgegenstände gegen eine ordnungsgemässe Quittung zugestimmt hatte, versuchte das Museum den Rücktransport der Czartoryskischen Sammlung hinauszuzögern. Die im Auftrag des Fürsten Czartoryski tätigen Bevollmächtigten Pajzderski und Kopczyński konnten in der Angelegenheit vorerst nichts erreichen. Inzwischen kamen die Ministerien des Kultus und öffentlichen Unterrichts und der auswärtigen Angelegenheit überein, über die Herausgabe der Werke gemeinsam zu entscheiden. Am 16. August 1919 wurde der bisher gültige Januar-Beschluss dahingehend abgeändert, Archiv SKD, Akten der Gemäldegalerie. Ausstellung  : Sammlung Czartoryski Nr. 16, Bd. 8, 147. 18 Ebd., 145. 19 Ebd., 153. 20 Die Bescheinigung Posses über die Aushändigung der Sammlung Czartoryski vom 17. Juli 1920, ebd., 157. 21 Hans Posse war ab dem 1.7.1939 als Sonderbeauftragter Hitlers mit dem Aufbau der Sammlung des „Sonderauftrages Linz“ betraut und in dieser Funktion auch im besetzten Polen aktiv, wo er u. a. die Meisterwerke der Czartoryski-Sammlung beschlagnahmte.

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Jaanika Anderson

DAS KU N STMU S E UM D E R U N I VE RS ITÄT TARTU VO R, WÄH R EN D U N D N AC H DE M E RSTE N WE LTKR I E G Von der schwedischen zur estnischen Universität 1802 gründete man in Tartu (Dorpat), Teil des von Alexander I. regierten Russischen Reiches, eine deutschsprachige Universität in der Nachfolge der Academia Gustaviana.1 Die 1632 vom schwedischen König Gustav Adolf II. in Tartu gegründete Academia war bereits 1710 aufgrund des Großen Nordischen Krieges zwischen Schweden und Russland endgültig geschlossen worden. Ein Jahr später, 1803, entstand das Kunstmuseum der Universität, das von Johann Karl Simon Morgenstern (1770–1852) geleitet wurde, einem aus Deutschland eingewanderten Professor der Philologie, Ästhetik, Rhetorik sowie der Literatur und Kunstgeschichte, der auch den Grundstein einer vielfältigen Sammlung von Kunstwerken legte. Die Universität hielt seitdem ihren Betrieb auch in Kriegszeiten und politischen Wirren kontinuierlich aufrecht und übernahm eine wichtige Mittlerrolle zwischen der deutschen und der russischen Kultur. In der bis ins 20. Jahrhundert hinein reichenden stabilen Periode wuchs die Sammlung des Kunstmuseums beständig und wurde zu einer wichtigen Komponente universitärer Lehre.2 Mehr als 100 Jahre systematischer und konsequenter Sammeltätigkeit am Kunstmuseum der Universität Tartu fanden im Weltkriegsjahr 1915 jedoch ein unerwartetes Ende, als die Universität und mit ihr die kostbarsten Bestände der Sammlung nach Russland verbracht wurden.3 Trotz ihrer Verlegung setzte die Universität ihren Betrieb fort. Am 1. Dezember 1919 schließlich wurde die Universität Tartu zur Nationaluniversität der neu entstandenen Republik Estland.4

Die Entstehung der Sammlungen Laut der Universitätssatzung wurde im Jahr 1803 die Leitung des Kunstmuseums Karl Morgenstern übertragen. Von der Aufklärungsideologie beeinflusst, war er von der Allmacht der Bildung überzeugt. Er selbst hatte die Universität Halle besucht, wo er bei Johann August Eberhardi (1739–1809) Philosophie und bei Friedrich August Wolf (1759–1824) Philologie studiert hatte. Während seines Studiums trat er der Freimaurerloge Zu den drei Degen5 bei, die zu einem großen Netzwerk beitrug,6 das ihm nach seiner Übersiedlung nach Tartu nützlich wurde, als es darum ging, das Kunstmuseum der Universität und seine persönliche KunstDas Kunstmuseum der Universität Tartu  

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sammlung durch Ankäufe zu erweitern.7 Morgenstern kaufte für das Museum Kunstwerke, die ästhetisch wertvoll, typisch und besonders waren, von Kunsthändlern aus Deutschland und aus Sankt Petersburg, viele weitere bekam er als Spende von baltisch-deutschen Adligen und von Professoren der Universität.8 So besaß das Museum am Ende des Gründungsjahres schon sieben Gattungen von Objekten  : Druckgrafik, Handzeichnungen, Gemälde, Münzen bzw. Medaillen, Abgüsse der Münzen, Gemmen und Skulpturen. Im Jahr 1833, unmittelbar vor der Pensionierung Morgensterns, besaß das Museum sogar neun verschiedene Sammlungsabteilungen, nachdem eine Sammlung von Antiken aus Ägypten, Griechenland und anderen Regionen sowie eine ethnografische Sammlung hinzugekommen waren.9 Insgesamt hatte Morgenstern bis zu diesem Zeitpunkt 15.307 Objekte zusammengetragen, den größten Teil des Bestandes bildeten Abgüsse von Münzen und Gemmen und Druckgrafik, die naturgemäß leichter zu erstehen waren als Gemälde und Originalskulpturen.10 Vor dem Hintergrund der sich rasch vergrößernden Kunstsammlungen und angeregt durch die Sammeltätigkeit des neuen Direktors des Kunstmuseums, Ludwig Mercklin (1816– 63), der Gipsabgüsse nach Antiken ankaufen ließ, beschloss ein im Jahr 1858 an der Universität gebildeter Ausschuss, die Sammlungen des Museums ausschließlich auf die Antike zu fokussieren. Sammlungsteile, die diesem Profil nicht entsprachen, wurden an andere Einrichtungen innerhalb der Universität weitergegeben.11 Die Museumsdirektoren, die auf Mercklin folgten, setzten diese Politik mit Ankäufen von Gipsabgüssen in Berlin, London, Paris und Sankt Petersburg fort. Da es sich um ein auf die Kunst der Antike spezialisiertes Museum handelte, wurden auch nach Kräften antike Vasen angekauft, die ab 1819 eine Sammlung ägyptischer Antiken ergänzten, die ein junger baltisch-deutscher Orientalist, Otto Friedrich von Richter (1792–1816),12 zusammengetragen hatte, und die von seinem Vater Otto Magnus von Richter (1755–1826) der Universität übergeben wurde (Abb. 1).13 Der Sammlungsdirektor Ludwig Schwabe (1835–1909) ließ 1868 die Wände hinter den antiken Stücken und Gipsabgüssen in dunklem Pompejanisch-Rot fassen.14 Obwohl die Universität Tartu eine Bildungseinrichtung des russischen Kaiserreiches war, bewahrte sie bis zum Jahr 1889 eine verhältnismäßig große Autonomie und Freiheit. Durch die anschließende Russifizierung war die Universität einer stärkeren Kontrolle unterworfen, die Unterrichtssprache wurde Russisch, was auch den Austausch des akademischen Personals mit sich brachte. Unter den Professoren gab es nun mehr Russen und Angehörige anderer russischsprachiger Länder. Die letzten Direktoren des Kunstmuseums vor dem Ersten Weltkrieg waren der in Moskau geborene Ernst Malmberg (1860–1921), der Russe Mihhail Krasheninnikov (1865–1929) und der Lette Ernst Felsberg (1866–1928). Die vorherigen Direktoren waren ab und an ins westliche Europa gereist und kannten die dortigen Museen und Schätze der antiken Kunst. Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als Reisen nach Westen nur noch begrenzt möglich war, konzentrierte man sich auf das Publizieren und die Systematisierung der Sammlungen,15 einige neue Gipsabgüsse aus Sankt Petersburg und aus Deutschland fanden dennoch ihren Weg in die Sammlungen.

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Abb. 1: Die ägyptischen Antiken im Kunstmuseum der Universität Tartu, um 1899

Die Auslagerung der Kunstsammlung Während des Ersten Weltkrieges nahm die Bedeutung der Ostseegouvernements für das russische Imperium vor allem aus militärstrategischen Gesichtspunkten zu. Die Universität Tartu wurde zusammen mit der Stadt Tartu dazu bestimmt, den Rücken der Nordfront zu sichern. Schon am 21. Juli 1914 bestimmte das russische Ministerium für Volksaufklärung die Evakuierung der Kunstwerke aus Einrichtungen, die dem Ministerium unterstanden. Denselben Erlass bekamen am 28. Juli 1914 die höheren Bildungseinrichtungen zugestellt. Ziel der Evakuierung und potenziellen Schließung der Universität war unter anderem der Wunsch, den „deutschen Einfluss“ auf die estnische Kultur und das akademische Leben in den westlichen Gebieten des Russischen Reichs auszuschalten.16 Zu den Gütern, die unbedingt vom Krieg verschont bleiben sollten, zählten Porträts vom Zarenhof, Geldwerte, Ehrenabzeichen, das Vermögen der Kirchen und eine Menge bestimmter Unterlagen und Schriftstücke. Als die unmittelbaren Kampfhandlungen näherrückten, sollten auch die Rara-Bestände der Bibliotheken und die Kunstsammlungen evakuiert werden. Die Schätze der Hochschulen sollten an den Ort gebracht werden, an dem die jeweilige Hochschule ihren Betrieb wiederaufnahm. Der Erlass präzisierte, dass die Hochschulen unter keinen Umständen in Feindeshand gelangen dürften. Was man nicht schaffte auszulagern, sollte der Bevölkerung zur freien Verfügung stehen oder sogar vernichtet werden. Alle vernichteten Gegenstände sollten dabei verzeichnet werden.17 Laut den Vorschriften für den Lehrkörper begann man an der Universität Tartu schon im Voraus eine Liste auszulagernder Objekte zu erstellen. Mehrere Professoren der Universität stellten sich ausdrücklich gegen die Evakuierung. Sie glaubten, dass die russischen Truppen Das Kunstmuseum der Universität Tartu  

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die deutschen zurückschlagen könnten und diese Tartu gar nicht erreichen würden. Im Jahr 1914 fanden allerdings noch keine Auslagerungen statt, weder nach Moskau noch nach Sankt Petersburg, trotz dortiger Nachfragen nach dem Stand der Evakuierung der Universität – man habe doch verlangt, dass die wertvollsten Schätze der Universität bei Näherrücken der Front verlagert würden. Im Sommer 1915 begann im Leben der Universität Tartu die sogenannte Periode der Kisten, wie der damalige Rechnungsführer der Universität, Karl Laagus (1874– 1954) schrieb – die zu evakuierenden Werke wurden in Listen erfasst und in speziell angefertigte Kisten verpackt.18 Am 7. August 1915 wurde ein Ausschuss mit sieben Mitgliedern zur Evakuierung der Universität gebildet, unter der Leitung des Zoologieprofessors Konstantin Saint-Hilaire (1866–1941). Der Ausschuss hatte den Auftrag, einen passenden Ort für den Umzug der Universität zu finden, Kontakte zu knüpfen, über die Bedingungen des Umzugs zu verhandeln, Verpackungsmaterialien zu organisieren und eine Liste der zu evakuierenden Güter zu erstellen. Am 14. August 1915 beschlossen der Ausschuss der Universität und die Regierung gemeinsam die Evakuierung der Universität nach Nischni Nowgorod, und nicht nach Moskau. Am 8. September ging in Tartu ein Geheimtelegramm aus Sankt Petersburg ein, das die Universität beorderte, insbesondere ihre Wertgegenstände und die Bibliothek in die inneren Gouvernements des Zarenreiches auszulagern. Die Geldbestände seien am 12. September zum Bahnhof von Tartu zu bringen. Die Einrichtung, die Möbel und die Lehrmittel der Universität durften noch in Tartu bleiben.19 Mit dem Herannahen der Front sollte die Universität Tartu nach Erlass des Ministeriums für Volksaufklärung damit beginnen, ihre Schätze zu evakuieren. Am 22. September 1915 fand im Hauptgebäude der Universität kein Unterricht statt, da an dem Tag Kisten aus dem Hauptgebäude mit Pferdekutschen zum Bahnhof gebracht wurden. Die ersten 13 Wagons mit 756 Kisten verließen Tartu in Richtung Nischni Nowgorod. Darin befanden sich die wertvolle Sammlung des Kunstmuseums, antike Münzen, Vasen, ägyptische Antiken, Gemälde und antike Skulpturen, aus der Bibliothek wurden die Handschriften, Rara-Bestände, die Archive von Pontus und Jakob de la Gardie, die Druckgrafik und Gemälde evakuiert, aus dem botanischen Garten die Herbarien, aus den Kliniken die medizinische Technik usf.20 Als am 2. Oktober Nischni Nowgorod erreicht wurde, stellte sich heraus, dass die versprochenen Räumlichkeiten schon an das Polytechnische Institut der Stadt Riga vergeben waren. Eine eilig anberaumte Suche nach Alternativen fand schließlich in den Gebäuden des Getreidekombinats, die in relativ gutem Zustand waren, ein Lager für die Sammlungen der Universität.21 Es gab jedoch nicht genug Raum, um die gesamten Bestände der Universität nach Nischni Nowgorod zu evakuieren, und so reisten im Februar und März des Folgejahres 40 weitere Waggons nach Perm am östlichen Rand Europas. Dorthin wurden der Hauptteil der Bibliotheksbestände, die Sammlungen des zoologischen Museums, die Münzen- und Waffensammlung, das archäologische Kabinett sowie die wissenschaftlichen Instrumente der Universität gebracht.22 Sowohl in Perm als auch in Nischni Nowgorod lagerten die Objekte der Universität auf sehr engem Raum, und im Herbst 1916 erwog man zwischenzeitlich sogar das Zurückholen der Sammlungen. 1917 folgten in weiteren Transporten die Einrichtung der Institute, der Kliniken und Kabinette. Bis zum Sommer 1917 waren aus der Universität Tartu innerhalb 204  I  Jaanika Anderson

Abb. 2: Evakuierung von Tartu im Jahr 1918

von knapp zwei Jahren die wissenschaftlichen und Kunstsammlungen evakuiert worden. In Tartu verblieben nur die nötigsten Lehrmittel, die Fachliteratur, Bibliothekskataloge und die von ihren Lesern nicht zurückgegebenen Bücher. Selbst der größte Teil des wertvollen Mobiliars hatte die Universität verlassen.23 1918 wurde schließlich auch die Belegschaft der Universität evakuiert  : Professoren, Lektoren und Studenten verließen Tartu in zwei Zügen im Juli und im August (Abb. 2).24 Die nach Nischni Nowgorod und Perm ausgelagerten Bestände, darunter die des Kunstmuseums, wurden 1918 weiter nach Woronesch25 gebracht, wo mehrere Lehrkräfte der Universität Tartu auch angestellt wurden.26 Die kaiserliche Universität Jurjew (so der russische Name für Tartu) stellte ihre Aktivitäten mit dem Verlassen Tartus ein. Deutsche Truppen hatten Estland schon Anfang 1918 erreicht und Tartu Ende Februar eingenommen. Sie gründeten in der Folge die „Landesuniversität zu Dorpat“, die am 15. September feierlich eröffnet wurde, jedoch nur 57 Tage lang bestand.27 Durch die Unabhängigkeit Estlands 1918 ist die Universität Tartu seit 1919 eine estnischsprachige Einrichtung.

Das Kunstmuseum der Universität Tartu  

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Die Sammlungen der Universität in Russland Am 2. Februar 1920 unterzeichneten die Republik Estland und das sowjetische Russland den Friedensvertrag von Dorpat. Nach Artikel XII Punkt 4 war Russland damit verpflichtet, die aus Estland evakuierten Werte zurückzubringen und an die estnische Regierung zu übergeben, darunter Archive, Bibliotheken, Lehrmittel und sonstige Objekte, die aus der Universität Tartu und aus Estland stammten.28 Gleichzeitig war Russland dafür verantwortlich, diese Information zu verbreiten und bei der Lokalisierung der Bestände behilflich zu sein.29 Einen Monat später, am 2. März 1920, reiste ein Sonderausschuss der Universität Tartu, darunter der Bibliotheksleiter Friedrich Puksoo (1890–1969), Richtung Moskau, wurde jedoch in Sankt Petersburg aufgehalten. Die Anreise des estnischen Ausschusses kam unerwartet für die russische Regierung, die keinerlei Vorbereitungen getroffen hatte. Sie suchte Begründungen für die ausbleibenden Rücktransporte der estnischen Bestände im schlechten Zustand der Eisenbahn und lehnte den Vorschlag, einen Vertreter der Universität Tartu in Woronesch zu positionieren, kurzerhand ab.30 Bis zum Abschluss des Friedensvertrags von Dorpat waren die Schätze der Universität Tartu in Woronesch verpackt geblieben, nun aber begann man die Kisten zu öffnen. Die Kunstsammlungen, die während der Evakuierung unter der Obhut des an der Universität angestellten Ernst Felsberg standen, waren nach dessen Emigration nach Riga 1920 herrenlos.31 Formell wurde Pavel Nikitin, ehemaliger Architekt an der Universität Tartu und Leiter der Studentenmensa, zum Betreuer der Kunstsammlungen ernannt, in Woronesch gehörte er allerdings zu den Personen, die am eifrigsten Schätze der Universität beiseite schafften.32 Im Jahr 1918 war auf der Basis der Universität Tartu die Universität Woronesch gegründet worden, deren Kunstmuseum sich aus den Sammlungen der Universität Tartu zusammensetzte. Einige der Professoren in Woronesch sahen durch die Rückverlagerung der Bestände aus Tartu die neu gegründete Institution in Gefahr. Die ehemaligen Lehrkräfte der Universität Tartu in Woronesch hatten sich in zwei Lager geteilt  : Das eine hatte sich für die neue Universität entschieden und war gegen die Rücktransporte, das andere forderte hingegen die Rückgabe der Sammlungen und wünschte mitsamt der verlagerten Universität Tartu nach Estland zurückzukehren.33

Die Rückkehr der Sammlungen Der oben genannte Sonderausschuss zum Rücktransport der ausgelagerten Universitätsbestände nach Estland konnte schließlich im August 1920 seine Arbeit in Woronesch aufnehmen. Zu diesem Zeitpunkt war ihm schon eine dort aufgestellte Liste der aus Tartu evakuierten Bestände überreicht worden, in der unterschiedliche Gegenstände und Instrumente aufgelistet waren, der Anteil der Kunstsammlung war jedoch sehr gering. Es gelang dem Ausschuss nicht, nach seinem Eintreffen und der Durchsicht der Bestände im August 1920, die Rara-Sammlung, 206  I  Jaanika Anderson

die Druckgrafik und die Sammlungen des zoologischen Museums und des Mineralienkabinetts auf den Weg nach Estland zu bringen. Im April 1921 kam nach langen Verhandlungen ein Teil der Bestände der Institute und Lehrstühle in Tartu an, jedoch verblieben noch zwölf Kisten mit Rara aus der Bibliothek, mit Handschriften und Druckgrafik in Russland. Im Bericht der Bibliothek für das Jahr 1921 feiert Friedrich Puksoo die Rückkehr von Handschriften, der Archive der de la Gardies, der Inkunabeln, Rara und Kupferstiche, Autografen sowie Porträts von Goethe, Herder und Wieland als wichtige Ereignisse. Auch 14 Ölgemälde erhielt die Universität zurück, die weiteren Gemäldebestände der Bibliothek und der Kunstsammlung blieben jedoch in Russland.34 1921 kamen die Instrumente der Sternwarte Tartu35 aus Russland zurück und erlaubten es, die wissenschaftlichen Beobachtungen und Vermessungen wiederaufzunehmen. Aufgrund des Personalmangels verzögerte sich die Wiedereinrichtung der an die Sternwarte zurückerstatteten Bibliothek.36 Offenbar brauchten auch die anderen Abteilungen der Universität zur Organisation der zurückgekehrten Bestände einen großen Teil ihrer zeitlichen Ressourcen, zum Nachteil der wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Nach Russland war die Universität in insgesamt 4035 Kisten umgezogen. Im Jahr 1920 kehrten 1771 Kisten (der Zentralbibliothek) und im Jahr 1921 nochmals 1084 Kisten, hauptsächlich Bestände der Institute und der Verwaltung sowie ein weiterer Teil der Zentralbibliothek, zurück, darunter befanden sich zwölf Kisten mit Handschriften und den wertvollsten Schätzen der Universität.37 1922 wurde der Sonderausschuss zum Rücktransport der Bestände aufgelöst und ein neuer Ausschuss in der estnischen Botschaft in Moskau gegründet. Davon erhoffte man sich eine Verringerung der mit der Organisation der Rücktransporte verbundenen Kosten. Als größtes Hindernis für die Transporte erwiesen sich ab 1922 die hohen Aufwendungen für den Schienenverkehr. Bis dahin war die Rückholung der estnischen Schätze nach dem Friedensvertrag ohne Abgaben für Eisenbahntransporte möglich gewesen, doch nun liefen Kosten in einer Höhe auf, die die Rückführung vieler Gegenstände infrage stellte.38 In Woronesch eröffnete 1933 das Kramskoi-Oblastkunstmuseum Woronesch, das auch die der Universität Tartu geschenkten sowie die von ihr angekauften Kunstwerke in seine Bestände integriert hatte  : 228 antike Vasen, Öllampen und Terrakottafiguren, 23 griechische und römische Marmor- und Bronzeskulpturen, 126 ägyptische Antiken, 128 Gemälde, 51 Zeichnungen, 6.000 Münzen und Medaillen. In Tartu gingen die dort gebliebenen Abgusssammlungen39 des Kunstmuseums an das Institut für klassische Philologie und Archäologie der philosophischen Fakultät, und das Museum war nun offiziell Institutsmuseum. Seine Sammlungen wurden zwar zu Unterrichtzwecken genutzt, doch blieb ihre Weiterentwicklung nachrangig, und Ergänzungen fanden nur mit einzelnen gespendeten antiken Objekten statt.

Zusammenarbeit zwischen Russland und Estland Das Museum ist seit 1961 wieder selbständig, und seitdem werden seine Sammlungen erweitert, Ausstellungen organisiert und Publikationen herausgebracht. Die Frage nach den Das Kunstmuseum der Universität Tartu  

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evakuierten Sammlungen und ihrer Restitution bekam neue Aktualität, nachdem Estland sich von der Sowjetunion gelöst hatte und am 20. August 1991 zu einer unabhängigen Republik geworden war. Erst gegen Ende der 1990er-Jahre bekamen die Verhandlungen neuen Schwung. 1998 fand in Woronesch ein Treffen zwischen estnischen und russischen Sachverständigenausschüssen statt. Das Treffen hatte das Ziel, Vorschläge zu erarbeiten, wie mit den im Museum in Woronesch befindlichen Werken des Kunstmuseums der Universität Tartu zu verfahren sei. Als Resultat wurde zwischen dem Kunstmuseum der Universität Tartu und dem Museum Woronesch ein Kooperationsvertrag geschlossen. Beide Institutionen waren übereingekommen, Forschern den freien Zugang zu den Sammlungsteilen mit umstrittenen Eigentumsrechten und besonderer historischer oder kultureller Bedeutung für Estland beziehungsweise für Russland zu gewähren hatten. Beide Museen beschlossen die Kooperation bei der Aufarbeitung der Druckgrafikbestände, aus der eine Ausstellung und die Herausgabe eines Katalogs hervorgingen. Ebenfalls wurde die Ausrichtung einer Konferenz zur Geschichte und dem Charakter der Sammlungen in Tartu vereinbart, die am 15. und 16. September 2000 in Tartu als internationale Konferenz über Restitution stattfand, mit dem Untertitel  : „Die Zusammenarbeit von Estland und Russland in der Museologie  : Die Geschichte und der Charakter der von Professor Morgenstern im Jahr 1803 gegründeten Kunstsammlung.“40 Die Sommer der Jahre 1999 und 2000 brachten erste greifbare Ergebnisse der Zusammenarbeit und in Woronesch wurden die Kunstwerke aus Tartu katalogisiert und erforscht. Obwohl nicht zu allen Objekten der Zugang gewährt wurde, konnte anlässlich der Konferenz im September 2000 eine Postkartenserie über die aus der Universität Tartu evakuierte Kunstsammlung gedruckt werden. Bis zur Veröffentlichung eines gemeinsamen Bandes dauerte es allerdings noch sechs weitere Jahre, da die Zusammenarbeit nicht immer so reibungslos lief wie anfangs erhofft. Doch im Jahr 2006 erschien unter kollektiver Herausgeberschaft des Kunstmuseums der Universität Tartu und des Kunstmuseums von Woronesch ein Katalog über die der Universität von Otto Magnus von Richter gestifteten ägyptischen Antiken, die Sammlung antiker Vasen und Skulpturen und die Gemäldesammlung aus dem Vermächtnis Karl Morgensterns.41

Schluss Die Entwicklung des reichen Sammlungsbestandes des Kunstmuseums der Universität Tartu wurde durch die historisch-politische und soziale Lage im 19. Jahrhundert begünstigt  : Der Zeitraum 1803–1914 war für Tartu eine Periode ohne Kriege und Aggressionen von außen. In dieser Zeit verzeichnete das Kunstmuseum weder Rückgänge im Bestand noch eine Stagnation der Sammlungen. Dies trug wesentlich dazu bei, die mit Ende des 18. Jahrhunderts europaweit einsetzenden und im 19. Jahrhundert schwungvoll fortgesetzten Veränderungen der Museen schnell und erfolgreich aufzunehmen. Die Lage der Universität Tartu im Wirkungsbereich zweier unterschiedlicher Kulturen, politisch dem russischen Kaiserreich, von 208  I  Jaanika Anderson

den Bildungs- und Kunstansätzen dem deutschen Kulturraum zugehörig, wirkte sich positiv auf die Gestaltung der Sammlungen aus. Aus Deutschland kam gebildetes und aufgeschlossenes Personal nach Tartu und auch ans Kunstmuseum, das Kenntnisse und Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern mitbrachte. Zahlreiche Schenkungen gehen auf einheimische Deutsch-Balten zurück, und einen großen Beitrag leistete Karl Morgenstern mit dem Vermächtnis seiner privaten Kunstsammlung an das Kunstmuseum. Die Kunstwerke befanden sich unter den ersten im Ersten Weltkrieg evakuierten Sammlungen. 1915 wurden die Kunstsammlungen mit dem Zug ins Innere Russlands und 1918 weiter nach Woronesch geschickt, wo sie sich bis heute befinden. Mit Ende der 1990er-Jahre begann eine Zusammenarbeit zwischen Russland und Estland, die einen Katalog der aus dem Kunstmuseum der Universität ausgelagerten Kunstwerke hervorbrachte  : die Gemälde, die ägyptischen, griechischen und römischen Antiken. Die Sammlung ist heute aufgearbeitet und steht der Öffentlichkeit zur Verfügung. Der Katalog Dorpat–Yuryev–Tartu and Voronež  : The Fate of the University Collection. Catalogue I trägt die Nummer eins, da ein zweiter Teil zur Münz- und Medaillensammlung geplant war, die Morgenstern in den Anfangsjahren des Museums so eifrig zusammengetragen hatte. Heute sind die kooperativen Bande mit dem Museum in Woronesch leider unterbrochen.

Anmerkungen 1 1802–1918 trug die Universität den Namen Kaiserliche Universität zu Dorpat. 2 Siehe zur Verwendung von Skulptur-, Münzen- und Gemmenabgusssammlungen des Kunstmuseums der Universität Tartu im Unterricht  : Jaanika Anderson, Reception of Ancient Art  : the Cast Collections of the University of Tartu Art Museum in the Historical, Ideological and Academic Context of Europe (1803–1918), Univ.-Diss., betreut von Kristi Viiding, Universität Tartu, (Dissertationes Studiorum Graecorum et Latinorum Universitatis Tartuensis 7), 2015, 151–173. 3 Zum Thema der Kontinuität der Universität Tartu während der Russifizierung, zur Evakuierung der Universität und zur Situation der Studenten in Tartu, ausführlich Sirje Tamul, „Tartu Ülikool venestamise, sõja ja sulgemise ohus (1882–1918)“, in  : Eesti Ajalooarhiiv (Hrsg.), Vene impeerium ja Baltikum  : venestus, rahvuslus ja moderniseerimine 19. sajandi teisel poolel ja 20. sajandi alguses, Bd. 2, Eesti Ajalooarhiivi Toimetised/Acta et Commentationes Archivi Historici Estoniae, 18 (25), Tartu 2010, 69–126. 4 Karl Siilivask (Hrsg.), History of Tartu University 1632–1982, Tallinn 1985. 5 Anderson 2015, 91. 6 Zu den Netzwerken Morgensterns, siehe Anderson 2015, 92. Die umfangreiche Korrespondenz von Morgenstern wird in der Bibliothek der Universität Tartu aufbewahrt, siehe dazu  : Mare Rand, „Karl Morgenstern (1770–1852) im Spiegel seiner Privatkorrespondenz“, in  : Norbert Andermann, Wilhelm Lenz u. Konrad Maier (Hrsg.), Geisteswissenschaften und Publizistik im Baltikum des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, (Schriften der Baltischen Historischen Kommission), Münster 2011, 65–99. 7 Im Jahr 1853 vermachte Morgenstern seine persönliche Kunstsammlung, darunter die Gemälde, Druckgrafik, Gemmenabgüsse usw. an das Kunstmuseum der Universität Tartu. Seine Kunstsamm-

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lung und die Bibliothek sind aufgeführt im Catalogus mss. et bibliothecae Carol. Morgenstern Academm.Halens. Gedanens. Dorpatens. Pars I–II. Cum Supplemento, Bd. 2, Dorpat 1868. Inge Kukk, Laidi Laiverik, Ingrid Sahk, Jaanika Tiisvend u. Külli Valk (Hrsg.), 200 aastat Tartu Ülikooli Kunstimuuseumi  : Valikkataloog, Tartu 2006, 10f. K. L. Blum [u. a.] (Hrsg.), Dorpater Jahrbuch für Litteratur, Statistik und Kunst, besonders Russland, Bd. 3, Dorpat 1834, 71–76. Anderson 2015, 97. Die Zeichenschule der Universität bekam vom Kunstmuseum die Kupferstich-, Zeichnungs- und Gemäldesammlungen, das Museum der vaterländischen Antiken bekam die Sammlung der ethnografischen und archäologischen Gegenstände und das Anatomikum die ägyptischen Mumien. Nach der Einstellung der Zeichenschule wurden die Zeichnungen und die Druckgrafik, die dem Kunstmuseum der Universität Tartu ursprünglich aus der Privatsammlung von Morgenstern vermacht worden waren, an die Bibliothek der Universität Tartu gegeben, wo sie sich bis heute befinden. Kukk [u. a.] 2006, 12. Otto Friedrich von Richters Tagebücher sind veröffentlicht von Sergei Stadnikov, „Otto Friedrich von Richters Forschungsreise in Unternubien im Jahre 1815  : Auszüge aus dem Tagebuch“, in  : Mitteilungen für Anthropologie und Religionsgeschichte, Bd. 15, 2000, 95–123  ; Indrek Jürjo u. Sergei Stadnikov (Hrsg.), Briefe aus dem Morgenland  : Otto Friedrich von Richters Forschungsreise in den Jahren 1814–1816, (Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 20), Hamburg 2013. Die Sammlung von Richter ist gut dokumentiert in einem gemeinsam verfassten Katalog des Kunstmuseums der Universität Tartu und des Kramskoi-Oblastkunstmuseums Woronesch  : Anu Hindikainen, Inge Kukk, Jelena Pšenitsõna u. Anatoliy Vilkov, Dorpat–Yuryev–Tartu and Voronež  : The Fate of the University Collection. Catalogue I, Tartu 2006. Nach dem Vorbild von den in Pompeji ausgegrabenen Wänden wurden die Bemalungen nach den Mustern von Wilhelm Zahn im Jahr 1868 ausgeführt. Siehe dazu Inge Kukk, „Ein Pompejanum in Tartu“, in  : Museums Journal  : Berichte aus Museen, Schlössern und Sammlungen in Berlin und Potsdam, 2/2002, 21–23. Felsberg und Malmberg haben die Sammlung der Abgüsse und der antiken Originale publiziert  : Ernst Felsberg, Гипсовые слепки, Jurjew 1913  ; Ernst Felsberg, Одна краснофигурная чаша Музея Изящных Искусств при Императоском Юрьевском Университете, Jurjew 1913  ; Woldemar Malmberg, Der Torso von Belvedere  : zur Frage seiner Ergänzung und Deutung, Dorpat 1907  ; Ernst Felsberg u. Woldemar Malmberg, Античные вазы и терракотты, Jurjew 1910  ; Woldemar Malmberg, Oригиналы Музея изящных искусств при Императорском Юрьевском университете, Bde. 1–2, Jurjew 1911  ; Ernst Feldberg u. Woldemar Malmberg, Античные мраморы и бронзы  : оригиналы Музея изящных искусств при императорском Юрьевском университете, Jurjew 1911. Sirje Tamul, „Die Bedeutung des Weltkriegs für die Universität Jur’ev  : Schließungsabsichten und Evakuierungsmaßnahmen (1915–1918)“, in  : Trude Maurer (Hg.), Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer. Europäische Universitäten im Ersten Weltkrieg, München, 2006, 223–238. Tamul 2010a, 69–100. Karl Laagus, Eesti ülikool Tartus  : memuaare ja ajaloo andmeid ülikooli arengust, 1632–1932, Tartu 1932, 172–174. Tamul 2010a, 102f. Inge Kukk, „Tartu Ülikooli varade reevakueerimine 1920–1930“, in  : Tartu Ülikooli Ajaloo Küsimusi, Bd. 22, 1989, 122–133, hier 122  ; Tamul 2010a, 104. Tamul 2010a, 104.

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Tamul 2010a, 108. Tamul 2010a, 112. Kukk 1989, 122. Im Jahr 1894 wurde das Museum im Gouvernement Woronesch eröffnet, das sich 1933 mit den Stücken des Museums der Antiken und der Schönen Künste (Staatliche Universität Woronesch) (darunter die Kunstsammlung der Universität Tartu) zusammenschloß und das Kramskoi-Oblastkunstmuseum Woronesch bildete. Hindikainen [u. a.] 2006, 18f. 26 Helmut Piirimäe, „Removal of Property from Tartu University to Voronezh – Robbery or Evacuation“, in  : Anu Laansalu (Hrsg.), International Restitution Conference. Estonian-Russian Co-operation in Museology  : The History and the Disposition of an Art Collection Established by Professor Morgenstern at Tartu University in 1803. 15. and 16. September 2000 Tartu, Estonia, Tartu 2001, 108–123, hier 114. 27 Sirje Tamul, „Landesuniversität Tartus 1918. aastal“, in  : Toomas Hiio, Helmut Piirimäe (Hrsg.), Universitas Tartuensis 1632–2007, Tartu 2007, 261–269. 28 Um diesen Friedensvertrag zu erfüllen, arbeitete in Moskau seit Mai 1920 ein Sonderausschuss zur Rückführung. Bald erwies sich, dass die Russen versuchten, die Rücktransporte zu verhindern. Hatte man zu Anfang den Esten erlaubt, zu den Depots zu fahren, wurde dies ab 1921 nur noch mit schriftlicher Genehmigung möglich, deren Ausstellung in den Moskauer Behörden oft monatelang dauerte. Oft kehrten die estnischen Sachverständigen unverrichteter Dinge nach Hause zurück, da die russischen Autoritäten Einreisegenehmigungen verweigerten. EAA.2100.6.402, 7–10. Korrespondenz bzgl. der Rücktransporte der Bestände der Universität. 29 Kukk 1989, 122. 30 EAA.2100.4.459, 3–5. Korrepondenz zwischen dem Sekretariat der Universität und den Mitgliedern vom Sonderausschuss für die Rückführung der evakuierten Bestände der Universität Tartu aus Russland nach Estland. 31 Felsberg gründete an der Lettischen Universität ebenfalls eine Kunstsammlung, in der sich sowohl Gipsabgüsse als auch antike Originale befanden. Sandra Ranka (Hrsg.), Profesors Dr. phil. h. c. Ernests Felsbergs. Dzīve un darbs = Professor Dr. phil. h. c. Ernests Felsbergs. Vita et opera, Riga 2004. 32 Kukk 1989, 123. 33 Kukk 1989, 124. 34 Kukk 1989, 124–128. 35 Heute sind Sternwarte und Kunstmuseum Teil des Museums der Universität Tartu. 36 Die Sternwarte bat die Universitätsleitung um die Bereitstellung zusätzlicher Arbeitskräfte zum Auspacken der restituierten Bücher. EAA.2100.3.138, 1. Korrespondenz bzgl. der Sternwarte. 37 EAA.2100.6.317, 224. Anträge, Liste, Korrespondenz bzgl. der aus Russland restituierten Bestände der Universität Tartu. Listen der von Einrichtungen der Universität aus Russland zurückerstatteten und nicht zurückerstatteten Werte. 38 EAA.2100.6.402, 8. 39 Offensichtlich hielt man die Gipsabgüsse für zu wenig wertvoll und zu leicht zerbrechlich, um sie tausende Kilometer zu transportieren. 40 Anu Laansalu (Hrsg.), International Restitution Conference. Estonian-Russian Co-operation in Museology  : The History and the Disposition of an Art Collection Established by Professor Morgenstern at Tartu University in 1803. 15. and 16. September 2000 Tartu, Estonia, Tartu 2001. 41 Hindikainen [u. a.] 2006.

Das Kunstmuseum der Universität Tartu  

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Roland Cvetkovski

WE LTKU N ST, WE LTK R I E G , WELTE NSTU RZ Die Ermitage 1899–1920

Wenn es eine Konstante in der Geschichte der Ermitage gibt, dann ist sie gewiss in der gleichbleibend hohen Reputation ihrer Sammlung zu finden. Schon kurz nach ihrer Einrichtung Mitte des 18. Jahrhunderts eilte ihr der Ruf einer Kollektion der Superlative voraus. Was Katharina II. binnen kürzester Zeit im Petersburger Winterpalais, der Residenz der Zaren, und in den noch unter ihrer Herrschaft eigens dafür errichteten Anbauten an europäischen Meisterwerken angehäuft hatte, suchte auch tatsächlich seinesgleichen  : Die Gemälde der bekanntesten flämischen, niederländischen, französischen, englischen, italienischen und spanischen Meister hingen hier je zu Dutzenden an den Wänden. Weniger beständig indes zeigt sich die Geschichte, wenn man den Blick auf die Funktion dieser enormen Galerie richtet. Welche Bedeutung hatte eigentlich diese beispiellose Sammlung an Gemälden im vorrevolutionären Russland  ? Für wen konnte sie überhaupt eine Bedeutung erlangen  ? Und ganz und gar nicht ausgemacht war auch die Frage, ob sich aus ihr so etwas wie ein Nutzen ziehen lassen konnte. Als die Bolschewiki im Oktober 1917 die alte Ordnung endgültig in das Dunkel der Vergangenheit hinabstießen, beschäftigte sie diese Frage auch. Sie rüttelten dabei aber keineswegs an der Bedeutung der Sammlung  ; auch in ihren Augen war sie unvergleichlich. Was sie jedoch scharf kritisierten, war der Umgang mit diesem Kunstschatz. Sie hatten nämlich eine sehr klare Vorstellung davon, welche Aufgaben ein Kunstmuseum zu übernehmen hatte  : Es hatte in ihren Augen ein Zentrum der Wissenschaft zu sein, hatte dabei vor allen Dingen einen Bildungs- sowie Erziehungsauftrag zu erfüllen und musste daher allen offenstehen, war also, wie es im neuen Jargon hieß, für die breiten Massen da. Die Praxis der Ermitage, wie man sie bis vor dem Ersten Weltkrieg antreffen konnte, hatte jedoch, so zumindest das vernichtende Urteil der Bolschewiki, ganz und gar nichts gemein mit ihrem eigenen Begriff von der Funktionsweise eines Kunstmuseums. Für sie war die Ermitage über die Jahrhunderte hinweg ein buchstäblich sinnfreier Raum geblieben, der kaum mehr darstellte als ein absonderliches und zweckloses Sammelsurium europäischer Meisterwerke. Doch waren die Bolschewiki mitnichten die ersten, die eine solche Kritik übten. Es ist nur allzu offensichtlich, dass sich die neuen Machthaber auch deswegen einer überzogen scharfen Rhetorik bedienten, um ihr eigenes Tun, das ja seine Kraft gerade aus dem unbedingten Versprechen einer neuen Welt bezog, umso sinnfälliger zu legitimieren. Und tatsächlich hatten schon andere vor ihnen Anstoß am scheinbar falschen Funktionieren der Ermitage genommen. Insbesondere am Vorabend des Weltkrieges regten sich kritische Stimmen, die keineswegs aus einem politischen

Die Ermitage  

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Lager kamen, sondern vielmehr nach der allgemeinen Etablierung einer professionellen musealen Praxis riefen. Diese Kritik schöpfte ihre Argumente aus unterschiedlichen Zusammenhängen. Zum einen war die Ermitage ungeachtet der administrativen Veränderungen, die sich im Laufe ihres Bestehens ergeben hatten, eine fürstliche Sammlung geblieben, die sich auch noch vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges offiziell im Besitz des Zaren befand. Dies zeigte sich nicht zuletzt daran, dass die Meisterwerke eigentlich in seinen Privatgemächern hingen, denn dazu gehörte ja der öffentliche Teil der Ermitage auch, sodass die Galerie zeit ihres Bestehens nie den Ruch des Elitären abzulegen vermochte. Dieser Ruf ging auf ihre Begründerin Katharina II. zurück und blieb letztlich bis 1917 am Museum haften. Die Zarin hatte innerhalb nur dreier Jahrzehnte Millionen von Rubel ausgegeben, um sich im Winterpalast eine hervorragende private Gemäldegalerie aus mehreren tausend Bildern zusammenzustellen, deren Glanz dem aufgeklärten Europa anzeigen sollte, dass sich die russische Autokratie im Konzert der europäischen Mächte keinesfalls zu verstecken brauchte.1 Dieser private Charakter der Sammlung hatte aber zum anderen zur Folge, dass die Ermitage als Museum erst 1865 der Öffentlichkeit ihre Pforten öffnete  ; von da an aber stiegen die Besucherzahlen rasant an, die, schenkt man den Zählungen des Museums Glauben, kurz vor dem Ersten Weltkrieg einen Wert von 180.000 erreichten – und dies bei täglichen Öffnungszeiten lediglich von 11 bis 16 Uhr, im Winterhalbjahr von Oktober bis März sogar nur bis 15 Uhr.2 Die Besucher blieben jedoch bei ihrem Museumsbesuch meist auf sich allein gestellt, und ein kunsthistorisch ungeübter Blick wurde nicht oder nur selten von einem Kenner angeleitet. Aber immerhin war selbst dem Durchschnittsbesucher durchaus bewusst, wo er gerade war und was er gerade tat, wenn er in den Ausstellungsräumen umherwanderte, denn gerade darin bestand ja offensichtlich eine der wichtigsten Funktionen der Ermitage  : Er wusste genau, dass er sich in der wohl bemerkenswertesten Gemäldegalerie der Welt befand, und das bedeutete nämlich, drittens, dass sein bloßer Besuch, der ja nicht selten aus einem ziellosen Umherstreunen durch die Säle bestand, ihn zumindest theoretisch in den Stand setzte, sich an den Meisterwerken der europäischen Kunstgeschichte zu erfreuen und dadurch den Schleier zur adligen und großbürgerlichen Welt, der dieses exquisite Vergnügen lange Zeit allein vorbehalten gewesen war, nun ein wenig zu lüften. Sein Besuch in der Ermitage blieb, auch wenn sie inzwischen jedem zugänglich geworden war, daher weiterhin ein sicheres Distinktionsmerkmal. Zweifellos war die Ermitage während der zarischen Epoche keine Institution, die ihre Besucher in kunstgeschichtlichen Dingen unterwies. Vielmehr gab sie durch den einmaligen ästhetischen Genuss, in den man durch den Museumsbesuch unvermeidlich kam, das verheißungsvolle Versprechen, diese einzigartige Teilhabe an der europäischen Kunst zugleich als Akt der sozialen Stratifikation verbuchen zu können.3 Und viertens schließlich setzte in der Ermitage die nachhaltige Professionalisierung der Museumsbelegschaft erst um die Jahrhundertwende ein. Zuvor waren zumeist altgediente Staatsmänner in die Verlegenheit gekommen, der Ermitage vorzustehen. Ihre Geschicke zu leiten, galt eher als eine Sache des Prestiges, war Folge einer anderweitig achtbaren Karriere im Staatsdienst, sodass die Besetzung des Direktorenpostens daher nicht unbedingt nach den Kriterien etwa wissenschaftlicher Eig216  I  Roland Cvetkovski

nung erfolgte. Auf diese Weise war auch Fürst Sergej N. Trubeckoj, Militär und Oberhofmarschall, 1888 ihre vorübergehende Leitung in den Schoß gefallen  ; sein tatsächliches Interesse am Museum war aber derart mäßig, dass er glaubte, sein Amt aus der sicheren Entfernung mehrerer tausend Kilometer von Tiflis aus wahrnehmen zu können. Erst 1899, als Trubeckoj starb, wurde wieder ein neuer Direktor ernannt. Zudem war das Budget für Neuerwerbungen, das sich bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges auf jährlich 5.000 Rubel belief, lächerlich gering, insbesondere vor dem Hintergrund, dass vergleichbare europäische Häuser wie das British Museum oder der Louvre dafür über eine Summe verfügten, welche die der Ermitage um das Fünfzig- bis Sechzigfache überstieg.4 Die Sorge um eine gezielte Einkaufspolitik für die angemessene Aufstockung des Sammlungsbestandes köchelte für lange Zeit daher allenfalls auf Sparflamme. Aber auch daran zeigte sich einmal mehr die geistige Herkunft dieser Kollektion, deren Wohl und Wehe bis zum Zusammenbruch der Autokratie Anfang März 1917 weitestgehend von ihrem Besitzer abhing. Die Bolschewiki setzten diesen in ihren Augen unhaltbaren Zuständen nach ihrer Machtübernahme recht bald ein Ende. Die Ermitage wurde verstaatlicht, man versah sie mit einem schärfer konturierten wissenschaftlichen Profil, und sie wurde vor allen Dingen dadurch zum Leben erweckt, wie die neuen Machthaber meinten, indem sie ihr endlich einen Sinn eingaben  : Sie war nun mitverantwortlich für die ästhetische Erziehung der breiten Massen, und dadurch war das Kunstmuseum plötzlich zu einem bedeutenden gesellschaftlichen Faktor geworden. Diese Ideen waren indessen nicht neu, auch wenn die Bolschewiki sie sich mit großen roten Lettern auf die eigenen Fahnen schrieben. Sie hatten nämlich durchaus einen Vorlauf, der 1899 mit dem vorletzten vom Zaren ernannten Direktor Ivan A. Vsevoložskij eingesetzt hatte, vom Ersten Weltkrieg nur scheinbar unterbrochen wurde und bis zum Ende des Bürgerkrieges 1920/21 andauerte. In dieser Zeit durchlief die Ermitage in ihrer Bedeutung als herausgehobener Ort im zaristischen Winterpalais wie auch als Kunstmuseum sui generis eine Entwicklung, die dann nach 1917 nur noch radikalisiert und sowjetisiert zu werden brauchte  : Das Museum, und das Kunstmuseum im Besonderen, blieb natürlich ein ästhetischer Ort, war aber gleichzeitig auch ein dezidiert sozialer Ort, und zwar in dem Sinne, dass dort die Kunstwerke künftig nicht allein zu bestaunen waren, sondern dass dort anhand der Kunstwerke vielmehr die Gesellschaft beobachtbar wurde.

Kritik und Kunstmuseum In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich die Ermitage nach und nach aus der persönlichen Obhut des Zaren zu lösen. Alexander II. unterstellte ihre Leitung zunächst direkt dem Minister des kaiserlichen Hofes und gab 1863 mit der Ernennung des Historikers und Altphilologen Stepan A. Gedeonov zu ihrem ersten Direktor gleichzeitig zu verstehen, dass ein professioneller Museumsstab sich nunmehr der Gemäldegalerie annehmen sollte. Gedeonov war in dieser Hinsicht auch erfolgreich  : Er konnte aus der berühmten Campana-Sammlung Die Ermitage  

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sowie aus der nicht weniger bekannten Sammlung Litta bedeutende Stücke für die Ermitage herauslösen. Doch war dies noch nicht notwendig mit einem Aufschwung des Museums verbunden, im Gegenteil  : Als Gedeonov 1867 zusätzlich Direktor der kaiserlichen Theater wurde, sieben Jahre später dann auch noch vorübergehend der Archäologischen Kommission präsidierte, schien es bei einer solchen Ämterhäufung unausweichlich, dass insbesondere die Geschäfte des Museums darunter leiden mussten. Und so war es auch. Als Alexander III. 1881 den Thron bestieg, ließ ihm der ehemalige Diplomat und 1879 zum Nachfolger Gedeonovs ernannte Aleksandr A. Vasil’čikov unverzüglich eine Note zukommen, in der er das Phlegma, das sich offenbar schon seit Längerem breitgemacht hatte, unumwunden zur Sprache brachte. „Noch vor 25 Jahren“, so schrieb Vasil’čikov an den frisch gekrönten Zaren, „war die Ermitage fast das berühmteste Museum auf der Welt, doch sofern man keine Schritte nach vorn unternimmt, wird man notgedrungen einen Schritt zurück machen.“5 Das Museum befinde sich, so der Direktor der Ermitage weiter, in einem jammervollen Zustand, der vor allem auf die wenigen Mittel, die der Museumsleitung für Ankäufe zur Verfügung stünden, zurückzuführen sei. Überdies verhalte sich auch das verantwortliche kaiserliche Hofministerium absolut gleichgültig gegenüber den Belangen des Museums. So blieb die Galerie in erster Linie auf die Schenkungen der Sammler oder auf billig zu erstehende Nachlässe angewiesen – ein Zustand übrigens, der sich bis zum Ersten Weltkrieg nicht ändern sollte. Nicht ohne Grund gelangten große und berühmte Kollektionen wie etwa die von Sergej I. Ščukin oder Ivan A. Morozov erst nach deren Enteignung durch die Bolschewiki in den Besitz der Ermitage. Vasil’čikovs Klage stieß jedoch auf taube Ohren und verhallte schließlich im Nichts des zarischen Behördenapparates. Als er 1888 aus gesundheitlichen Gründen seinen Abschied nahm, blieb der Posten des Direktors tatsächlich unbesetzt  ; der bereits erwähnte Fürst Sergej N. Trubeckoj leitete daraufhin die Ermitage kommissarisch, und dessen offen zur Schau getragene Indifferenz läutete schließlich eine elf Jahre währende Phase des Stillstands ein. Erst 1899, als nach Trubeckojs Tod Ivan A. Vsevoložskij zum Direktor ernannt wurde, sollte sich das Blatt wenden. Vsevoložskij hatte zuvor unter anderem in der asiatischen Abteilung des Außenministeriums gearbeitet, hatte aber vor allem seit 1881, wie Gedeonov vor ihm auch, den kaiserlichen Theaterhäusern in Sankt Petersburg und in Moskau vorgestanden. Sein Amtsantritt zog einschneidende Änderungen für die Ermitage nach sich, denn er begann erstmals qualifizierte Fachleute systematisch für das Museum heranzuziehen. So berief er etwa den anerkannten Waffenkundler Eduard Lenz zu seinem Stellvertreter und gewann den bekannten Kunsthistoriker Ernst Friedrich von Liphart für die Mitarbeit in der Ermitage. Auch holte er den noch blutjungen James Theodor von Schmidt als Experten für flämische und niederländische Malerei an die Neva ebenso wie den vielversprechenden Orientalisten Jakov I. Smirnov, den er zum Leiter der Abteilung Mittelalter und Renaissance machte. Diese hervorragend ausgebildeten und mehrsprachigen Spezialisten bestimmten in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entscheidend die Geschicke der Ermitage, und sie hielten ihr auch nach den Turbulenzen im Oktober 1917 trotz der daraus erwachsenden Unsicherheiten weiterhin die Treue.6

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Diese ersten beiden Jahrzehnte waren in Russland geprägt von einer allgemeinen musealen Aufbruchsstimmung  : So bildete sich etwa eine engere Zusammenarbeit zwischen privaten Sammlern und musealen Einrichtungen aus, Probleme des Denkmalschutzes und der Musealisierung wurden breiter und vor allem kritisch diskutiert, wie auch überhaupt immer mehr Fragen zum Museumswesen nach einer einheitlichen und auf wissenschaftlicher Grundlage fußenden Methodik verlangten, was sich letztlich 1912 im sogenannten Vorbereitenden Museumskongress niederschlug, der in Moskau stattfand und dessen über hundert Teilnehmer Stellung zu grundlegenden Fragen im russischen Museumswesen bezogen. Auch dass die internationale Tagung des Verbandes von Museumsbeamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren Ende September 1913 in Petersburg stattfand, war gewiss ein Ausdruck der verstärkten musealen Feinnervigkeit im späten Zarenreich. Und schließlich wurde mit der Zeitschrift Starye gody (1907–16) von den russischen Kunsthistorikern ein neues Forum ins Leben gerufen, auf dem der Zusammenhang zwischen Kunst, Musealisierung und Denkmalpflege erstmals breit erörtert wurde.7 Wie sehr dieses Bedürfnis nach der Zusammenführung von Kunst und Öffentlichkeit mit Händen zu greifen war, belegte auch die große und internationales Aufsehen erregende – und wegen unglücklicher Umstände nur wenige Tage dauernde – Ausstellung, die diese Zeitschrift unter Mitwirkung einiger Kuratoren der Ermitage kurz nach ihrer Gründung im November 1909 in Petersburg organisiert hatte, in der 466 Gemälde alter europäischer Meister aus der Öffentlichkeit größtenteils nicht zugänglichen russischen Privatsammlungen gezeigt wurden.8 In einer solchen museal sensibilisierten Atmosphäre konnte es daher nicht ausbleiben, dass auch die Ermitage einer grundlegenden Kritik unterzogen wurde. War es dabei noch eher als eine Lappalie abzutun, dass ein fremdländischer Reiseführer seine Leser darüber unterrichtete, dass die Beleuchtung gerade der Gemäldegalerie äußerst „ungünstig“ ausfalle und ihre Säle „entschieden zu hoch“ seien,9 so wogen die Vorwürfe, die aus dem Innern gegen sie erhoben worden waren, ungleich schwerer. Alexandre Benois, einer der berühmtesten Vertreter der Avantgarde-Gruppe Mir iskusstva und zugleich inoffizieller Mitarbeiter der Ermitage,10 hatte ihr in einem Artikel vom 10. September 1909 in der Zeitung Reč’ vorgehalten, dass sie „hoffnungslos abgeschlagen“ sei, da sie schon viele Jahre aufgehört habe, „ein lebendiges Museum“ zu sein und sie ihre „Schätze einfach in Vergessenheit“ habe geraten lassen, sodass das Museum bestenfalls als eine „luxuriöse Abstellkammer“ gelten könne.11 Und bereits zwei Jahre zuvor hatte der Kunsthistoriker und Redakteur der Starye gody Sergej K. Makovskij im Zusammenhang mit den desaströsen Zuständen des hauptstädtischen Denkmalschutzes eine kurze, doch äußerst scharfe Invektive veröffentlicht, in der er zu einem vernichtenden Rundumschlag ausgeholt und mit großer Entrüstung festgestellt hatte, dass „in unseren Museen eine Grabesstille herrscht“ und „sie von Schimmel befallen“ seien. „Jahrelang“, so fuhr Makovskij fort, war man unerschütterlich dem Grundsatz gefolgt „alles so zu lassen, wie es war, aber es war schlecht, ungeordnet und festgefahren“, was insbesondere für die Ermitage gelte. Vor allem in ihr habe sich eine „Friedhofstille“ breitgemacht, die sich aller Ausstellungssäle bemächtigt habe, und ihre Museumsmitarbeiter stellten nichts anderes als „Totengräber“ der Kunst dar. Dies sei sogar von der selbstzufriedenen Obrigkeit, wie Makovskij nicht ohne ZyDie Ermitage  

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nismus anmerkte, so gewollt, denn  : „Wozu das Heiligtum entweihen  ? Die Stille des Friedhofes sollte von den Ungeweihten nicht gestört werden.“ Je weniger Veränderung, desto weniger Lärm, aber auch umso weniger Lebendigkeit – so schien für Makovskij die Gleichung derjenigen zu lauten, die die Geschicke der Ermitage lenkten, sodass sich der Eindruck geradezu aufdrängte, dass Besucher eigentlich gar nicht willkommen seien.12 Die Reaktion des Museums, dessen Leitung nach dem Hinscheiden Vsevoložskijs 1909 mittlerweile an den Sammler und Kunsthistoriker Dmitrij A. Tolstoj übergegangen war,13 ließ nicht lange auf sich warten. 1910 wurden die beiden Kuratoren Ernst Friedrich von Liphart und James Theodor von Schmidt damit beauftragt, die Ausstellung der Ermitage neu zu organisieren. Auch wenn sie eine völlige Umstrukturierung nicht vornahmen, so befreiten sie doch die Ausstellungssäle von vormaligen Inkonsistenzen und erreichten dadurch eine einigermaßen qualitativ homogene Hängung nach Meistern und regionalen Schulen.14 1912 gab Liphart daraufhin den ersten Band des neuen Kataloges zur Gemäldegalerie heraus, der die vorgenommenen Änderungen erklärte und den neuesten Forschungsstand berücksichtigte.15 Außerdem war ein Jahr zuvor aus der Feder von Alexandre Benois ein literarisch ambitionierter und glänzend geschriebener Führer zur Ermitage erschienen, der anhand der ausgestellten Meisterwerke einen exzellenten Überblick über die europäische Kunstgeschichte bot.16 Und schließlich begann die Redaktion der Zeitung Za pravdu, der Vorgängerin der späteren bolschewistischen Pravda, von 1913 an Artikel zu veröffentlichen, die den Lesern kurze Instruktionen für den gleichsam richtigen Besuch der Ermitage mit an die Hand gaben.17 Die ergriffenen Maßnahmen waren freilich eine direkte Antwort auf die harschen Vorwürfe, die gegen die Ermitage erhoben worden waren. Sie waren aber auch Ausdruck eines in einem größeren Zusammenhang zu verstehenden Bemühens der Museumsleitung, das das Kunstmuseum nicht nur in eine wissenschaftliche Ordnung bringen, sondern auch gesellschaftlich mehr einbinden wollte, indem sie etwa den Besucher zum korrekten Gebrauch des Museums anwies. So verzeichnete man bereits 1914 von den 180.000 Besuchern immerhin knapp 14.000, die in Gruppen durch das Museum geführt worden waren.18 Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendete indes diesen ersten Aufschwung abrupt, und die Museumsmitarbeiter sahen sich stattdessen gezwungen, einen Plan zu erarbeiten, der gegebenenfalls die Kunstschätze sicher und schnell aus der Gefahrenzone evakuieren konnte. Einige Preziosen und auch die Krönungsinsignien verließen Sankt Petersburg schon vier Tage nach Kriegsausbruch in Richtung Moskau, und sie sollten auch nicht mehr in die alte imperiale Hauptstadt zurückkehren. Schon ein Jahr zuvor, als 1913 das 300-jährige Jubiläum der Romanovs begangen worden war, hatte man den Ernstfall geprobt und sich in der Ermitage angesichts eines befürchteten Volksaufstands auf eine mögliche Evakuierung der wichtigsten Meisterwerke vorbereitet  : 21 Holzkisten waren bereits verpackt worden, die nur noch hätten abgeschickt werden müssen.19 Tatsächlich aber erfolgte die Evakuierung von Kunstwerken aus Petrograd, wie die zarische Hauptstadt seit August 1914 nun hieß, erst Ende 1917.

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Krieg und Klinik Während der Kriegsjahre herrschte in der Ermitage nach wie vor reger Publikumsverkehr, lediglich 1918 blieben die Museumstüren geschlossen. Doch im angrenzenden Winterpalais tat sich dafür umso mehr. Gerade der Krieg sollte noch einmal die vielfältigen Gebrauchsmöglichkeiten des Winterpalastes unter Beweis stellen, dessen Funktion nie eindeutig festgelegt worden war und sich allenfalls darauf reduzieren ließ, dass die Herrscher ihn stets nutzen und benutzen konnten. In erster Linie war er ja die Residenz der Zarenfamilie. Da die Ermitage architektonisch Teil des Winterpalais war und die Zarenfamilie sie nach Gutdünken in Gebrauch nahm, hatte sie daher nicht selten Aufgaben zu erfüllen, die nicht unbedingt zu den üblichen Obliegenheiten eines Kunstmuseums oder einer Gemäldegalerie gehörten. Bereits im 18. Jahrhundert ließ Katharina II. zwischen den Meisterwerken große Bälle und Banketts abhalten, und bis zur Revolution 1905 wurden insbesondere Teile der sogenannten Alten bzw. Großen Ermitage dazu benutzt, um berühmte Gäste des Ermitage-Theaters aufzunehmen. Ihr Rang war zu hoch, um sie in einem gewöhnlichen Hotel absteigen zu lassen, aber zugleich zu niedrig, um ihnen tatsächlich einen Platz neben der Zarenfamilie im Winterpalais selbst anzubieten. So war es denn keine Seltenheit, dass sich etwa Bedienstete im Rembrandtsaal aufhielten und in den italienischen Räumen nebenan die geladenen Gäste bewirteten, und dass sich die männlichen Gäste nach eingenommenem Mahl in die obere Etage zurückzogen und, genüsslich rauchend, sich an den Werken von Velazquez, Rembrandt, Rubens oder van Dyck ergötzten.20 Obwohl die Ermitage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den bürokratischen Apparat integriert worden war, wurde sie in der Praxis wie zuvor als Erweiterung des zarischen Hofes angesehen. Mit der Revolution von 1905 änderte sich dies. Nachdem die Bevölkerung erstmals politische Partizipation eingefordert hatte, die Autokratie kurzzeitig unter heftigen Beschuss gekommen war und sich sogar in ihren Grundsätzen ernsthaft gefährdet sah, nahm Nikolaus II. klugerweise davon Abstand, in den Ausstellungssälen der Ermitage weiterhin ausgelassene Feste zu feiern, um die Bevölkerung nicht unnötig aufzustacheln. Stattdessen wollte nun das Staatsparlament, die sogenannte Staatsduma – neben der Verfassung die bedeutsamste Konzession, die der Zar im Zuge der Revolution von 1905 machen musste – darin ihre Sitzungen abhalten. Man hatte darüber aber die übermütigen Feierlichkeiten, die diese Säle bis vor Kurzem noch erlebt hatten, nicht vergessen. Petr Surkov, deputierter Weber aus Kostroma, prangerte im Namen der sozialdemokratischen Fraktion mit unverminderter Empörung den aristokratischen Snobismus an, den er hier immer noch zu spüren glaubte  :21 Wir brauchen keine Museen und Galerien, wenn sie für das Volk nicht zugänglich sind. In den Sälen, wo die Werke großer Künstler hängen, tanzen Pagen, Kammerherren und Hoffräulein und veranstalten dort für sich Soupers. Das ist eine Lästerung der berühmten Werke und ihrer Schöpfer.

Die Ermitage  

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Abb. 1: Krankenhausbetten im Nikolaussaal des Winterpalais, Oktober 1915

Der Krieg bedeutete eine weitere Zäsur. Obwohl der Kriegsschauplatz noch entfernt war, wurde auf Wunsch der Zarenfamilie, vor allem aber auf Drängen der Zarengattin Aleksandra Federovna, am 10. Oktober 1915 ein Kriegslazarett mit 1.000 Betten für die „niedrigen Ränge“ im Winterpalais eingerichtet, nachdem klar geworden war, dass die anderen, bereits im ersten Kriegsjahr in der Hauptstadt errichteten Spitäler nicht ausreichten, um die Kranken und Verletzten zu versorgen (Abb. 1). Man hatte notgedrungen auf den Besitz der kaiserlichen Familie zurückgreifen müssen, da einzig er die benötigten räumlichen Kapazitäten aufwies. Der Zar hatte bereitwillig das Winterpalais sowie die Ermitage dafür zur Verfügung gestellt, doch ihr Direktor Dmitrij I. Tolstoj gab sofort zu bedenken, dass die Museumsräume weder elektrisches Licht noch Wasserleitungen besäßen und auch über keine Kanalisation verfügten, sodass sich ihre Säle mitnichten als Lazarett eigneten.22 Schließlich beschloss die damit beauftragte Kommission, lediglich das Winterpalais in ein Lazarett umzuwandeln. Es besetzte acht Säle im Erdgeschoss und noch einen Teil des Obergeschosses. So außergewöhnlich die Unterbringung für gewöhnliche Frontsoldaten war, so außergewöhnlich war auch das Personal  : Insgesamt bestand das Lazarett, das übrigens unter der Aufsicht der Polizei stand, aus einem leitenden Arzt, 34 Chirurgen, 50 Krankenschwestern, 120 Arzthelfern und noch weiteren 36 Mitarbeitern, die in der Administration tätig waren. 222  I  Roland Cvetkovski

Abb. 2: Junker vor dem Büro Kerenskijs im Winterpalast

Die Qualifikation der Ärzte war höher als anderswo, auch arbeiteten sie mit den neuesten medizinischen Geräten, was in den übrigen Krankenhäusern nicht unbedingt üblich war. Auch nicht üblich für ein gewöhnliches Soldatenspital war neben der sehr guten medizinischen Versorgung die Kost, die den Kranken geboten wurde, denn wohl kaum wurden andernorts regelmäßig Kakao, Butter oder auch Eier zur schnelleren Genesung gereicht. Dafür allerdings, dass die verletzten Soldaten eine in der Tat besondere Behandlung genossen, mussten sie alleweil den Trubel über sich ergehen lassen, den die vielen offiziellen Besucher veranstalteten  ; vor allem die Mitglieder der vielköpfigen Zarenfamilie statteten dem Krankenlager regelmäßig einen Besuch ab. Ebenso ließen es sich hochdekorierte Beamte der höfischen Administration nicht nehmen, sich an diesem exponierten Ort zu zeigen, und schließlich nahmen auch Delegierte des Roten Kreuzes aus verschiedenen Ländern das Lazarett immer wieder in Augenschein. Zwei Jahre beherbergte das Winterpalais unzählige Verletzte und Erkrankte  ; doch unmittelbar nachdem die Bolschewiki das Winterpalais gestürmt hatten, wurde die Krankenstation schon am 28. Oktober 1917 wieder geschlossen.23

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Sturm und Drang Stellte die Februarrevolution von 1917 keine unmittelbare Gefahr für die Ermitage dar, so war in der Zeit zwischen Februar und Oktober 1917 durch marodierende Soldaten und Arbeiter eine umso heftigere Welle der Zerstörung über die ganze Stadt hereingebrochen, deren ungehemmte Gewalt alles fortzureißen drohte – alte Adelssitze wurden geplündert, zarische Kulturdenkmäler gestürmt und niedergerissen.24 Auch das Winterpalais lief dabei Gefahr, ernsthaft in Mitleidenschaft gezogen zu werden. Als sich die Situation in der zweiten Jahreshälfte zusehends verschlechterte, wurden Soldaten aus der Militärakademie, sogenannte junkery, herangezogen und damit beauftragt, den Winterpalast zu bewachen (Abb. 2). Doch auch bei diesen der Provisorischen Regierung gegenüber loyalen und im Winterpalais untergebrachten Burschen konnte man sich nicht sicher sein, ob sie den sich dort befindlichen Kunstwerken die Achtsamkeit entgegenbrachten, die der Umgang mit ihnen eigentlich erforderte. Denn sie hatten kurzerhand ihre Strohbetten und Matratzen in den Weißen Saal, in den Goldenen Salon und auch in den Himbeersaal geschleppt und sich dort dauerhaft eingerichtet.25 Nachdem die deutsche Armee Ende August 1917 Riga erreicht hatte, spitzte sich die Situation auch für die Angestellten der Ermitage immer mehr zu, bis sie sich schließlich, wie ihr Leiter Dmitrij I. Tolstoj in seinen Erinnerungen schrieb, zum „Albtraum“ auswuchs.26 Als die Kuratoren sich am 9. September 1917 zu einer ihrer obligatorischen Besprechungen zusammenfanden, beschlossen sie angesichts der heranrückenden Front und der fortwährenden Verheerung von Kulturdenkmälern in Petrograd, die Schätze der Ermitage nach Moskau zu evakuieren (Abb. 3). Die sogleich vom Winterpalais abgezogenen Schreiner zimmerten in kürzester Zeit 833 Transportkisten, in denen die wertvollsten Gemälde in mehreren Eisenbahntransporten nach Moskau gebracht und dort auf die Waffenkammer (oružejnaja palata), den Großen Kremlpalast, das Historische Museum und das Museum Alexanders III., das heutige Puschkinmuseum, verteilt werden sollten. Der erste Zug verließ Petrograd am 15. September um acht Uhr in der Früh.27 An dem Tag allerdings, als der letzte Zug nach Moskau versendet werden sollte, stürmten die Bolschewiki das Winterpalais und stürzten Kerenskijs Provisorische Regierung, die dort ihren Sitz genommen hatte, sodass die dritte und letzte Fuhre in Petrograd bleiben musste.28 Als am 25. Oktober 1917 um neun Uhr morgens die Soldaten des revolutionären Probraženskij-Regiments in das Winterpalais einfielen, legten die Junker ohne nennenswerte Gegenwehr sofort ihre Waffen nieder. Die neuen revolutionären Wächter schoben dann die schweren Möbel vor die Türen und verbarrikadierten mit Truhen und Sofas den Zugang zum Museum.29 Während die Ermitage also die Übernahme durch die Bolschewiki nahezu unbeschädigt überstand, ließ sich vom Winterpalais nicht unbedingt das Gleiche behaupten, denn mit seiner Erstürmung bot sich den revolutionären Soldaten die einzigartige Gelegenheit, mit einem Schlag sowohl das verhasste Symbol der zarischen Unterdrückung niederzureißen als auch den Sitz der unliebsamen Provisorischen Regierung in Grund und Boden zu stampfen. Die Museumsmitarbeiter, betroffene und bestürzte Zeugen der sich an diesem Morgen überschlagenden Ereignisse, erwartete, als sie den Winterpalast kurz nach dessen Erstürmung betraten, 224  I  Roland Cvetkovski

Abb. 3: Historische Waffen und Rüstzeug werden für die Evakuierung während des Ersten Weltkriegs verpackt. Links Eduard Lenz, Kustode der Mittelalterabteilung, rechts Dmitrj I. Tolstoj, Direktor des Museums

ein grauenvolles Bild der Zerstörung  : Die Fenster waren von Gewehrsalven zerschossen, die Matratzen lagen in Fetzen auf dem Boden, ebenso hatten die schweren Stiefel der Soldaten mit dem an ihnen klebenden Straßenschmutz die Zimmerböden ruiniert, die Möbel waren alle umgestürzt, die Schubladen herausgerissen, und ihren Inhalt hatte man achtlos überall auf den Boden geleert  ; die Tische und Stühle waren zerbrochen, Papiere lagen kreuz und quer – alles, was den revolutionären Eindringlingen in die Finger gekommen war, hatten sie umgeworfen, herausgerissen, zerstört (Abb. 4).30 Doch die führenden Bolschewiki setzten auf Musealisierung. Am 30. Oktober, also lediglich fünf Tage nach dem Umsturz, erließ der Volkskommissar für Bildung und Erziehung Anatolij V. Lunačarskij ein Dekret, das den Winterpalast in ein Staatsmuseum umwandelte  ; ausgenommen davon waren nur die Säle, in denen sich Kunstwerke ohne besonderen künstlerischen Wert befanden. Auf dem Papier gehörte das Palais bereits ab März 1918 der Ermitage, offiziell erfolgte der Akt der Übergabe am 1. Dezember 1922, doch faktisch fiel es tatsächlich erst 1958 ganz an die Ermitage.31 Dass sich die komplette Übernahme so sehr in die Länge zog, lag vor allem daran, dass im Winterpalais schon 1919 das Petrograder Revolutionsmuseum Die Ermitage  

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Abb. 4: Zerstörtes Arbeitszimmer Nikolaus II. nach dem Sturm des Palastes

eröffnet worden war und sich als sakrosankter Ort, als gleichsam lebendes Gedächtnis der Revolution, nicht ohne Weiteres von anderen Institutionen überformen ließ. Das neue Regime versuchte nun so schnell wie möglich seinen Einfluss geltend zu machen. Dabei musste es zunächst auf die alten Eliten zurückgreifen, für die der Wert dieses Museums außer Frage stand. Noch in den neuen Statuten vom 10. Februar 1918 stellten die Mitarbeiter der Ermitage klar, dass sie in „einem staatlich zentralisierten Kunst- und historischen Museum von Weltrang“ arbeiteten.32 Doch damit rannten sie offene Türen ein. Denn auch die Bolschewiki, die eigentlich nicht viel Aufhebens um die Zerstörung der zarischen Vergangenheit machten, legten regen Eifer an den Tag, die Ermitage nicht nur als weltbedeutendes Museum weiterzuführen, sondern auch als kulturelles Erbe Russlands weiterzupflegen. Bereits am Tag nach dem Sturm des Winterpalastes hatte das Petrograder Militärische Revolutionskomitee zwei Kommissare zum Schutz der hauptstädtischen Museen, Kunstsammlungen und anderweitiger Kulturschätze bestellt, den polnischen Sozialisten Bernard Mandelbaum und das Mitglied des Petrograder Sowjets Grigorij S. Jatmanov. Noch am gleichen Morgen statteten sie der Ermitage einen Besuch ab und prüften, inwieweit die Sammlungen des Museums bei den Kämpfen Schaden genommen hatten. Das neue Regime versuchte nun, die Leitung mit loyalen Leuten zu besetzen, die am besten auch ein Parteibuch vorweisen konnten. Die beiden frisch ernannten Kommissare konnten dies jedoch noch nicht. Mit der Ernennung von Jurij N. Flakserman im Dezember 1917 zum Kommissar des einstigen Hofministeriums tat man einen ersten Schritt in diese Richtung. Mit der tatsächlichen Einrichtung einer Parteizelle sollte es allerdings bis Mitte der 1920er-Jahre dauern.33 Auch wurde in der Zwischenzeit der sogenannte Museumsrat, der die Angelegenheiten der Ermitage schon vor der Oktoberrevolution in letzter Instanz zu entscheiden hatte, mit 226  I  Roland Cvetkovski

Mitarbeitern bestückt, die aus Institutionen von außerhalb kamen. Im Juni 1918 setzte sich der Rat neben den Kuratoren auch aus Mitarbeitern der Akademie der Wissenschaften, dem Russischen Museum in Petrograd, verschiedenen archäologischen Kommissionen sowie aus mehreren Kunsthistorikern zusammen. Außerdem war der berüchtigte Futurist Nikolaj N. Punin am 1. August 1918 zum Kommissar des Russischen Museums und der Ermitage ernannt worden, was die Museumsmitarbeiter in helle Aufruhr versetzte, hatte dieser doch noch kurz zuvor lauthals verkündet, dass alle alte Kunst über Bord zu werfen und zu zerstören sei. Doch war ihre Sorge unbegründet  ; sein Einfluss auf die Ermitage blieb eher marginal, zumal er ein Jahr darauf seinen Posten wieder aufgab. Lediglich im April 1919 hatte er im Winterpalast die sogenannte Freie Ausstellung organisiert, auf der jeder Künstler dazu eingeladen war zu zeigen, was er wollte. Diese Schau war übrigens tatsächlich die letzte freie Kunstausstellung in Sowjetrussland.34 Inzwischen war im November 1918 Sergej N. Trojnickij, ein Waffenkundler und bewährter Mitarbeiter der Ermitage seit 1908, als Nachfolger von Tolstoj zum neuen Leiter des Museums ernannt worden. Trotz alledem verlief die Übernahme der Ermitage aber alles andere als glatt. Schon in einem Treffen vom 10. November 1917 hatte der Museumsrat beschlossen, dass die Mitarbeiter des Museums die Kooperation mit dem neuen Regime verweigern würden.35 Die Belegschaft zeigte sich äußerst skeptisch, ob eine fruchtbare Zusammenarbeit möglich sei, wenn auch der Volkskommissar für Erziehung und Bildung Lunačarskij nicht müde wurde zu beteuern, dass die Museumsmitarbeiter unter keinen Umständen „kulturlosen Elementen“ unterstellt würden.36 Die Museumsbelegschaft gab sich indes weiterhin misstrauisch. Erst mit der von Lunačarskij initiierten Einrichtung des Kollegiums für Museumsangelegenheiten am 21. März 1918, das sich auf nationaler Ebene der musealen Fragen annehmen sollte und in das der Direktor der Ermitage zwei Mitarbeiter entsandte, war der Boykott der Ermitage offiziell beendet.37 Intern allerdings blieb man argwöhnisch und fuhr fort, die Einmischungen seitens des Volkskommissariats zu torpedieren.38

Nationalisierung und Ausverkauf Noch zu Anfang des Jahres 1918 waren die Mitarbeiter der Ermitage zunächst relativ beschäftigungslos geblieben. Das Museum war geschlossen, und die besten Teile seiner Sammlung befanden sich immer noch in Moskau. Doch mit der Nationalisierung von Privateigentum „zum Nutzen des Volkes“ lösten die Bolschewiki eine erneute große Welle von Plünderungen aus. Lenin selbst hatte den Leiter der Außerordentlichen Allrussischen Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage – besser bekannt unter ihrem Akronym Čeka – Feliks Ė. Dzeržinskij angewiesen, eine Liste all jener zu erstellen, in deren Besitz sich wertvolle Kunstgegenstände befänden. Verfolgung, Raub und Plünderung folgten auf dem Fuß, und in kürzester Zeit platzten nicht nur die Kellerräume der Čeka mit den konfiszierten Gegenständen aus allen Nähten. Als die Plünderungen schließlich ihren Höhepunkt Die Ermitage  

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erreichten, erließ Lenin am 5. Oktober 1918 ein Dekret zur Registrierung der Kunstschätze, um so das Kulturerbe vor dem Ausverkauf zu schützen und im Land zu behalten.39 Im Zuge der Nationalisierungskampagne hatten die Museen nun neue Aufgaben zu übernehmen. Die Enteignung und Registrierung der Kunstschätze musste von Spezialisten, das heißt von Kunsthistorikern und von Museumsfachleuten, vorgenommen werden. Die sogenannte Künstlerische Kommission für den Schutz von Kunstdenkmälern und Kulturerbe, die dazu im Winterpalast eingerichtet worden war, hatte sich dieser Aufgabe angenommen.40 So wurden also die Mitarbeiter der Ermitage eingebunden in die Arbeit, die Schätze der ehemals adligen Paläste zu erfassen  : Sie gingen daran, architektonische Denkmäler zu registrieren, private Sammlungen vor dem Verfall zu retten und diejenigen Gegenstände in ihr Verzeichnis aufzunehmen, die einen künstlerischen Wert besaßen. Die einstigen zarischen Residenzen in Zarskoje Selo, Gattschina und Peterhof waren die ersten historischen Gebäude, die dem Publikum zugänglich gemacht wurden  ;41 die kostbarsten Kunstschätze, die die Mitarbeiter dort vorfanden, gingen aber unmittelbar in die Sammlung der Ermitage ein. Der Museumsrat billigte dieses Vorgehen in seiner Sitzung vom 21. September 1918.42 Auf diese Art verfuhr man dann weiter mit den Palästen der Šeremetev, Voroncov, Daškov, Šuvalov, Jusuopv, Stroganov, Bobrinskij und Gagarin, sodass die Sammlung der Ermitage in einem ungeheuer rasanten Tempo anschwoll.43 Durch die Enteignungsmaßnahmen und die daraus resultierenden Plünderungen setzte aber auch ein erheblicher Ausverkauf an Kunstgegenständen ins Ausland ein, um Devisen für nötige Investitionen in Technologie und Industrie in die völlig leeren Staatskassen zu spülen. Dieser Ausverkauf trat in zwei Wellen auf  : Die erste erfolgte etwa von 1920 bis 1924, wo man vorrangig Gold, Silber und Edelsteine versetzte, die zweite zwischen 1928 und 1932, und diese betraf auch mehrere Tausend Stücke aus der Ermitage.44 Zudem machten kurz nach dem Oktoberumsturz die Ukraine, aber auch Polen, Forderungen auf Kunstgegenstände geltend, die einstmals den Weg in das Museum gefunden hatten und auf deren Rückgabe sie nun bestanden.45 Und dennoch konnte die Ermitage trotz der Unruhen des Bürgerkrieges und der Rückgabeforderungen durch ihre Mitarbeit an der Nationalisierung der Kulturgüter einen enormen Zuwachs verzeichnen, sodass sich ihre Bestände im September 1920 im Vergleich zur Vorkriegszeit nahezu verdoppelt hatten.46 Auch änderte sich mittelfristig ihr Museumsprofil  : Neben der Gemäldegalerie, der Waffen- und numismatischen Abteilungen wurde 1920 zusätzlich eine Orientabteilung, 1925 eine pädagogische Abteilung, 1931 ein archäologisches Departement und 1941 schließlich eine Abteilung für russische Kultur eingerichtet. Die Veränderungen, die in der Ermitage nach der Machtergreifung der Bolschewiki vorgenommen worden waren, gingen langsam, doch kontinuierlich vonstatten und folgten offensichtlich einem evolutionären Muster.47 Schon Ende 1918 begannen die neuen Machthaber auch programmatische Maßnahmen zu ergreifen und den Gebäudekomplex der Öffentlichkeit zu übergeben. Zunächst begannen sie in den Sälen des Winterpalastes, der kurz nach der Revolution in Palast der Künste umbenannt worden war, mit Filmvorführungen. Im März 1919 führte man zudem Stücke von Shakespeare, Byron, Maeterlinck und Gogol auf, Konzerte wurden gegeben, auch Vorträge meist 228  I  Roland Cvetkovski

zu kunsthistorischen Themen wurden gehalten.48 Doch blieben die Umstände beschwerlich, der Aufenthalt in den Räumen wenig behaglich, was vor allem auf den beklagenswerten Zustand des Gebäudes zurückzuführen war – viele Räume konnten überhaupt nicht genutzt werden, und in denjenigen, die geöffnet waren, mussten die Besucher wegen der Kälte ihre Mäntel anbehalten. Doch waren es nicht nur die äußeren Umstände, mit denen die Bolschewiki zu kämpfen hatten. Der Kongress zur Armut auf dem Land, der 1918 im Winterpalais stattfand, offenbarte die eigentliche Herkulesaufgabe, an der der bolschewistische Erziehungsauftrag schon zu Beginn in die Knie zu gehen drohte. Mehrere tausend (  !) Teilnehmer waren anlässlich des Kongresses in den Räumlichkeiten des Winterpalastes untergebracht worden, und nachdem diese abgezogen waren, fanden die Verantwortlichen nicht nur Exkremente in den historischen Badezubern, sondern die bäuerlichen Delegierten hatten sogar die historischen Vasen damit befüllt. Für die Revolutionäre bedeutete dieser Frevel einen Schock  ; Maxim Gorki, schon in der Anfangszeit der Bolschewiki einer der wichtigsten Figuren im „Kunstschutz“, war zutiefst erschüttert über diese unglaubliche Schändung des kulturellen Erbes. Denn die Arglosigkeit der Bauern im Umgang mit Kunstdenkmälern verwies auf erschreckende Unkenntnis, gegen die die Bolschewiki in ihrer ästhetischen Erziehungs- und Bildungsarbeit künftig zu Felde ziehen mussten.49 Doch blieb die Lage weiterhin unsicher, und im Laufe des sich immer dramatischer zuspitzenden Bürgerkrieges befürchtete die Museumsbelegschaft auch Übergriffe auf das Museum. Der am 18. Oktober 1919 eingebrachte Vorschlag Trojnickijs, aus den eigenen Reihen Wachen zur Sicherheit der Belegschaft abzustellen, wurde einstimmig angenommen.50 Und Jakov I. Smirnov, der Leiter der Abteilung Mittelalter und Renaissance, hatte früh hohen Zoll an die elende Versorgungssituation in der Hauptstadt bezahlen müssen und bereits im Herbst 1918 den Hungertod erlitten. Trotzdem kamen unter diesen äußerst beschwerlichen Umständen 1919 immerhin 11.000 Besucher in die Ermitage, im Jahr darauf waren es bereits 20.000.51 Als schließlich Mitte Oktober 1920 der Bürgerkrieg praktisch sein Ende fand, konnte die Ermitage sich wieder verstärkt auf ihre Ausstellungsarbeit konzentrieren.52 Im April 1919 hatte man bereits Werke ausgestellt, die nicht nach Moskau evakuiert worden waren, und im September desselben Jahres veranstaltete man eine kleine Ausstellung über das antike Ägypten.53 Damit öffnete die Ermitage wieder dem Publikum ihre Pforten und versuchte, den normalen Museumsbetrieb wieder ein Stück weit aufzunehmen. Die frühen kulturellen Aktivitäten im Winterpalais hatten die Mitarbeiter der Ermitage immer mehr unter Druck gesetzt, auch das Museum der Öffentlichkeit wieder vollständig zur Verfügung zu stellen  ; allerdings befanden sich die wertvollsten Gemälde immer noch in Moskau. Doch auch von dort drohte Gefahr. Denn kaum waren die ersten Kisten in Moskau angelangt, hatten Igor’ Ė. Grabar’ und Abram M. Ėfros, beide aus der Moskauer Tretjakov-Galerie, gleich die Frage in den Raum gestellt, ob man denn nicht mit den Gemälden vor Ort eine Ausstellung organisieren könne. Als die Belegschaft der Ermitage von den Plänen ihrer Moskauer Kollegen Wind bekam, war die Aufregung groß  : Schroff wies sie deren Ansinnen zurück, da sie befürchtete, dass die Kunstwerke durch unsachgemäßes Auspacken erheblichen Schaden nehmen könnten.54 Kurz darauf kam ihnen 1918 wieder zu Ohren, dass man Die Ermitage  

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in Moskau erneute Pläne für eine Ausstellung schmiede und, so jedenfalls lief das Gerücht, die Gemälde ganz in der neuen Hauptstadt behalten wolle. Die Ermitage reagierte sofort. Sie entsandte unverzüglich einen ihrer Mitarbeiter nach Moskau, der weiteres Unheil abwenden konnte, doch der weiterhin wütende Bürgerkrieg verhinderte einen sicheren Rücktransport mit der Eisenbahn, sodass die Kunstwerke weiter in Moskau bleiben mussten.55 Doch gaben die Moskauer Museumsleute deswegen noch lange nicht auf. Anfang 1920 drangen erneut Gerüchte nach Petrograd, dass man sich in Moskau daran machte, die evakuierten Kisten auszupacken. Nun machte sich nicht nur in der Belegschaft der Ermitage, sondern auch in der Petrograder Öffentlichkeit Empörung breit. Unter der Federführung von Maxim Gorki wurde in aller Eile eine Petition verfasst, die das Öffnen der Kisten verhindern und ihre Rückführung sicherstellen sollte. Dieses Bittschreiben wurde im April 1920 dem Volkskommissar für Bildung und Erziehung Lunačarskij vorgelegt, und schon am 23. Juni ordnete der Rat der Volkskommissare an, dass die Kunstwerke nun endgültig zurück nach Petrograd geschafft werden sollten.56 Ihr Rücktransport begann schließlich am 16. November 1920, und die ersten Kisten wurden zwei Tage später kurz nach 22 Uhr unter großem Jubel in die Ermitage getragen. Der Rembrandtsaal öffnete daraufhin am 27. November, der Raum mit den niederländischen Meistern am 12. Dezember, und die italienischen Gemälde wurden am 19. Dezember wieder dem Petrograder Publikum übergeben.57

Alt und Neu Die Versuchung ist groß, die Veränderungen in der Ermitage in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aus der Perspektive der Zeit nach 1917 zu bewerten, als der ideologische Druck stetig zunahm und sich spürbar im Museumswesen entlud. Teile der alten Museumsintelligenz verließen das Land, andere wurden nach und nach durch die neuen kommunistischen Kader ersetzt, und ein weiterer Teil wurde schließlich in den 1930er-Jahren verhaftet und verschleppt. Doch Krieg und Revolution änderten nichts an der Reputation der Ermitage  ; die Bolschewiki waren sogar bestrebt, sie noch zu erhöhen. Die neue Ermitage stampften sie jedoch nicht allein aus dem Boden. Ihre Vorstellung, was denn nun ein Kunstmuseum genau zu sein habe, wurde in Grundzügen schon am Vorabend des Weltkrieges skizziert, wenn auch nicht in den grellen Farben, die man nach 1917 zu Gesicht bekam  : Das Kunstmuseum war in erster Linie ein Ort der Öffentlichkeit  ; zu der sozialen Integration in den Museumssälen gesellte sich eine bildungspolitische Nivellierung ihrer Besucher und an die Stelle des reinen ästhetischen Genusses trat die künstlerische Erziehung. Der augenfälligste Unterschied zwischen den spätzaristischen und bolschewistischen Vorstellungen eines Kunstmuseums bestand jedoch darin, dass unter den Bolschewiki die ausgestellten Gemälde nicht lediglich Kunst darstellten, sie waren keine Metaphern, sondern sie waren real. Der Betrachter sollte sich nicht so sehr von der ästhetischen Ausdruckskraft der jeweiligen Kunstwerke blenden lassen, sondern 230  I  Roland Cvetkovski

vielmehr hatte er zu verstehen, was sie ihm gleichsam erzählten, und er musste lernen, sie richtig zu lesen, er musste vor allem lernen, den sozialen Zusammenhang zu rekonstruieren, in dem sie erschaffen worden waren, denn gerade darüber und nur darüber sprachen diese Kunstwerke. Der Winterpalast und damit die Ermitage blieben aber ein Gebäudekomplex, den man wie jeher nutzte und benutzte. Nach 1917 wurden die Spielräume zwar deutlich kleiner, doch wog gerade hier das Gewicht der Tradition schwer für den Aufbau der neuen Gesellschaft. Denn das Proletariat, wie Lenin schon 1917 in einer Unterredung mit Lunačarskij wusste, würde es den Bolschewiki nie verzeihen, wenn sie nicht alles versuchten, die „tragenden Säulen unserer Kultur“ zu schützen.58

Anmerkungen 1 Katia Dianina, „Art and Authority  : The Hermitage of Catherine the Great“, in  : Russian Review, Bd. 63, 4/2004, 630–654. 2 Boris B. Piotrovskij, Istorija Ėrmitaža. Kratkij očerk. Materialy i dokumenty, Moskau 2000, 69. Öffnungszeiten aus Karl Baedeker, Russland, nebst Teheran, Port Arthur, Peking. Handbuch für Reisende. Mit 40 Karten, 67 Plänen und 11 Grundrissen, 7. Aufl., Leipzig 1912, 95. 3 Das galt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, klassisch hierzu Pierre Bourdieu u. Alain Darbel, L’amour de l’art. Les musées d’art européens et leur public, Paris 1966. 4 Petr P. Vejner, „Ėrmitaž“, in  : Starye gody, 1/1910, 38–41, hier  : 39. 5 Zitat nach Geraldine Norman, The Hermitage. The Biography of a Great Museum, London 1997, 93. 6 Sergej P. Varšavskij, Julij I. Rest, Rjadom s zimnim (Ėrmitaž pered Oktjabrem), Leningrad 1969, 55. 7 Oleg Newerow u. Michail Piotrowski, Die Ermitage. Geschichte der Kunstsammlungen, Sankt Petersburg 1997, 124  ; Muzejnoe delo. Muzeevedenie Rossii v pervoj treti XX v. Sbornik naučnych trudov. Vypusk 24, Moskau 1997  ; Nikolaj E. Lansere, „Zaščita stariny“, in  : Starye gody, 4/1910, 45–47  ; Georgij G. Anisimov (Hrsg.), Ochrana pamjatnikov istorii i kul’tury. Sbornik dokumentov, Moskau 1973  ; Avram M. Razgon, „Predvaritel’nyj muzejnyj s”ezd – itogi razvitija muzejnogo dela v Rossii“, in  : Muzej i vlast’. Iz žizni muzeev. Čast’ II, Moskau 1991, 5–26  ; Verhandlungen der sechzehnten Versammlung des Verbandes von Museums-Beamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren, Hamburg [1913]  ; Christina M. Tur’inskaja, Muzejnoe delo v Rossii 1907–1936 gody, Moskau 2001, 8–60. 8 P. P. Weiner [u. a.], Les anciennes Ecoles de Peinture dans les Palais et Collections privées Russes représentées à l’exposition organisée à St-Pétersbourg en 1909 par la revue d’art ancien ‚Starye Gody‘ , Texte von P. P. Weiner, E. de Liphart, James Schmidt, Baron de Wrangell, A. A. Troubnikoff, Alexandre Benois und Serge Makowsky, Brüssel 1910  ; Baron Nikolaj N. Vrangel, „Ešče neskol’ko slov o vystavke ‚Starych godov“, in  : Starye gody , 10/1910, 26–30. Eine positive ausländische Kritik der Ausstellung etwa von Amédée Boinet, „Les anciennes écoles de peinture dans les palais et collections privées russes, représentées à l’exposition organisée à Saint-Pétersbourg en 1909 par la Revue d’art ancien ‚Staryé Gody‘, in  : Bibliothèque de l’école des chartes, Bd. 72, 1/1911, 663–665. 9 Baedeker 1912, 141.

Die Ermitage  

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10 G. A. Kuzina, „Gosudarstvennaja politika v oblasti muzejnogo dela v 1917–1941 gg“, in  : Muzej i vlast’. Čast’ I. Gosudarstvennaja politika v oblasti muzejnogo dela (XVIII–XX vv.). Sbornik naučnych trudov, Moskau 1991, 96–172  ; Vsevolod Petrov u. Irina Kharitonova, Russian Art Nouveau  : The World of Art and Diaghilev’s Painters. Painting, Graphical Art, Theatrical Design, Bournemouth 1997. 11 Zitate nach Marianna Butenschön, Ein Zaubertempel für die Musen. Die Ermitage in St. Petersburg, Köln [u. a.] 2008, 100. 12 Sergej K. Makovskij, „Sklady razrušenij – kladbišča iskusstva“, in  : Starye gody, 7–9/1907, 468–470, hier  : 468, 470. Übersetzung RC. 13 Seine Berufung wurde von der Kunstöffentlichkeit sehr positiv aufgenommen, vgl. Petr P. Vejner, „Ėrmitaž“, in  : Starye gody, 1/1910, 38–41, hier  : 38  ; D.Š., „Otrjadnyja vesti iz Ėrmitaža“, in  : Starye Gody, 7–9/1910, 203–207, hier  : 203. 14 Ėrnest K. Lipgart, „Imperatorskij Ėrmitaž. Priobretenija i pereveski“, in  : Starye gody 1/1910, 5–23, hier besonders 12–23. 15 Ėrnest K. Lipgart, Katalog kartinnoj galerei. Čast’ I, Sankt Petersburg 1912. 16 Aleksandr N. Benua, Putevoditel’ po kartinnoj galeree Imperatorskago Ėrmitaža, Sankt Petersburg 1911  ; vgl. auch Vladimir F. Levinson-Lessing, Istorija kartinnoj galerei Ėrmitaža (1764–1917), Leningrad 1986, 232f. 17 Boris B. Piotrovskij, „Istorija Ėrmitaža“, in  : Ėrmitaž. Istorija i sovremennost’. Pod obščej redakcii V.V. Suslova, Moskau 1990, 17–79, hier  : 69. 18 Sergej N. Trojnickij, Ėrmitaž za desjat’ let, Leningrad 1927, 32f. 19 Varšavskij/Rest 1969, 48–51. 20 Varšavskij/Rest 1969, 55, 58. 21 Zitat nach Newerow/Piotrowski 1997, 123. 22 Über den allgemein armseligen Zustand der Ermitage – ungenügende Luftzirkulation in den Ausstellungsräumen, stümperhafte Renovierungsarbeiten, fehlende Mittel ohne Aussicht auf Besserung, zu wenig Ausstellungsraum und zu wenig Personal – vgl. Vejner 1910. 23 Gosudarstvennyj Ėrmitaž. Gospital’ v zimnem dvorce 1915–1917, Ausst.-Kat. Sankt Petersburg 2006, 4–10. 24 Ėrmitaž, kotoryj my poterjali  : Dokumenty 1920–1930 godov. Sostavlenie i kommentarii N.M. Serapina, Sankt Petersburg 2001, 61f.; Orlando Figes u. Boris Kolonitskii, Interpreting the Russian Revolution. The Language and Symbols of 1917, New Haven 1999, besonders 30–71  ; Jörg Baberowski, Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt, München 2012, 49–58. Zum Vandalismus in der Provinz siehe Priscilla Roosevelt, „The Fate of Russia’s Estate Houses and their Contents, 1917–1930“, in  : Canadian-American Slavic Studies, Bd. 43, 1–4/2009, 45–71. 25 Norman 1997, 140. 26 Dmitrij I. Tolstoj, „Revoljucionnoe vremja v Russkom muzee i v Ėrmitaže (Vospominanija D.I. Tolstogo)“, in  : Rossijskij Archiv II–III, 1992, 330–361, hier  : 346. 27 Piotrovskij 2000, 70. 28 Varšavskij/Rest 1978, 9–33. 29 Norman 1997, 142–45. 30 Ėrmitaž 2001, 40–45. 31 Butenschön 2008, 122, 137  ; Norman 1997, 149, 156, 165. 32 Ėrmitaž 2001, 49. 33 Piotrovskij 2000, 329  ; Butenschön 2008, 141ff. 34 Piotrovskij 2000, 72  ; Norman 1997, 159, 163  ; Butenschön 2008, 129.

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35 Piotrovskij 2000, 277, 303. 36 Tolstoj 1992, S. 356. 37 G. A. Kuzina, „Gosudarstvennaja politika v oblasti muzejnogo dela v 1917–1941 gg“, in  : Muzej i vlast’. Čast’ I. Gosudarstvennaja politika v oblasti muzejnogo dela (XVIII–XX vv.). Sbornik naučnych trudov, Moskau 1991, 96–172, hier  : 104. 38 Noch am 20. März 1918 verbat sich der Museumsrat jegliche Einmischung des Volkskommissariats und auch noch dann, nachdem am 1. August 1918 bereits Punin zum Kommissar der Ermitage ernannt worden war, siehe Gosudarstvennyj Ėrmitaž. Žurnaly zasedanij soveta Ėrmitaža. Čast’ I. 1917– 1919 gody, Sankt Petersburg 2001, 25 (Sitzung vom 20. März 1918), 90–92 (Sitzung vom 6. August 1918). 39 Anisimov 1973, 21–24. 40 Ėrmitaž 2001, 51. 41 Aufschlussreich hierfür sind die Erinnerungen von Valentin Graf Zubow, Eine Welt ändert ihr Gesicht. Erinnerungen aus den Jahren der russischen Revolution (1917–1925), München 1967, bes. 7–39. 42 Žurnaly 2001, 141. 43 Norman 1997, 168. 44 Elena Solomacha, „Verkäufe aus der Ermitage, 1926–1933“, in  : Waltraud Bayer (Hrsg.), Verkaufte Kultur. Die sowjetische Kunst- und Antiquitätenexporte 1919–1938, Frankfurt a. M. [u. a.] 2001, 41–62  ; Elena Solomacha, „The Hermitage, Gosmuzeifond, and Antikvariat“, in  : Canadian-American Slavic Studies, Bd. 43, 1–4/2009, 131–160. 45 Zu den Restitutionsforderungen Polens siehe Igor’ Ė. Grabar’, Pis’ma 1917–1941, Moskau 1977, 40f., 55. 46 Piotrovskij 2000, 278. 47 Norman 1997, 155f. 48 Piotrovskij 2000, 382f. 49 Norman 1997, 165. 50 Piotrovskij 2000, 289  ; Žurnaly 2001, 513. 51 Trojnickij 1927, 32f. 52 Piotrovskij 2000, 306–308. 53 Gosudarstvennyj Ėrmitaž. Pervaja ėrmitažnaja vystavka, Petersburg [sic  !] 1920. 54 Piotrovskij 2000, 271  ; eine etwas andere Darstellung bei Grabar’ 1977, 29, 70, 304 (s. Anm. 16), 322 (s. Anm. 27). 55 Norman 1997, 166f.; Piotrovskij 2000, 278. 56 Piotrovskij 2000, 73. Diskussionsverlauf siehe ebd., 287–289  ; Žurnaly 2001, 385–88  ; Trojnickij 1927, 21f. 57 Piotrovskij 2000, 279. 58 Zitat nach Varšavskij/Rest 1978, 141.

Die Ermitage  

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Géraldine Masson

K R I E G S R IS I K E N VO R B E U G EN Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen und ihre Auswirkungen

Die Bewahrung des kulturellen Erbes für nachfolgende Generationen wurde im Europa des 19. Jahrhunderts zu einem zentralen Anliegen und mit Beginn des 20. Jahrhunderts als staatliche Aufgabe verankert. Die Regierung der Dritten Französischen Republik erkannte das Museum als wichtiges Medium politischer und kultureller Prozesse an und schuf im Jahr 1910 institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen für die Institution. Innerhalb der französischen Museen war man schon seit den 1880er-Jahren mit der kritischen Reflexion der administrativen Strukturen der Museen und der Analyse von Fehlentwicklungen beschäftigt, in deren Zuge auch erste Regeln zu den Erhaltungsmaßnahmen für die Sammlungen formuliert wurden. Den Museumskustoden brachten die Umwälzungen in ihrem Arbeitsfeld eine Konkretisierung ihrer Aufgaben und die Anpassung und Spezialisierung ihrer Methoden  ; sie begannen nun Richtlinien für ihre Arbeit zu entwickeln und verfolgten das Ziel, schrittweise den Status eines anerkannten Berufsstands zu erreichen. Der Erste Weltkrieg mit seinen einschneidenden und spezifischen Herausforderungen für die Museen fiel somit aus musealer Sicht in eine Zeit, in der sich die Kustoden mit den angemessenen Maßnahmen zur Bewahrung des Kulturerbes, seiner Verbreitung und seiner Überlieferung beschäftigten. Zu den konservatorischen Aufgaben gehörte nun auch der Schutz vor Kriegsrisiken, der nach unterschiedlichen Maßnahmen verlangte, Akteure aus vielen verschiedenen Richtungen, Ebenen und Lagern involvierte und letztlich die konservatorische Arbeit um die Erfahrung spezifischer Arbeitsmethoden bereicherte. Im folgenden Beitrag sollen am Beispiel der Provinzmuseen im Kriegsgebiet Nordfrankreichs drei Punkte behandelt werden  : die Vorbereitung der Sicherung musealer Sammlungen, die konkreten Rettungsmaßnahmen und schließlich die im Rahmen der Sicherung angewandten Arbeitsmethoden. Somit soll deutlich werden, wie der Schutz der Kunstwerke zu den laufenden Professionalisierungsbestrebungen der Kustoden beigetragen hat.

Die schwierige Umsetzung der Präventionsmaßnahmen Der Krieg stellte die Bewahrung von Sammlungen vor enorme Herausforderungen, nicht zuletzt da hier die jeweils eigenen Fragestellungen der unterschiedlichen mit dem Schutz des Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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Kulturerbes befassten Akteure im diffizilen Verhandlungsraum neuer Regeln und Methoden aufeinandertrafen. Problematisch war einerseits, dass die Haager Konvention von 1907 ihr Ziel verfehlt hatte, die Einhaltung international gültiger Regeln durchzusetzen, und andererseits, dass sich für die französischen Museen ihre Entstehungsgeschichte und der Status der Kunstwerke als Sand im Getriebe einer zeitgemäßen Konservierungspraxis herausstellte. Die Provinzmuseen waren der ambitionierten Aufgabe verpflichtet, Hauptwerke der lokalen Kunstproduktion im Kontext einer allgemeinen Geschichte der Kunst zu präsentieren, gerafft und umfassend in einem. Ihre riesigen und enzyklopädischen Sammlungen waren in vielen Fällen in Gebäuden untergebracht, in denen sie sich nur schlecht ausstellen oder angemessen bewahren ließen. Darüber hinaus litt das Wissen über die Sammlungen unter Defiziten bei der Inventarisierung und Klassifizierung der Werke. Schließlich verhinderten auch die begrenzten Etats geeignete Konservierungsbedingungen. All dies führte schon zu immensen Problemen bei der Instandhaltung musealer Werte, die sich in Zeiten des Krieges naturgemäß noch verstärkten. Bei der Verteilung der nationalen Sammlungen auf Museen im französischen Staatsgebiet hatte seit der Zeit der Revolution der Louvre, aufgrund des ihm von seinen Gründern zugeschriebenen universellen Charakters, eine uneingeschränkte Vormachtstellung eingenommen. Dieses Verteilungsverfahren schürte bei den Kustoden der Provinzmuseen Ängste vor jeglicher Bewegung ihrer Kunstwerke im Rahmen der Kriegsauslagerungen, die möglicherweise ihre Rückkehr in die Pariser Mutterinstitution nach sich ziehen würde. Sie befürchteten weiterhin, ganz im Gegensatz zu den politischen Verantwortlichen, den Präfekten und Abgeordneten, dass die Auslagerungsdepots nicht hinreichend zur Aufnahme der Werke ausgestattet seien und dass der Transport schädlicher sei als ihr Verbleib im Museum. In den meisten Fällen wurde daher das System der Kunstsicherung durch Auslagerung erst durch den mit der Kriegserklärung ausgelösten Ausnahmezustand kurzfristig und in größter Eile umgesetzt. Die Fälle, in denen für französische Museumssammlungen Schutzmaßnahmen geplant wurden, noch bevor ein Konflikt eintrat, sind selten, die Gründe dafür sind in den vielen oben genannten Vorbehalten gegen ihre Umsetzung zu suchen. Zwar gab es vereinzelt Sicherungsaktionen, jedoch muss es dahingestellt bleiben, ob diese als bewusst getroffene Maßnahmen im Rahmen der Schutzprogramme zu werten sind. Im Januar 1914 etwa empfing die Administration des Beaux-Arts ein Dokument aus der Hand des Bibliothekskonservators von Meaux, Fernand Lebert, das die Überschrift „Musée Bossuet Meaux  : Liste der zu schützenden Werke“ trägt.1 Die betreffenden Kunstwerke des Museums waren zwecks ihrer Verbringung ins alte Bistumsgebäude in Kisten verpackt worden und die Liste Leberts führt die Werke nach ihrem Wert und der Prioritätsstufe im Falle einer Auslagerung geordnet an. Er unterscheidet darin drei Dringlichkeitskriterien, in die sowohl die „vor Ort zu sichernden“ Werke als auch die auszulagernden unterteilt sind, nach Kostbarkeit, nach ihrer Empfindlichkeit und nach ihrer Größe. Danach solle etwa im Fall der imposanten Gipsskulptur L’Été von Mathurin Moreau „der Transport vermieden werden“.2 Im Gegensatz dazu befürwortet der Bibliothekar die Auslagerung einer Serie von 12 Büchern, die das Wappen der Bischöfe von Meaux tragen und die er in die höchste Prioritätsstufe einträgt. Eine Begründung für diese vorausschauenden 236  I  Géraldine Masson

Maßnahmen bleibt jedoch aus, zudem war Fernand Lebert der einzige Konservator, der diese Weitsicht an den Tag legte. In seinem Dokument werden die Bezeichnungen „Konflikt“ oder „Krieg“ im Übrigen kaum verwendet, und letztlich könnte ein Grund für die Auslagerungen auch der schlechte Zustand des Sammlungsgebäudes sein. Schließlich nahmen in dieser Zeit viele Provinzmuseen Umbauten und Sanierungen von Gebäuden vor, deren Zustand für die in ihnen verwahrten Kunstwerke bedrohlich geworden war. Einige Maßnahmen präventiver Konservierung, wie die Sicherung der Kunst gegen Diebstahl oder Brandgefahr, erwiesen sich in der Kriegszeit als durchaus hilfreich. So lässt es sich den Ausführungen des Bürgermeisters von Charleville entnehmen, der in einem Briefentwurf vom 2. September 1913 den Präfekten des Departements Ardennes darüber informiert, dass der Kustode des städtischen Museums vom Museumsinspektor Borchard angeratene Sicherheitsmaßnahmen in seiner Einrichtung durchführe  : Die „Abwehr- und Ausstattungsmaßnahmen werden immer von Nutzen sein, egal um welche Widrigkeit es sich handelt.“3 In allen anderen Fällen fielen die Sicherungsmaßnahmen mit dem Eintreten des Krieges zusammen.

Maßnahmen mit vielen Beteiligten Verschiedenste Initiativen jener Zeit zeugen von der Sorge um die Rettung des kulturellen Erbes und eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure war darin involviert. Die Beteiligten, darunter die Nationalmuseen, die Kustoden, die Kommunen, die französische und die deutsche Armee, begannen nach Kriegsbeginn jeweils ihre Kompetenzen und ihr Expertenwissen auszuloten, um Maßnahmen zur Bewahrung des Kulturerbes in Angriff zu nehmen, die letztlich über den reinen Schutz der Kunst hinaus zu einer beträchtlichen Aufwertung der Sammlungen führen sollten. Die Administration des Beaux-Arts und die französische Regierung waren die Initiatoren und Prozessgestalter der Sicherung des nationalen Kulturerbes. Dessen Bedeutung rechtfertigte bisweilen eilig angeordnete Einsätze, wie im Fall des Château de Compiègne, das in der von deutschen Einheiten schon zu Beginn des Krieges eroberten Zone lag, und dessen Gobelins ab dem 26. August 1914 in Sicherheit gebracht wurden.4 Vor dem Hintergrund des Vorrückens deutscher Streitkräfte beschleunigte hier der Unterpräfekt des Departements Oise die Auslagerung der Werke.5 Als Compiègne 1915 Ziel von deutschen Bombardements wurde, erhielt der Konservator des Schlosses, Gabriel Mourey, vom Unterstaatssekretär für die Künste, Albert Dalimier, den Befehl, das Mobiliar des Schlosses in eine sichere Stadt in der Umgebung, beispielsweise Senlis, zu verfrachten.6 Die Administration des Beaux-Arts besaß allerdings nur beschränkte Handlungsmöglichkeiten und musste sich in der Regel damit begnügen, den Kommunen beratend zur Seite zu stehen oder deren Maßnahmen zu begleiten. Diese Unterstützungsversuche wurden jedoch beileibe nicht immer in die Tat umgesetzt – die Unabhängigkeit der Kommunen war ein Grund dafür, ein anderer der Mangel an finanziellen und menschlichen Ressourcen zum Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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Zeitpunkt der Evakuierungen. So gaben nach der Kriegserklärung im August 1914 die Präfekturen zum Beispiel eine Flut von Auslagerungsordern weiter, auf die die überforderte Administration teilweise mit beträchtlicher Verzögerung reagierte. Also begannen die Kustoden, auf der Grundlage der spärlichen schon vorliegenden Beschlüsse, auf eigene Faust zu handeln. Das Museum von Lille wurde beispielsweise unmittelbar nach Ausbruch des Krieges beordert, seine umfangreichen Sammlungen, zu denen viele staatliche Dauerleihgaben gehörten, in Sicherheit zu bringen. Die ersten Vorstöße der deutschen Armee unterbanden allerdings die Durchführung der Auslagerungen und der Museumsdirektor Émile Théodore versuchte vergeblich, neue Anweisungen zu erhalten, nachdem am 22. August 1914 in der Stadt der Verteidigungszustand eintrat. Ohne präzisere Anweisungen von der Präfektur als die, „die Kunstwerke des Museums an einen sicheren Ort [zu] verlagern“, organisierte er aus eigenem Antrieb elf Wächter, mit denen er am 23. und 24. August die Unterbringung der wertvollsten Werke in die ebenerdig liegenden Galerien und in die Keller durchführte, wie er in seinem in der Revue du Nord erschienenen „Abriss der Geschichte des Palais des Beaux-Arts während des Krieges“ erzählt.7 Die Notwendigkeit, die Denkmäler und Kunstwerke der von den Kampfhandlungen betroffenen Gegenden vor dem Konflikt zu retten, veranlasste den Generalinspekteur der Denkmalbehörde (Monuments historiques) und des Referats der beweglichen Kulturgüter (Service des objets mobiliers), Paul Frantz Marcou, einen Bericht zu verfassen, in dem er die Fortführung der Auslagerungen fordert.8 Von Oktober 1916 an warnte er den Unterstaatssekretär für die Künste vor der Gefahr, der zahlreiche Museumgebäude und die darin untergebrachten Sammlungen ausgesetzt seien, sowie vor den Risiken durch den mehr oder weniger ausgeprägten Zustand der Vernachlässigung, in dem sie sich befänden und der sie ebenfalls verwundbar mache. Auch mahnte er – natürlich mit dem gebührenden Respekt vor der Autorität der Administration des Beaux-Arts – zur Pflicht, die Aktionen mit den militärischen Stellen abzustimmen. Sein Engagement führte zur durch Ministerialerlass vom 21. Mai 1917 beschlossenen Einrichtung der Interministeriellen Kommission zum Schutz der Denkmäler und Kunstwerke im Kriegsgebiet (Commission interministérielle de protection des monuments et œuvres d’art de la zone des armées), die mit der Suche nach Kunstwerken beauftragt war und deren Bewahrung bzw. Verlagerung sicherzustellen hatte.9 Paul Léon, Leiter der Abteilung Architektur (Service d’architecture), der Oberstleutnant Toutain, Marcou selbst in beratender Funktion sowie Arsène Alexandre, der Generalinspekteur der Museen der Departements, waren Mitglieder dieser Kommission. Für die praktische Umsetzung der Beschlüsse verfügte sie über eine Dienststelle zum Schutz und zur Evakuierung der Denkmäler und Kunstwerke (Service de protection et d’évacuation des monuments et œuvres d’art), die dem Referat der besetzten Regionen (Service des régions envahies) des Kriegsministeriums unterstellt war und von Paul Léon geleitet wurde.10 Auf diese Weise konnte sie sich auf die militärische Organisation und Infrastruktur stützen, wenn es darum ging, die Mobilität und die Bereitstellung menschlicher und materieller Ressourcen in den Kriegsgebieten zu gewährleisten. Mithilfe dieser Dienststelle konnten die Sammlungen der städtischen Museen von Bailleul im Norden, von Arras, Boulogne-sur-Mer, des Musée de Picardie von Amiens, des städtischen Museums 238  I  Géraldine Masson

Abb. 1: Das Depot von Eu (Seine-Maritime) in der Chapelle du collège am 18. Juni 1918

und des Musée Boucher de Perthes von Abbeville im Departement Pas-de-Calais von der Front geborgen und in Depots gebracht werden, zusammen mit Kunstschätzen aus Kirchen und historischen Denkmälern (Abb. 1).

Deutsche Maßnahmen Auch die deutschen Behörden unternahmen Maßnahmen zum Schutz des kulturellen Erbes in den Kriegsländern. In der Folge der Zerstörungen zu Beginn des Krieges und um den im Ausland geäußerten Vorwürfen der „Barbarei“ entgegenzutreten, rief man den „Kunstschutz“ ins Leben, 1914 für Belgien und 1916 für den Norden Frankreichs. Der Generaldirektor der Königlichen Museen zu Berlin, Wilhelm von Bode, und der Direktor des Kaiserlich-Deutschen Institutes für Ägyptische Altertumskunde, Ludwig Borchardt, sowie der Kunsthistoriker und Denkmalpfleger der Rheinprovinz, Paul Clemen, wollten durch dieses Organ die internationale kulturelle Präsenz Deutschlands neu definieren. Seit den ersten Monaten des Krieges und bis zum jeweiligen Waffenstillstand unternahmen deutsche und österreichische Kunsthistoriker, Archäologen, Volkskundler, Architekten und Historiker KonservierungsDie Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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und Forschungsmaßnahmen am Kulturgut in den von den Mittelmächten besetzten Gebieten Europas  : an der Westfront in Belgien und Nordfrankreich11, an der Ostfront in Ostmittel- und Südosteuropa12 sowie an der italienischen Front13. Im Rahmen des „Kunstschutzes“ oder auch auf eigene Faust führten sie archäologische Grabungen, museografische Studien, Arbeiten zur Geschichte der Städte und architekturhistorische Forschungen sowie Studien zur Rekonstruktion durch.14 Doch auch wenn sich der „Kunstschutz“ einerseits einer Doktrin des Bewahrens verschrieb, war damit für einige der Beteiligten gleichzeitig das inoffizielle Endziel der Beschlagnahme eines Teiles der Kunstschätze gemeint. In der Tat sahen Akteure wie Wilhelm von Bode im „Kunstschutz“ ein Instrument, um den napoleonischen Kunstraub auszugleichen, indem in Frankreich beschlagnahmte Werke bei den Friedensverhandlungen gegen seinerzeit in Deutschland geraubte Werke getauscht werden sollten. Der mit dieser Mission beauftragte Theodor Demmler, Konservator am Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, besuchte von Oktober bis Dezember 1916 die öffentlichen und privaten Sammlungen in den umkämpften Gebieten im Norden Frankreichs, um Kunstwerke auszuwählen. Am Beispiel des Palais des Beaux-Arts in Lille lassen sich die deutschen Begehrlichkeiten gut illustrieren  : Die Sammlungen des Museums bauen vor allem auf den Werken auf, die die Stadt Lille 1834 dem Vermächtnis Jean-Baptiste Wicars verdankt, einem Maler, der Mitglied ebenjener Kommission war, die während der napoleonischen Beutezüge in Italien mit der Auswahl der in Rom zu konfiszierenden Kunst betraut war. In der Sammlung fanden sich Werke bedeutender deutscher Künstler, vor allem unter den Zeichnungen und der Reproduktionsgrafik, darunter die emblematische Eisennadelradierung von Dürer, die seinen Kollegen Lucas van Leyden zeigt. Die Aufgaben Wicars in napoleonischer Zeit warfen Fragen in Bezug auf die Provenienz der Meisterwerke aus seinem Nachlass auf, zumindest für Demmler, der glaubte, es hier mit aus Deutschland geraubter Kunst zu tun zu haben. Unter dem Vorwand der schweren Kriegsschäden, die das Musée des Beaux-Arts de Lille seit 1914 erlitten hatte, ordnete er 1917 die Verlagerung der Sammlungen an. Émile Théodore und der Bürgermeister von Lille hatten bis dato den Auslagerungen der Werke stets Widerstand entgegengesetzt, da sie die Sicherungsmaßnahmen für eher schädlich als nützlich erachteten und nun zudem einen Weitertransport nach Deutschland befürchteten. Zwar fügten sie sich dem Befehl, doch versuchten sie, bestimmte Werke den Auslagerungen zu entziehen. Wie sie stellte sich auch der Kustode des Museums von La Fère zunächst den Anordnungen Demmlers entgegen. Er ließ die Kunstwerke verpacken, versiegelte die Kisten, sobald die offizielle Visite des Deutschen angekündigt war, und als Demmler nicht kam, ließ er die Kisten auf eigene Faust nach Fourmies und später Valenciennes bringen, um sie dort im deutschen Zentraldepot einzulagern.15 Es kam andererseits durchaus vor, dass die Sorge um die Sammlungen den Sieg über die Feindschaft davontrug und zur Verständigung mit den Deutschen führte. Die prähistorischen Objekte des Museums von Saint-Quentin waren nach Auffassung ihres Konservators Théophile Eck schlicht zu empfindlich und drohten bei einem Transport in Stücke zu brechen. Die deutschen Behörden, in der Person Leutnant Detlev von Hadelns, folgten dieser Ansicht und beließen die Artefakte in Saint-Quentin.16 240  I  Géraldine Masson

Abb. 2: Ein deutscher Museumskustode (Theodor Demmler?) am Schreibtisch des Valencienner ­Museumsdirektors, um 1917

In ihrer 2006 veröffentlichten Dissertation und mehreren weiteren Forschungsarbeiten erörtert Christina Kott die Divergenz französischer beziehungsweise deutscher Quellen, wo es um Verwicklungen französischer Kustoden in die Arbeit des „Kunstschutzes“ und den beidseitigen Willen zur Zusammenarbeit geht.17 Demmler für seinen Teil beklagte den Mangel an Kooperation seitens der Franzosen und die politischen Schwierigkeiten, den „Kunstschutz“ durchzusetzen. Ihn störte ebenso sehr die fehlende Motivation der Militärs wie die Feindseligkeit der Kustoden und Bürgermeister, die er in deren Angst begründet sah, eine eventuelle Kooperation vor der Administration des Beaux-Arts rechtfertigen zu müssen. Aus Sicht der Franzosen fand in der Besatzungszone eine regelrechte Absetzung ihres Museumspersonals statt. Das Verbot der Freizügigkeit für Franzosen in den besetzten Gebieten verhinderte die Einstellung französischer Konservatoren und die Vertreter des französischen Kunsterbes fühlten sich von einer deutschen Administration, die ihnen Verhaltensregeln und Diebstahl- und Brandschutzmaßnahmen bis hin zu Anweisungen zur Präsentation der Werke diktierte, in ihren Kompetenzen nicht anerkannt (Abb. 2). Maurice Bauchond vom Musée des Beaux-Arts von Valenciennes bemerkt dazu im Journal des débats, wie er zusammen mit dem Archivisten Maurice Hénault zwar für konservatorische Tätigkeiten wie der Begutachtung von Gemälden, ihrer Klassifizierung und Hängung herangezogen worden sei, Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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ohne jedoch irgendeine Entscheidungsbefugnis zu besitzen. Er wurde trotzdem heftig von der Kommunalverwaltung Valenciennes kritisiert, die nach dem Krieg sein Verhalten als zu kollaborativ verurteilte. Die deutschen Anordnungen wurden in manchen Fällen dennoch dankbar angenommen, so in Douai, wo der Konservator Paul Belette dem Rat Demmlers folgte, Kunstwerke aus privaten Sammlungen im Museum unterzubringen und zu schützen.

Die Auslagerung als bevorzugte Schutzmaßnahme Da es keine generelle Politik der Sicherung des kulturellen Erbes gab und eine Vielzahl von Akteuren mit unterschiedlichen oder sogar gegensätzlichen Beweggründen und Sichtweisen in den Schutz der Kunstwerke involviert waren, hoben sich die Einzelfälle zum Teil stark voneinander ab. Die Räumung der Sammlungen war die erste der Sicherungsmaßnahmen. Sie betraf die in den Museen selbst aufbewahrten Kunstwerke, aber auch diejenigen, die unter deren Zuständigkeit in anderen städtischen Einrichtungen wie Rathäusern oder Bibliotheken „verstreut“ waren. In Compiègne zum Beispiel evakuierte man neben dem Schloss auch die anderen Gebäude der Stadt, in denen Mobiliar des Schlosses aufbewahrt wurde. Eine zweite Form des Schutzes war der Transport der Werke in Depots, zumeist andere Museen oder Kirchen. Der Louvre und das Panthéon dienten als solche Zwischendepots, Behelfsstationen vor der Weiterreise der Kunstwerke zu den Lagern in der Provinz. Die bekanntesten Depots für die Museen von Blois und des Departements Oise waren die Schlösser von Compiègne und Chantilly. Die Städte Maubeuge und Valenciennes beherbergten weitere imposante Depots, geradezu vom Krieg geschaffene Museen. Die sachgerechte Bewahrung der Werke hatte unter den Schutzmaßnahmen während des Krieges zwar Priorität, doch sie war unter den gegebenen Umständen alles andere als selbstverständlich. In manchen Fällen zeigte sich die berufliche Leidenschaft des Museumspersonals im enormen Einfallsreichtum, den es entwickelte, um die ihm anvertraute Kunst vor Schaden zu bewahren. Émile Théodore kämpfte in Lille für den Verbleib der Werke im Museum und musste sich zeitgleich einer ganz konkreten Bedrohung für ihren Zustand stellen – der durch Wasser  : Die Gemälde wurden im Kellergeschoss des Museums verwahrt, das über einem unterirdischen Kanalsystem errichtet wurde. In Friedenszeiten hielten Pumpen die Gewölbe beständig trocken. Doch während der Besatzung der Stadt funktionierten sie nicht und in die Kellerräume drang Wasser ein. Der Museumsdirektor ließ also von Experten die maximal mögliche Steighöhe des Wassers berechnen und aus Böcken und Brettern kleine Inseln errichten. Die Kreuzabnahme von Rubens verbrachte so etwa die Zeit von 1914 bis 1919 in 75 cm Höhe über dem Wasserspiegel. Die Risiken des Transports der Kunstwerke, oft durch den Zeitdruck der Verlagerung verschärft, wurden durch das hohe Maß an Achtsamkeit abgemildert, die das Museumspersonal aus Sorge um die Erhaltung ihrer Schätze an den Tag legte. Bei der Sicherung der Sammlungen bewiesen die Akteure Fähigkeiten, die in mehrfacher Hinsicht die Professionalität ihres Handelns unterstrichen. Zum Beispiel versuchten sie Schutzgarantien für bestmögliche 242  I  Géraldine Masson

Abb. 3: Der provisorische Verschlag, in dem die Keramiksammlung des Palais des Beaux-Arts de Lille während des Krieges untergebracht war, um 1920

Transportbedingungen zu erlangen. Der Kustode Mourey aus Compiègne fragte 1915 bei der Verwaltung kompetentes Personal, Militärtransporter und das nötige Verpackungsmaterial für die Verlagerung der Kunstwerke an. Angestellte der Verwaltung nationalen Mobiliars (Mobilier national) und 14 Konvois wurden daraufhin für den Transport des historischen Möbelbestandes abgestellt.18 Sie bildeten 1914/15 einen vorbildlichen Sicherungsdienst, der etwa die Listen der Verlagerung von Kunstwerken ins Depot von Chantilly verfasste. Weiterhin entwickelte man für die Sicherungstransporte ein System spezieller Transportkisten und Verpackungen. Dieses sollte sich bei den zu Anfang des 20. Jahrhunderts noch wenig verbreiteten, aber später florierenden temporären und Wanderausstellungen als ungemein erfolgreich erweisen und sich im Zuge des nach 1945 rasant wachsenden Kunstverkehrs vollends durchsetzen. Im Palais des Beaux-Arts von Lille genoss die zu der Zeit Raffael zugeschriebene Büste La tête de cire jedoch schon damals die Ruhe ihres komfortablen Verstecks in einer extra angefertigten ausgepolsterten Kiste unter zwei Treppen oberhalb der Hochwasserzone (sie hatte auch deutsche Begehrlichkeiten geweckt und nur dank Émile Théodore im Museum verbleiben können). Die regional bedeutende Keramiksammlung erfuhr ihrerseits eine Vorzugsbehandlung in eigens für die Lagerung angefertigten Verschlägen (Abb. 3). Die Rettungsaktion vor dem Wasser erlaubte eine anschließende Evaluierung des konservatorischen Zustands der Werke. Zum Beispiel wurde nach der untersuchten Toleranz für Luftfeuchtigkeit und die gegebenen Lichtverhältnisse über die Transportfähigkeit der einzelnen Kunstwerke des Museums von Laon, die nach Valenciennes gebracht werden sollen, entschieden.19 In einem Bericht über die Fortschritte bei der Wiedereinrichtung des Museums von Lille im Jahr 1924 konnte Émile Théodore auf sein damals erworbenes Fachwissen zurückgreifen  : „Wie Sie wissen, liegt mir mehr als jedem anderen schon lange am Herzen, die Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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Kunstwerke unserer Museen wieder in einen ausstellungsfähigen Zustand zu bringen […]. Die Frage der Luftfeuchtigkeit ist enorm wichtig für die Bewahrung unserer Werke […] viele sind auf Holz gemalt […].“20

Deutsche Expertise Eine Anzahl von Kunstwerken profitierte sogar von exzellenten Bedingungen. Die Zentraldepots von Valenciennes und Maubeuge schufen in der Tat sehr sachgerechte Verhältnisse für die Ausstellung der Werke. Von 1916 bis 1918 bewahrte das Musée des Beaux-Arts von Valenciennes, ab Mai 1917 ein Zentraldepot, einen Teil der Meisterwerke der Museen von Lille, Cambrai und Douai auf. In Ermangelung deutschen Personals übertrugen die deutschen Behörden die Sicherung der Kunstwerke der Kommunalverwaltung von Valenciennes, die sie vor Diebstahl und Verfall schützen sollte. Im Gegenzug übernahm ein Kunstschutzbeauftragter der deutschen Besatzungsverwaltung die Instandhaltung der Werke, die Auswahl zur Ausstellung und ihre Zuweisung in bestimmte Museumssäle.21 Maurice Bauchond berichtet von dessen Tätigkeit in dem schon weiter oben genannten Beitrag im Journal des débats.22 Der Kunsthistoriker Hermann Burg, der mit der Auswahl der zu zeigenden Werke betraut war, bevorzugte unter den zahlreichen Stücken, die in Valenciennes ankamen, diejenigen, die zwischen Museums- und Privatsammlungen Parallelen aufzeigen konnten. Seine Hängung ließ den Werken Luft und Raum und war von den Präsentationsprinzipien des Generaldirektors der Königlichen Museen zu Berlin, Wilhelm von Bode, inspiriert. Angelehnt an die Ausstattung von Ehrensälen oder der Uffizischen Tribuna ging es darum, Kunstwerke unterschiedlicher Gattungen zu einem Thema zu gruppieren. Obwohl diese Form der Präsentation in Deutschland zuweilen als anachronistisch – da ahistorisch – kritisiert wurde, ermöglichte sie im Fall von Valenciennes die innovative Gegenüberstellung von Skulpturen des Musée des Beaux-Arts der Stadt und Tapisserien aus privatem Besitz. Schließlich gehörten zu den ersten nutzbringenden Unternehmungen der deutschen Behörden auch profanere Aktionen wie die Ausstattung der Kellergeschosse des Museums mit elektrischem Licht und das Verlegen eines festen Bodenbelags. Die Sichtbarkeit der Kunstsammlungen lag durchaus auch im Interesse der deutschen Verwaltung, die in Maubeuge das Konfektionshaus Au Pauvre Diable beschlagnahmte, um dort die Werke des Musée Antoine Lécuyer in Saint-Quentin auszustellen.23 Ein Beitrag des Architekten Wilhelm Keller über das Museum in der Fachzeitschrift Innendekoration erlaubt heute Rückschlüsse über die Ausstellungsgestaltung im Pauvre Diable.24 Das Obergeschoss war in sechs Räume eingeteilt, in denen Kunstmöbel, Gemälde und Skulpturen nach Epochen angeordnet waren  ; vier weitere Zimmer mit Dekor aus dem 18. Jahrhundert blieben für Pastelle von Quentin de la Tour aus dem Museum von Saint-Quentin reserviert. Die Hängung der Gemälde wurde sorgfältig geplant  : Ein großformatigeres Fürstenportrait [Prinz Xaver von Sachsen] flankierten hier etwa beidseitig je zwei Bildnisse, die so ausgerichtet waren, 244  I  Géraldine Masson

dass die Blicke der Dargestellten mit dem des zentralen Portraits beim Betrachter zusammenliefen. Von dieser Hängung inspirierte man sich bei der Ausstellung derselben Werke im Louvre in der unmittelbaren Nachkriegszeit.25 Noch eine weitere Neuerung, die man heute als selbstverständlichen Teil der Erforschung und Verbreitung von Sammlungen wahrnimmt, stammt aus der Kriegszeit. Es handelt sich um die fotografische Dokumentation der Werke, vom „Kunstschutz“ initiiert, die deutsche Konservatoren wie Johann Baptist Keune vom Metzer Museum schon praktizierten.26 Unter die Kulturgutschutzmaßnahmen des Departements Aisne im Depot von Compiègne fiel auch die systematische lichtbildliche Dokumentation der Kunstwerke. Sie zeigt die stringente Befolgung der vom Kustos Édouard Sarradin entwickelten Methoden, und dessen kongeniale Idee, den fotografischen Dienst der Armee für seine konservatorischen Belange einzuspannen. Die Fotos vervollständigen die Protokolle der Auslagerungen, die eine kurze Beschreibung der Werke, ihrer Verpackung und ihren Lagerort umfassen. Es lässt sich dergestalt ein recht genaues Bild von Anzahl und Bedeutung der ausgelagerten Werke gewinnen.27 Die Umsetzung der Verlagerungsmaßnahmen beruhte also auf konservatorischen Grundlagen zum Wohl der Kunstwerke, ebenso erlaubten sie neue Sichtweisen auf die Sammlungen als solche. Die durchaus vorteilhaften Nebeneffekte der Auslagerungen sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie einen gigantischen Arbeitsaufwand bedeuteten, vor allem beim Rücktransport der Werke und der Neuorganisation der Sammlungen. Die weiträumige Verteilung der Kunstschätze während des Krieges und die Vielzahl der involvierten Akteure machte die Bestandsaufnahme der Kunstwerke nach dem Krieg zu einer äußerst umfangreichen Aufgabe für das Museumspersonal.

Die Neuorganisation der Museen nach dem Krieg Die zuvor in dem Umfang nie dagewesene Bewegung von Kunstwerken schaffte hingegen auch verbesserte Grundlagen für eine konservatorische Arbeit, die ihre Schlüsse aus der durch den Krieg veränderten Wahrnehmung der Sammlungen gezogen hatte. Neue Herangehensweisen an die Präsentation der Werke entstanden daraus ebenso wie an den Erwerb von Kunst für die Sammlungen und deren Katalogisierung. In vielen Museumsgebäuden waren während des Krieges Dächer, Fenster oder auch Zwischenwände zerstört worden. Dies ermöglichte im Zuge der Neuorganisation der Museen auch die Umsetzung neuer museografischer Ansätze, die sich in drei Bereiche einteilen lassen  : Die Präsentation der Kunstwerke sollte sich zunächst an jener der Vorkriegszeit orientieren. Nun grenzte aber die Rückkehr zum Status quo ante für bedeutende Sammlungen wie der von Lille nach all den Verlagerungen, Verstreuungen und Verschleppungen zuweilen an die Unmöglichkeit. Überglücklich konnte deshalb der Maler Georges Ferré im Oktober 1920 in der Zeitschrift L’Illustration die Wiedereinrichtung des erst kurz vor dem Krieg neu gestalteten Rubenssaals verkünden und die des Saales für Archäologie, in dem in einer provisorischen Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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Vitrine die schon erwähnte Tête de cire gezeigt wurde.28 Die Rückkehr zum Normalzustand im Palais des Beaux-Arts von Lille war jedoch durch den Mangel an Personal und Geldmitteln kein leichtes Unterfangen, und Ferré betonte vor allem die vielen Widrigkeiten, denen der Kustos Théodore ausgesetzt war. Im Gegenzug dazu nutzten einige Konservatoren die Rückkehr der Sammlungen, um eine neue Auswahl an zu zeigenden Kunstwerken zu treffen und ihnen mehr Raum zu lassen. In Compiègne beschloss der Kustos Sarradin „die Möbel und die wertvollen Gemälde, die sich durcheinander in den Sälen türmen“, auszumisten.29 Sein Kollege Stéphane Leroy vom Musée de Douai informierte die Administration des Beaux-Arts in zahlreichen Berichten an den Generalinspektor der Provinzmuseen akribisch genau über sämtliche Fortschritte bei der Neupräsentation seiner Sammlungen und erklärte 1933 schließlich  : „Ich habe die Hängung der Gemälde in den neu gestrichenen Ausstellungsräumen nun fast abgeschlossen. Dabei habe ich streng ausgesondert.“30 Die Rückkehr der ausgelagerten Kunstwerke bot weiterhin die Möglichkeit, eine stärker an wissenschaftliche Kriterien und die historischen Bedingungen angepasste Präsentation ins Auge zu fassen. Im Schloss von Compiègne wurde die Heimkehr des historischen Mobiliars in diesem Sinne zu einem symbolischen Akt. Für das Schloss als einer Einrichtung, die zuvor als Möbellieferant für Verwaltungsgebäude gedient hatte, war dies ein Bekenntnis zur musealen Bewahrung der Stücke und gleichzeitig eine Anerkennung der Bestimmung des Ortes. Édouard Sarradin verfasste 1926 einen Bericht an die Administration des Beaux-Arts, in dem er minutiös über die Auswahl der Stücke nach den Kriterien einer historischen Präsentation in Einklang mit dem Dekor der Räumlichkeiten Auskunft gibt und mit dem er die Fehler der vorherigen Ausstellung zu korrigieren suchte.31 Diese Rekonstruktion eines historischen Zustands habe von ihm gründliche Vorarbeiten auf der Grundlage der historischen Quellen erfordert. Mit dem Einzug neuer Präsentationsweisen wurde auch der Beleuchtungssituation ein hoher Stellenwert eingeräumt. Das Schaffen von Ausstellungsbedingungen, in denen die Kunstwerke in hellen und luftigen Räumen zur Entfaltung kommen konnten, hatten die französischen Kustoden von ihren deutschen Kollegen erlernen können. Die Verantwort­lichen des „Kunstschutzes“ hatten der Frage der Beleuchtung viel Wichtigkeit beigemessen und sie sogar als Begründung für von ihnen organisierte temporäre Ausstellungen in Maubeuge und Valenciennes herangezogen.32 Ein weiteres Beispiel sind die Sammlungen des Museums von Cambrai, die vom Krieg schwer beschädigt waren. Der Museumsdirektor Ernest Gaillard nahm dies zum Anlass, die Reparationsgelder in den Ankauf von Gemälden zu investieren, die er nun im vollen Licht des Tages präsentierte. Der Museumsinspektor Louis Hautecœur war von der Idee Gaillards begeistert  : „Da das Gebäude klein ist, hat er kleine Stellwände zwischen den Fenstern angebracht und die Gemälde so in gutes Licht gerückt. Dafür kann man Monsieur Gaillard nicht genug loben.“33

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Restaurierungen, Neuerwerbungen, Kataloge Neben moderneren Modi der Ausstellung von Kunst brachte der Krieg den französischen Museumskustoden viel Wissenszuwachs in Bezug auf die Restaurierung von Kunstwerken. Der Direktor des Palais des Beaux-Arts von Lille, Émile Théodore, verkündet dazu stolz  : „Die Ergänzungsarbeiten an den Kunstwerken wurden nach den neuesten Erkenntnissen in dem Bereich durchgeführt, und es ist nicht zu hoch gegriffen zu behaupten, dass die Qualität der Arbeit in Bezug auf Technik und Gewissenhaftigkeit mit der der größten Kunstzentren in Frankreich oder im Ausland mithalten kann.“34 (Abb. 4). Auch im Museum von La Fère ist der Kustos Martinet zufrieden, dass „alle Gemälde 1932 zur Instandsetzung des Museums restauriert waren. Nur ein Triptychon aus dem 15. Jahrhundert, das im Krieg von 1870 einen Granatsplitter abbekommen hatte, ist nie restauriert worden“ (worauf der Konservator jedoch schon bei der Auslagerung hingewiesen habe).35 Die neuen Perspektiven auf die Sammlungen, die deren Exil und ihre Ausstellung mit sich brachte, erlaubte dem Museumspersonal auch das Überdenken der Struktur ihrer Museen und der Zusammensetzung ihrer Bestände. Einige sachkundige Kustoden wussten insbesondere aus den Reparationszahlungen ihren Nutzen zu ziehen. Stéphane Leroy vom Musée de Douai kaufte von den bedeutenden Kompensationen für die Verluste des Museums impressionistische Kunst an. Er setzte damit seine Sicht der französischen Kunstgeschichte um, die sich dem konventionellen Beschwören der Malerei der Salons entgegenstellte und die derart gewagt bislang nur in wenigen Städten, die impressionistische Kunst besaßen wie Lyon, Rouen oder Grenoble, zu sehen war. Leroy handelte vorausschauend, da er sich im Klaren darüber war, dass noch keines der kleineren französischen Provinzmuseen solche Kunstwerke besaß. Durch seine Ankäufe konnte er nun große Meister des Impressionismus wie Sisley zeigen, auch ausländische Künstler wie Jongkind, aber ebenso Künstler aus der Region wie Cazin, le Sidaner oder Amman-Jean. Das zunächst von der deutschen Armee und später den britischen Besatzungstruppen verwüstete Museum von Cambrai erhielt 240.000 Francs an Entschädigungszahlungen, die dessen Direktor Gaillard in den Erwerb neuer Werke anlegte. Nur wenige Gemälde waren hier restituiert worden. Anstatt die verschwundene Sammlung prächtiger mittelalterlicher Goldschmiedearbeiten und Schmuckstücke zu rekonstruieren, entschied sich Gaillard 1933 dazu, Gemälde von Marquet und Signac anzukaufen.36 Für die deutschen Kunsthistoriker hatten Museumskataloge längst oberste Priorität, noch dazu dienten sie als Propagandawerkzeuge im Krieg. Als auf die neue Präsentation und Neuorganisation der Sammlungen in den 1930er-Jahren auch die Publikation neuer Kataloge für die Museen von Lille, Douai, Valenciennes und Saint-Quentin folgte, konnte man also auf die Methoden der deutschen Kollegen zurückgreifen. In Valenciennes hatte Maurice Bauchond die materielle Qualität des deutschen Katalogs mit 130 fotografischen Abbildungen für die Ausstellung im Zentraldepot hervorgehoben. Nun erhielten auch die neuen französischen Publikationen mehr Abbildungen, die zudem mit um die Größe der Kunstwerke und ihren Zustand erweiterte Bildunterschriften versehen wurden. Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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Abb. 4: Albumblatt mit Fotografien des zerstörten Saal Nr. 5 des Musée de Peinture im Palais des Beaux-Arts von Lille. Die Etappen der Restaurierung von Peter Ykens’ Christus stigmatisiert die Hand der hl. Theresia mit einem Nagel, Montage von 1923

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Fazit Der Erste Weltkrieg war für die französische Museumsgeschichte eine Zeit intensiver Betriebsamkeit, geprägt durch Austausch und eine Mobilmachung auf breiter Front für die Sammlungen der Museen. Die Rettung der Kunstwerke führte zu großartigen Leistungen, die in Bezug auf die Sammlungen eine zu Beginn kaum zu erahnende Wertschöpfung nach sich zog. Konservatorische Bedingungen wurden erprobt und die Sichtbarkeit einiger Sammlungen gesteigert, wie im Fall der bedeutenden Pastell-Sammlung von Saint-Quentin, die wie weiter oben erwähnt zunächst in neuer Hängung präsentiert und dann als Teil einer Ausstellung im Louvre auf nationaler Ebene gefeiert wurde. Folgt man dem Kurator der Ausstellung im Louvre, Jean Guiffrey, blieb diese Episode im „prächtigen Exil“ zwar für die Kunstwerke der Provinzmuseen einzigartig. Sie ist aber bezeichnend für die Tatsache, dass der Erste Weltkrieg für eine ganze Generation von Museumskustoden in mehr als einer Hinsicht nachhaltige Lehr­erfahrungen bereithielt. Sie alle blieben bis Mitte der 1930er-Jahre auf ihren Posten, sie alle gaben die konservatorischen Techniken, die während des Krieges und der Wiedereinrichtung der Museen entwickelt wurden, weiter. Sie alle hatten erfahren und gelernt, was Zusammenarbeit heißt. In einem Brief an den Direktor der Abteilung Kunstwerke, Museen und Ausstellungen (Bureau des travaux d’art, des musées et des expositions) der Administration des Beaux-Arts vom 27. März 1924 schreibt der Konservator Émile Théodore vom Museum von Lille demgemäß, dass „die technischen Arbeiten der Wiederherstellung der Sammlungen im Palais des Beaux-Arts von Lille […] erfordern, dass die Beschlüsse in gegenseitigem Einvernehmen mit der Stadt Lille und den jeweiligen Spezialisten (Gemälderestauratoren, Steinbildhauer, Vergolder, Dekorateure) gefasst werden, denn wenn der Krieg uns eines gelehrt hat, ist es die Zusammenarbeit und den Kontakt zu unseren deutschen Kollegen zu suchen.“37 Übersetzt von David Blankenstein

Anmerkungen 1 Archives des Musées nationaux (AMN), Z66, Brief von Fernand Lebert an die Direction des Beaux-Arts vom 12.1.1914, Meaux („Musée Bossuet Meaux  : liste des œuvres à protéger“). 2 Ebd. „à protéger sur place“, „éviter d’être déplacée“. 3 AMN, Z66, Beschlüsse des Stadtrats von Charleville, reguläre Sitzung vom 30.10.1912. „Travaux de défense et d’aménagement trouveront toujours utilité quelle que soit l’adversité“. 4 Élisabeth Caude, Le château de Compiègne dans la tourmente de la Grande Guerre (1914–1919), Ausst.-Kat. Musée national du château de Compiègne (7.11.2002–10.3.2003), Paris 2002, 21. 5 Ebd. 6 Ebd., 22. 7 Émile Théodore, „Éphémérides des musées du Palais des Beaux-Arts pendant la guerre“, in  : Revue du Nord, Bd. 6, 1920, 38–48, hier 41. Zu Emile Théodores Aktion im Ersten Weltkrieg vgl. Michèle Clarebout-Adamczyck u. François Robichon, „La grande misère du musée de Lille. Émile Théodore, Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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un conservateur exemplaire pendant la Grande Guerre“, in  : Revue du Nord, „La première guerre mondiale dans le nord de la France et en Belgique“, Bd. 96, Januar–Juni 2015, 241–270. „mettre les œuvres d’art du musée en lieu sûr“. 8 Vgl. Gaëlle Pichon-Meunier, „Le service de protection et d’évacuation des œuvres d’art pendant la première guerre mondiale  : l’apport des archives de la Médiathèque de l’architecture et du patrimoine“, in  : Philippe Nivet (Hrsg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine, Amiens 2013, 280–304, hier 282f.; dies., „Déplacer, protéger, inventorier  : le service français de protection et d’évacuation des monuments et œuvres d’art de la zone des armées, 1917–1919“, in  : Isabelle Bollard-Raineau, Christina Kott u. a. (Hrsg.), Sauve qui veut. Des archéologues et des musées mobilisés, 1914–1918, Ausst.-Kat. Douai 2014, 78–84, vgl. weiterhin 155f. u. 228–232 (mit zahlreichen Abbildungen). 9 Anonym, Journal officiel vom 24.5.1917  ; Pichon-Meunier 2013, 286–288   ; Pichon-Meunier 2014, 10 Ebd. Vgl. auch Emil Hädler, „Kriegsdenkmalpflege 1914–1918. Paul Léon versus Paul Clemen – zwei Denkmalpfleger in feindlichen Lagern“, in  : Die Denkmalpflege, 1/2014, 5–13. 11 Zu Nordfrankreich und Belgien  : Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi  ? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel 2006  ; Zu Belgien  : Marnix Beyen, „Art and architectural history as substitutes for preservation  : German heritage policy in Belgium during and after the First World War“, in  : Nicholas Bullock u. Luc Verpoest (Hrsg.), Living with history, 1914–1964  : rebuilding Europe after the first and second World Wars and the role of heritage preservation, Leuven 2011, 33–44  ; Christoph Roolf, „The Attempted Theft of Dinosaur Skeletons during the German Occupation of Belgium (1914–1918) and Some Other Cases of Looting Cultural Possessions of Natural History“, in  : Pascal Godefroit (Hrsg.), Bernissart Dinosaurs and Early Cretaceous Terrestrial Ecosystems, Bloomington (Indiana/USA) 2012, 21–34. 12 Beate Störtkuhl, „Art historiography during World War I  : Kunstschutz and reconstruction in the General Government of Warsawa“, in  : Kunstiteaduslikke uurimusi, Bd. 23, 3–4/2014, 157–181. Die Autorin hat zusammen mit Robert Born im April 2015 einen Workshop zu dem Thema organisiert  : „Apologeten der Vernichtung“ oder „Kunstschützer“  ? Kunsthistoriker der Mittelmächte im Ersten Weltkrieg“, Projektgruppe ‚Geschichte bauen‘, Geisteswissenschaftliches Zentrum Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas (GWZO), Universität Leipzig/Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa (BKGE), Oldenburg). Ein Forschungsprojekt zum gleichen Thema ist im Aufbau. 13 Jonathan Blower, „Max Dvořak and Austrian Denkmalpflege at War“, in  : Journal of Art Historiography, https://arthistoriography.files.wordpress.com/2011/02/media_139127_en.pdf (19 Seiten) [Letzter Zugriff  : 13.4.2015]  ; Hans Tietze, „Österreichischer Kunstschutz in Italien“, in  : Paul Clemen (Hrsg.), Kunstschutz im Kriege. Berichte über den Zustand der Kunstdenkmäler auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen und über die deutschen und österreichischen Massnahmen zu ihrer Erhaltung, Rettung und Erforschung, Bd. 2. Leipzig 1919, 50–70. 14 Z. B. Georg Weise, Zwei fränkische Königspfalzen. Bericht über die an den Pfalzen zu Quierzy und Samoussy vorgenommenen Grabungen, Tübingen 1923  ; Christian Rauch, Aus Städten und Schlössern Nordfrankreichs. Douai, Kultur- und kunstgeschichtliche Studien in Nordfrankreich, Bd. 2, Heidelberg 1917  ; Heribert Reiners, Eine Römersiedlung vor Verdun, herausgegeben im Auftrage des AOK 5, München 1918  ; Paul Weber, Wilna. Eine vergessene Kunststätte, Wilna 1917. Vgl. auch Heino Neumayer, „Découvir, fouiller, acquérir. Les activités des archéologues allemands dans la France occupée“, in  : Bollard-Raineau/Kott 2014, 127–147.

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15 Kott 2006, 322. 16 Bollard-Raineau/Kott 2014, 198f. Die Entscheidung des Kunsthistorikers von Hadeln führte zu einem Konflikt mit dem deutschen Archäologen Gerhard Bersu, der für eine Verlagerung plädierte, vgl. Kott 2006, 273. 17 Kott 2006, 322–323  ; 353–357. 18 Caude 2002, 22. 19 Kott 2006, 320. 20 AMN, Z66, Inspektionsbericht vom 17.3.1924, Lille. „ Plus que quiconque, vous savez, je désire depuis longtemps remettre en état d’exposition les œuvres de nos musées […]. Cette question d’hygrométrie est des plus importantes pour la conservation même des œuvres […] beaucoup sont peintes sur bois […].“ 21 Kott 2006, 341f. 22 Maurice Bauchond, „Les œuvres d’art déposées au musée de Valenciennes pendant l’occupation allemande“, in  : Journal des débats, Nr. 354, vom 20.12.1918, 4. 23 Marc Blancpain, „Quentin La Tour, les tribulations d’une collection de pastels“, in  : Historia, Nr. 503, 1988, 89–95, hier 92. 24 Wilhelm Keller, „Das Museum ‚Au pauvre Diable‘ zu Maubeuge“, in  : Innendekoration, Nr. 29, 1918, 50–57, hier 52. Vgl. Kott 2006, 280–311. 25 Aufgrund der Zerstörung des Museumsgebäudes in Saint-Quentin wurde die berühmte Sammlung von 1919 bis 1930 im Louvre und bis 1932 in der benachbarten Orangerie der Tuilerien ausgestellt, bevor sie in das neu gebaute Museum zurückkehrte, vgl. Hervé Cabezas (Hrsg.), Saint-Quentin – Maubeuge, 1917. Les pastels dans la guerre, Ausst.-Kat. Musée Antoine-Lécuyer, Saint-Quentin 2007, 45–60. 26 Isabelle Bardiès, „Le Professor Keune, conservateur allemand dans la guerre“, in  : De la frontière au front  : un point de vue allemand. Campagnes photographiques, 1914–1917, Ausst.-Kat. Musées de la Cour d’or (14.11.2003–16.2.2004), Metz 2003, 15–21. 27 Caude 2002, 24. 28 Gabriel Ferré, „Le musée de Lille pendant la guerre“, in  : L’Illustration, Nr. 4050, vom 16.10.1920, 276f., hier 276. 29 Caude 2002, 21. „des meubles et des tableaux précieux qui sont entassés pêle-mêle dans les salles“. 30 AMN, Z66, Inspektionsbericht vom 15.2.1933, Douai. „J’en ai a peu près terminé avec l’accrochage des tableaux dans nos galeries nouvellement repeintes. J’ai fait une sélection sévère.“ 31 AMN, Z66, Inspektionsbericht von 1926, Cambrai. 32 Kott 2006, 342. 33 AMN, Z66, Inspektionsbericht von Louis Hautecœur vom 13.3.1933, Cambrai. „Comme l’hôtel est petit il a disposé des épis entre les fenêtres et a mis les tableaux en belle lumière. On ne peut donc que louer l’activité de M. Gaillard.“ 34 AMN, Z66, Inspektionsbericht vom 17.3.1924, Lille. „Les travaux de prothèse artistique ont été exécutés selon les derniers perfectionnements en la matière et qui soit dit sans fanfaronnerie peuvent rivaliser comme technique et comme conscience avec ceux pratiqués dans les plus grands dépôts artistiques de France ou de l’étranger.“ 35 AMN, Z66, Fragebogen zur Vorbereitung der Inspektion vom 29.11.1937, La Fère. „Tous les tableaux ont été restaurés en 1932 lors de la remise en état du musée. Seul un tryptique du XVe ayant reçu un éclat d’obus à la guerre de 1870 n’a jamais été restauré.“ 36 Wie Anm. 23. Die Präventionsarbeit der Kustoden französischer Provinzmuseen   

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37 AMN, Z66, Brief von Émile Théodore an den Leiter des Bureau des travaux d’art, des musées et des expositions der Administration des Beaux-Arts vom 27.3.1924, Lille. „Les travaux techniques de remise en état des collections du Palais des Beaux-Arts de Lille (…) nécessitent des passassions de marchés de gré à gré entre la ville de Lille et des techniciens spécialistes (restaurateurs de tableaux, praticiens sculpteurs agréés, doreurs, ornemanistes) car si la guerre nous a appris une seule chose c’est à travailler ensemble et apprendre à connaitre nos confères allemands“.

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Lukas Cladders

1 9 19 U N D D I E FO LG E N Europäische Museumsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg

November 1918  : Die Waffen auf den wersteuropäischen Schlachtfeldern schweigen, doch Versöhnung und eine dauerhafte Friedensordnung scheinen in weiter Ferne. Dies gilt auch für die Museen  : Ein Wiederanknüpfen von Kooperation und Austausch ist zu dieser Zeit nicht absehbar, die Beziehungen zwischen Vertretern der Häuser in Sieger- wie in besiegten Staaten scheinen auf Jahre vergiftet. Deutsche und österreichische Kunsthistoriker und Denkmalschützer hatten während des Krieges im Rahmen des „Kunstschutzes“ Schritte unternommen, um Kulturgut besetzter Staaten zu schützen. Doch dieser erstmalige Versuch, die Gebote der Haager Landkriegsordnung von 1907 umzusetzen, schlug teilweise um in eine geistige „Beschlagnahme“ des fremden Besitzes, ohne dass tatsächlich Kulturgutraub betrieben worden wäre. In den betroffenen Gebieten Belgiens, Frankreichs und Italiens hatte man die Projekte und das Auftreten der Kunsthistoriker und Denkmalschützer aus dem Lager der Besatzungsmächte als anmaßend und übergriffig wahrgenommen.1 Zudem waren auch dort Erfahrungen mit der Evakuierung von mobilem und dem Schutz immobilen Kulturgutes gemacht worden, die die öffentliche Wahrnehmung für das nationale Kulturerbe geschärft hatten.2 Der Brand der Bibliothek von Löwen, die Beschießung der Kathedrale von Reims oder der Bombentreffer auf die Kirche Santa Maria di Nazareth in Venedig ließen Deutsche und Österreicher entgegen ihrer Selbstdarstellung als Zerstörer wichtiger Kulturmonumente dastehen.3 In der Presse der Siegerstaaten wurde zum Kriegsende hin immer lauter gefordert, die jetzt Besiegten für Verluste im eigenen nationalen Kulturerbe durch Reparationen in Form von Kulturgütern aus staatlichen Sammlungen haftbar zu machen – deutsche und österreichische Museumsleute waren empört (Abb. 1). Doch was geschah anschließend  ? Bis heute hat sich die Forschung immer mit Teilaspekten der Museumsgeschichte der Zwischenkriegszeit beschäftigt. Verschiedene universitäre Disziplinen haben mit unterschiedlichen Fragestellungen Aspekte dieses Themenfeldes bearbeitet. JuristInnen, HistorikerInnen, KunsthistorikerInnen und nicht zuletzt die Museen selbst bearbeiten ein Themenfeld, das in seiner Vielschichtigkeit Interdisziplinarität geradezu fordert. Allerdings sind erst seit den 1990er-Jahren Arbeiten erschienen, die diesen Anspruch erfüllen. Im Folgenden wird deshalb gezeigt, welche Forschung es momentan zu verschiedenen Aspekten der Museumstätigkeit in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkrieges gibt, welche Leerstellen diese aufweist und welche Erkenntnisse durch Zusammenführung verschiedener Ansätze zu gewinnen sind.4 Der Begriff des „Museums“ erfährt hierbei insofern eine Erweiterung, als dass viele Zusammenhänge erst verständlich werden, wenn man den institutionellen Rahmen weiter greift. Ein Museum besteht nicht nur aus einer Sammlung und ihrer Leitung, 1919 und die Folgen  

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Abb. 1: Auch im Frieden ein politischer Ort: Die Berliner Museen. Kundgebung am Weltfriedenstag am 1. August 1920 im Lustgarten vor dem Alten Museum, aus Das interessante Blatt vom 12. August 1920

die sammelt, bewahrt, forscht und ausstellt. Es ist vielmehr ein komplexes System, das über verschiedene Gremien (Kommissionen, Freundeskreise) auf die Zivilgesellschaft und Politik einwirkt, mit dieser interagiert (Kulturpolitik, Ausstellungen, juristische Fragen, Expertisen), sein Personal aus der akademischen Kunstgeschichte rekrutiert und letztlich immer auf einzelne Akteure zurückzuführen ist, die selbst oft über Staatsgrenzen hinweg Kontakte pflegten und über diese Netzwerke Wissen verschiedenster Form austauschten. Im vorliegenden Artikel werden einzelne Personen zur Wahrung der Verständlichkeit weitgehend ausgeblendet. Es hilft aber, sich diesen gewissermaßen organisatorischen Hintergrund eines Museums bewusst zu machen, um zu verstehen, wie schwer ein Argumentieren mit homogenen Entitäten (beispielsweise „die deutschen Museen“) in einem auf vielen Ebenen interagierenden System ist.

Nationales Kulturerbe als Chance und Bedrohung Was also geschah nach Ende des Krieges  ? Kulturgüter waren schon während der Kampfhandlungen zu nationalen Werten stilisiert worden, jetzt wurden sie zu politisch hoch aufgeladenem Verhandlungsgut. Die bisherigen Forschungszugänge für den deutschen Fall bieten dabei interessante Einblicke in die museale Beteiligung an einem vor allem in der Presse der Siegerstaaten geführten Diskurs über die Wiedereingliederung deutschen Museumsbesitzes in 254  I  Lukas Cladders

das nationale Kulturerbe Belgiens, Frankreichs und Italiens.5 An deren Ende stand im Rahmen des Vertrags von Versailles die Abgabe der Seitenflügel des Genter Altars aus dem Berliner Kaiser-Friedrich-Museum und der Seitentafeln von Dieric Bouts’ Abendmahl, die zur Hälfte in Berlin und der Alten Pinakothek in München lagen, an Belgien. Unklar ist bis heute, wie die Verhandlungen über Kulturgüter auf der Pariser Friedenskonferenz abliefen und welche Staaten sich gegen weitreichende Forderungen stellten.6 Der österreichische Fall ist weitaus komplizierter, ging es bei diesem doch nicht nur um Reparationsforderungen, sondern auch um den Zerfall der Donaumonarchie. Lediglich Teil­ aspekte dieses im Vertrag von Saint-Germain fixierten Komplexes wurden bisher näher betrachtet. Drei Bereiche sind dabei zutage getreten  : erstens die Beschäftigung mit den quasi gewaltsamen Entnahmen von Kulturgütern aus den Wiener Sammlungen durch die italienische Waffenstillstandskommission noch vor Abschluss eines Friedensvertrages.7 Zweitens gab es kürzlich zwei Untersuchungen der damals von der österreichischen Regierung ins Auge gefassten Verkaufspläne von Kulturgütern und der hieraus resultierenden Entsendung einer aus Museumsexperten Englands, Frankreichs und Italiens zusammengesetzten Inventarisierungsmission nach Wien.8 Drittens existiert eine juristische Auseinandersetzung mit den Folgen der Auflösung Österreich-Ungarns und den in oft jahrelangen Verhandlungen geklärten Ansprüchen der Nachfolgestaaten auf Kulturbesitz aus Wien.9 Diese verschiedenen Aspekte stehen in engem Zusammenhang, sind in der Forschung allerdings bisher weitgehend getrennt behandelt worden.10 Die wichtige, und oft mehrere Konfliktfelder übergreifende Rolle der Museumsexperten in diesen Fragen wurde dabei nur wenig berücksichtigt.11 Ebenso erscheint es wichtig, die all diesen Fragen unterliegende Vorstellung eines „nationalen Kulturerbes“ stärker zu hinterfragen und sie weniger als juristischen Terminus denn in seiner Dimension als politisches Argument zu begreifen, an dessen Konstruktion Museen aktiv mitwirkten. Unter diesem Aspekt erscheint es auch angeraten, weitere Kontexte zu untersuchen, in denen „nationales Kulturerbe“ explizit oder implizit politische Realisierung fand. Zuvorderst sei dabei an weitere Friedensverträge und Abkommen gedacht, wie beispielsweise den Vertrag von Riga, der den polnisch-sowjetischen Krieg 1921 beendete und zu welchem bereits Forschung besteht.12 Mögliche weitere Debatten, beispielsweise bei der Abtretung der ehemals deutschen Gebiete in Oberschlesien an Polen oder Nordschleswigs an Dänemark, scheinen in der Forschung bisher unbeachtet.13 Bemerkenswert ist auch, dass mit Belgien und Italien Ende 1920 zwei Staaten einen freiwilligen Austausch jeweils eines Meisterwerkes zur Wiedereingliederung in das nationale Kulturerbe des verbündeten Staates initiierten. Beide Staaten, oder die ihnen vorangegangenen politischen Ordnungsformen, hatten in den Jahrhunderten zuvor unter einem massiven Abfluss von Kulturgütern über den internationalen Kunsthandel gelitten. Die Schenkungen können als Versuch interpretiert werden, freiwillige Abgaben nationalen Kulturerbes als moralisches Prinzip zu verankern – ein Prinzip, von dem das Kulturerbe beider Länder massiv profitiert hätte, auch zu Lasten verbündeter Staaten. Die Idee verfing nicht.14 Weiterhin erfuhr die Idee eines nationalen Kulturerbes nicht nur in zwischenstaatlichen Verhandlungen, sondern auch in der staatlichen Kulturpolitik neuen Aufwind. In mehreren 1919 und die Folgen  

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Staaten (u. a. Österreich 1918, Deutsches Reich 1919, Frankreich 1920, England 1921) wurden Gesetze erlassen, die den Export von Kulturgütern in Privatbesitz einschränkten. Gesetze dieser Art waren nicht neu, doch bisher hatte in den meisten europäischen Staaten keine Notwendigkeit bestanden, einen derartigen Eingriff in Privatbesitz vorzunehmen und damit auch eine negative Reaktion der nationalen Kunstmärkte, von denen die einheimischen Museen profitierten, zu provozieren. Doch die durch den Krieg hervorgerufene desaströse wirtschaftliche Lage in Europa setzte viel privaten Kunstbesitz frei, in Deutschland und Österreich auch aus fürstlichem und kirchlichem Besitz. Die allgegenwärtige Sorge – die Abwanderung von Kulturgütern in die Hände wirtschaftlich potenter Sammler und Museen, in diesem Fall vor allem der USA –, die schon seit Ende des 19. Jahrhunderts europäische Kunstkreise beschäftigt hatte, erhielt neuen Nährboden (Abb. 2). Die in den Jahren nach Kriegsende erlassenen Gesetze waren dabei teilweise absolut, sodass wie im österreichischen Fall keine Kulturgüter, deren Erschaffer länger als 20 Jahre verstorben war, ohne Genehmigung ausgeführt werden durften. Im deutschen Fall wurden Kulturgüter in Privatbesitz in Listen erfasst und ihre Besitzer über die Einschränkung im Handel informiert. Hohe steuerliche Belastungen auf Besitz und Handel von Kulturgütern führten allerdings zu Kritik von Seiten der Museen, förderten sie doch den illegalen Handel und erschwerten den staatlichen Häusern den Ankauf. Zudem waren zwei Fragen in der Praxis schwer zu lösen  : Wie sollte mit den Fällen umgegangen werden, in denen eine Ausfuhr untersagt wurde, der Staat selbst jedoch keine Mittel für einen Ankauf aufbringen konnte oder keinen inländischen Käufer fand  ? Letztlich bedeuteten die neuen Gesetze einen massiven Eingriff in privates Eigentumsrecht, ihre ultimative Durchsetzung hätte dieses zentrale Element der kapitalistischen Wirtschaftsordnungen europäischer Staaten in Frage gestellt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa zeitgleich in der 1917 entstandenen Russischen Sowjetrepublik und dem 1919 kurzzeitig kommunistisch regierten Ungarn dieses Spannungsfeld einseitig aufgelöst wurde  : Private Kunstsammlungen wurden „nationalisiert“, also enteignet, und den staatlichen Sammlungen zugeführt.15 In Anbetracht der Schwierigkeit für westeuropäische Staaten, aus dem theoretischen Anspruch eine praktische Handhabe abzuleiten, verwundert es nicht, dass hier vor allem pragmatische Lösungen gefunden wurden. In Deutschland lassen sich einige Fälle finden, bei denen die Museen, denen in diesen Fragen die Rolle der staatlichen Experten zukam, von größeren, zum Verkauf ins Ausland angedachten Privatsammlungen Objekte freigaben, wenn sie im Ausgleich mit einer Schenkung bedacht wurden.16 Und auch in Österreich gingen die Museen sehr strategisch mit diesem neuen Kontrollinstrument um, während in Paris von diesem Mittel wenig Gebrauch gemacht worden zu sein scheint. Der österreichische Fall ist bereits seit Längerem untersucht, seit Kurzem gibt es zudem eine Arbeit über die nach dem Krieg in England und Frankreich eingeführten Exportbeschränkungen für Kulturgüter in Privatbesitz.17 Für den deutschen Fall befindet sich eine Arbeit in Vorbereitung.18 Das zweite praktische Problem ergab sich aus der Beschränktheit der nationalen Gesetzgebungen. Wurde ein Objekt unter Umgehung des Verbots ausgeführt, konnte man zwar den Delinquenten belangen, das Objekt selbst allerdings war verloren. Erste Überlegungen, ein internationales Abkommen zur Rückgabe illegal ins Ausland verbrachter Werke zu schließen, gab es bereits auf dem 1921 256  I  Lukas Cladders

Abb. 2: Neue Sensationspreise. Die Versteigerung von Romneys Beckford Children an Joseph Duveen bei Christie’s in London erregte auch in der österreichischen Presse Aufmerksamkeit. Das Bild verkaufte Duveen an den US-amerikanischen Eisenbahnmagnaten Henry E. Huntington, aus Das interessante Blatt vom 4. Dezember 1919

in Paris abgehaltenen Internationalen Kunsthistorischen Kongress.19 Doch Deutschland und Österreich waren zum Kongress nicht zugelassen, eine Verregelung des internationalen Handels mit Kulturgütern wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg realisierbar.20

Modernisierungsschub und Kulturpolitik Von kunsthistorischer Seite gut erforscht sind zwei Bereiche, die einerseits museumsinterne Wandlungsprozesse betreffen, andererseits zeigen, wie Museen als Akteure in der zwischenstaatlichen Kulturpolitik im Bereich großer Leihausstellungen agierten. Insbesondere im deutschsprachigen Raum war bereits vor dem Ersten Weltkrieg unter dem Begriff „Museumsreform“ eine intensive Debatte über eine Popularisierung des Museums und moderne Ausstellungspraxis geführt worden, die auch in den Niederlanden und den USA rezipiert wurde.21 Die ersten Jahre nach dem Krieg sind in der bisherigen Forschung allerdings wenig untersucht, erst mit Beginn der 1930er-Jahre wird von einer international geführten Debatte ausgegangen, die in der Organisation einer internationalen Konferenz zur Museologie in Madrid 1934 resultierte.22 Allerdings bot die Nachkriegssituation beispielsweise für den Louvre durchaus die Möglichkeit, die zwischenzeitlich evakuierten Sammlungen in einigen Teilen 1919 und die Folgen  

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publikumsfreundlicher zu präsentieren – ohne dabei auf deutsche Vorbilder zu rekurrieren.23 Welche Rolle für die angenommene späte Aufnahme der Debatte gespielt haben mag, dass die Animositäten zwischen Vertretern der ehemals verfeindeten Staaten die persönliche Anschauung ausländischer Praxis und Re-Etablierung einer scientific community zumindest teilweise verhinderten, bedarf weiterer Vertiefung. Zudem gibt es eine weitere Ebene, die hinsichtlich von Modernisierungsprozessen an europäischen Museen eine eingehendere Betrachtung wert ist  : Veränderungen in der musealen Praxis. Fragen der Selbstvermarktung und der Stellung der Museumsbeamten waren letztlich Teil der größeren Diskussion um die gesellschaftliche Rolle der Museen, die sich ebenfalls in der Debatte um die Museumsreform manifestierte. Und nicht zuletzt gab es in den Nachkriegsjahren eine durchaus grenzüberschreitend geführte Diskussion um die Restaurierung alter Meister, den Ausbau naturwissenschaftlicher Laboratorien als neuen Analyseansatz neben quellenwissenschaftlicher Forschung und kunsthistorischer Stilgeschichte und die Einrichtung zentraler Fototheken.24 In der wenigen diese Aspekte berücksichtigenden Forschung fehlt leider bisher eine vergleichende Perspektive, die auch mögliche Verflechtungen in den Blick nimmt. Eine weitere Neuerung nach dem Krieg waren große Kunstausstellungen alter Meister.25 Zwar hatte es auch schon vor dem Krieg Ausstellungen gegeben, für die aus ganz Europa und teilweise auch den USA Bilder entliehen wurden, doch erst nach dem Krieg entwickelten sich regelmäßige Formate. Besonders hervorzuheben sind die ab Beginn der 1920er-Jahre im Pariser Jeu de Paume und im Londoner Burlington House abgehaltenen Ausstellungen von Kunst ausländischer „Nationalschulen“. Mit dem französischen Fall haben sich bereits zwei Arbeiten auseinandergesetzt.26 Die Konstruktion nationaler kunsthistorischer Narrative ging vor allem im Fall der in Paris gezeigten Ausstellungen einher mit der Negierung allen als „germanisch“ titulierten Einflusses auf die Kunstproduktion der ausgestellten Staaten – die im Krieg geknüpften politischen Bande sollten gestärkt werden.27 Inwieweit auch die vom Burlington Fine Arts Club in London organisierten Ausstellungen eine kulturpropagandistische Aufladung erfuhren, bleibt zu untersuchen. Ebenfalls ist fraglich, wie die Museen selbst mit der Zunahme derartiger Ausstellungsprojekte umgingen. Im Pariser Fall beispielsweise wurde der Ausstellungsort vom französischen Staat zur Verfügung gestellt, die inhaltliche Organisation allerdings übernahmen vor allem Kuratoren aus dem ausgestellten Staat (Abb. 3). Damit umgingen die französischen Organisatoren unter Léonce Bénédite geschickt die Problematik, Leihgaben im Ausland anfragen zu müssen. Und selbst für den Louvre mag die Entleihung von Bildern kein Problem gewesen sein anlässlich einer Schau in Paris  ; bei der Frage der Entsendung von Bildern beispielsweise zur Mostra della pittura italiana del Seicento e del Settecento im Palazzo Pitti in Florenz 1922 war angesichts des Risikos eines Transports in das sich gerade im faschistischen Umsturz befindliche Italien allerdings durchaus Widerwillen vorhanden.28 Auch hatten viele Staaten nach dem Krieg nicht die wirtschaftlichen Mittel, um selbst große Ausstellungen abzuhalten – Versicherungssummen und Transportkosten waren zu hoch. Insofern scheint eine weitere Beschäftigung mit der Frage, wie Politik, Museen und zivilgesellschaftliche Akteure bei der Organisation derartiger Ausstellungen interagierten, lohnenswert. 258  I  Lukas Cladders

Abb. 3: Rubens’ Der Eremit und die schlafende Angelika wurde neben fünf weiteren Bildern und mehreren Skulpturen aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum für eine von zwei ehemaligen Kriegsgegnern organisierte Ausstellung (Exposition d’Art Belge ancien et moderne) bereits im Frühjahr 1923 nach Paris entliehen, aus Revue de l’Art, 247/1923

Das Ende der Gelehrtenrepublik  ? Ob bei der Organisation von Ausstellungen, dem Austausch über Museumspraxis oder der Debatte um die Zuordnung von Kulturgütern unter der Vorstellung nationalen Kulturerbes, letztlich steht im Hintergrund immer eine zentrale Frage  : Wie gingen die Museumsexperten der verschiedenen, teilweise verfeindeten Staaten miteinander um  ? Waren europäische Museumsnetzwerke durch den Krieg tatsächlich auf lange Zeit zerstört, Kommunikationskanäle verschlossen  ? Allein die Struktur des internationalen Systems deutet darauf hin, dass die Vorstellung einer Isolierung der Kriegsverlierer, allen voran Deutschlands und Österreichs, zu kurz greift. Museen in den Niederlanden, der Schweiz oder in Skandinavien gehörten neutralen Staaten an, sie beteiligten sich nicht am Boykott der deutschen Kollegen. Doch auch aufseiten der Siegerstaaten lässt sich kaum von einer vereinten Front gegen die ehemaligen Kriegsgegner ausgehen. Die USA, in deren Museumsszene Wilhelm Valentiner, ehemaliger Mitarbeiter Wilhelm von Bodes am Kaiser-Friedrich-Museum, bereits vor dem Ersten Weltkrieg tätig gewesen war, unterzeichneten den Versailler Vertrag nicht, und Valentiner war bald darauf schon wieder dort tätig.29 Doch auch in England und Italien war man weniger ablehnend den deutschen Kollegen gegenüber als im belgischen und französischen Fall. Und selbst 1919 und die Folgen  

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für diese scheint es nicht angebracht, die aus den Naturwissenschaften erlangte Erkenntnis von Boykott und Gegenboykott bis zu den Verträgen von Locarno 1925 auf die Museumsbeziehungen zu verallgemeinern.30 Zwar waren Deutsche nicht zum ersten nach dem Krieg abgehaltenen Internationalen Kunsthistorischen Kongress in Paris 1921 eingeladen, doch zumindest zu einigen belgischen Kollegen besserten sich die Beziehungen nach Abschluss eines Abkommens über die Begleichung noch ausstehender Restitutionsfragen im Verlauf des Jahres 1923.31 Die ablehnende französische Haltung, die sich auch beim Boykott der Deutschen für den Kunsthistorischen Kongress zeigte, bezog sich zudem nicht auf Österreich, das zwar keinen offiziellen Vertreter sandte, doch mit Gustav Glück, der zu dieser Zeit Erster Direktor des Kunsthistorischen Museums war und auch in der Folgezeit gute Beziehungen nach Paris unterhielt, inoffiziell vertreten war.32 Es erscheint also angebracht, keine verallgemeinernden Schlüsse für die Gesamtheit der Museen eines Staates zu ziehen. Auch im föderalen Deutschen Reich ist es gut möglich, dass einzelne Kuratoren bereits wieder Beziehungen nach Frankreich unterhielten, auch wenn dies nicht auf die Berliner Museen zutraf. Eine genauere, auf Einzelfälle zugeschnittene Analyse könnte durchaus überraschende Erkenntnisse bringen. Hinzu kommt, dass mit dem Office International des Musées 1926 erstmals eine internationale Organisation gegründet wurde, die unter dem Dach des Völkerbundes Austauschprozesse institutionalisierte und eine Harmonisierung der Museumsarbeit anstrebte. Schon vor dem Krieg hatte es Plattformen des fachlichen Austauschs gegeben, wie die bereits angesprochenen Internationalen Kunsthistorischen Kongresse oder die Treffen des Internationalen Verbandes von Museums-Beamten zur Abwehr von Fälschungen und unlauterem Geschäftsgebaren, die nach dem Krieg teilweise unregelmäßig und mit eingeschränktem Teilnehmerkreis wieder aufgenommen wurden. Die Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes auf offizieller Ebene geschah allerdings tatsächlich erst mit den Verträgen von Locarno 1925 und der Aufnahme des Deutschen Reichs in den Völkerbund im Frühjahr. Und das genau in diesem Zeitraum ins Leben gerufene Office International des Musées hatte den Anspruch, nicht nur eine dauerhafte Austauschplattform für Museumsvertreter aller Staaten zu werden, sondern auch eine Vielzahl von Themen anzugehen, die für Museen in ihrer täglichen Arbeit von Wichtigkeit waren. In den letzten Jahren sind einige Arbeiten zur Tätigkeit des Office erschienen, eine umfassende Auseinandersetzung mit der archivalischen Hinterlassenschaft dieser Organisation steht aber noch aus.33

Transnationale Museumsgeschichte der Zwischenkriegszeit Die vorangegangenen Ausführungen zeigen vor allem eines  : Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Museumsgeschichte der Zwischenkriegszeit steht noch am Anfang. Es gilt, nationale Perspektiven zu überwinden und ein Verständnis für die grenzüberschreitende Tätigkeit von Institutionen zu gewinnen, deren handelnde Akteure sich nur bedingt an poli260  I  Lukas Cladders

tische Maßgaben hielten. Einige Arbeiten der letzten Jahre haben das Potenzial eines solchen Ansatzes gezeigt, die Vorstellung einer simplen Dichotomie von Siegern und Besiegten trägt nicht. Eine Vertiefung bisher wenig erforschter Aspekte auf der einen und eine Synthese vorhandener Ansätze auf der anderen Seite könnten ein besseres Verständnis dafür ermöglichen, wie aus der konflikthaften Situation der direkten Nachkriegszeit die Grundlage für eine umfassende Kooperation mit dem Office International des Musées entstehen konnte. Der Blick auf Netzwerke von Museumsexperten und bisher wenig beachtete Tätigkeitsfelder der Museen scheinen hierfür eine geeignete Grundlage.

Anmerkungen 1

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Zu den deutschen Maßnahmen in Belgien und Nordfrankreich vgl. Christina Kott, Préserver l’art de l’ennemi  ? Le patrimoine artistique en Belgique et en France occupées, 1914–1918, Brüssel 2006. Zu den österreichischen Maßnahmen vgl. Jonathan Blower, „Max Dvorak and Austrian Denkmalpflege at War“, in  : Journal of Art Historiography, Nr. 1, 2009, 1–19. [https://arthistoriography.files.wordpress. com/2011/02/media_139127_en.pdf  ; eingesehen am 7.10.2015]. Vgl. die Beiträge von Arnaud Bertinet und Felicity Bodenstein im vorliegenden Band. Zur Bibliothek von Löwen vgl. Wolfgang Schivelbusch, Die Bibliothek von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege, München 1988. Zur Kathedrale von Reims vgl. Kott 2006, 43f. In der Casa dei Tre Oci in Venedig lief von September bis Dezember 2014 eine Fotoausstellung mit dem Titel Venezia si difende 1915–1918, die sich mit den Folgen der österreichischen Luftangriffe beschäftigte, bei denen unter anderem ein Deckenfresko von Tiepolo in besagter Kirche zerstört wurde. Die Argumente des vorliegenden Artikels fußen auf der Dissertation des Autors Alte Meister und neue Ordnung. Staatliche Gemäldegalerien in Berlin, Brüssel, Paris und Wien und die Gründung des Office International des Musées an der Universität Heidelberg (Betreuung  : Prof. Dr. Madeleine Herren/Prof. Dr. Bénédicte Savoy  ; Veröffentlichung vermutl. 2017). Besonders hervorzuheben sind die Arbeiten von Christina Kott, als aktuelles Beispiel: „Kunstwerke als Revanche  ? Die Problematik der Restitutionen im und nach dem Ersten Weltkrieg in Westeuropa“, in  : G. Ulrich Grossmann u. Petra Krutisch (Hrsg.), CIHA 2012 Nürnberg. The Challenge of the Object./Die Herausforderung des Objekts. Proceedings of the 33rd Congress of the International Committee of the History of Art/Akten des 33. Internationalen Kunsthistoriker-Kongresses, Nürnberg, 15.–20. Juli 2012, Bd. 4, Nürnberg 2013, 1355–1359. Valentine Gay, Le débat autour des dispositions concernant l’art et le patrimoine dans le traité de Versailles, unveröffentlichte Masterarbeit, betreut von FrançoisRené Martin, École du Louvre, Paris, 2010. Vgl. dies., „La question des dommages artistiques dans les traités de paix de la Grande Guerre“, in  : Le Journal des Arts, Nr. 404 vom 3.1.2014. Zum Genter Altars vgl. Irene Geismeier, „Ein Kunstwerk von Weltrang als Streitobjekt in zwei Weltkriegen. Vortrag am Kolloquium ‚Kunst gegen den Krieg – Krieg gegen die Kunst‘ am 16. Mai 1985 in den Staatlichen Museen zu Berlin“, in: Staatliche Museen zu Berlin. Forschungen und Berichte, Bd. 28, 1990, 231–235  ; Stephan Kemperdick u. Johannes Rößler, „‚Die Kunst ist kein Zahlungsobjekt‘. Die Altarflügel von Jan van Eyck und Dieric Bouts in den Berliner Sammlungen und ihre Abgabe an Belgien 1920“, in  : Jörn Grabowski u. Petra Winter (Hrsg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die König-

1919 und die Folgen  

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lichen Museen zu Berlin und der Erste Weltkrieg, Köln 2014, 161–174  ; Johannes Rößler, „Zwischen den Fronten. Der Genter Altar im Ersten Weltkrieg und im Friedensvertrag von Versailles“, in  : Johannes Rößler u. Stephan Kemperdick (Hrsg.): Der Genter Altar der Brüder Van Eyck. Geschichte und Würdigung, Berlin 2014, 100–111. 6 Xavier Perrot gibt einige juristische Argumente für die Zurückhaltung der französischen Seite. Vgl. ders., De la restitution internationale des biens culturels aux XIXe et XXe siècles  : vers une autonomie juridique, Bd. 1, Univ.-Diss., betreut von Pascal Texier, Université de Limoges 2005, 80f. Christina Kott gibt einige Hinweise auf politische und juristische Argumente gegen umfassende Forderungen, vgl. Kott 2013, 1367f. 7 Vgl. Johann Rainer, „Die Rückführung italienischer Kulturgüter aus Österreich nach dem Ersten Weltkrieg“, in  : Helmut Reinalter u. Eduard Widmoser (Hrsg.), Alpenregion und Österreich. Geschichtliche Spezialitäten, Innsbruck 1976, 105–116. 8 Vgl. Chantal Gastinel-Coural, „Vienne 1918–1922. Des œuvres d’art en échange de pain. À propos de l’inventaire estimatif des collections des Habsbourg établi par les conservateurs français“, in  : Bulletin de la société de l’histoire de l’art Français, Année 2011, (2014), 231–279, und Roselyne Salmon, „Raymond Koechlin, expert pour la France des richesses historiques de l’Autriche (1919–1921)“ [Vortrag im Rahmen des Kolloqiums „Les Habsbourg et la France“ (Centre de Recherche du Château de Versailles, 22.–24. November 2012), [http://chateauversailles-recherche.fr/francais/recherche-et-formation/colloques-et-journees-d-etudes/annee-2012/les-habsbourg-et-la-france.html  ; eingesehen am 28.01.2015]. 9 Vgl. Yves Huguenin-Bergenat, Kulturgüter bei Staatensukzession. Die internationalen Verträge Österreichs nach dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie im Spiegel des aktuellen Völkerrechts, Berlin/New York 2010. 10 Eine Synthese findet sich am ehesten bei Alphons Lhotsky, der als erster Archivar des Wiener Kunsthistorischen Museums einen Rückblick auf die „Verteidigung des Österreichischen Kunstbesitzes“ unternahm, bei welcher all diese Aspekte eine Rolle spielten. Auch er allerdings sah die Angelegenheit aus Perspektive der Wiener Museen und blieb in Unkenntnis der Hintergründe aufseiten anderer Staaten. Vgl. ders., Die Verteidigung des Österreichischen Kunstbesitzes (Nachtrag zu „Die Geschichte der Sammlungen“), o. O. 1946. 11 Die Arbeit von Eva Frodl-Kraft geht zwar auf alle Aspekte ein, behandelt diese aber relativ knapp. Vgl. dies., Gefährdetes Erbe. Österreichs Denkmalschutz und Denkmalpflege 1918–1945 im Prisma der Zeitgeschichte, Wien/Köln/Weimar 1997, 3–28. 12 Vgl. Ewa Manikowska, „National versus Universal  ? The Restitution Debate between Poland and Soviet Russia after the Riga Peace Treaty (1921)“, in  : Grossmann/Krutisch 2013, 1360–1364. 13 Wilhelm von Bode schrieb am 20. Februar 1921 noch an Gustav Glück, Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien, er erwarte weitere Forderungen angesichts der Volksabstimmung in Oberschlesien, in deren Rahmen dieses Gebiet an Polen kommen könnte (Österreichische Nationalbibliothek, HAD, NL Glück, 1075/14–5). In den Akten des Auswärtigen Amtes finden sich Hinweise, dass in Dänemark Überlegungen hinsichtlich einer Forderung von Kulturgütern bestanden hatten, auf die man von deutscher Seite mit der Aufstellung von Gegenforderungen und einem Tauschangebot zu reagieren gedachte (Auswärtiges Amt Politisches Archiv, R 64421). Der Abtretungsvertrag vom 5. Juli 1920 sah keine Nachverhandlungen über Kulturgüter vor. Vgl. „Treaty between the Principal Allied Powers and Denmark relative to Slesvig“, in  : American Journal of International Law, 1/1923, 42–45. 14 In meiner Dissertation ist diesem Thema ein Kapitel gewidmet.

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15 Zum russischen Fall vgl. Waltraud Bayer, Verkaufte Kultur. Die sowjetischen Kunst- und Antiquitäten­ exporte, 1919–1938, Frankfurt a. M. 2001, u. dies., „Der legitimierte Raub. Der Umgang mit Kunstschätzen in der Sowjetunion 1917–1938“, in  : Osteuropa. Zeitschrift für Gegenwartsfragen des Ostens, 56. Jg., 1–2/2006), 55–70, sowie der Beitrag von Roland Cvetkovski in diesem Band. Zum ungarischen Fall ist dem Autor keine Forschung bekannt. 16 Auch hierzu findet sich ein Kapitel in meiner Dissertation. 17 Vgl. Theodor Brückler, „Entstehung und Wirkung des österreichischen Ausfuhrverbotsgesetzes 1918–1923“, in  : Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, XLVIII, 1994, 1–18, u. Uta Protz, ‚National Treasures‘/‚Trésors Nationaux‘. The Control of the Export of Works of Art and the Construction of ‚National Heritage‘/‚Patrimoine‘ in France and the United Kingdom, 1884–1959, Univ.Diss., betreut von Laurence Fontaine, European University Institute, Florenz 2009. 18 Maria Obenaus, Für die Nation gesichert  ? Das ‚Verzeichnis der national wertvollen Kunstwerke‘. Entstehung, Etablierung und Instrumentalisierung 1919–1945, Univ.-Diss., betreut von Bénédicte Savoy, Technische Universität Berlin 2014. 19 Alfredo Fabrizi, „Entente Internationale pour la Défense des Monuments d’Art“, in  : Congrès International d’Histoire de l’Art. Organisé par la Société de l’Histoire de l’Art Français. Paris 26 septembre–5 octobre 1921. Compte-Rendu Analytique, Paris 1922, 133f. 20 Vgl. Kerstin Odendahl, Kulturgüterschutz. Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, Tübingen 2005, 133ff. 21 Vgl. Alexis Joachimides, Die Museumsreformbewegung in Deutschland und die Entstehung des modernen Museums, 1880–1940, Dresden 2001. 22 Vgl. Joachimides 2001, 239ff.; François Poncelet, „Regards actuels sur la muséographie d’entre-­deuxguerres“, in  : CeroArt. Conservation, Exposition, Restauration d’Objets d’Art. Revue électronique (Regards contemporains sur la restauration), 2 (2008) [http://ceroart.revues.org/565#ftn3  ; eingesehen am 28.1.2015]  ; Anke Te Heesen, Theorien des Museums. Zur Einführung, Hamburg 2012, 89ff. Eine Ausnahme ist Christina Kott, „,Un Locarno des musées‘  ? Les relations franco-allemandes en matière de muséographie dans l’entre-deux-guerres“, in  : Actes du colloque „L’art allemand en France, 1919–1939. Diffusion, réception, transferts“, 30.–31. Oktober 2008 [http://hicsa.univ-paris1.fr/documents/pdf/PublicationsLigne/Christina%20Kott.pdf  ; eingesehen am 28.1.2015]. 23 Vgl. Eva Knels, „Vers un musée moderne  ? Le réaménagement du musée du Louvre après la Première Guerre mondiale“, in  : Philippe Nivet (Hrsg.), Guerres, œuvres d’art et patrimoine artistique aux époques moderne et contemporaine, Paris 2014, 263–277. Es waren die Erfahrungen Jean Guiffreys, Leiter des Département des Peintures, die er in den USA gemacht hatte, auf die die Veränderungen vermutlich zurückzuführen sind. 24 Zur Fotoreproduktion in europäischen Museen des 19. Jahrhunderts vgl. Dorothea Peters, „Reproduced Art. Early Photographic Campaigns in European Collections“, in  : Andrea Meyer u. Bénédicte Savoy (Hrsg.), The Museum is Open. Towards a Transnational History of Museums 1750–1940, Berlin 2014, 45–57. 25 Zur Vorgeschichte und zu einigen Fällen aus den 1920er-Jahren vgl. Francis Haskell, The Ephemeral Museum. Old Master Paintings and the Rise of the Art Exhibition, New Haven [u. a.] 2000. 26 Mathilde Arnoux, „L’absence d’expositions de peinture allemande dans les musées parisiens dans l’entre-deux-guerres – Essai de synthèse“, in  : Bertrand Tillier, Dimitri Vezyroglou u. Catherine Wermester (Hrsg.), Actes du colloque/L’art allemand en France, 1919–1939. Diffusion, réception, transferts, 2010, online veröffentlicht  : http://hicsa.univ-paris1.fr/page.php?r=18&id=394&lang=fr, u. Michela Passini, „Historical Narratives of the Nation and the Internationalization of Museum. Exhibiting 1919 und die Folgen  

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National Art Histories in the Jeu de Paume Museum between the Wars“, in  : Dominique Poulot, Felicity Bodenstein u. José María Lanzarote Guiral (Hrsg.), Great Narratives of the Past. Traditions and Revisions in National Museums  : Conference proceedings from EuNaMus, European National Museums  : Identity Politics, the Uses of the Past and the European Citizen, Paris 28 June–1 July & 25/26 November 2011, Linköping 2012, 457–466, online veröffentlicht  : http://www.ep.liu.se/ecp_home/ index.en.­aspx?issue=078. Vgl. Arnoux 2010, [5] u. Passini 2012, 464. Zum Fall der Ausstellung belgischer Kunst im Pariser Jeu de Paume vgl. Céline De Potter, „Du temps où les artistes étaient nos ‚meilleurs‘ ambassadeurs. Art et politique étrangère dans les relations Belgique – France de 1919 à 1939“, in  : Pyramides. Revue du Centre d’Études et de Recherches en Administration Publique, 15 (2008), 203–226 [http://pyramides. revues.org/221?lang=en  ; eingesehen am 28.1.2015]. Die einzige bisher vorhandene Arbeit geht nicht auf die Organisation der Ausstellung ein  : Fernando Mazzocca, „La mostra fiorentina del 1922 et la polemica sul seicento“, in  : Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa, 5. Jg., 2 (1975), 837–901. Einige Hinweise gibt Haskell 2000, 130ff. Zur Tätigkeit Valentiners vor dem Ersten Weltkrieg vgl. Xavier-Pol Tilliette, „Between Museumsinsel and Manhattan. Wilhelm R. Valentiner, Ambassador and Agent of Wilhelm von Bode at the Metropolitan Museum, 1908–1914“, in  : Meyer/Savoy 2014, 191–204. Als erste Vertreterin einer heute sehr gut bearbeiteten Forschungsrichtung vgl. Brigitte Schröder-Godehus, Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit 1914–1928. Ein Beitrag zum Studium kultureller Beziehungen in politischen Krisenzeiten, Genf 1966. Vgl. Kott 2006, 400. Diese Feststellung bezieht sich auf einen Vertreter des Antwerpener Musée Royal des Beaux-Arts. Die Beziehungen des Berliner Kaiser-Friedrich-Museums zu den Brüsseler Musées Royaux des Beaux-Arts de Belgique änderten sich dagegen erst mit dem Tod des Direktors Hippolyte Fierens-Gevaert unter seinem Nachfolger Léo van Puyvelde. Zur Geschichte der Kunsthistorischen Kongresse vgl. Heinrich Dilly, „Trouvailles. Images latentes du congrès international d’histoire de l’art“, in  : Wolf Feuerhahn u. Pascale Rabault-Feuerhahn (Hrsg.), La fabrique internationale de la science. Les congrès scientifiques de 1865 à 1945 [Revue germanique Internationale 12], Paris 2010, 105–122. Zum Kongress von 1921 gibt er allerdings nur wenige Informationen. Christina Kott geht auf den Umgang der deutschen Konservatoren mit der neuen Organisation ein und bezieht sich dabei auch auf Funde im UNESCO-Archiv. Vgl. Christina Kott, „The German Museum Curators and the International Museums Office, 1926–1937“, in  : Meyer/Savoy 2014, 205–217. Zwei weitere Arbeiten befassen sich vor allem mit der von der Organisation herausgegebenen Zeitschrift Museion. Vgl. Annamaria Ducci, „‚Museion‘. Una rivista al servizio del patrimonio artistico europeo (1927–1946)“, in  : Annali di critica d’arte, 1/2005, 287–313, u. Marie Caillot, La revue Mouseion, 1927–1946  : les musées et la coopération culturelle internationale, unveröffentlichte Dissertation, betreut von Jean-Michel Leniaud, École des chartes, Paris 2011.

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ABSTRACTS

John Horne

From Museums in the Great War to Great War Museums The Great War posed a new challenge to museums – how to document an episode that involved the whole of society while it was occurring. Existing museums and new museums created for this purpose responded accordingly, and in doing so they combined three elements that had tended to become separate as museums evolved in the long 19th century – the library (print culture), the museum (material culture) and the art gallery (fine art, with its suggestion of the sacred). Museums were thus an integral part of the Great War. However, in the century since the war, the opposite issue has arisen – how to document and display the war in museums (both those inherited from the war and new creations) for a public that approaches the conflict as a matter of history, not experience. Thomas Weißbrich

Trophy and Tribute. The Royal Arsenal in Berlin during the First World War The Royal Arsenal (Zeughaus) in Berlin, which was under the control of the Prussian Ministry of War, had glorified the history of the reign of the Hohenzollern and of the Prussian army since the late 19th century. Ensigns and arms that had been captured during the Great War were swiftly integrated into the permanent historical-chronical exhibition that was constantly being updated during the course of war. This display – which includes concepts for special exhibitions that had been developed elsewhere, like the Deutsche Kriegs-Ausstellung, shown in 1916, or the Reichskriegsmuseum planned by the Ministry of War since 1917 – reveals new paradigms of display and communication that emerged with increasing duration and intensification during the war. Christian Marchetti

War Experience and Museological Sediment. The Austrian Museum of Folk Life and Folk Art in Vienna The Austrian Museum of Folk Life and Folk Art (Österreichisches Museum für Volkskunde) in Vienna made substantial profit throughout World War I. After experiencing financial and personal setbacks during the early years of the war, especially the conquests made by the Habsburg Empire in Southeastern Europe from 1916 onwards, the museum responded by opening Abstracts   I    267

up new spaces, where its practitioners could exercise their expertise for traditional culture and enlarge the museum’s collections. These museum practices met with a war-induced mobilization of everyday objects. Collecting and presenting them during the war led to public and official recognition and created new resources for the museum. The final defeat and dissolution of the Empire once again demanded substantial readjustments and reorientations. The lingering effects of this war experience are evident in the museum even today. Wencke Deiters

The Vienna Picture Gallery at the Art History Museum during the First World War Gustav Glück (1871–1952) was the Director of the Vienna Picture Gallery during the period spanning the First World War. As the first art historian in this role, he oversaw the transformation of the gallery from an imperial collection to a modern museum with a contemporary hanging and targeted acquisition policy. The outbreak of war brought about a caesura in these operations. A number of the gallery’s personnel were called to service. Scholarly work became more difficult, and exhibitions were used as political instruments. Loans were only approved for the purposes of glorifying the Austrian army or propagating Austrian art. The start of the war also interrupted acquisitions. However, thanks to donations, the connoisseurship of the director, and his good contacts to collectors and art dealers, it was possible to obtain high quality works, including paintings by Jan Brueghel, Antonio Canal, and Hans Holbein the Elder. Alan Crookham · Anne Robbins

Confronting Modernity. The Establishment of the British National Collection of Modern Foreign Paintings 1914–1918 This article explores the establishment of a national collection of modern European art in the United Kingdom during the four disastrous years of the First World War. The article describes the situation of modern European art in the British national collection prior to 1914 before explaining how an outstanding collection of modern paintings was formed during the war years, among them many masterpieces with which the National Gallery is now indelibly associated  : Manet, Monet, Renoir, Gauguin. By extending the remit of the National Gallery collection, what had been primarily a gallery of Old Master paintings now included modern European pictures, an evolution, as one commentator of the time argued, „essential to the artistic development of the Nation“.

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Szymon Piotr Kubiak

Walter Riezler – Karl Hofer – Ludwig Gies. The Great War at Szczecin City Museum In 1913, when the monumental City Museum building was opened in Szczecin, a city hostile to the avant-garde movement, nobody expected this to determine the end of an era. In the next year, while financial resources were released from Keddig’s Foundation to purchase modern art, the museum’s employees were primarily preoccupied by the outbreak of war. In 1915, the situation was exacerbated even more. Flora Tubbenthal’s Foundation was established to decorate central hall in line “with the spirit of the times“, and Walter Riezler, who was the museum’s director for the past five years and an increasingly known member of Werkbund, began his military service in the field artillery. From that moment until Riezler’s retirement, which was forced by the Nazis in 1933, the bloodless struggle took place to commemorate the victims of the war with the use of modern art. Many prominent artists made an appearance during the debate, such as Karl Hofer, Oskar Kokoschka, Kay Heinrich Nebel, Wilhelm Schmidt and Ludwig Gies. The purpose of this article is to outline the discussion as a significant example of attitudes towards the subject of the war in the young, provincial, museum, which evolved into an extremely important institution for raising local awareness. Julien Bastoen

The Luxembourg Museum and the First World War. Serving Cultural Diplomacy and Propaganda In 1818, by the will of King Louis XVIII, the Luxembourg Museum, whose collections are now scattered in various Parisian and provincial institutions, became the world’s first museum of contemporary art. From the beginning, its aim was to feed the Louvre with recent and national art. Until the first third of the twentieth century, the symbiotic relationship between these two museums was a paradigm for new museums in Europe and North America. While recent studies have shed new light on the Louvre agenda during WWI, this paper unveils the Luxembourg Museum’s uncertain architectural agenda and its major role in France’s cultural diplomacy and propaganda, mainly through on-site displays promoting Allied art and a traveling exhibition across the United States, which helped to strengthen the museum’s legend abroad.

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Felicity Bodenstein

Ernest Babelon (1854–1924). Historical Propaganda and Display in the Cabinet des médailles in Paris (1919) Ernest Babelon was the director of the Cabinet des médailles et antiques of the National Library in Paris for over 30 years. In the only text that he ever wrote in the first person, he tells of how the museum got through those difficult years of the First World War, during which the department lost two of its employees and his own son, Jean, was a prisoner of war in Germany. During this time, whilst the collections were sent for the most part to Toulouse, he prepared the reinstallation of the entire museum in the new wing of the National Library, now recently completed. He tells this story as his own war effort, but it was not his only one, as he also became very much involved in the production of historical propaganda related to the question of the left bank of the River Rhine. In this article we will try to analyse what relationship there was between his work as curator and his conception of history, between France’s antiquarian tradition and the promotion of France’s territorial legitimacy. Arnaud Bertinet

Paul Jamot (1863–1939), Keeper of the Louvre Collections in Toulouse This article examines how France’s heritage was protected when major Louvre collections were evacuated from Paris to Toulouse during the First World War. The author focuses on the decision-making process for establishing lists of works to be evacuated and how these lists varied. This preliminary research report comprises a review of the historiography, existing literature and sources available for research, a history of the 1914 evacuation and Paul Jamot’s action in Toulouse. The purpose of the report is to describe the practical details of the operations and discover new elements for a political history of heritage and an ideological history of taste, taking into consideration all the national and international controversies of contemporary heritage policies. Elena Franchi

“No Time for Inventories”. The Great War and Museum Protection in Northern Italy After the bombing of Reims Cathedral on 19–20 September 1914, the Italian government took preventative measures to protect Italian cultural heritage. The war underlined the difficult relationship between the state and the local authorities, which opposed the removal of the artworks. Museums in the north of Italy had to be evacuated, while museums in Florence, Rome and Pisa prepared to house collections from the frontline. At the end of the war, before the artworks came back, museums officials discussed the possible rearrangements of the col270  I   Abstracts

lections. During the Napoleonic suppressions of Italian religious orders, some precious works of art had been moved from churches to the state collections. Local authorities saw the new situation as an opportunity to move these artworks back to their original sites. Agnieszka Gąsior

The “Polish” Leonardo in Dresden Exile. The Destiny of the Czartoryski Collection in the First World War The Czartoryski collection in Crakow ranks amongst Poland’s most renowned and oldest collections. In the course of its history it had to be safeguarded outside the country’s territory on several occasions, such as at the outbreak of the Great War. Princess Maria Ludwika Czartoryska had the most important exhibits – amongst them three masterpieces by Leonardo, Rafael and Rembrandt – and brought them to be placed on view in the gallery of the Dresden Zwinger. The exhibition aroused great public interest and not only increased the international reputation of the collection but contributed decisively to the art historical research of it. However, at the end of the war the interim location threatened to become a political issue when authorities in the new post-1918 political administration initially prohibited delivery of the exhibits to Poland. Jaanika Anderson

The University of Tartu Art Museum before, during and after the First World War The purpose of the article is to introduce the various aspects of the evacuation of the University of Tartu Art Museum’s art collection and the subsequent events. The most valuable part of the original art collection was evacuated to the central part of Russia in 1915, during the Great War. It was later taken to Voronezh where, on the basis of the property and staff of the University of Tartu, a new university was established in 1918 with an accompanying museum. In 1920, the Peace Treaty between Soviet Russia and the Republic of Estonia was signed and contained separate provisions regulating the procedure for the return of property belonging to the Tartu University – but Russia ignored this. In 1988, the issue of the university’s art collection was again raised on an official level and after that several steps have been taken to publish the evacuated collection. Roland Cvetkovski

World Art, World War, World Fall. The Hermitage 1899–1920 Even though the Hermitage had the reputation of being one of the world’s most famous museums in possession of a splendid collection, at the turn of the century it found itself in a rather Abstracts   I    271

deplorable condition. It had suffered acute shortage of money, decades of political neglect and, especially, the lack of a professional staff – all factors which significantly thwarted its development. It was only with the appointment of Ivan A. Vsevoložskij as director in 1899 that the Hermitage’s history took a decisive turn. Although the First World War, as well as the Bolshevik’s victory in the October Revolution of 1917, had challenged the gallery to the extreme, in principal it continued with the pre-war course it had taken. This essay traces these changes and particularly focuses on the specific uses of the museum during this period of unrest. Géraldine Masson

Preventing War Risks. The Preservation Measures of French Provincial Museum Custodians and Their Impact Only a few examples of the preservation of works of art existed in French museums before the war. Nevertheless, once war was declared several institutions and different people, both French and German, from curators to service men, were involved in taking care of the artworks. In doing so, they all participated in a great act of preservation that brought about a new way of curating and displaying art collections. This was particularly the case for the installation of Georges de La Tour’s pastels in Maubeuge. Furthermore, assessment of the condition of the works, their shipment or their photographs, inspired by German methods, introduced a new vision of the duties of curators and served to enhance the professionalisation that had started. In some cases, such new ground was broken in the field of museums that it spoke of a “magnificent exile“ of collections. Lukas Cladders

1919 and the Consequences. European Museum Relationships in the Aftermath of the First World War The antagonism between winners and losers, based on the insolence of German and Austrian „Kunstschutz“ during, and the debate on repatriation and reparation after, the war, was not as long-lasting and comprehensive as one might have thought. Viennese experts, for example, had good relations with their English and French counterparts soon after the war, while Wilhelm von Bodes role as antipode should not be overestimated or generalized for all German museum experts. The idea of national heritage gave museums a better grip on private property through export restrictions. However, this idea also became a threat not only for the Viennese museums during the dissolution of the Habsburg monarchy but also for the Louvre, as Belgium and Italy tried to promote the idea of voluntary repatriations between European museums. Personal relations, the exchange of literature and photography, and the ongoing process of rethinking exhibition practices – in addition to the social role of the museum – contradict the idea of a clear division between European museums. This helps to give 272  I   Abstracts

a better understanding of the creation of the International Museums Office after political rapprochement in 1926.

Abstracts   I    273

L ITE RATU RV ERZE I C H N I S

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Winter 2006 – Jay Winter, „War Museums  : the Historial and Historical Scholarship“, in  : ders., Remembering War  : the Great War between Memory and History in the Twentieth Century. New Haven/London 2006, 222–237 Winter 2014 – Petra Winter, „Inter arma silent musae  ? Die Könglichen Museen zu Berlin im Ersten Weltkrieg“, in  : Jörn Grabowski u. Petra Winter (Hrsg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen und der Erste Weltkrieg, Köln 2014, 9–50 Winzen 2010 – Peter Winzen, Freundesliebe am Hof Kaiser Wilhelms II., Norderstedt 2010 Witt 1911 – Robert C. Witt, The Nation and its Art Treasures, London 1911 Wutte 2003 – Barbara Wutte, Die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums von 1891–1918. Ausstellungspraxis im 19. Jahrhundert in Österreich, unveröffentlichte Diplomarbeit, betreut von Wolfgang Prohaska, Universität Wien 2003 Zechser 2013 – Romain Zechser, „La protection des œuvres d’art du Musée de Picardie à Amiens pendant la Première Guerre mondiale“, in  : Philippe Nivet (Hrsg.), Guerre et patrimoine artistique à l’époque contemporaine. Actes du colloque d’Amiens des 16–18 mars 2011, Amiens 2013, 305–323 Zeughaus 1900 – Königliche Zeughaus-Verwaltung (Hrsg.), Das Königliche Zeughaus. Führer durch die Ruhmeshalle und die Sammlungen, Berlin 1900 Zeughaus 1914 – Königliche Zeughaus-Verwaltung (Hrsg.), Amtlicher Führer, Berlin 1914 Ziegler 2003 – Hendrik Ziegler, „Le musée de Colmar pendant la Première Guerre mondiale“, in  : Sylvie Lecoq-Ramond (Hrsg.), Histoire du musée d’Unterlinden et de ses collections. De la Révolution à la Première Guerre mondiale, Colmar 2003, 317–349 Zino 2015 – Bart Zino (Hrsg.), Remembering the First World War, London 2015 Zorzi 1919 – Elio Zorzi, „Il ritorno dell’Assunta nella chiesa dei Frari“, in  : Gazzetta di Venezia, Nr. 11, 12/1919 Zubow 1967 – Valentin Graf Zubow, Eine Welt ändert ihr Gesicht. Erinnerungen aus den Jahren der russischen Revolution (1917–1925), München 1967 Žurnaly 2001 – Gosudarstvennyj Ėrmitaž, Žurnaly zasedanij soveta Ėrmitaža. Čast’ I. 1917–1919 gody, Sankt Petersburg 2001 Zwach 1999 – Eva Zwach, Deutsche und englische Militärmuseen im 20. Jahrhundert. Eine kulturgeschichtliche Analyse des gesellschaftlichen Umgangs mit Krieg, (Museen – Geschichte und Gegenwart, Bd. 4), Münster 1999 Żygulski 1962 – Zdzisław Żygulski, „Dzieje zbiorów puławskich“ [Die Geschichte der Sammlungen aus Puławy], in  : Muzeum Narodowe (Hrsg.), Rozprawy i sprawozdania Muzeum Naro­dowego w Krakowie, 7/1962, 5–264

Literaturverzeichnis   I    301

AB B I L D U N G SV E RZE I C H N I S

Beitrag Horne

Abb. 1: Kreuz aus Waffenteilen, Historial de la Grande Guerre, Péronne (Somme), © Yazid Medmoun/CG80 Abb. 2: Henri Dangon, Ausstellungsplakat des Salon des Armées im Tuilerien-Park, 1916, Lithographie, 121 x 79 cm, Washington DC, USA, Library of Congress Abb. 3: Louis Weirter, Die Schlacht von Courcelette, 1918, Öl auf Leinwand, Ottawa, Canadian War Museum – Beaverbrook Collection of War Art, CWM 19710261-0788 Abb. 4: Félix Vallotton, Der Soldatenfriedhof von Châlons-sur-Marne, 1917, Öl auf Leinwand, 54 x 80 cm, Paris, Musée d’histoire contemporaine, Collection Bibliothèque de documentation internationale contemporaine Abb. 5: Die Heeresabteilung des Imperial War Museum im Crystal Palace, 1920, London, Imperial War Museum, © IWM (Q 31438) Abb. 6: Salle des Trophées im Musée Royal de l’Armée mit Luigi Brignolis Gemälde Die Schrecken des Krieges, Brüssel, Musée royal de l’Armée et d’Histoire militaire, © Musée royal de l’Armée et d’Histoire militaire, N° Inv KLM-MRA : M-10432 Abb. 7/8: Der „Front“-Saal des Historial de la Grande Guerre in Peronne, © John Horne Beitrag Weißbrich

Abb. 1: Zeughaus-Postkarte, um 1895, Berlin, Stiftung Deutsches Historisches Museum (PK 90/3889) Abb. 2: Im Weltkrieg eroberte Feldzeichen in der Herrscherhalle, 1914/15, Berlin, Stiftung Deutsches Historisches Museum (GN 5127) Abb. 3: Erbeutete Geschütze im Hof des Zeughauses, 1914, Berlin, Stiftung Deutsches Historisches Museum Abb. 4: Werbeplakat für die Deutsche Kriegsausstellung in Berlin, 1916, Stiftung Deutsches Historisches Museum (P 90/15814) Abb. 5: Verbrennung französischer Feldzeichen am 23. Juni 1919, Berlin, Stiftung Deutsches Historisches Museum Beitrag Marchetti

Abb. 1: Belgrad, Hof des Nationalmuseums nach der Beschießung, Aufnahme von Paul Buberl aus ders., „Die Sicherung der Kunstsammlungen in Serbien“, in  : Mitteilungen der k.k. Zentral-Kommission für Denkmalpflege 15 (1916/1917), Nr. 5, S. 81–83 Abb. 2: Weg nach Ibalja, Aufnahme des Expeditionsteilnehmers Maximilian Lambertz, aus Robert Elsie, Writing in Light. Early Photography of Albania and the southwestern Balkans, Pristina 2007

302  I   Abbildungsverzeichnis

Abb. 3: Hafnermarkt im Süden, Aufnahme aus dem besetzten Albanien, Wien, Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv Bildersammlung I. WK Fronten Albanien, Nr. 95 Abb. 4: Leopold Forstner, Studie einer Frau in albanischer Tracht [„Prileb Mai 1918“], Kreidezeichnung, Wien, MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst, © MAK / Tamara Pichler Beitrag Deiters

Abb. 1: Willem van den Broecke, gen. Guillelmus Paludanus, Selbstbildnis als Wachsbossierer, 1564, Öl auf Holz, 54,6 x 45,9 x 2,5 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, GG 6305, © KHM-Museumsverband Abb. 2: Jan Steen, Bauern beim Kegelspiel, um 1655, Öl auf Holz, 67 x 85,5 x 10 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, GG 6319, © KHM-Museumsverband Abb. 3: Jan Brueghel d. Ä., Dorfstraße, 1603, Öl auf Kupfer, 18,4 x 25,8 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, GG 6329, © KHM-Museumsverband Abb. 4: Antonio Canal, gen. Canaletto, Die Dogana in Venedig, um 1724/1730, Öl auf Leinwand, 46 x 63,4 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum, GG 6331, © KHM-Museumsverband Beitrag Crookham/Robbins

Abb. 1: Josephus Laurentius Dyckmans, Der blinde Bettler, 1853, Öl auf Holz, 50,3 x 46,5 cm, London, National Gallery, NG600, © The National Gallery, London. Bequeathed by Miss J. Clarke, 1859 Abb. 2: Paul Delaroche, Die Hinrichtung der Lady Jane Grey, 1833, Öl auf Leinwand, 246 x 297 cm, London, National Gallery, NG1909, © The National Gallery, London. Bequeathed by the Second Lord Cheylesmore, 1902 Abb. 3: Édouard Manet, Musik im Tuileriengarten, 1862, Öl auf Leinwand, 76,2 x 118,1 cm, London, National Gallery, NG3260, © The National Gallery, London. Sir Hugh Lane Bequest, 1917 Abb. 4: Eugène Delacroix, Porträt des Baron Schwiter, 1826–1830, Öl auf Leinwand, 217,8 x 143,5 cm, London, National Gallery, NG3286, © The National Gallery, London Beitrag Kubiak

Abb. 1: Karl Hofer, Die Posaunen von Jericho, 1920, Fresko (vernichtet), Stettin, Fotoarchiv Nationalmuseum Stettin Abb. 2: Ludwig Gies, Kruzifixus, 1921, Postkarte des Stadtmuseums Stettin, Staatsarchiv Stettin Beitrag Bastoen

Abb. 1: Ansicht der Hauptfassade des Musée du Luxembourg um 1900, Postkarte, Privatsammlung des Autors

Abbildungsverzeichnis   I    303

Abb. 2: Grundriss des Priesterseminars Saint-Sulpice, das 1909 dem Musée du Luxembourg zugeteilt war, aus Gustave Babin, „Du Luxembourg à Saint-Sulpice“, L’Illustration vom 9. Februar 1907 Abb. 3: Reiseroute der Retrospektive französischer Kunst aus der Sammlung des Musée du Luxembourg in den Vereinigten Staaten zwischen 1915 und 1919, © Julien Bastoen Abb. 4: Ansicht der Retrospektive französischer Kunst aus der Sammlung des Musée du Luxembourg zu Anlass der Founder’s Day Exhibition, Carnegie Library Museum of Art, Pittsburgh, 1916, Carnegie Institute Beitrag Bodenstein

Abb. 1: Ernest Babelon, La rive gauche du Rhin. Les revendications françaises dans l’histoire, 1917, Paris, Librairie H. Floury Abb. 2: Ernest Babelon neben dem Grand Camée de France, 1912, Fotografie der Agence Meurisse, Paris, Bibliothèque nationale de France, Estampes, EI-13 (2482) Abb. 3: Der große Medaillenschrank mit Vitrine (1917–1940), Paris, Bibliothèque nationale de France, Archives du Cabinet des médailles, 1 ACM SUP 4 Abb. 4: Detail des Deckendekors der Salle du Grand Camée mit dem Medaillon À la mémoire des élèves de l’école des beaux-arts morts pour la défense de la Patrie 1870–1871 von Charles Degeorge, © Felicity Bodenstein Beitrag Bertinet

Abb. 1: Die Salle des États des Louvre, André de Ridder (  ?), 1914, Archives des musées nationaux, Z2A (Archives nationales, Pierrefitte-sur-Seine) Abb. 2: Die Nike von Samothrake in ihrer Schutzverkleidung, André de Ridder (  ?), 1914, Archives des musées nationaux, Z2A (Archives nationales, Pierrefitte-sur-Seine) Abb. 3: Das Innere der Jakobinerkirche in Toulouse, um 1916, Archives des musées nationaux, Z2A (Archives nationales, Pierrefitte-sur-Seine) Abb. 4: Die Neuordnung der Sammlungen durch Jamot und Leprieur, Toulouse 1915, Archives des musées nationaux, Z2A (Archives nationales, Pierrefitte-sur-Seine) Beitrag Franchi

Abb. 1: Decke der Sala dello Scrutinio nach Abnahme der Gemälde, Dogenpalast, Venedig 1915, Ufficio Storico Marina Militare, Rom Abb. 2: Die Assunta des Tizian und andere Kunstwerke aus Norditalien bei ihrer Ankunft am Bahnhof von Pisa, SBAAAS PI, lastra A 1727, AFSPI. n. 28.13.10/2.4, su concessione del MiBAC/Soprintendenza Pisa, prot. 4017, 8. April 2015 Abb. 3: Öffnung der Kiste mit der Assunta des Tizian, Santa Maria Gloriosa dei Frari, Venedig 1919, Fotoarchiv des Konvents der Basilika Santa Maria Gloriosa dei Frari, Venedig Abb. 4: Postkarte von Libero Franchi, 1377 Compagnia Mitragliatrici Fiat, an Sara Simi, Archiv der Autorin

304  I   Abbildungsverzeichnis

Beitrag Gąsior

Abb. 1: Leonardo da Vinci, Dame mit dem Hermelin, um 1488, Öl auf Holz, 54,8 cm × 40,3 cm, Krakau, Czartoryski-Museum Abb. 2: Sibyllentempel im Park von Puławy, Grzegorz Hałaś (GFDL) Abb. 3: Der Museumssaal im Schloss von Gołuchów, 1905, Aufnahme von Antoni Palikowski, Muzeum Narodowe w Poznaniu MNP R 25/2 Abb. 4: Raffael, Porträt eines jungen Mannes, um 1513, Öl auf Holz, 72 cm x 56 cm, seit 1945 verschollen Beitrag Anderson

Abb. 1: Die ägyptischen Antiken im Kunstmuseum der Universität Tartu, Fotografie, um 1899, Museum der Universität Tartu, ÜAMF 88  :39 Abb. 2: Evakuierung von Tartu, Fotografie, 1918, Museum der Universität Tartu, ÜAMF 30  :1 Beitrag Cvetkovski

Abb. 1: Krankenhausbetten im Nikolaussaal des Winterpalais, Oktober 1915, aus Gosudarstvennyj Ėrmitaž. Gospital’ v zimnem dvorce 1915–1917, Katalog vystavki, Sankt Petersburg 2006 Abb. 2: Junker vor dem Büro Kerenskijs im Winterpalast, aus Geraldine Norman, The Hermitage. The Biography of a Great Museum, London 1997 Abb. 3: Historische Waffen und Rüstzeug werden für die Evakuierung während des Ersten Weltkriegs verpackt. Links Eduard Lenz, Kustode der Mittelalterabteilung, rechts Dmitrj I. Tolstoj, Direktor des Museums, aus Geraldine Norman, The Hermitage. The Biography of a Great Museum, London 1997 Abb. 4: Zerstörtes Arbeitszimmer Nikolaus II. nach dem Sturm des Palastes, aus Geraldine Norman, The Hermitage. The Biography of a Great Museum, London 1997 Beitrag Masson

Abb. 1: Dépôt du service des Monuments et de soeuvres d’art de la zone armées dans la chapelle du collège d’Eu, Charenton-le-Pont, Médiathèque de l’Architecture et du Patrimoine, © bpk / Ministère de la Culture – Médiathèque du Patrimoine, Dist. RMN-Grand Palais/ Opérateur DU Abb. 2: Ein deutscher Museumskustode (Theodor Demmler  ?) am Schreibtisch des Valencienner Museumsdirektors, Fotografie, ca. 1917, Musée des Beaux-Arts de Valenciennes – Sammlung Bauchond Abb. 3: Emile Théodore oder Cliché Marquette (Fotograf ), Der provisorische Verschlag, in dem die Keramiksammlung des Palais des Beaux-Arts de Lille während des Krieges untergebracht war, Fotografie, ca. 1920, Palais des Beaux-Arts de Lille, Dokumentation Abb. 4: Albumblatt mit Fotografien des zerstörten Saal Nr. 5 des Musée de Peinture im Palais des Beaux-Arts von Lille. Die Etappen der Restaurierung von Peter Ykens‘ Christus stigmatisiert die Hand der hl. Theresia mit einem Nagel, Montage v. 1923, Palais des Beaux-Arts de Lille, Dokumentation Abbildungsverzeichnis   I    305

Beitrag Cladders

Abb. 1: Auch im Frieden ein politischer Ort  : Die Berliner Museen. Kundgebung am Weltfriedenstag am 1. August 1920 im Lustgarten vor dem Alten Museum, aus Das interessante Blatt vom 12. Aug. 1920, Nr. 33, 3 (Fotograf  : R. Sennecke). Abb. 2: Neue Sensationspreise. Die Versteigerung von Romneys Beckford Children an Joseph Duveen bei Christie’s in London erregte auch in der österreichischen Presse Aufmerksamkeit. Das Bild verkaufte Duveen an den US-amerikanischen Eisenbahnmagnaten Henry E. Huntington, aus Das interessante Blatt vom 4. Dez. 1919, Nr. 49, 7 (unbek. Fotograf ). Abb. 3: Rubens Der Eremit und die schlafende Angelika wurde neben fünf weiteren Bildern und mehreren Skulpturen aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum für eine von zwei ehemaligen Kriegsgegnern organisierte Ausstellung (Exposition d’Art Belge ancien et moderne) bereits im Frühjahr 1923 nach Paris entliehen, aus Revue de l’Art, Jg. 27, Bd. 44, Nr. 247, 1923, 22 (unbek. Fotograf ).

306  I   Abbildungsverzeichnis

PE RSO N E N V E RZE I C H N I S

Ackermann, Friedrich (1866–1931) 124 Aigner, Chrystian Piotr (1756–1841) 192 Aitken, Max, 1. Baron Beaverbrook (1879–1964) 44, 45 Alexander I. siehe Russland Alexander II. siehe Russland Alexander III. siehe Russland Alexandre, Arsène (1859–1937) 238 Alfons XIII. siehe Spanien Amerling, Friedrich von (1803–1887) 87 Auspitz Edler von Artenegg, Stefan (1869–1945) 94 Babelon, Ernest (1854–1924) 20, 147–157, 153 Abb., 157 Fn., 158 Fn. Babelon, Jean (1889–1978) 153 Bachstitz, Kurt Walter (1882–1949) 93 Balzac, Honoré de (1799–1850) 193 Barrès, Maurice (1862–1923) 158 Fn. Barthélemy, Anatole de (1821–1904) 157 Fn. Barye, Antoine-Louis (1795–1875) 168 Basaiti, Marco (1470– um 1530) 186 Battisti, Cesare (1875–1916) 183 Bauchond, Maurice (1877–1941) 241, 244, 247 Baudry, Paul (1828–1886) 139 Bean, Charles (1879–1968) 44 Beatty, John W. (1850–1924) 136, 138 Beaverbrook siehe Aitken Behrens, Peter (1868–1940) 118 Belette, Paul 242 Bellini, Giovanni (1437–1516) 186 Bellotto siehe Canaletto Benda, Julien (1867–1956) 148 Bénédite, Léonce (1859–1925) 19, 20, 132–137, 139, 141 – 143 Fn., 145 Fn., 258 Benjamin, Walter (1892–1940) 117 Benois, Alexandre (Aleksandr N. Benua) (1870– 1960) 219, 220 Berg, Max (1870–1947) 120 Bernatzik, Wilhelm (1853–1906) 88

Bernhardt, Sarah (1844–1923) 138 Bersu, Gerhard (1889–1964) 251 Besnard, Albert (1849–1934) 139 Binder, Moritz Julius (1877–1947) 15, 16, 56, 57, 62, 64, 65, 68 Fn. Blaas, Carl (Karl) von (1815–1894) 87, 95 Fn. Bode, Wilhelm von (1845–1929) 12, 23, 191, 197, 239, 240, 244, 259, 262 Fn. Boelcke, Oswald (1891–1916) 59, 67 Fn. Boltraffio, Giovanni Antonio (1467–1516) 197 Bonheur, Rosa (1822–1899) 99, 103 Borch, Gerard ter (1582/83–1662) 91, 92 Borchard, [Museumsinspektor] 237 Borchardt, Ludwig (1863–1938) 239 Borgmeyer, Charles Louis (1859–1918) 138 Bourget, Paul (1852–1935) 158 Fn. Bouts, Dieric (um 1415–1475) 255 Boxall, William (1800–1879) 100 Brangwyn, Frank (1867–1956) 134 Briand, Aristide (1862–1932) 151 Brignoli, Luigi (1881–1952) 46, 47 Abb. Broecke, Willem van den (1530–1580) (gen. Guillelmus Paludanus) 88 Abb., 89 Brueghel, Jan der Ältere (1568–1625) 92, 92  Abb., 93 Brueghel, Pieter der Ältere (1525/1530–1569) 90, 92 Brüll, Ignaz (1846–1907) 94 Brunetti Marino (1852–1934) 177 Brunetti Mario (1885–1956) 177, 183 Buberl, Paul (1885–1942) 70 Abb. Buonarotti, Michelangelo (1475–1564) 121 Burg, Hermann 244 Burnand, Eugène (1850–1921) 141 Buschbeck, Ernst (1889–1963) 73, 74, 94 Fn. Caillebotte, Gustave (1848–1894) 134 Canal, Giovanni Antonio siehe Canaletto Canaletto, eigentl. Bernardo Bellotto (um 1721– 1780) 94, 97 Fn. Personenverzeichnis   I    307

Canaletto, eigentl. Giovanno Antonio Canal (1697–1768) 93, 93 Abb., 94, 97 Fn. Carolus-Duran, eigentl. Charles-Émile-Auguste Durand (1837–1917) 139 Carpaccio, Vittore (1465–1525/26) 186 Carpenter, Newton H. (1853–1918) 138, 147 Fn. Cassatt, Mary (1844–1926) 110 Cazin, Jean-Charles (1841–1901) 247 Champaigne, Philippe de (1602–1674) 168 Chaplain, Jules Clément (1839–1909) 156 Chardin, Jean Siméon (1699–1779) 168 Chennevières, Henry de (1858–1946) 171 Chenue [Transportunternehmerin] 167 Childerich I. († 481 oder 482) 153–155 Chlodwig I. (466–511) 153 Chopin, Frédéric (1810–1849) 193 Ciriani, Henri (*1936) 48 Clemen, Paul (1866–1947) 239 Clemenceau, Georges Benjamin (1841–1929) 43 Coffin, William Anderson (1855–1925) 135 Constable, John (1776–1837) 110 Conway, William Martin, 1st Baron Conway of Allington (1856–1937) 52 Fn. Corot, Jean-Baptiste Camille (1796–1875) 103, 107, 110, 168 Courajod, Louis (1841–1896) 155 Courbet, Gustave (1819–1877) 168 Curzon, George, 1. Marquess Curzon of Kedleston (1859–1925) 18, 106, 107, 109, 110 Czartoryska, Izabela, Fürstin (1746–1835) 191– 193 Czartoryska, Maria Ludwika (Marie Luise), Fürstin (1883–1958) 23, 193–196, 198 Czartoryski, Adam Ludwig, Fürst (1872–1937) 193, 196, 198, 200 Fn. Czartoryski, Władysław, Fürst (1918–1978) 193 Dalimier, Albert (1875–1936) 141, 163–165, 169, 170, 237 Dannenberg, Otto (1867–nach 1937) 120 D‘Annunzio, Gabriele (1863–1938) 141 Däubler, Theodor (1876–1934) 123 Daumier, Honoré (1808–1879) 105 David, Jacques-Louis (1748–1825) 168 Davis, Edmund (1862–1939) 134

308  I   Personenverzeichnis

Dayot, Armand (1851–1934) 140 De la Gardie, Jakob (1583–1652) 204, 207 De la Gardie, Pontus (1520–1585) 204, 207 Degas, Edgar (1834–1917) 105, 108–110, 139, 168 Degeorge, Charles (1837–1888) 156, 157 Abb. Delacroix, Eugène (1798–1863) 100, 105, 110, 111 Abb., 115 Fn., 168, 193 Delaroche, Paul (1797–1856) 100, 103, 104 Abb., 112 Fn. Demmler, Theodor (1879–1944) 240–242, 241 Abb. Deruaz, Hippolyte 132 Dimier, Louis (1865–1943) 158 Fn. Dix, Otto (1891–1969) 50 Dressel, Heinrich (1845–1920) 147 Dreyfus, Alfred (1859–1935) 148 Dubufe, Claude Marie (1790–1864) 103 Dujardin-Beaumetz, Étienne (1852–1913) 132 Durand-Ruel, Joseph (1862–1928) 109 Durand-Ruel, Paul (1831–1922) 102 Dürer, Albrecht (1471–1528) 240 Duveen, Joseph, 1. Baron Duveen (1869–1939) 107, 112 Dyck, Anton van (1599–1641) 221 Dyckmans, Josephus Laurentius (1811–1888) 99, 100 Abb. Dzeržinskij, Feliks Ė. (1877–1926) 227 Eastlake, Charles (1836–1906) 99 Eberhardi, Johann August (1739–1809) 201 Eck, Théophile (1841–1917) 240 Ėfros, Abram M. (1888–1954) 229 Eichborn, Emil Gottfried Hermann von (1848– 1918) 64 Einstein, Carl (1885–1940) 123 El Greco, eigentl. Domínikos Theotokópoulos (1541–1614) 110 Ellen-Prévot, Antoine (1877–1952) 169, 170 Endell, August (1871–1925) 62 Eugénie de Montijo siehe Frankreich Eustache, Henri (1861–1922) 139 Fabri de Peiresc, Nicolas-Claude (1580–1637) 156 Federovna, Aleksandra siehe Russland

Felsberg, Ernst (1866–1928) 202, 206, 211 Fn. Ferré, Georges (1853–1924) 245 Fierens-Gevaert, Hippolyte (1870–1926) 264 Fn. Fischel, Hartwig (1861–1942) 76 Flakserman, Jurij N. (1895–1995) 226 Flameng, François (1856–1923) 146 Fn. Flechtheim, Alfred (1878–1937) 118 Fogolari, Gino (1875–1941) 178, 183, 187, 188 Forstner, Leopold (1878–1936) 76, 77 Abb. Fouqueray, Charles (1869–1956) 146 Fn. Fradeletto, Antonio (1858–1930) 134 Franchi, Libero 188 Abb. Franck, Richard (1871–1931) 42–46 Frankreich, Eugénie (de Montijo), Kaiserin der Franzosen (1826–1920) 163 Frankreich, Ludwig IX. (Ludwig der Heilige), König von (1214–1270) 156 Frankreich, Ludwig XIV., König von (1638–1715) 154 Frankreich, Ludwig XVI., König von (1754–1793) 156 Frankreich, Napoleon I., Kaiser der Franzosen (1769–1821) 34, 54, 57, 58, 87, 154, 180 Frankreich, Napoleon III., Kaiser der Franzosen (1808–1873) 56 Franz Ferdinand siehe Österreich Franz II./I. siehe Österreich Freeman-Mitford, Algernon, 1st Baron Redesdale (1837–1916) 103 Friedrich August III. siehe Sachsen Friedrich I. siehe Preußen Friedrich II. siehe Preußen Friedrich Wilhelm III. siehe Preußen Friedrich, Ernst (1894–1967) 16, 47, 65 Frith, William (1819–1909) 103, 104 Fry, Roger (1866–1934) 105, 107, 109, 110 Füger, Friedrich Heinrich (1751–1818) 88 Fustel de Coulanges, Numa Denis (1830–1889) 148, 150 Gaillard, Ernest (1893–1976) 246, 247 Gainsborough, Thomas (1727–1788) 110 Gallerani, Cecilia (1473–1536) 191, 196 Gauguin, Paul (1848–1903) 110 Gedeonov, Stepan A. (1815–1878) 217, 218

Gelder, Jan Jacob de (1802–1890) 196 Genevoix, Maurice (1890–1980) 48 Gentili di Giuseppe, Federico (1868–1940) 134 Georg V. siehe Großbritannien Géricault, Théodore (1791–1824) 110, 115 Fn. Germanicus (15 v. Chr.–19 n. Chr.) 156 Ghirlandaio, Domenico (1449–1494) 186 Gies, Ludwig (1887–1966) 19, 117, 123–125, 123 Abb. Giordano, Luca (1634–1705) 90 Giorgione (1478–1510) 180 Glück, Gustav (1871–1952) 17, 18, 85, 86, 88–94, 94 Fn., 96 Fn., 260, 262 Fn. Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832) 207 Gorki, Maxim (1868–1936) 229, 230 Goya, Francisco de (1746–1828) 50 Grabar’, Igor’ Ė. (1871–1960) 229 Grailly, François de 150 Gregory, Isabella Augusta (1852–1932) 102, 107 Gregory, William Henry (1816–1892) 100 Greuze, Jean-Baptiste (1725–1805) 168 Gropius, Walter (1883–1969) 120 Großbritannien, Georg V., König von (1865– 1936) 44 Guardi, Francesco (1712–1793) 90, 94 Guiffrey, Jean (1870–1952) 136, 137, 144 Fn., 249, 263 Fn. Guillaume, Henri (1868–1930) 144 Fn. Gustav II. Adolf siehe Schweden Haberditzl, Franz Martin (1882–1944) 87 Haberlandt, Arthur (1889–1964) 17, 69, 71–76, 79, 80 Fn. Haberlandt, Michael (1860–1940) 16, 71, 73, 76, 77, 80 Fn. Hadeln, Detlev Freiherr von (1878–1935) 240, 251 Fn. Hardinge, Charles, 2nd Viscount Hardinge (1822–1894) 101 Hauser, Alois (1857–1919) 197 Hautecœur, Louis (1884–1973) 246 Havemeyer, Louisine W. (1855–1929) 110 Heger, Franz (1853–1931) 77 Heilmann, Maurice 137

Personenverzeichnis   I    309

Helst, Bartholomeus van der (um 1613– ca. 1670) 196 Hénault, Maurice (1867–1945) 241 Herder, Johann Gottfried von (1744–1803) 207 Heredia, José-Maria (1842–1905) 157 Fn. Héron de Villefosse, Antoine de (1845–1919) 157 Fn. Heseltine, John Postle (1843–1929) 105 Hettner, Otto (1875–1931) 19, 120, 121, 124, 125, 127 Fn. Hindenburg, Paul von (1847–1934) 62, 64 Hodler, Ferdinand (1853–1918) 122 Hofer, Karl (1878–1955) 19, 117, 121, 122 Abb., 124, 125, 127 Fn. Hoffbauer, Charles (1875–1957) 146 Fn. Holbein, Hans der Ältere (um 1465–um 1524) 92 Holbein, Hans der Jüngere (1497/98–1543) 92, 106 Hollande, François (*1954) 10 Hollitscher, Carl von (1845–1925) 93 Holmes, Charles (1868–1936) 18, 108–110 Holroyd, Charles (1861–1917) 102, 104, 105, 107 Honnorat, André (1868–1950) 52 Fn. Houssaye, Arsène (1814–1896) 163 Immelmann, Max (1890–1916) 59, 67 Fn. Ingres, Jean-Auguste-Dominique (1780–1867) 105, 110, 115 Fn., 168 Jacobi, Johann (1661–1726) 58 Jamot, Paul (1863–1939) 21, 163, 165–171, 167 Abb., 174 Fn. Jatmanov, Grigorij S. (1878–1949) 226 Jongkind, Johan Barthold (1819–1891) 247 Jullian, Camille (1859–1933) 148 – 150, 154 Jünger, Ernst (1895–1998) 38 Jusserand, Jean-Jules (1855–1932) 137 Justi, Ludwig (1876–1957) 14, 61–63, 68 Fn. Keller, Wilhelm 244 Kerenskij, Aleksandr F. (1881–1970) 223 Abb., 224 Keune, Johann Baptist (1858–1937) 245 Keynes, John Maynard (1883–1946) 18, 109

310  I   Personenverzeichnis

Kidrić, Franz (1880–1950) 73 Koetschau, Karl (1868–1949) 62, 68 Fn. Kokoschka, Oskar (1886–1890) 120 Kopczyński, Johann 198, 200 Fn. Krasheninnikov, Mihhail (1865–1929) 202 Krasiński, Zygmunt (1812–1859) 193 Kraus, Karl (1874–1936) 34 Kumsch, Emil 199 Fn. Kurth, Betty (1878–1948) 196 Kwiatkowski, Teofil (1809–1891) 195 Laagus, Karl (1874–1954) 204 Labrouste, Henri (1801–1875) 149 Lagarde, Pierre (1853–1910) 146 Fn. Lambertz, Maximilian (1882–1963) 73, 73 Abb., 74 Landseer, Edwin Henry (1802–1873) 103 Lane, Hugh (1875–1915) 18, 102, 103, 106–110, 112 Lasteyrie, Ernest de 157 Fn. Latour, Maurice-Quentin de (1704–1788) 244 Lavisse, Ernest (1842–1922) 151 Le Nain, Antoine (um 1588–1648) od. Le Nain, Louis (um 1593–1648) 168 Le Sidaner, Henri (1862–1939) 247 Lebert, Fernand (1870–1939) 236, 237 Leblanc, Henri (1873–1935) 42–45 Leblanc, Louise (1869–1931) 42–45 Legros, Alphonse (1837–1911) 139 Lehrs, Max (1855–1938) 195–199 Lemaître, Jules (1853–1914) 158 Fn. Lenin, Vladimir I. (1870–1924) 231 Lenz, Eduard (1856–1919) 218, 225 Abb. Léon, Paul (1874–1962) 238 Leonardo da Vinci (1452–1519) 22, 23, 168, 169, 191, 192 Abb., 195, 196 Leopold Wilhelm von Habsburg siehe Österreich Lepère, Auguste (1849–1918) 139 Leprieur, Paul (1860–1918) 166–170, 167 Abb. Leroy, Stéphane 246, 247 Leyden, Lucas van (1494–1533) 240 Lhotsky, Alphons (1903–1968) 262 Fn. Lichtwark, Alfred (1852–1914) 135 Liphart, Ernst Friedrich von (Ėrnest K. Lipgart) (1847–1932) 218, 220

Liszt, Franz (1811–1886) 193 Lloyd George, David, 1. Earl Lloyd-George of Dwyfor (1863–1945) 42, 109 Locquin, Jean (1879–1949) 170 Ludwig IX. siehe Frankreich Ludwig XIV. siehe Frankreich Ludwig XVI. siehe Frankreich Luini, Bernadino (1480–1532) 169 Lunačarskij, Anatolij V. (1875–1933) 225, 227, 230, 231 MacColl, Dugald Sutherland (1859–1948) 105, 111, 114 Fn. Mackensen, August von (1849–1945) 64 Magnasco, Alessandro (1667–1749) 97 Fn. Maistre, Paul (1858–1922) 149 Makovskij, Sergej K. (1877–1962) 219, 220 Mâle, Émile (1862–1954) 155 Malmberg, Ernst (1860–1921) 202 Mandelbaum, Bernard (1888–1953) 226 Manet, Édouard (1832–1883) 103, 105 Abb., 108, 110, 168 Mantegna, Andrea (1431–1506) 102, 168 Marcel, Henri (1854–1926) 131, 164, 170 Marcou, Paul Frantz (1860–1932) 238 Marées, Hans von (1837–1887) 118, 121 Maria Theresia siehe Österreich Marinetti, Filippo Tommaso (1876–1944) 118 Marquet, Albert (1875–1947) 247 Martel, Charles (1869–1922) 141 Martinet, [Kustos] 247 Maulbertsch, Franz Anton (1724–1796) 90 Maurras, Charles (1868–1952) 148 Maximilian I. siehe Österreich Meier-Graefe, Julius (1867–1935) 121 Melzer, Moritz (1877–1966) 119, 123 Menadier, Julius (1854–1939) 147, 148 Mercklin, Ludwig (1816–1863) 202 Messina, Antonello da (um 1429/1430–1479) 86 Michelangelo siehe Buonarroti Mickiewicz, Adam (1798–1855) 193 Millet, Jean-François (1814–1875) 105, 168 Moll, Karl (1861–1945) 95 Monet, Claude (1840–1926) 103, 135 Monticelli, Adolphe (1824–1886) 105

Moreau, Gustave (1826–1898) 139 Moreau, Mathurin (1822–1912) 236 Morgenstern, Johann Karl Simon (1770–1852) 201, 202, 208 – 209 Fn., 210 Fn. Morozov, Ivan A. (1871–1921) 218 Mourey, Gabriel (1865–1943) 237, 243 Murillo, Bartolomé Esteban (1618–1682) 168 Murphy, Leo (1891–?) 47 Napoleon I. siehe Frankreich Napoleon III. siehe Frankreich Nash, Paul (1889–1946) Nebel, Kay Heinrich (1888–1953) 120 Nero, Kaiser des Römischen Reiches (37–68) 156 Neumann-Cosel, Gustav von (1861–1917) 56, 66 Fn. Neuville, Alphonse de (1836–1885) 146 Fn. Neveux, Pol (1865–1939) 166 Nikitin, Pavel (1879–1931) 206 Nikolaus II. siehe Russland Nowacka, [Gesellschafterin] 195 Ochenkowski, Henry von (1872–1925) 195 Ojetti, Ugo (1871–1946) 180, 183, 185 Ongaro, Massimiliano (Max) (1858–1924) 180, 182, 188 Orpen, William (1878–1931) 102 Ostade, Adriaen van (1610–1685) 96 Fn. Österreich, Franz Ferdinand (1863–1914), Erzherzog von 71 Österreich, Franz II./I. (1768–1835), Kaiser von 88 Österreich, Leopold Wilhelm (1614–1662), Erzherzog von 154 Österreich, Maria Theresia (1717–1780), Kaiserin von 97 Fn. Österreich, Maximilian I. (1459–1519), Kaiser des HRR, Erzherzog von 88 Ouradou, Maurice (1822–1884) 193 Pajzderski, Nikodem (1882–1940) 200 Fn. Paludanus siehe Broecke Pascal, Jean-Louis (1837–1920) 149, 152, 156 Perronneau, Jean-Baptiste (1715–1783) 110 Personenverzeichnis   I    311

Peßler, Wilhelm (1880–1962) 62 Pettenkofen, August von (1822–1889) 87 Phillips, Claude (1846–1924) 105, 108 Pius X., Papst der römisch-katholischen Kirche (1835–1914) 185 Poggi, Giovanni (1880– 1961) 182, 186 Polen, Stanisław August Poniatowski, König von (1732–1798) 191 Poniatowski siehe Polen Posse, Hans (1879–1942) 195, 198, 200 Fn. Poussin, Nicolas (1594–1665) 168 Poussin, Pierre Charles (1819–1904) 103 Praschniker, Camillo (1884–1949) 73, 74 Preda, Ambrogio (1839–1906) 197 Preußen, Friedrich I. (1657–1713), König in 58 Preußen, Friedrich II. (1712–1786), König von 64 Preußen, Friedrich Wilhelm III. (1770–1840), König von 54 Preußen, Friedrich Wilhelm von Brandenburg (Großer Kurfürst) (1620–1688), Herzog in 57 Preußen, Wilhelm I. (1797–1888), deutscher Kaiser/König von 53 Preußen, Wilhelm II. (1859–1941), deutscher Kaiser/König von 54, 55, 58, 59, 61–63, 66 Fn. Primrose, Archibald, 5. Earl of Rosebery (1847– 1929) 101 Puksoo, Friedrich (1890–1969) 206 Punin, Nikolaj N. (1888–1953) 227, 233 Fn. Puvis de Chavannes, Pierre (1824–1898) 11, 102, 108, 139 Puyvelde, Léo van (1882–1965) 264 Fn. Radoński, L. von 195, 199 Fn. Raffael, eigentl. Raffaelo Sanzio da Urbino (1483–1520) 195 – 197 Abb., 243 Rathenau, Walther (1867–1922) 42 Recoura, Alfred (1864–1940) 152 Redesdale siehe Freeman-Mitford Reisinger, Hugo (1856–1914) 135 Rembrandt van Rijn (1606–1669) 106, 169, 195, 196, 221 Renan, Ernest (1823–1892) 150 Renoir, Pierre-Auguste (1841–1919) 107 Reynolds, Joshua (1723–1792) 90

312  I   Personenverzeichnis

Ricci, Corrado (1858–1934) 178, 189 Fn. Richter, Otto Friedrich von (1792–1816) 202, 210 Fn. Richter, Otto Magnus von (1755–1826) 202, 208 Ridder, André de (1868–1921) 165 Riezler, Walter (1878–1965) 18, 19, 117–121, 123–125, 126 Fn. Rodenwaldt, Gerhart (1886–1945) 118 Rodin, Auguste (1840–1917) 134, 139, 158 Fn. Roll, Alfred (1846–1919) 137 Romney, George (1734–1802) 257 Abb. Rosebery siehe Primrose Rosenberg, Alfred (1893–1946) 79 Rossetti, Dante Gabriel (1828–1882) 101 Rousseau, Théodore (1812–1867) 110, 168 Rubens, Peter Paul (1577–1640) 168, 220, 242, 259 Abb. Russell, William (1800–1884) 100 Russland, Aleksandra Federovna (Alix von Hessen-Darmstadt) (1872–1918), Kaiserin von 222 Russland, Alexander I. (Aleksandr II Nikolaevič Romanov) (1777–1825), Kaiser von 201 Russland, Alexander II. (Aleksandr II Nikolaevič Romanov) (1818–1881), Kaiser von 217 Russland, Alexander III. (Aleksandr III Aleksan­ drovič Romanov) (1845–1894), Kaiser von 218 Russland, Katharina II. (Katharina die Große) (1729–1796), Kaiserin von 24, 215, 216, 221 Russland, Nikolaus II. (Nikolaj II Aleksandrovič Romanov) (1868–1918), Kaiser von 221, 222, 226 Abb. Sachsen, Friedrich August III., König von (1865–1932) 198 Sachsen, Johann Georg, Prinz von (1869–1938) 196, 198 Sachsen, Maria Immaculata zu (1874–1947) 194 Sage, Cornelia Bentley (1876–1936) 136–138 Saint-Hilaire, Konstantin (1866–1941) 204 Sand, George (1804–1876) 193 Sarradin, Édouard (1869–1957) 245, 246 Sarto, Andrea del (1486–1530) 178 Schindler, Karl (1821–1842) 87 Schmidt, James Theodor von (Džems A. Šmidt) (1876–1933) 218, 220

Schmidt, Wilhelm (1892–1971) 120 Schober, Arnold (1886–1959) 73 Schönborn, Johann Philipp von (1605–1673), Kurfürst von Mainz 154 Schwabe, Ludwig (1835–1909) 202 Schweden, Gustav II. Adolf (1594–1632), König von 201 Schwindt, Moritz von (1804–1871) 88 Ščukin, Sergej I. (1854–1936) 218 Seidlitz, Waldemar von 197 Sforza, Ludovico (1452–1508) 191 Signac, Paul (1863–1935) 247 Singer, Hans Wolfgang (1867–1957) 196 Sisley, Alfred (1839–1893) 168, 247 Sizeranne, Robert de la (1866–1932) 40 Smirnov, Jakov I. (1869–1918) 218, 229 Spanien, Alfons XIII. (1886–1941), König von 139 Sponsel, Jean Louis (1858–1930) 195 Steen, Jan (1626–1679) 90 – 91 Abb. Steinmann, Ernst (1866–1934) 12 Sterzel, Hans 58, 59, 63, 64 Stevens, Alfred (1823–1906) 107 Stix, Alfred (1882–1957) 94 Fn. Surkov, Petr 221 Tate, Henry (1819–1899) 101 Temple, Alfred George (1848–1928) 140 Théodore, Émile (1876–1937) 25, 26, 238, 240, 242, 243, 245, 247, 249 Thomas, Albert (1878–1932) 42 Tiberius, römischer Kaiser (42 v. Chr. - 37 n. Chr.) 156 Tintoretto, Jacopo (1518–1594) 180 Tirman, Albert (1868–1939) 137 Tizian, eigentl. Tiziano Vecellio (um 1490–1576) 22, 182, 184 Abb., 186–188, 187 Abb. Tolstoj, Dmitrij I. (1860–1941) 220, 222, 224, 225 Abb., 227 Tommaso da Modena (1325–nach 1368) 184 Toutain, [Oberstleutnant] 238 Trojanović, Sima (1862–1935) 69 Trojnickij, Sergej N. (1882–1948) 227, 229 Trubeckoj, Sergej N. (1829–1899) 217, 218 Tschudi, Hugo von (1851–1911) 18, 86

Tubbenthal, Flora (1880–1967) 19, 119, 121 Tubbenthal, Friedrich Erdmann (1845–1913) 119 Turner, Joseph Mallord William (1775–1851) 101 Uccello, Paolo (1397–1475) 108 Ulreich, Alois 78 Valentiner, Wilhelm 259, 264 Fn. Vallotton, Félix (1865–1925) 40, 41 Abb. Van Gogh, Vincent (1853–1890) 118 Vasil’čikov, Aleksandr A. (1832–1890) 218 Vavasseur, Louis 172 Fn. Velázquez, Antonio González (1723–1793) 108, 221 Venturi, Adolfo (1856–1941) 186 Verhaeren, Émile (1855–1916) 141 Vermeer, Jan (1632–1675) 91 Vernon, Robert (1774–1849) 101 Verrocchio, Andrea del (1435–1488) 126 Fn. Vinci, Leonardo da siehe Leonardo Viollet-le-Duc, Eugène (1814–1879) 93 Vollard, Ambroise (1865–1939) 109 Vsevoložskij, Ivan A. (1835–1909) 217, 218, 220 Waagen, Gustav Friedrich (1794–1868) 94 Fn. Waldmüller, Ferdinand Georg (1793–1865) 87 Watteau, Antoine (1684–1721) 168 Weirter, Louis (1873–1932) 41 Abb. Whistler, James Abbott McNeill (1834–1903) 105 Wicar, Jean-Baptiste (1762–1834) 240 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 207 Wilhelm I. siehe Preußen Wilhelm II. siehe Preußen Wilkie, David (1785–1841) 99 Wilson, Woodrow (1856–1924) 183 Witt, Robert (1872–1952) 105 Witte, Emanuel de (1617–1692) 96 Fn. Wolf, Friedrich August (1759–1824) 201 Ykens, Peter (1648–1695) 248 Abb. Zahn, Wilhelm (1800–1871) 210 Fn. Zola, Alexandrine (1839–1825) 171

Personenverzeichnis   I    313

AUTO R E N V ERZE I C H N I S

Jaanika Anderson promovierte 2015 an der Universität Tartu in klassischer Philologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literaturwissenschaft, der Rezeption der Antike und der Geschichte der Sammlungen und des Sammelns. Seit 2004 ist sie Kuratorin der Antikensammlung und Organisatorin von Ausstellungen am Kunstmuseum der Universität Tartu, das sie derzeit leitet. Julien Bastoen ist Dozent, Forscher und Kritiker. Er unterrichtet seit 2012 Architekturgeschichte an der Ecole nationale supérieure d’architecture de Paris-La Villette. In seiner Promotionsarbeit (Université Paris-Est, 2015) untersuchte er die Architekturdebatten um die Erweiterungs- und Rekonstruktionsprojekte des Musée du Luxembourg in Paris zwischen 1848 und 1920. Seine gegenwärtigen Forschungsvorhaben gelten der Geschichte der Museen und Warenhäuser sowie der architektonischen Rekonstruktion im internationalen Zusammenhang. Arnaud Bertinet promovierte 2011 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne mit der Arbeit zur Kunstpolitik im Second Empire, aus der die Publikation Les musées de Napoléon III, une institution pour les arts (Paris 2015) hervorging. Nach Post-doc-Forschung am Institut National du Patrimoine und Institut National d’Histoire de l’Art in Paris (2012–2013) zum Thema „Évacuer le musée, entre sauvegarde du patrimoine et histoire du goût  ; 1870–1940“ ist er derzeit Dozent (maître de conférences) an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne und Mitglied der Forschungsgruppe HiCSA. Felicity Bodenstein wurde 2015 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne mit einer Arbeit zum Cabinet des médailles et antiques de la Bibliothèque nationale (1819–1924). Un cabinet pour l’érudition à l’âge des musées promoviert. Sie ist seitdem Post-doc-Stipendiatin am Kunsthistorischen Institut in Florenz in der Max-Planck-Forschungsgruppe „Objects in the Contact Zone“. Ihre Forschungsgebiete sind die Museumsgeschichte und die Analyse von Ausstellungen archäologischer und anthropologischer Sammlungen. Lucas Cladders studierte Mittlere und Neue Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und promovierte 2016 am Europa-Institut Basel mit der Arbeit Alte Meister und neue Ordnung. Staatliche Gemäldegalerien in Berlin, Brüssel, Paris und Wien nach dem Ersten Weltkrieg und die Gründung des Office International des Musées. Er organisierte Ausstellungen und forschte im Rahmen einer Fellowship des Museums der Kulturen Basel am Projekt „Das Basler Museum für Völkerkunde. Grundzüge einer Sammlungsgeschichte mit Schwerpunkt 1914–1945“.

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Alan Crookham ist Archivar und Leiter des National Gallery Research Centre. Seine Forschungsinteressen gelten der Geschichte der National Gallery und der Beziehungen zwischen Archiv und Kunst. Er veröffentlichte unter anderem die Monografie The National Gallery. An Illustrated History (London 2009) und den Aufsatz „The Turner Bequest at the National Gallery“ inTurner Inspired. In the Light of Claude (London 2012). Roland Cvetkovski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität zu Köln und promovierte dort mit einer Arbeit über Infrastruktur und Raumbewältigung im Russischen Reich vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Neben der Beschäftigung mit der Wissens-, Ideen- und Imperialgeschichte vornehmlich Osteuropas lag sein Forschungsinteresse in den letzten Jahren auf dem Gebiet der museum studies. Momentan schreibt er an einer Monografie über den Zusammenhang von Kunst, Museumskultur und Ideologie in der frühen Sowjetunion. Wencke Deiters studierte Kunstgeschichte in Heidelberg, Rom und Florenz und wurde 2003 promoviert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien und an den Forschungsprojekten „Naturwissenschaftliche Untersuchungen der Gemälde Tizians im KHM“ (2003–2011) und „Die Wiener Gemäldegalerie im Wandel der Zeiten von 1911 bis 1938“ (seit 2012) beteiligt. Außerdem arbeitete sie an diversen Ausstellungen mit, u. a. Giorgione. Mythos und Enigma (2004) und Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei (2007). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der italienischen Malerei der Renaissance und in der Galeriegeschichte. Elena Franchi ist unabhängige Wissenschaftlerin und forscht zum Kunstschutz in Krisengebieten, von der Zeit der Weltkriege bis zu aktuellen Konflikten. Als Mitarbeiterin verschiedener Forschungsprojekte und Teilnehmerin an internationalen Kongressen hat sie Bücher und Aufsätze zu diesem Themenkreis veröffentlicht. Sie wurde für ihre Mitarbeit an dem amerikanischen Dokumentarfilm The Rape of Europa (2006), der dem europäischen Kulturgut im Zweiten Weltkrieg gewidmet ist, für den News & Documentary Emmy Award in der Kategorie „Research“ nominiert. Agnieszka Gąsior ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig. Sie promovierte 1995 und ist seitdem in verschiedenen Projekten tätig, die thematisch den Fragen nach herrschaftlicher Repräsentation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit sowie der Rolle der Kunst als Medium der Identitätsbildung und der Erinnerungskultur vom 17. bis ins 20. Jahrhundert nachgehen. John Horne ist Mitglied der Royal Irish Academy und Emeritus Fellow des Trinity College Dublin (TCD), an dem er als Professor für Neuere europäische Geschichte lehrte. Er leitet dort weiterhin das Centre for War Studies. John Horne ist Vorstandsmitglied am Centre Autorenverzeichnis   I    315

international de recherche des Historial de la Grande Guerre in Péronne. Seine zahlreichen Veröffentlichungen widmen sich der Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert und der Geschichte des Ersten Weltkriegs. Christina Kott ist Germanistin und Kulturhistorikerin. Sie promovierte 2002 an der EHESS in Paris über das Thema Kunstschutz und Kunstraub im Ersten Weltkrieg in Belgien und Nordfrankreich. Seit 2005 ist sie Dozentin (maître de conférences) an der Universität Panthéon-Assas Paris 2. In ihren Forschungen beschäftigt sie sich mit dem Kulturerbe in den beiden Weltkriegen, mit transnationaler Museumsgeschichte und Geschichte der Denkmalpflege sowie mit historischer Denkmälerfotografie. 2014 kuratierte sie die Ausstellung Sauve qui veut. Des archéologues et des musées mobilisés, 1914–1918 in Douai (Nordfrankreich). 2016/2017 ist sie an einem Projekt des belgischen Institut Royal du Patrimoine artistique über Kulturerbe im Ersten Weltkrieg beteiligt und arbeitet parallel an ihrer Habilitation über Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg. Szymon Piotr Kubiak ist promovierter Kunsthistoriker, Dozent an der Kunstakademie Stettin und Leiter der Abteilung für „Europäische Kunst 1800–1945“ des Nationalmuseums Stettin. Schwerpunkte seiner Beschäftigung sind Architektur, Dekorationsmalerei, monumentale Bildhauerei und Design des 20. Jahrhunderts. Er ist Autor der Monografie Modernizm zapoznany. Architektura Poznania 1919–1939 (Warszawa 2014) zur Architektur der Zwischenkriegszeit in Posen und Kurator zahlreicher Ausstellungen, u. a. 1913. Frühlingsweihe (Nationalmuseum Stettin, 2013), die vom polnischen Institut für Museumswesen und Bestandsschutz als beste Kunstausstellung des Jahres ausgezeichnet wurde. Christian Marchetti studierte Empirische Kulturwissenschaft und Politikwissenschaft in Tübingen und Sevilla, seine Dissertation Balkanexpedition. Die Kriegserfahrung der österreichischen Volkskunde – eine historisch-ethnographische Erkundung erschien 2013 in Tübingen. 2005–2008 wissenschaftlicher Angestellter im DFG-Sonderforschungsbereich 437 „Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ der Universität Tübingen, danach bis 2012 Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., forscht er seitdem am Projekt „Von Geschichte und Gegenwart deutschsprachiger Volkskunden in Südosteuropa“ (gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien). Géraldine Masson promovierte 2015 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne bei Dominique Poulot mit einer Arbeit zu den Kustoden französischer Museen und der Professionalisierung ihrer Arbeit von 1870 bis 1940. Sie ist kuratorische Mitarbeiterin für Zeichnungen am Musée d’Orsay. Anne Robbins wurde in Frankreich zum Conservateur national du Patrimoine ausgebildet und ist Kuratorin für Malerei nach 1800 an der National Gallery in London. Dort kuratierte sie zahlreiche Ausstellungen, darunter Cézanne in Britain (2006), Picasso  : Challenging the Past 316  I   Autorenverzeichnis

(2009), Inventing Impressionism  : Paul Durand-Ruel and the Modern Art Market (2015) und Painters’ Paintings  : From Freud to Van Dyck (2016). Daneben arbeitet sie an verschiedenen Forschungsprojekten und Publikationen. Bénédicte Savoy ist Professorin am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin und leitet dort das Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst- und Kulturtransfer in Europa im 18. und 19. Jahrhundert, Museumsgeschichte, deutsch-französische Beziehungen sowie Kunstraub und Beutekunst. 2016 erhielt Bénédicte Savoy den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Thomas Weißbrich studierte Neuere deutsche Literatur, Alte Geschichte und Kunstgeschichte in Freiburg und München und promovierte 2007 als Stipendiat des Graduiertenkollegs „Transnationale Medienereignisse“ der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einer Studie zu Höchstädt 1704. Eine Schlacht als Medienereignis (publ. Paderborn 2015). Seit 2011 ist er Leiter der Sammlung Militaria am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Seine Forschungsgebiete umfassen preußisch-deutsche Militärgeschichte, Mediengeschichte der Frühen Neuzeit, Museums-, Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte.

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AUTO R E N V ERZE I C H N I S

Jaanika Anderson promovierte 2015 an der Universität Tartu in klassischer Philologie. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Literaturwissenschaft, der Rezeption der Antike und der Geschichte der Sammlungen und des Sammelns. Seit 2004 ist sie Kuratorin der Antikensammlung und Organisatorin von Ausstellungen am Kunstmuseum der Universität Tartu, das sie derzeit leitet. Julien Bastoen ist Dozent, Forscher und Kritiker. Er unterrichtet seit 2012 Architekturgeschichte an der Ecole nationale supérieure d’architecture de Paris-La Villette. In seiner Promotionsarbeit (Université Paris-Est, 2015) untersuchte er die Architekturdebatten um die Erweiterungs- und Rekonstruktionsprojekte des Musée du Luxembourg in Paris zwischen 1848 und 1920. Seine gegenwärtigen Forschungsvorhaben gelten der Geschichte der Museen und Warenhäuser sowie der architektonischen Rekonstruktion im internationalen Zusammenhang. Arnaud Bertinet promovierte 2011 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne mit der Arbeit zur Kunstpolitik im Second Empire, aus der die Publikation Les musées de Napoléon III, une institution pour les arts (Paris 2015) hervorging. Nach Post-doc-Forschung am Institut National du Patrimoine und Institut National d’Histoire de l’Art in Paris (2012–2013) zum Thema „Évacuer le musée, entre sauvegarde du patrimoine et histoire du goût  ; 1870–1940“ ist er derzeit Dozent (maître de conférences) an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne und Mitglied der Forschungsgruppe HiCSA. Felicity Bodenstein wurde 2015 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne mit einer Arbeit zum Cabinet des médailles et antiques de la Bibliothèque nationale (1819–1924). Un cabinet pour l’érudition à l’âge des musées promoviert. Sie ist seitdem Post-doc-Stipendiatin am Kunsthistorischen Institut in Florenz in der Max-Planck-Forschungsgruppe „Objects in the Contact Zone“. Ihre Forschungsgebiete sind die Museumsgeschichte und die Analyse von Ausstellungen archäologischer und anthropologischer Sammlungen. Lucas Cladders studierte Mittlere und Neue Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg und promovierte 2016 am Europa-Institut Basel mit der Arbeit Alte Meister und neue Ordnung. Staatliche Gemäldegalerien in Berlin, Brüssel, Paris und Wien nach dem Ersten Weltkrieg und die Gründung des Office International des Musées. Er organisierte Ausstellungen und forschte im Rahmen einer Fellowship des Museums der Kulturen Basel am Projekt „Das Basler Museum für Völkerkunde. Grundzüge einer Sammlungsgeschichte mit Schwerpunkt 1914–1945“.

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Alan Crookham ist Archivar und Leiter des National Gallery Research Centre. Seine Forschungsinteressen gelten der Geschichte der National Gallery und der Beziehungen zwischen Archiv und Kunst. Er veröffentlichte unter anderem die Monografie The National Gallery. An Illustrated History (London 2009) und den Aufsatz „The Turner Bequest at the National Gallery“ inTurner Inspired. In the Light of Claude (London 2012). Roland Cvetkovski ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität zu Köln und promovierte dort mit einer Arbeit über Infrastruktur und Raumbewältigung im Russischen Reich vom 17. bis zum frühen 20. Jahrhundert. Neben der Beschäftigung mit der Wissens-, Ideen- und Imperialgeschichte vornehmlich Osteuropas lag sein Forschungsinteresse in den letzten Jahren auf dem Gebiet der museum studies. Momentan schreibt er an einer Monografie über den Zusammenhang von Kunst, Museumskultur und Ideologie in der frühen Sowjetunion. Wencke Deiters studierte Kunstgeschichte in Heidelberg, Rom und Florenz und wurde 2003 promoviert. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien und an den Forschungsprojekten „Naturwissenschaftliche Untersuchungen der Gemälde Tizians im KHM“ (2003–2011) und „Die Wiener Gemäldegalerie im Wandel der Zeiten von 1911 bis 1938“ (seit 2012) beteiligt. Außerdem arbeitete sie an diversen Ausstellungen mit, u. a. Giorgione. Mythos und Enigma (2004) und Der späte Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei (2007). Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der italienischen Malerei der Renaissance und in der Galeriegeschichte. Elena Franchi ist unabhängige Wissenschaftlerin und forscht zum Kunstschutz in Krisengebieten, von der Zeit der Weltkriege bis zu aktuellen Konflikten. Als Mitarbeiterin verschiedener Forschungsprojekte und Teilnehmerin an internationalen Kongressen hat sie Bücher und Aufsätze zu diesem Themenkreis veröffentlicht. Sie wurde für ihre Mitarbeit an dem amerikanischen Dokumentarfilm The Rape of Europa (2006), der dem europäischen Kulturgut im Zweiten Weltkrieg gewidmet ist, für den News & Documentary Emmy Award in der Kategorie „Research“ nominiert. Agnieszka Gąsior ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig. Sie promovierte 1995 und ist seitdem in verschiedenen Projekten tätig, die thematisch den Fragen nach herrschaftlicher Repräsentation in Spätmittelalter und Früher Neuzeit sowie der Rolle der Kunst als Medium der Identitätsbildung und der Erinnerungskultur vom 17. bis ins 20. Jahrhundert nachgehen. John Horne ist Mitglied der Royal Irish Academy und Emeritus Fellow des Trinity College Dublin (TCD), an dem er als Professor für Neuere europäische Geschichte lehrte. Er leitet dort weiterhin das Centre for War Studies. John Horne ist Vorstandsmitglied am Centre Autorenverzeichnis   I    315

international de recherche des Historial de la Grande Guerre in Péronne. Seine zahlreichen Veröffentlichungen widmen sich der Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert und der Geschichte des Ersten Weltkriegs. Christina Kott ist Germanistin und Kulturhistorikerin. Sie promovierte 2002 an der EHESS in Paris über das Thema Kunstschutz und Kunstraub im Ersten Weltkrieg in Belgien und Nordfrankreich. Seit 2005 ist sie Dozentin (maître de conférences) an der Universität Panthéon-Assas Paris 2. In ihren Forschungen beschäftigt sie sich mit dem Kulturerbe in den beiden Weltkriegen, mit transnationaler Museumsgeschichte und Geschichte der Denkmalpflege sowie mit historischer Denkmälerfotografie. 2014 kuratierte sie die Ausstellung Sauve qui veut. Des archéologues et des musées mobilisés, 1914–1918 in Douai (Nordfrankreich). 2016/2017 ist sie an einem Projekt des belgischen Institut Royal du Patrimoine artistique über Kulturerbe im Ersten Weltkrieg beteiligt und arbeitet parallel an ihrer Habilitation über Kunstschutz im Zweiten Weltkrieg. Szymon Piotr Kubiak ist promovierter Kunsthistoriker, Dozent an der Kunstakademie Stettin und Leiter der Abteilung für „Europäische Kunst 1800–1945“ des Nationalmuseums Stettin. Schwerpunkte seiner Beschäftigung sind Architektur, Dekorationsmalerei, monumentale Bildhauerei und Design des 20. Jahrhunderts. Er ist Autor der Monografie Modernizm zapoznany. Architektura Poznania 1919–1939 (Warszawa 2014) zur Architektur der Zwischenkriegszeit in Posen und Kurator zahlreicher Ausstellungen, u. a. 1913. Frühlingsweihe (Nationalmuseum Stettin, 2013), die vom polnischen Institut für Museumswesen und Bestandsschutz als beste Kunstausstellung des Jahres ausgezeichnet wurde. Christian Marchetti studierte Empirische Kulturwissenschaft und Politikwissenschaft in Tübingen und Sevilla, seine Dissertation Balkanexpedition. Die Kriegserfahrung der österreichischen Volkskunde – eine historisch-ethnographische Erkundung erschien 2013 in Tübingen. 2005–2008 wissenschaftlicher Angestellter im DFG-Sonderforschungsbereich 437 „Kriegserfahrungen. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ der Universität Tübingen, danach bis 2012 Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde e.V., forscht er seitdem am Projekt „Von Geschichte und Gegenwart deutschsprachiger Volkskunden in Südosteuropa“ (gefördert vom Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien). Géraldine Masson promovierte 2015 an der Université Paris I Panthéon-Sorbonne bei Dominique Poulot mit einer Arbeit zu den Kustoden französischer Museen und der Professionalisierung ihrer Arbeit von 1870 bis 1940. Sie ist kuratorische Mitarbeiterin für Zeichnungen am Musée d’Orsay. Anne Robbins wurde in Frankreich zum Conservateur national du Patrimoine ausgebildet und ist Kuratorin für Malerei nach 1800 an der National Gallery in London. Dort kuratierte sie zahlreiche Ausstellungen, darunter Cézanne in Britain (2006), Picasso  : Challenging the Past 316  I   Autorenverzeichnis

(2009), Inventing Impressionism  : Paul Durand-Ruel and the Modern Art Market (2015) und Painters’ Paintings  : From Freud to Van Dyck (2016). Daneben arbeitet sie an verschiedenen Forschungsprojekten und Publikationen. Bénédicte Savoy ist Professorin am Institut für Kunstwissenschaft und Historische Urbanistik der Technischen Universität Berlin und leitet dort das Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Kunst- und Kulturtransfer in Europa im 18. und 19. Jahrhundert, Museumsgeschichte, deutsch-französische Beziehungen sowie Kunstraub und Beutekunst. 2016 erhielt Bénédicte Savoy den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Thomas Weißbrich studierte Neuere deutsche Literatur, Alte Geschichte und Kunstgeschichte in Freiburg und München und promovierte 2007 als Stipendiat des Graduiertenkollegs „Transnationale Medienereignisse“ der Justus-Liebig-Universität Gießen mit einer Studie zu Höchstädt 1704. Eine Schlacht als Medienereignis (publ. Paderborn 2015). Seit 2011 ist er Leiter der Sammlung Militaria am Deutschen Historischen Museum in Berlin. Seine Forschungsgebiete umfassen preußisch-deutsche Militärgeschichte, Mediengeschichte der Frühen Neuzeit, Museums-, Sammlungs- und Ausstellungsgeschichte.

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