Deutsche Volksfront 1932–1939: Band 2 Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront [Reprint 2014 ed.] 9783050048383, 9783050040325

Der zweite Band erhellt erstmals Intentionen, Handlungen und Blockaden der Gegner des NS-Regimes im Rahmen der sich wand

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German Pages 607 [590] Year 2004

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Deutsche Volksfront 1932–1939: Band 2 Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront [Reprint 2014 ed.]
 9783050048383, 9783050040325

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Ursula

Langkau-Alex

Deutsche Volksfront 1932-1939 Zweiter Band

Ursula Langkau-Alex

Deutsche Volksfront 1932-1939 Zwischen Berlin, Paris, Prag und Moskau Zweiter Band: Geschichte des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront

Akademie Verlag

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

ISBN 3-05-004032-7 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2004 Das

eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706.

Alle Rechte, insbesondere die der Übertragung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil des Buches darf ohne Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. -

-

Einbandgestaltung: Grube Design Druckvorlage: Peter Rotkehl, Berlin

Druck: MB Medienhaus Berlin GmbH Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«

Printed in the Federal

GmbH, Bad Langensalza

Republic of Germany

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung Abkürzungsverzeichnis

XI XIII

TEIL A Der Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront im Spannungsfeld der Exilorganisationen und der internationalen politischen Entwicklungen

I.

Nach der Lutetia-Konferenz: Aktionen und Re-Aktionen

3 5

Die einheitswilligen Sozialdemokraten Die Sopade und ihre Anhänger Volkssozialistische Bewegung und Schwarze Front Christliche und liberal-demokratische Opposition Die Zwischengruppen der Arbeiterbewegung Die Kommunisten Resümee der Re-Aktionen

18 23 32 43 55

II. Konflikte, Missionen, Reorganisationen 1936

59

Gerüchte Die Programmkommission: Ein schlechter Anfang Zur Vertretung der Arbeiterparteien Revisionen und Reorganisationen Bei den Kommunisten Im Vorstand des Lutetia-Kreises Missionen Breitscheid in London Ulbrichts Reisen Die Juni-Tagungen Die Taufe Die Organisationskommission

61 62 66 70 70 73 76 76 78 82 86 89

9

V

Inhaltsverzeichnis

III. Paternoster Einheitsfront: März 1936

93

Die Vertrauensrätewahlen Die Rheinlandbesetzung 1. Bündnisbemühungen in der deutschen Emigration a. KPD und SPD b. Einheitsfront-Initiative der SAP c. Eine Grammophonplatte des ISK d. Appell des Aktionsausschusses für Freiheit in Deutschland an die Welt 2. Auf internationaler Ebene: Sanktionen gegen Deutschland? a. Die nichtfaschistischen Staaten b. Sozialistische Arbeiter-Internationale und Internationaler Gewerkschaftsbund c. Die Komintern 3. Enttäuschungen und neue Hoffungen?

95 97 99 99 102 104 105 106 106 110 113 116



IV. »Kampf gegen den Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«: Die Volksfront

vor

dem Dllemma der

Friedenssicherung

Späte Antworten auf die Rheinlandprovokation 1. Die Erklärung des Lutetia-Kreises: Gelungenes und Problematisches 2. Die Vertreter der Arbeiterparteien schreiben einen Brief Was tun die internationalen Arbeiterorganisationen ? Die Gruppe Neu Beginnen schaltet sich bedingt ein Neue Chancen, neue Probleme 1. Der Weltfriedenskongreß in Brüssel Die Deutsche Frauenkommission 2. Krieg in Spanien a. Resolutionen und Aktionen im Volksfrontausschuß b. Positionen in der deutschen und internationalen Sozialdemokratie c. Zur Politik des kommunistischen Lagers d. SAPundPOUM Säuberungen und Prozesse in Moskau 1. Trügerische Ruhe 2. Reaktionen von Intellektuellen 3. Reaktionen innerhalb der Sozialdemokratie 4. Vom hilflosen und destruktiven Wüten der Kommunisten 5. Zu Analysen und Konsequenzen in der SAP 6. Rückwirkungen auf den Volksfrontausschuß

Friedensnobelpreise

VI

121 123 124 128 130 136 141 141 153 155 158 162 166 172 177 177 181 186 191 196 200 205

Inhaltsverzeichnis

V Solidarität: Von der »Volksfront der Not« zur »Verwirklichung einer großen antifaschistischen Volksfront Europas«?

209

Grenzüberschreitungen

211

Die Rote Hilfe: Zum Problem der Abgrenzung von humanitärer Einheitsaktion und politischer Aktionseinheit Hilfe-Komitees: Gradmesser politischer Konstellationen 1. Komitees im Dienste des innerdeutschen Widerstands 2. Die Amnestie-Bewegung a.

b. c.

d.

Europäische Amnestie-Konferenzen Edgar André

Überparteilicher Deutscher Hilfsausschuß

Verständigung zwischen KPD und KP(D)0 ? Asylrecht 1. Fédération des Émigrés d'Allemagne en France

a. Arbeiterwohlfahrt Paris b. Berufsverbände 2. Die Internationale Konferenz deutscher Emigranten a. Information von Emigranten für Emigranten b. Zentralvereinigung der deutschen Emigration ein Instrument der Volksfront? 3. Die Internationale Asylrechts-Konferenz Comité Consultatif und Asylrechts-Büro

213 217 217 221 221 230 232 239 241 241 242 244 245 249

Spitzelabwehr

252 261 264 267

VI. Bilanz zweier Kampfjahre

273

Das erste Jahr im Rückblick Exil-Ausschüsse für die Arbeit »drinnen« 1. Arbeitsausschuß zur Bildung der Volksfront im Saargebiet 2. Koordinationsausschuß deutscher Gewerkschafter Gruppe Deutsche Volksfront, Berlin 1. Zwischen Parteivorstand der SPD und Zentralkomitee der KPD 2. Berlin Paris: Wechselwirkungen Kommissionen des Pariser Volksfrontausschusses und ihre Arbeiten 1. Die Wirtschaftskommission 2. Von der Programmkommission zum Aktionsausschuß der deutschen Emigration in Paris 3. Wissenschaft und Kunst: Von verpaßten Chancen Glanz und Elend: Von der Osterkonferenz bis zum Winter 1937/38 1. Wiederholung der Lutetia-Konferenzen vom Februar 1936? 2. Der Kreis sozialdemokratischer Mitglieder 3. Exkurs: Rund um das Pariser Sekretariat des ZK der KPD

275 281 281 284 294 294 303 310 310



-

4.

Krisensitzungen

321 326 330 330 342 344 355 VII

Inhaltsverzeichnis

364 367 367 367 a. Der Coup b. Für und Wider einen Untersuchungsausschuß 374 381 c. Prozesse und »Prozesse« d. Rettungsversuche, Poker und Schacher 387 2. Katholiken, Konservative, Volks- und andere Sozialisten 393 393 a. Volksfrontausschuß und Katholiken b. Deutsche Front gegen das Hitlersystem oder Deutsche Volksfront? 401 3. Deutsche Freiheitspartei 407 Das Manifest der deutschen Freiheit 416 Deutsche Informationen Die letzte Bastion 420

5. Freundeskreise der deutschen Volksfront Abkehr und Gegenkräfte 1. Die Affäre Pariser Tageblatt / Pariser Tageszeitung

-

VII. Ausblick: Der Volksfrontausschuß ist tot Es lebe die deutsche Volksfront!?

-

Zum Stand der nichtkommunistischen Organisationen in Frankreich Anfang 1938 1. Bund freiheitlicher Sozialisten 2. Landesgruppe deutscher Sozialdemokraten in Frankreich 3. Getrennt marschieren, vereint schlagen ? Der Wiederbelebungsversuch vom 3. April 1938

Nachfolgeorganisationen?

1. Heinrich Mann-Ausschuß 2. Thomas Mann-Ausschuß 3. Aktionsausschuß deutscher Oppositioneller und Einheitspartei Konstellationen bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1. Komintern und SAI 2. Die Emigration in Paris TEIL B Debatten

I.

um

431 431 434 436 440 444 444 449 452 455 456 458

Bündnispartner und Programme

Die Programmkommissionen und ihr Umfeld bis zum Frühsommer 1936

Wir brauchen [k]ein Programm! Neuanfang: Inhaltliche Ausgangspositionen Zur Standpunktsuche in der KPD Die Arbeit der reorganisierten Programmkommission Scharmützel im Vorfeld

Grundprobleme VIII

427

467 469 471 473 480 480 482

Inhaltsverzeichnis

Die Sozialisten: Zwischenbilanz im Wandlungsprozeß Um Einheitspartei und Volksfront: Die SAP Klagen im ISK Die Revolutionären Sozialisten auf Programmsuche Übereinstimmungen und Divergenzen

488 489 494 495 500

II. Die KPD-Richtlinien für die deutsche Volksfront

509

Die Tagung des KPD-Politbüros in Paris Die Richtlinien für die Ausarbeitung einer politischen Plattform der deutschen Volksfront 1. Wilhelm Piecks Präsentation 2. Einheitsfront und Volksfront a. Einheitsfront der Arbeiterklasse statt Volkssozialismus b. Einheitsfront und der Sturz Hitlers 3. Die Essenz der Richtlinien: Die demokratische Republik 4. Bekanntmachung scheibchenweise 5. Propaganda, Agitation und öffentliche »Diskussion«

511

III. Vom Programm

zum

programmatischen Aufruf

513 513 515 516 518 520 524 530 533

Die Programmkommission und die Richtlinien der KPD Volksfront zur »Durchführung der alten sozialen Forderungen der NSDAP« oder Volksfront »zu gemeinsamem Kampf für Freiheit, Frieden und Brot«? 1. Für die Versöhnung des deutschen Volkes 2. Kritik 3. Der Appell für Frieden, Freiheit und Brot 4. Zustimmung, Modifizierung, Distanzierung

535

IV. Korrektive und Alternative

565

Die Stimme aus Deutschland Die Sozialistische Republik des ISK Das Aktionsprogramm der SAP Die »demokratische Volksrepublik« der KPD »Sozialistisch-liberale« Vorstellungen

567 570 571 575 587

540 541 546 551 555

IX

Vorbemerkung

Dieser Band schließt unmittelbar an den Ersten Band von »Deutsche Volksfront 1932-1939« an, der mit der Tagung der deutschen Opposition im Pariser Hotel Lutetia am 2. Februar 1936 und ihren Ergebnissen endet. Die Komplexität der Materie machte es erforderlich, den Stoff in einen ersten, organisationshistorischen Teil (A) und einen zweiten, die Entwicklung der konzeptionellen und programmatischen Vorstellungen der Beteiligten reproduzierenden und analysierenden Teil (B) zu gliedern. Kurze, auf den A-Teil zurückverweisende Kontextualisierungen im B-Teil verbinden beide. Auf diese Weise können Strukturen, Wechselwirkungen, Widersprüche, Entwicklungslinien oder -brüche transparent gemacht werden. Die Existenz des Volksfrontausschusses, seine Aufgabenstellung und seine praktische Arbeit sowohl im Plenum als auch in den Unterausschüssen; die verschiedenen umgebenden Solidaritätskomitees und gewerkschaftlichen Organisationen; die Parteien, Gruppen und Einzelpersönlichkeiten, die die Geschicke des Ausschusses bestimmten oder kritisch begleiteten, und last but not least die zwischen »Paris«, »Prag« und »Moskau« hin- und hergerissene Gruppe Deutsche Volksfront in Berlin erfordern, die Darstellung umfassender noch als im Ersten Band einzubetten in den Rahmen der sich in Europa notabene erst ab 1936 in rasantem Tempo entwickelnden internationalen politischen Ereignisse und wandelnden Konstellationen im Titel des A-Teils als »Spannungsfeld« angedeutet. Die miteinander verwobenen Ebenen des Mikro- und des Makrokosmos, auf denen sich die Geschichte und die Geschichten abspielten, sind in den Vorbemerkungen zum Ersten Band ausführlich benannt. In den Kapiteln des A-Teils werden sachbezogene (Detail-)Probleme in jeweils möglichst chronologischer Reihenfolge unter verschiedenen Aspekten erläutert. Wieweit konnten sich die Beteiligten des Ausschusses und der verschiedenen (Unter-) Komitees in organisationsspezifischen und inhaltlichen Fragen entgegenkommen, eventuell einigen? Bis zu welchem Zeitpunkt war dies realiter unter den Bedingungen des Exils und in einer Organisation, die sich in Paris zunächst relativ außerhalb des unmittelbaren Einflußbereichs von »Prag« und »Moskau« entwickelt hatte, aber auch recht isoliert von anderen kleineren und größeren Emigrationszentren war, möglich? Welche Faktoren förderten oder hemmten eine Ausstrahlung des Volksfrontausschusses über die eigene geographische und nationale Begrenzung hinaus, welche beeinflußten Gelingen oder Mißlingen einer Einigung zumindest von Teilen der antinationalsozialistischen Opposition in einer Volksfront mit Kommunisten? -

XI

Vorbemerkung Die einzelnen Kapitel des B-Teils vermitteln in Darlegung und Analyse, in welchem Maße die am Volksfrontausschuß Beteiligten jeweils in ihren Vorstellungen über Programme und Bündnispartner historischen Denkmustern verhaftet waren oder aber in einem Lernprozeß Traditionen mit den realen politischen und partnerschaftlichen Erfordernissen in Einklang zu bringen versuchten oder, schließlich, ihre Konzeptionen je nach aktueller Lage und zum Teil von außen hineingetragener oder aufgenommener Debatte wechselten. Den allgemeinen Vorstellungen der Emigranten über die Möglichkeiten einer Volksfront für und in Deutschland kontrastiert das Programm der Berliner Gruppe Deutsche Volksfront. -

-

Amsterdam, im Juli 2004

Ursula

Langkau-Alex

Abkürzungsverzeichnis

AA-PA AB ABA ADG ADGB AdK AdK-StA AdsD

AdSRSÖ AEAR AGSI AIZ AK AL

Auswärtiges Amt, Politisches Archiv Auslandsbüro

Arbejderbevasgelsens Bibliotek og Arkiv

Auslandsvertretung der Deutschen Gewerkschaften Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund

Akademie der Künste, Archiv und Bibliothek Akademie der Künste, Stiftung Archiv Archiv der sozialen Demokratie Arbeitsausschuß deutscher Sozialisten und der Revolutionären Sozialisten Österreichs Association des Écrivains et Artistes Révolutionnaires Arbeitsgemeinschaft für sozialistische Inlandsarbeit Arbeiter-Illustrierte Zeitung Auslandskomitee

Auslandsleitung

AZ

Archives Nationales, Paris Archives de la Préfecture de Police, Paris Arbetarrörelsens Arkiv och Bibliotek Arbeiderbevegelsens Arkiv og Bibliotek Abschrift Auslandsvertretung der Österreichischen Sozialisten Auslandszentrale

BA/B BA/K

Bundesarchiv, Berlin Bundesarchiv, Koblenz

BDIC BL BN BND BNV BPRS BRD BV BVP BZ

Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine Bezirksleitung Bibliothèque Nationale Bund Neues Deutschland Bund Neues Vaterland Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller Bundesrepublik Deutschland

CGT CGTU CNT Coll.

Confédération Générale du Travail Confédération Générale du Travail Unitaire Confederación National del Trabajo Collection (Archiv, Sammlung)

AN/P APPP ARAB

ARBARK As

AVÖS

(Revolutionären)

Bezirksvorstand

Bayerische Volkspartei Berliner Zeitung

Abkürzungsverzeichnis CSR

Tschechoslowakische

DAF DB-DEA DDP DDR

Deutsche Arbeitsfront Deutsche Bibliothek, Deutsches Exil-Archiv Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutsche Freiheit (Zeitung) Deutsche Freiheit La Liberté Allemande Deutsche Freiheits-Bibliothek Das Freie Deutschland Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek Deutsche Friedensgesellschaft Deutsche Freiheitspartei Deutsch-Französische Union Deutsche Informationen Deutscher Kurierdienst Deutsche Liga für Menschenrechte Deutschnationale Volkspartei Deutsche Revolution (Zeitschrift)

DF

DF-LA DFB DFD-MDFB

Republik

-



DFG DFP DFU DI DKD DLM DNVP DR Ds DSAP DSLF DVP DVZ DW

Durchschrift, Durchschlag

Deutsche Sozialdemokratische Arbeiter-Partei Deutsche sozialdemokratische Landesorganisation in Frankreich Deutsche Volkspartei Deutsche Volks-Zeitung Der Deutsche Weg

Ed. EKKI Ex.

Éditions

FdJ FDJ

Freie deutsche Jugend Freie Deutsche Jugend (Zeitschrift) Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Fédération des d'Allemagne en France

FDGB FEAF

GA GdSt GDW Geade

Gestapa Gestapo GLD GPU

Hl XIV

Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale

Exemplar

Émigrés

Der

Gegen-Angriff Gegen den Strom

Gedenkstätte Deutscher Widerstand Gewerkschaftliche Auslandsvertretung Deutschlands Geheimes Staatspolizeiamt Geheime Staatspolizei German Labor Delegation Gosudarstvennoe politiceskoe upravlenie (Staatliche Politische Verwaltung)

Hitler-Jugend

Abkürzungsverzeichnis

IVKO IVRS

Internationales Antifaschistisches Archiv Internationale Arbeiterhilfe L'Internationale Communiste (Zeitschrift) Information von Emigranten für Emigranten Institut für Zeitgeschichte Internationaler Gewerkschaftsbund Internationale Gewerkschaftskorrespondenz Internationale Gewerkschafts-Pressekorrespondenz Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis Internationale Kommunisten Deutschlands Internationale Kontrollkommission (der Komintern) Der Internationale Klassenkampf Independent Labour Party Institut zum Studium des Faschismus Internationale Presse-Korrespondenz für Politik, Wirtschaft und Arbeiterbewegung Internationale Rote Hilfe Internationaler Sozialistischer Kampfbund Internationale Transportarbeiter-Föderation Internationale Vereinigung der Kommunistischen Opposition Internationale Vereinigung Revolutionärer Schriftsteller

JSU

Juventudes Socialistas Unificadas

KAPD

Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands Kommunistische Internationale (Organisation und Zeitschrift) Kommunistische Jugend-Internationale Kommunistischer Jugendverband Deutschlands Kommunistische Internationale (III. Internationale)

IAA IAH IC IEE IfZ IGB IGK IGPK IISG IKD IKK IKK ILP

INFA

Inprekorr IRH ISK

ITF

KI

KJI KJVD

Komintern Korr.

KPC KPD

Korrespondenz

Kommunistische Partei der Tschechoslowakei Kommunistische Partei Deutschlands

KP(D)0, KPO KPD-Opposition KPÖ

KPdSU

Kommunistische Partei Österreichs Kommunistische Partei der Sowjetunion

KZ

Konzentrationslager

LA LBI LG

Landesarchiv Leo Baeck Institute

LO

MDFB

M.d.L. M.d.R MG

Landesgruppe Linke Opposition (Bolschewiki-Leninisten) Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek Mitglied des Landtags Mitglied des Reichstags Manchester Guardian

XV

Abkürzungsverzeichnis MIF

Miners' International Federation

Ms MSLN

(Internationaler Bergarbeiter-Verband) Manuskript The Monthly Summary of the League of Nations

NARA NB NDB nf NF NKWD NRS NS NSBO NSDAP NSV NTB NV NvdS NWB NZZ o.

D.

o.J. O. ORA o. U. o.

PA PCE

PCF(-SFIC) PCI Port. POUM PSI PSOE PSUC PT PTZ PV RE RGI RGO

RH(D) XVI

National Archives and Records Administration Neu Beginnen Neue Deutsche Blätter die neue front Neue Front Narodnyj komissariat vnutrennych del (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) Neuer Roter Stoßtrupp Nationalsozialisten, nationalsozialistisch Nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkshilfe Das Neue Tage-Buch Neuer Vorwärts Nachrichten von der Saar Die Neue Weltbühne Neue Zürcher Zeitung

ohne Datum ohne Jahr ohne Ort Oberreichsanwalt ohne Unterschrift Privatarchiv Partido Comunista de España Parti Communiste Français, Section de l'Internationale Communiste Partito Comunista Italiano Portefeuille (bei Aktenbeständen) Partido Obrera de Unificación Marxista Partito Socialista Italiano Partido Socialista Obrero Español Partito Socialista Unificat de Catalunya Pariser Tageblatt Pariser Tageszeitung Parteivorstand Die Rote Fahne Rote Gewerkschafts-Internationale Revolutionäre Gewerkschafts-Opposition Rote Hufe (Deutschlands)

Abkürzungsverzeichnis RK RL RSchr.

RS(D)

RSHA RSI

RSÖ RST RT Runa RUP RGASPI RGVA SA SAI

Kämpfer Reichsleitung Rote

Rundschreiben Revolutionäre Sozialisten

(Deutschlands)

Reichssicherheits-Hauptamt Rote Sport-Internationale Revolutionäre Sozialisten Roter Stoßtrupp

Österreichs

Reichstag

Rundschau-Nachrichten Rassemblement Universel pour la Paix Rossijskij gosudarstvennyj archiv social'no-politiceskoj istorii Rossijskij gosudarstvennyj voennyj archiv

Sturmabteilung (der NSDAP)

SAJ SAP(D)

SAPMO SASI SD SDS SED SF SFIO SIB SIKO

SJI SJV(D) SK

Sopade SPD

Sozialistische Arbeiter-Internationale Sozialistische Arbeiter-Jugend Sozialistische Arbeiterpartei (Deutschlands) Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Sozialistische Arbeiter-Sport-Internationale Sicherheitsdienst Schutzverband Deutscher Schriftsteller Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Schwarze Front Section Française, Internationale Ouvrière Sozialdemokratischer Informationsdienst

Sievers-Korrespondenz Sozialistische Jugend-Internationale Sozialistischer Jugendverband (Deutschlands) Sozialistischer Kampf Sozialdemokratische Partei Deutschlands (ParteivorstandsBüro in der Emigration)

SR(I)

SS StAK-HA SW

Sozialdemokratische Partei Deutschlands Sozialdemokratische Partei Österreichs Sozialdemokratische (Landes-)Partei des Saarlands Secours Rouge (International) Schutzstaffel (der NSDAP) Stadtarchiv Köln, Historisches Archiv Sozialistische Warte

TB TUC

Das Tage-Buch Trades Union Congress

UBB

Universitätsbibliothek Basel

UB(L)

Unterbezirk(sleitung)

SPÖ SPS '

ÜDH

Überparteilicher Deutscher Hilfsausschuß

Abkürzungsverzeichnis UdSSR UGT ULA URF UW

Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Unión General de Trabajadores Ursula Langkau-Alex Union für Recht und Freiheit Unabhängige Sozialdemokratische Partei (Deutschlands) Unser Wort

VGH

Volksgerichtshof

USP(D)

VJB

VSB(D)

Vierteljahrsbericht Verbindungsmann, Vertrauensmann Volkssozialistische Bewegung (Deutschlands)

WKKF

Weltkomitee gegen

ZA ZDE ZfS ZK ZV ZVE

Zentralausschuß

V-Mann

Krieg und Faschismus

Zentralvereinigung deutscher Emigranten Zeitschrift für Sozialismus Zentralkomitee Zentralvorstand Zentralvereinigung der deutschen

Emigration

TEIL A

Der Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront im Spannungsfeld der Exilorganisationen und der internationalen politischen Entwicklungen

Nach der Lutetia-Konferenz Aktionen und Re-Aktionen Die

Zusammensetzung, der Verlauf und die Ergebnisse der Lutetia-Konferenz 2. Februar 1936 provozierten mündliche und schriftliche Kommentare, sie riefen Aktionen und Re-Aktionen im Exil, in Bruder- und Schwesterparteien der Asylländer und in den internationalen Organisationen hervor. Ihnen wird im folgenden formal gruppenspezifisch, inhaltlich jedoch teilweise verzahnt nachgevom

gangen.

Die

einheitswilligen Sozialdemokraten

Die letzte der Tagungen im Umkreis der Gründung des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront schloß direkt an die große Lutetia-Konferenz an. Noch am Abend des 2. Februar 1936 vereinbarten die Sozialdemokraten für den nächsten Tag eine Klausurtagung, auf der sie Bilanz ziehen und für die Zukunft gemeinsames Handeln festlegen wollten. Rudolf Breitscheid, der den Vorsitz führen sollte, schloß die Revolutionären Sozialisten Walter A. Friedländer, Kurt Glaser und Alexander Schifrin von der Besprechung aus. Die am 3. Februar neben Breitscheid Anwesenden1 billigten diese Entscheidung nachträglich; jedenfalls hielten sie sich mit eventueller Kritik oder alternativen Entwürfen zurück.2 Da sie ihren Parteivorstand in Prag für das Pariser Experiment gewinnen wollten, erschien es ihnen geboten, sich als »alter Stamm« der SPD, allen Gruppenbildungen feind, zu präsentieren.3 Sie stimmten die Schweigenden übergehend darin überein, daß man »unter allen Umständen die Fühlung mit den Kommunisten aufrechterhalten [... und] unbeschadet der eigenen programmatischen Einstellung bemüht sein [müsse], in all den Fragen, in denen man im Kampf gegen das Hidertum übereinstimme, eine gemeinsame Plattform zu finden«.4 —



1

Anwesend waren neben Breitscheid: Heinrich Becker, Max Brauer, Max Braun, Robert Breuer, Georg Denicke, Max Hofmann, Wilhelm Hofmann, Otto Kirchheimer, Erich Kuttner, Fritz Lieb, Kurt Löwenstein, Adolf Ludwig, Hermann Petri, Ernst Roth, Victor Schiff, Friedrich Wilhelm Wagner und der am Vortag ferngebliebene Albert Grzesinski; abwesend waren Franz Hirschler und Heinrich Ritzel, vgl. IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. Ki: Emü Kirschmann an Paul Hertz, 5. Februar 1936. 2 So auch Grzesinski, der sich im vorhinein von einer Einheitsfront distanziert hatte, siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 334, Anm. 189. 3 Kuttner an Friedrich Stampfer, 9. Februar 1936, in: Friedrich Stampfer, Mit dem Gesicht nach Deutschland. Eine Dokumentation über die sozialdemokratische Emigration. Aus dem Nachlaß von Friedrich Stampfer, ergänzt durch andere Überlieferungen, hrsg. von Erich Matthias, bearb. von Werner Link, Düsseldorf 1968 (im folgenden zit.: Stampfer, Mit dem Gesicht), S. 265-267, Zitat S. 265; vgl. Schiff an Stampfer, in: ebd., S. 261-265; Peter Pistorius, Rudolf Breitscheid 1874—1944. Ein biographischer Beitrag zur deutschen Parteiengeschichte, Diss. phil. Köln, Schnelldruck Nürnberg 1970, S. 364f. 4 IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Bericht Breitscheid, mit Brief vom 6. Februar 1936 an Hertz geschickt, auch für folgendes.

5

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Sie

»zu gegebener Zeit« eine Briefaktion aller mit ihnen in dieser übereinstimmenden Frage Parteigenossen nach Prag zu starten, damit neue »offizielle Verhandlungen zwischen den beiden Parteizentralen« wieder aufgenommen würden. Zunächst sollten Breitscheid und Max Brauer dem Parteivorsitzenden Otto Wels »die Notwendigkeit der Kursänderung« der Politik der Sopade schriftlich erläutern und um eine Aussprache im Geiste der Partei-Idee und der Parteidemokratie bitten.5 Dieser Brief wurde nie geschrieben. Vielleicht hielt Breitscheid den an Paul Hertz geschickten Bericht über die Besprechungen vom 1. bis 3. Februar und seinen Brief an Wilhelm Sollmann6 für ausreichend, zumal Wels ihm »geschrieben hatte, daß möglicherweise die Gelegenheit zu mündlicher Aussprache gegeben sei«.7 Brauer war wohl nach seiner kurzen Inhaftierung in Paris im Januar schon damit beschäftigt, seine Weiterwanderung in die USA vorzubereiten.8 Aber es schrieben Kirschmann an Hertz, unter Beilage einer Aktennotiz über die Konferenzen vom 1. bis 3. Februar, sowie Schiff und Kuttner jeweils an Stampfer.9 Der Tenor in all diesen Briefen und Berichten war gleich; er verdeutlichte die öffentlichen, sowohl an ihren PV als auch an das ZK der KPD gerichteten, Äußerungen von Breitscheid und Schiff, »Schritt für Schritt« das »Ziel« zu erreichen.10 Die Argumentation läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wir sind weder Abtrünnige noch Quertreiber, sondern stehen loyal zur Partei und ihren Grundsätzen; unsere Kritik zielt darauf, den Parteivorstand seine Führungsaufgabe erkennen zu lassen und ihn darin zu unterstützen; die Aufgabe der SPD im antifaschistischen Kampf besteht zunächst darin, Geschlossenheit zu zeigen und die Arbeiterparteien zu einigen, vor allem mit der KPD einen Konsensus der Zusammenarbeit zu erzielen, wobei »Demokratie« Basis und Angelpunkt sein muß; die demokratische Phase der KPD ist bis zum Beweis des Gegenteils ernst zu nehmen; innerhalb Deutschlands arbeiten Sozialdemokraten und Kommuni-

beschlossen,

-

-

-

-

Ebd., S. 17, Korr. Ki: Kirschmann an Hertz, 5. März 1936. Siehe Anm. 3; Stadtarchiv Köln, Historisches Archiv (im folgenden: StAK-HA), 1120: NL Wilhelm Sollmann 562: Breitscheid an Sollmann, 8. Februar 1936, abgeschickt erst Anfang März, mit einem Zusatz. 7 IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 13. Februar 1936. 8 Vgl. Erich Lüth, Max Brauer. Glasbläser Bürgermeister Staatsmann, Hamburg 1972, 5

6

,

S. 27f.





•> IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. Ki: Kirschmann an Hertz, 5. und 20. Februar 1936; Schiff an Stampfer, 6. Februar 1936, und Kuttner an Stampfer, 9. Februar 1936, in: Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 261-265 bzw. 265-267. 10 Vgl. Rudolf Breitscheid, »Schritt für Schritt«, in: Mitteilungen der Deutschen FreiheitsBibliothek (MDFB), 1936, Nr. 10, Februar, S. 4f.; Victor Schiff, »Das Ziel«, in: ebd., S. 2-A.

6

Die

einheitswilligen Sozialdemokraten

vielerorts mit bisher guten Erfahrungen zusammen (dies richtete sich gegen anderslautende Berichte, die der Prager Vorstand verbreitete)11; (protestantische) Bourgeoisie, katholische Zentrumspartei, Generalität und Großindustrie12 haben uns betrogen und in den Nationalsozialismus manövriert, und Otto Strasser ist immer noch ein Nationalsozialist, als Partner eines antifaschistischen Bündnisses kommen diese Kreise nicht in Betracht; wir wollen ein offenes Gespräch mit dem Parteivorstand in Prag. Zum Beweis ihrer auch nach Breitscheids Meinung relativ starken Stellung innerhalb der Sozialdemokratie nannten Schiff und Kuttner in ihren Briefen an Stampfer Namen von bekannten langjährigen Parteimitgliedern, die den Einigungsbestrebungen in Paris wohlwollend bis zustimmend gegenüberstünden. Auf das im Luxemburger Exil lebende PV-Mitglied Sollmann traf diese Darstellung jedoch keineswegs zu, wie auch KPD-Politbüromitglied Franz Dahlem nach einem mehrstündigen Gespräch mit ihm, den er seit seinen sozialdemokratischen Jugendjahren kannte, feststellen mußte. Zu mehr als einer Vermitdung zu Katholiken, speziell zu dem ebenfalls in Luxemburg lebenden ehemaligen Vorsitzenden des christlichen Deutschen Gewerkschaftsbundes und Mitgründers des Volksbunds für christlich-soziale Gemeinschaft an der Saar, Heinrich Imbusch, wollte sich Sollmann nicht hergeben und auch dies ausdrücklich nur außerhalb des Lutetia-Kreises.13 Auch Kuttners Hoffnungen auf den in die Schweiz emigrierten vormaligen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun wie auf dessen in Paris lebenden früheren Ministerialrat Herbert Weichmann sollten sich nicht erfüllen. Hingegen erwies sich der in Brüssel stationierte Sopade-Grenzsekretär Gustav Ferl, den Breitscheid während seiner Belgien-Reise im Februar auf eigene Initiative besuchte noch bevor der Rat von Hertz, dies zu tun, ihn erreichte14 —, als einer, der der Politik der einheitswilligen Sozialdemokraten (noch) offen gegenüberstand. Anfang Februar hatte er mit Philipp Daub, bis vor kurzem Leiter der KPD-Abschnittsleitung West in Amsterdam, mündlich Zusammenarbeit »in den Fragen der gegenseitigen Hilfe für die politischen Gefangenen und sten









-



11

Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 303, Anm. 58; Deutschland-Berichte der Sopade, 1935, Nr. 12 (Dezember), Teil A (abgeschlossen am 14. Januar 1936), zit. nach dem Nachdruck, Salzhausen usw. 1980, S. 1385-1388: »Bericht aus Nordwestdeutschland«. 12 Kuttner belegte in seinem Brief an Stampfer vom 9. Februar 1936 die vier Kreise jeweüs mit dem deutschnationalen bzw. volkskonservativen Gottfried Reinhold Treviranus, dem ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning beide 1934 emigriert-, dem verstorbenen Generalfeldmarschall und Reichspräsidenten Paul von Hindenburg und mit den Montankonzernen Thyssen und Krupp, siehe Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 265-267. 13 PA ULA: Bericht Dahlem; vgl. Franz Dahlem, Jugendjahre. Vom katholischen Arbeiterjungen zum proletarischen Revolutionär, Berlin 1982, passim; siehe auch Deutsche Volksfront Band 1, bes. S. 325f. 14 IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Hertz an Breitscheid, 18. Februar 1936. -

7

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

ihre Angehörigen und im Kampf gegen die Provokationen der Gestapo von Fall zu Fall« vereinbart.15 Direkte, allerdings eher als intern zu bezeichnende Unterstützung bekamen die einigungswilligen Sozialdemokraten von ihren Genossen in der unter der Leitung von Friedrich Wilhelm Wagner stehenden SPD-Gruppe in Straßburg, von den Saarländischen Sozialdemokraten im Forbacher Exil und von sechs der neun, den »engeren Kreis« der Gruppe Amsterdam bildenden Sozialdemokraten, denen Kuttner über die Pariser Besprechungen und deren Ergebnisse berichtete. Die sechs waren außer Kuttner: Franz Vogt, Fritz Saar, Fritz Schröder, Willy Kweksilber (Henk Wielek) und Egon Benda; aus dem Umkreis gehörte auch Rudolf Quast zu den Volksfront-Befürwortern. Sie neigten mehr oder weniger zur Politik der Gruppe der Revolutionären Sozialisten (RS) oder auch: Revolutionäre Marxisten, die die Einheitspartei anstrebte.16 Die drei anderen waren: Anton Reissner, Hermann Tempel und nuancierter Alfred Mozer. Letzterer unterhielt gute Kontakte zu Kuttner und zu Wilhelm Knöchel (»Kurt«), Mitglied des ZK der KPD, als Abschnittsleiter West verantwortlich für Gewerkschaftsarbeit. Doch auch keine dieser Gruppierungen scheint einen Brief nach Prag geschrieben zu haben. Öffentliche Unterstützung ihrer Politik erfuhren die einigungswilligen Sozialdemokraten indes von der französischen Sozialistischen Partei, Section Française de l'Internationale Ouvrière (SFIO), und der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz: Le Populaire brachte Auszüge aus der »Kundgebung« auf Seite 3 am 13. Februar 1936 gleichzeitig mit dem Pariser Tageblatt; das Volksrecht, offizielles Organ der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz und des Kantons Zürich, hatte sie bereits eine Woche früher, am 7. Februar, und zwar auf der Titelseite abgedruckt. -

-

15

Ebd.: Breitscheid an Hertz, 27. Februar 1936; vgl. PA ULA: Bericht Dahlem; Otto Findeisen, SPD und Hitlerfaschismus. Der Weg der deutschen Sozialdemokratie vom 30. Januar

und V der Gemeinschafts-Diss. phil. von Heinz am Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Ms, Berlin 1965, S. 42. 16 Vgl. Findeisen, SPD, S. 42f.; Ursula Langkau-Alex, »Die deutsche sozialdemokratische Emigration in den Niederlanden nach 1933. Ein Überblick am Beispiel der Stadt Amsterdam,« in: Kathinka Dittrich/Hans Würzner (Hrsg.), Die Niederlande und das deutsche Exil 1933-1940, Königstein/Ts. 1982, S. 91-106, hier S. 98f. (auf S. 98 ist Max Ernst, Bergarbeiterfunktionär, als Mkunterzeichner des Briefes an Friedrich Adler aus Versehen weggefallen; der ebd. erwähnte Peter Koenen (auch: Coenen) war ehemals Ortssekretär des Verbandes Öffendiche Dienste und Transport in Düsseldorf; StAK-HA 1120, 558: Mozer an Sollmann, 14. Dezember 1935; AdsD, Emigration Sopade, 76: Mozer an Sopade, 15. Februar 1936; PA ULA: Notizen von Gesprächen mit H. Wielek, 26. Mai 1977, und Helmuth Kern, Oktober 1986, sowie Briefwechsel Kern-ULA, 1982-1986, Rudolf Quast an ULA, 1985, 1986, und Gisela M. Krause, AdsD, an ULA, 27. September 1982. 1933 bis zu™ 21. April 1946

(Kap. IV

Niemann, Otto Findeisen, Dieter Lange, Karlheinz Wild

8

Die

Die

Sopade

und ihre

Anhänger

Sopade und ihre Anhänger

In den ersten fünf Wochen des Jahres 1936 setzte der Prager PV zwei Zeichen, die als Gegenaktion zu den Bestrebungen von Parteimitgliedern, neue Wege zur Einigung der Arbeiterbewegung im Kampf gegen den Nationalsozialismus zu gehen, zu werten sind. Das vom Datum der Verbreitung her gesehen chronologisch erste Zeichen war (bündnis-)politischen Inhalts und intern adressiert, das zweite offenbarte auch die ideologische Position. Wenden wir uns zunächst dem

letztgenannten zu. Am 2. Februar veröffentlichte der Neue Vorwärts eine neue Erklärung des PV 30. Januar 1933. Die Überschrift »Für Deutschland gegen Hider!« war dem seinerzeit vom PV abgelehnten Slogan der Saar-Volksfront entliehen. Stampfer hatte die Erklärung, die später mit Erfolg verdrängt wurde, fast im Alleingang verfaßt.17 Er legte den Kurs der Sozialdemokratie auf eine »zweite Republik«, die sich von der ersten, der Weimarer, kaum unterschied, fest. Damit sollte die Alternative zur nationalsozialistischen und zur bolschewistischen Diktatur, die Hider »selbst in der abstoßendsten Form verwirklicht« habe, aufgezeigt werden. Außer der Forderung nach einer »frei gewählte [n] Volksvertretung« enthält die Erklärung jedoch keine konkreten Punkte, auf die sich alle die zum Sturz der NS-Diktatur aufgerufenen »Klassen und Schichten, abgesehen von einer Oberschicht, die aus den gegenwärtigen Zuständen Gewinn zieht«, hätten einigen müssen. Mit Ausnahme des Führungsanspruchs (des PV) der SPD blieb alles allgemein und unverbindlich. Ein Konsens in den Bürgerrechten, in den Idealen »Freiheit«, »Recht«, »Ordnung«, »Sachkunde«, »Kontrolle« und »Arbeit« wurde allerdings unterstellt, und auf dieser Grundlage sollten »Demokratie und Sozialismus in Staat und Wirtschaft« der deutschen Nation verwirklicht werden. Nicht Kampf, nicht Revolution wurde propagiert, sondern die Tugend des Ausharrens.18 zum



17 Neuer Vorwärts (NV), 1936, Nr. 138, 2. Februar, S. 1-2, auch für folgende Zitate; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 9; Abdruck der Erklärung auch in: Sozialistische Aktion (SA), 1936, Februar, S. 1 f., sonst nur Erwähnung im Sozialdemokrat der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei (DSAP), Prag, vom 30. Januar 1936, S. 1, sie ist nicht aufgenommen noch erwähnt in: Stampfer, Mit dem Gesicht, und fehlt auch in: Programmatische Dokumente der deutschen Sozialdemokratie, hrsg. und eingeleitet von Dieter Dowe und Kurt Klotzbach, 2., Überarb. und aktualisierte Aufl., Berlin Bonn 1984; ein kleiner Auszug, beschränkt auf die Versprechungen Hitlers, die Betonung des gemeinsamen Kampfes über die Arbeiterschaft hinaus und die Freiheitslosungen, ist dagegen aufgenommen in: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, hrsg. vom Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED, Bd. 5, Berlin 1966, S. 476f. 18 Siehe auch Friedrich Stampfer, »Die zweite Republik. Ein Aufruf der reichsdeutschen Sozialdemokratie«, in: Deutscher Kurierdienst, 1936, Nr. 22, 29. Januar, S. 1£; vgl. ders., »Kommunisten für Demokratie«, in: ebd., 1936, Nr. 20, 15. Januar, Nachdruck in: MDFB, 1936, Nr. 10, Februar, S. 13; vgl. demgegenüber die abschwächenden Verlautbarungen in -

9

A I. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Die Abkehr vom Programm der Sopade zum 30. Januar 1934 ist evident, auch wenn auf Hertz' und anderer Wunsch hin eine Berufung auf dieses »Prager Manifest« eingefügt wurde.19 Im ganzen ist die Erklärung »Für Deutschland gegen Hitler!« eine Bilanz der dreijährigen Herrschaft des Nationalsozialismus in Deutschland, in die auch die Lage der katholischen Kirche und der Juden einbezogen ist, jedoch strikt genommen kein Programm, wie das »Prager Manifest« und das »Manifest« der »Brüsseler« Parteikonferenz der KPD vom Oktober 1935. Indes fällt auf, daß Stampfer in einer Beziehung die KPD nachahmt: Er betont ausdrücklich, daß die Erklärung auf den Wünschen der Illegalen beruhe, daß sie ein innerdeutsches Papier sei.20 Es ist zu vermuten, daß Erich Rinner, der als einziger Stampfer bei seinem Entwurf unterstützte, mit seiner Kenntnis über Stimmungen im Reich, die er für die Deutschland-Berichte der Sopade von den Grenzsekretären erhielt, aushalf, wobei er freilich die ebenso zahlreichen anderslautenden Berichte, die das »Prager Manifest« von 1934 und die Einheitsfront verwirklicht sehen wollten, negierte.21 Am 24. Januar verpflichtete die Sopade aufgrund eines Beschlusses vom 17. Januar, dem auf einer Konferenz am 21. Januar die anwesenden Grenzsekretäre zugestimmt hatten, per Rundschreiben ihre Grenzsekretäre, Vertrauensleute und —

Stützpunktleiter, »jede organisatorische Verbindung mit Kommunisten, insbesondere Abmachungen und Vereinbarungen mit kommunistischen Vertretern oder Organisationen über gemeinsame Aktionen abzulehnen«.22 Darunter fiel auch die Zusammenarbeit mit kommunistischen Hilfsorganisationen wie der Roten Hilfe. Aufgrund des Rundschreibens wäre eine schriftliche Auseinandersetzung und bei Gelegenheit eine mündliche Aussprache mit den Parteigenossen, die diesem Verbot zuwider handelten, zu erwarten gewesen. Doch der PV schwieg offiziell. Parteivorsitzender Otto Wels korrespondierte grundsätzlich nicht mit

>DissidentenMarxisten»deutschen< Sozialismus« zu verwirklichen.49 Internationalismus war für ihn nur die Gleichberechtigung sozialistischer Nationen. Von seinem Sozialismus-Verständnis her und aufgrund der Zeitumstände lehnte Sollmann sowohl Stampfers »Liberalismus«, wie er sich in der neuen Erklärung der Sopade zum 30. Januar offenbare, als auch die »Kundgebung« der Lutetia-Konferenz ab. Letztere wertete er als »ein rein nationalliberales Manifest«.50 Es sei nicht an der Zeit, so meinte er, »Schwüre auf die alte 1848er Demokratie mit allen möglichen Freiheiten für alle möglichen Leute abzulegen. Wir gehen keiner liberalen Ära entgegen. Wer eine politische und soziale Revolution will, und ich will sie, kann nicht jedem demokratische Freiheiten zubilligen.«51 Rein vom Wortlaut ihrer Erklärungen her gesehen sprachen ihn die Kommunisten an. Sie verträten jetzt verbal »das, was ich in all den Jahren in unserer Fraktion gepredigt habe und was damals als >rechts< galt. In Bezug auf Nation, auf Religion, auf Bauerntum, Mittelstand etc. entwickeln die Kommunisten Perspektiven, denen jeder Reformist nur beipflichten kann. [...] gleich dahinter kommen dann aber Erklärungen, daß sie auf >Sowjetdeutschland< nicht verzichten«, schrieb er nach einem vierstündigen Gespräch mit Franz Dahlem an Wels.52 an

IISG, NL Hertz, S. 18, Sollmann-Korr.: Sollmann an Hertz, 14. Februar, 3. März, März, 14. März 1936; ebd., S. 12, Neu Beginnen-W: Sollmann an Hertz, 27. März 1936; 48

8.

AdsD, Emigration Sopade, 122: Sollmann an W[els], 14. Februar 1936. 49 IISG, NL Hertz, S. 12, Neu Beginnen-W: Sollmann an Hertz, 27. März 1936, und S. ebd., 18, Sollmann-Korr.: Sollmann an Hertz, 6. Januar 1936; siehe auch Wilhelm Sollmann, »Für die Front deutscher Sozialisten«, in: Die Neue Weltbühne (NWB), 1936, Nr. 5, 30. Januar, Nachdruck in: MDFB, 1936, Nr. 10, Februar, und in: Eine Aufgabe, S. 38. 50 AdsD, IJB/ISK, 29: Sollmann an Willi Eichler, 14. Februar 1936. 51 IISG, NL Hertz, S. 12, Neu Beginnen-W: Sollmann an Hertz, 27. März 1936. 52 AdsD, Emigration Sopade, 122: Sollmann an Wels, 18. Februar 1936, auch für fol-

gendes; vgl. PA ULA: Bericht Dahlem. 16

Die

Sopade und ihre Anhänger

Konzeption einer »Volksbewegung« gegen Hider kann als Versuch gesehen werden, die Politik der SPD in Einklang zu bringen mit dem deutschen Sollmanns

er ihn auffaßte, nämlich national orientiert, irrational, reformistisch und revisionistisch statt revolutionär; Vorbild war ihm die Labour Party, die »Rücksicht auf die englische Volksmeinung, und zwar auf typisch englische Charakterzüge«, nehme. Sollmann forderte von sich und der Partei eine »Revolution des Geisteslebens«, die den »wissenschaftlichen Erkenntnisse[n] und [den] Gefühlsmächte[n] [...] in der Mitte des 20. Jahrhunderts« entspreche und nicht mehr dem 19. Jahrhundert verhaftet sei. Als einen typischen Vertreter dieser Rückwärtsschau sah er z. B. Kurt Rosenfeld. Hingegen pries er Wenzel Jaksch, Vorstandsmitglied der DSAP in der Tschechoslowakei und Sprecher ihres nationalpolitischen Flügels, als Protagonisten eines neuen Aufbruchversuchs. In seinem gerade erschienenen Buch Volk und Arbeiter hatte Jaksch die Nation als Träger sozialistischer Umgestaltung und die Einbindung der (deklassierten) Mittelund Zwischenschichten in die alte Arbeiterbewegung propagiert. »Volkssozialismus« war das Losungswort; Jaksch hatte es öffentlich erstmals im Sozialdemokrat

Volkscharakter, wie

verwendet.53

Organisation erschien Sollmann notwendig »wuchtiger«, »geschlossener«, »disziplinierter«, »typisch tapferer«, ja »militärischer« —, um »in dem kommenden Deutschland entweder im Kampfe das jetzige System überwinden oder aus einem Chaos [...] schaffen« zu können. Seit August 1935 hatte er engere Kontakte zur Schwarzen Front. Mit deren im Prager Exil lebenden Leiter Otto Strasser, dann mit dem Sopade-oppositionellen Freidenker Max Sievers in Brüssel und mit dem ehemaligen christlichen Gewerkschaftsführer Heinrich Imbusch erörterte er die aktuellen Probleme, entwarf und besprach er Pläne für den Kampf gegen das NS-Regime und für die Zukunft Deutschlands. Auch eine

neue

sozialistische

-

Er wollte dies als »Versuch« verstanden

wissen, um »zu ermitteln, inwieweit eine weltanschaulichen Richtungen möglich ist«, verschiedenen sozialistische Synthese zwischen an der »auch weiter >links< stehende Gruppen mitwirken könnten«.54 so

53 IISG, NL Hertz, S. 12, Neu Beginnen-W: Sollmann an Hertz, 27. März 1936, auch folgendes; vgl. AdsD, IJB/ISK, 29: Sollmann an Eichler, 14. Februar 1936; Wenzel Jaksch, Volk und Arbeiter. Deutschlands europäische Sendung, Bratislava: Eugen Prager Verlag

für

1936; Wilhelm Sollmann, »Volksrevolution und Volkssozialismus. Zu dem Buch von Wenzel Jaksch >Volk und Arbeiten«, in: NV, 1936, Nr. 141, 23. Februar, Beüage; Martin K. Bachstein, »Der Volkssozialismus in Böhmen: Nationaler Sozialismus gegen Hitler«, in: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum, Bd. 14, München 1973, S. 340-371; ders., WenZet Jaksch und die Sudetendeutsche Sozialdemokratie, München 1974, bes. S. 67-85. 54 IISG, NL Hertz, S. 12, Neu Beginnen-W: Sollmann an Hertz, 27. März 1936 (Zitat); zu den Kontakten vgl. Sollmanns Briefe an Wels zwischen 3. Februar und 27. Juni 1936, AdsD, Emigration Sopade, 122, Nr. 19-24, und seine Korrespondenzen mit Otto Buchwitz, Max Sievers, Otto Strasser im StAK-HA, 1120, u. a. die Signaturen 362, 535, 536, 558, 562; vgl. Jochen-Christoph Kaiser, »Max Sievers in der Emigration 1933-1944«, 17

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

die Pläne stark volkssozialistisch geprägt waren, verwahrte Sollsich dagegen, »mit den >Volkssozialisten< in Verbindung« gebracht zu werden. Von einer speziellen Organisation mit dem Anspruch, den »Volkssozialismus« verwirklichen zu wollen, habe er erst nachträglich erfahren, schrieb er an Hertz.55

Obgleich

mann

Volkssozialistische

Bewegung und Schwarze Front

Unter dem Eindruck der Niederlage der traditionellen >marxistischen< Arbeiterbewegung in Deutschland 1933 gegenüber dem Nationalsozialismus, in Österreich 1934 gegenüber dem Austrofaschismus, zeigten sich deutsche Emigranten verschiedener parteipolitischer Provenienz vor allem in Prag anfällig für Ideen des nationalpolitischen Flügels der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (DSAP) (Sudetendeutsche Sozialdemokratie). Es waren Sozialdemokraten, ehemalige Mitglieder der KPD und national-demokratisch bis national-sozialistisch Gesinnte. Die seit 1934/35 zwischen ihnen diskutierten Vorstellungen eines deutschen SozialismusPartei der Arbeitgrauen< Front: Gregor Strasser Schleicher Leipart)« seien zusammenzufassen, weil hier die »zukunftswilligen Kräfte des deutschen Volkes« lägen und 2. die kategorische Ablehnung »jedefr] Zusammenarbeit mit der KPD«.66 —

-

-

-

-

Ceskoslovenskj Óasopis

sammenfassung), in: historicky, 1966, H. 3, S. 328-357; SF und VSBD wurden schärfstens, wie es scheint auch durch Spitzel, von den tschechoslowakischen Behörden überwacht, vgl. z. B. die Akten in den Serien PZÚ-207 des Presidium zemského úfadu v Prazf (Präsidium des Landesamtes Prag) und PMV-225 des Presidium ministerstva vnitra v pfedmnichovské CSR (Präsidium des Innenministeriums) im Zentralen Staatsarchiv Prag; vgl. auch die problemorientierte kleine Studie von Wolfgang Abendroth, »Das Problem der Widerstandstätigkeit der >Schwarzen FrontDiktatur des Proletariats< preisgegeben« hätten. Das Spektrum der für das Bündnis innerhalb und außerhalb des Reichs noch zu Gewinnenden wurde durch die in der Deutschen Revolution besprochenen oder selbst zu Wort kommenden Einzelnen und Gruppierungen illustriert: Da waren die Volksmonarchisten, eine nach alter Gloria, aber innerem sozialen Frieden strebende Bewegung, die auf Generalität und Admiralität hoffte. Ihre Pläne beurteilte Strasser allerdings skeptisch; deren Verwirklichung würde »nur ein vorübergehendes Zwischenspiel im Ablauf der deutschen Revolution bedeuten«.67 Da waren die Männer aus dem »marxistischen Lager«, die sich, so Strasser, in »bemerkenswerter« Weise von »Grundsätzen, die durch die Entwicklung einfach widerlegt wurden«, zu emanzipieren begännen: Wenzel Jaksch, Wilhelm Sollmann, Max Sievers, Emil Franzel68 und Erich Wollenberg, der ehemalige militärische Leiter des Roten Frontkämpfer-Bundes.69 Da waren schließlich die Bündische Jugend und die Front der anständigen Deutschen. Letztere rekrutiere sich aus jungen ehemaligen Stahlhelmern, aus »zentristische [n], radikale [n] und andere[n] Elemente[n] des Bürgertums [...] Gewerbetreibende[n], Kaufleute[n], Bankbeamte[n] und Intellektuelle[n]«.70 Die Auseinandersetzung mit der »Volksfront« führte Otto Strasser nicht unter seinem Namen. Vielmehr druckte er unter der provozierenden Frage: »Volksfront oder Emigrantenfront?«, einen »Brief« eines jungen »Soziaüsten« ab.71 Darin wurde die Ausgabe der Neuen Weltbühne vom 30. Januar 1936, in der -

nur versteckt wird hier darauf angespielt, daß monarchischer ihren sadistischen Neigungen freien Lauf Linien als SA-Folterer Sprößlinge ließen an erster Stelle Prinz August Wilhelm (»Auwi«), ein Sohn des letzten Kaisers -, so daß die Wahl eines geeigneten Repräsentanten schwerfiel. 68 Emil Franzel, Abendländische Revolution, Bratislava: Eugen Prager Verlag 1936; Franwar zel damals Redakteur des Prager Sozialdemokrat und Chefredakteur der böhmischen Ausgabe von Der Kampf. Sozialistische Revue, Monatsschrift der sudetendeutschen Sozial-

67

DR, 1936, Nr. 4, 18. Februar, S. 1; -

demokratie, Prag. 69

Siehe

folgende

Artikel in DR, 1936, Nr. 4, 16. Februar: »Monarchie gegen Hider«

(daraus Zitat); »Butter und Stahl«; »Für die Front deutscher Sozialisten«; »Offener Brief an die SA (von Wollenberg)«. 70

DR, 1936, Nr. 5, 23. Februar,

S. 4: »Der bündische Gedanke

lebt!«, und: »Der

Kampf der H.-J. gegen die bündische Jugend«; Nr. 6, 1. März, S. 5: »Die Front der anständigen Deutschen« (Zitat); siehe auch, hier vorausgreifend: DR, 1936, Nr. 16, 17. Mai, anständigen Menschen, »Aufruf an das deutsche Volk!«, und als eine Ab»Marxisten«, hier konkret: an den ISK »Sozialistische Wiedergeburt?«.

S. 5: Front der



sage

an

71

titel

Abgedruckt unter der Rubrik »Vom Kampf ums neue Deutschland« mit dem Unter»Gegen die liberal-marxistische Reaktion für die deutsche sozialistische Revolution«, -

-

22

Christliche und liberal-demokratische

Opposition

mit Blick auf die bevorstehende Lutetia-Konferenz die Bilanz der bisherigen Volksfront-Konzeptionen und -Diskussionen im Exil gezogen worden war, vom Standpunkt eines angeblich innerhalb Deutschlands lebenden angeblich sozialistischen Oppositionellen auseinandergepflückt. Von den alten sowohl im Sinne der Lebensjahre als auch der Funktionen Weimarer Persönlichkeiten und Parteien blieb da wenig heil. Es fehle, so der Briefschreiber, der notwendige »innere[ ] Wandel«. Die Wende der KPD wird als völlig unglaubhaft hingestellt, als bloßer »Wandel der Taktik, der Parole«. Heinrich Mann und besonders der Revolutionäre Sozialist Siegfried Aufhäuser werden mit Ulbricht auf eine Stufe gestellt. »Das neue Deutschland kann mit solchen Verbündetem keine echte Volksfront bilden. Es sieht, daß dieses Bündnisangebot nur das Anerbieten eines befristeten Waffenstillstandes ist, das ihm der Feind von gestern und übermorgen macht gegen den heutigen gemeinsamen Feind«. Eine »echte Volks-Front« brauche Zeit zum Reifen. Aufgabe sei es, die »wahrhaft nationalen, sozialistischen, religiösen Deutschen aus allen Lagern zur »revolutionären Einheit des deutschen Volkes« zusammenzubringen und das »Neue« zu schaffen. Worin dieses Neue bestehen sollte, wird hier freilich nicht deutlich. Sowohl die Diktatur (des Proletariats) »tyrannisch« sei sie als auch der Liberalismus und die parlamentarische Demokratie sie seien Schein werden abgelehnt. Kompromißlos heißt es: »Die Revolution von morgen verlangt nun einmal diktatorische unliberale Maßnahmen nicht Parlamente und allgemeine Freiheiten.« -









-





Christliche und liberal-demokratische

Opposition

Diese beiden Gruppierungen, die in allen Berichten und Teilnehmerlisten der Lutetia-Konferenz vom 2. Februar gesondert, bei den »Christen« des öfteren nochmals unterteilt erscheinen, werden im folgenden zusammengefaßt. Sie zeigen sowohl in den positiven als auch in den negativen Reaktionen einige Übereinstimmungen. Überdies versuchten schon 1935 gerade bürgerliche Intellektuelle, allein oder zusammen mit Münzenberg, aktive Christen zur weiteren Propagierung des Volksfrontgedankens und mit Namen: Fritz Lieb und Carl Spiecker zur Mitarbeit an Aufklärungsschriften über die Kirchen im Dritten Reich zu gewinnen.72 Heinrich Mann sprach gewiß in Lieb den Protestanten an, als er ihm im Namen des »Provisorischen Komitees« eine Reihe von Exemplaren der »Kundgebung« zuschickte und ihn bat, mit Hilfe des Dokuments geeignete Freunde »für die ge-

-

in: DR, 1936, Nr. 5, 23. Februar, S. 5, dort auch die folgenden Zitate; vgl. auch: »Wohin will die KPD?«, in: DR, 1936, Nr. 12, 14. April, S. 5. 72 Siehe ÜB Basel, 043 (NL Fritz Lieb), Aa 430: E. J. Gumbel an F. Lieb, 7. Dezember 1935.

23

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen zu interessieren«.73 Über Lieb, den Schüler Karl Barths, wurde auch verschiedentlich versucht, an den Basler Theologen heranzukommen. Mit Barth, der gleich seinen Kollegen Friedrich Siegmund-Schultze und Paul Tillich in den zwanziger Jahren Mitglied der SPD geworden war, aber erst Ende 1934 seiner Theologieprofessur in Bonn enthoben wurde,74 wollte Münzenberg auf der Tagung vom 2. Februar den Kreis der NS-oppositionellen Protestanten repräsentativ erweitern bzw. die Bekennende Kirche vertreten sehen.75 Barth lehnte jedoch am 1. Februar, mit Dank »für das mir entgegengebrachte Vertrauen«, ab. Er habe »Ansprüche auch hier abgewiesen, da ich weniger denn je gewillt bin, den politischen Schauplatz zu betreten^] überdies so alle Hände voll zu tun habe, um meinem Auftrag auch nur einigermaßen gerecht zu werden, daß auch schon aus diesem Grunde jede weitere Übernahme von Verpflichtungen unmöglich ist«.76 Der Kreis der »katholischen Opposition«, die mit der Volksfrontbewegung sympathisierte, erweiterte sich nach der Lutetia-Konferenz zunächst beträchtlich. Ihr Sprachrohr war die seit dem 21. Dezember 1935 in Paris erscheinende »Wochenzeitung für Tat und Freiheit«, Europa, die, wie es hieß, von einem »Kollektiv französischer, holländischer, deutscher, österreichischer Freunde« herausgegeben, tatsächlich aber, so Sollmann, von Wilhelm Kiefer »gemacht« wurde.77 Programm der Zeitschrift war das Bekenntnis »zum Humanitätsideal der Antike und zu den Lehren und Grundsätzen des Christentums«; der Kampf gegen die »Irrlehre und [die] Barbarei des übersteigerten Nationalismus und des heidnischen Rassenwahns«; das Eintreten »für die hohe Idee des Völkerbundes, für eine wahre Gemeinschaft der Nationen, für die Befriedung Europas durch soziale Gerechtigkeit und politische Freiheit«.78

meinsame Sache

Basel, 043, Aa 711: RSchr. Heinrich Mann, Paris, 17. Februar 1936. Paul Tillich, Gesammelte Werke, Bd. XII, hrsg. von Renate Albrecht, Stuttgart 1971, bes. S. 326; ebd., Bd. V, hrsg. von Renate Albrecht und Margot Hall, Stuttgart 1980, bes. S. 147; Die Saar-Volksstimme, 1934, Nr. 293, 25./26. Dezember: »Um Karl Barth. Seine 73

ÜB

74

Vgl.

Absetzung und ihre Wirkungen«. 75

ÜB

Basel, 043, Aa 430: Gumbel an Lieb, 7. Dezember 1935, und Aa 780: Münzen-

[Lieb], 29. Januar 1936 (As von Ruth Lieb). ÜB Basel, 043, Aa 038: Karl Barth an Fritz Lieb, Basel, 1. Februar 1936; Barth spielte mit dem Hinweis auf seine Abweisung »hier« wohl auf den Kreis in der Schweiz an, der sich unter den Bezeichnungen »Lutetia-Comité Paris-Zürich« und »Comité M« wobei »M« für Münzenberg stehen dürfte nach der Pariser Lutetia-Konferenz vom 26. September 1935 um den nach Zürich emigrierten Demokraten Wühelm Abegg gebildet hatte, siehe BA/K, NL Wilhelm Abegg, 329. 77 Vgl. »Was wir sind Und was wir nicht sind« (daraus Zitat), in: Europa, 1936, Nr. 3, 18. Januar; AdsD, Emigration Sopade, 122: Sollmann an Wels, 27. Juni 1936. 78 Europa, 1935, Nr. 2, 28. Dezember: »Wir sind Europäer«, und 1936, Nr. 1, 4. Januar: »Das ist unser Programm«.

berg

an

76

-

-



24

Christliche und liberal-demokratische

Opposition

Die Breite des Programms, das auf die Formel »abendländische Kultur« gebracht werden kann, spiegelt sich in den Namen seiner Autoren; sie reichen von dem französischen katholischen Schriftsteller Paul Claudel bis zu dem engüschen Friedensnobelpreisträger des Jahres 1933, Sir Norman Angell, Mitglied der Labour-Party und einer der Präsidenten des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus; von dem österreichisch-monarchistischen Schriftsteller Joseph Roth bis zu Henry Bérenger, Mitglied der SFIO, Präsident der Commission des Affaires Etrangères du Sénat Français und Delegierter Frankreichs im Verwaltungsrat beim Hohen Kommissar des Völkerbunds für deutsche Flüchtlingsfragen. Zu Europa gehörte für die Zeitschrift auch die Sowjetunion. Und vor diesem Hintergrund sind die Artikel zu verstehen, die sich zwar kritisch, aber offen um eine Verständigung zwischen Kommunismus/Marxismus und Christentum, zumindest in allen praktischen Fragen auf sozialem und politischem, antinationalsozialistischem Gebiet, bemühten.79 Waren, abgesehen von einer Leserzuschrift von Georg Bernhard, die Flüchtlingsfrage betreffend, mit Ernst Feder, Walter Eberhard und dem christlichen Gewerkschaftler Otto Pick schon früh oder gar von Anfang an Mitglieder des Lutetia-Kreises, zumindest Teilnehmer der Konferenz vom 2. Februar, in Europa vertreten,80 so meldeten sich im März und April zwei Publizisten zu Wort, die der Volksfrontbewegung bis dahin ferngestanden hatten. Der protestantische deutsche Schriftsteller Ulrich Becher appellierte an die »Christen und Sozialisten des Abendlandes«: »Einigt Euch um Gottes willen!« Dieser emotionale, aber wenig konkrete »Friedensruf«, in dem das Urchristentum als Modell für vernünftiges Handeln und Christus als Führer auf dem Wege zum Sozialismus propagiert werden, ist zwar eher im Zusammenhang mit der Rheinlandbesetzung durch Wehrmachttruppen am 7. März zu sehen. Dennoch verdient er hier Erwähnung, nicht nur, weil die in der »Kundgebung« und dem »Manifest« der Lutetia-Konferenz hervorgehobenen Werte »Brüderlichkeit und Gleichheit und Gerechtigkeit und Wahrheit und Einigung und Freiheit und Frieden« aufgegriffen werden,81 son-

Europa, 1936, Nr. 2, 11. Januar: »Die Angst vor dem Bolschewismus« (ungezeichneter Leitartikel); Nr. 7, 15. Februar: Spectator [vermud. Ernst Feder], »Sowjetwirtschaft«; Nr. 13, 28. März: [Rudolf] Möller-Dostali, »Sowjetrussische Probleme«; Nr. 16, 18. April: R. N. Coudenhove-Kalergi, »Das Erwachen Europas« von diesem Artikel, »besonders was die Beziehungen zu Sowjetrußland angeht«, distanzierte sich die Re79

Siehe

z.

B.

-

daktion. 80 Vgl. Lieselotte Maas, Handbuch der deutschen Exilpresse 1933—1945, hrsg. von Eberhard Lämmert, Bd. 1, München 1976. 81 Europa, 1936, Nr. 13, 28. März, S. 3, Zitate dort; Becher wird als »katholischer

vorgestellt, wohl weil gerade sein Mysterienspiel Niemand in der Schweiz worden war; Lex Breuer (d. i. Lex Ende) machte ihn auch zum Schweizer uraufgeführt (siehe unten Anm. 83); zur Reaktion von George Grosz auf Bechers Appell vgl. Uwe Naumann/Michael Töteberg: >»Zänks for your Friendship und für die KopfhaltungKampf

...

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AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

kommission des Volksfrontausschusses unter dem Aspekt und in der Überzeugung zu, daß sich darin durch gezielte und standfeste Sachlichkeit ihrerseits die nur liberalen Traditionen verpflichtete Spreu vom sozialistischen Weizen trennen ließe, so hielt, nach den Worten Walchers, das AK der KP(D)0 »schon eine solche Haltung für Opportunismus«.131 Die KP(D)0 lehnte die Volksfront prinzipiell für jedes Land, ob noch demokratisch oder schon faschistisch, ab. In ihrer Presse und mittels Rundbriefen, die mindestens teilweise als mimeographierte Flugschriften auch illegal ins Reich gelangten, agitierte das AK die Mitglieder der eigenen Organisation und potentielle Partner Oppositionelle in KPD und SPD, hier vor allem die RS für den proletarisch-revolutionären, auf den »Überlieferungen von Marx, Engels und Lenin« fußenden Kampf gegen den Faschismus.132 Revolutionäre Tageslosungen sollten den gemeinsam zu unternehmenden Aktionen gegen aktuelle Mißstände und politische Taten die Richtung weisen. Allen Gegnern einer Volksfront bot das AK der KP(D)0 die Spalten des neuen Zentralorgans Der Internationale Klassenkampf (IKK) als Diskussionsforum an. Die Lutetia-»Kundgebung« bezeichnete es als »ein klägliches Sammelsurium vulgär-demokratischer Phrasen«; die Menschenrechte betrachtete es gleich der KPD früher als bürgerliche Rechte, es gebe keine allgemeinen gleichen Rechte. Die KPD, so das AK der KP(D)0 weiter, habe durch den Verzicht »auf die führende Rolle [...] im antifaschistischen Kampf« und die Fügung unter die »politische [] Hegemonie einer Handvoll von liberalen Bürgern, [...] die nichts repräsentieren als die organisatorische und politische Ohnmacht des sogen [annten] >freiheitlichen< deutschen Bürgertums«, den »Prager Parteivorstand der SPD, die rechten Sozialdemokraten [... zum] Hauptgewinner der Volksfronttaktik« gemacht. Diese könnten nun ihre reformistische Politik fortsetzen, den Arbeitern, wie bereits in der »Erklärung« zum 30. Januar geschehen, Stillhalten predigen, »bis die Naziherrschaft von irgendwelchen bürgerlichen Kräften besiegt sei«.133 Seine These, daß der Liberalismus und die bürgerliche Gesellschaftsordnung jedoch bankrott seien, sah das AK der KP(D)0 vollauf in den Verfassungsentwürfen von Bernhard und Schwarzschild bestätigt. —







AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 2, 3. März. Siehe IISG, studiezaalmap, lijst Abenroth 433: »Materialien zur Volksfront«, hrsg. von der KPD(0), [ca. April 1936], 28 S. hektograph., Zitat S. 1; siehe, auch für folgendes, Der Internationale Klassenkampf (IKK), 1936, Nr. 2, April, S. 3-5: »Eine Viertelswendung der Kommunistischen Internationale«; ebd., S. 7-8: »Die Volksfrontpolitik der KPD«; »Vergleichende Übersicht über die Einstellung der KPD(O), der Revolutionären Sozialisten ...« (siehe oben Anm. 130); IISG, NL Hertz, S. 5, Nr. 24: Reichsleitung der KPD(O) (Hrsg.), Über die Volksfront und die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie, o. O., April 1936, 131

132

gedruckt. 133

38

Zitate nach:

IKK, 1936, Nr. 2, April, S. 7-8.

Die

Zwischengruppen der Arbeiterbewegung

Ganz ähnlich wie das Urteil der KP(D)0 fiel das der Trotzkisten, der Internationalen Kommunisten Deutschland (IKD), aus. Bernhard und Schwarzschild, so schrieb Oskar Schüssler, gingen mit ihren Vorstellungen hinter Weimar zurück zu einer »weitaus reaktionärere[n]« Republik, zu einer »autoritären Demokratie«.134 Im Schweigen der KPD zu den Verfassungsentwürfen, die »auf Initiative ihres pariser Komitees entstanden« seien, sahen die IKD einen Beweis für die Verlogenheit der »stalinistischen Bürokraten« und ihre Angst vor öffentlichen Diskussionen.135 Mit einem Zitat aus dem Abschiedsbrief von Kurt Tucholsky an Arnold Zweig wurde in Unser Wort die »Jämmerlichkeit« von KPD, SPD und allen Volksfrontlern kommentiert: »Sehen Sie sich Lenin an: Stahl und äußerste Gedankenreinheit. Und die da? Doitsche Kultur. Das Weltgewissen Gute Nacht.«136 Im Gegensatz zur KP(D)0 aber gaben sich die IKD keine erkennbare Mühe, proletarisch-revolutionäre Bundesgenossen in der deutschen Emigration zu finden. Sie beklagten, daß die deutsche Opposition keine Zeitschrift habe, in die »sie ihre lange gestaute Energie ergießen und in [der] sie ihren Kampf ausfechten könnte«, boten ihr eigenes Presseorgan aber nicht als Forum an. Die Haltung des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes (ISK), zumindest Willi Eichlers, war ebenso ambivalent wie die Walchers von der SAP. Eichler wäre gern im Engeren Ausschuß vertreten gewesen, war aber nicht bereit, dafür eine Änderung »in unserer grundsätzlichen Haltung den Katholiken gegenüber« vorzunehmen.137 Wie bereits im Herbst 1935,138 arbeitete er hinter den Kulissen weiter an seiner Sammlungskonzeption, deren Adressaten sich im Sinne Thormanns und auch Sievers' als »Sozialisten aller Richtungen« bezeichnen lassen.139 ...

...

134

O-r

[Oskar Fischer, d.i. Oskar Schüssler], »Das 4. (71), Anfang April, S. If.

Reich der Volksfront«, in: Unser

Wort (UW), 1936, Nr. 7

Ebd.; vgl. O-r, »Wie sie sich winden. Das Vierte Reich und die Stalinisten«, in: fjli^, 1936, Nr. 10 (74), Mitte Mai; darauf die Replik von »R« [vermud. André R., d.i. Adolf Deter], »Feinde der Einheitsfront«, in: DVZ, 1936, Nr. 7, 3. Mai. 136 Johre [d. i. Joseph Weber], »Kurt Tucholsky und die deutsche Emigration«, in: UW, 1936, Nr. 17 (71), Anfang April, auch für das folgende Zitat; Tucholsky an Arnold Zweig, 15. Dezember 1935, auszugsweise, mit einer Antwort von Zweig, in: NWB, 1936, Nr. 6, 6. Februar, S. 160ff., vollständig abgedruckt in: Werner Berthold, unter Mitarbeit von Christa Wilhelmi und Gudrun Anschütz, Exil-Literatur 1933-1945. Eine Ausstellung aus Beständen der Deutschen Bibliothek, 3., erw. und verb. Aufl., Frankfurt/M. 1967, S. 43f. 137 AdsD, IJB/ISK, 29: MA, Nr. 8, 12. Mai 1936, und VJB III, 3. Oktober 1936; vgl. die kritische Auseinandersetzung mit Heinrich Mann, »Die Deutschen und ihre Christen«, in: NWB, 1936, Nr. 2, 9. Januar, S. 36ff., von G Bremer [d.i. Grete Hermann], »Christen oder Sozialisten?«, in: Sozialistische Warte (SW), 1936, H. 4, 15. März, S. 84ff. 135

Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 187 und 195. Zum folgenden vgl. Karl-Heinz Klär, »Zwei Nelson-Bünde: Internationaler JugendBund (IJB) und Internationaler Sozialistischer Kampf-Bund (ISK) im Licht neuer Quellen«, in: IWK, Jg. 18 (1982), S. 310-360, hier S. 330f. 138 139

39

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Eichler vertraute dabei auf Sympathien und Zusammenarbeit in früherer Zeit und auf den Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland, mit Namen auf Rudolf Leonhard.140 Hatte sich schon während der Lutetia-Tagung Lewinski an Heinrich Mann gewandt, so lud Eichler diesen und Gumbel am 6. Februar, unter Beifügung von Werbematerial, schriftlich ein, Beiträge für die neu herauszugebende Freie Sozialistische Tribüne, einer Diskussionsbeilage zur Sozialistischen Warte, zu schreiben.141 Während er von Heinrich Mann alles zu nehmen bereit war in der Überzeugung, daß dieser gleich dem ISK den Sozialismus von der »mechanischen Weltanschauung« lösen helfen wolle, ermunterte er Gumbel, »über gewisse Bedenken, wie sie sich dem unbefangenen Beobachter (wer ist das heute noch!) aufdrängen angesichts der Inhomogenität der Volksfrontteilnehmer«, zu schreiben. Heinrich Mann jedoch vertröstete Eichler auf später, und Gumbel machte »dieselben Einwendungen, wie gegen alle Publikationen der Emigration: sie treibt Inzucht; sie predigt den Bekehrten«.142 Der Öffentlichkeit gegenüber überließ der ISK es seinem Sympathisanten Kurt Hiller, sich in der Freien Sozialistischen Tribüne mit den durch die Lutetia-Konferenz und ihren Ergebnissen aufgeworfenen (neuen) Problemen auseinanderzusetzen. Hiller trug in seiner gewohnten geschliffen-polemischen Diktion Punkte zu einer als notwendig erachteten »kollektive [n] Selbstkritik« der Emigration zusammen.143 Eine der herausragenden Fragen betraf die nach der »sozialistischen Machtpolitik«, wie sie von Sollmann pointiert aufgeworfen, von Eichler kritisch aufgenommen worden war.144 Mit ihnen und ebenfalls mit Heinrich Mann war sich Hiller darin einig, daß die bloß materialistische Geschichtsauffassung des Marxismus überwunden werden müsse; seine Meinung, daß die in ihren Doktrinen erstarrten und daher 1933 zurecht geschlagenen großen Parteien SPD und KPD aufgebrochen werden müßten, korrespondierte mit der Eichlers bzw. des ISK, der SAP und der oppositionellen sozialdemokratischen Gruppen. In zweifacher

Vgl. AdsD, IJB/ISK, 29: RSchr. an »Liebe Freunde«, o. U, Paris, 10. Januar 1936, 3 S. Ds, daran angehängt sind drei unpaginierte, undatierte Seiten, Ortsanschriff »Moselle«, handschr. unterzeichnet: »Annette« [d. i. Nora Block(-Platiel)]. 141 Beide Briefe in: AdsD, IJB/ISK, 29, siehe dort auch für das Folgende. 142 Ebd., H. Mann an Eichler, 12. Februar 1936; Gumbel an Eichler, 31. März 1936 (Zitat); zu Gumbels positiver Beurteilung der ISK-Vorschläge im November 1935 vgl. ebd., Box 28: Gumbel an Eichler, 18. November 1935; Werner Link, Die Geschichte des Internationalen Jugend-Bundes (IJB) und des Internationalen Kampf-Bundes (ISK). Ein Beitrag zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, Meisenheim/Glan 1964, S. 251. 143 Kurt Hiller, »Kollektive Selbstkritik«, in: SW, 1936, H. 3, 1. März, S. 71-76. 144 Wilhelm Sollmann, »Sozialistische Machtpolitik«, in: Zß, Nr. 24/25, September/ Oktober 1935, S. 758-765; Martin Hart [d.i. Willi Eichler], »Soziaüstische Machtpolitik«, in: SW, 1936, H. 1, Januar, S. 1-5. 140

40

Die

Zwischengruppen

der

Arbeiterbewegung

Hinsicht war sich Hiller mit der Mehrheit kritischer Volksfrontler einig:145 An der Lutetia-»Kundgebung« bewertete er die Forderung nach Freiheits- und Gleichheitsrechten positiv, die Vorstellung einer »liberale[n] Wirtschaft« negativ. Die Mitarbeit an der Volksfront, um auf diesem Umweg eine starke, bündnispolitisch und programmatisch bestimmende »Einheitsfront aller sozialistisch Gewillten« zu schaffen, sei nicht Opportunismus, beweise vielmehr »Elastizität«; der Einschluß von Brüning, Treviranus usw. in die Volksfront sei jedoch um der Freiheit und des Sozialismus willen strikt abzulehnen. Hillers praktisches Konzept zur Sammlung war ein Konglomerat verschiedenster bis dahin vorgebrachter Entwürfe, vom »Generalstab der Arbeiterschaft« des ISK und der diesem ähnlichen »Antifaschistischen Arbeiterfront« der RS146 über den »Großen Generalstab«, den der bürgerliche Demokrat Rudolf Olden umrissen hatte,147 bis zurück zu Hillers eigenem Vorschlag von 1931. In einem Offenen Brief an Münzenberg hatte er damals angeregt, »Rote Ausschüsse« aus neun oder fünfzehn Personen zu bilden, »die zu einem Drittel aus Sozialdemokraten, zu einem Drittel aus Kommunisten, zu einem Drittel aus freien, das heißt keiner der beiden großen Parteien angeschlossenen Sozialisten« bestünden; diese Ausschüsse sollten dann »untereinander nach dem Schema des Rätesystems zusammengefaßt« werden.148 Als aktuelle Quintessenz aus allem schlug Hiller jetzt vor, »revolutionäre Ausschüsse in unsren wichtigsten Zentren: Paris, Prag, Kopenhagen-Oslo, der Schweiz« zu erstellen. Sie sollten »durch Vertrauenspersonen« permanent in Verbindung stehen und etwa »alle Halbjahr« zusammentreffen. Hauptaufgabe dieses kollektiven Gremiums, das eben keine leblose »Einheitsfront als Addition von Apparaten«, schon gar nicht durch eine Gruppe beherrscht sein dürfe, müßte die Erarbeitung und Verbreitung eines »positivrevolutionäre [n] Programm-Manifest[es]«, eventuell sogar eines Minimal- und eines Maximalprogramms sein. In einem privaten Brief an Hiller ging Eichler über dessen Sammlungskonzeption weit hinaus: Er wollte die »außerhalb der Großparteien stehenden Kräfte, soweit sie Parteipolitik treiben« d. h. also die kleinen Zwischengruppen und die Ungebundenen, aber aus einer gemeinsamen (linksbürgerlichen) Weltanschauung heraus politisch Handelnden und die mangels einer Alternative noch immer innerhalb von SPD und KPD organisierten oppositionellen Fraktio—



Kurt Hiller, »Kollektive Selbstkritik«, in: SW, 1936, H. 3, 1. März, S. 71-76, auch folgende Zitate. 146 Zu beiden siehe Deutsche Volksfront Band 1, S.187 mit Anm. 127, S. 263f. und 279ff. 147 Siehe NWB, 1936, Nr. 5, 30. Januar, S. 135-1936, Nachdruck in: MDFB, 1936, Nr. 10, Februar, und in: Eine Aufgabe; vgl. Rudolf Olden, Hitler, Amsterdam: QueridoVerlag 1935, und ders., Warum versagten die Marxisten?, Paris: Verlag des Europäischen Merkur 1934. 148 Kurt Hiller, »Kollektive Selbstkritik«, in: SW, 1936, H. 3, März, S. 71-76, Zitate S. 75, die folgenden Zitate S. 75f. i«

für

41

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

einer »dritten Partei« vereinen.149 Eichler fühlte sich sowohl durch die positiven Reaktionen auf Hillers Ausführungen als auch durch Edo Fimmens herablassend scharfe Kritik am Volksfrontversuch angeregt. Der niederländische Generalsekretär der ITF, über dessen Organisation der ISK ebenso wie z. B. Neu Beginnen einen Großteil seiner illegalen Kontakte zu innerdeutschen Widerstandszirkeln laufen ließ, hatte zornig geschrieben: »Mich packt bei der Zerfahrenheit in der Emigration manchmal das Kotzen«; am liebsten würde er sich »ausschließlich auf die eigene Arbeit konzentrieren«, allerdings möchte er mit Eichler »und vielleicht noch mit einem oder zwei anderen Menschen außerhalb meiner eigenen Organisation auch in Zukunft noch Verbindung aufrecht erhalten«.150 Hermann Budzislawski, der mit und in seiner Neuen Weltbühne (NWB) seit langem zwischen allen antifaschistischen Parteiungen zu vermitteln versuchte, vermochte in den Lutetia-Konferenzen und in der Konstituierung eines Ausschusses zur Lösung der Programmfrage nicht den angesichts des »Erfolg[s] der Volksfrontbewegung« in Spanien und Frankreich auch »historisch falligfen ...] Zusammenschluß der freiheitlichen deutschen Opposition« zu sehen. Es habe wiederum nur eines der »Pourparlers« stattgefunden; die Beiträge gingen nicht über die der »Exponenten vieler deutscher Oppositionsrichtungen«, die die NWB am 30. Januar veröffentlichte, hinaus.151 Eine Woche später lobte Budzislawski allerdings das »Amnestie«-Manifest: Indem sie die Amnestie fordere, was etwas anderes sei als um Gnade bitten, habe die Emigration die Aufgabe erkannt und gut gelöst, Stimme des zum Schweigen verurteilten »Mehrheitswillens des deutschen Volkes innerhalb der deutschen Grenzen« zu sein. Darüber hinaus erschien ihm die Forderung nach Amnestie der politischen Gefangenen die geeignete Parole, um die »mannigfaltigen Oppositionsströmungen« im Reich und in der Emigration zu einen, da in ihr auch die allgemeinen »Voraussetzungen des deutschen Wiederaufbaus« enthalten seien: »Freiheit des Wortes, Freiheit der Kritik, Freiheit der Person, demokratische Freiheiten schlechthin.«152 nen zu

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AdsD, IJB/ISK, 29: Eichler an Hiller, 3. April 1936. Ebd.: Fimmen an Eichler, 17. März 1936. 151 Hermann Budzislawski, »Spanien«, in: NWB, 1936, Nr. 8, 20. Februar, S. 221-225. 52 Hermann Budzislawski, »Amnestie«, in: NWB, 1936, Nr. 5, 27. Februar, S. 253149 150

255, Zitate S. 42

254 und 255.

Die Kommunisten

Die Kommunisten Die Kommunisten, von illegalen Kadern in Deutschland über Mitglieder des Politbüros der KPD bis hinauf zum EKKI, taten sich besonders schwer mit der vom VII. Weltkongreß der Komintern im Sommer 1935 dekretierten Volksfrontstrategie und -taktik im allgemeinen, mit der Entwicklung in der Pariser deutschen Emigration im besonderen. Bis Februar/März 1936 waren die Referate und Beschlüsse der »Brüsseler« Parteikonferenz vom Oktober 1935 noch kaum zu den innerdeutschen Kadern durchgedrungen, geschweige denn von ihnen verarbeitet. Das »Manifest« war in seiner endgültigen Fassung zwar gegen Mitte Dezember 1935 veröffentlicht worden, jedoch im Ausland: in der Komintern-Rundschau (Basel) und im GegenAngrtff (Prag). Für die Verbreitung innerhalb Deutschlands wurden »Manifest«, »Resolution« und einige (z. T. gekürzte) Referate erst im Laufe der ersten Monate 1936 als Flugblatt oder als Tarnschrift herausgegeben. Zahlreiche Verhaftungen hatten die Verbindungen zwischen Ausland und Inland weitgehend zerstört. Persönliche Treffen und Aussprachen waren entsprechend außerordentlich erschwert; die eingeschleusten Flugblätter sowie die illegale Reichsausgabe der Roten Fahne, die die neue Linie durchweg meist summarisch umrissen und dekretierten, erreichten die meisten Adressaten überhaupt nicht weil von der Gestapo abgefangen153 bzw. nur wenige, wie die Berliner Organisation, erst nach zwei bis drei Monaten. Diese Wenigen nun hatten die Wende der Parteiführung in der Emigration und deren Begründung mit ihren eigenen, nicht selten entgegengesetzten Erfahrungen in der Illegalität in Einklang zu bringen wie und warum sollte man z. B. die bürgerliche Demokratie, die doch nach der Lehre in den Abgrund geführt hatte, als Etappenziel wiederherstellen? Sie sparten dementsprechend nicht mit Kritik oder sie verfuhren nach eigenem Ermessen.154 —





Siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 232 mit Anm. 100, S. 246f. mit Anm. 149; vgl. Gittig, Bibliographie der Tarnschriften 1933 bis 1945, München 1996 (vgl. das Register dort), als Erscheinungsjahr ist durchweg »1935« angegeben; Tarntitel von erfaßten Bro153

Heinz

schüren finden sich im BA/K, z. B. unter R 58/315, R 58/408, R 58 /356 hier auch eine auf den 14. August 1936 datierte Auflistung aller Stellen bis hin zur Kanzlei des Führers, z. Hd. Bormann, an die die Rede von Togliatti alias Ercoli unter dem Tarntitel Überblick über die naturgemäße Lebensweise, von Ed. Baltzer, ging. 154 Zur damaligen Problematik vgl. Der antifaschistische Widerstandskampf der KPD im Spiegel des Flugblattes 1933—1945, mit einer Einführung von Margot Pikarski und Günter Uebel, Berlin 1978 (im folgenden: Pikarski/Uebel, Antifaschistischer Widerstandskampf der KPD Flugblatt), Dok. 49 und 59; Brief der KPD-Werkleitung des Werner-Siemens-Werkes vom 26. Januar 1936 an das ZK der KPD, Anlage 1 zu: Offener Brief der »Berliner Opposition« an die Mitglieder der KPD, September 1937, hektograph, brosch; BA/K, R 58/654: Druckschriften in Innerdeutschland zur Propagierung der Volksfront, Nr. 11; Wilhelm Pieck, »Einige Erfahrungen aus der Anwendung der Einheitsfronttaktik in Deutschland (März 1936)«, in: Wilhelm Pieck, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. V, Berlin 1972, S. 334-

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43

A I. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Die Konfusion innerhalb der KPD-Führung gründete nicht nur in unterschiedlichen politischen Auffassungen, individuellen Temperamenten und Machtkampf untereinander. Sie erscheint auch als Resultante von Divergenzen, von Unsicherheiten in der Komintern, speziell in deren Exekutivkomitee. Im November 1935 hatte Dmitrij Manuil'skij, Mitglied des ZK der KPdSU und Vorgänger von Georgi Dimitroff an der Spitze der Komintern, das globale Gebot des VII. Weltkongresses an die Sektionen, Einheitsfronten mit der Sozialdemokratie und Volksfronten zu schaffen, dahingehend differenziert, daß es nur für die noch nicht faschistischen Staaten gelte. Da hatte sich die KPD als Gesamtpartei gerade auf ihrer »Brüsseler« Konferenz zur Durchführung der Volksfrontpolitik auf der Basis der »Einheitsfront auf neue Art«, d. h. der Zusammenarbeit mit der SPD auf allen Organisationsebenen, durchgerungen. In ihren Vorbehalten gegenüber einer zukünftigen Regierung der Einheitsfront oder der Volksfront war sie allerdings dem Delegierten des EKKI, Palmiro Togliatti gefolgt; er hatte vor einer schematischen Wiederholung und Anwendung der Linie des VII. Weltkongresses gewarnt und »schärfste Abgrenzung« zwischen der »legalen und der illegalen Arbeit« gefordert.155 Am 20. November referierte EKKI-Sekretär Otto Kuusinen auf der Präsidiumssitzung mit den Parteivertretern beim EKKI über »Mängel und Fehler in der Durchführung der Einheitsfrontpolitik des VII. Weltkongresses der KI«, und im Dezember 1935 sprach der Tscheche Gottwald seine Warnungen aus.156 Dimitroffs Zurücknahme seiner noch Anfang 1936 gezeigten Konzilianz mit seiner ebenfalls schon zitierten scharfen Attacke gegen die Sozialdemokratie, in der er einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Weigerung der SAI, ein Einheitsfrontabkommen mit der Komintern zu schließen, und dem »faschistischen« Attentat auf Léon Blum konstruierte, kann als Unterwerfung unter die Kritik aus den eigenen Reihen an seiner Konzeption der neuen Bündnispolitik bzw. an ihrer praktischen Durchführung, aber auch als äußerster Versuch, die SAI und die ihr angeschlossenen, Einheitsfront-abgeneigten Parteien aufzurütteln, aufgefaßt werden. Auf letzteres deutet Dimitroffs Nachwort vom

355, bes. S. 337f; Elü Schmidt, »Die Vorbereitung und Auswertung der Brüsseler Parteikonferenz in der illegalen Arbeit«, in: Heinz Voßke (Hrsg.), Im Kampf bewährt. Erinnerungen deutscher Genossen an den antifaschistischen Widerstandskampf von 1933 bis 1943, Berlin 1969, S. 15-33, bes. S. 23; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik, Teil II, Berlin 1966, S. 358—362; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bd. 5, Berlin 1966, S. 137f. und Dok. Nr. 26; Dedev Peukert, Die KPD im Widerstand. Verfolgung und Untergrundarbeit an Rhein und Ruhr 1933 bis 1945, Wuppertal 1980, S. 219 und 230ff. 155 Vgl. im ganzen Deutsche Volksfront Band 1, S. 345ff., Zitat aus Togliattis Rede nach: Protokoll der »Brüsseler Konferenz« der KPD 1935. Reden, Diskussionen und Beschlüsse. Moskau vom 3.-15. Oktober 1935, hrsg. von Erwin Lewin, Elke Reuter und Stefan Weber, 2 Teile, München 1997, Teü 2, S. 630-642, hier S. 641. 156 0[tto] Kuusinen, »Kein Grund zur Selbstzufriedenheit«, in: KI, 1936, Nr. 1, 31. Januar, S. 37-52; zu Gottwald vgl. oben Anm. 127 und den Text oben, S. 37. 44

Die Kommunisten

16. Februar aufgrund der von der SFIO initiierten, von den Organisationen des Front populaire massiv durchgeführten Demonstration in Paris hin.157 Wie in Deutsche Volksfront Band 1 dargestellt, hatte der Mandatsträger des Politbüros, Franz Dahlem, die Maximalforderungen des Politbüro-Beschlusses weder in den Vorgesprächen noch gar auf der Plenarsitzung am 2. Februar durchsetzen können. Er war, unterstützt von Münzenberg, nach eigenem Ermessen Kompromisse eingegangen, um die Konferenz gerade im Interesse der von der KPD angestrebten Verständigung mit dem Prager SPD-Vorstand und des Aufbaus einer Volksfront im Reich nicht platzen zu lassen. Die Folge waren heftige Auseinandersetzungen innerhalb der KPD. Sie wurden zwischen dem Prager Politbüro, voran Ulbricht, und der Pariser Auslandsleitung, voran Münzenberg und Birkenhauer, aber auch zwischen Ulbricht und Dahlem ausgetragen.158 Im einzelnen warfen die Prager den Parisern vor: Ungehorsam gegenüber ihren Anweisungen; Nachgeben gegenüber den Bürgerlichen, auch in der Zusammenstellung der Beiträge in den Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek vom Februar; Verwischen der Gegensätze zwischen KPD und SPD, dabei wurde der Münzenberg-Schiffsche Entwurf eines Nichtangriffspakts zwischen ZK und PV wieder hochgespielt; Zulassen einer Programmdiskussion; Gründung eines speziellen Ausschusses. Am schärfsten war die Kritik an der Lutetia-Konferenz und ihren Ergebnissen und damit die Desavouierung der eigenen Genossen in einem Rundschreiben an die Kader, gezeichnet »ZK der KPD«, von Ende Februar formuliert.159 Das Schreiben war offensichtlich der Sorge entsprungen, wie die illegalen Kader in der Partei zu halten seien, nun die Führung Taktik und Etappenziel drastisch geändert und den Revolutionsanspruch augenscheinlich aufgegeben hatte. Die —



157

Zitat nach Rundschau

(Basel), 1936, S. 291 (vgl. Anm. 47 dieses Kapitels und den zu-

gehörigen Text, oben S. 15). 158 Siehe Deutsche Volksfront Band 1,

S. 327f. und 349; zum folgenden siehe vor allem den Briefwechsel in SAPMO, Ry 1, I 2/3/419: Bl. 22: »Deine Freunde« [PB in Prag] »An Willi M./Lieber Freund«, 13. Februar 1936; Bl. 25-27: Willi [Münzenberg] an PB Prag, 19. Februar 1936; Bl. 36-37: »Deine Freunde« [PB Prag] an Willi M. und Nikolaus [d.i. Erich Birkenhauer], 26. Februar 1936 (dazu mehrere As und, Bl. 44-45, Entwurf mit Korrekturen); Bl. 46—48: Willi [Münzenberg] an »Liebe Freunde«, 29. Februar 1936; vgl. auch ebd., Ny 4036/515, Bl. 10: Aufzeichnung Pieck über Konflikt Dahlem mit Ulbricht über die Tagung vom 2. Februar 1936 und Ulbrichts falsche Einschätzung der Lage; ebd., Bl. 14 (zum Brief vom 26. Februar 1936), und Ny 4036/558, Bl. HOff. aus Wilhelm Piecks »Übersicht über die Arbeit der KPD seit dem VII. Weltkongreß im Zusammenhang mit der Arbeit des Ausschusses zur Vorbereitung einer Deutschen Volksfront in Paris« (Bl. 94-150), o. D. 159 Siehe, auch zu folgenden Zitaten: BA/K, R 58/408: »Liebe Freunde! Zu einigen Fragen der Taktik gegenüber der SPD«, 29. Februar 1936, 8 S. As, nachweislich von der Gestapo in Köln und Berlin erfaßt; die Diktion entspricht wieder der Ulbrichts; vgl. auch PA ULA: Memo Ulbricht, bes. Punkt 4.

45

A I. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Kader wurden vor dem >Sozialdemokratismus< gewarnt. Unter dieser Formel waren

»Spontaneitätsillusion«, »Politik der Klassenzusammenarbeit« à la Sopade, aber auch »Kapitulantentum« der »linken« Sozialdemokraten, d. h. der Revolutionären Sozialisten, subsumiert. Gleichzeitig wurden die Kader aufgerufen, die Einheitsfront »auf neue Art« und die antifaschistische Volksfront als Massenbewegung

schaffen. Im Hinblick auf die beiden Dokumente der Lutetia-Konferenz bemängelte das Schreiben einmal, daß der »sonst gute« Amnestieappell »nicht einmal die Unterschriften der Personen, die auf der Beratung für diesen Aufruf eingetreten sind«, enthalte,160 während es andererseits die Tatsache, daß die »Kundgebung« hier: »Erklärung der Hundert« »von niemand unterschrieben worden« sei, als eines der Argumente anführte, warum das ZK sie nicht zur Veröffentlichung freigegeben habe. Als weitere Begründungen für die NichtVeröffentlichung waren angegeben: SPD und Zentrum hätten als Parteien gefehlt; die »Konzessionen an bürgerliche Kräfte« seien ein Hemmnis für die »Grundlage der Volksfront^ d. h.] die Schaffung der Einheitsfront« und trügen darüber hinaus »Verwirrung in die Reihen der entscheidenden Kräfte der Volksfront, der Arbeiterklasse«. Und schließlich: »Die Veröffentlichung dieser Erklärung durch uns würde den Eindruck erwecken, als ob die Volksfront geschaffen sei. Das ist offensichtlich nicht der Fall.« In seinem Memorandum für das EKKI wies Ulbricht auf den wunden Punkt für die Partei hin: Veröffentlichung der Kundgebung »im Ausland« hätte bedeutet, daß »wir unseren Standpunkt in der Programmfrage [hätten] vertreten müssen, unterstreichen müssen, daß die Volksfront eine antifaschistische sein muß und welche Rolle der Arbeiterklasse in der Volksfront zukommt«.161 Das aber hätte »die Lage in Paris kompliziert und die offene Desavouierung des Genossen Münzenberg bedeutet, der ja dieser Formulierung zugestimmt hatte«. Auffällig ist, daß Ulbricht hier Dahlem, der ja der Mandatsträger der KPD auf der Lutetia-Konferenz gewesen war, schont. Möglicherweise trug er der >höheren Weisung< Rechnung, die ihn seit der »Brüsseler« Konferenz an diesen koppelte. Dahlems Urteil über die »Kundgebung« in seinem zwei Tage vor Ulbricht, am 9. März, abgefaßten Bericht für das EKKI glich bei einer per zu





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Dennoch hatte der Gegen-Angriff'ihn in Nr. 8 vom 22. Februar auf S. 2 (»An Alle!«) veröffentlicht mit der kurzen redaktionellen Vorbemerkung: »Anfang Februar hat in Paris eine Beratung bekannter deutscher oppositioneller Persönlichkeiten aller Richtungen stattgefunden, die zum Kampf gegen den faschistischen Terror Stellung nahmen und folgenden Aufruf gemeinsam beschlossen«; der Abdruck ist teilweise eingerahmt von dem auf S. 1 beginnenden ungezeichneten Artikel »Der nächste Schritt. Für den gemeinsamen Kampf gegen den braunen Terror«, in dem u. a. ebenfalls die bisherigen Besprechungen über eine deutsche Volksfront kritisiert werden: sie »waren noch nicht orientiert auf die unmittelbaren Aktionsaufgaben [...], die die Massen im Lande bewegen« (S. 2). 161 PA ULA: Memo Ulbricht, Punkt 5, auch zum folgenden Zitat. 160

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Die Kommunisten

saldo positiven Bewertung der Parteikonferenz wie der Aktivitäten danach der Ulbrichts: sie sei »verwaschen[ ]«, enthalte »keine konkreten Aufgaben«, »die Frage der Demokratie [ist] auslegbar«, und sie könne »ohne entsprechenden Kommentar Illusionen über die Existenz einer Volksfront erwecken«. Dennoch plädierte Dahlem für die Veröffentlichung seitens des ZK, »mit entsprechendem Kommentar« freilich, um das inzwischen aufgekommene Mißtrauen, mit Namen bei Breitscheid, zu zerstreuen und um die »begonnenen Beziehungen und die immer tiefere Engagierung linker sozialdemokratischer Führer für die Zusammenarbeit in der internationalen Hilfsaktion und besonders für das Zusammenarbeiten in das Land hinein« auszubauen.162 Dahlem trug damit auch der Tatsache Rechnung, daß die »Kundgebung« bereits verschiedentlich in der kommunistischen Presse veröffentlicht worden war. So hatte z. B. das Zentralorgan des PCF, L'Humanité, nur einen Tag nach dem Pariser Tageblatt Auszüge aus der »Kundgebung« in französischer Übersetzung unter der Schlagzeile gebracht: »Les Forces de Paix en Allemagne Le rassemblement des Partis s'opère pour la lutte antihidérienne Une conférence d'action commune«.163 Unverkennbar sah der PCF seine Hoffnungen auf Zusammenarbeit mit den deutschen Antifaschisten und auf gegenseitige Hilfe im Kampf gegen den Faschismus, die Generalsekretär Maurice Thorez in seinem während des 8. Parteitages geschriebenen Dankesbrief für die Grußadresse des ZK der KPD geäußert —





hatte, in Erfüllung gehen.164

Ulbricht hingegen zeigte sich über die Publikationen erbost. Seinen besonderen Zorn erregte der Abdruck der »Kundgebung« in der Inprekorr, der für die Illegalität im Reich bestimmten, inhaltlich reduzierten Ausgabe des KominternOrgans Rundschau. Sie enthalte, so schrieb er, eine »im Westen« verfaßte »begeisterte Einleitung [...] ohne jede kritische Bemerkung, vielmehr mit der Einschätzung, die Annahme dieses Dokumentes sei eine große historische Tat«; dadurch aber könne »nur eine Desorientierung unserer Genossen das Resultat sein«.165 Die Rundschau, deren Pariser Redaktion Birkenhauer alias Beifort angehörte, hatte am selben Tag wie Inprekorr die wesentlichen Teile der »Kundgebung« ver-

PA ULA: Bericht Dahlem, Zitate S. 10 und S. 15. L'Humanité, 14. Februar 1936, S. 3; siehe auch Rote Fahne, deutschsprachiges Organ der KPC, Prag, 15. Februar 1936: »Bericht aus Paris«. 164 LHumanité, 26. Januar 1936, S. 4; vgl. Ursula Langkau-Alex, »Zu den Beziehungen zwischen Organisationen der politischen deutschen Emigranten in Frankreich und französischen Organisationen 1933—1940«, in: Wolfgang Frühwald/Wolfgang Schieder, in Verbindung mit Walter Hinck u. a. (Hrsg.), Leben im Exil. Probleme der Integration deutscher Flüchtlinge im Ausland, 1933-1945, Hamburg 1981, S. 188-199, bes. S. 193f. (im folgenden zit.: »Zu den Beziehungen [...] in Frankreich«). 165 Inprekorr, 20. Februar 1936; PA ULA: Memo Ulbricht, Zitate aus Punkt 4. 162 163

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AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

öffentlicht, einschließlich der Passage, die im Einvernehmen zwischen den Kom-

munisten und den Sozialdemokraten vom 2. Februar gestrichen werden sollte:166 »Der engere Ausschuß wird beauftragt, durch geeignete Sachbearbeiter eine Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen aufstellen zu lassen.« Die Überschrift war eine Erweiterung derjenigen, die das Pariser Tageblatt am 13. Februar gewählt hatte: »Sammlung der deutschen Opposition«. Als Vorbemerkung war die wohl ursprüngliche Fassung der Präambel des »Amnestie-Manifestes« gesetzt, in der es noch geheißen hatte: »Vertreter aller deutschen Arbeiterparteien und -Organisationen, von den Christlichen Gewerkschaften bis zur extremen Linken« (anstelle von: »bis zu den Kommunisten«).167 Dem weitgehend alles Wesentliche enthaltenden Abdruck der »Kundgebung«168 ging ein längerer Artikel von Wilhelm Koenen über die Lage der Katholiken im Reich voraus, in dem die »Volksfront« als Bündnis zur Überwindung auch ihrer Bedrängnis durch den Sturz des Regimes propagierte wurde.169 Nach der RaW-f^a»-Veröffentlichung würdigte Münzenberg die LutetiaTagung öffentlich als großen »Schritt vorwärts«, trotz »ernste[r] Schwächen«, nicht mit Namen genannten worunter er »das Fehlen offizieller Vertreter« der katholischen und sozialdemokratischen Parteien und »besonders liberalen, Parteizentralen« aufzählte.170 Seine positive Einschätzung gründete auf der individuellen Beteiligung zahlreicher bürgerlicher intellektueller Demokraten verschiedener Weltanschauungen oder Religionen neben Vertretern christlicher Gewerkschaften und der sozialistischen und kommunistischen Arbeiterbewegung. Thomas Manns Offenen Brief an Korrodi in der Neuen Zürcher Zeitung vom 3. Februar interpretierte er als eine Bestätigung seiner früher geäußerten Hoffnung, daß die Bürgerlichen sich aufgrund der Interessengleichheit im Kampf gegen die Hitlerdiktatur der sozialistischen Arbeiterbewegung und der Sowjetunion an—



166

Siehe, auch zum folgenden Zitat, PA ULA: Bericht Dahlem, S. 7. Rundschau (Basel), 1936, Nr. 8, 20. Februar, S. 305f., Hervorhebungen von ULA; in Eine Aufgabe, S. 29, heißt es: »bis zu den Kommunisten«, weiter aber: »bürgerliche Vertreter mit Vertretern der extremen Linken«; in der dem Abdruck des »Amnestie-Manifests«, in Rundschau, 1936, Nr. 10, 27. Februar, S. 393f., vorangesetzten, ansonsten gleichlauten167

den Präambel ist beide Male »Kommunisten« gesetzt. 168 Ausgelassen sind vor allem der an sich unwesentliche Punkt 2 unter »Sie erklären und fordern« des Textes und am Ende die inhaltliche Vorgabe einer »Plattform zur Sammlung aller Oppositionsgruppen«, die die vom »engere[n[ Ausschuß« beauftragten Sachbearbeiter erstellen sollten. 169 Wilhelm Koenen, »Zertrümmerung der katholischen Bewegung. Katholiken vor der Entscheidung: Untergang oder Volksfront«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 8, 20. Februar, S. 304f. 170 Willi Münzenberg, »Ein großer Schritt vorwärts«, in: A1Z, 1936, Nr. 10, 5. März, S. 157, unter der Rubrik »Tribüne der deutschen Volksfront«, auch zum folgenden.

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Die Kommunisten

nähern würden.171 »Manifest« und »Kundgebung«, von denen er Auszüge einflocht, wertete Münzenberg als Ausgangspunkt für die weitere Arbeit. Diese stellte er sich in drei Phasen vor. Deren erste, die »ideologische und grundsätzliche Klärung und Einigung in den Grundfragen der deutschen Volksfront«, zielte auf die Erstellung einer Plattform im Volksfrontausschuß; darauf aufbauend sollte die »wirkliche Einheitsfront« zwischen SPD und KPD geschaffen werden, die wiederum die Grundlage für ein breites antifaschistisches Bündnis bilden sollte.172 Damit bekräftigte Münzenberg seinen am 2. Februar eingenommenen Standpunkt und stellte sich öffentlich gegen seine Kritiker in ZK und Politbüro.173 Konkret standen sich in der KPD-Führung grundverschiedene Konzeptionen gegenüber; die des nachgiebigeren Münzenberg und die des geschmeidigeren Dahlem ließen sich vereinbaren, wie sich am 2. Februar erwiesen hatte. Dahlem hatte, wie er von sich selbst schrieb, der Realität der Verhältnisse entsprechend versucht, dreierlei zu kombinieren: »Schaffung eines festen Verhältnisses zu einer großen Anzahl wichtiger sozialdemokratischer Führer, [...] Aufrichtung eines Dammes gegen die Offensive des Parteivorstandes [der SPD ULA] im Westen, [...] Herstellung und Ausnutzung zahlreicher Verbindungen zu den Katholiken, zu evangelischen und ernsteren bürgerlichen Leuten« im Lutetia-Kreis und über diesen hinaus.174 Dahlem verfolgte diesen Weg auf kurzen Rundreisen und Gesprächen im Anschluß an die Lutetia-Konferenz. Auf der anderen Seite war die Linie, wie sie die »Januar-Tagung« bzw. die Direktive des Politbüros vom 25. Januar, anknüpfend an die Beschlüsse der »Brüsseler« Konferenz und den Brief vom 11. November 1935, vorgezeichnet hatte. Es war praktisch der Versuch, den Prager PV der SPD und die ehemaligen Parteiführer von Zentrum, Bayerischer Volkspartei (BVP) und Deutscher Demokratischer Partei (DDP) bzw. Deutscher Staatspartei (DStP) über Aktionen im Reich »von unten« zu Spitzenabkommen zu zwingen, die wiederum die Schaffung einer Einheitsfront und einer Volksfront im Lande fördern sollten. Eine Plattform konnte nur am Ende dieses Prozesses stehen. Prononcierter Vertreter dieser Linie war Ulbricht.175 —

171

Siehe den Brief Münzenbergs an Gottfried Salomon, 21. Oktober 1935, abgedr. in: Langkau-Alex, »>Die Geschichte hat es gewollt ...Berichte< von Katholiken, Bauern, einer Hausfrau, Mittelständlern im Reich zusammengetragen); »Der nächste Schritt. Für den gemeinsamen Kampf gegen den braunen Terror«, 49

AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Inwieweit dieser seine Konzeption auf konkrete, direkte Informationen aus dem Reich stützte und ob er sie eventuell uminterpretierte, ist schwer zu sagen. In einem nicht zu verifizierenden Gestapa-Bericht aus der Zeit heißt es, Ulbricht habe »eigene Verbindungen, welche nicht über den Apparat der KPD laufen, zu allen Kreisen der Weimarer Koalition aufgenommen, insbesondere zu einem in Berlin existierenden Ausschuß«, auch solle er »Verbindungen haben zur Katholischen Aktion, zum Reichsbanner [...], zur Schufo, und zwar insbesondere zu den Gruppen Wedding, Gesundbrunnen, Charlottenburg (besonders Bauarbeiterkreise), zum Schrader-Verband [...,] zum Stahlhelm, zum früheren Tatkreis, zur Leitung der NSDAP (es soll sich hier um eine besonders enge Verbindung

handeln).«176

Im März setzte das EKKI-Präsidium eine Kommission ein, um die Streitigkeiten in der KPD-Führung, über die es durch die ihm zugestellten Durch- oder Abschriften der Korrespondenzen zwischen den Kontrahenten und anderweitige Berichte informiert war, zu lösen und eine einheitliche Politik für die Zukunft zu garantieren. Der Kommission gehörten an: Dimitroff, Manuil'skij, Togliatti, der Stalin-Vertraute M. A. Trilisser unter seinem nom de guerre I. M. Moskvin und Franz Dahlem.177 Somit war eigentlich nur zwischen Ulbricht und Münzenberg, der bereits Anfang März zur Berichterstattung nach Moskau bestellt worden war,178 zu schlichten bzw. zu entscheiden. Die Beratungen der EKKI-Kommission am 14./15. März 1936 wurden indes von der Besetzung des neutralen Rheinlandes durch Wehrmachttruppen am 7. März beeinflußt. Die einseitige Zerreißung einer wesentlichen Bestimmung des Versailler Friedensvertrags, die im Locarno-Vertrag von 1926 bestätigt worden

in: GA, 1936, Nr. 8, 22. Februar (dieser ungezeichnete Artikel spricht in der »Wir«-Form, die Diktion ist dieselbe wie die in Ulbrichts oben zitiertem Artikel in NWB und in seinem Artikel »Um die Einheitsfront in Deutschland. Antwort an den Prager Parteivorstand der SPD«, in: KI, 1936, H. 3, 31. März, S. 226ff., der mit einigen, am Schluß sinnentstellenden Änderungen, nachgedruckt ist in: Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, [1.] Zusatzband, S. 32-44; Walter [Ulbricht], »Die Siemens-Bewegung«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 11, 5. März, S. 427f.; vgl. Arnold Sywottek, Deutsche Volksdemokratie. Studien zur politischen Konzeption der KPD 1935-1936, Düsseldorf 1971, S. 64. 176 BA/K, R 58/408: Auszug aus einem vertraulichen Bericht der Dienststelle II 1 A 2 vom 3. Februar 1936. 177 Mündliche Mitteilung Dahlem an ULA; vgl. SAPMO, Ny 36/558, Bl. 112-113; Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik, Bd. 2, S. 361 f., auch zum folgenden; kaum informativer, weil alles glattbügelnd ist Karlheinz Pech, Die Kommunistische Partei Deutschlands im Ringen um einen antifaschistischen deutschen Volksfrontausschuß im Exil in Frankreich (1934 bis Sommer 1936), Diss. zur Promotion B beim Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Berlin, September 1986, Ms (im folgenden zit.: Pech, KPD und Volksfrontausschuß), S. 111. 178 Münzenbergs Reise war als »Spanien«-Reise getarnt vgl. AdsD, NL Brandt: RSchr. Nr. 3, und AdsD, NL Stampfer, I, 14, BL 735: Schiff an Stampfer, 23. März 1936. 1936, Jim, -

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Die Kommunisten

und Hiders anschließende »Friedensrede« ließen in Moskau die Kriegsangst Kriegspsychose anwachsen.179 Die für Anfang April anstehenden Vertrauensrätewahlen in NS-Deutschland boten nun die Möglichkeit, eine innen- und sozialpolitische Kampagne zugunsten der Arbeiterschaft mit einer alle sozialen Schichten umfassenden europaweiten Agitation und Propaganda für Frieden, Sicherheit und Schutz der Sowjetunion zu verbinden und gleichzeitig die Volksfrontbewegung in der deutschen Emigration im Interesse der innerdeutschen Sammlung der Opposition zu retten und zu konsolidieren. Ob die Briefe von Erich Birkenhauer an Münzenberg und von Victor Schiff, über Münzenberg, an Dimitroff bereits in Moskau eingetroffen waren und ob sie eine Rolle in der Entscheidungsfindung spielten, muß hier offen bleiben. Beide Briefschreiber Birkenhauer am 7. März, Schiff auf jeden Fall noch berichteten über das Fiasko der ersten Sitzung der Programmvor dem 9. März kommission des Volksfrontausschusses am 6. März, das Philipp Dengel heraufbeschworen hatte, als er brüsk die Linie Ulbrichts vertrat und damit das bis dahin an Einigung Erreichte sowie die ganze weitere Zusammenarbeit im Volksfrontausschuß in Frage stellte (ich komme darauf später ausführlicher zurück). Victor Schiff wies Dimitroff, nach den Worten von Georg Bernhard, »auf die große Gefahr hin [...], die für die Sowjetaußenpolitik, namentlich jetzt in Anbetracht des Hiderschen Verhaltens, durch eine so verantwortungslose Schwenkung der Komintern sich ergeben würde«.180 Dengeis eigener Bericht an das Politbüro vom 10. März ging laut Stempel erst am 27. des Monats in Moskau ein.181 Das Ergebnis der Beratungen vom 14. und 15. März legte das Sekretariat des EKKI am 17. des Monats in einer Resolution nieder. Obgleich darin festgeschrieben wurde, daß die KPD das Schwergewicht der Losungen und Aktionen auf Innerdeutschland und auf die Einheitsfront mit den Sozialdemokraten legen müsse, bestätigte sie im ganzen die Linie, wie sie mit den Veröffentlichungen von »Manifest« und besonders »Kundgebung« der Lutetia-Konferenz

war, zur



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179 Vgl. aufgrund zugänglich gewordener Quellen: Süvio Pons, »The Comintern and the Issue of War in the 1930s: the Debate in March-April 1936«, in: Mikhail Narinsky/ Jürgen Rojahn (Hrsg.), Centre and Periphery. The History of the Comintern in the Light of New Documents, Amsterdam 1996, S. 114—121; vgl. hierzu im vorliegenden Band das Kapitel A III. Paternoster Einheitsfront. 180 G Bernhard an H. Mann, 9. März 1936; dieser Brief, der vollständig, aber auch in mehr oder weniger ausführiichen Abschriften unter verschiedenen Beständen und Signaturen im SAPMO, aber auch z. B. als gekürzte As im KP(D)0-Material (Willy Korbmacher) von Arbejderbevœgelsens Bibliotek og Arkiv, Kopenhagen (ABA), liegt, wird uns noch mehrfach beschäftigen; Dimitroff ließ Münzenberg dem »Freund Schiff [für] seinen interessanten Brief« danken, ohne weiter darauf einzugehen, Münzenbergs Kommentar dazu: »Das wird ihn jetzt wurmen«, dürfte auf Schiff zielen, siehe SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl. 86: Münzenberg an »Liebe Freunde«, »(Nachtrag zu unserem Brief Nr. 124)«, 16. Mai 1936. 181 SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl. 60-61, siehe unten, S. 63 und Anm. 7 dort.

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A I. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

in der Rundschau (Basel) und durch Münzenberg in der ATZ verworden war. Der für die Arbeit an einer deutschen Volksfront, zumindest für den Fortbestand des Vorbereitenden Ausschusses in Paris wichtigste Punkt war, daß der KPD-Führung die Pflicht auferlegt wurde, eine »Plattform der Volksfront« auszuarbeiten und diese den Partnern als Diskussionsgrundlage zu unterbreiten. Bereits auf der »Brüsseler« Konferenz hatte Togliatti eine solche als die zweite von »vier Grundaufgaben« der KPD bezeichnet.182 Die Plattform sollte aktuelle Aufgaben und Perspektiven für die Zukunft kombinieren. Wörtlich bestimmte die Resolution: »Ausgehend von der Notwendigkeit, eine breite Front aller Hitlergegner herzustellen, muß die Partei erklären, daß wir Kommunisten, die für die Sowjetmacht sind, bereit sind, mit allen Kräften, die gegen Hitler sind, für ein demokratisches Deutschland zu kämpfen, in dem das deutsche Volk selbst über das Regime entscheiden wird. Wir sind bereit, mit allen Hitlergegnern in diesem Sinne Abkommen zu treffen und ernsthaft für diese einzutreten. Die Partei muß in diesem Sinne die Initiative auf sich nehmen, einen Entwurf einer Plattform der Volksfront gegen Faschismus und Krieg vorzuschlagen. Der Ausgangspunkt dieser Plattform muß die Kriegsgefahr sein. In Verbindung mit einer klaren Perspektive dieser Plattform zum Sturze Hitlers und des Eintretens für ein demokratisches Deutschland müssen in ihr auch die aktuellsten Forderungen der Arbeiter und der verschiedenen Schichten der Werktätigen (sowie Kulturforderungen, Jugendfragen, Kirche usw.) enthalten sein.«183 Dieses Resultat der Beratungen der EKKI-Kommission wurde erst am 15. Mai an die KPD-Auslandsleitung in Paris abgeschickt. Es geht ohnehin strikt genommen über die in diesem Kapitel thematisierten Aktionen und Re-Aktionen nach der Lutetia-Konferenz vom 2. Februar hinaus. Doch seine unmittelbar nach Rückkehr der drei deutschen Kommunisten aus Moskau sichtbaren Auswirkungen gehören hier wieder hinein. Ulbricht, der sich in seinem Memorandum fürs EKKI noch darauf versteift hatte, daß das Politbüro im November 1935 nun einmal die Direktive ausgegeben habe, daß kein Programm ausgearbeitet werden dürfe, »weil dadurch nur

in

L'Humanité,

treten

Siehe Ercoli, in: Lewin/Reuter/Weber, Protokoll der »Brüsseler Konferenz«, Bd. 2, hier S. 631. 183 Zitiert nach Ernst DiehL »Die Kommunistische Internationale und die deutsche Arbeiterbewegung«, in: Einheit. Zeitschriftfür Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, Jg. 24 (1969), S. 978-990, hier S. 988; vgl., auch zum folgenden, SAPMO, Ny 4036/558, Bl. 26-27: »Sinngemäße Wiedergabe der Resolution vom 17. 3. 1936 [...]«; zu Dimitroffs Anteil an der Resolution vgl. Pech, »Die gesellschaftliche Situation in Frankreich und die Bedingungen für die antifaschistischen Emigranten«, in: Schiller u. a., Exil in Frankreich, S. 19-123, hier S.96f. 182

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Die Kommunisten

die Pariser Beratungen auseinandergeredet werden und abgelenkt wird von den nächsten Aktionsaufgaben«184, mußte klein beigeben. Kurz nach der mit einem Plebiszit zur Rheinlandbesetzung kombinierten Reichstagswahl vom 29. März verabschiedete das Politbüro der KPD eine Erklärung, in der erstmals offiziell die Lutetia-Konferenz vom 2. Februar und die »Kundgebung«, »Erklärung« genannt, positiv, als »ein erster Schritt«, bewertet wurden; sie »zeigen die Möglichkeiten für die Bildung einer breiten AntihiderFront«, hieß es.185 Getreu den Anregungen der EKKI-Resolution wurde die Forderung nach einem unmittelbaren Aktionsprogramm mit der Frage verbunden, was nach Hider in Deutschland sein solle. Neben der Beteuerung, »für ein demokratisches Deutschland zu kämpfen, in dem das Volk selbst über das Regime entscheiden wird«, steht das Bekenntnis: »Die KPD betrachtet die Wiederherstellung bürgerlich-demokratischer Rechte als einen bedeutenden Fortschritt, obwohl sie weitergehende Ziele erstrebt.« Die weitergehenden Ziele benannte Dahlem gleichzeitig in der ein breiteres Publikum ansprechenden Neuen Weltbühne: »sozialistisch« sollte die »Räterepublik« sein.186 Dahlem war auch der erste aus dem Politbüro, der öffentlich von der »Pariser Volksfrontkonferenz vom 2. Februar« und von der »Kommission von Sacharbeitern zur Ausarbeitung eines Volksfrontprogramms« sprach. Am 5. April endlich brachte die Deutsche Volks-Zeitung, die Nachfolgerin des GegenAngriffs, wenigstens auszugsweise den Text der »Kundgebung«, und Chefredakteur Lex Ende sprach die Hoffnung aus, daß ein Volksfrontprogramm bald zustande kommen möge.187 Die »Reichsausgabe« der Roten Fahne, die damals eine Auflagenhöhe von etwa 30.000 Exemplaren gehabt haben soll, zeigte das Spektrum des Volksfrontbündnisses auf, als sie in ihrer April-Ausgabe Auszüge aus der »Kundgebung« einbettete in Textproben aus der Sozialistischen Aktion, aus einem gemeinsamen »Mai-Aufruf« einer illegalen SPD- und KPD-Leitung (vermutlich in Berlin), aus der Politbüro-Erklärung von Ende März, aus einer den

PA ULA: Memo Ulbricht, aus Punkt 2. »Nach Hiders Wahlbetrug. Erklärung des Politbüros der KPD für den Zusammenschluß aller antihitlerischen Kräfte«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 15, 2. April, S. 609f., auch für folgendes. 186 Franz Pahlem], »Deutsche Volksfront«, in: NWB, 1936, Nr. 14, 2. April, S. 428ff, auch für folgendes; auf dem üblichen weißen Klebezettel auf der Titelseite ist der Artikel überschrieben: »Demokratie im IV. Reich« offenbar eine Anspielung auf die Verfassungsentwürfe von Bernhard und Schwarzschild. 187 Siehe DVZ, 1936, Nr. 3, 5. April, Titelseite: Lex Breuer, »Volksfront aller Hidergegner«; S. 3: xbr. [d.i. Lex Breuer], »Vom Einheitspakt zur Volksfront«, darunter: »Das spanische Beispiel« und »Die französischen Lehren«; ebd., »Ein erster Schritt« (Auszug aus der Lutetia-»Erklärung«, mit Kommentar); ebd.: »Den Worten folge die Tat« (Zitate aus sozialdemokratischen Verlautbarungen). 184 185

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AI. Nach der Lutetia-Konferenz. Aktionen und Re-Aktionen

Mittelstand betreffenden Reminiszenz an das »Brüsseler Manifest« der KPD und aus einer Rede von Dimitroff.188 Bis Ende März/Anfang April 1936 hatte sich die KPD-Führung also auf eine Linie geeinigt, bei der sie sich zwar auf die »Brüsseler« Konferenz berief, aber inhaltlich von ihr entfernte. Die Konzeption der Volksfront war nun viel mehr über den westlichen bürgerlich-demokratischen Leisten geschlagen. Koenen und Münzenberg hatten sie schon einmal, Dimitroff interpretierend, dargelegt. Das war auf der Lutetia-Versammlung vom 26. September 1935 gewesen.189 Die Sowjetdemokratie, die »Diktatur des Proletariats«, war nunmehr lediglich das Endziel, das darüber hinaus von der Wahlentscheidung des Volkes abhängen sollte. Sie war nicht mehr das mit dem Sturz des NS-Regimes direkt verbundene Nahziel, das nur im Notfalle zugunsten einer eventuellen Regierung der Einheitsfront oder der Volksfront, die dann jedoch die proletarische Revolution vorzubereiten hatte, zurückzustellen war. Das Politbüro orientierte jetzt geschlossen im Sinne der EKKI-Resolution auf ein »demokratisches Deutschland«, d. h. auf eine parlamentarische Demokratie als dem Freiraum für weitergehende politische und gesellschaftliche Umwälzungen, im Wettbewerb mit anderen Parteien. Mit der Gruppe Neuer Weg, die sich Anfang 1937 aus Opposition unter anderem zum »bürgerlichen« Volksfron tkurs von der Mehrheit der AZ der SAP abspaltete, läßt sich auch heute sagen, daß die mit der Volksfront verbundene Politik der Klassenzusammenarbeit der KPD im »März 1936« begonnen hat.190 Mit Sywottek ist jedoch auch festzustellen, daß namentlich Ulbricht in der Folgezeit verschiedentlich auf den taktischen Charakter dieser Politik, als einem notwendigen Mittel zur endlichen Durchsetzung der Klassenpolitik der KPD, hingewiesen hat.191

Nr. 3, [April]: »Seid einig, einig, einig gegen den gemeinsamen Feind vgl. Jürgen Stroech, Die illegale Presse. Eine Waffe im Kampf gegen den deutschen Faschismus. Ein Beitrag zur Geschichte und Bibliographie der illegalen antifaschistischen Presse 1933-1939, Leipzig 1979, S. 139. 189 Siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 180ff.; PA ULA: Dahlem an ULA, 10. August 188

RJ7; 193(¡;

Hitler!«;

1981. w S. [Walter Stahl, d.i. Walter Fabian], »Über die >deutsche Volksfront«*, in: Neuer Weg, 1937, Nr. 2, Mitte Mai, S. 2-5, hier bes. S. 3. 191 Vgl. Sywottek, Volksdemokratie, S. 64; Sywotteks Vermutung, daß »die Entscheidung der KPD, sich offiziell an den Pariser [Volksfront-]Gesprächen zu beteiligen«, auf die Politbüro-Sitzung von Ende März zu datieren ist, ist inzwischen falsifiziert worden siehe »Wilhelm Pieck 1936 in Paris. Aus handschriftlichen Aufzeichnungen über seinen Aufenthalt«, dokumentiert und eingeleitet von Dorit Aue und Gerhard Nitzsche, in: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung (BzÇ), Jg. 20 (1978) (im folgenden zit.: Pieck, in: BzG, Jg. 20 [1978]), S. 868-875, hier S. 871, rechte Spalte. 190



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Resümee der Re-Aktionen

Resümee der Re-Aktionen Die durch Kompromisse zustande gekommene organisatorische und programmatische Einigung der am 2. Februar 1936 im Pariser Hotel Lutetia versammelten deutschen Emigranten ließ die Gräben zwischen den politischen und weltanschaulichen Gruppierungen schärfer als zuvor hervortreten. Die Reaktionen auf Verlauf und Ergebnisse der Konferenz zeigen aber auch die Risse innerhalb der Parteien und Gruppen; positive oder negative Einschätzungen gehen quer durch sie hindurch. Rekapitulieren wir kurz den Zustand der Organisationen und Grup-

pierungen.

Bei der KPD lassen sich mindestens zwei strategische Konzeptionen erkennen. bezug auf die Taktik gegenüber Nichtkommunisten ist die Partei seit den gescheiterten Verhandlungen von Ulbricht und Dahlem mit Vertretern des PV der SPD im November 1935 zerstritten. Das EKKI vermag erst im März 1936 wieder als Korrektiv und Autorität zu wirken. Die SPD ist tief gespalten. Die einheitswilligen Sozialdemokraten gewinnen zwar etwas Terrain, selbst innerhalb der Sopade; demgegenüber versteift sich aber eine in sich auch nicht einige Front von Nein-Sagern. Die Gruppe Neu Beginnen ist organisatorisch vornehmlich mit sich selbst, politisch in erster Linie mit der Frage beschäftigt, wie sie die Sozialdemokratie am besten revolutionierend erobern und von daher die gesamte Arbeiterbewegung neu gestalten könne. Die RS machen im Lutetia-Kreis mit, sind aber infolge kommunistischer Infiltration (Letnaheim) geschwächt, mißtrauisch gegenüber der KPD, in Opposition zur Sopade und in Konkurrenz zu den anderen Gruppen der Sozialdemokratie. Die Freidenkergruppe um Sievers (SIKO-Gruppe) fährt einen eigenartigen Kurs zwischen proletarischer und nationaler Revolution. Die AZ der SAP in Paris handelt entgegen den Erfahrungen und Vorstellungen von Parteimitgliedern in anderen Emigrationszentren und an den Reichsgrenzen. Der ISK ist zwar dem Aktionsausschuß für Freiheit in Deutschland verbunden, vom Lutetia-Comité aber nicht gefragt. KP(D)0 und IKD verschanzen sich auf Positionen der Ablehnung, die in erster Linie auf ihrer Opposition gegen KPD und Komintern gründen, ebenso tun es auf der anderen Seite des Spektrums die diversen Befürworter eines »Volkssozialismus« bzw. eines »nationalen« Sozialismus. Im »katholischen« Lager sind sehr heterogene Anschauungen vertreten: liberale, sozialethische, konservative, dogmatisch und hierarchisch orientierte. Am homogensten erscheint die überaus lose Gruppierung der bürgerlichen Demokraten. Die Reaktionen auf Verlauf und Ergebnisse der Lutetia-Konferenz lassen sich wie folgt schematisieren: 1. Der auch in ausländischen Kreisen wahrzunehmenden Erleichterung darüber, daß die heterogenen Kräfte der deutschen Emigration sich endlich wenigstens teilweise geeinigt hatten, um geschlossen gegen den Nationalsozialismus und seine Herrschaft aufzutreten und um weitere Gruppen und Schichten zu In

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einer Volksfront zu sammeln, standen Skepsis angesichts des Pariser Gebildes und gar radikale Ablehnung der ganzen Volksfrontbewegung gegenüber. Die Skepsis oder der Vorwurf mangelnder taktischer Einsicht im Hinblick auf Innerdeutschland und NS-Propaganda nährte sich aus verschiedenen Beobachtungen und Vorurteilen: relativ viele jüdische Intellektuelle seien in Lutetia-Kreis und -Comité bzw. Engerem Ausschuß prominent vertreten eine Meinung, die selbst der Sozialdemokrat jüdischer Herkunft Herbert Weichmann teilte; die offene Zusammenarbeit von Sozial- und bürgerlichen Demokraten mit den Kommunisten, die sich bisher als Feinde der Demokratie westlicher Prägung erwiesen hatten, leiste dem »Bolschewistenschreck« Vorschub; die bürgerliche Opposition sei gänzlich unorganisiert, und die Sozialdemokraten handelten in Opposition zu ihrem Parteivorstand.192 2. Auf ideologischer Ebene bestimmte auch die Einschätzung des »Liberalismus« Befürwortung, Tolerierung oder Verdammung einer Zusammenarbeit mit Kommunisten oder umgekehrt: die von Kommunisten/Sozialisten mit Sozialdemokraten, Bürgerlichen und »Katholiken« gegen den Nationalsozialismus. 3. Konstituierung und Aufgabenstellung des Engeren Ausschusses in Paris verstärkten die Frage, wie eine Volksfront innerhalb Deutschlands organisiert werden könnte. Ausländische Beobachter legten am nachdrücklichsten den Finger auf wunde Stellen. Der Schweizer Sozialdemokrat und Redakteur von Der Freie Aargauer, Arthur Schmidt, hatte schon nach der Sitzung des Lutetia-Kreises vom 22. November 1935 freilich auch zur Warnung an die Eidgenossen die banale Wahrheit niedergeschrieben: »Wenn man die antifaschistische Front im Exil und unter Emigrantengruppen aufrichtet, dann ist der Kampf gegen den Faschismus im eigenen Lande bereits verloren.«193 Noch deutlicher wurde der Pole Kazimir Smogorzewski nach der Lutetia-Konferenz vom 2. Februar 1936. Zusammengefaßt lauteten seine Argumente:194 Die Emigranten sind die »aktivsten Anhänger der Volksfront/«, sie geben sich aber einem Wunschdenken hin; -

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192 Vgl. z. B. folgende, die obige Darstellung ergänzenden Dokumente: BA/B, 2290/8, Bl. 75—76: Klepper an Münzenberg, 28. Dezember 1935; ebd., Bl. 78: Spiecker an Klepper, 27. Januar 1936; ebd., Bl. 79: Klepper an Spiecker, 14. Februar 1936 (u. a. über Weichmann); LA Berlin, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 2: Memo [von Grzesinski] »Versuche zur Schaffung einer Anti-Hider-Front deutscher Emigranten. Vorbereitungen für die Zeit nach Hitler in Deutschland.«, handschr. datiert: »14. 12. 35«, 6 S. Ds; ebd.: Grzesinski an Otto Braun, 28. Januar 1936. 193 Zitiert nach: A1Z, 1935, Nr. 49, 5. Dezember. 194 Kazimir Smogorzewski, »Das Schreckbild der Volks frontverbandPotemkinschen Dorfes< am Rhein gegenüber dem Ausland aufrechtzuerhalten.14 Den doppelten Vertragsbruch (Versailles 1919 und Locarno 1925) begründete er —wie angekündigt mit der Ratifizierung des französisch-sowjetischen Beistandspakts,15 aber auch mit der innenpolitischen, d.h. der Volksfront-Entwicklung in Frankreich.16 In einem Atemzug plädierte er für deutsch-französische Verständigung und bekräftigte er den Willen des Nationalsozialismus, Europa gegen den »Bolschewismus« zu verteidigen; sprach er vom »Schrei des deutschen Volkes nach Brot und Raum« und verlas er ein für die Signatarmächte des Locarno-Pakts17 bestimmtes señen



12 Vgl. Freiheit-Korrespondenz, 1936> Nr- 16> u- Februar, S. 1-2; Nr. 20, 3. März, S. 7-8 beide Artikel anonym; Sonder-Nr. 8, 11. März 1936, S. 1-2: Rudolf Breitscheid, »Rettet den Frieden«; ders. in Artikeln in: ZfS, 1936, Nr. 28, Januar, S. 889-896, ^17Z, 1936, Nr. 6, 6. Februar, D7, 1936, Nr. 1, 9. März alle nachgedruckt in: Rudolf Breitscheid, Antifaschistische Beiträge 1933—1939, ausgewählt und eingel. von Dieter Lange, Frankfurt/M. 1977, S. 74-82, 83-85, 90-92; Friedrich Stampfer, in: Deutscher Kurierdienst, 1936, Nr. 26, 26. Februar, S. lfi; NTB, 1936, H. 3, 18. Januar, S. 51-52; Manfred Funke, »7. März 1936. Fallstudie zum außenpolitischen Führungsstil Hiders«, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Nationalsozialistische Außenpolitik, Darmstadt 1978, S. 211—VIA. 13 Ausführlichere Belege in den folgenden Abschnitten, hier nur: Heinrich Brüning: und 1934—1945, Briefe Gespräche hrsg. von Ciaire Nix, Stuttgart 1974, S. 13; Leopold Schwarzschild in: NTB, 1936, H. 11, 14. März, S. 251-256; »Deutsch-russische Fakten«, in: ebd., S. 246-248; Le Populaire, 8. März 1936: Leitartikel von Paul Faute; L'Humanité, 8. März 1936, Titelseite: »La Paix en Danger!«, und 9. März 1936, S. 3: »Après la violation de Locarno. La menace hidérienne contre l'URSS et la paix«. 14 Nur ein kleines Wehrmachtkontingent war ins Rheinland einmarschiert; das Dritte Reich war noch nicht gerüstet für eine kriegerische Auseinandersetzung, es hätte sich zurückziehen müssen, wenn die Westmächte, insbesondere Frankreich, militärisch reagiert hätten; die Kräfte für die Verstärkung des Westwalls wurden aus dem Heer der langjährig Arbeitslosen rekrutiert. 15 Die französische Kammer hatte am 28. Februar mit 353:164 Stimmen den Pakt ratifiziert, der Senat folgte erst am 12. März, mit 226:48 Stimmen. 16 Siehe auch zu folgenden Zitaten: »Rede und Memorandum Hitlers«, in: Völkischer Beobachter, Ausgabe A/Berliner Ausgabe, 7. März 1936; vgl. »Nationalsozialismus oder Bolschewismus? Aufbau oder Zerstörung?«, in: ebd., 19. März 1936. 17 Außer den direkt beteiligten Deutschland, Frankreich und Belgien waren das England und Italien als Garanten. Zur Ergänzung hatte Deutschland Schiedsverträge mit Frank-

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98

Die

Rheinlandbesetzung

Memorandum mit weiteren Bedingungen »zur Wiederhersteüung des europäischen Gleichgewichts«; schüeßüch kündigte er für den 29. März 1936 Neuwahlen zum

Reichstag an. Die poütischen Emigranten ahnten sofort, daß die Wahlen mit einem Plebiszit

verbunden werden würden. Als Goebbels am 10. März in einer Rede verkündete, der Wahlkampf werde zum »Zeichen der Volksverbundenheit« des Nationalsoziaüsmus unter der Losung »Freiheit, Frieden, Ehre« gegen die »westlichen Demokratien« und gegen die »Emigranten« und ihre alten Parteien geführt,18 fühlten sie sich ausnahmslos in ihrer Einschätzung bestätigt, daß die NS-Regierung innenpoütisch verschärft gegen die Arbeiterschaft und die Opposition vorgehen werde und daß sie es außenpolitisch auf die Isoüerung Frankreichs, die Eroberung der Sowjetunion und letztüch auf die Unterwerfung ganz Europas abgesehen habe. Alle Voraussetzungen für eine nationale und eine internationale Einheitsfront, für eine Volksfront und für das von nicht wenigen erträumte Staatenbündnis zwischen der Sowjetunion, Frankreich und England ein Bündnis, das die deutsche Opposition als Partner anerkennen würde schienen gegeben zu sein.19 -



1.

Bündnisbemühungen in der deutschen Emigration

KPD und SPD Die KPD tat den ersten Schritt. Am 10. März schlug Paul Merker im Namen des ZK dem PV der SPD in Prag schriftlich »eine Aussprache über evd. gemeinsam zu treffende Maßnahmen« vor. Dem Überbringer des Briefes wurde jedoch, auf Druck von Wels und gegen den Wülen selbst von Stampfer, mündüch eine ablehnende Stellungnahme erteüt.20 Stampfer hatte Ende Februar den koüektiven Beitritt der Sopade zum Rassemblement Universel pour la Paix (RUP) abgelehnt, für sich persönüch aber Teilnahme an der weltweiten Friedensbewegung zugesagt und auch schon einen Friedensplan entworfen.21 Aus seiner Feder stammte wohl a.

reich, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei geschlossen und die Verteidigungsbündnisse Frankreichs mit Polen (1921) und der Tschechoslowakei (1924) anerkannt. 18 Völkischer Beobachter, Ausgabe A/Berüner Ausgabe, 11. März 1936, S. 1. 19 Alle genannten Gesichtspunkte sind, mehr oder weniger expüzit, in den meisten Steüungnahmen der deutschen Emigranten gleichzeitig anzutreffen, vgl. zwischen dem 8. März und Anfang April 1936: NV, Deutschlandberichte der Sopade, Deutscher Kurierdienst, Zß, Rundschau (Basel), GA bzw. DVZ, Die Internationale, SW, NF, NWB, DI. 20 AdsD, Emigration Sopade, AussteUungsmaterial: ZK der KPD, i. A. Wald [d. i. Paul Merker], an Parteivorstand der SPD, 10. März 1936 (Zitat); IISG, NL Hertz, S. 19, XVII: Hertz an Hüferding, 13. März 1936. 21 Vgl. AdsD, Emigration Sopade, 89: Général Pouderoux im Namen des RUP an Stampfer, 14. Februar 1936; Stampfer, Mit dem Gesicht, Dok. Nr. 22 und 23; IISG, NL 99

A III. Paternoster Einheitsfront

auch die Erklärung des PV der SPD zur Rheinlandbesetzung, die am 15. März im Neuen Vorwärts erschien. Jedenfalls schickte er sie an Schiff in Paris, der sie von dem früheren Chefdolmetscher im Auswärtigen Amt, Hans Jacob, ins Französische übersetzen und durch Agence Havas an die Presse sowie über den Rundfunk verbreiten ließ.22 Mitte März stieß die KPD nach, diesmal an zwei >FrontenIswestija< zum französischen Friedensplan, Moskau, 10. Aprü«. 56 NV, 1936, Nr. 146, 29. März, S. 1: »Das Verbrechen an der Freiheit. Die engüsche Hufe für Hider«; ebd., 1936, Nr. 145, 22. März, Beüage S. 1-3: Karl Kautsky, »Das Spiel mit dem Feuer. Hiders jüngstes Pronunciamento«. 57 Zitiert nach: J. Haniel, in: NTB, 1936, H. 11, 14. März, S. 257ff. (siehe Anm. 53 die54

ses

Kapitels).

109

A III. Paternoster Einheitsfront

b. Sozialistische Arbeiter-Internationale und Internationaler Gewerkschaftsbund Die Frage von Sanktionen gegen Hitler-Deutschland war neben derjenigen, wie ein Krieg verhindert werden könne, Gegenstand der Besprechungen zwischen der Exekutive der SAI und dem Ausschuß des IGB, die auf Wunsch der Labour Party und des Trades Union Congress (TUC) aus Anlaß der Tagung des Völkerbundsrates in London (14.-24. März) auf den 19. und 20. März ebenfalls nach London einberufen worden waren.58 Die englischen Delegierten führten für ihre heftige Ablehnung von Sanktionen politische und völkerrechtliche Argumente an, u. a., daß die Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages von keinem Staat eingehalten worden seien, und: eine genaue Prüfung könne eventuell ergeben, daß der französisch-russische Beistandspakt der erste Bruch des Locarno-Pakts gewesen sei. Sie bewiesen damit, was Evelyn Lend, Vertreterin der Gruppe Neu Beginnen in London, bereits zwei Jahre früher konstatiert hatte: »Aber es ist außerordentlich schwer für uns, die wir aus der deutschen Bewegung kommen, hier zu lernen, daß das Wort international in der Sprache auch der englischen Sozialisten, auch der Linken, immer nur bedeutet: Außenpolitik, eine Tatsache, die den meisten überhaupt nicht bewußt ist.«59 In der gemeinsamen »Resolution zur internationalen Lage nach dem Einmarsch der deutschen Truppen in die Rheinlandzone« erwogen SAI und IGB denn auch keine Sanktionen. Lediglich in allgemeinen Wendungen wurden die im Völkerbund vertretenen Staaten und dieser selbst als Friedensorganisation aufgefordert, energisch alle Aktionsmittel anzuwenden, um die »kollektive Sicherheit« zu verbessern, wozu die »Abschaffung der privaten Rüstungsindustrie und des privaten Waffenhandels« beitragen würden.60 Die Empfehlung, den franco-sowjetischen

58 Vertreten waren 25 Delegierte von 16 Parteien und jeweils 23 Delegierte von 9 nationalen Gewerkschaftszentralen und 15 internationalen Berufssekretariaten; Francisco Largo Caballero, der Generalsekretär der Unión General de Trabajadores (UGT), hatte sich »mit Rücksicht auf die eben stattfindende Konstituierung der Cortes« schriftlich entschuldigt siehe Internationale Information, 1936, Nr. 10, 20. März, S. 90f.; IISG, Archiv SAI, 461: Einladungsschreiben vom 12. März 1936 und Teilnehmerlisten; zum folgenden vgl. IISG, Archiv IFTU (International Federation of Trade Unions), Port. 23: »Minutes of the Joint IFTU LSI Conference held in London on the 19th and 20th March 1936« [d.i. ein vertrauliches, gerafftes Protokoll); AdsD, Emigration Sopade, 162: »18. III. 36 London, Transporthaus« (handschr. Mitschrift und Notizen von Otto Wels), 13 S.; JVF, 1936, Nr. 9, Anfang Mai, Beilage S. 2: »Die Londoner Sozialistenkonferenz im Spiegel der Selbstkritik« [d. i. Auszug aus dem Bericht von Heinrich Ehrlich, Vertreter des polnischen Bund, in der Warschauer Volkszeitung). 59 IISG, Neu Beginnen, 8: Evelyn Lend [d. i. Evelyn, ursprünglich: Lore Anderson, geb. Seligmann] an Tony Sender, 22. April 1934; einen Unterschied in den Denk- und politischen Sprachgewohnheiten der Länder im allgemeinen, besonders aber in Krisenzeiten stellte auch der Belgier Louis de Brouckère, Präsident der SAI, fest siehe »La Résolution de Londres«, in: Le Populaire, 1936, Nr. 4798, 1. April, S. If. 60 »An alle Arbeiter!«, in: Internationale Information, 1936, Nr. 10, 20. März, S. 88f. -

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110

Die

Rheinlandbesetzung

Pakt dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag vorzulegen, ging gewill ebenso auf das Konto der Vertreter der Labour Party, die Außenminister Anthony Eden mit seinem »Friedensplan« moraüsch unterstützen woüten, zurück wie die Brücke, die Hider in der Resolution damit gebaut wurde, daß ihm Friedenswüle nicht von vornherein abgesprochen wurde. »Ein Abkommen über die koüektive Sicherheit durch gegenseitige Hüfeleistung und durch Abrüstung« im Rahmen des Völkerbunds soüte Hider-Deutschland einschüeßen. Otto Wels enthielt sich deshalb bei der Resolution im Namen der SPD der Stimme; Hitler sei »ein Verbrecher und ein Schurke«, fügte er hinzu.61 Weitere sechs Partei- bzw. Gewerkschaftsdelegierte, darunter drei, die ebenfaüs aus antifaschistischen Exilorganisationen kamen, taten es Wels gleich; einer votierte gegen die Resolution.62 In einem Punkt hatten sich die Delegierten der kontinentalen Parteien und Gewerkschaften, wenn auch untereinander sonst nicht einig, gegen die Engländer durchsetzen können: Die Sowjetunion, die Hider aus seiner »aügemeinen Friedensregelung« ausschüeßen woüte, wurde ausdrücküch in die Resolution mit einbezogen. Der Menschewik Dan hatte in der Debatte sogar von der »Pflicht« gesprochen, die Sowjetunion zu verteidigen.63 Darüber hinaus wurden in der Endfassung der Resolution »alle Arbeiter« zur internationalen Soüdarität und zu Aktionen angespornt, die den Faschismus bekämpfen, den Sieg des Soziaüsmus beschleunigen und auf diese Weise den Frieden zu sichern imstande seien. Das gemeinsame Antikriegs-Komitee von SAI und IGB wurde beauftragt, »die

61 »Minutes of the Joint IFTU LSI Conference ...« (siehe Anm. 58 dieses Kapitels), S. 5 (engüsch: »a criminal and a rogue«); Abdruck der SAI-IGB-Resolution in: NV, 1936, Nr. 146, 29. März, S. 2, unter dem scheinbar neutralen Titel »Die Poütik der Internationale. Die Londoner Konferenz gegen Hitlers Vertragsbruch«; vgl. aber ebd. den Leitartikel »Das Verbrechen an der Freiheit. Die engüsche Hufe für Hider«. 62 Für die Resolution stimmten 18 (11 Partei-, 7 Gewerkschaftsvertreter), dagegen: Ehrüch für den Bund, Enthaltungen: 1 (Wels [SPD], Otto Bauer [SPÖ], Pietro Nenni [PST], Theodor Dan [Menschewiken], Paul Graber [SP Schweiz] und die Gewerkschaftsvertreter von Itaüen und Norwegen, siehe »Minutes ...« (wie erste Referenz in Anm. 61); da jede Partei und Gewerkschaft nur eine Stimme hatte, kamen oppositioneüe Delegierte gegenüber der Mehrheit ihrer Genossen nicht zum Zuge, so war z. B. Jean Zyromski vom linken Flügel der SFIO ebenso gegen die Resolution wie einer seiner luxemburgischen Koüegen vgl. J[ean] L[onguet], »L'Internationale Ouvrière Sociaüste et la Fédération Syndicale Internationale ont dos leur session commune à Londres«, in: Le Populaire, 21. März 1936, S. 3; vgl. auch Otto Bauer, »Die Internationale und Hider-Deutschland«, in: Der Kampf, 1936, Nr. 4, Aprü, S. 133ff; die Berufs-Internationalen waren nur diskussions-, nicht aber abstimmungsberechtigt; die Auslandsvertretungen der deutschen und der österreichischen Gewerkschaften wurden erst später im Jahr 1936, auf der Generalversammlung des IGB in Amsterdam, als offizieüe Vertretungen anerkannt. 63 »Minutes of the Joint IFTU LSI Conference ...« (siehe Anm. 58 dieses Kapitels). -

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111

AIM. Paternoster Einheitsfront

Weiterentwicklung der internationalen Verhandlungen eigneten Maßnahmen zu treffen«.64

zu

verfolgen

und die ge-

Das Dritte Reich konnte über den Verlauf der SAI-IGB-Konferenz zufrieden sein.65 Hilferding, der Wels zu der Londoner Tagung begleitete, sah seine Skepsis bezüglich des beherrschenden Einflusses einer heutzutage als »integraler Pazifismus« bezeichneten Politik auf die SAI bestätigt. Schon vor der Konferenz hatte er bittere Kritik an der engüschen Regierung, vor allem aber an der nationalpazifistischen Labour Party geübt; hatte er die »Hauptschuld« an der durch die Rheinlandbesetzung entstandenen Kriegsgefahr den inaktiven Arbeiterparteien der demokratischen Staaten in der SAI angelastet und der SFIO vorgeworfen, daß sie »nach der Pfeife der Kommunisten tanzen [muß,] und die sind für Krieg zugunsten Rußlands«. Durch die Konferenz verstärkte sich seine Abneigung gegen die Labour Party, die der deutschen Emigration zu Unrecht, wie er in seiner Rede betonte pauschal vorwarf, den Krieg zu wollen. Der SFIO als Gesamtpartei konzedierte Hilferding dagegen, daß sie eine »Zwischenstellung« suche zwischen den um jeden Preis zu Verhandlungen mit Hider bereiten Parteien und denjenigen, die wie die SPD Hitler weder als verhandlungsbereit noch verhandlungswürdig betrachteten.66 Sein Verständnis von Imperiaüsmus und, unausgesprochen, von Totalitarismus ließen Hilferding den Nationalsozialismus und die Folgen der Appeasement-Poiitik richtig beurteilen, jedoch die Intentionen der Sowjetunion ebenso wie das Verhältnis der SFIO zum Sowjetstaat und die Haltung des PCF zum Krieg falsch einschätzen.67 -

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64 Vgl. Internationale Information, 1936, Nr. 10, 20. März, S. 88f; dem Redaktionskomihatten angehört: der Engländer Walter Citrine und der Belgier Louis de Brouckère als Präsidenten des IGB bzw. der SAI, Hugh Dalton (LP), Vincent Auriol (SFIO), Léon Jouhaux (CGT) und Walter Schevenels, der Generalsekretärs des IGB siehe, auch zur Abänderung der Resolution, ebd., S. 90; die erste Fassung der Resolution in deutsch, englisch und französisch sowie Zusatzanträge und revidierte Fassung im IISG, Archiv SAI, 462; Le Populaire publizierte die Resolution am 22. März 1936 auf der Titelseite unter der Balkenüberschrift: »La Paix est indivisible«. 65 Siehe z. B. BA/K, R 43 11/1192a, fol. 1: Bericht der Deutschen Botschaft London, von Bismarck, 25. März 1936, der zu den Akten der Reichskanzlei kam. 66 IISG, NL Hertz: Hilferding an Hertz, 12. März 1936 (1. Zitat); Dr. Richard Kern [d.i. Hilferding], »Das braune Täuschungsmanöver. Was sind Hiders angebliche Friedensvorschläge wert?«, in: NV, 1936, Nr. 145, 22. März, Titelseite. 67 Zu SFIO und PCF vgl. Langkau-Alex, »Zu den Beziehungen [...] in Frankreich«, S. 190; Lefranc, Front populaire, S. 107ff, und Jean Bruhat, »Le parti communiste français face à l'hitlérisme de 1933 à 1936«, in: Centre National de la Recherche Scientifique (éd.), La France et l'Allemagne, 1932-1936, S. 191-211.

tee



112

Die

Rheinlandbesetzung

Die Komintern Das Präsidium des EKKI nahm zu der Resolution von SAI und IGB in Punkt 6 seines »Beschlusses zur Frage der Kriegsgefahr« vom 1. Aprü 1936 Steüung. Der Beschluß beruhte auf den Länder-Referaten für die KPD sprach Pieck -, die Dimitroff auf der Präsidiumssitzung vom 23. März, unter Kritik an den einzelnen Parteien und der Komintern-Führung, gefordert hatte. Vertreter der KP Frankreichs, jenes Landes, das am meisten betroffen war, hatten bereits Mitte März mit dem EKKI-Sekretariat die neue Situation und die auf innen- und außenpoütischem Gebiet einzuschlagende Strategie und Taktik besprochen. G. Dimitroff wollte, aufbauend auf den Sektionen und länderspezifisch, eine Plattform der Komintern für eine internationale (proletarische) Aktion gegen den Krieg ersteüen. Auf die Rheinlandbesetzung hinweisend hatte er postuüert, daß die SAI überhaupt keine eigene Plattform entwickeln könne, da die sozialdemokratischen Parteien der Bourgeosie ihrer Länder verbunden seien.68 Punkt 6 des »Beschlusses« vom 1. Aprü nun erklärte an die Adresse von SAI und IGB die »Bereitschaft [aüer Kommunisten ULA] zum gemeinsamen Kampf für die Forderung eures aügemeinen Paktes des gegenseitigen Beistandes und der Gewährleistung der Sicherheit unter Miteinbeziehung der Sowjetunion, für die Forderung des Abbaus der Rüstungen und für wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Kriegsbrandstifter«.69 In scharfen Worten wurde jedoch bemängelt, daß ihre Resolution unter dem Einfluß »des rechten reaktionären Flügels [...] die Frage der Notwendigkeit der beschleunigten Hersteüung der Aktionseinheit des Proletariats im Landes- und im internationalen Maßstab umginge« und »die Arbeitermassen nicht zu selbständigen Aktionen unter eigenen Losungen«, sondern ledigüch »zur Unterstützung der Völkerbundspoütik« aufriefe. Das EKKI forderte jetzt eine Kombination beider Formen. In erster Linie sollten die Arbeiterparteien auch die bürgerüche Bevölkerung und über sie die Regierungen zum Abschluß von Pakten gegen den (deutschen) Aggressor mobiüsieren, um so die koüektive Sicherheit auszuweiten und die Friedenspoütik des Völkerbunds zu stärken. Eines der Mittel dazu soüte »die energische Anwendung c.

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68 Vgl. »Georgi Dimitroff über die Einheits- und Volksfrontpoütik (1935-1937)«, eingeleitet und bearb. von Erwin Lewin, in: BzÇ, Jg. 14 (1972), S. 447ff., hier Dok. 4, S. 455ff; mögücherweise war W. Piecks Bericht das bereits zitierte, zuerst in: Pieck, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. V, S. 334f, veröffentlichte Manuskript »Einige Erfahrungen aus der Anwendung der Einheitsfronttaktik in Deutschland«. 69 »Beschluß des Präsidiums des EKKI zur Frage der Kriegsgefahr (1. April 1936)«, erstmals deutsch nach der Übersetzung aus dem Jahre 1936 veröffentlicht in: Einheit, Jg. 24 (1969), S. 517-526, (auch folgende) Zitate S. 522; vgl. »Ein neues Dokument der KI zum Friedenskampf. Beschluß des Präsidiums des EKKI zur Frage der Kriegsgefahr (1. April 1936)«, in: BzÇ, Jg. 11 (1969), S. 440-450, bearb. und eingeleitet von Horst Köpstein.

113

A III. Paternoster Einheitsfront

finanzieller und wirtschaftlicher Sanktionen (vollständige Kreditvetweigerung, Einstellung des Handels und der Rohstofflieferung)« sein.70 Voraussetzungen aber für den Erfolg von Sanktionen, so der »Beschluß« vom 1. April weiter, seien das Zustandekommen der proletarischen Einheitsfront, bei rücksichtsloser Bekämpfung der pazifistischen Politik und der Strömungen sowohl auf >rechtssozialdemokratischer< als auch auf >linkssozialdemokratischer< Seite, und die Bildung von Einheitsgewerkschaften nach dem Muster der CGT in Frankreich und der UGT in

Spanien.71 Damit ist eine

eventuelle, leise Kritik an der gerade durch einen Vertrag be-

siegelten Handelspolitik der Sowjetunion mit Hider-Deutschland abgeschwächt, kann die UdSSR entschuldigt werden. Mit der Verschränkung von Antikriegsund Sanktionspolitik, bei gleichzeitiger Kritik an der SAI, trat das EKKI-Präsidium den Auffassungen seines Mitglieds Marcel Cachin entgegen. Ebenso wie die KP Belgiens (Parti Communiste Belge [SBIC]) in ihrem Organ Le drapeau rouge vertrat Cachin als Direktor von L'Humanité die Auffassung der Mehrheit im PCF, daß der Frieden nur durch die hier nicht näher spezifizierte Aktionseinheit der nationalen und internationalen Organisationen der Arbeiterbewegung, durch den franco-sowjetischen Beistandspakt und durch das Verbot der »Faschisten« im eigenen Land verteidigt werden könne. Paul Nizan, der französische Redakteur von L'Humanité und Rundschau, hingegen befürwortete auch Sanktionen und wies in diesem Zusammenhang auf den englischen konservativen Politiker Winston Churchill hin, der die Effektivität eines Wirtschaftsboykotts gegen Deutschland ausgemalt hatte. Am 26. März zitierte das Komintern-Organ Rundschau zustimmend den »Appell« Heinrich Manns als einem »der Präsidenten des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus«, »an die Völker [...], ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und durch Massenstürme der öffentlichen Meinung zu verlangen, daß gegen Hitler [...] Sanktionen ergriffen werden«.72 -

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70 »Beschluß des Präsidiums des EKKI ...« (aus Punkt 10), in: Einheit, Jg. 24 (1969), S. 524. 71 Siehe ebd., vor allem die Punkte 3, 5, 9 und 11. 72 Heinrich Mann, »Appell«, zit. nach: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 14, 26. März, S. 557, der Aufruf war zuvor u. d.T. »Rafft Euch auf!« mit H. Manns faksimilierter Unterschrift abgedruckt in: DVZ, 1936, Nr. 1, 22. März, Titelseite; zur ganzen vorigen Passage vgl. die Leitartikel von Cachin und anderen französischen Kommunisten sowie die abgedruckten Appelle an die SFIO in L'Humanité ab dem 9. März 1936; Paul Nizan, »On peut appliquer des sanctions à l'Allemagne«, in: ebd., 12. März 1936, Titelseite; die insgesamt pazifistische Haltung des PCF wird der Action française gleichgestellt und als der Stimmung der Volksmehrheit entsprechend charakterisiert im »Préface 1936«, in: Marcel Cachin, Carnets 19061947, sous la direction de Denis Peschankski, Bd. 4: 1935-1947, édition établie at annotée par Sophie Cœuré etc., Paris 1997, S. 313ff; vgl. auch Le drapeau rouge (ein Wochenblatt), 14. Marzal. April 1936, und NF, 1936, Nr. 9, Anfang Mai 1936, Beüage, S. 2: »Kommunistischer Nachklang«.

114

Die

Rheinlandbesetzung

Ein auf neuerer Aktenzugängüchkeit in Moskauer Archiven beruhender Artikel von Silvio Pons enthüllt die auf unterschiedüchen Einschätzungen beruhenden Konzeptionen innerhalb von EKKI und sowjetischer Regierung, hier namentlich Molotov und Litvinov, die sich in den Debatten bis zur »Beschluß«-Fassung niederschlugen: von antifaschistischer und nationaler Außenpoütik, von koüektiver Sicherheit, internationaler proletarischer Aktionseinheit und Streben nach Verständigung mit NS-Deutschland.73 Im ganzen ist der »Beschluß« des EKKI-Präsidiums eine die kommunistischen Parteien verpflichtende, in zwölf Punkten begründete Darlegung der Strategie und Taktik zur Verhinderung eines Krieges in Europa, nachdem bereits die Mandschurei durch Japan okkupiert und Abessinien durch das faschistische Itaüen überfaüen worden war. Das Eroberungsprogramm in Hiders Mein Kampf wurde ernstgenommen, und so hatten in der »Kampagne gegen den Krieg« »die kommunistischen Parteien die werktätigen Massen aufzurufen z>tm energischen Kampf gegen die Hitlerregierung den Kriegsbrandstifter in Europa -, zur allseitigen Unterstützung des um seine Befreiung kämpfenden deutschen Volkes«.1* Die Aufforderung an die kommunistischen Parteien in den nichtfaschistischen Staaten, die Landesverteidigung um der nationalen Unabhängigkeit und um der Freiheit willen zu fördern, ist als Fortsetzung des Staünschen Zusatzes zum Protokoü des russisch-französischen Beistandspakts zu werten. Auf der Linie des von Staun in seinem Interview mit Roy Howard bekundeten Verzichts auf den Export der bolschewistischen Revolution üegt die Erklärung des EKKI-Präsidiums, daß die Kommunisten sich bei »einer unmittelbaren Bedrohung durch den faschistischen Aggressor für die Bildung einer Volksfrontregierung einsetzen« werden, um die »Verteidigungsfähigkeit des Volkes« zu steigern.75 Dies ist eine Abkehr von der Forderung, wie sie noch in der Resolution des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale im August 1935, die auch für diesen »Beschluß« als Richtschnur galt, aufgestellt worden war. Dort war auch für den Fall der Aggression einer faschistischen Macht gegen einen bürgerüch-demokratischen Staat die Umwandlung des »imperiaüstischen« Krieges in einen Bürgerkrieg gefordert worden.76 Das EKKI-Präsidium differenzierte -

73

Süvio

Pons, »The Comintern and the Issue of War

in the 1930s. The Debate in

March-April 1936«, in: Mikhaü Narinsky/Jürgen Rojahn (Hrsg.), Centre and Periphery. History of the Comintern in the Light of New Documents, Amsterdam 1996, S. 114—121. 74 Zitiert nach: Einheit,}^. 24 (1969), S. 517.

The

75

Ebd., S. 520 (aus Punkt 4, in dem unterschiedüche Taktiken für die verschiedenen Staaten empfohlen werden). 76 »Resolution zum Bericht von ErcoH (Palmiro Togüatti), angenommen am 20. August 1935«, in: VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale. Referate und Resolutionen, Berün 1975, hier S. 331; Karlheinz Tjaden, Struktur und Funktion der »KPD-Opposition« (KPO). Eine organisationssoziologische Untersuchung zur »Rechts«-Opposition im deutschen Kommunismus zur Zeit der Weimarer Republik, Meisenheim/Glan 1964, S. 334, schreibt die Abkehr bzw. Neu115

AIN. Paternoster Einheitsfront

zwischen Staaten. nun

»kapitalistisch-imperialistischen« und »imperialistisch-faschistischen«

Obgleich der »Beschluß« des EKKI-Präsidiums vom 1. April 1936, der auch als Reaktion auf den Ausgang der kombinierten Reichstagswahlen und Volksbefragung in NS-Deutschland zu werten ist, damals in keiner der westlichen Sprachen veröffentlicht worden ist, lassen sich doch Einflüsse in Lex Endes Artikel »Dreifache Kühnheit« in der Deutschen Volks-Zeitung erkennen. Er forderte, daß nach dem Beispiel und Muster Spaniens und Frankreichs eine deutsche Volksfront gebildet, die Einheit der Gewerkschaften verwirklicht und durch eine gemeinsame Kampagne von SAI und Komintern eine »internationale Friedensfront gegen Hitler«, die auch die deutsche Opposition in ihrem Kampf zum Sturz des Diktators unterstütze, geschaffen werden solle.77 3.

Enttäuschungen

und —

neue

Hoffnungen?

Die Appelle der deutschen Antifaschisten im Exil an die Weltöffentlichkeit wie an das eigene deutsche Volk, auf Hitlers Vertragsbruch energisch zu reagieren, waren ungehört verhallt. Staatsmännisch eher denn kampfbereit hatte sich schon frühzeitig das Comité de vigilance des intellectuels antifascistes gezeigt, als es in einer zehn Punkte umfassenden Erklärung militärische Aktionen, welcher Art auch immer verwarf, dagegen eine internationale Lösung auf Regierungsebene und den Wiedereintritt Deutschlands als gleichberechtigter Partner in den Völkerbund vorschlug.78 Enttäuschung bereitete auch oder mußte bereiten -, wie oben am Beispiel von nur einigen Stellungnahmen dargelegt wurde: die Haltung der Bruderund Schwesterparteien der Arbeiterbewegung, vor allem der Labour Party und —

konzeption irrtümlicherweise einem nicht vorhandenen Artikel von Dimitroff in Rund(Basel), 1936, Nr. 21, 7. Juni, zu, vgl. jedoch: G. Dimitroff, »Die Einheitsfront des Kampfes für den Frieden« [geschrieben »vor den französischen Wahlen und den letzten Ereignissen in Abessinien«], in: 7rechten< Flügel der SAI, die dem Vorschlag nicht von vornherein abgeneigt gewesen waren, wieder um, so daß die Resolution, an der Hilferding mitarbeitete, ein Kompromiß wurde. Das Problem der Friedenssicherung wurde von der Ebene der nationalen und internationalen Arbeiterorganisationen wieder einmal allein auf die Ebene der Regierungen verlagert. Die Regierungen sollten ihre »kurzsichtigen Sonderinteressen« aufgeben, den Völkerbundspakt entschlossen anwenden und nicht »vor vertragswidrig geschaffenen Tatsachen« kapitulieren; »insbesondere die weitgehende Koordination der Politik Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion« wurde als Bedingung für die »Verstärkung der Politik der kollektiven Sicherheit« bezeichnet.37 Zur Illustration von voluntaristischen und illusorischen Positionen in der Komintern sei hier zwischendurch auf die Sitzung des EKKI-Sekretariats zur französischen Frage vom 19. Mai hingewiesen. In seiner Rede regte Dimitroff an, PCF und SFIO sollten »versuchenfj hinsichtlich der internationalen Politik und der Politik der britischen Regierung Hitler gegenüber mit der Labour Party und den Trade Unions zusammenzugehen«, um »Massenstimmungen in England zu entfachen«. »Wenn es zweckmäßig ist, sollte eine Arbeiterdelegation oder eine Delegation der Volksfront nach London entsandt werden.«38 Am 14. Mai hatten Thorez und Cachin im Namen des PCF de Brouckère schriftlich gebeten, den Einfluß der Einheitsfront-gegnerischen Parteien Englands, Dänemarks, Hollands und Schwedens in der SAI zurückzudrängen, des weiteren, eine Unterredung

Siehe Otto Bauer, »Einheitsfront in der Weltpolitik!«, in: Der Kampf, 1935, Nr. 10, Oktober, S. 433ff; IISG, SAI, 466: Tagesordnung der Sitzung der Exekutive vom 16. bis 18. Mai 1936; vgl., auch zum folgenden: Internationale Information, 1936, Nr. 17, 23. Mai, S. 157ff; Bracke [d.i. A.M. Desrousseaux], »Contre la guerre, pour l'unité d'action internationale«, in: Le Populaire, 1936, 20. Mai; Wochenbrief (NB), 1936, Nachtrag zu Nr. 7, 25. Mai, auch für folgendes Zitat, und ebd., 1936, Nr. 8, 31. Mai. 36

Zitate aus: »Die Internationale zur weltpolitischen Lage. Resolution der Exekutive SAI«, in: Internationale Information, 1936, Nr. 17, 23. Mai, S. 156f.; die Resolution ist u.a. nachgedruckt in: NV, 1936, Nr. 155, 31. Mai; vgl. IISG, SAI, 471: Resolutionsentwürfe von Nenni, Hilferding und der Kommission; Auszüge aus Diskussionen und andere Ergebnisse, in: Franz Osterroth und Dieter Schuster, Chronik der deutschen Sozialdemokratie, Bd. 2, 2., erw. Aufl., Hannover 1975, S. 354f. 38 Siehe »Dimitroff Dokumente zur Politik der KI (1934—1936)«, hrsg. und eingeleitet von Erwin Lewin und Lidia Schewtschenko, in: BzG, Jg. 33 (1991), S. 212-234, hier Dok. 6, S. 225-230, Zitate S. 229f. 37

der

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Späte Antworten auf

die

Rheinlandprovokation

zwischen ihnen beiden als Vertretern der Komintern und ihm und Adler als Vertretern der SAI zuzugestehen.39 Die Auffassungen im Lager der soziaüstischen und kommunistischen deutschen Emigration gingen teüweise in beide Richtungen gleichzeitig. Die Feststellung in der SAI-Resolution, daß eine »Friedenspoütik [...] nur dann gewährleistet ist, wenn dahinter die unwiderstehüche Kraft einer umfassenden Volksbewegung« stehe, ferner der Appeü an die Welt »zu einer moraüschen und poütischen Offensive gegen Faschismus und Krieg, für Frieden und Freiheit« und schüeßüch die Forderung wirtschaftlicher Boykottmaßnahmen sowie das Einverständnis mit dem von der Soziaüstischen Sport-Internationale (SASI) verhängten Boykott der Olympischen Sommerspiele waren Verlautbarungen40 im Sinne der Emigranten. Diese sahen jedoch die Außenpoütik Englands als Störfaktor einer fruchtbaren Zusammenarbeit gegen das Dritte Reich und sie befürchteten, daß die Worte Makulatur bleiben würden. Schifrin, der den Brief an die Internationalen mit unterzeichnet hatte, griff in einer Nachbetrachtung zur Mai-Tagung der Exekutive der SAI den österreichisch-französischen Vorschlag auf und verband mit ihm ein Plädoyer für eine gemeinsame »aktive Außenpoütik« der exüierten deutschen Soziaüsten und Kommunisten. Sie müßten einen »Regionalpakt« mit den französischen Einheitsfrontparteien schüeßen und so die »internationale Arbeiterbewegung« stärken. Als Ziel schwebte ihm vor, »daß die soziaüstische Demokratie Frankreichs und die Sowjetunion zu internationalen Garanten der Einheit und der Zukunft des revolutionären Deutschlands werden«, eines Deutschlands des Soziaüsmus, das sich selbst »nach Europa zurückführen« könne.41 Das war praktisch auch eine Aufforderung an die Labour Party, sich einzuschalten. Die Deutsche Volks-Zeitung wies kritisch auf die Absurdität hin, daß die Parteien der SAI für sich selbst keine Konsequenzen aus der als notwendig erkannten Kooperation der drei Staaten zögen.42 Ulbricht woüte über internationale Verbindungen wieder Druck auf den Prager PV der SPD ausüben. Er schlug Pieck vor, den PCF dazu zu bewegen, seinen »Einfluß auf die Führung der Soziaüstischen Partei Frankreichs geltend [zu] machfen], um diese zur Beeinflussung des Prager Parteivorstandes zu veranlassen«.43 Das war noch weniger reaü-

Siehe IISG, SAI, 3045/1 (franz.) und 3045/2 (eng!). Siehe Internationale Information, 1936, Nr. 17, 23. Mai, S. 156f. 41 Alexander Schrifrin, »Bundesgenossen«, in: NWB, 1936, Nr. 23, 4. Juni, S. 722ff., Zitate S. 724, nachgedr. in: Dasfreie Deutschland Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek (DFD-MDFB), 1936, Nr. 13, 1. August, S. 15ff.; vgl. ders., »Einheit eine außenpoütische Notwendigkeit«, in: MDFB, 1936, Nr. 12, Mai, S. 37ff.; ders., unter Pseudonym Max Werner, »Neuer Quai d'Orsay«, in: NWB, 1936, Nr. 20, H.Juni, S. 618ff. 42 DVZ, 1936, 31. Mai: »Der Kampf des deutschen Volkes für den Frieden«. 43 Zitiert nach: Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, 2. Zusatzband, S. 57; L'Humanité und Le Populaire veröffentüchten beide die Resolution der Exekutive der SAI am 21. Mai 1936. 39 40



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133

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ist Kampf gegen

den Faschismus«

stisch als Schifrins Vision, da die SFIO und die Sopade, als Gesamtorganisation gesehen, in der Frage einer Zusammenarbeit mit Kommunisten total differierten. Auf dem VII. Ordentlichen Kongreß des IGB war die Frage der Einheitsfront Hauptthema. Der Kongreß fand in Anwesenheit von zwei Delegierten der Roten Gewerkschafts-Internationale (RGI) vom 8. bis 11. Juli 1936 in London Paul statt. Von den offiziellen deutschen Gewerkschafts- und Parteivertretern Gerhard seiner Wilhelm Fritz Tarnow und, aufgrund Sander, Hertz, Kreyssig, Funktion als geschäftsführender Vorsitzender der Auslandsvertretung der Deutschen Gewerkschaften (ADG), Heinrich Schliestedt als Delegationsleiter44 hätte allenfalls Hertz etwas über den Brief der Vertreter der Arbeiterparteien im Lutetia-Kreis an die Internationalen wissen können. Doch seine Verbindungen mit Breitscheid waren zu dem Zeitpunkt auf einem Tiefpunkt angelangt. Die von dem Norweger Olav Hindahl er war einer derjenigen, die im März der SAI-IGB-Resolution ihre Stimme enthalten hatten eingebrachte Resolution, Verhandlungen mit der Gewerkschaftszentrale der Sowjetunion und der RGI über »gewerkschaftliche Sammlung oder Zusammenarbeit« aufzunehmen,45 zeigt ebensowenig eine Spur des Briefes wie das Referat, das Léon Jouhaux, Generalsekretär der seit vier Monaten vereinigten Gewerkschaftsorganisation CGT in Frankreich, hielt über »Aktion gegen den Krieg, für die Abrüstung und gegen den Faschismus. Die Arbeiterbewegung und die Durchführung von Sanktionen«.46 Hindahls Resolution und Jouhaux' Referat waren vielmehr von der internationalen Lage und von den Einheits- und Volksfronterfolgen in Spanien und namentlich in Frankreich geprägt. In der Schlußresolution des IGB-Kongresses setzten sich die Vertreter u. a. von Norwegen, Frankreich, Spanien und Mexiko mit einer Kompromißformel gegen diejenigen durch, die die Gewerkschaftseinheit lediglich innerhalb des nicht—



-

-

Als Gäste waren von NB Richard Löwenthal und Paul Anderson anwesend, zwei ISK-Leute mit Pressekarten vertraten die Sozialistische Warte bzw. den Socialist Vanguard, vgl., auch für die Sicht der Emigranten, AdsD, IJB/ISK, 30: »Der VII. Kongreß des IGB, Anhang zum Vierteljahresbericht England, 2. Vierteljahr 1936«, London, 18. Juli 1936; Wochenbrief, 1936, Nr. 12, 5. August; Sozialistische Aktion, August 1936: »Kongreß des IGB«; IISG, Neu Beginnen, 46: Ernst [d.i. Löwenthal] an [AB-NB], 13. Juli 1936, und RSchr. Hauser [d.i. Paul Anderson], 24. Juli 1936, beide Briefe verschlüsselt, inhaltlich sich z. T. widersprechend; die Teilnahme von Hertz ist u. a. bezeugt von dem norwegischen Gewerkschafder Bjarne Braatoy, der damals bereits in London lebte und u. a. Übersetzerdienste für die Internationalen leistete, vgl. National Archives and Records Administration, Washington, DC (im folgenden: NARA), RG 226, Entry 100, GE-1497: Bjarne Braatoy, »Memorandum of Conversation with Paul Hertz«, New York, 30. April 1945. 45 Zitiert nach: Horst Bednarek, Die Gewerkschaftspo/itik der Kommunistischen Partei Deutschlands —fester Bestandteil ihres Kampfes um die antifaschistische Einheits- und Volksfront zum Sturze der Hitlerdiktatur und zur Vorbereitung des Krieges (1935 bis August 1939), Berlin 1969, S. 155, die kurze Darstellung des IGB-Kongresses dort auf S. 153-156 ist recht gut dokumentiert; vgl. ders., Zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung 1933—1945, Berlin 1966, S. 101-192. 46 IISG, IFTU, 56: Text der Rede Jouhaux' in deutsch und französisch; alle Materialien über den Kongreß ebd., Nr. 51-59. 44

134

Späte Antworten auf

die

Rheinlandprovokation

kommunistischen Lagers verwirklichen woüten. Sie schlössen die Gewerkschaftszentrale der UdSSR ausdrücklich in den Kreis der noch »außerhalb des IGB stehenden Landeszentralen« ein.47 Demgegenüber fiel die Resolution zum Bericht von Jouhaux zurückhaltender aus. Sie bekräftigte ohne nennenswerten Zusatz das SAI-IGB-Manifest vom März.48 Der Internationale Bergarbeiterverband unter dem französischen Präsidenten Pierre Vigne war aus anderem Holz geschnitzt als der IGB. Die Exekutive dieses Internationalen Berufssekretariats hatte auf ihrer Sitzung vom 10. Mai 1936 in Paris eine Entschüeßung angenommen, die inhaltlich klarer war und den deutschen Emigranten auch ohne deren Aufforderung die Perspektive bot, daß sie bei ihrem Versuch unterstützt würden, eine Einheits- und Volksfront zu schaffen und den Frieden zu erhalten. Es hieß in der Entschüeßung: »Die Sicherung des Friedens ist eine der Hauptaufgaben der internationalen Arbeiterklasse [...] Der Klassenkampf gegen den Faschismus ist das hervorragendste Mittel zur Verhinderung des vorbereitenden Weltgemetzels [...] Die Exekutive versichert die deutschen Kameraden ihrer uneingeschränkten Soüdarität und Unterstützung [...] Die Exekutive ersucht aüe angeschlossenen Bergarbeiter-Verbände, aber auch die nichtangeschlossenen Organisationen in der Welt, die Berufsinternationale in ihrem, den Kampf für den Frieden, gegen die faschistischen Kriegsprovokateure fördernden Soüdaritätswerk an den deutschen Kameraden zu unterstützen.«49 Nur vierzehn Tage später, am 24./25. Mai, gründeten deutsche Bergarbeiter in der Illegaütät und in der Emigration, darunter der Sozialdemokrat Franz Vogt (Vorsitzender) und der Kandidat des ZK der KPD Wühelm Knöchel, auf einer von Vigne präsidierten, von Jouhaux begrüßten Konferenz in Paris den Arbeitsausschuß freigewerkschafdicher Bergarbeiter Deutschlands.50

47 48

IISG, IFTU, 58. IISG, IFTU, 59: Documentatie-Bureau NW [d. i. Dokumentationsbüro Nederland-

sche Vereeniging van Vakvereenigingen], 30. Juü 1936 IlaL: »Vile Congres van het IW [d. i. Internationale Vereeniging van Vakvereenigingen, d. h. der IGB] (1)«; vgl. Osterroth/ Schuster, Chronik deutsche Sozialdemokratie, Bd. 2, S. 356f. 49 Zitiert nach: Dedev Peukert/Frank Bajohr, Spuren des Widerstands. Die Bergarbeiterbewegung im Dritten Reich und im Exil, München 1987, S. 114; die Resolution erschien damals u. a. in: Deutsche Gewerkschaftsinformationen, 1936, Nr. 3, Mai/Juni, und in: BergarbeiterMitteilungen, 1936, Nr. 1, Juü. 50 Siehe das ausführiich annotierte, aber gekürzte Gründungsprotokoü, verfaßt von Vogt und Knöchel, »Kongreß der deutschen Bergarbeiter, Pfingsten 1936«, in: Die Gewerkschaften im Widerstand und in der Emigration 1933-1945, bearb. von Siegfried Mielke und Matthias Frese (Queüen zur Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung im 20. Jahrhundert, Bd. 5), Frankfurt/M. 1999, S. 445—484; zu Gründung und Geschichte siehe ebd., passim (vgl. Register); vgl. auch Peukert/Bajohr, Spuren des Widerstands, Kap. V; siehe unten, S. 283ff. und 396ff. -

135

A IV.

»Kampf gegen

Die

den

Krieg ist Kampf gegen

den Faschismus«

Gruppe Neu Beginnen schaltet sich bedingt ein

erfolgreiche Entwicklung der Volksfrontbündnisse in Spanien und in FrankRheinlandbesetzung andererseits lösten zwischen den Emigrationszentren von Neu Beginnen eine neue Diskussion über die Strategie und Taktik der Arbeiterbewegung allgemein, der Gruppe im Spannungsfeld Die

reich einerseits und die

zwischen SPD und KPD im besonderen aus. In Paris setzte Ehrmann sein Ende Februar noch vages Vorhaben in die Tat um: Im Einvernehmen mit Breitscheid trat er im April dem Kreis der Vertreter der Arbeiterparteien bei, allerdings nicht für Neu Beginnen, sondern als Sozialdemokrat darauf hatte auch Münzenberg bestanden. Ausschlaggebend für den Schritt des kritischen Beobachters der französischen und der Exil-Szene war, daß ein mögliches Bündnis der Kräfte nicht zu einer bürgerlichen Bewegung verkommen sollte, darüber hinaus wollte er die Opposition gegen die Sopade verstärken. Seine Mithilfe »an der Aufstellung eines Aktionsprogramms« erschien Ehrmann geeignet, beide Ziele gleichzeitig zu ver-

folgen.51

Eine Zwischenbilanz der Analysen und Diskussionen zogen Mitglieder von Neu Beginnen und der Organisation Nahestehende am 4. Mai in Prag.52 Die anwesenden Grenzsekretäre stimmten darin überein, daß ein großer Teil der Arbeiter dem nationalistischen Trend erlegen, ein anderer Teil kommunistisch beeinflußt sei. Ehrmann referierte kritisch über seine eigenen politischen Erfahrungen und Kontakte im Exil. Im großen und ganzen fanden alle Teilnehmer ihre Einschätzungen in dem Memorandum wieder, das Frank als Grundlage der Besprechung ausgearbeitet hatte. Darin waren in internationaler Hinsicht die positiven Seiten der von ihm, Frank, an und in sich widerspruchsvoll gesehenen »Volks frontbildungen« als höher und als weittragender bewertet als die negativen: Die Bündnisse verbesserten »die gegebenen größten gegenwärtigen Chancen« für die Arbeiterklasse. Den Pariser Volksfrontversuch der Emigranten hielt er für vorläufig »liquidiert«, in der Perspektive aber sah er die Möglichkeit, Neu Beginnen als marxistisch-leninistischen Retter und Gestalter einer antifaschistisch-antikapitalistischen Volksfront gegenüber der KPD und der zersplitterten SPD zu profilieren. Der NB-Gruppe stellte Frank daher die Aufgabe, nüchtern und realistisch auf die »Arbeiterkonzentration« hinzuarbeiten, die »Einheits-

51 IISG, Neu Beginnen, 13: »Protokoll: vom 14. 5. 1936/NN Lore«, S. 14; daß er unBreitscheid 1936 aktiv war »in the existing Popular Front«, bestätigte Ehrmann im November 1940, siehe IISG, NL Hertz, S. 16, lb: »Sollmann-Protokolle: Investigating Committee Report, Sitzung vom 6. 11. 1940 im Columbia Faculty Club, New York City«, S. 307 des gesamten Reports; vgl. SAPMO, Ry 1, I 2/3/419, Bl. 75/76: Wagner [d.i. Münzenberg] an »Liebe Freunde«, 22. April 1936, hier Bl. 75; von späteren Ereignissen und Ressentiments überlagert sind demnach die Erinnerungen von Richard Löwenthal, Die Widerstandsgruppe »Neu Beginnen«, Berlin 1982, bes. S. 12. 52 Es nahmen teil: Franz Bögler, Heinrich Ehrmann, Karl Frank, Elsa Gronenberg, Anna Luise Jones, Erwin Schoettle, Helmut Wickel, und als Gäste Waldemar von Knoerigen und Paul Hertz, vgl., auch für folgendes, »Protokoll: vom 14. 5. 1936/NN Lore« (siehe vorige Anm.), die Namen der Teilnehmer sind dort verschlüsselt.

ter

136

Die

Gruppe Neu Beginnen schaltet sich bedingt ein

partei« von den Resten der Sozialdemokratie her vorzubereiten und »die Koordinierung der innerdeutschen Tätigkeit, vor aüem der gemeinsamen Hüfsarbeit, der Berichterstattung usw. gegen die Phrasenpoütik« zu fördern. Eine positive, wenn auch äußerst kritische Einschaltung in die Volksfrontbewegung sei daher unerläßüch.53 Auf der »Westkonferenz« von Neu Beginnen,

zu

der sich

am

14. und 15. Juni

London, Amsterdam, Antwerpen, St. Gauen und Paris in zusammenfanden, kristalüsierten sich noch weitere Motive dafür heraus,

Gruppenvertreter

aus

Paris auf Dauer nicht abseits stehen zu bleiben.54 Infolge von Verhaftungen55 waren die Verbindungen zwischen Exil und Widerstand und der ülegalen Kader untereinander problematisch geworden eine Erfahrung, die auch die anderen Parteien und Gruppen machten. Es erschien notwendig, die illegale Tätigkeit durch »wirklich organisatorfische] Einigung der Emi[gration] mit gemeinsamer Führung, gemeinsamer Leitung der Grenzsteüen« abzusichern. Darüber hinaus lockte die Aussicht, mit Hufe der Gelder der KPD sinnvoüe Arbeit in den Komitees leisten und gleichzeitig die Hinneigung vieler ülegaler Genossen zur KPD, die die Einigung und Einheit lauthals propagierte, auffangen zu können. Am aüerstärksten aber wog die Kriegsgefahr. Die »Volksfront«, auch eine deutsche, wurde auf der Westkonferenz vornehmlich unter diesem Aspekt diskutiert; der zweite Tagesordnungspunkt war spezieü diesem Thema gewidmet. Im Mittelpunkt der Debatten standen Fragen nach dem Charakter der Volksfront und nach der Strategie und Taktik, die im Faüe eines Krieges zu verfolgen sei. War die »Volksfront« nun als defensiv oder als offensiv, als bürgerüchdemokratisch oder als revolutionär-demokratisch einzustufen? Ließen sich Übergänge feststellen oder waren sie zumindest denk- und machbar? In der Argumentation für die eine oder die andere Auffassung wurde auch der Frage nachgegangen, welche Roüe die Komintern spiele und wie die neue Verfassung der Sowjetunion56 einzuschätzen sei. Übereinstimmend leiteten die Teilnehmer eine —

IISG, NL Hertz, S. 10, NB-L: Memo »1. Was ist die Volksfront?«, o. U., von Hertz handschr. versehen mit: »N.B. Mai 1936«, Zitate S. 3 und 5fi; vgl. »Volksfront und deutsche Arbeiterbewegung«, in: Nachrichten AB-NB, 1936, Nr. 4-5, April-Mai, S. l^t; siehe auch Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 16.2. 54 Siehe, auch für folgendes: IISG, Neu Beginnen, 55: »Protokoü Westkonferenz vom 14. und 15. 6. 36«, 11 S., Ds, Zitate S. 5; ebd.: »Leitsätze zur Kriegsfrage«, 13 S., offenbar von der Londoner Gruppe vorgelegt; anwesend waren: Löwenthal, Evelyn und Paul Anderson, Ehrmann, Lucie Krüger, Franz L. Carsten, Schoetde, Hans Jahn; zum Komplex Neu Beginnen und Einheitsfront/Volksfront vgl. Foitzik, Zwischen den Fronten, S. 135ff. 55 Im Frühjahr 1936 wurde u.a. das Berüner Mitgüed der Reichsleitung von NB, Werner Peuke (»Konrad«), verhaftet; zu weiteren Verhaftungen in Berün und anderen Städten im Frühjahr 1936 siehe die Berichte in: IISG, Neu Beginnen, 48; vgl. ebd., Neu Beginnen, 56: Wochenbrief, 1936, Nr. 10, 21. Juü, 1. Anlage: »Zur Lage der Arbeiterbewegung in Deutschland«; zu Peukes Kontakten zu Mitgüedern des ZK der KPD siehe u. a. Herbert Wehner, Zeugnis, hrsg. von Gerhard Jahn, Köln 1982, S. 160ff. 56 Den deutschsprachigen »Entwurf der Verfassung der Union der Soziaüstischen Sowjetrepubüken«, die am 25. November 1936 in Kraft treten soüte, veröffentlichte die Rundschau (Basel) in Nr. 28, 18. Juni 1936, S. 1094—1101 nach der Fassung in der Deutschen 33

137

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen den Faschismus«

Volksfrontbewegung vom Front populaire ab, schieden aber strikt die Möglichkeiten und die Aufgaben in der Emigration von denen in der Illegalität. deutsche

Die auch z. B. innerhalb der SAP lebhaft ausgetragene Diskussion über die Alternative: Burgfrieden mit der Bourgeoisie oder revolutionärer Kampf um die Macht im Staate, zwischen der es im Falle eines Krieges zu entscheiden gelte, bezog auch die Politik der Sowjetunion und die Frage mit ein, wie sie am besten zu schützen sei. Die Auseinandersetzung darüber wurde schriftlich fortgesetzt; sie knüpfte an die Thesen von Otto Bauer, Feodor Dan und Jean Zyromki und an den Meinungsaustausch innerhalb der Neu Beginnen-Gruppe von 1935 an.57 Im Zusammenhang mit dem Problem der Landesverteidigung gegen den (faschistischen) Aggressor trug Löwenthal, der sich auf Hertz' Wunsch hin bereits mit dem »Volkssozialismus« für einen Artikel in der Zeitschriftfür Sozialismus (ZfS) auseinandersetzte, noch ein weiteres Argument für eine Hinwendung von Neu Beginnen zur Volksfrontbewegung an: Auf diese Weise könne die volkssozialistische Ideologie, welche über Jaksch und Strasser den »nationalen Flügel« der Sopade derart beeinflusse, daß im Kriegsfalle für einen neuen 4. August gefürchtet werden müsse, zurückgedrängt und der Parteivorstand mit Hilfe von »alten USP-Leute[n]« gezwungen werden, seinen Apparat von nationalistischen Elementen zu säubern; »dann sind wir in Perspektive die Leute, die der KI die —



Zentral-Zeitung in Moskau vom 12. Juni 1936; die Ankündigung auf dem VII. Sowjetkongreß der Union Sozialistischer Sowjet-Republiken Ende Januar/Anfang Februar 1935, die Verfassung vor allem in Richtung auf eine Demokratisierung des Wahlsystems zu ändern, um der fortgeschrittenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung zum Sozialismus Rechnung zu tragen, hatte die von Hilferding im Auftrag der Sopade von Hertz redigierte Sozialistische Aktion von Ende Februar 1935 in ihrem herausgegebene, Artikel »Lob der Demokratie Radikale Schwenkung in Moskau« als »Sieg des demokratischen Sozialismus« begrüßt; zur Begründung der Verfassungsänderung vgl. W. M. Molotow, Über die Änderungen in der Sowjetverfassung. Referat auf dem VII. Sowjetkongreß am 6. 2. 1935, Strasbourg [1935], dort auf S. 29 der Kongreß-Beschluß des Plenums des ZK der KPdSU vom 2. Februar 1935; vgl. Rundschau (Basel), 1935, Nr. 7, 7. Februar, S. 331; vgl. Ursula Langkau-Alex, >»Die Geschichte hat es gewollt ...< Ein Brief Willi Münzenbergs vom Oktober 1935«, in: Inge Marßolek und Till Schelz-Brandenburg (Hrsg.), Soziale Demokratie und sozialistische Theorie. Festschriftfür Hansjosef Steinberg zum 60. Geburtstag, Bremen 1995, -

171-183, hier S. 175 und 181 f. 57 Otto Bauer/Theodor Dan/Jean Zyromski, Die Internationale und der Krieg, Wien: [Selbstverlag] 1935, Nachdruck in: Fedor I. Dan und Otto Bauer. Briefwechsel 1934—1938, hrsg. von Hartmut Rüdiger Peter, Frankfurt/M. New York 1999 (im folgenden: H. R. Peter (Hrsg.), Dan/Bauer-Briefwechsel), S. 153-169; Otto Bauer, Zwischen zwei Weltkriegen? S.

-

Weltwirtschaft, der Demokratie und des Sozialismus, Bratislava: Eugen Prager Verlag 1936; vgl. IISG, Neu Beginnen, 10, 29, 46, 51 und 58; zu den wichtigsten Debatten bei Neu Beginnen für die Jahre 1935 bis 1939 vgl. Ursula Langkau-Alex, »Die Einschätzung von Bewegung und Politik der Volksfront durch die linkssozialistische deutsche Gruppe >Neu BeginnenHenri Barbusse««, o. D., hektograph. 68 Vgl. oben, S. 113-116. 69 Siehe IISG, IFTU, Mappen 23-25 (eng!); Mappe 173 (deutsch): RSchr. des IGB, unterz. von Generalsekretär Walter Schevenels, 22. Mai 1936; Mappe 174: RSchr. Schevenels, 29. Juni 1937. 70 Vgl. Rassemblement Universelpour la Paix: Congrès Universelpour la Paix. Bruxelles 3, 4, 5, 6 septembre 1936, Paris usw. [1936], S. 223 und 237; J.W. Albarda, »Für den Frieden«, in: Zentralsteüe für die Weltvereinigung (Hrsg.), Die Menschheit für den Frieden (II). Die Völker antworten: Ja! 1936 Weltfriedenskongreß, Genf usw. [1936]; Stampfer, Mit dem Gesicht, Dok. Nr. 22, 26, 27; IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Briefwechsel Hertz-Breitscheid, 17. bzw. 27. Februar 1936. 143

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ist Kampf gegen

den Faschismus«

»Weltbotschaft an das deutsche Volk« zu richten.71 Diese sollte von einem zentralen Weltbotschaftskomitee als dessen Verkörperung sah er das RUP organisiert, von einem speziellen Redaktionskomitee formuliert und von nationalen Komitees zur Unterschriftensammlung verbreitet werden, um dann von der Zentrale an die Hitler-Regierung versandt, in der Presse des Auslands und des Exils veröffentlicht und über Rundfunk nach Deutschland hineingetragen zu werden. Die Weltfriedensbotschaft sollte »dem deutschen Volk die Wahrheit sagen« über die Aufrüstung und über die allseitigen Vorbereitungen des Regimes zum Kriege und dieser Politik den Friedenswillen der nichtfaschistischen Staaten gegenüberstellen. Auf diese Weise sollte zum Nachdenken und von daher zum Druck auf die Naziregierung angeregt werden. Die Aktion sollte zwar »mit dem Völkerbund« koordiniert, aber »neben ihm«, da auf diese Weise »freier und be-

-

Hand genommen werden. Dabei erschien es Stampfer »als wündaß bei allgemein lebhafter Beteiligung doch den Engländern, den Amerikanern und den Skandinaviern der Vortritt gelassen wird«. Damit trug er sowohl den relativ guten Beziehungen der genannten Staaten zum NS-Staat als auch dem Arierwahn und dem Antikommunismus in Deutschland Rechnung. Nachdem das RUP nicht auf seinen Plan eingegangen war, modifizierte Stampfer ihn gegen Ende des Jahres 1936: die Friedensrede, die US-Präsident Roosevelt in Buenos Aires gehalten hatte, sollte, versehen mit »Massenzustimmungserklärungen«, auch in Deutschland verbreitet werden.72 Konkrete Beweise für die Niederträchtigkeit und Grausamkeit des NS-Regimes lieferten Maximilian Scheer und andere in dem im April 1936 anonym veröffentlichten Tatsachenbericht Das deutsche Volk klagt an. Enthüllungen, Dokumentationen und Analysen, besonders über Deutschlands Aufrüstung, die zum Teil noch 1936 in französischer und englischer Übersetzung herauskamen, erschienen u.a. von Albert Schreiner (Pseudonym: Aflbert] Müller) und Berthold Jacob.73 Offizielle Kontakte zu deutschen Antifaschisten, von traditionellen Pazifisten und Kriegsgegnern wie Heinrich Mann bis zur Sozialdemokratie, pflegte das RUP

weglicher«,

zur

schenswert,

71

Alles Folgende zitiert nach: Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 271-277; die Namen der Empfänger dort auf S. 271. 72 Siehe AdsD, NL Stampfer, I, 15: Briefe Stampfer an Wickham Steed, Breitscheid

und Sollmann, alle 2. Dezember 1936; die Rede Roosevelts auf der Pan-Amerikanischen Konferenz zur Erhaltung des Friedens in Buenos Aires am 1. Dezember 1936 ist nachzulesen in: Nothing to Fear. The selected Adresses of Franklin Delano Roosevelt 1932-1935, ed., with an Introduction and Historical Notes by B. D. Zevin, London 1947, S. 73-79. 73 Das deutsche Volk klagt an. Hitlers Krieg gegen die Friedenskämpfer in Deutschland. Ein Tatsachenbuch, Paris: Editions du Carrefour 1936 (enthält u.a. die Lagerordnung des KZ Esterwegen); die im selben Verlag 1937 erschienene französische Ausgabe, Le peuple allemand accuse. Appel à la conscience du monde, wurde in Frankreich stark beachtet, vgl. Marcel Dvian, Le Parti Socialiste et l'immigration. Le gouvernement Léon Blum, la main-d'œuvre immigrée et les réfugiés politiques (1920-1940), Paris 1982, S. 122; vgl. weiter unter »Jacob, Berthold« und »Schreiner, Albert«, in: Deutsches Exilarchiv 1933—1945. Katalog der Bücher und Broschüren [in der Deutschen Bibliothek Frankfurt/M.], Redaktion Mechthild Hahner, Stuttgart 1989, S. 259f. bzw. S. 509.

144

Neue Chancen,

neue

Probleme

November 1935 an. Damit und mit seinen vier grundsätzüchen ForFriedens Sicherung vom April 1936 Pflicht zur Vertragstreue, derungen Abbau der Rüstungen und Abschaffung der Rüstungsprofite, multi- und zwischenstaatüche Anstrengungen zur Unterstützung der Friedensarbeit des Völkerbunds, Verfahren zur Entspannung internationaler Konflikte74 weckte es Hoffnungen darauf, daß die geseüschaftüchen und poütischen Kräfte des Auslands und die Regierungen ihre Poütik gegenüber dem Dritten Reich koordinieren und daß sie die Emigration als dritten poütischen Faktor anerkennen würden. Die Einigung der Emigration konnte daher als Ergebnis und zugleich als Stimulans dieses Prozesses erscheinen. Nicht nur die Zeitschrift Europa engagierte sich national und international.75 Die SAPler Walcher und Brandt woüten aus einer »revolutionären Realpoütik« heraus das Internationale Büro für revolutionäre soziaüstische Einheit in London zur Teünahme an dem Weltfriedenskongreß bewegen. Sie scheiterten jedoch daran, daß die anderen Parteien im Büro ihre Gegnerschaft zu den »imperiaüstischen« Staaten und zur Komintern nicht überwinden konnten. Ende Oktober/Anfang November 1936 veranstaltete das Londoner Büro seinen eigenen Kongreß »gegen Krieg, Faschismus und Imperiaüsmus«. Auf ihm überlagerten jedoch Probleme der Selbstverständigung und der Zukunft des Büros die eigentliche Thematik.76 Bis Ende April hatten zahlreiche Emigranten als Einzelpersonen »aus Deutschland« ihren Anschluß an das RUP erklärt; die meisten von ihnen schlössen sich zu einer, zwar informell gebliebenen, Gruppe oder Sektion der Weltfriedensbewegung zusammen.77 Innerhalb dieser Gruppe erarbeiteten Mitgüeder des Lutetia-Kreises, darunter Max Braun, ein Memorandum, in dem mit Zitaten aus nazi-deutschen Schriften »Hiders Pazifismus«, »Das außenpoütische Programm des Nationalsoziaüsmus«, »Die wirtschaftüche und miütärische Kriegsvorbereitung«, und »Die ideologischen Kriegsvorbereitungen« endarvt wurden. Die »Schlußfolgerungen« mündeten in Forderungen zum Umdenken und AndersHandeln; sie waren sowohl an die Hitler-Regierung als auch an »die deutsche Volksmasse« und verbunden mit dem Appeü, die deutsche Opposition zu unterstützen an »die Friedensfreunde der ganzen Welt« gerichtet. Die Forderungen schon

von

zur

-



-

-

74

Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 286. Europa, 1936, besonders Nr. 11, 14. März, und Nr. 18, 2. Mai. 76 Vgl. Buschak, Londoner Büro, S. 203f. und S. 223ff; Wiüi Brandt, »Revolutionäre Realpoütik in der Kriegsfrage vor aüem«, in: MT, 1936, Nr. 3, Juü, S. 13ff. Wordaut in:

75

77

DVZ, 1936, Nr. 8, 10. Mai, S. 4, nennt namentlich: Heinrich und Thomas Mann, Friedrich Stampfer, Otto Lehmann-Russbüldt, Veit Valentin, Ludwig Renn, Alfred Döbün, Rudolf Breitscheid, Ernst Bloch, Siegfried Marck, Hermann Budzislawski, Ernst Toüer, Georg Bernhard, Fritz Demuth, Albert Grzesinski, Oskar Maria Graf, Hugo Graf, Rudolf Leonhard, Klaus Mann, Wilhelm Kiefer, Bruno Schönlank; auch Victor Schiff gehörte dazu, siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 99; zu seiner Tätigkeit in der Tschechoslowakei vgl. Wilhelm Koenen, »Über meine poütische Arbeit in Prag 1935 bis 1939. Aufzeichnungen«, in: Horst Köpstein (Hrsg.), Beiderseits der Grenze. Über den gemeinsamen antifaschistischen Widerstandskampf von Deutschen, Tschechen und Slowaken 1933—1945, Berün 1965, S. 31 ff., hier S. 32. -

145

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

konkretisierten die vier Grundsätze des RUP und wiesen praktische Schritte zu ihrer Durchführung. Das elementarste Ziel war die Wiedererringung der »demokratischen Freiheiten in Deutschland«; damit sei »eine Schlacht für den Frieden zu gewinnen«.78 In seinem »Der Friede« betitelten Vorwort zu diesem Memorandum komprimierte Heinrich Mann seine früheren Äußerungen und Appelle an die Völker, an die (Friedens-)Organisationen, an die Regierungen, nicht auf die diplomatischen Friedensreden aus dem Nazireich hereinzufallen, sondern die Augen zu öffnen, der Opposition zu glauben und durch Einigkeit und Stärke gegenüber diesem Regime »den Frieden [zu] gestalten, wie er sein soll: wirklich und unerschütterlich«.79 Ähnlich kritisch äußerte sich Stampfer in seiner den sozialdemokratischen Standpunkt vertretenden Denkschrift an den Weltfriedenskongreß. Die vier Grundsätze des RUP, so Stampfer, könnten nur durch eine konsequente, »kämpferische Gemeinschaft Gleichgesinnter gleichviel, ob sie sich heute in Regierungspalästen oder in Konzentrationslagern befinden«, verwirklicht werden. Er verlangte »Freiheit des Wortes im Kampf gegen das deutsche Regierungssystem«. Er wollte einen »Kreuzzug der Weltanschauungen« organisiert wissen, anstatt aus ängstlichem Wohlverhalten gegenüber dem Regime auf ideologische Gegenpropaganda, auf das Verbreiten der Wahrheit über die »Despotie« zu verzichten. »Gegen Hitler, für ein freies Deutschland so kämpft ihr für den Frieden der Welt!«80 Wie erklären sich die kritischen Worte, die Forderungen an Rassemblement pour la Paix und Weltfriedenskongreß? Im Mai schon hatte Breitscheid gegenüber Stampfer signalisiert, was er während einer für das RUP unternommenen Reise in der Schweiz erfahren hatte: die »Engländer« und der Völkerbund im RUP hätten »völlig die Oberhand gewonnen«; man wolle »eine Vertretung des offiziellen Deutschlands in den Apparat eingliedern«, aber eine »Vertretung der deutschen Emigration« ausschließen. Darum habe er sich »einstweilen von der -

-

78

AdsD, Emigration Sopade, 197: »Memorandum, vorgelegt dem WeltfriedenskonBrüssel von einem Kreis deutscher Friedensfreunde«, mit einem Vorwort von Heinrich Mann, 1. September 1936, einschließlich Vorwort und Titelseite insges. 83 S., Zitate, nacheinander, aus: Inhaltsverzeichnis; Kap. V, S. 3f.; Vorwort, S. 3; vgl. auch Herbert Wehner, Zeugnis, S. 178. 79 Zum Vorwort von H. Mann siehe vorige Anm.; dem gleichbetitelten Abdruck des Vorworts in NWB, 1936, Nr. 36, 3. September, S. 116-119, ist ein Absatz vorangestellt, in dem H. Mann die Politik des RUP kritisiert; vgl. auch: H. Mann, »Der kollektive Friede«, in: Die Menschheit für den Frieden (II); auch zum folgenden: Dieter Schiller, »Antifaschismus

greß

zu

und Friedenskampf. Schriftstelleraktivitäten gegen den imperialistischen Krieg im Umkreis der Kongresse von Paris und Brüssel«, in: Weimarer Beiträge, Jg. 30 (1984), S. 32—49, hier bes. S. 43^17. 80 »Friedenskongreß und Sozialdemokratie«, in: NV, 1936, Nr. 169, 6. September, Nachdruck in: Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 285ff, Zitate danach; vgl. Friedrich Stampfer, »Man muß den Völkern die Wahrheit sagen«, in: Die Menschheitfür den Frieden (II).

146

Neue Chancen,

neue

Probleme

Mitarbeit an dem Rassemblement pour la Paix zurückgezogen«.81 Auf seiner Konferenz am 13./14. Juni in London entschied das Komitee zur Vorbereitung des Weltfriedenskongresses endgültig, daß den Emigranten keine Gelegenheit gegeben werden dürfe, unter dem Deckmantel der Ziele des RUP poütische Propaganda gegen die deutsche Regierung zu treiben. Der im April eingebrachte Vorschlag, gewissen Einzelpersonen, die keiner nationalen Delegation angehörten, die Teünahme wenigstens an der Diskussion zu erlauben, wurde vom Tisch gefegt. Aüerhöchstens, so Lord Cecü, könnten Emigranten in eine Organisation des jeweiügen Asyüandes aufgenommen werden. In Frankreich konnte Pierre Cot, inzwischen Luftfahrtminister in der auf dem Front populaire basierenden Regierung Blum, selbst diese minimale Geste offensichtlich nicht durchsetzen. Dagegen nahmen die Schweizer Femmes Socialistes Anna Siemsen und Helene Stöcker in ihre Delegation auf; die Tschechen entsandten Hermann Budzislawski und Oskar Kokoschka, letztgenannter hielt dann auch eine Ansprache. Internationale Organisationen üeßen sich u.a. repräsentieren durch Ludwig Quidde (Internationales Friedensbüro), Paul Friedländer (WKKF), Herbert Wehner (unter dem Decknamen Kurt Funk: Interparlamentarische Gruppe), Gertrud Baer (Internationale Frauenüga für Frieden und Freiheit) und Eüsabeth Rotten (einst Leiterin der Pädagogischen Abteüung der Deutschen Liga für Völkerbund (New Educational Fellowship) ,82 Formal-juristisch wurde die aügemeine Abweisung der Exilanten damit begründet, daß sie kein Land verträten. In Wahrheit ging es darum, Deutschland, Itaüen und Japan keinen Vorwand zu üefern, der Einladung zum Kongreß nicht zu folgen. Vor aüem im Hinbück auf Deutschland und andere Länder, die nicht (mehr) dem Völkerbund angehörten, hatte das RUP fünf Bedingungen für die Teünahme angenommen, die der spanische Soziaüst und spätere Außenminister Alvarez del Vayo aufgesteüt hatte. Die wichtigste Bedingung besagte, daß die Organisationen, die Delegierte entsandten, legal, d. h. von ihrer Regierung anerkannt sein müßten.83 So lud das Vorbereitende Kongreßkomitee bzw. das Inter-

81 Breitscheid an Stampfer, 14. Mai 1936, in: Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 279; vgl. Breitscheids Artikel in Nr. 1 der ab August 1936 vom WKKF hrsg. Zeitschrift Clarté, deutsche Fassung in: Breitscheid, Antifaschistische Beiträge, S. 102—106; Wühelm Dittmanns Eindruck von Breitscheid während dessen Besuch am 6. April in Zürich, er sei »noch immer der alte Überale Iüusionist, der den Glauben an Völkerbund und Pazifismus als internationale Kräfte [...] nicht aufgeben wül« so im Brief an Hertz, 3. Mai 1936, IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. D-E -, erscheint zumindest trügerisch. 82 Vgl. Oskar Kokoschka, Das schriftliche Werk, hrsg. von Heinz Spielmann, Bd. 4, Hamburg 1976, S. 171 ff; Heinz Spielmann, »Kokoschka in Prag«, in: Peter Becher/Peter Heumos (Hrsg.), Drehscheibe Prag. Zur deutschen Emigration in der Tschechoslowakei 1933-1939, München 1992, S. 87-95, hier S. 91; RUP, Congrès Universelpour la Paix. 83 IISG, RUP: Protokoüe der Sitzungen vom 28. April und 13. Juni 1936; RSchr. des Secretariaat Nederlandsch »Aan de leden van het Uitvoerend Comité«, unterz. vom steüvertretenden Sekretär G.J. de Voogd, o. D.; Brief B.J.A. Kanter-van Hettinga Tromp »A la Commission de Propagande pour le Rassemblement Universel«, 30. Juü 1936, Ds, mit Begleitbrief vom Tage an Phüip Noël Baker; vgl, auch zum folgenden, ebd.: Internationa-

147

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

nationale Sekretariat die gleichgeschaltete Deutsche Gesellschaft für Völkerbundsfragen sowie Sport- und Kulturorganisationen ein, nicht aber die aus exilierten Gegnern des Nationalsozialismus bestehende deutsche Sektion des RUP. Diese hatte allerdings seit Bekanntwerden ihres Ausschlusses von der Veranstaltung ihre Arbeit weitgehend eingestellt.84 Das Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus, auf dessen Plenartagung von Präsidium und Sekretariat Anfang Juni Breitscheid, Münzenberg, Koenen und vor allem Heinrich Mann sich für eine Intervention des WKKF gegen die Pläne des RUP ausgesprochen hatten,85 vermochte es nicht, seine Autorität gegenüber der Weltfriedensbewegung einzusetzen, obgleich prominente Persönlichkeiten beiden Organisationen und dem Front populaire führend verbunden waren. Auch konnte sich das Präsidium mehrheitlich nicht dazu durchringen, dem Weltfriedenskongreß aus Protest gegen die Versöhnungspolitik des RUP fernzubleiben. Jedoch beschloß es am 7. Juni, eine »Schriftenreihe über Strategie und Taktik im Kampf gegen Krieg und Faschismus« zu starten. Der erste Band enthielt Arbeiten von Romain Rolland, in denen Aufgabe und Weg der Weltfriedensbewegung stringenter umrissen wurden, als das RUP es tat. Rudolf Leonhard übersetzte den Band ins Deutsche.86

les Sekretariat

As, französisch.

an

die Deutsche Gesellschaft für

Völkerbundsfragen,

22. August

1936,

84 Vgl. SAMPO, Ry 1, I, 2/3/286, Bl. 191-194, und hier bes. Bl. 193: Walter [Ulbricht] an »Liebe Freunde« [Politbüro in Moskau], 28. September 1936, ein anderes Exemplar war »Vertraulich« für Dimitroff bestimmt (siehe Bl. 195-197), beide Briefe

handschr. versehen mit »erhalten 15/11«. 85 Siehe Agir dans la clarté. Conférence plénière du secrétariat du Comité Mondial contre la guerre et le fascisme (6-7 juin), Paris [1936], S. 31ff. (Breitscheid), 36ff. (Münzenberg), 42ff. (Koenen), 52ff. (H. Mann); der Mannsche Text ist eine kürzere und gemäßigtere Version, als sie möglicherweise nach der Sitzung des RUP vom 13./14. Juni verschärft unter dem Titel »Das Friedenstreffen«, in: NWB, 1936, Nr. 27, 2. Juli, veröffentlicht ist, Nachdruck in: Heinrich Mann, Verteidigung der Kultur. Antifaschistische Streitschriften und Essays, Hamburg 1960, S. 207ff.; Wilhelm Koenen, in BHB 1 als Sekretär des WKKF aufgeführt, figuriert nicht mehr auf der Dste aller Träger und Mitarbeiter des WKKF, die Münzenberg Ende 1936 aufstellte: als Mitglieder des Sekretariats sind neben Breitscheid und Münzenberg genannt: Clemens Dutt (KP England), René Maublanc (PC-SFIC) und Dorothy Woodman (Labour Party), als Präsidiumsmitglieder außer den oben schon genannten vier Persönlichkeiten: Jean Longuet (SFIO), André Malraux (»parteilos, mit KP sympathisierend«), Harry F. Ward (USA, parteilos), A.A. MacLeod (Kanada, »mit KP sympathisierend«), Isabelle Blume (Parti Ouvrier Belge), Jean Nicole (Sozialdemokratische Partei der Schweiz), Marcellino Domingo (spanischer Republikaner), Zdenek Nejedly (Tschechoslowakei), Max Braun gehört dem Internationalen Büro des WKKF an, siehe AN/P), F 7/15131, Mappe 1. 86 Vgl. Schiller, »Antifaschismus und Friedenskampf«, S. 46; zu den Broschürenplänen, von denen längst nicht alle in Angriff genommenen und teilweise abgeschlossenen auch tatsächlich veröffentlicht wurden, siehe Münzenbergs Rechenschaftsbericht »Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus«, zit. oben in Anm. 66. -

-

148

Neue

Chancen,

neue

Probleme

Nach dem Beschluß des Komitees zur Vorbereitung des Weltfriedenskongresses rief Heinrich Mann, der in seiner Haltung auch von Gumbel, Eichler und dem ISK als Organisation unterstützt wurde,87 die deutschen Antifaschisten auf, an Lord Cecü persönüch zu schreiben, um noch eine Änderung zu erreichen. Dies nutzte ebensowenig wie ein Brief des ZK der KPD an die FriedensVorkonferenz der zentral- und osteuropäischen Staaten in Prag.88 Selbst der sowjetische Delegierte im Kongreß-Vorbereitungskomitee, Nikolaj Schwernik, beschied Wehner, der im Auftrag des ZK der KPD den »Versuch zu machen« hatte, ihn »für die Zulassung deutscher Delegierter aus dem Lande zu interessieren«, dahingehend, »daß es nur dann mögüch sei, [...] wenn sie mit ordnungsgemäßen Papieren versehen wären, so daß nachzuweisen wäre, ob sie wirkliche Delegierte seien«.89 War im kommunistischen Lager, von dem man am ehesten eine geschlossene Linie hätte erwarten dürfen, vor dem Ausbruch des Kriegs in Spanien die Strategie und Taktik der Friedenssicherung nicht einheitlich,90 so schwenkten nach den ersten Kriegstagen die Vertreter einer harten Poütik gegenüber dem Dritten Reich auf die Linie der um Ausgleich Bemühten ein. Die Propagierung einer »Front des Français« durch Thorez am 6. August und der kurz darauf vom PCI lancierte Aufruf zur »Wiederversöhnung des itaüenischen Volkes« auf beide kommen wir weiter unten zurück waren zumindest insofern ambivalent, als sie zwar gegen NS-Deutschland gerichtet waren, die konservativ bis reaktionär nationaüstischen bzw. faschistischen Massen, die da gewonnen werden soüten, aber keineswegs zu einer Konfrontation mit NS-Deutschland bereit waren, im Gegenteü. Ein in Emigrantenkreisen immer noch erhoffter Sinneswandel der kommunistischen und soziaüstischen Kräfte im RUP wurde somit zur IUusion. Auf staatlicher Ebene sah es nicht besser aus. Am 24. Juü, dem Tag, an dem die Panzerschiffe »Admiral Spee« und »Deutschland« »zum Schutz der deutschen Staatsangehörigen« nach Spanien gesandt wurden, bat die Regierung Frankreichs, die eine Einkreisung fürchtete, zusammen mit den Regierungen Englands und Belgiens auf diplomatischem Wege die NS-Regierung, an der geplanten Konferenz der Locarno-Pakt-Staaten teüzunehmen. Reichsaußenminister von Neurath —



87 E. J. Gumbel, »Kann der Friede erhalten werden?«, in: Sozialistische Warte-Sozialistische Front (SW-SF), 1936, Nr. 11, 1. Juü, S. 263; vgl. AdsD, IJB/ISK, 29: Gumbel an Eichler, 10. Juni 1936; ebd., 30: Eichler an H. Mann, 28. Juü 1936. 88 Aufruf H. Manns in: AIZ, 1936, Nr. 29, 15. Juü, S. 548; Auszug des ZK-Briefs in: DVZ, 1936, Nr. 20, 2. August, S. 7; zur Vorkonferenz vgl. AIZ, 1936, Nr. 32, 5. August, S. 494f. 89 Wehner, Zeugnis, S. 179. 90 Der sowjetische Außenminister Dtvinov z. B. forderte vor der Völkerbundversammlung im Juü zwar, »den Frieden um jeden Preis [zu] erhalten«, doch er wandte sich energisch gegen diejenigen, die eine Streichung der Paragraphen 10 (Garantie der territorialen Unversehrtheit und der poütischen Unabhängigkeit aüer Mitgüedsstaaten) und 16 (Sanktionen gegen Aggressoren) aus dem Völkerbundstatut befürworteten, um den ausgetretenen Staaten, voran Deutschland, den Wiedereintritt schmackhaft zu machen, vgl. DVZ, 1936, Nr. 17, 12. Juü, S. 3.

149

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg ist Kampf gegen

den Faschismus«

zu. Am 2. August sah sich Ministerpräsident Blum aufWiderstände partei-, koalitions-, innen- und außenpolitigrund mannigfacher scher Art gezwungen, mit England einen Nichtinterventionspakt herbeizuführen und der Bruder-Volksfront in Spanien offiziell militärischen Beistand zu verweigern. Dem Pakt traten Ende August auch die offenen Interventen für die Aufständischen, Hitler-Deutschland und Mussolini-Italien, sowie die Sowjetunion bei.91 Ende August vereinbarten Blum und Reichswirtschaftsminister Schacht in Paris die Bildung eines gemeinsamen Rohstoff-Pools,92 nachdem am 11. des Monats in Paris bereits ein französisch-italienisches Handelsabkommen unterzeichnet worden war. In dieser europolitischen Konstellation fand der Weltfriedenskongreß vom 3. bis 6. September in Brüssel statt. Für den ursprünglichen Austragungsort Genf, Sitz des Völkerbunds, hatte die Schweizer Regierung einengende Bedingungen gestellt; London, die zweite Wahl, stellte sich nicht zur Verfügung. Neben 950 Besuchern nahmen 4.500 geladene Delegierte aus 35 Ländern teil. Sie repräsentierten 750 nationale und 40 internationale Organisationen, annähernd 500 Millionen Menschen standen den Angaben zufolge hinter ihnen. Das weitaus größte Kontingent, rund die Hälfte, stellten die Vertreter des Front populaire einschließlich der Gewerkschaften, obgleich der IGB die Teilnahme abgelehnt hatte.93 Den Ton der Reden setzte gleich zu Anfang der Konferenz Lord Cecil: Entwickeln und Propagieren einer neuen Doktrin des Friedens auf der Grundlage des permanenten Friedens auf der einen Seite, keine Diskussionen über Politik oder Religion, keine Kritik an welcher Regierungsform auch immer, kein Druck auf die Regierungen. Die Worte »Faschismus« und »Nationalsozialismus« wurden durchgehend vermieden; der Krieg in Spanien wurde nicht erwähnt; die Friedensstörer Deutschland, Japan und der Sieger in Abessinien, Italien, wurden nicht beim Namen genannt, obgleich alle drei Länder durch ihre Abwesenheit bewiesen, daß sie sich in das System der kollektiven Sicherheit nicht einfügen wollten. Das Wort »Aggressoren« kam lediglich Schwernik, das von der »Verteidigung der

sagte eine Woche

später

91

Alle Schuld auf SFIO und besonders Blum wirft Helmut Gruber, Léon Blum, French Socialism, and the Popular Front: A Case of internal Contradictions, Ithaca New York 1986; vgl., auch für folgendes, Claude Gindin, »Le Front populaire, la guerre d'Espagne, la sécurité collective«, in: Cflaude] Willard u.a., Le Front populaire (La France de 1934 à 1939), Paris 1977, S. 140ff.; für die Sowjetunion vgl. u.a. Pierre Broué, »La non-intervention de l'U.R.S.S. en Espagne (juillet—septembre 1936)«, in: Cahiers de Trotsky, 1986, décembre, -

S. 39-51.

Vgl. Karl Rohe (Hrsg.), Die Westmächte und das Dritte Reich 1933-1939. Klassische Großmachtrivalität oder Kampf zischen Demokratie und Diktatur?, Paderborn 1982, darin besonders: Gustav Schmidt, »Das Zusammenspiel sicherheitspolitischer, wirtschaftlicher und ideologischer Faktoren in der englischen Weltpolitik und die Restrukturierung der 92

Politik«, hier S. 46, Anm. 55. Eine, allerdings unvollständige, Dste der Delegationen, Organisationen und Persönlichkeiten in: Die Menschheit für den Frieden (II), S. 221-247; einige weitere Namen in: Marcel Cachin, Carnets 1906-1947, sous la direction de Denis Peschankski, Bd. 4: 1935-1947, édition établie et annotée par Sophie Cœuré, Jacques Girault, Frédéric Monier, Denis Peschankski, Yves Santamaría, Jean Vigreux, Serge Wolikow, Paris 1997, S. 415ff.

internationalen 93

150

Neue Chancen,

neue

Probleme

nationalen Unabhängigkeit« nur dem Delegierten Chinas über die Lippen, doch beide benannten keinen Staat. Cachin, offizieller Repräsentant der Komintern, den die Perspektive eines internationalen Krieges im Laufe des August stets mehr beunruhigte, diszipünierte sich schweren Herzens; ihm erschien das RUP wie »un ramassis du Quai d'Orsay et de l'Intelügence Service«.94 Auf dem Weltfriedenskongreß siegte die Position eines damals wie in der Literatur seitdem als »integraler Pazifismus« bezeichneten appeasement. Die Exüanten aber, die sich ab Frühjahr 1936 dem RUP angeschlossen hatten, durften als solche nicht teilnehmen. Sie tagten in Brüssel gesondert.95 Ihr Memorandum gaben sie wohl an der Hintertür ab; vieüeicht schickten sie es auch, gleich Stampfer, dem Kongreßpräsidenten per Post zu. Heinrich Mann legte der Sondertagung einen Entwurf für einen Offenen Brief an aüe deutschen Friedenswilligen vor. Die in verschiedenen Presseorganen pubüzierte Fassung, »An aüe deutschen Friedensfreunde in Deutschland und im Ausland«96, spiegelt indes den Trend der nur auswahl- und auszugsweise belegten Diskussion der Teilnehmer darüber und den Einfluß des Weltfriedenskongresses selbst darauf wider. Ulbricht scheint die Intention des RUP, die Massivität der Propaganda sowie die Beschlüsse des Kongresses am anschaulichsten verdeutücht und am nachdrücklichsten in den vorüegenden Text eingebracht zu haben. Seine Schlußfolgerung: »Die Friedensbewegung ist breiter als die antifaschistische Bewegung«, durchzieht den Brief. Mit der »Taktik des Trojanischen Pferdes« hier freiüch nicht mit Namen genannt -, soüten Bundesgenossen im Reich für den Frieden gewonnen werden. Angeregt wurde, »ülegale antifaschistische Arbeit [...] insbesondere in den Frontkämpfer-, Frauen- und Jugendorganisationen, sowie innerhalb der Deutschen Arbeitsfront« zu betreiben.97 In aügemeinem Konsens wurde —

94 Siehe RUP, Congrès Universel pour la Paix, erstes Zitat S. 55, zweites Zitat S. 69£; Paraphrasierung der Rede Lord Cecüs nach: Cachin, Carnets, Bd. 4, S. 415, das Zitat dort (übersetzt: >wie eine Mischung aus [franz.] Außenministerium und Geheimdienst«) S. 312f.

95 In den DLBerichten werden von den »vielen« namentlich nur genannt: Hermann Budzislawski als Vorsitzender, Heinrich Mann, Otto Pick, Wilhelm Koenen, Walter Ulbricht, Wilü Münzenberg, Otto Lehmann-Russbüldt, Hugo Graf, Egon Erwin Kisch; vgl. PTZ, 1936, Nr. 90, 9. September; Ulbricht schrieb im Brief nach Moskau (»Debe Freunde«) vom 28. September 1936 von »etwa 25 deutschen Friedensfreunde[n]«, siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/286, Bl. 191-194, hier Bl. 193; Langkau-Alex, »Rassemblement Universel pour la Paix«, hier bes. S. 209f. 96 Siehe DI, 1936, Nr. 80, 8. September, auch für die Zitate; Abdruck des Briefes u.a. auch in PTZ, 1936, Nr. 90, 9. September; NWB, 1936, Nr. 37, 10. September, S. 1175f.; Rundschau (Basel), 1936, Nr. 42, S. 1766. 97 Zitate nach: DI, 1936, Nr. 80, 8. September; vgl. Die Internationale, 1936, H. 6/7, S. 2-9: »Unser Kampf für den Frieden«, und: Walter, »Die Taktik des Trojanischen Pferdes«, Nachdruck in: Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, 2. Zusatzband, S. 39-53, auf S. 53 heißt es dort: »Jeder Genosse, jeder Antifaschist soüte irgendeinem größeren Verein angehören und sich Zeit verschaffen, die Vereinsveranstaltungen zu besuchen. Dadurch kommt er in freundschaftüche Beziehungen zu Menschen, die sonst unbeeinflußt bleiben. Das bedeutet keineswegs, daß ein Mitgüed einer Betriebszeüe auch in der Parteigruppe dieser Massenorganisation erfaßt sein muß.«

151

A IV.

die

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

Losung der Exil-Volksfrontbewegung definitiv umgestellt;

statt

Frieden, Brot«98 hieß es künftig stets: für »Frieden, Freiheit, Brot«.

für

»Freiheit,

Mehr Mut zur politischen Auseinandersetzung und zur Gemeinschaft mit der deutschen Opposition im Exil oder aus Deutschland angereist zeigte die Internationale Agrarkonferenz, die, von der Presse kaum beachtet, im Rahmen des Weltfriedenskongresses, aber unabhängig vom RUP stattfand. Allerdings waren hier keine ausgesprochenen >Politiker< dominant, sondern Experten, Agrar-, Wirtschafts-, Finanz- und andere Wissenschaftler. Unter ihnen ergriffen neben Illegalen aus Deutschland der Ökonom Professor Alfons Goldschmidt, als Vertreter des von ihm gegründeten Social Economic Laboratory am City College in New York, und Otto Klepper, der letzte preußische Finanzminister und von 1934 bis 1935 Berater der chinesischen Regierung in Fragen der Agrarreform und des Genossenschaftswesens, das Wort. Fast ein Drittel der Referenten befaßte sich mit den innen- und außenpolitischen Folgen der namentlich von NS-Deutschland betriebenen Autarkiewirtschaft, mit der Ideologie und den sozialen Problemen des Reichsnährstandes sowie mit anderen Erscheinungen und Maßnahmen im Zeichen der Kriegsvorbereitung.99 Die Mitglieder des Präsidiums des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus, darunter Heinrich Mann, der bereits im Frühjahr 1936 geschrieben hatte, daß die Friedenspolitik ohne Schwäche geführt werden müsse, und nun die trotzige Teilnahme deutscher Oppositioneller am (alternativen) Weltfriedenskongreß in erster Linie als Bekenntnis zur »deutschefn] Volksfront« wertete,100 zogen am 7. und 8. September eine kritische Bilanz der Friedensstrategie des RUP. Sie nahmen mehrheitlich die von Romain Rolland eigens ausgearbeiteten Richtlinien an, denen zufolge weltweit das Bewußtsein über Wesen und Taten des Nationalsozialismus zu schärfen sei, um von daher die Kriegsgefahr zurückzudrängen. Im Oktober folgte die nationale französische Sektion des Comité Mondial contre la Guerre et le Fascisme. Im WKKF galt wieder die kompromißlose Parole: »Kampf gegen den Faschismus ist Kampf für den Frieden.«101 98

So auch z.B. Pieck auf dem VII. Weltkongreß der Komintern. Le Monde Agraire et la Paix. Conférence Agraire Internationale. Bruxelles, 4—5 Septembre 1936, Bruxelles: Editions Agraires Internationales [1936], hier bes. S. 21 (Klepper), 68-82 (Goldschmidt), 151-156 (Brief der rheinischen Bauern); vgl. D7, 1936, Nr. 85, 19. September, rosa Beilage; zu Goldschmidt vgl. Wolfgang Kießling, »Vom Grunewald nach Woodstock über Moskau. Alfons Goldschmidt im USA-Exil«, in: Politische Aspekte des Exils, München 1990, S. 106-127. 100 Heinrich Mann, »La politique de paix doit être menée sans faiblesse«, in: Paix et Liberté, 1936, Nr. 10, 12. April, S. 4; ders., »Der Welt-Friedenskongreß«, in: D7, 1936, Nr. 80, 8. September, Beilage. 101 Vgl. IISG, RUP: »Mouvement Populaire de la Paix et de la Dberté (AmsterdamPleyel): Rapport du secrétariat aux membres du Comité national«, unterz. vom Präsidenten Francis Jourdain und den Sekretären [André] Ribard, [Marcel] Rouffianges, [Octave] Rabaté, mit Begleitbrief Jourdain vom 12. Oktober 1936; vgl. Babette Gross, Willi MünZenberg. Eine politische Biographie, Stuttgart 1967, S. 296ff; Schiller, »Antifaschismus und Friedenskampf«, S. 46; zu Problemen und Wandlungen der Amsterdam-Pleyel-Bewegung vgl. Jocelyne Prézeau, »Zur Bewegung Amsterdam-Pleyel am Beispiel der französischen 99

152

Vgl.

Neue Chancen,

neue

Probleme

Zum Ende des Jahres 1936 entzog die Komintern Münzenberg die Leitung des WKKF und übergab sie dem tschechischen Kommunisten Bohumil Smeral wie viele andere Funktionen Münzenbergs auch, auf die wir noch in anderen Zusammenhängen eingehen werden.102 Doch die ideologische Linie des Rassemblement Universel pour la Paix war ebenfaüs bald umstritten. Schon auf dem Kongreß von 1937 hatte die Organisation für eine deutsche Volksfront, ähnüch dem WKKF, kaum noch Bedeutung.103



Die Deutsche Frauenkommission Eine merkwürdige Position zwischen dem Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus und dem Rassemblement Universel pour la Paix nahm, nach den bisher nur spärüch zutage geförderten Quellen zu urteüen, die Deutsche Frauenkommission ein. Sie wurde noch im Jahre 1935 von Frauen aus KPD, RS, ISK und SPD unter Auspizien des Frauenweltkomitees gegen Krieg und Faschismus (Comité Mondial des Femmes contre la Guerre et le Fascisme) konstituiert. Vertreterinnen aus den drei erstgenannten Organisationen büdeten zunächst die Leitung.104 Gegen Ende Oktober 1936 delegierte die AZ der SAP ebenfaüs zwei

(1932-1936)« und Waltraud Wiese, »Die Amsterdam-Pleyel-Bewegung und der integrale Pazifismus in Frankreich um die Mitte der dreißiger Jahre«, beide in: Bock/Klein/Scholze (Hrsg.), Die Waffen nieder!, S. 184ff. bzw. 193ff. und die jeweüs zugehörigen Anmerkungen. 102 Cœuré und die übrigen Bearbeiter von Cachin, Carnets, Bd. 4, greifen zu kurz, wenn sie den Entzug der Verantwortlichkeit Münzenbergs für das WKKF einzig auf eine kritische Wertung des RUP und des Weltfriedenskongresses zurückführen (vgl. dort S. 417, Sektion

sogenannte

Anm. 429; zu weiteren Evaluationen der Konferenz von Brüssel, worunter die nichts Konkretes mitteilende Eintragung zum 11. September 1936 über eine Besprechung zwischen Cachin, Schwernik, Smeral und Münzenberg [»Wüly«], siehe ebd., S. 420); man muß dies mindestens im Kontext des Spanischen Bürgerkriegs, der Auseinandersetzungen in Komintern und KPD sowie der Überprüfungen und Säuberungen der kommunistischen Apparate sehen, deren Auswirkungen im Laufe des Jahres 1937 Smeral nicht unter Kontroüe bekam, siehe Reinhard Müüer, »Bericht des Komintern-Emissärs Bohumü Smeral über seinen Pariser Aufenthalt 1937 (Dokument)«, in: Exil und Emigration (Exüforschung. Ein internationales Jahrbuch, Bd. 9), hrsg. im Auftrag der Geseüschaft für Exüforschung von Claus-Dieter Krohn u.a., München 1991, S. 236-261, hier bes. S. 239-249. 103 Kurzer Überbück über die ganze Geschichte des RUP von Michel Dreyfus, »Die Weltbewegung für den Frieden 1935—1939«, in: Internationale Tagung der Historiker der Arbeiterbewegung (Hrsg.), 19. Linzer Konferenz S. 145—153; vgl. vor aüem zu den ideologischen und persönüchen Auseinandersetzungen Jansen, »Louis Doüvet«, bes. S. 121ff. und die Anm. 31-50; zur Lage im RUP zwischen Dezember 1936 und Dezember 1937 vgl. R. Müüer, »Bericht des Komintern-Emissärs Bohumü Smeral...«, S. 254—258. 104 Siehe, auch zum folgenden einschüeßüch Zitaten, ARBARK, 48, 1, 1: [Memo] »Die Deutsche Frauenkommission«, o. U., o. D. [Ende 1935/Anfang 1936]; AN/P, F 7/15131, 1: In der Aufsteüung der Besetzung der verschiedenen Komitees, die Münzenberg Ende 1936 anfertigte, sind aufgeüstet, als Deutsche Abteüung des Weltfrauenkomitees: Anna Grün, gen. Blanc, Leiterin (KPOe) [zu ihr vgl. BHB 1], Aenne Lyon gen. Eva, Stenotypistin (KPD) [dort bereits mit dem Vermerk »endassen«], Rita Friedlaender, Mitarbeiterin

153

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

Frauen.105 Ziel war es, überparteilich »die in der Emigration lebenden deutschen Frauen zusammenzufassen« und sie »in regelmäßigen Zusammenkünften« über die Situation der Frauen im Dritten Reich zu informieren. Dazu wie zur Unterrichtung deutscher und ausländischer Presseagenturen und nationaler wie internationaler Frauenvereinigungen diente das ab Anfang 1936 vervielfältigt herausgegebene Bulletin Frauen und Mädchen im 3. Reich, das auf der Grundlage eines selbst angelegten Archivs zusammengestellt wurde.106 Entgegen der ursprünglichen Absicht erschien das »Dokumentationsmaterial der Deutschen Frauenkommission«, so der Untertitel des Bulletins, anscheinend nur in unregelmäßigen Abständen. Auf der Ausgabe vom Juni 1937 war »Deutsche Frauenkommission« verändert in »Deutsche Frauengruppe«, die Nummer vom November/Dezember 1937 zeigt darüber hinaus einen Wechsel der Redaktions- und Administrationsanschrift von 1, Cité Paradis, Paris 10e, nach 2, Rue de Londres, Paris 9e- an, und diese Anschrift, Comité des Femmes, wurde bis zum Schluß beibehalten. 1938 zeichnete das »Frauenweltkomitee, Deutsche Sektion Österreichische Sektion« verantwortlich, zugleich begann eine neue, bis zur Nr. 6 anscheinend auch die letzte fortlaufende Zählung. vom April 1939 Die Namen- und Adressenänderungen lassen auf politische Wechsel schließen, die parallel verliefen zu den Auseinandersetzungen im Volksfrontausschuß und der kommunistischen Wendepolitik, die uns im folgenden noch beschäftigen werden, wiewohl diese am Inhalt des Bulletins nicht zu erkennen sind. Das zweite Publikationsorgan, die Illustrierte Die Frau, die erstmals im August 1936 herauskam, läßt abgesehen von einer Vereinheitlichung des Stils der Rubriken weder im Hinblick auf den Inhalt noch auf die Anschrift der Redaktion sie ist mit der oben genannten aus der ersten Periode des Bulletins identisch eine Wende erkennen. Allerdings weist die Einstellung des Blatts nach der Nr. 8 vom April 1937 auf ein Desinteresse auf Seiten des Geldgebers, der Komintern, hin. -

-

-





(KPD), unter Deutsche Frauenkommission: Ida Kroh (KPD), Hilde Rosenfeld (KPD) [Tochter von Kurt Rosenfeld und Ehefrau von Otto Kirchheimer], Sonja Barofski (Zoergiebel) (KPD), Nora Block (ISK), Frieda Schlesinger (SP[D[), Frau Boenheim (SP[D]) [es kann sich hier aber weder um die bereits geschiedene Katharina Wilhelmine Johanna Maria, genannt Hanna, Boenheim, noch um die damals Felix Boenheim gerade angetraute Stephanie Boenheim handeln zu den Familienbeziehungen vgl. Thomas M. Ruprecht,

Felix Boenheim. Arzt, Politiker, Historiker. Eine Biographie, Hildesheim usw. 1992, bes. S. 202-216], 105 Siehe ARBARK, SAP, 1, 8, 13: ProtokoU der Sitzung der AZ der SAP am 21. Oktober 1936, es handelte sich um »Erna« (die Frau von Fritz Sternberg?) und »Lilo«; die im SAP-Archiv vorhandene sporadische Korrespondenz von oder an Hertha Walcher gibt keine näheren Hinweise auf Aktivitäten, Aktionen oder Diskussionen. 106 Die Collection des IISG beginnt mit Nr. 2 [1936, von März oder April, jedenfalls nach Februar, aber noch während des Krieges in Abessinien zusammengestellt], die nächste erhaltene Ausgabe trägt weder Nummer noch Datum, ist aber den Texten nach eindeutig von November oder Dezember 1936, auf dem Titelblatt steht »Vierjahreswirtschaftsplan unverhüllte Kriegspolitik«; falsche Datierung bei Maas, Handbuch Exilpresse, Bd. 1, S. 227f., aufgrund eines ursprünglichen handschr. Datierungsfehlers auf dem Titelblatt von Nr. 2, die übrigen Datierungen sind korrekt. —

...

154

Neue Chancen,

neue

Probleme

Dabei entsprach die poütische Linie, die bei der Konstituierung der Deutschen Frauenkommission als nur »vorläufig« festgesetzt, dann aber durchgehalten wurde, von Anfang an dem Kurs, den die Komintern erst im Frühjahr 1937 unverhohlen ür die Öffentlichkeit brachte. Sie besagte, daß man sich »auf die Gewinnung der Frauen zum Kampf für die Erhaltung des Friedens« beschränke, »die antifaschistische Note tritt vorerst hinter Rücksichten zurück, die in der faschistischen Einsteüung mehrerer Länder, z. B. Österreichs, wo die Zeitung vertrieben werden soü, ihren Grund haben«.107 Von der fünften Ausgabe an lautete der Untertitel denn auch: »Monatsschrift für Frieden und Frauenrecht«. Die Beiträge aus und über Elsaß-Lothringen, dann ganz Frankreich, Deutschland, Österreich, Schweiz und Tschechoslowakei schrieben zum Teü namhafte Emigrantinnen, so die Juristin Nora Block (unter dem Pseudonym Nora Kolb), die Schriftsteüerin Maria Leitner, die Pädagogin und Pubüzistin Anna Siemsen.108

2.

Krieg in Spanien

des Frente popular im Februar 1936, die ersten Maßnahmen der noch rein überalen Regierung Azaña Amnestierung aüer poütischen Gefangenen, Beginn sozialer Reformen und der revolutionäre Elan im Volk (wenn auch nicht die Revanche-Exzesse für erüttenes Unrecht), üeßen die Herzen der poütisch motivierten Emigranten des überalen und Unken Spektrums im Gedenken an Deutschland höher schlagen. Die Kommentare und Berichte in der Exilpresse legen hiervon ein beredtes Zeugnis ab. Die Verbundenheit der deutschen Volksfronder mit der spanischen Volksfront fand ihren sichtbaren Ausdruck darin, daß Alvarez del Vayo auf Einladung von Heinrich Mann als Gast an der erweiterten Sitzung des Volksfrontausschusses am 9. Juni teünahm.109 Die Bestürzung, die der Aufstand der Generäle am 17./18. Juü im Lager der deutschen linken Emigration aügemein auslöste, läßt sich trotz des anfängüchen Optimismus, er werde bald niedergeschlagen sein, kaum verkennen. Innerhalb weniger Tage bestätigten sich auch Ahnungen oder weitergehende Vermutungen, daß Deutschland und Itaüen die Hände mit im Spiel hatten.110 Der

Wahlsieg

zwar



-

[Memo] »Die Deutsche Frauenkommission« (siehe Anm. 104). Vgl. Maas, Handbuch Exilpresse, Bd. 1, S. 224f, und Bd. 4, S. 242; genauere KurzBiobibüographien als in BHB 1 finden sich von Helga W. Schwarz über Maria Leitner und von Johanna Rosenberg über Anna Siemsen, in: Lexikon sozialistischer Literatur. Ihre Geschichte in Deutschland bis 1945, hrsg. von Simone Barck u.a., Stuttgart Weimar 1994, 107

108

S. 289 bzw. 438f.

-

109 Pieck, in: BzÇ, Jg. 20 (1978), S. 870; DFD-MDFB, 1936, Nr. 13, 1. August, S. 3fi, datierte irrtümüch auf den 19. Juni, den Vorabend der Emigrantenkonferenz, an dem verschiedene Vorbesprechungen stattfanden. 110 In mehreren Nummern vom August z.B. pubüzierten die DI Dokumente über die der Nationalsoziaüsten der Aufständischen, die die catalanischen Bezugunsten Tätigkeit hörden in Barcelona beschlagnahmt hatten; Otto Katz veröffentlichte sie als Buch unter

155

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

Bürgerkrieg in Spanien stellte in seinem Verlauf die Frage von Krieg und Frieden, von Volksfront und Kampf gegen den Faschismus, von Revolution, Reformen und Konterrevolution neu und nicht selten paradox. Es brachen Probleme und Konflikte auf, die seit Beginn der Entwicklung zur Volksfront-Bewegung 1934 zwar in nuce angelegt waren, die sich aber ohne den Krieg wahrscheinlich nicht oder nicht so entiaden hätten.111 Im folgenden wird der Schwerpunkt jedoch darauf liegen, wie sich der Krieg in Spanien und seine Implikationen auf die Volksfrontbestrebungen in der deutschen Emigration auswirkten.112 Der

Die deutschen Antifaschisten im Exil und im innerdeutschen Widerstand, auch der Prager SPD-Vorstand kritisierten fast ausnahmslos den Nichtinterventionspakt. Sie sahen, daß es in Spanien um mehr ging als um die Verteidigung der Republik gegen aufständische Generäle. Hier war der ideologische, machtpolitische und wirtschaftliche Griff des Dritten Reiches nach Südwesteuropa, hier war die Umklammerung des demokratischen Frankreich abzuwehren. Der Erlaß der NS-Regierung vom 24. August über die Heraufsetzung der Militärdienstzeit auf zwei Jahre und die neue deutsche Kriegsbeorderung vom 1. September wurden als bedrohliche Zeichen gewertet. Der »Reichsparteitag der Ehre« der NSDAP vom 8. bis 14. September in Nürnberg machte alle Befürchtungen zur Gewißheit. Dort wurde der »Kreuzzug« gegen »Bolschewismus« und »Demokratie« zur »Rettung des Abendlandes« gepredigt, wurde der neue Vierjahresplan im Zeichen der Hochrüstung und verstärkter Autarkiewirtschaft bekannt gemacht, wurde die schon mehrfach erhobene Forderung nach Kolonien bekräftigt.113

dem Pseudonym Franz Spielhagen, Spione und Verschwörer in Spanien, Paris: Éditions du Carrefour 1936. 111 Eine Zusammenfassung der Probleme bei Langkau-Alex, »The Spanish Civil War and Popular Front Conflicts«; zu unterschiedlichen Aspekten und Interpretationen vgl. >»Der Spanienkrieg 1936—1939. Bewährungsfeld des Antifaschismus. Die Volksfront wird zur Front gesäuberte Diskussion mit Walther Bernecker, Silvia Schlenstedt, Ursula Langkau-Alex; Moderation: Jürgen Schebera«, in: Claudia Keller und literaturWERKstatt berlin (Hrsg.), »Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.« Antifaschismus. Geschichte und Neubewertung, Berlin 1996, S. 123-139; ausführlich in deutscher Sprache u. a. die Untersuchungen von Walther L. Bernecker, siehe Bibliographie in Deutsche Volksfront Band 3. 112 Zum Engagement deutscher Emigranten allgemein vgl. Patrik von zur Mühlen, Spanien war ihre Hoffnung. Die deutsche Linke im Spanischen Bürgerkrieg 1936—1939, Bonn 1985; mit dem Schwerpunkt KPD und Intellektuelle: Silvia Schlenstedt, »Exil und antifaschistischer Kampf in Spanien«, in: Klaus Hermsdorf u. a., Exil in den Niederlanden und in Spanien, Leipzig 1981, S. 189-359; dies., »Neues Nachdenken über Spanien und deutsche Antifaschisten«, in: Weimarer Beiträge, )g. 32 (1986), S. 1125-1143; mit Betonung des militärpolitischen Aspekts aus marxistisch-leninistischer Sicht: Horst Kühne, Spanien 1936 bis 1939. Proletarischer Internationalismus im nationalrevolutionären Krieg des spanischen Volkes, Berlin 1979. 1 '3 Siehe, außer den einschlägigen Exil- und Komintern-Organen, Deutsche Informationen (Hrsg.), Wer bedroht Europa? Antwort auf Nürnberg, Paris 1936; dies. (Hrsg.), Hitler fordert Kolonien. Die Kolonialpolitik des Dritten Reiches, Paris 1936; vgl. Klaus Hildebrand, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919-1945, München 1969; Wolfgang Schieder, »Spanischer Bürgerkrieg und Vierjahresplan. Zur Struktur national-

156

Neue Chancen,

neue

Probleme

Ein internationaler Krieg würde, so die Emigranten, durch ein Im-StichLassen der spanischen Repubük nicht verhindert, sondern im Gegenteil erst herausgefordert. Die Freiheit Europas und damit die Wiedererringung der Freiheit in Deutschland stand für sie in Spanien auf dem Spiel. Wenn Spanien fiele, würde auch die Volksfront in Frankreich nicht standhalten; dann fielen die beiden einzigen Staaten im Westen weg, die vom ideologischen und organisatorischen Fundament ihrer Regierungen her gesehen den deutschen Antifaschisten Bündnispartner gegen den Nationalsoziaüsmus waren oder doch sein soüten.114 Budzislawski kleidete die aus Hoffen und Bangen gemischte Meinung im linken Lager der Emigration in seinem Artikel »Wieder Kreuzzüge?« in die Worte: »Man muß den Willen zum Sieg haben. Die europäischen Demokratien haben ihn noch nicht, sie verteidigen nur ihre Positionen und suchen zu jon-

güeren, sobald Entscheidungen fälüg sind.«115 gehörte zu den wenigen, die bei aller Kritik an dem Nichtintervenzu tionspakt dem Schluß kamen, daß Blum, da ihm keine andere Wahl büeb, richtig gehandelt habe. Am üebsten hätte er freüich Frankreich, England, Belgien, die Sowjetunion und andere Staaten offen an der Seite der Madrider Regierung gesehen, Waffen- und Munitionsüeferungen obendrein.116 Daß von Spanien aus oder über Spanien der »Zusammenschluß aller antifaschistischen Kräfte und insbesondere [...] der proletarischen Parteien« zustande käme, war sein dringender Wunsch. An Hoegner schrieb er: »Bewundert nicht die spanische Volksfront, ohne den Willen zu bekunden, etwas ähnüches auch für Deutschland und für die deutsche Emigration zu Breitscheid

schaffen!«117 Am 31. Juü hatte er schon den Vorsitz in einem kommunistisch-sozialdemokratischen Kriegshilfskomitee für das republikanische Spanien übernommen, zu dem Münzenberg und sein Büro den Anstoß gaben. Einer der tonangebenden Mitarbeiter in dem Komitee war Otto Katz, die (Internationale) Rote Hufe soü das Komitee aktiv unterstützt haben.118 Dieses Kriegshüfskomitee scheint auch eine Antwort auf den Spanien-Hüfsdienst des deutschen Volkes gewesen zu sein, zu dem der Leiter der Auslandsabteüung der NSDAP bereits am 24. Juü aufgerufen hatte.119 Wenig später war Breitscheid gern bereit, als »Einzelmitgüed« in die

soziaüstischer Außenpoütik«, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Nationalsozialistische Außenpolitik, Darmstadt 1978, S. 325-359. 114 Als pars pro toto siehe: AdsD, NL Auerbach: Paul [d.i. Heinrich Ehrmann] an »Mein üeber >Tor< und Freund« [Walter Auerbach], 18. Oktober und 5. Dezember 1936. 115 NWB, 1936, Nr. 33, 13. August, S. 1017-1020, Zitat S. 1020. 116 Rudolf Breitscheid, »Der Faschismus Hauptkriegsgefahr«, in: Clarté, August 1936, Nachdr. in: Breitscheid, Antifaschistische Beiträge, S. 102. 117 IfZ, F 205, Bl. 127-134: Breitscheid an Hoegner, 17. August 1936 (Zitate); vgl. ebd., ED 120, Bd. 2: Breitscheid an Hoegner, 1. Dezember 1936. 118 Vgl. BA/K, R 58/627: Geheimer Schneübrief der Gestaposteüe Münster i Westf. an Gestapa Berün, 15. Juü 1939, II A-B.Nr. 66/39g, betr. Mitteüung des Agenten V.49 über Ausführungen Münzenbergs auf einer Versammlung seines Kreises in Paris am 28. Juni 1939; BHB 1: Otto Katz; Overesch/Saal, Chronik deutscher Zeitgeschichte, 2/1, S. 294. 119 Siehe Overesch/Saal, Chronik deutscher Zeitgeschichte, 2/1, S. 292. -

157

A IV.

»Kampf

gegen den

Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

Internationale Koordinations- und Informationskommission für das republikanische Spanien, dem Ergebnis der vom WKKF initiierten Europäischen Konferenz zur Verteidigung der spanischen Republik vom 13. August, »hinzugezogen« zu werden.120 Resolutionen und Aktionen im Volksfrontausschuß Im Volksfrontausschuß bewirkten Ausbruch und Verlauf des Krieges in Spanien eine Sympathie- und Solidaritätswelle für die Republik, allerdings auch Auseinandersetzungen und, letztendlich, im Zusammenhang unter anderen mit den »Trotzkisten«-Verfolgungen, den Bruch des Bündnisses. Die Deutschen Informationen berichteten in fast jeder Nummer sowohl über die Machenschaften der (deutschen) Faschisten in Spanien als auch über die moralischen und materiellen Hilfsaktionen aus dem Lutetia-Kreis. Heinrich Mann, der überparteiliche Vorsitzende des Volksfrontausschusses, geriet praktisch von Anfang an zwischen bildlich gesprochen die Mühlsteine seines eigenen, in Zeiten der Krise auch ungeduldigen Volksfront-Engagements, das von der KPD-Führung gern ausgenutzt wurde, und die bei aller praktischen Solidarität politisch argumentierenden Sozialdemokraten und SAPler. Höhepunkt der Auseinandersetzungen wurde ein Aufruf, dessen Anlaß, die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch die Legion Condor am 24. April 1937, alle Gruppierungen tief betroffen machte. Der Text von Heinrich Mann war zunächst nur ein Entwurf, der den Mitgliedern des Volksfrontausschusses zugesandt wurde. Die Nichtkommunisten lehnten ihn ab. Offenbar war ihnen der Inhalt zu nichtssagend: Zum soundsovielten Male wurde die Friedensliebe der Deutschen beschworen und der Kriegswut des Nichtdeutschen Hitler entgegengesetzt; wurden die freien »Völker der ganzen Welt« aufgerufen, sich mit den friedliebenden Deutschen zu vereinen und den Okkupanten zum Abtreten zu a.

-

-

zwingen.121

Über die Tatsache hinaus, daß seit dem Ende der Osterkonferenz am 11. April alle vereinbarte Arbeit ruhte, erschien es der auf der »Kattowitzer« Konferenz im Januar 1937 in »Parteileitung« umbenannten »Auslandszentrale« der SAP unangebracht, daß der Volksfrontausschuß wieder nur als eine »Sammelstelle für Unterschriften unter gelegentliche Aufrufe« hervortreten sollte.122 Die Empörung entlud sich allerdings auf Ulbricht, der veranlaßt hatte, daß der Aufruf in seiner ursprünglichen Form, mit dem Namen von Heinrich Mann als Vorsitzendem des »Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront« darunter, über verschiedene Medien, darunter die Pariser Tageszeitung, an die Öffentlichkeit gelangt war. Dabei ging es schon kaum mehr um den Text selbst, sondern dar-

BA/B, N 2040/3: Breitscheid an Robert Breuer, dat. Stockholm, 20. August 1937. Siehe ARBARK SAP, 6, 50, 21: Brief Hans [d.i. Max Diamant] an »Deber Freund« [vermud. Walcher], 13. Mai 1937, mit dem von H. Mann gezeichneten Aufruf »Guernica« 120

12!

Anlage; der Text ist wiederabgedruckt in: H. Mann, Verteidigung der Kultur, S. 335f. 122 ARBARK, 2, 16b, 20: PL der SAP, unterz.: i.A. J. Schwab [d. i. Jacob Walcher], An die Vertreter der KPD im »Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront«, als As Anlage 2 zum RSchr. Jim, 1937, Nr. 11, Ende Mai. als

158

Neue

Chancen,

neue

Probleme

Prinzip der Koüektivität von der KPD aus partei-egoistischen Gründen mit Füßen getreten worden war.123 Heinrich Mann setzte indes die Grüße nach Spanien fort, vor aüem aber unterzeichnete er mahnende und aufklärende Appelle an die Mütter und an die Soldaten in Deutschland, die ihm teüweise aus dem Sekretariat des ZK der KPD in Paris vorformuüert worden waren. Schon Heinrich Manns erste Aktion in Sachen Spanien, Anfang August 1936, war aus der Not heraus geboren, schneü zu reagieren, Kontinuität des Handelns im Namen des Volksfrontausschusses aufrechtzuerhalten. Denn der Ausschuß war infolge des Streits zwischen Schwarzschild und Bernhard wegen der Affäre Pariser Tageblatt/Pariser Tageszeitung als Gesamtgremium nicht handlungsfähig.124 In einer persönüch gehaltenen öffentlichen Erklärung, unterzeichnet mit »Vorsitzender des Ausschusses zur Schaffung der deutschen Volksfront«, sandte Heinrich Mann im »Namen des deutschen Proletariats und seines freigesinnten Bürgertums« dem repubükanischen Spanien soüdarische Grüße und »eine erste Summe, das Ergebnis einer Sammlung unter Deutschen, denen Hider, der heute in Euer Land Flugzeuge und Kriegsschiffe schickt, aües genommen hat«.125 Die Vertreter der Arbeiterparteien in der Programmkommission gaben auf ihrer Sitzung Ende Juü dem Antrag der SAP statt, die Diskussion um ein Volksfrontprogramm zunächst ruhen zu lassen, statt dessen vorrangig über Spanien und »praktische[ ] Hüfsmögüchkeiten« zu beraten und ein »gemeinsames Schreiben an die kämpfenden spanischen Arbeiter« zu richten.126 Die Beratungen über immer wieder neue Entwürfe, unter anderen von Pieck und Denicke, nachdem Fabian auftragsgemäß im Namen der SAP einen Text vorgelegt hatte, über die definitive Formuüerung des Dokuments und über die Festiegung der Unterschriften zogen sich jedoch hin.127 Am 17. August endüch konnte die Pariser Tageszeitung das Resultat veröffentlichen.128 Einig waren sich die Verfasser, daß der spanische und der deutsche Antifaschismus eng miteinander verbunden um, daß das

ARBARK, SAP, 6, 50, 23: handschr. Protokoü [von Walcher] beginnend: »Sitzung, 25/VI« [1937], Bl. 3 und 4.

123 vom

124

Zu der Affäre siehe unten, S. 367ff. »Für die spanische Freiheit, gegen Hiders Umtriebe!«, in: PTZ, 1936, Nr. 57, 7. August; AIZ, 1936, 12. August; DFD-MDFB, 1936, Nr. 13, September, S. 55f. 126 AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 7,10. August. 127 Vgl. ARBARK, SAP, 6, 48, Nr. 27: Entwurf der Spanien-Erklärung, beginnend: »Die unterzeichneten Mitgüeder und Auslandsvertreter aüer deutschen Arbeiterparteien«, mit handschr. Einfügung und Zusatz, daß er an Glaser, an [Éditions du] Carrefour und an Deutsche Informationen geschickt wurde, Verfasser ist offensichtlich Fabian, vgl. ebd., Nr. 25: Brief [der AZ der SAP] An die Mitgüeder des Lutetia-Kreises, 28. Juü 1936; vgl. ferner ebd., Nr. 24: [AZ der SAP] An den Ausschuß zur Vorbereitung der deutschen Volksfront, z. Hd. von Gen. Wiüi M[ünzenberg], 30. Juü 1936; ebd., Nr. 23: Notiz im Auftrag von Schwab an Funk, 1. August 1936 demnach hatte Ehrmann, hier »Bernhardt«, bereits mitgearbeitet. 128 PTZ, 1936, Nr. 67, 17. August: »Sympathie-Erklärung einer Versammlung von Vertretern deutscher Arbeiterparteien in Paris für den spanischen Freiheitskampf«; Abdruck auch in: DFB-MDFB, 1936, Nr. 14, September, S. 56; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 32.1. 125

-

159

A IV.

»Kampf gegen den Krieg

seien: »Und darum ist Euer unseres

Sieges.«

ist

Kampf

gegen den Faschismus«

Kampf unser Kampf, und Euer Sieg ist der Anfang

Walcher aber war unzufrieden. Hatte er schon dem »KP-Apparat« die Schuld für die Verzögerung zugeschrieben, so protestierte er jetzt im Namen der AZ der SAP gegen eine nachträglich vorgenommene Textänderung, ferner dagegen, daß mehr Namen als verabredet darunter standen und vor allem, daß derjenige von Grzesinski hinzugefügt worden war.129 Die Kommunisten hofierten seit kurzem den einst so gehaßten ehemaligen Berliner Polizeipräsidenten und Preußischen Innenminister. Mit ihrer Hilfe war er schon zum Geschäftsführenden Vorsitzenden, das hieß praktisch zum Generalsekretär, der Zentralvereinigung der deutschen Emigration avanciert. Wahrscheinlich setzten sie weitergehende Hoffnungen in ihn: Grzesinski hatte Kontakte zu Otto Strasser und zu Sympathisanten des Volkssozialismus in der SPD.130 Der KPD-Führung war 1936 daran gelegen, diese Gruppierungen, wenn sie schon nicht zu gewinnen waren, mindestens zu neutralisieren. Zudem war Grzesinski, obgleich seit dem 9. Juni Mitglied des Volksfrontausschusses, bisher nicht als Kritiker des Parteivorstandes kompromittiert, er war also vielleicht als Hebel zu einer Verständigung mit Prag zu gebrauchen. Das ZK wartete noch auf eine Antwort des PV auf sein Angebot von Anfang August, gemeinsam den spanischen Freiheitskampf zu unterstützen.131 Konflikte zwischen den Vertretern der SAP auf der einen, der KPD und den Sozialdemokraten auf der anderen Seite ergaben sich auch beim Aufruf »Hitler führt Krieg«, den der Volksfrontausschuß zu Weihnachten an das deutsche Volk richtete. Der Appell erschien unter anderem in der Pariser Tageszeitung, er wurde als Flugblatt im Reich verbreitet, über den Soldaten der Legion Condor an der spanischen Front abgeworfen und über den Rundfunksender Barcelona ausgestrahlt.132 Die AZ der SAP monierte, daß der Terminus »Divisionen«, die Hitler

Vgl. AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 7, 10. August; ebd.: Brief J. Schwab An die Arbeitervertreter im Lutetia-Kreis, 17. August 1936, als As Beilage zum RSchr. Jim, 1936, Nr. 8, 28. August, auch zum folgenden; anscheinend waren, außer vom RSKreis, nur je zwei Namen vorgesehen, Ulbricht und Grzesinski waren nachträglich hinzugefügt; vgl. auch Overesch/Saal, Chronik deutscher Zeitgeschichte, 2/II, S. 368. bo Vgl. BHB 1; in den Teilnachlässen Grzesinskis finden sich nur sporadische Spuren, so im DEA zwei Briefe Otto Strassers an Grzesinski von 1934 und 1936, im LA Berlin, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 2, z. B. das hektograph. Referat von Fritz Max Cahén über »Europäische Föderation« auf der Sitzung der VSB am 19. Juni 1936. 131 Siehe »Eine Chronik der Bemühungen der KPD um die Herstellung der Einheitsin: DVZ Nr. front«, 5, 30. Januar; vgl. Ulbricht u.a., Geschichte der deutschen (Prag), 1938, Bd. S. 155. 5, Arbeiterbewegung, 132 »Spanien-Aufruf der deutschen Opposition«, in: PTZ, 1936, Nr. 197, 25. Dezember; als gedrucktes Flugblatt im IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 326, in beiden Fällen unterzeichnet von H. Mann, G Bernhard, Klepper, Breitscheid, M. Braun, Denicke, Dahlem, Funk, Münzenberg siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 32.2; anscheinend waren zur Unterzeichnung weitere Mitglieder des Lutetia-Kreises vorgesehen gewesen, Hans Schulz z.B. schrieb für Münzenberg am 29. Dezember 1936 an Fritz Deb: »Die Unterschrift für den Volksfrontaufruf [gemeint ist der >Frieden-Freiheit-Brot34 DVZ, 1937, Nr. 1, 3. Januar, S. 3.

Vgl. Ursula Langkau-Alex, »Volksfrontprobleme Sprachprobleme. Oder: Von der Schwierigkeit, das rechte Wort zu setzen«, in: Edita Koch und Fridtjof Trapp (Hrsg.), Realismuskonzeptionen der Exilliteratur zwischen 1935 und 1940/41, Mainthal 1987, S. 209ff; vgl. dies., »The Spanish CivU War ...«. 136 Als hektograph. Exemplar, 19 S., vorhanden im IISG, studiezaalmap, üjst Abendroth 425; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 32.3. 135

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161

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

Die Denkschrift setzte praktisch das »Memorandum« fort, das zum Weltfriedenskongreß des RUP ausgearbeitet worden war. Mit Zitaten aus Reden und Schriften von Naziführern und Generälen, die bis zum 16. Dezember erfaßt sind, ferner mit Belegen aus veröffentlichten Enthüllungen u. a. seitens der Partit Socialista Unificat de Catalunya (PSUC Vereinigte Sozialistische Partei Kataloniens), werden die strategischen und wirtschaftlichen Ziele der nationalsozialistischen Intervention in Spanien und die neuerliche Forderung nach Kolonien aufgezeigt. Die Kontinuität in der deutschen Außenpolitik hinsichtlich der Funktion Spaniens, von der kaiserlich-imperialistischen Kriegführung 1914—18 bis hin zur Anerkennung des Franco-Regimes am 18. November 1936, wird mit Hinweisen auf sachliche Argumentationen einst und jetzt sowie auf die Personalbesetzungen in diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Schlüsselstellungen belegt.137 Der »Kreuzzug gegen den Bolschewismus«, dem auch der gerade abgeschlossene Antikomintern-Pakt mit Italien und Japan dienen solle, sei, so schlußfolgern und warnen die Autoren der Denkschrift zugleich, die in ihrer verführerischen Wirkung auf die westlichen kapitalistischen Staaten keineswegs zu unterschätzende »spanische Wand«, hinter der sich »nichts als ein großangezur Manöver Einschüchterung der Völker, zur Erpressung der schwanlegtes kenden Regierungen, zur Verwirrung der öffentlichen Meinung, zur Gewinnung von Bundesgenossen« verberge. Das Endziel der »neudeutsch-alldeutschen« Eroberer sei die Weltherrschaft der Herrenmenschen. »Hitlers >kleine< Intervention in Spanien ist Muster, Probe und Auftakt für Hitlers >große< Intervention in -

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Europa.«138

b. Positionen in der deutschen und internationalen Sozialdemokratie Neben der gemeinsamen Arbeit im Volksfrontausschuß, in speziellen Kommissionen und im Lutetia-Kreis führte jede Partei und jede politische und »überparteiliche« Gruppe ihre eigene Spanienpolitik, unterhielt ihre eigenen Verbindungen zu verwandten spanischen und internationalen Organisationen. Die deutschen Sozialdemokraten im Lutetia-Kreis gerieten mehr und mehr in das Spannungsfeld zwischen der KPD und ihrem Parteivorstand. Trotz der kaum mit der Denkschrift des Volksfrontausschusses zu Hitlers Kriegs- und Interventionspolitik differierenden Einschätzung der nationalsozialistischen Außenpolitik139 und trotz der Kritik am Nichtinterventionspakt blieb das Engagement der Sopade als Körperschaft für die spanische Republik lau. Es erschöpfte sich praktisch in der Berichterstattung in den Deutschlandberichten für Parteikader im Reich,

Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, zwischen den verschiedenen Strömungen, Konzeptionen und Motivationen der Außenpolitik zu differenzieren, vgl. dazu: Klaus Hildebrand, »Innenpolitische Antriebskräfte der nationalsozialistischen Außenpolitik«, in: Michalka (Hrsg.), Nationalsozialistische Außenpolitik, S. 175ff. >38 Vorgehende Zitate aus der Denkschrift Hitlers Kriegs- und Interventionspolitik (siehe Anm. 136). 139 Vgl. neben Artikeln von Stampfer z.B. auch Max Klinger [d.i. Curt Geyer], »Der neue Wilhelminismus. Der Weg der nationalsozialistischen Außenpolitik«, in: NV, 1937, Nr. 188, 17. Januar. 137

162

Neue Chancen,

neue

Probleme

Weiterleitung von Berichten illegaler Parteiarbeiter über die »Freiwüügen«Transporte deutscher Soldaten zu Francos Unterstützung und auf die Wiedergabe von Soüdaritätserklärungen und -aktionen seitens der SAI und des IGB im Neuen Vorwärts. Freiüch fehlten auch die finanzieüen Mittel für eigene Unterstützungsleistungen. Geldmangel, daneben die Ablehnung der Zusammenarbeit mit den Kommunisten ebenso wie mit den Dissidenten aus den eigenen Reihen, Rücksichtnahme auf die Neutraütätspoütik der Tschechoslowakei und Anpassung an die offizieüe Linie der Soziaüstischen Arbeiter-Internationale Ueßen die Sopade nicht nur den oben erwähnten Vorschlag des Zentralkomitees der KPD zu gemeinsamer Hilfeleistung, sondern auch die Anregung der SP-Gruppe Forbach, in der

der Parteivorstand möge einen Spanien-Aufruf erlassen, beiseite schieben. Die Sopade richtete keine Verbindungssteüe zur spanischen Schwesterpartei ein, und OUenhauer hielt nur als Erster Sekretär der Soziaüstischen JugendInternationale (SJI) Kontakte zar Juventudes Socialistas Unificadas (JSU Vereinigte Soziaüstische Jugend Spaniens), deren dominierende Persönüchkeit der Kommunist Santiago Carülo war. Selbst die Frage einer Beteiügung an der Rundfunkarbeit von Frankreich und Spanien aus nach Deutschland hinein behandelte die Sopade unter Druck von Wels dilatorisch.140 Emigranten, die sich als Journaüsten, Mediziner, Techniker oder gar als Soldaten zum Dienst nach Spanien meldeten, konnten nicht auf die Unterstützung der Sopade rechnen. Engagement mit der Waffe in der Hand lehnte aber auch Breitscheid ab.141 Zugrundeüegendes Motiv war letztlich: Deutsche schießen nicht auf Deutsche. Bezeichnenderweise kamen die sozialdemokratischen Freiwilügen, ob Soldat, Sanitäter oder Journaüst, denn auch aus PV-oppositioneüen Gruppen, wie Neuer Roter Stoßtrupp und Rote Kämpfer, oder sie gehörten, wie z. B. Kuttner, Männer aus der Saar-SP und der Pariser SAJ, zum Lutetia-Kreis. Die Pariser ExüZentrale des Partito Socialista Italiano (PSI Soziaüstische Partei Itaüens) half in vielen Fäüen weiter nach Spanien, sofern sich die Freiwilügen nicht an die Kommunisten wandten. Innerhalb der Sopade und ihrer Anhängerschaft war ledigüch Hertz den spanischen Soziaüsten näher verbunden. Die von ihm redigierte Sozialistische Aktion -



Vgl. Seebacher-Brandt, Ollenhauer, bes. S. 183ff.; von zur Mühlen, Spanien, S. 112— 135, seine Behauptung, die Sopade habe »mit anderen deutschen Parteien und Gruppen 140

im Rahmen des Pariser >Lutetia«-Kreises im Gespräch über eine gemeinsame Volksfront« gestanden (S. 117), ist aüerdings Nonsense; siehe, auch zum folgenden: Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, S. 165f: PV Sitzung am 5. August 1936; IISG, NL Hertz, S. 16, lg: Walter [Ulbricht], »Im Auftrage des Poütbüros der KPD« an Hertz, 25. Juü 1936; ebd., 5. 18, Mappe Seh: Korr. Schifrin-Hertz, 18. Juü [mit Bleistiftnotizen von Hertz auf der Rückseite über Reaktionen in der Sopade betr. Rundfunk-Vorschlag], 7. August und 6. September 1936; NV, 1936, z.B. 26. Juü, 25. Oktober, 13. Dezember, 20. Dezember; Langkau-Alex, »Zu den Beziehungen [...] in Frankreich«, S. 195f.; zu den Rundfunksendern in Spanien vgl. Conrad Pütter, Rundfunk gegen das »Dritte Reich«. Deutschsprachige Rundfunkaktivitäten im Exil 1933-1945. Ein Handbuch, München 1986, hier S. 40-80. 141 Siehe z.B. Breitscheid an Hertz, 23. November 1936, IISG, NL Hertz, S. 19, XVI.

163

A IV.

»Kampf

gegen den

Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

brachte immer wieder Berichte und Analysen aus und über Spanien; zu einem guten Teil waren sie von Neu Beginnen-Mitgliedern verfaßt. Als Gruppe konzentrierte Neu Beginnen sich auf die Zusammenarbeit mit österreichischen Sozialisten, insbesondere mit Leopold Kulczar und seiner Gruppe Funke; Kurierdienste, Austausch und Verbreitung von Informationen über die militärische, wirtschaft-

liche und politische Lage in Spanien standen hier im Vordergrund. Die Zusammenarbeit wurde intensiviert, nachdem Kulczar Anfang 1937 Pressechef der spanischen Botschaft in Prag geworden war, sie wurde im Laufe des Sommers wegen Kulczars Schwenkung zur Politik der Komintern stets schwieriger und zerbrach Ende des Jahres.142 Zu den wenigen Männern aus der Neu BeginnenGruppe, die freiwillig, mit nachträglicher Billigung des Auslandsbüros, nach Spanien gingen, gehörten Tom (Thomas) Schocken und Marc Rein, der Sohn des menschewistischen Exilpolitikers Rafael Abramovic. Die Reise, die Karl Frank und als offizieller Vertreter des SPD-Vorstandes Paul Hertz im Sommer 1937 nach und in Spanien unternahmen, diente ebenso wie die Reisen von Seiten der SAI-Führung der Aufklärung des Verschwindens von Rein am 9. April, kurz nachdem er eine Grußbotschaft deutscher Antifaschisten in Barcelona an die Volksfront-Konferenz in Paris vom 10./11. April unterzeichnet hatte.143 Bald danach wurde dem Auslandsbüro von Neu Beginnen mitgeteilt, daß die Internationalen Brigaden keine von Neu Beginnen vermittelten oder gar zur Organisation gehörenden Freiwilligen mehr aufzunehmen wünschten.144 Die Büros von SAI und IGB beschlossen auf ihrer gemeinsamen Sitzung am 28. Juli 1936 in Brüssel eine Resolution »Für die Freiheit in Spanien für die Weltdemokratie!« und einen Aufruf »An die Arbeiter aller Länder«. Auch bestimmten sie eine hochrangige Delegation, die sich in Spanien über die Lage informieren und ihre Soüdarität mit den spanischen Arbeitern zum Ausdruck bringen sollte.145 Diesen ersten Zeichen des Engagements für den Freiheitskampf folgten zahlreiche andere, einschließlich Demarchen beim Völkerbund. Vor allem leisteten SAI und IGB mit den Mitteln ihres Internationalen Solidaritätsfonds für Spanien, für den bis Ende 1937 mehr als 28 Millionen französische Francs aufgebracht wurden, humanitäre Hilfe in Form von Lebensmitteln, Kleidung, Aufbau und Ausbau eines Hospitals und Finanzierung von Erholungsaufenthalten spanischer Kinder z. B. in Frankreich und Belgien.146 —

-



142 Vgl. IISG, Neu Beginnen, 50: RSchr. [AB-NB] an »Debe Freunde«, 18. Januar 1937; ebd., 53: RSchr. AB-NB, 5. Januar 1937 (verschlüsselt); BHB 1: Kulczar; von zur

Mühlen, Spanien, S.

196.

PA ULA: Notizen

Gespräch ULA mit Tom Schocken, Cambridge, MA, 26. September 1986; vgl. von zur Mühlen, Spanien, S. 192ff; zu Marc Reins Verschwinden und zur Grußbotschaft siehe unten, S. 334f. 144 Vgl. Gerhard Bry, Resistance. Recollection jrom the Nazi Years, als Ms broschiert, Shady Glen, West West Orange, N.J. (Selbstverlag) 1979, S. 179. i« Internationale Information (7.7.), 1936, Nr. 37, 38. Juk, S. 281f, und Nr. 28, 28. Juli, S. 284f. i« Vgl. z.B. IISG, IFTU, 23-25: RSchr. Schevenels an die Landeszentralen des IGB und an die IBS, 5. August 1936; IISG, SAI, 479/2: »Internationaler Solidaritätsfond für 143

164

Neue Chancen,

neue

Probleme

Nach den ersten spektakulären Sammlungen und Konvois mit Hilfsgütern arbeiteten SAI und IGB mit Rücksicht auf den Nichtinterventionsvertrag für dessen Aufhebung plädierten sie gemeinsam erstmals in einer Resolution vom 26. Oktober 1936, der noch mehrere folgten ihre Hufe stiüer. Diese üef ebenso wie die des Londoner Büros und seiner Parteien hauptsächüch über das Büro des müitanten Flügels der Gauche révolutionnaire unter Marceau Pivert in Perpignan. Erst recht die von der Blum-Regierung stülschweigend geduldeten (Transit-) Transporte von Personen und Material für den bewaffneten Kampf wurden nicht an die große Glocke gehängt.147 De Brouckères Anregung am 17. Juni 1937 auf eurer gemeinsamen Sitzung von SAI- und IGB-Spitzengremien, die »demokratischen Regierungen« zu einer gemeinsamen, im Rahmen des Völkerbunds durchzuführenden bewaffneten »Poüzeiaktion« in Spanien gegen Franco und seine materieüen Helfer Hider und Mussoüni zu bewegen, um »das, was vom Frieden in Europa noch übrig bleibt«, zu retten, »das internationale Recht wiederherzusteüen und den bewaffneten Zusammenstoß zu verhüten«, wurde jedoch nicht aufgenommen. Er demissionierte am Tage darauf.148 Es ist aüerdings fragüch, ob die Sowjetunion, die im Rahmen des Völkerbunds offizieü involviert gewesen wäre, und mindestens einige der Komintern-Sektionen außerhalb Spaniens mit den Regierungen ihrer Länder offen zu den Waffen hätten greifen müssen, eine solche Polizeiaktion toleriert, geschweige denn mitgemacht hätten. Der französisch-sowjetische Beistandspakt von 1935 z.B. bedeutete für den PCF nur eine Unterstützung der Landesverteidigung und schwer genug Zustimmung zum Miütäretat. Die SAI als Gesamtorganisation konnte aufgrund der poütischen und ideologischen Verschiedenheit der angeschlossenen Parteien von Anfang an ihre Hüfeleistungen für das repubükanische Spanien nicht mit denen der Komintern koordinieren.149 Diese Verschiedenheit war ein von ihrer Gründung an wesentliches -





-

-

Spanien. Vorläufiger Bericht, abgeschlossen

am 4. September 1936«; Id., 1936, Nr. 42, 42, 28. Oktober, S. 419; Dokumente und Diskussionen, Arcftivbeüage der 7.7. (im folgenden zit.: D.D.-I.L), 1938, Nr. 1, 27. Januar, S. 5 und 30f.

17.

Oktober, S. 388£, und 147

PA ULA:

Nr.

Aufzeichnungen

von

Gesprächen

ULA mit Max Diamant und Hans

Martens; vgl. AN/P: Papiers des Amis de Marceau Pivert; vgl. Jacques Kergoat, Marceau Pivert, socialiste de gauche, Paris 1994, S. 109ff; Daniel Guérin, Front populaire. Révolution manquee. Témoignage militant, Paris 1970, S. 150ff.

IISG, Archiv SAI, 3046/20-21, Zitate aus dem Demissionsbrief L. de Brouckères Adler, datiert Genf, 18. Juni 1937, am Sitz der SAI in Brüssel als Zirkular (C. 44/37) angefertigte As vom 19. Juni 1937; Autorenkoüektiv/Kowalski, Geschichte der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, S. 246ff, unterdrückt den Vorschlag der Poüzeiaktion, so daß de 148

an

Brouckère als Streiter für den Frieden auf der Linie der Komintern erscheint. 149 Vgl. für 1936: 7.7., bes. Nr. 27, 28. Juü, S. 281f; Nr. 28, 28. Juü, S. 284ff. (veröffentlicht am 2. August); Nr. 39, 29. September, S. 361; Nr. 42, 17. Oktober, S. 388f. (hier die Erklärung de Brouckères anläßüch seiner zusammen mit Adler geführten Besprechung mit Cachin und Thorez am 14. Oktober); Dokumentation Briefwechsel Cachin, Thorez und Paul Vaiüant-Couturier mit de Brouckère, 25./2Ó. Oktober, in: D.D.-I.L, 1936, Nr. 10, 28. Oktober, S. 52ff; vgl. weiter die aüerdings einseitig zugunsten der Komintern ausgewählten Belege bei Arthur G. London, Espagne, Paris 1966, S. 300ff.

165

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

konstituierendes, zunehmend aber auch hemmendes Element, wie Adler, auf

das Paradox der Akzeptierung von kommunistischen Delegierten im Rahmen des IGB hinweisend, in seinem Antwortschreiben vom 20. Juni 1937 an de Brouckère bedauerte; er schloß sich ebenso wie der Kassierer Joseph van Roosbroeck der Demission an.150 Zu der Besprechung mit einer Komintern-Delegation am 21. Juni 1937 in dem nahe Genf gelegenen französischen Grenzstädtchen Annemasse reisten de Brouckère und Adler als demissionierte Führer der SAL In einer gemeinsamen Erklärung wurde das Höchstmaß an Übereinstimmung im Hinblick auf Spanien festgelegt: beide Internationalen verfolgten die gleiche Politik, beide forderten die Aufhebung der Blockade, die Wiederherstellung des verletzten internationalen Rechts und die Einhaltung des Völkerbundsvertrags; die Hilfsaktionen sollten in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen, wo und wann dies ohne unnötige Reibungen möglich sei; baldige weitere Fühlungnahme, um konkretere Maßnahmen zur materiellen und moralischen Unterstützung Spaniens zu erörtern, wurde als wünschenswert bezeichnet. Dimitroff übersandte der SAI-Führung bereits fünf Tage nach der Besprechung in Annemasse telegrafisch einen Drei-Punkte-Vorschlag, der auf enge politische und humanitäre Zusammenarbeit im Sinne einer Einheitsfront zielte und damit weit über das hinausging, was wie er genau wußte Adler und de Brouckère als Repräsentanten der heterogenen SAI zugestehen konnten.151 —



c. Zur Politik des kommunistischen Lagers Die Komintern und ihre Sektionen begleiteten ihre eigene und, ab Ende September/Anfang Oktober 1936, auch die humanitäre und militärische Hilfe der Sowjetunion für Spanien mit viel Propaganda in den Medien. Dabei teilten sie stets Seitenhiebe auf die »nur« Resolutionen verfassende, aber nicht zur Zusammen-

IISG, SAI, 3046/29-30, hier ebenfalls in As als C. 66/37 vom 21. Juni 1937; alle drei erfüllten weiterhin ihre Funktionen, nachdem die Exekutive Ende Juni ihre Rücktrittsgesuche abgelehnt und ihnen das Vertrauen ausgesprochen hatte; zur 1923 gewollten Struktur der SAI in Abgrenzung von der Komintern, ihrer zunehmenden Problematik und deren agitatorische Ausnutzung von kommunistischer Seite vgl. Ursula Langkau-Alex, unter Mitarbeit von Milos Häjek und Hana Mejdrovä, »Von Krieg zu Krieg. Zu den Beziehungen zwischen der Kommunistischen Internationale und den Sozialistischen Internationalen Eine Zwischenbilanz«, in: IWK, Jg. 39 (2003), H. 4; seit etwa Mtte der zwanziger Jahre akzeptierte der IGB den Zentralrat der Sowjetgewerkschaften als allerdings einzigen kommunistischen Gesprächspartner, Delegierte nahmen an IGB-Kongressen und innerhalb der IGB-Vertretungen an SAI-Sitzungen teil. 151 Zur Vorgeschichte, darunter Telegrammwechsel zwischen u. a. Dimitroff und de Brouckère sowie letzterem und Thorez, Verlauf und Ergebnis der Besprechung in Annemasse, bei der Marcel Cachin, Pedro Checa, Franz Dahlem, Luigi Gallo (d. i. Luigi Longo) und Florimond Bonte die Komintern vertraten, vgl. die Dokumente im IISG, SAI, 3046/119 und 3046/35 (kurzes französischsprachiges Protokoll, wonach die Paraphrasierung der Erklärung im obigen Text) bis 3046/37; vgl., auch zum folgenden, die damaligen politischen Kämpfe unter kommunistischem Gesichtspunkt wiederum reproduzierend, Autorenkollektiv/Kowalski, Geschichte der Sozialistischen Arbeiter-Internationale, S. 246ff. '50

-

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166

Neue Chancen,

neue

Probleme

arbeit bereite internationale Sozialdemokratie aus; dies verstärkte sich nach >AnnemasseBarcelona< wurde aus dem Kreis der führenden Volks front-Poütiker der SAP die Kritik an der unflexiblen, darüber hinaus irrealen Revolutionsstrategie des POUM laut nach außen getragen. Die dritte Variante, nämüch: die soziaüstische Revolution als Ziel setzen und während des Krieges die Voraussetzungen dafür schaffen, trat in den Vordergrund. Brandt kleidete beides, die Kritik am POUM wie die Auffassung der PL der SAP über Krieg und Revolution, in seinem Referat auf der Sitzung der erweiterten PL der SAP, die vom 4. bis 10. Juü, mit einer Abschlußsitzung am 15. Juü 1937 stattfand, in scharfe Worte.183 In der langen, programmatischen Resolution »Zur Spanischen Revolution«, welche die Sitzungsteünehmer annahmen, wurde der Komintern, die zwar erkläre, »in Spanien eine radikale Demokratie mit starken sozialen Inhalten« zu erstreben [, aber] in der heutigen Entwicklungsetappe die soziaüstische Zielsetzung« ablehne, die eigene Konzeption entgegengesetzt. Diese war so formuüert, daß sowohl die Korrektur der bisherigen Vorsteüungen als auch die Zurückweisung der spitzfindigen Polemik, mit der die Kommunisten in ihrer Presse und in Briefen an die Volks frontpartner gegen die SAP vorgingen, zum Ausdruck kam. Die PL der SAP schrieb: »Es handelte sich nicht darum, eine proletarische Diktatur bei Soziaüsierung des Klein- und Mittelbesitzes und bei Zwangskoüektivierung auf dem Lande durchzuführen, sondern darum, die proletarische Hegemonie im Rahmen einer breiten antifaschistischen Demokratie aufrechtzuerhalten und auszubauen, jedem Gebietsteil Freiheiten und dem Kleinbürgertum Garantien zu geben und zugleich den Fortschritt zur proletarischen Diktatur vorzubereiten.«184 Die KPD-Führung indes übersah die Kritik der SAP am POUM geflissentlich. Sie pickte sich vielmehr zweierlei Verlautbarungen von SAP-Seite heraus: einmal diejenigen, in der die revolutionäre Perspektive für Spanien und für eine Volksfront für Deutschland gegen die kommunistische Poütik unterstrichen wurde, zum anderen diejenigen, in denen der nunmehr vogelfreie POUM gegen die Verleumdungen, in Barcelona den »konterrevolutionären Aufstand« gegen die Republik angezettelt zu haben, verteidigt, seine und der anderen Gruppen Verfolgung verurteüt wurde. Meistens fielen beide Aspekte in einer Steüungnahme oder Reaktion zusammen. So forderte Walcher nach dem Bekanntwerden der Verhaftung von Andrés Nin und weiteren 200 POUMisten im Namen der PL einen ...





Wassermann bei: Ursula Langkau-Alex, >»Bildet die deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot!« Zur Genesis des programmatischen Aufrufs des Ausschusses zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront« in Paris vom 21. Dezember 1936«, in: IWK, Jg. 21 (1985), S. 183-203, hier S. 202, Anm. 20. 183 Wiüy Brandt, Ein Jahr Krieg und Revolution in Spanien. Referat auf der Sitzung des erweiterten Vorstands der SAP, Juli 1937, hektograph. brosch., o. O., o. J. 184 ARBARK, SAP, 2, 16b, 16: »Zur Spanischen Revolution (Resolution, angenommen auf der Sitzung der Erweiterten Partei-Leitung der SAP im Juü 1937)«, 5 S., Zitat S. 4; zu Vorbereitung, Tagesordnung und Durchführung der Sitzung vgl. auch AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1937, Nr. 12, l.Juni, mit Anlage Bericht Hans [Diesel, d.i. Max Diamant] an die PL, dat. Barcelona 25. Februar 1937; ebd., RSchr. Jim, 1937, Nr. 15, 21. Juü.

175

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

internationalen Untersuchungsausschuß »aus je einem Vertreter des IGB, der II. und III. Internationale, der anarchistischen und syndikalistischen internationalen Spitzenorganisationen und dem Internationalen Büro für revolutionär-sozialistische Einheit«, auch wandte er sich mit Erfolg an Breitscheid, Böchel, Brandler und Thalheimer. Die Verfolgungen und die Prozesse in Moskau vor Augen, schrieb er: »Wie immer man auch die POUM und ihre Politik beurteilen mag, hier handelt es sich um die Abwehr einer Methode, die sich heute gegen die POUM richtet und die morgen gegen die CNT und übermorgen gegen den Caballero-Flügel gerichtet sein wird.«185 In der Deutschen Volks-Zeitung wurden die Mitglieder der SAP zum »rücksichtslosen Bruch« mit den »Trotzkisten« in ihrer Partei aufgefordert.186 Namentlich wurden in rabulistischer Manier denunziert: Max Diamant, der Verbindungsmann zum POUM bis Anfang April 1937; Paul Frölich, der anonyme Autor von »Was kommt nach Hitler? Probleme der deutschen Revolution«187, und seine Frau Rosi Wolfstein, die schon 1936, dann auf der Osterkonferenz 1937 als äußerst kritische, jedoch Volksfront-bejahende Wortführerin der SAP aufgetreten war. In der Deutschen Volks-Zeitung war zu lesen: »Wer den Feinden der spanischen Republik hilft, kann der ein ehrlicher Bundesgenosse gegen den Hiderfaschismus sein? Es ist kein Zufall, wenn SAPFührer, wie Rosi Wolfstein in der Sitzung des Volksfrontausschusses in Paris -

-

ARBARK, SAP, 6, 52, 4: [Walcher] an Breitscheid, 22. Juni 1937, daraus das Zitat; 6, 52, 5: [Walcher] an Breitscheid, 29.Juni 1937; vgl. auch z.B. H[ans] Dfiesel], spanische Revolution«, in: Revolution in Spanien, 1937, zweite Juli-Hälfte; vgl. BreSAP, bes. S. 190ff.; siehe auch die Belege in: Presse der Sozialistischen Arbeiterpartei

185

vgl. ebd. »Für die mer,

Deutschlands. 186 Siehe, auch zum folgenden: »Die Schmach der SAP. Ein kommunistischer Funktionär schreibt uns«, in: DVZ, 1937, Nr. 28, 11. Juli, S. 4; vgl. dazu SAPMO, Ry 1, I 2/3/287: W[alter Ulbricht] an »Lieber Wilhelm« [Name handschr.], 21. Juni 1937: demnach war der vom Pariser ZK-Sekretariat der KPD konzipierte Artikel zu dem Zeitpunkt bereits geschrieben, »aber wegen Raummangel in der DVZ noch nicht« erschienen; Ulbricht begründete die Publikation, die im Zusammenhang steht mit den Reaktionen auf den Prozeß gegen Radek und Genossen in Moskau ich komme weiter unten darauf zurück damit, man müsse »eine klarere Scheidung der Geister« herbeiführen. »Es besteht eben die Tatsache, daß trotzkistische Elemente anscheinend auf direkte Anweisung von Trotzki hin versuchen, in die SAP einzudringen. So z. B. Erich Kohn, einer der Hauptmacher Trotzkis in Kopenhagen] ist zur SAP übergetreten. Egon Loewenthal aus Bin [sie] ist aus der trotzkistischen Gruppe ausgetreten, jedoch liegt noch keine Nachricht vor, ob er zur SAP gegangen ist. Hinzu kommt die Stellung der SAP-Leute zur sp[anischen] Frage und ihre konterrevolutionäre Tätigkeit in Barcelona] etc.« 187 [Paul Frölich], Was kommt nach Hitler? Probleme der deutschen Revolution, hrsg. von der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands, [Paris 1937], gedr. in Brüssel; die gleichnamige Artikelserie war erschienen in: NF, 1935, Nr. 24, Mitte Dezember, bis 1936, Nr. 6, Mitte März, jeweils Beilage S. 1; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 18.1; vgl. auch: Die weltpolitische Lage. Referat des Genossen Franz auf ^er erweiterten Parteileitung der -

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SAP, Anfang juli 1937, [Paris 1937]. 176

Säuberungen und Prozesse

in Moskau

mit ähnlichen Argumenten gegen die deutsche Volksfront auftreten, wie die POUM sie als Vorwand benutzte, um der spanischen Volksfront heimtükkisch in den Rücken zu fallen. Ebenso wie die POUM unter der Losung >die Volksfrontregierung ist die demokratische Konterrevolution« mit ihrem Putsch in Barcelona während der wütendsten Angriffe Franco-Molas (und in Übereinstimmung mit ihnen) die spanische Republik zu erschüttern versuchte, so helfen die Trotzkisten in der SAP-Führung Hider im Kampf gegen die deutsche Volksfrontbewegung, Goebbels in seiner Kampagne gegen die sich ausbreitende Idee der Volksfront mit der scheinradikalen Behauptung, eine >neue demokratische Repubük würde nichts anderes sein als die demokratische Konterrevolution«.«188 Spanien und das Engagement für diese antifaschistische Repubük bewirkten also für Spavon Anfang an höchst gegenläufige und widersprüchüche Reaktionen nien selbst, für Deutschland und für die Volksfrontbewegung aügemein. -

Säuberungen und Prozesse in Moskau 1. Trügerische Ruhe

Verfolgungen, Säuberungen, Verbannungen, Verurteüungen, Hinrichtungen in der Sowjetunion, besonders unter Staun, hatten schon in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren erschreckt und zur weiteren Entfremdung zwischen kommunistischen Organisationen und der (deutschen) Sozialdemokratie geführt. Sie hatten auch den good will bürgerücher Demokraten, die sich als Freunde der Sowjetunion verstanden und sich für jede begründbare (internationale) Hilfe und Soüdarität zur Verfügung steüten, strapaziert. Die Poüt- und Kulturfunktionäre der KPD schlugen bis 1934/35 immer wieder, außer auf die »Sozialfaschisten«, auf die »bürgerüchen Renegaten«, «die »Lakaien der Bourgeoisie« ein. Nach dem Prozeß gegen das »Moskauer Zentrum« von Mitte Januar 1935, in dem Grigorij Sinovev und Lev Kamenev und andere führende Bolschewiken zu fünf bis zehn Jahren Gefängnis verurteüt worden waren, erschien es den meisten Außenstehenden, als habe sich der innenpoütische Machtkampf in der Sowjetunion paraüel zur fortschreitenden außenpoütischen Integration in die Völkerbundgemeinschaft beruhigt. Daß mit den Verurteüungen und den Säuberungen rund um den Mord an Kirov eine quaütativ neue Komponente im Kampf gegen die Opposition eingeführt wurde, nämüch die Behauptung einer Verbindung zwischen der innerparteilichen Opposition »mit den Weißgardisten im Ausland«, legte der in Moskau stationierte amerikanische kommunistische Journaüst Louis Fischer im Frühsommer 1935 in einem ansonsten apologetischen Artikel in der Neuen Weltbühne dar.189 Auch begründete Warnungen, etwa von Seiten des exi188

»Die Schmach der SAP ...« (siehe Anm. 186). NWB, 1935, Nr. 23, 6. Juni, S. 715ff; vgl. insgesamt Schauprozesse unter Stalin 19321952. Zustandekommen, Hintergründe, Opfer. Mit einem Vorwort von Horst Schützler, Berün 1990. 189

177

A IV.

»Kampf gegen den Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

lierten Bolschewiken Lev Trockij oder des ebenfalls exilierten Menschewiken Rafael Abramovic, vor anhaltendem Terror, und die öffentlichen Drohungen von Sowjetseite gegen diese und andere Personen wurden kaum beachtet, obgleich dabei stets das Agitationsthema Nummer Eins der Komintern und ihrer Sektionen, nämlich die Einheitsfront der Arbeiterparteien, zur Diskussion stand. Deutsche und österreichische Kommunisten, die etwas bemerkten, hielten ihr Wissen und Unbehagen lieber für sich; erst recht taten dies unmittelbar am Partei- oder Staatsapparat Beteiligte.190 Der neue Verfassungsentwurf, den die Sowjetregierung am 12. Juni 1936 mit der Aufforderung zur Diskussion veröffentlichte, wurde von bürgerlichen Demokraten begrüßt. Emil Ludwig nannte ihn ein »Dokument der Menschheit«.191 In den Arbeiterparteien und Zwischengruppen weckte er je nach ideologischer Ausrichtung Hoffnungen auf eine allmähliche Umwandlung der realen bolschewistischen Diktatur in eine proletarische bzw. sozialistische Demokratie oder gar in einen demokratischen Sozialismus.192 Die Dekretierung fünfzehn Tage später eines rückschrittlichen Abortus- und Ehegesetzes gegen den massiven Protest der Bevölkerung, die einen Monat lang frei ihre Meinung hatte sagen und schreiben dürfen, dämpfte allerdings manche Erwartungen einer Demokratisierung innerhalb der KPdSU wie auf Staats- und gesellschaftspolitischer Ebene von unten auf, die das zur Diktatur der Partei- und Regierungsspitze verkommene Leninsche Prinzip des »demokratischen Zentralismus« ablösen werde.193 Dennoch glaubten deutsche und österreichische (Links-)Sozialdemokraten, angesichts auch der Einheits- und Volksfronten in Spanien und in Frankreich und der in beiden Ländern vollzogenen kommunistisch-sozialistischen Gewerkschaftseinheit, mit dem Verfassungsentwurf eröffne sich die Perspektive einer auch politischen Wiedervereinigung der Arbeiterbewegung. Otto Bauer hatte sie bereits in seiner als Antwort auf den Faschismus verstandenen, nicht unumstritte—



190 Siehe z. B. die beiden Artikel von P. Lang, »Die neueste Verleumdungskampagne gegen die Sowjetunion. Block Trotzki-Hearst«, und: »Die Träume des Verräters Trotzki«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 8, 20. Februar, S. 327f., und Nr. 33, 23. Juli, S. 1369ff.; L. Trotzki, »Ein Plan der physischen Ausrottung der Bolschewiki-Leninisten«, dat. 25. März 1936, in: Unser Wort (UW), 1936, Nt. 10 (74), Mitte Mai; R. Abramowitsch, »Einheitsfront und Einheitspartei«, in: ZfS, Nr. 33, Juni 1936, S. 1050ff., bes. S. 1056; vgl. Litvinov, Journal, S. 205f. und 208ff.; Gross, Münzenberg, S. 286ff.; Hans Albert Walter, Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis (Deutsche Exilliteratur 1933-1950, Bd. 2), Stuttgart 1984, S. 203ff. 191 NWB, 1936, Nr. 28, 9. Juli, S. 872ff; zur Veröffentlichung des Verfassungsentwurfs siehe Anm. 56 dieses Kapitels. 192 Vgl. z. B. »Ein Schritt zur Demokratie. Neuer Verfassungsentwurf der Sowjetregiein: Sozialistische Aktion, 1936, Juli; »Die dritte Verfassung« [unter der Rubrik »Zur rung«, Entwicklung der Sowjetunion«], in: NF, 1936, Nr. 13, Anfang Juli; Otto Bauer, »Auf dem Wege zur sozialistischen Demokratie«, in: Der Kampf, 1936, Nr. 7, Juli, S. 261 ff. 193 »Zur Entwicklung der Sowjetunion: Die neue Familie«, in: NF, 1936, Nr. 12, Mitte Louis Fischer, »Sozialer Rückschritt in der Sowjet-Union«, in: NTB, 1936, H. 28, Juni; 11. Juli, S. 661 ff, und Nr. 29, 18. Juli, S. 685ff; laut Max Diamant gegenüber ULA wurde Fischer von Münzenberg zum Schreiben kritischer Artikel angeregt.

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Säuberungen

und Prozesse in Moskau

des »integralen Soziaüsmus« theoretisch entworfen. Ausgehend der auch rückwärts gewandten Analyse der »Krise der Weltwirtschaft, der Demokratie und des Soziaüsmus« destüüerte er als Voraussetzung zur Lösung aüer Probleme: Durch Erziehung und Aufklärung müßten das mit dem Erbe der bürgerüchen Revolutionen auf den Gebieten der Menschenrechte und Kulturwerte gespeiste »Ethos des demokratischen Soziaüsmus und das Pathos des revolutionären Soziaüsmus zu höherer Einheit« weiterentwickelt werden zu der von unten nach oben aufgebauten »soziaüstischen Demokratie«.194 Äußerst skeptisch gegenüber dem »Staünismus-Leninismus« hieß es demgegenüber im Neuen Vorwärts-. Da die Aüeinherrscherroüe der KPdSU fortgeschrieben werde, handle es sich ledigüch um die »Verbindung einer totaütären Diktatur mit den äußeren Formen der Demokratie«. Aüerdings werde die »Verfassungsänderung [...] die Bündnisfähigkeit der Sowjetunion verstärken, sie wird die poütische Zusammenarbeit mit demokratischen Ländern zum Schütze des Friedens und zur Bekämpfung des Faschismus erleichtern«.195 Als sich die Augen aller Antifaschisten auf Spanien richteten, platzte aus Moskau eine amtüche Nachricht herein, die den begonnenen Krieg zwischen »Antifaschismus« und »Demokratie« auf der einen, Reaktion, Faschismus und Diktatur auf der anderen Seite für einige Tage aus den Schlagzeüen verdrängte: ein großer Prozeß vor dem Miütärkollegium des Obersten Gerichtshofes der UdSSR gegen das »trotzkistisch-sinowjewistische terroristische Zentrum« wurde kurzfristig für den 19. August angesagt. Sechzehn alte, meist international gediente Bolschewiki, darunter einige, so Sinovev und Kamenev, die bereits im Prozeß gegen das »Moskauer Zentrum« zu mehrjährigen Haftstrafen verurteüt worden waren, wurden in der Anklageschrift vom 14. August bezichtigt, seit Jahren mit Trockij, der im Dienste der deutschen Faschisten stehe, in Verbindung gestanden und zusammen verschworen, den tödüchen Anschlag auf Kirov betrieben, die Ermordung Staüns und einer Reihe führender Mitgüeder der KPdSU und der Sowjetregierung geplant und auch tatsächüch versucht zu haben. Bis auf zwei, die jedoch ledigüch die Beteüigung an den Terrorakten bestritten, gestannen

Konzeption

von

194 Otto Bauer, Zwischen zyei Weltkriegen? Die Krise der Weltwirtschaft, der Demokratie und des Sozialismus, Bratislava: Eugen Prager Verlag 1936, Zitate S: 312, 324, 325; ders., »Auf dem Wege zur soziaüstischen Demokratie«, in: Der Kampf. Internationale Revue, 1936, Nr. 7, Juü; vgl. dazu kritisch: K[arl] Bföchel], »Zwischenbüanz im Wandlungsprozeß«, in: RS-Briefe, 1936, Juü (nach der Beschlagnahme 2. Aufl.), S. 5ff; Paul Hagen [d.i. Karl Frank], »Integraler Soziaüsmus«, in: Zß, 1936, Nr. 34/35, Juü/August, S. 1099ff; revolutionärer dagegen, anonym, »Notizen zu Otto Bauer«, dat. 15. Juü 1936, 3 S., IISG, Neu Beginnen, 58; Hüferding an Hertz, 4. August und 14. August 1936, IISG, NL Hertz, S. 19, XVII; vom Komintern-Standpunkt siehe Rundschau (Basel), 1936, Nr. 31 und Nr. 32, 10. bzw. 17. Juü, S. 1267ff. bzw. S. 1321 ff; zur Diskussion in der Geschichtsschreibung in den (letzten) DDR-Jahren: Herbert Mayer, »Zwischen zwei Weltkriegen: Otto Bauer«, in: 73zG, Jg. 32 (1990), S. 37ff; Horst Klein, »Parteiauffassung und Konzept des dntegralen Soziaüsmus« des sozialdemokratischen Theoretikers Otto Bauer«, in: ebd., S. 302ff. 195 »Sowjetrußland auf dem Wege zur Demokratie? Die Bedeutung des neuen Verfassungsvorschlages«, in: NV, 1936, Nr. 158, 21. Juni.

179

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

¡st

Kampf

gegen den Faschismus«

den die Angeklagten in vollem Umfange; alle wurden wenige Stunden nach dem Todesurteil vom 24. August erschossen.196 Über die Motive für die Geständnisse und erst recht über die Hintergründe und den Ausgangspunkt dieses Prozesses und der weiteren ihm folgenden ist bereits viel geschrieben worden. Monokausale und komplexe Erklärungen und Theorien, die teils gepaart sind mit dem Versuch, neue Begriffe einzuführen von Stalins paranoider Herrscherpersönlichkeit über die Frage, ob es hingegen um die Herrschaft über ihn ging, bis zur Systemimmanenz des KommunismusBolschewismus und der Doktrin vom demokratischen Zentralismus; von Machtkämpfen innerhalb der KPdSU bis zum Machtkampf zwischen Partei- und Regierungsspitze auf der einen und der Armee sowie der Bürokratie auf der anderen Seite; von den Wirtschaftsproblemen, den sozialen und ethnisch-kulturellen Gegensätzen im Innern bis zur Außenpolitik sind, zumal nach Öffnung der Moskauer und anderweitiger Archive nach 1991, wohl noch lange nicht ausdiskutiert.197 Im folgenden hegt der Akzent wieder auf der Frage, wie sich die Säuberungen und Prozesse in der Sowjetunion auf die Einheits- und Volksfront-Bestrebungen besonders im deutschen Exil in den westeuropäischen Ländern auswirkten.198 —



196

Kurzbiographien dieser und in späteren Prozessen Angeklagten in: Schauprozesse Stalin; siehe die Dteraturangaben bei Langkau-Alex, >»Bildet die deutsche Volksfront!Säuberungen< in den kommunistischen Parteien Europas seit den dreißiger Jahren, hrsg. von Hermann Weber und Dietrich Staritz in Verbindung mit Siegfried Bahne und Richard Lorenz, Berlin 1993. 197 Hier ein kleiner Querschnitt: Marcel Villard, Der Moskauer Prozeß- Wie sie gestanden haben, Strasbourg: Editions Prométhée [1938]; Pierre Broué, Les procès de Moscou. Comptes rendus du Commissariat du Peuple à la justice. Dossiers de la révision depuis le XXe Congrès du PC de l'URSS. Bibliographie critique, Paris 1964, bes. S. 265ff.; John Archibald Getty/Roberta T. Manning (Hrsg.), Stalinist Terror. New Perspectives, Cambridge usw. 1993; Fred E. Schrader, Der Moskauer Prozeß 1936. Zur Sozialgeschichte eines politischen Feindbildes, Frankfurt/M. New York 1995, bes. Kap. 5; Hermann Weber/Ulrich Mählert (Hrsg.), Terror. Stalinistische Parteisäuberungen 1936-1953, Paderborn usw. 1988, bes. die Einleitung von H. Weber und unter

-

die Beiträge von A. Vatlin, R. Müller und F. N. Platten; Wladislaw Hedeler (Hrsg.), Stalinistischer Terror 1934—41. Eine Forschungsbilanz Berlin 2002; ders., Chronik der Moskauer Schauprozesse 1936, 1937 und 1938. Planung, Inszenierung und Wirkung. Mit einem Essay von Steffen Dietzsch, Berlin 2003. 198 Zu Wirkungen innerhalb Deutschlands vgl. z. B. Deutschland-Berichte der Sopade (Reprint), Bd. 1936, S. 1196, und Bd. 1937 passim (vgl. Register dort); ebenfalls FaschismusKorrespondenz, hrsg. von der ITF, Amsterdam 1936-1938.

180

Säuberungen und Prozesse

in Moskau

Genereü kann gesagt werden, daß außerhalb der Komintern und ihrer Sektionen die Form des ersten >Großen< Prozesses von allen poütischen Gruppierungen mindestens impüzit kritisiert, von nicht wenigen rundheraus abgelehnt wurde. Die Einschätzung, daß es sich um einen innerparteüichen und innenpoütischen Richtungs- und Machtkampf handle, herrschte vor, darüber hinaus gingen die meisten Steüungnahmen von der Frage nach dem Wahrheitsgehalt der

Anklage aus.

2. Reaktionen

von

Inteüektueüen

Schwarzschild und Budzislawski trafen sich in einer als realpoütisch oder praktisch verstandenen Betrachtungsweise. Angesichts der »Machtpoütik« des (deutschen) Faschismus (Budzislawski) in Europa nütze die kompromißlose revolutionäre Konzeption Trockijs »objektiv Hider« (Schwarzschild); die »Volksfrontpoütik« der Komintern (Budzislawski) bzw. »die Parole des Zusammenschlusses« der Sowjetunion mit bürgerüch-demokratischen Ländern (Schwarzschüd) sei die einzig richtige Antwort. Doch während Budzislawski vorsichtig den »poütische [n] Inhalt« des Prozesses müdernd in seine im Grunde ablehnende Haltung einbezieht und sich im Interesse des Antifaschismus für die Volksfront und das Bündnis mit der Sowjetunion ausspricht, deutet sich bei Schwarzschild, der sich bereits wegen der Affäre um Pariser Tageblatt/Pariser Tageszeitung dem Volksfrontausschuß entfremdete,199 schon Distanz an, wenn er schreibt: »Aber zwischen eurer Poütik, die in ihrer Konsequenz, ohne es zu woüen, dem Gegner dient, und einer Poütik im Dienste des Gegners, ist der Unterschied himmelweit.«200 Nach dem zweiten, dem Prozeß vom 23. bis 30.Januar 1937 gegen Radek u.a., der bei den meisten exilierten Nichtkommunisten zur (vorläufigen) Klärung der Position oder gar zur ersten nach außen getragenen Reaktion überhaupt auf die Vorgänge in Moskau führte,201 bezog Schwarzschild eindeutig Steüung. Im Namen der »Freiheit«, der »Demokratie« rechnete er öffentlich mit jedweder Diktatur auf welcher Ebene auch immer ab. Zur Kronzeugin, gewissermaßen zur Mitstreiterin erkor er Rosa Luxemburg, »die ergreifende Frau das einzige Genie, —

199

Siehe dazu unten, S. 367ff.

Leopold Schwarzschüd, »Der Gestapomann Trotzki«, in: NTB, 1936, H. 35, 29. August, S. 825-828; Hermann Budzislawski, »Machtpoütik«, in: NWB, 1936, Nr. 36, 3. Sep200

tember, S. 1113-1116. 201

Vgl. etwa Arnold Zweig an Don Feuchtwanger, 7. Februar 1937, in: Lion Feuchtwanger-Arnold Zweig: Briefwechsel 1933-1958, Bd. 1: 1933-1948, hrsg. von Harold von Hofe, Berün 1984, S. 138ff; Zweig hielt aüerdings die Hineinziehung Trockijs »für die Folge eines Betruges, den irgendeine interessierte antibolschewistische Steüe [...] aufgezogen hat. Das scheint absurd, paßt aber außerordentlich gut zum Typus des Herrn Goebbels und seinen Vorsteüungen von bolschewistischer Poütik und Gegenpoütik«; RS-Briefe, 1937, Februar; PTZ, 1937, Nr. 233, 30. Januar, S. 1; zur KP(D)0 wie zu nichtdeutschen Parteien siehe

Buschak, Londoner Büro, S. 266ff. 181

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg ist Kampf gegen den

Faschismus«

das der deutsche Sozialismus nach Marx noch gebar«; sie habe in ihrer Kritik an Lenin und Trockij, die sie im Herbst 1918 im Breslauer Gefängnis niederschrieb, prophetisch »die Automatik, die dem Institut der Diktatur unabänderlich, unentrinnbar innewohnt«, aufgezeigt.202 Schwarzschilds Bruch mit der Volksfrontbewegung, in der »Kommunisten« wirkten, war aber noch aus anderen Gründen, auf die ich weiter unten (im Kapitel A VT) zurückkommen werde, definitiv. Unberührt davon befürwortete er jedoch weiterhin ein Bündnis der westlichen demokratischen Staaten mit der Sowjetunion gegen NS-Deutschland. Ähnlich überwog bei Budzislawski und den Autoren der Neuen Weltbühne, die durchweg freilich mehr Affinität zum Kommunismus hatten, die bündnispolitische Raison angesichts des deutschen Faschismus und der von ihm ausgehenden Kriegsgefahr. Die Leitung der überparteilich konstruierten Solidaritätsorganisation Union für Recht und Freiheit (URF) in der Tschechoslowakei zeigte hingegen keinerlei Zweifel, als sie es ablehnte, der Aufforderung »von einigen Journalisten« nachzukommen, sich einem öffentlichen Protest gegen den SinovevKamenev-Prozeß anzuschließen.203 Bei dem Protest handelte es sich wahrscheinlich um den Appell »An alle Freunde des Rechts, der Geistes- und Gewissensfreiheit«, den Fritz Brupbacher vom verwandten Patenschaftskomitee in Zürich mit den Unterschriften von Kurt Hiller, Walter Fabian, Ignazio Silone und Willi Schlamm verbreitete.204 Hiller schwenkte freilich Mitte September, »nach genauem Studium des amtlichen Presseberichts«, wie er schrieb, zu der Ansicht um, daß die Anklage und damit der Ausgang des Prozesses richtig sei, und er widerrief öffentlich seine Sympathiebezeugung an die Adresse der deutschen Trotzkisten und seinen Protest an die Adresse Moskaus was die überraschten Kommunisten hoch erfreute.205 Eichler gegenüber gab Hiller auch eine süffisante individual-psychologische Erklärung für seine neue Überzeugung: —

202 Leopold Schwarzschild, »Die alte Wahrheit«, in: NTB, 1937, H. 7, 13. Februar, S. 155ff, Zitate S. 156 und 157; er zitiert und markiert dabei die ihm am wichtigsten erscheinenden Passagen aus: Rosa Luxemburg, Die Russische Revolution. Eine kritische Würdigung. Aus dem Nachlaß von Rosa Luxemburg, hrsg. und eingeleitet von Paul Levi, [Berlin-Fichtenau]: Verlag Gesellschaft und Erziehung 1922, Luxemburgs Text beginnt auf S. 67; zu den Hintergründen dieser Luxemburg-Schrift da war vor allem die Erschießung von 200 Sozialrevolutionären durch die Sowjets nach dem Frieden von BrestDtovsk vgl. Annelies Laschitza, Im Lebensrausch trotz alledem. Rosa Luxemburg. Eine Biographie, Berlin 1996, S. 570ff. 203 Siehe JWB, 1936, Nr. 37, 10. September, S. 1175. 204 IISG, NL Brupbacher, Mappe 371: RSchr., mit Stempel Adresse Brupbacher, dat.: -

-

-



Anfang September 1936, hektograph.

205 Siehe Kurt Hiller, »An die deutschen Freunde Trotzkis«, dat.: 19. August 1936, in: UW, 1936, Sonderausgabe von Ende August; Widerruf am 19. September 1936 in: NWB, 1936, Nr. 40, 1. Oktober, S. 1272, auszugsweise Nachdruck in: DVZ, 1936, Nr. 30, 11. Oktober, S. 4 (unter der Rubrik »Tribüne der Deutschen Volkszeitung«); Berner Tagwacht, 1936, 3. September und 20. November: Protest und Widerruf Hillers, jeweils mit einer Antwort von Johre [d.i. Joseph Weber]; AdsD, IJB/ISK, 30: Hiller an Eichler, 26. September 1936 (Zitat); UBB, 043, Ah 045: Johre an Hiller, 14. Dezember 1936; UW,

182

Säuberungen

und Prozesse in Moskau

»Vieüeicht bin ich dem Staun von heute sachüch näher als dem Trotzki von heute; dafür bin ich typologisch zweifeüos dem Trotzki verwandter kurzum ich bin hier wirklich ein idealer Neutraler.«206 Hiüers >Neutraütät«, die Eichler übrigens zerpflückte,207 stand seiner Annäherung an den Volksfrontausschuß und umgekehrt seiner Akzeptanz dort im Wege. Dabei bildeten auf beiden Seiten poütische und persönliche Motive ein schier unentwirrbares Knäuel.208 Die Distanz wurde auch nicht aufgehoben, als Hüler im veröffentlichten stenographischen Bericht des zweiten Prozesses vom Januar 1937 für sich den unumstößüchen Beweis fand, daß an »der Echtheit der Geständnisse, an der Wirklichkeit der Verschwörung (terroristisch und sabotistisch) [...] einfach nicht mehr zu zweifeln« sei. Seine Schlußfolgerung: »Durch diese Prozesse ist die Cüquendiktatur widerlegt, zugunsten einer Klassendiktatur mit innerer, intrasoziaüstischer >Demokratie< alias Diskus-

sionsfreiheit«,209

entsprach auf den ersten Bück im Grunde den Auffassungen von Heinrich Mann und von Feuchtwanger, um nur diese beiden als Repräsentanten einer Reihe ünksbürgerücher InteUektueüer hier mit Namen zu nennen. Heinrich Mann äußerte sich zwar erst prononciert in Richtung Öffentlichkeit, als NS-Deutschland und die Sowjetunion bereits im Krieg miteinander standen, doch gegenüber Bruder Thomas sprach er schon im August 1937 von dem zu zehn Jahren Haft verurteüten Karl Radek als einem der »übelsten Reaktionäre^«. Offenbar hatte ihn nicht zuletzt Feuchtwangers zunächst wohl mündücher

Bericht über seine Reise nach Moskau, die vom Dezember 1936 bis in den Februar 1937 hinein währte und während derer er unter anderem dem >Radekkleine Leute< und Verwandte handelte. Versuche zu helfen, um Milde einzukommen, waren nicht selten.213 Dem weitgehenden Verständnis dieser Intellektuellen für die Verfolgungen und Prozesse in der Sowjetunion lag, zu einem großen Teil jedenfalls, ein Revolutionsmythos zugrunde. Dessen retrospektiver Fluchtpunkt war die Französische Revolution, die, auf einen Nenner gebracht, als Wiege der Emanzipation des liberal-demokratischen Bürgertums und in deren Verlängerung wiederum der Emanzipation des Proletariats gesehen wurde. Dieser Mythos, der sich insbesondere bei Heinrich Mann stark ausgeprägt zeigt, erhielt in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur in dem Maße neue Nahrung und neue Dimensionen, in

empfangen211



211 Siehe Georgi Dimitroff, Tagebücher 1933-1943, hrsg. von Bernhard Bayerlein u. a., 2 Bde., Berlin 2000 (im folgenden: Bayerlein [Hrsg.], Dimitroff, Tagebücher), hier Bd. 1, S. 140 (18. Dezember 1936), 144 (3. Januar 1937), 148 (2. Februar 1937); Feuchtwanger erschien bei beiden Besuchen bei Dimitroff mit der deutschen kommunistischen Journalistin Maria Osten, Pseudonym von Maria Greßhöner, die im Verlag ihres sowjetischen Lebensgefährten Michail Kolcov die Zeitschrift Das Wort vorbereitet hatte, für die Feuchtwanger zusammen mit Brecht und Bredel als Herausgeber zeichnete. 212 Don Feuchtwanger, Moskau 1937. Ein Reisebericht für meine Freunde, Amsterdam: Querido-Verlag 1937, bes. Kap. »Klarheit und Geheimnisse der Trotzkistenprozesse«; der Klappentext preist übrigens, das Buch sei »ähnlich der kürzlich erschienenen Schrift Gides (Retour de l'URSS ULA] ein wesentlicher Beitrag zu der nie ruhenden Diskussion über das Rußland von heute«; vgl. die Darstellungen und Analysen von Hans-Albert Walter, Deutsche Exilliteratur 1933-1950, Bd. 4: Exilpresse, Stuttgart 1978, bes. S. 62f. und 470ff.; Karl Kröhnke, Lion Feuchtwanger Der Ästhet in der Sowjetunion. Ein Buch nicht nurfür seine Freunde, Stuttgart 1991. 213 Vgl. z. B. Brecht an Bernard von Brentano, Anfang Februar 1937, in: Bertolt Brecht, Briefe, hrsg. und kommentiert von Günter Glaeser, Frankfurt/M. 1981, Bd. 1, S. 302f., und Bd. 2, S. 983; NL Feuchtwanger (siehe Anm. 210): Briefwechsel Brecht/Feuchtwanger um die Schauspielerin Carola Neher, Mai, Juni, November 1937; als H. Manns geschiedene Frau Mimi und seine Tochter Leonie während einer Reise durch die Sowjetunion verhaftet wurden, wandte sich H. Mann an Johannes R. Becher in Moskau, der die Angelegenheit sofort und mit Erfolg an die richtige Adresse weitergab, siehe Brieffkarten)wechsel, worin die Geschehnisse umschrieben sind (z.B. »Sanatorium« für Gefängnis), H. Mann Becher und H. Mann mit einer Dame aus der Tschechoslowakei, AdK-StA, NL H. Mann sowie NL J. R Becher, hier bes. Nr. 63 und Nr. 66: Becher an H. Mann, 3. August 1938 bzw. 3. April 1939. -

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-

184

Säuberungen

und Prozesse in Moskau

dem das Regime sich in Worten und Taten als Triumphator über die Ideen von 1789 darsteüte. Er fand seinen verbalen Ausdruck in dem Credo »Die Revolution ist unteübar«, das der Losung »Der Friede ist unteübar« entsprach.214 Der im Revolutionsmythos wurzelnde, auch gewiß nicht ohne Zuhilfenahme sozialpsychologischer Kategorien zu ergründende miütante Humanismus verwehrte es diesen Inteüektueüen in ihrer Zeit, ihre Grundfehleinschätzung der Vorgänge in der Sowjetunion zu erkennen.215 Jedoch: Ebensowenig, wie sie sich aus Überzeugung zu Protesten mitreißen üeßen, ebensosehr verweigerten sich die müitanten bürgerüchen Inteüektueüen der »Trotzkisten«-Hatz der Kommunisten auf Kritiker innerhalb des LutetiaKreises und insbesondere innerhalb des Volksfrontausschusses.216 Andere Intellektueüe, wie Walter Benjamin, Fritz Lieb, Bertolt Brecht, enthielten sich öffentücher Steüungnahmen zu den Moskauer Prozessen, obgleich sie von der Rechtmäßigkeit nicht überzeugt waren.217 Emil J. Gumbel, der im Oktober 1936 ein

214 Heinrich Mann, »Die Revolution«, in: NWB, 1936, Nr. 39, 24. September, S. 1212ff., daraus das Zitat; Johannes R. Bechers Lob des Mannschen Artikels im Brief vom 15. Oktober 1936 ist abgedr. in: Neue Deutsche Literatur, Jg. 5 (1971), S. 38f.; ein ausführüches Zitat aus erwähntem Artikel, in dem H. Mann auch Romain Roüand als Geistesverwandten in Sachen Moskauer Prozeß anführt, und die Reaktion von Trockij darauf in einem Brief vom 9. Oktober 1936, in: Schrader, Moskauer Prozeß 1936, S. 505 bzw. 211, vgl. dort auch S. 69ff: »Conspiration de süence: Schriftsteüer und InteUektueüe in Frankreich«. 215 Vgl. H. Mann, Zeitalter, S. 76ff; Klaus Müüer-Salget, »Zum Düemma des müitanten Humanismus im Exü«, in: Das jüdische Exil und andere Themen, München 1986, S. 196ff; Jürgen Haupt, »Heinrich Mann über Krieg und Frieden. Zum Problem der Müitanz im Exü«, in: Revue d'Allemagne, Bd. XVIII (1986), S. 367ff; Wolfgang Klein, »>Die einfache Vernunft«. Heinrich Mann über Krieg und Revolution zwischen 1933 und 1939«, in: Weimarer Beiträge, Jg. 37 (1991); zu Wirkungen im Exü vorwiegend unter Inteüektueüen, ob parteigebunden oder nicht, vgl. die Zeitungsprofile bei H. A. Walter, Exilpresse, Stuttgart 1978; vgl. ders., Europäisches Appeasement und überseeische Asylpraxis, Stuttgart 1984, S. 203ff, eine Auseinandersetzung mit u. a. David Pike, Deutsche Schriftsteller im sowjetischen Exil 1933-1945, Frankfurt/M. 1981; JörgJ. Bachmann, Zwischen Paris und Moskau. Deutsche bürgerliche Linksintellektuelle und die stalinistische Sowjetunion 1933-1939, Mannheim 1995. 216 Siehe z.B. Volkswille, Sozialdemokratisches Tageblatt in Karlsbad, 1936, Nr. 205, 2. September: »Offener Brief an André Gide, Heinrich Mann, Frans Masereel, Rudolf Olden, Balder Olden, Don Feuchtwanger, Arnold Zweig, Upton Sinclair, Prof. E. J. Gumbel, Prof. Fritz Deb, Egon Erwin Kisch, Albert Ehrenstein und die vielen anderen Inteüektueüen, die heute mit der Sowjetunion sympathisieren«, von einem laut redaktioneüer Vorbemerkung »bekanntefn] antifaschistische^] Schriftsteüer, Freund Franz Mehrings, Karl Debknechts und Rosa Luxemburgs«, wahrscheinüch Eduard Fuchs. 217 Vgl. Chryssoula Kambas, Walter Benjamin im Exil. Zum Verhältnis von Literaturpolitik und Ästhetik, Tübingen 1983, S. 208ff; dies.: >»Und aus welchem Fenster wir immer blikken, es geht ins Trübe«. Briefwechsel aus der Emigration. Walter Benjamin Fritz Lieb Dora Benjamin (1936-1944)«, in: Cahiers d'Études Germaniques, Nr. 13, 1987, S. 245ff., bes. S. 255. —

-

-

-

185

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ¡st Kampf gegen den Faschismus«

neues

der

»Minimalprogramm«

für eine deutsche Volksfront

an

Eichler schickte in

Erwartung, daß dieser es publizieren werde, bekannte im selben Brief: »Über den Trotzki-Prozeß habe ich mir lange Gedanken gemacht und bin endlich zu dem Schluß gekommen, sie nicht zu veröffentüchen. Persönlich kann ich Ihnen sagen, daß mich nichts so sehr deprimiert hat, wie alles, was damit

zusammenhängt.«218

3. Reaktionen innerhalb der Sozialdemokratie In der Sopade vertraten Stampfer, Ollenhauer und Curt Geyer die Ansicht, daß die Anklage vom August 1936 gegen die alten Bolschewiki zwar dem innerparteilichen und innenpolitischen Machtkampf ebenso wie der fehlenden Demokratie entspringe und auch, wie Letztgenannter, anonym zwar, im Neuen Vorwärts schrieb, »viel propagandistische Erfindung« enthalte. »Aber die Hauptanklage ist wahr.«219 Die Mögüchkeit, das Parteiarchiv der SPD nach Moskau zu verkaufen, um so das brennende Problem der Finanznot beheben zu können, veranlaßte die Mehrheit der Sopade-Mitglieder und -Anhänger in den nächsten Monaten, zu den Vorgängen in der Sowjetunion ebenso wie zu den Verunglimpfungen der Sozialdemokratie seitens der Kommunisten öffentlich zu schweigen.220 Nach dem Prozeß gegen Radek und Genossen indes veröffentlichte der Neue Vorwärts in seiner Ausgabe vom 31. Januar 1937 unter der Überschrift »Zum neuen Hexenprozeß in Moskau« einen von Louis de Brouckère und Friedrich Adler als den Repräsentanten der SAI unterzeichneten Brief an die Schriftstellerin der Magdeleine Paz,221 und in den beiden folgenden Monaten die subtilen »Enthüllungen eines führenden Bolschewisten über die politischen und psychologischen Hintergründe der Moskauer Prozesse und die Ausrottung der alten Bolschewisten«. Sie waren in dem in Paris erscheinenden Zentralorgan der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands, Socialisticeskij Vestnik, ohne Ver-

Übersetzung

218

AdsD, IJB/ISK, 30: Gumbel

an Eichler, 19. Oktober 1936; Gumbels neues Proin: NWB, 1936, Nr. 41, 8. Oktober, S. 1304, siehe da bereits veröffentlicht gramm auch Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 23. 219 »Der Moskauer Terrorprozeß. Der blutige Machtkampf um die Nachfolge Lenins«, in: NV, 1936, Nr. 168, 30. August; vgl. IISG, NL Hertz, S. 18, Korr. Sollmann: Hertz an Sollmann, 10. September 1936; ebd., S. 20, XXIII, Mappe Aufzeichnungen I (1934-1937): Aufzeichnung von Hertz, 2 S. masch, handschr. dat.: 1936. 220 Vgl. Maria Hunink, De papieren van de revolutie. Het Internationaal Instituut voor Soäale Geschiedenis 1935—1947, Amsterdam 1986, bes. S. 52ff. und Dokumentenanhang; IISG, NL Hertz, S. 19, VI: Hertz an Breitscheid, 11. November 1936. 221 Paz hatte sich bereits auf dem Internationalen Schriftstellerkongreß zur Verteidigung der Kultur 1935 mutig für den wegen »trotzkistischer Opposition« nach Orenburg an den Ural verbannten russischen Kollegen Victor Serge eingesetzt und sich so die Gegnerschaft auch nichtkommunistischer Kollegen zugezogen. Ein später Erfolg war, daß Serge im Sommer 1936 aus der Verbannung entlassen, allerdings auch aus der Sowjetunion ausgewiesen wurde; zu ihren Aktivitäten vgl. Schrader, Moskauer Prozeß 1936, passim

war

(siehe Register). 186

Säuberungen und

Prozesse in Moskau

fassernamen veröffentlicht worden. Der Graphia-Verlag gab sie dann als kleine Broschüre heraus. Aüerdings waren dies aües Steüungnahmen von dritter Seite, so auch die Äußerungen von noch in der Sowjetunion lebenden Russen, die der Neue Vorwärts im Frühsommer 1937 aus dem New Yorker Forward übernahm.222 Paul Hertz aüerdings fügte sich diesem Verhalten nicht. Anonym zwar, wie jedoch in der Sozialistischen Aktion meist übüch, trat er in der Ausgabe dieser Zeitschrift vom September 1936 der von Geyer verbreiteten Auffassung entgegen. Er woüte damit auch der Kritik Rechnung tragen, die aus den Parteireihen gekommen war. Es gäbe »keine Beweise« dafür, schrieb er, »daß führende Oppositioneüe sich mit Faschisten und Gestapospitzeln verschworen hätten, um durch Ermordung der höchsten Sowjetfunktionäre das Land der Anarchie und dem Zerfaü auszuüefern«. Hertz schloß sich dem von ihm ausführüch zitierten Urteü Otto Bauers an. Dieser hatte es um der Vorbildfunktion des »Aufbaues einer soziaüstischen Wirtschaft in der Sowjetunion [für] die Zukunft des Soziaüsmus in der ganzen Welt« und der beispielhaften Erfolge der proletarischen Einheitsbewegung in Spanien und in Frankreich wülen zutiefst bedauert, »wie uns dieser unseüge Prozeß, diese Erschießungen auf diesem Wege weit zurückwerfen«: »Was da in Moskau geschehen ist, ist mehr als ein entsetzüches Unglück für den Soziaüsmus der Welt ohne Unterschied der Parteien und der Richtun-

gen.«223

Gleich Friedrich Adler vertrat Hertz von Anfang an die Meinung, daß die Sozialdemokratie ungeachtet der Reaktionen von der anderen Seite ihre Stimme gegen 222 Zum vorhergehenden siehe NV, 1937, 31. Januar, 7. Februar, 28. Februar, 7. März, 14. März und 21. März; Moskauer Prozeßgeheimnisse, Karlsbad: Graphia-Verlag [1937], Zitat aus dem Untertitel; NV, 1937, 20. Juni, S. 8: »Was geht in Sowjetrußland vor?«; Socialisticeskij Vestnik, 1936, 22. Dezember, und 1937, 17. Januar; Autor war nach eigenen Aussagen Boris I. Nikolaevskij, der sich auf Berichte von Nikolaj Bucharin, welcher im Frühjahr 1936 als sowjetischer Vertreter über den Verkauf bzw. Ankauf des SPD-Archivs in Paris verhandelt hatte, und auf anderweitige Informationen nach dem Ersten Prozeß stützte, siehe Boris I. Nicolaevsky, Power and the Soviet Elite. »The Letter of an Old Bolshevik« and Other Essays, ed. by Janet D. Zagoria, New York usw. 1965, bes. S. 8ff., auf S. 26ff. die engüsche Übersetzung des »Briefes«; vgl. dazu jetzt H. R. Peter (Hrsg.), Dan/Bauer, Briefwechsel, S. 136, Anm. 2. 223 Auch aüe vorhergehenden Zitate nach: »Der Moskauer Prozeß«, in: Sozialistische Aktion, 1936, September, [S. 7]; vgl. auch IISG, NL Hertz, S. 18, Korr. Sollmann: Hertz an Sollmann, 10. September 1936; Otto Bauers Steüungnahme, »Die Erschießungen in Moskau«, war u.a. erschienen in: 7.7., 1936, Nr. 34, 29. August, S. 321-324, und in: Berner Tagwacht, 1936, 31. August, Beüage, 2 S., dort auch Bericht über das Sterben der 16Verurteüten; eine Übersetzung, »Les fusülades de Moscou«, brachte Le Populaire, 1936, 1. September, S. 4; an Bauers Schlußfolgerung, aber weniger »à l'ensemle de ses appréciations poütiques« knüpften französische Intellektuelle an, als sie u. a. die Losung »Défense de l'URSS« durch »Défense de l'Espagne révolutionnaire« ersetzt wissen und als Opposition innerhalb des Comité de Vigilance des Intellectuels den Kampf für die Wahrung der Menschenwürde aufnehmen woüten, siehe das gedruckte Flugblatt Déclaration lue par André Breton le 3 septembre 1936 au Meeting »La Vérité sur le Procès de Moscou«, IISG, Teil-NL Otto Bauer, Nr. 46.

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A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

den Terror in der Sowjetunion erheben müsse. Allerdings werde nur »rationale« und »positive Kritik« (Hertz) die Sowjetunion, die angesichts des Faschismus und der Gefahr des »nahende[n] neue[n] Weltkrieg^]« (Adler) der wichtigste Verbündete der Arbeiterklasse bleibe, zu den sozialdemokratischen »Grundsätzen von Freiheit und Sozialismus« führen.224 Hertz dokumentierte denn auch in derselben Ausgabe der Sozialistischen Aktion, in der seine Korrektur zum Geyerschen Artikel erschien, die Reaktionsweisen der sozialistischen Internationalen und der sowjetischen Regierungs- und Parteispitze. Es handelte sich einmal um das Telegramm, das die Vorsitzenden und die (General-)Sekretäre von SAI und IGB nach Bekanntwerden des Prozeßbeginns gemeinsam an den Rat der Volkskommissare gerichtet hatten. Darin baten sie dringend, »den Angeklagten unabhängige Verteidiger zu stellen, keine Todesurteile zu fallen« und die »Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung« zu gewährleisten. Zum anderen zitierte Hertz die Antworten von Isvestija und Pravda auf diese Intervention: Die SAI- und IGB-Führer seien »freiwillige Helfer und Beschützer faschistischer Mörder und Provokateure, die Hand in Hand mit der deutschen Gestapo arbeiteten«; das Telegramm sei eine »direkte Hilfe für den Faschismus, seine Agenten und seine gedungenen Mörder«.225 Hertz' Reaktion auf den zweiten Prozeß war noch weitaus schärfer als die vom September; sie war eine Absage an die Diktatur als Staats- und Gesellschaftsprinzip, ein Gelöbnis, festzuhalten »an den Grundsätzen der Demokratie und der Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung [...], um jenen Gefahren zu entgehen, die der Verwirklichung des Sozialismus sonst drohen«.226 Im Gegensatz zum ersten und dann auch zum dritten großen Schauprozeß, der im März 1938 gegen den »Block der Rechten und Trotzkisten« geführt wurde und in dem Nikolaj Bucharin der prominenteste und bekannteste Angeklagte war, verzichteten Adler und de Brouckère im »Radek«-Prozeß darauf, im Namen der SAI bei den Sowjetinstanzen zu protestieren. Ihre (vorübergehende) Resignation wurzelte in der Überzeugung, daß Moskau die Meinung im Ausland doch egal sei, aber sie machten wohl ihre Auffassung »Zum neuen Hexen-Prozeß in Moskau« publik.227

224

IISG, NL Hertz, S. 19, XV: Hertz an Adler, 27. Oktober 1936 (Zitate Hertz); Adler, »Der Moskauer Hexenprozeß. Ein Versuch der Verständigung mit Georgi Dimitroff«, in: Mitteilungen über die Lage der politischen Gefangenen, Nr. 14, Beilage der 7.7., 1936, 20. Oktober, S. 396ff. (Zitat Adler S. 418). 225 Siehe Sozialistische Aktion, 1936, September, [S. 7]. 226 »Der zweite Moskauer Prozeß«, in: Sozialistische Aktion, 1937, Februar, [S. 7], ebenfalls anonym; hier also eine Korrektur zu Langkau-Alex, »Paris Madrid Moskau«, S. 73, Friedrich

als Autor Karl Frank vermutet ist. 227 So die Überschrift zum Antwortbrief von de Brouckère und Adler auf ein Telegramm von Magdeleine Paz im Namen des Komitees für den Moskauer Prozeß, die SAI möge ihren »Protest [...] erneuern und eine Delegation zum Prozeß [...] senden«, in: NV, 1937, Nr. 190, 31. Januar, S. 2; zum ersten Prozeß vgl., auch zu weiteren Positionen und Aktionen in SAI und IGB, Schrader, Moskauer Prozeß 1936, S. 59ff; für 1938 vgl. 7.7, 1938, Nr. 10, 10. März, S. 109ff. -

wo

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-

Säuberungen und Prozesse

in Moskau

Zweifellos verstärkte das Trommelfeuer von Partei und Regierung der Sowjetunion gegen die Sozialdemokratie, in das die Komintern mit ihren wüsten, nach dem Nürnberger Parteitag der NSDAP von 1936 sich steigernden Polemiken gegen die »reaktionären Führer der Sozialdemokratie als Advokaten der trotzkistisch-sinowjewistischen Banditen« einfiel228 und dem sich die KPD mit eigenen Verlautbarungen anschloß, die Abneigung in der Sopade und bei ihren Freunden gegen eine Einheitsfront mit den Kommunisten. Im Laufe der Zeit gewann man in Prag aus verschiedenen Ereignissen, Äußerungen und Entwicklungen darunter: das Fiasko der Nichtinterventionspoütik in Spanien; die fortschreitende Isoüerung der Sowjetunion von den westlichen Demokratien; die Erschießung von Marschaü Tuchacevskij und weiteren Angehörigen des Generalstabs der Roten Armee im Juni 1937; die Ansprachen beim Empfang des neuen russischen Botschafters durch Hider in Berchtesgaden und die Ausführungen in der KPD-Presse zum Thema »Wh und Hitlerdeutschland« die Überzeugung, daß die Sowjetunion von der Volksfrontpoütik zurückschwenke und wieder die deutsche Karte auszuspielen versuche. Im Klartext: daß im Falle eines plötzüch ausbrechenden großen Krieges Staun ein Bündnis mit Hitler schüeßen werde, da er »angesichts der inneren Zustände des Sowjetsystems Rußland um jeden Preis von einem Krieg fernhalten wül«.229 -

-

Aus den vielen Artikeln der Rundschau (Basel), meistens unter den Rubriken »Geden konterrevolutionären Trotzkismus« und »Nach dem Gericht über die trotzkigen stisch-sinowjewistische Mörderbande«, seien die gegen Otto Bauer (von Ernst Fischer, in Nr. 42, 17. September 1936, S. 1777ff.) und gegen Fritz Adler (in Nr. 49, 11. März 1936, S. 2019ff.) hervorgehoben; siehe auch Georgi Dimitroff, in: DVZ, 1936, Nr. 25, 6. September, und in: KI, 1936, H. 9, 30. September, S. 804ff; Ercoü [d.i. Togüatti] in: KI, 1936, H. 10, 10. November [illegale Broschüre], S. 25ff. 229 Deutschland-Berichte der Sopade, Jg. 4 (1937), Nr. 8, August (abgeschlossen am 18. September), Teü B II: »Die Poütik Sowjetrußlands«, Zitat S. B 24 bzw. S. 1205 des Nachdrucks; zum Prozeß gegen Marschaü Michail Tuchacevskij u. a. Angehörige der Roten Armee vgl. Rudolf Ströbinger, Stalin enthauptet die Rote Armee. Der Fall Tuchatschewskij, Stuttgart 1990; zur Roüe der tschechoslowakischen Regierung und des Präsidenten Edvard Benes' vgl. Ivan Pfaff, »Prag und der Fall Tuchatschewski«, in: VfiZG, Jg. 35 (1987), S. 95—134, und Jaroslav Valenta, »Addenda et Corrigenda zur Roüe Prags im Faüe Tuchatschewski«, in: VfZG, Jg. 39 (1991), S. 437—445; eine Information offensichtüch von einem Neu Beginnler in Berün, der vielleicht im Propagandaministerium arbeitete, auf jeden Faü gute Beziehungen zu NS-Regierungssteüen hatte, besagt zum »Fall Tuchaschwewski [sie]. In der Woche vor Ostern wurde mir mitgeteilt, daß man in der Reichskanzlei für den Hochsommer (juü) mit der Bildung einer nationalen Regierung durch T in Rußland rechne. Ende April erfuhr ich, daß Ende Februar/Anfang März in Moskau Besprechungen zwischen T und dem Generaloberst von Hammerstein-Equord stattgefunden haben. In den ersten Maitagen 1937 habe ich selbst die geheime Anordnung des ProMin [Propagandaministers oder -ministeriums ULA] an die Presse gelesen, anläßüch der Kritik der Sowjetdelegation zu den britischen Krönungsfeieriichkeiten T nicht anzugreifen und wenn in für die Auslandspresse bestimmten Meldungen des DNB [Deutsches Nachrichtenbüro] der Name des Marschaüs T vorkomme, ihn in der deutschen Presse wegzulassen. Gerüchtweise verlautet, daß die erste Warnung an die Russen vom Intelügence Service in Bin 228



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A IV.

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den

Krieg

ist

Kampf gegen

den Faschismus«

Angesichts des mit den Prozessen offenkundig gewordenen Scheiterns einer Demokratisierung des Sowjetsystems verlor auch die von Otto Bauer in die Öffentlichkeit gebrachte Idee eines »integralen Sozialismus« innerhalb der Sozialdemokratie ihre Attraktivität. In der Sopade hatte sie ohnehin kaum Anhänger gefunden, am stärksten hatte sie bei der Gruppe Neu Beginnen gewirkt. Vor allen wies Hilferding eine solche Konzeption vehement zurück, vorerst freilich nur privatim. Seine Abrechnung mit dem »Stalin-Faschismus« mündete ein in die 1939 von der Sopade veröffentlichte Broschüre Die Partei der Freiheit, einem von Curt Geyer verfaßten Pamphlet gegen Die illegale Partei von Otto Bauer. Selbst schrieb Hilferding die Arbeiten Staatskapitalismus oder totalitäre Staatswirtschaft und Das historische Problem, die Rolle der Gewalt in der Geschichte betreffend.230 Die Gruppe Neu Beginnen signalisierte zunächst die Widersprüchlichkeit, die mit dem Sinovev-Kamenev-Prozeß zutage trat, in einem der vom Auslandsbüro für den internen Freundeskreis bestimmten Wochenbriefe: »Obwohl durch die jetzigen Verfolgungen gerade diejenigen Funktionärsschichten getroffen werden, die das unbedingte Primat der Komintern aufrechterhalten wollen, ihren Parteiegoismus am reinsten verkörpern und damit bestimmte Schranken für eine internationale Zusammenarbeit darstellen, wird das unmittelbare Ergebnis des Prozesses dennoch ein gesteigertes Mißtrauen in allen sozialdemokratischen Kreisen auslösen.«231 Die Einschätzung des eigentlichen Zwecks des ersten und des zweiten Prozesses, die Karl Frank im Freundeskreis zum besten gegeben haben soll: »Sicher wird etwas gegen die Angeklagten vorliegen, aber was das Zusammenarbeiten Trotzkis mit Hitler betrifft, so könne das ein zwischen den Angeklagten und der GPU vereinbartes Manöver sein, um die Trotzkisten politisch restlos zu erledigen«, kolportierte und kommentierte Ulbricht mit Spitze gegen Frank er sei »doch ein hinterhältiger Hallunke [sie]« so, als glaube er selbst an oder wisse gar um —

Derartiges.232



Nach dem Prozeß gegen Radek und Genossen und gewiß unter dem Einfluß Paul Hertz diskutierte die Gruppe Neu Beginnen intern teilweise heftig über den Stellenwert von »vorübergehender« Diktatur und Demokratie, über die Rolle der Sowjetunion und der Komintern in der kommenden deutschen antifaschisti-

von

[Berlin] gekommen sei.«, vgl. IISG, SAI, 3563: »Nachrichten, die veröffentlicht werden [sie betreffen hauptsächlich »Umfang der Bürokratie« einschließlich der Wehrusw. Verbände und den »Staatshaushalt«, wobei doch öfter um Nichtveröffentlichung gebeten wird], 5 S. Ms, o. U., o. D. [etwa Mitte/Ende Mai 1937], hier S. 5. 236 Vgl. NL Hertz, S. 19, XVII: Hilferding an Hertz, 10. September 1936 (Zitat vom »Stalin-Faschismus«), und 21. Oktober 1936; Hertz an Hilferding, 26. Oktober 1936; Seebacher-Brandt, Ollenhauer, S. 273 und zugehörige Anm. 50; Walter Euchner, »Rudolf Hilferding (1877-1941). Kühne Dialektik und verzweifeltes Zaudern«, in: Peter Lösche/ Michael Scholin/Franz Walter (Hrsg.), Vor dem Vergessen bewahren. Lebenswege Weimarer Sozialdemokraten, Berlin 1988, S. 170-192, bes. S. 188ff. und Anm. 26. 231 Wochenbrief, 1936, Nr. 13, 27. August, S. 4. 232 SAPMO, Ry 1,1 2/3/287: W[alter] an »Deber Wilhelm [Pieck]«, 21. Juni 1937. können« machts-

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Säuberungen und

Prozesse in Moskau

sehen Revolution und im kommenden Krieg.233 Der Idee eines soziaüstischen Staates verhaftet, konnten sich die Neu Beginnler eine deutsche Revolution und im Endeffekt euren müitärischen Sieg der demokratischen Länder über NS-Deutschland nicht ohne die Sowjetunion vorsteüen, mochte das dort herrschende Regime zeitweiüg nur, wie sie hoffen woüten noch so verderbt und für die Einheit der Arbeiterbewegung verderbüch sein. Ähnüches zeitigte die dreitägige Konferenz der Revolutionären Soziaüsten in Prag vom 2. bis 5. März 1937, auf der Böchel das Hauptreferat zum Thema »Krieg, Sowjetunion und Revolution« hielt.234 Aüerdings muß für Glaser und Schifrin nuanciert werden: Sie hatten nach dem >Radek«-Prozeß auf einer Gruppensitzung in Paris verlangt, daß die SAI energisch protestiere. Glaser hatte sogar dafür plädiert, einen Offenen Brief an das ZK der KPD zu richten, »da seiner Ansicht nach die Prozesse in Moskau dazu dienten, die Opposition gegen Staun auszurotten, um die Bahn freizumachen für ein Zusammengehen der SU mit Hiderdeutschland« so berichtete Ulbricht ebenfaüs nach Moskau.235 Der anwesende Menschewik Feodor Dan, so Ulbricht weiter, hielt diese Spekulation für falsch und bremste, aüenfaüs soüte ein »einfacher Brief« geschrieben werden. Eichler vom ISK sprach von einer »Vertrauenskrise«, die Moskau mit dem Prozeß gegen Sinovev und die anderen 15 Angeklagten heraufbeschworen habe. Er argumentierte vom Standpunkt der Rechtsmoral, auf dem die Linke beharren müsse, als er entschied, in der Sozialistischen Warte einen Protestbrief von Ignazio Süone an die im Juü in Moskau gestartete, im Zeichen der Volksfront stehende neue literarische Monatsschrift Das Wort zu pubüzieren, ungeachtet des zu erwartenden Vorwurfs, Kritik nutze dem Faschismus.236



-



4. Vom hilflosen und destruktiven Wüten der Kommunisten

Wie von kommunistischer Seite argumentiert wurde, ist im vorhergehenden bereits ansatzweise dokumentiert. Die Deutsche Volks-Zeitung griff Hertz' ungezeichneten Artikel zum ersten Moskauer Prozeß in der Sozialistischen Aktion heftig an:

Vgl. Langkau-Alex, »Paris Madrid Moskau«; dies., »Einschätzung von Bewegung und Poütik der Volksfront...«. 234 Vgl. AdsD, Emigration Sopade, 103: Bericht Hans Kaiser, März [1937]/Nr. 1; RSBriefi, 1937, Februar (Ausgabe beginnend mit »Die Büanz der vier Jahre«): »Ein Mahnwort zum Moskauer Prozeß«, Autor war, laut dem zit. Bericht Kaisers, ebenfaüs Böchel, jedoch stark beeinflußt von Seydewitz. 233 SAPMO, Ry 1, I 2/3/287: W[alter] an »Deber Wilhelm [Pieck]«, 21. Juni 1937, auch zum folgenden. 236 Siehe SW, 1936, Nr. 16, 15. September, S. 369ff: Martin Hart, »Vertrauenskrise! Zu Moskaus Innen- und Außenpoütik«; SW, 1936, Nr. 17, 1. Oktober, S. 409ff.: Ignazio Süone, »Brief nach Moskau«; AdsD, IJB/ISK, 30: Eichler an Süone, 21. September 1936; als Herausgeber von Das Wort zeichneten Brecht, Feuchtwanger und Bredel, wobei letztgenannter in Moskau praktisch aüe redaktioneüen Entscheidungen traf, vgl. Walter, Exilpresse, S. 461 ff. 233

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A IV.

»Kampf gegen den Krieg

ist

Kampf gegen den Faschismus«

»So dient man nicht der Einheit und der Volksfront, sondern dem Hiderfaschismus«, hieß es.237 Die KPD war von Verlauf und Ergebnis des ersten Prozesses schwer getroffen worden. Unter den Hingerichteten befanden sich drei Personen, die wichtige Funktionen in der Partei (gehabt) hatten. Einer von ihnen, Fritz David (d.i. IljaDavid Israilevic Krugljanskij), der aussagte, er habe während des VII. Weltkongresses der Komintern versucht, Staun zu ermorden, war gar der langjährige persönliche Sekretär und enge Vertraute von Wilhelm Pieck gewesen. David hatte Piecks Reden auf dem VII. Weltkongreß und der anschließenden »Brüsseler« Konferenz der KPD konzipiert, und er hatte wesentlichen Anteil an der Ausarbeitung der für die Einheits- und Volksfrontpolitik richtungweisenden Resolution der Konferenz gehabt. Noch Anfang Juli hatte Pieck ihm eine besondere Rolle bei der »Verstärkung des ideologischen Kampfes« zugedacht.238 Bedenkt man, daß Kameraden und Verwandte, die mit in die Emigration nach Moskau gegangen waren, Opfer der Verfolgung wurden; daß z. B. Karl Radek, der dem deutschen Linkssozialismus, dann der KPD eng verbunden (gewesen) und ein langjähriger Freund Münzenbergs war, im ersten Prozeß schwer belastet, am 19. September 1936 tatsächlich verhaftet (was von der Pravda erst am 7. Oktober gemeldet wurde) und Ende Januar 1937 im zweiten Moskauer Prozeß zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurde eine vergleichsweise milde Strafe gegenüber den auch hier gefällten und ausgeführten Todesstrafen, die er aber dennoch nicht überlebte; bedenkt man ferner, daß 1937 auch Bêla Kun, der Verbindungsmann des EKKI zur KPD, verhaftet wurde und spurlos verschwand, so kann man sich vorstellen, daß Schrecken, Angst und Verwirrung in der KPD herrschten. Es herrschte aber auch die Disziplin gegenüber »der Partei«, die Komintern und vor allem die Sowjetunion einschloß, jedoch Streitigkeiten um die Linie »der Partei« ganz und gar nicht ausschloß; es herrschte der Glaube an die >gerechte< Sache und damit verbunden die daß Opposition, gerade in dieser Zeit der äußeren Bedrängnis durch den »faschistischen Imperialismus«, verkörpert durch NS-Deutschland und durch Japan, Verrat sei. Und es herrschte weitum das Bemühen, Schaden von der eigenen Person abzuwenden, indem man andere bezichtigte oder, subtiler noch, wahrheitsgemäß auf nebensächliche oder harmlos erscheinende Fragen vor Kontrollkommissionen antwortete.239 -

Überzeugung,



DVZ, 1936, Nr. 27, 20. September, S. 4; im ganzen vgl. Wladislaw Hedeler, »>Alte Garde< oder Schurkengalerie? Die Berichterstattung über den Moskauer Schauprozeß gegen den >Block der Rechten und Trotzkisten< im Völkischer Beobachten und in der Rundschau«, in: BzG, Jg. 40 (1998), S. 36-55. 237

238 Hermann Weber, »Die deutschen Opfer Stalins«, in: Deutschland-Archiv, Jg. 22 (1989), S. 407-418, hier bes. S. 410ff; Pieck, in: BzG, Jg. 20 (1978), S. 874, einschl. Zitat. 239 Vgl. z.B. Wehner, Zeugnis, bes. S. 180ff.; Georg Lukács/Johannes R. Becher/ Friedrich Wolf u. a., Die Säuberung. Moskau 1936: Stenogramm einer geschlossenen Parteiversammlung [4.-8. September 1936], hrsg. von Reinhard Müller, Reinbek bei Hamburg 1991; Carola Stern, Ulbricht. Eine politische Biographie, Köln Berlin 1963, bes. S. 98ff; H.A. Walter, Europäisches Appeasement, S. 203ff. -

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Säuberungen

und Prozesse in Moskau

Zwar verwendeten sich in Einzelfäüen auch führende Komintern- und KPDFunktionäre mehr oder weniger diskret für Bedrohte und Verhaftete Münzenberg etwa erhielt im Oktober 1936 nur durch Intervention Togüattis schüeßüch doch die Papiere zur Ausreise aus Moskau —, doch aufgrund der angedeuteten komplexen Gründe scheint es erst 1938 mögüch gewesen zu sein, daß sich Einzelne schriftlich gegenüber der NKWD-Führung für alte Gefährten und verhaftete deutsche Emigranten exponierten.240 Zerknirscht, ängstlich auch ob mögücher persönücher Haftbarmachung in Moskau, gleichzeitig kumpelhaft lavierend und noch vorsichtig denunzierend ist Piecks Brief an die »Lieben Freunde« aus ZK, Poütbüro und Auslandsleitung im Westen vom 20. August 1936.241 In einer auf den 25. August 1936 datierten Resolution bezichtigte sich das ZK der KPD dann »absolut ungenügende [r] Wachsamkeit«, in deren Folge auch »der abgefeimte trotzkistische Schurke Fritz David [...] sich das Vertrauen führender Genossen der KPD zu erschleichen« imstande gewesen sei, »um unter dieser Deckung seine Mordtat ausführen zu können«.242 Das Poütbüro wiederholte die in dieser Resolution sich selbst und aüen Kadern gestellte Aufgabe, wachsam zu sein, sich gegenseitig zu überprüfen und »vor allem die Säuberung der Emigration von aüen trotzkistischen Elementen« durchzuführen, in einer Direktive vom 2. November 1936.243 Der Tenor wurde fortgesetzt in der einer Unterwerfung gleichenden Kundgebung des ZK der KPD an das ZK der KPdSU vom 1. Februar 1937, also unmittelbar nach dem Prozeß gegen Radek und andere Bolschewiki.244 Bot die Direktive vom 2. November schon gleichsam die >legale< Grundlage für Bespitzelungen und Denunziationen,245 so führte die Selbstverpfüchtung -

-

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Vgl. z. B. Gross, Münzenberg, S. 500ff; Franz Dahlem, »Nachgelassenes. AusgelasÜber einen Prozeß und die Schwierigkeiten seiner richtigen Beurteüung«, mit einer Vorbemerkung von Horst Blumberg, in: 73^G, Jg. 32 (1990), S. 17-25; Wilhelm Pieck an Manuüski, 28. Mai 1939, dokumentiert in: »Die KPD-Führung und die Staünschen Säuberungen«, in: Deutschland-Archiv, Jg. 22 (1989), S. 486-489; ebenfaüs bes. zu Pieck: Fridrich Firsow, »Das Eingreifen Staüns in die Poütik der Kommunistischen Partei Deutschlands«, in: Klaus Schönhoven/Dietrich Staritz (Hrsg.), Sozialismus und Kommunismus im Wandel. Hermann Weber zum 65. Geburtstag, Köln 1993, S. 174-187, hier S. 183; Carola Tischler, Flucht in die Verfolgung. Deutsche Emigranten im sowjetischen Exil 1933—1945, Münster 1996, bes. Kap. 4; siehe auch noch einmal oben Anm. 213. 241 Siehe SAPMO, Ry 1,1 2/3/286, Bl. 163-164. 242 Rundschau (Basel), 1936, Nr. 42, 17. September, S. 1782ff., Zitate S. 1783; vgl. D VZ, 1936, Nr. 25, 6. September, S. 3; Auszug aus der Resolution in: Weber, Weiße Flecken, 240

senes.

S. 11 Off. 243 Siehe Rundschau

(Basel), 1936, Nr. 49, 5. November, S. 2020f, Zitat S. 2021; vgl. SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl. 186-189: Kurt [Funk] an »Debe Freunde« [Poütbüro] 14. September 1936: »... Übersicht über die Auswirkungen des Prozesses gegen die trotzkistischen Verschwörer ...« 244 Rundschau (Basel), 1937, Nr. 6, abgedr. in: Weber, Weiße Flecken, S. 112. 245 Vgl. auch IISG, Neu Beginnen, 54: Memorandum der KPD über Trotzkisten und trotzkistische Gruppen in der Tschechoslowakei, Juni 1937, As, 8 S., darin aufgeüstet die Parteien und Gruppen der IV. Internationale, der IVKO, des Internationalen Büros für

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A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

ist

Kampf gegen den Faschismus«

gegenüber dem >Großen BruderKampf gegen den Trotzkismus< innerhalb und außerhalb Deutschlands fortan als Voraussetzung einer Einheitsfront und einer Volksfront gegen das nationalsozialistische Regime propagiert und, folgenschwerer, auch praktiziert wurde. Auf einer Besprechung zwischen Vertretern des ZK der KPD und der AZ der SAP am 10. November 1936 hatte Franz Dahlem noch eine andere, eine gleichsam pädagogische Begründung für die Kampagne gegeben: Die Linie, die das ZK der KPD mit dem gerade veröffentlichten Aufruf zur »Versöhnung des deutschen Volkes« für den gemeinsamen Kampf von Antifaschisten und Nationalsozialisten gegen die »3000 Millionäre« vorgegeben habe, sei praktisch eine Aufforderung an die eigenen Kader, verstärkt leitende Funktionen in den nationalsozialistischen Massenorganisationen zu übernehmen. Der Gefahr, daß sie dem Nationalsozialismus anheimfallen könnten, sollte dadurch begegnet werden, daß die »Kaders [...] auch ideologisch geschult werden. Deshalb verschärfen wir zugleich mit dieser Politik auch die Propaganda der Partei: Den Kampf gegen Trotzkismus, SAP, SPD und Strasser.«247 Er wies darauf hin, daß man strikt unterscheiden müsse zwischen der (Tages-) Politik und der Propaganda der KPD. Gemäß Stalins oben zitiertem Befehl begann Ulbricht alsbald, mit seinen Mitarbeitern im Pariser ZK-Sekretariat, Paul Merker und Leo Flieg, einen Artikel nach dem andern in der Deutschen Volks-Zeitung zu veröffentlichen. Münzenberg wies er sogar an, eine Stellungnahme zum Radek-Prozeß zu schreiben und in die Deutschen Informationen aufnehmen zu lassen, dabei, wie er an Pieck etwas später schrieb, einen »Bruch zwischen unserem Freunde und den Soz[ial]dem[okraten]« bewußt riskierend248 oder provozierend. Die Anweisung wurde jedoch zunächst wieder aufgeschoben, dann wohl aufgehoben. Braun und Breitscheid enthielten sich vorläufig jedenfalls öffentlicher Äußerungen zum Radek-Prozeß; sie arbeiteten mit an der Vorbereitung der Osterkonferenz des Volksfrontausschusses.

auszurotten«,







revolutionäre sozialistische Einheit in London, ihre Verbindungen untereinander wie zu anderen Gruppen, darunter zu Neu Beginnen. 246 Erstes Zitat nach Weber, Weiße Flecken, S. 112; Stalin hatte einen Beschluß des Präsidiums der Komintern verworfen und gewettert: »Ihr alle dort in der Komintern arbeitet dem Feind in die Hände«, siehe den Eintrag vom 11. Februar 1937, in: Bayerlein (Hrsg.), Dimitroff, Tagebücher, Bd. 1, S. 149. 247 Siehe, auch zum folgenden, ARBARK SAP, 6, 51, 1: »Protokoll der Besprechung zwischen Vertretern der KP und SAP am 10. November 1936 in Paris«, masch., 5 S., Zitat S. 3; vgl. ebd. die stark verkürzten handschr. Protokollnotizen; zu einzelnen weiteren Punkten siehe unten Anm. 251 und 267 zugehörige Texte; zum »Versöhnungs«-Aufruf des ZK der KPD siehe oben Anm. 173 dieses Kapitels. 248 Vgl. SAPMO, Ry 1, I 2/3/287: Wfalter] an »Deber Wilhelm«, 21. Juni 1937, Flieg hier als »Martin«.

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Säuberungen

und Prozesse in Moskau

Offene Hauptzielscheibe aller Angriffe von Seiten der KPD war stets die SAP, ohnehin von Anfang an der ungeliebte Partner. In der Direktive von Anfang November 1936 hieß es schon, die SAP habe sich »in letzter Zeit [...] immer mehr zu einem Instrument des Trotzkismus entwickelt«. Unverkennbar zielte man auf eine Spaltung ab, als von jedem Mitglied der SAP verlangt wurde, zu entscheiden, »innerhalb der deutschen Arbeiterbewegung gegen Hitler und auf der Seite der Sowjetunion zu marschieren oder von der deutschen Arbeiterbewegung als Trotzkist, als Bundesgenosse des Faschismus behandelt zu werden«.249 Bereits Ende September hatte die KPD-Führung öffentlich versucht, einen Keil zwischen die Sozialdemokraten und die SAPler im Volksfrontausschuß zu treiben. Anlaß bot der Protest Breitscheids im Genter sozialdemokratischen Organ Vooruit und in der Freiheit-Korrespondenz gegen den Sinovev-KamenevProzeß und die Erschießungen. Die Deutsche Volks-Zeitung forderte Breitscheid per »Leserbrief« auf, sich von der »trotzkistischen« SAP zu distanzieren. Daraufhin kam es zu weiteren, auch öffentlich ausgetragenen Polemiken zwischen der SAP und der KPD.250 Während die Sozialdemokraten/Sozialisten in den Auseinandersetzungen mit den Kommunisten um die Moskauer Prozesse durchweg die Frage nach der sozialistischen bzw. kommunistischen Moral in den Vordergrund stellten, stand für die Kommunisten die Frage nach der Stellung zur Sowjetunion an oberster Stelle. Kritik an der Sowjetunion wurde schon als »Trotzkismus« gebrandmarkt.251 In direktem Zusammenhang mit der Sowjetunion und es sei noch einmal daran erinnert in direkter Parallele zum Verlauf des Krieges in Spanien stand für die Kommunisten die Frage, wie der internationale Friede gewahrt werden könne, um ihr Vaterland des Sozialismus< vor einem Angriff zu schützen. (Daß dieses Anliegen an sich von den Sozialdemokraten/Sozialisten als legitim anerkannt wurde, mehr noch, daß auch sie nicht wollten, daß die Sowjetunion angegriffen und möglicherweise vernichtet werden würde und daß sie gerade deshalb auf einer anderen, wenn auch nicht einheitlich konzipierten Poli—

-





8. November, S. 4: »Gegen den Trotzkismus, den Bundesge(daraus die Zitate); vgl. auch DVZ, 1936, Nr. 33, 1. November, S. 3: »In der Gefolgschaft Rosenbergs«; inwieweit Ulbricht wirklich an eine >»Trotzkisten>individueüe[n] Tenor« münde.256 Walcher sah die innenpoütische Bedrohung des Stalin-Regimes nicht so groß wie Diamant, wohl aber die Bedrohung, die von außen komme, zu der auch »die Zuspitzung des Klassenkampfes in Frankreich« beitrage.257 Einige chronologische Abfolgen und Fakten, die Diamant zum Teil auch aufzählt, sind in der Tat frappant. Sie können hier ergänzt werden: Zwar waren ein (neuer) Prozeß gegen parteiinterne Kritiker und Rivalen schon seit längerem geplant gewesen, Verhaftungen und Verhöre zwecks selbst und andere belastender Geständnisse sukzessiv vorgenommen worden, doch die eigentliche Anklage zum »Trotzki-Sinowjew-Prozeß« war kurzfristig zusammengeschustert worden. Eine große Verhaftungsweüe setzte erst am 1. August 1936 ein, nachdem das ZK der KPdSU am 29. Juü ein freüich nur auf die innenpoütische Situation bezogenes Zirkular herausgegeben hatte.258 Am 20. Juü zeigte sich, daß Spanien in zwei ungefähr gleich große Lager gespalten war. Weder hatten die aufständischen Generäle euren schneüen Sieg über die ganze Volksfront-Repubük erzielt, noch hatte die Linke, die, voran Anarchisten, Syndikaüsten und POUMisten, ihre revolutionären Errungenschaften seit dem Wahlsieg des Frente popular spontan verteidigte, die Aufständischen aus der Hälfte Spaniens abwehren können. Der Bürgerkrieg begann. Bis Ende Juü wurde offenbar, daß die Aufständischen von Deutschland und von Italien unterstützt würden. Am 11. August erst wurde in Moskau beschlossen, einen neuen Prozeß gegen Sinovev, Kamenev und andere zu eröffnen; Pravda brachte die Nachricht am 15. August. Sechs Tage vorher, als die Verhandlungen um einen Nichtinterventionsvertrag auf Hochtouren üefen, hatte Radek in der lsvestija gegen die Neutraütätspoütik der westlichen Demokratien sie sei von der Angst vor der Revolution eingegeben ebenso gewettert wie gegen die Intervention der Faschisten.259 Radek hatte auch der Kommission für Wahlangelegenheiten angehört, die eine Unterkommission der Anfang Februar 1935 instalüerten Verfassungskommission der KPdSU war. Deren Aufgabe war es, das Wahlsystem zu demokratisieren »im Sinne der Ersetzung der nicht völüg gleichen Wahlen durch gleiche, der indirekten durch «direkte, der offenen durch geheime«.260 Koordinator der Vorschläge und Hauptverfasser des Entwurfs der neuen Verfassung war Bucharin, der auch, im Zusammenhang mit den Verhandlungen um den Verkauf des SPD-Archivs nach Moskau, als Emissär Stalins Geschäfts-



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Wochenbrief, 1936, Nr. 13, 27. August, S. 3. AdsD, NL Brandt: Walcher an Wiüy Brandt, 6. September 1936. 258 Vgl u.a. Schauprozesse unter Stalin, bes. S. 142ff; Schrader, Moskauer Prozeß 1936, 236

257

S. 22ff. 259 260

lsvestija, 1936, 5. August; vgl. Broué, »Non-intervention«, S. 46.

Zitat aus dem Beschluß des Plenums der KPdSU, nach: Rundschau (Basel), 1935, 7. 7, Februar, S. 331; vgl. Warren Lerner, Karl Radek. The last Internationalist, Stanford, CA1970, S. 161f.

Nr.

197

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ¡st Kampf gegen

den Faschismus«

kontakte zur SAI unterhielt. Beide, Radek und Bucharin, wurden von Angeklagten im ersten Moskauer Prozeß schwer belastet. Neu an diesem Schauprozeß war, wie Diamant hervorhob, nicht die Tatsache, daß er stattfand, sondern sein Ausgang: die Hinrichtungen »glatter Mord«.261 Die physische Vernichtung traf erstmals nicht mehr nur menschewistische und parteilose Oppositionelle als sogenannte Saboteure und Staatsfeinde, sondern die Avantgarde der bolschewistischen Partei, die Gründer der Sowjetunion und der Komintern. Diamants Schlußfolgerung aus der Entwicklung unter Stalin: »je enger das Regime sich mit den nichtproletarischen Kräften des Landes verbündet, desto entschiedener und folgerichtiger wird die Partei vernichtet, die aus der vergangenen Periode der Revolution herüberragt und die damals das Instrument des Bündnisses zwischen revolutionärer Führung und Proletariat war«, mußte in kommunistischen Augen auch die Volksfrontpolitik der KominternSektionen und damit die KPD treffen. »Im Namen des Kommunismus« protestierte bereits vor Diamants Analyse die AZ der SAP gegen diesen Prozeß, seine Implikationen und Folgen, sowie »gegen den neuen Prozeß, der gegen Bucharin, Rykow, Radek [...] vorbereitet wird, und gegen die Massenverhaftungen führender Parteifunktionäre im ganzen Gebiet der Sowjetunion«.262 »Im Namen des Kommunismus« wurden »die Machthaber der Sowjetunion« beschworen, vom eingeschlagenen Weg abzukehren; wurden »die proletarischen Organisationen« aufgefordert, »eine öffentliche Untersuchung [...] durchzuführen«; wurden »alle Kommunisten« zum Nachdenken und Prüfen ermahnt, »zur Treue zu den Lehren von Marx, Engels, Lenin«; gemeinsam sollten sie den nunmehr drohenden Zerfall der »Sowjetmacht« abwehren und zusammen mit der »internationale[n] Arbeiterklasse« gegen Faschismus und Krieg und für die spanische Revolution agieren. Dem öffentlichen Appell an die Kommunisten ging ein interner Appell an die eigenen Genossen voran, über »die Auswirkungen dieses Prozesses« auf Funktionäre und einfache Mitglieder der KPD und der SPD und über »Verhaftungen deutscher und ausländischer Kommunisten in der SU« zu berichten.263 Hier zeigt sich wieder der Anspruch der SAP, Zentrum und Motor einer neuen, wahrhaft kommunistischen Einheitspartei zu sein.264 Doch die KP(D)0 z.B. —

j\rf7 1936) Nr. 17, Mitte September, auch zu den folgenden Zitaten; vgl. auch AdsD, NL Brandt: z. B. Brief August Enderle an Brandt, 6. September 1936. 262 Siehe 7VF, 1936, Nr. 16, Anfang September, S. 3, auch zum folgenden; ebd., Beilage S. 2: »Zur Entwicklung der Sowjet-Union. Stalins Prozesse«; aus organisatorischen, personellen und finanziellen Gründen hatte die AZ bereits Anfang August beschlossen, die Er261

scheinungsdaten der Neuen Front umzustellen und die für Mitte August fällige Ausgabe Anfang September herauskommen zu lassen, siehe AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 7, 10. August, und 1936, Nr. 8, 28. August. 263 AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 8, 28. August. 264 Dazu paßt auch der Abdruck von »Stimmen der Arbeiterpresse zum Moskauer in: Prozeß«, NF, 1936, Nr. 17, Mitte September, S. 4.

erst

198

Säuberungen und

Prozesse in Moskau

folgte ihr nicht in dem Protest gegen den ersten und auch nicht in dem gegen den zweiten Prozeß; diese Partei sah im Gegenteil beide Prozesse für berechtigt an. Und der politische Bruch zwischen der SAP und den IKD ließ sich auch nicht dadurch beheben, daß die AZ die Prozesse verurteilte.265 Zeigte die SAP in der Verurteilung des Sinovev-Kamenev-Prozesses auch Einmütigkeit, so gingen innerhalb der Partei die Analysen über Hintergründe und Zweck des Terrors und erst recht die aus dem Prozeß zu ziehenden Konsequenzen doch weit auseinander. In der gerade angelaufenen innerparteilichen Diskussion um die Einheitspartei schieden sich die Geister an der GretchenFrage: Wie haltet ihr's mit den Kommunisten und der Sowjetunion? Damit wurde aber auch die Frage der Volksfront zur Diskussion gestellt.266 Der Pariser Auslandszentrale erwuchs Ablehnung selbst aus den eigenen Reihen. Nach zwei Sitzungen, in denen sie sich mit »dem Moskauer Prozeß und seinen Folgen« beschäftigt hatte, stimmte schon Siegfried Pfeffer gegen den Vorschlag, weiterhin im Volksfrontausschuß mitzuwirken und »zwei Vertreter der SAP zu den bevorstehenden Sitzungen [der Programmkommission ULA] zu entsenden«.267 Die überwiegende Mehrheit, einschließlich derjenigen, die sich Anfang 1937 als Gruppe Neuer Weg von der Volksfrontpolitik abwenden sollten, begründete ihre positive Entscheidung mit der Funktion, die die SAP bisher erfüllt habe und die ihr in der Zukunft noch zuwachsen würde, wörtlich: daß »während der Dauer unserer Mitarbeit im Lutetia-Kreis der Einfluß der proletarischen Vertreter immer stärker und ausschlaggebender geworden« sei und daß ihrer Arbeit »infolge -

265

Ebd.; Tjaden, 7CP0, S. 336f.

266

Zur Diskussion um den Prozeß und zur Einschätzung der Sowjetunion vgl. die Materialien in: AdsD, NL Brandt, und ARBARK, SAP, 6, 57, sowie die Artikel in NF unter der Rubrik »Zur Entwicklung der Sowjet-Union«; auch mit Blick auf das Asylland Schweden: August Enderle, Moskvaprocessen. Rättvisa eller justitiemord? En granskning av processdokumenten [Der Moskauer Prozeß. Gerechtigkeit oder Justizmord? Eine kritische Untersuchung der Prozeßdokumente], Stockholm 1936, vgl. dazu Helmut Müssener, Exil in Schweden. Politische und kulturelle Emigration nach 1933, München 1974, S. 325; die Resolutionen und Diskussionsbeiträge zur Einheitspartei, in: MT, 1936, Nr. 4, August, und Nr. 5, Oktober; Szende, Zwischen Gewalt und Toleranz, S- 222ff. 267 Pfeffer, Parteiname: Richard Kämpfer, stammte aus Chemnitz, gehörte der AZ der SAP als Vertreter der Jugendgenossen an, war in Paris mit der Expedition der Neuen Front betraut, so Rosi Frölich im Gespräch mit ULA am 3. September 1979; inhaltlich vgl. ARBARK, SAP, 1, 8, 11: handschr. Protokoll der AZ-Sitzung, 27. August 1936; ebd., 6, 57, 12: Stellungnahme von Richard Kämpfer zum Moskauer Prozeß; vgl. AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 10, 14. Oktober, und die Anlagen zum RSchr. Jim, 1936, Nr. 10 [sie: Nr. 11], 23. November: »Materialien zum Moskauer Prozeß gegen Trotzki, Sinowjew etc.«; »Nachtrag zum Material über den Moskauer Prozeß, von Franz« [d. i. Paul Frölich], mit einer Chronologie der Verhaftungen, der verschiedenen Stadien der Anklagen, der Zahl der Verurteilten und der Art der Strafen seit dem 1. Dezember 1934; Ausführungen Jims in der AZ zum Moskauer Prozeß; »Weldage: USSR und unsere Aufgabe, von Boris [Goldenberg]«; »Ein Beitrag für Thesen über unsere Stellung zur SU, von Jim«.

199

A IV.

»Kampf gegen den Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

der in den Kreisen der KP-Mitgüedschaft vorhandenen sicherheit eine gesteigerte Bedeutung zukommt«.268 6.

Auflockerung und Un-

Rückwirkungen auf den Volksfrontausschuß

Als der

erste große Prozeß in Moskau stattfand, lag die letzte Tagung des Volksfrontausschusses bereits mehr als zwei Monate zurück. Zwar wurde, wie wir gesehen haben und noch sehen werden, von verschiedenen Mitgüedern und in verschiedenen Kommissionen vielfältige Arbeit auf Volksfrontbasis oder selbst im Namen des Ausschusses geleistet, das Gesamtgremium aber wartete auf die Ersteüung eines Programms, um seine eigentliche Aufgabe zu erfüüen. Die Programmkommission indes trat von Mitte August bis Ende September nicht zusammen. Nur zu einem geringen Ted ist die lange Unterbrechung auf die Ausweitung der Affare um Pariser Tageblatt/ Pariser Tageszeitung, auf die weiter unten ausführücher eingegangen wird, zurückzuführen. Hauptgründe waren vielmehr: die in der SAP infolge des Sinovev-Kamenev-Prozesses anfängüch aufgekommenen Bedenken gegen eine weitere Zusammenarbeit mit der KPD und die, wie Ehrmann es formuüerte, »völüge Organisationsunfähigkeit« der Kommunisten nach diesem Ereignis. Als die Programmkommission endüch wieder tagte, zeigte sich, wie wichtig es war und wie effektiv es sein konnte, sich nicht resigniert in den Schmoüwinkel der Gerechten zurückzuziehen, sondern resolut die eigene poütische Position zu vertreten. Ulbricht strandete mit seiner Androhung, die Versammlung platzen zu lassen und eine öffentliche Erklärung über die Unwilügkeit der anderen Parteien zur Zusammenarbeit zu lancieren, faüs Walcher zum Prozeß Stellung nähme. Denicke, der den Vorsitz führte, erteüte ungerührt allen Nichtkommunisten das Wort zum Protest. Und alle Nichtkommunisten protestierten auch gegen die Diffamierung der soziaüstischen und sozialdemokratischen Kritiker und insbesondere gegen die Angriffe auf Mitgüeder des Volksfrontausschusses in der kommunistischen Presse.269 Um den tiefen Graben zwischen KPD und SAP nicht zum unüberwindüchen Hindernis weiterer Zusammenarbeit gegen den NationalsoziaMsmus werden zu lassen, sorgte Ehrmann dafür, daß der Antrag der SAP, eine Untersuchungs-

AdsD, NL Brandt, RSchr. Jim, 1936, Nr. 10, 14. Oktober; ebd., August Enderle an Brandt [der offenbar einen Brief voüer Zweifel rundgeschickt hatte und die »Grundfragen« der Arbeiterbewegung durch den Moskauer Prozeß »aufgeroüt« sah], 6. September 1936; vgl. kurz Brandt, Links undfrei, S. 189. 269 Siehe, auch zum folgenden: IISG, Neu Beginnen, 46: Paul [d. i. Ehrmann] an »Debe Freunde«, 23. Oktober 1936; IISG, NL Hertz S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 22. Oktober 1936, und Hertz an Breitscheid, 11. November 1936; den Berichten zufolge waren auf der Sitzung der Programmkommission, auf der es hauptsächüch um den Moskauer Prozeß ging, anwesend: Walcher und Fabian, Denicke, Breitscheid, Ehrmann, Glaser, Ulbricht, Wehner; Georg Bernhards Teünahme ist erstmals wieder für den 21. Oktober 268

bezeugt. 200

Säuberungen und Prozesse

in Moskau

kommission zum Prozeß einzusetzen, abgelehnt wurde. Eine gewisse Beruhigung der Atmosphäre brachte auch die oben schon erwähnte Besprechung zwischen Vertretern der KPD und der SAP am 10. November, auf der die »Taktik des Trojanischen Pferdes« im aügemeinen, der »Versöhnungs«-Aufruf des ZK im besonderen und »Die Angriffe der DVZ auf die SAP« erörtert wurden. Von KPDSeite erschienen Wehner, Dahlem und Münzenberg. Vor aüem Wehner, in minderem Maße Dahlem waren hier in der Sache »Trotzkismus« nicht weniger hart, aber doch umgängücher als der aus welchem Grunde auch immer nicht teünehmende Ulbricht, der in der Programmkommission das Wort führte. Münzenberg, gerade aus Moskau zurückgekehrt, zeigte sich zwiespältig; schüeßüch hatte er im Juni höchstwahrscheinüch geholfen, belastendes Material zusammenzutragen, aber wohl nicht mit den Todesurteüen gerechnet.270 Zum Sinovev-KamenevProzeß sagte er: »Sicher, er tastet an Erinnerungen. Es ist mögüch, daß nicht aüe Angaben stimmen.« Jedoch: »Es war hier Spionage dabei und eine Lebensgefahr für die SU. Der Prozeß war absolut notwendig und gerechtfertigt.« Zum »Versöhnungs«-Aufruf meinte Münzenberg, er bedeute »keine grundsätzüche Änderung der Steüung der KPD [...], man müsse aber dem Bolschewistenschreck, der überaü betrieben werde, etwas entgegensteüen«.271 Am Schluß der Besprechung, bei der acht SAPler zugegen waren, wurden die Themen für eine nächste Zusammenkunft vereinbart: »Einschätzung der Situation« und »Die derzeitigen —



Arbeitsmethoden«.272

gelang es den Nichtkommunisten in den weiteren Sitzungen der Programmkommission, gegen den wütenden Ulbricht und dank des wie EhrGemeinsam

schlechten Gewissens von Wehner, die programmatische Erklärung fertigzusteüen, die seit Ende Juü in Arbeit war. Sie wurde dann auch von den führenden Funktionären der KPD unterzeichnet. Veröffentüchung und Bekanntwerden des Appeüs »Bildet die deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot!«273 fielen jedoch mit der Vorbereitung und Durchmann zu

bemerken meinte

-

-

270 Vgl. Ursula Langkau-Alex, »Wilü Münzenberg im Exü und die Bedeutung der Freundschaft in der Krise der dreißiger Jahre«, in: Schüe/Roche (Hrsg.), Willi Münzenberg (1889-1940), S. 173-194, hier bes. S. 175ff. dazu eine Korrektur für S. 175, die auch für die französische Fassung gut (»Wilü Münzenberg en exü et l'importance de l'amitié dans la crise des années trente«, in: Simone Roche [Hrsg.], Willi Münzenberg 1889—1940. Un homme contre, Paris 1993, S. 145-157, dort S. 147): der Brief Münzenbergs an Dimitroff datiert vom 14., nicht vom 18. Juni 1938; Franz Dahlem im Gespräch mit ULA: er habe damals beim Gebrauch des Wortes »Dquidierung« nicht an physische Vernichtung gedacht (doch gebrauchte er das Wort auch dann noch, als die »Trotzkisten« erschossen wurden). 271 ARBARK, SAP, 6, 51, 1: »Protokoü der Besprechung zwischen Vertretern der KP und SAP am 10. November 1936 in Paris« (siehe Anm. 247), Zitate nacheinander S. 1 (Tagesordnung), 5 und 6. 272 Ebd., Zitate S. 5; von der SAP nahmen teü: Ackerknecht, Fabian, Fröüch, Rosi Wolfstein, Pfeffer, Sternberg, Walcher und Wassermann (in den Protokollen alle mit Decknamen); die Aussprache über die »Einschätzung der Situation« fand kurz nach der ersten Besprechung statt, siehe »Die Ausführungen der KPD-Vertreter in der gemeinsamen Besprechung vom 10.11.1936«, S. 3, ARBARK, 6, 51,1. 273 Siehe Langkau-Alex, »>Büdet die deutsche Volksfront!« ...«, S. 187ff. -

201

A IV. »Kampf gegen den

Krieg

¡st

Kampf gegen

den Faschismus«

führung des zweiten Moskauer Prozesses im Januar 1937 zusammen. Dieser stand eindeutig im Zeichen Spaniens. Auf diesen zweiten Prozeß reagierte die SAP-Leitung in Paris furios. Sie begann eine Kampagne, um »die Arbeiteröffentlichkeit zu alarmieren und die Arbeiterorganisationen zu Protestaktionen gegen den Prozeß und die zu fürchtenden Erschießungen zu veranlassen«. Dem Gericht in Moskau telegrafierte sie: »SAP protestiert gegen den Prozeß. Völlig unglaubwürdige Anklagen gegen Revolutionäre erschüttern Vertrauen internationaler Arbeiterklasse zur Sowjetunion und begünstigen den Faschismus.«274 Der begleitende Kommentar in der Neuen Front war noch schärfer. Die KPD-Führer, voran Ulbricht und Pieck, schlugen öffentlich zurück.275 Sie gaben damit das Zeichen zu einer offensiven Kampagne gegen die »trotzkistische« SAP, wie sie seit Anfang November 1936 nicht mehr stattgefunden hatte. Das Trommelfeuer wurde, wie bereits oben im Zusammenhang mit dem Spanischen Bürgerkrieg dargestellt, nach den blutigen Ereignissen von Anfang Mai 1937 in Barcelona noch gesteigert. Rosi Wolfstein berichtete im Juli 1937 auf der Tagung der erweiterten Parteileitung der SAP: »Nach den Moskauer Prozessen begannen die Gleichschaltungsversuche der KP, was sich so auswirkte, daß die KP überhaupt die Arbeit sabotierte, z. B. in der am besten arbeitenden Kommission über die Lohnpolitik.«276 Doch dürfe sich die SAP, so Wolfstein weiter, »trotz der gegen uns geführten Angriffe an der weiteren Mitarbeit nicht hindern lassen«. Für den Fall jedoch,

daß die KPD versuchen sollte, »den Ausschuß zu sprengen«, visierte sie eine weitere Zusammenarbeit mit der »SP« an, und das hieß in der Perspektive: Kartellierung mit allen Gruppierungen der Sozialdemokratie. Alle Nichtkommunisten im Volksfrontausschuß, einschließlich Heinrich Mann, widersetzten sich nicht nur dem Verlangen der Kommunisten, die SAPler zu isolieren, sie verteidigten sie selbst gegen die wüsten Angriffe und beharrten darauf, daß die SAP eine antifaschistische Partei sei und weiterhin Partner im Ausschuß bleibe.277

274 Siehe NF, 1937, Nr. 2/3, Anfang Februar, S. 1937, Nr. 4, Mtte Februar: »Der Radek-Prozeß«.

1 und S. 4

(Zitate); vgl.

auch

NF,

Walter [Ulbricht], »Göring verteidigt die trotzkistischen Brandstifter«, in: Rundschau (Basel), 1937, Nr. 6; Wilhelm Pieck, »Hiderfaschismus und Trotzkismus«, in: DVZ, 1937, 275

Nr. 7, 14. Februar. 276 Vgl., auch zum folgenden: ARBARK, 2, 16, 27: »Gedrängtes Protokoll von der Tagung der erweiterten Partei-Leitung vom 4ten bis lOten Juli und am 15ten Juli 1937« (Zitat S. 15), Anlage zum RSchr. Jim, 1937, Nr. 16, 13. August; zur Lohn- bzw. Wirtschaftskommission siehe unten, S. 310ff. 277 Vgl. IISG, studiezaalmappen, lijst Abendroth 425 und 326, sowie AdsD, NL Brandt: »Dokumentation des Briefwechsels zwischen der SAP, den übrigen Nichtkommunisten und dem ZK der KPD zwischen März und Ende Oktober 1937«, Anlage zum RSchr. der »Parteileitung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), An die Freunde der deutschen Volksfront drinnen und draußen«, Paris, Ende Oktober 1937, hektograph.; As und hektograph. Exemplare in mehreren Archiven.

202

Säuberungen und

Prozesse in Moskau

Es dürfte verständlich geworden sein, daß vom Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront als Gesamtgremium keine Stellungnahme, welcher Art auch immer, zu den Moskauer Prozessen zu erwarten war. Erst nach seiner Lahmlegung und aus Anlaß des am 2. März 1938 beginnenden Prozesses gegen Bucharin und weitere zwanzig Bolschewik! setzte Walcher ein Protesttelegramm auf, das im Einvernehmen mit Max Braun mit den Unterschriften »solcher Persönlichkeiten [...], deren positive Einstellung nicht nur zur Volksfrontpolitik, sondern auch zur Sowjetunion außer allem Zweifel steht«, an die Sowjetregierung geschickt werden sollte. Der Personenkreis, den man kurzfristig anschrieb, war der gleiche, der knapp eine Woche zuvor gegen die Gleichschaltung des Heeres in Deutschland und die Kriegsdrohungen Hitlers öffentlich Stellung bezogen hatte: Feuchtwanger, Lieb, Georg Bernhard, Ehrmann, Schifrin, Mitglieder des ISK Gumbel, auch Heinrich Mann, wegen seiner »mit Recht [...] besonderen Wertschätzung« in der Sowjetunion.278 Feuchtwanger soll zugesagt haben, von Heinrich Mann war eigentlich keine positive Reaktion zu erwarten. Skeptische Bereitschaft zeigte sich beim ISK. Gumbel war tief »betrübt«, denn, so schrieb er, »gerade der unwahrscheinlichste Teil [...] der Geständnisse [ist] richtig. Es gab indirekte Verbindungen von Sowjetfunktionären zu deutschen Faschisten.« Und er erinnerte an die Zusammenarbeit der Sowjetunion mit der >Schwarzen Reichswehr< zur Zeit der Weimarer Republik. Es sei jedoch »bitteres Unrecht, daß jetzt die ausführenden Organe deswegen angeklagt werden«, zudem würden »auch völlig übertriebene und erlogene Angaben« hinzugefügt. Es sei »sinnlos zu protestieren«.279 Auch wenn das gemeinsame Telegramm nicht abgeschickt wurde, so ist sein Inhalt es wegen der behutsam entschiedenen Formulierung doch wert, hier zitiert zu werden: »Aufs engste mit der Sowjetunion verbunden, in der wir den Träger des sozialen Fortschritts und die gewaltigste Macht des Friedens erblicken, erachten wir es als unsere Pflicht, auszusprechen, daß die unglaublichen Anklagen und die ebenso unglaublichen Geständnisse im Prozeß Bucharin, Rakowsky und Genossen dem Ansehen der Sowjetunion unermeßlichen Schaden zufügen und das so notwendige Vertrauen zu ihr in den sozialistischen und friedliebenden Massen der ganzen Welt schwächen und bei sehr vielen völlig vernichten. Nutznießer ist der internationale Faschismus und ganz besonders sein gefährlichster und blutgierigster Repräsentant^] der Hitlerismus, in dessen Bekämpfung wir unsere vornehmste Aufgabe sehen. Die erneute Verhängung von Todesurteilen gegen alte Revolutionäre, die an der Schaffung

278 ARBARK, SAP, 6, 57, 14: [Walcher] an Heinrich Mann, 6. März 1938, Ds, Zitate daraus; UBB, 043, Aa 205: Max Braun an Deb, 3. März 1938, und UBB, Ag 012: Antwort Deb: »Mit allem einverstanden«; zu den Stellungnahmen gegen die Kriegspolitik siehe

unten, S. 436ff.

AdsD, IJB/ISK, 35: Gumbel an Eichler, 5. März 1938, Zitate daraus; Eichler an Gumbel, 9. März 1938; Braun an Hardt [d.i. Eichler], 3. März und 4. März 1938; M. H[ardt] an Braun, 4. März 1938. 279

203

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg ¡st Kampf gegen

den Faschismus«

der Sowjetmacht hervorragenden Anteü haben[,] und ihre Vollstreckung würde unserer gemeinsamen Sache nicht wieder gutzumachenden Schaden zu-

fügen.«280

Breitscheid, der auch als Unterzeichner des gemeinsamen Telegramms vorgesehen war, verwahrte sich gegen die Nennung seines Namens: Abgesehen davon, daß er für seine Person bereits im Genter Vooruit sein Urteü abgegeben habe,

habe er »ganz allgemein die größten Bedenken gegen Eingaben und Petitionen dieser Art«, an welches Staatsoberhaupt auch immer; er befürchte eher Schaden als Nutzen für die Angeklagten und sehe keinerlei Mögüchkeit, die Verantwortüchen in der Sowjetunion zu beeinflussen, da ihnen offensichtlich »die Meinung des Auslandes gleichgültig ist«, und last but not least hielt er »es für gänzüch unangebracht, daß wir Emigranten, die wir nichts hinter uns haben, und poütisch ohne Bedeutung und Einfluß sind [...,] derartige Eingaben an Staun oder einen anderen Diktator richten«.281 Weitere Motive für seine Verweigerung nannte Breitscheid nicht, als da waren: seine tiefe poütische Enttäuschung und persönüche Verletztheit wegen der Querelen im und um den Volksfrontausschuß, einschüeßüch der Krise um die Deutschen Informationen2*2 Bereits im November 1937 hatte er sich von jeder parteipoütischen und Volksfront-Tätigkeit zurückgezogen. Das kleine »überparteiüche Gremium«, das er um die Jahreswende 1937/38 gemeinsam mit Georg Bernhard zusammengebracht hatte, um »poütische, wirtschaftliche und soziale Probleme sachüch und gründüch zu diskutieren«, soüte ledigüch einem von verschiedenen Seiten geäußerten Mangel abzuhelfen versuchen. Der Kreis, zu dem neben den genannten Initiatoren Fröüch, Gumbel, Marck, Münzenberg, Heinrich Rheinstrom, Schiff, Schifrin, Sternberg und Walcher gehörten, kam im Pariser Haus des schwedischen Bankiers Olaf Aschberg zusammen.283 Den definitiven Schlußstrich unter die Zusammenarbeit mit Parteikommunisten setzte Breitscheid offizieü einen Tag nach den informeüen Besprechungen über Mögüchkeiten der Wiederaufnahme gemeinsamer Arbeit im Volksfrontausschuß, zu denen Merker im Namen Heinrich Manns auf den 3. April 1938 eingeladen hatte, denen er aber ferngebüeben war.284 Mehr als über das Schweigen des ZK der KPD auf Beschwerdebriefe von Heinrich Mann und den nichtkommunistischen Mitgüedern des Arbeitsausschusses des Volksfrontausschusses vom 1. Oktober und 3. November 1937 war er über den eklatanten Rückfaü in die überwunden geglaubte Zeit der »Sozialfaschismus«-Poütik der Komintern und der KPD empört. Dimitroff, der Begründer der Einheitsfront auf neue Art« und der Volksfrontpoütik, hatte den Rekurs zum 20. Jahrestag der bolschewistischen

280 281

Anlage zu M. Braun, 3. März 1938, an Deb und Hardt (siehe Anm. 278 und 279). ARBARK, SAP, 6, 52, Nr. 12: [Walcher] an Breitscheid, 3. März 1937, Ds, mit Tele-

(Nr. 11), siehe auch Nr. 13: Breitscheid an Walcher, 6. März 1937, Zitate daraus. Ausführüchen dazu unten, S. 355ff. und 420ff. 283 Siehe ARBARK, SAP, 6, 52, Nr. 8, 9, 10: Korr. vom 30. November 1937 (Zitate daraus), 1. Dezember 1937 und 3. Januar 1938; IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII: Aufzeichnung Hertz vom 2. Dezember 1937. 284 Siehe dazu unten, S. 440ff. gramm 282

204

Friedensnobelpreise Revolution mit einer vehementen Polemik gegen den »Sozialdemokratismus« eingeleitet. Von Franz Dahlem, der 1936 um Breitscheids Vertrauen gebuhlt und den Volksfrontausschuß mitgestaltet hatte, erschien am Tage der Todesurteile ein Artikel in der Deutschen Volks-Zeitung, in dem er die im Prozeß dessen Augenzeuge er war geäußerten Denunziationen von Führungspersönlichkeiten der SAI, sie seien Spione für Deutschland und arbeiteten der Gestapo in die Hand, wiederholte. Breitscheid solidarisierte sich in seinem Brief an Merker, der nach der Abberufung Ulbrichts nach Moskau das Pariser Sekretariat des ZK der KPD leitete, mit den Verurteilten: »Sind sie Verräter und Gestapo-Agenten, dann bin ich es auch, und ganz von meinen eigenen Gefühlen und Überzeugungen abgesehen, möchte ich annehmen, daß auch Ihrer und Ihrer Freunde Wunsch, mit mir zusammenzuarbeiten, durch diese Feststellung sehr wesentlich abgekühlt sein dürfte.«285 —



Friedensnobelpreise Schon um die Jahreswende 1933/34 kam innerhalb der deutschen Emigration der Gedanke auf, den früheren Chefredakteur der Weltbühne, Carl von Ossietzky, der für seinen leidenschaftlichen, die deutschen Rüstungen in der Weimarer Republik enthüllenden Pazifismus 1931 zu Gefängnishaft verurteilt worden war, vom NS-Regime seit 1933 in Konzentrationslagern »fertiggemacht« wurde, als Kandidaten für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen.286 Doch erst 1936 vermochte die Emigration fristgerecht eine internationale, auf breiter Basis aufge-

285 Siehe ARBARK, SAP, 6, 52, 14: Breitscheid an Merker, 4. Aprü 1938, Kopie mit handschr. Gruß für Walcher; Franz Dahlem, »Hider hat eine Schlacht verloren«, in: DVZ, 1938, Nr. 10, 13. März, S. 3; Prozeßbericht von Franz Dahlem, »Wer gegen die Sowjetunion ist, hilft dem Hiderfaschismus«, in: Rundschau (Basel), 1938, Nr. 18, 24. März, 5. 571£; vgl. dazu ders., »Nachgelassenes«, S. 18; zu den »Sozialdemokratismus«-Polemiken vgl. Rundschau (Basel): 1937, Nr. 49, 11. November, S. 1821-1824: Georgi Dimitroff, »Die Sowjetunion und die Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder«; ebd., 1938, Nr. 1, 6. Januar, S. 25f.: Wilhelm Pieck, »Gegen einheitsfeindliche und faschistische Lügenhetze. Aus der Lügen- und Fälscherwerkstätte des Hiderfaschismus«; 7C7, 1938, H. 1, S. 30-37: Ernst Fischer, »Der Sozialdemokratismus und die Einheit der Arbeiterklasse«; ebd., S. 3844: Franz Kraus, »Der Sozialdemokratismus in der Praxis«; Reaktionen von SAI-Seite: 7.7., 1938, Nr. 10, 10. März, S. 109-112: »Protest gegen die Moskauer Verleumdungen. Brief Friedrich Adlers und Louis de Brouckère's an Theodor Dan«, darin ist auch dokumentiert: je eine Erklärung von Feodor Dan und de Brouckère sowie ein Bericht über die von Bohumil Smeral betriebene »kommunistische Verleumdungspropaganda im Westen«. 286 Vgl. für das Zitat und z.T. zum folgenden, Brandt, Links und jrei, S. 107ff; Helmut Donat und Adolf Wild (Hrsg.), Carl von Ossietzky. Republikaner ohne Republik, Bremen 1986; Ursula Madrasch-Groschopp, Die Weltbühne. Porträt einer Zeitschrift, Berlin 1983, bes. S. 331 ff; vgl. auch die in der Bibliographie in Deutsche Volksfront Band 3 verzeichneten Arbeiten über Ossietzky von Bruno Frei und Kurt R. Grossmann.

205

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg

¡st

Kampf

gegen den Faschismus«

baute Kampagne zu starten. Hierbei engagierte sich vor aüem die SAP als Partei; ihr hatte sich Ossietzky seit ihrer Gründung verbunden gefühlt.287 Die Kampagne für Ossietzky führte zu erhebüchen Reibereien zwischen dem von Hüde Walter in Paris geleiteten Freundeskreis Carl von Ossietzky und den Kommunisten. Die lautstarken Versuche der KPD, sich als poütische Organisation einzuschalten, wurden angesichts des konservativ geprägten NobelpreisKomitees in Oslo als hinderüch für einen Erfolg und obendrein als reine Propagandamasche in eigener Sache angesehen. Hinter den Kuüssen waren Kommunisten als Partner jedoch willkommen.288 Auch stritten sich bürgerüche und soziaüstisch sowie kommunistisch gebundene Inteüektueüe untereinander und mit dem Europa-Verlag in Zürich um die Herausgabe einer Ossietzky-Biographie; Kurt R. Grossmann, Leiter der Demokratischen Flüchtlingsfürsorge in Prag, und der im Stockholmer Exü lebende Kurt Singer, Mitgründer des Freundeskreises Carl von Ossietzky, trugen schüeßüch gemeinsam den Sieg davon.289 Die Verleihung des Preises im November 1936 an den inzwischen an Tbc dahinsiechenden Ossietzky feierte die gesamte Emigration einheüig als »moraüschen Spruch« des »Weltgewissens« »gegen den Geist der Diktatur« (Neuer Vorwärts); als: »unser erster großer Sieg, der Lohn dafür, daß wir nicht in Lethargie versanken, niemanden preisgaben, nichts unversucht üeßen« (Budzislawski); als »weithin leuchtendes Symbol ihres [der Welt ULA] Friedenswillens« (Neue Weltbühne).290 Die AZ der SAP sprach vom »Schlag gegen die Brandstifter«, doch während sie »Brandstifter« direkt auf den Krieg bezog, vergüch Rudolf Leonhard mit dem Krieg gegen die Demokratie, der sich ihm im Reichstagsbrand symboüsierte, und »mit dem Freispruch Dimitroffs« im Leipziger Prozeß.291 Die Deutsche Volks-Zeitung verband den »Sieg« Ossietzkys mit dem Ansporn, nun endlich in Deutschland die Grundlagen für eine Volksfront zu schaffen.292 Die Pariser Ta-

287

Vgl. Hanno Drechsler, Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Ein Beitrag

Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung am Ende der Weimarer Republik, Meisenheim/Glan

1965, S. 158f; Stichwort Ossietzky, in: Presse der SAP; Wiüy Brandt, Die Nobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky, Oldenburg 1988. 288 Konrad Reisner gegenüber ULA; vgl. IISG, Sammlung Freundeskreis Carl von Ossietzky, auf die sich im wesentlichen stützt: Frithjoff Trapp/Knut Bergmann/Bettina Herre, Carl von Ossietzky und das politische Exil. Die Arbeit des »Freundeskreises Carl von Ossietzky« in den Jahren 1933—1936, Hamburg 1988; für England vgl. Charmian Brinson/ Marian Malet (Hrsg.), »Rettet Ossietzky! Dokumente aus dem Nachlaß von Rudolf Olden, Oldenburg 1990; für Schweden vgl. Christoph Schottes, Die Friedensnobelpreiskampagne für Carl von Ossietzky in Schweden, Oldenburg 1997. 289 Felix Burger [d. i. Kurt R. Grossmann] und Kurt Singer, Carl von Ossietzky, Zürich: Europa-Verlag 1937. Zitate nacheinander aus: NV, 1936, Nr. 181, 29. November, S. 1: »Der Friedensfür preis Ossietzky. Die Stimme des Weltgewissens«; NWB, 1936, Nr. 49, 3. Dezember, S. 1529ff: Hermann Budzislawski, »Der Nobelpreis«, Zitat S. 1533, und Nr. 48, 26. November, S. 1497f: [anonym], »Carl von Ossietzky«, Zitat S. 1498. 251 Siehe NF, 1936, Nr. 22, Anfang Dezember, S. 2; NWB, 1936, Nr. 49, 3. Dezember, S. 1560. 292 »Ein Sieg«, in: DVZ, 1936, Nr. 37, 29. November. 290

206

Friedensnobelpreise ließ eine französisch-deutsche Intellektuellen-(Volks-)Front zu Wort und berichtete außerdem über eine große Kundgebung der »Kopf- und kommen Handarbeiter« zu Ehren Ossietzkys am 14. Dezember in der Mutualité, auf der neben Franzosen auch Max Braun und Egon Erwin Kisch sprachen.293 Heinrich Manns Brief zur Verleihung des Preises an Ossietzky druckte Hertz in der Sozialistischen Aktion ab.294 Dies ist als kleines Zeichen dafür zu werten, daß unvereinbare Positionen in der Beurteilung der Moskauer Prozesse und der Sowjetunion und in der Stellung zur Volksfront hinter die Solidarität mit den Opfern des nationalsozialistischen Regimes und die Sorge um die Bannung der Kriegsgefahr zurücktraten oder doch in den Hintergrund geschoben werden konnten. Ein großes Zeichen ist darin zu erbücken, daß Heinrich Mann im Frühjahr 1937 seine Idee, die Kandidatur des gegen Ossietzky unterlegenen Altpräsidenten und Gründers des tschechoslowakischen Staates, Tomás Masaryk, für die folgende Preisverleihung zu befürworten, auf Vorhaltung von Eichler aufgab zugunsten der Unterstützung von Edo Fimmen, den der ISK favorisierte. Heinrich Mann, selbst von Johannes R. Becher auf den Schild des NobelpreisKandidaten erhoben, schlug dann vor, die »Kandidatur Fimmen [...] auf der Sitzung des ^vorbereitenden Ausschusses< am 9. April zur Sprache« zu bringen, und er vertraute hinsichtlich der zu folgenden Prozedur auf den Rat des ISK.295 Nach dem »Dulder« Ossietzky296 hätte mit Fimmen ein antifaschistischer Kämpfer aus der sozialistischen Arbeiterbewegung, der persönlich und mit «eine» Internationalen Transportarbeiter-Föderation über alle Parteischranken hinweg die deutsche politische Opposition im Exil und innerhalb Deutschlands und den Kampf in Spanien gegen Franco auf jede nur mögliche Art und Weise förderte, in das Licht einer weltweiten Öffentlichkeit gerückt werden können. Darüber hinaus hätte Fimmen das mit dem Preis verbundene Geld gut für die illegalen Aktivitäten gegen den (deutschen) Faschismus gebrauchen und damit Kritikern an seiner Freigebigkeit in den eigenen Reihen begegnen können. Zur Unterstützung der Kandidatur des kompromißlosen Fimmen, die offiziell von einem Büro in London betrieben wurde, fand sich auch eine weltanschaulich und beruflich breite Schar von Persönlichkeiten in verschiedenen Ländern Europas bereit. Die Chancen schienen gut zu stehen da gab der Pazifist kurz bevor seine Kandidatur öffentlich gemacht wurde zu erkennen, daß er nicht mehr für den Frieden einstehen könne.297

geszeitung



PTZ, 1936, Nr. 167, 25. November, und Nr. 183, 16. Dezember. Sozialistische Aktion, 1936, Dezember, S. 1; zu weiteren Artikeln von H. Mann über Ossietzky siehe H. Mann, Verteidigung der Kultur, bes. S. 403-412. 295 Siehe AdsD, IJB/ISK, 30, Martin Hart an H. Mann, 17. März 1937; H. Mann an Fimmen, 21. März 1937; in den Protokollen und Berichten über die Sitzungen am 9., 10. und 11. April (siehe dazu auch unten, S. 330ff.) findet sich kein Hinweis, daß eine mögli293 294

che Kandidatur von Fimmen besprochen worden wäre. 296 Siehe H. Mann, Verteidigung der Kultur, S. 406. 297 Willy Buschak, »Edo Fimmen and Willi Eichler A political friendship«, in: Bob Reinalda (Hrsg.), The International Transportworkers Federation 1914—1945. The Edo Fimmen Era, Amsterdam 1997, S. 203-208, hier S. 205f. -

207

A IV.

»Kampf gegen

den

Krieg ist Kampf gegen den Faschismus«

Den Friedensnobelpreis 1937 erhielt der Promoter des Rassemblement Universel pour la Paix und des Weltfriedenskongresses 1936, Lord Robert Cecü. Bei der Wahl waren sicherüch seine seit spätestens 1919 juristisch, poütisch und pubüzistisch ausgetragenen Bemühungen um weltweite Abrüstung ins Gewicht gefaüen, darüber hinaus dürfte auch der Gedanke mitgespielt haben, den Völkerbund als Friedensinstrument und das System der koüektiven Sicherheit ins Gedächtnis zu rufen und zu stärken, war Lord Robert Cecü doch schon seit 1923 Präsident der League of Nations Union.

V.

Solidarität Von der »Volksfront der Not« zur »Verwirklichung einer großen antifaschistischen Volksfront Europas«? In diesem Kapitel wird den vielfältigen Formen, Organisationen und Aktionen der zumeist auch international verankerten Solidarität nachgegangen. Die Grenzen zwischen humanitärer Einheitsaktion, politischer Aktionseinheit im strategischen Kalkül der Komintern und überparteilicher Zusammenarbeit wurden fließend. Zentrale Fragen sind: Wann und warum fungierte Solidarität als Bindemittel zwischen den divergierenden und rivalisierenden Kräften und stärkte die Volksfrontbestrebungen? Wann und unter welchen Umständen bewirkte die Einforderung von Solidarität den gegenteiligen Effekt?

Grenzüberschreitungen Auf humanitärem Gebiet konnten, wie sich seit 1933 mehrfach erwiesen hatte, die Grenzen zwischen proletarischer Einheitsaktion und Handeln auf VolksfrontBasis in Fluß kommen, konnten ideologische und politische Gräben, Landesgrenzen und selbst Staatsräson zumindest teil- und zeitweise überwunden werden. Die Wahrung strikter Überparteilichkeit war eine der Bedingungen für das Gelingen, eine zweite war die Beschaffung oder Bereitstellung der nötigen finanziellen Mittel. Hier lagen gleichzeitig die Keime für Auseinandersetzungen und MißHngen; denn die Initiativen kamen meistens von kommunistischer Seite, das Geld überwiegend auch. Die mangelnde Transparenz der Komitees und Abhängigkeiten war ebenfalls ein ambivalenter Faktor, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Diskrete Finanzierung, Regie hinter den Kulissen und Besetzung von öffentlichen Funktionen mit in der Sache glaubhaften Persönlichkeiten konnten allgemein werbend wirken; Kritiker oder Konkurrenten vor allem innerhalb der Organisationen der Arbeiterbewegung konnten auf die eine oder andere Weise >bestraft< werden; inner-kommunistische Fehden konnten geschürt und in Konfliktsituationen konnten überparteilich konzipierte Aktivitäten humanitärer und politischer Art von »Moskau« lahmgelegt werden. Versuch und Scheitern, von der »Volksfront der Not« zur »Verwirklichung einer großen antifaschistischen Volksfront Europas« zu gelangen, werden uns im folgenden beschäftigen.1 Nach der Lutetia-Konferenz vom 2. Februar kam die erste Anregung für eine großangelegte Aufklärungsaktion aus der Internationalen Schriftstellervereinigung zur Verteidigung der Kultur: Für Deutschland und für die Welt, insbesondere für die Jugend, sollte eine Anthologie mit rund fünfzig exemplarischen Lebensläufen von in Deutschland ermordeten Antifaschisten zusammengestellt werden. Die literarische Form blieb den Bearbeitern selbst überlassen. Dem Redaktionskomitee gehörten von deutscher Seite Anna Seghers und Lion Feuchtwanger an.2 Die um Mitarbeit oder um Material gebetenen Sozialdemokraten

Zitate nach Rudolf Breitscheid, in: Information von Emigranten für Emigranten (IEE), Sonder-Nr. zur Internationalen Konferenz deutscher Emigranten am 19./20. Juni 1936, bzw. nach Marcel Cachin, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 29, 26. Juni, S. 1177. 2 Redaktionsanschrift von L. Feuchtwanger und A. Seghers war ein Briefkasten in der rue Augustin Nr. 22, wo sich schon in früheren Jahren Redaktions- und Koordinationsbüros, darunter das Pariser Sekretariat des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung des Reichstagsbrandes, befunden hatten; vgl., auch zum folgenden, Langkau-Alex, »Volks1

211

AV. Solidarität

Rudolf Breitscheid und Kurt Doberer wandten sich an Paul Hertz von der Sopade; dieser versorgte sie mit überprüften biographischen und KonzentrationslagerDaten von Sozialdemokraten. Breitscheid gab das Material für die üterarische Bearbeitung weiter an »Bruno«3, verwendete es aber direkt noch im Februar für seine auf Einladung des Internationalen Befreiungskomitees für Thälmann und aüe eingekerkerten Antifaschisten durchgeführte Vortragsreise durch Belgien. Der Zuhörerkreis seiner Vorträge über poütische Häftünge im NS-Reich und die Notwendigkeit ihrer Betreuung reichte von Kommunisten über Soziaüsten und Sozialdemokraten bis zum kathoüschen und jüdischen Bürgertum.4 Doberer dagegen, der als Journaüst in Prag tätig war, schrieb seine Geschichte(n) selbst. Desgleichen tat der nach Amsterdam emigrierte Bergarbeitergewerkschaftler Franz Vogt. Er üeferte aus persönücher Mitbetroffenheit zwei Beiträge; sie wurden jedoch erst aus dem Nachlaß veröffentlicht.5 Das Projekt, für das die Manuskripte relativ rasch abgeüefert wurden, zog sich hin und scheiterte endgültig 1938. Schwierigkeiten mit und innerhalb von Verlagen und wachsende poütische Meinungsverschiedenheiten bzw. Unvereinbarkeiten infolge vor aüem der von Moskau ausgehenden Säuberungen, Verfolgungen und Eliminierungen von »Trotzkisten« sind als Grund anzuführen.6 Sowohl die Arbeiten an der Anthologie als auch das Internationale Befreiungskomitee für Thälmann und aüe eingekerkerten Antifaschisten, kurz: Thäl-

frontprobleme Sprachprobleme«, S. 211 f. und zugehörige Anm.; IISG, Archiv Miners' International Federation (MIF), 273: Hertz an den Internationalen Bergarbeiterverband, 9. Mai 1936; als Bearbeiter sind bekannt: Martin Andersen-Nexö, Jean-Richard Bloch, Kurt Doberer, Leonhard Frank, Jean Giono, Heinrich Mann, Romain Roüand, Ignazio Süone (er zog sich später im Zusammenhang mit den Moskauer Prozessen zurück), Upton Sinclair, Franz Vogt, Arnold Zweig; freundliche Mitteüung auch von Werner Schartel, der in seiner Arbeit über Doberer noch auf das Schicksal des Buchprojekts eingehen wird. 3 Wohl Bruno Frei, evd. auch identisch mit dem von Maximiüan Scheer, So war es in Paris, Berün 1964, öfter erwähnten Bruno siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 172, Anm. 75. 4 BA/K, R 58/1: Deutsches Generalkonsulat Antwerpen an Auswärtiges Amt in Berün, 28. Februar 1936; IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Briefwechsel Hertz-Breitscheid, 14., 15., 17. und 27. Februar 1936; in Antwerpen sprach Breitscheid infolge einer Erkrankung nicht mehr. 5 Franz Vogt, »Friedrich Husemann«, in: Peukert/Bajohr, Spuren des Widerstands, S. 67ff; »Das Lebensbild des Jungbannermanns Heini Schmitz aus Bochum, skizziert von Franz Vogt«, in: Johannes Volker Wagner, »... nur Mut, sei Kämpfer!« Heinrich König. Ein Leben für die Freiheit, Bochum 1976, S. 168ff; zur Interpretation von »Heini Schmitz« vgl. LangkauAlex, »Volksfrontprobleme Sprachprobleme««, S. 211 f. 6 Im Gespräch waren u. a. der Oprecht-Verlag in Zürich und der Maük-Verlag in London; die Éditions du Carrefour in Paris scheinen zunächst ebenfalls geplant zu haben, die Anthologie herauszubringen, siehe IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 14. Februar 1936. -

-

-

212

Grenzüberschreitungen in die die Arbeit des Welthilfskomitees für die Opfer des deutschen Faschismus einging, wurden von der Internationalen Roten Hufe (IRH) finanziert.8

mann-Komitee,7 und seine Aktivitäten,

Die Rote Hilfe: Zum Problem der Abgrenzung humanitärer Einheitsaktion und politischer Aktionseinheit

von

Auf dem VII. Weltkongreß der Komintern hatte Dimitroff eine neue Aufgabenstellung der IRH umrissen: »Sie muß zu einem >Roten Kreuz< [...] der proletarischen Einheitsfront und der antifaschistischen Volksfront werden, das Millionen von Werktätigen umfaßt. [...] Die Vorkämpfer der Arbeiterklasse, die Opfer der Reaktion und des Faschismus, die in den Kerkern und Konzentrationslagern schmachten, die politischen Emigranten und ihre Angehörigen müssen das feinfühligste und besorgteste Verhalten von Seiten der Organisationen und Funktionäre der Internationalen Roten Hilfe finden [...].«' Die KPD übernahm auf ihrer »Brüsseler« Konferenz diese Forderungen in ihr neues bündnispolitisches Konzept, ohne jedoch ausdrücklich von der Roten Hilfe zu sprechen. Die über RHD oder von dieser bis dahin gemachten Einheitsfrontangebote hatten vornehmlich im Dienste der Eroberung von Sozialdemokraten und anderen nichtkommunistisch organisierten Proletariern gestanden.10

7

Im

August

1935 lautete der Name noch: Internationales

Befreiungskomitee

für Di-

mitroff, Thälmann und alle eingekerkerten Antifaschisten, siehe Brief an Bureau du Congrès de la Fédération Internationale des Mineurs, 17. August 1935, IISG, MIF, 273; Autorenkollektiv

unter

der

Leitung von Günter Hortzschansky, Ernst Thälmann.

1986, S. 73: Das Thälmann-Komitee

Eine Biographie, Berlin sei auf Beschluß des KPD-Politbüros Mitte März

1936 umbenannt worden in: Befreiungskomitee für Thälmann, Mierendorff und Ossietzky. 8 Zu einer Reihe von Aspekten und Tätigkeiten des Thälmann-Komitees, darunter die internationale und die nationale Verflechtung, vgl. Gilbert Badia, »Le Comité Thaelmann«, in: Badia u.a., Les bannis, S. 199—259. 9 Aus dem Schlußwort Dimitroffs zur Diskussion zu seinem Bericht, 13. August 1935, zit. nach: »Genosse G. Dimitroff über die Rote Hilfe«, in: MOPR. Zeitschriftfür Kampf und Arbeit der Internationalen Roten Hilfe, Zürich, 1935, Nr. 10, Oktober, S. 19; einen Überblick über die Aufgabenstellungen, Wandlungen, Finanzierungen und über die Historiographie der IRH gibt Leonid Babichenko, »The International Red Aid«, unveröffentlichtes masch. Skript im IISG, o.D. [Mitte der 1990er Jahre], 21 S. 10 Siehe Lewin/Reuter/Weber, Protokoll der »Brüsseler Konferenz«, Resolutionsentwurf vom 15. Oktober 1935, und Resolution, endgültiger Text vom 1. Dezember 1935, S. 797824; generell siehe, auch zum folgenden, Peukert, KPD im Widerstand, bes. S. 233f.; vgl. Frank Moraw, Die Parole der »Einheit« und die Sozialdemokratie. Zur parteiorganisatorischen und gesellschaftspolitischen Orientierung der SPD in der Periode der Illegalität und der ersten Phase der Nachkriegszeit, 1933-1948, Bonn-Bad Godesberg 1973, S. 38ff.

213

AV. Solidarität

Die vom RH-Büro in Forbach seit Anfang September 1935 betriebene Poütik der Zusammenarbeit mit der sozialdemokratischen Beratungssteüe für saarländische Flüchtlinge in Fragen der Saar-Emigration wies aüerdings schon über die Eroberungstaktik hinaus.11 In der Nummer vom Dezember 1935 hieß es dann in Tribunal, die RHD soüe fortan Motor einer überparteüichen, aügemeinen hülfeorganisation sein.12 Nachdem die Berliner SPD-Bezkksleitung am 12. Januar 1936 der Kündigung gefolgt war, die die Sopade bereits Ende Dezember 1935 gegen das Abkommen ausgesprochen hatte, welches jene im Juni des Jahres mit dem Berüner Bezkksvorstand der RHD geschlossen hatte, wiederholte die RHD in einem Brief an die Sopade, sie erstrebe in Übereinstimmung mit der IRH »eine einheitüche umfassende Hüfe-Organisation für aüe Opfer«, ungeachtet poütischer Gegensätze; auch soüe die Soüdarität nicht mehr zur Agitation für die eigene Organisation mißbraucht werden.13 Ähnüches erklärte etwa um die gleiche Zeit in Paris ein sich »Rohde« nennender Vertreter der RHD gegenüber einem Mitgüed der Auslandszentrale der SAP.14 Die AZ stimmte den Vorschlägen über den Austausch von Materialien und über gegenseitige Informationen über Prozesse und Strafvoüzug prinzipieü zu, die Gründung eines gemeinsamen Komitees hielt sie aber für »verfrüht und einstweüen auch viel zu riskant«; auf jeden Faü woüte sie erst die Meinung der anderen Auslandsstützpunkte, die besseren Kontakt zu den Illegalen hatten, einholen. Aus konspirativen Gründen war der Prager Stützpunkt der SAP z. B.

11

Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 191f; die sozialdemokratische Organisation wurde Beratungssteüe für Saarflüchdinge und später meistens Beratungssteüe für Saaremigranten genannt; zu ihr vgl. ausführlicher Paul, Max Braun, S. 107ff. 12 Tribunal, Organ der Werktätigen gegen Unterdrückung Faschismus, Justizterror, hrsg. von der Roten Hufe Deutschlands, Dezember 1935; die Secours Rouge Français hatte bereits Anfang November 1935 ihre neue Aufgabensteüung im Rahmen des Front populaire bekannt gemacht, vgl. Jacques Omnès, »L'Aide du Secours Rouge puis du Secours Populaire aux réfugiés poütiques aüemands en France (1933—1939)«, in: Cahiers d'histoire de l'institut de recherches marxistes, Nr. 7 (41), 1981, S. 123-148, hier S. 138f. 13 AdsD, Emigration Sopade: Offener Brief des BV [Bezkksvorstands] der RHD Berün, 8. Februar 1936, mit Brief des ZV [Zentralvorstands] der RHD vom 4. März 1936, unterzeichnet i.A. K.Berger, an den PV der SPD; der Offene Brief fiel auch der Gestapo in die Hände, siehe BA/K, R 58/408; zur Vorgeschichte seit Juni 1935 siehe Deutsche Volksfront Band 1, S. 71-86 und 314—319 und die zugehörigen Anm.. 14 AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 1, 12. Februar, Rohde [d.i. Josef Müler] wird dort charakterisiert als »ein alter KP-Funktionär [...], der in den früheren Auseinandersetzungen zu den Versöhnlern neigte und der menschüch immer ein achtbarer Kerl auch

gewesen ist«.

214

Grenzüberschreitungen gegen eine Zusammenarbeit mit Kommunisten in der Grenzarbeit, daher auch gegen die Propagierung einer Volksfront, abgesehen noch von deren Inhalt.15 Gemeinsame Komitees waren von kommunistischer Seite vor allem für Innerdeutschland gedacht. Dies entsprach einmal dem Selbstverständnis und der Aufgabenstellung, den Widerstand im Lande zu organisieren und die Emigration lediglich als »Kampfposten« in dienender Funktion zu begreifen.16 Zum anderen entsprang das Bemühen um Soüdaritätskomitees dem Bedürfnis, die illegalen Aktivitäten wieder anzukurbeln, nachdem die meisten eigenen, kommunistischen Widerstandsgruppen aufgerollt worden waren.17 Beide Motive hegen auch dem Beschluß zugrunde, der auf Besprechungen vom 21. bis 24. Februar in Zürich zwischen zwei illegalen Funktionären aus Stuttgart und den Grenzstellenleitern von RHD, KPD und KJVD gefaßt worden sein soll: Eine »Volkshilfe« sollte geschaffen werden und neben KPD-, SPD- und SAP-Mtgliedern katholische und protestantische Kreise erfassen. Darüber hinaus sollte Verbindung »zur Schwarzen Front, sowie zu verbitterten Leuten der NSDAP, SA und SS« hergestellt und die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) infiltriert werden.18 Wie gefährdet im Gestapo-Staat aber schon illegale Komitees waren, die nur aus alten überzeugten Anhängern der Organisationen der Arbeiterbewegung bestanden, zumal, wenn die Kommunisten es sich nicht verkneifen konnten, in ihrer Presse auf lokale Komitees hinzuweisen, hatten zuletzt noch die Verhaftungen von über 600 Kommunisten, Sozialisten, Freien Gewerkschaftlern in Wuppertal gezeigt.19 Einer der Gründe für die Kündigung des Berhner Abkommens wovon allerdings der aus je einem Kommunisten und einem Sozialdemokraten bestehende »politische Ausschuß« zur Abwehr von Terror, Spitzeln und Verrätern ebensowenig berührt wurde wie der diesbezügliche Materialaustausch war denn auch gewesen, daß KPD- und RHD-Leitung im Ausland entgegen den Verabredungen über Ort, Inhalt und Form der »Einheitsfront« in der Presse berichtet hatten. Insbesondere wurde Piecks Artikel »Der neue Weg des gemein—

-

Vgl. AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 1, 12. Februar; PAULA: Notizen Gespräch mit Walter Pöppel, damals in der Grenzarbeit in der Tschechoslowakei tätig, Stockholm, 1. August 1978; Walter Pöppel, Deutschlands verlorene jähre 1933-1945. Betrachtungen aus der Emigration, Stockholm 1986. 16 Vgl. insgesamt Herlemann, Emigration als Kampfposten. 17 Vgl. Peukert, KPD im Widerstand, bes. Kap. II. 18 BA/K, R 58/1: »Abschrift aus einem vertraulichen Bericht über im Februar 36 in der Schweiz stattgefundene Besprechungen über den Neuaufbau der RH in Württemberg, übersandt durch das Württ[embergische] Politische] Landespolizeiamt Stuttgart mit Bericht vom 29. 2. 1936«; der vertrauliche Bericht über die Besprechungen enthält Namen und Anschriften von Verbindungsleuten; zur Verbindung zwischen RHD und RHS [RH Schweiz] allgemein siehe Wichers, Kampfgegen Hitler, z.B. S. 139f, 158f. und passim. W Vgl. Peukert, KPD im Widerstand, S. 239f. •5

von

215

AV. Solidarität

Kampfes für den Sturz der Hiderdiktatur« in der Kommunistischen Internationale vom 30. November 1935 mißbilligt.20 Die AZ der SAP und die Berüner BL der SPD stimmten Anfang 1936 auch darin überein, daß vor der Bildung gemeinsamer Komitees und einer zu engen Zusammenarbeit grundsätzüche poütische und taktische Fragen zu klären seien.21 Gleich anderen befürchteten sie, das strategische Ziel der Kommunisten, eine breite Front gegen Faschismus/Nationalsoziaüsmus und Krieg zustande zu bringen, impüziere, daß auf Dauer humanitäre und poütische Arbeit nicht zu trennen sein würden, daß vielmehr Soüdarität als Hebel zur Erreichung einer poütischen Einheitsfront eingesetzt werden würde. Tatsächüch lassen die Notizen Piecks, nota bene seit 1922 Mitgüed des Exekutivkomitees der IRH und Vorsitzender der RHD, zur Begründung der »Richtünien für die Ausarbeitung einer poütischen Plattform der deutschen Volksfront« vor dem Poütbüro im Juni 1936 in Paris diese Absicht erkennen.22 Auch die Personalpoütik der KPD weist klar in diese Richtung. Seit spätestens 1928/29 waren (führende) Funktionäre der, offizieü stets als überparteüich deklarierten, Roten Hufe Mitgüed und »Spezialarbeiter« der Partei gewesen.23 Ende 1935/ Anfang 1936 betraute das ZK der KPD Phiüpp Daub mit der zentralen Auslandsleitung der RH in Paris. Bis dahin war Daub, der auf der »Brüsseler« Parteikonferenz in die Kontroükommission des ZK gewählt wurde, Stützpunkdeiter der KPD in Amsterdam gewesen, somit auch Leiter der illegalen Arbeit im samen

20 IISG, NL Hertz, S. 16, lg: Memorandum, o.U., o.D. [ca. Ende Januar 1936], beginnend: »Am 16. Juni 1935 wurde zwischen dem Berüner Bezirksvorstand der SPD und der Berliner Bezirksleitung der KPD ...«; siehe die Sammlung der Gestapo von kommunistischen Artikeln über das Berüner Abkommen im BA/K, R 58/596; daß die achtköpfige Berüner BL der SPD noch im Januar 1936 verhaftet wurde, dürfte jedoch dem eingedrungenen Gestapospitzel Hugo Geisler, einem ehemaügen Sozialdemokraten, zuzuschreiben

sein, siehe »Bericht

von

Alfred Lowack«, in: Walter A. Schmidt, Damit Deutschland lebe.

Quellenwerk über den deutschen antifaschistischen Widerstandskampf 1933-1945, Berün 1958, S. 272ff.; vgl. IISG, NL Hertz, S. 16, lg: Brief des RHD-Vertreters K. Berger an Paul Hertz, datiert Prag, 21. März 1936, und Aufzeichnungen Hertz vom 2. Februar 1936 und o. D.; in einem Brief an Hüde Kkchheimer, Mitarbeiterin der Internationalen juristischen Vereinigung in Paris, begründete Erich Rinner das Verbot der Berüner Einheitsfront seitens der Sopade damit, es habe sich gar nicht um die BL der SPD gehandelt, sondern um einen nicht konspkativ arbeitenden «ozialdemokratischen Freundeskreis«, AdsD, Emigration Sopade, 19, Rinner-Korr. K. 21 AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 1, 12. Februar; Memorandum »Am 16. Juni 1935 ...« (siehe vorige Anm.). 22 Pieck, in: 73^G, Jg. 20 (1978), insbes. S. 872: »Wofür Einheitsfront?«; zu den Richtünien und der Poütbürositzung siehe unten, S. 513ff. 23 Informations-Dienst des Bezirksvorstandes der Roten Hilfe Berlin-Brandenburg, Nr. 1,15. Juü 1935; vgl. Ukich Stascheit, »Die >Rote Hufe« in der >staünistischen Säuberung««, in: Kritische Justiz,]g. 12 (1979), H. 4, S. 376ff, Der S. 387. Ein

216

Hilfe-Komitees

im Wuppertaler Raum und im Ruhrgebiet. Dorthin richteten die Sozialdemokraten Franz Vogt, Alfred Mozer und Fritz Schröder ebenfalls ihre Aktivitäten.24 Während der Abstimmungskampagne an der Saar hatte sich Daub schon in Wort und Tat für die Einheitsfront der Arbeiterparteien und deren Erweiterung zur Volksfront durch Einbeziehung von Kreisen des Mittelstandes, des Kleinbauerntums und der katholischen Arbeiter eingesetzt.25 Die RH-Arbeit in Amsterdam wurde dem ZK-Kandidaten Wilhelm Kowalski übertragen, dem wiederum Hermann Matern, bis Mitte 1937, nachfolgte.26 Die sich im Frühjahr und Sommer 1936 mehrenden Erklärungen von kommunistischer Seite, man erstrebe die Liquidierung der Rote-Hilfe-Organisation, und die Versuche, sie in einer breiter fundierten Organisation aufgehen zu lassen, entsprachen der neuen Taktik.27

Grenzgebiet,

Hilfe-Komitees: Gradmesser politischer Konstellationen 1. Komitees im Dienste des innerdeutschen Widerstands

Herbert Wehner, Franz Dahlem und Wilhelm Knöchel er war auf der »Brüsseler« Parteikonferenz als Kandidat ins ZK der KPD aufgenommen worden und fungierte vorübergehend als Daubs Nachfolger in Amsterdam teilten sich noch während und besonders im Anschluß an die Lutetia-Konferenz vom 2. Februar die Aufgabe, Sozialdemokraten und Katholiken, vor allem solche, die Verbindungen ins Reich hinein unterhielten oder denen wie Wilhelm Sollmann und Heinrich Imbusch Einfluß zugeschrieben wurde, für gemeinsame Hilfsaktionen zu gewinnen. Diese sollten wenigstens teilweise an gemeinsame Gewerkschafts- und Betriebsarbeit gekoppelt werden. Einer der Erfolge der Emissäre war die Konstituierung eines (Internationalen) Hilfskomitees in Straßburg für Betreuungsaufgaben in der Saar-Pfalz und in Nordbaden. Den Vorsitz übernahm der Sozialdemokrat Friedrich Wilhelm Wagner, der in Straßburg ein internationales Anwaltsbüro leitete, das sich mit dem Rechtsbeistand für Emi-

Philipp Daub,

-

-





24

Vgl. Herlemann, Emigration als Kampfposten. zur Mühlen, Saar, S. 210 und passim. 26 Herlemann, Emigration als Kampposten, S. 114f.; BHB 25

Von

1: »Kowalsky« [sie] und »Main beiden Publikationen ist der Vorname mit Werner angegeben. 27 Siehe z. B. AdsD, NL Schoetde: »Kurzer Bericht über die Verhandlung Krieger [d. i. Crummenerl] George [d.i. Schoettle] am 17. März 1936«, und Ha[cker] [d.i. ebenfalls Schoettle] an »Deber Freund«, 13. Juli 1936; hierhin gehört auch das mehrfach angekündigte und bereits im März 1936 verwirklichte Vorhaben, das Thälmann-Komitee umzubenennen, vgl. IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 15. Februar 1936, und oben Anm. 7 dieses Kapitels. tern«

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217

AV. Solidarität

granten befaßte. Als Mitarbeiter wurden unter anderem der Sozialdemokrat Emü Kkschmann und der christliche Gewerkschaftler Otto Pick gewonnen.28 Eine der wichtigsten Neugründungen war im Februar 1936 ein Hilfsausschuß in Amsterdam, dem Vogt, Kuttner und Kowalski angehörten. Dieser Hüfsausschuß war der Kern des in der Öffentüchkeit von Niederländern repräsentierten Zentralen Wuppertaler Komitees, Ausschuß zur Wahrung der Rechte der in Wuppertal Inhaftierten.29 Diese meist kurz Wuppertal-Komitee genannte Zentrale, die sich finanzieü und juristisch auch um Verfolgte außerhalb Wuppertals kümmerte, sich darüber hinaus mit den Folgen der Nürnberger Rassengesetze vom September 1935 beschäftigte und durch Pubükationen das Ausland auf die Rechtsbrüche und Rechtsverbrechen in Deutschland aufmerksam zu machen trachtete, war in Struktur und aügemeiner Zielsetzung der Union für Recht und Freiheit (URF) in Prag nachgebüdet. Diese war nach verschiedenen Vorstufen Ende September 1935 zustande gekommen. Entscheidenden Anteü hatten daran Walter Fisch, Mitgüed des Zentralsekretariats der RHD, und Wühelm Koenen vom ZK der KPD; sie hatten wiederum eng mit der RH bzw. der KP der Tschechoslowakei zusammengearbeitet. Als offizieü überparteiliche tschechoslowakische Organisation wurde die URF präsidiert von dem sozialdemokratischen Senator und Germanistik-Professor Dr. Oskar Fischer (Otokar Fiser). Sekretäre waren der Kommunist Hugo Graf und der Revolutionäre Soziaüst Otto Friedländer.30 Paul Hertz war zeitweiüg in einem Unterausschuß mit dafür verantwortüch, »über die Verteüung und die Verwendung der aufgebrachten Mittel für die Opfer des Faschismus zu entscheiden«.31 Die Verbindung zu Hertz hatte

28

Vgl., auch zum folgenden, Wehner, Zeugnis, S. 157ff. und S. 173, »Mozart« dort ist Alfred Mozer; Findeisen, SPD, S. 42f; Pech, Die Kommunistische Partei Deutschlands..., S. lOOff.; BHB 1: Phüipp Daub, Emü Kkschmann und Friedrich Wilhelm Wagner; AdsD, Emigration Sopade, 122: Sollmann an »Deber Freund« bzw. »Deber W[els[«, 3., 14. und 18. Februar 1936; StAK-HA, 1120, 526: Münzenberg an Sollmann, 7. Februar 1936. 29 Auch bezeichnet: Zentral-Komitee des Wuppertalprozesses und: Zentral-Komitee zur Unterstützung der Opfer des Wuppertaler Prozesses; niederländisch: Centraal Wuppertal Comité; vgl. auch zum folgenden Herlemann, Emigration als Kampfposten, S. 149ff, der Sekretär des Komitees Deß aüerdings Dr. A. C. Oerlemans, die Vorsitzende schrieb sich Meyer (oder: Meijer, im Niederländischen wkd oft kern UnterscDed gemacht); Bednarek, Gewerkschaftspolitik der KPD, S. 141; IISG, studiezaalmap, üjst Abendroth 613. 30 Vgl. Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Biographisches Lexikon, S. 127f.; Wühelm Koenen, »Über meine poütische Tätigkeit in Prag 1935 bis 1939«, in: Horst Köpstein (Hrsg.), Beiderseits der Grenze. Über den gemeinsamen Widerstand von Deutschen, Tschechen und Slowaken 1939 bis 1945, Berün 1965, S. 31 ff., Auszug bei Hansjörg Schneider, »Exü in der Tschechoslowakei«, in: Ludwig Hoffmann u. a.: Exil in der Tschechoslowakei, in Großbritannien, Skandinavien und in Palästina, Leipzig 1980, S. 129f; BT773 1: Otto Friedländer und Hugo Graf. 31 IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. H: Sopade (OUenhauer) an Richard Hansen, 23. Juni 1936. 218

Hilfe-Komitees

der »Schriftsteller B.«, wahrscheinlich wohl Theodor

Balk, bereits

im

Juni

1935

hergestellt.32 Die Bildung des innerhalb des Wuppertal-Komitees ressortierenden Amster-

damer Hilfsausschusses der Emigranten fiel zeitlich mit dem Austritt von Hertz aus dem Finanz-Unterausschuß der URF zusammen. Hertz begründete seinen Schritt Hilferding gegenüber mit dem von ihm selbst als »blöd und stur [...] und Beschluß unseren Interessen auf das schärfste« widersprechend bezeichneten der Sopade vom 17. Januar, der allen Sozialdemokraten organisatorische Kontakte jedweder Art mit Kommunisten verbot. Hauptgrund war für ihn als Mitglied der Sopade aber, daß die RHD-Vertreter seiner Meinung nach »parteipolitischen Mißbrauch« betrieben, indem sie humanitäre Hufe und Organisierung der politischen Einheitsfront miteinander verknüpften; Balk hatte ihm seinerzeit versichert, daß dies nicht der Fall sein werde.33 Um der Solidarität und um der Einflußnahme auf die Aktivitäten der Kommunisten willen veranlaßte er jedoch Friedländer, weiterzuarbeiten; ebenso tat er es im Falle des Sozialdemokraten Richard Kretschmar, der im Ostsachsen-Komitee tätig war.34 Das Ostsachsen-Komitee war als Unterausschuß der URF im März 1936 unter Einschluß eines SAPlers (wahrscheinlich Eugen Brehm) gebildet worden. Es sollte lediglich politische Gefangene und ihre Angehörigen finanziell betreuen, unabhängig von der Partei- und Gewerkschaftsarbeit der KPD, SPD und SAP. In einem Flugblatt vom Oktober 1935 war noch die Förderung der politischen Einheitsfront über die Gewerkschafts- bzw. Betriebsebene angekündigt worden.35 Die Konstruktion führte zu allseitigen Auseinandersetzungen, die die —



SAPMO, Ry 1, I 2/3/419: »Bericht über die Verhandlungen mit Dr. He«, von »Al[Wilhelm Knöchel], nach dem Bericht des Schriftstellers »B«. 33 IISG, NL Hertz, S. 19, XVII: Hertz an Hilferding, 13. März 1936 (1. Zitat); ebd., S. 17, A (unter Aufhäuser): [Hertz] an Prof. Fischer, 26. Februar 1936 (2. Zitat), und an Aufhäuser, 8. März 1936; Hertz stützte sich auf Belege, die die SAPlerin Erna Halbe ihm vorgelegt hatte; zu Balks Versicherung siehe vorige Anm. 34 Zu persönlichen und politischen Konflikten mit den Kommunisten im Zusammenhang mit der URF siehe retrospektiv Otto Friedländer, »Zwischen zwei Zeiten. Lebensaufzeichnungen«, 1950, Ms, 473 S., bes. S. 313-314, ARAB, NL O. Friedländer, Vol. 10; Kretschmar ging Ende Februar 1939 nach Norwegen, siehe AdsD, Emigration Sopade, 67: Kretschmar an Sopade, 25. März und 26. Juli 1939. 35 AdsD, Emigration Sopade, 67: Flugblatt »An die Werktätigen und Arbeiter Sachsens und der angrenzenden Gebiete! An die Kollegen und Genossen!«, hrsg. von »in der Aktionsgemeinschaft zusammengeschlossenen Wohn- und Betriebsgruppen der SPD, KPD, SAJ und KJ«, der »schon bestehenden freien Gewerkschaftsgruppen verschiedener Betriebe« und der »in Solidaritätskomitees vereinigten Genossen Sachsens und der angrenzenden Gebiete«, Oktober 1935; vgl. auch zum folgenden: As eines Berichts, 19. August 1937, von »IV Kurt« (wohl Ernst Schilling) und »Richard« (wohl Jacob Binder), mit handschr. Randbemerkungen, darin u.a.: Richard habe die Funktion der Solidarität wohl 32

fred«

219

AV. Solidarität

Arbeit des Komitees zeitweüig lahmlegten. Es gab Krach zum ersten innerhalb des Komitees, weü der SAP-Vertreter nach dem Moskauer Prozeß gegen Sinovev und Genossen die Volksfrontpoütik »Unsinn«, Staun einen »Verbrecher«, Trockij einen »Heldfen]« genannt hatte; zum zweiten zwischen dem Vorsitzenden, dem RHDler »Richard«, auf der einen und der RHD-Leitung in Prag sowie dem Sekretariat der KPD in Paris namentlich Graf, Merker, Erich Gentsch auf der anderen Seite um die Funktion der Hufe; zum dritten zwischen RHD und mitarbeitenden Sozialdemokraten, da letztere über Interna an die Sopade und die GEADE (Gewerkschaftüche Auslandsvertretung Deutschlands) berichteten. Sie machten anscheinend gern von den finanzieüen Mitteln Gebrauch, reagierten aber um so empfindücher auf jede Mögüchkeit eines Übergreifens auf die poütische Ebene. Im Oktober 1937 riß die Verbindung der Sozialdemokraten im Ostsachsen-Komitee zur Sopade ab.36 In Belgien scheiterte die Büdung eines gemeinsamen Komitees. Von kommunistischer Seite hatten sich Dahlem, Daub, Paul Hornick letzterer war damals Abschnittsleiter Süd-West der KPD mit Sitz in Brüssel und der in Straßburg stationierte RHD-Mann Otto Brenzel (»Albert«) um das Zustandekommen bemüht. Hauptursache für das negative Ergebnis war der Versuch gewesen, gemeinsame Hilfe nach Deutschland mit der Aktionseinheit bei den Vertrauensrätewahlen zu verbinden. Auch als die Wahlen zunächst um ein Jahr aufgeschoben wurden, vermochten Max Braun und Emil Kkschmann, die zu vermitteln versuchten, es nicht, das entstandene Mißtrauen bei den Sozialdemokraten im belgischen Exil wegzunehmen. Gleich Hornick und Brenzel machten sie den Fehler, bei ihren Unterredungen den zuständigen Sopade-Grenzsekretär Gustav Ferl zu übergehen; sie zogen nur dessen Mitarbeiter, den Textilgewerkschaftler Nikolaus Haas, der von Verviers aus iüegale Beziehungen nach Aachen unterhielt, hinzu. Der Rücktritt Ferls von der mit Daub Anfang Februar mündüch getroffenen Vereinbarung, von Faü zu Faü bei der Gefangenen- und Famüienhüfe zusammenzuarbeiten, dürfte sich aus der Kombination beider Faktoren erklären.37 Die auf das Ausland gerichtete Aufklärungsarbeit der Union für Recht und Freiheit und des Wuppertal-Komitees büeb indessen unberührt von aüen Querelen um gewünschte oder unerwünschte Vermischungen von humanitärer und poütischer Aktion. —



-

-

nicht richtig begriffen; zu Kurt und Richard siehe BA/K, R 58/481, Bl. 123-127: As aus dem Urteü des VGH gegen Martin Voß. 36 AdsD, Emigration Sopade, 67: Brief »Hubert« an Wald [d.i. Paul Merker], 8. Oktober 1936; Brief von »Martin«, München, o. D., an PV der SPD in Brüssel [sie] und ZK der KPD in Paris, von Dahlem am 13. September 1938 an PV geschickt. 37 Vgl. AdsD, Emigration Sopade, 105: Vertrauücher Bericht »Einheitsfront« Versuch der Kommunisten an der Westfront«, o. U. [wahrscheinüch von Ferl], o. D., Kirschmann ist hier mit seinem Decknamen »Stift« bezeichnet; Emigration Sopade, 122: Soümann an Wels, 3. Februar 1936; vgl. Herlemann, Emigration als Kampfposten, S. 157f.

220

Hilfe-Komitees

2. Die

Amnestie-Bewegung

Europäische Amnestie-Konferenzen aus Mitteln der IRH (mit-) finanzierte Internationale Juristische Vereinigung (IJV) hatte Ende November/Anfang Dezember 1935 zusammen mit der Internationalen Liga für Menschenrechte einen zweitägigen Kongreß über das Dritte Reich mit rund 300 Teilnehmern aus 15 Ländern durchgeführt. Spezialthemen waren gewesen: das Strafrecht, der geplante Prozeß gegen Ernst Thälmann und die Lage der Juden. Die Sopade hatte den nach London emigrierten Juristen und Sozialwissenschaftler Franz Leopold Neumann (den späteren Autor von Behemoth39) delegiert; Breitscheid hatte es vorgezogen, als Privatperson teilzunehmen, wurde aber ins Präsidium gewählt.39 Die IJV war auch Veranstalter der »Europäischen Amnestie-Konferenz für die politischen Gefangenen in Deutschland«, die am 5. Juli 1936, eine Woche später als ursprünglich geplant, im Palais Egmont in Brüssel abgehalten wurde. a.

Die

Das Exekutivkomitee der IRH hatte dafür im Mai 74.000 französische Francs bewilligt.40 In der Öffentlichkeit traten im Juni der Belgier Armand Abel, Professor am Institut des Hautes Etudes de Belgique, und die Französin Eliane Brault, Sekretärin der französischen Radikalsozialistischen Partei und der Alliance Internationale des Partis Radicaux et Démocrates sowie Pressechef im Handelsministerium, als Sekretäre des ansonsten anonymen Organisationskomitees gleichen Namens wie die Konferenz selbst auf. Bis zum 25. Juni hatten sich ihrem Aufruf 260 Einzelpersonen und 53 Organisationen in Belgien, Frankreich, England, Dänemark, Schweden, Norwegen, in den Niederlanden, der Tschechoslowakei und der Schweiz sowie in Spanien, wo die Amnestierung der politischen Gefangenen die erste Forderung im Wahlprogramm des Frente popular gewesen war, angeschlossen; weitere 17 nationale französische und 11 internationale Organisationen hatten ihr prinzipielles Einverständnis signalisiert. Den in der Schweiz vom Comité Suisse pour la Défense de la Liberté lancierten Appell für eine Generalamnestie im Dritten Reich hatten 315 Personen unterzeichnet, darunter der in Zürich als Anwalt für Internationales Recht tätige Exilant Wilhelm Abegg.41 Der Anschluß deutscher

38 Franz Leopold Neumann, Behemoth. The structure and practice of National Socialism, Toronto, N.Y.: Oxford University Press 1942, und London: Gollancz 1942. 39 Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 313, Anm. 101; Breitscheid, Antifaschistische Beiträge, S. 135f., Anm. 33; Eckhard Trümpier, »Vom bürgerlichen Demokraten zum Mitbegründer der antifaschistischen Volksfront. Rudolf Breitscheid«, in: BzG, Jg. 18 (1976), S. 513ff, hier S. 519; Breitscheid erwähnte in seinen Briefen nichts von einer Wahl ins Präsidium; Autorenkollektiv/Hortzschansky, Ernst Thälmann, Berlin 1986, S. 735ff. 40 Babichenko, »The International Red Aid« (siehe Anm. 9), S. 19 des Ms. 41 IISG, SAI, 3104/4—5: [Liste der Sympathisanten der] »Conference Européenne d'amnistie pour les emprisonnés politiques en Allemagne / European Conference of Amnesty for the political prisoners in Germany / Europäische Amnestiekonferenz für die poli-

221

AV. Solidarität

den Aufruf zur Amnestie-Konferenz wurde vom Organisationsaufgeüstet. Es finden sich unter anderen die Namen von Heinrich Mann, Ludwig Renn, Max Braun, Rudolf Breitscheid, Heinrich Imbusch, Otto

Emigranten komitee

an

extra

Pick. Innerhalb des Lutetia-Kreises konstituierte sich ein »Arbeitsausschuß für die Amnestie und Hilfsbewegung«. Alfons Goldschmidt kam auf Einladung des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus aus New York, um über die Aktivitäten in den USA zur Freüassung aüer anti-nationalsoziaüstischen Gefangenen, für die namentlich Carl von Ossietzky, Ernst Thälmann und Carlo Mierendorff standen, zu berichten.42 Der Motor der Amnestie-Konferenz war jedoch das Internationale Befreiungskomitee für Thälmann und aüe eingekerkerten Antifaschisten. Bereits am 30. Aprü hatte es eine »Arbeitsbesprechung« im Hotel Lutetia zur »Vorbereitung einer internationalen Amnestiekonferenz« belegt, an der auch Walter Fabian als einer der Vertreter der AZ der SAP teilnahm. Ergebnis war u. a., daß der kommunistische Schriftsteüer und Journaüst Leo Katz mit Hufe eines Empfehlungsschreibens der AZ der SAP während einer Skandinavienreise Unterstützung suchen soüte. Die Juristin Nora Block vom ISK arbeitete ebenfaüs mit.43 Offenbar war die Konferenz nicht nur dem Gedenken an den 50. Geburtstag Thälmanns am 16. April 1936 gewidmet, sondern auch als Antwort auf den von Hider am 28. Aprü unterzeichneten Amnestieerlaß gedacht. Dem Erlaß zufolge soüten erstens wegen »Straftaten aus Übereifer im Kampf um die NS-Bewegung« Verurteüte, zweitens »wegen Beleidigung leitender Personen oder wegen Vergehen gegen das Heimtückegesetz Verurteüte« und drittens wegen kleinerer Vergehen hinter Schloß und Riegel Gesetzte begnadigt werden.44 Die Organisatoren der Amnestie-Konferenz konnten an die breite Zustimmung anknüpfen, die das »Amnestie-Manifest« vom 2. Februar unter den Teünehmern der Lutetia-Konferenz, weitgehend auch bei Gruppierungen außerhalb des Lutetia-Kreises gefunden hatte. Des weiteren hatte die RHD im Februar Material über den Terror in Hitlerdeutschland zusammengesteüt und verbreitet; in der

Gefangenen in Deutschland, Le 5 Juület 1936, à Bruxeües«, 4 S. gedr.; unter den Belgiern findet sich der niederländische Schriftsteüer Nico Rost, unter den Engländern Don Feuchtwanger, beide waren wohl gerade dort auf Reisen. «Siehe BA/K, R 58/498, Bl. 102-107: Bericht von II A/A, B-Nr. 445-36, datiert: Berün, 12. Januar 1937; SAPMO, Ry 1, I 2/3/419, Bl. 132-136: Brief »Deine Freunde« [Poütbüro der KPD in Prag] an »Deber Freund« [Kurt, d.i. Herbert Wehner], 31. Juü 1936, bes. Bl. 133-134; Kießüng, »Vom Grunewald nach Woodstock... Alfons Goldtischen

schmidt«, S. 116. 43 ARBARK, SAP, 6, 48, 39: Brief des Internationalen Befreiungskomitees für Thälmann und aüe eingekerkerten Antifaschisten/Keüer an Walter Fabian, 2. Mai 1936. 44 Overesch/Saal, Chronik deutscher Zeitgeschichte, Bd. 2/1, S. 294, dort auch, daß bis zum 1. August 1936 mehr als 500 000 Personen begnadigt wurden, darunter 3 532 der

Kategorie; zu den Kampagnen und Veranstaltungen zu Thälmanns vgl. Autorenkoüektiv/Hortzschansky, Ernst Thälmann, S. 739ff. ersten

222

50.

Geburtstag

Hilfe-Komitees

hatte Heinrich Mann die »Männer und Frauen der ganzen Welt [...,] ob Christen, Juden, Sozialisten oder Demokraten«, aufgerufen, sich zusammenzuschließen und vom NS-Regime »die Amnestierung aller Gegner« zu fordern.45 Die Forderung der Amnestie gegenüber Hider war jedoch der Knackpunkt, an dem Friedrich Adler als Sekretär der SAI deren offizielle Teilnahme und die der deutschen Sozialdemokratie als Teil der Internationale an der Amnestie-Konferenz ablehnte. »Diese Formulierung«, so antwortete er Eliane Brault auf deren Einladung und Materialzusendung vom 26. Juni,46 sei »mit unserer Ehre unvereinbar«, denn sie setze »an sich schon einen, wenn auch noch so relativ anerkannten Rechtszustand voraus«; »die deutsche sozialistische Arbeiterbewegung« könne aber »von Hitler keine Gnadenf,] sondern nur die Wiederherstellung des Rechts verlangen«. Auch in der »lange [n] Serie der Kundgebungen der Sozialistischen Arbeiter-Internationale gegen das Hitler-Regime und für die Gefangenen in Deutschland« sei »das Wort >Amnestie< [...] niemals verwendet worden«.47 Verglichen mit dieser prinzipiellem sozialistischem Selbstverständnis verpflichteten Begründung, die er ausdrücklich mit Max Braun teilte,48 waren Adlers ebenfalls im Namen der SAI geäußertes Mißtrauen gegenüber der »Serie von Veranstaltungen« und seine Kritik an der Methode, immer wieder, auch entgegen besserem Wissen, den Namen Louis de Brouckères zu mißbrauchen, eher Mar-

Einleitung

ginalien.49

45 Vorhanden im IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 369, 37 S., hektograph., Zitate S. 55 und passim. 46 Brief, versehen mit dem Eingangsdatum vom 29. Juni 1936, im IISG, SAI, 3104/3; mitgeschickt hatte Brault die oben in Anm. 41 genannte Liste der Sympathisanten und eine detaillierte Liste verurteilter Sozialdemokraten, ebd., Nr. 3104/6—17; die Frage, warum die SAI erst neun Tage vor der Konferenz offiziell eingeladen wurde, kann Der nicht beantwortet werden. 47 IISG, SAI: Zitate aus der deutschen Reinschrift des Briefes von Adler an Eliane Brault vom 28. Juni 1936 (Nr. 3104/21-22, Ds), dazu ein Entwurf (Nr. 3104/18-20) von Adler mit handschr. Korrekturen und der Anweisung, eine Reinschrift und eine französische Übersetzung anfertigen zu lassen, letztere möglichst de Brouckère zur Information und zwecks eventueller Korrekturen vorzulegen, danach mit dem Stempel seines Namens und einem Postskriptum zu versehen; der wortgetreu in Französische übersetzte Brief (Nr. 3104/25-26) ist datiert: »29-6-36«, und trägt das Prostskriptum: »Cette lettre a été dictée en allemand par Dr. Adler et traduite en son absence.« 48 Siehe auch die Erklärung oder Aktennotiz von Max Braun über seinen Meinungsaustausch »in der letzten Maiwoche« mit Adler, dann mit de Brouckère und den belgischen Sozialisten Arthur Wauters und August Balthazar, franz., Ds, IISG, SAI, 4299; auch Grzesinski z.B. vermied in seinem Absage-, zugleich Begrüßungsbrief vom 30. Juni 1936 an das Comité Internationale d'Amnistie das Wort »Amnestie«, LA Berlin, Rep. 200, Acc 3983 (Teil-NL Grzesinski), Nr. 2. 49

IISG, SAI, 3104/22. 223

AV. Solidarität

De Brouckère hatte zwar schon im Mai seinen Namen für die Liste der Sympathisanten gegeben und auch seine Teünahme an der Amnestie-Konferenz zugesagt, doch nur als Privatperson aus aügemein humanitären Gründen und ohne von den soziaüstischen Prinzipien der Internationale abzuweichen.50 Nach einem hastigen Gespräch, das ein Beauftragter des Organisationskomitees am Rande der Asykechts-Konferenz vom 20./21. Juni 1936 mit ihm führte, figurierte de Brouckère zwar nicht als Präsident der SAI, aber als Senator der er nicht mehr als Eröffnungsredner, damit als Schutzherr auf dem Programm der Amnewar stie-Konferenz.51 Es war bekannt, daß er auch der Vorsitzende der SAI-Kommission zur Untersuchung der Lage der poütischen Gefangenen war. Am 28. Juni entschuldigte er seine Nichtteünahme mit seiner Delegierung zur Zwischenstaatüchen Konferenz über Asylfragen, die im Rahmen des Völkerbunds vom 2. Juü an stattfände.52 Die belgische Soziaüstin Isabelle Blum, Präsidiumsmitgüed des Weltkomitees gegen Krieg und Faschismus, eröffnete dann die Konferenz. Die Deutsche Volks-Zeitung sprach von 230 Delegierten zur Europäischen Amnestie-Konferenz und nannte besonders französische prominente Männer des öffentlichen Lebens beim Namen.53 Gustav Ferl, der im Anschluß an die Asylrechts-Konferenz teüzunehmen gedachte, sich jedoch kurzfristig wie andere Sozialdemokraten auch mit den sich zu eigen gemachten Argumenten Adlers, die ihm die Sopade zugeschickt hatte, abmeldete, berichtete von nur 60 Teünehmern.54 Erschienen war jedenfaüs, neben Heinrich Imbusch, dem ehemaügen Vorsitzenden des christlichen Deutschen Gewerkschaftsbundes und M.d.R. für die Zentrumspartei, erstmals ein offizieüer Vertreter der Zeitschrift Der Deutsche Weg; die Redaktion hatte ein HUfskomitee für kathoüsche Glaubensgenossen eingerichtet. Und so jubelte die DVZ: Die »deutsche Opposition ist in allen ihren Richtungen vertreten, einschüeßüch der kathoüschen Opposition«.55 Breitscheid leitete die Delegation der deutschen Emigranten. Er war auch neben der Belgierin Jeanne-Emile Vandervelde, einem Vertreter der CGT und —





-

41; siehe auch den unten in Anm. 52 zitierten Brief. Ebd.; vgl. IISG, SAI, 3104/1: Eüane Brault für das Comité d'Initiative du Congrès Européen d'Amnistie an L. de Brouckère, 23. Juni 1936; ebd., Nr. 3104/21-22 bzw. 3104/2526, und 4299: Erklärung von Georges Dämmert, Paris, 6. Juü 1936. 52 IISG, SAI, 4298: de Brouckère an Abel, 28. Juni 1936; zur Zwischenstaatlichen 50

Wie Anm.

51

Konferenz siehe unten, bes. S. 262f. 33 DVZ, 1936, Nr. 14, 21. Juni, S. 8; vgl. Nr. 16, 5. Juü, S. 1. 34 Vgl. SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl. 109: Kurt [Herbert Wehner] an Lfiebe] Fr[eunde], 8. Juü 1936; Buchholz /Rother, Protokolle der Sopade, Nr. 68, S. 162: Vorstandssitzung am 2. Juü 1936; AdsD, Emigration Sopade, 39: Ferl an Sopade, 8. Juü 1936, dort spricht er auch von »Täuschungsmanövern« der Kommunisten; Koenen schrieb, daß der auf der Amnestie-Konferenz »anwesende PV.-Vertreter kein ausdrücküches Mandat für diese Tagung« gehabt habe, siehe W. K., »Asyl- und Amnestie-Konferenzen«, in: Die Internationale, 1936, H. 4/5, August, S. 78ff. 53 DVZ 1936, Nr. 17, 12. Juü, S. 7.

224

Hilfe-Komitees

dem wie Goldschmidt ebenfalls aus New York angereisten Kurt Rosenfeld, der Mitglied der deutschen Sektion der IJV war, einer der eifrigsten Teilnehmer an der Diskussion. Diese entspann sich vor allem nach dem Referat des Brüsseler Hochschullehrers Nico Gunzbourg zum Thema Justiz im Dritten Reich und dem Korreferat der schwedischen Sozialistin Sonja Branting.56 Die prinzipiellen Bedenken Adlers dürfte verabredungsgemäß Max Braun den Versammelten überbracht und gleichzeitig mitgeteilt haben, daß die Sozialisten sehr wohl Losungen wie die Erleichterung des Schicksals der politischen Gefangenen aufstellen könnten und daß man es nur begrüßen würde, wenn »von Seiten des Auslands, das dieses Regime zumindest diplomatisch anerkennt und mit ihm auf Verhandlungsfuß steht [...,] eine solche Forderung nach Amnestie [...] von Erfolg gekrönt sein werde«.57 Die Konferenz verbreitete zwei Denkschriften, einmal eine Art Rechtfertigungsschrift, zum anderen eine über bedrängte Jugendliche in Deutschland.58 Ein Manifest rief Männer und Frauen, die Jugend, Parlamente, Staatsmänner u. a. auf:

»Fordert mit

die Abschaffung der Schutzhaft, die Auflösung aller Kondie zentrationslager, Einstellung aller Verfolgungen, die Wiederherstellung der Gleichheit aller deutschen Bürger, die jetzt in Arier und Nichtarier eingeteilt sind.«59 Ergebnis auf organisatorischer Ebene war die Einrichtung einer internationalen Ständigen Kommission für eine politische Vollamnestie in Deutschland mit Hauptsitz in Brüssel. Zu Sekretären wurden die Organisatoren Eliane Brault und Armand Abel gewählt. Bis Ende des Jahres 1936 gelang es den Kommunisten, das Internationale Befreiungskomitee für Thälmann und alle eingekerkerten Antifaschisten und das Büro der Ständigen Kommission zusammenzulegen.60 uns

56 DVZ, 1936, Nr. 17, 12. Juli, S. 7, dort erscheint Gunzbourg [in der flämischen Variante: Niko Gunzburg] als »Genfer« Hochschullehrer Ginsburg; vgl. ARBARK, SAP, 6, 48, 29: Conférence Européenne d'Amnistie pour les Emprisonnés politiques en Allemagne: Ordre du Jour, Bruxelles 5 Juillet 1936. 57 Wie Anm. 48 dieses Kapitels, erster Teil, deutsche Paraphrasen und Zitate von ULA. 58 »Für wen und warum verlangen wir politische Amnestie in Deutschland? Material zusammengestellt von der Internationalen Juristischen Vereinigung für die Amnestiekonferenz in Brüssel am 28. Juni 1936«, 24 S. hektograph., IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 396; »Denkschrift über den Terror gegen Deutschlands friedenswillige Jugend«, Paris, Mitte Juni 1936, 14 S. hektograph., ebd., lijst Abendroth 613. 59 »Manifest der Europäischen Amnestie-Konferenz«, in: DFD-MDFB, 1936, Nr. 14, September, S. 53—55, Zitat S. 55. 60 Siehe AN/P, F 7/15131, 1: »Internationales Befreiungskomitee für Thälmann und alle eingekerkerten Antifaschisten und Büro der internationalen Amnestiekonferenz«, Aufzeichnung von Münzenberg, o. D. [ca. Anfang bis Mitte November 1936], außer den beiden Sekretären Brault und Abel sind dort aufgeführt: als Ehrenpräsidenten: André Gide, Paul Langevin, Romain Rolland; als Präsidenten: Paul Langevin [sic], André Mal-

225

AV. Solidarität

Dem deutschen Unterausschuß der Ständigen Kommission, dem Amnestieausschuß in Paris, gehörten federführend Friedrich Wühelm Wagner für die Sozialdemokraten und Erich Bkkenhauer aüas Erich Beifort für die KPD an. Die AZ der SAP bestimmte im Oktober 1936 »Ruth« und »Hilde« als ihre Vertreter.61 Dem KPD-Poütbüro in Prag indes behagte die zutage getretene enge Verbindung mit dem »Lutetia-Ausschuß« nicht; es woüte üeber den Prager SPD-Vorstand oder mindestens einzelne seiner (ehemaügen) Mitgüeder für die Einheitsfront gewinnen, gab auch der Arbeit für die kommende Weltfriedenskonferenz in Brüssel den Vorrang.62 Das entsprach dem ersten Punkt der »Sinngemässefn] Wiedergabe der Resolution [des EKKI-Sekretariats ULA] vom 17. 3. 1936«, die jedoch erst am 15. Mai an die »Gen[ossen] der KPD-Auslandsleit[un]g in Frankreich/Paris« geschickt worden war.63 Die Union für Recht und Freiheit (URF) diskutierte noch bis in den November 1936 hinein mit der Sopade über die Frage eines offizieüen Sitzes in der Ständigen Kommission.64 Auf ihrer Bürositzung vom 5. August 1936 hatte die -

Mitarbeiter: »Nicolaus [Bkkenhauer]; Hermann Jacobs [Adolf] Orgsekretär KPD [scheidet am 15. November aus]; Dörte Ascher, Stenotypistin, KPD [ihr Name ist mit Bleistift durchgestrichen und quer darüber geschrieben: entíassen]; Thérèse Robol, Übersetzerin, KP[D]; Max Drescher, Bote, KPD«; in den »Bemerkungen in Verbindung mit der Kaderüberprüfung« (siehe ebd.), die Münzenberg mit anderen Berichten am 21. Dezember 1936 an »Deber Freund« (wahrscheinüch Bohumü Smeral) schickte, ist zu Dörte Ascher notiert: »Bis zur Klärung der Frage ihres Bruders im Komitee endassen und nur Zuhause arbeiten lassen«; die Kaderüberprüfung des »Münzenberg-Apparats« führte im Auftrag der Komintern die deutsche Kommunistin Grete Wilde aüas Erna Mertens durch, siehe Jansen, »Louis Doüvet«; zu dem Bestreben, in der Ständigen Kommission das »bisherige Thälmannkomitee aufgehen zu lassen«, siehe Kurt [Funk, d. i. Herbert Wehner] an »Lüebe] Frfeunde]«, 8. Juü 1936, SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl. 109. 61 Siehe die Briefbögen; Adresse der Kommission (Commission permanente pour l'Amnistie générale des emprisonnés poütiques en Allemagne/Permanent Commission on General Amnesty for the Poütical Prisoners in Germany): 12, rue Grange-Bateüere, Paris 9e; siehe auch AdsD, NL Dittmann, Emigration Zürich I: Brief Wagner, gegengezeichnet von Belfort, an Dittmann, 10. März 1937; ARBARK, SAP, 1, 8, 13: Protokoü der AZ-Sitzung vom 21. Oktober 1936, »Ruth« war wohl Boris Goldenberg, zwar hatte laut K. Reisner gegenüber ULA Walter Fabian auch den parteünternen Namen »Ruth Ares«, doch wkd er für die Sitzung schon als »Kurt« [Sachs] verzeichnet. 62 Vgl. SAPMO, Ry 1, I 2/3/419, Bl. 132-136: Brief »Deine Freunde« [Poütbüro der KPD in Prag] an »Deber Freund« (handschr. auf 1. Seite: »Brief an Kurt [Funk]«, 31. Juü 1936; DVZ, 1936, Nr. 17, 12. Juü, S. 1-2: »Die Friedensoffensive der Sowjetunion und Frankreichs in Genf«, und S. 3: »Frieden um jeden Preis erhalten. Stärkung des Völkerbunds. Litwinow sprach in Genf für die gesamte Menschheit«. 63 Siehe SAPMO, Ny 4036 (NL Pieck, Poütischer Bestand)/558, Bl. 26-27; zur EKKIResolution und ihrer Vorgeschichte siehe oben, S. 43—54. 64 Siehe die Korrespondenz in AdsD, Emigration Sopade, 138. raux; als

226

Hilfe-Komitees nur kurz und letztlich folgenlos über das Thema gesprochen.65 Sie konzentrierte sich weiterhin auf die im Rahmen der SAI arbeitende Kommission zur Untersuchung der Lage der politischen Gefangenen, die sich allerdings nicht auf Deutschland allein beschränkte.66 Mit dieser versuchte auch die Ständige Kommission in näheren Kontakt zu kommen.67 Ein Jahr später, im Herbst 1937, kam die Sopade selbst, kam Stampfer mit einem Vorschlag zur Zusammenarbeit »Alle für Alle« in Aktion. Ausgangspunkt für diese übergreifende, auf Freiheit und Frieden im Innern wie in den äußeren Beziehungen gerichtete Orientierung war die Geheimrede von Heinrich Himmler vor dem Offizierskorps der Wehrmacht. Der Neue Vorwärts veröffentlichte sie Ende September vollständig. Der Reichsführer der SS und Chef der Deutschen Polizei hatte die Aufgaben der SS, der Gestapo, der gewöhnlichen Polizei und der Totenkopfverbände im nationalsozialistischen Reich ausführlich beschrieben und begründet: totale Überwachung der Bevölkerung, besonders im zukünftigen Kriegsfalle, auf dem vierten, dem »Kriegsschauplatz Innerdeutschland«, und vor allem unnachgiebige Strenge gegenüber den bereits in den Konzentrationslagern einsitzenden politischen Gefangenen, um jeden »Bodensatz [...], der den Ansatzpunkt für die Komintern büdet«, zu erfassen und auszumerzen.68 Romain Rolland rief zur Rettung der »Geiseln des Friedens vor dem Henkerbeil« auf und nannte einige Inhaftierte stellvertretend beim Namen. Heinrich Mann folgte mit einem Appell an die »starken« Demokratien, eine »Machtprobe« gegen das NS-Regime und anverwandte »verfaulte[], schwache[] Diktaturen« zu wagen, nicht zu bitten, sondern zu fordern.69 Von langer Hand vorbereitet, berief das Thälmann-Komitee für den 13. und 14. November 1937 eine »Europäische Konferenz für Recht und Freiheit in Deutschland« in die Mutualité ein. Diesmal standen insgesamt nur 169 Konferenzteilnehmer auf dem Papier, doch erstmals waren die USA neben den Teilnehmerländern der Amnestiekonferenz von 1936 vertreten. Der Radius der durch Begrüßungsschreiben oder Kooptation in Abwesenheit indirekt Beteiligten war ebenfalls kleiner geworden. Heinrich und Thomas Mann schrieben jedoch, letz-

Sopade

Siehe Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, Nr. 71, S. 165f. Siehe die von der Untersuchungskommission der SAI in unregelmäßigen Abständen herausgegebenen Mitteilungen über die Lage der politischen Gefangenen, Benage zu: Internationale Information. 67 IISG, SAI, 3104/27-28: Ständige Kommission für eine politische Vollamnestie in Deutschland an die Commission de l'IOSpour l'examen de la situation des emprisonnéspolititiques, datiert: Paris, 15. September 1936. 68 NV, 1937, Nr. 189, 26. September, S. 3-6, Zitat S. 6. 69 DI, 1937, Nr. 250, 12. Oktober, rosa Beüage (R. Rolland) und Nr. 256, 26. Oktober, blaues Blatt (H. Mann); zum Jahreswechsel kam H. Mann noch einmal darauf zurück, unter Berufung auf das inzwischen gegründete Internationale Zentrum für Recht und Freiheit in Deutschland, siehe DI, 1937, Nr. 283, 30. Dezember, rosa Beilage; siehe auch den folgenden Text. 65 66

227

AV. Solidarität

wurde auch ins Ehrenpräsidium gewählt. Auch sonst weisen die Namenüsten im ganzen die altbekannten Prominenten auf. Für die deutschen Schriftsteüer sprach Rudolf Leonhard auf der Konferenz. Zur Zufriedenheit der Sopade war im Vorfeld die Forderung nach Amnestie fallengelassen und die Mögüchkeit der Einflußnahme auf die Zusammensetzung des Büros in Aussicht gesteüt worden, wie Hertz am 15. Oktober notierte.70 Letzteres erwies sich indessen als Iüusion. Es rumorte in der deutschen Delegation, der Rudolf Breitscheid schon nicht mehr angehörte. Die der KPD-Führung nicht mehr genehme Ständige Kommission wurde aufgelöst, an ihrer Steüe das Internationale Zentrum für Recht und Freiheit in Deutschland (Centre International pour le droit et la liberté en Allemagne) konstituiert.71 Die Deutsche Volks-Zeitung jubelte am 21. November über die »Gründung einer >Union für Recht und Freiheit in Deutschland««. Am selben Tag wurde Erich Bkkenhauer, nach Moskau beordert und nach Beendigung seines Parteilebensberichts Anfang November dort verhaftet, »von der >kleinen Kommission« des KPD-Poütbüros [...] aus der KPD ausgeschlossen«.72 Sein Nachfolger in der »Thälmann«-Arbeit und damit Sekretär im Internationalen Zentrum für Recht und Freiheit in Deutschland wurde Phüipp Daub, F.W. Wagner wurde auf Druck von französischer Seite dann doch noch als Vertreter der SPD in das Sekretariat aufgenommen. Im Mai 1937 war die Ständige Kommission für eine poütische Voüamnestie in Deutschland noch einmal mit einem »Appeü an das Weltgewissen« hervorgetreten. In seinen Unterschriften widerspiegelt der Appell die internationale Bandbreite des Engagements von Persönüchkeiten des poütischen und kulturellen Lebens in Europa für die in Deutschland wegen ihrer aktiven Gegnerschaft zum nationalsoziaüstischen Regime Verurteüten; es unterzeichneten auch die berühmtesten und erfolgreichsten deutschen Exü-Schriftsteüer: Thomas Mann und Lion Feuchtwanger. Die Tatsache, daß dieser offensichtlich zum vierten Jahresterer

70

IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII.

71

Zu Vorbereitungen und organisatorischen wie personeüen Vorentscheidungen vgl. W[alter Ulbricht] an »Gen. Diehls« [d.i. Dimitroff], 27. April 1937, GDW, Sammlung Rote Kapeüe; vgl. Badia, »Le Comité Thaelmann«, S. 235; zu Delegierten, Begrüßungen, Organisationen 92 oder 84? vgl. Bulletin des [sie] Centn Internationalpour le droit et la liberté en Allemagne, 1937, No. 1, décembre (einzige erschienene Nummer); D7, 1937, Nr. 262a, 11. November, S. 1, und Nr. 264, 16. November, S. 2; Th. Manns Brief, in: ebd., Nr. 261, 6. November, S. 2, und H. Manns Schreiben, »Die Freiheit ist unteübar«, in: ebd., Nr. 265, -



November, blauer Sonderdienst. 72 Siehe Reinhard Müüer, »Linie und Häresie. Lebensläufe aus den Kaderakten der Komintern (II): Erich Bkkenhauer, Otto Unger, Margarete Buber-Neumann«, in: EXIL Forschung Erkenntnisse, Ergebnisse, 1991, S. 46—69, Zitat S. 48; ders., Akte Wehner, zu den gegenseitigen Denunziationen Birkenhauer Wehner; vgl. dazu Wehner, Zeugnis, passim 18.

-

(siehe Register); in den »Bemerkungen in Verbindung mit der Kaderüberprüfung« (siehe oben Anm. 60) heißt es zu Birkenhauer: »Er hat eine Parteisache, die noch nicht geklärt ist -

und die die Partei selbst klärt«.

228

Hilfe-Komitees

Übergabe der Reichskanzlerschaft an Hitler initiierte Appell erst einige Monate nach dem 30. Januar erschien, läßt damals schon bestehende Schwierigkeiten hinter den Kulissen vermuten.73 Die vom neuen Centre International pour le droit et la liberté en Allemagne zum 30. Januar 1938 herausgegebene Denkschrift 5 fahre Zerstörung von Freiheit, Recht und Frieden durch das Hitlerregime, durch die »die freiheitlich und humanitär gesinnte Weltöffentlichkeit« zum Kampf für die Befreiung der politischen Gefangenen angespornt werden sollte, zeigt in dem Stellenwert, der der Kirche zugemessen wurde, die dominierende Federführung der Kommunisten. Noch vor den Ausführungen über wachsende Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse, unter den Bauern, den Handwerkern, den Angestellten und selbst in Industriekreisen heißt es: »Die Opposition der Kirche ist zur Zeit der sichtbarste Ausdruck der Widerstandsbewegung gegen das Hitlerregime [...] Die Tiefe und Breite der religiösen und kirchlichen Opposition ist nur dadurch zu erklären, daß in dieser legalen Form der Opposition auch die starken sozialen Spannungen sich zeitag der

gen.«74

Die drei Monate später veröffentlichte Broschüre Ernst Thaelmann a 52 ans. 16 Avril 1886—16 Avril 1938, die ganz ohne Wagner verfaßt war, stellte laut dessen mit Belegen versehener Kritik »eine einseitige parteipolitische Propaganda dar und hat mit dem überparteilichen humanitären Werk des Centre International nichts mehr zu tun«. Eine Aussprache war indes nicht mehr möglich, nachdem Daub alias Horn ihn wegen der Mitunterzeichnung des Protestes der Landesgruppe deutscher Sozialdemokraten in Frankreich gegen den Bucharin-und-GenossenProzeß als Mitarbeiter des Centre International in der Deutschen Volks-Zeitung denunziert hatte. Wagner demissionierte am 4. Mai 1938 mit »einstimmiger]« Billigung des Landesvorstandes der deutschen Sozialdemokraten in Frankreich, der diesen und andere Affronts ebenfalls als »Wunsch [] der kommunistischen Partei, diese gemeinsame humanitäre Arbeit zu beenden«, auffaßte.75

Auszug des Appells und Auswahl von Unterzeichnern in DI, 1937, Nr. 186, Mai, S. 3: »Nach vier Jahren Hiderherrschaft: Für eine deutsche Vollamnestie: Ein Appell 73

13. an

das

Weltgewissen«.

Die Denkschrift, hektograph., 29 S., ist vorhanden im IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 297, Zitate S. 19. 75 AdsD, IJB/ISK, 35: Brief o. U. [Wagner] an [Centn Internationalpour le droit et la liberté en Allemagne], 4. Mai 1938, dort obige Zitate; DVZ, 1937, Nr. 18, 1. Mai, S. 4: »>Saubere Hände und reines Gewissem«, gez. Ph[ilipp] Horn; ebd., Brief »Auslandsdeutsche«, und: »Sowjethetze am laufenden Band im >Neuen VorwärtsFreizeit< erlaubte, angewiesen (wenn sie dem überhaupt

nachgehen durften).109 Dennoch zeigte sich Irmgard Enderle optimistisch über die weitere gemeinsame Hüfearbeit, faüs es den nichtkommunistischen Arbeiter-Organisationen gelänge, ihren Zusammenhalt weiter zu festigen und auszubauen und sie selbständig in den Gasdändern aktiv würden. Außerdem vertraute sie auf die Erfahrung, »daß nicht überaü nur Apparatschicks [sie] der KP sitzen, sondern auch ehrüche Genossen, mit denen wirklich sachlich-loyal gearbeitet werden kann«.110 Der ISK dürfte sein Vorhaben von Anfang Oktober, er woüe trotz des deutli-

chen Bestrebens der KPD, mit Hufe des Überparteüichen Deutschen Hüfsausschusses »Füialen ihrer Partei zu schaffen«, die nützüche Arbeit fortsetzen,111 auch nach der Konferenz vom 11./12. November 1937 wenigstens vorerst weiter durchgeführt haben.112

Vgl. auch AdsD, NL Brandt: »SAP-Richtünien für die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit in Deutschland. Ausgegeben März 1937«, Anlage 3 zu RSchr. Jim, 1937, Nr. 7, 23. März; ARAB, SAP, Vol. 1: »Richtlinien und Ratschläge der SAP zur Ausnützung der legalen Mögüchkeiten der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit a) im Reich b) in und durch die Auslandsgruppen«, Oktober 1937. 108 Siehe Anm. 105 dieses Kapitels, dort Unterstrichenes ist Wer kursiviert. 109 Was Herlemann, Emigration als Kampfposten, S. 162, für die kommunistischen SaarEmigranten nachgewiesen hat, dürfte aügemein gelten. 110 Siehe Anm. 105. 111 AdsD, IJB/ISK, 32: VJB Juü-September 1937, datiert: 3. Oktober 1937. 112 In der Denkschrift »Bundes-Arbeit«, o. U., o. D. [ca. 1943/44], wird die erfolgreiche Arbeit des ISK in einem »Hüfskomitee für die Unterstützung deutscher Emigranten« in Paris im nachhinein noch gelobt: »Es gelang uns, innerhalb dieses Komitees die Kom107

238

Hilfe-Komitees

Allmählich aber scheint die KPD Veranstaltungen des Pariser Hilfsausschusses usurpiert, zum Teil auch Mittel für Innerdeutschland in Hilfe für Emigranten umfunktioniert zu haben. Durch die Kombination von Unterhaltung und (kleinen) Versteigerungen zugunsten der Nazi-Opfer rückten die Wohltätigkeitsabende in die Nähe der Öffentlichkeitsarbeit, wie sie von den Freundeskreisen der deutschen Volksfront in den Arrondissements betrieben wurde.113 d. Verständigung zwischen KPD und KP(D)0? An der Vorbereitung der Amnestie- und der Asylrechts-Konferenz hatte sich auch das Auslandskomitee der KP(D)0 innerhalb des Arbeitsausschusses für die Amnestie und Hilfsbewegung beteiligt. Daran knüpften Münzenberg und Wehner nach dem Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs an. Unverkennbar ist die Absicht, die Basis für politische Einheitsaktionen in Deutschland über rein humanitäre Hilfe hinaus zu verbreitern.114 Am 30. Juli 1936 trafen sie sich mit Heinrich Brandler, der Leo Borochowicz mitbrachte. Erstes Gesprächsthema war »die Weiterarbeit für die Amnestie-Kampagne nach dem Brüsseler Kongreß«. Da »die französischen Gewerkschaften durch die spanischen Ereignisse jetzt abgelenkt würden, mit ganzer Kraft sich der Amnestiebewegung zu widmen«, so wird Münzenberg zitiert, erscheine es ratsam, den schon früher von der KP(D)0 vertretenen Standpunkt zu übernehmen und durch Eigeninitiative der deutschen

proletarischen Massenorganisationen »die verschiedenen bürgerlichen Elemente, die aus rein humanitären Gründen mitwirkten, nutzbringend in den Dienst der Amnestiekampagne« zu stellen.115

Zweites Thema war, ob und wie die Kräfte beider Parteien »in der Unterstützungsarbeit« in Deutschland zu vereinen seien. Hier erbaten sich die KP(D)0Vertreter unter Hinweis auf die nicht zentralisierte und nicht nur aus eigenen Genossen bestehenden Gruppen der Internationalen Hilfs-Vereinigung (IHV) eine Frist von drei bis vier Monaten, um die Illegalen zu unterrichten und um die Verbindungsadressen der KPD in wichtigen Städten und Gebieten zu überprüfen. Zur Frage »gemeinsamer Gewerkschaftsarbeit« in Deutschland, dem dritten Punkt, erklärten sich Brandler und Borochowicz bereit, mit den »verschiedenen Stellen, die Gewerkschaftsarbeit versuchen«, zusammenzuarbeiten, darunter mit

munisten

zu

IJB/ISK 10.

der Rolle bloßer

Mitglieder herabzudrücken«,

heißt

es

auf S. 27, AdsD,

Zu den Wohltätigkeitsveranstaltungen vgl. Feidel-Mertz/Schnorbach, Lehrer in der 116 und zugehörige Anm. 114 Siehe auch Willi Münzenberg, »Der nächste Schritt«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 34, 30. Juli, S. 1386f. 115 ABA, KPO-Materialien: Einladung Münzenberg an Brandler, 25. Juli 1936; ebd.: »Mitteilung an die Gruppen der IVKO«, 6. August 1936, danach die Zitate; zu Leo Borochowicz vgl. Theodor Bergmann, »Gegen den Strom«. Die Geschichte der KommunistischenPartei-Opposition, Hamburg 1987, bes. S. 361. 113

Emigration, S.

239

AV. Solidarität

dem IGB und mit den KPD-Hüfsstellen im Ausland. H. Wehner soüte dazu »schriftlich Vorschläge [...] formuüeren«, die dann weiter zu besprechen wären. Auch waren Brandler und Borochowicz bereit, die KP(D)0 enger an die übrigen Einigungskomitees im Exil zu binden. So soüten zwei Vertreter, nach »formelle [r] Einladung« von Grzesinski, in die Fédération des Emigrés d'Allemagne en France und zwei in das Hüfskomitee für das Saarland entsandt werden.116 Doch weder Grzesinski noch die KPD-Führung hatten es eüig, die Vereinbarungen zwischen den vier Unterhändlern in die Tat umzusetzen.117 Als in der Frage, ob der Kriegs- oder der Revolutionspoütik in Spanien Priorität zukomme, sehr bald eine Übereinstimmung zwischen KP(D)0 und POUM sichtbar wurde, griff Die Internationale das Flugblatt der KP(D)0 an die Mitgüeder von KPD und SPD vom Aprü 1937 polemisch wieder auf.118 Dahinter stand auch einerseits das Bemühen, innerhalb Deutschlands in die KP(D)0-Reihen zwecks Abwerbung einzubrechen,119 andererseits dem entgegenzuwirken, was Pieck in der telegrammartigen Zusammenfassung der Resolution des EKKI-Sekretariats vom 17. März unter dem Stichwort »Schwächen der Kadererziehung« an der eigenen Partei gerügt hatte: »Sektierertum noch tief eingewurzelt. Einwirkung der faschistischen Ideologie. Mangelnde Wachsamkeit gegen parteifremde und klassenfeindüche Elemente

(Trotzkisten, Brandleristen).«120

Prozesse gegen Sinovev und Genossen rechtfertigte,121 vermochte den Kampf letztendüch der gesamten KPD-Führung gegen die »abtrünnige« und die Volksfront ablehnende Partei nicht zu mildern, die Leitung der zumal wie im Pariser Sekretariat des ZK bekannt wurde KP(D)0 intern verbreitete, »daß die Komintern nur >gesunden< (d. h. auf die

Die

Tatsache, daß die KP(D)0 die





116 Zum vorigen siehe »Mitteüung an die Gruppen der IVKO«, 6. August 1936, ABA, KPO-Materiaüen. 117 Siehe ebd., Beschwerdebrief Brandler an Münzenberg, 12. August 1936. 118 »Brandlers Kampf gegen die Volksfront«, in: Die Internationale, 1936, H. 4/5, August, S. 88ff.; Redakteur der Internationale war seit Anfang 1936 Gerhart Eisler; das Flugblatt der Reichsleitung der KP(D)0, Über die Volksfront und die Wiederherstellung der bürgerlichen Demokratie. An die Mitglieder der KPD und SPD, ist Teü der Materialien zur Volksfront, hrsg. von der KP(D)0, vorhanden im IISG, studiezaalmap, üjst Abendroth 433, vgl. oben, S. 38. 119 Siehe z.B. GDW, Sammlung Rote Kapeüe: Vertrauücher Bericht Kurt Funk, »Ein Beitrag zur Untersuchung der trotzkistischen Wühlarbeit in der deutschen antifaschistischen Bewegung«, gestempelt »2. Feb. 1937«, 16 S., hier bes. S. 6f.; Derftin gehört auch, daß, wie Wehner in Zeugnis, S. 176, kolportiert, »KPD-Funktionäre in Berün [...] durch einen unfaken Coup versucht hätten, die dortige Brandlergruppe ihrer Schreibmaschinen und anderen technischen Mittel zu berauben«; vgl. SAPMO, Ry 1, I 2/3/419, Bl. 137141: Kurt [Funk] an Poütbüro, 6. August 1936, hier bes. Bl. 140-141. 120 SAPMO, Ny 4036/558, Bl. 27, vgl. oben Text und Anm. 63 dieses Kapitels. 121

240

Vgl. Tjaden, KPO, S. 336.

Asylrecht Brandler-Linie gebracht werden könne), wenn der Einfluß der KPdSU vermindert werde«.122 Dennoch beteiligte sich die KP(D)0 an der Einheitsaktion der Solidarität für Innerdeutschland, wie wir gesehen haben, und an der Bildung des SpitzelabwehrKomitees in der Emigration, auf die ich weiter unten eingehen werde.

Asylrecht Das Interesse, ihre elementaren Menschenrechte als Flüchtlinge zu wahren und sie möglichst juristisch und materiell zu erweitern, war neben dem noch allgemeineren, das NS-Regime aus Deutschland zu vertreiben eines der ganz wenigen, das alle deutschen Emigranten verband. Es wuchs die Einsicht, daß ein einheitliches Auftreten gegenüber den Gasdändern und gegenüber dem Völkerbund notwendig sei, um sich genügend Gehör zu verschaffen. Es hätte verwundert, wenn die Protagonisten einer auch im Politischen einigen Front nicht versucht hätten, die Asylfrage für die Schaffung eines breite(re)n Bündnisses auszunutzen. Ulbricht sah wieder die Möglichkeit, »auch solche Sozialdemokraten zu einer Zusammenarbeit zu bringen, die dem Lutetia-Kreis nicht angehören und als Vertreter des Parteivorstandes in den verschiedenen Ländern tätig sind«.123 Das hieß schlicht: Nötigung des PV durch eine Einheitsaktion >von unten42 IISG, SAI, 3490: Grzesinski an »Werte Genossen«, 14. Mai 1936. 143 IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII: handschr. Notiz Hertz, 11. Mai [1936]; dem Comité Tchéco-Slovaque... gehörten neben den beiden genannten Organisationen an: Jüdisches Hilfskomitee bzw. Soziales Institut der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Prags; Hicem; Einheitsverband der Privatangestellten für die in Deutschland organisierten Angestellten; Hilfskomitee für deutsche Emigranten (hauptsächlich Kommunisten, vertreten durch Wilhelm Koenen) und Vereinigung zur Unterstützung deutscher Emigranten. 144 Notiz von Hertz vom 7. Mai 1936, Dok. 62 in: Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, S. 152f; die Unsicherheit der Herausgeber, ob mit Hertz' Formulierung »Verbindung mit dem Komité in Paris« die FEAF oder die Arbeiterwohlfahrt gemeint sei siehe dort Anm. 4 auf S. 153 glaube ich, auch angesichts der dort zitierten Passage aus dem Brief von Hertz an Hilferding, dahingehend entscheiden zu können, daß die FEAF gemeint war. -



246

Asylrecht

aufgesteüt werden«. Ihrer Meinung nach soüten sich die Asylforderungen in dem Rahmen bewegen, der durch die Beschlüsse der Internationalen Juristenkonferenz in Wien im August 1931 gezogen ist«.145 Deutsche Sozialdemokraten hatten damals an der Wiege des Beschlusses gestanden, daß »das Recht auf Asyl, auf einen Identitätsausweis und auf Arbeitsberechtigung für alle Flüchtünge« geltend gemacht werden müsse.146 So kam es doch noch zu einer Koordinierung der Vorsteüungen. Anfang Juni 1936 entschied die Sopade auch, Paul Hertz, der darum gebeten hatte, zur Asykechtskonferenz zu delegieren, ihn darüber hinaus zusammen mit dem Grenzsekretär Gustav Ferl offizieü die SPD auf rungen

»etwa

der Emigrantenkonferenz vertreten zu lassen.147 Die Internationale Konferenz deutscher Emigranten international, weü von Delegierten deutscher Emigrantenorganisationen, sowohl überparteiüchen als auch poütischen, und von ausländischen Gästen besucht-, fand am 19. und 20. Juni jeweüs tagsüber statt.148 Breitscheid und Dahlem hatten auf die Abhaltung einer solchen Konferenz besonders gedrängt.149 Die offizieüen Sitzungen und die Sondersitzungen leiteten Breitscheid und Hugo Graf; die Mandatsprüfungskommission bestand aus Glaser, Kuttner und Leo Bauer. Im ganzen beherrschten die Vertreter der Arbeiterparteien im LutetiaKreis die Konferenz. Münzenberg und Heinrich Mann hatten ihr in Begrüßungs—

145

IISG,

NL Hertz, S. 16, le: RSchr. Sopade »für die Grenzsekretäre«, 22. Juü 1936, Hervorhebung dort ebenfaüs von »Beschlüsse« bis »1931«. 146 Paul Hertz, »Flüchtüngssorgen und Flüchdingshüfe. Betrachtungen über die Konferenzen in Paris und Genf«, in: NV, 1936, Nr. 163, 26. Juü, Beüage S. If. 147 IISG, SAI, 3499: Memorandum des Comité National Tchéco-S/ovaque pour les Réfugiés provenant d'Allemagne für die am 2. Juü 1936 in Genf stattfindende Regierungskonferenz, von Wilhelm Sander, dem Leiter der Sozialdemokratischen Flüchtlingsfürsorge, mit Brief vom 21. Mai 1936 an SAI [und IGB] gesandt; Grzesinski erWelt das Memo erst am 29. August, siehe IISG, Teü-NL Grzesinski, 2289; IISG, NL Hertz, 19, XVII: Hertz an Hüferding, 5. Juni 1936. 148 Vgl. auch für folgendes: IISG, studiezaalmap, üjst Abendroth 321: Fédération des Emigrés d'Aüemagne en France (Hrsg.), »Bericht über die Internationale Konferenz deutscher Emigranten am 19. und 20. Juni 1936 in Paris««, 14 S. hektograph., angeheftet sind »Resolution«, »Entschüeßung« und »Richtünien für den Erlaß einer zwischenstaatlichen Vereinbarung und [...] von Landesgesetzen oder Verordnungen zur Regelung des Asykechts«; laut »Bericht« waren anwesend: insgesamt 71 Delegierte aus Belgien, Dänemark, England, Frankreich, Hoüand, Jugoslawien, Schweden, Schweiz, Tschechoslowakei und USA, 100 Gäste und 10 Pressevertreter; NL Hertz, S. 17, Korr. F-G: Ferl an Sopade, 30. Juni 1936: »Es waren etwa hundert Menschen da; ob sie aüe delegiert waren, habe ich und auch wohl Hertz nicht feststeüen können«; unterscDedüche Angaben auch in D7, 1936, Nr. 44,18. Juni dort auch die Tagungspunkte -, und AIZ, 1936, Nr. 30, 22. Juü, S. 466f; vgl. Pech, in: Schüler u. a., Frankreich, S. 47f. 149 Findeisen, SPD, S. 41. -

247

AV. Solidarität

schreiben übereinstimmend gewünscht, sie möge »zur Schaffung der großen Aufgabe der Einheitsfront und der Volksfront beitragen«.150 Sieht man nur auf den offizieüen Teü, auf die veröffentüchten Referate und die äußeren Ergebnisse der Konferenz, so kann man die Zufriedenheit über ihr Geüngen verstehen. Die französischen Gäste Salomon Grumbach (SFIO, Vizepräsident des Auswärtigen Ausschusses der französischen Kammer), Marcel Cachin (Mitgüed des ZK des PCF, des EKKI, Dkektor von L'Humanité), Emü Bureau (Secours Rouge Français und IRH), Paul Perrin (Präsident des Centre de liaison) unterstrichen mit ihrer Anwesenheit, in ihren z. T. mahnenden Reden oder in ihren nachträgüchen Kommentaren den Wülen, von der Soüdarität über nationale Schranken hinaus zu einer poütisch-kämpferischen Einheit zu gelangen, mit den verfolgten und vertriebenen Parteien ein neues Deutschland errichten zu helfen. Neben der poütischen und juristischen Lage der deutschen Emigration aügemein wurde das Los besonderer sozialer Gruppen so der (unpoütischen) Juden, der Jugend und, erstmals, der Frauen beleuchtet.151 Für die bevorstehende Asykechts- und die Zwischenstaatliche Konferenz verabschiedeten die Versammelten Richtünien, die zur Vereinheitüchung der nationalen und zwischenstaatUchen Regelungen des Asylrechts beitragen sollten, sowie einen von Kuttner, Leo Bauer, Grossmann, Reisner und Löwenstein erarbeiteten Vorschlag, die —



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Asylstaaten um Amnestierung derjenigen poütischen Flüchtlinge zu bitten, gegen die Verfahren zur Ausweisung üefen oder bereits entschieden waren.152 In seinem Schlußwort faßte Breitscheid die Ergebnisse und die weitergehenden Ziele der Emigranten-Konferenz in der Losung zusammen:

»Wir woüen hier schaffen eine Volksfront der Not, die werden muß die Volksfront des Kampfes, damit wir schüeßüch den Sieg erringen und die Ernte einbringen können.«153 Dieser recht pathetische Ausruf entsprang Breitscheids Vorsteüung einer »Schrittfür-Schritt«-Annäherung der poütischen und ideologischen Standpunkte. Gleichzeitig spiegelt er das Bemühen wider, die Auseinandersetzungen um konkrete Zusammenarbeit, die am heftigsten hinter verschlossenen Türen ausgetragen worden waren, zu überspielen. Recht einfach hatte sich noch die Schaffung eines

gemeinsamen Emigrantenorgans gestaltet. Information von Emigranten für Emigranten (IEE), Sonder-Nr. zur Internationalen Konferenz deutscher Emigranten am 19./20. Juni 1936. 151 Ebd. 152 Siehe August Hartmann, »Einige Vorschläge«, in: IEE, [Ende Juü 1936], und FEAF (Hrsg.), »Bericht über die Internationale Konferenz ...« (siehe Anm. 148 dieses Kapitels), Bauer und Reisner sind mit ihren Pseudonymen, Katz bzw. Roüer, genannt. 153 Zitat ebd., S. 14; IEE, [September 1936]; vgl. das Resümee von Rudolf Breitscheid, »Der internationale Zusammenschluß der deutschen Emigranten«, in: Einheit für Hilfe und Verteidigung, Paris (Chefredakteur: Peter Maslowski), Nr. 8, August 1936, Nachdruck in: Breitscheid, Antifaschistische Beiträge, S. lOOf. 150

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Asylrecht Information von Emigranten für Emigranten Nachdem die zwischenzeitlich sehr mühsame Zusammenarbeit in Flüchtlings fragen zwischen den sozialdemokratischen und kommunistischen Leitungen in Forbach durch Gespräche zwischen unter anderen Emil Kirschmann und Otto Niebergall im Februar und März 1936 schon verbessert worden war, konnte die Umwandlung der seit Frühsommer 1935 von der sozialdemokratischen Beratungsstelle für Saaremigranten herausgegebenen Information von Emigranten für Emigranten (IEE) in ein gemeinsam von ihr, der Arbeiterwohlfahrt und der RHD getragenes Organ für Solidarität, Asylrecht und antifaschistische Aktionseinheit als weiterer Schritt »auf dem Wege zum Zusammenschluß der proletarischpolitischen Emigration« bezeichnet werden.154 Die erste gemeinsame Nummer der hektographierten IEE erschien undatiert gegen Ende Juli 1936 mit einem Vorwort der Redakteure Max Braun, Kurt Funk (Herbert Wehner), Albert Grzesinski und August Hartmann (Kurt Schmidt, damals Emigrationsleiter der KPD in Paris). Grzesinski, Hartmann und weitere Sozialdemokraten und Kommunisten hatten bereits an der IEE- »Sondernummer anläßlich der internationalen Konferenz der deutschen] Emigration am 19. und 20. Juni 1936 in Paris« mitgewirkt, die auch Tagungsunterlage war. Zwei weitere Ausgaben kamen im September und Dezember 1936 heraus. Die vierte und letzte, eine Saar-Sondernummer zum zweiten Jahrestag der Rückgabe des Saargebiets ans Reich, wurde als Nr. 1/1937 gezählt; sie war in politischer Hinsicht die propagandistischste Ausgabe, sie demonstrierte trotzig Einheit in der Volksfront gegen Hider und Franco. Dann wurde das hektographierte Blatt eingestellt. Sehr bald schon nach der Einigung waren Probleme finanzieller, organisatorischer und politischer Art entstanden. Sie wurden mit bereits seit April laufenden Problemen gleicher Ursprünge bei den Deutschen Informationen (DI) vermischt, da vor allem die sozialdemokratischen Saar-Emigranten Nachrichten für beide Zeitschriften lieferten. Max Braun gelang es anfangs, jonglierend zwischen seinen Funktionen als Redakteur der IEE, (Mit-)Herausgeber und Redakteur der DI, Herausgeber der Freiheit-Korrespondenz und als Mitglied des Volksfrontausschusses, eine die Zusammenarbeit lähmende Kollision materieller und ideeller Interessen der verschiedenen Beteiligten zu vermeiden. So wurde z. B., unter jeweils getrennter Einschaltung der beiden Verwaltungsratsmitgheder der DI, a.





154 Zitat aus dem auf S. 16 der IEE vom Juli 1936 abgedruckten Brief von Emil Kirschmann und Johanna Kirchner; zu den Schwierigkeiten der Einigung unter den Saaremigranten vgl. Herlemann, Emigration als Kampfposten, S. 160ff.; Paul, Max Braun, S. 114ff., dort auch, daß die von den französischen Behörden per 30. April 1936 geschlossene Beratungsstelle für Saaremigranten illegal von Johanna Kirchner und Emil Kirschmann als »politisches Grenzsekretariat der saarländischen Sozialdemokraten« fortgeführt wurde (Zitat S. 115); vgl. Dieter Marc Schneider, »Saarpolitik und Exil 1933-1955«, in: VfZG, Jg. 25 (1977), S. 467-545, hier S. 507; vgl. auch BA/K, R 58/498 fol. 1, Bl. 40-42: Geheimes Einschreiben der Stapoleitstelle Saarbrücken an Gestapa, 4. März 1936.

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Grzesinski und Wehner, ein Kompromiß erreicht zwischen der ursprüngüchen Forderung Kkschmanns von jeweüs im voraus vom Verwaltungsrat der DI zu zahlenden Ffrs 1 200 pro Monat und dem Angebot des letzteren von Ffrs 700. Man einigte sich schüeßüch auf »Ffrs 1 500,00 monatüche Entschädigung ab l.Juü 1936 für Nachrichten und gewisse gemeinsame Grenzarbeit bei der Verpflichtung, daß die >F.K.< [Freiheit-Korrespondenz ULA] frühestens 24 Stunden später erscheint, als die Mittwoch-Nummer der >D.I.Moskau< unter Beweis. Es gelang nicht, durch »Freundeskreise«, die alle Emigranten zusammenführen soüten, ferner mittels Abonnentenwerbung und mittels gezielter Anschreiben französischer wie emigrierter Persönüchkeiten (genügend) Gelder von unabhängigerer) Seite aufzutreiben.156 Überdies, so klagten die Sozialdemokraten, —

Berün, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 2: Korrespondenzen zwischen Kkschmann, Braun, Grzesinski, Münzenberg und Breitscheid zwischen 17. Juni 1936 und 22. März 1937, auch zum folgenden, zu den Summen bes. Freiheit-Korrespondenz (E[mü] Kürschmann]) an Münzenberg, 24. Juni 1936, und E. K. an Max [Braun], 23. Juü 1936, daraus auch das Zitat; der Verwaltungsrat der IEE ist, folgt man den Briefen Grzesinskis, nicht 155

LA

zusammengetreten, so daß die Geschäfte formeü über den Verwaltungsrat der DI abgewickelt wurden; den Verwalrungsrat büdeten zwei Sozialdemokraten Der fungierten nacheinander Breitscheid und ScDff, Breitscheid und Grzesinski, 1937 traten auch Breitscheid und Braun zusammen auf und zwei Kommunisten, Münzenberg und, jedenfaüs vom Frühsommer 1936 bis Anfang 1937, Wehner, vgl. AN/P, F 7/15131,1: Aufzeichnung Münzenberg, am 21. Dezember 1936 an »Deber Freund« gescDckt; LA Berün (siehe oben): Münzenberg an Grzesinski, 13. Mai 1937. 156 Kurt Funk, »Freundeskreise der Information«, in: IEE, [Dezember 1936], S. 4 auf diesem Exemplar in der Sammlung des IISG ist mit Bleistift, wahrscheinüch von Grzesinski, geschrieben: »4.11. Redaktionssitzung und Auflage, Artikel bis 10.11. zu üefern [—] 4./12.36«, letzteres wahrscheinüch das (geplante) Erscheinungsdatum, die »Presse-Revue« auf der letzten (14.) Seite geht bis zum 23. November 1936. —



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Asylrecht warben Kommunisten entgegen den Verabredungen für ihre eigenen Blätter auch bei Adressen, die den gemeinsamen Erzeugnissen vorbehalten bleiben sollten.157 Anfang 1937 kamen darüber hinaus personelle Veränderungen zum Tragen: Herbert Wehner, der auch mehrfach in Geldfragen nach der Komintern-Seite hin vermittelt und offenbar auch noch vor Münzenbergs erzwungener Übergabe fast aller Geschäfte an Bohumil Smeral Ende Dezember 1936 mehr Spielraum mach oben< gehabt hatte,158 wurde im Januar 1937 nach Moskau beordert, wo er bis zu seinem Einsatz in Schweden 1941 verbheb. Das Pariser Sekretariat des ZK der KPD unter Ulbricht versuchte, in allen Bereichen je nach Opportunität durch Lockerung oder Anziehen der Finanzschraube politische und organisatorische Zugeständnisse zu erzwingen. Das mißlang in der Regel, trug aber zur Verschlechterung des Klimas bei. Am 22. März 1937 schrieb Grzesinski an Max Braun: »Ich habe das Gefühl, daß überhaupt über die dnformationen von Emigranten für Emigranten ganz andere Kräfte bestimmen und entscheiden als das Redaktionskomitee, und daß die Mitgheder des Redaktionskomitees mehr Aushängeschilder als faktisch bestimmende Mitglieder des Kollegiums sind.«159 Da er sich »für eine derartige Rolle nicht hergeben« wollte, schied Grzesinski mit sofortiger Wirkung aus dem Redaktionskomitee der IEE aus. Am selben Tag lehnte er die Bitte des Thälmann-Komitees, auf eine ihm genehme Weise sichtbar einen Beitrag zum Geburtstag Thälmanns am 16. April, dem fünften Geburtstag in Haft, zu hefern, kategorisch ab.160 Im Juli 1937 emigrierte er weiter in

die USA. Nach den wenigstens vorläufigen internationalen Regelungen der Asylfragen, worauf ich weiter unten noch eingehe, interessierten Emigrationsprobleme als solche die KPD-Führung wenig, wenn sich damit nicht die politische Einheitsfront vorwärtstreiben ließ. Darüber hinaus wurde die journalistische Förderung der Selbsthilfe der Emigranten und der Information über Asylrecht angesichts der Restriktionen der Sowjetunion selbst den eigenen Genossen gegenüber, dann allgemein angesichts der Verfolgungen dort ein für die Kommunisten stets heißer werdendes Eisen.

Korrespondenz im LA Berlin, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 2 (siehe Anm. 155). Ebd.; zur Übergabe der Geschäfte an Smeral vgl. auch Schlie, Münzenberg, S. 39ff. 159 LA Berün, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 2: Grzesinski an Kirschmann, 22. März 1937, auch zum folgenden, Durchschläge gingen an Münzenberg und Breitscheid. 160 Brief ebd., auch: Internationales Befreiungskomitee für Thälmann und alle eingekerkerten Antifaschisten/Belfort, an Grzesinski, 6. März 1937, handschr. das Empfangsdatum: »14.3.37«, mitgeschickt war die hektograph. Dokumentation: Ernst Thälmann vier jähre in Haft! Der >Fall ThälmannKniefall< vor der SPD nicht nur bei den SAPlern den Eindruck hinterließ, ihre zwischen den beiden Großen stehende Partei sei im Bündnis unerwünscht, mindestens überflüssig.166 Auf der Internationalen Emigranten-Konferenz brachte Hertz als Delegierter der Sopade parteipolitische und asylrechtliche Argumente gegen eine Zentralvereinigung der deutschen Emigration vor. Ihre Gründung konnte er jedoch nicht verhindern was er wohl im Grunde auch nicht wollte. Nach eigenem Bekunden aber setzte er mit Hilfe der Kommunisten gegen Grzesinski durch, daß antikommunistisch motivierter Ablehnung seitens eigener und ausländischer Genossen von vornherein Rechnung getragen werde. So wurde in die Entschließung, die zur Schaffung von Landesorganisationen und deren Anschluß an die ZVE aufrief, der Vorbehalt aufgenommen: »unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften und der Beziehungen, die zwischen ihnen und den Organisationen der Gastländer bestehen«.167 Hertz wiederholte diesen Satz, ihn noch extra hervorhebend, in dem von ihm (mit) verfaßten Rundschreiben der Sopade »für die Grenzsekretäre« vom 22. Juli 1936. Er verteidigte damit gegenüber (möglichen) Kritikern168 die offizielle Beteiligung an der Asylrechtskonferenz und der diese vorbereitenden Internationalen Konferenz deutscher Emigranten, betonte jedoch unmißverständlich:

Münzenberg

Partei



Vgl. Notizen Hertz und Brief Ferl (siehe Anm. 163); Wehner, Zeugnis, S. 174. Zitat aus »Entschließung der sinternationalen Konferenz deutscher Emigranten< am 19./20. Juni 1936 in Paris«, 1 S. hektograph., Anlage zum s>Bericht über die Internatio166 167

nale Konferenz ...« (siehe Anm. 148); zur Kontroverse mit Grzesinski vgl. IISG, Neu Beginnen, 53: Mitteilung AB-NB an Stützpunkte], Lt [Leitungen] und L[eitungs]Mitglieder], 30. Juni 1936, über »Sommerkongreß« im Juni 1936, verschlüsselt, 4 S., hier S. 1: Mitteilung von Heller [d.i. Hertz]; NL Hertz, S. 18, Korr. St-T: Hertz an Kurt Steche«:, 21. Oktober 1936; SAPMO, Ry 1, I 2/3/419, Bl. 137-141: Kurt [Funk] an Politbüro, 6. August 1936, Der Bl. 140. 168 Grenzsekretär Ernst Schumacher in Deurne/Belgien, zuständig auch für die Niederlande, hatte am 12. Mai 1936 gegen die Vorgänge in Paris im allgemeinen, die s>Abhängigkeit von den Kommunisten« im besonderen polemisiert, siehe IISG, Neu Beginnen, 55, im Juli drohte er jedem, der eine einheitliche Emigrantenorganisation gründen wolle, mit Ausschluß aus der Sopade-Gruppe, siehe NL Hertz, S. 17, Korr. F—G: Hertz an Ferl, 30. Juli 1936; auch die SDAP der Niederlande und Grenzsekretär Richard Hansen in Kopenhagen wandten sich gegen die ZVE, siehe ebd., 53: RSchr. AB-NB, 6. August 1936.

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Asylrecht »Die Zusammenfassung der Emigranten darf nur mit der Absicht und dem Ziel erfolgen, ihre sozialen, wirtschaftlichen und poütischen Interessen zu vertreten. Darüber hinausgehende parteipolitische Ziele müssen ausgeschlossen sein.«169 Das war ein Verdikt gegen Grzesinskis Rede und eine klare Absage an aüe diejenigen Sozialdemokraten und Kommunisten, die in eigenwilüger Interpretation der beiden Sätze: »Die Zentralvereinigung der deutschen Emigration ist an sich eine unpoütische Organisation«, und: »Die Losung ist Vereinigung zum gemeinsamen Woüen«, die ZVE von Anfang an als eine poütische Organisation verstanden wissen wollten.170 Des weiteren lehnte die Sopade aüe Versuche ab, die darauf zielten, unter Berufung auf die Entschüeßung der Internationalen Emigtantenkonferenz, »gemeinsame Versammlungen von Sozialdemokraten und Kommunisten zu veranstalten«. Mag sein, daß der Ton des Rundschreibens auch ein Ausfluß von Irritation war, die Ulbricht und Dahlem am 21. Juü bei Hertz und Ferl in Prag hervorgerufen haben dürften, als sie zur Begründung einer engen Zusammenarbeit von Sozialdemokraten und Kommunisten in der ZVE und in anderen Hüfsorganisationen aüe erdenldichen gemeinsamen Aktivitäten in schon bestehenden darunter das Ossietzky-Komitee in Paris und die für Hertz problematische Union für Recht und Freiheit in Prag und in noch zu gründenden Komitees aufzählten.171 In der Sopade aber bahnten sich schon Lockerungen an. Ferl hatte mit Brief vom 30. Juni 1936 ein insgesamt günstiges Büd über die Emigranten- und die Asykechtskonferenz vermittelt und Hertz' um Verständnis für den Prager Vorstand werbende Repük auf die vielfältige Kritik der Pariser Sozialdemokraten an »Prag« auf der geschlossenen Sitzung am Nachmittag des 20. Juni ausführüch zitiert. Als persönüche Meinung hatte er ventiliert, daß der Sopade eine geschmeidigere Haltung nur zum Vorteü gereichen würde. Hertz berichtete Ferls Brief bewußt nicht vorher gelesen habend auf der PV-Sitzung vom 13. Juü ähnlich loyal und zugleich kritisch über alle Konferenzen und Besprechungen, -

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169

22. Juü

IISG, Neu Beginnen, 1: RSchr. Sopade an die Grenzsekretäre und Vertrauensleute, 1936, auch für folgendes, Hervorhebungen im Original.

aus der »Entschüeßung der internationalen Konferenz deutscher Emigran(siehe Anm. 167); zu Grzesinkis Standpunkt vgl. auch seine Artikel »Die Organisierung der deutschen Emigration«, in: IEE, Sonder-Nr. zum 19./20. Juni 1936, und »Zentralvereinigung der deutschen Emigranten«, in: PTZ, 1936, Nr. 33, 14. Juü; zu den Interpretationen vgl. z. B. Max Braun in seinem an Grumbach anknüpfenden Artikel, »Der erste Schritt«, IEE, [Ende Juü 1936]; Hertz' Notizen über Wehner, IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII, Mappe la Beüagen; Rundschau (Basel), 1936, Nr. 29, 26. Juni, S. 1176f.; DVZ, 1936, Nr. 17, 12. Juü, S. 7. 171 IISG, NL Hertz, S. 16, lg: Ulbricht an Hertz, 25. Juü 1936, worin er seine Vorschläge zur Zusammenarbeit noch einmal fixiert.

170

Zitate

ten« ...«

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die

er im ssWesten« geführt hatte. Auf derselben Vorstandssitzung scheinen Hertz' bisherige und zukünfte Bemühungen in Sachen Asylrecht und Stampfers als Privatperson unterhaltene Verbindungen zu KPD-Vertretern gutgeheißen worden zu sein.172 Nach einem Schreiben der ZVE vom 24. Juli an die Sopade, von dem Hertz auf Wunsch einen Tag später einen Durchschlag von Grzesinski erhielt mit der hinzugefügten Frage, wie dieses in Prag aufgenommen worden sei s>und ob noch etwas veranlaßt werden muß, um den Erfolg sicher zu stehen«, und einem langen Artikel von Hertz im Neuen Vorwärts stand die Zentralvereinigung der deutschen Emigration als erster Punkt auf der Tagesordnung der Vorstandssitzung vom 5. August.173 Am 8. August 1936 lockerte die Sopade in einem Rundschreiben an die Vertrauenslaute ihr Verbot, Landesorganisationen in den Ländern zu gründen, in denen »die Interessen der Emigranten in erster Linie von einheimischen Organisationen wahrgenommen werden«. Die Entscheidung, ob die Emigranten sich durch bestehende sozialdemokratische Hilfsorganisationen der Gastländer vertreten lassen oder ob sie sich der ZVE anschheßen wollten, Überheß sie trotz ihres nicht verhehlten Vorzugs für ersteres den Betroffenen selbst; Einvernehmen mit den Organisationen des Gasdandes blieb jedoch Bedingung.174 Als Beilage wurde die Antwort der Sopade an die ZVE mitgeschickt. Kernsatz darin war, daß bis zum Erhalt s>volle[r] Klarheit« die »Entscheidung über eine eventuelle materielle Unterstützung der Zentralvereinigung« worum diese gebeten hatte zurückgestellt würde.175 Da es im allgemeinen nicht gelang, die parteipolitischen und besonders die restriktiven Asylbedingungen in den einzelnen Ländern zu durchbrechen es bildete sich vorerst lediglich eine Arbeitsgemeinschaft der deutschen Flüchtlinge in Schweden, die aber innerhalb der dortigen sozialdemokratischen Emigration umstritten war176 -, milderte sich der Konflikt um die Zentralvereinigung zwi—



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IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. F-G: Ferl an Sopade, 30. Juni 1936; vgl. ebd., Hertz Ferl, 30. Juli 1936; laut Ferl und Hertz waren auf der Besprechung der Sozialdemokraten am 20. Juli außer ihnen anwesend: Braun, Breitscheid, Denicke, Grzesinski, Hirschfeld, Kirschmann und Kuttner, siehe Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, Nr. 69, 172

an

S. 162-165.

IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. F-G: Grzesinski an Hertz, 25. Juli 1936, daraus Zitat; Paul Hertz, »Flüchtlingssorgen und Flüchtlingshilfe. Betrachtungen über die Konferenzen in Paris und Genf«, in: NV, 1936, Nr. 163, 26. Juli, Beilage; Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, ¡Sir. 71, S. 165f. 174 IISG, NL Hertz, S. 16, le: RSchr. Sopade an die Vertrauensleute, 8. August 1936, 2 S. hektograph., daraus Zitat. 175 Ebd., Sopade an ZVE, 8. August 1936, 3 S. hektograph. 176 Der Arbeitsgemeinschaft, die sich der ZVE anschloß, gehörten an: Gemeinschaft der deutschen Flüchtlinge beim Matteotti-Komitee; Gemeinschaft der deutschen Flüchtlinge bei der Roten Hilfe Schwedens; Arbeitskreis jüdischer Flüchtlinge in Schweden; Gruppe emigrierter deutscher Intellektueller alle Stockholm und Gemeinschaft deut173

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Asylrecht sehen Paris und Prag von selbst weiter ab. Ende Dezember 1936 berichtete Georg Bernhard enttäuscht über das geringe Echo der Initiative aus Paris. Abgesehen von Frankreich, wo sich auch in Lyon im Anschluß an die Internationale Konferenz ein »Kreis der deutschen poütischen Emigranten« unter dem Vorsitz von Emü J. Gumbel konstituierte,177 wurden Sektionen der ZVE nur in Dänemark, Norwegen, Südamerika, in den USA und Anfang 1937 in den Niederlanden gegründet.178 In der Öffentlichkeit negierte die Sopade die ZVE weiterhin. Sie verschickte ein eigenes Memorandum zur Septembertagung des Völkerbunds,179 auf der die Fragen behandelt werden soüten, die in dem »Vorläufigen Übereinkommen betreffend das Statut der Flüchtlinge aus Deutschland« vom 4. Juü nicht oder nur ungenügend gelöst waren wie Fragen des Passes, des Asykechts bzw. des Schutzes gegen Ausweisung namentlich nach Deutschland, der Arbeitserlaubnis, der sozialen Sicherung und des Status des Hohen Kommissars. Adressaten waren Hochkommissar Sir Neill Malcolm, die SAI und ihre spezieüen Delegierten Louis de Brouckère, Jean Longuet und Hans Hedtoft-Hansen, die auch gleichzeitig, wie bereits auf der Zwischenstaatlichen Konferenz Anfang Juü 1936, ihre Länder Belgien, Frankreich, Dänemark vertraten, der IGB, die »soziaüstischen Parteien in den wichtigsten Emigrationsländern« und die Vertrauensleute der Sopade.180 Obgleich weniger ausführlich und vorsichtig bittend anstatt juristisch abgefaßt, deckte sich das Sopade-Memorandum in den wesentüchen Punkten mit den beiden Denkschriften, die die ZVE nach Genf und an kooperierende Organisationen und Persönüchkeiten sandte: Umwandlung des provisorischen Hochkommissariats in eine Dauer-Institution mit Sitz in Genf oder aber Paris; Verabschiedung eines endgültigen und umfassenden Statuts für die Flüchtlinge —





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scher Flüchtlinge in Göteborg, siehe IEE [September 1936], S. 1; vgl. Müssener, Exil in Schweden, bes. S. 134ff. (auf S. 135 dort, etwa Mitte, muß es statt 1938 heißen: 1936). 177 Siehe den Bericht über die erste ordentliche Generalversammlung am 21. März 1937 in PTZ, 1937, Nr. 290, 28. März. 178 Vgl. NL Hertz, S. 20, XXIII, Mappe Aufzeichnungen lb: »Reise vom 10.-24. Dezember 1936«; zum Schicksal der auf Kuttners Initiative in Amsterdam gegründeten Zentralvereinigung deutscher Emigranten vgl. Langkau-Alex, »Deutsche sozialdemokratische Emigration in den Niederlanden«, S. 101. 179 Vom 21. bis 26. September 1936 hielt der Völkerbund seine 17. Voüversammlung ab, der Völkerbundsrat seine 94. Sitzung. 180 IISG, Teü-NL Grzesinski, 2276: »Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sitz Prag: Memorandum zur Septembertagung des Völkerbundes über die Fragen betr. die Flüchtlinge aus Deutschland«, datiert: 6. September 1936, 3 S. hektograph., und RSchr. der Sopade an die Vertrauensleute, 6. September 1936 (daraus die Zitate); da Hertz beide Dokumente am 8. September 1936 an Grzesinski schickte, ist es auch denkbar, daß dieser und die anderen Mitgüeder der ZVE sich in ihren Memoranden (siehe nächste Anm.) an die Sopade anpaßten; vgl. Louis de Brouckère, »Die poütischen Flüchtlinge und ihre Rechte«, in: NV, 1936, Nr. 162, 19. Juü, S. 3.

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AV. Solidarität aus Deutschland; Mitwirkung der Emigranten in allen sie betreffenden Rechtsund Sozialfragen.181 Die ZVE hatte sich mit Brief vom 31. Juli 1936 beim Sekretariat des Völkerbunds angemeldet. Auf der Septembertagung des Völkerbunds, auf der Hertz die Sopade und Georg Bernhard die ZVE bzw. die von Malcolm bereits anerkannte FEAF vertraten, wurde sie offiziell als s>Gesamtvertretung der Flüchtlinge aus Deutschland« legitimiert.182 Das war schon das positivste Ergebnis. Die Asylländer waren zerstritten; die Memoranden der Emigranten wurden nicht behandelt.183 Jedoch wurden die in ihnen enthaltenen Vorschläge auf einer gemeinsamen Sitzung der FEAF und der sswichtigsten internationalen jüdischen und nichtjüdischen Organisationen, die sich mit Flüchdingsfragen beschäftigen«, noch am 24. September in Genf geprüft. Das gemeinsame Plädoyer, einen deutschen Sekretär in den zu schaffenden Beirat des Hohen Kommissars für deutsche Flüchtlingsfragen zu berufen, zeitigte den Erfolg, daß der Völkerbund schließlich die Aufnahme dreier Vertreter aus den Reihen der deutschen Emigration in den insgesamt mit achtzehn Personen zu besetzenden Beirat des Hochkommissars

gestattete.184 Angesichts

dieser Tatsache gab die Sopade ihre Bemühungen auf, die SAI und den IGB von ihrem Vorhaben abzubringen, nicht länger die sozialdemokratischen Flüchthnge auf Staaten-Ebene zu vertreten, oder aber einen selbständigen Status in der Frage der Flüchtlingsbetreuung zu erlangen. Sie rang sich zu dem Kompromiß durch, Hertz mit der Vertretung der Sozialdemokraten im Beirat des Hohen Kommissars zu betrauen, jedoch außerhalb der ZVE, mit der

ist Vgl. IISG, Teil-NL Grzesinski, 2277: »Memorandum der Zentralvereinigung der deutschen Emigration zur Beratung des Völkerbundes über die Fragen, die die Flüchtlinge aus Deutschland betreffen«, dat. »im August 1936«, 8 S. hektograph., mit handschr. Notiz von Grzesinski: »am 12.9.36 per Recommandé abges. an V.B.-Sekretariat« (auch in franz. Übers, und als handschr. redigierter Entwurf vorhanden); »Memorandum der Zentralvereinigung der deutschen Emigration (Sitz Paris) zur Frage des Aufbaues und der künftigen Tätigkeit des Hohen Kommissars für jüdische und nichtjüdische Flüchtlinge aus Deutschland«, dat. »im September 1936«; ebd., 2274: handschr. Änderungsvorschläge von Glaser, 20. August 1936; beide Memoranden auch in IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 321, und IfZ, ED 201 (Sammlung Kurt R. Grossmann)/5, Nr. 9 und 10. 182 Siehe IEE, [Juli 1936], S. 5ff; Rudolf Katz, »Die deutsche Emigration und der Völkerbund«, und: »Ein Jahr Einheitsvertretung der deutschen Emigration in Frankreich«, beide in: IEE, 4. Dezember 1936. 183 Vgl. IISG, NL Hertz, S. 17, Korr. Ba-Bu: Hertz an Georg Beyer, o. D.; Paul Hertz,

»Flüchtlingssorgen und Flüchtlingshilfe ...« (siehe Anm. 173 dieses Kapitels). 184 IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 321: Memo »betrifft: Flüchtlinge aus Deutschland«, o. D., o. U., 2 S. hektograph. (Zitat), und: Georg Bernhard, »Bemerkungen zum Bericht des Hohen Kommissars für die deutschen Flüchtlinge, Sir Neill Malcolm, an die XVII. Versammlung des Völkerbundes«, o. D. [September oder Oktober 1936], 2 S. hekto-

graph. 258

Asylrecht zusammenzuarbeiten sie sich aber bereit erklärte.185 Die ZVE ihrerseits bestätigte Hertz formeü auf ihrer Konferenz vom 12. Dezember 1936 und bestimmte Wehner als Vertreter der »nichtjüdischen«, Georg Bernhard als Vertreter der »jüdischen« Emigranten. Bernhard hatte sich im Juni des Jahres in den USA und im August auf dem Ersten Jüdischen Weltkongreß in Genf, auf dem er in die Exekutive des Verwaltungsrats der World Jewish Conference gewählt wurde, als Anwalt der jüdischen und der überwiegend in Existenznöten verkehrenden parteilosen poütisch motivierten Emigranten profiliert.186 Der Bekat der Internationalen Hohen Kommission für die aus Deutschland stammenden Flüchtlinge wurde noch im Dezember auf einer Konferenz in London instaüiert. London wurde, zur Enttäuschung der Emigranten, auch Sitz der Institution. Hier setzten sich die Engländer durch.187 Dieser Wermutstropfen schien aber dadurch versüßt, daß unter den 27 Organisationen, die im Beirat vertreten waren, die ZVE allein drei der insgesamt 18 stimmberechtigten Delegierten steüte.188 Zudem wurde Leo Bauer aüas Rudolf Katz zum Beigeordneten Sekretär in den Internationalen Bekat für deutsche Flüchtlinge so der abgekürzte Name berufen.189 Von »verschiedenen Seiten« war dafür Rudolf Breit-

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185 Vgl. handschr. Notiz Hertz von der PV-Sitzung am 7. Mai 1936, wiedergegeben und annotiert in: Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, Nr. 62, S. 152f; IISG, SAI, 839/4—5: Sopade an SAI (Adler), o.D., mit Memo »Zur Sitzung der Kommission zur Untersuchung der Lage der poütischen Gefangenen. Brüssel, 17. Mai 1936«; IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII: handschr. Aufzeichnung Hertz, 6. November [1936]; ebd., S. 19, XVI: Hertz an Breitscheid, 11. November 1936; AdsD, Emigration Sopade, 10: RSchr. der Sopade an die Vertrauensleute, 15. Oktober 1936 und 29. Januar 1937. 186 Vgl. Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 150; IISG, Teü-NL Grzesinski, 2284: »Ier Congrès Juif Mondial, Genève, 8—14 août 1936: Rede von Prof. Georg Bernhard, Sitzung vom 13. August«, HS. hektograph.; Keesings Historisch Archief 1936, Nr. 268, 11. August, 2408C, und Nr. 270, 21. August, 2420A; in BHB 1: Georg Bernhard, ist der Erste Jüdische Weltkongreß irrtümüch auf 1938 datiert. 187 IISG, Teü-NL Grzesinski, 2273: Memo »Die künftige Tätigkeit des Hohen Kommissars für deutsche Flüchdinge«, o. D., 4 S. Ds; das Memo ist eine schlechte Übersetzung der auch vorhandenen handschr. engl. Fassung, die das Comité National Tchéco-Slovaque pour les réfugiés provenant d'Allemagne am 2. September 1936 an Grzesinski schickte; in seinen »Bemerkungen zum Bericht des Hohen Kommissars für die deutschen Flüchdinge, Sir Neül Malcolm, an die XVII. Versammlung des Völkerbundes«, o. D. [Ende September oder Anfang Oktober 1936] vorhanden im IISG, studiezaalmap, üjst Abendroth 321 hatte Bernhard im Namen der ZVE dafür plädiert, faüs Genf nicht Sitz der Kommission werden könne, sich dann für Paris zu entscheiden, da dort FEAF, IGB, HICEM, ICA, Internationales Institut für geistige Zusammenarbeit und weitere Organisationen säßen. 188 Der Widerspruch zwischen der Zahl der Organisationen und der der Personen im Beirat erklärt sich daraus, daß einige Personen, so Georg Bernhard, mehreren Organisationen angehörten. 189 Vgl. Mitteilungen der Zentralvereinigung deutscher Emigranten, Amsterdam, 15. Februar 1937; AdsD, NL Wühelm Dittmann, 6: Rudolf Katz an Dittmann, 7. Dezember 1936; -

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259

AV. Solidarität

scheids Sohn Gerhard vorgeschlagen worden. Hertz hatte gehofft, daß dieser die Kandidatur annehmen und auch gewählt werden würde. Auf diese Weise hätte sich die Möglichkeit ergeben, ssdie Sopade an der Finanzierung zu beteiligen, ohne daß irgend eine Bedingung gesteht wird«.190 Die Sopade hatte ihren Beschluß zur bedingten Zusammenarbeit mit der ZVE zu einem Zeitpunkt gefaßt, als in Paris schon Schwierigkeiten offen zutage traten. Grzesinski erklärte am 1. November 1936 schrifthch seinen Rücktritt, nachdem es auf der Sitzung des Fünferkomitees (des Vorstands) vom 28. Oktober zu für ihn »sehr unerfreulichen Auseinandersetzungen« gekommen war. Die Hintergründe waren: Seine Entgelt-Ansprüche konnten nicht befriedigt werden; seine aus Eigenbedürfnis wie aus Solidarität eingegangenen, bereits oben angesprochenen Finanzgeschäfte, die teilweise der Zentralvereinigung hatten zugute kommen sollen, um sie von Komintern-Geldern unabhängiger zu machen,191 sowie seine eher aufs Formal-Administrative gerichtete Auffassung von Organisation und Amt hatten ihn die ZVE vernachlässigen lassen. Nach einem Brief von Bernhard, sich die Sache noch einmal zu überlegen, laut Breitscheid auf Wunsch der Kommunisten, blieb er jedoch im Amt. Nach seiner Weiteremigration in die USA im Juh 1937 übernahm Friedrich Wilhelm Wagner seinen Posten.192 Anfang 1937 war bereits Siegfried Rädel dem nach Moskau beorderten

Peter Brandt/Jörg Schumacher/Götz Schwarzrock/Klaus Suhl, Karrieren eines Außenseiters. Leo Bauer zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie 1912 bis 1972, Berlin Bonn 1983, S. 64-77. «»IfZ, ED 120, Bd. 2: Breitscheid an Hoegner, 24. Oktober 1936 (1. Zitat); IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 22. Oktober 1936, und Hertz an Breitscheid, 11. November 1936 (2. Zitat). 191 Die längst nicht ausreichende nichtkommunistische Finanzierung lief über den sozialdemokratischen ehemaligen Bankier Hugo Simon; bereits Mitte August 1936, nach einem Briefwechsel zwischen Grzesinski und Münzenberg, war besprochen worden, die Büroräume 93, rue Lafayette, Paris Xe, aufzugeben und entweder beim »Asylrechts-Büro« oder in eine entsprechend ausgestattete Wohnung in der rue l'Abbé Rousselot Nr. 7 einzuziehen, eine Schreibhilfe nur wenn unbedingt nötig zu engagieren, ansonsten Schreibarbeiten und Vervielfältigungen, vor allem aber Übersetzungen vom Büro der Deutschen Informationen kostenlos liefern zu lassen, siehe LA Berlin, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 2: Briefwechsel Grzesinski/Münzenberg, 9. bzw. 10. August 1936, und Memo Grzesinski, »Neuregelung für die Inbetriebhaltung eines Büros der Zentralvereinigung der deutschen Emigration«, mit handschr. Notiz über »Besprechung mit Kurt [Wehner] und Horn [Philipp Daub] am 15. 8. 36«; im Brief von Rudolf Katz, als Sekretär der ZVE, an Fritz Deb, 22. Februar 1937, ist als neue Anschrift angegeben: »15, Faubourg Montmartre, Paris 9'«, ÜB Basel, 043, As 860. 192 Vgl. LA Berlin, Rep. 200, Acc. 3983, Nr. 1,2: Grzesinski an Bernhard, 1. November 1936, daraus Zitat, Durchschläge an Breitscheid, Münzenberg und Funk [Wehner], und Bernhard an Grzesinski, 14. November 1936; IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 23. November 1936; BHB 1: Friedrich Wilhelm Wagner; Grzesinskis —

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260

-

Asylrecht Wehner im Vorstand und als Vertreter für die rat

nachgefolgt.193

nichtjüdische Emigration im Bei-

Breitscheid nahm sein Mandat im Fünferkomitee der ZVE seit etwa November 1936 nicht mehr wahr. Gründe dafür waren: die oben skizzierten Auseinandersetzungen um den Charakter der Arbeiterwohlfahrt, Verärgerung über Grzesinskis Verhalten in Geschäfts- wie in ZVE-Angelegenheiten und schüeßüch Verdruß über das Ausbleiben einer »vernünftige [n] Regelung organisatorischer und personeüer Probleme der Zentralvereinigung«, wodurch die »Organisation [...] gar zu dilettantisch« arbeite.194 Anfang Februar 1937 resümierte er: »Die Zentralvereinigung besteht demnach aus einem Vorsitzenden, zwei Sekretären und einem nicht funktionierenden Ausschuß.« Die erste seiner drei Bedingungen für weitere bzw. erneute Mitwkkung in der ZVE, die auch persönüche Aversion widerspiegelt, war die nach der »Loslösung von der unter Bernhards Vorsitz stehenden Fédération des émigrés d'AUemagne«.195 Die ZVE wurde Breitscheid voüends suspekt, als sie nicht dagegen protestierte, daß, wie er monierte, »der Herr High Commissionar aus eigenem Trevkanus zum deutschen Sekretär ernannt hat«; hier zeige sich doch, »daß der Bekat ledigüch Attrappe ist«.196 Am meisten empörte ihn, daß, wie er annahm, der Konservative Trevkanus auch noch von den Arbeiterorganisationen bezahlt werden soüte. Der ihm zugetragenen Versicherung von Trevkanus während einer Besprechung in Paris der Breitscheid fernbüeb —, er woüe »gar nicht Sekretär sein [...], sondern nur als Freund Malcolms diesem gelegentliche Ratschläge erteüen«, glaubte Breitscheid offenbar nicht.197 -

3. Die Internationale

Asykechts-Konferenz

Die nichtstaatüche Konferenz, bei deren Zustandekommen das Centre de liaison des Comités pour le statut des Immigrés, der Secours Rouge Français und die Fédération des Emigrés d'Allemagne en France zusammenwirkten, fand am Abend des 20. und am Tage des 21. Juni 1936 in der Mairie des 5. Arrondissements von Paris statt. Sie war mit Rücksicht auf den französischen Nationalfeiertag und die damit verbundenen Verpflichtungen der Gastgeber um eine Woche verschoben worden. Als Ehrenvorsitzende saßen der alte christüch-pazifistische ehemaüge Labour

Wehner (»Kurt«) schon Poütbüro, siehe SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl.

Auffassung beklagte

am 6. August 1936 137-141.

gegenüber

dem KPD-

193

Siehe BHB 1: Siegfried Rädel. IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 22. Oktober und 23. November 16. 1936, Januar 1937 (1. Zitat) und 5. Februar 1937 (2. Zitat). 195 IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 5. Februar 1937. 196 Aüe Zitate ebd. 197 IISG, NL Hertz, S. 19, XVI: Breitscheid an Hertz, 11. März 1937. 194

261

AV. Solidarität

Party-Führer George Lansbury, SAl-Präsident Louis de Brouckère, EKKI-Mitglied Marcel Cachin und der Radikalsozialist Edouard Daladier, Verteidigungsminister in der Regierung Blum, nebeneinander. Der Einladung des Centre de liaison, des-

Präsident, Paul Perrin, Heinrich Mann noch um eine besondere Botschaft gebeten hatte,198 folgten zahlreiche ausländische und Emigranten-Delegationen sen

fast allen europäischen Ländern und aus den USA sowie rund 650 Gäste.199 Die auf der Internationalen Emigranten-Konferenz gewählte deutsche Vertretung bestand aus: Boris Goldenberg (SAP); Kurt Schmidt, Münzenberg, Wehner (KPD); Breitscheid und Grzesinski (für die Pariser Sozialdemokraten); Otto Lehmann-Rußbüldt (bürgerliche Demokraten und Deutsche Liga für Menschenrechte); Theodor Tichauer (für die jüdische Emigration) und den von der Sopade ernannten Hertz und Ferl.200 Wiewohl Fragen des Asyhechts der Flüchtlinge aus allen Ländern besprochen wurden, standen doch die Probleme derer aus Deutschland im Mittelpunkt. Eine Resolution wandte sich gegen die Methode des Menschenraubs, die die Gestapo gegenüber Emigranten anwandte; sie war gleichzeitig eine Mahnung an alle Asylländer, solche Praktiken nicht zu dulden bzw. strafrechtlich zu ahnden.201 Jean Longuet, Vertreter der jungen Regierung Blum, erarbeitete mit weiteren Franzosen und deutschen Emigranten, unter anderen auf der Grundlage eines Neun-Punkte-Programms, das Hugo Graf in der Neuen Weltbühne bekannt machte,202 ein Memorandum für die Zwischenstaatliche Konferenz vom 2. bis 4. Juh 1936 in Genf. Von den dort teilnehmenden 15 Staaten sollte der asylrechtliche und sozialökonomische Status der deutschen Emigration sie wurde von Leo Bauer, Georg Bernhard, Hugo Graf, Kurt R. Grossmann und Paul Hertz aus



198

AdK-StA, NL H. Mann, NT III, 362: Paul Perrin an H. Mann, 16. Mai 1936.

Delegierten vertraten 16 internationale Organisationen, darunter SAI, RGI, jedoch nicht IGB; an nationalen Organisationen: 14 sozialistische, 5 kommunistische, 9 Gewerkschaften, 4 bürgerlich-demokratische; 23 Flüchtlingsverbände; Die 226 Komintern und 199

Vereinigungen; 49 nationale und internationale Hilfsorganisationen, siehe Informationsbulletin, vorhanden in AdK St.A, NL M. Andersen-Nexö, B. 11/59; vgl. Omnès, »L'Aide du Secours Rouge ...«, S. 143ff; auch zum folgenden: Dvian, Parti Socialiste, S. 90-92, er deutet an, daß zwei Asylrechts-Konferenzen parallel stattfanden, wobei die eine sich ausschließlich mit der Frage der deutschen Emigranten befaßte (S. 92); es fehlten: überraschenderweise die Niederlande, vgl. auch das eingeladene Deutschland und z. B. Rundschau (Basel), 1936, Nr. 21, 5. Juli, S. 871; DVZ, 1936, Nr. 12, 7. Juni, S. 7, und Nr. 15, 28. Juni, S. 2; AIZ, 1936, Nr. 30, 22. Juli, S. 466f. 200 IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 321: FEAF (Hrsg.), »Bericht über die Internationale Konferenz deutscher Emigranten am 19. und 20.6.1936 in Paris«, Goldenberg, 37 kulturelle

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Schmidt und Wehner sind mit ihren Parteinamen Ruth Frey, Hartmann und Funk aufgeführt. 2(11 Siehe Rundschau (Basel), 1936, Nr. 29, 26. Juni, S. 1177. 202 Nr. NWB, 1936, 24, 11. Juni, S. 761 ff.; vgl. auch die ergänzenden Forderungen von Kurt Hiller, ebd., Nr. 26, 25. Juni, S. 826ff.; Dvian, Parti Socialiste, S. 91 f.

262

Asylrecht

geregelt werden.203 Mit »den Vertretern der bisher beteiügten Flüchtüngsorganisationen« zeigte sich nach der Zwischenstaatüchen Konferenz vor aüem Der Deutsche Weg unzufrieden; er warf ihnen Mangel an Durchsetzungsvermögen gegenüber dem Völkerbund vor.204 Den poütischen Charakter und den internationalen Aspekt der AsykechtsKonferenz, den die Veranstalter von vornherein beabsichtigt hatten und der sich

vertreten

-

während des ganzen Verlaufs offenbarte, unterstrich im nachhinein Cachin nochmals, als er formuüerte: »Es war etwas wie die Verwkklichung einer großen antifaschistischen Volksfront Europas.«205 Für Peter Maslowski vom Pariser IRH-Büro war die Konferenz ein »historischer Erfolg der Soüdaritätseinheit«.206 Pünktüch zur Tagung des Völkerbunds im September 1936 wurde eine Broschüre mit Auszügen aus Reden und Diskussionsbeiträgen einer Reihe prominenter Teilnehmer veröffentlicht.207 Breitscheid legte in seiner Beurteüung den Akzent auf die Anzeichen dafür, »daß der Gedanke des Zusammenschlusses der Linken jetzt auch andere Länder ergreift, so vor aüem Belgien«, und er sah und befürwortete in diesem Falle voü und ganz den poütischen Aspekt der Konferenz. Er empfand »Genugtuung darüber, in eine Bewegung einigermaßen eingeschaltet zu sein, die international nach der Vereinigung der soziaüstischen und antifaschistischen Kräfte trachtet«.208 Letzteres sah Hertz anders. Er kritisierte das Fernbleiben der Sowjetunion und bedauerte, daß durch ihr Desinteresse »gegenüber dem Schicksal der deutschen Flüchtlinge der Ernst der Worte und die Beschlüsse seiner Freunde in Paris angezweifelt werden kann«. Dagegen steüte er die »Sympathien und die Unterstützung«, die prominente Vertreter der SAI den aüeingelassenen »zahkeichen, meist kommunistisch gesinnten Teünehmerfn] der Delegation der Internationalen Asykechtskonferenz« hatten angedeihen lassen.209 Diese »Polemik« gegen die Sowjetunion wer-

Vgl. IEE [Juü 1936]; Deutsche Volksfront Band 1, S. 46-48 und zugehörige Anm.; »Vorläufiges Übereinkommen betr. Statut der Flüchtlinge aus Deutschland. Angenommen von der Zwischenstaatlichen Konferenz in Genf am 4. Juü 1936«, 5 S. hektograph., IISG, studiezaalmap, üjst Abendroth 321; ausführüch zu dieser Genfer Konvention: Barbara Vormeier, »Dokumentation zur französischen Emigrantenpoütik (1933-1944). Ein Beitrag«, in: Hanna Schramm, Menschen in Gurs. Erinnerungen an ein französisches Intemierungslager (1940-1941), Worms 1977, S. 157-384, Wer S. 201ff. 204 Der Deutsche Weg 1936, Nr. 30, 26. Juü: »Vorläufiges Abkommen über die deutschen Flüchtlinge«, und: »Das Asykecht der deutschen Flüchtlinge«. 203 Rundschau (Basel), 1936, Nr. 29, 26. Juni, S. 1176f. 206 M. Pierre [d.i. Maslowski], »Ein Dstorischer Erfolg der Soüdaritätseinheit. Nach der Internationalen Konferenz für Asykecht«, ebd., Nr. 33, S. 1354f. 207 Harry Ölten, Weltappellfür Asylrecht, Paris: Éditions Universeües September 1936. 208 IfZ, F 205, Bl. 127-134: Breitscheid an Hoegner, 17. August 1936. 209 Paul Hertz, »Flüchtlingssorgen und Flüchdingshüfe. Betrachtungen über die Konferenzen in Paris und Genf«, in: NV, 1936, Nr. 163, 26. Juü, Beüage S. 1 f. 203

263

AV. Solidarität

das Prager Politbüro der KPD als Zeichen für innerparteilichen Streit, in dem Hertz sich auf die Seite der Feinde einer Einheits- und Volksfront stehe; gleichzeitig fürchtete es eine Abschiebung der Kommunisten aus den Staaten, in denen Sozialdemokraten in »Koalitionsregierungen« saßen, um ssdie Tatsachen ihrer eigenen Verstöße gegen das Asyhecht [zu] verdecken«. Das Pohtbüro gab sich jedoch vorerst mit einer milden Rephk von Wehner, die dieser ohne vorherige Rücksprache veröffentlichte, zufrieden.210 Im Auswärtigen Amt in Berlin bewertete man die Emigranten- und die Asylrechts-Konferenz offenbar als alarmierend: Die Berichte der Deutschen Botschaft in Paris und eine beigefügte Abschrift aus der Pariser Tageszeitung vom 26. Juni wurden in der Reichskanzlei vorgelegt.211 tete

Comité Consultatif und Asylrechts-Büro Die Bedeutung der Asylrechts-Konferenz über den Tag hinaus läßt sich am besten an den beiden Institutionen ermessen, die ebenso wie die ZVE bzw. die FEAF und das aufgrund der Sonderregelungen für die Saar-Emigranten gebüdete Office Sarrois212 bis zum Ausbruch des Krieges arbeiteten, wenn auch ihre Zusammensetzung sich teilweise änderte, Konflikte entstanden und ihr Spiehaum immer enger wurde. Die erste Institution war ein »Anerkennungsbüro«, französisch Comité Consultatif (auch: Commission Consultative) genannt, das die Regierung des Front populaire unter dem Innenministerium ressortieren ließ. Führende französische Soziahsten, die alle beruflich oder karitativ mit Immigrantenproblemen zu tun hatten, hatten es nach der, gemessen an ihrem Einsatz, enttäuschenden Genfer Konvention von Anfang Juni angeregt. Vier Vertreter französischer Organisationen und vier Emigranten sollten gemeinsam Nachbesserungen ausarbeiten, Strittiges klären und vor allem entscheiden, wer als »émigré provenant d'Allemagne« anzuerkennen sei. Dem Comité Consultatif gehörten von Emigrantenseite zunächst an: Georg Bernhard als Präsident der FEAF; Münzenberg (dann wohl von Rädel abgelöst) für die KPD; Tichauer für die Liga für Menschenrechte, und, bis zu seiner Weiteremigration, Grzesinski für die Sozialdemokraten, er fungierte auch als Präsident und Leiter des Büros in der rue Lavoisier. Auf französischer Seite waren je ein nicht unbedingt personen-gebundener Vertreter der Ligue des droits de l'homme (Victor Basch; Emile Kahn), der Société des Amis de Quakers bzw. des Service International d'Aide aux Réfugiés (Germaine Mellon), des Centre de liaison (Paul Perrin; Entile Bureau; Henri Levin) und des Comité national de Secours aux Réfugiés alle—



SAPMO, Ry 1, I 2/3/419, Bl. 132-136: »Deine Freunde« [KPD-Politbüro, Prag] »Deber Freund« (handschr. darüber: »Brief an Kurt [Funk], Paris«), 31. Juli 1936, Zitat Wer Bl. 133; Kurt Funk, »Der Zusammenschluß der deutschen Emigration«, in: DVZ, Nr. 20, 2. August 1936. 211 Siehe BA/K R 43 11/1405 g (Reichskanzlei, AA). 212 Zum Office Sarrois vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 46-48. 210

an

264

Asylrecht Einer der beiden Franzosen im Büro arbeitete als Buchhalter. Andrée Viénot, die Frau des Unterstaatssekretärs im Außenministerium Pierre Viénot, war die treibende Kraft, sie steüte auch auf französischer Seite die Mitarbeiter für die Überprüfungsarbeit zusammen. Die erste, grundlegende Überprüfung der Emigranten leisteten aufgrund ihrer Kenntnisse Hans Venedey, Konrad Reisner und Else Schwitzgebel (die spätere Frau Reisner).214 Ehrmann prüfte unabhängig vom Comité Consultatif gelegentlich für André Blumel, dem Kabinettschef von Ministerpräsident Léon Blum und als Rechtsanwalt erfahrener Verteidiger von Ausländern.215 Als »Anerkennungskommission«, üiert mit dem Service juridique der Ligue des droits de l'homme und unter der übergreifenden Fédération des Émigrés d'Allemagne en France ressortierend, arbeiteten die deutschen Prüfer auch nach der offizieüen Auflösung des Comité Consultatif'weiter. Über die Zentralvereinigung der deutschen Emigration und ihren Präsidenten Georg Bernhard büeb die direkte Verbindung zum Flüchtüngskommissar im Prinzip bestehen. Dkekte Verbindung zum Flüchtlingskommissar Malcolm hatte auch das Bureau International pour le Respect du Droit d'asile et l'Aide aux Réfugiés politiques. Dieses sozusagen zweite Bein für die Emigranten hatte seinen Sitz in der rue de Châteaudun Nr. 10, Paris 9e; Perrin, Vizepräsident des Comité Consultatif, war in Personalunion Sekretär des Internationalen Büros. Der Jurist Leo Zuckermann aüas Léo Lambert (KPD) war als beigeordneter Sekretär verantwortlich für die tägüche Arbeit. Die übrigen 17 Sekretariatsmitgüeder kamen aus nationalen und internationalen poütischen, gewerkschaftlichen, juristischen, Wohlfahrts- und Hüfsorganisationen Frankreichs, Belgiens, Großbritanniens und Spaniens. Rudolf Breitscheid (bis zu seinem Ausscheiden) und Giuseppe Emanuele Modigüani vertraten die Fédération Internationale des Emigrés Allemands (franz. Bezeichnung der ZVE ) bzw. die Emigration Italienne.™ Auch die Sopade war zur Unterstützung bereit.217

mands, das mit Raoul R. Lambert auch den Generalsekretär steüte.213

Vgl. PTZ vom 24. August 1936, bes. aber, auch zu Statut und Arbeitsweise, Dvian, Socialiste, S. 24f. und S. 94-108; Vormeier, »Dokumentation zur französischen Emi-

213

Parti

grantenpoütik...«, S. 229. 214 So Else, Deckname »Gert«, und Konrad Reisner in Gesprächen mit ULA 1986, 1988, 1991, 1998 und schriftlich am 2. März 1991 (K. Reisner) bzw. 9. Februar 1991 (E. Reisner), PA ULA; siehe auch Korr. Schwitzgebel-Sollmann im StAK-HA, 1120. 213 PA ULA: Ehrmann an ULA, 10. September 1982.

Gedruckter Briefkopf die Vornamen Modigüanis sind dort M. E. abgekürzt—, B. den von Perrin unterzeichneten Brief an die Fédération Internationale des Mineurs (Internationale der Bergarbeiter), 28. Januar 1937, mit der Bitte, in Schreiben an u.a. den Reichsinnenminister und den deutschen Botschafter in Großbritannien um (Verwendung für) Haftendassung von Centa Beimler und Maria Dengler, Frau bzw. Schwägerin des am 1. Dezember 1936 vor Madrid gefaüenen Hans Beimler, zu ersuchen, IISG, MIF, 273; in BHB 1, Stichwort Hans Beimler, ist Maria Dengler als Beimlers Schwester aufgeführt. 217 PV-Sitzung vom 23. Oktober 1936, vgl. Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, Nr. 78, Punkt 8, S. 177. 216

siehe

-

z.

265

AV. Solidarität

Das Internationale Büro für Asyl und Hilfe für politische Flüchtlinge so die genaue deutsche Bezeichnung geriet vorübergehend in den Strudel der Moskauer Hysterie um »trotzkistische Agenten«. Zuckermann verfaßte, ausdrücklich in seiner Eigenschaft als »Sekretär des Internationalen Asylrechtsbureaus«, eine Schrift, in der er die armenischen und weißrussischen Flüchtlinge der Spionage für und Komphzenschaft mit dem Dritten Reich bezichtigte; ihr Ziel sei die Zerstörung der Sowjetunion und der französischen Demokratie. Mit dieser Denunziation begründete er die Forderung, das »Internationale Amt Nansen für Flüchthngswesen«, das die Asylinteressen der Armenier, Weißrussen, aber auch der Saaremigranten beherzigte, zu liquidieren.218 Als aktueller Anlaß diente Zukkermann der inzwischen im Völkerbund aufgeflammte Streit darüber, ob der 1932 auf den 31. Dezember 1938 festgesetzte Termin für die Auflösung des Nansen-Amtes, das 1930 als Nachfolge-Organisation des selbständigen Hochkommissariats für Flüchtlingshilfe unter der Ägide des Völkerbunds eingerichtet worden war,219 eingehalten werden sollte oder nicht. Die Asylrechts-Konferenz vom Juni 1936 hatte schon in einer Entschheßung gefordert, daß die Betreuung aller Emigranten aus allen faschistischen und reaktionären Ländern unter das Amt des Flüchthngskommissars Malcolm fallen sollte.220 Über die Emigranten aus dem Gebiet der Sowjetunion war freilich nicht geredet worden. Doch öffentlich hatte niemand etwas über eine Diskriminierung oder gar Ausgrenzung verlauten lassen. Dem Nansen-Amt wurde 1938 der Friedensnobelpreis zuerkannt. In schrillem Gegensatz dazu steht, daß von Betreuung und Schutz der Emigranten durch die Internationale Hohe Kommission für die aus Deutschland stammenden Flüchtlinge, in der Sir Herbert Emerson im Frühjahr 1938 Malcolm ablöste, spätestens nach der Konferenz von Evian im Juh 1938 kaum noch die Rede sein konnte. Die nationalen Regierungen betrieben Obstruktion, der Völkerbund wurde zusehends handlungsunfähig.221 -

-

218 Dr. Léo Lambert, Der Völkerbund und die politischen Flüchtlinge. Weißgardisten, Spione und Terroristen im Schatten des Nansen-Amtes, Vorwort: Senator Emile Lisbonne, eh. Minister, Mitglied des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Paris: Éditions Universelles [1938]; vgl., auch zum folgenden, Dvian, Parti Soäaliste, S. 63ff. 219 Vgl. Alfred Pfeü, Der Völkerbund, Darmstadt 1976, S. 152. 220 Siehe Rundschau (Basel), 1936, Nr. 29, 26. Juni, S. 1177. 221 Vgl. Hans-Albert Walter, Europäisches Appeasement, Kap. 2.

266

Spitzelabwehr

Spitzelabwehr Unterredung mit Stampfer im Mai 1936 in Prag hatte Ulbricht den Fall des Gestapo-Spitzels Peter Ochmann im Flüchtlingshilfswerk der Sopade222 aufgegriffen, um eine Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der »GestapoMethoden« und der »Erziehung der antifaschistischen Massen zur Konspkation« zu erreichen.223 Nach den internationalen Konferenzen über Amnestie und Asylrecht fanden weitere Besprechungen statt: einmal zwischen Pieck und Stampfer am 1. Juü, zum anderen, drei Wochen später, zwischen Hertz und Ferl auf der einen, Ulbricht und Dahlem auf der anderen Seite. Ergebnis war, daß Vertreter des PV der SPD und des ZK der KPD Spitzelüsten austauschten. Seit 1933 hatte die Sopade nur an ihre eigenen Grenz- und Vertrauensleute vervielfältigte numerierte Mitteilungen über das Spitzelwesen und spezielle Rundschreiben gesandt. Stampfer trat einem gemeinsamen Komitee zur Abwehr von Gestapo-Spitzeln bei.224 Bereits gegen Ende 1936 hatte das Prager KPD-Büro die interne Überprüfung und Überwachung nicht nur der eigenen Mitgüeder, sondern auch von Sozialdemokraten und Volksfrontpartnern in der Emigration wie innerhalb In seiner

Deutschlands mindestens teüweise in der Hand.225 In Paris büdete sich im Laufe des Frühherbstes 1936 ebenfaüs ein Komitee, jedoch auf breiterer Grundlage. Paul Fröüch hatte im Juni in der AZ der SAP angeregt, die »Spitzel- und Schädüngsabwehr« einer »zentralefn] Kommission« zu

Zum »Faü Ochmann« im Frühjahr 1936, der viel Aufsehen, Mißtrauen und harte aüem innerhalb der sozialdemokratischen Gruppen und in der Sopade selbst auslöste, von letzterer nach außen hin bagatelüsiert wurde, vgl. z.B. IISG, NL Hertz, S. 16, lg; IISG, Neu Beginnen, 9; Wochenbrief"des AB-NB, Nr. 5, 10. Mai 1936; Nachrichten AB-NB, 1936, Nr. 7/8, Juü-August; Informationsbrief SIKO, l.Juni 1936: »Gestapo in Prag«; Buchholz/Rother, Protokolle der Sopade, Nr. 61 (PV-Sitzung vom 28. April 1936), S. 151ff, und Nr. 63 (PV-Sitzung vom 16. Mai 1936), S. 154; NV, Nr. 154, 24. Mai 1936: »Gestapo-Arbeit in Prag. Ein Wort an verantwortungslose Kritiker«; Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 98. 223 Siehe Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, 2. Zusatzband, bes. S. 60f, Ulbricht schreibt stets: Ortmann anstatt Ochmann. 224 Vgl. IISG, NL Hertz, S. 16, lg: Ulbricht an Hertz, 25. Juü 1936; AdsD, Emigration Sopade, Mappen 6-10; Stampfer, Mit dem Gesicht, S. 93ff, beachte dort bes. Anm. 107; Pieck, in: BzÇ, Jg. 20 (1978), S. 870; Otto Findeisen, »Zu den Einheitsfrontverhandlungen am 23. November 1935 in Prag«, in: BzÇ, Jg. 8 (1966), S. 676ff., bes. S. 688; ders., SPD, S. 69. 225 Am 13. November 1936 notierte Hertz z.B.: »Ackermann (KP) teüt mir mit, daß F[ranz] Künsder [in Berlin ULA] höchstgefährdet sei. Besondere Überwachung der Gestapo ist angeordnet. Nach Rücksprache mit 0[tto] W[els] und E[rich] Oülenhauer] wkd FK gewarnt«, IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII, Mappe Aufzeichnungen lb; vgl. auch BA/K, R 58/498, Bl. 234-238: hektograph. RSchr. des Gestapa, II A/A, 31. Mai 1937, und Bericht desselben Büros vom April 1937. 222

Kritik

vor

-

-

267

AV. Solidarität

übertragen, möglicherweise der von der Lutetia-Versammlung am 9. Juni beschlossenen Organisationskommission des Volksfrontausschusses, die vierzehntägig zur Behandlung aktueller Fragen zusammentreten sollte.226 Wehner sah Anfang August Handlungsbedarf zur »Sicherung der Emigration gegen die in letzter Zeit verstärkten Anstrengungen der Gestapo, in die Emigration einzudringen und hier Zersetzungs-, Spitzel- und Provokationsarbeit zu leisten«.227 Dem im Oktober 1936 konstituierten Komitee zur Abwehr von Gestapospitzeln gehörten an: Arbeiterwohlfahrt einschließlich der Gruppen Neu Beginnen und Revolutionäre Sozialisten, KPD, RHD, KJD, KP(D)0, ISK, SAP, FDJ, Verband Deutscher Lehreremigranten und einige Gewerkschaftler. Nur die ssoffizielle Leitung« der SPD fehle noch, schrieb Eichler, der im übrigen auch gern die Internationalen Berufs-Sekretariate beteihgt sehen wollte.228 Bis zum November 1936 einigte man sich auf eine schriftlich fixierte Aufgabenstellung, auch konnte ein festes Büro gemietet werden. Doch am Jahresende war noch nichts Praktisches geschehen. Der Vertreter der KPD hatte sich nämlich vorbehalten, die Zustimmung seiner Partei zur Person des von allen anderen gewählten besoldeten Sekretärs Willy Korbmacher einzuholen und diese bheb aus. Korbmacher, der zur Erfüllung seines Postens von Prag nach Paris -

übersiedeln sollte, war einmal Zentralsekretär der RHD gewesen, nach seinem Ausschluß aus der KPD 1928 mit anderen Genossen zur KP(D)0 gegangen, 1931 zur SAP übergetreten. Wog dies schon schwer, so kam in der Zeit der ssTrotzkisten«-Psychose hinzu, daß Korbmacher, wie Eichler schrieb, »sich vor Jahren einmal in Prag« mit Erich Wollenberg ssunterhalten« hatte. Selbst heß Eichler Wollenberg in der Sozialistischen Warte publizieren.229 Wehner berichtete

226

1936.

Siehe

ARBARK, SAP, 1, 7, 28: handschr. Protokoll der AZ-Sitzung vom 13. Juni

227

Kurt Funk, »Der Zusammenschluß der deutschen Emigration«, in: DVZ, 1936, 20, 2. August, S. 4. 228 Vgl. AdsD, IJB/ISK, 30: Eichler an Hiller, 21. Oktober 1936 (Zitat), und Eichler an Fimmen, 5. Oktober 1936 dort spricht er davon, daß die »Spitzelabwehr-Stelle« am 9. Oktober »konstituiert werden« solle; vgl. AdsD, Emigration Sopade, 16: Arbeiterwohlfahrt Paris an Sopade, 21. September 1936; IISG, Neu Beginnen, 46: Brief an »Debe Freunde«, 5. November 1936, verschlüsselt [Kleine KPD, Schwaben SAP, Heinrich & Co. H. Mann und Kreis der bürgerlichen Intellektuellen; Vegetarier ISK); Wehner, Nr.



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=

=

=

S. 175f.

Zeugnis, 229 Vgl. AdsD, IJB/ISK, 30: Eichler an Hiller, 12. November 1936 (Zitat); ebd., Box 31: VJB, Oktober Dezember 1936, datiert: 3. Januar 1937, unterz. Henri [d.i. Eichler]; Mitglieder] Afntworten] 11/37, 26. März, unterz. V[iktor] [d.i. auch Eichler]; zu Korbmacher siehe Müssener, Exil in Schweden, S. 509f; Wollenberg, vor 1933 u.a. Chefredakteur der Roten Fahne, wegen Kritik an der Parteilinie Anfang April 1933 aus der KPD ausgeschlossen, hatte sich nach seiner Flucht aus Moskau, 1934, in Prag den Trotzkisten angeschlossen, siehe BHB 1; Erich Wollenberg, »Militärische Chancen«, in: SW, 1936, 15. De-

zember, S. 529ff. 268

Spitzelabwehr Korbmacher sich in der SAP-Gruppe Prag mit der Bejahung der »Einheitsfront [...] durchgekämpft und die Zusammenarbeit [mit der KPDGruppe ULA] erreicht« habe, daß er aber »- ein Faü von Doppelzünglertum Beziehungen zum Trotzkisten Woüenberg und andererseits zur Gruppe Volk« unterhalte. In dieser nach dem einstigen KPD-Mitgüed Karl Volk bezeichneten Gruppe fanden Kritiker und Dissidenten der KPD zusammen.230 Ein weiterer Faktor dürfte gewesen sein, daß, wie im vorigen Kapitel dargesteüt, die AZ der SAP den ersten, dann auch den zweiten Moskauer Schauprozeß verurteüte und daß die Pariser SAP-Ortsgruppe ebenso wie das AK der KP(D)0 gegen die Ausweisung von Trockij aus Norwegen, Ende 1936, protestierte.231 Nachdem die Kommunisten die Partner in Sachen Spitzelabwehr monatelang hingehalten hatten, steüte der ISK ein Ultimatum: Nach dem 1. Juni werde er »mit den anderen poütischen Gruppen« eine Spitzelabwehr ohne ihre Partei schaffen.232 Auf der Sitzung des Volksfrontausschusses vom 25. Juni 1937 wurde die Frage der Bildung eines zentralen Spitzelabwehr-Komitees von nichtkommunistischer Seite nochmals aufgeworfen. Ulbricht erwiderte, laut Protokoü, ausweichend: zuerst müsse man »die Abwehr für Paris organisieren. Dazu brauche man keinen Sekretär«.233 Daraufhin beschlossen die Vertreter von ISK, KP(D)0, Liga für Menschenrechte, SAP und der von dieser Anfang 1937 abgespütterten Gruppe Neuer Weg auf einer ihrer schon öfter abgehaltenen gemeinsamen Besprechungen, nunmehr offizieü einen Ausschuß zu konstituieren, auch ohne die KPD. Konrad Reisner, der auf der entscheidenden Sitzung von Ende Juni oder Anfang Juü sowohl die Liga als auch wegen Verhinderung eines anderen die SAP vertrat, wurde vom KP(D)0-Vertreter in seiner Auffassung unterstützt,

Anfang 1937, daß

-

-

-

230



Gruppe Volk, ganz im Schema von »Rechts« gleich gleich »Trotzkisten«, als zusammengesetzt »aus früheren Ver-

Wehner charakterisierte die

»Links«, »Versöhnler«

etc.

söhnlern unter Führung von Volk. Im Lande und durch ihr Auslandszentrum sind diese Leute in Kontakt mit Personen aus der SAP, der Brandlergruppe und der Gruppe Maslows. Ferner besteht ein enger Zusammenhang zu jenem Kreis in der SPD, der sich zu den sogenannten >Volkssoziaüsten< zählt und mit Strasser zusammenarbeitet«, siehe Kurt Funk, »ED Beitrag zur Untersuchung der trotzkistischen Wühlarbeit in der deutschen antifascDstischen Bewegung«, S. 3 und S. 7 (Zitate), GdW, Sammlung Rote Kapeüe (siehe Anm. 119). 231 JVF, 1937, Nr. 2/3, Anfang Februar, Beilage S. 3; Tjaden, KPO, S. 336f; Trockij, Mit- bzw. Hauptangeklagter in Abwesenheit beim Moskauer Prozeß im August 1936, hatte von seinem norwegischen Exü aus den Prozeß scharf verurteüt und internationale Protestkampagnen mit initiiert, die norwegische Regierung verbot ihm daraufhin jegüche poütische Agitation, steüte ihn unter Hausarrest und gab schneü dem sowjetischen Druck nach Aufhebung des Asylrechts nach, vgl. Schrader, Moskauer Prozeß, bes. Kap. 4. 232 AdsD, IJB/ISK, 32: Eichler für den ISK an Münzenberg für die KPD, 6. Mai 1937. 233 ARBARK, SAP, 6, 50, 23: handschr. Protokoü [von Walcher] der »Sitzung von 25/VI«, 34 halbe Blätter, Zitat Bl. 12.

269

AV. Solidarität

»daß der Ausschuß auf die Dauer nicht auf eine Zusammenarbeit mit KP und RH werde verzichten können, schon deshalb, weil ja dort die meisten Leute anlaufen (in der Emigration)«. Da auch die Sozialdemokraten, die anfänglich neben anderen Organisationen mitgewirkt hatten, unbedingt wieder gewonnen werden mußten, wenn die Arbeit sinnvoll sein sollte, wurde Reisner beauftragt, Kontakte zu Valentin Hartig sswegen der Teilnahme der Arbeiterwohlfahrt« aufzunehmen.234 Allen Anwesenden war klar, daß man, wie auch immer die Entscheidungen der Arbeiterwohlfahrt und der KPD schließlich ausfallen würden, eine andere Form der technischen Arbeit und eine andere Zusammensetzung des Ausschusses werde finden müssen, als sie ursprünglich geplant gewesen waren; eine »Zentralstelle« und ein »hauptamtliche [r] Sekretär« waren nicht mehr »aufrecht [zu] erhalten«. Auf der für den 7. Juli anberaumten nächsten Sitzung sollten nähere Einzelheiten besprochen und Material über jüngste Spitzelfalle vorgelegt werden. Nach einer nochmahgen Sitzung Mitte Juli235 scheint die ganze Angelegenheit jedoch wieder geruht zu haben. Im Sommer 1937 lehnte das Pariser Sekretariat des ZK der KPD endgültig die Einrichtung eines breiten Komitees zur Abwehr der Gestapospitzel ab. Damit verschloß es auch die Tür für ssdie gemeinsame systematische Erforschung und Auswertung der Gestapomethoden«, wie Walcher schrieb. Walcher sah im Verhalten der Kommunisten einen heute gar nicht mehr zu bezweifelnden Zusammenhang mit der an Umfang und Heftigkeit zunehmenden Gleichsetzung von »Trotzkisten« und Gestapo-Agenten seitens der Komintern; eine solche Mentahtät aber mache selbst eine »dürftige Teillösung der gestellten Aufgabe«, nämlich ssNamensaustausch von Spitzeln und Provokateuren«, unmöglich.236 —

-

234 ARBARK, SAP, 9, 70, 25: Konrad [Reisner] an Jim, 3. Juli 1937, auch zum folgenden; Reisner war von »Martha« [d. i. Rosi Wolfstein] telefonisch gebeten worden, auch die

SAP

zu vertreten.

ARBARK SAP, 9, 70, 27: Brief o.U. [vermud. Walcher] an Konrad [Reisner], 16. Juli 1937; zumindest die SAP scheint wechselnde Vertreter zu den verschiedenen Sitzungen sie fanden öfter im Büro des Service juridique statt geschickt zu haben, je nachdem, wer frei war, doch waren sie an ihre Mandate gebunden; Ruth Fabian nahm anfangs neben Walcher für die SAP an den Sitzungen über Spitzelabwehr teil, vertrat später die Gruppe Neuer Weg, vgl. außer den Der bereits zitierten Dokumenten noch: ARBARK 1, 8, 13: Protokoll der AZ-Sitzung vom 21. Oktober 1936. 236 IISG, studiezaalmap, lijst Abendroth 425 und 326: Parteileitung der SAP, i.A. J. Schwab [d.i. Walcher], An die Vertreter der KPD im Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront, 7. September 1937, Punkt 7, zit. nach: RSchr. der PL der SAP »An die Freunde der deutschen Volksfront drinnen und draußen«, Ende Oktober 1937, hektograph., 10 S.; vgl. ebd.: Brief desselben Absenders an denselben Empfänger, 24. Mai 1937; in der kommunistischen Presse wurden seit 1937 in zunehmendem Maße antifascWstische Sozialisten, die der KPD unbequem waren, mit Namen und oft auch mit Wohnort als angebliche Gestapoagenten denunziert. 235

-

270

-

Spitzelabwehr Einem erneuten Vorschlag des AK der KP(D)0 von Ende September 1937 »An alle Kommunisten und Antifaschisten«, eine überparteiüche Instanz zur Abwehr der Gestapospitzel zu schaffen,237 begegnete die KPD, wie Eichler schrieb, über einen »Sender« [vermutüch Radio Moskau ULA] mit der Behauptung, »Gruppen wie die von Thalheimer, Brandler, Trotzki, der ISK und andere« seien »Spitzelorganisationen« der Gestapo. Sie >bewies< dies mit der Binsenwahrheit, die Gestapo habe »bereits sehr früh begonnen, Spitzelorganisationen zu gründen und zu fördern, um sich zu erleichtern, in Arbeiterorganisationen —

einzudringen«.238 Im April 1938 wurden Eichler und sein Parteifreund Paul Stamfort aufgrund

einer mutmaßüch von kommunistischer Seite ausgegangenen Denunziation als »Saboteure« der französischen nationalen Verteidigung gegen NS-Deutschland verhaftet; sie soüten ausgewiesen werden. Die Berichte und Interventionsbriefe zugunsten der beiden ISKler und die aügemeinen Reaktionen lassen vermuten, daß die nichtkommunistischen Organisationen mindestens in loser Form in der Frage der Spitzelabwehr zusammenarbeiteten.239 Was 1938/39 von den überparteüichen Zusammenschlüssen in Paris, die wk hier behandelt haben, ohne nennenswerte Reibungen poütischer Art weiter existierte und arbeitete, waren die Organisationen, die sich auf Asykecht und Emigrantenhilfe konzentrierten, aüen voran die Fédération des Emigrés d'Allemagne en France. Ende November 1938 steüte auch der ISK einen Aufnahmeantrag. Da laut Statut keine parteipoütischen Organisationen Mitglied sein durften, schlug das Präsidium der FEAF vor, der ISK solle, »zumal er eine große charitative Tätigkeit entwickelt, sich als Hüfssteüe [...] anschüeßen«.240 Für die Finanzierung des Service Juridique der FEAF konnte man vor aüem auf die Unterstützung des American Joint, der Arbeiterwohlfahrt und der Roten Hilfe Deutschlands rech-

237 238

IISG, Neu Beginnen, 14: Ds mit handschr. Verbesserungen. AdsD, IJB/ISK, 32: ISK, Eichler, an den Vertreter des ZK der KPD, 26. Oktober

1937 (handschr.: »gesandt an Carrefour«), worin er fragt, ob das Zitierte dem Inhalt der Ende September oder Anfang Oktober 1937 erfolgten Sendung, von der er erst im nachWnein erfahren habe, entspreche; eine Antwort der KPD konnte nicht festgesteüt werden; vgl. im ganzen auch Wehner, Zeugnis, S. 175f. 239 PA ULA: Briefe an ULA von Susanne Müler, 27. Juni 1980, und von Helmut Hirsch, 25. April 1980; IISG, SAI, 3565: (Interventions-)Briefe und Berichte über Demarchen von u. a. Max Braun, Heinrich Ehrmann, Paul Hertz bei u. a. Paul Faure, de Brouckère, Adler, sowie Brief Eichler an Adler, 5. Mai 1938, und Bericht, daß er sich in Mulhouse aus dem Staube habe machen können, da das Poüzeibüro verschlossen gewesen sei; Edo Fimmen von der ITF vermittelte für einen legalen Aufenthalt in Luxemburg, vgl. Sabine Lemke-Müüer, Ethischer Sozialismus und soziale Demokratie. Der politische Weg Willi Eichlers vom ISK zur SPD, Bonn 1988, S. 137ff. (im folgenden: Lemke-Müüer, Eichler). 240 Siehe, auch zum folgenden, BA/B, N 2020, 33, Bl. 17: Protokoü über die Präsidialsitzung vom 24. November 1938, unterz. »Speier«; anwesend waren: »Prof. Bernhard, Otto, Grunewald, Rädel, Dr. Glaser, Dr. Tichauer, Speier, Dr. Wagner, Dr. Flake«.

271

AV. Solidarität

Praktische und ideelle Kooperation bot der Secours Populaire de France, der umbenannte Secours Rouge, der sich auch seinerseits weiterhin für den Schutz von Emigranten einsetzte. Der Spielraum war freilich nach dem Sturz der Regierung Blum im Juni 1937 infolge der drastischen Einengung des bisher auf dem Gebiet der Asylgesetzgebung Erreichten sehr eng geworden. Wieweit sich in der Arbeit des Secours Rouge die >sTrotzkisten-gleich-Gestapospitzel«-Phobie auswirkte oder ob hier ein Gegengewicht geschaffen wurde, kann hier nicht ermessen werden.241 Im November 1937 waren Sekretariat und Exekutivkomitee der IRH in Moskau aufgelöst worden, nur ein Kontaktbüro zum EKKI und zur RH der Sowjetunion blieb bestehen. In Paris wurde ein neues Zentrum internationaler Kontakte und santifaschistischer Solidarität aufgebaut. Für nicht wenige Kommunisten in der Sowjetunion führte die (ehemalige) Arbeit in der (Internationalen) Roten Hilfe auf ein Abstell-, gar auf ein in den Tod führendes Gleis.242 nen.

241

Omnès, »L'Aide du Secours Rouge ...«, S. 146f, er geht nicht auf die Politik der Sowjetunion, der Komintern, der IRH und der RHD ein. 242 Vgl. Babichenko, »The International Red Aid« (siehe Anm. 9 dieses Kapitels), S. 13 und 19ff. des Ms, wo auch kurz die von Stalin forcierte Zusammenarbeit der IRH mit dem NKWD und dem Zentralen Nachrichtendienst der Roten Armee beleuchtet wird; Stascheit, Rote Hilfe, S. 390ff.

272

VI.

Bilanz zweier

Kampfjahre

Erfolge und Mißerfolge des Volksfrontausschusses in den Jahren 1936 und 1937 werden in diesem Kapitel dargestellt und analysiert. Auf der Habenseite steht zunächst das Entstehen und die Unterstützung weiterer, mehr oder weniger auf gewerkschaftliche Aufgaben ausgerichteter Organisationen im Umfeld des Ausschusses sowohl Im Exil als auch in Deutschland. Die Fragen, ob und wie der Volksfrontausschuß selbst direkt nach Deutschland hinein wirkte und ob und wie Kräfte unter den Gegnern des Nationalsozialismus diesem Einfluß entgegenstanden, werden an der Geschichte der Berliner Gruppe Deutsche Volksfront exemplifiziert. Der Lohnkommission, einer Unterabteilung der Wirtschaftskommission des Volksfrontausschusses, wird hier besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Mit der Osterkonferenz 1937 erreichen Volksfrontausschuß und Volksfrontbewegung ihren Höhepunkt, ihr Auseinanderfallen markiert die Einstellung der überparteilich konzipierten Herausgeberschaft der offiziösen Deutschen Informationen Anfang 1938. Zwischen diesen beiden Daten werden die Wechselwirkungen hinterfragt zwischen dem Volksfrontausschuß und den innerkommunistischen Auseinandersetzungen um die »richtige« Volksfrontlinie, der Affäre um das Pariser Tageblatt und die Pariser Tageszeitung, der zum Nationalsozialismus In Opposition stehenden deutschen Katholiken im Exil, der Katholischen Kirche und der Formierung einer christllch-nationalkonservatlven Front sowie der Anfang 1937 erstmals an die Öffentlichkeit getretenen Deutschen Freiheits-

partei.

Das

erste

Jahr im Rückblick

Das freie Deutschland Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek (DFD-MDFD) Januar 1937 zog die »Bilanz eines Kampfjahres«. So überschrieb Rudolf Breitscheid seinen Artikel, und ähnüch, aber kategorischer formuüerte Franz Dahlem: »Es ist Zeit, De Büanz zu ziehen!«1 Die Büanz fiel durchweg kritisch aus, mcht nur bei den beiden Genannten, De sich jeder von seinem Standpunkt aus vor aüem mit dem Verhältms zwischen (ZK der) KPD und (PV der) SPD befaßten. Alle Beiträge dieser Nummer setzten sich mit partei- oder gruppenideologischen und bündmspoütischen, mit personeüen und mit taktischen Problemen auseinander oder sie gaben ADaß zu entsprechenden Repüken. Im ganzen boten sie einen Querschmtt durch Themen, über De es, wenn auch mcht erst seit Anfang des Jahres 1936, zu Differenzen gekommen war. Münzenberg setzte sich vor allem mit Leopold Schwarzschüd und Otto Klepper auseinander und legte seine Vorsteüung eines VolksfrontbündDsses vor. Schwarzschüd hatte in seinem Neuen Tage-Buch in einem ungezeichneten Artikel mit dem Volksfront-Experiment in der deutschen Emigration und den Parteien der Arbeiterbewegung abgerechnet, De Nichtersteüung eines gemeinsamen Programms gegeißelt, »tabula rasa« gefordert und De These aufgesteüt, eine Sammlungsbewegung könne und müsse nur vom fortschrittüchen Bürgertum einschüeßüch der Christen ausgehen.2 Der Artikel war übrigens mcht in Das freie Deutschland übernommen worden. Klepper, dessen Prämissen einer »neuen poütischen Bewegung« Niederlage der SPD, Gleichsetzung von kommumstischer und nationalsoziaüstischer »Diktatur« im deutschen Bewußtsein und repräsentative Schwäche der »sogenannten freiheitüch-bürgerüchen Kräfte« von Münzenberg wohl mcht ganz verstanden wurden, hatte zur Verwirklichung der »Volksfrontidee«, die er mit dem in ems setzte, »was Thomas Mann in Desen Tagen rDütanten HumaDsmus nannte«, De Konzeption eines »klassenmässig synthetischen Soziaüsmus« entwickelt. Darunter verstand er einen durch Nationaüsierung der Schwerindustrie im Westen und Agrarreform im Osten zu gestaltenden Gesellschaftsvertrag, der den »klassenbeschränkten Soziaüsmus«, damit auch den Marxismus hinter sich lassen und De -

vom

-

-





DFD-MDFB, Nr. 15, Januar 1937, S. 12-16 (Breitscheid) bzw. S. 28-31 (Franz [Dahlem]); Dahlems Artikel war übernommen aus DVZ, 1937, Nr. 1, 3. Januar, S. 3f. 2 »Lehren aus einer Erfahrung«, in: NTB, 1936, H. 52, 26. Dezember, S. 1231 f. 1

275

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

in der ssindustrieüefn] Geseüschaft« unter die Räder gekommene ahgemeine Brüderlichkeit verwirklichen würde. So werde die Freiheits- und Gleichheitsidee in Deutschland und Europa praktisch komplettiert und die Revolution von 1789 vollendet werden.3 Gegenüber seiner im Februar 1936 vertretenen Meinung, daß es die Aufgabe der in und um den Volksfrontausschuß herum versammelten Opposition gegen Hitler sei, s>genügend breite [ ] Schichten des deutschen Bürgertums aus den Abhängigkeiten und der Ideologie, in die sie der Nationalhberahsmus und der Nationalsozialismus nacheinander hineingeführt hatten«, loszulösen,4 meinte Klepper nunmehr, daß die Schaffung der »neuen politischen Bewegung« in Deutschland selbst aus dem Gedanken der Freiheit heraus erwachsen müsse; die Sozialdemokratie sei s¡eine geschlagene Armee«, dem Kommunismus hafte das Odium der Diktatur an und die »sogenannten freiheithch-bürgerhchen Kräfte [seien] repräsentativ nicht mehr vorhanden«.5 Münzenberg nun hielt sowohl Schwarzschild als auch Klepper zum einen die mit sichtbarem Erfolg gekrönte Zusammenarbeit der Arbeiterparteien im Pariser Volksfrontbündnis entgegen und betonte zum anderen, daß das Bürgertum sich als unfähig erwiesen habe, Revolutionen durchzuführen. Zur Überwindung des bürgerhchen Individualismus, dem er zu einem großen Teü sowohl die langwierigen, die Schlagkraft lähmenden Diskussionen im Volksfrontausschuß als auch den ssnoch ungenügende[n] Widerstand« innerhalb Deutschlands zuschrieb, forderte er die »Repräsentanten des freiheitlichen deutschen Bürgertums« auf, mit der »Sammlung aüer bürgeriichen Hitlergegner um eine Fahne und in einer Partei, die im Bündnis mit den deutschen Arbeiterparteien den Sieg über das Hitler-

regime erringen hüft«, beginnen. In offensichthchem Vertrauen auf eine zunehmende innenpolitische und außenpolitische Krise NS-Deutschlands rief er, über weitere Schwierigkeiten im Bündnis die nur Breitscheid breiter ausmaß hinweggehend, voluntaristisch zum gemeinsamen ssAngreifen!« auf.6 Herbert Wehner und Heinrich Ehrmann wandten sich jeweils gegen Otto Strassers und Wenzel Jaksch' Vorsteüungen von deutscher Revolution und »Volkszu

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3 Otto Klepper, »Europäische Freiheit«, in: DFD-MDFB, 1937, Nr. 15, Januar, S. 35Nachdruck aus: NTB, 1936, H. 52, 26. Dezember, S. 1236ff. 38, 4 BA/B, 2290/8, Zitat Bl. 82, aus der dreiseitigen (Bl. 81-83) Einleitung zu seinem Memorandum »Die programmatische Aufgabe der Volksfront«, das Klepper mit Brief vom 29. Februar 1936 an Spiecker scWckte (Bl. 80). 5 Siehe Anm. 3. 6 Willi Münzenberg, »Angreifen!«, in: DFD-MDFB, 1937, Nr. 15, Januar, S. 3-8, Zitat S. 5; DVZ, 1936, Nr. 5, 31. Januar, S. 4, übernahm nur den voluntaristischen Teü aus Münzenbergs Artikel und die Passage über die Zusammenarbeit der Mitglieder der Arbeiterparteien in der »Kommission ¡zur Untersuchung der Veränderung des Lohns und der Lebenslage der deutschen Arbeiter in den vier Jahren der Hiderregierungmoraüsche< Fazit aus dem zweiten, »Die weitere Perspektive« aufzeigenden, Teü der Denkschrift. Dort sind De zugenommenen »Versorgungslücken« in den Sektoren Lebensmittel, Textil, Wohnung, De mfolge des Primats der Rüstungsindustrie auch Dcht mehr für umkehrbar erachtetet werden, sowie De Steigerung von Arbeitseinsatz und Arbeitsvolumen aufgeüstet. Wahrscheinüch wurde die Ende 1936 angekündigte gemeinsame Untersuchung über De Konsequenzen der Lohnsteigerungen in der Rüstungsindustrie noch begonnen. ED voüstänDger Text konnte jedoch Dcht gefunden werden. Merker aüein veröffenDchte unter seinem Pseudonym Martin Fuchs einen Artikel über »Arbeitslöhne und Kriegsrüstungen im Dritten Reich«.127 Anscheinend gingen De Meinungen schon weit auseinander und büeb die oben zitierte Formuüerung der Denkschrift Lohn freibleibende Makulatur. Eine Vorarbeit oder besser: Grundlagenarbeit zu dem geplanten Thema dürfte aüerdings mit der Denkschrift »Die Finanzsituation im Dritten Reich« vorüegen. Sie erschien in der zweiten Märzhälfte 1937 in französischer Sprache als erste (und wohl auch letzte) Nummer eines Dossier Allemand getauften hektograpDerten Periodikums!28 Drei sehr verschiedene Ereignisse hatten die Frage nach den Kosten der nationalsoziaüstischen Wiederaufrüstung provoziert: erstens der neue britische MDtäretat für De nächsten fünf Jahre in Höhe von 5 Milüarden Pfund Sterüng; zweitens De wenn auch von seiten der Reichsbank dementierte Nachricht —



der >Berüner

Opposition« an De Mitgüeder der KPD«, September 1937, Beüage I, 3: »Bezirksleitung x in y« (an das ZK der KPD), Juü 1936, S. 9f. t25 Denkschrift Lohn, S. 9. Ebd., S. 16. Siehe Die Internationale, 1937, H. 1/2, S. 25-35; Tarnschrift Deses Heftes: Otto Cato, Vorteile beim Schnellrechnen: Brüche, Neunerprobe, Zerfällungsmethode, Kettensatz (MiDaturbibüoDek 62), Leipzig: Verlag für Kunst und Wissenschaft Albert Otto PaD [1937], vgl. Gimg, Bibliographie der Tarnschriften 1933 bis 1945, München 1996, S. 150, Nr. 0685. 128 »La Situation financière du Troisième Reich«, in: Dossier Allemand, No. 1, Mars 1937, 7 S. hektograph., von Münzenberg mit Begleitbrief vom 23. März 1937 an »Cher Ami« 126 127

[Friedrich ADer, SAI] gescDckt, IISG, SAI, 1415/5 (Brief), 1415/6-12 (Dossier Allemand).

315

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

über Verhandlungen um eine deutsche Auslandsanleihe; drittens eine neuerliche Emission in Höhe von 700 Millionen Reichsmark.129 Auch bei der Beantwortung dieser Frage mußten die Bearbeiter der Denkschrift ein Manko wettzumachen versuchen.130 Da der Etat 1934/35 der letzte gewesen war, der im Dritten Reich veröffentlicht wurde, stützten sie ihre Berechnungen und Prognosen sowohl auf offizieüe deutsche Zahlen, die sich verstreut in verschiedenen Publikationen fanden, als auch auf vertrauliche bzw. vertraulich beschaffte Mitteilungen gut unterrichteter Kreise im Reich. Zum Vergleich wurden die Ergebnisse herangezogen, die einmal das engüsche Finanzblatt The Banker in einer umfassenden, detaillierten Untersuchung anhand deutschen offiziellen Zahlenmaterials, zum anderen der exilierte deutsche Ökonom Hans E. Priester in einer ebenfaüs auf offizieüen wie offiziösen Zahlen basierenden Studie vorgelegt hatten.131 Aüe im ganzen vorsichtigen Berechnungen behefen sich auf mindestens 30 Milharden Reichsmark an Geldern für die Rüstung bis Ende 1936. Dabei handelte es sich ausdrücklich nicht um (eine Annäherung an) die tatsächhchen Ausgaben die Rüstung war ja teüweise geheim und wurde entsprechend getarnt finanziert -, sondern um die Summe der Finanzierungsmittel, die sich hatte eruieren lassen aus: Steuermehreinnahmen gegenüber 1932; eingesparten Arbeitslosengeldern; Erträgen des Winterhüfswerks, der ssKoUekte der nationalen Arbeit« und der »Koüekte Adolf Hitler«; ssspezialefn] Wechsel[n]« des Reichs damit waren Wechsel mit einer nur formell für sechs Monate geltenden, in Wirklichkeit obhgatorisch stets zu verlängernden Laufzeit gemeint, zu denen hier auch die Arbeitsbeschaffungswechsel gezählt wurden,132 ferner Schatzanweisungen und Steuergutscheine sowie (Reichs-)Anleihen. Die Whtschaftskommission rechnete vor, daß das NS-Regime zur Finanzierung seiner Rüstung zwar eine monetäre Inflation (bisher) dadurch vermieden habe, daß es die Produktion der Verbrauchsgüter drosselte und durch allerlei Spendenaktionen und Preiserhöhungen Kaufkraft abschöpfte, jedoch eine Kredit-Inflation erzeugt habe. Dieses Ergebnis findet sich auch in der Denkschrift der Berliner Gruppe Deutsche Volksfront, Zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage Deutschlands, die —



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Die Reichsanleihe in Höhe von 500 Miüionen RM vom November 1936 wurde Anfang März 1937 um weitere 200 Miü. RM erhöht, vgl. Overesch/Saal, Chronik deutscher Zeitgeschichte, 2,1, S. 315 und S. 342; zur Finanz- und WirtschaftspoHtik bzw. zur Finanzierung der Rüstungen, siehe Wiüi A. Boelcke, Die deutsche Wirtschaft 1930—1945. Interna des Reichswirtschaftsministeriums, Düsseldorf 1983. no Folgende Ausführungen nach Dossier Allemand, No. 1 (siehe Anm. 128). "i Hans E. Priester, Das deutsche Wirtschaftswunder, Amsterdam: Querido-Verlag 1936. 132 Von den 1933 von Hjalmar Schacht (Reichsbankpräsident, ab 1934 auch Reichswirtschaftsminister) erfundenen Mefo-Wechseln vgl. Boelcke, Deutsche Wirtschaft, bes. S. 131 f. war im Ausland anscheinend Wchts Näheres bekannt; die Da folgenden Text zitierte Denkschrift der Gruppe Deutsche Volksfront in Beriin sprach neben den Arbeitsbeschaffungswechseln auch von »RüstungswechseW«. 129





316

Kommissionen des Pariser Volksfrontausschusses

unabhängig von Paris etwa zur gleichen Zeit entstanden ist und sich auf denselben Zeitraum bezieht. Hier sind allerdings manche Berechnungen nach einer anderen Methode durchgeführt worden, doch kommt man auch auf De Summe von 30 Müüarden Reichsmark zur Finanzierung der Rüstung.133 Viele Daten der Berüner Denkschrift sind gerafft, d. h, es werden nur Endsummen aufgeführt. Beziffert sind die Landwirtschaft unter den Aspekten »Ernährungslage« und »betriebswirtschaftüche Lage«; die Industriewirtschaft unterteüt nach »Rohstoff-Fragen«, »Betriebswirtschaftliche Bilanz«, »Ausbeutung der Arbeitskraft« —



und »Arbeitsmarkt«; zum Schluß ist De Finanzwktschaft nach Staats- und Gemeindehaushalten, nach Kreditverschaffung und nach der besonderen Roüe der Arbeitslosenversicherung dabei dokumentiert. Sowohl De Pariser und als auch De Berüner Denkschrift weisen darauf hin, daß De Art und Weise der Rüstungsfinanzierung im Grunde KapitalverDchtung sei, De überdies besonders De Deinen Banken, die Sparkassen und die (sozialen) Versicherungen bis an den Rand des Zusammenbruchs belaste. Doch während De Berüner Volksfrontler über eine Abwertung der Reichsmark spekuüeren, De schwere soziale Folgen nach sich ziehen werde, konzentrieren sich De Pariser auf die Gesamtwirtschaft: Eine ungehemmte weitere Kreditschöpfung und damit weitere Verschuldung des Reichs werde sich katastrophal auf sie auswirken. Der verabschiedete Vierjahresplan, der die gesamte Industrieproduktion in den Dienst der Vorbereitung des Krieges steüe, zerstöre genau den Sektor der Industrie, det sich für den Export eigne; damit schüeße Deutschland sich aus der internationalen Wirtschaftsgemeinschaft aus, wohin die Reichsbankführung es gerade habe führen woüen. Diese Schlußfolgerung der Wktschaftskommission des Pariser Volksfrontausschusses hält auch heutiger Forschung stand.134 Auf der Osterkonferenz 1937 des Volksfrontausschusses Delt Merker als Mitgüed der Wirtschaftskommission ein Referat über die »Lohnforderungen in der deutschen Arbeitsfront«, zugespitzt auf den Kampf um »Lohnausgleich für die Teuerung«. Daß er keinen UnterscDed zwischen den Branchen machte, war ebenso Ausdruck der neuen »Volksfront«-LiDe der KPD im Frühjahr 1937 wie De wiederum verstärkte Propagierung der legalen Arbeit in der Deutschen Arbeitsfront (DAF). In diese Konzeption paßt auch der Tenor des Berichts über einen Vortrag von Paul Hertz auf der Generalversammlung der Union für Recht und Freiheit Ende Aprü in Prag, in dem Gemeinsamkeiten mit der Auffassung der KPD suggeriert wurden. Den Bericht und Merkers Referat veröffenDchte -

IISG, SAI, 3565: Denkschrift Zur wirtschaftlichen und finanziellen Lage Deutschlands, 10 Ms, S., o.U., o. D., auch Dr folgendes; ebd., Nr. 3563: »Nachrichten, die veröffenDcht werden können«, 5 S. Ms, o.U., o.D. [etwa Mitte/Ende Mai 1937], enDält, wahrscheinüch von einem NB-Mitgüed in Berün zusammengesteüte, Daten über den »Umfang der Bürokratie«, den »Staatshaushalt«, die »Schwebende Schuld« und die Mitteilung zum »Faü Tuchaschwewski [Tuchacevskij]«, siehe oben, S. 189. 133



134

Vgl. Boelcke, Deutsche Wirtschaft. 317

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

Mai,135 nachdem sie bereits Anfang des Monats mit deutschen Wirtschaftslage und besonders zur Lohnfrage eigenen mehr und mehr die im Zeichen der »Versöhnung« standen, wie hatte, begonnen sie mit dem Aufruf des sZK der KPD< von Mitte Oktober 1936 propagiert worden war.136 Nach der Osterkonferenz, auf der Sternberg noch über ssDie Reserven HitlerDeutschlands in einem kommenden Krieg«, das »nächste« Thema der Wirtschaftskommission, wie es hieß, referierte,137 trat die Wirtschaftskommission nicht mehr zu konstruktiver Arbeit zusammen. Ehrmann hatte sich bereits um die Jahreswende 1936/37 aus Gründen beruflicher Weiterbildung und wie er später schrieb aus Abscheu über die Vorgänge in Moskau aus ahen Volksfront-Aktivi-

die DVZ

zusammen

Artikeln

Mitte

zur

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täten zurückgezogen.138 Auseinandersetzungen gab es spätestens schon im März, und sie wurden sofort auf die Ebene des Volksfrontausschusses übertragen. Sie —

DVZ, 1936, Nr. 20, 16. Mai, S. 4: »WoWn treibt die deutsche Wirtschaft? Ein Vortrag des früheren Reichstagsabgeordneten Dr. Paul Hertz«, und auf S. 7: »Djhnforderungen in der deutschen Arbeitsfront. Ixihnausgleich für die Teuerung. Rede des Genossen Merker auf der Volksfront-Tagung in Paris am 10. Aprü 1937«, als Zeitungsausschnitt auch im Gestapa BerUn archiviert siehe BA/K, R 58/564; die anderen Referate der Osterkonferenz waren noch im April, sei es durchweg gekürzt und/oder paraphrasiert, bekanntgemacht worden; zu Merkers Referat vgl. auch IISG, Neu Beginnen, 55: [Kirchner [d.i. Erich Schmidt], s¡Bericht über die VF-Konferenz. (9.), 10./11. April 37, Paris«, handschr. dat.: Mai 1937. 13Informationen< [gemeDt smd De Informationen von Emigranten für Emigranten ULA] versucht worden ist«. Ansteüe der monatüch herausgegebenen LEE soüte, einem Vorschlag des Centre de Liaison folgend, De Zeitschrift Fraternité neben der französisch- und der itaüenischsprachigen Ausgabe auch auf deutsch erscheinen. Drittens sollte das »FreundschaftsverhältDs zu den Franzosen« unter anderem durch De Mitarbeit von Hartmann und Markscheffel in der Redaktion der von der Secours Rouge herausgegebenen Zeitschrift Trait d'Union ausgebaut werden. Was dann auch geschah. Erster PrüfsteD für De unter Punkt 2 gesteüte Aufgabe war De Durchführung einer Gedenkfeier zur Märzrevolution von 1848 in Deutschland. Sie fand am Samstag, dem 22. März, statt, wiederum im von den Kommumsten aufihrer CGT orgamsierten Salle Susset. Den fast guten Verbindungen zur grund eintausend Menschen präsentierte der nunmehr Aktionsausschuß der deutschen Emigration sich nennende Arbeitskreis eine Mischung aus Kulturveranstaltung und Poütagitation. Mitgüeder der Bühnenvereimgung deutscher Künsder gestalteten den musikaüschen Rahmen und De Vorträge aus Schriften von Ferdinand Freiügrath, Georg Büchner, Heinrich Heine, ferner aus Karl Marx' und Friedrich Engels' Kommunistischen Manifest den Abschmtt »Der deutsche oder der >wahre< —





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noch Peter Maslowski über die Lage in Deutschland; zur Aktionsgemeinschaft proletarischer Jugendorganisationen vgl. E. R. Schmidt, Emigrantenjahre, S. 54ff. 155 Siehe, auch zum folgenden, BA/B: N 2040 (NL Robert Breuer), Nr. 3, Bl. 14-16: [Protokoü der] »GDndungssitzung des Arbeitskreises der deutschen Emigration««, datiert 11. März 1937, unterz. von Erika Biermann; De KPD hatte nominiert: August Hartmann, Siegfried Rädel, Johannes L. Schmidt und als Vertreter des KJVD Phiüpp und Jacques (d. i. Fritz Nickolay) letzterer war jedoch auf der Sitzung Dcht anwesend; De SozialdemoDaten hatten aufgeboten: Robert Breuer er wurde zusammen mit Hartmann zum Vorsitzenden gewählt —, von der SAJ deren orgaDsatorischen Leiter Günter Markscheffel und Erich Schmidt, der poütisch zu Neu Beginnen gehörte, einen namens Herold und De Juristin und Pubüzistin Erika Biermann, die im Internationalen Büro des RUP arbeitete, sie wurde Schriftffihrerin des Arbeitskreises. -

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323

Kampfjahre

A VI. Bilanz zweier

Sozialismus«.156 Die politischen Reden standen unter dem Motto: ssDurch unsere Uneinigkeit haben wir Deutschland verloren Durch unsere Einigkeit werden wir Deutschland gewinnen!« Die Arbeiterklasse war Objekt wie Subjekt, ob nun Breitscheid über die Bedeutung Frankreichs als Ausgangspunkt der 48er Revolution in Deutschland sprach, oder Robert Breuer der Gefaüenen in Berhn gedachte, oder Münzenberg von den Anwesenden enthusiastisch begrüßt, wie mehrfach vermeldet wurde eine Entwicklungslinie von der 1848 nicht zu Ende geführten Revolution zu den Fehlern und Versäumnissen von 1918 zog, in denen er die Ursache für die aktuelle Lage Deutschlands sah. Ungehört aus dem Munde eines deutschen Kommunisten war bisher in der breiten Öffentlichkeit die Vorsteüung, daß die »großen Aufgaben der proletarischen Revolution [...] gleichzeitig mit der versäumten demokratischen Revolution durchgeführt werden« müßten, um ssdie Voraussetzungen zu einem soziaüstischen und wirklich demokratischen Deutschland zu schaffen«. Mit dem anhaltenden Bestehen auf der Einheitsfront der sspolitischen Parteien der Arbeiterschaft, die der Hauptträger dieses Kampfes« sei und auf deren Grundlage erst die Volksfront »mit dem freiheitlichen Bürgertum« aufbauen könne, setzte er, unter Hinweis auch auf Spanien, seine Argumentation vom Jahresbeginn fort. Nach dieser wohl mitreißenden Rede wurde Die Internationale gesungen.157 Zum Abschluß fanden die vom Aktionsausschuß vorbereiteten, obhgatorischen Briefe an die in Hitler-Deutschland inhaftierten Antifaschisten, mit Namen Ernst Thälmann und Carlo Mierendorff, aügemeine Zu—





stimmung.158

Die Revolutionsfeier hatte an die für den 20. und 21. März geplante große »Volksfrontkonferenz der deutschen Opposition« anschließen und so auch die noch abseitsstehenden oder ganz unpolitischen Emigranten näher an die Politik heranführen soüen.159 Ursprünglich war wohl ein »Kulturkongreß« geplant gewesen, dessen Modahtäten unter einem gesonderten Tagesordnungspunkt auf der

Ursprüngüch war Erwin Piscator als künsderischer Leiter vorgesehen, vgl. Proto»Gründungssitzung des ¡ArbeitsDeises der deutschen Emigration« (siehe vorige Anm.); in einem Gestapo-Bericht sind aufgrund einer vertraulichen Mitteilung aus Prag die Künstler Hans Altmann, Steffi Spira, Günter Ruschin und Werner Zaan genannt, siehe BA/K R 58/586, Bl. 36: II A 4, BerUn, 20. JuU 1937; zum folgenden siehe ebenfalls 156

koU der

dort sowie PTZ, 1937, Nr. 285, 23. März, Titelseite, und Nr. 284, 24. März, S. If; DVZ, 1937, Nr. 13, 28. März, Titelseite. 157 Zitate und Paraphrasen nach PTZ, 1937, Nr. 286, 24. März, S. If.; vgl. DVZ, 1937, Nr. 13, 28. März, S. 1: »Märzfeier in Paris. Eine eindrucksvolle und bedeutsame Kundgebung der deutschen Volksfront«. 158 Text in PTZ, Nr. 285, 23. März 1937, im Anschluß an den ersten Kurzbericht über die Märzfeier. 'S« Vgl. [Protokoü der] »Gründungssitzung...« (siehe Anm. 155); BA/K, R 58/586, Bl. 33: »SD-Presse-Bericht«, 19. März 1937.

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Kommissionen des Pariser Volksfrontausschusses

Konferenz besprochen werden soüten.160 Da diese jedoch um drei Wochen verschoben wurde, stand De Feier etwas einsam kn Pariser Raum. Noch am Abend der Märzfeier hielt auch Rosi Wolfstein, offenbar beeindruckt von der großen Teünehmerzahl, es in einer Sitzung der PL der SAP für wünschenswert, De unpoütischen Emigranten in De Volksfront mit einzubeziehen. Kurz darauf trat die Parteileitung der SAP dem Aktionsausschuß tatsächüch bei. Neben der Aussicht, mögücherweise »poütisch umnteressierte Emigranten [...] in unsere Kreise« zu integrieren, bestimmten zwei weitere Überlegungen Desen Schritt. Berichte unter anderem aus Amsterdam besagten, daß durch Veranstaltungen wie die am 22. März restriktive Asylbedingungen eventueü durchbrochen werden könnten. Zudem stand die Weltaussteüung in Paris an, zu der sich vieüeicht gemeinsame Aktionen unter den Besuchern reaüsieren üeßen; dazu hatte De PL bereits Anfang März eine Zusammenkunft des Volksfrontausschusses

angemahnt.161

Der Aktionsausschuß der deutschen Emigration setzte somit vorerst zumindest De Zusammenarbeit der Vertreter der Arbeiterparteien im Volksfrontausschuß fort, allerdings auf einer anderen Ebene. Nicht De Beratung eines gemeinsamen Programms oder Aufrufs stand mehr im Mittelpunkt, sondern der für ideologische und parteipoütische Auseinandersetzungen so hoffte man wemger anfäDge Versuch, durch De Besinnung auf gemeinsame Geschichte und gemeinsames ScDcksal alle Emigranten ansprechen und für das nächsDegende Ziel der Volksfront, den aktiven Kampf gegen den Nationalsoziaüsmus und sein Regime, mobDsieren zu können. Mit dem Journaüsten und Historiker Carl Misch war spätestens im September, als der Aktionsausschuß der deutschen Emigration am 11. des Monats eine Gegen-MaDfestation zur »Deutschen Kulturwoche« in Paris abDelt, von der Zusammensteüung her gesehen wieder VolksfrontBreite erreicht.162 Abgesehen von der anderen Zielrichtung waren die kulturellen Aufgaben, die der Aktionsausschuß übernahm, insgesamt von viel bescheidenerer Art, als sie im Frühjahr 1936 anvisiert worden waren und einem spezieüen, mit umfassendem Auftrag ausgestatteten Kulmrausschuß angestanden hätten. —

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160 Vgl. SAPMO, Ry 1,1 2/3/287, Bl. 59-63: Feld und Robert [d.s. Merker und Bertz] [PB/Pieck in Moskau], 15. Februar 1937. 161 Siehe nacheDander ARBARK, SAP, 1, 9, 69: handscD. Protokoü der »[PL-]Sitzung vom 22. März [1937]«; AdsD, NL Brandt: RScD. Jim, 1937, Nr. 9, 25. Aprü, S. 3 (Zitat); ARBARK, 6, 50, 32: »SAP-D-Partei-LeitungVertreter der Sozialdemokraten« noch richtig bezeichnet; Buchholz erscheint als ssVertreter der hnksbürgerhchen Kreise«, gehörte jedoch zur SAP(-Jugend); daß Arndt (d.i. Karl Mewis) als ssVertreter der Kommunisten« aufgeführt ist, entspricht den parteipolitischen Tatsachen; daß an seiner SteUe in nachfolgend zitierten Dokumenten jedoch (Willy) »Brandt, SAP«, figuriert, mag so oder so auf einem Verhören bei den Informationsgesprächen beruhen. Andererseits ist es nicht ausgeschlossen, daß Brandt anstelle von Diamant unterschrieb, die Herausstellung eines SAPlers letztendhch aber als unerwünscht angesehen wurde; schließüch fehlt der Name von Marc Rein, der das Telegramm nach dem Besuch von Frank mindestens mitinitiiert haben dürfte. Breitscheid sohte auf der Juni-Konferenz des Volksfrontausschusses nach der Verantwortlichkeit für die Streichung des Namens fragen.184 -



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182



Siehe AdK-StA, NL H. Mann, Film Nr. 3453, falsch

korrigiert.

geschriebene Namen sind hier

183 Das Verlesen der vier genannten Telegramme ist kurz erwähnt im »Bericht über die VF.-Konferenz ...« (siehe Anm. 174); die Telegramme aus Madrid und Barcelona sind abgedruckt in: PTZ, 1937, Nr. 309, 16. April, zum letztgenannten vgl. auch das Folgende. 184 Vgl. auch zum folgenden, einschüeßUch des Zitats: IISG, Neu Beginnen, 48: »Zusammenfassung der Tatsachen und Hypothesen zum Fall Mark Rein in Barcelona«, 13.JuU 1937, o. U. [vermud. von K. Frank und P. Hertz verfaßt], Marc Rein Wer unter seinem NB-Namen »Juüus«; wenn der Name Reins vorgelesen worden wäre, hätte sein Freund Erich Schmidt dies sicherUch in seinem »Bericht über die VF.-Konferenz« (siehe vorige Anm.) vermerkt; vgl. Willy Brandt, Links und jrei, S. 250ff., sagt nichts über seine evd. Unterschrift; Mewis hatte woW am 8. April bei der von Rein arrangierten Zusammenkunft mit Diamant diesen gefragt, das Telegramm mit zu unterzeichnen, was —

334



Glanz und Elend

Marc Rein, Neu Beginnen zugehörig, hatte von 1934 bis zu seiner Abfahrt Paris am 1. März 1937 die Pariser SAJ-Gruppe poütisch geleitet. Nach Spanien hatte er sich als Radio-Ingemeur gemeldet, doch da die der Confederación Nacional del Trabajo (CNT aie anarchosyndikaUstische Gewerkschaft) unterstehende Rüstungsfabrik Télécommande in Barcelona, in der er arbeiten soüte, noch mcht betriebsfertig war, bemühte er sich zunächst darum, »eine Volksfront« der deutschen Emigration in Katalomen herzusteüen«. Er nahm Kontakte zu deutschen sozialdemokratischen, soziaüstischen, kommunistischen Emigranten und Emissären in Barcelona und Valencia auf, u. a. zu Biermann, Thomas Schocken, WDy Brandt, Max Diamant, Karl Mewis und Franz Dahlem. Die Einbeziehung deutscher Anarchosyndikaüsten, zu denen Rein selbst noch kerne Verbindung aufgenommen hatte, soüte wohl in einem Gespräch am 12. Aprü erörtert werden. Es ist De eindeutig geklärt worden, ob Chantage gegen seinen Vater Rafael Abramovic, Menschewik und Mitgüed der Exekutive der SAI, oder vermutete oder tatsächüche Verbindungen zu weiteren (mißüebigen) spamschen Orgamsationen gewiß sind Verbindungen zur CNT und, mindestens über Diamant und Brandt, zum POUM -, De der kommunistischen Poütik im Wege standen, den Ausschlag dafür gegeben haben, daß er am Abend des 9. Aprü 1937 ein, höchstwahrscheinüch noch eimge Zeit am Leben gehaltenes, Opfer staümstischer Repressionen in SpaDen wurde. Vieüeicht wkd sich in bisher Dcht ausgewertetem Material noch etwas Enthüüendes finden,185 es spielt jedoch für De queüenmäßig belegten Reaktionen vor aüem auf seiten von Neu Beginnen und SAP und De Gegenaktionen von KPD-Seite keine relevante Roüe.186 Der Faü Marc Rein und die Obstruktionen vornehmüch auf kommunistischer Seite, ihn aufzuklären, soüten in den nächsten Monaten das Verhältms in und um den Volksfrontausschuß herum belasten, doch wogen andere Faktoren noch viel schwerer. Auf sie werde ich mich, sofern das mcht schon im Zusammenhang mit dem Spamschen Bürgerkrieg und den Moskauer Prozessen und der Berüner Gruppe Deutsche Volksfront und der Wktschaftskommission geschehen ist, denn auch in den folgenden Abschmtten konzentrieren. Am 10. April vermochte »SpaDen« De meisten der in den Salles de Fêtes Versammelten noch zu einen. Die erfolgreiche Abwehrschlacht bei Guadelajara und De Eroberung der Stadt VUlaharta durch repubükamsche Regierungstruppen und BataDone der Internationalen Brigaden D der zweiten Märzhälfte gaben den Hoffnungen auf einen Sieg neue Nahrung. So galten auch unter der Parole »Das Geaus





Deser aber Dcht tat, da er seiner Rückreise nach Paris keine unnötigen Schwierigkeiten auf den z. T. ülegalen Pfaden in den Weg legen woüte, vgl. PA ULA: Notizen Gespräch ULA mit Diamant; zur JuD-Sitzung siehe unten, S. 357-359. 185 Siehe z. B. SAPMO, Ry I, I 2/3/405, noch Dcht ausgewertet. 186 Vgl, auch zum folgenden, von zur Mühlen, Spanien, S. 194fft, auf S. 198 ist Walter (ohne »h«!) Schevenels irrtümüch als »SAI-Generalsekretär« anstatt als IGB-Sekretär auf-

geführt. 335

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

sieht unserem Lande zu!« die kämpferischsten Teile der, in Übereinstimmung mit den Moskauer Beschlüssen vom Februar und März auf Innerdeutschland und Spanien konzentrierten, Rede Münzenbergs, die offiziell unter dem Titel »Die Entwicklung der deutschen Einheits- und Volksfrontbewegung seit ihrer Gründung« stand, bündnispohtischen Visionen und soziahstischen Zukunftsentwürfen. Münzenbergs Auftritt ließ nichts von der tiefen Depression erkennen, die Kurt Kersten ihm später attestierte; doch er wußte seine Sorgen und Ängste vor der Außenwelt gut zu verbergen.187 Zum Mißfaüen von Ulbricht und Genossen, zur Genugtuung jedoch der meisten anderen, voran der SAP-Vertreter, erteüte er, der im Namen der Gesamtpartei sprach, der Weimarer Republik eine radikale Absage und propagierte die Republik »von Madrid« für ssdie kommende deutsche Republik«. In der vereinten kampfgewfüten Kraft so vieler verschiedener Volksangehöriger und Nationalitäten in Spanien sah er die Volksfront Realität werden; sie war ihm der ssneue Mythos, die Ablösung des nationalen Wahns und des Aberglaubens an das arische Blut«.188 Manchen Zuhörern war hinterher nicht klar, ob Münzenberg nun Vorbereitungen auf den Krieg wirklich kategorisch ablehnte und alle Kraft auf die Verhinderung eines Krieges gesetzt wissen wohte so verstand ihn z. B. Sternberg, der entgegenhielt, daß die Verhinderung eines Krieges unwahrscheinlich, ssVorbereitung darauf eine dringhehe Aufgabe« sei189 -, oder ob er für ssBerhn«, analog zu »Madrid«, die Perspektive eines bewaffneten Kampfes um Freiheit, Demokratie und Frieden eröffnete. Die Pariser Tageszeitung titelte am 11. Aprü auf der ersten Seite über den ersten Berichten und Redetexten: ssEinigung zum Befreiungskampf«, darunter stand auch Robert Breuers Artikel »Der Aufmarsch in —

187 Kurt Kersten, »Das Ende Wiüi Münzenbergs. Ein Opfer Staüns und Ulbrichts«, in: Deutsche Rundschau, Jg. 83 (1957), S. 484-499, hier S. 490; vgl. Langkau-Alex, »WiUi Münzenberg im Exil...«, S. 179. 188 Zitat der Parole Münzenbergs nach Rundschau (Basel), 1937, Nr. 16, 15. April, S. 632: »Auf dem Wege zur deutschen Volksfront«, datiert: »Paris, 13. Aprü« (unter der ständigen Rubrik »Kampf um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse«), vgl. die Übersetzung »Face à notre pays«, in: L'Humanité, 1937, 18. Aprü, S. 2: »Une Conférence Historique à Paris. Le Front Populaire aüemand en voie de formation«, dort ebenfaüs, daß Münzenberg von der »Volksrevolution« gesprochen habe: ssLes multiples mouvements oppositionnels et de lutte devront se coordonner et ainsi Us deviendront la révolution populaire«; Zitate von der Weimarer und der Madrider Republik nach Protokoü von Walcher, »10./IV.« (siehe Anm. 177), vgl., ebenfaüs für die übrigen Zitate, PTZ, 1937, Nr. 304, 11. April; dergleichen Passagen finden sich nicht in DVZ, 1937, Nr. 15, 11. April, wo auf S. 1-2 unter dem Titel »Wiüi Münzenberg: Die Volksfront wird siegen. Zur Pariser Konferenz der deutschen Volksfront«, das Original-RedemanusDipt abgedruckt zu sein scheint, von dem Münzenberg jedoch den Chronisten zufolge abwich; vgl. auch Rundschau (Basel), Nr. 15, 8. April, S. 611f: WiUi Münzenberg, »Zur Konferenz der Deutschen Volksfront«. 189 [Kirchner], »Bericht über die VF-Konferenz ...« (siehe oben Anm. 174), S. 3.

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Glanz und Elend

Deutschland. Auf dem Weg zur deutschen Volksfront«. Mehr Klarheit über Münzenbergs Idee gibt eine Passage aus seinem Brief an Staun vom 14. Juü 1937: >Die dringüchste Aufgabe, De mühsamste und entsprechend die schwerste, De unsere Partei heute zu erfüüen hat, ist die: mit aüen zur Verfügung stehenden Mitteln und mit Hufe aüer Gruppierungen und Personen in Deutschland und im Ausland De Mögüchkeit, daß das Hiderregime einen Ausweg in einem Krieg sucht, hinauszuscDeben und wenn mögüch gänzüch zu verDndern. Und für den Faü, daß Des Dcht genügt, muß schon jetzt, während der Sammlung der Kräfte, Vorbereitung getroffen werden, daß nach einer Kriegserklärung die größtmögüche Zahl aüer Hidergegner in der kürzestmögüchen Zeit in einer revolutionären Bewegung zum Sturz des Hitlerregimes zusammengefaßt werden kann.«190 In seiner Eröffnungsrede hatte Heinrich Mann De Zuhörer schon auf das Beispiel der Volksfront in und für SpaDen und auf das der mnerdeutschen Gruppe Deutsche Volksfront (ohne Nennung des genauen Namens und des Ortes) Dngewiesen. Bemerkenswert an der Rede ist erstens: der Ausbruch eines großen Krieges wkd Dcht mehr als genereü verDnderbar, sondern leDgüch als »durch De Stärkung der internationalen Friedenskräfte«, wozu der bewaffnete Kampf in Spanien ebenso gerechnet wkd wie jede Form des Widerstandes in Deutschland, DnausscDebbar gesehen. Zweitens wird De Frage »Was wül De deutsche Volksfront?« mit der bisher in diesen Kreisen ungehörten Staats- und Gesellschaftsverfassung einer »demokratische [n] Volksrepubük« beantwortet; sie werde »mcht die folgenschweren Fehler und Schwächen von 1918 wiederholen«.191

190

Teilweise

sich an Münzenbergschen Texten orientierende RückULA nach der etwas wkren franz. Übersetzung der Sûreté française D: Communisme, 1994, Nr. 38/39 (siehe dazu oben Anm. 100 dieses Kapitels), Dok. 1, S. 4555, Der S. 54, De ganze Passage ist dort hervorgehoben; zur Übersetzung vgl. Anm. dort auf S. 45, dort auch, daß der deutsche Originalbrief sich in Moskau, wahrscheinüch in den Archiven Staüns befindet meine Nachfrage vom 7. Aprü 2004 beim Rossijskij gosudarstvennyj arcDv social'no-poüticeskoj istorü (RGASPI) wurde am 23. April beschieden: »... Dere is no any W. Muenzenberg's letter to Staun«; vgl. auch Wüü Münzenberg, Aufgaben einer deutschen Volksfront, Sonder-Nr. der DFD-MDFB, erweiterter Sonderdruck aus New Masses, New York, Mai 1937 Des schemt eine Kombination der Rede auf der Revolutionsfeier vom 22. März 1937 und der auf der Ostertagung zu sein, ergänzt noch um die Passage »Kampf um De demokratische Volksrepubük«. »i PTZ, 1937, Nr. 305, 12. ApD, S. lft: »Heinrich Manns Eröffnungs-Rede auf der deutschen Volksfront-Tagung«, Zitate nach der textidentischen Broschüre Was will die deutsche Volksfront? Rede von Heinrich Mann auf der Tagung des Ausschusses zur Vorbereitung der deutschen Volksfront am 10. und 11. April 1937, hrsg. als Sonder-Nummer von Das Freie Deutschland. Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek, Paris [1937], Der S. 8 und 9; Di Innern ist der Abdruck von H. Manns Rede mit der Überschrift versehen: »Für die demokratische Volksrepubük! Heinrich Manns großes Angebot an aüe Hidergegner zur bDderüchen VereiDgung Drer Kräfte«.

übersetzung

interpretative, d. h.

von

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A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

Ein Artikel von Ackermann, der dieses »Kampfziel« propagierte, erschien erst Ende Mai oder Anfang Juni in Die Internationale?92 Ulbricht zufolge war Heinrich Mann lediglich die KPD-Losung der s>demokratischen Republik« vorgegeben worden.193 Welche Bedeutung man im ZK-Sekretariat der Propagierung der »demokratischen Volksrepublik« gerade durch Heinrich Mann als dem Vorsitzenden des Volksfrontausschusses dann doch beimaß, erheüt indirekt aus den Veröffenthchungen der Rede in verschiedenen kommunistischen Periodika und der Ausstrahlung über den Deutschen Freiheitssender 29,8?94 (Die Losung ssdemokratische Volksrepublik« werde ich in Teü B näher analysieren, ebenso den Entwurf eines möglicherweise quaütativ anderen Bündnisses der Arbeiterbewegung mit Bürgertum und Bauern, den Georg Bernhard auf der Osterkonferenz —

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lancierte.195) Höhepunkt des Wechselbezugs Spanien—Innerdeutschland war der Besuch einer zwölfköpfigen Delegation der spanischen Cortés, die zu einer Konferenz über s¡Spanien und die koüektive Sicherheit« am 8. Aprü in Paris und zu anschließenden Gesprächen mit französischen Abgeordneten angereist war, mit ihrem Präsidenten Diego Martinez Barrio an der Spitze. Dessen Rede wirkte selbst auf den müden Breitscheid belebend, der zuvor ton- und perspektivlos sein Referat über s>Die internationale Steüung des Dritten Reiches« vom Blatt gelesen hatte, wie Erich Schmidt vermerkte. Die Gesamtwhkung von Barrios Rede schilderte Schmidt, sich wohl etwas mokierend, so: »Es entstand eine gehobene Stimmung, die spanfische] VF grüßt die deutsche, wir hier sind das andere Deutschl[an]d, wir sind der fortschritthchste Teil der antifaschistischen] Bewegung.«196

Anton Ackermann, »Die Volksfront und die demokratische Volksrepublik«, in: Die Internationale, 1937, H. 3/4, S. 36f; zum Erscheinungsdatum Mai oder JuW siehe oben 192

Anm. 13 dieses Kapitels. 193 Siehe GDW, Sammlung Rote Kapeüe: W[alter Ulbricht] an »Gen. Diehls« [d.i. Dimitroff], 27. April 1937 (siehe auch oben Anm. 93). 194 Siehe DVZ, 1937, Nr. 16, 18. April, S. 3-4; RF, 1937, Nr. 2 (Reichsausgabe) [frühestens Ende April erscWenen], S. 3; Rundschau (Basel), 1937, Nr. 18, 29. April, S. 709f; daß die PTZ die Rede H. Manns auf S. 2 unter dem Kopf »Die demokratische Volksrepubük ist das Ziel« fortsetzte, führte zumindest die AL der SAP auf den Druck von Seiten des ZK-Sekretariats zurück; siehe auch oben Anm. 191 und vgl. demgegenüber Ulbricht im Brief an Pieck vom 4. Mai 1937, siehe ausführücher unten Anm. 217 und zugehöriger Text. 195 Georg Bernhard, »Das Problem der Volksfront«, in: PTZ, 1937, Nr. 304, 11. April, S. 1; Bernhard stand ursprüngüch Weht auf der Tagesordnung, doch das Referat von Denicke über »Die finanzieUe und wirtschaftliche Lage des Dritten Reiches« fiel wegen ErDankung des Redners aus. 196 [Kirchner], »Bericht über die VF.-Konferenz ...« (siehe Anm. 174), S. 3; die Spanienkonferenz im Maison de la Chimie war gemeinsam veranstaltet von Rassemblement Universel pour la Paix, Ligue des droits de l'homme, Verband der französischen Völkerbundsüga und -

338

-

Glanz und Elend

Die

Cortès-Delegation nahm eine Empfehlung der Konferenz an die spamsche repubükaDsche Regierung mit; sie besagte, man möge den Angehörigen aufgefundener toter deutscher Soldaten, De auf Seiten Francos gekämpft hatten, über eine Spamsche Botschaft offizieü Nachricht über das Faktum zukommen lassen

und auf demselben Wege authentische Lage- und ErlebDs-Briefe deutscher Gefangener nach Hause befördern.197 Gäste aus den Reihen der französischen Front populaire-Organisationen sind mcht bezeugt. In der aügemeinen Aussprache gegen Ende der Konferenz wurde selbst über mangelnde Zusammenarbeit, Unwissenheit und Verständmslosigkeit der »französischen] Genossen« geklagt und Aufklärungsarbeit für nötig gehalten.198 Für das Bestreben, Einigkeit, Erfolge und Optimismus den Gästen gegenüber zu demonstrieren, zeugt das unter Tagesordnungspunkt 5 gehaltene Referat von Friedrich Wühelm Wagner über den »Kampf um De Hufe für De poütischen Gefangenen«. Kritik an Volksfrontarbeit und Programm vor versammeltem Pubükum wurde mögüchst vermieden. Eine kurze Debatte gegen oder für »Demokratie« und den Stellenwert von »Weimar«, De hauptsächüch von Breitscheid, Rosi Wolfstein und Wagner ausgetragen wurde, schlug keine hohen Weüen. Die meisten Teünehmer waren wohl froh, daß sie sich einmal aussprechen und austauschen konnten, z.B. über De ohneWn an den Rand gedrängte Frauen- und Jugendarbeit oder über De Erfahrungen mit Degal in Deutschland arbeitenden Gewerkschaftlern und deren VerhältDs zur Volksfrontbewegung. Hier kamen einmal strikte Ablehnung, zum anderen der Wunsch, »den Gewerkschaften auch De poütischen Aufgaben zu übertragen«, und zum dritten Bereitschaft zur Zusammenarbeit aus pragmatischen Erwägungen auf den Tisch.199 Zu Sternbergs Perspektive in seinem Referat über »Die Reserven Hider-Deutschlands in einem kommenden Krieg«, daß der Krieg mögücherweise »in aüen hochkap [kaustischen] Ländern eine revolutionäre] Situation« entstehen lassen werde, schwiegen die anscheinend mehrheitüch verärgerten Kommunisten. Eine Diskussion zu den Referaten fand mcht statt, auch der vorbereitete Aufruf wurde ohne Widernoch am Abend des ersten Tages einstimmig anspruch oder

Änderungsantrag

genommen.200

Weltkomitee gegen Krieg und Faschismus, vgl. PTZ, 1937, Nr. 303, 10. ApD, S. 3; Rundschau (Basel), 1937, Nr. 16, 15. ApD, S. 639f; zum Referat Brekscheids siehe PTZ, 1937, Nr. 304,11. ApD. 197 AdsD, NL Brandt, RSchr. Jim, 1937, Nr. 9, 25. ApD, S. 4; den Antrag hatte De SAP eingebracht. 198 [Kirchner], »Bericht über De VF.-Konferenz ...« (siehe Anm. 174), S. 4. 199 Ebd., Zitat S. 2. 200 Ebd., auch zum folgenden; zu den Referaten von Merker und Sternberg siehe oben, S. 317f., ob auch Pick neben den beiden über Themen der Wirtschaftskommission,

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A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

Hinter den Kuhssen freihch hatte die Redaktionskommission sie bestand den am Vorabend bestimmten Ulbricht, Walcher und Schmidt (nachdem Breitscheid verzichtet hatte) sowie den am ersten Konferenztag hinzugezogenen Bernhard und Pick recht heftige Auseinandersetzungen ausgetragen um die s¡demokratische (Volks-)Republik«, die die Kommunisten als Ziel der Volksfront in ihren Entwurf der »Botschaft an das deutsche Volk« hineingeschrieben hatten. Am Ende einigte man sich darauf, die künftige deutsche Staatsform wegzulassen; jedoch setzten die vier Nichtkommunisten gegen Ulbricht die Festlegung auf ein »sozialistisches« Deutschland durch. Trotzdem druckten die kommunistischen Zeitungen, bis auf Kommunistische Internationale und Die Internationale, den Text, ebenso natürlich u. a. die Pariser Tageszeitung, die sich in diesen Tagen ohnehin als ein Sprachrohr des Volksfrontausschusses gab.201 Die Pravda übernahm in ihrer Ausgabe vom 19. Aprü 1937 den Bericht von L'Humanité über die »Konferenz der deutschen Antifaschisten in Paris«; über den Inhalt der ssBotschaft« jedoch hieß es lediglich, sie rufe zur Einheit des ganzen deutschen Volkes gegen Hitler auf. Ebensowenig erwähnte Le Populaire, daß die s¡Botschaft« ein »sozialistisches« Deutschland propagiere. Die französische Übersetzung des voUständigen Textes wurde in diesen Fällen also negiert oder sie lag zur Zeit der Berichterstattungen noch nicht vor.202 Das Echo auf die Osterkonferenz 1937 war gemischt, lange nicht so breit gefächert und so heftig pro oder contra wie nach der Lutetia-Konferenz vom 2. Februar 1936. Die Einschätzung reichte von »wunderbar [..., ich] komme nicht —

aus



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eventueü zu Lohnftagen, sprach oder auch nur kurz in der aügemeinen Aussprache Stellung nahm, geht aus den QueUen Weht eWdeutig hervor. 201 Siehe W[alter Ulbricht] an Diehls, 27. Aprü 1937 (siehe Anm. 193); (Teü-)Abdrucke der »Botschaft an das deutsche Volk« in: DVZ, 1937, Nr. 16, 18. April, S. 1; Rundschau (Basel), 1937, Nr. 17, 22. Aprü, S. 668, unter der Rubrik »Kampf um die Aktionseinheit

der Arbeiterklasse«: »Die werdende Deutsche Volksfront an das deutsche Volk«; RF, 1937, Nr. 2 (Reichsausgabe) [frühestens Ende Aprü erschienen], S. If.; Norddeutsche Tribüne, Nr. 3, JuW 1937, darin ebenfaUs Abdruck des Zehn-Punkte-Programms der Berüner Gruppe Deutsche Volksfront Sywottek, Deutsche Volksdemokratie, S. 70f., hat die Behauptung, »kein KPD-Organ« habe die »Botschaft« abgedruckt, wohl bUndüngs von Babette Gross übernommen-; PTZ, 1936, Nr. 305, 12. April, S. 1; DI, 1937, Nr. 173, 13. Aprü, rosa Beüage; NWB, 1937, Nr. 17, 22. April, S. 528-530; auszugsweise W: NF, 1937, Nr. 8/9, Anfang Mai, S. 2, in der redaktioneüen Einleitung ist als Konferenztag merkwürdigerweise das ursprüngUche Datum des 20. März angegeben; die »Botschaft« ist auch abgedruckt im Anschluß an H. Manns Rede, in: Was will die deutsche Volksfront? (siehe oben Anm. 191); siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 35. 2°2 Vgl. BA/K, R 58/586, Bl. 57-58 (oder handschr.: Bl. 11-12): »Übersetzung aus der ¡Prawdadrei Wochen« erzielte möghche Verständigung auf der Basis eines Kredits von Seiten »zweiferj Freunde Georg Bernhards« und, als Gegenleistung, der Verpflichtung zum Erhalt des PT selbst und seiner politischen Unie, zu s¡geordneter Buch- und Betriebsführung« und wenigstens teilweiser Re-Investierung des Gewinns in das Blatt sowie Erweiterung des Mitarbeiterkreises plötzüch verworfen, statt dessen s¡das Kampfblatt der Emigration [...] zum Gegenstand des Schachers und des Verrats an das Dritte Reich gemacht zu haben«. Sie forderten ihn auf, ssuns vor einem ordentlichen Gericht Rechenschaft und Antwort zu stehen oder es zu wagen, einem aus Persönlichkeiten der Emigration gebüdeten unparteüschen Schiedsgericht gegenüberzutreten«. Richard Lewinsohn, den Poljakov noch am tur
Pariser Tageblattes« entwickelt hatte, in dem gegen den weißrussischen Verleger Poljakow ein Vorstoß unternommen wurde, indem ihm unter der BeschDDgung, daß er das >Pariser Tageblatt« an Göbbels verkaufen woüe, der Verlag aus den Händen gerissen werden soüte.

373

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

Jahr 1937 hinein verschiedenthch mit Wolff, nach dem Coup juristischer Eigentümer und Direktor der Pariser Tageszeitung, wegen Krediten für die PTZ verhandelte. Vieüeicht auch wohte Münzenberg sich nicht selbst ins Zwielicht

ins

und Schwarzschüd hatten seit etwa Herbst 1935 die Idee eines der »Gesamtverlags Emigration« mit einer Tageszeitung, wozu sich das gut eingeführte, aber in Nöten verkehrende Pariser Tageblatt geradezu anbot, besprochen. Bereits seit den Anfangen der Einigungsbestrebungen innerhalb der politisch motivierten Emigration in Paris hatte Schwarzschüd mit der Redaktion des PT Gespräche über eine administrative, technische und bürobezogene Arbeitsgemeinschaft geführt. Finanzieüe Unterstützung für den anvisierten »Gesamtverlag der Emigration« dürfte (auch) von der KPD erwartet worden sein, doch scheint Schwarzschüd ebenfalls Hugo Simon als Geldgeber in Betracht gezogen zu haben, zu dem, wie wir sahen, auch Münzenberg gute Beziehungen unterhielt.273 Bereits im Mai 1934 hatte Poljakov Schwarzschüd durch Caro die Chefredaktion des PT antragen lassen, doch hatte dieser nur annehmen woüen, wenn Bernhards ssAustritt ein fait accompli sei«, wie er selbst dem Rivalen mitteüte.274 Die Ende Mai/Anfang Juni 1936 in Paris kursierenden Gerüchte, daß Bernhard eine Professur in den USA erhalten und also nicht zurückkehren werde, dürften Schwarzschüds Bestrebungen neue Nahrung gegeben haben.275 Doch schwieg er sich offenbar gegenüber Münzenberg, der persönhch und in seiner Funktion als Sekretär des Volksfrontausschusses inzwischen bessere Kontakte zu Bernhard, dem steüvertretenden Ausschußvorsitzenden, entwickelt hatte, über die Aktionen und Absichten der PT-Redakteure aus, erst recht über seine eigenen Ambitionen. Mit dem Beharren auf Bernhard als Chefredakteur womit auch dessen Rückkehr feststand -, das Wolff und Caro mit dem Einsetzen von Namen und Funktion ins Impressum der ersten Nummer der Pariser Tageszeitung manifestierten, mußten auch Schwarzschüds Träume verfliegen. setzen.

Denn

er



b. Für und Wider einen Untersuchungsausschuß276 Am späten Nachmittag von Freitag, dem 12. Juni, erfuhren die Mitgheder der Organisationskommission des Volksfrontausschusses GrzesinsD, Leonhard, —

Die treibende Kraft war dabei ein Mann namens Wolfif], der früher einmal KommuWst und eine ziemüch zweifelhafte RoUe spielte.« 273 Vgl. auch Bericht der Minderheit, S. 4L 274 Ebd., S. 38; vgl. Redaktion PTZ, Affaire Poliakow, S. 24, 26 und dazu Anlage Nr. 5: Schwarzschüd an Bernhard, 18. Mai 1934 (daraus Zitat). 275 Vgl. Bericht der Minderheit, S. 38 und passim. 276 Zum folgenden siehe auch, auf dem Dossier »Pariser Tageblatt« im IISG beruhend, Ursula Langkau-Alex, »Von den Moskauer Prozessen zu den Pariser ¡ProzessenPariser Tageblatt« gegen Poljakoff«.277 Mehring dürfte vor aüem berichtet haben,

ihrer im Büro Schwarzschüds

-

daß Lewinsohn beim Verlassen der Druckerei überfaüen und mit einem Messer erhebüch verletzt worden war, höchstwahrscheinüch von Druckern, die Caro und Wolff ergeben waren. In der Druckerei war nicht nur De neue Pariser Tageszeitung, sondern, wie eh und je, auch das Pariser Tageblatt hergestellt worden. Poljakov verwahrte sich in der Ausgabe vom 12. Jum gegen De Anschuldigungen und drohte den »Urheber[n] und Verbreiterfn] der Verleumdungen gegen den Begründer des wichtigsten Kampforgans der deutschen Emigration« mit Klagen vor französischen Gerichten.278 Diese gewann er in den Jahren 1937 und 1938 auch, ebenfaüs Verfahren vor Ehrengerichten. Am Montag, dem 14. JuD 1936, indes erschien mit der 913. auch die letzte Nummer des Pariser Tageblatts; Lewinsohn hatte resigmert demissioDert, De Redakteure hatten u. a. De Vertriebskartei mitgenommen; Poljakov war mit dem Verlust des PT geschäftlich rukkert. Nach Mehrings Bericht hielten De am 12. JuD und nicht, wie aufgrund des »Berichts der Minderheit« kn Untersuchungsausschuß D De Literatur eingegangen ist, am 11. JuD kn Büro von Schwarzschüd Versammelten »es D ihrer Mehrheit für richtig, da ein erhebüches Interesse der gesamten deutschen Emigration Derbei auf dem Spiele steht, einen fünfgüedrigen Untersuchungsausschuß einzusetzen, um die Angelegenheit zu prüfen«. Schwarzschüd, Münzenberg, Grzesinski und Leonhard steüten sich sofort zur Verfügung, Ds unabhängiger Vorsitzender soüte Heinrich Rheinstrom fungieren. Dieser Ökonom und Jurist war laut Protokoü nicht anwesend, laut seinem Brief an Münzenberg aber mindestens gegen Ende der Zusammenkunft zugegen. Aufgabe des »Untersuchungsausschusses der Emigration« soüte sein, »Personen [zu] vernehmen und Dokumente [zu] prüfen und dann zu einem Urteil [zu] kommen, das der gesamten Emigration bekanntgegeben wird«. Die erste Sitzung wurde auf den 16. JuD festgelegt.279 -

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277 IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 8: Schlußnotiz im »Protokoü der Organisationskommission der Volksfront am 12. Juni 1936 nachmittags 3 Uhr im Büro von Hr. Schwarzschüd. 56, rue Faubourg St. Honoré«, Ds von As, »gez. Grzesinski«; es fehlen dort De Blätter 1—7 des Dossiers, damit auch der Anfang des Protokoüs, das sich jedoch, mit dem Wordaut der »Schlußnotiz« als »NS« auf S. 2, Di LA Berün, Rep. 200, Acc 3938 (Teü-NL Grzesinski), Nr. 2, befindet. 2™ »Erklärung des Verlegers«, in: PT, 1936, Nr. 912, 12. JuD, S. 1. 279 Vgl. IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 8: Schlußnotiz im »Protokoü der OrgaDsationskommission der Volksfront...« (siehe Anm. 274), daraus De Zitate; ebd., Bl. 9: Rheinsttom an Münzenberg, 15. JuD 1936, Ds von As, auf der Rückseite kurze Anschreiben [von Rheinstrom] an Schwarzschüd und von GrzesDski an Breitscheid, ebenso weitere Korrespondenzen im genannten Dossier.

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A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

In den nächsten Tagen betätigte sich Schwarzschüd, der bereits 1935 im Falle Westland— neben u. a. Bernhard in dem vom Verband deutscher Journahsten in der Emigration eingesetzten Untersuchungsausschuß Erfahrung hatte sammeln können,280 als Vermittler zwischen den und selbst innerhalb der auch intern keineswegs einigen streitenden Parteien, um zu eruieren, welche Personen für den Untersuchungsausschuß geeignet und ahseits annehmbar wären. Ahe personeüen Vorschläge und Gegenvorschläge waren geprägt von einem hohen Maß an Proporzdenken, persönhchen Animositäten und politischen Aversionen. Da Walcher offenbar als einziger gegen einen Untersuchungsausschuß votierte, hatte die SAP das Nachsehen gegenüber den Sozialdemokraten (GrzesinsD oder Franz Hirschler, der ein französisch-deutsches Anwaltsbüro mit betrieb), den bürgerlichen Inteüektuellen (Schwarzschild), den »Demokraten« (Rudolf Leonhard) oder statt dessen den »Kathohken« (Werner Thormann), den von einigen gänzlich abgelehnten Kommunisten (Münzenberg oder ein anderer von der KPD zu Benennender),281 und einem »neutralen« Vorsitzenden, der in den Reihen der Fédération des Emigrés d'Allemagne en France (FEAF) gesucht werden soüte. Letztgenannten Vorschlag hatte Rheinstrom unterbreitet; er selbst nahm vom Vorsitz Abstand, da er sich, wie ihm nach Lektüre der von Münzenberg und Schwarzschüd übersandten Briefwechsel deuthch wurde, ssmit diesem summarischen Verfahren aus verschiedenen Gründen nicht einverstanden erklären« konnte.282 Seine Argumentation, daß der Volksfrontausschuß wohl nicht als Gesamtvertretung der Emigration angesehen, deshalb auch weder die Autorität noch die Legitimation besitze, um von sich aus tätig werden zu können, sondern abwarten müsse, bis er angerufen werde, machten sich schheßhch GrzesinsD, Breitscheid und Münzenberg zu eigen. GrzesinsD meinte noch, daß für den Faü eines Konsenses über die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Georg Bernhard in seiner Eigenschaft als Präsident der FEAF nach seiner Rückkehr aus den USA der Vorsitz gebühre. Schwarzschüd fühlte sich nunmehr nicht nur persönhch brüsDert, er sprach auch von der Desavouierung des Volksfrontausschusses. Mit der rhetorischen Frage: s>Wird die Emigration den Ruhm ernten, auch in dieser Sache zu keiner positiven Regung fähig gewesen zu sein?«, verknüpfte er diesen wie er es sah —

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280 Dies ist das einzig Neue zum Faü PT/PTZ, das Markus Behmer, Von der Schwierigkeit, gegen Illusionen zu kämpfen. Der Publizist Leopold Schwarzschild Leben und Werk vom

Kaiserreich bis zur Flucht aus Europa, Münster 1997, dem bisherigen Forschungsstand Wnzufügen kann (S. 572, Anm. 508). 281 Die in den Klammern genannten Personen waren nacheinander oder gleichzeitig im Gespräch. 282 IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 9: Rheinstrom an Münzenberg, 15. JuW 1936, mit kurzem Anschreiben scWckte er auch einen Durchschlag an Schwarzschüd, und GrzesinsD übersandte beide Briefe mit Gruß an Breitscheid, aües Ds von As auf einem —

Blatt, 2 Seiten. 376

Abkehr und

Gegenkräfte

der Verantwortungspflicht offenbar mit dem Versagen des Volksfrontausschusses in der Programmfrage.283 Dem auf Antrag von Caro und Wolff während der Internationalen Konferenz deutscher Emigranten unternommenen neuerüchen Versuch, einen arbeitsfähigen Untersuchungsausschuß aus Mitgüedern des Volksfrontausschusses und der FEAF, der klären, aber mcht richten sollte, zu instaDeren, stand Schwarzschüd, der neben Leonhard, Münzenberg und Theodor Tichauer unter dem Vorsitz von Grzesinski daran teilnehmen soüte, ablehnend gegenüber, solange mcht Einvernehmen mit der Gegenpartei über De Zusammensetzung erreicht sei. Der von Caro und Wolff wegen seiner Doppelfunktion als Mitgüed des Volksfrontausschusses und Vizepräsident der FEAF vorgeschlagene Sozialdemokrat Rudolf Breitscheid hatte es abgelehnt, mit Schwarzschüd an einem Tisch zu sitzen; war er Desem als bürgerüchem Inteüektueüen von Anfang an Dcht hold, so war seine Aversion seit den poütischen Auseinandersetzungen auf der Sitzung des Volksfrontausschusses vom 9. Juni schier unüberwindlich geworden.284 Neben einer besonders von Caro und Wolff betriebenen antisemitischen Polemik kam nunmehr auch eine anti-weißrussische Komponente hinzu, als Münzenberg sowohl die Hinzuziehung eines Weißrussen, wie von Schwarzschild gewünscht, als auch, und erst recht, ein paritätisch aus Vertretern der deutschen und der russischen Emigration zusammengesetztes Gremium, wie von Poljakov bedungen, kategorisch ablehnte. Auf der anderen Seite bestand Lewinsohn nach wie vor darauf, daß Leonhard und Münzenberg, De am 12. Juni De neue Pariser Tageszeitung begrüßt hatten, sowie Grzesinski, von dem am 19. JuD eine gemäßigte Zuschrift erschienen war, mcht Mitgüeder eines Untersuchungs-

Rückzug von

283 Ebd., Bl. 18—20: Schwarzschüd an Münzenberg, 17. Juni 1936 (daraus Zitat), als Ds mit Briefchen Schwarzschüd an GrzesDski, 17. JuD 1936 (Bl. 17); zum vorhergehenden vgl. ebd., Bl. 16: Münzenberg an Grzesinski, 16. JuD 1936. 284 Zum vorigen wie zum folgenden vgl. ebd., Bl. 21-22: Wolff und Caro an Grze18. sinski, JuD 1936; Bl. 23: handschr. Notiz Grzesinskis betr. »Besprechung der Vorsitzenden der >Volksfront< und der >Fédération< und eiDger weiterer Mitgüeder am Freitag, den 19. Juni 1936 mittags und der Vormittagssitzung der Internationalen] Konferenz d[er] deutschen] Emigranten«, 44, rue de Rennes«; Bl. 27-31: Schwarzschüd an Grzesinski, 21. JuD 1936; Bl. 32-33: handschr. Notizen Grzesinskis betreffend u.a. den Inhalt der Anrufe von Münzenberg und von Poljakov bzw. dessen Dolmetscher; Bl. 36: Einladung, gez. Grzesinski, 23. JuD 1936, an De genannten Mitgüeder des Untersuchungsausschusses auf Mittwoch, den 24. JuD, nachmittags 4 Uhr, in die Konferenzräume der FEAF; es ist Dcht klar, ob Grzesinski den Vorsitz als Sozialdemokrat oder als Präsidialmitglied der FEAF und Stellvertreter Bernhards übernehmen soüte und ob Tichauer als Vertreter der jüdischen Emigration, anstelle der »Demokraten« und der »Kathoüken«, oder eben als PräsiDalmitgüed der FEAF vorgesehen war; zu den Kontroversen zwischen Breitscheid und Schwarzschüd siehe z. B. oben, S. 67-69.

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Kampfjahre

ausschusses sein dürften, solange sie nicht ihre Objektivität durch öffentliche Rücknahme ihrer Erklärungen unter Beweis gesteht hätten.285 In Anbetracht der Schwierigkeiten und unter dem Eindruck, daß Caro und Wolff sich sicher fühlten und es auf einen Gerichtsprozeß ankommen lassen woüten, beschlossen Leonhard, Münzenberg, Tichauer und GrzesinsD, die sich als Untersuchungsausschuß formiert hatten, auf ihrer ersten und letzten Sitzung am 24. Juni, zu der Schwarzschild erwartungsgemäß nicht erschienen war, einstimmig, ihre Arbeit wenigstens vorläufig einzustehen.286 Münzenberg wohte die Vorfäüe und die Hintergründe durch die KPD klären lassen. Schwarzschüd und GrzesinsD beschuldigten sich in den nächsten Tagen gegenseitig autoritären Verhaltens, der Sabotage und der Parteilichkeit, und ersterer kreidete die in der PTZ vom 26. Juni publizierte Nachricht »Das Gericht der Emigration gescheitert« zu Unrecht den ebenso erstaunten Münzenberg und GrzesinsD persönhch an.287 Caro und Wolff heßen auch in den kommenden Monaten nicht ab, Poljakov und Lewinsohn öffentlich zu diffamierten.288 Offensichtlich in Kenntnis von drei verschiedenen Strafverfahren, die bereits vor französischen Gerichten anhängig gemacht worden waren und deren erstes —



285 IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 34: LewWsohn an GrzesinsD, 22. JuW 1936 (Zitat); siehe auch Bl. 11-12: Schwarzschüd an Wolffund Caro, 15. Juni 1936. 2S6 Ebd., Bl. 41: Wolff und Caro an GrzesinsD, 23. JuW 1936, von Caro am Abend persönüch überbracht, siehe Bl. 42 mit handscW. Notizen GrzesWsDs von Caros Auffas-

sungen über Stand und Aussichten von Schiedsgerichtsverfahren und Prozeß; BL 43^14: »Protokoü der 1. Sitzung des am 19. JuW 1936 gebüdeten Ausschusses zur Untersuchung der Vorgänge Pariser-Tageblatt, Pariser-Tageszeitung vom Mittwoch den 24. JuW 1936 im Konferenzbüro der ¡Fédération des Émigrés d'AUemagne en France< 93, rue Lafayette Paris 9e 16 UW«; Bl. 45: »EntschUeßung« (der Sitzung vom 24. JuW), unterz. von Albert GrzesinsD, Rudolf Leonhard, W[üü] Münzenberg und Théodore Tichauer, der Raum neben dem getippten Namen »Schwarzschild« ist leer; Bl. 46-48: Briefe GrzesinsDs vom 24. JuW 1936 an Schwarzschüd, an Breitscheid als PräsidiumsmitgUed der FEAF und an Münzenberg als SeDetär des »Präsidiumfs] der ¡Deutschen Volksfront«; Bl. 56—59: Briefe GrzesinsDs vom 26. JuW 1936 koUektiv an die Untersuchungsausschuß-MitgUeder, persönUch an Henri SUosberg, den Vertreter Poljakovs in dem von ihm angerufenen Jüdischen Ehrengericht, an Lewinsohn und an Wolff/Caro. 287 Ebd., Bl. 53-54: Münzenberg an GrzesWsD und zusätzUche ErDärung, datiert: 25. JuW 1936, zum Protokoü vom 24. Juni 1936; Bl. 49-52 und Bl. 64-65: Briefwechsel Schwarzschüd/GrzesinsD, 25. bis 28. JuW 1936; Bl. 63: handschr. Notiz GrzesinsDs über Telefonat von Münzenberg, 26. JuW 1936; PTZ, 1936, Nr. 15, 26. Juni, S. 1. 288 Siehe etwa die Überschrift: »Die Sprengung des Emigrationsgerichts«, und das redaktionelle Nachwort zu »Offener Brief«, in dem GrzesinsD allen Beteiligten anbot, »nunmehr [...,] vieüeicht zu meinen Händen, eine Sachdarsteüung der Vorgänge schriftlich zu unterbreiten«, in: PTZ, 1936, Nr. 7, 28. Juni; vgl. »Der Fall Poüakow-Lewinsohn. Unsere Aktion geht weiter«, in: PTZ, 1936, Nr. 23, 4. Juü, S. If.; Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 164ff. und passim. —

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Abkehr und

Gegenkräfte

30. Juü beginnen soüte, beschwor Schwarzschüd am 29. Juni Grzesinski, von der Soüdarisierungspoütik abzurücken und mit dafür zu sorgen, daß »auch Dejemgen Institutionen, De sich Vertretungen der Emigration nennen, die Möglichkeit und die Gelegenheit [wahrnehmen], die Interessen, die sie vertreten soüen und vertreten woüen, vor der Gefahr zu schützen, in einen Skandal mit hineingerissen zu werden, der ein individueller Skandal bleiben könnte, aber durch Untätigkeit und Vorschubleisten ein aügemeiner Emigrationsskandal werden müßte«.289 Er verhehlte Dcht, daß er nicht noch einmal in den Strudel der moraüschen und materieüen Verüerer, wie in der >Affäre Uüstein« 1930/31, geraten woüte. Damals hatte sein enger Mitarbeiter und jetziger Chefredakteur des Neuen Tage-Buchs, Joseph Bornstein, nach Pressekampagnen, De er Dcht unterband, gegen Bernhard gestanden und war vor Gericht unterlegen gewesen.290 (Andererseits hatte Bernhard gegen De FarDüe Uüstein den kürzeren gezogen.) Einen Durchschlag seines Briefes an GrzesDski vom 29. Jum sandte Schwarzschüd »an aüe Mitgüeder des Lutetia-Ausschusses«, für Hemrich Mann fügte er noch eme Abschrift der den Untersuchungsausschuß betreffenden Dokumente bei mit der Aufforderung, »eme sofortige Aussprache über De ganze Angelegenheit« herbeizuführen.291 Im Vorfeld der Sitzung der Vertreter der Arbeiterparteien am 2. Juü versuchte Grzesinski Stimmung zu machen für seinen Standpunkt, eine »Erörterung im Lutetia-Kreis [...] zu vereiteln«, da mangels Beweisen nur Behauptung gegen Behauptung stehen würde, Caro und Wolff Dngegen zu bitten, einer aus Vertretern der Arbeiterparteien gebüdeten sechsköpfigen Kommission eme schriftüche »Darsteüung der Vorgänge« vorzulegen und »zu einer mündüchen Verhandlung« auch Zeugen mitzubringen.292 Unterstützt von Breitscheid konnte er sich am folgenden Tag mit dem Argument, der >»Lutetia-Kreis< dürfe sich Dcht kompromittieren mit Diskussionen, De ihn auseinandertreiben müßten«, gegen die lauen Bedenken von Walcher und die argumentreicheren von am

289

IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 66—69, auch zum folgenden.

Darauf zielte auch Manuel Humbert (d. i. Kurt Caro) in seiner Erwiderung »An Leopold Schwarzschüd«, in: PTZ, 1936, Nr. 28, 9. Juü, auf die Notiz in NTB, 1936, H. 28, 11. Juü, S. 654 (das Heft war, wie übüch, eiDge Tage vorher ausgeüefert worden, nämüch am 8. oder 9. Juü, siehe handschr. Notiz Grzesinskis am Rande des aufgeklebten Humbert-Artikels), IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 81; zum »Faü Ullstein« und seiner Weiterwirkung im Zusammenhang mit der Affäre PT/PTZ vgl. Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 29ff. und passim, Peterson weist aufgrund zeitgenössischer französischer und amerikanischer (Poüzei-)Akten nach, daß Bernhards AnschulDgungen gegen Rosie Uüstein gerechtfertigt waren. 291 IISG, Dossier »Pariser Tageblatt«, Bl. 66-69, Zitate Bl. 68 und 69. 290

Ebd., Bl. 74: Grzesinski an Breitscheid und Münzenberg, welch letzteren er manAnschrift bat, »das Doppel des Schreibens an Sie einem der Teünehmer« der SAP gels zuzusteüen, 1. Juü 1936; vgl. auch Bl. 70: Dcht abgesandter Entwurf eines Antwortbriefes von Grzesinski an Schwarzschild, 29. Juü 1936. 292

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Wehner und Münzenberg, die meinten, es ginge nicht an, Schwarzschüd als einem Mitglied des Volksfrontausschusses die beantragte Debatte zu verweigern, durchsetzen. Die Einigung auf den Kompromiß, dem Volksfrontausschuß lediglich einen Bericht über die »formale Behandlung der Untersuchungsaktion« vorzulegen, läßt erkennen, daß letztlich aüe eine heiße Debatte über die Vorgänge um Pariser Tageblatt und Pariser Tageszeitung fürchteten. Sie hatten vorher bereits die Einberufung des Volksfrontausschusses auf den am 12. Juni von der Organisationskommission festgesetzten Termin des 25. des Monats für ssnicht opportun« erachtet.293 Münzenberg indes griff einen Tag später doch Schwarzschüds Vorschlag positiv auf und schrieb, am Vorabend seiner Moskau-Reise, entsprechend an H. Mann.294 Dieser hatte einem Untersuchungsausschuß der Emigration von Anfang an skeptisch gegenübergestanden. Durch Schwarzschüd erfuhr er erstmals von den Verwicklungen der Mitglieder des Volksfrontausschusses. Er warf seine Autorität als gewählter Vorsitzender in die Waagschale, als er genaue Unterrichtung verlangte, von einer offizieüen Einmischung des Volksfrontausschusses abriet und die Einberufung einer speziellen Sitzung »mit Tagesordnung sAffäre PoliakowNeuen Tage-Buch«. Die verlogene, DchtswürDge >Hypnosen-These< ist zerschlagen«. In gesitteten Worten, Demanden beim Namen nennend, Sokrates »über gewisse Dunkelheiten des Heraküt« zitierend, steüte sich Ernst Bloch eindeutig auf De Seite der Gläubigen.313 Die Verfahren vor ordenDchen französischen Gerichten und vor verschiedenen ScWeds- bzw. Ehrengerichten, in denen sich Bernhard, Caro und Wolff zum einen Poljakov und Lewinsohn, zum anderen Schwarzschüd konfrontiert und jedesmal unterlegen sahen, tat der Glaubwürdigkeit des moralischen und poütischen anti-nationalsoziaüstischen Engagements aller Volksfrontler Abbruch, auch wenn De letzten Verfahren, 1938, relativ geräuschlos an der ÖffenDchkeit vorbeigingen. Die Dstorisch gesehen zufalüge Gleichzeitigkeit des MeDen-Coups im Pariser Exü und seiner Prozeßfolgen und des durch miütärischen Coup ausgelösten Krieges in SpaDen und der dankt auch verbundenen Staünschen Säuberungen, Prozesse, Verleumdungen und Denunziationen bewirkten in ihrer Ballung und Koppelung eine tiefe Vertrauenskrise vor aüem in jenem Teil des bürgerüch-inteUektueüen Lagers, das De Volksfrontbewegung mit getragen oder mindestens mit Sympadtie beobachtet hatte. Der moraüsche Schock, der Streß der Exüsituation und De offenbar werdende Unmögüchkeit bzw. Unwiüigkeit, sich poütisch-programmatisch zu ektigen, verschärften De alt-neuen mDvidueüen und poütisch-ideologischen Kontroversen, De ihrerseits wieder auf De erstgenannten Faktoren zurückwirkten. Hinzu kam es wurde bereits mehrfach gestreift —, daß seit und im Zusammenhang mit dem Mord an Staüns >Kronprinzen< Kkov in zunehmendem Maße zwei neue Komponenten als Waffen in der Diffamierung und Eüminierung der Opposition wie dann in der Polemik gegen die Kritiker außerhalb der eigenen Reihen eingesetzt wurden. Da war einmal die Behauptung, es bestehe eine Verbindung zwischen der Opposition innerhalb der KPdSU und den »Weißgardisten« im Ausland, zum anderen, nicht selten daran gekoppelt, De Ineinssetzung von »ZioDsten« und »FascDsten«; Derin machten sich neben der kommumstischen Presse auch De Coup-Redakteure in der Pariser Tages-Zeitung schDdig, sie sprachen u. a. von »Agenten der Gestapo und Schädünge[n] des deutschen Judentums«.314 aus



bruar, S. 133fft: Erich Andermann [d.i. Joseph BornsteD], »Hexenprozeß in Moskau«; H. 8, 20. Februar, S. 174ft: [anonym], »Das Rätsel der Moskauer Prozesse«; H. 9, 27. Februar, S. 205f: Marcel Strauss, »Hypnose m Moskau?«; H. 12, 20. März, S. 249ff: Leopold Schwarzschüd, »Ihr Müjöh«. 313 Ernst Bloch, »Kritik einer Prozeßkritik. Hypnose, Mescaün und die Wirküchkeit«, in: NWB, 1937, Nr. 10, 4. März, S. 294-299, Zitat S. 299. 314 Siehe z.B. »Das Kameradengericht«, in: PTZ, 1936, 23. Juü, und Redaktion PTZ, Affaire Poliakow (daraus Zitat). 385

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Diese Verdikte trafen nicht nur Poljakov, es fühlte sich auch ein nicht geringer Teil der deutschen bürgerhchen Intellektuellen im Exü in seiner Herkunft aus jüdischem Hause diffamiert, auch wenn er sich nicht zu zionistischen Idealen bekannte.315 Andere hielten aus Freundschaft und Sohdarität zu ihnen und empörten sich. Faktisch brach das bürgerhche Lager im Exü, vor aüem in Europa, soweit es poütisch motiviert und engagiert war, in dem knappen Jahr zwischen Juni 1936 und Frühjahr/Frühsommer 1937 definitiv in ssVolksfrontler« und ssAntikommunisten« bzw. s>Antistahnisten« auseinander so jedenfalls äußerte sich in der Öffentüchkeit die Kontroverse zwischen denen, die um der Bekämpfung des gemeinsamen Feindes Nationalsozialismus willen Bündnistreue halten, »Realpolitik« betreiben sowie auf ihrem Recht beharren woüten, mindestens in gutem Glauben gehandelt zu haben, und denen, die absolute moraüsche und politische Sauberkeit für sich in Anspruch nahmen. Konrad Heiden, der im August 1935 Rudolf Breitscheid für den Vorläufigen Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront zu gewinnen versucht hatte, war einer der ersten, der den ssPrüfungsfaü der Emigration« zur Diskussion steüte und »Selbstreinigung« forderte. Es ging aber auch um die Frage der Quahtät Bernhards als Chefredakteur und der Quahtät der Zeitungen.316 Der Bruch manifestierte sich auf organisatorischer Ebene in der Spaltung des Schutzverbandes deutscher Schriftsteüer und des Verbandes deutscher Journalisten in der Emigration, jener beiden Organisationen, die die politischen Gespräche über Parteigrenzen hinweg stimuliert und die ersten Volksfront-Manifestationen ideologisch beeinflußt hatten. Im Journahstenverband hatten Bernhard und Schwarzschüd freilich auch am heftigsten ihre Kontroverse um Pariser Tageblatt/ Pariser Tageszeitung ausgetragen, und die Mehrheit des aus Mitgliedern des Verbandes gebüdeten Untersuchungsausschusses die einstige Vorsitzende der KPD, Ruth Fischer; der aus Rußland stammende, wie seine Lebensgefährtin Fischer aus der KPD ausgeschlossene Arkadij Maslow und der sozialdemokratische Journahst Robert Breuer als Vertreter Bernhards hatte in ihrem Urteil Poljakov und Lewinsohn praktisch erneut des Verrats beschuldigt und Schwarzschüd gleich mit einbezogen. Diesen »bürgerhchen« Emigranten hatten die drei trotz der Anerkennung, daß sie gegen Hitler seien, jeghchen Bezug zur politischen Emigration abgesprochen, und allgemein hatten sie die —



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Auf Spannungen innerhalb der jüdischen Emigration, ob aus Deutschland oder der SowjetaWon, hat Peterson in Berlin Liberal Press in Exile, verschiedentlich Wngewiesen. M« Vgl. NTB, 1937, H. 12, 20. März, S. 276ff., und H. 13, 27. März, S. 308f.; zu Heiden-Breitscheid 1935 vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 167f.; zur Kontroverse vgl. z.B. auch Briefwechsel Klaus Mann—Konrad Heiden [zwischen 20. und 22. März], 23. und 26. März 1937, in: Klaus Mann, Briefe und Antworten, Wsg. von Martin Gregor-DelUn, Bd. 1, München 1975, S. 282f£, 288ff. und 296f£; und Klaus Mann-Leopold Schwarzschüd, 24. und 27. März, 3. JuW 1937, in: ebd., S. 292ff, 298ff., 303f. 315

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Gegenkräfte

der Beziehung vieler bürgerlicher Emigranten zum heutiDeutschland« angeprangert.317 gen Die aus dem Schriftsteüer- und aus dem Journaüstenverband Ausgetretenen und einige, die keiner der beiden Organisationen angehörten, gründeten unter Anführung von Leopold Schwarzschüd, Konrad Heiden, Berthold Jacob, Hans Sahl (damals Vorsitzender des SDS) und Paul Dreyfus nach mehrmonatiger Vorbereitung im JuD 1937 den Bund »Freie Presse und Literatur«. Auch Klaus Mann war dabei. Vorhaltungen seines Onkels Heinrich und eigene Aversion gegen De »Devise des Antikommunismus« üeßen ihn trotz seiner persönüchen und professioneüen Wertschätzung Schwatzschüds Ende August leise, um keinen neuen Wirbel zu verursachen, wieder austreten.318

»Undurchsichtigkeit

d. Rettungsversuche, Poker und Schacher Bei der Gründung des Bundes »Freie Presse und Literatur« spielten freiüch auch wieder materieüe Interessen und die Eroberung einer gewissen orgaDsatorisch gefestigten >Machtbasis< mit. Schwarzschüd versuchte aufs neue, seme Liebüngsidee zu verwkküchen, ansteüe des Neuen Tage-Buchs und der Pariser Tageszeitung, die beide notleidend waren, eine einzige, neue Zeitung zu schaffen, anstatt, wie von anderer Seite vorgeschlagen, beide Periodika aneinander zu koppeln. Seine Aufforderung an Hubertus Prinz zu Löwenstein, dem Bund als der Gegenorgamsation zum »kommuDstisch-staümstischen« Kreis beizutreten,319 fiel in die Bemühungen des Prinzen zwischen Frühjahr und Sommer 1937, Freunde in den Niederlanden und u. a. Winston Churchill in London für De finanzieüe Rettung der PTZ aus den Händen »Moskaus« zu interessieren. Schwarzschüd war beiden als Autoren semes Neuen Tage-Buchs verbunden; mit Churcfkü war er durch sei-

317 »Das Urteü der deutschen Journaüsten im Faü Poljakow Pariser Tageblatt. Bericht der Untersuchungskommission des Verbandes Deutscher Journaüsten in der Emigration über seine Arbeit in Sachen Bernhard Schwarzschüd Bernhard«, in: PTZ, 1937, Nr. 226, 4. März, S. 3f. 318 Siehe Briefwechsel Klaus Mann-HeDrich Mann, 26. Juü, 21. August 24. August, 28. August 1937, in: Klaus Mann, Briefe und Antworten, S. 308f, 310-313 und 315; K. Mann an Schwarzschüd, 24. August 1937 (daraus Zitat), und ders. an Feuchtwanger, 6. September 1937, beide D: ebd., S. 313f. bzw. 315ft; vgl. H. Mann an Thomas Mann, 30. Juü und 15. August 1937, in: Thomas Mann/Heinrich Mann, Briefwechsel 1900-1949, hrsg. Weünar 1977, S. 211-214; zum Bund »Freie von Ulrich Dietzel, 3., erw. Aufl., Berün Presse und Dteratur« vgl. Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 174ft; Schiller u.a., Exil in Frankreich, S. 246ff; Behmer, Von der Schwierigkeit Leopold Schwarzschild, S. 573ff; vornehmüch auf De Positionen von Heiden, Schwarzschüd, Mehring, Sahl und K. Mann focussieren Ralph Grobmann/Bettina Widner, »>Wie lange muß man schweigen, einer Idee zuüebe?««, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, 2000/2001, Berün 2001, S. 304-331. 319 Siehe IFZ, ED 206 (ArcDv zu Löwenstein), Bd. 2a: Schwarzschüd an Prinz zu Löwenstein, 9. JuD 1937. —

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...

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niederländischen Financier, den konservativ-liberalen Juristen J.C. S. Warendorf, persönhch bekannt gemacht worden.320 Die diversen Bemühungen von diesen Seiten scheiterten indes. Fritz Wolff, nach der Ausbotung von Poljakov Direktor und de jure Eigentümer der Pariser Tageszeitung, gerierte sich von Anfang an als Herrscher. Auf finanziellem Sektor erwies er sich als Hasardeur; zur Rettung »seines« Unternehmens und damit seiner ihm daraus zufließenden Einkünfte nahm er rechts und links Meine und größere kurz- und längerfristige Kredite auf und heß sich auf Schuldverschreibungen selbst an allgemein als dubios angesehene Personen ein. Bernhard unterstützte Wolff mit dem (wenigen) Geld, das er aus den USA mitgebracht hatte, und mit dem, was ihm von seinen Freunden in USA und in Europa zur Verfügung gesteht oder kreditiert wurde; der Chefredakteursposten war seine einzige Einnahmequeüe. Gleichzeitig jedoch war ihm wie aüen seinen politischen Freunden daran gelegen, die Pariser Tageszeitung der ssvereinigten Opposition« in der Emigration zu erhalten. Das von Münzenberg im Einvernehmen mit Breitscheid kurz nach dem Coup unterbreitete Angebot, »für eine Beteiligung der mit nur verbundenen Freunde in Höhe von 300.000 Frs einzutreten«, falls das Privatunternehmen Pariser Tageszeitung in eine (Aktien-) Geseüschaft unter Kontroüe einer »Pressekommission der Volksfront«, in der Breitscheid mitwhken wollte, umgewandelt werde, wies Wolff zunächst »schroff« zurück. In dem Bestreben, das Ansehen der Pariser Tageszeitung zu heben und sie als prominent bürgerlich-liberale Zeitung enger an den Volksfrontausschuß zu binden, bemühte sich Münzenberg zusammen mit Bernhard und Simon zu Weihnachten 1936, Heinrich Mann als Mitherausgeber neben Wolff zu gewinnen. Doch dieser lehnte ab; die »Gründe« erkannte Münzenberg »als berechtigt an«; wahrscheinhch wollte Heinrich Mann als Vorsitzender des Volksfrontausschusses nicht im nachhinein noch in die Affäre hineingezogen werden, die er doch als privaten Streit beiseite geschoben hatte. Auch Fritz Deb und Thomas Mann steüten sich nicht zur Verfügung.321 Bis in den Herbst 1937 hinein folgten größere Rettungsoperationen mit und ohne Sicherungen und (kleinere) Darlehensgewährungen, u. a. von Seiten Rheinstroms und GrzesinsDs, einander. Zu den größeren zählten 30.000 Francs, die von seiten der KPD gegen Ende 1936 mit Auflagen, die nur wenig über die von Breitscheid und Münzenberg einige Monate zuvor formuherten hinausgingen, bewilhgt wurden. Vom Frühjahr 1937 an wurde die Pariser Tageszeitung zunehmend ein weiterer Streitpunkt im Volksfrontausschuß. Ursache war, daß sie in nen

Siehe Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 189f. und S. 201; PA ULA: Notizen öffentlichen Interview von Chris van der Heyden mit Warendorf im GoetheInstitut Amsterdam am 16. April 1982. 321 Vorstehendes und die Zitate aus Brief Münzenberg an Simon, Bernhard und Bernheim, 10. Januar 1938, in: Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 263—266; vgl. Bericht der Minderheit, S. 41. 320

ULA

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vom

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Gegenkräfte

poütischen und persönüchen Ausemandersetzungen zwischen Ulbricht und Münzenberg um De kommuDstische VolksfronDme und um De Vormachtstellung in der Partei instrumentaüsiert wurde.322 Im März beschloß man in Moskau nach Beratungen mit Ulbricht und WehDeser hatte bereits am Vorabend des Coups in Unkenntms der kommenner den Ereigmsse gegenüber Münzenberg die Frage einer eventueüen BeteDgung der KPD mit Moskauer Unterstützung am finanzschwachen Pariser Tageblatt vendue«323 -, De Pariser Tageszeitung zu kaufen.324 Im Aprü 1937 besprach Ulbricht mit Pieck ein Budget auch zur Abwicklung geschäftlicher und personeüer Verpflichtungen; es folgten weitere Evaluierungen der Geschäftslage.325 den



322

Zum

vorigen

wie

folgenden

siehe Ursula

Langkau-Alex,

entscheidender Instrumentaüsierung der Pariser Tageszeitung in der Auseinandersetzung zwischen dem Sekretariat des ZK der KPD in Paris und Wilü Münzenberg«, D: IWK, Jg. 37 (2001), H. 1, S. 77-91; vgl. den mit viel moraüschem Impetus gesctiriebenen, jedoch eiDge Irrtümer und Lücken (auf De Der Dcht eDgegangen wird) aufweisenden Beitrag von Bernhard H. Bayerlein/Maria Matschuk, »Vom Dberaüsmus zum StaüDsmus? Georg Bernhard, Wilü Münzenberg, Heinrich Mann und Walter Ulbricht in der chronique scandaleuse des Pariser Tageblatts und der Pariser Tageszeitung«, in: Francia. Forschungen zur westeuropäischen Geschichte, hrsg. vom Deutschen Historischen Institut Paris, Bd. 27 (2000), H. 1, S. 89-118; Enderle-Ristori, Markt und intellektuelles Kräftefeld, S. 25ff; Des. ausföhrücher, »Volksfront und >Ehekrach«. Über Wiüi Münzenbergs Versuch, mit Hufe von Georg Bernhard eme Volksfront ohne De KPD zu orgaDsieren«, D: Frantia, Bd. 28 (2001), H. 3, S. 159-180. 323 Siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/286, Bl. 380-381: Kurt [Funk, d.i. Wehner] an »Deber Freund« [Münzenberg], 10. JuD 1936. 324 In Bayerlein (Hrsg.), Dimitroff, Tagebücher, Bd. 2, heult es in der »Chronik« auf S. 87 unter dem Datum des 15. März [1937] ohne Queüenangabe: »Das EKKI-Sekretariat beschüeßt, Dr 500 000 Französische Franc [s] De Pariser Tageszeitung, das ünksüberale Organ der deutschspracDgen Emigration, aufzukaufen«; in seinem Francia-Beitrag hat Bayerlein (siehe Anm. 322) De VeröffenDchung des Protokoüs des Kaufbeschlusses angekünDgt. 325 Zu den Evaluierungen vgl. z. B. »ErgebDsse der UnternehmenspDDng durch die KPD vom JuD 1937«, dokumentiert m: Ristori-Enderle, Markt und intellektuelles Kräftefeld, S. 387-401; SAPMO, Ry 1, I 2/3/287, Bl. 260-265: »Mitteüung über De weiteren Verhandlungen zum Kauf der PTZ«, unterz. von »Albert« [wahrscheinüch doch Dcht Paul Bertz, wie ich im Ilt^îC-Beitrag (Anm. 322) schrieb, sondern Albert Norden mit Dank an Michaela Enderle-Ristori]; Bl. 266: »Zusammenfassung« (S. 7 der »Mitteüung«), datiert: 27. November 1937, unterz. von »Albert« und »Jean«; faüs Jean Der und in anderen Dokumenten im ZusammeDiang mit der PTZ identisch ist mit Franz Dahlem nach eigenen Angaben konnte er erst in der zweiten Dezemberhälfte 1937 Barcelona verlassen und über Toulouse nach Paris reisen, vgl. DaDem, Am Vorabend, Bd. 1, S. 65f. -, dann ist er zwischendurch öfter nach Paris gereist; mir scheint auf jeden Faü De Handschrift der Korrektur des letzten Wortes im letzten, mascDnenschriftüchen Satz der oben zitierten »Mittelung ...« in Drer Zerfahrenheit Dcht der DaDems zu entsprechen; vgl. auch SAPMO, FUm FBS 287/12657 (auf dem nicht aüe Blattzählungen zu lesen sind): »Übersicht über De vom Sekretariat erhaltene Post seit der Februar-März-Besprechung 1937 m Moskau«,

Bedeutung ist, ob Münzenberg De Zeitung hat oder

»>... von

wir«. Neueres

zur



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Der Kauf hätte den ständigen, unkontrolliert verschwindenden Krediten ein Ende bereitet. Wichtiger erscheint noch, daß die Zeitung, u. a. durch die geplante Installierung eines KPD-Journalisten in die Redaktion, die Funktion hätte erfüllen können, die von uns schon mehrfach angesprochene Umorientierung der »Volksfront«-Pohtik der Komintern und der KPD einerseits auf den Bürgerkrieg in Spanien, andererseits auf Innerdeutschland, welche Versöhnung zwischen Antifaschisten und Faschisten zur Verhinderung eines großen Krieges bei rigorosem Kampf gegen den ssTrotzDsmus« und aüe ssTrotzkisten« beinhaltete, einer breiteren und gerade der bürgerüch-hberalen Öffentlichkeit zu vermitteln. Aüe Nichtkommunisten im Ausschuß und Münzenberg woUten an dem linkshberalen Profil der Zeitung im »Rahmen der Gesamtopposition gegen das Hitlerregime« festhalten und von dieser Position aus eine deutsche Volksfront unterstützen; die Umwandlung in ein vom Sekretariat des ZK der KPD kontrolliertes »Organ der Volksfront« lehnten sie ab.326 Den ganzen Sommer und Herbst 1937 hindurch kamen die Kaufverhandlungen nicht voran, was Ulbricht Münzenberg und Bernhard anlastete. Wolff spielte die eine Seite gegen die andere aus, wobei ihm mal auf Eigeninitiative, mal im Auftrag übermittelte Informationen von Walcher, mit dem ihn eine fast zwanzigjährige Freundschaft verband, über die Münzenberg-Bernhard-Seite zustatten kamen. Bernhard, auch Verhandlungspartner der KPD bzw. sAnwalt< seitens der PTZ, scheint jedoch auch selbständig operiert zu haben, finanzieü gestützt von BanDer Hugo Simon und, wie gemunkelt wurde, mit einem monatlichen Betrag in Höhe von 15.000 Francs von der französischen Regierung. Auch die spanische Regierung gehörte mit einem durch Münzenberg, wohl noch zu Zeiten Largo Cabaüeros, vermittelten Betrag von 100.000 Französischen Francs zu den —



Sponsoren.327

Inzwischen bot die Pariser Tageszeitung der Deutschen Freiheitspartei ein Fo(wir kommen unten auf sie zurück). Auch dürfte man im ZK-Sekretariat von den Gesprächen und Korrespondenzen erfahren haben, die zwischen Heinrich Mann, Bernhard, Simon, Lieb, einer Reihe weiterer nicht parteigebundener rum

z.B. Bl. 114: Deine Freunde/W[alter Ulbricht] an Wilhelm [Pieck], 8. Juni 1937, erhalten am 17. August; vgl. Bl. 214: Brief vom 12. September 1937, erhalten 21. September; Bl. 218: zwei Telegramme von Eiche [d.i. Pariser SeDetariat des ZK der KPD/Ulbricht] vom 30. September, erhalten in Moskau von dem aus Paris angereisten »Max« [d. i. Wilhelm KWgge] am 7. Dezember 1937. 526 Vgl. Brief der Wchtkommunistischen MitgUeder des Arbeitsausschusses des Volksfrontausschusses, unterz. von Max Braun, Jacob Walcher, Georg Bernhard, an Heinrich Mann, 9. Oktober 1937, zitiert nach: Langkau-Alex, »Deutsche Emigrationspresse«, S. 193. 327 Siehe SAPMO, Ry 1,1 2/3/287, Bl. 260-265 (siehe oben Anm. 325); zu den vielen VerwicDungen, sonstigen Angeboten und Gegenangeboten, Verhinderungen einer Übernahme, Herausgeberschaften, Plänen usw. siehe freüich ohne die aus den Dokumenten im SAPMO hervorgehenden Fakten -, Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, bes. Kap. VI, S. 182ff. -

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Exüanten und mcht zuletzt Münzenberg geführt wurden, um De Inteüektueüen in einer eigenen OrgaDsation zur Stärkung der Volksfront, reaüsiert dann im Dezember im Bund freiheiDcher Soziaüsten, zusammenzufassen. Beide Gruppierungen lagen außerhalb des Einflußbereichs des Sekretariats des ZK der KPD. Ende November 1937 schien Ulbricht Eüe geboten, eine »Mindestsumme« von 328.000 Francs aus Moskau zu erhalten, um De Zeitung nun endüch in De Hände zu bekommen. »Wk müssen schneü handeln«, schrieb er, »da selbstverständlich bei den gegenwärtigen Auseinandersetzungen von entscheidender Bedeutung ist, ob Münzenberg De Zeitung hat oder wir.«328 Alles war vorbereitet: eine Verpflichtung von Fritz Wolff »als aüeiniger Eigentümer der >Pariser Tageszeitung« [...], das Blatt als demokratische Zeitung, De den antifaschistischen Kampf im Smne der Volksfrontbewegung führt, herauszugeben«; ein Entwurf für eine Option zum Kauf der Zeitung, gültig bis »einunddreißigsten Dezember, um Mitternacht«; eine aktueüe Aufsteüung über Einnahmen, Ausgaben, Schulden, Gläubiger der PTZ?29 Da kam überraschend aus Moskau De Bremse, De das »Aus« bedeutete. »Wegen des Ankaufes des >Pariser Tageblattes« [sie] dürfen keinerlei Verpflichtungen emgegangen werden, bis Der Aussprache erfolgt. Auch wenn dadurch der Kauf Dcht zustande kommt«, telegrafierte das EKKI-Sekretariat am 7. Dezember dem Vorsitzenden des PCF, Maurice Thorez, der Des »schneüstens an Ulbricht« weitergeben soüte. ÜberDes soüten Ulbricht und Franz (Dahlem) »sofort Derherkommen und Lotte mitbringen«. In einem zweiten Telegramm ergänzte das EKKI-Sekretariat, daß auch Münzenberg »sofort mit Walter und Franz Derherkommt und daß er unbedingt vom Prozeß Abstand nehmen soü. Es soüen Der schneüstens aüe Fragen resdos geklärt und entscDeden werden, um wieder zu nützücher Arbeit zu kommen.«330 Angesichts auch der Zerstörung der Zusammenarbeit an den Deutschen Informationen, dem inoffizieüen Presseorgan des Volksfrontausschusses, auf De wk am Ende Deses Kapitels zu sprechen kommen, läßt das FaüeDassen der Absicht,

bürgerücher

Siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/287, Bl. 255: W[alter Ulbricht] an »Lieber Freund« [Pieck], 27. November 1937 der als »Eüt Eilt« handschr. von Ulbricht überschriebene Brief erreichte Pieck auch erst am 7. Dezember durch den angekommenen »Max«, vgl. 328

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auch Bl. 272.

SAPMO, Ry 1, I 2/3/287, Bl. 256-257: »VerpDchtungen der >PT< per meDo

Noder von Bl. 268: As Fritz vember 1937«; Bl. 267: Übersetzung des Optionsentwurfs, o.D.; Wolff auf offizieüem Papier unterzeichnete VerpDchtung, datiert: 15. November 1937. 330 SAPMO, Ry 1, I 2/3/287, Bl. 272: »Sinngemäße Wiedergabe von 3 Telegrammen des EKKI-Sekretariats an Thorez, Paris, am 7.12.37« (Zitate aus dem ersten Telegramm Der ist »Tageblatt« handschr. korrigiert in »Tageszeitung« —, und aus dem zweiten); vgl. auch Bl. 277-278: Otto [d.i. Pieck] an »Deber Freund« [Ulbricht], 9. Dezember 1937; Bl. 279-280: Lanze [d.i. Ulbricht] an »Deber Freund« [Pieck], 26. Dezember 1937 (erh. am 2. Januar 1938). 329

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die Pariser Tageszeitung zu kaufen, den Schluß zu: Im EKKI bestand kein Interessicher im Faüe der se mehr an Presseorganen auf »Volksfront«-Basis. Es war PTZ opportuner, diskret Wolff zu finanzieren (was bis November 1938 geschah) und, auf den Opportunismus auch eines Kurt Caro vertrauend, von den Kuhssen aus Politik und Polemik zu beeinflussen. Dabei bediente man sich ebenfaüs der Freundeskreise der deutschen Volksfront, in denen der mit dem Zeitungseigentümer befreundete Sozialdemokrat Robert Breuer auf sLinie< gebracht worden war. Breuer wurde für eine Zeitlang der wichtigste Mann im Redaktionsstab, dem Caro und Carl Misch vorstanden, nachdem Bernhard bereits Anfang Januar und nicht erst zum vereinbarten Termin Ende Juni 1938 seinen Chefredakteursposten aufgegeben hatte. Seine politische Überzeugung und journalistische Konzeption heßen sich selbst bei aUer Kompromißbereitschaft nicht mehr mit denen Wolffs, der hin zwischendurch entlassen, dann aber wieder aufgenommen hatte, vereinbaren. Die Prozesse, in welche Bernhard verwickelt (gewesen) war, spielten nur eine marginale Rolle wenn überhaupt in dem Bestreben Wolffs, ihn loszuwerden. Im Juh 1938 unternahmen Max Braun und Münzenberg, finanzieü unterstützt von dem in Paris lebenden schwedischen BanDer Olaf Aschberg, den letzten Versuch, die an Leserschaft verherende Pariser Tageszeitung für 100.000 Francs zu kaufen sie hatten bereits viel mehr Geld in das Unternehmen gesteckt —, als Organ für eine neue Sammlungsbewegung in der Emigration. Ihr Angebot wurde abgelehnt. Daraufhin startete Münzenberg mit Geldern von Aschberg, ferner höchstwahrscheinlich vom französischen Außenministerium und von Gebern aus den USA, die Wochenzeitung Die Zukunft. Sie erschien vom 12. Oktober 1938 an, zunächst in Kooperation mit der von Braun seit Dezember 1937 herausgegebenen Deutschen Freiheit?^ Die letzte Ausgabe der Pariser Tageszeitung datiert vom 17. Februar 1940, sie trägt die Nummer 1234. Mit unter anderen Joseph Bornstein, der Ende 1938 vom Neuen Tage-Buch in die Redaktion der PTZ wechselte, und der wie Wolff einst ein feuriger Kommunist gewesen war, war die Zeitung von einem »Kampfblatt gegen den Hitlerismus, für die Freiheit und die Menschenrechte«, das Emigranten/Exilanten und Auslandsdeutsche überparteilich zusammenfassen wohte, zu einem s>Emigrantenblatt« mit ausgeprägter antikommunistischer Signatur schon Monate vor dem Hitler-Stahn-Pakt geworden.332 —









331 Langkau-Alex, »Zukunft der Vergangenheit...?«; weitere Detaüs und Aspekte bei Gerhard Paul, »Die Deutsche Freiheit (1937-1939) Sprachrohr der ¡soziaüstischen Konzentration und des ¡müitanten Humanismus«, in: Roussel/WincWer (Hrsg.), Deutsche Exilpresse und Frankreich, S. 199—206; SchUe, Münzenberg, S. 55ff., und von Pufendorf, Otto Klepper, S. 211-219. 332 Zu den letzten Jahren der PTZ vgl. Peterson, Berlin Liberal Press in Exile, S. 200ff. und bes. Kap. VII; Enderle-Ristori, Markt und intellektuelles Kräftefeld, S. 39ff. -

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2. Kathoüken, Konservative, Volks- und andere Soziaüsten a. Volksfrontausschuß und Kathoüken Wie schon dargelegt, gehörte ab Ende Aprü 1936 kein echter Kathoük mehr dem Volks frontausschuß an; De Soüzahl der Kathoüken war ohneDn trotz der Erweiterung des Personenkreises von 12 auf 15 auf einen Vertreter reduziert worden. Von keinem findet sich mehr eine Unterschrift unter einem Dokument aus dem Lutetia-Kreis. Auf der Vorstandssitzung am 15. Mai 1936 berichtete Münzenberg bereits, daß sich im »kathoüschen Lager [...] eine Differenzierung in der Steüung zur Volksfront« voüziehe.333 Erstes äußeres Zeichen dafür, daß jenes christliche Lager, das sich zunächst für eme Volksfront mindestens abwartend Dteressiert, wenn Dcht engagiert hatte, auseinanderfiel, war das Scheitern des von Gumbel und Münzenberg betriebenen Plans, die Verfolgung der beiden großen Kirchen und ihrer Verbände im NSReich zusammen m einem Buch zu behandeln. Fritz Lieb veröffenDchte seine Studie über die Bekennende Kkche, wie für das Gesamtbuch vorgesehen, in Münzenbergs Éditions du Carrefour, Spiecker aber üeß sein Buch über die Kathoüsche Kkche und ihre OrgaDsationen Ende Aprü oder Anfang Mai 1936 in dem Verlag erscheinen, der auch De Zeitschrift Europa herausgab.334 In der ganzen Angelegenheit schemt jedoch auch eme Intrige innerhalb der kommumstischen Orgamsation gegen Münzenberg mitgespielt zu haben. Jedenfaüs zog Lieb Anfang 1938, bei semen Auseinandersetzungen mit den inzwischen mcht mehr Münzenberg, sondern dem tschechischen Komintern-Funktionär Bohumü Smeral untersteüten Éditions du Carrefour, eine Paraüele zu 1936: Entgegen der schriftlich vereinbarten 1200 Exemplare von Christ und Antichrist im Dritten Reich, so schrieb er, seien nur 500 gedruckt worden, »und in höchst mysterieuser Weise [wurde] in Abwesenheit von Münzenberg [...] der Satz nach Druck der 500 Exemplare ohne mich auch nur zu verstänDgen sofort vermchtet«.335

333

Zitiert nach dem handschr. Protokoü der

Sitzung

der AZ der SAP

vom

16. Mai

1936, ARBARK, SAP, 1, 7,18. 334 Fritz Deb, Christ und Antichrist im Dritten Reich. Der Kampf der deutschen Bekenntniskirche, Paris: ÉDtions du Carrefour 1936; Mues Ecclesiae [d.i. Carl Spiecker], Hitler gegen Christus. Eine katholische Klarstellung und Abwehr, Paris: Société d'EDtions Européennes 1936; Spieckers Buch ist noch angezeigt in ^47Z, 1936, Nr. 17 vom 22. ApD; zu dem

ganzen, noch vom Aktionsausschuß för Freiheit in DeutscDand ausgehenden Projekt vgl. Ursula Langkau-Alex, »Fritz Deb und De Volksfront-Poütik. Der Weg zum »Bund freiheiDcher Soziaüsten«, D: Manfred Kametzki und Karl-Johann Rese (Hrsg.), Fritz Lieb. Ein europäischer Christ und Sozialist. Eine Dokumentation der Evangeüschen Akademie Berün Di Evangeüschen Büdungswerk, Berün: Evangeüsche Akademie Berün 1992, S. 105146, Der S. HOff. 335 UBB, 043, Aa 843: Deb an ÉDtions du Carrefour, 21. Februar 1938, handschr. Vorlage und Ds, nach letzterer Zitat; vgl. ausföhrücher Langkau-Alex, »Fritz Deb«, bes. De Anm. 20 und 46.

393

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

Vom späten Frühjahr 1936 an bröckelte auch die Phalanx der Christen, die sich um die Zeitschrift Europa gebüdet hatte. Rudolf Möüer-Dostah wandte sich innerhalb weniger Wochen von seiner Vision ab, daß eine Zusammenarbeit von Katholiken mit Soziahsten und Kommunisten im Rahmen einer Volksfront möglich erscheine. Zusammen mit dem einstigen Theologiestudenten Klaus Dohrn, der nach Österreich emigriert war und dort als Chefredakteur und Pubhzist die auf der kathohschen Staatslehre fußende ideologische Linie der Zeitschrift Der Christliche Ständestaat wesentlich prägte, und mit dem wie er selbst vom Kommunismus zum Kathoüzismus konvertierten ehemaligen Leipziger BibUothekar Peter Bultmann gründete er im Sommer 1936 in Wien den Ring deutscher Jungkathohken. Dieser verschrieb sich dem Kampf gegen Nationalsozialismus/Faschismus und Kommunismus gleichermaßen.336 Ob diese zweifache, so man wül auch dreifache, Frontsteüung schon den Autoren des Appeüs zur Büdung einer ssFront aüer Christen«337 vor Augen gestanden hatte, kann hier nicht entschieden werden. Der in der Berufung auf Erasmus enthaltene Gedanke einer breiten Ökumene wurde jedenfahs von jener Seite nicht weiter in eine gemeinsame organisatorisch-antifaschistische Praxis im Zeichen der Volksfrontbewegung umzusetzen versucht. Ursache und Folge für dieses Auseinanderdriften sind nur schwer auseinanderzuhalten. Es hat den Anschein, als hätten die konfessioneüen, vor aüem von kathohscher Seite vorgenommenen Abgrenzungen dazu ist auch die Gründung des als Dachverband für aüe Katholiken im Exü gedachten Christlichen Reichsbundes für Deutsche Freiheit von Ende März 1937 zu rechnen, der praktisch wohl eine Erweiterung des fortbestehenden Rings deutscher Jungkathohken war338—, nur zeitweilig von der poütischen Drangsal oder, wie 1934/35 im Abstimmungskampf an der Saar, von einem direkten, konkreten Handlungsbedarf überlagert werden können. Nur die letzten Ausläufer davon mündeten in eine längerfristige, mehr oder weniger enge Bindung an die Volksfrontbewegung ein. Im Frühherbst 1937 bezog eine »Gruppe von Saarkatholiken, Anhängern der Volksfront«, in einem von ihr so unterzeichneten illegalen Flugblatt ausdrücklich die Bekennende Kirche, als vom Nationalsozialismus ebenfaüs ssgeknechtet«, in ihren Aufruf zum Zusammenrücken für Freiheit in religiösen und gesellschaftlichen Dingen ein.339 Pater Muckermanns Zeitschrift Der Deutsche Weg ging, auch wenn er über die Verfolgungen berichtete, denen die Bekennende Kirche ausge—

zu DoWns Reaktionen auf die ErgebWsse der Lutetia-Konferenz vom Rudolf 2. Februar 1936, Ebneth, Die österreichische Wochenschrift »Der christliche Ständestaat«. Deutsche Emigration in Österreich 1933-1938, Mainz 1976, S. 195-198. 337 Siehe Europa, 1936, Nr. 16, 18. April, Titelseite; vgl. oben, S. 26f. 338 Vgl. in diesem Zusammenhang Waldemar Gurian, Der Kampf um die Kirche im Dritten Reich, 2., nach dem neuesten Stand ergänzte Aufl., Luzern: Vita-Nova-Verlag 1936; Ebneth, Ständestaat, S. 205. 339 Auszüge des Flugblatts in: DI, 1937, Nr. 247, 4. Oktober, blauer Sonderdienst.

336

394

Vgl.,

auch

Abkehr und Gegenkräfte

keineswegs so weit. Auch die nach der Verurteüung von Pfarrer Martin Niemöüer in Deutschland eher privat, weh in einem Brief an Fritz Deb geäußerte Beteuerung der Redaktion des Christlichen Ständestaats, man habe stets eine setzt war,

sschristhche Einheitsfront gegen das Neuheidentum« befürwortet, mit der man den Adressierten für einen Grundsatzartikel über den Kampf der Bekennenden Kirche werben wohte, bedeutete nicht, daß die prinzipielle Trennung der Glaubensbekenntnisse in den Hintergrund verwiesen werden soüte. Mag sein, daß die Redaktion der Zeitschrift sich auch nicht aus den Zwängen des kathohschen austrofaschistischen Staats lösen konnte. Die Bitte an Deb, seinen Artikel so zu formuheren, daß ssder gegenwärtige Pressefrieden zwischen Österreich und dem Deutschen Reich« nicht gestört werde, deutet in die Richtung.340 Wahrscheinlich waren aber auch wieder materieüe Gründe mit im Spiel, und zwar sowohl bei Entscheidungen für eine Zusammenarbeit wie bei solchen der Abkehr. Der Protestant Otto Pick hatte sein Geld aus der gemeinsamen Zeitschrift Europa zurückgezogen und damit ihre Einsteüung bewirkt; die Nummer 19 vom 9. Mai 1936 war die letzte Ausgabe. Andererseits soü sich der katholische Chefredakteur Wilhelm Kiefer schon Anfang Februar 1936 von den »Pariser Zusammenkünften [im Lutetia-Kreis ULA] enttäuscht« gezeigt haben.341 Bereits 1935 hatte er im Christlichen Ständestaat pubhziert; nach dem Europa-Intermezzo bheb er politisch Dohrn und Möüer-Dostah verbunden.342 Thormann, ohnehin ssLutetia« kritisch gegenüberstehend, zog sich aus beruflichen Gründen er wurde Korrespondent der Wiener Amthchen Nachrichtenstehe und Mitarbeiter der österreichischen Botschaft in Paris aus dem Rampenlicht der Exilpolitik zurück, in dem er ohnehin meist bei den Sozialdemokraten und unter Pseudonym agiert hatte. Wie Carl Spiecker, der ab Frühjahr 1936 anonym den hektographierten kathohschen Nachrichtendienst Kulturkampf herausgab,343 gingen im Sommer 1936 auch Johannes Hoffmann und Heinrich Imbusch Wege, die von der Volksfront wegführten, wenngleich Spiecker durch seine Arbeit in dem kathoüschen Hüfskomitee der Fédération des Emigrés d'Allemagne en France verbunden büeb. Von ihrer politischen Freundschaft, die jedoch nicht in eine engere organisatorische Zusammenarbeit eingemündet zu haben scheint, grenzten die drei Pater Muckermann aus. Dieser lehnte aüerdings auch -





340

UBB, 043, Ab 1194: Brief [Redaktion] Der Christliche Ständestaat an Deb, 14. Ok-

tober 1937. 341

IISG,

NL

Hertz, S. 18, Soümann: Sollmann

an

Wels, 18. Februar 1936; AdsD,

Emigration Sopade, 122: Sollmann an »Deber Freund« [vermud. Wels], 3. Februar 1936 (Zitat); ders. an W[els], 27. JuW 1936. 342 Vgl. Ebneth, Ständestaat, bes. S. 212. 343 Kulturkampf erscWen dreimal monatlich, auch in jeweÜs etwas abweichender französischer und engUscher Ausgabe; zur Zeitschrift, nicht zur Autorschaft, vgl. Maas, Handbuch deutsche Exilpresse, Bde. 1 und 4; vgl. BA/B, N 2290, 27. 395

A VI. Bilanz zweier eme

Kampfjahre

poütisch-orgamsatorische Formierung der Katholiken ab.344 Imbusch, den De

KPD besonders umworben hatte, da sie zurecht vermutete, daß der frühere Vorsitzende des chrisDchen Deutschen Gewerkschaftsbundes Verbindungen zu IUegalen im Reich unterDelt,345 nahm zwar noch am Kongreß der BergarbeiterInternationale Anfang August 1936 in Prag teü, anschemend aber mehr aus persönüch-nostalgischen Gründen.346 Schon im Februar hatte er sich unter Berufung auf Glaubensgenossen kn Reich gegen eine Zusammenarbeit von Kathoüken »mit offizieüen Kommumsten« ausgesprochen. Dabei spielte sicherüch auch De Angst vor der Gestapo, die »immer mehr Verbindungen zwischen Kathoüken und Kommumsten zu konsumieren suche«, eme Roüe.347 Zudem übte Soümann einen nicht unbeträchtlichen Emfluß auf Imbusch aus. Die Bemühungen vor aüem der KPD, Kathoüken für das Volksfrontbündms wobei Dcht selten analog der Taktik der Einheitsfront »von unzu gewinnen ten« gegenüber der Sozialdemokratie verfahren wurde348 -, und Prominente als »Zentrum«-Vertreter zu etabüeren, standen also in umgekehrtem Verhältms zu der Bereitschaft auf jener Seite, daran mitzuwkken. Der Kathoüken-Prozeß vor dem Volksgerichtshof in Berün, der Ende April 1937 mit der Verurteüung des Hauptangeklagten Kaplan Joseph Rossaint zu 11 Jahren Zuchthaus endete, kam der KPD-Führung da wie gerufen. Seit Anfang 1936 hatte sie versucht, alte, abgebrochene Kontakte zwischen kommumstischen und kathoüschen Jugendü—

-



344

Siehe

BA/B, N 2290, 4, Bl. 90: PosDarte von Hoffmann und Imbusch

aus

Lour-

Spiecker, 8. August 1936; vgl. Ebneth, Ständestaat, S. 212. 345 Vgl. z.B. AdsD, Emigration Sopade 122: Soümann an Wels, 18. Februar 1936, über den Besuch von DaDem bei Imbusch; Münzenberg an Stalin, 14. Juü 1937, über die Mission von Spiecker bei Wels und Imbusch, siehe oben, S. 7 und 13; Walter Ulbricht, »Bericht über eine Aussprache mit Heinrich Imbusch am l.Juü 1936«, in: Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, 2. Zusatzband, S. 67-70; Wehner, Zeugnis, S. 157. 346 Hauptstaatsarchiv (HStA) Düsseldorf, 3601 (Imbusch, Heinrich): Imbusch an seine Schwiegermutter in Essen-Borbeck, 8. September 1936, As der Außensteüe Essen der Staposteüe Düsseldorf; zum 32. Kongreß vgl. Bergarbeiter-Mitteilungen, 1936, Nr. 2, August, und Nr. 3, September; Bednarek, Gewerkschafter im Kampf, S. 102f. 347 AdsD, Emigration Sopade 122: Soümann an Wels, 18. Februar 1936. 348 Vgl. z.B. den Angriff auf Heinrich Bräning von Franz [Dahlem], »Welchen Weg gehen die KaDoüken? EDe besondere Frage an den >Deutschen Weg««, in: DVZ, 1936, Nr. 11, 31. Mai, S. 3; Franz Lang, »KarDnal FaDhaber bei Hider«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 56, 10. Dezember, S. 2221 f., darin wkd Der Christliche Ständestaat abgehoben des

an

FaDhaber, vom Vatikan, von der letzten Fuldaer Bischofskonferenz; Ernst Bayer [d. i. Alexander Abusch], »Die deutschen KaDoüken und De Volksfront«, in: Die Internationale, 1937, H. 3/4, o.D. [nach dem 15. Mai geschrieben bzw. erscDenen], S. 53ff;, »Die rechten Zentrumsführer und De Volksfront«, in: Die Internationale, 1937, H. 5/6, o.D. [erscDenen nach dem 19. Juü 1937], S. 26ff. dieser Artikel wurde auch in De mimeograph., gekürzte Ausgabe des Heftes aufgenommen, das den Tarntitel trägt: Reclams Universal-Bibliothek. Vollständiges Verzeichnis alphabetisch geordnet, Nr. 1—7310, Ausgabe 1935, vgl. Gittig, Bibliographie der Tarnschriften, S. 151, Nr. 0687. von

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Abkehr und

Gegenkräfte

chen im Ruhrgebiet wiederherzustehen oder zu intensivieren. Inwieweit kommunistische (Jugend-)Funktionäre im Rhein-Ruhr-Gebiet in ihrem Auftrag oder aber selbständig handelten, wäre noch genauer zu untersuchen.349 Mit Rossaint jedenfalls, einem der ganz wenigen Kathohken, dazu noch Geistlicher, die wirklich für die Aktionseinheit für Frieden und Freiheit wirkten wobei dieser an seine Arbeit unter proletarischen Jugendhchen im Ruhrgebeit von vor 1933 anknüpfen konnte —, heß sich nicht nur, wie mit ausgewählten Zitaten aus der Enzyklika Papst Pius' XI. »Mit brennender Sorge« vom März 1937, abstrakt für eine Volksfront agitieren, hier heß sich, ahe ablehnenden Reaktionen auf Seiten der Kathohken negierend, praktische Volksfront vorführen. Die KPD-Führung wertete den Prozeß denn auch als gegen die Volksfront gerichtet und nutzte ihn mit anderen Prozessen zu verstärkter Agitation.350 Dabei kam ihr der Kathohk Hubertus Prinz zu Löwenstein zu Hufe. Dieser nahm in der Neuen Weltbühne, unter Hinweis auf seine Jugendarbeit vor 1933 und sich berufend auf seine positiven Erfahrungen im Hinbück auf eine Volksfront, die er während einer langen Reise durch die USA gemacht habe, Steüung zum Thema »Katholische Jugend und Volksfront«. Den Zögernden und Abweisenden, vor ahem aus der älteren Generation, soüte der Artikel Mahnung sein, schon jetzt, in der Volksfront, für »Nachher«, für den s>Neuaufbau des Reiches«, zu arbeiten; den Volksfrontlern versuchte er im Gegenzug die im Kathohzismus, vor aüem in Süddeutschland und in den Rheinlanden, gewurzelten demokratischen Traditionen und das »Staatsbild des Kathohzismus« zu vermitteln.351 Ulbricht bezog neben dem verschärften Terror der Nationalsozialisten gegen Kathohken und ihre Einrichtungen, einschließlich des Verbots von Kreuzen in Schulen, auch den Kampf gegen die Bekennende Kirche und die evangehschen Kirchenwahlen mit ein, als er gegen Ende Mai 1937 Heinrich Mann aufforderte, dafür zu sorgen, daß der Volksfrontausschuß sich mit dem Thema der »Christenverfolgungen« im Reich beschäftige und eine entsprechende ErDärung herausgebe.352 Er verhehlte nicht, daß es ihm (auch) darum ging, sowohl der »Gegen-

Vgl. Wehner, Zeugnis, S. 157f; Peukert, Ruhrarbeiter, S. 243ff., auch zum folgenden. Vgl. z.B. »An die Katholiken WestdeutscWands!«, auszugsweise abgedr. in: Peukert, Ruhrarbeiter, S. 242f.; »Hochverratsprozeß gegen die Volksfront«, in: DI, 1937, Nr. 174, 15. April; »Offene Worte an alle Kathoüken Deutschlands«, in: DVZ, 1937, Nr. 17, 25. Aprü, S. 3f, auch zum folgenden; Hans-Josef Steinberg, Widerstand und Verfolgung in 349 350

Essen 1933—1945, Hannover 1969, S. 133f.; Luitwien Bies, »Neue Dokumente zum Beniner Kathoüken-Prozeß 1937. In memoriam Dr. Dr. h.c. Joseph Corneüus Rossaint«, W: BçG.Jg. 34 (1992), S. 83-94. 351 Hubertus Prinz zu Löwenstein, »KathoUsche Jugend und Volksfront«, in: NWB, Nr. 1937, 19, 6. Mai, S. 575ff.; vgl. A. Exelmann, »Kathoüken, Kommunisten u[nd] Volksfront, Bemerkungen zu einem Artikel von Hubertus Prinz zu Löwenstein«, in: DVZ, 1937, Nr. 20, 16. Mai, S. 4. 352 Auch zum folgenden: Ulbricht an H. Mann, 25. Mai 1937, in: Ulbricht, Zur GeBd. 2. II, schichte, Zusatzband, S. 90-94.

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A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

offensive« gegen De Volksfront von seiten der Volkssoziaüsten dazu rechnete er ohne Unterscheidung der Konzeptionen und ihrer ideologischen Hintergründe einen Pater Muckermann, einen Wilhekn Soümann, einen Otto Strasser -, als auch den »Zerspütterungsversuche[n]Erklärung zu den Rehgionsverfolgungen in Deutschland«, der im Pariser Sekretariat des ZK der KPD im Auftrag des Volksfrontausschusses vom 26./27. Juni ausgearbeitet wurde, waren zwar Ulbrichts Forderungen etwas zurückgesteckt, doch wurde immer noch postuüert: ssjeder Hitlergegner sohte erkennen, daß er sich im Kirchenkampf nicht auf die Rohe eines passiven Beobachters beschränken darf. Die gegenseitige brüderliche Unterstützung aller Hitlergegner in solchen Kampfbewegungen ist ein Teil des deutschen Freiheitskampfes, der Volksfrontbewegung.«2,55 Demgegenüber legte Max Braun einen von ihm, wohl zusammen mit Breitscheid, formuherten Text vor, in dem die Unterdrückung der Freiheit auf der einen und die Aufgabe einer Volksfront auf der anderen Seite ahgemeiner und zugleich umfassender nahegebracht wurden. Es hieß dort: s>Die Unterdrückung der freien Religionsausübung der Christenmenschen, die Bekämpfung der freien Lehre der Glaubenssätze der kathoüschen und der protestantischen Religion ist die natürliche Fortsetzung der Niederschlagung jeder freien Meinung, die mit der Einkerkerung und der Landesvertreibung der Soziahsten, Kommunisten, Demokraten und Pazifisten begonnen hat. Ihnen haben sich die unmenschlichen Judenverfolgungen angeschlossen. Die verschärften Maßnahmen gegen die Kirchen werden jetzt durchgeführt, weh das Hitlerregime in der Aufrechterhaltung auch nur von Resten der Glaubensfreiheit ein Hindernis der seehschen Mobilmachung des Volkes für den Eroberungskrieg sieht. [...] Die Deutsche Volksfront unterstützt deshalb den Kampf gegen die Unterdrückung der religiösen Freiheit im nationalsozialistischen Deutschland als eine Regung gesunder freiheitlicher Volksinstinkte und als einen Teü des Kampfes für die allgemeinen menschlichen und demo-

kratischen Freiheiten.«356

Anfang August von dem am 27. Juni 1937 neu gebüdeten einmütig als Erklärung des Volksfrontausschusses zum Kirchenkampf angenommen, nachdem eine von SAP-Seite ersteüte »Erklärung zum Kirchenstreit«, in der der Gedankengang der Sozialdemokraten wesentlich straffer zu fassen versucht worden war, sich als ebensowenig konsensfähig erwiesen Dieser Text wurde

Arbeitsausschuß

Katholiken vor ernsten Entscheidungen«, der Artikel endet mit eWem Aufruf zum gemeDsamen Kampf »für eWe demoDatische Volksrepubük«; Nr. 25, 20. JuW, S. 2: »Blut fließt im Kirchenkampf Maßloser Terror in aüen Teüen des Dritten Reiches Pfarrer ermordet 1200 Verhaftungen in dieser Woche«. 355 ARBARK SAP, 6, 50, 14: das Dokument, Masch., 2 S., o.U., o.D., aus dem Wer zitiert ist, beginnt: »Der Ausschuß zur Vorbereitung der deutschen Volksfront verbreitet folgende Eridärung zum Kirchenkampf in DeutscWand ...« 356 Das Dokument, 3 S., o. U., o. D., aus dem die Zitate, beginnt: »Der Ausschuß zur Deutschen Volksfront versendet folgende Eridärung:«, Max Braun schickte einer Errichtung es mit Brief vom 20. Juü 1937 an die Mitgüeder des Arbeitsausschusses, siehe ARBARK, -

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SAP, 6, 50,13. 399

A VI. Bilanz zweier

Kampfjahre

hatte wie der Entwurf der Kommumsten.357 Er wurde jedoch De veröffentlicht. Es gab Streit um De Unterschriften, insbesondere bemängelte Ulbricht, daß Gumbel mcht unterzeichnet habe; doch Deser hatte De Erklärung, da mcht Mitgüed des Arbeitsausschusses, gar mcht erhalten.358 In Deser Konsteüation hatte ein neuerücher Vorstoß von Ulbricht, De Kkchenverfolgung im Reich zum Ausgangs- wie Mittelpunkt weiterer gemeinsamer Aktivitäten zu machen, von vornherein wenig Aussicht auf Erfolg. Es kam hinzu, daß Ulbricht in seinem Brief vom 6. August an Heinrich Mann zwei orgamsatorisch und personeü unvereinbare Vorschläge machte. Zum einen woüte er, daß der Volksfrontausschuß sofort nach dem Nürnberger Parteitag der NSDAP im September zusammenträte, um über De dort zu erwartende Verschärfung des Kkchenkampfes und De mögüche Gründung einet »deutschen Nationalkkche« auf Anregung von Otto Klepper, wie er zu beraten. Zum anderen drängte er schrieb -, auf einen »vertrauüchen«, von Thomas Mann emzuberufenden Meinungsaustausch zwischen führenden Kommumsten, bekannten Kathoüken, ekügen ausgewählten Sozialdemokraten und natürlich Heinrich Mann und Klepper. Von diesem Meinungsaustausch soüten jedoch offensichtüch Georg Bernhard, Max Braun, Emü J. Gumbel, Fritz Lieb und natürüch Münzenberg und jegücher Vertreter der SAP ausgeschlossen bleiben.359 Der Brief Ulbrichts bewirkte indessen, daß Heinrich Mann, der den Brief aüerdings bis Ende September geheim Welt, den darin gemachten VorscUag aber —

357 Vgl. ARBARK, SAP, 6, 50, 15 und 16: Brief [der SAP, vermud. Walcher] an M. Braun, 29. Juü 1937, bzw. »Erklärung zum Kkchenstteit«, handschr. von Walcher über dem eine MascDnenseite langen Text; siehe auch zum folgenden: BA/K, R 58/586, Bl. 97/98: RSchr. [des Sekretariats des ZK der KPD in Paris an die Parteisteüen im übrigen Ausland], darin, mit einer »Vorbemerkung« versehen, der mit dem von Braun verschickten Text identische Wortlaut der Erklärung, laut handscD. Vermerk im Gestapa, II A 1, vom 28. Januar 1938, von V-Mann »Hei 3« verttauüch aus Paris beschafft. 358 Vgl. ARBARK, SAP, 6, 50, 19: die kommunistischen Vertreter im Volksfrontausschuß, unterz. W., »An den Vorsitzenden und an De Mitgüeder des Arbeitsausschusses des Volksfrontausschusses«, 17. September 1937 (Nachdr. in: Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, 2. Zusatzband, S. 116-118); ebd., 6, 69, 85: Gumbel an Jacob [Walcher], 24. September 1937. 359 Walter [Ulbricht] an »Deber Freund Heinrich Mann«, 6. August 1937, durch »die am 25. November 1937 >vertrauüch< beschafft«, BA/K, R 58/586 Münster Stapoleitsteüe und R 58/639; namenDch nannte Ulbricht außer Klepper sowie Heinrich und Thomas Mann: von den Kommunisten Wilhelm Pieck, Paul Merker und sich selbst; an »Kathoüken« Heinrich Imbusch, Werner Thormann, Carl Spiecker, Edgar Alexander, Arnold Bergsträsser und Prof. Karl Barth De beiden Letztgenannten waren Protestanten!; an Sozialdemokraten »Prof.« Olden gemeint war Rudolf, der damals deutsche Geschichte in Oxford und an der London School of Economics lehrte (Des eine Korrektur zu LangkauAlex, »Fritz Deb«) -, Rudolf Breitscheid, Friedrich Stampfer vom ttaDtioneUen und Paul Hertz vom ünken Flügel der Sopade und Verbindungsmann zu Neu Beginnen ebenso wie zur Gruppe Deutsche Volksfront D Berün. -

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400

Abkehr und

Gegenkräfte

nicht nur ablehnte, sondern bereits am 11. August 1936 begann, mit Münzenberg, Bernhard, Gumbel, Deb und anderen die Formierung einer am besten als ssozial-

liberak zu charakterisierenden Intellektuellen-Organisation in Angriff zu nehmen. Sie wurde am 11./12. Dezember 1937 in Dijon als Bund freiheitlicher Soziahsten (BfS) reahsiert mit dem Ziel, den Kommunisten und den Soziahsten (Sozialdemokraten) einen »nicht-proletarischen« Block das Wort ssbürgerhch« vermied man an die Seite zu stehen.360 —

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b. Deutsche Front gegen das Hidersystem oder Deutsche Volksfront? Mehrere Faktoren und Ereignisse des Jahres 1936 und von Anfang 1937 gaben den meisten Katholiken jeweüs neue Gründe, sich von der Volksfrontbewegung zu distanzieren oder ihre von Anfang an gezeigte Ablehnung zu rechtfertigen. Einige wurden bereits in anderem Zusammenhang genannt, so die Ausweitung der Affäre Pariser Tageblatt/Pariser Tageszeitung. Doch sie hat hier vermutlich weit weniger Schaden angerichtet als die ersten beiden Moskauer Prozesse, die verheerend wirkten, wie wir sahen. Von großem negativen Einfluß auf Kathoüken waren die von Rachegefühlen beherrschten Volksexzesse gegen Kirchen und Klöster, Geistliche, Nonnen und Mönche nach dem Wahlsieg des Frente Popular in Spanien. Völkischer Beobachter, Der Deutsche Weg und die diesem durch die Person Pater Muckermanns personeü verbundene Zeitschrift Der Deutsche in Polen?bX das kathohsche Fußvolk im NSReich, die deutschen Bischöfe und der Papst waren sich in einem einig: Hier war der »rote Teufel« am Werk, der s¡Bolschewismus« oder, globaler, der »Marxismus«, oder eben, da von den Parteien der in der Regel atheistischen Linken getragen: die »Volksfront« schlechthin.362 Im Gegensatz zu den genannten kathoU-

Siehe Langkau-Alex, »Fritz Deb«, bes. S. 128ff.; zum BfS siehe unten, S. 431 ff., und Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 27; zur Mitteüung Heinrich Manns Ende September wohl nach der stürmisch verlaufenen Sitzung des Arbeitsausschusses des Volksfrontausschusses am 28. September über Ulbrichts Brief vom 6. August 1937 siehe Brief der NichtkommuWsten im Volksfrontausschuß an das ZK der KPD, 13. November 1937 (vgl. dazu oben, S. 363f. und bes. Anm. 248). 361 Zur Verflechtung der Personen über und durch die Pubükationsorgane vgl. Maas, Handbuch deutsche Exilpresse, Bd. 4, bes. S. 467ff; auch z. B. die KurzbiograpWe von Gurian, W: BHB 1. 362 Vgl. etwa Völkischer Beobachter, Berüner Ausgabe, 1936 (meistens auf der 1. Seite), 19. März: »Das ist Marxismus [...] Kirchen zerstört und Wedergebrannt!« (darunter nur ein Foto); 8. Mai: »Moskaus Friedensmaske und seine Blutschuld in Westeuropa [...] SpaWsche Rotmordbüanz ...«; 29. Juü: »Bolschewistenhäuser aus spaWschen Klöstern«; 20. August: »Moskau funkt: ¡Tötet aüe Priesterk«, und: »Wie lange noch? Jüdisch-bolschewistische Verbrechen. GeDeuzigt, mit Benzin übergössen und lebendig angezündet«; Der Deutsche Weg, 1936, Nr. 30, 26. Juü: »Soü das ¡Volksfront sem!«; Nr. 31, 2. August: »Braune und rote Klosterstürmer arbeiten Hand in Hand«; Nr. 33, 16. August: »Nicht ¡VolksfrontAußenpoütiker< der RSD, ScDfrin, De Ekhgung zwischen Sozialdemokratie und KommuDsmus sowohl auf nationaler Ebene als auch zwischen SAI und Komintern und daneben De Kooperation vor aüem der deutschen und der französischen Parteien als vordringüch, weü ihrer Meinung nach entscheidend, ansahen, schritt Walter Ulbricht schon weiter zur EiDgung unspezifischer »Werktätiger« in einer deutschen Volksfront. Beiden gegenüber sah De SAP in einer nationalen »proletarische [n] Einheitsfront« aüer eimgungsbereiten Arbeiterparteien die Grundvoraussetzung eines BündDsses mit (klein-) bürgerüchen Gruppierungen und Schichten, die allerdings antikapitaüstischer und antiklerikaler Gesinnung sein mußten. Eine solche EDsteüung forderten auch Rudolf Möller-Dostaü und Ulrich Becher von den Kathoüken als Partner der soziaüstischen Arbeiterparteien. Der einzige Kathoük m der Programmkommission, Spiecker, war jedoch nach dem durch Dengeis KPD-Standpunkt provozierten Mißüngen der ersten Zusammenkunft am 6. März zurückgetreten. Zweitens teüte man De Auffassung, daß der Emigration ledigüch eine Denende Funktion für Innerdeutschland zukomme, und zwar als Vorbüd wie Förderer der Einigung der heterogenen Opposition und, geeint, als Mentor strategischer und programmatischer Orientierung. Die konkreten Vorsteüungen, sofern man sich darüber ausüeß, variierten freDch von der Forderung, sich »von dem strategischen Ziel« der »proletarische [n] Diktatur« leiten zu lassen so die SAP, die sich auf Marx, Engels und erstmals auf den Lenin der Kinderkrankheiten berief bis zu Eckpunkten sozialer Gerechtigkeit (»Eingriffe in die kapitaüstische Struktur«) und Rechtssicherheit (Abschaffung des Erbhofgesetzes z. B.) aus kathoü—

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7^47Z, 1936, Nr. 8, 20. Februar, S. 123. 8 Für Schwarze Front, Sopade, VSBD und SIKO siehe nacheinander oben, S. 20ff, 9ff., 18ff. und 34ff, und De zugehörigen Dokumente 14, 15, 20 und 17 in Deutsche Volksfront Band 3, auf De drei Erstgenannten komme ich auch unten im Zusammenhang mit den RichDDen der KPD Dr eine deutsche Volksfront zurück.

472

Neuanfang:

Inhaltliche

Ausgangspositionen

schem Geist so Möher-Dostah. Georg Bernhard plädierte für die Wiederhersteüung der »bürgerhchen Freiheiten«, weil »Grundlage für jede Zivilisation«. Und Ulbricht stützte sich in seinem Artikel ssNur die Einheit gegen Hitler kann das deutsche Volk retten«, gleich der SAP, dabei Georgi Dimitroff zitierend, auf Lenins Kinderkrankheiten, als er den »Kampf um [...] ahe bürgerhch-demoMatischen Rechte und Freiheiten], die] vom Faschismus vernichtet worden sind, aber auch, weü manche Forderungen der bürgerüch-demoDatischen Revolution noch nicht zu Ende durchgeführt wurden, wie z. B. die Beseitigung der Vorrechte der Junker, der Besitzrechte der abgetakelten Fürsten u. a.«, propagierte, diesen Kampf aber als »Möghchkeit von Übergangsetappen« und »keinesfalls [als] eine Abschwächung oder Verschleierung der weitergehenden Ziele der KPD, des Kampfes für den Soziaüsmus durch die Sowjetmacht« verstanden wissen woüte.9 Das entsprach der Eridärung des Pohtbüros s¡Nach Hitlers Wahlbetrug« von Ende März, in der es hieß, die KPD betrachte die s¡Wiederherstehung bürgerhch-demoMatischer Rechte« »als einen bedeutenden Fortschritt, obwohl sie weitergehende Ziele erstrebt«.10 —

Zur Standpunktsuche in der KPD Hatte Ulbricht sich also nach der Intervention des EKKI-Präsidiums vom März darein geschickt, daß der Volksfrontausschuß auf eine programmatische Grundlage gestellt werden müsse, wenn dieser die Vorreiterrolle eines von KPD und SPD einheithch geführten und über die beiden Arbeiterparteien hinausgehenden Bündnisses zum Sturz der Hitlerdiktatur und zum Kampf für ein ssdemoDatisches Deutschland«, das er selbst in einer Zwischenüberschrift benannte, spielen sohte? Pieck bestritt dies in seinen ssNotizen über die EntwicMung der Differenzen im Pariser Volksfrontausschuß«. Zum Beweis zitierte er Ulbrichts Satz aus demselben Artikel, der sich an einige allgemeine Beispiele von Resistenz unter

Aüe vorhergehenden Zitate nach MDFB (siehe oben Anm. 6), nacheinander: S. 28 (SAP), S. 24 (Möüer-Dostaü), S. 6 (Bernhard) und S. 16 (Ulbricht); W. I. LeWn, Der »Radikalismus«, die Kinderkrankheit des Kommunismus. Versuch einer populären Darstellung der marxistischen Strategie und Taktik (Geschrieben im ApW-Mai 1920. ErscWenen im. JuW 1920), wiederabgedruckt u. a. in: W. I. LeWn, Sämtliche Werke, Bd. XXV: Das Jahr 1920. Strategie und Taktik der proletarischen Revolution, Wien Berün: Verlag für Dteratur und Poütik 1930, S. 201-306. 10 »Nach Hitlers Wahlbetrug. Eridärung des Poütbüros der KPD für den Zusammenschluß aUer antihitlerischen Kräfte«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 15, 2. April, S. 609f; die Eridärung wurde Wi Reich auch verbreitet mittels der Roten Fahne, 1936, Nr. 3, ist aber nicht mit aufgenommen m: PikarsD/Uebel, Antifaschistischer Widerstandskampf der KPD 9

-

Flugblatt.

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413

B I. Die

Programmkommissionen

bis

zum

Frühsommer 1936

Arbeitern, De schon zur stetig wachsenden Opposition hochgejubelt wurden, anschloß:

»Es wäre deshalb ein Fehler, an Steüe der Aktionsaufgaben und der Schaffung eines Aktionsprogramms der Volksfront über Verfassungskonstruktionen zu Dskutieren, denn das würde nur De Büdung der Volksfront Dskreditieren.« Pieck dazu: »Dieser Satz stand aber im Widerspruch zu dem ErgebDs der Beratungen im Sekretariat des EKKI, wo ausdrücklich gesagt wurde, daß wk uns auch mit den Partnern in der Volksfront über De Frage, was nach Hider kommen soü,

auseinandersetzen.«11 Beginn der Lutetia-Gespräche im Juü 1935 war von KPD-Seite ein Vorschlag dem anderen, eine Konzeption auf die vorige oder in Antwort auf Äußerungen von außen gefolgt. Mal offen vorgetragen, mal eher vertrauüch einem kleinen Kreis von Kritikern schriftüch mitgeteüt, mal nur für Parteifunktionäre bestimmt, mal für eine größere ÖffenDchkeit pubüziert, wie ich auch in Deutsche Volksfront Band 1 dargelegt habe, zeigen sie insgesamt eine in sich uneiDge Parteiführung auf der Suche nach der >richtigen< Strategie und Taktik »im Kampf für die Volksfront gegen Krieg und Faschismus«,12 um den globalen Auftrag des VII. Weltkongresses der Kortkntern koüektiv zu erfüüen; AUeingänge aus Eigeninteresse konterkarierten De erstrebte Koüektivität zudem. In der Vorbereitungsphase auf De große Lutetia-Konferenz vom 2. Februar hatte Wüü Münzenberg als Übergangsziel nach dem Sturz der Hider-Diktatur »eme Regierung der antifascWstischen Kräfte mit weitgehender Diktaturgewalt« defmiert.13 Das klang anders als seine und Wühelm Koenens Vorsteüung einer »Nationalversammlung«, De Ausgangspunkt zur »Erringung der demokratischen Repubük mit weitgehenden poütischen Freiheiten, insbesondere mit Reügionsfreiheit«, sein soüte, mit der sie auf der ersten großen Lutetia-Zusammenkunft am 26. September 1935 mindestens verbal an den konstirutiven Beginn der von der KPD damals bekämpften parlamentarisch-demokratischen Weimarer Und die vom 26. September wichen von anknüpften.14 Erklärungen Repubük dem Standpunkt ab, den Koenen im August 1935, als der VII. Weltkongreß der Seit





Beide Zitate nach SAPMO, Ny 4036/558, Bl. 117; das Ulbricht-Zitat übernahm Pieck wortgetreu. 12 Zitat nach: Wühekn Pieck/Georgi Dimitroff/Palmko Togüatti, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunisten im Kampffür die Volksfront gegen Krieg und Faschismus. Referate auf dem VII. Kongreß der Kommunistischen Internationale (1935), Berün 1957; vgl. auch die Komintern- und KPD-immanenten Belege bei Sywottek, Deutsche Volksdemokratie, S. 51 ff. 13 Wüü Münzenberg, »1936 das Jahr der Schaffung der deutschen Volksfront«, zit. nach: MDFB, 1936, Nr. 9, 10. Januar, S. 3, zuvor abgedruckt in: Rundschau (Basel), 1936, 11

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Nr.

1, 2. Januar. 14

474

Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S.

181.

Neuanfang:

Inhaltliche

Ausgangspositionen

Komintern noch über den einzuschlagenden Kurs debattierte, eingenommen hatte, nämlich daß sich für den Vorläufigen Ausschuß zur Vorbereitung einer deutschen Volksfront die Frage nach einer nachhiderischen Ordnung nicht stehe,

»Hauptfrage« sei vielmehr die Einigung über die »gemeinsamen Schritte zur Vorbereitung des Sturzes von Hitler«.15 Nach Ulbrichts Einschränkungen, daß eine auf s¡sOrgane der Volksfront^« gestützte Nationalversammlung erstens alle

von Weimar vermeiden werde und zweitens nur dann in Betracht käme, nach dem Sturz der Hitlerdiktatur das Proletariat nicht stark genug sei, sofort die Diktatur des Proletariats zu errichten,16 schwenkte Münzenberg in einem Brief vom 21. Oktober 1935 an den Wortführer der Skeptiker und sozialistisch orientierten Kritiker an der kommuWstischen »Wende«, Gottfried Salomon, auf die Position ein, die Entscheidung gehe heute zwar s>zwischen bürgerlicher Demokratie und Faschismus« ein Zitat aus dem Schlußwort Dimitroffs zur Diskussion über seinen Bericht auf dem VII. Weltkongreß -, jedoch sei »für eine sozialistische Gesellschaftsordnung kaum eine andere Staatsform als die der proletarischen Demokratie möglich«. Die Termini »Nationalversammlung« und ssdemoDatische Repubhk« verwendete er nicht, wohl aber sprach er von Grundrechten, Freiheiten und Garantien, ssum eine demokratische Ordnung der Wirtschaft und besonders der Sozialpolitik aufzubauen«.17 Eine so völlige Abstinenz von geschichtlich beladenen Termini ist keineswegs kennzeichnend für den Entwurf des ssManifests«, den die s¡Brüsseler« Parteiam konferenz der KPD an der Münzenberg nicht teilgenommen hatte 15. Oktober 1935 verabschiedete, dagegen sehr wohl für die mit Datum vom 1. Dezember 1935 vom neuen Pohtbüro fertiggestellte endgültige, dann auch publizierte Fassung. Im Entwurf hatte es geheißen: »Wh Kommunisten kämpfen für die Sowjetmacht, aber wir werden den Wülen des Volkes respektieren, wenn es noch nicht für die Aufrichtung der Sowjetmacht ist, wenn es eine Regierung der Einheits- und Volksfront an die Stehe der Hiderdiktatur setzen wül. Wh werden dafür kämpfen, daß die Volksmassen in einer freien Wahl eine Nationalversammlung büden, daß wirksame Maßnahmen gegen den Faschismus, gegen die Kriegstreiber ergriffen werden.«18 Im endgültigen Text war auch die s>Nationalversammlung« gestrichen worden. Jetzt lautete die Passage:

Fehler wenn



-

-

13 SAPMO, Ry 1, I 2/3/418, Bl. 18ff: Bericht Koenen, 17. August 1935, zit. nach: Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999, S. 1035; Schneiders Einschätzung, die »KommuWsten legten frühzeitig ihre strategische DWe fest«, läßt sich aüerdings nicht halten. 16 Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 245. 17 Vgl. Langkau-Alex, »¡Die Geschichte hat es gewoUt ...«VolksfrontBrüsseler« Konferenz bzw. der Verabschiedung des endgültigen Textes des s¡Manifests« wanden sich die KPD-Funktionäre, eine Staatsordnung, die nach dem Sturz der Hitler-Diktatur geschaffen werden und der endgültigen »Sowjetmacht« den Weg bereiten soüte, zu benennen. Erst die Resolution des

EKKI-SeDetariats vom 17. März 1936 brachte »demokratisch« und s¡Deutschland« wieder zusammen. Ein s¡demoMatisches Deutschland«, so orientierte sie, müsse in der Perspektive einer Plattform der KPD »für eine breite Front aller Hitlergegner [...] zum Sturze Hitlers« ebenso enthalten sein wie »aktuellste Forderungen« auf den Gebieten der Kultur, der Jugend und der Kuchen.24 Franz Dahlem, der als einer der Schhchter zwischen Ulbricht und Münzenberg, letzthch auch in eigener Sache der Kommission des EKKI-Präsidiums angehört hatte, sprach von einem s¡demokratische[n] Regime in Deutschland«, das er im übrigen als eine weitere KonDetisierung der im ssManifest« der ssBrüsseler« Konferenz »festgelegte[n] Dnie« wertete.25 Ulbricht gebrauchte in dem oben zitierten Artikel »demokratisches Regime« und »demokratisches Deutschland« nebeneinander.26 Offenbar wurden beide als Synonyme verwendet, vorgegeben von der ebenfaüs bereits zitierten Poütbüro-ErMärung s>Nach Hitlers Wahlbetrug«. Sie folgte, auch unter Rekurs auf die »Kundgebung« der Lutetia-Versammlung vom 2. Februar, der EKKI-Resolution, insofern sie eine Aktionsaufgabe zum Sturz Hitlers und eine dem ssVierjahres- und Kriegsplan Hitlers« entgegenwirkende Programmaufgabe »zur Rettung des deutschen Volkes, des Kampfes für Frieden, Freiheit und Brot« steüte. Mit anderen Formuüerungen übernahm Dahlem die doppelte Aufgabensteüung in seinem bereits zitierten Artikel. Zum 1. Mai memorierte Wühelm Florin, der in Moskau inzwischen mit Pieck Richtlinien für eine Volksfront-Plattform der KPD ausarbeitete, Verlautbarungen der verschiedenen Strömungen in der Partei nach der ssBrüsseler« Konferenz. Man kann auch sagen, er versuchte den verbindenden Spagat zwischen ahen Siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 3. Siehe oben, S. 51 f. 25 Franz [Dahlem], »Deutsche Volksfront«, W: NWB, 431, ZitatS. 431. 26 Vgl. Anm. 6 dieses Kapitels. 23

24

1936,

Nr.

14,

2.

April,

S. 428-

477

B I. Die

Programmkommissionen bis

zum

Frühsommer 1936

Positionen, in denen aüerdings Kritik bis Polemik gegenüber den »rechten« oder

»reaktionären« Führern der Sozialdemokratie national voran der Sopade und international eme Konstante war; De Revolutionären Soziaüsten Siegfried Aufhäuser und Karl Böchel reihte er in De Phalanx der Kapitulanten vor der Sopade ein. In den mit dem Focus auf Innerdeutschland formuüerten Programmpunkten für ein »demokratisches Deutschland« Dstanzierte Wilhelm Florin De KPD nur scheinbar Dcht mehr grundsätzüch von der Ausgangslage der Weimarer Repubük. Der Punkt »Nationalversammlung« kam allerdings mcht vor. Vielmehr erklärte Florin, daß »die Aktionseinheit gegen Hitler zwischen der Kommumstischen, Sozialdemokratischen und kathoüschen Zentrumspartei« wobei er auch bei letzterer auf den Anteü der Arbeiter setzte nur mit folgendem Programm reaüsiert werden könne: »Kampf um De Wiederhersteüung aüer ehemaügen Rechte des Volkes, das ist Koaütionsfreiheit, Pressefreiheit, Orgamsationsfreiheit, Freiheit der Arbeiterbewegung, Selbstverwaltung der Kommunen, freie und ungeDnderte Wahl der Vertreter des Volkes, Absetzbarkeit der Regierung und ihre Neuzusammensetzung unter Kontroüe der Vertreter des Volkes usw.«27 Der letzte Punkt brachte die Befugms des Reichspräsidenten in der Weimarer Repubük, die Regierung zu entlassen, einen neuen Kanzler zu bestimmen und Desen mit einer neuen Kabinettsbüdung zu beauftragen, zurück in De Verantwortung der Volksvertreter. In der »Verwkküchung Deser Forderungen«, sah Florin De Herausbüdung einer »mächtigen freien Arbeiterbewegung m Deutschland, als der Grundlage des Kampfes für höhere Ziele gemäß den Forderungen der Arbeiterklasse und des werktätigen Volkes«. Er ging von der kommumstischen Gewißheit aus, daß letztendüch »nur die Diktatur des Proletariats zum Soziaüsmus führen kann«. Dahlem bestimmte fast zur gleichen Zeit als weitergehendes Ziel der Kommunisten nach Erringung der demokratischen Freiheiten den Kampf »um den Soziaüsmus und für eine Räterepubük«.28 Die Verknüpfung von »bürgerüch« und »demokratisch« erschien ihm, so sagte er Jahre später, überflüssig, da selbstverständlich und mit Bück auf De (intendierte und reaüsierte) zukünftige Ordnung auch Dcht korrekt.29 Seine WortwaD war im übrigen für sensible Ohren berech—

-





27

Wühelm Florin, »Der Kampf der Kommunisten im faschistischen Deutschland«, in: Rundschau (Basel), 1936, Nr. 18, 22. ApD, S. 727f., Zitate, auch die folgenden, S. 728; Sywottek, Deutsche Volksdemokratie, charakterisiert auf S. 65 Florins Position in Desem Artikel als »eine konzeptioneüe Dnie von ersten kommunistischen Überlegungen zur Programmatik der Volksfront vom Oktober 1935 über Togüattis und seine eigene Rede auf der BDsseler Konferenz«. 28 Wie oben Anm. 25. 29 PA ULA: Dahlem an ULA, 10. August 1981, u. a.: »Welche Rechte soüten in einem vom Volk selbst festgelegten demokratischen Regime verwkkücht werden, wenn man ein faschistisches gesDrzt hat, wenn Dcht erst einmal mindestens De Sicherung bürgerüch-

478

Neuanfang: Inhaltliche Ausgangspositionen

ssRäterepubhk« Mang besser als s¡Diktatur des Proletariats« oder »SowjetRepublik. »Räte« konnten an einen eher idealtypischen demoDatischen Aufbau von der Basis her und die damit einhergehenden Selbstverwaltungsorgane dennet.

ken lassen, aber auch an so unterschiedhche Gebilde erinnern, wie die Regierung des Rats der Volksbeauftragten; die durchweg noch gemäßigten, demoMatisch konstituierten, von der SozialdemoDatie dominierten Arbeiter- und Soldatenräte in der revolutionären Umbruchzeit des deutschen November 1918; selbst an die kurzlebige, durch Reichsexekution beendete Münchener Räteregierung vom Frühjahr 1919; darüber hinaus schließlich an die in Artikel 165 der Weimarer Verfassung verankerten Arbeiter- und Wirtschaftsräte. »Räte«, »Räterepubük« mußten also nicht unbedingt oder in erster Linie Gedanken an das nur mehr den Namen tragende, jedoch durch Parteidiktatur pervertierte System, wie es sich in der Sowjetunion entwickelt hatte, wach rufen. Und ssSoziahsmus« wurde in der einen oder anderen Form von (fast) ahen Oppositionehen Gruppierungen in der Emigration erstrebt. Florins und Dahlems Artikel setzten trotz terminologischer Unterschiede einen Schlußstrich unter die frühen plenaren programmatischen ErMärungen von Koenen und Münzenberg. Obgleich deren Konzeption ebenfahs doppelgleisig angelegt war Bündnis der (Mitglieder der) Arbeiterparteien SPD und KPD und darauf aufbauend Bündnis mit aüen in ihrer materieüen und weltanschauüchen Existenz bedrohten und verfolgten Klassen und Schichten -, hat die Perspektive der Wahl zu einer Nationalversammlung als Wegbereiter einer parlamentarischen Demoktatie bei der Mehrheit im Poütbüro sicherhch das Schreckgespenst heraufbeschworen, daß die zunächst beherrschende organisierte ArbeiterMasse wiederum der Bourgeoisie unterhegen würde. Mit seiner angepaßten Charakterisierung der Übergangsordnung als einer »Regierung der antifaschistischen Kräfte mit weitgehender Diktaturgewalt« hatte Münzenberg zu Anfang des Jahres 1936 die zwischen Mitte Oktober und Anfang Dezember überarbeitete Konzeption der ssBrüsseler« Konferenz, den Kampf für die »Freiheit« aufs Banner zu schreiben, bereits auf einen Nenner zu bringen versucht. -

demoDatischer Rechte? Wh haben in der Praxis unserer geseUschafdichen EntwicDung diesen Weg ab 1945 beschritten in der Form der antifaschistisch-demoDatischen Ordnung. Selbstverständüch haben wir We, und das auch 1936 Weht, verschwiegen, daß uns für das Volk bürgerüch-demoDatische Verhältnisse Weht ausreichen, sondern den grundlegenden Interessen der ArbeiterDasse entspricht eine höhere Form der DemoDatie demoDatische Rechte die erst im Soziaüsmus ihre Verwiridichung finden kann.«



-

479

B I. Die

Programmkommissionen

Die Arbeit der

bis

zum

Frühsommer 1936

reorganisierten Programmkommission

Scharmützel kn Vorfeld für De Ausiandszentrale der SAP aus Dahlems Artikel »Deutsche Volksfront«, den er krtümüch für De Poütbüro-Erklärung Delt, als Essenz, »daß innerhalb der sogenannten Volksfront alles auf De Zusammenfassung und Festigung des soziaüstisch-kommunistischen Kerns ankomme«, wenngleich »im großen und ganzen« De »Münzenberg-Linie« bestätigt werde.30 Leopold Schwarzschüd schloß demgegenüber aus Dahlems Artikel, dem De Neue Weltbühne auf dem Werbezettel den Titel »Demokratie im IV. Reich« mitgegeben hatte, und aus der Poütbüro-Erklärung auf sie machten neben der Deutschen Volks-Zeitung auch De Deutschen Informationen aufmerksam31 erleichtert, daß jetzt die bislang zutage getretenen »Bedenldichkeiten und Schwankungen« der KPD aufhören würden, da De »Kommumstische Parteileitung sich in der Tat stark genug fühlt, auch ihren weniger unterrichteten Anhängern in Deutschland die demokratische Botschaft zu bringen«.32 Die Desavouierung von »Beratungen über Verfassungsentwürfe«, als »Dskreditier[t]en« sie »den lebendigen Kampf für demokratische Freiheiten«, wie in dem, höchstwahrscheinüch von W. Ulbricht stammenden, Artikel »Der nächste Schritt« im Gegen-Angriff'vom 22. Februar geschehen und mit dem Teünachdruck in den Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek im März wiederholt,33 war jedoch noch mcht vorbei. Die Nachfolgerin des Gegen-Angriffs, die Deutsche VolksZeitung, legte am 19. April nach, nota bene in derselben Nummer, in der Chefredakteur Lex Breuer hocherfreut auf den Sammlungsaufruf des »Kathoüken« Ulrich Becher antwortete. »Besorgter Freund in Paris«, war unter der Rubrik »Antworten der Redaktion« zu lesen, »Sie glauben doch nicht im Ernst an den trotzkistischen Schwindel, daß die KommuDsten mit den m dem Sudelblatt >Unser Wort« kritisierten Verfassungsentwürfen etwas zu tun haben. Es sind das private Arbeiten von Georg Bern-

Jacob Walcher destüüerte

-

-

AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1936, Nr. 4, 15. ApD, S. 3. DVZ, 1936, Nr. 3, 5. Aprü, Titelseite; D7, 1936, 4. ApD. 32 NTB, 1936, H. 15, 11. Aprü., S. 345f: »Die demokratische Parole der KommuDsten«; da SchwarzscDld fast aüe poütischen und ökonomischen Artikel selbst schrieb, 30 31

zudem der Programmkommission angehörte, darf Dm zweifelsfrei die Autorschaft zugeschrieben werden; De Poütbüro-Erklärung ist Der übrigens auf den 26. März datiert waDscheinüch war sie schon vor der Wahl vom 29. März, den Ausgang erwartend, wei-

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testgehend fertiggesteUt.

Siehe GA, 1936, Nr. 8, S. If; MDFB, 1936, Nr. 11, März, S. 4, auf S. 8-10 dort der der Lutetia-Konferenz geschriebene, gegenüber den »im Ausland gepflogenen Beratungen« gemüdert kritische Artikel von Walter [Ulbricht], »Der nächste Schritt«, nach: NWB, 1936, Nr. 5, 30. Januar. 33

noch

480

vor

Die Arbeit der

reorganisierten Programmkommission

hard und Schwarzschüd. Wh werden uns gelegentlich mit den falschen Auffassungen dieser beiden antifaschistischen Pubüzisten auseinandersetzen.«34 Mehr noch als Schwarzschüd und Bernhard mußte dieser Hieb Münzenberg treffen. Nicht nur, weil er die beiden Arbeiten angeregt hatte, er hatte die Autoren auch überredet, Abschriften ausschüeßhch für die Mitglieder des Volksfrontausschusses bzw. der Programmkommission anfertigen zu lassen. Selbst hatte er als einziger der Kommunisten von beiden ein Exemplar besessen, davon jedoch entgegen seinem Versprechen dem Poütbüro in Prag und den Parteifreunden in Moskau über Phihpp Dengel Abschriften zur vertrauhchen Information zukommen lassen, wie übrigens auch von den Minimalprogrammen Gumbels und Heinrich Manns.35 Die Lage komplizierte sich für ihn, da auch die KP(D)0 bissigen Kommentar gehefert hatte, überdies die beiden Verfassungsentwürfe als Denkschrift verbreitete, und Spiecker, der weiterhin mit Bernhard in Verbindung stand, von Brandler erfahren hatte, daß die Dokumente aus Münzenbergs Büro

stammten.36

Gegenüber dem Pohtbüro in Prag betonte Münzenberg in einem Beschwerde-

handle sich bei den Entwürfen von Bernhard und Schwarzschild »um persönhche Aufzeichnungen, von denen beide Verfasser schon abgerückt sind, und die nur durch einen Vertrauensbruch der Gegenstand von Auseinandersetzungen sein konnten«. Er hielt es für unwürdig, »daß wir mit den niedrigsten Mitteln der Brandleristen und TrotzDsten persönhch gegen die zwei bürgerhchen deutschen Pubüzisten losgehen, die zu den wenigen gehören, die heute mit uns gebunden sind«; außerdem »entsteht neu eine absolut unnötige Weüe des Mißtrauens und [...] ist es unter diesen Umständen schwer, die übertragenen Aufgaben durchzuführen«.37 Das Original von Münzenbergs Beschwerdebrief ist über den sMzzierten und zitierten Inhalt hinaus interessant, da Abzeichnungen und handschriftliche Kommentare ein Licht auf manche Umlaufzeiten38 und im besonderen auf diverse

brief,

es

rein

19. April; zu Breuer-Becher siehe oben Anm. 6 dieses Kapitels. Die Abschriften befinden sich in SAPMO, Ry 1, I 2/3/40, Bl. 68-80 (Schwarzschüd), Bl. 81 (Gumbel), Bl. 82-84 (H. Mann), Bl. 85-92 (Bernhard). 36 Zu Polemiken in und mit Unser Wort, sowie zur Reaktion des AK der KP(D)0 auf die beiden Verfassungsentwürfe vgl. oben, S. 38f; AK der KPD(O) (Hrsg.), Materialien Zur Volksfront, danach Wiedergabe in Deutsche Volksfront Band 3, Dokumente 7 und 8; faüs Brandlers Behauptung stimmt, war mögücherweise Hubert von Ranke aüas Moritz darin verwickelt, wiewohl dieser den Verdacht der Weitergabe auf Gumbel und Berthold Jacob lenkte, siehe den im folgenden zitierten Beschwerdebrief Münzenbergs. 37 SAPMO, Ry 1,1 2/3/419, Bl. 68-69: W [Willi Münzenberg] »An das Pol[it]büro der KPD«, 21. Aprü 1936. 38 Siehe ebd., auf S. 1 ist der Brief abgezeichnet: »PL Wald 13/V« [d. i. Poütbüro PaW Merker], »23.V. Gerh.« [d.i. Gerhart Eisler], »28.5. Kerbe« [d.i. Anton Ackermann], Moskauer (Archiv?-)Stempel: »20 Nov. 1936«. 34

DVZ, 1936, Nr. 5,

35

481

B I. Die

Programmkommissionen

bis

zum

Frühsommer 1936

poütisch-taktische Einsteüungen im Prager Poütbüto werfen. seien Der wiedergegeben:

Die Kommentare

»Von dem vertrauüchen Charakter der Entwürfe war hier nichts bekannt. Der Sinn der Steüungnahme m der D.V.Z. war Dcht, >Kampf gegen Schwarzschüd und Bernhard«, sondern De Abgrenzung der Partei von den Verfassungsentwürfen, De von den Brandleristen und TrotzDsten der Partei an De Rockschöße gehenkt [sie] worden sind. Ob De Art der Abgrenzung richtig war ist eme andere Frage. Nach Rückkehr von Walter und Franz aber wurde gesagt >Man hätte die Entwürfe lächerüch machen müssen«. Wald« »Letzter Rest emer falschen Einsteüung. Am besten fordert >DVZ< G. B. auf einen Artikel zur Volksfront für VeröffenDchung in DVZ zu schreiben [-] Jan [oder: Jean?, das wäre dann Dahlem]« »Von mit wutde D.V.Z. veraDaßt ihren Redakteur zu korrigieren, was aber unzureichend geschah [o. U, der Handschrift nach wahrscheinüch >Kerbe«, d. i. Ackermann]«39 Dem mcht belegten Bericht von Babette Gross zufolge versuchte Münzenberg zusammen mit Schwarzschüd in »mehrerefn] Arbeitskonferenzen [...,] eine für die Kommumsten annehmbare Fassung der Entwürfe zu erreichen«. Sie scheiterten jedoch daran, daß die Kommunisten »sich auf kein Programm festlegen [woüten], das ihre ManövrierfäDgkeit einschränkte«.40









-

Grundprobleme Die Fristen für De Erstellung einer gemeinsamen programmatischen Plattform zur Sammlung der Opposition wurden immer wieder verlängert, obgleich Heinrich Mann aus Nizza unaufhaltsam drängte. Er hatte sich, wie er Anfang Juü resigmert schrieb, »mit Absicht, nachgiebig verhalten bis zur Farblosigkeit«, aber »den Wunsch m vielen Gesprächen geäußert, daß jeder von uns seinen eigenen Entwurf, mit durchdachter Kürze, am Schreibtisch ausarbeitet. In einer einzigen Sitzung hätten De Entwürfe vergüchen und zu emer Einheit gemacht werden soüen.«

39 Aües Zitierte ebd., S. 2 des Briefs; ob eine dkekt an »Besorgter Freund in Paris« anschüeßende Antwort der DLZ-Redaktion (siehe oben Anm. 34), De besagt: »Bernhard G. Paris. Ihren Beitrag haben wk erhalten. Ein Beauftragter von uns wkd sich mit Ihnen persönüch in Verbindung setzen«, sich auf G Bernhard bezog, üeß sich Dcht klären, eD Beitrag von Bernhard ist jedenfalls Dcht abgedruckt worden, ebensowenig wie eine beschwichtigende, auf De UnvoüstänDgkeit der Entwürfe Dnweisende Erklärung seitens der Redaktion der DVZ, wie Pieck, dem Münzenbergs Beschwerdebrief vorlag, später behauptete; aus emer anderen Queüe schöpfte Pieck wohl, daß Fabian »wahrscheinüch« der Überbringer der Entwürfe Bernhards und Schwarzschüds an BranDer gewesen sei, siehe SAPMO, Ny 4039/558, Bl. 118 (S. 26 der »Übersicht über De Arbeit der KPD ...realpoütischeren« »Walcher-Kurs« entgegenstand. Die divergierenden Standpunkte lassen sich an der Aussprache Anfang MD zur Frage der Einheitspartei in Relation zu den poütischen Entwicklungen seit 1933/34, Dsbesondere zur Volksfrontbewegung, demonstrieren. Aktueüer Anlaß zur Evaluierung des Selbstverständnisses innerhalb der Parteiführung war die Tagung des Internationalen Büros für revolutionär-soziaüstische EDheit, De vom 8. bis 10. MD 1936 in Paris stattfand.62 Jacob Walcher, Wiüy Brandt, Max Diamant, August Enderle und Paul Wassermann stimmten mehr oder wemger prononciert darin überein, daß De SAP aufgrund der veränderten Kräfteverhältnisse nur noch mit der opportumstischen KPD und der reformistischen SPD die Einheitspartei zustande bringen könne; beide seien eben doch mcht tot. AUerDngs müsse De SAP Ds revolutiomerender Motor fungieren; De EDheit der Arbeiterbewegung und De schüeßüche Einheitspartei müßten »nach den Prinzipien der inneren Demokratie« (Walcher) aufgebaut werden, ein Programm jedoch brauche Dcht a priori zugrunde gelegt, könne aber wohl, so Brandt, propagiert werden. Dies läßt sich als Relativierung der früheren ausschüeßüchen Orientierung auf De Diktatur des Proletariats in der Form des Räte-Systems deuten. Ackerknecht beharrte dagegen auf »revolutionärer Grundlage und Aufrechterhaltung der [alten] Plattform«. »Eigenes poütisches Gesicht« und: »Klare Abgrenzung nach allen Seiten« forderte auch Fabian. Damit waren auch De kontroversen Konsteüationen in der Bewertung der Volks frontpoütik und ihrer Chancen vorgezeichnet. Fabian hielt »die ganze Grundlage der Volksfront [für] falsch«, und Goldenberg ergänzte, die Volksfront »wkkt als Bremse der revolutionären] Kräfte. Die KI ist auch heute konterrevolutionär, sie hat kein Interesse an einer französischen] Revolution«. Ihnen gegenüber standen die Auffassungen, daß De Volksfront »geradezu Voraussetzung der siegreichen proletarischen] Revolution« sei und sie De »Klassenkampfsituation fortgesetzt verbessert« (Wassermann), vorausgesetzt, so Diamant, daß De »Massenbewegung«, De De Komintern durch ihre »unter dem Druck der Massen« vollzogene »Wendung« ausgelöst habe, »wirldich den Schwung und die Tiefe einer revolutionären] Bewegung bekommen wird«. Am weitesten wagte sich Brandt vor, als er, anscheinend um Ausgleich bemüht, sehr wohl für einen »Arbeiterblock« plädierte, aber gegen »soziaüstische [] Forderungen im Volksfrontprogramm« für De Ackerknecht vehement eintrat votierte. Neu war in De-



-





62 Zur Sitzung des (siehe vorige Anm.).

490

Londoner Büros

vgl.

die

Anlagen

zum

RSchr.

Jim, 1936,

Nr. 5

Die Sozialisten

die im übrigen auch bei anderen im Sozialistischen sem Kreis Brandts Plädoyer Jugend-Verband lebte —: sAnknüpfen an die revolutionären Tendenzen der Naziideologie, nicht abstürzen in Liberaüsmus.«63 Eine Art Kompromiß zwischen den Volksfront-Bereiten und den Volks-

front-Kritikern bis -Verneinern in der Partei bot der Artikel ssUm die sDeutsche Volksfront/« in der Neuen Front von Anfang Juni. Er verband die von Diamant und Goldenberg im Namen der AZ der SAP formuherten, exphzit an Lenin orientierten Grundsätze proletarisch-revolutionärer Strategie und Taktik der Partei, die im Winter 1935/36 in der siebenteihgen Artikel-Serie s¡Was kommt nach Hitler ?« in der Neuen Front veröffentlicht und in ihrem letzten Teü von den MDFB weiteren Kreisen zugänghch gemacht worden war, mit Ergebnissen des Umdenkungsprozesses, der sich seitdem bei einem Teü der AZ- und einfacheren Mitgliedern der Partei aufgrund der internationalen pohtischen EntwicMungen und Konstellationen, der Einsicht in die numerische Schwäche der SAP und der Arbeit im Pariser Volksfrontausschuß vollzog bzw. schon voüzogen hatte.64 An der antikapitahstischen, neben der demoMatischen, Ausrichtung einer »deutschen Volksfront« wurde jedoch festgehalten und von daher die Scheidelinie zwischen auszuschließenden und einzuschließenden (Mein-)bürgerüchen Schichten gezogen. Unter dem Aspekt, daß angesichts der faschistischen Diktatur eine Volksfront »als reales organisatorisches Phänomen zunächst nur im Ausland entstehen«, diese aber innerdeutschen, potentieü zu gewinnenden oppositioneüen Strömungen eine AUe Zitate in den beiden vorhergehenden AbschWtten nach: IISG, Neu Beginnen, 33: »Zur Frage der Einheitspartei«, handscW. Wnzugefügt: »SAP Protokoü Mai 36«, die Personen sWd dort mit den Vornamen ihrer Pseudonyme wiedergegeben, Ackerknecht mit dem gegenüber »Erwin« selteneren »Eugen«; die Idee, an nationalsoziaüstische Ideologie und Propaganda anzuknüpfen, lebte schon Ende 1935 in Paris unter Mitgüedern des SJV vor aüem bei Karl Obermann, der sich mit Jugend- und Erziehungspoütik im NS-Reich beschäftigte und des KJVD, siehe z. B. AdsD, NL Brandt: Fragment einer Zusammensteüung von ungezeichneten, aber einwandfrei Obermann zuzuschreibenden Briefen an vermutlich die von Brandt geleitete Zentrale AuslandssteUe (ZA) des SJV W Oslo, 15. und 25. November 1935; vgl. Karl Obermann, Exil Paris. Gegen Kultur- und Bildungsabbau im faschistischen Deutschland (1933-1939), Berün 1984. 64 Siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokumente 18.1 und 18.2; ausführüchere KorreMemoranden und Resolutionen zur weitergehenden innerparteüichen Disspondenzen, kussion wie zu Umdenkungsprozessen im Frühjahr/Sommer 1936 finden sich, außer in ARBARK W AdsD, NL Brandt, siehe Wer z. B. »Aus eWem Brief von AntoWus [d. i. August Enderle] an ...«, 6. JuW 1936; in ARAB, SAP, vgl. hauptsächüch Vol. 3, etwa: »Resolution zur Frage der Einheitspartei, Von der AZ der Partei als Diskussionsgrundlage unterbreitet«, 12 S., o.D.; John [Ewas, d.i. Paul Wassermann], Ms beginnend »Die Grundvoraussetzung unserer poütischen Haltung«, 48 S., handschr. dat. am Schluß: »Ende April 1936«; »Resolution zur Frage Emheitspartei. Vorgelegt von der A-Gruppe AdM [Auslandsgruppe An der Moldau, d.i. Prag] am 21. 8. 36«; »RichtüWen zur Volksfrontpoütik«, Fragment, 8 S., o. U., o. D., zur Autorschaft von Stefan Szende danke ich Martin Grass; vgl. Szende, Zwischen Gewalt und Toleranz, S. 222-224; Marxistische Tribüne, 1936, Nr. 4, August. 63



-

491

B I. Die

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Frühsommer 1936

»akzeptable Perspektive« bieten und durchaus, wenn auch mimmal, in orgamsatorischer Hinsicht aktivierend wkken könne, wurde De »Zusammenfassung von repräsentativen Einzel-Vertretern der Interessen und Ideologien gewisser bürgerücher ScWchten« in der Exü-Volksfront positiv bewertet. Die programmatische Beschränkung auf »unmittelbare praktische Teüaufgaben«, De verscDedene Ge-

biete der Soüdarität und Hufe, der internationalen Zusammenarbeit und der »Aufklärung der Welt über den wkküchen Charakter der Berüner Friedensstifter«« beschlugen, war denn auch De logische Konsequenz des Bestrebens, zur »Eimgung von im Endziel mehr oder wemger unterscDedüchen Kräften« mit der KPD und den Sozialdemokraten beizutragen.65 Der innerparteDche Brückenschlag gelang letztendüch mcht. Noch im Jum 1936 bat Fabian die übrigen Pariser AZ-Mitgüeder um eine Vertretung in der Programmkommission. Er büeb jedoch bis zum 21. Dezember, da seki Nachfolger Diamant nach SpaDen ging, der Krieg dort De Aufgabensteüung veränderte und De KPD in eine andere Richtung zu marschieren drohte. Die wörtüchen Wiederholungen der Steüungnahmen von Brandt, Walcher, Wassermann während der oben zitierten Aussprache, mit denen im März 1937 die sich als Gruppe Neuer Weg formierenden, aus der SAP ausgeschlossenen Mitgüeder die Befürworter emer Einheitspartei mit SPD und KPD und einer Volksfront angriffen,66 zeigt, daß der Kekn für De Spaltung der Partei bereits im Mai 1936 gelegt war. Als der springende Punkt in der Strategie oder wie Ackerknecht gemeint hatte in der Taktik um Einheitspartei und Volksfront erwies sich De Frage: Wie haltet ihr's mit den (klein-)bürgerüchen oder MittelscDchten? Das Problem hatte schon Münzenberg Anfang Februar im Zusammenhang mit emer Plattform für das Volksfrontbündms aufgeworfen; Aufhäuser für die RSD und Koenen für De KPD hatten es im Aprü 1936 öffenDch Dskutiert.67 Die Grundfragen waren stets De gleichen: Wer gehört zu den Schichten, wer Dcht? Wie sind sie zu geoder zu neutraüsieren —, und was sind De Voraussetzungen dafür? winnen Müssen oder sollen sie eine eigene Orgamsation haben? In emer Referats-Disposition, De sich offensichDch um Vermittlung zwischen dem >WalcherAckerknecht/Fabian«-Kurs bemüht, ist die »soziale ScDchtung Deutschlands« unterteüt in: »cca 66 °/o Proletariat [darunter:] 38 % Industriearbeiterschaft 9 % Landarbeiter —



-

63

Zitate Band 3.

aus:

»Was kommt nach Hitler?«, siehe Dokument 18.2 in Deutsche

Volksfront

66 ARBARK, SAP, 5, 42, 15: Kurt [d.i. Fabian] an Sekretariat, 23. JuD 1936; vgl. ARAB, SAP, Vol. 1, Mappe E: Zur Krise der SAP. Herausgegeben von den im Februar 1937 ausgeschlossenen Mitgüedern, Paris, Anfang März 1937, S. 5. 67 Zu Münzenberg vgl. oben den Text Koenen siehe weiter unten.

492

zu

Anm. 2 Deses

Kapitels;

zu

AuDäuser und

Die Sozialisten

4 % Hausangesteüte 15 % Angesteüte, untere Beamte, und 29 % Mittelschichten [unterteüt in:] 17 % der Erwerbstätigen unter den Bauern bis 20 ha, cüe 70 % der landwirtschaftlichen] Bevölkerung ausmachen 2 % Handwerker (selbständig) 6 % kaufmännischer Mittelstand 4 % freie Berufe« Aus der These, daß die Mittelschichten »keine Organisationen [und] keine eigene Poütik« hätten und »sie nur ein selbstbewußtes Proletariat mobilisieren« könnte, wird die Notwendigkeit gefolgert, eine »Einheitsfront« zu schaffen, die die »Gegensätze, ihre Vertiefung und Aufreißung« innerhalb der Mittelschichten nutzt, dabei unzweideutig für die s¡Interessen der Klein- und Mittelbauern« aufkommt und so die ssBereitschaft zum Frieden und Soziaüsmus« weckt. Die kathohsche Opposition als solche soh nicht gefördert werden, vielmehr sei ssdie Sammlung der antifaschistischen Kräfte, die sie durchführt^] mit soziaüstischem Inhalt zu versehen und weiterzutreiben über die kath[ohsche] Opposition] hinaus«. Hinsichtlich der Volksfrontbewegung wird in der Referats-Disposition eine Verpflichtung ssauf die Demokratie [und] auf Volksfrontregierung« als »falsch« bezeichnet. Vielmehr werden als ssVoraussetzungen einer wirklichen Volksfront« genannt: ssa) Einheitsfront [und] b) Partner« wobei wohl an »Mittelschichten«, die für »Frieden und Soziahsmus« mobihsiert worden sind, gedacht ist. Von daher werden dem »Lutetia-Kreis nur sehr beschränkte Aufgaben« zugesprochen; sie gehen über ssManifestation« und ssDemonstration« nicht hinaus. sAber«, so heißt es weiter, sser kann Vieles zur Schaffung der proletarischen Einheitsfront beitragen und dafür woüen wir wirken. Kompromisse, die stärken, aber keine, die schwächen«. Frankreich und Spanien sind warnende Beispiele für die »Hemmung der revolutionären] Kraft« bei steigender ssMitghederzahl«, die als »Erfolg« gewertet werde. »Erfolg aber ist die Revolution.« An dieser Maxime soü die Einheitspartei, die »neue KP«, die am Ende des Weges der geistigen und organisatorischen Transformierung der Parteien über die Einheitsfront im Rahmen der deutschen -

Volksfrontbewegung entstehen könne, gemessen werden.68 Mit dieser Disposition war im großen und ganzen die

Linie vorgezeichnet, der die SAP-Vertreter im Volksfrontausschuß in Paris 1936/37 folgten. Fabian, dann Wolfstein vertraten sie aüerdings resoluter als Walcher.

Aües Vorhergehende nach ARAB, SAP, Vol. 3: handscW. Aufzeichnung, o.U., o.D., 9 S., beginnend: ¡¡1.) GewWnung der MittelscWchten ist wichtig«; ein Kontrastprogramm in ARBARK, SAP, 6, 50, 28: »Resolution zur Volksfront«, o. U., o. D., 2 S. 68

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Klagen im ISK Während der ISK recht erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit unter dem Mantel der ITF leistete, im Centre d'Education Ouvrière de la CGT und anderen französischen Einrichtungen sowie m der Frontpopulaire-Bewegung Fuß hatte fassen können u. a. arbeitete ein Mitgüed als Sekretär des Pariser Südsektors —, gelang es Eichler mcht, seine Orgamsation als mitbestimmenden Faktor in der deutschen Volksfrontbewegung zu verankern. Vorläufig mußte er sich damit begnügen, Beobachter der Szene und persönücher Ansprech- und Diskussionspartner von vorwiegend >heimatlosen< Linken und, durch die Sozialistische Warte bzw. das innerhalb Deser eigens geschaffene Forum Freie Sozialistische Tribüne, Vermittler ihrer Stellungnahmen zu den Fragen der Zeit zu sein.69 Im späten Frühjahr 1936 klagte Eichler in dem Artikel »Deutsche Volksfront«70 in nkütanter Rhetorik, daß »eine gemeinsame KampfUnie«, und De »Schaffung eines Oberbefehls, eines Kriegsrates, einer Aktionszentrale« noch nicht zustande gekommen sei, weü De Gruppen »in theoretischen, strategischen, taktischen oder organisatorischen Fragefnj« einander mcht angleichen woüten. Selbst üeferte er jedoch auch nur Kritik und keinen positiven Entwurf; das Programm, das im Januar 1937 unter dem Titel Die sozialistische Republik veröffenDcht wurde, war noch mcht ausDskutiert.71 Seinerseits war er auch mcht bereit, über seinen Schatten zu springen; Knackpunkt büeb De insgesamt mcht von vornherein anathematisierende Haltung der anderen zu den Christen, insbesondere zu »den Kathoüken« als mögüche Partner. Eichler sah, wie er bereits im September-Heft 1935 geschrieben hatte, in »viele [n] der sogenannten reügiösen Organisation der kathoüschen Kkche poütische OrgaDsationen mit poütischem Machtstreben [...], De, einmal an De Macht gekommen, Freiheit des Geistes und der Kultur genau so wie soziaüstische Gestaltung der anderen Lebensgebiete erbarmungslos unterdrükken würden«.72 Die Kehrseite der Medaille legte Eichler in einem Brief an De Soziaüstische Arbeiter-Jugend Zürich dar: De »christüch-nationaüstische Staatsschule« habe den Kathoüken »Furcht vor den >Autoritäten< und Zweifel in ihre eigene sittüche —

69

Vgl. AdsD, IJB/ISK, Box 10: Denkschrift »Bundes-Arbeit««, 36 S., bes. S. 23-26 »Arbeiterbüdung. EiDge Erfahrungen im Büdungs-Institut der

und 30; Emiüe Lefranc,

CGT«, in: SW, 1936, Nr. 20, 15. Oktober, S. 464-467; Dnk, ISK, S. 250ff; Foitzik, Zwischen den Fronten, S. 155ff; Lemke-Müüer, Eichler, S. 116ff.; siehe auch De AuDstung der Korrespondenzpartner bei Klär, IJB/ISK-Bestand. 70 Martin Hart [d.i. EicDer], »Deutsche Volksfront«, in: SW, 1936, H. 9, 1. JuD (geschrieben am 20. Mai), S. 201-206. 71 Siehe dazu unten, S. 570ff. und Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 25. 72 Hart, »Deutsche Volksfront« (siehe Anm. 70), Zitat S. 201; der Titel des Artikels in der SW vom September 1935 lautete: »Die Front der Neinsager«.

494

Die Sozialisten

Kraft mit Erfolg beigebracht«, folghch sei von ihnen ebensowenig wie von den zuletzt noch von H. Mann positiv beschworenen »Massen in Deutschland [...] Heldenmut« zu erwarten.73 In der Emigration schien ihm ledigüch der Kreis um die Zeitschrift Europa eines näheren Bhcks wert. Ansonsten sah er in den Christen, die die Kommunisten und auch ein Max Braun sammeln wohten, nur einen ssSprengkörper [...,] der das Wesentliche des Ziels dieser Front sprengt«, nämlich die Erstrebung des Soziahsmus durch den Sturz des NS-Regimes. ssAUes was die Volksfront tun kann, um auch kathohsche und protestantische Christen für die Mithüfe beim Aufbau einer fortschrittlichen Geseüschaft zu gewinnen, besteht in der ständigen geduldigen und vor ahem wahrheitsgetreuen Gegenüberstehung der Worte und Taten christhcher Organisationen und ihrer Vertreter, wodurch es gehngen kann, jene Christen zu Soziahsten zu machen und sie aus den politisch-konfessionellen Reihen herauszuspren-

-

gen!«74

Auch im Hinblick auf eine künftige Wirtschaftspolitik stimmte der ISK nicht mit der Mehrheit der anderen soziaüstischen Organisationen überein: Er befürwortete eine gemischt private und sozialistische Wirtschaft: Es sei nicht nötig, ssdie ganze Wirtschaft zu soziahsieren«, es reiche aus, s¡den Privatbesitz an wirtschaftlichen Monopolgütern aufzuheben«.75 Die Hauptverantwortung für ein Zueinanderfinden der Soziaüsten und Kommunisten als Voraussetzung einer Volksfront in und für Deutschland, aber auch in FranDeich und in Spanien, legte Eichler in dem zitierten Artikel gleich Otto Bauer, dem er ansonsten theoretisch nicht folgte auf die Schultern von Labour Party, SFIO und KPdSU. —

-

Die Revolutionären Soziahsten auf Programmsuche Mit der Internationahsierung eines Zusammenfindens der proletarischen Kräfte kam Eichler dem Revolutionären Soziahsten Schifrin nahe. Doch dieser Theoretiker der sozialdemoDatischen Dnken in der Weimarer Repubhk, nunmehr vor ahem Pubhzist mit Spezialgebiet Außenpolitik, wartete ebenso wie der Leiter der Pariser RSD-Gruppe und Mitglied der Programmkommission des Volksfrontausschusses Kurt Glaser auf konDete programmatische Vorgaben der tonangebenden Genossen im tschechoslowaWschen Exü.

AdsD, IJB/IJK, Box 30: Martin Hart an die Soziaüstische Arbeiter-Jugend Zürich, 10. Juü 936; über H. Manns »Steüungnahmen zum positiven Christentum« äußerte Eichler sich kritisch im Brief an Hüler, 2. JuU 1936, AsdD, IJB/ISJ, 30. 74 Hart, »Deutsche Volksfront« (siehe Anm. 70), S. 202. 75 Ebd. 73

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B I. Die

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Die Vordenker der Revolutionären Soziahsten, Karl Böchel in Karlsbad, wo auch das Grenzsekretariat gefestigt war, und in Prag Siegfried Aufhäuser, Otto Friedländer und Helmut Wickel dieser hatte die Richtlinien »Volksfront und proletarische Revolution in Deutschland« ausgearbeitet76 -, konnten sich nicht recht entscheiden. In der Vorbereitung auf die Lutetia-Konferenz vom 2. Februar 1936 hatten Aufhäuser und Böchel jeweüs verschiedene Aspekte einer einheitlichen Strategie zu Papier gebracht. Aufhäuser wies »der revolutionären Arbeiterbewegung im Stadium der Sammlung der antifaschistischen Kräfte« in einer Volksfront die Aufgabe zu, den Kampf um die »Erringung bürgerhcher Freiheiten« als notwendiges Etappenziel nach dem Sturz der Diktatur, von dem aus »die höhere Form einer echten und sozialen Demoktaüe« zu erstreiten sei, zu -

propagieren.77

Böchel hatte seine Forderung auf der Lutetia-Versammlung vom 22. November 1935, daß die Formulierung eines sAktionsprogramms« und die »Diskussion der konDeten Ziele« notwendig sei, selbst einzulösen versucht. Sein Programm für eine Volksfront, das er Ende Januar dem Karlsbader RS-Kreis zu einer anscheinend sehr ins Detaü gehenden Diskussion vorgelegt hatte, lag zur Lutetia-Versammlung vom 2. Februar nicht vor, weil er selbst nicht nach Paris fahren konnte. Was davon pubüziert wurde, waren freilich Eckpunkte für eine Sammlung sozial und soziologisch unterschiedhcher Opposanten des NSRegimes auf der Basis der sslnteressengleichheit« unter der Maxime »Freiheit der Menschen«. Freiheit bedeutete Befreiung, bedeutete die Dreieinheit von »Expropriation der Großgrundbesitzer« sie bringe »Land und soziale Freiheit für Hunderttausende von Bauern, Pächtern und Landarbeitern«; »Expropriation der Schwerindustrieüen« sie bewirke »Freiheit nicht nur für das Industrieproletariat, sondern wirtschaftliche Unabhängigkeit für breite gewerbüche Schichten«; ssVerstaatlichung des Finanzkapitals [..., die] gleichermaßen die Hörigkeit von Arbeitern, Bauern und Gewerbetreibenden« aufheben würde. Daß ausgerechnet s¡der Exponent des bürgerhchen Flügels der Volksfront« gemeint war Georg Bernhard am 22. November s¡entschlossen für diese drei einschneidenden Forderungen eintrat«, wertete Böchel als ssein Zeichen tiefgreifender Umschichtung im Denkprozeß der bürgerhchen Existenz«. Bernhards Position bestärkte ihn in der Überzeugung, daß der sAktionsradius der Volksfront« »Arbeiter und Bauern, Handwerker und Ingenieure, Freidenker und Kathoüken, Künstler und Gelehrte« einschheßen könne.78 -







-



76 77

Siehe Deutsche

Volksfront Band 3, Dokument 4. Sfiegfried] Aufhäuser, »Erfordernisse der Volksfront«, in: NWB, 1936, Nr. 5, 30. Ja-

nuar, S. 132f.

Karl Böchel, »Der Aktionsradius der Volksfront«, W: NWB, 1936, Nr. 5, 30. Januar, 133-135, Zitate hier S. 134, die folgenden S. 135; vgl. Deutsche Volksfront Band 1, S. 299 (Zitat) und 343, in Anm. 227 dort auch süffisante Bemerkungen von Georg Rössing aüas Hans Kaiser zum Programm; Otto Friedländers Erinnerung in Zwischen zwei Welten, S. 304, 78

S.

496

Die Sozialisten

In »AUianz der Freiheit Freiheit der ADanz« verdeutüchte Böchel wenig später, daß neben dem wirtschaftüchen, »dem kultureüen [...] Lebensrecht der breitesten Massen« Rechnung getragen werden müsse und daß die »soziaüstischen Parteien und Gruppen« in einer Einheitsfront an anderer Steüe stellte er sich Dese als »Kartelüerung« von Kadern vor sich selbst und »jeder Front«, d. h. jeder ScDcht spezifische Aufgaben steüen müsse. Für ein Aktionsprogramm der Volksfront wäre »mcht über De Frage [zu] Dskutieren, ob die Diktatur des Proletariats in der Form der Partei- oder der Räteherrschaft ausgeübt werden soll«, wohl aber über De Ersetzung »einer vöDg verrotteten Justiz«, »eines korrumpierten Staatsapparates«, »einer kompromittierten Miütär- und Polizeimacht« durch Institutionen, De revolutionäre Instrumente zur Freiheit würden.79 Von den Grundgedanken hinsichtüch der Breite einer Volksfront, der Führung der Arbeiterparteien und der Soziaüsierungsmaßnamen her kam Bochéis Auffassung dem Programm für den »nach Eroberung der poütischen Macht vorzunehmenden Aufbau des soziaüstischen Deutschlands« nahe, das Sievers am 1. März im Informationsbrief SIKO veröffentüchte.80 Sievers' Vorsteüungen waren den Revolutionären Soziaüsten, mindestens Böchel und seiner näheren Umgebung, vertraut, schleusten Dese doch über ihr Grenzsekretariat in Karlsbad spätestens seit dem Herbst 1935 neben ihren eigenen und den Schriften der Sopade dessen Korrespondenz in den mitteldeutschen Raum ein. Sie fanden, daß dieses PerioDkum im Gegensatz zur Sozialistischen Aktion Dcht nur Informationen bringe, sondern vor aüem zur poütischen WDensbildung und revolutionäten Schulung beitrage. Im Gegenzug für den logistischen Dienst hatte Sievers Bochéis West-Reise im November 1935 finanziert.81 An der Diskussion um den Entwurf im Informationsbrief SIKO beteDgte sich zeitweDg auch ein Kreis sozialdemokratischer Emigranten um den ehemaügen Reichstagsabgeordneten Otto Buchwitz in Dänemark. Sie förderte jedoch mehr theoretische Unklarheiten zutage, als daß sie solche ausgeräumt hätte; auch kamen volkssoziaüstische und nationaüstische Tendenzen hoch. Die RS-Briefe wandten sich scharf gegen »De Flucht >aus dem proletarischen Turm«« und De Werbung für eine »nationale Einheitsfront«, De »Gruppen deutscher Volkssoziaüsten« propagierten. Dies sei »ein gefährüches und schädüches Abirren vom Weg -



-

Programm »entDelt kerne wesenDch neuen Gesichtspunkte, es war sozusagen eine negativen Erfahrungen von 1933 bereicherte Neuauflage der alten USPD-Weisheiten«, dürfte sich trotz gewisser Ähnüchkeit mit dem zitierten Bemerkungen von Rössing aüas Kaiser auf die programmatische DiskussionsscDift »Der Weg zum soziaüstischen Deutschland. EDe Plattform für De EDheitsfront« beziehen, De De Zß m Nr. 12/13

das

um

De

vom

September/Oktober 1934, S. 375-409, veröffenDchte.

AIZ, 1936, Nr. 8, 20. Februar, S. 123. Siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 17. 81 Zum ganzen siehe AdsD, Emigration Sopade, 103: Berichte H[ans] K[aiser], N[ovember]/Nr. 3, [1935] und D[ezember]/Nr. 12, [1935]. 79

80

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B I. Die

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Frühsommer 1936

der Kräftesammlung« der Antifaschisten. Durch die »Preisgabe marxistischer Erkenntnis« werde der »Klassenkampf außer Kurs gesetzt. Diese Art von Volkssoziahsmus müßte den deutschen Arbeiter zum Gefesselten seiner bürgerüchen Bundesgenossen machen, sie käme der Volksgemeinschaft Hitlers als Konkurrenzunternehmen

gleich«.82

Im Frühsommer 1936 startete Böchel s>eine Besprechung aüer Plattformen und Programme« mit dem Ziel, zur Sammlung der linkssozialdemokratischen und sozialistischen Gruppen in einem Karteü beizutragen; dabei bezog er prominent Eichlers aüas Harts Artikel s¡Deutsche Volksfront« und den Entwurf der Schrift Die Sozialistische Republik, deren Endfassung der ISK erst im Januar 1937 veröffentlichen sohte, mit ein.83 Der Prager SPD-Vorstand als die ssVertretung des konservativsten Teües der Reste der ehemahgen Partei« wurde zwar als letzte Kategorie betrachtet, soüte jedoch letztendlich nicht ausgeschlossen bleiben. Das Kartell soüte eine Einheitsfront mit der KPD eingehen, aus der dann die sskünftige Einheitspartei des deutschen Proletariats« erwachsen würde. Diese werde sowohl die »kommunistische Methode einer starren Generallinie, die in ihrer konDeten Anwendung zum Opportunismus auf ahen Gebieten führt«, als auch die »Sozialdemokratie von gestern« hinter sich lassen, so der konzeptionell zugrundehegende RS-Briefe- Artikel »Unsere Aufgaben«. Die in diesem Artikel dargelegte, dem Selbstverständnis der zu dem Zeitpunkt noch einheitlich operierenden Revolutionären Soziahsten entsprechend ssrevolutionär-marxistische Konzeption« beruhte darin, daß die Auslandsstützpunkte der Parteien bei dem Einigungsprozeß von den Wünschen und Bedürfnissen des zum größten Teü gelähmten, von den Parteien als Parteien kaum zu erreichenden Proletariats in Deutschland auszugehen hätten. Als Ausgangs- und Zielpunkt eines Zweibahnverkehrs von drinnen nach draußen und umgekehrt, wobei der Emigration ausdrücklich nur eine »Hilfsfunktion« und keine Befehls- oder Lehrmeisterfunktion zugewiesen wurde, wurden die Betriebe angewiesen. Grundsätzüch ging es hier darum, einen vagen sAntifaschismus« unter der »Mehrzahl der deutschen Proleten«, der in kaum mehr gründete, als daß der »Sturz Hitlers« begrüßt werden würde, im Interesse auch »aüer Werktätigen und Unterdrückten Deutschlands« mit Vertrauen in die eigene Kraft und mit positiven Gefühlen

Siehe RS-Briefe, März 1936, S. 4-8: »Drei Jahre Konterrevolution«, Zitate S. 8; vgl. Otto Friedländer, »Volksfront oder Volkssoziaüsmus«, in: NWB, 1936, Nr. 23, 4. JuW, S. 715f. 83 Siehe, teüweise auch zum folgenden, AdsD, IJB/ISK, 30: RSchr. Neuendorf [d. i. Böchel], 6. Juü 1936, Wer vor aüem der handschr. Zusatz; ferner ebd.: Eichler an Böchel, 10. Juü 1936; Eichler an Hüler, 2. Juü 1936; Hüler an Eichler, 4. und 10. Juü 1936; ARBARK, SAP, 9, 73: Korrespondenz zwischen Walcher und Böchel, 1936; Mitteilungen der Revolutionären Sozialisten Deutschlands (RSD), 1936, Nr. 1, September. 82

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Die Sozialisten

einer eventuell veränderten, europa- und weltpoütisch nicht mehr so starken Nation gegenüber zu füüen.84 Die Diskussion scDeppte sich hin und verüef schüeßüch im Sande. Waren die Versuche in Prag, ein Volksfrontkomitee ins Leben zu rufen, ein Stimulans für Bochéis Unterfangen gewesen, so war der Aufschub Deser Absicht, den nicht zuletzt Karl Frank mit seiner Weigerung, Neu Beginnen daran zu beteiügen, bewerksteDgte, schon ein erster Dämpfer. Weitere Ereigmsse und Fakten machten die intendierte Klärung und Annäherung der theoretischen, programmatischen und taktischen Positionen iüusorisch; zu nennen sind: Das BekenntDs der RSD zur deutschen und internationalen Sozialdemokratie85 was Sievers strikt ablehnte, während die AZ der SAP immerhin zur Tolerierung bereit war; das gute Einvernehmen m Paris zwischen ISK und Neu Beginnen, auf der persönüchen Ebene zwischen Eichler und Ehrmann, das durch beider Freundschaft mit ITF-Generalsekretär Fimmen und dessen ideeüer wie materieüer Unterstützung der ülegalen Arbeit ihrer OrgaDsationen in Deutschland gefördert wurde, De Revolutionären Soziaüsten aber außen vor üeß; persönüche und poütische Kontakte zwischen RSDlern, namenDch Böchel, und SAPlern in der Tschechoslowakei kamen nicht zustande; in Paris kamen im RS-Kreis als potentieüe Diskutanten dieser arbeitete aüerdings in der Pronur Schifrin und Bochéis Freund Glaser grammkommission des Volksfrontausschusses eng mit der SAP-Vertretung zuin Frage, doch beide waren beruflich und durch Nebenaktivitäten sammen humamtärer und >außenpoütischer< Art, zu denen das Legen und Pflegen von Verbindungen zu engüschen bzw. französischen Kreisen gehörten, stark in Anspruch genommen; und schüeßüch sind diverse persönüche Reibereien und Affären zusätzüch zu den Auseinandersetzungen um poütische und gewerkschaftliche Konzeptionen innerhalb der RS m der Tschechoslowakei zu nennen, in deren Folge unter anderen Wickel offen zu Neu Beginnen wechselte, Aufhäuser und Otto Friedländer sich mehr und mehr aus der gruppenponúschen Arbeit zurückzogen und Böchel De »provisorische Auslandsleitung« in Prag übernahm.86 -





84 Zitate aus »Unsere Aufgaben«, in: RS-Briefe, 1936, Juü, nach der Beschlagnahmung 2. Auflage, S. 1-4; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 22; dieser Artikel komprimiert De Lehren, die in dem Artikel »Drei Jahre Konterrevolution«, in: RS-Briefe, 1936, März, S. 4—8, aus den Analysen der Folgen des VII. Weltkongresses der Komintern und des Sieges des Frente popular in Spanien für De Poütik der RS gezogen wurden. 85 Schon auf der Titelseite der RS-Briefe vom März 1936 war unter dem offizieüen Namen des Herausgebers, »Arbeitskreis Revolutionärer Soziaüsten«, erstmals der Zusatz: »Gruppe der deutschen Sozialdemokratie« gesetzt. 86 Zu den Querelen Dnerhalb der RSD, De zum Teü auch auf Intrigen des SopadeMannes Hans Kaiser zuDckzuführen sind, vgl. Jutta von Freyberg, Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Revolutionären Sozialisten vor dem Problem der Aktionseinheit 1934—1947, KöD 1973, S. 175ff; Foitzik, Zwischen den Fronten, vor aüem S. 151 ff.

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Übereinstimmungen und Divergenzen Im Frühsommer 1936, als die »Richtlinien [der KPD] für die Ausarbeitung einer poütischen Plattform der deutschen Volksfront«, die Pieck nach den JuniTagungen der Vertreter der Arbeiterparteien, des erweiterten Volksfrontausschusses und des erweiterten KPD-Pohtbüros übergeben hatte, zur Beratung anstanden, zeigten die Programmkommission und die Parteiungen, die in ihr vertreten oder doch an der Arbeit interessiert waren, ein Büd, das von der Meinen Gruppe der Roten Kämpfer selbstgerecht, aber nicht zu Unrecht charakterisiert wurde als s¡Chaos in den Auffassungen über den Charakter des zu schaffenden Gebildes nicht nur zwischen den einzelnen Gruppen den Parteien der künftigen Volksfront sondern vielfach sogar innerhalb der einzelnen Organisationen.«87 Ich fasse hier die wichtigsten Punkte zusammen und beziehe dabei Neu Beginnen mit ein. Der Sturz des NS-Regimes war für aüe Gruppierungen innerhalb und außerhalb des Lutetia-Kreises das Primärziel. Davon hing ein neues Deutschland, davon hing der Friede in Europa, ja in der Welt ab. Daß eine breite Bewegung, eine sVolksfront« unter Einschluß der Kommunisten zur Durchsetzung dieses Ziels notwendig sei, war nur bei den Anhängern des Lutetia-Kreises unumstritten. Auf internationaler, staathcher Ebene hingegen wurde die Sowjetunion auch von Gegnern des Kommunismus-Bolschewismus, wie der Sopade, durchweg selbstverständlich in den Kreis der Gegner des Nationalsozialismus und damit der erhofften moralischen und diplomatischen Unterstützung der deutschen Opposition einbezogen. Daß den Parteien der Arbeiteridasse aus organisatorischen und, trotz aller Gespaltenheit, aus ideologischen Gründen, nicht zuletzt auch wegen ihrer internationalen Verflechtungen, die Führung, allerdings unter Wahrung demokratischer Spielregeln, zukomme, war Gemeingut unter den bürgerhchen DemoDaten des Lutetia-Kreises geworden. Die auch von den sozialistischen Zwischengruppen getragene Meinung, daß KPdSU, SFIO und Labour Party besondere Verantwortung für eine gemeinsame Bekämpfung des Nationalsozialismus tragen müßten, schloß daran an. Optimistisch, in der Einschätzung des Bürgertums realistisch, faßte Heinrich Mann am 10. Mai 1936 in einem Brief an Georg Bernhard die bisherige EntwicMung zusammen: »Die Fortschritte der Einheitsfront sind deutlich. Nennen wir sie sVolksfront< ohne uns darüber zu täuschen, daß die bürgerhchen Gruppen (von Parteien ist wohl kaum zu reden) sich erst entschheßen werden, wenn der Sieg nahe ist. An den Sieg glaube ich, sogar an den Sieg ohne Krieg.«88 -

-



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87

»Zur Volksfront in Deutschland«, in: Information, hrsg. von Juü 1936, hektograph., IISG, studiezaalmap, Ujst Abendroth 306. 88

500

Brief in As im SAPMO,

Ry 1,1 2/3/420, Bl. 307.

den Roten

Kämpfern,

Übereinstimmungen

und

Divergenzen

NS-Regime konkret gestürzt werden soüte, büeb bei aüen Parteien und Gruppierungen undeuDch; von daher auch, daß man sich in der Programmkommission bis zum Jum mcht auf De Priorität eines Aktionsprogramms, geschweige auf dessen Inhalt verstänDgen konnte. Die Forderungen nach Zusammenschluß aüer »Antifaschisten« und De markigen Worte von »Revolution« usw. verhüüten nur De Radosigkeit angesichts der Reaütät. Die einstigen Arbekerorgamsationen waren im Gestapo- und Denunzianten-Staat auf wemge Kader oder

Wie das

mehr auf Kameradschaftskreise minimaüsiert. Auf der anderen Seite die begann deutsche Wktschaft infolge staatücher Lenkung und der allgemein sich verbessernden Konjunkturlage in der kapitaüstischen Welt bereits aus der Talsohle der Krisenjahre mit ihrer immensen Arbeitslosigkeit und sozialen Aussichtslosigkeit herauszukriechen. Beides zusammen bewkkte durchweg attentistische Haltung unter den Arbeitern.89 Zudem hatte auch das städtische Kleinbürgertum De Handwerksbetriebe und der Handel teil am Aufschwung, hatte sich das Gros der Bürger häusüch arrangiert, und stand De Wehrmacht aus Überzeugung zu ihrem Eid auf den Führer und Reichskanzler. Referenzen an die jüngsten Entwicklungen in SpaDen und Frankreich übersahen, daß dort noch demokratische Einrichtungen funktiomerten und durch freie ParlamentswaDen De reaktionären bis fascHstischen Kräfte zurückgewiesen werden konnten. Referenzen an den Sturz des Zarentums und den schüeßüchen Sieg der Bolschewiki in Rußland 1917, an den Zusammenbruch des deutschen Kaiserreichs ein Jahr später vergaßen schlicht, daß Dese sehr unterscDedüchen Revolutionen nur infolge des Krieges viel schneüer, als jemals reaüstischerweise erwartet werden konnte, hatten stattfinden können. Der Krieg aber soüte nun erst gar mcht ausbrechen, sondern durch den Sturz des NS-Regimes verDndert werden. Doch über diesen ckculus vitiosus wurde mcht debattiert. Wie eme Volksfront auszusehen habe, wer in Dr vertreten sein, wer für sie geworben werden soüte, war Zwistpunkt vor aüem zwischen und innerhalb der Arbeiterparteien. Im ganzen ist jedoch bei den soziaüstischen Zwischengruppen eine erneute Betonung des Primats der Interessen der Arbeiterklasse, dementsprechend emer Einheitsfront, De weiterging als inzidenteüe Aktionseinheit, nämüch auf De Einheitspartei vorbereiten würde, zu beobachten. Über De Einbezie-

selbst

nur









Vgl. De Analyse der RSD in »Unsere Aufgaben«, siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 22; vgl. auch: Rezension von GunDer Mai über Günter Morsch, Arbeit und Brot. Studien zu Lage, Stimmung Einstellung und Verhalten der deutschen Arbeiterschaft 1933— 1936/37, Frankfurt/M. 1993, in: HZ, Bd. 261, H. 2, Oktober 1995, S. 626f: »Nicht De Extreme >Zustimmung< oder Widerstand« waren maßgebüch för »Stimmung« oder Verhalten, sondern De >Hinnahme< Dfolge des offenkunDgen Zweifels, ob das Regime Dcht doch eine »positive« Arbeiterpoütik betrieb. Dieser >Attentismus< ermögüchte De erfolgreiche Stabiüsierung des Nationalsoziaüsmus in den Jahren 1933-1936.«; Paul/Mailmann, Milieus und Widerstand, Resümee-Punkt 3, S. 532f; Schneider, Unterm Hakenkreuz^ bes. S. 273ff., auch zum folgenden. 89

501

B I. Die Programmkommissionen bis

zum

Frühsommer 1936

hung der allerdings

KPD in eine revolutionäre, marxistische Einheitspartei zerstritt sich die SAP. Der ISK war strikt gegen eine Einbeziehung von Christen, insbesondere von Kathoüken in eine Volksfront, während die KPD diese geradezu umwarb und sich sogar, im Gegensatz zu aüen direkten Partnern in der Programmkommission, einer Festschreibung der Trennung von Kirche und Staat widersetzte. Beide Parteien sahen die Kathohken in erster Linie als homogene, fest gefügte geseüschafthche Kraft. In der SAP meinte man aufgrund der christiichen Lehre ebenso wie im Hinbhck auf die Arbeiter eine von den Kathohken ausgehende Sammlung von Gegnern des Nationalsozialismus eventuell als Transmissionsriemen für die Verbreitung soziahstischer Ideen ausnutzen zu können. Hinsichtlich der »Mittelschichten« waren sich die Gruppierungen mehrheitlich nur darin einig, daß die Arbeiterklasse den Sturz des Regimes nicht allein schaffen könne; doch zeigten sich Differenzen in der Kategorisierung und in der Einschätzung ihres Potentials für eine Volksfront. Neu Beginnen reihte am Beispiel des Front populaire ssMittelschichten, Bauern, Intelligenz, städtische MittelMasse« wobei ssMittelschichten« als Oberbegriff galt -, die »mit den Arbeitern gegen die kapitaüstischen HauptDäfte« vorgingen.90 Ein SAP-Papier bezifferte zur innerparteilicher Auseinandersetzungen, wie wir oben gesehen haben das Proletariat auf sscca 66 %« und ordnete ihm die Industriearbeiter, Landarbeiter, Hausangestehten, Angestellten und unteren Beamten zu, während es die Mittelschichten mit 29% angab und sie in Klein- und Mittelbauern, Handwerker, kaufmännischer Mittelstand und freie Berufe unterteilte. Von diesen Mittelschichten woüte man nur diejenigen in eine Volksfront aufnehmen, die sich für Frieden und Soziahsmus engagieren heßen, und das sah man am ehesten bei den Klein- und Mittelbauern gelingen.91 Siegfried Aufhäuser, erfahrener Angestehtengewerkschaftler und unter anderem langjähriger Sachverständiger beim Internationalen Arbeitsamt in Genf, hatte sich in seinem Artikel ssDie Mittelschichten« einige Monate vorher in der Neuen Weltbühne92 im Namen der RSD einmal an dem schon längere Zeit sich vollziehenden aügemeinen Strukturwandel der kapitaüstischen Wirtschaft sses gibt keinen Industriestaat, in dem die Zahl der manuellen Arbeiter noch mehr als fünfzig Prozent der Gesamtbevölkerung beträgt« —, zum anderen an Produktionsprozessen, Betriebsstrukturen (Hierarchien) und Einkommensdaten (die er im einzelnen nicht nannte) der jeweihgen »Berufsgruppen« in der Wirtschaft unterm Nationalsozialismus orientiert. Entsprechend unterschied er bei den ohne von Mittelschichten, Prozentzahlen, in: Angabe -

Überbrückung



-

-

Siehe »Volksfront und deutsche Arbeiterbewegung«, Dokument 16.2 in Deutsche des Dokuments. 9' Siehe oben, S. 492ff. 92 NWB, 1936, Nr. 15, 9. April, S. 457-462, die folgenden Zitate nacheinander dort. 90

Volksfront Band 3, S. 1

502

Übereinstimmungen

und

Divergenzen

SelbstänDge Gewerbetreibende (alter Mittelstand), Bauern, Handwerker, Kleingewerbetreibende und Kleinkaufleute; 2. Neuproletariat (Angesteüte [in Handel und Industrie, wie er auf der nächsten Seite Dnzufügt] und Beamte);

»1.

3. Freie Berufe«. Da die letzten beiden Kategorien stänDg zunähmen, so Aufhäuser, könne man also nicht davon sprechen, daß die »Handarbeiter [...] die Mehrheit des Volkes büden«. In seiner weiteren orgamsationssoziologischen und Strukturanalyse kam er zu dem Schluß, daß die »Arbeiterklasse« »aüe Kopf- und Handarbeiter« umfasse und daß »sich De Funktion des privaten und des öffenDchen Angesteüten mit der des Beamten« verwische, »je mehr der Staat dazu übergeht, vom Diener der privaten Wirtschaft zum Lenker einer Staatswirtschaft zu werden«. »Die Aufgabe einer Volksfront« sah er darin, De bürgerüche Mentaütät und damit De psychologische HemmschweUe (er nannte es mcht so) des im Gegensatz zum alten Mittelstand über keine Produktionsmittel verfügenden Neuproletariats durchbrechen zu helfen, sodaß Deses sich seiner sozial-ökonomischen Zugehörigkeit zur Arbeiterschaft bewußt würde und sich in die »soziaüstische Arbeiterbewegung« eingüedere; De Volksfront müsse dazu beitragen, »den Soziaüsmus endüch auch in seiner hohen ethischen Bedeutung zu zeigen«, nämüch in der Chance zur Entfaltung der »Persönüchkekswerte« und der beruflichen »Wkkungsmögüchkeioffensichtüch bewußt ten«. Die Perspektiven, die er für eine ganze Reihe von den De Berufen erinnern Leser an ausmalte, Aufbruchsstimmung, gewählten mit der mcht weDge, und keineswegs parteikommuDstische, Ingemeure, ArcWtekten, Ärzte usw. in den zwanziger Jahren aus dem Westen in die noch junge —



SowjetuDon zogen. Mit semem Entwurf emer »brekefn] antifascDstischefn] Arbeiterfront« aus Altund Neuproletariat, die gemeinsam mit »Bauern die große treibende Kraft einer erfolgreichen und zielbewußten Volksfront sein« könne, und der Bestimmung, »daß die echte Volksfront ihre Stellung zum deutschen Volk vom soziaüstischen Standort aus bezieht, denn Kampf gegen den Fascismus ist Kampf für den Soziaüsmus«, Dstanzierte Aufhäuser ausdrücküch von volkssoziaüstischen Mittelstandsideologien und -konzeptionen, De übrigens auch von Neu Beginnen, SAP und ISK zurückgewiesen wurden; gleichzeitig verdeuDchte er unnachdrücküch Bochéis oben zitierten »AktionsraDus der Volksfront«.93

EiDge Gedankengänge AuDäusers erinnern an Analysen und Ideen, De Theodor Geiger angesichts der nationalsoziaüstischen Ideologie, Praxis und Erfolge zumal unter den »MittelscDchten« D empDo-kritischer Auseinandersetzung mit Wissenschaftlern seiner Zeit Dedergelegt hat in dem 1932 erscDenenen Werk Die soziale Schichtung des deutschen Volkes; Deses Buch erlebte D den 60er und 70er JaDen des 20. Jahrhunderts Neuauflagen und Übersetzungen u. a. Ds SpaDsche, es erschemt mk noch knmer Dcht überholt, brauchbar auch als Anleitung zur Methode für De Erkundung von HintergDnden und Verffihrungen heutiger raDkaler, Dndamentaüstischer Bewegungen. 93

503

B I. Die

Programmkommissionen

bis

zum

Frühsommer 1936

In seiner Antwort an Aufhäuser, ebenfaüs in der Neuen Weltbühne, stimmte Wilhelm Koenen den soziologischen Analysen Aufhäusers weitgehend zu. Doch der Strategie zur Einreihung der neuproletarischen Mittelschichten in die sozialistische Arbeiterfront und damit in die Trägerschaft der Volksfront, und der Ansiedlung der alten Mittelschichten ssals besondere Sozialgruppen der kapitalistischen Gesehschaft« an die Peripherie des Bündnisses, da es ihnen trotz ihres »antikapitahstischen« Geschreis primär um die Wiederherstehung eines von staatüchen Zwängen freien wirtschaftlichen Waltens ginge,94 steüte er die ausdrücklich als »taktisch« bezeichnete Konzeption der KPD entgegen. Diese ging ganz offensichthch von der Faschismus-Definition des VII. Weltkongresses der Komintern aus.95 Sie zielte darauf, die »städtischen«, also die »alten Mittelschichten« (nach Aufhäuser), die s¡in Deutschland etwa zehn Millionen Menschen umfassen und die für den Hitler-Fascismus sehr entscheidend sind«, unter Ausnutzung ihrer Stehung gegen das »Monopol-Kapital« »an die Seite der ArbeiterDasse gegen das Hiderregime des Monopolkapitals« zu ziehen. Sie seien zusammen mit den Bauern ssdie entscheidende Klassenschicht für das Volksfront-Bündnis mit der Arbeiterschaft«, ihre tragenden Kräfte. Eine Verknüpfung von antifaschistischem Kampf im Rahmen der Volksfront und Propagierung des Soziahsmus wies er jedoch mit der Begründung zurück, daß diese Schichten (noch) nicht für den Soziaüsmus zu gewinnen seien. Andererseits sah er, daß der Nationalsozialismus sie gerade durch ssrücksichtsloseste[ ] Demagogie« ssvon ¡Arbeiterpartei und sSozialismuswesenWche Auszüge« daraus, begleitet von einem Kommentar

13

Vgl. oben, S. 200.

14

ARBARK, SAP, 6, 48, 4. Siehe, auch zum folgenden, AdK-StA, NL H. Mann, 2971: s¡Die Vertreter der KPD

15

im Komitee zur Vorbereitung der deutschen Volksfront« »An das Komitee zur Vorbereitung der Deutschen Volksfront [und] An die Programm-Kommission«, 16. Oktober 1936 (siehe dazu ausführüch oben, S. 528 und Anm. 57).

541

B III. Vom

Programm

zum

programmatischen Aufruf

Ulbrichts »Für De Versöhnung des deutschen Volkes«, der bereits am 15. Oktober in der Rundschau (Basel) erscDenen war, auf der Titelseite.16 Vorangegangen waren angesichts der miütärischen Unterstützung Francos in SpaDen durch De NS-Regierung alarmierende Kommentare und Analysen zur Nürnberger Proklamation des Kampfes gegen »Bolschewismus« und »Demokratismus« und zur VerabscDedung des zweiten Vierjahresplans im Zeichen weiterer Hochrüstung. Der Ton der Berichte lag auf der Vorbereitung eines großen Krieges einerseits, auf der damit einhergehenden Verschlechterung der wktschaftüchen und sozialen Lage des werktätigen deutschen Volkes zugunsten der Profitgier der »3 000 Müüonäre« andererseits, wie De ScDagzeilen bereits anzeigen: »Die Dikund De schreiende Not unseres Volkes«; »Hiders >Erfolge< tatur der Müüonäre Der zweite Vierjahresplan Die Löhne«; »Hiders Nürnberger Programm: Kreuzzug gegen Frieden, Freiheit und Soziaüsmus in der Welt, Not und grausamer Terror für das deutsche Volk«; »Gerechter Lohn! Steuergerechtigkeit! Fett statt Kanonen! De richtige Antwort auf Nürnberg«.17 Den Beiträgen in der Ende September oder Anfang Oktober 1936 erscDenenen Nummer 6/7 der Internationale war das Motto vorangesteüt: »Nürnberg. Die AnkünDgung des Hungerns und des Krieges«. Fast aüe Artikel thematisierten Gesichtspunkte, De sich in dem »Versöhnungs«-Aufruf oder in Ulbrichts Kommentar wiederfinden, sei es expüzit oder impüzit, wie der Kampf gegen den Trotzkismus, verklausuüert in Ulbrichts Forderung einer »prinzipieüen marxistisch-lemnistischen Schulung nicht nur der Kommunisten, sondern auch der Massen der heldenhaft kämpfenden Antifaschisten«, um »nationalsoziaüstische —

...

-



16 DI, 1936, Nr. 96,15. Oktober, blauer SonderDenst; RF (Reichsausgabe), 1936, Nr. 8, (etwa Mitte Oktober), S. If; Rundschau (Basel), 1936, Nr. 46, 15. Oktober, S. 1897-1899; DVZ, 1936, Nr. 31,18. Oktober, S. If: Kommentar Walter [Ulbricht], auf S. 4: Auszug aus dem Aufruf »Deutsches Volk!« unter dem Titel: »Für Deutschland, för unser Volk«, mit

einer redaktioneüen Vorbemerkung, daß es sich um »zweifeüos das bedeutsamste Dokudes deutschen FreDeitskampfes« handle, und der Aufforderung an »aüe Leser, insbesondere unsere zahkeichen Freunde im Lande [...], m der >Tribüne der DVZ« Dre Meinung [...] zu äußern«, siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 21.2; Nachdruck des Kommentars von Ulbricht und des Aufrufs, mit einer kleinen Einleitung zu Ulbricht und emem meDem Artikel »Wüü Münzenberg kn Exü« endehnten Zitat zur »Versöhnungs«Poütik bei Jörn Schütrumpf, »Versöhnung der antifascDstischen und nationalsoziaüstischen Massen«, in: Utopie kreativ, Nr. 71, September 1996, S. 28-42 (dazu: richtig ist, daß ich m meinem Aufsatz statt »Durchführung« fälschüch »Durchsetzung« zitiert habe Dcht so aber in IWK, Jg. 21 [1985], bes. S. 188, wo ich bereits auf Dese Dokumente aufmerksam ment

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-

-

gemacht habe). 17

beiden Zitate nach: DVZ, 1936, Nr. 28, 27. September, De folgenden RF (Reichsausgabe), 1936, Nr. 7, ca. Ende September; vgl. De Tarnbroschüre Schillers Balladen. Für Schule und Haus, hrsg, und erläutert von Adolf Ey (Reclams UDversal-BibüoDek Nr. 1710), Leipzig: Reclam o.J. [1936], BA/K, R 58/564, mit Aktenvermerk vom 16. Februar 1937. Die

ersten

ScDagzeüen nach:

542

oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit, Frieden

und Brot«?

...

Auffassungen in den Reihen der AntifascWsten« auszuschalten.18 Den »nationalsozialistischen Massen« gegenüber ist dagegen eine Anbiederung an We NS-Ideologie festzustellen. Die Anpassung an nationalsozialistische Terminologie und Phraseologie bezeichnete Ulbricht im Nachhinein herausfordernd entschulWgend als eine »annähernd legale[] Sprache [, um] We Massen zu beeinflussen«.19 Unterschwellig war der Anti-PlutoMatismus, mit dem We verscWedenen ScWchten der swerktätigen Anhänger des Nationalsozialismus* unter Berufung auf das Sofortprogramm der NSDAP von 193220 für den Klassenkampf geködert werden soüten, auch mit antisemitischer Ranküne gespickt, wie We Deutsche Volks-Zeitung vom 27. September offenbart: Unter den »3 000 Millionären«, synonym mit den ssoberen Zehntausend«, figurierten neben Hitler (»Inhaber des Eher-Verlages«), Krupp, Thyssen, Fhck, HaWel, Wolff usw. und den »fürsWchen und junkerüchen Millionäre [n]« bis Wn zu den »neuen Schloßbesitzerfn], wie Goebbels und Ley«, s>auch zahlreiche jüdische Industrieüe und BanMers, bei dessen [sie] Bankkonto der Antisemitismus aufhört«; namenWch genannt waren ssdie Warburg, Mendelsohn und Goldschmidt usw., We jeder auf 50—120 Millionen geschätzt werden«.21 Nun waren Wese Töne im ganzen Weht neu, sie gehörten, besonders in den Jahren der sich zuspitzenden Auseinandersetzung mit dem deutschen s¡FascWsmus« und s¡Sozialfaschismus« zwischen 1928/29 und 1933, zum Repertoire der antikapitaüstischen, antimonopolistischen, anWmperiahstischen Agitation und Propaganda der KPD. Erinnert sei an das in Deutsche Volksfront Band 1 erwähnte, bis 1934 hinein mehrmals variierte »Programm zur nationalen und sozialen Befreiung

des deutschen Volkes«. KonMet ähnelt vieles in den oben zitierten, als sVorbereitung* der Leser auf den »Versöhnungs«-Aufruf deMarierten Artikeln und ähnelt der Aufruf selbst dem Offenen Brief der KPD-Bezirksleitung Berün-BrandenburgLausitz-Grenzmark an die mit »Schaffende Volksgenossen« angesprochenen s¡werktatigen Wähler der NSDAP und die Mitgheder der Sturmabteilungen«,

Letztes Zitat aus dem Kommentar Ulbrichts, in: DVZ, 1936, Nr. 31, 18. Oktober, S. 2; We Wer wichtigsten Artikel in Internationale, 1936, Nr. 6/7, beschäftigten sich mit dem Weltfriedenskongreß W Brüssel bzw. dem KPD-»Kampf für den Frieden« (anonym), mit dem gescWchWchen »Weg des Trotzkismus« (A. Ackermann), mit der »Taktik des trojaWschen Pferdes« (Walter [Ulbricht]), und mit dem Thema »Nationalsoziaüsmus We Diktatur der Monopole« (Peter Förster [d.i. Jürgen Kuczynski]). 19 Siehe »Aus dem Entwurf des Memorandums zu eiWgen Problemen der KPD«, dat. 19. Januar 1937, in: Ulbricht, Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. II, [L] Zusatzband, S. 45-62, Zitat S. 57; vgl. SAPMO, Ry 1,1 2/3/286, Bl. 368-373: Gerhart psler] an [Pieck], 21. Dezember 1936: »sinngemäße Übersetzung meines handschrifWch geschriebenen Briefes«. 20 Wirtschaftliches Sofortprogramm der NSDAP. Ausgearbeitet von der Hauptabteüung IV (Wirtschaft) der ReichsorgaWsationsleitung der NSDAP (Kampfschrift H. 16 Broschürenreihe der Reichspropaganda-Leitung der NSDAP), München: Verlag Frz. Eher Nachf. 1932. 21 »Die Diktatur der Milüonäre«, in: DVZ, 1936, Nr. 28,17. September, Titelseite, Herdort. vorhebung 18

-



543

B III. Vom

Programm

zum

programmatischen Aufruf

veröffenDcht m der Roten Fahne vom 1. November 1931. Der damaüge Bezkksleiter war Walter Ulbricht.22 In nuce war »Versöhnung« auch in dem Passus »An De werktätigen Anhänger des Nationalsoziaüsmus« der Pieckschen »RichDDen für die Ausarbeitung einer poütischen Plattform der deutschen Volksfront« angelegt, wie denn überhaupt, oberflächüch gesehen, Vorläufer« ausfindig gemacht werden können. So hatte Dimitroff auf dem VII. Weltkongreß der Komintern es als »Aufgabe der Massen« bezeichnet, gemeinsam Kampf »für De wkküche Abwälzung der Folgen der Krise auf die Schultern der herrschenden Klasse der Reichen« zu führen, und hatte Wehner auf der »Brüsseler« Konferenz der KPD vorgeschlagen, »einen großen Teü des Sofortprogramms der NSDAP [... zu] drucken, verbreiten, verkaufen [...], weü wir damit De Nazis m eine Situation versetzen könnten, in der sie gezwungen wären, ihr eigenes Sofortprogramm zu verbieten, zu verfolgen, zu unterdrücken, wenn sie es mcht durchführen«. Er meinte, dankt könne die KPD besonders bei der »neuen Opposition«, d. h. bei denen, die durch das Programm in der Wirtschaftskrise verführt wurden, Erfolge verbuchen.23 Neu war in dem Aufruf »Deutsches Volk!« vom Oktober indessen, daß expüzit von »Versöhnung der antifascDstischen und der nationalsoziaüstischen Massen« gesprochen wurde, von »treuefr] Kameradschaft«. Von »Volksfront« war ledigüch im Zusammenhang mit der Regierung in Frankreich De Rede. Über De »Schaffung der Volksfront m Deutschland« sprach Ulbricht nur in seinem den Aufruf verschärfenden Kommentar. »Volksfrontpropaganda«, schrieb er, »genügt [...] allein Dcht. Es ist notwendig, De Poütik der Volksfront so anzuwenden, daß De große IDtiative der Volksmassen für ihre gerechten Forderungen entfaltet wird.« Und De »Volksmassen«, De »tapfere[n] Blockwarte, Amtswalter der Deutschen Arbeitsfront, SA-Männer«, De »unteren nationalsoziaüstischen Funktionäre«, die viele AntifascDsten »noch immer als >kleme Hitlers«« betrachteten, »sie woüen De Durchführung der alten sozialen Forderungen der NSDAP«. Unter den »besonderen -



22 Daß aüe Artikel nach dem NDnberger Parteitag der NSDAP auf den Aufruf »Deutsches Volk!« vorbereiten soüten, wobei an die Beschlüsse der Poütbüro-Tagung vom JuD in Paris angeknüpft werde, schrieb Ulbricht am 28. September 1936 nach Moskau, von »Versöhnung« sagte er Dchts, siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/286, Bl. 191-194: Walter an »Debe Freunde«; vgl. ebd., Bl. 320-327: Walter an »Deber Freund« [Pieck], 26. November 1936; der Offene Brief vom 1. November 1931 ist nachgedruckt in: Der deutsche Kommunismus. Dokumente, hrsg. von Hermann Weber, Köln Berün 1963, S. 155—157; zur Poütik offener Nachahmung nationalsoziaüstischer MeDoden und Ideologie, öffenDcher Auftritte von Kommunisten in NSDAP- und SA-Versammlungen vgl. Peer H. Lange, Stalinismus versus »Sozjalfaschismus« und »Nationalfaschismus«: Revolutionspolitische Ideologie und Praxis unter Stalin 1927-1935, Göppmgen 1965, bes. S. 273ff. 23 Zu dem ganzen Absatz vgl. Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 21.2, bes. S. 2 des Dokuments; Pieck/Dimitroff/TogüaD, Die Offensive des Faschismus, S. 115; Lewin/Reuter/ Weber, Protokoll der »Brüsseler Konferenz«, Bd. 2, S. 759f. (Zitat Wehner); Wehner, Zeugnis, S. 149. -

544

oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit,

Frieden und Brot«?

...

Bedingungen der fascWstischen Diktatur« müßten die Antifaschisten also legale Arbeit in den MassenorgaWsationen leisten und (Spitzen-)Funktionen übernehmen: »Die Verbündeten sind in den MassenorgaWsationen, in den Zwangsinnungen, im Reichsnährstand, in den Bauerngenossenschaften, in den StandesorgaWsationen der Ärzte, der Wissenschaftler etc.«24 Aufruf und Kommentar zur »Versöhnung des deutschen Volkes« waren also quaütativ etwas anderes als We bislang von sehen der KPD im Exü betriebene Agitierung der von der »Hider-Regierung« ¡irregeführten* oder sbetrogenen* Proletarier und Kleinbürger. Hier wurden amorphe Schichten angesprochen und sozialistische, sozialdemoMatische, kathohsche und hnksbürgerhche Kräfte und ihre politischen Positionen als Mitgestalter der Volksfront ausgeschaltet. In seinem Kommentar propagierte Ulbricht unmißverständüch die »demoMatische Revolution« der versöhnten ssVolksmassen« gegen die (Diktatur der) »3 000 Millionäre«. Das NS-Regime erscWen leWgüch als deren Werkzeug, der Sturz Hitlers dessen Name kam im Aufruf selbst gar Weht vor dementsprechend als Sekundärfrage.25 Eine in diese Richtung gehende Konzeption der »Massenarbeit im Lande« hatte Ulbricht bereits im Juh im Anschluß an We Analysen der Volks frontarbeit der Partei, der Beratungen und der verabschiedeten Dokumente der Pariser Poütbüro-Tagung entwickelt. Unter den Schriften der Operativen Auslandsleitung seien Wer nur genannt: ein Offener Brief an We Kathoüken, Agitation zur Olympiade und eine von Anlehnung an NS-Jargon und -Ideologie Weht freie SchulungsBroschüre zur »Rassenpoütik des deutschen FascWsmus«.26 Der Nürnberger Parteitag der NSDAP verschärfte in den Augen der Ulbricht, Eisler und eiWger weWger anderer, We sich als We Gesamtheit des Pohtbüros im Westen gerierten, We Lage Wehner z. B. wurde nach eigener Aussage Weht Wnzugezogen,27 vieüeicht, weh er nur KanWdat des Poütbüros war? LetzWch war die sVertretung* der materiellen Interessen der ssVolksmassen« der Schaffung einer breiten Front gegen den Krieg untergeordnet, anders gesagt: sie diente als deren -



-

Zitate nach DVZ, 1936, Nr. 31,18. Oktober, S. 2; nur in seinem Artikel »Zur Taktik des TrojaWschen Pferdes« in der Internationale warnte Ulbricht We Genossen davor, »als Funktionäre einer MassenorgaWsation offen kommunistische Propaganda [zu] treiben oder [...] Verbreitung ülegalen Propagandamaterials [zu] übernehmen«, siehe oben Anm. 18, Zitat 24

S. 40.

Überschrift zum Abdruck von Ulbrichts Kommentar in Rundschau (Basel), 1936, Nr. 46, 15. Oktober, S. 1897-1899, gibt Wes genau wieder: »Für We Versöhnung des deutschen Volkes gegen die Weitausend Milüonäre, gegen We Kriegstreiber! Der Weg zum Sturz 23

Die

Hitlers«. 26 Siehe SAPMO, Ry 1,1 2/3/286, Bl. 116-117: »Übersicht über We eingegangene Post von der operativen] Leitung seit Juü 1936«; zur Kritik an der »Rassenpoütik«-Broschüre siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/286, Bl. 290: As aus Brief von »Lorenz« (tätig im »Moskauer Verlag«), o. D.; ebd., Bl. 292-294: W[ühelm Pieck] an »Debe Freunde« [Operative Auslandsleitung/ZK-SeMetariat in Paris], 22. Oktober 1936. 27 Vgl. Wehner, Zeugnis, S. 178.

545

B III. Vom

Programm

programmatischen Aufruf

zum

Hebel. Die »demokratische Revolution«, De »demokratische Repubük« als Ziel Zwischenetappe war mcht De Rede und De Nötigung des PV der SPD zu emer Einheitsfront mit der KPD unter Hinweis auf den Brüsseler Weltfriedenskongreß belegen Dese Taktik. Es entbehrt Dcht der Ironie der Geschichte des Bolschewismus-Kommunismus, daß der >Erfinder< aller Variationen von kürzere oder auch längere Zeit aufflackernder »Versöhnungs«-Propaganda und -Poütik auch unter den Begriffen »Schlageter-Kurs«, »Nationalbolschewismus« oder »Nationalkommumsmus« zusammengefaßt -, Karl Radek, just zum Zeitpunkt der Ulbrichtschen Pubükation als »Trotzkist« und »Gestapo-Agent« in Moskau verhaftet wurde.28 -

von

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2. Kritik Die bitterste Kritik am »Versöhnungs«-Aufruf, an Ulbrichts Kommentar und an den Beiträgen in Nr. 6/7 der Internationale hier wurde noch besonders der Artikel De Diktatur der Movon Kuczynski aüas Peter Förster, »Nationalsoziaüsmus kam dem überraschten Pieck und aus dem EKKI: von nopole« gerügt29 vöDg Die Poütbüro-Tagung vom JuD, De Volksftont-Plattform-»Richtlkken«, De ganzen Bemühungen um eine Volksfront zum Sturz Hiders und des Nationalsoziaüsmus seien auf den Kopf gesteüt. Pieck sah selbst volkssoziaüstische Tendenzen und Volksgemeinschafts-Ideologie und empfahl Paul Serings Abrechnung mit dem Volkssoziaüsmus in der Zeitschriftfür Sozialismus als Lektüre. Die dann einsetzende Kampagne gegen den Volkssoziaüsmus und namentlich gegen Otto Strasser30 der hatte aüerdings auch die Außenpoütik der Sowjetunion heftig —

-





28 Karl Radek wurde am 16. September 1936 verhaftet; seine Rede vor der Erweiterten Exekutive der Komintern im ]uni 1923 auf den nationalsoziaüstischen Saboteur gegen die französische und belgische Besatzungsmacht im Ruhrkampf, Albert Leo Schlageter, der von einem französischen Miütärgericht zum Tode verurteüt und erschossen wurde, ist abgedruckt in: Weber, Der Deutsche Kommunismus, S. 142-147. 29 Eine vernichtende Gesamtrezension von A[ntoD] Krajewski [d. 1 der Pole Wladyslaw Stein, damals Kaderleiter beim EKKI] über »>Die Internationale«, das Deoretische Organ des ZK der KP Deutschlands« in der Periode von Ende 1935 bis Ende 1936 veröffenDchte KI, 1937, H. 4, 20. Mai, S. 398-405, auf S. 403 lautete emer der Kernsätze: »Der Kampf der Zeitschrift gegen die Ideologie des Nationalsozialismus ist ungenügend« (Hervorhebung dort; zu SteD/Krajewski vgl. Wehner, Zeugnis, S. 191 f., und R. Müüer, Akte Wehner,

passim (vgl. Register dort).

Ulbricht hatte davor offenbar kn Zusammenhang mit dem »Versöhnungs«-Aufruf, aber ohne Wissen D Moskau »ernsDaft den VorscDag gemacht [...], Otto Strasser und seme Gruppe in De Volksfront aufzunehmen. Breitscheid und seme sozialdemokratischen Freunde verDnderten Desen Plan, wofür sie heute von Ulbricht als Verbündete von Strasser« bescDmpft werden«, so, als Antwort auf Ulbrichts Brief vom 26. Oktober 1937 an De DchtkommuDstischen Mitgüeder des Volksfrontausschusses, eine der Passagen im Brief an das 30

-

-

546

oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit, Frieden

und Brot«?

...

Mitisiert und Wenzel Jaksch ist im Zusammenhang mit dem »Kampf gegen den TrotzMsmus« einerseits, der mit sZuckerbrot und Peitsche* durchgeführten Werbung um den Parteivorstand der SPD für eine deutsche und um We SAI für eine internationale Einheitsfront, mindestens eine Aktionseinheit für die spanische Repubük andererseits zu sehen.31 Gegenargumente von Ulbricht und Eisler, darunter: daß man doch in Deutschland weiterkommen müsse, sah Pieck zum Teü ein, hatte er doch auf seiner Westreise im Mai/JuW festgestellt, daß We Volksfrontpolitik s>noch wenig Auswirkung nach dem Lande« zeige; für einen Aufruf aber seien sie absolut Weht geeignet. So fehle zum Beispiel jegliche Differenzierung im Bürgertum.32 Weitere Verbreitung -

ZK der KPD vom 13. November 1937, unterz. von Heinrich Mann, Präsident des Ausschusses zur Büdung einer deutschen Volksfront, Max Braun, Vorsitzender des Arbeitsausschusses der deutschen Volksfront, Prof. Georg Bernhard, Prof. Gumbel, Prof. DeWcke, Jacob Walcher, Dr. Sternberg und Rudolf Breitscheid, siehe We hektograph. Zusammensteüung Der Briefwechsel der nichtkommunistischen Parteien und Gruppen der deutschen Volksfront mit dem ZK der KPD, 1. November 1937-16. November 1937, IISG, stuWezaalmap, Ujst Abendroth 425 (siehe dazu ausführüch oben, S. 361-364). 31 Vgl. We im ganzen positive Kritik voüer Paraphrasierungen und Zitate aus SerWgs Artikel in: DVZ, 1936, Nr. 32, 25. Oktober, Rubrik »Tribüne der Deutschen Volks-Zeitung«; vgl. auch We folgenden DVZ-Ausgaben mit Artikeln gegen Strasser und Jaksch; nach Aufforderung der KommuWsten schrieb Ehrmann den Artikel »Volksfront gegen Volkssoziaüsmus« vgl. seinen Brief an We Neu Beginnen-Freunde, 5. November 1936, IISG, Neu Beginnen, 46 —, erschienen unter seinem Pseudonym Fritz Alsen in DFD-MDFB, 1937, Nr. 15, Januar, S. 39-42, um eine breite Diskussion zu entfachen, die jedoch wegen Einsteüung der Zeitschrift Weht fortgesetzt wurde; vorher noch, am 6. Dezember 1936 brachte We DVZ (Nr. 38) unter der Rubrik »Tribüne der Deutschen Volks-Zeitung« einen A. Exelmann gezeichneten Artikel »Volksfront, Weht ¡Volkssoziaüsmus*. Sachüche Bemerkungen zu einer Polemik Wenzel Jakschs mit semen Kritikern«, in dem Jaksch zugestanden wurde, er habe Fragen aufgeworfen, We bisher vernachlässigt worden seien, so z. B. »Begeisterungsfähigkeit [... für] die Sache der ewig jungen Menschenrechte« und die Wertschätzung von »GescWchts- und Kulturerbe«; We wechselnden Taktiken gegenüber dem PV der SPD und der SAI von 1932 an habe ich hier bereits mehrfach belegt. 32 Zu Piecks Feststeüung vgl. Aue/Nitzsche, »Wilhelm Pieck ...«, S. 874; zu vorstehenden AbschWtten vgl. We folgenden, hier chronologisch aufgeführten Referenzen in SAPMO, Ry 1,1 2/3/286: Bl. 292-294: W[ühelm] Pieck an »Debe Freunde«, 22. Oktober 1936 (siehe oben Anm. 26); Bl. 287-288: ders. an Walter pbricht] persönüch, 21. Oktober 1936, mit Nachtrag vom 23. Oktober; Bl. 310-315: [SeMetariat des ZK der KPD in Paris] an »Liebe Freunde«, 6. November 1936, eine Antwort nach Moskau aufgrund der Briefe und Telegramme von dort, mit: »PS. Dieser Brief wurde in der heutigen Sitzung des PB, unter Teünahme aüer Wer anwesenden PB-Mitgüeder einstimmig beschlossen«; Bl. 320-326: Walter [Ulbricht] an [Pieck], 16. November 1936, als Antwort auf dessen persönüchen Brief vom 21. Oktober; Bl. 368-373: Gerhart [Eisler] an [Pieck], 21. Dezember 1936 (vgl. Anm. 19 Weses Kapitels); SAPMO, Ry 1,1 2/3/287, Bl. 2-4: Wilhelm [Pieck] an Gerhard [sie], Paris, 4. Januar 1937; We handschr. oder mit Stempel festgehaltenen Daten des Erhalts der Briefe aus Prag/Paris in Moskau zeigen We Verzögerungen in der Kommunikation; zu dem Brief -

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B III. Vom

Programm

zum

programmatischen

Aufruf

des »Versöhnungs«-Aufrufs oder Propagierung seines Inhalts wurde untersagt, dann regekecht verboten.33 (Dessen ungeachtet fügte De Deutsche Volks-Zeitung eiDge Monate später in den Teü-Abdruck des vom Arbeitsausschuß zur Büdung der Volksfront im Saargebiet bescDossenen Aufrufs an De Saarbevölkerung zum zweiten Jahrestag der Rückgüederung De aüerDngs etwas abgeschwächte aües Trennendel ein: »Laß Verbünde, verbrüdere Dich!«34) Aufforderung trennte Dimitroff in seinem Artikel »Die Volks-Kampffront gegen Krieg und FascDsmus«, der in Rundschau (Basel) und in der Deutschen Volks-Zeitung abgedruckt und als Flugblatt in Deutschland verbreitet wurde, die NotwenDgkeit, an De materieüen und sozialen Versprechungen der fascDstischen Führer anknüpfen zu müssen, unzweideutig von der Versöhnungspoütik und verwarf »unkritisches Nachahmen bzw. mechaDsches Übertragen von Erfahrungen der Volksfront aus einem Lande auf ein anderes«. Er steüte Dar: »das ScDcksal der antifaschistischen Demokratie in Europa [ist] unzertrennüch an das ScDcksal der Arbeiterklasse, an De Verwkküchung der Volksfront -



gebunden.«35 Obgleich Ulbricht und Eisler sich an den Appeü zum Front Français und besonders an den »Wiederversöhnungs«-Aufruf des PCI, der sich quasi das fascDstische Programm von 1919 zueigen machte, aDehnten, handelte es sich bei dem »Versöhnungs«-Aufruf des »ZK der KPD« also mcht um eine konzertierte Aktion« auf BefeU des EKKI, wie ich früher angenommen habe, und noch Dcht einmal ein vom ZK der KPD autorisiertes Dokument.36

um

Walter [Ulbricht] an »Debe Freunde« D Moskau vom 28. September 1936, in dem unter Hinweis auf das KommuDqué des PoütbDos in der DVZ vom 27. September (»Der Nürnberger Parteitag und das deutsche Volk«, S. 4, auch erscDenen in Rundschau [Basel], 1936, Nr. 43,24. September, S. 1793f.) auf den »Versöhnungs«-Aufruf vorbereitet wurde, ist anzumerken, daß er vieüeicht bewußt zuDckgehalten wurde er trägt den Stempel vom »9. Nov. 1936«, siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/286, Bl. 191-194; auch De Mitteüung über De »PoütbDo«-Sitzung vom 5. Oktober, den dort bescDossenen Entwurf des »Versöhnungs«-Aufrufs (Pieck versah Dn dann mit Notizen und Unterstreichungen) und De Abschrift des »Wiederversöhnungs«-Aufrufs des PCI trafen erst nach VeröffenDchung des »Versöhnungs«Aufrufs D Moskau ein, siehe SAPMO, Ry 1,1 2/3/19 bzw. Füm Nr. FBS 278/12591. 33 Rundschau (Basel) brachte entgegen der AnkünDgung beim AbDuck von Ulbrichts Kommentar (siehe oben Anm. 25) den »Versöhnungs«-Aufruf Dcht mehr, dafür aber in Nr. 48, 29. Oktober, S. 1979-1981, eine »Resolution des ZK der KP Itaüens«, die die »Versöhnung und EiDgung des itaüenischen Volkes för De Eroberung von Brot, Frieden und Freiheit« so De Überschrift wiederholte (siehe auch folgenden Text). 34 DVZ, 1937, Nr. 9, 28. Februar, S. 3. 35 Zitiert nach DVZ, 1936, Nr. 35, 15. November, Sonderbeüage; Rundschau (Basel), 1936, Nr. 51, 12. November, S. 2057-2061; BA, R 58/564: mkneograph. Flugblatt, in Berün erfaßt, vgl. Aus Informationen des Amtes II A (A) des Gestapa, Nr. 1, 4. Januar 1937; zur Kritik Togüams am deutschen Aufruf vgl. Natoü, »L'Analyse du fascisme ...«, bes. Anm. 20. 36 Zur Emschätzung und Unterscheidung vgl. auch oben, S. 170ff

von



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-

oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit,

Frieden und Brot«?

...

Aus der Optik der NichtkommuWsten konnten aüe drei Dokumente aber nur als eine vom EKKI ausgehende, wenn auch auf We nationalen Besonderheiten abgestimmte Dreieinheit gesehen werden. Neu Beginnler und SAPler beurteüten den »Versöhnungs«-Aufruf vor dem Hintergrund einer ganzen Reihe von EreigWssen und Konsteüationen: Da war der Krieg in SpaWen, der auch We innen- und außenpolitische Schwäche der Blum-Regierung in FranMeich bloßlegte, und Wese wiederum drohte den französisch-sowjetischen Beistandspakt auszuhöhlen,37 damit We ohnehin wegen SpaWen in einer ZwickmüUe steckende SowjetuWon zu isoüeren. Hinzu kamen We Säuberungen in Moskau, We den neuesten Gerüchten in Paris um We Steüungen von AußenmiWster Dtvinov ein ihm nahestehender Redakteur des Journal de Moscou war verhaftet worden und selbst von Dimitroff Nahrung gaben. Ehrmann schrieb: »Das ganze ist ja die groteske Übertreibung des italienischen Aufrufs auf deutsche Verhältnisse. War der itaüeWsche anwidernd unantifaschistisch, aber eben antüiiderisch, so hören We deutschen KommuWsten nun ja auch mit dem AntiWtlerismus auf. Was bleibt ist: Frieden für We SU, vieüeicht We Kriegsablenkung DeutscWands gen Westen.« Und er sah ssgewisse Anzeichen dafür, daß sie [We SowjetuWon ULA] eine Annäherung an Deutschland versucht: einige der neuesten Verhaftungen sohen sich nach dem Urteü von Kennern nicht anders erMären lassen, als daß man beginnt, gegen den sLitwinow*-Kurs anzugehen«.38 Die AZ der SAP, We bereits den Aufruf des PCI unter Berufung auf We sdeWWstischen Grundsätze [] der proletarischen KlasseWnteressen« verurteilt hatte und den Weg »zu neuen schweren Niederlagen des internationalen Proletariats«, letztlich auch der SowjetuWon beschritten sah,39 konzentrierte nunmehr ihre scharfe Kritik auf We innenpolitischen Konsequenzen für Deutschland. »[Die] Propaganda der sVersöhnung von FascWsten und NichtfascWsten*, bei der Weht einmal mehr We Existenz des verruchten fascWstischen Regimes erwähnt wird [...,] gibt einen Vorgeschmack von dem, was noch kommen mag. Was daran heute Vermummung sein mag, wird morgen das eigene Wesen. [...] Handelt es sich bei dem Bekenntnis zur Koalition mit dem santihitlerischen* Bürgertum nach dem Sturz Hitlers aber Weht um sschlaue Taktik*, hält man —





37 Siehe dazu auch We »Leserbriefe« an We Redaktion der Isvestija, z. B. vom 11., 15. und 16. November 1936, We We Deutsche Botschaft in Moskau mit Brief vom 30. November, gez. von der Schulenberg, in deutscher Übersetzung ans Auswärtige Amt scWckte, AA-PA, Pol. II, Poütische Beziehungen FranMeichs zu Rußland vom 22. Mai 1936 bis 22. September 1938. 38 AdsD, NL Auerbach, Korr. 1925-1939: PaW [Bern(h)ard, d.i. Ehrmann] an »Mein üeber ¡Tor* und Freund« [Auerbach], 18. Oktober 1936; vgl. ders. an »Liebe Freunde« [Auslandsbüro-NB], 23. Oktober 1936, IISG, Neu Beginnen, 46. 39 NF, 1936, Nr. 17, Anf. September, Beüage S. 1: »VerbWderung mit den Faschisten?«

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B III. Vom

Programm

zum

programmatischen Aufruf

solche Koaütion wkküch für richtig, dann gibt man schon heute De proletarische Revolution in Deutschland auf.«40 Ihre der KPD im aügemeinen, unausgesprochen der »demokratischen Repubük« im besonderen entgegengesetzte Strategie und Taktik einer Einheitsfront und einer Volksfront, für De sie De Losung der Arbeiter- und Bauernregierung ausgab, gründete De AZ der SAP auf Marx' »Ansprache der Zentralbehörde an den Kommunistenbund« vom März 1850 und auf Luxemburgs Rede zum Programm auf dem Gründungsparteitag der KPD.41 Der grundsätzüche Unterschied im praktischen Ansatz bei der SAP und bei Ulbricht/Eisler läßt sich am Beispiel von WDy Brandt und Stefan Szende aufzeigen. Beide hatten dafür pläDert, daß zur (Rück-) Gewinnung der zum Nationalsoziaüsmus übergelaufenen und der im Grunde indifferenten ScDchten sowie zum Offenhalten des Weges zum Soziaüsmus bei den mcht erfüüten materiellen Versprechungen der NSDAP angesetzt werden müsse. Doch gleichzeitig hatten sie der poütischen und ideologischen TrennüDe zum Nationalsoziaüsmus den höchsten Steüenwert zugemessen.42 Das neue Mimmalprogramm von Gumbel und dem Kreis der deutschen poütischen Emigranten in Lyon, das Die Neue Weltbühne am 8. Oktober veröffentüchte,43 war zwar keine Antwort auf den »Versöhnungs«-Aufruf, wohl aber eine auf De Plattform-»RichDDen« der KPD; zumindest war der Zeitpunkt der VeröffenDchung eine solche, wenn man davon ausgeht, daß Gumbel den gleichen Text der Sitzung des Volksfrontausschusses beteits am 9. Juni vorgelegt hatte.44 Die 20 Punkte des »Mkkmal-Programm[s] der Deutschen Volksfront« zum 2. Februar 1936 waren nunmehr, zum Teü wörtüch, in 14 Punkte gepreßt, De, so der eme

40 Siehe die textidentischen, för EDI bzw. Innerdeutschland bestimmten Broschüren Was kommt nach Hitler?, und: Hans Wohlgemutth, Wer recht in Freuden wandern will..., Zitat S. 25; zu den Broschüren siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 18.1, Anm. 2. 41 Vgl. die Zitate in den beiden in Anm. 40 genannten Broschüren, S. 26 und 28. 42 Vgl. oben, S. 490^-92 und De Anm. 63, 64, 65; der Argumentation von Sywottek, Deutsche Volksdemokratie, S. 74, daß »ein Experiment mit Deser PropagandaüDe [d. h. der »Versöhnung«] eventueü größere Erfolge hätte zeitigen können als eine primär auf Deklamation abgesteüte Verdammung des nationalsoziaüstischen Regknes« und daß Des von den Kritikern »übersehen worden zu sein« scheine, vermag ich Dcht zu folgen, denn er vergißt ebenfaüs gänzüch den ideologischen Faktor, den Pieck, DkDtroff, Togüatti, wie oben dargesteüt, sehr wohl gesehen haben; außerdem aber das konnte er aufgrund der damaügen Queüenlage Dcht wissen -, war De »Versöhnung« mit den Nationalsoziaüsten Dcht aus Moskau vorgegeben, sondern entsprang, wie wk nachgewiesen haben, dem Hkn Ulbrichts; De Umsteüung der Komintern-Poütik kn Februar/März 1937 erfolgte unter emer Baüung von EreigDssen, De erst nach dem »Versöhnungs«-Aufruf eintraten, von Sywottek aber teüweise in seine Argumentation mit eingeschlossen werden, ich komme kn nächsten Kapitel darauf zuDck. 43 NWB, 1936, Nr. 41, S. 1304; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 23. 44 Vgl. oben, S. 84. -

550

oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit, Frieden und Brot«?

...

Kommentar der NWB, »unserer Meinung nach von aüen freiheiWch Gesinnten ohne UnterscWed der politischen Richtungen angenommen werden können, We aber auch durchgeführt werden müssen, soh ein zweites 1918 verWndert werden«.45 Die Forderungen auf sozialökonomischem Gebiet gegenüber dem Großgrundbesitz, nach ssVerstaaWchung der Schlüsselindustrie« und der Kapitalgesellschaften und ihrer s¡planwirtschaftlichen Leitung« einerseits, auf dem Gebiet der Menschen-, Bürger- und Arbeiterrechte andererseits unterstützten die Position der NichtkommuWsten in der Programmkommission.

3. Der Appeü für

Frieden, Freiheit und Brot

Die entscheidende Sitzung der Programmkommission für das enchiche Zustandekommen eines gemeinsamen Appells fand am 21. Oktober 1936 statt. Nachdem Ehrmann sich nach eigenem Bekunden schon relativ erfolgreich um eine einigermaßen erträgliche Arbeitsatmosphäre zwischen und teüweise innerhalb aüer beteWgten Gruppen bemüht hatte, schaffte Georg Bernhard den Durchbruch. Als Repräsentant des freiheiWchen Bürgertums, der der Kommission wieder Volksfront-Status verlieh, und als stehvertretender Vorsitzender des Volksfrontausschusses setzte er gegen We Vertreter der KPD, Wehner und vor aüem Ulbricht durch, daß erstens überhaupt ein gemeinsamer Appell gemacht wurde, daß Weser zweitens für aüe, We eine Volksfront im Prinzip bejahten, annehmbar zu sein habe, daß Weser jedoch drittens weitWn unangefochtene Forderungen nach Verstaatlichungen und Enteignungen enthalten müsse selbst scHug er eiWge Verklausuherungen vor. Außerdem sei We ssdemoMatische Repubhk« zu verwerfen; We meisten sahen in ihr eine Konzeption à la Weimar, da wirtschaftliche Absicherungen fehlten.46 Damit fiel der von Ulbricht propagierte ssVersöhnungs«-Aufruf, ohneWn inWskutabel, völlig unter den Tisch, waren aber ebenfahs We essentieüen Punkte der Pieckschen »RichtliWen« ad acta gelegt. Ohne größere Schwierigkeiten eiWgte man sich in der Programmkommission auf den von den Kommunisten eingebrachten Vorschlag, sich in »zwei kleinere Arbeitskommissionen« aufzuteüen: »eine über [deutsche] Lohnfragen, eine über —

Text des ersten MiWmal-Programms, in: Deutsche Volksjront Band 3, Dokument 5; obiges und folgendes Zitat nach NWB (siehe Anm. 43). 46 Vgl. Brief Paul [d.i. Ehrmann] an AB-NB, 23. Oktober 1936 (siehe oben Anm. 38), »erstens«, »zweitens« und »drittens« stammen von ULA; Ehrmann berichtete aügemein über allerlei Machenschaften der Kommunisten in der letzten Zeit: Indoktrinierungsversuche Ulbrichts ihm selbst und z. B. Böchel gegenüber, ferner über Rundschreiben, Erklärungen und Dementis, sowie »private ¡Differenzierungen* «, mit Wesen Tricks soüte en passant die SAP, die bereits in der DVZ attacWert wurde, ausmanövriert werden; Walcher gab den Mitgüedern der AZ auf der Abendsitzung vom 21. Oktober 1936 Einzelheiten zu Protokoü, 45

siehe

ARBARK, SAP, 1, 8,

13.

551

B III. Vom

Programm

zum

programmatischen Aufruf

Ernährungs- und Agrarfragen«. Beide Kommissionen wurden unter der Bezeichnung »Wirtschaftskommission« zusammengefaßt. Ehrmann, Walcher und Wehner sollten den Kompromiß zu einem gemeinsamen Appell ausarbeiten; die Programmkommission firmierte fortan als Appeükommission.47 Die gelegenDch verwendete Bezeichnung »Propagandakommission« bezog sich wohl auf das übergreifende Gremium, De Programmkommission. Der weitere Weg bis zur anscheinend problemlosen VerabscDedung des endgültigen Textes des Appeüs »Büdet De deutsche Volksfront! Für Frieden, Freiheit und Brot!« auf der Sitzung des Volksfrontausschusses am 21. Dezember, auf der auch De Denkschriften Der Lohn der Arbeiterschaft im III. Reich und Hitlers Kriegsund Interventionspolitik zur Verbreitung angenommen wurden, ist beschrieben und dokumentiert.48 Eine gewisse Entkrampfung zumindest für De Zusammenarbeit in den Kommissionen zwischen den Hauptkontrahenten, KPD und SAP, brachte offensichDch De Besprechung zwischen Wehner, Dahlem und dem aus Moskau zurückgekehrten Münzenberg auf der einen, Wolfstein, Fröüch und Walcher aües ehemaüge Mitgüeder der KPD auf der anderen Seite am 10. November 1936. Als »Sinn der Aussprache« bezeichnete Rosi Wolfstein laut Protokoü, »daß keine vergiftenden Auseinandersetzungen geführt werden«. Man stimmte am Ende zwar m keinem Punkt überein, hatte aber offen De jeweDgen Positionen und Motive zu und Ereignissen, Handlungen poütischen Konzeptionen dargelegt: Moskauer und Kritik an der SowjetuDon; »Versöhnungs«-Aufruf, Prozeß, SpaDen-Poütik Arbeit in den NS-MassenorgaDsationen und Gefahr des Abgleitens in NS-Ideologie; »demokratische Repubük«, Frage des Soziaüsmus und natürüch Frage des Trotzkismus. Auf den Vorwurf Dahlems: »Von aüen Gruppen enthält De SAP De

-

-

meisten trotzkistischen Elemente«, konterte Fröüch: »Es stimmt. Übereinstimmung zwischen uns u[nd] Trotzkfismus] gibt es, aber das ist Marxismus.«49 In den veröffentüchten Appeü »Für Frieden, Freiheit und Brot!«50 sind im aügemein einleitenden Teü Gedanken aus den »Richdküen« der KPD übernommen,

Neu Beginnen, 46: [Ehrmann] an [AB-NB], 5. November 1936, »[deutoben im Text von ULA gesetzt ansteüe der NB-Verschlüsselung »däDsche«; vgl. oben, bes. S. 31 Iff. 48 Siehe Langkau-Alex, »>Bildet De deutsche Volksfront !< ...«, hier bes. S. 189-191 und 195—203: Dok. 3, das zur Unterschriftensammlung verschickt wurde, und Dok. 4; vgl. Des., »Volksfrontprobleme Sprachprobleme«, bes. S. 218ff; zur Denkschrift Lohn siehe bes. oben, S. 312ff, zur Kriegs- und Interventions-Denkschrift siehe oben, S. 161ff; beide Dokumente in Deutsche Volksfront Band 3, Dokumente 32 und 33.3. 49 Zum vorigen emschüeßüch der Zitate siehe ARBARK, SAP, 6, 51, 1: »Protokoü der Besprechung zwischen Vertretern der KP und der SAP am 10. November 1936 in Paris«, masch., und, ebd., De stark verkürzten handscD. ProtokoUnotizen, danach das FröHch-Zitat; De Teünehmer sind mit ihren Partemamen aufgeDhrt; vgl. dazu auch oben, S. 194ff, bes. rundum Anm. 247 und 251, sowie S. 198 mit Anm. 261. 50 Siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 34. 47

sche]«

Vgl. IISG,



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oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf

für Freiheit, Frieden und Brot«?

...

auch findet sich im weiteren Text We Anrede »Volksgenossen«51 wieder. Die Ersetzung von »Deutschland« durch »Heimat« und andere TerrWW dürften ebenfaüs eine Konzession an We KommuWsten gewesen sein. Sie verstärken im Gesamtzusammenhang mit den umrissenen geseüschaftspohtischen Vorsteüungen den kultursoziaüstischen und sozialpatriotischen Charakter, der schon der ssKundgebung« vom 2. Februar 1936 eigen war. Gegenüber dem Text, der vorher anscheinend von ehhgen Schriftsteüern begutachtet und hterarisiert zur Unterschriftensammlung verscWckt wurde, sind eiWge TermiW und Zwischentitel geändert, ist We Säuberung und demokratische Umgestaltung von Heer und Verwaltung den wirtschafts- und sozialpoütischen Aufgaben zugeordnet, und sind im Anschluß an We Passage über den Nürnberger Parteitag der NSDAP Zeilen über Hitlers mihtärische Intervention in SpaWen eingefügt. Die beabsichtigten Maßnahmen zur Verbesserung der materieüen und sozialen Lage von Kranken, Invahden, Arbeitsunfähigen und Arbeitslosen sind ausführlicher als in der Unterschriften-Version formuhert. Aüe programmatischen Aussagen des Appeüs fußen auf der Maxime: s¡Freiheit für das Volk!«. Die Grundvoraussetzungen Befreiung vom Nationalsozialismus und aüen seinen Praktiken und Einrichtungen, Wiedereinführung der Freiheitsund Bürgerrechte sind wie im SAP-Entwurf vom August in einprägsame Parolen gegossen. An oberster Stehe steht analog dem Wahlprogramm des Frente popular. »Freüassung aher Opfer des Regimes«. Die Grundzüge eines nachWtlerischen Rechtsstaates sind benannt, We Wirtschaftsordnung sieht, Wstorisch und politisch begründet, Eingriffe in Großeigentums- und Kapitalstrukturen und (Wieder-) Einführung von Arbeiterrechten sowie We Förderung eines von Staatszwängen und hohen finanziellen Lasten freien bäuerüchen und städtischen Mittelstandes vor. Die Umsteüung der Kriegs- auf Friedens- und Bedarfswirtschaft, We Aufhebung der AutarMe durch wirtschaftliche Zusammenarbeit mit anderen Völkern und Staaten auf der Grundlage gleichen Rechts und gegenseitiger Achtung Wenen der Bekämpfung von Armut und Ausbeutung im Innern und dem äußeren Frieden. Ausgespart waren Form und Aufbau des neuen Deutschland. Offenbar soüte in einer Übergangszeit We s>Deutsche Volksfront« mit mehr oder weWger diktatorischen Mitteln die ersten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen zur Sicherung der »Freiheit« durchführen und somit die Voraussetzungen füt Wahlen der allein dem Volk verantwortlichen Vertreter aufgrund eines »unverfälschten demoMatischen Wahlrechts« was immer darunter verstanden wurde schaffen. Es war Mar, daß We Parteien und Gruppen, We den Bund zur Volksfront schlössen, dann gegeneinander antreten würden. Die Wiedereinführung der Selbstverwaltung in den »Gemeinden« und »aüe[n] Einrichtungen des öffenWchen Lebens« war anscheinend auch erst für We Zeit nach Sicherung der Freiheit gedacht. —







-

-

51

Auch

zu

Wesem Terminus und seinen

Verwendungen vgl. Langkau-Alex,

»Volks-

frontprobleme Sprachprobleme«, S. 220. -

553

B III. Vom

Programm

zum

programmatischen Aufruf

Den Sturz Hitlers und des NS-Regimes erwartete man unausgesprochen von einem friedkchen Umsturz durch einen Volksaufstand, der, so hoffte man und so ist aus anderen Appeüen und aus den Bemühungen des Volksfrontausschusses und seiner offiziösen Organe um Poütiker und veröffentüche Meinung kn Ausland zu schüeßen -, durch De Poütik vor aüem Frankreichs und der SowjetuDon unterstützt werden würde. Die Gefahr einer blutigen Revolution, die aus dem Aufstand durch Gegenwehr der verscDedenen bewaffneten Kräfte auf seiten des NS-Regimes entstehen könnte, war ausgeblendet Daß nach aüen vorhergegangenen Diskussionen Wehner und Ulbricht schüeßüch auf die Festschreibung der »demokratischen Repubük« verzichteten52 und Nationaüsierungs- und Enteignungsforderungen durchgehen üeßen, ist mögkcherweise zum Teü auch Heinrich Mann zuzuschreiben. In seiner Antwort vom 19. Oktober auf den Brief der KPD-Vertreter vom 16. des Monats hatte er diplomatisch ausgleichend De KPD-»RichDDen« als »geeignet [für] eine Plattform der Volksfront« bezeichnet, jedoch »die Einwendungen gegen den Appell heute für unangebracht« gehalten. Die Fortsetzung semes Briefs De »Ereigmsse werden De Fragen der demokratischen Freiheiten von selbst regeln«, und: es könne jetzt »schwerüch bestimmt werden, was in einem künftigen Staat z. B. unter >Freiheit der Presse« zu verstehen ist« läßt erkennen, daß er De Beschwerden der KommuDsten über De SAPler und über Glaser Dcht teüte. Der Bitte der KPD-Vertreter, er möge Das Freie Deutschland Mitteilungen der Deutschen Freiheitsbibliothek für eme breite öffenDche Diskussion über De »RichDDen« und De VolksfrontPlattform zur Verfügung steüen, begegnete Heinrich Mann mit der Befürchtung, daß dies zu »neuefm] Zeitverlust« führen werde. Dem VorscDag, »den Appeü zu beschränken auf die nächsten Aufgaben im Kampf gegen die Hitler-Diktatur«, stimmte er insofern zu, als er aües Strittige herauszulassen wünschte, jedoch müsse »der Entwurf des Aufrufs zu den aktueüen Problemen in Beziehung« gebracht werden.53 -



-



52 Pieck meinte später, daß De im Appeü gewählte Formuüerung zum Wahkecht »zwar der Forderung nach der demokratischen Repubük Dcht entgegensteht]«, daß ihr Faüenlassen aber »eine Konzession an De Vertreter der SAP war, De in ihrer Presse gegen De Volksfront Steüung nahmen«, siehe SAPMO, Ny 4036/558, Bl. 10. 33 SAPMO, Ry 1, 2/3/420, Bl. 319: H. Mann »An De Programm-Kommission des Komitees zur Vorbereitung einer Deutschen Volksfront«, 19. Oktober 1936, handschr., Hervorhebungen im Zitat oben von ULA; vgl. oben, S. 528 mit Anm. 57 und S. 541; AdK-StA, NL H. Mann, 2971: »Die Vertreter der KPD im Komitee zur Vorbereitung der deutschen Volksfront« »An das Komitee zur Vorbereitung der Deutschen Volksfront [und] An die Programm-Kommission«, 16. Oktober 1936; vgl. SAPMO, Ny 4026, 558, Bl. 127.

554

oder Volksfront

»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit,

Frieden und Brot«?

...

4.

Zustimmung, MoWfizierung, Distanzierung

Geht man von der VeröffenWchung aus, so war We Zustimmung zu dem Appell, mindestens We Erleichterung darüber, daß überhaupt ein programmatischer Aufruf mit Unterschriften zustande gekommen war, relativ groß. Den Primeur hatte die Pariser Tageszeitung mit dem Abdruck am 8. Januar 1937; We redaktionelle Vorbemerkung findet sich auch bis auf ein Wort in der »Reichsausgabe« der Roten Fahne (Nr. 1, 1937): »Politiker und Schriftsteüer der verseWedenen Parteien und Gruppen der deutschen Opposition [in RF: »Hitlergegner« ULA] erlassen einen Aufruf zur Büdung der Deutschen Volksfront, der folgenden Wortlaut hat«. Die KommuWsten, einschließüch des PCF, der noch vor den deutschspracWgen Organen, We aüerWngs keine Tageszeitungen waren, in L'Humanité vom 9. Januar den Text pubüzierte, waren mit ihren Zeitungen und mit Flugblättern die zahlreichsten Verbreiter. Das Zentralorgan der SFIO, Le Populaire, brachte den Aufruf in zusammenfassenden Paraphrasen, We wichtigsten Losungen als voüstänWge Zitate; beim Abdruck der Unterzeichner war aber einiges schief gegangen: unter »Parti sociahste« waren durcheinander We SozialdemoMaten und We KommuWsten aufgeführt (PWlipp Dengel fehlte), unter »Parti commuWste« standen We Namen der SAPler, und »Pour le Parti ouvrier sociahste« hatten demnach We Intellektuellen gezeichnet.54 Eine französische Übersetzung, mit der Liste der Unterzeichner, scWckte das Sekretariat des Volksfrontausschusses mit der autorisierten Unterschrift Münzenbergs am 9. Januar auch an den SeMetär der SAI, Friedrich Adler.55 Es soüten »so viel Unterschriften wie mögüch unter das Dokument« gesetzt werden, Weß es am Tag des Durchbruchs. Relativ einfach war es, in New York Unterschriften prominenter Exüanten mit und ohne Parteibuch aus dem linken inteUektueüen Müieu zusammenzubekommen: Auf einer Veranstaltung des DeutschAmerikaWschen Kulturverbandes (DAKV) sammelte Kurt Rosenfeld, anscheinend unterstützt von Alfred Braunthal, der wiederum von Breitscheid ermutigt worden war, We Unterschriften von Alfons Goldschmidt, Juüus Lips, Klaus Mann, Ernst Toher und Gerhard Seger; Letztgenannter zog sich wieder zurück.56 —

»¡BUdet We Deutsche Volks16. Januar, S. 3: »Pour le Front populaire aUemand. Un appel des partis prolétariens«; im Nachsatz zu dem vernichtenden Urteü des Internationalen KommuWsten Oscar Fischer über den Appeü wurden We Unterschriften der SAPler besonders hämisch kommentiert: We SAP sei von einer »revolutionären Partei« durch ihre poütischen ZugeständWsse »ein bündes Anhängsel des StaüWsmus« geworden, ihre Einteüung im Populaire als »KPD«, daher ein »durchaus sinnvolle [r] Druckfehler«, siehe Unser Wort, 1937, Nr. 1, Januar, S. 1 : »Neues von der Deutschen Volksfront«. 55 Siehe IISG, SAI, 3561. 56 Zitat zu Anfang des Absatzes nach Protokoü der Sitzung der AZ der SAP vom 21. Oktober 1936 (siehe Anm. 46 Weses Kapitels); Unterschriften am Ende des Appeüs, vgl. auch Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 34, wobei anzumerken ist, daß unter den 54

Der Dste der

VeröffenWchungen

bei

Langkau-Alex,

front!*«, S. 199, Anm. 1, ist also hinzuzufügen: Le Populaire, 1937,

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Programm

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programmatischen Aufruf

Breitscheid und mit ihm eiDge andere Sozialdemokraten hatten anfangs gezögert, Dre Unterschrift zu setzen. Ihre Begründung, es müsse abgewartet werden, ob eine ausreichende »Repräsentanz bürgerüch demokratischer Exponenten für einen gemeinsamen Aufruf vorhanden sei«, kascDerte indes die Irritation gegenüber der SowjetuDon und det KPD seit dem Moskauer Prozeß.57 Es sieht wie ein Zugeständnis an das vorgeschobene Argument aus, daß mit den Namen von prominenten Inteüektueüen De eigentüche Unterschriftenaktion zum Appeü gestartet wurde, während poütische Gruppierungen nur pauschal genannt waren.58 Klepper und Thormann sollen zugestimmt haben, doch woüten sie ihre Namen mcht in der ÖffenDchkeit erscheinen lassen.59 Bei der VeröffenDchung des Appeüs wurden übrigens die Inteüektueüen ohne >Gruppenzugehörigkek«, also ohne den früheren Zusatz »Vertreter des freiheiDchen Bürgertums« aufgeführt. Alfred Braunthal hielt den Text »vöDg harmlos« wohl für einen hauptsächüch sozialdemokratischer Provemenz. Als äußerst peinüch empfand er es dann, daß er zusammen mit KommuDsten unter dem Appell figurierte, dessen Bekanntwerden »mit dem Radek-Prozeß zeiDch zusammen [fiel]«. Und der erfüüte ihn »mit solchem Ekel und Brechreiz und einer so tiefen Wut und Verachtung [...], daß mk jeder, der mit Desem Gesindel zu tun hat, einfach unerträgüch geworden ist«.60 Sein »Gefühl, als wäre De ganze GescDchte nichts weiter als emer der übüchen Münzenberg-Schwindel, auf De Breitscheid hereingefallen ist, weü ihm in seiner Lage ja wohl mcht sehr viel anderes übrig gebüeben ist«, wich bis Anfang JuD 1937 aüerdmgs dem Gefühl hüflosen Abgeschmttenseins von guter Information und poütischer Bewegung auf der europäischen Seite des Ozeans. Als in SpaDen, in Frankreich und in der deutschen Emigration in Paris die ursprüngüchen Volksfront-Bündmsse sich schon mehr oder wemger ausgeprägt im Auflösungsprozeß befanden, fragte Braunthal sich selbst und Sopade-Mitgüed Rinner, —



»Sozialdemokraten« auch Revolutionäre Soziaüsten, mit Alfred Meusel ein schon so gut wie (ab 1937 offizieües) KPD-Mitgüed figurieren, und unter den als namenlose Gruppe aufgeführten Inteüektueüen auch Mitgüeder von Parteien zu finden sind; vgl. auch De Annotationen bei: Langkau-Alex, >»Büdet De deutsche Volksfront...««, S. 202; in SAPMO, Ny 4036/558, Bl. 127, ein offensichDcher Diktat-Hörfehler bei Aufzeichnungen Pieck: »40« ansteüe von 14 KommuDsten; zur Veranstaltung des DAKV siehe AA-PA, Inland II A/B, 83-75 sdh. IV: Deutsches Konsulat New York an AA Berün, 14. Dezember 1936; zum DAKV 1936/1937 vgl. Ruprecht, Felix Boenheim, S. 231-235. 57 Siehe, auch zum Zitat, IISG, Neu Beginnen, 53: RSchr. AB-NB, 22. November 1936, Nachtrag aufgrund der Mitteilungen von Ehrmann, aüe Namen verschlüsselt. 58 Siehe z. B. UBB, 043, Aa 841: Begleitbrief des Sekretariats des Volksfrontausschusses den vorbereitenden Ausschuß zur Schaffung einer deutschen Volksfront«), 20. No(»Für

1936, zum Text des Appeüs (Version für die Unterschriften). Aufzeichnung Pieck (siehe oben Anm. 56). 60 AdsD, Emigration Sopade, 4, Rkiner-Korr., B: A. BraunDal an Rmner, 30. März 1937, als Antwort auf Brief Rinner vom 18. Januar 1937.

vember 59

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»zu

gemeinsamem Kampf für Freiheit, Frieden

und Brot«?

...

s¡ob We VolksfrontgescWchte Weht allmählich so weiterläuft, daß man sich mit ihr abfinden muß als einem der für unsere Gesamtarbeit (als revolutionäre Opposition zum Regime) wichtigen Faktor«.61 Aus seiner Wahrnehmung zunehmender Konvergenz zwischen den kommunistischen Parteien aufgrund ihres Rechtsrucks und BekenntWsses zur »Demokratie« und »den vernünftigen Kreisen des Bürgertums und der öffenWchen Meinung [, in denen] der Kommunistenschreck endgültig verschwunden zu sein scheint«, leitete er We weitere Frage ab, »ob Weht auch wir daraus We Konsequenzen ziehen und We Blum-Taktik, We in FranMeich weWgstens erfolgreich war, übernehmen müssen, was freWch heißen würde, daß wir auch wie in FranMeich die Führung stehen«. Bei den Revolutionären Soziahsten hatte Böchel zunächst die Genossen darauf eingeschworen, Weht zu unterzeichnen, weh, schrieb er an Walcher, »wir uns als Gruppe auf so verschwommene Formeln nicht fesdegen könnten«. Einer überarbeiteten Fassung gab er, weh sie »weniger sagt als der Entwurf und deshalb dehnbarer ist«, trotz seiner mehrfach begründeten Kritik an der Taktik der Kommunisten sein Fiat, falls zumindest Walcher »für die SAP ebenfalls unterschreib [e]«, Wes um »Einheithchkeit des Vorgehens« der Soziahsten zu demonstrieren.62 Doch außer ihm unterzeichneten nur noch We Revolutionären Soziaüsten Otto Friedländer und Alexander ScWfrin; aüe wurden unter »SozialdemoMaten« eingereiht. Den Namen von Siegfried Aufhäuser setzten anscheinend We KommuWsten, ebenso wie den von Bernhard Menne, der eher Neu Beginnen zuzurechnen war.63 Glaser, der sich in der Programmkommission am raWkalsten gezeigt hatte, Welt offenbar am ersten Urteil Bochéis fest. Die RS-GruppeWeitung in der CSR zeigte sich im Januar 1937 zwar erfreut darüber, »daß zum erstenmal ein solcher Aufruf der Unken Grup[pen] und Parteien zustande gekommen« war, sie bemängelte jedoch, daß er zu wenig soziahstischen Charakter habe. Laut Sopade-Zuträger Rössing wurde Böchel gerügt: seine Unterschrift sszusammen mit Breitscheid und GrzesinsM« schade s¡der Gruppe im Reiche«.64

61

Ebd., A. BraunWal

an

Rinner, 8. Juni 1937, auch

zum

folgenden

einschüeßüch der

Zitate. 62 ARBARK, SAP, 9, 74,: Böchel an Walcher, 4. Dezember 1936 (Zitat), offenbar hatte ihm zunächst entweder der Text der Redaktionskommission vom August oder eine der Varianten der Unterschriften-Version vorgelegen; in demselben Brief auch ein langes Zitat aus seiner »Kurt« (d. i. Wehner) gegenüber schrifWch geäußerten Kritik an der KPD: der Mißachtung LeWnscher Grundsätze im aügemeinen, dem »OpportuWsmus« gegenüber der »kaWoüsche[n] Opposition« und dem »Mauschelgeschäft« mit der Sopade, die sie Gruppen der Sozialdemokratie nur im BedarfsfaUe beachten üeß, im besonderen. 63 Zu Aufhäuser und Menne vgl. Aufzeichnung Pieck (siehe oben Anm. 52); zu Aufhäuser siehe auch Hertz' Notizen vom 14. November 1936 und 11. Januar 1937, IISG, NL Hertz, S. 20, XXIII. 64 Siehe AdsD, Emigration Sopade, 104: H. Kaiser-Bericht [1937], Januar, Nr. 2 und Nr. 6.

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B III. Vom

Programm

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programmatischen Aufruf

Die RS-Briefe vom Dezember 1936 belegen, daß die Gruppe, einschüeßüch Böchel und ScDfrin, mcht, wie Gumbel dann momerte, De Ektigung von SPD, SAP und KPD als vorrangig für De Eimgung der Opposition gegen den Nationalsoziaüsmus ansah, sondern der »Sammlung der sozialdemokratischen Kräfte als Zentralproblem« Priorität, weü Voraussetzung für einen »revolutionären Antifaschismus«, beimaß. Dabei soüte innerhalb Deutschlands von den »unteren Einheiten«, den »früheren BezkksorgaDsationen« ausgegangen werden, ganz gleich, »zu welcher Gruppe sie sich immer bekennen mögen«. Die »sozialdemokratische Rahmenorgamsation [... könnte] zunächst föderativ aufgebaut sein«, De »Exekutive« soüte sich aus den AuslandsorgaDsationen an der Grenze aufbauen. Der revolutionäre sozialdemokratische Antifaschismus, so De Revolutionären Soziaüsten, müsse semen Stempel auf De proletarische Einheitsfront auch im europäischen Rahmen und auf De deutsche und internationale Volksfront drücken. Die Lösung sei gegen De Sopade, aber »auf dem Boden der SAI« voranzutreiben. Denn De Sopade »macht eme Zusammenarbeit mit der Französischen Soziaüstischen Partei unmögüch, dankt auch De deutsch-französische soziaüstische VerstänDgung über De gemeinsame Außenpoütik und Unterstützung für das revolutionäre Deutschland. Diese PoüDc verDndert das BündDs des deutschen Soziaüsmus mit der Sowjet-UDon, das aüem De deutsche Revolution außenpoütisch sichern kann«. Als »Aufgabe für 1937« propagierten De RS-Briefe, bei den durch De Kriegsrüstung verursachten sozial-ökonomischen Schwierigkeiten der »Arbeiterschaft« und bei der aügemeinen Kriegspsychose anzusetzen. Andere Kräfte für ein Bündnis über De »Arbeiterschaft« hinaus der Terminus war ein Äquivalent für »Werktätige«, schloß also Mittelstand, wie auch immer defimert, ein sahen sie Dcht, im Gegenteü: Sie konstatierten eine »Krise der fascDsierten bürgerüchen Geseüschaft« in Deutschland. Hider habe De »konservativen sozialen Kräfte mit hundertjähriger TraDtion« üqDDert, sie »verlumpt, zersetzt, entmachtet«; der »feudale Konservatismus, der poütische Kathoüzismus und der Liberaüsmus« seien »erledigt«. Infolgedessen werde De Reihenfolge des Zyklus Dcht mehr wie 1918—1933 Krieg Revolution Gegenrevolution sein, sondern: Gegenrevolution (De noch fortdauere) Krieg (er sei, so war msbesondere ScDfrin überzeugt, für das Dritte Reich »Dcht eine Alternative, sondern eine Zwangsläufigkeit«) Revolution. Es gelte, auf aüe Eventuaütäten, vor aüem für den Faü, daß De revolutionäre Bewegung von SpaDen auf Deutschland überschlage, vorbereitet zu sein. Am Horizont der Hoffnung erscDen ein erweitertes außenpoütisches Bündnis mit einem Dcht mehr schwankenden England, einem dementsprechend selbstbewußten Frankreich, den USA unter einem wiedergewählten Präsidenten Roosevelt und der, wenn auch an Deser Steüe mcht mehr expüzit genannten, SowjetuDon.65 —



-





-

65 Aües Vorstehende nach RS-Briefe, 1936, Dezember; »Die Sammlung der sozialdemokratischen Kräfte als Zentralproblem« war das EröffnungsDema, Böchel schrieb De Ein-

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gemeinsamem Kampf für Freiheit,

Frieden und Brot«?

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Von der Gruppe Neu Beginnen unterschrieb noch Weht einmal Ehrmann, der in der Appehkommission die Endfassung mitformuhert hatte. Er hatte schon direkt nach Fertigsteüung des Textes für We Sammlung der Unterschriften ans Auslandsbüro geschrieben, er sei »weit davon entfernt, ihn [den Appell] für wunderbar zu halten«, er hätte es auch vorgezogen, statt eines Appells »vernünftige Zusammenarbeit zu leisten in ein paar Arbeitsgemeinschaften etc.« Seine und wohl auch anderer Motivation in der Programm- bzw. Appellkommission, um trotz aher Querelen mit den KommuWsten weiterzumachen, war gewesen, daß diese »dann nach bekannten Methoden natürlich [...] in der ¡öffenWchen Diskussion*« den NichtkommuWsten We »Schuld am Scheitern« zugeschoben hätten, zudem nur die Veröffentüchungen der KPD vorhanden gewesen wären.66 Es war aber weWger We inhalWche Kritik, sondern We Weigerung in Paris, den NB-Vertretern, wie von Auslandsbüro-Leiter Karl Frank gefordert, ebenso wie den SAPlern und den KommuWsten HäWsch, Wehner und Wiatrek zuzugestehen, mit ihren Pseudonymen zu unterzeichnen.67 Tatsächhch wäre mit einem ZugeständWs der Gruppenstatus anerkannt worden, was im Hinbhck auf We Sopade weder den Sozialdemokraten noch den KPD-Führern recht sein konnte. Zudem waren Ehrmann und andere NB-Vertreter, darunter Vera Franke, als Sozialdemokraten in We Kommissionen des Volksfrontausschusses aufgenommen worden. Um für die ganze Gruppe aus der als gênant empfundenen Situation, nicht auch Flagge als SozialdemoMaten gezeigt zu haben, herauszukommen, nahm Richard Löwenthal in den Nachrichten des Auslandsbüros »Neu Beginnen«im Anschluß an den Abdruck der ssBegründung eines deutschen Volksfront-Programms« der Gruppe Deutsche Volksfront Berün und einem Kommentar, in dem We Deutsche Volks-Zeitung wegen ihrer MaWpulation des Berüner Programms und We Sopade wegen ihres Schweigens angegriffen wurden, Mitisch-würWgend Stellung zu dem »Frieden-Freiheit-Brot«-Appeü. Er hob besonders We eindeutige inhalWche Unterscheidung von dem katholisch-konservativ-reaktionären Gedankengut hervor, das We Deutsche Front gegen das Hidersystem in ihrem Aufruf an das deutsche Volk ungefähr zur gleichen Zeit verbreitet hatte wie der Volksfrontausschuß seinen Appeü.68 Den »Charakter [...] eines demokratischen Übergangs- und Bündnisprogrammes der sozialistischen Arbeiterbewegung« sah er auch durch We Unterzeichner befestigt, und er hoffte, daß die Protagonisten Wes ebenfaüs erkennten. Denn das sei sseine der Voraussetzungen dafür [...,] daß weitere Fortschritte in der KonMetisierung der gemeinsamen Zielvorstehungen gemacht und die vielen leeren und Ver-

leitung, F[ritz] B[ieügk] über »Hitlers Generalünie« und darunter hauptsächüch über Wirtschaftspoütik, und Schifrin über »Die Aufgabe für 1937«, vgl. AdsD, Emigration Sopade, 103: H. Kaiser-Berichte, [1936], November, Nr. 8 und Nr. 10, sowie Dezember, Nr. 2. 66 IISG, Neu Beginnen, 46: Paul an [Auslandsbüro NB], 23. Oktober 1936. 67 Vgl. auch IISG, Neu Beginnen, 46: [Ehrmann] an [AB-NB], 5. November 1936. 68

Siehe oben, S. 298f. und 401 ff.

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schwommenen Redensarten, De De Hauptschwäche des Aufrufs büden, ausgemerzt werden«.69 Die zehn SAPler waren De einzigen, De als Vertreter ihrer Partei zeichneten. Diamant, der in Spanien, und Brandt, der mit norwegischem Paß in Berün ülegal poütisch arbeitete, hatten De AZ zur Hinzufügung ihrer Namen unter Dokumente der Partei oder des Volksfrontausschusses autorisiert.70 Die redaktionelle Vorbemerkung zum Abdruck in der Neuen Front im übrigen mit der schon kn Titel umgedrehten Losung: »Für Freiheit, Frieden und Brot« skizzierte kurz den langen Weg bis zur Fertigsteüung und rechtfertigte die Konzessionen an namentüch De KommuDsten mit den Argumenten, daß eme gemeinsame »Propaganda von Losungen, De von breiten Kreisen des werktätigen Volkes günstig aufgenommen werden, eine wertvoüe Vorbereitung eines künftigen Bündnisses im Kampf der Arbeiter, Kleinbürger und Bauern gegen ihren gemeinsamen Feind, das Hitler-Regime, ist [..., daher] besser als gar keine Propaganda in dieser Richtung«, und daß aüe sich mit ihrer Unterschrift darauf festgelegt hätten, »daß >sie Dren besonderen weiterreichenden Zielen treu bleiben««.71 Die auf die Zukunft gerichteten Teüe der redaktioneüen Vorbemerkung beruhten auf den Beschlüssen der »Kattowitzer« Parteikonferenz der SAP von Anfang Januar 1937. Das »Kampfbündms mit den MittelscDchten« soüte gefördert und »dynamisch« gestaltet werden, nachdem De »proletarische Aktionsgemeinschaft« zwischen Sozialdemokraten, Kommumsten und SAPlern hergesteüt und gefestigt sei, »was auf den Charakter der Volksfrontpoütik wieder seine Auswirkung im proletarischen soziaüstischen Sinn haben wird«. Fabian indes distanzierte sich mit den Gleichgesinnten, die nach der Konferenz aus der SAP ausgeschlossen wurden und die Gruppe Neuer Weg gründeten, von dem »Frieden-Freiheit-Brot«-AppeU. Dieser sei auf »Wiederhersteüung der demokratischen Repubük ausgerichtet« für De Gruppe ein Synonym für De Weimarer Repubük —, anstatt auf De »Alternative >Soziaüsmus oder FascDsmus««; damit breche er mit den Maximen der Artikelserie »Was kommt nach Hitler?«72 —



-

69

Nachrichten AB-NB, 1937, ApD, S. 2: »Der Pariser Aufruf- ein Schritt zur Klärung«, Autorname; siehe dazu auch IISG, NL Hertz, S. 18, Mappe S: Sering [d. i. Löwenthal] an Hertz, 3. März 1937. ohne

70

Die Entscheidung zum Unterschreiben war nach MeDheitsbescUuß m der AZ gefalZur Krise der SAP, S. 5; Wiüy Brandt auf dem Kongreß des deutschen PEN in siehe len,

auch Frankfurter Rundschau, 1980, Nr. 220, 22. September, tragische Zusammenhang zwischen Dteratur und Poütik«. 71 Siehe, auch zu den folgenden Zitaten, NF, 1937, Nr. 2/3, Anfang Februar, S. 2: »Sammlung der antifascDstischen Kräfte«; zum folgenden, der »Kattowitzer« Konferenz, siehe oben, S. 173f. mit Anm. 179, und unten, S. 571ff: Das Aktionsprogramm der SAP. 72 Zitate aus: Zur Krise der SAP, S. 5; vgl. Neuer Weg, 1937, Nr. 1, Ende März, und Nr. 2,

Bremen, September 1980, vgl. S. 10: »Der

Mitte Mai.

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gemeinsamem Kampf für Freiheit,

Frieden und Brot«?

...

Für We JugendorgaWsation der SAP, den Sozialistischen Jugendverband (SJV), fielen We Feier des einjährigen Bestehens ihres Einheitsfrontpaktes mit dem Kommunistischen Jugendverband (KJV) und das Erscheinen des »Frieden-FreiheitBrot«-Appeüs zusammen. Der SJV begrüßte das Dokument insbesondere, weh in ihm ssden wahren Interessen der deutschen Jugend in überzeugender Weise Ausdruck verhehen wird«. In den Unterschriften von Brandt und Ackermann, die beide neben ihren Funktionen in der jeweWgen sVater*-Partei führende SJV- bzw. KJV-Funktionäre waren, sah We Sozialistische Jugend »eine Gewähr dafür, daß in Verbindung mit dem wachsenden KampfbündWs einer deutschen Volksfront auch die Zusammenfassung der antihitlerischen Kräfte der deutschen Jugend neuen Auftrieb erhält«.73 Der ISK war bei der Unterschriftensammlung einmal mehr übergangen worden. Doch Eichler persönhch erWelt noch vor Mitte Dezember ein Exemplar des endgültigen Appeü-Textes.74 Er besprach ihn im Rahmen einer kurzen Gesamtbetrachtung der Bemühungen um eine EiWgung der oppositioneüen Kräfte in einer Volksfront, in der er zunächst das bis daWn nahezu völlig negative Ergebnis und We Tatsache, daß noch kein Programm vorlag, Mitisierte. Beide Mißerfolge führte er auf mangelnde Wissenschafthchkeit und auf mangelnde SelbstMitik der beteWgten Parteien und Gruppen zurück; in diesem Zusammenhang bedauerte er, daß der ISK seit dem Februar 1936 stets svergessen* worden war. Der s¡FriedenFreiheit-Brot«-Appeh gab ihm immerhin ein wenig Hoffnung auf Fortschritte. Der »Programmentwurf«, so schrieb er, sei eine »sehr brauchbare DiskussionsgrunWage«, jedenfaüs im Vergleich zur »Propaganda gegen We ¡dreitausend Müüonäre*« des ZK der KPD und zum »Lobgesang auf die demoMatische Repubhk mit aüen ihren Konsequenzen«. Die positive Wertung Eichlers bezog sich auf von ihm auch ausführüch zitierte Punkte, die der Grundauffassung des ISK nahe kamen: die sofortige Inangriffnahme wirtschafthcher und sozialer Maßnahmen nach dem Sturz des NS-Regimes, besonders mit Bhck »auf die Gewinnung breiter Massen des Bauernund Kleinbürgertums«, um die Freiheit zu sichern, bevor WaHen ausgeschrieben würden und We ohneWn noch genau abzugrenzende Selbstverwaltung von Gemeinden und Institutionen anliefe. Im ganzen hielt Eichler jedoch das Gumbelsche Programm, das er im Anschluß abdruckte, für »viel präziser und durchdachter«. Gumbel hatte es ihm, wohl als Reaktion auf den ssVersöhnungs«-Aufruf, zugeschickt in der Erwartung, daß Weser es auch veröffenthchen und breiter darauf eingehen werde. s¡Das was fehlt, -







»Die Einheit wächst!«, in: SozialistischeJugend, 1937, Nr. 1/2, Februar, S. 18; es ist We Ausgabe der SJ als Nachfolgerin von Nachrichtendienst (1934) und Jugend-Korrespondenz (1935/36), daher zählte sie sich als 4. Jahrgang. 74 Siehe AdsD, IJK/ISK 30: Eichler an Münzenberg, 14. Dezember 1936. 73

erste

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programmatischen Aufruf

ist mit Bewußtsein herausgelassen«, hatte er Dnzugefügt.75 Eichler kommentierte das Programm jedoch nicht weiter, wohl wünschte er, daß es in einer Gemeinschaftsarbeit »Dar und übersichDch« formuüert werde, sodaß De Volksfront zum 30. Januar 1937, wenn auch der für viele NS-Anhänger enttäuschende »erste Hitlersche Vierjahresplan« ende, in der Lage sei, ein Programm zu präsentieren, das dann »ernsthaft und mutig« verwirklicht werden könnte.76 Der Wunsch sollte ein Traum bleiben, doch hielt Eichler daran fest. Eine Einladung von ArkaDj Maslow, an einer auf den 18. Januar einberufenen Sitzung der Arbeitsgemeinschaft aus Gruppe Internationale, Internationale KommuDsten Deutschlands und Gruppe Funke teilzunehmen, um anläßüch des Appells »De Kritik der deutschen Volksfront«« voranzutreiben, lehnte er mit der Begründung ab, »daß wir eine Unterhaltung über die deutsche Volksfront nur für sinnvoll hielten, wenn die daran beteiügten Gruppen sie nicht von vornherein ab-

lehnten«.77

Steüungnahmen von Spitzenfunktionären der KPD zum »Frieden-FreiheitBrot«-Appeü änderten sich im Laufe des Jahres 1937. Im Januar bezeichnete Münzenberg den Appeü öffenDch als »Fortschritt, den nur der zu würdigen weiß, der wie Ossietzky De Schwierigkeiten kannte, >die Soziaüsten aller Richtungen auch nur diskutierend zusammenzubringen««.78 Ulbricht steigerte noch in einem internen Memorandum: er sei »ein bedeutender Fortschritt, der zur Förderung der Volksfront im Lande beitragen wkd«.79 Die Rote Fahne Deb mit der Titelzeüe, »Auf dem Wege zur deutschen Volksfront«, in Deselbe Kerbe, doch im Nachwort bemängelte sie, daß »Namen kathoüscher Poütiker« fehlten, auch entbehre De Volksfront noch immer »de[s] starke[n] proletarische[n] Kern[s]« infolge der Weigerung des SPD-Vorstandes. Die Berichte an anderer Steüe über Aktionen von Arbeitern, Bauern und Mittelständlern in Deutschland war eine impüzite Kritik am Appeü, der Dchts über De Art und Weise aussagte, wie eine Volksfront im Lande zustande kommen soüte. Mit der Erwähnung von Piecks PlattformRichDDen brachte De Rote Fahne De »demokratische Repubük« gleichsam durch De Hintertiir wieder als künftige Staatsform ein.80 Als sich De Krise im VolksDie

AdsD, IJB/ISK, 30: Gumbel an Eichler, 19. Oktober 1936; zur früheren Veröffentüchung in NWB siehe oben, S. 550f. und De Anm. 43 und 45. 75

Zu den Passagen über Eichler siehe MaDn Hart [d. 1 Wüü Eichler], »Volksfront-Programme««, in: SW, 1937, Nr. 1, 1. Januar, S. 1-3, Zitate S. 2 und 3. 77 Siehe AdsD, IJB/ISK, Box 30: Masloff [sie: Maslow] i. A. der Gruppe Internationale »An De Leitungen der SAP, IKD(B-L), >Funke«, ISK«, 9. Januar 1937; ebd., Box 31: Martin Hart an Masloff, 14. Januar 1937 (daraus die Zitate); De SAP-Führer hielten zu der Zeit ihre »Kattowitzer« Konferenz in der CSR ab. 78 Wiüi Münzenberg, »Angreifen!«, D: DFD-MDFB, 1937, Nr. 15, Januar, S. 3-8, Zitat S. 5. 79 »Aus dem Entwurf des Memorandums zu eiDgen Problemen der KPD«, datiert: 19. Januar 1937, in: Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, [L] Zusatzband, S. 45-62, Zitat S. 55. 80 RF (Reichsausgabe), 1937, Nr. 1, Januar. 76

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gemeinsamem Kampf für Freiheit, Frieden

und Brot«?

...

frontausschuß zuspitzte und die repubhkaWsche Seite in SpaWen deuthch an Terrain verlor, resümierte Pieck, was schon We Rote Fahne im Hinbück auf Innerdeutschland Mitisiert hatte, und er fügte dem hinzu, daß der Appeü auch Wchts »über We NotwenWgkeit, das spaWsche Volk in seinem Kampf gegen We rrüütärische Intervention des Hiderfaschismus zu unterstützen«, enthalte.81 Bei der Evaluierung des Appeüs auf der Versammlung der Vertreter der Arbeiterparteien am Vorabend der Osterkonferenz des Volksfrontausschusses hatte Merker sich mehr auf We Wirkung des »Frieden-Freiheit-Brot«-Appeüs innerhalb Deutschlands konzentriert, als er mitteilte, »aus Thüringen, Berhn, Freiburg und Schlesien« sei sxiurchweg günstig« berichtet worden. Walcher kolportierte Merker weiter, der sAufruf habe vielfach Veranlassung zu Diskussionen in ArbeiterMeisen gegeben, wobei einmal SozialdemoMaten, das andere Mal KommuWsten imtiativ und positiv für We Volksfront eingetreten seien«.82 SAP-Kreise innerhalb Deutschlands hatten, so Walcher, das Zustandekommen des Appehs »günstig aufgenommen«, den Inhalt »aber als zu zahm und in seinen Forderungen als Weht weitgehend genug beanstandet«. Als »zu farblos, zu aügemein und zu theoretisch [..., was] seine Wirkung beeinträchtigt habe«, faßte er auch die Einschätzung in Amsterdam zusammen, über die Kuttner Rechenschaft ab-

legte.

Die Aufnahme sei »überaus günstig« gewesen, meldete hingegen Friedrich Wühelm Wagner von »Genossen aus dem Reich«, mit denen er von Straßburg aus »fast jede Woche« zusammenkomme. Die Berichte über unterscWedhche Rezeptionen des Appells lassen Rückschlüsse sowohl auf das Miheu der Befragten bzw. derer, über die gesprochen wurde, als auch auf We Berichterstatter zu. Merker mußte daran gelegen sein, Zustimmung von SozialdemoMaten und KommuWsten in DeutscHand zur Volksfront zu demonstrieren; verifizieren üeß sich seine Aussage Weht. Für We SAP zeigte Walcher We Ambivalenz in der Partei auf, die auch die Kompromißhaltung der AZ kennzeichnete. Die SozialdemoMaten in Amsterdam um Kuttner fühlten sich mehr oder weWger den Revolutionären Soziahsten zugehörig. Und Wagners Kontaktpersonen dürften wie er selbst aufgeschlossene, gut ausgebildete Sozialdemokraten in Süd-Westdeutschland gewesen sein, die sich im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und anderen überparteWchen SchutzorgaWsationen vor 1933

81 Wilhelm Pieck, »Fragen der Volksfront in Deutschland, Klarheit tut not!«, in: KI, 1937, H. 8, September, S. 721 ff.; Tarntitel des mimeograpWerten Textes: Die Bücher des Volk und Reich Verlages Berlin, erfaßt W Hamburg, siehe BA/K, R 58/586: Aus Informationen, Nr. 17, 20. September 1937; wiederabgedruckt in: Pieck, Gesammelte Reden und Schriften, Bd. V, S. 469ff. 82 Siehe, auch bis zum Ende der Paraphrasierungen und Zitate über den Appeü, AdsD, NL Brandt: RSchr. Jim, 1937, Nr. 9, 25. ApW.

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Aufruf

gegen De Nationalsoziaüsten engagiert hatten und den Kampf der KPD gegen De Sozialdemokratie und De Weimarer Repubük nur bedauern konnten. Hier sei wiederholt: Im »Frieden-Freiheit-Brot«-Appeü erreichte der Volksfrontausschuß seine höchste programmatische Einheit. Im Herbst 1937 soüten De Auseinandersetzungen in der Programmkommission und im Volksfrontausschuß um De »demokratische Repubük«, um De Versöhnung mit den Nationalsoziaüsten, um Fragen der Enteignung, insbesondere des Großgrundbesitzes, und um Soziaüsierungsmaßnahmen massive Argumente in den gegenseitigen Schuldzuweisungen am Damederüegen der Volksfrontarbeit zwischen den Vertretern der KPD (Merker und Ulbricht) und den DchthommuDstischen Parteien und Gruppen im Volksfrontausschuß werden. Ulbricht steüte in einem Brief vom 26. Oktober 1937 an De nichtkommunistischen Mitgüeder des Volksfrontausschusses, den er Heinrich Mann gegenüber als Antwort des ZK der KPD auf ihr Schreiben vom 1. Oktober ausgab, aüe Tatsachen auf den Kopf.83

83 Siehe IISG, stuDezaalmap, üjst AbendroD 425: Der Briefwechsel der nichtkommunistischen Parteien und Gruppen der deutschen Volksfront mit dem ZK der KPD, 1. November 193716. November 1937, und vgl. oben, S. 362f. und z.B. S. 546, Anm. 30.

564

IV.

Korrektive und Alternative

Die Stimme

aus

Deutschland

Die sozialdemokratische Gruppe Deutsche Volksfront in Berün schrieb ihr ZehnPunkte-Programm und dessen Begründung aus dem Widerspruch zu den Pieckschen »RichDDen für De Ausarbeitung einer poütischen Plattform der deutschen Volksfront« heraus. Ihnen bescheimgte sie »Emigrantenluft«, »Erlebnisferne«, »künsDche Konstruktion«.1 Forderungen wie etwa »aügemeines Wehrrecht, freie Verträge des Staates mit der Kkche, Selbstverwaltung der Gemeinden« Delt sie für »sachüch unmögüch«, und Diskussionen wie in der Programmkommission des Pariser Volksfrontausschusses über Verfassung, Gewerkschaften, Konsumgenossenschaften, Steuern und Finanzen oder über Volksbüdung erscDenen ihr mcht

dringüch. Die Slogans

und Ziele des Berüner Sammlungsprogramms basierten auf den Grundwerten und -rechten, De ihrer Meinung nach der heterogenen Opposition gemeinsam waren: Recht und Freiheit, ausgehend von »Sturz und Vernichtung der HiderDktatur« (Punkte 1 bis 4), Friede und Völkerfreundschaft (Punkte 5 und 6), Arbeit, soziale Gerechtigkeit, Schutz und auskömmüches Leben (Punkte 7 und 8). Insofern stimmten sie mit den »Richtünien« der KPD, ja mit so gut wie aüen propagierten Prinzipien in der Emigration überein. Der Sicherung der Grundwerte und -rechte für De Zukunft durch Eümkkerung der sozial-ökonomischen Wurzeln und Antriebskräfte der nationalsoziaüstischen Diktatur, De De Landwirtschaft bzw. De »Banken [...], Schwerindustrie und [...] Energiewktschaft« betrafen und De zugleich den soziakstischen Impetus ausmachten, aber noch Dcht Soziaüsmus bedeuteten (Punkte 9 und 10), stand aus taktischen Erwägungen im Grunde einzig De KPD-Konzeption des strategischen Etappenziels der »demokratischen Republik« entgegen. Aüerdings gingen die Punkte 9 und 10 auch weiter als der »Frieden-Freihek-Brot«-Appell des Volksfrontausschusses. Wichtiger noch als De Zehn Punkte erscheint in unserem Zusammenhang die genannte »Begründung«. Sie ging von der wkküchen, tagtägüch erfahrenen »Lage in Deutschland« aus und war auf sie Dn konzipiert. Der fundamentale UnterscDed zu den Volksfronten in Frankreich und Spanien wurde gleich zu Anfang im Hinbück auf die innen- und außenpoütischen Konsteüationen und Bedingungen

1 Vgl. oben, S. 296; zu den Zitaten, auch den folgenden, siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 24; De Erinnerungen von WDy Brandt, Links und frei, S. 183, sind in Desem Faü etwas verwirrend ineinandergeschoben, daher als Queüe nicht brauchbar.

567

B IV. Korrektive und Alternative

betont. Darüber Wnaus wurde »Volksfront« anders definiert: Sie war nicht das Bündnis der (ideahter) in der Einheitsfront vereinigten Arbeiterparteien mit ländüchen und städtischen MittelscWchten bis ins ¡antifascWstische* Bürgertum Wnein. Sie war vielmehr angesichts des durch den Nationalsozialismus zerstörten »sozialen und poütischen Systems der deutschen Geseüschaft« und der Zerschlagung ihrer »früheren OrgaWsationen«, besonders der »ehemahgen SPD und KPD«, die »geeignete Form«, um dem »Streben nach Einheit [in] der denkenden OberscWcht des Proletariats« sseine poütische Gestalt zu geben«. Um We Jahreswende 1936/37 wurde We DisMepanz zwischen den Vorstehungen von KPD-Funktionären in der Emigration und den Reaütäten unter der NSDiktatur noch augenfälliger. Die Deutsche Volks-Zeitung forderte in Erinnerung an den gemeinsamen sozialdemoMatisch-kommuWstischen Protest vom Dezember 1935 gegen We Hinrichtung des RHD-Funktionärs Rudolf Claus, auch in Deutschland soüe won der Einheitsfront zur Volksfront« übergegangen werden; Dahlem schloß an mit ssVolksfront auch in Deutschland«, und Pieck beschwor den »EinheiWch[en] Kampf der Massen [...] trotz des fascWstischen Terrors«.2 Die Behauptung der KPD, das Zehn-Punkte-Programm sei das ErgebWs der sxLehren von FranMeich und SpaWen«3, war also reine Zweckpropaganda. Eine Volksfront konnte, so argumentierten We Berhner von Anfang an, nur jenseits der Parteien, We als auch ideologisch überlebt angesehen wurden, aber Rekrutierungsfeld bheben, und auch nur mit jungen Menschen, »zwischen 30 und 50 Jahren«, verwirklicht werden. Die jüngeren waren vom Nationalsozialismus vergiftet, die älteren von den überkommenen Partei-Ideologien geprägt. Die Weht näher erläuterte Feststehung: »Voh ungeheurer Problematik ist dabei der Stand der Frauenfrage«, provoziert We spekulative Interpretation, daß Wer sowohl We bis zur Hysterie gehende Begeisterung vieler Frauen für Hitler als auch der vielfach erzwungene Rückzug Weht weWger auf die drei K (Küche, Kinder, Kirche) als wesenWches HemmWs für eine Einbindung in eine Volksfront gesehen wurde. (Ein Jahr später Weß es unmißverständlich: »Volksfront ist in Deutschland die Sammlung der geseüschafthch revolutionären Elemente«.4) Dem Bürgertum als Klasse mißtrauten We Berliner, doch konspirative Kontakte hatten gezeigt, daß politisch-moralische Differenzierungen und We Einbe—

-

Vgl. DVZ, 1936, Nr. 38, 6. Dezember, unter »Tribüne der DVZ«; Dahlem, in: Die Internationale, 1937, H. 1/2, S. 20—25; Pieck, »1937 Volksfront auch in Deutschland«, in: DVZ, 1937, Nr. 2, 10. Januar, S. 3 (auf S. If. ist der ¡¡Frieden-Freiheit-Brot«-Appeü abge2

-

druckt), vgl.

dazu »Aus einem Bericht Wilhelm Piecks an das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale vom 21. Dezember 1936«, in: Ulbricht, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. 5, S. 492f. 3 Vgl. z.B. RF, 1937, Nr. 2 [ca. Ende ApW/Anfang Mai]: Nachwort zum Abdruck des

Programms. 4

IISG,

NL

Hertz, S. 16, lg: »Bericht über We Volksfront-Bewegung in Deutschland«

(Bericht Brill), Zitat S. 5. 568

Die Stimme

aus

Deutschland

ziehung einzelner in ihre Konzeption mögüch seien. Oppositioneüen in monarcDstischen Kreisen (z. B. im ehemaügen Stahlhelm) oder in »Zentrumgruppen« sprachen sie De Quakfikation ab, für eine »Volksfront« eventueü geeignete Bürgerüche zu repräsentieren. LetzDch erscDen De Steüung zum Bürgertum als vorläufig nicht relevant, weü »eine Frage der poütischen Praxis der ersten Volksfrontregierung«. Im Verlauf der Verwkküchung der Zehn Punkte würde sich ohnefkn die Spreu Weizen innerhalb der Anti-Hider-Kräfte trennen. Alles Pro-Hitlerische, Nationalsoziaüstische war von vornherein fernzuhalten bzw. wurde als für eine »Volksfront« mcht zu gewinnen betrachtet. Langjährige Gewerkschaftler, De ihre frühere Kassierertätigkeit nun m der DAF fortsetzten, schrieb De Gruppe Deutsche Volksfront als Genossen ebenfaüs ab, und ein sogenanntes Einbrechen in die nationalsoziaüstischen Reihen, De »Taktik des Trojamschen Pferdes«, »Versöhnung« schloß sie a priori aus. Die orgamsatorischen Vorsteüungen waren strikt der NotwenDgkeit zur Konspkation angepaßt. Poütische Gruppenbüdung setzte bei gegenseitigem persönüchen Vertrauen an, Dcht bei einet (anderen) Partei. Die »m aüen Großstädten« zu büdenden Volksfrontkomitees soüten autonom, finanzieü und partei-unabhängig und ohne Verbindung untereinander arbeiten. Die Koordinierung, die »Oberleitung« soüte vom Ausland her erfolgen, ebenso De Propaganda, De Volksaufklärung und De Verbreitung des Programms über RaDo und durch eingeschleuste Schriften. Erst bei erkennbarer Zersetzung der NS-Herrschaft könnte überall und auf den verscDedenen Ebenen orgamsatorische Arbeit einsetzen und eine »Reichslekung« gebüdet werden. Zwischen dem eminent sozialdemokratischen Programm der Berüner Gruppe Deutsche Volksfront und semer »Begründung««5, das in seinem Ansatz emer radikalsozialen Demokratie an das »Prager Mamfest« der Sopade zum 30. Januar 19346 erinnert, und der Konzeption der Revolutionären Soziaüsten, wie in den RS-Briefen vom Dezember 1936 formuüert, ist eine gewisse Affimtät festzusteüen. Die RS, De keinerlei Beziehung zur Berüner Gruppe hatten, füDten sich durch deren Beharren auf einem proletarischen Kern und der Abweisung des Bürgertums als Klasse in ihrer eigenen Volksfront-Konzeption bestätigt. Das Totschweigen der Berüner Dokumente durch die Sopade und das Zurechtbiegen der Texte durch die KPD-Führung beflügelten De RS-Leitung, jetzt erst recht für De »Zusammenführung der deutschen proletarischen Kräfte« zu arbeiten.7 vom

Vgl. Griepenburg, Volksfront und deutsche Sozialdemokratie. »Kampf und Ziel des revolutionären Soziaüsmus. Die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands«, siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 9. 7 Vgl. RS-Briefe, Mai 1931. 5 6

569

B IV. Korrektive und Alternative

Die Sozialistische

Republik des ISK

Im Januar 1937 pubhzierte der Bundesvorstand des ISK nach mehrjähriger Vordas Programm der Partei, Die Sozialistische Repubereitungs- und blik? Die Schriften Sozialistische Wiedergeburt von 1934, Der Generalstab der Antifaschisten von 1935 und Les ouvriers devant la guerre vom Frühjahr 1936,9 können als

Änderungszeit

VorstuWen betrachtet werden. Entgegen dem Generalstab ist das Programm aber Weht mehr als ssVerhandlungsgrundlage« konzipiert,10 und entgegen der letztgenannten Broschüre wird nicht mehr für eine neue militant-pazifistisch-sozialistische Internationale, We sich am Internationalismus und AnWmperiahsmus der I. Internationale von 1864 (Internationale Arbeiter-Assoziation) orientiert, geworben. AUenfaüs die propagierte »Einmischung in We inneren Angelegenheiten eines anderen Staates« und das Streben zur Verwirklichung des ssVölkerbundsIdeal[s] des Soziaüsmus« erinnern direkt an Les ouvriers devant la guerre. Obgleich der ISK, zumal der Kreis um Eichler in Paris, sich gleichsam zum Arzt am Krankenbett der breiten antifaschistischen Bewegungen, des deutschen Volksfrontausschusses und des Front populaire, berufen füWte,11 und das auf den 7. November 1936 datierte Vorwort der Sozialistischen Republik in We Richtung der Kommunikation wies, war und bheb das Programm ein internes, auf We geistige Orientierung der eigenen OrgaWsation im deutschen Rahmen bezogenes Dokument.

Die Ideen besonders über den politischen Aufbau der Sozialistischen Repubhk ehtär und zu autoritativ, zu einseitig auf philosopWsche Konstruktionen von EtWk und reinem Menschentum aufgebaut, als daß sie den Wfferierenden, aber jeweüs machtpolitisch unterlegten Entwürfen der anderen poütischen Parteien und Gruppen ein gemeinsames, wirklich praktikables Ziel für ein Deutschland nach der NS-Diktatur hätten weisen können. OhneWn standen der strikte AntiMerikalismus und We raWkale Absage an We parlamentarische DemoMatie

waren zu

Die Sozialistische Republik. Das Programm des ISK/ Internationaler SozialistischerKampjbund, Bundesvorstand des ISK, London: Internationale Verlags-Anstalt (International hrsg. PubüsWng Co.) 1937; siehe Deutsche Volksfront Band 3, Dokument 25; zu dem Programm vgl, auch zum folgenden, Klär, »Zwei Nelson-Bünde«, S. 331 f.; Lemke-Miüler, Willi Eichler, S. 132—137, legt den Hauptakzent auf »Staat und Kirche«. 9 Sozialistische Wiedergeburt. Gedanken und Vorschläge zur Erneuerung der sozialistischen Arbeit, hrsg. vom ISK, o. O, o.J. [Paris 1934] ; Der Generalstab der Antifaschisten. Verhandlungsgrundlage für die Bildung einer zentralen Kampf-Leitung gegen den Faschismus und jede Ausbeutung. Für Recht, Freiheit und Kultur, hrsg. vom ISK, Paris o.J. [1935]; Les ouvriers devant la guerre, édité par L'Internationale Miütante Sociaüste, Vorwort vom März 1936, Paris: Société d'ÉWtions Internationales 1936, und London: International Pubüshing Company 8

vom

1936.

Vgl. Deutsche Volksfront Band 1, vor aUem S. 206, 240 und 283. Vgl. oben, S. 39f. und 494, zusätzüch z. B. AdsD, IJB/ISK, VJB, III, 1936, die Periode Juü-September 1936 betreffend. 10 11

570

3. Oktober

Das

Aktionsprogramm

der SAP

wie an den demokratischen Zentraksmus und ebenso an aüe Schattierungen zwischen diesen beiden einer Verständigung entgegen. Die plebiszitären Elemente in Gestalt von lokalen und berufsbezogenen Selbstverwaltungsorganen allein waren kaum dazu angetan, Gemeinsamkeit auf dem Wege zum Kampf gegen das NSRegime zu erreichen. Es fehlte jegüche Überlegung, wie De auch für das vorgelegte Staatsmodeü notwenDge >ÜberparteDchkeit< zustande kommen soüte; Kontroüe und Korrektive der Führung waren letzDch mcht vorgesehen. Dabei waren De Vorsteüungen über VerstaaDchung des Waffenhandels, staatüche Kontroüe jegücher Waffenproduktion und De Maßnahmen »zur poütischen Sicherung des Rechtsstaats« DnsichDch Armee und Poüzei, Justiz, Beamtenschaft, »privater wktschaftücher und kultureüer Monopole«, Erziehungssystem und Gesundheitspflege mit den Vorsteüungen der anderen Parteien und Gruppierungen im großen und ganzen kompatibel. Auch De Idee, daß »während des revolutionären Übergangs« »eine entschiedene Diktatur der Soziaüsten für eine rücksichtslose Niederhaltung jedes Versuchs einer Gegenrevolution« sorgen müsse, lebte bei den meisten Parteien und Gruppierungen. Die Schaffung einer gemischten Wirtschaft wäre zunkndest bei manchen aus edkschen Motiven soziaüstisch Eingesteüten auf Interesse gestoßen.

Das

Aktionsprogramm der SAP

Die »Kattowitzer« Parteikonferenz der SAP12 nahm mit 15 Stimmen bei zwei Enthaltungen den Entwurf eines »Aktionsprogramms« an; er soüte, wenn nötig, von Paul Fröüch und Irmgard und August Enderle ergänzt und stiüstisch überarbeitet werden. August Enderle, der ebensowemg wie Fabian, Ackerknecht und ihre >Gruppe< an der Konferenz teilgenommen hatte, sich ihnen jedoch mcht anschloß, legte den Finger auf den wunden Punkt der Emigration, als er in einer »Vorbemerkung« schrieb:

12 Siehe dazu oben, S. 560f; vgl. darüber Dnaus AdsD, NL Brandt: RSchr. Jkn, 1937, Nr. 1,12. Januar, Anlage »Die Beschlüsse der FF« [FF, d. h. Farmüenfeier, Tarnbezeichnung für De Parteikonferenz D Mährisch-Ostrau], 5 S., von den 11 darin aufgeüsteten Punkten, mit Angaben der Abstimmungsverhältnisse, sind 4 als »Beschlüsse der Parteikonferenz« abgedr. in: NF, 1937, Nr. 2/3, Anfang Februar, S. 4, und zwar: »Zu den Vertrauensräten«, »Zur Einheitspartei«, »Zur Volksfront«, »Erklärung zur VerteiDgung der SU«; zu Zielen, Verlauf und Beschlüssen vgl. ebd., Beüage S. 3: »Parteikonferenz der SAP«; Bremer, SAP, S. 212ff., De von Dm genannte Teünehmerzahl von 16 muß aufgrund der AbstimmungsergebDsse auf 17 erhöht werden; Brandt, Links und frei, S. 191 ff, erinnert eher De Diskrepanzen und Auseinandersetzungen.

571

B IV. Korrektive und Alternative

»Ein wirklich den Verhältnissen ganz angepaßtes Aktionsprogramm könnten wohl am besten Genossen schreiben, die selber drinnen unter den schweren Bedingungen des Naziterrors leben.«13 Die Einsicht jedoch, daß s¡gerade sie [...] weder der Zeit noch sonstiger Umstände wegen wieder nicht die Voraussetzungen dafür« mitbrächten, führte ihn zu dem Plädoyer, daß die Emigration dann weWgstens ihren Dienst am innerdeutschen Widerstand dadurch wahrmachen müsse, daß sie konkrete, politisch-aktuelle Losungen etwa zum Komplex der Freiheit aufsteüte und eine der ArbeiterMasse unter der Nazipropaganda angemessene einfache, verständhche Sprache anstehe der ssbisher üblichen abstrakt-marxistischen Thesen-Terminologie« verwendete. Das s¡Naziprogramm[ ]« [von 1932 ULA] Wente ihm, da »propaganWstisch sehr wirkungsvoh[ ]«, »bis zu einem gewissen Grade« als Richtschnur in der »Form«. Das ssAktionsprogramm«14 baute auf dem SAP-Entwurf vom Juh/August 1936 für den Appeü des Volksfrontausschusses auf. Die dort angeschmttenen, aufgrund des damahgen Zwecks Kompromißcharakter tragenden Punkte waren nun zu einem Parteiprogramm mit revolutionären soziaüstischen Zielsetzungen, ssgemäß den Lehren von Marx und LeWn«, und dem Focus auf We Förderung der Einheitspartei umgeschrieben. Die Programmpunkte für die Arbeiter und Angesellten, für We Beamten, We Frauen, die Jugend, We Bauern und den städtischen Mittelstand wichen so gut wie Weht von den »RichWWen für We Ausarbeitung einer politischen Plattform der deutschen Volksfront« ab, We Pieck im JuW 1936 der Programmkommission des Volksfrontausschusses in ManusMiptform hatte zugehen lassen. Mehr noch, eiWge Formuüerungen scheinen wörtheh daraus übernommen zu sein.15 Die Gründe für Weses sPlagiat* können mangels Queüen nur extrapoüert werden. Gewisse inhalWche Übereinstimmungen zwischen SAP und KPD hatten sich -

13 Siehe, auch zum folgenden einschüeßüch der Zitate, AdsD, NL Brandt: Antomus [d.i. August Enderle], »Vorbemerkungen zu nachstehendem Aktionsprogramm Entwurf«, 2 S., Zitat S. 1, Anlage zu RSchr. Jim, 1937, Nr. 1, 12. Januar; der »Entwurf zu einem Aktionsprogramm« findet sich dort im Anschluß an die »Vorbemerkungen« auf S. 2; ebd.: Brief [Walcher] an AntoWus, 15. Januar 1937, Ds zum Brief Walcher an Brandt vom 16. Ja-

nuar

1937.

14

AdsD, NL Brandt: »SAP Aktionsprogramm«, masch. 7 S., AWage zum RSchr. Jim, Nr. 1 (siehe vorige Anm.), Zitate S. 1; eine Abschrift befindet sich im AA-PA, Inland 1937, II A/B 83-60, Nr. 86/3. 15 Vgl. das »SAP Aktionsprogramm« (siehe vorige Anm.), außer S. 1 (Zitat) bes. S. 4£, und das KPD-Dokument 22.1 in Deutsche Volksfront Band 3, in Wesem z.B. We Anm. 11 mit der Passage »gegen We Gesinnungsschnüffelei u. den poütischen und wirtschaftlichen Terror« im SAP-Aktionsprogramm, oder Text und Anm. zu: »Für We Frauen« in den RichtUWen und We folgenden Punkte im SAP-Aktionsprogramm: »Die Hitlerregierung hat We Frau zur Magd und Dienerin des Mannes deMetiert«; »für We voüe Gleichberechtigung der Frau im Beruf und öffendüchen] Leben«; »für gleichen Lohn bei gleicher Arbeit«; »für ausreichenden Arbeiterinnenschutz«. -

-

572

Das

Aktionsprogramm

der SAP

bereits bei der Arbeit am »Frieden-Freiheit-Brot«-Appeü gezeigt. Die Charakterisierungen der Lage der genannten soziologischen Gruppen unter dem NS-Regime und De Forderungen zur Verbesserung waren in den KPD-»RichDDen« plastisch formuüert und gerade Dese Passagen hatte die KPD-Presse bis Januar 1937 nicht pubüziert.16 Die SAP-Führung konnte sie also klammheimfich in ihrem internen Programm ihren Genossen als De eigenen präsentieren und so für den Faü, daß die KPD doch noch den voüstänDgen Text veröffenDchen soüte (was Dese dann aus anderen Gründen tat, wie wk sahen), einen Vorsprung in der Vermittlung von Programmpunkten, De ohne weiteres auf ein Volksfrontbündms zu transponieren waren, gewinnen. Mangelnde Zeit für die Suche nach eigener Ausdrucksweise mag auch ein Grund gewesen sein. Andererseits: der Kanon des marxistischen Sprachgebrauchs, die Stereotypen der Terminologie könnten bei gleicher Analyse und gleichen sozial-poütischen Zielen zu gleichen, selbst zu exakt denselben Formuüerungen geführt haben. Unbewußt mag auch eine Einverleibung der akzeptablen KPD-Punkte stattgefunden haben. Das »Aktionsprogramm« büeb, wie gesagt, ein nur für De eigenen Reihen bestimmtes Parteidokument, eine Grundlage für ein breites Bündnis »mit aüen Parteien, Gruppen und sonstigen sozialen Kräften«, soweit Dese »die weitergehenden Ziele der SAP mcht gefährden«. Die Neue Front erwähnte leDgüch seine Existenz und seinen Zweck.17 Die »Ausführungs-Anleitungen zu dem Aktionsprogramm«, die den Parteimitgüedern zugängüch gemacht wurden, zeigten in der Einschätzung der Lage große Nähe zu den Gruppen Neu Beginnen und Revolutionäre Soziaüsten. Es Deß dort, daß die »Vorbedingung für den revolutionären Massenkampf [...] De Zersetzung des nazistischen Machtapparats und seine innere Schwächung« sei und daß Dese noch eine ganze Zeit in Anspruch nehmen würde, auch wenn die »große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung [...] der Naziherrschaft heute ablehnend gegenüberstehe]«. Die den »Ausführungs-Anleitungen« Dnzugefügte »Darsteüung der revolutionären Strategie und Taktik in kurzer Fassung« unterscDed sich auf den ersten Bück kaum von Strategie- und Taktik-Konzeptionen, De von seiten der KPD lanciert worden waren. Da sollten »Anwendung und Ausnützung der nationalsoziaüstischen Phraseologie den Widetspruch zwischen den Versprechungen der Naziführung und der Wkküchkeit« bloßlegen; durch »passiven Widerstand« soüte das »Zwangsreguüerungssystem« m der Wktschaft boykottiert werden; die Arbeiter, Bauern und Mittelständler soüten De »RatioDerungsvorschriften« durch Flüsterpropaganda und -aufklärung »im Betrieb und im Wohnbezkk«, zum Beispiel über De Verwendung der Spargelder, massiv unterlaufen.18 —

Vorspann zu Dokument 22.1, in Deutsche Volksfront Band 3. NF, 1937, Nr. 2/3, Anfang Februar, S. 3: »Parteikonferenz der SAP«. 18 Zum vorigen siehe »Wie soü der Kampf geföhrt werden? (Ausführungs-Anleitungen zu dem Aktionsprogramm der SAP)«, im Anschluß an das »Aktionsprogramm« (siehe oben Anm. 14), S. 7—9, Zitate S. 7 und 8; vgl. »Die Beschlüsse der FF« (siehe oben Anm. 12). 16

Siehe den

17

573

B IV. Korrektive und Alternative

Daß

Widerstandskämpfer zur Tarnung ihrer Tätigkeit in MassenorgaWsatio-

eintraten, verstand sich aus Gründen des Selbstschutzes von selbst. Die Übernahme offizieller Funktionen war jedoch Weht in den Katalog der Anregungen zur aktiven Zersetzung des Regimes aufgenommen. Auch soüte der Eintritt in NSOrgaWsationen stillschweigende Ausnahme bleiben und nicht ahgemein nachgeahmt werden.19 Hier üegt denn auch der prinzipieüe UnterscWed zur Strategie und Taktik der KPD. Selbst die im Oktober 1937 ersteüten »RichWWen und Ratschläge der SAP zur Ausnützung der legalen Mögüchkeiten der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit a) im Reich, b) in und durch We Auslandsgruppen«20, We Weht als ssAufhebung, sondern Ergänzung unserer bisherigen ahgemeinen wie internen Betriebs- und Gewerkschafts-RichWWen« verstanden werden sohten, reduzierten, entgegen der Erwartung, We der Titel beim Außenstehenden zunächst wecken mochte, We »legalen« Möghchkeiten in Deutschland. Die diversen Branchen-Pubükationen der DAF oder anderer NS-Organe über Betriebsordnungen, Paragraphen, versprochene oder verwirklichte Anregungen zu Verbesserungen von Seiten der Unternehmer und NS-Institutionen auf finanzieüem, sozialem, Mütureüem und nicht zuletzt auf dem Feld des Arbeitsplatzes und der Arbeitsumstände soüten aufmerksam gelesen und dann offen üegengelassen, aber nicht öffenWch Wskutiert werden. Lohnforderungen, Lohnerhöhungen oder Kündigungen soüten inWvidueü bekannt gemacht werden und vorwiegend zunächst auf We für We (Schwer-) Industrie dringend benötigten Facharbeiter beschränkt bleiben. Wenn dabei Anhänger des Nationalsozialismus mit stimuliert würden, ihre Rechte einzufordern, war das erwünscht, sohte aber nicht augenfällig gefördert werden. Die letzten Jahre hatten gelehrt, daß ein Teil der Parteikader und auch der Weht der SAP verbundenen antifascWstischen Arbeiter We NS-Presse sträflich negierte, ein anderer Teü durch sMassen*- oder einfach unvorsichtiges Vorgehen hohe Verluste eingefahren hatte, was wiederum zu Passiwerhalten unter Gegnern des NSRegimes führte. Die Auslandsgruppen der SAP, die die Kontakte zu (Partei-) Arbeitern im Reich zu halten bzw. Wese bei Auslandsreisen, aus welchen Gründen auch immer unternommen, zu betreuen, d. h. in erster DWe vorsichtig auszufragen hatten, wurden angewiesen, sich ebenfaüs gründlich mit den Pubükationen der DAF usw. vertraut zu machen. Darüber hinaus sohten sie sich durch den Anschluß

nen

19 Die »von der Konferenz beschlossenen Richtlinien für Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit« soüten detaüüerter auf diese Fragen eingehen, doch sie wurden ledigüch in dem NF-Artikel »Parteikonferenz der SAP« (siehe Anm. 12) erwähnt, sie sind weder als aparte Anlage dem RSchr. Jim, 1937, Nr. 1 beigefügt noch in der Anlage der »Beschlüsse der FF« aufgeführt. 20 Dokument, 5 S. Ds, in ARAB, SAP, Vol. 1, Mappe B III, folgendes Zitat S. 1; vgl. für Hintergründe, auch zum folgenden, z. B. Brandt, Links undfrei, S. 182f. und 197f.; Fritz Sternberg, Deutschland wohin? Die Wirtschaft des 3. Reiches und ihre Perspektiven, hrsg. von der PL der SAP, Strasbourg: Imprimerie Française 1937 ein Referat des Titels hatte Sternberg auf der Tagung der erweiterten PL Anfang 1937 in Paris gehalten; Bremer, SAP, S. 67 und 216ff. -

574

Die »demokratische an

Volksrepublik« der

KPD

den Bund der deutschen Gewerkschaften21 über den eigenen Gesichtskreis Dnnational und international informieren, quaüfizieren und ihre Arbeit koordi-

aus

meren.

Auch Der lehrt ein Vergleich mit dem eküge Monate früher verfaßten Memorandum von KPD-Seite, »Volksfront Einheitsfront«22, daß man zwar übereinstimmend einer AushöUung des nationalsoziaüstischen Regimes von den Betrieben und Zwangsorgamsationen aus De größten Chancen beimaß und die Auswertung und Ausnutzung der DAF- usw. Pubükationen propagierte, »Massenwund gar »Versöhnungs«-Aktionen von der AL der SAP aber ausgeschlossen wurden. Ebensowemg verband De Auslandsleitung den Anschluß an den sozialdemokratisch geführten Bund der deutschen Gewerkschaften mit dem Ziel, diesen zwecks Durchsetzung eigener Parteiziele zu unterwandern, wie es De Doppelkonstruktion der KPD vorsah. Diese orientierte einerseits auf den Anschluß an De Auslandsvertretung der deutschen Gewerkschaften (den Vorschlag zum Bund der deutschen Gewerkschaften machte Schkestedt erst Anfang August 1937), andererseits soüte Dese Orgamsation als sozialdemokratisch und abhängig vom PV der SPD denunziert werden. -

Die »demokratische

Volksrepublik« der KPD

Eröffnungsrede zur Osterkonferenz des Volksfrontausschusses 1937 proklamierte Heinrich Mann als erster öffenDch die »demokratische Volksrepubük« als das »große einigende Kampfziel aüer Freunde des Friedens und der Freiheit in Deutschland«.23 Zweifeüos hatte er De Eckpunkte seiner Rede mindestens mit Münzenberg, der nach ihm als Vertreter der KPD sprach, abgestimmt. Beide nannten Beispiele von Protesten und Einforderungen von Rechten aus In seiner

verscDedenen sozialen ScDchten in Deutschland und sie erwähnten De BeteDgung von SA-Leuten an ektigen Aktionen; beide hoben De Bedeutung des Frente popular und des Kampfes in SpaDen für das Land selbst wie auch für Deutschland und für ein vom Faschismus befreites, demokratisches Europa hervor; beide wiesen auf die innerdeutsche Volksfront-Plattform hin; beide betonten, daß die »demokratische Volksrepubük« De Schwächen von Weknar Dcht wiederholen werde. Mag De WaW der Formukerung »demokratische Volksrepublik« nun H. Manns eigene gewesen sein oder mcht: Sie erscheint jedenfaüs als eine andere, eine angesichts der innerdeutschen Volksfront-Gruppe und Spamens aktuaüsierte, Zum Bund der deutschen Gewerkschaften kn ED siehe oben, S. 290. Vorhanden im BA/K, R 58/639; vgl. dazu auch oben, S. 344. 23 Abgedruckt in PTZ, 1937,12. April, S. 1, und in: Heinrich Mann, Was will die deutsche Volksfront?, Sonder-Nr. von DFD-MDFB, Paris [1937]; vgl, auch zum folgenden, oben, S. 337f. und De Anm. 191-194. 21

22

575

B IV. Korrektive und Alternative

Bezeichnung für den »Volksstaat«, den er zur Lutetia-Konferenz vom 2. Februar 1936 entworfen hatte. Im »Volksstaat« soüten »Repubük, Soziaüsmus, Selbstregierung des Volkes [...] memals in Frage gesteüt« werden. Als das »Wesen« des »Volksstaats«, mamfestiert in aüen seinen Maßnahmen, hatte H. Mann »De sitt-

liche Erziehung« der Deutschen bestimmt.24 Das Programm der Berüner Gruppe Deutsche Volksfront entsprach weitestgehend seinen Maximen einschüeßüch der Idee, daß Parteien- und Gruppen-Ideologien überwunden werden müßten. Die miütärische Vertekügung der demokratischen und sozial-ökonomischen Errungenschaften der Spanischen Repubük des Frente popular mit Hilfe der internationalen Freiwilügen gegen De nationale Reaktion und den internationalen FascDsmus entsprach ebenso semer >PhüosopDe< eines müitanten Humanismus. In Heinrich Manns Vision, daß die »deutsche Volksfront [...] aüe im Volk medergedrückten freiheitlichen Regungen entfalten und zu großen Volksbewegungen eimgen« werde,25 war der Terminus »demokratische Volksrepubük« folgerichtig. Spätestens 1939 soüte Mann wieder auf den »deutschest] Volksstaat« zurückkommen.26 Trotz Münzenbergs Auslassungen auf der Osterkonferenz über eine »demokratische Volksrepubük« nach Hider, wurde De Losung erst mit Anton Ackermanns »Die Volksfront und De demokratische Volksrepubük« KPD-offizieü. Ackermann schrieb den Artikel nach den blutigen Maitagen in Barcelona.27 Im folgenden interessieren uns Entwicklung und Definition der Termini »Volksrevolution« und »demokratische Volkstepubük« in der KPD-Führung und im EKKI in der Periode 1936/37. Noch keine vierzehn Tage nachdem die Spanische Repubük mit dem Antritt von Largo Cabaüero als Mkksterpräsident und, auf Geheiß der Komintern, zwei KommuDsten als Erziehungs- bzw. Agrarmkkster in etwa proletarisch geprägten Volksfront-Charakter erhalten hatte,28 forderte Dimitroff in einer Diskussionsrede auf der EKKI-Sekretariatssitzung zur spamschen Frage, was er eiDge Monate zuvor bereits für Deutschland und Österreich gefordert hatte: De Errichtung der »demokratischen Repubük« als Ziel des Kampfes gegen den Faschismus. Er plazierte die spamsche »demokratische Repubük« zwischen De »Sowjetdemokratie auf der einen Seite« und De »Staaten der bürgerüchen Demokratie, wie in England

Siehe Dokument 6 in Deutsche Volksfront Band 3. Zitiert nach: H. Mann, Was will die deutsche Volksfront?, S. 9. 26 Vgl. LoDar Berthold, »Der Kampf gegen das Hiderregime der Kampf Dr ein neues DeutscDand«, in: BzÇ, Jg. 6 (1964), S. 1007-1022, Der S. 1012. 27 Die Internationale, 1937, Nr. 3/4, S. 36—45, wk kommen weiter unten darauf zuDck; fast aüe Beiträge in Deser Internationale-Ausgabe waren nach »Barcelona« geschrieben oder umgearbeitet worden. 28 ErziehungsrDDster wurde Jesús Hernández Tomás, Chefredakteur von Mondo Obrero, AgrarmiDster wurde der marxistische Theoretiker Vicente Uribe Galdeano. 24

25

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576

Die »demokratische

Volksrepublik«

der KPD

und Amerika« auf der anderen Seite: Sie war ein »besonderer Staat mit einer echten

VolksdemoMatie«, »ein antifaschistischer, ein hnksgerichteter Staat, an dem der wirküch linksge-

richtete Teü der Bourgeoisie beteWgt sein wird. [...] Theoretisch müßte man das vieüeicht richtig als eine besondere Form der demoMatischen Diktatur der ArbeiterMasse und der Bauernschaft in der gegenwärtigen Etappe bezeichnen.«29 Damit schlug Dimitroff formal eine Brücke zum VII. Weltkongreß der Komintern, auf dem bestimmt worden war, daß Volksfrontregierungen in der Form der sArbeiter- und Bauern-Regierung« zu büden seien. Entscheidender UnterscWed war aber, daß nun generell die EigentumsverhältWsse an den Produktionsmitteln Weht (weiter) angetastet werden sohten. Die wichtigste Funktion der »demoMatischen Repubhk« war vielmehr We »OrgaWsierung der Produktion, ohne endgültige Abschaffung des privatkapitalistischen Eigentums [...,] unter Teünahme und Kontrohe der ArbeiterMasse und ihrer Verbündeten im Kampf gegen den FascWsmus, d. h. des Kleinbürgertums und der Bauernschaft«. Togliatti moWfizierte im Oktober sowohl Dimitroffs Konzeption der »demoMatischen Diktatur der ArbeiterMasse und der Bauernschaft« als auch dessen Verzicht auf entschäWgungslose Enteignung der »in We Rebellion verwickelten Großgrundbesitzer und Unternehmer«. Er fügte We Besonderheiten des Kampfes in SpaWen auf repubhkaWscher Seite BürgerMieg, Krieg gegen We auslänWschen Interventen, Krieg gegen den weltweiten Faschismus in der dreifachen Definition der ssRevolution in SpaWen« zusammen: ssEs ist das eine Volksrevolution, es ist das eine nationale Revolution, es ist das eine antifascWstische Revolution.«30 sVolksrevolution«, folgheh ssVolksdemoMatie« auf letzteren Terminus ging Togliatti Weht direkt ein waren dadurch bestimmt, daß sie auf »aüerbreitester sozialer Basis« fußten. Togliatti benannte noch eine Besonderheit der ssVolksrevolution«, die er im übrigen am Volkscharakter und an den Erfahrungen der jüngsten GescWchte Spaniens seit Anfang der 30er Jahre, besonders des Jahres 1934 festmachte: Die Volksrevolution mußte We ssAufgaben der bürgerüch-demokratischen Revolution« im Krieg, durch den Krieg lösen. Münzenberg bestimmte in der gedruckten Fassung seiner Rede auf der Osterkonferenz des Volksfrontausschusses31 die »demokratische Volksrepublik« -

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29 Dokument Nr. 5 bei LewW (Bearb.), »Georgi Dimitroff über We Einheits- und VolksfrontpoUtik (1935-1937)«, S. 447^163, Zitate, auch We folgenden, S. 459f. 30 M. Ercoü [d.i. Palmiro TogüaW], »Über We Besonderheiten der spaWschen RevoluRundschau in: (Basel), 1936, Nr. 47, 22. Oktober, S. 1923-1927, Zitate nachemander tion«, S. 1926, 1924, 1923, auf letztgenannter Seite auch We folgenden Zitate. 31 Ich beziehe mich im folgenden auf: Aufgaben einer deutschen Volksfront, Sonder-Nr.

der DFD-MDFB, erw. Sonderdruck aus New Masses, New York, Mai 1937, siehe dazu oben, S. 337 und Anm. 188 (beachte auch We ProtokoUnotate von Walcher), 189, 190 und 191.

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B IV. Korrektive und Alternative

für Deutschland mehrfach: Sie werde »mcht das Gesicht von Weimar, sondern das kämpferische Gesicht von Madrid tragen«. Sie sei »heute einzig und aüem« De Alternative zur »faschistische [n] Diktatur«, nicht die »Sowjetdemokratie«. Sie werde »es dem deutschen Volk ermögüchen, selbst und/r« über das Staatssystem des neuen Deutschland zu entscheiden«. Unter Berufung auf Karl Marx, Friedrich Engels und mit dem Lemn-Zitat, »Die bürgerüche Demokratie ist De Form, De De Kraft reifen läßt, um De voüe Freiheit der Arbeiterklasse und damit der Mehrheit des Volkes zu verwkkü-

chen«, daß kein »Widerspruch zwischen dem Kampf für die Demokratie und dem Soziaüsmus« bestehe. Die deutsche Volksfront bezeichnete Münzenberg als »den Versuch, zu gemeinsamen Aktionen Kommumsten, die SAP, die Sozialdemokratie, Bauern, chrisDche Gewerkschaften und bürgerüche Gruppen zu verekkgen«. Die Volksfront müsse Erbin sein der »demokratischen Grundsätze der alten deutschen Markgenossenschaften«, der »Bauernkriege mit Thomas Münzer«, der »deutschen Klassiker«, der »Dichter und Kämpfer der Bewegung von 1848«, der »ülegalen Kämpfe gegen den deutschen Imperiaüsmus während des Weltkrieges«. Den Frente popular und den Front populaire sah Münzenberg als jeweüs der nationalen Kultur verpflichtete Bewegungen. Ebenso müsse De Deutsche Volksfront an De Leistungen »der deutschen Phüosophie, der deutschen Kultur, [...] der deutschen Techmk und der deutschen Arbeiter« anknüpfen. Mit Desem für De Gegenwart und De Zukunft begründeten Rückbück auf De deutsche GescWchte gab Münzenberg seinem vorher Dedergeschriebenen ApoDktum Inhalt: »Der Befreiungskampf der deutschen Arbeiter fäüt zusammen mit dem Freiheitskampf der breitesten deutschen ScDchten.« Von daher bestimmte er eme zukünftige »Revolution« gegen das »Hiderregime« als »Volksrevolution«. Zu den ScDchten, De De Volksrevolution tragen würden, gehörten selbstverständüch »bürgerüche Kreise«. Von Nationalsoziaüsten war jedoch mcht De Rede.32 Münzenbergs Konzeption erscheint als eine auf Deutschland, seine GescDchte, kultureüen TraDtionen und sozialen Bedingungen orientierte Analogie zu derjemgen, De Togüatti für SpaDen dargelegt hatte. Anders als Münzenberg woüte Merker »für De Volksfront und De Errichtung emer demokratischen Volksrepubük« auch »Naziarbeiter« gewinnen; so steht es jedenfaüs in der gedruckten Fassung seiner Rede auf der Osterkonferenz.33 Der Hebel sollte bei dem »gemeinsamen Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbe-

postuüerte Münzenberg,

Alle Zitate und Hervorhebungen nach Aufgaben einer deutschen Volksfront (siehe vorige Anm.), nacheinander S. 18, 17, 18, 20 und 15. 33 Merker hat De für De Dcht-kommunistischen Teünehmer provokante Konzeption 32

der Einbeziehung von Nationalsoziaüsten wahrscheinüch nicht auf der Konferenz selbst zu Gehör gebracht, jedenfaüs findet sich Dchts davon in den Protokoüen und Berichten.

578

Die »demokratische

Volksrepublik« der

KPD

Wngungen und um We Erhaltung des Friedens« angesetzt werden. Die NichtNationalsozialisten soüten sich an (Betriebs-)Wahlen beteWgen und zur einheiWchen ssgewerkschafWchen Interessenvertretung« beitragen. Dadurch würde »Differenzierung unter den Vertrauensmännern und DAF-Funktionären, SA- und SS-Leuten in den Betrieben usw.« möghch und We Volksfront gestärkt. Die Errichtung einer s¡demoMatischen Volksrepubhk« in Deutschland verband Merker direkt mit dem Kampf des ssspaWschen Volkes zur Ausrottung des Faschismus und für eine demoMatische Volksrepubhk« im eigenen Land.34 Im ganzen läßt We pubhzierte Fassung von Merkers Rede bereits Einflüsse der Moskauer Beratungen von Februar/März erkennen; worauf ich weiter unten eingehen werde. Zuvor schon war die ssVersöhnungs«-Poütik wieder aus der Schublade hervorgeholt worden. In einem Rundschreiben vom 21. Dezember 1936 an s¡Liebe Freunde«, getitelt: »Von der Einheitsfront zur Volksfront auch in Deutschland«, wurde das ssVersöhnungs«-Verbot zwar noch weitgehend beherzigt. Aufhorchen lassen allerWngs We DefiWtion der ssWerktätigen« und We anschheßende Ergänzung: sAlle deutschen Hidergegner, die nichts als ihre ArbeitsMaft zu verkaufen haben, büden We Klasse des werktätigen Volkes, zu dem neben den Handarbeitern auch aüe Intellektuellen, Mittelständler und Bauern gehören.« »Daß wir auch aüe jene in die Volksfront einbeziehen, We zur Zeit in der Wehrmacht und in den Formationen der NSDAP für uns arbeiten oder für uns infolge antifascWstischen Stellungnahmen zu gewinnen sind, versteht sich von selbst. (Nur jene Nazis, denen irgend ein Verbrechen gegen einen unserer Genossen nachgewiesen ist, werden sich vor dem Revolutionstribunal zu verantworten

haben.)«35

Ulbricht wandte sich ebenfahs noch im Dezember von SpaWen aus über den Sender Barcelona an We »Soldaten im Reichsheer, an We »schaffende [n] Volksgenossen in der SA und in der Hitler-Jugend«.36 Mitte Januar 1937 schrieb er in den Entwurf eines internen s¡Memorandums zu eiWgen Problemen der KPD« hinein:

34

DVZ, 1937, Nr. 20, 16. Mai: »Lohnforderungen in der deutschen Arbeitsfront. Lohn-

ausgleich für We Teuerung. Rede des Genossen Merker auf der Volksfront-Tagung in Paris am 10. ApW 1937«, aüe obigen Zitate dort. 35 RSchr. in Fotokopie in BA/K, R 58/408, auf der letzten, der 4. Seite ist handschr. im Referat II1 A(A) das Datum hinzugefügt: »Berün, d. 21.12.36«; falls der Verfasser ein SozialdemoMat sein soUte, wie eine TextsteUe suggeriert, so weist der Passus, der den KommuWsten wegen ihrer Zahl, ihrer revolutionären Aktivität und ihrer Verbindung zu Rußland ganz selbstverständüch We »Führung« zuspricht, darauf hin, daß er mindestens unter kommuWstischem Einfluß stand, wenn Weht KPD-Mitgüed war; evtl. entstammt das RSchr. dem FunktionärsMeis um We damaüge Leiterin der illegalen KPD-Organisation in Berün, EUi Schmidt, zu dem ihr Ehemann Anton Ackermann gehörte. 36 Walter [Ulbricht], »Wofür kämpft das spanische Volk? Wofür muß das deutsche werktätige Volk kämpfen?«, in: DFD-MDFB, Nr. 15, Januar 1937, S. 16-22. 579

B IV. Korrektive und Alternative

»Die Einheit der fortgeschrittensten antifascDstischen Kader mit den anderen Arbeitern und mit dem größeren Teü der Nationalsoziaüsten war De Voraussetzung jeder erfolgreichen Bewegung. Deshalb ist die Hervorhebung der Einheit, der Kameradschaft, der Versöhnung so wichtig.«37 Die Linie der Kameradschaft und Versöhnung wurde auf studentischer Ebene fortgesetzt. In einem Brief, den angebüch »revolutionäre] SA-Studenten und Rote Studenten, alte und neue Opposition«, nach der Rede Hitlers vom 30. Januar gemeinsam an Studenten in Berkn verscDckten, Deß es: »Die deutsche Volksfront steht. [...] Wk haben jetzt eine gemeinsame Kampforgamsation von KPD und SPD bis zu den revolutionären] Nationalsoziaüsten.« Es wurde empfohlen, das »klare[ ] Aktionsprogramm«, das tägüch um 22 Uhr über »den deutschen Revolutionssender auf Weüe 29,8, dicht neben Zesen«, ausgestrahlt werde, zu hören.38 Bei dem »Aktionsprogramm« handelte es sich um Dchts Anderes als um (Auszüge aus) Piecks »Richdkken« für eme Volksfront-Plattform. Als letztes Beispiel aktiver »Versöhnungs«-Propaganda sei Der die Broschüre Das Handwerk hat goldenen Boden erwähnt. Sie wurde zum Reichshandwerkertag, der am 27. MD 1937 in Frankfurt am Main stattfinden soüte, herausgebracht. Nach der Einleitung über aüe gebrochenen Versprechungen und aüe für das Handwerk negativen Maßnahmen des NS-Regimes wurden Gegner und Anhänger des Nationalsoziaüsmus m neun Punkten unterwiesen, wie sie durch Zusammenarbeit auf institutioneUen und orgamsatorischen Ebenen die Lage des Handwerks verbessern könnten. Der Abdruck der Forderungen für den »Mittelstand« aus den »RichDDen« für eine Volksfront-Plattform und De Propagierung der deutschen »demokratischen Repubük« beschlossen De Schrift.39 Nicht nur in der KPD registrierte man wie ein Seismograph poütische EreigDsse und Regungen im sozialen Gefüge des Dritten Reichs und reagierte mit viel Agitations- und Propagandamaterial. Auch De anderen Parteien und Gruppen der Arbeiterbewegung beobachteten De innerdeutsche Situation und verzeichneten De wirtschaftkch bedingten Unruhen in der Arbeiterschaft und im Mittelstand. Ihre Analysen und Kommentare indes zeigen trotz propaganDstischer Aufmachung in ihrer Presse, daß sie noch keine Anzeichen für eine wirkkche Erschütterung des NS-Regimes zu erkennen vermochten.40 In der KPD bewertete man

Siehe Ulbricht, Zur Geschichte, Bd. II, 2. Ergänzungsband, S. 45-62, Zitat S. 52. BA/K, R 58/564: »Studenten, Kameraden. Der vorige Sonnabend war eine soüde Pleite«, 6 S., nach: Aus Informationen, 1937, Nr. 13,15. Februar, am 13. Februar vom Postamt in Berün N 4 aus an Studenten verscDckt. 39 Broschüre, 32 S., o. O., o. D., vorhanden ün IISG, stuDezaaknap, üjst AbendroD la; vgl. DVZ, 1937, Nr. 9, 27. Februar, S. 2: »Die Handwerkerinnungen soüen zerschlagen werden. Erste Abwehrreaktionen Die Forderungen der Volksfront«, und Nr. 21, 23. Mai, S. 3: »Dem Handwerk unsere tatbereite Hufe«. 40 Vgl. Nachrichten AB-NB, Dezember [1936]/Jänner 1937, bes. S. 3-6; DeutschlandBerichte der Sopade, 1936, Nr. 12, Dezember, und 1937, Nr. 1, Januar, jeweüs Teü A (siehe 37

38

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580

Die »demokratische

Volksrepublik« der KPD

dagegen We Gärung als bedrohlich. Eines der InWzien dafür meinte man in einer vermehrten Aufmerksamkeit der DAF für We Interessen der Arbeitnehmer zu erkennen.41 Damit ergäben sich noch mehr Mögüchkeiten zur Anwendung der »Taktik des TrojaWschen Pferdes« und zur Kooperation im Zeichen der »Versöhnung«. Die Wahrnehmungen über Zustände innerhalb Deutschlands und We mehr oder weWger prononciert formuherten taktischen Folgerungen trugen KPDFührer, namenWch Pieck und Ulbricht, ins EKKI Wnein. Dieses verband seinerseits We Taktik für Innerdeutschland mit der Situation in und um SpaWen zu einer Doppelstrategie.42 Rekapituheren wir mit Bhck auf SpaWen, wo eine mihtärische Niederlage der repubhkaWschen Kräfte keineswegs auszuschheßen und Rückwirkungen auf Volksfront-Frankreich zu befürchten waren, die von der Außenpolitik HitlerDeutschlands bewirkten oder mittelbar beeinflußten EreigWsse seit dem Nürnberger Parteitag der NSDAP vom September 1936: Am 25. Oktober besiegelten Deutschland und Itahen We »Achse Berhn—Rom«. Am 18. November erkannten beide We Regierung Franco in SpaWen an; in Wesem Zusammenhang ermahnte Reprint-Bände Jg. 3 und Jg. 4); RSD-Bericht Deutschland-Bericht der Revolutionären Sozialisten, abgeschlossen Ende Februar 1937, 43 S. hektograph.; AdsD, IJB/ISK, 31: ISK-Memo »Kampfund Erstarrung (Deutschlandreise an der Jahreswende 1936/37). Ort: Saarland, Saargebiet, Bayern. Zeit: 23. Dezember bis 16. Januar 1937«, 8 S. Ds, bes. S. 7—8; Neue Front, 1937, Nr. 1, Anfang Januar, bes. We Artikel S. 1-3 und Beüage S. 2; PaW Hertz notierte am 21. Januar 1937 nach einer »Emi[granten]-Versammlung]: Rohstoff-Mangel u. Lebensmittelnot [sind] noch lange nicht gleichbedeutend mit Arbeitslosigkeit und Hungersnot«, siehe IISG, NL Hertz, XXIII, Mappe Ia Beüagen. 41 Forschungsüteratur zeigt mehr oder weWger (Verteüungs-)Kämpfe um We Vormacht an der Arbeitsfront zwischen DAF, Vertrauensräten, Unternehmern und Regierungsinstanzen und ordnet We Aktivitäten auf der Ebene der Betriebe (LohnpoUtik, »Schönheit der Arbeit«), der Freizeit und der Kultur (»Kraft durch Freude« mit Ferien-/Büdungsreisen und Sport), der Sozial-, besonders der Jugend- und Frauenpoütik usw. in die poütischen und ideologischen Ziele des Nationalsoziaüsmus eW, vgl. u. a. Matthias Frese, Betriebspolitik im »Dritten Reich«. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großindustrie 1933-1939, Paderborn 1991; Schneider, Unterm Hakenkreuz, bes. S. 238ff., beachte dort auch das Register zur DAF; Klaus Schönhoven, Die deutschen Gewerkschaften, We

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Frankfurt/M. 1987, bes. S. 187ff. 42 Siehe, auch zum folgenden, BayerleW (Hrsg.), Dimitroff, Tagebücher, Bd. 1, bes. We

Notizen zwischen November 1936 und Anfang ApW 1937; Sywottek, Deutsche Volksdemokratie, S. 71 ff., belegte und analysierte den Zusammenhang zwischen Deutschland- und SpaWenpoütik der KPD mit vielen Beispielen aus zeitgenössischen Publikationen, aüerWngs unter linearer Perspektive, es fehlte ihm siehe auch seinen Hinweis auf den Artikel von Walter [Ulbricht], »Über We Durchführung der Parteibeschlüsse. Stärkung der ParteiorgaWsation und Massenpoütik«, in: Die Internationale, 1937, Nr. 3/4, S. 16—30 der offizieüe Ausgangspunkt, nämüch We EKKI-Beratungen vom Februar/März 1937, W deren Anschluß Ulbricht mit Pieck und anderen Poütbüromitgüedern in Moskau die Doppel—

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poütik fesdegte. 581

B IV. Korrektive und Alternative

das EKKI den PCF wiederholt, die Regierung Léon Blum mcht zu stürzen. Am 25. November 1936 schlössen Deutschland und Japan den Antikomintern-Pakt. In den außenpoktischen Debatten der französischen Kammer vom 4./5. Dezember verpflichtete De Opposition De Blum-Regierung, eme Annäherung an Deutschland zu suchen. Dies führte innenpoütisch u. a. zu dem schon angesprochenen Verbot, französische FreiwiDge für die Spanische Repubük zu werben, außenpoütisch zu einem gemeinsam mit England der deutschen Regierung unterbreiteten VerstänDgungsangebot; darin wurden auch Verhandlungen über KreDte und Kolomen in Aussicht gesteüt.43 Als Versuch, die SowjetuDon und De Komintern alknähüch vom Kampf der AntifascDsten aus aüer Welt in SpaDen zu lösen, ist Staüns Vorschlag von Anfang Januar 1937, im Ausland Dcht weiter FreiwiDge zu werben, zu werten. Fünf Tage später jedoch teüte das Poütbüro der KPdSU Dimitroff mit: »Die Anwerbung und Entsendung von Internationaüsten ist gestattet«.44 Mögücherweise war De Situation innerhalb der SowjetuDon mehr noch als De außenpoütische Gesamdage in West und Ost45 der entscheidende Faktor für De Doppelstrategie der Sowjetregierung und des EKKI; jedoch ist das wissenschaftüch noch nicht eindeutig zu belegen. Jedenfalls sah sich die SowjetuDon, aüe Erfolgspropaganda Lügen strafend, immensen wirtschaftlichen und sozialen Problemen konfrontiert. Die Schwierigkeiten selbst und die daraus sich ergebende Gefahr wachsender Opposition oder gar revolutionärer Aufstände versuchten Staun und seme Helfershelfer, auch regionale Potentaten, mit Terror, Zwangsdeportationen in zu entwickelnde Gebiete (GULag), Stachanov-Bewegung zur Produktionssteigerung usw. und mcht zDetzt mit Prozessen und Todesurteüen

43 Vgl. AA-PA: Pol. II, Frankreich 2 C, Bd. 1 (11.12.36-30.8.38): Bestrebungen zur Herbeiführung einer deutsch-französischen Verständigung: Telegramme und Briefe der Deutschen Botschaft in Paris ans Auswärtige Amt D Berün und zugehörige Aktenvermerke

zwischen dem 11. Dezember 1936 und 12. März 1937; PTZ, 1937, 20. Januar, mit Zitaten aus der am Vortag abgegebenen Erklärung des engüschen Außenministers Eden vor dem Unterhaus zur spaDschen Frage und europäischen Lage; Kommunistische Internationale, 1937, Nr. 1, 31. Januar: »Die Berüner Abmachung der Hauptkriegsbrandstifter«; Bernecker, Krieg in Spanien, vermittelt eD Dfferenziertes, auch ambivalentes Büd der SpaDenpoütik der Regierung Blum, siehe bes. S. 92ff. und S. 11 Iff 44 Siehe Bayerlein (Hrsg.), Dimitroff, Tagebücher, Bd. 1, S. 143 und 144. 45 McMurry, Deutschland und die Sowjetunion, steüt msbes. in den Kapiteln V und VI eme Zwei-, so man wül eine Dreigleisigkeit der Poütik in Moskau dar: In der Presse reagierten UdSSR und Komintern heftig auf die außenpoütischen Ereignisse, auf diplomatischer Ebene und mit HUfe der Wirtschaftsbeziehungen bemühten sich De zustänDgen MiDsterien um einen erträgüchen Ausgleich mit Deutschland und Japan das übrigens wegen seiner aggressiven CDnapoütik mit stetig zunehmender Sorge beobachtet wurde, wie auch Dimitroffs Tagebüchern zu entnehmen ist -, und De Komintern propagierte und organisierte Massenbewegungen, um einen internationalen Krieg zu verDndern. -

582

Die »demokratische

Volksrepublik«

der KPD

gegen alte BolschewiM und Generäle in den Griff zu Miegen.46 Es ging Weht nur um den Erhalt der eigenen Macht (neben ahen möghehen anderen persönüchen Motiven und Triebfedern), sondern auch darum, We mit der bolschewistischen Revolution 1917 eingeleitete ModerWsierung des Nationaütätenstaates, der Wirtschaft und der Gesehschaft um jeden Preis zu retten.47 Die Doppelstrategie nach den EKKI-Beratungen vom Februar/März 1937 zeitigte paradoxe Konzeptionen, We jedoch unter denselben TermiW »Volksrevolution« und ssdemoMatische Volksrepubhk« vertreten wurden. In SpaWen soüte mehr denn je der Krieg lokaüsiert werden.48 Durch eine Strategie, We darauf zielte, aües, was nach Soziahsmus aussah oder dahin tendierte, zu vermeiden, zurückzudrehen, auszuschalten, und darüber Wnaus eine Staatsform nach dem Muster der bürgerhch-parlamentarischen DemoMatie zu erhalten, sohten We (Klein-)Bürger im Frente popular-Bündnis gehalten werden; zweitens soüte den Westmächten England und FranMeich gegenüber der (mögliche) Eindruck gebannt werden, We SowjetuWon strebe eine Diktatur nach ihrem Muster an; drittens soüte We von der NS-Regierung lauthals beschworene »jüWsch-bolschewistische« Gefahr, We es auszurotten gelte, miWmalisiert werden.49 Für We bereits vorhandene und We zu gewinnende Opposition gegen das NSRegime in Deutschland gab We KPD-Führung die Devise aus: Seht nach Spanien! Spanien wurde propagiert »als Beispiel dafür, daß man den Faschismus auch vermchten kann«, und, so Ackermann in Nachfolge von Togüatti, als »DemoMatie —



Vgl. die Diskussionen usw. über We Probleme im einzelnen und deren Zusammenhang, in: BayerleW (Hrsg.), Dimitroff, Tagebücher, Bd. 1, bes. S. 137—156; zur StachanovBewegung siehe u.a. Robert Maier, Die Stachanov-Bewegung 1935—1938. Der Stachanovismus als tragendes und verschärfendes Moment der Stalinisierung der sowjetischen Gesellschaft, Stuttgart 1990; vgl. auch durchgehend Frank Schauff, Sowjetunion, Kommunistische Internationale und Spanischer Bürgerkrieg (1936-1939), Diss. phü. UWversität Köln 2002 (in Druck). 47 Diesen Aspekt verdanke ich einem Vortrag meines KoUegen Turaj AtabaM vom Juni 2000 im IISG; Stalins schon im Herbst 1924 ventüierte, im Aprü 1925 offiziell inaugurierte Doktrin vom »Aufbau des Soziaüsmus in einem Lande« war Ausgangspunkt für seinen Kampf gegen »Links-« und »Rechtsabweichler« und für die Schwankungen des außenpoütischen Kurses zwischen ¡friedüchem Zusammenleben* auf der Basis des Gleichgewichts der Kräfte und schroffer Kampfansagen gegen We ¡kapitaüstischen und imperiaüstischen* 46

Staaten. 48 H. Thomas, Spanish CivilWar, S. 572—581, folgerte Vorjahren schon aus den zugängUchen zeitgenössischen Queüen, daß keine der in SpaWen eingreifenden Mächte 1937 oder 1938 den Krieg über We Landesgrenzen Wnaus ausweiten woUte. 49 Vgl. u. a. Georgi Dimitroff, »An der Schweüe des Jahres 1937«, in: Rundschau (Basel), 1937, Nr. 1, S. 3f.; vorangegangen war eine Entschüeßung des EKKI-Präsidiums nach Beratungen am 28. Dezember 1936, vgl. Kl, 1937, H. 2, 28. Februar, S. 153-156: »Der heroische Kampf des spanischen Volkes. Das PräsiWums des EKKI über We Tätigkeit der Kommunistischen Partei SpaWens«; vgl. ebd., S. 116-122: [anonym], »Die neue Phase des Kampfes für ein demokratisches unabhängiges SpaWen«.

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B IV. Korrektive und Alternative

Typs«.50 Er übersah indessen, daß Togüatti diese Kennzeichnung und De »Volksrevolution« an De besondere Situation der kriegerischen Auseinandersetzung mit dem nationalen und internationalen »FascDsmus« in SpaDen gebunden hatte. Ackermann setzte für Deutschland den Hebel für De »Volksrevolution« und De aus Dr zu entstehende »demokratische Volksrepubük« gerade bei der Verhinderung eines Krieges an. Er sah De »Aktionsemheit aller Arbeiter unabhängig weichet Partei sie angehören und welcher Weltanschauung sie sind«, und die »breitesten Kräfte über das Proletariat Dnaus«, kn ganzen »Neunzehntel des deutschen Volkes«, als Volksfront, somit als Träger einer unblutig konzipierten »Volksrevolution« zum Sturz des nationalsoziaüstischen Regimes mit seiner »provokatorischen Aufrüstungs- und Kriegspoütik« und zur Errichtung der »demokratischen Volksrepubük«. Die >Legitimation< der Losungen entlehnte Ackermann der VII. Weltkongreß-Defkktion des FascDsmus »als terroristische Diktatur der reaktionärsten, imperiaüstischen Teüe der Bourgeoisie«, »emer verschwindend kleinen Minderheit«.51 In Anlehnung an Maßnahmen im repubükamschen Spanien und über das Konzept der »Demokratischen Repubük« in Piecks »Richtlkken«-Entwurf hinaus, in dem leDgüch De Rüstungsindustrie ganz zu nationaüsieren war soüte in der deutschen »demokratischen Volksrepubük« zur Sicherung der Freiheit nunmehr uneingeschränkt De Nationaüsierung »der Großbanken und De Vertkchtung der wirtschaftüchen und poütischen Macht det Junker« vorgenommen werden. Letzteres Deß Dchts Anderes als: Nationaüsierung des Großgrundbesitzes. Forderungen nach »Enteignung der gesamten Industrie« und »soziaüstische Planwktschaftsprogramme« bestempelte Ackermann mdes als »Revisiomsmus, sogar von der schlimmsten Sorte«. Er zielte damit vor aüem auf De SAP, von der er an anderer Steüe seines Artikels sagte, daß sie »immer mehr unter den Einfluß des konterrevolutionären Trotzkismus gerät«; ihr >ScheinraDkaüsmus< sei der »fortgesetzte Versuch«, De »antifascDstischef] Kampffront« zu schwächen. Die Versäummsse der Weimarer Repubük, De Ackermann aufzählte, waren im Negativen, was in Piecks »Richdküen«-Entwurf De »Demokratische Repubük« an Reformen diesen Terminus verwendete De KPD-Führung freDch Dcht leisten soüte. Die Schuldzuweisung für De Versäummsse »einzig und aüem« an De »Sozialdemokratie« zeigt, daß in der »demokratischen Volksrepubük« der Kampf gegen De Sozialdemokratie als unerläßüch angesehen wurde, soüte ein neues Weimar verikndert und der Boden für »die sozialistische Revolution und De Diktatur der Arbeiterklasse« bereitet werden. Diese erst werde wie in der SowjetuDon neuen



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50 Erstes Zitat aus dem KPD-Memo »Volksfront Einheitsfront«, o. U., o. D. [Mitte bis Ende Mai 1937], BA/K R 58/639; zweites Zitat nach A. Ackermann, »Die Volksfront und De demokratische Volksrepubük«, in: Die Internationale, 1937, Nr. 3/4, S. 36-45, Der S. 44. 51 Ackermann (siehe vorige Anm.), Zitate einschüeßüch Hervorhebung S. 40. -

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Die »demokratische

»We

Soziahsierung der gesamten Wirtschaft wie We

Volksrepublik« der

KPD

sozialistische Planwirtschaft«

durchführen.52 Im Klartext bedeutet Wes, daß in der Periode der von einer Volksfrontregierung getragenen s¡demoMatischen Volksrepubhk« die Transformation zur (Einheits-)Parteidiktatur durchgeführt werden sohte. (Den offiziellen Beschluß zur Schaffung der Einheitspartei nahm We KPD erst auf ihrer »Berner« Konferenz vom 30. Januar bis 1. Februar 1939.) Ackermann rekurrierte in seinem Artikel Weht auf den ssVersöhnungs«-Aufruf von Mitte Oktober. Dies tat Pieck sehr wohl in derselben Ausgabe der Internationale. Er wies We Kritiker des Aufrufs zurück. Vor ahem lobte er, daß darin We Mitte gehalten werde zwischen der »Sprache der FascWsten«, in We man »bei der Anknüpfung an We Denkweise der nationalsozialistischen Massen« Weht verfaüen dürfe, und »der uns gewohnten Sprache [..., die] ihnen unverständheh ist«. Er betonte ein sozial bestimmtes Interesse der Kommunisten an nationaler Ge-

schlossenheit.53 Der Propagierung der »demoMatischen Volksrepubhk« und der »Volksrevolution« kann für Deutschland eine Doppelfunktion zugesprochen werden: Einerseits soüte sie oppositioneüe Kräfte auch und gerade in den nationalsozialistischen Reihen gegen We Rüstungs- und Kriegspolitik wecken und durch We Aussicht auf etwas Besseres als We bekämpfte Weimarer Repubük untermauern, andererseits soüte sie jegliche Mögüchkeit zu einem Aufstand der Massen, zu einem gewaltsamen Umsturz unterbinden. Die »Versöhnungs«-Pohtik erforderte, wie Pieck auch recht unumwunden darlegte, die Rücknahme des ideologischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus.54 Zusammenfassend läßt sich sagen: Die »demoMatische Volksrepubhk« der KPD 1937/38 war Weht We »DemoMatie neuen Typs«, wie sie u.a. Togüatti für SpaWen aufgrund des bewaffneten Kampfes bestimmt hatte. Sie war auch Weht völlig kongruent mit der »demoMatischen Repubük«, We Pieck mit den »RichtüWen« proMamiert hatte, wenngleich beide Losungen vielfach synonym verwendet wurden. Die »demoMatische Volksrepublik« war von KPD-Seite Ackermann, Merker, Pieck, Ulbricht der adäquate Terminus für einen Übergangsstaat, der auch und gerade mit nationalsozialistischen Arbeitern, MittelstänWern und Bauern errichtet werden sollte.55 In der Konzeption der »demoMatischen Repubhk« —

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Ebd., Zitate nacheinander S. 44, 39, 37f, 44. Wilhelm Pieck, »Neue Aufgaben der Partei«, in: Die Internationale, 1937, Nr. 3/4, S. 1-15, ZitateS. 11. 54 Siehe den in der vorigen Anm. zitierten Artikel. 55 Merker zeigte Anfang 1938 sichtbar Mühe, Heinrich Mann gegenüber zu erMären, daß die »demokratische Volksdemokratie« als eine rein antifaschistische, demokratische Staatsform einer Volksfrontregierung der »Arbeiterklasse im Bunde mit der Bauernschaft, dem Mittelstand, der Intelügenz etc.«, »Weht im Widerspruch zu ihrem [der KPD ULA] grundsätzüchen Bekenntnis zur proletarischen Diktatur« stehe, vielmehr werde sie die 52 53



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B IV. Korrektive und Alternative

»Versöhnung« und Gemeinschaft mit Nationalsoziaüsten nur latent angeTechmsch gesehen bot der Terminus »demokratische Volksrepubük« eine legt. Alternative zur »Volksgemeinschaft« der Nationalsoziaüsten und zum »Volksstaat«-Gedanken in der SPD. Im Aprü 1935 z.B. hatte Ulbricht dem Poütbüro berichtet, bei sozialdemokratischen Arbeitern im Reich lebe der »Volksstaat« als »verbesserte Auflage von 1918 mit Zwangsmaßnahmen gegen De Bourgeoisie«.56 Sopade-Mitgüed Paul Hertz schrieb im Dezember 1935 nachgedruckt in den Mitteilungen der Deutschen Freiheits-Bibliothek: »Wer heute für Demokratie und Freiheit kämpft, dem schwebt Dcht De Wiederhersteüung des alten Zustandes vor, in dem hinter einer repubükamschen Fassade De Kräfte der Reaktion erstarkten, sondern ein neuer Volksstaat, in dem De Mächte des Fortschritts das politische und ökonomische Geschehen entscheidend bestimmen.«57 Hertz knüpfte an De Denkschrift der Sopade an, die den Unterhändlern des ZK der KPD, Dahlem und Ulbricht, am 23. November 1935 übergeben worden war. Darin hieß es zum Schluß: »Die Sozialdemokratie kämpft für De Befreiung des ganzen deutschen Volkes von der nationalsoziaüstischen Diktatur. Sie will den freien Volksstaat und in ihm eine eiDge, für den Soziaüsmus kämpfende Arbeiterklasse.«58 Der KPD-Konzeption der »demokratischen Volksdemokratie« mit Nationalsoziaüsten war der Kampf gegen De Sozialdemokratie inhärent, wie wk oben gesehen haben. Hier kegt die eigenDche Brisanz der »subversiven Integration«, wie Sywottek De Taktik der KPD im Hinbkck aüein auf das NS-Regime bezeichnet hat.59

waren

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»Klassengegensätze [...] durch energische Maßnahmen in der Richtung der Verwkküchung des Soziaüsmus« überwinden, siehe SAPMO, Ry 1, I 2/3/422, Bl. 49-55: [Merker] an H.

Mann, 21. Februar 1938, As, D Moskau erh. am 8. März 1938. 56 Zitiert nach Vietzke, Brüsseler Konferenz S. 179. 57 Paul Hertz, »Wer smrzt Hider?«, in: Sozialdemokrat, 1935, 25. Dezember, und in: MDFB, 1936, Nr. 9, 10. Januar, S. 5—8, Zitat S. 7; zu weiteren (auszugsweisen) Veröffentüchungen, u. a. m Neue Volkszeitung, New York, vgl. Langkau-Alex, »>Es gut De Menschen zu verändern ...reaktionär« und im Bauernstand, We Hitler ja an die Macht gebracht hätten, keine Kräfte »für den Sturz des Hitlerregimes oder gar für die Neugestaltung Deutschlands«, doch wohte er WanWungen in Wesen Kreisen Weht ausschheßen. Die Prämisse zur Lösung des Problems, wie (Teile der) Stadt- und Landbevölkerung dennoch gewonnen werden könnten, sah er einzig in der ssVerbrüderung der verscWedenen Parteien der Arbeiterbewegung« und dazu gehörte für ihn nicht die NSDAP. Diese in sich einige Einheitsfront sei das »Kernstück einer jeden antifascWstischen Sammlung«, einer Volksfront. Erforderüch sei des weiteren ein »fortschritWches Einheitsprogramm, das in [den] noch immer bürgerheh gesinnten Menschen den Glauben an We Möghchkeit der ehrlichen Zusammenarbeit mit der Arbeiterschaft weckt«. In der Redaktionskommission zur Osterkonferenz-ssBotschaft an das deutsche Volk« votierte Bernhard mit den anderen Nichtkommumsten gegen Ulbricht: ssNa Mar für Soziaüsmus, was denn sonst«.61 Seine Vorsteüungen über Soziaüsmus im künftigen deutschen Staat brachte Bernhard Ende 1937 in das Programm des Bundes freiheiWcher Soziahsten ein, das der vom hnken Flügel der SPD herkommende, sich nunmehr als ssVolksfront« verstehende Soziologe und Phüosoph Siegfried Marck Anfang 1938 unter dem Titel Freiheitlicher Sozialismus zusammenfaßte.62 Der »freiheiWche Soziahsmus« —

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Zitate und Paraphrasen, auch We im nächsten AbschWtt, aus dem Abdruck der Osterkonferenz-Rede von Georg Bernhard, in: PTZ, 1937, 11. Aprü, S. 1. 61 Zitat G Bernhard nach [Kirchner], »Bericht über die VF-Konferenz ...«, S. 5; vgl. oben, S. 587. 62 Siehe oben, S. 432ff. und bes. Anm. 7; im folgenden greife ich auf meine dort zitierte im zuräck. Lieb S. 137ff., ...«, Darsteüung Artikel »Fritz 60

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definiert als »De spezifische Form des ntiütanten HumaDsmus«. Der Begriff des ökonomischen »Soziaüsmus« wurde nach eingehenden Diskussionen während und nach der Gründungstagung des Bundes vom klassischen ökonomischen Liberaüsmus ebenso wie vom »Marxismus« kommuDstisch-bolschewistischer, sozialdemokratisch-reformistischer und neo-soziaüstischer Ausprägung eines Hendrik de Man abgegrenzt. Die »Prognose vom Niedergang des Kapitaüsmus« büeb jedoch als »richtig« anerkannt. »Soziaüsmus« wurde definiert als »diejenige geseüschaftüche Organisation der menschüchen Arbeit, die mögüchst rationeü und unter bedachtsamer Schonung des kostbarsten wktschaftüchen Gutes der menschüchen Arbeitskraft mögüchst viel Produkte üefert, m deren Genuß mögüchst viel Menschen treten können.« Dazu bedürfe es einer Wktschaftsrevolution, De mcht »der vorherigen Festlegung auf irgendeine SoziaüsierungstechDk« folge, vielmehr den jeweiügen örtlichen poütischen, ökonomischen und sozialen Gegebenheiten und Entwicklungen Rechnung trage. Angesichts der dem Kriege zustrebenden Wktschaftspoütik unter der NS-Diktatur emerseits und des »Koüektivismus«, dessen Probleme in der Innenpoütik der SowjetuDon sichtbar würden, andererseits, entwarfen De Protagomsten des Bundes freiheiDcher Soziaüsten eine flexible, gemischte Wktschaftsordnung. Im Bereich der Großunternehmen und Großprojekte sollte sie drei >Prinzipien< miteinander in Einklang bringen: Schutz des Privateigentums an den Produktionsmitteln und Schutz des Profits, solange dieser ledigüch das Unternehmer-Risiko, um eine konkurrierende Marktwirtschaft im Interesse des nationalen »Gemeinwohl[s]