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German Pages 53 [56] Year 1961
D E U T S C H - J A P A N I S C H E STUDIEN • HEFT 2
Deutsch -Japanische Studien Herausgegeben von der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Nordwestdeutschland e.V. Heft 2
C R A M • D E G R U Y T E R & CO • H A M B U R G
© Copyright 1961 by Cram, de G r u y t e r 8c Co., H a m b u r g * A l l e Rechte, einschließlich der Obersetzung in fremde Sprachen, W i e d e r g a b e in R u n d f u n k und Fernsehen und Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen vorbehalten • G e s a m t h e r s t e l l u n g : Poesdiel & Schulz-Schomburgk, Esdiwege • P r i n t e d in G e r m a n y
INHALTSÜBERSICHT Der Spielgedanke in den Religionen des Fernen Ostens und im Christentum Von D. Dr. Werner Schultz - Seite 7 -
Die gegenwärtige Lage der japanischen Wirtschaft Von Dr. Kenichi Masui - Seite 1 9 -
Die politische Bedeutung des Shinto in der Neuzeit Von Dr. phil. Georg Kerst - Seite 33 -
Der Druck dieser Veröffentlichung wurde durch wertvolle Zuschüsse u. a. von den folgenden Seiten ermöglicht: JAPANISCHES GENERALKONSULAT GENERALKONSUL SUSUMU N A K A G A W A INDUSTRIE- UND H A N D E L S K A M M E R K I E L J A P A N A I R LINES, H A M B U R G COMMERZBANK A G , K I E L J A P A N T R A D E CENTRE, H A M B U R G K I E L E R NACHRICHTEN G . M. B. H .
Allen diesen Förderern unserer gemeinnützigen und ausschließlich öffentlichen Interessen dienenden Arbeiten sei herzlichst gedankt.
DER S P I E L G E D A N K E IN DEN R E L I G I O N E N DES F E R N E N OSTENS UND IM C H R I S T E N T U M D. Dr. Werner
Schultz
Die nachfolgende Untersuchung ist ein Versuch, durch den Gedanken des Spiels, wie H u i z i n g a ihn in seinem Werk: Homo ludens, Vom Ursprung der Kultur im Spiel, 1956, entwickelt hat, Teile der Religionsgeschichte zu durchleuchten. Dazu bedarf es zunächst einiger grundsätzlicher Bemerkungen über das Wesen des Spiels und des Spielraums überhaupt. Der Gegensatz zum Spielraum ist ohne Frage der Arbeitsraum. Er ist gekennzeichnet durch die Richtung auf Zweck, Nutzen, Macht, Gewinn sinnlicher oder geistiger Werte. Jede Arbeit will etwas erarbeiten. Sie will ein Ziel erwirken. Sie will einen Lohn. Der Bereich, der keinem Raum angehört, der Raum, in dem er alltäglich lebt, will etwas sich dienstbar machen und befindet sich in der Situation des Angriffs, um das, woran er arbeitet, zu besitzen. So gehört auch die wissenschaftliche Arbeit in der Gegenwart diesem Raum an. W a r die Wissenschaft in der Antike rein sachlich ausgerichtet, ohne zu fragen, was dabei herauskommt, so gewinnt sie in ihrer weiteren Entwicklung immer mehr die Haltung eines Übermächtigen, das keine Grenzen kennt. Besonders durch die Neuorientierung des wissenschaftlichen Denkens im 16. Jahrhundert wird die Wissenschaft in der Hand des Menschen immer mehr zu einem Instrument der Welteroberung. Sie wird in steigender Aufwärtsbewegung in den Dienst wirtschaftlicher und politischer Ziele gestellt. Der Höhepunkt der ganzen Entwicklung dürfte in dem marxistischen Wissenschaftsbegriff liegen, der die Macht der wissenschaftlichen Vernunft zu einem letzten Absoluten steigert mit dem Ziel der Weltunterwerfung. Man kann die Beobachtung machen, daß dieser Arbeitsraum auch in den Bereich der Religion hereinbricht und sie dann ihrem eigentlichen Wesen, der puren Begegnung mit dem Heiligen, entfremdet. Uberall, wo Religion zur Magie wird, wo das Heilige zu einem Mittel deklassiert wird, um ein Ziel zu erreichen, wo man betet, damit eine persönliche Bitte erfüllt wird, wo der Glaube in eine Lohn- und Strafordnung eingeordnet wird, wo Religion abgleitet in Aberglauben und menschliche Lenkung geheimnisvoller Mächte, wo überhaupt in irgendeiner Form im religiösen Bereich Macht erstrebt wird, liegt das Faktum des Einbruchs des Arbeitsraums in ein Gebiet vor, das ihm wesentlich fremd ist. Denn der eigentliche Raum der Religion ist der Spielraum. Auf seine Wesenszüge sei einleitend noch hingewiesen. 7
I. Schiller sagte einmal »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.« Dieses bedeutungsvolle Wort steht in dem 15. Brief über die »Ästhetische Erziehung des Menschen«. Man kann dieses Wort mit einem Wort Goethes vergleichen, das er an Riemer in einem Gespräch aus dem Jahre 1807 geäußert hat. Goethe sagte »Nur nichts aus Profession getrieben. Das ist mir zuwider. Ich will alles, was ich kann, spielend treiben. So habe ich in meiner Jugend gespielt unbewußt; so will ichs bewußt fortsetzen durch mein übriges Leben. Nützlicher Nutzen, das ist Eure Sache.« Das Wort Schillers umreißt besonders deutlich die ganze Problematik. Es ergibt sich folgendes: Schiller ist der Meinung, daß der Mensch eine Eigentlichkeit im Bereich der Kunst findet, nicht als moralisches Wesen und nicht, wie Kant es ausgeführt hat, im Gegenüber zu dem moralischen Gesetz. Nach Schiller kommt es auf das Gleichgewicht von Stoff- und Formtrieb an, auf die Ausbalanzierung also der sinnlichen und der vernünftigen Kräfte im menschlichen Sein. Schiller geht davon aus, daß der Mensch aus zwei Teilen besteht, aus Vernunft und Sinnlichkeit. Diese Zweiteilung wird für den Menschen zu einem Kampf. Es kommt nun darauf an, diese doppelte Schichtung, diese an sich entgegengesetzten Kräfte, die im Menschen selbst liegen, zu einem Gleichgewicht zu gestalten. Schiller bemerkt dazu, daß kein Mensch zu einer letzten Verwirklichung dieses Gleichgewichtes kommt. Von hier aus die Grundzüge des Spielraumes betrachtet, ergeben sich folgende Merkmale. Sie dürften für die Betrachtung unseres Themas entscheidend sein. Bei dem Gedanken des Spieles scheidet jeder Nutzen aus, es ist eine Tätigkeit, die aus Freude an dieser selbst geschieht, es fehlt jede Richtung auf Zweckhaftigkeit, vor allem auf Sicherheit. W e r spielt, geht ein Wagnis ein. Freilich kommt es immer darauf an, ein Gleichgewicht gegensätzlicher Kräfte herzustellen. Entscheidend ist es aber dann beim Spiel, daß der Spielende freikommt von sich selbst. Es sei sodann ein Gedanke unterstrichen, den H u i z i n g a vielleicht zu wenig beachtet hat: Es gibt Stufen des Spiels. Die untersten Stufen des Kartenspiels oder anderer Spielarten müssen von den höchsten Stufen des Spieles scharf getrennt werden. Diese höchsten Stufen des Spiels stellen sich in der Kunst und in der Religion dar. Die Stufung dieser Spielarten erfolgt von der Richtung aus, wie weit der Spielende von sich selbst frei wird. Der Mensch, der mit vollem Ernst beim Spiel ist, denn der Ernst ist dem Spiel keineswegs entgegengesetzt, weiß nicht mehr um sich selbst. Dieser Mensch ist von sich selbst frei geworden. Jedenfalls bringt er nicht mehr die Werte des Nutzens, der Zweckhaftigkeit an die Dinge seines Tuns heran. Er spielt nur. Dazu kommt ein anderer Gedanke, der hiermit eng verbunden ist: in jedem Spiel erfolgt das, was eine »Ent8
schwerung des Wirklichen« genannt werden könnte. Die Wirklichkeit wird entschwert, sie wird leicht für den, der spielen gelernt hat. Im religiösen Raum redet man von einem heiligen Leichtsinn. Wer spielend an die Dinge dieser Welt herantritt, dem wird jede Gegensätzlichkeit und jedes Negativum leicht. Er wird wieder wie ein Kind, wie H u i z i n g a mit Recht gesagt hat, daß die Menschen nur als Kinder eigentlich spielen können. Und darauf kommt es an, dieses wie Kinder spielen zu können, dieses Spielen wieder zum Klingen zu bringen. Der moderne Mensch ist weitgehend nur von dem Arbeitsgesichtspunkt aus bestimmt, vom Nutzen her ausgerichtet. Er sieht immer nur den Zweck, sieht sich nur selbst. Er müßte aber wieder von sich selbst frei werden, er müßte wieder feiern können. Es kommt darauf an, wieder eine Lage für ihn zu schaffen, wo er frei von sich selbst das Leben wie ein Spiel nimmt und sich selbst, religiös betrachtet, als ein Spielzeug Gottes empfindet. II. Es soll im Folgenden versucht werden, von diesem Thema des vorstehend entwickelten Spielgedankens aus, Teile der Religionsgeschichte zu durchleuchten. Es ergibt sich zunächst einleitend der große Gegensatz des geistigen Antlitzes des Westens und des Ostens. Auch hier können nur einige Grundzüge hervorgehoben werden. Wenn man das geistige Antlitz des Westens betrachtet, dann muß man sagen, daß dieses Antlitz weithin stärker von Wissenschaft, von Arbeit und von Zweckgebundenheit und in der Jetztzeit von der Technik bestimmt ist. Bekanntlich hat der Westen die Wissenschaft erfunden. Dadurch ist das Antlitz des Westens weitgehend stärker auf Beherrschung der Welt, der Natur usw. ausgerichtet als das Antlitz des Ostens. Als Vergleich möge das Verhältnis des Westens und des Ostens zur Natur dienen. Im Westen immer der Versuch der N a t u r - B e h e r r s c h u n g . Er gipfelt in der technischen Beherrschung der Welt. Im Osten hingegen lebt von vornherein nur Anbetung, intuitive Betrachtung. Im Westen, möchte man sagen, ist vorwiegend Angriff. Dies prägt sich in der ganzen Haltung des Erkennens, des Wollens, des Fühlens aus. Mit diesem Angriff sind aber unlöslich die Gefühlszustände wie Unruhe, Hast und Verstärkung des Ich-Gefühls verbunden. Im Osten fehlt diese Haltung des Angriffs. An seiner Stelle findet sich die Haltung der Hingabe. Daraus ergibt sich aber eine ungeheure Ruhe, ein tiefer Ausgleich, eine große Sicherheit und ein Streben nach Harmonie. Diese Unterschiede sollen nur als Einleitung zu dem Thema dienen. In Indien ist einleitend darauf hinzuweisen, daß die größte Gottheit des Hinduismus Shiwa ist. Dieser Gott Shiwa war der König der Tänzer und wird auch heute noch als göttlicher Tänzer in vielen Teilen Indiens verehrt. 9
Nun aber ist der Tanz eines der Grundelemente des Spiels. Er erscheint bereits im Anfang der Religionsgeschichte als heiliger Tanz. Noch heute wird hie und da, selbst in den Hochreligionen, bei feierlichen Anlässen getanzt. W i r haben hier somit einen Einbruch des Spielgedankens in den religiösen Bereich. Die indische Kunst stellt diesen Gott Shiwa dar, wie er einen Fuß auf den Leib des Urdämons setzt und den andern mit unvergleichlicher Grazie tanzend emporhebt. Dazu schlägt eine der Hände dieses vielarmigen Gottes eine kleine Trommel. Und nun das Eigentümliche an dieser religiösen Auffassung: sowie der Gott zu tanzen beginnt, nimmt die Erde allmählich Gestalt an und Shiwa tanzt, bis die Welt vollendet ist. Das eigentliche Faktum, was hier bezeichnend ist, ist, daß nicht von einer Schöpfung der Welt die Rede ist, sondern daß hier geschildert wird, wie, gleichsam im Spiel, im Spiel des Tanzes, die Welt entsteht. Der gleiche Gedanke ist in der Mystik Laotses aufweisbar. Nach Laotse wird der Grund alles Seins, das Tao - ein eigentlich unübersetzbares W o r t als Flötenspieler dargestellt. Die ganze Gegensätzlichkeit, in der sich für den chinesischen Geist die Welt aufspaltet, ist nichts weiter als die Melodie des großen Flötenspielers, Tao. Diese ganze Gegensätzlichkeit: Yang und Ying - männlich, weiblich, Himmel, Erde usw., - ist nur Melodie. Von hier aus kann die ganze Mystik Laotses durchleuchtet, darauf hingewiesen werden, daß in dieser Mystik die Grundgedanken dessen, was Spielraum heißt, in dem Tao - te - king L a o t s e s auf jeder Seite leben, für den, der das Tastgefühl dafür hat. Diese Grundgedanken bedeuten ja, daß der Mensch aus der Alltäglichkeit des Seins mit seinem Nutzen und seinem Zweck völlig heraustritt. Laotses großer Gegensatz zum Erkennen, zum moralischen Verhalten, seine Betonung der Wichtigkeit des Kindseins für den Menschen, sein immer erneut vorgebrachter Hinweis auf Selbstentäußerung, Selbstvergessenheit, sein Hinweis darauf, daß der Mensch dann am tätigsten ist, wenn er am untätigsten ist, wenn er spielt - das alles sind Zeichen des Spiels. Offensichtlich weist Laotse in diese Linie, wie sie von Huizinga aufgezeichnet worden ist. Als ein Beispiel dieses Einflusses mag T s c h u a n g - t s e angeführt werden. Tschuang-tse gilt als einer der größten Schüler Laotses. Von ihm sind die wichtigsten Gedanken überliefert worden. Er war der Meinung, daß alle Formen des Lebens, die ganze Gegensätzlichkeit, die ganze Relativität der Gegensätze, in denen die Menschen hier leben, nichts anderes als ein Traum sei, ein Schattenspiel. Es sei an dieser Stelle auf das berühmte Gleichnis vom Schmetterlingstraum aufmerksam gemacht. Nach der Überlieferung heißt es da: »Einmal träumt ich, ich sei ein Schmetterling, ein flüchtiger Falter, der sich freute und seine Freude fühlte. Und ich wußte nicht, daß ich Tschuang-tse sei. Da wachte ich auf und war wieder ich selbst, Tschuang-tse, wie er leibt und lebt. Aber ich wußte nicht, hat Tschuang-tse nun geträumt, er sei ein Schmetterling oder träumt jetzt ein Schmetterling, 10
er sei Tschuang-tse.« An der ganzen Formulierung zeigt sich, wie die Begriffe von Wirklichkeit sich verschoben haben, wie hier das Typische des Spielraums besonders in die Erscheinung tritt, die Entschwerung, das, was die Entschwerung des Wirklichen genannt wurde. Man unterscheidet nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit. Das ganze Leben löst sich in einen Traum auf. Man weiß nicht, ob man Schmetterling war oder dieser Mensch. Diese »Entschwerung des Wirklichen« hängt damit zusammen, daß diese Menschen in dem ganzen Raum des Taoismus ihren Grund darin haben, was sie Tao nennen. Tao ist vielleicht mit Mutter oder Heimat im deutschen Sinne zu übersetzen. Weil die Menschen ihren Grund in diesem Tao haben, darum löst sich die ganze Herbheit des Wirklichen in einem Traum auf. Die alte Volksreligion Japans ist der Shintoismus. An dieser Religion, nur von außen betrachtet, fällt auf, daß das Märchen und nicht eigentlich der Mythos, eine Mythologie, den Mittelpunkt und den Ursprung dieser Religion bildet. Dies ist für den Shintoismus von besonderer Bedeutung, vor allem deshalb, weil es eigentlich gar nicht zu dem bekannten, mehr rationell ausgerichteten japanischen Geist paßt. Märchen aber bedeuten doch Verzauberung der Wirklichkeit. Es ist die Verwandlung des Wirklichen aus dem Alltäglichen in einem überalltäglichen Sinne. Dazu kommt ein anderes in dieser Religion: Der durchaus heitere Charakter des Kultes dieser Religion. In seinem Mittelpunkt steht die Musik und der Tanz, »Kagura« der heilige Tanz. Man hat mit Recht diesen Kult den »Kult der Freude« genannt. Freude ist immer etwas, was mit Spiel verbunden ist, worauf H u i z i n g a durchaus zutreffend aufmerksam macht. Die Grundstimmung jedes Spieles ist die Freude, und dies ist auch die Grundstimmung des Kultes des Shintoismus. Bei den Feierlichkeiten in den Schreinen wirken Tänzerinnen mit, bei den Festen werden Pantomimen vorgeführt. Diese Pantomimen werden auf einer Bühne dargestellt und durch Scenen aus dem religiösen Bereich des Shintoismus belebt und konkretisiert. Ein anderes besonderes Kennzeichen japanischer Religiosität ist j a bekanntlich d a s j a p a n i s c h e R i t t e r t u m . Dieses Rittertum, das in seiner Urgestalt zurückgeht auf den Shinto, auf den Taoismus und zum Teil auch auf den Buddhismus, ist das Spiel des Ritters mit dem Tod im Schwertkampf mit dem Ziel der geistigen Ruhe und Unerschütterlichkeit, das, was man eine »Mystik des Kampfes« genannt hat. Es dürfte ein Spiel sein, das den eigenen Lebensrhythmus mit dem Rhythmus des kosmischen Lebens in Harmonie zu bringen versuchte und dadurch gleichzeitig eine Welt der Ichlosigkeit zu erzeugen sich bemühte. K i t a y a m a stellt diese Haltung sehr gut in seinem wertvollen Buche »West-Östliche Begegnungen« dar. Der Sieg, der aus diesem Kampfe erfolgte, gründete in einer Ureinheit zwischen himmlischen und irdischen Kräften. Das höchste Können der alten japanischen Fechtkunst liegt im Spiel mit Leben und Tod. Dies ist ein Phänomen, das 11
sein Analogon in dem griechischen Wettkampf haben könnte, über den H u i z i n g a ausführlich in seinem bereits erwähnten Buch berichtet. Weitere Erscheinungsformen des Spielgedankens in der religiösen Welt Japans erscheinen im Zen-Buddhismus. Auch diese Form des Buddhismus, die als Neugestaltung des eigentlichen Ur-Buddhismus angesprochen wird, hat eine Beziehung zum Spiel. Der Zen-Buddhismus beruht auf einer Kontemplation und Konzentration des Geistes, auf einer Übung mit dem Ziel zur Freiheit, zur Ruhe und zur Zufriedenheit. Im Erleben des Zen, im sogenannten S a t o r i , wird die Erleuchtung gewonnen. Das Ich soll in seiner Wurzel mit dem Grund des Seins identisch sein. Hat man das Satori erreicht, wird das Leben gleich einem Spiel (Seami 1363-1443). Im Ernst und in der Selbstverständlichkeit des Spiels besteht dann die höchste Lebensform, wodurch der Tod entschwert und für diese Menschen vollkommen aus den Gefühlen der Angst herausgenommen wird. Diese Auslösung des großen, in Worten nicht auszudrückenden Erlebnisses befreit von allem Leid der vergänglichen Wandelwelt. Dadurch tritt eine völlige Umwandlung der ichbestimmten Persönlichkeit ein, so daß sie jetzt Meisterschaft über sich selbst und die vollkommene Harmonie mit dem Weltengrunde erreicht. Dadurch gewinnt sie die bewunderungswerte Form ihres Sterbens. Im Letzten greift diese Denkweise auf den Spielgedanken zurück. Damit verbindet sich eine andere Form des Buddhismus, der berühmte Amida-Buddhismus. Er geht auf die Gestalt des Amida als der Personifizierung des Urbuddha zurück. Der Amida-Buddhismus versucht den Gegensatz zwischen Gott und Mensch dadurch aufzuheben, daß er auf die Bedeutung des kindlichen Vertrauens im Menschen zu Gott zurückgreift. Diese Form des Buddhismus hat eine so große Ähnlichkeit mit der protestantischen Gläubigkeit, daß viele sie beide in Eins sehen möchten. Dies ist aber falsch. Immerhin müssen wir uns sehr wundern, daß hier, im japanischen Bereich des Buddhismus, zum Ausdruck gebracht wird, daß nur das kindliche Vertrauen zu dem Amida die Menschen aus der Vergänglichkeit und dem Sterben dieser Welt herausnimmt. Kindliches Vertrauen allein, keine Werke, keine Arbeit, ebensowenig wie im Zen-Buddhismus stehen im Mittelpunkt der Lehre. Nicht die Richtung auf irgendeinen Nutzen, auf das Ziel, irgendetwas erreichen zu wollen, steht hier im Zentrum, sondern nur das einfache Vertrauen. L u t h e r sagt »sola fide«. Allerdings ist das anders als im AmidaBuddhismus gemeint, aber es liegt ein Analogon vor von großer Bedeutung. Abschließend wird noch auf eine Gestalt der japanischen Literaturgeschichte hingewiesen, auf die Gestalt des großen Lyrikers und Mystikers Matsuo Basho, der in den Jahren 1643-1694 gelebt hat. Man hat gesagt, daß dieser Dichter und Mystiker unverfälscht die Erlebniswelt Ostasiens verkörpert. Er unterscheidet in der Welt Sein und Schein und sagt: »Warum sollen wir nicht nach dem Schein der Heiligen spielend leben?« Er betont 12
mit aller Energie die Spielfreude am Schein wie dies auch bei Nietzsche zu finden ist. »Nur der, der die ganze Welt als Schein betrachten könnte, wäre imstande, sie begierden- und trieblos anzusehen, als Künstler und Philosoph«, so hat Basho hervorgehoben. »Daß im Grunde alle Wirklichkeit nur Schein ist.« Er sagt »Wer das Sein spielend liebt, leidet nicht am Schein.« Die Grundzüge dieser Spielhaltung des Ostens zusammengefaßt, ergeben drei Sätze. Die Spielhaltung im Osten, wie sie nur in sehr großen Zügen dargelegt werden konnte, geht davon aus, daß der Mensch die Spielhaltung nur erreichen kann durch ein Höchstmaß von Selbstdisziplin. Das liegt allen Formulierungen im östlichen Raum zugrunde. In der Religionsgeschichte heißt dies Selbsterlösung. Die Menschen dieses Raumes sind der Meinung, daß sie durch eigene Zucht und Disziplin sich in die Haltung des Spieles versetzen können. Zweitens: die Haltung des Spieles wird erreicht, indem der Spielende ganz hineintritt in das Eine durch Kontemplation, durch Meditation, durch Intuition, Innenschau und Besinnlichkeit. Drittens: die Spielhaltung äußert sich in einer Welt überlegener Gelassenheit, in einer Heiterkeit, besser vielleicht in einer Gleichgültigkeit, in einer unentwegten Ruhe, die aber keineswegs nur kontemplativ zu sein braucht, sondern ebenso, wie z. B. in Japan, durchaus wirklichkeitsgebunden sein kann. III. Zum zweiten Teil der Ausführungen, im Spielgedanken im Räume des Westens, und zwar hier besonders im Räume des Christentums, wird ein Satz vorausgeschickt, der richtungsgebend ist. Dieser Satz lautet: »Die Höhe des Spiels wird bestimmt von der Inhaltlichkeit des Spiels.« Je größer die Spannung der Gegensätze dieser Inhaltlichkeit ist und damit das Wagnis, das Risiko des Spielenden, und je mehr dem Spielenden mit dem Spiel Freiheit gegeben wird, diese Spannung zu überwinden, um so reiner ist der Spielcharakter. Im Westen können drei grundlegende Spielformen unterschieden werden. Die erste ist die Spielform, die im antiken Raum des griechischen Denkens in die Erscheinung tritt. Aus diesem Raum seien zunächst einige Beispiele gegeben. Der Philosoph H e r a k l i t hat gesagt: »Also ist der bloße Ernst in dem Sinne untugendlich, als er das Spielen gänzlich verachtet.« Er sagt weiter: »Der Äon ist ein spielendes Kind, Brettsteine schiebend«, »Königsherrschaft des Kindes«, nennt diese Haltung ein Fragment, das von dem Kirchenvater H i p p o l y t h überliefert ist, nach Ellinghaus, (994). Der Philosoph P l a t o sah in dem Spiel eine heilige Handlung. Von seinen zahlreichen Äußerungen in seinen philosophischen Dialogen sei hier nur eine Äußerung aus dem Werk »Die Gesetze« 7. Kapitel (803) erwähnt, wo es heißt: »Man muß Ernst machen mit dem Ernsten, und es ist Gott, der alles 13
seligen Ernstes wert ist. Der Mensch aber ist dazu gemacht, ein Spielzeug Gottes zu sein. Und das ist wirklich das Beste an ihm. So muß denn jeder, ein Mann so gut wie eine Frau dieser Weise folgend und die schönsten Spiele spielend das Leben leben, gerade umgekehrt als jetzt« bemerkt Plato schon zu seiner Zeit. Daß A r i s t o t e l e s oft über das Spiel gesprochen hat, würde ein kurzer Einblick in die Nikomachische Ethik, eines seiner größten Werke, unmittelbar vermitteln. Ein kurzer Satz aus diesem Werk lautet: »Erholende Ruhe und heiteres Spiel scheint für das Leben notwendig zu sein.« Die Betonung des Wertes der Muße - griechisch scolae — für den Menschen, das ist ein Gedanke, den er immer wieder neu hervorgehoben hat. Unter den zahlreichen Äußerungen anderer Philosophen sei nur noch ein Wort des großen Vertreters des Neuplatonismus, P l o t i n , hervorgehoben. Er hat gesagt: »Alles ist nur Umstellen der Kulisse, Wechsel der Szene, geschauspielerte Tränen und Wehklagen. Alles ist hier wie auf einer Schaubühne und der Tod ist nur das Umstellen der Kulisse.« Dieses Material, das uns in den mannigfaltigsten Erscheinungen im griechischen Raum vor Augen tritt, überprüft, ergibt, daß die Inhaltlichkeit dieses Spiels auf die Schichtung von Wesen und Erscheinung beim Menschen zurückgeht. Dieser Gegensatz, wie der Grieche den Menschen sah, von Wesen und Erscheinung oder von Vernunft und Sinnlichkeit, ist ein relativer Gegensatz. Der Gegensatz, das ist das Ziel dieses Spiels, wie bei Schiller und bei Goethe, muß überwunden werden und wird überwunden, weil der Mensch selbst ein Teil des göttlichen Ganzen ist. Dieses göttliche Ganze ist bestimmt von Wohlgestaltigkeit, von Ebenmäßigkeit und von Wohlgefügtheit, alles Ausdrücke, die darauf hinweisen sollen, wie wir im Spiel die relative Gegensätzlichkeit überwinden. Das Ziel im griechischen Raum ist es immer: die Harmonie herzustellen. Diese Harmonie kann hergestellt werden vom Menschen, weil der Mensch selbst ein Teil des göttlichen Ganzen ist, und dieses göttliche Ganze der Kosmos, eben die große Harmonie selbst ist. Er stellt ein harmonisches Spiel dar, worauf besonders die Philosophie der P y t h a g o r ä e r hingewiesen hat. Die ganze Weltbewegung ist nichts weiter als eine große gewaltige Musik, ein Spiel, das Ganze des menschlichen Lebens ein heiliger Wettkampf, dessen Ausgang von vornherein gesichert ist. Der Gewinn dieses Spiels ist wie bei den Wettkämpfen der Mysterienspiele nie ein äußerlicher Gewinn, nicht irgendein Rekord, sondern der Gewinn des Spieles ist die Lebenshaltung der Leichtigkeit, der Heiterkeit, der Weisheit, der Besonnenheit. Diese Linie des griechischen Spiels setzt sich fort und gewinnt im Abendland ihren Höhepunkt in der Philosophie H e g e l s , die man geradezu eine Philosophie des Spiels nennen darf - das W o r t Spiel kommt in den Werken Hegels immer wieder vor - und zuletzt bei N i e t z s c h e , worauf besonders 14
Carl J a s p e r s in seinem Werk über Nietzsche hingewiesen hat. Der griechische Spielgedanke durchzieht das ganze Abendland. Es gilt bei diesem Spielgedanken den Ausgleich herzustellen von Sinnlichkeit und Vernunft, diese spielende Leichtigkeit zwischen diesen beiden sonst immer den Menschen zerreißenden Mächten. Das ist griechische Spielhaltung, die von der besonderen Inhaltlichkeit her bestimmt ist. An diese griechische Spielhaltung schließt sich die katholische Spielhaltung unmittelbar an. Diese katholische Spielhaltung ist von H u g o R a h n e r in seiner kleinen Schrift »Der spielende Mensch« vorzüglich dargestellt worden, vorzüglich in seiner Klarheit und zugleich in seiner Fundierung. Rahner bringt sehr viel Material aus der abendländischen Geistesgeschichte. Auf diese Zusammenhänge sei in großen Zügen hingewiesen. Die ganze katholische Thematik steht unter dem Wort der analogia entis. Das bedeutet, daß die katholische Anthropologie den Menschen nach Analogie zu Gott sieht. Es ist festzustellen, daß überall - und auch Rahner tut dies - , wo dieser katholische Gedanke lebt, unmittelbar die antike Konzeption übernommen wird. Dies wird besonders an dem Werk des noch heute gültigen katholischen Dogmatikers T h o m a s v o n A q u i n deutlich. Er schließt in seiner »Summa« unmittelbar an den Spielgedanken bei Aristoteles und Plato an. Er strebt danach, die Lehre des Aristoteles mit der katholischen Lehre zu verschmelzen. Dieser katholische Spielgedanke ist somit nicht etwas spezifisch Neues. Das Neue in seiner Spielauffassung ist nur, daß in dem diesen ganzen Gedankengängen zugrundeliegenden Sein der Gedanke der göttlichen Gnade mit aufgenommen worden ist. Deshalb redet der katholische Mensch vom begnadeten Sein. Dies ist ein den Griechen fremder Gedanke. Das ist ein besonderer Akzent. Er ändert aber nicht den griechischen Spielgedanken von Grund auf. Im Gegenteil! W i e G u a r d i n i es in seinen Ausführungen über Liturgie immer wieder zum Ausdruck bringt, ist auch bei dem katholischen Spielgedanken der Ausgleich der gegensätzlichen Kräfte im Menschen - Vernunft und Sinnlichkeit - das Entscheidende. Sich als Spielpartner Gottes wissen und das Leben in Heiterkeit, Besonnenheit, Ruhe usw. nehmen. Man darf wohl mit einigem Recht sagen, daß diese Grundhaltung der des griechischen Menschen konform ist. Diese Spielhaltung, die sich nur von der antiken akzenthaft unterscheidet, findet sich sogar im protestantischen Raum. Sie findet sich bei dem bedeutendsten Theologen des vorigen Jahrhunderts, bei S c h l e i e r m a c h e r . Er kehrte in seinen Schriften immer wieder den Gedanken des Spieles neu heraus. Auch er bleibt in der antiken Gegensätzlichkeit, in der relativen Gegensätzlichkeit von Vernunft und Sinnlichkeit. Die gleiche Haltung ist auch bei K a r l B a r t h festzustellen. Sie kommt in seinem neuesten Werk der großen umfangreichen Dogmatik treffend zum Ausdruck. An diesen beiden Beispielen ist zu sehen, daß der Gedanke des Spieles von der Antike her über den ka15
tholisdien Raum auch in den protestantischen einbricht. Schleiermacher war sich stets seiner Gegensätzlichkeit zum katholischen Wesen bewußt. Aber mag dem so sein, er übernahm diesen Gedanken. Die Ausführungen über die katholische Haltung zum Spielgedanken sind mit einem W o r t des katholischen Denkers P e t e r L i p p e r t abzuschließen. Über das Thema »Was wollen wir heute spielen?« schrieb er sehr anziehend in den »Stimmen der Zeit« Jahrgang 1936. Er sagte: »Selbst der törichste Zwang endet irgendwo in Freiheit. Sinnloses Tun ist wie ein Brückenbogen, über den wir gehen. Darum nehmen wir all das frei und lässig in unsere Hände. W i r nehmen es nicht schwerer als ein Spiel, das man eben spielt - bis die Zeit vorüber ist. Aber auch nicht gleichgültiger als ein Spiel, mit dem ein Kind seinen T a g ausfüllt, ernst und hingegeben, aber stets bereit, es liegen zu lassen, wenn die rufende Stimme aus dem Hause klingt und ihm sagt - nun komm!« Im völligen Gegensatz zu dieser katholischen Haltung steht die protestantische Haltung des Spiels. Sie zeigt sich vor allem im lutherischen Raum. Auch bei L u t h e r spielt der Gedanke des Spiels eine große Rolle. Luther brachte dies mehrfach zum Ausdruck. So sagt er, daß Gott mit den Menschen sein Spiel treibt. In seinen geschichtsphilosophischen Betrachtungen faßt er die Geschichte als einen Mummenschanz, ein Kasperletheater, das Gott mit den Menschen spielt. Aber bei näherem Zusehen und wenn dabei von dem leitenden Gedanken ausgegangen wird, daß die Inhaltlichkeit die Form des Spieles bestimmt, dann ist zu sagen, daß bei Luther eine ganz besondere Form des Spiels vorliegt. Im lutherischen Raum wird der Mensch nicht als ein Teil des Göttlichen gesehen, nicht wie ein Analogon des Göttlichen wie im antiken-katholischen Raum, sondern ganz anders. Der Gegensatz zwischen Mensch und Gott wird in seine letzte Tiefe hineingeführt. Luther betrachtet den Menschen als unter dem Verhängnis des Sünders, der der heiligen Güte Gottes gegenübersteht. Der Satz, daß Gott mit den Menschen sein Spiel treibt - ein Satz, den auch der katholische Mensch sagen könnte - , muß deshalb auf seine Inhaltlichkeit abgetastet werden. Es ergibt sich dann die Erkenntnis, daß hier eine ganz andere Art des Spieles vorliegt, daß diese Gegensätzlichkeit, die das Spiel bestimmt, eine paradoxe ist. Dieses von Luther gesehene Wesen Gottes geht unmittelbar auf P a u l u s zurück. Luther sieht Gott nur immer im Gegensatz handeln, wenn er mit den Menschen spielt. Wie spielt er denn mit den Menschen? Er sagt nein und meint ja, er führt den Menschen in die Hölle und meint den Himmel, er sagt Leid und meint Freude, er stößt den Menschen in Schwachheit und meint Kraft, in Einsamkeit und meint Gemeinschaft. Er führt den Menschen in das, was wir Menschen Paradoxie nennen. »Überall pflegt Gott in die Hölle hinabund wieder hinaufzuführen, zu betrüben und zu trösten, zu töten und lebendig zu machen. Dies Spiel spielt er mit seinen Heiligen im ewigen Wechsel« (WA 42, 527). Sic ludit sapientia dei (WA IV, 171). »Ita dicit ad non: Ich 16
wil dich tödten und widder lebendig machen und mit dir spielen, du sollt meyn spielvögele seyn« (WA 17,1, 80). So hat Luther die Rechtfertigung als Spiel Gottes verstanden. Das Spiel, das Gott mit dem Menschen in protestantischer Sicht spielt, ist einmalig in der Religionsgeschichte, trotz starker Analogien in anderen Religionen. Es ist einmalig in seiner Form, es ist bestimmt von der Paradoxie einer völligen Gegensätzlichkeit. Diese Paradoxie wird nur im Vorgang des Glaubens, als eines Vertrauens zu der Güte Gottes, überwunden. Dieser Glaube aber wird dem Gläubigen von Gott geschenkt. Spielen im protestantischen Raum bedeutet also, daß hier nicht der Mensch von sich aus spielen kann, wie dies der Mensch im östlichen Raum meint, wie es der antike Mensch annahm, wie es zum Teil auch der katholische Mensch sieht, sondern das Spiel ist hier etwas, was dem Menschen geschenkt werden muß. Es wird ihm geschenkt allein durch den Glauben, daß er Gottes Kind ist. Darauf kommt alles an. Diese Spielbewegung wurzelt in dem Kindschaftsverhältnis des Menschen zu Gott. Diese Haltung geht durch das ganze »Neue Testament«. Diese Spielbewegung schafft eine Leichtigkeit der Überwindung der Schwerkraft, der großen Negation dieses Lebens und des eigenen Ich. Es ist eine Leichtigkeit von wunderbarer Grazie. In diesem Zusammenhang ist von einem heiligen Leichtsinn zu reden. Er wird den Menschen durch den Glauben an die Güte Gottes geschenkt. Es ist wirklich hier der Endeffekt dessen, was der W a n d s b e c k e r B o t e gesagt hat: »wie Kinder fromm und fröhlich sein!« In diesem Sinne stimmt wirklich das Wort H u i z i n g a s : »Um wirklich zu spielen, muß der Mensch wieder Kind sein.« Kinder werden die Menschen nur, wenn ihnen der Glaube geschenkt wird an die Güte Gottes. Von daher kommt auch die wunderbar spielende Haltung zur Welt bei Paulus. Dies ist die Haltung, die durch die griechischen Worte cbç jxf| - als ob - angezeigt wird: »als die Traurigen, aber alle Zeit Fröhlichen.« Die Menschen sollen nichts zu ernst nehmen, nichts absolut setzen in dieser Welt, vielmehr ganz »leicht« leben, weil die eigentliche Wirklichkeit etwas ist, was auf sie wartet und ihnen nach dem Ende dieser Tage geschenkt werden wird. Und noch ein Gedanke ist es, der in diesem protestantischen Spielraum besonderen Ausdrude gewinnt. Es ist der Gedanke, daß der, der diesen Spielraum betritt, jede Sicherheit aufgeben muß. Jedes echte Spiel ist ja Wagnis. Die protestantische Gläubigkeit hat gerade diesem Wagnischarakter großen Ernst beigelegt, wie der Theologe Rudolf B u l t m a n n mit Recht unterstrichen hat. Nur wer Spielpartner Gottes ist, dessen Wesen heilige Güte und heilige Liebe ist, nur wer es wagt, der Spielpartner dieses Gottes zu sein, nur der kann gewinnen. So wie es P a s c a l in seinen »Pensées« dargestellt hat in dem berühmten Fragment von der Wette. Dies gehört gewißlidi auch in diesen Spielgedanken. Dieser abendländische christliche Teil der Ausführungen soll mit einem 17
kurzen Blick auf einen der berühmtesten Spieler im abendländischen Raum geschlossen werden, mit einem Spieler, der, man darf wohl so sagen, jenseits der konfessionellen Bindungen steht, mit F r a n z i s k u s v o n A s s i s i . Er sollte ganz bewußt als einer der größten Spieler des abendländischen Raumes genannt werden. Sein ganzes Leben ist von einer triumphalen Heiterkeit überstrahlt. Er war getragen von der heiligen Armut, der sancta paupertas. Diese Armut hat völlig den Raum des Alltags, den Arbeitsraum, verlassen. Sie sah nie mehr auf Nutzen, auf Geschäft, auf Zweck. Franziskus wußte sich als Bettler. Aber weil er das wußte, weil er völlig herausgetreten war aus dem Arbeitsraum in den Spielraum, mußte alles ihm zur Freude werden. Er mußte in allen Menschen Spielleute Gottes sehen. Er nannte sich selbst einen Troubadour Gottes. Er hieß sich und seine Brüder Spielleute Gottes. Max S c h e l e r hat dies treffend in seinem Buche »Die Theorie der Sympathiegefühle« ausgeführt. Das ganze Leben Franziskus von Assisi und auch sein furchtbares Leiden waren überströmt von einer Heiterkeit, einer überquellenden Freude, die nicht die geringste Furcht kannte. Wie der 44jährige dem Ende entgegengeht, begrüßt er den Tod mit den erschütternden Worten: »Willkommen mein Bruder Tod.« Er erwartet sein Ende mit Singen, denn er wußte: nihil possedentes omnia habemus - wir besitzen nichts und haben alles. IV. Im Vorstehenden wurde versucht - es sollte nichts mehr als ein Versuch sein - , durch eine moderne Thematik Teile der Religionsgeschichte zu durchleuchten. Es zeigte sich, daß man im Osten den Spielgedanken anders auffaßt als im Westen und wie beide doch eben dieses Spiel verbindet. Vielleicht liegt in diesem Verbindenden für die Menschen im Westen, für die gehetzten Menschen der heutigen Zeit in diesem Ganzen eine Mahnung. Sie, die oft in ihrer alltäglichen Arbeit von morgens früh bis spät in die Nacht eingespannt sind, die sie, wie erst jüngst der Kardinal Erzbischof F r i n g s mahnend sagte, von einer wahren Arbeitswut befallen sind, die ihre Mitmenschen nur unter dem Gesichtswinkel der Arbeit, des Nutzens, des Zweckes zu sehen gewöhnt sind, - sollten sie nicht auch einmal wieder zu spielen versuchen, so zu spielen, wie diese religiösen Menschen es versucht haben, auch, wenn sie davon ausgehen, daß die höchste Form des Spiels ihnen geschenkt werden muß? Sie könnten sich bemühen, einmal wieder hineinzutreten in diesen Raum des Kindes, eines Kindes, das sich getragen weiß von der Güte Gottes, und dem daher alles leicht wird. Sollte es nicht möglich sein, diesem Leben wieder jenen Rhythmus von Arbeit und Spiel zu geben, statt nur Arbeit zu haben? Vielleicht ist das das Positive, das dieser Versuch aus der Religionsgeschichte mit auf den Weg gibt. 18
DIE GEGENWÄRTIGE LAGE DER JAPANISCHEN WIRTSCHAFT Dr. Kenichi
Masui
Um zu versuchen, vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt die Frage »Wie ist Japan?« zu klären, werden wichtige Züge der gegenwärtigen Lage der j a panischen Wirtschaft analysiert. Dabei wird möglichst die japanische Wirtschaft mit der deutschen verglichen. Vielleicht wird dadurch konkreter verstanden, wie diese Wirtschaft ist. I. Zuerst sind die Grundlagen beider Wirtschaften zu berücksichtigen. Die Flächengröße und die Bevölkerung des Landes sind wichtige Tatsachen, die gewissermaßen bestimmen, was eine Volkswirtschaft leisten kann. Japan hat eine Gesamtfläche von einigen 37 Mill. ha, die Bundesrepublik Deutschland dagegen von 24 Mill. 1 Die Bevölkerung Japans ist auch größer. Japan hat etwa 92 Mill. Einwohner, die Bundesrepublik Deutschland rund 51 Millionen. Die Bevölkerungsdichte beträgt in Japan 248 j e qkm gegenüber 208 in der Bundesrepublik. Also ist die Bevölkerungsdichte nicht so sehr unterschiedlich. Aber es darf nicht vergessen werden, daß Japan hinsichtlich der landwirtschaftlichen Nutzfläche eine viel ungünstigere Lage hat als die Bundesrepublik. Es ist bekannt, daß Japan sehr viel Gebirgsland hat. Die landwirtschaftliche Nutzfläche beträgt schätzungsweise nur 6,4 Mill. ha, d. h. 18 v. H. der Gesamtfläche des Landes, während sie in der Bundesrepublik Deutschland 14 Mill. ha, d. h. mehr als die Hälfte des Landes ausmacht. Die landwirtschaftliche Nutzfläche ist daher in Japan weniger als halb so groß wie die der Bundesrepublik. Also ist die Bevölkerungsdichte j e qkm Nutzfläche etwa viermal so groß wie in der Bundesrepublik. Mit Ausnahme einiger Gebirgsgegenden sind die Berge mit Wäldern bedeckt, die recht wertvolle Naturschätze bilden, weil japanische Häuser hauptsächlich aus Holz gebaut werden und bei der Produktion von Papier auch viel Holz gebraucht wird. Hinsichtlich der Hilfsquellen ist Japan in einer ziemlich ungünstigen Situation. Neben der Knappheit der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die ziemlich umfangreiche Getreideimporte erforderlich macht, sind auch die 1
Vgl. Tabelle 1. 19
industriellen Hilfsquellen sehr spärlich. J a p a n muß aus dem Ausland mehr als 80 v. H. des Eisenerzes einführen, das es verbraucht. Kohle ist auch knapp, und etwa 10 v. H. des jährlichen Verbrauchs, und'zwar der ganze Fettkohlenbedarf, muß durch Einfuhr gedeckt werden. Ferner haben die japanischen Kohlenbergwerke verhältnismäßig dünne Kohlenschichten, deren Ausbeute entsprechend kostspielig ist. Mehr als neun Zehntel des Ölverbrauchs bestehen aus Einfuhren. Der ölimport betrug 1958 11 v. H. der gesamten Importsumme. Aluminium und Kupfer müssen auch importiert werden. Sogar die Textilindustrie muß ihren ganzen Bedarf an Baumwolle und Wolle im Ausland decken. Gummi muß ebenfalls eingeführt werden. Nur die Seidenindustrie, eine heutzutage ziemlich zurückgehende Industrie, kann ihr Material im Inland beschaffen. Betrachten wir die industriellen Hilfsquellen der Bundesrepublik Deutschland, dann finden wir, daß diese auch nicht als reich angesehen werden können. Baumwolle und Wolle muß die Bundesrepublik auch importieren, und die Abhängigkeit von Nahrungsmitteleinfuhren ist ebenso groß wie in J a p a n . Aber die Mineralvorkommen sind reicher im Vergleich zu J a p a n . Im allgemeinen ist J a p a n hinsichtlich der Rohstoffvorkommen in einer ungünstigeren Lage. D a s Meer - eine günstige Hilfsquelle für J a p a n steht nicht zur vollen Verfügung J a p a n s , wie alle wissen. II. Nun wird die Frage zu stellen sein: Welche Industrien sind unter den beschriebenen Bedingungen errichtet worden? Ein Blick auf Tabelle 2 1 zeigt, daß die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung in J a p a n viel größer ist als in der Bundesrepublik Deutschland. Ungefähr 37 v. H. aller Erwerbspersonen sind bis jetzt in der Landwirtschaft beschäftigt gegenüber einem entsprechenden deutschen Anteil von 23 v. H. Beide Zahlen sind relativ hoch im Vergleich zu den Vereinigten Staaten und England, wo der Anteil 13 beziehungsweise 7 v. H. beträgt. Die verarbeitenden Industrien beschäftigen in J a p a n 20 v. H. gegenüber 31 v. H. in der Bundesrepublik. Solche Zahlen sagen viel über die wirtschaftliche Struktur J a p a n s aus. Sie zeigen, daß die japanische Industrialisierung sehr hinter der der hochentwickelten europäischen Länder zurückgeblieben ist, obgleich die Industrialisierung in anderen asiatischen Ländern noch viel weiter zurück ist. Wie in den anderen asiatischen Ländern ist das Hauptgetreide in J a p a n Reis, im Gegensatz zu Weizen und Roggen der europäischen Länder. Der Reis wird hauptsächlich auf Wasserfeldern angebaut, wo die Verwendung von Maschinen nicht einfach ist. Außerdem erschwert das überbevölkerte 1
Vgl. Tabelle 2.
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und kleingeteilte Ackerland die Mechanisierung. Hier sollen die Anzahl der in der Landwirtschaft tätigen Erwerbspersonen je ha und die bäuerlichen Betriebsgrößen Japans mit denen in der Bundesrepublik Deutschland verglichen werden. Tabelle 3 zeigt, daß die in der Landwirtschaft tätigen Erwerbspersonen je ha Feld in Japan etwa sechsmal so zahlreich sind wie in der Bundesrepublik. Von der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in der Bundesrepublik gehören etwa 80 v. H. zu landwirtschaftlichen Betrieben, die mehr als 5 ha Land benutzen, und sogar mehr als 60 v. H. zu den über 10 ha benutzenden Betrieben 1 . In Japan dagegen gehören etwa 80 v. H. ha landwirtschaftliche Nutzfläche zu Betrieben, die weniger als 3 ha Land benutzen; ja, wenn man den nördlichen Teil des Landes ausschließt, gehören etwa 85 v. H. der Feldfläche zu weniger als 2 ha Land benutzenden Betrieben 2 . Daher müssen sich die Bauern mit aller Kraft bemühen, die Produktivität j e Fläche zu steigern, indem sie ihre Arbeitskraft konzentrieren und viel diemische sowie organische Düngemittel verwenden 3 . Nach dem letzten Krieg hat sich auch die Mechanisierung der Feldarbeit einigermaßen entwickelt, und zwar in zunehmendem Tempo. Aber die Mechanisierung wirkt hauptsächlich in der Richtung, die Produktivität je Arbeitskraft zu heben oder Arbeitskräfte zu sparen. Man kann nicht erwarten, daß dadurch die Produktivität je ha Ackerfläche beträchtlich gesteigert wird. Obendrein ist trotz aller Bemühungen der Bauern in Japan die Produktivität je ha keineswegs höher als in der Bundesrepublik, wie aus Tabelle 6 ersichtlich ist. Beim Reisanbau selbst ist der Ertrag je Fläche in J a p a n ein wenig niedriger als im klimabegünstigten Italien, obgleich er das asiatische Niveau weit überragt. Bei diesem Vergleich ist zu bemerken, daß der japanische Bauer diesen Ertrag mit einem vielfach größeren Aufwand an Arbeitskraft und Düngemitteln als in Italien erzielt 1 . Danach ist es klar, daß die Produktivität je Arbeitskraft in der Landwirtschaft Japans - obgleich dafür ein bestimmter Index fehlt - sehr niedrig im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland ist. Früher hatte der japanische Bauer außer dem Problem der niedrigen Produktivität noch das andere schwierige Problem des Pachtsystems. Vor dem letzten Krieg waren mehr als 40 v. H. des gesamten Ackerlandes gepachtet, und der Pächter müßte mehr als 30 v. H.'des Ertrags als Pacht an den Grundbesitzer abführen. Heute, nach der Bodenreform, sind nur 10 v.H. des Landes gepachtet, und die Höhe der Pacht ist durch Gesetz stark reduziert worden. 1 2 3 1
Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1957, S. 138. Vgl. Tabelle 4. Vgl. Tabelle 5. Vgl. Tabellen 3 und 5.
21
Heute besteht also das allerwichtigste Problem für den Bauern in der Hebung der Produktivität je Fläche wie auch je Arbeitskraft. Dieses Problem ist nicht einfach zu lösen, weil es mit der Tatsache der Übersetzung der Landwirtschaft mit Arbeitskräften in enger Beziehung steht und eine bedeutende Produktivitätserhöhung fast undenkbar ist, sofern man die vorhandenen Arbeitskräfte weiterhin in der Landwirtschaft beläßt. Je mehr man die Produktivität je Arbeitskraft steigert, um so mehr entbehrlich gemachte Arbeitskräfte müssen anderweitige Arbeitsplätze finden. Das Land hat bereits dauernd Arbeitskräfte in größter Zahl an die nichtlandwirtschaftlichen Wirtschaftszweige abgegeben. Und die niedrigen Löhne, zu denen diese Arbeitskräfte zu arbeiten bereit waren, bildeten die Grundlage der schnellen Entwicklung der japanischen Industrie. Aber hier steckt auch ein wunder Punkt. Für die gegenwärtige japanische Wirtschaft ist die Arbeitsbeschaffung für den Überschuß der Landbevölkerung alles andere als einfach, wie noch näher dargelegt werden wird. Man kann wohl sagen, daß die Fischerei Japans weit entwickelt ist. Die Fischanlandung in Japan ist die größte der Welt. Zum Beispiel fingen die japanischen Fischer 1958 nicht weniger als 5 Mill. t Fische; dagegen betrug das deutsche Fangergebnis 0,8 Mill. t. Die wichtigen Fanggebiete für die japanischen Fischer sind der Pazifik, der antarktische Ozean und das Beringmeer. Für sie sind die Atombomben-Experimente auf Inseln des Ozeans und die Versuche einiger Länder, aus ihnen benachbarten Seegebieten die japanischen Fischer auszuschließen, tödliche Bedrohungen. III. Wir wollen nun unser Augenmerk auf die verarbeitende Industrie richten. In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts begann Japan seine Industrialisierung. Seit diesen ersten Anfängen sind die Fortschritte der japanischen Industrie recht bemerkenswert. Beispielsweise führte die Textilindustrie den Gebrauch der Spinnmaschine im Jahre 1867 in Japan ein; das sind 98 Jahre nach ihrer Erfindung durch Arkwright in England. Rund 70 Jahre später, im Jahre 1936, stand Japan bereits an zweiter Stelle in der Produktion von Baumwollgewebe, und zwar hinter England, und an erster Stelle in bezug auf das Exportvolumen dieses Erzeugnisses. In der Seidenindustrie hielt und hält Japan den ersten Platz in der Welt. Im Jahre 1938 stand die japanische Kunstseidenindustrie hinter der der Vereinigten Staaten an zweiter Stelle, und zwar vor Deutschland, und die Wollindustrie hinter Deutschland an fünfter Stelle. Es ist leicht verständlich, daß sich die Entwicklung der Schwerindustrie verzögerte. Die Schwerindustrie begann ihre Entwicklung erst seit dem Ersten Weltkrieg. Vor Ausbruch des letzten Krieges - für Japan heißt dies 22
1941 - hatte sie doch eine solche Kapazität erreicht, daß sie in der Lage war, den weitaus größten Teil der industriellen Maschinen zu liefern. Schwierigkeiten bestanden nur noch bei der Fertigung einiger Typen von Werkzeugmaschinen. Ich glaube, daß eine Angabe genügt, um den Entwicklungsstand der damaligen japanischen Schwerindustrie zu zeigen: 1939 produzierte J a pan 7 Mill. t Rohstahl im Vergleich zu 21 Mill. t Deutschlands. Die Höhe der damaligen Entwicklung der Schwerindustrie in Japan wird auch durch die Tatsache deutlich, daß das Land im Jahre 1942 das größte und stärkste Kriegsschiff der Welt baute (mit 69 000 t Wasserverdrängung und neun 46-cm-Geschützen) und in den folgenden Jahren noch zwei weitere der gleichen Klasse. Die Zerstörungen während des letzten Krieges erreichten in Japan das gleiche Ausmaß wie in Deutschland. Der Wiederaufbau war f ü r beide Länder schwierig. Aber nach einer gewissen Anlaufzeit beschleunigte sich das Tempo des industriellen Wiederaufbaus in Japan wie in Deutschland. Der Produktionsindex der japanischen Industrie erreichte im Jahre 1957 die Ziffer 273 (auf der Basis 100 im Durchschnitt der Jahre 1934-36), während im gleichen J a h r für die deutsche Industrie ein Index von 225 auf der Basis 1936 = 100 errechnet wurde 1 . Seit dem Kriege hat sich die Struktur der japanischen Industrie bis zu einem gewissen Grade gewandelt. Die Leichtindustrie sah sich ernsthafter Konkurrenz anderer Länder gegenübergestellt, die - wie Indien - für Japan Exportmärkte gewesen waren. Obwohl Japan im Jahre 1953 seine Stellung als führender Exporteur von Baumwollgewebe zurückgewinnen konnte, erreicht das Handelsvolumen heute nicht den Vorkriegsstand. Die Baumwollgewebeherstellung Japans steht heute erst an vierter Stelle in der Welt. Natürlich bedrohen auch die inländische Zellwoll- und Kunstseidenindustrie die Vormachtstellung der Baumwollindustrie. Seit 1954 ist die Zellwollproduktion Japans die größte der Welt, und zwar vor den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland, während die Kunstseideproduktion die drittgrößte hinter den Vereinigten Staaten und Großbritannien, aber vor Italien und der Bundesrepublik, ist. So ist schon innerhalb der Textilindustrie eine Umschichtung bemerkbar, nämlich von der Naturfaserindustrie zur Kunstfaserindustrie. Einschließlich der Kunstfaserindustrie hat sich die chemische Industrie beträchtlich entfaltet, desgleichen die Papier-, Stickstoffdüngemittel- und Zementindustrie. Diese erwähnten Industriezweige halten die vierte bis sechste Stelle in der Welt hinsichtlich der Produktion, stehen jedoch hinter der Bundesrepublik Deutschland. Die Fortschritte der Schwerindustrie sind auch bedeutend, jedoch der Platz Japans ist in diesem Bereich noch nicht so gesichert wie im Bereich der 1
Japan Statistical Yearbook, Tokio, 1959. S. 204. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1959, S. 19. 23
Leichtindustrie. In der Stahlproduktion hielt Japan 1957 mit 12 Mill. t die sechste Stelle in der Welt im Vergleich zu 23 Mill. t in der Bundesrepublik. Zwar verzeichnete Japans Schiffbauindustrie seit 1956 die größte Tonnage der Stapelläufe in der Welt; es wuchsen auch manche spezielle Industriezweige wie Kamera- oder Radiofabrikation. Doch die Produktion gewisser anderer Industriezweige, wie der Automobilindustrie, verharrt noch weit unter dem europäischen Niveau. Im ganzen gesehen ist die japanische Schwerindustrie noch nicht so entwickelt wie die deutsche, wie auch aus T a belle 7 hervorgeht. W i e steht es nun mit der Produktivität der Arbeit in der verarbeitenden Industrie in Japan? Man kann nicht gerade behaupten, daß sie hoch ist. Im Vergleich zur Produktivität der deutschen Industrie liegt sie niedrig. Zum Beispiel beträgt die jährliche Rohstahlproduktion in der japanischen Stahlindustrie je Arbeiter etwa 55 Tonnen (1955), dagegen lautet die entsprechende Zahl für die deutsche Stahlindustrie etwa 85 Tonnen. Welche Faktoren sind es, die der japanischen Industrie im ganzen eine so bedeutende Entwicklung gestatteten? Die japanische Fertigung ist für den Produktionsfaktor »billige Arbeit« und folgerichtig für niedrige Produktionskosten bekannt. Fast bis heute war der Anreiz — man sollte besser sagen die Notwendigkeit - zur Preissenkung kennzeichnend f ü r die japanische verarbeitende Industrie. Zur Eroberung der Märkte mit geringer Kaufkraft war genau so wie auf den Inlandmärkten oder auf den südostasiatischen Exportmärkten ein niedriges Preisniveau erforderlich. Und es versteht sich, daß der japanische Produzent das Verfahren der Lohnsenkung wählte, um die Produktionskosten und damit die Preise senken zu können. Das Bemühen, die Kosten durch einen stärkeren Einsatz von Maschinen zu reduzieren, wurde durch den Mangel an Kapital erschwert. Außerdem strömen aus den überbevölkerten Bezirken des Landes jährlich zahlreiche Arbeitsuchende in die industriellen Räume, wie schon oben erwähnt wurde, und der Kampf um die freien Arbeitsplätze stärkt die Tendenz zu Lohnsenkungen. Zwar ist es nicht so einfach festzustellen, in welchem Ausmaß eine niedrige Produktivität durch billige Arbeit kompensiert werden kann, weil die Dinge von Industriezweig zu Industriezweig sehr verschieden liegen. Doch ist es sicher, daß niedrige Kosten oder niedrige Löhne der Hauptgrund oder zumindest einer der hauptsächlichen Gründe dafür waren, daß sich die japanische Industrie in solch schnellem Tempo entwickeln konnte. Nach dem Krieg gelang es den Gewerkschaften in beschränktem Umfang, die Löhne höher zu treiben, und das Lohnniveau erhöhte sich in den großen Fabriken einigermaßen. Aber besonders in kleineren Fabriken mancher Industriezweige, wie zum Beispiel in der Spielzeug-, Bekleidungs-, Holzverarbeitungs- und Nahrungsmittelindustrie, sind die Löhne bemerkenswert 24
niedrig. Man schätzt, daß im J a h r e 1956 der monatliche Durchschnittslohn des Fabrikarbeiters in J a p a n 18.348 Yen (214 D M ) betrug, während der deutsche Arbeiter 1955: 372 D M und 1956: 404 D M 1 erhielt. Natürlich ist außerdem noch zu berücksichtigen, daß das Preisniveau in J a p a n um schätzungsweise 20-30 v. H. unter dem deutschen liegt und daß auch die Sozialleistungen in beiden Ländern unter verschiedenen Bedingungen stehen. Heute sind niedrige Löhne nicht mehr das Allheilmittel für die japanische Wirtschaft. M a n hat ein für alle Mal erkannt, daß, wenn die japanische Industrie ihre Überlegenheit nur auf die niedrigen Löhne gründen und vor der Modernisierung des Produktionsapparates zurückscheuen sollte, sie für immer nur Produkte von niedriger Qualität mit niedriger Produktivität herstellen würde. In diesem Falle würde die Industrie J a p a n s ihre Exportmärkte weder gegen die Konkurrenz der technisch überlegenen Industrie hochentwickelter Länder noch gegen die Konkurrenz der neu entwickelten, noch billigere Löhne zahlenden und durch Zölle geschützten heimischen Industrie der Entwicklungsländer zu behaupten vermögen, und selbst der japanische Inlandmarkt würde unter solchen Umständen stagnieren. Im übrigen würden, wenn eine Konzernleitung den Arbeitern niedrigere Löhne, wie sie in der Vorkriegszeit üblich waren, aufzwingen wollte, die Gewerkschaften dem einen unüberwindlichen Widerstand entgegensetzen. Deshalb bemüht sich die japanische Industrie heute in erster Linie um die Modernisierung und Rationalisierung, und die traditionelle Eigenheit der niedrigen Löhne ist allmählich im Verschwinden. Natürlich ist die Sache nicht einfach. Einerseits gibt es, wie schon erwähnt, immer das Angebot billigerer Arbeitskräfte vom Lande, das den Industriellen, anstatt zu vermehrtem Einsatz von Maschinen, zur Intensivierung des Arbeitsaufwands anregt. Anderseits bestehen Schwierigkeiten auch bei der Modernisierung selbst. W i r können sie wie folgt aufzählen: zuerst die Knappheit des Kapitals, das für die Modernisierung erforderlich ist, dann die mit vermehrter Anlageinvestition verbundene Zunahme des Einfuhrbedarfs und die hieraus folgenden Gefahren für die Unbeständigkeit der Volkswirtschaft, ferner der oft unlösbar scheinende Widerspruch zwischen der Modernisierung der Industrie und die Beschäftigung der Arbeiter und endlich der vorauszusehende verschärfte Konkurrenzkampf mit den Industrien der hochentwikkelten Länder. Im ganzen gesehen aber kann man eine kapitalintensivierende Entwidmung der japanischen Industrie nur begrüßen. Zum Schluß möchte ich noch das Volkseinkommen beider Länder vergleichen. Die Aufgabe, die exakte Höhe von Volkseinkommen zu berechnen, ist nicht leicht, besonders, wenn wir sie für einen internationalen Vergleich 1 Mainichi-Nenkan, Tokio, 1958, S. 606 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1957, S. 51b.
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anwenden wollen. Zum Beispiel habe ich den offiziellen Wechselkurs zur Umrechnung der jeweils in der Landeswährung errechneten Volkseinkommen in Dollar benutzt. Aber wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß die offiziellen Wechselkurse nicht wirklich die inländische Kaufkraft der einzelnen W ä h r u n g reflektieren, so ist es klar, daß diese Umrechnung nur für einen groben Vergleich verwendbar ist. Tabelle 8 zeigt, daß im Jahre 1957 das Volkseinkommen pro Kopf der Bevölkerung in der Bundesrepublik sich auf 742 $ stellte. Diese Zahl dürfte das durchschnittliche Prokopfvolkseinkommen der westeuropäischen Länder repräsentieren, denn die entsprechenden Zahlen sind f ü r Schweden, Großbritannien und Norwegen mehr als 900 $, f ü r Dänemark 871 für Frankreich 742 für Italien etwa 404 $, Spanien 310 $ und f ü r Portugal 197 Das Volkseinkommen pro Kopf der Bevölkerung in Japan betrug 1957 249 $. Seit Kriegsende steigt das Volkseinkommen Japans mit der jährlichen Zuwachsrate von etwa 10 v. H. Doch hat das Land damit kaum den niedrigsten Volkseinkommensstand eines westeuropäischen Landes erreicht. Natürlich, wenn wir zum Vergleich einen Blick auf das Prokopfvolkseinkommen der asiatischen Länder werfen, so ergibt sich für Burma eine Höhe von 50 8, für Indien eine solche von 60 $, Indonesien 108 $ und für Philippinen ist sein W e r t mit 189 $ anzusetzen. Damit liegt das Prokopfeinkommen in Japan ziemlich genau zwischen dem westeuropäischen Durchschnittseinkommen und dem durchschnittlichen Einkommen in den asiatischen Ländern. Trotz des allgemeinen Aufschwungs der japanischen Industrie liegt der Lebensstandard des japanischen Volkes zwischen dem der entwickelten und dem der Entwicklungsländer. Gegenwärtig hat sich bei einigen japanischen Ökonomen der Ausdruck »mittelmäßig entwickeltes Land« eingebürgert, mit dem die Lage Japans gekennzeichnet werden soll. Aber dieser Ausdruck ist irreführend, wenn man darunter Japan als ein Land versteht, das nur eine halbentwickelte Industrie besitzt. Es ist vielmehr so, daß manche hochentwickelten verarbeitenden Industrien neben halbentwickelten Kleinindüstrien tätig sind - von denen sich beide schwierigen Wettbewerbsbedingungen gegenüberstehen - und daß weiterhin neben einer teilweise gut entwickelten Fischindustrie die Landwirtschaft, trotz eifriger Bemühungen der Bauern, technisch nur ungenügend entwickelt ist. Diese Spannungen im Entwicklungsgrad der verschiedenen Wirtschafts- und Industriezweige gilt es zu überwinden.
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Tabelle 1: L a n d und Bevölkerung J a p a n s und der Bundesrepublik Deutschland im J a h r e 1956 1 BundesEinheit Japan republik Deutschland Fläche Landwirtschaftliche Nutzfläche Darunter Ackerland Bevölkerung Einwohner j e qkm 'Stand am I . J u n i 1958
1000 qkm 1000 qkm 1000 qkm Mill. Anzahl
370 64 50 92" 248
245 142 86 51" 208
"Stand am 1.Juli 1958
Tabelle 2: Erwerbspersonen nach Wirtschaftsabteilungen in J a p a n und in der Bundesrepublik Deutschland 1950 und 1958 1 Japan*
Landwirtschaft (einschließlich Forstwirtschaft und Fischerei) Bergbau Baugewerbe Verarbeitende Gewerbe Energiewirtschaft Verkehrswesen Handel Dienstleistungen Sonstige
l f
Insgesamt •1958.
Bundesrepublik Deutschlandb
Mill.
v.H.
Mill.
16,0 0,5 2,1 8,6
37 1 5 20
23 3 8 31 1 5 10 17 2 100
7,5 6,2 0
17 14 0
5,1 0,7 1,8 6,8 0,2 1,2 2,1 3,7 0,5
43,1
100
22,1
9 9
2'2
c D
v.H.
"1950.
' Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1959. S. 16*, 19*, 36*, 37* Quelle: Ebenda, S. 34*. Mainichi Nenkan, Tokio 1960, S. 645. 27
Tabelle 3: In der Landwirtschaft tätige Personen je ha Ackerland in Japan, der Bundesrepublik Deutschland, Italien und Indien 1950-1955» Einheit
Bundesrepublik Deutschland
Japan
In der Landwirschaft" tätige Personen Mill. Fläche des Ackerlandes Mill, ha In der Landwirtsdiaft tätige Personen je ha Anzahl
Italien
Indien 71,8" 158,5
18,4" 5,1
5,l c 8,6
8,5d 15,8
3,6
0,6
0,6
0,5
"Einschließlich Forstwirtschaft und Fischerei. - "1955. - "1950. - "1954. - "1951.
Tabelle 4: D i e landwirtschaftliche Nutzfläche in Japan nach Größenklasse der landwirtschaftlichen Betriebe im Jahre 1950 (1.000 cho a ) 2 0 dio 0,5 dio 1 dio 2 dio bis unter bis unter bis unter bis unter 0,5 dio 1 dio 3 dio 2 dio Nördlidister Bezirk (Hokkaido) Sechs nördliche Bezirke Sonstige Bezirke Insgesamt
mehr als 3 dio
Insgesamt
14
13
35
61
1.020
1.142
49 556
138 1.247
364 1.685
241 408
227 186
1.019 4.084
619
1.398
2.084
710
1.433
6.245
' 1 dio = 0,9917 ha
1 2
Quelle: Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1957, S. 33*, 35*, 37*, 40*f. - Japan Statistical Yearbook, Tokio, 1955/56, S. 526. Quelle: Japan Statistical Yearbook, Tokio, 1955/56, S. 80.
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Tabelle 5 : D e r Mineraldüngemittelverbrauch j e h a Ackerland in J a p a n , der Bundesrepublik Deutschland, Italien und Indien 1 9 5 5 / 5 6 (kg) 1
Nitrogen Phosphat Potasdie
Japan"
Bundesrepublik Deutschland
Italien
Indien
110 63 81
56 55 98
16 27 3
1 0,1 0,06
'Zahlen nur teilweise vergleichbar, da in Japan die Erntefläche größer als die Ackerfläche ist. Man rechnet im Durchschnitt mit 1,5 Ernten im Jahr.
Tabelle 6 : D e r Ernteertrag j e h a in J a p a n , der Bundesrepublik Deutschland, Italien und Indien 1958 (dz) 2
japan Weizen Gerste Reis
Bundesrepublik Deutschland
19 23 47
28 28 —
Italien
Indien
20 13 53
7 7 14
Quelle: U. Ewald, Recent Developments of the World Fertilizer Market. A Statistical Analysis. Kiel 1957, S. 137ff., 148 ff., 202, 204 f. - Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1957. 8 Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart, 1959, S.38*, 44*. 1
Tabelle 8 : Das Pro-Kopf-Volkseinkommen in J a p a n , Indien, der Bundesrepublik Deutschland und einigen anderen europäischen L ä n d e r n 1957 1
Jahr 1957
1
Japan 249
republik BundesDeutschland 742
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n
•
bTltanmen
954
Italien
Spanien
Indien
404
310
61
Quelle: Weißbuch über Volkseinkommen, Tokio, 1958.
29
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