Leonardo-Studien [Reprint 2019 ed.] 9783110835564, 9783110057270


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German Pages 161 [228] Year 1975

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Erster Teil: Der vatikanische Hieronymus
I , i. Einleitung
II, i. Bildtradition
III, i. Tendenzen der Forschung bei der Interpretation des „Hieronymus"
Zweiter Teil: Die Phaeton-Kompositionen (Leonardo als Steinschneider)
I. Leonardo als Steinschneider
II. Die Phaeton-Kamee im Palazzo Pitti
III. Eine verlorene Phaeton-Komposition Leonardos
IV. Zusammenfassung zur Kamee im Palazzo Pitti und zur Moderno-Plakette
V. Ikonographie
Schlußbemerkung
Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
Register
Abbildungsnachweis
BILDTAFELN
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Leonardo-Studien [Reprint 2019 ed.]
 9783110835564, 9783110057270

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Hans Ost • Leonardo-Studien

w DE

G

Beiträge zur Kunstgeschichte Herausgegeben von Günter Bandmann f , Erich Hubala, Wolfgang Schöne

Band 11

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1975

Leonardo - Studien von Hans Ost

Walter de Gruyter • Berlin • New York 1975

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

I S B N 3 1 1 005727 1 © 1975 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J . Göschen'sche Verlagshandlung — J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — Karl J . Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. Genthiner Straße 13 Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drude: Markert & C o Druck, Berlin 62 Herstellung der Klischees: Klischee-Union, Berlin Umsdilaggestaltung: Barbara Proksch, Frankfurt am Main Buchbinder: Wübben & Co., Berlin

Fur Fernanda

Vorwort Der erste Teil der vorliegenden Schrift ist einem gesicherten Werk Leonardos, dem Hieronymus-Bild, gewidmet; im zweiten Teil wird mit den Phaeton-Kompositionen eine Neuzuschreibung versucht. Beiden Teilen gemeinsam ist das eigentliche Thema dieser Untersuchungen: Abhängigkeit und Freiheit Leonardos vom geschichtlichen Bildungsgut, insbesondere von Antike und Mittelalter. Hiermit sind wir sogleich in die von Jacob Burckhardt mit aller Schärfe gestellte, von der späteren Kunstgeschichte aber wieder verwischte Frage nach dem Eigentlichen und Besonderen der Renaissance verwickelt. Nur aus einer Gesamtschau Leonardos läßt sich eine Antwort finden. Daher muß zum Abschluß der beiden Untersuchungen über das spezielle Thema hinausgegriffen werden: anschließend an den „Hieronymus" ist die Problematik christlicher Ikonographie in anderen Bildern Leonardos behandelt, auf die Phaeton-Kompositionen folgt die Frage nach Leonardos Verhältnis zur antiken Mythologie; für die dabei konstatierte ungewöhnliche Behandlung von Ikonographie und Mythologie durch Leonardo wird in einer Schlußbemerkung nach Gründen gesucht. Ich bin überzeugt, daß sich jede Generation „ihren Leonardo" neu schreiben wird und daß auch die vorliegende Arbeit vom geschichtlichen Moment bestimmt ist. Dennoch ist die Argumentation gelegentlich bewußt polemisch gehalten, was als bloßes Darstellungsmittel, womit neue Aspekte des Leonardo-Problems sichtbar gemacht werden sollen, zu verstehen ist. Der Text dieses Buches wurde 1971 abgeschlossen und lag 1972 der Philosophischen Fakultät der Bonner Universität als Habilitationsschrift vor. Spätere Veröffentlichungen konnten nur noch in den Anmerkungen berücksichtigt werden. Mein Dank gilt der Deutschen Forschungsgemeinschaft, welche die vorliegenden Studien durch ein in den Jahren 1970-71 gewährtes Stipendium ermöglichte und eine großzügige Beihilfe zu den Druckkosten gewährte. Besonders danke ich Herrn Professor Bandmann und allen anderen, die diese Arbeit durch Kritik, Hinweise und Bereitstellung von Materialien gefördert haben. Tübingen, 30. Januar 1974

H. Ost

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

VII

Erster Teil: Der vatikanische Hieronymus I, i. Einleitung 2. Maße, Material, Restaurierungen und heutiger Zustand 3. Provenienz und hypothetische Identifikationen II, 1. Bildtradition 2. Maß und Proportion Bildformat „linea perpendicolare" Bildraster Proportion und Bewegung Kniefigur und homo quadratus Stufen der Theorie Exkurs: antike Muster zu Leonardos späterem Proportionsdenken 3. Perspektive Leonardo und Alberti Die Praxis des Perspektivzeichners 4. Plastisches Modell und Mustermann Plastische Modelle im Quattrocento Pollaiuolos Mustermann Reflexe von Pollaiuolos Mustermann bei Leonardo Leonardo scultore Leonardos modelli j . Leonardos kniender Mustermann Die Hieronymus-Zeichnungen in Windsor und Mailand Reflexe - Bandinelli Torrigiano und Nachfolge Rustici Filippino Lippi, Signorelli, Bartolommeo della Gatta, Perugino, Pontormo 6. Der „prospettivo milanese" und der normative Anspruch der Kniefigur Der „prospettivo" und die Ikonographie seines Titelholzschnitts. . Hieronymus als Normfigur Verhältnis der Normfigur zur Antike 7. Der Kopf des Hieronymus Geschichte und theoretische Bedeutung des Kopfmotivs Plastische „teste di vecchi" und „ghole" bei Leonardo

3 4 6 10 12 12 12 16 18 22 23 27 29 29 31 33 33 35 36 38 39 43 43 44 44 45 46 48 48 52 53 54 54 57

X

Inhaltsverzeichnis Der „leidende Seneca" - eine Erfindung des Reni? Vorkommen des Kopftyps im späten Quattrocento Plastische Hieronymusköpfe nach Verrocchio und ein leonardesker Stucco Die „realistische" Plastik des Quattrocento und ihre antiken Quellen — Römerköpfe bei Leonardo und deren Bedeutung Zusammenfassung 8. Physiognomische Fragen Mimik Gestik

III, 1. Tendenzen der Forschung bei der Interpretation des „Hieronymus" 2. Leonardo und das Christentum 3. Leonardo und die christliche Ikonographie Die Anbetung der Uffizien Die Felsgrottenmadonna Die Heilige Anna Selbdritt Der Johannes Das Abendmahl 4. Zusammenfassende Überlegungen

j8 61 63 65 69 70 70 74 76 77 80 82 83 85 87 88 93

Zweiter Teil: Die Phaeton-Kompositionen (Leonardo als Steinschneider) I Leonardo als Steinschneider 101 1. Steinschneidekunst im Florentiner Quattrocento 101 2. Lehrjahre Leonardos 103 3. Hinweise auf den Steinschnitt in Manuskripten und anderen Werken Leonardos 104 4. Weitere Quellen 108 II Die Phaeton-Kamee im Palazzo Pitti 1. Bestimmung der Kamee als neuzeitlich und die antike Vorlage 2. Die Medici-Inventare 3. Sonstige Phaeton-Darstellungen auf geschnittenen Steinen 4. Datierung j . Zusdireibung

110 111 113 114 116 118

I I I Eine verlorene Phaeton-Komposition Leonardos x. Die Phaeton-Plakette des Moderno 2. Zuschreibung der Komposition an Leonardo 3. Nachwirkung

122 123 124 126

IV Zusammenfassung zur Kamee im Palazzo Pitti und zur Moderno-Plakette

127

V Ikonographie 1. Alberti 2. Ovid 3. Zur Interpretation

129 129 131 134

Inhaltsverzeichnis

XI

Schlußbemerkung

138

Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur x. Publikationen der Manuskripte und Zeichnungen 2. Anthologien 3. Sonstige Literatur

140 140 140 141

Register

145

Abbildungsnachweis

IJO

Erster Teil Der vatikanische Hieronymus

I,i.

Einleitung

Der „Hieronymus" der Vatikanischen Pinakothek (Abb. i , 2) gehört zu den wenigen Bildern, die von der Forschung einmütig dem Leonardo als eigenhändig zuerteilt werden 1 . Die bisherige Forschung zu diesem Bild ist erstaunlich spärlich, gerade wenn man bedenkt, daß die Leonardisti dem halben Dutzend der als authentisdi anerkannten Bilder ganze Bibliotheken gewidmet haben - man denke an die „Mona Lisa" und an das „Abendmahl"! Einzig Werner Meinhoff hat 1931 in einer knappen Studie monographisch über den „Hieronymus", im wesentlichen jedoch über seine „Vorstufen" und seine „Auswirkungen" gehandelt; auf das Bild selbst sind dabei wenig mehr als zwei Druckseiten verwandt, und kaum einmal ging der Autor über die auch sonst in den Leonardo-Monographien üblichen beiläufigen Bemerkungen hinaus2. Der Mühe einer genaueren Beschreibung des Bildes, vor allem seines Erhaltungszustandes, hat sich Ludwig Baldass in seinem Überblick der Gemälde aus Leonardos erster Periode unterzogen3. Um Wiederholungen zu vermeiden, belassen wir es zunächst bei einer Orientierung über die Hauptmotive des Bildes; genauere Beschreibungen von Farbkomposition, Bewegungsmotiven etc. werden eingeschaltet, sobald es der Gang der Untersuchung fordert. Der Heilige, eine kräftige, muskulöse Greisengestalt, kniet in der Mitte der Bildfläche. Das linke Knie berührt den Boden, der rechte Fuß und das Bein sind aufgestellt. Der Rücken ist gekrümmt, die abgestreckte Rechte holt weit aus, um die Brust mit dem Stein zu schlagen; die Linke zieht das Gewand zurück. Der Kopf ist kahl und bartlos; seine Drei Vierteldrehung und die leichte Aufwärtswendung bewirken, daß die Sehnen des mageren Halses straff gespannt sind. Hieronymus blickt hin zu dem bemerkenswert nebensächlich am rechten Bildrand angeordneten Bußkreuz. Hinter dem Heiligen steigt ein basaltartiger Felsen auf. In einem höhlenartigen Durchblick in der rechten oberen Bildhälfte erscheint die flüchtige Skizze einer fernen Kirchenfassade. Links schweift der Blick in eine verdämmernde Felsebene oder auf ein Meer, woraus dolomitenartige Berge aufsteigen. Zur Rechten des Heiligen ein kleiner Felsbuckel, auf dem 1

Pinacoteca Vaticana N r . 337. Achiardi 25 f. Goldscheider 186. Ottino della Chiesa N r . 13. Seidlitz 63 f. Clark 44 f. Bode 76 f. A . Venturi 25 f. Rinaldis 56 ff. Heydenreich 29 f. Bödmet- 357. 2 Rep. f. K W L H , 1 9 3 1 , 1 0 2 - 1 2 4 . Zu den Gemälden der ersten Periode des Leonardo da Vinci, Z f K W V I I , 1953, 175 f.

Der vatikanische Hieronymus

4

der ikonographisch zugehörige Kardinalshut abgelegt ist. Hauptsächliches Heiligenattribut ist der große, im Vordergrund quer über die Bildbreite hinweg lagernde Löwe. Er ist vom Rücken her gesehen und wendet den Kopf mit brüllend geöffnetem Maul zurück in Richtung auf den Heiligen. In der Regel wird das Bild nebenbei unter den „anderen Arbeiten" der frühen 8oer Jahre abgehandelt. Bezüglich einer Datierung „1480-82", jedenfalls in unmittelbarer Nähe des Anbetungsbildes der Uffizien (Abb. 72), hat sidi längst ein consensus eruditorum herausgebildet. In Hinsicht auf Leonardos stilistische Gesamtentwicklung steht z. B. die Armbewegung der Hieronymusfigur noch ganz in der Nähe der ausfahrenden Gesten, wie wir sie auf Verrocchios „Taufe Christi" finden, eben auf dem Bild, an dem Leonardo um 1473 selbst mitarbeitete. Andererseits stellt die Felsenszenerie des Hieronymusbildes einen Vorläufer der wahrscheinlich 1483-85 entstandenen „Felsgrottenmadonna" (Abb. 74) dar. Schließlich stimmt der Kopf des Hieronymus mit einem der Hirtenköpfe auf der 1481-82 anzusetzenden großen Anbetungstafel überein (Abb. 64). „Hieronymus" und „Anbetung" blieben unvollendet, beide wahrscheinlich u. a. wegen der gegen Ende 1482 erfolgten Ubersiedlung Leonardos an den Hof des Moro in Mailand. Die Datierung des „Hieronymus" scheint also geklärt zu sein4, und wir lassen diese Frage im folgenden beiseite, wo nicht durch gelegentliches Aufweisen von Parallelen zu Leonardos Frühwerk die bisherige Einsicht bestätigt werden kann.

I, 2. Maße, Material, Restaurierungen und heutiger Zustand Es handelt sich um eine Tafel aus Nußbaumholz5, für die in der Literatur gewöhnlich die Maße 75 zu 103 Zentimetern angegeben werden4. Die Dicke der Tafel ist unbekannt und ließe sich erst bei Entfernung des Rahmens feststellen. Von der Rückseite her ist zu erkennen, daß die Tafel aus einem breiteren linken und einem schmaleren rechten Brett zusammengesetzt ist (Abb. 3). Der Stoß verläuft in der Längsrichtung und in leichter Schräge. Beide Hälften sind mit drei Schwalbenschwänzen verbunden. Von beiden Seiten her ist erkennbar, daß früher einmal der Kopf des Hieronymus aus der Tafel herausgesägt war, wobei, um den Kopf isolieren zu können, zwei weitere Stücke abgetrennt werden mußten. Es handelt sich um die in der Skizze des späteren Restaurators Bartolommeo Nogara 4 5 6

Vgl. die in Anm. s genannte Lit. Nogara 244. Zum Maßproblem, insofern es mit Proportionsproblemen der Tafel zusammenhängt, s. u.!

Maße, Material, Restaurierungen

5

als „ I " - „ I I I " bezeichneten Felder 7 . Der Rahmen gehört wohl erst dem 18. oder 19. Jahrhundert an. In den Jahren zwischen 1909 und 1 9 1 7 hatte man bemerkt, daß dieses Bild vom Holzwurm befallen war, und man hatte erste, wenn auch unzureichende Versuche zu seiner Erhaltung unternommen. Erst 1928 entschloß man sich zu der dem genannten Nogara übertragenen durchgreifenden Restaurierung 8 . Zunächst entfernte dieser ein Futter von Eichenholz, auf das die vier einzelnen Stücke der zersägten Tafel aufgeleimt waren.9 Diese Einzelstücke wurden desinfiziert, mit Schwalbenschwänzen wieder zusammengefügt und schließlich auf ein Metallgerüst montiert. Zahlreiche ältere Restaurierungen der Malschicht wurden entfernt, die Lasuren regeneriert. Um die Einheitlichkeit des Bildeindrucks zu erhalten, ließ Nogara jedoch die älteren Restaurierungen der zahlreichen kleinen Wurmlöcher unangetastet. Der durch Lasuren bestimmte, grünlich-braune Gesamtton des Bildes blieb dabei erhalten. Eine Untersuchung der Malsdiicht auf dem Kompartiment mit dem K o p f ergab jedoch, daß die ursprüngliche Färbung der Fleischteile rosafarben war, mit hellen, aufgesetzten Lichtern zur Heraushebung der Modellierung. Vielleicht w a r dieser lebhafte Ton der von Leonardo erwünschte, während das heutige verschleierte Grün-Braun das Ergebnis einer späteren Überarbeitung ist. Baldass vermutet, daß diese Tönung aus ästhetisierenden Gründen, nämlich um den krassen Realismus der Darstellung zu mildern, in späterer Zeit aufgetragen wurde 1 0 . Nogara meint jedoch, die Lasur könne bereits auf Leonardo zurückgehen 11 . Als gewichtiges Argument ließe sich hierfür anführen, daß die Florentiner Anbetungstafel (Abb. 72) in gleichem Zustand überliefert ist. Beide Bilder sind lediglich untermalt, im Grunde nur große Pinselvorzeichnungen über einer rötlichsandfarbenen Grundierung. Während jedoch im Anbetungsbild die wichtigsten Personen, die Madonna mit dem Kind, am wenigsten ausgeführt sind, ist bei der vatikanischen Tafel die Detaillierung beim Kopf des Hieronymus am weitesten getrieben. Hände und Füße des Heiligen, auch der Löwe sind jedoch nur im Umriß angelegt. Neben den großen Grundlinien der Komposition ist die Verteilung der Helligkeiten und Schatten bereits klar angedeutet. Die Hauptfiguren, der Heilige und sein Löwe, sind hell vor dem dunkleren Hintergrund abgesetzt, was einer der Forderungen in Leonardos „Malerbuch" entspricht 12 . "Während die Konturen scharf gezeichnet sind, ist die Modellierung bereits mit malerischen Mitteln angelegt. Ob jedoch, wie Baldass vermutet, aus den verschiedenen Farbtönen der Untermalung bereits die Grundgedanken der malerischen Ausführung ablesbar sind, ist zweifelhaft, denn die Gesamterscheinung des Bildes bleibt doch grün-bräunlich,

7

Nogara fig. 4. Vgl. den von Nogara selbst verfaßten Restaurierungsbericht. • Nogara fig. 2. 1« Baldass 17 j f. 11 Nogara 245. 11 Malerbuch Par. 233, vgl. 93 und 252. 8

6

D e r vatikanische Hieronymus

fast monochrom. Hingegen ist wohl die Vermutung von Seidlitz richtig, daß dieses Bild, wenn fertiggestellt, wohl den gleichen Grad malerischer Vollendung besessen hätte wie die „Mona Lisa" (Abb. 79) 13 . Die erwähnten Grüntöne kommen am stärksten im Landschaftsausschnitt der linken oberen Bildhälfte zur Geltung; im Himmel spielen sie schwach ins Blaue hinüber; im Felsen ist Grau zu beobachten14.

I, 3. Provenienz und hypothetische Identifikationen

Das Bild ist weder dokumentarisch belegt, noch in einer der älteren LeonardoViten erwähnt. Seine Geschichte läßt sich nur bis in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen. Angeblich wurde es um 1820 vom Kardinal Fesch, dem Onkel Napoleons, bei einem Trödler in Rom entdeckt. Damals, so heißt es, habe das Bild als Tür zu einem kleinen Schrank gedient, und der Kopf des Hieronymus sei herausgesägt gewesen. Einige Jahre später habe Fesch dann eine so glückliche Hand gehabt, auch das fehlende Stück mit dem Kopf aufzutreiben, nämlich in einer Schusterwerkstatt, wo es als Tischplatte oder als Schemel diente. Bei dieser bis heute in der Leonardo-Literatur durchgängig akzeptierten Auffindungsgeschichte15 handelt es sich aber höchstwahrscheinlich nur um eine Sammlerlegende - vielleicht sogar aufgebracht vom stolzen Besitzer, dem Kardinal Fesch. Zunächst einmal wäre es ein unwahrscheinlicher Glücksfall, zwei solcher Bildfragmente an verschiedenem Ort und in verschiedenen Jahren zu entdecken. Ferner dürfte die Mitteilung über die Verwendung des Teilstücks mit dem K o p f falsch sein. Die Seitenlänge dieses etwa quadratischen Stücks beträgt nämlich wenig mehr als 23 Zentimeter. Als Tischplatte kann es also nicht gedient haben, höchstens als der bewußte Schemel in der Schusterwerkstatt, welcher dann knapp die Größe eines Kinderstühlchens gehabt hätte. Zudem dürfte das Kopfstück als Sitzfläche eines Schusters kaum mehrere Jahre überstanden haben. Dennoch ist gerade dieses Stück am besten erhalten. Ferner finden sich an der Rückseite 16 keinerlei Spuren einer Befestigung allfälliger Schemelbeine. Überhaupt ist es ein grotesker Gedanke, sich diesen Heiligenkopf mit dem geöffneten Mund als Sitzfläche vorzustellen. W a s weiterhin die Verwendung der restlichen Tafel als Schranktür angeht, so ist auch dies unwahrscheinlich, hätte man doch mindestens die Fehlstelle zusetzen müssen. Schließlich wäre es notwendig zu erklären, warum Fesch ausgerechnet

13 Seidlitz 6 j . 14 Wünschenswert w ä r e eine Röntgenaufnahme des Bildes, die außer über den Erhaltungszustand vielleicht auch wichtige Aufschlüsse über Gestaltungsprozeß und Bildkonstruktion geben könnte, denn mit diesem Problem werden wir uns ausführlich befassen müssen. )5 16

V g l . die in A n m . i genannte Lit. N o g a r a fig. 3, reproduziert die freigelegte Rüdeseite der T a f e l .

Provenienz und hypothetische Identifikationen

7

diese „kopflose" und stark beschädigte Tafel in seine Sammlung aufnahm, wieso er erkannte, daß es sich hier um ein Werk Leonardos handelte, zu dem sich der K o p f wohl noch würde finden lassen. Angela Ottino della Chiesa hat deshalb vermutet, der K a r dinal habe das Bild schon vorher aus Gerlis 1 7 8 4 in Mailand publiziertem Stichwerk über Leonardo gekannt (Abb. j ) 1 7 . Aber der bei Gerli reproduzierte „Hieronymus" entspricht nicht dem vatikanischen Bild, vielmehr einer Zeichnung, die in der Mailänder Ambrosiana und in einer Variante in den Sammlungen zu Windsor aufbewahrt wird (Abb. 4, 6) 1 8 . Diese geben den Hieronymus bärtig und in gänzlich anderer Position, nämlich in Dreiviertelwendung von der Rückseite her wieder. Der besprochenen Ungereimtheiten wegen ist zu vermuten, daß alle Bildteile gemeinsam in den Besitz des Kardinals gelangten und vielleicht schon damals zusammengefügt waren. Wann der K o p f herausgesägt wurde, ob zu Zeiten Fesdis oder schon lange vorher 1 9 , läßt sich nicht entscheiden. Ein Grund für die Zerstückelung könnte gewesen sein, daß man den K o p f als am weitesten und sorgfältigsten ausgearbeiteten Bildteil separat als ein kleines Kabinettstück bewahren wollte. Jedenfalls scheinen alle Bildteile nach der Aufteilung in gleichem Besitz geblieben zu sein und wurden wahrscheinlich bald wieder zusammengefügt. Feste U m r i s s e g e w i n n t die Geschichte des Bildes erst dadurch, d a ß es

1839

beim T o d des K a r d i n a l s in dessen E r b m a s s e enthalten w a r . V o r h e r nennt nur R u m o h r im

1827

erschienenen z w e i t e n B a n d

der „Italienischen

Forschungen"

einen „ H i e r o n y m u s v o n L e o n a r d o " im Besitz Feschs 20 . V o n dessen E r b e n w u r d e d a s B i l d 1 8 4 5 u m 2 5 0 0 F r a n k e n a n P i u s I X . v e r k a u f t u n d gehört seitdem z u r Vatikanischen Pinakothek81. I m Z u s a m m e n h a n g m i t der Geschichte des Bildes m u ß a u f einige ältere N e n nungen v o n L e o n a r d o zugeschriebenen H i e r o n y m u s - D a r s t e l l u n g e n

eingegangen

w e r d e n . N i c h t identisch m i t dem vatikanischen B i l d k a n n ein dem L e o n a r d o 1 6 8 0 im I n v e n t a r des P a l a z z o del G i a r d i n o z u P a r m a zugeschriebener

„Hieronymus"

sein, denn es heißt, d e r H e i l i g e halte die Rechte v o r der B r u s t u n d in der L i n k e n

" Ottino della Chiesa, N r . 13. Gerli Tav. X X X I . 18 Zeichnung der Ambrosiana: Foto Braun 26. Abb. bei Luca Beltrami, I disegni di Leonardo e di sua scuola, 1904, T a v . I V . Ferner Abb. bei Müller-Walde. Zeidinung Windsor 12571 r. Diese sehr nahe bei Leonardo stehenden Zeichnungen gehören wahrscheinlich dem Predis; dazu unten! ,tt Audi die Hypothese, schon Leonardo habe die Tafel zerschnitten, ließe sich aufstellen: wahrscheinlich entstand das Bild noch in Florenz vor dem Weggang nach Mailand und der unfertige Zustand könnte eben durch die Abreise bedingt sein; L. hätte den Kopf dann mitgenommen, um nur ihn als ein wesentlich interessierendes Problemstück fertigzustellen, oder aber er hätte ihn mitgenommen, weil dies der am weitesten geförderte Teil der Tafel war. In der bekannten Liste im Codex Atlanticus 324, r , a , wo sehr wahrscheinlich die aus Florenz nach Mailand mitgenommenen Bilder, Zeichnungen und Skulpturen verzeichnet sind, werden nämlich auch „mehrere K ö p f e von Greisen" und „gewisse Hieronymusstudien" aufgezählt; dazu ausführlicher unten! Freilich bleibt das Problem bestehen, warum und wie der Kopf später wieder zu seinem in Florenz gebliebenen Rumpf gelangt sei. 20 Rumohr II 308, nennt das Bild „von untergeordnetem Werthe". Hingegen fehlt das Bild in der 1823 publizierten Beschreibung der Galerie Fesch durch Speth: B. Speth, Die Kunst in Italien, München 1823, 3. Bd. 1 3 1 - 1 3 3 . 21 A . Venturi 2$ ff. Rinaldis $9 f. Nogara 24$ Anm. 4.

8

Der vatikanische Hieronymus

ein Buch82. Einer der ersten modernen Leonardo-Forscher, J . B. Venturi, führt 1 7 9 7 einen „Hieronymus" in der Florentiner Sammlung Hugford an; da es sich jedoch um ein Relief gehandelt haben soll, ist eine Gleichsetzung mit unserem Bild ebenfalls ausgeschlossen23. Ein schwieriges Problem ergibt sich mit der - soviel ich sehe - zuerst 1 9 1 4 bei d'Achiardi mitgeteilten Nachricht, das vatikanische Bild habe früher der Malerin Angelica Kauffmann gehört, und nach deren Tod sei es verlorengegangen, bis Fesch es schließlich wiedergefunden habe24. Zunächst hat es den Anschein, als ließe sich diese Mitteilung d'Adiiardis durch Quellen stützen. August von Kotzebue, der die Kauffmann in ihrer römischen Wohnung in der Via Sistina N r . 72 besuchte, beriditet: „Ihre Wohnung athmet Kunst. Durch einen Saal, der ganz mit Statuen und Büsten angefüllt ist, kommt man in ihr Wohnzimmer, wo sie eine kleine auserlesene Sammlung von alten Gemälden sehr ordentlich unter seidenen Vorhängen bewahrt. Es ist ein heiliger Hieronymus, ihrer Sage nach von Leonardo da Vinci, darunter; ich bekenne, daß alles was ich von diesem Meister gesehen, einen ganz anderen Ton hat." 25 Dieses von Kotzebue erwähnte Hieronymusbild findet sich nun auch in dem 1803 von Angelica verfaßten und 1807 nach ihrem Tode eröffneten Testament, welches verfügte, ihr Kunstbesitz solle verkauft werden. U. a. wird genannt: „Ein anderes schönes auf eine Tafel gemaltes Gemälde, welches den Heiligen Hieronymus in der Wildnis vorstellet, eine ganz halb natürliche Figur [d. h. eine halbnackte Figur] vor dem Kreuze kniend, es wurde dieses Gemälde von mir für einen Leonard da Vinzi erhalten, ein dieses Autors würdiges, sehr gut bewahrtes Stück." 26 Leider lassen sich jedoch diese Nennungen von Hieronymusbildern Leonardos nicht bedenkenlos auf das vatikanische Exemplar beziehen. 1952 wurde im Depot des hannoverschen KestnerMuseums ein Hieronymusbild aufgefunden, das man bald - aufgrund der zugehörigen, in den Uffizien befindlichen Vorzeichnungen - als ein Werk Pontormos bestimmte (Abb. 9) 27 . Dieses Bild nimmt formal deutlichen Bezug auf den vatikanischen „Hieronymus" Leonardos, welchen Zusammenhang Berenson 1 9 1 2 schon bei der Besprechung der Vorzeichnungen Pontormos erkannte.28 Außerdem hat Pontormos Bild fast die gleichen Maße ( 8 0 X 1 0 5 cm, Pappelholz) wie dasjenige Leonardos, und es ist ebenfalls unvollendet. Während aber die Tafel Leonardos über die ganze Fläche hinweg nur in einer fast monochromen Pinselvorzeichnung angelegt ist, fehlen bei Pontormo lediglich einige Stellen im Hintergrund. 29 Ansonsten ist das hannoversche Bild bereits in seiner ganzen Farbigkeit durchgeführt, in einem „Reichtum der Tonstufen", der „von keiner Farb-

22

Rinaldis 59 f. Giuseppe Campori, Raccolta di Cataloghi, 1870, 216. „ U n San Girolamo con la mano destra al petto et alla sinistra vi ha un libro, di Leonardo da Vinci."

23

J . B. Venturi, Essai sur les ouvrages physico-mathématiques de Léonard de Vince, Paris

24

1797. 46.

Vgl. die in Anm. 1 genannte Lit., Nogara 243 und neuerdings auch Deoclecio Redig de Campos, Itinerario pittorico dei Musei Vaticani, Roma 19541 361 f. 25 August von Kotzebue, Erinnerungen von einer Reise aus Liefland nach Rom und Neapel, in: A . v . K - , Ausgewählte prosaische Schriften Bd. 4 1 , Wien 1843, 2 4 3 - 2 4 $ . Vgl. Eugen Thurner, Angelika Kauffmann und die deutsche Dichtung, Bregenz o. J . (1968), 187. 2 « Josef Langl, Das Testament der Angelica Kauffmann, Z. f. bild. Kst. X X I V , 1888/89, 294 - 300. 27 Oertel 1 1 1 - 1 2 0 . 28 Berenson, Drawings ed. 1 9 1 2 Nr. 1968. « Oertel 1 1 8 und Abb. 7.

Provenienz und hypothetische Identifikationen

9

besdireibung zu erfassen" ist,30 der bis hin zu satten, leuchtenden Lasurfarben reicht. D a die Fehlstellen im Pontormo-Bild durch erst jetzt entfernte Übermalungen abgedeckt waren, konnte es früher als durchaus fertig gemalte Tafel gelten. Dieses Bild Pontormos stammt aus dem Besitz von August Kestner, dem Sohn der Goethe-Freundin Charlotte Kestner geb. Buff, die als „Werthers Lotte" in die Literaturgeschichte eingegangen ist. August Kestner lebte von 1817 bis zu seinem Tod im Jahr 1853 als Diplomat in Rom und ist durch die Verdienste bekannt, die er sich um das zeitgenössische Kunstleben, vor allem um die deutsch-römischen Künstler erwarb. Hödistwahrsdieinlich hat Kestner das Bild während seiner römischen Jahre angekauft. A m 24.6. 1834 schreibt er an seinen N e f f e n Herman Kestner, daß sich unter den im letzten Jahr erworbenen Bildern auch ein „Lionardo" befinde. 31 Oertel vermutet, daß möglicherweise die Hieronymustafel gemeint ist, und von der Osten ergänzt, daß unter den Bildern aus Kestner-Besitz sonst nur ein dem Fra Bartolommeo zugeschriebener K o p f eines bärtigen Mannes in Frage käme. 31 Jedenfalls besteht nunmehr die Möglichkeit, daß der Kestner gehörende »Hieronymus" damals fälschlich dem Leonardo zugeschrieben wurde und mit dem Bild der Angelica Kauffmann identisch ist, daß weiterhin das vatikanische Bild nicht der Kauffmann gehörte. Dafür sprechen folgende Gründe: Weder Kotzebue noch die Kauffmann erwähnen das auffälligste Merkmal der vatikanischen Tafel, daß es sich nämlich nicht um ein fertiges Gemälde, sondern nur um die Vorzeichnung zu einem solchen handelt. Außerdem nennt die Kauffmann ihr Bild ein „sehr gut bewahrtes Stück", was von der schlecht erhaltenen vatikanischen Tafel nicht behauptet werden kann, wohl aber von der hannöversdien, wenn man berücksichtigt, daß die Fehlstellen des Hintergrunds zugemalt waren. Wenn Kotzebue einen „ganz anderen T o n " als sonst bei Leonardo findet, so könnte sich dies nidit auf die rötlich-sandfarbene Untermalung des Leonardo-Bildes beziehen, denn eine soldie Untermalung war ja auch sonst von Leonardo bekannt - man vergleiche die Würdigung der Florentiner „Anbetung" durdi Rumohr. 33 Vielmehr könnte Kotzebue damit das über weißem Grund transparent gemalte und so in der Farbigkeit von Leonardo gänzlich unterschiedene Pontormo-Bild meinen. Ferner erwähnt die Kauffmann, ihr Hieronymus knie »vor dem Kreuze«. Das ist bei Pontormo ein prononciert vorgetragenes Motiv, während bei Leonardo das Kreuz kaum sichtbar am äußersten Bildrand nur sdiwach skizziert ist. Schließlich ist noch anzuführen, daß gerade dem im Kreis der Deutsch-Römer lebenden Kestner das Pontormo-Bild aus dem Nachlaß der Kauffmann hätte zukommen können. Endgültige Klarkeit könnte evtl. bei weiterer Durchsicht der zeitgenössischen Quellen oder mittels eines Nachweises von Reflexen entweder der einen oder anderen Hieronymustafel im Oeuvre der Kauffmann erbracht werden; so bietet eine kniende Figur in dem in Wien befindlichen »Begräbnis der Pallas" eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Bild Pontormos. 34

Als Ergebnis langer Überlegungen bleibt zunächst nur, daß es sich bei dem angeblichen Leonardo-Bild der Kauffmann um den heute in Hannover befindlichen „Hieronymus" des Pontormo gehandelt haben dürfte. Es ist jedoch noch

11 82

33 34

ebd. 188. ebd. 120 A n m . 18. Gert v o n der Osten, K a t a l o g der Gemälde alter Meister in der Niedersädisisdien Landesgalerie Hannover, Hannover 1954, N r . 279. Rumohr III, 89. Man vgl. die Figur am linken Bildrand. Das Bild wurde 1783 gemalt. Eckart von S y d o w , Die Kultur des deutschen Klassizismus, Berlin 1926, A b b . 63, und: Album figuraler Compositionen von Angelica Kauffmann, nach Originalen aus der Albertina, Wien o. J. N r . 5.

Der vatikanische Hieronymus

10

einmal hervorzuheben, daß es sich beim vatikanischen „Hieronymus" um eines der wenigen Bilder Leonardos handelt, deren Eigenhändigkeit stets und uneingeschränkt anerkannt worden ist.

II, i. Bildtradition Ein erster Versuch, die dem „Hieronymus" Leonardos unmittelbar vorausgehende Bildtradition zu erfassen, ist von Meinhoff' 5 gemacht worden: sicherlich richtig, daß eine Verwand tschaft zwischen Leonardos Bild und einer HieronymusKomposition des Antonio Pollaiuolo bestehe. Diese ist uns in einer schlecht erhaltenen Zeichnung der Uffizien 84 und in einem recht frei variierenden Kupferstich (im Gegensinn) überliefert (Abb. 7). Die Zeichnung ist um etwa 1466 zu datieren, und wie die Vervielfältigung im Kupferstich vermuten läßt, ist hier eine in der Lehrergeneration Leonardos allgemein bekannte Komposition wiedergegeben 37 . Gerade in der Gebärde des abgestreckten Arms und in der Zusammenstellung mit dem vorn lagernden Löwen gibt die Komposition Pollaiuolos ein Vorbild für Leonardo ab. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch hinsichtlich des Kniemotivs beider Hieronymusfiguren. Bei Pollaiuolo sind beide Knie parallel nebeneinander auf den Boden gesetzt, wodurch eine starre, schräg zur Bildebene stehende Körperfront zustandekommt; der Kopf, die Unterschenkel, selbst der weit abgestreckte Arm sind dieser Front als Parallelen oder Senkrechte zugeordnet. Im Unterschied dazu ist die „plastische Sequenz"*8 des vatikanischen „Hieronymus" ganz auf das kontrapostische Kniemotiv gegründet. Noch im weit zurückschwingenden Arm und in der Schrägstellung des Kopfes erscheint die „rhythmische Kontinuität" dieser Pose. In viel stärkerem Maße als bei Pollaiuolo wird bei Leonardo das Gesamtbild durch die Figur, die Figur aber durch das Kniemotiv bestimmt, womit die Bedeutung des pollaiuolesken Vorbildes einigermaßen abgeschwächt erscheint.

Meinhoff 102 f. Sonst hat nur W . Suida, 81, nach Beziehungen der Hieronymus-Tafel zur zeitgenössischen Kunst gesucht. D a er die Entstehung des Bildes jedoch fälschlich erst in die 90er Jahre setzt, findet er nur Beziehungen im mailändisdien Bereich, welche sich aber nur aus der Nachwirkung Leonardos erklären, s. u.! sä Berenson, Drawings N r . 1934. 35

37

Die zuerst v o n Berenson vorgenommene Zuschreibung der Zeichnung an Pollaiuolo ist keineswegs gesichert. Es ist gut möglich, daß sowohl Zeichnung wie Kupferstich auf ein verlorenes, beiden gemeinsames drittes Stüdk, vielleicht auf ein bekanntes Gemälde Pollaiuolos zurückgehen. Jedenfalls ist der Stich nicht unmittelbar nach der Zeichnung gemacht. D a s zeigen so wichtige motivische Unterschiede wie die Ansicht des Kruzifixes v o n vorn, b z w . hinten.

»8 C l a r k 44.

Bildtradition

Meinhoff hat nun als einzige und wesentliche Vorstufe für dieses wichtigste Motiv des kontrapostischen Kniens den „Hieronymus" des Cosimo Tura in der Londoner Nationalgalerie angesehen (Abb. 12): die Pose sei im Gegensinn fast wörtlich vorweggenommen und eine direkte Abhängigkeit Leonardos sei wahrscheinlich39. Dies läßt sich nicht aufrechterhalten. Z. B. zeigt ein oberitalienischer (meist dem Mantegna zugeschriebener) „Hieronymus" in der Mellon Collection zu Washington das gleiche Kniemotiv, zudem wie audh bei Leonardo das Bußkreuz merkwürdig nah an den Bildrand gerückt und den rechten Arm seitlich (nicht aber wie bei Tura nach oben) abgestreckt (Abb. 13) 40 . Darüber hinaus ist dieses Kniemotiv nicht an die Hieronymusikonographie gebunden, sondern in anderen Themenbereichen der italienischen Malerei längst und häufig verbreitet. Man denke nur an Giottos „Stigmatisation des Hl. Franz" in den Fresken zu Assisi oder an Benozzo Gozzolis Christus im Sebastiansfresko in S. Agostino zu San Gimignano 41 . Es handelt sich hier um eine der Varianten des kontrapostischen Kniens, die zu den in breiter Schichtung aus der Antike überlieferten Motiven des „knienden Knaben" und des „knienden Persers" hinzutritt. Vor allem auch in der Plastik der Renaissance spielt sie eine Rolle: Brunelleschis und Donatellos „Isaakopfer", die Kleinbronzen Riccios und seines Umkreises, der „Astbrecher" Peter Vischers d. Ä. und viele andere Beispiele können beigebracht werden42. Die antiken Quellen hierzu fließen reichlich: Atlanten, Athleten, Faune, besiegte Krieger, insbesondere Figuren von Schlachtendarstellungen sind zu nennen43. Die breite Streuung und die Selbstverständlichkeit des Motivs zeigt sich im übrigen auch beim jungen Leonardo und zwar mehrfach bei Werken, die dem „Hieronymus" vorausgehen. Die knienden Engel in der „Marienverkündigung" in den Uffizien (Abb. 10) und in dem großen unter Verrocchios Regie entstandenen Bild der „Taufe Christi" sind hier zu nennen. Ebenfalls in die Frühzeit gehört die Draperiestudie einer knienden Frau in der Galleria Corsini zu Rom44 und als dem „Hieronymus" zunächst stehende Vorstufe die Federzeichnung mit

Meinhoff 1 1 2 . Eberhard Ruhmer, T u r a - Paintings and Drawings, London 1 9 5 8 , 1 7 8 , datiert die T a f e l „um 1 4 8 0 " , w a s schon einen direkten Einfluß dieses Oberitalieners auf das kurz danadi in Florenz entstandene Bild Leonardos unwahrscheinlich madit. Renata Cipriani, T u t t a la pittura del Mantegna, M i l a n o 1 9 5 6 , T a v . 1 7 6 . " Berenson, Florentine School I I fig. 894; vgl. auch Gozzolis Fresken in Montefalco von ebd. fig. 883 f.

1452,

!2

' V g l . z. B. die Gegenüberstellung der etruskischen Satyrstatuette und des Schreibzeugs von Riccio bei Weihrauch fig. 62 und 63.

43

V g l . O t t o J . Brendel, A kneeling Persian - migrations of a motif, in: Essays in the history of art presented to Rudolf W i t t k o w e r , II, London 1 9 6 7 , 6 2 - 7 0 . Degenhart-Schmitt, Gentile da F a b r i a n o . . . 99 (zum M o t i v des „Knienden K n a b e n " und seiner Verbreitung). Überblick der antiken Quellen bei: Salomon Reinach, Repertoire de la statuaire grecque et romaine I - V , Paris 1 9 0 6 - 1 9 2 4 , z . B . I, 1 4 1 , 400, 5 2 2 , 5 2 5 ; I I , 200, 6 3 4 , 8 1 0 ; I I I , 1 2 6 ; I V , 20, 1 1 4 , 1 1 6 ; V , 284.

14

Popham N r . 1.

12

Der vatikanisdie Hieronymus

dem Verkündigungsengel im Britischen Museum (Abb. n ) 4 s ; hier ist der „Hieronymus" nicht nur im Kniemotiv sondern auch in Kopfwendung und Haltung des rechten Arms vorbereitet". Audi in späterer Zeit noch, in der 1504 entstandenen Version einer „Knienden Leda", die verloren und nur durch Zeichnungen in Chatsworth, Rotterdam, Windsor, durch den Codex Atlanticus und durch die freie Variante Giampetrinos überliefert ist 47 , hat Leonardo in der Anordnung von Knien, Arm und Kopf die Bewegungsmotive des „Hieronymus" wieder aufgenommen 48 . Bezeichnenderweise hat man gerade f ü r diese kniende Leda antike Vorbilder gesucht; Goldscheider hat die Kopie einer hellenistischen Venus im römischen Thermenmuseum, Clark hat Nereidensarkophage herangezogen 49 , aber bei der Allgemeinheit und breiten Streuung eines solchen Motivs ist es müßig, auf einer bestimmten Antikenvorlage zu insistieren.

II, 2. Maß und Proportion Enger aber als durch das vielfach gespiegelte und gefilterte, zu einer allgemeinen Formel gewordene Kniemotiv ist Leonardos „Hieronymus" mit der Antike verknüpft. Dies festzustellen müssen wir zunächst in eine genauere Untersuchung der Bildmaße und Bildproportionen eintreten. Bildformat: Zunächst könnte man vermuten, die Hieronymustafel sei irgendwann an den Rändern beschnitten worden, habe ursprünglich vielleicht ein Querformat dargestellt. D a z u gäbe folgendes Anlaß: das harte Anstoßen des ausgestreckten Arms am linken Bildrand, die Überschneidung des Löwen auf der rechten Seite; ebenfalls hart an den rechten Rand gedrängt das knapp skizzierte Bußkreuz. Außerdem öffnet sich die Landschaft in der für Leonardo in mancher Hinsicht vorbildlichen Komposition Pollaiuolos (Abb. 7, seitenverkehrt in der freien Variante des Kupferstichs reproduziert) weit nadi rechts hin, so daß ein Querformat entsteht, welches das ganz nach dieser Seite hin gerichtete Bewegungsmotiv der Figur auffängt. Leonardos Bild zeigt - sieht man von der Rückwendung des Löwenkopfs ab - die gleiche einseitige Bewegungsrichtung und scheint einen

45 48

47 48 49

Popham N r . 29 B. Hierauf weist: Wilhelm Suida, Leonardo's activity as a painter, in: Leonardo - Saggi e ricerche - a cura del comitato nazionale per le onoranze a Leonardo da V i n c i . . . o.O.o.J. (Roma 1952), 318. Überblick bei Goldscheider 168 f. Seidlitz, 336 f., weist sdion auf diese Übereinstimmung hin. Goldscheider 168 und Abb. S. 169. Clark, Leonardo and the antique, 18 ff.

M a ß und Proportion

13

gleichen größeren Bildraum zu verlangen. Schließlich macht die Tatsache, daß die Tafel einmal zersägt worden ist, eine solche Schmälerung nicht unwahrscheinlich. A b e r gerade das harte, genaue Anstoßen des Arms des Hieronymus am linken Bildrand ist ein charakteristisches M o t i v des jungen Leonardo. Z w e i in Windsor und N e w Y o r k befindliche Vorzeichnungen Leonardos zu einer heute verlorenen und nur in Reflexen w i e der sogen. „ M a d o n n a H a r r i s " greifbaren Komposition überliefern bei der am Erdboden v o r dem K i n d knienden M a r i a das gleiche M o t i v des rechten bis hart an den Bildrand abgestreckten A r m s (Abb. 26, 27) 5 0 . A u d i das k n a p p an den Bildrand gesetzte Bußkreuz ist nicht ungewöhnlich; es findet sich bereits in der Leonardos Bild vorangehenden Hieronymusikonographie - man vergleiche nur die Darstellung Piero della Francescas im Berliner Museum oder die bereits erwähnte, dem Mantegna zugeschriebene T a f e l in Washington (Abb. 1 3 ) " . Was die Überschneidung des ruhenden Löwen angeht, so ist auch dies keineswegs ungewöhnlich. Es scheint sich hier um eine Anspielung auf eine klassische Löwendarstellung der Florentiner Renaissance zu handeln. In seinem Schreiben an die Bauverweser des Doms von Piacenza hat Leonardo die Baptisteriumstüren Ghibertis als ein großartiges Hauptwerk der Florentiner Kunst gerühmt, si und eben hier ist der lagernden Löwin in der Noah-Szene der Paradiesestür der gebogene Schweif in ähnlicher auffälliger Art vom Bildrahmen beschnitten wie bei dem Exemplar Leonardos die Vorderpranken (Abb. 8). Im übrigen korrespondieren die bildparallele Lagerung und vor allem die Rückwendung des zum Murren oder Brüllen geöffneten Maules. Unübersehbar ist auch, daß Ghibertis Löwin auf die Darstellung Pollaiuolos (Abb. 7), damit in zweiter Filialgeneration auf diejenige Leonardos eingewirkt hat; man vergleiche hier auch die übereinandergelegten Vorderpranken! Zunächst ist jedoch anzunehmen, daß Leonardo die Löwin der berühmten Bronzetür als unmittelbare Anregung vor Augen stand, 53 daß hier eine Legitimation für die überschneidende Randanordnung gegeben war. A m stärksten w i r d das heutige B i l d f o r m a t durch die B i l d - und Figurenproportion bestätigt. D a m i t treten w i r sogleich in eine Untersuchung der Bildkomposition ein. D i e M a ß e der T a f e l (gewöhnlich mit 7 5 : 1 0 3 cm angegeben) entsprechen ziemlich genau einem Verhältnis v o n 3 : 4 wie Breite zu Höhe. Die am exakten Verhältnis 3 : 4 fehlende Differenz von 2,25 cm ist höchstwahrscheinlich durch folgende Faktoren bedingt: das Bild ist auf zwei senkrecht verlaufende, an-

50

51 M M

W 1 2 5 6 0 , von C l a r k datiert auf 1 4 8 5 . N e w Y o r k , Metr. Mus. bei Popham N r . 1 5 9 , w o auf etwa 1 4 8 3 datiert ist. D e r Nachweis, daß es sich hier um eine eigene Komposition des jungen Leonardo handelt, wurde zuerst von Suida (Monatsh. f. Kst. Wiss. 1 9 2 0 , 284), ausführlich dann von Emil Möller (Z. f. bild. Kst. 1 9 2 9 , 2 1 7 ) geführt. Tancred Borenius (Burl. M a g . L V I , 1 4 2 ) präsentierte die H a r r i s - M a d o n n a (jetzt O x f o r d , Ashmolean Mus.) als angebl. Original. Andere Kopien im M a g a z i n der U f f i z i e n und in der Slg. Melzi d'Eril, Milano; vgl. die A b b . in: Leonardo da Vinci (Sammelband) 1 9 3 9 , S. 44 und $ 1 . V g l . A n m . 40. C A 3 2 3 r b und v b, Lücke 886. Freilich muß auch in Rechnung gestellt werden, daß die bei Leonardo gegenüber Ghiberti viel mächtigere Löwengestalt auf eigene Naturstudien zurückgeht, berichtet Leonardo doch selbst einmal v o n »unserer S t a d t Florenz, w o immer z w a n z i g bis f ü n f u n d z w a n z i g L ö w e n sind und Junge w e r f e n " (Quaderni I V , 9 v ; Lücke 99).

D e r vatikanische Hieronymus

i4

einandergeleimte Bretter aus Nußbaumholz gemalt. Während der im Verlauf von knapp 500 Jahren anzusetzende Schwund der Tafel in Längsrichtung der Faser minimal ist, kann der Schwund in Querrichtung zum Faserverlauf mit 1 - 2 % angesetzt werden, was schon eine Breitenminderung von etwa 1,$ cm ergibt.54 Ein weiterer Teil der Breite geht durch die starke Einwölbung der Tafel verloren. Die Tafel ist zudem über Eck leicht verzogen, und wie sich am Verhältnis von Rahmen und Tafelrand ablesen läßt, sind die Außenmaße leicht wechselnd. Schließlich ist anzunehmen, daß bei der Auseinandernähme und Wiederzusammensetzung der Tafel, einer Prozedur, die mindestens einmal vorgenommen wurde, die Stoßkanten der zwei Bretter leicht behobelt wurden, um neuen Grund für die Leimung zu gewinnen; kleine Verschiebungen der Zeichnung an eben der Stoßkante - man vgl. den Schwanzansatz des Löwen - weisen in eben dieser Hinsicht auf eine Breitenminderung.

Dieses Verhältnis 3:4 ist in der Proportionslehre der Renaissance allgemein geläufig und als harmonisch anerkannt55. Der nach festem Zahlenverhältnis ausgelegten Gesamtproportionierung entsprechend beruht auch die Einordnung der Figur in das Bildfeld auf Zahl und Geometrie. „Linea perpendicolare" :(Abb. 17). Die vertikaleBildmittelachse läuft genau durch den Punkt, an dem das Körpergewicht des Hieronymus mit dem linken Knie auf dem Boden aufruht. Wie jedermann durch Niederknien in Stellung dieser Figur nachprüfen kann, ist der rechte Fuß dabei nur ganz leicht auf den Boden aufgestellt; u. a. wird diese Gewichtsverteilung durch den weit abgestreckten rechten Arm, die leicht absinkende linke Schulter und durch die Schrägstellung des Kopfs bewirkt. Leonardo hat diese Gewichtsverteilung beim Knien ausführlich beschrieben, als er den Vorgang des Aufstehens aus beidbeiniger Knieposition untersuchte. Im „Malerbuch" heißt es: „ . . . indem man von beiden Knien aufsteht, lädt man zuerst das ganze Gewicht des Oberkörpers auf das eine Knie und entlastet das andere. Währenddem spürt dieses andere Bein kein sonstiges Gewicht als sein eigenes; es hebt daher mit Leichtigkeit sein Knie vom Boden und setzt die ganze Fußsohle flach auf die Erde." 56 Erst bei einer Schulterverlagerung, beim Abstrekken des linken Arms sowie Anziehung des rechten an die Brust würde sich das Gewicht mehr auf die aufgestellte rechte Fußsohle verlagern. Weiterhin läuft die vertikale Bildmittelachse durch etwa den Punkt, an dem der oberste Nackenwirbel dieser Kniefigur vorzustellen ist. Damit ist die Bildmittelachse identisch mit der Gravitationslinie der Figur. Leonardo hat in seinen Studien zu Bewegung und Balance des Menschen ausführliche Beobachtungen über diese Linie angestellt, die er gewöhnlich die „linea centrale" oder auch die „per-

54

Frdl. Mitteilung von H e r r n Ernst Willemsen, Landesamt f ü r Denkmalpflege Bonn.

;,r>

V g l . z . B . R u d o l f Wittkower, Architectural principles in the age of humanism, London 1 9 6 2 ,

58

Malerbudi ed. L u d w i g , Par. 3 5 2 ;

1 0 7 ff. vgl. die analoge Beschreibung der

Gewichtsverlagerung

beim Aufstehen aus dem Sitz auf flachem Boden in: W 1 9 0 7 0 r, Richter Par. 3 7 0 .

Maß und Proportion

i$

pendicolare sotto il centro della gravita dell'uomo" nennt (Abb. 19, 21) 5 7 . Nicht nur ist diese Linie mehrfach in den Randzeichnungen überliefert, die als Kopien nach Leonardo-Originalen das dritte Buch des Malereitraktats erläutern, 68 sondern sie erscheint auch in den Originalzeichnungen Leonardos immer dann, wenn Probleme der Bewegung, Gewichtsverschiebung und Balance abgehandelt werden: etwa auf jener Windsor-Zeichnung, die von der Mechanik des Treppensteigens handelt, wobei auch die kontrapostischen Haltungen auftreten, wie sie f ü r unsere Kniefigur charakteristisch sind: „sempre il centro del peso dell'uomo, die leva Tun de' piedi da terra, resta sopra del centro della pianta del suo piede." 5 » Ferner sei noch auf die Illustrationen zu Leonardos Bewegungsstudien im Pariser Manuskript A hingewiesen. 60 Spezialproblemen der Gewichtsverlagerung - etwa bei Veränderung der Lage der Wirbelsäule oder der Schulterhaltung, was beides auch f ü r den „Hieronymus" wichtig ist - hat Leonardo im einzelnen nachgespürt.' 1 Schließlich tritt mit dem gewichtigen Stein, den Hieronymus in der abgestreckten Rechten hält, ein Sonderfall der Gleichgewichtslehre ein: „Eine Figur, die ein Gewicht von sich und der Mittellinie ihrer Masse weghält, muß auf der entgegengesetzten Seite soviel natürliches (eigenes) oder aber zufälliges Gewicht hervorstrecken, als nottut, die Gewichte um die Zentrallinie her ins Gleiche zu bringen, die von der Mitte des aufruhenden Teils des Standfußes herkommt und durch die ganze Summe der Gewichte hindurchgeht, das sich über diesem auf die Erde gesetzten Teil der Füße befindet." So die Formulierung im Malereitraktat' 2 oder auch als allgemeines physikalisches Gesetz gefaßt in den zahlreichen Bemerkungen zur Waage. 63 Man könnte nun einwenden, daß alle hier beizubringenden, die „linea perpendicolare" bei Leonardo betreffenden Beispiele erst aus Manuskripten und Zeichnungen späterer Zeit stammen und sich so keineswegs schon mit dem früh entstandenen Hieronymusbild in Verbindung bringen lassen. So sind etwa die Noten zum Malereitraktat, insofern sie sich noch in den originalen Manuskripten nachweisen lassen, sämtlich erst in die Jahre 1 4 9 0 - 1 5 1 3 zu datieren64. Dennoch müssen die Grundvorstellungen bereits dem jungen Leonardo geläufig gewesen sein. Z. B. ist ein so komplizierter Sonderfall wie jener der Balance bei einer mit Fremdgewicht belasteten menschlichen Figur schon in der Leonardo vorangehenden Generation der Lehrer behandelt worden. In Leonardos Traktat erscheint dieses Problem als mit Herkules, der den Antäus hochhebt, illustriert (Abb. 22); und

57 M

s® 111

83 64

Vgl. das 3. Buch des Malerbuchs ed. Ludwig, z. B. Par. 314. Weiterhin Cod. For. II, 45 b; bei Richter Par. 376 mit PI. XXIII. Vgl. vor allem die Versionen im Cod. Urbinas, Bibl. Vat., der in Facsimile reproduziert ist bei: Treatise on painting ed. Mc. Mahon. W 1 9 0 3 8 v. Richter Par. 3 7 J PI. XXIII. Ms. A 29 a und 28 b. Richter Par. 359 und 369, PI. XXII. W 1 9 0 3 8 und W 1 9 0 9 4 , ferner Malerbuch ed. Ludwig Par. 3 1 8 : „Ruht eine Figur auf dem einen Fuß, so wird die Schulter der Standseite stets niedriger sein, als die andere und die Halsgrube wird sich mitten über dem Standbeine befinden." Malerbuch ed. Ludwig Par. 314. Zusammenstellung etwa bei Lücke 379 ff. Vgl. zuletzt L. H. Heydenreich, Introduction to: Treatise on painting ed. McMahon, I, pag. XXIX. Carlo Pedretri, Leonorda da Vinci on painting, a lost book (Libro A), London 1 9 6 5 .

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Der vatikanische Hieronymus

eben an dieser Darstellung hatte schon Antonio Pollaiuolo in der bekannten, vielleicht von Albertis Traktat über die Skulptur angeregten Kleinbronze (Abb. 23)®' das Problem der Ponderation durchgespielt, ja, er hatte es als Exemplum einer Kunst dargeboten, die allen eingeführten Komplikationen zum Trotz den Regeln der Schwerkraft gerecht wird. Die normative Bedeutung dieser Gruppe zeigt sich schon in den zahlreichen Repliken und Varianten des Quattrocento und noch in der weiten Wirkung auf die künstlich ponderierten Gruppen Giovanni Bolognas und selbst des jungen Bernini. Auch wenn die richtige Anwendung der „linea perpendicolare" erst in den neunziger Jahren verbal artikuliert und durch Leonardos naturwissenschaftliche Studien grundsätzlich behandelt und verfeinert wird, so ist sie doch schon vorher bei Pollaiuolo nachdrücklich im Bild demonstriert, und sicher sucht der junge Leonardo des „Hieronymus" solcher Regeldarstellung nachzueifern. In diesem Eifer nach Darstellung von Bewegung und Ponderation unterscheidet er sidi nicht von den Zeitgenossen. Man vergleiche nur die Bewegungsdemonstrationen im Grunde der vatikanischen „Schlüsselübergabe" des Perugino mit den etwa gleichzeitigen Figurenstudien Leonardos zum Anbetungsbild (Abb. 20, 34)! Wir können also annehmen, daß die Gravitationslinie der Hieronymusfigur von Leonardo bewußt studiert und bewußt in die Bildkomposition eingebracht wurde, indem er sie mit der vertikalen Bildmittelachse zusammenfallen ließ. Bildraster: Mindestens drei deutlich ablesbare Markierungen werden auf der Mittelsenkrediten des Bildes durch Schnittpunkte mit Horizontalachsen gesetzt (Abb. 17). An dem Punkt, an dem das linke Knie der Figur den Boden berührt, d. h. am Fußpunkt der Gravitationslinie, sdineidet eine Horizontale genau ein Drittel der Bildhöhe vom unteren Rand her gerechnet ab. Die zweite Horizontale schneidet die Mittelsenkrechte genau in halber Bildhöhe, d. h. im Bildmittelpunkt, in dem sich auch die Bilddiagonalen treffen. Dieser Punkt bezeichnet etwa die Mitte der Kniescheibe über dem aufgestützten rechten Bein. Stellt man sich die Figur räumlich-plastisch vor, so ist dies gleichzeitig der Punkt, an dem die Figur am meisten in Richtung auf den Betrachter hervortritt. Durch Übereinanderordnung beider Knie in der Mittelsenkrechten des Bildes wird schließlich angezeigt, daß Beine und Unterkörper der Figur um etwa 4$ Grad aus der Bildebene herausgedreht sind. Dabei ist der rechte Fuß wieder zurückgedreht und zeigt sich in senkrechter Stellung zur Bildebene in voller Verkürzung. Nicht ganz zurückgedreht, damit nidit ganz bildparallel, erscheint hingegen der Oberkörper der Figur. Das künstlich Zusammengesetzte dieser Anordnung geht gerade aus der Rückdrehung des rechten Fußes hervor - eine Stellung, die beim natürlichen Modell nur schwer nachzuvollziehen ist. Dieser die ganze Figur betreffende ständige Wechsel der Gliederstellung entspricht dem mindestens seit M

Vgl. Leopold Ettlinger, Pollaiuolo, in: Enc. Univ. dell' Arte X , Venezia 1963, 736.

Maß und Proportion

17

Alberti hochgeschätzten Ideal der „varietà" 46 , die auch in Leonardos „Malerbuch" wiederholt gefordert wird: so wenn der Maler keine stereotypen sondern ständig variierende Physiognomien darstellen soll67, oder wenn es in einer fast auf den „Hieronymus" anwendbaren Stelle heißt: „Pflege den Kopf nie ebendahin gewendet sein zu lassen, wohin sich die Brust dreht, noch den Arm in gleicher Richtung mit dem Bein gehen zu lassen. Und wenn sich der Kopf nach der rechten Schulter hin dreht, so lasse seine Teile auf der linken Seite niedriger stehen, als die auf der rechten. Steht die Brust gerade nach vorn, so mache, daß am Kopf, wenn dieser sich zur Linken wendet, die rechtsseitigen Teile höher stehen als die linksseitigen."68 Kehren wir zunächst vom Problem der räumlich-plastischen Ordnung der Figur zu dem der Aufteilung der Bildflädie zurück! Es zeigt sich, daß die Gravitationslinie der Figur gerade da von einer weiteren Horizontalen geschnitten wird, wo sie aus dem Nackenwirbel der nach vorn gebeugten Figur austritt. Diese Horizontale halbiert die Strecke zwischen der vorgenannten, durch das Knie laufenden Linie und dem oberen Bildrand, d. h. sie viertelt die Bildhöhe. Ziehen wir nun ein Viertel der Bildhöhe vom unteren Rand her gerechnet ab, so erreichen wir fast den Punkt, bis zu dem die Figur mit dem vorgestreckten rediten Fuß nach unten reicht. Da die Bildhöhe sowohl gedrittelt wie geviertelt erscheint, da drei und vier in zwölf aufgehen, ist zunächst eine zwölfteilige Rasterung - gemessen an der Gesamthöhe des Bildes - zu vermuten. In späteren Überlegungen wird dieser hilfsweise übergelegte Raster zu differenzieren sein. Zunächst überziehen wir die im Verhältnis 3:4 ausgelegte Tafel mit einem 9 : 1 2 Einheiten betragenden Quadratnetz. Die Stimmigkeit dieses Systems geht nicht nur aus den Teilungsverhältnissen hervor, aus denen es abgeleitet wurde, sondern auch aus anderen nun erst sichtbar werdenden Achsen, die die Komposition bestimmen. Als wichtigste ist die eine Rastereinheit über der Bildmitte liegende Horizontale zu nennen: Sie läuft durch die Mitte der ausgestreckten rechten Faust und durch die Mitte des linken Ellenbogens und ist zugleich die Linie der größten Breitenerstreckung der Figur. Während die Faust an den linken Bildrand stößt, entfernt sich der äußerste Punkt des linken Ellenbogens genau zwei Rastereinheiten von der Mittelsenkrediten. Faßt man die Figur räumlich-plastisch auf und redinet ihre Höhe vom aufgesetzten linken Knie bis zum Scheitel, was etwa sechs Rastereinheiten ausmacht, so liegt ihre größte durch die genannte Horizontale bestimmte Breitenerstreckung bei der dritten Rastereinheit über dem Boden, d. h. genau auf halber Höhe zwischen Boden und Scheitel. Wir werden weiter unten jene hier einschlägige Windsorzeichnung (Abb. 18) zu behandeln haben, die zeigt, wie beim knienden Men-

M

Martin Gosebruch, Varietà bei Leon Battista Alberti und der wissensdtaftliche Renaissancebegriff, Z. f. Kg. X X , 1957, 229-238. 07 Malerbudi ed. Ludwig Par. 107. «s Malerbudi ed. Ludwig Par. 88.

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Der vatikanische Hieronymus

sehen, der die Hände auf die Brust hält, durch die Horizontalverbindung zwischen den Ellenbogenspitzen die Gesamthöhe eines Knienden halbiert wird; genau dies ist beim „Hieronymus" der Fall. Proportion und Bewegung: Um die kompositionell merkwürdige Einordnung der Figur in das Bildfeld, um vor allem die Verschiebung bis an den linken Bildrand zu verstehen, müssen nun zunächst Leonardos Anschauungen über die Abhängigkeit von Proportion und Bewegung herangezogen werden. Es geht dabei um den im „Malerbuch" so benannten „moto actionale", d. h. um die Bewegung des menschlichen Körpers ohne Ortsveränderung - im Gegensatz zum „moto lochale", also der Lokomotion". Die Kniestellung, „ginochioni", gehört nach Leonardo zu den „modi die figurare le 18 operationi dell'omo", sie ist eine unter den 18 Hauptstellungen und Hauptbewegungen, die der Maler zu beachten hat70. Das Ausgangsmaß für alle Proportionssysteme der Renaissance ist nun aber der aufrecht stehende Mensch. Zwar gab es im 15. Jahrhundert Meinungsverschiedenheiten, wie nun die Körperlänge im einzelnen aufzuteilen sei, ob nach dem vitruvianischen Kanon oder nach dem sogen. „Kanon des Varro", den - in einer Variante - z„ B. Ghiberti empfahl. Die gesamte Körperlänge des stehenden Menschen als ein Grundmaß war aber unter Berufung auf jene berühmte Stelle im dritten Buch der vitruvianischen „Architektur" allgemein anerkannt. Dort war als ein Beweis für die Harmonie und Vollkommenheit dieses Körpermaßes angeführt, daß der wohlproportionierte Mensch bei ausgestreckten Armen von den vollkommensten geometrischen Formen, vom Kreis und vom Quadrat, umschrieben sei. In der bekannten Zeichnung der venezianischen Akademie (Abb. 24) hat Leonardo diese Vitruvstelle selbst zu interpretieren gesucht; diese Zeidinung ist um 1490 entstanden. Wie nun sind die mutierten Maße und Proportionen der Kniefigur aus der Standardposition des stehenden Menschen abzuleiten? Panofsky hat darauf hingewiesen, daß bereits die genannte venezianische Vitruvzeichnung Leonardos Elemente seiner Bewegungstheorie enthält - ein „cinematographic element" indem nämlich die zwei bei Vitruv beschriebenen Stellungen des Menschen in Kreis und Quadrat in einem Diagramm vereint sind und so die durch Veränderung der Arm- und Beinhaltungen entstandenen Maßdifferenzen sichtbar machen71. Im erläuternden Text zu dieser Zeichnung hat Leonardo selbst die Proportionsänderungen beschrieben, die bei Abweichung aus der Grundposition entstehen72. Sicher ist, daß Leonardo sogar Traktate über die Proportion und die Proportionsveränderungen des menschlichen Körpers in Bewegung geplant hatte. Ob er 09

Malerbudi ed. Ludwig Par. 304. "o Ashb. I (BN 2038) 29 a, Riditer Par. 368. 71 Panofsky, Cod. Huyg. 122 ff. Vgl. Anm. 78: „Se tu apri tanto le gambe . . . etc."

M a ß und Proportion

19

aber jemals zu einer zusammenfassenden Niederschrift seiner Ansichten gelangte, ist nicht zu klären. So sind wir bei der Beurteilung seiner Proportions- und Bewegungslehre auf die relativ wenigen in den Manuskripten verstreuten Fragmente angewiesen. In den geplanten Traktaten hätten wohl die oben erwähnten „ 1 8 operationi dell'omo" ihre Darstellung gefunden. Z . B. verweist Leonardo im Malereitraktat auf ein „quarto libro delli moti", und Luca Pacioli erwähnt in seinem 1498 erschienenen Buch über die „Divina Proportione", daß sich Leonardo (der selbst an diesem Werk Paciolis Anteil hat) auch mit Eifer dem Studium der menschlichen Bewegungen gewidmet habe. Später hat Lomazzo jene Stelle des Malereitraktats bestätigt, an der Leonardo auf sein Buch von der menschlichen Proportion verweist 7 3 . Was unser spezielles Problem der Abweichung von der Standardposition angeht, so handelt etwa W 19 1 3 9 von den Veränderungen, die beim Aufstellen auf die Fußspitzen und beim Niederbeugen entstehen. W 19 1 3 1 r handelt von den Maßveränderungen bei Armbeugung, usf. 74 Eine zusammenhängendere Behandlung solcher Fragen bietet nur der sogen. Codex Huyghens, der unter Benutzung vincianischer Originale im späten 16. Jahrhundert von einem unbekannten mailändisdien Maler zusammengestellt wurde, wobei es freilich schwerfällt, den Anteil Leonardos von der hier weit fortgeschrittenen Kunsttheocie des oberitalienischen Manierismus abzutrennen 75 . Zudem kann die Beiziehung des Codex Huyghens kaum etwas zu unserem Spezialproblem der Kniefigur beitragen.

Für die Beurteilung des knienden Hieronymus ist nur mit der originalen, zu den Anatomieheften gehörigen Windsorzeichnung W 1 9 1 3 2 r ein Ansatzpunkt gegeben (Abb. 18). Diese Zeichnung ist um 1490 entstanden, also etwa gleichzeitig mit der venezianischen Zeichnung zu Vitruv 70 . Wie diese geht sie von einer Proportionsdarstellung des aufrecht stehenden Menschen bei abgestreckten Armen aus. Die Hauptteilungen sind (wie schon bei der Vitruvzeichnung) die vier cubiti, die eine Mannslänge, bzw. die Entfernung der Fingerspitzen bei abgestreckten Armen ausmachen. Die Erläuterung der Maße auf der Rückseite des Blattes beginnt dementsprechend: „Ii cubito h la quarta parte dell'altezza dell'omo . . ." 77 Mit dem cubito wird die Figur auf beiden Zeichnungen an folgenden Stellen geschnitten: Unterkante der Knie, Ansatz des männlichen Gliedes, Brustwarzen. Zahlreiche Entsprechungen und Unterteilungen des cubito hat Leonardo dann in anderen Körperverhältnissen aufgesucht; u. a. wird die Schulterbreite - deutlich eingetragen in der Vitruvillustration - gleich einem cubito gesetzt, so daß für die ausgestreckten Arme zusammen je drei cubiti, einzeln je eineinhalb cubito übrig-

73

"

Malerbuch ed. L u d w i g Par. 3 2 8 , 304, 308. Zusammenstellung aller diesbezüglichen Texte bei Richter I, 2 4 3 .

E b d . I, 2 4 3 ff. P a n o f s k y , C o d . H u y g . 84 ff. 7 j ' W 1 2 1 2 3 r, b z w . Q u a d . A n a t . V I , 8. Popham 2 2 4 . Bodmer 2 1 4 . Riditer Par. 3 3 2 und PI. V I I I . 77 T e x t nach Richter P a r . 3 3 2 : „II cubito è la quarta parte dell' altezza dell' omo ed è simile alla maggior larghezza delle spalle; da l'una giuntura delle spalle all' altra fia due teste e '1 simile fia dalla sommità del petto all' ombelico; dalla detta sommità al nascimento del membro, è una testa." 75

Der vatikanische Hieronymus

20

bleiben, w o v o n ein halber cubito auf den O b e r a r m , ein cubito a u f den U n t e r a r m plus H a n d gehen. A u s der unter die V i t r u v z e i c h n u n g gesetzten S k a l a u n d aus den erläuternden Texten z u beiden Zeichnungen geht folgende Tabelle der v o n

Leo-

nardo verwendeten G r u n d m a ß e hervor:78

also:

4 dita

=

i

palmo

3 palmi

=

i

testa

4 palmi

=

i

piede

6 palmi

=

i

cubito

4 cubiti

=

i

uomo

i u o m o = 4 cubiti =

6 piedi =

8 teste =

24 p a l m i

=

96 dita.

N u n m u ß freilich d a r a u f hingewiesen w e r d e n , d a ß diese aus V i t r u v abgeleitete Tafel aliquoter Bruchteile der Körperlänge, w a s Details angeht, nur mit Vorsicht als „ d e r K a n o n " L e o n a r d o s in A n s c h l a g z u b r i n g e n ist. M e r k w ü r d i g e r w e i s e ist w e d e r L e o n a r d o noch d e r L e o n a r d o f o r s c h u n g a u f g e f a l l e n , d a ß sich bereits i m e r l ä u t e r n d e n T e x t z u r V i t r u v z e i c h n u n g W i d e r s p r ü c h e finden - w a s d a n n auch d a r a n z w e i f e l n l ä ß t , d a ß d i e v o n L e o n a r d o g e p l a n t e n „ B ü c h e r ü b e r d i e P r o p o r t i o n " ü b e r d i e b l o ß e u n s y s t e m a t i s c h e F r a g m e n t e n s a m m l u n g h i n a u s g e l a n g t s i n d : rechnet m a n nämlich

Leonardos

Angabe

von

4 palmi =

1 piede

auf

die K ö r p e r l ä n g e

um,

indem

n ä m l i c h 24 p a l m i einen M a n n a u s m a c h e n sollen, so e r g e b e n sich i n Ü b e r e i n s t i m m u n g m i t d e m T e x t V i t r u v s 6 p i e d i a u f einen u o m o . I n d e m s e l b e n T e x t h e i ß t es a b e r w e i t e r u n t e n , d a ß d i e F u ß l ä n g e ein S i e b e n t e l d e r K ö r p e r l ä n g e ausmache, u n d m i t d i e s e m M a ß ist sie

78

T e x t zum venezianischen Vitruvblatt nach Richter Par. 343 : „ V e t r u v i o architecte» mette nella sua opera d'ardiitectura, che le misure dell' omo sono dalla natura distribuite in questo modo, cioè che 4 diti fanno uno palmo, e 4 palmi fanno uno piè, 6 palmi fanno un cubito, 4 cubiti fanno uno uomo, e 4 cubiti fanno uno passo, e 24 palmi fanno uno uomo, e queste misure son ne' sua edifiti. Se tu apri tanto le gambe, che tu cali da capo 1/14 di tua altezza e apri e alzi tanto le braccia che colle lunghe dita tu tochi la linia della sommità del capo, sappi die '1 cientro delle stremità delle aperte membra f i a il bellico, e lo spatio die si truoua infra le gambe, f i a triangolo equilatero. Tanto apre l'omo nelle braccia, quanto è la sua altezza. D e l nascimento de' capegli al fine di sotto del mento é il decimo dell' altezza del uomo, dal di sotto del mento alla sommità del capo è l'octauo dell' altezza dell' omo: dal di sopra del petto alla sommità del capo fia il sexto dell' omo; dal di sopra del petto al nascimento de' capegli fia la settima parte di tutto l'omo; dalle tette al di sopra del capo fia la quarta parte dell' omo: la maggiore larghezza delle spalle contiene in se la quarta parte dell' omo; dal gomito alla punta della mano fia la quinta parte dell' omo: da esso gomito al termine della spalla f i a la octaua parte d'esso omo: tutta la mano fia la decima parte dell' omo: il membro virile nascie sul mezzo dell' omo; il piè fia la settima parte dell' omo, dal di sotto del piè al di sotto del ginocdiio fia la quarta parte dell' omo: le parti che si truouano infra il mento e '1 naso e '1 nascimento de' capegli e quel de' cigli, ciascuno spatio per se è simile all' orechio ed è '1 terzo del uolto." Mehrere andere Texte bestätigen die hier angegebenen M a ß e : W 1 9 1 3 e r und v ; Richter Par. 348, sowie vor allem C A 358 a, Richter Par. 340, ebenfalls 1490 zu datieren (Pedretti, Studi 283): „ D a l mento insino al nascimento de' capelli si è I/IO parte della figura; della giuntura della palma della mano jnsino alla sommità del dito lungo 1/10 parte, dal mento alla sommità del capo 1/8 parte, e dalla forciella alla sommità del petto si è 1 ¡6 parte, e dalla forciella del petto jnsino alla sommità del capo 1/4 parte, e dal mento alle nari del naso 1/3 parte del volto, e quel medesimo dalle nari al ciglio e dal ciglio al nasciemento de' capegli, e '1 piè è 1 ¡6 parte, e '1 gomito 1/4 parte, larghezza di spalle 1/4 parte." Weitere Beisp. dieser A r t bei Richter Par. 310 fF.

Maß und Proportion

II

audi in der Zeichnung eingetragen (Abb. 24). Der Abstand vom Ellenbogen bis zur Spitze der Hand wird im Text als ein Fünftel, in der Zeichnung als ein Viertel angegeben, und für ein Viertel plädiert dann auch Zeichnung und Text in W 19 1 3 1 r 7 '. Audi gibt die venezianische Zeichnung und ihr Text in Übereinstimmung mit Vitruv ein Zehntel der Körperlänge als Maß vom Handgelenk bis zur Spitze des Mittelfingers an, während an mehreren anderen Stellen dieses Maß einer testa, also einem Aditel der Körperlänge, gleichgesetzt wird 80 . Vergrößert wird die Verwirrung noch dadurch, daß Leonardo gelegentlich statt des vitruvianischen Kanons der 8 teste auch einen solchen von 9 teste erwähnt, z. B. in C A 160 a, einem Blatt, das ebenfalls auf etwa 1490 zu datieren ist 81 . Ob er hier nur teste mit visi (Gesiditslängen vom Kinn bis zum Haaransatz) verwechselt oder ob er - wie Panofsky vermutet 82 - bewußt einem zweiten Proportionskanon folgt, nämlich dem byzantinisch-mittelalterlichen, sogen. „Kanon des Varro", der sich in Varianten über Cennini hin zu Ghiberti und Gauricus lebendig erhält 83 , ist völlig offen. Ebenso unbegründet bleibt vorläufig die Vermutung Hellmanns, daß in der venezianischen Proportionszeichnung die literarische Überlieferung nadi Vitruv mit der Praxis der mittelalterlichen Baugeometrie zusammentreffe, indem nämlich die von Leonardo unter Knie, Achsel, Ellenbeuge eingezeichneten Marken mithilfe der Quadratur aus dem Grundquadrat abgeleitet seien84. Alle Maße der Figur lassen sich aus der beigesetzten Vitruvparaphrase Leonardos direkt entnehmen; zudem zeigt das Blatt keine Vorritzung oder ähnliche Merkmale, die auf eine geometrische Konstruktion nach Art der von Hellmann übergelegten Quadratur schließen lassen. Auch gibt es unter den vielen Proportionszeichnungen Leonardos kein weiteres Beispiel, das hier als bekräftigende Parallele angeführt werden könnte. Daß freilich auch die Quadratur „paßt", liegt an den durch sie hervorgebrachten einfachsten Teilungen, die den literarisch überlieferten Teilungen Vitruvs nicht zuletzt deshalb entsprechen, weil auch noch die Quadratur des Mittelalters in vielfacher Brechung von der vitruvianischen Baulehre abhängig ist85. Trotz aller Unbestimmtheiten von Leonardos Proportionssystem kann aber mindestens der cubito als die erste, einfachste und wichtigste Unterteilung der gesamten Körperlänge als verbindlich angenommen werden. Was nun in W 1 9 1 3 2 r (Abb. 18) das Verhältnis der stehenden Proportionsfigur zur daneben gezeichneten knienden angeht, so ist letztere in ihrer Gesamthöhe um einen cubito vermindert, was einem Verhältnis des knienden zum stehenden Mann wie drei zu vier entspricht und woraus hervorgeht, daß der Scheitel des Knienden etwa in Höhe der Brustwarzen des Stehenden liegt. So auch erläutert Leonardo am Rande, daß der Kniende um den vierten Teil seiner Größe abnimmt, und er setzt hinzu, daß der Nabel und die Ellenbogenspitzen des knien-

™ W 1 9 1 3 1 r, Richter Par. 348. 8 « Z . B. W 1 9 1 4 0 a und B 3 b. Vgl. Richter Par. 345 f. 81 Richter Par. 309. Pedretti, Studi 272. Panofsky, Cod. Huyg. 50. Favaro, Atti L X X V I I I , 159. M Dazu ausführlich Schlosser, Ghiberti 188 f. mit vergleichender Proportionstafel. 84 Günter Hellmann, Die Zeichnung Leonardos zu Vitruv, in: Mouseion - Studien aus Kunst und Geschichte für Otto H . Förster, Köln i960, 96-98. 85 Herbert Koch, Vom Nachleben des Vitruv, Deutsche Beiträge zur Altertumswissenschaft, H e f t 1, Baden-Baden 1 9 j i .

22

Der vatikanische Hieronymus

den Menschen auf einer Linie in der Mitte seiner Größe liegen 8 '. Die gleiche Höhenminderung um i cubito nimmt Leonardo übrigens auch für die hinzugezeichnete Proportionsfigur des Sitzenden an. Kniefigur und homo quadratus: Suchen wir nun Leonardos Maßangaben für den knienden Menschen mit dem Hieronymus der vatikanischen Tafel zu vergleichen (Abb. 17), so können wir nur von den wenigen Grundmaßen ausgehen, die in der perspektivischen Darstellung des Bildes einigermaßen unverkürzt erscheinen. Dies sind vor allem die Höhenmaße. Sofort zeigen sich einige Übereinstimmungen. Nehmen wir je zwei Einheiten unseres Rastersystems als einen cubito an, so beträgt die Höhe der Kniefigur, nämlich von der Bodenlinie bis zum Scheitel, drei cubiti, wobei die kleine Höhendifferenz, die zum exakten Maß fehlt, auf die perspektivische Verkürzung beim leicht vorgebeugten Oberkörper und auf die Schrägstellung des Kopfs zurückgehen dürfte. Auf eine andere Übereinstimmung von W 1 9 1 3 2 r mit der Hieronymusfigur haben wir schon oben hingewiesen: Wie Leonardo bei an die Brust gezogener Hand für den Ellenbogen fordert, liegt dieser eineinhalb cubito über dem Boden, damit in der Mitte der drei cubiti hohen Figur; auf gleicher Höhe liegt die Mitte der Faust des abgestreckten Arms. N u r der in der Bildtiefe weiter zurückreichende Nabel ist aufgrund perspektivischer Darstellung etwas nach unten gesetzt. A m wichtigsten ist jedoch, daß der kniende Hieronymus, setzt man ihn gemäß den von Leonardo angegebenen Verhältniszahlen in eine stehende Figur um, mit seinem Scheitel den oberen Bildrand genau so berühren würde, wie er den seitlichen Bildrand mit der ausgestreckten Faust berührt. Mit einer Vergrößerung von einem cubito ( = zwei Rastereinheiten) würde sich der Scheitel am oberen Bildrand genau vier cubiti über dem Stützpunkt des rechten Knies befinden. Dieses Maß der vier cubiti bis zum oberen Rand wird durch das Maß des obwohl weit zurückgestellten dennoch merkwürdig großen linken Fußes bestätigt, der künstlich und demonstrativ in der Bildparallele angeordnet ist: Er geht genau sechsmal in der Höhe der als stehend vorgestellten Figur auf. Damit entspricht das Fußmaß den bei Vitruv angegebenen Proportionen, die schon im Maß der albertianischen „Exempeda" (ebenfalls 6pedes auf eine Körperlänge) ihre unschön großfüßige Nachfolge gefunden hatten. Wie oben gezeigt, betet Leonardo noch im Text zur um 1490 entstandenen Vitruvzeichnung diese Vorschrift des antiken Theoretikers nach, um sich dann aber in der Zeichnung und in einem Nachsatz zu dem der „schönen" Wirklichkeit entsprechenderen Siebentel der Körperlänge als Fußmaß zu entscheiden. Dies ist eine neue Stufe der Einsicht — gewonnen nicht

86

Riditer Par. 332. „Se uno s'inginodiia, quello stremerà la quarta parte di sua altezza. Stando l'omo ginochioni colle mani al petto il bellico fia il mezzo di sua altezza e similmente le punte de' gomiti." Beim „Hieronymus" ist durdi die Verkürzung in der perspektivischen Darstellung der Nabel etwas nadi unten gesetzt.

Maß und Proportion

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zuletzt aufgrund der in Mailand einsetzenden anatomischen Studien - eine Einsieht gegenüber dem blinden Befolgen der Antike, wie es von der Generation der Lehrer, von Pollaiuolo und Verrocchio, geübt wurde. Gegenüber der Vitruvzeidinung muß auch die Hieronymusfigur noch als ein altertümliches Schulstück erscheinen. Denken wir uns nun den Hieronymus stehend auf demselben Punkt, auf dem er das linke Knie aufstützt, bringen wir wie bei der Kniefigur auch bei der stehend vorgestellten in Anschlag, daß die linea perpendicolare mit der Mittelsenkrediten des Bildes zusammenfällt, lassen wir schließlich die stehende Figur den linken Arm abstrecken, wie schon die kniende Figur den rechten Arm abstreckte, so erhalten wir annähernd die Figur, die uns als homo quadratus aus den Vitruvillustrationen, u. a. aus Leonardos venezianischer Zeichnung, vertraut ist: d. h. der Scheitel stößt an den oberen Bildrand, die Hände an die seitlichen Begrenzungen, nur unterhalb der Standlinie ist das Bildfeld in das Hochformat erweitert und bietet so noch Platz für den lagernden Löwen. Nun erst erklärt sich die merkwürdige Einordnung der Figur in die Komposition, das harte Anstoßen des Arms am Bildrand. Stufen der Theorie: Ein Vergleich zwischen der um 1482 gemalten Hieronymustafel und der um 1490 entstandenen Vitruvillustration kann freilich nur bedingt durchgeführt werden. Zum Unterschied der Gattungen - hier Tafelbild mit religiöser Historie, dort theoretische Demonstrationszeichnung - kommt schon in den wenigen, zwischen beiden Werken verflossenen Jahren die Differenz historisch verschiedener Stilstufen. Denn mit der um 1483 erfolgten Übersiedlung Leonardos nach Mailand war er aus der eng umgrenzten geistigen Welt der Florentiner Quattrocento-Werkstätten herausgetreten, war nun auf sich selbst gestellt und verwirklichte sich in weit höherem Maße als das Individuum, welches von der von Lehrern überlieferten Regel zu eigenem Nachdenken und eigener Theorie gelangt ist. Mit den wissenschaftlichen Vorstudien zum kolossalen Bronzebild des reitenden Moro versuchte er das zu erreichen, was nach den gewohnten Regeln des Werkstattbrauchs unmöglich erschien, was damals in ganz Italien als unmöglich beurteilt wurde — und was in der Tat auch unausgeführt blieb. Erst um die Mitte der neunziger Jahre materialisierten sich auch seine neuen Vorstellungen zur Malerei im „Abendmahl" (Abb. 81, 82), womit, als mit einem Werk von ungeheuer stilbildender Wirkung, die „klassische Kunst" der Hochrenaissance beginnt. Gerade am „Hieronymus" und der späteren Vitruvillustration zeigen sich die verschiedenen Dichtegrade der Theorie, zeigt sich speziell die unterschiedliche Durchdringung des Problems der Darstellung von Proportionen. Die Stufe des Hieronymus entspricht der einfachen und in ihrer Einfachheit vagen Vitruvinterpretation, die noch Francesco di Giorgio in eben dem von Leonardo besessenen und mit Glossen versehenen Codex seines Architektur-Traktats gegeben hatte

*4

Der vatikanische Hieronymus

(Abb. 2j) 87 . Diese Vitruvillustration Francescos versucht die recht allgemeine Anweisung des antiken Textes, der menschliche Körper sei mit Quadrat und Kreis zu umschreiben, approximativ zu befolgen. Kreis und Quadrat fallen einigermaßen zusammen, das Zentrum für beide liegt im Ansatz des männlichen Gliedes; ansonsten ist die Figur in kontrapostischem Standmotiv, mit perspektivisch verkürztem Rumpf und mit in unbestimmtem Winkel absinkendem Arm frei eingepaßt. Der Leonardo der venezianischen Zeichnung hat hingegen die in der Anweisung Vitruvs verborgene Problematik erkannt und aufzulösen gesucht. So nimmt er für umschreibenden Kreis und Quadrat den Nabel, bzw. den Gliedansatz als verschiedene Zentren an; durch Spreizen der Beine verkleinert er die Kreisfigur gegenüber derjenigen im Quadrat um ein Vierzehntel, und die Arme, welche die Seiten des Quadrats in exakter Horizontale erreichen, werden für die Kreisfigur bis zur Scheitelhöhe angehoben, so daß sie einen stumpfen Winkel bilden. Gemessen an dieser wissenschaftliche Exaktheit anstrebenden Proportionsfigur muß der „Hieronymus" als „fehlerhaft" erscheinen. Dies liegt schon an der Ungenauigkeit, die - wie bei Francesco di Giorgio - durch Anwendung der perspektivischen statt der bildparallelen Körperdarstellung gegeben ist. Solche Inkonsequenzen gemäß der in Leonardos Frühwerk erreichten Stufe wissenschaftlicher Durchdringung der Malerei lassen sich am Motiv des abgestreckten Arms im einzelnen nachweisen: Im Hieronymusbild, ebenso wie in Francesco di Giorgios Vitruvfigur, ist der Arm schräg abgesunken dargestellt. Denkt man sich beide Arme des Hieronymus bis zum Rand abgestreckt, was eine Bildbreite von neun Rastereinheiten ausmacht, und zieht man - um das vitruvianische Quadrat zu erhalten - diese Bildbreite von der Bildhöhe ab, wobei man vom oberen Rand her rechnet, so liegt die untere Quadratseite nicht in Höhe des Schwerpunktes, an dem die Figur mit dem linken Knie auf dem Boden aufsetzt, sondern eine Rastereinheit darunter, nämlich kurz unterhalb der Zehenspitzen des rechten Fußes. Dieser Fuß ist aber nur deshalb eine Einheit tiefer gesetzt, weil er in der perspektivischen Ansicht als weiter vorn placiert erscheinen soll. Wohl ist also für die Figur ein oberes Quadrat von neun Rastereinheiten Seitenlänge reserviert, aber in der Höhenerstreckung bezieht sich dieses Quadrat auf die perspektivische Komposition. Die Probleme von Proportion und Perspektive sind in inkonsequenter Weise miteinander vermengt, was zu folgendem Ergebnis führt: die Höhe der Figur (immer stehend vorgestellt) ist mit vier cubiti gleich acht Rastereinheiten geringer als die neun Einheiten betragende Armbreite. Nun ist in Anschlag zu bringen, daß diese Armbreite bei exakt horizontaler Armhaltung (wie in Leonardos Vitruvzeichnung von 1490) beträchtlich mehr als neun Einheiten ausmachen würde, daß außerdem

Vgl. Wittkower 14 und T a f . 2 a. Giuseppe Favaro, Le proporzioni del corpo umano in un codice anonimo del quattrocento postilato da Leonardo, Reale Accad. d'Italia - Memorie classe scienza, fisiche . . . etc. V , 1934, 592 &•

Maß und Proportion

eine weitere Verbreiterung dieser Armspanne anzunehmen ist, weil im Hieronymusbild die Faust geschlossen dargestellt ist, während eine „kunstgemäße" Proportionsdarstellung immer mit der geöffneten Hand bis hin zu den Fingerspitzen rechnet. Damit ist die Armlänge im Verhältnis zur Gesamthöhe der Figur beträchtlich übertrieben. Dem stehenden Hieronymus würden diese affenartigen Arme bis unter die Knie reichen. Hier erklärt sich der optisch unangenehme Eindruck, den dieser lang abgestreckte Arm macht. Für solche optisch unangenehme „Falschheit im Gemäl" (wie Dürer gesagt hätte) gibt es keine Parallelen im mittleren und späten Werk Leonardos; man denke nur an die trotz äußerster Komplikation der Figurengruppe erreichte Harmonie der „Anna Selbstdritt" (Abb. 77)88. Hingegen finden sich Parallelen im Frühwerk Leonardos. Zu erwähnen ist das mit der Hieronymustafel etwa gleichzeitige Anbetungsbild (Abb. 72): die hier rechts im Hintergrund erscheinende Pferdegruppe ist viel zu groß, vergleicht man sie mit der perspektivisch viel weiter vorn befindlichen Pferdegruppe unter der ruinösen Architektur auf der linken Bildseite. Und was das spezielle Problem des zu langen Arms angeht, so muß auf die frühe, zu Anfang der 70er Jahre entstandene „Verkündigung" in den Uffizien hingewiesen werden (Abb. 10). Mehrfach ist von der älteren Forschung ausgesprochen worden, daß der rechte Arm der Maria „ganz unmöglich" sei, nämlich viel zu lang, weil dieser Arm zu der dem Betrachter abgewandten Körperhälfte gehört, gleichzeitig aber die Hand in der perspektivisch vordersten Bildschicht auf dem allernächsten Rand des Lesepults aufgelegt ist89. Dieser Fehler in der Darstellung der räumlichen Beziehungen läßt sich eindeutig vom Standpunkt der Basis des Lesepults am vorderen Bildrand und vom weiter zurückliegenden Sitzplatz der Madonna ablesen. Ansonsten ist die Perspektive der Architektur korrekt „amateurhaft korrekt", wie Clark bemerkte: „Der Fluchtpunkt ist genau in der Mitte des Bildes in der Horizontalen und auf Zwei-Drittel-Höhe der Vertikalen. Aber diese Betonung der Linearperspektive der Architektur ohne Rücksicht auf die Position der Figuren oder die Komposition als Ganzes ist typisch für einen sehr jungen Künstler. Er hat den Trick der Perspektive gelernt, ohne dessen wahre Absichten zu verstehen, nämlich die Anordnung der Figuren im Bildraum in klarer und harmonischer Beziehung zueinander."90 In ähnlich gestörtem Verhältnis stehen Theorie und Praxis im Hieronymusbild: im blinden Eifer auf Anwendung des vitruvianischen Schematismus hat Leonardo den Arm der Figur bis an den Bildrand verlängert, dabei hat er - in Vermengung von Perspektiv- und Proportionsproblemen - die oben beschriebenen Fehler begangen und sich sogar über das Anschaulich-Akzeptable hinweggesetzt.

88

Zur „Anna Selbdritt" s. u.! 8« Referat der Meinungen bei Seidlitz 43 ff. »« Clark 1$.

i6

Der vatikanische Hieronymus

Eingeschaltet sei eine Bemerkung zum Verkündigungsbild der Uffizien. U . a . wegen der perspektivischen Schwächen hat man häufig bestritten, daß dieses Bild dem Leonardo gehöre, und erst die in O x f o r d aufgefundene, sicher autographe Zeichnung zum rechten Ärmel des Engels hat bei Gegnern der Attribution zu dem Zugeständnis geführt, daß wenigstens der Verkündigungsengel dem Leonardo gehöre, während die Madonna auf einen anderen Schüler der Verrocchio-Werkstatt, vielleicht auf Lorenzo Credi, zurückgehe 81 . Bedenkt man aber, daß ganz ähnliche Schwächen bei der Darstellung des abgestreckten Arms noch etwa zehn Jahre später im Hieronymusbild vorkommen, so spricht dies eher für eine Zuschreibung der gesamten „Verkündigung" an Leonardo 92 .

Als Leonardo die Mängel des „Hieronymus" erkannte, hat er wohl die Lust an der weiteren Ausführung verloren, und hier dürfte - neben der Abreise nach Mailand — ein wichtiger Grund dafür vorliegen, daß der Künstler die Tafel unvollendet zurückließ. Denn für Leonardo gab es nodi kein Non-Finito als Ideal; wie im Malerei-Traktat immer wieder dargelegt, konnte sich der Künstler nur dann in seiner gottähnlichen Rolle als Wiedererschaffer der sichtbaren Natur bewähren, wenn er die Malerei zu einer exakten Wissenschaft erhob, die richtige und fertige Ergebnisse zeitigt. Clark bemerkt zutreffend, daß sich ein großer Teil des Traktats mit dem Problem beschäftigt, wie ein Bild vom unfertigen Zustand der „Anbetung" (Abb. 72) in den fertigen Zustand des „Abendmahls" (Abb. 81) zu bringen sei83. In dieser Hinsicht ist auch der „Hieronymus" eine abgebrochene, weil mißglückte wissenschaftliche Demonstration 94 . Dabei scheint in Leonardos florentinischer Frühzeit die „Wissenschaft von der Malerei" noch wesentlich auf den Autoritäten, wenig erst auf der Empirie zu ruhen. Autoritäten sind zunächst sicherlich die Regeln und der Brauch, die dem jungen Künstler in den Werkstätten Verrocchios und Pollaiuolos begegneten, Autorität ist vor allem die Antike. Die wenigen uns heute blaß erscheinenden Bemerkungen Vitruvs zum homo quadratus haben in der Renaissance kaum begreifliche Formzwänge ausgelöst. Wie sich an den „Fehlern" der Hieronymusgestalt zeigt, hat Leonardo noch in den frühen 80er Jahren geradezu mit Blindheit gegenüber der natürlichen Erscheinung die vitruvianische Regel durchzusetzen gesucht. Eine Parallele ist mit der erwähnten, in der sogen. „Madonna Harris" als Reflex überlieferten frühen Madonnenkomposition gegeben. Unter den dazu erhaltenen Vorstudien Leonardos zeigt das

Frizzoni, Siren, Hildebrandt u. a., vgl. Seidlitz 46 und Günter Passavant, Beobachtungen am Verkündigungsbild aus Monteoliveto, Mitt. d. Kunsthistor. Inst, in Florenz I X , 1959-60, 71-98, bes. 82 ff. 9 2 Passavant (vgl. Anm. 91) gibt den Gesamtentwurf und die ursprüngliche Anlage des Bildes Domenico Ghirlandaio, die aus Röntgenaufnahmen z u erschließenden Ubermalungen an Leonardo. In dessen Überarbeitung sei die Kritik an Ghirlandaios Komposition enthalten, indem nämlidi Leonardo die Komposition ausbalanciere, die Figuren flächig ausbreite und aus der allzu engen Bindung an die Szenerie löse. Diese Argumentation ist wenig überzeugend, wenn man bedenkt, wie unkritisch die angebliche Kritik Leonardos gewesen wäre. M C l a r k 38. 84 V g l . P a n o f s k y , C o d . H u y g . 9 1 : „ N a t u r a l science as w e still k n o w it, and art as conceived by the Renaissance can in fact be defined as t w o parallel attempts at representing the universe in an image based on observation and rationalized by mathematics."

Maß und Proportion

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New Yorker Blatt mit den genau bis an den rechten und linken Bildrand ausgestreckten Fingerspitzen der Madonna das Vitruv-Sdiema am klarsten (Abb. 27). Ein verändertes, nun ambivalentes Verhältnis zur Antike ist erst der um 1490 entstandenen venezianischen Vitruvzeichnung abzulesen: an die Stelle naiven Antikenglaubens samt nachfolgender unreflektiert-praktisdier Anwendung tritt nun einerseits das Bemühen, die Regeln Vitruvs theoretisch zu durchdringen, andererseits der Wunsch, diese mit der natürlichen Erscheinung in Ubereinstimmung zu bringen. Die hierbei zutage tretenden Widersprüche werden durch Differenzierung aufgelöst - z. B. durch die Annahme verschiedener Zentren für homo quadratus und circularis, durch Größenverminderung des letzteren um ein Vierzehntel mittels Abspreizen der Beine, usf. Die aus den jetzt erst einsetzenden Anatomiestudien gewonnenen empirischen Ergebnisse sollen in die antike Regelfigur eingebracht werden, die Antike soll Vehikel der Naturerfahrung sein. Beide in völlige Ubereinstimmung zu bringen, damit zu einem geschlossenen Proportionssystem zu gelangen und dieses schließlich — was des Künstlers Hauptproblem gewesen ist - in zusammenhängender Darstellung niederzuschreiben, das ist Leonardo nie gelungen, es sei denn in jenen hypothetischen, verlorenen Traktaten, von denen oben die Rede war. Die vorn erläuterten Widersprüche, die noch in jener der venezianischen Zeichnung beigeschriebenen Vitruvparaphrase enthalten sind, machen es zweifelhaft, daß Leonardo je einen systematischen Lösungsversuch der Proportionsfrage unternommen hat. Exkurs - Antikes Muster zu Leonardos späterem Proportionsdenken: Wie schon bei Behandlung der Vitruvzeichnung blicken wir über die florentinische Frühzeit, in der der „Hieronymus" entstand, hinaus zu jenen erst seit der mailänder Zeit in den Manuskripten auftauchenden Bemerkungen zur Proportion. Panofsky hat zutreffend beschrieben, daß es ein immer wieder in Leonardos Manuskripten belegbares Hauptmerkmal seines Proportionsdenkens ist, Gleichheitsbeziehungen zwischen möglichst vielen Körperteilen aufzusuchen95. So sind die meisten seiner Maßangaben in Formeln gekleidet wie: der Abstand x - y ist gleich dem Abstand v-z, oder: drei Dicken des Handgelenks gehen auf die Hand, neun auf den Arm, oder gar: der Fuß ist um so viel länger als die Hand, als die Dicke des Armgelenks an der dünnsten Stelle beträgt, usf. M . Mit diesem Verfahren der aliquoten Bruchteile steht Leonardo unter den italienischen Theoretikern einzig da. Es unterscheidet sich völlig von den Maßsystemen Ghibertis und Albertis: in der schwer verständlichen Proportionslehre des ersteren eine mechanische Reihung von Gesichtslängen bis zur Gesamthöhe der Figur von neuneinhalb Einheiten; sodann finden wir bei den „Exempeda" des Alberti einen Figurenmaßstab, der wohl anfänglich von der vitruvianischen Unterteilung des Mannes in sechs

w

Panofsky, Proportionslehre, 190. »« Z . B. W 1 9 1 3 4 , W 1 9 1 3 $ r, W 1 9 1 3 3 r. Beste Übersicht bei Richter I, S. 243 ff.

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pedes ausgeht, die weitere Unterteilung in 60 unceolae und 600 minuta aber rein mechanisch vornimmt. In beiden Fällen wird eine bestimmte Körperhöhe an den sukzessive an einem Maßstab angetragenen Marken abgelesen; z. B. beträgt die Höhe der Brustwarzen vom Boden gerechnet nach Alberti 4 pedes, 3 unceolae, j minuta", nach Leonardo aber einfach dreiviertel der Gesamthöhe. Was nun Leonardo angeht, so vermutet Panofsky 98 , dessen damals einzig dastehende Methode aliquoter Teilung fuße auf den anthropometrischen Angaben bei Vitruv, eben auf den dort genannten Teilverhältnissen des menschlichen Körpers. N u n ist aber bei Vitruv eine Methode der aliquoten Teilung nicht eigentlich beschrieben, und Leonardo geht mit seinem Verfahren weit über die wenigen dort genannten Teilverhältnisse hinaus. Die theoretische Grundlegung der Methode Leonardos dürfte in dem bei Galen überlieferten Proportionsverfahren des Polyklet liegen. Zwar ist dessen Schrift „Kanon" ebenso verloren wie die zugehörige Musterfigur, und nur rückschließend von Kopien polykletischer Werke kann die moderne Archäologie einen Begriff dieses Proportionssystems bekommen. Aber die Methode Polyklets war eben bei Galen überliefert. Nun kursierten die Werke dieses medizinischen Autors im Mittelalter massenhaft in lateinischen Ubersetzungen, und mit der 1490 zu Venedig erschienenen Buchausgabe gehören sie zu den wirkungsmächtigsten frühen Druckerzeugnissen*8. Bei all seinen medizinischen und anatomischen Interessen greift Leonardo selbstverständlich mehrfach auf Galen zurück100, und wie wir in anderem Zusammenhang noch zeigen werden, hat schon bei Alberti, später bei Leonardo, ein kunsttheoretischer Splitter aus dem Galen seine Wirksamkeit erwiesen. Aus allen diesen Gründen dürfte Leonardo nicht interesselos an jener kunsttheoretisch kapitalen Stelle vorübergegangen sein, wo es (hier sogleich in lateinischer Ubersetzung) heißt: „Puldiritudinem vero non elementorum, sed in partium commoderatione consistere arbitratur, digiti ad digitum scilicet, omniumque ipsorum ad metacarpium et carpum, et horum ad cubitum, cubiti ad brachium, et omnium ad omnia, quemadmodum in Polycleti regula scriptum est. Omnes namque corporis commoderatione quum in illo commentario Polycletus nos docuisset, opere sermonem confirmavit, fabricatus statuam iuxta sermonis exordia, et vocans etiam ipsam statuam, veluti et commentarium, regulam." 101

Schlosser, Ghiberti, 186 f. zu Ghibertis Proportionslehre, Maßtabelle auf S. 189. Alberti, De statua, in: A . , Kleinere Schriften, 165 ff. 9 8 Panofsky, Proportionslehre 190. M Die handschriftliche Uberlieferung bei Diels, Die Handschriften der antiken Ärzte, I, A b handlung d. Berliner A k a d . d. Wiss. 1906, 58 ff. 1 0 0 Den Nachweis v o n ausführlichen Textübernahmen Leonardos aus Galen hat geführt: M . A . G u k o v s k j , Leonardo e Galeno, Raccolta Vinciana X X , 1964, 359-367. V g l . entsprechende Textstellen bei Richter II, 83, 105 n, 353, 353 n; Lücke 580. 101 Claudii Galeni opera omnia, ed. K ü h n V , Lipsiae 1823, 449 (De Hippocratis et Piatonis Placitis Lib. V , 3); dazu auch P a n o f s k y , Proportionslehre 174 mit griechischem Text. 87

Perspektive

29

Die Schönheit besteht also in dem maßvollen Verhältnis der Teile untereinander, im Verhältnis des Fingers zum Finger, der Finger zur Mittelhand, zur Handwurzel, usf., schließlich im Verhältnis eines jeden Teils zu allen anderen. Genau dies entspricht dem ständigen Vergleich aller Körperglieder miteinander, wie ihn Leonardo praktizierte und womit er sich der organischen Einheitlichkeit, damit der ästhetischen Vortrefflichkeit seiner Figuren zu versichern suchte. Im Quattrocento war der Nachruhm Polyklets nur literarisch und phantastisch begründet gewesen - so etwa bei Ghiberti102. Und so folgte noch Albertis Methode der Proportionierung, nämlich die Maße der Idealfigur durch Kompilation verschiedener schöner Körper herzustellen, jenem anderen, für die Kunsttheorie ungemein wirksamen Topos von der Methode des Zeuxis, der nach Wahl aus dem Einzelschönen das Idealschöne in seiner Helena-Gestalt zusammensetzte108. Erst als Leonardo zur empirischen Vergleichung der Körperglieder untereinander überging, um auf diesem gänzlich verschiedenen Wege die Proportionsharmonie zu gewinnen, konnte, wenn nicht der verlorene „Kanon" selbst, so doch die Methode, mit der Polyklet diesen aufgestellt hatte, als Verfahrensmuster des Künstlers dienen. Wie schon vorn ist auch hier ein Wandel in der Antikenrezeption des reifen Leonardo zu konstatieren: Nicht mehr ist er auf unreflektierte Übernahme einer bloßen Vorschrift oder eines Motivs aus, sondern ihn interessieren die wissenschaftlichen Modelle der antiken Autoritäten, insofern sie Vehikel eigener Einsichten sein können. Der „lange Arm" des Hieronymus war ein Ergebnis blinder Anwendung des Vitruv gewesen; die polykletische und aufgrund späterer Einsicht dann auch vincianische Methode der ständigen Vergleichung aller Körperglieder miteinander hätte diese unglückselige Komposition verhindert.

II, 3. Perspektive

Leonardo und Alberti: Wie wird die einmal proportionierte Hieronymusfigur in den Raum gestellt? Mit dieser Frage nach der Perspektive ist das andere Hauptproblem der „Wissenschaft von der Malerei" in der Renaissance berührt. Sicher ist, daß der junge Leonardo von der für das ganze Quattrocento grundlegenden Perspektivlehre in Albertis „De pictura" ausgeht. Dies läßt sich nicht

•6« Malerbuch ed. L u d w i g , Par. 1 2 . Treatise on painting 1 3 . D a z u Z u b o v 1 2 6 . Z u r Interpretation des „Christian Democritus" s. E d g a r W i n d in: Journal of the W a r b u r g Institute I, 1 9 3 7 , 180 bis 1 8 2 .

Zusammenfassende Überlegungen

95

zögern. Dennoch ist zu betonen, daß gerade eine soldie Indifferenz das von Leonardo erstrebte Malerideal dargestellt hätte, denn dem schon im Quattrocento umlaufenden Schlagwort des „ogni dipintore dipinge se" stellt er im Malerbuch immer wieder die Forderung gegenüber, der Maler müsse eine Selbstprojektion in die von ihm dargestellten Figuren vermeiden367. Es ist eine schwierige, letztlich dem Psychologen zu überlassende Frage, ob eine solch betonte Forderung bloßer Kälte entspringt oder ob sie im Gegenteil auf einen stark gefühlsmäßig bedingten Identifikationszwang des Künstlers mit seinem Gegenstand zurückgeht; im letzteren Fall wäre die Forderung des Theoretikers eine Abwehrhandlung, gerichtet gegen Subjektivität und stark anempfindende Haltung des Künstlers - es wäre der gewöhnliche Widerstreit von Vernunft und Gefühl. Eissler, dem wir nach Sigmund Freud den umfassendsten psychologischen Versuch zu Leonardo verdanken, weist dann auch darauf hin, daß die mit Exzessen alternierende asketische Haltung des Jünglings eine Verteidigung gegen die Instinkte darstelle und daß auf solche Art auch bei Leonardo Askese auf Exhibitionismus folge, ja er bemerkt, das Hieronymusbild sei „vielleicht" Ausdruck der Schuldgefühle des jungen Leonardo388. Diese von Eissler bei Leonardo diagnostizierte jugendliche Neigung zur Askese läßt sich als eine Grundhaltung immer wieder in der europäischen Kulturgeschichte belegen, ja sie hat wesentlichen Anteil an den Kulturleistungen. Der psychologisch scharfblickende Karl Philipp Moritz benennt im „Anton Reiser" das Einsiedlermotiv als die „Lieblingsidee fast aller jungen Leute", und in der Tat ist der Eremit und Asket die ständig verwendete Symbolfigur und Verkleidung junger „kunstliebender Klosterbrüder". Als auf einen krassen Fall sei nur auf den Maler Führich hingewiesen: „ . . . hatte Joseph schon als Knabe in einer Dachkammer eine Einsiedelei mit Kreuz und Buch errichtet, so wie er es auf Sadlerschen Kupferstichen [nämlich den ,Monumenta Anachoretum'] gesehen hatte. Und er hatte sich sogar in der Dämmerung einmal vom Kirchhofe einen Totenkopf dazu g e h o l t . . . " Auch ist solche Sentimentalisierung der Askese nicht erst das Produkt einer spätzeitlichen, subjektiven Auflösung christlicher Exempla, sondern eine psychische Grundhaltung, denn selbst offensive Geister der Gegenreformation, wie Ignatius von Loyola, konnten sich nur schwer dem Zauber der Einsiedelei entziehen, und Theresa von Avila bekennt, daß sie als Kind im Garten des Elternhauses kleine Einsiedeleien erbaute und sich lebenslang wider die Reize frommer Weltflucht und Pseudoasketik zu wehren hatte869.

367 Vgl. Anm. 264. 368 K . R. Eissler, Leonardo da Vinci - Psychoanalytic notes on the enigma, London 1 $62, 138 und 238. sc» Die hier angezogenen Beispiele und zahlreiche weitere Materialien in: Hans Ost, Einsiedler und Möndie in der deutschen Malerei des 19. Jahrhunderts, Düsseldorf 1 9 7 1 .

96

Der vatikanische Hieronymus

Hinausgehend über solch jugendliche Sentimentalitäten wird die künstlerische und wissenschaftliche Leistung sakralisiert, wird in Verwandlung eines ursprünglich christlich-religiösen Ideals die Askese zum Leitbild des geistig produktiven Menschen. Es tut sich hier jene, die gesamte abendländische Geschidite bestimmende K l u f t zwischen Kunst und Leben, zwischen Wissenschaft und Leben auf. Selbst Nietzsche, der so sehr wider das „asketische Ideal" polemisierte, w a r als der „Einsiedler von Sils-Maria" (wie er sich selbst bezeichnete) doch eben diesem Ideal unterworfen. Was nun Leonardo angeht, so zeigt sich bei ihm und ablesbar an den Manuskripten geradezu eine Monomanie des geistigen Leistens. Jene die Wissenschaft so viel bewegende Frage nach der Hetero- oder Homosexualität Leonardos erscheint relativ unwichtig bei Feststellung seiner allgemeinen, sich auf beide Gebiete erstreckenden Kälte, ja bei Feststellung seiner Kälte gegen das Leben überhaupt. Auf fünftausend Manuskriptseiten hat er nie ein Wort über sich selbst, über seine Affekte und seine Beziehungen zu anderen Menschen verloren. Mit dürren Worten notiert er zwischen den wissenschaftlichen Studien: „ A m Mittwoch, dem 9. Juli 1505, um sieben Uhr, starb Ser Piero da Vinci, Notar am Palazzo del Podestà, mein Vater: er w a r achtzig Jahre alt, hinterließ zehn Söhne und zwei Töchter. " , 7 0 Dies erinnert etwa an Cézanne, von dem der wähl verwandte Rilke berichtet: „Was die Arbeit angeht, so behauptete er . . . daß er die späteren dreißig Jahre seines Lebens nur noch gearbeitet hat. Ohne Freude eigentlich, wie es scheint, in fortwährender Wut, im Zwiespalt mit jeder einzelnen seiner Arbeiten, deren keine ihm das zu erreichen schien, was er für das Unentbehrlichste hielt. L a réalisation nannte er es . . . seine Mutter liebte er auch, aber als sie bestattet wurde, war er nicht da. E r befand sidi ,sur le motif', wie er es nannte. Damals w a r seine Arbeit schon so wichtig f ü r ihn und vertrug keine Ausnahme . . ." 3 7 1 Bei aller auf die „réalisation" gerichteten Arbeitsmoral und Askese - Cézanne: „jeden Abend bis zur Ohnmacht verbraucht" - ist ein nicht nur gegen sich selbst, sondern auch gegen den Mitmenschen gerichteter unmenschlicher Zug nicht zu verkennen. Setzen wir nun den Fall, alle unsere psychologischen Beobachtungen würden zutreffen, nehmen wir an, Leonardo habe ( den eigenen theoretischen Forderungen entgegen) sich in die Heiligenfigur seines Bildes „eingefühlt" und ein seelenvolles „Selbstbildnis" jugendlicher oder gar künstlerischer Askese geschaffen, so bleibt doch der Abstand zu den objektiven Exempla der christlichen Asketendarstellung bestehen. Für Leonardo selbst und f ü r die Verständigen unter den Zeitgenossen w a r dieser „Heilige" kein Prototyp eines christlichen Gottsuchers, es w a r dies kein „Andachtsbild", zur „Wedtung frommer Gedanken und Entschlüsse dienlich" 372 . Dazu wurde das Bild erst durch die neueren Interpreten gemacht. Bei 370 Vgl. d a s von Heydenreidi, 22 ff., entworfene Charakterbild Leonardos. Rainer Maria Rilke, Briefe aus den Jahren 1906 bis 1907, Leipzig 1930, 364, 366. 37S R D K I, 6 8 1 . 371

Zusammenfassende Überlegungen

97

näherem Zusehen wird der christliche Ikonograph dieses Bild aber nur im „Museum der Gegenbeispiele" aufhängen können. Handgreiflicher und nachweisbarer als mit der psychologischen Frage nach der Selbstaussage des Künstlers im Bild läßt sich die Distanz Leonardos zur christlichen Asketendarstellung aus der Selbstaussage des Kunstwerks, aus dem demonstrativen Kunstcharakter des Bildes ablesen. Diesen darzustellen, war Hauptzweck unserer Untersuchung: deutlich wie bei Leonardos anderen Bildern mit religiöser Thematik ließ sich zeigen, wie hier die eigenen Zwecke der Kunst verfolgt sind, wie Leonardo den Stoff nur zum Anlaß einer Demonstration seiner „Wissenschaft von der Malerei" nimmt. Proportion und Perspektive, Mustermann und Musterkopf, antike Kunstregel und antikes Vorbild, Ausdruck in Mimik und Gestik machen das eigentliche Bildthema aus. Gerade an den aus gleichsam blindem Eifer auf Durchsetzung einer Kunstregel hervorgegangenen „Fehlern" des Hieronymusbildes läßt sich erkennen, was Leonardo hier ganz bewußt angestrebt hat. Die „Wissenschaft von der Malerei" ist hier auf einer frühen Stufe der Theorie inkonsequent, unvollkommen und zugleich schülerhaft doktrinär erprobt. Aber im „Abendmahl" wird Leonardo zu einer neuen künstlerischen Freiheit finden, welche sogar über Raum und Zeit des Bildgegenstandes verfügt. Der Stoff wird völlig von Form und Ausdruck durchdrungen sein und so aus dem Dienst einer vordergründigen inhaltlichen Information befreit werden. Die an Vorzeichnungen verfolgbare, langsame Entwicklung dieses Werkes wird zu einem Höhepunkt der Wissenschaft Leonardos und zu einer der „größten Äußerungen geistiger Kraft in der Kunst" 875 werden.

s « Clark 93.

Zweiter Teil Die Phaeton-Kompositionen (Leonardo als Steinschneider)

Leonardo als Steinschneider

IOI

Nun aber findet die Zweifelsucht kein reicheres Feld sich zu ergehen als gerade bei geschnittenen Steinen . . . 374

I. Leonardo als Steinschneider

Auf Leonardo als Steinschneider hat bisher nur François van Heesvelde aufmerksam gemacht; selbst Besitzer einer Kamee mit einer im 16. und 1 7 . Jahrhundert geläufigen Aristoteles-Darstellung, hat er seinen Stein und noch drei andere wegen der Ähnlichkeit mit Leonardo-Portraits eben Leonardo zuschreiben wollen. Diese Ähnlichkeit, die auf einen gewissen Dandyism bei Leonardo zurückgeht, indem dieser sich nämlich in Kleidung und Haartracht als der weise Aristoteles stilisierte, hat schon viel Verwirrung in der Leonardo-Ikonographie angerichtet 375 . Heesveldes schon aus stilistischen Gründen völlig indiskutable Zuschreibungen werden auch nicht durch die angeblichen kryptischen Signaturen Leonardos gestützt. Als Signatur sieht Heesvelde bei «jofacher Vergrößerung mit dem Mikroskop in den abstrakten Konfigurationen von Haaren oder Gewandfalten immer wieder jenen in einer Jugenderinnerung Leonardos erwähnten Geier oder Weih, der Sigmund Freud zu seiner berüchtigten Interpretation der „Anna-Selbdritt" angeregt hat. Bei aller Absurdität, die Heesveldes Buch zu einem Prachtstück der Leonardo-Mystik macht, bleibt ihm das Verdienst, einige der Nachrichten über Leonardo als Steinschneider zusammengestellt zu haben. Eine Untersuchung zum Problem muß aber völlig neu beginnen.

I, 1. Steinschneidekunst im Florentiner Quattrocento Die heutige Kunstgeschichtsschreibung handelt die Glyptik als nebensächliches Randgebiet unter den Kleinkünsten ab. Die Bedeutung der geschnittenen Steine im Verhältnis zum Kunstganzen wurde aber noch von den Antiquaren des 18. Jahrhunderts ungleich höher eingeschätzt - man denke an die Stoschische Gemmensammlung und Winckelmann oder an die Lippertsche Daktyliothek. Was hier gelehrte Mode ist, hatte zu Ende des 14. Jahrhunderts als fürstliche Sammelleidenschaft begonnen. Filarete berichtet uns vom Herzog von Berry, dieser habe, sobald er von einem kostbaren Stein hörte, ihn auch besitzen wollen, wenn nur immer möglich; später seien Papst Paul I I . und die Mediceer hervorragende

971

Goethes Werke, Weimarer Ausgabe, 1. Abt. 49. Bd., z. Teil, 103 (Hemsterhuis-Gallitzinisdie Gemmensammlung, 1823). Heesvelde a.a.O. Vgl. S. 67 f.

102

Die Phaeton-Kompositionen

Sammler antiker Gemmen gewesen374. Vasari rühmt in dieser Hinsicht vor allem Lorenzo den Prächtigen und seinen Sohn Piero. In der T a t machte, wie wir aus den Inventaren des Medici-Besitzes wissen, die Glyptik einen Hauptteil der Sammlungen Lorenzos aus. 1 4 7 1 w a r es ihm gelungen, den Bestand an Kameen, Gemmen und Vasen aus pietra dura mit einemmal zu verdoppeln, indem er die prächtige Sammlung Pauls II. dazu erwarb. Die von diesen Gegenständen ausgeübte Faszination läßt sich aus seinem Namenszug ablesen, der mandien Stücken eingraviert wurde 377 . Die zwei berühmtesten Steine der Medici-Sammlung werden uns im Verlauf unserer Untersuchung wieder begegnen: es ist zunächst der Chalzedon mit dem Diomedes - bei Vespasiano Bisticci, Ghiberti, Filarete gerühmt, von Donatello oder seiner Schule kopiert; Leonardo hat hiernach gezeichnet378. Das zweite Stück ist das sogenannte Siegel des Nero 37 *, d. h. die bekannte Marsyas-Gemme, die von Ghiberti um 1428 für Giovanni de'Medici kunstvoll gefaßt wurde und von ebenfalls kaum absehbarem Einfluß auf die Renaissancekunst war. Auf das Sammeln, Restaurieren und Fassen antiker Gemmen folgt schon bald die eigentliche Neubelebung der Steinschnittechnik. Paul II. war in Rom in den sechziger Jahren in der Förderung der zeitgenössischen Glyptik vorangegangen. Aber in Florenz war - wie Kris dargelegt hat - diese Kunst noch zu Beginn des letzten Jahrhundertviertels eine Neuheit. 1 4 7 7 wird ein Piero di Neri Razzanti von Steuerleistungen für die folgenden zehn Jahre befreit, damit er die Florentiner Jugend in seiner Kunst, Gemmen zu schneiden, unterweise. Der von Vasari als Lorenzos Hofkünstler gefeierte Giovanni delle Corniuole dürfte sein Schüler sein380.

37« Filarete 659. Vgl. Kris 1 3 . 377 Vas-Mil V , 367 f . Zu den Kunstsammlungen der Medici: Muentz, Coli. Med. X V è s. Muentz, Coli. Med. X V I è s. Muentz, Precursori 128 ff. Holzhausen 1 0 4 - 1 3 1 . Pesce 50-97. Kat. Mostra Lorenzo il Magnifico e le arti, Firenze 1919. Kat. Mostra Medicea, Firenze 1939. Morassi (mit ausführl. Bibliographie). Barfucci, 27$ ff. zur Glyptik. 378 Vespasiano Bisticci, Lebensbeschreibungen berühmter Männer des Quattrocento, ed. Paul Schubring, Jena 1914, 34. Hier ist erzählt, wie der gelehrte Niccolò Niccoli diesen Stein entdeckte und als ein Werk des Polyklet erkannte. Lorenzo Ghiberti hat diese Gemme ausführlich beschrieben, Filarete berichtet über den hohen Preis, um den sie weiterverkauft wurde. Der von Niccolò nodi für fünf Gulden erworbene Stein geht über Kardinal Scarampi und über Paul II. in den Besitz Lorenzos über und wird im Inventar auf 1500 Gulden geschätzt. Häufig ist hervorgehoben worden, welchen Einfluß dieses Werk gehabt hat, z. B. auf eines der Medaillons im Pal. Medici Riccardi. Vgl. Schlosser, Ghiberti 160 f. Kris 18 ff. Polak 303 f. 37 » Filarete 658. Schlosser, Ghiberti 162 f. Kris 24 f. Pesce 64-70, w o außer den bereits von Muentz aufgezählten Nachbildungen der Marsyas-Gemme weitere 25 moderne Nachbildungen genannt sind. Eine auf Nero bezügliche Inschrift hat Ghiberti in den Rand des Steins eingraviert. Zuerst Vasari hat die dargestellte Szene richtig als Schindung des Marsyas gedeutet. Ghiberti bekannte, er habe niemals ein vollendeteres Werk in vertiefter Arbeit zu Gesicht bekommen und sicherlich sei die Gemme von der Hand des Pyrgoteles oder Polyklet. 380 Kris 33 f. zu Paul II. Vgl. Vas-Mil V, 368 f. Zu Pietro di Neri Razzanti und Giovanni delle Corniuole vgl. Kris 35-38.

Leonardo als Steinschneider

103

I, 2. Lehrjahre Leonardos Gerade in den Jahren, in denen die neue Kunst in Florenz heimisch wird, lernt Leonardo in der Werkstatt Verrocchios. Hier wird er zu dem vorzüglichen Bildhauer und Bronzegießer, der sich später an ein Werk wie das Sforza-Denkmal wagen konnte. Zu seiner Ausbildung gehört auch das vielfältige Ziselieren, Gravieren und Schleifen - Tätigkeiten, eng mit der des Goldschmieds verknüpft, als welcher auch Verrocchio begonnen hatte. Hauptwerk ist in dieser Hinsicht das Medici-Grab in S.Lorenzo - 1469 begonnen, in demselben Jahr, in dem Leonardo vermutlich in die Verrocchio-Werkstatt eintritt. Arbeit in Marmor, Porphyr, pietra serena, Serpentin, Bronzeguß und Bronzeapplikation, Intarsia und Schriftgravur in pietra dura sind hier vorzüglich gemeistert381. Wichtig, daß Verrocchio und seine Schüler von Lorenzo zur Antikenrestaurierung herangezogen wurden. Im berühmten mediceischen Antikengarten und im Casino bei S. Marco, wo ein großer Teil der Sammlung Lorenzos aufbewahrt wurde, w o sich später zahlreiche Künstler unter Bertoldos Leitung ausbildeten381, hat Verrocchio die von Vasari als vorbildlich gerühmten Ergänzungen an einem antiken Marsyas vorgenommen383. Und nach dem Bericht des Anonimo Gaddiano hat der junge Leonardo in eben diesem Garten - damals wahrscheinlich noch ein bloßes Stein- und Statuendepot - für Lorenzo gearbeitet.384. Diese frühe Tätigkeit für die Medici scheint auch durch die bekannte, etwa 1515 in Rom unter Leo X . (Medici) niedergeschriebene Notiz im Codex Atlanticus belegt: „Ii medici mi creorono e distrussono"385. D a ß sich Leonardo, der Alleserprobende, der junge „Archimedes", wie er genannt wurde, auch für die am Medici-Hof als Neuheit eingeführte Kunst des Steinschneidens interessierte, kann als sicher angenommen werden. „Mai con l'animo suo si quietava ma sempre con l'ingegno fabbricava cose nuove" - so der Anonimo38*. Wie sehr Leonardo dabei die technische Seite der Kunst interessierte, ist o f t dargestellt worden - es sei nur erinnert an die in Florenz zuerst von Leo-

S8i Z u r reichen Lit. über Leonardo als Bildhauer vgl. Anm. 142. Z u Verrocdiio zuletzt: Passavant, Verrocchio, 173, Bibliogr. zum Medici-Grab. 382 Vas-Mil I V , 256 ff. ms Vas-Mil III, 366 f. 3 8 4 „Stette da giovane col Magnifico Lorenzo de Medicij, et dandoli provisione per se ei faceva lavorare nel giardino sulla piazza di San Marcho di Firenze." Beltrami 5, N o . 9. Seidlitz, 74, bestreitet, daß noch während Leonardos Anwesenheit in Florenz hier eine eigentliche „Kunstschule" wie bei Vasari beschrieben, bestanden haben könnte. A b e r mit Chastel, 404, ist hier doch wenigstens eine Restaurierungswerkstatt und ein Marmorlager der Medici anzunehmen. D a ß Leonardo hier arbeitete, scheint auch durch die N o t i z „ D e r Garten der Medici" in C A 288 v b bestätigt zu werden; vgl. Lücke 787. 4 8 4 Diese Worte auf eine Behandlung durch die Ä r z t e zu beziehen, wie gelegentlich versucht worden ist, scheint ausgeschlossen, dies sowohl wegen des Wortlauts wie nach der guten Gesundheit, deren Leonardo sich erfreute; v g l . Bode, Studien 73. S8 * Anonimo Magl., Beltrami, N o . 254.

104

Die Phaeton-Kompositionen

nardo praktizierte Ölmalerei, an seine (mißlungenen) Versuche in neuen Techniken der Wandmalerei, an die nach Vasaris Bericht mit eigener Hand gefertigte und um 1482 dem Moro in Mailand zum Geschenk gebrachte silberne Laute in Form eines Pferdeschädels387. So kann nicht angenommen werden, daß Leonardo es verschmähte, sich auch in der Glyptik praktisch zu versuchen. Wie die vom Steinschneider bearbeiteten Pretiosen einen königlichen Werkstoff abgaben, so gehörte die Handhabung des Drehzeugs zu den vornehmsten Tätigkeiten des Künstlers, ja sie galt als königliche Kunst: Filarete teilt mit, eben der Polyklet, der die Diomedes-Gemme geschnitten habe, werde für einen König gehalten388, und wenigstens aus dem 16. Jahrhundert ist überliefert, daß Francesco de' Medici und andere Fürsten im Steinschnitt dilettierten389.

/, j. Hinweise auf den Steinschnitt in Manuskripten und anderen Werken Leonardos Seit 1478 erscheinen im Codex Atlanticus zahlreiche Entwürfe für Polier-, Schleif- und Bohrmaschinen zur Bearbeitung von Spiegeln und Kristallen oder auch zum Polieren künstlicher, aus Perlmuttmasse hergestellter Perlen. Alles dies sind Werkzeuge, die Leonardo zur Herstellung seiner optischen Instrumente benötigte, und sie sind weitgehend identisch mit den Werkzeugen des Glyptikers390. Mehrfach hat Leonardo auch Rezepte zur Schleifpulverherstellung - etwa aus gestoßenem Diamant - beschrieben. Ein auf etwa 1485 zu datierendes Blatt des Codex Atlanticus enthält eine A n w e i sung, kleine Perlen in Zitronensäure zu lösen, durch Trocknung ein Pulver herzustellen und mit H i l f e eines eiweißhaltigen Bindemittels Perlen beliebiger Größe zu formen. Diese werden mit einem kleinen Drehzeug („un tornio piccolo") und mit H i l f e eines Polierzahns, eines Kalzedons oder Kristalls geschliffen und wieder auf ursprünglichen Perlglanz gebracht 391 . - Vier 1 4 7 8 entstandene Zeichnungen desselben Codex zeigen Entwürfe für Maschinen, die dem Kristall- und Spiegelschliff dienen, u. a. auch dem Hohlschliff von Kristallen: „a fare una sphera in cavo." 8 9 2 Ähnliches findet sich auf einer der Zeichnungen in Windsor 3 0 3 , und im Ms. G werden mehrfach Poliermaschinen und zugehörige Schleifpulverrezepte beschrieben394. Ausführliche Angaben zu einem Rezept

»«' V a s - M i l I V , 28. Filarete 658. K r i s 1 0 f. »no Z u den Werkzeugen des Glyptikers K r i s 7 ff. 391 C A 109 v b : „ A fonder perle. Se tu volessi fare pasta di perle minute, abbi del sugo de' l i m o n i . . . D i poi le metti a un tornio p i c c o l o . . . E t bruniscile in modo ritorni loro il lustro come prima . . Z u r Datierung: Pedretti, Studi 2 7 0 . 332 C A 3 2 0 r b. 380 r b. 380 v b. 4 v a. Besprochen, abgebildet und datiert bei C a l v i 2 3 - 2 6 . 393 W 1 9 0 9 1 V. 3M

G53r. Gi4r. Münzprägung.

G 82 v . G 4 3 r .

Letztes Blatt enthält übrigens genaue Anweisungen für die

Leonardo als Steinschneider

IOJ

für Diamantsdileifpulver auf dem Deckel des Vogelflug-Codex 3 9 5 . Ms. I bietet eine Maschine „da forare cristalli" 388 . In den anatomischen Heften notiert Leonardo um 1 5 1 3 , er wolle sich die Drehscheibe des Malers Boltraffio ansehen und einen Stein darauf schleifen lassen5®7. In einer Liste der Gegenstände, die Leonardo auf eine Reise nach Süditalien mitnehmen will, erscheint zwischen Koffern, Hosen, Schuhen, Büchern und M a l rezepten auch ein Drehzeug 398 . Mehrfach nennt Leonardo Lapidarien, d. h. die altüberkommene Gattung der Steinbücher - Albertus Magnus und Marbodeus sind die bekanntesten Verfasser399. A n zahlreichen Stellen werden in den Manuskripten Edelsteine erwähnt: Kalzedon, Jaspis, Karfunkel, Achat usw. Leonardo hat diese Steine besessen, geliehen oder verliehen, z. B. an Giovanni Benci. Besonders interessant auch die Rezepte zur Herstellung von künstlichem Karneol, Achat, Kalzedon, Bernstein usw. Sogar Steinschnittgefäße will Leonardo aus Karneolimitation machen. Einmal vergleicht er die optische Umkehrung mit dem Abdruck, den ein Karneol offensichtlich ein geschnittener Stein - hinterläßt. Im Codex Atlanticus ist ein der Herstellung künstlicher Perlen ähnliches Verfahren beschrieben: Leonardo schlägt vor, kleine Steinstücke mit weißer Paste aus gestoßenem Stein zu umgeben, mit einem speziellen Bindemittel zu untermengen und schließlich zu trocknen. Dieses Produkt, so heißt es, erscheine wie fester Kalzedon. In einer fragmentarischen Notiz wird in gleichem Zusammenhang Achat erwähnt, und das neben diese Ausführungen gezeichnete Schliffbild zeigt die mit dem Verfahren erzeugten, f ü r solche Steinarten typischen Schlieren (Abb. 86) 400 . Sehr verwandt die ausführliche Anweisung und das Schliffbild, das im Codex F die Herstellung von Glaspasten angibt: mit ihnen soll Karneol, Sdiwalbenstein, Kalzedon und Achat imitiert werden 401 . Ähnlich ein Rezept zur Herstellung von jaspisartigem Bernstein im Codex Forster 402 . Codex I beschreibt die Herstellung von Gefäßen aus Karneolimitation 403 . Im Ms. K wird Kalzedon zweimal erwähnt 404 . Lapislázuli kommt in Codex F vor 4 0 5 . Codex H enthält ein Ausgabenverzeichnis von 1494; hier erscheint ein „anello di diaspis" und eine „pietra stellata", d . h . ein Ring mit Jaspis und ein Karfunkel 4 0 6 . Eine andere Liste desselben Manuskripts erwähnt unter allerlei Besitz des Künstlers eine einfache „pietra" 4 0 7 . Ausführlicher und sicher auf einen Edelstein bezogen die Notiz im Codex Arundel: „Renieri pella pietra

395 v u Copertina v. »»« I 23 v . 3S7 Q A I I 22 V. 398 C A 247 r a. 335 C A 2 1 0 r a. tus Magnus, phr.ist, 1497 100 CA ioj va. 401 f 4

„il tornio d'Alessandro", Richter N o . 1 3 7 9 . Vielleicht „ D e lapidibus" von Marbodeus oder „Mineralium libri V " von A l b e r ed. 1476, vgl. Lücke 903. K a n n sich auch beziehen auf „ D e lapidibus" des Theobei Aldus Manutius in Venedig erschienen als „Aristoteles et Theophrastus". Pedretti (Studi, 270) datiert auf 1508.

73 v.

°2 For I I I 33 v .

403 1

2 7

v.

404

K 1 1 5 r. K 1 1 5 v. 105 F 96 r. 406 407

H 64 v , Übersetzung von „pietra stellata" mit K a r f u n k e l durch Lücke 894. H 94 r.

io 6

Die Phaeton-Kompositionen

stellata." 408 Ebenda eine N o t i z über Giovanni Benci und zwei, wohl an ihn ausgeliehene Gegenstände: ein Budi und ein Jaspis 40 '. Bei einer Zeichnung im Codex Atlanticus läßt sich leider nicht ausmachen, ob es sich um die Vor- bzw. Nachzeichnung eines wirklichen Diamantringes handelt oder ob Leonardo hier nur die bekannte Medici-Imprese dargestellt hat 410 . Der gesdinittene Stein als Beispiel der optischen Umkehrung findet sich in Codex D 4 1 1 .

In der wahrscheinlich 1482 bei der Ubersiedlung nach Mailand aufgesetzten Liste mitgenommener Zeichnungen notiert Leonardo „un calcidonio"; schon Giorgio Nicodemi vermutet, daß es sich um einen Gemmenentwurf handele. Zudem ist neben diese im Codex Atlanticus enthaltene Liste das oval gerahmte Profilbild eines antiken Kaisers gezeichnet (Abb. 88)412. Gombridi hat diesen unter Leonardos physiognomischen Mustern häufig vorkommenden Kopf als Galba-Typ klassifiziert und mit antiken Münzen verglichen (Abb. 69)413. Da die Rahmung aber nicht rund, sondern oval ist, liegt es nahe, an einen geschnittenen Stein zu denken, eben an den im Inventar genannten Kalzedon. Ob eine Nachzeichnung oder ein Entwurf gemeint ist, bleibe zunächst dahingestellt. 1507 siegelt Leonardo einen Brief an Ippolito d'Este mit einem geschnittenen Stein, auf dem ein Kahlschädel erscheint, wie der Künstler ihn häufig selbst gezeichnet hat, z . B . in dem Windsorblatt W 12600, das um 1504 entstanden sein dürfte (Abb. 83, 84). Z u beachten ist die grundsätzliche kunsttheoretische Bedeutung der Darstellung: an solchen Kahlschädeln demonstriert Leonardo, wie vor ihm Francesco di Giorgio, die erstrebte Idealproportion (Abb. 47, 48). Es ist zu vermuten, daß Leonardo diesen zu seinem persönlichen Gebrauch bestimmten Stein selbst geschnitten hat 414 . Diese Vermutung läßt sich auf Grund der gezeichneten Entwürfe für Gemmen und Kameen erhärten. Entwurfszeichnungen, die dem bereits erwähnten als „calcidonio" benannten Kaiserbild verwandt sind, finden sich noch häufig in den Manuskripten. Da meist oval, kann man sie nicht als Münzen, höchstens als Bronzeplaketten ansprechen.

«8 A r . 191, 6. 4°» A r . 190 v. 4 1 0 C A h i r b . Zur Datierung vgl. C a r l o Pedretti, Leonardo da Vinci - manuscripts and drawings of the French period 1 5 1 7 - 1 5 1 8 , G a z . Beaux-Arts L X X V I , 1970, 289, 294. Die MediciImprese z. B. am L a v a b o der Alten Sakristei von S. Lorenzo in Florenz oder auf einer Raphael-Zeichnung im Teyler Museum, Haarlem, vgl. Oskar Fischöl, Raphael, London 1948, II, pl. 99 und S. 363. Motto dieser Imprese ist „Semper" oder auch „ N e c igni, nec ferro cedit". 4 ' i D 4 r. 4 1 2 C A 324 r. Giorgio Nicodemi, Leonardo da Vinci, Züridi und Leipzig 1939, S. X I V . 4 , 3 Gombridi, Leonardo's grotesque heads 199-219; s. S. 67. 4 1 4 A b b . des Siegels bei Malaguzzi, Corte di Lodovico, II, 645, fig. 695. Besonders verwandt W 12600 oder audi die Nachzeichnung eines Leonardo-Schülers nach einer verlorenen Zeichnung der Sammlung Arundel; Popham-Pouncey, C a t . N o . 120 r, PI. C X I . Z u diesen K ö p f e n vgl. die sehr ähnliche antike Gemme bei Furtwängler T a f . L I X , 9. Zum Studium der Idealproportion an Kahlschädeln vgl. W 12601 und die Ausführungen. S. 54 ff.

Leonardo als Steinschneider

107

A u f der Zeichnung 1 2 2 8 2 in Windsor finden sich vier Embleme der Constantia eines davon mit der Darstellung eines Pfluges, queroval gerahmt. Die Zeichnung W 1 2 701 zeigt die gleichen Embleme in einer für Leonardo selten ausführlichen Weise durchgezeichnet (Abb. 87). Sie sollten wohl als Präsentierblätter, vielleicht für Cesare Borgia, dienen. Es ist möglich, daß diese Entwürfe für Plaketten gedacht waren. Aber wenigstens bei dem querovalen Pflugemblem liegt es nahe, an einen Entwurf für eine Gemme oder Kamee zu denken, denn diese querovale Form ist bei antiken Gemmen geläufig, und mehrfach finden w i r auf ihnen gerade das Pflugthema behandelt 415 . Eine Fülle ähnlicher Darstellungen finden wir auf der Vorder- und Rüdeseite der Windsor-Zeidinung 1 2 700 (Abb. 8 j , 9 2 ) ; Clark meint, daß wegen der hier vorkommenden Darstellung menschlicher Figuren, welche die Renaissance-Emblematik nicht erlaubte, keine bloßen Emblemzeichnungen gemeint sein können, sondern wahrscheinlich Kameen oder Medaillen 41 *. Ähnliche Darstellungen finden sich im Codex Atlanticus 4 1 7 (Abb. 89) und im Codex Arundel (Abb. 9 1 ) 4 1 8 .

Sicher auf einen Stein und nicht auf eine Medaille weist eine Zeichnung des Codex Atlanticus (Abb. 90): das eine Büste enthaltende Oval ist gerahmt, wie wir es eben nur von der Edelsteinfassung her kennen; auf dem Rahmen sollten Perlen aufgesetzt werden, so wie bei den Karneolen, die Leonardo als Mantelschließe bei der Münchner Nelkenmadonna, Madonna Benois und bei der Felsgrottenmadonna gemalt hat (Abb. 74, 7 J , 93) 414 . Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß diese Edelsteine bei den Madonnendarstellungen auffallend und bedeutsam in das Zentrum der Bildkomposition gerückt sind. Zu den hier vermuteten Gemmen- und Kameenentwürfen kommt schließlich der von Bettina Polak erbrachte Nachweis, daß Leonardo mit der Windsorzeichnung 12540 auf die berühmte Diomedes-Gemme der Medici Bezug nimmt, und Clark nennt dies Leonardos engste Bezugnahme auf ein antikes Kunstwerk 420 . Jedenfalls zeigt sich hier Leonardos Interesse für die antike Glyptik. Dies entspricht unserer Vermutung, daß der Künstler bei einem der emblematischen Ovalentwürfe mit der Darstellung eines Pfluges ein antikes Vorbild abwandelte. Auch Leonardos Reiterstudien, speziell diejenigen für das Sforza-Denkmal, sind in diesem Zusammenhang zu nennen; wenn auch Soös den Vorbilderkreis vor allem in antiken Münzen sieht, so ist doch keineswegs die Einwirkung der von C. de Mander und Antal Hekler als vorbildlich genannten Stücke aus dem Gemmenkatalog Furtwänglers ausgeschlossen4".

415 Furtwängler I, T a f . X X I X , 4 2 , 5 2 ; weitere Nachweise zu solchen Gemmen ebd. im K a t . « « C l a r k in C a t . W , p. 1 7 9 . 4

»? C A 306 r a.

« 8 A r . 2 2 5 r. « « C A 9 J r. « 0 Polak a.a.O., C l a r k zu W 1 2 5 4 0 . 421

Sods 1 2 9 - 3 4 . M a n d a d i 3 2 7 f. Hekler 3 2 . V g l . Furtwängler I, T a f . X X V , 5 2 , 53 und X X V I I ,

39. 4°-

io8

Die Phaeton-Kompositionen

I, 4. Weitere Quellen

Leonardos Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet des Steinschnitts und der Pretiosen lassen sich außer durch originale Zeichnungen und Manuskripte auch durch zeitgenössische Quellen belegen. 1502 wird Leonardo von Isabella d'Este beauftragt, vier kostbare, z. T. mit Perlen und Rubinen geschmückte Steinsdinittvasen aus dem Nachlaß Lorenzos des Prächtigen zu sdiätzen. Er gibt ein kennerhaftes und differenziertes Gutachten: eine der für amethysten gehaltenen Vasen tauft er auf Jaspis, er weist auf Fehlerstellen, und er beurteilt Farbigkeit und Transparenz424. Wichtiger noch eine Nachricht über Leonardo als Steinschneider in dem 1502 in Venedig erschienenen „Speculum lapidum" des Camillo Lunardi423. Bei dieser Schrift handelt es sich um eine Steinkunde der Art, wie sie Leonardo selbst mehrfach in den Manuskripten erwähnt hat424. Lunardi ist Leibarzt und Astrologe des Cesare Borgia, und diesem ist das Werk auch gewidmet. Eben seit Frühsommer 1502 befindet sich Leonardo in der Romagna in Diensten Cesares, und zu Recht hat schon Forrer darauf hingewiesen, daß Leonardo und Lunardi in Verbindung gestanden haben dürften485. Diese Annahme läßt sich präzisieren. In einem in der Biblioteca Capitolare in Verona aufbewahrten Manuskript zum „Speculum" ist Lunardis Dedikation an Cesare datiert: „Pesaro, an den Iden des Septembers 1502" 426 . Die Niederschrift des „Speculum" dürfte der Übergabe der Schrift an Cesare unmittelbar vorausgegangen sein und eben in Pesaro, dem Heimatort Lunardis, erfolgt sein. Unmittelbar vor diesem Datum, mindestens seit dem ersten August des Jahres ist auch Leonardo in Pesaro und steht dort in Verbindung zum Literaten- und Büdierwesen; so notiert er die bedeutende Bibliothek des Alessandro Sforza und im Hause des Jacopo da Mengardino einen „Marcello" - vermutlich einen Ammianus Marcellinus427. Der vermutliche Ort und Zeitpunkt der Niederschrift des „Speculum" treffen sich also mit Leonardos damaligem Aufenthalt.

422

Beltrami 1 1 6 , N o . H J . Unrichtig die bei Kris, 4 3 , gemachte Angabe, es handele sich bei dem Verfasser um den eben in dieser Schrift genannten Leonardo da Milano. Die H e r k u n f t Lunardis aus Pesaro geht aus dem vollen Titel seines Werkes hervor: „Speculum lapidum clarissimi artium et medicine doctoris C a m i l l i L e o n a r d i Pisauriensis", Venezia 1 5 0 2 ; Dedikation: „Illustrissimo acGloriosissimo Principi Caesari Borgie D e Francie D u c i Romandiole". M a r i o Emilio Cosenza, Biographical and bibliographical dictionary of the Italian humanists I I I , Boston 1 9 6 2 , Sp. 1969. Forrer I I I , 396-398. 421 V g l . A n m . 399. 4:; 5 Forrer I I I , 3 9 6 - 8 . 426 Paul Oskar Kristeller, Iter Italicum I I , London 1 9 6 7 , 298. Verona, Bibl. Capitolare C C L X X I I I , cart. misc. 1 6 . J h d . fol. 2 - 8 3 : Camillus Leonardus Pisauriensis physicus, speculum lapidum, mit der W i d m u n g an Cesare Borgia, datiert: „ P i s a u r i i . . . M C C C C C I I Idibus Septembris". 427 Seidlitz 2 5 7 . Lücke 895. L Einband r. 423

Leonardo als Steinschneider D e n H a u p t t e i l dieser S c h r i f t macht die gewöhnliche alchemistische L e h r e v o n Bedeutungen, K r ä f t e n , "Wirkungen d e r verschiedenen Steine auf den Menschen aus. D a r i n eingeschaltet sind ein k u r z e r A b r i ß d e r Geschichte der Steinschneidekunst s o w i e einige allgemeine B e m e r k u n g e n z u r neueren Kunstgeschichte 4 2 8 . D i e italienischen K ü n s t l e r der G e g e n w a r t , so heißt es, w e t t e i f e r n m i t denen der A n tike, j a sie übertreffen sie, u n d die vorzüglichsten sind P i e r o della F r a n c e s c a , M e l o z z o d a F o r l l , G i o v a n n i Bellini, P i e t r o P e r u g i n o , v o r allem A n d r e a

Man-

tegna. Vergleichsweise sind die modernen Steinschneider nicht den antiken nachzusetzen : sie schneiden Bildnisse so v o r z ü g l i c h in Stein, d a ß nichts h i n z u z u f ü g e n o d e r w e g z u n e h m e n ist. D i e N a m e n d e r v i e r besten Steinschneider w e r d e n a u f g e zählt. D i e drei ersten sind in d e r E r f o r s c h u n g d e r R e n a i s s a n c e g l y p t i k geläufig. Z u n ä c h s t G i o v a n n i M a r i a d a M a n t o v a , nach V a s a r i ein „ g r a n d i s s i m o imitatore delle cose a n t i c h e " ; er ist im letzten Quattrocentodrittel f ü r die M e d i c i in F l o renz, seit 1 4 9 9 als M ü n z m e i s t e r a n der römischen Z e c c a tätig, ebenda w o auch L e o n a r d o f ü r die P r ä g u n g e n Julius I I . arbeitet

429

1505

. D e r z w e i t e ist F r a n c e s c o

di L o r e n z o Anichini, einer d e r berühmtesten Gemmenschneider der Z e i t ; er ist in

448

Lunardi, Speculum S. X L V I I I . Diese Stelle ohne Kommentar ausgezogen bei: Eugenio Garin, Giudizi artistici di Cammillo Lunardi, in: Rinascimento II, 1 9 5 1 , 191 f. „Sed quod de sculptoribus nostri temporibus dicatur: quos ante dictis (d. h. die antiken Gemmenschneider) postponendos eos non arbitror: cum eorum opera per Italiam undique vagent: nec ab antiquis dignoscant. Ciaret Romae hodiernis temporibus Ioannes Maria Mantuanus, Venetiis Franciscus Nichinus Ferrariensis, Ianuae Iacobus aliter Tagliacarne, Mediolani Leonardus Mediolanensis. Qui adeo accurate ac laute effigies in lapidibus imprimunt, quod nihil addi aut minui potest; unum apud modernos respicio, de quo apud antiquos nulla extat memoria, de incisoribus seu sculptoribus in argento, quae sculptura niellum appellatur. Virum cognosco in hoc celeberrimum ac summum, nomine Franciscum Bononiensem, aliter Fraza, qui adeo in tarn parvo orbiculo seu argenti lamina tot homines, tot animalia, tot montes, arbores, castra, ac tot diversa ratione situque posita figurat seu incidit, quod dictu ac visu mirabile apparet, adeo quod non solum in his Italia nostra illustrata est, verum in omni genere rerum. Nam in pictoria arte quis praestantior Petro Burgensi, Melozoque Ferrariensi qui pingendi regulas Geometricis, Arithmetricis ac perspectivis regulis miro ordine industria ac doctrina instituerunt, ut ex eorum operibus patet, nec etiam hoc ab antiquis tarn ampie pertractum fuit? Penicillo quoque quis praestantior Ioanne Bellino Veneto ac Petro Perusino qui adeo hominum imagines, animalium quoque ac rerum omnium pingunt, ut solo spiritu carere videantur? Inter antiquos celeberrimus fuit Z e u s i s . . . fuere et Protogenes et A p e l l e s . . . Non minori et admiratione Italia nostra virum celeberrimum habet, qui ob eius excellentiam inaurati militis ordine annumeratus est, Andream Patavinum cognominatum Mantegnam qui omnes regulas ac pingendi rationes posteris aperuit, et non solum penicillo omnes excidit, verum etiam arrepto calamo seu carbone extincto in ictu oculi hominum aetatum ac diversorum animalium veras imagines ac effigies diversarumque nationum habitus, mores ac gesta figurat, ut quasi se movere videantur. Hunc non solum modernis, sed antiquis praeferendum esse censeo." - Bei dem genannten Niello-Künstler Fraza handelt es sich um den berühmten Schriftentwerfer Francesco G r i f f i , der u. a. den Schriftsatz für die „Hypnerotomachia Polifili" des Colonna (ed. 1499) und ein griechisches und hebräisches Alphabet für Aldo Manutius geschnitten hat; er ist der Erfinder der Kursivschrift; vgl. zu ihm: Alberto Serra-Zanetti, L'arte della stampa in Bologna nel primo ventennio del Cinquecento, Bologna 1959, 138-149. -1-9 Wie schon Mariette, 29, bemerkte, handelt es sich um den auch unter dem Namen Pier Maria Serbaldi della Pescia bekannten Künstler. Th.-B. X I V , 126 und X X X , 504 f. Kris 39 f.

I IO

Die Phacton-Kompositionen

Venedig tätig und steht in enger Beziehung zu Isabella d'Este; diese nennt ihn „el migliore maestro d'Italia". Gut möglich, daß Leonardo bei seinem venezianischen Aufenthalt im Jahre 1500 diesen „homo molto fantastico et de suo cervello" kennengelernt hat430. Als Dritter erscheint der zu Anfang des 16. Jahrhunderts in Genua tätige Giacomo Tagliacarne 431 . Diesen Hauptmeistern wird hinzugefügt: „Mediolani Leonardus Mediolanensis" - in Mailand der Mailänder Leonardo. Schon im 18. Jahrhundert hat Pierre Mariette ausgesprochen, Lunardi habe hier wohl den Leonardo da Vinci im Sinn, und später sind ihm King und Forrer, nicht jedoch die Leonardo-Forschung hierin gefolgt 432 . Außer dem Maler Leonardo da Milano, einem erst 1553-87 in Rom tätigen Schüler des Daniele da Volterra 433 ist kein gleichnamiger Künstler bekannt. Ein völlig Unbekannter dürfte dem Katalog der drei oben genannten berühmten Steinschneider und der Liste der vorzüglichsten Maler Italiens kaum zugesellt worden sein. Schließlich standen Leonardo und Lunardi zum Zeitpunkt der A b fassung des „Speculum" höchstwahrscheinlich in enger Verbindung: beide in Pesaro, beide in Diensten des Valentino! Wenn Leonardo als ein Mailänder, in Mailand arbeitend, genannt wird, so erklärt sich diese Ungenauigkeit aus dem 17jährigen, von 1482 bis Ende 1499 währenden Aufenthalt am Hofe des Moro, worauf bis 1502 nur die kurze Venedigreise und der zweijährige Aufenthalt in Florenz gefolgt waren. So dürfte der Ruhm, unter die besten Steinschneider Italiens gerechnet zu werden, in der Tat dem Leonardo da Vinci gelten.

II. Die Phaeton-Kamee im Palazzo Pitti In der glyptischen Sammlung des Palazzo Pitti in Florenz wird ein als Kamee geschnittener ungewöhnlich großer Sardonyx (50 X 41 mm) aufbewahrt (Abb. i o r , 102)434. Die queroval komponierte Szene stellt Phaeton dar. Dieser stürzt, vom Blitz des Zeus getroffen, kopfüber aus dem Wagen. Die vier Rosse des Sonnengespanns sind in Verwirrung geraten und stürmen wild gegeneinander. Von links reitet ein mit der Chlamys bekleideter Jüngling heran - wohl Phosphoros, der eilt, die Rosse zu bändigen; die Fackel, die er in der Rechten hält, ist von

«0 Th.-B. I, 526. Kris 43. Th.-B. X X X I I , 404. 432 Mariette 29. C . W . K i n g , Antique gems and rings I, London 1872, 412 und 41 j . Forrer III, 396-98. Th.-B. X X I I I , 75. Wolfgang Stechow, Daniele da Volterra als Bildhauer, Jahrb. d. preuß. Kst. Slgg. 49, 1928, 89 Anm. 1. 434 Asdiengreen, Cat. No. 883; Inventario delle gemme del 1921, no. 26.

Die Phaeton Kamee im Palazzo Pitti

111

einem der Pferdeköpfe verdeckt, man sieht nur die Flamme. Am unteren Rand des Steins eine Urne; sie steht f ü r den Flußgott Eridanos, der den von Phaeton entfesselten Weltenbrand löscht. Neben der Urne Kyknos, der in einen Schwan verwandelte Freund des Phaeton, dessen Tod in einem Klagelied besingend435.

II, i. Bestimmung der Kamee als neuzeitlich und die antike Vorlage Diese Kamee wurde früher für antik gehalten; so vonLenormant (1850), Wieseler (1857), Muentz, der sich auf das Urteil des Archäologen Froehner berief und der eine Einwirkung dieser angeblich antiken Darstellung auf Leonardos Anghiari-Sdilacht annahm (1899). Hier schließt noch Clark an, wenn er 1968 vom Einfluß einer antiken Gemme auf Leonardos Schlachtenbild spricht. Weiterhin plädierten für antik: Furtwängler (1900), Robert (1919), Gebhardt (1925) und mit diesem etwa gleichzeitig auch Lippold 434 . Erst 1929 hat Ernst Kris das in Frage stehende Stück eine italienische Arbeit vom Anfang des 16. Jahrhunderts genannt und als entscheidendes Argument für diese Datierung die „lionardesken Einzelzüge" der Darstellung angeführt 487 . Er denkt hier wohl vor allem an die Art der Pferdedarstellung, die mit dem zusammengeht, was uns von Leonardos Pferdegruppen im Florentiner Anbetungsbild (Abb. 7 1 , 72), in der Anghiari-Sdilacht (Abb. 98) und vom Budapester Cavallo her bekannt ist. Die Umdatierung von Kris wurde allgemein akzeptiert. In dem 1968 erschienenen Katalog des Florentiner Silbermuseums gibt Aschengreen die gleiche Entstehungszeit an438. Ebenso schließt Clark (r 969 - im Gegensatz zum Windsor-Cat. von 1968) an Kris an43®. Der stilkritischen Bestimmung der Kamee als Renaissancearbeit läßt sich ein wesentliches Argument hinzufügen. Schon Muentz hat auf den Zusammenhang der Komposition mit antiken Phaeton-Sarkophagen, insbesondere mit der Mittelgruppe des Phaeton-Sarkophags in den Uffizien hingewiesen (Abb. 100). Kris hält die Kamee f ü r geradezu nach diesem Sarkophag gemacht, Clark nennt sie

4-is Zum Mythos und den literarischen Quellen vgl. G . T ü r k , Phaeton, in: R E X I X , 2, 1 J 1 5 ff. mit Lit. 4!| 6 Lenormant, PI. X L I , no. 15. Wieseler, Taf. N r . 10 S. 18. Muentz, Leonard, 2 7 3 , zieht diese Gemme als Vorbild für Leonardos Anghiari-Sdilacht heran. Nadi anfänglichen Zweifeln über das Altertum der Kamee hatte sich Muentz dem Urteil Froehners angeschlossen. Furtwängler, I, Taf. L V I I I , 2 und II, 236. Clark in Cat. W , S. X X X V I I I . Robert III, 408. Gebhart 103 Abb. 149: ohne Kommentar unter den römischen Gemmen der Kaiserzeit abgebildet. Lippold, Taf. 46, 10; im Kat. S. 174 als „römisch" etikettiert. 437 Kris 1 5 3 , Kat. und Abb. 43/14. 438 Aschengreen, Cat. N o . 883. «»» Clark, Leonardo and the antique, 1 5 : „renaissance forgery", ebd. 1 7 : „renaissance imitation".

112

Die Phaeton-Kompositionen

nun eine Antikenfälschung danach. Der Sarkophag stand im Quattrocento in S. Maria in Aracoeli in Rom, rechter Hand vom Eingang. Um 1560 gelangte er in den Colonna-Garten bei SS. Apostoli. Wahrscheinlich um 1570 wurde er von den Medici erworben und in die Gärten der Villa di Pratolino gebracht. Später, kurz vor 1779, fand er Aufstellung in den Uffizien und wurde wahrscheinlich aus diesem Anlaß ergänzt440. Jedenfalls war der Sarkophag, so wie er im Quattrocento in S. Maria in Aracoeli stand, stark beschädigt. Dies belegen die zahlreichen Nachzeichnungen nach dem schon im Quattrocento berühmten Phaeton-Relief. Die frühest bekannte ist die des Anonimo Ambrosiano, die kurz nach 1450 entstanden sein dürfte (Abb. 94); aus späterer Zeit sind vor allem die Nachzeichnungen im Codex Coburgensis und im Codex Escurialensis der Ghirlandaio-Werkstatt zu nennen (Abb. 99)441. Was die auf der Kamee vorkommende mittlere Szene mit der Pferdegruppe angeht, so fehlten folgende Teile: die beiden Arme und das linke Bein des Phaeton, der rechte Arm des Phosphoros, beim ersten Pferd (von links gezählt) der rechte Hinterschenkel, beim zweiten Pferd der linke. Ferner fehlte die Deichsel des Wagens. Während diese Fehlstellen im Codex Escurialensis teilweise falsch ergänzt sind, werden sie in dem treuer wiedergebenden Codex Coburgensis als solche klar gekennzeichnet, d. h. die fraglichen Teile fehlen hier, und dies ist auch noch in den Nachzeichnungen des 16. Jahrhunderts der Fall. Eben diese dem Sarkophag schon im Quattrocento fehlenden Teile fehlen auch auf der Kamee oder sie sind falsch ergänzt, bzw. umgedeutet: so fehlt die Deichsel des Wagens, so ist das linke, auf dem Sarkophag abgebrochene Bein des Phaeton umgedeutet als nach hinten abgeknickt. Die Kamee geht eindeutig auf den beschädigten Sarkophag zurück. Abgesehen davon, daß wir keine Gemmen oder Kameen der Antike kennen, die so unmittelbar auf Sarkophagszenen zurückzuführen wären, ist es unvorstellbar, daß man in der Antike eine Kamee nach dem Vorbild eines beschädigten Sarkophags geschnitten hätte. Sicherlich gehört die Phaeton-Kamee also erst der Neuzeit an; sie ist mittel- oder unmittelbare Antikenkopie nach dem berühmten Sarkophag in Aracoeli.

•no Die Geschichte des Sarkophags ausführlich bei Robert I I I , 4 2 2 f. V g l . auch: H e r m a n n Egger, C o d e x Escurialensis, Wien 1906, 1 1 0 f. 441

Bernhard Degenhart und Annegrit Schmitt, Gentile da Fabriano in R o m und die A n f ä n g e des Antikenstudiums, Münchener Jahrb. d. bild. Kst. i 9 6 0 , 1 1 8 f., zählen 10 Nachzeichnungen nach dem Phaeton-Sarkophag der Uffizien auf (Anonimo Ambros., C o d . Escur., C o d . Coburg., C o d . Pighian., Giulio R o m a n o - Brit. Mus., Girolamo da Carpi, Marten de Vos, drei N a c h zeichnungen im Museum Chartaceum des Cassiano dal Pozzo). W i e auf der K a m e e ist nur die Mittelgruppe wiedergegeben beim A n o n i m o Ambros., bei Giulio R o m a n o und bei einer Zeichnung der Pozzo-Sammlung. Eine weitere Nachzeichnung bei: J . A . Gere, T a d d e o Zuccari, London 1 9 6 9 , C a t . 99, PI. 18. V g l . auch die A b b . bei Robert I I I , 4 2 3 f. und T a f . C X I I . Für die Berühmtheit des Sarkophags spricht auch, daß er im 1 6 . J h d . von Fabricius, Pirro Ligorio und Panvinius behandelt wurde, vgl. Robert a.a.O. 4 2 3 .

Die Phaeton Kamee im Palazzo Pitti //, 2. Die

Medici-Invsntare

Ist die Phaeton-Kamee neuzeitlich, so erhebt sich die Frage, bis wann sie sich zurückverfolgen läßt und wer sie gemacht hat. Heute befindet sie sich im Palazzo Pitti unter den zahlreichen anderen Steinschnittwerken aus Medici-Besitz, und Eugène Muentz, der Erforscher der mediceischen Kunstsammlungen, hat deswegen angenommen, es sei eben die Phaeton-Kamee, die schon 1 4 9 6 in einem Inventar der Medici-Gemmen genannt wird 4 4 2 . Diese Behauptung ist nachzuprüfen, denn als wirklich unter den Medici-Stücken des Palazzo Pitti befindlich läßt sich die Kamee nur bis zur Aufnahme in das Stich werk Lenormants von 1 8 5 0 zurückverfolgen 44 ®. Das Problem besteht in der Gleichsetzung von bloßen Nennungen eines „Phaeton" mit eben unserem Stück. Im 1457 aufgenommenen Verzeichnis der Gemmen aus dem Besitz Pauls II., von welchen ein großer Teil 1 4 7 1 an Lorenzo den Prächtigen überging, ist nichts aufgenommen, was mit der in Frage stehenden Phaeton-Kamee identisch sein könnte 444 . Das keineswegs vollständige, 1492 beim Tod Lorenzos aufgenommene, 1 5 1 2 kopierte Inventar notiert hingegen ein Stück, das man im Quattrocento als Phaeton verstanden haben könnte: „ U n a chornuogla legata in oro, entrovi intaglato di cavo uno charro, suvij una fighura tirato da 4 chevaglie che vanno allansu, sottovi dua fighure una a ghiacere l'altra meza ginocchioni, trasparente sanza fondo." 4 1 5 Um unsere Phaeton-Kamee kann es sich nicht handeln, denn hier ist ein Tiefschnitt, eine Gemme, angesprochen. Wie schon Pesce gesehen hat, handelt es sich um die heute im Neapler Museum befindliche Helios-Gemme; sie ist mit dem eingravierten L A V R M E D als aus Lorenzos Besitz kommend gekennzeichnet (Abb. 96) 446 . 1536, bei der Plünderung des Medici-Besitzes nadi dem Tod des Alessandro de' Medici, war sie mit anderen wertvollen Gemmen und Steinsdineidearbeiten, u. a. mit der Tazza Farnese, an Margarethe, die Tochter Karls V., gelangt, von dieser später nach Parma und mit der farnesischen Sammlung nadi Neapel 4 4 7 . Noch im 18. Jahrhundert hat Bracci diese Gemme als Phaeton gedeutet 448 , und erst im 19. Jahrhundert hat Wieseler sie richtig als Helios benannt 449 . A m 9. November 1 4 9 4 werden die Medici aus Florenz vertrieben, und Piero de' Medici gelingt es, einen Teil der Gemmensammlung auf der Flucht mitzunehmen. Die geretteten Kostbarkeiten werden am 1 7 . Mai 1 4 9 6 bei dem römischen Bankier Agostino Chigi dem Prächtigen versetzt. Bei dieser Transaktion wurde eine genaues Verzeichnis der geschnittenen Steine aufgesetzt. Es ist dieses, zuerst

442 Muentz, Léonard 274. 443 Lenormant PI. XLI, no. 15. 444 Eugene Muentz, Les arts à la cour des Papes, II, Paris 1879, 139 ff. «5 Muentz, Coli. Med. XVè s. 69. 446 Pesce 70 ff. Furtwängler Kat. zu Taf. XLII, 27. 447 Zu den Schicksalen der Medici-Sammlung vgl. außer der schon in Anm. 377 genannten Lit.: Pesce. Aurelio Gotti, Le Gallerie ed i Musei di Firenze, Firenze 1875. Hans Diitschke, Antike Bildwerke in Oberitalien, III, Leipzig 1878, S. VII ff. Giuseppe Pelli, Saggio storico della R. Galleria di Firenze, Firenze 1779. 448 Bracci, I, 61 und Taf. III, no. II. 4« Wieseler, 17, Anm. 9, bezweifelt die Phaeton-Ikonographie.

ii4

Die Phaeton-Kompositionen

1878 von Cugnoni veröffentlichte Inventar, auf das sich Muentz zur Identifizierung der Phaeton-Kamee beruft 450 . Beschrieben ist ein Köfferchen mit insgesamt zwanzig Silbertafeln, auf denen nach Mode der Zeit jeweils mehrere Steine montiert waren 451 : meist ein Haupt- und Prachtstein in der Mitte, kleinere am Rand der Platten. A n neunter Stelle der Liste ist eine Platte beschrieben als: „ U n a tavola d'argiento con cinque canmei cioè uno fetonte in mezzo e quattro teste d'imperatori da canto." Muentz hat diese Stelle auf die große Phaeton-Kamee bezogen. Es könnte sich aber auch um die Neapler Helios-Gemme handeln, die wir schon aus dem Inventar Lorenzos kennen. N u n wird aber schon an vierter Stelle der Liste Pieros das gleiche Sujet aufgeführt, und bei einer Banktransaktion dieser A r t dürfte es sich kaum um eine irrtümliche Wiederholung handeln: „ U n a tavola d'argiento legatovi in essa cinque canmei cioè 4 teste e i ° fetonte." Die Beschreibung der beiden Silberplatten weichen leicht voneinander ab. Es bleibe zunächst dahingestellt, ob unter den „cinque canmei antichi" die antike HeliosGemme versteckt ist, während es sich bei der einfachen Nennung von „cinque canmei" um moderne Steine handelt, unter ihnen der „Phaeton". Dieser Wechsel in der Benennung der Platten tritt auch sonst auf und könnte zufälliger A r t sein.

II, 3. Sonstige Phaeton-DarStellungen

auf geschnittenen

Steinen

Zur Absicherung empfiehlt es sich nachzuprüfen, ob statt des bewußten „Phaeton" ein anderer unter den irgend überlieferten Steinen mit Phaeton-Darstellungen den zweiten Ehrenplatz neben der Helios-Gemme eingenommen haben könnte. Stellt man die zahlreichen, in der älteren archäologischen und antiquarischen Literatur erwähnten oder im Stich reproduzierten, ferner auch die PhaetonDarstellungen der kumulierenden Daktyliotheken zusammen (Beger, Bracci, Montfau9on, Lippert, Gori, Maffei, Cadez, Raspe, Reinadi u. a.), so kommt man bald zu einem Sättigungspunkt, d. h. es wiederholen sich immer dieselben Phaeton-Darstellungen in Stichen, Abdrücken, Beschreibungen. Aus den verschiedensten Gründen können aber alle diese Darstellungen nicht mit dem zweiten, im Medici-Inventar genannten Phaeton identisch sein. Zunächst können von den zahlreichen in der archäologischen und älteren antiquarischen Literatur als „Phaeton" angesprochenen Gemmen, Kameen sowie von den A b güssen und Stichwiedergaben alle jene ausgeschieden werden, die mit dem Neapler

460 451

Giuseppe Cugnoni, Agostino Chigi il Magnifico, Roma 1878, 114 f. Diese Platten stammten noch aus dem Besitz Pauls II., denn es heißt v o n ihnen, daß sie das Wappen des Kardinals von Mantua trugen. H i n z u kam nodi ein Silberspiegel, auch er mit Steinen geschmückt, schließlich eine Diaspro-Scheibe. Im ganzen werden genannt: 160 geschnittene Steine, 7 verschiedenartige antike Stücke, 2 weitere kleine Steine, 1 großer K o p f aus Kalzedon, einen alten, bärtigen Mann darstellend, schließlich 7 andere geschnittene Steine.

Die Phaeton Kamee im Palazzo Pitti

IIJ

„Helios" identisch sind 452 . Ernsthafter bewirbt sich um die in der Medici-Sammlung noch freie zweite Stelle einer Phaeton-Kamee ein Stein, der nach Gori 1 7 3 1 in eben dieser Sammlung gewesen sein soll (Abb. 95) 4 5 3 . Hier handelt es sich aber nicht um einen echten Phaeton; statt der auch vor dem Sonnen wagen des Helios doch immer dargestellten Quadriga ist nur eine Biga zu sehen, unter dieser ein herabgestürzter Wagenlenker wohl Hippolyt. Weder ist das Gespann gemäß dem Schema der Phaeton-Darstellung durch die gegeneinanderstürmenden Pferde in Unordnung geraten, noch sind die anderen einschlägigen Motive dargestellt: Eridanos, bzw. seine Urne, Kyknos, Phosphoros oder auch die gelegentlich erscheinenden Heliaden. Zudem sind die (von. Reinach angegebenen) Maße des Steins (19 x 1 4 mm) sehr bescheiden. Es handelt sich also keineswegs um ein Prachtstück, wie wir es im Zentrum der mediceischen Silbertafeln annehmen müssen. - Aus gleichen Grund können die beiden etruskischen Gemmen im Pariser Cabinet des Midailles und im Londoner Britischen Museum ausgeschlossen werden. Sie sind als Zentralsteine viel zu klein, zudem, nach der Formulierung Raspes, „du plus ancien style", entsprechen daher kaum der Antikenvorstellung der Renaissance (Abb. 97) 4 S 4 . - Weiterhin ist, weil zu spät entstanden, eine ganze Gruppe von PhaetonDarstellungen auf Steinen, Nachgüssen und Stichreproduktionen auszuschließen. Sie stellen, ebenso wie die damit verwandten zahlreichen Bronzeplaketten samt und sonders Nachbildungen und Variationen zu Michelangelos bekannten Phaeton-Zeichnungen dar. Wie schon Vasari berichtet, hat zuerst Giovanni Bernardi um 1 5 3 3 einen derartigen Kristallschnitt nach Michelangelo gefertigt 455 . - Sonst noch erwähnte oder abgebildete

458

In zeitlicher Reihenfolge der Publikationen: Lippert II, 28, No. 258: „Rex Sicil", Sardon. „Phaetontis in quadrigis cum lampade casus, infra Padus recumbit. Gemmae magnae orbe rotundo. Opus doctum." Bracci I, Tav. III, No. II, als im Besitz des Königs von Sizilien und ehem. im Mus. Farnes.; hier sei dargestellt, was Galen in „De usu partium", lib. X V I I , cap. I, schreibt; folgt eine ital. Obersetzung der Galen-Stelle; in der Erläuterung Braccis auf S. 61 wird die Gemme als „Phaeton" angesprochen. Raspe, No. 3106, als Variante dazu angegeben 3107: ein Carneo im Besitz des Lord Algernon Percy. Wieseler No. 7 der Tafel und S. 17 Anm. 9, wo er bemerkt, daß der Stein nicht auf Phaeton bezüglich. 453 Gori, Tav. L X V I , No. I I Sardonyx, „Ex Mus. Med.". Lippert, I, 16, 236, nimmt auf die bei Gori angegebene Gemme Bezug, aber mit Besitzerangabe „Imp. Ro. Aug.". Wicar I, Taf. 7. Raspe, No. 3109, nennt ohne weitere Angaben eine Gemme mit Phaeton von zwei Pferden gezogen; da Raspe eine bloße Kompilation aus früheren Publikationen herstellt, dürfte es sich um die zuerst bei Gori bekanntgemachte Biga handeln. Reinach Tav. 32, No. 66, 2 (übernommen aus Gori). Wieseler No. 1 1 der Taf. Abdruck in Sammlung Cadez: Coli. Cadez, Impronte Gemmarie I, 1934, fotografie (Sammelband des Deutschen Archäolog. Ist. in Rom, Signatur T 166 h). Variante dieser Darstellung, wahrscheinlich nur auf die freie Aussdimükkung des Stechers zurückgehend, indem der Boden gewellt wird und Wolken im Hintergrund erscheinen, bei Maffei, Tav. 97 S. 173 ff. „Dal Museo del Sigr. Mario Piccolomini" (ein Abguß?) und bei Montfaucon, PI. 65, S. 121 f. 454 Richter, Gems, No. 849, 850; letztere auch bei Furtwängler Tav. X V I I , 6$, dort einfach als „stürzendes Viergespann" bezeichnet. Damit identisch Raspe No. 3103. 455 Vas-Mil V, 374 mit Anm. 2 (Maffei, Gemme IV, 1 5 1 ) . Kris 64, 166 No. 237/57. I " dem bei Dalton No. 184, PI. V I I I , Reihe 4 abgeb. Onyx und in einem großen Stein in Leningrad sieht Kris Kopien des verlorenen Kristallschnitts. Wohl identisch mit Dalton ist Raspe No. 3104; vgl. dort die Beschreibung. Varianten dazu mit Veränderungen in der oberen Pferdegruppe bei Bracci, Tav. IV, No. II, womit Wieseler No. 8 der Tafel identisch. Ebenso gehört hierher die Paste Sommerville No. 1192. Weitere Abwandlungen in dem Berliner Relief des Francesco Moschini und in dem Bergkristall im Mus. Cluny, Paris. Bei letzterem sieht Kris den Einfluß einer Darstellung Giulio Romanos, womit er wohl auf die Phaeton-Darstellung in der Sala delle Aquile im Pal. del Tè zu Mantua anspielt. Audi Lippert III, 32, 295, ferner Bracci IV,

ii 6

Die Phaeton-Kompositionen

Gemmen mit Phaetonszenen sind aus verschiedenen Gründen als kaum in den MediciSammlungen des 1 5 . Jahrhunderts befindlich anzusehen 456 .

II, 4.

Datierung

N a c h dieser N e g a t i v p r o b e , m i t der w i r h o f f e n , doch den größten T e i l der irgend überlieferten Steine m i t Phaetondarstellungen e r f a ß t zu haben, ist es a m wahrscheinlichsten, d a ß z w e i Stücke m i t den beiden im M e d i c i - I n v e n t a r v o n 1 4 9 6 genannten P h a e t o n - G e m m e n identisch sind: d e r heute in N e a p e l

aufbewahrte

„ H e l i o s " u n d eben die Florentiner P h a e t o n - K a m e e , die schon v o n M u e n t z w i e selbstverständlich auf dieses I n v e n t a r bezogen w u r d e . S i e befindet sich bis heute eben unter den F l o r e n t i n e r Steinschneidearbeiten der M e d i c i , u n d es ist zu v e r muten, daß sie - w i e viele andere den M e d i c i u m 1 5 0 0 verloren gegangene K u n s t w e r k e - i m 1 6 . J a h r h u n d e r t w i e d e r beim B a n k h a u s C h i g i eingelöst u n d in F a m i lienbesitz z u r ü c k g e f ü h r t w u r d e . W i e schon D ü t s c h k e u n d M u e n t z 4 5 7

dargelegt

N o . I (identisch mit Wieseler No. 9 der Tafel) gehören zu den Variationen des 16. Jhds. Zu Medaillen: Schottmüller Nr. 359. Bange Nr. 877-882 mit Lit.-Ang. in Nr. 880. Zum Bergkristall der Saracdii-Werkstatt im Mus. Cluny: Kris 120 und N r . 526/145. Auf den nach der Phaeton-Zeichnung Michelangelos in Windsor gefertigten Stich des N . Beatrizet (B 38), auf dem die Szene im Hintergrund mit Meer und Gebirge erweitert ist, reflektiert wohl die bei Beger I, 209 abgebildete, bei Montfaucon I, PI. 65 wiederholte Gemme; bei Wieseler, 18, als „unecht" apostrophiert. Eine wohl ebenfalls auf Beatrizet beruhende Hinzufügung von Meer und Landschaft in dem Gemälde mit Phaeton-Sturz, flämisch, 16. Jhd., Mus. Rouen. Zur Nachfolge der Michelangelo-Zeichnungen und zur Literatur vgl. Dussler 1 1 3 . 45« Bei Raspe 3105, in Slg. Stosch, handelt es sich um eine Schwefelpaste. Raspe 3108 mit der Inschrift L O V I S S I R I E S geht auf den gleichnamigen Steinschneider des 18. Jhds. zurück. In das 19. Jhd. gehört der Phaeton des Adolphe David in der Slg. Milton Weil; vgl. Ernst Kris, Catalogue of post classical cameos in the Milton Weil Collection, Vienna 1932, fig. 122. Bei den Phaeton-Darstellungen mit umgebendem Zodiacus (Sommerville 1359 und Wicar II) dürfte es sich ebenso um späte Darstellungen, vielleicht des 18. Jhds., handeln, wie bei der von Wieseler als „verdächtig" angesprochenen Münze mit griedi. Inschrift und Zodiacus: Wieseler 18 und N r . 12 der Tafel. Die Darstellung der Heliaden auf diesen Steinen weist auf nachmichelangeleske Entstehungszeit. Sonst völlig unbekannt die auch thematisch ungewöhnliche, bei Bracci III, No. I und Wieseler abgeb. Gemme „Phaeton bittet den Helios um den Sonnenwagen": nach dem bei Wieseler beigegebenen Maßstab ebenso klein wie die vorgenannte sog. Phaeton-Gemme mit Biga. In Steinen oder Abgüssen ist diese Komposition nicht überliefert. Völlig apokryph das bei Montfaucon I, PI. 65, abgeb. Stück - angeblich in Burgund gefunden und damals im Besitz eines gewissen M. de Requeleine, Parlamentsrat in Dijon, ohne Größenangabe, es kommt nur hier bei Montfaucon vor, ungewöhnliche Motive: vier Pferde in kreisförmiger Bewegung, diese Gruppe aus der Phaeton-Plakette des Moderno (zu dieser s. unten!) übernommen, vgl. Maclagan 33, PL 6 und Bange N r . 467, 468. Statt des einen Kyknos sind ein Schwan und ein Reiher dargestellt, welches Motiv auf einem Kupferstidi des Jean Mignon vorgebildet ist, vgl. Henri Zerner, Die Schule von Fontainebleau - Das graphische Werk, Wien 1969, Kat. J . M. 37; im Hintergrund brennende Erdschollen; Phaeton stürzt mit weitgespreizten Beinen kopfüber ab, so wie auf dem Cinquecento-Relief in Berlin, vgl. Anm. 455; das Ganze wohl ein Pasticcio des 17. oder frühen 18. Jhds. 457 Vgl. ¿¡e ¡ n Anm. 377 und 447 genannte Lit.

Die Phaeton Kamee im Palazzo Pitti

117

haben, w a r es vor allem Cosimo I., der durch ständige Ankäufe die zerstreuten Sammlungen der Vorfahren weitmöglichst wieder herzustellen suchte. Ihm verdanken wir, daß sich noch heute im Palazzo Pitti ein beträchtlicher Teil der glyptischen Sammlung Lorenzos des Prächtigen befindet - u. a. die schönen Vasen aus pietra dura. Z w a r hat die Medici-Sammlung auch im 1 6 . Jahrhundert noch starke Verluste erlitten; 1 5 3 6 , nach Ermordung des Alessandro und ein J a h r v o r Wiederherstellung der Medici-Herrschaft durch Cosimo, wurden noch zahlreiche Kostbarkeiten, darunter die Marsyas-Gemme, der „ H e l i o s " und die „ T a z z a Farnese" verschleppt. Andererseits hat die Medici-Sammlung mancherlei Fährnisse gut überstanden; so berichtet uns Vasari, daß Baccio Bandinelli bei der Revolution v o n 1 5 2 7 die Gemmen und Kleinbronzen vergraben und so f ü r das Fürstenhaus gerettet habe 4 5 8 .

Unter allen uns bekanntgewordenen Phaeton-Darstellungen konnte allein das für eine Kamee beachtlich große Prachtstück des Florentiner „Phaeton" in der Mitte einer der von Piero de' Medici geretteten zwanzig Silbertafeln Platz finden und in Wettstreit treten mit dem antiken Intaglio des „Helios". Außerdem läßt sich diese Kamee aus stilistischen Gründen mindestens bis in den Anfang des 16. Jahrhunderts zurückdatieren. Kris, der Kenner der Renaissanceglyptik, setzt sie an den A n f a n g der von ihm behandelten cinquecentesken Stücke. Darüber hinaus ist aber eine Entstehung der Kamee schon im späten Quattrocento durchaus möglich, denn gegenüber der raffinierteren Steinschnittechnik des 16. Jahrhunderts zeigt sidi hier eine gewisse altertümliche Derbheit der Bearbeitung. Jedenfalls ist in dieser frühen Zeit kein Stein nachweisbar, der anstelle des „Phaeton" im Palazzo Pitti schon im Inventar von 1496 figuriert haben könnte. Akzeptieren wir, daß die Phaeton-Kamee zu den im Mai 1496 bei dem Bankier Chigi versetzten Steinen gehört, so ist es auch ziemlich sicher, daß sie schon auf einer der Silbertafeln montiert war, die Piero de' Medici bei der Flucht aus Florenz in seinem Köfferchen rettete. In Zeiten der Flucht und finanziellen Bedrängnis, die ja überhaupt erst den Grund zur Versetzung des Gemmenschatzes abgab, wird Piero kaum eine solche Kamee haben anfertigen und montieren lassen. Somit müßte diese Phaeton-Darstellung noch vor dem 9. November 1494 entstanden sein. Ein Bericht vom 9. Februar 1495, in dem Caradosso, der Juwelensachverständige des Moro, nach Mailand meldet, die besten Stücke, darunter „der Phaeton", seien in dem von der Florentiner Signoria inzwischen zum Verkauf ausgeschriebenen Medici-Schatz nicht mehr vorhanden, scheint die Mitnahme durch Piero, damit die Frühdatierung zu bestätigen. E s handelt sich um den bekannten Medailleur, v o n dem die Medaille auf Bramante und auf dessen St.-Peter-Projekt stammt. D e r M o r o hatte ihn als Agenten im Februar nach Florenz geschickt, um einzelne Stücke aus dem Medici-Besitz, v o r allem aus der Steinvasensammlung Lorenzos zu erwerben. E r schrieb ihm nach Florenz: „ . . . . attenderai a trovare qualdie cosa bella et maxime qualche belle scutelle." In dem am

« 8 Vas-Mil V I , 152.

118

Die Phaeton-Kompositionen

9. Februar von Caradosso abgeschickten „Inventario delle robbe di Piero de Media" heißt es: „Illustrissimo Signore mio. J o sono stato cum questi che sono sopra le cosse de Piero de Medici, e me anno mostrato quelle cosse Ii sono quisti di. Vide la scudella, e un' altra volta me l'ano mostrato in compagnia delle altre cosse Ii sono. El melio non si trova, zo£ el sugiello di Nerone, el carro de Fetonte, el calzidonio." 458 Caradosso hatte also den Medici-Schatz besichtigt, vor allem die „scudella", womit wohl die Tazza Farnese gemeint ist. Er bedauert, daß die besten Stücke nicht mehr da seien - eben die von Piero d'Medici geretteten: das „Siegel Neros", d. h. die Marsyas-Gemme, und der „Kalzedon", womit wohl die Diomedes-Gemme gemeint ist. Diesen berühmten Stücken - wir haben vorn über sie berichtet - wird von Caradosso „Der Wagen des Phaeton" an die Seite gestellt. Vielleicht handelt es sich hier nur um die Neapler Helios-Gemme. Denkbar ist aber auch, daß sich Caradosso ikonographisch exakt ausdrückt und eben die in Frage stehende Florentiner Kamee meint. Daß gerade diese Kamee zur genannten Trias der Prachtstücke gehört, scheint auch aus den Maßen hervorzugehen: der Diomedesund Marsyas-Gemme mit dem jeweils größten Durchmesser von 42 bzw. 44 mm schließt sich der Phaeton mit 50 mm gut an, während der Helios gegen alle drei mit nur 22 mm abfällt 480 . Die Bestimmtheit, mit der Caradosso über die drei Steine berichtet, indem er sie das Siegel Neros, den Kalzedon und den Phaetonwagen nennt, zeigt, daß die Stücke dem Moro, wenn vielleicht nicht aus der Anschauung so doch aus einem Bericht bekannt waren. Diesen Bericht hätte am besten der am Mailänder Hof lebende Leonardo geben können, denn eben Leonardo hat, so soll im Folgenden gezeigt werden, die Phaeton-Kamee selbst geschnitten.

II, 5.

Zuschreibung

Der Bemerkung von Kris, daß für die stilistische Einordnung der PhaetonKamee schon die „lionardesken Einzelzüge entscheidend" seien, ist einiges hinzuzufügen. So schwierig es sonst ist, wegen der Kleinheit der Gegenstände und wegen der Besonderheit der Steinschnittechnik einen Individualstil zu erkennen — hier ist offensichtlich, wie das Vorbild des antiken Sarkophags durch ein ganz bestimmtes Formwollen überlagert wird. Auf dem Sarkophag von Aracoeli (Abb. xoo) schlanke Pferdeleiber, eingespannt in ein zweidimensionales Liniengerüst. Aktion, Kraft, Spannung beruhen eher auf dem Motiv, auf den eingenommenen Stellungen und stereotypisierten Bewegungen als auf der Durchformung. Demgegenüber erscheint die Phaeton-Kamee plastischer — eine Folge von Volumina durch A n - und Abschwellen ineinander überführt und so in der Komposition zusammengehalten. Wenn sonst in der Quattrocentoglyptik nach einem Sarkophag gearbeitet wurde, etwa bei dem Wiener Cameo mit der Ermordung der Klytaimnestra 461 , hat man sich in starken Maße doch an das Lineargerüst der antiken Reliefkomposition gehalten. Die stilistische Umbildung der Phaeton-

45» Francesco Malaguzzi-Valeri, Artisti lombardi a Roma nel Rinascimento, in: Rep. f. Kunstwiss. X X V , 1902, 60. « 0 Zu den Maßen vgl. Furtwängler X L I I , 27. Kris j/21 und 12/29. « 1 Kris 44/14.

Die Phaeton Kamee im P a l a z z o Pitti

119

Kamee erscheint hingegen eigenwillig und ungewöhnlich. Wie sehr hier Bewegung und Spannung aus der plastischen Durchbildung hervorgehen, ist am „kurbettierenden" (in Wirklichkeit stürzenden) Pferd auf der linken Seite der Komposition am deutlichsten zu beobachten. Hier wird versucht, die Beinstellung des antiken Vorbildes zu korrigieren. Es ist dies der bekannte leonardeske Typ des sich aufbäumenden Pferdes wie in der Kampfszene im Hintergrund des Florentiner Anbetungsbildes (Abb. 71), später in der „Anghiari-Schlacht" und in zahlreichen Zeichnungen. Die somatische Durchbildung weist dabei auf die Frühzeit Leonardos, auf das Anbetungsbild. Suida beschreibt diese frühen Pferdedarstellungen als mit ziemlich kurzem Rumpf, mit verhältnismäßig kleinem Kopf, mit starken und schweren Beinen442. Die Muskulatur des Rumpfes ist im Ganzen richtig gesehen, aber wenig detailliert. Erst in der Mailänder Periode, als Folge der nun einsetzenden Proportionsstudien des Pferdekörpers und der durch Leonardos Notizen mehrfach bezeugten Ausbildung zum „feinfühligen Pferdekenner" 463 , findet der Künstler zu einem neuen, edler und rassiger durchbildeten Pferdetyp.,, Demgegenüber", so Suida, „scheinen für die frühen florentinischen Darstellungen grobe Ackergäule Modell gestanden zu haben"444. Diesen Eindruck der Ackergäule oder wenigstens doch der schweren Kampfpferde nach dem Quattrocento-Muster des „Gattamelata" erweckt nun auch die Gruppe der Phaeton-Kamee. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang, daß Clark eine der frühesten Pferdezeichnungen Leonardos (Abb. 109) dessen erste Zeichnung nach der Antike nennt, nämlich nach einer Medici-Gemme, womit Clark doch wohl den von Muentz seinerzeit als antik präsentierten „Phaeton" meint445. Hier ist der postulierte stilistische Zusammenhang zwischen Leonardos frühen Pferdezeichnungen und der Kamee bestätigt. Es ist erwägenswert, ob nicht sogar der auf dieser Zeichnung dargestellte Reiter mit wehender Chlamys ein Reflex des Phosphoros auf Sarkophag bzw. Kamee ist; man denke dabei auch an die einzige und daher auffallende Stelle, an der im Malerbuch von antiker Kunst die Rede ist: „Ahme soviel du nur kannst die Griechen und Römer nach in ihrer Art, die Gliedmaßen sehen zu lassen, wenn der Wind die Gewänder an dieselben anlegt." 44 '

« « Suida 64. 448 Zusammenstellung ebd. 65. Suida 6 5 . Zusammenstellung der frühen florentinischen Bspe. bei Bodmer, v o r allem N r . 1 3 9 (Uffizien), 1 4 6 ( W 1 2 3 2 $ ) , 1 4 7 (London, H . Oppenheimer), 1 4 8 (Slg. H . Hibbard). C l a r k im W i n d s o r - C a t . , A p p e n d i x S. X X X I I ff-, setzt noch v o r die Zeit des florentinisdien A n betungsbildes eine stilistisch andere G r u p p e „gotisch" knochiger Pferdedarstellungen und sieht dann im Anbetungsbild den Pferdetyp ausgebildet, den Leonardo lebenslang beibehalten habe. Z w a r begegnet audi später noch gelegentlich der gedrungene massige Pferdetyp (z. B. W 1 2 3 5 9 unten, W 1 2 3 6 0 Mitte), im Ganzen gesehen ist er aber rassiger durchbildet, wie von Suida zutreffend beschrieben. « 5 C l a r k zu W 1 2 3 2 5 . C l a r k , Leonardo and the antique, 1 5 , nennt im Widerspruch hierzu diese Kamee eine Antikenfälschung. 4M Malerbuch ed. L u d w i g P a r . 5 3 3 .

120

Die Phaeton-Kompositionen

Trotz der Kleinheit der Kamee erscheint ein bestimmtes Detail auffallend umgebildet gegenüber dem Sarkophag: die wehenden Haare des Phosphoros und vor allem die Mähne des rechten äußeren Pferdes. Bei der Schwierigkeit in der Bearbeitung so winziger Details scheint der Steinschneider auf dieses Motiv des in Wellen wegwehenden Haares großen Wert gelegt zu haben. Es ist genau dies ein Hauptmotiv Leonardos — es sei nur an die vergleichenden Studien zur Wellenbewegung von Wasser, Wind und Haar erinnert; wohl kein Künstler hat sich solchen Problemen mehr gewidmet467; man denke schon an den von Leonardo inVerrocchios Taufbild gemalten Engel oder an die sogenannte „Fortuna-Allegorie" in London. Ein weiteres Charakteristikum der Kamee im Gegensatz zum Sarkophag ist die physiognomische Steigerung der Pferdeköpfe - man vergleiche etwa das Pferd des Phosphoros! Es ist dies der Pferdetyp, den die englische Leonardo-Kritik als „romantic" bezeichnet: emporgezogene Nüstern und bleckendes Gebiß geben der Wildheit und Wut Ausdruck. Hauptstücke sind in dieser Hinsicht Leonardos vergleichende Studien zur „pazzia bestialissima" bei Mensch und Tier, etwa das die „Anghiari-Schlacht" vorbereitende physiognomische Musterblatt W 12326 (Abb. 67), wo die Kampfeswut von Pferd, Mensch und Löwe gleichgesetzt ist. Bezeichnend der Kommentar Clarks zu dieser Zeichnung, in dem angenommen ist, sie sei direkt inspiriert von dem bewußten Phaeton-Sarkophag von Aracoeli, welchem Clark einen entscheidenden Einfluß auf die „Anghiari-Schlacht" einräumt. Der enge motivische Anschluß an den Sarkophag bei zugleich völliger stilistischer Unabhängigkeit könnte als Hinweis auf eine starke Künstlerpersönlichkeit verstanden werden: eine gestellte Aufgabe wird auf eigene Art gelöst. In der Tat hatte schon Robert die Schönheit des Cameo hervorgehoben und mit der Aufnahme in die Handbüdier Furtwänglers und Lippolds wurde er als qualitätvolles Hauptstück - damals noch der antiken - Gemmenkunst bestätigt. Man könnte nun auf der plastischen Qualität des Stücks insistieren, man könnte die kleinen sehr geschickten Verschiebungen gegenüber der Sarkophagszene hervorheben, womit Pferdegruppe und Phaeton in das Oval der Kamee eingepaßt sind: Nacken und Kopf der beiden vorderen Pferde werden übereinandergeschoben, Phosphoros hält die Fackel nun mit der rechten Hand, usw. Aber solche, auf dem schwankenden Grund der Qualitätskritik ruhenden Überlegungen reichen allein nicht aus, um einen leonardesken Stein auch dem Leonardo als dem einzig möglichen Autor zuzuteilen. Eine bessere Möglichkeit der Zuschreibung ergibt sich erst aus der Verbindung zweier einzelner Einsichten, zu denen man im Grunde schon 1899 und 1929 gelangt

487

E. H . Gombrich, The form of movement in water and air, in: Leonardo's legacy - an international symposium, Berkely and Los Angeles 1969, 186 f.

Die Phaeton Kamee im Palazzo Pitti

121

war. Muentz wies - wie gezeigt zu Recht - auf den Stein als bereits 1496 in der Medici-Sammlung befindlich; dieses Datum läßt sich bekräftigen und zeitlich rückwärts bis 1494 ausdehnen. Kris erkannte den Stein als modern und leonardesk - daher die Zuteilung an einen anonymen Leonardo-Nachfolger. Nun finden wir die ersten zaghaften Ansätze zu einer Leonardo-Nachfolge doch erst in Mailand um die Mitte der neunziger Jahre, etwa in der auf 1495 datierten „Pala Sforzesca" der Brera. Suida hat gezeigt, wie sich hier noch Altlombardisches, Mantegneskes und Leonardeskes in eigentümlicher Weise durchdringt. Eigentliche Leonardo-Derivate sind in Mailand erst um die Jahrhundertwende und später greifbar468. Wir kennen niemanden, der hier zu einem so frühen Zeitpunkt wie 1494 einen so leonardesken Cameo hätte so vortrefflich schneiden können. Bei diesem Gemmenschneider jedoch mußte der Stil Leonardos bereits so weit assimiliert sein, daß er auch bei der Kopie nach der Antike wie selbstverständlich einfloß. Wenn überhaupt, so wäre dergleichen doch erst in der Zeit der späteren mailändischen Leonardo-Derivate, vor allem in der Zeit des zweiten Mailandaufenthaltes Leonardos von 1 5 0 6 - 1 3 möglich gewesen, d. h. in der jüngeren Generation der Giampietrino, Melzi und Salaino. Im übrigen verweist uns das Vorkommen des Steins im Medici-Inventar nach Florenz. Und dort, wo sich Leonardo ja nur bis 1482 aufhielt, um dann an den Hof des Moro zu gehen, lassen sich vor der Jahrhundertwende keinerlei Werke nennen, die in so engem Bezug zu Leonardos Stil ständen wie unsere PhaetonKamee. Suida hat gezeigt, wie wenig hier der „brave" Lorenzo di Credi, wenn er es selten genug überhaupt versucht, dem Schwung und der Grazie Leonardos folgen konnte. Die gelegentlich bei Filippino Lippi vorkommenden Ähnlichkeiten mit Leonardo-Motiven sind auf Äußerliches beschränkt - man vergleiche nur die Pferdegruppen in der Anbetung, die 1496 als Ersatzstück für Leonardos unvollendete Tafel gemalt wurde (Abb. 73). Schon Strzygowski hat darauf hingewiesen, daß die Nachwirkung des Anbetungsbildes erst erstaunlich spät einsetzt, und gleicher Meinung ist Seidlitz, wenn er betont, daß Leonardo zwei Jahrzehnte lang in Florenz ohne Anklang und Nachwirkung blieb 4 ". Piero di Cosimo schließlich tritt erst nach 1500 in Beziehung zu Leonardo und seiner Kunst470. Die Annahme eines hypothetischen Anonymus, der die Phaeton-Kamee schon 1494 oder früher geschnitten haben könnte, scheint zudem eine unerlaubt komplizierte Konstruktion zu sein: dieser Mann hätte einen antiken Sarkophag kopieren wollen, er hätte dabei den eigenen Stil völlig verleugnet, den Stil Leonardos völlig herausgekehrt, und er hätte schließlich ein Werk von höchster Qualität hervorgebracht, ein Werk, das schon Furtwängler, Robert, Lippold zu den Hauptstücken der Glyptik rechneten.

4,8

Suida 176 mit Abb. 190, 179 mit Abb. 21. Strzygowsky, Jahrb. d. preuß. Kunstsammlungen 1895, 159 ff. Seidlitz $2 und 68 f. 4 ™ Suida 243 f.

469

122

Die Phaeton-Kompositionen

So bleibt nur der Schluß, daß die Phaeton-Kamee auf Leonardo selbst zurückgeht. Dabei ist zu vermuten, daß sie in Leonardos erster Florentiner Zeit, also vor 1483 entstand. Denn in Florenz gelangt der Stein in die Medici-Sammlung, und eben von den Medici wissen wir, daß sie Leonardo um 1480 im Stein- und Antikendepot bei S. Marco beschäftigten 471 . Einer solchen Frühdatierung entspricht die oben bereits dargestellte Stilentwicklung, die wir an Leonardos Pferdedarstellungen verfolgen können.

III. Eine verlorene Phaeton-Komposition Leonardos Ein weiteres Argument für die Zuschreibung der Phaeton-Kamee an Leonardo ist damit gegeben, daß dieser sich mindestens noch einmal mit dem Thema auseinandergesetzt hat. In Scanellis „Microcosmo della pittura", einer leider späten Quelle von 1657, wird unter Leonardos Werken aufgezählt: „ . . . nella Galleria del Serenissimo Granduca di Toscana si vede un quadro che rappresenta la caduta di Fetonte con figure picciole, opera molto dotta, e capricciosa, la quale benché sia solamente sbozzata, dimostra però la straordinaria sufficienza di un tal maestro." 472 Muentz und de Rinaldis war diese Nachricht bekannt; hingegen hat Heydenreich diesen Phaeton-Sturz nicht in seinen Katalog der verlorenen aber schriftlich überlieferten Werke aufgenommen 473 . Aber gerade die genaue Beobachtung Scanellis, daß das Bild nur „sbozzato" sei, d. h. sich eben in dem Zustand befinde, in dem Leonardo die Hieronymustafel und das Anbetungsbild zurückgelassen hat, weist auf die Richtigkeit der Zuschreibung. Es ist kaum denkbar, daß ein Schüler Leonardos oder gar ein Fälscher des 16. oder 17. Jahrhunderts das Non-finito des Meisters als einen Endzweck nachgeahmt hätte. Gerade die Bilder der LeonardoSchule sind in penetranter Perfektion zuende gemalt, und wo man kopierte, hielt man sich an die vollendeten Bilder Leonardos - man vergleiche die Serie nach der „Gioconda"! Daß aber in einer Zeit, die das Non-finito nicht eigentlich schätzte, diese Phaeton-Skizze in einer fürstlichen Galerie hing, daß man sie ein „gelehrtes Werk" nannte, weist auf eine Ernsthaftigkeit, mit der man nur dem berühmten Maler, eben dem als Autor genannten Leonardo begegnete.

471 Vgl. oben mit Anm. 384 f. Francesco Scanelli, Il microcosmo della pittura, Cesena 1657, 141. 473 Muentz, Léonard 274 Anm. 1. Aldo de Rinaldis, Storia dell'opera pittorica di Leonardo da Vinci, Bologna 1922, 212 Anm. 1. Heydenreidi 200 f.

Eine verlorene Phaeton-Komposition Leonardos

"3

III, i. Die Phaeton-Plakette des Moderno

Wie hat dieses verlorene Phaeton-Gemälde Leonardos ausgesehen? Eine Renaissance-Plakette, rund, mit einem Durchmesser von wenig mehr als zehn Zentimetern, behandelt das gleiche Thema (Abb. 105, 106). Pope-Hennessy hat hier statt des Phaeton-Sturzes eine Darstellung des Hippolyt sehen wollen474. Wie aber schon aus der unter der Pferdegruppe dargestellten Urne, die für den Flußgott Eridanos steht, hervorgeht, ist mit der gewöhnlichen Benennung das richtige Thema getroffen. Die Plakette ist in mehreren Exemplaren und in zwei Versionen bekannt geworden475 und wird einmütig dem sogenannten Moderno zugeschrieben, einem oberitalienischen, vielleicht paduanischen Bronzegießer; er war zu Ende des 1 j. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts tätig; sein Œuvre umfaßt 59, nach anderen Forschern gar 72 Plaketten476. Nicht berücksichtigt in der Moderno-Literatur ist, daß man mit einer Zeichnung des älteren Holbein nach eben der Phaeton-Plakette einen terminus ante quem für dieses Stück finden kann. Glaser datiert die Zeichnung bereits auf 1508; spätestens im zweiten Jahrzehnt muß sie entstanden sein477. Eine grundlegende, bei späteren Zusdireibungen nicht immer berücksichtigte Einsicht über diesen Moderno hatte Albert Ilg schon 1890 formuliert. Ihm erschien der Umstand „wichtig, daß bei unserem Meister neben ausgezeichneten Figuren so schwache in der Komposition begegnen. Wir haben es mit einem Kunsthandwerker zu tun, welcher zwar unvergleichlich in Arbeit und Technik, Materialbehandlung und Ausführung, im kompositioneilen Teile aber nur dort ganz Außerordentliches leistet, wo ihm antike Muster vor Augen standen. Seine Zeitgenossen und Vorgänger erreicht er nur mit Mühe; wo er ganz frei sdiafft, tritt seine Unzulänglichkeit zutage"478. Betrachten wir daraufhin die Moderno zugeschriebenen Phaeton-Plaketten, vergleichen wir sie mit seinen anderen, sonst gänzlich quattrocentistischen Arbeiten, die in etwa noch an die Stilstufe Bertoldos erinnern (Abb. 107), so ist als sicher anzunehmen, daß die figürliche Gruppe des Phaeton nicht auf seine eigene Erfindung zurückgeht. Sonst kehren bei Moderno die altertümlichen, bildparallelen,

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John Pope-Hennessy, Renaissance bronzes from the Samuel H . Kress Collection - Reliefs, plaquettes, statuettes, utensils and mortars, London 1 9 6 5 , C a t . N o . 160, S. 50 f. Nachweise bei Pope-Hennessy (s. A n m . 4 7 4 ) N o . 1 6 0 S . 5 1 . Zuletzt zu Moderno: J . S p e n c e r , T w o bronze plaquettes by Moderno, in: Bulletin of the Allen Memorial A r t Museum X X V I I , 1969, fasc. 1, 2 - 1 1 . Sonst vgl. Pope-Hennessy ( A n m . 4 7 4 ) , 4 2 . C u r t Glaser, Eine Zeichnung H a n s Holbeins d. Ä . nach einer italienischen Plakette, Monatshefte f. Kunstwiss. II, 1909, 3 1 4 - 1 6 . V g l . Norbert Lieb und A l f r e d Stange, H a n s Holbein d. Ä . o.O., o . J . (Deutscher Kunstverlag i 9 6 0 ) K a t . N r . 1 2 3 und A b b . 200. Albert Ilg, W e r k e des Moderno in den Kaiserlichen Sammlungen, Jahrb. d. Kunstsammlungen d. Allerhöchsten Kaiserhauses, Wien X I , 1890, 106.

124

Die Phaeton-Kompositionen

undynamischen und parataktischen Kompositionsformen immer wieder 479 . Die figürliche Gruppe der Phaeton-Plakette gehört aber bereits der Hochrenaissance an: eine raumgreifende Kreiskomposition, die in der Projektion auf die Bildebene als Queroval erscheint; die vier Pferde im Uhrzeigersinn kreiselnd, fortschreitende Bewegungsstufen von ungezügelter Wildheit bis zum Hinabsturz darstellend; zwei der Pferde drängen nach rechts hin; das dritte, am Wendepunkt in starker Verkürzung sichtbar, lenkt zurück in die Kreisbewegung; das vierte, schon zusammengebrochen, führt diese Bewegung weiter bis hin zum Phaeton; dieser, rücklings und kopfüber abstürzend wie von den antiken Phaeton-Sarkophagen und von unserer Phaeton-Kamee geläufig, schließt den Kreis. Zwischen den Figuren erscheinen die Trümmer des Sonnenwagens. Die figúrale Gruppe ist in sich dicht, ja lückenlos geschlossen; die formale Anordnung ist im Ganzen und im Einzelnen durch das Geschehen streng motiviert, die Motive sind dem Formzwang einer Ordnung im Queroval unterworfen. Daß diese meisterhafte Komposition von Moderno selbst stammen sollte, ist undenkbar. Wie wenig ihm der Entwurf der figuralen Gruppe gehört, geht schon daraus hervor, daß es ihm nicht einmal gelingt, die Szene in das Rund seiner Plakette einzuordnen. In der ersten Version der Plakette (Abb. 105) begnügt er sich damit, rechts und links oberhalb der Phaeton-Gruppe eine knappe Andeutung von Landschaft zu geben; so bleibt fast die ganze obere Hälfte der Plakette leer und formal ungelöst. In der zweiten Version (Abb. 106) soll dieser Mangel durch Einfügung einer Hintergrundarchitektur behoben werden. In dieser wohl von Moderno selbst erdachten Szenerie zeigt sich seine ganze Inferiorität gegenüber dem Erfinder der großartigen Phaeton-Gruppe. Ohne jeden formalen Bezug auf die untere Kreiskomposition und auch thematisch völlig sinnlos ist der Hintergrund mit diesen architektonischen Versatzstücken nur eben gefüllt; und diese Füllung ist schlecht genug, schließt sie doch nicht einmal gleichmäßig an den Seiten ab.

III, 2. Zuschreibung der Komposition an Leonardo Wem anders als Leonardo könnte man in den jeweils zwei Dezennien vor und nach 1 joo die Erfindung einer solchen Phaeton-Gruppe zuschreiben! „Stupendissimo a f a r cavalli" hat er alle Zeitgenossen in der Pferdedarstellung übertroffen 480 . Die in sich geschlossene und zugleich wild bewegte Pferdegruppe ist eines der von ihm und in dieser Eindringlichkeit damals nur von ihm immer wieder durchdachten Hauptthemen. Am Anfang steht die Kampfgruppe im Hintergrund

479 480

Umfangreichste Übersicht bei Bange, Cat. N o . 4 3 1 - 5 0 3 . So Lodovico Dolce, vgl. Seidlitz 294.

Eine verlorene Phaeton-Komposition Leonardos

des Florentiner Anbetungsbildes (Abb. 71); nach I J O O folgen - ebenfalls in querovaler und in sich kohärenter Komposition - die Vorstudie zum „Neptun" für Antonio Segni (Abb. i n ) und vor allem die in Kopien überlieferte Mittelgruppe der „Anghiari-Schlacht" (Abb. 98). Mit dem Hauptmotiv der Plakette, der die ganze Gruppe einbeziehenden Wirbelbewegung im Oval ist darüber hinaus ein zentrales Motiv Leonardos gegeben; wir finden es immer wieder formuliert, am großartigsten in den sogenannten Weltuntergangsdarstellungen (Abb. 1 1 8 ) und in den wissenschaftlichen Demonstrationen zur Strömungslehre. Besser freilich läßt sich Leonardo als Erfinder der Szene an Einzelheiten nachweisen. Die anatomisch ungenaue, fluktuierende und weiche Modellierung, die wir gewöhnlich bei Moderno finden, unterscheidet sich völlig von der Durcharbeitung der Pferdeleiber auf der Phaeton-Plakette. Eine derartige Präzision in der Darstellung von Anatomie und Bewegung so komplizierter Motive wie bei dem stark verkürzten, wendenden Pferd an der rechten Seite der Plakette hat damals niemand als Leonardo erreicht. Selbst die Pferde der späteren Phaeton-Gruppen Michelangelos (Abb. 1 1 4 , 1 1 5 ) erscheinen demgegenüber als hinabstürzende Steinklumpen, denn sie erreichen ihr Darstellungsziel nicht in der Präzision von Anatomie und Bewegung, sondern in der Schwere des Falls, welche den von Sedlmayr als wesentlich für Michelangelos Kunst herausgestellten „anschaulichen Charakter" ausmacht481. Von den zahlreichen Pferde-Zeichnungen Leonardos, die sich zum Vergleich mit Einzelmotiven der Plakette heranziehen lassen, seien vor allem diejenigen zu den von Leonardo wahrscheinlich geplanten Abhandlungen über die Anatomie des Pferdes und die Bewegungen der Tiere genannt, schließlich die Vorstudien zur „Anghiari-Schlacht" (Abb. 112). Bewegungsabfolgen wie auf der Plakette finden sich z . B . auf dem großen, kurz vor 1503 entstandenen Blatt 1 2 3 3 1 in Windsor (Abb. 1 1 3 ) . Einzelheiten betreffend läßt sich etwa die Durcharbeitung der Brustpartie des rechten Pferdes auf der Bronzeplakette mit der Windsor-Zeichnung 12303 vergleichen (Abb. 108) - einem Blatt, das gleichzeitig Notizen über die vier Hauptbewegungsarten des Pferdes bietet. Das zusammenbrechende Pferd am unteren Rand der Plakette entspricht spiegelbildlich dem rechten Pferd auf der Vorstudie zum „Neptun" für Antonio Segni (Abb. i n , W 12570). Gerade die Rückwendung des Kopfes bei rund durchgedrückter Rückenlinie ist ein von Leonardo immer wieder studiertes und für ihn typisches Motiv: wir finden es schon in der Kampfgruppe des Florentiner Anbetungsbildes, später in der „AnghiariSchlacht" und noch öfter 481 . Auch die Untersicht in das geöffnete Maul dieses zurückgewandten Pferdekopfes verbindet die Plakette mit der genannten Neptun-

4R1

Hans Sedlmayr, Michelangelo - Versuch über die Ursprünge seiner Kunst; Ders., Michelangelo - Drei Zeichnungen für Tommaso Cavalieri, in: H . S., Epochen und Werke, I, Wien 1959, 235 ff. und 252 ff. « 2 U. a.: W 1 2 3 2 6 r, W 1 2 3 3 0 , W 12329, W 1 2 3 3 1 , W 1 2 3 3 4 , W 12336.

126

Die Phaeton-Kompositionen

Zeichnung oder auch mit einer der Vorstudien zur „Anghiari-Schlacht" (Abb. 110, W 12334). Weiterhin ist das Motiv des stürzenden Pferdes mit an den Leib angezogenen Beinen in ähnlicher Form wie auf der Plakette bei Leonardo häufig verwandt (Abb. 1 1 2 , 113) 488 . Schließlich zwei leonardeskeElemente, die wir schon bei der Kamee beobachteten: noch ausgeprägter hier die wellenförmige Bildung der Mähnen und Schweife, die wie Feuerflammen von den Sonnenrossen wegwehen (man vergleiche etwa W 12369), ferner die physiognomischeSteigerung der Pferdeköpfe zu Wildheit und Wut. Bei Summierung aller Überlegungen bleibt nur der Schluß, hinter derModernoPlakette müsse eine Erfindung Leonardos stehen - vielleicht das bei Scanelli genannte Phaeton-Gemälde. Wegen der - im Unterschied zur treu nachbildenden Kamee - neuen Freiheit der Komposition, wegen der neuen Durchbildung der Pferdegruppe, die schon die Mailänder Pferdestudien zur Voraussetzung haben dürfte, möchte ich die hier gespiegelte Komposition Leonardos in das erste Jahrzehnt des Cinquecento datieren, in die Zeit der „Anghiari-Schlacht", in die Zeit, in der mit den beiden anderen mythologischen Darstellungen Leonardos, mit „Leda" und „Neptun", über die naive Antikenrezeption des Quattrocento hinausgegangen wird. Dieses Weiterführen und später immer erneute Aufgreifen von bereits in der Frühzeit angeschlagenen Themen ist für Leonardo geradezu charakteristisch.

III, 3. Nachwirkung In den genannten mythologischen Kompositionen Leonardos sind fruchtbare Formeln für die Hochrenaissance aufgestellt. Von der „Leda" geht der Weg zu Raphaels „Galatea", schließlich zur figura serpentinata des 16. und 17. Jahrhunderts. Der verlorene „Neptun" wirkt - wie Cecil Gould gezeigt hat484 - bis hin zum „Quos Ego" bei Bernini und Rubens. Die frühe Phaeton-Kamee war nur in Bronzenachgüssen verbreitet (Abb. 103)485, aber die Komposition der Plakette fand weiten Widerhall - wie gezeigt bis hin zu Holbein d. Ä. Eines der Pferde der Moderno-Plakette wurde von demselben Bronzegießer noch einmal für eine Löwenjagd verwendet 486 . Ein weiterer Reflex der Pferde findet sidi in einem gelegentlich Cellini zugeschriebenen Relief mit dem Niobiden-Tod 4 8 7 . Ein unbekannter Bronzegießer des späten 16. Jahrhunderts hat in einer hochrechteckigen Plakette über die Pferdegruppe der Moderno-Plakette den Jupiter der letzten Phaeton-Zeich-

46. 5 5 3 » 56. 62 Polyklet 28, 29, 102, 104 Pontorxno, J . 8, 9, 46-48 Pope-Hennessy, J . 64 Porta, G. B. della 70 Pozzo, Cassiano dal 87 Praxiteles 49 Predis, A. 7, 43, 83 Prevedari, B. 50 Prospettivo milanese 48-53 Pudelko, G. 54 Pyrgoteles 102 Pythagoras 67, 132, 133 Raimondi, Marcantonio 56 Raphael 36, 51, 68, 90, 106, 126 Raspe, R . 1 1 4 , 1 1 5 Reinadi, S. 1 1 4 , 1 1 5 Rembrandt, 41

Reni, G. 58-61 Richter, J . P. 78, 81 Riccio, A. 1 1 Rilke, R . M. 96 Rinaldis, A. de 122 Rizzo, A. 62 Robbia, Luca della 130 Robert, C. 1 1 1 , 120, 1 2 1 Roger van der Weyden 36, 52 Romano, Giulio 1 1 5 Rossellino, A. 40, 64 Rubens, P. P. 7 1 , 74, 89, 92, 126 Rumohr, C. F. 79 Rustici, G. Fr. 38, 44-46, 48, 53, 57, 64, 65 Sadeler, R . 95 Salaino 67, 1 2 1 Sandrart, J . 41 Sansovino, J . 34 Saracchi 1 1 6 Sarto, A. del 34, 36 Scanelli, Fr. 122, 126, 128 Schlegel, U. 66 Schönemann, L. 136 Sdiug, A. 85 Sedlmayr, H. 125 Segni, A. 125 Seidler, L. 92 Seidlitz, W. v. 6, 78, 1 2 1 Seneca 58, 133 Serbaldi della Pescia, Pier Maria 109 Sforza, Alessandro 108 Sforza, Ludovico il Moro 4, 38, 80, 92, 104, 110, 117, 118, 121 Signorelli, L. 37, 46, 47, 61, 62, 69 Siries, L. 1 1 6 Skopas 49 Slawkenbergius 87 Sodoma 51 Solari, C. 74 Soòs, G. 107 Squarcione, Fr. 34 Sterne, L. 87 Stites, R . S. 86 Strzygowski, J . 88, 1 2 1 Suida, W. 64, 1 1 9 , 1 2 1 Tagliacarne, Giacomo n o Tertullian 94 Theophrast 105 Theresa v. Avila 95 Thode, H . 127 Thomas v. Kempen 76 Tietze, H . 62 Tintoretto, J . 34 Torrigiano, P. 44, 45, 48

Register Tura, C. 11

Vitruv 18-22, 24, 27, 29, 46, 54

Uccello, P. 34, 70-71

Weise, G. 75 White, J . 32 Wieseler, Fr. 1 1 1 , 113 Windkelmann, J. J. 74, 101 Wittkower, R. 44 Wolfflin, H. 90 Wolfskehl, K. 68 Wundt, W. 71

Varrò 18, 21 Vasari, G. 34, 37-41, $1, 63, 77, 78, 81, 102, 103, 109, 1 1 7 Veneziano, D. 54 Venturi, J. B. 8 Venturi, L. 60 Verrocdiio, A. 4, 1 1 , 23, 26, 34-36, 38, 40, 63-6J, 67, 94, 103, 120, 127, 135 Vischer, P. d. A 1 1

Zeuxis 29 Zubov, V. P. 78, 79, 94, 129

149

Abbildungsnachweis Alinari Firenze/Roma i, 2, 16, 23, 58, 70, 74, 77-80. Alte Pinakothek München 93. Anderson Roma 10, 12, 71-73. Art Mus. Princeton Univ. 55. Brit. Mus. London n , 54, 61, 114. Cameraphoto Venezia 24. Chomon-Perino Torino 37, 38, 52. Deutsches Archäol. Inst. Roma 95-97, 100-102, 104. Fein Roma 34. Gabinetto Fotogr. Naz. Roma 53. Kunsthist. Inst. Tübingen 6-8, 14, 20, 2j, 29-31, 4$, 64, 66. Kunsthist. Mus. Wien 41. Kunstsamml. der Veste Coburg 99. Metropolitan Mus. of Art New York 27, 62. Moreno Sevilla IJ. Mus. Arqueol. Nac. Madrid 56. Mus. Capitolini Roma 50. Nat. Gall. London 7 j , 76. Nat. Gall, of Art Washington 13. Niedersächs. Landesgal. Hannover 9. M.Perotti Milano 94. Reunion Mus. Nat. Paris 36, 98. Royal Library Windsor Castle 4, 18, 21, 26, 35, 39, 40, 43, 44, 47, 67, 83, 85, 87, 92, 108-113, 115-118. Soprintendenza Gall. Firenze 46. Staatl. Kunsthalle Karlsruhe 68. Stadt. Gal. Liebieg-Haus Frankfurt 63. W. Steinkopf Berlin 42, 59. Victoria and Albert Mus. London 65, 103, 105-107. Alle anderen Abb. nach der an entsprechender Stelle in den Anm. genannten Literatur.

BILDTAFELN

i. Leonardo: Hieronymus, Rom, Pinacoteca Vaticana

2. Leonardo: Hieronymus, Ausschnitt aus Abb. i

3. Rückseite der H i e r o n y m u s - T a f e l (nach N o g a r a )

4. Ambrogio de Predis (?) nach Leonardo: Hieronymus, W 1 2 5 7 1 r

C.G.G ric 5. C . G . Gerli nach Leonardo: Hieronymus, Kupferstich 1784

6. Leonardo-Schule: Hieronymus, Mailand, Ambrosiana

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7. Florentinisch um 1460-80: Hieronymus, Kupferstich

8. Lorenzo Ghiberti: Detail der Paradiesestür, Baptisterium, Florenz

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18. L e o n a r d o : P r o p o r t i o n s s t u d i e n , W 1 9 1 3 2 r

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19. Leonardo: Studio zu Gravitation und Bewegung, Cod. For. 45 b

33- Luini (?): Leonardo und Luini als H e r a k l i t und Demokrit, Mailand, Privatsammlung

3 6. Florentinische Kopie nach einem Musterblatt Pollaiuolos, Paris, Louvre

45- Piero della Francesca: D e prospectiva pingendi. Mailand, Ambrosiana

46. Piero della Francesca: Auferstehung Christi, Ausschnitt, Borgo San Sepolcro, Pinacoteca

H j w s l •*

47. Leonardo: Proportionsstudie, W 12601

48. Francesco di Giorgio: Proportionsstudie, Florenz, Bibl. Laurenziana

69. Leonardo: Kopfstudie, W 12642 v,

verglichen mit G a l b a - M ü n z e des Brit. Mus. (nach Gombrich)

72. L e o n a r d o : A n b e t u n g der K ö n i g e , F l o r e n z , U f f i z i c n

73- F i l i p p i n o L i p p i : A n b e t u n g der K ö n i g e , F l o r e n z , U f f i z i e n

74- Leonardo: Die Felsgrottenmadonna, Paris, Louvre

Leonardo und Gehilfen: Die Felsgrottenmadonna, London, National Gallery

j6. Leonardo: Die HI. Anna Selbdritt, Karton, London, National Gallery

77- Leonardo: Die HI. Anna Selbdritt, Paris, Louvre

78. Leonardo: Johannes d. T., Paris, Louvre

79- Leonardo: Mona Lisa, Paris, Louvre

8o. Leonardo: Bacchus, Paris, Louvre

82. Z u a n A n d r e a : Frühester Stich nach Leonardos Abendmahl

84. Briefsiegel Leonardos (18. September IJ07)

83. Leonardo: Kopfstudie, W 12600 (um 1504)

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