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German Pages 204 [206] Year 2016
Rocco Porcheddu Der Zweck an sich selbst
Kantstudien-Ergänzungshefte
Im Auftrag der Kant-Gesellschaft herausgegeben von Manfred Baum, Bernd Dörflinger und Heiner F. Klemme
Band 186
Rocco Porcheddu
Der Zweck an sich selbst Eine Untersuchung zu Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten
ISBN 978-3-11-044167-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-043463-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-043365-4 ISSN 0340-6059 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Für Tina und Maria
Vorwort und Danksagung Die vorliegende Abhandlung ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2012 von der Philosophischen Fakultät I der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg angenommen wurde. Seit der Einreichung wurden vor allem im dritten Kapitel, aufgrund neu gewonnener zentraler Einsichten, weitreichende Änderungen vorgenommen. Mein Dank gilt allen, die mich auf die eine oder andere Weise bei der Realisierung dieses Buches unterstützt haben. In erster Linie und in ganz besonderem Maße bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Jürgen Stolzenberg, der dieses Projekt als mein Doktorvater mit Vertrauen, Weitsicht, manch aufbauendem Wort und stets konstruktiver Kritik begleitet hat. Köln, im Sommer 2015
Rocco Porcheddu
Inhalt Einleitung 1 Gegenstand, Zielsetzung und zentrale Thesen Zum Gang der Untersuchung 4 I
. . . . . . . . . II
. . . .
.
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Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst 15 Vorbemerkung 15 Vorüberlegungen: Wozu ein Zweck an sich selbst? 16 Der Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst 20 21 Der Begriff der vernünftigen Natur Kants Begriff der Würde 23 Das Subjekt aller Zwecke als Zweck an sich selbst 25 26 Zusammenfassung Die Form des Zwecks an sich selbst 27 Der Begriff eines Zwecks überhaupt und der Zweck an sich 28 selbst Die Definitionen des Zweckbegriffs in anderen Schriften Kants 29 Der Begriff des existierenden Zwecks und der Zweck an sich 32 selbst Der Zweck an sich selbst als selbständiger Zweck 34 Das Sittengesetz als Begriff reiner praktischer Vernunft und der Zweck an sich selbst als Ordnungsprinzip allen Handelns 36 41 Zusammenfassung Der Begriff des Zwecks an sich selbst und der Zusammenhang der Formeln des kategorischen Imperativs 44 Vorbemerkung 44 Imperative als direkter Ausdruck bestimmten Wollens 46 Die Formeln des kategorischen Imperativs als analoge Formeln 50 Das „Prinzip der Sittlichkeit“ und sein „Gesetz“ 50 Das Verhältnis von Autonomie und Universalisierungsformel: 55 Noch einmal zum Verhältnis der Formeln des kategorischen Imperativs 58 Natur, Zweck an sich selbst und Reich der Zwecke als analoge Begriffe 61 Die Position der Analogieargumente im Begründungsgang von GMSII Von der Universalisierungsformel zur Naturgesetzformel 63
X
. .
Inhalt
Das Analogieargument zur Zweck-an-sich-selbst-Formel 66 67 Die Formel des Reichs der Zwecke Das Reich der Zwecke Die Formel der Reichs der Zwecke als analoge Formel Exkurs 1: Allisons Widerlegungsversuch von Duncans These des 73 „ethical interlude“ und der Zweck an sich selbst Exkurs 2: Die Anwendungsbeispiele zur Selbstzweckformel 81 Das Selbstmordverbot Das Verbot falscher Versprechen Die Vervollkommnungspflicht Die Beförderung anderer Glückseligkeit Zusammenfassung 85
III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs 87 Vorbemerkung 87 89 Das reine Wollen und der Zweck an sich selbst Der „Vernunftgrund“ und das Freiheitsargument der 2 Sektion von GMSIII 91 Sektion 1 GMSIII 94 102 Sektion 3 GMSIII . Der Zirkel 102 . Erstes Fazit 110 111 . Die logische Form des Zirkels . Die „Auskunft“ 114 . Kants Ideenlehre 117 . Die Spontaneität der Vernunft und ihr „vornehmstes Geschäft“ 120 . Die Lehre der zwei Standpunkte in Sektion 3 121 . Der transzendentale Idealismus und die These der ontologischen Superiorität der Verstandeswelt 124 . Die Auflösung des Zirkels 125 Die These der ontologischen Superiorität als das abschließende Deduktionsargument? 126 . Kants Charakterlehre in der KrV 130 . Der Wille als noumenale Instanz und die These der Identität von Freiheit und Sittlichkeit 137 Das Postulat und der kategorische Imperativ als synthetischpraktischer Satz 141 Zusammenfassung 142
Inhalt
XI
Anhang 146 146 Zu Kapitel I Der sittliche Wille als Wert generierende Instanz und der Begriff des objektiven Werts 146 Forschungslage zum um Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich 149 selbst Forschungslage zur Definition des Zweckbegriffs in GMS 153 Forschungslage zum Zweck an sich selbst als existierendem 155 Zweck Zu Kapitel II 160 Der Wille als „Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach 160 Principien, zu handeln“ Zwei Forschungspositionen zum Reich der Zwecke 162 164 Der Andere als moralisch geforderter Zweck Zu Kapitel III 166 Der Zweck an sich selbst als Grund der „Gesetze des Willens. Die 166 Interpretation Gerold Prauss‘ Allisons Argument für die Analytizitätsthese 169 Die Hypotetizität und Analytizität hypothetischer Imperative 172 Marcel Quarefoods Interpretation des Zirkels 176 177 Der zweite Absatz der vierten Sektion GMSIII Literatur 179 Siglenverzeichnis Andere Primärtexte Forschungsliteratur Namenregister Sachregister
187 188
179 179 179
Einleitung Gegenstand, Zielsetzung und zentrale Thesen Die vorliegende Arbeit ist der Frage nach dem ursprünglichen Gehalt, der systematischen Funktion sowie den weit verzweigten Bezügen des Theoriestücks zum Zweck an sich selbst in Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten gewidmet. Die Motivation, sich nochmals einer Schrift zu widmen, die bereits wie nur wenige in der Philosophiegeschichte zum Gegenstand der Forschung gemacht wurde, ist hauptsächlich in einer Beobachtung begründet, die ich vermutlich mit vielen Interpreten der Grundlegung teile: Obwohl die Schrift zu den am häufigsten interpretierten philosophischen Werken zählt, sind ihre zentralen Theoreme nach wie vor eigentümlich dunkel geblieben. Neben der Deduktion des kategorischen Imperativs im dritten Abschnitt gilt dies besonders für das Theoriestück zum Zweck an sich selbst. Gerade das Verständnis dieses Theorems weist noch erhebliche Lücken auf, trotz bereits seit vielen Jahrzehnten intensiv geführter Debatten. In der Grundlegung entwickelt Kant den Begriff eines Zwecks, des Zwecks an sich selbst, dessen absoluter Wert den Geltungsgrund des kategorischen Imperativs abgeben soll. Dieser Zweck ist Kant zufolge nicht von Menschen, auch nicht von allen denkbaren vernünftigen Wesen gesetzt, sondern apriorisches, konstitutives Moment des Willens selbst. Vor dem Hintergrund der landläufig als deontologisch verstandenen Moraltheorie Kants mag bereits der Umstand befremden, dass Kant einen solchen Zweck in Ansatz bringt. Und in der Tat ist es bis heute nicht entschieden, ob genuin systematische Gründe Kant zur Behauptung eines alle Moral fundierenden Zwecks bewogen haben, oder ob er mit Blick auf die populäre moralphilosophische Landschaft seiner Zeit nicht eher gewissermaßen ‚aufklärungsstrategische‘ Ziele verfolgte.¹ Auf der einen Seite spricht gegen letztere Annahme, dass Kant auch nach der Grundlegung, wenn auch nicht in derselben Prominenz, am Konzept eines Zwecks an sich selbst festhält. Auf der anderen Seite wird sich zeigen, dass solche genuin systematischen Gründe aus der Textgrundlage der GMS nicht eindeutig zu erheben sind. Nicht nur das: Es ist bis
So z. B. A.R.C. Duncan, der die These vertritt, dass die gesamte Passage zwischen der ersten Nennung der Universalisierungsformel in GMSII (vgl. AA : ) und dem zweiten Unterabschnitt („Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit“, AA : f.) als „ethical interlude“ zu interpretieren sei, die also in seiner Sicht nichts systematisch Relevantes zum Projekt einer metaphysischen Fundierung der Moral beitrage. Vgl. Duncan: , S. – .
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Einleitung
heute noch nicht endgültig geklärt, was unter dem Konzept eines Zwecks an sich selbst eigentlich zu verstehen ist – ganz abgesehen von einem bisher fehlenden Verständnis der vielfältigen Bezüge des Konzepts eines Zwecks an sich selbst zu anderen Theoremen und Begriffen allein in der Grundlegung. Diese Unklarheit liegt m. E. in nicht unerheblichem Maße an einem nicht immer glücklich gewählten methodischen Zugriff in der Auslegung des Textes. Denn was für alle philosophischen Texte gilt, gilt für die Grundlegung in besonderem Maße: Es kann und muss zunächst der konsequente Versuch unternommen werden, ‚interne‘ Kohärenz der Theoreme, Begriffe und Argumente herzustellen, Verweisungszusammenhänge im Werk selbst auszuloten, dem Text also mit einer „internen Kohärenzunterstellung“² zu begegnen. Zu diesem Aspekt sei ein für die vorliegende Arbeit zentrales Beispiel skizziert: Bekanntlich zeigen im Text der Grundlegung verschiedene Begriffe den Zweck an sich selbst an. So bezeichnet Kant den Menschen und „überhaupt jedes vernünftige Wesen“³, die „Person“⁴, die „vernünftige Natur“⁵, die „Menschheit“⁶, das „Subject aller (möglichen) Zwecke“⁷ als Zweck an sich selbst. Es gibt meines Wissens keine Untersuchung, die all diese Bestimmungen in ihrem Kontext und ihrem Verhältnis zueinander konsequent und mit genügend „internen Kohärenzunterstellung“⁸ thematisiert und somit den Versuch ernsthaft unternimmt, sie alle auf einen ursprünglichen, gemeinsamen Gehalt zurückzuführen. Vielmehr wird vor allem in der angelsächsischen Literatur zumeist, m. E. vorschnell, die Meinung vertreten, Kant gebrauche mit Blick auf diese verschiedenen Bezeichnungen den Begriff des Zwecks an sich selbst nicht konsistent. Dabei kann nachgewiesen werden, dass er sehr wohl auf eine reflektierte Weise systematisch in seiner ‚Namensgebung‘ verfährt und ein allen Bezeichnungen gemeinsamer, ursprünglicher Gehalt ausgemacht werden kann. Außerdem drohen gerade in der Grundlegung bereits auf gleichsam mikroskopischer Ebene, d. h. in der Interpretation der begrifflichen und grammatischen Zusammenhänge innerhalb von Absätzen oder sogar Sätzen, Fehldeutungen. Das führt sehr oft zu notwendigen Satz-für-Satz-Analysen. So führt beispielsweise die mikroskopische Analyse der Anfangspassage der vierten Sektion des Dedukti-
Schönecker: , S. . GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : . GMS, AA : .. GMS, AA : .... Schönecker: , S. .
Gegenstand, Zielsetzung und zentrale Thesen
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onskapitels („Wie ist ein kategorischer Imperativ möglich?“),⁹ zu dem folgenreichen Befund, dass in der Schrift der Wille überhaupt als intelligible Ursache empirischen Handelns begriffen werden muss und folglich als transzendental frei anzusehen ist. Dies sei hier nur angedeutet, wir werden auf diesen Befund in den Ausführungen zum Gang der Untersuchung nochmals zu sprechen kommen. Bevor wir uns also einen Überblick über den Untersuchungsgang verschaffen, seien zunächst die in der Arbeit vertretenen wichtigsten Thesen kurz genannt. 1) Der Zweck an sich selbst ist nicht der Mensch, sondern es ist die praktisch Vernunft und hiermit zugleich die reine praktische Vernunft, denn als Zweck an sich selbst vollzieht sich praktische Vernunft um ihrer selbst willen, also ausschließlich um willen praktischer Vernünftigkeit. In diesem Vollzug ist sie aber nichts anderes als reine praktische Vernunft. 2) Die von vielen Interpreten vertretene Position, der Zweck an sich selbst sei ein existierender Zweck, also ein Sachverhalt, den es als Zweck nicht hervorzubringen gelte, weil er bereits existiert, ist nicht haltbar. Vielmehr muss auch der Zweck an sich selbst nach dem Modell der Definition eines Zwecks in der Kritik der Urteilskraft beschrieben werden, also als ein Sachverhalt, dessen begriffliche Vorstellung Handlungen motiviert, die den Gegenstand dieser Vorstellung realisieren. Freilich handelt es sich beim Zweck an sich selbst um einen besonderen Fall dieser Definition. 3) Kant verfährt in der Genese der Formeln des kategorischen Imperativs zwar konsistent, es kann ihnen aber kein singuläres gemeinsames Prinzip zugeschrieben werden, was im Ergebnis zu einer Stärkung von Duncans berühmter These des „ethical interlude“ führt. Diese besteht in der Annahme, dass weiten Passagen des zweiten Abschnitts der GMS keine systematische Funktion in Hinblick auf die Genese des Autonomiebegriffs zukommt. 4) Kants Ankündigung, dass die notwendige Vorstellung der Selbstzweckhaftigkeit der vernünftigen Natur des Menschen im dritten Abschnitt erwiesen werde¹⁰, betrifft nicht, wie einige Interpreten annehmen¹¹, den zweiten Unterabschnitt der GMSIII („Freiheit muß als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden“¹²), sondern die gesamte Deduktion des kategorischen Imperativs. Dass wir unsere vernünftige Natur also notwendig als Zweck an sich selbst vorstellen müssen, zeigt die ganze Deduktion.
GMS, AA : – . – . Vgl. GMS AA : Anm. Vgl. Schönecker: , S. – ; Paton: , S. f; Haardt: , S. . GMS, AA : . f.
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Einleitung
5) Zwar gilt mit dem Erweis der menschlichen Willensfreiheit tatsächlich bereits der kategorische Imperativ für den Menschen. Dies aber aufgrund von Implikationen, die Kant erst nach dem Freiheitserweis in GMSIII explizit nennt. 6) Kant operiert in der Grundlegung, wenn auch nicht offen vertreten, mit der transzendentalen Freiheit des Willens überhaupt. 7) Sowohl der Begriff der freien Willkür als auch das Theorem vom intelligiblen und empirischen Charakter der KrV¹³ sind auch noch in der GMS in kraft. 8) Die notwendige Identifikation von Freiheit und Sittlichkeit zu Anfang des Deduktionskapitels hat architektonische Gründe, die Kants gesamtes kritisches System betreffen, nämlich den Erweis der „Realität“¹⁴ bzw. der realen systematisierenden Funktion der Vernunftideen im Praktischen – wenn auch dieser Gedanke erst in der KpV deutlich entwickelt wird. 9) Die Vorstellung von Freiheit als Sittlichkeit muss als der einzige für die menschliche Vernunft konsistent denkbare Begriff einer intellektuellen Kausalität angesehen werden und ist nicht deckungsgleich mit Freiheit überhaupt.
Zum Gang der Untersuchung Kapitel I geht von der Frage aus, wie sich ein Zweck an sich selbst, verstanden als Geltungsgrund des praktischen Gesetzes bzw. kategorischen Imperativs, zur allgemeinen Form moralischen Handelns verhält. Diese Frage ergibt sich dann, wenn man das Verhältnis von Handlungen und Handlungszielen bei moralischen Handlungen vor dem Hintergrund von Kants Begriff eines Zwecks überhaupt näher beleuchtet, wie er prominent in der Kritik der Urteilskraft, aber auch in anderen Schriften formuliert wird. Legt man diese Definition zugrunde, kann moralischem Handeln, wie es zunächst aussieht, kein Zweck im Sinne dieser Schriften zugeschrieben werden. Denn ein solcher Zweck ist definiert als Gegenstand einer Vorstellung, welche Vorstellung dasjenige Handeln motiviert, das ihren Gegenstand realisiert. Wir haben es also bei einem Zweck überhaupt im Sinne Kants mit einer, wie ich sie nennen möchte, Einheit aus motivierender Vorstellung und Handlungsziel zu tun. Bei moralischem Handeln ist dies offenbar nicht der Fall, denn hier ist die Vorstellung des moralisch Geforderten handlungsmotivierend und nicht die Vorstellung des konkreten Ziels der geforderten Handlung. Aus diesem zunächst dilemmatisch erscheinenden Befund ergeben sich drei für die Untersuchung des ersten Kapitels leitende Fragen:
Vgl. KrV A/B-A/B. KpV, AA : f. – .
Zum Gang der Untersuchung
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1)
Welchen Gehalt hat der Begriff eines Zwecks an sich selbst, und gibt es einen einzigen Gehalt, auf den sich die in der GMS von Kant gebrauchten Bezeichnungen (die Menschheit, der Mensch, das vernünftige Wesen etc. als Zweck an sich selbst etc.) beziehen? 2) Verwendet Kant in der Grundlegung vielleicht einen anderen Begriff eines Zwecks überhaupt als in der Kritik der Urteilskraft, der Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft, der es ihm erlauben würde, widerspruchsfrei einen allem moralischen Handeln zugrundeliegenden Zweck in Ansatz zu bringen, dem kein zu realisierendes konkretes Handlungsziel entsprechen muss? Ist der Zweck an sich selbst z. B. ein von vielen Interpreten angenommener existierender oder existenter Zweck, also etwas, um dessen willen zwar gehandelt wird, den es aber nicht zu realisieren gilt, weil er bereits existiert? 3) Falls der Zweck an sich selbst im Sinne der KU beschreiben werden kann, was ist dann die motivierende Vorstellung, und was ist der zu realisierende Sachverhalt – falls sich in diesem Fall von einem zu realisierenden Sachverhalt sprechen lässt. 4) Was heißt es genau, dass der Zweck an sich selbst der Geltungsgrund des kategorischen Imperativs ist? Zur ersten Frage: Es kann in der Tat nachgewiesen werden, dass die verschiedenen von Kant angeführten ‚Namen‘ des Zwecks an sich selbst auf einen gemeinsamen Gehalt rekurrieren: die praktische Vernunft. Handle ich moralisch, handle ich, allgemein gesprochen, einzig um willen praktischer Vernunft. Das heißt nichts anderes als dass die Vernünftigkeit meines Handelns das Motiv dieses Handelns ist. Ein so bestimmter Wille ist reine praktische Vernunft. Insofern ist praktische Vernunft als Zweck an sich selbst zugleich reine praktische Vernunft. Zur zweiten Frage: Erstaunlicherweise wurden in der bisherigen Forschung zwei Fragen kaum untersucht: Wie ist die Definition des Zweckbegriffs in der GMS genau zu verstehen, was meint Kant genau mit der Aussage, ein Zweck sei ein ‚objektiver Grund der Selbstbestimmung des Willens‘?¹⁵ Wie verhält sich diese Definition zu der in anderen Schriften durchaus einheitlichen Verwendung des Begriffs eines Zwecks überhaupt? Zunächst wird nachgewiesen, dass der Begriff eines Zwecks überhaupt in der KpV, der KU und der MdS in der Sache tatsächlich identisch gebraucht wird. Dann wird untersucht, ob die Definition in der GMS trotz dieser Einheitlichkeit in den genannten Schriften nicht doch anders gebraucht wird. Zwar wird sich zeigen, dass viele textuelle und sachliche Indizien für eine
Vgl. GMS AA: . f.
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Einleitung
Übereinstimmung mit Kants Sprachgebrauch in den anderen Schriften sprechen. Ein Beweis eines identischen Sprachgebrauchs muss aber ausbleiben, weil die Definition der GMS gegenüber den anderen Bestimmungen allgemeiner ist und zwar gerade dergestalt, dass nicht deutlich hervorgeht, ob ein Zweck überhaupt ein zu realisierender Sachverhalt im Sinne der KU, MdS und KpV sein muss. Von diesem Befund ausgehend ist zu fragen, ob der Zweck an sich selbst, wie die meisten Interpreten annehmen, ein existierender Zweck ist, wie er oben definiert wurde, also ein Sachverhalt, um dessen willen gehandelt wird, den es aber nicht zu realisieren gilt, weil er bereits existiert. In einem ersten Schritt wird ein Argument Alan Woods für die ‚Existenzthese‘ zum Zweck an sich selbst analysiert – mit negativem Ergebnis. Es wird nicht deutlich, inwiefern Woods Beispiel überhaupt auf einen existierenden Zweck bezogen ist. Hieran anschließend werden grundsätzliche Überlegungen zum rationalen Gehalt des Konzeptes eines existierenden Zwecks angestellt, auch hier mit unbefriedigendem Ergebnis. Es wird näher besehen nicht klar, was ein solcher Zweck eigentlich sein soll, wie er genauer zu beschreiben ist und was als ein solcher gelten kann. Schließlich steht auch diejenige Stelle in der Grundlegung zur Analyse, auf die sich die meisten Vertreter der ‚Existenzthese‘ zum Zweck an sich selbst berufen, in welcher Kant vom Zweck an sich selbst als einem „nicht zu bewirkenden“ oder auch „selbstständigen Zweck“ spricht, „der nur negativ gedacht“¹⁶ werden müsse. Obwohl diese Beschreibungen zunächst als sehr starke Argumente für die Existenzthese erscheinen, zwingen sie, in ihrem Kontext betrachtet und analysiert, nicht zu einer solchen Lesart. Es kann also mit guten Gründen davon ausgegangen werden, dass der Zweck an sich selbst zumindest kein existierender Zweck im Sinne der in dieser Arbeit vertretenen Interpreten ist. Wie er positiv beschrieben werden kann, ist allerdings alles andere als einfach. Tatsächlich trifft die Alternative ‚existierend versus hervorzubringen‘, den Zweck an sich selbst nicht wirklich. Dies wird allerdings erst dann deutlich, wenn man zunächst die Definition der KU als Modell heranzieht. Kann also davon ausgegangen werden, dass der Zweck an sich selbst ein, wenn auch besonderer Fall der Definition der KU ist, dann ist noch zweierlei zu klären: Welche ist die handlungsmotivierende Vorstellung und welches ist genau ihr Gegenstand? Da reine praktische Vernunft als der ursprüngliche Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst identifiziert wurde, und da die Vorstellung des sittlichen Prinzips, allgemein gesprochen, moralisches Handeln motiviert, folgt, dass das Sittengesetz nichts anderes vorstellen kann als reine praktische Vernunft selbst – was freilich in einer gesonderten Argumentation nachgewiesen werden
GMS, AA : ..
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muss. Das, was durch moralisches Handeln dann ‚real‘ werden würde, wäre eben reine praktische Vernunft, wobei hier der Sinn von ‚Realität‘, ‚statthaben‘ usw. noch zu spezifizieren sein wird. Es wird sich in diesem Zusammenhang auch zeigen, dass ein im Sinne der zu liefernden Interpretation verstandener Zweck an sich selbst auf Moralität als einem Selbstverhältnis reiner praktischer Vernunft hinweist, was dann nicht verwundert, wenn man das Theoriestück zum Zweck an sich selbst als eine mithilfe der Begriffe von Zweck und Wert vorgenommene Beschreibung der genuinen Konstitution und Funktionsweise des selbstreferentiellen sittlich-autonomen Wollens versteht.¹⁷ Zu diesem Ergebnis von Moralität als Selbstreferentialität des Willens passt auch die in Kapitel I zu entwickelnde Interpretation des Verhältnisses des Zwecks an sich selbst zum kategorischen Imperativ: Praktische Vernunft will genuin nichts anderes als praktische Vernünftigkeit, also die allseitige Kohärenz oder Systematizität allen Handelns, die sich im moralischen Handeln realisiert. Weil die praktische Vernunft sinnlich-vernünftiger Wesen zwar a priori oder genuin als Zweck an sich selbst existiert bzw. sich vollzieht, diese zugleich aber auch in den Dienst der Neigungsbefriedigung gestellt werden kann, tritt dieses ursprüngliche Wollen – analog zu empirischem Wollen – in Form einer Nötigung auf, also als kategorischer Imperativ. Im zweiten Kapitel wird der Zusammenhang der Formel des Zwecks an sich selbst mit den anderen Formeln des kategorischen Imperativs untersucht. Auch hier zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Fragen zum ursprünglichen Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst: Trotz kaum mehr zu überschauender Forschungsbeiträge zum zweiten Abschnitt der Grundlegung ist weitgehend im Unklaren geblieben, ob Kant, und wenn ja, welches Prinzip er zur Gewinnung der Formeln in Ansatz bringt. Eine Ausnahme sei allerdings bereits hier erwähnt. In seiner jüngsten Monographie zur Grundlegung hat Henry Allison ein solches Prinzip formuliert. Die Formeln stellen in Allisons Sicht sukzessive Stadien der Explikation sowohl des Begriffs eines kategorischen Imperativs als auch, hiermit auf engste verbunden, desjenigen eines autonomen Willens dar. Da also z. B. in Allisons Sicht ein autonomer Wille notwendig einen Zweck, den Zweck an sich selbst, hat und der kategorische Imperativ (auf eine von Allison nicht klar definierte Weise) „[is] correlated with a progessive analysis of the concept of rational
Das wird schon aus nicht wenigen textuellen Evidenzen ersichtlich: Sittliche Autonomie wird als Sich-Selbst-Gesetz-Sein des Willens beschrieben (vgl. GMS, AA : , ), also als Verhältnis des Willens zu sich selbst, einmal als Gesetz, dann als Adressat desselben. In der KpV spricht Kant vom praktischen Gesetz als „Selbstbewusstsein einer reinen praktischen Vernunft“ und auch die Rede vom „eigentlichen Selbst“ (vgl. GMS, AA : ) in GMSIII weist in diese Richtung.
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Einleitung
agency“¹⁸, kann in diesem Falle aus dem Moment eines autonomen Willens, dem Zweck an sich selbst zu folgen, die Selbstzweckformeln gewonnen werden. Das setzt aber – was Allison nicht hinreichend deutlich herausstellt – voraus, dass der kategorische Imperativ bzw. das Sittengesetz nichts anderes als den autonomen Willen selbst vorstellt, also nicht bloß ein durch diesen für ihn gegebenes Gesetz, sondern ihn selbst. Tatsächlich verhält es sich um einiges komplizierter, als Allison annimmt. Denn Kant versieht die verschiedenen Formeln mit verschiedenen Funktionen, sodass sich das folgende komplexe Bild ergibt: Die Universalisierungsformel ist der unmittelbare imperativische Ausdruck des autonomen Willens als handlungsleitendes Prinzip, wohingegen die naturgesetz- und Selbstzweckformel einzelne Aspekte dieses Willens in den Fokus stellen, und zwar „nach einer gewissen Analogie“.¹⁹ Die nicht klar imperativisch formulierte Autonomieformel würde den autonomen Willen in der Tat vollständig darstellen und die Reich-derZwecke-Formel stellt den autonomen Willen ebenfalls vollständig, aber wiederum ‚analog‘ vor. Diese verwirrende Komplexität legt den Verdacht nahe, dass Kant zwar wohl konsistent in der Entwicklung der Formeln vorgegangen ist, dies aber vielleicht doch nicht aus einer systematischen Notwendigkeit heraus geschehen ist. Entsprechend soll schließlich hinterfragt werden, ob Allison, wie er behauptet, tatsächlich eine Widerlegung von Duncans so bekannter wie umstrittener These des „ethical interlude“ gelungen ist, der These also, dass die gesamte Passage zwischen der ersten Nennung der Universalisierungsformel²⁰ und der zweiten Sektion des zweiten Abschnittes („Die Autonomie des Willens als oberstes Princip der Sittlichkeit“),²¹ ein in systematischer Hinsicht irrelevanter Einschub sei. Denn Allisons Versuch des Nachweises, dass die Formeln konstitutive Momente des autonomen Willens darstellen, dient zentral der Widerlegung von Duncans „interlude“-These. Kurz vor der ersten Formulierung der Selbstzweckformel führt Kant aus, die vernünftige Natur, die wir in Kapitel I als reine praktische Vernunft identifizieren werden, existiere als Zweck an sich selbst. „So“, also als selbstzweckhafte Existenz „stellt sich nothwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor […] aber auch jedes andere vernünftige Wesen […] zufolge eben desselben Vernunftgrundes“²². In einer zu dieser Aussage gehörenden Anmerkung schreibt Kant weiter: „Diesen
Allison: , S. . GMS AA: . . GMS AA: . – . GMS AA: f. GMS, AA : . – .
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Satz stelle ich hier als Postulat auf. Im letzten Abschnitte wird man Gründe dazu finden.“²³ Dass also jedes vernünftige Wesen zufolge eines allen diesen Wesen gemeinsamen Vernunftgrundes das eigene Dasein als selbstzweckhafte Existenz der vernünftigen Natur vorstellen muss, soll im Deduktionskapitel bewiesen werden. Da Kant in GMSIII aber nirgendwo mehr auf das Postulat zu sprechen kommt, stellt sich die Frage, ob er tatsächlich, und wenn ja, wo er den Beweis liefert. Kants „Postulat“ wurde in der Forschung keine allzu große Beachtung geschenkt, und von denjenigen Interpreten, die dies getan haben, sind die meisten der Auffassung, der Beweis erfolge im zweiten Unterabschnitt des Deduktionskapitels („Freiheit muß als Eigenschaft des Willens vernünftiger Wesen vorausgesetzt werden“²⁴). Es lässt sich zeigen, dass Kant deswegen an keiner konkreten Stelle auf das Postulat zu sprechen kommt, weil er die gesamte Deduktion meint. Dass also der Mensch, wie jedes vernünftige Wesen, das eigene Dasein als selbstzweckhafte Existenz der bzw. seiner vernünftigen Natur vorstellen muss, wird zugleich mit der Deduktion des kategorischen Imperativs gezeigt. Deswegen ist es unerlässlich, auch das Deduktionskapitel der GMS einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen. Diese Untersuchung erbrachte auch zum Teil überraschende und weitreichende Ergebnisse für die Interpretation speziell der Deduktion des kategorischen Imperativs. Der Gang der Analyse in Kapitel III geht von der seit langem geführten Debatte darüber aus, wo und mit welchem Argument der kategorische Imperativ eigentlich deduziert ist. Stellvertretend für die gesamte Debatte wird auf zwei Autoren besonders eingegangen, die in dieser Frage konträre Positionen vertreten: Dieter Schönecker und Klaus Steigleder. Schönecker thematisiert Steigleders Position,²⁵ geht aber auf das m. E. zentrale Argument Steigleders nicht ein, nämlich das Verhältnis von Zweck an sich selbst und kategorischem Imperativ, was insbesondere diese Kontroverse für das Thema der vorliegenden Arbeit interessant macht. Schönecker vertritt die These, dass mit dem Erweis der praktisch-transzendentalen Freiheit des menschlichen Willens zwar feststeht, dass er sittlich handeln kann – denn Kant behauptet bekanntlich die Identität von Freiheit und Sittlichkeit –; mit diesem Erweis sei aber noch nicht gezeigt, dass der Mensch auch als sinnliches und vernünftiges Wesen nach dem kategorischen Imperativ handeln sollte. Erst mit dem von Schönecker so genannten „ontoethischen Grundsatz“²⁶ ist
GMS, AA : . Anm. GMS, AA : . f. Schönecker: , S. – . „Die Verstandeswelt und damit auch der Wille als Glied dieser intelligiblen Welt sind der Sinnenwelt ontologisch übergeordnet, und damit gilt das Gesetz dieser Welt (das Sittengesetz) auch als Gesetz (als kategorischer Imperativ) für Wesen, die zugleich Glieder der Sinnenwelt und
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Einleitung
in seiner Sicht die Deduktion abgeschlossen. Der „ontoethische Grundsatz“ wird nach dem Ausweis der Freiheit sinnlich-vernünftiger Wesen formuliert und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Weil die noumenale Ordnung und ihre Prinzipien in einem fundierenden oder bedingenden Verhältnis zu der Welt der Erscheinungen und ihrer Prinzipien steht, und weil von der Vernunft das Bedingte der Bedingung „untergeordnet“ wird, kommen wir als vernünftige Wesen nicht umhin, die anzunehmende Regel der Kausalität unserer noumenalen Subjektivität, die Teil der Verstandeswelt ist, zum obersten Prinzip allen Handelns zu machen. Erst mit diesem Gedanken ist nach Schönecker die Deduktion abgeschlossen. Steigleder²⁷ hält diese Position für verfehlt. Denn sie berücksichtigt in seiner Sicht nicht das in der Grundlegung entwickelte Verhältnis zwischen der Geltung des kategorischen Imperativs, der Freiheit, und dem Zweck an sich selbst. Steigleder²⁸ entwickelt seine Position von dem Gedanken aus, dass der Zweck an sich selbst ein Zweck ist, der in der reinen praktischen Vernunft selbst liegt. Für ein Wesen, zu dessen Eigenschaften das Vermögen reiner praktischer Vernunft gehört, muss dieser Zweck damit immer schon in Geltung sein. Bestimmt ein Zweck aber den Willen, folgt für endliche Wesen eben noch nicht, dass sie automatisch die erforderlichen Handlungen vollziehen, die sich aus diesem ergeben. Und deswegen nehmen die in Hinsicht auf die Zweckrealisierung bzw. seinem Befolgen notwendigen Handlungen und ihre Regeln die Form von Imperativen an. Ist folglich der Zweck an sich selbst konstitutives Moment reiner praktischer Vernunft und wird diese beim Menschen nachgewiesen, gilt der kategorische Imperativ qua Nachweis der menschlichen Willensfreiheit. Die von Schönecker ins Zentrum der Deduktion gerückte Frage, weshalb ein sinnlich-vernünftiges Wesen, wenn einmal sein Vermögen praktisch-transzendentaler Freiheit nachgewiesen ist, auch sittlich handeln sollte, wird damit gegenstandslos. Die textuellen Indizien im dritten Abschnitt sprechen eher für Schönecker. Nichtsdestotrotz vermag Steigleders Argumentation in zumindest einem zentralen Punkt zu überzeugen. Denn es kann gezeigt werden, dass die These der ontologischen Superiorität der Verstandeswelt und ihrer Gesetze Teil des transzendentalen Idealismus und seines Folgetheorems der Zwei-Welten-Lehre ist, auf dessen Basis die menschliche Willensfreiheit zumindest als denkmöglich erwiesen wird. Ist nun die These der ontologischen Superiorität Implikat des Erweises der Denkmöglichkeit praktisch-transzendentaler Freiheit und bildet die These der der Verstandeswelt sind; was ich als sinnlich-vernünftiges Wesen soll, ist das, was ich als vernünftiges Wesen und damit als eigentliches Selbst will.“ (Schönecker: , S. .) Vgl. Steigleder: , S. – . Vgl. Steigleder: , S. .
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ontologischen Superiorität, bezogen auf die Gesetze unseres Handelns (Schöneckers ontoethischer Grundsatz) das deduktionsabschließende Argument, dann ist der Sache nach mit der Freiheit auch schon die Geltung des kategorischen Imperativs gegeben. Trotzdem behält Schönecker insofern Recht mit der dem ontoethischen Grundsatz zugeschriebenen Funktion, als erst dieser Grundsatz die Antwort auf die Frage explizit formuliert, weshalb der Mensch als sinnliches und zugleich vernünftiges Wesen dem Gesetz seiner noumenalen Kausalität folgen sollte bzw. objektiv folgen muss. Ein erstes Ergebnis der Untersuchung zu GMSIII besteht also in einer Vermittlung zwischen den Positionen Schöneckers und Steigleders. Die wichtigste Einsicht, die in der Untersuchung zur Deduktion präsentiert wird, betrifft allerdings ein Moment im Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit, das in der Forschung sicherlich gesehen, aber viel zu wenig thematisiert wurde.Vieles spricht dafür, dass Kant dem Willen überhaupt praktisch-transzendentale Freiheit zuspricht. So seltsam sich das prima facie ausnimmt, diese Behauptung wird in GMSIII an verschiedenen Stellen expressis verbis formuliert.²⁹ Diese Indizien und die aus ihnen sich ergebenden Folgerungen scheinen bisher kaum zur Kenntnis genommen worden zu sein, zumal der Begriff der transzendentalen Freiheit der Dialektik der KrV unübersehbar auch noch in der GMS gilt. Das gilt auch für die Charakterlehre der KrV. Denn auch Kants Theorie von intelligiblem und empirischem Charakter³⁰ findet sich in der Deduktion wieder.³¹ Es besteht eine klare und eigentlich nicht zu übersehende Parallele zwischen der Zwei-Welten- bzw. ZweiStandpunkte-Lehre der GMS und der Theorie des intelligiblen und empirischen Charakters in der Dialektik der ersten Kritik. So ist das entscheidende Argument für den Nachweis eines intelligiblen Charakters des Menschen und seiner Handlungen weitgehend (aber nicht gänzlich) identisch mit dem entscheidenden Argu-
Besonders prägnant ist der in der zweiten Sektion, GMSIII zu findende folgende Satz: „Nun behaupte ich: dass wir jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, nothwendig auch die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es allein handle.“ (ebd.; Hvh.v.V). Willentliches Handeln überhaupt ist also, so behauptet Kant hier, nur möglich unter der Annahme der eigenen Freiheit. An anderer Stelle identifiziert er das „eigentliche Selbst“, also den Menschen, nur als „Intelligenz“ und Mitglied der Verstandeswelt betrachtet, mit dem Willen. (Vgl. : „[…] seinem eigentlichen Selbst, d. i. seinem Willen […]“). Vgl. auch GMS, AA : : „Sie [die Freiheit] gilt nur als nothwendige Voraussetzung der Vernunft in einem Wesen, das sich eines Willens [nicht eines reinen Willens, R. P.], d. i. eines vom bloßen Begehrungsvermögen noch verschiedenen Vermögens (nämlich sich zum Handeln als Intelligenz, mithin nach Gesetzen der Vernunft, unabhängig von Naturinstinkten, zu bestimmen) bewußt ist.“ Vgl. KrV, A/B-A/B Kant definiert einen Charakter als ‚Gesetz der Kausalität einer wirkenden Ursache‘ (vgl. KrV: A/B).
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Einleitung
ment in GMSIII für den Nachweis der Zwei-Standpunkte- und Zwei-Welten-Lehre und damit der praktisch-transzendentalen Freiheit des Menschen.³² Wir können demnach die folgende allgemeine Parallele zwischen dem Deduktionskapitel und der Dialektik in Hinsicht auf die hier relevanten Passagen zeichnen: So, wie in der Dialektik der freien Willkür praktisch-transzendentale Freiheit zugesprochen werden muss, müssen wir in der Grundlegung einem wollenden Wesen transzendentale Freiheit leihen, „unter der es allein handle“³³. Dass wir tatsächlich berechtigt sind, dem Menschen diese Freiheit auch zuzusprechen und ihm eine noumenale Seite bzw. einen intelligiblen Charakter zuzuschreiben, zeigt sich an seinem Verstand und noch mehr an seiner Vernunft als dem Vermögen der Ideen. Es stellt sich selbstverständlich die Frage, wie der Befund der transzendentalen Freiheit des Willens überhaupt zu Kants These der analytischen Identität von Freiheit und Sittlichkeit steht und weshalb Kant diese Identität überhaupt in Ansatz bring. Die Gründe sind m. E. auch architektonischer Natur. In der KpV bezeichnet Kant den Begriff der Freiheit, dessen „Realität“³⁴ durch das Sittengesetz „bewiesen“³⁵ werde, als den „Schlussstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der spekulativen Vernunft“³⁶, weil die in ihrer Realität bewiesene Idee der Freiheit zugleich den Ideen von Gott und Unsterblichkeit „Bestand und objective Realität“³⁷ sichere.³⁸ Hier formuliert Kant eine architektonische Funktion seiner Moraltheorie neu, die er bereits im Kanon der KrV in Ansatz brachte hat, nämlich nachzuweisen, dass „den Principien der reinen Vernunft [den Ideen] in ihrem praktischen, […] dem moralischen Gebrauche,
Das zu entdecken ist nicht mein Verdienst (vgl. Schönecker: , S. ff.), allerdings wurde meines Wissens bisher versäumt, diese Parallele auf die in der Dialektik vertretene Freiheit der freien Willkür zu beziehen, die ja auch in der Charakterlehre verhandelt wird. GMS, AA : .. KpV, AA : . KpV, AA : .. KpV, AA : f. – . KpV, AA : . f. Vgl. auch: „Das moralische Gesetz […] bestimmt […]das Gesetz für eine Causalität [der Freiheit] […] und verschafft diesem […] objective Realität. Diese Art von Creditiv des moralischen Gesetzes […] ist, […] statt aller Rechtfertigung a priori völlig hinreichend. Denn das moralische Gesetz beweiset seine Realität dadurch […], daß es einer blos negativ gedachten Causalität, deren Möglichkeit jener unbegreiflich und dennoch anzunehmen nöthig war, positive Bestimmung, nämlich den Begriff einer den Willen unmittelbar […] bestimmenden Vernunft, hinzufügt, und so der Vernunft, die mit ihren Ideen, wenn sie speculativ verfahren wollte, immer überschwenglich wurde, zum erstenmale objective, obgleich nur praktische Realität auch für die Kritik der speculativen Vernunft […] zu geben vermag und ihren transscendenten Gebrauch in einen immanenten (im Felde der Erfahrung durch Ideen selbst wirkende Ursache zu sein) verwandelt.“ (KpV, AA : f. – .)
Zum Gang der Untersuchung
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objective Realität“³⁹ zugeschrieben werden kann. Zwar schreibt Kant in GMSIII – worauf Allison aufmerksam macht -, dass die „objective Realität“ der Idee der Freiheit „an sich zweifelhaft ist“⁴⁰, jedoch denke ich, dass diese Aussage Kants die architektonische Funktion des Sittengesetzes bzw. kategorischen Imperativs weitgehend unberührt lässt. Gehen wir also davon aus, dass die Deduktion des kategorischen Imperativs als ein solcher Nachweis der „Realität“ der Idee der Freiheit gelesen werden kann – und zwar im Vollsinn des Begriffs einer Idee im Sprachgebrauch der ersten Kritik, hat das verschiedene Konsequenzen: Weil Ideen oberste Systematisierungsprinzipien sind, muss reine Vernunft auch im Praktischen ein System generieren, dessen Prinzip eine Idee, nämlich die Idee der Freiheit ist.⁴¹ Da es sich aber um praktische Vernunft handelt, müssen die zu systematisierenden Sachverhalte Handlungen sein und die Idee als systematisierendes Prinzip die Form eines praktischen Satzes annehmen. Weil Sittlichkeit als transzendentale Freiheit ein Fall derjenigen Spontaneität sein muss, welche die Auflösung der dritten Antinomie vorstellt, muss sie zugleich die Merkmale aufweisen, die diese Freiheit beschreiben. Sie muss also die im transzendentalen Idealismus vorgegebene Struktur einer Fundierung des Empirischen durch das Intelligible ⁴²aufweisen. Handeln nach dem kategorischen Imperativ weist exakt diese Struktur auf: Der Mensch ‚fundiert‘ sein empirisches Handeln durch die Kausalität seiner selbst als Noumenon. Dies tut er, indem er die Idee der Freiheit, den kategorischen Imperativ, zum obersten systematisierenden Prinzip seines Handelns macht.⁴³ So lässt sich zwar erklären, weshalb Sittlichkeit ein Vollzug der reinen Vernunft nach Ideen sein muss. Jedoch – und hier stößt die vorliegende Untersuchung an ihre Grenzen – müssen die Gründe für Kants gänzliche Identifikation von Freiheit und Sittlichkeit, trotz ihrer zu konstatierenden offensichtlichen Widersprüchlichkeit, im Dunkeln bleiben.
KrV: A/B. GMS AA: . , vgl. Allison: , S. . In der GMS deutet Kant den Bezug zu den Ideen von Gott und Unsterblichkeit nur an, indem er schreibt: „Übrigens bleibt die Idee einer reinen Verstandeswelt […] immer eine brauchbare und erlaubte Idee zum Behufe eines vernünftigen Glaubens […]. GMS AA : f. Vgl. KrV: A/B. Im Übrigen folgt aus diesen Überlegungen auch, dass die Idee der Freiheit nur als kategorischer Imperativ einer Idee sein kann, eben oberstes Systematisierungsprinzip empirischen Handelns. Dies mag zumindest einer der Gründe dafür gewesen sein, dass Kant in der KpV das „Grundgesetz der reinen praktischen Vernunft“ (KpV, AA : ..) mit dem kategorischen Imperativ identifiziert. (Vgl. KpV, AA : ..)
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Einleitung
Kehren wir abschließend zu der Frage zurück, wo und wie das Postulat zum Zweck an sich selbst in der Deduktion ausgewiesen wird. Das „Postulat“⁴⁴ aus dem zweiten Abschnitt der GMS besagte, dass wir, wie jedes vernünftige Wesen, unser Dasein notwendig als die selbstzweckhafte Existenz unserer vernünftigen Natur vorstellen müssen, dies zufolge eines allen vernünftigen Wesen gemeinsamen Vernunftgrundes. Das heißt nun aber nichts anderes, als dass wir um willen unserer reinen praktischen Vernunft handeln müssen. Denn diese ist als Ursprung des Sittengesetzes, das „allen Werth bestimmt“⁴⁵, Zweck an sich selbst. Unsere vernünftige Natur notwendig als Zweck an sich selbst vorzustellen, ist folglich identische mit der notwendigen Anerkennung des Sittengesetzes und also kategorischen Imperativs als oberstem Prinzip unseres Handelns. Dass wir aber zu moralischem Handeln objektiv gezwungen sind, zeigt erst die gesamte Deduktion des kategorischen Imperativs. Bleibt noch die Frage, was der Vernunftgrund ist, zufolge dessen wir unsere vernünftige Natur als Zweck an sich selbst und das Sittengesetz als für uns gültig vorstellen müssen. Streng genommen ist es die epistemisch-spekulative Vernunft. Denn diese ist Ursprung der Ideen und zugleich der Grund der legitimen Zuschreibung von Willensfreiheit vermittels der Auflösung der dritten Antinomie und der Lehre der zwei Standpunkte bzw. -Welten. Sie ist aber auch Ursprung der notwendigen Annahme, dass „die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin der Gesetze derselben, enthält“⁴⁶ und damit Grund der Geltung des kategorischen Imperativs.
GMS, AA : . Anm. GMS, AA : . f. GMS, AA : . f.
I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst Vorbemerkung Das erste Kapitel ist der Frage nach Form und Gehalt des Zwecks an sich selbst gewidmet. Den Ausgang bilden allgemeine Überlegungen zur Frage, wie sich ein allem moralischen Handeln übergeordneter Zweck, der Zweck an sich selbst, zur Form singulärer moralischer Handlungen und ihrer konkreten Handlungsziele verhält. Die Frage nach dem Verhältnis des Zwecks an sich selbst zu singulären moralischen Handlungen ergibt sich dann, wenn man Kants Begriff eines Zwecks überhaupt näher beleuchtet, wie er prominent in der Kritik der Urteilskraft, aber auch in anderen Schriften formuliert wird und ihn auf konkrete moralische Handlungen anzuwenden versucht. Diese grundsätzlichen Überlegungen werden zu einer ersten allgemeinen Hypothese zum Gehalt und der Form des Zwecks an sich selbst führen, die es im Gang der Argumentation des ersten Kapitels zu bestätigen gilt. Hierbei müssen zwei zentrale Aufgaben gelöst werden. Die erste Aufgabe besteht darin, die von Kant in der Grundlegung angeführten verschiedenen Bezeichnungen für den Zweck an sich selbst (die Menschheit, das Subjekt aller Zwecke, das vernünftige Wesen etc.)⁴⁷ daraufhin zu untersucht, ob sich ein allen Bezeichnungen gemeinsamer, ursprünglicher Gehalt bestimmen lässt und wie, bezogen auf diesen, diese Bezeichnungen zusammenhängen. Das Hauptgewicht liegt dabei auf der Frage, ob Kant in seiner ‚Namensgebung‘ konsistent verfährt. Die meisten Kantinterpreten würden diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Vor allem der gute Wille und das vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst werden als zwei gehaltlich nicht vereinbare Bezeichnungen angesehen. Die zweite zentrale Aufgabe betrifft die Form des Zwecks an sich selbst. Sie besteht genauer in der Frage, ob sich der Zweck an sich selbst auf der Basis von Kants allgemeinem Zweckbegriff, wie er prominent in der Kritik der Urteilskraft und in anderen Schriften definiert wird, beschreiben lässt. Mit dieser Frage aufs engste verbunden ist eine weitere: Ist der Zweck an sich selbst ein so genannter existierender Zweck, also ein Sachverhalt, um dessen willen zwar gehandelt wird, den es aber nicht zu realisieren gilt, weil er bereits existiert? Diese Frage wird von den meisten Interpreten positiv beantwortet. Im zweiten Teil des vorliegenden Kapitels wird gegen diese ‚Existenzthese‘ zum Zweck an sich selbst argumentiert.
Vgl. GMS, AA, : ; ; ; ; ; .
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
Vorüberlegungen: Wozu ein Zweck an sich selbst? In seinem unlängst veröffentlichten Kommentar sieht Henry Allison⁴⁸ es als eines der zentralen Ziele seines Begründungsgangs an, gegen die berühmte, jedoch von den meisten Interpreten verworfene These A. R. C. Ducans zu argumentieren, dass der größte Teil des zweiten Abschnitts der GMS – und hierin auch das Theorem zum Zweck an sich selbst nebst der entsprechenden Formel – als „ethical interlude“ zu interpretieren sei, dass dieser also, so Allison weiter, „as such, is peripherical to the meta-ethical concern of GMS as wohle“⁴⁹ Allison ist ferner der Ansicht, dass die meisten Interpreten zwar Ducans Sicht nicht teilen, nichtsdestotrotz aber bisher keine eindeutige Widerlegung von Ducans These vorgelegt worden sei.⁵⁰ Diesen Mangel einer überzeugenden Widerlegung will Allison also beheben, und bereits in der Einführung zu seinem Buch skizziert er die Argumentation, die dies leisten soll: Das oberste moralische Prinzip gründe aufgrund seiner unbedingten Geltung auf dem Konzept eines vernünftigen Wesens überhaupt. Weiter seien diejenigen Passagen, die Ducan als „ethical interlude“ bezeichnet, Explikationen dieses Fundierungsverhältnisses: I shall argue […] that the three formulas Kant presents represent successive stages in the complete construction of the concept of the categorical imperative and that they are correlated with a progressive analysis of the concept of rational agency. In the first stage rational agents are defined as beings who act according to their representation of laws or on principles; in the second, they are regarded as beings who determine themselves to act for sake of an end; and in the third they are conceived as beings who act on the basis of self-given laws, that is autonomously.⁵¹
Die von Allison in Ansatz gebrachten drei Formeln (Universalisierungsformel bzw. Naturgesetzformel, Selbstzweckformel und Autonomieformel) drücken in seiner Sicht Aspekte rein rationalen Wollens aus, auf welche Aspekte die Formeln jeweils fokussieren. Die Selbstzweckformel fokussiert in dieser Interpretation auf den Umstand, dass auch ein genuin rationales Wollen qua Wollen einen Zweck braucht, der aufgrund der Unbedingtheit des praktischen Gesetzes absoluten Wert aufweisen muss.⁵² Entsprechend ist danach zu fragen, ob sich der Zweck an sich selbst in seinen von Kant ihm zugeschriebenen Eigenschaften und seiner Be-
Henry Allison (): Kant’s Groundwork for the Metaphysics of Morals. A commentary. Allison: , S. , Ducan: , S. ff.Vgl. auch Freudiger: , S. , ; Reich: , S. – . Vgl. Allison: , S. . Allison: , S. . Vgl. Allison: , S. .
Wozu ein Zweck an sich selbst?
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gründungsfunktion für den kategorischen Imperativ auch tatsächlich als notwendiges Moment moralischen Handelns rekonstruieren lässt. Ist dies nicht der Fall, muss Allisons Versuch der Widerlegung von Duncans „interlude“-These als gescheitert gelten. Ich bin, dies sei der Untersuchung vorausgeschickt, der Ansicht, dass der Nachweis dieser Notwendigkeit im Falle des Zwecks an sich von Allison nicht zufriedenstellend geleistet wird. So ist erstens danach zu fragen, wie sich im Ausgang von einem allgemeinen Begriff eines Zwecks überhaupt, wie Kant ihn in mehreren Schriften formuliert, ein Zweck an sich selbst mit der Logik moralischen Handelns in Einklang bringen lässt und zweitens, ob aus dieser Logik notwendig ein solcher Zweck als ihre Implikation folgt. Entscheidend wird hier auch die genaue Wortwahl sein: Ich bestreite selbstverständlich nicht, dass sittliches Wollen und mit diesem der kategorische Imperativ auf etwas von absolutem Wert gründet. Es erscheint mir jedoch fragwürdig, ob dieses absolut Wertvolle auf der Basis von Kants eigenem Sprachgebrauch mit Sinn als Zweck angesprochen werden kann. Hierbei ist „fragwürdig“ wörtlich zu nehmen: Es bedarf eines eigenen, bisher m. E. noch nicht zur Verfügung stehenden Arguments, um die notwendige Annahme eines ursprünglichen Zwecks reinen Wollens aus der Form sittlichen Handelns entwickeln zu können. Zu Beginn seiner Thematisierung des Zwecks an sich selbst und seiner Formel skizziert Allison seine Interpretation der Herleitung des Zwecks an sich selbst in fünf Schritten: 1) Since ends are the source of reasons to act, if an agent has no end in view, then that agent would have no reason to act. 2) But any imperative presupposes that there are reasons to act and a categorical imperative presupposes that these reasons are valid for all rational agents, which entails that they must be independent of any interests that are not shared by every conceivable rational agent. 3) This entails that there must be an end that is likewise independent of any such interest; otherwise it would not be universally valid. 4) Such an end, by definition, would be an end in itself. 5) Therefore, if there is a categorical imperative, there must be something that exists as an end in itself.⁵³ Zwecke sind nach Allison also Handlungsgründe, und Imperative gelten für eine Person nur insofern, als diese auch Grund hat, die Handlung zu vollziehen, die der Imperativ fordert. Folglich fordert auch der kategorische Imperativ einen, wenn auch besonderen Zweck. Dieser muss aufgrund seiner universalen und rein ver-
Allison: , S. . Vgl. auch Anhang II, III.
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
nünftigen Geltung unabhängig von subjektiven Interessen sein. Allison nimmt folglich an, dass ein genuin moralischer Zweck als Zweck an sich selbst einfach deswegen anzunehmen sei, weil alle, und damit auch moralische Handlungen, sich notwendig im Ausgang von einem Zweck und auf diesen hin vollziehen. Handeln ohne einen Zweck sei eben kein Handeln. Das scheint aber nur solange trivial wahr zu sein, wie man das Verhältnis von Handlungsmotivationen und Handlungszielen bei moralischen Handlungen vor dem Hintergrund des kantischen Begriffs eines Zwecks überhaupt näher beleuchtet. Um dies zu erläutern, sei zunächst ein kurzer Blick auf die wohl prominenteste allgemeine Zweckdefinition geworfen, die Kant in der Kritik der Urteilskraft formuliert.Weiter unten wird nachzuweisen sein, dass diese Definition in der Sache von Kant auch in anderen Schriften und ebenfalls in der GMS vertreten wird. Zunächst zur Definition der KU : Wenn man, was ein Zweck sei, nach seinen transscendentalen Bestimmungen […] erklären will: so ist Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als die Ursache von jenem […] angesehen wird; und die Causalität eines Begriffs in Ansehung seines Objects ist die Zweckmäßigkeit […].⁵⁴
Kant spricht also dann von einem Zweck, wenn die begriffliche Vorstellung eines Sachverhalts „Ursache“ der Realität des Gegenstandes dieser Vorstellung ist, das entsprechende Handeln also motiviert. Hier präsentiert sich der Zweck demnach als, so ließe sich sagen, Einheit aus Motiv und konkretem Handlungsziel. Die Vorstellung des durch mein Handeln zu realisierenden Sachverhalts motiviert zugleich mein Handeln selbst. Prima facie müssen auch auf dem Hintergrund dieser Definition moralischen Handlungen Zwecke zugeschrieben werden, denn auch in solchen muss das zu Verwirklichende zunächst kognitiv antizipiert werden. Es ist aber nun bekanntermaßen nicht das vorgestellte konkrete Handlungsziel, das (vermittels antizipierter Lust) das entsprechende Handeln in moralischem Wollen motiviert. Vielmehr ist es die Erkenntnis, dass das zu Verwirklichende moralisch gefordert ist. Somit fallen bei moralischen Handlungen die Handlungsmotivation und das konkrete Handlungsziel offenbar auseinander. Gemäß der Definition der KU haben wir damit im moralischen Handeln zwar immer noch gewissermaßen subalterne Zwecke, nämlich die ebenfalls kognitiv antizipierten Handlungsziele, denen vermittels der Einsicht in ihr moralisches Gefordertsein auch eine gewisse Handlungsmotivation eigen ist. Jedoch ist letztere abgeleitet, sie verdankt sich, wie erwähnt, der handlungsmotivierenden Einsicht in die grundsätzliche moralische Verpflichtung. Damit taugen diese KU, AA : f. – .
Wozu ein Zweck an sich selbst?
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konkreten Zwecke moralischen Handelns nicht dazu, einen aller Moralität zugrundeliegenden allgemeinen und ursprünglichen Zweck als Zweck an sich selbst in Ansatz zu bringen. Denn dieser wäre ein Zweck, welcher der ursprünglichen moralischen Motivation entsprechen müsste und aus der folglich subalterne und konkrete Zwecke moralischen Handelns erst abzuleiten wären. Es sieht also ganz danach aus, als ließe sich aus der Analyse moralischen Wollens und Handelns nicht, zumindest nicht notwendig ein Zweck an sich selbst als ursprünglicher und allgemeiner Zweck aller Moralität gewinnen. Zumindest greift Allisons oben zitierte Herleitung zu kurz. In moralischen Handlungen fallen die ursprüngliche Handlungsmotivation bzw. der ursprüngliche Handlungsgrund und der Zweck auseinander, folglich trifft bereits Allisons erster Satz auf dieses Handeln nicht zu. Zwecke sind zwar „reasons to act“, jedoch nicht alle Handlungsgründe auch Zwecke. Anders gewendet würde mit diesem Ergebnis der kategorische Imperativ zwar notwendig auf etwas mit absolutem Wert gründen, das aber nicht die Form eines Zwecks im Sinne der Definition der KU hätte.Wie gesagt, ist an dieser Stelle des Argumentationsgang weder ausgeschlossen, dass sich nicht doch ein Argument für die Notwendigkeit des Zwecks an sich selbst beibringen lässt, noch ist damit gesagt, dass ein solcher Zweck nicht mit moralischem Wollen und Handeln vereinbar wäre. Wie könnte nun ein solcher der ursprünglichen moralischen Motivation entsprechender Zweck aussehen? Da jede moralische Handlung ein konkretes Handlungsziel hat, dem aber keine direkte Entsprechung in der moralisch motivierenden Vorstellung entspricht, beides aber für moralisches Handeln konstitutiv ist, zugleich aber der ursprünglich moralisch motivierenden Vorstellung dem hier leitenden Zweckbegriffs nach ein zu realisierender Sachverhalt direkt entsprechen müsste, müsste der Zweck an sich selbst etwas sein, das sich in und durch alle singulären moralischen Handlungen immer auch mitrealisiert. Er müsste folglich auch etwas sein, das in der Vorstellung des sittlichen Prinzips präsent ist, weil es eben diese Vorstellung ist, die moralisches Handeln motiviert. Und da schließlich das Sittengesetz (als kategorischer Imperativ) konkrete mögliche Handlungen und Handlungsziele selektiert und organisiert, liegt es nahe, dass der gesuchte Zweck so etwas wie eine Ordnung aller zulässigen Handlungen ist. Was damit gemeint sein kann, wird sich erst zeigen, nachdem die folgenden Fragenkomplexe behandelt worden sind: Welchen ursprünglichen Gehalt hat der Begriff des Zwecks an sich selbst und wie stehen die von Kant verwendeten unterschiedlichen Bezeichnungen zueinander und zu diesem Gehalt? In welcher Beziehung steht der Zweck an sich selbst zu den allgemeinen Definitionen eines Zwecks überhaupt in verschiedenen Schriften Kants?
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
Inwiefern ist der Zweck an sich selbst der Geltungsgrund des kategorischen Imperativs?
1 Der Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst Die Aufgabe dieses Abschnitts besteht darin, die verschiedenen Bezeichnungen für den Zweck an sich selbst, die Kant in der GMS formuliert, daraufhin zu untersuchen, ob sich ein ihnen gemeinsamer ursprünglicher Gehalt bestimmen lässt und wie, bezogen auf diesen Gehalt, diese Bezeichnungen zusammenhängen. Anders gewendet, soll die Frage beantwortet werden, ob Kant in seine ‚Namensgebung‘ konsistent verfährt. Die meisten Kantinterpreten würden diese Frage mit einem klaren Nein beantworten. Vor allem der gute Wille und das vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst werden als zwei ihrem Gehalte nach nicht vereinbare Bezeichnungen angesehen.⁵⁵ Bekanntlich zeigen im Text der Grundlegung mehrere Begriffe den Zweck an sich selbst an. So bezeichnet Kant den Menschen und „überhaupt jedes vernünftige Wesen“⁵⁶, die „Personen“⁵⁷, die „vernünftige Natur“⁵⁸, die „Menschheit“⁵⁹, das „Subject aller (möglichen) Zwecke“⁶⁰ als Zweck an sich selbst. Der gute Wille wird an einer Stelle zwar indirekt, aber eindeutig als Zweck bezeichnet⁶¹, sonst als dasjenige, was „bloßen“ d. h. „absoluten“⁶² Wert bzw. „über allen Preis erhabene[n] Werth“ hat und damit Würde besitzt. Würde kommt auch „Moralität“⁶³, „Sittlichkeit“⁶⁴ und der „Menschheit, sofern sie derselben fähig ist“⁶⁵, zu. Im Folgenden werden alle genannten Bezeichnungen des Zwecks an sich selbst thematisch sein, und die hierbei vertretene These lautet, dass Kant in seinem Sprachgebrauch durchaus konsistent verfährt. Zunächst soll eine kurze Analyse des Anfangs des Theoriestücks zum Zweck an sich selbst gegeben werden, in welcher dafür argumentiert wird, dass mit dem Begriff der „Menschheit“ dasselbe, wie mit der „vernünftigen Natur“ des sinnlich-vernünftigen Wesens gemeint ist,
Vgl. Anhang II. GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : . GMS, AA : .. GMS, AA : .. Vgl. GMS, AA : . – . GMS, AA : . f. GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : ..
1 Der Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst
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beide aber nichts anderes, als den Willen bzw. praktische Vernunft indizieren. Danach werden u. a. mithilfe von Kants Überlegungen zum Begriff der Würde vor allem zwei Fragen beantwortet: Erstens: Weshalb kann Kant zugleich den Willen und das vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst bezeichnen? Und zweitens: Wie ist es zu verstehen, dass das „Subject aller (möglichen) Zwecke“⁶⁶ der Zweck an sich selbst ist?
1.2 Der Begriff der vernünftigen Natur Zunächst steht der engere Kontext zur Untersuchung, in dem Kant die Formel des Zwecks an sich selbst einführt, die bekanntlich lautet: Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. ⁶⁷
Im folgenden Passus fällt zum ersten Mal in der Grundlegung der Begriff des Zwecks an sich selbst: Gesetzt aber, es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Werth hat, was als Zweck an sich selbst, ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm und nur ihm allein der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d. i. praktischen Gesetzes, liegen.⁶⁸
Unmittelbar danach erfährt der Leser, dass „der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen […] als Zweck an sich selbst“⁶⁹ existiert. Diese selbstzweckhafte Existenz führt Kant anschließend auf die „Natur“⁷⁰ vernünftiger Wesen zurück. Diese würden „Personen genannt […], weil ihre Natur sie schon als Zwecke an sich selbst […] auszeichnet […]“ (ebd., Hvh.v.V.). Mit der „Natur“ vernünftiger Wesen meint Kant offensichtlich dasjenige, was ein vernünftiges und wollendes Wesen per se auszeichnet, was somit jedem dieser Wesen a priori als Eigenschaft zugesprochen werden muss – und das ist zunächst nichts anderes als praktische Rationalität oder ein Wille. Schließlich heißt es, von Kant selbst hervorgehoben: „die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst“. Diese Hervorhebung ist bedeutsam, denn sie kann als Kennzeichnung dafür gedeutet werden, dass hier eine
GMS, AA : .. .. GMS, AA : . – . GMS, AA : . – . GMS, AA : . f. GMS, AA : . f.
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
Begründungskette abgeschlossen ist. Genauer scheint Kant einen Begründungsgang zu skizzieren, an dessen Anfang die These steht: „der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existiert als Zweck an sich selbst“. Der nächste Schritt besteht dann in der Behauptung, das vernünftige Wesen existiere als Zweck an sich selbst, weil seine Natur, die vernünftige Natur, es entsprechend auszeichnet. Und schließlich ist die vernünftige Natur Ursprung dieser Auszeichnung vernünftiger Wesen, weil es in ihrer genuinen Konstitution angelegt ist, als Zweck an sich selbst zu existieren. Wir haben oben die vernünftige Natur als praktische Vernunft identifiziert. Gemessen an dem so nachgezeichneten Argument ist es somit praktische Vernunft oder eben der Wille, welcher in der Sicht Kants ursprünglich als Zweck an sich selbst existiert und von dem aus sich dann der absolute Wert vernünftiger Wesen ergibt.⁷¹ Nun ist mit dem in der Selbstzweckformel zentralen Begriff der „Menschheit“ in der Sache offenbar dasselbe gemeint wie mit dem der vernünftigen Natur. Ein gutes Indiz hierfür kann erstens darin gesehen werden, dass Kant den Begriff der Menschheit unmittelbar nach der These einführt, die vernünftige Natur existiere als Zweck an sich selbst, ohne den Begriff der Menschheit definitorisch irgendwie von dem der vernünftigen Natur abzugrenzen⁷². Zweitens wird in der Selbstzweckformel der Menschheit Zweckhaftigkeit an sich zugeschrieben, und zwar der Menschheit in der Person. Und zuvor bestimmt Kant, wie gesehen, die vernünftige Natur als dasjenige, was die Person als Zweck an sich selbst auszeichnet. Die Identifikation von „Menschheit“ und „vernünftige Natur“ muss allerdings in einem Aspekt eingeschränkt werden. Nach den vier Anwendungsbeispielen zur Formel des Zwecks an sich selbst ist vom „Princip der Menschheit und jeder vernünftigen Natur“⁷³ die Rede, womit Kant offenbar genauer Menschheit als einen Fall der vernünftigen Natur verstanden wissen will, die vernünftige Natur den Namen der „Menschheit“ also unter einer spezifischen Bedingung erhält. Diese
Es sei bereits an dieser Stelle etwas zum Verhältnis von praktischer Vernunft und reiner praktischer Vernunft als Zweck an sich selbst gesagt. So werde ich an manchen Stellen von praktischer, an anderen von reiner praktischer Vernunft als Zweck an sich selbst sprechen. Dieser Sprachgebrauch drückt keine terminologische Nachlässigkeit aus oder gar eine Inkonsistenz, vielmehr spiegelt er das folgende Verhältnis beider Sachverhalte und Begriffe wieder: Als konstitutives Merkmal aller vernünftigen Wesen kann praktische Vernunft ebenso als genuine oder reine praktische Vernunft angesprochen werden. Als Zweck an sich selbst ist diese Konstitution – in einem hier noch nicht einzusehenden Sinne – der Zweck des Willens eines vernünftigen Wesens und somit wiederum der praktischen Vernunft selbst. In diesem Selbstverhältnis realisiert sich nun Moralität und damit in der Sicht Kants wiederum reine praktische Vernunft. Pointiert formuliert: Als Zweck an sich selbst ist praktische Vernunft zugleich reine praktische Vernunft. Vgl. GMS, AA : . – . GMS, AA : ..
1 Der Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst
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spezifische Bedingung ist die auch sinnliche Konstitution vernünftiger Wesen. Deswegen ist in der Selbstzweckformel auch von „Menschheit“ und nicht einfach von ‚vernünftiger Natur‘ die Rede, denn bekanntlich gilt der kategorische Imperativ als Imperativ nur für sinnlich-vernünftige Wesen. Damit kann ein erstes Bild vom Verhältnis des Zwecks an sich selbst zum kategorischen Imperativ gezeichnet werden: Weil die praktische Vernunft sinnlich-vernünftiger Wesen a priori oder genuin als Zweck an sich selbst existiert, diese als praktische Vernunft aber auch sinnlich affizierbar oder besser in den Dienst der Neigungsbefriedigung gestellt werden kann, ist ihre genuine Existenzweise offenbar, in einem hier noch nicht verständlichen Sinne, erst zu realisieren, also zwischen ursprünglicher Konstitution und Verwirklichung zu unterscheiden. In dieser Spannung zwischen Konstitution und Realisation liegt offenbar der Grund des kategorischen Imperativs (in der Selbstzweckformel). Es bleibt noch, die eingangs gestellten Fragen zu beantworten: Erstens: Weshalb kann Kant zugleich den Willen (die vernünftige Natur) und das vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst bezeichnen? Und zweitens: Wie ist es zu verstehen, dass das „Subject aller (möglichen) Zwecke“⁷⁴ der Zweck an sich selbst ist? Die Basis für die Antworten auf diese Fragen bildet die Analyse von Kants Begriff der Würde.
1.3 Kants Begriff der Würde Würde kommt nach Kant der „Bedingung“ zu „unter der allein ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein kann“⁷⁵. Und Kant nennt auch sogleich dasjenige, was Würde hat: Nun ist Moralität die Bedingung, unter der allein ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein kann […]. Also ist Sittlichkeit und die Menschheit, sofern sie derselben fähig ist, dasjenige, was allein Würde hat.⁷⁶
Zu fragen ist natürlich, weshalb Sittlichkeit die Bedingung ist, unter der das vernünftige Wesen Zweck an sich selbst sein kann. Auch hierfür liefert Kant wenig später eine Begründung, deren erster Schritt in der Feststellung besteht, Sittlichkeit verschaffe dem vernünftigen Wesen „Antheil […] an der allgemeinen Ge-
GMS, AA : .. .. GMS, AA : . f. GMS, AA : . – .
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
setzgebung“⁷⁷. Mit der „Gesetzgebung“ muss klarerweise diejenige des sittlichautonomen Willens gemeint sein. Der zweite und entscheidende Schritt lautet nun: Denn es hat nichts einen Werth als den, welchen ihm das Gesetz bestimmt. Die Gesetzgebung selbst aber, die allen Werth bestimmt, muß eben darum eine Würde, d. i. unbedingten, unvergleichbaren Wert, haben […].⁷⁸
Weil die „Gesetzgebung“ durch ihr Gesetz also allen Wert bestimmt und weil Sittlichkeit bzw. die „sittlich gute Gesinnung“ in nichts anderem als dieser Gesetzgebung besteht, hat Sittlichkeit als „Gesetzgebung“ absoluten Wert oder Würde.⁷⁹ Kant schließt hier also von der wertgenerierenden Funktion einer Instanz, der „Gesetzgebung“, auf ihren eigenen absoluten Wert. Dieses Argument steht in der Forschung in der Kritik, in einem gesonderten Abschnitt im Anhang zu diesem Kapitel wird jedoch die Konsistenz dieses Arguments nachgewiesen.⁸⁰ Jetzt wissen wir zwar, dass Sittlichkeit bzw. dem sittlichen Wollen als wertgenerierender Instanz absoluter Wert bzw. Würde zukommt. Allerdings ist das Entscheidende noch nicht geklärt, nämlich, weshalb das vernünftige Wesen selbst unter der Bedingung des sittlichen Wollens Zweck an sich selbst ist. Denn hiervon nahm das Argument seinen Ausgang: Sittlichkeit hat Würde, weil sie die Bedingung ist, unter der „allein ein vernünftiges Wesen Zweck an sich selbst sein kann“⁸¹. Um das zu klären, sei zunächst an ein bereits erreichtes Ergebnis erinnert: Kant argumentiert zu Anfang des Theoriestücks zum Zweck an sich selbst⁸², das vernünftige Wesen existiere als ein solcher Zweck, weil seine eigene „Natur“, die praktische Vernunft, genuin als solche existiert. Dem soeben erreichten Ergebnis nach ist das vernünftige Wesen Zweck an sich selbst im sittlichen Wollen. Nun ist Sittlichkeit weiter in der Sicht Kants nichts anderes als reine praktische Vernunft. Hieraus folgt das Entscheidende, dass im moralischen Wollen und Handeln das vernünftige Wesen seine eigene, rein realisierte, Natur ist. Das, was das vernünftige Wesen als Vernunftwesen ursprünglich ist, nämlich Zweck an sich selbst,
GMS, AA : . f. GMS, AA : . – . Das lässt an den Anfang der gesamten Grundlegung denken. Dort argumentiert Kant bekanntlich für den wertgenerierenden Status des guten Willens, genauer für seinen Status als Ursprung objektiven Werts. Der gute Wille wird dort als die Bedingung der objektiven Güte bzw. des Werts aller anderen Güter, wie z. B. der „Talente des Geistes“, bestimmter „Eigenschaften des Temperaments“ und auch der „Glücksgaben“ (GMS, AA : f) im Allgemeinen bestimmt. Vgl. Anhang I. GMS, AA : . f. GMS, AA : ..–.
1 Der Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst
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verwirklicht es in seiner Moralität. Es muss also unterschieden werden zwischen dem Zweck an sich selbst als in der Konstitution praktischer Vernunft und vernünftiger Wesen angelegtes immer schon präsenten Vermögen und der Realisierung dieses Vermögens im aktualen sittlichen Handeln.
1.4 Das Subjekt aller Zwecke als Zweck an sich selbst Schließlich soll noch auf diejenige Stelle eingegangen werden, in der das „Subjekt aller möglichen Zwecke“ als Zweck an sich selbst bezeichnet wird. Kant begründet diese Bezeichnung damit, dass dieses Subjekt „zugleich das Subject eines möglichen schlechterdings guten Willens ist; denn dieser [gute Wille – Vf.] kann ohne Widerspruch keinem andern Gegenstande nachgesetzt werden“⁸³. Die Aussage des Zitats entspricht exakt den Ergebnissen der Analyse von Kants Ausführungen zum Begriff der Würde. Weil es im sittlichen Wollen und Handeln seine eigene „vernünftige Natur“ realisiert, die als Zweck an sich selbst ursprünglich existiert, ist das Subjekt hierin verwirklichter Zweck an sich selbst. Das Subjekt aller möglichen Zwecke ist somit entweder potentiell – als Subjekt eines möglichen guten Willens – oder realiter – im tatsächlichen sittlichen Handeln – Zweck an sich selbst. Die Aussage, der gute Wille könne „ohne Widerspruch keinem Gegenstand nachgesetzt werden“, wiederholt nur die Aussage der Würde-Passage, dass das Sittengesetz als Ursprung allen Werts selbst absolut wertvoll ist. Abschließend sei auch noch eine kurze Bemerkung zum guten Willen als Zweck an sich selbst gemacht. Aus der bisher gelieferten Interpretation dürfte deutlich geworden sein, inwiefern vom guten Willen als Zweck an sich selbst gesprochen werden kann. Die Realität reiner praktischer Vernunft ist der Zweck an sich selbst und damit eben auch die Wirklichkeit des guten Willens. Es findet sich auch eine Stelle, die als gleichsam direkter textueller Beleg der gelieferten Interpretation dienen kann. Im so zu nennenden teleologischen Argument im ersten Abschnitt der Schrift findet sich die einzige Stelle, in der Kant den guten Willen indirekt aber doch klar als Zweck bezeichnet: Denn da die Vernunft dazu nicht tauglich genug ist, um den Willen in Ansehung der […] Befriedigung aller unserer Bedürfnisse […] sicher zu leiten, als zu welchem Zwecke ein eingepflanzter Naturinstinkt viel gewisser geführt haben würde, gleichwohl aber uns Vernunft als praktisches Vermögen, d. i. als ein solches, das Einfluss auf den Willen haben soll,
GMS, AA : . – .
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
dennoch zugeteilt ist, so muss die wahre Bestimmung derselben sein, einen […] an sich selbst guten Willen hervorzubringen.⁸⁴
Abgesehen von der grundsätzlichen Fragwürdigkeit des gesamten teleologischen Arguments und seiner Prämissen, spricht Kant hier gewissermaßen programmatisch aus, was, folgt man der in diesem Kapitel gegebenen Interpretation, der Kerngedanken des Theoriestücks zum Zweck an sich selbst ist: Praktische Vernunft, die vernünftige Natur, existiert zum Zwecke reiner praktischer Vernünftigkeit, also um „einen […] an sich selbst guten Willen hervorzubringen“. In diesem Sinne ist der gute Wille, die Realität reiner praktischer Vernunft, Zweck an sich selbst als Zweck für sich selbst.
1.5 Zusammenfassung Thema dieses Abschnitts war der Zusammenhang zwischen den verschiedenen, den Zweck an sich selbst anzeigenden Begriffen, nämlich: das vernünftige Wesen, die „Natur“ vernünftiger Wesen⁸⁵, die „vernünftige Natur“, die „Menschheit“⁸⁶ und das „Subject aller (möglichen) Zwecke“⁸⁷ als Zweck an sich selbst. Nachdem die Begriffe der „vernünftigen Natur“ und der „Menschheit“ als Zweck an sich selbst gehaltlich als praktische Vernunft oder Wille identifiziert werden konnten, galt es, im Wesentlichen zwei Fragen auf der Grundlage von Kants Begriff der Würde zu beantworten. Erstens: Weshalb kann Kant zugleich den Willen (die vernünftige Natur) und das vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst bezeichnen? Zweitens: Wie ist es zu verstehen, dass das „Subject aller (möglichen) Zwecke“⁸⁸. der Zweck an sich selbst ist? Die Antwort auf die erste Frage lautete, dass das vernünftige Wesen in seinem sittlichen Wollen nichts anderes ist, als seine eigene realisierte Natur. Dasjenige „wozu es durch seine Natur schon bestimmt war, als Zweck an sich selbst“⁸⁹ zu existieren, ist im sittlichen Wollen wirklich, also in demjenigen Handeln, in welchem das vernünftige Wesen Ursprung allen Werts ist. Die Antwort auf die zweite Frage lautet: Das Subject aller Zwecke ist, wie Kant es formuliert, als „Subject eines möglichen schlechterdings guten Willens“⁹⁰
GMS, AA : . – . GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : .. .. GMS, AA : .. .. GMS, AA : . f. GMS, AA : ..
2 Die Form des Zwecks an sich selbst
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Zweck an sich selbst. Das entspricht exakt den Ergebnissen der Analyse der Würde-Passage.
2 Die Form des Zwecks an sich selbst Wie bereits in der Vorbemerkung zu diesem Kapitel bemerkt, vertreten die meisten Interpreten, vor allem angelsächsischer Provenienz, die, wie ich sie nennen möchte, Existenzthese zum Zweck an sich selbst, die Ansicht also, dass der Zweck an sich selbst kein zu realisierender Sachverhalt ist, einfach deswegen, weil er bereits existiert. Das Gemeinte soll an einem von Henry Allison angeführten Beispiel verdeutlicht werden: For example, when people doff their hats to their country’s flag, they usually have no end to be effected in mind, but they nonetheless act for the sake of an end, namely, the revered object to which a symbolic value is attached.⁹¹
Die Handlung also, seinen Hut vor der Flagge des eigenen Landes zu ziehen, hat nach Allison zwar einen Zweck, aber keinen, den es hervorzubringen gilt. Man handelt in Allisons Sicht vielmehr um willen des verehrten Objekts, der Flagge, dem ein symbolischer Wert zugesprochen wird. Was ist aber hier genauer der Zweck? Ist es die Flagge, der symbolische Wert der Nation, den sie verkörpert oder ist es nicht vielmehr das Äußern einer bestimmten Gesinnung, z. B. einer patriotischen Haltung – und sei es auch nur sich selbst gegenüber? Will Allison mit diesem Beispiel erläutern, was ein existierender Zweck ist, muss er letzteres ausschließen. Denn die Äußerung einer patriotischen Gesinnung ist dasjenige, was durch die Handlung, seinen Hut zu ziehen, erreicht werden soll, auch wenn hier anders als z. B. beim Bau eines Hauses das Resultat der Handlung nicht eindeutig von der Handlung selbst zu unterscheiden ist. Es wird uns später noch beschäftigen, ob Sachverhalte im Sinne der genannten ersten beiden Alternativen (Flagge, symbolischer Wert) tatsächlich mit Sinn als Zwecke angesprochen werden können. Fürs Erste wollen wir es bei dieser Skizze bewenden lassen. Zunächst sei die Frage beantwortet, wie sich der Begriff des Zwecks an sich selbst zu den allgemeinsten Definitionen eines Zwecks verhält, die Kant in mehreren Schriften formuliert.
Allison: , S. . Vgl. Anhang IV.
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
2.1 Der Begriff eines Zwecks überhaupt und der Zweck an sich selbst Kurz, bevor Kant das Theorem des Zwecks an sich selbst entwickelt, formuliert er eine zweite Definition des Willensbegriffs, an welche sich unmittelbar eine Definition des Zweckbegriffs anschließt: Der Wille wird als Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. Und ein solches Vermögen kann nur in vernünftigen Wesen anzutreffen sein. Nun ist das, was dem Willen zum objectiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck und dieser, wenn er durch bloße Vernunft gegeben wird, muss für alle vernünftige Wesen gleich gelten.⁹²
Diese Definitionen legen zwei Fragen nahe, die bemerkenswerter Weise in der Forschung zur Grundlegung entweder erst gar nicht formuliert, oder doch zumindest unzureichend behandelt worden sind:⁹³ Wie verhält sich erstens die zitierte Definition des Zwecks zu den – sehr einheitlichen – Definitionen, die Kant in anderen Schriften nach dem Erscheinen der Grundlegung gibt? Was heißt es zweitens genau, dass der Zweck der „objektive Grund“ der Selbstbestimmung des Willens ist? Die Frage nach dem Verhältnis der Zweckdefinition in GMS zu den Definitionen anderer Schriften ist aus naheliegendem Grund für das Verständnis des Theoriestücks zum Zweck an sich selbst eminent wichtig. Denn es ist alles andere als ausgemacht, dass die im Folgenden zur Analyse stehenden Standarddefinitionen eines allgemeinen Zweckbegriffs in der Kritik der Urteilskraft, der Metaphysik der Sitten und der Kritik der praktischen Vernunft den Typus eines existierenden Zwecks überhaupt vorsehen. Sollten die Definitionen Kants diesen Typus aber nicht vorsehen und könnte gezeigt werden, dass die Zweckdefinition der Grundlegung sich in der Sache nicht von diesen unterscheidet, dann wäre die ‚Existenzthese‘ des Zwecks an sich selbst schon aus textuellen Gründen nicht zu halten – abgesehen von der ebenfalls bereits angedeuteten grundsätzlichen Fragwürdigkeit dieses Konzepts. Dies gilt natürlich nur dann, wenn der Zweck an sich selbst unter die allgemeine Zweckdefinition von GMSII fällt, was bereits aus Gründen der Anlage des Begründungsgangs der GMS stark anzunehmen ist. Zum Vorgehen: Zunächst werden einige Definitionen des Zweckbegriffs aus der KU, der KpV und der MdS auf ihre Einheitlichkeit hin untersucht. Dann folgt die genannte Analyse der Bestimmung des Zweckbegriffs in GMS. Im nächsten Schritt wird Allan Woods Konzept eines existenten Zwecks Thema sein. Es stellt sich hierbei die Frage der grundsätzlichen Konsistenz dieses Konzepts. Der dritte
GMS, AA : , – . Vgl. Anhang III.
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Schritt untersucht diejenige Stelle in GMS, auf die sich die Vertreter der ‚Existenzthese‘ des Zwecks an sich selbst zumeist berufen.
2.3 Die Definitionen des Zweckbegriffs in anderen Schriften Kants Kant verwendet viele verschiedene Zweckbegriffe, die ihre je eigene systematische Funktion in verschiedenen Kontexten haben. So wird u. a. zwischen einem „Zweck nach seinen transscendentalen Bestimmungen“⁹⁴, einem subjectiven und objectiven Zweck⁹⁵, einem Endzweck […] der Schöpfung⁹⁶, Naturzwecken und Zwecken aus Freiheit unterschieden. Diese Aufzählung ließe sich erweitern, und eine Klärung des Zusammenhangs dieser Begriffe würde eine eigene Untersuchung erfordern. Glücklicherweise liefert Kant an mehreren Stellen der KU eine allgemeine Definition eines Zwecks überhaupt, die er an einer prominenten Stelle mit einer Definition des Willensbegriffs verbindet. Dieser Umstand erlaubt es, einen allgemeinsten Begriff eines Handlungszwecks zu gewinnen, der für unsere Belange relevant ist. Beide Definitionen sollen zunächst zur Analyse stehen. In einem zweiten Schritt wird dann untersucht, ob der so definierte Zweckbegriff und die Willensdefinition mit Bestimmungen in anderen Schriften, namentlich der Metaphysik der Sitten, der Kritik der praktischen Vernunft und schließlich der Grundlegung übereinstimmen. In § 10 der KU liefert Kant eine Definition des Zwecks, in deren Kontext sowohl eine des Begriffs der Zweckmäßigkeit als auch des Willens geliefert wird: Wenn man, was ein Zweck sei, nach seinen transscendentalen Bestimmungen (ohne etwas Empirisches, dergleichen das Gefühl der Lust ist, vorauszusetzen) erklären will: so ist Zweck der Gegenstand eines Begriffs, sofern dieser als Ursache von jenem (der reale Grund seiner Möglichkeit) angesehen wird; und die Causalität eines Begriffs in Ansehung seines Objects ist die Zweckmäßigkeit […]. Wo also nicht etwa bloß die Erkenntniß von einem Gegenstande, sondern der Gegenstand selbst (die Form oder Existenz desselben) als Wirkung nur als durch einen Begriff von der letztern möglich gedacht wird, da denkt man sich einen Zweck. Die Vorstellung der Wirkung ist hier der Bestimmungsgrund ihrer Ursache, und geht vor der letztern vorher. […] Das Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Zwecks gemäß zu handeln, bestimmbar ist, würde der Wille sein.⁹⁷
KU, AA : .. Vgl.: KU, AA : . f. und . KU , AA : f. KU, AA : f. –
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
Der Gegenstand einer begrifflichen Vorstellung, der Ursache derjenigen Kausalität ist, die diesen Gegenstand realisiert, ist in Kants Sicht also ein Zweck. Vielleicht etwas verständlicher formuliert, ist ein Zweck eine begriffliche Vorstellung, die Handlungen motiviert, welche den Gegenstand dieser Vorstellung realisieren. Von dieser Bestimmung aus wird Kants Rede von der Zweckmäßigkeit als „Kausalität eines Begriffs in Ansehung seines Objekts“ auch gut verständlich. Alle Handlungen oder „Kausalitäten“, die den Gegenstand der genannten Vorstellung realisieren, sind zweckmäßig. So wird außerdem deutlich, weshalb Kant die Begrifflichkeit bzw. Rationalität der handlungsverursachenden Vorstellung betont: Aus dieser müssen sich nämlich „als objectiv nothwendig erkannt[e]“⁹⁸ Handlungen ableiten lassen können, die den vorgestellten Gegenstand realisieren, also zunächst Einsichten in zielführende kausale Zusammenhänge, die dann zu tatsächlichen Handlungen werden. Kants Definition des Willens als „Begehrungsvermögen, sofern es nur durch Begriffe, d. i. der Vorstellung eines Zwecks gemäß zu handeln, bestimmbar ist“, ist somit eine Erläuterung des Begriffs des Willens als praktische Vernunft, nämlich als Vermögen, Handlungen aus begrifflich-rationalen Vorstellungen abzuleiten. In der Kritik der praktischen Vernunft schreibt Kant, dass Vernunft allein vermögend ist, die Verknüpfung der Mittel mit ihren Absichten einzusehen (so dass man auch den Willen durch das Vermögen der Zwecke definieren könnte. Indem sie jederzeit Bestimmungsgründe des Begehrungsvermögens nach Prinzipien sind).⁹⁹
Weil also Vernunft das Vermögen der Einsicht in das Verhältnis von Mittel und Absichten ist, kann der Wille als Vermögen der Zwecke bestimmt werden. Zwecke sind damit in dem Sinne „Bestimmungsgründe des Begehrungsvermögens nach Prinzipien“, dass „Prinzipien“ Regeln sind, welche die Einsicht in die „Verknüpfung der Mittel mit ihren Absichten“ vorstellen. Zwecke sind folglich auch hier insofern „Bestimmungsgründe nach Prinzipien“, als sie rational-begriffliche Vorstellungen sind, aus denen sich Handlungsantizipationen und schließlich Handlungen ableiten lassen. In der Sache besteht folglich kein Unterschied zur Definition sowohl des Willens als auch des Zwecks in der KU. In der Metaphysik der Sitten wird der Zweckbegriff u. a. wie folgt definierte: Zweck ist ein Gegenstand der Willkür (eines vernünftigen Wesens), durch dessen Vorstellung diese zu einer Handlung diesen Gegenstand hervorzubringen, bestimmt wird.¹⁰⁰
GMS, AA : . f. KpV, AA: . – .. MS, AA : ..
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Berücksichtigen wir noch den einige Seiten weiter angegebenen Zusatz, dass der Zweck etwas sei, das „nur durch den Verstand existiren kann“, dann lässt sich die in MS gegebene Bestimmung des Zweckbegriffs ohne Probleme in die Reihe der bisher genannten Definitionen einfügen. Auch hier ist der Zweck also eine begriffliche und somit rationale Vorstellung als Ursache der Realität ihres eigenen Gegenstandes. Gehen wir nun zur Definition in GMS über: Der Wille wird als ein Vermögen gedacht, der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst zum Handeln zu bestimmen. […] Nun ist das, was dem Willen zum objectiven Grunde seiner Selbstbestimmung dient, der Zweck […].¹⁰¹
Was es heißt, der Zweck sei der objektive Grund der Selbstbestimmung des Willens, wird durch einen Blick auf den Begriff des praktisch Guten deutlich, wie er von Kant im Kontext der ersten Willensdefinition in GMSII formuliert wird: Praktisch gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjectiven Ursachen, sondern objectiv, d. i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches, gültig sind, den Willen bestimmt.¹⁰²
Kurz zuvor ist die Rede von Handlungen, die „als objektiv notwendig erkannt“ werden, und der Wille sei entsprechend „ein Vermögen, […] dasjenige zu wählen, was die Vernunft, unabhängig von der Neigung als praktisch notwendig, d. i. als gut erkennt“¹⁰³. Die „als objectiv notwendig erkannte“ Handlung ist die qua Erkenntnis kognitive Antizipation der vernünftigerweise zu vollziehenden Handlung, die also entweder aus der Einsicht in zielführende naturkausale Zusammenhänge oder in sittliche Prinzipien oder beidem gewonnen wird. In diesem Sinne ist ein Zweck „objektiv“, weil sich aus ihm qua begrifflich-rationaler Vorstellung handlungsleitende Einsichten gewinnen lassen. Das wäre die eine Hinsicht; in der anderen bedeutet „objectiv“ einfach so viel wie ‚ein Objekt vorstellend‘ oder ‚in einem Objekt liegend‘ oder dergleichen. So ist laut der besprochenen Definition in der KU der Zweck der „Gegenstand eines Begriffs“ und die Zweck-
GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : .. Auch wenn Kant im entsprechenden Satz einen Willen beschreibt, den Vernunft „unausbleiblich bestimmt“, der also ein heiliger Wille ist, der folglich ausschließlich „die als objektiv notwendig erkannte“ Handlung wählen würde, trifft diese Definition zweifelsohne auch auf den Willen sinnlich-vernünftiger Wesen zu. Auch ihr Wille ist – eben als praktische Vernunft – das Vermögen, Handlungen aus Vernunftgesetzen abzuleiten (vgl. AA : f), die als solche zwangsläufig objektive notwendig sind – selbstverständlich steht diese Notwendigkeit in nicht-sittlichem Handeln ihrerseits unter Bedingungen.
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mäßigkeit „die Causalität eines Begriffs in Ansehung eines Objekts“ – wobei hier Gegenstand und Objekt dasselbe meinen. Im Ergebnis sprechen also viele textuelle Indizien dafür, dass (a) die Zweckdefinition der GMS mit denjenigen aus den anderen Schriften übereinstimmt und dass somit (b) der Zweck an sich selbst ein – wie auch immer genau zu denkender – zu realisierender Sachverhalt ist.
2.4 Der Begriff des existierenden Zwecks und der Zweck an sich selbst We are tempted to think that the concept of an end is nothing but the concept of a not jet existing object or state of affairs whose existence we desire and pursue. But we also include among our ends existing things, such as our own self-preservation […] They are constantly ends for us, setting limits on what we are willing to do in pursuit of our other ends […] In the broadest sense, however, an end is anything for the sake of which we act […]¹⁰⁴
Allan Wood will hier den Typus eines existierenden Zwecks beschreiben, der etwas ist, um dessen willen gehandelt wird, der aber nicht dasjenige ist, das es durch willentliches Handeln auch zu realisieren gilt, einfach deswegen, weil es bereits existiert. Wood ist der Auffassung, dass es sich beim Zweck an sich selbst um diesen Typus eines existierenden Zwecks handelt und vertritt damit eine in der Kantforschung weit verbreitete Ansicht.¹⁰⁵ Im Zitat wird genauer die Selbsterhaltung (self-preservation) als existierender Zweck bezeichnet und es stellt sich die Frage, ob und inwiefern sie ein solcher sein kann. Man muss Wood prima facie Recht geben: Mein Leben und sein Fortbestehen hatte bereits statt, bevor ich es zum Zweck gemacht habe. Dies gilt sowohl in all’ meinem Handeln, das mein Leben nicht gefährdet als auch in solchen Handlungen, in denen der Erhalt meines Lebens der eigentliche Zweck sein soll – nämlich dann, wenn ich in Lebensgefahr und noch handlungsfähig bin. Existierte aber die Selbsterhaltung wirklich, bevor ich sie zum Zweck hatte bzw. unabhängig davon, ob sie mein Zweck ist? In dem Sinne, dass mein Leben fortbesteht, schon. Allison meint aber mit „Selbsterhaltung“ so etwas wie „Sicherung des oder meines Lebens“. So formuliert, macht es nun keine Schwierigkeiten, auch „Selbsterhaltung“ als zu realisierenden Zweck zu beschreiben. Lassen wir zunächst die Selbsterhaltung als negativen Zweck beiseite und schauen uns den Fall an, in welchem der Erhalt meines Lebens der primäre Zweck sein soll. In solchen Fällen realisiere ich eine Situation, in der mein Leben nicht mehr gefährdet ist, oder, allgemeiner formuliert, ich realisiere die
Wood: : S. . Vgl. Anhang IV.
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Sicherung meines Lebens. Dies gilt auch für Handlungen, die meine Selbsterhaltung nicht dezidiert zum Zweck haben, mein Leben aber nicht gefährden sollen. Auch hier kann der Zweck der Selbsterhaltung genauer als die Sicherung meines Lebens beschrieben werden, die ich dadurch realisiere, dass ich Handlungen unterlasse, die mein Leben gefährden. Diese Beschreibung der Selbsterhaltung als zu realisierendem Zweck hat den Vorteil, dass sie problemlos als ein Fall der allgemeinen Zweckdefinition der KU, MdS und KpVgedacht werden kann: Die rationale Vorstellung lebenserhaltender Bedingungen motiviert mich zu Handlungen, die ebendiese Bedingungen realisieren – gleich, ob der Zweck negativ oder positiv ist.Werfen wir auch nochmals einen Blick auf Allisons zu Anfang dieses Abschnitts bereits zitiertes Beispiel: For example, when people doff their hats to their country’s flag, they usually have no ends to be effected in mind, but they nonetheless act for the sake of an end, namely, the revered object to which a symbolic value is attached.¹⁰⁶
Wir hatten für das, was hier der Zweck sein soll, drei Kandidaten genannt: Die Flagge, der symbolische Wert der Nation, den sie verkörpert oder das Äußern einer bestimmten Gesinnung, z. B. einer patriotischen Haltung. Der dritte Kandidat wurde bereits als Explikation dessen, was ein existierender Zweck sein soll, ausgeschlossen, weil hier offensichtlich etwas realisiert wird, nämlich die Äußerung einer bestimmten Gesinnung, auch wenn – das wurde ebenfalle bereits angeführt – die Handlung hier von ihrem Resultat nicht klar zu trennen ist. Schauen wir uns Allisons Beschreibung nochmals genauer an. Er schreibt, „they […] act for the sake of an end, namely, the revered object to which a symbolic value is attached“. Damit ist es „the revered object“, der verehrte Gegenstand, um dessen willen gehandelt wird und dem ein symbolischer Wert anhängt. Folglich ist offenbar die Flagge der Zweck, denn ihr hängt der symbolische Wert an. Nun ist der Wert der Flagge aber symbolisch, vertritt also einen – eigentlich gemeinten – Wert. Der gemeinte Wert ist nun offensichtlich derjenige der Nation. Sie bzw. deren Achtung wäre damit der eigentliche ‚Zweck‘ meiner Handlung, den Hut vor der Flagge zu ziehen. In welchem Verhältnis steht aber meine Handlung, den Hut zu ziehen, zur Nation? Offenbar in dem, dass ich durch das Ziehen meines Hutes meine patriotische Gesinnung zum Ausdruck bringe bzw. dokumentiere. Damit ist aber der einzig sinnvolle Kandidat des Zwecks der hier thematischen Handlung eben das Dokumentieren einer bestimmten Gesinnung. Doch exakt diese Interpretation wurde als Kandidat für die Explikation eines existierenden Zwecks bereits verworfen, weil, wie gesagt, hier etwas realisiert wird. Auch Allison kann Allison: , S. .
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somit durch sein Beispiel das Konzept eines existierenden Zwecks nicht plausibilisieren. Ziehen wir nun eine Interpretation des Gehalts des Zwecks an sich selbst heran, wie Sie Christine Korsgaard formuliert, die ebenfalls eine Vertreterin der Existenzthese zum Zweck an sich selbst ist: „So when Kant says rational nature or humanity is an end in itself, it is the power of rational choice that he is referring to.“¹⁰⁷ Auch hier leuchtet nicht ein, inwiefern die rationale Entscheidungsfähigkeit als ein Zweck angesprochen werden kann, wenn wir ihr nicht einen Sinn von etwas zu Realisierendem geben. Man kann verstehen, dass z. B. die Beförderung rationaler Entscheidungsfähigkeit ein Zweck ist, es bleibt aber unverständlich, inwiefern diese Fähigkeit selbst, als solche, für sich stehend, ohne eine Interpretation als Handlungsziel, ein Zweck sein sollte. Es könnten weitere Beispiele angeführt werden, die wohl aber alle auf dasselbe hinauslaufen würden, nämlich die schlichte Unverständlichkeit dessen, was ein Zweck sein soll, der kein Handlungsziel ist bzw., im äußersten Fall, mit der Handlung zusammenfällt. Ein Sachverhalt, der vor einer entsprechenden zielgerichteten Handlung bereits besteht, kann nicht der Zweck dieser Handlung sein – und zwar aufgrund dieses vorgängigen Bestehens. Ein (bereits bestehendes) Haus, ein Mensch, der Mond usw. können – es sei wiederholt – für sich genommen offenbar überhaupt keine Zwecke sein, durchaus aber der Bau oder Abriss eines Hauses, die Beförderung der Talente eines Menschen o. ä. Anders gewendet scheint der handlungslogische Sinn eines Zwecks nicht von seiner Funktion als Handlungsziel getrennt werden zu können.
2.5 Der Zweck an sich selbst als selbständiger Zweck Eine Stelle in GMSII muss aber, wie es aussieht, als ein direkter Beleg zumindest des Umstandes gedeutet werden, dass Kant den Zweck an sich selbst als existierenden Zweck verstanden wissen wollte. Die Analyse wird zeigen, dass dieser Passus keineswegs zu einer ‚Existenzthese‘ des Zwecks an sich selbst zwingt. Die Passage sei zunächst zitiert: Die vernünftige Natur nimmt sich dadurch von den übrigen aus, daß sie ihr selbst einen Zweck setzt. Dieser würde die Materie eines jeden guten Willens sein. Da aber in der Idee eines ohne einschränkende Bedingung (der Erreichung dieses oder jenes Zwecks) schlechterdings guten Willens durchaus von allem zu bewirkenden Zwecke abstrahirt werden muß (als der jeden Willen nur relativ gut machen würde), so wird der Zweck hier nicht als ein zu
Vgl. Korsgaard: , S. f.
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bewirkender, sondern selbstständiger Zweck, mithin nur negativ gedacht werden müssen, d. i. dem niemals zuwider gehandelt, der also niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck in jedem Wollen geschätzt werden muß.¹⁰⁸
Auf Kants Aussage, der Zweck an sich selbst „würde die Materie eines jeden guten Willens sein“, folgt also die Aussage, dieser sei „kein zu bewirkender“, sondern ein „selbstständiger“ und nur negativ zu denkender Zweck. Damit kann diese Aussage über die Besonderheit des Zwecks an sich selbst als eine Erläuterung der Rede von der „Materie eines jeden guten Willens“ gelesen werden. Es fällt sofort die Formulierung im Konjunktiv auf (der Zweck an sich selbst „würde die Materie eines […] guten Willens sein“), die darauf schließen lässt, dass der Zweck an sich selbst zwar Zweck, aber nicht „Materie“ ist. So findet sich in GMSII die Aussage, der kategorische Imperativ betreffe, im Unterschied zum hypothetischen Imperativ, „nicht die Materie der Handlung und das, was aus ihr [der Handlung – Vf.] erfolgen soll“¹⁰⁹. Kant bestimmt außerdem „materiale Zwecke“ als solche, „die sich ein vernünftiges Wesen als Wirkungen seiner Handlungen […] vorsetzt“, oder dass „praktische Principien […] material“ seien, „wenn diese“ als „subjective Zwecke“. „gewisse Triebfedern zum Grunde legen“¹¹⁰. Materiale Zwecke sind also neigungsbestimmt und als solche Geltungsgründe hypothetischer Imperative¹¹¹. Denn diese „gewissen Triebfedern“, das „Belieben“, nach dem ein sinnlich-vernünftiges Wesen solche materialen Zwecke setzt, gründen auf einem „besonders geartete[n] Begehrungsvermögen des Subjects“¹¹², das als solches nicht bei allen vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden kann. Auf diesen Sinn von „Materie“ zielt Kant offenbar, wenn er zur Erklärung seiner konjunktivischen Formulierung schreibt, dass „in der Idee eines ohne einschränkende Bedingung (der Erreichung dieses oder jenes Zwecks) schlechterdings guten Willens,von allen zu bewirkenden Zwecken abstrahiert werden muss […]“ (Hv. v. Vf.) Ein guter Wille abstrahiert von allen zu bewirkenden Zwecken. Das kann in etwa so verstanden werden, dass die praktischen Sätze, die materiale Zwecksetzungen ausdrücken bzw. aus diesen gewonnen werden, auf ihre Form hin beurteil und selektiert werden. Der Zweck an sich selbst verhält sich in Bezug auf diese, auf ihre formalen Bedingungen hin überprüften und selektierten praktischen Sätze, und damit die durch diese ausgedrückten Zwecksetzungen, negativ. In dieser Selektion drückt sich zugleich die Negativität aus: diese formalisierende Ab-
GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : .. Vgl. GMS, AA : f. .–. GMS, AA : . f.
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straktion bedeutet, dass dem kategorischen Imperativ nicht zuwider gehandelt wird bzw. werden darf und das bedeutet eo ipso, dass praktische Vernunft immer auch Zweck und damit Zweck an sich selbst ist. Die Selbstständigkeit des Zwecks an sich selbst ist diese Abstraktion und Negativität. Das lässt sich so lesen, dass der Zweck an sich selbst ein Sachverhalt ist, der durch und in allen konkreten Handlungen als ihr organisierendes und selektierendes Prinzip ‚realisiert‘ wird, ohne im obigen Sinne hervorgebracht worden zu sein.
2.6 Das Sittengesetz als Begriff reiner praktischer Vernunft und der Zweck an sich selbst als Ordnungsprinzip allen Handelns Die Interpretation des Zwecks an sich selbst als Ordnungsprinzip von Handlungen hat den Nachweis zur Voraussetzung, dass das Sittengesetz nichts anderes als reine praktische Vernunft zum Gehalt hat. Weshalb dem so ist, wird sich aber erst zeigen, wenn wir in der Lage sein werden, Sittlichkeit in den Termini des oben nachgezeichneten kantischen Zweckbegriffs zu beschreiben. Dass das Sittengesetz tatsächlich nichts anderes, als der Begriff reiner praktischer Vernunft ist, kann durch die Analyse von Textstellen aus der Grundlegung und der Kritik der praktischen Vernunft gezeigt werden. Die erste Stelle befindet sich zu Anfang des dritten Abschnitts der Grundlegung, dort, wo Kant seine berühmte These der Analytizität von Freiheit und Sittlichkeit formuliert. Es soll nicht bereits hier eine Analyse dieser berühmten These geliefert werden. Diese folgt erst im letzten Kapitel dieser Arbeit. Interessant ist die Stelle aber bereits hier, weil sie ein mögliches Argument für die anfangs formulierte These bereithält, das Sittengesetz stelle einzig reine praktische Vernunft vor. Der entscheidende Passus sei zunächst zitiert: Der Wille ist eine Art von Causalität lebender Wesen, sofern sie vernünftig sind, und Freiheit würde diejenige Eigenschaft dieser Causalität sein, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann […].¹¹³
Nimmt man Kant in dieser Bestimmung des Begriffs der Freiheit ernst, muss man sagen, dass freie Vollzüge solche sind, die sich nach immanenten Ursachen vollziehen, die eben keine „fremden […] bestimmenden“ sind. Es stellt sich folglich die Frage, wie eine solche ‚immanente‘ Ursache bestimmt werden kann. Nun stellt Kant dem genannten negativen Freiheitsbegriff (Freiheit als Fehlen fremder Ursachen) bekanntlich einen positiven Freiheitsbegriff gegenüber, GMS, AA :. – .
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nämlich denjenigen der Freiheit des Willens als Autonomie. Bemerkenswert ist die Formulierung, die Kant hier für seine Definition von Autonomie gebraucht: […] [W]as kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? ¹¹⁴
Ist der Wille sich selbst ein Gesetz, kann das Gesetz eben nichts anderes als der Wille selbst sein. In der Position des Gesetzes kann dieser aber nicht der konkrete Willensvollzug sein. Er muss vielmehr eine gesetzliche Regel darstellen, deren begrifflicher Gehalt das Prinzip oder die Form des Willens überhaupt ist. Es liegt dann wiederum nahe, im Adressaten des ‚Willensgesetzes‘ den konkret sich vollziehenden Willen des singulären Subjekts zu verstehen. Nun werden freie Handlungen durch Vorstellungen des Sittengesetzes motiviert, welche Vorstellungen folglich diese Handlungen verursachen. Weil das Sittengesetz das Gesetz ist, nach dem sich der freie Wille richtet und weil es die Vollzugsursache des freien Willens ist, liegt es nahe, im Sittengesetz die gesuchte ‚immanente Ursache‘ der willentlich freien Handlung und das Gesetz zu sehen, das der Wille selbst und das er auch für sich ist. Damit jedoch ist das Sittengesetz nichts anderes als der Begriff des freien und reinen Willens, oder eben reiner praktischer Vernunft, und Sittlichkeit ist damit sozusagen eine Reflexivität des Willens. Ein gutes textuelles Indiz für diese Interpretation findet sich in zwei Passagen der KpV. In der Anmerkung zum §6¹¹⁵ formuliert Kant die offensichtlich rhetorische Frage, ob „Freiheit und unbedingtes praktisches Gesetz […] auch in der Tat verschieden seien, und nicht vielmehr ein unbedingtes Gesetz bloß das Selbstbewusstsein einer reinen praktischen Vernunft […]“¹¹⁶. Ist das praktische Gesetz das Selbstbewusstsein einer reinen praktischen Vernunft, ist es auch, da es sich um Selbstbewusstsein handelt, sein Gegenstand. Reine praktische Vernunft stellt sich im Sittengesetz also selbst vor. Abgesehen von diesem textlichen Indiz lässt sich auf der Basis einer weiteren Passage der zweiten Kritik aber auch eine ausführlichere Begründung für die These geben, das Sittengesetz sei nichts anderes als der Begriff reiner praktischer Vernunft.¹¹⁷ In der Anmerkung zum vierten Paragraphen in der Analytik entwi GMS, AA : f. – , Hvh. v. V. KpV, AA : f. KpV, AA : . – . Man sollte vielleicht hinzufügen, dass das Sittengesetz reine praktische Vernunft in Form eines praktischen Satzes vorstellt, was mit Blick auf Kants These der Identität von Freiheit und Sittlichkeit auch konsequent gedacht ist. Denn ist das Sittengesetz das Gesetz der Freiheit und hierin Vernunftgesetz, kann es kein determinierendes Gesetz sein, sondern muss eben frei und durch vernünftige Einsicht angenommen werden.
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ckelt Kant ein in dieser Hinsicht aufschlussreiches Argument gegen Glückseligkeit als dem Gegenstand eines praktischen Gesetzes: Ein praktisches Gesetz, was ich dafür erkenne, muß sich zur allgemeinen Gesetzgebung qualificiren; dies ist ein identischer Satz und also für sich klar. Sage ich nun: mein Wille steht unter einem praktischen Gesetze, so kann ich nicht meine Neigung […] als den zu einem allgemeinen praktischen Gesetze schicklichen Bestimmungsgrund desselben anführen; denn diese […] muß […] vielmehr in der Form eines allgemeinen Gesetzes sich selbst aufreiben.¹¹⁸
Das Argument hierfür ist nun bemerkenswert: Denn da sonst ein allgemeines Naturgesetz alles einstimmig macht, so würde hier, wenn man der Maxime die Allgemeinheit eines Gesetzes geben wollte, grade das äußerste Widerspiel der Einstimmung, der ärgste Widerstreit und die gänzliche Vernichtung der Maxime selbst und ihrer Absicht erfolgen. Denn der Wille aller hat alsdann nicht ein und dasselbe Object, sondern ein jeder hat das seinige […].¹¹⁹
Aus dem Streben nach Glückseligkeit lässt sich also deswegen kein kategorischer Imperativ gewinnen, weil dieses kein möglicher Grund einer systematischen Ordnung der Maximen und der daraus folgenden praktischen Sätze ist. Doch eine solche systematische Ordnung muss ein praktisches Gesetz stiften. Selbst, wenn man – widrigerweise – also den Geltungsbereich eines möglichen praktischen Gesetzes auf sinnlich-vernünftige Wesen einschränken würde, könnte das Streben nach Glückseligkeit nicht sein Gegenstand sein. Denn aus diesem Gegenstand ließen sich Maximen gewinnen, die im „ärgsten Widerstreit“ zueinander stünden und folglich kein System bilden könnten. Die Lösung, die Kant für das Problem eines durch ein praktisches Gesetz zu generierenden Systems anbietet, ist bei Lichte besehen so einfach, wie brillant: Ein System allen Wollens ist dann gewährleistet, wenn die Folgesätze dieses Systems, also in unserem Fall die Maximen, selbst die Form des Fundaments eines Systems annehmen und damit Gesetze sein können. Jeder, der ein praktisches Gesetz zum Bestimmungsgrund des eigenen Willens macht, handelt also notwendig um willen der denkbaren Gesetzlichkeit der eigenen Maximen. Die aus dem praktischen Gesetz entspringende Forderung nach Universalisierbarkeit der Maximen ergibt sich also, das ist entscheidend, aus der Eigenschaft eines praktischen Gesetzes, Prinzip eines Handlungs-Systems zu sein. Nun kann mit Blick auf die erste Kritik Vernunft als Vermögen der Systematisierung der Erfahrungswelt angesprochen werden, als
KpV, AA : . – . KpV, AA : – .
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Vermögen „zu dem bedingten Erkenntnisse […] das unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird“.¹²⁰ Praktische Vernunft wäre dann dieses systematisierende Vermögen in Bezug auf kausales Handeln und damit das Vermögen, ein Handlungssystem zu generieren. Deswegen begreift Kant das Gesetz der praktischen Vernunft, das praktische Gesetz, von vornherein als Prinzip eines, des einzigen, Handlungssystems – aus dessen Begriff dann die Forderung nach der Universalisierbarkeit der Maximen als dem Gehalt des praktischen Gesetzes folgt.¹²¹ Da also das praktische Gesetz seinem (kantischen) Begriff nach nichts anderes fordert als die vollständige und allseitige, man könnte auch sagen, konsequente und allseitige Systematizität allen Handelns, ist es nichts anderes, als der Begriff reiner praktischer Vernunft.¹²² Moralisches Handeln etabliert also ein System aller zulässigen Handlungen, in welchem System reine praktische Vernunft als Ordnungsprinzip und Ordnung zugleich real ist. Der Zweck an sich selbst kann jetzt auch gemäß der besprochenen Standarddefinitionen aus der KU, KpV und MdS als ein Zweck beschrieben werden: Die Vorstellung reiner praktischer Vernunft (bzw. der vernünftigen Natur, Menschheit etc.), manifestiert im Sittengesetz, motiviert zu Handlungen, die diese reine praktische Vernunft als Ordnung aller Handlungen verwirklichen. Im Unterschied zu empirischem Zwecksetzen ist (a) der Zweck an sich selbst aber immer schon per Konstitution des Willens gegeben, wird also nicht ‚gesetzt‘ und (b) ist das moralische Wollen nicht Vehikel zur Verwirklichung eines von diesem dann in seinem Bestehen unabhängigen Sachverhalts, sondern verwirklicht sich im Handeln selbst. Das Verhältnis des Zwecks an sich selbst zum kategorischen Imperativ kann schließlich folgendermaßen beschrieben werden: Die ursprüngliche Existenz der
KrV, A/B , Hvh. v. Vf. Vgl. hierzu Stolzenberg: „So ist der Gedanken von einem Gesetz nicht der Gedanke von einem Gesetz unter anderen, sondern nur der Gedanke der Gesetzlichkeit oder der Form vernünftiger Allgemeinheit als solcher.“ (, S. ) Dieses gesamte Argument ist selbstverständlich nur solange in Geltung wie gezeigt werden kann, dass die anderen Formeln des kategorischen Imperativs in der Sache nichts anderes fordern, als die Universalisierungsformeln. Das wird im zweiten Kapitel dieser Arbeit geschehen. Seels Begriff praktischer Vernunft kommt dem, was hier mit Systematizität gemeint ist, sehr nahe: „Ein vernünftiges Wesen lässt sich bei seiner Willensbildung von der Vernunft leiten gdw es jede Realrepugnanz der Willensrichtung sowohl seiner eigenen unter einander als auch derselben mit denjenigen aller übrigen vernünftigen Wesen zu vermeiden sucht.“ (1989, 167.) Reine praktische Vernunft oder Sittlichkeit wäre von empirisch praktischer Vernunft dadurch unterschieden, dass die Vermeidung einer Realrepugnanz im ersten Fall auf alle wollenden Wesen ausgedehnt ist, im zweiten Fall nur das eigene Wollen betreffe. Zum Begriff der Realrepugnanz vgl. Seel: 1989, 164 und NG, AA 02: 172.
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vernünftigen Natur bzw. praktischen Vernunft als Zweck an sich selbst bedeutet, dass sie bzw. ihre eigne Vorstellung ihre jeweiligen singulären Vollzüge motiviert. Anzeiger dieser tatsächlichen, immer schon und immer währenden Präsenz reiner praktisch-vernünftiger Motivation ist die Achtung vor dem praktischen Gesetz. Es soll hier keine eingehende Untersuchung von Kants Theorie moralischer Motivation geliefert werden, wie er sie insbesondere im dritten Hauptstück des ersten Buches der Kritik der praktischen Vernunft formuliert. Für unsere Belange reicht Kants Beschreibung der Achtung als „unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben“¹²³. Achtung verspürt auch „der ärgste Bösewicht“¹²⁴, sie ist also auch in nicht- oder unmoralischem Handeln präsent. Als in diesem Sinne immer schon statthabende Präsenz der Sittlichkeit als handlungsmotivierender Instanz (Achtung ist „die Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet“ ¹²⁵) ist sie zugleich Anzeiger eines in der Konstitution der praktischen Vernunft sinnlich-vernünftiger Wesen angelegten moralischen Wollens. Dieses ursprüngliche Wollen, als welches die vernünftige Natur ursprünglich existiert, verwirklicht sich im tatsächlichen sittlichen Handeln. Pointiert formuliert: Praktische Vernunft will genuin nichts anderes als praktische Vernünftigkeit, also die allseitige Kohärenz oder Systematizität allen Handelns, die sich im moralischen Handeln verwirklicht. Streng genommen ist Moralität dieses Für-SichSein praktischer Vernunft für die praktische Vernunft, wenn man so will, ein FürSich-Sein zweiter Stufe. Weil die praktische Vernunft sinnlich-vernünftiger Wesen zwar a priori oder genuin als Zweck an sich selbst existiert bzw. sich vollzieht, diese zugleich aber auch in den Dienst der Neigungsbefriedigung gestellt werden kann, tritt dieses ursprüngliche Wollen – analog zu empirischem Wollen – in Form einer Nötigung ins Bewusstsein. Da weiter „Menschheit“ nichts anderes als die vernünftige Natur sinnlich-vernünftiger Wesen ist, ist der Ausdruck des konstitutiven Wollens praktischer Vernunft exakt der kategorische Imperativ in der Zweck-an-sich-selbst-Formel: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden andern, jederzeit als Zweck […] brauchst“¹²⁶.
GMS, AA : . Anm. GMS, AA : .. KpV, AA : . f. Vgl. auch KpV, AA :. – : „Und so ist die Achtung fürs Gesetz nicht Triebfeder zur Sittlichkeit, sondern sie ist die Sittlichkeit selbst, subjectiv als Triebfeder betrachtet, indem die reine praktische Vernunft dadurch, daß sie der Selbstliebe, im Gegensatze mit ihr alle Ansprüche abschlägt, dem Gesetze, das jetzt allein Einfluss hat, Ansehen verschafft.“ GMS, AA : . – .
3 Zusammenfassung
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3 Zusammenfassung Thema des ersten Abschnitts dieses Kapitels war der Zusammenhang zwischen den verschiedenen, den Zweck an sich selbst anzeigenden Begriffen, insbesondere die „Natur“¹²⁷ vernünftiger Wesen, die „vernünftige Natur“, die „Menschheit“¹²⁸ und das „Subject aller (möglichen) Zwecke“¹²⁹. Nachdem die Begriffe der „vernünftigen Natur“ und der „Menschheit“ als Zweck an sich selbst gehaltlich als praktische Vernunft oder Wille (eines sinnlich-vernünftigen Wesens) identifiziert werden konnten, galt es, zwei Fragen mit Rekurs auf Kants Begriff der Würde zu beantworten. Weshalb kann Kant erstens den Willen (die vernünftige Natur) und das vernünftige Wesen zugleich als Zweck an sich selbst bezeichnen? Wie ist es zweitens zu verstehen, dass das „Subjekt aller (möglichen) Zwecke“¹³⁰ der Zweck an sich selbst ist? Die Antwort auf die erste Frage lautete, dass das vernünftige Wesen im sittlichen Wollen nichts anderes ist, als seine eigene realisierte Natur. Dasjenige „wozu es durch seine Natur schon bestimmt war, als Zweck an sich selbst“ zu existieren, ist im sittlichen Wollen wirklich. Zur zweiten Frage wurde folgendes Ergebnis formuliert: Erst im sittlichen Handeln und Wollen, also als realer Ursprung allen Werts für es selbst, ist das vernünftige Wesen tatsächliches Subjekt seines Handelns und nicht, wie im nicht-sittlichen Wollen, ‚Objekt‘ naturkausaler Kräfte. Die Analyse der Zweckdefinition in GMS und ihr Vergleich mit den Standarddefinitionen anderer Schriften im zweiten Teil des Kapitels erbrachte bereits textuelle Indizien gegen die Existenzthese zum Zweck an sich selbst. Auch eine direkte Analyse des Konzepts eines existierenden Zwecks führte zu keinem positiven Ergebnis. So wurde festgestellt, dass Alan Woods und Henry Allisons Beispiele für einen existierenden Zweck keine bzw. inkonsistent sind. Es wurde weiter dafür argumentiert, dass der Begriff eines existierenden Zwecks keinen verständlichen handlungslogischen Gehalt aufweist. Dann konnte der Nachweis geführt werden, dass diejenige Stelle, die zunächst als ein klarer Textbeleg für die Existenzthese gedeutet werden könnte, und in der Kant vom Zweck an sich selbst als ‚selbständigem und negativ zu denkendem‘ Zweck spricht, nicht zu einer Lesart im Sinne der ‚Existenzthese‘ zwingt. Vielmehr erbrachte die Analyse dieser Stelle, dass die von Kant formuliere Negativität und Selbständigkeit so verstanden werden müssen, dass der Zweck an
GMS, AA : ... GMS, AA : ... GMS, AA : .... GMS, AA : ....
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I Gehalt und Form des Zwecks an sich selbst
sich selbst durch und in allen konkreten Handlungen, zu denen er sich, als ihr organisierendes Prinzip verhält, verwirklicht wird. Diese Interpretation konnte im Wesentlichen durch einen Blick auf eine Stelle in der Analytik der KpV bestätigt werden: Das Sittengesetz stellt nichts anders als reine praktische Vernunft vor, welche das Vermögen der Systematisierung allen Handelns ist. Vor diesem Hintergrund konnte der Zweck an sich selbst gemäß der Standarddefinitionen aus der KU, MdS und KpV beschrieben werden: Die Vorstellung reiner praktischer Vernunft (bzw. der vernünftigen Natur, Menschheit etc.) manifestiert sich im Sittengesetz und sie motiviert zu Handlungen, die diese verwirklichen. Im Unterschied zu empirischem Zwecksetzen ist (a) der Zweck an sich selbst aber immer schon per Konstitution des Willens gegeben, wird also nicht ‚gesetzt‘ und (b) ist das moralische Wollen nicht Vehikel zur Verwirklichung eines von diesem dann in seinem Bestehen unabhängigen Sachverhalts, sondern verwirklicht sich im Handeln selbst. Und schließlich wurde das Verhältnis des Zwecks an sich selbst zum kategorischen Imperativ folgendermaßen beschrieben: Praktische Vernunft will genuin nichts anderes als praktische Vernünftigkeit, also die allseitige Kohärenz oder Systematizität allen Handelns, die sich im moralischen Handeln realisiert. Weil der Wille sinnlich-vernünftiger Wesen zwar a priori oder genuin als Zweck an sich selbst existiert d. h. nichts anderes als sich selbst (reine Vernünftigkeit) will, praktische Vernunft zugleich aber auch in den Dienst der Neigungsbefriedigung gestellt werden kann, tritt dieses ursprüngliche Wollen – analog zu empirischem Wollen – in Form einer Nötigung ins Bewusstsein. Da „Menschheit“ nichts anderes als die vernünftige Natur sinnlich-vernünftiger Wesen ist und der kategorische Imperativ bekanntlich nur für solche Wesen gilt, ist der Ausdruck der geforderten Verwirklichung der „Natur“ vernünftiger Wesen exakt der kategorische Imperativ in der Zweck-an-sich-selbst-Formel: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit als Zweck […] brauchst.“¹³¹ Im Ausgang von einer kritischen Rezeption der Rekonstruktion von Kants Gewinnung des Zwecks an sich selbst, wie sie Allison vorlegt, wurde festgestellt, dass aus der Analyse moralischen Handelns nicht zwingend die Existenz des Zwecks an sich selbst herzuleiten ist. Es bleibt bei diesem Befund. So konnte die Analyse zwar die Konsistenz des Begriffs eines Zwecks an sich selbst im Kontext von Kants Handlungs- und Moraltheorie gut begründen, seine systematische Notwendigkeit allerdings nicht. Das liegt indessen weniger an den Unzulänglichkeiten der Analyse als eher an der Konzeption von Kants Moralphilosophie. Die vorgenommene Identifikation des Zwecks an sich selbst als ursprüngliche
GMS, AA : . – .
3 Zusammenfassung
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Selbstreferentialität der praktischen Vernunft hätte nicht zweckbegrifflich gefasst werden müssen. Dieser Befund spricht für Ducans These des „ethical interlude“ und gegen Allisons Versuch, über den Nachweis, dass die Formeln des kategorischen Imperativs Momente autonomen Handelns explizieren, Ducans These widerlegen zu können. Es werden uns im Laufe des Untersuchungsgangs dieser Arbeit noch mehrere Evidenzen für die These begegnen, dass das Theorem des Zwecks an sich selbst eine letztlich systematisch obsolete begriffliche Neufassung anderer, zugrundeliegender Einsichten ist – ohne allerdings hierüber ein abschließendes Urteil fällen zu wollen.
II Der Begriff des Zwecks an sich selbst und der Zusammenhang der Formeln des kategorischen Imperativs Vorbemerkung In diesem Kapitel soll es um den Zusammenhang der Selbstzweckformel mit den anderen Formeln des kategorischen Imperativs gehen. Dies soll vornehmlich mit Blick auf Kants so zu nennende Analogiegedanken geschehen. So behauptet Kant in einer zusammenfassenden Rückschau auf die zuvor geleistete Entwicklung der verschiedenen Formeln, die Naturgesetzformel, die Formel des Zwecks an sich selbst und die Formel des Reichs der Zwecke seien Formeln „nach einer gewissen Analogie“¹³². Meistens werden insgesamt fünf Formeln angenommen: die Universalisierungsformel (UF), die Naturgesetzformel (NF), die Zweck-an-sich-selbstFormel (ZF), die Autonomieformel (AF) und die Reich-der-Zwecke-Formel (RF).¹³³ UF, NF, ZF und RF werden eindeutig in imperativischer Form formuliert. Bezüglich der Autonomieformel lässt Kant diese Eindeutigkeit jedoch vermissen. Das Autonomieprinzip findet sich in GMS nicht, zumindest nicht eindeutig, als Imperativ formuliert, auch wenn Kant einer solchen imperativischen Formulierung an mancher Stelle recht nahe kommt.¹³⁴ Die prinzipielle Möglichkeit einer solchen Autonomieformel kann aber, wie in diesem Kapitel nachgewiesen wird, nicht bezweifelt werden. Problematischer ist hingegen die Identifikation der Formeln. So wird eine in systematischer Hinsicht wichtige Formulierung des kategorischen Imperativs von
GMS, AA : . . Vgl. Paton: , S. ff, Baker: , S. f, die Paton folgt. Auch Brinkmann (, S. ) geht von fünf Formeln aus, folgt aber nicht dem Einteilungsprinzip Patons. Die Abkürzungen werden im Folgenden für die entsprechenden Formulierungen des Kategorischen Imperativs verwendet. Vgl. z. B. GMS, AA: . – : „[…] wenn es einen kategorischen Imperativ gibt, (d. i. ein Gesetz für jeden Willen eines vernünftigen Wesens), so kann er nur gebieten, alles aus der Maxime seines Willens, als eines solchen, zu tun, der zugleich sich selbst als allgemein gesetzgebend zum Gegenstand haben könnte.“ Schönecker/Wood halten die Formulierung auf GMS, , („Handle nach einer Maxime, die ihre eigene allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen zugleich in sich enthält“) und GMS, , (Handle so, als ob deine Maxime zugleich zum allgemeinen Gesetz aller vernünftigen Wesen dienen sollte“), die eindeutig imperativisch formuliert sind, für die Autonomieformel. Diese ließen sich aber auch sehr gut als Formulierungen der Universalisierungsformel verstehen. Oben liefere ich Argumente dafür, dass die Formulierung auf GMS , klar als Universalisierungsformel gelesen werden muss.
Vorbemerkung
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einigen Interpreten als Autonomieformel identifiziert, die näher besehen als eine Variante der Universalisierungsformel verstanden werden muss. Es kann auch darüber gestritten werden, ob Kant nicht noch eine sechste Formel in Ansatz bringt, die „allgemeine Formel“ des kategorischen Imperativs: „[H]andle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann“¹³⁵. Es wird zu zeigen sein, dass es sich hierbei um die Universalisierungsformel handelt. Es wurde in der Kant-Forschung viel zum Zusammenhang der Formeln des kategorischen Imperativs geschrieben,¹³⁶ doch die Prinzipien und Methoden ihrer Entwicklung blieben bisher eigentümlich dunkel. So wurde u. a. nicht deutlich dargestellt, worin die Berechtigung Kants besteht, aus der Thematisierung bestimmter Aspekte des sittlichen Wollens unvermittelt auf eine neue Formel zu schließen. Dies geschieht augenscheinlich im Theoriestück zum Zweck an sich selbst, wo Kant einiges zum Gegenstand des Begriffs des Zwecks an sich selbst ausführt, der Übergang zur entsprechenden Formel aber völlig unvermittelt geschieht. Dies geschieht auch im Zuge einer erneuten Thematisierung der Universalisierungsformel: Kant schließt dort von der Beschreibung des guten Willens, „dessen Maxime, wenn sie zum allgemeinen Gesetz gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann“, unmittelbar auf „sein oberstes Gesetz“, das in der Universalisierungsformel besteht: „[H]andle nach derjenigen Maxime, deren Allgemeinheit als Gesetze du zugleich wollen kannst“ (436 f. NICHT 436). An anderer Stelle wiederum schließt er von bestimmten Merkmalen sittlicher Maximen auf NF, ZF und RF – wiederum unmittelbar.¹³⁷ (vgl. GMS, 436) Dass bisher kein Herleitungsprinzip für die Formeln gefunden wurde, galt zumindest bis zu Allisons jüngster Arbeit zur GMS, die bereits mehrmals thematisiert wurde und die im Folgenden nochmals thematisiert werden muss. Weiter ist es m. E. in der Forschung zur Grundlegung bisher noch nicht befriedigend gelungen zu verdeutlichen, was Kant genau meint, wenn er NF, ZF und RF als „Formeln eben desselben Gesetzes“¹³⁸ (GMS, 436) bezeichnet, die dieses „nach einer gewissen Analogie“ (ebd.) vorstellen. Kant gibt zu allen drei analogen Formeln recht ausführliche Erläuterungen seines Analogiegedankens. Verdanken sich die genannten Formeln einer Analogiebildung, so ist zu vermuten, dass dies auch für die in diesen Formeln zentralen Begriffe gilt, also dem des Naturgesetzes, der Menschheit als Zweck an sich selbst und des Reiches der Zwecke. Entsprechend ist zu hoffen, dass sich durch eine genaue Analyse von Kants Analogie-
GMS, AA : f. – . Vgl. z. B. Brinkmann: , S. – , Baker: , S. – , Reich: , S. – , Giesmann: , S. – . Vgl. GMS, AA : f. – . GMS, AA : ..
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II Der Zusammenhang der Formeln
bildung mit Blick auf die genannten Begriffe ebenfalls ein vertieftes Verständnis des Zusammenhangs der Formeln gewinnen lässt.
1 Imperative als direkter Ausdruck bestimmten Wollens Der Umstand, dass Kant von der Thematisierung bestimmter konstitutiver Merkmale des autonomen Willens unvermittelt auf eine Formel des kategorischen Imperativs schließt, legt eine Interpretation nahe, wie sie Henry Allison favorisiert, diejenige nämlich, dass die verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs auf bestimmte konstitutive Aspekte des sittlichen bzw. autonomen Willens fokussieren.¹³⁹ Diese Interpretation hat indessen zur Voraussetzung, dass Imperative den Willen bzw. ein bestimmtes Wollen ausdrücken können. Denn betrachtet man Kants Herleitung des Begriffs eines Imperativs überhaupt aus seiner Konzeption des Willens, scheinen Imperative Handlungen vorzustellen, die aus einem bestimmten Wollen folgen, dieses Wollen aber nicht selbst darstellen. Schaut man sich Kants Definition eines Willens aber genauer an, spricht einiges dafür, dass Imperative eher Ausdruck eines bestimmten Wollens denn Ausdruck objektiv notwendiger Handlungen sind. Der Passus, in dem Kant seine Herleitung des Begriffs eines Imperativs leistet, beginnt mit der wohl berühmtesten kantischen Willensdefinition: Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln, oder einen Willen.¹⁴⁰
So besteht eine der vornehmlichen Aufgaben, denen sich Allison seiner Arbeit Kant’s Groundwork fort he Metaphysics of Morals. A Commentary () stellt, in einer Widerlegung von Ducans berühmter, aber in der Forschung weitgehend abgelehnter These, es handle sich bei weiten Teile von GMSII um ein „ethical interlude“, in welchem Kant die Nähe zwischen seinem Konzept des kategorischen Imperativs und den grundlegenden Prinzipien in Ciceros De officiis zeigen wollte. (Vgl. Ducan: , S. – .) Trotz der weitgehenden Bekanntheit und allgemeinen Ablehnung dieser These sieht Allison noch keine echte Widerlegung Ducans in der bisherigen Forschung entwickelt. Seinen Widerlegungsansatz skizziert Allison in der Einleitung wie folgt: Zunächst rekonstruiert er Kants Argument dafür, dass das Konzept eines Imperativs überhaupt und ein möglicher kategorischer Imperativ im Begriff eines vernünftigen und wollenden Wesenn überhaupt fundiert werden müsse. Dann sei zu zeigen, dass Kant in den drei (!) Formeln des kategorischen Imperativs der GMS (UF bzw. NF, ZF und AF) sukzessive Stadien der Explikation des Begriffs eines kategorischen Imperative und hierin zugleich des Konzepts eines autonom handelnden Wesens formuliert. Die Formeln fokussieren somit auf bestimmte Aspekte autonomen Wollens, und ergeben insgesamt den Begriff der Autonomie. Vgl. Allison: : S. f. GMS, AA : . – .
1 Imperative als direkter Ausdruck bestimmten Wollens
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Die Gesetze, nach denen „ein Ding der Natur“ wirkt, sind klarerweise Naturgesetze bzw. das Gesetz der Naturkausalität. Ein vernünftiges Wesen kann verschiedene Gesetze vorstellen, z. B. Gesetze der Logik, dasjenige der Naturkausalität, Kategorien des Verstandes, transzendentale Grundsätze, subalterne Naturgesetze und das Sittengesetz. Ich schlage vor, sich hier auf das Natur- und das Sittengesetz zu konzentrieren. Damit wirkt ein ‚Naturding‘ nach Naturgesetzen, wohingegen ein vernünftiges Wesen nach der Vorstellung entweder des Naturgesetzes oder des Sittengesetzes oder beidem handelt. Prinzipen sind im Zitat offenbar diese vorgestellten Gesetze, insofern nach ihnen gehandelt wird bzw. gehandelt werden kann. Ein Gesetz wird also zum Prinzip, wenn es von einem vernünftigen Wesen vorgestellt und handlungswirksam bzw. -leitend ist. ¹⁴¹ Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes, als praktische Vernunft.¹⁴² Wenn die Vernunft den Willen unausbleiblich bestimmt, so sind die Handlungen eines solchen Wesens, die als objectiv nothwendig erkannt werden, auch subjectiv nothwendig, d. i. der Wille ist ein Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft unabhängig von der Neigung als praktisch nothwendig, d. i. gut, erkennt.¹⁴³
Die beiden zuletzt genannten Willensdefinitionen müssen im Zusammenhang gelesen werden. Zunächst ist festzuhalten, dass, wenn der Wille als Vermögen der Ableitung der Handlung, also nicht bloß ihrer Antizipation, definiert wird, er zwangsläufig ein rein vernünftiges Vermögen sein muss. Dies ist deswegen entscheidend, weil man die zweite Definition als eine ausschließlich für heilige Wesen gültige ansehen könnte, von der im weiteren Verlauf des Argumentationsgangs der menschliche Wille gerade abgegrenzt werden soll. Denn in der zweiten Definition ist ja von einem Willen die Rede, den Vernunft „unausbleiblich bestimmt“ und bei dem die vernünftigerweise gebotene, also die „als objektiv notwendig“ erkannte Handlung zugleich „subjectiv nothwendig“ ist, folglich den Willen determiniert. Kants im direkten Anschluss an die oben zitierte Stelle formulierte Bestimmung des menschlichen Willens als eines solchen, den „die Vernunft für sich allein […] nicht hinlänglich“ bestimmt¹⁴⁴, scheint zu bestätigen, dass es sich im obigen Zitat ausschließlich um einen heiligen Willen handelt. Jedoch muss davon ausgegangen werden, dass die Definition des Willen als Vermögen der Handlungsableitung aus Gesetzen der Vernunft eine allgemeine
Vgl. Anhang I. GMS, AA :. – . GMS, AA :. – . GMS, AA :..
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II Der Zusammenhang der Formeln
Definition darstellt und folglich auch eine des sinnlich-vernünftigen Willens. Nun muss aber eine aus Vernunftgesetzen abgeleitete Handlung klarerweise eine „als objectiv nothwendig“ erkannte sein. Das hat Konsequenzen für das Verständnis des Kantischen Willensbegriffs. Denn der Wille muss als ein Moment des menschlichen Begehrungsvermögens verstanden werden – und zwar als das rein oder bloß vernünftige Moment, das zwar in den Dienst sinnlicher Antriebe gestellt werden kann¹⁴⁵ und auch mit diesen in verschiedenen Hinsichten konkurriert, selbst aber nie sinnlich bestimmt ist.¹⁴⁶ So können die Bedingungen, unter denen eine „als objectiv nothwendig erkannte“ Handlung abgeleitet wird, nicht rein vernünftig, aber auch der Wille, oder besser das Begehrungsvermögen so konstituiert sein, dass die kognitive Handlungsableitung keinen direkten Eingang in ihren realen Vollzug findet. Dann aber ist auch der menschliche Wille ein „Vermögen, nur dasjenige zu wählen, was Vernunft unabhängig von Neigung als praktisch notwendig, d. i. gut erkennt“. Im folgenden Passus leitet Kant zum Begriff des Imperativs über: Bestimmt aber die Vernunft für sich allein den Willen nicht hinlänglich, ist dieser noch subjectiven Bedingungen (gewissen Triebfedern) unterworfen, die nicht immer mit den objectiven übereinstimmen; mit einem Worte, ist der Wille nicht an sich völlig der Vernunft
Vgl. GMS, AA .. – .: „Der letztere [kategorische Imperativ] muß […] von allen Gegenständen sofern abstrahiren, daß dieser gar keinen Einfluß auf den Willen habe, damit praktische Vernunft (Wille) nicht fremdes Interesse bloß administrire […]“ Es wäre zu untersuchen, wie diese Interpretation des Willensbegriffs in der GMS sich zu den Definitionen der freien Willkür im Kontext der Auflösung der dritten Antinomie in der KrV (vgl. KrV, A f./B f, A/B.) und zur Definition des Willens in der Einleitung zur MS (vgl. MS, AA : f.gl. MS, AA : f.) verhält. Im dritten Kapitel wird sich zeigen, dass viele textuelle Evidenzen dafür sprechen, dass der Wille der GMS mit der freien Willkür im Kontext der Auflösung der dritten Antinomie in der Sache dasselbe meint. Das bedeutet aber auch, dass dem Willen überhaupt in der GMS transzendentale Freiheit zugesprochen werden muss. Klaus Steigleder unterscheidet zwei Arten freier Willkür: „Freie Willkür kann nach Kant zweierlei bedeuten, nämlich (.) ein durch praktische (möglicherweise aber auch durch reine praktische) Vernunft bestimmtes bzw. bestimmbares Begehrungsvermögen, (.) das Begehrungsvermögen eines Wesens, das reine praktische Vernunft besitzt und seine Willkür entsprechend bestimmen kann. […]“ Im ersten Fall ist die „Freiheit“ der „freien Willkür“ eine (möglicherweise bloß) relative. Zum Begriff der freien Willkür in der KrV schreibe Steigleder weiter, dass es kaum zu übersehen sei, „dass Kant den Begriff der „freien Willkür“ in der […] Bedeutung (.) entwickelt.“ (Steigleder: , S. f.) Nun zitiert Steigleder, um seine Interpretation zu belegen, die Thematisierung der freien Willkür nicht aus der Dialektik, sondern aus dem Kanon-Kapitel. Es ist allerdings umstritten, ob es sich in beiden Abschnitten um denselben Begriff der freien Willkür bzw. praktischen Freiheit handelt. (Vgl. Schönecker: , – und – ) Es ist zumindest nicht zu leugnen, dass Kant in der Dialektik der freien Willkür eindeutig praktisch-transzendentale Freiheit zuspricht. (Vgl. A f./B f.)
1 Imperative als direkter Ausdruck bestimmten Wollens
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gemäß (wie es bei Menschen wirklich ist): so sind die Handlungen, die objectiv als nothwendig erkannt werden, subjectiv zufällig, und die Bestimmung eines solchen Willens objectiven Gesetzen gemäß ist Nöthigung; d. i. das Verhältniß der objectiven Gesetze zu einem nicht durchaus guten Willen wird vorgestellt als die Bestimmung des Willens eines vernünftigen Wesens zwar durch Gründe der Vernunft, denen aber dieser Wille seiner Natur nach nicht nothwendig folgsam ist. Die Vorstellung eines objectiven Princips, sofern es für einen Willen nöthigend ist, heißt ein Gebot (der Vernunft) und die Formel des Gebots heißt Imperativ.¹⁴⁷
Die aus Gesetzen abgeleiteten Handlungsantizipationen finden bei sinnlich-vernünftigen Wesen also in Form einer „Nötigung“ Eingang in die Handlung. Der Inhalt der Nötigung ist die rational notwendig zu vollziehende Handlung und damit ein spezifischer gesetzlicher Zusammenhang. Weil der Wille definiert wird als Vermögen der Handlungsableitung aus Vernunftgesetzen und Imperative diese abgeleitete Handlung vorstellen, sind sie direkter – nötigender – Ausdruck des Willens sinnlich-vernünftiger Wesen selbst. Der Wille, die Handlungsableitung aus Vernunftgesetzen, kann unter Bedingungen stehen und findet damit in einem hypothetischen Imperativ Ausdruck. Der kategorische Imperativ hingegen ist der nötigende Ausdruck des reinen oder bloßen Willens als reiner Handlungsableitung aus Gesetzen der Vernunft, d. h. nicht bloß der Wille als Moment im menschlichen Begehrungsvermögen ist rein vernünftig, seine Vollzugsbedingungen sind es auch. Mit diesem Befund lässtsich erklären, weshalb Kant an der Stelle, an der er die Zweck-an-sich-selbst-Formel des kategorischen Imperativs einführt, für die Gewinnung der Formel selbst gar nicht argumentiert. Zwar findet sich an entsprechender Stelle¹⁴⁸ einiges zum Gegenstand des Begriffs des Zwecks an sich selbst, doch der Übergang von diesen Überlegungen zur spezifischen Formel geschieht völlig unvermittelt. Der diesem Übergang zugrundeliegende Gedanke kann nun folgendermaßen rekonstruiert werden: Das dem kategorischen Imperativ zugrunde liegende reine Wollen hat in der Sicht Kants qua Wollen einen Zweck, der den Geltungsgrund des kategorischen Imperativs darstellt, nämlich die „vernünftige Natur“ bzw. die „Menschheit“ usw. Der kategorische Imperativ als direkter Ausdruck dieses Willens wird nun mit dem Fokus auf diesen Zweck reformuliert: „Handle so, dass du die Menschheit […] jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“¹⁴⁹ Kant ist deshalb zu diesem Schluss vom sittlichen Wollen auf den kategorischen Imperativ legitimiert, weil, unserer Re-
GMS, AA : f. – . GMS, AA: – . .–. GMS, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
konstruktion nach, ein Imperativ direkter Ausdruck des entsprechenden bestimmten Wollens ist. Mit dieser Interpretation des Begriffs eines Imperativs überhaupt wurde die Voraussetzung für Allisons Sicht auf die Genese und systematische Relevanz der Formeln des kategorischen Imperativs geschaffen. Wir erinnern uns: Allison will Duncans „interlude“-These durch den Nachweis widerlegen, dass die drei Formeln sukzessive Explikationen der konstitutiven Momente des autonomen Willens darstellen.¹⁵⁰ Leider kann dieses Prinzip somit zwar die grundsätzliche Legitimität einer Genese verschiedener Formeln des kategorischen Imperativs begründen. Jedoch wird sich zeigen, dass Kant in seiner Herleitung der Formeln eine verwirrende Vielfalt an Herleitungsverfahren anwendet.
2 Die Formeln des kategorischen Imperativs als analoge Formeln 2.1 Das „Prinzip der Sittlichkeit“ und sein „Gesetz“ Kants Analogieüberlegungen zu den Formeln des kategorischen Imperativs beginnen mit der Feststellung: Die angeführten drei Arten, das Princip der Sittlichkeit vorzustellen, sind aber im Grunde so viele Formeln eben desselben Gesetzes, deren die eine die anderen zwei von selbst in sich vereinigt. Indessen ist doch eine Verschiedenheit in ihnen, die […] eher subjectiv als objectiv=praktisch ist, nämlich um eine Idee der Vernunft der Anschauung (nach einer gewissen Analogie) […] näher zu bringen.¹⁵¹
Kant gibt im direkten Anschluss an diese Stelle an, welche Formeln er meint. Es sind: die Naturgesetzformel (NF), die Formel des Zwecks an sich selbst (ZF) und die Formel des Reichs der Zwecke (RF): Alle Maximen haben nämlich 1) eine Form, welche in der Allgemeinheit besteht, und da ist die Formel des sittlichen Imperativs so ausgedrückt: dass die Maximen so müssen gewählt werden, als ob sie wie allgemeine Naturgesetze gelten sollten;
Es wäre zu untersuchen,was diese Interpretation des Zusammenhangs von endlichem Willen und Imperativen überhaupt für das Verständnis von Kants These der Analytizität hypothetischer Imperative (vgl. GMS, AA: f.) beitragen kann. Bekanntlich halten die meisten Interpreten diese Analytizitätsthese hypothetischer Imperative für falsch.Vgl. Allison: : S. f, Cramer: ; Hill, , Ludwig: , Patzig: , – , Schönecker: , , Seel: . GMS, AA : . – .
2 Die Formeln des kategorischen Imperativs als analoge Formeln
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2) eine Materie, nämlich einen Zweck, und da sagt die Formel: dass das vernünftige Wesen, als Zweck seiner Natur nach, mithin als Zweck an sich selbst, jeder Maxime zur einschränkenden Bedingung aller bloß relativen und willkürlichen Zwecke dienen müsse; 3) eine vollständige Bestimmung aller Maximen durch jene Formel, nämlich: dass alle Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reiche der Zwecke, als einem Reiche der Natur, zusammenstimmen sollen.¹⁵²
Es werden also weder die Universalisierungsformel (UF), noch die zwar von Kant nirgendwo in der Schrift explizit imperativisch formulierte, aber von vielen KantInterpreten in Ansatz gebrachte Autonomieformel (AF) hier genannt.¹⁵³ Mit dem durch die analogen Formeln vorgestellten „Prinzip der Sittlichkeit“ meint Kant weiter offenbar die Universalisierbarkeit der Maxime als Eigenschaft des guten Willens: Der Wille ist schlechterdings gut, […] dessen Maxime,wenn sie zu einem allgemeinen Gesetze gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann. Dieses Princip ist also auch sein oberstes Gesetz: handle jederzeit nach derjenigen Maxime, deren Allgemeinheit als Gesetz du zugleich wollen kannst […]¹⁵⁴
Damit ließe sich aber auch das „oberste Gesetz“ des guten Willens mit dem „Gesetz“ identifizieren, das die analogen Formeln formulieren, da es ja zugleich das „Prinzip des guten Willens“ und damit der „Sittlichkeit“ ist. Es stellt sich sofort die Frage, ob es sich bei diesem Gesetz um UF oder AF handelt. Vergleichen wir deshalb diese Formulierung mit der ersten Formulierung der Universalisierungsformel in GMSII: [H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde. ¹⁵⁵ [H]andle jederzeit nach derjenigen Maxime, deren Allgemeinheit als Gesetzes [sic!] du zugleich wollen kannst […].¹⁵⁶
Aus dem ‚allgemeinen Gesetz‘ wird die „Allgemeinheit als Gesetz“, aus „handle nur“ wird „handle jederzeit“. In der ersten Formulierung findet es die reflexive Wendung der „Maxime, durch die du zugleich wollen kannst“, während Kant in der
GMS, AA :. – . Vgl. z. B. Brinkmann: , S. – , Allison: , S. – , Schönecker: Wood: , S. – , Paton: , S. – , Steigleder: , S. f, Schönecker: , S. f. GMS, AA : . – , Hvh.v.Vf. GMS, AA : . f. GMS, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
zweiten vom Wollen der Allgemeinheit der Maxime spricht. Ich interpretiere die reflexive Wendung so, dass es Aspekt der Maxime selbst ist, dass man sie zugleich als allgemeines Gesetz wollen kann: man soll durch die Maxime wollen, also als Moment ihrer selbst, dass sie allgemeines Gesetz werden könne. Allerdings findet sich dieser Sinn auch in der zweiten Formulierung: Es ist die Allgemeinheit der Maxime, die man wollen können soll, und da der Wille seinen Ausdruck eben in der Maxime hat, ist dieses Wollen-Können auch hier als Moment der Maxime selbst gedacht. Es bleibt also noch zu untersuchen, ob der Unterschied zwischen „Allgemeinheit als Gesetz“ und „allgemeines Gesetz“ ein sachlich relevanter ist. Dieser Unterschied in den Formulierungen könnte zumindest als ein Unterschied der Betonung und somit des Fokus der Betrachtung interpretiert werden, womit in der ersten Formulierung die Allgemeinheit, wohingegen in der zweiten das Gesetz betont würde. Man sieht aber nicht, was dieser Unterschied austrägt. Beide Male muss man wollen können, dass der Maxime gesetzliche Allgemeinheit zukommen könne. Damit drücken beide Formulierungen dieselbe Formeln aus, nämlich die Universalisierungsformel. Diese ist das „oberste Gesetz“ des guten Willens bzw. des ‚Prinzips der Sittlichkeit‘. Damit sind die Naturgesetzformel, die Selbstzweckund die Reich-der-Zwecke-Formel also analog zur Universalisierungsformel. In dem Passus, in welchem Kant NF, ZF und RF als die analogen Formeln beschreibt, behauptet er weiter: Man thut […] besser, wenn man in der sittlichen Beurtheilung immer nach der strengen Methode verfährt und die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs zum Grunde legt: handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetze machen kann. ¹⁵⁷
Es muss also noch untersucht werden, ob NF, ZF und RF nicht zu dieser analog sind und diese nicht vielleicht eine weitere, eigenständige Formel des kategorischen Imperativs darstellt. Es ist umstritten, mit welcher Formel diese Formulierung zu identifizieren ist, ob mit UF oder mit AF, oder ob es sich gar um eine neue Formel handelt. Allan Wood und Dieter Schönecker favorisieren eine Lesart im Sinne der Autonomieformel.¹⁵⁸ Es soll nun kurz untersucht werden, ob diese Lesart der „allgemeinen Formel“ zutrifft. Wie gesagt, findet sich in GMS keine unzweifelhaft als solche identifizierbare imperativische Formulierung des Autonomieprinzips. Die Autonomieformel könnte aber in etwa so formuliert werden:
GMS, AA : f. – . Schönecker/Wood: , S. Anm.
2 Die Formeln des kategorischen Imperativs als analoge Formeln
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‚Handle so, dass der Wille durch deine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.‘¹⁵⁹
Folgen wir der Lesart von Schönecker/Wood, dann fordert AF im Unterschied zu UF dazu auf, den eigenen Willen als einen Willen vorzustellen, der tatsächlich (positiv) allgemein gesetzgebend ist. Solch ein Wille kann aber nicht nur vorschreiben, wie man nicht handeln darf, er muss auch vorschreiben, wie man handeln soll.¹⁶⁰
Während also nach UF Maximen erlaubt sind, die man als Gesetze denken und wollen kann, fordert AF nach dieser Interpretation, dass sie auch tatsächlich Gesetze, also kategorische Imperative seien. Auf nach UF zulässige Maximen trifft das aber nicht immer zu. Um das von den Autoren gebrachte Beispiel anzuführen, ist die Maxime nach UF zweifelsohne zulässig, sich, wenn man in Not geraten ist, Geld zu borgen, mit dem Versprechen, es zurückzuerstatten. Die Maxime ist aber evidenterweise kein Gesetz: Nicht jeder, der in Geldnot geraten ist, ist auch verpflichtet, sich Geld zu borgen (mit dem Versprechen, es zurückzuerstatten). Er kann es sich auch durch Arbeit verdienen.¹⁶¹ Nun zählen die Autoren eine bestimmte Formulierung des kategorischen Imperativs zur Autonomieformel, die Kant in den Erläuterungen des Analogiegedankens bringt:¹⁶² [H]andle nach einer Maxime, die ihre eigene allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen zugleich in sich enthält […].¹⁶³
Stellen wir dies der „allgemeinen Formel“ gegenüber: [H]andle nach der Maxime, die sich zugleich zum allgemeinen Gesetz machen kann,
fällt auf, dass die erstgenannte Formel einer möglichen Autonomieformel in der Interpretation von Wood und Schönecker eher entspricht. Während letztere eine hypothetische Lesart zulässt – die Maxime soll sich zugleich zum Gesetz machen können – verlangt die erste scheinbar, die Maxime solle tatsächlich Gesetz sein, sie solle „ihre Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen […] in sich enthalten“, nicht bloß
Vgl. GMS, AA: . – . Schönecker/Wood: , S. . Vgl. Schönecker/Wood: , S. f. Vgl. Schönecker/Wood: , S. . GMS, AA : f. – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
enthalten können. Allerdings kann diese ‚starke‘ Formulierung unmöglich im Sinne der von den Interpreten favorisierten Lesart als AF verstanden werden. Das wird deutlich, wenn man den gesamten Satz zitiert, in dem die Formel steht: Das Princip: handle in Beziehung auf ein jedes vernünftige Wesen […] so, daß es in deiner Maxime zugleich als Zweck an sich selbst gelte, ist […] mit dem Grundsatze: handle nach einer Maxime, die ihre eigene allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen zugleich in sich enthält […] einerlei. ¹⁶⁴
Kant behauptet hier also ganz deutlich eine Äquivalenz von ZF und der in Frage stehenden ‚starken‘ Formulierung. Die Zweck-an-sich-selbst-Formel fordert aber eindeutig nicht, die Maxime solle zugleich tatsächliches Gesetz sein.Wie UF, lässt ZF auch Maximen zu, die man als moralisch neutral bezeichnen könnte, also solche, wie: „wenn ich in Not bin, will ich mir Geld borgen, mit dem Versprechen, es zu erstatten“. Falls also AF tatsächlich positiv die Gesetzlichkeit der Maximen fordert, also nur solche zulässt, die zugleich singuläre kategorische Imperative sind, dann kann die Formel: „handle nach einer Maxime, die ihre eigene allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen in sich enthält“, nicht AF sein.Wenn aber diese ‚starke‘ Formulierung nicht AF sein kann, dann umso weniger die vergleichsweise ‚schwache‘: „Handle nach der Maxime, die sich selbst zum allgemeinen Gesetz machen kann“, also die „allgemeine Formel“ (Hvh.v.Vf). Ganz gleich also, ob Kant mit „jener Formel“ in der Nennung von RF sich auf die „allgemeine Formel“ oder das „oberste Gesetz“ des guten Willens bezieht: er meint sehr wahrscheinlich UF. Damit scheint RF eine analoge Formel zu UF zu sein. Zusammenfassend kann das Folgende festgehalten werden: Mit dem „Gesetz“¹⁶⁵, zu dem NF, ZF und RF analoge Formeln sein sollen (sie sind „nur so viele Formeln eben desselben Gesetzes“¹⁶⁶, meint Kant offenbar die Universalisierungsformel. Weiter sind UF und die „allgemeine Formel“¹⁶⁷ („handle nach der Maxime, die sich selbst zugleich zum allgemeinen Gesetz machen kann“, identisch. Nimmt man noch Kants unmittelbaren Schluss von der Beschreibung des guten Willens bzw. von seinem „Princip“ auf sein „oberstes Gesetz“, das UF ist, in den Blick, dann wird man UF als unmittelbaren bzw. ursprünglichen imperativischen Ausdruck des guten Willens und somit als die Hauptformel des kategorischen Imperativs ansehen zu müssen. Dieser Befund wird natürlich auch durch den Umstand bestätigt, dass UF direkt aus dem Begriff eines kategorischen Im-
GMS, AA : f. – . GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : . f.
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perativs überhaupt in GMSII bzw. aus demjenigen des guten Willens in GMSI gewonnen wird.
2.2 Das Verhältnis von Autonomie und Universalisierungsformel: Es soll allerdings nicht verschwiegen werden, dass Kant in der zweiten Sektion von GMSII, wie ihr Titel schon sagt, „Autonomie des Willens als oberstes Princip der Sittlichkeit“¹⁶⁸ bzw. (im Text) als ihr „alleiniges Princip“¹⁶⁹ in Ansatz bringt. Von hier aus gesehen müsste nicht die Universalisierungsformel, sondern die Autonomieformel prima facie die unmittelbare imperativische Formulierung, das „oberste Gesetz“ des guten und damit autonomen Willens sein und somit die unmittelbarste Formulierung des „Princip[s] der Sittlichkeit“. Dem ist jedoch nicht so. Vielmehr haben wir es m. E. mit einem besonderen Verhältnis von Autonomie und Universalisierungsformel zu tun. Wenn es zutrifft, dass die „allgemeine Formel“¹⁷⁰ UF sein muss, weil Formulierungen, die man eher als AF lesen müsste, definitiv nicht AF (in der Interpretation von Schönecker/Wood) sein können, dann ist zu fragen, ob die Autonomieformel überhaupt als ein gesondertes handlungsleitendes bzw. Maximen überprüfendes Prinzip zu verstehen ist. Dort, wo Interpreten die Autonomieformel als Überprüfungsinstrument für Maximen formuliert sehen, würde es sich dann um die Universalisierungsformel (UF) handeln. Das Argument hierfür liefert eine weitere textuelle Evidenz. Es wurde dafür argumentiert, dass die Formel: Handle nach einer Maxime, die ihre allgemeine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen zugleich in sich enthält […]
nicht AF in der vorgestellten Lesart sein kann, sondern UF ist. Nun nennt Kant das „Prinzip der Autonomie“ in einer einem Imperativ sehr nahe kommenden Formulierung: Das Princip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen, als so, daß die Maximen […] zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien.¹⁷¹
Es ist allerdings nicht zu erkennen, inwiefern diese Formulierung nicht äquivalent mit der erstgenannten sein sollte. Ist also die erste Formel nicht AF, dann kann es
GMS, AA :. f. GMS, AA :. f. GMS, AA: . f. GMS, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
diese auch nicht sein – obwohl Kant doch hier das „Prinzip der Autonomie“ formuliert. Wenn Kant also das Autonomieprinzip imperativisch oder quasi-imperativisch formuliert, tut er dies offenbar in UF. Das hat m. E. unter anderem den Grund darin, dass Kant sich mit der im Autonomieprinzip gedachten Gesetzgebung des Willens gar nicht auf die von Schönecker/Wood angenommene positive Gesetzlichkeit singulärer Maximen bezieht, sondern vielmehr auf den Umstand, dass „praktische Gesetzgebung“¹⁷² überhaupt ihren Ursprung im Willen vernünftiger Wesen hat. Der bloße Umstand aber, dass der Wille als gesetzgebend gedacht wird, liefert zunächst noch kein Überprüfungskriterium für Maximen. Falls nun NF, ZF und RF letztlich UF voraussetzen, wie Kants Rede von den analogen Formeln nahe legt, dann wäre UF der ursprüngliche kategorische Imperativ als Überprüfungsinstanz für Maximen, was sehr gut zum Ergebnis der obigen Untersuchung zur Analogie-Passage passt. Nicht umsonst schließt Kant, wie erwähnt, von der bloßen hypothetischen Annahme kategorisch gebietender Imperative „sofort“, also unmittelbar, auf das, „was er enthalte“, d. h. was ein allgemeiner kategorischer Imperativ fordern muss. Obgleich Kant an keiner Stelle der Grundlegung eindeutig eine Autonomieformel formuliert, also eine solche eindeutig imperativisch formulierte Version des kategorischen Imperativs, kann jedoch kaum ein Zweifel daran bestehen, dass er ein solche in GMS zumindest intendierte. So formuliert Kant in GMS, 431 das Autonomieprinzip als „Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens“ und beschreibt dieses sogleich als Kriterium der Maximenüberprüfung: Alle Maximen werden nach diesem Princip verworfen, die mit der eigenen allgemeinen Gesetzgebung des Willens nicht zusammen bestehen können. Der Wille wird also nicht lediglich dem Gesetze unterworfen, sondern so unterworfen, daß er auch als selbstgesetzgebend und eben um deswillen allererst dem Gesetze […] unterworfen angesehen werden muß.¹⁷³
Besteht aber kein Zweifel daran, dass Kant eine Autonomieformel intendiert, ergibt sich vor dem Hintergrund der geleisteten Interpretation die paradox anmutende Situation, dass er zwar eine Autonomieformel prinzipiell in Ansatz bringt, ihr aber keine handlungsleitenden Funktion zuspricht. Diese Paradoxie lässt sich m. E. lösen, wenn man von zwei Funktionen ausgeht, die den Formeln des kategorischen Imperativs zukommen. Die eine besteht darin, ein Kriterium für die Überprüfung von Maximen an die Hand zu geben, die andere in der Explikation der konstitutiven Momente des sittlich-autonomen Willens. Diese beiden Funk-
GMS, AA : .. GMS, AA : . – .
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tionen kommen den Formeln nun nicht gleichermaßen zu. Der Autonomieformel kommt, ist die vorgeschlagene Interpretation zutreffend, die Aufgabe zu, den autonomen Willen, nun vollständig, zu explizieren. Die Formel des Reichs der Zwecke würde dann das Autonomieprinzip analog ausdrücken, da sie die analogen Formeln (NF, ZF) „von selbst in sich vereinigt“. Das würde auch erklären, weshalb NF, ZF und RF die analogen Formeln sind. UF folgt unmittelbar aus dem Begriff eines kategorischen Imperativs überhaupt, expliziert den autonom-sittlichen Willen aber nur unvollständig. AF expliziert diesen Willens vollständig, ist aber kein handlungsleitendes Überprüfungskriterium für Maximen. In diesen Befund fügen sich Kants quasi-imperativische Formulierungen des Autonomieprinzips gut ein. Es sollen drei Beispiele kurz diskutiert werden. Kant spricht vom […] Princip eines jeden […] Willens, als eines durch alle seine Maximen allgemein gesetzgebenden Willens […].¹⁷⁴ (Hv. v. V.)
Dass der Wille durch seine Maximen gesetzgebend ist, ist sehr wohl kompatibel mit der Annahme, dass ihr Überprüfungskriterium UF ist. Denn er ist dann, wenn er die Universalisierbarkeit seiner Maximen immer auch zum Motiv seines Handelns macht, moralisch, also gesetzgebend. So verhält es sich auch beim folgenden Passus: […] [W]enn es einen kategorischen Imperativ giebt (d.i. ein Gesetz für jeden Willen […]), so kann er nur gebieten, alles aus Maximen seines Willens als eines solchen zu tun, der zugleich sich selbst als allgemein gesetzgebend zum Gegenstande haben könnte […].¹⁷⁵
Auch hier handelt es sich um die Gesetzgebung des Willens. Der Wille hat sich in seinen Maximen als ein gesetzgebender „zum Gegenstand“. Das ist prinzipiell immer dort der Fall, wo die Maximen durch eine der Formeln des kategorischen Imperativs überprüft werden und auch um willen der Sittlichkeit in Kraft sind.Von einer positiven und realen Gesetzlichkeit der singulären Maxime ist hier nicht die Rede. Das letzte Beispiel ist in dieser Hinsicht das deutlichste: [Die] Gesetzgebung muss aber in jedem vernünftigen Wesen selbst angetroffen werden und aus seinem Willen entspringen können, dessen Princip also ist: keine Handlung nach einer andern Maxime zu thun, als so, daß es auch mit ihr bestehen könne, daß sie ein allgemeines
GMS, AA : . f. GMS, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
Gesetz sei, und also nur so, daß der Wille durch seine Maxime sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne. ¹⁷⁶
Das Prinzip des Willens, aus dem die Gesetzgebung entspringt, ist, jede Handlung nach einer Maxime zu formulieren, mit welcher „bestehen könne“, dass sie bzw. die ein allgemeines Gesetz sein könne. Der gesetzgebende Wille vollzieht sich also nach Maximen, die allgemeine Gesetze sein könnten. Durch solche Maximen betrachtet der Wille „sich selbst zugleich als allgemein gesetzgebend“. Kurzum: Der autonome Wille handelt nach Maximen, die er als allgemeine Gesetze wollen können muss – also nach UF. Als ein erstes Ergebnis in der Frage nach dem Zusammenhang der Formeln des kategorischen Imperativs kann also festgehalten werden, dass die analogen Formeln (NF, ZF und RF) analog zur Universalisierungsformel (UF) sind. Die Universalisierungsformel ist weiter mit der von Kant im untersuchten Passus gebrachten „allgemeinen Formel“ identisch. Die Universalisierungsformel muss damit als der unmittelbare imperativisch-handlungsselektierende Ausdruck des Autonomieprinzips angesehen werden. Weiter sieht es ganz danach aus, als kommen den verschiedenen Formeln verschiedene Funktionen im Begründungsgang von GMSII zu. Ist UF das ursprünglich handlungsleitende Prinzip sittlichen Wollens, expliziert AF die Gesamtheit der notwendigen Momente dieses Wollens.¹⁷⁷
2.3 Noch einmal zum Verhältnis der Formeln des kategorischen Imperativs Nun wird von Kant die Analogiebildung selbst offenbar nicht nach einem einheitlichen Prinzip vorgenommen. Könnte man zunächst meinen, dass die analogen Formeln, die ja, wie gesehen, analog zu UF sein sollen, aus UF abgeleitet werden, oder doch zumindest UF voraussetzen, gilt dies zumindest für ZF nicht. Diese Formel ist vielmehr als gleichursprünglich mit UF anzusehen, kann somit GMS, AA : . Hvh. V. Vf. Brinkmann nimmt eine Gleichordnung von AF und UF an (, S. ): „Die Formel des allgemeinen Gesetzes und die Autonomieformel sind einander gleichgeordnet, wenngleich letztere um einen Aspekt reicher ist.“ Die Autonomieformel als Imperativ sieht Brinkmann erst in der Formulierung der zweiten Kritik realisiert: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“ (KpV, AA: ) Ich sehe nicht, weder aus den die Formel entwickelnden Gedanken, noch aus der Formel selbst, inwiefern diese die Autonomieformel darstellen sollte. Wichtiger ist aber, dass Brinkmann, obwohl er annimmt, dass Kant die Autonomieformel in KPV bringt, nicht erklären kann, weshalb sie, nach seinen eigenen Angaben, in GMS fehlt. Vgl. , S. .
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direkt aus dem Begriff eines kategorischen Imperativs überhaupt abgeleitet werden. Das soll durch einen nochmaligen Blick auf einige Passagen expliziert werden, die Kant zwischen den Beispielen zu NF bzw. UF und der Einführungen des Begriffs des Zwecks an sich selbst formuliert: Die Frage ist also diese: ist es ein nothwendiges Gesetz für alle vernünftige Wesen, ihre Handlungen jederzeit nach solchen Maximen zu beurtheilen, von denen sie selbst wollen können, daß sie zu allgemeinen Gesetzen dienen sollen?¹⁷⁸
Hier wird zwar die Frage mit Bezug auf UF gestellt; wie der weitere Verlauf der Passage aber deutlich macht, kommt es auf UF gar nicht an. Vielmehr geht es allgemein um einen kategorischen Imperativ überhaupt als praktisches Gesetz: Wenn es ein solches [Gesetz] ist, so muß es (völlig a priori) schon mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein.¹⁷⁹
Der dieser Passage zugrundliegende Gedanke lässt sich folgendermaßen rekonstruieren: Imperative sind direkter Ausdruck des Wollens sinnlich-vernünftiger Wesen. Qua Gesetze können kategorische Imperative nicht aus kontingenten Bestimmungen oder Bedingungen des Willens ihre Geltung erhalten bzw. diesen ausdrücken. Folglich muss ein kategorischer Imperativ qua praktisches Gesetz „schon mit dem Begriff des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein“. Gleich im nächsten Absatz formuliert Kant eine erneute Definition des Willens samt einer des Zwecks. Diese Definition bereitet die Einführung des Begriffs des Zwecks an sich selbst vor. Das heißt aber, dass der Begriff des Zwecks an sich selbst nicht aus einer bestimmten Formel des kategorischen Imperativs, namentlich UF, gewonnen wird, sondern aus dem allgemeinen Begriff eines kategorischen Imperativs überhaupt. Ganz in diesem Sinne schreibt Kant auch, als er den Begriff des Zwecks an sich selbst einführt: Gesetzt […] es gäbe etwas, dessen Dasein an sich selbst einen […] absoluten Werth hat,was als Zweck an sich selbst ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm und nur in ihm allein der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs d. i. praktischen Gesetzes, liegen.¹⁸⁰
Es ließe sich auch eine zu Herleitung von UF aus dem Begriff eines kategorischen Imperativs überhaupt parallele Formulierung denken, die in etwa folgenderma-
GMS, AA : . – . GMS, AA : . – . GMS, AA : . – . Hvh. v. Vf.
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II Der Zusammenhang der Formeln
ßen lauten könnte: Da ein kategorischer Imperativ als praktisches Gesetz seine Geltung in einem Bestimmungsgrund des Willens haben muss, der für alle vernünftigen Wesen gilt und somit völlig a priori schon mit dem Begriff des Willens eines solchen Wesens überhaupt verbunden sein muss; da weiter der objektive Grund der Selbstbestimmung des Willens ein Zweck ist und ein Imperativ überhaupt Handlungen fordert, die gegebene Zwecke realisieren, da ein solcher Zweck ferner als gültig für alle vernünftigen Wesen und Grund eines praktischen Gesetzes absolut wertvoll und somit ein Zweck an sich selbst ist, lautet der kategorische Imperativ: ‚Handle so, dass du den Zweck an sich selbst jederzeit zugleich als deinen Zweck, niemals bloß als Mittel gebrauchst.‘
Nochmals also das Ergebnis: Die Formel des Zwecks an sich selbst wird nicht aus der Universalisierungsformel gewonnen, sondern bildet eine mit dieser gleichursprüngliche Formulierung des sittlichen Prinzips. Es ist somit nicht einzusehen, inwiefern der Universalisierungsformel ein systematischer Vorrang gegenüber dieser zukommen soll. Dies ist insofern verwirrend, als es mit dem Ergebnis der vorangegangenen Interpretation kollidiert, nach welcher UF die Hauptformel des kategorischen Imperativs ist. Diese Verwirrung löst sich aber, wenn man das obige Ergebnis im Blick hält, dass UF als primär handlungsleitendes Prinzip betrachtet werden muss. Deswegen kann Kant auch UF in der bereits besprochenen Passage als „allgemeine Formel“ ansprechen, die eine „Beurteilung […] nach der strengen Methode“ erlaubt. So schreibt er nach den Beispielen zu NF: Diese sind nun einige von den vielen wirklichen oder wenigstens von uns dafür gehaltenen Pflichten, deren Ableitung aus dem einigen angeführten Princip klar in die Augen fällt. Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer Handlungen ein allgemeines Gesetz werde: dies ist der Kanon der moralischen Beurtheilung überhaupt.¹⁸¹
UF wird hier also beschrieben als ‚einiges Prinzip‘ und „Kanon der moralischen Beurteilung überhaupt“. Es zeichnet sich zusammenfassend also ein komplexes und gerade nicht einheitliches Bild des Zusammenhangs der Formeln untereinander ab. UF und ZF werden direkt aus dem Begriff eines kategorischen Imperativs überhaupt hergeleitet, wobei ZF den offenbar analogen Begriff des Zwecks integriert, dessen zugrundeliegende Analogie allerdings noch erörtert werden muss. NF verdankt sich
GMS, AA : f. – .
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klar einer Analogiebildung zu UF und ist somit im eigentlichen Sinne eine analoge Formel. AF wird aus UF und ZF gewonnen, die, weil ZF und UF direkte Ableitungen aus dem Begriff des kategorischen Imperativs sind, ihrerseits keine Analoge Formel ist, wenn auch mit der Einschränkung des analogen Begriffs des Zwecks in ZF. RF bildet, wie wir sehen werden, eine Einheit aus dem Gedanken der gesetzlichen Form der Maxime, einer bestimmten Interpretation des analogen Begriffs der Natur bzw. des Naturgesetzes und dem analogen Begriff des Zwecks an sich selbst. Dieser Befund widerspricht aber nicht der behaupteten Verschiedenheit der Funktionen, die den Formeln zukommen, wobei,wie gesehen, UF das ursprünglich handlungsleitende Prinzip, eben die „strenge Methode“ der Beurteilung der Maximen darstellt. Die anderen Formeln würden dann entweder Aspekte des autonomen Wollens veranschaulichen (NF, ZF), diese insgesamt ausdrücken (AF), oder in seiner Gesamtheit nochmals veranschaulichen (RF).
2.4 Natur, Zweck an sich selbst und Reich der Zwecke als analoge Begriffe Die Position der Analogieargumente im Begründungsgang von GMSII Nachdem Kant das Prinzip seiner Herleitung der analogen Formeln skizziert hat, entfaltet er seine Argumentation für die Gewinnung der analogen Formeln detailliert. Der Begründungsgang nimmt seinen Ausgang von der Behauptung: Wir können nunmehr da endigen, von wo wir im Anfange ausgingen, nämlich dem Begriffe eines unbedingt guten Willens.¹⁸²
Es stellt sich natürlich sogleich die Frage, welchen Anfang Kant hier meint. Es bieten sich hierfür zwei Stellen an: der Anfang der gesamten Grundlegung und die Stelle in GMSII, an der der kategorische Imperativ in UF erstmals gewonnen wird. Für die erste Stelle sprechen folgende textuelle Indizien: Erstens beginnt Kant den Begründungsgang bis zum Formulieren des kategorischen Imperativs im ersten Abschnitt explizit mit der Thematisierung des guten Willens. Zweitens bindet er die Formulierung des kategorischen Imperativs auch sozusagen direkter an den Begriff des guten Willens. UF wird also nicht aus dem Begriff eines kategorischen Imperativs überhaupt, wie in GMSII, gewonnen. Die entsprechende Stelle in GMSI lautet: Was kann das aber wohl für ein Gesetz sein, dessen Vorstellung, auch ohne auf die daraus erwartete Wirkung Rücksicht zu nehmen, den Willen bestimmen muß, damit dieser
GMS, AA : . f.
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schlechterdings und ohne Einschränkung gut heißen könne? Da ich den Willen aller Antriebe beraubt habe, die ihm aus der Befolgung irgend eines Gesetzes entspringen könnten, so bleibt nichts als die allgemeine Gesetzmäßigkeit der Handlungen überhaupt übrig, welche allein dem Willen zum Princip dienen soll, d. i. ich soll niemals anderes verfahren als so, daß ich auch wollen könne, meine Maxime solle ein allgemeines Gesetz werden. ¹⁸³
Um die zweite Möglichkeit zu überprüfen, muss etwas ausgeholt werden. Kurz vor der Formulierung seiner prominenten ersten Definition des Willens in GMSII als Vermögen „nach der Vorstellung der Gesetze d. i. nach Principien zu handeln“¹⁸⁴, kündigt Kant an, „durch natürliche[n] Stufen“¹⁸⁵ einer Untersuchung des „praktischen Vernunftvermögen[s]“ bis zu der Stelle „fortzuschreiten“¹⁸⁶, an der der „Begriff der Pflicht entspringt […]“¹⁸⁷. Wo der Begriff der Pflicht entspringt, ist leicht zu zeigen.¹⁸⁸ Denn im unmittelbaren Anschluss an die Herleitung und Nennung der Universalisierungsformel des kategorischen Imperativs schreibt Kant: Wenn nun aus diesem einigen Imperativ alle Imperativen der Pflicht als aus ihrem Princip abgeleitet werden können, so werden wir, ob wir es gleich unausgemacht lassen, ob nicht überhaupt das, was man Pflicht nennt, ein leerer Begriff sei, doch wenigstens anzeigen können, was wir dadurch denken und was dieser Begriff sagen wolle.¹⁸⁹
Mit dem „einigen Imperativ“ meint Kant den kategorischen Imperativ in der Universalisierungsformel. Dieser stellt also dann den Begriff der Pflicht und ihr Prinzip dar, wenn sich aus ihm „alle Imperativen der Pflicht“, also alle singulären sittlichen Vorschriften, ableiten lassen. Da Kant meint, mit seinen zu UF bzw. NF gegebenen Beispielen tatsächlich gezeigt zu haben, dass aus UF die „Imperative der Pflicht“ abgeleitet werden können, „entspringt“ mit UF „der Begriff der Pflichtaus der Darstellung des „praktischen Vernunftvermögen[s]“. Da der Begriff der Pflicht nichts anderes ist, als der eines sinnlich-vernünftigen guten Willens, meint Kant mit dem „Anfange“¹⁹⁰ offenbar den Ort, an dem in GMS II UF formuliert wird. Zumal mit der Formulierung von UF, bzw. unmittelbar danach, auch der Argumentationsgang einsetzt, in dem die analogen Formeln sukzessive gewonnen
GMS, AA : . – . GMS, AA : . f. GMS, AA : . GMS, AA : .. GMS, AA : .. Vgl. Schönecker , S. f. GMS, AA : . – . GMS, AA : ..
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werden.Wir können also davon ausgehen, dass Kant mit dem „Anfange“ diejenige Stelle meint, an der in GMSII zum ersten Mal UF formuliert wird.¹⁹¹ Im Ergebnis spricht also einiges dafür, dass Kant in den folgenden detaillierten Analogieargumenten nochmals auf den Begründungsgang von GMSII fokussiert, der sich von der ersten Nennung der Universalisierungsformel (GMS, 421) bis einschließlich zum Theorem des Reichs der Zwecke erstreckt, nun allerdings so, dass deutlich wird, inwiefern die drei Formeln (NF, ZF und RF) zwar Formeln „eben desselben Gesetzes“¹⁹² (UF) sind, dieses aber „nach einer gewissen Analogie“¹⁹³ darstellen, worin also die jeweilige Analogie besteht und was in Analogie gebracht wird.
2.5 Von der Universalisierungsformel zur Naturgesetzformel Wir folgen Kant im Gang seiner Argumentation und werfen zunächst einen Blick auf sein Argument zur Gewinnung von NF, an dessen Anfang eine bereits thematisierte Beschreibung des guten Willens und eine erneute Formulierung von UF steht: Der Wille ist schlechterdings gut, der nicht böse sein, mithin dessen Maxime, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetze gemacht wird, sich selbst niemals widersprechen kann. Dieses Princip ist also auch sein oberstes Gesetz: handle jederzeit nach derjenigen Maxime, deren Allgemeinheit als Gesetz du zugleich wollen kannst; dieses ist die einzige Bedingung, unter der ein Wille niemals mit sich selbst im Widerstreite sein kann, und ein solcher Imperativ ist kategorisch.¹⁹⁴
Der Umstand, dass Kant das „Gesetz“, also UF (a) direkt aus der Beschreibung des guten Willens gewinnt, (b) das Gesetz als „die einzige Bedingung“ (Hvh.v.Vf.) beschreibt, „unter der der Wille niemals mit sich selbst im Widerstreit sein kann“ und (c) diese Bedingung damit auch unter NF oder ZF gelten muss, bestätigt die obige Vermutung, dass UF innerhalb der Formeln eine Sonderstellung einnimmt. Halten wir außerdem fest: das „Princip“ des guten Willens ist das „oberste Gesetz“ für den Willen überhaupt. Sonst würde Kants Aussage: „dieses ist die einzige Bedingung, unter der ein Wille niemals mit sich selbst im Widerstreit sein kann“, keinen Sinn ergeben.
Vgl. GMS, AA: f. .–. GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
Der folgende Passus enthält nun die Erläuterung der „gewissen Analogie“ in Bezug auf NF: Weil die Gültigkeit des Willens als eines allgemeinen Gesetzes für mögliche Handlungen mit der allgemeinen Verknüpfung des Daseins der Dinge nach allgemeinen Gesetzen, die das formale der Natur überhaupt ist, Analogie hat, so kann der kategorische Imperativ auch so ausgedrückt werden: handle nach Maximen, die sich selbst zugleich als allgemeine Naturgesetze zum Gegenstande haben können. ¹⁹⁵
Das in Analogie Gesetzte ist somit das Gesetz als Ausdruck des moralischen Willens („die Gültigkeit des Willens […] als eines Gesetzes“) in Beziehung auf „mögliche Handlungen“, also letztlich, das, was Sittlichkeit ausmacht. Es ist dem Naturgesetz analog, dem Prinzip der „Verknüpfung des Daseins der Dinge“. Diese „Verknüpfung“ ist Natur „im allgemeinsten Verstande“¹⁹⁶. Wie in der Sittlichkeit das „allgemeine Gesetz“ der Moralität das „Dasein“ der Handlungen organisiert, organisiert das Naturgesetz naturkausal konstituierte Sachverhalte. Das Analoge in der Analogie zwischen Sittlichkeit und Natur ist somit das gesetzliche ‚Dasein‘ der Gegenstände des jeweiligen Gesetzes. Kant argumentiert für die Gewinnung von NF an dieser Stelle somit anders, als in seiner Einführung der Formel. Dort schließt er aus dem Begriff des allgemeinen Gesetzes innerhalb der Universalisierungsformel (UF) auf den im Gesetzesbegriff implizierten Gedanken des Naturprinzips und der Natur, geht also von der denkbaren Gesetzlichkeit der Maxime aus.¹⁹⁷ Denn an die Formulierung von UF, welche die Gesetzlichkeit der Maxime fordert, schließt sich ohne argumentativen Zwischenschritt die Aussage an: Weil die Allgemeinheit des Gesetzes, wornach Wirkungen geschehen, dasjenige ausmacht, was eigentlich Natur im allgemeinsten Verstande (der Form nach), d. i. das Dasein der Dinge, heißt, sofern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist, so könnte der allgemeine Imperativ der Pflicht auch so lauten: handle so, als ob die Maxime deiner Handlung durch deinen Willen zum allgemeinen Naturgesetze werden sollte. ¹⁹⁸
Hier, also zu Anfang der detaillierten Entfaltung des Analogiegedankens, gewinnt Kant NF mit Rekurs auf das Verhältnis des praktischen Gesetzes, also allgemeinen kategorischen Imperativs zu „möglichen Handlungen“, argumentiert folglich vom Begriff praktischer Gesetzlichkeit überhaupt aus. Die Analogie praktischer Gesetzlichkeit zum Begriff der Natur weist damit zwei Hinsichten oder Aspekte auf:
GMS, AA : . – . GMS, AA : .. Vgl. GMS, AA : . – . GMS, AA : . – .
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Erstens verhält sich das praktische Gesetz zu den Maximen und Handlungen des guten Willens, wie das Naturgesetz zu einer von ihm organisierten Natur. Zweitens ist zu sagen, dass, weil das praktische Gesetz nichts anderes fordern kann, als die (denkbare) Gesetzlichkeit der Maxime und ein Gesetz per definitionem ein Prinzip einer möglichen Naturordnung ist, es somit zugleich fordert, dass die Maximen denkbare Naturgesetze sein sollen. Genau genommen hält Kant beide Begründungsgänge im hier thematischen Kontext allerdings nicht klar auseinander. In seiner in der Einleitung zum Analogieargument angedeuteten Gewinnung der analogen Formeln aus der sittlichen Maxime deutet er noch den Begründungsgang an, den er bei der Einführung von NF einschlägt: Vom Begriff der „Allgemeinheit“¹⁹⁹ bzw. (denkbaren) Gesetzlichkeit der Maxime schließt er auf NF. Eine Seite weiter, also im eigentlichen Analogieargument zu NF²⁰⁰ startet er von der Universalisierungsformel aus, geht dann aber wieder zum Gedanken praktischer Gesetzlichkeit überhaupt zurück ( „die Gültigkeit des Willens als eines allgemeinen Gesetzes“), entwickelt von hieraus die Analogie zum Naturbegriff und schließt auf NF, lässt damit aber den notwendigen Zwischenschritt vom Verhältnis des praktischen Gesetzes zu seinen Gegenständen, den Maximen und Handlungen, auf den Inhalt des allgemeinen Gesetzes selbst aus.²⁰¹ Dem bisher Gesagten lässt sich auch ein Sinn des Begriffs der „vernünftigen Natur“ entnehmen, der einen neuen Aspekt beinhaltet. So können gemäß des soeben analysierten Passus die unter dem „Gesetz“²⁰² stehenden Handlungen und Maximen ebenfalls als eine ‚vernünftige Natur‘ bezeichnet werden. Denn das macht gerade den Sinn des Analogiegedankens von NF aus, dass die Handlungen und entsprechenden Maximen wie eine ‚Natur‘ organisiert sind, deren ‚Existenzbedingung‘ (der Handlungen und Maximen) aber sozusagen rein vernünftigen und eben nicht naturkausalen Ursprungs ist. Dieser Sinn von „vernünftiger Natur“ ist aber dem Begriff eines praktischen Gesetztes per definitionem eingeschrieben und steht Kant somit bereits dort zur Verfügung, wo er aus dem Begriff eines praktischen Gesetzes bzw. kategorischen Imperativs UF gewinnt.²⁰³ Hat der bisher thematische Begriff der vernünftigen Natur die ‚Natur‘ des vernünftigen Wesens zum Gegenstand, also seine genuine (praktische) Konstitution oder Anlage und somit den Willen, ist der Begriff der vernünftigen Natur hier am ehesten im Sinne einer gesetzlichen Organisation von Dingen, hier den Handlungen und Maximen des vernünftigen Wesens, zu verstehen. Nimmt man nochmals einen zentralen
GMS, AA : .. GMS, AA: – . Vgl. auch GMS, AA: f. GMS, AA : . GMS, AA : .
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Gedanken der Würde-Passage in den Blick, wonach das vernünftige Wesen realiter dann Zweck an sich selbst, seine vernünftige Natur also realisiert ist, wenn es tatsächlich sittlich handelt, dann kann folgendes festgehalten werden: Die ‚Natur‘ des vernünftigen Wesens ist genuin realisiert, wenn es die zweite auch ist. Die genuine Anlage des vernünftigen Wesens, seine „vernünftige Natur“, das was ihn wesentlich ausmacht, ist also realisiert, wenn diese – ganz in Analogie zum Naturgesetz – Ursprung einer gesetzlichen Ordnung letztlich von Kausalitäten ist – den Handlungen des vernünftigen Wesens.²⁰⁴
2.6 Das Analogieargument zur Zweck-an-sich-selbst-Formel Die Ausführungen zur Analogie des Zwecks an sich selbst sollen hier kurz gehalten werden, weil viele Aspekte der entsprechenden Passage bereits in den Ausführungen zur Existenzthese zum Zweck an sich selbst diskutiert wurden. Der erste Satz zur Analogie des Zwecks an sich selbst lautet: Die vernünftige Natur nimmt sich dadurch von den übrigen aus, daß sie ihr selbst einen Zweck setzt. Dieser würde die Materie eines jeden guten Willens sein.²⁰⁵
Mit „ihr selbst“ kann zweierlei gemeint sein, einmal die „vernünftige Natur“, dann die Natur überhaupt. Ich schlage gleichsam eine Kombination von beidem vor. „Ihr selbst“ bezieht sich demnach auf die „Natur“, wie sie im Analogiegedanken zur Naturgesetzformel thematisch war, nämlich als „Verknüpfung der Dinge“ – in diesem Falle die Handlungen des vernünftigen Wesens – „nach allgemeinen Gesetzen“, hier des Sittengesetzes. Damit setzt die „vernünftige Natur“, das Vernunftwesen, „ihr selbst“, also seinen eigenen Handlungen „einen Zweck“, der wiederum nichts anderes als die „vernünftige Natur“ ist, nämlich die realisierte autonome, reine praktische Vernunft als organisierendes Prinzip der eigenen Handlungen. Dieses Ergebnis bestätigt exakt die Interpretation zum genuinen Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst. Zur Erinnerung: Der ursprüngliche Gehalt dieses Begriffs wurde nicht nur als die reine praktische Vernunft identifiziert. Es
Das Verhältnis des Gedankens praktischer Gesetzlichkeit bzw. Sittlichkeit zum Inhalt des praktischen Gesetzes bzw. (allgemeinen) kategorischen Imperativs eröffnet mit Blick auf die soeben untersuchte Analogie eine interessante Interpretation: Von einer realen oder zumindest real möglichen vernünftigen ’Natur’, der Sittlichkeit, wird auf eine bloß zu denkende vernünftige Natur geschlossen, in der die Maximen Naturgesetze wären. GMS, AA : . – .
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war auch möglich, den Zweck an sich selbst nach dem Modell der Standarddefinition einer Zwecks überhaupt aus der KU zu beschreiben: Die Vorstellung reiner praktischer Vernunft, präsent im Sittengesetz, motiviert zu Handlungen, die den Gegenstand dieser Vorstellung ‚realisieren‘, nämlich als Ordnung aller zulässigen Handlungen.
2.7 Die Formel des Reichs der Zwecke Das Reich der Zwecke Bevor das Analogieargument zur Formel des Reichs der Zwecke behandelt werden kann, soll zunächst der Begriff des Reichs der Zwecke vorgestellt und in einer kurzen Erläuterung geklärt werden, welche Argumente Kant für das Theorem vom Reich der Zwecke bereithält. Den Ausgang bildet Kants Einführung des Autonomiebegriffs in GMSII: Dieses Princip der Menschheit und jeder vernünftigen Natur überhaupt, als Zwecks an sich selbst […] ist nicht aus der Erfahrung entlehnt: erstlich wegen seiner Allgemeinheit, da es auf alle vernünftigen Wesen überhaupt geht, worüber etwas zu bestimmen keine Erfahrung zureicht; zweitens, weil darin die Menschheit nicht als […] als Gegenstand, den man sich von selbst wirklich zum Zwecke macht, sondern als objectiver Zweck, […] als Gesetz die oberste einschränkende Bedingung aller subjectiven Zwecke ausmachen soll […] mithin es aus reiner Vernunft entspringen muß. Es liegt nämlich der Grund aller praktischen Gesetzgebung objectiv in der Regel und der Form der Allgemeinheit, die sie ein Gesetz […] zu sein fähig macht […], subjectiv aber im Zwecke; das Subject aller Zwecke aber ist jedes vernünftige Wesen, als Zweck an sich selbst […]: hieraus folgt nun das dritte praktische Princip des Willens, […], die Idee des Willens jedes vernünftigen Wesens als eines allgemein gesetzgebenden Willens. ²⁰⁶
Im zweiten Satz wird der Aspekt der Allgemeinheit als Aspekt der Form praktischer Gesetzgebung bzw. eines (praktischen) Gesetzes interpretiert: praktische Gesetzgebung gibt eine Regel, deren Form eine (strenge) Allgemeinheit ist. Der Zweck an sich selbst soll nun der „subjektive“ Aspekt sein, was natürlich nicht im Sinne der oben angeführten subjektiven Zwecke zu deuten ist, die neigungsbestimmt und kontingent sind. Vielmehr ist hier der motivationale Aspekt „praktischer Gesetzgebung“ gemeint, im Sinne des motivationalen Geltungsgrundes eines kategorischen Imperativs. Ein Imperativ, gleich ob kategorisch oder hypothetisch, gilt eben nur für mich, wenn er Folge oder Ausdruck meines tatsächlichen Wollens ist bzw. dieses repräsentiert.Wir haben in den Ausführungen zum Begriff eines Imperativs überhaupt zwischen seinen Geltungsbedingungen und dem unmittelbaren Grund
GMS, AA : f. – .
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seiner Nötigung unterschieden. Letzterer ist immer einer der Vernunft, die Bedingungen sind bei hypothetischen Imperativen hingegen empirische, bei kategorischen Imperativen ebenfalls bloß oder rein vernünftiger Natur. Wir sahen zu Anfang dieses Kapitels auch, dass diese Bedingungen in Kants Sicht die zugrundeliegenden Zwecke sind. Vor diesem Hintergrund erscheint, wie erwähnt, Kants Schluss von der Geltung des kategorischen Imperativs auf den Zweck an sich selbst als durchaus konsequent, wenn auch nicht unproblematisch. Der zweite Satz wird eingeleitet mit „[e]s ist nämlich …“, was deutlich macht, weshalb Kant im ersten Satz in seiner Erklärung auf die Allgemeinheit des Prinzips und die Objektivität des Zwecks an sich selbst abhebt. Denn die „allgemeine Gesetzgebung“ produziert eine Regel, die qua Gesetz strenge Allgemeinheit aufweist und somit ihre handlungsmotivierende Geltung aus einem objektiven, „aus der reinen Vernunft“ entspringenden Zweck, dem Zweck an sich selbst, erhält. Anders ausgedrückt: Da der kategorische Imperativ Gesetzescharakter hat, muss sein Geltungsgrund „(völlig a priori) schon mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein“²⁰⁷. Dieses a priori mit dem Willen Verbundene ist der Zweck an sich selbst. Hieraus folgt nun – unter der Bedingung, dass der Geltungsgrund eines Imperativs letztlich immer ein Zweck sein muss – tatsächlich unmittelbar „das dritte praktische Prinzip des Willens“, das der Autonomie. Denn der kategorische Imperativ wird so als ein Gesetz formuliert, dessen Ursprung im Willen vernünftiger Wesen selbst liegt. Das Argument für das Reich der Zwecke bilden die folgenden zwei Sätze: Weil nun Gesetze die Zwecke ihrer allgemeinen Gültigkeit nach bestimmen, so wird, wenn man von dem persönlichen Unterschiede vernünftiger Wesen, imgleichen allem Inhalte ihrer Privatzwecke abstrahirt, ein Ganzes aller Zwecke (sowohl der vernünftigen Wesen als Zwecke an sich selbst, als auch der eigenen Zwecke, die ein jedes sich selbst setzen mag) in systematischer Verknüpfung, d. i. ein Reich der Zwecke, gedacht werden können, welches nach obigen Prinzipien möglich ist. Denn das vernünftige Wesen stehen alle unter dem Gesetz, daß jedes derselben sich selbst und alle andere niemals bloß als Mittel, sondern jederzeit zugleich als Zweck an sich selbst behandeln solle. Hierdurch aber entspringt eine systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche objective Gesetze, d. i. ein Reich, welches, weil diese Gesetze eben die Beziehung dieser Wesen aufeinander als Zwecke und Mittel zur Absicht haben, ein Reich der Zwecke […] heißen kann.²⁰⁸
Zunächst ist danach zu fragen, inwiefern das Sittengesetz dezidiert Zwecke bestimmt. In GMS war, zumindest in Hinsicht auf die singulären Zwecke wollender
GMS, AA : . – . GMS, AA : . – .
2 Die Formeln des kategorischen Imperativs als analoge Formeln
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Wesen, hiervon bis zu dieser Stelle nicht die Rede. In der Pädagogik ²⁰⁹ findet sich aber eine diesbezüglich aufschlussreiche Stelle: „Gute Zwecke sind diejenigen, die nothwendigerweise von Jedermann gebilligt werden, und die auch zu gleicher Zeit Jedermanns Zwecke sein können.“²¹⁰ Diese Zwecke sind dann solche, die in universalisierbaren Maximen vorgestellt werden, also einen möglichen autonomen Willen ausdrücken. Solche Maximen stellen dann „Zwecke ihrer allgemeinen Gültigkeit nach“ vor. Der kategorische Imperativ als das formale Kriterium zulässiger Maximen ist damit zugleich das Kriterium zulässiger und in ihrer allgemeinen Zustimmungsfähigkeit bestimmter Zwecke. Da also singuläre und konkrete moralisch zulässige Zwecke, vermittels der Universalisierbarkeit der Maximen, ein und demselben Kriterium ihrer Zulässigkeit folgen und dies in der Sicht Kants dazu führt, dass diese Maximen zueinander nicht in Widerspruch geraten können, haben wir es mit einem System von Zwecken zu tun. Ein solches System singulärer moralisch zulässiger und gebotener Zwecke ist allerdings bereits durch den kategorischen Imperativ in der Universalisierungsformel möglich. Doch Kant versteht erstens dezidiert den Autonomiegedanken als Voraussetzung für das Theorem des Reichs der Zwecke, denn der „Begriff eines jeden vernünftigen Wesens, das sich durch alle Maximen als allgemein gesetzgebend betrachtet […]“ (Hvh.v.V.) führt zum Begriff des Reichs der Zwecke. Und zweitens ist das Reich der Zwecke ein Reich „sowohl der vernünftigen Wesen als Zwecke an sich selbst, als auch der eigenen Zwecke, die ein jedes sich selbst setzen mag“. (Hvh.v.Vf.) Es stellt sich also die Frage nach dem systematisch Neuen des Theorems des Reichs der Zwecke. Kant entwickelt, wie gesehen, wenig später in den Ausführungen zum Würdebegriff eine enge Verbindung zwischen der Zweckhaftigkeit an sich und der moralischen Autonomie vernünftiger Wesen: Das vernünftige Wesen ist als Ursprung des Gesetzes, von dem aller (objektiver) Wert der Zwecke ausgeht, seinerseits Zweck an sich selbst. An der hier thematischen Stelle dient Autonomie allerdings noch nicht als Erklärungsgrund der Zweckhaftigkeit an sich vernünftiger Wesen. Stattdessen ergibt sich die Bestimmung des Reichs der Zwecke als systematische Verbindung von Zwecken an sich selbst einfach aus der zuvor aufgestellten These, vernünftige Wesen seien Zwecke an sich selbst und dem entsprechenden Imperativ, der Selbstzweckformel. Im zitierten Passus zum Reich der Zwecke geht Kant aber von einem Gesetz aus, das sowohl die jeweiligen Zwecke einzelner wollender Subjekte als auch die vernünftigen Wesen als Zwecke an sich selbst organisiert. Doch damit formuliert Kant bereits implizit eine These, die an
Päd, AA : – . Päd, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
dieser Stelle des Begründungsgangs der GMS noch nicht begründet wurde, nämlich, dass es die sittliche Organisation der jeweils eigenen Zwecke ist, die vernünftige Wesen zu Zwecken an sich selbst macht. Kant nimmt hier also bereits das Würde-Argument vorweg. Außerdem behauptet er ebenfalls implizit eine Äquivalenz zwischen UF und ZF, was an dieser Stelle ebenfalls noch nicht ausgewiesen ist. Kant weist hier also thesenhaft – und argumentationsstrategisch nicht sonderlich geschickt – auf etwas voraus, das er erst später einholt. Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Aussage, man müsse „von dem persönlichen Unterschiede vernünftiger Wesen, imgleichen allen Privatzwecken abstrahieren“, schreibt er doch zugleich, das Reich der Zwecke bestünde aus den (moralisch legitimen) Zwecken, „die ein jedes sich selbst setzen mag“. Das kann aber gut verstanden werden, wenn man ‚abstrahieren‘ hier dergestalt versteht, dass von den privaten Absichten abgesehen und der Blick auf die formale Bedingung (die Universalisierbarkeit der zugrunde liegenden Maximen etc.) gelenkt wird. Dann meint Kant, dass die formal-sittliche Bedingung aller Zwecke diese – und ihren Ursprung – zum Reich der Zwecke organisieren. Wichtig ist schließlich, dass Kant hier für das Theorem des Reichs der Zwecke nicht auf den Naturbegriff zurückgreift. Das ist deswegen bemerkenswert, weil er zu Anfang der Entfaltung seines Analogie-Gedankens die Reich-der-Zwecke-Formel als Zusammenfassung von NF und ZF beschreibt. Das sei hier nur angedeutet.
Die Formel der Reichs der Zwecke als analoge Formel Die dritte analoge Formel, die Formel des Reichs der Zwecke, stellt Kant vor als […] eine vollständige Bestimmung aller Maximen durch jene Formel, nämlich: daß alle Maximen aus eigener Gesetzgebung zu einem möglichen Reiche der Zwecke als einem Reiche der Natur zusammenstimmen sollen.²¹¹
Da Kant zuvor behauptet, dass RF „die anderen beiden von selbst in sich vereinigt“, also NF und ZF, ist nun zu klären, wie man sich diese Vereinigung genau vorzustellen hat. RF wäre dann z. B. eine Vereinigung der beiden anderen Formeln, wenn sie eine Einheit der beiden zentralen Begriffe dieser Formeln, also derjenigen der Natur und des Zwecks an sich selbst, formulieren würde. Und in der Tat stellt der Begriff des Reichs der Zwecke genau das vor, nämlich ein durch das Sittengesetz gestiftetes System (eine ‚Natur‘) der Zwecke, also der Zwecke der singulären Subjekte und der Zwecke an sich selbst, zu welchen letzteren die Subjekte durch die sittliche Organisation ihrer Zwecke werden. Existieren also GMS, AA : . – .
2 Die Formeln des kategorischen Imperativs als analoge Formeln
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mehrere vernünftig-autonome Wesen, organisiert das Sittengesetz sie zu einem Reich der Zwecke. Der Unterschied des Reichs der Zwecke von der vernünftigen Natur erster und zweiter Ordnung, (die vernünftige Natur als Zweck an sich selbst, die sittlichen Handlungen des einzelnen vernünftigen Wesens als „Natur“, also als systematische Ordnung) leitet sich aus Kants Definition eines Reichs ab. Ich verstehe aber unter einem Reiche die systematische Verbindung vernünftiger Wesen durch gemeinschaftliche Gesetze.²¹²
Im Unterschied zur vernünftigen Natur erster und zweiter Ordnung bildet das Reich der Zwecke also nicht bloß ein System der Handlungen eines singulären Subjekts, sondern ein System sittliche handelnder Wesen, die in dieser Funktion selbst Zwecke, nämlich Zwecke an sich selbst sind. Gewissermaßen ist RF nämlich eine Wiederholung des Gedankens der sittlichen ‚Natur‘ auf höherer Ebene. Sittlichkeit ist, wie gesehen, eine ‚Natur‘ der Handlungen und Zwecke des singulären Subjekt und in der Funktion, Ursprung des sittlichen Ordnungsprinzips zu sein, ist dieses Wesen Zweck an sich selbst. Da nun das Sittengesetz eine Ordnung aller Handlungen und Zwecke generiert, tut es dies auch in Hinsicht auf die Zwecke an sich selbst. Und letzteres stellt auch bereits das Problem in Hinblick auf RF als analoger Formel dar. Denn würde RF NF und ZF „von selbst“ in sich vereinigen, dann müsste sich die gemeinsame sittliche Ordnung vernünftiger Wesen und damit Intersubjektivität aus (a) der sittlichen Organisation der Zwecke und Handlungen des einzelnen vernünftigen Wesens und (b) aus seiner sich hiermit ergebenden Eigenschaft, Zweck an sich selbst zu sein, ergeben. Intersubjektivität müsste eine notwendige Folge von Moralität sein. Hierfür finden sich aber keine hinreichenden Argumente im Text. Das Wollen eines Reichs der Zwecke folgt also nur unter der Voraussetzung der Existenz mehrerer autonomer Wesen aus dem sittlichen Wollen. Eine tatsächliche sachliche Zusammenfassung von NF und ZF bildet vielmehr AF, die allerdings ihrerseits keine analoge Formel ist, da diese Formeln das Problem der Intersubjektivität vermeidet. Denn Kant gewinnt, wie ausgeführt, den Autonomiegedanken aus der strengen Allgemeinheit des Sittengesetzes und seiner entsprechenden „subjektiven“ Seite, den Zweck an sich selbst, ohne Intersubjektivität vorauszusetzen. Auch das Verhältnis von RF zu AF kann präzisiert werden. So wird der Begriff des Reichs der Zwecke und seiner Formeln bekanntlich im direkten Anschluss an die Einführung des Autonomieprinzips im zweiten Abschnitt gewonnen. Wie gesehen, stellt AF den autonomen Willen in der Gesamtheit seiner Aspekte vor, also nicht bloß einen Aspekt,wie dies UF/NF und ZF tun. Das legt nun weiter nahe, dass GMS, AA : . f.
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II Der Zusammenhang der Formeln
RF eine analoge Formel zu AF darstellt, was es also heißt, autonom zu handeln, würde in der Vorstellung des Reichs der Zweck und der entsprechenden Formel veranschaulicht. Das steht zumindest in einem gewissen Spanungsverhältnis zum obigen Befund, dass der Aspekt der Intersubjektivität sich in den anderen Formeln nicht findet und damit auch nicht in AF und aus diesen auch nicht herzuleiten ist. Vor allem aber scheint es in direktem Widerspruch zum erreichten Befund zu stehen, dass dort, wo Kant einer imperativischen Formulierung des Autonomieprinzips nahe kommt, es sich um UF handelt. Um das zu verstehen, muss nochmals auf das systematische Verhältnis der Formeln des kategorischen Imperativs zueinander eingegangen werden. So kann aus den hinter uns liegenden Überlegungen der Schluss gezogen werden, dass die Formeln des kategorischen Imperativs allgemein zwei Funktionen haben. Die erste besteht darin, handlungsleitende Regeln abzugeben, die zweite darin, den Begriff eines autonomen Willens sukzessive zu gewinnen. Weiter meine ich, dass nicht jeder Formeln diese beiden Funktionen in gleichem Maße zukommen. Der Autonomieformel käme insbesondere letztere Funktion zu. Dort, wo Kant einer imperativisch-handlungsleitenden Formulierung des Autonomieprinzips nahe kommt, greift er damit aus zwei Gründen auf UF zurück: 1) UF ist die unmittelbare Formel, diejenige, die aus dem Begriff eines kategorischen Imperativs und guten Willens unmittelbar gefolgert wird. Sie ist damit die „allgemeine Formel“²¹³, welche eine „strenge Methode“²¹⁴ der „sittlichen Beurtheilung“²¹⁵ (437) an die Hand gibt. 2) Der zweite Grund ist etwas schwerer zu explizieren, hängt aber unmittelbar mit ersterem zusammen. UF folgt sowohl unmittelbar aus dem Begriff des guten Willens als auch aus demjenigen einen kategorischen Imperativ. Der gute Wille ist eben der autonome Wille und ein kategorischer Imperativ überhaupt, bei einem auch sinnlich konstituierten Willen, sein Handlungsprinzip. Nun expliziert, wie gesehen, AF, was es heißt, einen guten Willen zu haben bzw. nach einem kategorischen Imperativ zu handeln. Weil damit ein guter Wille, ein Wille, der nach dem kategorischen Imperativ handelt und ein autonomer Wille dasselbe ist, ist ein per Konstitution gesetzgebender Wille einer, der ursprünglich um willen der Verallgemeinerbarkeit seiner Maximen (immer auch) handelt.
GMS, AA : . f. GMS, AA : .. GMS, AA : . f.
3 Exkurs 1: Duncans interlude-These
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Der unmittelbare imperativische Ausdruck des autonomen Willens ist damit die Universalisierungsformel. Wurden vorher einzelne Aspekte des autonomen Willens in den beiden analogen Formeln, NF und ZF, veranschaulicht und so der kategorische Imperativ „der Anschauung […] und dadurch dem Gefühl näher“ (436) gebracht, gilt der Fokus nun beiden Aspekten des autonomen Willens zusammen und in Einheit – wiederum durch Analogie veranschaulicht. AF ist somit ein Imperativ, dem keine primär handlungsleitende Funktion zukommt. UF ist der unmittelbare Ausdruck eines Handelns nach unbedingten praktischen Regeln und somit – was sich im Nachhinein erst herausstellt – eines autonomen Willens.Weil AF keine analoge Formel ist, bedarf es noch einer, die dem autonomen Willen in einer Analogiebildung in toto (also nicht auf einzelne Aspekte fokussierend), „der Anschauung […] näher“ bringt. Diese Aufgabe käme RF zu. Und in der Tat veranschaulicht der Gedanke eines Reichs der Zwecke nebst Formel, was es heißt, selbstgesetzgebend zu sein. Denn das Reich der Zwecke ist eine ideale Gemeinschaft, in der jedes vernünftige Wesen (mit Ausnahme Gottes) für jedes andere vernünftige Wesen gesetzgebend ist – nach ein und demselben gesetzgebenden Prinzip.²¹⁶
3 Exkurs 1: Allisons Widerlegungsversuch von Duncans These des „ethical interlude“ und der Zweck an sich selbst Wie erwähnt, vertritt A.R.C. Duncan als einer der wenigen Autoren die Position, dass die Entwicklung der verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs kein genuiner Teil von Kants ethischem Grundlegungsprojekt ist, sondern weitgehend eine mehr oder weniger versteckte Auseinandersetzung mit Garves CiceroÜbersetzung und – Interpretation. Seine These ist unter dem Namen „ethical interlude“ berühmt geworden und wird bis heute kontrovers diskutiert. Duncan bezeichnet genauer die 43 Absätze zwischen der ersten Formulierung der Universalisierungsformel in GMS II und dem Anfang der zweiten Sektion des zweiten Abschnitts („Die Autonomie des Willens als oberstes Prinzip der Sittlichkeit“) als „ethical interlude“, die also in seiner Sicht nichts systematisch Relevantes zum Projekt einer metaphysischen Fundierung der Moral beitragen. Duncan geht von der These aus, dass die GMS ursprünglich als reine oder besser bloße Grundlegung einer Metaphysik der Sitten in Form einer Kritik der praktischen Vernunft gedacht war und erst eine künftige eigentliche Metaphysik der Sitten dazu angetan wäre, populäre Moralphilosophien vom Zuschnitts Garves zu
Vgl. Anhang II.
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II Der Zusammenhang der Formeln
ersetzen. ²¹⁷ Der „ethical interlude“ würde damit – auf eine in der Sicht Duncans unbefriedigende Weise – eine Einschub in einer Untersuchung weitgehend anderer Zielsetzung darstellen. Dass Kant sich zu einer solchen Vermischung zweier philosophischer Projekte hatte verleiten lassen, lag nach Duncan an der Lektüre von Garves Cicero.²¹⁸ Entsprechend beziehe sich die im Titel des zweiten Abschnitts erwähnte „populäre sittliche Weltweisheit“ vornehmlich auf Garves populäre Moralphilosophie. Kants Ziel sei es im zweiten Abschnitt entsprechend gewesen „to show that this type of popular moral philosophy could be purified to become a purely a priori treatment of a central ethical problem […].“²¹⁹ Der Kern von Duncans Position besteht also in der These, dass die Gedanken des „ethical interlude“ zum Projekt einer metaphysisch-kritischen Fundierung der Moral nichts systematisch Relevantes beitragen, sondern zeigen sollen, dass populäre Moralphilosophische Positionen auf ein kritisch-metaphysisches Fundament gestellt werden können – wenn auch hierdurch zugleich verändert. Selbstverständlich lassen sich auch einige, bereits von Klaus Reich aufgezeigte, textuelle Indizien für Garves bzw. Ciceros Einfluss auf die GMS ausmachen.²²⁰ Das sei ebenfalls kurz referiert. Beginnen wir mit Reichs Referat von Ciceros Interpretation des stoischen Grundsatzes der „naturae conveneinter vivere“: In jeder Beziehung genügend findet auch Cicero […] das Prinzip der naturae conveninter vivere nicht. Auch er sieht sich genötigt, den Satz auszulegen. […] [Die] Auslegungen haben zwei Formen: Die erste lautet: Dass der, der glaubt, einen anderen zu verletzen sei erlaubt, ganz und gar den Menschen aus dem Menschen wegnimmt (52, Garve: „im Menschen die
Duncan: , S. . Vgl. hierzu folgende Passage: „While he was working on the argument on the Foundation Kant read Garve’s edition of Cicero’s De Officiis. Garve’s work represented the kind of popular philosophy which was to be replaced by Kant’s idea of metaphysics of morals. […] Although it was Kant’s intention to show that the principle involved [in moral willing] is an a priori synthetic practical proposition which stands in need of a deduction to be provided by a critique of practical reason, it is possible that, stimulated by Garve’s […] Kant may have been led to deviate from his main Critical purpose. […] Kant may therefore have decided to kill two philosophical birds with one analytical stone. Not only could he show in the Foundation that moral action involves an element of a priori synthesis, but he could also use the principle which emerges from his analysis of moral action as a practical rule. In this way he could include within the passages of the Foundation a reply to Garve by showing that his principle which was a priori could fulfil foundation of such a rule. […]“ (Duncan: , S. ) Duncan: , S. Zum Einfluss Ciceros, Garves, und anderer zeitgenössischer populärer Moralphilosophien siehe Forschner: , S. – und Horn: , S. – .
3 Exkurs 1: Duncans interlude-These
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Menschlichkeit aufhebt“), oder besser positiv: Dass der Mensch für „einen anderen Menschen,wer er auch sie, bloß weil er ein Mensch ist“ sorgen solle. Ein solcher Grundsatz tritt als Vorstellungsart des obersten Moralprinzips auch bei Kant auf: das Prinzip der „Menschheit als Zweck an sich selbst“ oder der Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.²²¹
Es liegt vor diesem Hintergrund nahe, Kants „Menschheit als Zweck an sich selbst“ als analogen Begriff zu Ciceros „Mensch aus dem [bzw. im] Menschen“ oder Garves „Menschlichkeit“ zu verstehen: Um willen der „vernünftigen Natur“ oder der „Menschheit“, also der Autonomie bzw. reine praktische Vernunft wird sittlich gehandelt. Folgen wir dem Begriff der Natur noch etwas. Reich sieht auch in der Naturgesetzformel eine „moralische Interpretation“ des stoischen Prinzips, die sein „Wahres“ hervorhebet und hierfür wendet Kant nach Reich einen „Kunstgriff“ an: „in jener Formel [ist] die Natur selbst nicht als Wirkliches, sondern als Ideal, nämlich wie ich sie wollen kann, zu verstehen. ²²² M. E. reicht die Analogie zwischen dem stoisch-ciceronischen Grundsatz und Kants Naturbegriff noch weiter. Hierzu einige Beobachtungen: Wie Cicero aus der menschlichen Natur das moralisch Gute herleitet, leitet Kant aus der „Natur“ der praktischen Vernunft im teleologischen Argument von GMSI den guten Willen als ihrem Zweck ab. ²²³Auf GMS, 425 betont Kant zwar, man dürfe „sich ja nicht in den Sinn kommen lasse[n], die Realität dieses Prinzips aus der besonderen Eigenschaft der menschlichen Natur ableiten zu wollen“. Allerdings betont er wenig später, die Existenz, zwar nicht der menschlichen, aber doch der vernünftigen Natur als Zweck an sich selbst sei Grund der Geltung des kategorischen Imperativs. (Vgl. GMS, S. 429) Unmittelbar auf den Passus, in dem dies formuliert wird, folgt die Nennung der Selbstzweckformel, in der zwar nicht mehr von der „vernünftigen Natur“, aber von der Menschheit in der Person die Rede ist. Wir sahen im ersten Kapitel, dass einiges für die gehaltliche Identität von „Menschheit“ und „vernünftige Natur“ spricht. In der GMS wird also aus der „vernünftigen Natur“ der kategorische Imperativ (in der Selbstzweckformel) gewonnen und ihr gemäß zu handeln, sie bzw. ihre Verwirklichung zum obersten Zweck zu haben, ist moralisches Gebot. Zum weiteren Vergleich zwei Passagen aus De officiis: Doch die Einrichtung der Natur […] ist ein […] Gesetz […]. Niemand […] kann seiner eigenen Natur gemäß leben, als der, welcher nie sich zueignet, was er anderen abgenommen hat […] Es ist unserer Natur weit mehr gemäß, großmütig und von edler Gesinnung zu sein […] Ja es ist
Reich: , S. . Reich: , S. . Vgl: GMS, AA : – . – .
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eben ein Teil der Großmut der Erhabenheit der Seele, welche unserer Natur sowohl ansteht, diese äußeren Vorteile zu verachten, mit dem allgemeinen Gesetz verglichen, für nichts würdig zu halten. Einen anderen etwas von dem Seinigen entziehen, und durch den Schaden […] desselben, seinen eigenen Vorteil befördern, streitet mehr mit unserer Natur, als […] irgend ein anderes Übel […]. Aber dass er sie [die Bequemlichkeit] dadurch erwerbe, indem er andere derselben beraubt, […] das ist unserer Natur völlig zuwider. ²²⁴
Betrachten wir die zuletzt zitierte Passage noch etwas eingehender und vergleichen sie mit zwei Zitaten aus der GMS: Dieses Princip der Menschheit und jeder vernünftigen Natur überhaupt als Zweck an sich selbst […] ist nicht aus der Erfahrung entlehnt, erstlich wegen seiner Allgemeinheit, […] zweitens,weil darin die Menschheit nicht Zweck der Menschen […], sondern […] als Gesetz die oberste einschränkende Bedingung aller subjectiven Zwecke ausmachen soll […].²²⁵ Die Gesetzgebung [also Autonomie] […] muß […] Würde […] haben, für welche das Wort Achtung allein den geziemenden Ausdruck der Schätzung abgiebt […].²²⁶
Wie bei Cicero „die Einrichtung der Natur […] ein Gesetz“ ist, ist bei Kant „jede vernünftige Natur […] als Zweck an sich selbst […] Gesetz. Wie bei Cicero Moralität (im weiten Sinne) „Teil […] der Erhabenheit der Seele“ ist „welche unserer Natur […] ansteht“, so ist für die vernünftige Natur, also Autonomie bei Kant ‚Achtung der allein geziemende Ausdruck‘. Allison leugnet selbstverständlich nicht den allgemein großen Einfluss Garves auf die GMS, widmet ihm vielmehr weite Passagen seines Kommentars. Er ist ebenfalls, wie Dancan, der Ansicht, dass sich Kants Kritik an der populären Moralphilosophie in der Grundlegung vornehmlich an Garve richtet und verweist, wie viele andere Interpreten, auf den berühmten Hamann-Brief ²²⁷. Allison zeichnet außerdem u. a. detailliert nach, wie die Berühmte Göttinger Rezension der KrV von Garve – in der ursprünglichen Fassung – in ihrer zu einem Großteil zutreffenden Kritik an Kants Sicht auf ein mögliche Fundament der Moral im Kanon der ersten Kritik Kant dazu bewogen haben könnte, seine in dieser vertretene moraltheoretischen Position zu revidieren – das sei hier nur angedeutet.²²⁸ Trotz dieser Argumente und Indizien für einen großen Einfluss Garves auf die GMS sieht Allison sich, wie geschildert, aber in der Lage, Duncans ‚interlude-
De oficiis, Buch III, V.. GMS, AA : f. – . GMS, AA : . – . Vgl. Johann Georg Hamann: Briefwechsel, fünfter Band, – und Allison: , S. . Vgl. Allison: , S. – .
3 Exkurs 1: Duncans interlude-These
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These‘ entgültig zu verabschieden. Bereits in der Einführung zu seinem Buch skizziert er die Argumentation, die dies leisten soll: Das oberste moralische Prinzip gründe aufgrund seiner unbedingten Geltung auf dem Konzept eines vernünftigen Wesens überhaupt. Weiter seien diejenigen Passagen, welche Duncan als „ethical interlude“ bezeichnet, Explikationen dieses Begründungsverhältnisses: I shall argue […] that the three formulas Kant presents represent successive stages in the complete construction of the concept of the categorical imperative and that they are correlated with a progressive analysis of the concept of rational agency. In the first stage rational agents are defined as beings who act according to their representation of laws or on principles; in the second, they are regarded as beings who determine themselves to act for sake of an end; and in the third they are conceived as beings who act on the basis of self-given laws, that is autonomously.²²⁹
Die sich in den von Allison in Ansatz gebrachten drei Formeln (Universalisierungsforme bzw. Naturgesetzformel, Selbstzweckformel und Autonomieformel) ausdrückenden Aspekte rein rationaler Handlungen sind also in seiner Sicht direkte Implikationen des Konzepts eines kategorischen Imperativ. Anders gewendet drücken diese notwendige Aspekte rein rationalen Wollens aus, auf welche Aspekte die Formeln jeweils fokussieren. Dass dies auch Kants Intention bei der Entwicklung der verschiedenen Formeln gewesen sein mag, soll hier gar nicht bestritten werden, und wäre auch mit Duncans Interpretation vereinbar, nach welcher die GMS zeigen soll, dass „popular moral philosophy could be purified to become a purely a priori treatement of a central ethical problem […]“²³⁰ Vielmehr soll danach gefragt werden, ob sich die Aspekte reinen Wollens, die Allison in den Formeln expliziert sieht, auch als notwendige Momente ausweisen lassen – was Allison für seine Duncan-Widerlegung unbedingt leisten muss. Er muss nicht nur zeigen, dass die Aspekte, auf die die Formeln fokussieren, mit dem Konzept rein rationalen Wollens vereinbar sind. Vielmehr muss er auch nachweisen, dass reines Wollen sich ohne diese gar nicht beschreiben lässt. Ich bin der Ansicht, dass der Nachweis dieser Notwendigkeit im Falle des Zwecks an sich selbst äußerst schwierig ist zumindest aber von Allison nicht zufriedenstellend geleistet wird. Der entsprechende Nachweis erfolgt in zwei Schritten. Erstens wird das zu Anfang des ersten Kapitels formulierte Argument wiederholt, mit dem sich zeigen lässt, dass moralischem Handeln vor dem Hintergrund von Kants allgemeinem Zweckbegriff nicht ohne weiteres ein übergeordneter Zweck als Zweck an sich selbst zugeschrieben werden kann, zumindest Allisons diesbezügliche Ar-
Allison: , S. . Vgl. Duncan: , S. .
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gumente entschieden zu kurz greifen. Zweitens ist zu untersuchen, ob aus den Ergebnissen, die Kant bei der ersten Formulierung der Universalisierungsformel in GMSII ²³¹zur Verfügung stehen, nicht gleichsam direkt der Begriff von Sittlichkeit als Autonomie zu gewinnen ist. Es sei zunächst nochmals Allisons Herleitung des Zwecks an sich selbst wiederholt: 1) Since ends are the source of reasons to act, if an agent has no end in view, then that agent would have no reason to act. 2) But any imperative presupposes that there are reasons to act and a categorical imperative presupposes that these reasons are valid for all rational agents, which entails that they must be independent of any interests that are not shared by every conceivable rational agent. 3) This entails that there must be an end that is likewise independent of any such interest; otherwise it would not be universally valid. 4) Such an end, by definition, would be an end in itself. 5) Therefore, if there is a categorical imperative, there must be something that exists as an end in itself.²³²
Hiernach sind Zwecke Handlungsgründe und Imperative gelten für eine Person nur insofern, als diese auch Grund hat, die Handlung zu vollziehen, die der Imperativ fordert. Folglich fordert auch der kategorische Imperativ einen, wenn auch besonderen Zweck. Dieser muss aufgrund seiner universalen und rein vernünftigen Geltung unabhängig von subjektiven Interessen sein. Allison nimmt folglich an, dass ein genuin moralischer Zweck als Zweck an sich selbst einfach deswegen anzunehmen sei, weil alle, und damit auch moralische Handlungen, sich notwendige im Ausgang von einem Zweck und auf diesen hin vollziehen. Handeln ohne einen Zweck sei eben kein Handeln.Wir sahen bereits, dass dies nur solange trivial wahr zu sein scheint, bis man das Verhältnis von Handlungsmotivationen und Handlungszielen bei moralischen Handlungen vor dem Hintergrund des kantischen Begriffs eines Zwecks überhaupt näher beleuchtet. Die entsprechenden Argumente sollen nochmals skizziert werden. Wie im Ausgang von Definitionen des Zweckbegriffs in verschiedenen Schriften und insbesondere der KU gezeigt wurde, spricht Kant dann von einem Zweck, wenn die begriffliche Vorstellung eines Sachverhalts „Ursache“ der Realität des Gegenstandes dieser Vorstellung ist, das entsprechende Handeln also motiviert. Hier präsentiert sich der Zweck, als,wie es formuliert wurde, Einheit aus Motiv und konkretem Handlungsziel. Die Vorstellung des durch mein Handeln zu realisierenden Sachverhalts motiviert zugleich das Handeln selbst.
Vgl. GMS, AA: . – . Allison: , S. .
3 Exkurs 1: Duncans interlude-These
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Prima facie müssen auch auf dem Hintergrund dieser Definition moralischen Handlungen Zwecke zugeschrieben werden, denn auch in solchen muss das zu Verwirklichende zunächst kognitiv antizipiert werden. Es ist aber nun bekanntermaßen nicht das vorgestellte konkrete Handlungsziel, das (vermittels antizipierender Lust) das entsprechende Handeln in moralischem Wollen motiviert. Vielmehr ist es die Erkenntnis, dass das zu Verwirklichende moralisch gefordert ist. Somit aber fallen bei moralischen Handlungen die Handlungsmotivation und das konkrete Handlungsziel offenbar auseinander. Gemäß den in Kapitel I untersuchten Definitionen haben wir damit im moralischen Handeln zwar immer noch, gewissermaßen subalterne Zwecke, nämlich die ebenfalls kognitiv antizipierten Handlungsziele, denen vermittels der Einsicht in ihr moralisches Gefordertsein auch eine gewisse Handlungsmotivation eigen ist. Jedoch ist diese Handlungsmotivation gewissermaßen abgeleitet, verdankt sich, wie erwähnt, der handlungsmotivierenden Einsicht in das moralisch Gesollte. Damit taugen diese konkreten Zwecke moralischen Handelns aber nicht dazu, einen aller Moralität zugrundeliegenden allgemeinen und ursprünglichen Zweck, dem Zweck an sich selbst, in Ansatz zu bringen. Denn dieser wäre ein Zweck, welcher der ursprünglichen moralischen Motivation entsprechen müsste und aus der folglich subalterne und konkrete Handlungsziele moralischer Handlungen erst abzuleiten wären. Wir sahen zwar im ersten Kapitel, dass sich der Zweck an sich selbst mit Kants allgemeiner Handlungs- und Moraltheorie und insbesondere seinem allgemeinen Zweckbegriff in Einklang bringen lässt, der hier wiederholte Befund blieb und bleibt aber insofern unangetastet, als sich seine Notwendigkeit nicht rekonstruieren lies. Fest steht, dass Allisons oben zitierte Herleitung entschieden zu kurz greift. In moralischen Handlungen fallen die ursprüngliche Handlungsmotivation bzw. der ursprüngliche Handlungsgrund und das Handlungsziel auseinander, folglich trifft bereits Allisons erster Satz, den er selbst als „essential premise of this argument“²³³ bezeichnet, auf dieses Handeln nicht zu. Gehen wir nun der zweiten Frage nach, ob sich der Autonomiebegriff ohne die Gedanken und Theoreme formulieren lässt, die Kant in Duncans „ethical interlude“ entwickelt. Hierzu muss nochmals kurz auf Kants Begriff des Imperativs überhaupt und seine Einteilung in hypothetische und kategogische Imperative eingegangen werden. Zufolge seiner berühmten Definition des Willens als Vermögen der Handlung nach der Vorstellung von Gesetzen und damit als praktische Vernunft, ist dieser ausschließlich das Vermögen, reale Handlungen aus der Einsicht in vernünftig-gesetzliche und kausale Zusammenhänge zu gewinnen. Im-
Allison: , S. . Anm.
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perative drücken diese praktisch-rationale Handlungsableitung in Form einer an sinnlich-vernünftige Wesen gerichteten Nötigung aus. Die in einem hypothetischen Imperativ präsente Rationalität ist die einer Zweck-Mittel-Relation, ein kategorischer Imperativ drückt die das Wollen überhaupt konstituierende praktische Rationalität rein aus – also nicht als Mittel-Zweck-Relation oder, um mit Kant zu sprechen, nicht ‚um fremdes Interesse bloß zu administrieren‘²³⁴. Im Falle empirischen Handelns, das einem hypothetischen Imperativ folgt, steht praktische Rationalität also unter nicht-rationalen Bedingungen, nämlich denjenigen der Neigung – wohl gemerkt, es ist irreführend, hier von einer sinnlich bestimmten praktischen Vernunft zu sprechen. Es ist immer die vernünftige Einsicht oder schlicht Rationalität, die einem Imperativ überhaupt seine Geltung verschafft. Damit aber stellt Vernunft – vermittels der Nötigung – das motivierende Moment zu Handlungen nach einem Imperativ bereit. Betrachtet man bloß die sinnliche Seite ihres Verhaltens, sind vernünftiges Wesen nichts anderes als „ein jedes Ding in der Natur“ und folgen, was die Dynamik ihrer Neigungen angeht, eben Naturgesetzen, nach denen ein solches Naturding wirkt. Insofern als die Bedingungen der Geltung eines hypothetischen Imperativs – nicht das direkte Moment der Nötigung, das immer eines der Vernunft ist – naturkausale sind, steht praktische Vernunft ‚unter fremden Gesetzen‘. Ein kategorischer Imperativ steht, was seine Geltungsbedingungen angeht, nicht unter fremden Gesetzen, unter denen die Vernunft in empirischem Handeln steht. Zugleich ist qua imperativischer Nötigung Vernunft das motivierende Moment. Das heißt, praktische Vernunft ist bloß und direkt handlungswirksam. Damit drückt ein kategorischer Imperativ den reinen Willen aus. Insofern es zugleich der Wille ist, der durch den kategorischen Imperativ bestimmt ist, gibt der Wille sich selbst im kategorischen Imperativ das Gesetz seiner Vollzüge. Die vor dem „ethical interlude“ auf GMS, 421 entwickelte Universalisierungsformel ist das Prinzip aller kategorischen Imperative und damit des selbstgesetzgebenden Willens. Ganz entsprechend schreibt Kant – ohne Bezug auf den Zweck an sich selbst – in den ersten beiden Sätzen, die Duncan nicht mehr dem „ethical interlude“ zurechnet: Autonomie des Willens ist die Beschaffenheit des Willens, dadurch derselbe ihm selbst […] ein Gesetz ist. Das Princip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit Begriffen seien.²³⁵
GMS, AA : . GMS, AA : . – .
4 Exkurs 2: Die Anwendungsbeispiele zur Selbstzweckformel
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Im Ergebnis ist also zu konstatieren, dass eine Herleitung des Autonomiebegriffs skizziert werden konnte, die ohne das Theorem und den Begriff des Zwecks an sich selbst auskommt. Nimmt man noch den ersten Befund hinzu, dass es mit großen Schwierigkeiten verbunden ist, den Begriff des Zwecks an sich selbst als notwendigen Aspekt der Konzeption moralischen Handelns sauber herzuleiten, muss im Falle des Begriffs des Zwecks an sich selbst Allisons Widerlegungsversuch der Duncanschen ‚intelude-These‘ als nicht hinreichend angesehen werden.
4 Exkurs 2: Die Anwendungsbeispiele zur Selbstzweckformel Schließlich soll nun noch ein Blick auf die Anwendungsbeispiele zur Selbstzweckformel geworfen werden. Hierbei ist es wichtig, nicht über die von Kant behauptete sachliche Identität von ZF und UF zu argumentieren, was ein Leichtes wäre, zumal Kant auch noch die gleichen Beispiele thematisiert. Vielmehr sollen die bisher erreichten Ergebnisse die Interpretationsgrundlage bilden.
Das Selbstmordverbot Das Selbstmordverbot lässt sich ohne große Probleme auf dem Hintergrund des Erreichten interpretieren. Da es sich hier um eine „nothwendige[] Pflicht“²³⁶ handelt, muss der Selbstmord dem Gedanken der Menschheit bzw. des vernünftigen Wesens als Zweck an sich selbst direkt widersprechen, also eine notwendige Bedingung der Menschheit als Zweck an sich selbst thematisieren. Und in der Tat macht man, wenn man das Recht einräumt, aus Neigung die eigene Person durch einen Selbstmord zu vernichten, die Befriedigung der Neigung zum obersten Zweck, der also im Zweifelsfalle der Existenz der vernünftigen Subjektivität in der eigenen Person vorzuziehen ist. Denn die Existenz einer Person ist eine notwendige Bedingung der Entfaltung ihrer reinen praktischen Vernunft, also ihrer selbstzweckhaften Existenz. ²³⁷
GMS, AA : . Im Zusammenhang mit UF bzw. NF nimmt Kant eine Unterteilung möglicher Pflichten in vollkommene und unvollkommene bzw. in unnachlassliche und verdienstliche Pflichten vor. Vollkommene Pflichten sind offensichtlich identisch mit unnachlasslichen Pflichten. Denn auf GMS, schreibt Kant, er wolle „einige Pflichten herzählen“ und zwar nach einer zweifachen Einteilung geordnet: „in Pflichten gegen uns selbst und gegen andere Menschen, in vollkommene und unvollkommene.“ Direkt nach den Beispielen schreibt er: „Diese sind nun einige von den vielen wirklichen […] Pflichten […]“ Diese Pflichten, also die in den Beispielen genannten, teilt er dann in die „strengen oder engeren (unnachlasslichen) Pflichten“ und die „weiteren (verdienst-
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II Der Zusammenhang der Formeln
Das Verbot falscher Versprechen Auch hier handelt es sich um eine „nothwendige Pflicht“, deren Zuwiderhandlung also der Menschheit als Zweck an sich selbst direkt widerspricht. Dem Anderen ein falsches Versprechen zu geben heißt, „sich eines andern Menschen bloß als Mittels zu bedienen“, weil „der, den ich durch ein solches Versprechen zu meinen Absichten brauchen will, […] unmöglich in meine Art, gegen ihn zu verfahren, einstimmen“ kann.²³⁸ Weshalb handle ich aber ZF zuwider, wenn ich gegenüber anderen so handle, dass diese meinem Handeln gegen sie nicht zustimmen können? Nun, ich übergehe in solchem Handeln ihr moralisch legitimes Wollen. Doch dieses Wollen ist die Bedingung dafür, dass der Andere überhaupt Zweck an sich selbst sein kann. Durch mein Handeln hemme ich damit die mögliche Entfaltung seiner reinen praktischen Vernunft in seinem Wollen. Im Anhang zum ersten Kapitel wird eine weitere Interpretation geliefert: Ist mein Handeln moralisch legitim, muss der Andere von einem vernünftig-moralischen Standpunkt aus meinem Handeln zustimmen. Im Akte seiner Zustimmung zu meinem Handeln aus moralischen Gründen ist dieser damit aber –bezogen auf diese Zustimmung – seinerseits moralisch-autonom und somit er bzw. seine praktische Vernunft Zweck an sich selbst. Indem ich also durch mein moralisch legitimes Handeln den Anderen dazu nötige, meinem Handeln von einem moralischen Standpunkt aus zuzustimmen, schaffe ich durch mein Handeln Bedingungen, unter denen dieser moralisch wollen und somit Zweck an sich selbst sein kann bzw. muss.
Die Vervollkommnungspflicht Hier sei zunächst der entsprechende Passus zitiert:
lichen) Pflichten“ ein. Damit sind die engeren bzw. unnachlasslichen Pflichten identisch mit den vollkommenen Pflichten, die keine Ausnahme zulassen (vgl. GMS, AA: Anm.) die anderen sind die verdienstlichen Pflichten und identisch mit den unvollkommenen Pflichten, die folglich Ausnahmen zulassen. Zu den „unnachlasslichen Pflichten“ schreibt Kant auch: „Einige Handlungen sind so beschaffen, dass ihre Maxime ohne Widerspruch nicht einmal als allgemeines Naturgesetz gedacht werden kann; weit gefehlt, dass man noch wollen könne, es sollte ein solches werden.“ Und in diesem Sinne ist auch Kants Rede von den „notwendigen“ Pflichten zu verstehen, als welche Kant die in den ersten beiden Anwendungsbeispielen zu ZF genannten Pflichten bezeichnet, die bekanntlich identisch mit den ersten Beiden unter UF genannten sind. Somit kann in Maximen, und entsprechenden Handlungen, die den beiden erstgenannten Pflichten unter ZF widersprechen, also dem Selbstmordverbot und dem Verbot, falsch Versprechen abzugeben, Menschheit als Zweck „ohne Widerspruch nicht einmal […] gedacht werden“. GMS, AA : f. – . Vgl. Anhang III.
4 Exkurs 2: Die Anwendungsbeispiele zur Selbstzweckformel
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Drittens, in Ansehung der zufälligen (verdienstlichen) Pflicht gegen sich selbst ists nicht genug, daß die Handlung nicht der Menschheit in unserer Person als Zweck an sich selbst widerstreite, sie muß auch dazu zusammenstimmen. Nun sind in der Menschheit Anlagen zu größerer Vollkommenheit, die zum Zwecke der Natur in Ansehung der Menschheit in unserem Subject gehören; diese zu vernachlässigen, würde allenfalls wohl mit der Erhaltung der Menschheit als Zwecks an sich selbst, aber nicht der Beförderung dieses Zwecks bestehen können.²³⁹
Kant unterscheidet hier zwischen bloßem Erhalt und positiver Beförderung der Menschheit als Zweck. Genauer wird in dem hier zur Analyse stehenden Anwendungsbeispiel durch ZF das Anstreben der „Vollkommenheit der […] Menschheit in unserem Subject“ gefordert. Um sich diesem Beispiel nach Maßgabe der zuvor formulierten Kriterien – also keiner Erklärung über die Universalisierungsformel – zu nähern, erscheint ein kurzer Blick auf eine Parallelstelle der Metaphysik der Sitten besonders hilfreich. Denn dort erläutert Kant genauer, was er unter dem sittlich geforderten Anstreben der eigenen Vollkommenheit versteht. Die geforderte Vollkommenheit kann diesem Passus nach „nichts anders sein, als Cultur seines [des Menschen] Vermögens, in welchem der Verstand […] das oberste ist, aber auch seines Willens […].“²⁴⁰ Hieraus folgert Kant näher zwei Formen der geforderten Vervollkommnung: 1) Es ist […] Pflicht: sich […] aus der Thierheit […], immer mehr zur Menschheit, durch die er allein [der Mensch] fähig ist sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten: seine Unwissenheit […] zu ergänzen und seine Irrthümer zu verbessern […]. 2) Die Cultur seines Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung […] zu erheben und ihm [dem moralischen Gesetz] aus Pflicht zu gehorchen, […].²⁴¹
Es lässt sich also sagen, dass es gilt, praktische Vernunft überhaupt, also sowohl in ihrer technisch-praktischen Funktion (einschließlich ihrer gesamten theoretischen Voraussetzungen) als auch als moralisch-praktisches Vermögen zu kultivieren. „Menschheit“ wird von Kant hier als Vermögen bezeichnet, durch welches der Mensch „allein fähig ist, sich Zwecke zu setzen“. „Menschheit“ ist demnach praktische Vernunft als das Zusammen beider Aspekte, also des technisch-praktischen und des moralischen. Weiter gilt das Gebot der Vervollkommnung der „Menschheit“ bzw. praktischen Vernunft „um der Menschheit, die in uns wohnt, würdig zu sein“. Um der Menschheit willen soll also praktische Vernunft bzw. Menschheit als technisch-praktisches Vermögen und als moralisch-praktisches
GMS, AA : . – . MS, AA : . – . MS, AA : . – .
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II Der Zusammenhang der Formeln
Vermögen kultiviert werden. Auch das ist konsistent mit der These, dass Menschheit als Zweck an sich selbst in der Sache praktische Vernunft als Zweck an oder für sich meint. Zumindest gilt dies, wenn man der Zweckhaftigkeit an sich einen sozusagen quantitativen Aspekt hinzufügt.Wenn praktische Vernunft selbst Zweck ist, also für sich selbst praktisch sein soll, dann schließt das die Forderung nach Handlungen ein, die gewissermaßen den Radius der Wirksamkeit für sich selbst praktischer Vernunft erweitert. Und dieser ‚Wirkungsradius‘ wird eben durch die Kultivierung technisch-praktischer Fähigkeiten erweitert. Handlungsleitend ist dann offensichtlich das Ideal einer Realität, die sich einer Kausalität reiner praktischer Vernunft verdankt, was nichts anderes als das Reich der Zwecke wäre.
Die Beförderung anderer Glückseligkeit Kants Begründung für die moralische Forderung, die Glückseligkeit anderer zu befördern, lautet: Denn das Subjekt, welches Zweck an sich selbst ist, dessen Zwecke müssen, wenn jene Vorstellung bei mir alle Wirkung tun soll, auch, soviel möglich, meine Zwecke sein.²⁴²
In seinem moralisch legitimen und überprüften Glückseligkeitsstreben ist das Subjekt Zweck an sich selbst. Befördere ich dieses Streben, befördere ich damit die Verwirklichung seiner reinen praktischen Vernunft als Ordnungsprinzip seines Handelns. Diese Interpretation hat allerdings eine Voraussetzung. Diese Voraussetzung lässt sich einholen, indem dieses Beispiel in eine gewisse Analogie zum vorhergehenden gebracht wird. Denn wie im dritten Beispiel liegt m. E. auch hier eine implizite Schlussfolgerung von reiner praktischer Vernunft als Zweck zu der geforderten Erweiterung ihres ‚Wirkungsradius‘ vor. Allerdings ist hier ein entscheidend neuer Aspekt zu berücksichtigen. Der Aspekt betrifft die mit reiner praktischer Vernunft konnotierte Autonomie. In jeder Handlung darf der Wille sich als autonom ansehen, die „mit der allgemeinen Gesetzgebung des Willens […] bestehen“²⁴³ (431) kann, die sich also sittlich legitimen Grundsätzen verdankt, die immer auch um willen ihrer Universalisierbarkeit angenommen werden. Das gilt dann auch für moralisch neutrale Handlungen, deren primärerer Grund das Streben nach Glückseligkeit ist, die also nicht stattfänden, falls sie nicht Ausdruck dieses Strebens wären. Darf sich der Wille auch in solchen Handlungen als autonom ansehen, sofern sie immer auch um willen der sittlichen Legitimität ihrer
GMS, AA : . – . GMS, AA : . f.
5 Zusammenfassung
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Handlungsgrundsätze erfolgen, dann erweitert im Streben nach Glückseligkeit das wollende Subjekt zugleich die Sphäre seiner autonomen Wirkung. Befördere ich das (formal) moralisch legitime Glücksstreben anderer, befördere ich – sofern es in meiner Macht steht – zugleich die Bedingungen der Entfaltung ihrer Autonomie.
5 Zusammenfassung Zu Anfang dieses Kapitels konnte der Zusammenhang von Wollen und Imperativen überhaupt dergestalt interpretiert werden, dass Imperative nicht eigentlich Handlungen vorstellen, die aus einem bestimmten Wollen abgeleitet sind. Vielmehr stellen Imperative diesen Willen selbst vor. Diese Interpretation ging einher mit einer des Begriffs des Willens: Der Wille muss als ein Moment im menschlichen Begehrungsvermögen gesehen werden, das zwar in den Dienst der Neigung gestellt werden kann, selbst aber nie sinnliche Anteile hat, also ein bloß oder rein vernünftiges Vermögen darstellt. Auf der Basis dieser Interpretation erschien ein Prinzip für die Gewinnung der verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs plausibel, wie es Henry Allison entwickelt hat: Die verschiedenen Formeln des kategorischen Imperativs stellen sittlich-autonomes Wollen jeweils so vor, dass ein bestimmtes konstitutives Merkmal desselben betont wird. Es stellte sich allerdings heraus, dass Kant verschiedene Herleitungsprinzipien in der Gewinnung der Formeln in Ansatz bringt. UF ist die unmittelbare-, die Hauptformeln, verstanden als handlungsleitendes Prinzip. NF stellt einen Aspekt von UF auf analoge Weise vor und ist somit direkt von UF abhängig. ZF beinhaltet zwar einen Analogen Begriff, denjenigen des Zwecks an sich selbst. Sie kann aber nicht als aus UF abgeleitet gelten, sondern muss als gleichursprünglich mit letzterer Formel gelten. AF drückt den autonomen Willen vollständig aus – dies aber nicht in Analogie. Diese analoge Darstellung des autonomen Willens in all seinen konstitutiven Aspekten (insoweit sie in der GMS thematisiert werden) kommt RF zu. Ein weiteres Ergebnis der Untersuchung der Analogie zu NF bestand in einer Erweiterung des Begriffs der vernünftigen Natur. War bisher die vernünftige Natur als der Wille identifiziert worden, konnte diese nun weiter als die Gesamtheit der unter dem praktischen Gesetz organisierten Handlungen bestimmt werden. Diese neue Interpretation ließ eine Deutung der zunächst dunkel erscheinenden Aussage Kants zu, die vernünftige Natur setze „ihr selbst“ einen Zweck. Dass die vernünftige Natur sich selbst einen Zweck setzt bedeutet demnach, dass sie ihren eigenen Handlungen, die durch das Sittengesetz, das diese ausdrückt, organisiert
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II Der Zusammenhang der Formeln
sind, einen Zweck setzt. Dieser Zweck ist wiederum die vernünftige Natur²⁴⁴ selbst, nun verstanden als sittliche Organisation allen Handelns. Die Analogie im Begriff des Zwecks an sich selbst bestand zwischen empirischen Zwecken als „Materie“ des Wollens und dem rein durch Vernunft gegebenen Zweck an sich selbst. Wobei zunächst die enge Parallele zwischen dem Zweck an sich selbst und empirischen Zwecken beschrieben wurde: Die Vorstellung reiner praktischer Vernunft, präsent im Sittengesetz, motiviert zu Handlungen, die reine praktische Vernunft ‚realisieren‘. Der Unterschied zu empirischem Wollen bestand darin, dass (a) das Wollen der Realität reiner praktischer Vernunft dem Willen a priori eingeschrieben ist und (b) der reine Wille sich bereits im Handeln selbst verwirklicht, dieses also nicht Mittel zur Verwirklichung des Zwecks ist. Die Formel des Reichs der Zwecke wird von Kant als diejenige vorgestellt, die NF und ZF „von selbst in sich vereinigt“. Allerdings zeigte die Untersuchung zu RF, dass dies nur eingeschränkt gelten kann. Denn zwar kann das Reich der Zwecke als eine ‚Natur‘ der Zwecke angesehen werden (der singulären moralisch legitimen und geforderten Zwecke und der wollenden Wesen als Zwecke an sich selbst), und insofern handelt es sich um eine, ihrerseits analoge, Einheit beider analoger Formeln. Allerdings würde RF genannte Einheit erst dann im strengen Sinne darstellen, wenn Intersubjektivität eine notwendige Implikation der Moralität des Einzelnen wäre, dergestalt z. B., wie Johann Gottlieb Fichte in seiner Wissenschaftslehre nova methodo sie entwickelt.²⁴⁵ Doch kann nicht davon die Rede sein, dass sich in der GMS eine transzendental- bzw. moralphilosophische Begründung in diesem Sinne findet. Vielmehr setzt RF Intersubjektivität voraus.
Vgl. GMS, AA : .. Vgl. Fichte: , vor allem S. – .
III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs Vorbemerkung Im Kontext seiner Einführung der Selbstzweckformel behauptet Kant, der Mensch, wie jedes andere vernünftige Wesen, müsse die Existenz seiner vernünftigen Natur als Zweck an sich selbst vorstellen, und dies aufgrund eines allen vernünftigen Wesen gemeinsamen Vernunftgrundes. In einer Anmerkung bezeichnet er diese Aussage als „Postulat“²⁴⁶ und verspricht, im dritten Abschnitt der Schrift dafür Gründe anzugeben. Nun kommt Kant an keiner Stelle des Deduktionskapitels mehr explizit auf das Postulat zu sprechen. Die meisten Interpreten sind der Auffassung, Kant weise das Postulat in Sektion 2 der GMSIII aus. Diese These ist, wie die vorliegende Untersuchung zeigen wird, nicht haltbar. Stattdessen wird das Postulat, dies sei vorweggenommen, durch die gesamte Deduktion bewiesen. Aus diesem Grunde ist es unumgänglich, die Deduktion in toto zu behandeln. Den Ausgang der Untersuchung bildet eine zentrale und in der Forschung prominent diskutierte Frage, nämlich, wann genau die Deduktion eigentlich abgeschlossen ist. Ausgehend von zwei Interpretationen, denjenigen von Dieter Schönecker und Klaus Steigleder, soll ein Beitrag zur Klärung der dieser Debatte zugrundeliegenden Problemstellung geliefert werden. Dass, wie sich zeigen wird, beide Autoren sehr gute Argumente an der Hand haben, kann als ein Indiz dafür gewertet werden, dass diese Debatte ein Interpretationsproblem ersten Ranges thematisiert, dessen Klärung das Verständnis der argumentativen Anlage, wenn nicht gar der gesamten Grundlegung, so doch zumindest der Deduktion wesentlich zu erweitern verspricht. Schönecker thematisiert in seinem Aufsatz: „How is a categorical imperative possible? Kant’s deduction of the categorical imperative (GMSIII, 4)“ Steigleders Position, geht aber auf dessen m. E. zentrales Argument nicht ein, nämlich das Verhältnis von Zweck an sich selbst und kategorischem Imperativ.²⁴⁷ Eine Schwierigkeit der Position Steigleders betrifft die Aussage, der Zweck an sich selbst sei mit reiner praktischer Vernunft a priori verknüpft. So stellt sich die Frage nach dem genauen Gehalt dieser Aussagen, dessen Klärung auf Ergebnisse zurückführt, die bereits im ersten Kapitel dieser Arbeit entwickelt wurden. Im
GMS, AA : . Anm. Vgl. Schönecker: , S. Anm.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Lichte dieser Ergebnisse kann die Position Steigleders m. E. sogar noch stärker gemacht werden, als der Autor selbst dies tut. Im Anschluss wird über eine erneute Analyse des Kontextes der Einführung der Selbstzweckformel eine Brücke zum Deduktionskapitel geschlagen. Die Analyse der zweiten Sektion von GMSIII²⁴⁸ wird ein weiteres Argument für Steigleder bringen. Danach treten wir in die eigentliche Analyse des Deduktionskapitels ein. Vor allem die dritte Sektion von GMSIII „Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt“²⁴⁹ ist dabei ausführlich zu behandeln. Zum einen, weil in dieser Sektion einige Hürden und Fallen für eine angemessene Interpretation lauern, die nur durch eingehende Analysen aus dem Weg geräumt werden können; zum anderen, weil sich hier entscheidet, ob und inwiefern der Beweis der menschlichen Willensfreiheit auch bereits ein Beweis der Geltung des kategorischen Imperativs ist. Doch zunächst sollen die Positionen Schöneckers und Steigleders kurz vorgestellt werden. Schönecker²⁵⁰ vertritt die These, dass die von Kant behauptete analytische Verbindung von Freiheit und Sittlichkeit einzig auf einen heiligen Willen oder den intelligiblen Teil eines sinnlich-vernünftigen Willens Anwendung findet.²⁵¹ Es lässt sich in diesem Sinne hinzufügen, dass die, wie Schönecker sie nennt, Analytizitätsthese nur behauptet, das Sittengesetz sei notwendig die Regel praktisch-transzendental freier Handlungen. Mit dem Nachweis der Freiheit sinnlich-vernünftiger Wesen als Vermögen wäre damit zwar gezeigt, dass diese prinzipiell sittlich handeln können, aber noch nicht, weshalb sie dies tun sollten, weshalb also, im Falle des nachgewiesenen Vermögens sittlicher und freier Handlungen, das Sittengesetz (als kategorischer Imperativ) auch tatsächlich bindend ist. Erst mit dem von Schönecker so genannten „ontoethischen Grundsatz“ ist in seiner Sicht die Deduktion abgeschlossen. Der „ontoethische Grundsatz“ findet sich in der vierten und fünften Sektion von GMSIII²⁵², also nach dem Ausweis der Willensfreiheit sinnlich-vernünftiger Wesen. Schöneckers „ontoethischer Grundsatz“ stellt eine Paraphrase eines kantischen Gedankens in diesen Sektionen dar²⁵³: Die Verstandeswelt und damit auch der Wille als Glied dieser intelligiblen Welt sind der Sinnenwelt ontologisch übergeordnet, und damit gilt das Gesetz dieser Welt (das Sittengesetz) auch als Gesetz (als kategorischer Imperativ) für Wesen, die zugleich Glieder der Sin-
GMS, AA: f. – . GMS, AAA : – . – . Vgl. Schönecker: , S. – . Vgl. Schönecker: , S. f. GMS, AAA : – . – Vgl. GMS, AA : f. – , , – .
1 Das reine Wollen und der Zweck an sich selbst
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nenwelt und der Verstandeswelt sind; was ich als sinnlich-vernünftiges Wesen soll, ist das, was ich als vernünftiges Wesen und damit als eigentliches Selbst will.²⁵⁴
Weil also die noumenale Ordnung und ihre Gesetze in einem fundierenden oder bedingenden Verhältnis zu der Welt der Erscheinungen und ihren Prinzipien stehen, und weil von der Vernunft das Bedingte der Bedingung „untergeordnet“ wird, kommen wir als vernünftige Wesen nicht umhin, der anzunehmenden Regel der Kausalität unserer noumenalen Subjektivität höheren Wert beizumessen als der sinnlichen und folglich nach dem kategorischen Imperativ zu handeln. Erst mit diesem Gedanken ist nach Schönecker die Deduktion abgeschlossen. Steigleder²⁵⁵ hält diese Position für unhaltbar, denn sie berücksichtigt in seiner Sicht nicht das in der Grundlegung entwickelte Verhältnis zwischen der Geltung des kategorischen Imperativs, der Freiheit, und dem Zweck an sich selbst. So ist zu sagen, dass die (hypothetische) Geltung des kategorischen Imperativs nach Kants Ausführungen in GMSII die Existenz eines Zwecks – des Zwecks an sich selbst – fordert, der bereits in der reinen praktischen Vernunft selbst liegt.²⁵⁶ Für ein Wesen, zu dessen Eigenschaften das Vermögen reiner praktischer Vernunft gehört, ist somit dieser Zweck immer schon existent. Ist aber ein Zweck gesetzt bzw. in Geltung, folgt für endliche Wesen eben nicht, dass sie automatisch die erforderlichen Handlungen vollziehen, die sich aus diesem ergeben. Und deswegen nehmen die in Hinsicht auf die Zweckrealisierung notwendigen Handlungen bzw. ihre Regeln die Form von Imperativen an. Ist folglich der Zweck an sich selbst konstitutives Moment reiner praktischer Vernunft und wird ihre Existenz beim Menschen nachgewiesen, gilt der kategorische Imperativ qua Nachweis der menschlichen Willensfreiheit. Die von Schönecker ins Zentrum der Deduktion gerückte Frage, weshalb ein sinnlich-vernünftiges Wesen, wenn einmal sein Vermögen praktisch-transzendentaler Freiheit nachgewiesen ist, auch sittlich handeln sollte, wäre damit gegenstandslos.
1 Das reine Wollen und der Zweck an sich selbst Die zentrale Prämisse für die Argumentation Steigleders bildet also der Gedanke, dass mit dem reinen Willen der Zweck an sich selbst notwendig verbunden ist. Indessen ist nicht ohne weiteres klar, was hiermit genau gemeint ist. Deshalb ist
Schönecker: , S. . Vgl. Steigleder: , S. – . Vgl. Steigleder: , S. .
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
ein genauerer Blick auf diese Prämisse notwendig. Hierfür kann auf Ergebnisse zurückgegriffen werden, die bereits im ersten Kapitel erreicht worden sind. Thema des ersten Teils des Kapitels I war der Zusammenhang zwischen den verschiedenen den Zweck an sich selbst anzeigenden Begriffen, nämlich: das vernünftige Wesen, die „Natur“²⁵⁷ vernünftiger Wesen, die „vernünftige Natur“²⁵⁸, die „Menschheit“²⁵⁹ und das „Subjekt aller (möglichen) Zwecke“²⁶⁰ als Zweck an sich selbst. Nachdem die Begriffe der „vernünftigen Natur“ und der „Menschheit“ als Zweck an sich selbst gehaltlich als praktische Vernunft oder Wille identifiziert werden konnten, galt es, vier Fragen auf der Grundlage von Kants so zu nennendem Würde-Argument zu beantworten. Erstens: Weshalb kann Kant zugleich den Willen (die vernünftige Natur) und das vernünftige Wesen als Zweck an sich selbst bezeichnen? Zweitens: Was heißt es eigentlich, dass der Wille a priori als Zweck an sich selbst existiert? Und wie hängt drittens diese apriorische Existenz des Willens mit der Geltung des kategorischen Imperativs zusammen? Viertens: Wie ist es zu verstehen, dass das „Subjekt aller (möglichen) Zwecke“²⁶¹ der Zweck an sich selbst ist? Die ersten drei Fragen sind für die Explikation der Position Steigleders relevant. Die Antwort auf die erste Frage lautete, dass das vernünftige Wesen in seinem sittlichen Wollen nichts anderes ist, als seine eigene realisierte vernünftige Natur. Dasjenige „wozu es durch seine Natur schon bestimmt war, als Zweck an sich selbst“²⁶² zu existieren, ist im sittlichen Wollen wirklich, also in demjenigen Handeln, in welchem das vernünftige Wesen vermittels des Sittengesetzes Ursprung allen Werts ist. Als Zweck an sich selbst sind die vernünftige Natur und das vernünftige Wesen damit identisch. Dass praktische Vernunft als Zweck an sich selbst existiert (Frage 2), wurde dahingehend interpretiert, dass ihre eigene Vorstellung, die Vorstellung praktischer Rationalität, ursprünglich ihre eigenen singulären Vollzüge motiviert und damit ihr Vollzugsgrund ist. Praktische Vernunft will a priori sich selbst. In diesem Zusammenhang wurde auf eine bedeutende Implikation hingewiesen: Nach diesem Befund kann das Sittengesetz bzw. der kategorische Imperativ nichts anderes sein, als der Begriff reiner praktischer Vernunft selbst. Der kategorische Imperativ gilt damit deswegen unbedingt (Frage 3), weil er – ganz gemäß der kantischen Logik von Imperativen überhaupt – auf dem dem
GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : .. GMS, AA : .... GMS, AA : .... GMS, AA : . f.
2 Der „Vernunftgrund“ und das Freiheitsargument der 2 Sektion von GMSIII
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Willen genuin eingeschriebenen Wollen basiert. Weil also der Wille a priori nichts anderes als reine praktische Rationalität will, ist diese kategorisch für jedes sinnliche und wollende Wesen aufgegeben. Diese Befunde sprechen offenbar für Steigleders Position, nach welcher mit dem Ausweis menschlicher Willensfreiheit auch schon – vermittels des Zwecks an sich selbst – die Geltung des kategorischen Imperativs gesichert ist. Denn nun wissen wir, dass der freie Wille eben so verfasst ist, dass er ursprünglich als Zweck an sich selbst, oder besser, als Zweck für sich selbst existiert. Das wiederum heißt für ein sinnlich-vernünftiges Wesen, dass praktische Vernunft als Zweck an sich selbst existieren soll – ganz gemäß Kants Begriff eines Imperativs überhaupt. Könnte nun noch nachgewiesen werden, dass der Mensch tatsächlich über reine praktische Vernunft verfügt, würde, weil diese nichts anderes als reine praktische Vernünftigkeit, also sich selbst will und diese der Zweck an sich selbst ist, auch automatisch die Geltung des kategorischen Imperativs mitgezeigt sein. Denn dieser fordert eben nichts anderes, als die Verwirklichung reiner praktischer Rationalität unter sinnlichen Bedingungen.
2 Der „Vernunftgrund“ und das Freiheitsargument der 2 Sektion von GMSIII Dieses Bild findet sich bestätigt, wenn man die bereits erwähnte Stelle aufsucht, in der Kant eine Brücke vom Theorem des Zwecks an sich selbst zum Deduktionskapitel schlägt: Wenn es denn also ein oberstes praktisches Princip und, in Ansehung des menschlichen Willens, einen kategorischen Imperativ geben soll, so muß es ein solches sein, das aus der Vorstellung dessen, was […] Zweck an sich selbst ist, […] zum allgemeinen praktischen Gesetz dienen kann. Der Grund dieses Princips ist: die vernünftige Natur existirt als Zweck an sich selbst. So stellt sich nothwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; […] So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein, zufolge eben desselben Vernunftgrundes […] vor […]. ²⁶³
In einer Anmerkung zum letzten Satz stellt Kant eine Verbindung zur Deduktion her: „Diesen Satz stelle ich als Postulat auf: Im letzten Abschnitt wird man Gründe dafür finden.“²⁶⁴ Der Mensch, wie auch jedes andere vernünftige Wesen muss das Dasein seiner vernünftigen Natur als Zweck an sich selbst vorstellen und zwar
GMS, AA : f. – . Vgl. Anhang I. GMS, AA : . Anm.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
zufolge „eben desselben Vernunftgrundes“, der allen vernünftigen Wesen gemein ist. Diese Aussage ist hier noch „Postulat“ und soll in GMSIII begründet werden. Zwar kommt Kant in GMSIII an keiner Stelle mehr explizit auf diese Ankündigung zu sprechen, allerdings sind einige Interpreten der Auffassung, Kants Rede vom ‚Vernunftgrund‘ beziehe sich auf ein Freiheitsargument des dritten Abschnitts²⁶⁵, das nun kurz referiert werden soll. Dieses Freiheitsargument findet sich im zweiten Unterabschnitt von GMSIII mit der Überschrift: Freiheit muß als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden ²⁶⁶: Nun kann man sich unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urtheile anderwärts her eine Lenkung empfinge, denn alsdenn würde das Subject nicht seiner Vernunft, sondern einem Antriebe die Bestimmung der Urtheilskraft zuschreiben. Sie muss sich selbst als Urheberin ihrer Principien ansehen unabhängig von fremden Einflüssen, folglich muss sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens, von ihr selbst als frei angesehen werden […].²⁶⁷
Vernunft ist, zunächst in Hinblick auf ihre Eigenschaft als Vermögen der Genese von Urteilen, als ein spontanes Vermögen zu denken bzw. sie muss sich selbst als ein solches denken. Denn ein Urteil der Vernunft kann dem ihm inhärenten Wahrheits- bzw. Geltungsanspruch nur genügen, wenn es als ein Vollzug der Vernunft gedacht wird, dessen Vollzugsgründe und –Prinzipien in der Vernunft selbst ihren Ursprung haben. Die Prinzipien, die Kant hier vor Augen hat, sind damit offenbar die Prinzipien des Denkens und Urteilens, also insgesamt alle erkenntniskonstituierenden apriorischen Regeln. Ist der Wille praktische, also kausal wirksame Vernunft, muss er, weil diese als Vermögen der Autogenese der eigenen Vollzugsgründe und –Prinzipien gedacht wird, diese Eigenschaft ebenfalls aufweisen. Das ist auch mit Blick auf die zentrale Willensdefinition in ihrem Kontext auf den Seiten 412– 13 konsequent gedacht.²⁶⁸ So bestimmt Kant dort den Willen als das Vermögen der Ableitung der Handlungsvorstellung und der Handlung aus Gesetzen der Vernunft und diese Ableitung ist nichts anderes als eine Erkenntnis und damit ein Urteil über kausale Zusammenhänge, das selbst zur kausalen Ursache wird. Trifft das zu, dann ist es die zunächst als Episteme ge-
Vgl. Schönecker: , S. – , Paton: , S. f, Haardt: , S. . GMS, AA : . f. GMS, AA : . – . Der Passus lautet bekanntlich: „Ein jedes Ding der Natur wirkt nach Gesetzen. Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien zu handeln, oder einen Willen. Da zur Ableitung der Handlungen von Gesetzen Vernunft erfordert wird, so ist der Wille nichts anderes als praktische Vernunft.“ (GMS, AA : f. – )
2 Der „Vernunftgrund“ und das Freiheitsargument der 2 Sektion von GMSIII
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dachte Vernunft, welcher in einem zweiten Schritt die Eigenschaft zugesprochen wird, Kausalität auf die empirische Welt auszuüben. Soweit die kurze Skizze des ‚Freiheitsbeweises‘. Mit Blick auf den Fortgang der Untersuchung in diesem Kapitel sei auch schon auf Kants Charakterlehre in der KrV verwiesen.²⁶⁹ In Sektion 2 argumentiert Kant parallel zum Beweis der transzendentalen Freiheit der menschlichen Willkür in der Charakterlehre, die Teil der Auflösung der dritten Antinomie ist. Wir werden noch ausführlicher auf Kants Theorie des empirischen und intelligiblen Charakters eingehen, welche in der Tat einen entscheidenden Interpretationsschlüssel für die Deduktion darstellt. An dieser Stelle genügt der folgende Hinweis: In der Charakterlehre argumentiert Kant, dass der Mensch sich deshalb eine noumenale Subjektivität zusprechen darf, weil er sich selbst in spontanen Vollzügen des Verstandes und noch mehr der Vernunft durch „bloße Apperzeption“, also nicht sinnlich gewahr wird und sich selbst hierin folglich keine Erscheinung ist.²⁷⁰ Wie in Sektion 2 des Deduktionskapitels schließt er in der Charakterlehre von der Spontaneität der epistemischen Vernunft auf diejenige der praktischen Vernunft. Wir werden sehen, dass Kant in der dritten Sektion von GMSIII noch näher an der Charakterlehre, ja teilweise bis in den Wortlaut hinein identisch, argumentiert. Dieser Umstand wiederum macht es plausibel, dass der Freiheitsbeweis der Sektion 2 zwar auf der einen Seite, so wie er in dieser Sektion präsentiert wird, keinen gültigen Beweis darstellt, auf der anderen Seite aber auf den Begründungsgang des eigentlichen Beweises (Sektion 3) vorausweist und ihn strukturell vorwegnimmt. Aus dieser Parallele zur Charakterlehre ergibt sich weiter, dass Kants in Sektion 2 dem Wille simpliciter transzendentale Freiheit zuspricht. Denn in der Charakterlehre geht es um die freie Willkür im Allgemeinen, der transzendentale Freiheit zugesprochen wird.²⁷¹ Kant schreibt dies auch explizit: Nun behaupte ich; daß wir jedem vernünftigen Wesen, das einen Willen hat, nothwendig die Idee der Freiheit leihen müssen, unter der es allein handle.
Hier ist von allem Handeln die Rede, nicht bloß von sittlichem. Dieser Befund ist für den weiteren Untersuchungsgang höchst relevant. Kehren wir zum „Postulat“ aus GMSII zurück. Kant liefert zu Beginn der dritten Sektion von GMSIII eine Rekapitulation der bisher erreichten Ergebnisse, in der er nochmals schreibt, „daß wir aus eben demselben Grunde jedem mit […]
Vgl. KrV, A/B-A/B. Vgl. KrV, A f./B f. Vgl. KrV, A/B.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Willen begabten Wesen diese […] Idee der Freiheit […] beilegen müssen.“²⁷² Aus „eben demselben Grunde“, nämlich der genuin autonomen Konstitution der epistemischen Vernunft überhaupt und damit auch der praktischen Vernunft, müssen wir also jedem Wesen, dem wir einen Willen zuschreiben, auch Freiheit des Willens zuschreiben. Nimmt man an, dass Kant hier nicht zufällig wieder vom Vernunftgrund spricht, ist es damit die konstitutive Autonomie der Vernunft, aus welcher die notwendige Vorstellung der selbstzweckhaften Existenz der vernünftigen Natur erwächst. Es stellt sich allerdings die Frage, weshalb dem so ist, weshalb also die autonome Konstitution praktischer Vernunft qua Vernunft ihr Zweck-an-sich-selbst-Sein begründet. Solange hierüber keine Klarheit herrscht, kann auch nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob und inwiefern das Postulat in der zweiten Sektion ausgewiesen wird.
3 Sektion 1 GMSIII Die erste Sektion von GMSIII mit dem Titel „Der Begriff der Freiheit ist der Schlüssel zur Erklärung der Autonomie des Willens“²⁷³ entwickelt erstens Sittlichkeit als positiven Begriff der Freiheit, zweitens thematisiert sie den kategorischen Imperativ als einen synthetischen Satz a priori und deutet drittens voraus, wie seine Geltung prinzipiell zu beweisen ist. Kant bestimmt zu Anfang der ersten Sektion von GMSIII den Willen als „eine Art von Causalität lebender Wesen, sofern sie vernünftig sind“²⁷⁴. Freiheit ist weiter „diejenige Eigenschaft dieser Causalität, da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann“²⁷⁵; in der Abwesenheit „fremder“ kausaler Ursachen besteht das Negative des Freiheitsbegriffs. Vollzieht sich die freie willentliche Kausalität „unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen“ und nehmen wir an, dass der Vollzug jeder Form von Kausalität einer Ursache bedarf, dann muss die Ursache dieser freien Kausalität offenbar immanent sein. Es wird also zu fragen sein, worin diese immanente Ursache besteht und wie sie zu bestimmen ist. Um das leisten zu können, muss zunächst Kants Argument analysiert werden, mit dessen Hilfe der Autonomiebegriff aus dem negativen Freiheitsbegriff gewonnen werden soll. Es lautet:
GMS, AA : GMS, f. – . Hvh.v.Vf. Vgl. auch Schönecker: , S. f. GMS, AA : . f. GMS, AA : . f. GMS, AA : . – , Hvh. v. V.
3 Sektion 1 GMSIII
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Die angeführte Erklärung der Freiheit [als Unabhängigkeit von fremden Ursachen] ist negativ und daher, um ihr Wesen einzusehen, unfruchtbar; allein es fließt aus ihr ein positiver Begriff derselben, der desto reichhaltiger und fruchtbarer ist. […] Die Naturnothwendigkeit war eine Heteronomie der wirkenden Ursache; denn jede Wirkung war nur nach dem Gesetze möglich, daß etwas anderes die wirkende Ursache zur Causalität bestimmte; was kann denn wohl Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Princip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Princip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei. ²⁷⁶
Die zentrale Schwierigkeit dieser Stelle besteht in dem Umstand, dass Kant von der ‚Ursachenimmanenz‘ auf ihre ‚Gesetzesimmanenz‘ unmittelbar zu schließen scheint. Das verwundert umso mehr, als Kant in GMSII gewissermaßen umgekehrt verfährt: Von der Unbedingtheit und der daraus resultierenden Apriorität des kategorischen Imperativs schließt er auf die notwendige ‚Immanenz‘ der motivierenden Ursache moralischer Handlungen. Der Zweck an sich selbst ist dieser aus der praktischen Vernunft selbst stammende Motivationsgrund zu sittlichem Handeln und – das wird weiter oben relevant – er wurde bereits in Kapitel I als (reine) praktische Vernunft identifiziert.²⁷⁷ Hält man aber im Blick, dass Kant legitimerweise auf bereits in GMSII entwickelte Ergebnisse zurückgreifen kann, ist der Schluss von der ‚Immanenz‘ der Ursache zu derjenigen des Gesetzes durchaus plausibel. Denn Kant hat bereits im zweiten Abschnitt die Dichotomie zwischen Autonomie und Heteronomie entwickelt. Da Kant die ‚Ursachenexternität‘ mit naturgesetzlichem Bestimmtsein gleichsetzt, kann er, tertium non datur, von der ‚Ursachenimmanenz‘ sofort per Dichotomisierung auf eine andere, besser auf die andere gesetzliche Bestimmtheit schließen, nämlich Sittlichkeit qua Autonomie.²⁷⁸
GMS, AA : f. – . Vgl. Anhang II. Vgl. hierzu Steigleder: „Da Handlungen Zielsetzungen beinhalten, diese als Zielsetzungen des handelnden Subjekts verstanden werden müssen, das sich aus Gründen dazu bestimmt, die entsprechenden Zielsetzungen handelnd zu realisieren, und diese Gründe wegen der vorausgesetzten Unabhängigkeit von sinnlichen Antrieben auf die Vernunft des handelnden Subjekts beruhen müssen, Vernunftgründe aber durch Notwendigkeit gekennzeichnet sind, führt die negativ […] verstandene Freiheit eines handlungsfähigen Subjekts zumindest auf dessen Kompetenz, sich notwendige Zwecke setzen und diesen folgen zu können und somit auf die Autonomie reiner praktischer Vernunft.“ (Steigleder: , S. f) Vgl. Anhang II.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Ein weiterer zunächst dunkel erscheinender Punkt muss angesprochen werden: Kant bestimmt, wie er dies schon einmal getan hat,²⁷⁹ Autonomie in der oben zitierten Stelle nicht bloß als die Eigenschaft des Willens, nach welcher dieser sich selbst das (praktische) Gesetz gibt. Vielmehr wird Autonomie als Sich-Selbst-Gesetz-Sein des Willens beschrieben: „[…] was kann denn wohl Freiheit des Willens sonst sein, als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein?“ (Hvh.v.Vf.). Hier fungiert der Wille also zum einen als Gesetz und zum anderen als sein eigener Adressat. Der autonome Wille vollzieht sich also zufolge der Vorstellung seiner selbst in Form eines Gesetzes. Anders formuliert besteht Autonomie im Vollzug der reinen Selbstbezüglichkeit praktischer Vernunft. Nun haben wir bereits im ersten Kapitel den Zweck an sich selbst, also das motivierende Moment sittlicher Willensvollzüge, ihren ‚subjektiven Grund‘²⁸⁰, als praktische Vernunft identifiziert. Praktische Vernunft tritt im Sittlichen also als Vollzugsinstanz, als Vollzugsregel und Vollzugsgrund in den Blick.Wie das genauer zu verstehen ist, kann hier nicht untersucht werden. Dass es sich hierbei um keine Über- oder Fehlinterpretation handelt, mag exemplarisch durch die in der KpV von Kant formulierte, offenkundig rhetorische Frage plausibilisiert werden ob Freiheit und das praktische Gesetz „verschieden sein, und nicht vielmehr ein unbedingtes Gesetz blos das Selbstbewußtsein einer reinen praktischen Vernunft“²⁸¹ Im Anschluss an die These der Wechselbegrifflichkeit von Freiheit und Sittlichkeit formuliert Kant das, was man die Synthetizitätsthese des kategorischen Imperativs nennen könnte: Wenn also Freiheit des Willens vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit sammt ihrem Princip daraus durch bloße Zergliederung ihres Begriffs. Indessen ist das letztere doch immer ein synthetischer Satz: ein schlechterdings guter Wille ist derjenige, dessen Maxime jederzeit sich selbst, als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann, denn durch die Zergliederung des Begriffs von einem schlechterdings guten Willen kann jene Eigenschaft der Maxime nicht gefunden werden.²⁸²
Schauen wir uns zunächst die etwas schwer verständliche Bestimmung der sittlichen Maxime an: Die Maxime, die „sich selbst als Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann“, ist diejenige, deren Aspekt es ist, dass sie Gesetz sein kann. Eine sittliche Maxime hat also das Schema: Ich will X und ich will, dass diese Regel meines Willens (die Regel: ich will X) zum allgemeinen Gesetz tauge. Teil der Maxime ist also das Wollen ihrer selbst als Gesetz. Sie enthält folglich in sich
Vgl. GMS, AA : S. . f. Vgl. GMS, AA : . – . KpV, AA : . – . GMS, AA : . – .
3 Sektion 1 GMSIII
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„selbst sich selbst als allgemeines Gesetz betrachtet“. Es soll also – so scheint man den Satz lesen zu müssen – ein synthetischer Satz sein, dass ein „schlechterdings guter Wille“ jederzeit universalisierbare Maximen hat. Zunächst ist aber nicht einzusehen, inwiefern dieser Satz synthetisch sein soll, ist ein guter Wille doch gerade als derjenige definiert, dessen Maximen universalisierbar sind. Ich schlage vor, zunächst einen Passus heranzuziehen, aus dem relativ leicht ein Verständnis der Synthetizität des kategorischen Imperativs gewonnen werden kann. In GMSII wird der kategorische Imperativ bereits zweimal als synthetischpraktischer Satz bezeichnet, einmal in der Sache und dann expressis verbis. Schauen wir uns zunächst die erste Stelle an: Ich verknüpfe mit dem Willen, ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgendeiner Neigung, die That a priori, mithin nothwendig (obgleich nur objectiv, d. i. unter der Idee einer Vernunft, die über alle subjective Bewegursachen völlige Gewalt hätte). Dieses ist also ein praktischer Satz, der das Wollen einer Handlung nicht aus einem anderen, schon vorausgesetzten analytisch ableitet (denn wir haben keinen so vollkommenen Willen), sondern mit dem Begriff des Willens […] unmittelbar als etwas, das in ihm nicht enthalten ist, verknüpft.²⁸³
Aus einem „vollkommenen Willen“ würde das, was der kategorische Imperativ fordert, analytisch abgeleitet sein und damit nicht als Imperativ. Die Forderung, die der kategorische Imperativ ausdrückt, richtet sich qua Imperativ allerdings immer und ausschließlich an sinnlich-vernünftige Wesen. Er kann aber nicht aus einem vorausgesetzten, empirischen Wollen abgeleitet werden und gebietet damit „ohne vorausgesetzte Bedingung aus irgendeiner Neigung“.²⁸⁴ Kant nennt den kategorischen Imperativ also einen synthetisch-praktischen Satz aufgrund des Verhältnisses dessen, was er gebietet, zu seinem Adressaten, dem sinnlich-vernünftigen Wollen: Ein Imperativ, der sich nicht aus einem fundierenden faktischkontingenten Wollen ableitet, gebietet ohne Rücksicht auf a posteriori bestimmtes Wollen und somit a priori. Da der Imperativ damit in der Sicht Kants auch nicht mehr als analytische Folge aus diesem kontingenten Wollen angesehen werden kann, er sich aber doch an das Wollen richtet, das empirisch bedingt ist, muss das, was er gebietet, synthetisch mit diesem Wollen verbunden sein. Das muss noch ein wenig präzisiert werden. Es gibt viele Indizien dafür, dass der kategorische Imperativ – ganz parallel zu hypothetischen Imperativen – ‚analytisch‘ im Sinne der Analytizität hypothetischer Imperative aus dem zu-
GMS, AA : . Anm. Vgl. Anhang III.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
grundeliegenden Willen folgt. Die berühmte Aussage das „Sollen ist eigentlich ein Wollen“²⁸⁵ zeigt dies an. An anderer Stelle heißt es: Wenn es ein solches [Gesetz] ist, so muss es (völlig a priori) schon mit dem Begriff des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein.
Der handlungsleitende Imperativ stellt die Handlungsregel in Form einer Nötigung vor, welche Handlungsregel ‚analytisch‘ aus dem zugrundeliegenden Wollen folgt.²⁸⁶ Die Synthetizität des kategorischen Imperativs kann sich folglich nicht auf den sinnlich-vernünftigen Willen – verstanden als Vermögen – beziehen, denn sonst ergäbe das letzte Zitat keinen Sinn. Es muss sich vielmehr auf alles empirische reale Wollen beziehen. Aus diesem konkreten Wollen folgt der kategorische Imperativ nicht.²⁸⁷ Hiermit ist aber noch nicht erklärt, worauf und auf welche Weise sich „synthetischer Satz“ in der Passage der ersten Sektion von GMSIII bezieht. Um das verstehen zu können, muss eine weitere Stelle aus dem zweiten Abschnitt herangezogen werden, in der Kant expressis verbis vom „synthetisch praktischen Satz“ spricht: Der schlechterdings gute Wille, dessen Princip ein kategorischer Imperativ sein muß, wird also, in Ansehung aller Objecte unbestimmt, bloß die Form des Wollens überhaupt enthalten, und zwar als Autonomie, d. i. die Tauglichkeit der Maxime eines jeden guten Willens, sich selbst zum allgemeinen Gesetz zu machen, ist selbst das alleinige Gesetz, das sich der Wille eines jeden vernünftigen Wesens auferlegt […]. Wie ein solcher synthetischer praktischer Satz a priori möglich und warum er nothwendig sei, ist eine Aufgabe, deren Auflösung nicht mehr binnen der Grenzen der Metaphysik der Sitten liegt […].²⁸⁸
Das Prinzip des schlechterdings guten Willens, der kategorische Imperativ macht diesen Willen zu einem sinnlich-vernünftigen Willen. Dieser Wille enthält „bloß die Form des Wollens“, er will also nicht etwas, sondern er will auf bestimmte Weise. Er will weiter diese Form „als Autonomie“. Autonomie besteht in der GMS, AA: , f. Vgl. GMS, AA: , – . In Wahrheit verhält es sich nochmals komplizierter. Wenn der kategorische Imperativ notwendig „mit dem Begriff des Willens […] überhaupt“ verbunden ist, muss er – wie auch immer – aus jedem konkreten Wollen ‚folgen‘, in diesem präsent sein. Das Achtungstheorem – das sei hier nur angedeutet – weist auf diesen Umstand hin. Es ist anzunehmen, dass die dichotome Unterscheidung zwischen Analytizität und Synthetizität das Verhältnis zwischen Wollen und Imperativ bzw. zwischen hypothetischem und kategorischem Imperativ nicht wirklich trifft. Dem nachzugehen, kann hier aber nicht geleistet werden. GMS, AA : . – .
3 Sektion 1 GMSIII
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„Tauglichkeit der Maxime eines jeden guten Willens, sich selbst zum allgemeinen Gesetz zu machen“. Die so verstandene Form des Willens als Autonomie ist nun ferner „selbst das Gesetz“. Diese auferlegt sich „der Wille eines jeden vernünftigen Wesens“. Kommen wir zur Frage nach dem Adressaten von „ein solcher synthetische Satz“. Grundsätzlich kommen hierfür verschiedene Kandidaten in Frage. Ich schlage vor, ihn in der Aussage zu sehen, dass die Universalisierbarkeit der Maxime, die den guten Willen definiert, „das alleinige Gesetz“ ist, „das sich der Wille eines jeden vernünftigen Wesens auferlegt“. Das passt bestens zum zuvor besprochenen Passus. Aus der Apriorität und unbedingten Geltung folgt die Synthetizität in Bezug auf kontingent-empirisches Wollen. Das eröffnet ein Verständnis der im Zentrum der Analyse stehenden Stelle, die in ihrem Zusammenhang nochmals zitiert sei: Wenn also Freiheit vorausgesetzt wird, so folgt die Sittlichkeit samt ihrem Princip daraus durch bloße Zergliederung ihres Begriffs. Indessen ist das letztere doch immer ein synthetischer Satz: ein schlechterdings guter Wille ist derjenige, dessen Maxime jederzeit sich selbst, als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann, denn durch die Zergliederung des Begriffs eines schlechterdings guten Willens kann jene Eigenschaft der Maxime nicht gefunden werden.²⁸⁹
Kant will mit „das letztere“ auf Vorhergehendes verweisen und in der Verbindung mit dem Doppelpunkt auf sowohl Vorhergehendes als auch Folgendes. Der Doppelpunkt würde dann auf das verweisen, in Bezug auf welches „das letztere“, also „Sittlichkeit samt ihrem Princip“ ein „synthetischer Satz“ ist. Der Teilsatz: „dessen Maxime jederzeit sich selbst, als allgemeines Gesetz betrachtet, in sich enthalten kann“ ist der Inhalt des ‚Prinzips der Sittlichkeit‘. Der „schlechterdings gute Wille“ ist der Wille eines sinnlich-vernünftigen Wesens und damit sein Prinzip der kategorische Imperativ. Damit wäre „Sittlichkeit samt ihrem Prinzip“ in Bezug auf einen schlechterdings guten Willen – verstanden als guten Willen eines sinnlich-vernünftigen Wesens – ein synthetischer Satz. Genauer müsste man nach der obigen Interpretation sagen, dass der kategorische Imperativ bezogen auf das durch diesen selektierte und organisierte empirischen Wollen des sinnlich-vernünftigen Wesens synthetisch ist. Und trotzdem ergibt die Aussage, „durch die Zergliederung des Begriffs eines schlechterdings guten Willens“ könne die „Eigenschaft der Maxime“ universalisierbar zu sein „nicht gefunden werden“, keinen
GMS, AA : . – .
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Sinn. Denn der gute Wille – es bleibt dabei – ist durch diese Universalisierbarkeit der Maxime definiert. ²⁹⁰ Nun schreibt Kant in der ersten Sektion des dritten Abschnitts weiter: Solche synthetische Sätze sind aber nur dadurch möglich, daß beide Erkenntnisse durch die Verknüpfung mit einem dritten, darin sie beiderseits anzutreffen sind, untereinander verbunden werden. Der positive Begriff der Freiheit schafft dieses dritte, welches nicht, wie bei physischen Ursachen, die Natur der Sinnenwelt sein kann [….] Was dieses dritte sei, worauf uns die Freiheit weiset, und von dem wir a priori eine Idee haben, lässt sich hier nicht sofort anzeigen und die Deduktion des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft, mit ihr auch die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs, begreiflich machen, sondern bedarf noch einiger Vorbereitung.²⁹¹
Auch wenn der Begriff „Erkenntnis“ hier etwas irritiert, ist das, was „mit einem dritten“ verknüpft werden soll, klar: es ist das sinnlich-vernünftige Wollen und Sittlichkeit. Das „dritte, darin sie beiderseits anzutreffen sind“ wird durch den „positiven Begriff der Freiheit“ geschaffen. Kants Aussage, dieses Dritte sei nicht „die Natur der Sinnenwelt“, weist auf eine ‚nicht-sinnliche Natur‘, also eine nichtsinnlich Ordnung der Dinge. Diese ist die berühmte Verstandeswelt. Der positive Begriff der Freiheit schafft diese in dem Sinne, dass Sittlichkeit als ein Gesetz der Verstandeswelt gedacht wird, zu welcher sich der Mensch aufgrund seines freien Willens zählen darf. Sollen in der Verstandeswelt aber der menschliche Wille und Sittlichkeit verbunden sein, muss der menschliche Wille simpliciter als frei gelten. Auch hier muss präzisiert werden: Bezieht sich, wie oben behauptet, die Synthetizität des kategorischen Imperativs auf das empirische Wollen sinnlich-vernünftiger Wesen, muss diesem transzendentale Freiheit zugeschrieben werden können, aufgrund welcher sich dieses Wesen zur Verstandeswelt zählen darf. Das steht offensichtlich in direktem Widerspruch zu Analytizitätsbehauptung von
Michael Mager übernimmt, wie es aussieht, vorbehaltlos paraphrasierend, Kants Formulierung: „Dabei ist der Imperativ: Wähle die Maxime für dein Handeln, die gesetzesfähig ist, insofern ein synthetisches Urteil, als eben diese Gesetzesfähigkeit nicht im Begriff der Maxime enthalten ist.“ (Mager: , S. ) Es sei denn, Mager versteht mit „Begriff der Maxime“ denjenigen einer Maxime überhaupt. Da Maximen nur für sinnlich-vernünftige Wesen gegeben sind und insofern sie Ausdrücke eines bestimmten Willens sind, liefe diese Lesart auf die von mir erarbeitete hinaus. Allerdings ist hier ja die Maxime des schlechterdings guten Willens thematisch, deren Maximen per Definition universalisierbar sind. Vgl. auch die Fehlinterpretation von Beck: , S. . GMS, AA : . – .
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Freiheit und Sittlichkeit, was an dieser Stelle aber noch nicht diskutiert werden soll.²⁹² Wenden wir uns stattdessen der Frage zu, was Kant mit einer „Deduktion der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft“ meint. Hier muss ebenfalls vorausgegriffen werden. So meint Kant mit reiner praktischer Vernunft hier dezidiert Vernunft als Vermögen der Ideen, die praktisch ist. Der Begriff der Freiheit, genauer der positive Begriff der Freiheit, also Freiheit als Sittlichkeit, ist eben eine Kausalität der Vernunft nach Ideen, genauer nach der Idee der Freiheit, die den Gehalt des Sittengesetzes darstellt. Nun hat Dieter Henrich für die GMS einen allgemeinen Deduktionsbegriff entwickelt, nach welchem sich der Begriff einer Deduktion in Kants Sinne „auf den Ursprung einer Erkenntnis bezieht.“ Er schreibt weiter: „ In dem ihr Ursprung einsichtig gemacht wird, lässt sich der Anspruch auf eine Erkenntnis rechtfertigen“.²⁹³ Bezogen auf den „Begriff der Freiheit“ heißt das: Die Deduktion rechtfertigt mit Rekurs auf seinen Ursprung in der Vernunft den Anspruch des Menschen, diese sich zuschreiben zu dürfen. Ich möchte auch noch den von Henrich entwickelten Begriff der Kritik der reinen praktischen Vernunft heranziehen: Eine Kritik der reinen praktischen Vernunft musste [in der GMS] entwickelt werden. In ihr musste der Ursprung der Überzeugung von der Geltung des Gesetzes untersucht und in Beziehung auf diese Überzeugung gerechtfertigt werden.²⁹⁴
Vergleicht man diesen Begriff der Kritik mit dem oben angeführten der Deduktion, fällt auf, dass Henrich sie, wenn nicht synonym, so doch in engster Verwandtschaft verstanden wissen will. Sowohl in einer Kritik als auch Deduktion geht es um die Rechtfertigung eines Anspruchs durch Rekurs auf seinen Ursprung in der Vernunft. Eine Deduktion der reinen praktischen Vernunft wäre damit in dieser Verwendung der beiden Begriffe zugleich eine Kritik der reinen praktischen Vernunft: der durch das Aufdecken des ‚Vernunftgrundes‘ zu rechtfertigende Anspruch, dass reine Vernunft eine kausale Kraft habe oder sei. Nun soll aber der positive Begriff der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft deduziert werden. Dass wir uns Freiheit als Sittlichkeit zusprechen dürfen, soll also mit Rekurs auf ihren Ursprung in der reinen praktischen Vernunft einsichtig werden.Weil Sittlichkeit die Kausalität der Idee der Freiheit ist, bedeutet der Beweis der Realität der der Sittlichkeit zu zeigen, dass reine Vernunft als
Vgl. den Abschnitt: Der Wille als noumenale Instanz und die These der Identität von Freiheit und Sittlichkeit. Henrich: , S. . Henrich: , S. .
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Vermögen der Ideen praktisch ist. In sofern wird Freiheit als Sittlichkeit auf reine praktische Vernunft zurückgeführt bzw. aus dieser deduziert.²⁹⁵
4 Sektion 3 GMSIII 4.1 Der Zirkel Im Folgenden ist die dritte Sektion von GMSIII Thema. Diese Sektion bietet erhebliche Interpretationsschwierigkeiten, die in der Forschung immer wieder zu Kontroversen geführt haben. Weil dem so ist und weil dieser Unterabschnitt des Deduktionskapitels sowohl eine Schlüsselrolle für das Verständnis der Deduktion als auch in Hinsicht auf die Klärung der Kontroverse Schönecker/Steigleder einnimmt, soll er ausführlich behandelt werden. Bereits der Beginn der Sektion 3 bildet eine nicht geringe Verständnishürde, weshalb eine Satz-Für-Satz-Analyse unumgänglich erscheint, um möglicherweise sich potenzierende Fehler zu vermeiden. Es sei also zunächst der gesamte zu interpretierende Passus zitiert, dem dann die Analyse folgt: 1) „Wir haben den bestimmten Begriff der Sittlichkeit auf die Idee der Freiheit zuletzt zurückgeführt; diese aber konnten wir als etwas Wirkliches nicht einmal in uns selbst und der menschlichen Natur beweisen; wir sahen nur, daß wir sie voraussetzen müssen, wenn wir uns ein Wesen als vernünftig und mit Bewußtsein seiner Causalität in Ansehung der Handlungen, d. i. mit einem Willen, begabt uns denken wollen, und so finden wir, daß wir aus eben demselben Grunde jedem mit Vernunft und Willen begabten Wesen diese Eigenschaft, sich unter der Idee seiner Freiheit zum Handeln zu bestimmen, beilegen müssen.“
Michael Wolff interpretiert den Begriff der Deduktion in diesem Passus anders, nicht im Sinne einer Rechtfertigung durch Rekurs auf den Vernunftursprung, sondern im logischen Sinne einer syllogistischen Ableitung: „In diesem Sinne bedeutet ‚Deduktion des Begriffs der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft‘ soviel wie: Ableitung des Begriffs der Freiheit […] aus dem Umstand, dass reine Vernunft praktisch ist […]“ (, S. f) Diese Interpretation ist für sich genommen durchaus plausibel. Allerdings meint Wolff, Kant beziehe sich mit dieser Aussage auf die zweite Sektion von GMSIII. In dieser Sektion soll nach Wolff also der Begriff der Freiheit aus der reinen praktischen Vernunft abgeleitet werden. Nun ist in der zweiten Sektion aber nicht von reinen praktischer Vernunft, sondern schlicht von praktischer Vernunft die Rede, genauer von epistemischer Vernunft, die praktisch wird. Weiter soll die in Sektion thematisierte Freiheit eine sein, die wir „jedem vernünftigen Wesen, das eine Willen hat […] leihen müssen, unter der es allein handle.“ Hier muss der Wille überhaupt bzw. praktisch Vernunft simpliciter gemeint sein, denn es ist von allen Handlungen die Rede. Kant leitet Freiheit in der von Wolff angeführten Passage also nicht aus reiner praktischer Vernunft, sondern aus Vernunft überhaupt, genauer aus epistemischer Vernunft ab.
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2) „Es floß aber aus der Voraussetzung dieser Ideen auch das Bewußtsein eines Gesetzes zu handeln: daß […] die Maximen jederzeit so genommen werden müssen, daß sie auch objectiv, d. i. allgemein als Grundsätze, gelten, mithin zu unserer eigenen allgemeinen Gesetzgebung dienen können.“ 3) „Warum aber soll ich mich denn diesem Princip unterwerfen und zwar als vernünftiges Wesen überhaupt, mithin auch dadurch alle anderen mit Vernunft begabten Wesen?“ 4) „Ich will einräumen, daß mich hierzu kein Interesse treibt, denn das würde keinen kategorischen Imperativ geben; aber ich muß doch hieran nothwendig ein Interesse nehmen und einsehen, wie das zugeht; denn dieses Sollen ist eigentlich ein Wollen, das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre; für Wesen, die wie wir noch durch Sinnlichkeit als Triebfeder anderer Art afficirt werden, bei denen es nicht immer geschieht, was die Vernunft für sich allein tun würde, heißt jene Nothwendigkeit der Handlung nur ein Sollen, und die subjective Nothwendigkeit wird von der objectiven unterschieden.“ 5) „Es scheint also, als setzten wir in der Idee der Freiheit eigentlich das moralische Gesetz, nämlich das Princip der Autonomie des Willens selbst, nur voraus und könnten seine Realität und objective Nothwendigkeit für sich nicht beweisen, und da hätten wir noch immer etwas ganz Beträchtliches dadurch gewonnen, daß wir wenigstens das ächte Princip genauer, als wohl sonst geschehen, bestimmt hätten, in Ansehung seiner Gültigkeit aber und der praktischen Nothwendigkeit, sich ihm zu unterwerfen, wären wir um nichts weiter gekommen, denn wir könnten dem, der uns fragte, warum denn die Allgemeinheit unserer Maxime, als eines Gesetzes, die einschränkende Bedingung unserer Handlungen sein müsse, und worauf wir den Wert gründen, den wir dieser Art zu handeln beilegen, der so groß sein soll, dass es überall kein höheres Interesse geben kann, und wie es zugehe, daß der Mensch dadurch allein seinen persönlichen Werth zu fühlen glaubt, gegen den der eines angenehmen oder unangenehmen Zustandes für nichts zu halten sei, keine genugthuende Antwort geben.“²⁹⁶ 6) „Es zeigt sich hier, man muß es frei gestehen, eine Art von Cirkel, aus dem, wie es scheint, nicht herauszukommen ist.“
Der folgende sechste Satz der dritten Sektion enthält gegenüber den anderen Sätzen nicht gehaltlich Neues, zumindest nichts, das für unsere Belange wichtig wäre. Deshalb wird er in der Analyse nicht weiter berücksichtigt: „Zwar finden wir wohl, daß wir an einer persönlichen Beschaffenheit ein Interesse nehmen können, die gar kein Interesse des Zustandes bei sich führt, wenn jene uns nur Fähig macht, des letzteren theilhaftig zu werden […], d. i. daß die bloße Würdigkeit, glücklich zu sein […] für sich interessieren könne: aber dieses Urtheil ist in der That die Wirkung von der schon vorausgesetzten Wichtigkeit moralischer Gesetze (wenn wir uns durch die Idee der Freiheit von allem Interesse trennen) aber dass wir uns von diesem trennen, d. i. uns als frei im Handeln betrachten und so uns dennoch für gewisse Gesetzen unterworfen halten sollen, um einen bloßen Werth in unserer Person zu finden […] und wie dies möglich sei, mithin woher das moralische Gesetz verbinde, können wir auf solche Art noch nicht einsehen.“ (GMS, AA : . – .)
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
7) „Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter sittliche Gesetze zu denken, und wir denken uns nachher als diesen Gesetzen unterworfen, weil wir uns die Freiheit des Willens beigelegt haben, denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe, davon aber einer eben um deswillen nicht dazu gebraucht werden kann, um den anderen zu erklären und von ihm Grund anzugeben […]“²⁹⁷
Satz1: Mit der Aussage. „wir haben den bestimmte Begriff der Sittlichkeit auf die Idee der Freiheit zuletzt zurückgeführt“, bezieht sich Kant offenbar auf die Analytizitätsthese von Freiheit und Sittlichkeit der ersten Sektion. Aus dieser erwuchs die Forderung, Freiheit als Merkmal aller vernünftigen und wollenden Wesen aufzuzeigen, wie die Eingangspassage der zweiten Sektion deutlich macht: Es ist nicht genug, daß wir unserem Willen, es sei aus welchem Grunde, Freiheit zuschreiben, wenn wir nicht eben dieselbe auch allen vernünftigen Wesen beizulegen hinreichenden Grund haben. Denn da Sittlichkeit für uns bloß als vernünftige Wesen zum Gesetze dient, so muß sie auch für alle vernünftigen Wesen gelten, und da sie lediglich aus der Freiheit abgeleitet werden muß, so muss auch Freiheit als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen bewiesen werden […].²⁹⁸
Weil das Sittengesetz in Kants Sicht ein Gesetz im strengen Sinne ist, also für alle (denkbaren) vernünftigen Wesen a priori gelten soll, und weil es ein praktisches Gesetz ist, muss es „(völlig a priori) schon mit dem Begriff des Willens eines vernünftigen Wesens überhaupt verbunden sein“²⁹⁹. Kant hat in der ersten Sektion des dritten Abschnitts für eine analytische Verbindung von Freiheit (als „positiver Begriff“³⁰⁰, und Autonomie bzw. Sittlichkeit, als Eigenschaft des Willens argumentiert. Weil also Sittlichkeit a priori mit dem Willen überhaupt verbunden ist und weil nach Kant Sittlichkeit und Freiheit „Wechselbegriffe“³⁰¹ sind, muss Freiheit „als Eigenschaft des Willens aller vernünftigen Wesen vorausgesetzt werden“³⁰². Hier, im ersten Satz der dritten Sektion, behauptet Kant, die Freiheit des Willens „als etwas Wirkliches nicht einmal in uns selbst und in der menschlichen Natur bewiesen“ zu haben. Es wurde also nicht bewiesen, dass der Mensch tatsächlich über eine transzendental spontane Vernunft verfügt, die Kausalität auf die Sinnenwelt hat, also praktisch ist. Sehr wohl wurde gezeigt, dass der Mensch (a) urteilsfähig ist und (b) folglich über epistemische Freiheit und
GMS, AA : – . – . GMS, AA : . – . GMS, AA : . – . GMS, AA : . f. GMS, AA : .. GMS, AA : . f.
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damit Vernunft verfügt.³⁰³ Der zweite Teil des ersten Satzes, nach dem Semikolon (wir sahen […] beilegen müssen) ist einfach eine Zusammenfassung und Rekapitulation des Freiheitsbeweises: „Aus eben demselben Grunde“, nämlich aufgrund der genuin spontanen Verfassung der Vernunft und damit auch der praktischen Vernunft, sich zufolge eigener Prinzipien zu vollziehen, müssen wir „jedem mit Vernunft und Willen begabten Wesen diese Eigenschaft, sich unter der Idee der Freiheit zum Handeln zu bestimmen, beilegen“, weil der Wille nichts anders als praktische Vernunft ist. Da es aber, wie gesehen, in der zweiten Sektion um die Freiheit des Willens überhaupt geht, steht also noch offen, ob der Mensch überhaupt einen Willen hat. Satz 2 stellt eine komprimierte Version der These der Identität von Freiheit und Sittlichkeit dar, das wird schnell deutlich, wenn man ihre erste Formulierung zu Anfang von GMSIII nochmals in den Blick holt: [W]as kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Princip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als ein allgemeines Gesetz zum Gegenstande haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs und das Princip der Sittlichkeit: also ist ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen einerlei.³⁰⁴
Die „Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein“, wird identifiziert mit demjenigen, was der kategorische Imperativ vorschreibt, nämlich „nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich auch als allgemeines Gesetz zum Gegenstand haben kann“, was nichts anderes als „die Formel des kategorischen Imperativs und des Princips der Sittlichkeit“ ist. Auch in Satz 2 (Sektion 3) wird von Freiheit auf den kategorischen Imperativ geschlossen, das Verb „müssen“ zeigt dies an. Da in diesem Satz aber nicht zwischen dem kategorischen Imperativ und dem sittlichen Prinzip, wie in der ersten Formulierung der Analytizitätsthese, unterschieden wird, und weil der gesamte Passus dezidiert die Freiheit des menschlichen Willens als eines sinnlich-vernünftigen Wesens thematisiert, ist hier offenbar nur der kategorische Imperativ gemeint. Satz 3: Wenn Kant in Satz 3 fragt: „Warum aber soll ich mich denn diesem Princip unterwerfen“, meint er ebenfalls das sittliche Prinzip als kategorischen Imperativ. Vgl. Schönecker: , S. , der die Ansicht vertritt, erst mit dem Nachweis, dass der Mensch über Ideen verfügt, sei seine Vernünftigkeit gezeigt, also erst mit dem neunten Absatz der dritten Sektion. GMS, AA : f. – , Hvh.v.Vf.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Hierfür gibt es mehrere Belege: Erstens würde das Verb „unterwerfen“ andernfalls keinen Sinn ergeben. Zweitens folgt die Frage unmittelbar auf die geschilderte Reformulierung der Analytizitätsthese mit dem Sittengesetz als kategorischem Imperativ (das Verb „müssen“ in Satz 2 zeigt das an). Weil in Satz 1 der Fokus auf dem Umstand liegt, dass die Willensfreiheit des Menschen noch nicht bewiesen wurde und in Satz 2 nochmals an die Analytizitätsthese von Sektion 1 erinnert wird, ist nun weiter zu erwarten, dass die Frage, weshalb der Mensch sich dem moralischen Prinzip unterwerfen soll, durch den Nachweis der menschlichen Willensfreiheit beantwortet werden soll. Diese Einschätzung wird sich schließlich bestätigen. Trotzdem erscheint die Frage des dritten Satzes ein wenig unvermittelt gestellt zu sein. Und man muss sie auch weniger als Konklusion aus den beiden vorhergehenden Sätzen verstehen, sondern vielmehr als etwas verdeckte Hinleitung zum Thema des vierten Satzes, dem Begriff des moralischen Interesses. Der gesamte zweite Teil von Satz 4 („denn dieses Sollen […] nur ein Sollen“) ist, wie die begründende Konjunktion „denn“ anzeigt, eine Erläuterung der Behauptung, „ich“ bzw. der Mensch müsse ein notwendiges Interesse am moralischen Prinzip nehmen, also des ersten Satzteils. Dass der Mensch also ein moralisches Interesse nehmen muss, ist Ausdruck seines notwendigen moralischen Wollens – wie auch immer diese Notwendigkeit genauer zu verstehen sein wird. Das lässt sich auch gut mit Rekurs auf Kants Verwendung der Begriffe des Interesses und desjenigen des Imperativs überhaupt zeigen. So schreibt Kant in GMSII: Die Abhängigkeit eines zufällig bestimmbaren Willens […] von Principien der Vernunft heißt ein Interesse. Dieses findet also nur bei einem abhängigen Willen statt, der nicht von selbst jederzeit der Vernunft gemäß ist; beim göttlichen Willen kann man sich kein Interesse gedenken. Aber auch der menschliche Wille kann woran ein Interesse nehmen, ohne darum aus Interesse zu handeln. Das erste bedeutet das praktische Interesse an der Handlung, das zweite das pathologische Interesse am Gegenstand der Handlung. Das erste zeigt nur die Abhängigkeit des Willens von Principien der Vernunft an sich selbst, das zweite von Prinzipien derselben zum Behuf der Neigung an, da nämlich die Vernunft nur die praktische Regel angibt, wie dem Bedürfnisse der Neigung abgeholfen werde.³⁰⁵
Ein Interesse an einer Handlung nehmen bedeutet dann, dass ein abhängiger, also auch sinnlicher Wille hinreichend durch bloße Vernunft, also nicht „zum Behuf der Neigung“³⁰⁶ bestimmt wird. Damit ist der sich im moralischen Interesse ausdrückende Wille rein vernünftig bestimmt und zugleich – das folgt aus dem Begriff des Interesses – sinnlich konstituiert. Prima facie ist der Bezug von
GMS, AA : f. Anm. GMS, AA : . Anm.
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„nothwendiges Interesse“ an „diesem [moralischen] Princip“³⁰⁷ damit sehr leicht anzugeben: Gibt es ein notwendiges moralisches Interesse, gibt es auch ein notwendiges moralisches Wollen. Diese Interpretation ist in der Tat auch zutreffend, lässt sich aber mit Blick auf das obige Zitat aus GMSII um einiges genauer fassen. Denn ein tatsächliches moralisches Interesse setzt nicht bloß einen reinen Willen als Vermögen eines entsprechenden Wollens voraus, sondern dieses tatsächliche reine Wollen selbst. Das folgt aus dem Begründungsgang, in welchem der Begriff des Interesses und des Imperativs in GMSII eingeführt wird. Auch wenn der Mensch also nicht immer moralisch will, muss er doch objektiv moralisch wollen, das scheint Kants implizite These in den Sätzen 3 und 4 zu sein. Diese These impliziert wiederum zweierlei: Erstens muss gezeigt werden können, dass der Mensch rein vernünftig wollen kann und also Willensfreiheit hat. Zweitens muss deutlich werden, dass es (objektiv) zwingende Gründe für den Menschen gibt, tatsächlich rein vernünftig zu wollen. Wir werden sehen, dass es zu den bemerkenswerten Eigentümlichkeiten des Begründungsgang von GMSIII gehört, dass beides, also der Nachweis der Willensfreiheit als Vermögen und der Nachweis eines notwendigen freien Wollens eine Einheit bilden: Mit dem Erweis der menschlichen Willensfreiheit ist implizit bereits der Nachweis des notwendigen moralischen Interesses erbracht, ein Befund, der sich als Vermittlung der Positionen Steigleders und Schöneckers verstehen lässt. Doch dazu später mehr. Gehen wir nun auf Satz 5 ein. Das, was in diesem Satz einiges Kopfzerbrechen bereitet, ist das eine zusammenfassende Schlussfolgerung anzeigende „also“ („Es scheint also […]“ Hv. v. V.). Denn es ist zunächst alles andere als einleuchtend, weshalb gerade das, also dass „wir in der Idee der Freiheit das moralische Gesetz bloß voraussetzen“, oder zumindest der entsprechende Verdacht, aus dem vorhergehenden Begründungsgang gefolgert werden sollte. Machen wir uns den Hauptbegründungsgang der ersten vier Sätze nochmals klar. Satz 1 betont, dass Freiheit des Willens bisher noch nicht erwiesen wurde. Satz 2 wiederholt die These der analytischen Verbindung von Freiheit und Sittlichkeit. Satz 3 kann als Einleitung zur These verstanden werden, die in Satz 4 formuliert wird: das Sollen ist Ausdruck des rein vernünftigen Interesses sinnlich-vernünftiger Wesen, eines Interesses also, das auf dem reinen Wollen gründet. Das alles folgt aus der Analytizitätsthese, dem Begriff von Moralität, demjenigen eines Imperativs überhaupt und dem Begriff des Interesses und steht bereits vor der zweiten Sektion (GMSIII) fest, und nach dieser ist für Kant, wie er selbst formuliert, die menschliche Wil-
GMS, AA : . – .
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lensfreiheit noch nicht erwiesen. Nehmen wir noch die in der zweiten Sektion formulierte Implikation der Begriffe Wille und Freiheit hinzu, dann scheint Kant darauf hinweisen zu wollen, dass auf dem bloßen Wege der Explikation eben solcher begrifflicher Implikationen ein Beweis der menschlichen Freiheit nicht zu führen ist. Denn nach dem ‚Freiheitsbeweis‘ der zweiten Sektion verschiebt sich die Fragestellung nur: Nun ist zu fragen, ob der Mensch überhaupt einen Willen hat. Erweist sich die Freiheit des menschlichen Willens als undenkbar, kann ersteres ebenfalls nicht konsistent gedacht werden. Kurzum: Der „Übergang von der Metaphysik der Sitten zur Kritik der reinen praktischen Vernunft“, so der Titel des gesamten dritten Abschnitts, wurde noch nicht vollzogen. Denn die „Metaphysik der Sitten“, ist derjenige Teil der Grundlegung, der die „bloße Zergliederung der Begriffe der Sittlichkeit“³⁰⁸ enthält. Weil Kant also zu Anfang der dritten Sektion betont, dass die Freiheit des menschlichen Willens (und damit ein menschlicher Wille überhaupt) noch nicht erweisen sei, und weil er in den folgenden drei Sätzen nichts anderes tut, als bereits erreichte Ergebnisse über begriffliche Implikationen nochmals auszuführen, scheint es also in der Tat, „als setzten wir […] das moralische Gesetz […] nur voraus und könnten seine Realität […] nicht beweisen.“³⁰⁹ Dass wir berechtigt sind, uns einen Willen – und das heißt, einen freien Willen – zuzuschreiben, muss durch das Aufdecken des ‚Ursprungs in der Vernunft‘ gerechtfertigt werden. Das meint eine „Kritik der reinen praktischen Vernunft“: das Aufsuchen des Vernunftgrundes der notwendigen Zuschreibung praktisch-transzendentaler Freiheit. Im „Cirkel“ erweitert Kant seine Behauptung der Unzulänglichkeit des bisherigen begriffsanalytischen Begründungsgangs um einen weiteren Aspekt. Hier die erste Formulierung des Zirkels: Es zeigt sich hier […] eine Art von Cirkel, aus der, wie es scheint, nicht heraus zu kommen ist. Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um [also zum Zwecke, dass…] uns in der Ordnung der Zwecke unter sittlichen Gesetzen zu denken, […].³¹⁰
Im Zirkel wird also der Verdacht formuliert, der Zweck der Annahme der menschlichen Willensfreiheit sei es, sich „unter sittliche Gesetze zu denken“. Hieraus lässt sich aus dem „Cirkel“ ein argumentationsstrategischer Sinn herauslesen, der auf ähnliche Weise von Reinhard Brandt vorgestellt wurde.³¹¹ Be-
GMS, AA : . f. Vgl. Onora O’Neil: , S. . GMS, AA : . – . Die angestellten Überlegungen widersprechen Brandts Thesen zum argumentationsstrategischen Zweck der Zirkelformulierung keineswegs in toto, stimmen vielmehr mit diesen in vielen
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trachtet man bloß die „Metaphysik der Sitten“, und nicht die auf sie folgende „Kritik der reinen praktischen Vernunft“, so könnte einem aufmerksamen Leser der Verdacht kommen, alle relevanten Begriffe, allen voran der Begriff des Willens und der Freiheit, seien so definiert, wie Kant dies tut, damit Sittlichkeit aus dem Begriff eines Willens überhaupt folge, wie dies in der ersten und zweiten Sektion von GMSIII vorgeführt wird. Der begriffliche Apparat der Grundlegung sei also so konstruiert, dass er zwangsläufig auf die Analytizität von Freiheit und Sittlichkeit und diejenige von Willen und Freiheit hinauslaufe. Dies würde erklären, weshalb Kant im Zirkel den Verdacht formuliert, die Freiheitsannahme geschehe, um, also zu dem Zwecke, uns unter sittliche Gesetze denken zu können. Es liegt damit tatsächlich nahe, dass die Weise, in der Kant den Argumentationsgang zu Anfang der dritten Sektion konstruiert, den argumentationsstrategischen Zweck verfolgt, die Notwendigkeit eines Übergangs zur ‚Kritik der reinen praktischen Vernunft‘ hervorzuheben, wie Brandt³¹² behauptet. Schließlich sei noch ein weiterer wichtiger Punkt angesprochen. Kant verbindet in dem analysierten Passus drei Fragestellungen, nämlich diejenige nach dem Beweis der menschlichen Freiheit, diejenige nach dem Grund der Geltung des Sittengesetzes für den Menschen und schließlich die nach dem Ursprung des moralischen Interesses und zwar so, dass es den Anschein hat, als könne die Frage nach dem notwendigen moralischen Interesse gar nicht von derjenigen nach dem Ausweis der menschlichen Freiheit getrennt werden. Beide Fragestellungen werden sowohl von Steigleder als auch von Schönecker klar voneinander getrennt:
Punkten überein: „Man versuche, so der kantische Gedankengang, eben dies [die Realität des Sittengesetzes […] für den Menschen] aus den Begriffen herzuleiten, die bisher analysiert wurden – der Versuch gerät in einen Zirkel:“ Allerdings paraphrasiert Brandt die Zirkelformulierung Kants nicht ganz zutreffend: „Wir sind frei, weil wir dem Gesetz unterworfen sind, und: wir sind dem Gesetz unterworfen, weil wir frei sind.“ (Brand: , S. ) Es scheint auch, als bürde Brandt dem Zirkel eine zu große argumentationsstrategische Last auf, indem dieser zeigen soll, dass eine Moraltheorie überhaupt, die den Überschritt zu einer „Kritik der reinen praktischen Vernunft“ nicht macht, sich zwangsläufig in Aporien verfange. (Brand: , S. ) Beiden Positionen, meiner und Brandts, gemein ist die Annahme, dass der Zirkel die Aufgabe hat, die Notwendigkeit des Übergangs zur „Kritik der reinen praktischen Vernunft“ deutlich zu machen. Vgl. auch Henrich: „Kant erläutert den Zirkelverdacht auf eine Weise, welche die Lösung, die er anstrebt, schon vorbereitet: Es wäre ganz offensichtlich, dass wir die Realität der Freiheit bloß wegen der „schon vorausgesetzten Wichtigkeit moralischer Gesetze“ annehmen, wenn wir ausschließlich zu dem Zwecke, sittliche Gesetze für real halten zu können, zwei Ordnungen und dann zwei Welten voneinander unterscheiden würden.“ (Henrich: , f) Henrich gibt hier den Begründungsgang nicht zutreffen wieder, denn Kant schreibt in seiner ersten Nennung der Lehre der zwei Standpunkte in der dritten Sektion, (genauer zu Anfang der „Auskunft“), die Funktion zu, einen Ausweg aus dem Zirkel zu liefern, und wird im Zirkel gar nicht erwähnt. Vgl. Brand: , S. .
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Sieht Steigleder aus den besprochenen Gründen keinen Sinn in der Frage, warum man moralisch sein sollte, wenn einmal die Frage nach der Freiheit des menschlichen Willen beantwortet ist, ordnet Schönecker eben diese Frage dem Erweis menschlicher Freiheit nach, ohne zu sehen oder zumindest genügend zu betonen, dass Kant zu Anfang der dritten Sektion beides zusammen zu denken scheint.
4.2 Erstes Fazit In den ersten beiden Sätzen der dritten Sektion wird behauptet, die menschliche Willensfreiheit sei noch nicht bewiesen, sie sei aber mit der Annahme eines Willens und mit Sittlichkeit bzw. Autonomie analytisch verbunden. Die in Satz 3 gestellte Frage, weshalb ich mich dem moralischen Prinzip unterwerfen soll, ist, wie die Analyse von Satz 4 zeigt, mit der Frage nach den Gründen des moralischen Interesses identisch. Die notwendige Unterwerfung unter das moralische Prinzip und damit das moralische Interesse bzw. der Wert der Moralität beruhen auf der Annahme eines tatsächlichen moralischen Wollens, also nicht bloß eines solchen als Vermögen. Interesse ist ein Zustand, den ausschließlich sinnlich-vernünftige Wesen haben können. Die Frage also, „woher das moralische Gesetz verbinde“, ist identisch mit der Frage, wie sich ein (objektiv) notwendiges moralisches Wollen sinnlich-vernünftiger Wesen begründen lässt. Durch das Explizieren bloßer begrifflicher Implikationen, also durch eine „Metaphysik der Sitten“ sind beide Fragen nicht zu beantworten, vielmehr könnte, wie der Zirkel nahe legt, der Verdacht aufkommen, dass der bis hierher vorgestellte begriffliche Apparat eigens zu dem Zwecke entwickelt worden ist, auf die Analytizität von Sittlichkeit, Willen und Freiheit hinauszulaufen. Im Lichte der Frage nach den Gründen eines notwendigen moralischen Interesses ist die spezifische Formulierung des Zirkels bemerkenswert. Kants Verdacht, wir nähmen Freiheit des Willens an, um uns unter moralische Gesetze denken zu können, kann vor diesem Hintergrund als Verdacht gelesen werden, dass Freiheit aus dem moralischen Interesse gefolgert wird, dieses der Grund der letzteren sei. Es liegt dann umgekehrt nahe, dass der tatsächliche Nachweis menschlicher Freiheit, also der Nachweis, dass ihre Annahme nicht bloß dem Zwecke der Moralität dient, zugleich aufzeigt, dass es sich umgekehrt verhält, dass also moralisches Interesses aus der Freiheit des menschlichen Willens folgt. Und es werden sich in der Tat Belege für diese Annahme finden. Zusammenfassend muss ein Ausweg aus dem Zirkel also folgendes leisten: Er muss zeigen dass es (a) andere Gründe für die Annahme der Willensfreiheit des Menschen gibt, als den bloßen Wunsch, ihn unter sittliche Gesetze denken zu können, womit diese Gründe nicht-moralischer
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Natur sein müssen. Es müssen (b) die Gründe für ein notwendiges sittliches Interesse des Menschen offengelegt werden, und es sieht so aus, als wolle Kant dies in Einheit mit dem Beweis der menschlichen Willensfreiheit tun.
4.3 Die logische Form des Zirkels Gehen wir nun noch etwas genauer auf Kants Formulierungen des Zirkels ein, unter Einbezug auch der zweiten Formulierung gegen Ende der dritten Sektion. Zunächst sei die erste Zirkelfassung in toto zitiert: Es zeigt sich hier […] eine Art von Cirkel, aus dem,wie es scheint, nicht heraus zu kommen ist. Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter sittlichen Gesetzen zu denken, und wir denken uns nachher als diesen Gesetzen unterworfen, weil wir uns die Freiheit des Willens beigelegt haben, denn Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens [=Sittlichkeit] sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe, davon aber einer eben um deswillen nicht dazu gebraucht werden kann, um den anderen zu erklären und von ihm Grund anzugeben, […].³¹³
Wie dargestellt, gehört es zu den Auffälligkeiten des Zirkels, dass in seinem ersten Teil die Präposition „um“, grammatisch gesprochen, die Zirkumposition „um […] willen“ meint, also ein zweckhaftes Grund-Folge-Verhältnis angedeutet wird, das im zweiten Teil des Zirkels fehlt.³¹⁴ Der zweite Teil nimmt m. E. direkt Rekurs auf die Analytizitätsthese. Diese stellt, wie gesehen, eine analytische Verbindung der Begriffe der Freiheit und Sittlichkeit her. Denken wir uns einmal als frei, folgt – in einer ihrerseits verkürzten begriffsanalytischen Interpretation der Analytizitätsthese –, dass wir unter sittlichen Gesetzen stehen. Gehen wir nun zur zweiten Formulierung des Zirkels über, die sich am Ende der dritten Sektion findet: Nun ist der Verdacht […] gehoben, als wäre ein geheimer Cirkel in unserem Schlusse aus Freiheit auf die Autonomie und aus dieser aufs sittliche Gesetz enthalten, daß wir nämlich vielleicht die Idee der Freiheit nur um des sittlichen Gesetzes willen zum Grunde legten, um dieses nachher aus der Freiheit wiederum zu schließen, mithin von jenem gar keinen Grund angeben könnten, sondern es nur als Erbittung eines Princips, das uns gutgesinnte Seelen
GMS, AA . – . Hvh. v. Vf. So paraphrasiert z. B. Paton den Zirkel falsch, wenn er schreibt: „Wir haben angeführt, dass wir frei sein müssen, weil wir einem kategorischen Imperativ unterworfen sind; und dann gingen wir weiter und behaupteten, dass wir einem kategorischen Imperativ unterworfen sein müssen, weil wir frei sind.“ (Paton: , S. ) Vgl. auch Kaulbach: , S. , Bittner: , S. f und Hill: , S. .
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wohl gerne einräumen werden, welches wir aber niemals als erweislichen Satz aufstellen könnten.³¹⁵
Auch in dieser zweiten Formulierung findet sich also eine zweckterminologische Formulierung des Grund-Folge-Verhältnisses von Freiheit auf Sittlichkeit, hier sogar noch deutlicher, als in der ersten. Wo im ersten Zirkel nur ein „um“ steht, findet sich im zweiten ein „um willen“. Hier schreibt Kant, dass der Zirkel im „Schlusse […] enthalten“ sei, was eine Präzisierung gegenüber der ersten Zirkelfassung darstellt. Nicht so einfach ist hingegen die Zuordnung einiger Wörter im zweiten Teil des Satzes („mithin […] aufstellen“). Es sind: „jenem“, „Erbittung eines Princips“ und „welches“. Der Adressat des Partikels „es“ ist hingegen aus grammatischen Gründen eindeutig und muss sich auf das „sittliche Gesetz“ beziehen. Klar scheint auch der Bezug von „niemals erweislichen Satz“ auf „Erbittung eines Princips“. Damit wird das „sittliche Gesetz“ als „Satz“ bezeichnet, was sich problemlos als verkürzte Form für die Behauptung lesen lässt, das Sittengesetz gelte für den Menschen. „Jenem“ könnte sich sowohl auf „Schlusse“ als auch auf das „sittliche Gesetz“ beziehen, beides wäre auch sachlich durchaus plausibel. Da aber, was bereits zu Anfang der dritten Sektion deutlich wurde, der der Zirkelformulierung zugrunde liegende Verdacht derjenige ist, es scheine „als setzten wir in der Idee der Freiheit eigentlich das moralische Gesetz […] nur voraus“³¹⁶, plädiere ich für letzteres. Vom ‚sittlichen Gesetz‘ also können wir, so der Verdacht, „gar keinen Grund angeben“. Nun ist „Erbittung eines Prinzips“ nichts anderes als die Übersetzung von „petitio principii“, diese allerdings ein falscher Schluss. Folglich kann sich eine bloße Behauptung, wie diejenige der Geltung des sittlichen Prinzips für den Menschen schlecht als petitio principii bezeichnen lassen. Aber auch das bereitet keine wirklichen Schwierigkeiten, denn im Verb „aufstellen“ klingt das Schlussverfahren an, dessen Schlusssatz die erwähnte Behauptung der Geltung des moralischen Gesetzes ist.Wird diese Behauptung als kein „erweislicher Satz […] aufgestellt“, wird sie umgekehrt, zumindest hier, als „Erbittung eines Princips“ aufgestellt. Nun soll die nach wie vor in der Kantforschung kontrovers diskutierte Frage erörtert werden, um welche Art von Zirkel es sich genauer handelt. Hierzu seien zunächst die verschiedenen Begriffe eines logischen Zirkels angeführt, die Kants Überlegungen in der dritten Sektion sehr wahrscheinlich als Grundlage dienten. Wie Reinhard Brandt feststellt, legte Kant in seiner Logik–Vorlesung das Logik-
GMS, AA : . – . GMS, AA : . – .
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Handbuch Georg Friedrich Meiers zugrunde, in dem sich folgendes zum circulus vitiosus findet: Wenn ein Schlusssatz aus Vordersätzen hergeleitet wird, welche ebenso ungewiss sind,wie er selbst, so werden die Beweisthümer erbettelt (petitio principii seu quaesiti). Wenn aber eine Schlusssatz zu seinem eigenen Vordersatze angenommen wird, so nennt diesen Fehler die Wiederkehr im Beweise (circulus in probando).³¹⁷
Die Frage lautet also, um welche Art von circulus vitiosus es sich handelt, um einen circulus in probando, wie dies die Mehrzahl der Interpreten annimmt³¹⁸ oder um eine petitio principii in der oben zitierten Bedeutung. Es wurde in den bisherigen Erläuterungen deutlich, dass der Zirkelverdacht sich auf dem Begründungsgang der ersten beiden Sektionen vom GMS III bezieht, wenn nicht sogar auch auf weite Teile des zweiten Abschnitts der Schrift. Rekapituliert man den Hauptstrang der Argumentation der ersten beiden Sektionen des dritten Abschnitts, wird recht schnell deutlich, welche Art von Zirkel Kant höchst wahrscheinlich meint. Denn in Sektion 1 wird von der Freiheit als kausalem Vermögen, also aus Freiheit „in der Ordnung der wirkenden Ursachen“ über Autonomie auf Sittlichkeit geschlossen, welchen Schluss den Gedanken der Analytizitätsthese darstellt. In der Zweiten Sektion wird nun ein Freiheitsbeweis geführt, den man für einen Beweis der menschlichen Freiheit halten könnte, nämlich dann, wenn man die (praktische) Vernünftigkeit des Menschen schon voraussetzt.Wir haben es also in den ersten beiden Sektionen von GMS III im ersten Schritt mit einem Schluss von kausaler Freiheit auf Sittlichkeit und im zweiten Schritt mit einem – vermeintlichen – Beweis der menschlichen Freiheit zu tun.Wie dargelegt, deutet Kant dies zu dem Verdacht um, der Freiheitsbegriff könnte so entwickelt worden sein, wie es geschehen ist, damit Sittlichkeit aus diesem folge. Handelte es sich um einen circulus in probando, müsste ein Schluss von praktisch-transzendentaler Freiheit auf Sittlichkeit erfolgen und dann der umgekehrte Weg eingeschlagen werden, nämlich der ‚Erweis‘ der Freiheit aus dem sittlichen Vermögen des Menschen. Der zweite Schritt findet sich aber nicht. Stattdessen betont Kant unmittelbar im Anschluss an die zweite Sektion, dass wir Freiheit „als etwas Wirkliches nicht einmal in uns und in der menschlichen Natur beweisen“³¹⁹ konnten. Es kann sich folglich nicht um einen circulus in probando handeln, sondern es muss sich
Georg Friedrich Meier: Auszug aus der Vernunftlehre, Halle , . Vgl. Brandt: , S. . Vgl. Brandt: , S. , Ameriks: , S. ; Bittner: , S. f; Hill: , S. ; Kaulbach: , S. ; Paton: , S. ; Praus: , S. . GMS, AA : . f.
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vielmehr, eine dritte Alternative ausschließend, um eine petitio principii seu quaesiti handeln. Ziehen wir Meiers Definition einer petitio principii nochmals heran, wird auch deutlich, welches Prinzip „erbeten“ ist: Denn Freiheit bzw. die Behauptung ihrer Realität ist der ‚Vordersatz […] welcher ebenso ungewiss ist‘, wie die Behauptung der Geltung des Sittengesetzes für den Menschen. Die „erbettelten Beweisthümer“ betreffen damit die Freiheit und diese ist das erbetene Prinzip. Kurzum: Es handelt sich um eine petitio principii seu quaesiti im Sinne des LogikHandbuchs Georg Friedrich Meiers und nicht um einen circulus in probando, weil sich im Begründungsgang vor der Zirkelformulierung kein Schluss von Sittlichkeit auf Freiheit, aber sehr wohl ein – vermeintlicher – Beweis der menschlichen Willensfreiheit findet, aus dem aufgrund der Wechselbegrifflichkeit von Freiheit und Sittlichkeit die Geltung des Sittengesetzes folgen würde – zumindest bezogen auf den bisher erreichten Stand der Argumentation.³²⁰
4.4 Die „Auskunft“ Wenn Kant von einer „Auskunft“ spricht, sollte man dies nicht im Sinne einer Informationsvermittlung als vielmehr im Sinne von „Ausweg“ lesen. Die „Auskunft“ soll also einen Ausweg aus dem Zirkel aufzeigen. Im Folgenden werde“ zunächst die einzelnen Schritte der „Auskunft“ dargestellt und kurz erläutert, bevor einzelne zentrale Aspekte und ihr Bezug zur ersten Kritik erörtert werden. Der erste Satz der Auskunft lautet: Eine Auskunft bleibt uns aber noch übrig, nämlich zu suchen: ob wir, wenn wir uns durch Freiheit als a priori wirkende Ursache denken, nicht einen anderen Standpunkt einnehmen, als wenn wir uns selbst nach unseren Handlungen als Wirkungen, die wir vor unseren Augen sehen, uns vorstellen.³²¹
Kant verweist hier auf die wenig später folgende Unterscheidung von Sinnen- und Verstandeswelt: Denken wir uns als frei, sprechen wir uns eine noumenale Seite unserer Subjektivität zu, die als solche Kausalität auf die Welt der Erscheinungen haben soll. Damit sehen wir uns aber zugleich als Teile oder Mitglieder einer Welt der Noumenen an, einer Verstandes- bzw. intelligiblen Welt an. Kant nimmt hier, wie weitere Indizien zeigen werden, Bezug auf seine Theorie des empirischen und intelligiblen Charakters. Ein Charakter ist in der KrV das Gesetz der Kausalität einer wirkenden Ursache. Lässt Kant, was den empirischen Charakter angeht,
Vgl. Anhang IV. GMS, AA : . – .
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keinen Zweifel daran, dass es sich hierbei um das Prinzip der Naturkausalität bzw. subalterne Naturgesetze handelt, ist die Identifikation des Gesetzes, das den intelligiblen Charakter ausmacht, um einiges schwerer. Die zunächst naheliegende Annahme, es handle sich um das Sittengesetz, wird sich als nicht haltbar oder doch zumindest zu eng gefasst erweisen. Der erste Schritt der Auskunft besteht in der Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung und damit implizit derjenigen von nouomenaler und phänomenaler Ordnung, die an die jeweiligen epistemischen Vermögen der reinen spontanen Vorstellungen bzw. der Sinnlichkeit gebunden sind. Im Falle der reinen Vorstellungen geschieht dies ex negativo, d. h. es wird nur das Verhältnis von passiven und unwillkürlichen Vorstellungen (der Sinne) zu den Erscheinungen formuliert und gesagt, dass wir so „niemals“ zur Erkenntnis „der Dinge an sich selbst gelangen können“.³²² Im nächsten Schritt wird diese Unterscheidung der verschiedenen Ordnungen (und der beigeordneten epistemischen Vermögen) auf die menschliche Subjektivität angewendet. Der Mensch ist sich selbst „durch innere Empfindung“ ein empirischer Gegenstand. Dieser „aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffenheit“ muss er zugleich „ein Ich, so wie es an sich selbst beschaffen sein mag“ zugrunde legen.³²³ Nun formuliert Kant exakt das Argument, das er auch in der Charakterlehre für die Berechtigung vorbringt, uns eine noumenale Subjektivität zuschreiben zu dürfen: In rein spontanen Vollzügen, solchen also, die „reine Tätigkeit“ sind oder doch „sein mögen“ und folglich nicht sinnlich rezeptiv sind, ist sich der Mensch kein sinnlicher Gegenstand, sondern ein noumenaler. Aufgrund solcher rein spontaner Vollzüge und
Vgl: „Es ist eine Bemerkung, welche anzustellen […] kein subtiles Nachdenken erfordert […], daß alle Vorstellungen, die uns ohne unsere Willkür kommen (wie die der Sinne), uns die Gegenstände nicht anders zu erkennen geben, als sie uns afficiren […] mithin, daß […] wir dadurch […] bloß zur Erkenntnis der Erscheinungen, niemals der Dinge an sich selbst gelangen können. Sobald dieser Unterschied […] ( […] zwischen den Vorstellungen, die […] uns anders woher gegeben werden, […] von denen, die wir lediglich aus uns selbst hervorbringen, und dabei wir unsere Thätigkeit beweisen) einmal gemacht ist, so folgt von selbst, daß man hinter den Erscheinungen doch noch etwas anderes, was nicht Erscheinung ist, nämlich die Dinge an sich selbst, einräumen […] müsse, ob wir gleich […] was sie an sich sind, niemals wissen können.“ (GMS, AA : f. – .) Vgl.: „Sogar sich selbst […] nach Kenntniß, die der Mensch durch innere Empfindung vor sich hat, darf er sich nicht anmaßen zu erkennen, wie er an sich selbst sei […]. [I]ndessen er doch nothwendigerweise über diese aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffenheit seines eigenen Subjects noch etwas anderes zum Grunde liegendes, nämlich sein Ich, wie es an sich selbst beschaffen sein mag, annehmen und sich also […] in Ansehung dessen […], was in ihm reine Thätigkeit sein mag, (dessen, was gar nicht durch Afficirung der Sinne, sondern unmittelbar zu Bewußtsein gelangt) sich zur intellectuellen Welt zählen muß, die er doch nicht weiter kennt.“ (GMS, AA : . – .)
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Vorstellungen darf er sich damit zur Welt der Dinge an sich zählen. Es müsste nur noch gezeigt werden, dass der Mensch solche reinen Vollzüge tätigen kann. Im dritten Schritt wird dann auch konsequenterweise der Nachweis geführt, dass der Mensch tatsächlich über (rein) spontan-apperzeptive Vorstellungen verfügt, die Vernunftideen. Das geschieht im neunten Absatz der dritten Sektion und wird weiter oben ausführlich behandelt. Bis hierhin argumentiert Kant nun aber ausschließlich für die legitime Zuschreibung einer noumenalen Subjektivität des Menschen. Es fehlt noch der entscheidende Schritt, nämlich ein Argument dafür, dass diese Subjektivität auch Kausalität auf die Sinnenwelt hat. Auch dieses Argument findet sich im neunten Absatz der dritten Sektion. Es besteht in dem Verweis auf das ‚vornehmste Geschäft‘ der Vernunft, welches Geschäft in der Selbstkritik mit dem Ziel einer Konsistenten Selbstsicht der Vernunft besteht. Hiermit meint Kant im Kontext der dritten Sektion insbesondere die Auflösung der dritten Antinomie, deren Ergebnis gerade die notwendige Annahme der Möglichkeit einer noumenalen Kausalität auf die Sinnenwelt und damit transzendental-praktische Freiheit ist. Um die letzten beiden Schritte der „Auskunft“ verstehen zu können, muss der neunte Absatz der dritten Sektion einer ausführlichen Analyse unterzogen werden, die uns u. a. zur Ideen- und Antinomienlehre der Kritik der reinen Vernunft führen wird. Zunächst sei der neunte Absatz in toto zitiert: Nun findet der Mensch in sich wirklich ein Vermögen, dadurch er sich von allen Dingen, ja von sich selbst, sofern er von Gegenständen afficirt wird, unterscheidet, und das ist die Vernunft. Diese, als reine Selbstthätigkeit, ist sogar darin über den Verstand noch erhoben: daß, obgleich dieser auch Selbstthätigkeit ist und nicht, wie der Sinn, bloß Vorstellungen enthält, die nur entspringen, wenn man von Dingen afficirt (mithin leidend) ist, er dennoch aus seiner Thätigkeit keine anderen Begriffe hervorbringen kann als die, so bloß dazu dienen, um sinnliche Vorstellungen unter Regeln zu bringen und sie dadurch in einem Bewußtsein zu vereinigen, ohne welchen Gebrauch der Sinnlichkeit er gar nichts denken würde, da hingegen die Vernunft unter dem Namen der Ideen ein so große Spontaneität zeigt, dass er [sie] dadurch weit über alles, was ihm [ihr] Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht und ihr vornehmstes Geschäft darin beweist, Sinnenwelt und Verstandeswelt voneinander zu unterscheiden, dadurch aber dem Verstand selbst seine Schranken vorzuzeichnen.³²⁴
Die Rede vom „Vermögen“, durch welches sich der Mensch „von sich […] selbst, sofern er von den Gegenständen afficirt wird, unterscheidet“, ist das Vermögen der vorher thematischen „reinen Thätigkeit“, die „gar nicht durch Afficirzung der Sinne, sondern unmittelbar zum Bewußtsein gelangt“³²⁵. Denn diese „reine
GMS, AA : . – . GMS, AA : . f.
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Thätigkeit“ wird dem „Ich, wie es an sich selbst beschaffen sein mag“ zugeordnet. Die ‚reine Tätigkeit‘ wird in Absatz 9 dann auch präzisierend ‚reine Selbsttätigkeit‘ und ‚reine Spontaneität‘ genannt. Die Rede von der reinen Selbsttätigkeit und ihrem unmittelbaren Bewusstsein lässt sich im Rückblick auf die zweite Sektion etwas genauer fassen. So wurde dort die Vernunft als Vermögen begriffen,Vollzüge zu tätigen, deren Ursachen und Prinzipien selbstgegeben sind. Genauer schreibt Kant dort, man könne sich „unmöglich eine Vernunft denken, die mit ihrem eigenen Bewußtsein in Ansehung ihrer Urtheile“³²⁶ (Hvh.v.Vf.) und auch in Ansehung aller ihrer reinen Vollzüge nicht selbstgegebenen Ursachen und Prinzipien folgt. Dieses notwendige Autonomiebewusstsein in den reinen Vernunftvollzügen kann insofern als „unmittelbar“ gelten, als es eben Bewusstsein der Vernunft selbst von ihrer ausschließlich eigenen Tätigkeit ist und dieses Bewusstsein folglich sozusagen kein externes Moment aufweist, wie dies in sinnlich affizierten Vorstellungen der Fall ist. Um den neunten Absatz weiter entschlüsseln zu können, muss zunächst ein kurzer Blick auf die Kritik der reinen Vernunft geworfen werden, genauer auf ihre Dialektik und Antinomienlehre. Dieser Blick muss zwar recht oberflächlich bleiben, jedoch sollte zumindest deutlich werden, weshalb die Vernunft gerade „im Namen der Ideen“ den reinsten Ausdruck ihrer Spontaneität aufweist. Weiter muss geklärt werden, in welchem Zusammenhang diese Spontaneität mit der in Sektion 2 bewiesenen steht. Schließlich muss auch deutlich werden, was es genauer mit Kants Wort vom „vornehmsten Geschäft“ auf sich hat.
4.5 Kants Ideenlehre In der transzendentalen Dialektik werden nicht bloß die Ideen der Vernunft aus ihrer Verfahrensweise als Vermögen des Schlussfolgerns entwickelt. Zugleich ist die transzendentale Dialektik – deswegen auch der Titel („Logik des Scheins“³²⁷) – der Ort, an dem die Illusionen der speziellen Metaphysik, namentlich der rationalen Psychologie, Kosmologie und Theologie als notwendige Illusionen aus der Konstitution der Vernunft, selbst entwickelt werden. Bevor wir zur Rolle der ZweiWelten-Lehre im Zusammenhang mit den Ideen kommen, soll zunächst zumindest grob geklärt werden, wie diese Ideen und damit die drei zentralen Themen der traditionellen Metaphysik aus der Vernunft als Schussfolgerungsvermögen entwickelt werden. Vernunft wird von Kant im Unterschied zum Verstand, dem „Vermögen der Regeln“, als „Vermögen der Principien“ bezeichnet, genauer als
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Vermögen der „Erkenntnis aus Principien, da ich das Besondere im Allgemeinen durch Begriffe erkenne“.³²⁸ Dass diese Subsumtion „durch Begriffe“ geschieht, ist entscheidend. So schließt die Vernunft in einem Vernunftschluss aufgrund begrifflicher Implikationen. Denn die Subsumtion des Untersatzes (Minor), der besonderen Erkenntnis, unter die allgemeine Regel (Major) geschieht nicht durch die Vernunft im engeren Sinne, sondern durch die Urteilskraft. Ist aber diese Subsumtion gegeben, so formuliert die Vernunft aufgrund bloßer begrifflicher Implikationen von Major und Minor die Conclusio. Kant nimmt drei Vernunftschlüsse an: den kategorischen Vernunftschluss („A ist (bzw. ist nicht) B“), den hypothetische Vernunftschluss („Wenn etwas gesetzt ist, so ist etwas anderes gesetzt und umgekehrt“) und schließlich den disjunktiven Vernunftschluss („A ist entweder B oder C“). Ein Obersatz kann seinerseits als Konklusion eines höherstufigeren Syllogismus verstanden werden und der Vernunftschluss sucht nun zu diesem Besonderen das Allgemeine, die allgemeine Regel (Prosyllogismus). Hier verfährt die Vernunft im Ausgang von durch den Verstand gegebenen Regeln nach dem Grundsatz „zu dem Bedingten Erkenntnisse des Verstandes das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird“³²⁹. Kant nennt diesen Grundsatz, nach den (letzten) Bedingungen des gegebenen Bedingten zu suchen, die „logische Maxime“³³⁰. Diese sich aus dem rein logischen Gebrauch der Vernunft ergebende Maxime wird nun zu einem synthetischen Grundsatz durch die Annahme „wenn das Bedingte gegeben ist, so sei auch die ganze Reihe einander untergeordneter Bedingungen, die mithin selbst unbedingt ist, gegeben […]“³³¹. Diese Annahme des Gegebenseins der Totalität der gesamten Reihe der Bedingungen ist deswegen synthetisch, weil zwar „das Bedingte sich analytisch […] auf irgend eine Bedingung, aber nicht auf das Unbedingte“³³² bezieht. Dass es also die letzte, unbedingte Bedingung zu gegebenem Bedingten bzw. die gesamte Reihe der Bedingungen gibt, folgt nicht analytisch aus der Vorstellung eines Bedingten überhaupt. Der dialektische Schein und die unzulässige Erweiterung des Vernunftgebrauchs über die Erfahrungsgrenzen hinaus ergibt sich nun aus der ‚Ontologisierung‘ des von der Vernunft in synthetischem Gebrauch geforderten Unbedingten. Das, was zunächst bloß eine Forderung der Vernunft ist, erhält nun den Status einer Realität. Die Idee der Vernunft ist eben dieser mit einer Existenzbe-
KrV, A/B, Hvh. v. Vf. KrV, A/B. KrV, A/B. KrV, A/B. KrV, A/AB.
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hauptung verbundene „Begriff des Unbedingten, sofern er einen Grund der Synthesis des Bedingten enthält […]“³³³. Auf der Basis des jeweiligen Vernunftschlusses (kategorisch, hypothetisch, disjunktiv) ergeben sich die jeweiligen transzendentalen Vernunftbegriffe, die ihrerseits nichts anderes als transzendent gedachte Kategorien sind: „die absolute Einheit des denkenden Subjects (Seele)“, „die absolute Einheit der Reihe der Bedingungen der Erscheinungen (Welt)“, „die absolute Einheit der Bedingungen aller Gegenstände des Denkens überhaupt (Gott).³³⁴ Aus dem bisher Referierten lässt sich auch schon ein Verständnis dessen gewinnen, was Kant in der dritten Sektion von GMS III meint, wenn er schreibt, die Vernunft zeige „unter dem Namen der Ideen […] reine Spontaneität“³³⁵. Erstens gelangt Vernunft im Unterschied zum Verstand, der vermittels der Anschauung seine Regeln anwendet, durch Begriffe vom Allgemeinen zum Besonderen, ist also in ihrem genuinen Vollzug von der Sinnlichkeit unabhängig. Zweitens entspricht den Ideen, als letzten Bedingungen des empirisch gegebenen Bedingten, nichts, was in irgendeiner Anschauung gegeben werden könnte. Und eben deswegen sind sie drittens Existenzbehauptungen, deren Ursprung einzig in der Vernunft selbst liegt. Im Zusammenhang mit der dritten Sektion von GMSIII sind die von Kant behandelten Fehlschlüsse der rationalen Kosmologie unter der Klasse der Ideen des Weltganzen (aus dem hypothetischen Vernunftschluss gewonnen) von besonderer Bedeutung, also die Antinomien der Vernunft, und hier vor allem die dritte kosmologische Idee der ‚absoluten Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt‘³³⁶ einschließlich ihrer Antinomie. Bekanntlich ist die dritte kosmologische Idee: „Die absolute Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung überhaupt“, die aus der Kategorie der Kausalität gewonnen wird, samt ihrer Antinomie für die Moralphilosophie Kants von besonderer Bedeutung, wird in ihrer Auflösung doch die Denkmöglichkeit von praktisch-transzendentaler Freiheit eröffnet. Die dritte Antinomie besteht bekanntlich in der nach Kant gleich guten Begründbarkeit der sich widersprechenden Annahmen, dass zur Vollständigkeit der Entstehung einer Erscheinung (a) eine erste, nicht gewirkte Ursache und folglich „Causalität durch Freiheit zu Erklärung derselben anzunehmen nothwendig“³³⁷, oder (b) „alles in der Welt […] lediglich nach Gesetzen der Natur“³³⁸ geschehe.
KrV, A/B. KrV, A/B. GMS, AA : . f. KrV, A/B. KrV, A/B. KrV, A/B.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Der bereits in der Ästhetik der KrV entwickelte transzendentale Idealismus, also die Lehre von der Idealität von Raum und Zeit und die sich hieraus ergebende Annnahme, „dass alles, was im Raume oder der Zeit angeschauet wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinung, d. i. bloße Vorstellungen sind […]“ (A491/B518 f), soll die Antinomie bekanntlich überwinden. Denn seine theoretische Folge bildet die Annahme einer intellektuellen Kausalität einer nouomenalen Ordnung auf die phänomenale. Hierdurch ist es möglich, die Einheit der Naturkausalität zu wahren und trotzdem die These zur Geltung zu bringen, wonach Naturkausalität zur Erklärung der Erscheinungen insgesamt nicht hinreicht, sondern eine Kausalität aus Freiheit fordert. Nun kann eine Kausalität aus Freiheit in Ansatz gebracht werden, ohne dass aus dieser Gegenstände in der Zeit erklärt werden müssen – und könnten. Sind nämlich alle Erscheinungen in Raum und Zeit bloße Vorstellungen, dann fordern die Erscheinungen überhaupt einen „transzendentalen Gegenstand“, (A578/B566) der sie als Vorstellungen bestimmt. Innerhalb dieser Ordnung der Vorstellungen ist die Geltung des ‚Verstandesgesetzes der Naturkausalität‘ damit ungebrochen. Doch diese gesamte naturkausale Ordnung der Erscheinungen bedarf ihrerseits – als Ordnung bloßer Vorstellungen – einer Begründung.
4.6 Die Spontaneität der Vernunft und ihr „vornehmstes Geschäft“ Kehren wir nun zur GMS zurück. Es sollte nun möglich sein, Kants Äußerungen zur reinen Spontaneität der Vernunft und ihrem „vornehmsten Geschäft“ am Ende des neunten Absatzes (Sektion 3, GMSIII) angemessen interpretieren zu können. Zur Erinnerung: Kant schreibt, die Vernunft zeige […] unter dem Namen der Ideen eine so reine Spontaneität […], daß er [der Verstand und also seine Kategorien] dadurch weit über alles, was ihm Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht und ihr vornehmstes Geschäfte darin beweiset, Sinnenwelt und Verstandeswelt voneinander zu unterscheiden, dadurch aber dem Verstand selbst seine Schranken vorzuzeichnen.³³⁹
Wie gesehen, sind die Ideen der Vernunft nichts anderes, als über den Erfahrungsgebrauch hinaus erweiterte Kategorien des Verstandes. Insofern ist es der Verstand, der „über alles, was ihm Sinnlichkeit nur liefern kann, hinausgeht“. Die Vernunft, die „im Namen der Ideen“ den Verstand über die Erfahrungsgrenzen hinaustreibt, ist zugleich diejenige, die ihm „seine Schranken“ vorzeichnet, und zwar durch die Unterscheidung von Sinnen- und Verstandeswelt. Diese von Kant GMS, AA : . – .
4 Sektion 3 GMSIII
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formulierte enge Verbindung von reinem Ausdruck der Spontaneität und der Beschränkung des Geltungsbereiches des Verstandes ist mit Blick auf die Antinomienlehre nun gut einsehbar. Die durch die Vernunft rein spontan hervorgebrachten Ideen führen im Falle der kosmologischen Ideen in eine Antinomie, deren Auflösung in der dritten Antinomie in der Sicht Kants einzig der transzendentale Idealismus und seine Folgetheoreme leisten können. Die Beschränkung des Verstandes, die bereits durch den Umstand geschieht, dass die Erweiterung seiner Begriffe über die Erfahrung hinaus eben in eine Dialektik bzw. Antinomie führt, wird, so könnte man sagen, durch die vermittels der Zwei-WeltenLehre geleistete Auflösung zu Ende gedacht. Erst die Zwei-Welten-Lehre weist dem Verstand und seinem Gesetz der Naturkausalität endgültig seinen erkenntnistheoretischen Ort zu. Insofern kann Kant schreiben, dass durch die Unterscheidung von Sinnen- und Verstandeswelt dem Verstand seine Schranken vorgezeichnet werden. Somit hängen der reinste Ausdruck der Spontaneität der Vernunft, die Ideen, ihr ‚vornehmstes Geschäft‘ der Selbst- und Metaphysikkritik, das Einschränken der Verstandesbegriffe auf Erscheinungen, und schließlich die Eröffnung der Möglichkeit praktisch-transzendentaler Freiheit, direkt miteinander zusammen.³⁴⁰
4.7 Die Lehre der zwei Standpunkte in Sektion 3 Der Schluss von der epistemischen Freiheit des Menschen auf seine Zugehörigkeit zur intelligiblen Welt und seine praktisch-transzendentalen Freiheit findet allerdings erst im zehnten Absatz der dritten Sektion statt: Um deswillen muß ein vernünftiges Wesen sich selbst, als Intelligenz […] zur Verstandeswelt gehörig, ansehen; mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen, erkennen kann, einmal, sofern er zur Sinnenwelt gehört, unter Naturgesetzen (Heteronomie), zweitens, als zur intelligibelen Welt gehörig, unter Gesetzen, die, von der Natur unabhängig, nicht empirisch, sondern bloß in der Vernunft gegründet sind.³⁴¹
Vgl. zum Begriff des ‚vornehmsten Geschäfts’ die Vorrede der A-Auflage der KrV, in der es heißt, dass „das schwerlichste aller ihrer [der Vernunft] Geschäfte, […] das der Selbsterkenntnis“ der Vernunft sei, diese zugleich ein „Gerichtshof“ und eben eine „Kritik der reinen Vernunft“, also „eine Kritik […] des Vernunftvermögens überhaupt in Ansehung aller Erkenntnisse, zu denen sie, unabhängig von aller Erfahrung streben mag, mithin die Entscheidung der Möglichkeit oder Unmöglichkeit einer Metaphysik überhaupt und die Bestimmung sowohl der Quellen als des Umfangs und der Grenzen derselben […]“ (KrV, AXIf) GMS, AA : . – . Hvh. v. Vf.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Auffällig ist, das der Satz mit „um deswillen“ anfängt, was sogleich an den Zirkel denken lässt, in dessen erster Formulierung es heißt: „Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns in der Ordnung der Zwecke unter sittliche Gesetze zu denken […].“³⁴². In der zweiten Formulierung lautet die entsprechende Stelle, der Verdacht (eines Zirkels) sei gehoben, „daß wir nämlich vielleicht die Idee der Freiheit nur um des sittlichen Gesetzes willen zum Grunde legten […]“³⁴³. Auch Absatz 10 fängt mit „um deswillen“ an, was als Indiz dafür gedeutet werden mag, dass hier dezidiert auf den Zirkel rekurriert wird bzw. sich hier das für die Zirkellösung entscheidende Argument findet. Allerdings ist zunächst zu fragen, auf was sich „um deswillen“ in Absatz 10 bezieht. Es wurde vermutet, dass es sich auf die „reine Spontaneität“ des 9. Absatzes bezieht und zwar gelesen im Sinne von „aus dem Grunde“. Diese Lesart hat einiges für sich und eine entsprechende Paraphrase des ersten Satzes Absatz 10 würde, unter Berücksichtigung der gelieferten Interpretation des neunten Absatzes, folgendermaßen lauten: ‚Aus dem Grunde bzw. wegen seiner epistemischen Spontaneität, muss sich das vernünftige Wesen als zur Verstandeswelt gehörig ansehen, mithin hat es zwei Standpunkte, daraus es sich selbst betrachten und die Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen, erkennen kann.‘
Problematisch an dieser Interpretation ist die Lesart von „um willen“ in Sinne von „aus diesem Grunde“, da man „um des willen“ viel eher im Sinne von „zu diesem Zwecke“ lesen würde. Die letztere Lesart wiederum lässt es kaum zu, „reine Spontaneität“ als Adressaten von „um deswillen“ zu lesen. Denn was soll es bedeuten, dass der Mensch sich zum Zwecke seiner epistemischen Spontaneität zu zwei Welten zählen muss? Wechseln wir den Adressaten von „um willen“ von der „reinen Spontaneität“ zum „vornehmsten Geschäft“ im neunten Absatz. ‚Um willen‘ des kritischen Geschäfts der Vernunft, Verstandeswelt und Sinnenwelt zu unterscheiden und dadurch dem Verstand in seine Schranken zu verweisen, müsste der Mensch dann die genannten zwei Standpunkte einnehmen. Diese Lesart passt sehr gut zu Ergebnissen aus dem Referat der Antinomienlehre der KrV. Denn die Lehre der zwei Standpunkte als Folge des transzendentalen Idealismus stellt, wie gesehen, den Ausweg aus der dritten Antinomie der Vernunft dar. Um willen also der durch das kritische Geschäft nur möglichen konsistenten Selbstsicht der epistemischen Vernunft, die ohne „ihr vornehmstes Geschäft“ in einer „Veruneinigung mit sich
GMS, AA : . – . GMS, AA : . – .
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selbst“ verharren würde, muss der Mensch bzw. das vernünftige Wesen sich selbst eine noumenale und phänomenale Seite zuschreiben und zwei Standpunkte einnehmen, „daraus es sich selbst betrachten und Gesetze des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich all seiner Handlungen erkennen kann“.³⁴⁴ Diese Lesart hat auch mit Blick auf die Interpretation des Zirkels Vorteile. So wurde als ein Befund aus der Interpretation des Zirkels festgehalten, dass ein Ausweg aus diesem Gründe für die Annahme der Freiheit eröffnen muss, die nicht-moralischer Natur sind. Auf den präzisen Wortlaut beider Zirkelformulierungen eingehend, muss genauer die Freiheit, wenn sie nicht „um willen“ der Moralität angenommen werden darf, „um willen“ von etwas anderem angenommen werden. Dieses Andere ist die konsistente Selbstsicht der Vernunft in ihrem epistemischen Gebrauch: Um willen ihrer konsistenten Selbstsicht muss die Vernunft eine Freiheit annehmen, die die Möglichkeit von Willensfreiheit einschließt. Dieser Befund liefert auch eine gute Basis für die Interpretation der Überschrift der Sektion 3, die lautet: Von dem Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt ³⁴⁵. Man könnte diese Überschrift einfach in Hinsicht auf den Zirkel interpretieren. Das Interesse, welches den Ideen der Sittlichkeit anhängt, wäre dann das an der Freiheit. Die gelieferte Interpretation des 10. Ansatzes eröffnet aber eine weitere Möglichkeit. So könnte nun das in der Überschrift genannte Interesse dasjenige an der konsistenten Selbstsicht der epistemischen Vernunft sein, aus welcher dann, vermittels der Zwei-Welten- und Zwei-Standpunkte-Lehre „die Ideen der Sittlichkeit“ folgt. Damit wäre das den sittlichen Ideen anhängende Interesse keines, das aus diesen folgen würde, wie in der ersten Interpretation, sondern umgekehrt: Die Ideen der Sittlichkeit würden aus einem Interesse, dem genuinen Interesse der epistemischen Vernunft folgen. Nun leuchtet auch der in der zweiten Sektion vollzogene Schritt von der Freiheit der epistemischen Vernunft auf die Freiheit der praktischen Vernunft ein. Kant meint also keine Parallelisierung, wie in der Schulz-Rezension,verfährt in der GMS vielmehr um einiges subtiler.³⁴⁶
Prauss (vgl. , S. ) sieht bereits in der „reinen Spontaneität“ des neunten Absatzes (Sek. ) eine Einheit aus theoretischer und praktischer Vernunft angesprochen und verfehlt damit den Begründungsgang der „Auskunft“: Die – gesicherte – theoretische Vernunft zwingt um willen ihrer konsistenten Selbstsicht zu einer Form von Freiheit, die mehr umfasst als theoretische Spontaneität. GMS, AA : . f. Vgl: „Er [Schulz] hat […] im Grunde seiner Seele voraus gesetzt: dass der verstand nach objektiven Gründen, die jederzeit gültig sind, sein Urteil zu bestimmen das Vermögen habe […] mithin nahm er immer Freiheit zu denken an […]. Ebenso muss er auch Freiheit des Willens im Handeln voraus setzen, ohne welche es keine Sittlichkeit gibt.“
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
4.8 Der transzendentale Idealismus und die These der ontologischen Superiorität der Verstandeswelt Bevor wir uns an die Auflösung des Zirkels machen, muss noch eine für diese und für das Verständnis der gesamten Deduktion wichtige Implikation der „Auskunft“ formuliert werden: Der transzendentale Idealismus, die Zwei-Welten- und ZweiStandpunkte-Lehre, sowie ihre Anwendung auf die menschliche Subjektivität (sei es die epistemische oder praktische) haben als solche immer sowohl Phänomenalität als auch Noumenalität im Blick. Besonders deutlich wird dies in Kants Definition des Begriffs des Intelligiblen in der KrV: „Ich nenne an einem Gegenstand der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, intelligibel“³⁴⁷. Die intelligible Welt ist also eine solche immer in Verbindung mit der Sinnenwelt. Es muss noch mehr gesagt werden: Der transzendentale Idealismus baut auf der Überlegung auf, dass die noumenale Ordnung die phänomenale Ordnung fundiert. Gehen wir, um dies näher zu erläutern, nochmals zur Antinomienlehre zurück. So findet sich bereits in der Definition des Begriffs des transzendentalen Idealismus dieses Fundierungsverhältnis angedeutet; Wir haben in der transzendentale Ästhetik hinreichend bewiesen: daß alles, was im Raume oder der Zeit angeschauet wird, mithin alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung, nichts als Erscheinungen, d. i. bloße Vorstellungen sind, die […] keine an sich gegründete Existenz haben.³⁴⁸
Ist die Existenz der Erscheinungen nicht „an sich gegründet“, muss sie auf etwas anderem gründen, nämlich auf dem „Ding an sich“ als ihrer „nichtsinnlichen Ursache“³⁴⁹. Diese Feststellung, dass der transzendentale Idealismus und damit die Unterscheidung von Sinnen- und Verstandeswelt sozusagen von vornherein die ontologische Fundierung des Sinnlichen durch das Noumenale im Blick hat, ist in Hinsicht auf die Deduktion des kategorischen Imperativs von entscheidender Relevanz. Denn das bedeutet, dass der Beweis der menschlichen Freiheit durch die „Auskunft“ gar nicht von der These der ontologisch höheren Valenz der Verstandeswelt zu trennen ist. Der Mensch muss mit dem Erweis seiner Freiheit also nicht bloß „zwei Standpunkte, daraus er sich selbst betrachtet und die Gesetzes des Gebrauchs seiner Kräfte, folglich aller seiner Handlungen“³⁵⁰ annehmen. Er muss
KrV, A/B. KrV, A/B, Hvh. v. Vf. KrV, A/B GMS, AA : . – .
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auch notwendig annehmen, dass seine noumenale Seite die empirische fundiert. Unter der Annahme, dass die These der ontologischen Superiorität der Verstandeswelt bzw. der „ontoethische Grundsatz“ tatsächlich das abschließende Deduktionsargument darstellt, wäre es also, wie Steigleder behauptet, durchaus zutreffend, dass mit dem Erweis der Möglichkeit menschlicher Willensfreiheit auch schon die Geltung des kategorischen Imperativs erwiesen ist. Dies allerdings deswegen, weil der ontoethische Grundsatz bereits Implikat des Erweises der (denkmöglichen) Willensfreiheit des Menschen ist.
4.9 Die Auflösung des Zirkels Wir verfügen nun endlich über die nötigen Mittel, um die Auflösung des Zirkels angehen zu können. Die zu Anfang der Sektion 3 gestellte Frage, weshalb der Mensch sich dem moralischen Prinzip unterwerfen soll, konnte in der Analyse mit der Frage nach dem Grund des moralischen Interesses identifiziert werden. Die notwendige Unterwerfung unter das moralische Prinzip und damit das moralische Interesse bzw. der Wert der Moralität beruhen – auch das ergab die Analyse – auf der Annahme eines tatsächlichen moralischen Wollens, also nicht bloß eines Vermögens zum moralischen Handeln. Interesse ist ein Zustand, den ausschließlich sinnlich-vernünftige Wesen einnehmen können. Die Frage also, „woher das moralische Gesetz verbinde“³⁵¹ bzw. die Frage nach dem Grundsatz des moralischen Interesses ist identisch mit der Frage, wie sich ein (objektiv) notwendiges moralisches Wollen sinnlich-vernünftiger Wesen begründen lässt. In Hinsicht auf diese Frage nach dem notwendigen moralischen Wollen bzw. Interesse war Kants Formulierung des Zirkels bemerkenswert. Kants Verdacht, wir nähmen Freiheit des Willens an, um uns unter moralische Gesetze denken zu können, konnte vor diesem Hintergrund nämlich als Verdacht gelesen werden, dass Freiheit aus dem moralischen Interesse gefolgert wird, dieses der Grund der letzteren sei. Es lag dann umgekehrt die Vermutung nahe, dass es sich tatsächlich umgekehrt verhält, dass also moralisches Interesse aus der Freiheit des menschlichen Willens folgt. Zusammengefasst musste der Ausweg aus dem Zirkel also folgende Fragen beantworten: 1) Welcher andere Grund, außer dem moralischen Interesse, lässt sich für die Realität menschlicher Willensfreiheit angeben? 2) Wie hängen der Erweis der menschlichen Willensfreiheit und dieses notwendige moralische Interesse zusammen?
GMS, AA : .
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
3) Verhält es sich vielleicht sogar so, dass nicht bloß Freiheit nicht aus dem moralischen Interesse folgt, sondern umgekehrt, moralisches Interesse aus menschlicher Willensfreiheit? Alle drei Fragen konnten in den hinter uns liegenden Untersuchungen tatsächlich beantwortet werden. Die Denkbarkeit menschlicher Willensfreiheit folgt aus der speziellen Verfassung der Vernunft in Hinsicht auf den genuinen Ausdruck ihrer Spontaneität als epistemischem Synthesisvermögen: Die Vernunft gerät mit ihren kosmologischen Ideen in eine Antinomie, deren Ausweg besagte intelligible Kausalität fordert. Es ist also die konsistente Selbstsicht der epistemischen Vernunft, die uns zur Annahme einer intelligiblen Kausalität auf die Sinnenwelt zwingt, aus welcher wiederum die Denkbarkeit praktisch-transzendentaler Freiheit folgt. Hiermit ist Frage 1 beantwortet. Zu den Fragen 2 und 3: Das entscheidende Argument für die Auflösung der dritten Antinomie, der transzendentale Idealismus, impliziert, wie geschildert, den Gedanken der ontologischen Superiorität der noumenalen Ordnung,was auch für das Verhältnis von noumenaler zur phänomenalen Subjektivität gilt. Die These der ontologischen Superiorität ist damit Implikat des Erweises praktisch-transzendentaler Freiheit. Begründet die These der ontologischen Superiorität nun wirklich die Geltung des kategorischen Imperativs und ist diese Geltung gleichbedeutend mit einem notwendigen moralischen Interesse, folgt das notwendige moralische Interesse aus dem Erweis der menschlichen Willensfreiheit, womit die Fragen 2 und 3 beantwortet wären.
5 Die These der ontologischen Superiorität als das abschließende Deduktionsargument? Zwar beginnt erst der zweite Absatz der vierten Sektion explizit mit der Ankündigung: „Und so sind kategorische Imperative möglich“³⁵², allerdings findet sich das abschließende Deduktionsargument bereits im ersten Absatz. Der zweite Absatz bringt m. E. dort, wo er die Begründung des kategorischen Imperativs eingeht, gegenüber dem ersten nichts Neues und beschreibt in anderen Teilen eher die Funktionsweise des kategorischen Imperativs.³⁵³ Schauen wir uns also den Begründungsgang des ersten Absatzes der vierten Sektion etwas genauer an. Seine ersten zwei Sätze lauten:
GMS, AA: . . Vgl. Anhang V.
5 Die These der ontologischen Superiorität
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Das vernünftige Wesen zählt sich als Intelligenz zur Verstandeswelt, und bloß als eine zu dieser gehörige wirkende Ursache nennt es seine Causalität einen Willen. Von der anderen Seite ist es sich doch auch als eines Stücks der Sinnenwelt bewußt, in welcher seine Handlungen, als bloße Erscheinungen jener Causalität, angetroffen werden, deren Möglichkeit aus dieser, die wir nicht kennen, nicht eingesehen werden kann, sondern an deren Statt jene Handlungen als bestimmt durch andere Erscheinungen, nämlich Begierden und Neigungen, als zur Sinnenwelt gehörig, eingesehen werden müssen.³⁵⁴
Bereits der erste Satz kollidiert offenbar mit der These der Analytizität von Freiheit und Sittlichkeit der ersten Sektion in GMSIII, denn Kant spricht hier bloß vom Willen als der Kausalität der Intelligenz, nicht vom sittlichen oder reinen Willen o. ä. Dass es sich tatsächlich um den Willen überhaupt handelt, wird in der weiteren Analyse bestätigt. Von kaum zu überschätzender Bedeutung für das Verständnis der Deduktion sind vor allem die grammatischen und sachlichen Verweisungen zwischen dem ersten und zweiten Satz. Um diese Bezüge möglichst präzise herauszuarbeiten, wird der zweite Satz in drei Teile aufgeteilt: 1) „Von der anderen Seite ist es sich doch auch als eines Stücks der Sinnenwelt bewußt, in welcher seine Handlungen, als bloße Erscheinungen jener Causalität, angetroffen werden […]“
Nahe liegt, dass sich „in welcher“ sich auf „Sinnenwelt“ bezieht und „jener Kausalität“ auf die Kausalität des Willens der Intelligenz des ersten Satzes. Damit ergibt sich die folgende Paraphrase des ersten Teilsatzes mit Bezug auf den ersten Satz: Die Handlungen des vernünftigen Wesens als eines Stücks der Sinnenwelt sind Erscheinungen der Kausalität des Willens, also der Kausalität der Intelligenz als zur Verstandeswelt gehöriger wirkender Ursache. 2) […] deren Möglichkeit aber aus dieser, die wir nicht kennen, nicht eingesehen werden kann […]
Hier kommen prima facie zwei Kandidaten für den Bezug von „deren Möglichkeit“ in Frage ich schlage folgende Lesart vor: Wir sehen die Möglichkeit der Handlungen als bloßen Erscheinungen jener Kausalität des Willens (derjenigen der Intelligenz) nicht ein, „dieser“ ([…] deren Möglichkeit aus dieser […]) bezieht sich dann auf „jener Kausalität“, was mit Blick auf den Satzbau durchaus Sinn ergibt. Damit können wir folgende Paraphrase formulieren:
Vgl. GMS, AA: . – . Hvh. v. V.
128
III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Handlungen des vernünftigen Wesens als eines Stücks der Sinnenwelt, welche Handlungen bloße Erscheinungen der Kausalität des Willens der Intelligenz sind, können aus der Kausalität dieses Willens nicht eingesehen werden. 3) […] sondern an deren Statt jene Handlungen als bestimmt durch andere Erscheinungen, nämlich Begierden und Neigungen, als zur Sinnenwelt gehörig, eingesehen werden müssen […]
Hier ist der Bezug von „jene Handlungen“ bereits schwierig. ‚Jene Handlunge‘ können sich sowohl auf „seine Handlungen“ des ersten Teilsatzes als auch auf „jene Kausalität“ und damit die Kausalität des Willens im ersten Satz beziehen. Ich denke, beide Kandidaten treffen zu. Denn stimmt die bisher geleistete Interpretation, sind die Handlungen des vernünftigen Wesens „als eines Stücks der Sinnenwelt“ Erscheinungen der Kausalität des Willens und damit „jener Kausalität“ des ersten Teilsatzes des zweiten Satzes. Diese Handlungen müssen, weil wir ihre Kausalität aus dem Willen nicht einsehen, „als bestimmt durch andere Erscheinungen […] eingesehen werden […]“. Was dann noch folgt, ist eine Erläuterung dessen, was „bestimmt durch andere Erscheinungen“ heißt. Der gesamte Passus kann also folgendermaßen paraphrasiert werden: Handlungen des vernünftigen Wesens als eines Stücks der Sinnenwelt, welche Handlungen bloße Erscheinungen der Kausalität des Willens der Intelligenz sind, können aus der Kausalität dieses Willens nicht eingesehen werden. Stattdessen müssen diese Handlungen, als Erscheinungen, als durch andere Erscheinungen und somit als naturkausal bestimmt gedacht werden, wobei die bestimmenden Erscheinungen Neigungen und Begierden sind. Damit kann der Wille des ersten Satzes tatsächlich nicht bloß der sittliche Wille sein. Denn wie könnte man dann erklären, dass diejenigen Handlungen, die wir als „bestimmt durch […] Begierden und Neigungen“ ansehen müssen, „Erscheinungen“ des sittlichen Willen sein sollen? Der grammatische und sachliche Verweisungszusammenhang der beiden Sätze ergibt folglich nur Sinn, wenn der Wille des ersten Satzes, und damit auch derjenige des zweiten, zwar die Kausalität der Intelligenz bezeichnet und damit praktisch-transzendental frei ist, er aber nichts desto trotz der Wille überhaupt ist! ³⁵⁵
Kant drückt sich hierzu einige Seiten weiter recht klar aus, wenn er schreibt: „Diese Freiheit [des Willens] vorauszusetzen, ist auch nicht allein […] ganz wohl möglich […], sondern auch sie praktisch, d. i. in der Idee allen seinen Handlungen, als Bedingung, unterzulegen, ist einem vernünftigen Wesen, das sich seiner Causalität durch Vernunft, mithin eines Willens (der von den Begierden unterschieden ist) bewußt ist, ohne weitere Bedingung notwendig.“ (GMS, AA: .
5 Die These der ontologischen Superiorität
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Das bedeutet aber auch, dass wir den Willen nicht kennen, denn dieser ist ja der Definition in dieser Passage nach diese noumenale Kausalität des Menschen – und damit, in der Sprache der Dialektik, offenbar der intelligible Charakter der Handlungen. Dieser Befund mag zwar überraschen, entspricht aber exakt den Ergebnissen der Untersuchung zum Begriff des Willens überhaupt in der GMS und auch den Ergebnissen der im nächsten Abschnitt zu thematisierenden Charakterlehre der KrV: Der Wille muss auch in der GMS als dasjenige Moment im menschlichen Handeln verstanden werden, das aus bloßen Vernunftgründen wirkt und somit eine noumenale Instanz darstellt. Der nächste Satz der Passage lautet: Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt würden alle meine Handlungen dem Princip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein; als bloßen Stücks der Sinnenwelt würden sie gänzlich dem Naturgesetz der Begierden und Neigungen […] gemäß, genommen werden müssen.³⁵⁶
Kant wiederholt hier zunächst einfach die Lehre der zwei Standpunkte: Auf der einen Seite darf der Mensch, vom noumenalen Standpunkt aus, seine kausalen Vollzüge als Vollzüge seines Willens ansehen, also als solche seiner noumenalen Kausalität. Vom empirischen Standpunkt auf der anderen Seite aus, sieht er sein Handeln als vollständig naturkausal determiniert an. Dieser Satz behandelt beide Welten also als gleichgestellt. Jetzt erst folgt das eigentliche deduktionsbeschließende Argument: Weil aber die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin auch der Gesetze derselben, enthält, also in Ansehung meines Willens (der ganz zur Verstandeswelt gehört), unmittelbar gesetzgebend ist, und auch als solche gedacht werden muss, so werde ich mich als Intelligenz, obgleich andererseits als wie ein zur Sinnenwelt gehöriges Wesen, dennoch dem Gesetze der ersteren, […] und also der Autonomie des Willens unterworfen erkennen, folglich die Gesetze der Verstandeswelt für mich als Imperative […] ansehen müssen.³⁵⁷
– .) Der Wille ist also von den sinnlichen Begierden – denn diese müssen hier gemeint sein – unterschieden, also in keinem Falle eine Art vernünftige Begierde, sondern ein mögliches Moment in diesem, das zwar in den Dienst der Neigungen gestellt werden kann, selbst aber ein freies, mithin intelligibles Vermögen ist. Diesen Willen, d. h. das Vermögen einer Kausalität aus bloßen Vernunftgründen, müssen wir dem vernünftigen Wesen „in der Idee allen seinen Handlungen“ zuschreiben. Damit müssen wir aber erstens in all unserem Handeln eine Kausalität unserer intelligiblen Seite auf das Handeln annehmen, zweitens muss auch im moralischen Handeln gelten, dass wir die Kausalität des Willens auf dieses nicht kennen. GMS, AA: . – . GMS, AA: . – . Hvh. v. Vf.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
Dass die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt darstellt, ist, wie gesehen, aus der Auflösung der dritten Antinomie klar. Auch hier bestätigt sich außerdem nochmals die Interpretation, nach welcher Kant dem Willen simpliciter transzendentale Freiheit zuspricht, der folglich „ganz zur Verstandeswelt“ gehört. Als solcher vollzieht er sich nach Gesetzen der Verstandeswelt, die für ihn damit „unmittelbar gesetzgebend“ ist. Erst der Umstand aber, dass der Mensch zugleich Erscheinung und Glied der naturkausalen Reihe ist, macht die These der ontologischen Superiorität der Verstandeswelt notwendig. Als Gesetz der Verstandeswelt, welche „den Grund der Sinnenwelt“ darstellt, muss das Sittengesetz als Gesetz dieser Welt zugleich das Gesetz der Handlungen des Menschen als Erscheinung ‚fundieren‘. Die Geltung des kategorischen Imperativs verdankt sich somit der Übertragung der These der ontologischen Superiorität der noumenalen Ordnung auf das menschliche Handeln.³⁵⁸ Der Befund der Freiheit des Willens überhaupt ergibt nun aber ein Problem, das die Konsistenz der gesamten Deduktion gefährdet. Muss der Wille überhaupt als transzendental frei angesehen werden, kann die Anerkennung des kategorischen Imperativs keine notwendige Folge der Zuschreibung von Freiheit sein. Bevor ein Ausweg aus diesem zunächst so scheinenden Dilemma gesucht wird, muss aber auf die Charakterlehre der KrV eingegangen werden.
5.1 Kants Charakterlehre in der KrV Kants Rede von Handlungen als Erscheinungen des Willens als noumenale Instanz muss als Rekurs auf die Charakterlehre im Antinomienkapitel der KrV gelesen werden. Eine angemessene Interpretation der Deduktion kommt folglich ohne einen zumindest flüchtigen Blick auf die Charakterlehre nicht aus. Bei dieser handelt es sich allerdings um ein sehr dunkles Theoriestück, und weder seine Konsistenz mit anderen Theoremen der KrV, noch seine interne Konsistenz sind unzweifelhaft.³⁵⁹ Es kann hier daher nicht um eine eingehende Analyse der
Es kann gegenüber der Charakterlehre noch hinzugefügt werden, dass Freiheit als Sittlichkeit allerdings als besondere Form einer intelligiblen Kausalität gewertet werden muss. Denn hier wird die Idee einer spontanen Kausalität selbst wieder zur Ursache einer singulären (spontanen) Kausalität. Anders ausgedrückt: Die Idee der Sittlichkeit ist die Idee einer durch eine Idee verursachten Kausalität. Weil eine Idee aber bereits Anzeiger der transzendentalen Freiheit der Vernunft ist, muss Sittlichkeit als reflexive Freiheit angesprochen werden. So wird vor allem der Zusammenhang mit der zweiten Analogie der Erfahrung (KrV, A/ B-A/B) kontrovers diskutiert. Vgl. hierzu Wolfgang Ertl: , S. – und S. – . Vgl. auch Allison: , S. – .
5 Die These der ontologischen Superiorität
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Charakterlehre im Kontext der gesamten Kritik der reinen Vernunft gehen. Die Untersuchung muss aber zumindest so weit fortschreiten, bis eine für unsere Belange genügende Erläuterung der Rede von Handlungen als Erscheinungen des Willens erfolgt ist, aus welcher zugleich die Trageweite dieser Rede für die Deduktion ersichtlich wird. Die Charakterlehre ist Teil der Thematisierung der Ideen als regulativer Prinzipien im Antinomien-Kapitel. Im achten Abschnitt des Antinomien-Kapitels³⁶⁰ führt Kant den Begriff des regulativen Prinzips ein. Zu Anfang dieses Abschnitts findet sich das folgende Argument für die bloß regulative Funktion der Ideen für die empirische Erkenntnis: Die Vernunft sucht nach der „absoluten Totalität der Reihe der Bedingungen in der Sinnenwelt“. Eine Totalität bzw. „unbedingte Vollständigkeit“ der Bedingungen als solche müsste diejenige von Dingen an sich selbst sein. Weil wir es aber in der Erfahrung mit Erscheinungen und eben nicht mit Dingen an sich zu tun haben, kann die von der Vernunft angestrebte systematische Vollständigkeit der Bedingungen niemals erreicht werden. Deshalb können die Ideen auch nur regulative Prinzipien für die Systematisierung der Erfahrung sein und an die Hand geben. Die Aufgabe könne folglich nur sein, danach zu suchen, „wie weit wir den empirischen Regressus, bei Zurückführung der Erfahrungen auf ihre Bedingungen, zurückgehen sollen, um nach der Regel der Vernunft bei keiner andern, als dem Gegenstande angemessenen Beantwortung der Frage“ nach der Totalität der Bedingungen „stehen zu bleiben“.³⁶¹ Aufgabe der Charakterlehre ist es, zu zeigen, dass und (zumindest im Ansatz) wie die Idee der Freiheit als ein solches Regulativ für die Erfahrung willentlichen Handelns fungieren kann. Bereits im Abschnitt, welcher der Charakterlehre vorhergeht³⁶² spricht Kant der freien Willkür und somit menschlichem Handeln transzendentale Freiheit zu. Es ist überaus merkwürdig, daß auf diese transscendentale Idee der Freiheit sich der praktische Begriff derselben gründe, und jene in dieser das eigentliche Moment der Schwierigkeit ausmache, welche ihre Möglichkeit von jeher umgab. Die Freiheit im praktischen Verstande ist die Unabhängigkeit der Willkür von der Nöthigung durch Antriebe der Sinnlichkeit […] Die menschliche Willkür ist […] arbitrium […] liberum, weil Sinnlichkeit ihre Handlungen nicht notwendig macht, sondern dem Menschen ein Vermögen beiwohnt, unabhängig von der Nötigung durch sinnliche Antriebe, von selbst zu bestimmen. Man sieht leicht, dass, wenn
„Regulatives Prinzip der reinen Vernunft in Ansehung der kosmologischen Ideen“. KrV. A/B-A/B. KrV, A/B. „Auflösung der kosmologischen Idee von der Totalität der Ableitung der Weltgegebenheiten aus ihren Ursachen“ A/B.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
alle Causalität in der Sinnenwelt bloß Natur wäre […], so würde die Aufhebung der transscendentalen Freiheit zugleich alle praktischen Freiheit vertilgen].³⁶³
Die Charakterlehre untersucht, wie diese der freien Willkür zugesprochene transzendentale Freiheit mit der notwendig anzunehmenden naturkausalen Determination menschlichen Handelns zusammen bestehen kann. Kant definiert Charakter im Antinomienkapitel als „Gesetz der Causalität“ einer „wirkenden Ursache“. Er unterscheidet hierbei einen empirischen und intelligiblen Charakter. Der empirische Charakter menschlicher Handlungen ist das Gesetz der Naturkausalität, nach welcher der Mensch als Glied einer naturkausalen Kette handelt.³⁶⁴ Im Vollzug des intelligiblen Charakters menschlicher Handlungen ist das handelnde Subjekt zwar Ursache einer naturkausalen Reihe, es selbst aber als diese Ursache steht „unter keiner Bedingung der Sinnlichkeit“ und ist folglich „selbst nicht Erscheinung“.³⁶⁵ Bevor die Frage beantwortet wird, wie und ob der intelligible Charakter genauer bestimmt werden kann, muss deutlich werden, aus welchem Grund wir berechtigt sind, menschlichen Handlungen einen solchen intelligiblen Charakter zuzusprechen. Bemerkenswerterweise ist das Argument für diese Berechtigung nahezu identisch mit demjenigen für die zwei Welten bzw. zwei-Standpunkt im Handeln in der GMSIII, allerdings nicht in allen Punkten. Der Unterschied braucht hier jedoch noch nicht interessieren. Die entsprechend Stelle in der Charakterlehre lautet: Allein der Mensch, der die ganze Natur sonst lediglich nur durch Sinne kennt, erkennt sich selbst auch durch bloße Apperzeption, und zwar in Handlungen und inneren Bestimmungen, die er gar nicht zu Eindrucke der Sinne zählen kann und ist sich selbst freilich eines Teils Phänomenon, anderen Teils aber, nämlich in Ansehung bestimmter Vermögen, ein bloß intelligibler Gegenstand, weil die Handlung desselben gar nicht zur Rezeptivität der Sinnlichkeit gezählt werden kann. Wir nennen dies Vermögen Verstand und Vernunft, vornehmlich wird die letztere gar eigentlich und vorzüglicher Weise von allen empirisch bedingten Kräften unterschieden, da sie ihre Gegenstande bloß nach Ideen erwägt, und den
KrV, A f./B f. Vgl. „Und da würden wir an einem Subject der Sinnenwelt erstlich einen empirischen Charakter haben, wodurch seine Handlungen, als Erscheinungen nach beständigen Naturgesetzen im Zusammenhang stünden, und von ihnen, als ihrer Bedingung, abgeleitet werden könnten, und also, mit diesen in Verbindung, Glieder einer einzigen Reihe der Naturordnung ausmachten,“ (KrV, A/B) Vgl.: „Zweitens würde man ihm noch einen intelligiblen Charakter einräumen müssen, dadurch es zwar die Ursache jener Handlungen als Erscheinungen ist, der aber selbst unter keinen Bedingungen der Sinnlichkeit steht, und selbst nicht Erscheinung ist.“ (KrV, A/B)
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Verstand dadurch bestimmt, der denn von seinen (zwar auch reinen) Begriffen empirischen Gebrauch macht.³⁶⁶.
Der Mensch erkennt sich also in bestimmten Handlungen und „inneren Bestimmungen“ durch bloße Apperzeption, da diese „nicht zum Eindrucke der Sinne zählen“. ‚Erkennt‘ der Mensch sich nicht-sinnlich, ist er sich hierin folglich auch ein nicht-sinnlicher, also noumenaler Gegenstand. Diese reine Apperzeption ist deswegen durch bestimmte Handlungen und Bestimmungen möglich, weil diese Handlungen nicht-rezeptive, mithin spontane Vorstellungen sind bzw. generieren und sich folglich den spontanen Vermögen des Verstandes und insbesondere der Vernunft als Vermögen der Ideen verdanken. Hiermit ist aber nur der erste Schritt in der Argumentation vollzogen, die zur berechtigten Zuschreibung eines intelligiblen Charakters menschlichen Handelns führt: Bis jetzt steht nur fest, dass der Mensch sich eine noumenale Seite seiner Subjektivität zuschreiben darf. Dass diese noumenale Instanz auch ein kausales Vermögen ist oder hat, muss noch gezeigt werden. Kants Argument hierfür findet sich im direkten Anschluss an die soeben besprochene Passage: Daß diese Vernunft nun Causalität habe, wenigstens wir uns eine dergleichen an ihr vorstellen, ist aus den Imperativen klar, welche wir in allem Praktischen den ausübenden Kräften als Regeln aufgeben. Das Sollen drückt eine Art von Nothwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommt.³⁶⁷
Als erstes sei darauf hingewiesen, dass hier, wie in Sektion 2 und, nach der geleisteten Interpretation, in Sektion 3 von GMSIII von der epistemischen Vernunft auf die praktische geschlossen wird, denn dass „diese Vernunft […] Causalität habe“ also praktisch ist, muss in einem eigenen Schritt gezeigt werden. Es stellt sich mit Blick auf die Deduktion des kategorischen Imperativs weiter die Frage, ob Kant hier moralische Imperative oder Imperative simpliciter meint. Ich denke, an dieser Stelle sind letztere gemeint. Denn jede menschliche Handlung soll einen intelligiblen Charakter haben. Einen intelligiblen Charakter zu haben bedeutet, eine Vernunft zu haben, die Kausalität hat. Sie muss aber folglich in allem Handeln Kausalität haben. Sind Imperative Anzeiger dieser Vernunftkausalität, müssen sie folglich auch solche sein, die jedes Handeln organisieren. Bis hierhin fällt das Votum also auf Imperative überhaupt. Im weiteren Argumentationsgang der Charakterlehre kann man aber nun eine Thematisierung des Sollens finden, die zumindest prima facie im Sinne moralischen Sollens ge-
KrV, A/B f. KrV, A/B.
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III Der Zweck an sich selbst und die Deduktion des kategorischen Imperativs
lesen werden muss, und zwar ohne dass dieses Sollen von dem soeben behandelten Sollen, dem wir Imperative simpliciter zugeordnet haben, irgendwie explizit unterschieden würde: Es mögen noch so viele Naturgründe sein, die mich zum Wollen antreiben […] so können sie nicht das Sollen hervorbringen, sondern nur ein […] jederzeit bedingtes Wollen, dem dagegen das Sollen, das die Vernunft ausspricht, Maß und Ziel, ja Verbot und Ansehen entgegensetzt. Es mag ein Gegenstand der bloßen Sinnlichkeit (das Angenehme) oder auch der reinen Vernunft (das Gute) sein: so gibt die Vernunft nicht demjenigen Grunde, der empirisch gegeben ist, nach, und folgt nicht der Ordnung der Dinge, so wie sie sich in den Erscheinungen darstellen, sondern macht sich mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen, in die sie die empirischen Bedingungen hinein passt und nach denen sie sogar Handlungen für notwendig erklärt, die doch nicht geschehen sind und vielleicht nicht geschehen werden […].³⁶⁸
Wir scheinen hier Sollen gar nicht anders als im Sinne von moralischem Sollen lesen zu können, denn es gibt dem bedingten Wollen „Verbot und Ansehen“ und „macht sich […] eine Ordnung nach Ideen“, und eine Ordnung nach Ideen muss doch als sittliche Ordnung verstanden werden. Schauen wir uns die grammatischen und begrifflichen Zusammenhänge aber etwas genauer an: Hierbei ist zunächst zweierlei zu erfragen: Auf was bezieht sich „Es“ („Es mag ein Gegenstand […] sein […]“)? Was ist mit „Gegenstand“ gemeint? Grammatisch kann „Es“ sich auf „Sollen“, aber auch auf „Maß und Ziel, ja Verbot und Ansehen“, aber grundsätzlich auch auf „bedingtes Wollen“ beziehen. Im ersten Fall wäre das Sollen „ein Gegenstand […] der bloßen Sinnlichkeit […] oder […] reinen Vernunft“. Ich denke, dass die beiden ersten Bezüge zutreffen. Das Verhältnis beider Begriffspaare kann nämlich im Sinne von empirisch bedingtem und unbedingtem Sollen gelesen werden. Das Sollen, welches die Vernunft ausspricht, setzt dann bedingtem Wollen Maß und Ziel und ist hierin ein bedingtes Sollen. Oder es setzt ihm Verbot und Ansehen entgegen und ist damit ein unbedingtes Sollen. Was bedeutet es aber im ersten Fall des bedingten Sollens, dass die Vernunft „sich mit völliger Spontaneität eine eigene Ordnung nach Ideen“ macht? Das kann verstanden werden, wenn man das Verhältnis von Vernunft als Schlussvermögen und Vermögen der Ideen nochmals in den Blick nimmt: Die Vernunft strebt gemäß ihrer „logischen Maxime“ danach, „zu dem bedingten Erkenntnisse […] das Unbedingte zu finden, womit die Einheit desselben vollendet wird“³⁶⁹ und somit, als praktische Vernunft, nach einer vollständigen Systematisierung aller Handlungen. „Maß und Ziel“ stellt dann gleichsam die erste Organisationsstufe der durch
KrV, A/B. KrV, A/B.
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Vernunft geleisteten Systematisierung dar, in Form von Maximen und bedingtem Sollen. „Verbot und Ansehen“ realisiert dann die moralische und damit vollendete Systematisierung durch Ideen.³⁷⁰ Da es sich aber um ein und denselben Prozess handelt, führt das bedingte zum unbedingten Sollen. So ließe sich auch die oben konstatierte fehlende Unterscheidung zwischen Sollen überhaupt und moralischem Sollen erklären. Es steht nun noch die Frage aus, wie die Idee der Freiheit als regulatives Prinzip im empirischen Gebrauch funktioniert. Auf A540/B568 schreibt Kant, der intelligible Charakter „könnte zwar niemals unmittelbar gekannt werden […] aber er würde doch dem empirischen Charakter gemäß gedacht werden müssen […]“ an anderer Stelle schreibt er, es tue dem Naturgesetz „nicht den mindesten Abbruch, […] wenn man annimmt, dass unter den Naturursachen es auch welche gebe, die ein Vermögen haben, welches nur intelligibel ist, indem die Bestimmung desselben zum Handeln […] auf bloßen Gründen des Verstandes beruht […]“³⁷¹ Beide Passagen zusammengenommen können dahingehend interpretiert werden, dass die Idee der Freiheit als empirisches Regulativ anzusetzen bedeutet, beobachtbare Handlungen „gemäß“ eines intelligiblen Charakters zu deuten, ihnen also Rationalität zu unterstellen. An anderer Stelle präzisiert Kant diesen Gedanken weiter: So hat denn jeder Mensch einen empirischen Charakter seiner Willkür, welcher nichts anderes ist, als eine gewisse Kausalität seiner Vernunft, sofern diese an ihren Wirkungen in der Erscheinung eine Regel zeigt, darnach man die Vernunftgründe und die Handlungen derselben nach ihrer Art und ihrem Grade abnehmen, und subjektive Prinzipien seiner Willkür beurteilen kann.³⁷²
Ich schlage vor, „die Wirkungen in der Erscheinung“ der Vernunftkausalität als beobachtbare Handlungen zu interpretieren. Diese Handlungen zeigen demnach eine Regel, von welcher man auf die Vernunftgründe und die Handlungen der Vernunft schließen kann und darüber hinaus auch Art und Grad der Vernünftigkeit ersichtlich wird. Nach dieser Art und diesem Grad der Vernünftigkeit können die Prinzipien der Willkür des Menschen beurteilt werden, d. h. welche Art von Rationalität – empirisch bedingte oder sittlich – und entsprechend ihr Grad – bedingte oder unbedingte Rationalität. Nur solche Handlungen, deren Beobach-
In dieser Interpretation hätten wir es also mit einem verdeckten Vorgriff auf den Kanon zu tun, da erst dort Moralität als vollständige Systematisierung von Handlungen nach Ideen konzipiert wird. Vgl. KrV, A/B. KrV, A/B. KrV, A/B.
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tung Vernünftigkeit nahelegt, können demnach entweder naturkausal oder als durch Vernunft verursacht gedacht werden.³⁷³ Halten wir fest: Die Idee der Freiheit kann prinzipiell nie als erfahrungskonstituierendes Prinzip gelten, sie kann in Bezug auf die Erfahrung nur ein regulatives Prinzip sein. Freiheit bedeutet intellektuelle Kausalität, Kausalität aus Vernunft. Freiheit als empirisches Regulativ in Ansatz zu bringen bedeutet also, Phänomenen, die beobachtbaren Handlungen so zu verstehen, als seien sie vernunftgewirkt. Das bedeutet aber eo ipso, sie nach rationalen Maßstäben zu beurteilen – Handlungen sollen auf bestimmte Weise sein, auch wenn sie anders vollzogen wurden. Weiter wurde eine Kontinuität zwischen bedingtem und unbedingtem Sollen postuliert, dergestalt, dass unbedingtes Sollen eine vollendete rationale Organisation von Handlungen vorstellt. Bereits im ersten Kapitel sahen wir, dass das Sittengesetz ab der GMS als Begriff reiner praktische Vernunft im Sinne dieser vollendeten praktischen Rationalität zu interpretieren ist. Damit bedeutet es, eine Handlung nach Vernunftmaßstäben zu beurteilen, sie letztlich moralisch zu beurteilen (was moralische Neutralität einschließt). Deshalb kann Kant im abschließenden Beispiel zur Charakterlehre moralische Schuldfähigkeit und Zuschreibung eines intelligiblen Charakters identifizieren.³⁷⁴
Diese Lesart kann durch eine weitere Passage bestätigt werden: „Gesetzt nun, man könnte sagen: die Vernunft habe Kausalität in Ansehung der Erscheinungen: könnte da wohl die Handlung derselben [Vernunft] frei heißen, da sie im empirischen Charakter derselben [Handlung] (der Sinnenwelt) ganz genau bestimmt und notwendig ist? Dieser [der empirische Charakter!] ist wiederum im intelligiblen Charakter (der Denkungsart) bestimmt. Die letztere [Denkungsart] kennen wir aber nicht, sondern bezeichnen sie durch Erscheinungen, welche eigentlich nur die Sinnenwelt (empirischer Charakter) unmittelbar zu erkennen geben. Die Handlung nun, sofern sie der Denkungsart, als ihrer Ursache, beizumessen ist, erfolgt dennoch […] nicht nach empirischen Gesetzen […]“ (KrV, A/B) Wir kennen also den intelligiblen Charakter nicht, sondern „bezeichnen“ ihn durch den empirischen, also die beobachtbare Regelhaftigkeit von Handlungen, die uns folglich dazu berechtigt, ihnen Vernünftigkeit und somit einen intelligiblen Charakter zuzuschreiben. Vgl.: „Um das regulative Prinzip der Vernunft durch ein Beispiel aus dem empirischen Gebrauch desselben zu erläutern […] nehme man eine willkürliche Handlung, z. E. eine boshafte Lüge […]. In der ersten Absicht geht man seinen empirischen Charakter bis zu den Quellen desselben durch, die man in der schlechten Erziehung […], zum Teil auch in der Bösartigkeit eines für Beschämung unempfindlichen Naturells, aufsucht […] Ob man nun gleich die Handlung dadurch bestimmt zu sein glaubt: so tadelt man nichts desto weniger den Täter […] Dieser Tadel gründet sich auf ein Gesetz der Vernunft, wobei man diese als eine Ursache ansieht, welche das Verhalten des Menschen […] anders habe bestimmen können und sollen […] die Handlung wird seinem intelligiblen Charakter beigemessen, er hat jetzt, […] da er lügt, gänzlich Schuld, mithin war die Vernunft […] völlig frei, […] sie ist bestimmend, aber nicht bestimmbar […]. Daher kann man nicht fragen: warum hat sich nicht die Vernunft anders bestimmt? sondern nur: warum hat sie die
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Der Gedanke von Moralität als dem systematisierenden Vollzug durch die Idee der Freiheit entfaltet Kant – implizit – in der GMS und, viel deutlicher, in der KpV. Sowohl im Kanon der ersten Kritik als auch in der KpV versteht Kant Moralität im Sinne dieser Systematisierung weiter als Ausweis der Realität der Ideen im Praktischen. Ideen sind im Praktischen also nicht bloß regulative, sondern konstitutive Prinzipien der Erfahrung, wobei hier offen bleiben muss, wie der Gedanke der Realität der Ideen im Praktischen zu ihrer Bestimmung als bloßem Regulativ in der Dialektik steht. In der GMS taucht der Gedanke der Realität der Ideen im Praktischen nicht eindeutig auf. Dafür greift Kant sehr deutliche auf die Ergebnisse der Charakterlehre zurück. So findet sich in der fünften Sektion die Aussage, dass „Freiheit nur eine Idee der Vernunft“ sei, „deren objektive Realität an sich zweifelhaft ist“³⁷⁵. Im vorletzten Absatz der Charakterlehre schreibt Kant, dass man „mit der Beurteilung freier Handlungen, in Ansehung ihrer Kausalität, nur bis an die intelligible Ursache, aber nicht darüber hinaus“ komme. Auf diese Aussage scheint sich Kant zu beziehen, wenn er in der „Schlussanmerkung“ der GMS feststellt, die Vernunft suche auch im Praktischen „das Unbedingt-Notwendige und sieht sich genötigt, es anzuwenden, ohne es sich begreiflich zu machen“. Der große Fortschritt gegenüber der KrV scheint darin zu liegen, dass in der GMS erstmals die Idee der Freiheit als regulatives Prinzip sozusagen zuende gedacht wird. Ihre systematisierende Funktion, die ihr in der KrV qua Idee zugeschrieben wird, ist erst in der GMS einsichtig.
5.2 Der Wille als noumenale Instanz und die These der Identität von Freiheit und Sittlichkeit Ein auffallender Unterschied es zwischen dem Argument für den Erweis einer kausal wirksamen Vernunft in der Charakterlehre und der dritten Sektion der Deduktion ist noch anzusprechen. Im Argument der Deduktion dienen Imperative offenbar nicht als Bestätigung einer transzendental freien Vernunftkausalität, wie in der KrV. Vielmehr ist, wie es aussieht, die Auflösung der dritten Antinomie und der Nachweis einer noumenalen Subjektivität des Menschen Argument genug für die Annahme der zwei Welten bzw. zwei Standpunkte im Handeln. Blickt man allerdings auf den zweiten Abschnitt der GMS zurück, muss dieser Eindruck ein wenig revidiert werden. Denn Imperative werden von Anfang an, also ab ihrer
Erscheinung durch ihre Kausalität nicht anders bestimmt? Darauf aber ist keine Antwort möglich.“ KrV, A f./B f. GMS, AA: , .
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Entwicklung aus der Definition des Willens überhaupt auf 412– 414 als Ausdruck einer Vernunftkausalität definiert. Folglich lässt sich die dritte Sektion auch dahingehend interpretieren, dass die Implikation dieser durch Imperative vorausgesetzten Vernunftkausalität und folglich transzendentale Freiheit, in dieser Sektion als denkmöglich erwiesen wird. Damit bestätigt sich nochmals der Befund, dass transzendentale Freiheit und somit die Lehre der zwei Standpunkte in der GMS dem Willen überhaupt zukommen. Und doch wiederholt Kant im unmittelbaren Anschluss an die Einführung der Zwei-Welten-Lehre die Analytizitätsthese von Freiheit und Sittlichkeit und wir müssen verstehen, wie dies mit dem Befund der transzendentalen Freiheit des Willens überhaupt zusammengeht. Zunächst sei der gemeinte Passus zitiert: Als ein mithin zur intelligiblen Welt gehöriges Wesen kann der Mensch die Causalität seines eigenen Willens niemals anders als unter der Idee der Freiheit denken; denn Unabhängigkeit von den bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt (dergleichen die Vernunft jederzeit [sic] sich selbst beilegen muß) ist Freiheit. Mit der Idee der Freiheit ist nun der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Princip der Sittlichkeit, welches in der Idee allen [sic] Handlungen vernünftiger Wesen ebenso zum Grunde liegt, als das Naturgesetz allen Erscheinungen.³⁷⁶
Auf der einen Seite schreibt Kant in diesem Zitat, ganz im Sinne des zuletzt erreichten Befundes, der Vernunft überhaupt und damit aller praktischen Vernunft („[…] dergleichen die Vernunft jederzeit [sic] sich selbst beilegen muss […]“) und „allen Handlungen“ transzendentale Freiheit zu. Auf der anderen Seite wiederholt er die Analytizitätsthese der ersten Sektion: Mit „der Idee der Freiheit“ sei „der Begriff der Autonomie unzertrennlich verbunden, mit diesem aber das allgemeine Prinzip der Sittlichkeit“. In der Formulierung der Analytizitätsthese der ersten Sektion wird das Problem noch deutlicher: […] was kann denn wohl die Freiheit des Willens sonst sein als Autonomie, d. i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein? Der Satz aber: der Wille ist in allen Handlungen sich selbst ein Gesetz, bezeichnet nur das Prinzip, nach keiner anderen Maxime zu handeln, als die sich selbst auch als allgemeines Gesetz zum Gegenstand haben kann. Dies ist aber gerade die Formel des kategorischen Imperativs […].
Kant definiert hier Autonomie des Willens als Eigenschaft der Maxime, universalisierbar zu sein, und die Maxime eines bösen Willens ist bekanntlich nicht universalisierbar. Wir wollen trotzdem versuchen, ob sich nicht eine Lesart ent-
GMS, AA: , – ,.
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wickeln lässt, die es erlaubt, auch diesen Passus mit der Freiheit des Willens überhaupt in Einklang zu bringen. Sind Freiheit und Sittlichkeit Wechselbegriffe und soll der Wille überhaupt frei sein, dann muss in jedem Willen bzw. Wollen qua Freiheit das Sittengesetz in Geltung bzw. präsent und anerkannt sein. Und in der Tat verweist das Achtungstheorem auf diese Präsenz und Anerkennung des Sittengesetzes in jedem Wollen: Die unmittelbare Bestimmung des Willens durchs Gesetz und das Bewußtsein derselben [Bestimmung] heißt Achtung. […] Der Gegenstand der Achtung ist […] das Gesetz […]. Als Gesetz sind wir ihm unterworfen, ohne die Selbstliebe zu befragen, als uns von uns selbst auferlegt ist es doch eine Folge unseres Willens […].³⁷⁷
Bekanntlich verspürt auch „der ärgste Bösewicht“³⁷⁸ Achtung, auch aus seinem Willen folgt also Sittlichkeit und damit Freiheit. Wenn man aber, wie Kant dies in der ersten Sektion tut, Freiheit als Kausalität definiert und diese Kausalität mit Sittlichkeit identifiziert, leuchtet es zunächst nicht ein, was Sittlichkeit und Freiheit sein sollen, wenn sie keine Eigenschaften von Handlungen sind. Was soll dann umgekehrt die Freiheit des Bösewichts sein? Nun handelt es sich aber um eine besondere Kausalität, nämlich diejenige des Willens bzw. Wollens. Jedes Wollen ist zwar eine Kausalität und doch zählt auch das Stadium des noch nicht im Handlungsvollzug befindlichen Wollens bereits zu diesem. Die handlungsmotivierende Vorstellung des Gewollten und der Entschluss, die notwendigen Mittel zu ergreifen, ist bereits Teil des Wollens und somit in der Sicht Kants Teil dieser „Art von Kausalität“³⁷⁹. Dieses Wollen kann aber auch gleichsam im Realisierungsprozess stecken bleiben, aufgrund interferierender Neigungen. Parallel hierzu könnte man nicht-sittliches Handeln folglich als das (noch) nicht realisierte Wollen a priori verstehen. Der Umstand, dass nicht jede Handlung sittlich ist, ist somit sowohl vereinbar mit Kants Bestimmung transzendentaler Freiheit als Eigenschaft einer Kausalität, als auch mit der transzendentalen Freiheit des Willens überhaupt. Ersetzen wir jetzt aber nicht ein Problem durch ein anderes? Würden diese Überlegungen nicht letztlich zur Annahme einer Art gradueller Freiheit führen? Wenn ein realisierter und nicht realisierter bzw. vollständig vollzogener Wille a priori unterschieden werden, führt dies zu der einigermaßen absurden Konsequenz, eine realisierte und eine nicht realisierte Freiheit annehmen zu müssen?
GMS, AA: , Anm. GMS, AA: , . GMS, AA: ..
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So formuliert, nimmt sich dieses Ergebnis zwar seltsam aus, es weist m. E. Aber trotzdem in die richtige Richtung. Um dies zu verstehen sei nochmals ein Blick auf eine Passage aus dem Beispiel zur Charakterlehre geworfen: Dieser [moralische] Tadel gründet sich auf ein Gesetz der Vernunft, wobei man diese als eine Ursache ansieht, welche das Verhalten des Menschen […] anders habe bestimmen können und sollen […] die Handlung wird seinem intelligiblen Charakter beigemessen, er hat jetzt […] da er lügt, gänzlich Schuld; mithin war die Vernunft […] völlig frei […] sie ist bestimmend, aber nicht bestimmbar.³⁸⁰
Einem Menschen Freiheit zuzusprechen bedeutet, ihm ein Handeln aus Vernunftgründen beizulegen. Spreche ich einer Person das Vermögen des Handelns aus rationalen Gründen zu, bedeutet das eo ipso, dass ich dieses Handeln auch nach rationalen Maßstäben bewerten muss – und das heißt, letztlich nach moralischen Maßstäben. Trotzdem ist Kant der Ansicht, dass die Kausalität der Vernunft auf unser Handeln prinzipiell nicht einsehbar ist, so wie in der vierten Sektion des dritten Grundlegungsabschnitts die Kausalität des Willens als noumenaler Instanz nicht einsehbar ist. Dann bleibt uns aber nichts anderes übrig, denn Freiheit als Kausalität der reinen Vernunft vorzustellen, wie sie sich uns Menschen darstellt, also als Handeln nach dem Sittengesetz. Das ist nichts anderes als die Lehre der zwei Standpunkte. Die reziproke Analytizität von Freiheit und Sittlichkeit ist also der Modus, in welchem uns unsere Freiheit einzig bestimmt ins Bewusstsein treten kann – besser, in welchem Freiheit überhaupt bestimmt bewusst werden kann (deswegen auch Kants Rede vom Sittengesetz als Selbstbewusstsein einer reinen praktischen Vernunft). Eine Kausalität aus Freiheit, die uns prinzipiell unerschlossen bleibt, findet eine ‚Darstellung‘ in den Grenzen und der Form der menschlichen Vernunft. Es sei schließlich noch ein architektonischer Aspekt angesprochen. Wir konnten im vorhergehenden Abschnitt nicht klären, ob Kant auch in der GMS die These der Realität der Ideen bzw. der Idee der Freiheit im Praktischen vertreten hat. Die textuellen Indizien sprechen sogar eher dagegen. Wendet man allerdings die im Folgenden zu explizierenden architektonischen Gründe für die Notwendigkeit einer Identifizierung von Freiheit als Vernunftkausalität auf die GMS an, liegt dies doch nahe. Die Gründe bestehen in der Funktion, „den Prinzipien der reinen Vernunft [die Ideen] in ihrem praktischen, […] dem moralischen Gebrauche, objektive Realität“ zuzuschreiben. Betrachten wir die Deduktion des kategorischen Imperativs aus dieser architektonischen Perspektive, dann ergibt sich das folgende Bild: Weil Vernunft in der Genese der Ideen als letzten Systemati-
KrV, A/B.
6 Das Postulat und der kategorische Imperativ als synthetisch-praktischer Satz
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sierungsprinzipien die reinste Spontaneität zeigt bzw. sie hierin reine Vernunft ist und es sich immer um „ein und ebendieselbe Vernunft“ handelt, muss sich diese Form absoluter Spontaneität auch im Praktischen wiederholen. Das hat verschiedene Konsequenzen: Reine Vernunft muss auch im Praktischen ein System generieren, dessen Prinzip eine Idee, nämlich in der GMS die Idee der Freiheit, ist. Weil es sich aber um praktische Vernunft handelt, müssen die zu systematisierenden Sachverhalte Handlungen sein und die Idee als systematisierendes Prinzip die Form eines praktischen Satzes annehmen.Weil sie als transzendentale Freiheit ein Fall derjenigen Spontaneität sein muss, welche die Auflösung der dritten Antinomie vorstellt, muss sie zugleich die Merkmale aufweisen, die diese Freiheit beschreiben. Sie muss also die im transzendentalen Idealismus vorgegebene Struktur aufweisen, somit diejenige einer Fundierung des Empirischen durch das Intelligible. Im Handeln nach dem kategorischen Imperativ handelt der Mensch genau nach dieser Vorstellung. Er ‚fundiert‘ sein empirisches Handeln durch die Kausalität seiner selbst als Noumenon. Dies tut er, indem er die Idee der Freiheit, den kategorischen Imperativ, zum organisierenden Prinzip seines Handelns macht. Anders als in der KpV scheint Kant dies aber noch nicht als eigentliche Realität der Idee der Freiheit im Praktischen gedeutet zu haben, oder war sich doch unsicher.
6 Das Postulat und der kategorische Imperativ als synthetisch-praktischer Satz Kehren wir nun zu der Frage zurück, wo und wie das Postulat zum Zweck an sich selbst in der Deduktion ausgewiesen wird. Wie gesehen, zeigt das abschließende Deduktionsargument, dass wir vernünftigerweise nicht umhin können, das Gesetz der Kausalität unserer noumenalen Subjektivität als Gesetz all unseres Handelns anzunehmen. Das Postulat aus dem zweiten Abschnitt der GMS besagt nun, dass ich, wie jedes vernünftige Wesen, mein Dasein notwendig als selbstzweckhafte Existenz der oder meiner vernünftigen Natur vorstellen muss, was nichts anderes heißt, als dass ich um willen meiner (reinen) praktischen Vernunft handeln muss, in der meine vernünftige Natur als Ursprung des Sittengesetzes, das allen „Wert […] bestimmt“³⁸¹, Zweck an sich selbst ist. Dies also muss ich notwendig zufolge eines ‚Vernunftgrundes‘ vorstellen. Meine vernünftige Natur notwendig als Zweck an sich selbst vorzustellen ist folglich identische mit der notwendigen Anerkennung
GMS, AA: . f.
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des Sittengesetzes und also kategorischen Imperativs als oberstem Prinzip meines Handelns. Dass ich aber zu moralischem Handeln objektiv gezwungen bin, zeigt erst die gesamte Deduktion des kategorischen Imperativs. Bleibt noch die Frage, was der Vernunftgrund ist, zufolge dessen ich meine vernünftige Natur als Zweck an sich selbst und das Sittengesetz als für mich gültig vorstellen muss. Streng genommen ist es die epistemisch-spekulative Vernunft. Denn diese ist Ursprung der Ideen und zugleich der Grund der legitimen Zuschreibung von Willensfreiheit vermittels der Auflösung der dritten Antinomie und der Lehre der zwei Standpunkte bzw. Welten. Sie ist aber auch Ursprung der notwendigen Annahme, „dass die Verstandeswelt den Grund der Sinnenwelt, mithin der Gesetze derselben, enthält“³⁸² und damit Grund der Geltung des kategorischen Imperativs. Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf den kategorischen Imperativ als synthetischen Satz a priori geworfen. Kant schreibt zu Anfang des Deduktionskapitels (Sektion 1), beide im kategorischen Imperativ vereinigten „Erkenntnisse“³⁸³ bzw. Begriffe, würden durch ein „drittes, darin sie beiderseits anzutreffen sind, untereinander verbunden“ und so die Geltung des kategorischen Imperativs als synthetischer Satz erwiesen. Dieses ‚Dritte‘ war die Verstandeswelt. Dasjenige, was im kategorischen Imperativ synthetisch verbunden ist, wurde in der geleisteten Interpretation zu Sektion 1 als das sinnlich-vernünftige Handeln und die Sittlichkeit identifiziert. Diese Sicht kann nun bestätigt werden. Denn die im willentlichen Handeln implizierte Zuschreibung transzendentaler Freiheit macht den Menschen zum Mitglied der Verstandeswelt, deren einzig zugängliches (Kausal‐) Gesetz das Sittengesetz ist. Die Verstandeswelt und ihre Gesetze fundieren zugleich die Sinnenwelt mit ihren Gesetzen, welche These der ontologischen Superiorität, wie wir sahen, in der Anwendung auf das menschliche Handeln die Geltung des kategorischen Imperativs begründet.
7 Zusammenfassung Den Ausgang des dritten Kapitels bildeten zwei Interpretationen der Deduktion des kategorischen Imperativs in der GMS. Die eine Interpretation vertritt Dieter Schönecker und sie besagt, dass mit dem Erweis der menschlichen Willensfreiheit, also seinem Vermögen zu praktisch-transzendental freien Handlungen nicht bereits seine notwendige sittliche Orientierung und die Geltung des kategorischen
GMS, AA: f. f. GMS, AA: . .
7 Zusammenfassung
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Imperativs erwiesen sei. Vielmehr stelle sich, wenn einmal die menschliche Willensfreiheit gezeigt ist, immer noch die Frage, weshalb der Mensch auch sittlich handeln sollte. Dass er dem kategorischen Imperativ Folge leisten sollte, wird nach Schönecker erst vermittels der These der ontologisch höheren Valenz der Verstandeswelt und durch den von ihm so genannten ontoethischen Grundsatz begründet. Diese Interpretation der Deduktion hält Steigleder für unhaltbar, denn sie berücksichtigt nicht das Verhältnis zwischen dem Zweck an sich selbst und der Geltung des kategorischen Imperativs: Da der Zweck an sich selbst a priori mit reiner praktischer Vernunft verknüpft ist und dieser den einzigen Geltungsgrund des kategorischen Imperativs ausmacht, ist mit dem Nachweis einer reinen praktischen Vernunft des Menschen auch automatisch die Geltung des kategorischen Imperativs gezeigt. Denn, obschon der Zweck an sich selbst per reiner praktischer Vernunft existiert, vollziehen Menschen als auch sinnlich verfasste Wesen nicht per se die aus diesem folgenden Handlungen. Der kategorische Imperativ ist damit die nötigende Reformulierung des ursprünglichen Wollens des Zwecks an sich selbst beim Menschen. Auf Schöneckers Frage, weshalb der Mensch, ist einmal seine Willensfreiheit erwiesen, auch moralisch handeln sollten, müsste man im Sinne Steigleders antworten: Weil mit seiner Freiheit eben der Zweck an sich selbst existiert. Kant selbst stellt die Verbindung zwischen dem Zweck-an-sich-selbst-Sein der vernünftigen Natur und der Deduktion des kategorischen Imperativs her. Der Mensch, sowie jedes vernünftige Wesen muss seine vernünftige Natur notwendig als Zweck an sich selbst vorstellen, und zwar zufolge eines allen vernünftigen Wesen gemeinsamen Vernunftgrundes. Bereits die Indizienlage in der zweiten und zu Anfang der dritten Sektion legte es nahe, den Vernunftgrund in der autonomen Verfassung der Vernunft zu sehen. Es konnte aber noch nicht eigesehen werden, weshalb die Autonomie der Vernunft den Grund der notwendigen Vorstellung des Zweck-an-sich-selbst-Seins der je eigenen vernünftigen Natur darstellt. Der in Sektion 3 der GMSIII formulierte Zirkel, den wir als eine petitio principii identifizieren konnten, hatte die argumentationsstrategische Funktion aufzuzeigen, dass durch das Explizieren bloßer begrifflicher Implikationen, also durch eine „Metaphysik der Sitten“, die Frage, weshalb das moralische Gesetz gelte – welche identisch mit der Frage ist, wie sich ein (objektiv) notwendiges moralisches Wollen sinnlich-vernünftiger Wesen begründen lässt – nicht zu beantworten ist. Es bedürfe vielmehr einer „Kritik der reinen praktischen Vernunft“ zu ihrer Beantwortung. Der geleisteten Interpretation nach musste die Auflösung des Zirkels zeigen dass es (a) andere Gründe für die Annahme gibt, die Willensfreiheit des Menschen anzunehmen, als den bloßen Wunsch, ihn unter sittliche Gesetze denken zu können, womit diese Gründe nicht-moralischer Natur sein müssen. Die Auflösung des Zirkels musste (b) die Gründe für ein notwendiges sittliches In-
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teresse des Menschen offenlegen, und es sah so aus, als wolle Kant dies in Einheit mit dem Beweis der menschlichen Willensfreiheit tun. In der Tat ergab die Auflösung des Zirkels, dass die Denkbarkeit menschlicher Willensfreiheit aus der speziellen Verfassung der Vernunft in Hinsicht auf den genuinen Ausdruck ihrer Spontaneität als epistemischem Vermögen folgt: Die Vernunft gerät mit ihren kosmologischen Ideen in Antinomien, deren Ausweg im Falle der dritten Antinomie besagte intelligible Kausalität fordert. Es ist also die konsistente Selbstsicht der epistemischen Vernunft, die uns zur Annahme einer denkmöglichen intelligiblen Kausalität auf die Sinnenwelt zwingt, aus welcher wiederum die Denkbarkeit praktisch-transzendentaler Freiheit folgt. Das entscheidende Argument für die Auflösung der dritten Antinomie, der transzendentale Idealismus, implizierte aber zugleich den Gedanken der ontologischen Superiorität der noumenalen Ordnung, was auch für das Verhältnis von noumenaler zur phänomenalen Subjektivität gilt. Die These der ontologischen Superiorität ist damit Implikat des Erweises praktisch-transzendentaler Freiheit. Unter der Voraussetzung, dass die These der ontologischen Superiorität wirklich die Geltung des kategorischen Imperativs bereithält und diese Geltung gleichbedeutend ist mit einem notwendigen moralischen Interesse, folgt das notwendige moralische Interesse aus dem Erweis der menschlichen Willensfreiheit. Dieses Ergebnis wurde als eine Vermittlung zwischen den Positionen Schöneckers und Steigleders interpretiert. Die Analyse des abschließenden Deduktionsarguments in der vierten Sektion der Deduktion ergab einen Bezug zur Charakterlehre der KrV. Denn im abschließenden Deduktionsargument bezeichnet Kant empirisches Handeln als Erscheinung des Willens, welcher zuvor als rein noumenale Instanz beschrieben wird. Um das zu verstehen, musste auf die Ausführungen zur Charakterlehre der KrV zurückgegriffen werden, was zu folgender Einsicht führte: Moralität ist der einzige Fall intelligibler Kausalität, der uns prinzipiell zugänglich ist, womit Sittlichkeit bei Lichte besehen als reflexive Freiheit angesprochen werden muss: der immer schon freie Wille vollzieht sich zufolge der Idee seiner eigenen Freiheit, ausgedrückt im Sittengesetze bzw. kategorischen Imperativ. Die Analytizität von Freiheit und Sittlichkeit gilt für diese ‚Darstellung‘ transzendentaler Freiheit in der menschlichen Vernunft. Die zweite Einsicht betraf die architektonische Funktion der Moraltheorie innerhalb des gesamten kritischen Systems, nämlich den Vernunftideen in ihrem „praktischen, […] dem moralischen Gebrauche, objektive Realität“³⁸⁴ zuzuschreiben.³⁸⁵ Da die Vernunft in der Genese der Ideen die reinste
KrV, A/B. In der KpV formuliert Kant diese Funktion wieder viel expliziter als in der GMS. Vgl. KpV, AA: f. und f.
7 Zusammenfassung
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Spontaneität zeigt, muss sich diese Spontaneität auch im Praktischen zufolge von Ideen vollziehen. Reine Vernunft muss also auch im Praktischen ein System generieren, dessen Prinzip eine Idee, nämlich in der GMS die Idee der Freiheit, ist, vorgestellt im kategorischen Imperativ. In Hinsicht auf diese architektonische Funktion wurde allerdings bemerkt, dass Kant auch in der GMS Sittlichkeit in der Sache zwar als vollendete Systematisierung des Praktischen durch die Idee der Freiheit denkt und ihr damit, folgt man zentralen Überlegungen der KpV, eben Realität im Praktischen zuschreibt, er in der GMS ebendiese Realität expressis verbis aber für „an sich zweifelhaft“(455) hält. Schließlich wurde die Frage beantwortet, wie die Deduktion des kategorischen Imperativs und die im Postulat des zweiten Abschnittes behauptete notwendige Vorstellung der selbstzweckhaften Existenz der eigenen vernünftigen Natur bzw. praktischen Vernunft zusammenhängen. Die Vorstellung der vernünftigen Natur als Zweck an sich selbst ist gleichbedeutend damit, um willen reiner praktischer Vernunft zu handeln. Da die Deduktion des kategorischen Imperativs genau das zeigt, nämlich, dass der Mensch vernünftigerweise nicht umhin kann, um willen seiner praktischen Vernunft selbst zu handeln und damit den kategorischen Imperativ als oberste Handlungsregel anzuerkennen, ist die Deduktion zugleich der Ausweis des Postulats. Der Vernunftgrund wurde als die epistemisch-spekulative Vernunft identifiziert, denn es ist diese, aus der die denkbare praktisch-transzendentale Freiheit, mit ihr die ontologische Superiorität der noumenalen Ordnung und folglich die Geltung des kategorischen Imperativs abgeleitet werden.
Anhang Zu Kapitel I 1 Der sittliche Wille als Wert generierende Instanz und der Begriff des objektiven Werts Ein oben bereits thematisiertes Argument Kants im Zusammenhang mit seinen Gedanken zum Begriff der Würde soll hier nochmals genauer untersucht werden, weil sein rationaler Gehalt in der Forschung nicht unumstritten ist: Der entsprechende Passus sei nochmals zitiert: Denn es hat nichts einen Werth als den, welchen ihm das Gesetz bestimmt. Die Gesetzgebung selbst aber, die allen Werth bestimmt, muß eben darum eine Würde, d. i. unbedingten, unvergleichbaren Werth, haben […]³⁸⁶
Weil die „Gesetzgebung“ durch ihr Gesetz also allen Wert bestimmt und weil Sittlichkeit bzw. die „sittlich gute Gesinnung“ in nichts anderem als dieser Gesetzgebung besteht, hat Sittlichkeit als „Gesetzgebung“ absoluten Wert oder Würde. Kant schließt hier also von der wertgenerierenden Funktion einer Instanz, der „Gesetzgebung“, auf ihren eigenen absoluten Wert. Es wurde darauf hingewiesen, der Umstand, dass die Gesetzgebung Ursprung allen Werts sei, lasse den Schluss auf den absoluten Wert der Gesetzgebung selbst nicht zu, ebenso wenig wie eine Person, die dazu berechtigt ist, Doktortitel zu verleihen, selbst deswegen einen haben muss.³⁸⁷ Es lässt sich zeigen, dass Kants Argument, berücksichtigt man seinen spezifischen Zusammenhang, durchaus trägt. Zunächst ist danach zu fragen, was Kant unter „Werth“ eigentlich versteht. Wert kommt in GMS „Handlung ohne alle Neigung“³⁸⁸, Handlungen aus Pflicht³⁸⁹, dem ‚bloßen Willen‘³⁹⁰ Gegenständen der Neigung³⁹¹, dem (guten) Willen³⁹² der „Sittlichkeit“³⁹³ und Zwecken zu. Nun fragt sich, was allen genannten Gegenständen bzw. Begriffen gemein ist. Handlungen haben insofern einen Wert, als
GMS, AA : . – . Vgl. Sensen: , S. . „GMS, AA : . . Vgl. GMS, AA : . Vgl. GMS, AA : . f. GMS, AA : f. Vgl. GMS, AA : . – . GMS, AA : . .
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ihre Vorstellungen entweder mit (handlungs‐)antizipierender Lust verbunden sind oder sie „als objectiv nothwendig“ vorgestellt werden, sie also zur Erreichung bestimmter Zwecke, oder auch unbedingt vernünftigerweise geboten sind. Neigungen bzw. Neigungs- und Bedürfnisbefriedigung haben ebenfalls einen Wert, insofern ihre Vorstellung Handlungen potentiell motiviert, sie also willensbestimmend sind. Gleiches gilt für Sittlichkeit und den (vorgestellten) guten Willen. Zwecke werden, wie gesehen, von Kant sogar so definiert, dass deren Vorstellung die notwendige Bedingung der Kausalität der Realität des Vorgestellten ist. Von dieser Gemeinsamkeit aus lässt sich nun gut bestimmen, was im Sinne des Sprachgebrauchs der Grundlegung Wert ist: Wert ist die Eigenschaft von Sachverhalten, Handlungen zu motivieren.³⁹⁴ Für ein Verständnis dessen, was objektiver Wert im Sinne Kants ist, muss nochmals der Begriff des praktisch Guten herangezogen werden: Praktisch gut ist […] was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjectiven Ursachen, sondern objectiv, d. i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt.³⁹⁵
Sensen erhebt den Vorwurf „Kant literature is not very explicit about what kind of entity the value that grounds Kant’s moral philosophy is supposed to be“, und er stellt die entsprechenden Fragen: „What does one mean to express in saying that, for instance, humanity, freedom, or the capacity to set ends has an absolute value? What is this value ontologically?“ (, S. ) Nun wäre zu erwarten, dass Sensen diesen Kant und der Kantforschung vorgeworfenen Mangel an definitorischer Schärfe beseitigt und eine Definition des Wertbegriffs überhaupt und dann eine des objektiven und absoluten Werts liefert. Doch das geschieht nicht, vielmehr muss Sensen sich den Vorwurf gefallen lassen, seinerseits keine ‚echte‘ Definition des Wertbegriff zu liefern, denn seine Kandidaten für einen allgemeinen Wertbegriff im Sinne Kants sind eigentlich keine Definitionen, sondern vielmehr subalterne Bestimmungen von Wert bzw. Wertsetzung: „One option is that this value is objective in the sense of being a property an object possesses inherently i. e. a property that would belong to the object even if it were the only object that existed […] If it [value] is not a property an object has in isolation […] it could be an relation between two objects. The prime case is the instrumental relation. For instance, food is valuable for living beings because it is instrumental in maintaining the life […] of those beings. […] it could be that value is simply what people in fact value.Value then would not be a separate property, but just the subjective preference of desire. […] Finally, value might not be a description of what a being actually values, but it could be a prescription of what one should value.“ (S. f) All diese Bestimmungen gehen nicht auf die Frage ein, was Wert überhaupt ist. Ob Wert eine konstitutive Eigenschaft eines Sachverhalts ist, relational verstanden werden muss oder ein bestimmter Wert vorgeschrieben wird (dessen Präskription sich damit wieder einem Wert verdanken müsste), sagt nichts darüber aus, was wir eigentlich und überhaupt meinen, wenn wir den Begriff „Wert“ gebrauchen. Wie gesehen, ist es nicht schwer, eine solche grundsätzliche Bestimmung aus Kants Gebrauch des Wertbegriffs in GMS herauszulesen. GMS, AA : . – .
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Der Begriff des praktisch Guten bezeichnet also qua Vernünftigkeit objektive Willensbestimmungen. Ist etwas praktisch gut, dann hat es objektiven Wert und bestimmt damit den Willen, wenn auch u.U. als Nötigung, „vermittelst der Vorstellung der Vernunft“.³⁹⁶ Objektiv notwendig und damit objektiv wertvoll kann etwas unter spezifischen Bedingungen (dem Ziel der Befriedigung bestimmter Neigungen), oder unbedingt sein. Folglich muss in Hinsicht auf den Sprachgebrauch der Grundlegung ein bedingt und unbedingt objektiver Wert unterschieden werden, auch wenn Kant diese Unterscheidung nicht explizit vornimmt. Die Neigungsbefriedigung selbst hat damit zwar keinen objektiven Wert, aber die sich aus diesem Zweck ergebenden objektiv notwendigen Handlungen. Diese haben damit bedingt-objektiven Wert: Wert, insofern sie willensbestimmend sind, objektiv, insofern sie rationalerweise aus dem Zweck der Neigungsbefriedigung folgen. Unbedingter objektiver Wert müsste sich demnach aus einer Willensbestimmung ableiten, die selbst rein rational ist und – soll sie tatsächlich unbedingt sein – nicht aus anderen rein vernünftigen Willensbestimmungen abgeleitet ist. Das Sittengesetz ist diese absolute und rein rationale Willensbestimmung, weil es das Kriterium unbedingt-objektiver praktischer Rationalität schlechthin darstellt. Als Willensbestimmung hat es Wert und in seiner Eigenschaft, Kriterium aller tatsächlichen oder reinen praktischen Rationalität zu sein, hat es absoluten objektiven Wert. Das Verhältnis von moralischer Willensbestimmung und daraus abzuleitenden, unbedingt gebotenen Handlungen ist nun ganz parallel zu empirischem Wollen zu denken: In beiden Fällen leitet sich der Wert der notwendigen Handlung aus dem Wert der Willensbestimmung ab. Weil aber das Sittengesetz das Kriterium praktischer Rationalität darstellt, ist die „Gesetzgebung“, also das moralisch bestimmte Wollen, absolut objektiv wertvoll, letzter Grund allen unbedingt und – so könnte man im Sinne Kants hinzufügen – allen tatsächlich objektiven Werts. Um es noch einmal pointierter zu formulieren: Kants Schluss von der wertbestimmenden Eigenschaft des Gesetzes auf den Wert der „Gesetzgebung“ selbst ist deswegen konsistent, weil (a) „Gesetzgebung“ nichts anderes ist, als moralische Willensbestimmung, (b) das Gesetz qua Willensbestimmung Wert hat und (c) der Wert von Handlungen und subalternen Zwecken
Kant tendiert dazu, Wert und objektiven Wert synonym zu verwenden. Allerdings spricht er auch den Geständen der Neigung (GMS, AA: . ), der Neigungen selbst bzw. der Neigungsbefriedigung eine Art von Wert zu. Den Gegenständen der Neigung könnte, insofern sie als Zwecke Begrifflichkeit und Rationalität aufweisen müssen, noch objektiver Wert zugeschrieben werden, doch die Neigungsbefriedigung überhaupt ist für sich genommen kein rationaler bzw. rational vermittelter Handlungsimpuls mehr. Insofern müssen Wert und objektiver Wert getrennt werden.
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bzw. Mitteln sich per se aus dem Wert der ursprünglichen Willensbestimmung ableitet.
2 Forschungslage zum um Gehalt des Begriffs des Zwecks an sich selbst In der vor allem angelsächsischen Forschung zu Kants Theorem des Zwecks an sich selbst sind primär zwei Begriffe prominenter Gegenstand der Debatte, nämlich der in der Zweck-an-sich-selbst-Formel zentrale Begriff der „Menschheit“ und derjenige des guten Willens. Die meisten Kantinterpreten verstehen unter Menschheit zunächst das Vermögen praktischer Vernunft überhaupt, interpretieren aber diesen Begriff innerhalb der Formel des Zwecks an sich selbst gattungsbegrifflich, also im Sinne von „alle vernünftigen, wollenden Wesen“. Folgerichtig vertreten diese Autoren die Position, dass sich die „Menschheit“ und der gute Wille als Zweck an sich selbst nicht auf ein und denselben Sachverhalt beziehen können, denn nicht jedes vernünftige Wesen hat einen guten Willen. Zu den Autoren, die einen Bedeutungsunterschied zwischen „Menschheit“ und dem guten Willen als Zweck an sich selbst vertreten, gehört Christine Korsgaard.³⁹⁷ Die entscheidende Voraussetzung für ihre Interpretation des Begriffs des Zwecks an sich selbst ist, dass Güte im Sinne Kants ein rationales Konzept darstellt.³⁹⁸ Die Rationalität des Guten impliziert nach Korsgaard, dass es in bestimmter Hinsicht „objektiv“ gut ist und sich in dieser Objektivität entsprechend rechtfertigen lässt. Etwas kann als objektiv gut gelten, wenn es sich entweder in seiner Güte mit Rekurs auf etwas unbedingt Gutes rechtfertigen lässt oder es dieses unbedingt Gute selbst ist. Bezogen auf Zwecke heißt das, sie müssen sich mit Bezug auf einen Zweck rechtfertigen lassen, dem selbst notwendig unbedingte Güte oder unbedingter Wert zukommt:³⁹⁹ Für Koorsgard ist folgerichtig praktische Vernunft dasjenige, was absoluten Wert hat und Zweck an sich selbst ist.⁴⁰⁰ Al-
Korsgaard: , S. – . Vgl.: „Since good is a rational concept, a good end will be one for which there is reason – an end whose existence can be justified. Korsgaard: , S. . Vgl.: „A thing than can be said to be objectively good, either if it is unconditionally good or if it is conditionally good and the condition under which it is good is met […]. A conditionally good thing like happiness, is objectively good when its condition is met in the sense that it is fully justified and the reasons for it are sufficient.“ Korsgaard: , S. f. Vgl. Korsgaard: , S. f: „Kant’s answer, as I understand him, is that what makes the object of your rational choice good is that it is the object of rational choice. That is […] we are supposing that rational choice has what I will call a value-conferring status.“ Und weiter: „[…] in our private rational choice […] we view ourselves as having a value conferring status in virtue of our
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lerdings gelingt es ihr nicht zu verdeutlichen, wie sich mit einer solchen Interpretation von „Menschheit“ Kants Rede vom Selbstzweckcharakter des guten Willens begründen lässt. Zwar findet sich die Bemerkung: „Humanity […] is completed and perfected only in the realisation of ‘personality’, which is the good will“⁴⁰¹. Allerdings folgt die entscheidende Einschränkung auf dem Fuße: „But the possession of humanity and the capacity of the good will, whether or not that capacity is realized, is enough to establish a claim on being treated as an unconditional end.“⁴⁰² Dann aber sind „Menschheit“ und guter Wille verschieden, und es wird nicht klar, wie beide in der Sicht Kants zugleich Zweck an sich selbst sein können. Joshua Glasgow⁴⁰³ ist ebenfalls ein Vertreter der These der Unterschiedenheit von „Menschheit“ und „guter Wille“. Im Zentrum seiner Argumentation steht eine Unterscheidung von vier verschiedene Wertbegriffen, die Glaskow im Sprachgebrauch Kants in Kraft sieht: Güte überhaupt (goodness simpliciter), das Wohl (prudential goodness), moralische Güte und moralischer Status (moral status). Für die These der Unterschiedenheit von Menschheit und guten Willen sind zwei Wertbegriffe zentral: Erstens der Wertbegriff der moralischen Güte:⁴⁰⁴ Moralische Güte verleiht dem Willen das, was Glasgow uneingeschränkte Güte überhaupt nennt, wobei Güte überhaupt dasjenige ist, was Gutes zu Gutem macht, also allem, was gut genannt wird, als Eigenschaft zukommt. Der moralisch gute Wille ist der einzige Sachverhalt, dem uneingeschränkt Güte überhaupt zukommt, dessen Güte also unter keiner weiteren Bedingung steht. Und die Güte von allem Guten hängt von der moralischen Güte des guten Willens ab, denn erstens ist nur etwas gut zu nennen im Zusammenhang mit einem Wollen, und zweitens ist alles, was von einem bösen Willen gebraucht, angestrebt usw. wird, nicht mehr gut zu nennen. Der gute Wille ist somit „unerlaßliche Bedingung“⁴⁰⁵ aller anderen Güter. Von moralischer Güte unterscheidet Glasgow den oben genannten moralischen Status.
rational nature. […] So when Kant says rational nature or humanity is an end in itself, it is the power of rational choice that he is referring to […]“ Korsgaard: , S. f. Korsgaard: , S. f. Glasgow, Joshua (): Kant’s Conception of Humanity, Journal of the History of Philosophy , S. – . Glasgow: , S. : „This is the morally good character trait possessed by the good will. Moral goodness gives it unqualified goodness simpliciter of every other character trait and gift of fortune. […]“ GMS, AA : ..
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Dieser ist in seiner Sicht zwar ein Fall von Wert, aber kein Fall von Güte.⁴⁰⁶ In diesem Sinne schreibt er: If the rational capacity interpretation [die Position, dass der Zweck an sich selbst praktsiche Vernunft überhaupt ist] is correct, then we also have no (direct) obligations to the good will qua good will; rather, we only have obligations to the good will insofar as the good will is a being with rational capacities. Its rational nature is what creates our obligations to it, in which case all beings with rational capacities will have moral status.⁴⁰⁷
Kommt dem moralisch guten Willen bloß moralische Güte, also kein moralischer Status zu, kann es aus der Sicht Glasgows auch nicht geboten sein, diesen zu befördern. Der Autor sieht seine Unterscheidung beider Wertarten auch im Text der Grundlegung implizit in Kraft, wenn er schreibt: Strictly speaking […] for Kant […] „good“ is an subset of value ; it is reserved for those things that we want to pursue, promote, or otherwise bring about. […] Now, while the good will need not to be effected in the phenomenal world to be good, non-moral goods must be; in either cases, however, both have in common that they are ends to be produced (whether in the will itself or in the phenomenal world). But, for Kant, humanity is not a value to be brought about; it is not a „good“ at all in this sense, qua humanity. For he is clear that humanity is an „independently existing end“, rather than an end to be produced. ⁴⁰⁸
Zunächst ist zu sagen, dass Kant den Begriff des Guten nicht nur auf Hervorzubringendes anwendet; so werden die „Talente des Geistes“ oder die „Eigenschaften des Temperaments“ eindeutig als „in mancher Absicht gut“⁴⁰⁹ bezeichnet. Das berührt aber nicht Glasgows prinzipielle Unterscheidung von moralischem Status und moralischer Güte. Entscheidend in der Sicht Glasgows ist, dass moralische Güte kein Wert ist, aus dem sich das moralische Gebotensein von Handlungen gewinnen lässt, während das gerade moralischen Status auszeichnet. Doch auch für dieses Kriterium fehlt die Textgrundlage. Denn im ersten Abschnitt der GMS begründet Kant die Pflicht zur eigenen Glückseligkeit damit, dass „der Mangel der Zufriedenheit mit seinem Zustande […] leicht eine große
Glasgow: : S. : „This [the moral status] is the value that generates the obligation of morally obligated actions.When it is unconditional, such as with humanity, it conditions the moral status of all other things, such as happiness. To say that we have moral duty to produce happiness only insofar as an end in itself is being made happy, so happiness might be an end, but not an end in itself, not an end with unconditional status. Humanity’s status is not, in this sense, derivative from something else with moral status; it is unconditionally, an end in itself.“ Glasgow: , S. . Glasgow: , S, GMS, AA : ..
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Versuchung zu Übertretung der Pflichten werden“⁴¹⁰. Hier ist der gute Wille etwas, dass es (negativ) zu befördern gilt. Und damit kommt auch diesem das zu, was Glasgow moralischer Status nennt. Richard Dean⁴¹¹ ist einer der wenigen Autoren, welche die Position vertreten, der gute Wille sei Zweck an sich selbst. Er versteht den guten Willen aber als eine Art genereller, sich durchhaltender Orientierung des Handelns an moralischen Grundsätzen, die als solche im Einzelfall auch unmoralisches Handeln zulässt. Der Begriff des guten Willens bezieht sich damit also nicht primär auf singuläre Akte moralischen Wollens. Das ist aber nicht der Begriff von Sittlichkeit, wie er in der Grundlegung gebraucht wird. Denn aus der Analytizitätsthese von Sittlichkeit und Freiheit⁴¹² ergibt sich, dass, wie Freiheit eine Eigenschaft von Kausalitäten ist, Sittlichkeit eine Eigenschaft von Handlungen sein muss – von singulären Handlungen. Ist Moralität nicht zumindest auch der motivierende Grund der Handlung, kann im Sinne der Grundlegung der Wille nicht gut sein. Samuel Kerstein⁴¹³ ist einer der wenigen Autoren, die sich eingehender um das Verständnis des Zusammenhangs von „Menschheit“ und „guter Wille“ bemühen. Er tut dies allerdings durch ein Argument, dessen Geltung fraglich erscheinen muss: Kerstein geht prinzipiell von der Annahme aus, dass einzig dem guten Willen ein absoluter Wert zukomme und dieser folglich im eigentlichen Sinne der Zweck an sich selbst sei. Da er weiter „Menschheit“, wie viele andere Autoren als Gattungsbegriff liest, also im Sinne von „alle vernünftigen wollenden Wesen“, kann „Menschheit“ nicht der eigentliche Zweck an sich selbst sein. Denn, so der Autor, nicht jedes vernünftige Wesen, das als solches über eine vernünftige Natur verfügt, ist per se moralisch gut. Sein zentrales Argument dafür, dass trotzdem sowohl Menschheit, als auch der gute Wille als Zweck an sich selbst gesehen werden müssen, hat zur Bedingung, dass nicht bloß nicht erkennbar ist, ob eine formal pflichtgemäße Handlung auch tatsächlich aus Pflicht geschieht. Es müsse darüber hinaus auch prinzipiell unerkannt bleiben, ob eine Person keinen guten Willen hat – auch in Fällen, in denen sie eindeutig formal nicht-moralisch handelt.⁴¹⁴ Es ist in der Sicht des Interpreten also zwar der Fall, dass der gute Wille den GMS, AA : . – . Dean: , – . Vgl. GMS, AA: f. Kerstein: , S. – . Kerstein: , S. f: „So can we rest assured that […] anyone […]does not currently have a good will? […] But suppose that we cannot be sure that any particular person currently lacks a good will. [So] […] all such beings might have a good will.“ Kerstein zieht hieraus die Konsequenz: „In order to insure our compliance with the Formula of the Good Will [Kersteins Bezeichnung für ZF in seiner Interpretation], we would have […] to treat everyone with humanity as if he/she had a good will“.
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höchsten Wert besitzt und somit als eigentlicher Grund des kategorischen Imperativs gelten muss. Weil aber in keiner denkbare Situation mit Sicherheit gesagt werden kann, dass Personen nicht über einen guten Willen verfügen, ist immer zu befürchten, dass wir den guten Willen selbst als Mittel gebrauchen. Da es zwar Menschheit ohne guten Willen gibt, aber keinen guten Willen ohne Menschheit, muss die Menschheit, gleichsam als Stellvertreter des guten Willens, Zweck an sich selbst sein. Man sieht leicht, dass dieser Versuch, beide Geltungsgründe des kategorischen Imperativs kompatibel zu machen, teuer erkauft ist. Denn es ist nicht einzusehen, weshalb im Falle einer eindeutig nicht-moralischen Handlung wir der handelnden Person einen guten Willen zuschreiben sollten. Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass die genannten Autoren entweder erst gar nicht den Versuch unternehmen, Kant in seinen verschiedenen Bezeichnungen des Zwecks an sich selbst konsequent ernst zu nehmen, oder dort, wo sie es – im Ansatz – versuchen, entweder, wie bei Kerstein, zu Argumenten Zuflucht suchen, die im Horizont der kantischen praktischen Philosophie fragwürdig sind, oder, wie im Falle Glasgows, der Textgrundlage entbehren.
3 Forschungslage zur Definition des Zweckbegriffs in GMS Schönecker/Wood⁴¹⁵ vertreten die These, ein Zweck im Sinne Kants sei allgemein etwas, um dessen willen gehandelt wird, das es aber nicht notwendig hervorzubringen gilt. Sie sind der Ansicht, dass Kant mit der Rede vom Zweck als dem „objektiven Grund der Selbstbestimmung des Willens“ auf dieses Verständnis des Zwecks als dem „umwillen“⁴¹⁶ einer Handlung verweisen will. Die Autoren versäumen es allerdings zu erklären, wie genau beides zusammenhängen soll, weshalb also mit der Bestimmung des Zwecks als dem „objektiven Grund“ dieser allgemein als das „um willen“ einer Handlung zu verstehen sei. Jens Timmermann⁴¹⁷ nennt zwar ebenfalls die Definition des Zweckbegriffs in GMS, bringt sie auch ins Verhältnis zum Zweckbegriff in der KU, der MdS und der KpV. Allerdings geht er nicht auf die Frage ein, was Kant mit seiner Rede vom Zweck als objektivem Grund der Selbstbestimmung des Willens meint. Er geht auch nicht auf den Zweck an sich selbst ein und folglich auch nicht auf die möglichen Probleme, die sich aus dem Vergleich der Definition in GMS – unter die der Zweck an sich selbst fällt – mit den anderen Definitionen ergeben.
Schönecker/Wood: , S. . Kaulbach: , S. ff. Timmermann: , S. f.
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Auch Allan Wood versäumt es, eine genauere Analyse der Zweckdefinition in GMS zu liefern, geschweige denn, sie mit Kants anderen Bestimmungen des Zweckbegriffs zu vergleichen. Folglich muss sowohl seine Behauptung, der Zweck in GMS sei nicht unbedingt ein Ding oder Zustand, den es durch Handeln hervorzubringen gilt, als unzureichend ausgewiesen gelten, genauso, wie seine Behauptung, der Zweck an sich selbst sei kein solcher hervorzubringender Sachverhalt.⁴¹⁸ Ähnlich verfährt Brinkmann⁴¹⁹, der in seiner Behandlung der Selbstzweckformel die allgemeine Zweckdefinition der Grundlegung nicht behandelt, sondern sofort auf den Begriffen des subjektiven und des objektiven Zwecks zu sprechen kommt. Friedo Ricken⁴²⁰ macht die Definition des Zweckbegriffs in GMS kurzerhand zu einer des Zwecks an sich selbst, ohne hierfür zu argumentieren. Obwohl Willaschek⁴²¹ den Kantischen Zweckbegriff ausführlich behandelt, übergeht er die Zweckdefinition in GMS. Aufgrund seiner ausführlichen Behandlung der Zweckbegriffe in KU und MdS gelangt Willaschek zu der allgemeinen Definition des Zwecks als Gegenstand „dessen Vorstellung […] eine Handlung verursacht, die zur Verwirklichung dieses Gegenstands führen soll“, also ganz im Sinne der KU.⁴²² In dieser Definition ist der Zweck folglich eindeutig ein zu realisierender Sachverhalt. Gerade vor dem Hintergrund dieser Bestimmung wäre es umso wünschenswerter gewesen zu erfahren, wie sich diese zu Kants Bestimmung des Zwecks an sich selbst als selbständigen und negativ zu denkendem Zweck verhält.⁴²³ Es kann im Ergebnis konstatiert werden, dass die Brisanz übersehen wird, die sich aus dem Verhältnis der Zweckdefinition in GMS unter Berücksichtigung des unter diese fallenden Begriffs des Zwecks an sich selbst und den Standardbestimmungen des Zweckbegriffs in anderen Schriften Kants ergibt.
Vgl. Wood: , S. und S. . Brinkmann: , S. f. Vgl. Ricken: , S. ff. Willaschek: , S. – . Willaschek: , S. . Vgl. GMS AA: . f.
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4 Forschungslage zum Zweck an sich selbst als existierendem Zweck Allen Woods These, der Zweck an sich selbst sei ein existenter Zweck, wurde oben bereits diskutiert. Wie wir sahen, ist bereits sein Beispiel für einen existierenden Zweck fragwürdig.⁴²⁴ Derselben Ansicht ist Christine Korsgaard. Auch sie schreibt, dass Menschheit als Zweck an sich selbst etwas ist, „that we cannot realize or something for us to bring into existence“.⁴²⁵ Und auch sie bringt zur Erläuterung eines selbständigen Zwecks das Beispiel der Selbsterhaltung. Damit wären an Korsgaard dieselben kritischen Fragen wie an Wood zu richten. Richard Dean schlägt in exakt dieselbe Kerbe, wenn er schreibt: One potential misunderstanding may arise because when we think of an end, it is natural to think of something that is to be brought about or attained […] But an […] end in itself is […] „the limiting condition of all merely relative and arbitrary ends“. Kant means here that the end in itself […] is not something object or state of affairs that is to be brought into existence.⁴²⁶
Um seine These zu untermauern, bringt auch Dean die einschlägige Stelle: „so Kant says the end in itself „must here be thought only negatively, that is, as that which must never be acted against.⁴²⁷ Wie gesehen, muss diese Stelle nicht im Sinne Deans interpretiert werden. Auch Paul Guyer schreibt, indem er sich auf Kants Rede von der Negativität und Selbständigkeit des Zwecks an sich selbst bezieht: Kant’s […] suggestion that rational being is not an end ‘to be effected’ may mean that, unlike other ends, rational being is not something that has to be brought into existence – it is already there in the person of oneself and every other human being.⁴²⁸
Schließlich schreibt Joshua Glasgow: „[…] [F]or Kant, humanity is not a value that is to be braught about“, ohne diese Behauptung auszuweisen.⁴²⁹ Bereits Paton war der Auffassung: Ein objektiver, absoluter Zweck kann nicht das Produkt unseres Willens sein; denn kein bloßes Produkt unseres Willens kann absoluten Wert haben. Ein Zweck an sich selbst muss
Vgl. Wood: , S. f. Korsgaard: S. . Dean: , S. . Dean: , S. . Guyer: , S. . Glasgow: , S. .
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daher ein selbständiger Zweck sein, nicht etwas, das von uns bewirkt werden soll. Da er absoluten Wert hat, wissen wir schon, was er sein muss – nämlich ein guter Wille. Diesen guten oder vernünftigen Willen hält Kant in jedem vernünftigen Wesen für gegeben, und somit auch in jedem Menschen […]. Es mag willkürlich erscheinen, wenn man von existenten Dingen als Zwecken spricht, doch es ist richtig, dass die Existenz von Personen einen vernünftigen Willen bestimmt […].⁴³⁰
Wir haben gesehen, dass der Zweck an sich selbst sehr wohl ‚Produkt‘ unseres Willens ist, allerdings eben unseres Willens a priori. Zudem unterscheidet Paton nicht zwischen einem (naturkausal) zu bewirkenden und einem allgemein zu realisierenden Zweck. Wir sahen, dass dieser Unterschied eminent wichtig ist. So ist der Zweck an sich selbst weder ein ‚zu bewirkender‘ Zweck im Sinne eines naturkausalen Wirkens noch ist er deshalb bereits ein existenter Zweck. Die Möglichkeit eines durch ‚intellektuelle Kausalität‘ hervorzubringenden Zwecks scheint Paton nicht in Erwägung zu ziehen. Auch Allisons bereits thematisiertes Beispiel sei nochmals angeführt: Kant introduces this distinction [between ends to be effected and self-standing ends] at GMS 4:437 and it reflects the ambiguity of both the English term „end“ and the German „Zweck“. Although they usually refer to some purpose or aim to be achieved, they can also refer to something that already exists and that constitutes a limit.⁴³¹
Für den zweiten Zwecktypus bringt Allison, wie gesehen, ein Beispiel, an welches dieselben Einwände zu richten sind, wie an Wood oder Korsgaard: For example, when people doff their hats to their country’s flag, they usually have no ends to be effected in mind, but they nonetheless act for the sake of an end, namely, the revered object to which a symbolic value is attached.⁴³²
Wir sahen, dass der einzig sinnvolle Kandidat dessen, was hier der Zweck sein kann, die Kundgabe der eigenen patriotischen Gesinnung und damit etwas – wenn auch in eins mit der Handlung – zu Realisierendes ist. Bei Friedrich Kaulbach verhält es sich etwas komplizierter. Zwar unterscheidet er einen Zweck zunächst nach zwei Hinsichten, dem „um-willen“ und dem „worauf-hin“ der Handlung und stellt sogleich klar,
Paton: , S. f. Allison: , S. f. Allison: , S. .
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dass das eigentliche „um-willen“ den Bestimmungsgrund für den handelnden Willen, nicht in dem angestrebten Zweckinhalt gesehen werden, sondern […] in der gesetzlichen Form der Pflicht […]⁴³³,
was ebenfalls in die Richtung einer Existenzsthese des Zwecks an sich selbst zu deuten scheint. Allerdings behauptet er wenig später, die Person mache den kategorischen Imperativ dadurch wirklich, dass sie sich in einer „inneren“ Handlung der Einnahme des Stands des Gesetzgebers selbst unter seine imperativische Forderung stellt. Indem sie in dieser Handlung den Stand des Gesetzgebers einnimmt, macht sich die Person zum Selbstzweck.“⁴³⁴
Hier klingen zwei Thesen an, die der im vorliegenden Kapitel vertretenen Position durchaus nahe kommen. Die Person ist nur und insofern wirklicher Zweck an sich selbst, als sie moralisch handelt. Der Zweck an sich selbst ist zwar kein naturkausaler Sachverhalt, aber trotzdem etwas durch „innere Handlung“ zu Verwirklichendes. Festzuhalten ist damit, dass Kaulbach offenbar kein Vertreter der ‚Existenzthese‘ des Zwecks an sich selbst ist. Christoph Horn kommt der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Position noch näher. Er bezeichnet den Zweck an sich selbst als „Strebensziel“⁴³⁵ und auch als das, was „positiv angestrebt werden soll“.⁴³⁶ Weiter stellt er zutreffend fest, dass der in der Selbstzweckformel zentrale Begriff der Menschheit in der Person ursprünglich „die intelligible oder nouomenale Seite des Menschen“ meint und identifiziert den Zweck an sich selbst weiter auch als „Freiheit, Vernunft oder Moralität“. Zusammenfassend gebraucht Horn für den Zweck an sich selbst die Bezeichnung der „rationalen Zwecksetzungsfähigkeit“⁴³⁷ bzw. „menschliche Autonomie“⁴³⁸, die es zu befördern gilt, was zutreffend ist. Horn versäumt es aber zu erklären, wie genau – vor allem vor dem Hintergrund des kantischen Zweckbegriffs – die „menschliche Autonomie“ als Zweck zu beschreiben ist. Auch seine Argumente für den Selbstzweckcharakter dieser rationalen Autonomie sind m. E. unzutreffend und geben vor allem nicht Kants eigene Begründung wieder, ja, sie sind näher besehen dem moralphilosophischen Konzept Kants diametral entgegengesetzt. Horns Argument für den Selbstzwekcharakter der „Zwecksetzungsfähigkeit“ lautet:
Vgl. Kaulbach: , S. . Kaulbach: , S. . Horn: , S. . Horn: , S. . Horn: , S. . Horn: , S. .
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Eine Person, die die Zwecke x, y, und z verfolgt, kann ihre Freiheitsminderung (bzw. einen Mangel in der Fortentwicklung ihrer Freiheit) auch dann nicht wollen, wenn sie sich sicher ist, dass sie auch künftig nur x,y und z anstrebt, und nicht z. B. die anspruchsvolleren Ziele p, q und r. Entschiedet sich ein Individuum z. B. für eine partielle Selbstverwahrlosung, die dennoch mit der künftigen Verfolgung von x,y, und z vereinbar wäre (nicht jedoch mit den für sie erklärtermaßen uninteressanten Zielen p, q und r), dann ergäben sich zwei Arten von Widersprüchen: Erstens ein Widerspruch mit der eigenen Interessenlage, wenn man diese als reversibel und revisionsfähig über die Zeit betrachtet, und zweitens ein Widerspruch aus der überindividuell-universalistischen Perspektive, nämlich insofern sich ein Wesen, das über einen Willen mit weiter entwickelter Reichweite verfügen könnte, für einen Willen mit eingeschränkter Reichweite entschiede.⁴³⁹
Gehen wir zunächst auf das erste Argument ein: Ein zwecksetzendes Subjekt kann sich niemals völlig sicher darin sein, dass zu einem Zeitpunkt t gesetzte Zwecke auch solche sind, die es zu anderen Zeitpunkten t1 immer noch verfolgen will. Deshalb kann das Subjekt sich nicht in Situationen hineinmanövrieren wollen, die seine Zwecksetzungsfähigkeit insgesamt gefährden. Denn das würde unter Umständen bedeuten, nicht mehr in der Lage zu sein, aus eigener Kraft und durch eigenes Wollen, aus einmal gegebene Situationen herauszufinden. Aus Rücksicht auf die Wandelbarkeit der je eigenen Glückskonzeption darf ein Individuum seine Zwecksetzungs- und damit seine Handlungsfähigkeit nicht gefährden. Ich kann mich rationalerweise also z. B. nicht dafür entscheiden, mich einer massiven Drogensucht auszusetzen, weil ich in einem solchen Zustand kaum mehr zu rationalem Handeln fähig wäre und ich folglich auch im Falle, in dem sich die Drogensucht als die reinste Hölle entpuppen sollte, dazu verdammt wäre, in ihr zu verweilen. Es ist leicht einsehbar, dass dieses Argument in der Sicht Kants dem Prinzip der eigenen Glückseligkeit zuzurechnen ist und damit zur Begründung eines ursprünglichen moralischen Zwecks nicht taugt. Denn in der Sicht Horns ist die Zwecksetzungsfähigkeit offensichtlich nur in Funktion der je eigenen hedonistischen Zwecke erstrebenswert. Es ist aber sogar und gerade unter dieser Prämisse nicht einzusehen, weshalb ich, angenommen, das Erreichen der Zwecke x, y und z schließe notwendig eine partielle Selbstverwahrlosung ein, mich dieser nicht hingeben sollte. Denn der Erhalt der Zwecksetzungsfähigkeit ergibt von dieser Position aus nur Sinn als Funktion meiner Neigungsbefriedigung. Nehmen wir also an, ich habe zu den Zwecken x, y und z eine sehr starke Neigung und bin mir ziemlich sicher, dass die Realisierung dieser Zwecke mich meiner eigenen Glückseligkeit sehr nahe bringen würde. Ich müsste aus einer vagen Befürchtung heraus, die Zustände x, y und z würden mich vielleicht irgendwann einmal nicht Horn: , S. .
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mehr glücklich machen, auf ein fast sicheres Lebensglück verzichten. Hier scheint ein harmlos erscheinendes Beispiel angebracht. Nehmen wir an, ich sähe mein Lebensglück als Lehrer verwirklicht. Und nehmen wir weiter an, Lehrer zu sein ist sehr zeitaufwendig und lässt wenig Raum für intellektuelle Weiterentwicklung. Ich wäre nach einer gewissen Zeit als Lehrer nicht mehr in der Lage, mich auf hoch komplexe philosophische Texte zu konzentrieren, und ein Studium der Biologie, Chemie und Physik schiene mir auch nicht mehr möglich. Ich müsste also, wollte ich mir diese und viele andere Optionen auf mögliche Lebensentwürfe offen lassen, meinen Lebenstraum, Lehrer zu sein, aufgeben. Es ließen sich viele solcher Beispiele denken, und es wird deutlich, dass, wenn nicht alle, so doch zahlreiche Zwecke, werden sie realisiert, meine Zwecksetzungsfähigkeit insgesamt einschränken. Somit kann aber nur in einem sehr eingeschränkten Sinne davon die Rede sein, dass rein aus Erwägungen der Lebensklugheit die Zwecksetzungsfähigkeit einen Selbstzweck darstellt. Denn dies würde offensichtlich zu der sehr seltsamen Situation führen, in der ich aus Klugheit und in Rücksicht auf mein Ziel des eigenen Lebensglücks nur eine sehr eingeschränkte Anzahl an Zwecken verfolgen dürfte, namentlich solche, die mich intelligenter und handlungsfähiger machen würde, die mich aber unter Umständen je nach Temperament und Charakter, unglücklicher machten, als praktisch nötig. Auf den Punkt gebracht, würde das von Horn angeführte erste Argument zu Situationen führen können, in denen Individuen aus Erwägungen des rationalen Glückseligkeitsstrebens sich eher unglücklich machen würden. Abgesehen von der beschriebenen Inkonsistenz, geht diese Interpretation – und das ist der zentrale Einwand – an der Grundeinsicht der gesamten praktischen Philosophie Kants vorbei. So besteht bekanntlich gerade in der Entflechtung von Glückseligkeitsstreben und genuin moralischen Handlungsmotiven eine zentrale Aufgabe der kantischen Moraltheorie, die Horn hier auf subtile Weise wieder rückgängig macht. Zum zweiten Argument: Es ist in der Tat in der Perspektive eines neutralen Beobachters nicht einzusehen, weshalb „sich ein Wesen, das über einen Willen mit weiter entwickelter Reichweite verfügen könnte, für einen Willen mit eingeschränkter Reichweite entschiede“. Allerdings trifft das nur zu,wenn dieses Wesen die Reichweite des Willens vergrößern könnte, ohne Einschränkungen seiner einzelnen gewollten Handlungen und Zwecke. Hier greift ebenfalls der Einwand zum ersten Argument: Muss ich bestimmte und vielleicht sogar viele Zwecke aufgeben, um die prinzipielle Reichweite meines Willens zu erweitern, kann von einer Erweiterung dieser Reichweite nicht mehr die Rede sei. Und auch hier ist zu sagen, dass dies nicht Kants Punkt ist. Der genuine Zweck moralischer Handlungen und damit ihr Motiv sind nicht in einer möglichst großen Zwecksetzungsfähigkeit zu sehen, sondern in der reinen praktischen Rationalität als sol-
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cher. Es ließe sich sogar der Fall denken, dass bestimmte moralische Handlungen meine Zwecksetzungsfähigkeit in gewissem Maße vermindern und trotzdem eben moralisch geboten sind.
Zu Kapitel II 1 Der Wille als „Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln“ Welche Gesetze und Prinzipien Kant meint, wenn er in GMSII den Willen als „Vermögen, nach der Vorstellung der Gesetze, d. i. nach Principien, zu handeln“⁴⁴⁰ definiert, ist in der Forschung notorisch umstritten. Mir erscheint die These Jens Timmermanns als die plausibelste, der zufolge es zwei Gesetze sind, die Kant hier meint, nämlich das Gesetz der Naturkausalität oder „Naturnotwendigkeit“⁴⁴¹ und das Sittengesetz bzw. Gesetz der Freiheit. Timmermann begründet seine These folgendermaßen: An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Kant durchweg von einem Dualismus der Gesetze ausgeht. Es gibt für ihn nur Gesetze der Natur und Gesetze der Freiheit. Folglich liegt es nahe zu meinen, dass in den Fällen, in denen die Vorstellung des Sittengesetzes, das uns als kategorischer Imperativ gegenübertritt, allein den Willen bestimmt, es die Vorstellung eines Naturgesetzes in der Form des hypothetischen Imperativs ist.⁴⁴²
Unzutreffend scheint mir Rüdiger Bittners⁴⁴³ Position zu sein. Bittner vertritt die These, die Gesetze, deren Vorstellung den Willen konstituiert, seien Maximen. Eine Maxime wäre demnach ein „wesentlich subjektiv vorgestelltes Gesetz“.⁴⁴⁴ Demnach wären Maximen praktische Gesetze. Doch Kants Maximendefinition auf GMS, AA04: 421 schließt es aus, Maximen als solche verstehen zu können. Kant schreibt: Maxime ist das subjective Princip zu handeln und muß vom objectiven Princip, nämlich dem praktischen Gesetze, unterschieden werden. Jene enthält die praktische Regel, die die Vernunft den Bedingungen des Subjects gemäß (öfters der Unwissenheit oder auch den Neigungen desselben) bestimmt, und ist also der Grundsatz, nach welchem das Subject handelt;
GMS, AA : . – GMS, AA: Timmermann: , S. – . Bittner: , – Bittner: ,
Zu Kapitel II
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das Gesetz aber ist das objective Princip, gültig für jedes vernünftige Wesen, und der Grundsatz, nach dem es handeln soll, d. i. ein Imperativ.⁴⁴⁵
Müssen Maximen als „subjektive Prinzipien“ vom „objektiven“ Prinzip, nämlich dem praktischen Gesetz unterschieden werden, können sie klarerweise keine praktischen Gesetze sein. Und das Praktischsein des Gesetzes, das eine Maxime sein soll, ergibt sich schon aus ihrer Bestimmung als „Prinzip zu handeln“. Eine weitere Bestätigung dafür, dass Bittners Interpretation unzutreffend ist, kann in Kants Aussage gesehen werden, dass der Begriff der Maxime mit Sinn ausschließlich auf sinnlich-vernünftige Wesen angewandt werden kann. So schreibt er: „Alle drei Begriffe aber, der einer Triebfeder, eines Interesses und einer Maxime können nur auf endliche Wesen angewandt werden.“ ⁴⁴⁶ Und Kant folgert pointiert: „Auf den göttlichen Willen können sie also nicht angewandt werden.“⁴⁴⁷ Nun gilt aber Kants Bestimmung des Willens als dem Vermögen „nach der Vorstellung der Gesetze […] zu handeln“ auch für ein rein vernünftiges Wesen mit einem „heiligen Willen“⁴⁴⁸, als welches Gott gedacht wird. Bittner hat natürlich Recht, wenn er schreibt: „Wille ist eben dies, nach Maximen zu handeln“. ⁴⁴⁹Allerdings wäre hinzuzufügen, dass der Wille eben auch dies ist, nach Maximen zu handeln, und dass dies nur für sinnlich-vernünftige Wesen gilt. Darüber hinaus scheint Kant mit der hier thematischen Willensbestimmung seinen Fokus auf singuläre willentliche Handlungen zu richten und nicht schon auf „eine Perspektive auf mein ganzes Leben,“ wie Bittner⁴⁵⁰ den Gegenstand einer Maxime unter anderem bestimmt. Allison sieht in den Gesetzen, nach deren Vorstellung vernünftige Wesen handeln (und somit einen Willen haben) „objective practical principles“, die in Imperativen ihren unmittelbaren ‚nötigenden‘ Ausdruck finden und zieht den Schluss: „[…] an imperative does not differ from a practical law or objective practical principle of reason in ist content but in its […] illocutionary force.“⁴⁵¹ Die These der gehaltlichen Gleichheit von Gesetz und praktischem Prinzip erscheint diskussionswürdig. Imperative gebieten unter Umständen konkrete Handlungen, Gesetze sind aber streng allgemeine Regeln. Trotzdem hält Allison – allerdings an anderer Stelle – ein sehr plausibles Argument für die Erklärung der „illocutionary
GMS, AA: KpV, AA: KpV, AA: GMS, AA: S. Bittner: , S. Bittner: , S. Allison: , S.
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force“ von Imperativen bereit. So behauptet Allison, die nötigende Kraft eines Imperativs verdanke sich der durch das zugrundeliegende Gesetz ausgedrückten Notwendigkeit der entsprechenden kausalen Regel. Die durch die Vernunft eingesehene bzw. durch sie konstituierte Notwendigkeit wäre dann der Ursprung der im Imperativ ausgedrückten Nötigung. Somit sind aber Imperative konstitutives Moment von Wollen überhaupt, bei sinnlich-vernünftigen Wesen. Das wiederum entspricht ganz den in Kapitel II ausgeführten Überlegungen zum Imperativ überhaupt.
2 Zwei Forschungspositionen zum Reich der Zwecke Thomas E. Hill stellt sehr aufschlussreiche Überlegungen zur Funktion des Reiches der Zwecke nebst Formel an. Er versucht nachzuweisen, dass RF Schwächen vermeidet, denen die anderen Formeln und insbesondere UF ausgesetzt sind. Die allgemeine, durch RF formulierte Forderung lässt sich nach Hill folgendermaßen wiedergeben: Briefly, the formula of the kingdom of ends enjoins us to follow those rules that we would make us legislating members of such a kingdom. It requires us to work out a set of rules that we would legislate if we were doing so from a certain point of view.⁴⁵²
Er formuliert weiter fünf Bedingungen, unter denen vernünftige Wesen im Reich der Zwecke gesetzgebend sein können: First, the members are to legislate only laws that are universal in form. […] Second, in trying to decide which rule to make, the members will „abstract from any personal differences“. […] A third condition is that the members of the kingdom must make laws as fully rational legislators. […] A fourth condition for legislation […] is that law-makers must be autonomous. […] From the rationality of the members we can infer a fifth condition, namely that in legislating each member regard himself and every other member as an end in itself.⁴⁵³
Hill führt zunächst einige bekannte Einwände gegen UF als handlungsleitendes Prinzip an. So hängt es – einem bekannten Einwand folgend – von der Formulierung der einer Handlung zugrundeliegenden Maxime ab, ob die Handlung moralisch geboten, verboten oder erlaubt ist. Weiter, so Hill, kann UF im Sinne eines moralischen Relativismus gelesen werden:
Hill: , S. . Hill: , S. –
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For […] to say that one cannot will a maxim to become universal law is simply to say that one is unwilling for the sort of conduct indicated in the maxim to become a general practice […]⁴⁵⁴
Der Vorteil von RF liegt in seiner Sicht nun erstens darin, dass „the kingdom of ends principle can be applied to Maxims [but] it need not be“⁴⁵⁵, genauso gut können es Handlungen oder höherstufige Regeln sein.Weiter fordert RF nach Hill, ein System moralischer Prinzipien zu gewinnen. Dieser systematische Zusammenhang würde sich zum Teil auf Maximen, aber auch auf Handlungen beziehen. Damit würde die Überprüfung der moralischen Zulässigkeit einer Handlung nicht mehr von der Beschreibung der zugrundeliegenden Maxime abhängen. Weiter könne RF nicht mehr zu einem moralischen Relativismus führen, da jedes Mitglied des Reichs der Zwecke in dieser Eigenschaft vollkommen gleich ist. D. h. die Gründe für die Anerkennung einer bestimmten moralischen Regel wären für alle gleich, nämlich rein rationaler Natur.⁴⁵⁶ Hill versäumt es allerdings, seine These von der Überlegenheit der Formel des Reichs der Zwecke an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen. Cynthia Schossberger liefert eine Interpretation, die in eine ähnliche Richtung weist. Sie ist der Ansicht, dass erst im Lichte der durch RF geforderten intra- und intersubjektiven Kohärenz der eigenen Handlungen und Zwecke die anderen Formeln zu validen Handlungskriterien werden, UF bzw. NF, ZF und RF somit eine Einheit bilden. Im Fokus ihrer Interpretation steht das vierte Beispiel zur Natugesetzformel, dessen Interpretation nur im Lichte von RF eine prudentielle und konsequentialistische Lesart vermeidet: I suggest, Kant’s focus here is not on illustrating the prudential or conlequentialist concern of getting future help, but on showing what a will then finds itself in conflict with itself looks like.“⁴⁵⁷ Gegen Ende ihres Aufsatzes schreibt sie entsprechend: „Rather than examining any of the prudential concerns of the agent (including any knowledge of her future needs, etc.) examine the person’s self-concept, her understanding of herself as a rational, and therefore as a moral agent […] This understanding, I think, is most properly framed when the agent recognizes herself what I call a self among others.⁴⁵⁸
Mit Blick auf die oben formulierte These, dass RF eine Intersubjektivität voraussetzt, die zuvor nicht argumentativ eingeholt wird⁴⁵⁹, ist Schossbergers Ansatz
Hill: , S. . Hill: , S. Vgl. Hill: , S. . Schossberger: , S. . Schossberger: , S. . Vgl. S. .
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besonders interessant. Intersubjektivität würde als notwendiges Moment von Moralität gewissermaßen über Umwege eingeholt, nämlich darüber, dass nur im intersubjektiven Raum die Formeln des kategorischen Imperativs konsistent angewendet werden könnten bzw. eine nicht-Kantische (prudentielle) Lesart vermieden würde. Man versteht allerdings nicht, inwiefern man das vierte Beispiel im Kontext von Kants Moralphilosophie überhaupt prudentiell verstehen sollte, da ja nicht die mögliche Vermeidung künftigen Leids die Annahme der Maxime motiviert, sondern Verallgemeinerbarkeit selbst. Weiter gibt Schossberger keine Beispiele an, aus denen einzusehen wäre, dass und inwiefern RF tatsächlich Unzulänglichkeiten der anderen Formeln kompensiert. Trotzdem erscheint mir der Ansatz vielversprechend.
3 Der Andere als moralisch geforderter Zweck Es gestaltet sich nicht eben einfach, Moralität so zu beschreiben, dass andere vernünftige Wesen geforderte Handlungszwecke sind, also nicht bloß die Wirklichkeit der reinen praktischen Vernunft, sondern tatsächlich ein bzw. alle singulären, konkreten wollenden Wesen. Der gängigen Forschungsmeinung völlig entgegen, ist es also m. E. besonders schwierig, der Selbstzweckformel bei Lichte besehen einen Sinn von Intersubjektivität abzugewinnen. Ganz zu schweigen, von bisweilen formulierten Thesen, Kants in GMS entwickelte Moraltheorie enthalte eine transzendentalphilosophische Begründung von Intersubjektivität, die in der Selbstzweckformel ihr pointiert formuliertes Ergebnis hat.⁴⁶⁰ Und doch muss eine Helmut Girndt hat in seinem Aufsatz Unbedingte Anerkennung als Grundlage vernünftigen Selbstbewusstseins und vernünftiger Selbstbehauptung nach Kant (Vgl. Girndt: , S. – .) versucht, den Nachweis einer solchen interpersonalen Implikation bei Kant zu erbringen. Seine zentrale Argumentation lautet kurz gefasst: Da das Sittengesetz eine unbedingte Forderung darstellt, ist es zugleich Grund der Möglichkeit des Bewusstseins der Bedingtheit der Existenz vernünftiger Wesen. Weiß ich aber vermittels dieser unbedingten Forderung um meine Bedingtheit, dann weiß ich mich als nicht identisch mit meiner Bedürftigkeit als Sinnenwesen. Ich kann also von dieser Bedürftigkeit absehen. Daraus zieht Girndt den Schluss, dass allein ein zugleich endliches wie vernünftiges Wesen wie der Mensch es vermag, von sich abzusehen, sich von außen zu erblicken und objektiv beurteilen zu können. Zufolge des Bewusstseins einer unbedingten Forderung kann der Mensch also sich selbst gegenüber den Standpunkt eines anderen vernünftigen Wesens einnehmen. Diese Fähigkeit der Einnahme eines objektiven Standpunktes inauguriert nach Girndt dann Interpersonalität. Es ist aber nicht einzusehen, weshalb die Fähigkeit zur Objektivierung der eigenen Person im Lichte einer moralischen Forderung auf die notwendige Existenz anderer vernünftiger Wesen schließen lässt. M. E. findet sich auch erst bei Johann Gottlieb Fichte eine transzendental- und moralphilosophische Begründung von Intersubjektivität (z. B. in der Grundlage des Naturrechts und der Wissenschaftslehre nova methodo), die allerdings
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Beschreibung des Anderen als moralisch geforderter Zweck möglich sein, weil Kant selbst an verschiedenen Stellen diesen als einen solchen Zweck in Ansatz bringt. So heißt es z. B. im folgenden Passus: […] [D]aß ich meine Maxime im Gebrauche der Mittel zu jedem Zwecke auf die Bedingung ihrer Allgemeingültigkeit als eines Gesetzes für jedes Subject einschränken soll, sagt eben so viel, als das Subject der Zwecke, d. i. das vernünftige Wesen selbst, muß niemals bloß als Mittel, sondern als oberste einschränkende Bedingung im Gebrauche aller Mittel, d. i. jederzeit zugleich als Zweck, allen Maximen der Handlungen zum Grunde gelegt werden.⁴⁶¹
Hier ist also von ‚jedem Subjekt‘ und nicht bloß von der Menschheit in der Person, oder dem Subjekt aller Zwecke bzw. dem vernünftigen Wesen die Rede. Letzteres ließe sich als Synonym für die Wesensmerkmale des vernünftigen, wollenden Wesens etc. lesen. ‚Jedes Subjekt‘ meint jedoch jedes einzelne, konkrete Subjekt. Indes leuchtet das Argument des Zitats nicht ohne weiteres ein. Weshalb, so wäre zu fragen, behandle ich ein andres wollendes Subjekt seiner Zwecke zugleich als meinen Zweck,wenn ich nach einem Gesetz handle, das auch für es gilt? Ich denke, ein Aspekt des eigenen moralischen Handelns in der Sicht des Anderen, der im Zitat nicht formuliert wird, ist hier entscheidend, nämlich dass der Andere meinem Handeln, weil es moralisch legitim ist, zustimmen muss, und zwar seinerseits aufgrund moralischer Kriterien. Dieser Aspekt klingt im zweiten Anwendungsbeispiel zur Selbstzweckformel an: Dem Anderen ein falsches Versprechen zu geben heißt, „sich eines Menschen bloß als Mittels zu bedienen“, weil „der, den ich durch ein solches Versprechen zu meinen Absichten brauchen will, […] unmöglich in meine Art, gegen ihn zu verfahren, einstimmen“⁴⁶² kann. Der Andere könnte und müsste aber schlechterdings meinem Handeln, das ihn betrifft, zustimmen, wenn es moralisch legitimiert wäre. Und das Kriterium der moralischen Legitimität ist auch das einzige Kriterium
von Voraussetzungen ausgeht, die Kant selbst nicht akzeptiert hätte, wie z. B. die Existenz einer intellektuellen Anschauung. Das kann an dieser Stelle natürlich nicht weiter diskutiert werden. Der systematische Ort, an dem man bei Kant eine moral- und transzendentalphilosophische Begründung von Intersubjektivität am ehesten vermuten könnte, ist übrigens nicht das Theorem des Zwecks an sich selbst, sondern vielmehr dasjenige des Reichs der Zwecke inklusive der entsprechenden Formel. Allerdings kann auch hier,wie sich im nächsten Kapitel zeigen wird, nicht von einer tatsächlichen Begründung die Rede sein. Vielmehr setzt das Theorem des Reichs der Zwecke Intersubjektivität bereits voraus, ist also weit davon entfernt, z. B. im Sinne Fichtes, Intersubjektivität transzendentalphilosophisch zu begründen, also aus konstitutiven Momenten von Subjektivität, Intersubjektivität als eine ihrer notwendigen Bedingungen zu entwickeln.Vgl. hierzu auch Langthaler: , S. – . GMS, AA : . – . GMS, AA : f. – , Hvh. v. V.
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seiner notwendigen Zustimmung. Achte ich seinen moralisch legitimen Willen also nicht, achte ich auch seine in diesem Willen (möglicherweise) sich ausdrückende moralisch-praktische Autonomie nicht. Nun ist der Akt seiner Zustimmung ein Akt des – moralisch bestimmten – Wollens. Entscheidend scheint also dreierlei zu sein: Ich nehme erstens auf den Willen des Anderen Rücksicht, indem dieser durch sein (objektiv notwendiges) Einverständnis in mein Handeln seinen Willen bekundet. Das Einverständnis des Anderen und damit sein auf mich bezogener Wille sind zweitens nach moralischen Kriterien bestimmt. In diesem Wollen ist der Andere drittens damit, bezogen auf dieses Wollen, realisierter Zweck an sich selbst, Ursprung des moralischen Gesetzes. Somit lässt sich zusammenfassend formulieren: In Akten der Zustimmung auf der Basis moralischer Kriterien macht sich der Andere in dieser Zustimmung zum Zweck an sich selbst. Richte ich mich selbst also in Handlungen, die Andere betreffen, nach moralischen Kriterien, liefere ich die Basis für ihr Zweck-an-sich–selbst-Sein in Bezug auf mein Handeln. Andere wollende Subjekte sind also nicht per se moralisch geforderte Zwecke meines Handelns, sondern es ist – wie bereits festgestellt wurde – immer die Realität reiner praktischer Vernunft der geforderte oberste Zweck aller Handlungen.
Zu Kapitel III 1 Der Zweck an sich selbst als Grund der „Gesetze des Willens. Die Interpretation Gerold Prauss‘ Im Folgenden sei eine Interpretation zum unmittelbaren Kontext des Postulats analysiert, die Gerold Prauss liefert, weil diese besonders gut zeigt, wie notwendig und fruchtbar bisweilen mikroskopische Analysen sein können. Zunächst sein der Passus nochmals ins Gedächtnis geholt: 1) Wenn es denn also ein oberstes praktisches Prinzip und, in Ansehung des menschlichen Willens, einen kategorischen Imperativ geben soll, so muss es ein solches sein, das aus der Vorstellung dessen, was notwendig für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an sich selbst ist, ein objektives Prinzip des Willens ausmacht, mithin zum allgemeinen praktischen Gesetz dienen kann. 2) Der Grund dieses Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst. 3) So stellt sich notwendig der Mensch sein eigenes Dasein vor; sofern ist es also ein subjektives Prinzip menschlicher Handlungen. 4) So stellt sich aber auch jedes andere vernünftige Wesen sein Dasein, zufolge eben desselben Vernunftgrundes, der auch für mich gilt,vor; also ist es zugleich ein objektives Prinzip,
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woraus, als einem obersten praktischen Grunde, alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können.⁴⁶³
Die Anmerkung, auf die hinter „vor“ ([…] der auch für mich gilt, vor […]) verwiesen wird, lautet: 5) Diesen Satz stelle ich als Postulat auf: Im letzten Abschnitt wird man Gründe dafür finden.⁴⁶⁴
Gerold Prauss schreibt zu diesem Passus: Ja er [Kant] sagt […] dass aus ihm [dem Menschen als Zweck an sich selbst] alle Gesetze des Willens müssen abgeleitet werden können, insbesondere der „kategorische Imperativ“ als Moralgesetz⁴⁶⁵
Prauss begeht m. E. hier zwei Fehler: Erstens werden der Passage nach „die Gesetze des Willens“ nicht aus dem Zweck an sich selbst abgeleitet, sondern aus dem „obersten praktischen Prinzip“ und zweitens ist der „kategorische Imperativ“ als „Moralgesetz“ dasjenige, aus dem die „Gesetze des Willens“ abgeleitet werden müssen, nicht es selbst etwas Abzuleitendes. Es soll hier exemplarisch gegen Prauss‘ zweite These argumentiert werden. Denn Prauss’ Lesart ist bei genauerer Hinsicht schon aus grammatischen Gründen nicht haltbar. Das zeigt sich anhand einer Analyse des Verhältnisses der verschiedenen Verwendungsweisen des Worts „Prinzip“ bzw. „Gesetz“ im oben zitieren Absatz. Der erste Satz ist in dieser Hinsicht noch unproblematisch: Der kategorische Imperativ ist das „objektive praktische Prinzip […] in Ansehung des menschlichen Willens“. Das „es“ zu Anfang des zweiten Teilsätzen („[…] so muss es ein solches sein […])“ kann sich aus grammatischen Gründen nur auf „oberstes praktisches Prinzip“ beziehen und damit in der Sache ebenfalls auf den kategorischen Imperativ, der das „oberste praktische Prinzip […] in Ansehung des menschlichen Willens“ darstellt. Die Aussage des zweiten Teilsatzes („so muss […] dienen kann“) ist dann in grammatischer Hinsicht auch klar: das „oberste praktische Prinzip“ muss „ein objektives Prinzip des Willens“ ausmachen und zwar aufgrund „der Vorstellung dessen, was für jedermann Zweck ist, weil es Zweck an sich selbst ist“. Wenn Kant dann im zweiten Satz davon spricht, der Grund „dieses Prinzips“⁴⁶⁶ sei darin zu sehen, dass „die vernünftige Natur […] als Zweck an sich selbst“ existiere,
GMS, AA : f. – . Numerierung v. V. GMS, AA : . Anm. Vgl. Prauss: , S. Hvh. V. Vf.
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dann kann er nichts anderes, als das „objektive Prinzip des Willens“ und damit das „oberste praktische Prinzip“ meinen, von dem im ersten Satz die Rede ist. Damit ist die „vernünftige Natur […] als Zweck an sich selbst“ der Grund des „objektiven Prinzips des Willens“ in seinen im ersten Satz genannten verschiedenen möglichen Eigenschaften, also auch als kategorischer Imperativ. Das Pronomen „es“ des dritten Satzes („[…] sofern ist es ein subjektives Prinzip […]“) kann sich nun wiederum aus grammatischen Gründen nur auf „diese Prinzip“ des zweiten Satzes und „subjektives Prinzip“ des dritten Satzes beziehen. Damit ist „dieses Prinzip“ das „objektive Prinzip“ des dritten Satzes und somit das „oberste praktische Prinzip“ des ersten. Ebenso gilt für das Pronomen „es“ des vierten Satzes („[…] also ist es zugleich ein objektives Prinzip […]“), dass es sich nur auf „subjektives Prinzip“ von Satz 3 beziehen kann. Folglich ist das ‚objektive Prinzip‘ des Satzes 4 sachlich identisch mit dem subjektiven Prinzip des dritten Satzes. Verfolgt man die beschriebene Verweisungskette zurück, ergibt sich, dass aus dem „obersten praktischen Prinzip“, welches die von Kant angeführten verschiedenen Aspekte aufweist (kategorischer Imperativ, subjektives, objektives Prinzip, oberster praktischer Grund), „alle Gesetze des Willens abgeleitet werden“ müssen. Damit kann der kategorische Imperativ als moralisches Prinzip keines der abgeleiteten Gesetze des Willens sein, wie Prauss dies behauptet. Wollen wir die „Gesetze des Willens“ identifizieren, müssen wir vielmehr Dieter Schönecker⁴⁶⁷ Recht geben, der in diesen die „Imperative der Pflicht“ sieht, von denen im Zusammenhang mit der Universalisierungs- und Naturgesetzformel die Rede ist. An entsprechender Stelle heißt es: Wenn nun aus diesem einigen Imperativ [der kategorische Imperativ in seiner Universalisierungsformel] alle Imperative der Pflicht, als aus ihrem Princip, abgeleitet werden können […]⁴⁶⁸
Diese „Imperative der Pflicht“ sind die singulären sittlichen Handlungsgebote, die sich aus der Überprüfung möglicher Maximen aus dem „einigen Imperativ“ als Überprüfungskriterium ergeben. Denn nachdem Kant vier Beispiele einer solchen Überprüfung durch den kategorischen Imperativ gebracht hat, schreibt er: „Diese sind nun einige von den vielen […] Pflichten, deren Ableitung aus dem einigen angeführten Prinzip klar in die Augen fällt.“⁴⁶⁹ Und genau so sollen gemäß AA 04: 429„alle Gesetze des Willens“ aus dem „objektiven Prinzip“ abgeleitet werden. Die „Gesetze des Willens“ oder „Imperative der Pflicht“ sind also die singulären,
Vgl. Schönecker: : S. – . GMS, AA: . GMS, AA : .
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konkreten moralischen Gebote. Das wird dadurch bestätigt, dass wie zuvor, sich an die Nennung des (einigen) kategorischen Imperativs – hier in der SelbstzweckFormel – Beispiele der Überprüfung möglicher Maximen durch den kategorischen Imperativ anschließen.
2 Allisons Argument für die Analytizitätsthese Allison⁴⁷⁰ entwickelt ein bemerkenswertes Argument für die Konsistenz der Analytizitätsthese, das hier vorgestellt werden soll. Es kann zwar nicht direkt aus dem Argumentationsgang der Grundlegung oder der zweiten Kritik herausgelesen werden kann, hat aber der Sache nach doch einiges für sich. Das Argument nimmt seinen Ausgang von zwei zentralen Fragen des Analytizitätsthese, nämlich wie es zu rechtfertigen sei, dass (a) ein freier Wille notwendig ein gesetzlich bestimmter ist und (b) das diesen bestimmende Gesetz die Form haben muss, die ihm von Kant gegeben wird. Grundlage seines Arguments bildet das Selbstverständnis handelnder und rationaler Wesen. Hier ist zunächst der Begriff der Maxime leitend. Maximen werden von handelnden Wesen, insofern praktische Rationalität zu ihrem Selbstverständnis gehört, für solche Grundsätze gehalten, deren Geltung sich rational zumindest aus Bedingung ableiten lässt. Folglich müssen vernünftige Wesen ihre Maximen in gewissem Sinne als einer Rechtfertigung zugänglich ansehen und damit die Gründe für das eigene Handeln in bestimmtem Sinne für „gut“ halten. Damit muss aber ein wollendes Wesen, wenn es die eigenen Handlungsgründe für „gut“ im Sinne von rational hält, annehmen, dass diese gewissermaßen Geltung für alle vernünftigen Wesen haben. Wenn also der Grund R die Handlung X rechtfertigt, unter den Umständen C, dann rechtfertigt er damit auch jede Handlung zufolge vergleichbarer Umstände. Aber insoweit die Gründe für ein bestimmtes Handeln für gut zu befinden heißt, ihre Legitimität für alle vergleichbaren Umstände anzunehmen, scheint es, dass mit dem Handeln immer auch die Forderung nach universaler Geltung der eigenen Handlungsgrundsätze einhergeht. Hieraus allerdings die Geltung des kategorischen Imperativs (in seiner Universalisierungsformel) ableiten zu wollen, ist noch nicht möglich. Denn von der Behauptung, dass alle vernünftigen Wesen ihre Handlungsgrundsätze für universalisierbar halten müssen, in dem Sinne, dass sie bereit sind anzuerkennen, dass es für jeden in vergleichbaren Umständen vernünftig wäre, denselben Handlungsgrundsatz zu wählen, führt kein Schluss zu der Forderung, dass der
Vgl. Allison: , S. – .
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Handelnden wollen können sollte, dass jedes vernünftige Wesen, unabhängig von den spezifischen Bedingungen, nach seinen Handlungsgrundsätzen handeln sollte. Für Allison ist der in diesem Argument eingeschlagene Begründungsweg aber nicht grundsätzlich falsch, sondern bedarf vielmehr einer Vervollständigung, die ihm durch die Prämisse transzendentaler Freiheit handelnder Wesen zuteilwird. Unter der Annahme eines bloß heteronom-rationalen Handlungsvermögens können alle Handlungsgrundsätze letztlich nur mit Rekurs auf die menschliche Natur gerechtfertigt werden. Wird aber transzendentale Freiheit vorausgesetzt, ist es das Subjekt selbst, dass im Falle sinnlich oder natürlich motivierten Handelns und entsprechender Grundsätze seiner sinnlichen Natur diese handlungsleitende Autorität verleiht. Aber auch unter der Annahme transzendentaler Freiheit ist die Rechtfertigungsforderung, da es sich nach wie vor um rationale Wesen handelt, in Kraft. Da unter der Voraussetzung solcher Freiheit auch die grundsätzlichsten Handlungsregeln frei gewählt sind, muss es möglich sein, Gründe anzugeben, die deren Wahl rechtfertigen. Da weiter diese grundlegendsten Maximen den Rechtfertigungsgrund für alle untergeordneten Maximen bereitstellen, können diese nicht mehr mit Rekurs auf höherstufige Maximen gerechtfertigt werden. Wie ist aber eine solche Rechtfertigung möglich? Es muss nach Allison Kants implizite Annahme sein, dass nur die Übereinstimmung mit einem praktischen Gesetz die erforderte Rechtfertigung der Maximen liefern kann. Die Übereinstimmung der Maxime mit dem praktischen Gesetz ist dann entweder hinreichend oder notwendig. In der Sicht Kants gilt das letztere. Wie gesagt, kann das Kriterium der Permessibilität der Maximen nicht in den jeweiligen Interessen der Person liegen. Liegt das Kriterium nicht hierin und muss es zugleich Rechtfertigungsgrund für alle erlaubten Maximen sein, muss der Grund (a) formal und (b) universal sein. Dann aber erfüllt er die von Kant geforderten grundsätzlichen Kriterien eines praktischen Gesetzes. Jetzt muss noch gezeigt werden, dass das praktische Gesetz den Inhalt hat, den Kant ihm gibt. Weshalb also bedeutet die geforderte Übereinstimmung mit dem praktischen Gesetz soviel, wie: „Handle nur nach derjenigen Maxime, von der du wollen kannst, dass sie zugleich allgemeines Gesetz werde“? Kants Ableitung dieser Forderung aus dem bloßen Begriff eines kategorischen Imperativs, wie er sie in GMS vornimmt, hält Allison für fehlgeschlagen. Allerdings gilt dies nicht für die Ableitung in KpV und zwar deswegen, weil Kant diese unter der dezidierten Prämisse transzendentaler Freiheit durchführt. Denn dort behauptet Kant, dass „die gesetzgebende Form, insofern sie in der Maxime enthalten ist, das einzige [sein kann], was einen Bestimmungsgrund des [transzendental freien] Willens abgeben kann.“ Wie kann also für transzendental freie Wesen gezeigt werden, dass die Forderung nach Übereinstimmung der Maximen mit dem praktischen Gesetz identisch ist mit derjenigen nach der gesetzgebenden Form der Maximen? Nach Allison folgt diese Identität beider Forderungen aus
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einem einfachen Gedanken: Eine Maxime muss nicht bloß äußerlich mit einem praktischen Gesetz übereinstimmen, sie muss auch zum Handlungsgrundsatz gemacht werden, weil sie mit diesem Übereinstimmt. Aber zu sagen, dass die Übereinstimmung mit dem praktischen Gesetz der Grund für das Annahmen der Maxime sein muss, ist dasselbe, wie zu sagen, dass ihre bloße gesetzgebende Form den Grund ihrer Annahme bereitstellen muss. Und das ist genau, was der kategorische Imperativ fordert. In seiner zuletzt erschienenen großen Untersuchung zur GMS ist Allison allerdings der Auffassung, die Begründung der Analytizität von Freiheit und Sittlichkeit sei inkonsistent. Er fasst dort den Begründungsgang hin zu Kants These vom analytischen Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit in fünf Schritten zusammen: 1) As a kind of causality, a free will must be law-governed. 2) As free, it cannot be grounded by laws of nature, since these presuppose natural necessity, consequently, it must be grounded by self-imposed laws, that is, it must be autonomous. 3) Autonomy is equivalent to the principle of autonomy, which is, in turn, equivalent to the moral law. 4) Therefore, by a free will is understood a will under moral laws.⁴⁷¹
Er sieht in dieser Argumentation einen Fehler der Äquivokation verschiedener Gehalte der Begriffe der Autonomie und Heteronomie, unterscheidet also sowohl zwischen zwei Autonomie- als auch zweier Heteronomiebegriffe: Kant’s argument linking freedom negatively defined (independence from alien causes) with autonomy, turns on an equivocal use of both ‘autonomy’ and ‘heteronomy’. I shall call the two senses of autonomy that Kant conflates autonomy1 (moral autonomy) and autonomy (free agency in general) respectively, and of ‘heteronomy’ heteronomy1 (a meta-ethical principle) and heteronomy2 (causal determinism)⁴⁷².
Heteronomie als meta-ethisches Prinzip meint die freie Annahme und Vorstellung von Naturkausalität als das Handeln organisierendes Prinzip, in der ein solches Handeln damit ebenfalls als frei zu gelten hat: According to heteronomy […] some objects of volition must be presupposed in order to give the law to the will. But, and this is the crucial point, ‘giving the law to the will’ is understood as imbuing the principle on which it acts with authority or normative force, not as causally determining it.⁴⁷³
Alliso: , S. . Allison, , S. . Allison, , S. .
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Nach Allison begeht Kant nun den Fehler, aus der Negation von Heteronomie, verstanden als einfache naturkausale Determination, Autonomie als freies und sittliches Handeln zu folgern, wohingegen Kant einzig berechtig sei, auf Autonomie als „free agency in general“ (ebd.) zu schließen. Dieser von Allison formulierte Befund passt sehr gut zu der gelieferten Interpretation der zweiten Sektion, nach welcher Kant dem Willen überhaupt transzendentale Freiheit zuspricht.
3 Die Hypotetizität und Analytizität hypothetischer Imperative Es wird in der Forschung sehr kontrovers diskutiert, inwiefern hypothetische Imperative hypothetisch sind und wie folglich die Hypotezität dieser Imperative zu verstehen ist. Kant schreibt in der KpV, Regeln der Geschicklichkeit seien „bloß theoretische Prinzipien (z. B. wie derjenige, der gerne Brot essen möchte, sich eine Mühle auszudenken habe)“⁴⁷⁴. Dies hat einige Interpreten zur Annahme bewogen, hypothetische Imperative seien insgesamt theoretische Sätze. Seel weist darauf hin, dass „Imperative […] – aufgrund eines Sollensoperators – die ‚illokutionäre‘ Funktion, einen Willen zu nötigen“⁴⁷⁵ haben und folglich „von vornherein alle Deutungen des hypothetischen Imperativs, […] die diese als theoretischen (deskriptiven) Satz deuten, […] unbrauchbar“⁴⁷⁶ seien. Patzig schreibt, dass das Hypothetische in hypothetischen Imperative nicht im Sinne hypothetischer Urteile in der Verwendung der KrV verstanden werden könne, sondern in der abweichenden und mit letzteren unvereinbaren Bedeutung, wie Kant sie diesen Urteilen in der Jäsche-Logik zuschreibt.⁴⁷⁷ Auch Cramer betont, dass weder hypothetische Imperative der Verwendung des „Junktors ‚wenn-dann‘‘‘⁴⁷⁸ bedürfen, noch dass kategorische Imperative einen solchen nicht aufweisen dürfen. Vielmehr beziehe sich die Hypothezität hypothetischer Imperative auf die Geltungsbedingung, unter denen sie eine tatsächliche Nötigung auf den Willen ausüben. Kant behauptet, wie ein „Imperativ der Geschicklichkeit“ möglich sei, bedürfe „keiner besonderen Erklärung“, wobei er präzisiert, dass es bei der Frage nach der Möglichkeit eines solchen Imperativs die Aufgabe sei, zu fragen, „wie bloß die Nötigung des Willens, die der Imperativ ausdrückt, gedacht werden könne“.⁴⁷⁹
KpV AA : . Seel: , S. . Seel: , S. . Patzig: , S.. Vgl. Cramer: , S. . AA : .
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Dass die Frage nach dem Ursprung der Nötigung bei Imperativen der Geschicklichkeit keiner besonderen Erörterung bedürfe, begründe Kant mit der folgenden Behauptung: „Wer den Zweck will, will (sofern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluß hat) auch das dazu unentbehrlich nothwendige Mitte, das in seiner Gewalt ist.“⁴⁸⁰ Die Analytizität dieses Satzes wird dadurch begründet, dass „im Wollen eines Objects als meiner Wirkung […] schon meine Causalität als handelnde Ursache, d. i. der Gebrauch der Mittel, gedacht wird.“⁴⁸¹ Die Analytizitätsbehauptung wird wenig später nochmals formuliert: […] dass, wenn ich weiß, durch solche Handlungen allein könne die gedachte Wirkung geschehen, ich, wenn ich die Wirkung vollständig will, auch die Handlungen wolle, die dazu erforderlich ist, ist ein analytischer Satz.⁴⁸²
Ist in der ersten Analytizitätsbehauptung vom gewollten Zweck die Rede, spricht Kant in der zweiten von der gewollten Wirkung. Die Rede vom Mittel wird ersetzt durch „Handlungen“ ersetzt, durch welche die gewollte Wirkung geschieht. Diese terminologische Veränderung wird verständlich durch die Erklärung der ersten Analytizitätsbehauptung, in der das „Wollen eines Objekts“ bereits als das Wollen „meiner Wirkung“⁴⁸³ identifiziert wird. Damit ist der Zweck eine gewollte Wirkung. In der Erklärung wird die Kausalität der wollenden Subjektes „als handelnde Ursache“ mit dem „Gebrauch der Mittel“⁴⁸⁴ identifiziert. Das wollende Subjekt wird also gedacht als sich selbst bestimmende Ursache zur Kausalität, welche das Gewollte, den Zweck bzw. die gewollte Wirkung realisiert.⁴⁸⁵ Die Klammerbemerkung „sofern die Vernunft auf seine Handlungen entscheidenden Einfluss hat“, bietet einige Interpretationsschwierigkeiten. Ausgehend von der Definition des Willens als Vermögen der Handlungsableitung aus Vernunftgesetzen ist er „nichts anderes als praktische Vernunft“⁴⁸⁶ und es ist somit zu fragen, wie Vernunft keinen „entscheidenden Einfluss“ auf den Willen haben kann. Durch eine Explikation des Begriffs des Willens als praktische Vernunft weist Cramer nach, dass nicht
AA : . AA : . AA : . AA : . AA : . Vgl. hierzu die Definition eines Mittels in GMSII: „Was […] bloß den Grund der Möglichkeit der Handlung enthält, deren Wirkung Zweck ist, heißt Mittel.“ AA : . AA : .
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der Satz mit der Sofern-Klausel, sondern gerade der Satz: ‚Wer den Zweck will, will auch das dafür unentbehrlich notwendige Mittel […] allein als ein,was das Wollen betrifft, analytischer Satz bezeichnet
werden kann. Hieraus folgert er, dass Kants Deduktion des nötigenden Charakters hypothetischer Imperative in der in der von ihm [Kant] vorgeschlagenen allgemeinen Form misslingt. Denn die Sofern-Klausel gibt ja ex negativo die Bedingung an, unter der es nicht widerspruchsvoll wird, einem Willen Handlungen als Mittel […] zu gebieten.⁴⁸⁷
Schönecker interpretiert die Klammerbemerkung so, dass Vernunft dann entscheidenden Einfluss auf das Wollen hat, „wenn es [das vernünftige Wesen] um die entsprechende Mittelbestimmung weiß, also um den Sachverhalt, dass die Realisierung des Zwecks ohne die Ergreifung des Mittels unmöglich ist“⁴⁸⁸ Auch mit Blick auf diese Interpretation stellt sich die Frage, wie ein Wille, der als Vermögen der vernünftigen Handlungsableitung definiert ist, nicht um die Mittelbestimmung wissen kann, oder ob ein Wille, der die falschen Mittel wählt, deswegen bereits kein Wille mehr ist. Hypothetische Imperative zeihen insofern „den Begriff notwendiger Handlungen“ zu einem Zweck „schon aus dem Begriff eines Wollens dieses Zwecks heraus“⁴⁸⁹, als die notwendige Handlung zu einem Zweck Definiens des Wollens eines Zwecks ist. Bis hierhin wird nicht der hypothetische Imperativ selbst, sondern nur die ihm zugrundeliegende Implikation der im Begriff des Wollens liegenden notwendigen zweckmäßigen Handlung als analytisch bezeichnet. Wenig später werden allerding diese Imperative selbst als analytische Sätze bezeichnet, wieder mit der Begründung für die Analytizität des Prinzips: „[…] wer den Zweck will, will auch (der Vernunft gemäß notwendig) die einzigen Mittel, die dazu in seiner Gewalt sind“⁴⁹⁰. Aber auch in der Passage, in der er nicht den Imperativ selbst als einen analytisch praktischen Satz bezeichnet⁴⁹¹, geht Kant von der Frage aus „wie […] die Nötigung des Willens, die der Imperativ ausdrückt […] gedacht werden könne“⁴⁹² also der imperativischen Charakter eines praktischen Satzes, der eine zweckmäßige Handlung vorstellt. Gerade der imperativische Charakter, die nötigende Ei-
Cramer: , S. . Schönecker: , . AA: . AA : . Vgl. AA :. AA :.
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genschaft eines solchen praktischen Satzes, der eine notwendige Zweck-MittelRelation vorstellt, wird offenbar nicht hergeleitet. Seel vertritt die These, dass hypothetische Imperative gar keine analytischen Sätze sind und allen Imperativen vielmehr ein „synthetischer Satz a priori“⁴⁹³ als allgemeines Prinzip unterliege, den er wir folgt fasst: „Endlich vernünftige Wesen sollen sich bei ihrer Willensbildung von der Vernunft bestimmen lassen.“⁴⁹⁴ Seel unterstellt diesem Prinzip den folgenden Begriff praktischer Vernunft: Ein vernünftiges Wesen lässt sich bei seiner Willensbildung von der Vernunft leiten gdw es jede Realrepugnanz der Willensrichtung sowohl seiner eigenen unter einander als auch derselben mit denjenigen aller übrigen vernünftigen Wesen zu vermeiden sucht.⁴⁹⁵
Reine praktische Vernunft wäre von empirisch praktischer Vernunft dadurch unterschieden, dass die Vermeidung einer Realrepugnanz⁴⁹⁶ im ersten Fall auf alle wollenden Wesen ausgedehnt ist, im zweiten Fall nur das eigene Wollen betreffe. Cramer spricht von einer „Deduktion des hypothetischen Imperativs“, die nur möglich sei, wenn man bedenke, dass „das Subjekt […] in allen seinen Handlungen selbst zuständlich bestimmt“ ist, somit auch im „Gebrauch der Mittel“ konstitutives Moment von Willensvollzügen, als „der Wille im Entwurf eines Zwecks weiß, dass die Anwendung der Regel, die zu ihm führt, Zustände impliziert, die unlustbetont sind.“⁴⁹⁷ Es mache, so Cramer weiter, Sinn, dass ein solcher Wille den unlustbetonten Zustand selbst will. Denn dieser Zustand wird von ihm als unentbehrliches Mittel zur Erreichung des Zwecks […] im Willensentwurf mitentworfen. Ebenso sinnvoll ist es … in diesem Fall zu sagen, dass der Wille zu etwas genötigt wird, weil er etwas anderes will, zu dem er nicht genötigt ist […]⁴⁹⁸
Diese Selbstnötigung wäre dann keine des Willens in seiner Funktion der Anwendung kausal-begrifflicher Regeln auf die Zweckverwirklichung, sondern eine auf den „Lusthaushalt eines Subjekts“.⁴⁹⁹
Seel: , S. . Seel: , S. . Seel: , S. . Zum Begriff der Realrepugnanz vgl. Seel :, S. und Kant „Negative Größen“ AA :. Cramer: , S. . Cramer: , S. . Cramer: , S. .
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4 Marcel Quarefoods Interpretation des Zirkels Marcel Quarfood⁵⁰⁰ verweist auf die sehr frühe Interpretation des Zirkel durch einen anonymen Kritiker, die ihn als circulus in probando liest: „[…] wir scheinen also aus der Freiheit auf die Autonomie, und dann wieder aus der Autonomie auf die Freiheit zu schließen“⁵⁰¹. Wie Quarefood zutreffend ausführt, lässt sich diese Lesart allerdings nicht auf Kants Formulierungen des Zirkels applizieren, was durch einen erneuten Blick auf die erste Formulierung schnell deutlich wird. Denn in deren ersten Teil: „Wir nehmen uns in der Ordnung der wirkenden Ursachen als frei an, um uns unter sittliche Gesetze zu denken […]“⁵⁰², ist, wie gesehen,⁵⁰³ Freiheit die (Zweck‐) Ursache der Geltung sittlicher Gesetze. Nun gilt diese Begründungsrichtung – also von Freiheit zum sittlichen Gesetz – ebenfalls für den zweiten Teil des Zirkels: „[…] und wir denken uns nachher als diesen Gesetzen unterworfen, weil wir uns die Freiheit des Willens beigelegt haben[…]“⁵⁰⁴ Abgesehen davon, dass in Kants Zirkelformulierung das Grund-Folge-Verhältnis von Freiheit und Sittlichkeit, und nicht von Freiheit und Autonomie Thema ist, findet sich in dieser zwar der Begründungsweg von der Freiheit hin zur Sittlichkeit, aber nicht umgekehrt, also von Sittlichkeit zur Freiheit. Es stellt sich aber trotzdem die Frage, ob der genannte anonyme Autor, mit Blick auf den bis Anfang der dritten Sektion entwickelten Begründungsgang von GMSIII, nicht vielleicht sogar einen besseren Zirkel-Einwand formuliert, als Kant selbst dies tut. Der erste Teil des Zirkels in der Fassung von T-h reformuliert das Argument der Analytizitätsthese, in der, wie gesehen, aus dem Begriff von Freiheit als einer „Art von Kausalität“, der Begriff der Autonomie und schließlich derjenige der Sittlichkeit gewonnen wird. Nun wurde in den hinter uns liegenden Untersuchungen aber auch deutlich, dass die Vorstellung der notwendigen Spontaneität der Vernunft überhaupt, mithin der praktischen Vernunft, über die Beschreibung der Vollzüge der Vernunft als autonomer Vollzüge läuft: Die Vernunft „muss sich selbst als Urheberin ihrer Prinzipien ansehen […] folglich muss sie als praktische Vernunft, oder als Wille eines vernünftigen Wesens,von ihr selbst als frei angesehen werden […]“⁵⁰⁵. Ist Vernunft Urheberin ihrer Prinzipien ist sie eben autonom. Kant folgert also aus der Autonomie ihre Freiheit. Das liest sich dann viel eher als ein echter circulus in probande, da hier beide Begründungsrichtungen gegeben sind: von der Freiheit zur
Vgl. Quarfood: , S. . T-h: , S. , vgl. Quarefood: , S. . AA: . Vgl. S. – . AA: . AA: .
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Autonomie und umgekehrt. Ein genauerer Blick überführt aber auch diese Zirkelfassung einer ungenauen Rezeption der Schrift. Denn im ersten Schritt wird von Freiheit als kausalem Vermögen auf die Autonomie des Willens geschlossen, wohingegen im zweiten Schritt nicht diese Autonomie den Grund der Freiheit abgibt, sonder das, was man epistemische Autonomie nennen könnte: Vernunft muss sich in Hinblick auf ihre Urteile als Urheberin ihrer Prinzipien sehen und deswegen auch in Hinsicht auf ihre praktischen Vollzüge. Wir haben es in dem Schluss von Freiheit auf Autonomie der ersten Sektion und dem Schluss von Autonomie auf die Freiheit des Willens also nicht bloß mit Grund-Folge-Verhältnissen zu tun, deren Richtungen sich sozusagen ändern, sondern mit verschiedenen (Unter‐) Begriffen von Autonomie.
5 Der zweite Absatz der vierten Sektion GMSIII Der zweite Absatz lautet: Und so sind kategorische Imperative möglich, dadurch, daß die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede einer intelligiblen Welt macht, wodurch, wenn ich solches allein wäre, alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit gemäß sein würden, da ich mich aber zugleich als Glied der Sinnenwelt anschaue, gemäß sein sollen, welches kategorische Sollen einen synthetischen Satz a priori vorstellt, dadurch, daß über meinem durch sinnliche Begierden afficierten Willen noch die Idee ebendesselben, aber zur Verstandeswelt gehörigen, reinen […] Willens hinzukommt, welcher die oberste Bedingung des ersteren nach der Vernunft enthält; ungefähr so, wie zu den Anschauungen der Sinnenwelt Begriffe des Verstandes, die für sich selbst nichts als gesetzliche Form überhaupt bedeuten, hinzukommen und dadurch synthetische Sätze a priori, auf welchen alle Erkenntniß einer Natur beruht, möglich machen.⁵⁰⁶
Im ersten Sinnabschnitt des Satzes („Um […] sollen“) wiederholt Kant offensichtlich einfach in verkürzter Form, ohne die These der ontologisch höheren Valenz, sein vorheriges Deduktionsargument. Danach folgt m. E. eine Beschreibung der Funktionsweise des kategorischen Imperativs als synthetisch praktischer Satz a priori. Denn wenn Kant hier von der Idee des reinen Willens als oberster Bedingung des sinnlich affizierten Willens spricht, beschreibt er nichts anderes als das Handeln aus Pflicht, also eben die Funktionsweise des kategorischen Imperativs. Dieser bildet die „gesetzlich Form“ aller zulässigen, auch empirisch bedingten Handlungen. Der letzte Sinnabschnitt („ungefähr so […] machen“) ist schon erheblich schwerer einzusehen und kann hier auch nicht
GMS, AA: . – .
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gänzlich entschlüsselt werden. Bevor wir uns aber trotzdem an einen Interpretationsversuch wagen, sollten zuvor erreichte Ergebnisse nochmals in den Blick geholt werden: Kant schreibt dass die ‚Erscheinungskausalität‘ der noumenalpraktischen Subjektivität auf das empirische Handeln uneinsehbar ist und dieses stattdessen als naturkausal determiniert gedacht werden muss. Der einzige konsistente Begriff der intellektuellen Kausalität des praktisch-noumenalen Subjekts ist derjenige der Sittlichkeit. Nimmt man noch die These der ontologischen Superiorität hinzu, muss gesagt werden, dass, will der Mensch sich konsistent als (praktisch-transzendental) frei denken, er dies nur so kann, dass die einzig durch das Sittengesetz für ihn präsente noumenale und praktische Subjektivität sein empirisches Wollen fundiert, es also, vermittels seiner Selektion, (immer auch) motiviert. Dieses Ergebnis wirft nun auch ein wenig Licht auf die hier zur Analyse stehende sehr dunkle Stelle des zweiten Absatzes Sektion 4. Der zu den hier genannten synthetischen Sätzen in Bezug auf die „Anschauungen der Sinnenwelt“ parallele Satz ist der kategorische Imperativ und es stellt sich somit die Frage, welche Erkenntnis einer ‚Natur‘ dieser ermöglicht. Ohne allzu weit in die Diskussion dieses Satzes einsteigen zu wollen, die uns in eine Theorie der synthetischen Sätze a priori überhaupt führen würde, kann nun aber zumindest ein möglicher Kandidat genannte werden. Es sind offenbar die willentlich verursachten Kausalitäten und das System dieser Kausalität, das, wie wir in Kapitel II sahen, von Kant als ‚Natur‘ interpretiert wird, dessen ‚Erkenntnis‘ der kategorische Imperativ ermöglicht. Zwar kann von einer Erkenntnis im strengen Sinne nicht die Rede sein, da Handlungen aus Pflicht als solche nicht erkennbar sind. Jedoch gibt uns der kategorische Imperativ einen Begriff einer willentlichen Handlungen an die Hand, sozusagen ein grundsätzliche Kriterium. Anders gewendet: Durch den kategorischen Imperativ wird eine ‚Natur‘, ein System willentlichen Handeln geschaffen und hierdurch werden Handlungen als Handlungen, also als willentliche und damit transzendental freie Kausalvollzüge allererst ‚erkennbar‘.
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Namenregister Allison, Henry E. 7 f., 13, 16 – 19, 27, 32 f., 41 – 43, 45 f., 50 f., 73, 76 – 79, 81, 85, 130, 156, 161 f., 169 – 172 Ameriks, Karl 113 Bittner, Rüdiger 111, 113, 160 f. Brandt, Reinhard 108 f., 112 f. Brinkmann, Walter 44 f., 51, 58, 154 Cramer, Konrad
50, 172 – 175
Dean, Richard 152, 155 Ducan, Alistair 16, 43, 46 Fichte,Johann Gottlieb 86, 164 Girndt, Helmut 164 Glasgow, Joshua 150 – 153, 155 Guyer, Paul 155
Mager, Michael 100 Meier, Georg Friedrich
113 f.
Paton, H. J. 3, 44, 51, 92, 111, 113, 155 f. Patzig, Günther 50, 172 Prauss, Gerold 123, 166 – 168 Quarfood, Marcel
176
Reich, Klaus 8, 16, 44 f., 51 f., 68 – 71, 74 f. Ricken, Friedo 154 Schönecker, Dieter 2 f., 9 – 12, 44, 48, 50 – 53, 55 f., 62, 87 – 89, 92, 94, 102, 105, 107, 109 f., 142 – 144, 153, 168, 174 Seel, Gerhard 39, 50, 172, 175 Sensen, Oliver 146 f. Steigleder, Klaus 9 – 11, 48, 51, 87 – 91, 95, 102, 107, 109 f., 125, 143 f. Stolzenberg, Jürgen 39
Henrich, Dieter 101, 109 Hill, Thomas 50, 111, 113, 162 f. Horn, Christpoh 74, 157 – 159
T-h 176 Timmermann, Jens
Kaulbach, Friedrich 111, 113, 153, 156 f. Kerstein, Samuel 152 f. Korsgaard, Christine 34, 149 f., 155 f.
Willaschek, Markus 154 Wood, Allen W. 6, 28, 32, 41, 44, 51 – 53, 55 f., 153 – 156
153, 160
Sachregister Achtung 33, 40, 76, 139 Analog 8, 45, 50 – 52, 54, 56 – 58, 60 – 62, 64 f., 70 – 73, 75, 85 f. Analogie 8, 44 f., 50, 56, 60, 63 – 66, 70, 73, 75, 84 – 86 Analogieargument 61, 63, 65 – 67 Analogiegedanke 44 f., 53, 64 – 66 Analytisch 12, 88, 97 f., 104, 107 f, 110 f., 118, 171, 173 – 175 Analytizität 36, 50, 97 f., 109 f., 127, 140, 144, 171 – 174 Analytizitätsthese 50, 88, 104 – 107, 111, 113, 138, 152, 169, 176 Anschauung 119, 164, 177 f Apperzeption 93, 132 f. Auskunft 109, 114 – 116, 123 f. Autonomie 1, 7 f., 37, 46, 68 f., 73, 75 f., 78, 80, 84 f., 94 – 96, 98 f., 103 – 105, 110 f., 113, 129, 138, 143, 157, 166, 171 f., 176 f. – Begriff der siehe Autonomiebegriff – epistemische Autonomie siehe epistemische Freiheit – Prinzip der siehe Autonomieprinzip Autonomiebegriff 3,46, 67, 79, 81, 94, 138,176 Autonomiebewusstsein siehe Autonomie Autonomiegedanken siehe Autonomie Autonomieprinzip 44, 52, 55 – 58,, 71 f, 80, 95, 103, 129 Begehrungsvermögen
11, 29 f., 35, 48 f., 85
Charakter, empirischer 4, 11, 93, 114, 132, 135 f. Charakter, intelligibler siehe intelligibler Charakter Charakterlehre 11 f, 93, 115, 129 – 133, 136 f, 140, 144 Deduktion 1, 3, 9 – 11, 13 f., 87 – 89, 91, 93, 100 – 102, 124, 127, 130 f., 133, 137, 140 – 145, 174 f. Dialektik 11 f., 48, 117, 121, 129, 137 Ding an sich 115 f., 124, 131
Erscheinung 10, 89, 93, 114 f., 119 – 121, 124, 127 f., 130 – 132, 134 – 138, 144 Ethical interlude 1, 3, 8, 16, 43, 46, 73 f., 77, 79 f. Freiheit 3 f., 9 – 13, 29, 36 f., 48, 88 f., 92 – 96, 99 – 105, 107 – 114, 119, 121 – 128, 130 – 132, 135 – 145, 152, 157 f., 160, 170 – 172, 176 f. Freiheitsargument 91, 92 Freiheitsbeweis 4, 88, 93, 105, 108 f, 111, 113 f, 124, 144 Freiheit des Willens 4, 12, 37, 94 – 96, 104 f., 107, 110 f., 123, 125, 130, 138 f., 176 f. – Beweis der Freiheit siehe Freiheitsbeweis – praktische Freiheit 48, 116, 132 – epistemische Freiheit 93 f, 104, 121 – 123, 144, 176 – transzendentale Freiheit 3, 4, 9, 10 – 13, 48, 88 f., 93, 100, 113, 116, 119, 121, 126, 128, 130 – 132, 137 – 139, 141 f. 144 f., 169 f., 172, 178 – negative Freiheit 12, 36, 94 f, 171 – positive Freiheit 12, 36, 94 f, 100 f, 104 Gesetz 7 – 9, 10 – 12, 14, 21, 24, 28, 31, 37 – 40, 44, 46 f., 49 – 54, 56 f., 59, 61 – 65, 67 – 71, 75 f., 79 f., 88 f., 92, 95 f., 98 – 101, 103 – 105, 109, 114 f., 121 – 123, 129 f., 138 f., 141 f., 146, 148, 160 f., 165 – 169 – allgemeines Gesetz 38, 45, 51 – 56, 58 – 60, 62 – 66, 68, 76, 80, 84, 95 – 99, 105, 138, 170 – Gesetz der Freiheit 37, 160 – Gesetz der Natur siehe Naturgesetz – Gesetz der Naturkausalität siehe Naturgesetz – Gesetz der Sittlichkeit siehe Sittengesetz – Gesetz der Vernunft 136, 140, 31, 37, 48 f., 173 – Gesetz der Verstandeswelt siehe Verstandeswelt
Sachregister
– Gesetz des Handelns 11, 37, 64, 122 f., 130 – moralisches Gesetz 12, 83, 103, 107, 109 f., 112, 125, 143, 166 – oberstes Gesetz 45, 51 f., 54 f., 63 – praktisches Gesetz 4, 7, 16, 21, 37 – 40, 59 f., 64 – 67, 85, 91, 96, 104, 160 f., 166, 170 Gesetzesimmanenz 95 Gesetzgebung 24, 38, 51, 56 – 58, 67 f., 70, 76, 84, 103 f., 111, 146, 148 Gesetzlichkeit 38 f., 54, 56 f., 64 – 66 Gesetzlichkeit 38 f., 54, 56 f., 64 – 66 Glückseligkeit 38, 84 f., 151, 158 Grundsatz 47, 54, 74 f., 84, 103, 118, 152, 160, 169 f. – ontoethischer Grundsatz 9, 10 f., 88, 125, 143 – synthetischer Grundsatz 118 Heteronomie Ich
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– hypothetischer Imperativ als Ausdruck des Wollens 8, 40, 46, 50 f., 52, 54, 59, 64, 67, 73, 100, 106 f., 138, 161 Imperativ simpliciter 133 f. Imperativ überhaupt 46, 50, 55, 57, 59 – 61, 67, 79 f., 85, 90 f., 106 f., 133, 162 Intelligenz 11, 121, 127 – 129 Intelligibel – intelligibler Charakter 4, 11 f., 83, 114 f., 129, 132 f., 135 f., 140 – intelligible Kausalität 126, 129 f., 144 – intelligibler Gegenstand 132 – intelligible Seite 129, 157 – intelligible Ursache 3, 137 – intelligibles Vermögen 129 – intelligible Welt 9, 88, 121, 124, 138, 177 (siehe auch Verstandeswelt) Interesse 18, 48, 78, 80, 88, 103, 106 f., 109 – 111, 123, 125 f., 144, 161, 170 Intersubjektivität 71 f., 86, 163 – 165
95, 121, 171 f.
1, 4 f., 9 – 11, 13, 17, 22, 27, 32 f., 38, 44, 47, 52, 54, 58, 62, 66, 71 f., 75, 77, 82, 84 f., 89, 91, 93, 96 f., 99, 101, 103, 105 f., 110, 112, 115, 117 f., 124, 127 – 129, 133 – 135, 140 – 142, 158 f., 164 – 167, 173, 177 Idealismus, transzendentaler 10, 13, 120 – 122, 124, 126, 141, 144 Idee 11 – 14, 34 f., 50, 56, 67, 88, 97, 100 – 102, 105, 116 – 123, 129 – 135, 137 f. 140 – 145, 144 f., 177 Idee der Freiheit 11 – 13, 93 f., 101 – 105, 107,111 f., 122, 130 f., 135 – 138, 140 f., 144 f., 177 Ideenlehre 116 Imperativ, hypothetischer 35, 49 f., 53, 67 f., 79 f., 97 f., 160, 172 – hypothetischer Imperativ als analytischer Satz 97 f., 173 – hypothetischer Imperativ als hypothetischer Satz 172 – hypothetischer Imperativ als theoretischer Satz 172
Kausalität 4, 10 f., 13, 30, 66, 84, 89, 93 f., 101, 104, 114, 116, 119 f., 126 – 130, 133, 135 – 137, 139 – 141, 144, 147, 152, 156, 173, 176 – 178 – Kausalität aus Freiheit 120, 140 – Kausalität der Natur Kategorischer Imperativ – allgemeine Formel des kategorischen Imperativs 45, 52, 54 f., 60, 72 – Autonomieformel des kategorischen Imperativs (AF) 8, 16, 44 – 46, 51 – 53, 55 – 58, 71 – 73, 77, 58 – Hauptformel des kategorischen Imperativs 54, 60 – kategorischer Imperativ als synthetischer Satz 96 – 100, 142, 174, 177 f. – Naturgesetzformel des kategorischen Imperativs (NF) 16, 44 – 46, 50, 52, 54, 56 – 66, 70 f., 73, 75, 77, 81, 85, 163 – Reichs- der-Zwecke-Formel des kategorischen Imperativs (RF) 44 f., 50, 52, 54,– 58, 61, 63, 67, 70 – 73, 85 f., 162 – 164 – Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs (ZF) 7 f., 16, 21 – 23, 40, 42, 44 f., 49 f., 50, 52, 54, 56 – 58, 60 f., 63, 66, 69 –
190
Sachregister
71, 73, 75, 77, 81 – 83, 85 – 88, 149, 152, 154, 157, 163 f. – Universalisierungsformel des kategorischen Imperativs (UF) 1, 8, 16, 44 – 46, 51 – 65, 69 – 73, 78, 80 – 83, 85, 162 f., 169 – Zweck-an-sich-selbst-Formel des kategorischen Imperativs siehe Selbstzweckformel Kategorie 47, 119 f. Maxime 38 f., 44 f., 50 – 66, 69 f., 72, 80, 82, 95 – 100, 103, 105, 118, 135, 138, 160 – 165, 168 – 171 Maxime, logische 118, 134 Mensch 1 – 5, 8 – 13, 20 – 22, 34, 49, 74 – 76, 81 – 83, 87, 89, 91, 93, 100 f., 103 – 116, 121 – 125, 129 – 133, 135 – 138, 140 – 145, 156 f., 164 – 167, 178 f. Menschheit 2, 5, 15, 20 – 23, 26, 39 – 42, 45, 49, 67, 75 f., 81 – 84, 90, 149 f., 152 f., 155 Mittel 21, 30, 35, 49, 60, 68, 75, 80, 82, 86, 125, 139, 149, 153, 165, 173 – 175 Moral 1, 73 f., 76 Moralität 7, 19 f., 22 f., 25, 40, 64, 71, 76, 79, 86, 107, 110, 123, 125, 135, 137, 144, 152, 157, 164 Natur – Begriff der Natur 61, 64 – 66, 70 f., 75, 86, 178 – menschliche Natur 75, 102, 104, 113 – vernünftige Natur 2 f., 8 f., 14, 20 – 23, 25 f., 34, 39 – 42, 49, 65 – 68, 71, 75 f., 85 – 87, 90 f., 94, 141 – 143, 145, 152, 166 – 168 Naturgesetz 38, 45, 47, 50, 61, 64 – 66, 80, 82, 115, 121, 129, 132, 135, 138, 160 Naturkausalität 47, 115, 120 f., 132, 160, 171 Naturordnung 65, 132, 100 Naturursache 135 Naturnotwendigkeit 160 Nötigung 7, 40, 42, 49, 68, 80, 98, 131, 148, 161 f., 172 f., 174 Noumenal 10 – 12, 89, 93, 101,114 – 116, 123 – 126, 129 f., 133, 137, 140 f., 144 f. Noumenon 13, 141
Person 2, 17, 20 f., 40, 42, 75, 78, 81, 103, 140, 146, 152 f., 155 – 157, 163 f., 170 – Menschheit in der Person 21 f., 40, 42, 75, 83, 157, 165 Phänomen 136 Phänomenal 115, 120, 123 f., 126, 144 Phänomenon 132 Populäre Moralphilosophie 73 f., 76 Postulat 9, 14, 87, 91 – 94, 141, 145, 166 f. Praktische Philosophie 153, 159 Prinzip 1, 3, 6 – 8, 10, 13 f., 16, 19, 36 – 39, 42, 47, 50 – 52, 55 f., 58, 60 – 62, 64 – 66, 68, 73 – 75, 77, 80, 85, 98 f., 105 f., 110, 112, 114 f., 125, 131, 135 – 138, 141 f., 145, 158, 160 – 162, 166 – 168, 171, 174 f. Reflexiv 51 f., 130, 144 Reflexivität 37 Regel 10, 30, 37, 67 f., 72 f., 88 f., 92, 96, 106, 116 – 119, 131, 133, 135, 160 f., 163, 172, 175 Reich der Zwecke 44 f., 50 f., 57, 61, 63, 67 – 73, 84, 86, 162 – 164 Rezeptiv 115, 133 Rezeptivität 132 Selbstmordverbot 81 f. Selbsttätigkeit 116 f. Sich-Selbst-Gesetz-Sein 7 f., 38, 95 f., 105, 138 Sinnlichkeit 103, 115 f., 119 f., 131 f., 134 Sollen 98, 103, 106 f., 133 – 136, 172, 177 Spontaneität 13, 92 f., 104 f., 115 – 117., 119 – 123, 126, 130, 133 f., 141, 144 f., 176 Standpunkt 11 f., 14, 82, 109, 114, 121 – 124, 129, 132, 137 f., 140, 142, 164 Selbst 7, 10 f., 89 Selbstbewusstsein 7, 37, 140, 164 Sinnenwelt 9, 14, 88 f., 100, 104, 116, 120 – 122, 124, 126 – 132, 136, 138, 142, 144, 177 f. Sittengesetz 6, 8 f., 12 – 14, 19, 25, 36 f., 39, 42, 47, 66 – 68, 70 f., 85 f., 88, 90, 101, 104, 106, 109, 112, 114 f., 130, 136, 139 – 142, 144, 148, 160, 164, 178
Sachregister
Subjekt 15, 25, 37, 41, 69 – 71, 84 f., 90, 95, 132, 158, 165 f., 170, 173, 175, 178 – Subjekt der/aller Zwecke 15, 25, 41, 90 Subjektivität 81, 115, 124, 126, 133, 144, 165, 178 – noumenale Subjektivität 10, 89, 93, 115 – 116., 126, 133, 137, 141, 144 Superiorität, ontologische 10 f., 124 – 126, 130, 142, 144 f., 178 Synthesis 74, 119 Synthetisch 94, 96 – 100, 118, 141 f., 175, 177 f. Synthetizität 97 – 100 System 4, 12 f., 38 f., 69 – 71, 141, 144 f., 163, 178 Systematisierung 13, 38, 131, 134 f., 137, 140 Systematizität 7, 39 f., 42 Transzendentale Ästhetik 124 Transzendentaler Vernunftbegriff 119 Transzendentalphilosophisch 164 f. Vernunft – Einheit der Vernunft 123 – epistemische Vernunft 93 f., 102, 122 f., 126, 133, 144 – praktische Vernunft 3, 5 – 8, 10, 13 f., 21 – 26, 28 – 31, 36 f., 39 – 43, 47 f., 66 f., 73, 75, 79 – 84, 86 f., 89 – 96, 100 – 102, 105, 108 f., 123, 134, 136, 138, 140 f., 143, 145, 149, 164, 166, 173, 175 f., 179 – spekulative Vernunft 12, 14, 142, 145 – theoretische Vernunft 123 – Vernunft als logisches Vermögen 118, 134 – Vernunft als Vermögen der Ideen 12 f., 101 f., 116,131 – 135, 140 f., 144 – Vernunft als Vermögen der Systematisierung 13, 38 – 40, 42, 131, 134 f., 137, 140 f., 145 – Vernunft simpliciter 102 – Vernunft überhaupt 83, 94, 102, 138, 149, 151, 176 Vernunftgrund 8 f., 14, 87, 91 f., 94, 101, 108, 129, 135, 141 – 143, 145, 166 Verstand 12, 31, 47, 83, 93, 116 – 122, 132 f., 135, 177
191
Verstandesbegriff 121, 116, 120, 133, 177 Verstandeswelt 9 – 11, 13 f., 88 f., 100, 114, 116, 120 – 122, 124 f., 127, 130, 142 f., 129 f., 142, 177 Vervollkommnung 83 Welt
9 – 11, 14, 88 f., 93, 109, 114 – 116, 119, 121 – 124, 129 f., 132, 137, 142 – intelligible Welt siehe intelligibel – Sinnenwelt siehe Sinnenwelt – Verstandeswelt siehe Verstandeswelt Wert 7, 14, 24 – 27, 33, 41, 89 f., 103, 110, 125, 141, 146, 148, 151, 153 – absoluter Wert 1, 16 f., 19 – 22, 24 – 26, 69, 147 f., 152, 155 – bedingter Wert 148 – objektiver Wert 24, 69, 146 – 148 – unbedingter Wert 24, 146, 148 f. Wertbegriff 147, 150 Wesen 1 – 3, 5, 7 – 12, 14 – 16, 20 – 26, 28, 30 f., 35 f., 38 – 42, 44, 46 – 49, 51, 53 – 57, 59 f., 65 – 71, 73, 77, 80 f., 86 – 95, 97 – 100, 102 – 105, 107, 110, 121 – 123, 125, 127 – 129, 138, 141, 143, 147, 149, 152, 156, 158 – 162, 164 – 166, 169 f., 174 – 176 – heiliges Wesen 47 – sinnlich-vernünftiges Wesen 7, 10, 20, 23, 31, 35, 38, 40 – 42, 49, 59, 62, 80, 88 f., 91, 97, 99, 100, 105, 107, 110, 125, 143, 161 – vernünftiges Wesen 2, 5, 8 – 11, 14 f., 20 – 24, 26, 28, 41, 44, 47, 51, 53 – 55, 59, 67 – 70, 73, 89 – 92, 97, 100, 103, 121 f., 127, 141, 143, 149, 152, 160 – 162, 164 – 166, 169, 174 f. Wille 1, 5, 7 – 12, 21 – 23, 25 f., 28 – 31, 34, 36 – 39, 41 f., 44, 46 – 50, 52 f., 56 – 59, 61 – 65, 67 f., 79 f., 83, 85 f., 90 – 102, 104 – 106, 108 – 110, 125, 127 – 131, 137 – 140, 143 f., 146 – 150., 152, 155 f., 158 – 161, 165 – 168, 172 – 175, 177 – autonomer Wille 1, 7 f., 16, 24, 46, 50, 55 – 58, 61, 67, 71 – 73, 80, 84 f., 94, 96, 98, 103 – 105, 110 f., 129, 138 f., 176 f. – Autonomie des Willens siehe autonomer Wille
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Sachregister
– Bestimmungsgrund des Willens siehe Willensbestimmung – Definition des Willens 28 – 31, 46 – 48, 59, 62, 79, 138, 173 – Form des Willens 37, 98 f. – freier Wille siehe Willensfreiheit – Freiheit des Willens siehe Willensfreiheit – Gesetz des Willens 7 f., 28, 31, 37 f., 44, 49 – 52, 54, 56 f., 59, 63 – 65, 68, 80, 92, 95 f., 98 f., 105, 138 f., 148, 160, 166 – 168 – Gesetzgebung des Willens 56 – 58, 84, 104, 111 – guter Wille 15, 20, 24 – 26, 34 f., 45, 51 f., 54 f., 61 – 63, 65 f., 72, 75, 96 – 100, 146 f., 149 – 153 – heiliger Wille 31, 47, 88, 161 – Kausalität des Willens 127 – 129, 140 – menschlicher Wille 9, 47 f., 91, 93, 100, 105 f., 108, 110, 125, 131, 166 f. – moralischer Wille 18 f., 24, 39 f., 42, 64, 79, 82, 106 f., 110, 125, 143, 148, 150 – 152, 165 – Reflexivität des Willens 7, 37 – reiner Wille 11, 37, 49, 80, 86, 89, 107, 129, 177 – Selbstbestimmung des Willen 5, 28, 31, 60, 153 – Selbstbestimmung des Willens 28, 31, 60, 153 – Selbstreferentialität des Willens 7, 60 – Sich-Selbst-Gesetzsein des Willens siehe Sich-Selbst-Gesetz – sinnlicher Wille 31, 42, 72, 88, 98 f., 106, 177 – sittlicher Wille 7, 17, 24 – 26, 41, 45 f., 49, 56 – 58, 71, 85, 90, 127 f., 146 – Wille simpliciter siehe Wille überhaupt – Wille überhaupt 3 f., 11, 48, 93, 98, 100, 128, 138, 172 Willensbegriff 4, 28 f., 30, 37, 48, 59 – 61, 72, 85, 97 – 99, 104, 108 f., 129, 152, 173 f. Willensbestimmung 40, 49, 60, 139, 148 f., 161, 170
Willensfreiheit 3 f., 9 – 12, 14, 36 f., 88 f., 91 – 96, 100, 102, 104 – 111, 114, 123, 125 f., 128, 130, 138 f., 142 – 144, 176 f. Würde 20 f., 23 – 27, 41, 66, 69 f., 73, 76, 90, 146 Zirkel 102, 108 – 114, 122 – 125, 143 f., 176 – als circulus in prabando 11 f., 175 f. – als petitio principii 112 – 114, 143 – Auflösung des Zirkels 124 f., 143 f. – Ausweg aus dem Zirkel 109 f., 114, 123, 125, 130 Zweck 1 – 8, 10, 15 – 36, 39 – 42, 44, 49, 51 f., 54, 59 – 61, 66 – 71, 75 – 86, 89 – 91, 94 f., 104, 108 – 111, 122, 143, 146 – 149, 153 – 159, 163 – 167, 173 – 176 – existierender Zweck 3, 6, 15, 27, 33 – selbstständiger Zweck 35 Zweckbegriff 5, 15, 19, 28 – 31, 36, 77 – 79, 153 f., 157 Zweckdefinition 3 – 6, 18 f., 27 – 31, 41, 59, 78 f., 153 f. Zweck an sich selbst 1 – 10, 14 – 29, 32, 34 – 36, 39 – 45, 49 – 51, 54, 59 – 61, 66 – 71, 73, 75 – 87, 89 – 91, 95 f., 141 – 143, 145, 149 – 157, 165 – 168 – als Ordnungsprinzip 36, 39, 71 – die Formel des siehe Selbstzweckformel des kategorischen Imperativs – die Menschheit als siehe Menschheit – die vernünftige Natur als siehe Natur, vernünftige – die Person als 2, 20 – 22, 40, 42, 75, 81, 103, 157 – der Mensch als 1 – 3, 5, 20 – 22, 82, 165, 167 – als selbständiger Zweck 6, 34 f., 41, 154 f. – das vernünftige Wesen als 1 f., 5, 7 – 9, 15, 20 – 24, 26, 40 – 42, 54, 67 – 69, 71, 81, 90 – das Subjekt als 15, 25, 41, 69 – 71, 84, 90, 165 f. – als existierender Zweck 3, 5 f., 15, 27 f., 32 – 34, 41, 89, 155 f. – Form des 7, 15, 17, 19, 27 – 41 – als Geltungsgrund des kategorischen Imperativs 1, 4 f., 20, 49, 67 f., 143, 153
Sachregister
– als zu realisierender Zweck 5 f., 15, 19, 23, 27, 32, 86, 154, 156 – Gehalt des 1, 2, 5 – 7, 15, 19 f, 36, 66, 149 Zweck überhaupt 4 – 6, 15, 17 – 19, 28 f., 67, 78
Zweck und Mittel siehe Mittel Zweck-Mittel-Relation 80, 175 Zwei-Welten-Lehre 10 – 12, 14, 103, 117, 121 – 124, 129, 132, 137 f., 142
193