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German Pages 521 [591] Year 2021
Der österreichische Staatsrat
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ÖSTERREICHISCHE AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN PHILOSOPHISCH-HISTORISCHE KLASSE INSTITUT FÜR DIE ERFORSCHUNG DER HABSBURGERMONARCHIE UND DES BALKANRAUMES
Der österreichische Staatsrat Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums Herausgegeben von
Gertrude Enderle-Burcel Hanns Haas Wolfgang Mueller Clemens Reisner Veröffentlichung des
Österreichischen Staatsarchivs, der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien und des
Instituts für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien
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Der österreichische Staatsrat Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919 Band 2 16. November 1918 bis 11. Dezember 1918
Bearbeitet von Clemens Reisner
Wien 2020
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Dieser Band wurde durch die Unterstützung des Bundeskanzleramts der Republik Österreich, des Beirates und der Geschäftsstelle für das Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018, und des Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Österreichische Akademie der Wissenschaften ermöglicht.
Mit freundlicher Genehmigung durch den derzeitigen Reiheninhaber Verlag Österreich
Diese Publikation wurde einem anonymen, internationalen Begutachtungsverfahren unterzogen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Die verwendete Papiersorte in dieser Publikation ist DIN EN ISO 9706 zertifiziert und erfüllt die Voraussetzung für eine dauerhafte Archivierung von schriftlichem Kulturgut.
Alle Rechte vorbehalten. ISBN 978-3-7001-8611-3 Copyright © 2020 by Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien Satz: Crossdesign Werbeagentur GmbH, 8010 Graz Druck & Bindung: Prime Rate Kft., Budapest https://epub.oeaw.ac.at/8611-3 https://verlag.oeaw.ac.at
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V
Geleitwort des Vorsitzenden des Beirates für das Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018 Der erste Bundespräsident der Republik Österreich, der diese Amtsbezeichnung auch tatsächlich führte, war Karl Seitz. Zwar benannte und definierte das Bundes-Verfassungsgesetz 1920 dieses Amt, aber Seitz war bereits zuvor Staatsoberhaupt der Republik „Deutschösterreich“, wie der Staat bis zur Erlassung der neuen Verfassung noch hieß, gewesen. Als erste Einzelperson in der demokratischen Geschichte Österreichs hatte er als Präsident der am 16. Februar 1919 erstmals aufgrund allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer und Frauen frei gewählten Konstituierenden Nationalversammlung diese Funktion wahrgenommen. Doch schon davor war Seitz als einer der Präsidenten des Staatsratsdirektoriums Teil eines Triumvirats gewesen, das als kollegiales Staatsoberhaupt den Vorsitz über die am 21. Oktober 1918 erstmal zusammengetretene Provisorische Nationalversammlung und den von diesem bestellten Staatsrat führte. Das gleichberechtigte Zusammenwirken von Christlichsozialen (Johann Nepomuk Hauser), Deutschnationalen (Franz Dinghofer) und Sozialdemokraten (Karl Seitz) stand exemplarisch für die Kooperation aller damals demokratisch gesinnten politischen Kräfte in ihrem gemeinsamen Streben, auf den Überresten der zerfallenen Monarchie einen neuen republikanischen Staat zu errichten. Das Amt des Bundespräsidenten, das ich durch zwölf Jahre hindurch wahrnehmen durfte, stellt somit auch für mich persönlich die Verbindung zu den Anfängen unserer demokratischen Republik Österreich her, also zu einem der großen Schlüsselmomente in der österreichischen Geschichte, die das Jubiläumsjahr 2018 gebührend zu würdigen trachtete. Es ist sehr erfreulich, daß dieser wichtigen Auseinandersetzung mit unserem historischen Erbe durch die Edition der Sitzungsprotokolle des Staatsrates aus der Gründungszeit der Republik Rechnung getragen wird. Mit dem nunmehr vorliegenden zweiten Band wird dieser Reihe ein wichtiger Mosaikstein hinzugefügt. Mein Dank für diese Leistung gilt den Herausgebern und dem Bearbeiter sowie jenen Institutionen, die diese Publikation ermöglicht haben, namentlich dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich, dem Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Österreichische Akademie der Wissenschaften und dem Österreichischen Staatsarchiv. Bundespräsident a.D. Dr. Heinz Fischer
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VII
Geleitwort des Bürgermeisters und Landeshauptmannes der Stadt Wien Als die Habsburgermonarchie im Jahr 1918 zerfiel, wurde Wien, bis dahin Sitz des Reichsrates, des Parlaments der cisleithanischen Reichshälfte der Doppelmonarchie, zur zentralen politischen Bühne einer neuen Ära. Hier schufen die Provisorische Nationalversammlung, der von ihr eingesetzte und aus den Rängen ihrer Abgeordneten beschickte Staatsrat sowie die vom Staatsrat ernannte Staatsregierung unter Führung von Dr. Karl Renner die Grundlagen unserer demokratischen Republik Österreich. Unter Zusammenarbeit aller politischen Kräfte bereiteten sie den Weg für freie Wahlen und schufen viele der institutionellen politischen Grundlagen, auf die Österreich auch heute noch aufbaut. Inmitten größten Mangels an Lebensmitteln, Brennmaterial usw., die gerade Wien als Großstadt besonders stark in Mitleidenschaft zogen, aber auch angesichts weitgehender politischer Unsicherheit darüber, wie die zukünftigen Grenzen des neuen Staates und das Verhältnis zu seinen Nachbarn aussehen würden, setzten die in Wien versammelten Mitglieder der maßgeblichen politischen Gremien und der Staatsregierung allen Hürden und Hindernissen zum Trotz die notwendigen Schritte zur Schaffung unserer Demokratie. Mit dem vorliegenden zweiten Band der Edition der Protokolle des Staatsrates ist ein weiterer Schritt getan, eine der zentralen Quellen dieser politischen Ära zu dokumentieren und dem interessierten Publikum zugänglich zu machen. Es ist der Stadt Wien als überzeugter Unterstützerin wissenschaftlicher Forschung ein Anliegen, dieses Werk, das Ergebnis einer Kooperation der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien, des Österreichischen Staatsarchivs, der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und der Universität Wien, zu fördern. Ausdrücklicher Dank gilt den Herausgebern, dem Bearbeiter, ferner dem Bundeskanzleramt der Republik Österreich, dem Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Österreichische Akademie der Wissenschaften sowie dem Österreichischen Staatsarchiv. Dr. Michael Ludwig
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Inhaltsverzeichnis Editionsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Hanns Haas Historische Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Gertrude Enderle-Burcel/Clemens Reisner Darstellung der Quelle. Grundsätzliches zur Edition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLIX Liste der Staatsratsmitglieder und anderer Beauftragter des Staatsrates . . . . . . . . . LV Chronologisches Verzeichnis der Protokolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LXIII Staatsratsprotokoll Nr. 34 vom 16. November 1918 vormittags . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 35 vom 16. November 1918 nachmittags . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 36 vom 18. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 37 vom 19. November 1918 vormittags . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 38 vom 19. November 1918 nachmittags . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 39 vom 20. November 1918 vormittags . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 40 vom 20. November 1918 nachmittags . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 41 vom 21. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 42 vom 22. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 43 vom 23. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 44 vom 25. November 1918 vormittags . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 45 vom 25. November 1918 nachmittags . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 46 vom 26. November 1918 vormittags . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 47 vom 26. November 1918 nachmittags . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 48 vom 27. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 49 vom 28. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 50 vom 29. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 51 vom 30. November 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 52 vom 2. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 53 vom 3. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 54 vom 6. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 55 vom 7. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 56 vom 9. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsratsprotokoll Nr. 57 vom 11. Dezember 1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 25 45 59 81 97 117 141 161 183 193 215 223 245 257 269 289 309 347 365 391 407 417 439
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 Geographisches Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
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XI
Editionsplan Band 1: Protokolle des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung Nr. 1 bis Nr. 11 (21. Oktober 1918 bis 30. Oktober 1918) und Staatsratsprotokolle Nr. 12 bis Nr. 33 (30. Oktober 1918 bis 14. November 1918). Band 2: Staatsratsprotokolle Nr. 34 bis Nr. 57 (16. November 1918 bis 11. Dezember 1918). Band 3: Staatsratsprotokolle Nr. 58 bis Nr. 77 (13. Dezember 1918 bis 7. März 1919) und Protokolle des Staatsratsdirektoriums Nr. 1 bis Nr. 26 (15. November 1918 bis 11. März 1919).
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Hanns Haas
Historische Einführung Der Staatsrat als Organ des Übergangs Der Staatsrat bildet einen erratischen Block in der österreichischen Verfassungsentwicklung und stellt ein politisches Organ des Übergangs vom alten zum neuen Österreich, von der Habsburgermonarchie zur Republik Österreich dar. Sein Wirken fällt in das halbe Jahr vom Zerfall der Monarchie im November 1918 bis zur Wahl einer (deutsch)österreichischen Konstituante am 27. Februar 1919, vom Kriegsende bis zum Beginn der Pariser Friedenskonferenz der alliierten und assoziierten Siegermächte.1 Am Anfang dieser Entwicklung standen die am 21. Oktober 1918 aus den deutschen Abgeordneten des altösterreichischen Abgeordnetenhauses gebildete Provisorische Nationalversammlung Deutschösterreichs und der aus ihrer Mitte gewählte Vollzugsausschuß. Die sodann am 30. Oktober von der Provisorischen Nationalversammlung verabschiedete provisorische Verfassung übertrug die Regierungs- und Vollzugsgewalt dem gleichfalls aus ihrer Mitte gewählten Staatsrat, der die eigentliche Staatsverwaltung aber nicht selbst unmittelbar, sondern durch Beauftragte, die Staatssekretäre, ausübte, die in ihrer Gesamtheit die Staatsregierung (Kabinett) bildeten (§ 8 der Verfassung vom 30. Oktober 1918). Der Staatsrat und das parlamentarisch verantwortliche Kabinett bestanden somit als Staatsorgane nebeneinander. Dazu kam noch das Staatsratsdirektorium, das anfänglich als Geschäftsausschuß des Staatsrates fungieren sollte und mit der Verfassungsreform vom 19. Dezember 1918 zu einem parlamentarisierten Staatsoberhaupt wurde, bestehend aus den drei Präsidenten der Provisorischen Nationalversammlung, die ab diesem Zeitpunkt auch über entsprechende Befugnisse verfügten (Ernennungen von höheren Beamten, Begnadigungen usw.).2 Diese verfassungsmäßige Übergangslösung fand nach der Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung am 27. Februar 1919 ihr Ende. Der Staatsrat hielt seine letzte Sitzung am 7. März 1919 ab. Die neue christlichsozial-sozialdemokratische Koalitionsregierung übernahm nunmehr die Regierungsgewalt. Seiner Zusammensetzung nach war der Staatsrat ein Parlamentsausschuß aus verhältnismäßig ihrer Stärke entsprechend vertretenen politischen Parteien. Damit sollte das Zusammenwirken aller parlamentarischen Fraktionen für die Zeit der Staatsbildung gewährleistet sein. In Übereinstimmung mit der in der Reichsratswahl 1911 ermittelten Fraktionsstärke im altösterreichischen Reichsrat hatten im Staatsrat die Deutschnationalen neun Mandate (davon sieben gemäßigte Deutschnationale, einer der radikalen deutschösterreichischen 1
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Zur institutionellen Geschichte des Staatsrates vgl. überblicksmäßig Walter Goldinger, Der Staatsrat 1918/19, in: Österreich November 1918. Die Entstehung der Ersten Republik. Protokoll des Sympo siums in Wien am 24. und 25. Oktober 1978 (= Veröffentlichungen der Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich 9), Wien 1986, S. 55–65. Für eine eingehende Darstellung der Tätigkeit des Staatsrates in den ersten rund drei Wochen seines Bestehens vgl. Hanns Haas, Historische Einleitung, in: Der österreichische Staatsrat. Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums. Band 1: 21. Oktober 1918 bis 14. November 1918. Herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel/Hanns Haas/Peter Mähner, Wien 2008, S. XXI–LXVII. Goldinger, Der Staatsrat 1918/19, S. 62.
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Historische Einführung
nabhängigkeitspartei und einer der deutsch-freiheitlichen Vereinigung Wiener AbgeordneU ter), die Christlichsozialen sechs Mandate und die Sozialdemokraten fünf Mandate. Dazu kamen die den drei Fraktionen entnommenen Präsidenten Franz Dinghofer, Johann Nepomuk Hauser und Karl Seitz. Aufgabe des Staatsrates war vor allem eine Koordination der politischen Willensbildung. Der Staatsrat diskutierte die anstehenden politischen Fragen, erzielte nach Möglichkeit einen Konsens zwischen den Parteien, brachte die Gesetzesvorlagen in die Provisorische Nationalversammlung ein, machte die Beschlüsse kund und erließ die nötigen Vollzugsanweisungen. Die Staatsämter erließen Vollzugsanweisungen zumeist im Auftrag oder mit Ermächtigung des Staatsrates. Im Gegensatz zu den Staatssekretären unterstand der Staatsrat in seiner Zwitterstellung zwischen Legislative und Exekutive nicht der Ministerverantwortlichkeit. Eine Änderung erfolgte mit der Gesetzesnovelle vom 27. November 1918, die den Staatskanzler und den Staatsnotar als Beauftragte des Staatsrates respektive als Inhaber der neu geschaffenen Ämter Staatskanzlei und Staatssiegelamt unter Ministerverantwortlichkeit stellte.3 Diese Novelle entsprach der tatsächlichen politischen Bedeutung Karl Renners im politischen System. Viele sachliche Überschneidungen ergaben sich zwischen Staatsrat und Kabinett, dessen ausführliche Protokolle jetzt gleichfalls für eine Edition bearbeitet werden.4
Konsolidierung Der Staatsrat tagte im großen Sitzungssaal der Budgetkommission des Herrenhauses. „An der Mitte der einen Längsseite des langen Tisches thronten die drei Präsidenten, ihnen gegenüber saßen die Staatssekretäre, soweit sie ressortmäßig an den Beratungen interessiert waren, und rings um den Tisch die 30 Mitglieder des Staatsrates, zumeist auch eine Anzahl von ‚Ersatzmännern‘, die jedoch, soweit sie nicht gerade ein abwesendes Mitglied zu vertreten hatten“, nur zuhörten.5 Im Saal herrschte stets geschäftiges Treiben. Referenten kamen und gingen, Boten überbrachten Eilmeldungen, Hilfspersonal lieferte die hektographierten Unterlagen. Für die Führung der Staatsratsprotokolle bestellte der Staatsrat aus seiner Mitte den Leiter der Staatskanzlei. Anfangs erledigte Karl Renner die Protokollführung selbst, dann wurden Parlamentsstenographen herangezogen. Seit 7. Dezember 1918 sind die Protokolle nicht mehr im Wortlaut geführt, „aber immerhin noch in solcher Ausführlichkeit, daß sie über den Gang der Verhandlungen genügend Aufschluß geben“.6 Wichtige Entscheidungen wurden den Staatsämtern noch am selben Tag geliefert. Die hektographierten Beschlußprotokolle ergingen an alle Regierungsmitglieder und die leitenden Beamten. Ein gedruckter Index erleichterte die Übersicht über die Beschlußprotokolle, die in der Hektik des Tagesgeschehens gelegentlich verloren ging. Obwohl eine Minderheitsfraktion, gaben die Sozialdemokraten im Staatsrat den Ton an. Vor allem Staatskanzler Renner beherrschte mit seiner Gesetzeskenntnis, seinen treffenden Formulierungsvorschlägen und seiner Kompromißfähigkeit die insgesamt konsensorientierten Beratungen. Lediglich einige „deutsche“ Abgeordnete, Karl Hermann Wolf und Oskar 3 4
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Goldinger, Der Staatsrat 1918/19, S. 62. Der erste Band dieser Reihe ist Anfang 2019 erschienen: Gertrude Enderle-Burcel/Rudolf Jeřábek/ Wolfgang Mueller/Stefan Semotan (Hg.), Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik der Republik Österreich. (Deutsch-)Österreichischer Kabinettsrat. Kabinett Dr. Karl Renner. 31. Oktober 1918 bis 1. Februar 1919. Band 1: 31. Oktober 1918 bis 7. Juli 1920, Wien 2019. Hans Loewenfeld-Russ, Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920. Herausgegeben und bearbeitet von Isabella Ackerl (= Studien und Quellen zur österreichischen Zeitgeschichte 6), Wien 1986, S. 147. Goldinger, Der Staatsrat 1918/19, S. 57.
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Teufel, preschten gelegentlich mit unrealistischen Forderungen vor, beispielsweise zur wirksamen Verteidigung der Grenzforderungen. Solche Anliegen wurden in der Regel durch Zuweisung an die dafür zuständigen Staatssekretäre schubladiert. Der vorliegende Editionsband umfaßt den Zeitraum vom 16. November bis 11. Dezember 1918. Die Frage der Staatsform war schon entschieden,7 die Auflösung des Heeres hatte sich überraschend schnell vollzogen, die Sicherheitsfrage war durch die Bildung der Volkswehr entspannt, die Länder hatten nach Aufforderung durch den Staatsrat den Beitritt zum Staat vollzogen, wenn auch die Kompetenzen von Staatsregierung und Ländern unscharf voneinander abgegrenzt waren.8 Jetzt endlich konnten sich Staatsrat, Kabinett und Provisorische Nationalversammlung den nächsten Anliegen der Staatsbildung widmen, wie der Definition von Staatsgebiet, Grenzen und Staatsbürgerschaft, der Durchsetzung des Gebietsanspruchs gegenüber den Nachbarstaaten, der Liquidierung der habsburgischen Aktiva und Passiva, der Organisierung der Wahlen für die Konstituante und der Vorbereitung der schon bald erwarteten Friedensverhandlungen. Dauerthemen bildeten die prekäre Versorgungslage mit Lebensmitteln, die Versorgung mit Kohle sowie die wachsende Arbeitslosigkeit angesichts des Stillstands der Produktionsstätten und der Kriegsheimkehrer.9 Die wichtigsten im Beratungszeitraum behandelten Fragen werden unter Heranziehung neu edierter französischer und tschechoslowakischer Quellen näher erläutert. Die Vorbereitung der Wahlen bleibt dem Folgeband reserviert.
Lebensmittelversorgung Die Versorgung mit Lebensmitteln und die Sicherstellung der Kohle als Energieträger für Heizung, den Betrieb der Verkehrsmittel und die Fortführung der gewerblich-industriellen Produktion bildeten ein Dauerthema der Beratungen. Der Weltkrieg hatte die Agrarproduktion empfindlich vermindert. Es fehlte an Arbeitskräften, Dünger, Saatgut und maschineller Ausstattung. Kurzfristig half die Verteilung der Vorräte, die doch auf eine Fortdauer des Krieges angelegt worden waren, sowie die Mittel aus der allerdings schlecht ausgefallenen jüngsten Ernte.10 Der existentiell bedrohliche Versorgungsengpaß wurde nach Aufbrauchen dieser Reserven zur Jahreswende erwartet. Doch die Aufbringung im Rahmen der kontinuierlich fortgeführten staatlichen Lenkungswirtschaft stieß an enge Grenzen. Die Länder sperrten sich voneinander und alle gemeinsam von Wien ab. Nicht anders verhielten sich die tschechischen Provinzen und Landesteile gegenüber den deutschen Gebieten der böhmischen Länder und die Tschechoslowakei insgesamt sowie Ungarn gegenüber Deutschösterreich. Abrupt beendeten die Nachbarstaaten bereits in der dritten Oktoberwoche, noch vor dem Waffenstillstand vom 3. November 1918, die Zulieferung von Lebensmitteln in die von jeher auf Zuschub aus den böhmischen Ländern, Ungarn, Galizien und Kroatien abhängige Großstadt Wien und die Alpenländer.11 Graz und das steirische Industriegebiet waren auf Lieferungen aus Hanno Rebhahn, Die politischen Parteien als Träger des Staatswerdungsprozesses. Monarchie oder Republik? Die Entscheidung der Staatsreformfrage innerhalb der Parteien, in: Robert Kriechbaumer/ Michaela Maier/Maria Mesner/Helmut Wohnout (Hg.), Die junge Republik, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 23–46, hier S. 27–31. 8 Hanns Haas, Ein verfehlter Start? Die Anfänge Österreichs 1918 bis 1920, in: Zeitgeschichte, Nr. 41 (2014), S. 371–383. 9 Andreas Weigl, Wirtschaftspolitik, Währung und Inflation, in: Kriechbaumer u. a., Die junge Republik, S. 167–186, hier S. 168. 10 Loewenfeld-Russ, Im Kampf, S. 121. 11 Notiz des nachmaligen Staatssekretärs Loewenfeld-Ruß vom 25. Oktober 1918, Loewenfeld-Russ, Im Kampf, S. 112. 7
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Historische Einführung
Krain und Kroatien angewiesen. Das neue Österreich mußte wenigstens vier Fünftel seines Getreidebedarfes einführen.12 Eine Überbrückungshilfe von 10.000 Tonnen wurde vom reichsdeutschen Kabinett am 29. Oktober 1918 einer Delegation des Deutschösterreichischen Vollzugsausschusses in Aussicht gestellt,13 doch die Zusage nicht eingehalten.14 Von einem förmlichen „Wirtschaftskrieg“ (Otto Bauer) der Nachbarländer gegen Deutschösterreich war in der Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918 die Rede.15 Es ist evident, daß die tschechoslowakische Regierung Lebensmittel und Kohle verwehrte, um den österreichischen Gebietsanspruch auf die deutschen Randgebiete der böhmischen Länder zu konterkarieren. Der Staatsrat stand stets vor der schwierigen Aufgabe, die Staatsziele Selbstbestimmungsrecht und Versorgungssicherheit gegeneinander abzuwägen. Obwohl kein Handelsabkommen mit den Tschechen zustande kam, erteilte der Staatsrat am 9. November 1918 die Weisung, „unverzüglich alle Verfügungen zu treffen, um die selbstständige Landesverwaltung in den Provinzen Deutschböhmen und Sudetenland zu verwirklichen“.16 Erst als Österreich die Bereitschaft zeigte, die Gebietsgewalt in den Nordprovinzen vorläufig unbeschadet ihres Selbstbestimmungsanspruchs aufzugeben, kamen die so dringenden deutschösterreichisch-tschechoslowakischen Abkommen über die Lockerung der Verkehrsblockade und Kohle zustande. Die Zuckerlieferungen begannen am 13. Dezember 1918 auf der Basis von Verträgen am 9. und 20. November, welche auch die österreichischen Zuckerfabriken der Prager Zuckerzentrale überließ.17 Seit einem bilateralen Abkommen vom 12. März 1919 waren auch die tschechoslowakischen Zuckerlieferungen auf Kompensationsbasis mit Rohstoffen und Industriegütern gestellt. Von normalen Wirtschaftsbeziehungen war man jedoch noch weit entfernt. Einen neuen Zuckervertrag lehnte der tschechoslowakische Handelsminister aus der Zuckerkampagne von 1919 ab, weil die Tschechoslowakei ihre gesamten Exportüberschüsse in Zucker der Société Général in Paris gegen eine Anleihe von 300 Millionen Franc verpfändet habe. Wieder bedurfte es einer interalliierten Intervention, um die österreichische Versorgung ausreichend zu garantieren.18 Eine ähnliche Situation entstand auch im Verhältnis zu Ungarn. Die Lebensmittelverhandlungen gerieten wegen der Anschlußbewegung der westungarischen Deutschen ins S tocken; wirtschaftliche Kompensationsabkommen kamen erst zustande, nachdem Österreich vorerst auf die Ausübung der Gebietsgewalt verzichtete und die Frage auf die Friedensverhandlungen mit den Siegermächten vertagte. Auf die Kronenwährung war kein Verlaß mehr; die Handelsbeziehungen der Nachkriegszeit entwickelten sich anfangs überhaupt auf der Basis von Kompensationsgeschäften,19 beispielsweise zwischen dem Land Vorarlberg und tschechoslo Verband der Sozialdemokratischen Abgeordneten, Politisches Handbuch, Wien 1920, S. 3. Loewenfeld-Russ, Im Kampf, S. 117. 14 Loewenfeld-Ruß in der 26. Sitzung des Staatsrates am 8. November 1918, in: Der österreichische Staatsrat. Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums. Band 1: 21. Oktober 1918 bis 14. November 1918. Herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel/Hanns Haas/Peter Mähner, Wien 2008, S. 290. 15 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1993, S. 249. 16 SRP Nr. 28, in: Der österreichische Staatsrat. Band 1, S. 341. 17 Loewenfeld-Russ, Im Kampf, S. 205; Ota Konrád, Nevyvážené vztahy. Československo a Rakousko 1918–1933, Prag 2012, S. 66–73; Gertrude Enderle-Burcel/Eduard Kubů, „Handelsbeziehungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit“, in: Alice Teichova/Herbert Matis (Hg.), Österreich und die Tschechoslowakei 1918–1938. Die wirtschaftliche Neuordnung in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit, Wien 1996, S. 113–130, hier S. 114 f. 18 Enderle-Burcel/Kubů, Handelsbeziehungen, S. 121. 19 Weigl, Wirtschaftspolitik, S. 172. 12 13
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Historische Einführung
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wakischen Partnern im Austausch von Nutzvieh gegen Kartoffeln.20 Der Staatsrat mußte diese Abkommen auf Länderbasis nachträglich hinnehmen, obwohl sie einer zentral gesteuerten Außenhandelswirtschaft widersprachen. Es ist allerdings zu ergänzen, daß auch die Tschechoslowakei nicht ausreichend mit Zerealien versorgt war. Auf diese eigenen Engpässe verwies die tschechoslowakische Regierung als Antwort auf ein vom päpstlichen Nuntius in Wien unterstütztes Ansuchen des Wiener Bürgermeisters Weiskirchner um Lebensmittellieferungen vom 4. November 1918.21 Auch dem österreichischen Außenamt schien es „bei den ohnedies nicht glänzenden Ernährungsverhältnissen Böhmens“ nicht tunlich, auf tschechoslowakische Lebensmittelhilfe zu drängen.22 Die Not an Lebensmitteln konnte tatsächlich nur durch die vom Leiter der US-Food Administration Herbert Hoover dem notleidenden Mitteleuropa zugesicherte alliierte Lebensmittelhilfe gelindert werden. Unter Bezug auf diese Ankündigung durch den amerikanischen Staatssekretär Robert Lansing, ersuchte die deutschösterreichische Regierung die Regierung der USA am 27. November 1918 um baldige Verhandlungen wegen Lebensmittelhilfe.23 Den entscheidenden Durchbruch brachten die seit 24. Dezember 1918 in Bern laufenden Verhandlungen mit amerikanisch-englisch-französisch-italienischen Delegierten.24 Als Soforthilfe erhielt die Schweiz die Erlaubnis, für Wien 110 Waggons Lebensmittel zu liefern. Außerdem rollten 4000 Tonnen Weizen, einige Waggons Kondensmilch und Zitronen aus italienischen Depots ab.25 Die zur Jahreswende 1918/19 in Wien eintreffende alliierte Kommission sollte die Bedingungen für eine längerfristige Alimentierung Österreichs ausarbeiten. Endlich, am 5. Jänner 1919, langten die ersten 30 Waggons Getreide in Wien ein. Die Eisenbahnzüge begleiteten amerikanische Soldaten, was der französische Außenminister zur Kenntnis nahm, nicht ohne darauf hinzuweisen, daß bei aller österreichischen Hilfsbedürftigkeit doch die Interessen der Verbündeten, wie der Tschechoslowakei, Vorrang hätten.26 Voraussetzung für die Hilfeleistung war stets die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung ohne „bolschewistische“ Experimente.
Energieträger Kohle Wien und Ostösterreich waren seit der Hochindustrialisierung von der nordböhmischen Braunkohle, der mährisch-schlesischen Glanzkohle und der preußisch-schlesischen Stein kohle für Gas- und Elektrizitätswerke, Fabrikbetriebe sowie für „Herd- und Zimmerbrand“ abhängig.27 Der Jahresbedarf der österreichischen Alpenländer lag bei mindestens 10 Millio SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. Schreiben der tschechoslowakischen Regierung an Nuntius T. Valfroni in Wien, in: Dokumenty československé zahraniční politiky. Československo na parížské mírové konferenci 1918–1919. Band 1 (listopad 1918–cerven 1919). Herausgegeben von Martin Nechvátal/Helena Nováčková/Ivan Št’ovíček, Prag 2001, S. 75 (künftig: ČPMK). 22 Gesandter Ippen an die Staatskanzlei, 2. Jänner 1919, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 345; 23 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 196; Hanns Haas, Die Vereinigten Staaten von Amerika und die alliierte Lebensmittelversorgung Österreichs im Winter 1918/19, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Nr. 32 (1979), S. 233–255. 24 Loewenfeld-Russ, Im Kampf, S. 233. 25 Bericht des deutschösterreichischen Bevollmächtigen Haupt an das Staatsamt für Äußeres, 30. Dezember 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 340 f. 26 Pichon an die französischen Botschaften in London, Rom und Washington 15. Dezember 1918, in: Documents diplomatiques Français. Armistice et paix 1918–1920. Vol. 1 (27. septembre 1918–17. janvier 1919). Dirigée par Robert Frank/Gerd Krumeich, Brüssel/Bern/Berlin 2014, S. 486 f. 27 Jürgen Nautz, Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit 1918 bis 1923. Die Handelsvertragsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten, Wien/Köln/Graz 1994, S. 69–73. 20 21
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nen Tonnen, während 1919 weniger als zwei Millionen aus heimischen Gruben geschürft werden konnten.28 Der tschechoslowakische und der südslawische Staat sperrten schon Anfang November, vor dem Waffenstillstand, die Kohlezulieferung.29 Die Verhandlungen mit den Tschechen wegen Kohle scheiterten, wenn auch gewisse Kohlenkontingente, vermutlich zum Rücktransport der Soldaten von der Südfront, in der zweiten Novemberhälfte eintrafen.30 Kurzfristig behalf man sich für den sogenannten „Hausbrand“ mit den Braunkohledepots des Arsenals, der Kriegsgefangenenlager und jener Industrien, die wegen Rohstoffmangels stillgelegt wurden. Doch die zum Betrieb der Elektrizitätswerke und des Wiener Gaswerks nötige Kohle aus dem Ostrau-Karwiner Revier ließ der tschechoslowakische Staat seit Mitte November nicht durch.31 Es stand außer Zweifel, daß die tschechoslowakische Regierung die österreichische Notlage zur Regelung politischer Fragen mißbrauchte.32 Die Situation wurde Mitte November brenzlig, weil nicht nur die Kohle aus den böhmischen Ländern, sondern auch die preußische Kohle ausfiel. Mit großer Sorge mußte der Staatsrat feststellen, daß die von der deutschen Reichsregierung zugesagten und tatsächlich auf den Weg geschickten Kohlentransporte in der Tschechoslowakei zurückgehalten oder konfisziert worden waren.33 Die tschechoslowakische Regierung war über diese Blockade informiert. Ein am 27. November in Lundenburg angekommener preußischer Kohlenzug wurde nach mehrmaliger diplomatischer Intervention und Rücksprachen des Gesandten Vlastimil Tusar mit dem tschechoslowakischen Wirtschaftsminister František Stane˘k gar nach Brünn abgelenkt.34 Der ehemalige Statthalter Spiegelfeld notierte am 14. November: „Hier hören wir auch gestern, daß wir vor der Einstellung des gesamten Eisenbahnverkehres stehen, und das wegen Kohlenmangels, da die Czechen, wie es scheint, keine Kohle durchlassen.“35 In diesem katastrophalen Versorgungsengpaß suchte und erhielt Deutschösterreich Unterstützung durch die Siegermächte. Das deutschösterreichische Außenamt erbat durch Vermittlung der schwedischen und der Schweizer Botschaft in Wien eine Intervention der alliierten und assoziierten Mächte bei der tschechoslowakischen Regierung.36 Am 11. Dezember ersuchten die neutralen diplomatischen Missionen in Wien die Alliierten dringend um Intervention bei der tschechoslowakischen Regierung wegen „Freigabe von Kohlen für Wien“.37 Weil sich noch immer keine Lösung abzeichnete, obwohl angeblich Frankreich auf Ersuchen der Schweizer Regierung bereits bei der tschechoslowakischen Regierung interveniert hatte, ersuchte der Wiener Bürgermeister Weiskirchner bei einem Meeting mit den neutralen Missionschefs in Wien erneut um Intervention in Prag wegen tschechischer Kohlelieferungen und um Durchfuhrgenehmigung für oberschlesische Kohle.38 Zuletzt intervenierte auch die US-amerikanische Regierung Alfred Pfoser/Andreas Weigl, Die erste Stunde Null. Gründerjahre der österreichischen Republik 1918–1922, Salzburg/Wien 2007, S. 24. 29 SRP Nr. 15 vom 2. November 1918, in: Der österreichische Staatsrat. Band 1, S. 129. 30 SRP Nr. 28 vom 9. November 1918, in: ebd., S. 324. 31 SRP Nr. 33 vom 14. November 1918, in: ebd., S. 417. 32 SRP Nr. 26 vom 8. November 1918, in: ebd., S. 293. 33 Vgl. auch SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 34 Bericht Otto Bauers in der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 248. 35 Eintragung vom 14. November 1918, in: Matthias Egger (Hg.), „Wir gehen furchtbar ernsten Zeiten entgegen“. Die Tagebuchaufzeichnungen von Markus Graf Spiegelfeld aus den Jahren 1917–1923, (Im Druck), S. 243. 36 Telegramme vom 18. und 21. November 1918, in: Papers relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference, Volume 2, Washington 1942, S. 632 f. 37 Bericht des US-amerikanischen Botschafters in der Schweiz an die amerikanische Commission to Negotiate Peace, in: ebd., S. 654. 38 Telegramme vom 18. und 21. November 1918, in: ebd., S. 676. 28
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bei Masaryk in dieser Sache. Die Tschechoslowakei geriet durch die Interventionen gehörig unter Druck, weil ihre restriktive Politik mit der Verschärfung der bolschewistischen Gefahr in Wien in Verbindung gebracht wurde. Ihre Regierung mußte einlenken. Außenminister Beneš verlangte von Ministerpräsident Kramář rasches Handeln: „Helft, was ihr könnt, das ist wichtig“.39 Schon zweimal hätte die französische Regierung wegen der Kohlenlieferungen in der Tschechoslowakei interveniert, berichtete am 10. Dezember 1918 die von Otto Bauer in Sondermission nach Bern entsandte Berta Zuckerkandl.40 Am 16. Dezember 1918 teilte die amerikanische Regierung der deutschösterreichischen Mission in Bern mit, „dass Kohlenfrage in unserem günstigen Sinne gelöst wurde“.41 Einer nach Prag entsandten Sondermission, bestehend aus dem Schweizer und schwedischen Gesandten in Wien, konzedierte Kramář die baldige Lieferung von Kohle.42 Das geradezu unterwürfige Dankschreiben der neutralen Missionen diente Außenminister Beneš als Beweis für die tschechoslowakische Hilfsbereitschaft und „how incorrect was the information given by the Government of Vienna to the Entente Governments when it claimed that the Czechs were opposed to the revictualling of Vienna“.43 Vielleicht hätte selbst dieser Druck von außen nicht genützt, wenn nicht österreichische Politiker vor aller Öffentlichkeit in den Sitzungen der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. und 5. Dezember das Scheitern ihrer Sudetenpolitik zugestanden und einen Gewaltverzicht ausgesprochen hätten. Jedenfalls hat sich die tschechoslowakische Regierung auf Intervention des Bevollmächtigten Tusar endlich am 4. Dezember zur Lieferung von nordböhmischer Kohle an die niederösterreichischen Eisenbahnen bereit erklärt, um den Bahnbetrieb nach Tschechien zu gewährleisten. Auch Ostrauer Kohle wurde für das städtische Wiener Gaswerk freigegeben.44 In der folgenden Prager Regierungssitzung vom 7. Dezember wurden sodann durch eine Weisung an die Brünner Statthalterei die Blockade des Warenverkehrs auf der Nordbahnstation Břeclav/Lundenburg aufgehoben und Kohle für Österreich in Aussicht gestellt. Wörtlich heißt es im Protokoll: „Gleichzeitig ist dem Gesandten Tusar telefonisch mitzuteilen, dass den Forderungen der deutschösterreichischen Seite wegen Kohlenlieferung insoweit entgegengekommen wird, solange Deutschösterreich sich in Bezug auf die Liquidationsangelegenheit genau an die Abmachung hält, insbesondere was die Aufteilung des Militärguts in Korneuburg an unseren Staat betrifft.“45 Diese Edvard Beneš an Ministerpräsident Karl Kramář, Telegramm 14. Dezember 1918, in: ČPMK, S. 109. Berta Zuckerkandl berichtet am 10. Dezember 1918 Staatssekretär Bauer über eine Unterredung mit dem ersten Geschäftsträger der französischen Botschaft in Bern, Georges Clinchant, der sie informiert, daß das französische Außenamt in den vergangenen zwei Wochen dreimal in Prag wegen der Lebensmittelversorgung Österreichs interveniert habe. Vgl. das Schreiben in AdR, BKA/AA, NPA, Präs., Fasz. 261; dazu Gertrude Enderle-Burcel, Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1928–1938, Wien/Köln/Weimar 2018, S. 18. 41 Bericht des Gesandten de Vaux an das Staatsamt für Äußeres, Bern, 26. Dezember 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 308. 42 Telegraphische Mitteilung Beneš’ an den tschechoslowakischen Geschäftsträger in Großbritannien, S. Osusky, 22. Dezember 1918, in: ČPMK, S. 123 f. 43 Brief des Botschafters in Frankreich an die amerikanische Commission to Negotiate Peace vom 21. Dezember 1918, in: Papers relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference. Volume 2, Washington 1942, S. 688. Das Dankschreiben der Schweizer und schwedischen Vertretung in Wien übermittelte Beneš am 22. Dezember dem tschechoslowakischen Botschafter in London als Beweis für das tschechoslowakische Entgegenkommen in der Lebensmittel- und Kohlenfrage gegenüber Österreich. Vgl. ČPMK, S. 123 f. 44 Tschechoslowakisches Regierungsprotokoll vom 4. Dezember 1918, in: Raisa Machatková/Irena Malá (Hg.), Z protocolů schůzí první československé vlády 1918–1919. Edice vypraných pasaží, Prag 1974, S. 16. 45 Die Rede ist vom Militärgut in Korneuburg. Tschechoslowakisches Regierungsprotokoll vom 7. Dezember 1918, in: ebd., S. 19 f. 39 40
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Junktimierung bezog sich auf das am 13. Dezember 1918 abgeschlossene bilaterale Abkommen über den Austausch von Demobilisierungsgütern.46 Das heißt, Österreich mußte im Austausch gegen Kohle die militärische Ausrüstung zur Landnahme der Slowakei und zum Aufbau der geplanten großen Armee liefern. Der schon am 11. Dezember unterzeichnete Vertrag sicherte Österreichs Grundversorgung mit Kohle bis zum 12. Juni 1919.47 Österreich verpflichtete sich zur hundertprozentigen Kompensation in Demobilisierungsgütern wie Magnesit, Metalle, Stahl und Rotationspapier. Endlich am 15. Dezember 1918 konnte der eifrige Tagebuchschreiber Spiegelfeld aufatmen: „daß uns die Czechen doch gnädigst Kohle geben“.48 Auch der am 18. August 1919 unterzeichnete Folgevertrag für die zweite Jahreshälfte 1919 betraf den Austausch von Kohle gegen Sachleistungen in Eisenerz, Roheisen, Rohmagnesit und Gummifabrikaten.49 Im Staatsvertrag von St. Germain verpflichteten sich die Tschechoslowakei und Polen zur Versorgung Österreichs im bisherigen Ausmaß mit Kohle. Die Einhaltung dieser Bestimmung mußte von den Alliierten in den ersten Nachkriegsjahren allerdings immer wieder eingemahnt werden, weil Österreich trotz der Kohlenverträge nicht ausreichend beliefert wurde. Erst seit dem bilateralen österreichischtschechoslowakischen Vertrag vom 28. Februar 1920, wieder im Austausch von Kohle gegen Sachgüter, kann man von einer ausreichenden Kohleversorgung Österreichs sprechen. Voraussetzung dafür war die Entscheidung des tschechoslowakischen Außenministeriums vom 8. Jänner 1920 die Wirtschaftsverhandlungen „freundlich und nach der alliierten Politik zu Österreich“ zu lösen.50
Sozialpolitik Mit seiner Sozialgesetzgebung lag der Habsburgerstaat schon seit den Reformen der 1880er Jahre im mittel- und westeuropäischen Trend. Der Weltkrieg erforderte eine weitere Implantation sozialstaatlicher Elemente zur Versorgungsleistung für die Familien der Kriegsdienstverpflichteten, der Waisen und Kriegsinvaliden. Die Sozialpolitik der ersten Nachkriegsmonate befaßte sich in erster Linie mit den Folgeproblemen von Krieg und plötzlicher Demobilisierung.51 So war auch der Staatsrat mit der Vorbereitung gesetzlicher Maßnahmen für Kriegsopfer befaßt. Der „Zentralverband der deutschösterreichischen Kriegsbeschädigten“ als entsprechende Interessensvertretung wurde schon am 11. November 1918 auf einer Versammlung von Kriegsbeschädigten gegründet.52 Die Vollzugsanweisung vom 13. November 1918 gab den Gemeinden die Möglichkeit, Doppelwohnungen und unzulänglich benützte Wohnungen zwangsweise anzufordern und der Vermietung zuzuführen.53 Das Gesetz wur Das Protokoll der 6. Gesandtenkonferenz vom 17. Dezember 1918 findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 47 Neue Freie Presse. Morgenblatt, 14. Dezember 1918, S. 1 „Abschluß des Kohlenübereinkommens mit dem czecho-slowakischen Staat“ und „Uebereinkommen über die Sachdemobilisierung“. Der Vertrag liegt der 58. Staatsratssitzung vom 13. Dezember 1918 bei; Enderle-Burcel/Kubů, Handelsbeziehungen, S. 112. 48 Eintragung vom 14. November 1918, in: Egger (Hg.), „Wir gehen furchtbar ernsten Zeiten entgegen“, S. 245. 49 Enderle-Burcel/Kubů, Handelsbeziehungen, S. 117. 50 Ebd., S. 122. 51 Alfred Liebich, Begünstigende Faktoren und Maßnahmenfolge der staatlichen Sozialpolitik (Deutsch-) Österreichs im Zeitraum November 1910 bis Juli 1919, phil. Diss., Wien 1977. 52 Verena Pawlowsky/Harald Wendelin, Die Wunden des Staates. Kriegsopfer und Sozialstaat in Österreich 1914–1938, Wien/Köln/Weimar 2015, S. 199. 53 Die Tätigkeit der sozialdemokratischen Abgeordneten in der Provisorischen Nationalversammlung der Republik Deutschösterreich. Hrsg. im Auftrage des Verbandes der sozialdemokratischen Abgeordneten 46
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de tatsächlich vielfach zur Linderung der ärgsten Wohnungsnot in Anspruch genommen. Ein zentrales Anliegen war die Arbeitsplatzbeschaffung für die zu Hundertausenden aus dem Krieg ins Zivilleben zurückgekehrten Arbeiter.54 Die paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitsnehmern besetzten „Industriellen Bezirkskommissionen“ sollten mit Arbeitsnachweisstellen die Arbeitsvermittlung in die Hand nehmen. Die Arbeitslosenunterstützung und die Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit für bestimmte Dienstverhältnisse dienten zugleich dem Arbeiterschutz wie den sozialen Anliegen der davon betroffenen Arbeitnehmer. Das nach längerer Beratung im Staatsrat beschlossene Gesetz über den Achtstundentag in den fabrikmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen entsprach gleichermaßen zwei Intentionen. Es erfüllte zum einen die langjährige Forderung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung und brachte insofern einen Durchbruch gegenüber der Stagnation auf arbeitsrechtlichem Gebiet der letzten habsburgischen Geschichtsperiode, wobei die Landwirtschaft immer noch von der Regelung ausgeschlossen wurde. Zum anderen war es auch eine Notstandsmaßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Vorerst nur als Provisorium gedacht, wurde das Gesetz über den Achtstundentag im Dezember 1919 zu einer definitiven Regelung. Einige sozialpolitische Initiativen, wie das Gesetz über die Kinderarbeit, konnten auf entsprechende Vorarbeiten zurückgreifen, wobei immer noch nicht die Abschaffung der Kinderarbeit erreicht, sondern nur ihre „Auswüchse“ beseitigt wurden. Die Aufhebung der Arbeitsbücher entsprach einer alten Forderung der Arbeiterbewegung nach Beseitigung der ins Privatleben eingreifenden Kontrolle. Die große Reformperiode der staatlichen Sozialpolitik begann allerdings erst im Frühjahr und Hochsommer 1919 infolge der Stärkung der sozialdemokratischen Fraktion in der am 16. Februar 1919 gewählten Konstituierenden Nationalversammlung sowie unter dem Impuls einer erneuerungsorientierten, teils radikalen Massenbewegung. In diese Periode fiel die Einführung des Arbeiterurlaubes und der Betriebsdemokratie (Betriebsrätegesetz) als Teil einer sonst in ihrer Wirkung relativ bedeutungslos gebliebenen „Sozialisierung“.
Das Staatsgebiet Beim Staatsgebiet war zu entscheiden, wie sich eine ethnische deutsche Definition mit den Erfordernissen territorial-räumlicher Geschlossenheit in Einklang bringen ließ.55 Die Provisorische Nationalversammlung vom 21. Oktober 1918 beanspruchte im damals noch innerstaatlichen cisleithanischen Gesamtzusammenhang „die Gebietsgewalt über das ganze deutsche Siedlungsgebiet, insbesondere auch in den Sudetenländern“.56 Im Gegensatz dazu reduzierte der Staatsrat in seiner Gesetzesvorlage vom 12. November das deutschösterreichische Staatsgebiet auf das „geschlossene Siedlungsgebiet der Deutschen innerhalb der bisherigen im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“. Grundlage bildeten die Mehrheitsverhältnisse bei der Volkszählung von 1910. Auf diesem geschlossenen deutschen Siedlungsgebiet sollte Deutschösterreich „die volle Gebietsgewalt“ ausüben.57 Ergänzend
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zur Deutschösterreichischen Nationalversammlung, 11. Heft der Gesamtausgabe (Oktober 1918 bis Februar 1919), Wien 1919, S. 38. Emmerich Tálos, Staatliche Sozialpolitik in Österreich. Rekonstruktion und Analyse (= Österreichische Texte zur Gesellschaftskritik 5), Wien 1981, S. 176–182; Alfred Francis Přibram, Die Sozialpolitik im neuen Österreich, in: Archiv für Sozialgeschichte und Sozialpolitik, Nr. 48 (1920/21), S. 577–629. Hanns Haas, Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche: vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918 bis 1919, in: Hans Mommsen/Dušan Kováč/Jiří Malíř/Michaela Marek (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen, Leipzig 2001, S. 141–220. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 1. (konstituierende) Sitzung vom 21. Oktober 1918, S. 5. Vgl. ebd., Beilage Nr. 3, S. 4.
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zum Staatsgebiet definierte der Staatsrat in einer „Staatserklärung“ seine Interessen und Ansprüche über deutsche Volksgruppen und Minderheiten jenseits der Staatsgrenzen. Als „Einschlußgebiete“ wurden „die in den Siedlungsgebieten anderer Nationen eingeschlossenen, allein oder vorwiegend von Deutschen bewohnten oder verwalteten Sprachinseln, Städte, Gemeinden und Ortschaften“ Cisleithaniens genannt, welche „bis zur verfassungsund völkerrechtlichen Sicherstellung ihrer politischen Rechte einstweilen unter der Hoheit des Staates Deutschösterreich“ als dessen „zeitweiliger Rechtsbereich“ verblieben und ihre Vertretung in der Provisorischen Nationalversammlung behielten bzw. zur Konstituierenden Nationalversammlung wahlberechtigt waren. Im „Gebiete des tschechoslowakischen Staates“ waren das die böhmischen und mährischen Sprachinseln Brünn, Budweis, Deutschbrodek, Iglau-Stecken, Olmütz und Wischau; in Südslawien die krainische Gottschee und das südsteirische Cilli, sowie in der Bukowina die Stadt Czernowitz und „die deutschen Landgemeinden“. Außerdem war für das von drei Nationen besiedelte, wirtschaftlich eng verflochtene mährisch-schlesische Industriegebiet einschließlich der deutschen Sprachinsel Bielitz-Biala eine „zwischenstaatliche Verwaltung“ der Staaten Deutschösterreich, Tschechoslowakei und Polen vorgesehen. Ein eigener Passus der Staatserklärung beanspruchte zudem für die deutschsprachige Bevölkerung Westungarns – und stillschweigend der eingestreuten kroatischen und ungarischen Gemeinden – das Selbstbestimmungsrecht, ohne vorerst bis zur Friedenskonferenz die deutschösterreichische Gebietshoheit auf sie auszudehnen. Die sonstige über die ganze Habsburgermonarchie verteilte deutsche Diaspora zählte die Staatserklärung insofern zum deutschösterreichischen Interessensbereich, als sie „ihren Bestand, ihre Zukunft und ihre nationalen Beziehungen zu Deutschösterreich völkerrechtlich zu sichern“ sich bemühte. Renner setzte sich mit dieser nationalstaatlichen Konzeption nicht durch. Die Gesetzesvorlage des Staatsrats wurde in der Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 12. November zu Fall gebracht. Wie in einem virtuell verlängerten altösterreichischen Nationalitätenkampf beschuldigten die „Sprachinsulaner“ den Staatskanzler der grundlosen Preisgabe nationaler Ansprüche. Die Angelegenheit ging zurück an den Verfassungsausschuß, der nun in der Vorlage für die Parlamentssitzung vom 14. November die großen Sprachinseln Brünn, Olmütz, Iglau, die Gottschee und Cilli unmittelbar zum deutschösterreichischen Staatsgebiet zählte. Die Nationalversammlung vertagte nach langer Diskussion am 14. November die Entscheidung; die Frage pendelte zwischen Verfassungsausschuß und Staatsrat hin und her; mehrere Denkvarianten wurden abgehandelt, beispielsweise wenigstens Brünn und Olmütz aus dem Staatsgebiet auszuklammern. Die Debatte im Staatsrat vom 21. November ging quer durch die politischen Reihen: die Aufnahme der Sprachinseln ins Staatsgebiet befürworteten die liberalen Abgeordneten der mährischen deutschen Enklaven und ihre Wiener Parteigänger, die alpenländischen Christlichsozialen sowie der Wiener sozialdemokratische Abgeordnete Seitz; dagegen sprachen die deutschböhmischen Abgeordneten sowie die Sozialdemokraten Renner und Bauer. Der in der Nationalversammlung vom 22. November erzielte, wenig überzeugende Kompromiß erklärte die „deutschen Einschlussgebiete“ Brünn, Iglau und Olmütz zum österreichischen Staatsgebiet, nicht jedoch die Gottschee, die sich als eigener Staat deklarierte, und die deutsche Stadt Cilli an der Sann inmitten des kompakten slowenischen Gebietes. Der damit gesetzlich beauftragte Staatsrat erließ nach langen internen Beratungen am 3. Jänner 1919 die Vollzugsanweisung „über die das deutschösterreichische Staatsgebiet“ – somit auch der „Einschlussgebiete“ – „bildenden Gerichtsbezirke, Gemeinden und Ortschaften“. Der Gebietsanspruch orientierte sich im Detail hauptsächlich an ethnischen Mehrheiten, berücksichtigte aber im Einzelnen auch wirtschaftliche und politische Zusammenhänge. Zu diesem Zeitpunkt waren die deutschen Sudetenländer bereits tschechisch besetzt. Die Konstituierende Nationalversammlung bestätigte am 12. März 1919 das Gebietsgesetz (StGBl. Nr. 175). Das für Österreich reklamierte Westungarn der drei Komitate
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Ödenburg, Wieselburg und Eisenburg wurde erst im Laufe der Friedensverhandlungen von St. Germain Ortschaft für Ortschaft definiert.58 Rasch zeigte sich, wie irreal die Gebietsansprüche auf die Sprachinseln waren. Die Einschlußgebiete wurden nur per Gesetz, nicht aber tatsächlich ins Staatsgebiet einbezogen, weil die Staatskanzlei sonst „die finanzielle Verantwortung für den ganzen Beamtenapparat von Brünn, Olmütz und Iglau“ hätte übernehmen müssen.59 Der sudetenländische Landeshauptmann Robert Freißler weigerte sich, Olmütz in die Landesverwaltung zu übernehmen, „weil die Deutschen dort nicht den geringsten Einfluss hätten“.60 Auch gegenüber dem Ausland wurde der Anspruch auf die Sprachinseln stillschweigend aufgegeben. Die „Denkschrift“ des deutschösterreichischen Außenamtes vom 25. Dezember 1918 an alle in Wien vertretenen neutralen Staaten und an die Siegermächte beanspruchte nur noch die deutschen Alpenländer sowie das geschlossene deutsche Sprachgebiet der böhmischen Länder.61 Die am 5. Mai 1919 vom Hauptausschuß der Konstituierenden Nationalversammlung beschlossene „Instruktion für die Delegation zum Pariser Friedenskongreß“ verzichtete auf die Souveränität über die Auslandsdeutschen. Wörtlich hieß es: „Was die Einschlussgebiete anbelangt, insbesondere die mährischen, sind besondere Schutzbestimmungen zunächst nur für die Sprachinseln zu fordern, dagegen nicht für nationale Minderheiten im eigentlichen Sinne“, um Rückwirkungen auf Österreich und Minderheitenschutz für die Wiener Tschechen zu vermeiden. Für das „Ostrauer Kohlenrevier“ wurde eine Internationalisierung verlangt.62 Die Friedensdelegation hielt sich an diese Vorgaben. Die am 15. Juni 1919 der Konferenz überreichte „Note über Deutschböhmen, Sudetenland und die Neutralisation des Beckens von Ostrau“ sowie die Note vom 16. Juni „über die Grenzen Deutschösterreichs“ ließen die Einschlußgebiete unerwähnt.63 In der Abschlußphase der Friedensverhandlungen reduzierte die Delegation ohnehin ihre Gebietsforderungen in den böhmischen Ländern auf die unmittelbar an Nieder- und Oberösterreich anschließenden deutschen Randzonen. Ihr bei dieser Gelegenheit entwickeltes Modell einer „Kantonalverwaltung für den tschechoslowakischen Staat“ nach ethnischen Gesichtspunkten hatte keine Realisierungschance.64 Lediglich die aus dem ungarischen Erbe stammende Karpatho-Ukraine erhielt einen gewissen Sonderstatus im tschechoslowakischen Staatsverband. Die von den habsburgischen Nachfolgestaaten, ausgenommen Italien, in St. Germain am 2. September 1919 unterzeichneten Minderheitenbestimmungen gewährten immerhin den kompakt in administrativen Einheiten (Bezirken) siedelnden Volksgruppen gewisse Sonderrechte in Bezug auf Schule und Amt in der Muttersprache. Eine solche minimale Regelung konnte die Interessen der dreieinhalb Millionen Deutschen in der Tschechoslowakei nicht befriedigen, das wußte auch die Minderheitenschutzkommission Note über die Grenzen Deutschösterreichs vom 16. Juni 1919, Territoriale Anmerkungen, in: Bericht über die Tätigkeit der deutschösterreichischen Friedensdelegation in St. Germain-en-Laye. II. Band (Konstituierende Nationalversammlung Nr. 379 der Beilagen), Wien 1919, S. 143 f. 59 SRP Nr. 44 vom 25. November 1918. 60 SRP Nr. 44 vom 25. November 1918. 61 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 316–328, hier S. 319 f. 62 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 2: Im Schatten von Saint-Germain. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1994, S. 162. 63 Die Note enthielt das „Memorandum der Vertreter der deutschen Sudetenländer in Erwiderung auf die Friedensbedingungen der alliierten und assoziierten Mächte“, in: Bericht über die Tätigkeit der deutschösterreichischen Friedensdelegation in St. Germain-en-Laye. I. Band (Konstituierende Nationalversammlung Nr. 379 der Beilagen), Wien 1919, S. 93–97; Note vom 16. Juni, in: ebd., S. 128–163. 64 Beilage zur Note vom 20. Juli 1919, in: Bericht. II. Band, S. 338–341. 58
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der Friedenskonferenz. Sie verließ sich auf das politische Geschick und das Versprechen des tschechoslowakischen Außenministers Beneš, im Interesse des staatlichen Zusammenhangs über die formalen Minderheitenschutzbestimmungen hinaus, entsprechende zufriedenstellende Bedingungen zu schaffen.65 Obwohl die Tschechoslowakei de facto ein Vielvölkerstaat mit knapper Mehrheit der konstruierten „tschechoslowakischen“ Sprache war, argumentierte Außenminister Beneš im diplomatischen Verkehr mit der Formel vom national homogenen Staat.66 Die deutschösterreichischen Gebietsforderungen basierten zwar grundsätzlich auf ethnischen Mehrheitsverhältnissen, wurden aber im Detail durch wirtschaftliche, topographische, administrative und verkehrspolitische Argumente ergänzt. Mit dieser erweiterten Selbstbestimmungskonzeption beanspruchte die Kärntner Landesversammlung im Beschluß vom 11. November 1918 die historische Einheit des zweisprachigen Landes Kärnten. Kärnten wurde nach dieser Definition „durch das geschlossene deutsche Siedlungsgebiet des ehemaligen Herzogtums und jene gemischtsprachigen Siedlungsgebiete dieses Herzogtums gebildet, die sich auf Grund des Selbstbestimmungsrechtes ihrer Bewohner dem Staatsgebiete des Staates Deutsch-Österreich verfassungsmäßig anschließen“.67 Die Staatskanzlei schloß sich mit ihrer Gesetzesvorlage für die Provisorische Nationalversammlung vom 13. November 1918 dieser Argumentation an, wenn sie ganz Kärnten wegen seiner topographischen und wirtschaftlichen Einheit und wegen der entschieden proösterreichischen Haltung auch seiner slawischen Bewohner forderte – und zwar mit Ausnahme der südlich der Karawanken liegenden Gemeinde Seeland, aber ergänzend der mehrheitlich deutschsprachigen, damals krainischen Gemeinde Weißenfels/Bela Peč, Fusine in Valromana. Bald jedoch zeigte sich, daß die Gebietsgewalt über ganz Kärnten nicht zu halten war. Jugoslawische Truppen besetzten im Laufe des Monats November sukzessive das Mießtal, das Rosental bis Rosegg, bis zum 8. Dezember Völkermarkt, Lavamünd, Griffen, Unterdrauburg, St. Paul und Tainach und am 11. Dezember erreichten sie durch den Karawankentunnel Rosenbach. Die militärischen Abwehrmaßnahmen konnten vorläufig diese Verschiebung der Machtverhältnisse nicht abwehren. Am 23. November kam es zu einem Übereinkommen mit dem slowenischen Militärbevollmächtigten, das die slowenische militärische Verfügungsgewalt über Kärnten südlich der Drau, im Westen anschließend an das italienische Besatzungsgebiet bei Thörl, bestätigte.68 Die Provisorische Nationalversammlung paßte ihre Gebietsansprüche in Kärnten diesen geänderten Machtverhältnissen an, indem sie im Gebietsgesetz vom 22. November 1918 Kärnten nur „mit Ausschluß des geschlossenen jugoslawischen Siedlungsgebietes verlangte“, wozu der Staatsrat jedoch am nächsten Tag beschloß: „Bezüglich der Abgrenzung im Süden die schwebenden Verhandlungen mit den Jugoslaven abzuwarten.“69 Doch ein Ausgleich der beiderseitigen Interessen war nicht zu vermitteln, weil die slowenischen bzw. seit der Vereinigung von Serben, Kroaten und Slowenen am 1. Dezember jugoslawischen Ansprüche weit über das mehrheitlich slowenische Gebiet hinausreichten. Ein in Marburg/Maribor am 27. November 1918 unterzeichneter Vertrag zwischen dem slowenischen General Rudolf Majster und Oberst Rudolf Passy vom Militärkommando Graz sollte St. Paul im Lavanttal, Feldkirchen, Villach und Hermagor dem jugoslawischen Hermann Raschhofer, Die tschechoslowakischen Denkschriften für die Friedenskonferenz von Paris 1919/1920 (= Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht 24), Berlin 1937, S. 101 f. 66 Eduard Beneš an Winston S. Churchill am 19. Juli 1919, in: Martin Gilbert (Hg.), Winston S. Churchill, Band 4.2, Documents July 1919–March 1921, London 1977, S. 750. 67 Martin Wutte, Kärntens Freiheitskampf (= Kärntner Forschungen 1),Weimar 1943, S. 76. 68 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 176 f. 69 SRP Nr. 43/4 vom 23. November 1918. 65
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Staat ausliefern. Passy war jedoch zu solchen Zugeständnissen nicht legitimiert. Nach Protesten der Kärntner Landesregierung und der deutschösterreichischen Regierung wurde der Vertrag annulliert. Das von Passy unbefugter Weise abgeschlossene Marburger Abkommen, das Kärnten förmlich geteilt hätte, brachte im Staatsrat die entscheidende Wende.70 Jetzt, wo es um überwiegend deutschsprachige Territorien ging, engagierten sich – wie bisher schon in den böhmischen Ländern – auch die Sozialdemokraten. Die Einsprüche Bauers in Laibach verhinderten die drohende militärische Auseinandersetzung. Es ist wahrscheinlich gelungen, „das Unglück im letzten Augenblick zu verhüten“, hoffte Bauer entsprechend den allerjüngsten Nachrichten.71 Mit Interventionen in Laibach und Agram versuchte Bauer eine Demarkationslinie zustande zu bringen.72 In dieser Situation war der Staatssekretär auch bereit, den Konflikt zu internationalisieren. Obwohl er sonst die Intervention alliierter Truppen in österreichische Verhältnisse unter allen Umständen vermeiden wollte und diesbezügliche deutschböhmische Ansinnen ablehnte, regte er in diplomatischen Noten vom 1. bis zum 11. Dezember die Neutralisierung der Kärntner Konfliktzonen durch amerikanische, respektive amerikanische und britische Truppenkontingente an.73 Unter dem Druck der militärischen Machtverhältnisse konnte die Kärntner Landesregierung eine „Teilung Kärntens“ nicht mehr ausschließen.74 Ihre territorialen Minimalforderungen – die „unabweislichen Forderungen“ – hat auf Verlangen des Außenamtes eine Anfang Dezember 1918 vom Kärntner Historiker Martin Wutte verfaßte und vom Landesverweser Arthur Lemisch unterzeichnete „Denkschrift über die Möglichkeit einer Teilung Kärntens“ zusammengefaßt. Auch sie schloß den Verzicht auf die drei Gerichtsbezirke Bleiburg, Eberndorf und Eisenkappel nicht aus, während sie die mehrheitlich deutschsprachige Umgebung der Landeshauptstadt Klagenfurt und den allerdings nur zu einem Drittel deutschsprachigen Bezirk Völkermarkt für Kärnten erhalten wollte. Auch eine Abtretung des oberen Rosentales mit den überwiegend slowenischsprachigen Gemeinden Ledenitzen und St. Jakob, nicht jedoch des unteren Rosentals und Rosenbachs, wurde ins Auge gefaßt.75 Obwohl die Denkschrift vorrangig mit ethnischen Mehrheitsverhältnissen argumentierte, ließ sie dennoch auch natürliche Gegebenheiten (Draugrenze) und wirtschaftliche Zusammenhänge respektive Marktbeziehungen zur Geltung kommen. Es ist aufschlußreich, daß sie sich dabei nicht auf eine ethnische Auslegung des „nationalen Selbstbestimmungsrechtes“, sondern auf Präsident Wilsons „Vier Punkte“ vom 11. Februar 1918 berief, „wonach jede Lösung einer Gebietsfrage im Interesse und zu Gunsten der betroffenen Bevölkerung getroffen werden SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. Ebd. 72 Bauer an die Nationalregierungen in Laibach und Agram, 1. Dezember 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 225 f. 73 Vgl. dazu die Fußnoten zu SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 74 Ulfried Burz, Historiographische Bruchlinien zwischen Wien und Kärnten – Dokumente zur „Abwehrkampf“-These, in: Hellwig Valentin/Susanne Haiden/Barbara Maier (Hg.), Die Kärntner Volksabstimmung 1920 und die Geschichtsforschung. Leistungen, Defizite, Perspektiven, Klagenfurt 2001, S. 113–126, hier S. 121; Hanns Haas, Die Wiener Regierung und die Frage Kärnten 1918–1920, in: Kärnten. Volksabstimmung 1920. Voraussetzungen. Verlauf. Folgen, Wien/München/ Kleinenzersdorf 1981, S. 29–56, hier S. 31; Arnold Suppan, Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im europäischen Umfeld (= Veröffentlichungen des österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 14), Wien 1996, S. 504–511. 75 Claudia Fräss-Ehrfeld, Geschichte Kärntens 1918–1920. Abwehrkampf – Volksabstimmung – Identitätssuche, Klagenfurt 2000, S. 79; Arnold Suppan, Ethnisches, ökonomisches oder strategisches Prinzip? Zu den jugoslawischen Grenzziehungsvorschlägen gegenüber Österreich im Herbst und Winter 1918/19 mit einer Karte, in: St. Germain 1919 (= Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Kommission 11), Wien 1989, S. 112–179, hier S. 134; Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 301–307. 70 71
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muss“.76 Im Übrigen wollte der Kärntner Landesausschuß die Denkschrift möglichst rasch zu Präsident Wilson nach Paris überbringen lassen, da er in Erfahrung gebracht hatte, daß Laibach demnächst zwei Vertreter zu Wilson nach Paris in Angelegenheit Kärnten entsende. Das Staatsamt für Äußeres ließ die mit 15. Dezember datierte Denkschrift zwar ins Englische übersetzen, unterließ es aber, in der aktuellen ungeklärten Lage einen solchen Gebietsverzicht vor aller Welt auszusprechen. 77 Doch alle diplomatischen Anstrengungen waren vergebens. Bei den nächsten bilateralen Unterhandlungen in Marburg unter Beteiligung von Kärntner Politikern vom 9. bis zum 11. Dezember war kein Abkommen zu erzielen. Im Gegenteil, jetzt nach dem Zusammenschluß Sloweniens mit Serbien und Kroatien zum SHS-Königreich erklärte sich die slowenische Seite dazu autorisiert, ihre Kärntner Maximalforderungen durchzusetzen. Und diese betrafen das Gailtal ab Hermagor sowie das ganze Kärntner Zentralgebiet einschließlich Klagenfurt und Villach.78 Das führte infolge des Beschlusses der Kärntner Landesversammlung vom 5. Dezember, künftig „den eindringenden jugoslawischen Truppen entgegenzutreten“, unvermeidlich zur Konfrontation.79 Solche lokalen Abwehrmaßnahmen zum Schutz tatsächlich deutschsprachigen Gebietes entsprachen durchaus den Intentionen des Staatrates, wobei die Regierung wegen des Waffenstillstandes von Villa Giusti mit den Alliierten nicht selbst eingreifen konnte. So war es schon im Sudetenkonflikt, wo Wien sogar trotz tschechoslowakischer Warnung mit Waffen aushalf und nach Südmähren Wiener Volkswehreinheiten entsandte. Die Frage war nur, ob Kärnten dafür ausreichend gerüstet war. Das bezweifelte eine nach Wien entsandte Offiziersdelegation, und auf sie berief sich Bauer, als er am 7. Dezember vom bewaffneten Widerstand abriet.80 Der nächste Konflikt zeichnete sich mit der Besetzung der nur 15 km von Klagenfurt entfernten Gemeinde Grafenstein durch slowenisches Militär unter Führung serbischer Offiziere ab. „Eigene“ Kärntner Truppen umzingelten den Ort und zernierten Offiziere und Mannschaft.81 Was im Bericht der Kärntner Landesregierung an das Außenamt wie ein sauberes militärisches Geschehen klingt, endete in der Realität in einer gewaltsamen Vertreibung des Priesters vom Gottesdienst.82 Das Außenamt wollte auch in dieser Situation einen „bewaffneten Konflikt“ vermeiden und billigte das Vorhaben des Landesausschusses, die gefangenen Offiziere und Mannschaften mit ihren Waffen dem nächsten Ententekommando zu übergeben.83 Auch die verbale Zurückweisung der Laibacher Ansprüche „betreffend Besetzung von Grafenstein“ durch die Kärntner Landesregierung wurde von Staatssekretär Bauer „mit lebhafter Zustimmung zur Kenntnis“ genommen. Damit bestätigte er die Legitimität der bewaffneten Verteidigung eines Ortes, der von der Kärntner Landesregierung als deutsch und von der slowenischen als slowenisch beansprucht wurde.84 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 302. Wilsons 4 Punkte finden sich in: Harold W. V. Temperley, A history of the Conference of Paris, Band 1, Washington 1920, S. 439. 77 Die Kärntner Denkschrift vom 15. Dezember mit Vermerk des Staatsamtes für Äußeres findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Fasz. 102, Zl. 3.888/1/1918. 78 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 295–300. 79 Kärntner Landesausschuß an den Staatsrat, 5. Dezember 1918, in: ebd., S. 267. 80 Bauer an Kärntner Landesregierung, 7. Jänner 1919, in: ebd., S. 268 f. 81 Bericht des Kärntner Landesausschusses an das Staatsamt für Äußeres, 15. Dezember 1918, in: ebd., S. 294. 82 Note des slowenischen Präsidenten Pogačnik an das dö. Staatsamt für Äußeres, 27. Dezember 1918, AdR, BKA/AA, NPA, fol. 157–172, Zl. 5.090/1918. 83 Telegramm vom 20. Dezember 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918– 1938 (ADÖ). Band 1, S. 313 f. 84 Telegramm vom 20. Dezember 1918, in: ebd., S. 312; der Telegrammwechsel Klagenfurt-Laibach findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Fasz. 801, Zl. 3.529/1918. 76
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Bauer nahm die jüngste Konfrontation zum Anlaß, über die Schweizer Gesandtschaft erneut bei den Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens die Neutralisation des umstrittenen Kärntner Gebietes durch amerikanische oder britische Garnisonen für Klagenfurt und Villach zu erbitten, um die Ordnung zu garantieren und dazu beizutragen, die Ausbreitung anarchistischer und bolschewistischer Anarchie zu verhindern – eine Angleichung an den zeitgenössischen alliierten Sprachgebrauch.85 Bei dieser Sprachregelung gegenüber dem Ausland ist Bauer auch künftig geblieben, obwohl die Defensive mittlerweile in eine Rückeroberung Unterkärntens gewechselt hatte: Österreich bedauere zwar den bewaffneten Konflikt, doch sei die Staatsregierung in dieser angespannten Lage nicht in der Lage, die Selbstschutzmaßnahmen („les actions spontanées“) der lokalen deutschen Bevölkerung gegen die Eindringlinge („contre les envahisseurs“) zu verhindern. Die Regierung verlange daher erneut die Neutralisierung durch Besetzung.86 Intern aber blieb die Kritik gegen die Aufkündigung des Demarkationslinienvertrages am 2. Jänner 1919 und die Rückeroberung Unterkärntens nicht aus. Der sozialdemokratische Abgeordnete Florian Gröger verlangte in der Sitzung der Landesregierung vom 11. Jänner 1919, „daß der Standpunkt der Unteilbarkeit des Landes Kärnten aufgegeben werden muß und danach getrachtet werden muß, die Verhandlungen [mit jugoslawischen Vertretern in Graz] zu einem günstigen Ergebnis zu bringen, damit in dem armen Land Kärnten endlich die notwendige Ruhe einzieht“.87 Auch von Seiten der Kärntner Christlichsozialen und Sozialdemokraten gab es Opposition gegen die Ausdehnung des Gebietsanspruches auf das mehrheitlich slowenischsprachige Unterkärnten. Staatssekretär Bauer bekannte sich auch gegenüber dem slowenischen Präsidenten Josip Pogačnik und dem kroatischen Nationalrat am 10. Jänner 1919 noch einmal zu einer provisorischen Demarkationslinie entsprechen den ethnischen Mehrheitsverhältnissen.88 Selbst die Kärntner Landesregierung begründete in einer Note vom 8. Jänner an die Laibacher Regierung noch ihre Militäraktion als Antwort auf die jugoslawischen Übergriffe auf rein deutsche Gebiete und die Landeshauptstadt, nicht ohne aus der nunmehr erreichten Stärke heraus den Anspruch auf ganz Kärnten vor der Begehrlichkeit der Krainer Landesregierung zu erneuern.89 In dieser Sichtweise wurde der ethnische Konflikt in eine Auseinandersetzung zwischen zwei Ländern umgedeutet. Unter diesen Voraussetzungen kam kein dauerhafter Waffenstillstand zustande. Erst das Eingreifen der in Wien etablierten amerikanischen Studienkommission in die Grazer Waffenstillstandsverhandlungen brachte eine bilaterale „Regelung militärischer, politischer, wirtschaftlicher und verkehrstechnischer Fragen“ vom 22. Jänner 1919 zustande, in der sich alle Beteiligten, die deutschösterreichische Regierung samt der Kärntner Landesregierung und die slowenische Regierung zur Anerkennung einer Demarkationslinie verpflichteten, die die Kommissionsmitglieder nach Prüfung der Verhältnisse vor Ort bestimmten.90 Welchen Einfluß die Berichterstattung der Studienkommission auf die Entscheidung der Pariser Friedenskonferenz in der Kärntenfrage hatte, ist in der Forschung umstritten. Die österreichischen Gebietsansprüche haben sich jedenfalls den aktuellen Machtverhältnissen angepaßt. Schon die Vollzugsanweisung des Staatsrates über das deutschösterreichische Anspruchsgebiet vom 3. Jänner 1919, StGBl. Nr. 4, erfaßte wiederum ganz Kärnten „mit Ausnahme der Gemeinde Seeland des Gerichtsbezirkes Eisenkappel und Staatssekretär Bauer an die Schweizer Gesandtschaft, 30. Dezember 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 313 f. 86 Bauer an die Missionen der neutralen Staaten und die deutschösterreichischen Bevollmächtigten, 13. Jänner 1919, in: ebd., S. 374 f. 87 Brief an Otto Bauer vom 11. Jänner 1919, AdR, BKA/AA, NPA, fol. 840–843, Zl. 483/Präs. 88 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 370. 89 Vgl. ebd., S. 356–367. 90 Vgl. ebd., S. 407 f. 85
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unter Angliederung der Gemeinde Weißenfels aus Krain (Gerichtsbezirk Kronau)“. Auch die Vorläufige Kärntner Landesversammlung kehrte wieder zur ursprünglichen Grenzkonzeption zurück und hat am 19. Februar 1919 „nach Einholung der Meinung der Vertreter der politischen Parteien den Beschluß gefaßt, auf dem Standpunkt des Selbstbestimmungsrechtes der Bevölkerung, welche in ihrer übergroßen Mehrheit die Unteilbarkeit Kärntens verlangt, zu beharren“.91 Dieser Linie folgte fortan auch die Staatsregierung bei den Friedensvertragsverhandlungen in St. Germain. In der am 16. Juni überreichten Denkschrift über die Grenzen Österreichs heißt es: „Besonders Kärnten bildet in seiner Gesamtheit ein Becken, von welchem kein einziger Teil abgetrennt werden könnte, ohne seine Existenzbedingungen schwer zu schädigen.“ Diese enge Bindung sei „bewusstseinsbildend auch für die slowenische Bevölkerung geworden“.92
Steiermark Auch die deutschösterreichischen Gebietsansprüche in der Steiermark orientierten sich hauptsächlich an ethnischen Gegebenheiten. Damit war der Verzicht auf die überwiegend slowenisch besiedelte Untersteiermark vorgegeben; auch die „Einschlußgebiete“ Gottschee und Cilli wurden im Gebietsgesetz fallengelassen. Mit einer Kombination aus ethnischen und wirtschaftlichen Überlegungen begründete die Vollzugsanweisung des Staatsrats vom 3. Jänner 1919 jedoch die Einbeziehung der gemischtsprachigen Gerichtsbezirke Mahrenberg/ Radje ob Dravi, Marburg und Pettau/Ptuj, ferner Oberradkersburg/Gornja Radgona im gleichnamigen Gerichtsbezirk sowie alle Gemeinden des Bezirkes Radkersburg mit Ausnahme von Plippitzberg/Plitcički vrh ins deutschösterreichische Staatsgebiet. Die Verhältnisse dieser Zone entsprachen der typischen ethno-sozialen Struktur von Mischgebieten: die Städte und Zentralorte überwiegend deutsch, das umliegende Land slowenisch. Schon seit Jahrzehnten beschleunigten politische Kontroversen die hier ablaufenden wechselseitigen Assimilationsprozesse. Die restriktive Sanktionierung systemkritischer Äußerungen im Weltkrieg hatte in der Steiermark den nationalen Antagonismus noch verstärkt. Obwohl sie sich auch gegen Deutsche richtete, betraf sie doch in besonderem Ausmaß den katholischen slowenischen Klerus. Eine Flut von Fallbeispielen präsentierten die slowenischen Abgeordneten nach der Wiedereinberufung des Reichsrates 1917 der breiten Öffentlichkeit. Zuerst die politische Elite und schließlich auch die breite slowenische Bevölkerung der Untersteiermark distanzierten sich zunehmend von den steirischen und österreichischen Traditionsbindungen.93 In der Stunde der Niederlage separierten sich endgültig die nationalen politischen Milieus. Das umstrittene Gebiet war schon großteils seit Kriegsende von slowenischen Militärformationen besetzt, und zügig ernannte der in Marburg konstituierte Slowenische Volksrat auch in der staatlichen Lokalverwaltung slowenische Funktionäre,94 mit allen Folgen, die sich aus dem Nebeneinander von alten und neuen Strukturen, von Militär und Gemeinde ergaben.95 Die steirische Landesregierung nahm in ihrer Schockstarre diese Machtverschiebungen zur Kenntnis, und auch die Staatsregierung akzeptierte sie, unbeschadet der Erwartung einer Grenz Wutte, Freiheitskampf, S. 134. Bericht. I. Band, S. 139. 93 Martin Moll, Kein Burgfrieden. Der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt in der Steiermark 1900–1918, Innsbruck/Wien/Bozen 2007. 94 Martin Moll, Die „blutende Wunde“ im Süden. Eine neue Grenze entsteht, in: Alfred Ableitinger (Hg.), Bundesland und Reichsgau. Demokratie, „Ständestaat“ und NS-Herrschaft in der Steiermark 1918 bis 1945 (= Geschichte der Steiermark. Herausgegeben von der historischen Landeskommission für Steiermark Band 9/1), Wien/Köln/Weimar 2015, S. 189–316, hier S. 295. 95 SRP Nr. 40 vom 20. November 1918 (Bericht Otto Bauers). 91 92
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regelung durch die Sieger entsprechend dem Selbstbestimmungsprinzip. Einen erträglichen modus vivendi im bilateralen deutschösterreichisch-slowenischen Verhältnis glaubte man mit dem Übereinkommen vom 7. November 1918 zur Regelung verkehrs- und wirtschaftspolitischer Fragen erreicht zu haben.96 Das deutschösterreichisch kontrollierte Spielfeld lag an der Grenze der beiderseitigen Einflußgebiete. Doch in der dritten Novemberwoche erweiterte die südslawische Seite durch Militäraktionen ihr aktuell beanspruchtes Hoheitsgebiet, was nun unbestritten überwiegend deutschsprachiges Gebiet betraf, und daher, wie bei Kärnten, nun auch von der deutschösterreichischen Regierung strikt zurückgewiesen wurde.97 Ein Streik des Marburger deutschen Südbahnpersonals vom 29. November bis zum 14. Dezember wegen der Entlassung und Ausweisung deutscher Eisenbahner brachte zeitweise den gesamten Verkehr auf der für die Versorgung Österreichs so wichtigen Transitlinie Wien–Triest zeitweise zum Erliegen.98 Der vom Personal verlangte „Treueeid“ auf den slowenischen Staat verzögerte die Beilegung des Streiks bis zum Laibacher deutsch-österreichisch-jugoslawischen Abkommen vom 12. Dezember 1918. Immerhin war es fürs erste gelungen, die verkehrs- und wirtschaftspolitischen Fragen aus dem nationalen Kontext herauszulösen und „die Entscheidung über die Grenzen“ dem Friedensvertrag vorzubehalten.99 Aus Anlaß der Anwesenheit einer amerikanischen fact-finding Mission unter ihrem Vertreter Oberst Sherman Miles eskalierte die Lage im sogenannten Marburger Blutsonntag vom 17. Jänner 1919 mit Schüssen jugoslawischer Einheiten in eine Massendemonstration deutscher Marburger und dem Tod von elf Demonstranten. Endlich brachte der Waffenstillstand vom 13. Februar 1919 ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen. Er bestätigte allerdings alle slowenischen Maximalansprüche inklusive Radkersburg. Ihm vorgelagert war noch ein mehrere Kilometer breiter neutraler Gürtel auf heute österreichischem Gebiet. Auf der Friedenskonferenz verschnürte die österreichische Delegation alle südlichen Grenzprobleme in der Forderung nach einer ökonomisch und verkehrspolitisch durchgehenden Bahnlinie vom Südtiroler Vintschgau über Bozen, Eisacktal, Pustertal und Drautal „bis in die Gegend der ungarischen Grenze“. Doch nur das Kärntner Mittelstück blieb Österreich erhalten, und von den steirischen Forderungen immerhin Radkersburg und Leutschach.100
Die Nordprovinzen Nicht weniger komplex war die Lage in den böhmischen Ländern mit dem „Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche“ zwischen Tschechen und Deutschen. Während die tschechoslowakische Regierung die Gebietsgewalt über die böhmischen Länder in ihrer Gesamtheit beanspruchte, reklamierten die politischen Repräsentanten der deutschen Gebiete für diese das Selbstbestimmungsrecht. Deutschböhmische Abgeordnete des altösterreichischen Abgeordnetenhauses versammelten sich am 29. Oktober in Wien als „Vorläufige deutschböhmische Landesversammlung“ und erklärten „Deutschböhmen zur eigenständigen Provinz Deutschösterreichs“. Dieser Initiative folgte am 30. Oktober gleichfalls in Wien die Konstituierung des „Sudetenlandes“ aus den deutschen Teilen Schlesiens, Nordmährens und Ostböhmens. Der am 3. November in Znaim von sechs deutschen Reichsrats- und Landtagsabgeordneten gebildete „Deutsch-Südmährische Kreis“ sollte als eigene Verwaltungseinheit dem Land Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 102–108. Vgl. ebd., S. 226. 98 Sonja Schneller, Die Auswirkungen des Zerfalls der Habsburgermonarchie auf das Eisenbahnwesen der Nachfolgestaaten (1918–1923) mit besonderer Berücksichtigung Österreichs, phil. Diss., Wien 1986, S. 86–91. 99 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 283–287. 100 Denkschrift über die Grenzen Deutschösterreichs, 16. Juni 1919, in: Bericht. I. Band, S. 139. 96 97
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Niederösterreich angeschlossen werden. Der von einem privaten Verein, der „Hilfsvereinigung für Südböhmen“ gebildete „Böhmerwaldgau“ sollte an Oberösterreich, Neubistritz an Niederösterreich angegliedert werden.101 Nach reiflicher Überlegung beschloß der Staatsrat am 9. November auf Drängen einer „deutschböhmischen Lobby“ aus Sozialdemokraten und Deutschnationalen die „Aktivierung der zwei nördlichen Länder Deutschösterreichs“, also die faktische Gebietsübernahme.102 Zügig wurden die entsprechenden staatlichen Einrichtungen per Gesetz beschlossen, beispielsweise Finanzlandesdirektionen, Staatsbahndirektionen, die Zuständigkeit der Kreisgerichte festgelegt usw. Parallel dazu etablierten sich die beiden Landesversammlungen und die Landesregierung in Reichenberg für Deutschböhmen und Troppau für das Sudetenland und die entsprechenden Einrichtungen bis hinunter zur Gemeindeebene sowie die Bezirksnationalausschüsse. Als schwierig erwies sich der Aufbau der Lokalverwaltung im Znaimer Kreis und im Böhmerwaldgau. Für den Aufbau der Administration erhielten die Nordprovinzen vom Staatsrat eine Dotierung von 200,000.000 Kronen. Auch die temporäre Gefährdung der Sicherheit durch Plünderungen in Aussig besserte sich nach dem Aufbau einer rudimentären Wehrorganisation. An den deutsch-tschechischen Kontaktzonen ergaben sich jedoch von Anfang an Konflikte um Zuständigkeiten. Verunsicherung brachte vor allem die verlangte Angelobung von Staatsfunktionären, regional auch von Gemeindevertretungen, auf den tschechoslowakischen Staat.103 Ein spezielles Kapitel bildete die Finanzverwaltung. Der Staatsrat veranlaßte zwar die Geldüberweisungen der Österreichisch-Ungarischen Bank für Unterhaltszahlungen nach Prag, doch die tschechoslowakische Administration verweigerte die anteilmäßige Überweisung an die deutschen Landesteile, sodaß an diese erneut eine Anweisung erfolgen mußte. Die Postverbindungen mit Reichenberg wurden zensuriert und unterbrochen, was den Umweg über Bayern erforderte. Einige Abgeordnete kamen kurzzeitig in tschechoslowakischen Gewahrsam. Am 18. und 24. November protestierte Staatssekretär Bauer gegen Übergriffe des tschechoslowakischen Militärs und „bewaffneter Truppen“ in West- und Nordböhmen sowie in Schlesien.104 Damit kündigte sich eine neue tschechoslowakische Gangart an. Der konsequente deutschösterreichische Aufbau der Nordprovinzen störte das Konzept einer administrativen Durchdringung und weitgehend gewaltfreien Besetzung der sudetendeutschen Gebiete. Die Deutschen sind „in ihrer Unbotmäßigkeit zu weit gegangen“, indem sie Bezirkshauptleute ernannten und sogar im Begriff seien, „ein Heer aufzustellen“, ließ ein Beamter des Außenministeriums den reichsdeutschen Vertreter in Prag Fritz Frh. von Gebsattel wissen.105 Ministerpräsident Kramář zeigte sich in einem Schreiben vom 15. November 1918 an Beneš in Paris ernsthaft alarmiert. „Die Frage Deutschböhmen [der Begriff in deutscher Sprache!] ist jetzt höchst akut. Es herrschte eine ausreichend gute Stimmung unter den Deutschen. Aber in jüngster Zeit erheben sie gewissermaßen wieder das Haupt und glauben, die gute Entente unter der Führung Wilsons gibt ihnen alles, jetzt, wo [Kaiser] Wilhelm gestürzt, sogar das ver Haas, Im Widerstreit, S. 158 f. SRP Nr. 28 vom 9. November 1918, in: Der österreichische Staatsrat. Band 1, S. 324. 103 Staatssekretär Bauer an die tschechoslowakische bevollmächtigte Vertretung, 18. November 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 156 f. 104 Vgl. ebd., S. 156 f und S. 178–181. 105 Bericht Gebsattls vom 23. November 1918, in: Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag, Innenpolitik und Minderheitenprobleme in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Teil I. Von der Staatsgründung bis zum ersten Kabinett Benesch 1918–1921, Berichte des Generalkonsuls von Gebsattel, des Konsuls König und des Gesandten Professor Saenger, ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Manfred Alexander (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 49/I), München/Wien 1983, S. 94. 101 102
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einte Deutschland. Und unsere Deutschen sehen sich bereits in der deutschen Republik.“106 Tags darauf hoffte Kramář vergeblich auf ein Übereinkommen mit den Deutschböhmen. An Beneš schrieb er: „Ich werde trachten, in Kürze mit Lodgman zu sprechen, der bei den Deutschen noch der am meisten verständige ist.“107 Dazu kam es gewiß nicht. Am 24. November schrieb der Ministerpräsident an Beneš über die jüngsten Entwicklungen. „Ich habe einen Brief von Tusar erhalten, der sehr pessimistisch ist. Er hat besonders Angst vor einer deutschösterreichischen Gebietsorganisation, wenn die Wahlen für die Nationalversammlung auch in den tschechoslowakischen Bezirken abgehalten werden. Das ist richtig – das werden wir nicht zulassen. Die Wahlen finden allerdings schon im Jänner statt, und bis dahin hoffe ich, dass doch ein verbindliches Übereinkommen zustande kommt, dass Böhmen, Mähren und Schlesien keineswegs geteilt werden. Ich sage es noch einmal: Wissen Sie denn nicht, wie schlecht es uns geht! Und rasche Hilfe ist vonnöten. Kategorische und klare Erklärung der Entente, und Militär!!“108 Kurz gesagt, der demokratische Prozeß der Landesbildung sollte mit Billigung der Entente gewaltsam abgebrochen werden. Eine rasche militärische Lösung verlangte auch der zweite tschechoslowakische Repräsentant in Wien, Robert Flieder, im Schreiben vom 28. November 1918 an Kramář: „Der deutsch-österreichische Staat ist bestrebt, sich in Eile noch vor der Friedenskonferenz zu organisieren. […] Österreich will die Wahlen zur Konstituante Ende Jänner nicht nur im deutschen Böhmen, Mähren und Schlesien, sondern auch in Brünn, Olmütz und Iglau abhalten. Wenn wir dem nicht rechtzeitig vorbeugen, werden wir noch auf der Friedenskonferenz vor dem Problem stehen.“ Es müsse also getrachtet werden, „dass noch vor Abhaltung der Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung die Besetzung Nordböhmens und der deutschen Gebiete Mährens und Schlesiens durchgeführt wird. […] Geschieht diese Besetzung nicht rechtzeitig, sind wir ernsthaft bedroht.“109 Tatsächlich verbesserte sich die militärpolitische Lage der Tschechoslowakei sehr rasch, weil einerseits die tschechischen und slowakischen Truppenteile der k.u.k. Armee in voller Rüstung über Deutschösterreich heimkehrten, wenn auch mit der ausdrücklichen Zusage des Gesandten Tusar, daß sie nicht gegen die Sudetendeutschen eingesetzt würden; weil andererseits seit Mitte Dezember die tschechoslowakischen Legionen aus Italien und aus Frankreich in der Tschechoslowakei eintrafen; und weil schließlich das tschechoslowakische Heer durch italienische und französische Kommandanten geschult wurde. Auf diese in Aussicht stehende Hilfe bezog sich Ministerpräsident Kramář im Ministerrat vom 7. Dezember 1918 mit einer „vertraulichen Mitteilung über die außenpolitische Lage und die Vorhaben betreffend den militärischen Einsatz der Legionen respektive die Besetzung der bislang nicht abgetretenen Gebiete unseres Staates mit ihrer Hilfe und der Militärabmachungen“.110 Schon am 14. Dezember konnte Beneš nach Sondierungen mit alliierten Repräsentanten an Kramář berichten: „Die Angelegenheit der Deutschen Böhmens wird ebenfalls günstig geregelt werden.“111 Außerdem überließ Deutschösterreich der Tschechoslowakei im Austausch gegen Kohle militärisches Kriegsmaterial zur Aufrüstung der Truppen.112 Derart gestärkt, begannen tschechoslowakische Einheiten in der zweiten Novemberhälfte 1918 konsequent die militärische Eroberung der deutschen Anspruchsgebiete. Diesem militärischen Vorgehen Kramář an Beneš, 15. November 1918, in: ČPMK, S.70. Kramář an Beneš, 16. November 1918, in: ebd., S. 72. 108 Vgl. ebd., S. 70; identisch Edvard Beneš, Sve˘tova válka a naše revoluce, 3. Teil, Prag 1929, S. 504. Die Wahlen zur deutschösterreichischen Konstituante wurden auf Februar verschoben. 109 Bericht Flieders an Kramář vom 28. November, in: ČPMK, S. 90f. 110 Machatková/Malá (Hg.), Z protocolů schůzí první československé vlády 1918–1919, S. 19 f. 111 Vgl. ČPMK, S. 108. 112 Tschechoslowakisches Regierungsprotokoll vom 7. Dezember 1918, in: Machatková/Malá (Hg.), Z protocolů schůzí první československé vlády 1918–1919, S. 20. 106 107
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konnte Deutschösterreich umso weniger entgegensetzen, als es sich jetzt nominell um Truppen der Siegermächte handelte. Der deutschösterreichische Staatsrat hatte dieser Machterosion, die zugleich die sudetendeutsche Loyalität gefährdete, nur wenig entgegenzusetzen. Die Diskussionen kreisten immer um zwei Optionen: Eine stets in der Minderheit verbleibende Option verlangte ein zentralstaatliches militärisches Eingreifen, teils mit Volkswehreinheiten, teils mit eigens gebildeten Offiziersverbänden; dazu begleitend urgierte sie Anfang November die Initiative zu einer reichsdeutschen Besetzung, im Dezember eine Besetzung durch alliierte, amerikanische oder britische Truppen. Eine staatliche Militärpolitik war jedoch angesichts der Erschöpfung und Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung gänzlich illusorisch. Auf eine förmliche militärische Auseinandersetzung mit dem Ententestaat Tschechoslowakei konnte sich der Verliererstaat Österreich ohnehin nicht einlassen. Auch eine reichsdeutsche Intervention lehnte der Staatsrat als Widerspruch zum Waffenstillstand von Villa Giusti ab. Die vom Bürgerkrieg erfaßte deutsche Republik respektive ihre sächsischen und bayerischen Teilstaaten hatten kein Interesse an einer reichsdeutschen Militäroperation gegen die benachbarte Tschechoslowakei. Im Gegenteil, die reichsdeutsche Regierung bemühte sich von Anfang an um möglichst konfliktfreie zwischenstaatliche Beziehungen zu Prag. Die zweite, mehrheitsfähige Option war in ihren Grundzügen vom sozialdemokratischen Staatssekretär für Äußeres Otto Bauer wohl im Einvernehmen mit dem Staatssekretär Deutsch entwickelt worden. Sie konzentrierte sich auf die militärische Defensive lokaler Einheiten gegen die anfangs nur zögernd vorgehenden tschechoslowakischen Übergriffe, weil sich gezeigt habe, daß oft schon Drohgebärden wirksam waren. Die zentralstaatliche Unterstützung der militärischen Defensive beschränkte sich bei dieser Option auf tatsächlich erfolgte geheime Waffenlieferungen über Bayern; nur nach Südmähren und im Sommer 1919 auch nach Kärnten wurden Wiener Volkswehreinheiten entsandt.113 Auf Kämpfe mit regulärem tschechoslowakischem Militär durften sie sich nicht einlassen.114 Doch auch diese Option scheiterte an den realen Verhältnissen. In Deutschböhmen verlief die Organisierung der Volkswehr besonders schleppend, und für eine militärische Defensive waren weder sie noch die diversen Bürgergarden zu gewinnen. Der Druck verstärkte sich nach dem Eintreffen der tschechoslowakischen Auslandsarmee von der italienischen Front; auch von der slowakischen Front konnten nach Besetzung der Slowakei Truppen abgezogen werden. Die Besetzung von Teplitz Anfang Dezember zerteilte förmlich die deutschböhmische Provinz. In dieser bedrängten Lage verzichtete der deutschösterreichische Staat in aller Öffentlichkeit auf die ohnehin wirkungslose militärische Defensive, indem sich in der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. und 5. Dezember 1918 Vertreter aller drei politischen Fraktionen zu einer friedlichen Lösung des Sudetenkonflikts bekannten. „Nutzlos ist genug Blut in diesem Kriege geflossen. Wollen wir die Blutopfer noch ohne Zweck vermehren. Nein“, bekräftigte der Abgeordnete Paul Hock am 5. Dezember 1919.115 Der Staatsrat erörterte bis Mitte Dezember mehrere Rückzugsvarianten, beispielsweise die Abgrenzung der beiderseitigen Einflußsphären durch regionale oder bilaterale Abkommen. Eine entsprechende Anregung lehnte die tschechoslowakische Seite stets ab. Dann diskutierte der Staatsrat ergebnislos die Variante einer „Notwahl“ für die Konstituierende Nationalver Anfang Dezember trafen die ersten Volkswehreinheiten in Znaim ein. Vgl. Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Wien 1925, S. 67 f; Ferdinand Zeller, Die Provinz Sudetenland. Der Umsturz in Nordmähren und Westschlesien 1918, phil. Diss., Wien 1971, S. 105–123. 114 Erlaß des Oberbefehlshabers der deutschösterreichischen Volkswehr an die Landesbefehlshaber über das Verhalten der Volkswehr gegenüber tschechischen Verbänden. Vgl. Paul Molisch, Die sudetendeutsche Freiheitsbewegung in den Jahren 1918–1919, Wien/Leipzig 1932, S. 78 f. 115 Provisorische Nationalversammlung, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918– 1938 (ADÖ). Band 1, S. 258. 113
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sammlung, die die „Bedeutung eines Plebiszits“ hätte;116 dann einen partiellen Souveränitätsverzicht auf die im jeweiligen Ort herrschenden Machtverhältnisse.117 In letzter Konsequenz akzeptierte der Staatsrat eine förmliche Machtübergabe der Stadt Troppau und die Sistierung der sudetenländischen Verwaltungstätigkeit unter Aufrechterhaltung „des politischen Grundsatzes der Zugehörigkeit zu Deutschösterreich“.118 Die deutschböhmische Landesregierung ging den alternativen Weg einer Flucht über Sachsen nach Wien, wo sie ein Schattendasein führte. Eine förmliche Abdiktion kam für Österreich nicht in Frage. „Der Staatsrat beharrt auf seiner bisherigen Sudetenpolitik.“119 In dieser ausweglosen Lage griff Österreich zum Mittel der Internationalisierung. Schon am 5. Dezember unterbreitete Staatssekretär Bauer den Regierungen der Tschechoslowakei und Jugoslawiens den Vorschlag, alle bilateralen Konflikte bis zur Entscheidung der Friedenskonferenz Schiedsgerichten nach den Bestimmungen der Haager Konvention zu unterwerfen. Den Vorschlag präsentierte er in einer Zirkularverbalnote allen neutralen Mächten und über sie den Alliierten.120 In weiteren zwei Noten vom 8. und 17. Dezember legte Staatssekretär Bauer den Siegermächten den Plan einer „sofortigen Volksabstimmung unter neutraler Kontrolle“ und Grenzregelung durch Schiedsgerichtsbarkeit vor.121 Die Plebiszitforderung wiederholte Bauer in der Zirkularnote vom 25. Dezember.122 Mit dieser Flucht nach vorne arbeitete er der tschechoslowakischen Politik jedoch direkt in die Hände. Der davon informierte tschechoslowakische Außenminister Beneš intervenierte unvermittelt bei den Alliierten wegen Legalisierung der vorläufigen tschechoslowakischen Gebietsgewalt in den böhmischen Ländern. Im Schreiben vom 20. Dezember 1918 an den französischen Außenminister, Stéphen Pichon und an die übrigen Alliierten zog er alle verfügbaren Register: Strategisch richtig plazierte er das nationale Anliegen in die aktuelle sicherheitspolitische Lage, wenn er die Tschechoslowakei zur einzig stabilen Kraft in Mitteleuropa stilisierte. Auch die – ohnehin vermischt mit den Tschechen lebenden – Deutschen der böhmischen Länder hätten die Eingliederung in den neuen Staat in Ruhe akzeptiert. Doch die Konsolidierung sei von außen durch die revolutionäre Bewegung gefährdet, von der deutschösterreichischen Regierung, die „die Entente durch eine Explosion der bolschewistischen Revolution in Wien bedrohe“; durch den Minderheitensozialisten Otto Bauer, „der 1917 an der bolschewistischen Revolution in Petrograd teilgenommen hatte“ und nun „mit allen Mitteln die extremistischen Bewegungen in den anderen Staaten“ unterstütze, und durch „bolschewistische Banden“ aus Deutschland, solange keine klare Grenze mit Deutschland bestehe. Beneš verlangte daher als provisorische Maßnahme die tschechoslowakische Gebietsgewalt über die historischen Länder und die Slowakei. Zuletzt berief er sich auf die gemeinsamen Werte der Siegermächte und auf die von der tschechischen Nation erbrachten Opfer für das gemeinsame Ideal.123 Aus dieser Perspektive wurde aus dem „Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche“ ein Ringen zwischen Ordnung und Bolschewismus, ein Hauptthema des aktuellen politischen Diskurses. Die Intervention erreichte ihr Ziel. Die französische, britische und italienische Regierung gaben mit entsprechendem Datum 20. Dezember 1918, 7. und 8. Jänner 1919 ihre SRP 52/6 vom 2. Dezember 1918. SRP 56/6 vom 9. Dezember 1918. 118 Robert Freißler, Vom Zerfall Oesterreichs bis zum tschechoslowakischen Staate. Eine historischpolitische Studie mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Schlesien, Nordmähren und Ostböhmen, Berlin 1921, S. 167. 119 SRP Nr. 58/III vom 13. Dezember 1918. 120 Vgl. Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 265 121 Vgl. ebd., S. 272 und S. 310. 122 Vgl. ebd., S. 322. 123 Vgl. ČPMK, S. 119–121; Übersetzung bei Kurt Rabl, Die Sudetenfrage. Ihre völkerrechtliche Entwicklung vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart, München 1953, S. 35–37. 116 117
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Zustimmung zur vorläufigen tschechoslowakischen Hoheit über die böhmischen Länder und die Slowakei. Nur die amerikanische Regierung vermied eine solche der Friedenskonferenz vorgreifende Entscheidung.124
Staatsbürgerschaft im Nationalstaat Der Staat definierte sich nach dem ethnischen Prinzip als Nationalstaat mit dem Anspruch auf alle überwiegend deutschsprachigen Gebiete; wie aber war unter diesen Voraussetzungen Staatsbürgerschaft zu bestimmen? Nach dem Wohnort, dem staatsbürgerlichen Bekenntnis, entsprechend dem Heimatrecht oder nach ethnischer Zugehörigkeit? Diese wegen der Wahlen zur Konstituante dringliche Frage beschäftigte die politischen Entscheidungsträger durch mehrere Wochen. Im alten Österreich galten mehrere ineinander verschränkte Prinzipien.125 Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 begründete Staatsbürgerschaft in erster Linie durch Abstammung als Kind eines österreichischen Staatsbürgers (ius sanguinis) oder ipso facto durch einen in den österreichischen Staaten „vollendeten zehnjährigen ununterbrochenen Wohnsitz“ (bloße Ersitzung), durch „Eintritt in einen öffentlichen Dienst“ oder durch „Antretung eines Gewerbes“. Zudem war auch ohne diese Vorbedingungen in einzeln geprüften Fällen eine „Naturalisation“ durch behördliche „Ermessenseinbürgerung“ möglich. „Eine besondere Färbung“ erhielt das Staatsbürgerschaftsgesetz durch die Verknüpfung mit dem „Heimatrecht“, das gleichfalls durch Vererbung, zehnjährigen Aufenthalt oder Verleihung begründet war. Jeder Staatsbürger hatte heimatrechtlich einer Gemeinde und nur dieser anzugehören. Der Zerfall des Habsburgerreiches zog als juristische Folge das Erlöschen der altösterreichischen Staatsbürgerschaft nach sich.126 Zur Definition der deutschösterreichischen Staatsbürgerschaft orientierte sich die Gesetzesvorlage der Staatskanzlei für die Staatsratssitzung vom 11. November 1918 an einer Kombination von Heimatrecht und Option. Staatsbürger sollten alle in einer deutschösterreichischen Gemeinde heimatberechtigten Personen sein, vorausgesetzt sie bekannten sich nicht als Bürger eines anderen Staates. Durch Option erwarben die deutschösterreichische Staatsbürgerschaft zusätzlich alle jene in Deutschösterreich wohnhaften Personen, „die in einer bisher zum Gebiete der österreichischungarischen Monarchie gehörigen, außerhalb Deutschösterreichs gelegenen Gemeinde“ heimatberechtigt waren und per „Ansuchen“ bis spätestens ein Jahr nach Kundmachung des Gesetzes von einer deutschösterreichischen Gemeinde die Zusicherung zur Aufnahme in den Heimatverband erhielten. Voraussetzung dafür war die Bekundung der Staatsloyalität als „getreuer Staatsbürger“.127 Bei dieser Optionsregelung dachte man vor allem an die seit Jahrzehnten aus den anderen Kronländern nach dem nunmehrigen Österreich zugewanderten Arbeiter, Beamten und Militärs. Sie umschloß aber auch die während des Krieges und in den Nachkriegswirren aus Galizien und der Bukowina nach Österreich geflüchteten Juden und Bericht. I. Band, S. 119–121; Beneš informierte Ministerpräsident Kramář am 22. Dezember von dieser Entscheidung. Vgl. ČPMK, S. 122 f. 125 Hannelore Burger, Staatsbürgerschaft und Staatenlosigkeit im Bild der Verfassungen von Monarchie und Republik, in: Kriechbaumer u. a., Die junge Republik, S. 87–99, hier S. 89 f. 126 Ilse Reiter, Ausgewiesen, abgeschoben. Eine Geschichte des Ausweisungsrechts in Österreich vom ausgehenden 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert (= Wiener Studien zu Geschichte, Recht und Gesellschaft 2), Frankfurt a. M./Berlin/Bern 2000, S. 321; Margarete Grandner, Staatsbürger und Ausländer. Zum Umgang Österreichs mit den jüdischen Kriegsflüchtlingen nach 1918, in: Gernot Heiß/ Oliver Rathkolb (Hg.), Asylland wider Willen. Flüchtlinge in Österreich im europäischen Kontext (= Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann Institutes für Geschichte und Gesellschaft 25), Wien 1995, S. 60–85. 127 Vorlage der Staatskanzlei. Gesetz über das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht, in: Der österreichische Staatsrat. Band 1, S. 368 f. 124
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Jüdinnen, was sofort auf Widerspruch der bürgerlichen Parteien stieß. In Abwesenheit von Renner, Seitz und Staatsnotar Sylvester – sie waren wegen der Abdankung Kaiser Karls bei einer Besprechung mit Ministerpräsident Heinrich Lammasch – wurde die entsprechende Passage aus der Vorlage gestrichen und zusätzlich dem Referenten aufgetragen, „im Motivenbericht die Meinung des Staatsrates zum Ausdruck zu bringen, daß aus dem Gesetze für die aus Galizien eingewanderten Juden die Erlangung der Heimatsberechtigung nicht gefolgert werden könne“.128 Damit entsprach die Vorlage einer zeitgenössischen antisemitischen Stimmung, die die „Ostjuden“ verantwortlich für die ganze kriegsbedingte Nachkriegsmisere auf dem Wohnungsmarkt und in der Ernährungslage machte.129 Diese Konzeption des Staatsbürgerrechts setzte sich in den Verhandlungen der Provisorischen Nationalversammlung vom 11. November und im neuerlich damit befaßten Verfassungsausschuß vom 22. November durch.130 Auf Antrag des Verfassungsausschusses erweiterte die Provisorische Nationalversammlung nun in ihrer Sitzung vom 27. November 1918 per Gesetzesbeschluß den Kreis der deutschösterreichischen Staatsbürger zusätzlich zu den hier heimatberechtigten Personen um alle jene Personen, die mindestens seit 1. August 1914 im Gebiet der Republik Deutschösterreich ihren Wohnsitz hatten und ein Loyalitätsgelöbnis für den Staat abgaben. Damit war die Zuwanderung der Vorkriegszeit generell erfaßt. Für die in Kriegs- und Nachkriegszeit nach Deutschösterreich zugewanderten Altösterreicher galt dieselbe gesetzliche Regelung, ausgenommen die in Galizien, Dalmatien und Istrien heimatberechtigten Personen sowie Ungarn und Alt-Ausländer. (Die in der Vorlage des Verfassungsausschusses genannte Bukowina wurde in der Nationalratssitzung vom 27. November von der Sonderregelung ausgenommen.) Damit entsprach das Gesetz den schon im Staatsrat und anschließend in der ersten Lesung des Gesetzes am 11. November geäußerten Vorbehalten gegenüber den jüdischen Flüchtlingen; Dalmatien und Istrien wurden lediglich zur Bemäntelung der antijüdischen Absicht in die Regelung einbezogen und weil außerdem von dort nur wenige deutsche Beamte und Militärs nach Österreich zugewandert waren. Die Zuwanderung aus Triest mit seiner starken deutschen Minderheit war davon nicht betroffen. Die Formulierung dieser antijüdisch motivierten Ausgrenzung Galiziens und anfänglich auch der Bukowina als Herkunftsländer aus der Staatsbürgerschaftsregelung ist den vorliegenden Quellenüberlieferungen nach zu schließen auf eine mündliche und schriftliche Anregung des deutschradikalen Abgeordneten Karl Hermann Wolf schon in der Nationalversammlung vom 11. November zurückzuführen.131 Der Text wurde im Verfassungsausschuß am 22. November ohne förmliche Abstimmung angenommen.132 Der sozialdemokratische Abgeordnete Ebd., S. 360; Beilage 4 zu den Protokollen der Provisorischen Nationalversammlung. Hannelore Burger, Heimatrecht und Staatsbürgerschaft österreichischer Juden. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart (= Studien in Politik und Verwaltung 108), Wien/Köln/Graz 2014, S. 133 f; Beatrix Hoffmann-Holter, „Abreisendmachung“. Jüdische Kriegsflüchtlinge in Wien 1914 bis 1918, Wien/Köln/Weimar 1995, S. 145–159. 130 PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Verfassungsausschuß, Protokoll über die Sitzungen vom 22. November 1918, 9.45 und „Nachmittags“, sowie Schlußredaktion in der Sitzung am 23. November 1918. In der Vormittagssitzung vom 22. November war der Staatsrechtler Hans Kelsen anwesend. Er charakterisierte die vorliegende Lösung folgendermaßen: „Die Heimatbestimmung steht an der Spitze. Dann erst das Optionsrecht.“ Vgl. Die Tätigkeit der sozialdemokratischen Abgeordneten, 11. Heft, S. 19. 131 Der deutschliberale Abgeordnete Ofner bestätigt in der Provisorischen Nationalversammlung Wolfs Urheberschaft, wenn er sagt: Das Gesetz „wurde nun auf Antrag des Herrn Abgeordneten Wolf in der Weise modifiziert, daß nunmehr gewisse Länder ausgenommen worden sind“. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung vom 27. November 1918, S. 182. 132 PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Verfassungsausschuß, Protokolle vom 22. November 9.45 und „Nachmittag“, sowie Schlußredaktion in der Sitzung am 23. November 1918. 128 129
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Michael Schacherl hat als Berichterstatter in der Provisorischen Nationalversammlung vom 27. November die Bedeutung der Ausnahmeregelung heruntergespielt, weil sie „nur eine kleine Anzahl der neuen Ausländer – besonders aus den Flüchtlingsgebieten“ betreffe. Der Deutschliberale Ofner wiederum negierte in der Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 11. November ihre antijüdische Zielsetzung, wenn er ausführte, daß in einer auf das Wohnrecht abgestimmten Staatsbürgerschaft die Flüchtlinge ausgeklammert wurden, weil sie ohnehin hier nicht auf Dauer wohnen wollten.133 Heimatrecht und Bekenntnisprinzip bezogen sich trotz dieser versteckt antijüdischen Komponente formal auf eine ethno-politisch neutrale Staatsbürgerschaft. Diesen Grundsatz verließ die Provisorische Nationalversammlung am 27. November 1918 in einer mit den Stimmen der Deutschnationalen und Christlichsozialen verabschiedeten zusätzlichen Bestimmung, welche generell, also auch für die in Deutschösterreich Heimatberechtigten, das Bekenntnis zur deutschen Nation als Erfordernis der Staatsbürgerschaft aufstellte. Damit wäre beispielsweise den Wiener Tschechen und den ins obersteirische Industriegebiet zugewanderten Slowenen die Staatsbürgerschaft ebenso verwehrt worden wie den in Kärnten, der Südsteiermark oder Niederösterreich (Gmünd, Hohenau usw.) autochthonen slawischen Volksgruppen. Eine solche Bestimmung war jedoch problematisch wegen ihrer Rückwirkung auf die deutsche Minderheit in den slawischen und romanischen Nachfolgestaaten. Das Gesetz gefährde die Deutschen im tschechoslowakischen Staat, betonte Renner, außerdem wäre es „schlimmer als das Staatsbürgerrecht in Rußland und die Bestimmungen in Rumänien“, die bekanntlich die Juden in Ansiedlungsrayons zwangen bzw. ihnen überhaupt die Staatsbürgerschaft verwehrten. Vor allem aber wies Renner darauf hin: beim Zustandekommen des Gesetzes „an dem Tag, an dem es kundgemacht wird, haben wir überhaupt keine Staatsbürger“.134 Außerdem war die ja für Deutschösterreich beanspruchte Volksgruppe der Südtiroler Ladiner vergessen worden. Das Gesetz war schlichtweg undurchführbar. Diesen Argumenten schloß sich der Staatsrat am 2. Dezember mit allen gegen die zwei deutschradikalen Stimmen Wolf und Teufel an. Der Beschluß über das Staatsbürgerrecht wurde an die Nationalversammlung mit der Bitte um Reassumierung zurückgeleitet.135 Die Materie kam zwei Tage später in der Nationalversammlung zur Sprache, welche den Verfassungsausschuß beauftragte, innerhalb von 24 Stunden über die Vorlage neuerlich dem Haus zu berichten.136 Im Verfassungsausschuß vom 4. Dezember kam nun endlich die längst ausständige Grundsatzdebatte zum Problemkreis Nation und Staatsbürgerschaft zustande. Der liberale Ofner brachte es auf den Punkt: „Man muss die Nationalität im rechtlichen und im nationalen Sinne unterscheiden.“ Ausführlich wurden die negativen Folgen eines ethnonationalen Staatsbürgerbegriffes auf die deutschen Minderheiten in den übrigen Nachfolgestaaten erörtert. Der nationaldemokratische Abgeordnete August Maria Kemetter, der in der Nationalversammlung den Antrag eingebracht hatte, machte einen Rückzieher, weil es „gewisse Bedenken“ gegen seinen Antrag gebe. Endlich wurde in der Sitzung der Nationalversammlung vom 5. Dezember 1918 das Gesetz über das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht ohne dieses obligatorische Nationalbekenntnis beschlossen (StGBl. Nr. 91).137 Die endgültige Regelung der Staatsbürgerschaft war ohnehin den Siegermächten vorbehalten. Der Staatsvertrag von St. Germain kombinierte vom Ansatz her sehr unterschiedliche 135 136
Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 3. Sitzung vom 11. November 1918, S. 72. SRP Nr. 49/2 vom 28. November 1918. SRP Nr. 52/2 vom 2. Dezember 1918. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung vom 4. Dezember 1918, erste Lesung und Zuweisung an den Verfassungsausschuß, S. 191–199. 137 Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich. Mit einer historischen Übersicht und kritischen Erläuterungen hrsg. v. H. Kelsen. Teil 1, Wien/Leipzig 1919, S. 73–80. 133 134
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Prinzipien von Wohnsitz, Geburtsort und Heimatrecht mit dem Optionsprinzip. Die Entstehungsgeschichte der Artikel zur Staatsbürgerschaft ist sehr komplex. Die ersten den Österreichern überreichten Vertragsentwürfe orientierten sich in Analogie zum Versailler Vertrag am „Wohnsitz“ in den betreffenden neuen Staaten. Tschechoslowakische Staatsbürger unter Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft wurden laut Vertragsentwurf vom 2. Juni 1919 alle österreichischen Staatsangehörigen mit ständigem Wohnsitz in Gebieten, „die als Teil des tschechoslowakischen Staates anerkannt sind“.138 Der Vertragsentwurf vom 20. Juli enthielt analoge Bestimmungen für Jugoslawien und Rumänien.139 Die erstmals im Vertragsentwurf vom 20. Juli mitgeteilten Bedingungen über die italienische Staatsbürgerschaft hingegen beruhten auf einer Kombination von Geburtsortsprinzip (ius soli) und Heimatzuständigkeit (pertinenza), in französischer Diktion indigénat. Die italienische Staatsangehörigkeit erwarben nun jene bisherigen österreichischen Staatsbürger, welche in den nunmehr italienischen Gebieten „geboren sind und dort zur Zeit des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages gemäß dem lokalen Verwaltungsrecht ihre Zuständigkeit (pertinenza) haben“. Wer die Zuständigkeit allerdings erst nach dem 24. Mai 1915 oder lediglich aufgrund seiner Berufstätigkeit erworben hatte, bedurfte für den Erwerb der italienischen Staatsbürgerschaft einer besonderen Bewilligung des italienischen Staates.140 Diese für Italien geltende Regelung hat eine am 6. Juni 1919 vom Obersten Rat (Conseil des quatre) eingesetzte Spezialkommission vom 9. bis zum 14. Juni erarbeitet.141 Ihre Arbeitsgrundlage bildete ein schon am 6. Juni dem Viererrat vom Komitee für die „Political clauses“ vorgelegter Entwurf, der bezüglich der italienischen Staatsbürgerschaft Heimatrecht und Geburtsrecht in gleicher Weise kombinierte.142 Das ius soli entsprach einer in Italien und Frankreich geltenden römisch-rechtlichen Tradition; das Heimatrecht, pertinenza, hingegen wurde aus der altösterreichischen Rechts tradition übernommen. Die österreichische Friedensdelegation hat eine gewisse Vereinheitlichung auf Basis des Heimatrechts bewirkt. Schon ihre Antwort vom 10. Juli auf die Friedensbedingungen vom 2. Juni enthielt den Vorschlag, „alle diese Verfügungen durch die im Gegenvorschlag niedergelegten Texte zu ersetzen, die sich auf die klare und präzise Vorschrift beschränken, daß jede Person jenem Staat angehört, in dem sich ihr gesetzlicher Wohnsitz befindet“.143 „Jedermann“ sollte daher „dem Staate angehören, welchem auf Grund des gegenwärtigen Friedensvertrages seine Heimatgemeinde einverleibt wird oder werden wird“.144 In der Antwort vom 6. August auf die Friedensbedingungen vom 20. Juli ist die Staatsangehörigkeit förmlich mit dem „Heimatrecht“ in der „Heimatsgemeinde (pertinenza)“ gekoppelt.145 Die „Friedensmacher“ haben diese österreichischen Anregungen aufgegriffen, wie sie überhaupt in dieser Verhandlungsphase bereit waren, die Friedensbedingungen abzumildern und zu homogenisieren. Tatsächlich war der Vertragstext revisionsbedürftig. Vor allem fehlte eine klare Terminologie zur Abgrenzung von Alt- und Neuösterreich.146 Das mit der Beantwortung der österreichi 140 141 138 139
142
145 146 143 144
Vgl. Bericht. I. Band, S. 49; dazu die österreichische Antwort S. 335 und 355. Art. 57 und 69; für die Tschechoslowakei Art. 65, in: Bericht. II. Band, S. 14–17. Art. 37, in: Bericht. II. Band, S. 12. Conférence de la paix 1919–1920. Recueil des actes de la Conférence. Partie IV. Commissions de la Conférence. D. Questions spéciales. Commission des clauses politiques italiennes du Traité avec l’Autriche, Paris 1931, S. 378–401. Papers relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference, Volume 6, Washington 1946, S. 223. Bericht. I. Band, S. 360. Bericht. I. Band, S. 333. Bericht. II. Band, S. 117 und S. 263. Antwort der alliierten und assoziierten Mächte zu den Bemerkungen der österreichischen Delegation über die Friedensbedingungen, 2. September 1919, Bericht. II. Band, S. 325–327.
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schen Gegenvorschläge beauftragte Committee on Political Clauses hat unter seinem Vorsitzenden M. Laroche die Bestimmungen über die Staatsbürgerschaft gründlich überarbeitet. „The original clauses on the subject of nationalities had been found to be inapplicable. The Austrian objection to the original articles had been supported by his Italian colleagues, and by the Czecho-Slovak delegates. The result was that they were now being redrafted.“147 Der anschließend vom Coordinating Committee sprachlich überarbeitete Text wurde im Rat der Delegationsführer am 25. August „im Prinzip“ angenommen und am nächsten Tag dem Coordinating Committee zur letzten Textkorrektur übergeben.148 In den endgültigen Friedensbedingungen vom 2. September 1919 ist nun konsequent das Wohnsitzprinzip durch das Heimatrecht ersetzt, was offenbar auch den Intentionen der italienischen und französischen Unterhändler entsprach, weil es den Kreis der Staatsbürger erheblich einengte. Entsprechend Artikel 64 mußte Österreich alle Personen „von Rechts wegen und ohne irgendeine Förmlichkeit“ als österreichische Staatsbürger anerkennen, „die zur Zeit des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages das Heimatrecht (pertinenza) auf dem österreichischen Staatsgebiet besitzen und nicht Angehörige eines anderen Staates sind“. Dasselbe Prinzip galt auch für die übrigen Nationalstaaten, da nach Artikel 70 „alle Personen, die das Heimatrecht (pertinenza) in einem Gebiet besitzen, das früher zu den Gebieten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte“, ohne weiteres „unter Ausschluss der österreichischen Staatsangehörigkeit die Staatsangehörigkeit desjenigen Staates erwerben, der auf dem genannten Gebiete die Souveränität ausübt.149 Das Prinzip der Reziprozität zwischen allen Nachfolgestaaten wurde allerdings eingeschränkt, denn für den serbischkroatisch-slowenischen und den tschechoslowakischen Staat wurde zusätzlich eine Reklamationsregelung eingeführt, da Personen, die erst nach dem 1. Jänner 1910 im Gebiet des jeweiligen Staates das Heimatrecht erworben hatten, die entsprechende Staatsbürgerschaft nur mit staatlicher Genehmigung erhielten.150 Für die automatische Erwerbung der italienischen Staatsbürgerschaft galten weiterhin additiv Geburts- und Heimatrecht. „Nicht ohne weiteres“ erwarben die italienische Staatsbürgerschaft „Personen, die in diesen Gebieten zuständig, jedoch nicht daselbst geboren sind“, sowie Personen, die die Heimatzuständigkeit erst nach dem 24. Mai 1915 oder aufgrund ihres „ständigen Amtssitzes“ erworben hatten.151 Damit erhielt Italien eine Handhabe, allen nicht hier zuständigen Wohnhaften die Staatsbürgerschaft zu verweigern, was beispielsweise die Abschiebung vieler Beamter aus Südtirol ermöglichte.152 Auch der Vertrag von St. Germain enthielt die Möglichkeit zur Erwerbung von Staatsbürgerschaft durch Option, wobei das Optionsrecht im Laufe der Verhandlungen mit den Österreichern gleichfalls vom Wohnsitz- auf das Heimatrechtsprinzip umgestellt wurde.153 Der Vertragsentwurf vom 2. Juni gewährte österreichischen Staatsangehörigen mit ständigem Wohnsitz in der nunmehrigen Tschechoslowakei innerhalb von zwei Jahren vom Inkrafttreten des Vertrages an das Recht, „für die österreichische Staatsangehörigkeit zu optieren“. Sir James Headlam-Morley vom Coordinating Committee im Rat der Delegationsführer am 19. August 1919; Documents on British foreign policy 1919–1939. 1. Series, Band 1, London 1947, S. 436. Im Einzelnen läßt sich der Entscheidungsprozeß nicht nachverfolgen, weil die Protokolle der damit beauftragten Kommissionen für Politische Fragen und des Koordinationskomitees nicht ediert sind. 148 Ebd., S. 511 und S. 544; Bericht des Coordinating Committee an den Rat der Delegationsführer am 25. August 1919, in: Papers relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference, Volume 7, Washington 1946, S. 859–926. 149 Bericht. II. Band, S. 428. 150 Art. 76, in: ebd., , S. 429. 151 Art. 71, in: ebd., S. 428. 152 Reiter, Ausgewiesen, S. 327. 153 Laut Vertragsentwurf vom 20. Juli. Art. 58 und 65 beziehen sich auch die Optionsbestimmungen auf den Wohnsitz. 147
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Ebenso hatten Tschechoslowaken mit österreichischer Staatsangehörigkeit und ständigem Wohnsitz „in Gebieten der früheren Österreichisch-Ungarischen Monarchie“ „das Recht, für den tschecho-slowakischen Staat zu optieren“.154 Diese Vertragsklauseln für die Tschechoslowakei und analoge für Jugoslawien und Rumänien enthält auch der Vertragsentwurf vom 20. Juli.155 Im Vertrag von St. Germain vom 2. September sind diese Bestimmungen durch einen zusammenfassenden Artikel 78 auf Basis des Heimatrechts ersetzt: „Personen über 18 Jahre, die ihre [alt/neu]österreichische Staatsangehörigkeit verlieren und von Rechts wegen eine neue Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 70 [siehe oben] erwerben, können innerhalb eines Zeitraumes von einem Jahre vom Inkrafttreten des gegenwärtigen Vertrages an für die Zugehörigkeit zu dem Staate optieren, in dem sie heimatberechtigt waren, bevor sie das Heimatrecht in dem übertragenen Gebiet erwarben.“ Daraus ergab sich eine Optionsmöglichkeit der nunmehr ipso iure tschechoslowakischen, jugoslawischen und rumänischen Staatsbürger für Österreich, streng genommen aber nicht von nunmehrigen Österreichern für die übrigen Nationalstaaten.156 Dieses Manko wurde im Falle der Tschechoslowakei durch den Sondervertrag zwischen der Tschechoslowakei und den alliierten und assoziierten Mächten vom 10. September insofern kompensiert, als österreichischen, deutschen und ungarischen Staatsbürgern sowie Personen deutscher oder ungarischer Ethnizität mit Wohnsitz oder Heimatrecht in der Tschechoslowakei die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft nicht versagt werden konnte. Die tschechoslowakische Friedensdelegation hatte vergeblich verlangt, auch diese Bestimmung auf das Heimatrecht einzuengen.157 Spezielle Optionsbestimmungen galten im Staatsvertrag von St. Germain für Italien; sie betrafen hauptsächlich das Optionsrecht jener Personen, die auf nunmehr italienischem Staatsgebiet bloß „zuständig, jedoch nicht daselbst geboren sind“.158 Der Staatsvertrag von St. Germain enthält zusätzlich zu den genannten Bestimmungen eine Optionsregelung nach sprachlich-kulturellen Kategorien. Nach Art. 80 konnten Personen, die in einem ehemals zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörigen Gebiet heimatberechtigt waren und sich dort nach „Rasse und Sprache von der Mehrheit der Bevölkerung“ unterschieden, innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Staatsvertrages für den Staat optieren, wo die Mehrheit der Bevölkerung die „gleiche Sprache“ sprach oder „derselben Rasse“ wie sie angehörte. Dieser Artikel 80 geht auf einen Vorschlag der deutschösterreichischen Friedensdelegation zurück. Schon in ihrer Antwort auf den ersten Vertragsentwurf vom 2. Juni beantragte die österreichische Delegation eine solche Erweiterung, daß „die Personen fremder Rasse und Sprache im Optionswege jenen Staat zur Heimat erwählen können, dem sie nach Rasse und Sprache angehören“.159 Sie wiederholte die Anregung in ihrer Antwort auf die Friedensbedingungen vom 20. Juli samt Gegenvorschlägen.160 Die Terminologie „race“ und „langue“ übernahm die österreichische Note den Minderheitenschutzbestimmungen des Friedensvertragsentwurfes vom 2. Juni, wo vom Schutz für Freiheit und Leben ohne „distinction de naissance, de nationalité, de langage, Vertragsentwurf 2. Juni 1919, III. Teil, Abschnitt III, Art. 4 und 5, Rekapitulation durch die österreichische Delegation, in: Bericht. I. Band, S. 355 f. 155 Art. 57, 65 und 70, Bericht. II. Band, S. 14–17. 156 Josef I. Kunz, Die völkerrechtliche Option. II: Staatsangehörigkeit und Option im deutschen Friedensvertrag von Versailles (Nachtrag) und im österreichischen Friedensvertrag von St. Germain, Breslau 1928, S. 198 f. 157 Conférence de la paix 1919–1920. Recueil des actes de la Conférence. Partie VII. B.I. Commission des nouveaux états, Paris 1929, S. 372. 158 Art. 71, in: Bericht. II. Band, S. 427. 159 Übersendung der Gegenvorschläge, 10. Juli 1919, Bericht. I. Band, S. 333 und S. 360. 160 Antwort vom 6. August 1919, in: Bericht. II. Band, S. 117 und S. 263. 154
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de race ou de religion“ die Rede ist.161 Sie gehört also zur Begriffswelt der alliierten und assoziierten „Friedensmacher“. Die Initiative zu den Minderheitenschutzbestimmungen der Pariser Vororteverträge ging bekanntlich von Vertretern der polnischen und rumänischen Judenschaft und US-amerikanischer jüdischer Organisationen aus, die zur Geltung brachten, daß sich der Schutz ihrer Traditionsgruppe nicht alleine auf Religion, Nation und Sprache beziehen könne.162 In dieser kulturgeschichtlichen Konnotation zur Kennzeichnung einer gewissermaßen noch in mittelalterlichen Traditionen verharrenden religiösen Gruppe wird „Rasse“ vom amerikanischen Präsidenten Wilson auch im „Conseil des Quatre“ mit Bezug auf die osteuropäischen Juden verwendet.163 Eine rassistische Konnotation nach biologischen Kriterien und Charaktereigenschaften lag der angelsächsischen Tradition fern. Auch für die Juden galt das in den USA und Frankreich verwirklichte Ideal einer vollen Integration in die Staatsbürgergesellschaft unbeschadet religiöser Bindungen. Explizit wurde die Bildung von autonomen Selbstverwaltungskörpern der Minderheiten, die jüdischen eingeschlossen, abgelehnt.164 Dem Schutzbedürfnis der Minderheiten genüge im Allgemeinen die Formel der Gleichbehandlung nach Rasse und Sprache. Nur die Staaten Polen und Rumänien mußten wegen der dort virulenten antisemitischen Stimmung den Juden gewisse Sonderrechte für die Ausübung ihres Kultes, Polen beispielsweise zur Einhaltung des Sabbats, und für ihr Schulwesen gewähren. In Österreich hielt man solche Vorkehrungen für überflüssig. Auf Vorschlag der Commission des Nouveaux États enthielten die Minderheitenschutzbestimmungen des Vertrags von St. Germain keine speziellen Klauseln für die jüdische Bevölkerung.165 Präsident Wilson billigte diese Meinung seiner Fachleute, weil sich in Österreich „die Frage [der jüdischen Bevölkerung] ganz anders als in Polen stelle“, obwohl eine Reklamation der Polen wegen Ungleichbehandlung nicht auszuschließen war.166 Übrigens dienten nach Intention der Friedenskonferenz alle Minderheitenschutz- und Optionsbestimmungen letztlich dem Zweck einer nationalen Homogenisierung. Der Minderheitenschutz sollte lediglich durch Übergangsbestimmungen auf eine gewisse Zeit die Anpassung der ethnisch allogenen, „fremdgeborenen“ Bevölkerung an die Mehrheit erleichtern. Auch die Optionsbestimmungen leisteten nach diesem Konzept ihren Beitrag zur kulturell-sprachlichen Homogenisierung durch freiwillige Ab- und Zuwanderung. Passend dazu heißt es in der alliierten Antwortnote auf Österreichs Bemerkungen zu den die Staatsbürgerschaft betreffenden Artikeln, es liege doch ohnehin im Interesse der Konferenz, die Nationalstaaten zu homogenisieren: „Einen Optionsanspruch, der sich auf die Gemeinsamkeit der Sprache oder der Herkunft gründet, als ungerechtfertigt zu betrachten, hieße alle Section V. Protection des minorités, Bericht. I. Band, S. 51, identisch mit Art. 63 vom 2. September 1919, Bericht. II. Band, S. 425. 162 Carole Fink, Defending the rights of others: The great powers, the jews and international minority protection, 1878–1938, New York 2004, S. 67–96. 163 Sitzung vom 17. Mai, 11 Uhr, in: Paul Mantoux, Les délibérations du Conseil des Quatre (24 mars 28 juin 1919). Band 2, Paris 1955, S. 93. 164 Mantoux, Les délibérations, S. 452 und 486; Erwin Viefhaus, Die Minderheitenfrage und die Entstehung der Minderheitenschutzverträge auf der Pariser Friedenskonferenz 1919. Eine Studie zur Geschichte des Nationalitätenproblems im 19. und 20. Jahrhundert (= Marburger Ostforschungen 11), Würzburg 1960, S. 165. 165 Sitzung der Commission des nouveaux états vom 23. Mai 1919, mit dem Bericht, daß der Conseil des Quatre die Minderheitenschutzbestimmungen im österreichischen Vertrag am 22. Mai 1919 unterschrieben habe. Conférence de la paix 1919–1920. Recueil des actes de la Conférence, Partie VII., Bd. I Commission des nouveaux états, Paris 1929, S. 55 f. Auch der Vertrag mit der Tschechoslowakei enthielt keine Schutzbestimmungen für Juden, Beschluß der Kommission vom 21. Mai 1919, ebd. S. 48. 166 Sitzung des Viererrates am 26. Mai 1919, 4 Uhr. Mantoux, Les délibérations, S. 214. 161
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wesentlichen Tatsachen bestreiten, auf denen die Staatsangehörigkeit beruht. Die neuen Staaten haben überdies keinerlei Interesse, die Zahl jener ihrer Angehörigen zu vermehren, welche ihrer Staatsangehörigkeit weder durch ihre Rasse, noch durch ein wirkliches Zusammengehörigkeitsgefühl angehören.“167 Bei diesen gedanklichen Voraussetzungen akzeptierten die Alliierten die von Österreich erwünschte Anpassung der Optionsbestimmungen nach Kriterien „de race et de langue“. Eine rassistische Komponente läßt sich auch für die österreichische Friedensdelegation ausschließen, wenn sie aus dem Vertragsentwurf vom 2. Juni 1919 die Sprachregelung Rasse und Sprache übernahm – übrigens auch in der „Denkschrift über die Grenzen Deutschösterreichs“ zur Charakterisierung einer „nach Rasse und Sprache gemischten [deutsch-slowenischen] Bevölkerung“ des Marburger Beckens.168 Die österreichischen Gegenvorschläge vom 10. Juli verwendeten die Begriffe „Rasse“ und „Sprache“ mehr oder weniger synonym, wenn sie das Optionsrecht jenen einräumten, die sich im gewöhnlichen Verkehr mit ihrer Familie „einer anderen Sprache als jener der herrschenden Rasse im Staate“ bedienen.169 Die Gegenvorschläge vom 6. August 1919 übersetzten „race et langue“ einmal mit „Rasse und Sprache“, ein anderes Mal mit „Volksstamm“.170 Auch die österreichischen Nachkriegsregierungen vermieden es, den Vertrag rassistisch auszulegen. Erst mit Amtsantritt des Innenministers Leopold Waber am 21. Juni 1921 wurde der Vertrag von St. Germain im rassistischen Sinn interpretiert, um die „Optionsgesuche von Juden abzuweisen“.171
Die Verteilung des gemeinsamen Erbes Der Habsburgerstaat war zerfallen, nun folgte die Aufteilung des gemeinsamen Erbes, der Aktiva und Passiva, der gemeinsamen Verbindlichkeiten gegenüber den bisherigen Staatsbürgern und dem bisherigen Ausland. Wenn auch die völkerrechtlich gültige Regelung den Siegermächten in den Friedensverträgen vorbehalten war, so waren dennoch viele Fragen jetzt schon entschieden, beispielweise um ein Stocken der Verwaltungstätigkeit zu vermeiden, eine Fortsetzung der Gehaltszahlungen und Pensionen der bisher gemeinsamen Beamten und Militärs, die finanzielle Abwicklung von Staatsaufträgen und die Bedienung des Staatsschuldendienstes zu gewährleisten. Für diese „Liquidation“ wurden in der turbulenten Transition von der Monarchie zu den Nationalstaaten mehrere Varianten ins Spiel gebracht. Der k.k. Ministerpräsident Max Frh. Hussarek von Heinlein scheiterte mit seinem Plan eines parlamentarischen Ausschusses des k.k. Abgeordnetenhauses zur Ordnung der inneren Angelegenheiten ebenso wie sein designierter Nachfolger Heinrich Lammasch mit Antwort der alliierten und assoziierten Mächte zu den Bemerkungen der österreichischen Delegation über die Friedensbedingungen, 2. September 1919, in: Bericht. II. Band, S. 326. 168 Denkschrift vom 2. Juni 1919, in: Bericht. I. Band, S. 139 169 Bericht. I. Band, S. 333 170 Bericht. II. Band, S. 117 und S. 263. Der Begriff „Volksstamm“ entspricht dem cisleithanischen „Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ 1867, Art. 19; wobei die Juden nicht als Volksstamm anerkannt waren. 171 Dieter Kolonovits, Rechtsfragen des Wiedererwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Opfer des Nationalsozialismus (Vertriebene) nach österreichischem Staatsbürgerrecht, in: Staatsbürgerschaft und Vertreibung (= Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkommission. Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945, 7), Wien/ München 2004, S. 7–236, hier S. 62; Grandner, Staatsbürger, S. 75–79; Eleonore Lappin-Eppel, Zweifacher Neubeginn – die jüdischen Gemeinden in Österreich im 20. Jahrhundert, in: Miroslav Kunštát/Jaroslav Šebek/Hildegard Schmoller (Hg.), Kirche, Religion und Politik in Österreich und in der Tschechoslowakei im 20. Jahrhundert (= Schriftenreihe der Ständigen Konferenz österreichischer und tschechischer Historiker zum gemeinsamen kulturellen Erbe 3), Wien 2019, S. 7–31, hier S. 10 f. 167
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dem Vorschlag eines „Exekutivkomitees der Nationalregierungen in Österreich“.172 Anfang November 1918 stellte die deutschösterreichische Regierung den Vorschlag einer Liquidierungskommission der Nachfolgestaaten zur Diskussion. Doch Vlastimil Tusar, der tschechoslowakische Gesandte beim Ministerium Lammasch, bevorzugte die Vermittlungsdienste der bis zum 11. November 1918 ja formell noch bestehenden k.k. Regierung. Tatsächlich erreichte der k.k. Finanzminister Joseph Redlich die Zustimmung der deutschösterreichischen und tschechoslowakischen Regierungen am 6. November 1918 zur Aufnahme eines Zweimilliardenkredits bei der Österreichisch-Ungarischen Bank zur Deckung der Gehälter, Pensionen und sonstigen gemeinsamen Verpflichtungen.173 Nach dem Regierungsverzicht des Kaisers und nach dem Rücktritt der k.k. Regierung waren die zentralen Behörden und Anstalten der Monarchie, „die noch Geschäfte abzuwickeln hatten, die die wirtschaftlichen, rechtlichen, militärischen Interessen aller Nachfolgestaaten berührten“, gleichsam herrenlos.174 In dieser prekären Situation übernahm der deutschösterreichische Staat treuhändisch ihre Aufgaben. Die Provisorische Nationalversammlung beschloß am 12. November, die k.u.k. Ministerien und die k.k. Ministerien aufzuheben und ihre Aufträge und Vollmachten unter ausdrücklicher Ablehnung der Rechtsnachfolge den deutschösterreichischen Staatsämtern zu übertragen. Den anderen Nationalstaaten blieben die Ansprüche an die nunmehr „liquidierenden Ministerien“ gewahrt. Auch das „Gemeinschaftsgut“, soweit es sich auf deutschösterreichischem Staatsgebiet befand, verwalteten die deutschösterreichischen Staatsämter nunmehr „als Treuhänder aller beteiligten Nationen“; die Ansprüche der Nationalstaaten waren „völkerrechtlichen Kommissionen vorbehalten, die aus Bevollmächtigten aller beteiligten Nationalregierungen zu bilden sind“.175 Ein tragfähiges politisches Fundament erhielt diese „Abwicklung der gemeinsamen Angelegenheiten“ durch die seit 14. November im deutschösterreichischen Staatsamt des Äußern in unregelmäßigen Abständen tagende „Gesandtenkonferenz“ der Nachfolgestaaten Deutschösterreich, Ungarn, Tschechoslowakei, Rumänien, Italien und seit 27. November auch Jugoslawien.176 Alle Vertreter, auch Vlastimil Tusar, waren von ihren jeweiligen Regierungen zur Teilnahme ermächtigt.177 „Wir werden in Freundschaft zusammenarbeiten, um zu verhindern, daß die Freiheit der jungen nationalen Staaten durch blutige Zusammenstöße und Vorfälle bedroht wird“,178 bekräftigte der mit einer Wienerin verheiratete Sozialdemokrat Tusar. Schon in ihrer ersten Sitzung verständigte man sich grundsätzlich auf die Entsendung von sogenannten Kommissären der einzelnen Nationalstaaten zu den liquidierenden Ministerien und Zentralen.179 Die Verwirklichung dieses Plans zog sich allerdings in die Länge. Zwar wurden die deutschen Beamten auf Deutschösterreich vereidigt und die nichtdeutschen Hanns Haas, Staatsbildung als Programm: Der österreichische Staatsrat im November 1918, in: Der österreichische Staatsrat. Band 1, S. XXI–LXVI hier S. XXXV–XLI. 173 Fritz Fellner (Hg.), Das politische Tagebuch Josef Redlichs. Schicksalsjahre Österreichs 1908–1919 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 40). Band 2, Graz/Köln 1954, S. 314. 174 Otto Bauer, Die österreichische Revolution, Wien 1923, S. 131. 175 StGBl. Nr. 5, Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, ausgegeben am 15. November 1918. 176 Die Protokolle der Gesandtenkonferenzen finden sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919; vgl. weiters Hanns Haas, Österreich-Ungarn als Friedensproblem. Aspekte der Friedensregelung auf dem Gebiet der Habsburgermonarchie in den Jahren 1918–1919, phil. Diss., Band 1, Salzburg 1968, S. 4–53. 177 Tusar in der 1. Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918, in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 178 1. Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918, in: ebd. 179 Ebd. 172
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aus gemeinsamen Mitteln weiter bezahlt. Diese „Sortierung der Beamten“ und die Überleitung des Amtes ins Liquidationsstadium übernahm beispielsweise das Staatsratsmitglied Dr. Waldner im Gemeinsamen Finanzministerium und im Obersten Rechnungshof.180 Als „Liquidierungskommissär für das Kriegsministerium und das liquidierende Landesverteidigungsministerium“ ernannte der Staatsrat am 6. Dezember den Sektionschef Wilhelm Hanausek. Vorgesehen waren laut Stand 12. Jänner 1918 Bevollmächtigtenkollegien im Reichskriegsministerium, im österreichischen Landesverteidigungsministerium, im Gemeinsamen Finanzministerium sowie im deutschösterreichischen Staatsamt für Finanzen.181 Nach und nach konstituierten sich die Kollegien und amtierten in eigenen Büros zur Überwachung der „ganzen Geschäftstätigkeit der Liquidierungsorgane“.182 De facto schmälerte diese Internationalisierung den Einfluß der deutschösterreichischen Beamten in den jeweiligen Behörden; der Staatsrat verzögerte daher einige Zeit die Einrichtung weiterer Kollegien im Innenministerium und im Eisenbahnministerium sowie eines zur Verwaltung des Hofärars. Noch schwieriger war die Bildung einer Liquidierungskommission als zentrales ausführendes Organ der Gesandtenkonferenz. Man einigte sich zwar schon in der 6. Sitzung der Gesandtenkonferenz am 17. Dezember 1918 auf ihre vorrangige Aufgabe einer Inventarisierung aller gemeinsamen Aktiva und Passiva des österreichisch-ungarischen und österreichischen (Gesamt)staates. Diese Vorarbeiten sollten die Abwicklung der gemeinsamen Angelegenheiten, sei es im Kreise der Nationalstaaten, sei es durch die Pariser Friedenskonferenz vorbereiten. Die Kommission trägt „völkerrechtlichen Charakter“, das heißt, „eine Mehrheitsabstimmung findet nicht statt“. Doch erst am 21. Jänner 1919 beschloß die Gesandtenkonferenz die Aktivierung der Liquidierungskommission, die am 23. Jänner ihre Tätigkeit aufnahm und bis zum 30. Dezember 1919 in 115 Sitzungen ihr Arbeitspensum erledigte.183 Die Liquidierungskommission galt nunmehr als vorgesetztes Organ der Bevollmächtigtenkollegien in den einzelnen liquidierenden Ministerien. Zur Aufarbeitung spezieller Fragen setzte die Gesandtenkonferenz Unterkommissionen ein, beispielsweise in ihrer 2. Sitzung vom 20. November 1918 eine „Finanzkommission“ und in der 3. Gesandtenkonferenz vom 27. November 1918 ein zwischenstaatliches Komitee für „Beamtenfragen“. Die wichtigen Entscheidungen blieben ohnehin der Gesandtenkonferenz vorbehalten. Dringender Handlungsbedarf bestand bei der Sicherstellung der Gehälter und Pensionen für alle jene Beamten und Militärs, die in Deutschösterreich ihren Amtssitz hatten bzw. von Wien aus besoldet wurden, aber (vorläufig) nicht in den Dienst eines Nationalstaates getreten waren bzw. von diesem ihre Pension erhielten. Dabei handelte es sich überwiegend um nichtdeutsche Beamte bei den Zentralstellen, aber beispielsweise auch um stellungslose deutsche Offiziere. Schon in der ersten Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918 einigte man sich im Grundsatz auf die Fortzahlung der Gehälter und Pensionen dieser bunt zusammengewürfelten Personengruppe durch das deutschösterreichische Staatsamt für Finanzen aus der „Konkursmasse“ der Monarchie bis Ende Dezember 1918.184 Weil mittlerweile die gemeinsamen Mittel zur Neige gingen, mußten die Nationalstaaten dem deutschösterreichischen Staatsamt für Finanzen die Mittel zur Fortsetzung der Aktion SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. Berichte Bauers in der 8. Gesandtenkonferenz vom 21. Jänner 1918, in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 182 Bericht des jugoslawischen Vertreters Dr. Ploj in der 8. Gesandtenkonferenz vom 21. Jänner 1918, in: ebd. 183 Sitzungsprotokolle im Archiv der Republik BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Internationale Liquidierungskommission. 184 1. Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918, in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 180 181
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zur Verfügung stellen. Vom 1. Jänner 1919 an sollten „die Ruhe- und Versorgungsgenüsse, die auf einem Dienstverhältnisse zu der früheren gesamten bewaffneten Macht, zu den früheren k. und k. Zivilzentralstellen oder zu der früheren Kabinettskanzlei beruhen“ und die nicht von ihren Nationalstaaten formell übernommen bzw. besoldet wurden, durch Beiträge aller Nachfolgestaaten nach einem bestimmten Schlüssel gesichert werden. Dieser von einem Subkomitee der Gesandtenkonferenz vorgelegte Plan wurde in der Gesandtenkonferenz vom 17. Jänner 1919 bestätigt.185 Auch die tschechoslowakische Regierung war „im Prinzipe“ einverstanden. Vorbehalte erhob der Gesandte Vlastimil Tusar nur gegen die Einbeziehung hoher Militärs in diese Regelung, da es wohl nicht angehe, „daß die gemeinsame Armee überhaupt nicht mehr bestehe, dennoch aber aus gemeinsamen Mitteln noch ein Offizierskorps erhalten werde“.186 Mittlerweile war ohnehin ein Großteil der höheren Militärränge bereits entweder in die jeweiligen nationalen Armeen aufgenommen, in den Zivildienst übergetreten oder pensioniert respektive zwangspensioniert worden. Mit 1. Jänner 1919 versetzte Deutschösterreich alle höheren Militärs ab der V. Rangklasse mit deutschösterreichischer Staatsangehörigkeit in den Ruhestand. Diese Regelung betraf alle Generäle, Generalstabsärzte, Generalauditoren und Generalintendanten, insgesamt 300 Personen.187 Trotz Zwangspensionierungen und Dienstquittierungen mit Abfertigung verrichteten im August 1919 immer noch etwa 10.360 Offiziere Dienst. Bei den liquidierenden Formationen dienten 6.500, in der Volkswehr 2.873 und außerhalb dieser Bereiche 987 Offiziere.188 Nach denselben Grundsätzen wie die Pensionen der Militärs und der Ministerialbürokratie sollten die „allgemeinen Pensionen des ehemaligen österreichischen Staates“, soweit sie aus technischen Gründen, beispielsweise durch die Postsparkasse, in Wien zur Auszahlung gelangten, von allen Nachfolgestaaten übernommen werden. Diese Regelung betraf vor allem nunmehr tschechische Staatsbürger, die bisher über Wien ihre Pension erhielten. Weil sich eine entsprechende multilaterale Abmachung verzögerte, schlossen Deutschösterreich und die Tschechoslowakei am 3./4. Dezember 1918 ein entsprechendes Interimsabkommen.189 Auch die Unterhaltsbeiträge für Soldatenfamilien bzw. die Arbeitslosenfürsorge für die in die Heimat zurückgekehrten Soldaten wurden jedenfalls in Deutschösterreich und der Tschechoslowakei im Dezember 1918 überwiesen, allerdings für die nicht im jeweiligen Land heimatberechtigten Personen gegen spätere Abrechnung.190 Man kann die sozialpolitische Bedeutung dieser Gehalts- und Pensionsabkommen nicht hoch genug einschätzen. Sie haben in schwerer Zeit nicht nur die Lebenssituation tausender Existenzen und Familien gesichert, sondern wesentlich zur Stabilisierung der politischen Verhältnisse beigetragen. Damit legten sie die Basis für die nationalstaatliche Aufteilung der Pensionslasten in den diversen bilateralen
7. Gesandtenkonferenz vom 17. Jänner 1919, in: ebd. Vlastimil Tusar, ebd. 187 Verordnungsblatt des deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen 3/1918, Präs. 1967. Aus dienstrechtlichen Gründen, weil sie bei ihrem raschen Avancement noch nicht die formalen Voraussetzungen für die Pensionierung erfüllten, waren die Generalstabsobersten von der Regelung ausgenommen. Wolfgang Doppelbauer, Zum Elend noch die Schande. Das altösterreichische Offizierskorps am Beginn der Ersten Republik (= Militärgeschichtliche Dissertationen österreichischer Universitäten 9), Wien 1988, S. 25; Peter Melichar, Die Kämpfe merkwürdig Untoter, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 9 (1998), S. 51–84, hier S. 53; Wolfgang Etschmann, Theorie, Praxis und Probleme der Demobilisierung 1915–1921, phil. Diss., Wien 1979, S. 140. 188 Danzers Armee Zeitung, 30. August 1919, S. 12, zitiert nach Doppelbauer, Elend S. 72. 189 7. Gesandtenkonferenz vom 17. Jänner 1919, in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 190 4. Gesandtenkonferenz vom 6. Dezember 1918, in ebd.; dazu Manuela Hauptmann. Unterhaltsbeiträge für Soldatenfamilien der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg, phil. Diss., Wien 2015. 185 186
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Verträgen der Nachkriegszeit.191 Die durchwegs nationalstaatlich orientierte Geschichtsschreibung hat diese Erfolgsstory übernationaler Kooperation verschwiegen oder bagatellisiert. Der Staatsvertrag von St. Germain mußte sich mit dieser komplexen Materie nicht mehr im Einzelnen auseinandersetzen. Sie gehörten zu jenen „finanziellen Regelungen“, die unter der Obhut der Reparationskommission durch „Übereinkommen“ der Nachfolgestaaten geregelt werden sollten.192 Die staatlichen Pensionsansprüche wurden jedenfalls an die nunmehrige Staatsbürgerschaft gekoppelt. Die „Bezugsberechtigten von Zivil- und Militärpensionen des ehemaligen österreichischen Staates“, die nun als Angehörige eines anderen Staates als Österreich anerkannt waren, konnten „aus dem Titel ihrer Pension keine Ansprüche an die österreichische Regierung stellen“ (Art. 216/St. Germain). Ein wesentliches Liquidierungsanliegen war die Bedienung des Staatsschuldenkupondienstes, der wie die ganze Staatsschuldenverwaltung mit Gesetz vom 12. November treuhändisch vom deutschösterreichischen Staat übernommen wurde und aus den noch vorhandenen gemeinsamen Mitteln, den sogenannten „Schatzscheinen“, respektive dem „Erlös der Kassenscheine“ finanziert wurde.193 Als Gefahr bestand, daß die Gesandtenkonferenz diesen interimistischen Zustand beendete, weil nach tschechoslowakischer und polnischer Meinung die deutschösterreichische Treuhandschaft mit der Einsetzung der Liquidierungskommission beendet war, und als damit die Fortführung des Kupondienstes in Frage stand, griff die davon – vermutlich von österreichischer Seite – informierte Pariser Friedenskonferenz korrektiv ein,194 um einen Zusammenbruch des Bank- und Kreditwesens auf dem Gebiet der ehemaligen Donaumonarchie zu verhindern. Wenn das geschähe, wie sollte die alliierte Lebensmittelhilfe für die Donaustaaten bezahlt werden, äußerte sich besorgt der britische Außenminister Arthur James Balfour.195 Zwar verwahrte sich der tschechoslowakische Außenminister Edvard Beneš gegen jede tschechoslowakische Rechtsnachfolge für österreichischungarische Schulden und Verpflichtungen.196 Die Angelegenheit wurde schließlich durch ein Schreiben der Friedenskonferenz entschieden, wonach die Bezahlung der Märzkupons kein Präjudiz für die Verteilung der österreichisch-ungarischen Schuld auf der Friedenskonferenz sei.197 Es ist immerhin bemerkenswert, daß die Pariser Friedenskonferenz in direkte Beziehung mit der Gesandtenkonferenz trat, einem Organ zur autonomen Regelung internationaler Angelegenheiten der Donaustaaten. Übrigens hat der Vertrag von St. Germain die Begleichung der Schulden des Habsburgerstaates auf alle Nachfolgestaaten aufgeteilt, ausgenommen die Kriegsschulden, die Österreich und Ungarn alleine zu tragen hatten. Das zeitgenössisch aktuell am meisten umstrittene Kapitel betraf die Demobilisierung der Militärgüter. Die Sachdemobilisierung war im alten Österreich Aufgabe des „Generalkommissariats für Kriegs- und Übergangwirtschaft“. Das Amt sollte nicht nur die Bestände der Armee der volkswirtschaftlichen Verwertung zuführen, sondern auch den Wiederaufbau Hans Schmitz, Die Angestelltenversicherung. Band 1, Wien 1948, Einleitung. Vgl. Artikel 215, in: Bericht. II. Band, S. 503 und S. 348. Die Österreichische Delegation hat diese ihrem Rechtsverständnis entsprechende Regelung begrüßt. Gegenvorschläge vom 6. August 1919 zu den Friedensbedingungen vom 20. Juli 1919, in: ebd., S. 211. 193 11. Gesandtenkonferenz vom 1. März 1919, Aussage des Vorsitzenden v. Rožicky, Vertreter der polnischen Republik sowie 12. Gesandtenkonferenz vom 4. März 1919 in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 194 Haas, Österreich-Ungarn, S. 89. 195 Beratung des Council of Ten, 24. Februar 1919, Papers relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference, Volume 4, Washington 1943, S. 100. 196 Protokolle des Supreme War Council, 12. März 1919, Papers relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference, Volume 2, Washington 1942, S. 350. 197 Schreiben: 12. Gesandtenkonferenz vom 4. März 1919, in: AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. 191 192
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der Volkswirtschaft organisieren.198 Nach Auflösung dieses Amtes im November 1918 gingen die Nachfolgestaaten in punkto Sachdemobilisierung ganz unterschiedlich vor. Während Deutschösterreich, wie erwähnt, das auf seinem Gebiet liegende Gut treuhändisch und gegen Verrechnung übernahm,199 requirierten die übrigen Nachfolgestaaten die gemeinsamen Sachgüter ohne jede Rückverrechnung. „Die stehlen es einfach“, konstatierte Karl Seitz in der 34. Staatsratssitzung vom 16. November 1918. Gleichzeitig aber verlangten sie ihren Anteil an den in Deutschösterreich, speziell in Wien und Umgebung, bei den Zentralen und diversen Sammelstellen liegenden Sachgütern, gelegentlich sogar die k.k. respektive k.u.k. Ministerialgebäude samt Einrichtung und den ganzen Hofstaat als gemeinsames Eigentum. In dieser Situation mehrten sich auch im neuen Österreich die Stimmen, die Sachliquidierung in Eigenregie zu übernehmen, wobei viele Militärlager und Zivildepots „beim plötzlichen Zusammenbruch des Krieges“ ohnehin bereits von der Bevölkerung teils mit, teils ohne Billigung kommunaler und regionaler Organe geplündert worden waren.200 Die Verhandlungen des Staatsrates kreisten im November um die Frage, ob man nicht die Sachgüter rasch und unbürokratisch veräußern und nur den Erlös in die gemeinsame Liquidierung einbringen sollte. Damit wollte man einer gemeinsamen Sachliquidierung durch Organe der Gesandtenkonferenz oder gar einem Durchgriff der Entente auf die Sachgüterverteilung zuvorkommen. Dieser extreme Standpunkt war nicht durchzuhalten, weil Österreich selbst an einem zwischenstaatlichen Güteraustausch interessiert war. Außerdem wußte man vom dringenden tschechoslowakischen Bedarf an Rüstungsgütern und industriellen Rohprodukten. „Was die Tschechen von uns zunächst fordern, ist die komplette Armeeausrüstung für 300.000 Mann“, berichtete Unterstaatssekretär Riedl von jüngsten Unterhandlungen.201 Der Staatsrat einigte sich daher am 6. Dezember auf den Grundsatz, nach dem Vorbild der Nachbarstaaten die Demobilisierungsgüter „in ausschließliche Verwahrung“ zu nehmen und einen Anspruch auf „Realteilung“ in natura nur auf der Basis der Gegenseitigkeit anzuerkennen.“ 202 Mit dieser Übereinkunft war der Weg frei für zwischenstaatliche österreichisch-tschechische Verhandlungen vorbei an der Gesandtenkonferenz. Zum Mißfallen der übrigen Interessenten beschlagnahmten Deutschösterreich und die Tschechoslowakei jeweils ein Fünftel der auf ihrem Staatsgebiet befindlichen Liquidierungsgüter zum bilateralen Austausch. Der am 13. Dezember unterschriebene Kompensationsvertrag betraf nach Aussage Tusars und Bauers industrielle Rohstoffe und Eisenbahnmaterialien; nach tschechoslowakischen Quellen erhielt die Tschechoslowakei aber auch Kriegsmaterial aus österreichischen Beständen.203 Auch Kohle und Zucker wurde, wie erwähnt, gegen Demobilisierungsgut eingetauscht. Solange ein „Aufteilungsschlüssel“ für die Sachgüter zwischen den Nachfolgestaaten nicht zustande kam, wollten Tusar und Bauer ähnliche Verträge auch mit anderen Nachbarstaaten abschließen. Am 11. Dezember 1918 beschloß der Staatsrat die Errichtung der deutschösterreichischen Hauptstelle für Sachdemobilisierung.204 Politisches Handbuch, S. 210–213, hier S. 210. StGBl. Nr. 5, Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, ausgegeben am 15. November 1918. 200 Politisches Handbuch, S. 210. 201 SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918; vgl. auch KRP Nr. 21/4 vom 6. Dezember 1918. 202 SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918. Es handelt sich formell nicht um einen Beschluß, sondern um einen Protokollvermerk, der nicht wie Beschlüsse vervielfältigt wurde. 203 6. Gesandtenkonferenz vom 17. Dezember 1918, in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. Die Rede ist vom Militärgut in Korneuburg. Vgl. Tschechoslowakisches Regierungsprotokoll vom 7. Dezember 1918, in: Machatková/Malá (Hg.), Z protocolů schůzí první československé vlády 1918–1919, S. 19 f. Der Staatsrat trat dem vorläufigen Abkommen am 16. Dezember bei. Vgl. SRP Nr. 59/IIIa) vom 16. Dezember 1918. 204 SRP Nr. 57/4 vom 11. Dezember 1918. 198 199
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Die endgültige Regelung der Sachdemobilisierung oblag ohnehin der Friedenskonferenz. Dort wollte der tschechoslowakische Außenministers Beneš für die Tschechoslowakei „Wiedergutmachung fordern und das Prinzip der Liquidation Österreich-Ungarns a limine zurückweisen“.205 Die auf ihrem Gebiet liegenden Staatsgüter sollte die Tschechoslowakei „gratuitement“ erhalten, die in Deutschösterreich und Ungarn befindlichen Staatsgüter hingegen, abgesehen vom speziellen Bedarf der Administration der beiden Staaten, sollten auf alle übrigen Nachfolgestaaten aufgeteilt werden.206 Der Staatsvertrag von St. Germain stand jedoch auf dem Prinzip der territorialstaatlichen Verfügungsrechte über das Staatsgut, das übrigens Österreich und Ungarn als Rechtsnachfolger der Monarchie entschädigungslos zufiel, während es die übrigen Nachfolgestaaten zu Gunsten des österreichisch-ungarischen Reparationskontos ablösen mußten – wozu es freilich nie kam. Für die noch verbliebenen gemeinsamen Angelegenheiten war laut Art. 179/Staatsvertrag von St. Germain die Reparationskommission zuständig. Unter diesen Voraussetzungen hat die österreichische Regierung durch Gesetz vom 18. Dezember 1919 die Liquidierung nationalisiert (StGBl. 577/1919).
Edvard Beneš an den tschechoslowakischen Finanzminister Alois Rašín, 25. Februar 1919, in: Franz Hadler, Peacemaking 1919 im Spiegel der Briefe Edvard Beneš’ von der Pariser Friedenskonferenz. Teil 1, in: Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte, Nr. 1 (1994): Rußland im 20. Jahrhundert, S. 213–255, hier S. 237. 206 Note der tschechoslowakischen Delegation vom 16. Mai 1919, in: Recueil des actes de la conférence. Partie IV, B 7, Commission financière, Paris 1925, S. 80–82. 205
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Darstellung der Quelle. Grundsätzliches zur Edition Die Österreichische Gesellschaft für historische Quellenstudien (ÖGQ) begann 2008 anläßlich des 90jährigen Bestehens der Republik Österreich mit der Edition der Protokolle des Staatsrates eine neue Reihe der Regierungsprotokolle. Diese Edition schließt an die bereits 1979 bzw. 1994 in Angriff genommenen Reihen zur Zwischenkriegszeit und zur Nachkriegszeit seit 1945 an. Damit wird für die Forschung eine weitere zentrale Quellenüberlieferung wissenschaftlich aufbereitet.1 Die Edition der Staatsratsprotokolle wurde auf drei Bände konzipiert. Band 1 ist 2008 erschienen. Nach Streichung der Basissubvention 20092 können die Reihen der Aktenedition nur mehr projektbezogen fortgesetzt werden. Erst aus Anlaß des 100jährigen Bestandes der Republik Österreich konnte mit Unterstützung des österr. Bundeskanzleramtes und der Stadt Wien die Reihe der Edition der Protokolle des Staatsrates mit Band 2 und 3 fortgesetzt werden. Parallel dazu wurde die Edition der Kabinettsratsprotokolle der Regierung Karl Renner 1918–1920 begonnen. Die Edition wird die Protokolle des Kabinettsrates Nr. 1 vom 31. Oktober 1918 bis Nr. 198 vom 6. Juli 1920 umfassen. Der erste Band (Protokoll Nr. 1 vom 31. Oktober 1918 bis Nr. 36 vom 31. Jänner/1. Februar 1919) der voraussichtlich sechs Bände umfassenden Editionsreihe ist im Jahr 2018 erschienen. Die Gesamtedition umfaßt die Protokolle des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, die Protokolle des Staatsrates sowie jene des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums. Der Editionsplan gibt Aufschluß über die Protokolle geordnet nach Bänden. Der vorliegende Band 2 enthält die Protokolle des Staatsrates von Nr. 34 vom 16. November bis Nr. 57 vom 11. Dezember 1918. Der Band 3 wird die Staatsratsprotokolle von Nr. 58 vom 13. Dezember 1918 bis Nr. 77 vom 7. März 1919 sowie die Protokolle des Staatsratsdirektoriums von Nr. 1 vom 15. November 1918 bis Nr. 26 vom 11. März 1919 enthalten. Die Regierungsarbeit war in diesen knapp vier Wochen durch die nachkriegsbedingte, alle Lebensbereiche umfassende Notlage sowie durch die Vorbereitung der Wahl zur konstituierenden Nationalversammlung und damit des Übergangs zur republikanischen Staatsform geprägt.
Zur Textüberlieferung Die Edition beruht auf Archivmaterial aus dem Bestand Ministerratsangelegenheiten, Ministerrat 1. Republik, Staatsratsprotokolle, des Archivs der Republik. Alle überlieferten Sitzungsprotokolle sind maschinschriftlich auf dünnem Durchschlagspapier erhalten. Es feh Zu Bedeutung und Nutzen der Edition vgl. Gertrude Enderle-Burcel/Hanns Haas/Peter Mähner, Darstellung der Quelle. Grundsätzliches zur Edition, in: Der österreichische Staatsrat. Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums. Band 1: 21. Oktober 1918 bis 14. November 1918. Herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel/Hanns Haas/ Peter Mähner, Wien 2008, S. XIII–X XI, hier S. XVII-XX. 2 Vgl. dazu Gertrude Enderle-Burcel, Lust und Frust des Edierens. Gedanken zu dreißig Jahren Edition der Ministerratsprotokolle der Republik Österreich, in: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Forschungen zum Nationalsozialismus und dessen Nachwirkungen in Österreich. Festschrift für Brigitte Bailer, Wien 2012, S. 297–312. 1
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len Stenogramme und die maschinschriftlichen Originale. Offenbar erhielten auch alle im Staatsrat vertretenen Parteien ein Exemplar, sodaß vermutlich noch weitere Überlieferungen existieren. Die zeitgenössische Literatur der Zwanzigerjahre verwendete schon die Staatsratsprotokolle.3 Das Archivmaterial besteht aus den Protokollen Nr. 1 bis Nr. 11 des Vollzugsausschusses und den in geschlossener Reihe von Nr. 12 bis Nr. 77 durchnumerierten Protokollen des Staatsrates sowie den Protokollen Nr. 1 bis Nr. 26 des Staatsratsdirektoriums. Das Protokoll Nr. 19 vom 5. November 1918 ist als einziges nicht auffindbar. Zu den Sitzungsprotokollen gibt es Beschlußprotokolle, die die in den einzelnen Sitzungen gefaßten Beschlüsse wiedergeben. Diese Beschlußprotokolle wurden hektographiert an alle wichtigen Staatsfunktionäre verteilt und sind daher in großer Zahl erhalten. Ein gedruckter Index zu den Beschlußprotokollen diente der Verwaltung zur Orientierung und leichteren Handhabung.4 Allen Protokollen – mit Ausnahme von Nr. 36 – liegen ergänzende Materialien zu den einzelnen Tagesordnungspunkten bei. Diese Beilagen umfassen gedruckte Gesetzesentwürfe, Entwürfe von Vollzugsanweisungen, Anträge der Staatsräte sowie sonstiges Material, wie etwa Zeitungsartikel, Korrespondenzstücke o. ä. Diese Schriftstücke liegen den Protokollen als Konvolut bei. Das äußere Erscheinungsbild der Beilagen läßt Rückschlüsse auf eine provisorische, noch nicht formalisierte Regierungspraxis zu. So weisen die Beilagen regelmäßig handschriftliche oder maschinschriftliche Anmerkungen auf. Fallweise wurden Dokumente, etwa alte Tagesordnungen, wiederverwendet. Anträge der Staatsräte wurden als handschriftliche Notizen auf vorhandenen Materialien unterschiedlichster Größe und Beschaffenheit festgehalten. Die Beilagen weisen handschriftliche Numerierungen auf, die eine Zuordnung zu den Protokollen und Tagesordnungspunkten ermöglichen. Die Protokolle der Sitzungen des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums sind von 1 bis 26 durchnumeriert, reichen vom 15. November 1918 bis 13. März 1919 und befinden sich gleichfalls im Archiv der Republik. Diese Protokolle sind mit „Vermerkprotokoll“ oder „Vermerk“ überschrieben und wurden vom Präsidialdirektor der Staatskanzlei, Josef Löwenthal, geführt.
Protokollführung Die Protokolle – mit Ausnahme jener des Staatsratsdirektoriums – führten anfangs abwechselnd drei Mitglieder des Gremiums, die Staatsräte Robert Freißler, Wilhelm Miklas und Josef Seliger, das entsprach der Gepflogenheit parlamentarischer Ausschüsse. Die Beschlußprotokolle zu den ersten zwei Sitzungen sind vom Staatskanzler Karl Renner selbst verfaßt. Dem Vollzugsausschuß wurde am 29. Oktober 1918 der Archivar Viktor Kreutzinger zur Dienstleistung zugeteilt. Als einziger Schriftführer des Vollzugsausschusses und des späteren Staatsrates verfaßte er Anfang November 1918 die Verhandlungsschriften und die Beschlußprotokolle. Als die Staatskanzlei kurz vor Ausrufung der Republik die Beamten Dr. Arthur Fenz, Dr. Viktor Groß und Dr. Karl Schmidt mit der Anfertigung der Beschlußprotokolle betraute und die stenographische Aufnahme der Verhandlung halbstündig abwechselnd Be Vgl. z. B. Ludwig Brügel, Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie, Band 5: Parlamentsfeindlichkeit und Obstruktion. Weltkrieg; Zerfall der Monarchie (1907–1918), Wien 1925; Robert Freißler, Vom Zerfall Österreichs bis zum tschechoslowakischen Staate, Berlin 1921; Edmund GlaiseHorstenau, Die Katastrophe. Die Zertrümmerung Österreich-Ungarns und das Werden der Nachfolgestaaten, Zürich/Leipzig/Wien 1929. 4 Register zu den Beschlußprotokollen des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung und des Staatsrates, 21. Oktober 1918 bis 7. März 1919, Wien 1919. 3
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amte des ehemaligen Stenographenbüros des Reichsrates besorgten, hatte Kreutzinger die Verhandlungsschriften auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Ab 7. Dezember 1918 wurde auf die Beamten des Stenographenbüros verzichtet. Seitdem versahen Kreutzinger und die drei genannten Beamten den Stenographendienst. Die Stenogramme sind bisher nicht gefunden worden.
Auswahl und Anordnung der Dokumententeile Die einzelnen Teile der chronologisch geordneten Sitzungsprotokolle wie Präsenzliste, Tagesordnung, Reinschrift des Sitzungsprotokolls und Beschlußprotokoll werden in der Regel im vollen Umfang wiedergegeben. Auf editionstechnisch bedingte Ausnahmen wird im Detail eingegangen. Die Dokumententeile umfassen den Dokumentenkopf, – falls vorhanden – die Tagesordnung, weiters Beilagenlisten, die von den Bearbeitern erstellt wurden, die Texte der Protokolle und der Beschlußprotokolle sowie in Einzelfällen den Inhalt von historisch besonders relevanten Beilagen. Dokumentenkopf Von den Bearbeitern wurde ein standardisierter Dokumentenkopf erstellt. Dieser gibt Aufschluß über die Protokollnummer, Wochentag und Datum der Sitzung, und soweit feststellbar über den Vorsitz, den oder die Schriftführer und die Dauer der Sitzung. Weiters wird die Anwesenheit der Staatsräte, Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre und sonstiger Teilnehmer der Sitzung in alphabetischer Reihenfolge angeführt. Über Funktion, Partei- oder Ressortzugehörigkeit der Anwesenden gibt das Personenregister Auskunft. Der Dokumentenkopf enthält auch Hinweise auf die vorhandenen Teile des Protokolls – Reinschrift, Präsenzliste, Beschlußprotokoll. Fehlende Präsenzlisten wurden anhand der Wortmeldungen rekonstruiert. Tagesordnung Dem Dokumentenkopf folgt die Tagesordnung. Die Tagesordnung wurde meist zwei bis drei Tage vor der Staatsratssitzung erstellt und entspricht nur in seltenen Fällen dem tatsächlichen Verhandlungsverlauf. Einzelne Punkte der vorgesehenen Tagesordnung wurden nicht selten ohne Angabe von Gründen nicht behandelt, andererseits wurden häufig dringend zu behandelnde Themen nachträglich auf die Tagesordnung gesetzt. Den ersten Protokollen liegen keine Tagesordnungen bei, ab Protokoll Nr. 42 vom 22. November 1918 sind sie regelmäßiger vorhanden. In den 23 Protokollen des vorliegenden Bandes gibt es bei 12 Protokollen Tagesordnungen. Die Tagesordnungen wurden in der Originalform übernommen. Die Abweichungen zum tatsächlichen Sitzungsverlauf wurden im Anmerkungsapparat des Haupttextes vermerkt. Beilagenliste Auf die Tagesordnung folgt eine vom Bearbeiter erstellte Beilagenliste, die Aufschluß über Form, Inhalt und Umfang des beiliegenden Materials gibt. Die Numerierung der Beilagen erfolgt dem Original entsprechend mit römischen Ziffern. Text des Protokolls Auf die schematisierten Anfangsteile der Dokumente – Dokumentenkopf, Tagesordnung, Beilagenliste – folgt der Text der Protokolle. Der Text wird in vollem Umfang wiedergegeben.
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Die maschinschriftlich abgefaßte Reinschrift weist fallweise handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen auf. Textkritische Hinweise dazu finden sich im Anmerkungsapparat. Die Protokolle sind ausführlich, aber nicht als Wortprotokolle geführt. Anträge und Abstimmungsergebnisse sind wörtlich aufgenommen, die in Diskussionen vorgebrachten Argumente häufig zu Blöcken zusammengefaßt. Eine Ausnahme bilden die Protokolle Nr. 56 und Nr. 57, die den Diskussionsverlauf nur in Stichworten wiedergeben. Die Texte aller übrigen Protokolle sind ausformuliert. Unverkennbar ist die Professionalität der im Parlament geübten Schriftführer. Alle Protokolle sind gut redigiert, es gibt nur wenige Unsicherheiten bezüglich der intendierten Aussage. Beilagen Die Beilagen zu den Sitzungsprotokollen wurden – wie schon angeführt – in einer dem Protokolltext vorangestellten und vom Bearbeiter erstellten Beilagenliste verzeichnet. Auf Grund des sehr großen Umfanges der Beilagen werden diese nicht in die Edition aufgenommen. Nur in Ausnahmefällen finden historisch besonders relevante Beilagen Eingang in die Edition. Im vorliegenden Band wurde nur eine Beilage des Protokolls Nr. 37 – der Entwurf einer Geschäftsordnung für den Staatsrat – in vollem Umfang aufgenommen. Von allen Beilagen wurden umfangreiche Regesten in Form von Anmerkungen erstellt, die Aufschluß über Art, Verfasser, Inhalt und Umfang der Beilage geben. Ein Teil der Inhalte der Beilagen, etwa wenn es sich um Anträge der Staatsräte handelt, wird in vollem Wortlaut im Beschlußprotokoll wiedergegeben. Auf dies wird im Anmerkungsapparat mit Verweis auf den betreffenden Punkt im Beschlußprotokoll hingewiesen. Beschlußprotokolle Die Beschlußprotokolle wurden in die Edition aufgenommen, da sie häufig zusätzliche Informationen zum Protokolltext enthalten. So scheinen manche Anträge nur im Beschlußprotokoll auf bzw. sind in ausführlicherer Form als im Haupttext behandelt. Die Diskussion mancher Themen – etwa schwieriger Gesetzesmaterien – verlief oft so unübersichtlich, daß die kurzen und guten Zusammenfassungen der Debattenergebnisse im Beschlußprotokoll eine inhaltliche Klärung darstellen. Im vorliegenden Band bilden die Beschlußprotokolle der Sitzungsprotokolle Nr. 43, 44, 52 und 53, eine Ausnahme, da sie nicht vollständig in die Edition aufgenommen wurden. Diese Beschlußprotokolle enthalten eine Auflistung von Gnadengesuchen. D arin wurden die Verurteilten namentlich und unter Nennung des Vergehens mit den in den einzelnen Fällen getroffenen Entscheidungen angeführt. Diese umfangreichen Listen wurden in die Edition nicht aufgenommen, da sie historisch nicht relevant sind und den Aufwand von biographischen Recherchen zu den Verurteilten nicht rechtfertigen. Der Inhalt der Listen wird aber knapp zusammengefaßt, um für eventuelle Spezialstudien Hinweise zu geben.
Editorische Erläuterungen Oberste Regel der Edition ist das Bemühen um Wiedergabe eines möglichst getreuen Abbildes der Quelle. Dazu gehört auch, daß die 1996 festgelegten neuen Rechtschreibregeln nicht berücksichtigt wurden. Aus Gründen der Einheitlichkeit zu Band 1 der Reihe der Staatsratsprotokolle wurde auch in den von den Bearbeitern verfaßten Textteilen der Folgebände die „alte Rechtschreibung“ verwendet. Um den Text leichter lesbar und übersichtlicher zu gestalten, waren allerdings einige behutsame Eingriffe des Bearbeiters notwendig.
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Alle Textteile der Edition sind in Normalschrift wiedergegeben. In Kursivschrift gesetzt sind lediglich in der Originalvorlage ursprünglich vorhandene, aber abgeänderte oder gestrichene Worte sowie die Transkription kurzer auf den Beilagen angebrachter Notizen in Gabelsberger Kurzschrift, die in den Fußnoten ausgewiesen sind. Offensichtliche orthographische Fehler oder Irrtümer wurden weitgehend ohne Anmerkungen vom Bearbeiter korrigiert. Nur in Ausnahmefällen wurde das Original belassen. Ein {sic!} zeigt sprachliche Unebenheiten an. Ergänzungen des Bearbeiters im Haupttext sind in eckige Klammern gesetzt. Dies betrifft in erster Linie bei Vorliegen einer Tagesordnung die Numerierung der Tagesordnungspunkte im Protokolltext.5 Schreibweisen von Namen, mit Ausnahme der Staatsräte, Staatssekretäre und Unterstaatssekretäre, sowie von Sachbegriffen sind im edierten Text der Vorlage entsprechend beibehalten worden. Der Anmerkungsapparat und das Personenregister enthalten gegebenenfalls die Richtigstellung. Auch die unterschiedliche Schreibung von Ländern, Staaten und Regionen wurde beibehalten. Den deutschen Namen der Orte in den Nachfolgestaaten wird im geographischen Register die landessprachliche Variante hinzugefügt. Ausgenommen davon sind Hauptstädte wie Prag oder Preßburg. Unterstreichungen und Hervorhebungen durch Sperrung im Original werden generell durch Sperrung wiedergegeben. Die Namen der Redner sind zur besseren Übersichtlichkeit generell gesperrt dargestellt. Im Original kommen sie teils unterstrichen, teils gesperrt oder in Standardschrift vor. Die im Original in den verschiedensten Varianten wiedergegebenen Abkürzungen der Funktionen der Redner wurden beibehalten. Zur besseren Übersicht und Lesbarkeit wurden zusammenhängende Textstellen, in der Regel Diskussionen von Anträgen, durch einen Absatz hervorgehoben. Ansonsten folgt das äußere Erscheinungsbild des Textes bei der Form der Absätze, bei Zentrierungen und eingerückten Passagen u. ä. soweit wie möglich der Vorlage. Die Vielzahl der verschiedenartigen, oft sehr speziellen Sachverhalte bedarf eines erläuternden und ergänzenden Kommentars. Der kommentierende Anmerkungsapparat enthält textkritische und sachbezogene Hinweise. In den sachbezogenen Anmerkungsapparat wurden aufgenommen: genaue Angaben zu Art, Umfang und Inhalt der Beilagen; fallweise Auflösung von Abkürzungen; Erörterung seltener und kaum mehr gebräuchlicher Sachbegriffe und Fremdwörter; Identifizierung von Personen, die im Text nur ihrer Stellung nach bezeichnet sind; Richtigstellung unbemerkt gebliebener Irrtümer; Verweise auf in Sinn- und Zeitzusammenhang stehende Kabinetts- und Staatsratsprotokolle, auf Gesetzesblätter, auf die Behandlung der Vorlagen und Anträge in parlamentarischen Vertretungskörpern sowie auf Artikel in publizistischen Organen; Verweise auf zugrundeliegende oder weiterführende Aktenbestände des österr. Staatsarchivs und des Parlamentsarchivs sowie auf wissenschaftliche Fachliteratur. Historische Darstellungen und wissenschaftliche Kontroversen wurden in den Kommentar nicht einbezogen. Der Anmerkungsapparat will keine Geschichtsdarstellung leisten, sondern durch Erläuterungen und Ergänzungen das Verständnis erleichtern und weitere Forschungsmöglichkeiten aufzeigen. Das Literaturverzeichnis umfaßt daher auch nur die zur Kommentierung erforderlichen bzw. im Anmerkungsapparat zitierten Werke. Zu den Personen wurden Anmerkungen erstellt, die vor allem jene Lebensdaten enthalten, die Aufschluß über die Stellung der Personen zum Zeitpunkt der Erwähnung geben. Im Anschluß an den Quellentext liefert ein umfangreiches Personenregister zusätzliche Informationen. Ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein geographisches und ein Sachregister erleichtern zusätzlich die Benützung der Quelle.
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Tagesordnungen liegen den Protokollen Nr. 37, 42, 44, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 55, 56 und 57 bei.
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Danksagung Zum Zustandekommen dieses Bandes haben neben der Herausgeberin und den Herausgebern und dem Bearbeiter eine Reihe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Österreichischen Gesellschaft für historische Quellenstudien und des Österreichischen Staatsarchivs beigetragen, denen ausdrücklicher Dank gebührt. Für Vorarbeiten ist Dr. Herbert Hutterer und Mag. Peter Wackerlig zu danken. Die Arbeit am vorliegenden Editionsband war weiters nur durch die Hilfe vieler weiterer Einzelpersonen und Institutionen möglich, denen an dieser Stelle ebenfalls gedankt sei. Zu nennen sind hier das Bundeskanzleramt der Republik Österreich, der Beirat und die Geschäftsstelle des Beirates für das Gedenk- und Erinnerungsjahr 2018, insbesondere Bundespräsident i. R. Univ.-Prof. Dr. Heinz Fischer, der Jubiläumsfonds der Stadt Wien für die Österreichische Akademie der Wissenschaften sowie das Institut für Osteuropäische Geschichte der Universität Wien.
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Vollzugsausschuß, Staatsrat, Staatssekretäre, Unterstaatssekretäre und andere Beauftragte des Staatsrates Präsidium (ab 21. Oktober 1918) Dr. Franz Dinghofer Dr. Jodok Fink
(bis 30. Oktober 1918)
Dr. Johann Nepomuk Hauser Karl Seitz Vollzugsausschuß (21. Oktober 1918 bis 30. Oktober 1918) Simon Abram
Dr. Ämilian Schoepfer
Dr. Viktor Adler
Michael Schoiswohl
Dr. Josef Baechlé
Josef Seliger
Dr. Robert Freißler
Dr. Otto Steinwender
Dr. Johann Nepomuk Hauser
Josef Stöckler
Josef Mayer
Dr. Julius Sylvester
Wilhelm Miklas
Oskar Teufel
Dr. Julius Ofner
Dr. Karl Urban
Raphael Pacher
Dr. Viktor Waldner
Dr. Karl Renner
Karl Hermann Wolf
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LVI
Liste der Staatsratsmitglieder und anderer Beauftragter des Staatsrates Staatsrat
Mitglieder Simon Abram (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dr. Viktor Adler (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 11. November 1918) Dr. Josef Baechlé (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 27. November 1918; Ersatzmann: 27. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Gustav Bodirsky (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918; Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Franz Domes (Mitglied: 30. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Wilhelm Ellenbogen (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918; Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Jodok Fink (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dr. Robert Freißler (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Max Friedmann (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dr. Viktor Fuchs (Ersatzman: 23. Jänner 1919 bis 14. März 1919) Otto Glöckel (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Josef Grim (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Rudolf Gruber (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918; Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Atanas Guggenberg (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dipl.-Ing. Rudolf Heine (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Richard Herzmansky (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Karl Iro (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918; Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Anton Jerzabek (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 27. November 1919; Mitglied: 27. November 1918 bis 14. März 1919) August Maria Kemetter (Ersatzmann: 23. Jänner 1919 bis 14. März 1919) Anton Keschmann (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Otto Kroy (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dr. Philipp Langenhan (Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Karl Leuthner (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Stefan Licht (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Franz Loser (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Josef Luksch (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918; Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919)
_Staatsrat Band 2.indb 56
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Liste der Staatsratsmitglieder und anderer Beauftragter des Staatsrates
LVII
Richard Marckhl (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Josef Mayer (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Wilhelm Miklas (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Josef Nagele (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Raimund Neunteufel (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Julius Ofner (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Raphael Pacher (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Ferdinand Pantz (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 23. Jänner 1919) Franz Prisching (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 23. Jänner 1919) Dr. Karl Renner (Ersatzmann: 30. November 1918 bis 12. November 1918; Mitglied: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Hans Resel (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dr. Ämilian Schoepfer (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Michael Schoiswohl (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Dr. Hans Schürff (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Josef Seliger (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918; Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Otto Steinwender (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Josef Stöckler (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Dr. Julius Sylvester (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Oskar Teufel (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Josef Tomschik (Ersatzmann: 12. November 1918 bis 14. März 1919) Dr. Karl Urban (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Dr. Leopold Waber (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 12. November 1918) Dr. Viktor Waldner (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Karl Hermann Wolf (Mitglied: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919) Richard Wollek (Ersatzmann: 30. Oktober 1918 bis 14. März 1919)
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LVIII
Liste der Staatsratsmitglieder und anderer Beauftragter des Staatsrates Staatssekretäre, Unterstaatsekretäre und andere Beauftragte des Staatsrates Staatskanzler Dr. Karl Renner Staatsnotar Dr. Julius Sylvester Staatsamt für Äußeres
Staatssekretär:
Dr. Viktor Adler (bis 11. November 1918) Dr. Otto Bauer
Unterstaatssekretäre: Egon Pflügl Dr. Leopold Waber Staatsamt für Finanzen Staatssekretär:
Dr. Otto Steinwender
Unterstaatssekretäre: Dr. Eugen Beck Dr. Ferdinand Grimm Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel Staatssekretär:
Dr. Karl Urban
Unterstaatssekretär: Richard Riedl Staatsamt für Heerwesen Staatssekretär:
Josef Mayer
Unterstaatssekretäre: Dr. Julius Deutsch Dr. Erwin Waihs Staatsamt für Inneres Staatssekretär:
Dr. Heinrich Mataja
Unterstaatssekretäre: Otto Glöckel Richard Markhl Staatsamt für Justiz Staatssekretär:
Dr. Julius Roller Staatsamt für Landwirtschaft
Staatssekretär:
_Staatsrat Band 2.indb 58
Josef Stöckler
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Liste der Staatsratsmitglieder und anderer Beauftragter des Staatsrates
LIX
Staatsamt für öffentliche Arbeiten Staatssekretär:
Johann Zerdik Staatsamt für soziale Fürsorge
Staatssekretär:
Ferdinand Hanusch
Unterstaatssekretär: Dr. Josef Resch Staatsamt für Unterricht Staatssekretär:
Raphael Pacher Staatsamt für Verkehrswesen
Staatssekretär:
Karl Jukel
Unterstaatssekretär: Bruno Enderes Staatsamt für Volksernährung Staatssekretär:
Dr. Johann Loewenfeld-Ruß
Unterstaatssekretär: Norbert Wallenstorfer Staatsamt für Volksgesundheit Staatssekretär:
_Staatsrat Band 2.indb 59
Dr. Ignaz Kaup
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_Staatsrat Band 2.indb 60
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LXI
Chronologisches Verzeichnis der Protokolle Sitzungen des Staatsrates 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45. 46. 47. 48. 49. 50. 51. 52. 53. 54. 55. 56. 57.
Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung Sitzung
_Staatsrat Band 2.indb 61
vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom vom
16. November 1918 vormittags. 16. November 1918 nachmittags. 18. November 1918. 19. November 1918 vormittags. 19. November 1918 nachmittags. 20. November 1918 vormittags. 20. November 1918 nachmittags. 21. November 1918. 22. November 1918. 23. November 1918. 25. November 1918 vormittags. 25. November 1918 nachmittags. 26. November 1918 vormittags. 26. November 1918 nachmittags. 27. November 1918. 28. November 1918. 29. November 1918. 30. November 1918. 2. Dezember 1918. 3. Dezember 1918. 6. Dezember 1918. 7. Dezember 1918. 9. Dezember 1918. 11. Dezember 1918.
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_Staatsrat Band 2.indb 62
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LXIII
Abkürzungsverzeichnis AA Auswärtige Angelegenheiten Abänderg. Abänderung Abg. Abgeordnete(r) Abs. Absatz Abt., Abtlg. Abteilung a. d. an der a. D. außer Dienst Adj. Adjutantur ADÖ Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 AdR Archiv der Republik AG, AG. Aktiengesellschaft Ah. Allerhöchster/e A. i. F. Armee im Felde Akad. Akademiker allg. allgemein Alph. alphabetisch a.o. außerordentlich A.O.K. Armeeoberkommando Art. Artikel A.T.E. Aussig-Teplitzer Eisenbahn AuS Arbeit und Soziales außerordentl. außerordentlich AVA Allgemeines Verwaltungsarchiv B. Böhmisch Baon Bataillon BBV Berufsbeamtenverordnung B.E.B., BEB Buschtehrader Eisenbahn bes. besonders betr. betreffend bev. bevollmächtigt Bez. Bezirk bezgl. bezüglich bezw. beziehungsweise b.h. bosnisch-herzegowinisch BKA Bundeskanzleramt BKA/AA Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten Böhm. Böhmisch BM Bundesministerium BMF Bundesministerium für Finanzen BMHGI Bundesministerium für Handel, Gewerbe und Industrie BMHV Bundesministerium für Handel und Verkehr BMLV Bundesministerium für Landesverteidigung BMVE Bundesministerium für Volksernährung BRGÖ Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs Brig. Brigade bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise
_Staatsrat Band 2.indb 63
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LXIV
Abkürzungsverzeichnis
ca. zirka Col. Colonel CSP Christlichsoziale Partei ČSR Tschechoslowakische Republik d. der/die/das, des DDSG Donaudampfschiffahrtsgesellschaft Dept. Departement dergl. dergleichen ders. derselbe deutschösterr., deutsch-österr., deutschösterreichisch Deutschösterr. Deutschösterreich Dez., Dezbr. Dezember dgl. dergleichen d. h. das heißt d. i. das ist Dipl.-Ing. Diplomingenieur Dir. Direktorium Diss. Dissertation d. J. dieses Jahres dkg Dekagramm d. M., d.M., dieses Monats DnP Deutschnationale Partei d.oe., dö., d.ö., d.-ö., döst., d. österr. deutschösterreichisch Dok. Dokument DOSAG Donau-Save-Adria Eisenbahn-Gesellschaft Dpt. Departement d. R. der Reserve Dr. Doktor Dr. jur. Doktor der Rechte DSAP Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik dt. deutsch ebd. ebenda ehem. ehemalig etc., etz. et cetera event. eventuell Exz. Exzellenz F Fürsorge f. für f, ff folgend, folgende Fasz. Faszikel FHKA Finanz- und Hofkammerarchiv fol. folio Freih. Freiherr GdP Großdeutsche Partei geg. gegen Geh. Geheim gen. genere Gesch.Z. Geschäftszahl Ges. Gesetz
_Staatsrat Band 2.indb 64
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Abkürzungsverzeichnis
LXV
Glstb. Generalstab GM. Generalmajor GZl. Grundzahl h Heller H. Herr Habil. Habilitation Hg. Herausgeber HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv hinsichtl. hinsichtlich hl Hektoliter Hl. Stuhl Heiliger Stuhl hofärar. hofärarisch Hon.Prof. Honorarprofessor Hpol Handelspolitik Hptm. i. d. Res. Hauptmann in der Reserve hrsg. herausgegeben ILO International Labour Organization (Internationale Arbeitsorganisation) Ing. Ingenieur I.T.D. Infanterie Truppendivision italien. italienisch Jg. Jahrgang Jhdt. Jahrhundert JM Justizministerium K Kronen KA Kriegsarchiv kg Kilogramm k.k. kaiserlich-königlich km Kilometer K.M. Kriegsministerium Konst. N.V. Konstituierende Nationalversammlung Konv. Konvolut KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPDÖ Kommunistische Partei Deutschösterreichs KPÖ Kommunistische Partei Österreichs Kr Kronen KRP Kabinettsratsprotokoll k.u.k., k. und k. kaiserlich und königlich KZ Konzentrationslager K.Z. Kanzleizahl lat. lateinisch Li Liquidation l. J. laufenden Jahres LV Landesverteidigung Mähr. mährisch Mil. Militär Mil.Erz.- und Bildungsanstalten Militär-Erziehungs- und Bildungsanstalten militär. militärisch Mill. Millionen Min. Minute
_Staatsrat Band 2.indb 65
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LXVI
Abkürzungsverzeichnis
MSPD Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands MV Militärverwaltung n.a. nicht aktiv nachm. nachmittags Nat. Vers. Nationalversammlung Nied. Österreich, Nied.Österreich Niederösterreich No. Nombre n.ö., nö., NÖ niederösterreichisch, Niederösterreich nm. nachmittags Nov. November NPA Neues Politisches Archiv Nr. Nummer o. ordentlich ÖBB Österreichische Bundesbahnen Ob. Ger. Hof Oberster Gerichtshof OBh Oberste Behörden Oblt. Oberleutnant Obst. Oberst OeUB Oesterreichisch-ungarische Bank Off. Offizier/e öffentl., ö. öffentlich OHL Oberste Heeresleitung o. J. ohne Jahr o. O. ohne Ort OÖ Oberösterreich österr. österreichisch österr.ung, Österr. Ung., Österr.ung., österreich.ungar., österr. ungar., österr.ung. ö.-u. österreichisch-ungarisch P. Punkt PA Parlamentsarchiv phil. philosophisch Pol. Politische Abteilung polit. politisch Pr. Präsidium Präs. Präsident/Präsidium priv. privilegiert Prof. Professor prov. provisorisch Prov. NV Provisorische Nationalversammlung R. Ritter Ravag Radio Verkehrs AG Reg. Regierung Reg.R. Regierungsrat Regierungskomm. Regierungskommissar Rep. Republik RGBl. Reichsgesetzblatt R.R. Reichsrat russ. russisch
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Abkürzungsverzeichnis
LXVII
S. Seite s.a. siehe auch SdAP Sozialdemokratische Arbeiterpartei Sekt. Rat Sektionsrat SHS-Staat Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen Sign. Signatur soz. sozial SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SPÖ Sozialdemokratische/Sozialistische Partei Österreichs SRP Staatsratsprotokoll St. Saint/Sankt Sta., St.A. Staatsamt StAA Staatsamt für Auswärtige Angelegenheiten staatl. staatlich St.Sekr. Staatssekretär StAF Staatsamt für Finanzen Sta. f. Kriegs- und Uebergangswirtschaft Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft Sta.f.Volksernährung Staatsamt für Volksernährung StAH Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel StAHw Staatsamt für Heerwesen StAI Staatsamt für Inneres StAJ Staatsamt für Justiz StAKÜ Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft StALF Staatsamt für Land- und Forstwirtschaft StAöA Staatsamt für öffentliche Arbeiten StAsF Staatsamt für soziale Fürsorge Statth. Vizepräs. Statthalterei Vizepräsident StAU Staatsamt für Unterricht StAVe Staatsamt für Volksernährung StAVw Staatsamt für Verkehrswesen StB. Staatsbahn StB. Dion. Staatsbahndirektion Sten. Prot. Stenographische Protokolle StGBl. Staatsgesetzblatt StK, St.K. Staatskanzlei St.Notar Staatsnotar StParlKoon Ständige Parlamentskommission St.P.O., StPO Strafprozeßordnung Str.G. Strafgesetz St.R., St.Rat Staatsrat Ss. Staatssekretär stv. stellvertretend t Tonne Telegr. Telegramm tit. tituliert tschecho-slovak., tschechoslov. tschechoslowakisch tw. teilweise u. und u. a. unter anderem ung., ungar. ungarisch Univ. Universität Univ.Prof., Univ.-Prof. Universitätsprofessor
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LXVIII US USA USPD U.S.S., U.St.S. u.s.w. u. zw.
Abkürzungsverzeichnis United States United States of America Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Unterstaatssekretär und so weiter und zwar
v. vom/von v. a. vor allem VAP Vollzugsausschußprotokoll vgl. vergleiche v.m. vormittags Vol. Volume Vors. Vorsitzender VW Volkswehr wg. wegen WK Weltkrieg Wr. Wiener Z. Zahl z. B. zum Beispiel Zl. Zahl Zögl. Zöglinge zw. zwar zwischenamtl. zwischenamtlich z. Z., z.Zl. zu Zahl
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34 – 1918-11-16
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34.1 [Samstag] 1918-11-16 Vorsitz: Anwesend:2 Schriftführer: Dauer:
Seitz Abram, Domes, Ellenbogen, Gruber, Iro, Licht, Ofner, Renner, Riedl, Schoepfer, Steinwender, Sylvester, Teufel, Urban unbekannt 10.05–12.45 Uhr3
Reinschrift, Beschlußprotokoll Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 5 Minuten vormittags. Nach Bekanntgabe des E i n l a u f s4 stellt Präs. S e i t z mit Bezug auf die in den heutigen Morgenblättern enthaltene Mitteilung der „Korrespondenz Wilhelm“5, wonach im Auftrage des Staatsrates über die Vorgänge, die sich Dienstag den 12. d. M. vor dem Parlament und im Gebäude der „Neuen Freien Presse“6 abgespielt haben7, Erhebungen eingeleitet worden seien, fest, daß der Staatsrat sich mit dieser 1 2
5 3 4
6
7
Die Sitzung wurde im Protokoll irrtümlich als 29. Sitzung numeriert und handschriftlich korrigiert. Dem Protokoll liegt keine Präsenzliste bei. Die anwesenden Personen ergeben sich aus dem Sitzungsverlauf. Im Beschlußprotokoll wird der Schluß der Sitzung mit 1 Uhr mittags angegeben. Dem Protokoll liegen weder aus dem Einlauf noch zu Anträgen oder Berichten Materialien bei. Vgl. exemplarisch Neue Freie Presse. Morgenblatt, 16. November 1918, S. 3 „Die Erhebungen über die Vorfälle vom 12. November“ und Reichspost. Morgenblatt, 16. November 1918, S. 2 „Die Schießerei vor dem Parlamente“. Die Korrespondenz Wilhelm war ein Nachrichtenbüro, das nach seinem Herausgeber und Chefredakteur Richard Wilhelm benannt und in Wien IX., Kolingasse 3, ansässig war. Vgl. Peter Eppel, „Concordia soll ihr Name sein…“ 125 Jahre Journalisten- und deutscher Schriftstellerverein „Concordia“. Eine Dokumentation zur Presse- und Zeitgeschichte Österreichs, Wien 1984, S. 160. Die bürgerlich-liberal ausgerichtete „Neue Freie Presse“ erschien von 1864 bis Ende Jänner 1939. Ihr Redaktionsgebäude befand sich an der Adresse Wien I., Fichtegasse 11. Nach der Ausrufung der Republik Deutschösterreich vor dem Parlament am Nachmittag des 12. November 1918 war es zu einem Schußwechsel zwischen Mitgliedern der „Roten Garde“, einer linksradikal orientierten Formation, und der Volkswehr gekommen. Neben zahlreichen Verletzten hatte die anschließende Panik auch zwei Todesopfer gefordert. Vgl. etwa Wiener Zeitung, 13. November 1918, S. 3 „Die Vorgänge in Österreich-Ungarn. Die Kundgebungen in Wien“ sowie Reichspost. Morgenblatt, 13. November 1918, S. 2 „Die Kundgebungen vor dem Parlament“. Zu den Erinnerungen des Unterstaatssekretärs für Heerwesen, Julius Deutsch, betreffend die Ereignisse des 12. Novembers vgl. Julius Deutsch, Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen, Wien [1921], S. 41–46. Im weiteren Verlauf des Tages hatten Rotgardisten sodann das Redaktionsgebäude der „Neuen Freien Presse“ besetzt und noch am selben Tag zwei jeweils einseitige Sonderausgaben veröffentlicht: Neue Freie Presse. Sonder-Ausgabe, 12. November 1918, 6 Uhr nachmittags „Besetzung des Redaktionsgebäudes der ‚Neuen Freien Presse‘ durch die ‚Rote Garde‘“; Sonder-Ausgabe, 12. November 1918, 8 Uhr abends, „Arbeiter und Soldaten Wiens“. In der folgenden Morgenausgabe der „Neuen Freien Presse“ wurden die Geschehnisse kurz zusammengefaßt und bemerkt: „Von seiten des Staatsrates wurde eingegriffen und nach einigen Stunden war der Zwischenfall beendigt.“ Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 13. November 1918, S. 1 „Die Rote Garde im Redaktionsgebäude der ‚Neuen Freien Presse‘“. Zu den Pressestimmen über die Ereignisse des 12. Novembers vgl. Gerhard Botz, Gewalt in der Politik. Attentate, Zusammenstöße, Putschversuche, Unruhen in Österreich 1918 bis 1934, München 1976, S. 32–36; Petronilla Ehrenpreis, Kriegs- und Friedensziele im Diskurs. Regierung
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34 – 1918-11-16
Angelegenheit nicht befaßt habe, sondern daß dies die Sache des Ministeriums des Innern bezw. der Polizei-Direktion sei.8 Die Zustimmung des Staatsrates vorausgesetzt, werde namens des Präsidiums des Staatsrates der Polizei-Direktion Wien mitgeteilt werden, daß über den Staatsrat und über das Präsidium des Staatsrates durch die Polizei-Korrespondenz keine Mitteilungen hinausgehen dürfen, ohne daß vorher die Ermächtigung dazu eingeholt werde. A n g e n o m m e n. Dr. O f n e r9: Trotz wiederholter Einsprache und entgegen einem Beschlusse der Justizkommission10 lautet die Einleitungsformel zu unseren Gesetzen: „Der Staatsrat hat kraft Beschlusses der Nationalversammlung verordnet...“. Diese Formel ist grundfalsch und beantragt er eine Änderung derselben. Präs. S e i t z fordert den Staatsrat Ofner auf, ihm einen schriftlichen Antrag zu überreichen, den er sofort zum Referat zuweisen werde.11 S c h o e p f e r übermittelt ein Telegramm des Nationalrates von Tirol, daß Anträge, Berichte u. Protokolle der Nationalversammlung ihm mitgeteilt werden mögen12, und ersucht und deutschsprachige Öffentlichkeit Österreich-Ungarns während des Ersten Weltkrieges (= Wiener Schriften zur Geschichte der Neuzeit 3), Innsbruck/Wien/Bozen 2005, S. 373 f; Hans Hautmann, Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924, Wien/Zürich 1978, S. 242–253; ders., Die verlorene Räterepublik. Am Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs (= Europäische Perspektiven), Wien/Frankfurt/Zürich 1987, S. 84–88. Vgl. auch KRP Nr. 17/2 vom 28. November 1918, SRP Nr. 31 vom 13. November 1918 und Nr. 38 vom 19. November 1918. 8 In der 31. Sitzung vom 13. November 1918 hatte der Staatsrat die Staatsämter für Inneres und für Heerwesen aufgefordert, über die Vorfälle zu berichten. Vgl. SRP Nr. 31 vom 13. November 1918. Vgl. hierzu den Bericht der Polizeidirektion Wien vom 12. November 1918 in AdR, BKA/Inneres, 22/NÖ, StAI, Zl. 301/1918, Vorfälle am 12. November 1918 sowie den Bericht über die Besetzung des Redaktionsgebäudes der „Neuen Freien Presse“ vom 14. November 1918 in ebd., Zl. 333/1918, Polizei-Direction Wien Pr.Z. 4.366 Vorübergehende gewaltsame Besetzung des Redaktionsgebäudes der Wr. Tageszeitschrift „Neue Freie Presse“ Hausfriedensbruch. Unterstaatssekretär Glöckel erstattete in der 38. Sitzung des Staatsrates Bericht. Vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 9 Im Original ursprünglich Staatsrat Ofner; wurde handschriftlich auf Dr. Ofner korrigiert. 10 Der Staatsrat hatte in seiner 18. Sitzung vom 5. November 1918 die Einsetzung einer Justizkommission „zur Durchberatung der Gesetzentwürfe betreffend die Aufhebung des objektiven Verfahrens und betreffend die Amnestierung“ beschlossen. Zu Mitgliedern wurden die Staatsräte Sylvester, Ofner und Miklas gewählt. Vgl. SRP Nr. 18 vom 5. November 1918. Miklas wurde in weiterer Folge durch Baechlé ersetzt. Vgl. SRP Nr. 26 vom 8. November 1918. 11 Sowohl StGBl. Nr. 5, Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich als auch StGBl. Nr. 7, Gesetz vom 12. November 1918 über die Kundmachung von Gesetzen und Verordnungen durch das Staatsgesetzblatt, beide ausgegeben am 15. November 1918, verwendeten noch folgende Eingangsformel: „Kraft Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung verordnet der Staatsrat…“. Sodann wurde im Falle von Vollzugsanweisungen des Staatsrates zumeist die Formel „Über Ermächtigung des Staatsrates…“ (etwa StGBl. Nr. 8/1918) bzw. „Über Ermächtigung des Deutschösterreichischen Staatsrates…“ (etwa StGBl. Nr. 32/1918), häufig auch „Auf Grund besonderer Ermächtigung des Deutschösterreichischen Staatsrates…“ (etwa StGBl. Nr. 14/1918) gebraucht, bei Gesetzen die Formel „Die Provisorische Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich hat beschlossen…“ (etwa StGBl. Nr. 37/1918). Zur Einbringung des Antrages vgl. Anm. 24 der vorliegenden Sitzung. 12 Der Tiroler Nationalrat wurde vom Tiroler Landesausschuß am 20. Oktober 1918 eingesetzt. Am 26. Oktober konstituierte sich die Tiroler Nationalversammlung aus Landtags- und deutschsprachigen Tiroler Reichsratsabgeordneten. Der Nationalrat verstand sich als Vollzugsorgan des Staatsrates. Da die Politik des Nationalrates vornehmlich von der Idee der Landeseinheit Tirols bestimmt war, sah dieser den Anschluß an Deutschösterreich als vorübergehend an und verfolgte eigenständige außenpolitische Initiativen wie zum Beispiel die Einrichtung eines „Tiroler Informationsbüros“ in Bern und die Bildung
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namens des abwesenden Staatsrates Fink, der am Donnerstag aus der czechoslovakischen Gesandtschaft die telephonische Nachricht erhalten hat, daß der czechoslovakische Nationalrat bereit sei, dem Lande Vorarlberg gegen Kompensation in Vieh Kartoffeln zu liefern, um Genehmigung dieses Kartoffelankaufes durch den Staatsrat. T e u f e l ersucht um Richtigstellung der Protokolle des Staatsrates, in denen einzelne Anträge, die gestellt wurden, nicht enthalten seien.13 R e n n e r: Bis die Dinge vollständig in Gang sind, werden wir die Protokolle verifizieren lassen müssen; vorläufig ist das aber bei der Fülle der Materie außerordentlich schwierig, ja technisch unmöglich. Ich bitte noch eine Zeit lang Geduld zu haben.14 (Zustimmung.) R e n n e r legt einen Antrag betreffend den Schutz von Kunstsammlungen vor der Gefahr der Verschleppung vor. Es wird beschlossen: Die Staatskanzlei wird beauftragt, sofort eine vorläufige Verfügung zum Schutze von Kunstgegenständen und historischen Denkmälern u.s.w. zu erlassen.15 Dr. S y l v e s t e r: Ich habe ein Verzeichnis der Krongüter in Wien16 zusammenstellen lassen und möchte bitten, daß ich beauftragt werde, die Krongüter heute oder morgen zu übernehmen und sicherzustellen. Beschluß: Der Staatsnotar wird beauftragt, dem Staatsrate den Entwurf einer vorläufigen Verfügung zum Schutze der Krongüter sofort zu unterbreiten.17
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eines Ausschusses für Äußeres im Nationalrat. Am 21. Dezember 1918 wurde der Tiroler Nationalrat durch die Provisorische Landesversammlung aufgelöst. Die politische Präferenz für die Einheit Tirols, nötigenfalls durch die Deklaration der Unabhängigkeit, blieb bis zu den Friedensverhandlungen in St. Germain die Leitlinie ihrer Politik. Vgl. Michael Gehler, Tirol im 20. Jahrhundert. Vom Kronland zur Europaregion, Innsbruck/Wien 2008, S. 66–73. Das Telegramm des Tiroler Nationalausschusses liegt dem Protokoll nicht bei. Die Richtigstellung und Vollständigkeit der Protokolle der Staatsratssitzungen war mehrmals Gegenstand der Debatte. Vgl. SRP Nr. 45 vom 25. November 1918 und Nr. 48 vom 27. November 1918. Die Zeitspanne bis zur Durchführung der Protokollbeglaubigungen war im Regelfall sehr kurz. Das Protokoll der 35. Sitzung des Staatsrates vom 16. November 1918 wurde etwa bereits in der 36. Sitzung vom 18. November 1918 beglaubigt. Der vollständig ausformulierte Beschluß findet sich unter Punkt IV des Beschlußprotokolls dieser Sitzung. Vgl. weiters SRP Nr. 30 vom 11. November 1918, außerdem KRP Nr. 7/1 vom 10. November 1918, Nr. 13/6 vom 18. November 1918 und Nr. 14/11 vom 21. November 1918. Das Staatsamt für Finanzen erteilte den Zollämtern am 22. November 1918 entsprechende Weisungen über die zu treffenden Sperrmaßnahmen. Diese Weisungen finden sich neben einer Auflistung der Zollämter und einem Exemplar des zugrundeliegenden Beschlusses in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.457/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918; Zl. 5.034/1918, Amtsveranlassung, Vollzugsanweisung des deutsch-österreichischen Staatsamtes für Kriegs und Übergangswirtschaft 1.) betreffend die Regelung der Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr über die Grenze Deutsch-Österreichs, 2.) betreffend Beschränkungen im Warenverkehre über die Grenze Deutsch-Österreichs, Erlassung der Dienstesanweisung hiezu. In weiterer Folge wurde ein entsprechendes Gesetz, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung erlassen. Vgl. dazu SRP Nr. 47 vom 26. November 1918 und SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. Eine Zusammenstellung aller hofärarischen Güter, die vom Staatsnotariat im Zusammenhang mit einer Besprechung des Gesetzesentwurfes zur Übernahme der hofärarischen Güter durch den deutschösterreichischen Staat am 2. Dezember 1918 erstellt wurde, findet sich neben weiterem Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, GZl. 3.996/1918. Ursprünglich hatte der Staatsrat dem Staatsamt für Landwirtschaft den Auftrag zur Übernahme der Verwaltung der Krongüter erteilt. Vgl. SRP Nr. 32 vom 13. November 1918. Dieser Beschluß wurde in weiterer Folge korrigiert und der Staatsnotar übernahm bis zur Erlassung eines betreffenden Gesetzes die Verantwortung für die hofärarischen Güter. Vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 und Nr. 36 vom 18. November 1918.
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Dr. R e n n e r verliest den Entwurf eines Aufrufes an die Bevölkerung, betreffend den Schutz des öffentlichen Gutes gegen Plünderungen.18 Dr. S t e i n w e n d e r: Ich möchte beantragen, daß in diesem Aufrufe auch kundgemacht werde, daß diejenigen Personen, die geraubtes, entwendetes oder verhehltes Gut bis zum 20. November zurückstellen, straffrei ausgehen. I r o: Ich möchte beantragen, daß besonders die Waffen erwähnt werden. Dr. R e n n e r: Wenn solche Kundmachungen nicht kurz sind, sind sie wertlos. Der Antrag Iro käme einer allgemeinen Volksentwaffnung gleich, und das ist nicht durchführbar. D o m e s: Bei der gestrigen Tagung der Industriekommission19 erklärten die Industriellen, daß sie außerstande seien, weiter zu produzieren, da sie weder Material noch Geld hätten. Die Bankkredite seien vollständig erschöpft, und sie seien nicht mehr imstande, die Löhne zu bezahlen; andererseits hätten sie aber ungeheure Forderungen an das Kriegsministerium. Es steht nun zu befürchten, daß die Industriellen die Fabriken zusperren und daß in der nächsten Woche die ganze niederösterreichische Industrie stillgelegt ist. Es wird in dieser Angelegenheit heute mittags eine Deputation der Industriellen und Arbeiter beim Präsidenten erscheinen20, und ich möchte bitten, daß dieser Gegenstand auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gestellt wird. Es wird beschlossen, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung ein Referat betreffend Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung der Betriebe der industriellen Produktion zu stellen.21 Dr. L i c h t: Ich habe vor Kurzem im Staatsrate einen Antrag wegen Liquidierung der bereits fälligen Forderungen und ferner wegen Klarstellung der noch im Gange befindlichen Arbeiten gestellt, der dem Kriegsamt überwiesen wurde.22 Darüber ist noch kein Bericht erstattet worden.
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Zum Aspekt der Bewachung der Krongüter vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 920/1918, Krongüter, Bewachung durch Off. d. Staatsrates und SRP Nr. 70 vom 29. Jänner 1919. Der Text des Aufrufes findet sich unter Punkt VI im Beschlußprotokoll dieser Sitzung. Veröffentlicht wurde dieser Aufruf u. a. in Neue Freie Presse. Nachmittagsblatt, 18. November 1918, S. 4 „Maßnahmen gegen Plünderungen“, Wiener Zeitung, 17. November 1918, S. 4 „Kleine Chronik. Schutz ärarischen Gutes“ und Neues Wiener Tagblatt, 17. November 1918, S. 1 „Gegen Plünderer und Räuber“. Gemeint ist der „Beirat der Industriellen und der Gewerkschaften“, dessen Einsetzung in der 13. Sitzung des Staatsrates vom 31. Oktober 1918 beschlossen wurde. Vgl. SRP Nr. 13 vom 31. Oktober 1918. Vgl. dazu auch VAP Nr. 7 vom 25. Oktober 1918. Vgl. zur Genese des Beirates auch Margarete Grandner, Kooperative Gewerkschaftspolitik in der Kriegswirtschaft. Die freien Gewerkschaften Österreichs im ersten Weltkrieg, Wien 1992, S. 410–421; Peter G. Fischer, Ansätze zu Sozialpartnerschaft am Beginn der Ersten Republik. Das Paritätische Industriekomitee und die Industriekonferenzen, in: Isabella Ackerl/Rudolf Neck (Hg.), Österreich November 1918. Die Entstehung der Ersten Republik. Protokoll des Symposiums in Wien am 24. und 25. Oktober 1978 (= Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich. Veröffentlichungen 90), S. 124–140. Vgl. das Stenogramm zur 11. Sitzung des Kabinettsrates vom 15. November 1918, wo Unterstaatssekretär Riedl festhält: „Die Demobilisierung steht in engstem Zusammenhang mit den Zahlungen die wir für Rechnungen eines […] zu zahlen haben (ca. 1 Million). Sitzung der Industriekommission stattgefunden hat, in welcher beschlossen wurde, an den Staatsrat heranzutreten.“ Das industrielle paritätische Komitee faßte den Beschluß, in der Frage der ausständigen Zahlungen an das Staatsamt für Finanzen heranzutreten und eine unverzügliche Erklärung seitens des Staatsrates in dieser Angelegenheit einzufordern. Vgl. dazu das Schreiben des Komitees an Präsident Seitz vom 16. November 1918 in AdR, OBh, Büro Seitz, Karton 4, Alph. Reihe A–B. Vgl. dazu SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Vgl. SRP Nr. 28 vom 9. November 1918. Der Antrag lautete: „Es ist klarzustellen, wann und wie die Zahlungen fälliger Forderungen von der Heeresverwaltung erfolgen und in welcher Art hinsichtlich der noch auszuführenden Lieferungen vorzugehen ist.“
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Dr. R e n n e r: Das wird am besten als Hauptgegenstand auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zu stellen sein. Es wird beschlossen, diesen Gegenstand in einer für Montag, 10 Uhr vormittags anzuberaumenden Spezialsitzung zu beraten.23 O f n e r überreicht den von ihm angekündigten Antrag betreffend der Einleitungsformel der Gesetze. Der Antrag wird dem Staatskanzler mit dem Auftrage zugewiesen, darüber ehestens zu referieren.24 Es wird an die Erledigung der T a g e s o r d n u n g25 geschritten. Dr. S t e i n w e n d e r legt ein Budgetprovisorium26 für die Zeit vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 vor. Präs. S e i t z: Ich werde diese Vorlage der Finanzkommission mit dem Auftrage zuweisen, darüber bis Montag 10 Uhr zu berichten. Dr. L i c h t: Beim Staatsschuldenwesen ist auch die Mitwirkung eines wichtigen Faktors nicht außer acht zu lassen, nämlich irgend eine Kontrolle über die Kreditgebarung des Finanzamtes, ähnlich der bisherigen Staatsschuldenkontrollkommission.27 Zu dieser Spezialsitzung konnten keine Unterlagen eruiert werden. Zur Problematik im Allgemeinen vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 41 vom 21. November 1918 sowie KRP 27/5 vom 3. Jänner 1919. 24 Laut Punkt II des Beschlußprotokolls der vorliegenden Sitzung schlug Staatsrat Ofner folgende Einleitungsformel vor: „Die provisorische Nationalversammlung des Staates Deutsch-Oesterreich hat beschlossen.“ Die Staatskanzlei setzte die Staatsämter mit einem Rundschreiben vom 25. November 1918 davon in Kenntnis, daß der Staatsrat in seiner 29. Sitzung {sic!} vom 16. November beschlossen habe, diese Formel zu verwenden. In der 45. Sitzung vom 25. November 1918 stellte Ofner erneut einen Antrag zur verfassungsmäßigen Einleitung der Gesetze. Zur Erledigung beider Anträge vgl. AdR, StK, GZl. 1.227/1919, Zl. 228/1918, Einleitungsformel zu den Gesetzen, Staatsratsbeschluß vom 16. November 1918, worin sich auch ein Exemplar des erwähnten Rundschreibens findet. 25 Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. 26 Mehrere Exemplare des Gesetzesentwurfes finden sich neben einem Kommentar in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 1.857/1918, Gesetz über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 (Entwurf ). Aus dem Kommentar geht hervor, daß der Gesetzesentwurf im Wesentlichen an das letzte davorliegende Budgetprovisorium (RGBl. Nr. 285/1918) anschließen sollte. Als entscheidend wurde die an frühere Regelungen anknüpfende Bestimmung in § 5 des Entwurfes hervorgehoben, nach welcher nur der Staatssekretär für Finanzen mit dem Vollzug des Gesetzes betraut werden solle, denn es sei „die strengste Ingerenz des Staatsamtes der Finanzen unbedingt geboten, soll nicht die Staatswirtschaft in die allerärgste Unordnung geraten.“ Diese Bestimmung erwies sich als einer der strittigen Punkte des Entwurfes. Vgl. den Bericht der Finanzkommission in SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. 27 Staatssekretär Licht nimmt hier Bezug auf den § 3 des Entwurfes, welcher unter Berufung auf das Gesetz über die Staats- und Regierungsform den Staatssekretär für Finanzen dazu ermächtigte „den noch nicht in Anspruch genommenen Kreditrest durch Aufnahme von Anleihen auszunützen, fällig werdende Schuldbeträge zu prolongieren oder umzuwandeln, und Garantien zu übernehmen.“ Diese Passage wurde in weiterer Folge aus dem Entwurf gestrichen und der Aspekt der Staatsschuldenkontrolle separat beraten. Hierzu wurde ein eigenes Gesetz zur Errichtung einer Staatsschuldenkontrollkommission erlassen. Vgl. zur Staatsschuldenkontrollkommission weiters SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 38 vom 19. November 1918. Eine Kommission zur Kontrolle der Staatsschuld war bereits im Jahr 1859 eingerichtet worden. Der Artikel 9 des betreffenden kaiserlichen Patents verfügte die Bildung einer dem Monarchen unmittelbar unterstehenden „Staatsschulden-Commission“, die sich aus sieben Mitgliedern „aus dem Kreise der Grundbesitzer und Kapitalisten“ sowie der Nationalbank der Nö. Handelskammer und der Wiener 23
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Dr. S t e i n w e n d e r: Ich kann mich dieser Anregung nur anschließen. Wir brauchen eine Kontrolle, und diese kann nur durch Delegierte – etwa drei Delegierte –, die vom Staatsrate ernannt werden, besorgt werden. Dr. L i c h t bittet um Zuweisung seines Antrages an die Finanzkommission. Dr. R e n n e r: Die frühere Staatsschuldenkontrollkommission war ein ungeeignetes Instrument. Wir brauchen natürlich auch ein derartiges Instrument, aber ein geeignetes. Eine solche Kommission kann nicht aus dem Staatsrate hervorgehen und nicht von ihm abhängig sein, sondern sie muß dem Staatsrate und ebenso dem Hause selbst verantwortlich berichten. Dr. S t e i n w e n d e r bittet die Anleiheermächtigungs-Vorlage gleich in Beratung zu ziehen.28 Börsekammer zusammensetzen sollte. Die zentralen Aufgaben der Staatsschulden-Commission bestanden aus der Buchführung über den laufenden Schuldenstand und der regelmäßigen Berichterstattung über „die Angelegenheiten des Staatsschuldenwesens“ (RGBl. Nr. 226/1859). Die Kontrolle der Staatsschuld wurde in weiterer Folge dem Reichsrat übertragen, der berechtigt wurde, eine nunmehr zehnköpfige Kontrollkommission einzusetzen, welche die Geschäfte der damit aufgelösten alten Staatsschulden-Commission übernehmen sollte. Der Kommission oblag nunmehr die Sicherstellung der Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit der Schuldengebarung. Zur Erfüllung dieser Aufgabe erhielt die Kommission das Recht zur umfassenden Einsichtnahme in die Finanzgebarung des Staates. Ihr oblag weiterhin die Überwachung und Buchführung der Aufnahme neuer Schulden. Die Kommission sollte zudem wie zuvor regelmäßig Bericht erstatten (RGBl. Nr. 96/1862). Die weitere Entwicklung folgte dem Verlauf der österreichischen Verfassungsgeschichte, indem die Kontrolle der Staatsschuld im Zuge der teilweisen Sistierung des Februarpatentes (RGBl. Nr. 89/1865) wieder direkt dem Monarchen unterstellt wurde (RGBl. Nr. 107/1865). Im Anschluß an die Dezemberverfassung (RGBl. Nr. 141/1867) wurde die Kontrolle der Staatsschuld wieder dem Reichsrat, bzw. der Kontrollkommission unterstellt und gesondert für beide Reichshälften geregelt (RGBl. 54/1868). Der Aufgabenbereich der Kommission war dabei sukzessive gesetzlich erweitert worden und umfaßte schließlich die Gegenzeichnung von Staatsanleihen, die Überwachung der Einhaltung der Schuldenobergrenze sowie Berichte über den Geld- und Anleihenumlauf (RGBl. Nr. 101/1866). Vgl. weiters, RGBl. Nr. 12/1867, Artikel 1, der bestimmte: „Alle Erlässe des Finanzministeriums, mit welchen die Anfertigung oder Hinausgabe von Staatsnoten verfügt wird, erfordern, um giltig zu sein, die Gegenzeichnung der Commission zur Controle der Staatsschuld.“ Eine im Jahr 1912 in Aussicht genommene Reform der Kommission konnte vor Ausbruch des Krieges nicht mehr umgesetzt werden. Der entsprechende Entwurf des Abgeordnetenhauses bildete aber die Grundlage für einen Anfang 1918 unternommenen, erneuten Versuch einer Reform der Staatsschuldenkontrollkommission. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie hörte auch die alte Staatsschuldenkontrollkommission, die insbesondere aufgrund der hohen Kriegsschulden ohnehin bereits in Kritik geraten war, formell auf zu existieren und wurde im Dezember 1918 als, allerdings kurzlebige, republikanische Institution, neu gegründet. Der am 6. Februar 1919 errichtete Staatsrechnungshof übernahm in weiterer Folge den Aufgabenbereich der Staatsschuldenkontrollkommission, die damit aufgelöst wurde. Vgl. Der Oesterreichische Volkswirt, 16. März 1918, „Aus der Woche. Die Reform der Staatsschuldenkontrolle“, S. 409–411; Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich – Teil 1 (1919). Gesetz vom 5. Dezember über die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs (mit Erläuterungen), in: Matthias Jestaedt (Hg.), Hans Kelsen Werke, Band 5, Veröffentlichte Schriften 1919–1920, Tübingen 2011, S. 75–83; Armin Lausegger, Ein Streifzug durch 250 Jahre Rechnungshof, in: Rechnungshof (Hg.), 250 Jahre. Der Rechnungshof. Unabhängig. Objektiv. Wirksam. Gestern. Heute. Morgen. Kontrolle zahlt sich aus, Wien 2011, S. 43–131, hier S. 85; Neue Freie Presse. Morgenblatt, 21. November 1918, S. 4 „die neue Staatsschulden-Kontrollkommission“. 28 Die „Anleiheermächtigungs-Vorlage“ war ein Teil des hier diskutierten Budgetprovisoriums. Der § 2 des Entwurfes ermächtigte den Staatssekretär für Finanzen im angegebenen Zeitraum Mittel für Staatsausgaben, die nicht durch normale Einnahmen gedeckt wurden, durch Kreditoperationen zu beschaffen. Eine „ziffermäßige Begrenzung“ dieser Kredite sei, wie der Kommentar zum Gesetzesentwurf erläuterte, deswegen derzeit nicht möglich, da die Einnahmen und Ausgaben Deutschösterreichs noch nicht abschätzbar seien. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF,
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Dr. R e n n e r: Wir können doch unmöglich dem Staatsrate zumuten, daß er über eine so wichtige Frage, ohne sie studiert zu haben, sofort eine Entscheidung treffe. Die Vorlage muß vorher in der Finanzkommission des Staatsrates einer Beratung unterzogen werden. Beschluß: Die Vorlage betreffend das Budgetprovisorium wird der Finanzkommission mit dem Auftrage zugewiesen, am Montag darüber zu berichten.29 Ferner wird gemäß dem Antrage L i c h t die Finanzkommission beauftragt, eine Vorlage betreffend die verfassungsmäßige Kontrolle der Finanzgebarung vorzubereiten.30 Dr. S t e i n w e n d e r beantragt, daß den einzelnen Staatsämtern für neue Ausgaben, die durch frühere Bewilligungen nicht gedeckt sind, ein Betrag von etwa je einer Million31 überwiesen werde. Beschluß: Das Staatsamt wird ermächtigt, den einzelnen Staatsämtern zur Bestreitung von Ausgaben, die im Budgetprovisorium nicht vorgesehen sind, für die Zeit bis 31. Dezember d. J. Kredite bis zum Höchstbetrage von je einer Million zu eröffnen.32 Dr. S t e i n w e n d e r: Dem Staatsamte für Finanzen fehlt jede Angabe über die Ausgaben der Kriegsverwaltung. Ich bitte, das Kriegsamt zu veranlassen, daß es uns diesbezüglich Einsicht nehmen lasse. Beschluß: Diese Anregung wird an den Staatskanzler überwiesen.33 Dr. S t e i n w e n d e r: Vom Kriegsamt ist neuerlich beschlossen worden, diejenigen Reserveoffiziere und Einjährig-Freiwilligen, die im bürgerlichen Leben ein Fortkommen finden, sofort zu entlassen, bisher ist aber in dieser Richtung nichts geschehen. Auf diese Weise werden aber jeden Tag Millionen einfach hinausgeworfen. Dr. R e n n e r: In der gestrigen Kabinettssitzung wurde über diese Frage sowie über die Frage der Beamtenentlassungen verhandelt, doch sind keine endgültigen Beschlüsse gefaßt
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Zl. 1.857/1918, Gesetz über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 (Entwurf ). In weiterer Folge sprach sich die Finanzkommission allerdings für eine diesbezügliche Begrenzung auf einen Betrag von 2.000 Millionen Kronen aus. Vgl. dazu und zu weiteren Änderungen durch die Finanzkommission des Staatsrates sowie zum weiteren Verlauf der Gesetzwerdung SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.466/1918, Amtsveranlassung; Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. Vgl. weiters SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 38 vom 19. November 1918. Vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. Gemeint: Kronen. Insgesamt wurden 14 Staatsämtern, weiters der Staatskanzlei und der Nationalversammlung Kredite im Höchstmaß von je einer Million Kronen eröffnet. Im § 2 des Erlasses hieß es, daß diese Mittel nur für jene Ausgaben zu verwenden seien, „für die der Entwurf des Österreichischen Staatsvoranschlages für das Verwaltungsjahr 1918/19 (Rundschreiben des k.k. österreichischen Finanzministeriums vom 30. Juli 1918, Zl. 85.063) keine Vorsorge trifft“. Vgl. dazu das Schreiben des Staatsamtes für Finanzen vom 21. November 1918, betreffend die staatliche Gebarung Deutschösterreichs vom 1. November bis 31. Dezember 1918 in AdR, StK, GZl. 389/1918. Der betreffende Punkt XI des Beschlußprotokolls dieser Sitzung findet sich, allerdings unter Angabe einer falschen Sitzungsnummer, in AdR, StK, GZl. 199/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 29. Sitzung des Staatsrates vom 16. November 1918. Das Dokument enthält eine handschriftliche Notiz vom 5. Dezember 1918, in welcher diese Frage unter Verweis auf den in der 20. Sitzung des Kabinettsrates gefaßten Beschluß als gegenstandslos bezeichnet wird. Das Staatsamt für Finanzen hatte die Materie am 19. November dem Staatskanzler zur Behandlung im Kabinettsrat zugewiesen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.467/1918, Amtsveranlassung, betreffend den Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. Zur Diskussion dieses Gegenstandes im Kabinettsrat vgl. KRP Nr. 20/3 vom 2. Dezember 1918.
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worden;34 es wird aber Montag nachts eine Kabinettssitzung stattfinden, welche diese Modalitäten im Einzelnen beschließen und bestimmen wird. Beschluß: Die Angelegenheit wird der Kabinettssitzung zugewiesen.35 Dr. S t e i n w e n d e r: Es ist gestern in der Kabinettssitzung beschlossen worden, der deutschböhmischen Regierung 60,000.000 K für Unterhaltsbeiträge zu überweisen.36 Das ist ein Beschluß, der über die Kompetenz des Kabinettsrates hinausgeht. Dr. R e n n e r: Es ist vor einigen Tagen im Staatsrate beschlossen worden, jedem der zwei neuen Kronländer Deutschböhmen und Sudetenland je 200,000.000 K zur Verfügung zu stellen.37 Dr. S t e i n w e n d e r: Es wurde für ganz Böhmen, also für den deutschen und czechischen Teil, zur Deckung des nächsten Bedarfes an Unterhaltsbeiträgen die Überweisung eines Betrages von 60,000.000 K beschlossen. Diese 60,000.000 sind nach Prag abgegangen; inzwischen hat aber die czechoslovakische Regierung erklärt, sie zahle die entsprechenden Quoten nur jenen Steuerämtern aus, die sich dem czechischen Staat unterwerfen.38 Wir sind daher genötigt, den auf Deutschböhmen entfallenden Anteil der 60,000.000, das waren auf Vgl. KRP Nr. 11/2 vom 15. November 1918, wo hinsichtlich der Beamtenfrage beschlossen wurde, die zwischenstaatsamtliche Geschäftsstelle zur Beratung grundsätzlicher Staatsbedienstetenfragen mit der Vorberatung der Angelegenheit zu befassen. Auf Antrag von Unterstaatssekretär Riedl sollte die Personalfrage in Verbindung mit der Verwaltungsreform behandelt werden. 35 In KRP Nr. 13/9 vom 18. November 1918, berichtete Unterstaatssekretär Deutsch, daß dem Beschluß des Staatsrates bereits durch einen Erlaß des Staatsamtes für Heerwesen Rechnung getragen worden sei und „alle Reserveoffiziere, die in öffentlicher Stellung sind oder sonst einen gesicherten Lebensunterhalt haben, ferner alle Studierenden und alle Ruheständler sofort abgerüstet“ würden. Einen Hinweis auf diese Materie enthält auch das Stenogramm der Kabinettsratssitzung: „In den Kreisen der Reserveoffiziere großes Mißvergnügen. [...] Eile durchaus geboten (6–7.000 Reserveoffiziere)“. Vgl. auch die Verordnungen in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.890/1918, Personelle Demobilisierungsanweisungen – Fortsetzung. Eine Abschrift dieser Verordnungen findet sich, begleitet von ausführlichen Bemerkungen, in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 2.468/1918, Amtsveranlassung; Beschluß des Staatsrates vom 16 November 1918. 36 Ein entsprechender Beschluß ist in KRP Nr. 11 vom 15. November 1918 nicht zu finden. Einschlägige Hinweise enthält allerdings das Stenogramm zu Punkt 5 der Tagesordnung über „Eigenmächtiges Vorgehen der Landesregierungen in Ernährungsangelegenheiten“: „Pacher: Wenn in Deutschböhmen solche Verfügungen getroffen werden, so bitte ich, das mit der exponierten Lage zu entschuldigen. / Renner: 60 Mill. nach Prag geschickt und […] neue 60 Millionen Kronen durch die Filiale der österreichisch-ungarischen Bank anweisen lassen. / Beck: Tusar hat dies angeblich zugesagt. / Renner: Wir müssen übermorgen früh 60 Millionen haben.“ Vlastimil Tusar, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Gesandter in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. 37 Vgl. SRP Nr. 32 vom 13. November 1918; weiters auch SRP Nr. 30 vom 11. November 1918, wo Renner über die bereits eingeleiteten Maßnahmen zur Einrichtung der Verwaltung in Deutschböhmen und im Sudetenland berichtete. 38 Im Zusammenhang damit berichtete zum Beispiel die Bezirksvertretung Tepl-Marienbad dem Staatsamt für Finanzen in einer Mitteilung vom 16. November 1918, daß die Finanzlandesdirektion in Prag die deutschen Steuerämter in Böhmen verständigt habe, sie würde die zur Auszahlung der Unterhaltsbeiträge bestimmten Gelder nur dann freimachen, wenn diese sie als ihre vorgesetzte Behörde anerkennen. Das Schreiben der Bezirksvertretung findet sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 3.071/1918. Ähnlich lautete auch das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Kaplitz vom 17. November 1918 an das Staatsamt für Finanzen, in welchem diese um einen Vorschuß zum Zwecke der Auszahlung der Unterhaltsbeiträge bei den Steuerämtern bat, da die Finanzlandesdirektion in Prag die Auszahlung verweigere, sofern die Steuerämter den tschechoslowakischen Staat nicht anerkennen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 3.462/1918. 34
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Grund des Volkszählungsschlüssels 22,4 Millionen, rund 23 Millionen, nochmals und zwar sofort nach Deutschböhmen selbst zu schicken und weitere Zuweisungen an die Czechoslovaken bis zur ordnungsmäßigen Verrechnung des bisher überwiesenen Betrages von 60,000.000 einzustellen. Dr. R e n n e r: Es war unvorsichtig, die 60 Millionen nach Prag zu schicken. Wir haben Belege dafür, daß die Prager Regierung, wiewohl zugesagt worden ist, daß die Unterhaltsbeiträge anstandslos ausbezahlt werden würden, den deutschen Steuerämtern die Ausfolgung der Unterhaltsbeiträge vorenthält und vorerst deren Unterwerfung unter den czechischen Staat verlangt. Wenn unsere Landesregierungen in Reichenberg und Troppau die ganze Sache hinwerfen wollen, so ist das darauf zurückzuführen, daß sie keinen Heller Geld haben, und deswegen hat der Staatsrat beschlossen, ihnen je 200,000.000 K zuzuweisen. Nun ist das bis heute nicht geschehen und es besteht daher hohe Gefahr, daß diese Länder genötigt sind, sich heute oder morgen zu unterwerfen, oder daß dort ein Aufstand entsteht. Es wurde auch die Modalität erörtert, daß man die deutsche Reichsregierung ersuchen möge, aus ihren Beständen an österreichischen Banknoten die nötigen Beträge gegen seinerzeitige Refundierung nach Reichenberg und Troppau zu schicken. Dr. S t e i n w e n d e r: Die österreichischen Notenbestände im Reiche draußen sind durchaus nicht so stark, wie man meint. Wir müssen das Geld physisch hinausschicken. T e u f e l: Ich muß mich dem Proteste des Herrn Staatskanzlers anschließen und mache darauf aufmerksam, daß, wenn das Geld nicht sofort auch nach Südmähren hinausgeschickt wird, wir einfach der Anarchie entgegengehen. Wenn die Anforderungen, die wir stellen, nicht respektiert werden, wird die Wiener Zentralregierung nicht mehr anerkannt werden. Dr. S t e i n w e n d e r: Davon, daß 200,000.000 K für Deutschböhmen und Sudetenland39 beschlossen worden sind, ist uns absolut nichts bekannt. Präs. S e i t z: Wir haben die Einführung getroffen, daß die Staatsratsbeschlüsse bereits um 12 Uhr des der Beschlußfassung folgenden Tages dem von jedem Staatsamt bestellten Beamten eingehändigt werden und die Herren Staatssekretäre sie von diesen Beamten an diesem Tage zu empfangen haben.40 Gestern nach 12 Uhr mußte also der Vertreter des Staatsamtes für Finanzen dem Staatssekretär für Finanzen die Beschlüsse der vorgestrigen Staatsratssitzung übergeben haben, und wenn nun der Herr Staatssekretär erklärt, daß er sie nicht bekommen hat, so ist ein Versehen geschehen, das unbedingt zu rügen ist. In der Sache selbst steht fest, daß dieser Beschluß über die Zuwendung von je 200,000.000 K gefaßt worden ist und daß daher die Verfügung der Kabinettssitzung von gestern, wonach diese 60,000.000 K zu überweisen sind, vollkommen rechtsgültig gefaßt wurde. Es wird beschlossen: Mit Rücksicht darauf, daß laut Mitteilung des Staatskanzlers in der 27. Sitzung vom 13. November nachmittags der Auftrag, je 200,000.000 K an Deutschböhmen und Sudetenland anzuweisen, an das Staatsamt für Finanzen bereits ergangen ist41, kann der in der Kabinettssitzung vom 15. November gefaßte Beschluß, an Deutschböhmen Im Original ursprünglich Czechisch-Böhmen und Sudetenland; wurde handschriftlich korrigiert. Zum Verbindungsdienst zwischen Staatskanzlei und den Staatsämtern vgl. auch SRP Nr. 16 vom 3. November 1918, wo beschlossen wurde: „Alle Staatssekretäre sind von den Beschlüssen des Staatsrates täglich durch einen kurzen Protokollauszug zu verständigen.“; weiters Nr. 21 vom 6. November 1918, Beschluß II: „Sämtliche Staatsämter entsenden um 12 Uhr mittags je einen Vertreter zur Entgegennahme von Anfragen und Anregungen der Abgeordneten sowie zur Aufrechterhaltung der Verbindung mit der Staatskanzlei zum Staatsrat.“ Vgl. zur Einrichtung des Verbindungsdienstes auch KRP Nr. 4/2 vom 7. November 1918. 41 Dieser Beschluß wurde nicht in der 27., sondern in der 32. Sitzung des Staatsrates vom 13. November 1918 gefaßt. Renners Angaben beruhen auf der zeitweise inkorrekten Numerierung der Staatsratssitzungen. 39 40
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60,000.000 K zur Auszahlung von Unterhaltsbeiträgen u.s.w. zu überweisen, sofort durchgeführt werden. Dr. S t e i n w e n d e r: Die sofortige Durchführung ist einfach unmöglich, weil das Geld nicht da ist. Ich kann unmöglich Vorschüsse der Banken auf die Anleihe nehmen, bevor sie nicht bewilligt ist, ich bekomme ja das Geld nicht.42 Präs. S e i t z: Wir müssen etwas vorkehren, um uns momentan in den Besitz dieser Bankzettel zu setzen – wenn es notwendig ist, durch Requisition43 bei der Bank, aber diesen Betrag von 60,000.000 K müssen wir hinausschicken, denn die Unterhaltsbeiträge müssen gezahlt werden, weil wir sonst eine Revolution draußen haben. T e u f e l: Ich möchte genau wissen, welche Vereinbarungen mit den anderen Nationen hinsichtlich der Österreichisch-ungarischen Bank44 abgeschlossen worden sind. Präs. S e i t z: Die sind noch nicht abgeschlossen. T e u f e l: Dann muß eben die Österreichisch-ungarische Bank nur für den deutschösterreichischen Staat arbeiten. Ich stelle daher den Antrag, alle Banknoten, welche von der Österreichisch-ungarischen Bank in den nächsten vier Wochen hergestellt werden, ausschließlich und allein für den deutschösterreichischen Staat zu verwenden. Dr. S t e i n w e n d e r: Die Not wird voraussichtlich nur noch etwa 8–10 Tage bestehen, deswegen muß Vorderhand das geschickt werden, was für die nächsten Bedürfnisse genügt, und das werden wir aufbringen. Präs. S e i t z: Wir werden diesen Antrag T e u f e l dem Herrn Staatskanzler mit dem Auftrage zuweisen, im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Äußeres und jenem der Finanzen sowie im Einvernehmen mit der Österreichisch-ungarischen Bank uns darüber Bericht zu erstatten. Die Stellungnahme des Staatsamtes für Finanzen entsprach der Haltung des Staatssekretärs, indem dieses feststellte, die Übersendung einer so hohen Summe sei mangels vorhandener Mittel nicht möglich, sachlich aber auch nicht erforderlich, da dieser Betrag im Ganzen gar nicht benötigt werde und der Finanzlandesdirektion Prag zudem 60 Mill. Kronen, mit dem Auftrag, auch die deutschen Ämter entsprechend zu dotieren, überwiesen worden seien. Der Antrag wurde im Staatsamt für Finanzen ad acta gelegt. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 2.506/1918, Amtsveranlassung, betreffend den Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. Vgl. dazu auch das Telegramm der Finanzlandesdirektion Prag an das Staatsamt für Finanzen vom 18. November 1918, in welchem diese um die Überweisung der bis dato noch nicht bereitgestellten 60 Mill. Kronen ersuchte. Dieses Ansuchen wurde am 22. November 1918 mit dem Hinweis, daß nach Auskunft der Oesterreichisch-ungarischen Bank täglich 10 Mill. Kronen nach Prag und 5–6 Mill. Kronen nach Brünn disponiert wurden, ad acta gelegt. Das Schreiben findet sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 2.333/1918. 43 Requisition: Beschlagnahmung. 44 Die Oesterreichisch-ungarische Bank (ungar. Osztrák-magyar bank) bestand als Notenbank beider Reichshälften mit zwei Hauptsitzen in Budapest und Wien von 1878 bis 1922. Wie schon bei ihren Vorgängerinnen üblich, mußte das Privilegium der OeUB nach Ablauf der jeweils aktuellen Statuten in regelmäßigen Abständen erneuert werden. Nach der Einrichtung der Doppelmonarchie im Jahr 1867 konnten hierfür auch die alle zehn Jahre stattfindenden Verhandlungen zur Erneuerung des Ausgleiches zwischen der österreichischen und ungarischen Reichshälfte relevant werden. Im Zuge der im Jahr 1917 wieder nötigen Erneuerung des Privilegiums wirkte sich dieser Zusammenhang insofern aus, als das fertig verhandelte Statut der Oesterreichisch-ungarischen Bank nicht beschlossen werden konnte, da die Ausgleichsverhandlungen scheiterten. Nach dem Ende der Monarchie wurde die zuvor gefundene Lösung, das alte Statut bis Ende 1919 zu verlängern, beibehalten, wodurch das Privilegium am 31. Dezember 1919 automatisch auslief. Vgl. Clemens Jobst/Hans Kernbauer, Die Bank. Das Geld. Der Staat. Nationalbank und Währungspolitik in Österreich 1816–2016, Frankfurt a. M. 2016, S. 112–131 und S. 149 f; György Kovér/Ágnes Pogány, Die binationale Bank einer multinationalen Monarchie. Die Österreichisch-Ungarische Bank (1878–1922) (= Beiträge zur Wirtschafts- und Sozial geschichte 94), Stuttgart 2002, S. 156–173. 42
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A n g e n o m m e n.45 Dr. S t e i n w e n d e r: Es liegt ferner ein Antrag vor wegen Trennung der Finanzdirektionen bezw. Finanz-Landes-Direktionen von den politischen Behörden.46 Soll das irgendwo beraten werden? Dr. R e n n e r: Das ist eine Angelegenheit des administrativen Dienstes. Das ist eine prinzipielle Umgestaltung.47 Ich werde das lesen und darüber referieren. Präs. S e i t z: Diese Vorlage wird zugewiesen und ehestens der Verhandlung zugeführt werden.48 Präs. S e i t z: Es liegen mir zwei Beschlüsse des Finanzausschusses der Nationalversammlung vor, die die Form von Aufträgen an die Staatsregierung haben. Der eine betrifft die Bildung eines Liquidationsausschusses49, der andere die Herstellung eines Katasters über Der Antrag wurde an die Staatskanzlei weitergeleitet und findet sich mit der an das Staatsamt für Finanzen gestellten Aufforderung um Bericht in AdR, StK, GZl. 225/1918, Antrag wegen Verwendung von ö.-u. Banknoten für Deutschösterr. oder Ausgabe d.-ö. Staatsnoten. Das Staatsamt für Finanzen nahm gegen diesen Antrag folgendermaßen Stellung: die Oesterreichisch-ungarische Bank sei in ihrer Geschäftsführung autonom und ein Eingriff nicht möglich. Ein selbständiges deutschösterreichisches Vorgehen könne in den Teilstaaten schwere soziale Rückwirkungen haben und würde die politischen und wirtschaftlichen Gegensätze und Differenzen zwischen den Teilstaaten verschärfen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 3.359/1918 sowie KRP Nr. 13/8 vom 18. November 1918, wo Steinwender zur Frage der „Hintanhaltung der Banknotenausgabe durch die österreichisch-ungarische Bank an die fremdnationalen Staaten“ bemerkte, daß „die Erlassung eines derartigen Verbotes mit dem Privilegium der österreich.ungar. Bank im Widerspruch stünde und die deutschösterreichische Regierung damit in deren Rechte eingreifen würde“. Demgemäß nahm das Staatsamt für Finanzen die Geldsendungen der österreichisch-ungarischen Bank auch von den in weiterer Folge beschlossenen Maßnahmen zur Briefzensur aus, indem es die Oesterreich-ungarische Bank aufforderte, eine Vidierung der Begleitdokumente für Geldsendungen ins Ausland zu veranlassen. Das Staatsamt für Heerwesen sollte von der Beschlagnahme solcherart vidierter Sendungen absehen. Vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.492/1918, Geldsendungen der Österr. Ung. Bank in den Bereich der anderen Nationalstaaten. 46 Die exaktere und klarere Formulierung dieses Antrages findet sich unter Punkt XV des Beschlußprotokolls der vorliegenden Sitzung. 47 Die Trennung der Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung war noch in der Monarchie angeregt worden. Im Mai 1918 hatte der Innenminister nach Kontaktaufnahme mit dem Finanzminister diesbezügliche Gutachten der Länder einholen lassen. Die zugrundeliegende, schon damals festgestellte Problematik bestand darin, daß die Verwaltung der direkten Steuern und die damit betrauten Finanzbeamten, den Bezirkshauptleuten unterstanden, deren politische und dienstliche Einflußnahme befürchtet und teilweise von den betroffenen Stellen auch konkret moniert wurde. Angesichts der unter den neuen politischen Verhältnissen durchaus nicht unkritischen Frage der Kompetenzverteilung zwischen der Staats- und den Landesregierungen erschien eine Lösung dieser Frage umso dringlicher. Vgl. dazu AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 1.925/1918, Amtserinnerung, betreffend Vortrag im Staatsrate wegen Herbeiführung der Trennung der Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung in der I. und II. Instanz; weiters Zl. 2.821/1918, Amtsveranlassung; betreffend den Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. Die Neuregelung wurde auch schon in § 4 (3) des StGBl. Nr. 24/1918, betreffend die Übernahme der Amtsgewalt in den Ländern vorweggenommen: „Jene Amtsgeschäfte des Landeschefs, die zum Wirkungskreise des Finanzministeriums gehören, werden durch einen vom Landesrate mit Genehmigung des Staatsrates eigens hierzu berufenen Stellvertreter des Landeshauptmannes versehen.“ 48 Steinwender brachte dieses Thema in der 42. Sitzung vom 22. November erneut zur Sprache. Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. Zur Einbringung eines entsprechenden Gesetzesentwurfes vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 49 Es handelt sich um einen in der Sitzung vom 14. November 1918 im Finanzausschuß eingebrachten Antrag des Abgeordneten Kraft, mit welchem er „die Staatsregierung“ aufforderte, in Kooperation 45
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Eigentum und Art des Erwerbs von Kriegsanleihen50.51 Es war ein Unfug des alten Abgeordnetenhauses, daß jeder Ausschuß direkte Weisungen an die Regierung erteilte. Die Ausschüsse der Nationalversammlung sind eingesetzt, um die ihnen von der Nationalversammlung zugewiesenen Anträge und Gesetzesvorlagen zu beraten und dem Hause zu berichten. Aufträge in Bezug auf Vorlage von Gesetzentwürfen können nur vom Hause an den Staatsrat erteilt werden. Ich habe als Präsident des Hauses die Beschlüsse mit dem Ersuchen bekommen, sie an den Staatsrat weiterzuleiten. Ich kann dieser Aufforderung nicht genügen, sondern möchte dem Obmann des Finanzausschusses52 mit Rücksicht auf die mir vom Finanzausschuß zugekommenen Anträge Kraft53 und Schiegl54 ersuchen, über alle Anträge des Ausschusses direkt an die provisorische Nationalversammlung zu berichten, der es dann zukommt, Aufträge an den Staatsrat bezw. die Staatsämter zu erteilen.55 (Zustimmung.)
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mit den Nachfolgestaaten der Monarchie, die Bildung eines „Liquidationsausschusses“ in die Wege zu leiten, um eine Einigung bezüglich der gemeinsamen Staatsschulden und des Zinsendienstes zu erreichen. Vgl. PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Finanzausschuß, Protokoll über die Sitzung am 14. November 1918. Mehrere Komitees haben sich mit der internationalen Liquidierung der k.k. bzw. k.u.k. gemeinsamen Aktiva und Passiva befaßt. An der Spitze stand die „Gesandtenkonferenz“ der acht Nachfolgestaaten Deutschösterreich, Tschechoslowakei, Polen, Westukraine, Ungarn, Italien und Rumänien. Sie tagte auf Anregung Deutschösterreichs erstmals am 14. November, seit 27. November auch unter Beteiligung eines jugoslawischen Vertreters. Die Gesandtenkonferenz trat in unregelmäßigen, zuletzt sehr langen Abständen zusammen. Ihre letzte Sitzung fand am 15. Dezember 1919 statt. Als Organ der Gesandtenkonferenz fungierte die „Internationale Liquidierungskommission“. Ihre Struktur und Zusammensetzung wurde zwar schon in der 6. Sitzung der Gesandtenkonferenz am 17. Dezember beschlossen, sie wurde aber erst am 21. Jänner 1919 durch die Gesandtenkonferenz aktiviert. Die Liquidierungskommission nahm am 23. Jänner ihre Tätigkeit auf und erledigte bis zum 30. Dezember 1919 in 115 Sitzungen ihr Arbeitspensum. Dieser Liquidierungskommission untergeordnet waren die Bevollmächtigtenkollegien in den einzelnen liquidierenden Ministerien, die sich, entsprechend dem Beschluß der 6. Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918, bereits um die Jahreswende 1918/19 in drei Ministerien gebildet hatten. Außerdem setzte die Gesandtenkonferenz in ihrer 2. Sitzung vom 20. November 1918 eine „Finanzkommission“ ein. Auf dieser Ebene wurden die Verwaltungsangelegenheiten, auch in Bezug auf bestehende k.k. Gesetze, kontinuierlich fortgeführt. Diese Kommission nannte man gelegentlich auch „Liquidierungskommission für Finanzen“. Zur Gesandtenkonferenz vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. Im Original Friedenanleihen; wurde handschriftlich korrigiert. Der Abgeordnete Schiegl brachte ebenfalls in der Sitzung des Finanzausschusses vom 14. November 1918 einen Antrag ein, mit welchem er „die Staatsregierung“ aufforderte, einen Kataster anzulegen, „der über Eigentum und Art des Erwerbes der Kriegsanleihen und anderer Staatsschuldverschreibungen“ informieren sollte. Vgl. PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Finanzausschuß, Protokoll über die Sitzung am 14. November 1918. Gustav Hummer, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten, ab 30. Oktober 1918 Mitglied des Staatsgerichtshofes. Emil Kraft, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Abgeordneter der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. Zur Bestellung Emil Krafts zum Vorsitzenden der Hauptstelle für Volksbekleidung vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. Wilhelm Schiegl, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Abgeordneter der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP. Emil Kraft und Wilhelm Schiegl waren in der 3. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 12. November 1918 zu Mitgliedern des Finanzausschusses gewählt worden. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 3. Sitzung vom 12. November 1918, Wahl von je 10 Mitgliedern des Verfassungs-, Justiz-, Finanz-, Verwaltungs-, Heeres-, Wahlgesetz- und des volkswirtschaftlichen Ausschusses, S. 87. Vgl. das diesbezügliche Schreiben in PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Finanzausschuß, Protokoll über die Sitzung am 18. November 1918.
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E l l e n b o g e n: Was ist die „Staatsregierung“? Präs. S e i t z: Der Ausdruck existiert überhaupt nicht. R e n n e r: Die Gesamtheit der Staatssekretäre, analog dem früheren Ministerrat. Aber über die Dienstesanweisungen müßte erst einmal beschlossen werden. Präs. S e i t z: B e u r k u n d u n g v o n G e s e t z e n. Dr. R e n n e r: Liegt noch nicht vor. Präs. S e i t z: A m t f ü r K r i e g s - u n d Ü b e r g a n g s w i r t s c h a f t.56 Volksbekleidung: Staatsgarantie für einen Kredit von 400 Millionen K für das Volksbekleidungsamt. R i e d l: Das n.ö. Volksbekleidungsamt57 hat seinerzeit einen vom österr. Finanzministe rium garantierten Bankkredit von 120 Millionen K bei einer Gruppe von Banken und Sparkassen aufgenommen.58 Aus diesem Kredit, der zur Zeit noch nicht ganz ausgeschöpft ist, wird der Ankauf von Bekleidungswaren für die Minderbemittelten, Bezugsschein A59, be Die folgende Textpassage ist im Original handschriftlich unterstrichen. Vgl. dazu auch KRP Nr. 11/3 vom 15. November 1918. 57 Aufgrund einer Verordnung vom 21. September 1917, welche die Schaffung von Landesbekleidungsstellen vorschrieb, wurde im Oktober 1917 bei der niederösterreichischen Statthalterei im Einvernehmen mit dem niederösterreichischen Landesausschuß, der Gemeinde Wien und der niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer ein unmittelbar dem Handelsministerium unterstelltes Volksbekleidungsamt geschaffen. Diese Bezeichnung entsprach nicht dem Gesetzestext, der von Landesbekleidungsstellen sprach. Vgl. RGBl. Nr. 383, Verordnung des Handelsministers im Einvernehmen mit dem Justizminister vom 21. September 1917, betreffend Vorkehrungen für die Bekleidung der Bevölkerung, ausgegeben am 25. September 1917. Vgl. weiters Neues Wiener Tagblatt, 20. Oktober 1917, S. 10 „Das Volksbekleidungsamt der Statthalterei“ und Neues Wiener Journal, 20. Oktober 1917, S. 8 „Das Volksbekleidungsamt der k.k. niederösterreichischen Statthalterei“. Zur Liquidierung der Landesbekleidungsstellen vgl. SRP Nr. 70/XIV vom 29. Jänner 1919. 58 Im Mai 1918 bewilligte eine Gruppe von Banken, bestehend aus der Anglo-Österreichischen Bank, der Niederösterreichischen Escompte-Gesellschaft, der k.k. priv. allgemeinen Verkehrsbank, der Centralbank der deutschen Sparkassen, der Union-Bank, der Ersten österreichischen Sparkasse und der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien, dem Volksbekleidungsamt der n.ö. Statthalterei, einen Kredit von insgesamt 120 Mill. Kronen. Als Bürge und Rückzahler fungierte das k.k. Ärar. Im Zuge dieses Vorgangs wies das Finanzministerium auf die nicht gesetzeskonforme Bezeichnung „Volksbekleidungsamt“ bzw. „Volksbekleidungsstelle“ hin und bemerkte „es ist nicht einzusehen, weshalb sich die n.ö. Landesbekleidungsstelle abweichend von den übrigen Landesbekleidungsstellen einer anderen als der vorschriftsmäßigen Bezeichnung bedient“. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilung, Zl. 49.506/1918, Anglo-Oesterreichische Bank und Genossen–Schlußbrief: Geldbeschaffung für die Volksbekleidung in Niederösterreich. 59 Im Rahmen des Systems der staatlich gesteuerten Kriegswirtschaft wurde auch der Handel mit Bekleidungswaren gesetzlichen Reglementierungen unterworfen. Dabei wurde unterschieden zwischen dem freien Handel mit Bekleidungswaren und der Ausgabe von Bekleidung an Bedürftige. Zu Beginn des Jahres 1917 wurden bei der Baumwoll- und Wollzentrale Abteilungen für Volksbekleidung eingerichtet, die mit der Sammlung und Herstellung von Bekleidung beauftragt waren, welche von Landesbekleidungsstellen verteilt werden sollte. Die auf diesem Weg an Bedürftige verteilte Bekleidung wurde als Volksbekleidungsware bezeichnet. Daneben war auch der allgemeine Handel mit Bekleidung reglementiert. Um Zugang zu Bekleidungswaren zu erhalten, mußte eine Bedarfsbescheinigung, die von den Bedarfsprüfungsstellen ausgestellt wurde, vorgelegt werden. Hierbei wurde zwischen drei Kategorien der Bescheinigung unterschieden: Bedarfsbescheinigungen der Kategorie A berechtigten zum entgeltlichen oder unentgeltlichen Bezug von Volksbekleidungsware. Um eine Bescheinigung der Kategorie A erhalten zu können, mußten Bedürftigkeit und Bedarf nachgewiesen werden. Bedarfsbescheinigungen der Kategorie B berechtigten zur entgeltlichen Erwerbung von sonstiger bedarfsscheinpflichtiger Ware. Die darunter fallenden Arten von Bekleidung wurden gesetzlich festgelegt. Bedarfsbescheinigungen der Kategorie C berechtigten zur entgeltlichen Erwerbung von Bekleidung nach der Abgabe eines 56
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stritten. Das n.ö. Volksbekleidungsamt dient uns außerdem als eine Art Zentrale für die Dotierung der Landesbekleidungsstellen in den anderen Provinzen und auch als Sammelpunkt für die Waren, die wir zu Kompensationszwecken brauchen für Lebensmittel aus Ungarn und Kroatien, für Kohle, für Petroleum aus Galizien. Ich bediene mich dieser Anstalt, bis eine Hauptstelle für Volksbekleidung60 mit Wirksamkeit für das ganze Reich errichtet ist.61 Nun haben die Banken beim Aufhören des Finanzministeriums verlangt, daß die Garantie für diesen Kredit vom deutsch-österr. Staate übernommen werde, widrigenfalls sie den Kredit kündigen. Außerdem sind an das Volksbekleidungsamt neue Aufgaben herangetreten. Textilien, Leder und Schuhe, die bisher ausschließlich für Militärwaren verwendet wurden, werden jetzt für den Zivilkonsum frei. Dazu kommt noch die Demobilisierungsware. Diese Waren kann ich nun entweder für die Volksbekleidungsstellen übernehmen und durch sie in den Verkehr bringen, oder ich kann sie den Fabriken freigeben. Bei den Zentralen kann man die Rohstoffe nicht liegen lassen, sonst machen die Zentralen bei den zu erwartenden Entwertungen Bankrott62. Auch wenn man die Ware freigibt, muß man der Industrie die Möglichkeit geben, die Ware rasch hinauszubringen, sonst erleidet sie den Schaden durch die Entwertungen. Für mich ist nun die Frage, wie viel Ware die Volksbekleidungsstellen übernehmen können. Bleibt es bei dem Kredit von 120 Millionen, dann sind dieser Übernahme enge Grenzen gezogen, dann muß viel Ware freigegeben werden und bleibt ohne Kontrolle und ohne Kompensation. Soll das nicht geschehen, dann brauche ich Geld. Ich habe also beantragt, die Garantie für einen Bankkredit des Volksbekleidungsamtes bis zu 400 Millionen zu erhöhen. Ich hoffe, daß wir ihn nicht werden ausschöpfen müssen. Dr. S t e i n w e n d e r: Wenn es sich bloß um die formelle Grundlage für die Kreditbewilligung handelt, habe ich nichts dagegen. Aber Verluste dürfen wir dabei nicht erleiden. R i e d l: Dafür kann ich natürlich nicht garantieren; aber ich hoffe es. Wir haben ja bisher die Waren auch immer zum Gestehungspreise hinausgegeben, also keine Verluste gehabt. Die Volksbekleidungsstellen sollten ja nur die übermäßige Preissteigerung durch Einschiebung des privaten Handels verhindern, dazu mußten sie nicht unter den Gestehungspreis gehen. T e u f e l: Man müßte zunächst entscheiden, ob das Volksbekleidungsamt noch notwendig ist oder nicht. Die Militärbestände könnten ja rasch demobilisiert werden und dann wäre wohl das Amt aufzulassen. Wenn es aber bleiben soll, dann muß auch der Kredit gewährt werden. A b r a m: Es muß bleiben, damit wir Kompensationsware für das flache Land haben. Die zurückkehrenden Bauern wollen nichts mehr für die Ernährung hergeben. Dr. R e n n e r: Das Überführen der Militärbestände in den Zivilkonsum erfordert vorläufig noch diese Organisation. Dann wird man ja über die Auflassung reden können. Dr. O f n e r: Jetzt ist nicht mehr ein Steigen der Preise, sondern ein Fallen zu erwarten. Wir müssen also zwar vorsorgen, daß die Mindestbemittelten etwas bekommen, dürfen aber Kleidungsstückes. Die Abgabe mußte durch eine Abgabebescheinigung belegt werden. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 27. September 1918, S. 8 f „Einführung der Kleiderkarte in Oesterreich“. Vgl. weiters RGBl. Nr. 383, Verordnung des Handelsministers im Einvernehmen mit dem Justizminister vom 21. September 1917, betreffend Vorkehrungen für die Bekleidung der Bevölkerung, ausgegeben am 25. September 1917. Vgl. weiters Volkswirtschaftliche Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1917, Nr. 9, September 1917, S. 314 f „Vorkehrungen für die Bekleidung der Bevölkerung“. 60 Im Original Volksbekleidungsstelle; wurde handschriftlich korrigiert. 61 Zur Einrichtung einer Hauptstelle für Volksbekleidung vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918, Nr. 44 vom 25. November 1918, Nr. 47 vom 26. November 1918, Nr. 48 vom 27. November 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 62 Im Original ursprünglich Bankerott; wurde handschriftlich korrigiert.
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Industrie und Handel nicht völlig ausschalten. Wir müssen die heutigen Preise nützen, ehe sie noch weiter sinken, und der Industrie jetzt möglichst viel geben. Dr. S c h o e p f e r: Zu den bereits angeführten Gründen für den Antrag des Herrn Unterstaatssekretärs kommt noch die Gefahr, daß der freie Handel durch Hausse- und Baisse-Spekulationen63 Unheil anrichtet. Wir müssen die Wirtschaft nur allmählich in die neue Form überführen. Dr. S t e i n w e n d e r: Die Preise beim Ein- und Verkauf müssen so gestellt werden, daß ein Verlust einfach ausgeschlossen ist. Bei der Demobilisierung werden wir ja Tuche u.s.w. sehr billig erstehen können. Ich bitte die Sache noch um einen Tag zu verschieben, bis die Sitzung über die Demobilisierungsfrage stattgefunden hat.64 T e u f e l: Wenn wir jetzt kaufen, sind bei der fallenden Tendenz der Preise wohl große Verluste zu erwarten. Also kaufen soll man nicht. Das Volksbekleidungsamt soll die militärischen Vorräte bekommen und gegen Lebensmittel abgeben. Nach Aufhebung der Sperre in der nächsten Woche wird ja noch Bekleidungsmaterial hereinkommen. G r u b e r: Wir müssen uns zunächst klar werden, ob wir die Kleiderkarte aufheben oder belassen sollen. Haben wir so viel Kleider, daß die Mindestbemittelten nicht sozusagen nackt herumlaufen müssen, dann kann das Volksbekleidungsamt bald liquidieren. Wenn es aber an das Kartensystem gebunden bleibt, dann müssen wir ihm den Kredit garantieren. Dr. R e n n e r: Wenn die Waren nicht vom Volksbekleidungsamt gekauft werden, dann werden sie verschleudert. Und wenn das Volksbekleidungsamt die Waren auch nicht zum Einkaufspreise anbringt, so ist das noch immer besser, als wenn sie verschleudert werden. Wir müssen also diese Garantie geben. Was können wir denn verlieren? Bei einem Umsatz von 400 Millionen höchstens 10 oder 20 Millionen. Bei der Verschleuderung sind aber die ganzen 400 Millionen verloren. Ein Aufschub ist unmöglich, weil der Kredit auf heute terminiert ist. Präs. S e i t z: Vorräte sind vorhanden: 1.) Im Besitze der k.u.k. Heeresverwaltung und zwar bis vor kurzem liquidierendes Kriegsministerium, 2.) bei der Baumwollzentrale und bei der Wollzentrale, Volksbekleidungsabteilung.65 Diese wären jetzt an die Volksbekleidungs-
Hausse: Steigen der Börsenkurse oder Preise; Baisse: Fallen derselben. Es konnte nicht eruiert werden auf welche Sitzung über die Demobilisierung sich Staatssekretär Steinwender hier bezieht. 65 Die Errichtung von Zentralen, die für die Beschaffung und bzw. oder die Verteilung kriegswirtschaftlich relevanter Rohstoffe zuständig waren, erfolgte in Österreich-Ungarn aufgrund des am 24. September 1914 mit dem Deutschen Reich abgeschlossenen Abkommens „über die Behandlung der gegenseitigen Ausfuhr“. Das Abkommen sollte den Umstand beheben, daß die zu Kriegsbeginn erlassenen Aus- und Durchfuhrverbote auch den Warenverkehr zwischen den beiden Bündnispartnern betrafen. Österreich-Ungarn hatte darin der kriegswirtschaftlichen Zentralisierung auf Verlangen Deutschlands zugestimmt. Die österreichisch-ungarischen Zentralen waren dabei im Gegensatz zu ihren deutschen Vorbildern häufiger von privatem Kapital getragen. Zum September-Abkommen und den Zentralen vgl. Richard Riedl, Die Industrie Österreichs während des Krieges, Wien/New Haven 1932, S. 23–45; weiters Robert J. Wegs, Die österreichische Kriegswirtschaft 1914–1918, Wien 1979, S. 26–30; Gertrude Enderle-Burcel, Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung. Verwaltung im Ausnahmezustand – Die Wiener Zentralbürokratie im Ersten Weltkrieg, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, S. 274–283, hier S. 278 f; Tamara Scheer, Die Kriegswirtschaft am Übergang von der liberal-privaten zur staatlich-regulierten Arbeitswelt, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band XI: Die Habsburger Monarchie und der Erste Weltkrieg. 1. Teilband: Der Kampf um die Neuordnung Mittel europas. Teil 1: Vom Balkankonflikt zum Weltkrieg, Wien 2016, S. 437–484. Zu den Kriegszentralen vgl. auch die Bestände in AdR, BMVE, Kriegszentralen 1915–1923 und AdR, BMF, Departement 17/Frieden, Kartons 187–190. 63 64
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stellen abzugeben. 3.) Rohstoffe, Wolle und Kunstwolle, die an die Fabriken hinauszugeben wären. R i e d l: Wir können die Vorräte der Zentralen den Fabriken frei geben und auf jede Kontrolle verzichten oder wir können das Material den Fabriken übergeben zur Herstellung von Waren für die Volksbekleidungsstellen. Ich würde da zunächst dasjenige, was ich für Volksbekleidung und für Kompensationen brauche, sicherstellen – und zu dieser Übernahme brauche ich den Kredit von 400 Millionen – das Übrige würde ich freigeben. Präs. S e i t z: Es wäre also dem n.ö. Volksbekleidungsamt die Staatsgarantie zu geben, damit es das, was es erwerben will, erwerben kann 1.) aus den Militärbeständen, 2.) von der Baumwoll- und Wollzentrale an Fertigware, 3.) damit es Rohstoffe und Halbfabrikate erwerben und daraus Fertigware herstellen lassen kann. Da werden dann die Militärbestände vom liquidierenden Kriegsministerium auch an andere verkauft werden können? R i e d l: Die Militärbestände sind dadurch nicht gefährdet, weil ihr Verkauf eine Frage der Sachdemobilisierung ist, weil sie also gebunden sind. Präs. S e i t z: Man muß eben wissen, ob das gebunden ist. Die Bedenken der Herren sind, daß, wenn die Händler und Fabrikanten Rohstoffe und Monturen frei erwerben können, Gefahr besteht, daß das Volksbekleidungsamt zu teuer übernimmt, zu teuer erzeugt, daß dann die Volksbekleidungsware notleidend wird, weil sie teurer ist als die des freien Handels. Dann wird allerdings diese Staatsgarantie aktuell. Wenn wir aber alle beschlagnahmten Rohstoffe und Monturen öffentlich bewirtschaften, dann gäbe es diese Konkurrenz nicht, dann würde die Staatsgarantie nie aktuell werden, denn wir haben ja auch die Auslandseinfuhr in unserer Hand, weil wir die Devisen und Einkaufsmöglichkeit vergeben. Die einführenden Staaten werden ja an uns, an die Regierung abgeben. R i e d l: General Smuts66 hat in seiner letzten Rede von der Notwendigkeit einer allgemeinen Rohstoffrationierung gesprochen.67 Ob sie von der Entente beschlossen ist, weiß ich nicht, bei gewissen Rohstoffen wie Baumwolle wird sie gewiß stattfinden. Es hängt also nicht
Die vereinigte österreichische und ungarische Baumwollzentrale wurde bereits Anfang Oktober 1914 auf Anregung des Handelsministeriums vom Verein der Baumwollspinner Österreichs im Einvernehmen mit dem Kriegsministerium sowie dem österreichischen und dem ungarischen Handelsministerium ins Leben gerufen. Sie sollte „alle zur Befriedigung des Baumwollbedarfes der heimischen Industrie erforderlichen Maßnahmen“ vorbereiten und durchführen. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 6. Oktober 1914, S. 10 „Vereinigte österreichische und ungarische Baumwollzentrale“. Speziell zur Baumwollzentrale vgl. auch AdR, BMF, Departement 17/Frieden, Karton 187. Die Wollzentrale wurde Anfang November 1914 mit der Genehmigung des Ministeriums des Innern im Einvernehmen mit dem Kriegs- und dem Handelsministerium als Aktiengesellschaft gegründet. Sie verstand sich als „gemeinnütziges Unternehmen zum Zwecke der gemeinsamen Wollbeschaffung für militärischen Gebrauch.“ Vgl. Neue Freie Presse. Nachmittagsblatt, 2. November 1914, S. 9 „Wollzentrale-Aktiengesellschaft“. 66 Jan Christiaan Smuts, südafrikanischer Jurist, Militär und Politiker, 1910 bis 1920 Verteidigungs minister der Südafrikanischen Union, 1919 bis 1924 und 1939 bis 1948 Premierminister. Als Vertreter Südafrikas im Rahmen der britischen Friedensdelegation auf der Pariser Friedenskonferenz 1919 war er ein eifriger Befürworter des Völkerbundes und setzte sich für eine Mäßigung der alliierten Forderungen gegenüber dem Deutschen Reich ein. Vgl. Margaret MacMillan, Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte, Berlin 2015, S. 83. Seine Ansichten über den künftigen Frieden veröffentlichte er am 15. November 1918 als Druckschrift unter dem Titel „The League of Nations – A Practical Suggestion“. Vgl. J. C. Smuts, Jan Christian Smuts, London 1952, S. 214–218. 67 Der Pester Lloyd veröffentlichte am 16. November eine Meldung des Reuterschen Bureaus, wonach Smuts sich am 15. November 1918 in London vor einer auf Einladung der britischen Regierung versammelten Gruppe US-amerikanischer Reeder dahingehend geäußert habe, daß man für die Zeit des Wiederaufbaus „die Zufuhr von gewissen Rohstoffen für alle Länder rationieren“ müsse. Vgl. Pester Lloyd, 16. November 1918, S. 6 „Eine versöhnliche Rede des Generals Smuts“.
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allein von unserem freien Willen ab, inwieweit wir uns gegen ausländische Waren absperren. England und Amerika werden jedenfalls bestrebt sein, die Einfuhr von Rohstoffen zu drosseln und die Einfuhr von Fertigfabrikaten zu fördern. Ich glaube daher, daß die Übernahme der Gesamtbewirtschaftung die Gefahr eher steigert als verringert. Es sind auch nicht so große Mengen Rohstoff im Inlande als daß sich aus der Freigabe eines Teiles eine Devalvierung68 der in der Hand der Volksbekleidungsstellen verbliebenen Waren ergäbe. Ich fürchte eher, daß die Freigabe dieser Waren zu einem ungerechtfertigt teuren Verkaufe führen würde. Ich würde ja gern sobald als möglich liquidieren, es wäre aber außerordentlich gewagt. Und dann muß man für die Kompensationen gewisse Quantitäten effektiv in der Hand haben. Dr. R e n n e r: Unser Textilmarkt ist derart ausgehungert, daß er auf Monate hinaus jede Ware zu jedem Preise aufnehmen wird. Eine Überschwemmung von außen her ist für diese Zeit auch nicht zu befürchten, es werden da höchstens Waren hereinkommen, die die Reichen kaufen. Wir werden also keine Verluste haben. Dr. U r b a n: Es hat eine Aussprache zwischen Fabrikanten und Händlern stattgefunden. Dabei wurde hervorgehoben: Wenn man die Waren heute freigäbe, dann ginge sehr viel ohne Kompensation nach Böhmen, Polen und Ungarn. Dann besteht ja eine Kontrolle bei der Zentralstelle für Demobilisierung69, wir haben also Einfluß auf die Preise. Je rascher wir den Beschluß fassen, desto besser. Wenn wir lange zuwarten, kommen wir zu Verlusten. Wenn aber die Zentralstelle für Sachdemobilisierung noch zu den jetzigen hohen Preisen verkauft, haben wir großen finanziellen Nutzen und den Vorteil, schon heute über die Waren zu verfügen, für Zwecke der Volksbekleidung und der Kompensation. R i e d l: Unsere Konfektionäre haben noch viel im Schleichhandel erworbene Ware. Sie fürchten nun den Preissturz, wenn wir mit der Ware der Heeresverwaltung herauskommen. Um bei der Abstoßung dieser Ware nicht beschränkt zu sein, haben sie auch die Abschaffung der B- und C-Scheine verlangt, ein gerechtfertigtes Verlangen, weil wir sie ja selbst mit der Versorgung der Bemittelten auf den Schleichhandel gestellt haben. Bei dieser Schleichhandels- und Schmuggelware würde sich nun der Preissturz gewiß stark äußern. Bei der Volksbekleidungsware dagegen haben wir die Preisbestimmung bis zu einem gewissen Grade in der Hand, weil wir die Vorräte, die da verwebt werden, kontrollieren können, es sind ja öffentliche Vorräte. Die Verlustgefahr ist also hier geringer. Präs. S e i t z: Das Wichtigste ist die Erstellung der Preise für die Waren, die wir übernehmen. Wir haben ja da bei den Militärwaren einen ungeheuren Einfluß. Ich bitte den H. Unterstaatssekretär darauf zu sehen, daß die Übernahmspreise bei den Zentralen insbesondere aber beim Militär möglichst gering sind. R i e d l: Wenn die Übernahmspreise gegenüber dem Militär gering sind, dann wird auch der Erlös aus der Demobilisierungsware gering sein. Präs. S e i t z: Das macht nichts, denn dieser Erlös geht zu Lasten der Gesamtheit, also auch aller anderen Nationen. Das Heeresamt darf sich hier nicht kleinlich zeigen und gut herauszukommen trachten, denn je billiger das Heeresamt hier verkauft, desto besser für den deutsch-österreichischen Staat. Dr. E l l e n b o g e n: Was machen die anderen Nationen? Stehlen sie das Militärgut? Präs. S e i t z: Die stehlen es einfach. Wir müssen, was im deutsch-österreichischen Staat an Militärgut ist, zu den billigsten Friedenspreisen hergeben. T e u f e l: Wir müssen die Menge70 des vorhandenen Bekleidungsmaterials kennen, sonst können wir nicht beschließen, wie hoch der Kredit sein muß. Devalvierung: (Geld-)Entwertung. Gemeint ist hier vermutlich die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung. Zu dieser Institution und ihren Aufgaben vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. 70 Im Original ursprünglich Mängel; wurde handschriftlich korrigiert. 68 69
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R i e d l: Für die Waren in den Zentralen, kann ich sie angeben, für das71, was im Kriegsministerium vorhanden ist, unmöglich. T e u f e l: Vom Kriegsministerium übernehmen wir die Bestände einfach buchmäßig, aber Geld legen wir keines hin. Die Ware kommt nun in den Handel, das Geld fließt ein, da brauchen wir also zur Liquidierung keinen Heller. Präs. S e i t z: Bargeld brauchen wir ja nicht. Unser Staatssekretariat sorgt nur dafür, daß diese Bestände zu einem möglichst niedrigen Preise in Rechnung gestellt werden. Von diesem Heeresbestande gelangt natürlich nichts an die Privaten, nur an die Volksbekleidungsstellen. Dr. S t e i n w e n d e r: Vielleicht soll man doch einen Teil in den freien Verkehr bringen. Präs. S e i t z: Darüber werden wir dann später bestimmen, jetzt lassen wir es so. Es wird hierauf der Antrag des Amtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft verlesen, wobei an die Stelle von „ermächtigt“ gesetzt wird „beauftragt“. T e u f e l: Von wann an gilt das? Früher waren die Sachen ja gemeinschaftlich. R i e d l: Die n.ö. Bekleidungsstelle war nicht gemeinschaftlich. T e u f e l: Hat die n.ö. Bekleidungsstelle nur für Niederösterreich Geschäfte gemacht? R i e d l: Bisher ja. Der Antrag des Amtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird hierauf mit 10 gegen 2 Stimmen a n g e n o m m e n.72 Die Anträge zu P. 4 und 5 der Tagesordnung liegen nicht auf. A b r a m: Es wurde wiederholt ausgesprochen, daß die Sitzungen des Staatsrates geheim sind. In der heutigen Nummer der „Reichspost“ beschäftigt sich nun ein Artikel mit der Staatsratssitzung, in der die Gesandten ernannt wurden, und gibt unter der Überschrift: „Judendebatte im Staatsrat“ die Debatte wieder.73 Es ist also von einem Kollegen ein grober Bruch der Vereinbarungen begangen worden. Im Original ursprünglich dafür; wurde handschriftlich korrigiert. Zum Text des Antrages vgl. Punkt XVII des Beschlußprotokolls dieser Sitzung. Ein von der Staatskanzlei beurkundetes Exemplar des Antrages findet sich unter AdR, StK, GZl. 200/1918, Beschluß des Staatsrates wegen Offenhaltung eines Kredites für das n.ö. Volksbekleidungsamt in Wien. Das Staatsamt für Finanzen ließ am 19. November intern prüfen, ob es gesetzlich berechtigt sei, die Garantie für einen solchen Kredit zu übernehmen. Das damit betraute Department 14b verwies am 4. Dezember 1918 auf den § 2 Zl. 3 des Gesetzes über die Führung des Staatshaushaltes (StGBl. Nr. 74/1918) wonach der Staatssekretär für Finanzen ermächtigt wurde „zur Befriedigung unabweisbarer Bedürfnisse Garantien zu übernehmen“. Auf Empfehlung des Department 14b wurde dieser Umstand den übrigen Staatsämtern und dem Verband der österr. Banken und Bankiers am 10. April 1919 zur Kenntnis gebracht und die Evidenthaltung sämtlicher Staatsgarantien angeordnet. Vgl. dazu AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Reihe, StAF, Zl. 2.536/1918, Amtsveranlassung; betreffend den Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918; weiterführendes Material, darunter auch das Protokoll einer Besprechung vom 20. November 1918 der Vertreter des Volksbekleidungsamtes, des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft und des Bankenkonsortiums findet sich ebd. unter Zl. 6.784/1918, Sta. f. Kriegs- und Uebergangswirtschaft, Geldbeschaffung für das n.ö. Volksbekleidungsamt. 73 Vgl. Reichspost. Morgenblatt, 16. November 1918, S. 2 „Eine Judendebatte im Staatsrat“. In dem Artikel ging es v. a. um die in SRP Nr. 33 vom 14. November 1918 erwogene Bestellung von Dr. Ludwig Moritz Hartmann zum deutschösterreichischen Bevollmächtigten in Berlin. Dabei wurden mehrere Debattenbeiträge von Staatsrat Karl Hermann Wolf wiedergegeben, der u. a. festgestellt hatte, „es sei eine sehr peinliche Erscheinung, daß von Seite der sozialdemokratischen Vertretung im Staatsrate auffallend viel Juden in die Staatsämter entsendet werden […]. Das mache böses Blut. Er müsse doch fragen, ob man für den geeigneten Vertreter Deutschösterreichs in Deutschland einen Juden halte.“ 71 72
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Wir Sozialdemokraten sind nicht gewillt, es uns bieten zu lassen, daß wir bei den Entschlüssen, die wir fassen, bevormundet und bekrittelt werden und daß die Leute, die wir vorschlagen, so behandelt werden. Wir Sozialdemokraten haben in unserem Präsidenten wie im Staatskanzler Leute, die sich um den Neubau dieses Staates, was auch die Gegner anerkennen werden, bedeutende Verdienste erwerben. Hätte uns nicht das Unglück getroffen, daß Dr. Adler gestorben ist74, dann hätten wir auch in ihm einen Mann, der am meisten dazu beigetragen hätte, daß wir im Verkehr mit dem Auslande gut abschneiden und einen günstigen Ausblick in die Zukunft erhalten. Wir haben also keine Veranlassung, derartige dummdreiste Bevormundungen zu dulden. Wenn diese Indiskretionen nicht aufhören, wenn dieser Ton nicht aufhört, in dem man uns vorschreibt, wen wir vorschlagen sollen, dann würde ich in der Fraktion dafür eintreten, daß wir an den weiteren Beratungen nicht mehr teilnehmen und unsere Stellungen niederlegen. Uns braucht als Arbeiterpartei um die Zukunft nicht bange zu sein. Ob Sie, die Bürgerlichen, dann gut fahren, vor dem Auslande und im Innern, möchte ich Ihnen zu bedenken geben. Dr. E l l e n b o g e n: Diese Indiskretionen geschehen immer in den Kreisen, die der „Reichspost“ nahestehen.75 Präs. S e i t z: Die Herren, die der „Reichspost“ nahestehen, haben diese Erklärung zur Kenntnis genommen. Dr. O f n e r überreicht eine Erklärung an den Staatsrat, betreffend eine Beschwerde in einer Heeresangelegenheit. Sie wird der Staatskanzlei abgetreten. Die Sitzung wird um 12 Uhr 45 Minuten geschlossen.
Im Protokoll selbst war Wolfs Beitrag nur in folgender allgemeiner Form festgehalten worden: „Wolf wendet sich entschieden gegen die Entsendung einer allzu prononcierten Persönlichkeit, weil dies in manchen Kreisen des Deutschen Reiches, die in ganz kurzer Zeit wieder maßgebend sein können, Verstimmung erregen würde.“ Dr. Ludwig (Ludo) Moritz Hartmann, Historiker und Volksbildner, 25. November 1918 bis April 1921 a.o. Gesandter und bev. Minister in Berlin, 4. März 1919 bis 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdAP. 74 Dr. Viktor Adler, Parteivorsitzender der SdAP, 1905 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 30. Oktober 1918 Mitglied des Staatsrates und Staatssekretär für Äußeres, war am 11. November 1918 verstorben. 75 Die von 1894 bis 1938 erschienene „Reichspost“ vertrat eine katholisch-monarchistische Linie und entwickelte sich zum zentralen Organ der christlichsozialen Bewegung. Vgl. Mathias Michael Stadler, Die Situation der Presse in der Ersten Republik mit besonderer Berücksichtigung der Entwicklung der „Arbeiter-Zeitung“ und der „Reichspost“ und der politischen Auseinandersetzung zwischen Sozial demokraten und Christlichsozialen von 1918–1934 in diesen beiden Zeitungen, Diplomarbeit, Wien 1990, S. 95–105 und 114–125.
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34 – 1918-11-16 Beschlüsse der 34. Sitzung des Deutschösterr. Staatsrates vom 16. Nov. 1918. Vorsitzender: Präsident S e i t z.
I. Antragsteller: Präsident S e i t z. Beschluß: Der Staatsrat ermächtigt den Präsidenten, die Polizeidirektion in Wien zu benachrichtigen, daß von der offiziellen Korrespondenz Wilhelm über den Staatsrat und sein Präsidium keine Verlautbarungen ohne vorherige Einholung der Genehmigung des Präsidiums gebracht werden dürfen. II. Antragsteller: Staatsrat Dr. O f n e r. Beschluß: Der Antrag: „Die Einleitungsformel zu den Gesetzen hat zu lauten: Die provisorische Nationalversammlung des Staates Deutschösterreich hat beschlossen“ wird der Staatskanzlei zugewiesen. An den Herrn Staatskanzler. III. Antragsteller: Staatsrat Dr. S c h o e p f e r. Beschluß: „Das Land Vorarlberg wird ermächtigt, mit dem tschecho-slowakischen Staat einen Vertrag zur Lieferung von Kartoffeln auf der Grundlage abzuschließen, daß Vorarlberg für je einen Waggon Kartoffeln, eine hochklassige Kuh, hochträchtig, oder frisch melkend, liefert“ wird dem Staatsamte für Landwirtschaft zur beschleunigten Behandlung im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Volksernährung zugewiesen. An die Herren Staatssekretäre für Landwirtschaft und Volksernährung. IV. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Beschluß: Die Staatskanzlei wird beauftragt, sofort eine vorläufige Verfügung gegen die Verschleppung von künstlerischen und historischen Gegenständen etz. zu erlassen. In dieser Verfügung ist insbesondere eine Anweisung an die Grenzzollämter vorzusehen, das Gepäck der Reisenden nach dem Auslande einer genauen Durchsuchung nach solchen Gegenständen zu unterziehen. An den Herrn Staatskanzler. V. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r. Beschluß: Der Staatsnotar wird beauftragt, dem Staatsrate mit aller Raschheit den Entwurf einer vorläufigen Verfügung zur Sicherung der Krongüter gegen Verschleppung zu unterbreiten. An den Herrn Staatsnotar. VI. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Beschluß: Der Staatskanzler wird ermächtigt, namens des Staatsrates folgenden Aufruf an die Bevölkerung zu erlassen: „An die Bevölkerung: Plünderung und Raub sind die schwersten Verbrechen an unserem jungen Gemeinwesen.
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Wer auf frischer Tat ertappt wird, ist sofort dem Wiener Volkswehrkommando einzuliefern! Nach den noch in Kraft befindlichen Kriegsartikeln steht auf solche Verbrechen die Todesstrafe, die von nun an auch unnachsichtlich vollzogen werden wird. Diejenigen Personen, welche bis zum 30. November geraubtes, entwendetes oder verhehltes Gut zurückstellen, sind straffrei. Der d.ö. Staatsrat“. An den Herrn Staatskanzler. VII. Antragsteller: Staatsrat D o m e s. Beschluß: Die beteiligten Staatsämter haben sogleich ein Referat über Vorkehrungen zur Aufrechterhaltung der industriellen Produktion auszuarbeiten, zu dessen Verhandlungen der Staatsrat am Montag den 18. November um 10 Uhr v.m. zu einer eigenen Sitzung zusammentritt. An die Herren Staatssekretäre für Gewerbe, Industrie und Handel, für soziale Fürsorge und für Heerwesen. VIII. Antragsteller: Staatssekretär für Finanzen. Beschluß: Die Vorlage betreffend ein Budgetprovisorium für die Zeit vom 1. Nov. 1918 bis 30. Juni 1919 wird der Finanzkommission mit dem Auftrage zugewiesen, dem Staatsrate darüber bis Montag den 13. November, 12 Uhr mittags zu berichten. An den Herrn Obmann der Finanzkommission. IX. Antragsteller: Staatsrat Dr. von L i c h t. Beschluß: Die Finanzkommission wird beauftragt, eine Vorlage über die Einführung einer verfassungsmäßigen Kontrolle der Kreditgebarung vorzubereiten. X. Antragsteller: Staatssekretär für Finanzen. Beschluß: Das Staatsamt für Finanzen wird ermächtigt, den einzelnen Staatsämtern zur Bestreitung von Ausgaben, die im Budgetprovisorium nicht vorgesehen sind, für die Zeit bis zum 31. Dezember 1918 einen Kredit bis zum Höchstbetrage von je 1 Million Kronen zu eröffnen. An den Herrn Staatssekretär für Finanzen. XI. Antragsteller: Staatssekretär für Finanzen. Beschluß: Der Antrag auf Anweisung des Staatsamtes für Heerwesen, sich über die Ausgaben der Heeresverwaltung mit dem Staatsamte für Finanzen in Verbindung zu setzen, wird dem Staatskanzler zur Behandlung im Kabinettsrate zugewiesen. An den Herrn Staatskanzler. XII. Antragsteller: Staatssekretär für Finanzen. Beschluß: Der Antrag auf Vorsorgen für die beschleunigte Ausführung des kürzlich gefaßten Staatsratsbeschlusses, wonach jene Reserveoffiziere und Einjährig-
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Freiwilligen, die einen gesicherten Erwerb oder Unterhalt haben, sofort aus dem Heeresverband zu entlassen sind, wird dem Staatskanzler zur Behandlung in der Kabinettsratssitzung zugewiesen. An den Herrn Staatskanzler. XIII. Antragsteller: Präsident S e i t z. Beschluß: Mit Rücksicht darauf, daß laut Mitteilung des Staatskanzlers bereits in der 27. Sitzung des Staatsrates vom 13. November 1918 an das Staatsamt für Finanzen der Auftrag ergangen ist, je 200 Millionen Kronen an Deutschböhmen und das Sudetenland anzuweisen, kann der in der Kabinettsratssitzung vom 15. Nov. 1918 gefaßte Beschluß, an Deutschböhmen 60 Millionen Kronen zur Auszahlung von Unterhaltsbeiträgen u.s.w. zu überweisen, sofort durchgeführt werden. An den Herrn Staatssekretär für Finanzen. XIV. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. Beschluß: Der Antrag, daß alle Banknoten, welche von der ö.u. Bank in den nächsten 4 Wochen hergestellt werden, ausschließlich für den d.ö. Staat zu verwenden sind und für den Fall, als dies unmöglich wäre, das Staatsamt für Finanzen Vorsorge für die Ausgabe eigener d.ö. Staatsnoten zu treffen hätte, wird dem Staatskanzler mit dem Auftrage zugewiesen, darüber im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Äußeres und für Finanzen und der ö.u. Bank zu berichten. An den Herrn Staatskanzler. XV. Antragsteller: Staatssekretär für Finanzen. Beschluß: Die Vorlage betreffend Verfügungen zur Herbeiführung der Trennung der Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung in der 1. und 2. Instanz wird dem Staatskanzler zugewiesen. An den Herrn Staatskanzler. XVI. Antragsteller: Präsident S e i t z. Beschluß: Der Staatsrat gibt seine Zustimmung, daß der Präsident den Obmann des Finanzausschusses mit Rücksicht auf die ihm vom Finanzausschuß zugekommenen Anträge Kraft und Schiegel ersucht, über alle Anträge des Ausschusses an die Prov. Nationalversammlung zu berichten, da es nur dieser zukommt, Aufträge an den Staatsrat, bezw. die Staatsämter zu erteilen. XVII. Antragsteller: U.S.S. R i e d l. Beschluß: Für den Fall, daß der unter Führung des Wiener Bankvereines stehende Banken- und Sparkassen-Konzern (bestehend aus der Anglo-österr. Bank, der Wiener Bankvereine, der n.ö. Eskomptegesellschaft, der Allgemeinen Verkehrsbank, der Union-Bank, der Zentralbank der Deutschen Sparkassen, der I. österr. Sparkassa und der Zentralsparkasse der Gemeinde Wien) sich bereit erklärt, dem n.ö. Volksbekleidungsamt in Wien einen Kredit bis zu 100 Millionen Kronen offen zu halten, wird das Staatsamt für Finanzen beauftragt,
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den genannten Banken und Sparkassen gegenüber die Erklärung abzugeben, daß das Ärar für die Rückzahlung der bezeichneten Kredite im Höchstbetrage von 400 Millionen Kronen samt Nebengebühren als Bürge und Zahler haftet. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft. Schluß der Sitzung um 1 Uhr mittags.
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35.1 [Samstag] 1918-11-16 Vorsitz: Anwesend:2 Schriftführer: Dauer:
Seitz Abram, Baechlé, Dinghofer, Domes, Ellenbogen, Hanusch, Iro, Kroy, Licht, Mayer, Neunteufel, Ofner, Roller, Schoiswohl, Stöckler, Sylvester, Szilvinyi3, Teufel, Wolf unbekannt 16.45–19.30 Uhr4
Reinschrift, Beschlußprotokoll Beilagen: 35/I
35/II 35/III 35/IV 35/VI 35/IX 35/XIII 35/XVII
Staatsamt für Landwirtschaft, Abteilung 26: Entwurf, Vollzugsanweisung des Deutsch-österreichischen Staatsrates vom … November 1918, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit (6½ Seiten). Staatsamt für Landwirtschaft, Abteilung 26: Entwurf, Vollzugsanweisung des Deutsch-österreichischen Staatsrates vom … November 1918, betreffend ergänzende Bestimmungen über die Unterstützung der Arbeitslosen (2 Seiten). Antrag Mayer, betreffend die militärischen Erziehungsanstalten (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Verwaltung der Krongüter durch die in Frage kommenden Staatsämtern (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Herstellung von Ruhe und Ordnung in Gänserndorf und Hohenau (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Übernahme des Reichsratsgebäudes in das Eigentum des deutschösterreichischen Staates (1 Seite, handschriftlich). Telephondepesche Langenhan aus Berlin vom 16. November 1918 ¾ 7 Uhr abends, betreffend Kohlenlieferungen aus Deutschland (½ Seite). Antrag Iro und Kroy, betreffend Errichtung einer deutschböhmischen Abteilung in der Staatskanzlei (1 Seite).
Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um ¾ 5 Uhr nachmittags. Nach Verlesung des Einlaufes5 durch Ministerialsekretär von S z i l v i n y i übergibt W o l f eine ihm zugekommene Zuschrift, in der mitgeteilt wird, daß die Tschechen an die Aussig-Teplitzer Eisenbahn wegen Ankaufs herangetreten sind, bezw. mit ihr bereits verhandelt haben.6 – Wird dem Staatsamte für Verkehrswesen zugewiesen.7 1 2
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Im Protokoll als 30. Sitzung numeriert; handschriftlich korrigiert. Dem Protokoll liegt keine Präsenzliste bei. Die anwesenden Personen ergeben sich aus dem Sitzungsverlauf. Ladislaus von Szilvinyi, ab 9. November 1918 Schriftführer des Staatsrates, Leiter der administrativen Agenden des Pressedienstes in der Staatskanzlei. Im Beschlußprotokoll werden der Beginn der Sitzung mit 16.30 und der Schluß mit 19.45 Uhr angegeben. Dem Protokoll liegen keine Schriftstücke aus dem Einlauf bei. Zur Aussig-Teplitzer Bahn vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Vgl. dazu SRP Nr. 36 vom 18. November 1918.
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35 – 1918-11-16 Staatskanzler Dr. R e n n e r hat sein Fernbleiben wegen eines Todesfalles8 entschuldigt. Es wird zur Tagesordnung9 übergegangen.
St.Sekr. S t ö c k l e r unterbreitet den Entwurf einer Vollzugsanweisung10, betreffend ergänzende Bestimmungen über die Unterstützung arbeitsloser landwirtschaftlicher Arbeiter. Er erörtert die einzelnen Bestimmungen der seitens des Amtes für Landwirtschaft für notwendig erachteten Verfügung und beantragt: Der dem Staatsrate unterbreitete Entwurf einer Vollzugsanweisung betreffend ergänzende Bestimmungen über die Unterstützung der Arbeitslosen wird genehmigt und der Staatssekretär für Landwirtschaft ermächtigt, das Weitererforderliche zu veranlassen. A b r a m bemängelt, daß es an einer Mitarbeit der Arbeiter an der vorgesehenen Dienstvermittlung vollständig fehle. Die Propagandatätigkeit werde dazu dienen, die Arbeiter noch rechtloser zu machen als sie seien. Der Entwurf in seiner heutigen Fassung sei für die Arbeitervertreter unannehmbar. Er beantragt, den Gegenstand von der Tagesordnung abzusetzen und das Unterstaats sekretariat für Landwirtschaft zu beauftragen, unter Zuziehung des Staatssekretärs für soziale Fürsorge und berufener Experten aus dem Stande der Arbeiter (Arbeiterorganisationen und Gewerkschaften) einen neuen Entwurf auszuarbeiten und vorzulegen. O f n e r schließt sich dem Gedanken Abrams an, kritisiert in staatsrechtlicher Beziehung, daß die Vorlage einmal als Vollzugsanweisung des Staatsrates und dann wieder als Vollzugsanordnung des Staatssekretärs für Landwirtschaft erscheine und daß in der Vorlage Strafandrohungen ohne gesetzliche Grundlage verfügt werden. Er legt den Entwurf eines Grundgesetzes zur Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt behufs Übermittlung an den Staatskanzler vor,11 unterstützt den Antrag Abram und beantragt, genau zwischen der Kompetenz des Staatsrates und den Befugnissen der Staatssekretäre in der Verordnung zu unterscheiden. Das Staatssekretariat könne eine Verordnung nur auf Grund einer Verordnung des Staatsrates erlassen.12 Die Identität des bzw. der Verstorbenen konnte nicht eruiert werden. Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. 10 Beilage 35/I: StALF, Vollzugsanweisungsentwurf (6½ Seiten). Die Vollzugsanweisung sollte den Auf gabenbereich und Wirkungskreis der zur Koordination und Unterstützung von Land- und Forst arbeitern eingesetzten Institutionen regeln. Sie stellte eine Weiterführung der Ministerialverordnungen vom 31. Jänner 1918, RGBl. Nr. 37 und vom 24. Dezember 1917, RGBl. Nr. 509 dar. 11 Ofners Antrag über ein Grundgesetz zur Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt liegt dem Protokoll nicht bei. Vgl. dazu Anm. 58 der vorliegenden Sitzung. 12 Der § 7 des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt hielt hierzu u. a. fest: „Der Staatsrat […] erläßt die nötigen Vollzugsanweisungen.“ Vgl. StGBl. Nr. 1, Beschluß der provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 30. Oktober 1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, ausgegeben am 15. November 1918. In der praktischen Regierungsarbeit entstanden jedoch de facto mehrere Arten von Vollzugsanweisungen. Neben die „echten“, vom Staatsrat erlassenen Vollzugsanweisungen traten auf Grund besonderer Ermächtigung des Staatsrates vom jeweils zuständigen Staatsamt erlassene „unechte“ Vollzugsanweisungen, die jedoch als solche des Staatsrates ausgegeben wurden, sowie Vollzugsanweisungen, eigentlich Verordnungen, des jeweils zuständigen Staatsamtes, die ohne Ermächtigung des Staatsrates ausgegeben wurden. Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Staatsrat und Staatsämtern war in weiterer Folge wiederholt Gegenstand der Diskussion der Staatsratssitzungen. Vgl. etwa die Debatte im Zuge des Berichtes der Finanzkommission, betreffend die Anleiheaktion in SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 sowie die Diskussion um die Erteilung der Vollmacht zur Herausgabe von Vollzugsanweisungen an das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft in SRP Nr. 51 vom 30. November 1918; weiters Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. Zur Frage der Verordnungsgewalt vgl. auch KRP Nr. 4/3 vom 7. November 1918 und Nr. 6/5 vom 9. November 1918. Vgl. weiters AdR, StK, GZl. 80/1918, Amtsveranlassung betr. Ausfertigung von Verordnungen; AdR, StK, GZl. 211/1918, Amtsveranlassung, Abgrenzung 8 9
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S t ö c k l e r drückt seine Verwunderung über die geäußerten Bedenken aus, da der Entwurf analog dem vom Staatsamt für soziale Fürsorge ausgearbeiteten Entwurf sei.13 Eine amtliche Arbeitsvermittlung sei ohne Propaganda nicht denkbar. Eine paritätische Vertretung der Arbeiter in den Vermittlungsstellen sei selbstverständlich; übrigens könne eine bezügliche Bestimmung ausdrücklich aufgenommen werden. W o l f beantragt, um den Bedenken des Staatsrates Abram Rechnung zu tragen, das Wort „Propagandatätigkeit“ zu ersetzen durch die Worte „Veröffentlichung des Arbeitsangebots und der Arbeitsnachfrage“. Ferner stellt er den Antrag: „Im § 2 ist an Stelle des Hinweises auf die Ministerialverordnung vom 31. Juli 1918 der auf die Zusammensetzung der Beiräte bezügliche Wortlaut zu setzen“.14 D o m e s unterstützt den Antrag Abram und spricht sich dafür aus, ein Gutachten des Staatsamtes für soziale Fürsorge einzuholen. Die landwirtschaftlichen Arbeiter werden in dem Entwurf den Grundbesitzern vollständig ausgeliefert, da sie keine Organisation haben und sich nicht zur Wehr setzen können. I r o protestiert gegen die Ausführungen des StR. Abram, daß durch den Entwurf die Rechtlosigkeit der Arbeiter noch vergrößert werden soll. Heute sei es unmöglich, eine Organisation der landwirtschaftlichen Arbeiter zu schaffen. Er stellt den Antrag: „Es ist in allen Paragraphen, die von landwirtschaftlichen Beiräten handeln, einzuschalten: welche nunmehr paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammenzusetzen sind.“ Ferner spricht er den Wunsch aus, daß jeder Antrag der Staatskanzlei oder eines Staatssekretariats in Druck zu legen und 24 Stunden vor der Beratung den Mitgliedern des Staatsrates zuzumitteln sei, ferner daß am Schluß jeder Sitzung des Staatsrates die Tagesordnung der nächsten Sitzung beschlossen werde.15 E l l e n b o g e n bemerkt, die Rückverweisung bedeute keine wesentliche Verzögerung, da die vorgeschlagenen Änderungen an der Vorlage bis Montag vorgenommen werden könnten. Andererseits sei es unmöglich, die Stilisierung im Staatsrate selbst vorzunehmen, es empder Kompetenzen zwischen dem Staatsrate und dem Kabinette, insbesondere das darin enthaltene, von Kelsen unterzeichnete Gutachten „Ueber die Abgrenzung der Kompetenz zwischen Staatsrat und Kabinett“ vom 4. Dezember 1918. Das Gutachten sprach sich dafür aus, daß dem Staatsrat die „Regierung im eigentlichen Sinne, d.h. die Festlegung der politischen Grundsätze in der Verwaltung und die Regelung der allen oder mehreren Ressorts gemeinsamen Angelegenheiten, sowie die Ernennung der Staatsbeamten bis zu einer bestimmten Rangsklasse vorbehalten“ bleiben solle. In Bezug auf die ehemals in den unmittelbaren Bereich des Monarchen fallenden Aufgaben wie Kriegserklärungen, Friedensschlüsse und Abschluß von Staatsverträgen empfahl das Gutachten, mit Blick auf das Verhältnis zwischen Staatsrat und Nationalversammlung, hingegen eine eher „restriktive Interpretation“ der Befugnisse des Staatsrates. Letzten Endes wurde eine Änderung des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt nötig, die mit StGBl. Nr. 139 vom 19. Dezember 1918 erfolgte. Vgl. Klaus Berchtold, Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. Band I: 1918–1933. Fünfzehn Jahre Verfassungskampf, Wien/New York 1998, S. 61 f; Walter Goldinger, Der Staatsrat 1918/19, in: Isabella Ackerl/Rudolf Neck (Hg.), Österreich November 1918. Die Entstehung der Republik. Protokoll des Symposiums in Wien am 24. und 25. Oktober 1978, Wien 1986, S. 55–66. Vgl. dazu auch SRP Nr. 59/II vom 16. Dezember 1918. 13 Staatssekretär Stöckler bezieht sich hier auf den Entwurf des StGBl. Nr. 18, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 4. November 1918, betreffend die Arbeitsvermittlung für die Zeit der Abrüstung, ausgegeben am 19. November 1918. Vgl. dazu auch SRP Nr. 17. vom 4. November 1918. 14 Hier dürfte eine Verwechslung vorliegen. § 2 des Entwurfes bezieht sich auf § 30, Absatz 1 der Verordnung des Ackerbauministers im Einvernehmen mit den beteiligten Ministern, betreffend Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Betriebes der Landwirtschaft (RGBl. Nr. 37/1918). Eine entsprechende Ministerialverordnung vom 31. Juli 1918 konnte nicht eruiert werden. 15 Diese Anregungen des Staatsrates Iro wurden in der Geschäftsordnung des Staatsrates nicht berücksichtigt. Vgl. dazu die Geschäftsordnung des Staatsrates in AdR, StK, GZl. 467/1918.
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fehle sich, ein dreigliedriges Komitee unter Zuziehung der Staatssekretäre für Landwirtschaft und für soziale Fürsorge zur Beratung der Stilisierung einzusetzen. A b r a m erklärt, auf seinem Antrage zu beharren und schlägt vor, dem einzusetzenden Komitee eine Frist zur Berichterstattung bis Montag aufzuerlegen. O f n e r meint, daß durch Bezugnahme auf das wirtschaftliche Ermächtigungsgesetz16 seine staatsrechtlichen Bedenken hinsichtlich der Strafandrohung beseitigt werden könnten. Präs. S e i t z: Da nach dem ersten grundlegenden Beschluß der Nationalversammlung die bestehenden Gesetze und Verordnungen aufrechtbleiben, besteht auch das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz zurecht. Auf Grund dieses Gesetzes kann auch die gegenständliche Verordnung von einem Staatsamt erlassen werden, insoferne das Staatsamt einem früheren Ministerium gleichgestellt wird. Da dies aber nicht der Fall ist, die Staatsämter vielmehr einen viel geringeren Wirkungskreis als die Ministerien haben, muß die Verordnung dem Staatsrate vorgelegt werden. Bei der Abstimmung wird der Antrag a b g e l e h n t. S t ö c k l e r: Im allgemeinen entsprechen die Bestimmungen der gegenständlichen Verordnung den Bestimmungen der Vollzugsanweisung des Staatsamts für soziale Fürsorge. Es handelt sich nur um unwesentliche Umstilisierungen, die einem Juristen des Staatssekretariats für Landwirtschaft übertragen werden könnten. Im Übrigen müsse er dagegen protestieren, daß der Staatssekretär für soziale Fürsorge ohne lange Debatte generell ermächtigt worden sei, Verordnungen zu erlassen. Präs. S e i t z: Es ist gar nicht zu bestreiten, daß hier eine ungleiche Behandlung vorliegt, die umso peinlicher ist, als sie den Anschein erweckt, daß gegen einen Stand anders als gegen den anderen vorgegangen werde.17 H a n u s c h stellt fest, daß er seinerzeit, nicht unter dem Vorsitze des Präsidenten Seitz, sondern unter dem Vorsitze des Präsidenten Hauser, die generelle Ermächtigung eingeholt habe, daß er damals vom Präsidenten Hauser aufgefordert worden sei, ganz kurz im Telegrammstil das Referat zu erstatten und daß ihm allerdings ohne längere Debatte die Ermächtigung erteilt worden sei.18 Er schlägt vor, die angeregten19 Änderungen in der Art § 1 des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes ermöglichte der Regierung, „während der Dauer der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse, durch Verordnung die notwendigen Verfügungen zur Förderung und Wiederaufrichtung des wirtschaftlichen Lebens, zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen und zur Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und anderen Bedarfsgegenständen, zu treffen.“ Vgl. RGBl. Nr. 307/1917. § 16 des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt (StGBl. Nr. 1/1918) ermöglichte, die in der Monarchie erlassenen Gesetze und Verordnungen vorläufig weiter in Kraft zu lassen. Somit ließ sich auch die Geltungsdauer des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes auf dessen Grundlage u. a. auch die Staatsämter für Kriegs- und Übergangswirtschaft sowie für Volksernährung ihre Verordnungen erließen, verlängern. Zur Frage des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes als Grundlage für die Herausgabe von Verordnungen der Staatsämter vgl. auch die Debatte in SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz spielte in weiterer Folge bei der Errichtung des autoritären Dollfuß-Schuschnigg-Regimes eine Rolle. Vgl. dazu Hannes Leidinger/Verena Moritz, Das Kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz (KWEG) vor dem Hintergrund der österreichischen Verfassungsentwicklung, in: Florian Wenninger/Lucile Dreidemy (Hg.), Das Dollfuß/Schuschnigg-Regime 1933–1938. Vermessung eines Forschungsfeldes, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 449–471. 17 Seitz spielt hier auf parteipolitische Implikationen an, was auch durch die Ausführungen des Staats sekretärs für soziale Fürsorge, Ferdinand Hanusch, im Folgenden bestätigt wurde. 18 Dem Staatssekretär für soziale Fürsorge, Ferdinand Hanusch, war in der 17. Sitzung des Staatsrates die Generalvollmacht zum Erlaß einer Reihe von Verordnungen, betreffend Sofortmaßnahmen zur Unterstützung rückkehrender Soldaten und arbeitslos gewordener Kriegsindustriearbeiter erteilt worden. Vgl. SRP Nr. 17 vom 4. November 1918. 19 Die im Original ursprünglich enthaltene Formulierung angelegentlichen wurde handschriftlich korrigiert. 16
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durchzuführen, daß sich der Referent des Staatsamts für soziale Fürsorge im kurzen Wege mit dem Staatsamt für Landwirtschaft ins Einvernehmen setzt. I r o beantragt, die Abstimmung über den Antrag Abram zu reassumieren20. Der Reassumierungsantrag wird einstimmig a n g e n o m m e n. Präs. S e i t z faßt die vorliegenden Anträge zu folgendem Beschlußantrag zusammen: Die Vorlage wird einem Komitee mit dem Auftrage zugewiesen, unter Berücksichtigung der gestellten Anträge ehestens zu berichten, und zwar der Anträge W o l f betreffend das Wort „Propagandatätigkeit“, ferner der Anträge A b r a m und I r o betreffs der Parität, schließlich betreffend den Hinweis auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz. Dem Komitee gehören die Staatsräte Abram, Iro und Gruber als Mitglieder an. Dem Komitee sind die Herren Prof. Přibram21, Sektionschef Löwenthal22 und Hofrat Scholz23 beizuziehen. Für die Einberufung des Komitees ist Staatsrat Abram verantwortlich. A n g e n o m m e n.24 S t ö c k l e r referiert über die Vollzugsanweisung des Staatsrats betreffend ergänzende Bestimmungen über die Unterstützung der Arbeitslosen.25 Die Vorlage sei analog der vom Staatsamt für soziale Fürsorge erlassenen Verordnung.26 Präs. S e i t z wirft die Frage auf, ob sich zwischen den durch die Verordnung des Staatsamts für soziale Fürsorge und des Staatsamts für Landwirtschaft geschützten Arbeiterkategorien nicht Arbeitergruppen mitten drin befinden, die unberücksichtigt bleiben. Reassumieren: (das Verfahren) wieder aufnehmen. Dr. Karl Přibram, Nationalökonom, ab 1917 Ministerialsekretär im Handelsministerium, seit 9. März 1917 Ministerialrat im k.k. Ministerium für soziale Fürsorge. Im Staatsamt für soziale Fürsorge wirkte er als Vorstand des Departements für die legislativen Angelegenheiten des Arbeiterschutzes und der Angestelltenfürsorge. Mit 22. Jänner 1919 wurde Přibram in Würdigung seiner „zahlreichen Aktionen auf diesem Gebiete, namentlich (der) derzeit so schwierigen Fragen der Arbeitslosenfürsorge“ zum Sektionsrat ernannt. Vgl. dazu AdR, Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1919, GZl. 159/Dir./1919, der unter anderem auch die Ernennung des Ministerialsekretärs Dr. Karl Přibram zum Sektionsrat enthält. 22 Josef Löwenthal, Jurist, 5. November 1918 bis März 1919 Präsidialdirektor der Staatskanzlei. 23 Zu Hofrat Scholz konnten keine Unterlagen eruiert werden. 24 Das Wort Angenommen wurde handschriftlich eingefügt und unterstrichen. Zur Vorlage der überarbeiteten Entwürfe vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 25 Beilage 35/II: StALF, Vollzugsanweisungsentwurf (2 Seiten). Mit der Vollzugsanweisung sollte StGBl. Nr. 20, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 6. November 1918, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen, ausgegeben am 19. November 1918 vor allem durch die Aufnahme von land- und forstwirtschaftlichen Arbeitern in den Kreis der Anspruchsberechtigten ergänzt werden. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 73, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 18. November 1918, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen in der Land- und Forstwirtschaft, ausgegeben am 4. Dezember 1918 fast zur Gänze überein. Eine Änderung findet sich lediglich in Absatz 2 des § 2 in Bezug auf die Instanz, welche für die Festsetzung der als Berechnungsgrundlage dienenden Höhe des üblichen Tageslohnes zuständig war. Während der Entwurf den jeweiligen Landwirtschaftsbeirat der politischen Bezirksbehörde, allenfalls nach Anhörung von Vertrauensmännern, vorsah, wurde in der ausgegebenen Vollzugsanweisung der Bezirksarbeitsbeirat damit betraut. Analog dazu entfiel der § 3 des Entwurfes, welcher die Bearbeitung relevanter Fälle den Landwirtschaftsbeiräten der politischen Bezirksbehörden zuwies. Statt dessen wurden im § 10 der Vollzugsanweisung die Bezirksarbeitsbeiräte hierzu bestimmt. Dies stellte wiederum eine Abänderung der Vollzugsanweisung vom 6. November 1918 dar, in welcher hierfür die Bezirkskommissionen vorgesehen waren. Zu diesen Änderungen vgl. den in den Beilagen zu SRP Nr. 37 vom 19. November 1918 enthaltenen Entwurf. 26 Hier dürfte die Vollzugsanweisung vom 6. November 1918 gemeint sein auf welche der Entwurf auch eindeutig Bezug nimmt. Die Vollzugsanweisung wurde auf Grund besonderer Ermächtigung des Staatsrates vom Staatssekretär für soziale Fürsorge im Einvernehmen mit den beteiligten Staatssekretären erlassen. Vgl. StGBl. Nr. 20, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 6. November 1918, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen, ausgegeben am 19. November 1918. 20 21
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W o l f spricht die Befürchtung aus, daß durch die Verordnung auch Arbeitsscheue der Arbeitslosenunterstützung teilhaftig werden könnten und wünscht Garantien dagegen. S t ö c k l e r weist darauf hin, daß die Verordnung lediglich als eine Ergänzung der vom Staatsamt für soziale Fürsorge hinausgegebenen Verordnung gedacht sei. Präs. S e i t z macht darauf aufmerksam, daß das Gesetz in der Einleitung als Ergänzung der vom Staatsamt für soziale Fürsorge erlassenen Vollzugsanweisung gedacht sei. Es würde sich empfehlen, deutlicher zum Ausdruck zu bringen, daß diese letzte Verordnung sich auch auf die landwirtschaftlichen Arbeiter beziehe. S t ö c k l e r spricht sich für eine Umredigierung im kurzen Wege aus. A b r a m beantragt, im § 2 den Begriff der Vertrauensleute genauer zu fixieren und „Vertrauensleute der Arbeiter“ zu sagen. Präs. S e i t z faßt die vorliegenden Anträge zu folgendem Beschlußantrag zusammen: Der Entwurf wird der vorgenannten Kommission mit dem Auftrage zugemittelt, eine Textierung zu wählen, 1.) die deutlicher zum Ausdruck bringt, daß sich die Bestimmungen der Vollzugsanweisung vom 6. November 1918 auf die Arbeitslosenunterstützung der Personen in der Landwirtschaft bezieht, 2.) in der im § 2 letzter Absatz der Begriff „Vertrauensmänner“ deutlich festgestellt wird. A n g e n o m m e n.27 M a y e r referiert über den Antrag des Staatsamtes für Heerwesen über die Weiterführung und Ausgestaltung der militärischen Erziehungsanstalten.28 Präs. S e i t z beantragt, in den Satz „dafür sind nichtdeutsche Zöglinge zu entlassen“ nach dem Worte „Zöglinge“ die Worte „unter Vermeidung von Härten“ aufzunehmen.29 Er fragt den Staatssekretär für Heerwesen, ob das Staatsamt für Heerwesen wegen dieser Angelegenheit mit dem Staatsamt für Unterricht in Fühlung sei. M a y e r bejaht diese Frage und bemerkt, daß diese Anstalten über kurz oder lang dem Unterrichtsministerium werden zugewiesen werden. Auf die Anfrage des StR. W o l f, was mit den Ödenburger deutsch-österreichischen Zöglingen geschehe, bemerkt M a y e r, daß diese in die deutsch-österr. Erziehungsanstalten übernommen werden. Es wird b e s c h l o s s e n: Die folgende Mitteilung des Staatsamtes für Heerwesen wird genehmigend zur Kenntnis genommen: Die militärischen Erziehungsanstalten sind bis zu Ende des Schuljahres weiterzuführen, doch ist bei dem Lehrplan darauf Rücksicht zu nehmen, daß den Zöglingen dann der Übertritt in andere Lehranstalten erleichtert wird. Die aus militärischen Erziehungsanstalten des nichtdeutschen Siedlungsgebietes entlassenen Zöglinge sind in die weiterzuführenden Erziehungsanstalten aufzunehmen. Dafür sind nichtdeutsche Zöglinge unter Vermeidung von Härten zu entlassen. Bis zum künftigen Studienjahre sind dann Vorbereitungen zu treffen über die Zukunft und Umgestaltung dieser Erziehungsanstalten.30 Zum weiteren Verlauf vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. Beilage 35/III: Antrag Mayer (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. 29 Dieser Zusatz wurde in der Beilage 35/III an entsprechender Stelle handschriftlich eingefügt. 30 Vgl. dazu das Schreiben des vierten Jahrganges der Infanterie-Kadettenschule in Wien vom 1. November 1918 an den Staatssekretär für Heerwesen, Josef Mayer, in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 994/1918. Die Abschlußklasse der Kadettenanstalt hatte darin um möglichst baldige Übernahme in 27 28
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T e u f e l verweist auf den von ihm eingebrachten Antrag über die Zustände in der Umgebung von Gänserndorf, Hohenau u.s.w.31 Es sei ihm mitgeteilt worden, daß in dieser Gegend seit Tagen geplündert, gemordet und geraubt werde. Eine ganz große Anzahl von Zuschriften in dieser Angelegenheit an die Mitglieder des Staatsrates seien eingelaufen. Die Gerichte lehnen ein Einschreiten ab. Ganze Gehöfte werden konstant beraubt. Das Staatsamt für Heerwesen sollte sich doch entschließen einzuschreiten und es nicht zulassen, daß so große Teile des Nationalvermögens zerstört werden. Er stellt an den Staatssekretär die Anfrage, was er in der Angelegenheit veranlaßt habe, und wünscht, daß sein Antrag wegen Schaffung einer Wehrorganisation sofort erledigt werde. M a y e r bemerkt, von den vom Staatsrat Teufel geschilderten Vorgängen sei ihm wenig bekannt, es dürfte auch 80 % davon nicht auf Wahrheit beruhen. Im Ganzen und Großen beweisen die Berichte aus der Provinz, daß es dort ruhiger zugehe als in Wien und daß man sich mit Wehrorganisationen zu helfen gewußt hat. Er gibt zu bedenken, vor welche Schwierigkeiten der Staatsrat angesichts der Auflösung der Armee gestellt war. Die Einberufung einzelner Jahrgänge würde zu einer großen Blamage des Staatsamtes für Heerwesen führen, da es die nötige Autorität zur Durchsetzung einer solchen Verfügung noch nicht besitze. Im Übrigen sei nicht das Staatsamt für Heerwesen, sondern das Oberkommando die Vollzugsbehörde.32 B a e c h l é bestätigt auf Grund privater Mitteilungen, daß es zu Unruhen in der Gegend um Gänserndorf gekommen sei. I r o gibt Aufklärung über die Beratung des Antrags Teufel wegen Neuorganisation des Heeres im Dreier Komitee.33 Dort habe Oberbefehlshaber Boog34 die Mitteilung gemacht, daß zur Aufrechterhaltung der Ruhe der Stand der Volkswehr, die gegenwärtig 50.000 Mann umfasse, vollkommen ausreiche.35 Außerdem besteht die Absicht, die Gendarmerie durch
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die Armee Deutschösterreichs ersucht. Zu den militärischen Bildungsanstalten vgl. weiter SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. Beilage 35/VI: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages, der auf die in den Gemeinden um Gänserndorf und Hohenau vorgefallenen Raub- und Mordfälle Bezug nimmt, stimmt zur Gänze mit dem Inhalt des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI. Im Zuge der Angelobung des Obersten Befehlshabers der „deutschösterreichischen bewaffneten Wehrmacht“ am 8. November 1918 umriß Seitz dessen Aufgabenbereich folgendermaßen: „Soldaten zu sammeln, sie einzuordnen, sie bereitzustellen zum Schutze des Rechts und der inneren Ordnung, wird die Aufgabe des neuen Obersten Befehlshabers sein.“ Die Gelöbnisformel für den Obersten Befehlshaber hielt hierzu fest: „Sie werden weiter geloben, die gesamte wehrfähige Staatsbürgerschaft zur Verteidigung des Landes auszubilden und zu erziehen zur ständigen, freiwilligen Bereitschaft, ihr eigenes Land und Volk mit Leib und Leben zu verteidigen.“ Vgl. SRP Nr. 25 vom 8. November 1918. Vgl. dazu auch die Ausführungen von Glaubauf, der schreibt, daß der Wirkungsbereich des Oberbefehlshabers die unmittelbar unterstellten Landesbefehlsbereiche in allen Angelegenheiten der Führung, Verwendung, Zucht und Ordnung der Volkswehr, sowie die Einteilung und Ernennung der Unterbefehlshaber umfaßte, während in allen anderen Belangen die Landesbefehlshaber dem Staatsamt für Heerwesen unterstanden. Vgl. Karl Glaubauf, Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik, Wien 1993, S. 27. Staatsrat Iro bezog sich auf die Heereskommission des Staatsrates, die ursprünglich aus ihm, Otto Glöckel und Anton Jerzabek bestanden hatte. Zur Einsetzung der Heereskommission vgl. SRP Nr. 18 vom 5. November 1918 und Nr. 21 vom 6. November 1918. Adolf von Boog, Feldmarschalleutnant, 8. November 1918 bis 1. Juli 1919 Oberbefehlshaber der Deutschösterreichischen Volkswehr. Ab Ende Oktober 1918 übernahm der deutschösterreichische Staat schrittweise die Militärhoheit über die von der Front zurückkehrenden Truppen. Um aufrührerischen Tendenzen und sich außerhalb der staatlichen Gewalt bildenden Wehrverbänden entgegenzuwirken, betrieb vor allem Unterstaatssekretär Deutsch die rasche Aufstellung einer deutschösterreichischen Wehrmacht, der sogenannten Volkswehr, als Freiwilligen- und Übergangsheer. Die organisatorische und personelle Konstituierung
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Beiziehung der Volkswehr auszugestalten. Die Kommission sei auf Grund eingehender Beratungen zur Überzeugung gekommen, daß die Einberufung von vier Jahrgängen einerseits wegen der Schwierigkeiten der Durchführung, andererseits wegen des Kostenpunktes nicht gut erfolgen könne. Der Staatsrat beschließt: Es wird dem Staatsamte für Heerwesen zur Erwägung anheimgegeben, was zu tun sei, um einerseits die Volkswehr schlagfertig zu machen, andererseits soweit als möglich Assistenztruppen, insoferne sie vom Staatsamte des Innern angesprochen werden, zur Verfügung stellen zu können.36 T e u f e l ersucht um sofortige Verhandlung über seinen Antrag betreffend die Vorgänge in Gänserndorf und Hohenau und die zum Schutze der dortigen deutschen Bevölkerung zu treffenden Maßnahmen. Präs. S e i t z erklärt, er könne die eingebrachten Anträge nur in der Reihenfolge, in der sie gestellt sind, zur Diskussion bringen. Der Antrag Teufel trage die Nummer 6 und werde demgemäß in Verhandlung gezogen werden. In den Verhandlungen des Staatsrates müsse Ordnung herrschen, diese erheischt es, daß zuerst die Tagesordnung erledigt wird. St.Notar Dr. S y l v e s t e r teilt mit, er habe sich, sofort nachdem ihm der Auftrag erteilt worden war, die hofärarischen Güter zu übernehmen, mit Zentraldirektor Ritter von Keller37 ins Einvernehmen gesetzt, der ihm heute sämtliche hofärarischen Güter, die Hofburg, das Belvedere, Schönbrunn, Hetzendorf, Laxenburg, Baden, das Hofstallgebäude, das Gardegebäude u.s.w., ebenso auch wie die auswärtsliegenden Güter in Innsbruck, Salzburg und anderwärts übergeben habe.38 Er ersucht um die Ermächtigung, im Einvernehmen mit Zentraldirektor Ritter von Keller sowohl die Verwaltung als auch die Bewachung der hofärarischen Güter im eigenen Wirkungskreise zu übernehmen. In wichtigen Fragen werde er selbstverständlich betreffs Erteilung neuer Ermächtigungen an den Staatsrat herantreten. Jetzt handle es sich darum, die Bewachung und Verwaltung einheitlich durchzuführen. Präs. Dr. D i n g h o f e r beantragt, die von Dr. Sylvester verlangte Ermächtigung bloß bis zur Schaffung des in Aussicht stehenden Gesetzes zu erteilen. T e u f e l hält es für zweckmäßig, die einzelnen Angelegenheiten auf die Ressorts aufzuteilen, von denen sie in Zukunft verwaltet werden sollen. Hoftheater und Hofmuseen sollen der Volkswehr vollzog sich unter stark sozialdemokratischem Einfluß. Vgl. Hanns Haas, Historische Einleitung, in: Der österreichische Staatsrat. Protokolle des Vollzugsausschusses, des Staatsrates und des Geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums. Band 1: 21. Oktober 1918 bis 14. November 1918. Herausgegeben von Gertrude Enderle-Burcel/Hanns Haas/Peter Mähner, Wien 2008, S. XXI–LXVII, hier S. XLIV–LI. Zur Geschichte der Volkswehr vgl. weiters Glaubauf, Die Volkswehr, zu ihren Anfängen und ihrer Aufstellung speziell S. 22–30; Karl Haas, Studien zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie, phil. Diss., Wien 1967. Weiters vgl. AdR, StK, GZl. 1.191/1919, Zl. 178/1918, Richtlinien für die Volkswehr. Zu den Vorarbeiten von Julius Deutsch zum Aufbau einer sozialdemokratischen Organisation innerhalb des Heeres seit Anfang 1918 vgl. Julius Deutsch, Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen, Wien o. J., S. 25–33. 36 Hinsichtlich der Frage der Bereitstellung von Assistenztruppen, hatte der Staatssekretär für Inneres im Zuge der Ereignisse des 12. November in der 31. Sitzung des Staatsrates beantragt, das Staatsamt für Inneres solle mit der Organisation des Sicherheitsdienstes betraut werden und das Staatsamt für Heerwesen im Bedarfsfall über Anordnung des Staatsamtes für Inneres, Assistenztruppen bereitstellen. Vgl. SRP Nr. 31 vom 13. November 1918. In weiterer Folge beschloß der Staatsrat „daß die Obsorge für die öffentliche Sicherheit in die Kompetenz des Staatsamtes des Innern gehör[e] und daß es daher ihm überlassen bleiben [müsse], alle notwendigen Vorkehrungen zu treffen“. Vgl. SRP Nr. 32 vom 13. November 1918. 37 Dr. Oskar Ritter von Keller, 13. Juni 1917 bis 20. Februar 1919 Zentraldirektor des Obersthofmeisteramtes. 38 Vgl. dazu SRP Nr. 34 vom 16. November 1918.
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dem Staatsamt für Unterricht unterstellt werden. Er stellt folgenden Antrag: Die Krongüter sind bis zur Erlassung des diesbezüglichen Gesetzes den in Frage kommenden Staatsämtern zu unterstellen. St.Notar Dr. S y l v e s t e r erklärt, auch er wäre dafür, die Hoftheater und Museen dem Staatsamt für Unterricht zuzuweisen. Dazu ist aber ein Gesetz notwendig, aber auch eine Vereinbarung mit den k.k. und k.u.k. Behörden. Es ist unmöglich, jetzt aus dem ganzen Komplex die Hoftheater und Museen herauszunehmen. Er legt das von ihm heute mit Zentraldirektor Oskar Ritter von Keller aufgenommene Protokoll, betreffend die Übernahme des im Gebietsbereiche des deutschösterreichischen Staates befindlichen beweglichen und unbeweglichen hofärarischen Eigentums in den Besitz und in die Verwaltung des deutschösterreichischen Staates vor und ersucht, es zur Kenntnis zu nehmen.39 W o l f ersucht, den Antrag betreffend die Vorgänge in Hohenau und Gänserndorf sofort in Verhandlung zu ziehen. Präs. S e i t z erklärt die Stellung eines solchen Antrages während der Verhandlung eines Gegenstandes für unzulässig. Der Antrag T e u f e l, betreffend die Unterstellung der Krongüter bis zur Erlassung eines bezüglichen Gesetzes unter die in Frage kommenden Staatsämter wird a b g e l e h n t. Der Antrag S y l v e s t e r wird mit dem Zusatzantrage D i n g h o f e r in folgender Fassung zum Beschlusse erhoben: Der Staatsrat beauftragt den Staatsnotar, unter Zuziehung des Zentraldirektors Oskar Ritter von Keller die Krongüter bis zur Schaffung des in Aussicht genommenen Gesetzes zu verwalten und für die Aufsicht zu sorgen.40 Das handschriftliche Protokoll findet sich in HHStA, Hofärar-Liquidationsakten, Fasz. Staatsnotar, Zl. 10/1918, Protokoll, betreffend die Uebergabe und Uebernahme des im Gebietsbereiche des deutschösterreichischen Staates befindlichen, beweglichen und unbeweglichen hofärar. Eigentums in den Besitz und die Verwaltung des deutschösterreichischen Staates. 40 In der folgenden Sitzung des Staatsrates wurde der mit diesem Auftrag kollidierende Beschluß der 32. Sitzung, aufgrund dessen das Staatsamt für Landwirtschaft mit der Verwaltung der Krongüter betraut worden war, richtig gestellt. Vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Das Staatsnotariat ersuchte in der Folge die mit den Krongütern befaßten Staatsämter „alle vom dortigen Ressortstandpunkte etwa notwendig erachteten, die Krongüter betreffenden Verfügungen nicht selbständig, sondern nur nach vorher mit dem Staatsnotar gepflogenem Einvernehmen“ zu treffen. Vgl. dazu das Schreiben des Staatsnotars vom 28. November 1918, in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.620/1918 sowie AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.531/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. Die Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzes sollte noch einige Zeit in Anspruch nehmen, obwohl ein Entwurf bereits am 23. November 1918 vorlag. Eine erste Besprechung der legistischen Gruppe der Staatskanzlei über den betreffenden Gesetzesentwurf fand am 29. November 1918 mit den Vertretern der Staatsämter statt. Am 3. Dezember 1918 widmete sich eine neuerliche Besprechung vor allem den jeweiligen Ansprüchen der Staatsämter, betreffend die hofärarischen Güter. Vgl. dazu das umfangreiche Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.996/1918. Ein Protokoll der Sitzung findet sich zudem in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 410/Präs./1918. Zum weiteren Verlauf der Gesetzwerdung vgl. SRP Nr. 55/7 vom 7. Dezember 1918. In dieser Sitzung stand erstmals ein entsprechender Gesetzesentwurf auf der Tagesordnung, der allerdings zurückgestellt wurde. Gesetzlich geregelt wurde die Übernahme der hofärarischen Güter schließlich durch den II. Abschnitt des Gesetzes, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen (StGBl. Nr. 209/1919) sowie das Gesetz über den Kriegsgeschädigtenfonds (StGBl. Nr. 573/1919), das die hofärarischen Güter, ausgenommen jene die öffentlichen Verwaltungszwecken oder der Kunstpflege dienten, dem Kriegsgeschädigtenfonds übertrug. Vgl. dazu das umfangreiche Material in AdR, OBh, Büro Seitz 1918–1920, Karton 6. Zur späteren Entlassung Kellers vgl. SRP Nr. 74/4c vom 20. Februar 1919. 39
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Das vom Staatsnotar mit Zentraldirektor Oskar Ritter von Keller aufgenommene Protokoll wird zur Kenntnis genommen. Auf Antrag W o l f wird der Antrag T e u f e l „In allen Gemeinden um Gänserndorf und Hohenau in Niederösterreich wird seit Tagen geraubt, gemordet und geplündert.41 Der Staatsrat wolle daher beschließen, daß das Staatsamt für Heerwesen und das Staatsamt des Innern unverzüglich alles zu verfügen haben, um in den genannten Gebieten die Ruhe und Ordnung sofort wieder herzustellen“ sofort in Verhandlung gezogen und ohne Debatte angenommen.42 von L i c h t referiert sodann über das Gesetz über die Beschränkung der Kündigung bestimmter Dienstverhältnisse und über das Gesetz über die Aufrechterhaltung von Dienstverhältnissen, die dem Handlungsgehilfengesetze unterliegen, während des Krieges. Es wird beschlossen, dem Staatsamte für Justiz die Ermächtigung zu erteilen, auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes Vollzugsanweisungen zu erlassen, welche die Bestimmungen der in der Nationalversammlung in Verhandlung stehenden Gesetze über die Beschränkung der Kündigung bestimmter Dienstverhältnisse und über die Aufrechterhaltung von Dienstverhältnissen, die dem Handlungsgehilfengesetze unterliegen, während des Krieges mit Rücksicht auf die Dringlichkeit und Wichtigkeit dieser Angelegenheit vorläufig und ohne der gesetzlichen Regelung dieser Fragen vorzugreifen, in Wirksamkeit setzen.43 Die Anordnungen treten mit rückwirkender Kraft ab 31. Oktober 1918 in Wirksamkeit.44 Der Antrag I r o „Das Staatsamt für Verkehrswesen wird im Interesse der Volksgesundheit beauftragt, sofort die Beheizung aller Personenzüge und die Verschalung aller Fenster in Diese Unruhen hatten ihren Schwerpunkt auf der slowakischen Seite, östlich der March, wo slowakische Gruppen am 30. Oktober 1918 den Beitritt zur neu gegründeten Tschechoslowakischen Republik proklamiert hatten. Auf österreichischer Seite waren Ausschreitungen gegen Gendarmen in Hohenau vorgekommen, die Statthalterei Niederösterreich befürchtete ein Übergreifen der Plünderungen und Brandstiftungen auf österreichisches Gebiet, da die Grenze nur unzureichend geschützt war und bat um die Entsendung militärischer Assistenzen. Vgl. dazu die Niederschrift eines Telefonats zwischen der nö. Statthalterei und dem Ministerium des Innern in AdR, StAHw, Ministeradjutantur, D./Adj., Zl. 80/1918. Vgl. weiters die telefonische Meldung des Militärkommandos Wien vom 13. November 1918, die Bezirkshauptmannschaft Gänserndorf habe um Unterstützung gebeten, da die Plünderung der Zuckerfabrik in Hohenau befürchtet wurde, in AdR, StAHw, Präsidium, Zl. 1.404/1918, Telephondepesche des Militärkommandos Wien. 42 Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 1.574/1918, Zl. 301, Amtserinnerung, Antrag des Staatsrates Oskar Teufel, betreffend die Vorgänge in Gänserndorf und Hohenau. Die Staatskanzlei leitete den Beschluß am 19. November 1918 an das Staatsamt für Inneres weiter. Dieses forderte die Landesregierung am 20. November 1918 auf, „mit allen zu Gebote stehenden Mitteln“ Ruhe und Ordnung wiederherzustellen, wobei das Staatsamt für Heerwesen gegebenenfalls militärische Hilfe leisten sollte. Vgl. dazu AdR, BKA/Inneres, 22/NÖ, StAI, GZl. 947/1918 sowie GZl. 501/1918. Vgl. außerdem die Meldung des Oberbefehlshabers der deutschösterreichischen Wehrmacht, daß diese Aufforderung zur Kenntnis genommen worden sei, in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.758/1918. Am 21. Dezember 1918 meldete das Landesgendarmeriekommando Niederösterreich, daß in beiden Gemeinden Ruhe herrsche. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.574/1918, Ausschreitungen in Gänserndorf und Hohenau. 43 Die Gesetzesvorlagen waren in der 4. Sitzung am 14. November 1918 in der Provisorischen Nationalversammlung eingebracht und dem volkswirtschaftlichen Ausschuß zugewiesen worden. Sie erlangten als Vollzugsanweisungen Gesetzeskraft. Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 4. Sitzung vom 14. November 1918, S. 91 f. Vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918. 44 Vgl. dazu die Vollzugsanweisungsentwürfe in AdR, StK, GZl. 539/1918, Zl. 336/1918. Vgl. StGBl. Nr. 27, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 18. November 1918 über die Aufrechterhaltung von Dienstverhältnissen, die dem Handlungsgehilfengesetz unterliegen, während des Krieges und der Abrüstung, ausgegeben am 20. November 1918. Zur Wirkungsdauer dieser Vollzugsanweisung vgl. den Artikel III des § 14. Vgl. weiters StGBl. Nr. 28, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 18. November 1918 über die Beschränkung der Kündigung bestimmter Dienstverhältnisse, ausgegeben am 20. November 1918, das die rückwirkende Gültigkeit in § 1 festlegt. 41
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diesen Zügen zu veranlassen“ wird auf Ersuchen des Präsidenten S e i t z, derartige Anträge dem betreffenden Staatssekretär direkt zu übergeben, vom Antragsteller zurückgezogen.45 Der Antrag T e u f e l „Das Staatsamt für Finanzen hat unverzüglich dem Staatsrate Vorschläge sowohl wegen Errichtung einer deutschösterreichischen Staatsnotenbank als auch wegen Ausgabe von deutschösterreichischen Staatsnoten zu berichten und diesbezügliche Anträge zu stellen“ wird nach kurzer Begründung der Dringlichkeit der Angelegenheit durch den Antragsteller auf Vorschlag Dr. S c h o e p f e r s der Finanzkommission zugewiesen.46 In Begründung seines weiteren Antrages47 „Das Reichsratsgebäude wird mit 18. d. M. in das Eigentum des deutschösterreichischen Staates übernommen. Alle Parteien des ehemaligen österreichischen Abgeordnetenhauses sind zu verständigen, daß sie die von ihnen noch in Anspruch genommenen Räumlichkeiten freizumachen haben“ führt T e u f e l aus, es müsse ausgesprochen werden, daß das Gebäude, in dem der Staatsrat tagt, Eigentum des deutschösterreichischen Staates ist. Es sei auch unmöglich, daß sich heute noch immer die Werbe- und Auskunftsbureaus der Tschechen und Südslaven im Hause befinden. Das österreichische Abgeordnetenhaus existiert nicht mehr, daher habe der Staatsrat zu erklären, das Reichsratsgebäude gehöre dem deutschösterreichischen Staat. Der Antrag wird auf Vorschlag von B a e c h l é der Staatskanzlei im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Äußeres zugewiesen.48 Der Antrag S c h o e p f e r s „Der österreichische Staat schuldet an einzelne Kronländer bedeutende Beträge besonders aus dem Titel des staatlich subventionierten Wasserbaues. Die Gesamtguthaben der Länder ergeben sich teils aus rückständigen Subventionsbeträgen, teils aus Vorschüssen, die die Länder a conto des Staates übernommen und in Tilgungsraten zurückzuzahlen haben. Es wird beantragt, daß diese Angelegenheit sofort endgiltig geregelt werde, indem den Ländern die Guthaben ausgezahlt werden“ wird der Finanzkommission zur Berichterstattung zugewiesen.49 In weiterer Folge brachte Staatsrat Iro gemeinsam mit anderen Abgeordneten in der Provisorischen Nationalversammlung einen Antrag, betreffend die Herstellung geordneter Verhältnisse im Personenverkehr auf den Eisenbahnlinien Deutschösterreichs ein, der sich an die Staatssekretäre für Verkehrswesen und Heereswesen richtete. Der Antrag enthielt allerdings weitergehende Forderungen, da er die Herstellung geordneter Verhältnisse auch durch polizeiliche Maßnahmen verlangte. Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 8. Sitzung vom 5. Dezember 1918, S. 238. Zum vollen Wortlaut des Antrages vgl. ebd., Anhang, S. 31 f. 46 Das Departement 14a des Staatsamtes für Finanzen, das um eine Stellungnahme gebeten wurde, hielt die Errichtung einer selbständigen deutschösterreichischen Notenbank zu diesem Zeitpunkt nicht für opportun. So wurde unter anderem argumentiert: „Die Schaffung einer neuen Banknote, die weder den alten Kredit eines eingebürgerten Geldes noch ein großes Zirkulationsgebiet, noch einen Metallbestand oder Goldwechselbestand oder etwas Ähnliches, noch die Finanzkraft eines konsolidierten Staates hinter sich hätte, wäre ein bedenklicher Schritt, zu dem nicht ohne besonders drängende Not geraten werden dürfte.“ Vgl. dazu AVA, FHKA, StAF, Zl. 3.124/1918, Amtsveranlassung; Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. 47 Beilage 35/IX: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem Inhalt des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IX. 48 Zur weiteren Behandlung dieser Frage vgl. AdR, StK, GZl. 236/1918, Amtserinnerung, Antrag Teufel, betreffend Übernahme des Reichsratsgebäudes in das Eigentum des deutsch-österr. Staates. Vgl. weiters AVA, FHKA, StAF, Zl. 2.529/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918. 49 Das von der Finanzkommission bei der Staatskanzlei in Auftrag gegebene Gutachten „über die Rechtslage hinsichtlich der Verpflichtungen des alten Staates gegenüber den Ländern“ kam zum Schluß, daß eine generelle Rechtsnachfolge durch die Republik Deutschösterreich nicht vorliege und Zahlungen an die Kronländer, soweit sie nicht freiwillig erfolgten, nur zu Lasten der Liquidierungsmasse möglich 45
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Die Staatsräte K r o y, Dr. E l l e n b o g e n und S c h o i s w o h l überreichen folgenden Antrag50 betreffend Vorkehrungen zum Schutze der deutschen Staatsbahnangestellten in den fremdnationalen Gebieten: „Der Staatsrat wolle ehestens eine Erklärung beschließen und verlautbaren, wonach allen bisher in fremdnationalen Gebieten im Dienste stehenden oder gestandenen deutschen Eisenbahnern der Schutz der Regierung und die Vergütung etwaiger Schädigungen zugesichert wird.“ Präs. S e i t z bemerkt, alle Ansprüche an das alte Österreich bezw. das alte ÖsterreichUngarn werden seinerzeit aus den Liquidationsfonds, die zu errichten sind, honoriert werden. Es ist unmöglich, daß der Staatsrat beschließe, sämtliche Beamte und Offiziere deutscher Nationalität mit ihren Bezügen zu übernehmen. Die Deutschen hatten einen weit über ihre Zahl hinausreichenden Einfluß, von dem sie durch Besetzung der Stellen auch reichlich Gebrauch gemacht haben. W o l f bemerkt, es müsse eine klare Antwort erteilt werden. Er beantragt, diese Angelegenheit der Staatskanzlei mit dem Auftrage zu überantworten, so rasch als tunlich eine Formel zu geben, mit der solche Anfragen beantwortet werden können.51 A n g e n o m m e n. Der Antrag N e u n t e u f e l52, betreffend die Reinhaltung der Gesetze und Verordnungen Deutschösterreichs, sowie des Sprachgebrauches in den Ämtern, Schulen, im Heere u.s.w. von Fremdwörtern und undeutschen Sprachwendungen wird der Staatskanzlei zugewiesen.53 Präs. S e i t z macht Mitteilung von dem Eintreffen folgender Telephondepesche des Staatsrates von Langenhan aus Berlin54 vom 16. November 1918 ¾ 7 Uhr abends: „1.) Solange die Frage der Waggons noch nicht erledigt ist, bin ich nicht in der Lage, durchzusetzen, daß Kohle geliefert wird. Bitte, mir dringendst zu sagen, ob die Vereinbarung mit den Tschechen bezüglich des Durchlassens der vollen Waggons getroffen worden ist. 2.) Frage an, ob die Tschechen die leeren Waggons nach Deutschland zurückfahren lassen: tun sie es nicht, müßte man sie über Bayern zurückschicken. 3.) Die Verhandlungen wegen der Valuta gehen ganz glatt, auch wegen Kohle wären sie erfolgreich, scheitern nur an der Waggonfrage. Die Deutschen wollen zuerst eine Anzahl Waggons hier haben, dann sind sie bereit, uns Kohle zu schicken.“ wären. Vgl. dazu die Abschrift des Gutachtens, in AdR, StK, GZl. 293/1918, Gutachten über die Rechtslage hinsichtl. der Verpflichtungen des alten Staates gegenüber den Ländern. 50 Vgl. AdR, StK, GZl. 234/1918, Antrag der Staatsräte Kroy, Dr. Ellenbogen und Schoiswohl, betreffend Vorkehrungen zum Schutze der deutschen Staatsangestellten in den fremdnationalen Gebieten. Die im Protokoll enthaltene Passage entspricht dem letzten Absatz des vollständigen Antragstextes, der im Beschlußprotokoll dieser Sitzung unter Punkt XI wiedergegeben wird. 51 Zu den Übergriffen auf Eisenbahnbedienstete vgl. exemplarisch AdR, StK, GZl. 154/1918, Staatsamt für Verkehrswesen, Gewalttätiges Vorgehen der tschechoslowakischen Regierung gegenüber der deutschösterreichischen Eisenbahnverwaltung. 52 Im entsprechenden Punkt XII des Beschlußprotokolls wird Staatsrat Gruber an erster Stelle vor Neunteufel als Antragsteller angeführt. 53 Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 250/1919, Zl. 390/1918, Amtserinnerung, Antrag des Staatsrates Gruber u. anderer, betreffend die Reinhaltung der Gesetze und Verordnungen Deutschösterreichs, sowie des Sprachgebrauches in den Ämtern, Schulen, im Heere u.s.w. von Fremdwörtern und undeutschen Sprachwendungen. Zu dieser Frage hatte Staatsrat Wolf in der 11. Sitzung des Vollzugsausschusses den Wunsch geäußert „den Verfassungsentwurf soviel als möglich noch von vermeidbaren Fremdwörtern zu reinigen.“ Vgl. VAP Nr. 11 vom 30. Oktober 1918. 54 Staatsrat Langenhan war am 23. Oktober 1918, als Mitglied einer Kommission, zu Nahrungsmittelverhandlungen nach Berlin entsendet worden. In weiterer Folge hatte der Staatsrat ihn ersucht in Berlin zu bleiben, um dort die österreichischen Interessen zu vertreten. Vgl. VAP Nr. 2 vom 23. Oktober 1918 und Nr. 10 vom 29. Oktober 1918.
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Diese Depesche wird dem Staatsamte für Äußeres abgetreten und sofort durch Boten zugestellt.55 St.Sekr. Dr. Roller erhält einen Urlaub für Sonntag, St.Sekr. Mayer einen solchen für Montag den 18. und Dienstag den 19. Nov. Staatssekretär Dr. Roller wird durch Sektionschef Dr. Bratusch56, Staatssekretär Mayer durch Unterstaatssekretär Dr. Deutsch vertreten. St.Rat Teufel wird für Sonntag, Montag und event. Dienstag beurlaubt.57 Mit seiner Stellvertretung ist sein Ersatzmann Freiherr von Pantz betraut. Ein Antrag58 Dr. O f n e r s betr. das Grundgesetz über die Ausübung der Regierungsund Vollzugsgewalt wird der Staatskanzlei zugewiesen, ebenso ein Antrag59 I r o und K r o y betreffend die Errichtung einer deutschböhmischen Abteilung bei der Staatsratskanzlei. Beilage 35/XIII: Telephondepesche Langenhan (½ Seite). Der Inhalt der Beilage stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XIII. Die deutsche Regierung hatte die Zusage zur Lieferung von Kohle nach Österreich u. a. an die Bedingung geknüpft, daß etwa 16.000 noch auf dem Gebiet der ehemaligen Monarchie befindliche leere, reichsdeutsche Waggons nach Deutschland zurückgestellt werden. Außerdem sollten die für den Kohlentransport verwendeten Waggons sofort nach der Entleerung wieder retourniert werden. Der reibungslose Rücklauf durch tschechoslowakisches bzw. polnisches Gebiet konnte aber nicht garantiert werden, solange keine dementsprechenden Abkommen bestanden. Vgl. dazu AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Handel u. Industrie Deutsch-Österreich bis 1923, 1, Zl. 1.782/1918, „Wirtschaftliche Nachrichten aus Deutschösterreich. Zusammengestellt vom Handelsmuseum in Wien“ sowie AVA, StAöA, Präsidium, Zl. 69/1918, Durchfuhr reichsdeutscher Kohle nach Oesterreich. Weiterführendes Material zum Kohlenbezug aus Tschechien findet sich auch in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschecho slowakei 1918–1925, GZl. 405/1918. In der 13. Sitzung des Kabinettsrates berichtete Staatssekretär Zerdik, der tschechoslowakische Gesandte habe für die Lieferung von Ostrauer Kohle ähnliche Bedingungen gestellt. „Die Kohlenfrage sei daher zu einer reinen Waggonfrage geworden.“ Vgl. KRP 13/4 vom 18. November 1918. Am 22. November 1918 wies der Reichskohlenkommissär die Eisenbahndirektionen Kattowitz und Breslau schließlich an, mit dem Transport oberschlesischer Kohle nach Wien zu beginnen, „ohne [die] Rücklieferung deutscher Wagen abzuwarten“. Vgl. dazu das Telegramm in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Deutsches Reich 1918–1925, I, Zl. 865/1918. Zur Frage der Beschaffung von Valuta zur Bezahlung der deutschen Kohlelieferanten vgl. auch das Material in AVA, FHKA, StAF, Zl. 4.674/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918, (Antragsteller: Staatsrat Dr. von Langenhan). Zur Frage des Bezuges von Kohle aus Oberschlesien und zu den Kohlentransporten aus Deutschland vgl. weiters SRP Nr. 51/5 vom 30. November 1918 und KRP Nr. 8/1 vom 11. November 1918, Nr. 9/2 vom 12. November 1918 und Nr. 10/1 vom 13. November 1918. Ernst Stutz, Bergingenieur, ab 22. Juni 1917 Reichskommissar für die Kohlenverteilung, ab 1. Oktober 1919 Vorstandsvorsitzender des Reichskohleverbandes. 56 Dr. Richard Bratusch, Edler von Marrein, ab 18. April 1917 Sektionschef im k.k. Ministerium für Justiz, ab 12. November 1918 Sektionschef im Staatsamt für Justiz, 15. März 1919 bis 17. Oktober 1919 Staatssekretär für Justiz in der Regierung Renner II. 57 Staatsrat Oskar Teufel, der seit 3. November 1918 die Funktion des Kreishauptmannes des Kreises Deutsch-Südmähren innehatte, nahm an einer am Sonntag, den 17. November 1918 abgehaltenen Versammlung, betreffend die Aufbringung und Verteilung der Lebensmittel in Znaim teil. Vgl. Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Zürich/Leipzig/Wien 1925, S. 36 f. 58 Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. Die Staatskanzlei erstattete auch keinen Bericht über ein Grundgesetz, betreffend die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt. Ein entsprechendes Gesetz wurde weder im Staatsrat noch in der provisorischen Nationalversammlung behandelt. Der Entwurf könnte aber die Diskussion über die Aufteilung der Kompetenzen zwischen den verschiedenen legislativen Institutionen beeinflußt haben. Zur Diskussion dieser Frage vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 49 vom 28. November 1918, Nr. 51 vom 30. November 1918, Nr. 52 vom 2. Dezember 1918, Nr. 54 vom 6. Dezember 1918, und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. Vgl. auch KRP Nr. 4/3 vom 7. November 1918 und Nr. 6/5 vom 9. November 1918. 59 Beilage 35/XVII: Antrag Iro und Kroy (1 Seite). Der Inhalt des beiliegenden Antrages entspricht der ausführlicheren Variante des im Beschlußprotokoll enthaltenen Antragstextes. Vgl. Beschlußprotokoll 55
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Präs. D i n g h o f e r hält es für zweckmäßig, die Sitzungen des Staatsrates immer für Nachmittag anzuberaumen, damit vormittags die Beratungen entsprechend vorbereitet werden können. Überhaupt möge getrachtet werden, die den Staatsrat beschäftigenden Vorlagen den Mitgliedern des Staatsrates einige Stunden vor der Verhandlung60 zukommen zu lassen. Präs. S e i t z ist der Meinung, daß sich die bisherige Tageseinteilung vollauf bewährt habe. Sein Streben gehe dahin, die Sitzungen des Staatsrates vormittags zu beenden.61 Präs. Dr. D i n g h o f e r erklärt, es handle sich ihm nur darum, eine gewisse Ordnung festzustellen. Im übrigen sei er mit dem Vorschlage des Präs. Seitz einverstanden. Weiters regt er an, hinsichtlich der für die Beschlußfähigkeit der Nationalversammlung nach der Geschäftsordnung vorgeschriebenen Anwesenheitsziffer eine der verminderten Zahl der Mitglieder der Nationalversammlung entsprechende Formel festzustellen. Er persönlich stehe zwar auf dem Standpunkte, daß in der jetzigen Zeit kein Mitglied den Versammlungen fernbleiben dürfe, nichtsdestoweniger halte er jedoch die in der Geschäftsordnung vorgeschriebene Anwesenheit62 von hundert Mitgliedern nicht mehr für richtig. Vielleicht könnte man sich auf die Ziffer siebzig einigen.63 Auf Vorschlag des Präsidenten Dr. D i n g h o f e r wird beschlossen, die Mitglieder des Verfassungsausschusses für Dienstag, den 19. d., 10 Uhr vormittags telegraphisch zu einer Sitzung einzuberufen64, auf deren Tagesordnung die Gesetze über das Staatsgebiet, die Staatsbürgerschaft und über die Unabhängigkeit der Richter gestellt werden. Die telegraphische Einberufung erfolgte mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der Erledigung dieser drei Gesetze,
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Punkt XVII. Zur Einrichtung des „Sudetendienstes“ vgl. auch SRP Nr. 28 vom 9. November 1918, sowie Nr. 44 vom 25. November 1918. Renner informierte die Staatssekretäre mit einem Schreiben vom 28. November 1918 über die Einrichtung des „Sudetendienstes“ in der Staatskanzlei. Diese Abteilung, sollte für alle Angelegenheiten Deutschböhmens und des Sudetenlandes zuständig sein, und die Koordination der diesbezüglichen Aktivitäten der einzelnen Staatsämter übernehmen. Das Schreiben findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/3, Zl. 1.159/1918. Im Original vorher; wurde handschriftlich in vor der Verhandlung korrigiert. Im Zuge der Diskussion zur Geschäftsordnung des Staatsrates schlug Staatsrat Miklas vor, die Sitzungen des Staatsrates grundsätzlich nachmittags abzuhalten. Staatskanzler Renner lehnte dies „mit Rücksicht auf die jetzt noch dringend notwendigen kodifikatorischen Arbeiten“ ab. Vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. In der 48. Sitzung wurde aufgrund eines Vorschlages von Staatsrat Fink dann der Beschluß gefaßt, die Sitzungen des Staatsrates nur mehr nachmittags ab 16.30 Uhr abzuhalten. Ab der 55. Sitzung wurde der Sitzungsbeginn auf 15 Uhr vorverlegt. Vgl. SRP Nr. 48 vom 27. November 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. Im Original ursprünglich Zahl. Die zu diesem Zeitpunkt noch gültige Geschäftsordnung des Reichsrates (RGBl. Nr. 253/1917) verwies diesbezüglich in § 8 auf § 15 des Grundgesetzes über die Reichvertretung (RGBl. Nr. 141/1867), welcher festlegte, daß zur Fassung gültiger Beschlüsse im Abgeordnetenhaus die Anwesenheit von hundert und im Herrenhaus von vierzig Abgeordneten nötig sei. § 7 der Geschäftsordnung der konstituierenden Nationalversammlung (StGBl. Nr. 101/1919), legte die Anwesenheit von mindestens fünfzig Mitgliedern für die Beschlußfassung fest. Der Verfassungsausschuß wurde in der 3. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 12. November 1918 gewählt. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 3. Sitzung vom 12. November 1918, S. 87. In der 31. Sitzung des Staatsrates wurde die Obmannstelle den „Deutschbürgerlichen“ zugesprochen, die ihrerseits Heinrich Freiherr D’Elvert nominierten. Vgl. SRP Nr. 31 vom 13. November 1918 weiters AdR, StK, Zl. 464/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 35. Sitzung des Staatsrates vom 16. November 1918. Zur telegrafischen Einberufung des Ausschusses vgl. auch Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 17. November 1918, S. 3 „Die Verfassungsgesetze“. Dr. Heinrich D’Elvert, Landesgerichtsrat in Brünn, Mitglied des Gemeinderates von Brünn, 1896 Abgeordneter zum mährischen Landtag, 1897 Reichstagsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP.
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die für die Beratung der für Freitag, den 22. Nov., in Aussicht genommenen Sitzung der Nationalversammlung vorbereitet werden müssen.65 Nächste Sitzung Montag den 18. November 10 Uhr vormittags. Schluß der Sitzung ½ 8 Uhr abends.
Zum Gesetz über das Staatsgebiet und das Gesetz über die richterliche Gewalt vgl. SRP Nr. 27 vom 9. November 1918 und Nr. 30 vom 11. November 1918. Zum Gesetz über die Staatsbürgerschaft vgl. ebenfalls Nr. 30. Zur Einbringung der drei Gesetzesvorlagen in die Provisorische Nationalversammlung und die Zuweisung an den Verfassungsausschuß vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 3. Sitzung vom 12. November 1918, S. 64 f und S. 80–86. Die Berichte des Verfassungsausschusses über die betreffenden Gesetzesentwürfe standen ursprünglich auf der Tagesordnung der 4. Sitzung der provisorischen Nationalversammlung. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 4. Sitzung vom 14. November 1918, S. 89. In dieser Sitzung wurde aber nur das Staatsgebietsgesetz behandelt, da die beiden anderen Berichte zu diesem Zeitpunkt noch nicht fertiggestellt waren. Infolge der Debatte, die sich insbesondere um die Aufnahme bzw. Nichtaufnahme der deutschen Sprachinseln Brünn, Olmütz, Iglau, Cilli und der Gottschee sowie Westungarns in das Gesetz drehte, wurde diese Vorlage schließlich an den Verfassungsausschuß zurückverwiesen. Vgl. ebd., S. 92–109. Somit wurden die Berichte über alle drei Entwürfe vertagt. Obwohl Seitz in der schriftlichen Einladung zur Sitzung des Verfassungsausschusses am 19. November 1918 ausdrücklich auf die Dringlichkeit der Behandlung der Vorlagen hinwies, wurde in der Ausschußsitzung nur das Staatsgebietsgesetz behandelt. Vgl. PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Verfassungsausschuß, Protokoll über die Sitzung am 19. November 1918. Zur weiteren Diskussion der anstehenden Gesetzesvorlagen vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 42 vom 22. November 1918, Nr. 43 vom 23. November 1918, Nr. 44 vom 25. November 1918, Nr. 49 vom 28. November 1918, Nr. 51/9 vom 30. November 1918, Nr. 52/2 vom 2. Dezember 1918, Nr. 54 vom 6. Dezember 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. Das Gesetz über die richterliche Gewalt wurde in der 5. Sitzung der Nationalversammlung beschlossen. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung vom 22. November 1918, zweite und dritte Lesung, S. 125–128. Vgl. StGBl. Nr. 38, Grundgesetz vom 22. November 1918 über die richterliche Gewalt, ausgegeben am 28. November 1918. Zum Gesetz vgl. Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich – Teil 1 (1919). Grundgesetz vom 22. November über die richterliche Gewalt (mit Erläuterungen), in: Matthias Jestaedt (Hg.), Hans Kelsen. Werke. Band 5: Veröffentlichte Schriften 1919–1920, Tübingen 2011, S. 100–112.
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Beschlüsse in der am 16. November 1918 von ½ 5 Uhr Nachmittag bis ¾ 8 Uhr abends unter dem Vorsitze des Herrn Präsidenten Karl S e i t z stattgehabten 35. Sitzung des Staatsrates. I. Antragsteller: Staatssekretär für Landwirtschaft Josef S t ö c k l e r. Beschluß: Der Entwurf einer Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiet der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit, wird einer Kommission mit dem Auftrage zugewiesen, unter Berücksichtigung der gestellten Anträge, und zwar des Antrages Wolf, betreffend das Wort „Propagandatätigkeit“, und der Anträge Abram und Iro, betreffend die paritätische Vertretung, und schließlich unter Hinweis auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz bis spätestens Montag früh zu berichten. Der Kommission sind Professor Přibram, Ministerialrat Baron Löwenthal und Hofrat Scholz zuzuziehen. Verantwortlich ist Staatsrat Abram. An das Staatsamt für Landwirtschaft. II. Antragsteller: Staatssekretär für Landwirtschaft Josef S t ö c k l e r. Beschluß: Der Entwurf einer Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates, betreffend ergänzende Bestimmungen über die Unterstützung der Arbeitslosen, wird der vorgenannten Kommission mit dem Auftrage überwiesen, eine Textierung zu wählen, durch welche schärfer zum Ausdrucke gebracht werde, daß sich die Bestimmungen der Vollzugsanweisung vom 6. November 1918 auch auf die Arbeitnehmer in der Landwirtschaft beziehen und daß im § 2 letzter Absatz der Begriff „Vertrauensmänner“ deutlich festgelegt werde. An das Staatsamt für Landwirtschaft. III. Antragsteller: Staatssekretär für Heerwesen Josef M a y e r. Beschluß: Die folgende Mitteilung des Amtes für Heerwesen wird genehmigend zur Kenntnis genommen. Das Amt wird anordnen: „Die militärischen Erziehungsanstalten sind bis zu Ende des Schuljahres weiter zu führen; doch ist beim Lehrplane darauf Rücksicht zu nehmen, daß den Zöglingen dann der Übertritt in andere Lehranstalten erleichtert wird. Aus militärischen Erziehungsanstalten des nichtdeutschen Siedlungsgebietes entlassene deutschösterreichische Zöglinge sind in die weiter zu führenden Erziehungsanstalten aufzunehmen, dafür sind nichtdeutsche Zöglinge unter Vermeidung von Härten zu entlassen. Bis zum künftigen Studienjahre sind dann die Vorbereitungen zu treffen über die Zukunft und Umgestaltung dieser Erziehungsanstalten.“ An das Staatsamt für Heerwesen. IV. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r und Zusatzantrag des Präsidenten Dr. Franz D i n g h o f e r. Beschluß: Der Staatsrat beauftragt den Staatsnotar, die Krongüter bis zur Schaffung des in Aussicht genommenen Gesetzes, betreffend die Durchführung der
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Krongüter, unter Zuziehung des Zentraldirektors Oskar Ritter von Keller zu verwalten und für die Aufsicht zu sorgen. Das Protokoll vom heutigen Tage, betreffend die Übernahme des im Gebietsbereiche des Deutschösterreichischen Staates befindlichen beweglichen und unbeweglichen hofärarischen Eigentums in den Besitz und in die Verwaltung des Deutschösterreichischen Staates wird genehmigend zur Kenntnis genommen. An den Herrn Staatsnotar. V. Antragsteller: Staatsrat Karl Hermann W o l f. Beschluß: Der Antrag des Staatsrates Oskar Teufel, betreffend die Vorgänge in Gänserndorf und Hohenau, ist sofort in Verhandlung zu ziehen. VI. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Beschluß: Der Antrag, lautend: „In allen Gemeinden um Gänserndorf wird seit Tagen geraubt, gemordet und geplündert. Der Staatsrat wolle daher beschließen, daß das Staatsamt für Heerwesen und das Staatsamt des Innern u n v e r z ü g l i c h alles zu verfügen habe, um in dem genannten Gebiete die Ruhe und die Ordnung sofort herzustellen.“ wird angenommen. An das Staatsamt für Heerwesen und an das Staatsamt des Innern. VII. Antragsteller: Staatsrat Dr. Stephan von L i c h t. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, dem Staatsamte für Justiz die Ermächtigung zu erteilen, auf Grund des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes Vollzugsanweisungen zu erlassen, die die Bestimmungen der in der Nationalversammlung in Verhandlung stehenden Gesetze, betreffend die Beschränkung der Kündigung von Dienstverhältnissen, die dem Handelsgehilfengesetze unterliegen, und über die Aufrechterhaltung von Dienstverhältnissen, die dem Handlungsgehilfengesetze unterliegen, während des Krieges mit Rücksicht auf die Dringlichkeit und Wichtigkeit dieser Angelegenheit vorläufig und ohne der gesetzlichen Regelung dieser Fragen vorzugreifen in Wirksamkeit setzen. Diese Anordnungen haben mit rückwirkender Kraft ab 31. Oktober 1918 in Wirksamkeit zu treten. An das Staatsamt für Justiz. VIII. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Beschluß: Der Antrag: „Das Staatsamt für Finanzen hat unverzüglich dem Staatsrate Vorschläge sowohl wegen Errichtung einer Deutschösterreichischen Notenbank, als auch wegen Ausgabe von Deutschösterreichischen Staatsnoten zu berichten und diesbezügliche Anträge zu stellen.“ wird der Finanzkommission zugewiesen. An den Obmann der Finanzkommission, Staatsrat Dr. Wilhelm Ellenbogen.
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IX. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Beschluß: Der Antrag: „Das Reichratsgebäude wird mit 18. d. M. in das Eigentum des Deutsch österreichischen Staates übernommen. Alle Parteien des ehemaligen österreichischen Abgeordnetenhauses sind zu verständigen, daß sie die von ihnen noch in Anspruch genommenen Räumlichkeiten frei zu machen haben.“ wird der Staatskanzlei mit dem Auftrage überwiesen, das Erforderliche im Einvernehmen mit dem Staatsamt des Äußern zu verfügen. An den Herrn Staatskanzler. X. Antragsteller: Staatsrat Dr. Aemilian S c h o e p f e r. Beschluß: Der Antrag, lautend: „Der österreichische Staat schuldet an einzelne Kronländer bedeutende Beträge besonders aus dem Titel des staatlich subventionierten Wasserbaues. Die Gesamtguthaben der Länder ergeben sich teils aus rückständigen Subventionsbeträgen, teils aus Vorschüssen, die die Länder a conto des Staates übernommen und in Tilgungsraten zurückzuzahlen haben. Es wird beantragt, daß diese Angelegenheit sofort endgiltig geregelt werde, indem den Ländern die Guthaben ausgezahlt werden. Formell wolle die Finanzkommission mit der Berichterstattung betraut werden.“ wird der Finanzkommission zugewiesen. An den Obmann der Finanzkommission Dr. Wilhelm Ellenbogen. XI. Antragsteller: Staatsrat Karl Hermann W o l f. Beschluß: Über Antrag des Staatsrates Karl Hermann Wolf wird der von den Staatsräten Kroy, Dr. Ellenbogen und Schoiswohl [gestellte Antrag], betreffend Vorkehrungen zum Schutze der deutschen Staatsbahnangestellten in den fremd nationalen Gebieten, der Staatskanzlei zugewiesen. Der erwähnte Antrag lautet: „Die in den Nationalstaaten, die sich auf dem Boden der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie gebildet haben, dermalen noch verbliebenen Staatsangestellten deutscher Nationalität sind seitens einzelner Nationalregierungen vielfach der schwersten Bedrängnis ausgesetzt und vor allem über ihre Zukunft völlig im Ungewissen. Einerseits sind sie vielfach bereits ihrer Stellung verlustig geworden oder laufen Gefahr, über Nacht ihre Existenz zu verlieren, auf der anderen Seite sind sie bis heute in keiner Weise darüber beruhigt, daß und in welcher Weise der Deutschösterreichische Staat, dem sie ihrer Nationalität nach angehören, sich ihrer schwierigen Lage annehmen wird. Eine diesbezügliche klare Stellungnahme der Deutschösterreichischen Regierung erscheint insbesonders hinsichtlich der zahlreichen Eisenbahnbediensteten deutscher Nationalität dringendst geboten, weshalb der Antrag gestellt wird: Der Staatsrat wolle ehestens eine Erklärung beschließen und verlautbaren, wonach allen bisher in fremdnationalen Gebieten im Dienste stehenden oder im Dienste gestandenen deutschen Eisenbahnern der Schutz der Regierung und die Vergütung etwaiger Schädigungen zugesichert wird.“ An die Staatskanzlei.
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XII. Antragsteller: Staatsräte Rudolf G r u b e r, N e u n t e u f e l, S c h ü r f f, I r o, W a l d n e r, S c h o e p f e r, T e u f e l, W o l f, B a e c h l é u.s.w. Beschluß: Der Antrag, betreffend die Reinhaltung der Gesetze und Verordnungen Deutschösterreichs, sowie des Sprachgebrauches in den Ämtern, Schulen, im Heere u.s.w. von Fremdwörtern und undeutschen Sprachwendungen, lautend: „Der Staatsrat wolle beschließen: 1.) Die bisher von der Nationalversammlung beschlossenen Gesetze sind dem ‚Allgemeinen deutschen Sprachvereine‘66 zur Begutachtung hinsichtlich der Sprachreinheit zu übergeben. Die vom Sprachverein vorgeschlagenen und vom Staatsrate genehmigten Änderungen sind dann der Nationalversammlung ehestens zur Beschlußfassung vorzulegen. 2.) Der ‚Allgemeine deutsche Sprachverein‘ (für Österreich durch Dr. Alfred Schmarda67, Wien VI./I. Mariahilferstraße 69) ist einzuladen, dem Staatsrate Vorschläge zu unterbreiten, durch welche Einrichtungen und Verfügungen die Reinigung und Reinhaltung der deutschen Sprache in Gesetzgebung, Verwaltung und im privaten Verkehr am sichersten erreicht werden könnte.“ wird der Staatskanzlei zugewiesen. An die Staatskanzlei. XIII. Antragsteller: Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n. Beschluß: Die Telephondepesche des Genannten aus Berlin vom 16. September 1918 ¾ 7 Uhr abends: „1. Solange die Frage der Waggons noch nicht erledigt ist, bin ich nicht in der Lage durchzusetzen, daß Kohle geliefert wird. Bitte mir dringendst zu sagen, ob die Vereinbarung mit den Tschechen bezüglich des Durchlassens der vollen Waggons getroffen worden ist. 2. Frage an, ob die Tschechen die leeren Waggons nach Deutschland zurückfahren lassen, tun sie es nicht, müßte man sie über Bayern zurückschicken. 3. Die Verhandlungen wegen der Valuta gehen ganz glatt, auch wegen Kohle wären sie erfolgreich, scheitern nur an der Waggonfrage. Die Deutschen wollen zuerst eine Anzahl Waggons hier haben, dann sind sie bereit uns Kohle zu schicken.“ ist dem Staatsamt des Äußern sofort durch einen Boten zuzustellen. An das Staatsamt des Äußern. XIV. Antragsteller: Staatssekretäre M a y e r und Dr. R o l l e r sowie Staatsrat Oskar T e u f e l. Beschluß: Der Staatsrat erteilt dem Staatssekretär Mayer einen Urlaub für Montag und Dienstag, den 18. und 19. November 1918 (Vertretung durch Unterstaatssekretär Dr. Julius Deutsch), dem Staatssekretär Dr. Roller einen Urlaub für Der 1885 gegründete „Allgemeine Deutsche Sprachverein“ hatte sich zum Ziel gesetzt, den Wortschatz der deutschen Sprache von Fremdwörtern frei zu halten. Unmittelbar nach seiner Gründung bildete sich im Jahr 1886 der Zweigverein Wien. 67 Dr. Alfred Schmarda, Obmann des „Vereins zur Pflege der deutschen Sprache in Wien“, einer Sektion des „Allgemeinen Deutschen Sprachvereins“. Zu den diesbezüglichen Vorschlägen des Vereins vgl. das Material in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.672/1918 sowie AdR, StK, GZl. 861/1918, Verein zur Pflege der deutschen Sprache in Wien, Stil der Gesetze. 66
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Sonntag, den 17. November 1918 (Vertretung durch Sektionschef Bratusch) und dem Staatsrate Teufel einen Urlaub für Sonntag, Montag und Dienstag, den 17., 18. und 19. November 1918 (Vertretung durch Abgeordneten Baron Pantz.) An die Staatskanzlei. XV. Antragsteller: Präsident Karl S e i t z. Beschluß: Die Mitglieder des Verfassungsausschusses sind telegraphisch für Dienstag, den 19. d. M. 10 Uhr Vormittags zu einer Sitzung einzuberufen, auf deren Tagesordnung die Gesetze über das Staatsgebiet, die Staatsbürgerschaft und über die Unabhängigkeit der Richter stehen. An die Staatskanzlei. XVI. Antragsteller: Staatsrat Dr. Julius O f n e r. Beschluß: Der Entwurf eines Grundgesetzes über die Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt wird der Staatskanzlei zugewiesen. An die Staatskanzlei. XVII. Antragsteller: Staatsrat Karl I r o. Beschluß: Der Antrag, bei der Staatskanzlei eine deutschböhmische Abteilung zu errichten und mit deren Leitung den gegenwärtig im Staatsamte für soziale Fürsorge in dienstlicher Verwendung stehenden Finanzrat Leonhard Oberdorffer68 zu betrauen, eventuell nur diesen Beamten zur Dienstleistung zuzuweisen, wird der Staatskanzlei zugewiesen. An die Staatskanzlei. Schluß der Sitzung ¾ 8 Uhr abends. Nächste Sitzung Montag, den 18. November 1918, 10 Uhr vormittags.
Leonhard Oberdorffer Jurist, Finanzrat, Tätigkeit im Finanzdienst in Leitmeritz, Schluckenau, Gablonz und Prag, 1917 Einberufung in das Ministerium für soziale Fürsorge.
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36.1 [Montag] 1918-11-18 Vorsitz: Anwesend:2 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Ellenbogen, Friedmann, Licht, Miklas, Ofner, Pantz, Renner, Steinwender, Sylvester, Urban, Wolf unbekannt 10.05–12.45 Uhr3
Reinschrift, Beschlußprotokoll Präs. Dr. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 5 Min. Nach Beglaubigung des Protokolls4 und Mitteilung des Einlaufes5 überreicht Dr. O f n e r Gesetzentwürfe, betreffend Strafprozeßnovelle6, Ehegesetz7 und Kinderarbeit8. Die beiden ersten werden dem Staatsamt für Justiz, der letzte dem Staatsamt für soziale Fürsorge zugewiesen. Auf Antrag des Staatskanzlers Dr. R e n n e r wird die Sitzung für geheim erklärt.9 Im Protokoll als 31. Sitzung numeriert; wurde handschriftlich korrigiert. Dem Protokoll liegen weder Präsenzliste noch Tagesordnung bei. Die anwesenden Personen ergeben sich aus dem Sitzungsverlauf. 3 Im Beschlußprotokoll wird der Schluß der Sitzung mit 12.30 Uhr angegeben. 4 Erstmals wurde ein Sitzungsprotokoll beglaubigt, offenbar als Reaktion auf eine Beschwerde des Staatsrates Oskar Teufel gegen die bisherige Protokollführung. Vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. Aus dem Protokoll geht nicht hervor, in welcher Form die Beglaubigung erfolgte. Die in der 37. Sitzung beschlossene Geschäftsordnung sah hierfür eine zweistufige Vorgangsweise vor: nach Verteilung des Protokolls im Staatsrat wurde eine dreitägige Frist für etwaige Berichtigungen und Einwendungen eingeräumt (§ 19). Sollte das Protokoll nach Ablauf dieser Frist unbeanstandet bleiben, galt es als genehmigt und wurde dem Staatsnotar zur Beglaubigung vorgelegt (§ 21). Zum Entwurf der Geschäftsordnung vgl. den Anhang zu SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. Die Geschäftsordnung liegt in AdR, StK, GZl. 467/1918. 5 Dem Protokoll liegen keine Materialien aus dem Einlauf bei. 6 Vgl. weiters SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 7 Staatsrat Ofner stellte auch in der Nationalversammlung einen entsprechenden Antrag. Er forderte darin die Einführung der allgemeinen Zivilehe und damit die Entfernung des Religionsbekenntnisses bzw. der Konfession aus dem Eherecht. Die Einbeziehung religiöser Prinzipien in das Eherecht hatte in der Praxis zu Schwierigkeiten, insbesondere in Bezug auf interkonfessionelle und zweite Eheschließungen geführt. Eine Reform des Eherechts war deswegen bereits in der Monarchie diskutiert worden. Ofner hatte denselben Antrag bereits im Jahr 1906 eingebracht. In weiterer Folge beauftragte der Staatsrat den Staatssekretär für Justiz, Julius Roller, mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes zur Vorlage im Justizausschuß. Vgl. dazu SRP Nr. 64/2b vom 10. Jänner 1919. Eine Reform des Eherechts gelang in der Ersten Republik allerdings nicht mehr. In der rechtlichen Praxis wurden eherechtliche Probleme in der Regel durch Dispenserteilungen gelöst. Vgl. Ulrike Harmat, Ehe auf Widerruf? Der Konflikt um das Eherecht in Österreich 1918–1938, Frankfurt a. M. 1999, S. 1–24 und S. 73–90 sowie S. 125–174. Umfangreiches Material zum Eherecht, darunter einige Gesetzesentwürfe findet sich in AVA, JM, Nachlass Dr. Prey, Betr: Jugend- und Ehegesetze. 8 Vgl. dazu SRP Nr. 45 vom 25. November 1918. 9 In dieser Sitzung wurde erstmals ein Teil der Verhandlung für geheim erklärt. Der geheime Verhandlungsteil wurde aber nicht in das Geheimbuch des Staatsrates aufgenommen. Zum Geheimbuch vgl. den III. Abschnitt, § 19 des Entwurfes der Geschäftsordnung für den Staatsrat, welcher SRP Nr. 37 1 2
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36 – 1918-11-18 Nach der geheimen Sitzung:
P. I I I a : D i e w e s t u n g a r i s c h e B e w e g u n g. Dr. R e n n e r: Zufolge Zeitungsnachrichten und einzelnen Botschaften haben die Deutschen Westungarns vielfach in den Gemeinden, aber auch in Standesversammlungen der Bauern den Wunsch geäußert, der deutschösterreichischen Republik beizutreten.10 Dies ist auch wegen der Versorgung Wiens mit Lebensmitteln von Bedeutung.11 Ich beantrage folgende Beschlüsse zu fassen: I. Der Staatsrat erklärt: Die geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete der Komitate Preßburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg gehören geographisch, wirtschaftlich und national zu Deutschösterreich, stehen seit Jahrhunderten in innigster wirtschaftlicher und geistiger Gemeinschaft mit Deutschösterreich und sind insbesondere der Stadt Wien zur Lebensmittelversorgung unentbehrlich. Darum wird der deutschösterreichische Staat auf dem Friedenskongreß auf dem Anschluß dieser Gebiete an die Republik Deutschösterreich bestehen. In diesem Sinne begrüßt der Staatsrat die lebhafte nationale und wirtschaftliche Anschlußbewegung der Deutschen Westungarns und bewillkommt sie vom Standpunkt12 der deutschösterreichischen Republik. II. Das Staatsamt für Volksernährung wird beauftragt, Einkäufer in die westungarischen Gebiete zu entsenden und Lebensmittel so rasch als möglich herbeizuschaffen, um von Wien die unmittelbar drohende Gefährdung der Volksernährung abzuwenden.13
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vom 19. November 1918 vormittags, beiliegt: „Das Protokoll über eine geheime Sitzung oder über vertraulich erklärte Teile einer Sitzung wird nicht vervielfältigt. Protokolle dieser Art werden in der Staatsratssitzung verlesen und sodann beim Staatsnotar im Geheimbuche hinterlegt.“ Vgl. auch Anm. 56 in SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. Im Zuge der konstituierenden Sitzung des Deutschen Volksrates für Westungarn in Mattersburg am 10. November 1918, die den Charakter einer spontanen Volksversammlung annahm, sollen bereits entsprechende Forderungen geäußert worden sein. Im Zuge der darauffolgenden weiteren Bildung von Volksräten in westungarischen Gemeinden wurde wiederholt der Anschluß an Deutschösterreich verlangt. Vgl. Gerald Schlag, Aus Trümmern geboren… Burgenland 1918–1921, Eisenstadt 2001, S. 120–132. Zu den wenigen Pressemeldungen vgl. exemplarisch Fremdenblatt, 12. November 1918, S. 3 „Für den Anschluß Westungarns an Deutschösterreich“; Pester Lloyd, 17. November 1918, S. 4 „Oesterreichische Agitation in Westungarn“. Vgl. zu Westungarn auch KRP 10/1 vom 13. November 1918 und Nr. 13/3 vom 18. November 1918 sowie Nr. 14/14 vom 21. November 1918. Vor Beginn des Ersten Weltkrieges wies die Lebensmittelversorgung Wiens eine duale Struktur der Zulieferregionen, bestehend aus einem bis nach Ungarn reichenden Korridor und einem die Stadt umgebenden Ring, wozu u. a. auch Westungarn zählte, auf. Getreide wurde zum überwiegenden Anteil aus Ungarn geliefert. Schlachtvieh stammte zwar ebenfalls primär aus Ungarn, wurde aber auch bereits aus näher liegenden Gebieten, so z. B. Kälber aus Niederösterreich, bezogen. Die Versorgung mit Milch wurde sogar primär aus den Gebieten der Umgebung Wiens bestritten. Während des Krieges verschob sich dann der Schwerpunkt von der (ungarischen) Korridor- auf die (u. a. auch westungarische) Ringversorgung. Vgl. Ernst Langthaler, Die Großstadt und ihr Hinterland, in: Alfred Pfoser/ Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, S. 232–240, hier S. 232–236; Hans Loewenfeld-Russ, Die Regelung der Volksernährung im Kriege, Wien/New Haven 1926, S. 23–41; Österreichisches Jahrbuch 1920. Nach amtlichen Quellen, Wien 1921, S. 20–23. Bereits am 13. November 1918 hatte Unterstaatssekretär Riedl im Kabinettsrat auf die Entwicklung in Westungarn hingewiesen, Verhandlungen mit Ungarn über Lebensmittellieferungen in diesem Zusammenhang als aussichtslos bezeichnet und die Ermächtigung erbeten, „in dieser letzteren Angelegenheit mit den maßgebenden Faktoren in unverbindliche Verhandlungen zwecks Organisierung eines Verpflegszuschubes aus Westungarn eintreten […] zu dürfen.“ Vgl. KRP Nr. 10/1 vom 13. November 1918. Im Original im Verbande; wurde handschriftlich korrigiert. Vgl. dazu den geheimen Nachtrag zu SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. Zu den Lebensmitteleinkäufen in Westungarn vgl. auch KRP Nr. 23/9 vom 14. Dezember 1918.
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A n g e n o m m e n.14 P. I I I b : N a c h r i c h t e n a u s D e u t s c h b ö h m e n. Dr. R e n n e r: Durch persönliche Botschaft aus Reichenberg habe ich erfahren, daß es in Deutschböhmen außerordentlich schlecht steht. Es ist damit zu rechnen, daß immer mehr Punkte von den Tschechoslovaken besetzt werden. Deutschböhmen hatte auch administrative Schwierigkeiten, da es lange keine Banknoten bekommen hat. Nun hat es 40 Millionen erhalten, das genügt fürs erste.15 Unterhaltsbeiträge und Gehälter können nun ausbezahlt werden. Dr. U r b a n: Auf dem Gebiete des Postwesens verschärft sich der Konflikt immer mehr. Die „Arbeiter-Zeitung“ hat berichtet, daß die Tschechen alle Postbeutel und Pakete öffnen und die gesamte Korrespondenz namentlich des Staatsrates nach Prag bringen und zensurieren, und zwar infolge eines in Prag hinausgegebenen Erlasses.16 Das wäre eine Verletzung des internationalen Postrechtes. Präsident Hoheisl17 hat darauf in Prag angefragt, ob dies richtig sei.18 Wenn bis heute keine Antwort eintrifft, wird man annehmen müssen, daß dieser Erlaß tatsächlich ergangen ist. Wir sind, um eine telegraphische Verbindung zu bekommen, mit Bayern übereingekommen und sandten Depeschen über Nürnberg und Karlsbad.19 Hier wurden sie nun von czechischen Beamten aufgefangen und nicht weiter expediert. Die im Protokolltext wiedergegebene Erklärung des Staatsrates wurde am darauffolgenden Tag veröffentlicht. Vgl. Wiener Zeitung, 19. November 1918, S. 5 „Meldungen des Telegraphen-Korrespondenz-Bureaus. Deutschösterreich“. Betreffend Beschluß II forderte das Staatsamt für Finanzen die Lebensmittel sollten „ohne Belastung staatlicher Anstalten“ beschafft werden. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.764/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 18. November 1918. Vgl. weiters SRP Nr. 41 vom 21. November 1918 sowie KRP Nr. 13/3 vom 18. November 1918 und Nr. 14/14 vom 21. November 1918. Zur westungarischen Anschlußbewegung vgl. Schlag, Aus Trümmern geboren, S. 119–144; Béla Rásky Vom Schärfen der Unschärfe. Die Grenze zwischen Österreich und Ungarn 1918 bis 1924, in: Helmut Konrad/ Wolfgang Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 139–159, hier S. 141 f; Norbert Leser, Der Weg des Burgenlandes zu Österreich, in: Der Donauraum, Nr. 1 (1976), S. 17–53. 15 Vgl. auch SRP Nr. 34, wo beschlossen worden war, Deutschböhmen 60 Millionen Kronen zu überweisen. 16 Die „Arbeiter-Zeitung“ berichtete am 16. November 1918 über die „im Wege der Postdirektion“ verfügten Zensurmaßnahmen. Diese umfassten die Anhaltung sämtlicher telegrafischer und brieflicher Korrespondenzen zwischen dem Staatsrat und den politischen Landesbehörden in Reichenberg und Troppau, wobei auch Pakete und Briefbeutel geöffnet und überprüft werden sollten. Zudem bestünde die Absicht, die Telefonverbindung Wien–Berlin über Brünn zu leiten, „um hier eine Kontrolle ausüben zu können“. In Brünn werde die Zensur durch ein viergliedriges Komitee ausgeübt wobei die Abhörung von Telefongesprächen vor allem die deutschböhmischen politischen Funktionäre betreffe. Vgl. Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 16. November 1918, S. 3 „‚Maßnahmen‘ der Tschechen gegen Deutschösterreich“. Zur Frage der Postsendungen in die tschechischen Gebiete vgl. weiters SRP Nr. 39 vom 20. November 1918 und Nr. 44/2b vom 25. November 1918. 17 Dr. Konrad Hoheisel, 1910 bis 1918 Präsident der Post- und Telegraphendirektion in Wien, 17. April 1918 Ernennung zum Sektionschef und Generaldirektor für die Post- und Telegraphenangelegenheiten. 18 Zur Korrespondenz der Generalpostdirektion mit der Direktion in Prag in dieser Angelegenheit vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918. 19 Zur Forderung des Staatsrates Seliger, betreffend Schaffung telefonischer und telegrafischer Verbindungen vgl. SRP Nr. 13 vom 31. Oktober 1918. Auch Staatsrat Wolf beantragte in der 30. Sitzung des Staatsrates die Schaffung einer über Bayern und Sachsen laufenden Verbindung mit Deutschböhmen. Vgl. SRP Nr. 30 vom 11 November 1918. In weiterer Folge wurde zur Kommunikation mit den Sudetenländern und Deutschböhmen auch ein Kurierdienst von Wien über Bayern und Dresden eingerichtet. Vgl. dazu SRP. Nr. 44 vom 25. November 1918. 14
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Präs. Dr. D i n g h o f e r: Nach einer telegraphischen Mitteilung ist bereits die Buschtehraderbahn in Gefahr, von den Czechen besetzt zu werden.20 W o l f: Vorgestern sind die Wiener Journalisten aller Zeitungen, aller Parteirichtungen vom Staatsamt für Finanzen eingeladen worden, und es wurden ihnen Direktiven für die Neuordnung unserer gesamten Finanzgebarung mitgeteilt.21 Dabei wurde ihnen gesagt – als offizielle Kundgebung, nicht als Vermutung, nicht einmal als vertrauliche Mitteilung – daß unser Staat nicht viel größer sei als Bayern, denn auf Deutschböhmen könnten wir absolut nicht mehr rechnen; es werde zum czechischen Staate kommen.22 Das darf man nicht Das Schienennetz der privat geführten Buschtěhrader Eisenbahn (B.E.B.) umfaßte gemeinsam mit der k.k. priv. Aussig-Teplitzer Bahn (A.T.E.) einen wichtigen Teil des Verkehrsgebietes der neugeschaffenen Staatsbahndirektion Teplitz. Am 19. November 1918 ordnete das Staatsamt für Verkehrswesen die Übernahme aller Linien der A.T.E. und der auf deutschböhmischem Gebiet gelegenen Linien der B.E.B. in den Staatsbetrieb an. Vgl. dazu AdR, StAVw, Präsidium, GZl. 102, Zl. 99/1918, Vorkehrungen, anläßlich der Errichtung der Staatsbahndirektion Teplitz; ebd., Zl. 152/1918, Staatsbahndirektion Teplitz, betreffend die Betriebsübernahme der A.T.E. und B.E.B; weiters AdR, StK, Zl. 632/1918, Präsidium des deutschösterreichischen Staatsamtes für Verkehrswesen, Betriebsübernahme der A.T.E. und B.E.B. Parallel zur Verstaatlichung übte der tschechoslowakische Staat allerdings Druck auf die beiden Bahngesellschaften aus, sodaß die Übernahme in die Verwaltung des deutschösterreichischen Staates de facto nicht gelang. So berichtete die Staatsbahndirektion Teplitz dem Staatsamt für Verkehrswesen am 2. Dezember 1918 von der versuchten, aber letztlich unterbrochenen Kontaktaufnahme mit der Direktion der Buschtěhrader Eisenbahn in Angelegenheit der Verstaatlichung und stellte fest, daß „der Staatsbahndirektion Teplitz zu einer faktischen Betriebsübernahme die erforderlichen Machtmittel nicht zur Verfügung“ stünden. Vgl. dazu das Material in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 105/1918, Staatsbahndirektion Teplitz betreffend die Übernahme der BEB. Die Bahngesellschaften selbst nahmen die Verstaatlichung ebenfalls nicht widerspruchslos hin. Gleichzeitig wurde die Verstaatlichung aber weiterhin gefordert. Vgl. dazu die Überblicksdarstellung und das umfangreiche Material in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 322/1918, Staatsbahndirektion Teplitz, betreffend Besetzung von Teplitz durch die Tschechoslowaken. Zur Forderung nach Verstaatlichung vgl. auch die entsprechenden Telegramme in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, 1918, Zl. 1.190/1918 sowie Zl. 2.912/1918. Am 30. November machte die deutschböhmische Landesregierung noch mit einem Runderlaß auf die leitende Position der Staatsbahndirektion Teplitz aufmerksam. Vgl. AdR, Oberste Behörden 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Dpt. 1. Anfang Dezember gelang es schließlich tschechoslowakischen Truppen entscheidende Bahnknotenpunkte unter ihre Kontrolle zu bringen. Infolge dessen sah sich das Staatsamt für Verkehrswesen außerstande, den Betrieb weiter aufrecht zu erhalten. Umfangreiches Material dazu findet sich in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 322/1918, Staatsbahndirektion Teplitz, betreffend Besetzung von Teplitz durch die Tschechoslowaken. Vgl. dazu auch SRP Nr. 17 vom 4. November 1918 und Nr. 56/6 vom 9. Dezember 1918 weiters KRP Nr. 13/2 vom 18. November 1918 und Nr. 20/5 vom 2. Dezember 1918. 21 Vgl. dazu u.a. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 17. November 1918, S. 11 „Staatssekretär Steinwender über Steuern und Anleihe“ sowie Illustrierte Kronen Zeitung, 17. November 1918, S. 5 „Der Staatssekretär für Finanzen über die nächste Zukunft“; Neues Wiener Journal, 17. November 1918, S. 10 „Staatssekretär Steinwender über die Finanzlage“ und Neues Wiener Tagblatt, 17. November 1918, S. 10 f „Erklärungen des Staatssekretärs für Finanzen“. 22 In den genannten Artikeln finden sich keine Äußerungen Staatssekretär Otto Steinwenders über den Verzicht auf Deutschböhmen. Zum Vergleich Deutschösterreichs mit Bayern äußerte er sich laut Bericht der Neuen Freien Presse folgendermaßen: „Wir werden nicht soviel Ministerien wie jetzt halten und auch den Stab der Ministerien in Hinkunft einschränken. Darin stimmen wir mit Bayern überein, dem wir auch sonst in vielen Richtungen nahekommen, was die Bevölkerungszahl, den teils agrarischen, teils industriellen Charakter der Einwohner, endlich die Stellung der Hauptstadt betrifft.“ Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 17. November 1918, S. 11 „Staatssekretär Steinwender über Steuern und Anleihe“. Die übrigen Presseberichte geben Steinwenders diesbezügliche Aussagen ähnlich wieder. Zum Vergleich Österreichs mit Bayern vgl. auch KRP Nr. 7/15 vom 10. November 1918. In dieser Sitzung wurde Renners Vorschlag angenommen, „an dem Beispiele und dem Maße des Staates Bayern 20
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hingehen lassen. Wenn es, wie man erwarten muß, bekannt wird, dann wird uns das bei unserem Bestreben, Deutschböhmen festzuhalten, immer wieder vorgehalten werden. Ich lege ausdrücklich Verwahrung dagegen ein. (Zustimmung) Dr. R e n n e r: Das geht wirklich nicht. Präs. Dr. D i n g h o f e r: Beauftragen wir den Staatskanzler, bei der nächsten Kabinettssitzung die Herren Staatssekretäre zu ersuchen, in ihren Äußerungen eine der Bedeutung und Wichtigkeit derselben entsprechende Vorsicht walten zu lassen.23 (Zustimmung). Dr. R e n n e r: Die Klubs sollen sich damit befassen. Dr. v. L i c h t: Dr. Steinwender möge es amtlich als unwahr erklären! Dr. S y l v e s t e r (in einer formellen Angelegenheit): Der Staatsrat hat am 13. November beschlossen, die Verwaltung und Verwahrung der Krongüter dem Landwirtschaftsamt zu übertragen.24 Am 16. November hat er beschlossen, die Krongüter dem Staatsnotariat zu überweisen.25 Diese Beschlüsse kollidieren. Es sollte wohl der frühere Beschluß aufgehoben werden. Präs. Dr. D i n g h o f e r: Vielleicht mit dem Zusatze, daß, soweit es sich um landwirtschaftliche Agenden handelt, das Staatsnotariat das Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsamt zu pflegen hat. Es liegt also der Antrag vor, den Beschluß vom 13. November aufzuheben und die Verfügungen über die Krongüter ausschließlich dem Staatsnotariat zu übertragen mit dem Auftrage, daß, soweit es sich um landwirtschaftliche Agenden handelt, das Staatsnotariat mit dem Amte für Landwirtschaft das Einvernehmen zu pflegen habe. Angenommen.26 P. I V . D i e A u f r e c h t e r h a l t u n g d e r i n d u s t r i e l l e n P r o d u k t i o n. Dr. U r b a n: Es handelt sich hier um eine Reihe von Fragen, vor allem um die Kohlenfrage, dann um die Fragen der Sachdemobilisierung, der Ansprüche der Kriegsindustrie an das Kriegsministerium u.s.w. Die wichtigste ist die Kohlenfrage, wenn diese nicht in allerkürzester Zeit gelöst wird, dann nützt alles Übrige nichts. Wenn wir hier nun eine allgemeine Debatte führen, kommen wir zu keinem Ergebnis. Ich beantrage daher, diesen Punkt von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und zu beschließen, daß über diese Fragen die wirtschaftlichen Ressorts sofort zu einer Beratung zusammentreten und entsprechende konkrete Vorschläge machen. F r i e d m a n n: Setzen wir dafür eine kleine Kommission aus Staatsräten ein. Eine Verbindung von Staatsrat und Ämtern muß ja schon im Zuge der Vorarbeiten bestehen. U r b a n: Es ist ja eine volkswirtschaftliche Kommission im Entwurf vorgesehen.27
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ungefähr zu errechnen, welche Voranschläge wir für jedes einzelne unserer Staatsämter und für unseren ganzen Staat vergleichsweise in Aussicht nehmen können.“ Vgl. dazu KRP Nr. 14/2 vom 21. November 1918. Staatssekretär Otto Steinwender erklärte in diesem Zusammenhang allerdings, daß „seine Äußerung nicht so gelautet (hätte), wie sie kolportiert“ worden sei. Vgl. dazu den in Gabelsberger Kurzschrift in Beilage 42/X in SRP Nr. 42 vom 22. November 1918, enthaltenen Vermerk. Vgl. dazu SRP Nr. 32 vom 13. November 1918. Vgl. dazu SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Das Wort Angenommen wurde handschriftlich eingefügt. Staatssekretär Urban bezieht sich hier auf den Entwurf der Geschäftsordnung für den Staatsrat, die in § 8 die Bildung von ständigen Kommissionen, darunter auch die einer volkswirtschaftlichen Kommission, vorsah. Vgl. dazu SRP Nr. 37 vom 18. November 1918.
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In die volkswirtschaftliche Kommission des Staatsrates werden hierauf gewählt: Schoiswohl, Domes, Heine, Friedmann. U r b a n: Diese Kommission möge sich mit den Staatsämtern für Übergangswirtschaft, für soziale Fürsorge, für Finanzen, für öffentliche Arbeiten, für Eisenbahnen, für Handel und für Heerwesen in Verbindung setzen. Die Verhandlung über den Gegenstand wird von der Tagesordnung abgesetzt. Die volkswirtschaftliche Kommission wird beauftragt, sich mit den genannten Staatsämtern in Verbindung zu setzen und so bald als möglich dem Staatsrate konkrete Vorschläge zu erstatten. Mit der Einberufung der Kommission wird Dr. Urban betraut.28 P. V : B e r i c h t d e r F i n a n z k o m m i s s i o n ü b e r d i e A n l e i h e a k t i o n. L i c h t referiert namens der Finanzkommission über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919. Der Entwurf des Staatssekretärs für Finanzen sei mit dessen Zustimmung in der Kommission einer wesentlichen Änderung unterzogen worden, die sich darauf beziehe, daß alles vermieden werden soll, was eine Kontinuität des neuen Staates Deutschösterreich mit dem alten Staate beinhalten, eine Universalsukzession in die alten Verbindlichkeiten auch nur andeuten könnte. Es ist daher eine neue Fassung gewählt worden. (Wortlaut siehe Beschlußprotokoll.)29 Als neue Bestimmung ist im § 130 die Beschränkung auf das Staatsgebiet Deutschösterreich sowie die Ermächtigung zur Einhebung sowohl der laufenden als auch der bereits fälligen, rückständigen Steuern, Abgaben und Gefälle ausgesprochen worden. Die Kommission tagte am 19. und 21. November 1918. Die Protokolle dieser Besprechungen finden sich in AdR, StK, GZl. 657/1918. Der Bericht des Department 19 des Staatsamtes für Finanzen über die Sitzungen der Kommission liegt in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.769/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 18. November 1918. Ein Bericht der volkswirtschaftlichen Kommission, betreffend die Aufrechterhaltung der industriellen Produktion scheint im Staatsrat nicht erstattet worden zu sein. Zum Aspekt der offenen Forderungen der Industrie an das Kriegsministerium vgl. aber SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. Zudem stellte Staatssekretär Hanusch in der 62. Sitzung des Staatsrates vom 8. Januar 1919, nachdem Staatsrat Domes über die Arbeitslosigkeit berichtet und die Schaffung eines Investitionsprogrammes gefordert hatte, den Antrag, eine paritätisch besetzte Kommission zur Förderung der Industrie einzusetzen. Vgl. weiters den Bericht über das staatliche Investitionsprogramm in SRP Nr. 65/III vom 13. Jänner 1919. 29 Im Beschlußprotokoll finden sich keine entsprechenden Hinweise. Der von der Finanzkommission bearbeitete Entwurf des Gesetzes, der als Vorlage des Staatsrates in die provisorische Nationalversammlung eingebracht wurde, liegt jedoch SRP Nr. 37 vom 19. November 1918 bei. Vgl. auch AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 1.857/1918, Gesetz über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 (Entwurf ). Eine kommentierte Darstellung der Entstehung des Gesetzestextes, der ursprüngliche Entwurf, eine Version des Gesetzes, welche die im vorliegenden Protokoll gemachten Änderungsvorschläge enthält, der dazugehörige Bericht des Finanzausschusses der provisorischen Nationalversammlung und der fertige Gesetzestext finden sich in ebd., Zl. 6.299/1918, Gesetz über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis. 30. Juni 1919 (Parlamentarische Verhandlung und Publikation). Weiteres Material zur Finanzgebarung liegt in AdR, StK, GZl. 51/1921. Vgl. dazu weiter SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 30 Im Entwurf des Staatsamtes für Finanzen lautete § 1: „Die Staatsregierung ist ermächtigt, die Steuern, Abgaben und Gefälle, dann die sonstigen Staatseinnahmen in der Zeit vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 nach den bestehenden Normen einzuheben. Die Staatsausgaben sind während dieser Zeit auf Rechnung des gesetzlich festzustellenden Staatsvoranschlages für das Verwaltungsjahr 1918/19 zu bestreiten.“ Die hier vorgeschlagenen Änderungen fanden in die Vorlage für die Provisorische Nationalversammlung Eingang, wo § 1 mit „Der Staatssekretär der Finanzen ist ermächtigt, auf dem 28
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S t e i n w e n d e r bemerkt zu § 1, daß nicht der Staatsrat, sondern das Staatsamt für Finanzen zur Einhebung der Steuern zu ermächtigen sei. Es sei nicht denkbar, daß der Staatsrat die Steuern einhebt, sondern das sei Sache des Staatsamtes für Finanzen. Ebenso sei die Fassung des § 431: Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes ist der Staatssekretär für Finanzen betraut, falsch. Damit sei der Staatsrat zu betrauen; die Ausführung der Gesetze habe der Staatsrat zu besorgen, zur Einhebung der Steuern, Abgaben und Gefälle jedoch sei das Staatsamt der Finanzen zu ermächtigen. E l l e n b o g e n: Die Ermächtigung zur Einhebung der Steuern wird in jedem Budgetgesetze der Regierung gegeben, und die Regierung betraut mit der Exekutive, mit der Ausführung dieser ihr übertragenen Funktion den Finanzminister. Die Regierung ist hier der Staatsrat, er ist die Exekutive und er betraut dann seinerseits den Staatssekretär. Dieser ist der Beauftragte. Nicht die Summe der Staatssekretäre ist die Regierung, weil sie nichts anderes sind als Exekutivorgane des Staatsrates, sondern die eigentliche Regierung ist der Staatsrat. O f n e r: Wir müssen uns endlich über das Verhältnis zwischen Nationalversammlung, Staatsrat und Staatssekretären klar werden. Die Gesetze gehen von der Nationalversammlung aus, die Verordnungen, insbesondere auch die Durchführungsverordnungen vom Staatsrate. Die Staatssekretäre sind nicht das, was früher die Minister waren. Der Staatsrat hat jetzt die Durchführungsverordnungen zu erlassen und der Staatssekretär ist lediglich ein Beauftragter. Aus diesem Grunde sind auch die Vollzugsanweisungen unrichtig. Wir müssen uns an das halten, woran wir gewohnt sind. Die Nationalversammlung gibt Gesetze, der Staatsrat Verordnungen und der Staatssekretär Verfügungen oder Erlässe. Daran muß man besonders auch deshalb festhalten, weil die alten Gesetze und Verordnungen aufrecht bleiben. Wir müssen jedenfalls dieses Verhältnis und diese Bestimmungen genau festsetzen. Ich halte dafür, daß der Staatsrat ermächtigt wird, und dieser dann dem Staatssekretär den Auftrag gibt. Dr. v. L i c h t: Die von Dr. Ofner angeregte Frage steht mit jedem Gesetze in engstem Zusammenhange; ich glaube daher, daß wir diese staatsrechtliche Frage jetzt ausschalten und demnächst und zwar möglichst bald einer eigenen Regelung unterziehen, jetzt aber nur den meritorischen32 Inhalt beraten sollen. Zu § 233 bemerkt Dr. v. L i c h t: Das Anlehen, das zur Bestreitung der durch die normalen Staatseinnahmen nicht gedeckten Staatsausgaben notwendig ist, wird hier mit dem Betrage von 2 Milliarden fixiert, die neu aufgenommen werden dürfen. Wenn in der Zeit Staatsgebiete Deutschösterreichs“ begann. Der Rest des Paragraphen blieb hingegen unverändert. Diese Änderung blieb im fertigen Gesetzestext erhalten, obwohl von Seiten des damit betrauten Referenten des Staatsamtes für Finanzen festgehalten wurde, daß sie „sehr anfechtbar“ sei und die ursprüngliche Variante nach Möglichkeit beibehalten werden solle. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.299/1918, Gesetz über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis. 30. Juni 1919 (Parlamentarische Verhandlung und Publikation). 31 Im Entwurf des Staatsamtes für Finanzen findet sich dieser Satz im § 5. Nachdem in der Fassung der Finanzkommission der § 3 teilweise gestrichen und unter § 2 subsumiert worden war, wurde § 5 zu § 4, auf welchen sich Steinwender hier bezieht. Die Änderung blieb im fertigen Gesetzestext erhalten. 32 Meritorisch: wesentlich, sachlich. 33 Der § 2 des ersten Entwurfes ermächtige den Staatssekretär für Finanzen „1. die Mittel für alle durch normale Staatseinnahmen nicht bedeckten Staatsausgaben in der Zeit vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 durch Kreditoperationen zu beschaffen; 2. die in der Zeit vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 fällig werdenden Schuldbeträge zu prolongieren oder umzuwandeln; und 3. zur Befriedigung unabweisbarer Bedürfnisse Garantien zu übernehmen“. Die Änderungen der Finanzkommission betrafen einmal den Punkt 1, in welchem ein Betrag von 2.000 Millionen Kronen als Obergrenze festgelegt wurde. Weiters wurde § 2 durch einen Teil des § 3 des ursprünglichen Entwurfes ergänzt, welcher lautete: „Die prolongierten, umgewandelten und garantierten Beträge sowie jene, die zur Tilgung bestehender Schulden verwendet werden, sind in den unter Punkt 1 angegebenen Höchstbetrag nicht einzurechnen.“ Diese Änderungen wurden in den fertigen Gesetzestext übernommen.
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vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 bereits aufgenommene Schulden umgewandelt, prolongiert oder garantiert werden, so können diese, da sie nicht neue Schulden sind, in die neu aufzunehmenden 2 Milliarden nicht eingerechnet werden. S t e i n w e n d e r: Es handelt sich hauptsächlich um die Vorschüsse der Banken. Im Ganzen darf die Summe nicht mehr als 2 Milliarden betragen; wenn ein Vorschuß genommen wird, so darf dieser in diese 2 Milliarden nicht eingerechnet werden; das ist eine rein innere Angelegenheit. Es werden hierauf die meritorischen Bestimmungen der Vorlage angenommen, die staatsrechtlichen Fragen werden einstweilen ausgeschaltet und demnächst einer Regelung unterzogen werden.34 Präs. Dr. D i n g h o f e r bittet, daß bei derartig wichtigen Gegenständen den Staatsratsmitgliedern vorher ein Abzug der Vorlage zur Verfügung gestellt wird.35 Dr. E l l e n b o g e n berichtet namens der Finanzkommission über die S t a a t s s c h u l d e n k o n t r o l l e. Es handelt sich hier um 2 Fragen: 1.) die Staatsschuldenkontrolle in Bezug auf die alten Staatsschulden, 2.) um die Frage, ob auch für den neuen deutschösterreichischen Staat eine Staatsschuldenkontrolle eingerichtet werden soll. Bezüglich der ersten Frage unterliegt es keinem Zweifel, daß die Staatsschuldenkontrollkommission36 weiter zu funktionieren hat, weil eine verfassungsmäßige Instanz, die die alten Staatsschulden dem Staatsgrundgesetze entsprechend37 zu überwachen hätte, nicht existiert und weil eine Reihe von Agenden durch diese Kommission erledigt werden muß. So müssen Titres38 kontrasigniert werden, da sie ohne Kontrasignatur nicht verkehrsfähig sind; desgleichen bedürfen die bei der ö.u. Bank gemachten Abschlüsse der Kontrasignierung, wie schließlich auch Titres, die auf Namen lauten, kontrasigniert werden müssen. Es muß daher jemand da sein, der die Kontrasignatur gibt. Von der alten Staatsschuldenkontrollkommission Mit den staatsrechtlichen Fragen ist vermutlich die eben vorgebrachte Forderung des Staatsrates Ofner nach Klärung der Kompetenzverteilung zwischen Nationalversammlung, Staatsrat und den Staatssekretären gemeint. Diese Frage war in unterschiedlichen Zusammenhängen wiederholt Gegenstand der Diskussion. Vgl. dazu SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 und Nr. 51/5 vom 30. November 1918. 35 Laut Geschäftsordnung des Staatsrates mußten Vorlagen der Staatsämter der Staatskanzlei in 40facher Ausfertigung zur weiteren Verfügung übermittelt werden. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 467/1918, Staatskanzlei, Geschäftsordnung des Staatsrates. 36 Vgl. zur k.k. Staatsschuldenkontrollkommission SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. 37 Staatsrat Ellenbogen bezieht sich hier vermutlich auf den Artikel 4 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform (StGBl. Nr. 5/1918), welcher lautet: „Die k.u.k. Ministerien und die k.k. Ministerien werden aufgelöst. Ihre Aufträge und Vollmachten auf dem Staatsgebiete von Deutschösterreich gehen unter ausdrücklicher Ablehnung jeder Rechtsnachfolge auf die deutschösterreichischen Staatsämter über. Den anderen Nationalstaaten, die auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden sind, bleiben ihre Ansprüche an die erwähnten Ministerien wie auf das von diesen verwaltete Staatsvermögen gewahrt. Die Liquidierung dieser Ansprüche ist völkerrechtlichen Vereinbarungen durch Kommissionen vorbehalten, die aus Bevollmächtigten aller beteiligten Nationalregierungen zu bilden sind. Bis zum Zusammentreten dieser Kommissionen haben die deutschösterreichischen Staatsämter das Gemeinschaftsgut, soweit es sich auf dem Staatsgebiet der Republik Deutschösterreich vorfindet, als Treuhänder aller beteiligten Nationen zu verwalten.“ Der § 3 des Gesetzesentwurfes, betreffend die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 hätte unter Bezugnahme auf diesen Artikel 4, den Staatssekretär für Finanzen mit entsprechenden Kompetenzen ausstatten sollen. Die Finanzkommission veranlaßte aber die Streichung der entsprechenden Passage und verhandelte die Frage der Staatsschuldenkontrolle separat. Vgl. dazu auch SRP Nr. 34 vom 16. November 1918 und SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 38 Titre: Wertpapier. 34
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existiert nur ein einziges Mitglied, Baron Fuchs39. Es bleibt daher nichts anderes übrig als der in folgendem Antrag gekennzeichnete Weg: Der Staatsrat wolle beschließen, es sei das Staatsamt für Äußeres aufzufordern, sofort mit der größten Beschleunigung an die Czechen, Polen, Slovenen u.s.w. heranzutreten, um eine Vereinbarung darüber zu treffen, daß Delegierte in ein provisorisch zu bildendes und an Stelle der alten Staatsschuldenkontrollkommission fungierendes gemeinsames Kontrollkomitee entsendet werden. Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n.40 Dr. E l l e n b o g e n: Bezüglich der zweiten Frage ist darüber, ob überhaupt eine Staatsschuldenkontrollkommission für den neuen deutsch-österreichischen Staat eingerichtet und mit welchen Befugnissen sie ausgestattet werden soll, eine definitive Entscheidung in der Kommission noch nicht getroffen worden. Dr. v. Licht ist mit dem Entwurfe eines solchen Gesetzes beauftragt.41 P. I V : V o l l z u g s a n w e i s u n g ü b e r d i e E r g ä n z u n g d e r G e m e i n d e v e r t r e t u n g e n. Dr. R e n n e r bemerkt, es sei beschlossen worden, daß die Gemeindevertretungen durch Kooptionen42 ergänzt werden sollen, was jedoch in vielfach wirrer Weise geschehe. Das staatsrechtliche Departement habe deshalb einen Antrag ausgearbeitet, der in der Verwaltungskommission43 beraten werden müsse. W o l f meint, es stehe im Widerspruch mit der Autonomie, einen Eingriff in die Art, wie die Gemeinden sich der Neuordnung anbequemen wollen, zu unternehmen. Der Staatsrat könne nur sagen, es werde vorausgesetzt, daß sich die Gemeindevertretungen entsprechend dem künftigen Wahlrecht jetzt schon ergänzen, aber eine Einflußnahme im Einzelnen, ein Dr. Viktor Freiherr von Fuchs, Rechtsanwalt, Gerichtsadvokat, von 1897 bis 1907 Präsident der Staatsschuldenkontrollkommission, dann bis 1918 Präsident-Stellvertreter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der provisorischen Nationalversammlung, ChP. 40 Die aus Vertretern der Nachfolgestaaten der Monarchie bestehende Gesandtenkonferenz, die an der Spitze der mit der internationalen Liquidierung der k.k. bzw. k.u.k. gemeinsamen Aktiva und Passiva befaßten Institutionen stand, beschloß in der 6. Sitzung am 17. Dezember 1918 die Einsetzung, Struktur und Zusammensetzung einer zwischenstaatlichen Liquidierungskommission, welche als Organ der Gesandtenkonferenz fungierte. Die Kommission wurde aber erst am 21. Jänner 1919 durch die Gesandtenkonferenz aktiviert. Die Liquidierungskommission nahm am 23. Jänner ihre Tätigkeit auf und erledigte bis zum 30. Dezember 1919 in 115 Sitzungen ihr Arbeitspensum. Der Liquidierungskommission untergeordnet waren die Bevollmächtigtenkollegien in den einzelnen liquidierenden Ministerien, die sich, entsprechend dem Beschluß der 6. Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918, bereits um die Jahreswende 1918/19 in drei Ministerien gebildet hatten. Außerdem setzte die Gesandtenkonferenz in ihrer 2. Sitzung vom 20. November 1918 eine „Finanzkommission“ ein. Auf dieser Ebene wurden die Verwaltungsangelegenheiten, auch in Bezug auf bestehende k.k. Gesetze, kontinuierlich fortgeführt. Diese Kommission nannte man gelegentlich auch „Liquidierungskommission für Finanzen“. Vgl. dazu SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918 und Nr. 55/3 vom 7. Dezember 1918. 41 Die finanzielle Liquidierungskommission beschloß die verbliebenen Mitglieder der Staatsschuldenkontrollkommission bis zur Klärung dieser Frage mit der Weiterführung ihrer Arbeit zu betrauen. Letztlich übernahm der am 6. Februar 1919 errichtete Staatsrechnungshof den Aufgabenbereich der Staatsschuldenkontrollkommission, die damit aufgelöst wurde. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.610/1918, Amtsveranlassung: Beschluß des Staatsrates vom 18. November 1918 (Antragsteller Dr. Wilhelm Ellenbogen). Zur Staatsschuldenkontrollkommission vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918; weiter SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 42 Kooption auch Kooptation: nachträgliche Hinzuwahl neuer Mitglieder in eine Körperschaft durch die dieser Körperschaft bereits angehörenden Mitglieder. 43 Gemeint ist hier vermutlich die Verwaltungsreformkommission. Vgl. dazu SRP Nr. 23 vom 7. November 1918 und Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 39
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Gesetz, wie die Gemeinden diese Ergänzung vornehmen sollen, wäre ein bedenklicher Eingriff in die Gemeindeautonomie. R e n n e r: Es gibt keine Autonomie außerhalb des Rahmens des Staatsgesetzes, jede Autonomie ist durch das allgemeine Gesetz verliehen. Es handelt sich jetzt vor allem darum, daß das, was jetzt draußen geschieht, legalisiert wird, da sonst eine Verfügung einer solchen ergänzten Gemeindevertretung vor dem Verwaltungsgerichtshofe mit Erfolg angefochten werden könnte. Der Antrag müsse der Verwaltungskommission zugewiesen werden, welche dann hierüber an den Staatsrat zu berichten hat. M i k l a s: Es scheint aber die Vollzugsanweisung doch auch meritorische Normen aufzustellen, nach denen die Demokratisierung einstweilen provisorisch sich zu vollziehen hätte. Wegen der großen politischen Tragweite bitte ich um die Bekanntgabe der leitenden Grundsätze. Es wird hierauf die Zuweisung des Antrages an die Verwaltungskommission mit dem Bemerken b e s c h l o s s e n, daß jedes Staatsratsmitglied jetzt schon einen Abzug bekommen soll.44 R e n n e r: Wir müssen einen formalen Gesetzesbeschluß fassen, daß das Kriegsleistungsgesetz45 aufgehoben wird und wir müssen auch für einen Ersatz hiefür sorgen.46 Ich richte an alle Kommissionen und Ausschüsse den Appell, die Arbeiten so rasch als möglich fertigzustellen, damit in der Freitagssitzung das, was jetzt vorliegt, aufgearbeitet werden kann. Wir müssen in die Lage versetzt werden, verwalten zu können, sonst entgleitet uns die ganze Verwaltung. Die größte soziale oder finanzielle Maßregel tritt jetzt hinter der Notwendigkeit zurück, den Verwaltungsapparat zusammenzuhalten. Hiezu sind einige Gesetze notwendig, die das innere Gefüge der staatlichen Ordnung zusammenhalten. Ich hoffe, daß bis Mittwoch mittags, spätestens abends die Vorlagen druckreif abgehen können. (Zustimmung). Freih. v. P a n t z richtet an den Staatskanzler die Anfrage, ob ihm bekannt sei, was seitens der Regierung des Deutschen Reiches als Antwort auf die Deklaration der deutsch-österreichischen Nationalversammlung bezüglich des Anschlusses an Deutschland47 beabsichtigt werde. In den Kreisen, die gegen diesen Anschluß sind, werde das Ausbleiben einer Antwort zu einer starken Agitation gegen den Anschluß benützt.48 Der Entwurf der legislativen Abteilung der Staatskanzlei über die einstweilige Ergänzung der Gemeindevertretungen liegt dem Protokoll der vorliegenden Sitzung nicht bei. Ein entsprechender Vollzugsanweisungsentwurf des Staatsrates findet sich jedoch in den Beilagen zu SRP Nr. 37 vom 19. November 1918 vormittags. Dieser beruhte auf dem Artikel 10, Absatz 2 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform (StGBl. Nr. 5/1918), welcher lautete: „Bis zur Neuwahl sind die bestehenden Gemeindevertretungen nach den Anweisungen des Staatsrates durch eine angemessene Zahl von Vertretern der Arbeiterschaft zu ergänzen.“ Vgl. dazu auch SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. 45 Das Kriegsleistungsgesetz (RGBl. Nr. 236/1912) legte die Sach- und Dienstleistungen fest, welche im Kriegsfall vom Staat in Anspruch genommen werden konnten und regelte den Modus der Entschädigung und Demobilisierung nach dem Krieg. Das Gesetz wurde mehrmals ergänzt. Zur Entstehung des Kriegsleistungsgesetzes, seiner Rezeption und seinen Auswirkungen vgl. Margarete Grandner, Kooperative Gewerkschaftspolitik in der Kriegswirtschaft. Die freien Gewerkschaften Österreichs im ersten Weltkrieg, Wien 1992, S. 38–55. 46 Der Beschluß zur Aufhebung des Kriegsleistungsgesetzes wurde bereits in der 13. Sitzung des Staatsrates gefaßt. Vgl. SRP Nr. 13 vom 31. Oktober 1918. Ein entsprechender Antrag wurde in der 38. Sitzung des Staatsrates der Heereskommission zugewiesen. Vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 47 Im Artikel 2 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform (StGBl. Nr. 5/1918) wurde Deutschösterreich als Bestandteil der Deutschen Republik definiert. 48 In der 11. Kabinettssitzung vom 15. November 1918 berichtete der Mitvorsitzende des Rates der Volksbeauftragten Deutschlands, Hugo Haase, über ein Telegramm Otto Bauers vom 13. November 1918 in dem Deutschösterreich um Unterstützung durch Kohle und Lebensmittel ersucht und „die Angliederung“ gewünscht habe. Das Kabinett faßte daraufhin folgenden Beschluß: „Bei der Antwort 44
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Dr. R e n n e r: Man hat in Deutschland mit den eigenen Konstituierungsarbeiten so viel zu tun, daß man zu einem formellen Beschluß in der Sache noch nicht gekommen ist. Ich werde mich sofort mit dem Staatssekretär des Äußeren in Verbindung setzen und in Berlin nachfragen lassen.49 Es ist selbstverständlich notwendig, daß zur Behandlung dieser Frage im Deutschen Reiche eine kleine Staatsdelegation hinausgesendet wird; vor allem müssen aber die Gesandten selbst draußen sein und den Weg vorbereiten. Eine meritorische Antwort ist noch nicht erfolgt. W o l f: Eine Antwort kann jetzt noch nicht erfolgen, da vorher noch viele Vorfragen erledigt werden müssen, wie sich das Deutsche Reich konstituieren wird, in welcher Form der Anschluß erfolgen, ob in Deutschland die kleinen souveränen Gebiete aufrechtbleiben sollen oder ob aus ganz Deutschland eine ganze große Republik gemacht wird. Auch die Frage des Anteils Deutsch-Österreichs an der Konstituante, welche die künftige Staatsform Deutschlands beschließen soll, muß vorher geklärt werden.50 […] wegen der internationalen Gesamtlage auf die Angliederungsfrage nicht einzugehen.“ Vgl. Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19. Erster Teil. Eingeleitet von Erich Matthias. Bearbeitet von Susanne Miller unter Mitwirkung von Heinrich Potthoff, Düsseldorf 1969, S. 45. Haases Antwortschreiben wurde am 16. November 1918 im Berliner Tageblatt publiziert. Darin hieß es: „Der Rat der Volksbeauftragten ist gern bereit, mit Ihnen alle Fragen der Friedensverhandlungen zu erörtern und diese Verhandlungen in engster Freundschaft mit Ihnen zu führen.“ Vgl. Berliner Tageblatt und Handels-Zeitung. Abend-Ausgabe, 16. November 1918, S. 2 „Deutschland und Deutsch-Oesterreich“. Haases Telegramm findet sich auch in Neue Freie Presse. Morgenblatt, 16. November 1918, S. 2 „Das gemeinsame Vorgehen Deutschlands und Oesterreichs bei den Friedensverhandlungen. Ein Telegramm Haases an Dr. Bauer“. Hugo Haase, deutscher Jurist, Politiker und Pazifist, ab 1917 Vorsitzender der neugegründeten USPD, November bis Dezember 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten. 49 Eine entsprechende Anfrage des Staatsamtes für Äußeres konnte nicht eruiert werden. Im deutschen Auswärtigen Amt wußte man, daß Österreich auf eine Antwort in der Anschlußfrage wartete. Bezüglich Haases Antwort an Bauer äußerte sich Wilhelm Solf, der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, folgendermaßen: „Nachdem wir uns doch wohl auch öffentlich auf den Standpunkt stellen müssen und nach den öffentlichen Kundgebungen in Österreich auch können, daß wir mit Deutschösterreich eine Einheit bilden und zwar schon auf dem Friedenskongreß, muß die laue Art der Begrüßung wieder gutgemacht werden.“ Vgl. Akten zur deutschen auswärtigen Politik. 1918–1945. Serie A: 1918–1925. 9. November 1918 bis 5. Mai 1919, Editorische Bearbeitung Peter Gupp, Göttingen 1982, S. 46. Staatssekretär Solf weigerte sich am 29. November 1918, öffentlich dem Anschluß zuzustimmen. Vgl. Theo Schäfer, Die Anschlußbewegung 1918–1919, phil. Diss., Wien 1970, S. 153. Wilhelm Heinrich Solf, deutscher Politiker und Diplomat, Oktober bis Dezember 1918 Staatssekretär des deutschen Auswärtigen Amtes. 50 Am 25. November 1918 fand in Berlin die Reichskonferenz – eine Regierungskonferenz aller deutschen Freistaaten – statt, an welcher auch der deutschösterreichische Gesandte Ludo Hartmann, allerdings nur als Gast, teilnahm. Laut seinem Bericht, habe er vor Ort ausdrücklich darauf hingewiesen, daß seine Position als Gast nicht der Haltung Deutsch-Österreichs entspräche und kein Präjudiz bilden dürfe. Diese Äußerung sei von der Versammlung mit Beifall quittiert worden. Die deutsche Reichsregierung äußerte sich auch im Vorfeld der Konferenz in einem Telegramm vom 21. November 1918 dahingehend, die Tatsache, daß die deutschösterreichische Republik zur Konferenz keine Einladung erhalten habe, solle „der späteren Regelung der staatsrechtlichen Verhältnisse zwischen ihr und den vereinigten Freistaaten nicht vorgreifen“. Im Kern zeigte sich hier aber bereits die eher zurückhaltende Position Deutschlands in Bezug auf die Angliederung Österreichs. Ein Grund für die Haltung Deutschlands war die Befürchtung, die durch eine Aufnahme Österreichs erfolgende Vergrößerung des Territoriums und der damit einhergehende Machtgewinn, könnte sich auf die bevorstehenden Verhandlungen territorialer Fragen, insbesondere mit Frankreich und Polen, nachteilig auswirken. Vgl. AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Deutschland 5/1, Fasz. Deutsche Bundeskonferenz in Berlin; weiters auch Duane P. Mayers, Berlin versus Vienna: Disagreement about Anschluss in the Winter of 1918–1919, in: Central European History, Nr. 2 (1972), S. 150–175; Richard Saage, Die deutsche Frage. Die Erste Republik
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36 – 1918-11-18 Die Sitzung wird hierauf um 12 Uhr 45 Min. geschlossen. Nächste Sitzung Dienstag, den 19. November, 10 Uhr Vormittag.
im Spannungsfeld zwischen österreichischer und deutscher Identität, in: Konrad/Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich – Band I, S. 65–83, hier S. 74–79. Das Protokoll der Reichskonferenz findet sich in Die Regierung der Volksbeauftragten 1918/19, S. 149–215. Vgl. auch Alfred D. Low, Die Anschlußbewegung in Österreich und Deutschland 1918–1919 und die Pariser Friedenskonferenz, Wien/Stuttgart 1975, S. 59–62. Dr. Ludwig (Ludo) Moritz Hartmann, Historiker und Volksbildner, ab 1889 Privatdozent an der Universität Wien, 1918 mit der Sichtung der Akten im Haus-, Hof- und Staatsarchiv betraut und zum Archivbevollmächtigten für Deutschösterreich bestellt, 25. November 1918 bis April 1921 a.o. Gesandter und bev. Minister in Berlin.
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57 36. Sitzung des Staatsrates am 18. November 1918. [Beschlußprotokoll] Vorsitzender: Präsident Dr. Franz D i n g h o f e r.
I. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Beschluß: Über Antrag des Herrn Staatskanzlers wird die Sitzung für geheim erklärt. II. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Beschluß: Der Staatsrat erklärt: „Die geschlossenen deutschen Siedlungsgebiete der Komitate Preßburg, Wieselburg, Ödenburg und Eisenburg gehören geographisch, wirtschaftlich und national zu Deutschösterreich, stehen seit Jahrhunderten in innigster wirtschaftlicher und geistiger Gemeinschaft mit Deutschösterreich und sind insbesondere der Stadt Wien zur Lebensmittelversorgung unentbehrlich. Darum wird der deutschösterreichische Staat auf dem Friedenskongreß auf den Anschluß dieser Gebiete an die Republik Deutschösterreich bestehen. In diesem Sinne begrüßt der Staatsrat die lebhafte nationale und wirtschaftliche Anschlußbewegung der Deutschen Westungarns und bewillkommt sie im Verbande der deutschösterreichischen Republik“. An den Herrn Staatskanzler. III. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Beschluß: Der Staatsrat beauftragt das Staatsamt für Volksernährung, Einkäufer in die westungarischen Gebiete zu entsenden und Lebensmittel so rasch als möglich herbeizuschaffen, um von Wien die unmittelbar drohende Gefährdung der Volksernährung abzuwenden. An das Staatsamt für Volksernährung. IV. Antragsteller: Präsident Dr. Franz D i n g h o f e r. Beschluß: Anläßlich eines Berichtes des Herrn Staatskanzlers über Deutschböhmen wurde dem Staatsrat eine Äußerung zur Kenntnis gebracht, die der Herr Staatssekretär der Finanzen Dr. Otto S t e i n w e n d e r vor kurzem einer Deputation gegenüber bzgl. der staatl. Zukunft und Zugehörigkeit Deutschböhmens gemacht haben soll. Der Herr Staatskanzler wird beauftragt, bei der nächsten Kabinettssitzung die Herren Staatssekretäre zu ersuchen, in ihren Äußerungen eine der Bedeutung und Wichtigkeit derselben entsprechende Vorsicht walten lassen zu wollen. An den Herrn Staatskanzler. V. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r. Beschluß: Da sich die Beschlüsse vom 13. und 16. November 1918 über die Verwaltung und Aufsicht der Krongüter widersprechen, wird der Beschluß vom 13. aufgehoben und werden sämtliche Verfügungen über die Krongüter dem
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Staatsnotariate mit dem Auftrage übertragen, daß, soweit es sich um landwirtschaftliche Agenden handelt, das Staatsnotariat mit dem Staatsamte für Landwirtschaft das Einvernehmen zu pflegen habe. An den Herrn Staatsnotar. VI. Antragsteller: Staatssekretär Dr. Karl U r b a n. Beschluß: Die Verhandlungen über die Aufrechterhaltung der industriellen Produktion werden von der Tagesordnung abgesetzt. Die nunmehr zu wählende volkswirtschaftliche Kommission wird beauftragt, sich mit den Staatsämtern für Kriegs- und Übergangswirtschaft, für soziale Fürsorge, der Finanzen, für öffentliche Arbeiten, für Verkehrswesen, für Heerwesen und für Gewerbe, Industrie und Handel ins Einvernehmen zu setzen und sodann über die erwähnte Angelegenheit an den Staatsrat sobald wie möglich zu berichten. In die volkswirtschaftliche Kommission werden die Staatsräte S c h o i s w o h l, D o m e s, H e i n e und F r i e d m a n n entsendet. Der Staatssekretär Dr. Karl Urban wird mit der Einberufung dieser Kommission betraut. An das Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel. VII. Antragsteller: Staatsrat Dr. Stephan von L i c h t. Beschluß: Der Entwurf eines Gesetzes zur Führung des Staatshaushaltes wird angenommen. Die staatsrechtlichen formalen Fragen in diesem Gesetze bleiben einstweilen ausgeschaltet. An das Staatsamt für Finanzen und an den Obmann der Finanzkommission. VIII. Antragsteller: Dr. Wilhelm E l l e n b o g e n. Beschluß: Der Staatsrat beschließt: Das Staatsamt des Äußern wird aufgefordert, sofort mit der größten Beschleunigung an die Tschechen, Polen, Slovenen und so weiter heranzutreten zum Zwecke der Vereinbarung über die Entsendung von Delegierten in ein provisorisch zu bildendes und an Stelle der alten Staatsschuldenkontrollkommission fungierendes Kontrollkomitee. An das Staatsamt des Äußern und an den Obmann der Finanzkommission. IX. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Beschluß: Der Entwurf einer Vollzugsanweisung über die Ergänzung der Gemeindevertretungen wird der Verwaltungskommission mit dem Bemerken überwiesen, daß die Mitglieder des Staatsrates bereits mit Abzügen beteilt worden sind. An den Herrn Staatskanzler. Schluß der Sitzung um ½ 1 Uhr, nächste Sitzung morgen um 10 Uhr vormittags.
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37.1 [Dienstag] 1918-11-19 Vorsitz: Anwesend:2 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Abram, Baechlé, Domes, Ellenbogen, Fink, Gruber, Heine, Iro, Kroy, Leuthner, Miklas, Neunteufel, Ofner, Pantz, Pflügl, Roller, Schoepfer, Sylvester, Schürff, Stöckler, Urban, Waldner, Wolf unbekannt 10.00–12.30 Uhr3
Reinschrift, Beschlußprotokoll 4, Präsenzliste5, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g: 1. Beglaubigung des Protokolls. 2. Einlauf: Vortragender 3. Bericht der Finanzkommission über das Budget (Vortragender Staatsrat von L i c h t). 4. Staatsschuldenkontrollkommission (Vortragender Staatsrat von L i c h t). 5. Besteuerung von Wein und Bier (Vortragender Staatsrat F r i e d m a n n). 6. Besteuerung natürlicher und künstlicher Wasser (Vortragender Staatsrat von L i c h t). 7. Geschäftsordnung des Staatsrates (Vortragender Dr. R e n n e r). 8. Staatskanzlei und Staatssiegelamt. 9. Aufhebung des Kriegsleistungsgesetzes.6 Beilagen: 37/I–III Beschlüsse des Staatsrates in der Sitzung vom… November 1918 (1 Seite). 37/I–III/a Staatsamt für Landwirtschaft, Abteilung 26: Entwurf, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom … November 1918, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen in der Land- und Forstwirtschaft (4½ Seiten). 37/I–III/b Staatsamt für Landwirtschaft, Abteilung 26: Entwurf Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom … November 1918, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit (6 Seiten). 37/IV Antrag der Staatskanzlei, betreffend Entsendung von Beauftragten zu den Landesregierungen (½ Seite, handschriftlich). 37/V Antrag der Staatskanzlei, betreffend Bestellung eines Bevollmächtigten bei jedem größeren Kommando der feindlichen Macht (½ Seite, handschriftlich). 37/VI Antrag Ellenbogen, betreffend Ausarbeitung einer Kreisverfassung (1 Seite, handschriftlich).
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Diese Sitzung wurde im Protokoll irrtümlich als 32. Sitzung numeriert und handschriftlich korrigiert. Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Gustav Bodirsky und Dr. Karl Renner, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Im Beschlußprotokoll wird der Schluß der Sitzung mit 12.30 Uhr angegeben. Dem Beschlußprotokoll ist ein geheimer Nachtrag als Anhang beigefügt. Diesem Protokoll liegt erstmals eine Präsenzliste bei. Bis Protokoll 50 wurden die Anwesenheitslisten handschriftlich geführt, danach wurden gedruckte Vorlagen verwendet, die von den Anwesenden handschriftlich signiert wurden. Dieser Punkt wurde erst in der 38. Sitzung vom 19. November 1918 behandelt.
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37/VII 37/VIII 37/IX 37/X 37/XI 37/XII 37/XIII 37/XIV
Antrag Fink, betreffend Einfuhr von Nahrungsmitteln aus der Schweiz (½ Seite, handschriftlich). Antrag Fink, betreffend Einfuhr von Nahrungsmitteln aus der tschechischen Republik (1 Seite, handschriftlich). Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- u. Übergangswirtschaft vom … November 1918, betreffend die Regelung des Verbrauches von Zeitungsdruckpapier (1 Seite). Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom … November 1918, betreffend die Regelung des Verkehres mit chemischen Produkten und Hilfsstoffen (2½ Seiten). Antrag Sylvester, betreffend Bestimmung eines Staatratsmitglieds zur Übernahme dt. Beamter und Liquidierung des gemeinsamen Finanzministeriums (1 Seite, handschriftlich). Notiz betreffend Austritt Kroys aus der Finanzkommission und Eintritt Bodirskys an seiner Stelle (1 Seite, handschriftlich). Entwurf einer Geschäftsordnung für den Staatsrat (6 Seiten). Antrag des Staatskanzlers über die Geschäftsführung in der S t a a t s k a n z l e i und im S t a a t s s i e g e l a m t (4½ Seiten).7
Präs. Dr. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 10 Uhr Vormittags. Nach Verlesen des Einlaufs8 referiert
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S t ö c k l e r über M a ß n a h m e n h i n s i c h t l i c h A r b e i t e r f ü r s o r g e u n d A r b e i t s l o s e n - U n t e r s t ü t z u n g und bemerkt: Diese Gegenstände wurden schon einer Beratung unterzogen und es wurde ein Komitee mit der Redaktion von Anträgen beauftragt.9 Hiebei wurde den Wünschen des Staatsrates voll und ganz Rechnung getragen, insbesondere in der Richtung, daß hinsichtlich des Entwurfes, betreffend Arbeiterfürsorge für die Landwirtschaft, die landwirtschaftlichen Beiräte in den Bezirken, Ländern und Gemeinden paritätisch aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern zusammengesetzt sind.
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8 9
Weiters liegen dem Protokoll bei: Schreiben Renners, mit welchem Josef Kranz ermächtigt wurde, wirtschaftliche Verhandlungen mit der ungarischen Regierung zu führen (1 Seite, handschriftlich). Vorlage der Finanzkommission des Staatsrates: Entwurf, Gesetz über die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs (2 Seiten). Vorlage des Staatsrates: Entwurf, Gesetz vom … über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 (2¼ Seiten). Antrag und Begründung, betreffend Ermächtigung des Staatssekretärs für Heerwesen zur Aufhebung des Kriegsleistungsgesetzes (1 Seite). Vollzugsanweisung des Staatsrates über die einstweilige Ergänzung der bestehenden Gemeindevertretungen (2 Seiten). Gesetz vom … über die Weinsteuer (11½ Seiten, gedruckt). Gesetz vom … betreffend die Biersteuer (3 Seiten, gedruckt). Gesetz vom … betreffend die Besteuerung von Mineralwässern und künstlich bereiteten Getränken (4½ Seiten, gedruckt). Gesetz vom … betreffend die Branntweinbesteuerung (2 Seiten, gedruckt). Gesetz vom … betreffend die Schaumweinsteuer (2½ Seiten, gedruckt). Dem Protokoll liegen keine Materialien aus dem Einlauf bei. Vgl. dazu SRP Nr. 35 vom 16. November 1918.
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Hinsichtlich des zweiten Entwurfes, betreffend Arbeitslosen-Unterstützung, wurde nur verlangt, daß die Vollzugsanweisung vom Staatsamt für soziale Fürsorge hinausgegeben wird. Ich habe veranlaßt, daß die Paragraphen, die in der seinerzeitigen Vollzugsanweisung enthalten waren, in diesen Entwurf aufgenommen werden. Der Staatssekretär unterbreitet drei Anträge10, die folgendermaßen lauten: 1.) „Der dem Staatsrat unterbreitete Entwurf einer Vollzugsanweisung, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen in der Land- und Forstwirtschaft, wird genehmigt und der Staatssekretär für Landwirtschaft ermächtigt, das weitere Erforderliche sofort zu veranlassen.“11 2.) „Der dem Staatsrat unterbreitete Entwurf einer Vollzugsanweisung, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit, wird genehmigt und der Staatssekretär für Landwirtschaft ermächtigt, das weitere Erforderliche zu veranlassen.“12 3.) „Der Staatssekretär der Finanzen wird beauftragt, dem Staatsamt für Landwirtschaft zur Durchführung der Vollzugsanweisung, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit, einen Kredit von 500.000 K sogleich zur Verfügung zu stellen.“13 Diese A n t r ä g e werden z u m B e s c h l u ß e r h o b e n.14 Beilage I–III: Auszug aus den Beschlüssen des Staatsrates (1 Seite). Der Auszug enthält die im Protokolltext angeführten Anträge. 11 Beilage 37/I–III/a: StALF, Vollzugsanweisungsentwurf (4½ Seiten). Die Vollzugsanweisung berechtigte vor der Einrückung in den Militärdienst nicht krankenversicherte Bedienstete land- oder forstwirtschaftlicher Betriebe zum Bezug von Arbeitslosenunterstützung und Familienzulagen. Mit der Vollzugsanweisung sollten die Höhe der Bezüge, der Modus der Antragstellung und die Verpflichtungen für die Bezieher geregelt werden. Als ausführende Stellen wurden die Bezirksarbeitsbeiräte eingesetzt. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 73, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 18. November 1918, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen in der Land- und Forstwirtschaft, ausgegeben am 4. Dezember 1918, überein. 12 Beilage 37/I–III/b: StALF, Vollzugsanweisungsentwurf (6 Seiten). Durch die Vollzugsanweisung sollten Organisationseinheiten zur Fürsorge für land- und forstwirtschaftliche Arbeiter errichtet und deren Zusammensetzung und Wirkungskreis definiert werden. Konkret handelte es sich dabei um die landwirtschaftlichen Bezirksarbeitsbeiräte, die landwirtschaftlichen Gemeindearbeitsbeiräte, die landwirtschaftlichen Landesarbeitsbeiräte, die landwirtschaftlichen Abteilungen der Landesstellen für Arbeitsvermittlung, die Hauptstelle für Landarbeit und die ihr untergeordnete Landarbeiterzentrale sowie um einen Beirat beim deutschösterreichischen Staatsamte für Landwirtschaft – Hauptstelle für Landarbeit. Der Entwurf stimmt zur Gänze mit StGBl. Nr. 72, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 18. November 1918, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit, ausgegeben am 4. Dezember 1918, überein. 13 Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. Er findet sich lediglich im Auszug aus den Beschlüssen des Staatsrates. Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes zur Gänze überein. 14 Das Staatsamt für Landwirtschaft setzte in weiterer Folge für den 22. November 1918 eine Versammlung zur Besprechung der Materie an. Ebenfalls am 22. November ersuchte das Staatsamt für Finanzen das Staatsamt für Landwirtschaft um „eheste Mitteilungen im Gegenstande“, da die Materie auch staatsfinanzielle Fragen berühre. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.533/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918, nachmittags. Das Staatsamt für Finanzen wurde jedoch erst am Tag der Versammlung darüber in Kenntnis gesetzt, daß der Staatsrat die Vollzugsanweisungen bereits beschlossen hatte. Dies erschwerte in der Folge die Verhandlungen da nun nur mehr Durchführungsmaßnahmen und nähere Erläuterungen geändert werden konnten. Die vom Staatsamt für Finanzen verlangten Änderungen wurden daraufhin in die Anleitung zur Durchführung der verhandelten Vollzugsanweisungen eingearbeitet. Zur detaillierten Übersicht vgl. das Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.834/1918 sowie Zl. 2.532/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 16. November 1918, nachmittags und Zl. 4.533/1918, Schreiben des Staatsamtes für Landwirtschaft, betreffend die 10
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Die Punkte 3, 4, 5 u. 6 der Tagesordnung werden mit Rücksicht darauf, daß der Staatssekretär für Finanzen den vormittägigen Beratungen nicht beiwohnen kann, auf die Tagesordnung der nachmittägigen Sitzung gesetzt.15 F i n k erbittet die Genehmigung des Staatsrates, Bevollmächtigte der Vorarlberger Landesregierung nach Brünn zu entsenden, um mit der czechoslovakischen Regierung Verhandlungen über den Bezug von Kartoffeln für das Land Vorarlberg zu pflegen; als Kompensation soll seitens Vorarlberg Zugvieh geliefert werden, womit sich die czechische Gesandtschaft bereits einverstanden erklärt habe.16 D i n g h o f e r: Diese Angelegenheit ist bereits den Sekretariaten für Landwirtschaft und Volksernährung zugewiesen, Berichte hierüber sind aber noch ausständig. Um 12 Uhr sind immer Vertreter der einzelnen Staatssekretariate anwesend und es wäre vielleicht gut, wenn Sie mit den Sekretariaten für Landwirtschaft und Volksernährung ein sofortiges Einvernehmen pflegen, damit diese Angelegenheit einer endgiltigen Erledigung zugeführt werden kann. A b r a m: Die Vorsicht, im Einvernehmen mit dem Staatsrat zu handeln, die H. Staatsrat Fink übt, ist leider in Tirol zu vermissen. Der H. Staatskanzler hat einmal erklärt, die Nationalversammlung werde sich durch Regierungskommissäre bei den Landesversammlungen vertreten lassen.17 Ich frage den Herrn Staatskanzler, ob es nicht ein dringendes Erfordernis ist, daß wir die Wahl eines Regierungskommissärs mit 2 Beigeordneten für Bozen sofort vornehmen, damit dieser Regierungskommissär mit dem italienischen Armeeoberkommando in direkte Verhandlungen treten und vielleicht wesentliche Milderungen der Bedingungen für das besetzte Deutsch-Südtirol erreichen kann.18 Es scheint mir auch unbedingt notwendig,
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Durchführung der Arbeitslosenunterstützung in der Land- und Forstwirtschaft. Zur Vergabe des Kredits vgl. auch Zl. 2.768/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918. Zu den Tagesordnungspunkten 4, 5 und 6 vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. Vgl. weiters SRP Nr. 45 vom 25. November 1918. Betreffend Punkt 3 der Tagesordnung legte Staatsrat Licht in der 38. Sitzung des Staatsrates vom 19. November 1918 einen Gesetzentwurf über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 vor. Staatsrat Jodok Fink entsprach mit seinem Antrag einem Beschluß des Staatsrates, der ausschließlich das Staatsamt für Volksernährung ermächtigte auf Kompensationen beruhende Abmachungen über Ernährungsangelegenheiten mit anderen Staaten zu treffen, und jede Stelle, der sich eine Gelegenheit zu einem Kompensationsgeschäft bot, verpflichtete, diese dem Staatsamt für Volksernährung zur Kenntnis zu bringen. Dieser Staatsratsbeschluß beruhte auf einem Kabinettsratsbeschluß, „demzufolge von Landesverwaltungen, Gemeinden und Privaten ohne Zustimmung der Zentralstellen keinerlei Sonderverhandlungen mit fremden Staaten wegen Lieferung von Lebensmittel gegen Kompensationen geführt werden dürfen.“ Vgl. dazu SRP Nr. 29 vom 11. November 1918 vormittags sowie KRP Nr. 7/10 vom 10. November 1918. Zur Frage der Berufung von Regierungsbeauftragten in die Landesregierungen vgl. KRP Nr. 15 vom 23. November 1918. Nach den Bedingungen des am 26. April 1915 zwischen Italien und den Ententeländern Frankreich, Großbritannien, Rußland und Frankreich abgeschlossenen, geheimen Londoner Vertrages sollte Italien als Gegenleistung für den Kriegseintritt auf Seiten der Entente Tirol südlich des Brenners erhalten. Einen Tag nach Abschluß des Waffenstillstandes von Villa Giusti (3. November 1918) begannen italienische Truppen mit der Besetzung Südtirols, die am 10. November durch die Erreichung des Brennerpasses abgeschlossen war. In Südtirol wurde eine Militärregierung eingesetzt, deren Politik im Allgemeinen zwar als relativ liberal eingeschätzt wird, die aber dennoch Maßnahmen zur Isolierung und Italienisierung Südtirols setzte. Die Bevölkerung verweigerte zudem aus Protest häufig die Kooperation mit den Verwaltungsbehörden, was unter anderem zu Notlagen in der Lebensmittelversorgung führte. Vgl. Rolf Steininger, 1918/1919: Die Teilung Tirols. Wie das Südtirolproblem entstand, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 103–119, hier S. 103–105; ders., Südtirol, Innsbruck/Wien 1999, S. 9–11; Thomas Michael Lintner, Die Tiroler Frage 1918/19 zwischen Waffenstillstand 1918 und Friedensvertrag von
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einen Deutschtiroler Sozialdemokraten als Beigeordneten zu bestimmen, weil die Deutschtiroler Sozialdemokratie seit jeher die Autonomie des Trentino anerkannt und auch in der Hochschulfrage einen den Kulturbedürfnissen der Italiener Rechnung tragenden Standpunkt eingenommen hat. R e n n e r: Es ist sicher, daß die republikanische Freiheit und Selbstverwaltung nur dann mit Erfolg gehandhabt werden können, wenn jeder, der im Genuß der Freiheit ist, sich selbst die notwendige Disziplin auferlegt. Einzelne Landesregierungen und innerhalb dieser auch einzelne Unterorgane tun aber, was sie wollen. Was nun unsere Mittel betrifft, ein Einvernehmen zwischen Zentralregierung und Landesregierungen zu pflegen, so hat leider der Ausschuß, der die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern beraten hat, das Institut der Regierungsbeauftragten bei den Landesregierungen gestrichen.19 Das ergibt für uns eine große Schwierigkeit, ich glaube aber, daß wir trotzdem die Machtvollkommenheit haben, Beauftragte zu den Landesregierungen zu schicken. Jedenfalls würde ein diesbezüglicher Staatsratsbeschluß volle Rechtsgültigkeit haben. Ich bitte um Annahme eines A n t r a g s, welcher sagt: „Die Staatsregierung ist ermächtigt, zu jeder Landesregierung einen Beauftragten zu entsenden, der die Aufgabe hat, das Einvernehmen der Zentralregierung mit den Landesregierungen herzustellen und der das Recht hat, gegen Verfügungen, außer wenn diese keinen Aufschub zulassen, Vorstellung zu erheben, worauf diese Verfügung zu unterbleiben hat, bis der Staatsrat selbst seine Weisungen gegeben hat.“ Was Südtirol anbelangt, stelle ich folgenden Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Das Staatsamt des Äußern wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Heeresamt bei jedem größeren Armeeteil der feindlichen Macht einen Militärbevollmächtigten zu bestellen, dem nach Bedarf Zivilbevollmächtigte beigegeben werden können, die die österreichische Staatsregierung entsendet.“ E l l e n b o g e n: Das Selbstbestimmungsrecht kann doch nicht so aufgefaßt werden, daß ein Teil eines Volksganzen mit sich tut, was es will, sondern es gibt nur das Selbstbestimmungsrecht eines Volksganzen. Tirol ändert aber seine Auffassung von Tag zu Tag. Ich glaube, diesem Übelstande wäre am besten in der Weise abzuhelfen, daß man die ganze Kronlandsverfassung abschafft, die schon seit Jahrzehnten in Österreich vielfach als Übelstand betrachtet wurde. Wir Sozialdemokraten sind seit Jahren für eine Kreisverfassung eingetreten und ein großer Teil auch der bürgerlichen Parteien hat sich mit diesem Gedanken als einer viel strafferen Zusammenfassung Deutschösterreichs schon befreundet.20 St. Germain 1919 unter spezieller Berücksichtigung der Erinnerungskultur von 1920 bis 2010, phil. Diss., Innsbruck 2016, S. 54–58; Michael Gehler, Tirol im 20. Jahrhundert. Vom Kronland zur Europaregion, Innsbruck/Wien 2008, S. 93–97; Hanns Haas, Südtirol 1919, in: Anton Pelinka/Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur Neueren Geschichte Tirols. Band 2. Zeitgeschichte. 1. Teil. Politische Geschichte, Innsbruck 1993, S. 95–130, hier S. 95–101; Karl Stuhlpfarrer, Südtirol 1919, in: Isabella Ackerl/Rudolf Neck (Hg.), Saint Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 30. Mai 1979 in Wien (= Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich. Veröffentlichungen Nr. 11), Wien 1989, S. 54–78, hier S. 54–60. 19 Zu den zukünftigen Aufgaben der Regierungsbeauftragten vgl. die „Leitsätze über die Aufgaben des Regierungsbeauftragten bei den Landesregierungen und bei der Stadt Wien“ in AVA, Nachlaß Renner E/1731: 295. 20 Die Einteilung und Administration des Staatsgebietes der Monarchie beruhte seit der Februarverfassung von 1861 auf einer dualen Struktur, die aus einem zentralen, obrigkeitsstaatlich orientierten und einem lokal ausgerichteten Strang bestand. Diese Struktur blieb im Wesentlichen bis zum Ende der Monarchie aufrecht. Das Problem der Doppelgleisigkeit der Verwaltung war dabei bereits in der Monarchie erkannt und diskutiert worden. Die Forderung nach einer Kreisverfassung zählte zu den Reformvorstellungen aller politischen Lager des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Zur Entwicklung entsprechender Ansätze in Böhmen hält Klabouch zusammenfaßend fest: „Die konservativen
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Ich stelle den Antrag: „Die Staatskanzlei wird aufgefordert, dem Staatsrat den Entwurf einer Kreisverfassung auszuarbeiten.“21 R e n n e r: Die Staatskanzlei kann diesen Auftrag jetzt unmöglich ausführen, da sie mit Aufbietung aller Kräfte an der Fertigstellung des Wahlgesetzes und der Wahlordnung für die Konstituierende Nationalversammlung arbeitet.22 F i n k: Gegen den Antrag des Herrn Staatskanzlers, betreffend die Entsendung von Regierungsbeauftragten, habe ich nichts einzuwenden, insbesondere wenn diesen Organen eingeschärft wird, daß sie in entsprechender Weise zu amtieren haben. Mit dem Antrag des Kollegen Ellenbogen, betreffend die Ausarbeitung einer Kreisverfassung, kann ich mich nicht einverstanden erklären. Wenn der Herr Kollege Dr. Ellenbogen seinen Antrag aufrechterhält, ergänze ich ihn dahin, daß auch ein Rahmengesetz für die Landes-, Bezirks- und Gemeindeverordnungen geschaffen werde. Vorschläge bezweckten die Vorherrschaft des örtlichen Adels. Die deutschliberalen, die des zentralistischen Bürgertums.“ Die Sozialdemokratie forderte die Unterstellung der Bezirksverwaltung unter die Kontrolle eines frei gewählten, lokalen Selbstverwaltungskörpers. Die Bezirkshauptmannschaft sollte durch den Zusammenschluß der Gebietsgemeinden zu frei gewählten Bezirks- oder Kreisvertretungen, denen die Verwaltungsbehörden unterstellt wären, ersetzt werden. Damit wäre die Lücke zwischen den selbstverwalteten Gemeinden auf unterster Ebene und den Ländern geschlossen und ein pyramidenförmiger Aufbau der Selbstverwaltungsorgane erreicht worden. Vgl. Otto Bauer, Die österreichische Revolution, Wien 1923, S. 222; Gertrude Enderle-Burcel, Denn Herrschaft ist im Alltag primär: Verwaltung. Verwaltung im Ausnahmezustand – die Wiener Zentralbürokratie im Ersten Weltkrieg, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, S. 274–284, hier S. 279–282; Ernst C. Hellbling, Die Landesverwaltung in Cisleithanien, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band II: Verwaltung und Rechtswesen, Wien 1975, S. 190–270, hier S. 262–269; Rudolf Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, Wien/Köln/Weimar 1996, S. 310–312, S. 360–362, S. 373–375 und S. 398 f; Jiří Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich. 1848–1918, Wien 1968, S. 157–165; Joseph Redlich, Österreichische Regierung und Verwaltung im Weltkriege, Wien/New Haven 1925, S. 19–38. 21 Beilage 37/VI: Antrag Ellenbogen (1 Seite, handschriftlich). Im Original ursprünglich: Die Staatskanzlei wird aufgefordert, mit möglichster Beschleunigung dem Staatsrat den Entwurf einer Kreisverfassung vorzulegen. Er enthält weiters folgende Notiz: „Der Antrag wurde der Staatskanzlei zur Erwägung zugewiesen“. Die geänderte Fassung des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI. Die Staatskanzlei sah die Frage der Kreisverfassung im engen Zusammenhang mit der Reform der Verwaltung und der Verfassung, die wiederum „aufs Engste von der Form, in der sich der Anschluss an das deutsche Reich vollziehen wird, abhängig“ sei. Im Rahmen der Arbeiten an der allgemeinen Verfassung und Verwaltung käme „von selbst auch das Kreisproblem zur Erörterung.“ Die Ausarbeitung einer Kreisverfassung wurde von der Staatskanzlei dementsprechend nicht weiter verfolgt. Vgl. AdR, StK, GZl. 465/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 37. Sitzung des Staatsrates vom 19. November 1918. Laut § 11 des Gesetzes, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern (StGBl. Nr. 24/1918) war die Reform der Bezirksverwaltung einer gesondert zu erlassenden „Kreis- Bezirks- und Gemeindeordnung für Deutschösterreich“ vorbehalten. Als eine erste, kurzfristig durchzuführende Maßnahme zur Demokratisierung und „zur Stärkung ihrer Autorität“ sollte den Bezirkshauptmannschaften auf Anregung Renners „eine aus drei Persönlichkeiten (Bürger, Bauer und Arbeiter) bestehende Kommission beigegeben“ werden. Vgl. dazu KRP Nr. 16/2 vom 26. November 1918. Vgl. auch SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 sowie Nr. 40 vom 20. November 1918; weiters auch Reinhard Owerdieck, Parteien und Verfassungsfrage in Österreich. Die Entstehung des Verfassungsprovisoriums der Ersten Republik 1918–1920, Wien 1987, S. 114. 22 Vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 43 vom 23. November 1918, Nr. 46 vom 26. November 1918, Nr. 51/7 vom 30. November 1918, Nr. 53/2 vom 3. Dezember 1918. Zur Hauptwahl behörde vgl. Nr. 56/5 vom 9. Dezember 1918.
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Ich möchte auf den Hauptpunkt zurückkommen, daß nämlich die einzelnen Länder nicht selbständig vorgehen dürfen. Vorarlberg ist gezwungen gewesen, mit der Schweiz wegen Lebensmittellieferung zu verhandeln23, weil das Land weder von Deutschland noch von Wien Zuschübe bekommen hat. Wir haben auch den Erfolg gehabt, daß man uns 5 Waggons Mehl zur Verfügung gestellt hat. Die Finanzwachleute haben aber das Mehl nicht hineingelassen, weil keine Einfuhrbewilligung vorhanden war.24 Ich ersuche daher den Staatsrat, uns zu erlauben, von der Schweiz und den Ententeländern Lebensmittel in größtmöglicher Menge zu beziehen. Wir bekommen aber z. B. Mehl nur zum ungefähr dreifachen Preise wie in Österreich. Ich halte eine gleichmäßige Aufteilung dieser Überpreise auf die einzelnen Länder nur für recht u. billig. Ich erlaube mir, folgende Anträge zu stellen: 1.) „Der Staatsrat wolle beschließen: Der Staatsrat beauftragt die in Betracht kommenden Ämter, sofort zu verfügen, daß die Einfuhr von Lebensmitteln aus der Schweiz nach Deutschösterreich ohne jede Einschränkung gestattet sei.“25 2.) „Der Staatsrat wolle beschließen: Das Staatsamt des Äußern wird beauftragt, mit den Regierungen der Ententeländer in sofortige Verbindung zu treten und sie dringend um Einflußnahme zu ersuchen, daß die čechoslovakische Republik der deutschösterreichischen Republik Nahrungsmittel, insbesondere Zucker, Kartoffel und Getreide, ferner Kohle zukommen lasse.“26 Zu den Verhandlungen Vorarlbergs und Tirols mit der Schweiz vgl. den Bericht der k.u.k. österr.-ungar. Gesandtschaft in der Schweiz vom 18. November 1918 über die Vorsprache einer Tiroler und Vorarlberger Abordnung beim Schweizer Bundesrat, dem auch ein diesbezüglicher Artikel und ein Interview aus der Schweizer Tageszeitung „Der Bund“ beiliegen in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/7, Fasz. Ernährungsfrage in Deutsch-Österreich, Zl. 426/1918. Der Schweizer Bundesrat diskutierte die Frage der Lebensmittelversorgung Vorarlbergs am 15. November 1918 und beschloß wegen Zustimmung der Entente in der französischen Botschaft vorzusprechen. Vgl. CONSEIL FÉDÉRAL, No 16, Procès-verbal de la séance du 15 novembre 1918, 3.408. Lebensmittelversorgung des Vorarlberg, in: Diplomatic Documents of Switzerland, 1848 ff., Online Database Dodis: http://dodis.ch/43757, abgerufen am 24. Mai 2019. 24 Am 18. November 1918 erhielt der Schweizer Bundesrat einen Bericht der Direktion des Ernährungsamtes, in welchem in Bezug auf die Lebensmittelhilfe für Vorarlberg festgehalten wurde, daß „die Aktion eingeleitet und im Gange“ sei. Vgl. CONSEIL FÉDÉRAL, No 18, Décision présidentielle du 18 novembre 1918, 3.418. Versorgung von Vorarlberg und Tirol, in: Diplomatic Documents of Switzerland, 1848 ff., Online Database Dodis: http://dodis.ch/43763, abgerufen am 24. Mai 2019. 25 Beilage 37/VII: Antrag Fink (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VII. In weiterer Folge wurden die Zollämter instruiert, Lebensmittel mit Ausnahme von Luxuswaren und Getränken ohne besondere Bewilligung zur Einfuhr zuzulassen. Vgl. dazu AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.031/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918. Der Staatssekretär für Volksernährung, Dr. Johann Loewenfeld-Ruß, legte gegen diesen Beschluß Protest ein. Vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. Vgl. dazu auch das Stenogramm zu KRP Nr. 14 vom 21. November 1918. 26 Beilage 37/VIII: Antrag Fink (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII. Der Staatssekretär für öffentliche Arbeiten, Johann Zerdik, formulierte ein entsprechendes Ansuchen mit der „dringendste(n) Bitte, auf den Nationalausschuß des Czecho-slovakischen Staates Einfluß zu üben, daß die Ausfuhr der Ostrauer Kohle unter Beistellung der erforderlichen Transportmittel gestattet und die Durchfuhr anderer Kohle unbeschränkt zugelassen werde.“. Dieses Telegramm wurde vom Staatsamt für Äußeres über die österreichisch-ungarische Botschaft in Bern an die EntenteStaaten weitergeleitet und in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Vgl. Wiener Zeitung, 19. November 1918, S. 5 f. „Meldungen des Telegraphen-Korrespondenz-Bureaus. Deutschösterreich“, hier S. 6. Die Frage der Versorgung Deutschösterreichs wurde in weiterer Folge in Paris und London gegenüber den Vertretern des tschechoslowakischen Staates zur Sprache gebracht, wobei das Staatsamt für Äußeres 23
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R e n n e r: Wir werden ja beschließen, diese Anträge den betreffenden Staatsämtern zuzuweisen. Ich möchte aber den Herrn Staatsrat Fink bitten, sich mit Vertretern der Staatsämter für Ernährung, Finanzen und Übergangswirtschaft, die ich sofort telephonisch berufen lassen werde, zusammenzusetzen und die notwendigen Verfügungen zu beraten. In formeller Beziehung beantrage ich, die Anträge Fink den zuständigen Staatsämtern zuzuweisen. B a e c h l é: Ich sehe ein, daß man mit den Ländern Verbindungen haben muß, glaube aber nicht, daß diese Regierungsbeauftragten vom Staatsrate zu entsenden sind, weil sie in den etwas oppositionellen Ländern als Fremdkörper empfunden und zu Sitzungen gar nicht zugelassen würden. S c h o e p f e r: Ich habe nichts dagegen einzuwenden, daß Regierungsvertreter in die Länder geschickt werden. Die Länder sind bisher auf sich selbst angewiesen gewesen und daher rühren auch manche Mißgriffe. Was den Vorwurf des Kollegen Abram bezüglich der Sonderhaltung Tirols anbelangt, ist die Nationalversammlung dabei nicht ohne Schuld, denn in Tirol hat man allgemein die Überzeugung, daß der Beschluß des Anschlusses an die deutsche Republik Südtirol preisgegeben hat. Diese Auffassung wird auch durch Äußerungen der deutschen Regierung unterstützt. Aus dieser Stimmung in Tirol sind die Sonderbestrebungen erklärlich.27 Der Herr Staatskanzler meint, man soll zu jedem größeren Kommando einen Vertreter schicken. Ich glaube, es würde genügen, wenn zum Oberkommando in Meran ein mili tärischer, politischer und ziviler Vertreter geschickt würde; eine rein militärische Vertretung bemerkte, daß es „bei den ohnedies nicht glänzenden Ernährungsverhältnissen Böhmens nicht tunlich“ erschien, in Bezug auf die Lieferung von Kartoffeln und Getreide zu intervenieren. Vgl. dazu das Schreiben des Staatsamtes für Äußeres an die Staatskanzlei vom 2. Jänner 1919 in AdR, StK, GZl. 108/1/1918, Zl. 108/1918 und das darin einliegende weitere Aktenmaterial. Die Kohlen- und Zuckerlieferungen aus der Tschechoslowakei liefen bis zum Abschluß des Friedensvertrages von St. Germain insgesamt aber schleppend. Zu den Kohleverhandlungen mit der Tschechoslowakei vgl. den Bericht des Staatssekretärs Zerdik in SRP Nr. 33 vom 14. November 1918 sowie Nr. 54 vom 6. Dezember 1918, Nr. 56/6 vom 9. Dezember 1918 und Nr. 58/IIId vom 13. Dezember 1918, weiters KRP Nr. 3/3 vom 4. November 1918, Nr. 9/2 vom 12. November 1918, Nr. 13/4 vom 18. November 1918, Nr. 21/1 vom 6. Dezember 1918, Nr. 23/4 vom 14. Dezember 1918, Nr. 24/5 vom 17. Dezember 1918 und Nr. 34/4 vom 28. Januar 1919 sowie das Material in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. 643/10/1918. Insbesondere zur Frage der Ostrauer Kohle vgl. SRP Nr. 51/5 vom 30. November 1918. Zur Lieferung von Zucker und anderen Nahrungsmitteln aus der Tschechoslowakei vgl. ebenfalls KRP Nr. 13/4 vom 18. November 1918 sowie Nr. 31/4 vom 14. Januar 1919. Zum Stand der Versorgung mit Kohle und Lebensmitteln Anfang Dezember 1918 vgl. auch die Regierungsberichte der Staats sekretäre Loewenfeld-Ruß und Zerdik in der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918. Vgl. weiters Gertrude Enderle-Burcel/Eduard Kubů, „Handelsbeziehungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit“, in: Alice Teichova/Herbert Matis (Hg.) Österreich und die Tschechoslowakei 1918–1938. Die wirtschaftliche Neuordnung in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit, Wien 1996, S. 113–130, hier S. 113 f; Jürgen Nautz, Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit. 1918 bis 1923. Die Handelsvertragsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten, Wien/Köln/Graz 1994, S. 382–385; Hans Loewenfeld-Russ, Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920. Herausgegeben und bearbeitet von Isabella Ackerl, Wien 1986, S. 197–206. 27 Auch im Hinblick auf die Auswirkung der Anschlußbestimmung auf die Südtiroler Frage hatte der Tiroler Nationalrat nicht ausdrücklich den Beitritt zum Staat Deutschösterreich erklärt. Vgl. Klaus Berchtold, Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. Band I: 1918–1933, Wien/New York 1998, S. 48; Hermann J.W. Kuprian, Tirol und die Anschlußfrage 1918–1921, in: Thomas Albrich/Klaus Eisterer/Rolf Steininger (Hg.), Tirol und der Anschluß. Voraussetzungen, Entwicklungen, Rahmenbedingungen 1918–1938, Innsbruck 1988, S. 43–75.
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würde die in Tirol gegen die Militärwirtschaft herrschende Mißstimmung noch vergrößern. S y l v e s t e r: Die Alpenländer sind in der Frage der Autonomie sehr empfindlich. Es müssen daher als Vertreter der Regierung Persönlichkeiten gewählt werden, die nicht schroff auftreten. R e n n e r: Samstag wird eine Aussprache der Landeshauptleute mit dem Kabinettsrat stattfinden, wo auch diese Frage besprochen werden kann.28 D i n g h o f e r: Es liegen folgende Anträge vor: Erster Antrag29 Renner: „Die Staatsregierung wird ermächtigt, zu jeder Landesregierung Beauftragte zu entsenden, die die Aufgabe haben, das Einvernehmen der Zentralregierung mit den Landesregierungen herzustellen, ferner das Recht haben, gegen Verfügungen, außer wenn sie keinen Aufschub zulassen, Vorstellungen zu erheben, welchen bis zur Entscheidung durch den Staatsrat aufschiebende Kraft zukommt.“ Ich erlaube mir, diesen A n t r a g in der Richtung zu e r g ä n z e n, daß für notwendig erachtet wird, mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit der einzelnen Länder auf ihre Autonomie eine erläuternde Aufklärung beizugeben, worin der Staatsrat zum Ausdrucke bringt, daß er die Autonomie durchaus nicht angreifen will, andererseits aber aus praktischen Gründen es für notwendig erachtet, derartige Verbindungen herzustellen. Der zweite Antrag30 Renner lautet: „Das Staatsamt für Äußeres wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen bei jedem größeren Kommando der feindlichen Macht auf unserem Staatsgebiete einen Bevollmächtigten zu bestellen, welchem nach Bedarf von der deutschösterreichischen Regierung ernannte Zivilbevollmächtigte beigegeben werden.“ Ferner liegt ein Antrag Ellenbogen vor: „Die Staatskanzlei wird aufgefordert, dem Staatsrat den Entwurf einer Kreisverfassung auszuarbeiten.“ Dieser Antrag ist dadurch abgeschwächt, daß ein formeller Antrag dahingehend vorliegt, daß dieser Antrag der Staatskanzlei zur Erwägung zugewiesen werde. Es liegen weiters zwei A n t r ä g e F i n k vor, die die Herren kennen. Auch hier besteht eine Abschwächung in der Richtung, daß beantragt wird, diese Anträge in formeller Hinsicht dem Staatskanzler zur Herstellung des Einvernehmens mit einzelnen Ressortchefs zu überweisen. Diese A n t r ä g e werden a n g e n o m m e n mit dem zum zweiten Antrag Renner gestellten Zusatzantrag, daß bei der am Samstag mit den Landeshauptleuten stattfindenden Konferenz der betreffende Gegenstand zur Besprechung gelangt.31 An der 15. Sitzung des Kabinettsrates nahmen Vertreter aller Landesregierungen sowie der Wiener Bürgermeister teil. Einziger Tagesordnungspunkt war die „Sicherstellung der einheitlichen Zusammenarbeit der Staatsregierung mit den Landesbehörden in administrativen Belangen“. Vgl. KRP Nr. 15 vom 23. November 1918. 29 Beilage 37/IV: Antrag der Staatskanzlei (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 30 Vgl. dazu weiters die undatierten „Leitsätze über die Aufgaben des Regierungsbeauftragten bei den Landesregierungen und bei der Stadt Wien“ in AVA, Nachlaß Renner E/1731: 295. Beilage 37/V: Antrag der Staatskanzlei (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.040/1918, Entsendung von Bevollmächtigten zum Höchstkommando der Engländer und Italiener in Innsbruck. 31 Auf der 1. Länderkonferenz vom 23. November 1918 wurde die Frage der Entsendung von Regierungsbeauftragten in die Landesregierungen unter dem Themengebiet „Besondere Hilfsmittel zur Vereinheitlichung des Dienstes (Berufung von Regierungsbeauftragten bei den Landesregierungen und 28
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R e n n e r teilt mit, daß in der Sitzung des Kabinettsrates vom vorigen Samstag der Staatssekretär Loewenfeld gemeldet habe, der ungarische Staatssekretär des Äußern Diner-Denes32 habe erklärt, daß die ungarische Regierung bereit sei, Lebensmittel gegen Kompensationen zu liefern, es sei aber ihr ausdrücklicher Wunsch, daß den diesbezüglichen Verhandlungen Dr. Josef Krantz33 beigezogen werde.34 Mit Rücksicht auf den seinerzeit gegen Dr. Krantz abgeführten Prozeß35 sei es schwierig, eine solche Persönlichkeit mit diesen Verhandlungen zu betrauen, da zweifellos in der Presse heftige Angriffe erfolgen dürften. Wenn aber die ungarische Regierung darauf bestehe, sei eben nichts anderes zu machen.36 Redner schlägt vor, dem Dr. Krantz folgendes Schreiben37 zu übergeben: „Über ausdrücklichen Wunsch der ungarischen Regierung werden Sie ermächtigt, mit dieser Regierung im Auftrage der deutschösterreichischen Staatsregierung über die Lieferung von Lebensmitteln und Bedarfsgütern sowie über dagegen zu leistende Kompensationen Verhandlungen zu führen. Die jeweiligen Ergebnisse dieser Verhandlungen werden dem Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft sowie dem Staatsamt für Volksernährung zur Entscheidung vorzulegen sein.“ F i n k beantragt die Worte „in ständigem Einvernehmen mit dem Ernährungsamte“ einzufügen.
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ihre dienstlichen Aufgaben, ihre dienstliche Stellung)“ beraten. Renners vorliegender zweiter Antrag wurde nicht behandelt. Vgl. dazu KRP Nr. 15 vom 23. November 1918. Die Staatskanzlei forderte das Staatsamt für Inneres in weiterer Folge auf, Dienstanweisungen „über die Stellung und die Dienstesobliegenheiten des Landesamtsdirektors (Landesverwesers)“, „über die dem Landeshauptmanne zur persönlichen Erledigung vorbehaltenen Angelegenheiten“ und „über den Wirkungskreis der zu den Landesregierungen entsendeten oder zu entsendenden Regierungsbeauftragten“ auszuarbeiten. Zur Behandlung dieser Frage fand am 17. Dezember 1918 eine Sitzung statt, die jedoch ergebnislos blieb, wobei die Dienstanweisung, betreffend die Regierungsbeauftragten als „überhaupt gegenstandlos“ betrachtet wurde. Vgl. dazu die Einladung des Staatsamtes für Inneres vom 11. Dezember 1918 und den handschriftlichen Vermerk vom 25. Mai 1919 über den Verlauf der Sitzung in AdR, StK, GZl. 1.108/1919, Zl. 1.154/1918. Unter dieser Grundzahl findet sich zudem umfangreiches Material zu den Dienstanweisungen für die Landeshauptmänner und Landesamtsdirektoren. Josef Diner-Dénes, sozialdemokratisch ausgerichteter Journalist und Soziologe, Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen, November 1918 bis 1919 ungarischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, lebte danach in Berlin und Paris. Dr. Josef Kranz, Präsident der Spirituszentrale, nach 1918 Präsident der Depositenbank, danach Tätigkeit als Anwalt. Die Datierung ist unrichtig. Die Bemerkungen des Staatssekretärs Dr. Loewenfeld-Ruß fielen in der 11. Sitzung des Kabinettsrates vom 15. November 1918. Sie sind enthalten im Stenogramm zu Punkt 4 der Tagesordnung. Gemeint ist hier der aufsehenerregende Prozeß, der im Jahr 1917 gegen Kranz und einige Mitangeklagte wegen Preistreiberei geführt wurde und mit dessen Verurteilung zu neun Monaten strengen Arrests und einer Geldstrafe von 20.000 Kronen endete. Kranz hatte Teile von Heereslieferungen zurückgehalten und mit Preisaufschlägen verkauft. Vgl. Dieter Stiefel, Camillo Castiglioni oder die Metaphysik der Haifische, Wien/Köln/Weimar 2012, S. 53–55; Carl Colbert, Der Preistreibereiprozess gegen Dr. Josef Kranz, gewesenen Präsidenten der Allgemeinen Depositenbank in Wien. Mit einem Vorwort und Bericht über die Vorgeschichte des Straffalles, Wien 1917. Aus diesem Grund war Kranz sowohl an den Lebensmittelverhandlungen mit Ungarn als auch mit der Tschechoslowakei in „geheimem Auftrag“ beteiligt. Vgl. dazu Renners Äußerungen im Stenogramm zu Punkt 4 der Tagesordnung der 11. Sitzung des Kabinettsrates vom 15. November 1918, die folgendermaßen lauten: „Im Allgemeinen nicht der Meinung, dass wir Skandalblättern in unseren Handlungen nachgeben sollen. Da Kranz Vollmachten von der ungarischen und tschechoslowakischen Geschäftswelt hat, da wir unsererseits einen Bevollmächtigten in der Regierungen und Geschäftswelt nicht abweisen können {sic!}.“ Schreiben Renners (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des geheimen Nachtrages zu dieser Sitzung überein.
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Der Antrag des Vorsitzenden „der Staatsrat nimmt das Vorgehen des Staatskanzlers bezw. des Kabinetts und die Ausfertigung des vorstehenden Schriftstückes ohne Einwand zur Kenntnis“ wird angenommen. U r b a n berichtet über den gegenwärtigen Vorrat an Rotationsdruckpapier und beantragt, die vorgelegte V o l l z u g s a n w e i s u n g w e g e n R e g e l u n g d e s V e r b r a u c h e s v o n R o t a t i o n s p a p i e r zu genehmigen.38 Ohne Debatte a n g e n o m m e n. U r b a n berichtet weiter über eine zu erlassende V o l l z u g s a n w e i s u n g b e z ü g l i c h d e s Ve r k e h r s m i t c h e m i s c h e n P r o d u k t e n u n d H i l f s s t o f f e n und ersucht um deren Genehmigung.39 A n g e n o m m e n. S y l v e s t e r stellt den dringlichen Antrag40, „es sei ein Mitglied des Staatsrates zur Übernahme der deutschen Beamten des gemeinsamen Finanzministeriums und des obersten Rechnungshofes41 sowie zur Liquidierung dieser Stellen zu bestimmen.“ Beilage 37/IX: StAKÜ, Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite). Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 29, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 19. November 1918, betreffend die Regelung des Verbrauchs von Zeitungsdruckpapier, ausgegeben am 21. November 1918, überein. Durch die Vollzugsanweisung wurde die Verbrauchsmenge an Zeitungsdruckpapier für den Zeitraum zwischen 21. und 30. November 1918 auf die Hälfte der bisher bewilligten Menge herabgesetzt. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 68/1920. 39 Beilage 37/X: Staatsrat, Vollzugsanweisungsentwurf (2½ Seiten). Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 33, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 19. November 1918, betreffend die Regelung des Verkehres mit chemischen Produkten und Hilfsstoffen, ausgegeben am 22. November 1918 überein. Damit sollte die auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes (RGBl. Nr. 236/1912) bestehende Beschränkung des Verkehrs mit bestimmten chemischen Stoffen aufrecht bleiben. Die Vollzugsanweisung listete die betroffenen Stoffe auf und legte das Strafausmaß im Falle eines Verstoßes fest. 40 Beilage 37/XI: Antrag Sylvester (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XI. Das Staatsamt für Finanzen nahm diesen Beschluß zur Kenntnis, ohne eigene Verfügungen zu treffen. Vgl. dazu AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.822/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918. 41 Gemeint ist hier vermutlich der k.u.k. Gemeinsame Oberste Rechnungshof. Die Einrichtung einer Institution zur Kontrolle der staatlichen Gebarung war erstmals im Jahr 1761 durch die Gründung der Hofrechenkammer erfolgt. Die Hofrechenkammer wurde in weiterer Folge mehrfach umstrukturiert, kurzzeitig aufgelöst, im Jahr 1794 unter der Bezeichnung „Oberste Staatskontrolle“ und vor dem Ende der Monarchie zuletzt im Jahr 1866 als „Oberster Rechnungshof“ neu gegründet. Im Zuge des Ausgleichs zwischen der österreichischen und ungarischen Reichshälfte kam es im Jahr 1868 zur Errichtung eines gemeinsamen k.u.k. Obersten Rechnungshofes sowie im Jahr 1870 zur Gründung eines ungarischen Staatsrechnungshofes neben dem Obersten Rechnungshof für die cisleithanische Reichshälfte. Am 6. Februar 1919 wurde der Staatsrechnungshof für Deutschösterreich eingerichtet, der den k.k. Obersten Rechnungshof ersetzte und im Jahr 1920 in den Rechnungshof umgewandelt wurde. Der gemeinsame k.u.k. sowie der k.k. Oberste Rechnungshof blieben daneben bis zum 31. Juli 1920 in Liquidierung weiter bestehen. Vgl. Abelina Bischof, Die k.k. Oberste Finanzkontrollbehörde und ihr Personal (1761–1919), Diplomarbeit, Wien 2012, S. 28–65; Armin Lausegger, Ein Streifzug durch 250 Jahre Rechnungshof, in: Rechnungshof (Hg.), 250 Jahre. Der Rechnungshof. Unabhängig. Objektiv. Wirksam. Gestern. Heute. Morgen. Kontrolle zahlt sich aus, Wien 2011, S. 43–131, hier S. 85. Vgl. weiters SRP Nr. 61/III vom 3. Jänner 1919, Nr. 62/II vom 8. Jänner 1919, Nr. 64/II vom 10. Jänner 1919, Nr. 65/IV vom 13. Jänner 1919, Nr. 70/IV vom 29. Jänner 1919 und Nr. 72/IV vom 6. Februar 1919. 38
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Der Antrag wird ohne Debatte angenommen und über Vorschlag des Referenten hiezu Dr. W a l d n e r bestellt. [7] R e n n e r berichtet über den E n t w u r f e i n e r G e s c h ä f t s o r d n u n g f ü r d e n S t a a t s r a t.42 Die §§ 1 und 2 werden ohne Debatte angenommen. Zu § 3 beantragt S c h o e p f e r die Aufnahme einer Bestimmung, daß auch die Ersatzmitglieder des Staatsrates an den Sitzungen teilnehmen können, daß ihnen jedoch kein Stimmrecht eingeräumt wird, wenn die wirklichen Mitglieder anwesend sind. Vors. D i n g h o f e r meint, das Ersatzmitglied müsse beim Vorsitzenden angemeldet sein, wenn es mitberaten und mitstimmen wolle. R e n n e r beantragt demnach die Aufnahme eines neuen Paragraph mit nachfolgendem Wortlaut: „§ 3 a. Bei den Sitzungen des Staatsrates können auch Ersatzmitglieder anwesend sein. Sie können sich weder an der Debatte noch an der Abstimmung beteiligen. Der Eintritt der Ersatzmitglieder für ordentliche Mitglieder des Staatsrates erfolgt durch Anmeldung durch das ordentliche Mitglied beim Vorsitzenden für die laufende Sitzung. In diesem Falle haben die angemeldeten Ersatzmitglieder dieselben Rechte wie die ordentlichen Mitglieder.“ O f n e r spricht den Wunsch aus, daß Mitglieder des Staatsrates, welche an einer Ausschußberatung teilzunehmen gezwungen sind, in der Lage sein sollen, sich während dieser Zeit im Staatsrate vertreten zu lassen. M i k l a s spricht sich dagegen aus und regt an, daß die Verhandlungen der Ausschüsse der Nationalversammlung grundsätzlich am Vormittag und die Sitzungen des Staatsrates in den späteren Nachmittags- oder Abendstunden abgehalten werden sollten.43 R e n n e r bemerkt, daß mit Rücksicht auf die jetzt noch dringend notwendigen kodifikatorischen Arbeiten eine solche Einteilung noch nicht getroffen werden könnte. § 3 und 3 a44 werden angenommen. Im § 4 wird über Antrag O f n e r in der ersten Alinea45 eingeschaltet: „Außeramtliche Mitteilungen a n d i e Ö f f e n t l i c h k e i t“. Am Schluß des § 4 wird über Antrag R e n n e r angefügt: „Der Vorsitzende stellt fest, ob die Sitzung geheim oder ein Gegenstand vertraulich zu behandeln ist.“46 § 5 wird ohne Debatte angenommen. Beilage 37/XIII: Geschäftsordnungsentwurf (6 Seiten). Die Beilage entspricht, abgesehen von kleineren stilistischen Modifikationen, der überarbeiteten Variante eines vom Leiter der Kanzleigeschäfte der Staatskanzlei an das Staatsratsdirektorium zur Prüfung übermittelten Entwurfes. Dieser erste Entwurf findet sich neben der endgültigen Version der Geschäftsordnung in AdR, StK, GZl. 467/1918, Staatskanzlei, Geschäftsordnung des Staatsrates. Die vom Direktorium überarbeitete Variante ist als Anlage II in AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl.19/Dir./1918 enthalten. Weiters finden sich mit handschriftlichen Anmerkungen versehene Entwürfe in AdR, ObH, Büro Seitz, Karton X, entspricht Anlage I. Eine Rohfassung mit handschriftlichen Korrekturen findet sich in AVA, Nachlaß Renner E/1731: 295. Der Text des Entwurfes ist im Anschluß an das Beschlußprotokoll wiedergegeben. 43 Zur Festsetzung von fixen Terminen für die Staatsratssitzungen vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 48 vom 27. November 1918 vormittags. 44 Im Beschlußprotokoll und in der endgültigen Geschäftsordnung des Staatsrates wurde § 3 a als § 4 vermerkt. Die Numerierung der nachfolgenden Paragraphen änderte sich dementsprechend. Dieser Umstand wird im Beschlußprotokoll dieser Sitzung auch explizit erwähnt. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XIII. 45 Alinea: Absatz, neue Zeile. 46 In der endgültigen Version findet sich dieser Satz am Ende des zweiten Absatzes des § 5. 42
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Bei § 6 beantragt W o l f mit Rücksicht auf die Schwierigkeit der Durchführung die Streichung des zweiten und dritten Satzes.47 R e n n e r schlägt hiefür folgende Fassung vor: „Sie sind in der Regel schriftlich zu überreichen. Die Staatskanzlei stellt über Weisung des Vorsitzenden die erforderlichen Abzüge der Anträge her.“ § 6 wird in dieser Fassung angenommen.48 Die §§ 7 bis 13 werden unverändert angenommen. Bei § 14 beantragt S c h o e p f e r, statt „8 stimmberechtigte Mitglieder“ zu setzen: „10 stimmberechtigte Mitglieder“.49 S y l v e s t e r beantragt die Einschaltung der Worte: „einschließlich des Vorsitzenden“. § 14 wird mit dieser Abänderung und der Einschaltung angenommen.50 § 15 wird mit der von B o d i r s k y beantragten Einschaltung „ein Drittel der a n w e s e n d e n Staatsratsmitglieder“ angenommen.51 Im § 17 ist in der zweiten Zeile statt „vom Staatsrate“ zu setzen: „Von demselben“.52 Die übrigen Paragraphe werden unverändert angenommen. [8] Der A n t r a g d e s S t a a t s k a n z l e r s ü b e r d i e G e s c h ä f t s f ü h r u n g i n d e r S t a a t s k a n z l e i u n d i m S t a a t s s i e g e l a m t werden ohne Debatte unverändert a n g e n o m m e n53 und die Sitzung um 12 Uhr 30 Minuten unterbrochen.
Der § 6 lautet im beiliegenden Entwurf: „Anträge können von jedem Mitgliede des Staatsrates gestellt werden. Sie sind in der Regel schriftlich in 40 Abzügen zu überreichen. Die Staatskanzlei stellt über Wunsch eines Staatsrates die erforderlichen Abzüge her.“ 48 In der endgültigen Geschäftsordnung ist dies § 7. 49 Es handelte sich dabei um die für die Beschlußfähigkeit nötige Zahl anwesender Mitglieder. 50 In der endgültigen Version § 15. 51 Der § 15 des beiliegenden Entwurfes lautet: „Wenn ein Drittel der Staatsratsmitglieder es verlangt, muss eine geheime Abstimmung erfolgen.“ In der endgültigen Version § 16. 52 Der erste Absatz des § 17 des beiliegenden Entwurfes lautet: „Die Beschlüsse des Staatsrates werden von den vom Staatsrate hiezu bestellten Beamten der Staatskanzlei samt den Anträgen zu Protokoll genommen.“ In der endgültigen Version fand sich diese Bestimmung unter § 18 in der folgenden, erneut modifizierten Variante: „Die Beschlüsse des Staatsrates werden von den hiezu bestellten Beamten der Staatskanzlei samt den Anträgen zu Protokoll genommen.“ 53 Beilage 37/XIV: Antrag des Staatskanzlers (4½ Seiten). Der Antrag enthält unter der Überschrift „Organische Bestimmungen für die Einrichtung der Staatskanzlei und des Staatssiegelamtes“ eine nach Abteilungen gegliederte Aufstellung der genannten Ämter, welche Auskunft über ihre Aufgaben und Leitung gibt. Ein weiteres Exemplar findet sich als Anhang in AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl.19/Dir./1918, Amtserinnerung, Vermerk Nr. 2 über die Besprechung des geschäftsführenden Direktoriums am 17. November 1918. Eine vermutlich frühere, abweichende Variante liegt in AVA, Nachlaß Renner E/1731: 295. 47
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37 – 1918-11-19 [Beschlußprotokoll] 37. Sitzung des Staatsrates vom 19. November 1918. Vorsitzender: Dr. D i n g h o f e r. Beschlüsse:
I. Antragsteller: Staatssekretär S t ö c k l e r. Beschluß: Der dem Staatsrate unterbreitete Entwurf einer Vollzugsanweisung, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen in der Land- und Forstwirtschaft, wird genehmigt und der Staatssekretär für Landwirtschaft ermächtigt, das weiter Erforderliche zu veranlassen. (Der Wortlaut der Vollzugsanweisung ist dem Originalprotokolle angeschlossen.) An den Herrn Staatssekretär für Landwirtschaft. II. Antragsteller: Staatssekretär S t ö c k l e r. Beschluß: Der dem Staatsrate unterbreitete Entwurf einer Vollzugsanweisung, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit, wird genehmigt und der Staatssekretär für Landwirtschaft ermächtigt, das weiter Erforderliche sofort zu veranlassen. (Der Wortlaut der Vollzugsanweisung ist dem Originalprotokolle angeschlossen.) An den Herrn Staatssekretär für Landwirtschaft. III. Antragsteller: Staatssekretär S t ö c k l e r. Beschluß: Der Staatssekretär der Finanzen wird beauftragt, dem Staatsamte für Landwirtschaft zur Durchführung der Vollzugsanweisung, betreffend Maßnahmen der Arbeiterfürsorge auf dem Gebiete der Land- und Forstwirtschaft, insbesondere zur Verhütung der Arbeitslosigkeit, einen Kredit von 500.000 K sogleich zur Verfügung zu stellen. An die Herren Staatssekretäre der Finanzen und für Landwirtschaft. IV. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Die Staatsregierung wird ermächtigt, zu jeder Landesregierung einen Beauftragten zu entsenden, der die Aufgabe hat, das Einvernehmen der Zentralregierung mit den Landesregierungen herzustellen, ferner das Recht besitzt, gegen Verfügungen, außer wenn sie keinen Aufschub zulassen, Vorstellungen zu erheben, welchen bis zur Entscheidung durch den Staatsrat ausübende Kraft zukommt. Beschluß: Nach dem Antrage mit dem Zusatze, daß den Landeshauptmännern bei der für den 22. d.54 in Aussicht genommenen Besprechung eine nähere Erläuterung der Gründe für diese Maßnahme zu geben ist, in der insbesondere zum Ausdrucke zu kommen hätte, daß der Staatsrat nicht etwa eine Beeinträchtigung der Autonomie im Auge hat, sondern nur dem praktischen Bedürfnis Richtig: 23. November 1918. Vgl. KRP Nr. 15 vom 23. November 1918.
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nach Herstellung einer näheren Verbindung zwischen Zentralregierung und Landesregierungen Rechnung tragen wolle. Bei dieser Besprechung ist mit den Landeshauptmännern auch die Personenfrage zu erörtern. V. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Das Staatsamt für Äußeres wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen bei jedem größeren Kommando der feindlichen Macht auf unserem Staatsgebiete einen Bevollmächtigten zu bestellen, welchem nach Bedarf von der deutschösterreichischen Staatsregierung ernannte Zivilbevollmächtigte beigegeben werden. Beschluß: wie Antrag. An die Herren Staatssekretäre des Äußern und für Heerwesen. VI. Antragsteller: Staatsrat Dr. E l l e n b o g e n. Die Staatskanzlei wird aufgefordert, dem Staatsrate den Entwurf einer Kreisverfassung auszuarbeiten. In formeller Beziehung wird beantragt, der Antrag werde der Staatskanzlei zur Erwägung zugewiesen. Beschluß: wie Antrag. An den Herrn Staatskanzler. VII. Antragsteller: Staatsrat F i n k. Der Staatsrat wolle beschließen: „Der Staatsrat beauftragt die in Betracht kommenden Staatsämter, sofort zu verfügen, daß die Einfuhr von Lebensmitteln aus der Schweiz nach Deutschösterreich ohne jede Einschränkung gestattet sei.“ Beschluß: nach Antrag. An die Herren Staatssekretäre für Volksernährung und der Finanzen. VIII. Antragsteller: Staatsrat F i n k. Das Staatsamt für Äußeres wird beauftragt, mit den Regierungen der Ententeländer sofort in Verbindung zu treten und sie dringend um Einflußnahme zu ersuchen, daß die tschechoslovakische Republik der deutschösterreichischen Republik Nahrungsmittel, insbesondere Zucker, Kartoffel und Getreide sowie Kohlen zukommen lasse. Beschluß: Der Antrag wird dem Staatskanzler zur sofortigen Herstellung des Einvernehmens mit den zuständigen Staatsämtern überwiesen. An den Herrn Staatskanzler. IX. Antragsteller: Staatssekretär Dr. U r b a n. Beschluß: Der Staatsrat genehmigt die Erlassung einer Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend die Regelung des Verbrauches von Zeitungsdruckpapier nach den dem Originalprotokoll beigeschlossenen Entwurf. An den Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft.
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X. Antragsteller: Staatssekretär Dr. U r b a n. Beschluß: Der Staatsrat genehmigt die Erlassung einer Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend die Regelung des Verkehres mit chemischen Produkten und Hilfsstoffen nach den dem Originalprotokoll angeschlossenen Entwurfe. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft. XI. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r. Zur Übernahme der deutschen Beamten des gemeinsamen Finanzministeriums und des gemeinsamen Obersten Rechnungshofes sowie zur Liquidierung dieser Stellen ist ein Mitglied des Staatsrates zu bestimmen. Beschluß: Nach Antrag. Zur Durchführung des Beschlusses wird Staatsrat Dr. W a l d n e r bestimmt. XII. Antragsteller: Präsident Dr. D i n g h o f e r. Beschluß: Zum Mitglied des Finanzkomitees wird an Stelle des vertretungsweise entsendeten Ersatzmitgliedes des Staatsrates K r o y der Staatsrat Dr. B o d i r s k y bestellt.55 An den Herrn Obmann des Finanzkomitees. XIII. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Beschluß: Dem Entwurfe der Geschäftsordnung für den Staatsrat nach der Beilage wird mit folgenden Abänderungen die Genehmigung erteilt: 1. Nach § 3 ist ein neuer Paragraph folgenden Inhaltes als § 4 einzuschalten: Bei den Sitzungen des Staatsrates können auch die Ersatzmitglieder anwesend sein, sie dürfen sich jedoch weder an der Debatte noch der Abstimmung beteiligen. Der Eintritt der Ersatzmitglieder für die ordentlichen Mitglieder des Staatsrates erfolgt durch Anmeldung seitens des ordentlichen Mitgliedes für die laufende Sitzung beim Vorsitzenden. Die angemeldeten Ersatzmitglieder haben dieselben Rechte wie die ordentlichen Mitglieder. 2. Die Nummern der folgenden Paragraphen sind entsprechend richtig zu stellen. 3. Der § 4 des Entwurfes (künftig § 5) hat zu lauten. Die Sitzungen des Staatsrates sind nicht öffentlich. Außeramtliche Mitteilungen a n d i e Ö f f e n t l i c h k e i t über Vorgänge bei den Staatsratssitzungen sind nicht statthaft. Der Staatsrat ... wie Entwurf ... mit dem Auslande erteilt werden. Der Vorsitzende stellt fest, ob die Sitzung geheim oder ein Gegenstand vertraulich zu behandeln ist. Über ... wie Entwurf ... wahren. 4. Im § 6 des Entwurfes (künftig § 7) sind im zweiten Satze des ersten Absatzes die Worte „in 40 Abzügen“ zu streichen. Dieser Beschluß fehlt im Sitzungsprotokoll. Beilage 37/XII: Notiz (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt der Beilage stimmt mit dem des Beschlußprotokolls überein.
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Der zweite Absatz hat zu lauten: Die Staatskanzlei stellt über W e i s u n g d e s V o r s i t z e n d e n die erforderlichen Abzüge d e r A n t r ä g e her. 5. Der § 14 des Entwurfes (künftig § 15) bekommt im ersten Absatze die Fassung: Der Staatsrat kann Beschlüsse fassen, wenn 10 stimmberechtigte Mitglieder einschließlich des Vorsitzenden anwesend sind. 6. In § 15 des Entwurfes (künftig § 16) ist zwischen „der“ und „Staatsratsmitglieder“ das Wort „anwesenden“ einzuschalten. 7. Im § 17 des Beschlusses (künftig § 18) sind im ersten Satze die Worte „vom Staatsrate“ zu streichen. An den Herrn Staatskanzler. XIV. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Beschluß: Die dem Originalprotokoll beigegebene Anweisung über die Geschäftsführung in der Staatskanzlei und im Staatssiegelamt wird in der beantragten Fassung genehmigt. An den Herrn Staatskanzler. Schluß der Sitzung ¾ 1 Uhr nachmittags.
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37 – 1918-11-19 37. Sitzung des Staatsrates vom 19. November 1918. G e h e i m e r N a c h t r a g:56
Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Beschluß: Der Staatsrat nimmt genehmigend zur Kenntnis, daß der Kabinettsrat über ausdrücklichen Wunsch der ungarischen Regierung den Verhandlungen mit Ungarn über Lebensmittellieferungen und die hiefür zu leistenden Kompensationen den Dr. Josef Kranz57 beizuziehen gedenkt und diesem zur Beglaubigung nachstehendes Schreiben zugefertigt werden soll: „An Herrn Dr. Josef Kranz. Über ausdrücklichen Wunsch der ungarischen Regierung werden Sie ermächtigt, mit dieser Regierung im Auftrage der deutschösterreichischen Staatsregierung über die Lieferung von Lebensmitteln und unentbehrlichen Bedarfsgütern sowie über die dagegen zu leistenden Kompensationen im ständigen Einvernehmen mit dem Staatsamte für Volksernährung Verhandlungen zu führen. Die jeweiligen Ergebnisse dieser Verhandlungen werden dem Staatsamte für Kriegs- und Übergangswirtschaft sowie dem Staatsamte für Volksernährung vorzulegen sein.“ Für die deutschösterreichische Staatskanzlei. Der Kanzler: Dr. R e n n e r.
Der Wunsch nach ungarischen Lebensmittellieferungen kollidierte mit den deutschösterreichischen Ansprüchen auf Westungarn. Daher wurden über den ohnehin vertraulichen Charakter der Sitzungen hinaus weitere Sicherheitsvorkehrungen getroffen. So entstanden mehrere geheime Zusätze zu den Verhandlungsprotokollen. Einige der als geheim eingestuften Protokolle der Staatsrats- und Kabinettsratssitzungen wurden ursprünglich in einem vom Staatssiegelamt geführten „Geheimbuch“ eingelegt. Die darin enthaltene Liste ist allerdings nicht vollständig, so fehlen im Geheimbuch z. B. die geheimen Verhandlungen der 36. Sitzung des Staatsrates vom 18. November 1918, der 60. Sitzung vom 20. Dezember 1918, der 63. Sitzung vom 8. Jänner 1919 und der 77. Sitzung vom 7. März 1919. Nach der Liquidation des Staatssiegelamtes im Frühjahr 1919 wurde das Geheimbuch an die Staatskanzlei übergeben. Jahrzehnte später, 1951, wurden die geheimen Anhänge zur 37., 54., 59. und 71. Sitzung des Staatsrates dem entsprechenden Akt entnommen und in die Sammlung der regulären Staatsratsprotokolle im Bestand „Büro des Präsidenten Seitz“ eingelegt. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 1.655/1919, Staatssiegelamt, Uebermittlung von vertraulichen Kabinetts- und Staatsratsbeschlüssen behufs Hinterlegung in der Staatskanzlei. 57 Von den insgesamt fünf geheimen Protokollzusätzen im „Geheimbuch des Staatsrates“ beschäftigen sich drei mit Aufträgen an Dr. Josef Kranz für Verhandlungen mit Ungarn und der Tschechoslowakei, bzw. mit einer Danksagung an Kranz wegen des erfolgreichen Abschlusses der Kohlenverhandlungen mit der Tschechoslowakei. 56
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E n t w u r f e i n e r G e s c h ä f t s o r d n u n g f ü r d e n S t a a t s r a t: I . A b s c h n i t t. § 1. Der Staatsrat versammelt sich über eigenen Beschluß. Erforderlichenfalls können Einladungen zu Staatsratssitzungen auch von dem geschäftsführenden Präsidenten ergehen. § 2. Den Vorsitz im Staatsrat führen die Präsidenten der Nationalversammlung abwechselnd. Ist kein Präsident anwesend, kann ausnahmsweise der Staatsnotar oder der Staatskanzler den Vorsitz übernehmen. Dem Vorsitzenden kommen bei Leitung der Beratungen im Staatsrate die gleichen Rechte zu wie den Präsidenten bei den Beratungen der Nationalversammlung. § 3. An den Sitzungen des Staatsrates nehmen die Mitglieder des Staatsrates, die Staatssekretäre und Unterstaatssekretäre, ferner die erforderlichen Beamten der Präsidial- und der Staatskanzlei teil. Wenn es dringend notwendig ist, kann ein Staatssekretär mit Zustimmung des geschäftsführenden Präsidenten ausnahmsweise auch Fachreferenten der Staatsratssitzung zuziehen. Anderen Personen ist der Eintritt zu den Beratungen des Staatsrates nicht gestattet. § 4. Die Sitzungen des Staatsrates sind nicht öffentlich. Außeramtliche Mitteilungen über Vorgänge bei den Staatsratssitzungen sind nicht statthaft. Der Staatsrat kann beschließen, daß eine Sitzung geheim ist oder bestimmte Angelegenheiten vertraulich behandelt werden. Als vertraulich sind stets Personalangelegenheiten und alle Weisungen zu behandeln, die Unterhändlern für Verhandlungen mit dem Auslande erteilt werden. Über bei ganz oder teilweise geheimen Sitzungen geführte Verhandlungen und deren Ergebnis ist das Amtsgeheimnis strenge zu wahren. § 5. Die Vorlagen an den Staatsrat werden von den Staatsämtern vorgearbeitet und mit der Aufschrift „Vorlage des Staatsamtes für …“ in 40 Abzügen an die Staatskanzlei zur weiteren Veranlassung gesendet. Vorlagen, die die Verfassung betreffen, werden von dem legislativen Dienste des Staatsrates vorgearbeitet. § 6. Anträge können von jedem Mitgliede des Staatsrates gestellt werden. Sie sind in der Regel schriftlich in 40 Abzügen zu überreichen. Die Staatskanzlei stellt über Wunsch eines Staatsrates die erforderlichen Abzüge her. § 7. Die Beratungen im Staatsrate sollen, unter Vermeidung eingehender Debatten, möglichst kurz durchgeführt werden. Zur Vorbesprechung von umfangreicheren Vorlagen werden Staatsratskommissionen bestellt, die dem Staatsrate zu berichten haben.
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§ 8. Folgende Kommissionen des Staatsrats sind ständig: Die Kommission für Äußeres, für Verfassung und Inneres, für die Volkswehr, für die Rechtspflege, für Finanzen, für Verkehrswesen, für Volkswirtschaft, für Volksgesundheit und soziale Verwaltung. § 9. Jede Kommission besteht aus wenigstens 3 ordentlichen Mitgliedern, die aus ihrer Mitte den Kommissionsleiter bestellen. Außerdem kann jedes Staatsratsmitglied sich an den Kommissionsberatungen beteiligen. § 10. Der Präsident im Rate bildet mit den Leitern der ständig und fallweise eingesetzten Staatsratskommissionen die Arbeitskommission, welche den Präsidenten im Rate über die Zuteilung der Geschäfte an die Kommissionen, über die Berufung fallweiser Kommissionen, über die Sicherung der Zusammenarbeit der Kommissionen, sowie über die rasche Erledigung der Geschäfte berät. I I . A b s c h n i t t. § 11. Die Mitglieder des Staatsrates sind verpflichtet, an den Sitzungen des Staatsrates teilzunehmen. § 12. Im Falle der Verhinderung eines Staatsratsmitgliedes hat dieses rechtzeitig seinen Stellvertreter zum Erscheinen bei der Staatsratssitzung selbst einzuladen oder dessen Einladung durch die Staatskanzlei zu veranlassen. § 13. Urlaub bis zu einem Monat erteilt der geschäftsführende Präsident. Aus triftigen Gründen können Mitglieder des Staatsrates durch Staatsratsbeschluß auch für längere Zeit beurlaubt werden. Außer dem Falle der Erteilung eines Urlaubes kann die Abwesenheit vom Staatsrate nur durch Krankheit entschuldigt werden. I I I . A b s c h n i t t. § 14. Der Staatsrat kann Beschlüsse fassen, wenn 8 stimmberechtigte Mitglieder anwesend sind. Die Abstimmung im Staatsrate erfolgt mit einfacher Stimmenmehrheit. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten. § 15. Wenn ein Drittel der Staatsratsmitglieder es verlangt, muß eine geheime Abstimmung erfolgen. § 16. Vor Beschlüssen, welche den Wirkungskreis eines Staatsamtes berühren, wird der Vertreter dieses Amtes gehört.
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Wird ein Beschluß dieser Art ausnahmsweise ohne Vertretung des betreffenden Staatsamtes gefaßt, dann steht es dem Staatssekretär frei, vor Durchführung des Beschlusses eine neuerliche Beratung und Beschlußfassung des Staatsrates zu verlangen. § 17. Die Beschlüsse des Staatsrates werden von den vom Staatsrate hiezu bestellten Beamten der Staatskanzlei samt den Anträgen zu Protokoll genommen. Weicht ein Beschluß von einem schriftlich gestellten Antrage ab, dann ist sein Wortlaut vom Präsidenten oder Antragsteller zu Protokoll zu geben. § 18. Das Protokoll ist ehestens fertigzustellen und wird den anwesenden Staatsratsmitgliedern im kurzen Wege übergeben; weitere Abdrücke sind bei der Staatskanzlei (bei dem verantwortlichen Protokollführer) erhältlich. Ein Protokoll gilt als genehmigt, wenn innerhalb von 3 Tagen nach Verteilung des Entwurfes keine Einwendung erhoben wird. Erfolgt eine Einwendung, so hat der Staatsrat über die Richtigstellung des Protokolls zu beschließen. § 19. Das Protokoll über eine geheime Sitzung oder über vertraulich erklärte Teile einer Sitzung wird nicht vervielfältigt. Protokolle dieser Art werden in der Staatsratssitzung verlesen und sodann beim Staatsnotar im Geheimbuche hinterlegt. § 20. Unbeanstandet gebliebene Protokolle werden dem Staatsnotar zur Beglaubigung vorgelegt und sodann durch die Staatskanzlei den Präsidenten, dem Staatskanzler, sämtlichen Staatsräten I V . A b s c h n i t t. § 21. Über die Protokolle des Staatsrates wird ein Beschlußbuch mit fortlaufender Numerierung aufgelegt. Das Beschlußbuch führt der Staatsnotar. Der Staatsnotar führt ferner das Geheimbuch. Die nähere Einrichtung der Bücher wird durch Staatsratsbeschluß festgestellt. § 22. Das Beschlußbuch ist öffentlich und kann in der Kanzlei des Staatsnotars von jedermann eingesehen werden.
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38.1 [Dienstag] 1918-11-19 Vorsitz: Anwesend:2 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Abram, Bauer, Deutsch, Ellenbogen, Friedmann, Glöckel, Licht, Miklas, Neunteufel, Pflügl, Schoepfer, Schoiswohl, Seitz, Steinwender, Sylvester, Teufel, Waldner, Wolf unbekannt 15.45–19.00 Uhr3
Reinschrift, Beschlußprotokoll Präs. Dr. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 3 Uhr 45 Min. Nachmittag. Vor Eingang in die Tagesordnung4 erstattet G l ö c k e l über Auftrag des Staatsrates einen Bericht über die Vorgänge vor dem Parlament am 12. November 1918 auf Grund der Erhebungen der Polizeidirektion Wien.5 Dieser Bericht wird z u r K e n n t n i s genommen. L i c h t legt einen Gesetzentwurf 6 ü b e r d i e F ü h r u n g d e s S t a a t s h a u s h a l t e s v o m 1 . N o v e m b e r 1 9 1 8 b i s 3 0 . J u n i 1 9 1 9 vor. 1 2
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Im Protokoll als 33. Sitzung numeriert; wurde handschriftlich korrigiert. Dem Protokoll liegen weder eine Präsenzliste noch Materialien aus dem Einlauf bzw. zu Anträgen und Berichten bei. Die anwesenden Personen ergeben sich aus dem Sitzungsverlauf. Im Beschlußprotokoll werden der Beginn der Sitzung mit 15.30 und der Schluß mit 19.30 Uhr angegeben. Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. Nach der Ausrufung der Republik Deutschösterreich vor dem Parlament am Nachmittag des 12. November 1918 war es zu einem Schußwechsel zwischen Mitgliedern der „Roten Garde“, einer links radikal orientierten Formation, und der Volkswehr gekommen. Im weiteren Verlauf des Tages hatten Rotgardisten sodann das Redaktionsgebäude der „Neuen Freien Presse“ besetzt und noch am selben Tag zwei jeweils einseitige Sonderausgaben veröffentlicht. Der Staatsrat hatte sowohl dem Staatsamt für Inneres als auch dem Staatsamt für Heerwesen in seiner 31. Sitzung den Auftrag erteilt, Bericht über die Vorfälle des 12. November 1918 zu erstatten. Vgl. SRP Nr. 31 vom 13. November 1918. Zu den Ereignissen vom 12. November 1918 vgl. weiters SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. Die Polizeidirektion Wien hatte dem Staatsamt für Inneres ihren Bericht über die Vorfälle bereits am 12. November 1918 übermittelt. Vgl. AdR, BKA/Inneres, 22/NÖ, StAI, Zl. 301/1918, Vorfälle am 12. November 1918. Am 25. November 1918 übermittelte auch das Staatsamt für Heerwesen der Polizeidirektion Wien den Untersuchungsakt über die Vorfälle am 12. November zur Einsichtnahme. Der Akt, der umfangreiches Material, darunter Protokolle mehrerer Zeugenbefragungen enthält, findet sich in AdR, StAHw, Amtsleitung, GZl. 2.085/1918. Zur Auflistung der Sachschäden vgl. außerdem den Bericht der Gebäude-Inspektion des Reichsratsgebäudes in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.921/1918. Nach Hans Hautmann veranlaßte das Staatsamt für Heerwesen eine Untersuchung über die Vorkommnisse vom 12. November 1918, deren Ergebnisse am 16. November in einem Kommuniqué veröffentlicht wurden. Vgl. Hans Hautmann, Die verlorene Räterepublik. Am Beispiel der Kommunistischen Partei Deutschösterreichs, 2. Auflage, Wien/Frankfurt/Zürich 1971, S. 101. Vgl. dazu weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 17. November 1918, S. 3 „Erklärung gegen den Ueberfall bei der ‚Neuen Freien Presse‘“. Vgl. auch SRP Nr. 34 vom 16. November 1918 vormittags und Nr. 36 vom 18. November 1918. Der Entwurf liegt dem Protokoll der 37. Sitzung vom 19. November 1918 bei.
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38 – 1918-11-19 Der Gesetzentwurf wird a n g e n o m m e n.7
L i c h t unterbreitet den Entwurf eines Gesetzes8 ü b e r d i e K o n t r o l l e d e r S t a a t s s c h u l d D e u t s c h ö s t e r r e i c h s. S e i t z spricht sich entschieden gegen ein solches Gesetz aus. Die rechnungsmäßige Überprüfung der Staatsschuld könne durch einen Rechnungshof 9 erfolgen und daß ein verfassungsmäßiger Beschluß vorliege, durch den der Finanzminister zu einer Kreditoperation ermächtigt wird, werde durch den Staatsnotar beurkundet. Entweder beschließt das Parlament eine ganz bestimmte Kreditoperation, dann ist der Finanzminister für sie verantwortlich, oder das Parlament hat nicht die Absicht, dem Finanzminister darüber eine Vorschrift zu machen, dann wird er sich auch von der Kontrollkommission nicht vorschreiben lassen, in welcher Form er die Staatsschuld aufnehmen soll. S t e i n w e n d e r: Es muß irgendeine Stelle geben, an die täglich die Kassenausweise zu gehen haben. Nachdem der Oberste Rechnungshof auch die Geschäfte des alten Staates abwickelt, will man ihn nicht mit dieser neuen Aufgabe belasten. Das Vertrauen in den Finanzminister und in den Staatsrat ist im Publikum nicht so felsenfest, daß eine Kontrolle nicht wünschenswert wäre. Deswegen sollen von der Nationalversammlung drei Männer bestimmt werden, die ganz unabhängig sind, die nicht dem Staatsrate angehören und die zu kontrollieren haben, ob der bewilligte Schuldenbetrag nicht überschritten wird. E l l e n b o g e n: Die Hauptaufgabe der früheren Staatsschuldenkontrollkommission war nicht eine rechnerische, sondern eine politische.10 Die Kommission hatte darüber zu wachen, daß die Staatsschulden in verfassungsmäßigem Wege bewilligt und aufgenommen wurden. Daß die frühere Kommission diesem Zwecke nicht entsprochen hat, haben die Tatsachen bewiesen. Diese politische Einrichtung ist nach unserer gegenwärtigen Verfassung ganz unnötig, weil wir einen Staatsrat haben. Was die rechnerische Seite anlangt, so kann der Staatsrat im kurzen Wege einen Obersten Rechnungshof für diese Überprüfung einsetzen. Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung vom 22. November 1918, erste Lesung und Zuweisung an den Finanzausschuß, S. 131–134; 6. Sitzung vom 27. November 1918, zweite und dritte Lesung S. 158–166; StGBl. Nr. 74, Gesetz vom 27. November 1918 über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919, ausgegeben am 4. Dezember 1918. Zur Erledigung im Staatsamt für Finanzen vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.935/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918, 33. Sitzung; Zl. 4.343/1918, Grundsätze für die Gebarung in der Zeit vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919; der Bericht des Finanzausschusses der Provisorischen Nationalversammlung findet sich in Zl. 6.299/1918, Gesetz über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 (Parlamentarische Verhandlung und Publikation). Vgl. auch AdR, StK, GZl. 51/1921. 8 Der Entwurf liegt dem Protokoll der 37. Sitzung vom 19. November 1918 bei. Ein weiterer Entwurf mit zahlreichen handschriftlichen Änderungen der Paraphe Hans Kelsens liegt in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.926/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918, 33. Sitzung. Das in der Provisorischen Nationalversammlung beschlossene Gesetz weist erhebliche Abweichungen gegenüber der vom Staatsrat eingebrachten Vorlage auf. So umfaßte die Staatsschuldenkontrollkommission nur drei Mitglieder, eine Unvereinbarkeitsbestimmung wurde unter § 2 neu eingefügt, der § 3 der Vorlage entfiel ganz, eine Bestimmung über die Verantwortlichkeit der Staatsschuldenkontrollkommission wurde unter § 5 neu aufgenommen sowie die § 1 und 6 präzisiert. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 925/1918, Gesetz über die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs. 9 Zum obersten Rechnungshof vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 10 Zur k.k. Staatsschuldenkontrollkommission bzw. Staatsschuldenkontrolle vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918 und SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. 7
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Der Staatsrat beschließt mit neun gegen fünf Stimmen grundsätzlich die Einsetzung einer Staatsschuldenkontrollkommission.11 In der Spezialdebatte wird die Vorlage der Finanzkommission in folgender Form angenommen:12 § 1. Zur Ausübung der Kontrolle über die gesamte Staatsschuld Deutschösterreichs wird eine Kommission eingesetzt. Sie besteht aus zehn, von der provisorischen Nationalversammlung gewählten, sachkundigen Personen. § 2. Die Staatsschuldenkontrollkommission bleibt in Wirksamkeit, bis die Nationalversammlung sie ihres Amtes enthebt. § 3. Der Kommission steht die Kontrolle über die gesamte Gebarung der Staatsschuld zu. § 4. Alle Urkunden, durch die Staatsschulden begründet werden, sind vom Staatsnotar und für die Staatsschuldenkontrollkommission von einem Mitgliede derselben gegenzuzeichnen. Der Staatssekretär der Finanzen ist verpflichtet, der Kommission alle zur Ausübung der Kontrolle erforderlichen Nachweisungen zur Verfügung zu stellen. § 5. Die Staatsschuldenkontrollkommission hat der Nationalversammlung in jedem Monat Bericht zu erstatten. Hat die Kommission Unregelmäßigkeiten bei der Gebarung der Staatsschuld festgestellt, so ist die provisorische Nationalversammlung über Antrag der Kommission unverzüglich einzuberufen. § 6. Mit dem Vollzug dieses Gesetzes wird der Staatsrat betraut. F r i e d m a n n unterbreitet den Entwurf eines Gesetzes über die Biersteuer.13 A b r a m spricht sich gegen die Verhandlung von indirekten Steuern im gegenwärtigen Zeitpunkte aus, vor allem deshalb, weil es auf die Bevölkerung einen ungünstigen Eindruck machen würde, wenn bei der Regelung der finanziellen Verhältnisse mit den Konsumsteuern begonnen würde. T e u f e l beantragt, die Verhandlungen über Steuergesetze insolange auszusetzen, bis das Gebietsgesetz von der Nationalversammlung beschlossen ist.14 S t e i n w e n d e r ist mit der Verschiebung der Beratung bis zur Fertigstellung der übrigen Steuerentwürfe einverstanden. F r i e d m a n n hat gegen eine Vertagung ebenfalls nichts einzuwenden. Bei der Abstimmung wird der Antrag Abram, mit der Beratung der Steuergesetze auszusetzen, a n g e n o m m e n, hingegen der Zusatzantrag Teufel: „insolange, bis das Gebietsgesetz von der Nationalversammlung beschlossen ist“, a b g e l e h n t. Die betreffenden Punkte der Tagesordnung werden sonach z u r ü c k g e s t e l l t.15 Zur Wahl der Mitglieder der Staatsschuldenkontrollkommission vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 12. Sitzung vom 9. Jänner 1919, S. 461 und 13. Sitzung vom 23. Jänner 1919, S. 467. Vgl. auch Neue Freie Presse. Morgenblatt, 20. November 1918, S. 4 „Die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs“. 12 Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, Vorlage und Zuweisung an den Finanzausschuß, S. 122 und S. 150; 6. Sitzung am 27. November 1918, Bericht und zweite Lesung, S. 166–172; 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, dritte Lesung, S. 282. Vgl. StGBl. Nr. 88, Gesetz vom 5. Dezember 1918 über die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs, ausgegeben am 13. Dezember 1918. 13 Ein entsprechender Entwurf liegt SRP Nr. 37 vom 19. November 1918 vormittags ohne Numerierung bei. 14 Gemeint ist hier vermutlich StGBl. Nr. 40, Gesetz vom 22. November 1918 über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich, ausgegeben am 28. November 1918. Vgl. dazu SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 nachmittags. 15 Handschriftlich kommentierte Exemplare der Gesetze finden sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.928/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918, 33. Sitzung. Zu den Getränkesteuern vgl. SRP Nr. 45 vom 25. November 1918 nachmittags. 11
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L i c h t: In Mährisch-Ostrau hat eine Kreisversammlung für das mährisch-schlesische Industriegebiet stattgefunden. Die endgültige Konstituierung dieses Kreises soll am 24. November stattfinden. Ich ersuche um Delegierung zu dieser Versammlung.16 Der Vorschlag auf Delegierung des Dr. Licht wird a n g e n o m m e n. L i c h t: Ich wurde ersucht, hier zur Kenntnis zu bringen, daß vor einigen Tagen ein tschechischer Machthaber in Mährisch-Ostrau erschienen ist und behauptet hat, man beabsichtige in Neutitschein mit Waffengewalt gegen die Tschechen vorzugehen. Die Tschechen in Mährisch-Ostrau haben für diesen Fall mit Repressalien in Ostrau gedroht. Es folgen A n f r a g e n an den Staatssekretär für Äußeres. S c h o e p f e r fragt, wo die feindlichen Truppen im Zeitpunkte des Abschlusses des Waffenstillstandes gestanden sind und welche Schritte unternommen wurden, um die widerrechtliche Gefangennahme von Truppen nach Abschluß des Waffenstillstandes rückgängig zu machen.17 Weiters fragt er, in welchem Stadium sich die Vorbereitungen zu den Friedensverhandlungen befinden. B a u e r: Ich werde feststellen lassen, wie weit die italienischen Truppen bei Abschluß des Waffenstillstandes vorgerückt waren. Gegen die Verletzung des Waffenstillstandsvertrages durch das italienische Kommando wurde protestiert,18 und zwar nicht ganz erfolglos, Am 17. November 1918 fand in Mährisch-Ostrau eine Zusammenkunft der Vertreter aller deutschen Parteiorganisationen des mährisch-schlesischen Industriegebietes statt. Die Versammlung wählte einen Vorstand und erließ eine Resolution mit welcher sie „ein angemessenes Mitbestimmungsrecht in allen Verwaltungseinrichtungen“ für die deutsche Bevölkerung und die verhältnismäßige Aufteilung der gemeinsamen Gebiete und Einrichtungen forderte. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 21. November 1918, S. 5 „Inland. Zusammenschluß der Deutschen im ostmährisch-schlesischen Industriegebiet“. 17 Am 2. November 1918 wurden der zur Aushandlung eines Waffenstillstandes entsandten österreichisch-ungarischen Kommission, die im Gästehaus der italienischen Heeresleitung, der Villa des Senators Vettor Giusti del Giardino untergebracht war, die Bedingungen Italiens und der Entente für den Waffenstillstand bekanntgegeben. Aufgrund der unkoordinierten Vorgehensweise und zögerlichen Entscheidungsfindung auf Seiten der österreichisch-ungarischen Führung verstrichen 2 Tage bis der Waffenstillstand in Kraft treten konnte. Die Einstellung der Kampfhandlungen hatte man aber bereits befohlen, bevor der Waffenstillstand unterzeichnet worden war. Diese ungeordnete Abwicklung des Waffenstillstandes ermöglichte den italienischen Truppen relativ ungehindert vorzurücken und beinahe 400.000 k.u.k. Soldaten gefangen zu nehmen. Vgl. dazu Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914–1918, Wien/Köln/Weimar 2013, S. 1043–1050; Bruno Wagner, Der Waffenstillstand von Villa Giusti am 3. November 1918, phil. Diss., Wien 1970, S. 123–164 und S. 252–254; Emil Ratzenhofer, Der Waffenstillstand von Villa Giusti und die Gefangennahme Hunderttausender, in: Ergänzungsheft 2 zu Österreich Ungarns letzter Krieg, Wien 1931, S. 29–55. Zur Diskussion der Waffenstillstandsverhandlungen im Staatsrat vgl. SRP Nr. 15 vom 2. November 1918 und insbesondere SRP Nr. 16 vom 3. November 1918. Vettor Giusti del Giardino, Gutsbesitzer und Politiker, 30. Dezember 1914 bis 12. Februar 1926 Senator des Königreichs Italien. 18 Das Armeeoberkommando protestierte bereits am 5. November gegen die Vorgehensweise Italiens. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 6. November 1918, S. 1 „Bruch der Bedingungen des Waffenstillstandes durch Italien“. Bruno Wagner bemerkt hierzu, daß die hauptsächliche Aufgabe der österreichisch-ungarischen Kommission unmittelbar nach dem Abschluß des Waffenstillstandes „praktisch nur in der Weiterleitung von Protesten des AOK gegen die Gefangennahme ganzer Einheiten der österreichisch-ungarischen Armee“ bestand. Wagner, Der Waffenstillstand von Villa Giusti am 3. November 1918, S. 160 und S. 244. Vgl. weiters die Äußerungen des Staatssekretärs Bauer in SRP Nr. 52 vom 2. Dezember 1918 und seinen in der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung 16
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denn es wurde wenigstens ein Teil der vertragswidrig gefangengenommenen Truppen wieder freigelassen. Ein Machtmittel über den Protest hinaus steht uns wohl nicht zur Ver fügung. Was die Friedensverhandlungen betrifft, so war es bisher nicht möglich, direkte Verbindungen mit der Entente anzuknüpfen. Die mit der provisorischen Vertretung des deutschösterreichischen Staatsrates betrauten Gesandtschaften im Auslande haben nur das Recht, über Lebensmittelfragen zu verhandeln, nicht aber über politische Fragen. Dagegen wird eine Kommission, an deren Spitze der vom Direktorium zum ständigen Bevollmächtigten in der Schweiz ernannte Baron Haupt19 steht, unverzüglich abreisen, sobald von der Schweiz das Agrément eingelangt ist, und wir werden dann die notwendige Verbindung haben.20 Im übrigen haben wir intern die Materialien für die Friedensverhandlungen vorbereitet.21 Wir werden uns auch bemühen, durch eine Presskampagne auf die Stimmung im Auslande zu unseren Gunsten einzuwirken.22 Die Ausführungen des Staatssekretärs für Äußeres werden zur Kenntnis genommen. T e u f e l: Ich bitte um Mitteilung, welche Schritte unternommen wurden, um die in letzter Zeit in Südmähren von den Tschechen verhafteten Gendarmerieposten und Offiziere
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vom 7. Dezember im Rahmen des allgemeinen Regierungsberichtes gehaltenen Vortrag. Dieser ließ bereits eine Änderung der Haltung des Staatssekretärs und das Eingeständnis der Rechtmäßigkeit des Vorgehens der Italiener erkennen. Bauer hielt fest: „Die Italiener haben sich an den Wortlaut gehalten, daß also noch 24 Stunden weiter Feindseligkeiten zulässig seien und unsere Truppen, die die Waffen einfach gestreckt hatten, wurden umzingelt und zu Hundertausenden gefangen genommen. Man kann dazu nur sagen, daß das k.u.k. Armeeoberkommando seine Tätigkeit würdig beschlossen hat [...]. Wie der Anfang, so das Ende.“ Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 204. Dr. Stephan Freiherr Haupt von Buchenrode, 19. November 1918 bis 30. November 1919 bevollmächtigter Vertreter Deutschösterreichs in Bern. Er wurde am 20. November 1918, zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in der Schweiz ernannt. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 2/Dir./1918, Bestellung des Freiherrn von Haupt-Buchenrode als Bevollmächtigten bei der Schweizer Regierung. Der Staatssekretär für Äußeres, Otto Bauer, formulierte ein Instruktionsschreiben für Haupt von Buchenrode, das diesem vor seiner Abreise am 25. November 1918 übergeben wurde. Haupt wurde aufgetragen, eine unmittelbare Verbindung mit den Ententestaaten herzustellen, um möglichst rasche Friedensverhandlungen zu ermöglichen. Für die Zeit bis zum Friedensschluß sollte er die neutralen und feindlichen Staaten dafür gewinnen, den deutschösterreichischen Staat v. a. bei der Bewahrung seiner territorialen Integrität zu unterstützen. Dies müsse nicht zuletzt deswegen im Interesse dieser Staaten liegen, da andernfalls in Deutschösterreich Unruhen und im Zuge dessen das Erstarken und die internationale Ausbreitung bolschewistischer Kräfte drohten. Im Hinblick auf den Inhalt des zukünftigen Friedensvertrages solle Haupt sich für die Einbeziehung Deutschböhmens, des Sudetenlandes und Südtirols in das d.ö. Staatsgebiet stark machen und in diesem Sinn Öffentlichkeitsarbeit betreiben. Weiters trug Bauer ihm auf, die Notwendigkeit eines Anschlusses an Deutschland sowie die Entscheidungsfreiheit Deutschösterreichs in dieser Frage zu betonen. Vgl. dazu AdR, BKA/AA, NPA, Österreich 7/III, Zl. 473/1918, Politische Instruktion für den deutsch-österr. Gesandten in der Schweiz. Vgl. auch Staatssekretär für Äußeres, Bauer an Bevollmächtigten Haupt (Bern). Politische Instruktionen, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1993, S. 181–185. Die Staatskanzlei sollte an den Vorarbeiten für die Friedensverhandlungen mitwirken. Ansonsten sollte das Staatsamt für Äußeres die Vorbereitungen zu den Friedensverhandlungen koordinieren. Vgl. AdR, StK, GZl. 563/1918, Amtsveranlassung, Vorbereitung des Friedensschlusses, Anbahnung neuer Staatsverträge. Vgl. zu den Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. In diesem Zusammenhang vgl. auch die Diskussionen über die Einrichtung eines Propagandadienstes in SRP Nr. 46 vom 26. November 1918 vormittags, Nr. 47 vom 26. November 1918, Nr. 51/7 vom 30. November 1918, Nr. 56/8b vom 9. Dezember 1918 und Nr. 57 vom 11. Dezember.
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freizubekommen.23 Proteste genügen nicht, wir müssen den Tschechen begreiflich machen, daß wir auch Repressalien üben können. B a u e r: Ich habe gegen die angeführten Vorfälle protestiert und Aufklärung verlangt24, der Gesandte Tusar25 hat mir aber mitgeteilt, er habe selbst noch keine Antwort erhalten. Mit Repressalien habe ich den Tschechen schon oft gedroht, auch halte ich es nicht für ratsam, solche Repressalien, wie Verhaftungen, tatsächlich durchzuführen, da es in unserem Interesse liegt, die Eventualität eines Abbruches der Beziehungen zwischen uns und den Tschechen zu vermeiden. P f l ü g l: Heute Mittag wurde gemeldet, daß ein tschechischer Statthaltereisekretär, der in Kaplitz erschienen ist und die Bezirkshauptmannschaft übernehmen wollte, verhaftet wurde. Da vor einigen Tagen der nach Klattau entsendete Oberleutnant Zierhut26 von den Tschechen verhaftet wurde, habe ich dem Gesandten Tusar durch den Konsul Schumpeter27 nahelegen lassen, zunächst die Freilassung des Zierhut zu veranlassen, worauf wir sofort den zurückgehaltenen tschechischen Statthaltereisekretär entlassen werden.28 M i k l a s fragt, ob es nicht angezeigt wäre, die Beziehungen zu der russischen Sowjetrepublik zu revidieren, da die Vertreter dieser Republik nach verschiedenen Anzeichen hier an kommunistisch-bolschewistischen Bestrebungen teilnehmen.29 So wurde z. B. das Staatsamt für Äußeres am 22. November 1918 telefonisch von der Znaimer Kreisregierung über entsprechende Vorfälle in den südmährischen Ortschaften Zlabings und Rudoletz informiert. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, GZl. 172/1/1918, Protest an Gesandten Tusar. Vgl. auch Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Zürich/Leipzig/ Wien 1925, S. 34 sowie S. 54–56. 24 Zu den Protesten des Staatsamtes für Äußeres gegen das Vorgehen der tschechoslowakischen Truppen vgl. die entsprechenden Schreiben in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht. 25 Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. 26 Oberleutnant Wolfgang Zierhut wurde am 1. November 1918 in den deutschen Volksausschuß für den mittleren Böhmerwald, Gruppe Neuern, gewählt und als dessen Vertreter nach Wien delegiert. Am 5. November 1918 wurde er zum Bevollmächtigten des Staatsrates ernannt und zur Vornahme von Beeidigungen nach Südböhmen entsendet. Am 12. November 1918 wurde Zierhut in seiner Wohnung in Neuern von einer tschechischen Militärpatrouille verhaftet und nach Klattau gebracht. In weiterer Folge klagte ihn das Divisionsgericht in Prag wegen Hochverrates an, im Mai 1919 wurde das Verfahren gegen ihn aber eingestellt. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 535/1919; AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.786/1918, Zierhut Wolfgang, Oblt. Verhaftung durch Národní Výbor; AdR, BKA/Inneres, 19/3, StAI, Zl. 2.732/1919 und Zl. 1.697/1919; AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Personalia, Fasz. Personalia/ Zierhut. 27 Hugo Schumpeter, ab 1905 dem Generalkonsulat in Shanghai zugeteilt, danach bis zur Kriegserklärung Chinas an Österreich-Ungarn interimistischer Leiter des Generalkonsulates Tientsin und Yokohama, ab 13. August 1915 Konsul, ab 1. November 1918 wieder in österreichischen Diensten. 28 Vgl. dazu den telefonischen Bericht der oberösterreichischen Landesregierung vom 19. November 1918 in AdR, StK, GZl. 535/1919, Zl. 311/1918, Amtsveranlassung, Enthaftung des Oblt. Zierhut aus Neuern, Aufklärung der Bevölkerung des Böhmerwaldgebietes bezgl. der Ernährungsverhältnisse. Zur Verhaftung vgl. weiters die unter derselben Grundzahl in Zl. 148/1918 einliegenden Telegramme vom 15. November 1918. Zu den Vorgängen in Kaplitz vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918. Allgemein zur Lage in Südböhmen vgl. Paul Molisch, Die sudetendeutsche Freiheitsbewegung in den Jahren 1918–1919, Wien/Leipzig 1932, S. 62–65. Die Identität des Statthaltereisekretärs konnte nicht eruiert werden. 29 Die russische Regierung hatte Ende Juli 1918 eine Fürsorgekommission zur Betreuung russischer Kriegsgefangener nach Österreich-Ungarn entsandt, die am 7. August 1918 in Wien eintraf. Die österreichischen Behörden begegneten der Kommission von Beginn an mit Mißtrauen, da befürchtet wurde, daß sie bolschewistische Propaganda verbreiten könnte. Dementsprechend wurde die Überwachung 23
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B a u e r: Wir haben noch Hunderttausende von Landsleuten in Rußland und es ist unsere wichtigste Pflicht, sie zu schützen und ihren raschesten Rücktransport zu ermöglichen.30 Nach den mir vorliegenden Berichten liegen keine genügenden Anhaltspunkte zur Annahme von Beziehungen zwischen der hier befindlichen russischen Kriegsgefangenenkommission und der kommunistischen Partei vor. Im Falle persönlicher Übergriffe könnte die Erwirkung eines Personenwechsels ins Auge gefaßt werden. Ein Abbruch der Beziehungen würde uns aber die Möglichkeit nehmen, für unsere Kriegsgefangenen in Rußland etwas zu tun. Der Staatsrat fordert den Staatssekretär für Äußeres auf, den vom Staatssekretariat des Innern vorgelegten Bericht über die Vorgänge vom 12. November in nähere Erwägung zu ziehen.31 der Kommission angeordnet. Bereits im September 1918 forderte das Ministerium des Äußern erstmals die Ausweisung des Leiters der Fürsorgekommission, Dr. Jakov Berman. Inmitten des politisch aufgeheizten Klimas nach dem Umbruch verhärtete sich das Mißtrauen der Behörden und verdichteten sich die Verdachtsmomente gegen die Kommission und Berman, dem insbesondere nachgesagt wurde, in die Gründung der Kommunistischen Partei Österreichs und die Ereignisse des 12. November 1918 involviert gewesen zu sein. Vgl. dazu und auch zur Tätigkeit der Kommission detailliert Verena Moritz/ Hannes Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung. Die russischen Kriegsgefangenen in Österreich (1914–1921), Bonn 2005, S. 263–277. Vgl. weiters AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.610/1918, Agitationsbureau in der Rossauer Kaserne sowie das umfangreiche Material in AdR, BKA/Inneres, 22/ NÖ, StAI, GZl. 563/1918, rote Garde, kommunistische Umtriebe. Dr. Jakov Aleksandrovič Berman, Jurist, Philosoph und Politiker, Dezember 1917 bis Juli 1918 Vorsitzender des Moskauer Revolutionsgerichtshofes, ab Juli 1918 Leiter der russischen Fürsorgekommission für Kriegsgefangene und politische Tätigkeit in Wien, ab Dezember 1918 in Ungarn u. a. als Herausgeber der kommunistischen Pravda tätig, September 1919 Rückkehr in die russische sozialistische föderative Sowjetrepublik. 30 Unter dem Vorbehalt, daß sich exakte Aussagen aufgrund der lückenhaften Quellenlage nicht treffen lassen, wird in der Forschung davon ausgegangen, daß im Ersten Weltkrieg insgesamt etwa 2,1 Mio. ö.-u. Soldaten in russische Kriegsgefangenschaft gerieten. Davon waren zwischen 500.000 und 700.000 spätere Deutschösterreicher. Der Rücktransport der Kriegsgefangenen war durch eigene Kommissionen organisiert, kam nach dem Ende des Krieges aber u. a. durch die Wirren des russischen Bürgerkrieges ins Stocken und dauerte noch bis ins Jahr 1922. Vgl. Reinhard Nachtigall, Kriegsgefangenschaft an der Ostfront 1914–1918, Frankfurt am Main 2005, S. 15–19 und S. 140; ders., Kriegsgefangene der Habsburgermonarchie in Russland, in: Österreich in Geschichte und Literatur mit Geographie, 40. Jahrgang, Heft 4–5a (1996), S. 248–262; Alon Rachamimow, POWs and the Great War. Captivity on the Eastern Front, Oxford 2002, S. 34–44. 31 Der Staatssekretär für Inneres übermittelte am 20. November 1918 einen polizeilichen Bericht über die Vorfälle des 12. November an den Staatssekretär für Äußeres. Darin wurde u. a. die Zusammenarbeit der Putschisten mit der russischen Kriegsfürsorgekommission, insbesondere mit Berman konstatiert. Die Polizeidirektion Wien hatte schon seit längerer Zeit wiederholt auf die Verbindungen der russischen Kommission mit der roten Garde und der kommunistischen Partei hingewiesen. Berman wurde sodann am 22. November 1918 zu einem Gespräch in das Staatsamt für Äußeres geladen, die Kriegsfürsorgekommission blieb unter polizeilicher Beobachtung. Am 22. März 1919 empfahl die Polizeidirektion Wien dem Staatsamt für Inneres schließlich Berman abzuberufen. Allerdings befand er sich zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht mehr im Land. Berman hatte Wien zusammen mit 45 weiteren Mitgliedern der Kommission, am 19. Januar 1919 zunächst in Richtung Budapest verlassen. Vgl. dazu das umfangreiche Material in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 10/2–10/25, Fasz. Deutsch-Österr. 10/13 Frage der Heimsendung der russ. Kriegsgefangenenfürsorgekommission sowie das von der Polizeidirektion Wien gesammelte Material über die Aktivitäten der roten Garde und ihre Verbindungen zu Berman und der Kriegsgefangenenfürsorgekommission, das auch die Empfehlung zu dessen Abberufung enthält in AdR, BKA/Inneres, 22/NÖ, StAI, GZl. 563/1918, rote Garde; kommunistische Umtriebe; weiters das Material in ebd., 22/gen., StAI, GZl. 2.499/1919, Polizeidirektion Wien, Russische Kriegsgefangenen Fürsorgekommission, Bolschewistische Agitation. Vgl. außerdem Moritz/Leidinger, Zwischen Nutzen und Bedrohung, S. 263–277.
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N e u n t e u f e l richtet an den Staatssekretär für Äußeres die A n f r a g e, ob er nicht mit Rücksicht auf unsere auswärtigen Beziehungen das Staatssekretariat für Heerwesen veranlassen wolle, eine n e u e A u s h e b u n g vorzunehmen. Es sei auch gut, der Bevölkerung zum Bewußtsein zu bringen, daß auch die Republik eine Militärmacht brauche. B a u e r: Wenn es uns möglich wäre, uns militärisch zu stärken, so würden wir damit zweifellos unsere Lage gegenüber den anderen Nationen des ehemaligen Österreich wesentlich verbessern. Auf einen Krieg können wir es allerdings nicht ankommen lassen, weil wir ihn niemals gegen eine dieser Nationen allein, sondern immer gegen die Entente zu führen hätten. Wir haben aber die Erfahrung gemacht, daß in einem Bezirk, wo keine Wehrmacht war, die Tschechen oder Südslaven ohne weiteres eingerückt sind, während sie dorthin, wo wir Truppen haben, erst gar nicht kommen, um Blutvergießen zu vermeiden. Die Wehrlosigkeit Deutschböhmens ist nur eine Folge der Tatsache, daß in Deutschböhmen die Aufstellung der Volkswehr besonders schlecht gelungen ist.32 Selbstverständlich müßte sich die Zahl der unter den Waffen zu haltenden Mannschaft in den Grenzen bewegen, die uns durch den Waffenstillstandsvertrag gezogen sind.33 W o l f verweist drauf, daß in Deutschböhmen die Bildung von Volkswehren unmöglich ist. Es gibt dort kein Militär, weil die deutschen Truppen durch Tschechischböhmen nicht durchgelassen werden; die Aufstellung einer Volkswehr aus den zurückgebliebenen Männern ist aber unmöglich, weil von Eger bis Grulich ganze Dörfer in Bezug auf die Jahrgänge von 18 bis 40 Jahren ausgestorben sind. Deutschböhmen muß daher von hier aus unterstützt werden, oder man muß darauf eingehen, daß Truppen aus Deutschland kommen. Eine Militärmacht muß aber aufgestellt werden, weil sonst Deutschböhmen Stück für Stück verlorengeht. Präs. Dr. D i n g h o f e r teilt mit, daß Dr. von Langenhan günstige Nachrichten über den Stand der Ernährungsfragen in Berlin sendet und daran die Bitte knüpft, dem Staatssekretär des Reichsernährungsamtes Wurm34 in möglichst feierlicher Weise den Dank des Staatsrates für seine ganz außerordentlichen Bemühungen um die Ernährung Deutschösterreichs auszudrücken. Der Staatsrat beschließt, diesen Dank nach Berlin zu telegraphieren und zu publizieren.35 Vgl. dazu den Bericht des Staatssekretärs für Heerwesen, Josef Mayer, über seine Reise durch Deutschböhmen und die Lage der dort aufgestellten Volkswehreinheiten in Neue Freie Presse. Morgenblatt, 23. November 1918, S. 2 „Die Volkswehr in Deutschböhmen. Äußerungen des Staatssekretärs Mayer“. Die Schwächen in der Organisation erklärte Mayer vor allem damit, daß man sich „über den Wirkungskreis noch nicht im klaren ist“. Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 33 Nach Paragraph 2 der Bedingungen des Waffenstillstandes war innerhalb der Grenzen ÖsterreichUngarns ein Maximum von 20 Divisionen in Friedensstärke erlaubt. Der Staatssekretär für Heerwesen, Josef Mayer, gab den Anteil Deutschösterreichs mit 5 Divisionen an. Vgl. SRP Nr. 18 vom 5. November 1918. Die Waffenstillstandsbedingungen finden sich in Politische Chronik. Mit der Beilage Parlamentarische Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Heft 11, November 1918, S. 537 f „Annahme der italienischen Bedingungen durch ÖsterreichUngarn und Abschluß des Waffenstillstandes“. 34 Emanuel Wurm, Journalist, Reichstagsabgeordneter, 14. November 1918 bis 13. Februar 1919 Staatssekretär im Reichsernährungsamt. 35 Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 20. November 1918, S. 2 „Günstiger Stand der Verhandlungen in Berlin in der Ernährungsfrage“ und Wiener Zeitung, 20. November 1918, S. 5 „Kleine Chronik. Zur Ernährungsfrage“. Vgl. dazu auch SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Die Delegation erreichte von der deutschen Regierung jedoch nur die Zusage zur Lieferung jener 30.000 Tonnen Getreide, die schon im Oktober 1918 vertraglich zugesichert worden waren. Im übrigen forderte sie die österreichische Regierung auf, ihrem Beispiel zu folgen und die Siegermächte um Lebensmittelhilfe zu ersuchen. Vgl. AdR, StK, GZl. 303/1918, Telegramm Eldersch-Gärtner, über Lebensmittelverhandlungen mit Deutschland und der Entente; weiters Hanns Haas, Österreich und die Alliierten 1918–1919, in: Isabella Ackerl/Rudolf Neck (Hg.), Saint Germain 1919. Protokoll des Symposiums am 29. und 32
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Ein Antrag36, betreffend die A u f h e b u n g d e s K r i e g s l e i s t u n g s g e s e t z e s, wird der Heereskommission zugewiesen.37 D e u t s c h stellt Anträge38 über die Versetzung höherer Militärgagisten39 in den Ruhestand und bemerkt dazu, daß wir für die große Zahl der höheren Gagisten keine Verwendung haben und sie in den Ruhestand versetzen müssen, um unser Budget zu entlasten. Präs. Dr. D i n g h o f e r verweist darauf, daß das Grundprinzip des Staatsrates sein müsse, unter allen Umständen zu vermeiden, daß Deutschösterreich als Erbe der alten österreichisch-ungarischen Monarchie erscheint und empfiehlt die Annahme dieser Anträge. D e u t s c h: Nach diesen Anträgen können wir jeden Deutschösterreicher, der nicht einen Dienst macht, welcher uns entspricht, in den Ruhestand versetzen. Das liquidierende Kriegsministerium kann natürlich auch den anderen höheren Gagisten die Bezüge ausbezahlen, aber wir brauchen sie nicht auszubezahlen, soweit sie sich [nicht] für Deutschösterreich erklärt haben. An Mitglieder des ehemaligen Herrscherhauses sollen aber auch die Ruhe genüsse nicht ausbezahlt werden. W o l f verlangt einen Überblick über die Anzahl der zu pensionierenden Offiziere von der fünften Rangklasse aufwärts und über den finanziellen Effekt einer solchen Maßregel. Präs. D i n g h o f e r schlägt vor, diese Anträge einer Kommission zuzuweisen, die auch die juridische Seite dieser Frage durchzuarbeiten hätte, damit nicht Komplikationen mit den Tschechen, Südslaven und Ungarn einerseits und andererseits Komplikationen privatrechtlicher Natur entstehen. A b r a m beantragt, die Beratung über diesen Gegenstand auszusetzen, bis eine greifbarere Vorlage ausgearbeitet sei. W a l d n e r verlangt eine kommissionelle Beratung dieses Gegenstandes und eine Fühlungnahme mit den verschiedenen Nationalstaaten. Er meint, daß wir kein Recht haben, diese Offiziere in den Ruhestand zu versetzen, wohl aber das Recht, ihre Aktivitätsbezüge zu sistieren. Der Staatsrat stellt die Beratung über die Anträge zurück und fordert den Staatssekretär für Heerwesen auf, geeignete Herren aus den Staatssekretariaten der Finanzen, der Justiz und des Innern zur weiteren Bearbeitung dieser Vorschläge heranzuziehen.40
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30. Mai 1979 in Wien (= Wissenschaftliche Kommission zur Erforschung der Geschichte der Republik Österreich. Veröffentlichungen Nr. 11), Wien 1989, S. 11–40, hier S. 14–16. Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei, findet sich allerdings inklusive einer ausführlichen Begründung unter Punkt IX im Beschlußprotokoll dieser Sitzung. Vgl. auch AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.936/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918, 33. Sitzung. Vgl. zudem SRP Nr. 13 vom 31. Oktober 1918, Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 37 vom 19. November 1918. Die Anträge liegen dem Protokoll nicht bei. Der Staatsrat hatte allerdings bereits zuvor einen Antrag auf Pensionierung aller Feldmarschälle, Generalobersten, Generale und Feldzeugmeister einschließlich der Erzherzöge dem Staatskanzler zur Berichterstattung zugewiesen. Renners darauffolgender Antrag wurde allerdings abgelehnt und die Materie war an das Staatsamt für Heerwesen mit dem Auftrag neuerlich zu berichten, weitergeleitet worden. Vgl. SRP Nr. 32 vom 13. November 1918 sowie SRP Nr. 33 vom 14. November 1918. Zur Problematik vgl. auch AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.967/1918, Sanierung der Standesverhältnisse der Mil.Berufsgagisten. Zu diesbezüglichen zentralen Wünschen und Forderungen der Betroffenen vgl. die Eingaben des Verbandes deutschösterreichischer Militärgagisten an das Staatsamt für Heerwesen in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.136/1918, Memorandum des Verbandes döst. Militärgagisten, Beantwortung an den Verband sowie Zl. 2.137/1918, Verband der Militärgagisten, Gründung, Erstes Memorandum, Vorarbeiten zur Sanierung der Offiziersfrage. Gagist: Berufsmilitärangehöriger. Vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.243/1918. Die Berichterstattung erfolgte direkt an die Staatskanzlei, vgl. dazu AdR, StAHw, Abt. 1, GZl. 96-381/6, Zl. 13.516/1919; AVA, FHKA, k.k. Finanzmi-
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D e u t s c h legt den Entwurf eines Gesetzes41 über die S c h a f f u n g v o n Z i v i l k o m m i s s ä r e n f ü r d i e V o l k s w e h r vor. In der Begründung der Vorlage führt er aus, daß das Staatsamt für Heerwesen sich einerseits gegen die Überwucherung der bürokratischen Hierarchie der Generalstabsoffiziere und andererseits gegen den versuchten Despotismus der Soldatenräte wehren müßte. Die Zivilkommissariate sollen ein Departement des Staatsamtes für Heerwesen sein und die Aufgabe haben, den Einfluß des Staatsamtes auf die Organisation, die Dienstführung, die moralische Haltung und die Gesundheit des Heeres in demokratischem Sinne sicherzustellen. Über Antrag des Staatsnotars Dr. S y l v e s t e r wird diese Vorlage der H e e r e s k o m m i s s i o n z u g e w i e s e n.42 D e u t s c h erstattet hierauf den Bericht43 über den Stand der D e m o b i l i s i e r u n g. Er teilt mit, daß die Demobilisierung auf einzelnen Linien, insbesondere auf der Westbahn, so gut wie beendet ist. Auf der Südbahn dürfte sie bis längstens Ende dieser Woche fertig sein. Über den Transport der so wertvollen Sachgüter sind Vereinbarungen mit den anderen Nationen im Zuge.44 Den Tschechen wurde die Konzession gemacht, daß ihre Transporte die Waffen in einem geschlossenen Waggon mitführen dürfen, ebenso einen Waggon mit Lebensmittel und einen Waggon mit Futter.45 Als Gegenleistung haben sie sich bereit erklärt,
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nisterium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.937/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates vom 19. November 1918. Vgl. weiters SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. Der Gesetzentwurf liegt dem Protokoll nicht bei. Die Einrichtung des Zivilkommissariates erfolgte später durch eine Verordnung des Staatsamtes für Heerwesen. Vgl. dazu SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. Der Bericht liegt dem Protokoll nicht bei. In der Sitzung des Heeresausschusses der Provisorischen Nationalversammlung vom 22. November 1918 erstattete Deutsch ebenfalls Bericht über den Stand der Demobilisierung. Vgl. dazu PA, Prov. NV (1918–1919), Ausschüsse/A. für Heerwesen, Sitzung vom 22. November 1918; weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 23. November 1918, S. 5 „Unterstaatssekretär Dr. Deutsch über die Demobilisierung“. Zu den Verhandlungen mit den Nachfolgestaaten der Monarchie über die Durchführung der Sachdemobilisierung vgl. KRP Nr. 10/2 vom 13. November 1918, wo Unterstaatssekretär Riedl einige Grundsätze der Sachdemobilisierung beschrieb sowie KRP Nr. 11/1 vom 15. November 1918. Zu den Verhandlungen, betreffend die Durchführung der Demobilisierung mit der Eisenbahn vgl. das Material, darunter auch die Niederschrift einer Sitzung am 26. November 1918, an der auch polnische, ukrainische und tschechoslowakische Vertreter teilnahmen, in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.949/1918, Liquidierendes Kriegsministerium, finanzielle Fragen des Eisenbahn-Demobilisierungsverkehrs. Vgl. weiters die Protokolle der Gesandtenkonferenz, wo die Sachdemobilisierung ebenfalls einen zentralen Diskussionspunkt bildete in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz. Am 13. Dezember 1918 einigten sich die deutschösterreichische und die tschechoslowakische Regierung über ein vorläufiges Übereinkommen, betreffend die Aufteilung der Demobilisierungssachgüter sowie sonstigen Kriegsmaterials. Vgl. dazu AdR, StAfKÜ, Bureau, Zl. 98/1918, Amtsveranlassung, Vorläufiges Uebereinkommen mit der tschecho-slovakischen Regierung über die Demobilisierungsgüter. Vgl. dazu auch Hanns Haas, Die deutschböhmische Frage 1918–1919 und das österreichisch-tschechoslowakische Verhältnis. Teil I, in: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum 13 (1972), S. 336–383, hier S. 365. Das Staatsamt verfügte, entsprechend den Vereinbarungen über Durchzugsrechte von Ententetruppen im Waffenstillstandsvertrag vom 3. November 1918, daß den Transporten Waffen und Pferde zu belassen seien, diese allerdings gesondert in verschlossenen Waggons mitgeführt werden müßten. Diese Bestimmungen wurden in einer am 16. November 1918 im Staatsamt für Äußeres abgehaltenen Sitzung festgelegt, an der u. a. Staatssekretär Otto Bauer, Unterstaatssekretär Julius Deutsch und der tschechoslowakische Gesandte Vlastimil Tusar teilnahmen. Eine Abschrift des Sitzungsprotokolls liegt in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.847/1918. Vgl. ferner AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.083/1918, Durchtransport neugebildeter Tschechoslovakischer Legionsformationen und AdR, BKA/AA, NPA,
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alle deutschen Waren durch Tschechien nach Deutschösterreich durchzulassen, ebenso alle deutschböhmischen Truppenkontingente durch Tschechien nach Deutschböhmen rollen zu lassen, Transporte, die bisher den Umweg über Bayern machen mußten.46 Das Geschütz- und das andere Material, das noch im Süden steht, wird nach einem mit den Tschechen und Polen vereinbarten Schlüssel verteilt und abtransportiert werden. Für die Pferde, von denen in Tirol 10.000 und im Süden gegen 7.000 zum Abtransport bereit stehen, haben wir noch keine Futtermittel.47 Die Pferde werden gegen einfache Übernahmsscheine an Landwirte und zum Teil auch an Industrielle übergeben, ein Teil der Tiere wird der Schlachtung zugeführt und ein dritter Teil von der Landesregierung verkauft, was besonders in Graz mit großem Geschick gemacht wird.48 Die Abrüstung der Reserveoffiziere und Ruheständler ist im Wesen in Durchführung begriffen. Was den A u s b a u d e r V o l k s w e h r49 anbelangt, so haben wir jetzt in Wien bei der Volkswehr 120 Offiziere, 7.217 Mann. Die Mannschaft wird jetzt ganz anders gesichtet als in den ersten Tagen. Die Entlassung, die in unseren Händen ist, ist ein wirksames Instrument. In der Provinz, mit Ausnahme der Sudetenländer, ist die Zahl der Mannschaft auf 25.342 gestiegen. Außer dieser Volkswehr besitzt die Provinz noch eine Bürgerwehr von 6.800 Mann, die allmählich in die Volkswehr aufgehen dürfte. Wir haben also von der uns nach dem Waffenstillstandsvertrag zustehenden Wehrmacht von ungefähr 60.000 Mann bereits 40.000 Mann aufgestellt.50
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Liasse Tschechoslowakei 9/1, Protokoll vom 16.11.1918 betr. Transporte. Vgl. auch Deutschösterreichisch-tschechoslowakische Konferenz zur Regelung bilateraler Transportfragen. Protokoll, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1993, S. 153–154 Zu den Truppentransporten via Passau nach Eger vgl. den „Bericht über den Abtransport“ der Sammelstelle für Deutschböhmen, Deutschmährer u. Deutschschlesier vom 16. November 1918, der bis zu diesem Datum 8 Transporte im Umfang von insgesamt 15.200 Mann und 672 Offizieren verzeichnete. Der Bericht findet sich in AdR, ObH 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Allgemein Dpt. XIV Militär, Zl. 5.651/1918; weiters auch AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.705/1918, Transport nach Nordböhmen. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 755/1918, Futterzuweisung für Tirol und Kärnten. Das Staatsamt für Heerwesen reagierte Anfang Dezember 1918 auf die sich häufenden Klagen über Mißstände in der Versorgung der Militärpferde mit der Herausgabe von „Richtlinien über die Verwertung der Pferde“. Vgl. KA, Nachlaß Josef Mayer B/858, Konvolut 5, 1025. Zur schwierigen Bewachungs- und Versorgungslage vgl. u. a. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 341/1918, Beistellung von Pferdewärtern seitens des Militärkommandos für die Pferdeverwertungsstellen und Pferdespitäler; weiters Zl. 434/1918, k.k. Ministerium für Landesverteidigung, Verfügung vom 4. November 1918, betr. Pferdewärter bei den berittenen Truppen in Deutsch-Österreich, sowie Zl. 1.105/1918, Ausgabe zu Futterersparnissen. Zum Verkauf von Militärpferden vgl. auch Zl. 475/1918, weiters Zl. 1.104/1918. Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Gleich mit Beginn seiner Tätigkeit versuchte das Staatsamt für Heerwesen, sich einen Überblick über die in Wien und in den ehemaligen Kronländern gebildeten Volkswehren zu verschaffen. Die „Nationalräte“ in Wien, Linz, Graz, Klagenfurt, Innsbruck und Salzburg wurden telegrafisch aufgefordert, Angaben über Bezeichnung der Formationen, deren Standort, deren Verwendung, deren Mannschaftsstärke und Bewaffnung sowie die Namen der Kommandanten an das Staatsamt zu übermitteln. Vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2/1918, Evidenzen über aufgestellte Volkswehren. Zur Aufstellung der Volkswehr vgl. weiters Julius Deutsch, Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen, Wien o. J., S. 25–33; Karl Glaubauf, Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik, Wien 1993, S. 26–30; Karl Haas, Studien zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie. 1918–1926, phil. Diss., Wien 1967, S. 16–45 sowie in vergleichender Perspektive zu den Entwicklungen in Deutschland Francis L. Carsten, Revolution in Mitteleuropa 1918–1919, Köln 1973, S. 63–87.
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S c h o i s w o h l teilt einen B e f e h l d e s M i l i t ä r k o m m a n d o s v o n G r a z mit, nach welchem sich alle zur militärischen Dienstleistung verpflichteten Mannschaften der deutschen Steiermark vom 18. bis zum 42. Lebensjahre, die ohne Erlaubnis ihre militärischen Dienststellen verlassen haben, bei ihren zuständigen Kommanden zur Dienstleistung zu melden haben51, und fragt, ob das Militärkommando das Recht zu einer solchen Verfügung habe. D e u t s c h verspricht, sich in dieser Angelegenheit mit Graz in Verbindung zu setzen. W a l d n e r beschwert sich darüber, daß in Kärnten einfach in die Scheunen eingebrochen werde, um Futter für die Armeepferde herbeizuschaffen. D e u t s c h verweist darauf, daß Befehl gegeben wurde, diese Pferde sobald als möglich der Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Nächste Sitzung: Mittwoch den 20. d. M., 10 Uhr vormittags. Schluß der Sitzung: 7 Uhr abends.
Der Befehl wurde im „Grazer Tagblatt“ veröffentlicht. Vgl. Grazer Tagblatt, 17. November 1918, S. 3 „Einrückung der 18- bis 42-jährigen“.
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Beschlüsse der 38. Sitzung des Staatsrates vom 19. November 1918 (von ½ 4 Uhr nachmittags bis ½ 8 Uhr abends). Vorsitzender: Präsident Dr. Franz D i n g h o f e r. I. Antragsteller: Unterstaatssekretär des Innern Otto G l ö c k e l. Beschluß: Der Bericht über die Vorgänge am 12. November 1918 wird zur Kenntnis genommen. II. Antragsteller: Staatsrat Dr. Stephan von L i c h t. Beschluß: Der Bericht über den Entwurf eines Gesetzes über die Führung des Staatshaushaltes vom 1. November 1918 bis 30. Juli52 1919 sowie der Entwurf selbst werden genehmigend zur Kenntnis genommen. An das Staatsamt der Finanzen. III. Antragsteller: Staatsrat Dr. Stephan von L i c h t. Antrag: Entwurf eines Gesetzes über die Kontrolle der Staatsschuld Deutsch-Österreichs. Beschluß: 1.) Der erste Satz des § 1: „Zur Ausübung der Kontrolle über die gesamte Staatsschuld Deutsch-Österreichs wird eine Kommission eingesetzt“ wird angenommen. 2.) Über Antrag des Präsidenten S e i t z beschließt der Staatsrat, den zweiten Satz des § 1 wie folgt zu formulieren: „Sie besteht aus 10 von der Nationalversammlung gewählten sachkundigen Personen.“ Der letzte Satz des § 1, lautend: „Für jedes Mitglied ist auch ein Ersatzmitglied zu wählen“, entfällt. 3.) Im § 2 werden die Worte „neugewählte konstituierende“ gestrichen. 4.) Der erste Satz im § 3 wird gestrichen, so daß der erwähnte § lautet: „Der Kommission steht die Kontrolle über die gesamte Gebarung der Staatsschuld zu.“ 5.) Der § 4 wird in folgender Fassung angenommen: „Alle Urkunden, durch die Staatsschulden begründet werden, sind von dem Staatsnotar und für die Staatsschulden-Kontrollkommission von einem Mitgliede gegenzuzeichnen. Der Staatssekretär der Finanzen ist verpflichtet, der Kommission alle zur Ausübung der Kontrolle erforderlichen Nachweisungen zur Verfügung zu stellen.“ 6.) Der § 5 hat folgendermaßen zu lauten: „Die Staatsschulden-Kontroll-Kommission hat der Nationalversammlung jeden Monat Bericht zu erstatten. Hat die Kommission eine Unregelmäßigkeit bei der Gebarung der Staatsschuld festgestellt, so ist die Nationalversammlung über Antrag der Kommission unverzüglich einzuberufen.“ 7.) Der § 6 des Entwurfes, lautend: „Die Mitglieder der Staatsschulden-Kontroll-Kommission stehen unter Ministerverantwortlichkeit.“ wird gestrichen. Richtig: Juni.
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8.) Der § 7, lautend: „Mit dem Vollzuge dieses Gesetzes wird der Staatsrat betraut.“ wird als § 6 angenommen. An das Staatsamt der Finanzen. IV. Antragsteller: Staatsrat Simon A b r a m. Antrag: Zu dem Berichte des Herrn Staatsrates Max F r i e d m a n n über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Biersteuer, stellt der Herr Staatsrat Simon Abram den Antrag, es möge die Beratung über diesen Gegenstand vorläufig ausgesetzt werden. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An das Staatsamt der Finanzen. V. Antragsteller: Staatsrat Dr. Stephan von L i c h t. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, den Herrn Staatsrat Dr. Stephan von L i c h t zu dem am Sonntag, den 24. November 1918, in Mähr.-Ostrau stattfindenden Kreistage zur Wahrung der deutschösterreichischen Interessen als Delegierten zu entsenden. Ferner nimmt der Staatsrat einen Bericht des genannten Staatsrates über Vorgänge nationaler Natur in Neutitschein zur Kenntnis. VI. Antragsteller: Staatsrat Dr. Aemilian S c h o e p f e r. Antrag: Der genannte Staatsrat stellt an den Herrn Staatssekretär des Äußern Dr. Otto B a u e r die Anfrage, ob es im Äußeren Amte bekannt sei, wie weit die italienischen Truppen zur Zeit des Abschlusses des Waffenstillstandes in Südtirol vorgerückt seien, welche Tatsache für die Feststellung notwendig sei, welche Truppenteile der österr.ung. Armee von den Italienern vertragswidrig gefangengenommen worden sind, und ob seitens des Staatsamtes des Äußern bereits inoffizielle Friedensverhandlungen, welche die definitiven Verhandlungen vorbereiten könnten, mit der Entente angeknüpft worden sind. Beschluß: Die hierauf erteilten Ausführungen des Herrn Staatssekretär des Äußern Dr. B a u e r werden zur Kenntnis genommen. An das Staatsamt des Äußern. VII. Antragsteller: Staatsrat Wilhelm M i k l a s. Antrag: Der Herr Staatsrat stellt an den Herrn Staatssekretär Dr. Otto Bauer im Hinblicke auf die Vorgänge vom 12. November 1918 und mit Rücksicht auf den von dem Herrn Unterstaatssekretär des Innern Otto G l ö c k e l in diesem Belange erstatteten Bericht (siehe Punkt I) das Ersuchen, die Beziehungen zu der von der offiziellen Sowjetregierung entsendeten Kriegsgefangenenkommission einer Revision zu unterziehen. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, den Herrn Staatssekretär des Äußern Dr. Otto B a u e r aufzufordern, sich den Bericht des Herrn Unterstaatssekretärs Otto G l ö c k e l über die Vorgänge am 12. November 1918, der heute dem Staatsrate erstattet worden ist, zu verschaffen und auf Grund desselben in Erwägung zu ziehen, ob und welche Maßnahmen zu treffen wären. An das Staatsamt des Äußern.
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VIII. Antragsteller: Staatssekretär des Äußern Dr. Otto B a u e r.53 Antrag: Dr. von L a n g e n h a n sandte gestern günstige Nachrichten über den Stand der Ernährungsfrage in Berlin und bittet anknüpfend, dem Herrn Staats sekretär des Reichsernährungsamtes Emanuel W u r m in möglichst feierlicher Weise den Dank des Staatsrates für seine ganz außerordentlichen Bemühungen um die Ernährung Deutschösterreichs auszudrücken und für eine Publikation des Dankes entsprechend zu sorgen. Beschluß: Wird angenommen. An das Staatsamt des Äußern. IX. Antragsteller: Staatssekretär für Heerwesen Johann M a y e r. Antrag: Der Staatssekretär für Heerwesen wird ermächtigt, das Kriegsleistungsgesetz aufzuheben. Begründung: Das Gesetz vom 26. Dezember 1912, RGBl. Nr. 236, bestimmt im § 2: „Der Zeitpunkt, mit dem die Verpflichtung zu Kriegsleistungen, sowie jener, mit dem diese Verpflichtung erlischt, wird vom Minister für Landesverteidigung verlautbart.“ Der § 27, Absatz 1, weist darauf hin, daß auch Beginn und Ort der Verpflichtung zu Kriegsleistungen vom Minister für Landesverteidigung bestimmt werden. Ferner spricht § 33, Abs. 1, davon, daß Ansprüche bezüglich der Ver gütung und Entschädigung innerhalb von 6 Monaten von dem Tage gerechnet, an welchem das Aufhören der Verpflichtung zu Kriegsleistungen im Sinne des § 2 verlautbart wurde, anzumelden sind. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, daß der Zeitpunkt des Erlöschens der Verpflichtung zu Kriegsleistungen vom Minister für Landesverteidigung im Verordnungswege festzusetzen ist. Der Zeitpunkt des Beginnes der Verpflichtung zu Kriegsleistungen wurde mit Verordnung des Ministeriums für Landesverteidigung vom 25. Juli 1914, RGBl. Nr. 17054, festgesetzt. Beschluß: Wird der Heereskommission zugewiesen. X. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. Julius D e u t s c h. Antrag: Der genannte Herr Unterstaatssekretär erstattet ein Referat, betreffend die Sanierung der Standesverhältnisse der Militärberufsgagisten. Beschluß: Über Antrag des Staatsrates Raimund N e u n t e u f e l auf Schluß der Debatte, der angenommen wird, und über Antrag des Staatsrates Simon A b r a m wird die Verhandlung über diesen Gegenstand von der Tagesordnung abgesetzt und wird das Staatsamt für Heerwesen beauftragt, über diesen Gegenstand nach Referatserstattung in der Kabinettssitzung neuerlich dem Staatsrate zu berichten. An das Staatsamt für Heerwesen. Möglicherweise handelte es sich hier um einen Irrtum, laut Protokolltext referierte nicht Bauer, sondern Dinghofer zu diesem Punkt. 54 RGBl. Nr. 170, Verordnung des Ministeriums für Landesverteidigung vom 25. Juli 1914, mit der auf Grund des § 2 des Gesetzes vom 26. Dezember 1912, RGBl. Nr. 236, betreffend die Kriegsleistungen, der Zeitpunkt des Beginnes der Verpflichtung zu Kriegsleistungen verlautbart wird, ausgegeben am 26. Juli 1914. 53
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XI. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. Julius D e u t s c h. Antrag: Bericht des Herrn Unterstaatssekretärs über die Bestellung von Zivilkommissären für die Volkswehren. Beschluß: Über Antrag des Präsidenten Dr. Franz D i n g h o f e r wird das Staatsamt für Heerwesen beauftragt, den Bericht zunächst der Heereskommission vorzulegen, welche darüber dem Staatsrat ein Referat zu erstatten hätte. An das Staatsamt für Heerwesen. XII. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. Julius D e u t s c h. Antrag: Bericht über die Demobilisierung. Beschluß: Wird zur Kenntnis genommen. An das Staatsamt für Heerwesen. Schluß der Sitzung um ½ 8 Uhr abends. Nächste Sitzung morgen Mittwoch, den 20. November 1918, 10 Uhr vormittags.
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39.1 [Mittwoch] 1918-11-20 Vorsitz: Anwesend:2 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Abram, Ellenbogen, Fink, Freißler, Gruber, Hanusch, Heine, Jerzabek, Keschmann, Langenhan, Licht, Miklas, Ofner, Pacher, Renner, Schoepfer, Sylvester, Teufel unbekannt 10.10–12.00 Uhr3
Reinschrift, Beschlußprotokoll Beilagen: 39/VII
39/IX
Antrag des Staatssekretärs für soziale Fürsorge (½ Seite); Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsrates betreffend die Anforderung in Bestand oder in Anspruch genommener Liegenschaften für öffentliche Fürsorgezwecke (4½ Seiten). Vorlage des Staatssekretärs für soziale Fürsorge an den Staatsrat (½ Seite); Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsrates vom … betreffend die Ausdehnung der Arbeitslosenunterstützung auf Angestellte (1 Seite).
Präs. Dr. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 10 Minuten und gibt bekannt, daß für Herrn Dr. Wichtl4 als Ersatzmann Herr Dr. Jerzabek5 und für Herrn Dr. Bodirsky als Ersatzmann Herr Heine an der heutigen Sitzung teilnimmt, ferner daß die Staatsräte Iro, Dr. Licht, Dr. Schoepfer, Dr. Ellenbogen u. Fink sich entschuldigt haben, weil sie an der von der Finanzkommission des Staatsrates abzuhaltenden Enquete6 teilnehmen müssen. Die
Die Sitzung wurde im Protokoll irrtümlich als 34. Sitzung numeriert und handschriftlich korrigiert. Dem Protokoll liegt keine Präsenzliste bei. Die anwesenden Personen ergeben sich aus dem Protokolltext. 3 Im Beschlußprotokoll werden der Beginn der Sitzung mit 10.00 und der Schluß mit 12.15 Uhr angegeben. 4 Es handelt sich offensichtlich um einen Irrtum. Gemeint ist wahrscheinlich die Vertretung Dr. Jer zabeks durch das Nicht-Staatsratsmitglied Dr. Wichtl, die einen Sonderfall darstellt. Dr. Jerzabek war eigentlich Ersatzmann für Dr. Baechlé. Der Ersatz eines Ersatzmannes war in der Geschäftsordnung des Staatsrates nicht vorgesehen. Dr. Friedrich Wichtl, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 5 Dr. Anton Jerzabek war laut Sitzungsverlauf nicht anwesend. 6 Die Einführung einer Vermögensabgabe war ein bereits zu Kriegszeiten diskutiertes Thema. Das vorliegende Vorhaben stellte die Fortführung einer noch während der Monarchie vom Finanzministerium in Aussicht genommenen, jedoch nie umgesetzten Aktion dar. Damals war angedacht worden, eine dauerhafte Vermögensabgabe zu niedrigen und eine einmalige Vermögensabgabe zu höheren Sätzen einzuführen. Der Staatssekretär für Finanzen, Steinwender, beabsichtigte nun eine einmalige Besteuerung von Vermögen vorzunehmen, die von einer Vermögenszuwachsabgabe auf während des Krieges gemachte Gewinne begleitet werden sollte. Die Finanzkommission des Staatsrates bestellte hierauf einen Kreis von Experten, darunter Wirtschaftstreibende, Gewerkschafter, Journalisten und Rechtsanwälte zur Beratung, betreffend diese in Aussicht genommene Vermögensabgabe bzw. Ver mögenszuwachsabgabe. Diese Enquete fand an sieben Terminen im November und Anfang Dezember 1918 statt. Die in den Diskussionen geäußerten Standpunkte, teilten sich in befürwortende Stimmen, die damit argumentierten, daß die Vermögensabgabe aufgrund des erwarteten finanziellen Gewinns in der aktuellen wirtschaftlichen Situation alternativlos sei und gegnerische Positionen, die vor allem auf 1 2
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Herren sind aber bereit, bei wichtigen Anlässen in der Sitzung zu erscheinen. Sie werden daher als präsent geführt.7 Das Protokoll der letzten Sitzung wird beglaubigt. Dr. R e n n e r: Ich habe einige administrative Angelegenheiten vorzubringen. Ich möchte zunächst ersuchen, daß das Staatsamt des Innern ermächtigt werde, im Böhmerwald-Gebiete zwei neue oberösterreichische Bezirkshauptmannschaften, nämlich in Bergreichenstein und in Neuern zu errichten. A n g e n o m m e n.8 Dr. R e n n e r: Weiters müssen einige Vorlagen zur Verifizierung gelangen. Erstens: der Beschluß vom 12. November betreffend die feierliche Beitrittserklärung der Länder, Kreise und Gaue des Staatsgebietes. Ich beantrage, diese feierliche Beitrittserklärung9 ist zu genehmigen.
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die Schwierigkeit der Umsetzung dieser Maßnahme hinwiesen und zudem eine Gefährdung des Wirtschaftsstandortes durch Kapitalflucht befürchteten. Staatssekretär Steinwender schloß die Enquete mit der Bemerkung, daß unter den Experten zwar prinzipiell Einigkeit über die allgemeine Notwendigkeit der Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe herrsche, der richtige Zeitpunkt der Umsetzung aber noch umstritten sei. Die Frage der Vermögensabgabe wurde aber kontinuierlich weiter diskutiert. Im Jahr 1920 wurde die Vermögensabgabe schließlich umgesetzt. Vgl. zur Enquete Stenographisches Protokoll, Enquete der Finanzkommission des deutschösterreichischen Staatsrates über die Vermögensabgabe und Vermögenszuwachsabgabe am 20., 25., 26., 28., 29., 30. November und 2. Dezember 1918, o. O. u. J. Vgl. weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 15. November, S. 9 „Die Vermögensabgabe“; Morgenblatt, 21. November 1918, S. 7 „Der Economist. Enquete über Vermögensabgabe und Vermögenszuwachssteuer“; Morgenblatt, 26. November 1918, S. 7 „Der Economist. Enquete über Vermögensabgabe“; Morgenblatt, 3. Dezember 1918, S. 8 „Wien, 2. Dezember. Die Enquete über die Vermögensabgabe“; Morgenblatt, 5. Dezember 1918, S. 12 „Wien, 4. Dezember. Die Ergebnisse der Enquete über die Vermögensabgabe“; Wiener Zeitung, 21. November 1918, S. 10 „Handel, Industrie, Verkehr und Landwirtschaft. Enquete über die Vermögensabgabe“; 26. November 1918, S. 1 „Nichtamtlicher Teil. Inland. Enquete über die Vermögensabgabe“; 27. November 1918, S. 3 „Enquete über die Vermögensabgabe“; 3. Dezember 1918, S. 6 „Nichtamtlicher Teil. Inland. Enquete über die Vermögensabgabe“; Volkswirtschaftliche Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Nr. 11, November 1918, S. 323 f „Enquete über die Vermögensabgabe“; Eduard März, Österreichische Bankenpolitik in der Zeit der großen Wende 1913–1923. Am Beispiel der Creditanstalt für Handel und Gewerbe, München 1981, S. 148, S. 201 f, S. 323–344 und S. 384–392; Hans Hautmann, Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924, Wien/ Zürich 1978, S. 485–489. Vgl. weiters SRP Nr. 40 vom 20. November 1918 und Nr. 45/9 vom 25. November 1918. Laut Sitzungsverlauf waren nur Dr. Jodok Fink und Dr. Stefan Licht anwesend. Vgl. dazu die Abschrift eines Telegrammes vom 10. November 1918, das Renner an die Oberösterreichische Landesregierung in Angelegenheit der sofortigen Übernahme der Amtsgeschäfte gesandt hatte, in AdR, StK, GZl. 339/1919. Am 27. November 1918 urgierte die Staatskanzlei auch bei der oberösterreichischen Landesregierung die „rascheste Durchführung der Übernahme der Verwaltung im Böhmerwaldgau“, da nach einem Telegramm des Vollzugsausschusses Krumau „die Verzögerung großen Schaden bringe“. Vgl. AdR, StK, GZl. 339/1919. Der Böhmerwaldgau war nun in die Sprengel der Bezirkshauptmannschaften Bergreichenstein, Kaplitz, Krumau, Neuern und Prachatitz gegliedert. Vgl. StGBl. Nr. 62, Vollzugsanweisung des Staatsamtes des Innern vom 27. November 1918, betreffend die Ausgestaltung der administrativen Einteilung des Landes Oberösterreich, ausgegeben am 30. November 1918; Paul Molisch, Die sudetendeutsche Freiheitsbewegung in den Jahren 1918–1919, Wien 1932, S. 62. Die Beitrittserklärung liegt dem Protokoll nicht bei. Der Text der Beitrittserklärung findet sich in StGBl. Nr. 23, Beschluß der provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich vom 12. November 1918, betreffend die feierliche Beitrittserklärung der Länder, Kreise und Gaue des Staatsgebietes, ausgegeben am 20. November 1918.
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A n g e n o m m e n.10 Weiters der Beschluß der provisorischen Nationalversammlung betreffend die Nachsicht der Strafen (Amnestie-Beschluß), damit derselbe kundgemacht werden kann. Ich beantrage, der Herr Staatsnotar wird gebeten, die Originalausfertigung zu übernehmen und im Beschlußbuche zu hinterlegen.11 A n g e n o m m e n. Dann das Gesetz vom 14. November 1918, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern. Ich beantrage, der Beschluß wird bekräftigt, der Staatsnotar wird aufgefordert, den Beschluß zu beglaubigen und die Kundmachung zu veranlassen.12 A n g e n o m m e n. Dr. R e n n e r: Weiters habe ich noch zwei Angelegenheiten von großer Wichtigkeit vorzutragen. Der Herr Staatssekretär für Finanzen hat mir vor einigen Tagen erklärt, er könne unmöglich alle Einzelheiten der Finanzgestion übersehen. Der Herr Unterstaatssekretär Dr. von Beck habe ihm zwar einen Teil der Agenden abgenommen, aber der laufende Dienst nehme ihn zu stark in Anspruch. Er möchte sich selbst die finanzpolitischen Agenden vorbehalten und die laufende Finanz- und Kassenverwaltung dem bisherigen Sektionschef Grimm13 übertragen, der dann allerdings als Unterstaatssekretär bestellt werden müßte. Der Herr Staatssekretär für Finanzen beantragt daher, den Herrn Sektionschef Grimm14 als zweiten Unterstaatssekretär zu bestellen. Die Arbeitsteilung innerhalb des Finanzressorts würde selbstverständlich dem Herrn Staatssekretär überlassen bleiben. Im Staatsamte für Volksernährung hat der Staatssekretär Dr. Loewenfeld-Ruß hauptsächlich die Verhandlungen mit den auswärtigen Nationen zu führen. Nun haben wir unlängst beschlossen, zu versuchen, aus Westungarn Lebensmittel zu bekommen.15 Nun kann der Herr Staatssekretär nicht gleichzeitig Verhandlungen mit Ungarn bezüglich der gesetzlichen Zufuhren aus Ungarn führen und die Organisierung der ungesetzlichen Zufuhren durchführen. Daher hat der Herr Staatssekretär beantragt, den bisherigen General-Ernährungsinspektor Obersten Wallensdorfer16 als Unterstaatssekretär zu bestellen. Ich würde diese beiden Maßregeln empfehlen. F i n k: Ich möchte bitten, daß unser Vorschlag wegen Bestellung eines Unterstaatssekretärs für das Staatsamt für soziale Fürsorge17 gleichzeitig in Verhandlung kommt. Der Staatsrat beschließt, die Beratung über die Ernennung neuer Unterstaatssekretäre als 1. Punkt auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung zu stellen.18 Vgl. dazu VAP Nr. 9 vom 28. Oktober 1918. Vgl. weiters Sten. Prot. Prov. NV, 3. Sitzung vom 12. November 1918, S. 77–80. 11 Zur Amnestie vgl. SRP Nr. 18 vom 5. November 1918. 12 Vgl. SRP Nr. 30 vom 11. November 1918. 13 Zur Bestellung des Ferdinand Freiherr von Grimm zum Unterstaatssekretär vgl. SRP Nr. 17 vom 4. November 1918. 14 Im Original wurde an dieser Stelle einstweil gestrichen. 15 Vgl. SRP Nr. 36 vom 16. November 1918, bzw. den geheimen Nachtrag zu SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 16 Norbert Wallenstorfer, Oberst des Generalstabskorps und General-Ernährungsinspekteur, Mitglied des Direktoriums im k.k. Amt für Volksernährung. Zu seiner Zuteilung zum Staatsamt für Volksernährung vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.835/1918, Obst.d.Glstbs. Wallenstorfer, Einteilung. 17 Wurde im Original handschriftlich anstelle von Ackerbauministerium eingefügt. 18 Vgl. dazu SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. 10
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Es gelangt hierauf der E i n l a u f 19 zur Mitteilung. Der Bericht des Staatsrates F r e i ß l e r über die Verhältnisse im Sudetenland wird auf die Tagesordnung der Nachmittag-Sitzung gestellt und werden zu dieser Beratung die Staatssekretäre für Äußeres und für Heerwesen eingeladen.20 Der Bericht des Staatsrates L a n g e n h a n über die Verhandlungen in Berlin wird den Staatssekretären für Finanzen, für öffentliche Arbeiten, für das Verkehrswesen und für das Äußere zur Kenntnisnahme übermittelt.21 Es gelangt hierauf Punkt 2 der Tagesordnung22: „Antrag des Herrn Staatsnotars Dr. S y l v e s t e r, Widmung der Burg Kreutzenstein23 für Bildungszwecke“ zur Verhandlung. Dr. S y l v e s t e r: Herr Graf Wilczek24 hat die Erklärung abgegeben, daß er die Burg Kreutzenstein nicht als eine Privatsammlung, sondern als ein öffentliches allgemeines Bildungsobjekt betrachte, und daß er dieses Bildungsobjekt der Allgemeinheit widme. Er ersucht aber, dieser Burg allenfalls den entsprechenden Schutz, vorläufig einen moralischen Schutz angedeihen zu lassen. Ich stelle daher den Antrag (liest): „Der Staatsrat wolle beschließen: Der Staatsrat nimmt die Erklärung des Grafen Wilczek, die ihm gehörige Burg Kreutzenstein, die als hervorragende kunsthistorische Stätte allseits bekannt ist, allgemeinen Bildungszwecken zu widmen, mit bestem Danke zur Kenntnis und ist bereit, dieser Bildungsstätte jederzeit die staatliche Fürsorge angedeihen zu lassen.“25 Sollte es daher notwendig sein, für die Burg Kreutzenstein irgendeinen Schutz eintreten zu lassen, so müßte das der Herr Staatssekretär für Heerwesen durchführen. Der Antrag wird a n g e n o m m e n. Die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung werden auf Nachmittag verschoben, damit der Staatssekretär für Heerwesen an der Beratung dieser Gegenstände teilnehmen könne.26 Es gelangt hierauf Punkt 5: Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Fürsorge über die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen im Sudetenlande zur Verhandlung. Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. 21 Der Bericht von Langenhan liegt dem Protokoll nicht bei. Vgl. dazu auch SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 und Nr. 38 vom 19. November 1918. 22 Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. 23 Richtig: Burg Kreuzenstein. 24 Johann Nepomuk Graf Wilczek, Polarforscher, Kunstmäzen und -sammler, seit 1875 Präsident der österreichischen geographischen Gesellschaft, 1874 Erwerbung der im 30jährigen Krieg zerstörten Burg Kreuzenstein, danach Restauration zum Zweck der Unterbringung seiner umfangreichen historischen Kunstsammlung. 25 Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. Zur Entstehung der Kunstsammlung und zur Renovierung der Burg Kreuzenstein vgl. Elisabeth Kinsky-Wilczek (Hg.), Hans Wilczek erzählt seinen Enkeln Erinnerungen aus seinem Leben, Graz 1933, S. 135–196. 26 Es handelte sich dabei um Heeresangelegenheiten und die Entsendung militärischer Hilfe nach Znaim. Vgl. AdR, StK, Zl. 469/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 39. Sitzung des Staatsrates vom 20. November 1918. Vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918, Nr. 46 vom 26. November 1918 sowie Nr. 49 vom 28. November 1918. 19 20
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H a n u s c h: In der am 4. November erlassenen Vollzugsanweisung wurde für das Sudetenland nur eine Bezirksstelle in Jägerndorf vorgesehen.27 Nun wird uns mitgeteilt, daß der Sprengel für diese eine Bezirksstelle zu groß ist, daß sie daher geteilt werden müsse. Wir wollen daher eine Nachtragsvollzugsanweisung hinausgeben, in welcher wir festlegen, daß eine Bezirksstelle in Jägerndorf und eine zweite in Mährisch-Schönberg errichtet werden soll. A n g e n o m m e n.28 Punkt 7: Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Fürsorge betreffend die Anforderung in Bestand oder in Anspruch genommener Liegenschaften für öffentliche Fürsorgezwecke.29 H a n u s c h: Während des Krieges sind auf Grund des Kriegsleistungsgesetzes eine ganze Reihe von Liegenschaften angefordert worden. Wir stehen nun vor der Demobilisierung. Mit dem Aufhören der Wirksamkeit des Kriegsleistungsgesetzes müssen nun diese Liegenschaften verlizitiert30 werden.31 Durch diese Vollzugsverordnung soll nun die Möglichkeit geschaffen werden, daß der Staat, sowie die Länder und die Gemeinden in erster Linie diese Liegen Laut § 1 der entsprechenden Vollzugsanweisung war Mährisch-Schönberg als Bezirksstelle für das Sudetenland vorgesehen. Vgl. StGBl. Nr. 19, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 4. November 1918, betreffend die Standorte und Sprengel der Industriellen Bezirkskommissionen, ausgegeben am 19. November 1918. Vgl. auch SRP Nr. 17 vom 4. November 1918. 28 Vgl. StGBl. Nr. 30, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatrates vom 20. November 1918, betreffend die Standorte und Sprengel der Industriellen Bezirkskommissionen im Sudetenlande, ausgegeben am 21. November 1918. 29 Beilage 39/VII: Vollzugsanweisungsentwurf (4½ Seiten). Der Entwurf wurde vom Staatsamt für soziale Fürsorge gemeinsam mit dem Staatsamt für Heerwesen ausgearbeitet. Die Einladung des Staatsamtes für soziale Fürsorge an das Staatsamt für Heerwesen zu einer diesbezüglichen Besprechung, in der auf „die besondere Dringlichkeit des Gegenstandes (Wohnungsfürsorge für Demobilisierte)“ hingewiesen wurde, liegt in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.612/1918, Deutsch-österreichisches Staatsamt für soz. F., Dienstzettel vom 12. November 1918. Ein Bericht über die am 14. November 1918 abgehaltene Besprechung und mehrere Exemplare des Entwurfes der betreffenden Vollzugsanweisung finden sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 1.966/1918, Referentenerinnerung, betreffend die beim Staatsamte für soziale Fürsorge abgehaltene Besprechung über eine Vollzugsanweisung wegen Anforderung in Bestand oder in Anspruch genommener Liegenschaften für öffentliche Fürsorgezwecke. Die Vollzugsanweisung sollte die Verwendung militärischer Liegenschaften für öffentliche Fürsorgezwecke ermöglichen und regelte die Modalitäten in Bezug auf die Anforderung solcher Liegenschaften durch Länder oder Gemeinden sowie deren Übergabe an gemeinnützige Körperschaften. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 31, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 20. November 1918, betreffend die Anforderung in Bestand oder in Anspruch genommener Liegenschaften für öffentliche Zwecke, ausgegeben am 21. November 1918, weitgehend überein, enthält aber keinen Hinweis auf die von Fink und Miklas im Folgenden angeregten Ergänzungen, die in die endgültige Vollzugsanweisung aufgenommen wurden. 30 Verlizitieren: versteigern, an den Meistbietenden verkaufen. 31 Das Kriegsleistungsgesetz (RGBl. Nr. 236/1912), legte für den Kriegsfall auch die temporäre Inanspruchnahme von Immobilien und Grundstücken durch den Staat fest. Die hier angesprochene Regelung der Entschädigung bildete den hauptsächlichen Inhalt einer noch von der k.k. Regierung vorgenommenen Ergänzung des Kriegsleistungsgesetzes. Vgl. RGBl. Nr. 23, Verordnung des Ministeriums für Landesverteidigung vom 23. Jänner 1918, mit der im Einvernehmen mit den beteiligten Ministerien und im Einverständnisse mit dem Kriegsministerium Bestimmungen für die Durchführung des Gesetzes vom 26. Dezember 1912, RGBl. Nr. 236, betreffend die Kriegsleistungen getroffen werden, ausgegeben am 24. Jänner 1918. In weiterer Folge wurde zur Verwertung der militärischen Liegenschaften eine zwischenstaatsamtliche Kommission eingesetzt. Umfangreiches Material dazu, darunter Sitzungsprotokolle der genannten Kommission, findet sich in AdR, StALF, Liegenschaften und Objekte militär. Verwertung 1919–1922. Zum Kriegsleistungsgesetz vgl. auch SRP Nr. 13 vom 31. Oktober 1918 sowie Nr. 36 vom 18. November 1918. 27
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schaften für ihre Zwecke anfordern können. Ich bitte daher um die Ermächtigung, diese Vollzugsanweisung hinausgeben zu können. G r u b e r: § 7 bedarf jedenfalls noch einer Ergänzung. Ich erblicke die größte Schwierigkeit darin, daß jene Stelle, welche ein Objekt bisher in Anspruch genommen hat, das Verfahren einleiten soll. Das ist die Heeresverwaltung. Diejenigen, die die Ubikationen32 bezogen haben, sind auch nicht mehr da. Es müßte daher jemand von der Militärbauabteilung kommen und die Sachen übergeben. Nach Absatz 2 soll durch eine Kommission der durch die Benützung etwa entstandene Schaden festgestellt werden. Nun sind oft gerade die besten Ackerböden in Anspruch genommen worden, es wurden gewalzte Straßen angelegt, Kanalisierungen durchgeführt, so daß der frühere Zustand überhaupt nicht mehr hergestellt werden kann. Nun sind die Besitzer dieser Gründe nicht immer Gemeinden, sondern sehr oft Private, Fabrikanten und Industrielle, die werden verlangen, daß der Schaden gutgemacht werde. Nun heißt es weiter, der Übernehmer hat den Schaden gutzumachen. Es wird sich daher niemand finden, der eine solche Liegenschaft übernimmt, es müßte daher festgesetzt werden, daß dieser Schaden eigentlich von der Heeresverwaltung gutzumachen ist. (H a n u s c h: Wer soll also die Kosten übernehmen?) Die Heeresverwaltung, die den Schaden verübt hat. Es müßte also eigentlich der Staat dafür aufkommen, denn das kann man nicht dem Übernehmer zuwälzen. Ich würde daher beantragen, die Bestimmung, daß die Kosten vom Übernehmer zu tragen sind, zu streichen. M i k l a s: Ich möchte in § 1 den prinzipiellen Zusatz aufgenommen wissen, daß solche Liegenschaften außer für öffentliche Fürsorgezwecke auch für Schulzwecke angefordert werden können. Diese Einschaltung müßte dann auch im Titel erfolgen. F i n k: Nach dem Wortlaute der Verordnung hat der Übernehmer eigentlich nur die Kosten der Kommissionierung zu tragen. Um aber alle Zweifel zu beheben und die Bedenken des Herrn Gruber zu zerstreuen, beantrage ich, im zweiten Absatze des § 7 nach den Worten: „...der Liegenschaft besteht“ einzuschalten: „Der allfällig erhobene Schaden ist vom bisherigen Nutznießer zu tragen.“ Der vorgelegte Entwurf der Vollzugsanweisung wird mit den Zusatzanträgen Miklas und Fink angenommen. Punkt 8: Vollzugsanweisung des Staatsamtes für soziale Fürsorge betreffend die Ausdehnung der Arbeitslosen-Unterstützung auf die Angestellten.33 H a n u s c h: Durch die Vollzugsanweisung vom 4. November ist für die Arbeiter34, durch eine neue Vollzugsanweisung des Justizministeriums ist auch für die Handelsan Ubikation: militärische Unterkunft, Kaserne. Beilage 39/IX: Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite). Damit sollte die Vollzugsanweisung vom 6. November 1918, betreffend die Unterstützung von Arbeitslosen, die bereits in Bezug auf Forst- und Landarbeiter ergänzt worden war, auch für Angestellte gelten. Der Entwurf definierte den Kreis der hierzu Anspruchsberechtigten. Er stimmt zur Gänze mit StGBl. Nr. 32, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 20. November 1918, betreffend die Ausdehnung der Arbeitslosenunterstützung auf Angestellte, ausgegeben am 21. November 1918, überein. 34 Hanusch bezog sich hier wahrscheinlich auf StGBl. Nr. 20, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 6. November 1918, betreffend die Unterstützung der Arbeitslosen, ausgegeben am 19. November 1918. Der hier vorgelegte Entwurf bezieht sich schließlich explizit auf diese Vollzugsanweisung, als deren Erweiterung er sich versteht. Möglicherweise bezieht sich Hanusch aber auch auf StGBl. Nr. 18, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 4. November 1918, betreffend die Arbeitsvermittlung für die Zeit der Abrüstung, ausgegeben am 19. November 1918. Diese Vollzugsanweisung widmet sich zwar hauptsächlich der Einrichtung industrieller Bezirkskommissionen, definiert aber auch Maßnahmen, betreffend die Arbeitslosenfürsorge als einen der Aufgabenbereiche dieser Kommissionen. Vgl. hierzu SRP Nr. 17 vom 4. November 1918. 32 33
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gestellten35 vorgesorgt. Nun gibt es aber eine ganze Reihe von Personen, die weder dem Handlungsgehilfengesetz unterstehen, noch unter das Krankenversicherungsgesetz vom Jahre 188836 fallen. Für diese soll nun durch die Vollzugsanweisung Vorsorge getroffen werden.37 Der Staatsrat genehmigt die Vollzugsanweisung. Dr. O f n e r stellt an den Staatssekretär die Anfrage, was es {sic!} mit dem Kinderarbeitsgesetze38 ist. H a n u s c h: Dieses Gesetz ist in Ausarbeitung39 und wird demnächst ebenso wie das Heimarbeitergesetz40, dann die Vorlage betreffs des Schutzes der Jugendlichen41 und betreffend die Nachtarbeit42 dem Staatsrate vorgelegt werden. Punkt 9: Allfälliges, Initiativanträge etc. Präs. D i n g h o f e r: Es liegen Anträge des Abg. T e u f e l vor, welche dahin lauten (liest): „1.) Aus sicherer Quelle verlautet, die Statthalterei in Prag beabsichtige, das ganze Personale der Kaplitzer Bezirkshauptmannschaft, welches die Angelobung für den deutschösterreichischen Staat bereits geleistet hat, ihres Dienstes zu entheben.43 Gemeint ist hier die Verlängerung des Handlungsgehilfengesetzes (RGBl. Nr. 20/1910) aufgrund einer Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Justiz, die in der 35. Sitzung des Staatsrates beschlossen worden war. Vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 nachmittags. Vgl. StGBl. Nr. 27, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 18. November 1918 über die Aufrechterhaltung von Dienstverhältnissen, die dem Handlungsgehilfengesetz unterliegen, während des Krieges und der Abrüstung, ausgegeben am 20. November 1918. 36 RGBl. Nr. 33, Gesetz vom 30. März 1888, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter, ausgegeben am 6. April 1888. Zur Vorlage eines Gesetzesentwurfes, betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter im Staatsrat vgl. SRP Nr. 59/IIIi vom 16. Dezember 1918. 37 Zur Vorbereitung der Vollzugsanweisung fand im Staatsamt für soziale Fürsorge am 18. November 1918 eine Besprechung zwischen Vertretern des Staatsamtes und der Wirtschaft statt. Vgl. den Bericht in AdR, AuS, StAsF, Sozialpolitik 1918, GZl. 1.562/1918, Amtsveranlassung, Erlassung einer Vollzugsanweisung, betr. die Unterstützung der Arbeitslosen (Handlungsgehilfen). 38 Zum Kinderarbeitsgesetz vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 sowie Nr. 45 vom 25. November 1918. 39 Der Entwurf des Kinderarbeitsgesetzes wurde am 22. November im sozialpolitischen Ausschuß beraten. Das Protokoll der Sitzung des Ausschusses liegt in AdR, AuS, StAsF, Sozialpolitik 1918, GZl. 1.572/1918, Amtsveranlassung, Gesetzentwurf betreffend die Kinderarbeit, Verhandlungen im sozialpolitischen Ausschuß des Abgeordnetenhauses. 40 Zum Heimarbeitergesetz vgl. SRP Nr. 45 vom 25. November 1918. 41 Die Protokolle des Staatsrates enthalten keinen weiteren Hinweis auf die Vorlage eines Gesetzes, betreffend den Schutz der Jugendlichen. 42 Es handelte sich hierbei um die Bestimmungen über die Nachtarbeit der Jugendlichen und der Frauen, die aus einem noch vom alten Abgeordnetenhaus angenommenen Gesetzesentwurf, betreffend die Maximalarbeit der Jugendlichen und Frauen und Nachtarbeit der Jugendlichen herausgelöst wurden. Der Entwurf hätte ursprünglich in den Staatsrat eingebracht werden sollen, wurde aber vom Staatsamt für soziale Fürsorge am 25. Februar 1919 für gegenstandslos erklärt. Vgl. den Akt und den beiliegenden Gesetzesentwurf in AdR, AuS, StAsF, Sozialpolitik 1918, GZl. 2.598/1918, Amtsveranlassung, Gesetz, betr. die Nachtarbeit der Jugendlichen; Regierungsvorlage. 43 Die Statthalterei in Prag hatte am 3. November 1918 den Bezirkshauptmann in Kaplitz, Josef Schöbel, des Dienstes enthoben. Nach der Besetzung des Ortes durch tschechoslowakische Truppen am 3. Dezember 1918 flüchtete dieser nach Freistadt in Oberösterreich. Für seine Ergreifung war eine Prämie ausgesetzt worden. Vgl. die Niederschrift eines Telefonates mit einem Vertreter der oberösterreichischen Landesregierung vom 4. Dezember 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.861/1918; weiters auch AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Faszikel Kaplitz, Verhaftung der Volkswehrmänner, Haltung der Geistlichkeit (Bezirkshauptmann Schöbel), GZl. 816/1918, Vorgehen tschechoslovakischer Truppen in deutschen Gegenden Böhmen, Mähren und Schlesiens. Zu Josef Schöbel konnten keine näheren Angaben eruiert werden. 35
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Beantragt wird 1.) der Prager Statthalterei gegenüber die schärfste Verwahrung gegen derartige Schritte einzulegen, 2.) einen Beamten mit Vollmachten nach Kaplitz zu entsenden und aufklärend und beruhigend zu wirken.“ Ich möchte erläuternd dazu bemerken, daß gestern bereits mitgeteilt worden ist, daß der Národní Vybor einen Beamten nach Kaplitz zur Übernahme der Bezirkshauptmannschaft entsendet hat und daß der Bezirkshauptmann von Kaplitz denselben verhaften, bezw. internieren hat lassen. Die Bezirkshauptmannschaft in Kaplitz hat sich nun an die Landesregierung in Linz um weitere Weisungen gewendet, weil der südböhmische Kreis an Oberösterreich angeschlossen werden soll und die Landesregierung in Linz hat sich weitere Weisungen vom Staatsrate erbeten. Diese Angelegenheit ist also bereits im Zuge und wurde bereits gestern besprochen.44 Die weiteren Anträge des Abg. T e u f e l lauten (liest): „2.) Die Finanz-Landes-Direktion in Prag telegraphierte an das Steueramt in Kaplitz, daß das für die Auszahlung der Unterhaltsbeiträge erforderliche Geld nur dann zugewiesen werde, wenn das Steueramt in Kaplitz gemeinsam mit dem dortigen Nationalausschuß (des Národní Vybor) die Finanz-Landes-Direktion in Prag anerkenne. B e a n t r a g t wird, daß der nach Kaplitz (Hohenfurth, Gratzen) zu entsendende Beamte die nötigen Weisungen und Aufklärungen den Steuerämtern gebe, insbesondere dahingehend, daß die Geldzuweisung bezw. Geldabfuhr von bezw. nach Linz zu erfolgen habe. (Das Gleiche gilt bezüglich der Auszahlung der Beamten- und Lehrergehalte.) 3.) Es mehren sich die Fälle, daß deutsche Abgeordnete in Böhmen von Čechen an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden und zwar sogar in ihren eigenen Wahlkreisen. Vertrauensmänner aus Prachatitz berichten, daß beispielsweise in Woduian-Čičeniče45 čechische Gendarmen und Sokoln46 den Auftrag hatten, den Abgeordneten Dr. Wichtl, dessen Erscheinen am 5. November erwartet wurde, festzunehmen, weil er als „Rebell!“ gegenüber dem „Tschechoslowakischen Staate“ anzusehen sei. B e a n t r a g t wird, daß dem „Národní Vybor“ mitgeteilt werde, jeder derartige Fall würde sofort zu Repressalien führen und insbesondere habe der čechisch-slovakische Gesandte Tusar47 mit Freiheit und Leben für die Unverletzlichkeit der deutschösterreichischen Abgeordneten zu bürgen. 4.) In Kaplitz haben der čechische Finanzrat Hejpetr und der Steuerverwalter Chalupek die Angelobung für den deutschösterreichischen Staat verweigert, weil sie Čechen seien.48 B e a n t r a g t wird, die beiden Beamten, die auch früher bereits zu zahllosen Beschwerden Anlaß gegeben haben, sofort ihres Amtes zu entsetzen und die Stellen mit deutschen Beamten zu besetzen.49 Die „Neue Freie Presse“ meldete am 22. November 1918 unter Berufung auf eine Nachricht der Narodni Listy, daß die „neue tschechische Bezirkshauptmannschaft in Kaplitz interniert“ worden war. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 22. November 1918, S. 4 „Die Deutschen in Kaplitz und Krumau“. 45 Richtig: Wodnan-Čičenitz/Vodňany-Čičeniče. 46 Der Sokol (tschechisch Falke) war eine 1862 gegründete tschechisch-national ausgerichtete Turn- und Sportbewegung mit großer Breitenwirkung. Sokolverbände wurden in der Phase der Bildung des tschechoslowakischen Staates häufig auch als Wach- und Ordnungstruppen eingesetzt. Vgl. dazu Mark Dimond, The Sokol and Czech Nationalism, in: Mark Cornwall/R.J.W. Evans (Hg.), Czechoslovakia in a nationalist and fascist Europe 1918–1948, Oxford/New York 2007, S. 185–207. 47 Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. 48 Josef Hejpetr, Finanzrat in Kaplitz, zuständig für die direkte Besteuerung bei der Bezirkshauptmannschaft Kaplitz. Zu dem Steuerverwalter Chalupek konnten keine näheren Angaben ermittelt werden. 49 Das Staatsamt für Finanzen beauftragte die Finanzlandesdirektion in Linz am 22. November 1918 im Sinne des Antrages von Staatsrat Teufel vorzugehen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, 44
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5.) Der Landesgerichtsrat Freyer (oder Feyrer)50 in Kaplitz ist absolut unzuverlässig und agitiert erwiesenermaßen gegen den deutschösterreichischen Staat. B e a n t r a g t wird: Der nach Kaplitz zu entsendende, bevollmächtigte Beamte hat diesbezüglich allenfalls weitere Zeugen zu vernehmen und sofort das Nötige zu veranlassen.51 6.) Der südböhmische Kreis entbehrt jedes Organes, das über seine Sicherheit und Unverletzlichkeit wacht und mit der nötigen Autorität ausgestattet wäre. Beantragt wird: Es ist sofort ein verläßlicher Deutscher, ähnlich wie im südmährischen Kreis zum Kreishauptmann zu bestellen.“ Ich glaube, es wäre wohl das Beste, diese Anträge, die darin gipfeln, daß von Seite des Staatsrates im Einvernehmen mit der Landesregierung von Oberösterreich ein Bevollmächtigter entsandt werde, um diese Dinge zu erheben und das ihm Zweckentsprechende zu veranlassen, und daß dieser Bevollmächtigte dann der Landesregierung in Linz und diese dann uns Bericht zu erstatten hat, unter einem zusammenzufassen. (T e u f e l: Ich bin einverstanden.) Nun handelt es sich darum, ob dieser Herr von uns oder von der Landesregierung in Linz zu bestellen wäre und wer. T e u f e l: Ich möchte bitten, daß man darüber, wer dorthin zu entsenden wäre, mit dem Abg. Wichtl ein Einvernehmen pflegt. H e i n e: Es wird seitens des čechoslovakischen Staates auch versucht, die deutschböhmischen Abgeordneten in ihrer Tätigkeit zu hindern. So habe ich erfahren, daß in den letzten 14 Tagen Briefe von mir nicht angekommen sind. Man scheint alle Briefe deutschböhmischer Abgeordneten zu beschlagnahmen. Übrigens hat uns Herr Staatssekretär U r b a n schon berichtet, daß eine derartige Beschlagnahme der Post stattfindet.52 Es müssen daher Schritte unternommen werden, um sie zu verhindern, man muß sich aber auch mit dem Vertreter des čechoslovakischen Staates ins Einvernehmen setzen und eine authentische Aufklärung darüber verlangen, ob unsere Post untersucht wird, wie weit dies der Fall ist, und man muß eine Abstellung dieses Unfuges verlangen. Dr. O f n e r: Der čechoslovakische Staat scheint sich überhaupt an die für das Provisorium getroffenen Abmachungen nicht zu halten. Es war davon die Rede, daß die Postbeamten nur den sogenannten Slip53 ablegen müssen. Nun wurde ihnen aber gesagt, wenn sie nicht den čechischen Staat anerkennen und sich ihm verpflichten, so werden sie sofort entlassen. Ich glaube, wenn es wahr ist, daß vorher ein solches Abkommen getroffen wurde, so müsse energisch dagegen Einspruch erhoben werden, daß man jetzt auf die Beamten einen solchen Druck ausübt. T e u f e l: Ich würde mir den Antrag zu stellen erlauben, daß diese ganze Angelegenheit dem Herrn Landeshauptmann Hauser einerseits in seiner Eigenschaft als Präsident des Staatsrates, andererseits als Chef der Landesregierung von Oberösterreich mit dem Ersuchen überwiesen wird, sich wegen Feststellung einer geeigneten Persönlichkeit mit dem Herrn Abgeordneten Wichtl ins Einvernehmen zu setzen und daß diese geeignete Persönlichkeit
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Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.850/1918, Bez.Hauptmannschaft Kaplitz betr. Gelöbnisverweigerung. Zur Frage der Angelobung von Finanzbeamten in Südböhmen unter Bezugnahme auf den hier angesprochenen Fall vgl. weiters das Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.225/1918. Julius Fayrer, ab Dezember 1912 Landesgerichtsrat und Gerichtsvorstand am k.k. Bezirksgericht Kaplitz. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt X/6, in dem auch Bezirkshauptmann Schöbel als Zeuge namentlich genannt wird. Vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Der tschechische Begriff „Slib“, zu deutsch „Gelübde“, bezeichnet die Vereidigung auf den tschechoslowakischen Staat. Vgl. Robert Freißler, Vom Zerfall Österreichs bis zum tschechoslowakischen Staate, Berlin 1921, S. 125.
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dann in den Bezirk Kaplitz entsendet werde, um die entsprechenden Erhebungen zu pflegen und die entsprechenden Maßnahmen zu verfügen, um dann hierüber der Landesregierung, bezw. uns zu berichten. A n g e n o m m e n.54 Dr. O f n e r: Ich bitte, daß diese Angelegenheit, die ich vorgebracht habe, – es handelt sich da um Postbeamte in Budweis – daß den Beamten direkt der Treueid für den čechoslovakischen Staat abverlangt wird, widrigenfalls sie sofort entlassen werden, dem Staatssekretär für Äußeres zur Kenntnis gebracht werde. A n g e n o m m e n. H e i n e beantragt, die Frage der Unterschlagung der Briefe dem Staatssekretär für Handel zu überweisen, um die nötigen Maßregeln dagegen zu ergreifen. A n g e n o m m e n.55 F i n k: Ich bin bei meinem letzten Aufenthalte in Vorarlberg dahin informiert und jetzt durch Telegramme noch mehr darauf aufmerksam gemacht worden, daß infolge der Aufhebung der Briefzensur und des Grenzschutzes jetzt bedeutende Geldmengen nach der Schweiz auswandern. Nun hat neulich der Herr Staatssekretär für Finanzen die Vermutung ausgesprochen, daß die Bauern sich das Geld aufbewahren und dadurch die Geldknappheit entsteht. Man könnte das nun auch von uns Vorarlbergern vermuten, weil das Geld jetzt scheinbar nach der Schweiz geht. Es wird daher notwendig sein, die Briefzensur sowie die Kontrolle für Warensendungen und für Personen inklusive des Grenzverkehres wieder einzuführen und der Landesregierung in Vorarlberg durch die beteiligten Staatsämter den Auftrag zu erteilen, das sofort durchzuführen. Ich halte es für möglich, daß unsere Grenzwehr das macht. Die bisherigen Finanzwachleute möchte ich nicht damit betrauen, denn sie sind zu wenig und könnten es daher nicht ordentlich durchführen und weiters habe ich gegen dieselben gewisse Bedenken, da sie im Kriege etwas verdorben worden sind, weil sie gewissermaßen amtlich zum Herüberschmuggeln gewisser Waren verwendet wurden. Ich habe schon zu Beginn der Sitzung dem Herrn Staatskanzler einen diesbezüglichen Antrag56 vorgelegt, er war damit Da sich von Pisek eine tschechoslowakische Militäreinheit näherte, ersuchte das Staatsamt für Äußeres das Staatsamt für Heerwesen um Entsendung eines höheren, womöglich tschechisch sprechenden Offiziers nach Kaplitz. Das diesbezügliche Schreiben vom 26. November 1918 liegt in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.458/1918, Tschecho-slowakische Besetzung deutschböhmischen Gebietes. Der Offizier, dem die Zusammenfassung und Organisierung der südböhmischen Volkswehreinheiten zu übertragen war, sollte vom Volkswehrkommando Wien ausgewählt werden und beim Abgeordneten Dr. Wichtl in dieser Angelegenheit vorsprechen. Vgl. weiters SRP Nr. 44 vom 25. November 1918. 55 Vgl. dazu den Bericht der Generalpostdirektion in AdR, StK, GZl. 607/1918, Zl. 1.169/1918, Anhaltung amtlicher deutschösterr. Schriftstücke und Telegramme durch die Postdirektion in Prag. Die Generalpostdirektion meldete darin, daß ihr die Generalpostdirektion in Prag nach Rückfrage am 20. November mitgeteilt habe, der für die Anhaltung politischer Post relevante Erlaß sei zurückgezogen worden. Zur Überprüfung der tatsächlichen Umsetzung dieses Erlasses ersuchte die Generalpostdirektion die Staatskanzlei um Übermittlung etwaiger weiterer Fälle von Anhaltungen politischer Post. 56 Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. Eine Abschrift des Antrages findet sich allerdings als Beilage in einem diesbezüglichen Erlaß der Staatskanzlei mit folgendem Wortlaut: „Der Staatsrat wolle beschliessen, es sei von Seite der zuständigen Staatsämter zu veranlassen, dass die Landesregierung von Vorarlberg, vornehmlich auch um die Ausfuhr von Kronen zu hindern, gegen die Schweiz eine strenge Grenzüberwachung, und zwar des Personen-, Frachten- und Postverkehres mit Verwendung der Volkswehr sofort durchführe. In formaler Beziehung wolle dieser Antrag dem Herrn Staatskanzler zur Durchführung übermittelt werden.“ Vgl. AdR, BKA/Inneres, 16/gen., StAI, Zl. 2.436/1918. 54
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einverstanden. In formeller Beziehung habe ich beantragt, die Angelegenheit dem Herrn Staatskanzler zu übergeben. A b r a m stellt an den Staatsrat Fink die Anfrage, ob es möglich ist, daß die Vorarlberger Grenzwache auch die Durchsuchung von Kisten und Bahnlieferungen übernimmt, da die große Gefahr besteht, daß nicht nur Geld, sondern ganz bedeutende Werte an Gold und verschiedenen anderen Waren über Vorarlberg hinausgeschickt werden. F i n k: Ich habe in meinem Antrage gesagt, die Post, den Waren- und Personenverkehr. Die Volkswehr57 wird das ohneweiters machen, aber man muß der Landesregierung sagen, ob sie die Volkswehr zu Hilfe nehmen kann, damit sie sich nicht allein auf die Finanzleute verlassen muß. Präs. D i n g h o f e r: Die Angelegenheit ist außerordentlich wichtig. Ich möchte den Antrag stellen, den Antrag Fink dem Staatskanzler zur ehesten Berichterstattung im Staatsrate zu überweisen. A n g e n o m m e n.58 T e u f e l: Ich möchte folgenden Antrag stellen (liest): „Das Staatsamt für Volksernährung wird beauftragt, dem Staatsrate bis morgen Vorschläge über die Verwertung der im Kreise Südmähren vorhandenen Gemüsemengen aller Art zu unterbreiten. Ferner wird das Staatsamt für Volksernährung beauftragt, unverzüglich mit der Gemeinde Wien in Fühlung zu treten und im Namen des Staatsrates die Forderung zu stellen, daß die Gemeinde Wien nur dann vom tschechoslowakischen Staat und ungarischen Staat frisches Gemüse und konserviertes Gemüse kaufen darf, wenn die im deutschösterreichischen Staate (besonders im Kreise Deutschsüdmährens) vorhandenen Gemüsemengen nicht auslangen sollten, bezw. nicht nach Wien transportiert werden können.“ Ich möchte zur Begründung anführen, daß im Kreise Deutschsüdmähren eine kolossale Gemüseernte war, daß dort sowohl konserviertes wie frisches Gemüse zugrundegeht, daß aber in Wien auf allen Märkten tschechisches und ungarisches Gemüse verkauft wird und die Tschechen sich noch damit rühmen, daß sie uns mit Kraut etc. aushelfen, obwohl einerseits unsere Fabriken und andererseits die Landwirtschaft die Magazine voll hat. Es sollte doch in erster Linie der einheimische Bauernstand und die einheimische Geschäftswelt geschützt werden, nicht daß man aus den Gebieten unserer Feinde Waren bezieht und uns noch dadurch schädigt, daß unser Geld dafür hinausgeht. Ich möchte daher bitten, daß wir sofort vom Volksernährungsamte einen Bericht darüber erhalten. A b r a m: Ich glaube, wir müssen uns als Staatsrat doch nicht mit dieser Frage beschäftigen, sondern Herr Teufel als Kreishauptmann für Südmähren könnte die Sache doch so organisieren, daß der Wiener Markt beschickt wird. Das städtische Übernahmsamt in Wien59 wird gerne die Waren übernehmen. Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Die Geschäftsleitung der Oesterreichisch-ungarischen Bank hatte den Staatsrat und das Staatsamt für Finanzen bereits am 18. November 1918 auf die von Fink hier angesprochene Problematik hingewiesen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.657/1918. Offensichtlich hatten sich die Staatsämter für Finanzen und für Inneres zudem bereits über die Möglichkeit der Beibehaltung der militärischen Zensurstelle in Feldkirch ausgetauscht. Vgl. ebd., Zl. 3.852/1918; weiters auch AdR, StK, GZl. 470/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 39. Sitzung des Staatsrates vom 20. November 1918. Zur weiteren Behandlung der Frage, die zur Forderung einer Ausweitung der Maßnahmen auf andere Staatsgrenzen und schließlich zur Ausarbeitung eines entsprechenden Gesetzes führte vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 60 vom 20. Dezember 1918 und Nr. 64/III vom 10. Jänner 1919 sowie KRP Nr. 26/5 vom 28. Dezember 1918. 59 Der Wiener Gemeinderat genehmigte nach einer mehrjährigen Diskussions- und Vorbereitungsphase am 24. Juni 1904 die Einrichtung eines städtischen Amtes zur Übernahme und Verwertung von Vieh 57 58
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T e u f e l: Es muß die ganze Sache amtlich organisiert werden, vom Ernährungsamt und vom60 Staatsamt für Verkehrswesen im Einvernehmen mit der Gemeinde Wien. Denn die Leute haben heute kein Fuhrwerk, sie wissen auch nicht, können und dürfen sie die Ware wegschicken. Präs. D i n g h o f e r: Es wäre nach der Anschauung des Herrn Staatsrates A b r a m der Antrag also dahin abzuändern: Das Staatsamt für Volksernährung wird beauftragt, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Verwertung der im Kreise Deutschsüdmähren vorhandenen Gemüsemengen aller Art sicherzustellen. A n g e n o m m e n.61 Punkt 5 der Tagesordnung: Gelöbnis der Lehrkräfte. P a c h e r: Da die Gelöbnisformel, die für die Staatsbeamten festgesetzt wurde, für die Lehrkräfte nicht ganz zutreffend ist, erlaube ich mir für diese nachstehende Gelöbnisformel vorzulegen (verliest dieselbe). Der Staatsrat genehmigt diese Gelöbnisformel.62 L i c h t: Ich möchte mir folgenden Fall vorzubringen erlauben: Ein junger Arzt, in Bielitz geboren, der dort das deutsche Ober-Gymnasium und dann die medizinischen Studien in Wien absolviert hat, der an der Front gestanden und ausgezeichnet worden ist, mit einem Worte, ein deutscher Arzt, will hier eine Spitalpraxis durchmachen. Man verlangt hiezu nun eine Bestätigung seitens des Physikates63. Dort sagt man ihm aber, Sie sind aus Bielitz, Sie sind daher kein Deutschösterreicher, wir können Ihnen die Bestätigung nicht geben und er kann daher zur Spitalpraxis nicht zugelassen werden. Diese Fälle häufen sich jetzt. Es wird daher notwendig sein, daß wir, bis die ganze Frage der Staatsbürgerschaft im Sinne der Friedensverhandlungen erledigt sein wird, Deutschmährer, Deutschschlesier und Deutschböhmen, namentlich dort, wo es sich um Sprachinseln handelt, die vom Staatsgebiete nicht erfaßt sind, als Deutschösterreicher zulassen, besonders wenn es sich um die Frage der Existenz dieser Leute handelt. Es wäre daher diesbezüglich ein grundsätzlicher Beschluß zu fassen. Präs. D i n g h o f e r: Ich glaube, diese Angelegenheit, die sich ja verallgemeinern läßt, wäre dem Staatskanzler zur Erstattung geeigneter Vorschläge zuzuweisen. L i c h t: Es müßte eine grundsätzliche Erklärung des Staatsrates vorausgehen. O f n e r: Es war ein Mann aus Komotau bei mir, der wollte zur Volkswehr gehen, wurde aber nicht zugelassen, weil er ein Deutschböhme ist und man nicht wisse, ob er zu Deutschösterreich gehöre. Das geht doch nicht. Ich stelle daher den Antrag, daß, bis durch die Friedenskonferenz festgestellt ist, daß Deutschböhmen, Deutschmähren, Deutschschlesien und alles das, was wir als zu Deutschösterreich gehörig grundsätzlich feststellen wollen, uns zugehört, weil es uns Deutschösterreichern gebührt – ich glaube, wir werden es auch feststellen müssen, daß selbst dann, wenn uns die Friedenskonferenz später Unrecht gibt, diesen Personen der Zutritt zu uns nicht verschlossen bleibt, aber für jetzt und bis zur Frie-
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und Fleisch. Nach einer Abänderung des ursprünglichen Beschlusses nahm das Übernahmsamt im Jahr 1905 seine Tätigkeit auf. Vgl. Amtsblatt der k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien. XIII. Jahrgang, 1904, S. 1326 und XIV. Jahrgang, 1905, S. 756; Wiener Zeitung, 13. April 1905, S. 6 „Städtisches Übernahmsamt“; Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 27. Oktober 1900, S. 5 „Eine gewissenlose Kommission“. Im Original wurde an dieser Stelle das Wort Verkehrsamt gestrichen. Vgl. dazu AdR, StAVe, Präsidium, GZl. 160/1918, Haussitzungen, Zl. 283/1918, Haussitzung vom 22. November 1918. Der Text der Gelöbnisformel findet sich im Beschlußprotokoll unter Punkt XV. Die Abweichungen zur allgemeinen Gelöbnisformel für Beamte sind minimal und nur formaler Natur. Zur allgemeinen Gelöbnisformel vgl. SRP Nr. 16 vom 3. November 1918. Physikat: Kreisarztamt, Bezirksarztstellung, Amtsarztstelle, Gerichtsarzt.
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denskonferenz müssen wir feststellen, daß sie als Deutschösterreicher anerkannt werden. Ich glaube, wir könnten heute schon grundsätzlich unsere Zustimmung dazu aussprechen. K e s c h m a n n: Das hängt wohl mit der Staatserklärung zusammen, welche erst beschlossen werden muß. Wir müssen daher die Staatserklärung abwarten, dann ist die Sache von selbst geregelt. L i c h t: Es muß eben der Verfassungsausschuß für morgen einberufen werden, und er muß tagen, sonst kommen wir nicht weiter. Er war für gestern einberufen und war nicht beschlußfähig.64 In der Weise kann man nicht arbeiten. Das Gesetz über das Staatsgebiet muß ehestens erledigt werden, weil wir sonst in die größten Verlegenheiten kommen.65 Dr. R e n n e r: Diese Angelegenheit ist wirklich sehr dringend, Es besteht in der Öffentlichkeit ein vollständiges Mißverständnis über das Gesetz. Man meint, dasselbe sei unwesentlich oder gleichgiltig. Das ist aber nicht richtig, das Gesetz ist unbedingt erforderlich, weil man sonst überhaupt nicht administrieren kann. Es zahlt niemand die Steuern, es gehorcht auch niemand einer Behörde, wenn man nicht autoritativ in einem Staatsakte sagt, dieser Behörde hast Du zu folgen, dort hast Du die Steuern zu zahlen. Wir können auch die Wahlgesetze nicht machen. Wir müssen als Nation entscheiden, diese Gebiete nehmen wir in Anspruch, auf andere müssen wir verzichten; sonst können wir weder die einen halten, noch die anderen schützen. Wir müssen das Gebietsgesetz und die Gebietserklärung sofort auch an die Entente schicken und ihr sagen, dieses Gebiet nehmen wir in Anspruch und wir verlangen in unserem Gebiete eine neutrale Okkupation durch die Amerikaner, denn wir können es nicht zulassen, daß diese Gebiete von den Tschechen besetzt werden. Wir hören jeden Tag, daß deutsches Gebiet besetzt wird. Wir unterliegen, wenn sich der Staatsrat nicht aufrafft, diese Sache rasch durchzuführen und imstande ist, die einzelnen Gruppen in der Nationalversammlung, welche die Sache verzögern, zu beruhigen. Ich möchte daher den dringenden Appell richten, auf alle Parteien einzuwirken, daß das rasch durchgeführt werde. O f n e r: Ich möchte bitten, daß auf die Freitag-Sitzung die Wahl von Ersatzmännern für den Verfassungsausschuß gestellt werde. A n g e n o m m e n.66
Laut Protokoll der Sitzung vom 19. November 1918 beschloß der Verfassungsausschuß dem Staatsrat vorzuschlagen, die Behandlung des Staatsbürgerschaftsgesetzes von der Tagesordnung der nächsten Sitzung der Nationalversammlung zu nehmen und ehestens Verhandlungen mit den anderen Nachfolgestaaten der Monarchie über den Minderheitenschutz zu beginnen. Ein formaler Hinweis darauf, daß der Ausschuß zu diesem Zeitpunkt nicht beschlußfähig war, ist im Protokoll zwar nicht enthalten, die ausführliche Diskussion über das Staatsgebietsgesetz erfolgte allerdings erst in der Nachmittagssitzung am 21. November 1918. Zudem lassen der geringe Umfang des Protokolltextes und die Tatsache, daß die auf der Tagesordnung angeführten Gesetze über die richterliche Gewalt und die Staatsbürgerschaft laut Protokoll nicht besprochen wurden, auf eine Einschränkung hinsichtlich der Beschlußfassung schließen. Vgl. PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Verfassungsausschuß, Protokoll über die Sitzung am 19. November 1918 und Protokoll über die Sitzung am 21. November 1918. 65 Das Gesetz über das Staatsgebiet war in der 3. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 12. November 1918 dem Verfassungsausschuß zugewiesen worden. In der 4. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 14. November 1918 wurde der Entwurf, nachdem in der Debatte v. a. über die Frage der Einschlußgebiete Unstimmigkeiten zutage getreten waren, an den Verfassungsausschuß rückverwiesen. In der 5. Sitzung am 22. November 1918 wurde der überarbeitete Entwurf verhandelt und schließlich angenommen. Vgl. SRP Nr. 27 vom 9. November 1918, Nr. 30 vom 11. November 1918, Nr. 35 vom 16. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 42/2 vom 22. November 1918, Nr. 43 vom 23. November 1918, Nr. 44/3 vom 25. November 1918 und Nr. 51/9 vom 30. November 1918. 66 Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, S. 150 f. 64
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Staatsrat Ofner wird ersucht, seinen Antrag bezüglich der Staatszugehörigkeit für die Übergangszeit zu formulieren und in der Nachmittag-Sitzung vorzulegen.67 T e u f e l: Ich möchte noch folgenden Antrag stellen (liest): „Das Staatsamt für Handel wird beauftragt, ehestens dem Staatsrate über die derzeitige Verwendung der dem Österreichischen Lloyd68 sowie allen anderen österreichischen Schif�fahrtsgesellschaften gehörenden Handelsschiffe Bericht zu erstatten und Anträge darüber zu unterbreiten, inwieweit die Verwendung deutschösterreichischer Marineoffiziere auf den Lloydschiffen möglich wäre.“ Der Antrag wird a n g e n o m m e n.69 Nächste Sitzung des Staatsrates ½ 5 Uhr nachmittags. Präs. Dr. D i n g h o f e r schließt die Sitzung um 12 Uhr mittags.
Vgl. SRP Nr. 40/1 vom 30. November 1918. Der Österreichische Lloyd wurde im Jahr 1833 von sieben Triestiner Versicherungsgesellschaften und Privatinvestoren zunächst zum Zweck der Beschaffung von Informationen über die europäische, insbesondere die Levanteschiffahrt, gegründet. Ab 1836 war der Österreichische Lloyd auch als Dampfschiffahrtsunternehmen tätig, dessen Routennetz den östlichen Mittelmeerraum abdeckte bzw. diesen mit süd- und ostasiatischen Häfen verband. Der Österreichische Lloyd zählte zeitweise zu den weltweit bedeutendsten Schiffahrtsgesellschaften. Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie ging der Österreichische Lloyd in italienischen Besitz über und wurde als Lloyd Triestino weitergeführt. Vgl. Dieter Winkler/Georg Pawlik, Der Österreichische Lloyd 1836 bis heute, Graz 1989, S. 9–81. 69 Zu den Forderungen des österreichischen Lloyd gegen den alten österreichischen Staat vgl. AdR, StAH, GZl. 178/Li/1919, Feststellung der Schulden und Forderungen der Seeschiffahrtsunternehmungen und Werften an die frühere Staatsverwaltung, soweit sie das Seeschiffahrtsdepartment betreffen sowie GZl. 485/Li/1919, Forderung österr. Lloyd gegenüber früher österreichischer Regierung; weiters auch AdR, BMHGI, GZl. 25.901/1923, Ehem. österr. Lloyd, Forderungen gegen das ehem. k.k. u. k.u.k. Ärar. Zur Ablieferung österr.-ungar. Schiffe an die Entente vgl. weiters das Material in AdR, StAH, GZl. 396-Li/Hand/1921, Ablieferung österr. Ung. Seeschiffe an die Entente auf Grund d. Friedensvertrages sowie GZl. 21.834-VI/1922, Durchführung des Friedensvertrages, Auslieferung österr. bezw. österr.ung. Seeschiffe an die Entente und GZl. 28.519/1923, Schiffe – Ablieferung auf Grund des Friedensvertrages an die Entente. 67 68
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111 Beschlüsse der 39. Sitzung des Staatsrates am 20. November 1918 (von 10 Uhr Vormittag bis ¼ 1 Uhr Mittag.) Vorsitzender: Präsident Dr. Franz D i n g h o f e r.
I. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Der Staatssekretär des Innern wäre zu ermächtigen, die Errichtung einer Bezirkshauptmannschaft in Bergreichenstein, umfassend die Gerichtsbezirke Bergreichenstein und Hartmanitz, und einer Bezirkshauptmannschaft in Neuern und den angrenzenden deutschen Gemeinden verfügen zu dürfen. Beschluß: Dem Antrag wird zugestimmt. An das Staatsamt des Innern. II. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: 1.) Die feierlichen Beitrittserklärungen der Länder, Kreise und Gaue zum Staatsgebiete sind zu genehmigen. 2.) Der Herr Staatsnotar ist zu ersuchen, den Beschluß der Nationalversammlung, betreffend die Nachsicht von Strafen (Amnestiebeschluß) in der Orginalausfertigung zu übernehmen und im Beschlußprotokoll zu hinterlegen. 3.) Der Beschluß der Nationalversammlung vom 14. November 1918, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern wird bekräftigt. Der Herr Staatsnotar wird aufgefordert, diesen Beschluß zu beglaubigen und die Kundmachung zu veranlassen. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatsnotar. III. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Bestellung von Unterstaatssekretären im Staatsamte der Finanzen, für Volksernährung und für soziale Fürsorge. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, diesen Gegenstand von der heutigen Tagesordnung abzusetzen und die Verhandlung auf morgen zu verschieben. An den Herrn Staatskanzler. IV. Antragsteller: Staatsrat Dr. Robert F r e i ß l e r. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, den telegraphischen Bericht des Obgenannten über das Vordringen der Tschechoslowaken im Sudetenlande den Herrn Staats sekretären des Äußern und des Heerwesens zur Berichterstattung heute Nachmittag um 5 Uhr zu überweisen. An den Herrn Staatssekretär des Äußern und an den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. V. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r. Antrag: Der Staatsrat wolle beschließen: „Der Staatsrat nimmt die Erklärung des Grafen Wilczek, die ihm gehörige Burg Kreuzenstein, die als hervorragende kunsthistorische Stätte allseits be-
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kannt ist, allgemeinen Bildungszwecken zu widmen, mit bestem Danke zur Kenntnis und ist bereit, dieser Widmung jederzeit die staatliche Fürsorge angedeihen zu lassen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatsnotar. VI. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Beschluß: Die Anfrage des Staatsrates Oskar T e u f e l in Heeresangelegenheiten und das Telegramm des Kreishauptmannes T e u f e l wegen Entsendung militärischer Hilfe nach Znaim und Umgebung werden von der Tagesordnung abgesetzt und wird die Verhandlung hierüber auf heute nachmittags (wegen der Anwesenheit des Herrn Staatssekretärs für Heerwesen) verschoben. An die Staatskanzlei. VII. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge, Ferdinand H a n u s c h. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates, betreffend die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen im Sudetenlande. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für soziale Fürsorge. VIII. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates betreffend die Anforderung in Bestand oder in Anspruch genommener Liegenschaften für öffentliche Fürsorgezwecke. Beschluß: Die Vollzugsanweisung wird mit der Maßgabe angenommen, daß der K o p f der Vollzugsanweisung zu lauten hat: „Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates betreffend die Anforderung in Bestand oder in Anspruch genommener Liegenschaften für öffentliche Fürsorge und Schul zwecke“, ferner: daß im § 1 nach dem Worte „Fürsorge“ der Passus: „und für Schulzwecke“ eingeschaltet wird und daß schließlich im § 7, Absatz 2, nach dem ersten Satze folgender Satz eingeschaltet wird: „Der allfällig erhobene Schaden ist vom bisherigen Nutznießer zu tragen.“ An den Herrn Staatssekretär für soziale Fürsorge. IX. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates, betreffend die Ausdehnung der Arbeitslosenunterstützung auf Angestellte. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für soziale Fürsorge. X. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Anträge: 1. Aus sicherer Quelle verlautet, die Statthalterei in Prag beabsichtige, das ganze Personal der Kaplitzer Bezirkshauptmannschaft, welche die Angelo-
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bung für den Deutschösterreichischen Staat bereits geleistet hat, ihres Dienstes zu entheben. Beantragt wird: a) der Prager Statthalterei gegenüber die schärfste Verwahrung gegen derartige Schritte einzulegen, b) einen Beamten mit Vollmächten{sic!} nach Kaplitz zu entsenden, um aufklärend und beruhigend zu wirken. 2.) Die Finanzlandes-Direktion in Prag telegraphierte an das Steueramt Kaplitz, daß das für die Auszahlung der Unterhaltsbeiträge erforderliche Geld nur dann zugewiesen werde, wenn das Steueramt in Kaplitz gemeinsam mit dem dortigen Nationalausschusse (des Národní vybor) die Finanz-LandesDirektion in Prag anerkenne. Beantragt wird, daß der nach Kaplitz (Hohenfurt Gratzen) zu entsendende Beamte die nötigen Weisungen und Aufklärungen den Steuerämtern gebe, insbes. dahin gehend, daß die Geldzuweisung, bezw. Geldabfuhr von bezw. nach Linz zu erfolgen habe. (Das gleiche gilt bezüglich der Auszahlung der Beamten- und Lehrergehalte.) 3.) Es mehren sich die Fälle, daß deutsche Abgeordnete in Böhmen von Tschechen an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert werden u. zw. sogar in ihren eigenen Wahlkreisen. Vertrauensmänner aus Prachatitz berichten, daß beispielsweise in Wochian Čičenice tschechische Gendarmen und Sokoln den Auftrag hatten, den Abgeordneten Dr. W i c h t l, dessen Erscheinen am 5. November erwartet wurde, festzunehmen, weil er als Rebell gegenüber dem tschechoslowakischen Staate anzusehen sei. Beantragt wird, daß dem Národní vybor mitgeteilt werde, jeder derartige Fall würde sofort zu Repressalien führen und insbesondere habe der tschechischslowakische Gesandte T u s a r mit Freiheit und Leben für die Unverletzlichkeit der Deutschösterreichischen Abgeordneten zu bürgen. 4.) In Kaplitz haben der tschechische Finanzrat Hejpetr und der Steuerverwalter Chalupek die Angelobung für den Deutschösterreichischen Staat verweigert, weil sie Tschechen seien. Beantragt wird, die beiden Beamten, die auch früher bereits zu zahllosen Beschwerden Anlaß gegeben haben, sofort ihres Amtes zu entsetzen und die Stellen mit deutschen Beamten zu besetzen. 5. Der Landesgerichtsrat Feyler (oder Feyrer) in Kaplitz ist absolut unzuverlässig und agitiert erwiesenermaßen gegen den Deutschösterreichischen Staat. Beantragt wird: Der nach Kaplitz zu entsendende, bevollmächtigte Beamte hat diesbezüglich den Bezirkshauptmann S c h ö b e l in Kaplitz und allenfalls weitere Zeugen zu vernehmen und sofort das nötige zu veranlassen. 6. Der südböhmische Kreis entbehrt jedes Organes das über seine Sicherheit und Unverletzlichkeit wacht und mit der nötigen Autorität ausgestattet wäre. Beantragt wird: Es ist sofort ein verläßlicher Deutscher, ähnlich wie im südmährischen Kreise, zum Kreishauptmann zu bestellen. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, diese Anträge dem Präsidenten Prälaten Hauser mit dem Ersuchen zu übermitteln, sich sofort als Chef der Landesregierung in Oberösterreich und als Präsident des Staatsrates mit dem Abgeordneten W i c h t l zwecks Bestellung von geeigneten Persönlichkeiten in’s Einvernehmen zu setzen, die zu entsenden und die entsprechenden Maßnahmen zu treffen, sowie hierüber dem Staatsrate zu berichten hätten. An den Herrn Präsidenten Prälaten Hauser.
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XI. Antragsteller: Staatsrat Dr. Julius O f n e r. Beschluß: Der von dem Obgenannten vorgebrachte Vorfall in Budweis, wonach einige Postbedienstete, die nicht das Gelöbnis auf den Tschechoslowakischen Staat geleistet haben, entlassen worden sind, wird dem Herrn Staatssekretär des Äußern Dr. Otto Bauer zur Kenntnis gebracht. An den Herrn Staatssekretär des Äußern Dr. Otto B a u e r. XII. Antragsteller: Staatsrat Rudolf H e i n e. Beschluß: Der Antrag, betreffend die Unterschlagung von Briefen nach Deutschböhmen, hauptsächlich der Postsendungen des obgenannten Abgeordneten, wird dem Staatsamte für Handel zur Berichterstattung überwiesen. An das Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel. XIII. Antragsteller: Staatsrat Jodok F i n k. Beschluß: Der Antrag des Obgenannten, betreffend die Wiedereinführung der Postzensur sowie der Kontrolle über den Personen- und Warenverkehr (Edelmetallverkehr) an der Schweizerischen Grenze, welcher Antrag bereits dem Herrn Staatskanzler Dr. Karl Renner schriftlich vorgelegt worden ist, wird Letzterem zur Berichterstattung morgen Vormittag überwiesen. An den Herrn Staatskanzler. XIV. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: Der Staatsrat wolle beschließen: „Das Staatsamt für Volksernährung wird beauftragt, sofort die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Verwertung der im Kreise Deutschsüdmähren vorhandenen Gemüsemengen aller Art sicherzustellen. Ferner wird das Staatsamt für Volksernährung beauftragt, unverzüglich mit der Stadtgemeinde Wien in Fühlung zu treten und im Namen des Staatsrates die Forderung zu stellen, daß die Gemeinde Wien nur dann vom tschechoslowakischen und ungarischen Staat Frischgemüse und konserviertes Gemüse kaufen darf, wenn die im Deutschösterreichischen Staate (besonders im Kreise Deutschsüdmähren) vorhandenen Gemüsemengen nicht auslangen sollten, bezw. nicht nach Wien transportiert werden könnten.“ Beschluß: Der Antrag wird dem Staatsamte für Volksernährung mit dem Auftrage überwiesen, hierüber bis morgen zu berichten. XV. Antragsteller: Staatssekretär für Unterricht, Rafael P a c h e r. Beschluß: Der Staatsrat beschließt folgende Gelöbnisformel für den Lehrstand: „Sie werden bei ihrem Mannesworte, bei ihrer staatsbürgerlichen Ehre geloben, als einer der im öffentlichen Lehramte im Staate Deutschösterreich Angestellten, Ihr gesamtes Wissen und Können, Ihre ganze Tat- und Geisteskraft dem Wohle Ihres Deutschösterreichischen Vaterlandes vorbehaltslos und ohne Ansehen der Opfer hinzugeben und diesem ihren Vaterlande, den von der Nationalversammlung beschlossenen Grundgesetzen, Gesetzen sowie den auf ihrer Grundlage erlassenen Vollzugsanweisungen des Staatsrates getreu, dessen
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Weisung unverbrüchlich zu befolgen, uneigennützig und unparteiisch Ihres Amtes zu walten und das Wohl der Ihnen anvertrauten Schüler zu fördern und diese zu ehrenhaften und tüchtigen Bürgern heranzubilden. Sie werden dieses Ihr eidesstättiges Gelöbnis mit Ihrem Handschlage bekräftigen.“ An den Herrn Staatssekretär für Unterricht. XVI. Antragsteller: Oskar T e u f e l. Antrag: Das Staatsamt für Handel wird beauftragt, ehestens dem Staatsrate über die derzeitige Verwendung der dem österreichischen Lloyd sowie allen anderen österreichischen Schiffahrtsgesellschaften gehörenden Handelsschiffe Bericht zu erstatten und Anträge darüber zu unterbreiten, inwieweit die Verwendung deutschösterreichischer Marineoffiziere auf den Lloydschiffen möglich wäre. Beschluß: Wird dem Staatsamte für Handel zugewiesen. An das Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel. Schluß der Sitzung ¼ 1 Uhr Mittags, nächste Sitzung heute Nachmittag um ½ 5 Uhr.
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40. [Mittwoch] 1918-11-20 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Bodirsky, Deutsch, Ellenbogen, Fink, Gruber, Hauser, Iro, Jerzabek, Keschmann, Leuthner, Licht, Miklas, Neunteufel, Ofner, Roller, Schoep fer, Schoiswohl, Schürff, Seitz, Teufel, Urban, Waldner, Wolf unbekannt 16.45–19.30 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste Beilagen: 40/I 40/II 40/III 40/IV
40/VI 40/VII 40/VIII 40/IX 40/X 40/XI 40/XII
40/XIII 40/XIX
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Antrag Friedmann, betreffend Bewilligung der Drucklegung der Expertise für die Vermögensabgabe (1 Seite, handschriftlich). Abschrift eines Telegrammes des Staatsrates Dr. Freißler vom 19. November 1918, an den deutschösterreichischen Staatsrat (1¼ Seiten). Nachricht vom 9. November 1918 von Hock an Seitz, betreffend Absage der Übernahme des Amtes eines Unterstaatssekretärs im Staatsamt für Unterricht (1½ Seiten, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend militärische Maßnahmen zur Sicherung des deutschböhmischen Kreises (1 Seite, handschriftlich); Abschrift eines Telegrammes des Staatsrates Teufel an den Deutschösterr. Staatsrat Wien vom 18. November 1918 (½ Seite). Antrag Bodirsky, betreffend Bestellung eines Gesandten für Prag (½ Seite, handschriftlich). Staatsamt für Heerwesen, Personalgruppe Präs. Nr. 1967: Anträge an den deutschösterreichischen Staatsrat in Wien, betreffend Ruhestand der Militär-Gagisten (3 Seiten); Zusatz Deutsch bez. Heereskommission (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Veröffentlichung der Gleichstellung der Bezüge der Marineoffiziere (1 Seite, handschriftlich). Antrag Schoepfer, betreffend Aufklärung des Sachverhaltes durch Bericht an die Presse (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Ausarbeitung eines Wehrgesetzes (1 Seite, handschriftlich). Obliegenheiten des Zivilkommissariates für die Volkswehr (1½ Seiten). Gesetz vom … November 1918 über die Verwendbarkeit der von der Gemeinde Wien auf Grund des mit Beschluß der Landesversammlung des Landes Niederösterreich vom 5. November 1918 bewilligten Anlehens auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar- und ähnlichen Kapitalien (3¼ Seiten). Vollzugsanweisung des Staatsrates über die einstweilige Ergänzung der bestehenden Gemeindevertretungen (2 Seiten). Regierung des Volksrates SHS in Bosnien und Herzegovina, Z.13675/Präs., Amtlich bestätigte deutsche Übersetzung eines Schreibens an Dr. Bozidar Čerović, betreffend Ermächtigung zur Verwaltung des bosnisch-herzegovinischen Ver mögens in Wien (1¼ Seiten).
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Otto Bauer, Josef Luksch, Egon Pflügl und Dr. Julius Sylvester, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt.
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Präs. Dr. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um ¾ 5 Uhr nachmittags und teilt mit, daß die Finanzkommission des Staatsrates um Bewilligung der Drucklegung des Protokolls über die Expertise betreffend die Vermögensabgabe ersuche.2 A n g e n o m m e n.3 Es wird an die Erledigung der T a g e s o r d n u n g4 geschritten. Erster Gegenstand: Antrag Dr. L i c h t, Dr. O f n e r: „Österreichischen Staatsbürgern, die sich als Deutsch-Österreicher bekennen, sind vorläufig, bis zur weiteren Regelung, alle Rechte einzuräumen, welche die Zugehörigkeit zu Deutsch-Österreich zur Voraussetzung haben.“ Präs. D i n g h o f e r bemerkt, daß er gegen diesen Antrag schwerwiegende Bedenken geltend machen müßte. Erstens sei darin gar keine zeitliche Begrenzung gegeben und zweitens könnten, wenn es wirklich im Monat Jänner zur Wahl der definitiven Nationalversammlung kommt, alle Ausländer, beispielsweise die Galizianer, welche jetzt jahrelang in Wien gewohnt haben, sich für diese Zeit als Deutsch-Österreicher bekennen und dann das Wahlrecht erhalten. Da aber weder Dr. v. Licht noch Dr. Ofner anwesend seien, empfehle es sich, diesen Gegenstand vorläufig zurückzustellen. A n g e n o m m e n.5 Es wird sodann der 2. Punkt der Tagesordnung: Telegraphischer Bericht des Dr. F r e i s s l e r über das Vordringen der Tschecho-Slovaken im Sudetenlande6 in Verhandlung gezogen. Dr. D e u t s c h7 : Die militärische Lage ist den Herren aus früheren Berichten bekannt, die Aufbietung der in jener Gegend befindlichen Truppenmacht könnte nur erfolgen, wenn der Staatsrat den Auftrag geben würde, daß wir einen Krieg mit den Tschecho-Slowaken riskieren sollen. Sonst wäre nichts zu bemerken, als daß wir dort so schwach sind, daß wir nicht in der Lage sind, das Vordringen der Tschecho-Slovaken aufzuhalten. L u k s c h: Was die Verhältnisse bezüglich der Militärmacht anbelangt, so sollen auf Seite der Tschecho-Slovaken die Dinge nicht viel anders liegen als bei uns; auch bei ihnen rücken,
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Beilage 40/I: Antrag (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt I. Vgl. Stenographisches Protokoll, Enquete der Finanzkommission des deutschösterreichischen Staats rates über die Vermögensabgabe und Vermögenszuwachsabgabe am 20., 25., 26., 28., 29., 30. November und 2. Dezember 1918, o. O. u. J. Zur Enquete vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November. Vgl. weiterführend SRP Nr. 45 vom 25. November 1918 und Nr. 75/4a vom 26. Februar 1919. Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. Beilage 40/II: Abschrift des Telegrammes von Dr. Freißler vom 19. November 1918 (1¼ Seiten). Darin berichtete Freißler über die Aktionen tschechoslowakischer Truppen im mährisch-ostschlesischen Gebiet und gab seiner Befürchtung, betreffend eine Eskalation der Lage Ausdruck. Angesichts der angespannten Situation bat er um die Aufnahme zwischenstaatlicher Verhandlungen und forderte Klärung in Bezug auf das weitere militärische Vorgehen. Andernfalls sei „mit Möglichkeit raschen Abbröckelns kaum errichteter Regierungsgewalten und mit sehr ernsten wirtschaftlichen und sozialen Zwangslagen“ zu rechnen. Er erhoffte sich dabei „insbesondere über die Frage der allfälligen Heranziehung reichsdeutscher Hilfe“ entsprechende Weisungen. Das Telegramm findet sich in AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Kaplitz, Verhaftung der Volkswehrmänner, Haltung der Geistlichkeit (Bezirkshauptmann Schöbel), Zl. 937/1918. Vgl. dazu auch Hanns Haas, Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche: vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918 bis 1919, in: Hans Mommsen/Dušan Kováč/Jiří Malíř/Michaela Marek (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen, Leipzig 2001, S. 141–220, hier S. 201 f. Im Original wurde Bauer gestrichen und handschriftlich durch Deutsch ersetzt.
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soviel mir bekannt ist, die Leute nur in geringer Zahl ein, und das wenige Militär, das sie haben, wird dazu verwendet, um die Slowakei zu erobern. Genau dasselbe, was Dr. Freissler telegraphiert, gilt auch hinsichtlich Südmährens. So sind Zlabings und Auspitz, zwei deutsche Gemeinden, durch czechisches Militär besetzt worden.8 Es würde sich vielleicht empfehlen, mit dem tschechischen Gesandten9 hier in Wien eine Vereinbarung in der Richtung zu treffen, daß provisorisch bis zur Friedenskonferenz der Status quo aufrechterhalten werde. Dr. R o l l e r: Wäre es nicht möglich, bei Wilson10 Beschwerde oder Protest zu erheben? Die Tschechen haben es offenbar auf nichts anderes abgesehen, als die Bevölkerung zu präparieren, daß sie bei der seinerzeitigen Abstimmung sich für den tschecho-slovakischen Staat erkläre. Es wird folgender Beschluß gefaßt: Je eine Abschrift des Telegramms des Staatsrates Dr. Freissler ist dem Staatssekretariate für Äußeres und dem Staatssekretariate für Heerwesen zur sofortigen Veranlassung der entsprechenden Maßnahmen zu überweisen, wobei dem Staatssekretariate für Äußeres auch empfohlen wird, beim Präsidenten Wilson gegen die Übergriffe der tschechischen Staatsorgane Verwahrung einzulegen.11 Präs. Dr. D i n g h o f e r teilt mit, daß Abgeordneter Dr. Hock12 laut einer von ihm eben eingelangten Zuschrift, die auf ihn entfallende Stelle eines Unterstaatssekretärs im Unterrichtsamt nicht akzeptieren könne.13
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Am 16. November 1918 wurde Auspitz von tschechoslowakischen Truppen besetzt. Vgl. AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 270/1918. Zlabings wurde am 18. November 1918 besetzt. Vgl. dazu den Bericht in Zl. 572/1918. Zur Besetzung von Zlabings vgl. auch Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Zürich/Leipzig/Wien 1925, S. 34. Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschecho slowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. Thomas Woodrow Wilson, 4. März 1913 bis 4. März 1921 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Das an die Gesandtschaft in Stockholm mit der Bitte um Weiterleitung an den Präsidenten der USA gesandte Telegramm findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 417a/1918. Bauer unterzeichnete das Schreiben, in welchem an das von US-Präsident Woodrow Wilson propagierte Selbstbestimmungsrecht der Nationen appelliert wurde, im Namen der Landesvertretung Deutsch-Böhmens. Die am 26. November 1918 abgesandte Protestnote wurde dem Secretary of State Robert Lansing durch einen Brief des schwedischen Botschafters Ekengren am 30. November 1918 übermittelt. Vgl. Papers Relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference 1919, Volume 2, document 125, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d125, abgerufen am 24. Mai 2019. Robert Lansing, Jurist, ab 1914 Rechtsberater im US-amerikanischen Außenministerium, vom 24. Juni 1915 bis zum 13. Februar 1920 Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, 1919 einer der Hauptverhandler der US-amerikanischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz. Wilhelm August Ferdinand Ekengren, Diplomat, von 1912 bis 1920 schwedischer Gesandter in den USA. Paul Freiherr von Hock, 1907 bis 1918 Hofrat des k.k. Verwaltungsgerichtshofes und Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschfreiheitliche Vereinigung Wiener Abgeordneter bzw. Demokratische Partei, Mitglied des deutschösterreichischen Verwaltungsgerichtshofes. Beilage 40/III: Nachricht an Präsident Seitz (1½ Seiten, handschriftlich). Hock begründete seine Ablehnung damit, daß es ihm „an der Seite eines einer anders gerichteten Partei angehörigen Staats sekretärs im Unterrichtsamte versagt bleiben würde, dort an der Vorbereitung jener großen Reformwerke wie die Trennung von Staat und Kirche, von Schule und Kirche zu arbeiten“.
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Dr. D e u t s c h: Wir haben von unserem Verbindungsoffizier in Innsbruck, Hauptmann Tschurtschentaler14, soeben die telephonische Meldung bekommen, daß am 21. und 22. d. M. die 6. italienische Infanterie-Division in Innsbruck einmarschieren wird15, und werden diesbezüglich um unsere Weisungen ersucht. Ich habe vorläufig gar nichts verfügt, sondern ihn angewiesen, daß er zwischen ½ 5 und 5 Uhr uns noch einmal anrufe, worauf wir ihm im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Äußeres mitteilen würden, was hier zu unternehmen ist. Die zwei folgenden Punkte der Tagesordnung: Anfrage des Staatsrates T e u f e l in Heeresangelegenheiten, ferner Telegramm des Kreishauptmannes T e u f e l wegen Entsendung militärischer Hilfe nach Znaim und Umgebung16 werden unter einem in Verhandlung gezogen. T e u f e l: In dem Telegramm wird verlangt, daß mindestens 2.000 Mann Volkswehr17 zur Sicherung Deutschmährens zum Abmarsch bereit gestellt werden. Die Einfälle der Tschechen in Südmähren nehmen von Stunde zu Stunde größeren Umfang an. In einer Kabinettssitzung soll angeblich beschlossen worden sein, für die Provinzen keine militärischen Vorkehrungen zu treffen, damit es nicht zu einem Blutvergießen komme.18 Diese Zustände sind aber einfach unhaltbar. Wenn der Staatsrat alle berechtigten Wünsche der Provinzen ablehnt, so können Sie nicht verlangen, daß die Leute auch nur 24 Stunden zu Ihnen halten. Ich habe schon vor Wochen gebeten, man möge die Hilfe des Deutschen Reiches in Anspruch nehmen – das ist abgelehnt worden;19 ich habe gebeten, man möge eine Heeresmacht organisieren – auch das ist abgelehnt worden. Der Staatsrat hat nicht das geringste Empfinden für die Vorgänge, die sich draußen in der Provinz abspielen, und ich spreche es mit voller Überzeugung aus, daß draußen jedermann sich heute sagen muß, daß wir von der Wiener Regierung verraten werden. (Widerspruch) Wenn man uns nicht hilft, so erkläre ich, daß wir das als Verrat an unserem ganzen Volkstum kennzeichnen müssen. Unter solchen Umständen können Sie aber auch nicht verlangen, daß man draußen Vertrauen zur Wiener Regierung hat. Der tschechische Staat hat auch für die rein deutschen Bezirke Südmährens Mobilisierungsvorschriften erlassen, durch die auf unsere Leute der Zwang ausgeübt wird, ins tschecho-slovakische Heer einzutreten, widrigenfalls sie sich den furchtbarsten Strafen aussetzen.20 Aus dieser Mobili Hauptmann Georg Tschurtschenthaler von Helmheim, seit 1. September 1918 Hauptmann im Generalstab, 1. November 1919 Versetzung in den Ruhestand. 15 Vgl. Anm. 52 der vorliegenden Sitzung. 16 Beilage 40/IV: Abschrift eines Telegrammes des Staatsrates Teufel (½ Seite). Teufel berichtete darin, daß in Zlabings die Volkswehr entwaffnet und der Kommandant der Gendarmerie gefangengenommen worden seien. Ein allgemeiner tschechischer Vormarsch stehe kurz bevor, weswegen er die Bereitstellung von mindestens zweitausend Mann Volkswehr und die Entsendung des betreffenden Kommandanten nach Znaim „zwecks Festlegung des Verteidigungsplanes“ fordere. 17 Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 18 Ein entsprechender Kabinettsratsbeschluß konnte nicht eruiert werden. 19 Staatsrat Teufel hatte bereits in der 13. Sitzung des Staatsrates vom 31. Oktober 1918 und in der 24. Sitzung vom 8. November 1918 entsprechende Anträge gestellt. Im Zuge eines von Staatsrat Wolf in der 21. Sitzung des Staatsrates eingebrachten Antrages, mit welchem er vom Staatsamt für Heereswesen Maßnahmen zur Vorbeugung der weiteren Besetzung Deutschböhmens, „wenn nötig auch durch Berufung reichsdeutscher Truppen“ verlangt hatte, verwies Teufel auf seine früheren Ausführungen. Über Wolfs Antrag wurde in zwei Teilen abgestimmt, wobei der erste Teil angenommen, der zweite, die Forderung nach deutschen Truppen enthaltende Teil, wegen Stimmengleichheit fallen gelassen wurde. Vgl. SRP Nr. 21 vom 6. November 1918 nachmittags. 20 Vgl. etwa das an das Staatsamt für Äußeres gerichtete Telegramm der Kreishauptmannschaft Znaim vom 23. November 1918, worin diese um eine entsprechende Demarche in der betreffenden Angelegenheit ersuchte, in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der 14
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sierungsvorschrift geht aber auch hervor, daß die Tschechen sehr vernünftig sind: sie haben sofort erkannt, daß ein Staatswesen nur zu halten ist mit einer organisierten Wehrmacht. Unser Staatsrat hat einen gegenteiligen Beschluß gefaßt und auch die Vertreter der bürgerlichen Parteien haben vollständig versagt und sich dem Terror unterworfen. Ich mache Sie für jedes Opfer, das draußen etwa fällt, verantwortlich vor Ihrem Gewissen und vor der Geschichte, die über Sie ein gerechtes Urteil fällen wird. Redner berichtet an der Hand ihm zugekommener Mitteilungen Einzelheiten des tschecho-slovakischen Überfalles auf Zlabings und andere deutsche Gemeinden Südmährens und stellt den Antrag, daß sofort 3.000 Mann21 von der Volkswehr den Befehl bekommen mögen, nach Südmähren zu gehen, welche Truppenmacht von Znaim aus nach Nikolsburg und Zlabings zu instradieren22 wäre, um der Bevölkerung Schutz vor umherziehenden Banden zu gewähren und ihr ein geordnetes Leben möglich zu machen. Es gehört wirklich eine Überwindung dazu, bemerkt Redner, im Staatsrate auch noch eine Stunde zu verweilen, nachdem die Herren die Lebensinteressen des deutschen Volkes mit Füßen treten und imstande sind, um einen Waggon Zucker oder Rüben oder Kraut, den die Tschechen in Überfluß haben, das deutsche Volk in den Sudetenländern zu verraten. Diese Herren verdienten heute schon in den Anklagezustand versetzt und vor ein zuständiges Gericht gestellt zu werden, das zu entscheiden hätte, ob sie ihre Pflicht erfüllen oder nicht. Nach meinem Dafürhalten erfüllen sie sie nicht. Präs. Dr. D i n g h o f e r: Wir alle finden es begreiflich, daß der Abgeordnete eines Wahlbezirkes, der in einer derartigen mißlichen Lage sich befindet, wie der Znaimer, der einen Streitpunkt zwischen zwei Nationen bildet und worin sich die Verhältnisse in einer außerordentlich unangenehmen Weise zugespitzt hatten, sich in einer gewissen Erregung befindet. Den Vorwurf des Verrates u. dergl. können wir aber nicht ruhig hinnehmen und ich weise daher diesen Ausdruck zurück. Im Übrigen glaube ich auch, daß durch eine derartige Philippika23 unseren deutschen Leidensgenossen in den Sudetenländern nicht geholfen wird, sondern wir müssen die Sachlage ruhig überlegen. Wir müssen uns dabei aber darüber klar sein, daß die Tschecho-Slowaken Alliierte der Entente sind und daß, wenn wir heute mit der entsprechenden Schärfe dem nachkommen wollten, was Herr Teufel verlangt, dies nichts anderes wäre als die Kriegserklärung Deutschösterreichs an den tschecho-slovakischen Staat. Diese Kriegserklärung bedeutete aber nicht bloß einen Krieg zwischen uns und Tschechovien {sic!}, sondern auch den neuerlichen Ausbruch des Krieges zwischen uns und der gesamten Entente. Wie ein derartiger Kriegszustand ausgehen kann, ist für uns alle klar. Ich glaube daher, die Ausführungen des Herrn Teufel dahin verstehen zu sollen, daß unbedingt Mittel und Wege gesucht werden müssen, um den einzelnen Übergriffen, welche von Seite der Tschecho-Slowaken begangen werden, in entschiedenster Weise entgegenzutreten. Diese Übergriffe sind ja eigentlich ein Waffenstillstandsbruch, gegen den sich aber leider wiederum sehr schwer etwas unternehmen läßt, weil ja in den Waffenstillstandsbedingungen den Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, GZl. 646/1/1918. Das Staatsamt für Äußeres hielt die Angelegenheit durch die am 24. November 1918 an den Gesandten Tusar gerichtete, umfassende Protestnote für erledigt. Vgl. ebd., GZl. 172/1/1918, Protest an Gesandten Tusar. Die tschechoslowakische Regierung ging im südböhmischen Gebiet in ähnlicher Weise vor. Vgl. dazu das Telegramm der Landesregierung Linz an das Staatsamt für Äußeres vom 18. November 1918 in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 1.579/1918. Gegen die Einberufungsbefehle war bereits zu Beginn des Monats von offizieller Seite protestiert worden. Vgl. ebd., Zl. 360/1918. Vgl. weiters SRP Nr. 45 vom 25. November 1918. 21 In seinem Telegramm hatte Teufel verlangt, daß mindestens 2.000 Mann Volkswehr „zum Abmarsch bereit gestellt werden“. 22 Instradieren: auf die Straße bringen, in einen bestimmten Verkehrsweg leiten. 23 Philippika: Strafpredigt, Kampfrede.
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Ententemächten eingeräumt ist, daß sie in ganz Deutschösterreich, also auch in den Sudetenländern, das Besetzungs- und Durchzugsrecht haben.24 Sie haben aber allerdings nicht das Recht, Orte wie Zlabings zu umzingeln und Mannschaften auszuheben u.s.w. Kurz, Übergriffe sind zweifellos vorhanden; mit welchen Mitteln man ihnen wird begegnen können, ist Gegenstand der Beratung. H a u s e r: Ich bin im allgemeinen auch der Meinung, daß, wenn unser Staatssekretariat für Heerwesen nicht dafür Sorge trägt, daß wir ehestens in der gleichen Weise wie z. B. die Schweiz einen Grundstock regulären, und zwar ordentlichen und verläßlichen Militärs haben, wir in Deutsch-Österreich nie zu geordneten Zuständen kommen werden. Ich möchte also auch bitten, daß endlich die militärische Frage in vernünftiger Weise gelöst wird, wie es sich eben für einen Staat geziemt. Auf der anderen Seite muß ich aber dem Kollegen Teufel widersprechen. Wie jetzt die Situation ist, würde ich es geradezu für ein Verhängnis halten, wenn wir jetzt eine militärische Aktion unternehmen wollten. Die Leute sind kriegsmüde und eine Aktion, die irgendwie kriegerisch aussieht, würde bei uns und überall absolut nicht verstanden werden. Eine kriegerische Intervention selbst im engsten Rahmen würde, selbst wenn sie möglich wäre, draußen wie eine Explosion wirken. Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir eine Anfrage gestatten, die eigentlich das Staatssekretariat des Äußern angeht: Ist hier in Wien im Staatssekretariat für Äußeres etwas davon bekannt, daß die tschechoslovakische Legion, die vom Westen zurückkommt, durch Wien durchmarschiert, und ist irgendetwas dagegen geschehen?25 Dr. D e u t s c h: Vor allem möchte ich betonen, daß ich ein begeisterter Anhänger des Milizsystems bin und daß ich glaube, daß im Staatsamt für Heerwesen niemand sitzt, der nicht unbedingt dafür wäre, daß wir zu einer guten Wehrorganisation kommen. Wir wollen eine Wehrorganisation schaffen, und zwar selbstverständlich möglichst bald schaffen; nur muß ich immer wieder auf die großen Schwierigkeiten hinweisen, die sich dem entgegenstellen. Vor allem haben wir gar keine Möglichkeit, Soldaten unter die Fahne zu rufen, weil niemand kommt und weil wir keine Gewaltmittel haben, sie heranzuziehen. Diesen Schwierigkeiten begegnen aber nicht wir allein, sondern auch die Tschechen und es ist tatsächlich so, daß die Tschechen ihre Überfälle auf Grenzstädte mit ganz geringen Kräften ausführen, denen wir allerdings gar nichts entgegenzusetzen haben. Weiters möchte ich bemerken, daß wir nach dem Waffenstillstandsvertrage nur 5 Divisionen aufstellen dürfen, und einen großen Teil davon haben wir schon konsumiert, denn rund 40.000 Mann also 2 Drittel der Wehrmacht, die uns zusteht, haben wir bereits aufgestellt. Nun wäre es meines Erachtens verfehlt, das letzte Drittel im Wege von Einberufungen aufzustellen. Ich erlaube mir darauf hinzuweisen, daß wir in Wien mit dem Wegräumen jener Elemente, die unzuverlässig sind, bereits in großem Stil begonnen haben. Wir haben gestern von einem Bataillon allein 30 Mann ausgeschieden, weil sie unzuverlässig waren.26 Auch von diesem Gesichtspunkte aus Der Punkt 4a der Waffenstillstandsbedingungen berechtigte die Entente zur „freien Bewegung für ihre Truppen auf jeder Straße oder Eisenbahn oder Wasserweg des österreichisch-ungarischen Gebietes und des Gebrauches der österreichisch-ungarischen Transportmittel“. Die Waffenstillstandsbedingungen finden sich in Politische Chronik. Mit der Beilage Parlamentarische Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Heft 11, November 1918, S. 537 f „Annahme der italienischen Bedingungen durch Österreich-Ungarn und Abschluß des Waffenstillstandes“. 25 Zum Transport von Einheiten der tschechischen Legion durch deutschösterreichisches Staatsgebiet vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 26 In einem Schreiben des Volkswehrbataillons Wien IX. Rossauerkaserne an das deutschösterreichische Volkswehrkommando in Wien vom 18. November 1918 wird auf die Beseitigung unverläßlicher Elemente folgendermaßen Bezug genommen „Der noch andauernde Wechsel der Mannschaft – die als unverläßlich erkannten Elemente werden entlassen – gestattet heute einen genauen Überblick über 24
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glaube ich, daß es für uns viel praktischer ist, wenn wir vorläufig bei dem Anwerbesystem bleiben, bis wir über die schwierigste Zeit hinweg sind. T e u f e l: Ich möchte mich vor allem gegen einen Gedanken wehren, den Kollege Hauser ausgesprochen hat. Sowie man etwas über Heeresorganisation spricht, kommt sofort der Vorwurf, daß man einen Krieg haben wolle. Ich möchte feststellen, daß ich nicht im entferntesten daran denke, aber Sie selbst werden durch Ihre Haltung den Bürgerkrieg herbeiführen, weil selbstverständlich die Leute draußen, noch eingeschüchtert durch den Terror der Tschechen, sich momentan zwar unterwerfen bezw. zurückziehen, sich aber jetzt in Mähren an manchen Orten schon zu rühren beginnen; die Leute werden einfach den Krieg selbst eröffnen gegen die Organe, die sich bei ihnen festsetzen und ihnen alles wegnehmen. Es ist daher unbedingt notwendig, die Wehrmacht auf ganz anderen Grundlagen zu organisieren, als das Staatsamt für Heerwesen es getan hat. Die jetzige Organisation ist keine Milizorganisation, sondern das ist eine zusammengewürfelte Gesellschaft, wo der Einzelne wohl das Beste leisten will, alle zusammen es aber nicht können. Es müßte von Grund auf durch Fachleute sofort eine Organisation geschaffen werden, um eine Armee zu bekommen, die sowohl unseren demokratischen Anschauungen, als auch ihrem Zwecke entspricht, Ruhe und Ordnung in Deutsch-Österreich aufrechtzuerhalten und uns vor Überfällen zu sichern. Ich verlange keine Mobilisierung und keine Kriegserklärung, sondern verlange Sicherheit, Ruhe und Ordnung in den Provinzen, die zu Deutschösterreich gehören, denn das ist vor allem auch die beste Gewähr gegen einen Bürgerkrieg. Ich habe zum Staatssekretariat für Heerwesen gar kein Vertrauen; es sind Wochen vorübergegangen und die Herren haben nichts geleistet. Tage und Nächte lang sitzen die Herren, um die laufenden Geschäfte zu erledigen, aber die wichtigsten prinzipiellen Fragen werden nicht erledigt. Ich bekomme soeben vom Abgeordneten Brunner27 ein Telegramm des Inhalts, daß Grusbach und Znaim vom tschechischen Militär besetzt worden sein sollen.28 Jeden Tag und jede Stunde bekommt man solche Telegramme, Sie gehen aber einfach darüber hinweg, als ob wir draußen nicht existieren würden. Die deutsche Provinz muß aber genauso wissen wie die tschechische, daß sie unter dem Schutz irgendeines Staates steht, weil sonst die ganze Bevölkerung mit fliegenden Fahnen zum tschecho-slowakischen Staat übergeht und Ihnen für alle Zeiten den Rücken kehrt. P f l ü g l : Auf die Anfrage des Herrn Hauser möchte ich bemerken, daß dem Staatsamt für Äußeres bisher nur aus den Zeitungen bekannt ist, daß die tschecho-slowakischen Brigaden auf ihrem Marsche von der Westfront nach Böhmen durch Deutschösterreich ziehen wollen.29 Heute haben wir aus privater Quelle erfahren, daß diese Truppen auch durch Wien die entgültige Beschaffenheit des Baons nicht. Im Laufe dieser Tage wird aber der Reinigungsprozeß durchgeführt sein.“ Vgl. AdR, LV, BMLV, 1. Rep, VW, Gruppe Wien, Zl. 51/1918. 27 Josef Brunner, Landwirt und Bäckermeister in Höflein an der Thaya, Obmannstellvertreter des deutschen landwirtschaftlichen Bezirksvereines in Joslowitz und Znaim, Ausschußmitglied der deutschen Sektion des Landeskulturrates von Mähren, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der provisorischen Nationalversammlung, DnP. Eine weitere Nachricht Brunners wurde in der 46. Sitzung des Staatsrates vom 26. November 1918 weitergeleitet. Er forderte die Abberufung des inzwischen nach Znaim entsandten Volkswehrbataillons. Vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 28 Laut den Erinnerungen von Oldofredi war diese Mitteilung unrichtig. Tschechoslowakische Truppen besetzten am 20. November die 15 Kilometer nördlich von Grusbach gelegene Bahnstation Mislitz. Der Bahnhof Grusbach-Schönau sowie der Kreishauptort Znaim wurden am 16. Dezember 1919 von tschechischen Truppen besetzt. Dem war allerdings bereits eine eintägige Besetzung der Station Grusbach am 1. November 1918 vorausgegangen. Vgl. dazu Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, S. 19, S. 35 f und S. 121. 29 Vgl. dazu u. a. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 20. November 1918, S. 4 „Durchzug der czechoslowakischen Legion durch Wien“.
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durchziehen wollen, und ich werde Herrn Dr. Bauer ersuchen, daß er sowohl bei den Entente Regierungen wie speziell beim Präsidenten Wilson dagegen protestiere. Ich habe erfahren, daß in Wien große Aufregung bei allen denen herrscht, die von diesem Plane wissen, und es ist möglich, daß auch den Wienern die Geduld ausgeht und daß es zu Blutvergießen kommt, und das wollen wir verhindern. Dr. B o d i r s k y: Auch unter den Deutschen des Sudetenlandes herrscht eine furchtbare Stimmung, da ihnen gar keine Möglichkeit zu Gebote steht, sich gegen die anstürmenden Tschechen zu wehren. Sie stehen ohne Waffen und ohne geldliche Unterstützung da und sind an allen Ecken und Enden in der größten Gefahr, in ihrer Lebensmittelversorgung von den Tschechen vollständig abgeschnitten zu werden. Nun bin ich nicht der Meinung, daß man allenfalls Waffen hinaufbringen und ein Heer dort organisieren soll, stimme aber der Anschauung des Kollegen Teufel zu, daß wir dem Bürgerkrieg entgegengehen, wenn wir den Leuten nicht zum Bewußtsein bringen, daß sie von der deutsch-österreichischen Regierung wenigstens formell unterstützt werden. Zu diesem Zwecke wäre es notwendig, einen Gesandten in Prag zu ernennen, dem wir alle diese Dinge berichten könnten und der wenigstens die Möglichkeit hätte, durch diplomatische Vorstellungen verschiedene Dinge zu verhindern, die unzweifelhaft die reinste Gewalttat darstellen. Das Zweite, worunter die Leute leiden, ist, daß sie kein Geld haben. Es wäre also Geld über Deutschland hinaufzuschaffen, damit man wenigstens die Beamten sowie die Pensionisten und Witwen auszahlen könne, die sonst direkt dem Hunger preisgegeben sind. Ich stelle also den Antrag30, es sei in Prag unverzüglich ein Gesandter für DeutschÖsterreich, wenn auch provisorisch, zu bestellen. Durch Bestellung eines Gesandten würde schon eine bedeutende Beruhigung der Bevölkerung eintreten. Dr. O f n e r: Die Furcht, daß die Entente sofort wieder einen Krieg beginnen würde, halte ich nicht für begründet. Wenn man sich gegen Angriffe wehrt, so bietet das der Entente gewiß keinen Anlaß für einen Krieg. Weiters möchte ich aber bemerken, daß sowohl Deutschland wie auch Österreich vor dem Kriege und im Kriege darin außerordentlich gefehlt haben, daß sie nicht in die Öffentlichkeit gegangen sind, daß die Entente die öffentliche Meinung vergiftet oder wenigstens für sich in Anspruch genommen hat und wir gar nichts gesprochen haben. Wer schweigt, setzt sich aber ins Unrecht. Wir könnten also unsere Genossen in Mähren schon durch die Mitteilung beruhigen, daß wir einen Beschluß gefaßt haben, demzufolge sich unser Staatssekretär für Äußeres an Wilson und an die Entente gewendet und gegen die Gewalttaten der Tschechen Einsprache erhoben hat. W o l f: Die Emsigkeit, mit der Verordnung und Gesetze hier fabriziert werden, wird nur hie und da unterbrochen durch Anträge bezüglich der Sicherung des Staatsgebietes. Diese Anträge kehren mit Naturnotwendigkeit immer wieder, ich verweise aber darauf, daß sie, selbst wenn sie angenommen werden, gar keinen Effekt haben. Die Tschechen schaffen in den deutschen Gebieten der Sudetenländer feste Tatsachen, auf die sie sich in den Friedensverhandlungen berufen und auf die gestützt, sie einfach Deutschböhmen für sich in Anspruch nehmen werden. Bei uns geschieht gar nichts und das viele Gerede hat hier keinen Zweck. Ich verlange, daß endlich einmal auch für Deutschböhmen etwas geschieht. Wir müssen eine Heeresmacht haben, sonst können wir die Fiktion eines Staatsbetriebes nicht aufrechterhalten. Wenn man nicht die Macht aufbringt, eine eigene Wehrorganisation zu schaffen, so wird uns nichts übrigbleiben, als uns an Deutschland um diejenigen Kräfte zu wenden, die notwendig sind, um zu verhindern, daß die Tschechen unsere Städte besetzen. Es muß eine Besetzung Deutschböhmens sowie Südmährens von unserer Seite systematisch durchgeführt werden. Man müßte natürlich die Truppen über Deutschland schicken, wenn Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei.
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man das aber geschickt macht, können in 4, 5 Tagen Leute genug dort sein, um eine weitere Überschwemmung Deutschböhmens durch Tschechen hintanzuhalten. Dem Antrag des Dr. Bodirsky schließe ich mich gerne an, ich glaube aber nicht, daß schon in dem Bewußtsein, einen Gesandten in Prag zu haben, für die Bevölkerung so viel Beruhigung liegen würde, als Sie da erhoffen. Immerhin wäre das eine Verstärkung des Sicherheitsgefühls, das beinahe gänzlich geschwunden ist. Wenn der Antrag, sofort einen Gesandten für Prag zu ernennen, durchgeführt wird, so möchte ich die Aufmerksamkeit auf eine Persönlichkeit lenken, die meiner Meinung nach in hohem Maße geeignet wäre, dieses Amt dort zu verwalten, und zwar wäre das Hofrat Dr. Kamitz31 des Justizministeriums, der neben weit verzweigten politischen Kenntnissen ein außerordentliches organisatorisches Talent und eine große Energie besitzt. Präs. Dr. D i n g h o f e r: Ich erlaube mir aufmerksam zu machen, daß das post festum32 kommt, weil die Gesandten schon bestellt sind. Dr. v. L i c h t: Ich wußte auch nicht, daß für Prag schon ein Gesandter bestellt ist. (Ruf: Sekretär Meyer33 von der Brünner Handelskammer!) Eine maßgebende Persönlichkeit für derartige Dinge, Herr Sobitschka34, hat mir gesagt, es wäre dringendst erwünscht, wegen der verschiedenen Übergriffe und der wirtschaftlichen Fragen einen Gesandten zu bestellen, und hat sich dahin geäußert, daß es sich empfehlen würde, einen Herrn der Sozialdemokratie nach Prag zu schicken. Im Übrigen beantrage ich, den Antrag Teufel auszudehnen auf das Sudetenland. W o l f: Ich möchte aufmerksam machen, daß mit dem Antrag Teufel nicht alles das getan ist, was getan werden muß, sondern ich verlange, daß auch die längst angenommenen Anträge gleicher Art, soweit sie sich auf Deutschböhmen beziehen, endlich zur Durchführung gebracht werden. Dr. Wenzel Kamitz, Richter, 29. November 1899 Einberufung in das Ministerium der Justiz, 10. Oktober 1911 Ernennung zum Sektionsrat, 25. Oktober 1912 Rat des Verwaltungsgerichtshofes. 32 Post festum: nachträglich, zu spät. 33 Dr. Robert Mayer, Sekretär der Handels- und Gewerbekammer in Brünn. Die Ernennung Dr. Robert Mayers zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Prag wurde am 19. November 1918 vom Staatsamt für Äußeres beantragt und am 22. November vom Staatsrats direktorium bewilligt. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl.4/Dir./1918, Mitteilung über das Verhalten der tschechoslovakischen Regierung gegenüber der Bestellung des Reg.R. Mayer zum Gesandten für Prag. Zu Mayers Ernennung vgl. auch SRP Nr. 33 vom 14. November 1918. In der 46. Sitzung des Staatsrates berichtete Dr. Rudolf Lodgman von Auen, daß Prag es bisher abgelehnt hätte, einen deutschösterreichischen Gesandten zu akkreditieren. Die Bestellung eines österreichischen Vertreters in Prag verzögerte sich, weil die tschechoslowakische Regierung die beiden ersten nominierten Personen, Rudolf Lodgman von Auen und Robert Mayer zurückwies, „solange Deutsch-Österreich Gebietsteile der Tschechoslowakischen Republik beansprucht“. Ein diesbezüglicher Brief des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten vom 25. November erreichte Bauer erst am 30. November. Vgl. SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Vgl. auch Josef Harna/ Jaroslav Šebek (Hg.), Edice pramenů. Státní politika vůči ne˘mecké menšine˘ v období konsolidace politické moci v Československu v letech 1918–1919, Prag 2001, Dok. 18. Schließlich wurde der von Bauer nominierte Ferdinand Marek als Vertreter akzeptiert. Vgl. Ota Konrád, Nevyvázené vztahy. Ceskoslovensko a Rakousko 1918–1933, Praha 2012, S. 59. Dr. Rudolf Lodgman von Auen, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, ab 4. November 1918 Landeshauptmann von Deutschböhmen. Dr. Ferdinand Marek, Jurist und Diplomat, 1. November 1918 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, ab 29. November 1918 provisorischer Geschäftsträger an der Gesandtschaft Prag und Legationsrat II. Kategorie, im Juni 1919 zum Bevollmächtigten ernannt. 34 Vermutlich Josef Richard Sobitschka, Edler von Wiesenhag, Fabrikant und Präsident der Zentralbank der deutschen Sparkassen in Prag. 31
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Präs. Dr. D i n g h o f e r: H. Teufel beantragt35, daß sofort alle militärisch notwendigen Maßnahmen zur Sicherung des deutsch-südmährischen Kreises getroffen werden. Angenommen. Ferner liegt ein Zusatzantrag des Herrn Dr. v. L i c h t vor, in den Antrag Teufel die Worte einzufügen: „und auch des Sudetenlandes“. Angenommen.36 Dann liegt noch ein Antrag37 des Herrn Dr. B o d i r s k y vor: Es ist u n v e r z ü g l i c h ein Gesandter in Prag für Deutsch-Österreich, wenn auch provisorisch zu bestellen. Der Gesandte ist schon bestellt, das erscheint also schon angenommen. Dr. D e u t s c h: Ich erlaube mir, die Anträge38, betreffend die Sanierung der Standesverhältnisse der Militär-Berufs-Gagisten39, zur Beschlußfassung zu unterbreiten (Deutschösterr. Staatsamt für Heerwesen, Personalgruppe Nr. 1967). Die Heereskommission hat sich nach eingehender Beratung damit einverstanden erklärt und folgende Zusatzanträge beschlossen: 1.) An der Spitze dieser Bestimmungen soll ausgedrückt werden, daß sie nur provisorischen Charakter haben. 2.) Es soll ausgesprochen werden, daß diese Bestimmungen auch für die Angehörigen der Marine gelten. Weiters sollen in Punkt 11 nach den Worten „des ehemaligen Herrscherhauses“ die Worte eingefügt werden: „ohne Ruhegenüsse, sowie auf alle ...“. W o l f: Im Allgemeinen bin ich mit diesen Vorschlägen einverstanden, es hat aber nach meiner Meinung eine provisorische Pension keinen Sinn, und es ist auch unmenschlich, jemand für pensionsreif zu erklären, ohne ihm eine dauernde Pension zuzusichern. Ich spreche mich also gegen den provisorischen Charakter aus. Präsident S e i t z: Gewöhnlich wird die Form für einen provisorischen Zustand durch eine Beurlaubung mit Wartegebühren ausgedrückt. Es handelt sich hier hauptsächlich darum, ob ein materieller Unterschied zwischen einer Beurlaubung mit Wartegebühren und einer mehr oder weniger definitiven Versetzung in den Ruhestand besteht. Dr. D e u t s c h: Materiell besteht gar kein Unterschied. Wir wollen aber diese Beurlaubung auf Wartegebühren deshalb nicht, weil sie bei der Bevölkerung einen schlechten Eindruck machen würde. Das Provisorium ist von uns nur bezüglich der Höhe der Gebühren, nicht aber in Bezug auf die Zeit gemeint. Beilage 40/IV: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 36 Anfang Dezember trafen die ersten Volkswehreinheiten aus Wien in Znaim ein. Die militärischen Maßnahmen blieben sowohl in Südmähren als auch im Sudetenland aber letztlich wirkungslos. Spätestens Ende Dezember 1918 war die Besetzung durch tschechoslowakische Truppen in diesen Gebieten abgeschlossen. Vgl. Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, S. 67 f; Karl Glaubauf, Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik, Wien 1993, S. 62–65. Zur Situation der Volkswehr im Sudetenland vgl. ders., S. 138–141; Ferdinand Zeller, Die Provinz Sudetenland. Der Umsturz in Nordmähren und Westschlesien 1918, phil. Diss., Wien 1971, S. 105–123; Walter Reichel, Tschechoslowakei-Österreich Grenzziehung 1918/1919, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 159–179, hier S. 171–176. Vgl. weiters SRP Nr. 46 vom 26. November 1918 vormittags. 37 Beilage 40/VI: Antrag Bodirsky (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI. 38 Beilage 40/VII: StAHw, Anträge (3 Seiten). Aufgrund dieser Anträge sollten deutschösterreichische Militär-Gagisten bestimmter Dienstgrade mit 1. Jänner 1919 in den Ruhestand versetzt werden, da „für viele weder jetzt noch in Zukunft eine militärische Verwendung möglich [...]“ sei bzw. sein werde. Vgl. auch SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 39 Gagist: Berufsmilitärangehöriger. 35
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Dr. S c h o e p f e r: Da es beim Militär eine Versetzung in den zeitweiligen Ruhestand nicht gibt, stelle ich den A n t r a g, daß an Stelle der Worte „Versetzung in den Ruhestand“ die Worte „Beurlaubung mit Wartegebühren“ zu setzen sind. Da wir ja auch in Zukunft Berufsoffiziere brauchen werden, erreichen wir damit den Zweck, den das Staatsamt für Heerwesen anstrebt, wir beseitigen damit das Bedenken des Herrn Staatsrates Wolf, wir ermöglichen für die Zukunft jede Verfügung, die wir brauchen und wir präjudizieren damit gar nichts. Um weiters das Bedenken des Herrn Unterstaatssekretärs Dr. Deutsch zu zerstreuen, stelle ich einen zweiten Antrag40, der dahin geht, daß die gesamte Bevölkerung durch die Presse über den Sachverhalt aufgeklärt werde mit der Betonung, daß die endgültige Regelung dieser Angelegenheit der definitiven Nationalversammlung vorbehalten bleiben soll. Dr. O f n e r: Die Bedeutung des Wortes „provisorisch“ ist mir hier nicht ganz klar. Wenn damit gemeint ist, daß wir selbst nur provisorisch sind, und daß diese Bestimmungen die definitive Nationalversammlung zur definitiven machen soll, so wäre es besser, das genauer auszudrücken, denn dies ist etwas ganz anderes als eine gewöhnliche zeitweilige Pensionierung, die ja nach dieser Richtung einen definitiven Charakter hat. W o l f: Beim Beschließen dieses Gesetzes müssen wir noch über eines Klarheit gewinnen: Die Wehrmacht des alten Österreich ist jetzt für die Staaten, die aus ihm als neue Nationalstaaten hervorgegangen sind, wertlos. Wir haben aber eine gewisse moralische und rechtliche Verpflichtung, diese Pensionen zu bezahlen. Die Frage ist nun, wie diese Bezahlung aufgeteilt werden soll. Nach meiner Meinung ist die Auszahlung der Pensionen Sache des alten Staates und sie hat nach Maßgabe eines festzulegenden Verhältnisses auf die neuen Nationalstaaten aufgeteilt zu werden. Ich glaube, wir haben nur den Teil zu besorgen, der auf das Gebiet Deutschösterreich oder nach der Kopfzahl entfällt. Ich möchte daher beantragen, daß grundsätzlich diesen Bestimmungen die Zustimmung erteilt werde, daß aber, bevor wir diese Beschlüsse endgiltig annehmen, das Staatsamt für Heerwesen ersucht werde, uns eine Auseinanderlegung der Pensionsansprüche und Pensionssummen nach Maßgabe der Gebietsgröße und der Bevölkerungszahl der Nationalstaaten zu liefern, in welche dieses Reich zerfallen ist. Präsident S e i t z: Es scheint hier ein Mißverständnis vorzuliegen. Das alte k. und k. Österreich-Ungarn hat gewisse Lasten. Es besteht zwar keine gemeinsame Staatsschuld mehr mit Ausnahme dieser Ansprüche, die aus dem sogenannten alten Block der Staatsschulden bestehen, wonach Österreich sie übernommen hat und Ungarn eine jährliche Quote leistet. Es bestehen auch gemeinsame Vermögen und Ansprüche der österreichisch-ungarischen Monarchie. Alle diese Ansprüche und Vermögen müssen jetzt natürlich aufgeteilt werden, zunächst zwischen dem gesamten Österreich und dann zwischen Österreich und Ungarn auf der andren Seite. Diese Verhandlungen müssen natürlich zugleich mit den Friedensverhandlungen geführt werden, weil ja die Entente selbst nicht zugeben wird, daß solche Rechtsansprüche einfach erlöschen. Auch wird niemand zugeben, daß man ohne Feststellung des gemeinsamen Vermögens einfach jedem das läßt, was er auf seinem Territorium hat. Das alte k.k. Österreich hat ungeheure Staatsschulden und einen ungeheuren Pensionsetat, dem kein Pensionsfond entspricht. Auch darüber muß im Rahmen der Friedensverhandlungen eine Auseinandersetzung erfolgen, denn es wird sich niemand in der Entente, schon vom rein kapitalistischen Standpunkte aus, gefallen lassen, daß sich dieser Staat auflöst und man erklärt, die Schulden habe niemand. Bei den Vereinbarungen, die hier gepflogen werden, werden auch die Lasten des Staates festgestellt. Eine dieser Lasten sind die Pensionsansprüche der Offiziere. Beilage 40/IX: Antrag Schoepfer (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IX.
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Der Offizier wird daher nicht vom deutschösterreichischen Staate etwas bekommen, sondern von der zu diesem Zwecke eingesetzten Liquidationsbehörde. Was wir jetzt beschließen, ist ein bloßer Vorschuß, damit die Leute, die auf unserem Territorium leben, nicht Not leiden. Dr. D e u t s c h: Das ganze wird sofort klar, wenn ich den Antrag41 im Wortlaute verlese, den wir als Zusatzantrag, als P. 11, in der Kommission für das Heerwesen gestellt haben: „Alle vorstehenden Gebührensätze gelten vorbehaltlich einer Änderung durch spätere Anordnungen der deutschösterreichischen Regierung bezw. Vereinbarungen mit den liquidierenden Stellen der vormaligen österreichisch-ungarischen Monarchie“. Wir bezahlen im Sinne eines Vorschusses alles weiter, wie es bisher war, mit dem Vorbehalte, daß wir es dann verrechnen wollen. Bei der Abstimmung werden die Anträge des Staatsamtes für Heerwesen mit den vom Unterstaatssekretär Dr. D e u t s c h vorgeschlagenen Änderungen und die Zusatzanträge, sowie der zweite Antrag des Staatsrates Dr. S c h o e p f e r angenommen.42 Der erste Antrag des Dr. S c h o e p f e r wird vom Antragsteller zurückgezogen. Es liegen ferner zwei Anträge des Staatsrates T e u f e l vor, die ebenfalls angenommen werden. Diese Anträge lauten: 1.)43 „Das Staatsamt für Heerwesen möge in einer Veröffentlichung feststellen, daß die Marineoffiziere hinsichtlich der auszuzahlenden Bezüge den Offizieren der ehemaligen k. und k. Armee gleichgestellt sind.“ 2.)44 Die Staatskanzlei wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Heerwesen unverzüglich an die Ausarbeitung eines Wehrgesetzes zu schreiten und die diesbezüglichen Gesetzesvorlagen dem Staatsrate bis spätestens 10. Dezember vorzulegen. Dr. D e u t s c h: Ich erlaube mit weiters, dem Staatsrate eine Vorlage45 über das Wesen und die Obliegenheiten des Zivilkommissariates für die Volkswehr zu unterbreiten. Es soll dem Staatsamte für Heerwesen angegliedert werden. Wir haben unbedingt einige Leute zur Unterstützung nötig, die regelnd eingreifen und die Soldatenräte auf das ihnen zukommende Maß beschränken, nämlich als Beschwerdeinstanz, als anregendes Organ zu dienen. Dadurch erreichen wir, daß wir einerseits den Anträgen des Soldatenrates ein entsprechendes Gegengewicht gegenüberstellen können und andererseits vermeiden wir, daß wir uns persönlich fortwährend herumschlagen müssen und dadurch zu keiner gedeihlichen Arbeit kommen. Diese Vorlage wird genehmigend zur Kenntnis genommen.46 Beilage 40/VII: Zusatzantrag Deutsch (1 Seite handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VII. 42 Vgl. dazu auch SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 22. November 1918, S. 2 „Verfügungen über die Offiziere im Deutschösterreichischen Staat“. 43 Beilage 40/VIII: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII. In den Demobilisierungsanleitungen des Kriegsministeriums, vom 6. November 1918 wurde die Kriegsmarine nicht erwähnt. Zur Ergänzung und Ausdehnung der Bestimmungen auf Gagisten der Marine vgl. die Zuschriften der Marinesektion des Kriegsministeriums vom 12. November 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.615/1918. 44 Beilage 40/X: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt X. Für den weiteren Verlauf vgl. SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 45 Beilage 40/XI: Obliegenheiten des Zivilkommissariates für die Volkswehr (1½ Seiten). Das Zivilkommissariat sollte sicherstellen, daß die Volkswehr „im Sinne der demokratischen Verfassung des Staates“ agiere. Die hierzu in der Vorlage vorgeschlagenen Obliegenheiten umfaßten im Wesentlichen Kontroll- Überwachungs- sowie Aufklärungsmaßnahmen und -kompetenzen. 46 Das Zivilkommissariat wurde aufgrund des in der vorliegenden Sitzung gefaßten Beschlusses des Staatsrates eingerichtet. Vgl. dazu Verordnungsblatt des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen, Nr. 2 vom 22. November 1918. Bestehend aus je zwei sozialdemokratischen, christlichsozialen und deutschnationalen Vertretern, sollte es „das Bindeglied zwischen Militärverwaltung und Volksvertre41
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Der Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r unterbreitet einen Gesetzentwurf 47, betreffend die Pupillarfähigkeit48 eines Anlehens von 250 Millionen Kronen für die Gemeinde Wien. Dieser Gesetzentwurf wird angenommen und die Zustimmung erteilt, daß über diesen Gegenstand in der nächsten Nationalversammlung die erste, zweite und dritte Lesung vorgenommen werde.49 Ferner wird die vom Staatsnotar vorgelegte Vollzugsanweisung50 des Staatsrates über die einstweilige Ergänzung der bestehenden Gemeindevertretungen genehmigt.51
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tung sein und eine demokratische Kontrolle über die bewaffnete Macht ausüben“. Vgl. Hans Hautmann, Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924, Wien 1987, S. 248; Julius Deutsch, Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen, Wien o. J., S. 33; vgl. weiters AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.511/1918, Ernennung von Zivilkommissären. Das Zivilkommissariat blieb auch nach Inkrafttreten des Wehrgesetzes von 1920 bestehen. Sein Aufgabenbereich wurde erweitert und es selbst als „Zivilkommissariat des deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen“ direkt dem Staatssekretär unterstellt. Im Jahr 1923 wurde das Zivilkommissariat in „Ständige Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten“ umbenannt, die bis zum Jahr 1932 bestehenblieb. Vgl. Karl Haas, Studien zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie. 1918–1926, phil. Diss., Wien 1967, S. 22–24, S. 115 und S. 147; ders., Austromarxismus und Wehrfrage. Zur militärpolitischen Pragmatik der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik, Habil., Wien 1985, S. 162; weiters StGBl. Nr. 378, Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Heereswesen vom 31. Juli 1920 über den Wirkungskreis und die Geschäftsordnung des Zivilkommissariates im Staatsamte für Heereswesen (II. Vollzugsanweisung zum Wehrgesetz). Zur „Ständigen Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten“ vgl. den, allerdings nur bedingt nutzbaren, Bestand in AdR, LV, BMLV, 1. Rep., Ständige Parlamentskommission für Heeresangelegenheiten. Beilage 40/XII: Gesetzesentwurf (3¼ Seiten, gedruckt). Das Gesetz sollte die von der Stadtgemeinde Wien geplante Aufnahme eines Anlehens „zur Deckung einer Reihe von Kriegs- und Notstandsauslagen“ stützen. Der gedruckte Text enthält eine handschriftliche Korrektur mit welcher die Eingangsformel von Kraft Beschlusses der provisorischen Nationalversammlung verordnet der Staatsrat wie folgt auf die provisorische Nationalversammlung hat beschlossen, geändert wurde. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 37, Gesetz vom 22. November 1918 über die Verwertbarkeit der von der Gemeinde Wien auf Grund des mit Beschluß der Landesversammlung des Landes Niederösterreich vom 5. November 1918 bewilligten Anlehens auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar und ähnlichen Kapitalien, ausgegeben am 28. November 1918 zur Gänze überein. Umfangreiches Material dazu findet sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 1.939/1918, Gesuch der Stadtgemeinde Wien um Erwirkung der Mündelsicherheit für die Teilschuldverschreibungen des zur Deckung verschiedener Kriegsauslagen aufzunehmenden Anlehens der Gemeinde Wien im Nennbetrage von 250 Mill. Kronen. Pupillarfähigkeit: Berechtigung zur mündelsicheren Veranlagung von Vermögen. Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, zweite und dritte Lesung, S. 130 f. Beilage 40/XIII: Vollzugsanweisungsentwurf (2 Seiten). Die Vollzugsanweisung sollte eine Ergänzung der Gemeindevertretungen in den Städten und Industrieorten bewirken, um das Verhältnis zwischen Arbeiterschaft und übriger männlicher Bevölkerung angemessen zu repräsentieren. Als Grundlage sollten die Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1910 dienen. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 81, Vollzugsanweisung des Staatsrates vom 4. Dezember 1918 über die einstweilige Ergänzung der bestehenden Gemeindesvertretungen, ausgegeben am 6. Dezember 1918, zur Gänze überein. Die Forderung nach einer Ergänzung der Gemeindevertretungen findet sich als Punkt 4 bereits in den „Bedingungen für den Eintritt der Sozialdemokraten in die deutsch-österreichische Regierung“, die sich im Anhang zum Protokoll der 12. Sitzung des Staatsrates befinden sowie in Artikel 10 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich (StGBl. Nr. 5/1918) enthalten sind. Vgl. den Anhang zu SRP Nr. 12 vom 30. Oktober 1918 weiters Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 37 vom 19. November 1918. Die Vollzugsanweisung wurde am darauffolgenden Tag in der „Wiener Zeitung“ veröffentlicht. Vgl. Wiener Zeitung, 21. November 1918, S. 2 „Inland. Ergänzung der Gemeindevertretungen“. Ihre
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Dr. B a u e r: Es sind soeben militärische Meldungen eingetroffen, nach denen eine italienische Infanterie-Truppen-Division in der Stärke von 15 Bataillonen und 12 Batterien Innsbruck besetzt hat. Außerdem soll eine zweite Kolonne italienischer Truppen, über deren Stärke nichts bekannt ist, gegen Imst marschieren.52 Die Aufregung in Nordtirol hierüber ist groß und man befürchtet, daß die dort stehende Volkswehr nicht zurückzuhalten sein wird. Ich habe die Weisung ergehen lassen, daß nach dem Waffenstillstandsvertrage die Italiener unzweifelhaft berechtigt sind, die Nordtiroler Städte zu besetzen und daß alles daran gesetzt werden solle, einen Konflikt zu vermeiden.53 Ein Protest würde hier natürlich ganz wirkungslos sein. Möglich wären nur zwei Dinge. Erstens, daß man einen Zivilkommissär als unseren Vertreter nach Innsbruck schickt, damit die Bevölkerung den fremden Truppen nicht schutzlos preisgegeben ist. Zweitens, daß man über Bern der italienischen Regierung gegen diese Besetzung von Nordtirol diplomatische Vorstellungen macht. Ich glaube aber nicht, daß dies helfen wird.
Ausgabe erfolgte allerdings erst Anfang Dezember 1918. Die Aufforderung vom 4. Dezember 1918, womit die Staatskanzlei das Staatsamt für Inneres ersuchte, die Vollzugsanweisung im Staatsgesetzblatt kundzumachen, liegt in AdR, BKA/Inneres, 11, StAI, Zl. 2.246/1918. Die zeitliche Distanz zwischen der Veröffentlichung der Vollzugsanweisung in der Presse und ihrer offiziellen Verlautbarung führte vereinzelt zur Verunsicherung bezüglich der Umsetzung der Vollzugsanweisung bzw. des Artikels 10 des StGBl. Nr. 5/1918. So ersuchte etwa die Landesregierung des Sudetenlandes in einem Schreiben vom 2. Dezember 1918 das Staatsamt für Inneres, um entsprechende Weisung in dieser Frage. Vgl. AdR, BKA/Inneres, 11, StAI, Zl. 2.599/1918. Vgl. weiters die Schreiben der Landesregierungen Salzburg und Niederösterreich in ebd., Zl. 2.594/1918 und Zl. 5.568/1918. Zur Thematik vgl. außerdem die „Anleitung für das Staatsamt des Innern, betreffend eine Verordnung an alle Landesregierungen und Bezirkshauptleute wegen Ergänzung der Gemeindevertretungen“ in AVA, Nachlaß Renner E/1731: 295. Weiteres Material zu den Gemeindevertretungen liegt in AdR, BKA, StK, GZl. 338/1919. 52 Die Neue Freie Presse meldete am 20. November 1918 den bevorstehenden Einmarsch italienischer Truppen in Innsbruck. Die betreffende italienische Division war zu diesem Zeitpunkt etwa vier Wegstunden von Innsbruck entfernt. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 21. November 1918, S. 2 „Bevorstehende Besetzung von Innsbruck durch die Italiener. Eine italienische Division in der Nähe der Stadt bereits angelangt“ und ebd., „Italienische Truppen im Anmarsch auf Innsbruck“. Die Besetzung der Stadt erfolgte sodann mit mehrtägiger Verzögerung und war etwa am 25. November 1918 abgeschlossen. Vgl. Neue Freie Presse. Nachmittagsblatt, 25. November 1918, S. 4 „Die Italiener in Innsbruck“; Innsbrucker Nachrichten, 21. November 1918, S. 1 „Besetzung von Innsbruck, Hall und Umgebung durch die Italiener“. Vgl. weiters Hans Kramer, Die italienische Besetzung in Innsbruck 1918–1920, in: Adam Wandruszka/Ludwig Jedlicka (Hg.), Innsbruck-Venedig. Österreichisch-italienische Historikertreffen 1971 und 1972, Wien 1975, S. 155–166; Johann Rainer, Die italienische Besatzung in Österreich 1918–1920 (= Innsbrucker Historische Studien. Herausgegeben vom Institut für Geschichte der Universität Innsbruck, 2. Band, Sonderdruck), Innsbruck 1979, S. 79–83. 53 Die Tageszeitung Innsbrucker Nachrichten veröffentlichte anläßlich des bevorstehenden Einmarsches einige Anweisungen für die Bevölkerung, in welchen u. a., der von Staatssekretär Bauer in der vorliegenden Sitzung erläuterte Zusammenhang mit den Waffenstillstandsvereinbarungen dargelegt wurde. Darunter findet sich auch ein von Landeshauptmann Schraffl unterzeichneter Aufruf, in dem es heißt: „Das Staatsamt für Aeußeres wird gegen diesen Einmarsch durch den Staats-Sekretär Dr. Bauer bei der italienischen Regierung Vorstellung erheben. Die Bevölkerung Innsbrucks wird aufmerksam gemacht, daß ein Anlaß zu einer Beunruhigung nicht vorliegt; […] Die Bevölkerung wird jedoch aufgefordert, sich gegenüber den einmarschierenden Truppen loyal zu verhalten und keinen Anlaß zu Maßregelungen zu geben.“ Vgl. Innsbrucker Nachrichten, 21. November 1918, S. 1 „Besetzung von Innsbruck, Hall und Umgebung durch die Italiener“. Josef Schraffl, 23. Mai 1917 bis 6. Juni 1921 Landeshauptmann von Tirol, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP.
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Welche Absichten die Italiener verfolgen, ist zur Stunde unbekannt. Wenn sie die Absicht hätten, den Bahnverkehr zu behindern54, so wären sie dazu nach dem Waffenstillstandsvertrage nicht berechtigt. Sie können die Bahnen benützen, dürfen aber deren Benützung uns nicht unmöglich machen. Auf eine Anfrage des Staatsrates Dr. W a l d n e r, ob es richtig sei, daß die Italiener in Kärnten, wo sie bis Tarvis vorgedrungen sind, auch das Gailtal besetzt haben, antwortet Dr. B a u e r, daß bis jetzt nur die konkrete Nachricht vorliege, daß die Italiener am Loiblpaß vorgegangen sind.55 Dr. S c h o e p f e r: Es ist Aufgabe des Staatsrates, seinerseits alles zu tun, was geeignet sein kann, die Italiener zum Rückzuge zu bewegen. Wenn es auch keinen Erfolg haben sollte, so müssen wir wenigstens sagen können, daß wir alles getan haben, was wir tun konnten. Die Anträge Dr. B a u e r s auf sofortige Entsendung eines Zivilkommissärs nach Innsbruck und auf diplomatische Vorstellungen bei der italienischen Regierung über Bern werden angenommen. Über Antrag des Staatsrates A b r a m werden als Zivilkommissäre für Innsbruck Statthalterei-Vizepräsident Hofrat Georg Pockels56 und Josef Holzhammer57, beide in Innsbruck, bestellt.58 M i k l a s: Ich stelle den Antrag, daß seitens des Staatsrates im telegraphischen Wege veranlaßt wird, in Innsbruck zu plakatieren, daß der Staatsrat bei der italienischen Regierung via Bern diplomatische Vorstellungen gegen die Besetzung Nordtirols gemacht hat, und daß die Bevölkerung namens des Staatsrates aufgefordert wird, Ruhe und Ordnung zu halten. Dieser Antrag wird angenommen.59 Im Original wurde das Wort abzubrechen gestrichen und an dessen Stelle zu behindern handschriftlich eingefügt. 55 Italienische Truppen besetzten am 16. November 1918 Tarvis und am 21. November Thörl, auf der Rechtsgrundlage des Waffenstillstandsvertrages, der Italien als alliierte und assoziierte Macht in ganz Österreich-Ungarn die militärische Bewegungsfreiheit einräumte. Das Gebiet war Italien – allerdings nur bis zur Seifnitzer Wasserscheide zwischen Gailitz und Fella – im Londoner Geheimvertrag 1915 als Lohn für den Kriegsbeitritt auf Seiten der Entente in Aussicht gestellt worden. Auf der Pariser Friedenskonferenz erreichte die italienische Delegation eine Erweiterung dieses Gebietes um die Stadt Tarvis. Zur Besetzung von Teilen Kärntens durch italienische Truppen vgl. Rainer, Die italienische Besatzung in Österreich 1918–1920, S. 84–89; Martin Wutte, Kärntens Freiheitskampf 1918–1920, Klagenfurt 1985, S. 85. Am 17. November 1918 meldeten mehrere Tageszeitungen, daß die Nachricht von der Besetzung Klagenfurts durch italienische Truppen unrichtig sei und diese zu diesem Zeitpunkt in Tarvis und im Kanaltal stünden. Vgl. etwa Wiener Zeitung, 17. November 1918, S. 8 „Meldungen des Telegraphen-Korrespondenz-Bureaus. Deutschösterreich“. 56 Dr. Georg Pockels, ab 27. November 1915 Statthaltereivizepräsident bei der Statthalterei in Innsbruck, 20. November 1918 Ernennung zum Zivilkommissär beim italienischen Besatzungskommando in Nordtirol, ab 21. Dezember 1918 Landesamtsdirektor von Tirol. 57 Josef Holzhammer, Schlosser, 1877 Gründer der Allgemeinen Arbeiterkrankenkasse für Tirol und Vorarlberg, bis 1928 zuerst ehrenamtlicher und sodann hauptberuflicher Leiter dieses Institutes, Mitbegründer der sozialdemokratischen Partei in Tirol sowie der sozialdemokratischen „Volkszeitung“, zeitweise deren Redakteur und Mitarbeiter, 20. November 1918 Ernennung zum Zivilkommissär beim italienischen Besatzungskommando in Nordtirol. 58 Vgl. AdR, StK, GZl. 324/1918, Amtserinnerung, Ernennung des Statth. Vizepräs. Dr. Georg Pockels und Landesrates Holzhammer zu Zivilkommissären beim italien. Besatzungskommando in Nordtirol. 59 Vgl. AdR, StK, GZl. 323/1918, Amtserinnerung, Aufruf an die Bevölkerung Tirols anläßlich Besetzung Nordtirols durch die Italiener. Vgl. weiters das Schreiben des Staatsamtes für Justiz vom 30. November 1918 in welchem sich dieses den zuvor von der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck geäußerten Bedenken, betreffend die juridischen Mängel eines öffentlichen Aufrufes des Staatsrates an die Bevölkerung in Innsbruck anschloß in AdR, StK, GZl. 887/1918, Zl. 1.468/1918, Deutschösterreichisches Staatsamt für Justiz an die Deutschösterreichische Staatskanzlei. 54
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Dr. B a u e r: An das Staatsamt des Äußern ist von den untersteirischen Städten und von der Landesregierung in Steiermark das Ersuchen gekommen, wir möchten die Entente auffordern, zum Schutze der Deutschen Untersteiermarks gegen die Slowenen, Untersteiermark durch italienische Truppen zu besetzen.60 Ich habe sofort erklärt, daß ich das nicht befürworten kann, denn ich halte es für eine sehr gefährliche Maßregel. Die Lage in Untersteiermark ist nicht erfreulich, aber doch nicht so, daß wir den Teufel mit dem Belzebub austreiben müßten. Die Bedrängnis der Deutschen in Untersteiermark besteht im Wesentlichen darin, daß in einzelnen Städten die Gemeindevertretungen in ihrer Tätigkeit verhindert werden und slowenische militärische Kommanden den Betrieb stören. Die Rekrutierungen sind aber bereits abgestellt. Auch bezüglich der Rekrutierungen seitens der Tschechen wurde mir gesagt, die Leute werden ja doch nicht einrücken. Es wird zwar auf den Plakaten für diesen Fall mit dem Erschießen gedroht, aber ich glaube, das werden sie doch nicht tun. M i k l a s: Man sollte endlich unseren deutschen Volksgenossen beibringen, daß es ein Wahnsinn ist, gerade die Italiener als Okkupationstruppen herbeizurufen. Das ist ganz gegen die Stimmung im Volke. Wenn schon okkupiert werden muß, so würde das doch viel eher seitens der Amerikaner zu ertragen sein. Natürlich aber können wir sie nicht selbst herbeirufen. Dr. B a u e r: Der ungarische Gesandte61 ist bei mir erschienen und hat mitgeteilt, daß der ungarische Ministerrat wegen des Beschlusses des Staatsrates über diese vier westungarischen Komitate62 gestern beschlossen hat, jede weitere Lebensmittellieferung einzustellen und uns mitzuteilen, daß unser Beschluß, von hier aus direkt Einkäufer nach Ungarn zu schicken63, ein Eingriff in die ungarische Lebensmittelverwaltung sei und daß solche Ein Konkret konnte zu diesen Forderungen nichts eruiert werden. Im Zusammenhang mit den Vorfällen in Marburg am 27. Jänner 1919, bemerkte das Staatsamt für Äußeres in einem Schreiben an die Staatskanzlei vom 10 Februar 1919, die amerikanische Studienkommission und die italienische Waffenstillstandskommission hätten sich als nicht befugt erklärt, militärische Besatzungen zuzugestehen. Zudem wären die seitens des Staatsamtes für Äußeres bereits vorgebrachten Forderungen nach einer Besetzung Radkersburgs und Umgebung abgelehnt worden und „In erhöhtem Maße müßten die Verhandlungen des Staatsamtes für Äußeres nachteilig beeinflußt werden, wenn ein militärischer Schutz für alle Orte in Untersteiermark erbeten werden würde, in denen bisher deutsche Mehrheiten gezählt wurden.“ Vgl. AdR, StK, GZl. 680/1919. Zu den Vorfällen in Marburg vgl. SRP Nr. 70/I vom 29. Jänner 1919. Zur Vorgeschichte der Spannungen zwischen deutschsprachiger und slowenischer Bevölkerung in der Steiermark vgl. etwa Martin Moll, Kein Burgfrieden. Der deutsch-slowenische Nationalitätenkonflikt in der Steiermark 1900–1918, Innsbruck/Wien/Bozen 2007. Zur slowenischen Politik von 1906 bis zum Umbruch im Jahr 1918 aus slowenischer Sicht vgl. Vlasta Stavbar, Majniška deklaracija in deklaracijsko gibanje: slovenska politika v habsburški monarhiji, od volilne reforme do nove države (1906–1918), Maribor 2017. 61 Dr. Franz Harrer, 14. November bis 2. Dezember 1918 ungarischer Gesandter in Wien, 3. Dezember 1918 bis 21. März 1919 Leiter des ungarischen Außenministeriums. Harrer war am 14. November 1918 in Begleitung des ungarischen Staatssekretärs für Äußeres, Josef Diner-Dénes, in der Staatskanzlei erschienen, um sein Akkreditiv vom 13. November 1918 zu überreichen. Vgl. AdR, StK, GZl. 197/1918, Amtsveranlassung, Akkreditierung des ungarischen Gesandten Franz Harrer bei der deutschösterreichischen Regierung. Zu Harrers zentralen Aufgaben und Positionen vgl. auch Neue Freie Presse. Mittagsblatt, 16. November 1918, S. 2 „Der ungarische Gesandte Dr. Harrer über seine Aufgaben in Wien“ und ebd., „Ein Gespräch mit dem ungarischen Gesandten“. Josef Diner-Dénes, sozialdemokratisch ausgerichteter Journalist und Soziologe, Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen, November 1918 bis 1919 ungarischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, lebte danach in Berlin und Paris. 62 Der Staatsrat begrüßte in seiner 36. Sitzung „die lebhafte nationale und wirtschaftliche Anschlußbewegung der Deutschen Westungarns, und bewillkommt sie vom Standpunkt der deutschösterreichischen Republik“. Vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. 63 Dieser Beschluß wurde in der 36. Sitzung des Staatsrates vom 18. November 1918 gefaßt. 60
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käufer verhaftet werden. Dieser ungarische Beschluß könne nur abgeändert werden, wenn der deutsch-österreichische Staatsrat einen beruhigenden Kommentar zu seinem Beschlusse gebe. Was hierüber bereits in den Zeitungen gestanden sei, genüge der ungarischen Regierung nicht, sie brauche einen offiziellen Beschluß des Staatsrates, durch den der frühere Beschluß aufgehoben werde. Ich antwortete ihm: das ist nicht möglich, wir können höchstens uns auf den Standpunkt stellen, daß diese Deutschen in Ungarn das Selbstbestimmungsrecht haben. Darauf erwiderte er, wenn man das gleich von vorneherein gesagt hätte, so wäre es kein Kriegsfall gewesen. Ich möchte daher den Staatsrat um die Ermächtigung bitten, mit dem ungarischen Gesandten formlos und unverbindlich die Besprechungen darüber fortzusetzen, in welcher Weise man der ungarischen Regierung es erleichtern könnte, von diesem Beschlusse abzugehen. W i r d z u K e n n t n i s g e n o m m e n.64 Präs. S e i t z: Der derzeitige Leiter des k.u.k. Gemeinsamen Finanzministeriums Sek tionschef Kuh-Chrobak65 hat mir mitgeteilt, daß ein dort beschäftigter Hofrat Serowić66 von der bosnisch herzegowinischen Landesregierung folgende Zuschrift bekommen hat: (verliest die Zuschrift67). Es handelt sich um folgendes: Wir haben beschlossen, daß wir alle diese k.u.k. und k.k. gemeinsamen Stellen vorläufig in Besitz nehmen und sie als Treuhänder verwahren.68 Wir haben dagegen nichts einzuwenden, daß sich die beteiligten Nationalstaaten durch Delegierte davon überzeugen, daß die Verwaltung eine ordnungsgemäße ist. Ich glaube daher, es wäre der bosnisch herzegowinischen Landesregierung zu eröffnen: 1.) der Beschluß, den wir damals gefaßt haben, 2.) die Zustimmung, daß wir den Herrn Hofrat als einen Bevollmächtigten betrachten, der an der Verwahrung und zeitweiligen Verwaltung mitzuwirken hat. Gestern wurde der Beschluß gefaßt, daß man zunächst das Archiv und die übrigen wichtigen Akten mit Beschlag belegt, und es wurde Herr Professor Waldner damit beauftragt. Das Archiv ist bereits vom Ministerium des Äußern übernommen worden. Dr. Waldner wurde auch beauftragt, schon als Liquidator die Sortierung der Beamten vorzunehmen und die beiden Stellen, das Gemeinsame Finanzministerium und den Gemeinsamen Obersten Rechnungshof, in das Liquidationsstadium zurückzuleiten.69 Nun würde es sich darum handeln, Vgl. dazu SRP Nr. 41 vom 21. November 1918 und SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. Dr. Paul Freiherr von Kuh-Chrobak, 4. bis 11. November 1918 Minister im gemeinsamen Finanzministerium, 1918 bis 1920 Leiter des liquidierenden gemeinsamen Finanzministeriums. 66 Dr. Bozidar Čerović, 1918 Regierungsrat der bosnisch-herzegowinischen Abteilung des k.u.k. Gemeinsamen Finanz-Ministeriums. 67 Beilage 40/XIX: Schreiben der Regierung des Volksrates SHS in Bosnien und Herzegovina (1¼ Seiten). Mit diesem Schreiben ermächtigte die bosnisch-herzegovinische Landesregierung Dr. Čerović „alle Immobilien des bosnisch-herzegowinischen Landesärars in Wien, das gesamte bewegliche Vermögen, das Bargeld und Wertpapiere, die Verträge und alle Schriften von Bedeutung“ unter seine Aufsicht zu nehmen. Weiters wurde die Entsendung eines Mitglieds der Volksregierung zur Klärung offener Fragen in Hinblick auf die Beamtenfrage angekündigt. Umfangreiches Material zu Čerovićs´ Tätigkeit im liquidierenden gemeinsamen Finanzministerium findet sich in AdR, StK, GZl. 356/1919. 68 Vgl. Artikel 4 des StGBl. Nr. 5, Gesetz vom 12. November 1918 über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, ausgegeben am 15. November 1918, welcher verfügte, daß bis zur Bildung von zwischenstaatlichen Kommissionen zur Liquidierung des gemeinsamen Vermögens „die deutschösterreichischen Staatsämter das Gemeinschaftsgut, soweit es sich auf dem Staatsgebiet der Republik Deutschösterreich vorfindet, als Treuhänder aller beteiligten Nationen“ verwalten sollten. Zur Diskussion des Gesetzes im Staatsrat vgl. SRP Nr. 29 vom 11. November 1918. 69 Zur Betrauung Waldners mit den genannten Liquidierungsangelegenheiten vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. Zur Übernahme des Kabinettsarchivs des früheren Ministeriums des Äußern, 64 65
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daß jemand von dort diese Verwaltung übernimmt. Da wird vielleicht das Ministerium des Äußern einen geeigneten Mann auswählen können. Dr. B a u e r: Damit könnte man ganz gut einen der Sektionschefs betrauen. Die Schwierigkeit in dieser Sache ergibt sich aber aus der Rechtsfrage, wem diese bosnisch-herzegowinische Abteilung gehört. Die Südslawen betrachten sie als ein Eigentum des Landes Bosnien und daher ihnen gehörig. Sie stützen diese Auffassung darauf, daß sie aus bosnischen Mitteln erhalten wurde und die beiden Staaten der Monarchie nichts dazu beigetragen haben. Da diese Abteilung sehr bedeutende Vermögenswerte verwaltet, können wir sie nicht einfach den Südslawen überlassen. Es wäre daher der Bevollmächtigte zu beauftragen, zu erklären, daß diese Rechtsfrage für uns nicht geklärt ist und daß wir vorläufig auf diese Abteilung unsere Hand legen, wobei wir den Südslawen die Mitkontrolle einräumen.70 Über Antrag des Präsidenten S e i t z wird in dieser Angelegenheit folgender Beschluß gefaßt: „Der Staatskanzler wird ersucht, dem Hofrat Čerović zu eröffnen, daß er das Schreiben der bosnisch-herzegowinischen Volksregierung71 an ihn, das der Herr Hofrat durch den Sektionschef Kuh-Chrobak dem Staatsrate übermitteln ließ, zur Kenntnis genommen hat. Er teilt daraufhin dem H. Hofrat mit, daß der Staatsrat schon am xten72 verfügt hat (folgt der Beschluß über die vorläufige Verwahrung). Im Sinne dieses Beschlusses wurde Staatsrat Prof. Waldner bis auf weiteres mit der vorläufigen Verwahrung und Verwaltung auch des k.u.k. Finanzministeriums und damit der Abteilung für bosnisch-herzegowinische Landesangelegenheiten betraut. Als staatliches Organ bei dieser Verwahrung wurde ihm der derzeitige Leiter des k.u.k. Finanzministeriums Sektionschef Kuh-Chrobak beigegeben. Die deutschösterreichische Regierung ist gerne bereit, H. Hofrat Čerović im Sinne des Schreibens der bosnischen Landesregierung vom 14. November 191773 als einen Bevollmächtigten dieser Landesregierung gemäß dem oben zitierten Beschlusse anzuerkennen. Sie werden daher gebeten, sich in dieser Hinsicht in allen schwebenden Fragen mit dem Herrn Staatsrate Dr. Waldner, bezw. seinem Mitarbeiter Sektionschef Kuh-Chrobak ins Einvernehmen zu setzen.“ Diesen Brief soll der Staatskanzler an den H. Hofrat Čerović richten und eine Abschrift an den Sektionschef Kuh-Chrobak leiten. Bevor dieser Brief abgeht, ist Sektionschef KuhChrobak hieher einzuladen, dem Staatsrate Dr. Waldner vorzustellen und ihm die Mitteilung zu machen, daß er, falls er das Gelöbnis für den deutsch-österreichischen Staat leistet, mit die-
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mit deren Aufsicht allerdings Dr. Ludo Hartmann beauftragt wurde vgl. KRP 13/7 vom 18. November 1918. Dr. Ludwig (Ludo) Moritz Hartmann, Historiker und Volksbildner, 25. November 1918 bis April 1921 a.o. Gesandter und bev. Minister in Berlin. Auf dem Berliner Kongreß des Jahres 1878 erhielt die Österreichisch-Ungarische Monarchie das Recht zugesprochen, die osmanische Provinz Bosnien zu okkupieren und unter ihre Verwaltung zu stellen. Im Jahr 1908 wurde Bosnien-Herzegowina auch formal an die Habsburgermonarchie angeschlossen. Zur Leitung der Verwaltung Bosniens wurde zunächst im Jahr 1878 eine bosnische Kommission im Ministerium des Äußern eingesetzt. Im Jahr 1879 wurde die Verwaltung Bosniens sodann einer eigens geschaffenen Abteilung im gemeinsamen k.u.k. Finanzministerium übertragen. Die bosnische Kommission hatte in der Folge nur noch beratende Funktion und wurde im Jahr 1880 aufgelöst. Die bosnische Abteilung im Finanzministerium beaufsichtigte die Verwaltung und Regierung des Landes und vertrat die Gesetzesentwürfe des bosnischen Landtages gegenüber den anderen Ministerien. Einzig die Verwaltung des Militärs und des Post- und Telegraphenwesens war dem Kriegsministerium übertragen. Vgl. Ferdinand Schmid, Bosnien und die Herzegovina unter der Verwaltung Österreich-Ungarns, Leipzig 1914, S. 15–54. Im Original ursprünglich -vertretung; wurde gestrichen und durch -regierung ersetzt. An dieser Stelle fehlt im Protokoll das Datum. Richtig: 1918.
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ser Funktion betraut wird. Sollte Sektionschef Kuh-Chrobak es ablehnen, in den Dienst des deutsch-österreichischen Staates zu treten und diese Funktion zu übernehmen, so ist ein ihm nachgeordneter Beamter des k.u.k. Finanzministeriums mit dieser Funktion zu betrauen.74 Schluß der Sitzung um ½ 8 Uhr abends.
Vgl. das Material in AdR, StK, GZl. 355/1918, Beschlußprotokoll des Staatsrates, Vorläufige Verwahrung und Verwaltung der Abteilung für b. h. Landesangelegenheiten im Gemeinsamen Finanzministerium, das auch Entwürfe der im Protokoll erwähnten Mitteilungen an Čerović und Kuh-Chrobak enthält. Zu dieser Frage vgl. auch SRP Nr. 44 vom 25. November 1918.
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40 – 1918-11-20 40. Sitzung des Staatsrates vom 20. November 1918. Vorsitzender: Präsident Dr. D i n g h o f e r, später Präsident S e i t z. Beschlüsse:
I. Antragsteller: Staatsrat F r i e d m a n n. Die Finanzkommission des Staatsrates ersucht um die Bewilligung der Drucklegung der Expertise für die Vermögensabgabe, die sehr wertvolles Material für den Staatsrat, den Ausschuß und die Nationalversammlung zu Tage fördert. Beschluß: Die Bewilligung der Drucklegung wird erteilt. An den Herrn Leiter der Finanzkommission. II. Antragsteller: Präsident Dr. D i n g h o f e r. Das dem Orginalprotokolle in Abschrift beigeschlossene Telegramm des Staatsrates Dr. Freißler über das Vordringen der Tschechoslowaken im Sudetenlande ist abschriftlich dem Staatsamte für Äußeres und dem Staatsamte für Heerwesen zur sofortigen Veranlassung der entsprechenden weiteren Maßnahmen zuzuweisen, wobei dem Staatsamte für Äußeres empfohlen wird, die verschiedenen Fälle von Übergriffen tschechoslowakischer Staatsorgane gegen das Deutschösterreichische Staatsgebiet zum Anlaß für eine Protestnote an den Präsidenten Wilson zu nehmen. Beschluß: nach Antrag. An die Herren Staatssekretäre für Äußeres und Heerwesen. III. Antragsteller: Präsident Dr. D i n g h o f e r. Beschluß: Die schriftliche Mitteilung des Abgeordneten Freiherrn von Hock, daß er das ihm übertragene Amt eines Unterstaatssekretärs im Staatsamte für Unterricht nicht annehmen könne, wird zur Kenntnis genommen. An den Herrn Staatssekretär für Unterricht. IV. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l: Es sind sofort alle militärisch notwendigen Maßnahmen zur Sicherung des deutschsüdmährischen Kreises zu treffen. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. V. Antragsteller: Staatsrat Dr. von L i c h t. Die gleichen Sicherungsmaßnahmen sind auch für das Sudetenland vorzusorgen. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen.
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VI. Antragsteller: Dr. B o d i r s k y: Es ist unverzüglich ein Gesandter in Prag für Deutschösterreich, wenn auch provisorisch, zu bestellen. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Staatssekretär für Äußeres. VII. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. D e u t s c h: Der Staatsrat erteilt den im Einvernehmen mit der Heereskommission erstatteten Vorschlägen des Staatsamtes für Heerwesen über Maßnahmen zur Sanierung der Standesverhältnisse der Militär-Berufs-Gagisten, wie sie in dem dem Orginalprotokolle angeschlossenen Referate des Staatsamtes für Heerwesen vom 20. November 1918, Personalgruppe Präs. Nr. 1967 niedergelegt sind, die Zustimmung. Zusatzantrag des Unterstaatssekretärs Dr. Deutsch im Einvernehmen mit der Heereskommission: Alle vorstehenden Gebührensätze gelten vorbehaltlich einer Änderung durch spätere Anordnungen der Deutschösterreichischen Regierung, bezw. Vereinbarungen mit den liquidierenden Stellen der vormaligen Österreichisch-ungarischen Monarchie. Beschluß: Antrag und Zusatzantrag angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. VIII. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. Das Staatsamt für Heerwesen hat in einer Veröffentlichung festzustellen, daß die Marineoffiziere hinsichtlich der Ausbezahlung ihrer Bezüge den Offizieren der ehemaligen k.u.k. und k.k. Armee gleichzustellen sind. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. IX. Antragsteller: Staatsrat Dr. S c h o e p f e r. Die Erwägungen, welche zu den unter Punkt VII beschlossenen Maßnahmen geführt haben, sind durch einen Bericht an die gesamte Presse der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen, wobei besonders zu betonen ist, daß die endgiltige Regelung der definitiven Nationalversammlung vorbehalten bleiben soll. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Präsidenten Seitz. X. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. Die Staatskanzlei wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen unverzüglich an die Ausarbeitung eines Wehrgesetzes zu schreiten und die diesbezügliche Gesetzesvorlage dem Staatsrat bis spätestens 10. Dezember vorzulegen. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Staatskanzler und das Staatsamt für Heerwesen.
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XI. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. D e u t s c h: Der Bericht der Heereskommission über die Errichtung eines Zivilkommissariates für die Volkswehr wird zur Kenntnis genommen. Die politischen Parteien werden eingeladen, wegen Auswahl ihrer Vertreter für das Zivilkommissariat mit dem Staatsamt für Heerwesen in Verbindung zu treten. An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. XII. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r Dem Entwurf der Justizkommission für ein Gesetz über die Mündelsicherheit der von der Gemeinde Wien auf Grund der Ermächtigung der Landesversammlung des Landes Niederösterreich vom 5. November 1918 aufzunehmenden Anleihe von 250 Millionen Kronen wird die Zustimmung erteilt. Beschluß: Der von der Justizkommission ausgearbeitete Gesetzesentwurf wird als Vorlage des Staatsrates auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Nationalversammlung gestellt. Es wird angestrebt, alle drei Lesungen des Entwurfes unter einem abzuführen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär für Finanzen. XIII. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r: Dem von der Verwaltungskommission ausgearbeiteten Entwurfe für eine Vollzugsanweisung des Staatsrates über die einstweilige Ergänzung der bestehenden Gemeindevertretungen wird die Zustimmung erteilt. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Staatskanzler. XIV. Bericht des Leiters des Staatsamtes des Äußern über die Besetzung Innsbrucks durch die Italiener und die Annäherung italienischer Truppen gegen Innsbruck. Beschluß: Das Staatsamt des Äußern hat gegen die Besetzung von Nordtirol durch die Italiener, für die nach dem im Lande herrschenden Zustände nicht der geringste Anlaß geboten ist, sofort mit allem Nachdruck diplomatische Vorstellungen zu erheben. Zur Wahrnehmung der Interessen der Bevölkerung im besetzen Gebiete ist beim höchsten italienischen Kommando in Innsbruck ein Zivilkommissär der deutschösterreichischen Regierung zu bestellen. An den Herrn Leiter des Staatsamtes des Äußern. XV. Antragsteller: Staatsrat M i k l a s: Das Staatsamt des Äußern hat die Bevölkerung von Nordtirol von den eingeleiteten diplomatischen Schritten durch öffentlichen Anschlag in Kenntnis zu setzen und sie zur Ruhe zu mahnen, damit es nicht zu einem unbesonnenen Vorgehen gegen die Besatzungstruppen komme. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Leiter des Staatsamtes für Äußeres.
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XVI. Antragsteller: Staatsrat A b r a m. Als Zivilkommissär der deutschösterreichischen Regierung beim italienischen Höchstkommando in Innsbruck ist der Statthalterei-Vizepräsident: Georg Pockels in Aussicht zu nehmen und ihm als Beigeordneter Herr Josef Holzhammer zuzuteilen. Beschluß: nach Antrag. An den Herrn Leiter des Staatsamtes des Äußern. XVII. Bericht des Leiters des Staatsamtes des Äußern über das Einschreiten untersteirischer Städte und der Landesregierung für Steiermark, die Entente möge zur Besetzung von Untersteiermark durch italienische Truppen zum Schutze gegen die Übergriffe der Südslaven aufgefordert werden. Beschluß: Der Staatsrat nimmt den ablehnenden Bescheid des Staatsamtes des Äußern an die Landesregierung von Steiermark genehmigend zur Kenntnis, da das Auftreten der Südslaven in Untersteiermark für die dortigen Deutschen bisher keine so bedrohliche Lage geschaffen hat, als daß eine derart bedenkliche Maßregel, wie die Berufung gerade von italienischen Truppen in die strittigen Landesteile gerechtfertigt wäre. An den Herrn Leiter des Staatsamtes des Äußern. XVIII. Bericht des Leiters des Staatsamtes des Äußern über die Mitteilungen des ungarischen Gesandten, daß die ungarische Regierung im Hinblicke auf den Beschluß des deutschösterreichischen Staatsrates über die 4 von Deutschen besiedelten westungarischen Komitate jede weitere Lebensmittellieferung nach Österreich einstelle und in der Entsendung von Einkäufern aus Deutschösterreich nach diesen Gebieten einen Eingriff in die ungarische Verwaltung erblicken müßte, der mit der Verhaftung etwa trotzdem erscheinender Einkäufer beantwortet würde. Beschluß: Der Leiter des Staatsamtes des Äußern wird ermächtigt, mit dem ungarischen Gesandten formlose und unverbindliche Besprechungen darüber fortzusetzen, in welcher Weise es der ungarischen Regierung erleichtert werden könnte, von dem Beschluß völliger Sperrung der Lebensmitteltransporte nach Österreich abzugehen. An den Herrn Leiter des Staatsamtes des Äußern. XIX. Antragsteller: Präsident S e i t z: Der Staatskanzler wird ersucht, den Regierungsrat Dr. Bozidar Cerovic75 des gemeinsamen Finanzministeriums in Angelegenheiten von Bosnien und der Herzegowina mittelst Briefes zu verständigen, daß der Staatsrat das Schreiben der bosnisch-herzegovinischen Landesregierung, das Regierungsrat Cerovic durch den Sektionschef Freiherrn von Kuh-Chrobak übermitteln ließ, zur Kenntnis genommen habe und in Erwiderung darauf auf die Bestimmungen des Art. IV des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich Bezug nehme, welcher die vorläufige Verwahrung und Verwaltung Richtig: Dr. Bozidar Čerović.
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der bestandenen k.u.k. und k.k. Ministerien durch den deutschösterreichischen Staat als Treuhänder für die übrigen beteiligten Nationalstaaten und unter Mitwirkung von Delegierten zum Gegenstande hat. Im Sinne dieses Beschlusses sei Staatsrat Dr. Waldner bis auf weiteres mit der vorläufigen Verwahrung und Verwaltung des gemeinsamen Finanzministeriums und damit auch der Abteilung für bosnisch-herzegovinische Landesangelegenheiten betraut worden. Als staatliches Organ für die Abwicklung der damit verbundenen Geschäfte sei ihm der derzeitige Leiter des gemeinsamen Finanzministeriums, Sektionschef Freiherr von Kuh-Chrobak beigegeben. Die deutschösterreichische Regierung wäre gerne bereit, Regierungsrat Cerovic auf Grund des Schreibens der bosnisch-herzegovinischen Landesregierung vom 14. November als deren Bevollmächtigten gemäß dem oben zitierten Art. IV anzuerkennen und ersuche ihn daher, sich in allen schwebenden Fragen mit dem Staatsrat Dr. Waldner bezw. seinem Mitarbeiter Sektionschef Freiherrn von Kuh-Chrobak ins Einvernehmen zu setzen. Eine Abschrift des Antwortschreibens ist Sektionschef von Kuh-Chrobak zu übergeben. Vor der Absendung wäre Sektionschef von Kuh-Chrobak in die Staatskanzlei zur Vorstellung bei Staatsrat Dr. Waldner und zur Befragung einzuladen, ob er bereit sei, das Gelöbnis für den deutschösterreichischen Staat abzulegen und die ihm zugedachte Funktion zu übernehmen. Sollte er ablehnen, so ist ein nachgeordneter Beamter des gemeinsamen Finanzministeriums zur Mitwirkung bei der Liquidierung heranzuziehen und das Schreiben an Regierungsrat Cerovic dann entsprechend zu berichtigen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatsrat Dr. Waldner.
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41. [Donnerstag] 1918-11-21 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Baechlé, Bodirsky, Ellenbogen, Fink, Hanusch, Hauser, Iro, LoewenfeldRuß, Renner, Schoepfer, Seitz, Steinwender, Teufel, Urban, Waihs, Wolf unbekannt 10.10–13.00 Uhr2
Reinschrift, Beschlußprotokoll Beilagen: 41/I 41/II 41/III 41/IV 41/VI 41/VIII 41/X
41/XI 41/XIV
Entwurf eines Staatsratsbeschlusses, betreffend die Verhinderung der Verschleppung von Gold, Banknoten, Kostbarkeiten und Wertpapieren nach der Schweiz (1 Seite). Entwurf einer Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen vom … November 1918, betreffend die Ausgabe von Geldersatzzeichen (2½ Seiten). Erlaß des Staatssekretärs der Finanzen über die staatliche Gebarung DeutschÖsterreichs vom 1. November bis 31. Dezember 1918 (1½ Seiten). Antrag Seitz, betreffend Herstellung des Einvernehmens unter den beteiligten Staatsämtern (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Sistierung des Verkaufes der Holzlager in Altmannsdorf und Wörth (1 Seite, handschriftlich). Umwandlung Militärischer Erziehungs- und Bildungsanstalten in zivile Unterrichtsanstalten (1 Seite). Mitteilung des Staatssekretärs für Handel, Gewerbe und Industrie an den Leiter der Staatskanzlei zum Vortrage im Staatsrat, betreffend Kompensationsverhandlungen bezüglich der Einfuhr von Lebensmitteln gegen Zeitungsdruckpapier (1¼ Seiten). Antrag Wolf, betreffend Einschränkung der Rotationspapierindustriellen (1 Seite, handschriftlich). Antrag, betreffend Übernahme des aliquoten Teils der Forderungen gegenüber dem früheren Kriegsministerium durch das Staatsamt der Finanzen (1 Seite, handschriftlich).
Vors. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 10 Minuten vormittags. Nach Verlesung des Einlaufes3 wird Punkt 9 der Tagesordnung Antrag F i n k wegen Wiederaufnahme der Briefzensur und der Waren-(Edelmetalle-) und Personenkontrolle an der Schweizerischen Grenze in Verhandlung gezogen.4
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Dem Protokoll liegen weder Präsenzliste noch Tagesordnung bei. Die anwesenden Personen ergeben sich aus dem Sitzungsverlauf. Im Beschlußprotokoll werden der Beginn der Sitzung mit 10.00 und der Schluß mit 13.15 Uhr angegeben. Dem Protokoll liegen keine Materialien aus dem Einlauf bei. Vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918.
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U r b a n: Wenn wir die Briefzensur einführen, müssen wir mindestens 500 Personen hiefür anstellen, da die Korrespondenz und der Warenverkehr mit der Schweiz sehr groß sind. Es handelt sich hiebei aber um die prinzipielle Frage, ob eine solche Zensur überhaupt eingeführt werden soll, und diesbezüglich kann von Seite eines Staatsamtes keine Entscheidung getroffen werden, denn dies bedeutet die Aufhebung des staatsgrundgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Wahrung des Briefgeheimnisses.5 Es wäre auch zweifelhaft, ob der Staatsrat einen solchen Beschluß fassen könnte. Denkbar wäre nur, eine Verfügung zu erlassen, daß sämtliche Geldbriefe offen aufgegeben werden müssen und bei den Paketen Stichproben gemacht werden. R e n n e r verliest den Entwurf 6 eines Staatsratsbeschlusses, betreffend die Verhinderung der Verschleppung von Geld, Banknoten, Kostbarkeiten und Wertpapieren nach der Schweiz. F i n k glaubt, daß nicht so viele Angestellte notwendig wären, als Dr. Urban meint. Es würde sich bloß jetzt um eine Zensur gegenüber der Schweiz handeln. Er sei einverstanden, daß nicht alle Briefe zensuriert werden, aber die Geldbriefe müßten kontrolliert werden. Es gehe jetzt sehr viel Geld nach der Schweiz und das mag auch der Grund unseres jetzigen Geldmangels sein. Er möchte dem, was hier in Aussicht genommen ist, noch beifügen7, daß, bevor man Offiziere nach Vorarlberg dirigiert, das Einvernehmen mit der Landesregierung und mit dem Leiter der Volkswehr Oberst Steuerer8 gepflogen werde. Die alten Offiziere habe man in Vorarlberg satt. B a e c h l é: Die Untersuchung von Kurieren ist eine Sache, die den internationalen Gebräuchen widerspricht. T e u f e l wünscht, daß diese Kontrolle auf alle anderen Staaten insbesondere auf Tschechenien {sic!}, Ungarn und Jugoslawien ausgedehnt werde. L o e w e n f e l d9: Vorgestern ist ein Beschluß gefaßt worden, welcher die Einfuhr von Lebensmitteln aus der Schweiz ohne Einschränkung gestattet.10 In dieser Form ist derselbe undurchführbar. Redner ersucht, wenn solche Anträge verhandelt werden, den betreffenden Staatssekretär zur Verhandlung einzuladen, damit er dazu Stellung nehmen könne. Es ist unmöglich, Lebensmittel ohne Beschränkung einführen zu lassen, weil Luxuslebensmittel schon aus valutarischen Gründen nicht eingeführt werden sollen, und die Lebensmittel können auch deshalb nicht ohne Kontrolle eingeführt werden, da die Entente uns nur dann Lebensmittel schicken will, wenn wir uns für die gleichmäßige Verteilung derselben verbürgen. Es muß dafür gesorgt werden, daß die eingeführten Lebensmittel nicht in den freien Handel kommen können. In dieser Form kann also der Beschluß des Staatsrates nicht durchgeführt werden. S e i t z findet es bedenklich, zu bestimmen, daß auch Kuriere durchsucht werden. Das Staatsamt des Äußeren werde sich das nicht gefallen lassen, weil es sich die Gesandten nicht gefallen lassen werden.
Vgl. dazu StGBl. Nr. 3, Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918, ausgegeben am 15. November 1918, Artikel 1: „Jede Zensur ist als dem Grundrecht der Staatsbürger widersprechend aufgehoben“. 6 Beilage 41/I: Entwurf eines Staatsratsbeschlusses (1 Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt I. 7 Finks Antrag wurde dem unter der Zahl 41/I beiliegenden Entwurf handschriftlich hinzugefügt. Im Beschlußprotokoll wird er ebenfalls wiedergegeben. 8 Hermann Steurer, Oberst, 2. März 1917 bis 10. November 1918 Vorstand der Abteilung VIII des Ministeriums für Landesverteidigung, ab 16. November 1918 Landeskommandant von Vorarlberg. Zu seiner Ernennung zum Landesbefehlshaber für Vorarlberg vgl. SRP Nr. 32 vom 13. November 1918. 9 Richtig: Dr. Johann Loewenfeld-Ruß. 10 Vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 5
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R e n n e r meint, darüber müsse das Staatsamt des Äußeren gefragt werden.11 D i n g h o f e r hält es für genügend, wenn eine interne Weisung hinausgegeben wird, daß Kuriere durchzulassen sind. F i n k hat nichts dagegen einzuwenden, wenn die allgemeine Einfuhr von Lebensmitteln aus der Schweiz nicht frei gegeben wird und stimmt zu, daß diese von einer Zentralstelle aus erfaßt werde, damit eine gleichmäßige Verteilung erfolge, auch aus dem Grunde, damit man in Vorarlberg nicht für das Mehl den dreifachen Preis zu bezahlen habe. Durch seinen Antrag solle nur erreicht werden, daß die Schweizer Zollämter angewiesen werden, Lebensmittel für Vorarlberg von der Einfuhr nicht zurückzuweisen, wie es schon geschehen sei. L o e w e n f e l d erklärt, das Staatsamt für Volksernährung sei bereit, die Differenz bei Brot und Mehl zu tragen. D i n g h o f e r schreitet zur Abstimmung. Es werden nachstehende Anträge zum Beschlusse erhoben: „Der Staatssekretär der Finanzen wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatssekretär für Heerwesen die schärfsten Maßnahmen zu ergreifen, um die Verschleppung von Gold, Banknoten und Kostbarkeiten, dann von Wertpapieren in die Schweiz hintanzuhalten. Zu diesem Zwecke ist seitens der Grenzzollämter mit der eindringlichsten Untersuchung des Reisegepäcks und der Beförderungsmittel, dann mit Leibesuntersuchungen ohne Ansehen der Person einschließlich durchreisender Militärpersonen vorzugehen. Zur Unterstützung der Grenzzollämter bei der Durchführung dieser Maßnahme hat der Staatssekretär für Heerwesen in dem für erforderlich erachteten Umfang Offiziere und Mannschaftspersonen beizustellen, die nach Anleitung durch die Grenzzollämter bei der Durchsuchung Beistand zu leisten haben“ (Antrag R e n n e r) „Hiebei ist im Benehmen mit der Landesregierung und dem Leiter der Volkswehr in Vorarlberg Oberst Steuerer vorzugehen.“ (Antrag F i n k)12 „Das Staatssekretariat für Handel und Gewerbe hat anzuordnen, daß Geldbriefe nur offen aufgegeben werden dürfen.“ (Antrag U r b a n).13 T e u f e l wünscht, daß auch über seine Anregung abgestimmt werde. D i n g h o f e r erklärt, daß kein Antrag gestellt worden sei und ersucht den Redner, seine Anregung als selbständigen Antrag einzubringen.14 R e n n e r stellt hiezu noch folgenden Antrag: Das Staatsamt des Äußeren informierte die Staatskanzlei am 22. November 1918 darüber, daß aufgrund völkerrechtlicher Bestimmungen Kuriere nicht durchsucht würden. Vgl. AdR, StK, Zl. 550/1918. 12 Das Staatsamt für Finanzen koordinierte sich diesbezüglich am 22. November 1918 mit dem Staatsamt für Heerwesen und forderte zur Durchführung der Grenzkontrolle Personal an, darunter auch zwei Militärärzte und zwei Hebammen. Weiters wurde der Finanzbezirksdirektor in Feldkirch über die geplanten Maßnahmen unterrichtet. Vgl. hierzu AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.147/1918, Amtsveranlassung, betreffend Maßnahmen gegen die Verschleppung von Gold, Kostbarkeiten, Banknoten und Wertpapieren in die Schweiz; AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.160/1918. 13 In einem Schreiben der Generalpostdirektion an die Staatskanzlei vom 24. November bemerkte diese, daß sie, obwohl eine solche Verfügung überflüssig sei, da die aus Kriegszeiten stammende Zensurverordnung (RGBl. Nr. 269/1914) noch in Kraft stehe, dennoch die Postämter „im Wege der Postdirektion neuerdings auf dieses Verbot aufmerksam“ machen werde. Da aufgrund des StGBl. Nr. 3/1918 jede Zensur aufgehoben sei, habe zwar die Absicht bestanden die Postzensurmaßnahmen zu beenden, ein entsprechendes Verordnungsblatt sei aber aufgrund des vorliegenden Staatsratsbeschlusses nunmehr zurückgezogen worden. Vgl. AdR, StK, GZl. 263/1919, Zl. 608/1918, Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel (Generalpostdirektion), Beschränkungen für Privatsendungen nach dem Auslande. 14 Vgl. dazu SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 11
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„Das Staatsamt für Industrie, Handel und Gewerbe wird aufgefordert, bis morgen Nachmittag der Nationalversammlung einen Antrag wegen partieller Aufhebung des Briefgeheimnisses vorzulegen.“ D i n g h o f e r: Dieser Antrag würde mit dem Antrage Teufel zu kombinieren sein.15 S t e i n w e n d e r legt den Entwurf einer Vollzugsanweisung16 des deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen betreffend die Ausgabe von Geldersatzzeichen vor. Er bemerkt, es sei dies nur die Kodifikation eines schon bestehenden Gebrauches, und die Bewilligung zur Ausgabe derartiger Geldersatzzeichen werde nur dort erteilt werden, wo die Unterlagen vorhanden sind, nämlich ein Depot, und wo es sich um größere Korporationen handelt. Die Vollzugsanweisung wird ohne Debatte genehmigt.17 Die Staatskanzlei ersuchte am 4. Dezember 1918 unter Bezugnahme auf den von Staatsrat Fink in der 39. Sitzung gestellten Antrag, die Staatsämter für Finanzen, für Gewerbe, Handel und Industrie, für Heerwesen, für Inneres sowie für Verkehrswesen, alles zur Durchführung Nötige zu veranlassen, wobei das Staatsamt für Finanzen die Koordination und Leitung der Maßnahmen übernehmen sollte. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 263/1919, Zl. 644/1918, Deutschösterreichischer Staatsrat, Staatsrat Fink, Beschlußantrag wegen Grenzüberwachung. Bereits davor hatte sich das Staatsamt für Finanzen, welches für die Einführung der Postzensur eintrat, in dieser Frage mit dem Staatsamt für Inneres koordiniert und zwischenstaatsamtliche Besprechungen abgehalten. In weiterer Folge fanden diesbezügliche Besprechungen auch zwischen Vertretern der Staatsämter für Finanzen, für Inneres, für Heereswesen und für Kriegs- und Übergangswirtschaft statt, die laut Bericht des Staatsamtes für Finanzen vom 22. November 1918, übereinkamen, der Gesandtenkonferenz bzw. Liquidierungskommission vorzuschlagen, daß die während des Krieges errichteten Zensurstellen in Wien und Feldkirch erhalten bleiben sollten, um in Abstimmung mit den Nachbarstaaten den Devisen- und Warenverkehr zu kontrollieren. Vgl. dazu AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.152/1918, Amtsveranlassung wegen Aufrechterhaltung der Postzensur in Wien und Feldkirch sowie Zl. 2.759/1918, Amtsveranlassung, betreffend Verhinderung der Verschleppung von Gold, Kostbarkeiten, Zahlungsmitteln und Wertpapieren nach der Schweiz. In der zwischenstaatsamtlichen Sitzung vom 7. Dezember 1918 äußerte das Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel allerdings aufgrund des gesetzlich verankerten Verbotes jeglicher Zensur, seine Bedenken gegen das Vorhaben. Das Staatsamt für Finanzen ersuchte sodann die Staatskanzlei um Weisung in dieser Angelegenheit. Die Staatskanzlei antwortete dahingehend, daß sie „für die Wiederaufnahme der Post- und Telegraphenzensur eine unanfechtbare Grundlage […] schaffen“ wolle und beauftragte den Staatssekretär für Inneres mit der Einbringung eines entsprechenden Antrages in den Staatsrat. Dieser leitete den Auftrag an das Staatsamt für Finanzen weiter, welches dann in der 60. Sitzung des Staatsrates einen entsprechenden Antrag stellte. In der 64. Sitzung des Staatsrates wurde schließlich die Einbringung der Vorlage des Staatsamtes für Finanzen, betreffend die Zensur des Post- und Telegrammverkehrs, in die Provisorische Nationalversammlung beschlossen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.008/1918, Staatsamt des Innern, betreffend Wiedereinführung der Brief- und Telegrammzensur; AdR, BKA/Inneres, 16/gen., StAI, Zl. 2.436/1918 und Zl. 2.117/1918; SRP Nr. 60/III vom 20. Dezember 1918, Beschlußprotokoll X und Nr. 64/IIId vom 10. Jänner 1919 sowie Nr. 72/IV vom 6. Februar 1919; zu den Diskussionen im Kabinettsrat vgl. auch KRP Nr. 26/5 vom 28. Dezember 1918. Zur Einbringung in die Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 13. Sitzung am 23. Jänner 1919, Zuweisung an den Finanzausschuß, S. 469 sowie 18. Sitzung am 6. Februar 1919, zweite und dritte Lesung, S. 686–690; StGBl. Nr. 89, Gesetz vom 6. Februar 1919 über die Zensur des Post- und Telegrammverkehrs mit dem Ausland, ausgegeben am 12. Februar 1919. 16 Beilage 41/II: StAF, Vollzugsanweisungsentwurf (2½ Seiten). Die Vollzugsanweisung sollte die Ausgabe von Notgeld regeln und legte die Vorschriften bezüglich dessen Genehmigung, Deckung und Wirkungsdauer fest. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 34, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen vom 21. November 1918, betreffend die Ausgabe von Geldersatzzeichen, ausgegeben am 26. November 1918, zur Gänze überein. 17 Die Staatskanzlei äußerte keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen den Entwurf und genehmigte die Ausgabe der Vollzugsanweisung. Vgl. AdR, StK, Zl. 478/1918; weiters AVA, FHKA, k.k. Finanz ministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 436/1918, Gemeinde Wien, betr. Ausgabe von Notgeld. 15
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S t e i n w e n d e r: Die Ausgaben für die einzelnen Behörden sind im Budget für das ganze Jahr angesetzt. Es muß nun bestimmt werden, daß diese Ansätze nur zur Hälfte gelten, nämlich bis Ende Dezember, ferner daß nichts ausgegeben werden darf, was nicht im Budget steht oder besonders bewilligt wird, mit Ausnahme eines Betrages von einer Million Kronen für die kleinen Ausgaben, die jetzt im Übergang notwendig sind und für welche keine besondere Bewilligung erforderlich ist.18 R e n n e r erklärt, das sei eine Angelegenheit, die der Staatssekretär im inneren Dienste durchführen kann.19 D i n g h o f e r: Dient zur Kenntnis. L o e w e n f e l d: Der Staatsrat hat einen Beschluß20 bezüglich der westlichen deutschungarischen Komitate gefaßt, welcher in zwei Teile zerfällt. Punkt 1 stellt fest, daß Deutschösterreich auf diese Komitate Anspruch erhebt, und Punkt 2 gibt dem Staatsamt für Volksernährung den Auftrag, in diese Komitate Einkäufer zu entsenden. Da ich bei Fassung dieses Beschlusses nicht anwesend war, muß ich bei dieser Gelegenheit auf die schweren Bedenken, welche dagegen vorzubringen sind, aufmerksam machen. Gegen die politischen Gründe will ich keine Einwendungen vorbringen. Es wäre aber immerhin möglich gewesen, diesen Beschluß zu verschieben oder ihn nicht zu publizieren, denn die ungarische Regierung hat diesen Beschluß als eine Kriegserklärung betrachtet und speziell für den Punkt 1 Genugtuung verlangt. Sie hat weiter erklärt, daß alle Zugeständnisse in Bezug auf die Lebensmittelversorgung, die seitens des ungarischen Staatssekretärs21 schon in sehr weitgehendem Maße gemacht worden waren, revoziert22 werden.23 Wenn Ungarn Ernst macht und die im Laufe befindlichen Sendungen sperrt, werden wir in der nächsten Zeit wieder in große Schwierigkeiten kommen und speziell die Fleischversorgung wird zum großen Teile gefährdet sein. Die Hilfen Deutschlands sind ja unsicher. Der Staatsrat möge einen oder zwei Delegierte zum ungarischen Gesandten24 entsenden, um die Sache aufzuklären und ihn zu veranlassen, daß er sie nicht so auffasse, wie sie die ungarische Regierung auffaßt. Unsere Delegierten, welche morgen nach Budapest hätten fahren sollen,25 werden diese aussichtslose Reise nicht unternehmen, denn die Ungarn verlangen, daß wir die Lebensmittellieferungen auch politisch bezahlen sollen. Ich bin auch nicht in der Lage, den zweiten Punkt durchzuführen. Wenn es den Ungarn einfallen sollte, zu uns Einkäufer zu entsenden, würde ich mich darüber sehr aufhalten. Der Der Staatsrat hatte das Staatsamt für Finanzen bis 31. Dezember d. J. ermächtigt, den einzelnen Staatsämtern zur Bestreitung von Ausgaben, die im Budgetprovisorium nicht vorgesehen waren, Kredite bis zum Höchstbetrage von je einer Million zu eröffnen. Vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. Der zugrundeliegende Erlaß liegt dem Protokoll bei. Vgl. Beilage 41/III: Erlaß des Staatssekretärs für Finanzen (1½ Seiten). 19 Der Erlaß wurde in weiterer Folge den Staatsämtern übermittelt. Vgl. AdR, StK, Zl. 389/1918; AdR, BMHV, Präsidium, StAH, Zl. 184/1918, Staatliche Gebarung vom 1. November bis 31. Dezember 1918. Zur Überweisung des Betrages an das Staatsamt für Äußeres vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanz ministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.540/1918. 20 Vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. 21 Josef Diner-Dénes, sozialdemokratisch ausgerichteter Journalist und Soziologe, Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen, November 1918 bis 1919 ungarischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, lebte danach in Berlin und Paris. 22 Revozieren: widerrufen, zurückrufen. 23 Zur Diskussion über die Kritik Ungarns vgl. auch KRP Nr. 13/3 vom 18. November 1918. 24 Dr. Ferenc Harrer, 11. November bis 2. Dezember 1918 ungarischer Gesandter in Wien, 24. Jänner 1919 bis 21. März 1919 ungarischer Außenminister. 25 Vgl. SRP Nr. 36 vom 16. November 1918, bzw. den geheimen Nachtrag zu SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 18
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ungarische Staatssekretär hat auch mitgeteilt, daß jeder Einkäufer, der von uns legitimiert würde, in Ungarn sofort interniert würde. Ich stelle den Antrag26: „Der Staatsrat wolle beschließen, den Punkt 2 dieses Beschlusses einer Revision zu unterziehen, bezw. ihn aufzuheben und es dem Staatsamt für Volksernährung zu überlassen, diesen Einkauf durchzuführen.“ D i n g h o f e r: Es liegt der Antrag27 vor: „Der Staatsrat möge beschließen, sich mit dem ungarischen Gesandten in Verbindung zu setzen und ihn über die Tragweite und die Gesichtspunkte, die den Staatsrat bei diesem Beschlusse geleitet haben, zu orientieren und zu ersuchen, die feindselige Stimmung wieder aus der Welt zu schaffen, und Punkt 2 dieses Beschlusses aufzuheben“. S e i t z anerkennt die Bedenken, welche der Staatssekretär vorgebracht hat, stellt jedoch folgenden Antrag28: „Der Staatskanzler wird beauftragt, ein Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern in dieser Frage herzustellen und wenn nötig dem Staatsrate den Entwurf eines endgiltigen Beschlusses vorzulegen.“ R e n n e r teilt mit, daß sich der ungarische Gesandte Harrer heute vormittags bei ihm angesagt habe, Redner müsse also bis zu dieser Stunde Instruktionen haben. Die Forderung, eine Genugtuung zu geben, wäre in höflichster Weise abzulehnen, eine Revozierung des Beschlusses sei auch unmöglich. Es könne ja eine Erläuterung dahin gegeben werden, daß wir diese Einkäufer nur senden werden, wenn sie von der ungarischen Regierung zugelassen werden. Es müsse aber in dieser Unterredung festgehalten werden, daß wir keinerlei Annexionshandlung oder feindselige Handlung vornehmen werden, und daß der Beschluß nur dahin zu deuten sei, daß wir auf dem Friedenskongreß die Bestrebungen der Deutschen Westungarns in ihrem nationalen Selbstbestimmungsrechte unterstützen werden. S e i t z bemerkt, es handle sich hier um die Interpretation eines gefaßten Beschlusses. Er halte aber seinen Antrag aufrecht, daß, wenn die Staatsämter untereinander einen weiteren Schritt vereinbart haben, der endgiltige Beschluß vorgelegt werden möge. R e n n e r erklärt, es sei diese Frage nicht bloß eine Frage der Administration; er werde dafür sorgen, daß dieselbe in der heutigen Kabinettssitzung als erster Punkt verhandelt werde29, dann müsse aber der Staatsrat darüber entscheiden.30 E l l e n b o g e n unterstützt den Antrag Seitz. Solange diese Frage nicht bereinigt ist, habe der Wunsch des Staatssekretärs Loewenfeld, daß vom Staatsrate Delegierte entsendet werden, keinen Zweck. D i n g h o f e r bringt den Antrage Seitz zur Abstimmung, welcher angenommen wird.31 Damit entfallen die Anträge Loewenfelds. H a n u s c h ersucht, daß er vom Staatsrate beauftragt werde, morgen in der Nationalversammlung den Antrag einzubringen, daß vom 1. Dezember 1918 angefangen bis zum Friedensschluß in allen fabriksmäßigen Betrieben die 8 Stunden-Arbeit durchgeführt werden soll. Das schließt nicht aus, daß in den Betrieben 2 oder 3 Schichten gemacht werden, es sollen nur die einzelnen Arbeiter nicht mehr als 8 Stunden arbeiten. Ausnahmen können dort Dieser Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. Dieser Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. 28 Beilage 41/IV: Antrag Seitz (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 29 Zur Debatte im Kabinettsrat, betreffend die „Verhandlungen mit der ungarischen Regierung in der Frage des Anschlusses Westungarns an Deutschösterreich“ vgl. KRP Nr. 14/14 vom 21. November 1918. 30 Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 31 Vgl. AdR, StK, Zl. 401/1918, 4. Beschlußprotokoll, Beschluß IV. 26 27
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gemacht werden, wo eine Gefahr im Verzuge ist oder ein öffentliches Interesse es erfordert. Ebenso dort, wo Branchen in Frage kommen, die unter allen Umständen eine längere Arbeitszeit notwendig haben. Für die erste Kategorie der Ausnahmen sollen die Behörden erster Instanz zu entscheiden in der Lage sein, für die zweite sollen sechsgliedrige Kommissionen bestellt werden, die paritätisch aus Unternehmern und Arbeitern zusammengesetzt sind und dem Staatssekretär für Handel Vorschläge zu erstatten haben, für welche Branchen solche Ausnahmen zu bewilligen sind. Wird ohne Debatte angenommen.32 D i n g h o f e r verliest nachstehenden Antrag33 Teufel: „Die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung34 hat den Verkauf der Holzlager in Altmannsdorf bei Wien und Wörth bei St. Pölten an den Ungarn R. v. Körner35 (verkauft an die Firma Ung. Forstindustrie) angeordnet und soll bereits morgen die Übergabe erfolgen. Die Holzlager repräsentieren große Werte und sind für das Wiener und das österreichische holzverarbeitende Gewerbe von größter Bedeutung. Die sofortige Sistierung des Verkaufes an Körner (durchgeführt durch Regierungsrat Stern36 und Hauptmann Falter37 der ehemaligen Holzgruppe des K.M.38) ist durchzuführen. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, Vorlagen des Staatsrates betreffend 6. die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmung, S. 123 f; weiter SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 33 Beilage 41/VI: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI. 34 Die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung war noch zu Monarchiezeiten aufgrund einer Verordnung des Finanzministeriums vom 13. Juli 1918 als selbständige Rechtspersönlichkeit mit dem Auftrag „Zur Besorgung der mit der Sachdemobilisierung verbundenen finanziellen Geschäfte, Verrechnungen und Evidenzführungen, dann zur Vorbereitung der zu schaffenden Verwertungsstellen und zu ihrer Überwachung“ errichtet worden. Die Hauptanstalt stand unter der Aufsicht des Finanzministers und wurde von einer ebenfalls vom Finanzminister ernannten Direktion gerichtlich und außergerichtlich vertreten. Vgl. Verordnungsblatt für den Dienstbereich des k.k. Finanzministeriums für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, Gesetze und Verordnungen Nr. 92, Verordnung des Finanzministers im Einvernehmen mit den beteiligten Ministern vom 13. Juli 1918, betreffend die Errichtung einer Österreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, ausgegeben am 20. Juli 1918; weiters Neue Freie Presse. Abendblatt, 27. Juli 1918, S. 4 „Wien, 27. Juli. Die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung und das Handelsrecht“. In der Folge wurde die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung mit der Verwertung sämtlicher Kriegsgüter betraut und der Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatssekretär für Finanzen das Statut der Hauptanstalt zu ändern vgl. SRP Nr. 26 vom 8. November 1918. Vgl. weiters Mitteilungen der Deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, Nr. 1, 25. Jänner 1919, S. 1 „Allgemeines über die Sachdemobilisierung“; Verband der Sozialdemokratischen Abgeordneten, Politisches Handbuch, Wien 1920, S. 210–213; Neue Freie Presse. Morgenblatt, 19. November 1918, S. 7 „Wien, 19. November. Die Sachdemobilisierung“. Zu den entsprechenden Vollzugsanweisungen vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918 und Nr. 57 vom 11. Dezember 1918. Aktenmaterial zur Hauptanstalt für Sachdemobilisierung aus dem Zeitraum 1918–1923 findet sich im Bestand AdR, BMF, Haupt anstalt für Sachdemobilisierung. 35 Oskar Ritter von Körner, Präsident der „Vereinigten Holz- und Industrie-AG“ in Budapest, Direktionsmitglied der „Sollux Maschinen- und Metallwarenfabriks-AG“ in Budapest sowie der „Menzel Vilmos AG“ in Budapest. 36 Hier könnte Georg Stern, Direktor der Länderbank, ab Mai 1917 Konsulent des Ackerbauministe riums und Ernennung zum Regierungsrat, 9. November 1918 Übernahme in das deutschösterreichische Staatsamt für Landwirtschaft gemeint sein. 37 Vermutlich handelt es sich um Hauptmann Ladislaus Falta. 38 Im Rahmen der zentralen Verwaltung von kriegswirtschaftlich wichtigen Gütern wurde im Kriegs ministerium eine eigene Holzgruppe eingerichtet. Vgl. Richard Riedl, Die Industrie Österreichs während des Krieges, Wien/New Haven 1932, S. 213–217. 32
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Ferner hat die Bekanntgabe der Bedingungen, unter denen diese Holzlager verkauft werden, sofort zu erfolgen, damit sich die Interessenten bewerben können. Zur Durchführung der Verkäufe sind Fachleute z. B. Oberst Teuschert39 von der Holzgruppe des ehemaligen Kriegsministeriums und andere zu berufen.“ Dieser Antrag wird dem Staatsamt für Übergangswirtschaft zugewiesen.40 W a i s s41 berichtet über die Vorfälle vor dem Parlament und bei der „Neuen Freien Presse“ am 12. November. Dieser Bericht wird zur Kenntnis genommen.42 Von einer Veröffentlichung desselben in den Zeitungen wird über Antrag des Präsidenten S e i t z abgesehen. Dr. W a i s s berichtet über die U m g e s t a l t u n g d e r M i l i t ä r e r z i e h u n g s a n s t a l t e n i n z i v i l e A n s t a l t e n . Darüber soll folgendes Kommuniqué43 in die Öffentlichkeit hinausgegeben werden: „Wie wir von zuständiger Stelle erfahren, finden gegenwärtig Verhandlungen zwischen den Staatsämtern für Heerwesen und für Unterricht darüber statt, in welcher Weise den Militärakademikern und Zöglingen der Militärerziehungs- und Bildungsanstalten die Fortsetzung ihrer Studien nach dem Lehrplane der zivilen Realschulen sowie die Erlangung eines Realschul-Reifezeugnisses ermöglicht werden kann. Die bezüglichen Weisungen werden in allernächster Zeit verlautbart werden. Der weitere Unterricht dieser Zöglinge wird durch Mittelschullehrer erteilt werden, doch bleiben die bei den Militärschulen bisher bestandenen Erziehungsanstalten noch weiterhin als Internate aufrecht. Die Militärakademien und Kadettenschulen werden mit Ende des laufenden Der Name ist im Sitzungsprotokoll falsch, im Beschlußprotokoll richtig geschrieben: Oberst Julius Tenschert, 16. Oktober 1916 bis 1. November 1918 in der Holzgruppe des Kriegsministeriums eingesetzt, ab 1. November 1918 Vorstand der Holzgruppe im liquidierenden Kriegsministerium. Tenschert plädierte in einem Schreiben vom 10. November 1918 an den Staatssekretär für Heerwesen dafür, der Holzgruppe des Kriegsministeriums den Auftrag zu erteilen, Holzvorräte auf kurzem Weg an interessierte Privatkäufer zu übergeben. Da die Holzlager nicht bewacht würden, liefen sie Gefahr, geplündert zu werden, weswegen die Holzgruppe bereits die Zustimmung des Staatssekretärs für Übergangswirtschaft zur oben genannten Vorgangsweise eingeholt habe. Die Bewilligung des Staatssekretärs für Heerwesen diene also primär einer möglichst unbürokratischen Durchführung der Aktion. Die alleinige Kompetenz zur Veräußerung der Holzlager wurde letztendlich aber der Österreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung zugesprochen. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.671/1918. 40 Das Staatsamt für Finanzen bemerkte hiezu, Teufels Antrag mache „den Eindruck als ob er von einem Konkurrenten der Ersteher des Holzes irregeführt worden sei. Der Vertrag mit den Holzindustriellen, unter welchen ein Herr Körner überhaupt nicht vorkommt, ist vollkommen korrekt, die Holzlager in Wörth und Altmannsdorf sind überhaupt nicht an Industrielle, sondern an die Gemeinde Wien übergeben worden.“ Der Vorgang veranlaßte den mit der Sache betrauten Referenten des Staatsamtes zu einigen grundsätzlichen Ausführungen über die Frage der Sachdemobilisierung. So befürchtete dieser, daß durch die Unterstellung der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung unter das Staatsamt für Kriegs- Übergangswirtschaft und die damit verbundenen Änderungen ihrer Organisation, die Gefahr der Einflußnahme zur persönlichen Bereicherung durch den Handel mit Sachdemobilisierungsgütern bestehen könnte. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.314/1918. Zur Sachdemobilisierung vgl. auch SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 41 Richtig: Dr. Erwin Waihs. 42 Zur Behandlung der Vorfälle vom 12. November im Staatsrat vgl. SRP Nr. 31 vom 13. November 1918, Nr. 34 vom 16. November 1918 und Nr. 36 vom 18. November 1918. 43 Beilage 41/VIII: Kommuniqué (1 Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII. 39
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Schuljahres aufgelassen. Eine Ausmusterung sowie Neuaufnahmen in diese Anstalten finden nicht mehr statt.44 Die Militär-Unter- und Oberrealschulen bleiben vorläufig bis zur endgiltigen Regelung bestehen.“ A n g e n o m m e n.45 Der Bericht des Dr. E l l e n b o g e n über die Erbsteuer wird auf die Tagesordnung der nächsten Staatsratssitzung gestellt.46 Dr. R e n n e r berichtet über das Ergebnis der Unterredung mit dem ungarischen Gesandten. Dieser habe den Wunsch geäußert, vor der heute Nachmittag stattfindenden Kabinettssitzung mit dem Staatssekretär des Äußern sich darüber zu besprechen, ob es nicht möglich sei, durch stillschweigende Übereinkunft einen Staatsrats-Beschluß zu ermöglichen, mit dem sich die Ungarn beruhigen könnten. Darüber hätte morgen Vormittag der Staatsrat zu entscheiden, worauf um 3 Uhr Nachmittag mittels Extrazuges die ungarischen Herren und mit ihnen der österreichische Gesandte Baron Cnobloch47 und wenn es gelänge, eine halbwegs befriedigende Formulierung zu finden, auch deutschösterreichische Unterhändler in Ernährungssachen sich nach Budapest begeben würden.48
Zur Vorbereitung der Umorganisation der militärischen Erziehungsanstalten und zu ihrer Unterstellung unter die Kompetenz des Unterrichtsressorts vgl. die Abhandlung „Regelung der Fragen des Mil.-Erziehungs- u. Bildungswesen“ vom 26. November 1918 in KA, Nachlaß Josef Mayer B/858, Konvolut 3, Ziffer XLIII. Zur Umsetzung vgl. die Verordnung Nr. 11 vom 18. Dezember 1918 „Umwandlung der Militär-Erziehungs- und Bildungsanstalten in zivile Lehranstalten“, die im Verordnungsblatt des deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen Nr. 9 vom 21. Dezember 1918, S. 4–6 veröffentlicht wurde. Weiteres Material findet sich in AdR, LV, 1. Republik, StAHw, Abt. 6/1, GZl. 1/21/1-3/1919. Der zugrundeliegende Erlaß des StAHw, Zl. 5.671/1918, betreffend Verlegung und Zusammenziehung von Mil.- Erziehungs- und Bildungsanstalten, wird im erwähnten Aktenmaterial des Staatsamtes für Heereswesen zwar erwähnt, liegt aber nicht ein. Bei der Umwandlung der bisher militärischen in zivile Bildungsanstalten galten für deutschösterreichische Staatsbürger großzügige Regelungen, die dazu führten, daß die Anzahl der Zöglinge und Absolventen, die sich zum Staat Deutschösterreich bekannten, sprunghaft anstieg. Dieser Umstand führte dazu, daß das Staatsamt für Heerwesen für eine rigorose Auslegung der Nationalitätenzugehörigkeit auf der Grundlage der in der Monarchie abgegebenen Bekenntnisse plädierte. Vgl. dazu die Mitteilung des Staatsamtes für Heereswesen in SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 nachmittags sowie AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.767/1918, Nationalitätsbekenntnisse der Akad. u. Zögl. der deutschösterr. Staatserziehungsanstalten. Vgl. auch das umfangreiche Material unter AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.432/1918, Einsichtsakt des Staatsamtes für Unterricht, betreffend die Umwandlung der Militär-Erziehungs- und Bildungsanstalten in D.ö. in zivile Mittelschulen. 45 Vgl. Wiener Zeitung, 21. November 1918, S. 14 „Kleine Chronik. Umwandlung militärischer Erziehungs- und Bildungsanstalten“. Zur Umsetzung dieser Maßnahme vgl. v. a. das Aktenmaterial in AdR, LV, 1. Rep., StAHw, Abt. 6/1, insbesondere die darin enthaltene GZl. 1-21/1-3/1919. 46 Vgl. SRP Nr. 42/5 vom 22. November 1918. 47 Johann Alois Alfred Freiherr von Cnobloch, 1917 Regierungskommissär bei der Holzwirtschaftsstelle, 14. August 1917 Ernennung zum Sektionschef, im November 1918 mit der Führung der wirtschaftlichen Verhandlungen in Ungarn betraut und Vertreter Österreichs in Budapest. Zu seiner Ernennung vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl.7/Dir./1918, Bestellung des Sektionschefs Baron Cnobloch als Vertreter der Deutschösterr. Republik in Budapest. 48 Zur Besprechung einer vom ungarischen Gesandten und dem Staatsamt für Äußeres ausgearbeiteten und mit der ungarischen Regierung akkordierten entsprechenden Formulierung vgl. KRP Nr. 14/14 vom 21. November 1918. Die Erklärung wurde auf Empfehlung des Kabinettsrates vom Staatsrat als Staatsratsbeschluß veröffentlicht. Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 44
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Über Vorschlag des Staatskanzlers wird zum Staatssekretär des Äußern Dr. Otto Bauer ernannt;49 zum Unterstaatssekretär im Staatsamte für Finanzen der Sektionschef Dr. Ferdinand50 von G r i m m;51 zum Unterstaatssekretär im Staatsamte für Volksernährung Oberst Norbert W a l l e n s t o r f e r 52 bestellt; und zum Unterstaatssekretär im Staatsamte für soziale Fürsorge Dr. Josef R e s c h.53 W o l f wünscht für die deutschbürgerlichen Parteien ein Unterstaatssekretariat für soziale Fürsorge, erklärt jedoch nach der Aufklärung des Parteienverhältnisses durch den Präs. Seitz, vorerst mit den Klubs sich besprechen zu wollen. Dr. R e n n e r berichtet über den Austausch von Rotationspapier gegen Lebensmittel.54 Die Sache sei vom Staatsamte für Kriegs- und Übergangswirtschaft ausgegangen und betreffe im Wesentlichen die Tatsache, daß wir kein Rotationspapier aus der Steiermark herausbekommen und der Staatsrat ersucht werde, Abhilfe zu schaffen. Die Spezialbotschaft, die wir in dieser Angelegenheit in die Steiermark sandten, hatte keinen Erfolg. Für Samstag 10 Uhr vormittags sind die Landeshauptleute zu einer Sitzung eingeladen, weshalb der Samstag
Viktor Adler war nach seiner Bestellung zum Staatssekretär für Äußeres angesichts seines Gesundheitszustandes auf eigenen Wunsch vom Staatsrat ermächtigt worden, einen Vertrauensmann mit dem Titel eines Unterstaatssekretärs zu bestellen. Vgl. SRP Nr. 13 vom 31. Oktober 1918. Adler wählte Otto Bauer. Vgl. den Anhang „Unterstaatssekretäre“ zu SRP Nr. 12 vom 30. Oktober 1918. Abweichend von dieser Funktion wurde Bauer jedoch bereits in der 16. Sitzung vom 3. November 1918 als „Chef des Präsidialbüros des Staatsamtes für Äußeres“ bezeichnet. Obwohl er offiziell erst in der vorliegenden 41. Sitzung zum Staatssekretär bestellt wurde, war Bauer bereits zuvor als Staatssekretär bezeichnet worden, so beispielsweise auf der Titelseite der 13. Sitzung des Kabinettsrates. Vgl. KRP Nr. 13 vom 18. November 1918. 50 Im Original wurde Leopold gestrichen und statt dessen Ferdinand handschriftlich eingefügt. 51 Dr. Ferdinand von Grimm, 25. September 1917 Ernennung zum Sektionschef, 1917 bis 1918 Vorstand des Präsidialbüros, 1917 bis 1924 Leiter der Budget- und Kreditsektion,4. November 1918 bis 15. März 1919 Unterstaatssekretär für Finanzen. Zum Ansuchen, betreffend seine Bestellung zum Unterstaatssekretär im Staatsamt der Finanzen vgl. SRP Nr. 17 vom 4. November 1918 und Nr. 39 vom 20. November 1918. Im Beschlußprotokoll der vorliegenden Sitzung kam es zu einer Verwechslung mit Dr. Leopold von Grimm. Hofrat Dr. Leopold von Grimm war ordentlicher Professor an der Technischen Hochschule in Brünn und fachtechnisches Mitglied des k.k. Patent-Gerichtshofes. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IX. 52 Zu Dr. Norbert Wallenstorfer vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918. 53 Zur Forderung nach Einrichtung des Amtes eines Unterstaatssekretärs für soziale Fürsorge vgl. SRP Nr. 22 vom 7. November 1918 vormittags. 54 Beilage 41/X: Mitteilung (1 1/8 Seiten). Der Inhalt entspricht zur Gänze dem des Beschlußprotokolls. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt X. Zu den darin angesprochenen und von den Ländern eigenmächtig abgeschlossenen Kompensationsgeschäften vgl. Hans Loewenfeld-Russ, Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920. Herausgegeben und bearbeitet von Isabella Ackerl, Wien 1986, S. 167–179. Am 2. Dezember 1918 wurde zwischen der Prager Kommission für Übergangswirtschaft – Abteilung Papier – und dem Wiener Wirtschaftsverband der Papierindustrie ein Abkommen abgeschlossen. Vgl. dazu Hanns Haas, Die deutschböhmische Frage 1918–1919 und das österreichisch-tschechoslowakische Verhältnis. Teil I, in: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum 13 (1972), S. 336–383, hier S. 361; weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 4. Dezember 1918, S. 8 „Die Papierversorgung für Böhmen, Mähren und Schlesien“. Papier stand auch auf der Liste der von Österreich im Rahmen des Kompensationsvertrages vom 25. November 1918 nach Ungarn zu liefernden Waren. Vgl. dazu SRP Nr. 49 vom 28. November 1918. 49
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Vormittag sitzungsfrei gehalten werden möge.55 Es werde hoffentlich gelingen, ein Einvernehmen herzustellen. W o l f bringt die fortgesetzt steigenden Preise des Rotationspapiers zur Sprache, die es besonders kleineren Blättern unmöglich mache, zu bestehen. Man müsse in die Konferenz am Samstag mit dem ernsten Entschlusse eintreten, der Ausbeutung der Öffentlichkeit durch die Papierindustriellen ein- für allemal ein Ende zu machen.56 A n g e n o m m e n.57 Dr. R e n n e r bringt einen Bericht des Landesverwesers Fürers58 „Die Landesverwaltung von Schlesien“59 zur Verlesung und bemerkt dazu: Dies ist der erste Bericht einer Landesregierung, der mir zugekommen ist. Ich habe von Reichenberg noch keinen einzigen direkten Bericht bekommen. Es scheint, daß die Landeshauptleute, die dort sind, nicht über die administrativen Hilfsmittel verfügen, um eine Muster der an die Landesregierungen und die Staatsämter versandten Einladungstelegramme für diese Versammlung sowie Antworttelegramme aus Innsbruck, Bregenz, Linz und Klagenfurt liegen in AdR, StK, GZl. 286/1918. Die Konferenz, die nachträglich als erste Länderkonferenz bezeichnet wurde, bildete den Inhalt und einzigen Tagesordnungspunkt der 15. Sitzung des Kabinettsrates vom 23. November 1918. Vgl. auch Renners Bericht über die Konferenz in SRP Nr. 44/2a vom 25. November 1918. 56 Beilage 41/XI: Antrag Wolf (1 Seite, handschriftlich). Der bemerkenswert scharf formulierte Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XI. 57 Die Agenda der Länderkonferenz enthielt als 7. Punkt die „Herstellung eines einheitlichen Vorgehens in Fragen der Ernährung und Sachdemobilisierung (provinzieller Kompensationsverkehr, Bedingungen seiner Zulässigkeit)“. Diese Frage wurde jedoch nicht behandelt. Das Stenogramm enthält aber den Hinweis auf eine eventuelle, für den Folgetag geplante, diesbezügliche Sitzung im Handelsministerium und folgende Äußerung von Seitz zur Dringlichkeit der Angelegenheit: „Das Gefährliche ist, wenn ein Land sich nicht nur selbst versorgt, sondern auch noch Compensations-Verhandlungen macht. Papier und Petr.(oleum). Die öffentliche Bewirtschaftung der notwendigen Artikel kann nur durch eine Zentrale erfolgen. Man muss auf dem Standpunkt stehen, dass die Dinge dem Staat gehören.“ Vgl. KRP 15 vom 23. November 1918. 58 Dr. Rudolf Fürer von Haimendorf und Wolkersdorf, Jurist, politischer und wirtschaftlicher Berater der Militärkanzlei des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, 1918 Landesverweser des Sudetenlandes, nach 1918 Vizepräsident der österreichischen Holzbank. Am 4. November 1918 wurde er als Landesverweser des Sudetenlandes mit allen Rechten, „die nach den bisher geltenden österreichischen Reichsgesetzen [...] dem Landespräsidenten in Schlesien, dem mährischen, dem böhmischen oder dem schlesischen Landesausschusse zustanden“, bestellt. Überdies übte er die Funktion eines Staatsbahndirektors aus und es wurden ihm die Post- und Telegraphenbehörden unterstellt. Der seine Bestellung zum Landesverweser betreffende Akt ist in den betreffenden Findbüchern der Staatskanzlei zwar unter GZl. 595/1920 verzeichnet, wurde aber im Jahr 1938 entlehnt. Eine Abschrift der Bestellung Fürers zum Landesverweser des Sudetenlandes findet sich jedoch in AdR, StAsF, Präsidium, Zl. 207/1918. Seine Funktion als Staatsbahndirektor führte in der Folge zu Kompetenzstreitigkeiten, die das Staatsamt für Verkehrswesen veranlaßten, die Rücknahme dieser Vollmachten zu fordern. Vgl. dazu AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 295/Präs./1918, Staatskanzlei, Bestellung des Dr. Rudolf von Führer zum Landesverweser des Sudetenlandes und Übertragung der Rechte eines StB. Direktors. 59 Der Bericht über die Organisation der Verwaltung des Sudetenlandes liegt dem Protokoll nicht bei, findet sich aber in AdR, StK, GZl. 985/1918, Zl. 399/1918, Landesverweser des Sudetenlandes, Bericht betr. die Organisierung der Verwaltung des Sudetenlandes. Je ein Exemplar des hektographierten Schriftstückes liegt zudem in AdR, StAsF, Präsidium, Zl. 129/1918, Bericht des Landesverwesers des Sudetenlandes über die Organisierung der Verwaltung des Sudetenlandes sowie in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.208/1918, Organisation der Verwaltung des Sudetenlandes, Eingriffe durch tschechoslowakische Truppen. Zur Einrichtung der Verwaltung des Sudetenlandes vgl. auch Paul Molisch, Die sudetendeutsche Freiheitsbewegung in den Jahren 1918–1919, Wien/Leipzig 1932, S. 51–53. 55
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Statthalterei zu errichten. Einen Antrag stellen sie nicht. Ein solcher Zustand, daß man von einer Statthalterei durch Wochen keinen Bericht bekommt, ist jedenfalls auffallend und unmöglich. Selbstverständlich leiden die Landesregierungen außerordentlich darunter, daß die zwei notwendigsten Grundlagen, nämlich das Verwaltungsgebiet und die Staatsbürgerschaft noch immer nicht durch Gesetze festgelegt sind. Gegen das Gebietsgesetz bestehen gewisse Widerstände. H a u s e r: Ich habe heute von der provisorischen Landesregierung Linz die telephonische Nachricht bekommen, daß in Winterberg 20 Millionen Textilwaren liegen, welche ganz schutzlos sind. F i n k: Der Verkehr zwischen der Regierung hier in Wien und den einzelnen Landespräsidenten scheint überhaupt noch nicht recht in Gang zu sein. Es ist aus diesem Grunde die Versammlung mit den Landeshauptleuten am Samstag wärmstens zu begrüßen. B o d i r s k y: Der Bericht Fürer bestätigt, was wir schon gestern gehört haben, daß das Gebietsgesetz morgen unbedingt erledigt werden muß. Solange das nicht erledigt ist, sagen die Cechen: Ihr habt ja kein Gebiet, wir wissen nichts davon. Sie nehmen Assentierungen60 in den deutschen Gebieten vor, weil sie sich lediglich an ihr historisches Staatsrecht halten.61 In Neutitschein wurden von den Cechen bei deutschen Fabrikanten Textilwerte von 10 Millionen beschlagnahmt.62 Dies alles ist nur möglich, weil wir kein Staatsgebiet haben. Ich beantrage, das Gebietsgesetz auf die Tagesordnung der morgigen Nationalversammlung zu stellen. Das ist ein sehr wichtiges Gesetz für die Etablierung der Landesregierungen und für die Arbeit gegen die Cechen. Dr. S c h o e p f e r: Auch in Tirol empfindet man es sehr unangenehm, daß man von Wien wie durch eine chinesische Mauer abgeschlossen ist. Der von Fink gewünschte Verkehr muß ehestens aufgenommen werden. S e i t z äußert schwere Bedenken gegen eine Beschlußfassung über das Staatsgebiet. Über das Gebiet wird in der Friedenskonferenz entschieden werden. Wie sollen wir vor die Friedenskonferenz kommen, wenn wir schon jetzt von vorneherein alles preisgeben, was überhaupt Gegenstand der Verhandlungen sein soll? Zweitens wäre es heute für uns geradezu unerträglich, eine solche Amputation am deutschösterreichischen Volkskörper vorzunehmen. Assentierung: Musterung. Bodirsky bezieht sich hier auf das von tschechischer Seite beanspruchte vollständige Gebiet der historischen Länder der böhmischen Krone. Das historische Königreich Böhmen umfaßte Böhmen mit den Ländern Mähren und Schlesien in den Grenzen von 1742. In der Verwaltungsordnung Cisleithaniens entsprach dies den gleichnamigen Kronländern. Das Königreich Böhmen bildete den hauptsächlichen Bezugspunkt für die historischen Vorstellungen und Rechtfertigungen tschechischer Staatlichkeit. Diente der Rückgriff auf das böhmische Staatsrecht zunächst der Legitimation ständischer Rechte bot dieses ab dem späten 19. Jahrhundert auch eine Grundlage für nationalistische Strömungen und Forderungen. Das Rekurrieren auf das böhmische Staatsrecht implizierte hier eine aus dem historischen Königreich Böhmen abgeleitete, geographische Einheit, die nicht den Sprachgrenzen entsprach und nach dem Zerfall der Monarchie als legitimierender Faktor für die Grenzziehung eingesetzt werden konnte. Vgl. Peter Haslinger, Staatsrecht oder Staatsgebiet? Böhmisches Staatsrecht, territoriales Denken und tschechisches Emanzipationsbestreben 1890–1914, in: Dietmar Willoweit/Hans Lemberg (Hg.), Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa. Historische Beziehungen und politische Herrschaftslegitimation (= Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa. Band 2), München 2006, S. 345–359; Luboš Velek, Böhmisches Staatsrecht auf „weichem Papier“: Tatsache, Mythos und ihre symbolische Bedeutung in der tschechischen politischen Kultur, in: Bohemia 47 (2006/07) 1, S. 103–118; Kurt Rabl, „Historisches Staatsrecht“ und Selbstbestimmungsrecht bei der Staatsgründung der Tschechoslowakei 1918/19, in: Zeitschrift für Ostforschung, Nr. 3 (1959), S. 388–408. 62 In den 1921 erschienenen Memoiren des Landeshauptmannes Freißler werden die Neutitscheiner Beschlagnahmen von Textilien nicht erwähnt. Vgl. Robert Freißler, Vom Zerfall Österreichs bis zum tschechoslowakischen Staate, Berlin 1921. 60 61
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Etwas anderes ist es, wenn wir es unter dem Diktate des Feindes blutenden Herzens werden tun müssen. Drittens werden wir weder im Verfassungsausschusse noch sonstwo mit diesen Dingen fertig. Eine Abstimmung in der morgigen Nationalversammlung über diesen Gegenstand würde den unangenehmsten Eindruck hervorrufen. Es wäre eine Kampfabstimmung unter den wildesten Formen. Was ist eigentlich der Grund, sich jetzt mit dieser Frage zu beschäftigen? Für die Czechen kann doch unser Beschluß nicht bestimmend sein, wenn sie gewaltsam in unser Gebiet eindringen wollen. Wenn wir das Gebietsgesetz machen, so ist das eine Ausrede für die Cechen, wenn sie Iglau besetzen; denn wir haben es ja selbst preisgegeben. Dr. R e n n e r: Es kann kein Bezirkshauptmann und kein Steueramt administrieren, wenn das Gebietsgesetz nicht vorliegt. Aus dem Berichte Fürer ergibt sich, daß in Troppau z. B. die Eisenbahner sagen, sie müssen den Weisungen aus Brünn folgen, weil das ihre Dienstbehörde sei. Die Eisenbahner arbeiten doch auf Grund von Vorschriften; ebenso die Steuerbehörden. Sie müssen durch das Gesetz gedeckt sein. Die Post z. B. hat sich gesagt, diese und diese Orte beziehe ich in meinen Direktionsbezirk ein, aber die Eisenbahn nimmt dann wieder diese Bezirke nicht in Anspruch. S e i t z: Wenn mir gesagt wird, es soll ein Gebietsgesetz für die Eisenbahnen, für die Post u.s.w. gemacht werden, so bin ich einverstanden, wenn das aber auf das ganze Staatsgebiet ausgedehnt werden soll, kommen wir zu den Schwierigkeiten, die ich geschildert habe. Solche Dinge können wir heute in der Zeit der Revolution nicht machen. Wir müssen uns damit bescheiden, was wir faktisch machen können, das sind Postbezirke, Eisenbahnbezirke u.s.w. Wir werden auch mit den Wahlbezirken Schwierigkeiten haben. Wir werden sagen müssen, jeder Deutsche hat abzustimmen, soferne er nicht durch physische Gewalt gehindert ist. I r o: Ehe wir dieses Gebietsgesetz auf die Tagesordnung setzen, müßte eine Einigung unter den Parteien erzielt werden. Es ist z. B., wie ich mich überzeugt habe, unmöglich, die 54.000 im geschlossenen Gebiete wohnenden Deutschen der Iglauer Sprachinsel preiszugeben. W o l f: Es wäre gewiß von Vorteil, wenn wir das Staatsgebietsgesetz morgen beschließen könnten, wir würden aber einen fürchterlichen Fehler begehen, wenn wir dabei Iglau, Brünn u.s.w. ausschließen. Einen provisorischen Verzicht gibt es nicht. Ein Verzicht ist immer etwas endgiltiges. Wenn wir uns nicht mit Schmach und Schande beladen wollen, ist es ganz undenkbar, auf Brünn und Iglau endgiltig zu verzichten. Auf dem Wege über Postund Steuerbezirke werden wir auch nicht zum Staatsgebiete kommen. Wenn gesagt wurde, daß die deutschböhmische Bourgeoisie mit fliegenden Fahnen zu den Cechen übergeht, so dürfte es sich dabei um einen Teil der Industrie und zwar um den in jüdischen Händen befindlichen handeln. Richtig ist es allerdings, daß Deutschböhmen, wenn es sich verraten und preisgegeben sieht, wenn nichts geschieht, um den beständigen Übergriffen der Cechen Einhalt zu gebieten, verdrossen werden und auf den Gedanken kommen muß, Anschluß an Deutschland zu finden. T e u f e l ist für einen Kompromiß in der Gebietsabgrenzungsfrage. Es sei aber unmöglich, aus einem geschlossenen cechoslovakischen Staate gewisse Flecken herauszuschneiden. Die dort ansässigen Deutschen haben ja die Möglichkeit, sich als Auslandsdeutsche zu betrachten und genießen als solche den konsularischen Schutz des deutschösterreichischen Staates. Eine Aufopferung der Deutschen sei damit nicht gegeben. Das Gebietsgesetz auf dem Personalitätsprinzip aufzubauen, sei untunlich. Dr. R e n n e r: Ein Kompromiß soll und kann ja gemacht werden, aber eines steht fest, daß man absolut nicht verwalten kann, wenn nicht die Gesetzgebung des Landes erklärt: Das ist mein Gebiet. Die Gebietshoheit ist etwas, was in technisch-administrativer Hinsicht unerläßlich ist. Wie wollen Sie z. B. in Iglau rekrutieren? Wie wollen Sie den Zoll einheben? Man kann doch nicht eine Zoll-Enclave in Iglau errichten. Darum sind aber die dortigen
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Deutschen noch lange nicht schutzlos. Wir verlangen, daß diese Gebiete dort volle nationale Autonomie genießen. Das werden wir für Gottschee und auch für die Iglauer Sprachinsel verlangen. Wir werden ebenso für Brünn verlangen, daß die dortigen Deutschen ein Kuriatvotum63 und ihre eigenen Schulen bekommen. Es gibt ja einen Minoritätenschutz im geschlossenen fremdsprachigen Gebiet. Bei den Friedensverhandlungen ist es sehr wesentlich, daß wir dort mit klaren, eindeutigen Direktiven erscheinen. Die Cechen besetzen alles, weil wir alles im ungewissen lassen. Ich bekomme Nachrichten aus Deutschböhmen, worin dringend die Schaffung des Gebietsgesetzes gefordert wird. Wie wollen wir eine Wahlordnung machen? Ein Staat und ein Volk, die sich selber achten, müssen den Mut haben, zu sagen: Das ist mein Gebiet, und auf diese Teile verzichte ich. Wir müssen unbedingt den Kompensationsstandpunkt in dieser Hinsicht einnehmen. Das Königreich Böhmen besteht nach unserem eigenen Gesetz eigentlich noch im alten Umfange. Das müssen wir doch durch einen konstitutiven Akt aufheben. Wir müssen das Wesentliche mit aller Kraft festhalten und das Unwesentliche abstoßen. Sonst können wir nicht weiter administrieren. Genau so ist es mit der Staatsbürgerschaft. Man kann es schlecht machen, aber es muß fertiggestellt werden. Dr. E l l e n b o g e n: Die Unerläßlichkeit eines solchen Gesetzes beweist die Tatsache, daß wir in den nächsten Tagen ein Wahlgesetz machen werden, durch das die Wahlkreise werden abgegrenzt werden müssen.64 Was wir im Gebietsgesetze verweigern, werden wir im Wahlgesetze machen müssen. Die Widerstände gegen das Gebietsgesetz rühren davon her, daß die meisten Kollegen sich noch in den aus dem alten Parlament herübergenommenen Gedankengängen des Nationalitätenstreites befinden. Der zweite Grund ist die Furcht vor Demagogie. Die Seifenfabrik Schicht in Aussig hat den Cechen erklärt, daß sie lieber ihre Fabrik in die Luft sprenge, als sich dem Diktat der Cechen zu fügen. Ob sämtliche Fabrikanten in Deutschböhmen so denken, ist allerdings fraglich.65 Der Antrag, den Bericht Fürer zu vervielfältigen und ihn den einzelnen Staatsräten zuzumitteln, wird angenommen. Der Antrag B o d i r s k y, die Präsidenten zu ersuchen, das Gebietsgesetz auf die Tagesordnung der Nationalversammlung vom 22. November zu setzen, wird gleichfalls a n g e n o m m e n .66 Dr. U r b a n stellt folgenden Antrag67: „Der deutschösterreichische Staat erklärt von den Forderungen, welche die Industrie und das Gewerbe auf dem Gebiete des deutschösterreichischen Staates gegenüber dem früheren Kriegsministerium geltend machen, einen entsprechenden aliquoten Teil der Gesamtschuldigkeit zu übernehmen.68 Kuriatvotum (Kuriatstimme): Gesamtstimme von mehreren Stimmberechtigten eines Kollegiums. Vgl. SRP Nr. 53/2 vom 3. Dezember 1918. 65 Die Seifenfabrik Schicht wurde von Johann Schicht ursprünglich in Ringelshain gegründet und 1873 nach Aussig verlegt. Sie war vor allem für die Herstellung der „Hirsch-Seife“ bekannt. Vgl. Matthias Gerschwitz, Der große Aussiger. Eine Annäherung an Johann Schicht und sein Lebenswerk, Berlin 2011. 66 Das Staatsgebietsgesetz war bereits in der 3. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 12. November 1918 eingebracht und dem Verfassungsausschuß zugewiesen worden. Der Bericht des Verfassungsausschusses hatte aber Kritik hervorgerufen, sodaß es zu einer erneuten Zuweisung der Gesetzesvorlage an den Verfassungsausschuß gekommen war. Vgl. SRP Nr. 27 vom 9. November 1918, Nr. 30 vom 11. November 1918, Nr. 35 vom 16. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 42/2 vom 22. November 1918, Nr. 43 vom 23. November 1918, Nr. 44/3 vom 25. November 1918 und Nr. 51/9 vom 30. November 1918. 67 Beilage 41/XIV: Antrag Urban (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XIV. 68 Vgl. dazu den Antrag des Staatsrates Licht in der 28. Sitzung des Staatsrates vom 9. November 1918. 63 64
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Das Staatsamt für Finanzen wird ermächtigt, auf diese Forderungen unverzüglich Vorschüsse zu geben. Über die Höhe dieser auszuzahlenden Vorschüsse wird eine aus Vertretern der Staatsämter für die Finanzen, für die Übergangswirtschaft, für soziale Fürsorge, für öffentliche Arbeiten und für das Heerwesen zusammengesetzte Kommission entscheiden.69 Die endgiltige Regelung der Verbindlichkeiten bleibt den Verhandlungen mit den übrigen Nationalstaaten vorbehalten.“ A n g e n o m m e n.70 Nächste Sitzung Freitag71 den 22. 10 Uhr Vormittag. Schluß der Sitzung 1 Uhr Nachmittag.
Die Kommission setzte sich aus einem höheren Beamten des Staatsamtes für Justiz als Vorsitzendem sowie aus je einem Vertreter der Staatsämter für Finanzen, für Heerwesen, für Kriegs- und Übergangswirtschaft und für öffentliche Arbeiten zusammen. Weiters nahmen an den Sitzungen ein Vertreter des liquidierenden Kriegsministeriums und als ständiges beratendes Organ ein Vertreter der niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer teil. Vgl. dazu AdR, StAH, Präsidium, Zl. 264/1919, Zusammensetzung und Wirkungskreis der Vergleichskommission für laufende Heereslieferungsverträge sowie Zl. 507/1919, Stellungnahme des Staatsamtes der Finanzen zu den Anträgen der Vergleichskommission. Vgl. zur Einsetzung der Kommission auch KRP Nr. 27/5 vom 3. Januar 1919 und Volkswirtschaftliche Chronik, Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1919, Heft 1, Jänner 1919, S. 11 f. „Vergleichskommission für laufende Heereslieferungsverträge“. 70 Als Beispiel für eine Zahlungsforderung auf Grundlage dieses Beschlusses vgl. das Schreiben der Kriegs- Getreideverkehrsanstalt an das Staatsamt für Finanzen in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.655/1918. Vgl. dazu auch eine diesbezügliche Anfrage der Waffenfabrik in Steyr in KRP Nr. 23/7 vom 14. Dezember 1918. Vgl. weiters SRP Nr. 50 vom 29. November 1918 und Nr. 71 vom 3. Februar 1919. 71 An dieser Stelle wurde im Original Samstag gestrichen und durch Freitag ersetzt. 69
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41 – 1918-11-21 Beschlüsse der 41. Sitzung des Staatsrates am 21. November 1918. (von 10 Uhr vormittags bis ¼ 2 Uhr nachmittags.) Vorsitzender Präsident Dr. Franz D i n g h o f e r .
I. Antragsteller: Staatsrat Jodok F i n k . Antrag: „Der Staatssekretär der Finanzen wird beauftragt, im Einvernehmen mit dem Staatssekretär für Heerwesen die schärfsten Maßnahmen zu ergreifen, um die Verschleppung von Gold, Banknoten und Kostbarkeiten, dann von Wertpapieren in die Schweiz hintanzuhalten. Zu diesem Zwecke ist seitens der Grenz-Zollämter mit der eindringlichsten Untersuchung des Reisegepäcks und der Beförderungsmittel, dann mit Leibesuntersuchungen ohne Ansehen der Person einschließlich durchreisender Militärpersonen vorzugehen. Zur Unterstützung der Grenzzollämter bei der Durchführung dieser Maßnahme hat der Staatssekretär für Heerwesen in dem für erforderlich erachteten Umfang Offiziere und Mannschaftspersonen beizustellen, die nach Anleitung durch die Grenzzollämter bei der Durchsuchung Beistand zu leisten haben. Hiebei ist im Benehmen mit der Landesregierung und dem Leiter der Vorarlberger’schen Volkswehr Oberst S t e u r e r in Bregenz vorzugehen. Der Staatssekretär wird angewiesen, zu verordnen, daß Geldbriefe offen aufgegeben werden müssen.“ Beschluß: Wird angenommen. An die Herren Staatssekretäre für Finanzen, für Heerwesen und für Gewerbe, Industrie und Handel. II. Antragsteller: Staatssekretär der Finanzen Dr. Otto S t e i n w e n d e r. Beschluß: Der Entwurf einer Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen, betreffend die Ausgabe von Geld-Ersatzzeichen, wird genehmigt. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen. III. Antragsteller: Staatssekretär der Finanzen Dr. Otto S t e i n w e n d e r. Beschluß: Der Entwurf eines Erlasses des Staatssekretärs der Finanzen über die staatliche Gebarung Deutschösterreichs vom 1. November bis 31. Dezember 1918 wird mit dem Beifügen zur Kenntnis genommen, daß zur Hinausgabe derartiger Erlässe des Staatssekretärs der Finanzen die Provozierung eines Beschlusses seitens des Staatsrates nicht erforderlich erscheint. An den Herrn Staatssekretär für Finanzen. IV. Antragsteller: Präsident Karl S e i t z. Antrag: Im Zuge der Verhandlungen über eine seitens des Herrn Staatssekretärs für Volksernährung Sektionschef Dr. L o e w e n f e l d - R u ß gemachte Vorstellung gegen den in der 36. Sitzung des Staatsrates vom 18. November 1918
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sub III gefaßten Beschluß, betreffend Entsendung von Einkäufern in die westungarischen Gebiete, stellt Präsident Karl S e i t z nachstehenden Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen, den Herrn Staatskanzler zu beauftragen, unter den beteiligten Staatsämtern ein Einvernehmen in der vorliegenden Frage herzustellen und wenn nötig dem Staatsrat den Entwurf eines endgiltigen Beschlusses vorzulegen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler. V. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Beschluß: Der Staatsrat ermächtigt den Staatssekretär für soziale Fürsorge, einen Gesetzesentwurf, wonach in allen fabriksmäßigen Betrieben vom ersten Dezember 1918 an bis vorläufig zum Friedensschlusse die achtstündige Arbeitszeit eingeführt werden soll, schon morgen der Nationalversammlung vorzulegen. An den Herrn Staatssekretär für soziale Fürsorge. VI. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung hat den Verkauf der Holzlager in Altmannsdorf bei Wien und Wörth bei St. Pölten an den Ungarn Ritter von K ö r n e r (verkauft an die Firma „Ungarische Forstindustrie“) angeordnet und soll bereits morgen die Übergabe erfolgen. Die Holzlager repräsentieren große Werte und sind für die Wiener und deutschösterreichischen holzverarbeitenden Gewerbe von größter Bedeutung. Die sofortige Sistierung des Verkaufes an K ö r n e r (durchgeführt durch Regierungsrat S t e r n und Hauptmann F a l t e r der ehemaligen Holzgruppe des Kriegsministeriums) ist durchzuführen. Ferner hat die Bekanntgabe der Bedingungen, unter denen diese Holzlager verkauft werden, sofort zu erfolgen, damit sich die Interessenten bewerben können. Zur Durchführung der Verkäufe sind Fachleute, zum Beispiel Oberst T e n s c h e r t von der Holzgruppe des ehemaligen Kriegsministeriums und andere zu berufen.“ Beschluß: Wird an das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft Sektionschef R i e d l überwiesen. An das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft, Sektionschef R i e d l . VII. Antragsteller: Unterstaatssekretär für Heerwesen Dr. Erwin W a i s s . Beschluß: Der über die Vorfälle beim Parlamente und bei der „Neuen Freien Presse“ am 12. November 1918 erstattete Bericht wird mit dem Beifügen zur Kenntnis genommen, daß von einer Publikation desselben abgesehen wird. An das Staatsamt für Heerwesen. VIII. Antragsteller: Unterstaatssekretär für Heerwesen Dr. Erwin W a i s s . Antrag: Der erwähnte Unterstaatssekretär erstattet bezüglich der Umgestaltung der militärischen Erziehungs- und Bildungsanstalten in zivile Anstalten einen bezüglichen Bericht und erbittet sich die Ermächtigung, nachstehendes Communiqué in die Tagespresse einschalten zu dürfen:
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„Wie wir von zuständiger Stelle erfahren, finden gegenwärtig Verhandlungen zwischen den Staatsämtern für Heerwesen und für Unterricht darüber statt, in welcher Weise den Militärakademikern und Zöglingen der Militärerziehungsund Bildungsanstalten die Fortsetzung ihrer Studien nach dem Lehrplane der zivilen Realschulen sowie die Erlangung eines Realschul-Reifezeugnisses ermöglicht werden kann. Die hiezu bezüglichen Weisungen werden in allernächster Zeit verlautbart werden. Der weitere Unterricht dieser Zöglinge wird durch Mittelschullehrer erteilt werden, doch bleiben die bei den Mittelschulen bisher bestandenen Erziehungsanstalten noch weiterhin als Internate aufrecht. Die Militärakademien und Kadettenschulen werden mit Ende des laufenden Schuljahres aufgelassen. Eine Ausmusterung sowie Neuaufnahme in diese Anstalten findet nicht mehr statt. Die Militär-Unter- und Oberrealschulen bleiben bestehen und werden in Realschulen mit Zivillehrplan und Zivillehrkräften umgewandelt.“ Beschluß: Der Staatsrat beschließt gegen die inoffizielle Veröffentlichung vorstehenden Communiqués keine Einwendung zu erheben, doch hätte der letzte Absatz des Communiqués folgendermaßen zu lauten: „Die Militär-Unter- und Oberrealschulen bleiben vorläufig bis zur endgiltigen Regelung bestehen.“ Die Fortsetzung des Satzes „und werden in Realschulen mit Zivillehrplan und Zivillehrkräften umgewandelt“ wird gestrichen. An das Staatsamt für Heerwesen und für Unterricht. IX. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Beschluß: Der Staatsrat ernennt den bisherigen Unterstaatssekretär des Äußern Dr. Otto B a u e r zum Staatssekretär dieses Amtes, sowie den Sektionschef Dr. Leopold von G r i m m72 zum Unterstaatssekretär im Staatsamte für Finanzen, den Dr. Josef R e s c h zum Unterstaatssekretär im Staatsamte für soziale Fürsorge und den Obersten Norbert W a l l e n s d o r f e r zum Unterstaatssekretär im Staatsamte für Volksernährung. An das Staatsamt des Äußern, an das Staatsamt für Finanzen, an das Staatsamt für soziale Fürsorge und an das Staatsamt für Volksernährung. X. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Der Staatskanzler bringt dem Staatsrate eine vom d.ö. Staatsamt für Kriegsund Übergangswirtschaft unter 5. November 1918, Z.761/IV ex 1918, ihm zugemittelte Mitteilung, betreffend den Austausch von Rotationspapier gegen Lebensmittel aus Ungarn, Galizien, dem tschechoslovakischen und südslavischen Staate zur Kenntnis. Diese Mitteilung lautet: „Die außerordentliche Lebensmittelknappheit in Deutschösterreich einerseits und die Situation, in der sich Ungarn, Galizien, der tschechoslovakische und südslavische Staat hinsichtlich der Versorgung ihrer Zeitungen mit Richtig: Dr. Ferdinand von Grimm, vgl. dazu auch Anm. 50 und 51 der vorliegenden Sitzung.
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Rotationspapier befinden, andererseits, erheischen es dringend, daß Abgaben von Rotationspapier an diese Staaten dermalen nur unter der Voraussetzung erfolgen, daß mit solchen Abgaben Kompensationsgeschäfte in Lebensmitteln verbunden werden. Dies ist auch unter dem Gesichtspunkte notwendig, daß Deutschösterreich selbst zufolge der eingetretenen außerordentlichen Verkehrshemmnisse sich bereits im Zustande bedrohlichen Mangels an Rotationspapier für seine eigenen Zeitungsunternehmungen befindet. Diese Kompensationsverhandlungen bezüglich der Einfuhr von Lebensmittel gegen eventuelle Abgabe von Zeitungsdruckpapier an die anderen Nationalstaaten müssen selbstverständlich in einer Hand vereinigt werden. Der Kompensationswert des Rotationspapiers für die anderen Staaten ist im Hinblicke auf ihre eigene Situation ein so außerordentlicher, daß man jeden einzelnen Waggon Rotationspapieres mindestens eine Menge von 30 bis 40 Waggon Lebensmittel entgegenstellen müßte. Nach eingelangten Mitteilungen hat sich der steirische Wohlfahrtsausschuß direkt mit Ungarn in Verbindung gesetzt, um für eine Lieferung von 20 Waggon Rotationspapieres an die ungarische Zeitungsindustrie Lebensmittel einzutauschen. Durch eine solche separate Verhandlung wird natürlich die ganze Kompensationspolitik, die von der deutschösterreichischen Regierung verfolgt wird, über den Haufen geworfen, ganz abgesehen davon, daß eine Abgabe der Produktion von Rotationspapier eines einzelnen Gebietsteiles Deutschösterreichs die ganze Papierbewirtschaftung stört und zunichte macht. Im Hinblicke auf die obigen Darlegungen erscheint es dringendst erforderlich, sofortige Abhilfe gegen derartige Sonderverhandlungen zu schaffen und es wäre diese Angelegenheit dem Staatsrate mit dem dringendsten Ersuchen vorzulegen, sofort, womöglich im telegraphischen Wege den steirischen Wohlfahrtsausschuß anzuweisen, jede weitere Verhandlung mit außerhalb der Staatsgrenzen befindlichen Faktoren wegen Abgabe von Rotations- und sonstigen Papieren zu sistieren.“ Der Herr Staatskanzler bringt zur Kenntnis, daß bei der am Samstag den 23./ XI. 1918 10 Uhr vorm. stattfindenden Verhandlung mit dem Landeshauptleuten und Staatssekretären auch diese Angelegenheit u. zw. im Sinne einer Abstellung des besprochenen Vorganges verhandelt werden wird und bittet um diese Zeit keine Sitzung des Staatsrates abhalten zu wollen. Beschluß: Wird zugestimmt und die Angelegenheit dem Herrn Staatskanzler sowie den Staatssekretären für Kriegs- und Übergangswirtschaft und für Gewerbe, Industrie und Handel zwecks Berichterstattung überwiesen. An den Herrn Staatskanzler und an die Staatsämter für Kriegs- und Übergangswirtschaft und für Gewerbe, Industrie und Handel. XI. Antragsteller: Staatsrat Karl Hermann W o l f. Antrag: „Das Staatsamt für Handel und Gewerbe wird beauftragt, dem Staatsrate unverzüglich Vorschläge zu unterbreiten, welche geeignet sind, die raffgierige Profitwut der Rotationspapierindustriellen einzuschränken und die unerträglichen Zustände der Papierbelieferung der Presse abzustellen, wenn nötig, durch die Übernahme der Papiererzeugung seitens des Staates.“ Beschluß: Wird angenommen. An das Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel.
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XII. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Der Staatskanzler bringt dem Staatsrate einen Bericht des Landesverwesers in Troppau vom 19. November 1918 über die Organisierung der Verwaltung des Sudetenlandes zur Kenntnis. Beschluß: Wird mit dem Auftrage zur Kenntnis genommen, daß jeder der Herrn Staatssekretäre mit einer Abschrift dieses Berichtes zu beteilen wäre und daß dieselben die hieraus erforderlichen Verfügungen sofort zu treffen hätten. An den Herrn Staatskanzler. XIII. Antragsteller: Staatsrat Dr. Gustav B o d i r s k y. Antrag: „Die Präsidenten werden dringendst ersucht, das Staatsgebietsgesetz auf die Tagesordnung der Nationalversammlung vom 22. November 1918 zu setzen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Präsidenten Karl S e i t z (direkt zugestellt). XIV. Antragsteller: Staatssekretär Dr. Karl U r b a n. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Der deutschösterreichische Staat erklärt von den Forderungen, welche die Industrie und das Gewerbe auf dem Gebiete des deutschösterreichischen Staates gegenüber dem früheren Kriegsministerium geltend machen, einen entsprechenden aliquoten Teil der Gesamtschuldigkeit zu übernehmen. Das Staatsamt für Finanzen wird ermächtigt, auf die Forderungen unverzüglich Vorschüsse zu geben. Über die Höhe dieser auszuzahlenden Vorschüsse wird eine aus Vertretern der Staatsämter für die Finanzen, für die Übergangswirtschaft, für soziale Fürsorge, für öffentliche Arbeiten und das Heerwesen zusammengesetzte Kommission entscheiden. Die endgiltige Regelung der Verbindlichkeiten bleibt den Verhandlungen mit den übrigen Nationalstaaten vorbehalten.“ Beschluß: Wird angenommen. An die Staatsämter für Gewerbe, Industrie und Handel, der Finanzen, für Kriegs- und Übergangswirtschaft, für soziale Fürsorge, für öffentliche Arbeiten und für das Heerwesen. Schluß der Sitzung um ¼ 2 Uhr nachm. Nächste Sitzung morgen den 22. November 1918 um 10 Uhr Vormittag.
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42. [Freitag] 1918-11-22 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Baechlé, Bodirsky, Domes, Fink, Gruber, Iro, Keschmann, Kroy, Miklas, Neunteufel, Ofner, Pantz, Schoepfer, Schoiswohl, Seitz, Teufel, Urban, Waldner, Wolf unbekannt 10.15–11.50 Uhr2
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung Tagesordnung:3 1. Einlauf: Vortragender 2. Mitteilungen des Kanzlers: a) über das Verhältnis zu Ungarn; b) über die Ausgaben der Heeresverwaltung; c) über politisch wichtige Äußerungen der Staatssekretäre. 3. Staatssekretär Dr. U r b a n , betreffend Volksbekleidungsstelle. 4. Vortrag des Staatsamtes des Innern (Unterstaatssekretär Glöckel), Bericht über den Gendarmeriegesetzentwurf.4 5. Staatsrat Dr. E l l e n b o g e n über Erbsteuer. [kein Inhalt] 6.–8.5 9. Allfälliges, Initiativanträge, etz. a) Antrag des Staatsrates T e u f e l, Errichtung zollämtlicher Kontrollen in Znaim; b) Antrag des Staatsrates T e u f e l, wonach Grund- und Realitätenverkäufe an die Zustimmung des Staatsrates gebunden werden sollen; c) Antrag des Staatsrates T e u f e l, Verschleppung von Gold, etz. nach tschechoslovakischen Staaten. Beilagen: 42/I 42/II
42/III
Schreiben des Hans Graf Wilczek vom 21. November 1918 an den Staatsrat Deutsch-Österreichs, betreffend Amentierung des auf die Burg Kreuzenstein bezugnehmenden Beschlusses vom 19. November (2 Seiten). Antrag Teufel, betreffend Demobilisierung (1 Seite, handschriftlich); Antrag Teufel, betreffend Entsendung von Delegationen zur Durchführung der Sachdemobilisierung (1 Seite, handschriftlich); Antrag, betreffend Unterbreitung der Pläne zur Sachdemobilisierung (1 Seite, handschriftlich). Antrag betreffend Gründung einer Hauptstelle für Volksbekleidung (1 Seite).
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Wilhelm Ellenbogen, Ferdinand Hanusch, Dr. Johann Nepomuk Hauser, Dr. Karl. Renner, Richard Riedl, Dr. Otto Steinwender und Dr. Julius Sylvester deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Im Beschlußprotokoll werden der Beginn der Sitzung mit 10.00 und der Schluß mit 12.00 Uhr angegeben. 3 Die Einteilung der Tagesordnung entspricht nicht dem Protokollverlauf. 4 Der Tagesordnungspunkt scheint im Protokoll nicht auf. Das Gendarmeriegesetz wurde in der 43. Sitzung des Staatsrates vom 23. November 1918 behandelt. 5 Die Punkte 6–8 scheinen zwar in der Tagesordnung auf, enthalten aber keine Betreffe. 1
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162 42/IV 42/V 42/VII 42/VIII 42/IX 42/X 42/XIII 42/XIV 42/XV 42/XVI 42/XVII
42 – 1918-11-22 Staatsamt für Äußeres, Präs-St.A.Z. 736: Beschluß des Staatsrates, betreffend die Angliederung der westungarischen Komitate an Deutschösterreich (2 Seiten). Antrag Miklas, betreffend Abbruch der Debatte und Behandlung der Äußerungen Steinwenders als Vorlage (½ Seite, handschriftlich). Gesetz vom … über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen (2 Seiten). Antrag Sylvester, betreffend Anlehen der Salzburger Landesregierung (1 Seite, handschriftlich). Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 29. Sitzung des Staatsrates vom 16. November 1918, XI. (1 Seite). Staatsrat, 31. Sitzung, Beschluß IV (1 Seite). Antrag Staatsrat Iro, betreffend Soldatenräte (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Errichtung der zollämtlichen Kontrollstelle auf der Nordwestbahnstrecke (1 Seite, handschriftlich). Antrag Licht-Ofner, betreffend Staatsbürgerschaftsrechte (½ Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Ausdehnung des Beschlusses über die Verhinderung der Verschleppung von Gold, Banknoten, Kostbarkeiten und Wertpapieren nach der Schweiz (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel und Luksch, betreffend Grund- und Realitätenverkäufe (1 Seite, handschriftlich).6
Präs. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 15 Minuten. [1] Nach Verlesung des Einlaufs unterbreitet S y l v e s t e r eine Zuschrift des Grafen Wilczek7, worin die Zur-Verfügung-Stellung der Burg Kreuzenstein nicht als formale Schenkung, sondern als Widmung bezeichnet wird.8 Er beantragt: Der Staatsrat wolle beschließen, den Beschluß bezüglich der Burg Kreuzenstein vom 19. November9 einer Amendierung10 in der Richtung zu unterziehen, daß die Burg Kreuzenstein bis auf weiteres unter den Schutz des Staatsrates gestellt werde. Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n. [3] Es wird zunächst Punkt 3 der Tagesordnung in Verhandlung gezogen.
Weiters liegt dem Protokoll bei: Gesetz vom … über die Gebühren von unentgeltlichen Vermögensübertragungen (36 Seiten, gedruckt); Tarif nach welchem die Erbgebühr, die Schenkungsgebühr und die Nachlaßgebühr zu erheben sind (4 Seiten, gedruckt). 7 Johann Nepomuk Graf Wilczek, Polarforscher, Kunstmäzen und -sammler, seit 1875 Präsident der Österreichischen Geographischen Gesellschaft, 1874 Erwerbung der im 30jährigen Krieg zerstörten Burg Kreuzenstein, danach Restauration zum Zweck der Unterbringung seiner umfangreichen historischen Kunstsammlung. 8 Beilage 42/I: Schreiben des Grafen Wilczek (2 Seiten). Der Inhalt stimmt beinahe zur Gänze mit dem des Protokolltextes überein. Eine Zusammenfassung des Schreibens sowie Sylvesters Antrag finden sich im Beschlußprotokoll unter Punkt I. 9 Die Datumsangabe ist nicht korrekt und beruht auf einer falschen Angabe im Schreiben des Grafen Wilczek. Im Punkt I des Beschlußprotokolls wird das richtige Datum wiedergegeben. Die Widmung der Burg Kreuzenstein war am 20. November 1918 beschlossen worden. Vgl. dazu SRP Nr. 39 vom 20. November 1918. 10 Amendieren: Stellen eines Abänderungs- oder Zusatzantrages. 6
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U r b a n stellt bezüglich der Volksbekleidungsstelle mit Rücksicht auf die Notwendigkeit der Umformung der Hauptstelle folgenden Antrag11: 1.) „Der Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird beauftragt, eine Hauptstelle für Volksbekleidung mit möglichster Beschleunigung zu errichten und die hiezu notwendigen Vollzugsanweisungen zu erlassen.“ 2.) „Bis zur Errichtung dieser Hauptstelle kann der Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft die Volksbekleidungsstelle für Niederösterreich provisorisch mit der Durchführung ihrer Aufgaben betrauen.“12 3.) „Zum Vorsitzenden der zu gründenden Hauptstelle wird Nationalrat Kraft13 bestellt. Solange die Volksbekleidungsanstalt für Niederösterreich die Aufgaben der Hauptstelle provisorisch versieht, wird Nationalrat Kraft zum Staatskommissär bei der Volksbekleidungsanstalt für Niederösterreich bestellt. Der Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird ermächtigt, seine Befugnisse festzustellen.“ Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n .14 H a u s e r: Ich bekomme von dem Landeshauptmannstellvertreter in Linz, Gruber,15 fortwährend Telegramme mit der dringenden Forderung, daß in Oberösterreich die Sachdemobilisierung der Landesregierung sofort übertragen werde. Die Baracken werden dort angezündet, alles Gut wird verschleppt. Ich bitte sofort nach Oberösterreich zu telegraphieren, daß die Landesregierung demobilisieren und dann mit der Zentrale verrechnen soll. S y l v e s t e r: Auch im Grödinger16 und Braunauer Lager17 wird alles fortgeschleppt.18 Auch hier wäre eine Übernahme der Demobilisierung durch die Landesregierung zweckmäßig. Beilage 42/III: Antrag Urban (1 Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. 12 Zur provisorischen Betrauung der Volksbekleidungsstelle für Niederösterreich mit den Aufgaben einer Hauptstelle für Volksbekleidung vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. 13 Emil Kraft, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Abgeordneter der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. Zu Kraft vgl. auch SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 14 Zur Errichtung der Hauptstelle für Volksbekleidung vgl. SRP Nr. 44 vom 25. November. 15 Josef Gruber, Bürgerschullehrer in Linz, 1905 bis 1934 Mitglied des Linzer Gemeinderates, 1918 bis 1934 Abgeordneter zum Landtag Oberösterreich, 2. bis 17. November 1918 Mitglied der provisorischen Landesregierung, 18. November 1918 bis 22. Juni 1919 Mitglied des provisorischen Landesausschusses, 18. November 1918 bis 17. Mai 1931 Landeshauptmannstellvertreter von Oberösterreich. 16 Gemeint ist hier das ehemalige Kriegsgefangenenlager in Grödig bei Salzburg. In einer im Staatsamt für Inneres im Rahmen der Errichtung der Abteilung 13 als „Verwertungsstelle für Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge“ erstellten „Übersicht über die bestehenden Flüchtlingslager“ wurde zu Grödig festgehalten: „Mittelgrosses Lager für etwa 10.000 Personen. Auf blos {sic!} gepachtetem Boden errichtet […] Derzeit ist das Lager teilweise der Heeresverwaltung zur Unterbringung von Heimkehrern überlassen.“ Vgl. AdR, BKA/Inneres, 19/gen., StAI, Zl. 1.127/1918, Flüchtlingsfürsorgeeinrichtungen, künftige Verwertung; Errichtung einer Verwertungsstelle; weiters auch Gerda Dohle, Das Kriegsgefangenen- und Flüchtlingslager Grödig 1915–1920. Edition der Chronik des Gendarmerie-Postens Grödig für die Jahre 1914–1920, in: Oskar Dohle/Thomas Mitterecker (Hg.), Salzburg im Ersten Weltkrieg. Fernab der Front – dennoch im Krieg (= Schriftenreihe des Archivs der Erzdiözese Salzburg. 13. Schriftenreihe des Salzburger Landesarchivs Nr. 22), Wien/Köln/Weimar 2014, S. 191–203; Julia Walleczek-Fritz, Kriegsgefangene im Kronland Salzburg im Ersten Weltkrieg, in: ebd., S. 177–190. 17 Gemeint sind hier das ehemalige Kriegsgefangenen- sowie das Flüchtlingslager bei Braunau am Inn. In der „Übersicht über die bestehenden Flüchtlingslager“ wurde Braunau folgendermaßen beschrieben: „Grösseres Lager, ursprünglich für etwa 12.000 Personen gebaut. Derzeit noch grösstenteils von den Flüchtlingen belegt. Spätere Verwendungsmöglichkeit noch ungeklärt.“ Vgl. dazu ebenfalls AdR, BKA/ Inneres, 19/gen., StAI, Zl. 1.127/1918. 18 In der „Neuen Freien Presse“ war bereits am 4. November 1918 ein Artikel erschienen, in dem über den Ausbruch von Kriegsgefangenen aus den genannten Lagern und Plünderungen berichtet wurde. 11
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R i e d l: Ich habe den Auftrag bekommen, die Demobilisierungsgüter für den Staat zu übernehmen.19 Diese Aufgabe ist ungeheuer schwierig aus folgenden Gründen: Ich habe nur drei Leute gehabt und muß Herren aus dem Kriegsministerium, die mit der Materialverwaltung befaßt waren, heranziehen.20 Im Kriegsministerium ist aber keine Evidenz über die Lager und ihre Bestände zu erlangen. Zweitens besteht die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, welche bisher dem Finanzministerium unterstanden hat und auch selbständig vorgeht.21 Drittens muß bei der Sachdemobilisierung auf die Gesandten-Konferenz22 Rücksicht genommen, es muß mit den Kommissionen der einzelnen Nationen darüber verhandelt werden. Wenn wir die Demobilisierungsgüter an uns nehmen und verschleudern, werden sich die anderen Staaten bei der Übernahme der Schulden regressieren23. Es geht nicht an, daß die Demobilisierung in jedem Land nach anderen Grundsätzen durchgeführt wird, es müssen so ziemlich gleichartige Preise festgestellt werden. D i n g h o f e r: Es sind zwei Richtlinien einzuhalten, erstens daß die ganze Sachdemobilisierung in der Hand des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft zu zentralisieren ist, daß aber zweitens dieses Amt beauftragt wird, die Sachdemobilisierung im Einvernehmen mit den Landesregierungen durchzuführen. B o d i r s k y schließt sich den Ausführungen Riedl’s an, daß bei der Sachdemobilisierung auch auf die anderen Nationen Rücksicht genommen werden muß und wünscht die eheste Ernennung eines Gesandten in Prag. R e n n e r erklärt, er werde diesbezüglich sofort mit dem Staatssekretär des Äußern sprechen. Es sei nur schwer, die geeigneten Persönlichkeiten zu finden.24 H a u s e r stellt folgenden Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen, die Sachdemobilisierung in den Ländern, weil Gefahr in Verzug, gegen nachträgliche Verrechnung den Landesregierungen zu übertragen.“25 T e u f e l beantragt: „Alle auf deutschösterreichischem Gebiete befindlichen Materialien jeder Art, welche seinerzeit auf gemeinsame Rechnung angeschafft wurden, sind durch das Staatsamt für Übergangswirtschaft zu demobilisieren. Die Sachdemobilisierung ist im Einvernehmen mit den Landesregierungen durch zuführen.“26
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Vgl. Neue Freie Presse. Nachmittagsblatt, 4. November 1918, S. 4 „Entweichen der Gefangenen aus den Lagern in Braunau und Grödig“. Vgl. SRP Nr. 26 vom 8. November 1918. Zur Verwendung von Personal des ehemaligen Kriegsministeriums im Zusammenhang mit dem Verkauf der Holzlager in Altmannsdorf bei Wien und Wörth bei St. Pölten im Zuge der Sachdemobilisierung vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. Zur Hauptanstalt für Sachdemobilisierung und ihren Aufgaben vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. Zur Gesandtenkonferenz vgl. Anm. 29 der vorliegenden Sitzung. Regressieren: Ersatzanspruch erheben. Diese Aussage Renners steht im Gegensatz zur Wortmeldung Dinghofers, der sich in 40. Sitzung des Staatsrates dahingehend geäußert hatte, daß „[...] die Gesandten schon bestellt [...]“ seien. Zur Bestellung deutschösterreichischer Gesandter für Prag vgl. weiters SRP Nr. 33 vom 14. November 1918, Nr. 40 vom 20. November 1918 und Nr. 46 vom 26. November 1918. Beilage 42/II: Antrag Hauser (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes zur Gänze überein. Der Antrag Hauser wurde mit dem folgenden Antrag Teufel im Beschlußprotokoll zu einem Antrag zusammengefaßt, welcher die in der Debatte geäußerten Vorschläge berücksichtigte. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt II. Beilage 42/II: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes nicht zur Gänze überein. Vor zu demobilisieren wurde so rasch wie möglich eingefügt. Entsprechend dem weiteren Verlauf der Debatte wurde der letzte Satz gestrichen.
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D i n g h o f e r: Der Antrag Hauser ist a n g e n o m m e n. R e n n e r: Von Seiten der Staatssekretäre wird dagegen wegen Nichtdurchführbarkeit Einspruch erhoben. Ich würde empfehlen, den Beschluß, da er gefaßt ist, aufrechtzuerhalten, aber mit dem Zusatz, daß wegen seiner Durchführbarkeit noch das Kabinett gehört wird. U r b a n: Für das Staatsamt des Handels ist nur der Antrag Teufel annehmbar. Durch Annahme des Antrages Hauser wird die Sachdemobilisierung, die von einheitlichen Gesichtspunkten geleitet werden muß, vollständig zerstört. Jede einzelne Provinz würde dann eine selbständige Politik befolgen. D i n g h o f e r: Vielleicht einigen sich alle Herren zunächst auf den Satz des Antrages Teufel: „Alle auf deutschösterreichischem Gebiete befindlichen Materialien jeder Art, welche seinerzeit auf gemeinsame Rechnung angeschafft wurden, sind durch das Staatsamt für Übergangswirtschaft zu demobilisieren.“ Dann wäre darüber abzustimmen, ob als Zusatz der Antrag Hauser oder der zweite Satz des Antrages Teufel angenommen wird. R e n n e r: Es liegt ein verschiedenes Votum der Mehrheit des Staatsrates und der zuständigen Staatssekretäre vor. In einem solchen Falle würde es sich wohl empfehlen, wenn die Staatssekretäre für Kriegs- und Übergangswirtschaft und Handel mit den Herren Antragstellern zu einer kurzen Sitzung zusammentreten und versuchen würden, eine einheitliche Fassung herzustellen, damit dieser Widerspruch beseitigt wird und der Staatsrat zu einem einhelligen Beschluß kommt. Vielleicht läßt sich das Auskunftsmittel treffen, daß das Staatsamt für Übergangswirtschaft sofort einen Bevollmächtigten in die Länder schickt, der die Sachgüter und Beträge zu konsignieren27 hätte, wodurch wenigstens die Evidenz aufrechterhalten würde. H a u s e r: Vielleicht wäre der Vorschlag, den mir eben Staatssekretär Urban gemacht hat, erwägenswert: Man überträgt den Landesregierungen die Demobilisierung; die Landesregierungen ernennen Leute, die sich mit der Zentrale ins Einvernehmen setzen, mit ihr in Verbindung bleiben und die Demobilisierung durchführen. U r b a n: Der Weg wäre möglich, daß die Landesregierungen Persönlichkeiten bestellen, welche beauftragt werden, im Einvernehmen mit der Zentrale die Demobilisierung durchzuführen. F i n k erklärt sich mit der Ernennung von Mittelspersonen einverstanden und weist darauf hin, daß auch jene Länder, in denen keine Sachgüter liegen, einen Anteil erhalten müssen. S e i t z unterstützt diesen Standpunkt. T e u f e l bezeichnet die jetzige Organisation des Amtes für Übergangswirtschaft für nicht richtig und wünscht dessen Sektionierung in drei bis vier Sekretariate, welche nach der Materie gegliedert werden sollen und die die Verbindung mit Industrie, Handel und Landwirtschaft zu sichern hätten. R i e d l erklärt, daß eine derartige Sektionierung von vorneherein geplant war, die ungeheuren Schwierigkeiten bei der Sachdemobilisierung rühren hauptsächlich aus der Verschiedenartigkeit der Kompetenzen her. Er begrüßt ein Zusammengehen mit den Landesregierungen, warnt aber nachdrücklich davor, bei der Frage der Sachdemobilisierung die Gesandten-Konferenz und die anderen Nationalstaaten gänzlich hintanzusetzen. Das würde sich auf dem Gebiete der Beteiligung der anderen Staaten an den Staatsschulden sehr rächen. Dieser von dem Gesandten Tusar28 in der letzten Gesandten-Konferenz29 zum Ausdruck Konsignieren: mitunterzeichnen. Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. 29 Am 14. November 1918 fand die vom Staatsamt für Äußeres einberufene erste Gesandtenkonferenz statt, an der die Vertreter der acht Nachfolgestaaten Deutschösterreich, Tschechoslowakei, Polen, Westukraine, Ungarn, Italien und Rumänien und ab 27. November auch Jugoslawien teilnahmen. Die 27 28
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gebrachte Standpunkt sei von allen Vertretern der Nationalstaaten einhellig aufgenommen worden.30 D i n g h o f e r: Es liegt nunmehr folgender einheitlich zusammengefaßter Antrag vor: „Alle auf deutschösterreichischem Gebiete befindlichen Materialien jeder Art, welche seinerzeit auf gemeinsame Rechnung angeschafft wurden, sind durch das Staatsamt für Übergangswirtschaft so rasch als möglich zu demobilisieren. Das Staatsamt für Übergangswirtschaft hat unverzüglich Delegierte zu den Landesregierungen zu entsenden, die als Bevollmächtigte im Einvernehmen mit den Landesregierungen die Sachdemobilisierung sofort durchzuführen haben. Die Delegierten sind ebenfalls im Einvernehmen mit den Landesregierungen zu ernennen. Das Generalkommissariat für Übergangswirtschaft ist in mehrere Kommissariate nach der Materie aufzulösen.“ R e n n e r spricht sich gegen den letzten Satz des Antrages mit dem Hinweise darauf aus, daß die Regelung der Details dem Staatsamte für Übergangswirtschaft überlassen bleiben müsse. Der Staatsrat könne als politische Körperschaft Verwaltungsagenden im Detail nicht führen. Er stellt an Stelle des letzten Satzes des Antrages Teufel folgenden Zusatzantrag31: „Das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird beauftragt, dem Staatsrat den Plan der Demobilisierung unverzüglich vorzulegen.“ Bei der Abstimmung werden die32 ersten beiden Absätze des einheitlichen Antrages und an Stelle des dritten Absatzes der Zusatzantrag Renner angenommen.33
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Gesandtenkonferenz stand an der Spitze der Komitees die sich mit der internationalen Liquidierung der k.k. bzw. k.u.k. gemeinsamen Aktiva und Passiva befaßten. Sie trat in unregelmäßigen, zuletzt sehr langen Abständen zusammen. Ihre letzte Sitzung fand am 15. Dezember 1919 statt. Als Organ der Gesandtenkonferenz fungierte die „Internationale Liquidierungskommission“. Dieser Liquidierungskommission untergeordnet waren die Bevollmächtigtenkollegien in den einzelnen liquidierenden Ministerien, die sich, entsprechend dem Beschluß der 1. Gesandtenkonferenz vom 14. November 1918, bereits um die Jahreswende 1918/19 in drei Ministerien gebildet hatten. Außerdem setzte die Gesandtenkonferenz in ihrer 2. Sitzung vom 20. November 1918 eine „Finanzkommission“ ein. Auf dieser Ebene wurden die Verwaltungsangelegenheiten, auch in Bezug auf bestehende k.k. Gesetze, kontinuierlich fortgeführt. Diese Kommission nannte man gelegentlich auch „Liquidierungskommission für Finanzen“. Die Protokolle der Gesandtenkonferenzen liegen in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz 1918–1919. Das Protokoll der hier angesprochenen ersten Sitzung findet sich auch in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.783/1918, Protokoll über die am 14. November 1918 im Deutschösterreichischen Staatsamt für Äußeres abgehaltene erste Gesandten-Konferenz. Vgl. dazu auch KRP Nr. 11/1 vom 15. November 1918, in dem die Ergebnisse der Gesandtenkonferenz zur Sprache kamen. Vgl. zur Liquidierungskommission SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918. Vgl. dazu SRP Nr. 51 vom 30. November 1918 und den geheimen Anhang zu SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918. Die Beilage 42/II enthält auch den gleichlautenden handschriftlichen Zusatzantrag. An dieser Stelle wurde im Original der einheitliche Antrag gestrichen. Das Staatsamt für Finanzen beanstandete, daß im Beschluß weder das Staatsamt noch die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung berücksichtigt worden wären. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.423/1918. In einer Mitteilung vom 26. November 1918 sprach sich die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung dafür aus, den vorliegenden Staatsratsbeschluß dahingehend zu ändern, daß die Länder nur die Sicherung und Erfassung der Sachdemobilisierungsgüter, nicht aber den Verkauf übernehmen sollten. Die Hauptanstalt heißt es weiter, hege das grundsätzliche Bedenken, die Sachdemobilisierung drohe zu einer „Industrieförderungsaktion“ zu werden. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.684/1918. Aufgrund des Beschlusses des Staatsrates vom 8. November 1918, welcher die Hauptanstalt dem Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft unter Beistellung eines neugeschaffenen Materialverwertungsamtes, unterstellt hatte, hatte sich eine grundsätzliche Debatte über die Sachdemobilisierung entwickelt. Die hauptsächlichen
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[2] Es wird sodann Punkt 2 der Tagesordnung: „Mitteilungen des Staatskanzlers“ in Verhandlung gezogen. H a n u s c h legt einen Gesetzentwurf 34 über Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen vor. R e n n e r berichtet über die Verhandlungen mit Ungarn und erklärt: Der Staatssekretär des Äußern hat mit dem ungarischen Gesandten und der ungarischen Regierung eine Formulierung vereinbart, die nach Budapest telegraphiert, von dem ungarischen Staatsamte des Äußern und vom Exekutivkomitee des Nationalrates genehmigt wurde. Wir haben somit Aussicht, den Frieden mit Ungarn aufrechtzuerhalten und aus Ungarn Lebensmittel zu bekommen. Er unterbreitet dem Staatsrat die diesbezügliche Entschließung35 und fügt hinzu: Der Kabinettsrat hat beschlossen, den Wortlaut zu akzeptieren und zu veröffentlichen.36 Außerdem soll der Staatsrat durch das Staatsamt des Äußern eine Zuschrift an die ungarische Regierung richten, worin der Staatsrat diesen Beschluß der ungarischen Regierung zur Kenntnis bringt und den Wunsch beifügt, die ungarische Regierung möge die westungarischen deutschen Diskussionspunkte waren vor allem die Befürchtung, die Hauptanstalt könne durch die Unterstellung unter das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft seine Unabhängigkeit verlieren. Darüber hinaus ging es aber auch um die unklare Kompetenzverteilung zwischen Materialverwertungsamt und Hauptanstalt, die, so die hauptsächliche Kritik, zu einer Verzögerung der Sachdemobilisierung geführt habe, welche in der Öffentlichkeit der Hauptanstalt angelastet werde. Zudem sei dadurch die finanzielle Überwachung der Demobilisierung wesentlich erschwert. Als Reformmaßnahme wurde die Unterstellung der Hauptanstalt unter das Materialverwertungsamt vorgeschlagen. Weiters beantragte das Staatsamt für Finanzen die Einsetzung eines Komitees, welches „alle Fragen der Preisbildung und Preisfestsetzung sowie alle grösseren Verträge“ zu genehmigen hätte. Vgl. hierzu das Protokoll einer im Staatsamt für Finanzen im Zuge der Ausarbeitung der Statuten der Hauptanstalt abgehaltenen „Besprechung über Sachdemobilisierung“ vom 30. November 1918 in FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.760/1918. Letztlich wurde die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung als unabhängige Firma errichtet, deren staatliche Kontrolle durch Weisungs- und Personalbestellungsrechte des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Finanzen garantiert werden sollte. Es kam somit zu keiner Unterstellung der Hauptanstalt unter die Materialverwertungsstelle. Die Forderung nach einem Kontrollkomitee fand durch die Einrichtung eines Preisprüfungsausschusses Eingang in die per Vollzugsanweisung erlassenen Statuten. Zur Errichtung und zu den Statuten der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918 und SRP Nr. 57 vom 11. Dezember 1918. 34 Der hier erwähnte Entwurf wurde im vorliegenden Protokoll an späterer Stelle behandelt. 35 Beilage 42/IV: StAA, Präsidium, Zl. 736, Staatsratsbeschluß (2 Seiten). Die Beilage enthält einige handschriftliche Korrekturen, welche in die im Beschlußprotokoll wiedergegebene Variante eingearbeitet wurden. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. Darunter findet sich folgende gestrichene Passage: „Ganz ebenso wie dem tschecho-slovakischen und dem südslavischen Staat gegenüber steht der Staatsrat auch Ungarn gegenüber auf dem Standpunkt, dass strittige Grenzfragen durch Volksabstimmung unter neutraler Kontrolle entschieden werden sollen“. Weiters wurde die Formulierung „er nimmt für ihre Bevölkerung nur das Recht in Anspruch“ auf „erhebt aber Anspruch darauf, auf der Friedenskonferenz für das Recht der Bevölkerung dieser Gebiete […] einzutreten“, geändert. Darüber hinaus enthält die Beilage noch folgende stenographische Notiz: Der Staatsrat spricht noch die Erwartung aus, daß die ungarische Regierung die deutsche Bevölkerung Westungarns nicht durch militärische Besetzung oder Einquartierungen und in der freien Willensbildung und Entschlußfassung bis zum Friedenskongreß beeinträchtige. 36 Vgl. dazu KRP Nr. 14/14 vom 21. November 1918. Veröffentlicht wurde die deutschösterreichische Antwort an Ungarn u. a. in der „Neuen Freien Presse“. Vgl. Neue Freie Presse. Abendblatt, 22. November 1918, S. 2 „Deutschösterreich und die ungarischen Komitate. Erwiderung des Staatsrates auf Vorstellungen der ungarischen Regierung“.
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Gebiete mit Einquartierung und militärischer Bedrückung verschonen. Die Formulierung des letzteren Wunsches werde der Staatskanzler im Einvernehmen mit dem Staatssekretär des Äußern vornehmen. Der Antrag Renner wird a n g e n o m m e n.37 S t e i n w e n d e r: Vor acht Tagen wurde ein von mir eingebrachter Antrag, es sei die Landesfinanzverwaltung von der politischen Verwaltung zu trennen, der legislativen Abteilung zugewiesen.38 Ohne daß das Staatsamt für Finanzen davon verständigt wurde, wurde nun am 20. November d. J. ein Gesetz publiziert, in welchem es heißt: „Jene Amtsgeschäfte des Landeschefs, die zum Wirkungskreis des Finanzministeriums gehören, werden durch einen vom Landesrat mit Genehmigung des Staatsrates eigens hiezu berufenen Stellvertreter des Landeshauptmannes versehen.“39 Es ist also das Gegenteil dessen, was beantragt wurde, geschehen. R e n n e r: Die Sache ist gegenstandslos. Der Antrag, die Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung zu trennen, ist dem Inhalte nach von der Staatskanzlei vollkommen akzeptiert und es wird dem Wunsche des Staatssekretärs Rechnung getragen werden. Der Staatsrat wird sich in kürzester Zeit mit der Frage der Trennung der Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung befassen.40 S e i t z: Es ist ausdrücklich gesagt worden, daß der Landeshauptmann-Stellvertreter speziell gewählt und ein Fachmann sein muß, den wir hier im Einvernehmen mit der Landesregierung bestellen. Wir haben daher die Möglichkeit, sachkundige Personen zu bestellen. Ich ersuche den Herrn Staatskanzler, bei der morgen stattfindenden Besprechung mit den Landesregierungen den Landeshauptleuten das mitzuteilen, damit sie diesbezüglich nicht eine irrtümliche Auffassung hegen.41 R e n n e r: Bisher war in jedem Land der Statthalter mit dem Vorsitz der Finanz-LandesDirektion betraut. Da nun der Finanz-Landes-Direktor weggefallen ist, mußte ein Ersatz geschaffen werden. Nun wird von der Finanz-Landes-Verwaltung das Bedenken geäußert, daß die Finanz-Landes-Direktion politisch beeinflußt werden könnte. Der Kabinettsrat hat beschlossen, daß dieses Gesetz gemacht, daß aber die Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung getrennt wird;42 die Vorlage muß daher umstilisiert werden und an das legislative Departement gelangen. Die Staatskanzlei leitete den Beschluß des Staatsrates am 25. November an den Staatssekretär für Äußeres weiter. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Ungarn 9/1, Zl. 836/1918. 38 Vgl. SRP Nr. 34. vom 16. November 1918 vormittags. Zum zugrundeliegenden Gesetz, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern, vgl. SRP Nr. 29 vom 11. November. 39 Steinwender bezieht sich hier auf den dritten Absatz des § 4 des StGBl. Nr. 24, Gesetz vom 14. November 1918, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern, ausgegeben am 20. November 1918. 40 Vgl. dazu SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 41 Vgl. dazu die Diskussion über den § 4 des Gesetzes über die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern (StGBl. Nr. 24/1918) in der 15. Sitzung des Kabinettsrates vom 23. November 1918, an der auch Vertreter der Landesregierungen teilnahmen. Im Zuge der Debatte gelangte man zu einer Auslegung bzw. Erläuterung des betreffenden Paragraphen in vier Punkten, worin u. a. festgehalten wurde, daß „es sich im vorliegenden Fall einzig und allein darum“ handele, „diejenige Funktion, die bisher der Landeschef als Präsident der Finanzlandesdirektion ausgeübt hat, auf ein Mitglied der Landesregierung zu übertragen, und zwar wurde zur Entlastung des Landeshauptmannes nicht dieser selbst, sondern einer seiner Stellvertreter berufen; [...] wegen der besonderen Wichtigkeit dieses Dienstes für den Gesamtstaat wurde die Genehmigung des Staatsrates für diese Bestellung vorgesehen“. 42 Vgl. dazu ebenfalls die Diskussion des § 4 (StGBl. Nr. 24/1918) in KRP Nr. 15 vom 23. November 1918. Einer der bereits erwähnten Auslegungspunkte lautete: „diese Einrichtung ist als Provisorium anzusehen; sie wird noch in dieser Legislaturperiode durch ein Gesetz aufgehoben werden, das die vollste Trennung der politischen und Finanzverwaltung beinhalten wird.“ 37
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S t e i n w e n d e r: Dieser Antrag des Finanzamtes war schon vor einiger Zeit eingebracht, wurde aber nicht erledigt. Die Umstilisierung wird jedenfalls das Finanzamt besser verstehen, als die legislative Abteilung. Die gegenwärtige Ingerenz43 der Statthalterei auf die Finanz-Direktion war schädlich und ist daher zu beseitigen, aber nicht durch eine andere zu ersetzen, die zwar weniger schädlich, aber auch nicht sachgemäß ist. M i k l a s: Ich beantrage44: „Die Staatskanzlei und der Staatssekretär für Finanzen haben sich ins Einvernehmen zu setzen, eine Remedur45 auszuarbeiten und ihre Anträge ehestens der Finanzkommission zuzuweisen.“ R e n n e r gibt der Ansicht Ausdruck46, daß man in solchen Fällen direkt in das betreffende Amt gehen und fragen soll, wo der Entwurf ist. Antrag Miklas wird47 angenommen.48 R e n n e r berichtet über die Begegnung mit dem amerikanischen Journalisten Hiatt49, der unter dem Eindruck gestanden sei, daß hier in Wien Unruhen stattfinden, der Hof drangsaliert werde und so weiter. Hiatt hat sich allerdings überzeugt, daß alles anders ist, hat aber den Wunsch geäußert, den Kaiser zu besuchen und ein Interview in die amerikanische Presse zu geben. Das Interesse nach einer Sensation geht nun zusammen mit unseren Bedürfnissen, der Welt zu bezeugen, daß hier bei uns keine Gewalttaten verübt werden. Der amerikanischen Presse entgegenzukommen, haben wir auch sonst alle Ursache. Wir haben diesen Wunsch des amerikanischen Journalisten durch den Sektionschef Keller50 an den Kaiser geleitet und der Kaiser hat folgendes zurücktelegraphieren lassen: „In der Angelegenheit eines Empfanges des amerikanischen Publizisten Hiatt beehre ich mich, im Ah. Auftrage mitzuteilen, daß Seine Majestät Hiatt nur empfangen würde, wenn der Staatskanzler oder der Staatsrat dies ausdrücklich wünscht oder sich von diesem Empfange einen Vorteil in der Lebensmittelversorgung erhofft.“ 51 Ingerenz: Einmischung, Einfluß. Beilage 42/V: Antrag Miklas (½ Seite, handschriftlich). Die Formulierung weicht von dem im Protokoll wiedergegebenen Wortlaut ab. Inhaltlich stimmen beide Versionen jedoch überein. Der im Beschlußprotokoll enthaltene Text entspricht hingegen zur Gänze der Beilage. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. 45 Remedur: Abhilfe, Beseitigung (von Mißständen). 46 An dieser Stelle wurde im Original beantragt den Zusatz gestrichen und handschriftlich auf gibt der Ansicht Ausdruck geändert. 47 Die ursprüngliche Formulierung lautete: Dieser Antrag samt Zusatzantrag angenommen. Die Worte Miklas wird wurden handschriftlich eingefügt. 48 Vgl. AdR, StK, GZl. 27/1919, Zl. 421/1918, Amtserinnerung, Trennung der Finanzverwaltung von der polit. Verwaltung in der I. und II. Instanz. Am 3. Dezember 1918 fand in der Staatskanzlei eine Besprechung der in Frage stehenden Materie statt, an der Vertreter des Staatsamtes für Finanzen und für Inneres teilnahmen. Ein Protokoll dieser Besprechung findet sich unter der genannten Grundzahl in Zl. 227/1918; weiters AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.464/1918, Gesetzentwurf betreffend Änderungen in der Organisation der Finanzverwaltung, und Zl. 4.523/1918, Gesetzentwurf, betr. Änderungen in der Organisation der Finanzverwaltung. Zur erneuten Vorlage im Staatsrat vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 49 Walter S. Hiatt, Journalist, Vertreter der Associated Press in Wien. 50 Dr. Oskar Ritter von Keller, 13. Juni 1917 bis zu seiner Pensionierung am 20. Februar 1919 Zentraldirektor des Obersthofmeisteramtes. Zur Übergabe der Verwaltung der hofärarischen Güter an den Staatsnotar, die im Einvernehmen mit Keller erfolgte vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 51 Der amerikanische Journalist Walter S. Hiatt wurde am 23. November 1918 nachmittags von Kaiser Karl in Eckartsau empfangen, wobei ihm für die Anreise von Seiten der Staatskanzlei sogar ein Auto mobil zur Verfügung gestellt worden war. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 413/1918. Darin findet sich auch ein Exemplar des im Protokoll wiedergegebenen Telegramms. Zu Hiatt vgl. weiters Neue Freie Presse. Nachmittagsblatt, 18. November 1918, S. 3 „Ein Gespräch mit einem in Wien eingetroffenen amerikanischen Zeitungskorrespondenten“. 43 44
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Diese Sache kann ich nun nicht allein erledigen, ich muß den Staatsrat fragen, wie er sich in diesem Punkte verhalten will. S e i t z: Ich habe auch mit diesem Herrn Hiatt gesprochen52, der nach Wien unter dem Eindrucke kam, daß hier Kämpfe mit der Roten Garde53 stattfinden und der erstaunt war, daß er ohne Behelligung bis zur Nationalversammlung kommen konnte. Er sagte, man sei der allgemeinen Auffassung gewesen, der Kaiser sei interniert, bekomme nichts zu essen und man wolle ihn nach russischer Methode umbringen.54 Wir haben ihn beruhigt, Herr Hiatt hat uns geglaubt, hat aber doch um die Genehmigung gebeten, den Kaiser besuchen zu dürfen. Ich stelle daher den Antrag, daß wir selbstverständlich gar nichts einzuwenden haben, daß der Kaiser diesen Journalisten empfängt. H a u s e r teilt mit, daß ihm in Linz vom Hofwirtschaftsamt ein Telegramm zugekommen ist, daß in Eckartsau die Beleuchtung in Frage gestellt ist, daß dort Benzinmangel herrsche und so weiter. S y l v e s t e r bemerkt, er habe den Sektionschef Keller angewiesen, alles aufzuwenden, daß dem Kaiser nach keiner Richtung hin Entbehrungen auferlegt werden und allen Anforderungen an Lebensmitteln, Benzin usw. Folge geleistet werde. H a n u s c h legt den Entwurf 55 des Gesetzes über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen vor. Es wird beschlossen, diesen Gesetzentwurf in der heutigen Sitzung in der Nationalversammlung der ersten Lesung zu unterziehen und mit einer Rede seitens des Staatssekretärs für soziale Fürsorge einzubegleiten.56 S y l v e s t e r referiert über das Gesetz über die Verwendbarkeit der von der Salzburger Landesversammlung auszugebenden Teilschuldverschreibung im Betrage von 14 Millionen Kronen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar-, und ähnlichen Kapitalien57, welches gleichfalls in der heutigen Nationalversammlung-Sitzung beraten werden soll. Vgl. dazu SRP Nr. 49 vom 28. November 1918. Die Rote Garde war ein linksradikal orientierter Wehrverband, der durch militante Aktionen aufgefallen und in die Vorkommnisse des 12. November involviert gewesen war. Vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. 54 Gemeint war damit wohl die Ermordung der russischen Zarenfamilie in der Nacht vom 16. auf 17. Juli 1918 in Ekaterinburg durch die Bolschewiki. 55 Beilage 42/VII: Gesetzesentwurf (2 Seiten). Das Gesetz sollte den normalen Arbeitstag in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen auf 8 Stunden begrenzen. Ausnahmen hiervon waren prinzipiell vorgesehen, bedurften jedoch der Genehmigung und sollten generell 10 Arbeitsstunden über einen Zeitraum von 3 Wochen nicht überschreiten. In StGBl. Nr. 138, Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen, ausgegeben am 24. Dezember 1918 wurde der vorliegende Entwurf um einige Bestimmungen ergänzt. So wurde im § 1 ein Absatz, der genauer die Bezeichnung „fabriksmäßig“ und somit den Wirkungskreis des Gesetzes beschreibt, eingefügt. Zudem wurde ein Paragraph aufgenommen, der gesondert auf jugendliche und weibliche Arbeitskräfte Bezug nimmt. § 7 des Entwurfes, wodurch dem eigentlichen Produktionsprozeß vorangehende oder nachfolgende Arbeiten aus den Vorschriften des Gesetzes ausgenommen wurden, wurde im fertigen Gesetz dahingehend ergänzt, daß diese Tätigkeiten als Überstunden zu entlohnen seien. Auch in Bezug auf die Bemessungsgrundlage für Akkordlöhne wurde der Entwurf, der hierfür noch den 48. Teil des Gesamtwochenverdienstes vorsah, modifiziert sodaß nunmehr der „im Durchschnitte in der Arbeitswoche auf eine Arbeitsstunde entfallende Teil des Gesamtwochenverdienstes“ als Richtwert galt. 56 Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung vom 22. November 1918, Einbringung und Zuweisung an den volkswirtschaftlichen Ausschuß, S. 123–125; 11. Sitzung vom 19. Dezember 1918, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 400– 413. Umfangreiches Material dazu findet sich in AdR, StK, GZl. 1.597/1920. 57 Beilage 42/VIII: Antrag Sylvester (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII. Sylvester forderte damit 52 53
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A n g e n o m m e n.58 R e n n e r: Der Staatskanzler hat in der 31. Sitzung folgende zwei Aufträge59 bekommen: 1.) „Der Antrag auf Anweisung des Staatsamtes für Heerwesen, sich über die Ausgaben der Heeresverwaltung mit dem Staatsamte für Finanzen in Verbindung zu setzen, wird dem Staatskanzler zur Behandlung im Kabinettsrate zugewiesen.“ Das ist im Kabinettsrate behandelt worden, der Staatssekretär für Heerwesen hat die Verbindung mit dem Staatssekretär für Finanzen hergestellt.60 2.) „Anläßlich eines Berichtes des Herrn Staatskanzlers über Deutschböhmen wurde dem Staatsrate eine Äußerung zur Kenntnis gebracht, die der Herr Staatssekretär für Finanzen Dr. Otto Steinwender vor kurzem einer Deputation gegenüber bezüglich der staatlichen Zukunft und Zugehörigkeit Deutschböhmens gemacht haben soll.61 Der Herr Staatskanzler wird beauftragt, bei der nächsten Kabinettssitzung die Herren Staatssekretäre zu ersuchen, in ihren Äußerungen eine der Bedeutung und Wichtigkeit derselben entsprechende Vorsicht walten lassen zu wollen.“ Darüber ist berichtet worden. In der Kabinettssitzung hat Steinwender erklärt, seine Äußerung habe nicht so gelautet. Der Kabinettsrat hat beschlossen, die Staatssekretäre sind in Bezug auf die Ausgabe von Kommuniqués und die Gewährung von Interviews frei, sie haben jedoch gleichzeitig einen Abdruck in die Staatskanzlei zu senden. Die Vorzensur der Staatskanzlei haben wir nicht eingeführt.62 Diese Berichte werden zur Kenntnis genommen.
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die Herstellung gesetzlicher Pupillarsicherheit für von der Salzburger Landesversammlung in Aussicht genommene Anlehen. Das auf Grundlage dieses Antrages ausgegebene StGBl. Nr. 36, Gesetz vom 22 November 1918 über die Verwendbarkeit der von der Salzburger Landesversammlung auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar-, und ähnlichen Kapitalien, ausgegeben am 28. November 1918, unterscheidet sich zwar durch die exaktere Formulierung vom hier eingebrachten Antrag, stimmt aber inhaltlich mit diesem überein. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 426/1918, Gesetz vom 22. November 1918 über die Verwendbarkeit der von der Gemeinde Wien auf Grund des mit Beschluß der Landesversammlung des Landes Niederösterreich vom 5. November 1918 bewilligten Anlehens auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar- und ähnlichen Kapitalien. Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 130 f. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.424/1918. Es handelt sich offensichtlich um einen Irrtum, da der erste hier erwähnte „Auftrag“ Punkt XI des Beschlußprotokolls der 34. Sitzung und nicht der 31. Sitzung entspricht. Er liegt dem Protokoll, allerdings unter der wiederum falschen Angabe als 29. Sitzung bei. Vgl. Beilage 42/IX: Auszug aus dem Beschlußprotokoll (1 Seite). Der zweite „Auftrag“ entspricht hingegen Punkt IV des Beschlußprotokolls der 36. Sitzung, und liegt dem Protokoll unter ebenso inkorrekter Angabe als 31. Sitzung bei. Vgl. Beilage 42/X: 31. Sitzung, Beschluß IV (1 Seite). Diese Beilage enthält zudem folgende Notiz in Gabelsberger Kurzschrift: Bericht Dr. Steinwender erklärt, seine Äußerung hat nicht so gelautet wie sie kolportiert wird. Der Kabinettsrat hat beschlossen, die Staatssekretäre sind in Bezug auf Kommuniqués frei, haben jedoch gleichzeitig einen Abdruck an die Staatskanzlei zu senden, um allfällige Ergänzungen zu ermöglichen. Vgl. dazu auch SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Die Beilage 42/IX enthält in Bezug auf die Erledigung zudem eine gestrichene handschriftliche Notiz die besagt der Staatssekretär für Heerwesen habe sich bereit erklärt bei Ausgaben, die den Voranschlag übersteigen das Einverständnis des Staatsamtes für Finanzen einzuholen. Diese Notiz ist in vollem Wortlaut unter Punkt IX im Beschlußprotokoll dieser Sitzung enthalten. Zur Diskussion dieses Vorfalles vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. Ein Hinweis auf eine Rechtfertigung Steinwenders ist im Protokoll der entsprechenden Kabinettsratssitzung nicht enthalten. Renner empfahl dort abschließend lediglich „die größte Zurückhaltung“ in Bezug auf Mitteilungen an Außenstehende. Vgl. KRP Nr. 14/2 vom 21. November 1918.
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T e u f e l verlangt, daß das Gebietsgesetz auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung der Nationalversammlung gestellt werde. R e n n e r: Dieses Gebietsgesetz ist in der Weise umgearbeitet worden, daß die Details der Abgrenzung nicht in der Nationalversammlung beschlossen, sondern dem Staatsrate zu beschließen überlassen werden. Dadurch ist der Streitgegenstand zunächst für das Haus ausgeschaltet.63 Wegen des Staatsbürgergesetzes ist im Verfassungsausschuß der Wunsch geäußert worden, man möge dieses Gesetz zurückstellen, wir können aber nichts machen, wenn wir nicht wissen, wer unser Staatsbürger ist.64 Ich stelle den Antrag, der Staatsrat wolle beschließen, das Staatsbürgergesetz für die nächste Sitzung, welche am Mittwoch den 27. d. M. stattzufinden habe, zurückzustellen, dagegen aber das Gebietsgesetz in der abgeänderten Fassung in der heutigen Sitzung zu beschließen. A n g e n o m m e n.65 Das betreffende Gesetz war, nachdem in der Nationalversammlung eine Auseinandersetzung über die Frage der Einschlußgebiete entstanden war, an den Verfassungsausschuß zurückverwiesen worden. Gelöst wurde der Streit, wie von Renner hier angedeutet, dadurch, daß einerseits die Einschlußgebiete Gottschee und Cilli aus dem Gesetzestext gestrichen wurden und andererseits im geänderten § 3 des Gesetzes letztendlich festgesetzt wurde: „Die Gerichtsbezirke und Gemeinden werden durch den Staatsrat bestimmt und kundgemacht“. Zudem wurde auch eine ergänzende Staatserklärung beschlossen, welche die grundsätzliche Haltung der Nationalversammlung gegenüber jenen Gebieten, die im Gesetz nicht genannt wurden, insbesondere im Hinblick auf die kommenden Friedensverhandlungen, zum Ausdruck bringen sollte. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, S. 138–149. Zur Festlegung des deutschösterreichischen Anspruchsgebietes vgl. Hanns Haas, Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche: vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918 bis 1919, in: Hans Mommsen/Dušan Kováč/Jiří Malíř/ Michaela Marek (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen, Leipzig 2001, S. 141–220, hier S. 181–189; ders., Die Wiener Regierung und die Frage Kärnten, in: Kärnten Volksabstimmung 1920. Voraussetzungen. Verlauf. Folgen, Wien/München/ Kleinenzersdorf 1981, S. 29–56, hier S. 30 f; ders., Südtirol 1919, in: Anton Pelinka/Andreas Maislinger (Hg.), Handbuch zur Neueren Geschichte Tirols. Band 2: Zeitgeschichte. 1. Teil: Politische Geschichte, Innsbruck 1993, S. 95–130, hier S. 101–103. 64 Der Staatsrat hatte die Einbringung des Staatsbürgerschaftsgesetzes in die Nationalversammlung erstmals am 11. November 1918 beschlossen. Dort wurde der Entwurf in der 3. Sitzung am 12. November dem Verfassungsausschuß zugewiesen. Der Bericht des Verfassungsausschusses, der zwar auf der Tagesordnung der 4. Sitzung am 14. November stand, lag jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor und mußte vertagt werden. In einem Bericht über das Gesetz, betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht vom 23. November 1918, teilte der Verfassungsausschuß mit, er habe beschlossen, den von ihm geänderten Entwurf an die Nationalversammlung weiterzuleiten, da das Staatsbürgerschaftsgesetz für die Abhaltung der bevorstehenden Wahlen notwendig sei. Der Ausschuß betonte jedoch ausdrücklich den provisorischen Charakter des Gesetzes. Ein Exemplar des Berichtes findet sich in AVA, Nachlaß Renner, E/1731: 290. Zum Staatsbürgerschaftsgesetz vgl. auch SRP Nr. 27 vom 9. November 1918, Nr. 30 vom 11. November 1918, Nr. 35 vom 16. November 1918, Nr. 39 vom 20. November 1918 und Nr. 41 vom 21. November 1918. Zu den Beratungen im Verfassungsausschuß vgl. PA, Prov. NV, Politische Akten/Ausschüsse, Verfassungsausschuß, Protokoll über die Sitzung am 14. November 1918 und am 19. November 1918. 65 Das Gesetz über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich wurde gemeinsam mit einer ergänzenden Staatserklärung in der 5. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 22. November 1918 beschlossen. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 138–150; StGBl. Nr. 40, Gesetz vom 22. November 1918 über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich sowie StGBl. Nr. 41, Staatserklärung vom 22. November 1918 über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich, beide ausgegeben am 28. November 1918. Die Beurkundung erfolgte in der 44. Sitzung des Staatsrates vom 25. November 1918. Vgl. 63
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[5] E l l e n b o g e n referiert namens der Finanzkommission über die Erbsteuer66 und beantragt, diese Vorlage in der heutigen Plenarsitzung der ersten Lesung zu unterziehen. A n g e n o m m e n.67 [9] H a u s e r teilt mit, daß eine Reihe von Anträgen eingebracht wurde. Der Antrag I r o68 lautet: „Der Staatskanzler wird beauftragt, darüber Bericht zu erstatten, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage sich die Einrichtung der sogenannten Soldatenräte in dem Staate aufbaut, in welchem der Militarismus angeblich beseitigt wurde und auch noch gar nicht klargestellt erscheint, ob die gegenwärtigen sogenannten Soldatenräte sich auf den derzeitigen weiters auch SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Zum Gesetz über das Staatsgebiet vgl. zudem Klaus Berchtold, Verfassungsgeschichte der Republik Österreich. Band I: 1918–1933, Wien/New York 1998, S. 86–90; Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich – Teil 1 (1919), in: Matthias Jestaedt (Hg.), Hans Kelsen. Werke. Band 5: Veröffentlichte Schriften 1919–1920, Tübingen 2011, S. 83–90. Der Entwurf des Staatsbürgerschaftsgesetzes wurde in der 6. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 27. November 1918 nach längerer Debatte angenommen. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, zweite und dritte Lesung, S. 174–184. Im Zuge der Debatte stellte der Abgeordnete Kemetter einen Zusatzantrag zu § 1. Als Voraussetzung zur Erlangung der deutschösterreichischen Staatsbürgerschaft forderte er neben der im Gesetz vorgesehenen Heimatberechtigung auch ein Bekenntnis zur deutschen Nation. Im Staatsrat wurde insbesondere von Staatskanzler Renner auf die durch diesen Zusatz entstandenen, schwerwiegenden rechtlichen und administrativen Konsequenzen hingewiesen, welche das Gesetz in der damals aktuell vorliegenden Form letztlich undurchführbar machten. Der Staatsrat beschloß sodann die Wiedereinbringung des bereits angenommenen Gesetzes. Dieser Vorgang löste wiederum eine Debatte über die grundlegenden Kompetenzen des Staatsrates und seine Stellung gegenüber der Nationalversammlung aus, die letztlich zur Ergänzung des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt führen sollte. Zum Staatsbürgerschaftsgesetz vgl. weiters SRP Nr. 49/2 vom 28. November 1918, Nr. 51/9 vom 30. November 1918, Nr. 52 vom 2. Dezember 1918, Nr. 54 vom 6. Dezember 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918; sowie Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich – Teil 1 (1919). Gesetz vom 5. Dezember 1918 über das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht (mit Erläuterungen), in: Jestaedt (Hg.), Kelsen. Werke. Band 5, S. 90–97; Berchtold, Verfassungsgeschichte, S. 64 und 77 f. August Maria Kemetter, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten. 66 Der Gesetzesentwurf liegt dem Protokoll ohne Numerierung bei: Gesetzesentwurf (36 Seiten, gedruckt); Tarif nach welchem die Erbgebühr, die Schenkungsgebühr und die Nachlaßgebühr zu erheben sind (4 Seiten, gedruckt). Das Gesetz sollte die Erb-, Schenkungs-, Nachlaß- und Immobiliargebühren u. a. in Bezug auf Ausmaß, Pflichten und Befreiungen regeln. Dem Gesetzestext ist eine Tariftabelle beigefügt. 67 Die Vorlage eines Gesetzes, betreffend die Erbschaftsgebühren wurde, trotz dieses Beschlusses, nicht in der Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 22. November 1918 eingebracht. Die Nationalversammlung beschloß hierauf die Vorlage nach ihrem Einbringen im Präsidium direkt an den Finanzausschuß zur späteren Berichterstattung weiterzuleiten. Staatsrat Licht berichtete in der 68. Sitzung des Staatsrates vom 20. Jänner 1919, die Behandlung des Gesetzes durch den Finanzausschuß habe dazu geführt, daß durch das Gesetz statt Mehreinnahmen verminderte Einnahmen zu erwarten wären. Der Staatsrat beschloß daraufhin für den Fall der Reassumierung das Staatsamt für Finanzen anzuweisen, die ursprüngliche Fassung des Staatsrates im Ausschuß zu vertreten. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, S. 151; weiters SRP Nr. 68/IIb vom 20. Jänner 1919. 68 Beilage 42/XIII: Antrag Iro (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolletextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XIII.
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provisorischen Söldnertruppen oder auf jenen Personen aufbauen, die sich einerseits selbst demobilisiert und entmilitarisiert haben, andererseits aber militärische Uniformstücke tragen, jedoch keinerlei militärischen Dienst mehr leisten. Gleichzeitig wird das Staatsamt für Heerwesen beauftragt, in ganz Deutschösterreich Erhebungen darüber pflegen zu lassen, auf welcher Basis besonders in der Provinz diese sogenannten Soldatenräte sich organisiert haben und wer die Schuld an den in letzter Zeit vorgekommenen Übergriffen von Soldatenräten in verschiedenster Richtung in verwaltungsrechtlicher und militärischer Beziehung hat.“69 Dieser Antrag wird dem Staatskanzler zugewiesen. T e u f e l stellt folgenden Antrag70: „Beantrage, daß das Staatsamt für Verkehrswesen angewiesen wird, die zollämtliche Kontrollstelle auf der Nordwestbahnstrecke nicht in Retz, sondern in Znaim zu errichten.“ Es wird beschlossen, darüber einen Bericht einzuholen.71 L i c h t, O f n e r stellen folgenden Antrag72: „Österreichischen Staatsbürgern, die sich als Deutschösterreicher bekennen, sind vorläufig bis zur weiteren Regelung alle Rechte einzuräumen, welche die Zugehörigkeit zu Deutschösterreich zur Voraussetzung haben.“ Dieser Antrag wird dem Verfassungsausschusse zugewiesen.73 T e u f e l stellt folgenden Antrag74: „Der Staatsrat wolle beschließen: Alle Grund- und Realitätenverkäufe sind an die Zustimmung des Staatsrates gebunden. Die Staatskanzlei wird beauftragt, hinsichtlich der Im Zuge des Umbruches nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie formierten sich auch in Österreich Räte als Vertretungsorgane der demobilisierten Soldaten. Zunächst als spontan organisierte Zusammenschlüsse entstanden, wurden die Soldatenräte in weiterer Folge zunehmend institutionalisiert und in die Organisation der Volkswehr eingebunden. Vgl. Hans Hautmann, Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924, Wien/Zürich 1978, S. 242–253; Francis L. Carsten, Revolution in Mitteleuropa 1918–1919, Köln 1973, S. 64–86. 70 Beilage 42/XIV: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XIV. 71 Das Staatsamt für Finanzen informierte die Staatskanzlei in einem Schreiben vom 25. November 1918 darüber, daß die Kreishauptmannschaft in Znaim bereits kurz zuvor ein ebensolches Ansuchen gestellt habe. Der Grund für die Präferenz für Znaim lag in der Befürchtung, die Errichtung der Zollstation im weiter südlich gelegenen Retz könne von tschechoslowakischer Seite als Zugeständnis in Bezug auf die Grenzziehung interpretiert werden. Das Staatsamt für Finanzen habe die Kreishauptmannschaft in Znaim nunmehr per Erlaß darüber informiert, daß von der Errichtung der Zollstation in Retz abgesehen und diese statt dessen in Znaim eingerichtet werde. In weiterer Folge schien jedoch wieder Retz als Zollstation präferiert worden zu sein. Vgl. dazu das Aktenmaterial, darunter die erwähnten Schreiben, in AdR, StK, GZl. 904/1922. Das Schreiben der Kreishauptmannschaft in Znaim an das Staatsamt für Finanzen vom 21. November 1918 findet sich auch in FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.259/1918. 72 Beilage 42/XV: Antrag Licht, Ofner (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XV. Vgl. dazu SRP Nr. 49 vom 28. November 1918. 73 Die Protokolle des Verfassungsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung enthalten keinen Hinweis auf diesen Antrag. 74 Beilage 42/XVII: Antrag Teufel, Luksch (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XVII. In der Beilage sind entgegen der Angabe im Protokolltext, Staatsrat Teufel und Staatsrat Luksch als Antragsteller verzeichnet. 69
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Durchführung dieses Beschlusses unverzüglich die nötigen Vorschläge dem Staatsrate vorzulegen.75 A n g e n o m m e n.76 T e u f e l stellt folgenden Antrag77: „Beantrage die Ausdehnung des Beschlusses, betreffend die Verhinderung der Verschleppung von Gold, Banknoten, Kostbarkeiten und Wertpapieren nach der Schweiz und gegenüber der Republik Czechoslovakien, Ungarn und Jugoslawien.“ Dieser Antrag wird dem Staatssekretariate für Finanzen zugewiesen.78 H a u s e r teilt mit, daß die nächste Sitzung morgen Samstag den 23. d. M. um 4 Uhr Nachmittags stattfindet. Schluß der Sitzung 11 Uhr 50 Minuten vormittags.
Mit diesem Antrag wollte Staatsrat Teufel verhindern, daß in den umstrittenen Grenzgebieten Grundstücke in tschechischen Besitz übergingen. Er sah seinen Antrag wohl als Antwort auf das Gesetz über die Beschränkung des Grundverkehrs, das der tschechoslowakische Nationalrat beschlossen hatte. Zur angesprochenen Materie vgl. das Material in AdR, StK, GZl. 489/1919. 76 Die Staatskanzlei legte in der 68. Sitzung des Staatsrates eine Stellungnahme vor, in der sie sich, sollte keine zwingende Notwendigkeit hierfür gegeben sein, gegen eine generelle Bewilligungspflicht bei Grund- und Realitätenverkäufen aussprach, da dies einerseits zu einer „kaum erträgliche(n) Erschwerung und Verzögerung des Liegenschaftsverkehres“, andererseits zu einer Arbeitsüberlastung des Staatsrates führen würde. Für die umstrittenen Grenzgebiete in Böhmen, Mähren und Schlesien könnte man sich, allerdings unter der Bedingung der vorherigen Abwägung der politischen Konsequenzen, eine auf diese Gegenden beschränkte Regelung prinzipiell vorstellen. Diese Stellungnahme findet sich ebenfalls in AdR, StK, GZl. 489/1919. Vgl. auch SRP Nr. 68/IV vom 20. Jänner 1919. 77 Beilage 42/XVI: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokoll textes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt XVI. Teufel hatte bereits in der 41. Sitzung des Staatsrates vom 21. November 1918 eine Abstimmung über seinen, diesem Beschluß entsprechenden Vorschlag, verlangt, war aber darauf hingewiesen worden, daß kein Antrag vorliege und ersucht worden, „[...] seine Anregung als selbständigen Antrag einzubringen“. 78 Das Staatsamt für Finanzen war bereits mit der Ausarbeitung eines betreffenden Gesetzesentwurfes beschäftigt. Zur Thematik vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918 sowie KRP 26/5 vom 28. Dezember 1918. 75
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42 – 1918-11-22 Beschlüsse der 42. Sitzung des Staatsrates vom 22. November 1918 (von 10 Uhr Vormittags bis 12 Uhr Mittags) Vorsitzender: Präsident Dr. Franz D i n g h o f e r, später vertreten durch Präsident Prälat Johann H a u s e r.
I. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r. Antrag: Über ein Schreiben des Grafen Wilczek vom 21. November 1918, worin er dem Staatsrate für die Übernahme der Burg Kreuzenstein in dessen Schutz seinen Dank ausspricht und dem Staatsrate im Hinblicke auf dessen Beschluß vom 20. d. M. zur Kenntnis bringt, daß er mit seiner seinerzeit gestellten Bitte nicht die Absicht hatte, sich des Eigentums an der Burg, sei es durch Übertragung an den Deutschösterreichischen Staat, sei es an eine Stiftung zu begeben, wozu er gar nicht berechtigt sei, da Kreuzenstein fideikommissarischer Besitz sei, sondern lediglich angestrebt hat, die Burg und deren Sammlungen in den gegenwärtigen unsicheren Zeiten dem Schutze des Staatsrates zu empfehlen, um derselben Wohltat teilhaftig zu werden, welche auch anderen Privatsammlungen erwiesen worden ist, stellt der Herr Staatsnotar den Antrag: „Der Staatsrat wolle seinen auf die Burg Kreuzenstein bezugnehmenden Beschluß vom 20. November 1918 (V) einer Amendierung in dem Sinne unterziehen, daß die Burg Kreuzenstein bis auf Weiteres unter seinen Schutz gestellt werde.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatsnotar. II. Antragsteller: Präsident Prälat Johann H a u s e r und Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Alle auf deutschösterreichischem Gebiete befindlichen Materialien jeder Art, welche seinerzeit auf gemeinsame Rechnung angeschafft wurden, sind durch das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft so rasch wie möglich zu demobilisieren. Das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft hat unverzüglich Delegierte zu den Landesregierungen zu entsenden, die als Bevollmächtigte im Einvernehmen mit der Landesregierung die Sachdemobilisierung sofort durchzuführen haben. Die Delegierten sind ebenfalls im Einvernehmen mit den Landesregierungen zu ernennen. Das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft ist beauftragt, den Plan der Sachdemobilisierung unverzüglich dem Staatsrat zu unterbreiten.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft. III. Antragsteller: Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel Dr. Karl U r b a n. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen. 1.) Der Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird beauftragt, eine Hauptstelle für Volksbekleidung mit möglichster Beschleunigung zu errichten und die hiezu notwendigen Vollzugsanweisungen zu erlassen.
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2.) Bis zur Einrichtung dieser Hauptstelle kann der Staatssekretär für Kriegsund Übergangswirtschaft die Volksbekleidungsstelle für Niederösterreich provisorisch mit der Durchführung ihrer Aufgaben betrauen. 3.) Zum Vorsitzenden der zu gründenden Hauptstelle wird Nationalrat Kraft bestellt. Solange die Volksbekleidungsanstalt für Niederösterreich die Aufgaben der Hauptstelle provisorisch versieht, wird Nationalrat Kraft zum Staatskommissär bei der Volksbekleidungsanstalt für Niederösterreich bestellt. Der Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird ermächtigt, seine Befugnisse festzustellen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel und an den Herrn Unterstaatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft Richard R i e d l. IV. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Da die ungarische Regierung beim Staatsamt für Äußeres gegen den vom Staatsrat gefaßten Beschluß über die Angliederung der 4 westungarischen Komitate an Deutschösterreich Vorstellungen erhoben hat, beantragt Herr Staatskanzler nachstehenden Beschluß zu fassen. „Der Staatsrat der deutschösterreichischen Republik hat den Wunsch, die freundschaftlichen Beziehungen zu Ungarn aufrecht zu erhalten. Den west ungarischen Komitaten, soweit sie von deutscher Bevölkerung bewohnt sind, steht das gleiche Selbstbestimmungsrecht zu, welches nach wiederholten Erklärungen der ungarischen Regierung allen anderen Völkern Ungarns eingeräumt ist. Der Staatsrat wird daher auf der Friedenskonferenz den Standpunkt vertreten, daß den Deutschen Westungarns die Gelegenheit geboten werde, ihr Selbstbestimmungsrecht in voller Freiheit auszuüben. Die Erklärung des Staatsrates vom 17. November 1918 ist erfolgt als Antwort auf Ansuchen, welche Deputationen der westungarischen deutschen Bauernschaft dem Staatsrat vorgelegt hatten. Dem Staatsrat selbst liegt es fern, in dieser Frage die Initiative zu ergreifen und agitatorisch vorzugehen: Er will die deutschen Gebiete Westungarns nicht annektieren; erhebt aber Anspruch darauf, auf der Friedenskonferenz für das Recht der Bevölkerung dieser Gebiete selbst über ihre staatliche Zugehörigkeit zu entscheiden, einzutreten. Was die Lebensmittelversorgung aus diesen Gebieten anbelangt, liegt es dem Staatsrat fern, das Verfügungsrecht der ungarischen Regierung über die Lebensmittelüberschüsse ihres Verwaltungsgebietes zu bestreiten. Er will daher Lebensmittel aus diesen Gebieten nur mit Zustimmung der ungarischen Regierung beziehen. Der Staatsrat spricht jedoch den Wunsch aus, daß es die ungarische Regierung ermögliche, daß die Lebensmittelüberschüsse der deutschen Gebiete Westungarns den notleidenden Gebieten Deutschösterreich zugeführt werden.“ Der Herr Staatskanzler beantragt ferner, daß dies der ungarischen Regierung mittels einer Note des Staatsamtes des Äußern zur Kenntnis gebracht werde, in welcher auch der Wunsch und die Erwartung des Staatsrates zum Ausdrucke gebracht werden soll, daß die ungarische Regierung die deutsche Bevölkerung Westungarns vor Einquartierung und militärischer Besetzung verschonen werde. Beschluß: wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler und an das Staatsamt des Äußern.
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V. Antragsteller: Staatsrat Wilhelm M i k l a s. Antrag: Im Zuge der Debatte über eine Vorstellung des Staatssekretärs Dr. Otto Steinwender gegen die Bestimmungen des § 4 des Gesetzes vom 14. November 1918, betreffend die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern wonach jene Amtsgeschäfte des Landeschefs, die zum Wirkungskreise des Finanzministeriums gehören, durch einen vom Landesrate mit Genehmigung des Staatsrates eigens hiezu berufenen Stellvertreter des Landeshauptmannes versehen werden und in der der genannte Staatssekretär die neuerliche Forderung erhebt, daß die Trennung der Finanzverwaltung von der politischen Verwaltung durch ein Gesetz endlich durchgeführt werde, stellt der Staatsrat Wilhelm Miklas nachstehenden Antrag: „Der Staatsrat bricht diese Debatte ab, betrachtet die Äußerungen des Herrn Staatssekretärs Dr. Steinwender als Urgenz einer Vorlage und fordert die Staatskanzlei und das Staatsamt für Finanzen auf, sich ehestens über die Materie ins Einvernehmen zu setzen und der Finanzkommission des Staatsrates einen diesbezüglichen Entwurf zu unterbreiten.“ Beschluß: wird angenommen. An die Staatskanzlei und an das Staatsamt für Finanzen. VI. Antragsteller: Dr. Karl R e n n e r. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, dem Anfragesteller (Exz. von Zeidler-Sterneck79) eröffnen zu lassen, daß gegen den Empfang des amerikanischen Publizisten Hiatt seitens des ehemaligen Kaisers keine Einwendung erhoben wird. An den Herrn Staatskanzler. VII. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Beschluß: Der Entwurf des Gesetzes über die Einführung des achtstündigen Arbeitstages in fabriksmäßig betriebenen Gewerbeunternehmungen wird angenommen. Die Vorlage kommt in der heutigen Nationalversammlung zur ersten Lesung und wird dem Ausschuß überwiesen. An den Herrn Staatskanzler. VIII. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Dem von der Salzburger Landesversammlung für dringende Auslagen im Betrage von 14 Mill. beschlossenen Anlehen wird im Gesetzgebungswege die Pupillarsicherheit zugestanden. Das betreffende Gesetz ist bei der heutigen Nationalversammlung zu verabschieden.“
Egon Freiherr Zeidler-Daublebsky von Sterneck, Oberst des Generalstabs-Korps und stellvertretender Chef der kaiserlichen Militärkanzlei, 1. Mai 1918 Ernennung zum Generalmajor, 8. Mai 1918 Generaladjutant, ab 18. Mai 1918 Vorstand der Militärkanzlei, 1. Mai 1919 Versetzung in den dauernden Ruhestand.
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Beschluß:
Wird mit dem Beifügen angenommen, daß der Herr Staatsnotar verantwortlich sei, daß der Herr Präsident bis heute Nachmittag den betreffenden Gesetzentwurf zeitgerecht erhält. An den Herrn Staatsnotar. IX. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Antrag: „Der Staatsrat hat in seiner Sitzung vom 16. November 1918 den Beschluß gefaßt, den Antrag des Staatssekretärs für Finanzen auf Anweisung des Staatsamtes für Heerwesen, sich über die Ausgaben der Heeresverwaltung mit dem Staatsamte für Finanzen in Verbindung zu setzen, dem Staatskanzler zur Behandlung im Kabinettsrate zuzuweisen. Der Herr Staatskanzler bringt nunmehr dem Staatsrate zur Kenntnis, daß der Staatssekretär für Heerwesen erklärt hat, bereits wiederholt Weisung gegeben zu haben, daß bei allen Ausgaben die über den Voranschlag hinausgehen, das vorherige Einverständnis mit dem Staatsamt der Finanzen zu erwirken.“ Beschluß: Wird zur Kenntnis genommen. An das Staatsamt der Finanzen. X. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: „Der Staatskanzler berichtet zu dem Beschlusse des Staatsrates vom 18. November 1918, Nr. IV, daß der Herr Staatssekretär der Finanzen die Erklärung abgegeben hat, daß seine Äußerung bezüglich der staatlichen Zukunft und Zugehörigkeit Deutschböhmens nicht so gelautet hat, wie sie vorgebracht worden ist, und daß der Kabinettsrat beschlossen hat, die Staatssekretäre sind im Bezug auf Kommuniqués frei, haben jedoch gleichzeitig einen Abdruck in die Staatskanzlei zu senden, um allfällige Erinnerungen zu ermöglichen.“ Beschluß: Der Bericht wird zur Kenntnis genommen. An den Herrn Staatskanzler. XI. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, das Staatsbürgergesetz für die nächste Sitzung, die am Mittwoch stattzufinden hat, zurückzustellen, dagegen das Staatsgebietsgesetz in der abgeänderten Fassung in der heutigen Sitzung zu beschließen. An den Herrn Staatskanzler. XII. Antragsteller: Staatsrat Dr. Wilhelm E l l e n b o g e n. Beschluß: Der Bericht über den Entwurf eines Gesetzes über die Gebühren von unentgeltlichen Vermögensübertragungen sowie der Entwurf selbst wird zur Kenntnis genommen und wird die Vorlage auf die heutige Tagesordnung der Nationalversammlung zwecks erster Lesung gesetzt. An den Herrn Staatskanzler.
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XIII. Antragsteller: Staatsrat Karl I r o. Antrag: „Der Staatskanzler wolle beauftragt werden, darüber Bericht zu erstatten, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage sich die Einrichtung der sogenannten Soldatenräte in dem Staate aufbaut, in welchem der Militarismus angeblich beseitigt wurde und auch noch gar nicht klargestellt erscheint, ob die gegenwärtigen sogenannten Soldatenräte sich auf den derzeitigen provisorischen Söldnertruppen oder auch auf jenen Personen aufbaut, die sich einerseits selbst demobilisiert und entmilitarisiert haben, andererseits aber militärische Uniformstücke tragen, jedoch keinerlei militärischen Dienst mehr leisten. Gleichzeitig wird das Staatsamt für Heerwesen beauftragt, in ganz Deutschösterreich Erhebungen darüber pflegen zu lassen, auf welcher Basis besonders in der Provinz diese sogenannten Soldatenräte sich organisiert haben und wer die Schuld an den in letzter Zeit vorgekommenen Übergriffen von Soldatenräten in verschiedenster Richtung in verwaltungsrechtlicher und militärischer Beziehung hat.“ Beschluß: Wird dem Herrn Staatskanzler zugewiesen. XIV. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Das Staatsamt für Verkehrswesen wolle angewiesen werden, die zollämtliche Kontrollstelle auf der Nordwestbahnstrecke nicht in Retz, sondern in Znaim zu errichten.“ Beschluß: Das Staatsamt für Verkehrswesen wird aufgefordert, ehestens hierüber zu berichten. An den Herrn Staatssekretär für Verkehrswesen. XV. Antragsteller: Staatsrat Dr. Stefan von L i c h t und Dr. Julius O f n e r. Antrag: „Österreichischen Staatsbürgern, die sich als Deutschbürger bekennen, sind vorläufig bis zur weiteren Regelung alle Rechte einzuräumen, welche die Zugehörigkeit zu Deutschösterreich zur Voraussetzung haben.“ Beschluß: Wird an den Verfassungsausschuß zur Berichterstattung zugewiesen. An den Verfassungsausschuß. XVI. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Die Ausdehnung des Beschlusses, betreffend die Verhinderung der Verschleppung von Gold, Banknoten, Kostbarkeiten und Wertpapieren nach der Schweiz und gegenüber der Republik Tschechoslowakien, Ungarn und Jugoslawien wird beantragt.“ Beschluß: Wird an den Staatssekretär der Finanzen zugewiesen. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen. XVII. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Alle Grund- und Realitätenverkäufe sind an die Zustimmung des Staatsrates gebunden.
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Die Staatskanzlei wird beauftragt, hinsichtlich der Durchführung dieses Beschlusses unverzüglich die nötige Vorlage dem Staatsrate vorzulegen.“ Beschluß: Wird der Staatskanzlei zugewiesen. An die Staatskanzlei. Schluß der Sitzung 12 Uhr mittags. Nächste Sitzung Montag den 23. Nov. 1918 4 Uhr Nachmittag.
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43. [Samstag] 1918-11-23 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Hauser Baechlé, Domes, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Glöckel, Heine, Iro, Langenhan, Loser, Miklas, Ofner, Roller, Schoiswohl, Schürff, Sylvester, Teufel, Urban, Waldner, Wolf unbekannt 16.10–17.15 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste Beilagen: 43/I 43/II 43/III 43/V 43/VI 43/VIII
Urlaubsansuchen Luksch und Anmeldung des Ersatzmannes von Nagele (1 Seite, handschriftlich). Gesetz vom … betreffend die Gendarmerie des deutschösterreichischen Staates (2 Seiten). Antrag Iro, betreffend die Freizügigkeit der Abgeordneten (1 Seite, handschriftlich). Gesetz vom … betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung (2¼ Seiten). Liste mit Gnadengesuchen (6¼ Seiten).2 Beschluss, betreffend die Abgrenzung (1 Seite, handschriftlich).
Präs. H a u s e r eröffnet die Sitzung um 4 Uhr 10 Minuten nachm. Dem Staatsrat Luksch wird ein dreitägiger Urlaub bewilligt. An seine Stelle tritt der Ersatzmann Nagele.3 G l ö c k e l: Das Staatsamt des Innern schlägt im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Heerwesen dem Staatsrate vor, daß die Gendarmerie in Zukunft nicht mehr dem Staatsamte für Heerwesen, sondern dem Staatsamte des Innern unterstellt werden solle. An der Organisation der Gendarmerie würde sich dabei nicht viel ändern und die oberste Instanz wäre damit ein Zivilministerium. Zu diesem Zwecke müßte ein eigenes Gendarmeriegesetz4 geschaffen werden. Dieser Antrag wäre der Verfassungskommission zuzuweisen. Ich möchte bitten, Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Josef Mayer, Raphael Pacher, Dr. Karl Renner, Dr. Otto Steinwender, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Diese Beilage enthält zusätzlich die Numerierung 53/VIII, da die darin enthaltenen Gnadengesuche aufgrund einer verfassungsmäßig inkorrekten Formulierung letztendlich erst in der 53. Sitzung vom 3. Dezember 1918 behandelt wurden. 3 Beilage 43/I: Urlaubsansuchen Luksch (1 Seite, handschriftlich). Staatsrat Luksch ersuchte wegen eines Todesfalles um Urlaub. 4 Beilage 43/II: Gesetzesentwurf (2 Seiten). Die von Glöckel geforderte Unterstellung der Gendarmerie unter das Staatsamt für Inneres ist im § 2 des Gesetzesentwurfes enthalten. Abgesehen von einer geringfügigen Änderung des § 2 des Entwurfes wo Kronlande auf Land korrigiert wurde, übernahm die Provisorische Nationalversammlung den Text unverändert und beschloß ihn mit dem Zusatz (§ 5, Absatz 4), alle gegenwärtig im Gendarmeriedienst Stehenden vom deutschösterreichischen Staat zu übernehmen. Vgl. StGBl. Nr. 75, Gesetz vom 27. November 1918, betreffend die Gendarmerie des Deutschösterreichischen Staates, ausgegeben am 4. Dezember 1918. Vgl. dazu auch AdR, StK, GZl. 1
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die Sache sehr dringlich zu behandeln, weil wir an der Organisierung der Sicherheitswache überhaupt arbeiten und wir in diesen Arbeiten aufgehalten würden, wenn diese Sache nicht möglichst rasch erledigt wird. Bisher war die Gendarmerie streng militärisch organisiert und dem Landesverteidigungsministerium unterstellt. Wir wollen nun das Staatsamt für Heerwesen entlasten. Es ist auch wertvoll, daß sich die Sicherheitsorgane in einer Hand befinden, und es ist deswegen womöglich auch eine Zusammenfassung der Wiener Sicherheitswache mit der Gendarmerie geplant. M a y e r: Diese Überführung entspricht nur den geänderten Verhältnissen. Vom Standpunkte des Staatsamtes für Heerwesen ist dagegen nichts einzuwenden, weil seinerzeit die Gendarmerie in erster Linie zur Verfügung der politischen Behörde stand, und da ist die rechtmäßige Instanz das Staatsamt des Innern. T e u f e l: Da die beiden in Betracht kommenden Staatsämter sich hierüber bereits geeinigt haben, stelle ich den Antrag, daß wir diesen Vorschlag hier sofort erledigen und ihn am Mittwoch auf die Tagesordnung der Nationalversammlung zur ersten Lesung stellen. Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n.5 Es wird der Einlauf verlesen und den betreffenden Staatsämtern6 zugewiesen.7 Zu der Mitteilung im Einlaufe, daß nach einem Telegramme aus Gmünd der Abgeordnete Soukup8 bei Reichenberg tätlich angegriffen und verhaftet worden sei, stellt Staatsrat I r o den Antrag9, daß der Staatskanzler beauftragt werde, mit dem Staatsamte für Äußeres in Verbindung zu treten, damit die Frage der Reziprozität der Freizügigkeit der Abgeordneten sofort geregelt werde. A n g e n o m m e n.10 718/1918, Präsidium der prov. Nat. Vers. Deutsch-Oesterreichs, Gesetz über die Gendarmerie des deutschösterr. Staates. Vgl. auch KRP Nr. 14/3 vom 21. November 1918. 5 Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 184–187. 6 An dieser Stelle wurde das Wort Kommissionen gestrichen und statt dessen Staatsämter handschriftlich eingefügt. 7 Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 8 Martin Soukup, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 9 Beilage 43/III: Antrag Iro (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt der Beilage wurde im Protokoll gekürzt, stimmt aber im Wesentlichen mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 733/1918, Amtsveranlassung, betreffend Freizügigkeit der Abgeordneten. Das Staatsamt für Äußeres protestierte am 29. November 1918 beim tschechoslowakischen Gesandten, Vlastimil Tusar und bei den Vertretern des südslawischen Staates gegen die Übergriffe auf deutschösterreichische Abgeordnete. Der Text der Protestnote findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 24/1, GZl. 688/1/1918, Behelligung von deutschösterreichischen Abgeordneten im tschechoslovakischen und südslavischen Staate. Vgl. weiters auch SRP Nr. 46 vom 26. November 1918 und Nr. 51 vom 30. November 1918. Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. 10 Ein Gutachten der Staatskanzlei zur Frage der Reziprozität, das am 30. November 1918 unter Bezugnahme auf den vorliegenden Beschluß an das Staatsamt für Äußeres und in weiterer Folge auch an das Staatsamt für Inneres übermittelt wurde, hielt fest, daß die Immunität der ehemaligen Reichsratsabgeordneten, die nunmehr dem tschechoslowakischen oder südslawischen Staat angehörten, im deutschösterreichischen Staatsgebiet auf der Grundlage alten österreichischen Rechts „faktisch und rechtlich gesichert“ sei. Dementsprechend wurde das Staatsamt für Äußeres angewiesen, der tschechoslowakischen und südslawischen Regierung mitzuteilen, daß der österreichische Staat sich vorbehalte „die
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Die in der provisorischen Nationalversammlung am 22. November 1918 beschlossenen Gesetze über 1.) Dienstbezüge und Dienstzulagen der vom Volke betrauten Staatsorgane; 2.) Umfang, Grenze und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich; 3.) die richterliche Gewalt; 4.) die Übersetzung und Pensionierung von Richtern aus Anlaß von Änderungen in der Gerichtsverfassung; 5.) die Verwendbarkeit der von der Gemeinde Wien auf Grund des mit Beschluß der Landesversammlung des Landes Niederösterreich vom 5. November 1918 bewilligten Anlehens auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar- und ähnlichen Kapitalien; 6.) die Verwendbarkeit der von der Salzburger Landesversammlung auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar- und ähnlichen Kapitalien werden beglaubigt. [4] Präs. H a u s e r: 4. Punkt der Tagesordnung: „Gesetz, betreffend das Ausfuhrverbot von Kunstgegenständen.“11 P a c h e r: Die Gefahr der Ausfuhr von Kunstgegenständen und damit im Gefolge eine Schmälerung des nationalen Volksvermögens ist groß. Es ist daher ein Ausfuhrverbot dringend notwendig. Daneben ist aber auch die Erlassung eines Verbotes der Veräußerung solcher Kunstgegenstände geboten. Es soll aber auch der Erwerb von Kunstgegenständen gestraft werden, weil der Handel den Kunstgegenständen insbesondere bei jenen Schichten nachspürt, die sich des Wertes solcher Gegenstände nicht recht bewußt sind. In dieses Verbot sind die im öffentlichen Besitze befindlichen Kunstdenkmale einzubeziehen. Es handelt sich bei dieser Maßnahme zunächst um eine provisorische Verfügung, nämlich bis zur Erlassung eines Denkmalschutz-Gesetzes (Das Gesetz wird verlesen und der J u s t i z k o m m i s s i o n z u g e w i e s e n).12 Dr. S y l v e s t e r: Vom Staatsamte für Justiz wurden mir 46 Begnadigungsakten zugewiesen.13 Darunter befinden sich 2 Todesurteile, eine Reihe von Strafverminderungen und Strafumwandlungen. Bei den beiden Todesurteilen hat der Oberste Gerichtshof lebenslänglichen gleiche Behandlung der Mitglieder der provisorischen Nationalversammlung im tschechoslovakischen und südslavischen Staatsgebiet in Anspruch zu nehmen“ und „auf die Gefahr, dass zur Wiedervergeltung gegriffen werden könnte, hinzuweisen“. Vgl. AdR, BKA/Inneres, 34/5, StAI, Zl. 2.068/1918. In weiterer Folge verständigte die Staatskanzlei das Staatsamt für Äußeres am 22. November 1918 über Soukups Verhaftung, worauf Staatssekretär Bauer den Gesandten Tusar um Intervention bei der tschechoslowakischen Regierung ersuchte. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 760/1/1918, Abgeordneter Martin Soukup, Verhaftung in der tschechoslowakischen Republik. 11 Beilage 43/V: Gesetzesentwurf (2¼ Seiten). Der Entwurf stimmt mit dem endgültigen Gesetzestext weitgehend überein. Neben gewissen stilistischen Überarbeitungen wurde im Gesetz der Staatsrat allein mit der Durchführung des Gesetzes betraut. Im Entwurf waren hierfür noch die Staatsämter für Finanzen, für Kriegs- und Übergangswirtschaft sowie für Unterricht vorgesehen. 12 Zum weiteren Verlauf der Gesetzwerdung vgl. SRP Nr. 47 vom 26. November 1918, sowie Nr. 50 vom 29. November 1918. Vgl. auch KRP Nr. 13/6 vom 18. November 1918 und Nr. 14/11 vom 21. November 1918. 13 Beilage 43/VI: Gnadengesuche (6¼ Seiten). In der Beilage werden die Gnadengesuche von 46 Verurteilten unter Angabe des Namens und Deliktes aufgelistet. Die mit Abstand am häufigsten genannten Vergehen sind Preistreiberei und Diebstahl. Die beiden in lebenslängliche Haft umgewandelten Todesstrafen wurden wegen Raubmordes verhängt.
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Kerker beantragt. Die Justizkommission hat sich allen Anträgen des Obersten Gerichtshofes angeschlossen und ich b e a n t r a g e, daß der Staatsrat sie ebenfalls genehmigt. A n g e n o m m e n.14 Dr. S t e i n w e n d e r: Als seinerzeit der Vorschlag gemacht wurde, daß die Begnadigungen vom Staatsrate ausgesprochen werden sollen, habe ich mich dagegen gewendet und bin dafür eingetreten, daß dies seitens des Präsidiums zu geschehen habe. Ich bitte hierüber um Aufklärung. Dr. S y l v e s t e r: Der Vorschlag seinerzeit ging dahin, daß die Amnestie der Nationalversammlung vorgelegt werden solle, einzelne Begnadigungen aber dem Staatsrate.15 Dr. R o l l e r: In dem neuen Gesetze über die richterliche Gewalt ist bis zur Schaffung des Justizrates die Begnadigung provisorisch dem Staatsrate anheimgestellt.16 Dr. S t e i n w e n d e r: Ich habe noch einen weiteren Zweifel in Bezug auf die Kompetenz. Dem ehemaligen Minister für soziale Fürsorge Mataja17 wurde zugesichert, daß er nach seinem Rücktritte wieder Präsident der statistischen Zentralkommission sein werde.18 Er wäre es auch schon geworden, wenn sich die Sache im Finanzministerium nicht hinausgezogen hätte. Im Hinblicke auf die besonderen Fähigkeiten des Dr. Mataja b e a n t r a g e ich, ihm wieder diese Stelle einzuräumen. Dr. R e n n e r: Ich würde davor warnen, daß wir alle Zusagen übernehmen, die vom alten Regime gemacht worden sind. Wir können das prinzipiell nicht zulassen. Der Pensionsetat ist ohnedies im letzten Jahre mehr belastet worden als jemals früher. Was die Berufung des Mataja betrifft, so ist sie bereits dem Direktorium mitgeteilt worden. Es entscheidet also das Direktorium.19 Präs. H a u s e r: Ich bitte den Herrn Staatskanzler Bericht zu erstatten a) über die Fertigstellung des Vorentwurfes zur Wahlreform, b) Behandlung von Brünn, Olmütz und Iglau über die Abgrenzungskommission. Dr. R e n n e r: Ich habe die Wahlreform, wie ich sie mir denke, mit einiger Hilfe der Staatskanzlei ausgearbeitet. Dieser Entwurf wird jetzt in der Staatsdruckerei hergestellt. Ich möchte davon dem Staatsrate Mitteilung machen, damit dieser Entwurf dann in der entsprechenden Form zur Beratung kommt. Der Weg, den die Wahlreform bis zu ihrer Gesetzwerdung zu machen hat, ist sehr langwierig. Wenn wir daher unseren Auftrag erfüllen Dieser Beschluß enthielt allerdings eine verfassungsrechtlich inkorrekte Formulierung, gegen die das Staatsamt für Justiz Einspruch erhob, worauf dieses vom Staatsrat beauftragt wurde einen verfassungsrechtlich unbedenklichen Beschluß vorzulegen. Vgl. SRP Nr. 44 vom 24. November 1918, Nr. 48 vom 27. November 1918, Nr. 52 vom 2. Dezember 1918 und Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. Zu weiteren Begnadigungen vgl. SRP Nr. 60/I vom 20. Dezember 1918, Nr. 61/III vom 3. Jänner 1919, Nr. 66/IV vom 15. Jänner 1919, Nr. 69/VII vom 22. Jänner 1919, Nr. 71/II vom 3. Februar 1919 und Nr. 74/IVb vom 20. Februar 1919. 15 Vgl. SRP Nr. 27 vom 9. November vormittags. 16 Roller bezieht sich hier auf § 16, Absatz 2 des Grundgesetzes über die richterliche Gewalt. Vgl. StGBl. Nr. 38/1918. 17 Viktor Mataja, Nationalökonom und Sozialpolitiker, 1908/09 und 1911 Handelsminister, 22. Dezember 1917 bis 27. Oktober 1918 erster Minister für soziale Fürsorge, Juli 1914 bis Juni 1917 Präsident der k.k. Statistischen Zentralkommission, 23. Juni bis 30. August 1917 neuerliche Betrauung mit der Leitung des Handelsministeriums, Juli 1919 bis 1922 erneut Präsident der statistischen Zentralkommission. 18 Vgl. dazu AVA, Ministerratsprotokolle, 75. Sitzung des k.k. Ministerrates vom 9. November 1918, Punkt 15 der Tagesordnung, Betrauung des Ministers a. D. Dr. Viktor Mataja mit der Leitung der Statistischen Zentralkommission. 19 Zu Viktor Matajas erneuter Berufung als Präsident der statistischen Zentralkommission konnten im Bestand des Staatsratsdirektoriums keine Unterlagen eruiert werden. 14
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und die Wahlen bis Ende Jänner vornehmen wollen, dann werden wir sehr eifrig und rasch arbeiten müssen.20 Ich möchte mir deshalb vom Staatsrate folgende Ermächtigung erbitten, daß ich in der Zeit, während der Entwurf in Druck liegt, den drei großen Formationen, der christlich sozialen, der sozialdemokratischen Partei und den Deutschbürgerlichen über die Grundsätze Bericht erstatte, damit sie instruiert sind. Der Entwurf muß vom Verfassungs-Departement juristisch technisch überarbeitet werden, das aber in politischer Beziehung dabei nichts zu tun hat. W o l f: Die Verfassung des Grundgesetzes für die Wahlen ist von ausschlaggebender Bedeutung für das künftige Schicksal des neuen Staates, für das Verhältnis der Parteien zueinander, für die Möglichkeit, so weiter zusammenzuarbeiten wie bisher. Bei aller Anerkennung der Objektivität des Herrn Staatskanzlers geht es aber doch nicht an, daß ein solcher Entwurf lediglich aus dem Kopfe eines Parteimannes entspringt und hier zur Grundlage der Beratung gemacht wird. Zu diesem Zwecke muß aus dem Staatsrate ein Ausschuß eingesetzt werden, der sich aber schon an gewisse Grundsätze zu halten hat, die in einer hier vorher durchzuführenden Generalaussprache festgelegt werden. Das Elaborat des Ausschusses wäre dann an den Staatsrat zu leiten; dieser hätte es zu ergänzen und abzuändern und dann dem Hause vorzulegen. Von dort ginge es nach neuerlicher Durchberatung an den bereits gewählten Ausschuß und von diesem wieder an das Haus zurück. Damit wäre vermieden, daß hier von vorneherein einseitige parteimäßige Anschauungen festgelegt werden und daß wir eventuell überhaupt zu keinem Resultate kommen. Ich stelle den A n t r a g, den Vorgang so einzuhalten, wie ich ihn eben dargelegt habe. Das Amt des Staatskanzlers, das von Anfang an eigentlich nur die Bedeutung einer Kanzleiführung hatte, ist jetzt schon beinahe mehr als in früheren Zeiten das des Ministerpräsidenten. Diese präpotente Bedeutung wird sich auf die Dauer nicht gut halten lassen. H e i n e: Das Wahlreformwerk kann nur ein Kompromißwerk sein. Ich halte es nicht für wünschenswert, daß sich der Staatsrat mit demselben im ersten Stadium, wo die Parteien mit ihren Gegensätzen aufeinanderplatzen und wo die Gefahr besteht, daß der Staatsrat und die gegenwärtige Koalition auseinandergehen, befaßt. Ich würde mir daher den Vorschlag erlauben, daß der Wahlreformentwurf der Wahlreform-Kommission zugewiesen werde, und zwar ohne daß im Staatsrate vorher eine Art Vorbearbeitung21 desselben stattfinde. Im übrigen schließe ich mich dem Bedenken des Herrn Staatsrates Wolf an, daß es nicht im Interesse des Staatskanzleramtes und der Koalition hier im Staatsrate ist, wenn ein solcher Entwurf vom Staatskanzler allein ausgeht. Dr. R e n n e r: Der Wahlreformentwurf hat natürlich noch viele Mängel und es wird Sache der einzelnen Gruppen und Herren, die sich damit zu befassen haben werden, sein, diese Mängel zu beseitigen. Ich muß aber auf meiner früher gestellten Bitte beharren. Die Sache drängt außerordentlich, denn ich befürchte, daß aus der Rückwirkung von Deutschland her unsere Koalition zerfällt.22 Wir stehen unter der Zwangsvorstellung, daß wir unsere Wähler Renners Entwurf wurde ausführlich in der 53. Sitzung diskutiert. Er liegt diesem Protokoll mit einer überarbeiteten Variante der Wahlreformkommission als Beilage 53/II bei. Vgl. SRP Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. 21 Im Original ursprünglich Vorberatung; wurde gestrichen. 22 Renner bezieht sich auf den vom 10. November 1918 bis zum 13. Februar 1919 als provisorische deutsche Regierung amtierenden „Rat der Volksbeauftragten“ aus Mehrheitssozialdemokraten und Unabhängigen Sozialdemokraten, der die bürgerlichen Parteien von der Regierungsbeteiligung ausschloß. Erst nach den Wahlen zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung vom 19. Jänner 1919 entstand am 13. Februar 1919 die sogenannte „Weimarer Koalition“ aus Mehrheitssozialdemokraten, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei. Vgl. Joachim Käppner, 1918 – Aufstand für die 20
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möglichst rasch mit der Wahl beschäftigen müssen, damit sie auf andere Gedanken kommen; das ist eine Lebensnotwendigkeit für uns. Die Arbeit, die ich mache, ist keineswegs etwa das, was meine Partei verlangen wird. Ich war bestrebt, einen Entwurf auszuarbeiten, der von allen Parteien akzeptiert werden kann. Was die Stellung des Staatskanzleramtes anbelangt, so ist dieses nichts anderes als der Reflex des Staatsrates. Der Staatsrat kann nicht alle Arbeiten selbst machen, er muß sie durch die Kanzlei besorgen lassen. Dadurch gewinnt diese eine überragende Stellung. Das Staatskanzleramt ist das Exekutivorgan des Staatsrates, es ist ein vorübergehendes Auskunftsmittel. In einer definitiven Verfassung wird es ja ebenso wie der Staatsrat, wegfallen. Ich möchte also noch einmal bitten, mir diese Ermächtigung, die drei großen Gruppen während der allernächsten Zeit zu informieren, zu geben. Dabei werde ich aber nichts Schriftliches aus der Hand geben, weil es sonst sofort in die Presse gelangt. Durch diese Information soll bezweckt werden, daß nicht hinter Formalien des Verfahrens politische Geheimnisse gesucht werden, daß das Formale von dem eigentlich Politischen geschieden wird. Nachdem Herr Staatsrat Wolf seinen Antrag zurückgezogen hat, wird der Antrag des Staatskanzlers Dr. Renner a n g e n o m m e n.23 R e n n e r: Die Kundmachung der Gebietsabgrenzung Deutschösterreichs obliegt nach dem Beschlusse der Nationalversammlung dem Staatsrate.24 Da nun die Südslaven auf Grund des Ausschußentwurfes erklärt haben, die Verhandlungen abzubrechen, und mit militärischer Besetzung vorgegangen sind, würde es sich empfehlen, die Kundmachung der Abgrenzung im Süden noch aufzuschieben und abzuwarten, ob nicht ein Kompromiß mit den Südslaven zustandekommt, das unsere Interessen sichert.25 Hinsichtlich der Einschlußgebiete von Brünn, Olmütz und Iglau besteht die Gefahr, daß wir einerseits diese Gebiete faktisch verlieren, andererseits aber doch genötigt sind, die Bezahlung aller Beamten dieser Gebiete zu übernehmen. Ich würde daher bitten, daß die Frage dieser Einschlußgebiete noch einmal im Staatsrate beraten wird. Das Gebietsgesetz wird vollständig veröffentlicht, aber die dem Staatsrate vorbehaltene Kundmachung der Abgrenzung könnte durch drei gesonderte Vollzugsanweisungen etappenweise erfolgen. Ich stelle daher folgenden A n t r a g26:
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Freiheit. Die Revolution der Besonnenen, München 2017, S. 163–259; Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, München 2008, S. 194–197. Zur weiteren Behandlung des Wahlordnungsgesetzes vgl. SRP Nr. 48 vom 27. November 1918 und Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. Der § 3 des betreffenden Gesetzes über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich (StGBl. Nr. 40/1918) verfügte: „Die Gerichtsbezirke und Gemeinden werden durch den Staatsrat bestimmt und kundgemacht“. Die Lage in den Grenzgebieten zum südslawischen Staat war zu diesem Zeitpunkt einerseits von einseitigen Gebietsansprüchen sowie wenig dauerhaften Abkommen, die ständiger Modifikationen und Erneuerungen bedurften, geprägt und andererseits von den durch die südslawische Okkupation, die in der Steiermark bis nach Radkersburg und Spielfeld reichte, geschaffenen Tatsachen, bestimmt. Auf österreichischer Seite folgte man dabei dem Grundsatz, daß die endgültige Regelung der Abgrenzung der Friedenskonferenz vorbehalten bleiben müßte. Eine am 9. Dezember 1918 angesetzte Verhandlung zwischen deutschösterreichischen und südslawischen Vertretern blieb in Bezug auf die Frage der Grenzziehung ergebnislos. Vgl. dazu Arnold Suppan, Jugoslawien und Österreich 1918–1938. Bilaterale Außenpolitik im Europäischen Umfeld, München 1996, S. 487–493. Zur Situation in der Steiermark vgl. Martin Moll, „Die blutende Wunde im Süden“: Eine neue Grenze entsteht, in: Alfred Ableitinger (Hg.): Bundesland und Reichsgau. Demokratie, „Ständestaat“ und NS-Herrschaft in der Steiermark 1918 bis 1945 (= Geschichte der Steiermark. Herausgegeben von der historischen Landeskommission für Steiermark Band 9/1), Wien/Köln/Weimar 2015, S. 289–316, hier S. 298 f. Beilage 43/VIII: Antrag Renner (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII.
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„Der Staatskanzler ist ermächtigt, zuerst die Abgrenzung der Gebiete in Böhmen, Mähren und Schlesien kundzumachen, wo sie ganz unbestritten ist, die Abgrenzung der drei Einschlußgebiete Brünn, Olmütz und Iglau aber einstweilen aufzuschieben und bezüglich der Abgrenzung im Süden die schwebenden Verhandlungen mit den Jugoslaven abzuwarten.“ W a l d n e r: Ich unterstütze den Antrag des Staatskanzlers bezüglich der südlichen Gebiete auf das wärmste mit Rücksicht auf die insbesondere aus Kärnten eingelangten Berichte, aus denen die Gefahr eines Bürgerkrieges hervorgeht.27 Der Antrag des Staatskanzlers w i r d a n g e n o m m e n.28 Die nächste Sitzung des Staatsrates findet Montag, den 25. November, um 10 Uhr vormittags statt. Schluß der Sitzung: 5 Uhr 15 Min. abends.
Aufgrund der unterschiedlichen Gebietsansprüche war die Situation zwischen dem SHS-Staat und Deutschösterreich bzw. der Kärntner Landesregierung in Bezug auf die Frage der Grenzziehung zwischen Kärnten und Slowenien angespannt. Verschiedene militärische Aktionen und insbesondere auch die mitunter von südslawischer Seite offen erhobenen Ansprüche auf Klagenfurt und Villach veranlaßten die Kärntner Landesversammlung am 5. Dezember 1918 den Beschluß zu fassen, gegen den Einmarsch südslawischer Truppen Widerstand zu leisten. Ende des Jahres 1918 kam es schließlich zu militärischen Auseinandersetzungen, die am 14. Januar 1919 mit einem Waffenstillstand vorläufig beendet wurden. Die endgültige Regelung der Frage erfolgte durch eine im Jahr 1920 abgehaltene Volksabstimmung. Vgl. Suppan, Jugoslawien und Österreich 1918–1938, S. 495–504 und S. 517– 523; Ute Weinmann, Die südslawische Frage und Jugoslawien. Grenzziehungen im Süden Österreichs unter besonderer Berücksichtigung der Kärntenproblematik, in: Helmut Konrad/Wolfgang Mader thaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 119–139, hier S. 126–134; Wilhelm Neumann, Abwehrkampf und Volksabstimmung in Kärnten 1918–1920. Legenden und Tatsachen, Klagenfurt 1985. Zur Haltung der Sozialdemokratie vgl. Hellwig Valentin, Nationalismus oder Internationalismus? Arbeiterschaft und nationale Frage mit besonderer Berücksichtigung Kärntens 1918–1934 (= Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 83), Klagenfurt 2000. 28 Die Festlegung des österreichischen Staatsgebietes erfolgte letztendlich nur aufgrund einer Vollzugsanweisung. Vgl. StGBl. Nr. 4, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 3. Jänner 1919 über die das deutschösterreichische Staatsgebiet bildenden Gerichtsbezirke, Gemeinden und Ortschaften, ausgegeben am 5. Jänner 1919. Vgl. dazu auch das Material in AdR, StK, GZl. 97/1919; weiters SRP Nr. 61/IId vom 3. Jänner 1919. Zur Abgrenzungskommission vgl. außerdem SRP Nr. 44/3 vom 25. November 1918. Die Konstituierende Nationalversammlung bekräftigte den Gebietsanspruch Deutschösterreichs erneut mit StGBl. Nr. 175, Gesetz vom 12. März 1919 über das besetzte Staatsgebiet, ausgegeben am 14. März 1919. 27
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43 – 1918-11-23 43. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates am 23. Nov. 1918 Vorsitzender: Präsident H a u s e r.
I. Antragsteller: Präsident H a u s e r. Dem Staatsrate L u k s c h wird ein dreitägiger Urlaub erteilt und an seiner Stelle der Ersatzmann N a g e l e zu den Sitzungen des Staatsrates einberufen. An die Präsidialkanzlei. II. Bericht des U.S.S. G l ö c k e l einvernehmlich mit dem Staatsamt für Heerwesen über den Entwurf eines Gesetzes betr. die Gendarmerie des d.ö. Staates, der auf die Umwandlung der Gendarmerie aus einem militärischen Wachkörper in einen zivilen und ihre Unterstellung auch in bezug auf Organisation und Administration unter das Staatsamt des Innern abzielt. Antrag T e u f e l: Der Gesetzentwurf erhält die Genehmigung des Staatsrates und ist in der nächsten Sitzung der Nationalversammlung einzubringen. Beschluß: Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär des Innern. III. Antragsteller: Staatsrat I r o. Der Staatskanzler wird beauftragt, gemeinsam mit dem Staatssekretariat für Äußeres s o f o r t die notwendigen Schritte bei den Regierungen des tschecho-slovakischen und südslavischen Staates bezüglich der Herstellung eines Reziprozitätsverhältnisses in bezug auf die Freizügigkeit der Abgeordneten zu unternehmen, um künftighin Behelligungen und Inhaftierungen von Abgeordneten hintanzuhalten. Beschluß: Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär des Äußern. IV. Antragsteller: Präsident H a u s e r. Die in der Sitzung der Nationalversammlung vom 22. November 1918 beschlossenen Vorlagen: 1. Gesetz über die Dienstbezüge und die Dienstzulagen der vom Volke betrauten Staatsorgane. 2. Gesetz über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich, 3. Staatserklärung über Umfang, Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes von Deutschösterreich, 4. Grundgesetz über die richterliche Gewalt, 5. Gesetz über die Übersetzung und Pensionierung von Richtern aus Anlaß von Änderungen in der Gerichtsverfassung, 6. Gesetz über die Verwendbarkeit des von der Gemeinde Wien auf Grund des mit Beschluß der Landesversammlung des Landes Niederösterreich vom
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5. Nov. 1918 bewilligten Anlehens auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar- und ähnlichen Kapitalien, 7. Gesetz über die Verwendbarkeit der von der Salzburger Landesversammlung auszugebenden Teilschuldverschreibungen zur fruchtbringenden Anlegung von Stiftungs-, Pupillar- und ähnlichen Kapitalien werden vom Staatsrate bekräftigt und dem Staatsnotar zur Beurkundung überwiesen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatsnotar. V. Bericht des Staatssekretärs P a c h e r über den dem Originalprotokoll angeschlossenen Entwurf eines Gesetzes betr. das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung. Beschluß: Der Gesetzentwurf wird der Justizkommission zugewiesen. An den Herrn Obmann der Justizkommission und den Herrn Staatssekretär für Unterricht. VI. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r. Beschluß: Die Vorschläge der Justizkommission über die vom Obersten Gerichtshof begutachteten Gnadenbitten von 44 strafgerichtlich verurteilten Personen um Umwandlung oder Nachsicht der Strafe bezw. Nachsicht der Rechtsfolgen oder Tilgung der Verurteilung und von 74 in strafgerichtlicher Untersuchung stehenden Personen um Niederschlagung des Strafverfahrens werden genehmigt. An den Herrn Obmann der Justizkommission und den Herrn Staatssekretär für Justiz. VII. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Die Absicht des Staatskanzlers, den in erster Ausarbeitung vorliegenden Entwurf der Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung noch vor seiner Einbringung im Staatsrate mit den 3 Gruppen: Christlich-soziale, Deutschbürgerliche und Sozialdemokraten in gesonderten Besprechungen einer Erörterung zu unterziehen, die bei Ausschluß jeder politischen Auseinandersetzung eine rein sachliche Erläuterung der dem Entwurfe zugrundeliegenden formellen Grundsätze bieten soll, wird zur Kenntnis genommen. Die im Laufe der Debatte gestellten Anträge des Staatsrates Wolf, der Vorschlag des Staatskanzlers sei mit Dank abzulehnen und in der nächsten Sitzung des Staatsrates eine Aussprache über die Grundzüge der Wahlordnung abzuführen, nach deren Ergebnis ein von den 3 Parteien beschickter Ausschuß einen Entwurf für die Wahlordnung auszuarbeiten hätte, sowie des Staatsrates H e i n e, den Wahlgesetzausschuß der Nationalversammlung zu beauftragen, von den 3 Parteien programmatische Erklärungen über das Wahlrecht entgegenzunehmen und nach Vermittlungsversuchen zur Ausgleichung der aufgetauchten Gegensätze dem Staatsrate innerhalb einer bestimmten Zeit über die der Wahlordnung zugrundelegenden Richtlinien zu berichten, wurden von den Antragstellern infolge der weiteren Aufklärungen des Staatskanzlers zurückgezogen. An den Herrn Staatskanzler.
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VIII. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Antrag: Der Staatskanzler ist ermächtigt, zuerst die Abgrenzung der Gebiete in Böhmen, Mähren und Schlesien kundzumachen, wo sie ganz unbestritten ist, die Abgrenzung der 3 Einschlußgebiete Iglau, Brünn und Olmütz aber einstweilen aufzuschieben und bezüglich der Abgrenzung im Süden die schwebenden Verhandlungen mit den Jugoslaven abzuwarten. Beschluß: Antrag angenommen. An den Herrn Staatskanzler. IX. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Beschluß: Zum Mitglied der Beratungsgruppe für Verfassungs- und Verwaltungsorganisation wird an Stelle des nunmehrigen Unterstaatssekretärs M a r c k h l Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n bestimmt.29 An den Herrn Obmann der Beratungsgruppe für Verfassungs- und Verwaltungsorganisation.
Dieser Beschluß scheint im Sitzungsprotokoll nicht auf. Ein entsprechender Antrag wurde von Staatsrat Teufel erst in der 54. Sitzung des Staatsrates vom 6. Dezember 1918 gestellt.
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44. [Montag] 1918-11-25 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Renner Baechlé, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Gruber, Guggenberg, Heine, Iro, Kroy, Langenhan, Leuthner, Licht, Ofner, Pantz, Roller, Schürff, Sylvester, Teufel, Tomschik, Waldner unbekannt 10.25–12.35 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g2: 1. Einlauf. 2. Bericht des Staatskanzlers: a) Über die Länderkonferenz Antrag auf Bestellung von Verbindungsbeamten zu den entlegeneren Landesregierungen. b) Einrichtung einer besonderen Verbindungsstelle zu Deutschböhmen und dem Sudetenlande. c) Bericht über die Bedrängung der deutschböhmischen Beamten durch die Tschechen, welche die Revozierung des geleisteten Gelöbnisses verlangen. d) Überführung des Privatbesitzes des Erzherzogs Franz Salvator aus der Hofburg. e) Bestätigung der Wahl des Bürgermeisters S a d l e d e r in Linz. f ) Nachträgliche Genehmigung der vom Staatsrate Wichtl in Kaplitz getroffenen Maßnahmen. 3. Staatskanzler: Errichtung einer Minderheitenschutzstelle bei der Staatskanzlei im Einvernehmen mit dem Staatsamt des Äußeren.3 4. Staatskanzler, Bestellung einer Hauswache von 60 Mann im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen. 5. Unterstaatssekretär der Finanzen: Richtlinien für die Behandlung der Beamtenfrage. 6. Zusammensetzung der Kommissionen des Staatsrates nach § 9 der Geschäftsordnung.4 Antrag des Staatskanzlers auf Einsetzung einer Wahlreformkommission von 5 Mitgliedern unter der Leitung des Staatsrates Fink. 7. Bericht der Staatskanzlei über eine dem Staatsrate übergebene, aus der Ukraine geborgene ärarische Kasse im Betrage von über 220.000 Kronen. 8. Staatsamt für soziale Fürsorge, Entwürfe über die Regelung der Heimarbeiter und der Kinderarbeit.5
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Eugen Beck, Karl Seitz und Dr. Karl Urban deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Die Tagesordnung stimmt nur teilweise mit dem Verlauf der vorliegenden Sitzung überein. 3 Der Punkt wurde erst in der 47. Sitzung des Staatsrates am 26. November 1918 nachmittags behandelt. 4 Der Punkt wurde erst als 9. Punkt der Tagesordnung in der 48. Sitzung des Staatsrates vom 27. November 1918 behandelt. 5 Dieser Punkt der Tagesordnung wurde erst in der 45. Sitzung des Staatsrates vom 25. November nachmittags behandelt. 1
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9. 10.
Kommissionsbericht über Verbrauchsabgaben. Bericht des Staatsrates Friedmann.6 Allfälliges. Initiativanträge, etc.
Beilagen: 44/I 44/III 44/IV 44/X
Bodirsky, Nachricht an Heine vom 23.11.1918 mit dem Ersuchen um Vertretung im Staatsrat (1 Seite); Schoepfer, Anmeldung des Ersatzmannes Guggenberg (1 Seite, handschriftlich); Abram, Urlaubsansuchen (½ Seite). Wiener Zeitung Nr. 272 vom Sonntag, den 24. November 1918, S. 1 f (2 Seiten, gedruckt). Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom … November 1918 betreffend die Volksbekleidung (8 Seiten), Bedarfsbescheinigungsformular (2 Seiten, gedruckt). Liste mit Gnadengesuchen (4½ Seiten).7
Dr. R e n n e r eröffnet in Vertretung der dringend abgehaltenen Präsidenten die Sitzung um 10 Uhr 25 Min. vormittags. Dem Staatsrat Simon Abram wird ein achttägiger Urlaub erteilt.8 An Stelle des entschuldigten Staatsrates Dr. Schoepfer nimmt als Ersatzmann Guggenberg, an Stelle des entschuldigten Staatsrats Domes Ersatzmann Tomschick9 und an Stelle des Staatsrats Bodiersky10 Ersatzmann Heine an der Sitzung teil.11 Dr. R o l l e r berichtet über die Aktivierung des Oberlandesgerichtes Reichenberg, die er als höchst dringend bezeichnet. Von den zwölf ausgeschriebenen Stellen sollen vorläufig aus Ersparungsgründen nur fünf besetzt werden. Als Leiter schlägt er den Oberlandesgerichtsrat Paukal12, derzeit Personalreferent in Prag vor, weiters die Übersetzung des Dr. Wölfl13 und Kikisch14 und die Neuernennung der Landesgerichtsräte Rodler15 und Wenzel16 für das 6
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Staatsrat Friedmann berichtete in der 45. Sitzung vom 25. November namens des Finanzausschusses über fünf Konsumsteuervorlagen. Die Beilage enthält zusätzlich die Numerierung 53/VIII, da die darin angeführten Gnadengesuche aufgrund einer verfassungsmäßig inkorrekten Formulierung letztlich erst in der 53. Sitzung behandelt werden konnten. Vgl. SRP Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. Beilage 44/I: Abram, Urlaubsansuchen (½ Seite). Abram suchte darin um Urlaub an, da seine Anwesenheit zur Klärung der Sachdemobilisierungsfrage in Innsbruck und im Tiroler Landtag erforderlich war. Richtig: Josef Tomschik. Richtig: Gustav Bodirsky. Beilage 44/I: Bodirsky, Nachricht an Heine (1 Seite); Schoepfer, Anmeldung des Ersatzmannes Guggenberg (1 Seite, handschriftlich). Dr. Viktor Baukal, Oberlandesgerichtsrat der deutschen Gruppe am k.k. Oberlandesgericht in Prag. Mit 25. November 1918 Versetzung zum Oberlandesgericht Reichenberg, 7. Dezember 1918 auf Beschluß des Staatsratsdirektoriums Ernennung zum Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes. Vgl. dazu AVA, Justiz, JM Präs. 127.64, Baukal, Dr. Viktor, Personalstandesausweis und Gutachten über die Qualifikation, 1884–1925. Dr. Heinrich Wölfel, ab 1916 Oberlandesgerichtsrat am k.k. Kreisgericht Reichenberg. Franz Hikisch, ab 1916 Oberlandesgerichtsrat am k.k. Kreisgericht Reichenberg. Dr. Wenzel Franz Rogler, ab 8. Februar 1911 Landesgerichtsrat am k.k. Kreisgericht Böhmisch-Leipa, ab 25. November 1918 Oberlandesgerichtsrat in Reichenberg, mit 28. Oktober 1919 Rückversetzung an das Oberlandesgericht Wien. Vgl. dazu AVA, Justiz, JM Präs. 181.79, Rogler, Dr. Wenzel Franz, Personalstandesausweis, Periodische Qualifikationstabelle und Gutachten über die Qualifikation, 1891–1928. Dr. Karl Wenzl, ab 8. Februar 1911 Landesgerichtsrat in Eger, ab 25. November 1918 Oberlandes gerichtsrat in Reichenberg. Vgl. AVA, Justiz, JM Präs., Personal-Standesausweis des Dr. Karl Wenzl.
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Oberlandesgericht in Reichenberg und die Betrauung des Hofrates Zorn17 mit der Leitung der Oberstaatsanwaltschaft. Ferner beantragt er die Errichtung der beiden Bezirksgerichte Gradlitz und Gießhübl. Außerdem muß die Vollzugsverordnung bezüglich der Gerichte herausgegeben werden, die die Zuteilung von Deutsch-Südböhmen zu Oberösterreich und von Neu-Bistritz zum Kremser Sprengel18 betrifft. Er beantragt die Neuformierung des Kreisgerichtssprengels Znaim und die Zuweisung der Berggerichtsbarkeit bezüglich dieses Sprengels an das Berggericht in St. Pölten. Er beantragt die Errichtung eines Kreisgerichtes in Mährisch-Schönberg. Bezüglich der Stadt Olmütz, die in das deutschösterreichische Staatsgebiet aufgenommen wurde, habe Landeshauptmann Freißler Einsprache erhoben, diese Stadt in die Verwaltung des Sudetenlandes zu übernehmen, weil die Deutschen dort nicht den geringsten Einfluß hätten. Mit Rücksicht darauf beantragt der Staatssekretär für Justiz, Olmütz vorläufig in die Gerichtseinteilung nicht hineinzunehmen und erbittet sich diesbezügliche Weisungen. Der Oberlandesgerichtspräsident von Graz19 erbittet Weisungen bezüglich des Verhaltens des Gerichtes Marburg gegenüber den Serben, die sich der ganzen Verwaltung der Stadt bemächtigt haben.20 Der Berichterstatter ist für das Verbleiben der deutschen Beamten. Dr. R e n n e r: Bezüglich der Städte Brünn, Olmütz und Iglau wird eine Vollzugsanweisung nicht erlassen, so daß mangels einer gesetzlichen Grundlage die Gerichtseinteilung sich auf diese Städte nicht erstrecken kann. Bezüglich Marburg würde ich empfehlen, die Funktionäre nicht zurückzuziehen, selbst auf die Gefahr hin, daß sie unter Zwang die Angelobung leisten müßten. Präs. S e i t z, der inzwischen den Vorsitz übernommen hat, bringt die Anträge Dr. Roller21 in folgender Fassung zur Abstimmung: „Der Staatsrat genehmigt, daß auf Grund der beschlossenen Errichtung und Organisation des Oberlandesgerichtes in Reichenberg auf Rechnung der dort ausgeschriebenen zwölf Stellen sofort fünf besetzt werden, damit sofort ein Zivil- und Strafsenat amtieren und sofort ein Kreisgericht aktiviert werden kann. Die Ernennung des Senates obliegt dem Direktorium.“ A n g e n o m m e n.22 „Der Staatsrat wolle beschließen: Es sind die Bezirksgerichte Gradlitz und Gießhübl sofort zu errichten.“ Hier ist vermutlich Victor Zorn, ab 1897 Staatsanwalt für Reichenberg, 22. Dezember 1912 Ernennung zum Hofrat gemeint. Vgl. AVA, Justiz, JM Präs., Personal-Standesausweis des Victor Zorn. 18 Dieses Wort wurde im Protokoll mehrmals korrigiert. Gemeint kann hier nur das Kreisgericht Krems sein. 19 Dr. August Ritter von Pitreich, ab 1911 Mitglied des k.k. Staatsgerichtshofes. Vgl. dazu AVA, Justiz, JM Präs. 174a.126, Pitreich, Dr. August Ritter von, Personalstandesausweis, 1899–1919. 20 Vgl. dazu auch SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 21 Die Anträge Staatssekretär Rollers liegen dem Protokoll nicht bei. 22 Das Staatsamt für Finanzen nahm diese Beschlüsse am 27. November 1918 zur Kenntnis und ersuchte das Staatsamt für Justiz um vorherige Mitteilung der zu ihrer Durchführung notwendigen staatsfinanziellen Aufwendungen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.961/1918, betreffend den Beschluß der 44. Sitzung des Staatsrates vom 25. November 1918 über die Abänderungen in der Gerichtseinteilung der Sudetenländer. Die Vermerkprotokolle des geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums geben über die Ernennungen keinen Aufschluß, erst in der Sitzung am 7. Dezember 1918 wurde unter Punkt 2.d der Tagesordnung u. a. die Bestellung Dr. Baukals zum Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes Reichenberg beschlossen. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 27/Dir./1918, Vermerk Nr. 5 über die Besprechung des geschäftsführenden Direktoriums vom 7. Dezember 1918. Im amtlichen Teil der „Wiener Zeitung“ vom 27. November 1918 wurden jedoch die Ernennungen durch das Staatsrats direktorium verlautbart. Vgl. dazu Wiener Zeitung, 27. November 1918, S. 1 „Amtlicher Teil“. 17
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A n g e n o m m e n.23 „Die vom Staatsamte für Justiz vorgelegte Gerichtseinteilung für Deutschböhmen und die Vorschläge desselben Amtes über Zuweisung von deutschen Gerichtsbezirken des Böhmerwaldes an Oberösterreich und des Bezirksgerichtssprengels Neu-Bistritz an Niederösterreich werden genehmigt.“ A n g e n o m m e n.24 „Die Gerichtseinteilung für das Sudetenland die Errichtung eines Kreisgerichtssprengels Mährisch-Schönberg und die Neuformierung des Kreisgerichtssprengels Znaim nach dem Gebietsgesetze wird gemäß dem vorliegenden Akte des Justizamtes genehmigt.“ A n g e n o m m e n.25 Das Justizamt erklärt, die betreffenden Akten in Abschrift für das Protokoll zu erbringen. [5] Es gelangt Punkt 5 der Tagesordnung zur Verhandlung, Bericht des Unterstaatssekretärs der Finanzen über Richtlinien für die Behandlung der Beamtenfrage. B e c k v o n M a n n a g e t t a verliest und erläutert die in der „Wiener Zeitung“ vom 24. November veröffentlichten Richtlinien für die Behandlung der Beamtenfrage26 und bittet den Staatsrat, diese Richtlinien zur Kenntnis zu nehmen. Präs. S e i t z: Diese Richtlinien widersprechen früheren Beschlüssen des Staatsrates bezüglich der Beamten, die auf deutschösterreichischem Gebiete Dienst machen und nicht der deutschen Nationalität angehören. Diese Richtlinien widersprechen aber auch dem, was man unausgesetzt den Beamten versichert hat. Man kann die Beamten nicht einfach aufs Pflaster setzen und sie auf die Bestimmungen des Friedensschlusses vertrösten.27 Für diese Beamten Vgl. dazu StGBl. Nr. 57, Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Justiz vom 25. November 1918, betreffend die Errichtung von Bezirksgerichten in Gradlitz und Gießhübl, ausgegeben am 30. November 1918. 24 Vgl. dazu StGBl. Nr. 58, Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Justiz vom 25. November 1918 über die Gerichtseinteilung in Deutschböhmen, ausgegeben am 30. November 1918. 25 Vgl. dazu StGBl. Nr. 65, Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Justiz vom 25. November 1918 über die Gerichtseinteilung im Sudetenlande, ausgegeben am 30. November 1918; StGBl. Nr. 61, Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Justiz vom 25. November 1918 über die Gerichtseinteilung im deutschen Siedlungsgebiete der südlichen Teile Böhmens, ausgegeben am 30. November 1918 und StGBl. Nr. 66, Vollzugsanweisung des Staatssekretärs für Justiz vom 25. November 1918 über die Gerichtseinteilung im niederösterreichischen Kreisgerichtssprengel Znaim, ausgegeben am 30. November 1918. 26 Beilage 44/III: Wiener Zeitung Nr. 272 vom Sonntag, den 24. November 1918, S. 1 f (2 Seiten, gedruckt). Der beiliegende Artikel aus der Wiener Zeitung gliedert sich in fünf Abschnitte: 1. Gelöbnis für den deutschösterreichischen Staatsdienst. 2. Regelung der Verhältnisse der ehemals österreichischen Staatsbediensteten deutscher Nationalität im deutschösterreichischen Staatsgebiete. 3. Regelung der Verhältnisse der ehemals österreichischen Staatsbediensteten deutscher Nationalität außerhalb des deutschösterreichischen Staatsgebietes. 4. Regelung der Verhältnisse der ehemals österreichischen Staatsbediensteten nichtdeutscher Nationalität im deutschösterreichischen Staatsgebiet. 5. Regelung der Aufteilung des Pensionsaufwandes. Die im Artikel angeführten Richtlinien stimmen mit den im Kabinettsrat beschlossenen Richtlinien überein. Vgl. KRP 14/16 vom 21. November 1918; weiters AdR, StK, GZl. 258/1919, Zl. 590/1918, Richtlinien für die vorläufige Behandlung einiger Staatsbedienstetenfragen. 27 In Punkt 4 der Richtlinien wurde festgelegt, daß nichtdeutsche österreichische Staatsbedienstete, die einstweilig nicht benötigt würden „unverzüglich unter Einstellung ihrer Aktivitätsbezüge zu entheben“ seien und „vorläufig vorschußweise gegen Abrechnung eine Beihilfe im Ausmaß der kostenmäßigen Bezüge“ erhalten sollten. Diejenigen nichtdeutschen Beamten, die vorläufige Verwendung fänden, müßten eine Verzichtserklärung abgeben und könnten nur zu unbedingt notwendigen Hilfsdiensten herangezogen werden. Es konnte nicht geklärt werden auf welche früheren Beschlüsse des Staatsrates sich Seitz hier bezieht. 23
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gibt es nur die eine Lösung, daß sie die Bezüge beibehalten bis zu dem Tage, wo endgiltig die Staaten gebildet sind. Jede andere Lösung würde die schwersten Erschütterungen und Revolutionen zur Folge haben. Was wir brauchen, ist ein Vorschlag der Staatsämter und der Staatskanzlei, wie das gemacht werden soll. Zu diesem Zwecke müssen Verhandlungen unter den einzelnen Staaten in Bezug auf die quotenmäßigen Beiträge geführt werden. T o m s c h i k schließt sich diesen Bedenken an und fragt, was mit den Beamten und Bediensteten der staatlichen Betriebe geschehen soll. R e n n e r: Nach der Dienstanweisung für die Zentralstellen obliegt die allgemeine Regelung der Staatsdienstverhältnisse nicht dem Staatsrat, sondern der Staatsregierung, d. i. der Gesamtheit der Staatssekretäre. Unter dem Vorsitz des Unterstaatssekretärs Dr. Beck sind aus sämtlichen Ämtern die Personalreferenten zu einer Geschäftsstelle zusammengesetzt worden, die sich mit den Beamtenorganisationen in Verbindung gesetzt haben. Diese Richtlinien wurden nicht incidenter28 in einer Kabinettssitzung vereinbart, sondern es wurde im Einvernehmen mit den Organisationen die ganze Materie durchgesprochen und der Wortlaut bis auf jedes einzelne Wort in Bezug auf seine Tragweite erwogen. Diese Richtlinien sind nicht das letzte Wort, sondern man müßte wissen, was unmittelbar am 1. Dezember zu geschehen habe.29 Die Geschäftsstelle tagt weiter und wird die Materie weiter beraten. Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was auf Rechnung des deutschösterreichischen Staates schon jetzt definitiv übernommen wird und dem, was wir provisorisch weiter zahlen und bezüglich dessen möglichst bald eine Vereinbarung mit den anderen Staaten erzwungen werden muß. Bis zum Friedensschlusse weiterzahlen können wir nicht, weil wir sonst bankrott werden. Es wurde auch der Beschluß gefaßt, bei den anderen Nationen zu erzwingen, daß sie mit uns darüber verhandeln. Zunächst müßten wir aber einen Modus haben, wie am 1. Dezember ausgezahlt werden soll. Das Weitere muß den Gegenstand internationaler Verhandlungen mit den anderen Staaten bilden. T o m s c h i k: Die Eisenbahnerorganisation ist gar nicht vertreten. Es sind hunderttausend Leute, und kein Vertreter sitzt drin. R e n n e r: Der Personalreferent des Eisenbahnressorts30 war mit anwesend. Da es sich um eine dringende Verfügung bis 1. Dezember handelte, konnte nicht der ungeheure Apparat aufgeboten werden. B e c k v o n M a n n a g e t t a gibt weitere Erläuterungen zu den Richtlinien, verliest dieselben im Wortlaute und bemerkt: Wir wollen die deutschen Beamten in nichtdeutschen Gebieten nicht direkt auffordern, ihre Stellen niederzulegen, weil wir sie in den anderen Staaten für die deutschen Minderheiten noch brauchen. Wenn sie aber hinausgeworfen werden, müssen wir für sie sorgen; das hat aber nur den Charakter einer provisorischen Regelung. Die nichtdeutschen österreichischen Staatsbediensteten sind zu entheben unter Belassung ihrer Bezüge. Für die Bezahlung gilt vorläufig der Grundsatz der Gegenseitigkeit. Was die gemeinsamen Beamten anbelangt, so bezieht sich die jetzige Regelung auf sie nicht. Wir wollten in dieser Richtung den Beschlüssen des Staatsrates nicht vorgreifen. Auch hier werden zwischenstaatliche Verhandlungen notwendig sein. Die vorliegenden Be Incidenter: zwischenfällig, nebensächlich. Vgl. dazu SRP Nr. 30 vom 11. November 1918. In der 11. Sitzung des Kabinettsrates wurde die Bildung eines zwischenstaatsamtlichen Komitees zur Regelung der Staatsbedienstetenfragen im Staatsamt für Finanzen beschlossen. Vgl. KRP Nr. 11/2 vom 15. November 1918. Eine Besprechung dieses Komitees über einen „Entwurf von Richtlinien für die vorläufige Behandlung der derzeitig dringendsten Zivilstaatsbedienstetenfragen“ fand am 19. November 1918 statt. Das Protokoll dieser Verhandlung inklusive Präsenzliste und Entwurf der Richtlinien findet sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.755/1918. Die von dem Komitee ausgearbeiteten Richtlinien sind in einem Nachtrag zur 14. Sitzung des Kabinettsrates vom 21. November 1918 enthalten. 30 Der Personalreferent des Eisenbahnressorts konnte nicht eruiert werden. 28 29
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stimmungen beziehen sich auch auf die Bediensteten aller Art, also nicht einseitig auf die Beamten. Selbstverständlich wird die Stelle, die berufen ist, die Beamtenfragen zu regeln, bestrebt sein, weiter vorzusorgen, um dieses Gebiet allmählich abzubauen und Beruhigung zu schaffen, damit in dieser Richtung nichts geschehe, was in irgendeiner Weise die Beamtenschaft bedrücken könnte. S y l v e s t e r übernimmt den Vorsitz. W a l d n e r: Eine Beruhigung für die verschiedenen Beamtenkategorien ist noch notwendig. Ich will zwar nicht sagen, als ob bei genauem Studium dieses langen Erlasses in der „Wiener Zeitung“ nicht jeder einzelne Beamte sich diese Körnchen, die auf ihn passen, hätte herausfinden können, sondern ich will nur sagen, daß der Eindruck in den Beamtenkreisen auf Grund dieses Erlasses kein solcher ist, daß die Leute wirklich beruhigt sind und das Verständnis für diese Grundlinien besitzen. Es wird daher notwendig sein, daß die wesentlichen Punkte noch einmal in einem Kommuniqué hervorgehoben werden. Das Schwergewicht liegt aber bei den zwischenstaatlichen Verhandlungen. Nur an diesem Punkte hängt alles und daher ist nach außenhin kundzutun, daß die Bereinigung dieses heiklen Punktes in Angriff genommen und hoffentlich zu einem befriedigenden Ergebnisse für die betreffenden beteiligten Beamten führen wird. Vom Staatsrate, der mit der Beamtenfrage nun einmal verknüpft ist, und von der Regierung muß die Eingenommenheit der Beamten entfernt werden, als ob diese nicht mit voller Hingabe die Interessen der Beamten wahrnehmen würden. Was Bosnien betrifft, so findet morgen eine Konferenz statt, in welcher es hoffentlich zu einer Vereinbarung kommen wird, bei welcher wir dahin streben müssen, daß die bosnische Regierung diese Tausende deutschen Beamte in Bosnien nicht auf das Pflaster wirft. Wir haben ja ein Mittel dazu, denn in unserer Territorialgewalt befinden sich in die Hunderte Millionen gehende bosnische Werte.31 Wenn wir die Ausfolgung dieser Werte zurückhalten, so werden wir mit diesem Drucke auch die bosnische Beamtenfrage bis auf weiteres schieben können. H e i n e: Diese Verfügungen sind erschienen und wir können uns erst im Nachhinein mit der Sache beschäftigen. Man hat sich allerdings mit den Organisationen ins Einvernehmen gesetzt, diese sind mit den Verfügungen im Wesentlichen einverstanden und die Beamtenschaft wird dieselben auch verstehen. Dagegen fanden aber z. B. mit den Eisenbahnern keine Verhandlungen statt. Es wäre daher notwendig, daß auch mit den anderen Organisationen das Einvernehmen gepflogen und in diesem Sinne die Verfügung noch ergänzt wird. Wichtig ist auch, daß hinsichtlich der zwischenstaatlichen Verhandlungen in einem Kommuniqué Klarheit geschaffen werde. In Bosnien und Jugoslavien wird man die deutschen Beamten nicht hinausschmeißen, weil man sie zur Amtierung braucht; der südslavische Staat könnte ohne die deutschen Beamten den Betrieb seiner Eisenbahnen nicht weiterführen.32 Staatskanzler Renner verhandelte mit Regierungsrat Božidar Čerović Anfang Dezember über ein mögliches Abkommen mit der bosnischen Landesregierung, wobei Renner die Übernahme der deutschen Beamten in den bosnischen Landesdienst sowie Schutz für deutsche Wirtschaftstreibende und Unternehmen in Bosnien forderte. Vgl. dazu das Schreiben Renners an Otto Bauer vom 12. Dezember 1918 in AdR, BKA/AA, NPA, Präsidium, Nachlaß Bauer, X, Schriftverkehr Renner und Bauer 12. Dezember 1918 bis 27. Dezember 1918. Im Jahr 1916 stammten 31,33 % der Beamten und Landesangestellten Bosniens aus der cisleithanischen Reichshälfte, wobei 10,80 % aller Beamten und Landesangestellten Deutsch als Muttersprache angaben. Vgl. Bericht über die Verwaltung von Bosnien und der Hercegovina für die Jahre 1914 bis 1916. Herausgegeben vom k.u.k. gemeinsamen Finanzministerium, Wien 1917, S. 177–179. Zur Frage der Verwaltung des bosnisch-herzegowinischen Landesärars in Wien vgl. auch SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. Dr. Božidar Čerović, 1918 Regierungsrat der bosnisch-herzegowinischen Abteilung des k.u.k. Gemeinsamen Finanzministeriums. 32 Dieser Zusammenhang wurde etwa im Zuge des Eisenbahnerstreiks in Marburg offensichtlich. Vgl. dazu Sonja Schneller, Die Auswirkungen des Zerfalls der Habsburgermonarchie auf die Eisenbahnen 31
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Ich beantrage33 daher, daß wir hinsichtlich gewisser Ergänzungen, hinsichtlich der wichtigen Fragen, die sich auf die zwischenstaatlichen Verhandlungen beziehen, ein dreigliedriges Komitee des Staatsrates beauftragen, mit den Staatssekretariaten in der weiteren Behandlung dieser Frage das Einvernehmen zu pflegen und nach einem gewissen Zeitpunkte in der Sache Bericht zu erstatten. T o m s c h i k: Ich begreife, daß der Staatsrat sich nicht mit den Detailfragen befassen kann, aber namens meiner Partei muß ich die Verantwortung für diese Richtlinien ablehnen. Wir verlangen eine Garantie für die Beamten, die im nichtdeutschen Gebiete ihren Dienst versehen, daß sie nicht aufs Pflaster geworfen werden, wir verlangen, daß diesbezüglich Verhandlungen mit den übrigen Staaten geführt und genaue Grundsätze aufgestellt werden. L a n g e n h a n: Die P. 1, 2 u. 3 der Richtlinien sind ausgezeichnet gearbeitet und die deutsch-österreichischen Beamten können damit sehr zufrieden sein, dagegen halte ich den P. 4 für gefährlich für die in anderen Ländern diensttuenden deutsch-österreichischen Beamten. Es ist daher notwendig, daß ein Kommentar zu P. 4 seitens des Staatsrates herausgegeben wird, in welchem gesagt wird, daß in Bezug auf diese Fassung mit den anderen Nationalregierungen dringende Verhandlungen durchgeführt werden. Ich glaube nicht, daß dazu die Wahl eines Komitees notwendig ist, wir überlassen diese Angelegenheit dem Staatskanzler. Die ganze Verordnung ist außerordentlich politisch, und sie hätte uns daher vor Veröffent lichung in der „Wiener Zeitung“ vorgelegt werden sollen. R e n n e r: Ein solches Kommuniqué zur Aufklärung kann geliefert werden. Es existiert ein Beschluß des Staatsrates, daß die allgemeine Regelung der Staatsdienstverhältnisse dem gesamten Kabinette überlassen wird, denn der Staatsrat kann in vielen Beamtenfragen nicht die Beratungen führen und wegen seiner politischen Stellung nicht für alles, was hier vorgeht, die Verantwortung übernehmen. Das muß der Exekutive im engsten Sinne vorbehalten werden, und es ist für jede Partei eine Entlastung, sagen zu können, daß das dem Kabinette und nicht dem Staatsrate zufällt.34 Es ist im Kabinette darüber gesprochen worden, ob man diese Bekanntmachung dem Staatsrate zur Genehmigung oder bloß zur Kenntnisnahme unterbreiten soll.35 Ich selber habe der Nachfolgestaaten (1918–1923) mit besonderer Berücksichtigung Österreichs, phil. Diss., Wien 1986, S. 81–91; weiters Paul Mechtler, Internationale Verflechtung der österreichischen Eisenbahnen am Anfang der Ersten Republik. Die Trennung des altösterreichischen Eisenbahnwesens nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18 (1964/65), S. 399–426. 33 Im Original ursprünglich glaube. 34 Ein entsprechender Beschluß des Staatsrates konnte nicht eruiert werden. In der 30. Sitzung vom 11. November 1918 nachmittags wurde allerdings in Bezug auf die Frage der Behandlung von Staatslehrpersonen deutscher Nationalität, die außerhalb des österreichischen Staatsgebietes tätig waren, auf die zwischenstaatsamtliche Kommission verwiesen und beschlossen die Angelegenheit „dem Kabinettsrate zur Vorberatung vorzulegen.“ Die Abgrenzung der Kompetenzen zwischen Staats- und Kabinettsrat in Bezug auf die Beamtenfrage wurde in der 11. Sitzung des Kabinettsrates verhandelt. Möglicherweise bezieht sich Renner also hier eigentlich auf den Kabinettsrat. Insbesondere der folgende, von Renner in dieser Sitzung gestellte Antrag, der im Stenogramm enthalten ist, legt dies mit seiner Formulierung nahe: „Die Staatsregierung muss an den Staatsrat Antrag stellen und darauf beharren, dass die Staatsdienstverhältnisse ... der Staatsregierung entrückt bleiben müssen. 1) Die Staatsregierung muss den Staatsrat so weit als möglich entlasten. 2) Außer Unfähigkeit des Staatsrates derartige Sachen zu erledigen (und außer sachlicher Unberufenheit des Staatsrates) außer sachlicher Inkompetenz – derartige Sachen gehören ins Kabinett.“ Vgl. KRP Nr. 11/2 vom 15. November 1918. 35 Hinweise auf diese Diskussion konnten in den entsprechenden Kabinettsratsprotokollen nicht eruiert werden. Zur Verhandlung der Staatsbedienstetenfragen im Kabinettsrat vgl. weiters auch KRP Nr. 14/16 vom 21. November 1918 und Nr. 15 vom 23. November 1918.
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gesagt, nach der bestehenden Rechtslage können wir sie nur zur Kenntnisnahme bringen, denn wie kann der Staatsrat etwas genehmigen, dessen Details er gar nicht übersehen kann? Vorangegangen sind gewiß 14 Tage intensivster Verhandlungen, wobei alle Kabinettsmitglieder anwesend waren und mitgesprochen haben, außerdem die Geschäftsstelle ständig beraten hat. Es ist eine ungeheure Menge solcher Beamtenfragen noch offen. Das Kabinett mußte mit Rücksicht darauf, daß der 1. Dezember bevorsteht und gezahlt werden muß, zu einem Entschlusse kommen, denn die gemeinsamen Gelder reichen auch nur bis zum 31. Dezember. Weil wir dann nichts mehr Gemeinsames haben, haben wir gesagt, wir sind nicht befugt, über den 31. Dezember hinaus auf gemeinsame Rechnung Auszahlungen zu machen. Wir haben das aller Welt zum Bewußtsein bringen müssen und haben bezüglich der gemeinsamen Beamten es auf das Übereinkommen mit der Gemeinsamkeit eingestellt. Das kann im Kommuniqué entsprechend klargestellt werden. Nun ist öfters von der politischen Verantwortlichkeit gesprochen worden. Beim ersten Eindruck ist die Furcht, das politisch nicht verantworten zu können, etwas übertrieben worden, denn diejenigen Staatsbeamten, die auf deutschösterreichischem Gebiete amtieren und diejenigen, die deutsch-österreichische Staatsbürger sind, werden bezahlt. Es handelt sich nur um diejenigen, die von außen zurückkommen. Nun ist das gewiß erstens ein geringer Bruchteil, zweitens aber können wir für diese Beamten tatsächlich nicht aufkommen, wenn nicht eine gemeinsame Deckung dafür geschaffen wird. Ich gebe zu, daß, wenn man von Gegenseitigkeit spricht, der andere sofort den Kampf sieht und man infolgedessen zu diesem Punkte unverzüglich ein Kommuniqué erlassen muß. Das kann bis morgen geschehen. Man soll sich aber über die Repressalien der anderen nicht so sehr fürchten, denn es würde ihnen Verlegenheit bereiten, wenn unsere Leute in großer Zahl den Dienst aufgäben. In der bosnischen Abteilung des gemeinsamen Finanzministeriums erliegt das ganze, viele Millionen betragende Vermögen Bosniens, soweit es Effekten sind.36 Der bosnische Hofrat37 will nun mit diesen Millionen nach Sarajevo heimfahren. Wir sagen, wir lassen ihn zunächst nicht fahren, nun will er erpressen und macht uns große Schwierigkeiten. Wir dürfen uns dadurch aber nicht irreführen lassen. Eine Schwierigkeit entsteht dadurch, daß gerade in der letzten Zeit infolge der Kriegsmaßnahmen eine große Zahl deutscher Eisenbahner in alle Länder der Monarchie verschlagen wurde und dieser Fall ist von dem betreffenden Personalreferenten nicht entsprechend hervorgekehrt worden. Hier wird aber doch Abhilfe notwendig sein. Im Großen und Ganzen glaube ich, daß der Staatsrat nichts anderes tun kann, als das Elaborat dieser Geschäftsstelle und des Kabinettes zur Kenntnis zu nehmen. Der Antrag H e i n e, betreffend die Wahl eines dreigliedrigen Komitees wird a b g e l e h n t, der Antrag L a n g e n h a n: der Staatsrat wünscht, daß ein Kommentar zu P. 4 der Richtlinien hinausgegeben wird, wird a n g e n o m m e n.38 Effekten: Wertpapiere, bewegliche Habe, Habseligkeiten. Zur bosnisch-herzegowinischen Abteilung im k.u.k. Finanzministerium vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. Der Bestand zur bosnischen Abteilung befindet sich im bosnisch-herzegowinischen Nationalarchiv in Sarajewo. 37 Gemeint ist hier Dr. Božidar Čerović. 38 Der Kommentar wurde am 29. November im Neuen Wiener Tagblatt veröffentlicht. Ein Belegexemplar findet sich mit einem Auszug aus dem Beschlußprotokoll dieser Sitzung in AdR, StK, GZl. 522/1918, Kommentar zu den Beschlüssen des Kabinettsrates in Staatsbedienstetenfragen. Vgl. auch Wiener Zeitung, 26. November 1918, S. 3 f „Die Vorgänge in Deutschösterreich“, hier S. 4, wo darauf hingewiesen wurde, daß „insbesondere auch für die ehemals österreichischen Staatsbediensteten nichtdeutscher Nationalität“ kein Grund zur Beunruhigung bestehe, da zwischenstaatliche Verhandlungen im Gange seien und „die beteiligten Nationalstaaten kein geringeres Interesse daran“ hätten „die Existenz ihrer Angehörigen vor Gefährdung zu bewahren“. Des weiteren wies die Staatskanzlei die Staatsämter am 27. November 1918 an, diese Richtlinien „allen einschlägigen Verfügungen zugrunde zu legen“. Vgl. AdR, BKA/Inneres, 4/gen., StAI, Zl. 1.385/1918. 36
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F i n k beantragt die endgiltige Beschlußfassung über die Richtlinien zu vertagen. A n g e n o m m e n.39 U r b a n referiert über die Vollzugsanweisung40 des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend die Volksbekleidung. Er weist darauf hin, daß die Interessenten selbst die Notwendigkeit der Aufhebung der Bezugsscheine B u. C dargelegt und anerkannt haben, und fährt fort: Ich habe in dieser Angelegenheit mit dem Nationalrat41 S m i t k a42 In seiner Sitzung vom 26. November 1918 beschloß das Komitee für Staatsbedienstetenfragen eine Reihe von Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinien, die von den Staatsämtern an die betreffenden Stellen weitergegeben wurden. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.606/1918, Durchführung der in der Wiener Zeitung vom 24. Nov. 1918 verlautbarten Beschlüsse des Kabinettsrates vom 23. Nov. 1918, betreffend Richtlinien für die vorläufige Behandlung einiger Staatsbedienstetenfragen; weiters auch AdR, BKA/Inneres, 4/gen., StAI, Zl. 1.666/1918, Staatsbedienstetenfragen: Behandlung, Richtlinien. Die weiteren Sitzungen des zwischenstaatsamtlichen Komitees dienten der Vorbereitung der zwischenstaatlichen Verhandlungen, zu deren Durchführung die Gesandtenkonferenz in ihrer 3. Sitzung am 27. November 1918 ebenfalls eine Kommission bildete. Vgl. AdR, BKA/Inneres, 4/gen., StAI, Zl. 2.681/1918, Beamtenfragen, zwischenstaatliche Verhandlungen; weiters AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.798, Amtsvortrag, betreffend Niederschrift über die am 3. und 4. Dez. stattgehabten Verhandlungen der zwischenstaatlichen Kommission für Staatsbedienstetenfragen. Umfangreiches Material zur Tätigkeit des zwischenstaatsamtlichen Komitees für Staatsbedienstetenangelegenheiten, darunter eine gedruckte Version der Verhandlungsschriften Nr. 1 bis 25, findet sich in AdR, OBh, Büro Seitz, Karton 4, Verhandlungen des Zwischenstaatsamtlichen Beamtenkomitees 1919. Vgl. auch das umfangreiche Material in AdR, StK, GZl. 45/1919. 40 Beilage 44/IV: StAKÜ, Vollzugsanweisungsentwurf (8 Seiten) Bedarfsbescheinigungsformular (2 Seiten, gedruckt). Mit der Vollzugsanweisung sollten die bisherigen Richtlinien ersetzt und somit die Fortsetzung der Tätigkeit der Landesbekleidungsstellen auf neuer Grundlage ermöglicht werden. Die Vollzugsanweisung definierte den Wirkungskreis, die Aufgaben und Statuten dieser Landesbekleidungsstellen und unterstellte sie der unmittelbaren Aufsicht des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft. Weiters legte die Vollzugsanweisung die Richtlinien für das Bedarfsbescheinigungssystem, für die Abgabe der Volksbekleidungsware und den Anbotzwang für getragene Kleider und Schuhe fest. Unterschiedliche Klassen von Bezugsscheinen waren in dieser Vollzugsanweisung nicht vorgesehen, was der von Staatssekretär Urban im Protokolltext erwähnten Änderung der bisherigen Regelung entsprach, die nach Bedürftigkeit gestaffelte Kategorien A, B und C unterschieden hatte. Der Entwurf weicht von StGBl. Nr. 50, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 25. November 1918, betreffend die Errichtung einer Deutschösterreichischen Hauptstelle für Volksbekleidung, ausgegeben am 28. November 1918, ab. Abgesehen davon, daß sich die Vollzugsanweisung ganz generell inhaltlich auf dieselben auch im Entwurf aufzuhebenden Regelungen bezieht, enthält sie nur vereinzelte Teilaspekte des Entwurfs. Der zentrale Unterschied besteht darin, daß die ausgegebene Vollzugsanweisung, im Gegensatz zum Entwurf, der die Einrichtung von Landesbekleidungsstellen in Aussicht stellte, die Schaffung einer zentralen Hauptstelle für Volksbekleidung beinhaltete, wie von Unterstaatssekretär Riedl bereits in der 34. Sitzung am 16. November 1918 vorgeschlagen worden war. Die Einrichtung der Hauptstelle war nach einem von Staatssekretär Urban gestellten Antrag in der 42. Sitzung des Staatsrates vom 22. November 1918 beschlossen worden. Die endgültige Version enthielt zudem im Gegensatz zum Entwurf keinerlei Regelungen des Bezugsscheinsystems. Dieser Aspekt wurde in weiterer Folge separat beraten und durch eigene Vollzugsanweisungen geregelt. Vgl. dazu SRP Nr. 47 vom 26. November 1918, Nr. 48 vom 27. November 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 1.127/1918, Abänderung der Vollzugsanweisung, betr. die Errichtung einer d.ö. Hauptstelle für Volksbekleidung. 41 Im Original ursprünglich Genossenschaftsvorsteher; wurde handschriftlich korrigiert. 42 Johann Smitka, Schneider, Mitglied der Arbeiterbeirates im Handelsministerium, Vorsitzender der Österreichischen Gewerbekommission, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP. 39
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gesprochen, der mir mitgeteilt hat, daß die Genossenschaft aus folgenden Gründen für die Aufhebung der Bezugsscheine B und C sei. Es herrsche vor allem große Arbeitslosigkeit in der Branche; während früher 9.700 Leute beschäftigt waren, sind heute nur 2.600 Leute beschäftigt und die Weihnachtszeit rückt immer näher. Man hat ja die Bezugsscheine nur eingeführt, um die Vorräte zu strecken, man kann aber annehmen, daß in einigen Monaten Ware aus dem Auslande kommen wird. Dann wird ein Preissturz eintreten, weshalb es notwendig sei, daß zur Belebung des Marktes jetzt die Bezugsscheine aufgehoben werden. Es handelt sich ja nur um die allerfeinsten Sachen und eine Gefahr, daß aus dem Markte die Ware genommen wird, besteht nicht, denn die Volksbekleidung hat ja heute das Monopol für den ganzen Markt. Wenn die Sachdemobilisierung versagt, wenn viele Ware aus den Militärmagazinen in den freien Handel kommt, dann ist allerdings die Gefahr, daß diese Ware durch Aufhebung des Bezugsscheines auch in andere Länder kommt. Wenn das aber nicht der Fall ist, dann ist kein Bedenken gegen die Aufhebung der Bezugsscheine. Wir müssen ja auch für Kompensationen gegen den Austausch von Lebensmitteln Vorsorge treffen. Meiner Ansicht nach müssen die Bezugsscheine ohnedies in 2–3 Monaten aufgehoben werden, weil wir dann die Sperre gegenüber dem Auslande nicht mehr aufrechterhalten können. Der Preis für die Mindestbemittelten wird relativ enge gezogen, und mit Rücksicht auf die gegenwärtigen Verhältnisse müßte man ein Einkommen von 4–5.000 K noch in den Kreis der Mindestbemittelten einbeziehen. Die Volksbekleidungsstelle hat ungeheuer viele Ware, sie hat ein Interesse daran, diese Sachen rasch in Verkehr zu bringen und die Leute so rasch als möglich zu unterstützen. Der A n t r a g lautet: „Das Staatssekretariat für Handel stellt den Antrag, der Staatsrat wolle die Vollzugsanweisung des deutsch-österreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 25. November 1918 bewilligen.“ A n g e n o m m e n.43 [2a] P. 2 a ) d e r T a g e s o r d n u n g R e n n e r: Es haben vorgestern und gestern Konferenzen der Landesregierungen mit der Staatsregierung in Wien stattgefunden.44 Diese Verhandlungen haben ergeben, daß die Verbindung zwischen den Ländern und der Staatsregierung eine ziemlich lockere ist. Die einzelnen Landesregierungen haben im vollen Besitze ihrer errungenen Freiheit sich der Landesverwaltung im weitesten Umfange bemächtigt und mit Rücksicht darauf, daß in der unruhigen Zeit ein Zusammenarbeiten mit der Zentralregierung außerordentlich erschwert war, in manchen Beziehungen ihre gesetzlichen Befugnisse überschritten. Nun bleibt uns nichts anderes übrig, als dies zur Kenntnis zu nehmen. In der kriegerischen Zeit eine solche Verbindung aufrechtzuerhalten, ist insbesondere schwierig mit dem Sudetenland und Deutschböhmen. Weit entlegen ist auch das Land Tirol, und es hat deshalb die Konferenz der Landesregierungen vorgeschlagen, zwischen der Staatsregierung und den Landesregierungen einen Korrespondenzdienst in Form von Verbindungsbeamten herzustellen. Nun sind in der Konferenz von Seiten einzelner Länder dagegen Widersprüche erhoben worden, andere Länder haben gewünscht, eine solche Verbindung zu erhalten.45 Bis zur Aufnahme der Tätigkeit der Hauptstelle für Volksbekleidung blieb die n.ö. Volksbekleidungsstelle mit der Koordination betraut. Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 44 Vgl. KRP Nr. 15 vom 23. November 1918 und SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. 45 Das Protokoll der betreffenden Kabinettsratssitzung hält hierzu fest: „Im Zuge der hierüber abgeführten Debatte […] wurden mannigfache Einwendungen gegen die geplante Einrichtung geltend gemacht, die zu dem Beschluss führten, dass Regierungsbeauftragte vorläufig nur zu jenen Landesre43
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Infolgedessen stelle ich den A n t r a g46, auf Bestellung von Verbindungsbeamten zu den entlegeneren Landesregierungen, wobei diese Bestellung nur im Einvernehmen mit der betreffenden Landesregierung erfolgen soll. G u g g e n b e r g: Es ist in Tirol immer empfunden worden, daß wir vom Zentrum des Reiches allzusehr entlegen sind und daher auf unsere speziellen lokalen Verhältnisse von Wien aus zu wenig Rücksicht genommen wird. Wir haben darunter schon im Frieden gelitten, während des Krieges sind wir geradezu ausgebeutet worden, weil die Zentralregierung uns in keiner Weise zur Hilfe gekommen ist. Ich habe wiederholt, als wir noch alle beisammen waren, darauf aufmerksam gemacht, daß wir vernachlässigt werden und ersucht, daß von Tirol aus mehr Beamte in die Zentralen kommen sollen, weil die Tiroler Verhältnisse zu wenig hier bekannt sind. Man hat mir immer gesagt, die Tiroler wollen nicht nach Wien. Jetzt höre ich, daß von hier aus bei der Neuordnung der Verwaltung ein Verbindungsbeamter nach Tirol kommen soll. Meiner Auffassung nach wäre es viel zweckmäßiger, wenn man einen über die Tiroler Verhältnisse genau informierten Beamten hieher delegiert. Es wäre dann die Möglichkeit gegeben, daß die hiesigen Referenten sich bei diesem Beamten über Umstände Rat holen, die sie selbst nicht kennen. Dieser Beamte hätte nicht so sehr in einem speziellen Fache zu arbeiten, sondern als allgemeine Hilfsstelle der betreffenden Zentrale zu dienen. R e n n e r: Dagegen ist kein Hindernis. Der Antrag47 zu P. 2 a) wird a n g e n o m m e n.48 [2b] Der P. 2 b) der Tagesordnung: R e n n e r: Wir haben das Sudetenland und Deutschböhmen neu einzurichten. Die Einrichtung umfaßt alle Dienstzweige; es handelt sich um das Obergericht, um die Finanzlandesdirektion u.s.w. Infolgedessen sind die Landeshauptleute, die dort amtieren, gezwungen, sich an eine ganze Reihe von Stellen in Wien zu wenden, deren Namen und Besetzung sie nicht einmal kennen. Die Landeskonferenz hat ergeben, daß in alle diese Gebiete noch nicht ein einziges Exemplar unseres Staatsgesetzblattes gekommen ist, weil sie alle von den Tschechen konfisziert wurden. Infolgedessen haben sie gefordert, daß man für die Zeit, wo diese zwei Länder eingerichtet werden, hier bei der Staatskanzlei 1 oder 2 Beamten damit betraut, allen Einlauf aus diesen Ländern zu übernehmen und bei den einzelnen Staatsämtern zu vertreten, die notwendige Anzahl von Beamten hinaufzuschicken und auch den Kurierdienst so zu organisieren, daß er eine Stelle hat, an die er sich wenden kann, denn wir können per Post nichts hinaufbringen.49 Zu diesem Zwecke habe ich mir vorgenommen, den gierungen entsendet werden sollen, die infolge ihrer Entfernung vom Sitze der Zentralregierung und wegen erschwerter Verkehrsmöglichkeit mit Wien auf einen derartigen Verbindungsdienst in erhöhterem Maße angewiesen sind. Es käme diesfalls Sudetenland, Deutschböhmen, Tirol und Vorarlberg in Betracht. Rücksichtlich der übrigen Länder werde sich darauf beschränkt werden, behufs Gewährleistung einer ständigen zuverlässigen telephonischen Verbindungsmöglichkeit zwischen den einzelnen Landesregierungen und den Staatsämtern bei letzteren einen ununterbrochenen Journaldienst in den Präsidialabteilungen sicherzustellen.“ Vgl. KRP Nr. 15 vom 23. November 1918. 46 Dem Protokoll liegt kein entsprechender Antrag bei. 47 Ursprünglich Bericht; wurde gestrichen. 48 Zu dieser Debatte vgl. KRP Nr. 15 vom 23. November 1918. 49 Zur Frage der Anhaltung des politischen Postverkehrs mit Deutschböhmen und dem Sudetenland durch die tschechische Post vgl. SRP Nr. 36 vom 18. November 1918 und Nr. 39 vom 20. November 1918. In einer am 18. November 1918 abgehaltenen Sitzung hatte die Kurierdienstleitung des Staatsamtes für Heerwesen beschlossen, zum Zweck der reibungslosen Kommunikation mit den Sudetenländern und Deutschböhmen ab 20. November 1918 eine regelmäßige Kurierverbindung zwischen Wien und Dresden über Bayern einzurichten. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.946/1918, Kurierlinien – Ausbau derselben.
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Hofrat Rott50, der eine Zeitlang in Böhmen und Schlesien gedient hat, in der Staatskanzlei anzustellen und ihm den Finanzrat Oberndorfer51, der mir von deutschböhmischer Seite empfohlen wurde, beizugeben. Ich bitte um Genehmigung dieses A n t r a g e s. A n g e n o m m e n.52 [2c] P. 2 c) der Tagesordnung: R e n n e r: Unsere Beamten, die das Gelöbnis auf den Staat Deutschösterreich geleistet haben, insbesondere im Böhmerwalde, werden jetzt von der tschechischen Regierung auf das Äußerste bedroht und physisch entfernt. Dort, wo das tschechische Militär noch nicht hinreicht, erhalten sie die Aufforderung, das alte Gelöbnis zu widerrufen und das neue zu leisten, widrigenfalls sie den Gehalt nicht bekommen und auf die Ruhegenüsse keinen Anspruch haben.53 Wenn wir ein Gebiet als das unsrige erklären, so nehmen wir die Verantwortung für die Beamten auf uns und wenn das Gebiet verloren gehen sollte, müssen wir sie herziehen. Ich führe das an, um neuerdings vor dem Staatsrate zu rechtfertigen, warum die Staatskanzlei nicht in der Lage ist, den Beschluß bezüglich Brünn, Olmütz, Iglau durchzuführen, weil sie die finanzielle Verantwortung für den ganzen Beamtenapparat von Brünn, Olmütz und Iglau übernehmen würde.54 Aber nicht nur die finanzielle Seite kommt in Betracht. Wenn wir die Beamten auffordern, sich auf den deutschösterreichischen Staat vereidigen zu lassen, so bewirkt das, daß sie alle als deutschösterreichische Beamte behandelt werden und wenn sie dann von den Tschechen hinausgewiesen werden, die dortige deutsche Bevölkerung in Zukunft ganz ohne deutsche Beamte ist. Der Bericht w i r d z u r K e n n t n i s g e n o m m e n. [2d] P. 2 d) der Tagesordnung: R e n n e r referiert über die Überführung des Privatbesitzes des Erzherzogs Franz Salvator55 aus der Hofburg und b e a n t r a g t, diese Angelegenheit dem Direktorium zuzuweisen. Karl Ritter von Roth, Hofrat, Oberlandesgerichtsrat am I. k.k. Landesgericht für Zivilsachen in Wien, Referent und Beisitzer des Obersthofmarschall-Amtes, Senatsmitglied des ObersthofmarschallGerichtes in Wien. Zu dessen Ernennung vgl. auch Punkt V/b des Beschlußprotokolls dieser Sitzung. 51 Leonhard Oberdorffer, Jurist, Finanzrat, Tätigkeit im Finanzdienst in Leitmeritz, Schluckenau, Gablonz und Prag, 1917 Einberufung in das Ministerium für soziale Fürsorge, 16. November 1918 Bestellung zum Leiter der deutschböhmischen Abteilung der Staatskanzlei. 52 Zur Einrichtung und den Aufgaben der Abteilung „Sudetendienst“ vgl. AdR, StK, GZl. 628/1918. Die Staatskanzlei ersuchte in der Folge die Staatsämter um Meldung sämtlicher Verfügungen bezüglich Deutschböhmens und des Sudetenlandes. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 851/1918, Staatskanzlei, Sudetendienst, Evidenzführung. 53 Die „Neue Freie Presse“ meldete, daß in den böhmischen Städten Bergreichenstein und Hartmanitz nach der Besetzung durch tschechoslowakische Truppen die deutschsprachigen Beamten entfernt worden seien. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 24. November 1918, S. 6 „Weitere Besetzungen im Böhmerwalde“. Vgl. exemplarisch auch die Schilderungen über die Übergriffe in Deutschböhmen, die sich offensichtlich häufig gegen deutschsprachige Beamte richteten in Neue Freie Presse. Morgenblatt, 27. November 1918, S. 5 „Die czechischen Uebergriffe in Deutschböhmen“. 54 Renner bezieht sich hier vermutlich auf die Einbeziehung der Einschlußgebiete in das Staatsgebiet Deutschösterreichs, die sich im Zuge des Beschlusses des betreffenden Gesetzes als strittige Frage erwiesen hatte. Vgl. dazu SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 nachmittags, Nr. 41 vom 21. November 1918 und Nr. 42/2 vom 22. November 1918. 55 Franz Salvator, Erzherzog von Österreich, 1914 bis 1918 Generalinspektor der freiwilligen Sanitätspflege und Protektor-Stellvertreter des Roten Kreuzes in Österreich und Ungarn. 50
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A n g e n o m m e n.56 [2e] P. 2 e) der Tagesordnung: Bestätigung der Bürgermeisterwahl in Linz (Sadleder57). Wird dem Direktorium z u g e w i e s e n.58 [2f ] P. 2 f ) der Tagesordnung: Genehmigung der vom Abg. Dr. Wichtl59 in Kaplitz getroffenen Maßnahmen w i r d z u r K e n n t n i s g e n o m m e n.60 [3] P. 3 der Tagesordnung: R e n n e r referiert über die Errichtung einer Minderheitsschutzstelle bei der Staatskanzlei im Einvernehmen mit dem Staatsrat {sic!} für Äußeres61 und teilt mit: Wir hatten früher eine Abgrenzungskommission hier, die Arbeiten geleistet hat, die leider von der Kommission des Staatsrates und der Nationalversammlung vollständig umgestoßen62 wurden. Diese Abgrenzungsarbeiten sind beendet und wir müßten eigentlich diese Kommission auflösen.63 Zur Zuweisung der Angelegenheit, betreffend die Überführung des Privatbesitzes des Erzherzogs Franz Salvator aus der Hofburg an den Staatsnotar vgl. Punkt 4 der Tagesordnung der Sitzung des geschäftsführenden Direktoriums vom 28. November 1918 in AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 20/Dir./1918, Vermerk Nr. 3 über die Sitzung des geschäftsführenden Direktoriums vom 28. November 1918. Vgl. weiters die Ermächtigung des Staatsnotars zur Prüfung der Ansprüche und der Bewilligung zur Ausfolgung jener Güter, die zweifelsfrei Privateigentum des Erzherzogs seien in AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 21/Dir./1918, Amtserinnerung, Vermerk Nr. 4 über die Besprechung des geschäftsführenden Direktoriums am 30. November 1918. Zu der von Staatsnotar Sylvester vorgeschlagenen Vorgehensweise in dieser Angelegenheit vgl. HHStA, Hofärar – Liquidationsakten, Fasz. Staatsnotar, Deutschösterreichisches Staatsnotariat, Zl. 61/1918, Überführung des Privatbesitzes des Erzherzogs Franz Salvator aus der Hofburg sowie Zl. 86/1918, Verwaltung des Hofärars, Ueberführung des Privatbesitzes des Erzherzogs Franz Salvator aus der Hofburg. 57 Karl Sadleder, Kaufmann, 1915 bis 1918 zweiter Vizebürgermeister von Linz, 1918/19 Mitglied der provisorischen Landesversammlung und provisorischer Bürgermeister, DnP. 58 Die Bestätigung seiner Bestellung durch das Staatsratsdirektorium konnte nicht ermittelt werden. 59 Dr. Friedrich Wichtl, vom 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 60 Der Abgeordnete der Provisorischen Nationalversammlung, Dr. Friedrich Wichtl, hatte am 3. November 1918 das Staatsamt für Inneres ersucht, Vertreter des Staatsrates in die Grenzorte Südböhmens zu entsenden, um die Angelobung der dortigen Beamtenschaft schnellstens durchzuführen, da die tschechische Regierung bereits die Befehlsgewalt über die Gendarmerie beansprucht habe. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.175/1918, Südböhmen, Angelobung der Beamten und Aufträge an die Gendarmerie. 61 Gemeint ist das Staatsamt für Äußeres. 62 Im Original ursprünglich umgewälzt. 63 Diese Äußerung steht im Zusammenhang mit dem Beschluß der Nationalversammlung, das Gesetz über das Staatsgebiet (StGBl. Nr. 40/1918), das ursprünglich einen Anhang über die Gerichtsbezirke, Gemeinden und Ortschaften des Staatsgebietes enthalten hätte sollen, ohne diesen Anhang zu veröffentlichen und die endgültige Bestimmung des Staatsgebietes dem Staatsrat zu überlassen. Die Abgrenzungskommission des Staatsrates, die mit der Erfassung der Gemeinden, Gerichtsbezirke und Ortschaften betraut gewesen war, legte daraufhin am 23. November 1918 der Staatskanzlei die „richtiggestellte Ausfertigung des Staatsgebietes Deutschösterreichs“ vor. Vgl. AdR, StK, GZl. 97/1919, Zl. 542/1918, Bestandteile des Staatsgebietes von Deutschösterreich. Vgl. dazu auch SRP Nr. 43 vom 23. November 1918. Auf dieser Grundlage wurde in weiterer Folge eine entsprechende Vollzugsanweisung (StGBl. Nr. 4/1919) erlassen. Vgl. SRP Nr. 61/IId vom 3. Jänner 1919. 56
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Nun ist von Dr. Wotawa64 eine Anregung gekommen, die ich gerne durchführen möchte. Es handelt sich um die Einrichtung einer Minderheitsschutzstelle.65 Ein reicher Tätigkeitszweig eröffnet sich uns hier. Diese Minderheitsschutzstelle ist notwendig für das Staatsamt des Äußeren, aber auch für die Staatskanzlei, für das Staatssekretariat des Unterrichtes, des Innern u.s.w. Sie hat eine zentrale Stellung, aber eine besondere Stellung für das Staatsamt des Äußeren. Deshalb habe ich den A n t r a g g e s t e l l t, sie solle im Rahmen der Staatskanzlei im Einvernehmen mit dem Staatsamt des Äußeren begründet werden. Ich bitte um Genehmigung dieses Antrages. Vorsitzender S y l v e s t e r bringt eine Mitteilung des Staatssekretärs für Unterricht Pacher zur Kenntnis, daß ein Gesetz über Minderheitsschulen in Vorbereitung ist.66 L a n g e n h a n: Im Auswärtigen Amte ist eine Stelle zum Minderheitsschutz gegründet worden. Diese Gründung hat im Staatsamt des Innern einige Verwunderung und Mißstimmung erregt, weil diese Agenden zum Staatsamte des Innern gehören. Die Herren Mataja und Marckhl haben den dringenden Wunsch, bei dieser Frage mitzusprechen. Auch ich kann meine Zustimmung nicht geben, daß diese Angelegenheiten bei dem Auswärtigen Amt und bei der Staatskanzlei geführt werden. Infolgedessen bitte ich diesen Punkt momentan von der Tagesordnung abzusetzen und ihn nicht in Abwesenheit der Herren vom Staatsamte des Innern zu verhandeln. Vorsitzender S y l v e s t e r: Da zu den diesbezüglich zu fassenden Beschlüssen die Anwesenheit der betreffenden Staatsämter erforderlich ist, würde ich die Sache so lange aufschieben, bis die betreffenden Herren hier sind. L i c h t: Ich war gestern in Mährisch-Ostrau. Ich kann aus unmittelbaren Wahrnehmungen nur bestätigen, daß nichts dringender ist als die Schaffung eines solchen Minderheitsamtes. Die Leute sind desorientiert, und man ist nicht imstande, eine Auskunft zu geben. Was die Kompetenzfrage anbelangt, so ist mir bekannt, daß der Staatssekretär Dr. Bauer den Professor Laun67 einberufen hat, um die Frage zu studieren. Ein Vorgreifen ist also nicht erfolgt. Vorsitzender S y l v e s t e r: Ich bitte also den Herrn Staatskanzler, die beteiligten Ressorts einzuladen und wir setzen diesen Gegenstand auf die morgige Tagesordnung.68 (Zustimmung). I r o: Auch die Vertreter der Minderheitsgebiete sollen bei der Durchführung herangezogen werden. Dr. August Ritter von Wotawa, Mittelschullehrer, Leiter des Realgymnasiums Grinzing, 1920 Mitbegründer der Großdeutschen Partei. Er war an der Ausarbeitung der Vorlage des „Beschlusses über Umfang Grenzen und Beziehungen des Staatsgebietes Deutsch-Österreichs“ beteiligt gewesen vgl. SRP Nr. 27 vom 9. November 1918. 65 Die Errichtung einer Minderheitsschutzstelle war beispielsweise auch vom Deutschen Volksrat für Österreich empfohlen worden. In einem diesbezüglichen Schreiben vom 12. November 1918 hatte der Volksrat dem Staatsrat vorgeschlagen, so bald als möglich ein staatliches Minderheitenamt zu gründen, das dem Staatsamt für Äußeres zu unterstellen sei. Vordringlich hätte sich dieses Amt mit der Rückleitung der deutschen Arbeiter, Staats- und Privatbediensteten aus den Nationalstaaten, mit der Regelung der Staatsbürgerschaftsfrage sowie mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen in den Nationalstaaten zu befassen. Das Schreiben findet sich in AdR, StK, GZl. 1.010/1920, Zl. 243/1918, Deutscher Volksrat für Österreich, Schutz der Minderheiten in den Nationalstaaten. 66 Ein entsprechender Gesetzesentwurf konnte in den Beständen des AVA, Unterricht und Kultus nicht eruiert werden. 67 Dr. Rudolf Edler von Laun, der seit 4. November 1918 zur freiwilligen Dienstleistung bei der Ersatzbatterie des Feldartillerieregimentes 125 in Wien stationiert war, wurde auf Ersuchen Otto Bauers vom Staatsamt für Heerwesen „zum Zwecke seiner Dienstesverwendung im Staatsamt des Äußeren“ vom aktiven Militärdienst beurlaubt. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 571/1918, Telefondepesche, Laun Rudolf, Edler von, Dr. jur., Hptm. i. d. Res., Übersetzung ins n.a. Verhältnis. 68 Vgl. dazu SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 64
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[4] R e n n e r berichtet über Punkt 4: „Bestellung einer Hauswache von 60 Mann im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen. Es mehren sich immer mehr die Anzeichen, und die Kanzlei ist in Kenntnis davon, daß eine Gruppe von Menschen, die allerdings nicht sehr groß ist, einen contrarevolutionären69 Anschlag gegen den Staatsrat plant. Sie wollen den Staatsrat ausheben, die Nationalversammlung für beseitigt erklären und den Kaiser wieder einsetzen. Sie stützen sich insbesondere auf aktive Offiziere, welche befürchten, daß sie brotlos werden. Wenn ich nicht schlecht berichtet bin, steht an ihrer Spitze Graf Sternberg70, den man als Mann von Initiative kennt.71 Es handelt sich nicht um Deutschösterreich allein, sondern um die Restauration der Monarchie. Es ist tatsächlich so, daß wir heute von 20 entschlossenen Männern auseinandergesprengt werden können. Deshalb meine ich, daß der wiederholt gefaßte Beschluß, es sei eine Parlamentswache einzurichten, verwirklicht werden sollte.72 Das Staatsamt für Heerwesen meint, daß eine Wache von 60 Mann für diesen Grad der Bedrohung vollständig ausreichen würde. Solche 60 auserlesene Leute in schlichter feldgrauer Uniform können wir uns wirklich leisten. Die frühere Burggendarmerie73 hat sich bereit erklärt, einen solchen Dienst zu übernehmen. Ich denke mir die Sache so, daß man aus dem Stande der Burgwache und aus der Volkswehr74 diese Wache zusammenstellt. Ich beantrage also: „Bestellung einer Hauswache von 60 Mann im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen und mit dem Oberbefehlshaber.“ Zum ambivalenten Begriff der „österreichischen Revolution“ vgl. exemplarisch Otto Bauer Die österreichische Revolution, Wien 1923, S. 109–115; Gerhard Botz, Die ,Österreichische Revolution‘ 1918/19. Zu Kontexten und Problematik einer alten Meistererzählung der Zeitgeschichte in Österreich, in: Zeitgeschichte, Nr. 6 (2014), S. 359–371; Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, S. 263–265; Hans Hautmann, Geschichte der Rätebewegung in Österreich 1918–1924, Wien/Zürich 1987, S. 237–242; Wolfgang Maderthaner, Die eigenartige Größe der Beschränkung. Österreichs Revolution im mitteleuropäischen Spannungsfeld, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 187–207; Alfred J. Noll, Entstehung der Volkssouveränität? Zur Entwicklung der österreichischen Verfassung 1918 bis 1920, in: ebd., S. 363–381, hier S. 363 f; zum Revolutionsbegriff der Moderne vgl. weiters die differenzierte Darstellung in Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 736–747. 70 Adalbert Graf Sternberg, Journalist, Verfasser zahlreicher politischer Broschüren, 1904 bis 1911 Abgeordneter zum Reichsrat. 71 Zu einer „contrarevolutionären“ Gruppierung um Graf Sternberg konnten im Bestand des AdR, BKA/ Inneres keine Unterlagen eruiert werden. Zu den angeblichen Aktivitäten monarchistischer Gruppierungen vgl. die Berichte der Polizeidirektion Wien vom 30. November 1918 an den Staatssekretär für Inneres, den Staatskanzler und das Präsi dium der n.ö. Landesregierung in AdR, BKA/Inneres, 22/NÖ, StAI, Zl. 1.907/1918, Polizeidirektion Wien, Angebliche Errichtung einer „Weissen Garde“ sowie Zl. 1.910/1918, Polizeidirektion Wien, Angebliche monarchistische Agitation in Wien. Vgl. auch die Eingabe der Gewerbegenossenschaften Krems vom 26. November 1918 mit welcher sie auf monarchistische Tendenzen in der katholischen Kirche aufmerksam machen wollten in ebd., Zl. 1.752/1918. Laut den angegebenen Berichten der Polizeidirektion Wien, die sämtliche diesbezüglichen Verdachtsmomente entkräfteten, dürfte die tatsächlich von monarchistischen Gruppierungen ausgehende Bedrohung zu diesem Zeitpunkt als eher gering einzuschätzen gewesen sein. 72 Vgl. dazu SRP Nr. 27 vom 9. November 1918. 73 Die k.k. Gardegendarmerie war im Jahr 1849 ins Leben gerufen und im Jahr 1869 in die k.u.k. Leibgarde-Reitereskadron umgewandelt worden. Es könnte hier auch die k.k. Hofburgwache gemeint sein, die im Jahr 1802 gegründet worden war und im Jahr 1884 zur k.u.k. Leibgarde-Infanteriekompagnie umfunktioniert wurde. Vgl. Ivan Žolger, Der Hofstaat des Hauses Österreich (= Wiener Staatswissenschaftliche Studien 14), Wien 1917, S. 98 f. 74 Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 69
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A n g e n o m m e n.75 [6] Dr. R e n n e r referiert über Punkt 6 der Tagesordnung: „Zusammensetzung der Kommissionen des Staatsrates nach § 9 der Geschäftsordnung.“ Er beantragt die Einsetzung einer Wahlreform-Kommission von fünf Mitgliedern unter der Leitung des Staatsrates Fink. A n g e n o m m e n.76 Vorsitzender S y l v e s t e r ersucht die noch ausständigen Kommissionen für Äußeres, Inneres, Rechtspflege, Verkehrswesen, Volksgesundheit und soziale Verwaltung zu wählen. Dr. R e n n e r: Es sind Doppelbesetzungen notwendig. Wir können beschließen, daß die Ersatzmänner den Kommissionen beigezählt werden. Vorsitzender S y l v e s t e r: Es wird der Antrag gestellt, daß zu Mitgliedern der Kommissionen sowohl die Staatsräte als deren Ersatzmänner bestellt werden. R e n n e r: Die Evidenz der Kommissionen führt der mir zugeteilte Dr. Hoffenreich77. Ich bitte die Kommissionen ihre Zusammensetzung demselben bekanntzugeben. O f n e r b e a n t r a g t, alle Sitzungen der Kommissionen und Ausschüsse sind auszuschreiben. A n g e n o m m e n. [7] P. 7 der Tagesordnung. R e n n e r referiert über eine dem Staatsrat übergebene, aus der Ukraine geborgene ärarische Kasse im Betrage von über 220.000 K und b e a n t r a g t, daß der Staatsrat den Herren die Anerkennung ausspricht und ihnen einen vom Direktorium festzusetzenden Betrag zum Ersatze für ihre eigenen Verluste gibt. E l l e n b o g e n teilt mit, daß auch bei ihm ein Offizier war, der ihm einen Betrag von 100.000 K gebracht hat, die dem Staatssekretär für Heerwesen übergeben wurden. Der A n t r a g Renner wird a n g e n o m m e n.78 S y l v e s t e r beantragt: „Die von der Justizkommission vorgelegten Begnadigungsanträge79 werden vom Staatsrat angenommen.“ Das Staatsamt für Heerwesen meldete am 18. Dezember, daß eine aus 30 ehemaligen Burggendarmen und 30 Volkswehrmitgliedern bestehende Parlamentswache gebildet werden sollte. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.383/1918, Staatsamt für Heerwesen, Parlamentswache. Am 21. Dezember 1918 beschloß das Staatsratsdirektorium die Einrichtung der „Parlamentswache“. Vgl. AdR, StK, GZl. 62/Dir./1918, Vermerk Nr. 12 über die Sitzung des geschäftsführenden Direktoriums am 21. Dezember 1918; weiters GZl. 143/Dir./1919. Vgl. dazu auch SRP Nr. 70/XIV vom 29. Jänner 1919. 76 Zur Zusammensetzung der Wahlreform-Kommission vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. Vgl. dazu auch AdR, StK, GZl. 649/1918, Zl. 524/1918, Auszug aus dem Protokolle der 44. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 25. Nov. 1918, Punkt VIII. 77 Dr. Ernst Hoffenreich, Oberleutnant der Reserve, 1918 bis 1919 bei der Staatskanzlei beschäftigt. Für den Dienst in der Staatskanzlei wurde er vom k.k. Statthalter der Küstenlande, Alfred Freiherr von Fries-Skene, empfohlen. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 213/1918, Amtsveranlassung, Empfehlung des Dr. Ernst Hoffenreich durch den Statthalter Freiherrn von Fries für den Dienst in der Staatskanzlei. Alfred Freiherr von Fries-Skene, 1909 Sektionschef im Ministerium des Innern, 1915 bis 1918 Statthalter von Triest und den Küstenlanden. 78 Im Bestand des AdR, Staatskanzlei konnte zu dieser Angelegenheit kein Material eruiert werden. 79 Beilage 44/X: Gnadengesuche (4½ Seiten). In der Beilage werden die Gnadengesuche von 24 Verurteilten unter Angabe des Namens und Deliktes aufgelistet. Das am häufigsten genannte Vergehen ist Diebstahl. Die in lebenslängliche Haft umgewandelte Todesstrafe wurde wegen Raubmordes verhängt. 75
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A n g e n o m m e n. Nächste Sitzung um 4 Uhr nachmittags. Schluß der Sitzung um 12 Uhr 35 Min. mittag.
Es scheint sich hierbei um Auszüge aus der bereits in der 43. Sitzung vom 23. November 1918 vorgelegten Begnadigungsliste zu handeln, die aufgrund einer verfassungsmäßig inkorrekten Formulierung erst in der 53. Sitzung vom 3. Dezember 1918 behandelt wurde.
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44 – 1918-11-25 44. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates am 25. November 1918. Vorsitzender: Zuerst Staatskanzler Dr. R e n n e r dann Präsident S e i t z, schließlich Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r. B e s c h l ü s s e.
I. Personalien: Dem Staatsrate A b r a m wird ein achttägiger Urlaub erteilt. An Stelle der verhinderten Staatsräte Dr. B o d i r s k y, D o m e s und Dr. S c h o e p f e r werden deren Ersatzmänner H e i n e, T o m s c h i k und v . G u g g e n b e r g zur Sitzung einberufen. II. Bericht des Staatssekretärs für Justiz über Abänderungen in der Gerichtseinteilung der Sudetenländer. Beschlüsse: a) Der Staatsrat genehmigt, daß auf Grund der von der Nationalversammlung beschlossenen Errichtung und Organisation eines Oberlandesgerichtes in Reichenberg von den für dieses Gericht systemisierten 12 Oberlandesgerichtsratsstellen sofort 5 besetzt werden, damit die Aktivierung je eines Strafund Zivilsenates ermöglicht wird. Der Vollzug der Ernennung dieser Richter obliegt dem geschäftsführenden Direktorium. b) Der Staatsrat beschließt die sofortige Errichtung von Bezirksgerichten in Gradlitz und Giesshübel. c) Die Vorschläge des Staatsamtes für Justiz über die Gerichtseinteilung für Deutschböhmen sowie über die Zuweisung der deutschen Gerichtsbezirke des Böhmerwaldes nach Oberösterreich und des Bezirksgerichtssprengels NeuBistritz nach Niederösterreich werden genehmigt. d) Der neuen Gerichtseinteilung für das Sudetenland, der Errichtung eines Kreisgerichtes in Mähr. Schönberg und der Neugestaltung des Kreisgerichtssprengels in Znaim wird als den Festlegungen des Gesetzes über das Staatsgebiet entsprechend zugestimmt. An den Herrn Staatssekretär für Justiz. III. Bericht des Unterstaatssekretärs Dr. Ritter von Beck über die in der Wiener Zeitung vom 24. November 1918 veröffentlichten Beschlüsse des Kabinettsrates in Staatsbedienstetenfragen. Beschluß: Der Staatsrat nimmt die aufgestellten Richtlinien zur Kenntnis. Antrag des Staatsrates Dr. von Langenhan: Da der Punkt IV der Richtlinien geeignet ist, Beunruhigungen unter der Beamtenschaft hervorzurufen und andererseits Repressation seitens der übrigen Nationalregierungen auszulösen, ist in einem Kommentar zum Ausdruck zu bringen, daß der Staatsrat angelegentlichst bestrebt ist, die Beamten vor einer Schädigung zu bewahren und daher rascheste Verhandlungen mit den übrigen Nationalstaaten anstrebt, um mit ihnen zu Abmachungen zu gelangen, welche geeignet sind, die materielle Existenz der Beamten für die Zukunft sicherzustellen.
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Beschluß: Der Antrag wird angenommen. Antrag des Staatsrates Heine: Der Staatsrat hat ein Komitee von 3 Mitgliedern einzusetzen, das über die Behandlung der Beamtenfragen mit den Staatsämtern ständige Fühlung zu pflegen und über den Fortgang der Angelegenheit dem Staatsrate laufenden Bericht zu erstatten hat. Beschluß: Der Antrag wird abgelehnt. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen und den Herrn Staatskanzler. IV. Bericht des Staatssekretärs Dr. Urban über eine Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend die Volksbekleidung. Beschluß: Der Staatsrat genehmigt die Erlassung der Vollzugsanweisung nach dem vorgelegten Entwurf. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft. V. Bericht des Staatskanzlers Dr. Renner a) über die Landeskonferenz vom 23. und 24. November und den Antrag auf Bestellung von Verbindungsbeamten bei den entlegeneren Landesregierungen. Beschluß: Die Bestellung von Verbindungsbeamten bei den entlegeneren Landesregierungen mit deren Einverständnis wird genehmigt. Zusatzantrag des Staatsrates von Guggenberg: Umgekehrt ist aus Tirol ein mit den dortigen Verhältnissen genau vertrauter Beamter zur Zentralregierung nach Wien einzuberufen, der die Aufgabe hat, die Zentralstellen hinsichtlich der Verfügungen für Tirol zu beraten. Beschluß: Antrag wird angenommen. b) über die Einrichtung einer Verbindungsstelle mit Deutschböhmen und dem Sudetenlande. Beschluß: Die Einrichtung eines Verbindungsdienstes mit Deutschböhmen und Sudetenland, für dessen Zwecke der Hofrat Karl R. von Roth in die Staatskanzlei eingeteilt und ihm der Finanzrat Oberdorffer beigegeben werden soll, wird zur Kenntnis genommen. c) über die Bedrängung der deutschen Beamten im czechoslovakischen Staate zur Erzwingung des Widerrufes ihres Gelöbnisses auf den Deutschösterreichischen Staat. Beschluß: Der Staatsrat nimmt den Bericht des Staatskanzlers und insbesondere dessen Ausführungen zur Kenntnis, daß der Deutschösterreichische Staat die Verpflichtung zur Übernahme jener deutschen Beamten haben wird, die innerhalb des für Deutschösterreich in Anspruch genommenen Staatsgebiet von den Tschechen wegen Festhaltens an das Gelöbnis für den Deutschösterreichischen Staat ihren Dienstposten entsetzen werden, daß es aber im Interesse der Erhaltung einer deutschen Beamtenschaft in den deutschen Sprachinseln, wie Brünn, Iglau und Olmütz nicht empfehlenswert erscheint, Gebiete, die dem Deutschösterreichischen Staat offensichtlich nicht erhalten werden können, als Staatsgebiet zu erklären, da die Angelobung der dortigen deutschen Beamten auf den Deutschösterreichischen Staat den Tschechen nur das Mittel in die Hand spielt, die im czechoslovakischen Staate verbleibende deutsche Bevölkerung ganz der deutschen Beamten zu berauben.
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d) betreffs Überführung des Privatbesitzes des Erzherzogs Franz Salvator aus der Hofburg. Beschluß: Die Angelegenheit wird dem geschäftsführenden Direktorium zugewiesen. e) in Angelegenheit der Bestätigung der Wahl des Bürgermeisters Sadleder in Linz Beschluß: Die Angelegenheit wird dem geschäftsführenden Direktorium zugewiesen. f ) über die nachträgliche Genehmigung der vom Nationalrat Wichtl in Kaplitz getroffenen Maßnahmen. Beschluß: Die nachträgliche Genehmigung wird erteilt. An den Herrn Staatskanzler. VI. Antrag des Staatskanzlers Dr. Renner in Angelegenheit der Errichtung einer Minderheitsschutzstelle bei der Staatskanzlei im Einvernehmen mit dem Staatsamt des Äußern. Beschluß: Die Beratung über den Antrag wird einer späteren Sitzung vorbehalten, zu welcher auch die Staatssekretäre des Äußern, des Innern und für Unterricht einzuladen sind. An den Herrn Staatskanzler und die Herrn Staatssekretäre des Äußern, des Innern und für Unterricht. VII. Antrag des Staatskanzlers Dr. Renner auf Bestellung einer Parlamentswache. Beschluß: Der Staatsrat genehmigt die Aufstellung einer Parlamentswache in der Stärke von 60 Mann, deren Auswahl dem Staatsamte für Heerwesen gemeinsam mit dem Obersten Befehlshaber übertragen wird. Die Wache hat in Abteilungen zu je 30 Mann Dienst zu machen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. VIII. Antrag des Staatskanzlers Dr. Renner. Auf Einsetzung einer Wahlreformkommission von 5 Mitgliedern unter der Leitung des Staatsrates Fink. Beschluß: Der Bestellung der Kommission, ebenso die Wahl der noch nicht eingesetzten Kommissionen des Staatsrates nach § 9 der Geschäftsordnung, wird auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Staatsrates gestellt. Zu Mitgliedern der Kommission können sowohl Staatsräte wie Ersatzmänner gewählt werden. Es ist Vorsorge zu treffen, daß die Sitzungen der Kommissionen ebenso wie jene der Ausschüsse der Nationalversammlung jeweils ausgeschrieben und auf den Kundmachungstafeln bekannt gemacht werden. An den Herrn Staatskanzler. IX. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Renner. Der Staatsrat nimmt die Bergung einer ärarischen Kasse, enthaltend mehr als 220.000 K, welche dem Staatsrat übergeben wurde, durch Offiziere aus der Ukraine mit besonderer Genugtuung zur Kenntnis. Den Offizieren ist der Dank des Staatsrates auszusprechen und ihnen als Ersatz für ihr beim Heim-
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transport eingebüßtes Privateigentum ein vom geschäftsführenden Direk torium zu bestimmender angemessener Betrag zu überweisen. An den Herrn Staatskanzler. X. Bericht des Staatsnotars Dr. Sylvester über Begnadigungsanträge der Justizkommission. Beschluß: Den Begnadigungsvorschlägen der Justizkommission wird die Zustimmung erteilt. An den Herrn Obmann der Justizkommission und den Herrn Staatssekretär für Justiz.
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45. [Montag] 1918-11-25 Vorsitz: Anwesend: Schriftführer: Dauer:
Seitz Baechlé, Fink, Friedmann, Gruber, Guggenberg, Hanusch, Heine, Iro, Keschmann, Langenhan, Luksch, Nagele, Ofner, Pantz, Schoiswohl, Schürff, Sylvester, Teufel, Tomschik, Waldner, Wolf unbekannt 16.20–17.35 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste1 Beilagen: 45/II
45/III
45/V
Regierungsvorlage, Gesetz vom … über die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit (12½ Seiten, gedruckt); Bericht des sozialpolitischen Ausschusses über die Regierungsvorlage Nr. 1058 der Beilagen, betreffend die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit (10½ Seiten, gedruckt); Gesetz vom … über die Kinderarbeit (8 Seiten, gedruckt); Verzeichnis der gemäß § 5 des Gesetzes über die Kinderarbeit verbotenen Betriebsstätten und Beschäftigungen (2 Seiten, gedruckt); Resolutionen (½ Seite, gedruckt); Minderheitsanträge des Abgeordneten Hanusch und Genossen (1 Seite, gedruckt); Bericht des sozialpolitischen Ausschusses über den Antrag der Abgeordneten Dr. Ofner und Genossen, betreffend den Entwurf des Gesetzes über die Kinderarbeit (297 der Beilagen) (9¼ Seiten, gedruckt). Gesetz vom … betreffend die Biersteuer (3 Seiten, gedruckt); Gesetz vom … über die Weinsteuer (11½ Seiten, gedruckt); Gesetz vom … betreffend die Branntweinbesteuerung (2 Seiten, gedruckt); Gesetz vom … betreffend die Schaumweinsteuer (2 Seiten, gedruckt); Gesetz vom … betreffend die Besteuerung von Mineralwässern und künstlich bereiteten Getränken (5 Seiten, gedruckt). Antrag Ofner, betreffend die verfassungsmäßige Einleitung der Gesetze (1 Seite, handschriftlich).
Vors. Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um 4 Uhr 20 Min. nachmittags. Nach Verlesung des Einlaufes2 bemerkt L a n g e n h a n: Es wäre wünschenswert zu wissen, welche Erledigung die oft sehr interessanten und wichtigen Einlaufsstücke finden. Präs. S e i t z erwidert, der Einlauf gehe an die betreffenden Instanzen. Wenn diese etwas vorzukehren beabsichtigen, werde es ja dann im Staatsrate vorgetragen.3 W o l f: Es ist mir ein Befehl des tschechischen Militärkommandos zugekommen, wonach in den Bezirken Jicin, Altpaka, aber auch in den Bezirken Braunau, Trautenau u.s.w. alle
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Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. Einzelne, der in diesem Protokoll behandelten Tagesordnungspunkte sind bereits in der Tagesordnung der 44. Sitzung enthalten, deren Numerierung im vorliegenden Protokoll übernommen wurde. Dem Protokoll liegen keine Materialien aus dem Einlauf bei. Zur detaillierten Darstellung der weiteren Behandlung der Einlaufstücke vgl. AdR, StK, GZl. 112/1920, Zl. 580/1918.
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18–36 jährigen Männer einberufen werden. Man muß die Leute benachrichtigen, was sie daraufhin zu tun haben.4 Präs. S e i t z: Wenn das authentisch ist, kann man einen Protest einbringen. Dieses Stück wird dem Staatsamt des Äußern und dem Staatsamt des Innern übermittelt.5 T e u f e l verweist auf den in der vorigen Woche gefaßten Beschluß des Staatsrates, daß alle erforderlichen militärischen Maßnahmen zu treffen sind, um die Sicherheit der deutschen Gebiete in Südmähren und Deutschböhmen gegenüber dem brutalen Vorgehen der Tschechen zu gewährleisten,6 und beantragt: Es sei eine eigene Sitzung des Staatsrates zu dem Zwecke einzuberufen, um zu beraten, welche Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung der Sudetenländer gegen Einfälle von Tschechen in ihr Gebiet getroffen werden können. W o l f wünscht, daß dieser Sitzung die Vertreter des Staatsamtes des Äußern, des Innern und des Heeres beigezogen werden. Der A n t r a g Teufel wird a n g e n o m m e n und diese Sitzung für morgen ½ 5 Uhr nachmittags anberaumt.7 [8]8 H a n u s c h legt einen Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit,9 und einen Gesetzentwurf, betreffend die Kinderarbeit,10 Die „Wiener Zeitung“ veröffentlichte am 17. November 1918 eine Meldung der deutschböhmischen Landesregierung vom 15. November, welche in Bezug auf die Einberufungsbefehle festhielt es sei selbstverständlich „daß derartigen Einberufungen niemand in Deutschböhmen Folge zu leisten hat“. Vgl. Wiener Zeitung, 17. November 1918, S. 8 „Meldungen des Telegraphen-Korrespondenz-Bureaus“. 5 Ein Exemplar des Einberufungsbefehls wurde am 26. November 1918 an das Staatsamt für Äußeres übermittelt, vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 1.948/1/1918. Dort wurde die Angelegenheit unter Verweis auf bereits mehrfach ergangene generelle Proteste als erledigt angesehen. Vgl. ebd., Zl. 5.597/1918, Einberufung deutscher Mannschaft durch Tschechoslovakei. Der Einberufungsbefehl langte am 4. Dezember 1918 im Staatsamt für Inneres ein und wurde von dort dem Staatsamt für Heerwesen übermittelt. Vgl. AdR, BKA/Inneres, 19/1/gen., StAI, Zl. 2.066/1918; AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.104/1918, Einberufungsbefehl des tschechoslovakischen Staates. Ähnliche Einberufungsbefehle des tschechoslowakischen Staates waren auch im südmährischen und südböhmischen Gebiet erlassen worden. Vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. 6 Vgl. dazu SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. 7 Die Debatte über die militärische Sicherung Deutschsüdmährens fand schon in der Vormittagssitzung statt. Vgl. dazu SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 8 Dies entspricht Punkt 8 der Tagesordnung der 44. Sitzung. 9 Beilage 45/II: Gesetzesentwurf (12½ Seiten, gedruckt); Bericht des sozialpolitischen Ausschusses (10½ Seiten, gedruckt). Es handelt sich um eine Regierungsvorlage der k.k. Regierung, betreffend die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit. Der beiliegende Bericht des sozialpolitischen Ausschusses stützte sich auf Erhebungen des k.k. arbeitsstatistischen Amtes und enthält einige zum Teil eindringliche Schilderungen der Wohn- und Arbeitsverhältnisse, vor allem der im Textilgewerbe tätigen Heimarbeiter und -arbeiterinnen. Am bereits gedruckten Gesetzesentwurf wurden einige Anpassungen vorgenommen. So wurde die frühere Einleitungsformel Mit Zustimmung beider Häuser des Reichsrates finde Ich anzuordnen, wie folgt: handschriftlich in Die provisorische Nationalversammlung hat beschlossen korrigiert. Zudem finden sich im Text durchgehend handschriftliche Änderungen, wodurch an den relevanten Stellen die jeweils zuständigen Staatsämter und -sekretäre anstelle der Minister eingesetzt wurden. Abgesehen von diesen Anpassungen an die geänderten politischen Verhältnisse wurde der Text des Entwurfes unverändert in den Text des StGBl. Nr. 140, Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit, ausgegeben am 27. Dezember 1918 übernommen. 10 Beilage 45/II: Gesetzesentwurf (8 Seiten, gedruckt); Verzeichnis der auf Grund dessen verbotenen Betriebsstätten und Beschäftigungen (2 Seiten, gedruckt); Resolutionen (½ Seite, gedruckt); Minderheits4
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vor und ersucht um die Zustimmung, daß diese beiden Gesetzentwürfe in der Mittwochsitzung der Nationalversammlung eingebracht werden können. Es wird ohne Debatte b e s c h l o s s e n: Der Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit und der Gesetzentwurf, betreffend die Kinderarbeit, werden in der nächsten Sitzung der Nationalversammlung eingebracht.11 [9]12 F r i e d m a n n berichtet namens der Finanzkommission des Staatsrates über 5 Konsumsteuervorlagen13, und zwar anträge des Abgeordneten Hanusch und Genossen (1 Seite, gedruckt); Bericht des sozialpolitischen Ausschusses (9¼ Seiten, gedruckt). Das Gesetz sollte die Kinderarbeit regeln, wobei Wert auf den körperlichen und geistigen Schutz der Betroffenen gelegt wurde. So wurde in § 4 festgelegt, daß Kinder nur beschäftigt werden dürften, wenn „sie dadurch in ihrer Gesundheit nicht geschädigt, in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung oder in ihrer Sittlichkeit nicht gefährdet und in der Erfüllung ihrer Schulpflicht nicht behindert werden“. Der ausführliche Bericht des sozialpolitischen Ausschusses argumentierte ebenfalls in diesem Sinne, die gesunde Entwicklung der Kinder sei „maßgebend für die Erstarkung des Volkes und Staates“, wozu „der Schutz des Kindes vor zu frühzeitiger oder übermäßiger Arbeit“ wesentlich beitrage. Auch hier wurden die Einleitungsformel und die im Text genannten, mit der Durchführung betrauten Instanzen, handschriftlich an die geänderten politischen Verhältnisse angepaßt. Der § 23, betreffend die Durchführung wurde gestrichen und zur Gänze handschriftlich neu eingefügt. Abgesehen von diesen Anpassungen wurde der Text des Entwurfes unverändert in StGBl. Nr. 141, Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Kinderarbeit, ausgegeben am 27. Dezember 1918, übernommen. 11 Vgl. AdR, StK, GZl. 526/1918, Staatskanzlei, Entwurf eines Gesetzes über die Kinderarbeit. Der sozialpolitische Ausschuß hatte den Entwurf eines Kinderarbeitsgesetzes bereits am 22. November 1918 diskutiert, konnte sich aber über die Anwendung des Gesetzes in der Landwirtschaft und den Haushalten nicht einigen. Insbesondere der durch den gesetzlichen Schutz leiblicher Kinder implizierte, staatliche Eingriff in die Familien, erwies sich als strittige Frage. Ein vom Ausschuß zur Behandlung dieser Frage gebildetes Subkomitee, das am 29. November und am 5. Dezember 1918 tagte, gelangte schließlich zu einer einheitlichen Lösung. Die Berichte zu den Sitzungen finden sich in AdR, StAsF, Sozialpolitik 1918, GZl. 1.572/1918, Gesetzentwurf, betreffend die Kinderarbeit, Verhandlungen im sozialpolitischen Ausschuß des Abgeordnetenhauses. Zur Behandlung des Kinderarbeitsgesetzes in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, Zuweisung an den volkswirtschaftlichen Ausschuß, S. 158; 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, zweite und dritte Lesung, S. 396–400. Zur Beurkundung des Gesetzes durch den Staatsrat vgl. SRP Nr. 60 vom 20. Dezember 1918. Zur Behandlung des Heimarbeitsgesetzes in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, Zuweisung an den volkswirtschaftlichen Ausschuß, S. 158; 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, Antrag auf dringliche Behandlung und zweite und dritte Lesung, S. 435–437. 12 Dies entspricht Punkt 9 der Tagesordnung der 44. Sitzung. 13 Beilage 45/III: Gesetzesvorlagen, betreffend die Biersteuer (3 Seiten, gedruckt), die Weinsteuer (12 Seiten, gedruckt), die Branntweinbesteuerung (2 Seiten, gedruckt), die Schaumweinsteuer (2 Seiten, gedruckt) sowie die Besteuerung von Mineralwässern und künstlich bereiteten Getränken (5 Seiten, gedruckt). Die Gesetze sollten die Besteuerung der betreffenden Getränke regeln. Die Entwürfe stimmen weitgehend mit StGBl. Nr. 112, Gesetz vom 6. Februar 1919, betreffend die Biersteuer ausgegeben am 16. Februar 1919, StGBl. Nr. 125, Gesetz vom 6. Februar 1919 über die Weinsteuer, ausgegeben am 20. Februar 1919, StGBl. Nr. 134, Gesetz vom 6. Februar 1919, betreffend die Branntweinbesteuerung, ausgegeben am 25. Februar 1919, StGBl. Nr. 126, Gesetz vom 6. Februar 1919, betreffend die Schaumweinsteuer, ausgegeben am 20. Februar 1919 und StGBl. Nr. 154, Gesetz vom 6. Februar 1919, betreffend die Besteuerung von Mineralwässern und künstlich bereiteten Getränken, ausgegeben am 1. März 1919, überein. Sie enthalten aber einige Modifikationen. So finden sich in
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1.) betreffend die Biersteuer, 2.) betreffend die Weinsteuer, 3.) betreffend die Branntweinsteuer, 4.) betreffend die Schaumweinsteuer und 5.) betreffend die Mineralwassersteuer. Redner skizziert die Grundzüge der einzelnen Gesetzentwürfe. T o m s c h i k spricht sich dahin aus, daß in erster Linie die direkten Steuern, insbesondere die Vermögensabgabe in Beratung zu ziehen wäre, denn es wäre geradezu aufreizend, wenn der Staatsrat der Republik vor allem eine Erhöhung der indirekten Steuern vorschlagen würde. F r i e d m a n n erwidert, daß bei der seinerzeitigen Vorlage dieser Gesetzentwürfe im Staatsrate ausdrücklich betont worden sei, daß durch die Vorlage derselben im Staatsrate in keiner Weise präjudiziert werde, wann diese Vorlagen vor die Nationalversammlung zu kommen hätten.14 Es sei richtig, daß in erster Reihe die Vermögensabgabe zu erledigen wäre, das sei aber eine so komplizierte Materie, daß eine rasche Erledigung nicht zu gewärtigen sei.15 T e u f e l erklärt, daß seine Partei aus den Gründen, die er das vorige Mal angeführt habe, gegen diese Steuervorlagen stimmen werde. Wir müssen eine Klärung der Lage gegenüber den anderen Staaten abwarten, weil jede Belastung in unseren Grenzgebieten eine Abwanderung des Kapitals in die benachbarten Staaten herbeiführen könnte. v. G u g g e n b e r g verlangt bei der Festsetzung der geplanten Weinsteuer eine entsprechende Rücksichtnahme auf die Verhältnisse im deutschen Teile Südtirols. Wenn ein Satz von 60 K per Hl ohne Unterschied der Qualität festgesetzt würde, würden die Weinbauern von Südtirol, die ausschließlich von dem Ertrage ihrer Weingärten leben, zugrunde gerichtet werden. Der Entwurf schlage eine schablonenhafte Uniformierung ohne Berücksichtigung der verschiedenartigen Verhältnisse vor, gegen die Redner protestieren müsse. Er spreche sich daher für die Wiederherstellung der im Abgeordnetenhause beschlossenen Vorlage aus.16 Präs. S e i t z macht darauf aufmerksam, daß es sich gegenwärtig nicht um die Details der Entwürfe, sondern nur um die Frage handelt, ob der Staatsrat die Genehmigung zur Einbringung der Vorlagen geben wolle. allen fünf Vorlagen handschriftliche Korrekturen der Paragraphen, die den Vollzug betreffen. In den Gesetzen, betreffend die Bier- und Weinsteuer wurde die Höhe des Steuerbetrages im Gegensatz zum Entwurf geändert. Im Gesetz, betreffend die Branntweinsteuer wurde eine Passage mit Regelungen über die Besteuerung von medizinischem Alkohol ins Gesetz aufgenommen. Das Gesetz, betreffend die Schaumweinsteuer wurde durch detailliertere Spezifikationen der Steuersätze ergänzt. Die umfassendsten Veränderungen finden sich im Gesetz, betreffend die Besteuerung von Mineralwässern. Im Gegensatz zum Entwurf, der die Kategorie der gewerbsmäßig abgefüllten, natürlichen Mineralwässer enthielt, wurden im fertigen Gesetz nur natürliche Mineralwässer erwähnt. Zudem wurde öffentlichen Krankenanstalten und Krankenkassen ab einem gewissen Betrag die Möglichkeit der Rückvergütung gewährt, darüber hinaus wurde ihnen die unversteuerte Einlagerung von Mineralwässern gestattet. Vgl. dazu auch AdR, StK, GZl. 823/1919, Gesetz betreffend die Biersteuer; GZl. 825/1919 und GZl. 826/1919, Gesetz betreffend die Schaumweinsteuer. 14 Vgl. dazu SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 15 Die Frage der Vermögensabgabe wurde in der Finanzkommission im Rahmen einer Enquete beraten. Vgl. SRP Nr. 39 vom 20. November 1918. 16 Das Abgeordnetenhaus hatte am 2. Oktober 1917 eine von Guggenberg und anderen eingebrachte Vorlage, betreffend den Verkehr und die Preisbestimmung für Maische und Wein in den weinbautreibenden Gebieten Südtirols an den Weinbauausschuß verwiesen. Vgl. Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, 26. Sitzung am 2. Oktober 1917, S. 1380 und 314 der Beilagen, S. 65–67. Zu einer weiteren Behandlung der Vorlage im Abgeordnetenhaus kam es nicht mehr.
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v. G u g g e n b e r g stellt den Antrag, den Gesetzentwurf, betreffend die Weinsteuer an die Finanzkommission mit dem Auftrage zurückzuweisen, den Beratungen Sachverständige aus den südlichen Gegenden, speziell aus Tirol zuzuziehen. Präs. S e i t z verweist nochmals darauf, daß es sich nur um die Frage handelt, ob die Regierung diese Gesetzentwürfe dem Hause vorlegen solle. Wenn dies geschehen würde, sei dem Vorredner Gelegenheit geboten, sich in den Ausschuß wählen zu lassen und dort seine Einwendungen zu vertreten. W o l f: Die Weinsteuer trifft vor allem die Konsumenten und das ist in der gegenwärtigen Zeit auch die deutschböhmische Bevölkerung. Es wäre besser, gleich mit dem Alkoholverbot vorzugehen, denn ein solches Gesetz käme in der jetzigen Zeit einem Verbote des Weingenusses für die breitesten Schichten der Bevölkerung gleich. Für eine Vermögensabgabe würde man bei der Bevölkerung viel mehr Verständnis finden und es wäre für eine solche auch der richtige Zeitpunkt. F r i e d m a n n: Auch im Finanzausschusse des Abgeordnetenhauses war man geteilter Meinung, ob eine Wertsteuer oder eine Quantitätssteuer für Wein einzuführen sei. Wenn man sich für eine 10 %ige Wertsteuer entschlossen hätte, würden die Südtiroler Weine, die mit den anderen Weinen ja ziemlich gleichwertig seien, viel höher getroffen worden sein als durch eine Quantitätssteuer. Es ist notwendig, die Bier- und Weinsteuer in eine gewisse Relation zu bringen. Die Finanzkommission hat sich selbstverständlich auch mit Fachleuten ins Einvernehmen gesetzt. Die oben genannten 5 Gesetzentwürfe werden vorbehaltlich der Bestimmung des Zeitpunktes ihrer Einbringung in der Nationalversammlung g e n e h m i g t.17 Es wird von Seite des Staatsamtes für Heerwesen im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Finanzen eine Vollzugsanweisung18, betreffend die weitere Fortzahlung der Unterhaltsbeiträge zur Genehmigung vorgelegt. Nach Verlesung derselben wird die Verhandlung hierüber behufs Behebung stilistischer Unklarheiten auf morgen v e r t a g t.19 O f n e r beanständet die Richtigkeit des Protokolls der 43. Sitzung vom 23. November 1918, P. 4, letzter Absatz20 u. zwar die Worte: „vom Staatsrate bekräftigt“ mit der Begründung, daß der Antrag nicht dahin gelautet haben kann, daß der Staatsrat sich das Recht anmaße, von der Nationalversammlung verfügte Gesetze zu bekräftigen und stellt den A n t r a g21: Die Gesetzesentwürfe zur Getränkebesteuerung wurden in der 11. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 19. Dezember 1918 eingebracht und dem Finanzausschuß zugewiesen. Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, S. 373 f; 17. Sitzung am 5. Februar 1919, zweite Lesung, S. 602–624 und S. 629–635; 18. Sitzung am 6. Februar 1919, dritte Lesung, S. 645. 18 Der Kabinettsrat hatte das Staatsamt für Heerwesen am 18. November 1918 mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Vollzugsanweisungsentwurfes beauftragt. Vgl. KRP 13/10 vom 18. November 1918. Der Entwurf der Vollzugsanweisung, betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen der Mobilisierten liegt dem Protokoll nicht bei. Ein Exemplar eines frühen Entwurfes dieser Vollzugsanweisung findet sich in AdR, StAsF, Sozialpolitik 1918, GZl. 1.929/1918, Fortzahlung des staatl. Unterhaltsbeitrages, zwischenamtl. Besprechung. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 1575/1918, Vollzugsanweisung, betreffend die weitere Auszahlung der Unterhaltsbeiträge an die Angehörigen von Mobilisierten. 19 Vgl. dazu SRP Nr. 47 vom 26. November 1918. 20 Der beanstandete Punkt 4, letzter Absatz lautete: „[die betreffenden Gesetze] werden vom Staatsrate bekräftigt und dem Staatsnotar zur Beurkundung überwiesen.“ 21 Beilage 45/V: Antrag Ofner (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 17
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Die Staatskanzlei wird aufgefordert, einen Antrag über die verfassungsmäßige Einleitung der Gesetze sowie der Anordnungen des Staatsrates und der Staatssekretäre vorzulegen. Der Antrag wird a n g e n o m m e n22 und hierauf die Sitzung um 5 Uhr 35 Minuten nachmittags geschlossen.
Zur Frage der verfassungsmäßigen Einleitung der Gesetze vgl. AdR, StK, GZl. 525/1918, Auszug aus der 45. Sitzung des Staatsrates vom 25. November 1918, Punkt IV. Der Akt enthält eine handschrift liche Notiz vom 30. Dezember 1918, in welcher festgehalten wurde, der Antrag sei „durch die nunmehr festgelegte Promulgationsformel der Gesetze gegenstandslos geworden“. Vgl. dazu auch SRP Nr. 34 vom 16. November 1918. Die Behandlung des zweiten Teils von Staatsrat Ofners Antrag, betreffend die Formulierung des Punktes IV der 43. Sitzung wurde am 3. Dezember 1918 von der Staatskanzlei mit dem Verweis auf ein in Ausarbeitung befindliches Gutachten über die grundsätzliche Frage der Kompetenzverteilung zwischen Staatsrat und Nationalversammlung einstweilen verschoben. Vgl. AdR, StK, GZl. 527/1918, Bekräftigung, bezw. Beurkundung der Beschlüsse der Nationalversammlung durch den Staatsrat. Die Angelegenheit wurde dann in der 56. Sitzung erneut behandelt. Vgl. SRP Nr. 56/1 vom 9. Dezember 1918.
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221 45. S i t z u n g d e s S t a a t s r a t e s vom 25. N o v e m b e r 1918. Vorsitz: Präsident Karl Seitz.
I. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Es sei eine eigene Sitzung des Staatsrates zu dem Zwecke einzuberufen, um zu beraten, welche Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung der Sudetenländer gegen Einfälle der Tschechen in ihr Gebiet getroffen werden könnten.“ Beschluß: Angenommen und wird die Sitzung auf morgen, ½ 5 Uhr nachmittags, anberaumt. Hiezu werden die Staatsämter des Äußern, des Innern und für das Heerwesen eingeladen. An die Staatsämter des Äußern, des Innern und für das Heerwesen. II. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Antrag: „Der Gesetzentwurf, betreffend die Regelung der Arbeits- und Lohnverhältnisse in der Heimarbeit, und der Gesetzentwurf, betreffend die Kinderarbeit, wollen in der nächsten Sitzung der Nationalversammlung eingebracht werden.“ Beschluß: Wird angenommen. An die Staatskanzlei. III. Antragsteller: Staatsrat Max F r i e d m a n n. Antrag: Bericht der Finanzkommission des Staatsrates über die Gesetzentwürfe, betreffend a) die Biersteuer, b) die Weinsteuer, c) die Branntweinsteuer, d) die Schaumweinsteuer, e) die Mineralwassersteuer. Beschluß: Diese Entwürfe werden vorbehaltlich der Bestimmung des Zeitpunktes ihrer Einbringung angenommen. An die Finanzkommission des Staatsrates. IV. Antragsteller: Staatsrat Dr. Julius O f n e r. Antrag: „Die Staatskanzlei wird aufgefordert, einen Antrag über die verfassungsmäßige Einleitung der Gesetze sowie der Anordnungen des Staatsrates und der Staatssekretäre vorzulegen.“ Beschluß: Wird der Staatskanzlei zugewiesen.23 An die Staatskanzlei.
Dieser Beschluß wurde in der 48. Sitzung des Staatsrates abgeändert, wobei wird der Staatskanzlei zugewiesen in wird angenommen korrigiert wurde. Vgl. SRP Nr. 48 vom 27. November 1918, Punkt I des Beschlußprotokolls.
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V. Antragsteller: Staatsrat Dr. Julius O f n e r. Antrag: „Staatsrat Dr. Julius Ofner beanständet die Richtigkeit des Protokolles der 43. Sitzung des Staatsrates vom 23. November 1918, Punkt IV letzter Absatz, und zwar die Worte „vom Staatsrate bekräftigt“ mit der Begründung, daß der Antrag nicht dahin gelautet haben kann, daß der Staatsrat sich das Recht anmaße, von der Nationalversammlung verfügte Gesetze zu bekräftigen. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatsnotar. Nächste Sitzung morgen 10 Uhr vormittags.
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46. [Dienstag] 1918-11-26 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Seitz, Hauser Baechlé, Bodirsky, Domes, Ellenbogen, Friedmann, Gruber, Iro, Jer zabek, Jukel, Kroy, Langenhan, Licht, Luksch, Ofner, Roller, Schoepfer, Schoiswohl, Schürff, Sylvester, Teufel, Waldner unbekannt 10.15–13.00 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste2 Beilagen: 46/I 46/II 46/III 46/IV
Liste, betreffend die Mitglieder der Wahlreformkommission (1 Seite, handschriftlich). Vorlage des Staatsamtes für Justiz: Gesetz vom … über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918) (22½ Seiten). Antrag Schoepfer, betreffend die Lage in Südtirol (1 Seite, handschriftlich). Antrag Bodirsky, betreffend Anfechtung des Haftbefehls gegen Abg. Luksch (½ Seite, handschriftlich); Antrag Teufel, betreffend Gründung einer Propagandastelle (1 Seite, handschriftlich); Antrag Teufel, betreffend Aufstellung von Truppen in Znaim (1 Seite, handschriftlich); Zusatzantrag Langenhan, betreffend Aufstellung von Truppen (1 Seite, handschriftlich); Antrag Teufel, betreffend Entsendung von Vertretern der Entente nach Wien (½ Seite, handschriftlich).3
Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um 10 Uhr 15 Minuten. Er begrüßt nach Mitteilung des Einlaufes4 den Landeshauptmann von Böhmen Dr. von Lodgman und teilt mit, daß zuerst die Frage des Schutzes der sudetenländischen Deutschen gegen Vergewaltigungen durch tschechische Truppen in Verhandlung gezogen werde. Hiebei sind drei Fragen zu beantworten, die Dr. von Lodgman formuliert habe. 1.): Ist Deutschösterreich bereit, die bedrohten Orte in den Sudetenländern durch Waffengewalt 1
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Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Otto Bauer, Jodok Fink, Dr. Rudolf Lodgman von Auen, Josef Mayer und Richard Marckhl deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Dr. Rudolf Lodgman von Auen, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, ab 4. November 1918 Landeshauptmann von Deutschböhmen. Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. Weiters liegen dem Protokoll bei: Regierungsvorlage: Gesetz über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918) (13½ Seiten, gedruckt); Begründung (17¼ Seiten, gedruckt); Tabelle I: Übersicht über die Belastung der Gerichtshöfe mit Verbrechens- und Vergehensfragen (1 Seite, gedruckt); Tabelle II: Übersicht über die Belastung der einzelnen Gerichtsabteilungen mit Verbrechens- und Vergehensfragen (1 Seite, gedruckt); Bericht des Justizausschusses über die Regierungsvorlage Nr. 1067 der Beilagen, betreffend das Gesetz über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918) (5 Seiten, gedruckt); Tabelle I: Belastung der Gerichtshöfe mit Verbrechens- und Vergehensfragen (2 Seiten, gedruckt); II. Belastung der einzelnen Gerichtsabteilungen (1 Seite, gedruckt); Gesetz vom … über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918) (16½ Seiten, gedruckt). Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Ein Memorandum der Stadtgemeinde Auspitz in Südmähren vom 23. November 1918, das die Lage in der Stadt nach ihrer Besetzung durch tschechoslowakische Truppen schildert, findet sich unter AdR, StK, GZl. 499/1919, Zl. 546/1918.
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zu schützen; 2.) wenn nicht, ist es bereit, zum Schutze der Deutschen die Hilfe der Entente anzurufen; 3.) wenn auch das nicht, will Deutschösterreich die deutsche Bevölkerung in den bedrohten Orten sich selbst überlassen, was konsequenter Weise dazu führen würde, daß sie sich einfach ergibt? L o d g m a n: Die Angelegenheiten Deutschböhmens sind auf einem Standpunkte angelangt, daß von einer ordnungsgemäßen Verwaltung fast nicht mehr, ganz bestimmt in kürzester Zeit nicht mehr wird gesprochen werden können. Die Gesetze, welche von der Nationalversammlung erlassen werden, die Aufträge, die der Staatsrat erteilt, die Verfügungen, welche seitens der Landesregierung oder ihrer Unterbehörden ergehen, sind praktisch nicht mehr durchführbar. Ich kann die Verantwortung für die Ernährung der Provinz Deutschböhmen nicht übernehmen, obzwar sie nach den mir vorliegenden Berichten bis beiläufig Ende Februar oder Anfangs März sich selbst verpflegen könnte, weil ich die notwendigen Verschiebungen der Ernährungsmittel nicht vornehmen kann. Der westliche Teil, welcher hinsichtlich der Ernährung im Wesentlichen aktiv ist, ist vom östlichen Teil, welcher passiv ist, vollständig abgeschnitten, und wir müssen heute unter den größten Schwierigkeiten Transporte über Bayern bezw. über Sachsen leiten, was auf die Dauer unmöglich ist. Rumburg, Warnsdorf 5, Schluckenau, Tannenberg, Lobositz6, Theresienstadt, Halbstadt7, Böhm. Leipa8, Mies9 sind von den Tschechen besetzt; bekanntlich waren sie auch in Marienbad10 Das „Prager Abendblatt“ meldete am 5. November 1918: „Warnsdorf. Die Čechoslowaken besetzten heute das hiesige Stationskommando und übernahmen die Bergestelle und das Bergelager. Die Ruhe wurde bewahrt.“ Vgl. Prager Abendblatt, 5. November 1918, S. 3 f „Berichte vom Lande“, hier S. 4. 6 Seit dem 1. November 1918 hielten tschechoslowakische Soldaten den Bahnhof von Lobositz besetzt. Vgl. AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Vorgänge im Zuge der tschechoslovakischen Besetzung Orte: A–Z, Lobositz. 7 Der Bezirksnationalrat von Halbstadt teilte der Landesregierung in einem Telegramm vom 24. November 1918 die Besetzung des Bahnhofes durch tschechoslowakische Truppen mit. Vgl. AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Berichte aus verschiedenen Orten A–L, Halbstadt. 8 In Leipa wurden die Bahnverbindungen seit Ende Oktober 1918 von tschechischen Truppen kontrolliert. Am Abend des 24. November wurde die Bahn in die Verwaltung des tschechoslowakischen Staates übernommen, wogegen die Bahnbediensteten in Form eines Streiks protestierten. Ein „I. Bericht an die Landesregierung Deutschböhmens über die Uebergriffe der Tschechoslowaken seit Bestand der Provinz Deutschboehmens“ des Nationalrates für den Bezirk und Stadt Leipa, der diese und andere Ereignisse schildert, liegt in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Korrespondenz Landeshauptmann 1918/19, 1918. Vgl. weiters das umfangreiche Konvolut, darunter insbesondere das Protokoll eines Berichtes über den Streik der deutschen Eisenbahnbediensteten der Böhmischen Nordbahn, in ebd., Berichte aus verschiedenen Orten A–L, Leipa. Zum Streik der Bahnbediensteten in Leipa vgl. auch SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 9 Mies wurde am 19. November 1918 von tschechoslowakischen Truppen besetzt. Vgl. den Lagebericht des Bevollmächtigten des Militärkommandos in Leitmeritz vom 22. November 1918 in AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/I, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 5.704/1/1918. 10 Am 19. November 1918 trafen tschechoslowakische Truppen in Marienbad ein, besetzten den Bahnhof und erklärten die Regierungsgewalt in der Stadt übernehmen zu wollen. Im Zuge dieser Vorgänge formierte sich eine protestierende Menge von Marienbader Bürgerinnen und Bürgern. Die Stadt regierung konnte daraufhin den Abzug der tschechoslowakischen Truppen erwirken, indem sie erklärte für das weitere Vorgehen der Protestierenden keine Verantwortung übernehmen zu können. Vgl. den Lagebericht des Bevollmächtigten des Militärkommandos in Leitmeritz vom 22. November 1918 in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/I, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 5.704/1/1918 sowie den Bericht des Stadtrates Marienbad vom 20. November 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.685/1918 und in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/I, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Beset5
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und in Eger11. Vorgestern habe ich die telegraphische Mitteilung bekommen, daß die ganze böhmische Nordbahnstrecke von Bösig bis Georgswalde von den Tschechen besetzt wurde.12 Das bedeutet die Teilung der ganzen Provinz in zwei Hälften und die Unmöglichkeit der Verbindung des Westens mit dem Osten. Unter solchen Verhältnissen ist eine rationelle Ernährung und Versorgung der Bevölkerung unmöglich, abgesehen davon, daß es natürlich auf die Dauer nicht angeht, daß wir derartige tschecho-slovakische Abteilungen in unserem Gebiete dulden, denn diese plündern nicht nur auf eigene Faust selbst Leute aus, die in einer Kanne Milch holen, sie beschießen unsere Flugpost aus Maschinengewehren, wie dies in Libenau13 geschehen ist14, sie tun auch Folgendes: Wenn z. B. 5 Waggons Mehl für Warnsdorf anrollen, welche noch nach dem alten Verteilungsplan von der Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt in Prag angewiesen waren, so werden diese von der tschechischen Soldateska mit Beschlag belegt und es wird erklärt: Es wird dieses Quantum Lebensmittel der Stadt Warnsdorf nur dann ausgefolgt, wenn sie den „národní v ýbor“ als ihre übergeordnete Behörde anerkennt. Bisher hatten solche Bemühungen allerdings keinen Erfolg, ja ich kann feststellen, daß genau das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war, erreicht wurde. Während der Bevölkerung bis vor ca. 3 Wochen die politische Entwicklung im allgemeinen gleichgiltig war, ist ihre Stimmung durch dieses unerhörte Vorgehen jetzt ins Gegenteil verkehrt und es macht sich eine nationale Abwehrbewegung geltend. Das Vorgehen der tschechischen Truppen hat nicht nur auf deutscher Seite allgemeine Ablehnung und Verurteilung gefunden, es ist mir bekannt, daß sich tschechische Kreise, die als Minoritäten in deutschen Gebieten versprengt sind, nach Prag gewendet und dort erklärt haben, das Vorgehen der tschechischen Truppen dürfe nicht geduldet werden. Wenn aber
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zungsmacht, Zl. 1.446/1918; weiters den Wochenbericht der Bezirkshauptmannschaft Marienbad an die Landesregierung in Reichenberg vom 1. Dezember 1918 in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Berichte aus verschiedenen Orten M–Z, Marienbad; weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 22. November 1918, S. 1 „Gewaltsame Besetzung von Marienbad und Postelberg durch die Czechen“. Vom 10. bis 12. November 1918 besetzten tschechoslowakische Truppen den Flugplatz in Eger, den sie in weiterer Folge demontierten und beinahe vollständig abtransportierten. Vgl. hierzu das Telegramm der Landesregierung Reichenberg über diesen Vorfall in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, November 1918 Allgemein Dpt. XIV Militär, Zl. 3.647/1918 sowie das Schreiben des Deutschen Ortsrates Eger an den Landesausschuß für Deutschböhmen in Zl. 5.560/1918; weiters den Lagebericht des Bevollmächtigten des Militärkommandos in Leitmeritz vom 22. November 1918 in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/I, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 5.704/1/1918 sowie den Bericht vom 18. November 1918 über den Abtransport des Flugplatzes in Eger durch tschechoslowakische Truppen in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.497/1918, Übergriffe der Tschechen gegen das deutschböhmische und deutschmährische Gebiet und das Schreiben des Ortsrates Eger vom 16. November 1918 in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 924/1918. Das Staatsamt für Äußeres protestierte am 2. Jänner 1919 beim tschechoslowakischen Gesandten in Wien gegen diesen Vorfall. Vgl. AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/I, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 5.114/1918, Flugplatz in Eger; Plünderung. Zur Lage in Eger vgl. auch das Material in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Berichte aus verschiedenen Orten A–L, Eger. Die auch an Lodgman versandte Abschrift einer Telefondepesche vom 23. November 1918, in welcher das Landwirtschaftsamt Reichenberg die Besetzung der Nordbahnstrecke am selbigen Datum meldete, findet sich in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Dpt. 1, Zl. 6.822/1918. Richtig: Liebenau/Hodkovice nad Mohelkou. Zur Einrichtung eines Flugdienstes nach Deutschböhmen vgl. SRP Nr. 16 vom 3. November 1918.
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auch der Prager Výbor die Absicht hätte, derartige Übergriffe zu bekämpfen, so scheitert diese Absicht an dem Widerstande der übrigen Ausschüsse, denn der Turnauer und der Pilsner Výbor kümmern sich um die Maßnahmen des Prager Výbor gar nicht. Es hat eben auch auf tschechischer Seite eine vollständige Desorganisation platzgegriffen. Ich habe aber die Empfindung, daß in Prag ein Doppelspiel getrieben wird, indem man offiziell solche Vorfälle verurteilt, stillschweigend aber die „Národní Výbory“ arbeiten läßt.15 Mit der Note des Staatssekretärs des Äußern an den Gesandten Tusar16 stimme ich vollkommen überein, glaube aber, daß sich der Staatsrat über die Stellung Tusars in Wien ins Klare kommen muß.17 So weit ich informiert bin, ist Tusar bei der Liquidationsregierung Neben dem zentralen Národní Výbor, dem Nationalausschuß, welcher nach der tschechoslowakischen Unabhängigkeitserklärung zusammen mit der Exilregierung in Paris zunächst als staatlicher Souverän auftrat und danach in der am 14. November 1918 eröffneten tschechoslowakischen Nationalversammlung aufging, hatten sich mehrere lokale und regionale Ausschüsse (Národní Výbory) gebildet, „die die ‚Entösterreicherung‘ voranzutreiben und zu vollenden gedachten“. Zwischen dem zentralen Nationalausschuß, der am Aufbau einer geordneten Verwaltungsstruktur arbeitete, und den oftmals auch militärisch eigenmächtig agierenden lokalen Nationalausschüssen entstanden des öfteren Kompetenzstreitigkeiten. Offiziell galten die lokalen Nationalausschüsse mit dem 4. Dezember 1918 als aufgelöst, vereinzelt hielten sie sich aber noch bis ins Jahr 1920. Vgl. Hans Lemberg, Die Tschechoslowakei im Jahr 1. Der Staatsaufbau, die Liquidierung der Revolution und die Alternativen 1919, in: Hans Lemberg/Peter Heumos (Hg.), Das Jahr 1919 in der Tschechoslowakei und in Ostmitteleuropa. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 24. bis 26. November 1989, München 1993, S. 225–249, hier S. 240–243. 16 Hier könnte die von Bauer an Tusar gerichtete, ausführliche Protestnote vom 24. November 1918 gemeint sein. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, GZl. 172/1/1918. Der Text wurde auch in der „Neuen Freien Presse“ publiziert. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 26. November 1918, S. 3 f „Protestnote des Staatssekretärs Dr. Bauer gegen die czechischen Uebergriffe“. Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. 17 Vlastimil Tusar, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, „amtierte“ Ende Oktober 1918 in seinem Büro wie ein Bevollmächtigter im Wiener Abgeordnetenhaus und hielt täglichen Kontakt mit Prag. Vgl. hierzu die Erinnerungen des tschechoslowakischen Diplomaten Flieder, zitiert nach Ota Konrád, Nevyvázené vztahy. Ceskoslovensko a Rakousko 1918–1933, Prag 2012, S. 57 f. Inoffiziell verhandelte er bereits am 22. Oktober mit dem Wiener Bürgermeister Richard Weiskirchner über Lebensmittelzusendungen. Am 27. Oktober berichtete er noch als Reichsratsabgeordneter dem Prager Nationalausschuß über die österreichisch-tschechoslowakischen Kontakte. Vgl. Josef Harna/Jaroslav Šebek (Hg.), Edice pramenů. Státní politika vůči ne˘mecké menšine˘ v období konsolidace politické moci v Československu v letech 1918–1919, Prag 2001, Dok. 1. Am 30. Oktober 1918 ernannte ihn die tschechoslowakische Regierung zum tschechoslowakischen Bevollmächtigten bei der k.k. Regierung. Vgl. Konrád, Nevyvázené vztahy, S. 59. Tusar war mit ausdrücklicher Bestätigung durch die tschechoslowakische Regierung ermächtigt, „an den ständigen Sitzungen der Gesandtenkonferenzen teilzunehmen“, aber ohne Präjudiz „für das Verhältnis, das zwischen uns und den anderen Staaten besteht“. Vgl. Tusars Mitteilung in der ersten Sitzung der Gesandtenkonferenz am 14. November 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1993, S. 151. In dieser Funktion betrachtete er es als seine Aufgabe, „in Freundschaft“ an der Liquidation Österreich-Ungarns mit den Vertretern der anderen Nachfolgestaaten zusammenzuarbeiten. Vgl. ebd. Reguläre diplomatische Beziehungen zwischen Österreich und der Tschechoslowakei kamen wegen der unterschiedlichen völkerrechtlichen Stellung der beiden Länder nicht zustande. „Wir sind anerkannt, sie [die Österreicher und Ungarn] gar nicht“, schrieb Beneš am 27. November 1918 an Kramář nach Prag. Vgl. Edvard Beneš, Sve¨tová válka a naše revoluce, Prag 1920, S. 526–531; weiters Martin Nechvátal/Helena Nováčková/Ivan Št’ovíček (Hg.), Dokumenty československé zahraniční politiky. Československo na parížské mírové konferenci 1918–1919. Band 1 (listopad 1918–cerven 15
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Lammasch18 akkreditiert, aber keineswegs bei der deutschösterreichischen Republik.19 Ich halte das auch für unmöglich, so lange nicht die Frage des strittigen Gebietes offiziell in suspenso20 gelassen wird oder so lange nicht die Anerkennung von der einen Seite erfolgt ist. Damit dürfte auch der Standpunkt der Tschechen übereinstimmen, die es abgelehnt haben, einen Gesandten der deutsch-österreichischen Republik in Prag anzuerkennen. Damit ist aber die deutsch-österreichische Republik vor die Notwendigkeit gesetzt, ihre Stellung zum Gesandten Tusar zu klären, denn es geht unmöglich an, daß ein bei ihr, wenn auch nicht akkreditierter, so doch zugelassener Vertreter einer Nation sein Amt ausübt, während der Staat, den er vertritt, die unerhörtesten Eingriffe in unser Gebiet macht. Entweder wir sind in der Lage, die Vorstöße der tschecho-slovakischen Truppen zu parieren, dann müssen wir aber auch die notwendigen Schritte hiezu einleiten und es muß die entsprechende Truppenmacht vom Staatssekretariat für Heerwesen aufgebracht werden. Wenn dies unmöglich wäre, dann bleibt kein anderer Weg, als einfach zu submittieren21. Aber eine Scheinverwaltung bestehen zu lassen unter Aufrechterhaltung des Hoheitsrechtes des betreffenden Staates, während er praktisch vollständig ausgeschaltet ist, das führt zur Lächerlichkeit. Meiner Ansicht nach bleibt kein anderer Weg, als der Gewalt die Gewalt entgegenzusetzen. Die Verhältnisse spitzen sich immer mehr zu und wir werden schließlich zu einem Blutvergießen kommen, das sich in ganz wilden Formen abspielen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, daß wir uns durchaus nicht in einer so ungünstigen Lage befinden, denn wir kämpfen um das Recht, die Tschechen um die Macht. Es muß raschestens eine entsprechende Organisation geschaffen werden, sei es Gendarmerie, sei es Wehr, sei es Miliz, und die Landesregierung muß die Vollmacht und die notwendige finanzielle Unterlage erhalten,
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1919), Prag 2001, S. 81. Zwei Tage später bekräftigte er nach einem Gespräch mit dem französischen Außenminister Pichon diese Aussage: „Wir sind anerkannt, die übrigen nicht (Deutschösterreich, Ungarn)“. Vgl. das Schreiben an Beneš vom 29. November 1918 in ebd., S. 92. Daher könne es nur inoffizielle Beziehungen zu den beiden Nachbarstaaten, aber keinen diplomatischen Verkehr geben. (Kein tschechoslowakischer Journalist, kein Gesandter in Wien, sei die Parole.) Auch die Delegierung Tusars sei „vorzeitig“, ohne Übereinkunft mit dem tschechoslowakischen Außenministerium erfolgt, „und daher sind alle Unterhandlungen nach internationalem Recht irregulär“. Vgl. das Schreiben von Beneš aus Paris an Kramář vom 29. November 1918 in ebd., S. 91 f. Unter diesem rechtlichen Vorbehalt erfüllte Tusar die üblichen Funktionen eines Bevollmächtigten. Er stand in ständigem Kontakt mit Staatsekretär Bauer, um gemeinsam die dringendsten Fragen des wirtschaftlichen Austausches zu bewältigen. Tusar berichtete regelmäßig dem Regierungsvorsitzenden Karel Kramář über die Situation in Österreich. Vgl. ebd., S. 79. Seit Monatsende November 1918 berichtete außerdem der „Bevollmächtigte Vertreter“ Robert Flieder aus Wien direkt und „auf Befehl“ Tusars an Beneš in Paris bzw. an Kramář in Prag. Vgl. den Bericht an Beneš vom 27. November 1918 ebd., S. 87 f sowie den Bericht an Kramář vom 28. November 1918 in ebd., S. 90 f. Dr. Richard Weiskirchner, Jurist, 1910 bis 1919 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 23. Dezember 1912 bis 22. Mai 1919 Bürgermeister der Stadt Wien, 1917 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses. Dr. Robert Flieder, Diplomat, Sekretär des Tschechischen Verbandes im Reichsrat, Bevollmächtigter und danach bis 1921 diplomatischer Vertreter der Tschechoslowakischen Republik in Wien. Dr. Edvard Beneš, Oktober 1918 bis 18. Dezember 1935 Außenminister der Tschechoslowakei. Stéphen Jean Marie Pichon, 1917 bis 1920 Außenminister Frankreichs. Dr. Heinrich Lammasch, Jurist, 1899 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses, ab 1899 Mitglied des Ständigen Gerichtshofes in Den Haag, 27. Oktober bis 11. November 1918 österreichischer Ministerpräsident, 1919 Mitglied der österreichischen Friedensdelegation in St. Germain. Er stand der letzten noch in der Monarchie gebildeten Regierung vor, die am 27. Oktober 1918 ernannt worden war und sich am 11. November 1918 auflöste. Vgl. auch SRP Nr. 15 vom 2. November 1918. In suspenso: in der Schwebe, unentschieden. Submittieren: sich unterwerfen, ergeben.
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diese Wehr zu organisieren. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, von uns zu verlangen, daß wir administrieren, wenn sich das Land in feindlichen Händen befindet. B a u e r: Die Tätigkeit Tusars ist vom Standpunkte Deutschösterreichs ganz unentbehrlich. Wir sind gezwungen, jeden Tag mit den Czechen zu verhandeln, vor allem über wirtschaftliche Fragen. Wir hätten in Wien längst keine Kohle mehr, wir hätten keine Möglichkeit, Lebensmittel aus Polen und Kohle aus Oberschlesien zuzuführen, wenn wir nicht mit Tusar über alle diese Dinge verhandeln würden. Diese Verhandlungen können nur hier geführt werden, weil wir in Prag keine Vertretung haben. Ich habe die Frage, bei wem Tusar akkreditiert ist, mit Absicht nie geklärt, weil ich ihn brauche. Im übrigen ist mit ihm im Allgemeinen nicht so schlecht zu verhandeln, nur kommt es öfters vor, daß seine Vorschläge in Prag nicht angenommen werden. Es ist auch nicht richtig, daß von czechischer Seite die Bestellung eines Vertreters Deutschösterreich grundsätzlich abgelehnt worden ist. Wir haben den Handelskammersekretär Meier22 aus Brünn für die Stelle des Gesandten in Prag vorgeschlagen,23 die bezügliche Anfrage ist aber von den Czechen noch nicht beantwortet worden. Wie mir mitgeteilt wurde, hat sich die czechische Nationalregierung nach Brünn gewendet, um dort über den vorgeschlagenen Kandidaten Erhebungen führen zu lassen. Ich habe aber die Absicht, da sich die Sache so lange hinzieht, den Handelskammersekretär Marek nach Prag zu schicken und anfragen zu lassen, ob Meier akzeptiert wird.24 Was die Frage des Schutzes Deutschböhmens anbelangt, so bin ich vom Anfang an auf dem Standpunkte gestanden, die einzig wirksame Maßnahme wäre die, in Deutschböhmen eine hinreichende Truppenmacht aufzustellen, nicht um dort einen Krieg mit den Czechen zu führen, sondern weil ich überzeugt bin, daß sehr vieles nicht geschehen würde, wenn dort Truppen vorhanden wären. Die Aufstellung der Truppen kann im Allgemeinen nur dort geschehen. Was von hier aus geschehen kann, ist vergleichsweise nur wenig. Immerhin haben wir uns im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen bemüht, Deutschböhmen in zwei Formen zu unterstützen. Zunächst haben wir das Bestreben gehabt, von hier aus Truppen nach Deutschböhmen zu bringen. Ich habe von den Czechen verlangt, daß sie unsere Truppen bewaffnet durch das czechische Gebiet passieren lassen. Das haben sie zuerst unbedingt abgelehnt, nach langen Verhandlungen ist endlich eine Vereinbarung zustandegekommen, daß Truppen, die Wien nach einem bestimmten Tag passieren, die Waffen mitnehmen dürfen, die in besonderen Waggons nachzuführen seien.25 Ob solche Truppenkörper nach Dr. Robert Mayer, Sekretär der Handels- und Gewerbekammer in Brünn, 21. November 1918 Bestellung zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Prag. 23 Zur Ernennung von Dr. Robert Mayer zum Vertreter Deutschösterreichs vgl. SRP Nr. 33 vom 14. November 1918 und Nr. 40 vom 20. November 1918. Das Staatsamt für Äußeres meldete am 30. November 1918 das Agrément sei „trotz wiederholter Urgenzen“ noch nicht eingelangt. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Reihe 1918, GZl. 4/Dir./1918, Mitteilung über das Verhalten der tschechoslovakischen Regierung gegenüber der Bestellung des Reg.R. Mayer zum Gesandten für Prag. 24 Bereits am 19. November hatte das Staatsamt für Äußeres einen Antrag, betreffend Zuteilung Mareks zur Gesandtschaft in Prag gestellt. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 3/Dir./1918, Zuteilung des Dr. Ferdinand Marek als Legationsrat II. Kategorie bei der Gesandtschaft in Prag. Zur Frage des deutschösterreichischen Bevollmächtigten in Prag vgl. SRP Nr. 33 vom 14. November 1918 und Nr. 40 vom 20. November 1918. Dr. Ferdinand Marek, Jurist und Diplomat, 1. November 1918 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, ab 29. November 1918 provisorischer Geschäftsträger an der Gesandtschaft Prag und Legationsrat II. Kategorie, im Juni 1919 zum Bevollmächtigten ernannt. 25 Zur Problematik vgl. Deutschösterreichisch-tschechoslowakische Konferenz zur Regelung bilateraler Transportfragen. Protokoll, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 153 f. 22
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Deutschböhmen gekommen sind, ist mir nicht bekannt. Das fällt in den Aufgabenkreis des Staatsamtes für Heerwesen. Weiters ist eine ganze Reihe von Bataillonen über bayerisches Gebiet hinausgegangen.26 Die Czechen wissen das, sind darüber sehr aufgeregt, ich glaube aber nicht, daß wir uns in dieser Vorgangsweise stören lassen sollen.27 Das wichtigste ist, daß die in Deutschböhmen aufgestellten Volkswehren28 Waffen erlangen. Zum Teile geschieht das auch in der Weise, daß ihnen – natürlich in ganz inoffizieller Weise – auf Verlangen der befugten Stellen von Deutschland Waffen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings wird die Durchführung durch die Revolution in Deutschland erschwert, weil auch dort die Truppen in einem Zustande der Auflösung sind und die Kommandos die Truppen und das Material nicht so zur Verfügung haben wie es früher der Fall war. Daher haben sich in Sachsen in einem konkreten Falle Schwierigkeiten ergeben. Ich habe mich nach Berlin gewendet, um zu veranlassen, daß die Kommandanten von dort aus die entsprechenden Aufträge bekommen. Eine Antwort habe ich noch nicht erhalten.29 Was man tun kann, um die Aufstellung einer Truppenmacht in Deutschböhmen zu unterstützen, ist von hieraus geschehen.30 Die Mannschaft für die Volkswehr aufzubringen, ist Sache Deutschböhmens, und ich bitte den Herrn Landeshauptmann um eine Mitteilung, ob in dieser Hinsicht Schwierigkeiten vorhanden sind. Man muß sich auch darüber klar sein, was diese Volkswehren leisten können. Sie können schon durch ihre bloße Anwesenheit die Czechen abschrecken. Das ist in einzelnen Fällen geschehen, der Marienbader Fall ist sehr charakteristisch.31 Auf einen Kampf können wir uns natürlich nicht einlassen, zunächst deshalb, weil uns die Czechen militärisch überlegen sind. Wenn sie auch eigene Truppen im Lande sehr wenig haben, so muß man berücksichtigen, daß die czecho-slovakischen Legionen von der italienischen Front zum Teil schon nach Böhmen gebracht worden sind,32 zum Teil hin Vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. Beneš war seit dem 27. November von diesen Transfers informiert. Vgl. den Bericht des Bevollmächtigen Flieder an Beneš vom 27. November 1918 über die Endsendung von Soldaten und Waffenlieferungen durch die böhmischen Länder sowie über Passau und Eger nach Deutschböhmen in Československo na parížské mírové konferenci 1918–1919, S. 89. Am 16. Dezember 1918 informierte er den französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, daß „die Wiener Deutschen fortfahren, Munition und Waffen zu produzieren und diese über Bayern und in die gemischten Gebiete Böhmens senden, um der tschechoslowakischen Republik Schwierigkeiten zu bereiten“. Vgl. ebd., S. 113. Tusar sah den Transport deutschböhmischer Truppen über reichsdeutsches Gebiet als einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Waffenstillstandes. Vgl. Gesandtenkonferenz. Protokoll zur 1. Sitzung, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 153. Georges Clemenceau, 1906 bis 1909 und 1917 bis 1920 französischer Premierminister. 28 Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 29 Vgl. exemplarisch zur ablehnenden Haltung der deutschen Regierung in der Frage der Unterstützung Deutschböhmens durch Sachsen den Bericht der Gesandtschaft in Dresden vom 9. Dezember 1918 in AdR, StK, GZl. 1.496/1918, Unterstützung Deutschböhmens durch Sachsen mit Waffen, Munition und sonstigem Kriegsmaterial. 30 Die Landesregierung von Deutschböhmen hatte am 24. November 1918 einen Bevollmächtigten nach Wien entsandt, „um beim Staatsamt für Heerwesen einen Transport von Waffen, Munition und Ausrüstungsstücken nach Deutschböhmen sicherzustellen“. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.771/1918. 31 Mit dem „Marienbader Fall“ dürften die bereits an früherer Stelle geschilderten Vorfälle in Marienbad am 19. November 1918 gemeint sein. Vgl. dazu Anm. 10 der vorliegenden Sitzung. 32 Zu den grundlegenden Bestimmungen der Vereinbarungen vom 16. November 1918 vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918 nachmittags. Anweisungen für den Transit tschechischer Legionäre durch deutschösterreichisches Staatsgebiet finden sich in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 1.843/1918. Die Landesregierung in Reichenberg wurde am 17. November 1918 vom Staatsamt für Heerwesen entsprechend instruiert. Vgl. dazu das Schreiben in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, November 1918 Allgemein Dpt. XIV. Militär, Zl. 5.602/1918. Die Vereinbarungen 26 27
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gebracht werden, was wir nicht verhindern können, weil sie ein Bestandteil der Ententearmee sind und nach dem Waffenstillstandsvertrage33 Gebiete der ehemaligen Monarchie besetzen können. Dazu kommt noch, daß diesen Truppen zwei fremde, wahrscheinlich italienische Divisionen unter dem Kommando eines französischen Generals folgen. Die Czechen versichern allerdings jeden Tag, daß diese Truppen ausschließlich zur Besetzung der Slovakei bestimmt sind, aber wir dürfen auf solche Erklärungen nichts geben, und wenn es zu einem Kampfe mit den Czechen kommt, werden sie wahrscheinlich die Truppen verwenden, die sie zur Verfügung haben. Wir könnten an dieser Lage in einem Falle etwas Erhebliches ändern, wenn wir uns entschlössen, selbst die Ententetruppen zu rufen. Diese Forderung kommt jetzt aus allen Teilen Deutschösterreichs. Die ersten, die das verlangt haben, waren die Deutschen in Untersteiermark, weil es ihnen lieber ist, von den Italienern beherrscht zu werden als von den Slovenen. Die zweiten waren die Kärntner; dort stehen die Italiener schon.34 Und nun verlangt man auch in Deutschböhmen, man soll sich an die Kriegsgegner wenden und es sollen – nicht gerade Italiener – aber Engländer oder Amerikaner das Land besetzen und bis zur Entscheidung besetzt halten.35 Wenn es möglich wäre, amerikanische Truppen zu bekommen, so ließe sich dafür sehr viel anführen. Wir dürfen uns aber nicht täuschen: Wenn wir uns dazu entschließen, so bedeutet das, daß wir die Entente einladen, Deutschösterreich zu besetzen, und das ist ein Entschluß, den man sich sehr sorgfältig überlegen muß. Denn in diesem Fall werden nicht wir entscheiden, was für Truppen kommen werden. Es werden nicht nur Amerikaner, es werden auch Franzosen und Italiener kommen, und wenn sie einmal da sind, so werden sie über alles entscheiden. Wir können uns dann ersparen, über die Wahlordnung für die Konstituante zu beraten, denn unter fremder Besetzung wird man die über den Transport wurden in einem Treffen zwischen italienischen und tschechoslowakischen Delegierten und der Zentraltransportleitung am 28. November 1918 festgelegt. Der Transport sollte am 6. oder 7. Dezember beginnen und bis etwa 20. Dezember abgeschlossen sein. Vgl. dazu das Material, darunter eine Landkarte in welcher die Transportroute eingezeichnet wurde, in AdR, StK, GZl. 876/1918. Vgl. weiters SRP Nr. 51. vom 30. November 1918. 33 Zum Waffenstillstand von Villa Giusti vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 34 Zu den erwähnten Forderungen aus der Untersteiermark und der italienischen Besetzung von Tarvis vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. Vgl. weiters Johann Rainer, Die italienische Besatzung in Österreich 1918–1920 (= Innsbrucker Historische Studien. Herausgegeben vom Institut für Ge schichte der Universität Innsbruck. 2. Band. Sonderdruck), Innsbruck 1979, S. 85. Auf Weisung Staatssekretär Bauers ersuchte dann der deutschösterreichische Vertreter in Bern, Haupt, die Schweizer Regierung am 30. November 1918 und erneut am 16. Dezember 1918 den Vertretern der Entente mitzuteilen, daß der südslawische Staat die Absicht habe, Klagenfurt und Villach zu besetzen und ersuchte, falls eine Besetzung unvermeidbar sei, um die Entsendung amerikanischer oder britischer Truppen. Vgl. Deutschösterreichische bevollmächtigte Vertretung an schweizerisches Politisches Departement/Abteilung für Auswärtiges (Bern). Note Nr. 1/Pol., in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 222 und S. 308; Hanns Haas, Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche: vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918 bis 1919, in: Hans Mommsen/Dušan Kováč/Jiří Malíř/Michaela Marek (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen, Leipzig 2001, S. 141–220, hier S. 205 f. Dr. Stephan Freiherr Haupt von Buchenrode, 19. November 1918 bis 30. November 1919 bevollmächtigter Vertreter Deutschösterreichs in Bern. 35 Molisch bemerkt hierzu: „Mit der deutschösterreichischen Regierung stimmte die Landesregierung im Streben nach diplomatischen Schritten allerdings nicht völlig überein. Der Landesregierung erschien eine Besetzung Deutschböhmens durch die Entente geradezu als Rettung vor dem Übel der tschechischen Besetzung.“ Vgl. Paul Molisch, Die sudetendeutsche Freiheitsbewegung in den Jahren 1918–1919, Wien/Leipzig 1932, S. 97.
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Wahl nicht durchführen können. Wir können uns auch ersparen, die Frage des Anschlusses an Deutschland zu erörtern, denn wir werden darüber nicht einmal reden dürfen, wenn die Franzosen im Lande sind. So schwer unsere Lage sowohl im Süden als auch im Norden ist, so muß ich sagen, daß ich es geradezu für einen Selbstmord aus Furcht vor dem Tode halten würde, mich jetzt an die Entente zu wenden. Es muß wenigstens der Schein einer gewissen Selbständigkeit in Böhmen erhalten bleiben, und es muß wenigstens die Wahl der Konstituante sichergestellt werden. Wie schwierig auch die Lage der Landesregierung in Reichenberg ist, die bloße Tatsache, daß dort eine Landesregierung und eine Landesversammlung besteht, daß sie Erklärungen im Namen Deutschböhmens abgibt und Protest gegen das Verhalten der Czechen einlegt, ist ein ständiger Protest gegen die czechischen Annexionsansprüche. Ich habe aus dem Material, das mir vorliegt, durchaus den Eindruck, daß die Entente noch nichts entschieden hat.36 Wenn es auch wahrscheinlich ist, daß die Stimmung in Frankreich für die Czechen sehr stark ist, so beherrscht das Nationalitätenprinzip insbesondere in England und Amerika so sehr die öffentliche Meinung, daß wir hoffen dürfen, auf dem Friedenskongreß mit unserer Forderung wenigstens teilweise durchzudringen. Die zweite Sache, die ich für sehr wichtig halte, ist die Forderung, daß Deutschböhmen in einem solchen Zustand erhalten wird, daß die Wahl der Konstituante von den Czechen nicht gehindert werden kann. In Bern hat man den Ungarn auf die Frage, was mit den Slovaken geschehen wird, erklärt: Wenn die Slovaken aus Ungarn an der Wahl für die Konstituante in Prag teilnehmen, kommen sie zu den Czechen; wenn sie an der Wahl für die Konstituante in Budapest teilnehmen, kommen sie zu Ungarn. Dasselbe gilt für uns. Es muß die hauptsächlichste Sorge der Landesregierung in Reichenberg sein, daß kein deutscher Bezirk die Wahl für die czechische Konstituante vornimmt, daß möglichst alle deutschen Bezirke für unsere Konstituante mitwählen. Ich glaube nicht, daß die Czechen heute in der Lage wären, dies zu verhindern. Was also das Staatsamt des Äußeren in der Sache tun kann, vor allem die Hilfe bezüglich der Beschaffung des Militärs, Proteste nach außen und ständige Bearbeitung der öffentlichen Meinung im Auslande, das bemühen wir uns zu tun. Aber einen Krieg gegen die Czechen aufzunehmen oder Ententetruppen zu Hilfe zu rufen, scheint mir nicht ratsam. T e u f e l führt aus, daß die Cechen nach einem bestimmten Plane vorgehen, um die deutschen Gebiete Südmährens in ihren Besitz zu bringen. Die cechoslovakischen Truppen und Banden, welche die deutschen Gemeinden Südmährens besetzen, gehen hier mit der größten Brutalität vor, sie scheuen auch vor den schwersten Verbrechen gegenüber den einzelnen Personen und ihrem Eigentum nicht zurück. Man darf vor diesen Gewalttaten nicht mehr zurückweichen, sondern muß auf diese Gewalt mit Gewalt und mit Repressalien antworten. Wenn man z. B. den deutschen Eisenbahnern den Auftrag gebe, ihre Dienste dem cechoslovakischen Staate zu kündigen, so seien die Cechen nicht mehr in der Lage, ihren Eisenbahnbetrieb aufrechtzuerhalten, wie sich dies auch bei den Südslaven in Steiermark gezeigt habe. Er gibt seinem Befremden darüber Ausdruck, daß weder das Staatsamt für Heerwesen hier vertreten, noch der Oberbefehlshaber anwesend ist und bittet, die Beratungen so lange zu unterbrechen, bis die genannten Funktionäre erschienen sind. Präs. H a u s e r: Ich finde diesen Wunsch ganz begreiflich und werde die Herren sofort bitten lassen, zu dieser Beratung zu erscheinen. Bis dahin könnten wir, um die Sitzung nicht unterbrechen zu müssen, einige andere Beratungsgegenstände verhandeln. (Zustimmung.) Es Vgl. dazu die Meldung des Staatsamtes für Volksernährung an Staatssekretär für Äußeres Bauer vom 13. November 1918, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1, S. 147 f.
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werden hierauf für die Kommission, welche das Wahlgesetz für die erste Lesung vorzubereiten hat, folgende Herren bestimmt: Fink (Obmann), Waldner, Ellenbogen, Friedmann und Teufel.37 R o l l e r referiert über die Entlastungsnovelle zur Strafprozeßordnung38 und bittet, die erste Lesung dieser Novelle auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung der Nationalversammlung zu setzen. Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n.39 Präs. H a u s e r: Es liegt ferner folgender Antrag40 Dr. S c h o e p f e r vor: „Mit Rücksicht auf das Vorgehen der italienischen Besetzungstruppen in Deutsch-Tirol, besonders darauf, daß dieser Landesteil bereits offiziell als zum Königreich Italien erklärt und darnach behandelt wird, wird das Staatsamt des Äußeren beauftragt, mit den Abgeordneten von Deutsch-Tirol die ganze Sachlage zu besprechen und auf Grund des Ergebnisses dieser Konferenz an den Staatsrat Bericht und Antrag zu stellen.“ Es besteht wohl keine Schwierigkeit, diese Anregung dem Staatsamte für Äußeres zu übermitteln. Die Herren können dann gelegentlich zu einer Besprechung zusammentreten. (Zustimmung.) Es wird hierauf die unterbrochene Beratung über den Schutz der Deutschen in den Sudetenländern fortgesetzt.41 T e u f e l bemerkt, er halte es für richtig, wenn genügend Truppen vorhanden sind, sie dazu zu verwenden, um das Staatsgebiet zu schützen. Bei aller Anerkennung für die Tätigkeit der leitenden Personen müsse man dennoch konstatieren, daß in dem Ausbau der deutschösterreichischen Wehrmacht keine Fortschritte zu verzeichnen seien und daß bis heute nichts in die Wege geleitet sei, um die bedrohten Gebiete zu schützen. Wenn man einen Staat ins Leben ruft, so müsse man auch für die Schaffung einer Wehrmacht sorgen. Wenn man jedoch dem vollständigen Auseinanderlaufen der Heeresorganisation zusehe, so sei dann kein gesunder Unterbau für die Schaffung einer Wehrmacht zu finden. Man hätte Beilage 46/I: Liste der Mitglieder der Wahlreformkommission (1 Seite, handschriftlich). Seitz dürfte ursprünglich an Stelle von Ellenbogen als Kommissionsmitglied vorgesehen gewesen sein, wurde aber, wie aus der Liste hervorgeht, durch Ellenbogen ersetzt. Vgl. dazu auch Beschlußprotokoll Punkt I. 38 Beilage 46/II: StAfJ, Gesetzesentwurf (22½ Seiten). Diese Novelle ging noch auf eine Regierungsvorlage der k.k. Regierung Seidler zurück, die in der 75. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 16. Juli 1918 dem Justizausschuß zugewiesen worden war. Der Bericht kam allerdings nicht mehr zur Behandlung im Abgeordnetenhaus. Regierungsvorlage und Bericht liegen dem Protokoll ohne Numerierung ebenfalls bei. Der ausführliche Bericht rechtfertigt die Notwendigkeit zur Vereinfachung der Strafrechtspflege damit, daß sich die Arbeitslast für die Justiz aufgrund der seit dem Krieg angestiegenen Anzahl der Delikte erhöht habe. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 93, Gesetz vom 5. Dezember 1918 über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918), ausgegeben am 11. Dezember 1918 überein. Zur Beurkundung vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. Vgl. auch das umfangreiche Material in AdR, StK, GZl. 1620/1921. Ernst Wilhelm Engelhardt Seidler von Feuchtenegg, 23. Juni 1917 bis 25. Juli 1918, k.k. Ministerpräsident. 39 Zur Einbringung in die Nationalversammlung und die Zuweisung an den Justizausschuß vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, S. 157 f; zweite und dritte Lesung 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, S. 282 f. 40 Beilage 46/III: Antrag Schoepfer (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. 41 Die Abstimmung über die im Verlauf dieser Debatte gestellten verschiedenen Anträge erfolgte erst am Ende der ausführlichen Diskussion. Vgl. die entsprechenden Anmerkungen 62–67. 37
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bei der Demobilisierung die drei, eventuell vier jüngsten Jahrgänge zurückbehalten sollen, um in ihnen einen gewissen Grundstock für den Schutz des Staatsgebietes zu finden. Von Seite der berufenen Faktoren werde aber nichts gemacht. Solche Zustände seien unhaltbar. Man werde aber noch so viel Kraft haben, um eine Heeresorganisation zu bilden, besonders wenn die Zentralregierung mit der nötigen Hilfe eingreift. Es müßte von Seite des Staatsamtes auch auf die Zeitungen eingewirkt werden, damit diese die Bevölkerung in ihrem Widerstande ermuntern. Überaus wichtig sei es ferner, eine große Propagandatätigkeit zu entfalten. Er stelle daher den Antrag, daß der Staatsrat sofort aufgefordert werde, unverzüglich mit der Kreierung einer Propagandastelle vorzugehen, daß die geeigneten Persönlichkeiten in dieselbe berufen, daß von dort aus in Wort und Schrift die Verhältnisse geschildert werden und daß die Bevölkerung in ihrem nationalen Gewissen aufgerüttelt und zum Verteidigungskampfe aufgerufen wird. Es sollte bei allen derartigen Einbrüchen das Material gesammelt werden, um den anderen Staaten zu zeigen, wie die Cechen das Selbstbestimmungsrecht auffassen. Redner unterbreitet bezüglich der Kreishauptmannschaft Deutschsüdmähren einen Antrag, dessen Wortlaut im Beschlußprotokoll enthalten ist. Die in diesem Antrage enthaltenen Vorkehrungen zum Schutze des Staatsgebietes seien keineswegs eine Kriegserklärung gegen die Cechoslovaken, sondern sie bezwecken nichts anderes als die Verteidigung unseres Eigentums und unseres Lebens. Wir müssen die bis jetzt von den cechoslovakischen Banden besetzten Gebiete wieder in unsere Hand bekommen. Wenn den Gewalttätigkeiten dieser Banden eine auch nur geringe Organisation entgegensetzt wird, so werde es gelingen, diese Leute aus den deutschen Gebieten wieder hinauszutreiben. Auch die Entente könne gegen eine solche Selbstverteidigung nichts einzuwenden haben. Es handelt sich hier nicht um reguläre cechoslovakische Truppen, sondern um irreguläre Banden, gegen die wir uns mit aller Kraft zu wehren haben. Eine Nachgiebigkeit oder allzugroße Vorsicht werde nur dazu dienen, die andere Seite zu ermuntern, in ihren ungerechten Handlungen fortzuschreiten. Zur Schaffung einer solchen Wehrmacht stünden jedenfalls die Offiziere und Unteroffiziere zur Verfügung. Die Befürchtung, daß ein gegenrevolutionärer Akt daraus hervorgehen könnte, wenn solche größere Truppenmassen unter der Führung von Offizieren in einem Gebiete zusammengeballt werden, sei nicht zutreffend, denn eine solche Möglichkeit käme gar nicht in Betracht. Es sei Sache des deutschösterreichischen Staates, die unbedingt nötige Heermacht zu schaffen, um sein Staatsgebiet wirksam schützen zu können. M a r c k h l macht darauf aufmerksam, daß durch die Besetzung deutscher Gebiete durch feindliche Banden die ganze Verwaltungstätigkeit über den Haufen geworfen werde. Nach den letzten Nachrichten ist auch Spielfeld durch die Serben besetzt worden und es sei dadurch die ganze Verwaltung unmöglich gemacht worden.42 Es bestehe auch die Gefahr, daß die deutschen Eisenbahner dort streiken und daß dadurch der Eisenbahnbetrieb stille Die Landesregierung Steiermark hatte am 25. November 1918 gemeldet, daß in den südsteirischen Orten Spielfeld und Radkersburg slowenisches und serbisches Militär einmarschiert sei. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslavien 9/1, Zl. 487/1/1918, Jugoslavischer Staat, bewaffnetes Eindringen nach Steiermark. Zur Lage im Bezirk Radkersburg, u. a. auch in Bezug auf die Eisenbahn in Spielfeld, vgl. ebd., Fasz. Radkersburg. Vgl. auch Martin Moll, „Die blutende Wunde im Süden“: Eine neue Grenze entsteht, in: Alfred Ableitinger (Hg.), Bundesland und Reichsgau. Demokratie, „Ständestaat“ und NS-Herrschaft in der Steiermark 1918 bis 1945 (= Geschichte der Steiermark. Herausgegeben von der historischen Landeskommission für Steiermark Band 9/1), Wien/Köln/Weimar 2015, S. 289–316, hier S. 298 und Metka Fujs, Državne meje v Prekmurju = Staatsgrenzen im Übermurgebiet, in: Stadtgemeinde Bad Radkersburg/Redaktion Beatrix Vreča, Marie Theres Zangger, Mateja Močnik (Hg.): Im Brennpunkt des Geschehens 1918–1920: vom Übermurgebiet über Radkersburg bis Mureck = V žarišču dogodkov 1918–1920: od Prekmurja prek Radgone do Cmureka, Bad Radkersburg 2018, S. 268–301.
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stehe. Auch Marburg ist von serbischen Truppen besetzt worden. Es würde sich empfehlen, im Wege einer Propaganda die Slovenen darauf aufmerksam zu machen, daß sie durch die letzten Akte ganz dem orthodoxen serbischen Joche unterworfen würden. Durch eine geschickte Propagandatätigkeit und Aufklärung könne bei der slovenischen Landbevölkerung viel erreicht werden. I r o meint, man müsse sich vor Augen halten, in welcher Form die Gewalt zum Ausdrucke gebracht werden soll, die gegenüber dem cechischen Terror anzuwenden ist. Er wirft die Frage auf, ob Landeshauptmann Lodgeman43 meint, daß es genüge die Volkswehren mit diesem Widerstande zu betrauen oder ob nicht doch die Eventualität der Einberufung der vier jüngsten Jahrgänge in Deutschböhmen ins Auge zu fassen wäre. Dr. B o d i r s k y schildert in eingehender Weise das Vorgehen der cechoslovakischen Truppen bei der Besetzung von Zauchtel und Neutitschein, wo sich diese Banden die ärgsten Gewalttätigkeiten zu Schulden kommen ließen. Noch größere Ausschreitungen haben sie bei der Besetzung von Fulnek verübt, so daß der kommandierende Oberleutnant dort erklärt habe, er müsse das Kommando einer solchen Truppen niederlegen, weil er deren Vorgehen mit seinen Begriffen von Ehre und Anstand nicht für vereinbar findet.44 Diese Truppen haben überall, wo sie hingekommen sind, geplündert, gestohlen und die verschiedensten Gewalttätigkeiten verübt. Sie gehen durchaus nicht über höhere Weisung vor, sondern stellen eigentlich Freibeuter dar, die über plötzlichen Entschluß über die Bevölkerung herfallen. In Neutitschein haben sie auch die Geschenke gestohlen, die für die Weihnachtsbescherung armer Schulkinder vorbereitet waren. Wir haben, sagt Redner, nichts Eiligeres zu tun, als einen Gesandten in Prag zu bestellen, damit wir eine Stelle haben, welche dem Vybor in Prag alle diese Vorkommnisse zur Kenntnis bringt, damit dieser dann seine Maßnahme treffe. L u k s c h: Am Sonntag um 10 Uhr nachts sind 16 czechische Soldaten in mein Haus eingedrungen, und ich weiß nicht, was mit mir geschehen wäre, wenn sie mich gefunden hätten, denn ich habe in Erfahrung gebracht, daß ein Haftbefehl gegen mich erlassen wurde.45 Wir haben ziemlich viel czechische Abgeordnete hier in Wien. Könnte man nicht den Grundsatz der Reziprozität ihnen gegenüber in Anwendung bringen? Udržal46 hat in der czechischen Nationalversammlung erklärt: Auf die Entente können wir uns nicht verlassen, wir werden das sicher haben, was wir durch unsere Soldaten besetzen. Dieser Grundsatz wird von den Czechen befolgt. Nach Lundenburg kommt Nikolsburg, dann kommt Znaim an die Reihe, so daß bald ganz Südmähren besetzt sein wird. Wir müssen uns entschließen, entweder gar nichts zu machen oder drei bis vier Jahrgänge zu mobilisieren. Was meine Person anbelangt, so bitte ich, daß der Haftbefehl gegen mich auf telegraphischem Wege aufgehoben wird; sonst kann ich nicht in meinen Wahlbezirk fahren. I r o richtet an den Staatssekretär des Äußeren die Anfrage, ob seinem Antrage gemäß das Einvernehmen mit der czechischen Regierung gepflogen wurde, um das Reziprozitätsverhältnis für die Freizügigkeit der Abgeordneten in beiden Staaten herzustellen.47 Richtig: Lodgmann. Vgl. dazu Neue Freie Presse. Morgenblatt, 24. November 1918, S. 6 „Neutitschein, Leipnik und Fulnek in der Hand der Tschechen“ sowie Ferdinand Zeller, Die Provinz Sudetenland. Der Umsturz in Nordmähren und Westschlesien 1918, phil. Diss., Wien 1971, S. 146–148. 45 Die „Neue Freie Presse“ berichtete über diesen Vorfall. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 2. Dezember 1918, S. 2 f „Czechische Ausschreitung in Pohrlitz und Lodenitz“. Staatsrat Luksch war für kurze Zeit Mitglied des Kreisausschusses Znaim gewesen. Vgl. Molisch, Freiheitskampf, S. 71. 46 Franz Udržal, 1897 bis 1918 Mitglied des Abgeordnetenhauses, 1918 Abgeordneter des Národní Výbor bzw. der tschechoslowakischen Nationalversammlung. 47 Vgl. SRP Nr. 43 vom 23. November 1918. Zur Frage der Immunität der Abgeordneten vgl. weiter SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. 43 44
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B a u e r: Ich habe mich in dieser Angelegenheit sofort nach Prag gewendet aber vorläufig noch keine Antwort bekommen.48 Was die Reziprozität anbelangt, so können wir sie formell jederzeit verlangen. Aber mit Haftbefehlen gegen czechische Abgeordnete vorzugehen, hat die Bedenken, die der Schwächere immer haben muß, den Kampf aufzunehmen. Wenn wir uns in eine solche Kampfstellung begeben, so wäre dies den Czechen wahrscheinlich gar nicht unerwünscht, da wir einem politischen und militärischen Zusammenbruch nicht entgehen können. Was die Anregung anbelangt, man solle in Deutschböhmen vier Jahrgänge aufbieten, so möchte ich mich abgesehen von der Frage, ob dies heute überhaupt möglich wäre, aus außenpolitischen Gründen dagegen aussprechen. Wenn schon, so müßte es in ganz Deutschösterreich geschehen. Eine solche Maßnahme, auf Deutschböhmen allein bezogen, würde einen aggressiven Charakter haben und uns in ein schiefes Licht bringen. L o d g m a n richtet an den Staatssekretär des Äußern die Anfrage, ob ihm bekannt ist, daß die Entente beabsichtigt, Deutschböhmen zu besetzen. In einer telephonischen Unterredung habe Dr. Kramar49 erklärt, daß das beabsichtigt sei. Er könne den Zeitpunkt allerdings nicht angeben, die Truppen seien aber bereits angekündigt. B a u e r: Ich habe solche Äußerungen von Czechen gehört. Ich habe aber von den Czechen über die Absichten der Entente viele Äußerungen gehört, an die ich nicht glaube. Es ist aber durchaus möglich, ich weiß nichts davon. L o d g m a n: Ich stimme der Ansicht zu, daß die Czechen noch keine bindenden Versicherungen haben. Ihr Bemühen, uns noch vor der Friedenskonferenz zu unterwerfen, deutet darauf hin, daß sie diese Frage gar nicht auf die Friedenskonferenz kommen lassen wollen. Wenn wir diese Absicht nicht verhindern können, dann haben wir tatsächlich verspielt. Deswegen halte ich es für sehr wichtig, daß wir von der Entente verlangen, ausländische, womöglich englische und nordamerikanische Vertreter hieher zu senden, damit sie sich an Ort und Stelle über die tatsächlichen Verhältnisse unterrichten. Gleichzeitig muß eine sofortige Doppelagitation eingeleitet werden und zwar zunächst in ganz Deutschösterreich. Es muß mit Geldmitteln gearbeitet, die Bevölkerung muß unterrichtet werden, was das Selbstbestimmungsrecht ist. Hand in Hand damit müssen in den czechischen Gebieten in czechischer Sprache verfaßte Flugschriften verbreitet werden – ich denke da in erster Reihe an Flugzeuge – worin die contraimperialistischen Kreise namentlich des czechischen Proletariats zum Kampfe gegen die imperialistischen Kreise aufgerufen werden. Endlich müßte von Seite des Staatsrates an die Organisierung einer Wehrmacht geschritten also allenfalls die Mobilisierung einiger Jahrgänge ausgesprochen werden. Wenn das gleichzeitig mit der Agitation geschieht, dann ist die Mobilisierung durchführbar. Vielleicht wird schon die Drohung allein genügen. Die Aufstellung der Volkswehr stößt an sich nicht auf Schwierigkeiten, wohl aber ihre Verwendung. Die Volkswehren sind bei uns nur als Sicherheitstruppen angeworben worden, sie sind aber keine schlagkräftige Armee, die man einem Feuergefechte aussetzen kann. Es müßte also eine militärische Organisation einsetzen, die nur von der Zentrale geleitet und organisiert werden kann. S c h o i s w o h l richtet an den Staatssekretär des Äußern die Anfrage, ob es richtig sei, daß die Serben in Leibnitz einmarschiert seien. Man fürchtet, daß sie morgen oder übermorgen nach Graz kommen.
Das erwähnte Schreiben konnte in den Beständen des AdR, BKA/AA nicht eruiert werden. Zur Frage der Reziprozität, betreffend Freizügigkeit der Abgeordneten vgl. AdR, StK, GZl. 733/1918. Zur rechtlichen Grundlage vgl. auch SRP Nr. 43 vom 23. November 1918. 49 Dr. Karel Kramář, Fabrikant, 14. November 1918 bis 10. Juli 1919 erster Ministerpräsident der Tschechoslowakei, bis 1937 Mitglied der tschechischen Nationalversammlung. 48
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B a u e r: Mir ist darüber nichts bekannt. Ich weiß nur, daß unsere Volkswehr bis Leibnitz zurückgezogen wurde.50 Darauf wird wahrscheinlich das Gerücht zurückzuführen sein. Wenn übrigens die Serben nach Graz kommen, so können sie das nach dem Waffenstillstandsvertrage tun. Wir können nichts anderes als Vorstellungen erheben. S c h o e p f e r: Ich habe gelegentlich eines Gespräches mit einem englischen Major51 die Äußerung getan, daß man in Deutsch-Südtirol wünscht, es möge eine englisch-amerikanische Kontrollkommission hinkommen. Er hat darauf erwidert, es sei beabsichtigt, eine solche Kommission nach Tirol und wahrscheinlich auch nach anderen Gegenden Österreichs zu schicken.52 Ich halte es für außerordentlich wichtig, dieses Verlangen auch für die Sudetengebiete zu stellen, und meine, daß die Engländer und Amerikaner sich geschmeichelt fühlen werden, wenn man ein solches Vertrauen in sie setzt. Im Zusammenhange damit würde ich vorschlagen, daß man im Auslande englisch und amerikanisch geschriebene Berichte über unsere Zustände verbreiten soll. Ich bin zwar froh, daß mit dem Militarismus gebrochen worden ist, muß aber erklären: Deutschösterreich wird solange eine Fiktion sein, solange es entweder nicht den Willen oder nicht die Kraft hat, sich eine militärische Macht zu schaffen, und jene Staatsmänner, die darauf von vornherein verzichten, erklären damit ganz offenkundig, daß sie vollständig machtlos sind und darum die Stelle nicht einnehmen können, die sie inne haben. Ich weiß nicht, ob man vier Jahrgänge einberufen soll. Vielleicht könnte man sie nach sechs Monaten ablösen lassen, um ihre Dienstzeit nicht übermäßig auszudehnen. M a y e r: Die Demobilisierung der Armee ist nicht, wie man vielfach heute anzunehmen scheint, durch uns erfolgt, sondern die Armee hat sich von selbst demobilisiert und die Folgen haben wir alle recht schmerzlich empfinden müssen. Als es nicht mehr möglich war, auch nur den geringsten Teil der alten Wehrmacht zusammenzuhalten, ist man zu dem Notbehelf der Volkswehr53 übergegangen. Es hat in der ersten Zeit sogar Schwierigkeiten gegeben, trotz der verhältnismäßig guten Bezahlung auch nur die für die Volkswehr notwendigen Leute zusammenzubekommen. Schließlich hat es aber die Arbeitslosigkeit dahin gebracht, daß sich die Leute für die Volkswehr zur Verfügung gestellt haben. Daß sich diese Leute zum größten Teil nicht aus Begeisterung für die Sache zur Verfügung gestellt haben, liegt auf der Hand. So ist z. B. der gestern gemachte Versuch, eine Assistenz nach Grußbach54 zu schicken, um den beschlagnahmten Zucker für Wien abzuholen, auf Widerstand gestoßen, und erst durch Vgl. die Telefondepesche des Militärkommandos in Graz vom 23. November 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.286/1918, und das Telegramm vom 25. November, in dem das Militärkommando an das Staatsamt für Heerwesen u. a. meldete, daß sich „derzeit kein jugoslave nördlich der mur {sic!}“ befinde, in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.342/1918. 51 Der Gesprächspartner von Staatsrat Schoepfer konnte nicht eindeutig eruiert werden. Es könnte sich eventuell um ein Mitglied der am 20. November in Wien eingetroffenen britischen Militärdelegation gehandelt haben, die mit der Versorgung der englischen Kriegsgefangenen und Zivilpersonen betraut worden waren. Vgl. dazu Neue Freie Presse. Morgenblatt, 21. November 1918, S. 2 f „Ankunft englischer Offiziere in Wien“. Der britische Militärbeauftragte Col. Sir Thomas Montgomery-Cuninghame traf erst am 24. Dezember 1918 in Wien ein. Vgl. dazu Robert Hoffmann, Die Mission Sir Thomas Cuninghames in Wien 1919. Britische Österreichpolitik zur Zeit der Pariser Friedenskonferenz, phil. Diss., Salzburg 1971, S. 37 f. Sir Thomas Montgomery-Cuninghame, 1919–1920 Repräsentant der britischen Armee in Deutschösterreich bzw. Österreich. 52 Die „Neue Freie Presse“ meldete unter Berufung auf „eine wohlinformierte Quelle“, daß laut Schweizer Privatmeldungen die Übernahme der Verwaltung Südtirols durch eine gemischte Ententekommission unmittelbar bevorstehe. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 30. November 1918, S. 5 „Uebernahme der Verwaltung von Deutschsüdtirol durch eine Ententekommission“. 53 Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 54 Richtig: Grusbach/Hrušovany nad Jevišovkou. 50
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Zureden ist es gelungen, die Kompagnie hinauszubringen. Nun hat der Abgeordnete Brunner55 telephoniert, wir mögen die Leute sofort abberufen, weil sie die Ruhe und Ordnung mehr stören als aufrechterhalten.56 Desgleichen begegnete der Versuch, ein Bataillon nach Znaim zu entsenden, Anfangs einem Widerstand. Nun ist aber das Bataillon marschbereit und Major Hanke57 ist nach Znaim abgereist, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Aus diesen Beispielen ist zu ersehen, daß es keineswegs leicht ist, mit den heute zur Verfügung stehenden sogenannten Truppen irgend etwas ernstliches zu unternehmen. Wir mußten anfangs die einzelnen Gemeinden und Länder darauf verweisen, sich durch Schaffung von Volkswehren selbst zu helfen. Dieser Schwächezustand ist noch nicht überwunden und es ist meine feste Überzeugung, daß wenn wir an ernstliche Abwehrmaßnahmen denken wollen, wir zu einer Form gelangen müssen, die uns einen direkten Einfluß auf die aufgestellten Truppenverbände einräumt. Vielleicht wird es möglich sein, durch eine Sichtung etwas mehr Disziplin in die Leute hineinzubringen. Wir sind uns vollkommen klar, daß die Befehle, die vom Staatsamt für Heerwesen oder vom Oberbefehlshaber ausgehen, nicht hinreichen und daß wir wenigstens den Versuch machen müssen, auch für die heutigen Einrichtungen gesetzliche Grundlagen zu schaffen. Das Grundgesetz über das deutschösterreichische Volksheer ist fertig und wird in diesen Tagen der Nationalversammlung zugehen. Ebenso das Grundgesetz über die Rechte und Pflichten des Soldaten, weil auch in dieser Richtung vielfach irrige Auffassungen bestehen.58 Die Leute bilden sich ein, sie sind für den Wachtdienst da, sie wollen z. B. die 8 stündige Arbeitszeit in dieser Verwendung eingehalten haben u.s.w. Außerdem kommen besonders aus der Provinz vielfach Forderungen nach einer Entlohnung der Leute, die unannehmbar sind. Wir wollen ferner ein Gesetz über die derzeit bestehende Volkswehr einführen, das uns gleichfalls ein schärferes Vorgehen ermöglicht. Zu einem solchen Vorgehen hat es bisher nicht an der nötigen Energie oder an dem Willen gefehlt, wir waren einfach nicht in der Lage, einem entschiedenen Vorgehen den entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Zu dem wiederholt geäußerten Wunsche nach Einberufung einiger Jahrgänge möchte ich bemerken, daß es vielleicht am richtigsten gewesen wäre, einige Jahrgänge überhaupt nicht Josef Brunner, Landwirt und Bäckermeister in Höflein an der Thaya, Obmannstellvertreter des deutschen landwirtschaftlichen Bezirksvereines in Joslowitz und Znaim, Ausschußmitglied der deutschen Sektion des Landeskulturrates von Mähren, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der provisorischen Nationalversammlung, DnP. 56 Diese Vorgänge schildert Oldofredi folgendermaßen: „Am 25. November hinwiederum hatte das Verkehrsamt 300 Wehrleute nach Grusbach entsandt, damit sie den Zucker verladen, der diesem Amte zugewiesen war. Die Wehrleute, die dort durch drei Tage wie in Feindesland hausten, hatten nicht übel Lust, den ganzen Zucker, den sie fanden, und damit auch den fortzuschaffen, der unserem Gebiete gehörte. Erbost und erbittert, fluchte die Bevölkerung Südmährens Deutschösterreich, dem Staate, der sie den Tschecho-Slowaken schutzlos preisgab, der mit seinen Soldaten und Kraftwagen nur dann zur Stelle war, wenn es für ihn etwas zu holen gab…“. Vgl. Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Zürich/Leipzig/Wien 1925, S. 59. Vgl. dazu auch eine Telefondepesche des Bahnhofskommandanten von Grusbach, in der dieser um zusätzliche Waffen und Anweisungen für den Fall der Besetzung des Bahnhofes durch tschechoslowakische Truppen ersuchte, in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.432/1918. Das im Protokolltext erwähnte Ansuchen des Abgeordneten Brunner auf Abberufung der Kompagnie, da diese „nur auf die Jagd ging und raubte“, wurde auf der Depesche als handschriftliche Notiz vermerkt. 57 Möglicherweise handelt es sich hier um Oberleutnant Norbert Hanke, mit 1. Jänner 1917 in den Berufs-Offiziersstand übernommen, 10. Mai 1918 bis 5. Juli 1918 Fachorgan für das Verbindungswesen der 38. Brig., ab 5. Juli 1918 Spezial-Telefon-Offizier des 10. Armeekommandos, 20. November 1918 Übertritt zur bewaffneten Macht Deutschösterreichs. 58 Die Behandlung dieser Gesetze stand ursprünglich auf der Tagesordnung der 49. Sitzung des Staatsrates vom 28. November 1918, wurde aber auf die 50. Sitzung vom 29. November 1918 vertagt. 55
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zu entlassen. Die Leute waren aber einfach nicht zu halten. Nichtsdestoweniger hat man sich vom Anfang an mit dem Gedanken vertraut gemacht, diese Leute wieder zurückzuberufen. Ich habe aber auch in Böhmen die Erfahrung gemacht, daß selbst die Leute in diesem arg bedrohten Lande müde sind. Es wird der Zeitpunkt kommen, wo sie wieder bereit sind mitzutun. Aber im gegenwärtigen Zeitpunkt würde jede derartige Maßnahme sicherlich mit einem vollen Fiasko enden und nur den Erfolg haben, daß der Staatsrat und die Nationalversammlung um das bißchen Ansehen, das sie in der Bevölkerung haben, gebracht würden. Im czechischen Gebiete hat man die Einberufung angeordnet und auch dort hat man im Großen Ganzen ein volles Fiasko erlitten. Die Folgen, daß die regulären Truppen nicht kommen, zeigen sich eben in den Erscheinungen, die wir in unseren Sprachgrenzgebieten zu erdulden haben. Es sind Anarchisten, die dort ihr Unwesen treiben und die der Gewalt in Prag vollständig aus der Hand geglitten sind. Wir haben bis jetzt die Leute doch wenigstens so weit in der Hand, daß die Ausschreitungen keine gefährlichen Formen annehmen. Der Aufruf allein genügt zur Mobilisierung ebenfalls nicht, sondern es müssen auch die Truppen mit der nötigen Ausrüstung, mit Munition und Material versehen werden, und auch hier besteht augenblicklich nicht die Möglichkeit der Versorgung. Die bayrische Regierung ist wohl bereit, uns entgegenzukommen, aber die Hauptschwierigkeit liegt in der Einmündung der ausländischen Bahnen in unsere Bahnen. So ist z. B. zu befürchten, daß das von Bayern hereinkommende Material auf dem Bahnhof in Eger, der sehr leicht zu besetzen ist, wieder weggenommen wird. Von großem Nutzen wäre es, wenn ein Vertreter der Entente in Deutschösterreich wäre und an Ort und Stelle die offenkundigen Übergriffe wahrnehmen und sich davon überzeugen könnte, daß tatsächlich wir alle Ursache haben, uns zu beklagen und daß von unserer Seite kein Anlaß zu diesen Maßnahmen gegeben wird. Wenn einmal bei den Soldaten die jetzige Ermüdung59 und Gleichgiltigkeit überwunden ist und wieder einige Jahrgänge einberufen werden können, dann muß sofort von den Volksabgeordneten eine entschiedene Agitation im ganzen Lande entfalten werden, welche die Leute darauf aufmerksam macht, daß von ihrem Einrücken und ihrer Haltung der Bestand des ganzen Staatswesens abhängt. Die weitere Organisation der Wehrmacht wird dann wesentlich leichter sein als heute. T e u f e l weist neuerdings darauf hin, daß mit Hilfe von Offizieren und Unteroffizieren die nötige Verteidigung des Staatsgebietes in die Wege geleitet werden kann. Man hätte auch bei der Demobilisierung die jüngsten Jahrgänge leicht zurückbehalten können und hätte von vorneherein nicht dulden sollen, daß Soldatenräte und Rote Garden gebildet,60 die Wahl von Offizieren durch die Mannschaft vorgenommen wird u.s.w. Bezüglich der Ausrüstung verweist er darauf, daß um 3½ Milliarden Sprengmittel, Munition etc. auf dem Steinfelde in Lager seien.61 Auch Monturen müssen in unglaublichen Mengen vorhanden sein. Die Hindernisse seien keineswegs unüberwindlich, man solle sich deshalb nicht zurückschrecken lassen und nicht mehr zurückweichen. Im Original ursprünglich Übermüdung. Zur Roten Garde und den Soldatenräten vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 61 Es handelte sich dabei um die in der Umgebung von Wöllersdorf befindlichen Munitions- und Sprengstoffdepots. Zur Diskussion, betreffend die Sicherung und Verwertung der dortigen Munitions- und Waffenvorräte, vgl. SRP Nr. 24 vom 8. November 1918, Nr. 28 vom 9. November 1918 und Nr. 30 vom 11. November 1918; sowie Roman Eccher, „Der Umbruch: Personal und Arbeiterschaft der Munitionsfabrik Wöllersdorf im letzten Kriegsjahr“. Arbeiterräte in Österreich, in: Klaus-Dieter Mulley/Hans Leopold (Hg.), Geschosse-Skandale-Stacheldraht. Arbeiterschaft und Rüstungsindustrie in Wöllersdorf, Enzesfeld und Hirtenberg, Ebenfurth 1999, S. 122–142, hier S. 139 f, sowie Klaus-Dieter Mulley, Vom Munitionswerk zur Industrieruine. Zur Entwicklung des Areals der k.u.k Munitionsfabrik in Wöllersdorf 1918 bis 1938, in: ders., S. 142–184. 59 60
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Bei der hierauf folgenden Abstimmung wird der Antrag62 Dr. Bodirskys (Aufhebung des Haftbefehles gegen Luksch – Wortlaut siehe Beschlußprotokoll) a n g e n o m m e n. Der Antrag63 Teufel bezüglich Schaffung einer Propagandastelle wird ebenfalls a n g e n o m m e n.64 Der Antrag65 Teufel, an die Entente das Ersuchen zu richten, einen diplomatischen Vertreter nach Wien zu entsenden (genauen Wortlaut siehe Beschluß-Protokoll) wird ebenfalls a n g e n o m m e n. Mit diesen Anträgen decken sich auch die Anregungen Lodgman, welche hiermit erledigt sind. Zu dem ersten Absatze des Antrages66 Teufel („Der Staatsrat erteilt der Kreishauptmannschaft Deutschsüdmähren in Znaim die Vollmacht, Truppen in solcher Stärke in Dienst zu stellen.“) bemerkt Präs. S e i t z, dieser Antrag decke sich mit der allgemeinen Auffassung, daß jedes Land sich selbst einen solchen Schutz schaffen kann, es sei aber nicht denkbar, daß jede autonome Körperschaft einfach verfügen könne, was sie wolle, die finanziellen Lasten aber dem Staate aufbürde. Das sei eine Unmöglichkeit. Wenn jede autonome Körperschaft dasselbe tue und große Volkswehren schaffe, so würden dadurch Widersprüche herauskommen. Es müsse hier eingefügt werden: „im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen und dem Obersten Befehlshaber“. Der erste Teil des Antrages Teufel wird hierauf in folgender Fassung a n g e n o m m e n: „Der Staatsrat erteilt der Kreishauptmannschaft Deutschsüdmähren in Znaim die Vollmacht, im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen und dem Obersten Befehlshaber Truppen in solcher Stärke in Dienst zu stellen, daß dieselbe hiedurch in die Lage versetzt wird, 1.) die durch czechisch-slovakische Banden besetzten Gebiete Deutsch-Südmährens zu befreien und 2.) den deutschsüdmährischen Kreis vor jedem Einfall czechisch-slovakischer Truppen oder Banden zu sichern.“ Präs. S e i t z: Zu diesem Antrage kommt nun folgender Zusatzantrag67 L a n g e n h a n: „Diese Ermächtigung gilt für alle Landesregierungen und autonomen Verbände“. Dieser Zusatzantrag Langenhan wird gleichfalls a n g e n o m m e n.68 Der Antrag69 Teufel II lautet: Beilage 46/IV: Antrag Bodirsky (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt des Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 63 Beilage 46/IV: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt der Beilage stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 64 Der Antrag wurde von der Staatskanzlei am 5. Jänner 1919 aufgrund des Staatsratsbeschlusses der 56. Sitzung vom 9. Dezember 1918 zur Einrichtung einer Propagandastelle in der Staatskanzlei für überholt erklärt. Vgl. AdR, StK, GZl. 651/1918, Auszug des Protokolls der 46. Staatsrats-Sitzung, Errichtung einer Propagandastelle. Zur Propagandastelle zum Schutz der nationalen Minderheiten im Auslande vgl. auch SRP Nr. 47/I/2 vom 26. November 1918. 65 Beilage 46/IV: Antrag Teufel (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 66 Beilage 46/IV: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 67 Beilage 46/IV: Antrag Langenhan (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 68 Vgl. dazu die Weisung an den Oberbefehlshaber der Volkswehr Adolf von Boog in AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 14/Dir./1918, Erteilung militärischer Befehle wegen des Schutzes von Deutsch-Südmähren. 69 Zu diesem und den folgenden Anträgen enthält das Protokoll keine Beilagen. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 62
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„Das Staatsamt für Heerwesen wird angewiesen, die volle militärische Ausrüstung für diese Truppen beizustellen und sofort zu verfügen, daß wenigstens eine Batterie Artillerie mit 4 Geschützen nach Znaim abzugehen hat“. F i n k beantragt, diesen Antrag dem Staatsamt für Heerwesen zuzuweisen. Der erste Antrag sei durch den Zusatzantrag Langenhan sehr ausgedehnt worden und man müsse daher dem Staatsamt für Heerwesen die Möglichkeit geben, sich darüber klar zu werden, wie viel Artillerie etc. in diesen oder jenen Landesteil abzugehen habe. E l l e n b o g e n: Wir sind hier keine Feldherren und müssen es daher dem Staatsamt für Heerwesen überlassen, die nötigen Dispositionen zu treffen. T e u f e l: Die Herren haben immer das Prinzip, die Anträge auf das Eis zu legen, bis sie gegenstandslos sind. Ich habe für ein spezielles bedrohtes Gebiet meine Anträge gestellt und die Vertreter anderer bedrohter Gebiete müssen ebenfalls wissen, wie viel sie für ihr Gebiet brauchen. Der Antrag Teufel II wird hierauf a b g e l e h n t. Der Antrag Teufel III: „Das Volkswehrkommando Wien hat alles zu veranlassen, was die militärischen Aktionen in Deutschsüdmähren zu unterstützen geeignet ist“ wird a n g e n o m m e n.70 Der folgende Antrag: „Und es hat insbesondere der Kreishauptmannschaft Znaim vorübergehend 1.000 Mann Volkswehrtruppen und die zur klaglosen Bedienung von 12 Maschinengewehren nötigen völlig ausgebildeten Mannschaften und Offiziere beizustellen“ wird dem Staatsamt für Heerwesen z u g e w i e s e n.71 Desgleichen wird beschlossen, dem Staatsamt für Heerwesen folgenden A n t r a g T e u f e l z u z u w e i s e n: „Ferner wird der Herr Oberbefehlshaber der deutschösterreichischen Wehrmacht angewiesen, einen seiner Bevollmächtigten zur Kreishauptmannschaft nach Znaim mit dem Auftrage zu entsenden, dortselbst den Oberbefehl über die Truppen zu übernehmen.“72 Der letzte Teil des Antrages Teufel lautet: Das Volkswehrkommando Wien entsandte in Absprache mit den Staatsämtern für Äußeres, für Heerwesen, für Inneres und der Polizeidirektion Wien eine Marineabteilung in der Stärke von 1.000 Mann nach Nikolsburg, um „in Deutschsüdmähren die durch tschechoslowakische Banden gefährdete Ordnung herzustellen“. Der Kommandant des Detachements wurde „strengstens“ angewiesen, „jedes aggressive Verhalten gegenüber geschlossenen tschecho-slowakischen Formationen zu vermeiden, beim Eindringen größerer tschechoslowakischer Abteilungen nur über ausdrückliche Weisung des deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen zu handeln, irreguläre Banden und Horden [...] aber abzuweisen“. Vgl. dazu das Schreiben des Unterstaatssekretärs für Heerwesen Julius Deutsch an das Volkswehrkommando Wien vom 2. Dezember 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.811/1918 sowie das Schreiben des Oberbefehlshabers der deutschösterreichischen Wehrmacht an das Staatsamt für Inneres in AdR, BKA/Inneres, 19/3, StAI, Zl. 1.885/1918. Diese Maßnahme sollte sich letzten Endes jedoch als militärisch wirkungslos erweisen. Vgl. Karl Glaubauf, Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik, Wien 1993, S. 64; Walter Reichel, Tschechoslowakei-Österreich Grenzziehung 1918/1919, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 159–179, hier S. 175. 71 Am 1. Dezember 1918 wurde das 2. Volkswehrbataillon des Schützenregimentes Nr. 1 vereidigt und am nächsten Tag nach Znaim entsandt. Vgl. dazu Wiener Zeitung, 3. Dezember 1918, S. 6 „Kleine Chronik“. 72 Vgl. dazu die Anweisungen an Oberbefehlshaber Boog in AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 14/Dir./1918, Erteilung militärischer Befehle wegen des Schutzes von Deutsch-Südmähren. Zum „Unterbefehlshaber für Südmähren“ wurde Oberst Konrad Ritter von Straub ernannt. Er war der langjährige Kommandant des Infanterieregimentes 99, des „Znaimer Hausregiments“. Vgl. dazu Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, S. 68. 70
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„Der Staatsrat wolle ferner beschließen: Den besetzten deutschsüdmährischen Gemeinden sind sowohl die materiellen Schäden als auch alle Ausgaben, welche durch die czechische Besetzung bedingt werden, aus dem Staatsschatz zu vergüten.“ F i n k: Ich bin dafür, daß man die Leute weitgehend mit Geld unterstützt, aber in dieser Form kann der Antrag nicht angenommen werden. Er muß zuerst einer Vorberatung unterzogen werden. Ich stelle den Antrag, ihn dem Finanzkomitee zuzuweisen. T e u f e l: Mit dem Auftrage, unverzüglich den Gegenstand in Behandlung zu nehmen und noch im Laufe der nächsten Tage Bericht zu erstatten. Dieser A n t r a g T e u f e l wird hierauf der Finanzkommission mit dem Auftrage zur raschesten Berichterstattung z u g e w i e s e n.73 Die Sitzung wird hierauf um 1 Uhr nachmittags geschlossen. Nächste Sitzung heute 26. November ½ 5 Uhr nachmittags.
Zu einem Bericht der Finanzkommission über diese Thematik konnten keine Unterlagen eruiert werden.
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46 – 1918-11-26 46. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 26.November 1918. Vorsitzender: Präsident S e i t z. Zwischenweilig Präsident H a u s e r. B e s c h l ü s s e.
I. Antragsteller: Präsident H a u s e r . Zu Mitgliedern der Wahlreformkommission werden die Staatsräte Ellenbogen, Fink, Friedmann, Teufel und Waldner und zum Leiter der Kommission Staatsrat Fink bestellt. An den Herrn Staatskanzler. II. Bericht des Staatssekretärs für J u s t i z betreffend den Entwurf eines Gesetzes über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918). Beschluß: Die von der Justizkommission angenommene Vorlage wird als Vorlage des Staatsrates in der Nationalversammlung eingebracht und auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung zur Vornahme der ersten Lesung gestellt. An den Herrn Staatskanzler und den Staatssekretär für Justiz. III. Antragsteller: Staatsrat Dr. S c h o e p f e r. „Mit Rücksicht auf das Vorgehen der italienischen Besatzungstruppen in Deutschsüdtirol, besonders darauf, daß dieser deutsche Landesteil bereits offiziell als zum Königreiche Italien gehörig erklärt und darnach behandelt wird, wird das Staatsamt des Äußern beauftragt mit den Abgeordneten von Deutschsüdtirol die ganze Sachlage zu besprechen und auf Grund des Ergebnisses dieser Konferenz an den Staatsrat Bericht und Antrag zu stellen.“ Beschluß: Der Antrag wird dem Staatsamt des Äußern zugewiesen. An den Herrn Staatssekretär des Äußern. IV. Sicherungsmaßnahmen für Deutschböhmen und Südmähren. Staatsrat Dr. B o d i r s k y. „Der Staatsrat wolle beschließen: Das Staatsamt für Äußeres wird beauftragt, bei der tschechisch-slovakischen Regierung die Aufhebung des Haftbefehls gegen Abgeordneten Luksch zu verlangen und neuerlich zu fordern, daß die Immunität der deutschösterreichischen Abgeordneten anerkannt werde.“ Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär des Äußern. Gegenstand: Antragsteller:
Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. Der Staatsrat wolle beschließen: „Der Staatskanzler wird beauftragt unverzüglich eine Propagandastelle mit der Aufgabe zu gründen, 1.) die deutsch-österreichische Bevölkerung durch
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Wort und Schrift zum nationalen Verteidigungskampf für die Erhaltung des deutschen Volkstums aufzurufen und über das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen aufzuklären, 2.) die deutschösterreichische Presse über alle von slavischer Seite verübten Gewalttaten zu unterrichten und zu veranlassen, daß hiezu in entsprechenden Artikeln Stellung genommen werde, 3.) die Auslandspresse über das Vorgehen des slavischen Staates zu unterrichten, 4.) in den slavischen Staaten und in Italien die Demokratie gegen den Imperialismus aufzurufen und über das Selbstbestimmungsrecht der Deutschen aufzuklären.“ Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär des Äußern. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. „An die Entente ist das Ersuchen zu richten nach Wien Vertreter zu entsenden, damit sich diese an Ort und Stelle von den herrschenden Zuständen überzeugen können.“ Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär des Äußern. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. „Der Staatsrat erteilt der Kreishauptmannschaft Deutschsüdmähren in Znaim die Vollmacht, im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Heerwesen und dem Obersten Befehlshaber Truppen in solcher Stärke in Dienst zu stellen, daß dieselbe hiedurch in die Lage versetzt wird 1.) die durch tschechisch-slovakische Banden besetzten Gebiete Deutschmährens zu befreien und 2.) den deutschsüdmährischen Kreis vor jeden Einfall tschechisch-slovakischer Truppen oder Banden zu sichern.“ Beschluß: Der Antrag wird angenommen. Zusatzantrag des Staatsrates Dr. von L a n g e n h a n. „Diese Ermächtigung gilt für alle Landesregierungen und autonomen Verbände.“ Beschluß: Der Zusatzantrag wird angenommen. „Das Staatsamt für Heerwesen wird angewiesen die volle militärische Ausrüstung für diese Truppen beizustellen und sofort zu verfügen, daß wenigstens eine Batterie Artillerie mit 4 Geschützen nach Znaim abzugehen hat.“ Beschluß: Der Antrag wird abgelehnt. „Das Volkswehrkommando Wien hat alles zu veranlassen, a) was die militärischen Aktionen in Deutschsüdmähren zu unterstützen geeignet ist.“ Beschluß: Der Antrag wird angenommen „b) und es hat insbesonders der Kreishauptmannschaft Znaim vorübergehend 1.000 Mann Volkswehrtruppen und die zur klaglosen Bedienung von 12 Maschinengewehren nötigen völlig ausgebildeten Mannschaften und Offiziere beizustellen.“ Beschluß: Der Antrag wird dem Staatsamt für Heerwesen zugewiesen. „Ferner wird der Herr Oberbefehlshaber der deutschösterreichischen Wehrmacht angewiesen, einen seiner Bevollmächtigten zur Kreishauptmannschaft
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nach Znaim mit dem Auftrage zu entsenden, dortselbst den Oberbefehl über die Truppen zu übernehmen.“ Beschluß: Der Antrag wird dem Staatsamt für Heerwesen zugewiesen. „Der Staatsrat wolle ferner beschließen: Den besetzten deutschsüdmährischen Gemeinden sind sowohl die materiellen Schäden, als auch alle Ausgaben, welche durch die tschechische Besetzung bedingt werden, aus dem Staatsschatz zu vergüten.“ Beschluß: Der Antrag wird der Finanzkommission zur raschesten Berichterstattung überwiesen. An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen und den Herrn Obmann der Finanzkommission.
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47. [Dienstag] 1918-11-26 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Hauser, Seitz Baechlé, Fink, Iro, Langenhan, Leuthner, Licht, Luksch, Miklas, Schoepfer, Schoiswohl, Schürff, Sylvester, Wolf unbekannt 17.00–18.00 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnungen [I] T a g e s o r d n u n g2: 1. Einlauf: Vortragender 2. Minderheitenschutzstellen. 3. Militärischer Schutz von Böhmen und Mähren.3 4. Wiederaufnahme des Beschlusses über die Volksbekleidungsstelle. 5. Vollzugsanweisung über die Vorschriften betreffend Unterhaltsbeiträge.4 5 6.–8. [kein Inhalt] 9. Allfälliges. Initiativanträge, etz. [II] T a g e s o r d n u n g: 1. Mitteilung über die Betrauung des Univ.Prof. Oswald R e d l i c h mit der Überwachung des Archivs des ehemaligen Ministeriums des Äußern. 2. Antrag des Staatsamtes für Heerwesen: Vollzugsanweisung betr. die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen der Mobilisierten. 3. Strafgesetznovelle.6 4. Vollzugsanweisung: Errichtung einer deutschösterr. Pensionsanstalt für Angestellte (Staatsamt für soziale Fürsorge). Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Ferdinand Hanusch, Josef Mayer, Dr. Karl Renner und Oskar Teufel, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Dem Protokoll liegen zwei Tagesordnungen bei, die beide ursprünglich für die 46. Sitzung erstellt worden waren. Die Numerierung wurde handschriftlich korrigiert, die Punkte beider Tagesordnungen wurden in der vorliegenden Sitzung behandelt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wurden die beiliegenden Tagesordnungen in der vorliegenden Form numeriert. 3 Der Punkt der Tagesordnung wurde im Original handschriftlich gestrichen. 4 Der Punkt der Tagesordnung wurde im Original handschriftlich gestrichen. 5 Die Punkte 6–8 wurden in der Tagesordnung ohne Betreff verzeichnet. 6 Der Punkt der Tagesordnung wurde im Original handschriftlich gestrichen. Die Strafgesetznovelle ging noch auf eine Vorlage des Justizausschusses des alten Abgeordnetenhauses zurück, war aber dort nicht mehr behandelt worden. Durch die Novelle sollten im Wesentlichen die Strafgebühren für bestimmte Delikte erhöht werden. Vgl. SRP Nr. 27 vom 9. November 1918 und Nr. 30 vom 11. November 1918. Das Staatsamt für Justiz hatte die Vorlage am 23. November an die Staatskanzlei weitergeleitet und um Einbringung in die Nationalversammlung ersucht. Vgl. AdR, StK, GZl. 483/1918. In der Provisorischen Nationalversammlung wurde der Entwurf daraufhin am 5. Dezember behandelt. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, Bericht des Justizausschusses, Antrag auf dringliche Behandlung, zweite und dritte Lesung, S. 283 f; StGBl. Nr. 92, Gesetz vom 5. Dezember 1918, womit mehrere Bestimmungen des Strafgesetzes abgeändert werden (Strafgesetznovelle vom Jahre 1918), ausgegeben am 13. Dezember 1918. Zur Strafgesetznovelle vgl. weiter SRP Nr. 55/6 vom 7. Dezember 1918 und Nr. 56/7 vom 9. Dezember 1918. 1
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246 Beilagen: 47/I 47/II 47/III 47/IV
47 – 1918-11-26 Kurzer Sachverhalt laut Denkschrift und Beilagen, betreffend Fideikommiß (3½ Seiten). Hinterlegungsvermerk (¼ Seite).7 Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom … über die Errichtung einer Deutschösterreichischen Pensionsanstalt für Angestellte (1¾ Seiten); Antrag Teufel, Zusatz zu § 2 (¼ Seite, handschriftlich). Vollzugsanweisung, betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen von Mobilisierten (1 Seite).
Präs. H a u s e r eröffnet die Sitzung um 5 Uhr nachmittags. S y l v e s t e r legt unter Hinweis auf eine in einem Mittagsblatt erschienene Notiz8 eine urkundliche Zusammenstellung9 über das 60 Millionen Fideikommiß des Kaisers Franz Joseph I.10 vor. Er beantragt: Der Staatsrat wolle beschließen: die ganze Angelegenheit wäre einer Kommission zu überweisen, der unter dem Vorsitz des Staatsnotars, der Staatssekretär für Justiz, der Präsident des Reichsgerichtes Dr. Karl v. Grabmayr11 und der zweite Präsident des Obersten Gerichts- und Kassationshofes Johann Berka12 anzugehören hätten. L i c h t wirft die Frage auf, wie es gegenwärtig mit der Jurisdiktion des Obersten Hofmarschallamtes stehe.13 Diese Frage hänge mit der weiteren Frage zusammen, ob die Mitglieder des kaiserlichen Hauses noch Anspruch auf Spezialgerichtsbarkeit haben.
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Die Beilage enthält lediglich den Vermerk: „Beilage 47/II befindet sich bei Herrn Hofrat Kupka“. Josef Kupka Archivskanzlist im Büro des Abgeordnetenhauses, dann Archivar und danach Kanzlei direktor, bis 5. November 1918 Präsidialdirektor der Staatskanzlei, Direktor der Kanzlei des Präsidenten der Nationalversammlung. Staatsnotar Sylvester könnte hier den im Mittagsblatt des „Neuen Wiener Journals“ am 21. November 1918 unter dem Titel „Die hofärarischen Güter im Hofbesitz“ veröffentlichten Artikel meinen. Vgl. Neues Wiener Journal. Mittagsblatt, 21. November 1918, S. 3. Beilage 47/I: Sachverhaltsdarstellung (3½ Seiten). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt I. Staatsnotar Sylvester berichtet darin über die zum Zweck der Auszahlung der Nachkommen des Erzherzogs Franz Ferdinand erfolgte und per kaiserlicher Genehmigung verfügte Auslösung eines Zehntels des von Franz Joseph I. gestifteten Familienfideikommisses, wobei er abschließend forderte: „Dieses Vorgehen muß saniert, das Testament des Kaisers und die Stiftungsurkunde restituiert werden.“ Franz Ferdinand, Erzherzog von Österreich, 1896 bis 1914 Thronfolger von Österreich-Ungarn. Franz Joseph I, 1848 bis 1916 Kaiser von Österreich zugleich Apostolischer König von Ungarn und König von Böhmen. Das im Jahr 1901 eingerichtete Habsburg-lothringische Familienfideikommiß, das Immobilien und bewegliches Vermögen im Wert von rund 60 Millionen Kronen umfaßte, sollte die Übereinstimmung von Thron- und Erbfolge sicherstellen. Vgl. dazu Christoph Schmetterer, Die letzwilligen Verfügungen Kaiser Franz Josephs, in: BRGÖ, Nr. 1 (2011), S. 317–338, hier S. 317–325. Dr. Karl von Grabmayr, Jurist, 1907 bis 1918 Abgeordneter des Herrenhauses, ab 1905 Vizepräsident des k.k. Reichsgerichtes, ab 1913 dessen Präsident, ab 1908 Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft, 1919 bis 1921 Präsident des Verwaltungsgerichtshofes. Zu seiner Ernennung zum Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes vgl. auch SRP Nr. 74/II vom 20. Februar 1919. Johann Berka war mit allerhöchster Entschließung vom 27. März 1917 zum zweiten Präsidenten des Obersten Gerichts- und Kassationshofes ernannt worden. Vgl. dazu AVA, Justiz, JM Präs. 128.181 Berka, Johann, Personalstandesausweis, 1871–1919. Das Obersthofmarschallamt zählte neben dem Obersthofmeisteramt, dem Oberstkämmereramt und dem Oberststallmeisteramt zu den vier Hofämtern und Hofstäben, welche zusammen die obersten Verwaltungseinheiten des Hofstaates bildeten. In den ursprünglichen Aufgabenbereich des Hofmarschalls fielen einige allgemeine Aspekte der Leitung des Hofwesens, die Zuständigkeit für die Bereitstellung
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Er beantragt: Die Frage der gegenwärtigen Zuständigkeit und der weiteren Wirksamkeit des Obersten Hofmarschallamtes wird der Staatskanzlei zum Studium und zur Berichterstattung überwiesen.14 Er wünscht weiters Klarstellung der Stellung des Deutschmeisterordens, des MalteserOrdens und der weltlichen Ritterorden mit Rücksicht auf ihre im Staatsgebiet befindlichen Besitzungen.15 Er beantragt: Der Staatskanzlei wird die Klarstellung der staatsrechtlichen Fragen hinsichtlich der weltlichen Ritterorden und ihrer Besitzungen aufgetragen; die Staatskanzlei wird aufgefordert, hierüber ehestens Bericht zu erstatten.16 B a e c h l é erinnert an eine seinerzeitige Konstatierung des Staatskanzlers, daß alle Privilegien aufgehoben seien, damit fiele auch die Gerichtsbarkeit des Obersten Hofmarschallamtes weg. Aus Billigkeitsgründen müßten jedoch die anhängigen Prozesse bei diesem Gerichte belassen werden. Was die Ritterorden betreffe, könne diese Frage, da es sich um geistliche Orden handle, ohne Einvernehmen mit der Kurie nicht gelöst werden. S y l v e s t e r beantragt, daß die Klarstellung der von Dr. von Licht aufgeworfenen Fragen ebenfalls der zur Untersuchung des 60 Millionen Fideikommisses zu wählenden Kommission überwiesen werde. Der Antrag des Staatsnotars Dr. Sylvester bezüglich des 60 Millionen Fideikommisses sowie die Anträge Dr. von Licht werden mit der von Dr. Sylvester vorgeschlagenen Modifikation a n g e n o m m e n.17
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von Reisequartieren, zeremonielle Aufgaben des Empfanges von Gesandtschaften, vor allem aber die Leitung der Hofpolizei und die Ausübung der Gerichtsbarkeit über die Bediensteten des Hofstaates. Mit der zunehmenden Trennung von Staat und Herrscherhaus änderte sich, erstmals entscheidend in der Periode des aufgeklärten Absolutismus, auch der Aufgabenbereich des Obersthofmarschallamtes. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts übte das Obersthofmarschallamt im Wesentlichen nur mehr die Funktion der Zivilgerichtsbarkeit für Mitglieder des Herrscherhauses, Exterritoriale, die sich seiner Gerichtsbarkeit unterworfen hatten und über Personen, die mit einem entsprechenden Privilegium versehen waren, aus. Im Jahr 1916 kam diese Entwicklung zu einem vorläufigen Abschluß, indem das Obersthofmarschallamt, unter Ausnahme einiger Teilaspekte, per kaiserlicher Verordnung (RGBl. Nr. 223/1916) als eine Form der staatlichen Sondergerichtsbarkeit definiert wurde. Vgl. Ivan Ritter von Žolger, Der Hofstaat des Hauses Österreich (= Wiener Staatswissenschaftliche Studien, 14), Wien/ Leipzig 1917, S. 104–117. Vgl. dazu die Stellungnahme des Staatsamtes für Äußeres vom 30. November 1918 in AdR, StK, GZl. 705/1918, D.ö. Staatsamt des Äußern, Aufhebung des Obersthofmarschallamtes. Ein Gesetzesentwurf, betreffend die Übertragung der dem Obersthofmarschallamte vorbehaltenen Gerichtsbarkeit an die ordentlichen Gerichte wurde dem Staatsrat am 17. Jänner 1919 vorgelegt und am 5. Februar 1919 in der Nationalversammlung beschlossen. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 13. Sitzung am 23. Jänner 1919, Zuweisung an den Justizausschuß, S. 469; 17. Sitzung am 5. Februar 1919, Antrag auf dringliche Behandlung, mündlicher Bericht sowie zweite und dritte Lesung, S. 636 und S. 638 f; StGBl. Nr. 87, Gesetz vom 5. Februar 1919 über die Übertragung der dem Obersthofmarschallamte vorbehalten gewesenen Gerichtsbarkeit an die ordentlichen Gerichte, ausgegeben am 12. Februar 1919. Vgl. weiters SRP Nr. 67/Vb vom 17. Jänner 1919. Zur Beurkundung durch den Staatsrat vgl. SRP Nr. 72 vom 6. Februar 1919. Das Hof- und Staatshandbuch der österreichisch-ungarischen Monarchie für das Jahr 1918 verzeichnet folgende weltliche Ritterorden: den Orden vom Goldenen Vließe, den Militär-Maria-Theresien-Orden, den Königlich-ungarischen St. Stephan-Orden, den österreichisch-kaiserlichen Leopold-Orden, den österreichisch-kaiserlichen Orden der eisernen Krone, den kaiserlich-österreichischen Franz Joseph-Orden, den Elisabeth Orden, die Elisabeth-Theresien-Militär-Stiftung und den Sternkreuz-Orden. Vgl. dazu SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. Die „Kommission zur Beratung der Aenderung des Testamentes Kaiser Franz Josef I. vom 6. Februar 1901“ galt mit Datum der vorliegenden Sitzung als gewählt. Vgl. PA, Prov. NV (1918–1919), Politische Akten, Staatsrat/Kommissionen, Staatsrat Geschäftsordnung, Verzeichnis der Kommissionen und Ausschüsse. Vgl. weiters KRP Nr. 17/6 vom 28. November 1918.
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Dr. S y l v e s t e r berichtet über den in der Kommission beratenen Entwurf bezüglich der Ausfuhr und Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung und beantragt, die Vorlage in der am 27. d. M. stattfindenden Sitzung der Nationalversammlung zur ersten Lesung einzubringen. A n g e n o m m e n.18 I r o spricht sich für die sofortige Überweisung einer vom Privatverband der Hilfsgruppen für Kriegsgefangene überreichten Eingabe an das Staatsamt für Äußeres aus. Es wird der Einlauf 19 verlesen. Bei der Verlesung eines mit dem Namen Meinl gezeichneten Einlaufstückes wünscht W o l f Aufklärung darüber, ob es sich um denselben Meinl handle, von dem man gehört habe, daß er aus Deutschösterreich ausgekniffen sei.20 [II/4] H a n u s c h legt eine Vollzugsanweisung21 über die Errichtung deutschösterreichischer Pensionsanstalten für Angestellte im Sudetenland und in Deutschböhmen vor. T e u f e l beantragt22, im § 2 nach dem Worte „Niederösterreich“ die Worte „und dem Kreise Deutschsüdmähren“ einzuschalten. M i k l a s beantragt, nach dem Worte „Oberösterreich“ die Worte „und dem Kreise Südböhmen“ einzuschalten. H a n u s c h erklärt sich bereit, diesen Anregungen Rechnung zu tragen. Zur Einbringung in die Provisorische Nationalversammlung und die Zuweisung an den Finanzausschuß vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, S. 157 f. Vgl. weiters SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 19 Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 20 Staatsrat Wolf dürfte sich hier auf den Geschäftsmann Julius Meinl bezogen haben, der im Auftrag der Regierung in der Schweiz über mögliche Wirtschaftshilfen verhandelte. In der Presse wurde das Gerücht verbreitet, er habe sich ganz in die Schweiz abgesetzt. Meinls Anwalt sah sich deswegen sogar veranlaßt eine entsprechende Gegendarstellung zu veröffentlichen. Vgl. dazu Neue Freie Presse. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 8 „Eingesendet“. Zur Rolle Meinls in diesem Zusammenhang vgl. AdR, StK, GZl. 706/1918, Entsendung wirtschaftlicher Vertreter in die Schweiz zu Lebensmittelverhandlungen mit der Entente. Julius Meinl, Großkaufmann, ab 1913 Alleininhaber der Julius Meinl AG, 1916 Organisation der Kriegskaffeezentrale, Initiator von Friedensinitiativen, nach dem Krieg Vermittlertätigkeiten. 21 Beilage 47/III: Vollzugsanweisungsentwurf des Staatsrates (2 Seiten). Der Entwurf bezweckte die Errichtung einer deutschösterreichischen Pensionsanstalt für Angestellte. Entgegen der Formulierung im Protokolltext, die sich auf das Sudetenland und Deutschböhmen beschränkt, war allerdings an eine Institution für ganz Österreich mit Sitz in Wien und an 5 Landesstellen gedacht, welche die Rechte und Verbindlichkeiten der vormaligen „Allgemeinen Pensionsanstalt für Angestellte“ übernehmen sollte. Der Entwurf stimmt weitgehend mit StGBl. Nr. 67, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 26. November 1918 über die Errichtung einer Deutschösterreichischen Pensionsanstalt für Angestellte, ausgegeben am 30. November 1918, überein. Einzig in § 2, der sich mit den Landesstellen befaßt, finden sich einige Abweichungen. So sind in der Vollzugsanweisung die Bezeichnungen Österreich unter und ob der Enns statt der im Entwurf genannten Bezeichnungen Nieder- und Ober österreich enthalten. Hatte der Entwurf zudem noch festgelegt, daß sich die Grenzen der Sprengel der Landesstellen nach dem Gebietsabgrenzungsgesetz zu richten hätten, fehlt diese Passage in der fertigen Vollzugsanweisung, die stattdessen eine umfangreichere Auflistung der Sprengel enthält, in welche u. a. die im Protokoll enthaltenen Zusatzanträge der Staatsräte Teufel und Miklas aufgenommen wurden. 22 Beilage 47/III: Zusatzantrag Teufel (¼ Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. 18
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Die Vollzugsanweisung wird mit den Zusatzanträgen Teufel und Miklas a n g e n o m m e n.23 [II/2] M a y e r berichtet über die Vorlage24 betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für Angehörige von Mobilisierten. Das Staatsamt für Heerwesen habe ursprünglich geplant, die Unterhaltsbeiträge im Dezember noch ganz auszuzahlen und weiterhin ihre Höhe nach der Bedürftigkeit der verschiedenen Gruppen zu terminieren. Die Vorlage in ihrer gegenwärtigen Fassung sei auf Grund der Verhandlungen der einzelnen Ressorts zustandegekommen und stelle das Ergebnis der Wünsche des Finanzressorts dar.25 Der Kabinettsrat habe beschlossen, die Vorlage in dieser Fassung dem Staatsrat vorzulegen, damit der Staatsrat über die politische Frage die Entscheidung treffe.26 F i n k findet es bedenklich, in so schwierigen Zeiten, angesichts der großen Arbeitslosigkeit mit so weitgehenden Maßnahmen vorzugehen. Er wünscht die Auszahlung der Unterhaltsbeiträge ein halbes Jahr nach der Demobilisierung, wenigstens bei nachgewiesener Bedürftigkeit, also im gleichen Ausmaß wie nach dem Tode des Eingerückten. T e u f e l stellt als Mindestforderung die volle Auszahlung der Unterhaltsbeiträge an alle im heurigen Jahr und die volle Auszahlung auch weiterhin an diejenigen auf, welche in irgendeiner Form Militärdienste leisten27. Er kündigt einen bezüglichen schriftlichen Antrag an. M i k l a s hält die Vorlage finanziell für begründet, aber aus politischen Gründen für undurchführbar. Trotz der finanziellen Schwierigkeiten wird eine längere Übergangszeit nötig sein. Er regt an, eine Veröffentlichung des Staatsrates hinauszugeben, worin diejenigen, die bisher Unterhaltsbeiträge bezogen haben, auf den nahen Termin ihrer Einstellung aufmerksam gemacht werden. Er unterstützt weiters den Antrag Teufel über die Weiterbezahlung der Unterhaltsbeiträge an diejenigen, welche weiterdienen. Hinsichtlich der Abgerüsteten könnte man etwa sagen: Wenn die Bezirkskommission feststellt, daß der Familienvater zurückgekehrt ist, wird der Unterhaltsbeitrag im ersten Monat ganz, im zweiten Monat halb u.s.w. ausgezahlt. M a y e r erklärt mit Rücksicht darauf, daß es sich um einen Beschluß des Kabinettsrats handle, auf der Vorlage bestehen zu müssen. Präs. H a u s e r beantragt, die Entscheidung über die politische Seite der Frage auf morgen zurückzustellen. A n g e n o m m e n.28 Vgl. AdR, StK, GZl. 583/1918, Auszug aus dem Sitzungsprotokolle der 47. Staatsratssitzung vom 26. Nov. 1918, Beschluß Nr. III. 24 Beilage 47/IV: Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite). Mit der Vollzugsanweisung sollte die Bezugszeit des Unterhaltsbeitrages für die Angehörigen von Mobilisierten verlängert werden, wodurch dieser auch nach deren Rückkehr für einen gewissen Zeitraum noch wirksam bleiben sollte. Der Unterhaltsbeitrag wurde bis Ende November 1918 in vollem Umfang und für Dezember 1918 zur Hälfte gewährt. Als anspruchsberechtig galten Personen, die in Deutschösterreich heimatberechtigt waren und Personen mit deren Heimatstaaten entsprechende Abkommen bestanden. Der Entwurf stimmt, abgesehen von einigen abweichenden Formulierungen, mit der Vollzugsanweisung überein. 25 Zu den Verhandlungen der betroffenen Ressorts, über die Ausarbeitung des endgültigen Textes dieser Vollzugsanweisung vgl. den Bericht in AdR, StAsF, Sozialpolitik 1918, GZl. 1.929/1918, dem auch ein erster Entwurf der Vollzugsanweisung mit handschriftlichen Änderungen und Kommentaren beiliegt. 26 Der Kabinettsrat beschloß in seiner Sitzung vom 26. November 1918 den geänderten Entwurf dem Staatsrat vorzulegen, wobei die Staatssekretäre Bauer und Hanusch Bedenken gegen den Zeitpunkt der Beendigung dieser Aktion vorbrachten, da sie diesen aufgrund der erwarteten wirtschaftlichen Entwicklung als ungünstig ansahen. Vgl. KRP Nr. 16/1 vom 26. November 1918. 27 Im Original ursprünglich geleistet. 28 Zur weiteren Diskussion und zur Beschlußfassung vgl. SRP Nr. 48 vom 27. November 1918. 23
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[II/1] R e n n e r berichtet über die Betrauung des Universitätsprofessors Oswald Redlich29 mit der Überwachung des Archivs des ehemaligen Ministeriums des Äußern. Es handelt sich um das Haus-, Hof- und Staatsarchiv, um das Hofkammerarchiv und um die Korrespondenz des Ministeriums des Äußern. Durch die Bestellung des Professors Redlich sei Sicherheit gegen Verschleppung geboten. Bezüglich der übrigen Archive sei der Beschluß gefaßt worden, mit dem im Denkmal komitee angestellten Dr. Tietze30 in Verhandlung zu treten.31 Der Bericht wird z u r K e n n t n i s g e n o m m e n.32 [I/2] R e n n e r berichtet über die Errichtung einer Minderheitsschutzstelle. Prof. Wottawa33 habe den Antrag auf Errichtung einer solchen Stelle im Zusammenhang mit der Staatskanzlei gestellt. Es bestehe nun ein Kompetenzstreit darüber, ob die Minderheitsschutzstelle im Ministerium des Innern, Ministerium des Äußern oder im Staatsamt für Unterricht untergebracht werden soll. Im Einvernehmen mit dem Ministerium des Äußern schlage er vor, diese Stelle, die mit allen Staatsstellen in Verbindung sein müsse, der Staatskanzlei anzugliedern.34 Dr. Oswald Redlich, Professor für Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Universität Wien, Mitglied der Akademie der Wissenschaften und stellvertretender Vorsitzender des k.k. ArchivRates. 30 Dr. Hans Tietze, Sekretär im Kunsthistorischen Institut der k.k. Zentralkommission für Denkmalpflege und Privatdozent für mittelalterliche und moderne Kunstgeschichte an der Universität Wien. 31 Vgl. KRP Nr. 16/6 vom 26. November 1918. 32 Vgl. AdR, StK, GZl. 280/1921, Amtserinnerung, Leitung der d.oe. Archive. In weiterer Folge lehnte Tietze das Angebot ab und Redlichs Wirkungsbereich wurde auf die Bestände der übrigen Ministerien ausgedehnt. Vgl. dazu das umfangreiche Material in ebd., Zl. 354/1919, Ausdehnung der Vollmacht des Hofrates Prof. Dr. Redlich auf die Archive der früheren Ministerien. Redlich wurde weiters auch zum bevollmächtigten Vertreter Deutschösterreichs für die Verhandlungen mit den Nachfolgestaaten über das Archivwesen ernannt. Vgl. dazu auch das Material in HHStA, Hofärar – Liquidationsakten, Fasz. Staatsnotar, Deutschösterreichisches Staatsnotariat, Zl. 77/1918, Professor Dr. Oswald Redlich, als Bevollmächtigter des d.ö. Staatsnotariates, Übernahme der Akten der Kabinettskanzlei. Vgl. dazu auch KRP Nr. 61/7 vom 15. April 1919. 33 Dr. August Ritter von Wotawa, Mittelschullehrer, Leiter des Realgymnasiums Grinzing, 9. Dezember 1918 Bestellung zum Leiter der Minderheitsschutzstelle in der Staatskanzlei. 34 Der Minderheitsschutzdienst sollte dazu dienen, die in den Nachfolgestaaten der Monarchie verbliebenen deutschsprachigen Minderheiten „samt ihrem materiellen und kulturellen Besitzstand zu verzeichnen, mit diesen Minoritäten ständige Verbindung zu halten und ihre Interessen bei den Friedensverhandlungen und darüber hinaus beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu schützen“. Dem Minderheitsschutzdienst sollte eine Abteilung für den „Propagandadienst im näheren Ausland“ beigestellt werden, wobei die propagandistische Tätigkeit im Inland, mit Ausnahme besetzter Grenzgebiete, explizit ausgeschlossen wurde. Wotawa war als Leiter beider Dienste vorgesehen. Minderheitsschutz- wie Propagandadienst sollten der Staatskanzlei unterstellt sein, aber zwischenstaatsamtlichen Charakter tragen. Die bereits in anderen Staatsämtern eingerichteten Dienste mit ähnlichen Aufgaben blieben zwar vorerst bestehen, sollten aber dem Leiter der Minderheitsschutzstelle, der eine Koordinationsfunktion übernahm, regelmäßig Bericht erstatten und im Einvernehmen mit diesem vorgehen. Zu den bereits bestehenden Diensten zählten die im Staatsamt für Äußeres eingerichtete „Stelle zur völkerrechtlichen Vertretung der deutschen Minderheit beim Friedenskongreß“, der „im Staatsamt für Unterricht eingerichtete Dienst zum Schutze der deutschen Hoch-, Mittel-, Fach- und Privatschulen in den auf dem Boden der österr.-ung. Monarchie entstandenen Nationalstaaten“ und die „Abteilung für vaterländische Propaganda im ehemaligen Ministerium des Inneren“. Vgl. dazu den Antrag an den Staatsrat, betreffend die Einrichtung einer Abteilung der Staatskanzlei „Minderheitsschutzdienst“ und die Dienstanweisung an den Leiter dieses Dienstes in AVA, Nachlaß Renner E/1731: 295. Vgl. auch SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 29
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Er beantragt: Die Minderheitsschutzstelle wird als besondere Abteilung der Staatskanzlei errichtet und bleibt allen Staatsämtern zugänglich. A n g e n o m m e n. R e n n e r beantragt, die Propagandastelle zum Schutz der nationalen Minderheiten im Auslande ebenfalls der Staatskanzlei anzugliedern. A n g e n o m m e n.35 Schluß der Sitzung 6 Uhr abends.
Zur Minderheitenschutzstelle vgl. das Material in AdR, BKA/StK/BKAalt 1918–1923, MaterienSonderlegung, Diverse Akten, Elaborate, Verzeichnisse und Beilagen, Konv. 1 Minderheitenschutz. Zur Ernennung Wotawas zum Leiter der Minderheitenschutzstelle und des angegliederten Propagandadienstes sowie zur Propagandastelle vgl. SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918.
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47 – 1918-11-26 47. S i t z u n g d e s S t a a t s r a t e s vom 26. November 1918. Vorsitzender: Präsident Prälat H a u s e r. B e s c h l ü s s e:
I. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r. Antrag: Der Staatsnotar erstattet dem Staatsrate nachstehenden Bericht: „Im Testamente des Kaisers Franz Joseph de dato Wien, 6. Februar 1901, Punkt 3 fand sich der Monarch bestimmt mit der von ihm und den großjährigen Agnaten36 seines Hauses unterzeichneten Urkunde vom 6. Februar 1901 einen Teil seines Privatvermögens u. zw. die in dieser Urkunde genau bezeichneten Objekte, welche ..... eine Vermögensmasse von rund 60 Millionen Kronen bilden, zu einem mit seinem Ableben in Wirksamkeit tretenden Familienfideikommisse zu widmen, dessen Genuß in Gemäßheit obiger Stiftungsurkunde immer dem jeweiligen Träger der Krone zukommen soll.“ Die bezogene Urkunde besagt, daß die dort taxativ angeführten Immobilien, darunter die vereinigten Besitzungen in Eisenerz und Radmer, und beweglichen Vermögensbestandteile für immerwährende Zeiten zu einem Familienfideikommisse des Erzhauses Habsburg-Lothringen gewidmet und bestimmt und als ein unveräußerliches Privatgut der Familie erklärt werden (I). Der Besitz und der Genuß dieses Fideikommisses soll nach dem Rechte der Primogenitur im Mannesstamme, sonach mit der Maßgabe erblich sein, daß die Nachfolge immer dem Erstgeborenen aus der älteren Linie zukommen soll. (II) Wenn im Laufe der Begebenheiten und der geschichtlichen Entwicklung die Regierungsform der Österreichisch-Ungarischen Monarchie eine Änderung erfahren und die Krone nicht beim Hause Habsburg-Lothringen bleiben sollte, so sollen für die Sukzession in dieses Fideikommiß lediglich die privatrechtlichen Grundsätze zur Anwendung kommen, so wie dieselben durch das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch vom 1. Juni 1811 derzeit in Kraft bestehen. (IV) Zu Lasten des Fideikommißfondes wird u. a. bestimmt die Zahlung einer für die Witwe und die eheliche Descendenz des Erzherzogs Franz Ferdinand bestimmte Annualrente, bestehend in den Erträgnissen eines Kapitales von sechs Millionen Kronen, zu welchem Behufe dieses Kapital in dem Fideikommißvermögen intern auszuscheiden und bis zur Erlöschung der auf dasselbe gewiesenen Prästationen unverändert als eine für den Dienst der letzteren bestimmte besondere Masse zu behandeln und zu verwalten, nach Erlöschung der Annualbezüge aber mit dem Stammvermögen wieder zu vereinigen sein wird. In einem Kodizill37 de dato Schönbrunn, 16. November 1913 wurde bestimmt, daß unter Umgangnahme von der in der Stiftungsurkunde vorgeschriebenen internen Ausscheidung des Kapitals von 6 Millionen Kronen an Agnat: männlicher Blutsverwandter der männlichen Linie. Kodizill: Anhang, Zusatz (bes. zu einer letztwilligen Verfügung).
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die mit dem Legate Bedachten alljährlich ein Zehntel des Reinertrages aller zum Fideikommisse bestimmten Vermögensobjekte, zumindest jedoch ein Betrag von 400.000 Kronen, auszubezahlen sein wird. Im Mai 1917, so wird in der Denkschrift ausgeführt, hat der Generaldirektor der kaiserlichen Privat- und Familienfonds38 in der Besorgnis, daß durch die fragliche Testamentsbestimmung den Legataren und deren Nachkommenschaft jedwede Kritik und Kontrolle in die Gebarung der Privat- und Familienfonds offen stünde, mit dem Vormunde der Legatare, dem Grafen Jaroslav Thun39, u. mit dem Generalbevollmächtigten dieser Vormundschaft, dem Hof- und Gerichtsadvokaten Dr. Friedrich Stritzl Edlen von Artstatt40, Beratungen gepflogen und diesen Vertretern den Vorschlag gemacht, in Abänderung der testamentarischen Anordnungen des Kaisers sowie unter gleichzeitiger Abänderung der Stiftungsurkunde eine Abfertigung für die Legatare ein für allemal und sonach bleibend dadurch zu konstruieren, daß an Stelle der Jahresrente die Ausscheidung und Übernahme des zehnten Teiles vom Gesamtvermögen, das dem Kronfideikommisse laut Stiftungsurkunde zugewiesen wurde, in das freie Eigentum der Legatare zu erfolgen hätte. Dieses auszuscheidende Zehntel des gesamten Kronfideikommißvermögens wurde derart zu bilden vereinbart, daß das Kronfideikommißgut Eisenerz mit Radmer ausgeschieden wurde und die Ergänzung auf das volle Ver mögenszehntel durch Auswahl entsprechender Wertpapiere, Barschaften etc. zu erfolgen hätte. Diese Vereinbarung hat die kaiserliche Genehmigung gefunden. Die Denkschrift besagt: „Auf Grund Allerhöchster Entschließung vom 12. Mai 1917 und mit Genehmigung des Obersthofmarschallamtes vom 22. Mai 1917, Z. 1027, ist das .... der ehelichen Nachkommenschaft des Erzherzog Ferdinand zugedachte Legat, welches aus dem zehnten Teile des jährlichen Reinertrages des Kronfideikommisses, zumindest aber aus einer Jahresrente von 400.000 K zu bestehen hatte, durch Übergabe des Gutes Eisenerz-Radmer, sowie durch Übergabe des zehnten Teiles der zum Kronfideikommisse gehörigen Wertpapiere in das freie Eigentum der drei minderjährigen Legatare kapitalmäßig zu berichtigen,“ Wie die Denkschrift des Näheren ausführt, sind durch diese Transaktion für das Familienfideikommißvermögen Verluste im Ausmaße von mehr als 13 Millionen Kronen eingetreten. Die Frage, ob diese Schätzung richtig ist, ob die Transaktion überhaupt verlustbringend war, welche Personen als die Beschädigten anzusehen sind, soll hier ganz außer Betracht bleiben. Nicht außer Betracht bleiben kann aber die Tatsache, daß man hier vor der Abänderung einer letztwilligen Verfügung des verstorbenen Kaisers und vor der Umkonstruierung der von dem verstorbenen Kaiser unter Zustimmung der großjährigen männlichen Agnaten des Herrscherhauses errichteten Stiftungsurkunde steht.
Franz von Hawerda-Wehrlandt, Generaldirektor der kaiserlichen Privat- und Familienfonde, zeitweiliger Leiter der Kabinettskanzlei Kaiser Karls. 39 Dr. Jaroslaus Graf von Thun-Hohenstein, ab 1889 k.u.k. Kämmerer, ab 1912 k.u.k. Geheimer Rat. 40 Dr. Friedrich Stritzl, Freiherr von Artstatt, Hof- und Gerichtsadvokat, Anwalt Erzherzog Franz Ferdinands und Karls I, Generalbevollmächtigter der Vormundschaft der Vermächtnisnehmer aus dem Testament Kaiser Franz Josefs. 38
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Dieses Vorgehen muß saniert, das Testament des Kaisers und die Stiftungsurkunde restituiert werden. Demgemäß wird beantragt, daß zum Behufe dieser Restituierung in gütlichem Wege mit der Vertretung der Legatare zunächst das Einvernehmen gepflogen werde. Sollten diese Verhandlungen nicht zu dem gewünschten Ergebnisse führen, wären weitere Schritte in Erwägung zu ziehen.“ Der Staatsnotar stellt nun den Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Die ganze Angelegenheit wäre einer Kommission zu überweisen, der, unter dem Vorsitze des Staatsnotars, der Staatssekretär für Justiz, der Präsident des Reichsgerichtes Dr. Karl von Grabmayr und der zweite Präsident des Obersten Gerichts- und Kassationshofes Johann Berka anzugehören hätten.“ Im Zuge der Verhandlung über diesen Antrag stellt der Staatsrat Dr. Stefan von Licht noch folgende Anträge: 1.) Es ist festzustellen, ob und inwieweit die Jurisdiktion des Obersthofmarschallamtes aufrecht zu halten ist. 2.) Es ist klarzustellen, welches Rechtsverhältnis bezüglich der Besitzungen der geistlichen Ritterorden besteht. 3.) Diese Besitzungen sind in jedem Falle sofort in Besitz zu nehmen und zu verwalten. Beschluß: Die Anträge werden angenommen. Die Anträge des Staatsrates Dr. von Licht werden der oberwähnten Kommission zur Berichterstattung zugewiesen. An den Staatsnotar. II. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r. Antrag: „Der Staatsrat wolle die Genehmigung zur Einbringung des Gesetzentwurfes, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer und kultureller Bedeutung in der Nationalversammlung erteilen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler. III. Antragsteller: Staatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Antrag: „Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates über die Errichtung einer Deutschösterreichischen Pensionsanstalt für Angestellte“. Beschluß: Wird mit der Maßgabe angenommen, daß in § 2 nach dem Worte „Niederösterreich“ die Worte „mit dem Kreise Deutschsüdmähren“ und nach dem Worte „Oberösterreich“ die Worte „mit dem Kreise Deutschsüdböhmen“ eingeschaltet werden. An den Herrn Staatskanzler. IV. Antragsteller: Staatssekretär für Heerwesen Johann M a y e r41. Antrag: „Vollzugsanweisung, betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen von Mobilisierten.“ Richtig: Josef Mayer.
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Beschluß:
Die Verhandlung über diesen Gegenstand wird von der Tagesordnung abgesetzt und für die morgige Sitzung anberaumt. An den Herrn Staatskanzler. V. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Bericht über die Betrauung des Universitätsprofessors Dr. Oswald Redlich mit der Verwaltung des Archivs des ehemaligen Ministeriums des Äußern und über die Übernahme der übrigen Archive seitens Dr. Tietze. Beschluß: Wird zur Kenntnis genommen. An den Herrn Staatskanzler. VI. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: „Bericht über die Errichtung einer Minderheitsschutzstelle sowie einer Propagandastelle in der Staatskanzlei.“ Beschluß: Wird zur Kenntnis genommen. An den Herrn Staatskanzler. VII. Antragsteller: Präsident Karl S e i t z. Antrag: „Reassumierung des Beschlusses IV der 44. Sitzung des Staatsrates vom 25. November 1918, betreffend die Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft über die Volksbekleidung.“ Beschluß: Die Verhandlung über diesen Gegenstand wird auf die morgige Sitzung verschoben.42 An den Herrn Staatskanzler. Nächste Sitzung morgen um 10 Uhr Vormittag.
Dieser Beschluß fehlt im Sitzungsprotokoll. Er findet sich unter falscher Numerierung des Sitzungsprotokolls in AdR, StK, GZl. 586/1918, Auszug aus dem Sitzungsprotokolle der 46. Sitzung des Staatsrates vom 26. November 1918. Vgl. weiters SRP Nr. 48 vom 27. November 1918.
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48. [Mittwoch] 1918-11-27 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Hauser Bodirsky, Dinghofer, Domes, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Grim, Iro, Jerzabek, Jukel, Kroy, Langenhan, Leuthner, Licht, Luksch, Miklas, Ofner, Schoepfer, Schoiswohl, Schürff, Sylvester, Teufel, Waldner, Wolf unbekannt 17.00–18.00 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g: 1. Einlauf: Vortragender 2. Gesetz über die Einhebung von Steuern. Antrag des Staatsrates F r i e d m a n n. 3. Wiederaufnahme des Beschlusses über die Volksbekleidungsstelle. 4. Antrag des Staatsamtes für Heerwesen: Vollzugsanweisung, betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen der Mobilisierten. [kein Inhalt] 5.–8.2 9. Allfälliges. Initiativanträge, etz. Beilagen: 48/II 48/III 48/IV
48/V
48/VI
48/XII
Baechlé, Urlaubsansuchen und Einberufung des Ersatzmannes Jerzabek (½ Seite, handschriftlich). Gesetz vom …, betreffend die Einhebung direkter Steuern (4 Seiten). Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom … November 1918, betreffend die Volksbekleidung (8 Seiten); Urban, Antrag zur Vollzugsanweisung, betreffend die Volksbekleidung (¾ Seite, handschriftlich). Vollzugsanweisung, betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen von Mobilisierten (2 Seiten); Grimm, Antrag, betreffend Unterhaltsbeiträge für Angehörige der Volkswehr (1 Seite, handschriftlich). D.-ö. Staatsamt für Landwirtschaft, Zl. 595: Für den Vortrag im Staatsrate, Gegenstand: Außerkraftsetzung der Verordnung vom 11. Dezember 1917, RGBl. Nr. 478, betreffend die Regelung des Verkehres mit Rotkleesamen. Antrag: Der Staatssekretär für Landwirtschaft stellt den Antrag, obige Vollzugsanweisung zu erlassen (1 Seite); Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom … November 1918, mit welcher die Verordnung vom 11. Dezember 1917, RGBl. Nr. 478, betreffend die Regelung des Verkehres mit Rotkleesamen, außer Kraft gesetzt wird (1 Seite). Iro, Urlaubsansuchen und Anmeldung des Ersatzmannes Keschmann (2 Seiten, handschriftlich).
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Josef Mayer, Dr. Ferdinand Grimm, Dr. Karl Renner, Karl Seitz, Dr. Otto Steinwender und Dr. Karl Urban, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Die Punkte 5 bis 8 wurden in der Tagesordnung ohne Betreff verzeichnet. 1
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Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um 10 Uhr vormittags. Über Antrag des Präsidenten wird das Beschlußprotokoll der 45. Sitzung dahin richtiggestellt, daß es rücksichtlich des Beschlusses 4 (Antrag Ofner) statt „wird der Staatskanzlei zugewiesen“ richtig heißen soll „wird angenommen“.3 Nach Verlesung des Einlaufs4 berichtet
[1]
[2] F r i e d m a n n über das Gesetz betreffend die Einhebung direkter Steuern5 und bemerkt, daß diese Vorlage noch einer endgültigen stilistischen Redaktion bedürftig ist. Zu § 1 beantragt T e u f e l, daß es in der siebenten Zeile des § 1 statt „14 Tagen“ heißen soll „30 Tagen“. S t e i n w e n d e r beantragt zu § 2, statt „Kriegs(gewinn)steuerbeträge“ zu sagen „Krie gssteuer(Kriegsgewinnsteuer)beträge“. F r i e d m a n n wünscht, daß der letzte Absatz des § 3, der Stundungsabsatz, auch dem § 2 angefügt werde. Im § 3, zweite Zeile müsse es statt „Hauszinssteuer“ richtig heißen „Hausklassensteuer“. L i c h t beantragt, am Schlusse des ersten Absatzes des § 3 statt „... in vier gleichen Monatsraten am 1. Jänner, 1. Februar, 1. März und 1. April fällig“ zu sagen „... in drei gleichen Raten am 1. Februar, 1. April und 1. Juni fällig.“ Er beantragt ferner einen eigenen Stundungsparagraphen mit folgendem Wortlaut festzusetzen: „Stundungen können nur ausnahmsweise insoweit bewilligt werden, als der Steuerpflichtige auf Grund vorliegender Behelfe darzutun in der Lage ist, daß die Steuervorschreibung des Jahres 1919 voraussichtlich in einer wesentlich geringeren Höhe erfolgen wird oder daß er durch die Zahlung in wirtschaftliche Bedrängnis gerät oder daß in seinem Gebiete besondere Verhältnisse obwalten, die die rechtzeitige Entrichtung der Steuer vorübergehend ausschließen.“ F r i e d m a n n beantragt zu § 5, statt „Die Steuerbehörde I. Instanz k a n n ... ermitteln und ... bekanntgeben“ zu sagen: „Die Steuerbehörde I. Instanz h a t ... zu ermitteln und ... bekanntzugeben.“ Er beantragt ferner, im vorletzten Absatz des § 5 statt „definitiv“, das Wort „endgiltig“ zu setzen. Es folgt die A b s t i m m u n g. § 1 wird mit der Änderung a n g e n o m m e n, daß es in der siebenten Zeile statt „14“ heißen soll „30“. § 2 wird mit nachstehenden Änderungen angenommen: a) In der ersten Zeile soll es statt „Kriegs(gewinn)steuerbeträge“ heißen: „Kriegssteuer(Kriegsgewinnsteuer)beträge“; b) In der drittletzten Zeile ist an Stelle „14“ zu setzen „30“. Es wird ferner b e s c h l o s s e n, für § 2 eine Stundungsbestimmung festzusetzen. Vgl. SRP Nr. 45 vom 25. November 1918, Beschlußprotokoll Punkt IV. Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 5 Beilage 48/III: Gesetzesentwurf (4 Seiten). Der beiliegende Entwurf enthält einige handschriftliche Korrekturen, die den im Verlauf der Debatte eingebrachten Änderungsvorschlägen entsprechen und in StGBl. Nr. 121, Gesetz vom 12. Dezember 1918, betreffend die Einhebung direkter Steuern, ausgegeben am 22. Dezember 1918, übernommen wurden. Vgl. dazu auch AdR, StK, GZl. 1.222/1918, Kundmachung des Gesetzes, betreffend die Einhebung direkter Steuern sowie ebd., 2.760/1919. 3 4
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§ 3 wird mit folgenden Änderungen angenommen: a) In der zweiten Zeile soll es statt „Hauszinssteuer“ heißen „Hausklassensteuer“; b) der Schluß des ersten Absatzes hat statt „... in vier gleichen Monatsraten am 1.Jänner, 1. Februar, 1. März und 1. April fällig“ zu lauten „... in drei gleichen Raten am 1. Februar, 1. April und 1. Juni fällig“. c) Der letzte Absatz fällt weg. § 4 wird mit der Änderung angenommen, daß es in der dritten Zeile statt „Kriegs(gewinn-) steuerbeträge“ heißen soll „Kriegssteuer(Kriegsgewinnsteuer)beträge“. Der zweite Absatz fällt weg. § 5 wird mit nachstehenden Änderungen angenommen: a) In der zweiten Zeile soll es statt „kann“ heißen „hat“; b) in der sechsten Zeile ist an Stelle „Kriegs(gewinn)steuer“ zu setzen „Kriegssteuer(Kriegsgewinnsteuer)“. c) In der achten Zeile ist vor dem Worte „ermitteln“ das Wort „zu“ einzufügen. d) In der neunten Zeile hat es statt „bekanntgeben“ zu heißen: „bekanntzugeben“. e) In der zehnten Zeile ist an Stelle „14“ zu setzen „30“. f ) In der ersten Zeile des vorletzten Absatzes hat es statt „definitiv“ zu heißen „endgiltig“. g) Letzter Absatz fällt weg. Die §§ 6 und 7 werden unverändert angenommen. B e s c h l u ß: Der Staatsrat beschließt, das Gesetz in nachstehender Fassung der Nationalversammlung zu unterbreiten:6 § 1. Steuerpflichtige, welche im Zeitpunkte der Kundmachung dieses Gesetzes auf Grund bereits erfolgter Vorschreibung oder mangels einer solchen nach Vorjahrsgebühr bereits fällige Beträge an direkten Steuern nicht binnen 30 Tagen zur Einzahlung bringen, haben vom Kundmachungstage an Verzugszinsen im Ausmaß von 1 Krone für 100 K und für jeden Kalendermonat zu zahlen. Teilbeträge bis einschließlich 30 K und Monatsteile bis einschließlich 15 Tage bleiben unberücksichtigt, Teilbeträge über 50 K werden für 100 K gerechnet. Monatsteile über 15 Tage gelten als voller Kalendermonat. § 2. Kriegssteuer(Kriegsgewinnsteuer)beträge, welche zur Zeit der Kundmachung dieses Gesetzes bereits vorgeschrieben, jedoch nach den bisherigen Vorschriften noch nicht fällig sind, werden sofort zur Gänze fällig. Erfolgt ihre Einzahlung nicht binnen 30 Tagen, so sind Verzugszinsen in dem im § 1 festgesetzten Ausmaße zu entrichten. § 3. Für das Steuerjahr 1919 werden die Grundsteuer, die Hausklassensteuer, insoweit ihre Fälligkeit nicht früher eintritt, sowie die vom Steuerpflichtigen unmittelbar zu entrichtende Renten- und Einkommensteuer nicht in den in den betreffenden Steuergesetzen bezeichneten einzelnen Raten, sondern mit dem ganzjährigen Betrage am 1. Februar, die allgemeine und die besondere Erwerbsteuer in drei gleichen Raten am 1. Februar, 1. April und 1. Juni fällig. Die Entrichtung hat bei Fehlen einer Vorschreibung gemäß § 5 des Gesetzes vom 9. März 1870, RGBl. Nr. 23, nach der Vorjahrsgebühr zu erfolgen. 6
Abweichend von der sonst üblichen Vorgangsweise, wurde hier erstmals der Text eines Gesetzes nach Annahme durch den Staatsrat in voller Länge in das Sitzungsprotokoll aufgenommen, obwohl der Entwurf dem Protokoll beiliegt und die Änderungen sowohl im Sitzungs- als auch im Beschlußprotokoll enthalten sind. Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, Einbringung und Zuweisung an den Finanzausschuß, S. 157 f; 9. Sitzung am 12. Dezember 1918, Bericht des Finanzausschusses sowie zweite und dritte Lesung, S. 289–303.
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§ 4. Die nach Kundmachung dieses Gesetzes zur Vorschreibung kommenden Kriegs steuer(Kriegsgewinnsteuer)beträge werden mit der Zustellung des Zahlungsauftrages fällig. § 5. Die Steuerbehörde erster Instanz hat unvorgreiflich der endgiltigen Festsetzung im ordentlichen Verfahren die besondere Erwerbsteuer und die Einkommensteuer bis einschließlich des Steuerjahres 1919 und die Kriegssteuer(Kriegsgewinnsteuer) nach den Bekenntnissen der Steuerpflichtigen vorläufig zu ermitteln und diesen mit dem Auftrage bekanntzugeben, den Betrag binnen 30 Tagen bei Vermeidung der Verzugszinsen und der Zwangsfolgen einzuzahlen. Erscheint das Bekenntnis in auffälligem Maße bedenklich oder wurde ein Bekenntnis überhaupt nicht eingebracht, kann die Steuerbehörde die vorläufige Ermittlung der Steuer auf Grund der ihr vorliegenden Behelfe vornehmen. Die vorläufige Ermittlung der besonderen Erwerbssteuer und der Einkommensteuer für das Steuerjahr 1919 und der Kriegssteuer für das Kriegsgeschäftsjahr 1918 kann jedoch immer erst nach Ablauf der Frist zur Einbringung des für die betreffende Steuer maßgebenden Bekenntnisses erfolgen. Gegen eine solche Zahlungsaufforderung ist ein Rechtsmittel unzulässig. Bleibt der später endgiltig vorgeschriebene Betrag hinter dem vorläufig zur Zahlung auferlegten Betrage zurück, so können für die Überzahlung die Vergütungszinsen im Sinne der Kaiserlichen Verordnung vom 16. Juli 1904, RGBl. Nr. 79, jedoch im Ausmaße von 50 Hellern für je 100 K und für jeden Kalendermonat beansprucht werden. Bei der Zinsenberechnung wird nach § 1, letzter Satz, vorgegangen. § 6. Dieses Gesetz tritt 8 Tage nach seiner Kundmachung in Kraft. § 7. Das Gesetz ist vom Staatsamt der Finanzen zu vollziehen. Es wird ferner der B e s c h l u ß gefaßt, alle Stundungsbestimmungen in einen eigenen Paragraphen mit folgender Textierung zusammenzufassen:7 „Stundungen können nur ausnahmsweise insoweit bewilligt werden, als der Steuerpflichtige auf Grund vorliegender Behelfe darzutun in der Lage ist, daß die Steuervorschreibung des Jahres 1919 voraussichtlich in einer wesentlich geringeren Höhe erfolgen wird oder daß er durch die Zahlung in wirtschaftliche Bedrängnis gerät oder daß in seinem Gebiete besondere Verhältnisse obwalten, die die rechtzeitige Entrichtung der Steuer vorübergehend ausschließen.“ [3] U r b a n: Da Bedenken gegen die Absicht, die Bezugsscheinpflicht vollständig aufzu heben, laut geworden sind, stelle ich hinsichtlich des vom Staatsrate gefaßten Beschlusses über die V o l k s b e k l e i d u n g s s t e l l e folgenden A n t r a g8: „Das Staatsamt für Übergangswirtschaft wird beauftragt, die Vollzugsanweisung betreffend die Volksbekleidung nach der Richtung zu überprüfen, daß für die in Betracht kommenden Waren bei einer Gruppe die Freiliste erweitert wird, bei einer anderen aber die 7
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Im Gesetzestext entspricht dies § 6. Im beigelegten Entwurf wurden die Stundungsbestimmungen im letzten Absatz des § 3 festgelegt. Beilage 48/IV: Antrag Urban (¾ Seite, handschriftlich). Der Inhalt des Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. In der Beilage findet sich zudem auch ein Exemplar der in SRP 44 vom 25. November 1918 unter Zahl 44/IV beiliegenden Vollzugsanweisung, betreffend die Volksbekleidung.
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Bezugsscheinpflicht zwar aufrecht bleibt, wobei jedoch hinsichtlich der Bedarfsprüfung eine liberale Praxis einzutreten habe. Das Staatsamt wird beauftragt, hierüber in der morgigen Sitzung Bericht zu erstatten.“ Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n.9 [4] M a y e r: Die Vollzugsanweisung10 betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen U n t e r h a l t s b e i t r ä g e für die Angehörigen von Mobilisierten wurde gestern nicht zu Ende beraten, weil es sich dabei auch um politische Fragen handelt und die politischen Parteien nicht hinreichend vertreten waren.11 Ursprünglich war die Auszahlung der vollen Unterhaltsbeiträge auch noch für den Dezember beabsichtigt, aber der Kabinettsrat hat sich – namentlich mit Rücksicht auf den Stand der Staatsfinanzen – dafür ausgesprochen, daß die Unterhaltsbeiträge für Dezember nur im halben Ausmaße auszuzahlen und mit Ende Dezember gänzlich einzustellen sind.12 T e u f e l beantragt die fortlaufende Weiterzahlung der staatlichen Unterhaltsbeiträge an die Angehörigen aller Personen, die weiterhin in irgendeiner militärischen Verwendung stehen (Volkswehr13 u. dgl.). Es würde dadurch auch die Anwerbung erleichtert werden. v . G r i m m bittet, die Frage der Unterhaltsbeiträge für Angehörige der Volkswehr getrennt zu verhandeln, da das österreichische Unterhaltsbeitragsgesetz vom Jahre 1917 auf die Volkswehr keine Anwendung findet und es sich bei dieser Frage um eine große finanzielle Belastung handelt. T e u f e l ist ebenfalls für die Trennung beider Angelegenheiten und zieht daher seinen Antrag zurück. S e i t z: Es müßte aber deutlich ausgesprochen werden, daß die Zahlung der Unterhaltsbeiträge nicht für die Volkswehr gilt, sonst wäre ein ungeheurer Ansturm von Familien der Volkswehrleute zu gewärtigen. Da die in Rede stehenden Unterhaltsbeiträge noch zu Lasten des früheren gemeinsamen Staates gehen, während die Ausgaben für die Volkswehr nur den deutschösterreichischen Staat belasten, ist es besser, diese Feststellung nicht in die Vollzugsanweisung aufzunehmen. v . G r i m m schlägt folgende Fassung14 vor: „Soweit für die Angehörigen der Volkswehr derzeit Unterhaltsbeiträge nach den Vorschriften für die gewesene Wehrmacht gezahlt werden, gelten die gleichen Bestimmungen“. M i k l a s stellt mit Rücksicht auf die politische Bedenklichkeit einer Herabsetzung des Unterhaltsbeitrages auf die Hälfte gerade vor Weihnachten den Antrag, die volle Zahlung der Unterhaltsbeiträge bis zum 31. Dezember zu erstrecken. v . G r i m m: Dies würde eine Mehrbelastung von über 50 Millionen Kronen bedeuten, die umso schwerer ins Gewicht fällt, als wir die Staatsausgaben eigentlich nur aus dem
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Zur früheren Behandlung dieser Vollzugsanweisung vgl. SRP Nr. 44 vom 25. November 1918 vormittags. Der hier angekündigte Bericht des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft erfolgte erst in der 55. Sitzung. Vgl. SRP Nr. 55/2 vom 7. Dezember 1918. Beilage 48/V: Vollzugsanweisungsentwurf (2 Seiten). Der Entwurf liegt in zweifacher Ausfertigung bei. Beide Versionen enthalten handschriftliche Korrekturen, welche den in der Debatte eingebrachten Änderungsvorschlägen entsprechen. Entwürfe der Vollzugsanweisung finden sich auch in KA, Nachlaß Josef Mayer B/858, Konvolut 3, Ziffer XXXIV. Vgl. SRP Nr. 47 vom 26. November 1918. Vgl. KRP Nr. 16/1 vom 26. November 1918. Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Beilage 48/V: Antrag Grimm (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V.
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bestreiten, was wir von der deutschösterreichischen Anleihe erhoffen. Auch wird in einzelnen Kronländern die Forderung nach Aufhebung der Unterhaltsbeiträge erhoben. M i k l a s hält es für notwendig, daß die Staatskanzlei die getroffenen Bestimmungen auch den übrigen auf dem Boden der Monarchie entstandenen Nationalstaaten mitteilt und sich um die Herstellung eines Reziprozitätsverhältnisses bemüht. Die V o l l z u g s a n w e i s u n g betreffend die weitere Auszahlung der staatlichen U n t e r h a l t s b e i t r ä g e für die Angehörigen von Mobilisierten wird mit der Abänderung a n g e n o m m e n, daß der Anfang des § 1 folgendermaßen zu lauten hat: „Den im Sinne des Gesetzes vom 27. Juli 1917, RGBl. Nr. 313, anspruchsberechtigten Personen wird der Unterhaltsbeitrag bis 30. November im bisherigen Ausmaße weitergewährt. In der Zeit vom 1. Dezember bis 31. Dezember 1918 erhalten diese Personen Beträge in der Hälfte des Ausmaßes ihres bisher bezogenen Unterhaltsbeitrages, insofern ...“15 Weiters b e s c h l i e ß t d e r S t a a t s r a t Folgendes: 1.) „Das Präsidium wird beauftragt, in einem Kommuniqué eine populäre Darstellung der künftigen Rechtsverhältnisse zu geben.“ 2.) „Soweit für die Angehörigen der Volkswehr derzeit Unterhaltsbeiträge nach den Vorschriften für die gewesene Wehrmacht gezahlt werden, gelten die gleichen Bestimmungen. Dies ist am Schlusse des Kommuniqués anzufügen.“16 3.) „Die Staatskanzlei wird beauftragt, beim Staatsamte für Äußeres zu veranlassen, daß sofort Verhandlungen wegen der Bestimmung des § 2 (Reziprozität) eingeleitet werden.“17 [9] Eine vom Staatsamt für Landwirtschaft unterbreitete V o l l z u g s a n w e i s u n g18 betreffend den Verkehr mit R o t k l e e s a m e n wird in folgender Fassung a n g e n o m m e n: „Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsrates vom .. November 1918, mit welcher die Verordnung vom 11. Dezember 1917, RGBl. Nr. 478, betreffend die Regelung des Verkehres mit Rotkleesamen, außer Kraft gesetzt wird. In der Vollzugsanweisung lautete die betreffende Passage des § 1: „Den im Sinne des Gesetzes vom 27. Juli 1917 RGBl. Nr. 313, anspruchsberechtigten Personen wird der Unterhaltsbeitrag bis 30. November 1918 im bisherigen Ausmaß weitergewährt. Für die Zeit vom 1. Dezember bis 31. Dezember 1918 erhalten diese Personen Beträge im halben Ausmaße ihres bisher bezogenen Unterhaltsbeitrages. Voraussetzung ist, daß…“. Vgl. StGBl. Nr. 55, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 27. November 1918, betreffend die weitere Auszahlung des staatlichen Unterhaltsbeitrages für die Angehörigen von Mobilisierten, ausgegeben am 29. November 1918. Vgl. auch die entsprechende Weisung des Staatsamtes für Finanzen an die Finanzlandesbehörden in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.825/1918, Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen Mobilisierter, weitere Auszahlung. 16 Punkt 2 der hier beschlossenen Verlautbarung wurde tatsächlich in das Kommuniqué aufgenommen. Vgl. Wiener Zeitung, 28. November 1918, S. 8 f „Die Frage der Unterhaltsbeiträge“ sowie Neue Freie Presse. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 7 „Fortzahlung der Unterhaltsbeiträge“. 17 Der § 2 des StGBl. Nr. 55/1918 lautete: „Für die im deutschösterreichischen Staatsgebiete wohnhaften Angehörigen von fremdzuständigen Heimkehrern gelten die Bestimmungen des § 1 nur dann, wenn mit ihrem Heimatstaate eine entsprechende Vereinbarung getroffen wurde.“ 18 Beilage 48/VI: Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite). Der beiliegende Entwurf enthält eine handschriftliche Änderung der Einleitungsformel, indem die Textstelle Auf Grund der Ermächtigung des Staatsrates wird vom Staatssekretär für Landwirtschaft verordnet in Der Staatsrat verordnet korrigiert wurde. Die Änderungen im Entwurf wurden in StGBl. Nr. 118, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 27. November 1918, mit welcher die Verordnung vom 11. Dezember 1917, RGBl. Nr. 478, betreffend die Regelung des Verkehrs mit Rotkleesamen, außer Kraft gesetzt wird, ausgegeben am 22. Dezember 1918, übernommen. 15
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Der Staatsrat verordnet, wie folgt:
§ 1. Die Verordnung vom 11. Dezember 1917, RGBl. Nr. 478, wird außer Kraft gesetzt. § 2. Diese Vollzugsanweisung tritt mit dem Tage der Kundmachung in Wirksamkeit.“ v . L a n g e n h a n beantragt, die Wahl der in § 9 der Geschäftsordnung vorgesehenen Kommissionen vorzunehmen, soweit diese Wahlen noch nicht erfolgt sind.19 Es bestehe kein Grund und auch keine Möglichkeit, gegen die Vornahme dieser Wahlen Stellung zu nehmen. S e i t z: Die betreffenden Kommissionen können jederzeit gewählt werden, sobald Arbeitsmaterial für sie vorhanden ist. S y l v e s t e r: Die Kommissionen haben nur die Aufgabe, über die ihnen zugewiesenen Gegenstände zu beraten und zu referieren, und die Wahlen können sofort vorgenommen werden, wenn derartige Gegenstände vorliegen. Der Antrag Langenhan auf sofortige Vornahme der Kommissionswahlen wird a b g e l e h n t. Der Staatsrat bewilligt dem Mitgliede I r o über sein Ansuchen20 einen U r l a u b vom 28. November bis 4. Dezember. Als Ersatzmann wird Abg. K e s c h m a n n einberufen. Der Staatsrat faßt auf Vorschlag des Präsidenten S e i t z folgenden Beschluß: „Das Protokoll vom 23. November 1918 ist in Punkt 6 keine wortgetreue Wiedergabe seines Beschlusses. Der Staatsrat behält sich vor, diesen Beschluß in der morgen stattfindenden Sitzung endgiltig richtigzustellen. Das Staatsamt für Justiz wird beauftragt, den Entwurf eines verfassungsmäßig zu fassenden Beschlusses zu unterbreiten.“21 R e n n e r: Ich stelle den formalen Antrag, den Wahlreformentwurf, der heute um 4 Uhr nachmittags den Mitgliedern des Staatsrates zukommen wird, der Wahlreformkommission des Staatsrates zuzuweisen. Der Staatsrat b e s c h l i e ß t: Der von der Staatskanzlei ausgearbeitete Wahlreformentwurf wird der Wahlreformkommission zur Berichterstattung zugewiesen.22 R e n n e r schlägt die Veröffentlichung des Wahlreformentwurfes vor, da ohnehin bereits Mitteilungen über dessen Inhalt in die Presse gelangt sind. Nach § 9 der Geschäftsordnung des Staatsrates waren ständige Kommissionen für Äußeres, für Verfassung und Inneres, für die Volkswehr, für die Rechtspflege, für Finanzen, für Verkehrswesen, für Volksgesundheit und für soziale Verwaltung vorgesehen. Die Kommissionen für Äußeres, für Volksgesundheit und für soziale Verwaltung waren allerdings noch nicht gewählt. Zur Diskussion über die Geschäftsordnung des Staatsrates vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. Die Geschäftsordnung des Staatsrates findet sich in AdR, StK, GZl. 467/1918. Zu den Kommissionen vgl. PA, Prov. NV (1918–1919), Politische Akten, Staatsrat/Kommissionen, Staatsrat Geschäftsordnung, Verzeichnis der Kommissionen und Ausschüsse. 20 Beilage 48/XII: Urlaubsansuchen Iro (2 Seiten, handschriftlich). Staatsrat Iro ersuchte um Urlaub vom 28. November bis 4. Dezember zur „Durchführung der Organisation der Volkswehr“ in seinem Wahlbezirk. 21 Es handelt sich hierbei um den Beschluß der 43. Sitzung des Staatsrates, mit welchem die Vorschläge der Justizkommission, betreffend Umwandlung oder Nachsicht der Strafe und Niederschlagung des Strafverfahrens genehmigt wurden. Die Entwürfe des Staatsamtes für Justiz finden sich unter der Zahl 53/VIII in den Beilagen zu SRP Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. 22 Die Berichterstattung und Diskussion erfolgte in der 53. Sitzung des Staatsrates vgl. SRP Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. 19
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S e i t z spricht sich gegen die Veröffentlichung aus, da die Verhandlungen zwischen den Parteien dadurch ungeheuer erschwert würden.23 E l l e n b o g e n: Ich bedauere, daß der wesentliche Inhalt des Entwurfes, obwohl der Staatskanzler die vertrauliche Behandlung verlangt hat, in einer deutschnationalen Korrespondenz erschienen ist. Ich erinnere an die Schwierigkeiten, unter denen die seinerzeitige Wahlreform erledigt wurde.24 Nach meiner Meinung bedeutet die Übergabe des Entwurfes an die Presse die Vernichtung des ganzen Wahlreformwerkes. R e n n e r: Vielleicht kann der Entwurf, da die Geheimhaltung faktisch nicht mehr möglich ist, inoffiziell veröffentlicht werden. Der Staatsrat faßt auf Vorschlag des Präsidenten S e i t z folgenden B e s c h l u ß: „Der Staatsrat hat keine Einwendung dagegen, wenn die von der Staatskanzlei ausgearbeitete Wahlreformvorlage einem weiteren Kreise als den Staatsräten zugemittelt wird.“25 F i n k schlägt vor, die Vormittage für die Arbeiten der Wahlreformkommission und der anderen Kommissionen sowie des Kabinetts zu reservieren und die Sitzungen des Staatsrates an den Nachmittagen von ½ 5 Uhr angefangen abzuhalten. Es wird b e s c h l o s s e n, die Staatsratssitzungen von nun an für ½ 5 Uhr Nachmittag anzusetzen.26 T e u f e l: Ich bitte, aus den Protokollen feststellen zu lassen, welche Anträge Staatsämtern zugewiesen wurden, und die Staatsämter zur Berichterstattung darüber zu veranlassen. Der Staatsrat b e s c h l i e ß t: „Die Staatskanzlei wird beauftragt, ehestens ein Verzeichnis jener Anträge vorzulegen, die Staatsämtern zur Berichterstattung zugewiesen worden sind.“27 Schluß der Sitzung 12 Uhr 30 Minuten mittags. Vgl. Punkt VII des Beschlußprotokolls in SRP Nr. 43 vom 23. November 1918. Staatsrat Ellenbogen bezog sich hier auf die Wahlreform des Jahres 1906/1907, die das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Männerwahlrecht einführte. Die Verhandlungen des Wahlreformausschusses, der zur Ausarbeitung des zugrundeliegenden Gesetzes gebildet worden war, erwiesen sich als langwierig, wobei die Verteilung der Mandate auf die einzelnen Nationalitäten und die Wahlkreiseinteilung einen hauptsächlichen Streitpunkt darstellten. Vgl. dazu Karl Ucakar, Demokratie und Wahlrecht in Österreich. Zur Entwicklung von politischer Partizipation und staatlicher Legitimationspolitik, Wien 1985, S. 345–352. Vgl. RGBl. Nr. 15, Gesetz vom 26. Jänner 1907, wodurch die §§ 1, 6, 7, 12 und 18 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 141 beziehungsweise die Gesetze vom 2. April 1873, RGBl. Nr. 40, vom 12. November 1886, RGBl. Nr. 162, und vom 14. Juni 1896, RGBl. Nr. 168, abgeändert werden, ausgegeben am 30. Jänner 1907. Im Zusammenhang mit dem genannten Gesetz vgl. auch RGBl. Nr. 16, Gesetz vom 26. Jänner 1907, wodurch der § 5 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung vom 21. Dezember 1867, RGBl. Nr. 141, abgeändert wird, sowie RGBl. Nr. 17, Gesetz vom 26. Jänner 1907, betreffend die Wahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses des Reichsrates, beide ebenfalls ausgegeben am 30. Jänner 1907. 25 Aufgrund des vorliegenden Beschlusses lud die Staatskanzlei eine Gruppe von Experten, darunter Hans Kelsen, zur Beratung des Wahlgesetzentwurfes für den 28. November 1918 ein. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.147/1918, Zl. 647/1918 und Zl. 572/1918, Reichsratswahlordnung, Expertise, Einladungen. In der Folge wurde der Entwurf der Wahlordnung auch in der Presse veröffentlicht. Vgl. dazu exemplarisch Neue Freie Presse. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 4 f „Die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung. Die wesentlichen Bestimmungen des Entwurfs“; Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 2 „Die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung“ und Reichspost. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 1 „Die Wahlordnung für die Nationalversammlung“ sowie S. 1–3 „Der neue Wahlordnungsentwurf“. 26 Ab 27. November 1918 bis zum Ende der Legislaturperiode fanden die Sitzungen des Staatsrates tatsächlich nur noch an Nachmittagen sowie einmal täglich statt. Zur weiteren Regelung der Sitzungstermine des Staatsrates vgl. SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 27 Das aufgrund dieses Antrages erstellte Verzeichnis findet sich in AdR, StK, GZl. 650/1918. 23 24
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des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 27. November 1918. Vorsitzender: Präsident S e i t z. B e s c h l ü s s e: I. Antragsteller: Präsident S e i t z Beschluß: Das Protokoll der 45. Sitzung des Staatsrates vom 25. November d. J. wird in seinem Punkt IV dahin richtig gestellt, daß der Beschluß zu lauten hat: „Der Antrag wird angenommen.“ An den Herrn Staatskanzler. II. Personalien: Staatsrat Dr. von B a e c h l é wird für die heutige Sitzung beurlaubt und an seiner Stelle Ersatzmann Dr. Jerzabek einberufen.28 III. Bericht des Staatsrates F r i e d m a n n als Referent der Finanzkommission über den Entwurf für ein Gesetz betreffend die Einhebung direkter Steuern: Beschluß: Der Staatsrat beschließt, das Gesetz in der aus der Beilage ersichtlichen Fassung der Nationalversammlung vorzulegen, jedoch mit der Maßgabe, daß alle Stundungsbestimmungen in einen neuen § mit folgenden Wortlaut zusammengezogen werden: „Stundungen können nur ausnahmsweise insoweit bewilligt werden, als der Steuerpflichtige auf Grund vorliegender Behelfe darzutun in der Lage ist, daß die Steuervorschreibung des Jahres 1919 voraussichtlich in einer wesentlich geringeren Höhe erfolgen wird oder daß er durch die Zahlung in wirtschaftliche Bedrängnis gerät oder daß in seinem Gebiete besondere Verhältnisse obwalten, die die rechtzeitige Entrichtung der Steuer vorübergehend ausschließen.“ Die Abänderungen gegenüber dem Entwurfe betreffen: 1.) Die Frist für die Einzahlung der fälligen Beträge an direkten Steuern (§§ 1, 2 und 5) wird statt mit 14 Tagen mit 30 Tagen bemessen. 2.) Der Ausdruck „Kriegs(gewinn)steuer“ ist jedesmal (§§ 2, 4 und 5) durch „Kriegs-(Kriegsgewinn)steuer“ zu ersetzen. 3.) In § 3 hat es statt „Hauszinssteuer“ richtig „Hausklassensteuer“ zu heißen. 4.) Die Fälligkeitstermine für die allgemeine und besondere Erwerbsteuer (§ 3) werden dahin bestimmt, daß „die allgemeine und die besondere Erwerbsteuer in drei gleichen Raten am 1. Februar, 1. April und 1. Juni fällig“ wird. 5.) Der dritte Absatz des § 3 wird zusammen mit der Ergänzung „oder daß in diesem Gebiete besondere Verhältnisse obwalten, die die rechtzeitige Entrichtung der Steuer vorübergehend ausschließen“ zu einem neuen § zusammengezogen. Das Ansuchen scheint im Sitzungsverlauf nicht auf. Beilage 48/II: Baechlé, Urlaubsansuchen und Einberufung des Ersatzmannes Jerzabek (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt der Beilage stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein.
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6.) Der Absatz 2 des § 4 ist im Hinblick auf den Stundungsparagraphen zu streichen. 7.) Der § 5 hat im Eingang zu lauten: „Die Steuerbehörde erster Instanz h a t ... z u ermitteln und ... bekanntz u geben.“ 8.) Im vorletzten Absatz des § 5 ist an Stelle des Ausdruckes „definitiv“ der Ausdruck „endgiltig“ zu gebrauchen. 9.) Der letzte Absatz des § 5 ist im Hinblick auf den Stundungsparagraphen zu streichen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär der Finanzen. IV. Antrag des Staatssekretärs für Kriegs- und Übergangswirtschaft betreffend die Abänderung der in der 44. Sitzung des Staatsrates vom 25. November l. J. genehmigten Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft über die Volksbekleidung: Das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird beauftragt, die Vollzugsanweisung betreffend die Volksbekleidung nach der Richtung hin zu überprüfen, daß für die in Betracht kommenden Waren bei einer Gruppe die Freiliste erweitert wird, bei einer andern aber die Bezugsscheinpflicht zwar aufrecht bleibt, wobei jedoch hinsichtlich der Bedarfsprüfung eine liberale Praxis einzutreten habe. Das Staatsamt wird beauftragt, hierüber in der morgigen Sitzung Bericht zu erstatten. Beschluß: Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft. V. Bericht des Staatssekretärs für Heerwesen. über die Vollzugsanweisung betreffend die weitere Auszahlung staatlicher Unterhaltsbeiträge für die Angehörigen der Mobilisierten. Beschluß: Der Staatsrat genehmigt die Erlassung der Vollzugsanweisung nach dem vorgelegten Entwurfe mit folgender Abänderung des Einganges des § 1: „Den im Sinne des Gesetzes vom 27. Juli 1917, RGBl. Nr. 313 anspruchsberechtigten Personen wird der Unterhaltsbeitrag bis 30. November im bisherigen Ausmaße weitergewährt. In der Zeit vom 1. Dezember bis 31. Dezember 1918 erhalten diese Personen Beträge in der Hälfte des Ausmaßes ihres bisher bezogenen Unterhaltsbeitrages, Voraussetzung ist, daß a) .........“ Antragsteller: Präsident S e i t z: Das Präsidium wird beauftragt, in einem Communiqué eine populäre Darstellung der Rechtsverhältnisse bezüglich der Unterhaltsbeiträge zu geben. Beschluß: Antrag wird angenommen. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. von G r i m m. Soweit an Angehörige der Volkswehr derzeit Unterhaltsbeiträge nach den Vorschriften für die Angehörigen der gewesenen Wehrmacht tatsächlich gezahlt werden, gelten die gleichen Bestimmungen. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. Antragsteller Staatsrat M i k l a s: Die Staatskanzlei wird beauftragt, beim Staatsamt des Äußern zu veranlassen, daß wegen der Bestimmung des § 2 der Vollzugsanweisung hinsichtlich der Reziprozität sofort mit den übrigen Nationalstaaten Verhandlungen eingeleitet werden.
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Beschluß: Antrag wird angenommen. An den Herrn Präsident S e i t z, den Herrn Staatskanzler und die Herrn Staatssekretäre für Heerwesen, der Finanzen und des Äußern. VI. Antragsteller: Staatsamt für Landwirtschaft auf Erlassung einer Vollzugsanweisung, mit welcher die Verordnung vom 11. Dezember 1917, RGBl. Nr. 478, betreffend die Regelung des Verkehres mit Rotkleesamen, außer Kraft gesetzt wird. Beschluß: Der Staatsrat beschließt die Erlassung der Vollzugsanweisung nach dem vorgelegten Entwurf mit der Abänderung, daß es im Titel „Vollzugsanweisung des D e u t s c h ö s t e r r e i c h i s c h e n S t a a t s r a t e s“ und im Eingang „der S t a a t s r a t verordnet wie folgt“ zu lauten hat. An den Herrn Staatskanzler {sic!} für Landwirtschaft. VII. Antrag des Staatsrates Dr. von L a n g e n h a n auf sofortige Vornahme der Wahlen in die noch nicht gebildeten Kommissionen des Staatsrates nach § 9 der Geschäftsordnung. Beschluß: Die Vornahme der Wahlen wird abgelehnt. VIII. Bericht des Präsidenten S e i t z über den Einspruch des Staatsamtes für Justiz gegen die Fassung des Punktes VI im Protokoll vom 23. November 1918. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, das Protokoll vom 23. November 1918 ist in Punkt VI keine wortgetreue Wiedergabe seines Beschlusses. Der Staatsrat behält sich vor, diesen Beschluß in der morgen stattfindenden Sitzung endgültig richtig zu stellen. Das Staatsamt für Justiz wird beauftragt, dafür den Entwurf eines verfassungsmäßig richtig formulierten Beschlusses zu unterbreiten. An das Staatsamt für Justiz. IX. Bericht des Staatskanzlers Dr. R e n n e r über die Einbringung des Wahlgesetzentwurfes für die konstituierende Nationalversammlung im Staatsrate. Beschluß: Der von der Staatskanzlei ausgearbeitete Wahlgesetzentwurf wird der Wahlreformkommission zur Berichterstattung zugewiesen. Der Staatsrat hat keine Einwendung dagegen, wenn die von der Staatskanzlei ausgearbeitete Vorlage einem weiteren Kreise als jenem des Staatsrates zugemittelt wird. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Obmann der Wahlreformkommission. X. Antragsteller Staatsrat F i n k: wegen Freimachung der Zeit für die Arbeiten der Wahlreformkommission. Beschluß: Die Staatsratssitzungen finden von nun an nur um ½ 5 Uhr Nachmittag statt. An den Herrn Staatskanzler.
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XI. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l: Die Staatskanzlei wird beauftragt, ehestens ein Verzeichnis jener im Staatsrate eingebrachten Anträge vorzulegen, die Staatsämtern zur Berichterstattung zugewiesen worden sind. An den Herrn Staatskanzler. XII. Personalien: Dem Staatsrate I r o wird für die Zeit vom 28. November bis 4. Dezember ein Urlaub erteilt und während dessen der Ersatzmann Nationalrat K e s c h m a n n in den Staatsrat einberufen. An die Staatskanzlei.
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49. [Donnerstag] 1918-11-28 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Seitz Bodirsky, Dinghofer, Ellenbogen, Fink, Grim, Jerzabek, Keschmann, Kroy, Leuthner, Luksch, Miklas, Neunteufel, Ofner, Prisching, Schoepfer, Schürff, Sylvester, Teufel, Waihs, Waldner, Wallenstorfer, Wolf unbekannt 16.30–20.00 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g:2 1. Einlauf: Vortragender 2. Grundgesetz über das d. ö. Volksheer. 3. Gesetz über Rechte und Pflichten des Soldaten.3 Beilagen: 49/III 49/IV 49/V 49/VI 49/VII
Anmeldung des Ersatzmannes Prisching für Schoiswohl (¼ Seite, handschriftlich). Antrag Neunteufel, betreffend Anklagen gegen militärische Organe (1½ Seiten). Antrag Teufel, betreffend Offiziersregimenter (1 Seite, handschriftlich). Antrag, betreffend das Verfahren gegen Eisler-Friedländer und Genossen (1 Seite, handschriftlich). Antrag des Staatsamtes für Unterricht, betreffend die Prager deutsche Universität und die Prager Technische Hochschule (1 Seite).4
Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um ½ 5 Uhr nachmittags. [1] Es wird der Einlauf 5 mitgeteilt und den betreffenden Staatsämtern bezw. Kommissionen zugewiesen. Präs. S e i t z: In der 43. Sitzung vom 23. November wurde als Punkt 6 ein Beschluß über die Vorschläge der Justizkommission betreffend Nachsicht von zwei Todesstrafen und die Gnadenbitten von 44 strafgerichtlich verurteilten Personen um Umwandlung oder Nachsicht der Strafen etc. gefaßt. Dieser Beschluß sollte nach der Meinung des Staatsamtes für Justiz richtig lauten (liest): „Die Vorschläge der Justizkommission über zwei vom Obersten Gerichtshofe gemäß § 341 St.P.O. erstattete Gutachten, betreffend Nachsicht der Todesstrafen, und über die Gnadenbitten von 44 strafgerichtlich verurteilten Personen um Umwandlung Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Josef Mayer, Rafael Pacher, Dr. Karl Renner, Richard Riedl und Dr. Julius Roller, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Die Tagesordnung ist unvollständig, da nicht alle in der Sitzung behandelten Themen verzeichnet wurden. 3 Dieser Punkt der Tagesordnung wurde in der vorliegenden Sitzung nicht behandelt. 4 Weiters liegt dem Protokoll bei: Staatssekretär für Unterricht, Z. 120/U: Abschrift eines Schreibens an den deutschösterreichischen Staatsrat vom 25. November 1918, betreffend Verlegung der beiden deutschen Hochschulen in Prag, der Universität in Czernowitz sowie der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn (2 Seiten). 5 Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 1
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oder Nachsicht der Strafen, bezw. Nachsicht der Rechtsfolgen oder Tilgung der Verurteilung, sowie von 74 in strafgerichtlicher Untersuchung stehenden Personen um Niederschlagung des Strafverfahrens werden genehmigt.“ Da handelt es sich noch immer um die Frage, ob das, wenn man sagt: „die Vorschläge werden genehmigt“, eben direkt eine Verfügung ist. Der frühere Kaiser hat eine Todesstrafe nachgesehen, und es wurde auch verlautbart: Dem Manne wird die Todesstrafe nachgesehen, er wird begnadigt. Oder es hat geheißen: Das strafgerichtliche Verfahren wird eingestellt. Jetzt entsteht die Frage, ob das gleichbedeutend ist mit dem Ausdrucke: „Die Vorschläge der Justizkommission über die Begnadigungen werden genehmigt.“ Das Meritorische6 ist vollkommen klargestellt, es handelt sich nur um die staatsrechtliche Fassung. Ich glaube nicht, daß es gleichbedeutend ist. Dr. W a l d n e r: Dieser Vorschlag ist nur eine Unterlage für die Verfügung des Staatsrates. Präs. S e i t z: Gewiß. Darnach wäre dieser Entwurf eigentlich noch nicht entsprechend. Ich werde also das noch in suspenso7 lassen. Die Frist ist dadurch unterbrochen.8 Ich möchte dann die Herren einleitend noch auf eine heute in allen Blättern enthaltene Notiz aufmerksam machen, wonach die gestrige Obmännerkonferenz des Wiener Gemeinderates9 sich gegen eine Verfügung des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten wendet, daß bei den Gas-, Elektrizitätswerken und bei der Wiener Straßenbahn gewisse Einschränkungen eintreten.10 Es ist gar nicht einzusehen, wieso das Staatsamt für öffentliche Arbeiten eine solche Verfügung treffen kann. Das würde ja dann auch bei allen anderen Städten möglich sein. Ich kann mir nicht denken, daß das Staatsamt für öffentliche Arbeiten z. B. über die Stadt Linz oder Graz Verfügungen trifft, wie sie ihre Straßenbeleuchtung mit Rücksicht auf die Kohlennot einrichten sollen. Wohl aber kann ich mir vorstellen, daß das Staatsamt für öffentliche Arbeiten einer Gemeinde sagt, daß es die erforderliche Kohle nicht liefern könne, und daß die Gemeinde selbst dann ihre entsprechenden Verfügungen trifft. Dr. J e r z a b e k: Soviel ich weiß, hat es nur geheißen, daß das Staatsamt für öffentliche Arbeiten die Gemeinde auf den Kohlenmangel aufmerksam und Vorschläge wegen einer eventuellen Drosselung dieser Betriebe gemacht hat. Präs. S e i t z: Der Beschluß des Staatsrates würde in dieser Hinsicht folgendermaßen lauten: „Mit Rücksicht auf eine Notiz in den heutigen Tagesblättern, betreffend den Beschluß der Obmännerkonferenz des Wiener Gemeinderates gegen eine angebliche Verfügung des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten, betreffend die Einschränkung des Betriebes der Gas- und Elektrizitätswerke und der Straßenbahn wird der Präsident beauftragt, mit dem Staatsamte 8
Meritorisch: wesentlich, sachlich. In suspenso: in der Schwebe, unentschieden. Vgl. SRP Nr. 43/6 vom 23. November 1918, Nr. 44/7 vom 25. November 1918 und Nr. 53/7 vom 3. Dezember 1918. 9 Die gemeinderätliche Obmännerkonferenz war ein während des Krieges geschaffenes politisches Gremium der Wiener Stadtregierung, das sich aus Vertretern der Gemeinderatsfraktionen und Fachbeamten zusammensetzte. Vgl. Christian Mertens, Die Wiener Stadtverwaltung im Ersten Weltkrieg, in: Alfred Pfoser/Andreas Weigl (Hg.), Im Epizentrum des Zusammenbruchs. Wien im Ersten Weltkrieg, Wien 2013, S. 284–291, hier S. 285. 10 Vgl. dazu Wiener Zeitung, 28. November 1918, S. 9 „Kleine Chronik. Gemeinderätliche Obmännerkonferenz“. Der erwähnte Beschluß der Obmännerkonferenz lautete: „Die Obmännerkonferenz des Wiener Gemeinderates warnt mit Rücksicht auf die Lage der Bevölkerung Wiens vor einer weiteren Drosselung des Straßenbahnverkehrs und ersucht die Gesamtregierung, daß mit noch größerem Nachdruck alles aufgeboten werde, um die nötige Anzahl Waggons Kohle aufzubringen, um diese Drosselung zu vermeiden, da sie die Verantwortung für die Folgen einer in das Wirtschaftsleben so tief einschneidenden Maßnahme nicht übernehmen könne.“ 6 7
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für öffentliche Arbeiten darüber Rücksprache zu pflegen, ob es zweckmäßig sei, derartige Verfügungen an die Gemeinden vom Staatsamte aus zu erlassen.“ A n g e n o m m e n.11 In den heutigen Tagesblättern war weiter eine Notiz zu lesen, wonach der amerikanische Journalist Hyatt12 sich an den Präsidenten des deutschösterreichischen Staatsrates mit der Bitte gewendet habe, ihm einen Empfang beim ehemaligen Kaiser Karl13 zu erwirken.14 Hyatt sei von dem Präsidenten gut aufgenommen worden und wohl in der Erwägung, daß auch ein Wort des Kaisers günstige Dispositionen für eine Ernährungshilfe Amerikas schaffen könnte, an den Kaiser geleitet worden, der daraufhin Hyatt am 23. November empfangen habe. Diese Darstellung entspricht nicht dem Sachverhalte, sondern der Sachverhalt ist folgender: Hyatt ist im Beisein des Staatskanzlers von mir empfangen worden und hat sich noch wegen seiner eigenartigen Kleidung entschuldigt, wozu er in der Erwägung genötigt gewesen sei, daß in Wien alles drunter und drüber gehe, daß man auf der Straße schieße, daß Straßenkämpfe stattfinden u.s.w. Er sei sehr angenehm überrascht gewesen, daß sich seine Befürchtungen nicht bewahrheitet haben. Er konnte sich auch überzeugen, daß sich alles in vollster Ruhe befindet. In Bezug auf die Ernährungsschwierigkeiten haben wir ihm gesagt, daß es sehr wünschenswert wäre, wenn die amerikanische Presse darauf hinweisen würde. Er teilte uns mit, daß die Ententepresse voll davon sei, daß der Kaiser hier festgehalten und interniert sei, daß man ihm und seiner Familie nicht einmal die notwendige Nahrung und Wäsche belasse u.s.w. Wir haben alle diese Gerüchte als unwahr erklärt. Wir haben gesagt, daß der Kaiser selbstverständlich wie jeder andere Bürger, auf die gleiche Lebensmittelration Anspruch habe und daß uns nicht einmal darüber etwas bekannt sei, daß gegen den Kaiser, wenn er sich im Schleichhandel etwas verschaffen wollte, anders eingeschritten werde als gegen jeden anderen. Wir haben ihn auch aufgeklärt, wie sich das mit der Wäsche verhalten hat. Er fand unsere Aussagen glaubwürdig, sprach aber den Wunsch aus, sich auch hier durch den Augenschein zu überzeugen, und fragte deshalb, ob es gestattet sei, den Kaiser zu besuchen. Wir hatten nichts dagegen, wir erklärten uns sogar bereit, ihm für eine weitere Besichtigungsfahrt einen Wagen zur Verfügung zu stellen. Und dann hat unser Kanzlei direktor durch den Wiener Vertrauensmann des Kaisers Sektionschef Keller15 anfragen lassen, ob der Kaiser den Hyatt empfangen wolle. Der Kaiser hat geantwortet, er werde ihn nur empfangen, wenn seitens des Präsidenten keine Einwendung erhoben wird.16 Der Staatsrat hat seine Meinung dahin ausgesprochen, daß der Kaiser empfangen könne, wen er wolle. Daraufhin hat der Empfang stattgefunden. Der Staatssekretär für öffentliche Arbeiten, Johann Zerdik, gab in der 50. Sitzung des Staatsrates vom 29. November 1918 Aufklärung über die geplante Vollzugsanweisung. 12 Walter S. Hiatt, Journalist, Vertreter der Associated Press in Wien. 13 Karl I, 1916 bis 1918 Kaiser von Österreich, zugleich König von Böhmen (als Karl III.) und von Ungarn und Kroatien (als Karl IV.). 14 Vgl. etwa Neue Freie Presse. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 3 „Ein Gespräch mit Kaiser Karl. Ein Appell des Kaisers an Amerika und die Verbündeten um Nahrungsmittel und Kohle für Deutschösterreich“; Fremden-Blatt, 28. November 1918, S. 4 „Tagesneuigkeiten. Kaiser Karl über unsere Nahrungsmittelnot“. Vgl. dazu auch SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 15 Oskar Ritter von Keller, 10. August 1911 Ernennung zum Hofrat, 18. Mai 1916 Ernennung zum Sektionschef im Ministerium des Inneren, Vizepräsident des Amtes für Volksernährung, ab 1917 Kanzleidirektor des Obersthofmeisteramtes. 16 Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 413/1918, Amtserinnerung, mit welcher ein Telegramm des General adjutanten GM. Freiherrn von Zeidler-Sterneck in Angelegenheit des Empfanges des amerikanischen Publizisten Hiatt hinterlegt wird. Freiherr Egon Zeidler-Daublebsky von Sterneck, 26. November 1916 Zuteilung zur Militärkanzlei, 20. Januar 1917 Stellvertreter des Chefs, 1. Mai 1918 Generalmajor, 8. Mai 1918 Generaldjutant, 18. Mai 1918 Vorstand der Militärkanzlei. 11
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Diesen wahren Sachverhalt habe ich zur Beruhigung der Herren mitgeteilt und ich behalte mir vor, eine solche Mitteilung auch an die Presse gelangen zu lassen.17 T e u f e l: In der 46. Sitzung des Staatsrates habe ich folgenden Antrag gestellt (liest): „Das Staatsamt für Heerwesen wird angewiesen, die volle militärische Ausrüstung für die notwendigen Truppen beizustellen und sofort zu verfügen, daß wenigstens eine Batterie Artillerie mit vier Geschützen nach Znaim abzugehen hat.“18 Hiezu stelle ich heute den A n t r a g: „Der Staatsrat beschließt, diese Angelegenheit könne vom Staatsamte für Heerwesen im eigenen Wirkungskreise entschieden werden.“ A n g e n o m m e n. Präs. S e i t z: Es liegt weiters ein A n t r a g 19 des Herrn Staatsrates Neunteufel vor, betreffend die Untersuchung der Klagen und Anklagen, die gegen militärische Organe während des Krieges und jetzt erhoben worden sind. Ich werde diesen Antrag der H e e r e s k o m m i s s i o n z u w e i s e n. Bei dieser Gelegenheit muß ich folgende Frage klarstellen: Wir kommen jetzt häufig in den Unfug hinein, der im alten Hause bestanden hat, daß Ausschüsse, die nach der Geschäftsordnung nur dazu eingesetzt sind, um ihnen zugewiesene Vorlagen zu beraten, wobei sie allerdings das Recht haben, wenn sie in der diese Materie betreffenden Vorlage noch einen selbständigen Antrag stellen wollen, einen solchen auch zu stellen, dennoch vollkommen selbständige Anträge an das Haus überreichen.20 Das wäre heute eine ungeheure Gefahr. Ich bitte zu bedenken, wohin wir kommen würden, wenn neben dem Staatsrate und seinen Kommissionen und neben den Abgeordneten im Hause noch ein jeder Fachausschuß des Hauses die Initiative ergreifen kann. Nach der gegenwärtig bestehenden Geschäftsordnung ist die Sache so, daß ein Mitglied des Staatsrates hier einen Initiativantrag stellt, der dann der betreffenden Kommission zugewiesen wird. Das habe ich in dem vorliegenden Falle getan. In einer diesbezüglichen Meldung der „Arbeiter-Zeitung“ vom 29. November heißt es nach einer kurzen Darstellung des Sachverhaltes, die im Wesentlichen der vorliegenden Schilderung von Seitz entspricht: „Die Präsidenten haben den Empfang also nicht ‚erwirkt‘, auch keine ‚Bitte weitergeleitet‘. Es war auch weder der Präsident noch der Staatsrat der Ansicht, das Wort des Ex-Kaisers könne günstige Dispositionen in Amerika schaffen.“ Vgl. Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 29. November 1918, S. 5 „Tagesneuigkeiten. Der Empfang eines amerikanischen Journalisten in Eckartsau“. 18 Vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 19 Beilage 49/IV: Antrag Neunteufel (1½ Seiten). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt weitgehend mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. In einer darin enthaltenen handschriftlich gestrichenen Passage, die nicht im Beschlußprotokoll aufscheint, wird erläutert, daß der Heeresausschuß der Provisorischen Nationalversammlung die Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung „aller jener Klagen und Anklagen, welche gegen militärische Organe während des Krieges erhoben wurden und noch erhoben werden“ veranlaßt habe und in diesem Zusammenhang in Aussicht gestellt habe, das November-Avancement der Offiziere zurückzuhalten. Die Einrichtung der Kommission gelang allerdings nicht, da dem Ausschuß das Recht zur Einbringung eines Initiativantrages nicht zugestanden worden war. Der vorliegende Antrag forderte nun den Staatsrat zur Einsetzung einer solchen Kommission auf. Vgl. weiter SRP Nr. 64/IIIc vom 10. Jänner 1919. Zur Behandlung in der Provisorischen Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 9. Sitzung am 12. Dezember 1918, Zuweisung an den Ausschuß für Heerwesen, S. 315; 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, Bericht sowie zweite und dritte Lesung, S. 376–396; StGBl. Nr. 132, Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Feststellung und Verfolgung von Pflichtverletzungen militärischer Organe im Kriege, ausgegeben am 24. Dezember 1918. 20 Seitz bezieht sich hier auf die in der schriftlichen Begründung zum Antrag Neunteufel enthaltene Beschwerde, daß sich die Vorbereitungen zur Einrichtung einer Untersuchungskommission verzögert hätten, da dem Heeresausschuß der Provisorischen Nationalversammlung das Recht zur Stellung von Initiativanträgen aberkannt worden sei. 17
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[2] Die Verhandlung über das Grundgesetz über das deutschösterreichische Volksheer wird von der T a g e s o r d n u n g a b g e s e t z t.21 T e u f e l: Neuerlich wurden mehrere Orte in der Umgebung von Znaim und Deutschsüdmähren durch tschechoslovakische Truppen besetzt.22 Trotz meiner wiederholten Bitten ist von Seite des Staatsamtes für Heerwesen noch nichts dagegen veranlaßt worden. Ich ersuche daher noch einmal das Staatsamt für Heerwesen, die Sache so rasch als möglich durchzuführen und die Bewilligung zu erteilen, daß wir Offiziersregimenter formieren.23 Wir brauchen verläßliche Elemente, und diese sind im Offizierskorps zu finden. Wenn mir der Staatsrat nicht hilft, so werde ich die Sache selbst in die Hand nehmen und diese Regimenter sofort bilden. Wenn man die Rote Garde24, wenn man die Herren aus Galizien25 sich in Formationen zusammenfügen läßt, die die ganze Demokratie versauen, so muß man auch uns diese Bewilligung erteilen. Präs. S e i t z : Ich muß diesen Ausdruck „versauen“ rügen. T e u f e l: Ich stelle den A n t r a g26: Der Staatsrat wolle beschließen, daß der Aufstellung von Offiziersregimentern nichts im Wege steht. Präs. S e i t z: Das Präsidium hat bereits die Verfügungen an den Oberbefehlshaber erlassen, die sich aus der Annahme des Antrages Teufel ergeben. Wir werden wahrscheinlich die Sache so machen, daß, wenn der Staatsrat einen solchen Auftrag beschließt, derjenige Präsident, der im Staatsrate den Vorsitz führt, einen Befehl unterzeichnet und an den Oberbefehlshaber weiter gibt; dieser Befehl findet dann die Gegenzeichnung der anderen Präsidenten. Wir sind bereits zu einer Formulierung dieses Befehles gekommen, der dann wieder dem Staatsamte für Äußeres vorgelegt werden muß. Diese Fühlungnahme zwischen dem Staatsamte für Äußeres und dem Staatsamte für Heerwesen ist in diesem Falle unbedingt notwendig, denn wir können insbesondere mit Rücksicht darauf, daß in Bezug auf die Abgrenzung der Gebiete unsere Auffassung von der der Tschechen oft sehr verschieden ist, doch nicht plötzlich das Staatsamt für Äußeres vor die Tatsache stellen, daß wir einige Bataillone in dieses Gebiet geschickt haben. Ich glaube, daß der Antrag des Staatsrates Teufel der Heereskommission zuzuweisen ist. Die betreffenden Gesetzesentwürfe wurden in der 50. Sitzung des Staatsrates vom 29. November 1918 behandelt. 22 Zur Schilderung der Besetzung deutschösterreichischer Orte in Südmähren und der Umgebung von Znaim durch tschechoslowakische Truppen vgl. Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Zürich/Leipzig/Wien 1925, S. 69 f sowie SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 23 Zur folgenden Debatte über die Aufstellung von Offiziersregimentern vgl. Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, S. 62. 24 Zur Roten Garde vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 25 Teufels Äußerung bezieht sich vermutlich auf die nach Deutschösterreich geflüchteten galizischen Juden. Vgl. hierzu auch die Wortmeldung von Staatsrat Wolf in der Debatte der Provisorischen Nationalversammlung zum Staatsbürgerschaftsgesetz in Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, S. 179–181. Möglicherweise meinte Teufel aber auch konkret die „zionistische Garde“, die sich Anfang November 1918 aus demobilisierten jüdischen Soldaten formiert und dem jüdischen Nationalrat unterstellt hatte. Vgl. dazu und zum jüdischen Nationalrat SRP Nr. 18 vom 5. November 1918; John Bunzl, Klassenkampf in der Diaspora. Zur Geschichte der jüdischen Arbeiterbewegung, Wien 1975. Zu jüdischen Flüchtlingen vgl. Marsha L. Rozenblit, Der Habsburg-Patriotismus der Juden, in: Helmut Rumpler (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band XI: Die Habsburgermonarchie und der Erste Weltkrieg. 1. Teilband: Der Kampf um die Neuordnung Mitteleuropas. Teil 2: Vom Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn zum neuen Europa der Nationen, Wien 2016, S. 887–917, hier S. 900–909. 26 Beilage 49/V: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. 21
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T e u f e l: Ich muß mich dagegen wenden. Es ist absolut nicht notwendig, daß sämtliche Initiativanträge den Kommissionen zugewiesen werden. Ich stelle vielmehr den A n t r a g, daß mein vorliegender Antrag ohne Zuweisung an die Heereskommission sofort hier beraten und zum Beschlusse erhoben wird. Ich möchte dann geschäftsordnungsmäßig noch etwas feststellen. Irgendeine Meinungsäußerung meritaler Natur steht dem Präsidenten nicht zu. Will er das tun, so soll er den Vorsitz für diese Zeit abgeben. Der gegenwärtige Herr Präsident macht das aber immer so, so daß dies ein ganz inobjektiver Vorsitz ist. Präs. S e i t z: Es liegt mir vollkommen ferne, irgendwie in das Meritorische einzugreifen. Wenn ich als Vorsitzender spreche, so handelt es sich immer nur um Festlegung von Kompetenzfragen oder um ein Eingreifen im Sinne der rascheren Erledigung des Gegenstandes. L e u t h n e r: Die Forderung nach Bildung von Offiziersregimentern ist eine so weitgehende und birgt solche Gefahren in sich, daß wir im Staatsrate darüber nicht ohne weiteres beschließen könnten, sondern daß die Angelegenheit an die Parteien geleitet werden müßte. Ein Teil der Offiziere ist in einer Stimmung, die die Möglichkeit in sich birgt, daß solche Offiziersregimenter zu einem Zentrum konterrevolutionärer Handlungen werden. Wenn ein solcher Antrag hier angenommen werden sollte, müßten wir uns überlegen, ob wir unter solchen Umständen unsere weitere Mitarbeit fortsetzen könnten. T e u f e l: Bezüglich der Roten Garde wurde uns seinerzeit die Zusicherung gegeben, daß sie keine gegenrevolutionären Tendenzen habe. Wir haben aber gleichwohl gesehen, daß sie versucht hat, die vom Nationalrat eingesetzte Regierung zu stürzen.27 Die Taktik der Sozialdemokratie, jedesmal das Koalitionsverhältnis zu kündigen, wenn ihnen ein Beschluß nicht paßt, ist sonderbar und kann nicht gebilligt werden. Wenn man dem Proletariat und anderen Ständen gestattet, eigene Gruppen innerhalb der Volkswehr28 zu bilden, dann muß es auch den Offizieren möglich sein. Seinerzeit haben die Sozialdemokraten versichert, daß es jeder politischen Richtung freistehen müsse, in der betreffenden Organisation, hier in der Wehrmacht zur Geltung zu kommen. Ich bin kein Monarchist, aber objektiv genommen muß man auch den Monarchisten das Recht geben, ihren Standpunkt zu vertreten. Man kann sich ja gewisse Sicherungen schaffen. Ein überwiegender Teil der Offiziere besteht aus anständigen Leuten mit tiefem nationalen Empfinden. Wir müssen ihnen die Möglichkeit geben, dieses ihr Gefühl zum Nutzen des Vaterlandes betätigen {sic!}. Wenn die Sozialdemokraten drohen, die Koalition zu sprengen, so sagen wir, daß wir uns nicht terrorisieren lassen. Tausende von Offizieren sind demokratisch gesinnt und stehen auf dem Boden der Republik. Es kann eine entsprechende Auswahl getroffen werden. Eine Diktatur des Proletariats erkennen wir in keiner Form an. L e u t h n e r: Offiziersregimenter bergen ohne Zweifel die von mir geschilderten Gefahren. Eine solche Anwerbung eines bestimmten Berufes oder Standes, von dem zweifellos der überwiegende Teil an dem Alten hängt, widerspricht der bisherigen Vorgangsweise. Von einer Diktatur des Proletariats kann keine Rede sein. Es war nur von dem Rechte jeder Partei die Rede, einer Koalition anzugehören oder sie zu verlassen, je nach dem es ihrer Politik entspricht. Eine Offiziersgarde bildet einen reaktionären Mittelpunkt contrarevolutionärer Handlungen. M a y e r: Wir haben uns vom Standpunkte des Amtes für Heerwesen auf den Standpunkt gestellt, daß wir zu einer einheitlichen Volkswehr gelangen müssen und jede Sonderbildung Teufel spielt hier auf die Ereignisse des 12. November 1918 an, wo es im Zuge der Ausrufung der Republik zu einer Schießerei und zur anschließenden Besetzung der Redaktion der „Neuen Freien Presse“ durch Rotgardisten gekommen war. Vgl. SRP Nr. 34 vom 16. November 1918, Nr. 36 vom 18. November 1918. 28 Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 27
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vermeiden sollen. Von diesem Standpunkte aus haben wir uns bemüht, die Rote Garde kalt zu stellen und sie unseren Zwecken dienstbar zu machen, was uns tatsächlich gelungen ist. Die Rote Garde hat sich von den kommunistischen Elementen gesäubert.29 Die Gefahren, die Leuthner sieht, erblicke ich in der Bildung eigener Offiziersabteilungen allerdings nicht. Ein großer Teil der Offiziere hat uns in der allerersten Zeit wertvolle Hilfe beim Bahnhof- und Wachtdienst geleistet. Monarchistische Putsche sind nicht zu fürchten. Man könnte aber, wenn wir eigene Offiziersabteilungen bilden, darin eine ausgesprochene Standeskörperschaft erblicken. Dadurch würden wir den Kampf des Heeresamtes gegen die Stimmung in der Volkswehr, die Offiziere überhaupt auszuscheiden, nur noch erschweren. Wir schaffen dadurch künstlich Gegensätze, und es könnte unter Umständen zu einem Blutbad kommen, das wir nicht verantworten können. Ich erinnere an die Metzeleien in Rußland zwischen der Roten und Weißen Garde.30 Das sollten wir vermeiden. Bei dieser Gelegenheit möchte ich an alle die dringende Bitte richten, alles zu vermeiden, was die Unruhe in den um ihre Existenz besorgten Offizierskreisen noch vermehren könnte. Einzelheiten dürfen nicht generalisiert und in Zeitungsartikeln ohne Beweise breitgetreten werden. Solche Angriffe werden am liebsten ganz unterlassen oder auf das Maß des unbedingt Notwendigen beschränkt. J e r z a b e k: Die Taktik der sozialdemokratischen Partei berührt auch mich sonderbar. So oft vorgeschlagen wird, diese oder jene Elemente zur Verstärkung der Volkswehr zu gewinnen, wird auf die monarchistische Gefahr aufmerksam gemacht. Das Schreckgespenst der monarchistischen Umtriebe spielt heute eine so große Rolle, daß man sogar in öffentlichen Plakaten darauf aufmerksam machen zu müssen glaubt. Bis jetzt ist aber noch in keinem einzigen Falle ein Nachweis solcher Umtriebe gelungen. Man darf sich allerdings nicht wundern, wenn man entsprechende Vorbereitungen zur Bekämpfung des Bolschewismus treffen will. Uns deswegen als Feinde der Republik hinzustellen, geht zu weit. Niemand in Österreich kann ein Regime zurückwünschen, das sich selbst aufgegeben hat, das den Zerfall des Staates herbeigeführt und so viel Schaden gestiftet hat. Offiziersregimenter mit der Begründung abzulehnen, daß sie sich kontrarevolutionär betätigen würden, das entbehrt jeder Begründung. Lassen Sie uns mit den fortwährenden Vorwürfen von monarchistischen Umtrieben endlich in Ruhe! Präs. S e i t z: Da sich der Herr Staatssekretär für Heerwesen gegen den Antrag erklärt hat und der Antragsteller selbst gemeint hat, daß gewisse Sicherungen zu schaffen wären, so halte ich meine Anregung auf Zuweisung dieser Anträge an die Heereskommission aufrecht und bitte diejenigen Herren, welche dafür sind, daß dieser Antrag der Heereskommission mit dem Auftrage zur Berichterstattung zugewiesen werden, die Hand zu erheben. Mit 9 gegen eine Stimme a n g e n o m m e n.31 Ich ersuche den Herrn Dr. Jerzabek, daß in der Sitzung der Heereskommission, die darüber beraten wird, mit Rücksicht darauf, daß es sich hier um Parteigegensätze handelt, alle Parteien vertreten sind. Zur polizeilichen Überwachung der Roten Garde vgl. das umfangreiche Material in AdR, BKA/Inneres, 22/NÖ, StAI, Zl. 563/1918. Vgl. auch SRP Nr. 17 vom 4. November 1918. 30 Im russischen Bürgerkrieg, dessen Beginn entweder bereits mit der Oktoberrevolution 1917 oder im Frühjahr 1918 angesetzt wird, standen sich rote, bolschewistische, und weiße, aus verschiedenen politischen Richtungen zusammengesetzte, konterrevolutionäre Truppen gegenüber. Der auch mit Methoden des Terrors geführte Konflikt, an dem sich auf Seiten der weißen Armee ausländische Kräfte beteiligten, forderte bis zu seinem Ende im Jahr 1920 Millionen von Opfern. Vgl. Evan Mawdsley, The Russian Civil War, Edinburgh 2008. 31 Ein Bericht der Heereskommission über die Aufstellung von Offiziersregimentern konnte nicht eruiert werden, die Thematik kam aber in der 56. Sitzung des Staatsrates erneut zur Sprache, wo sich Präsident Seitz folgendermaßen äußerte: „Offiziersregimenter wegen der Liquidation und Zukunft der Leute unmöglich“. Vgl. SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 29
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R o l l e r verliest den Bericht der Staatsanwaltschaft über die strafgerichtliche Verfolgung der an den Vorgängen vor dem Parlament am 12. November beteiligt gewesenen 3 Zivilpersonen Elfriede Eisner-Friedländer32 und Genossen wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 76 und 83 des Strafgesetzes33 und bemerkt: Eine Verfolgung der den Zivilgerichten unterstehenden entfernteren Beteiligten gegenüber denjenigen, welche die Gewalttätigkeiten selbst begangen haben, ist nicht möglich, wenn nicht zugleich diese Personen verfolgt werden. Ich beantrage34, den Antrag der Staatsanwaltschaft anzunehmen und diese Strafsache niederzuschlagen. M a y e r: Bei der Verfolgung dieser Angelegenheit hat sich gezeigt, daß sich die jungen Leute bei ihrem unüberlegten Schritt der Tragweite ihrer Tat nicht bewußt waren. In der damaligen politischen Begeisterung fühlten sie sich berufen, etwas Positives zu unternehmen. Später allerdings hat sich bei ihnen Reue eingestellt und sie haben in aller Form gebeten, ihnen ihre Unüberlegtheit nicht allzu scharf anzurechnen. Ein allzu scharfes Vorgehen könnte leicht bei der großen Menge den gegenteiligen Erfolg auslösen. Wir sind leider gegenwärtig dazu verurteilt, zu lavieren und können heute nicht mit der sogenannten Energie auf treten. R e n n e r: Die Erbitterung, mit welcher in den ersten Tagen über die Szenen vor dem Parlament geurteilt wurde, muß nun einer objektiveren Beurteilung weichen. Wir haben die Umwandlung der Monarchie in die Republik unter allen Staaten am schmerzlosesten voll zogen. Dies danken wir in erster Linie der ruhigen, überlegten Art unserer Arbeiterschaft. Auch wir haben in gewissem Sinne an jenem Tage ein Verbrechen begangen, das Verbrechen des Hochverrats gegen unsere früheren staatlichen Einrichtungen. Nicht alle Menschen können so ruhig und besonnen sein wie wir. Solche geschichtliche Umwälzungen kann man nicht mit der Denkweise eines Strafrichters beurteilen, sondern mit der eines Historikers. Es war bei uns bloß eine ganz kleine Gruppe von überstudierten und überverhungerten jungen Leuten, die sich haben hinreißen lassen. Die kann man jetzt unmöglich prozessual behandeln. Das allerbeste ist, man schließt das ganze Kapitel und spricht nach vollzogener Bewegung eine Amnestie aus. Dr. J e r z a b e k: Ich bin gewiß der letzte, der nach dem Scharfrichter ruft, aber man muß den Leuten zum Bewußtsein bringen, daß sie eine verbrecherische Tat begangen haben. Deshalb würde es sich empfehlen, zu erklären, daß der Staatsrat nach reiflicher Erwägung und in Ansehung des späteren Verhaltens der Roten Garde35 sich veranlaßt gesehen habe, das Verfahren niederzuschlagen und den Zivilpersonen einen Verweis zu geben. Ruth Elfriede Eisler, geborene Fischer, verh. Friedländer, Gründungsmitglied der KPDÖ, Herausgeberin des kommunistischen Organs „Weckruf“. Sie war bereits polizeilich bekannt, als sie am 14. November 1918 gemeinsam mit Karl Steinhardt verhaftet wurde. Vgl. dazu den Untersuchungsakt der Polizei direktion Wien, der umfangreiches Material, darunter Protokolle mehrerer Zeugenbefragungen enthält in AdR, StAHw, Amtsleitung, GZl. 2.085/1918. Karl Steinhardt, Buchdrucker und Politiker, November 1918 Gründungsmitglied der KPDÖ. 33 Die beiden Paragraphen des Strafgesetzes (RGBl. Nr. 117/1852) definieren den Tatbestand der „öffentlichen Gewalttätigkeit“ folgendermaßen: § 76 verstand darunter das „gewaltsame [...] Handeln gegen eine von der Regierung zur Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten berufene Versammlung“, § 83 bezieht sich auf „gewaltsamen Einfall in fremdes, unbewegliches Gut“. Vgl. dazu Österreichische Gesetzeskunde. Kommentar zum Gebrauch für Nichtjuristen und Juristen, hrsg. von Max Leopold Ehrenreich. Band 2: Das Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Übertretungen, nebst den hiezu erflossenen Nachtragsgesetzen, und die Strafprozeßordnung, erläutert und bearbeitet von Ludwig Altmann und Karl Warhanek, Wien 1911, S. 72. 34 Beilage 49/VI: Antrag Roller (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI. 35 Zur Roten Garde vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 32
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T e u f e l: Für eine Amnestie aus politischen und ethischen Gründen bin ich auch, verwahre mich aber dagegen, daß man in Zukunft Disziplinbruch im Heereswesen pardoniert. Das Heerwesen hat sich an das Gesetz zu halten. Präs. S e i t z: Ich konstatiere die nach der Geschäftsordnung erforderliche Anzahl von 15 Mitgliedern des Staatsrates.36 Der Antrag lautet: Die gegen Elfriede Eisner-Friedländer und Genossen wegen des Verdachtes des Verbrechens nach § 76 und 83 Str. G. eingeleitete Strafverfolgung wird eingestellt. Ich bitte diejenigen Mitglieder, die für diesen Antrag stimmen, die Hand zu erheben. Einstimmig a n g e n o m m e n.37 P a c h e r stellt bezüglich der Verlegung der beiden deutschen Hochschulen in Prag folgenden A n t r a g38: „Der Staatsrat wolle beschließen: Über Anfragen der akademischen Senate der beiden deutschen Hochschulen in Prag bekräftigt der Staatsrat neuerdings den am 11. November 1918 über diese Hochschulen gefaßten Beschluß39 und erklärt: Die Prager deutsche Universität und die Prager Technische Hochschule werden von der Republik Deutschösterreich als deutschösterreichisches Besitztum für jetzt und für alle Zukunft in Anspruch genommen. Deutschösterreich erwartet, daß die tschechoslovakische Nation diese geschichtlichen Kulturstätten in der Zeit des Überganges vor jeder Behelligung und Feindseligkeit bewahren werde. Der Staatsrat behält sich vor, über den künftigen Standort dieser Hochschulen selbst zu entscheiden und beauftragt das Staatsamt für Äußeres behufs Regelung dieser Frage, sofort Verhandlungen mit der tschechoslovakischen Regierung in Prag einzuleiten.40 Von diesem Beschlusse ist je eine Anfertigung an das Rektorat und das Professorenkollegium der beiden Hochschulen zu leiten. Der Beschluß ist in der Presse zu veröffentlichen.“41 Es dürfte sich hier um einen Fehler im Protokolltext handeln. Nach § 15 der Geschäftsordnung des Staatsrates war für seine Beschlußfähigkeit die Anwesenheit von zehn Mitgliedern einschließlich des Vorsitzenden erforderlich. Außerdem wurde bei der kurz zuvor durchgeführten Abstimmung über die Aufstellung von Offiziersregimentern ein Stimmenverhältnis von neun zu eins festgestellt. 37 Zur Einstellung der Strafverfahren vgl. auch KRP Nr. 17/3 vom 28. November 1918. Vgl. weiters AdR, StK, GZl. 758/1918, Zl. 285, Amtsveranlassung wegen Enthaftung der Frau Elfriede Friedländer, geb. Eisler. 38 Beilage 49/VII: StAU, Antrag (1 Seite). Der Inhalt stimmt weitgehend mit dem des Protokolltextes und zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VII. Dem Protokoll liegt außerdem ein ebenfalls dieses Thema betreffender Antrag des Staatssekretärs für Unterricht auf Verlegung der Hochschulen in Prag, Czernowitz und Brünn vom 25. November 1918 ohne Numerierung bei. 39 Vgl. dazu SRP Nr. 30 vom 11. November 1918. 40 Der Kabinettsrat vertrat die Ansicht, daß derzeit Verhandlungen mit der Tschechoslowakei ohne Aussicht auf Erfolg seien, das Staatsamt für Unterricht sollte jedoch die Erstellung eines umfassenden Verzeichnisses aller „in fremdnationalem Gebiet liegenden deutschen Kulturstätten“ in Angriff nehmen. Vorschläge zur Auswahl, der auf deutschösterreichisches Gebiet zu versetzenden Anstalten oder solcher, welche unter Verleihung der Exterritorialität, am Standort belassen, und den Nationalstaaten überlassen werden könnten, sollten unterbreitet werden. Vgl. dazu auch KRP Nr. 16/3 vom 26. November 1918. 41 Vgl. AVA, Unterricht, UM, allg. Akten Fasz. 1.233, Universität Prag, Sign. 5A und A1–A4, Zl. 2.419/1918, Beschluß des Staatsrates hinsichtlich der Inanspruchnahme des Besitzrechtes der Republik Deutschösterreich an den beiden Prager Deutschen Hochschulen; weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 29. November 1918, S. 4 f „Der Staatsrat über die Prager deutschen Hochschulen“ und Wiener Zeitung, 29. November 1918, S. 3 „Die Prager deutschen Hochschulen“; Neue Freie Presse. Morgenblatt, 15. Dezember 1918, S. 7 „Die Verlegung der deutschen Hochschulen in Prag, Brünn und Czernowitz“. 36
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Dr. D i n g h o f e r: Ich stelle den A n t r a g, daß diese Zuschrift auch auf die deutsche technische Hochschule in Brünn ausgedehnt werde. (Rufe: Brünn gehört ja zu Deutschösterreich!) Pardon, das habe ich übersehen.42 Wir haben erklärt, daß wir von diesen Hochschulen Besitz ergreifen, wir haben daher auch für den weiteren sachlichen und personellen Aufwand aufzukommen und ebenso auch die Akten, die von diesen Hochschulen kommen, zu erledigen. Ich möchte den Herrn Staatssekretär für Unterricht ersuchen, an die angestellten Organe entsprechende Weisungen zu geben. Dr. R e n n e r: Bezüglich der Universität in Czernowitz habe ich mitzuteilen, daß die Bukowinaer Deutschen mit den Rumänen einen Vertrag geschlossen haben, worin sich die Rumänen verpflichten, die Universität als eine deutsche zu erhalten, und über sie selbst verfügt haben.43 Ich glaube daher, daß diese Zuschrift auf die Universität in Czernowitz nicht auszudehnen ist, denn wenn es uns möglich ist, die Universität dort zu erhalten, so wäre das für uns sehr wertvoll. Die Anträge Pacher44 werden a n g e n o m m e n. Dr. R e n n e r: Das gestern in der Nationalversammlung beschlossene G e s e t z ü b e r d i e d e u t s c h ö s t e r r e i c h i s c h e S t a a t s b ü r g e r s c h a f t liegt dem Staatsrate zur Bekräftigung vor.45 Wir haben den Usus und sind gesetzlich dazu verhalten, jeden Beschluß, den das Haus gefaßt hat, zu bekräftigen und zu beurkunden. Nun ist der letzte Beschluß im Hause, wonach auch derjenige, der in Deutschösterreich heimatberechtigt ist, noch kein Staatsbürgerrecht hat, außer wenn er vorher bei der Bezirkshauptmannschaft eine entsprechende Erklärung abgibt, ganz unmöglich, denn an dem Tage, wo das Gesetz kundgemacht wird, haben wir überhaupt keine Staatsbürger.46 Dieser Beschluß veranlaßt mich, noch einmal an die Herren die Mahnung zu richten, nicht hinterher so viele Beschlüsse umzuwerfen. Die Nationalversammlung bringt sich dadurch vor der ganzen Welt um allen Kredit und macht sich vor der Juristenwelt und den eigenen Beamten lächerlich. Gerade dieses Staatsbürgergesetz ist mit der größten Sorgfalt in Gegenwart aller Parteien in der Kommission und im Ausschusse beraten worden. Nun ist der Staatsrat gezwungen, zu erklären, daß er dieses Gesetz nicht vollziehen kann und daß er das Haus um die Reassumierung47 dieses Beschlusses bitten muß. Das ist sehr peinlich. Dr. S c h o e p f e r: Die Reassumierung dieses Gesetzes ist auch schon deshalb notwendig, weil in demselben die Ladiner vergessen worden sind.48 Die deutsche Technische Hochschule in Brünn wurde vom tschechoslowakischen Staat als Staatseigentum behandelt. Vgl. dazu KRP 20/9 vom 2. Dezember 1918. 43 Hinweise auf einen entsprechenden Vertrag konnten nicht eruiert werden. In einem Situationsbericht der Universität Czernowitz vom 29. November 1918, heißt es hingegen vielmehr „Die Universität erscheint als ein verlorener Posten.“ Das Staatsamt für Unterricht ersuchte demgemäß um Aufklärung, betreffend die Existenz eines entsprechenden Vertrages. Vgl. AVA, Unterricht/Präsidium, StAU, Zl. 189/1918, Bericht über die derzeitigen Verhältnisse an dieser Universität. 44 Im Original ursprünglich Pacher und Dr. Dinghofer. 45 Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung vom 27. November 1918, zweite und dritte Lesung, S. 174–184. 46 Dieser Umstand ergab sich aus dem von der Nationalversammlung angenommenen Zusatz zum § 1 des Gesetzes über das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht, in welchem zusätzlich zur Heimatberechtigung ein Bekenntnis zur deutschen Nation zur Voraussetzung der Erlangung der Staatsbürgerschaft festgesetzt worden war. Vgl. dazu SRP Nr. 42/2 vom 22. November 1918. 47 Reassumieren: (das Verfahren) wiederaufnehmen. 48 Die Vollzugsanweisung des Staatsrates vom 3. Jänner 1919 umfaßte das geschlossene deutsche und ladinische Sprachgebiet Tirols. Vgl. Hanns Haas, Südtirol 1919, in: Anton Pelinka/Andreas Mais42
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Was das Zustandekommen der Gesetze anbelangt, so muß ich sagen, daß unsere Einrichtungen ungenügend sind. Früher war ein Regierungsvertreter anwesend, der namens der Regierung jedesmal aufmerksam gemacht hat, wenn ein Antrag gestellt wurde, den er nicht für durchführbar hielt. Dann konnte man immer noch dazu Stellung nehmen. Heute aber ist alles überhastet. T e u f e l: Ich muß festhalten, daß hier eine Differenz in der Anschauung des Präsidenten und des Staatskanzlers besteht. Als vor einigen Tagen vier von der Nationalversammlung beschlossene Gesetze zur Bekräftigung vorlagen, hat der Präsident sie abgelehnt. Es wurde diesbezüglich im Protokolle richtiggestellt. Das muß festgehalten werden. Entweder gilt diese Meinung oder eine andere. Es kann doch nicht im Protokolle festgelegt werden, daß eine Bekräftigung, die es nicht gibt, wieder umgeändert werde. Ich möchte also bitten, daß im Protokolle festgelegt werde, daß der Staatsrat nunmehr die Bekräftigung eines jeden Gesetzes für sich in Anspruch nimmt. Präs. S e i t z: Der Staatskanzler hat nicht von einem Bekräftigen gesprochen, sondern er hat gesagt, er sei der Ansicht, daß der Staatsrat nun die Verpflichtung habe, dieses Gesetz zu beurkunden und durchzuführen, er meine aber, daß der Staatsrat das praktisch nicht könne, weshalb er um die Reassumierung ansuchen müsse. In dieser Fassung halte ich den Antrag des Staatskanzlers für möglich. Was ich aber nicht für möglich halten würde, wäre ein Antrag, der dahin ginge, der Staatsrat ist nicht in der Lage, den Beschluß zu bekräftigen. Eine Bekräftigung halte ich nicht für zulässig. Der Antrag des Staatskanzlers geht dahin: Der Staatsrat wolle beschließen: Es wird die Nationalversammlung mit Rücksicht darauf, daß der Staatsnotar nicht in der Lage ist, diesen Beschluß zu beurkunden, und der Staatsrat nicht in der Lage wäre, ihn durchzuführen, gebeten, ihn zu reassumieren. L u k s c h: Eine Reassumierung ist unbedingt notwendig weil ein Widerspruch zwischen § 1 und § 2 besteht.49 Die Konsequenz der Bestimmung, daß man sich als deutscher Staatsbürger bekennen muß, für Mähren und die Sudetenländer ist außerordentlich. Dann müßten sich von den 3½ Millionen Deutschen in den Sudetenländern die Hälfte als Czechen eintragen lassen, um ihre staatsbürgerlichen Rechte zu bekommen. W o l f beantragt, den Abgeordneten Kemetter50 zu befragen, wie er sich die Durchführung seines Antrages denke.51 R e n n e r stellt den Antrag, diesen Gegenstand zu vertagen mit Rücksicht auf die Dringlichkeit der Behandlung des Vertrages mit Ungarn. linger (Hg.), Handbuch zur Neueren Geschichte Tirols. Band 2: Zeitgeschichte. 1. Teil: Politische Geschichte, Innsbruck 1993, S. 95–130, hier S. 102 f. Zur ladinischen Volksgruppe in der Habsburgermonarchie vgl. Wolfdieter Bihl, Notizen zu den ethnischen und religiösen Splitter-, Rest- und Sondergruppen in den habsburgischen Ländern, in: Adam Wandruszka/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band III: Die Völker des Reiches. 2. Teilband, S. 949–974, hier S. 962–965. 49 Luksch bezieht sich hier auf das bereits erwähnte in § 1 enthaltene Bekenntnis zur deutschen Nation als Voraussetzung zur Erlangung der Staatsbürgerschaft und auf § 2, welcher denjenigen Personen, die zum im Gesetz angegebenen Stichtag ihren Wohnsitz in einer außerhalb des nunmehrigen österreichischen Staatsgebietes, aber innerhalb des Gebietes des alten Österreich mit Ausnahme von Dalmatien, Istrien und Galizien hatten und diesen innerhalb eines Jahres ab der Erlassung des Gesetzes nach Österreich verlegten, die Möglichkeit einräumte, die Staatsbürgerschaft zu erlangen. 50 August Maria Kemetter, 23. Jänner 1919 bis 14. März 1919 Ersatzmann des Staatsrates, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten. 51 Der hier diskutierte strittige Zusatz zu § 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes ging auf einen Antrag des Abgeordneten Kemetter zurück, den dieser in die 6. Sitzung der Nationalversammlung eingebracht hatte. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 6. Sitzung am 27. November 1918, S. 183.
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A n g e n o m m e n.52 R i e d l berichtet über einen am 25. November in Budapest wegen gegenseitigen Kompensationsverkehrs abgeschlossenen Vertrag.53 Auf ungarischer Seite wurde unter Führung des Herrn Diner-Dénes54, auf österreichischer Seite des Herrn Dr. Josef Krantz55 von Delegierten des Staatsamtes für Volksernährung und des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft verhandelt. Von den im Vertrag festgesetzten Bestimmungen sind es insbesondere zwei, die das Maß unserer Leistungen wesentlich erhöhen. Es ist dies erstens die Bestimmung, daß jene Waren, die von ungarischen Staatsangehörigen in Österreich angekauft und bezahlt worden sind, so weit sie nicht auf Grund von Zwangsverordnungen der staatlichen Bewirtschaftung unterliegen, durchgelassen56 werden sollen.57 Für gewisse Gruppen von Artikeln haben wir eine vollständige staatliche Bewirtschaftung, so daß gewisse Quantitäten noch vorhanden sind, die jetzt herauskommen. Es ist nun die Gefahr vorhanden, daß durch diese Bestimmung unserem Konsum die Möglichkeit seiner Befriedigung in einem Maße entzogen wird, die mit der Gegenleistung in keinem Verhältnisse steht. Viel bedenklicher ist eine weitere Bestimmung, welche lautet: Waren und Gegenstände, welche unter der Verwaltung des ehemaligen Kriegsministeriums stehen oder standen, d. h. Eigentum der k.u.k. Heeresverwaltung waren, können nicht als Kompensationsartikel geliefert werden.58 Das ist kaum zu akzeptieren und würde ungeheuer präjudiziell gegenüber allen anderen Staaten sein. Ich habe den Grundsatz vertreten, daß wir nicht von vornherein das Recht der anderen Staaten anerkennen können, quotativ an den Heeresgütern in natura beteiligt zu werden. Wir anerkennen unsere Pflicht auf eine Verrechnung des Erlöses, aber nicht das Recht auf quotative Beteiligung in natura, weil massenhafte Güter, die im Gebiete des jugoslavischen Staates und Galiziens vorhanden gewesen sind, einer solchen Verteilung Vgl. dazu SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Der Vertrag liegt dem Protokoll nicht bei, findet sich aber, neben umfangreichem Material zu den entsprechenden Abkommen mit Ungarn, in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Ernährungswesen Ungarn 1, Lebensmittelabkommen mit Ungarn: Kompensationen, Zl. 2.295/10/1918, Ungarisches Austauschabkommen. Die ungarische Regierung genehmigte den Vertrag am 15. Dezember 1918. Am 20. Dezember 1918 wurde dieser durch einen Nachtrag zum Übereinkommen erneut modifiziert. Zu Lebensmittelverhandlungen mit Ungarn vgl. KRP Nr. 8/5 vom 11. November 1918, Nr. 10/1 vom 13. November 1918 und Nr. 11/4 vom 15. November 1918, Nr. 14/14 vom 21. November 1918 und Nr. 17/5 vom 28. November 1918 sowie SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 54 Josef Diner-Dénes, sozialdemokratisch ausgerichteter Journalist und Soziologe, Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen, November 1918 bis 1919 ungarischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, lebte danach in Berlin und Paris. 55 Dr. Josef Kranz, nach 1918 Präsident der Depositenbank, danach Tätigkeit als Anwalt. Zu den Diskussionen über die Bestellung von Kranz als Bevollmächtigter Deutschösterreichs bei den Lebensmittelverhandlungen mit Ungarn vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 56 Im Original ursprünglich geliefert. 57 Hier ist Punkt eins des Übereinkommens gemeint, welcher folgendermaßen lautete: „Waren, die durch ungarische Staatsangehörige in Deutsch-Österreich gekauft und bezahlt wurden und deren Transport verhindert wurde, sind, soweit dieselben nicht auf Grund bestehender Zwangsverordnungen staatlich bewirtschaftet sind, durchzulassen. Dasselbe gilt für Waren, die ungarische Staatsangehörige im Auslande gekauft und bezahlt haben und die an der deutsch-österreichischen Grenze zurückgehalten wurden. Ebenfalls sind solche Waren freizugeben, die zur Veredelung oder zur Verarbeitung nach Österreich gesendet wurden.“ 58 Hier ist Punkt fünf des Übereinkommens gemeint, der folgendermaßen lautete: „Waren und Gegenstände, welche unter der Verwaltung des ehemaligen Kriegsministeriums stehen oder standen, d.h. die das Eigentum der k.u.k. Heeresverwaltung waren, können nicht als Kompensationsartikel geliefert werden.“ 52 53
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zu unseren Gunsten nicht unterzogen worden sind. Wir sind unter allen Gebieten der ehe maligen Monarchie das an Rohstoffen ärmste. Wir sollen nun von dem, was uns der Zufall in die Hand gegeben hat, an unsere besser situierten Nachbarn abgeben. Das wäre ein Präjudiz schwerster Art bei den Verhandlungen mit den anderen Staaten. (Verliest die Preisbestimmungen.)59 Ich habe, nachdem ich diesen Vertrag gelesen hatte, offen erklärt, daß ich nicht in der Lage bin, ihn zu unterzeichnen, wenn ich nicht durch einen Staatsratsbeschluß dazu den Befehl bekomme. W a l l e r s t o r f e r60: Auch wir sind überzeugt, daß dieser Vertrag nicht günstig ist. Wir befinden uns aber in einer Notlage. Da wir absolut nicht damit rechnen können, von der Entente in absehbarer Zeit mit Fleisch beliefert zu werden, so sind wir nicht in der Lage, wenn wir diesen Vertrag nicht unterschreiben, in der nächsten Zeit an die Bevölkerung Fleisch auszugeben.61 Dieser Vertrag ist aber im Grunde doch nicht so außerordentlich ungünstig wie er aussieht. Wir haben bereits am 19. November mit Ungarn einen Vertrag abgeschlossen62, in dem sich verschiedene Punkte befinden, die hier übernommen worden sind. Dieser Vertrag ist nur die Fortsetzung des früheren, und es ist daher alles das miteinzurechnen, was im November bis jetzt geliefert wurde. So stellt sich die Sache schon etwas mehr zu unseren Gunsten. Bezüglich des Durchlassens von Waren wird sich wohl ein Mittel finden, um den Transport etwas einzuschränken, ohne gerade vertragsbrüchig zu werden. Der Vertrag gilt nur bis 31. Dezember; was bis dort nicht geliefert ist, daran sind wir nicht gebunden. Es handelt sich ja eigentlich da nur um wenige Tage, denn bis dieser Vertrag den ungarischen Kaufleuten bekannt ist, bis sie heraufkommen und Schlüsse machen, vergeht eine ziemlich lange Zeit. Was die Waren vom Kriegsministerium anbelangt, so war dieser Punkt auch im früheren Vertrage enthalten. Bezüglich der Preise der Produkte mache ich aufmerksam, daß die Ungarn nicht in der Lage sind, uns ihre Artikel zu hohen Preisen anzuhängen. Bezüglich der Vorbehalte der Ungarn bei der Lieferung erklärten die Teilnehmer an der Konferenz, daß die Ungarn sich in einer höchst ungünstigen Situation befinden. Sie können nicht eine bindende Verpflichtung abgeben, das zu liefern, weil sie selbst nicht recht wissen, ob sie die Artikel in die Hand bekommen. Wir werden sie aber immer bekommen, u. zw. im Wege der deutschen Bauernschaft in Ungarn. Die Vertreter haben erklärt, daß die Ungarn die beste Absicht haben, uns zu liefern, soviel sie nur können. Die Sache hat auch eine gewisse politische Bedeutung. Es wurde den Unterhändlern eine Äußerung des ungarischen Staatsamtes für Äußeres, des Herrn Diner-Dénes, und eine Die zur Verlesung gelangten Preisbestimmungen liegen dem Protokoll nicht bei. Richtig: Norbert Wallenstorfer. Zu seiner Bestellung zum Unterstaatssekretär für Volksernährung vgl. SRP Nr. 41 vom 21. November 1918. 61 Die bereits unmittelbar nach dem Waffenstillstand begonnenen Verhandlungen mit der Entente über die Lieferung von Lebensmitteln, befanden sich nach einer anfänglichen, allerdings wenig konkreten Zusage von amerikanischer Seite Ende November 1918 noch in der Schwebe. Die für diese Verhandlungen in die Schweiz entsandte österreichische Delegation konnte Ende Dezember 1918 eine konkrete Abmachung erreichen. Vgl. Mitteilungen des Staatsamtes für Volksernährung über die Verhandlungen mit den alliierten Hauptmächten über die Lebensmittelversorgung der Republik Österreich in der Zeit vom Dezember 1918 bis Anfang Oktober 1919, Wien 1920, S. 7–11; Hans Loewenfeld-Russ, Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920. Herausgegeben und bearbeitet von Isabella Ackerl, Wien 1986, S. 230–232. 62 Ein entsprechender Vertrag konnte nicht eruiert werden. Dem bereits erwähnten Abkommen vom 25. November 1918 ging allerdings eine am 5. November 1918 abgeschlossene Übereinkunft voraus, die hier möglicherweise gemeint sein könnte. Vgl. AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Ernährungswesen Ungarn 1, Lebensmittelabkommen mit Ungarn: Kompensationen, Zl. 2.689/10/1918 und Zl. 746/10/1919, Ungarns Lebensmittellieferungen an Deutschösterreich. 59 60
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Äußerung des Grafen Károlyi63 mitgegeben und gebeten, dieselben, wenn dieser Vertrag angenommen wird, auch hier zu verlautbaren. Die Ungarn wollen sich mit uns auf einen möglichst guten Fuß stellen. (Verliest die beiden Äußerungen)64 Das ist eine rein politische Sache, über die mir kein Urteil zusteht. Auch die Czechen und Polen stehen in Unterhandlungen mit Ungarn. Wir wissen nicht, welche Kompensationen diese bieten werden. Durch eine Verzögerung des Vertrages erschweren wir unter Umständen unsere Position. Ich bin beauftragt, im Namen des Staatssekretärs zu erklären, wenn die Herren den Vertrag ablehnen zu müssen glauben, dann ist er nicht in der Lage, für die Ernährung der Bevölkerung im Monat Dezember aufzukommen65, nachdem wir weder von den Czechen noch von den Polen noch von der Entente im Monat Dezember oder Jänner etwas erlangen können. Wenn wir diese Fleischwaren bekommen, sind wir im Dezember und Anfang Jänner mit Fleisch und Fett versorgt. Vielleicht kommt uns dann die Entente zu Hilfe, oder wir schließen einen neuen Vertrag unter günstigeren Bedingungen mit Ungarn. Ungarn hat sich bereit erklärt, sofort alles, was greifbar ist, zunächst ziemlich große Mengen an Kartoffeln, in Bewegung zu setzen, die in ein bis zwei Tagen eintreffen könnten. Das Staatsamt für Volksernährung und für Sachdemobilisierung werden gewiß einen Vorwand finden, wie wir den Ungarn nur in dem Maße, als sie uns liefern, etwas zukommen lassen können. Ich bitte im Namen des Staatsamtes, aber auch der gesamten Bevölkerung, um Annahme dieses Vertrages. Wenn wir dieses Fleisch nicht bekommen, so können wir der Bevölkerung keinen Ersatz für Kartoffel oder Mehl bieten. Dann sind wir nicht in der Lage durchzuhalten. S e i t z: Hat sich der Kabinettsrat mit der Angelegenheit befaßt? Was sagen unsere Direktoren?66 R i e d l: Nein, sie wurde gleich in den Staatsrat geleitet. W a l l e r s t o r f e r: Was die Herren Direktoren betrifft, so waren diese über den Vertrag ebenso wenig erfreut wie wir. Nach der gesamten Ernährungslage haben sie aber eingesehen, daß nichts übrig bleibe als in diesen Vertrag einzugehen. W o l f wendet sich gegen die Bestimmung, daß die Zahlung in Schweizer Valuta erfolgen soll. Michael (Mihály) Graf Károlyi von Nagykároly, 31. Oktober 1918 bis 11. Januar 1919 ungarischer Ministerpräsident, 31. Oktober bis 5. November 1918 mit den auswärtigen Angelegenheiten betraut, 31. Oktober bis 25. November 1918 Finanzminister, 5. November 1918 bis 11. Januar 1919 Außenminister, 12. bis 29. Dezember 1918 Kriegsminister. 64 Die beiden Äußerungen liegen dem Protokoll nicht bei. 65 Im Original ursprünglich zu sorgen. 66 Gemeint sind hier offenbar die Ernährungsdirektoren im Staatsamt für Volksernährung, Matthias Eldersch, Johann Mayer und Hans Schürff. Vgl. dazu VAP Nr. 3 vom 23. Oktober 1918 und Nr. 5 vom 24. Oktober 1918 sowie Nr. 7 vom 25. Oktober 1918. Matthias Eldersch, 1919 bis 1923 Mitglied des Wiener Gemeinderates, SdAP, 4. März 1919 bis 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 9. Mai 1919 bis 7. Juli 1920 Staatssekretär für Inneres und Unterricht. Johann Mayer, 1890 bis 1922 mehrmals Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 5. November 1918 bis 10. November 1920 Landeshauptmannstellvertreter von Niederösterreich, 10. November 1920 bis 9. Juni 1922 Landeshauptmann. Dr. Hans Schürff, 1910 bis 1923 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Mödling, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 12. November 1918 bis 14. März 1919 Ersatzmann des Staatsrates, 4. März 1919 bis 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung. 63
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W a l l e r s t o r f e r klärt auf, daß es sich nur um fünf Millionen handelt, die in Schweizer Francs zu erlegen, wir uns bemühen sollen.67 T e u f e l: Der Punkt über die Gemeinsamkeit der Heeresartikel ist absolut nicht anzunehmen. Ich stelle den Antrag, den Vertrag zu genehmigen mit Ausnahme dieses Punktes und über diesen Punkt zu verhandeln. Den Vertrag akzeptiere ich, weil das Volksamt erklärt, die Bevölkerung sonst nicht ernähren zu können. Unter diesem Druck müssen wir den Vertrag akzeptieren. R i e d l: Eine Ablehnung des Punktes hätte eine verschärfte Geltendmachung desselben auf der Gesandtenkonferenz zur Folge. Präs. S e i t z regt an, den Staatsrat Langenhan, der mit dem Ministerpräsidenten Károlyi persönlich befreundet sei, nach Budapest zu schicken, um über diesen Punkt Verhandlungen zu führen. R i e d l schließt sich dieser Anregung an. Man möge Dr. v. Langenhan die Vollmacht zur Fertigung des Vertrages mitgeben und er möge versuchen, diesen Punkt unter Hinweis darauf, daß derselbe ein gefährliches Präjudiz gegenüber den anderen Staaten wäre, zu eliminieren. Wir können Ungarn aufmerksam machen, daß das in seinem eigenen Interesse liegt, wenn dieser Punkt ausgeschaltet wird, weil sonst die anderen Nationen ähnliche Ansprüche erheben und wir dann Ungarn umso weniger geben können. W a l l e r s t o r f e r: Die tschechischen Unterhändler sind jetzt auch in Ungarn. Sie werden uns also, wenn wir diesen Vertrag nicht annehmen, alles wegnehmen. Wenn jemand hinunterfährt und gegen diesen Punkt 5 Bedenken vorbringt, so werden die Ungarn ihn vielleicht eliminieren. Sie werden sich aber bestimmt nicht verpflichten, diese Frage bei der nächsten Gesandtenkonferenz nicht anzuschneiden, und das wird vor allen anderen Vertretern geschehen, die wir dann alle gegen uns haben. Wenn wir aber den anderen Weg einschlagen, so wird das vielleicht eine Sache zwischen Österreich und Ungarn allein bleiben. Die Sache drängt sehr, denn jeder Tag ist eine Verzögerung und jede Verzögerung des Transportes an Lebensmitteln birgt eine gewisse Gefahr in sich. Die Herren, die unten waren, haben gesagt, es war unmöglich, etwas anderes zu erreichen, als sie erreicht haben. T e u f e l: Ich ziehe meinen Antrag zurück. Präs. S e i t z: Da, wie ich höre, das Staatsamt des Äußern mit dieser Frage noch nicht befaßt worden ist, so muß es, um die Form einzuhalten, vorher noch telephonisch verständigt werden. Wir werden also den Beschluß folgendermaßen formulieren: Der Vertrag wird vorbehaltlich der Zustimmung des Staatsamtes für Äußeres genehmigt. T e u f e l: Wir haben uns unter der Pression der traurigen Ernährungslage bestimmen lassen, für den Vertrag zu stimmen, obwohl wir alle gegen ihn sind. Das ist damit motiviert worden, daß sofort telephoniert werden muß, weil der Herr Unterstaatssekretär Wallerstorfer erklärt hat, daß jede Stunde kostbar ist. Darum haben wir gemeint, daß die Entsendung Langenhans unterbleiben soll, weil sonst das telephonische Aviso68 heute nicht mehr in Budapest ist und Gefahr im Verzuge liegt. Die betreffende Passage des Übereinkommens lautete folgendermaßen: „Auf Wunsch der ungarischen Volksregierung wird die österreichische Regierung alles daran setzen, einen Teil der aus diesem Übereinkommen für sie erwachsenden Verpflichtung in Schweizer Valuta (mindestens 5 Millionen France {sic!} zu erlegen.“ Vgl. zu dieser Frage auch AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.156/1918, Übereinkommen zwischen Deutschösterreich u. Ungarn vom 25. November 1918; weiters AdR, StK, GZl. 1.348/1918, Staatsamt der Finanzen, Uebereinkommen mit Ungarn vom 25. November 1918, Unmöglichkeit der Erfüllung einer Bestimmung des Vertrages mit Ungarn über die Beistellung von ausländischer Valuta. 68 Aviso: Anzeige, Ankündigung (einer Sendung an den Empfänger), Mitteilung des Ausstellers eines Wechsels an den Schuldner über die Deckung der Wechselsumme. 67
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F i n k: Ich stehe auf dem Standpunkte des Staatsrats Teufel; wir haben beschlossen gehabt, zu telephonieren. Ich meine nur: Sind die Herren Unterstaatssekretäre nicht der Meinung, daß wir gewissermaßen unter dem Druck der Verhältnisse einen Waffenstillstand abgeschlossen haben und jetzt Milderungen desselben zu erreichen suchen. Präs. S e i t z bringt nach kurzer Wechselrede folgende Anträge zur Abstimmung: Der Vertrag wird unterzeichnet vorbehaltlich der Zustimmung des Staatsamtes des Äußeren. A n g e n o m m e n.69 Antrag Fink: Es wird überdies der ungarischen Regierung mitgeteilt, daß noch heute Dr. v. Langenhan nach Budapest kommen wird, um darauf aufmerksam zu machen, daß es im beiderseitigen Interesse gelegen wäre, die Bestimmung des Punktes 5 des Vertrages, betreffend die Nichtverwendung von Heeresartikeln zu Kompensationszwecken im gegenseitigen Einvernehmen zu eliminieren. A n g e n o m m e n.70 Schluß der Sitzung 8 Uhr abends.
Die ungarische Regierung genehmigte den Vertrag am 15. Dezember 1918. Am 20. Dezember 1918 und 20. Januar 1919 kam es noch zu Änderungen. Der Vertrag war bis zum 31. Januar 1919 gültig und wurde letztendlich trotz der anfänglichen Schwierigkeiten für beide Seiten zufriedenstellend erfüllt. Ungarn lieferte Lebensmittel, Österreich industrielle Waren und Papier. Im Laufe des Jahres 1919 kam es zu weiteren Kompensationsgeschäften zwischen Österreich und Ungarn und im Jahr 1920 konnte ein Handelsvertrag abgeschlossen werden. Zum vorliegenden Vertrag vgl. das Material in AdR, BKA/ AA, Abteilung 14 H-pol, Ernährungswesen Ungarn 1, Lebensmittelabkommen mit Ungarn: Kompensationen; weiters Volkswirtschaftliche Chronik, Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Heft 11, November 1918, S. 330 „Wien, 29. November. Vereinbarungen mit Ungarn über Lebensmittellieferungen“; zur Abwicklung durch das Warenverkehrsbüro vgl. ebd., Heft 12, Dezember 1918, S. 353 „Wien, 30. Dezember. Abwicklung des Kompensationsvertrages mit Ungarn“; Jürgen Nautz, Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit 1918 bis 1938 (= Studien zur Politik und Verwaltung 44), Wien 1994, S. 508–516. 70 Die Reise von Staatsrat Langenhan nach Budapest kam letztendlich nicht zustande. Vgl. SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 69
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285 49. S i t z u n g des Staatsrates vom 28. November 1918. B e s c h l ü s s e: V o r s i t z e n d e r: Präsident Karl S e i t z.
I. Antragsteller: Präsident Karl S e i t z. Antrag: „Mit Rücksicht auf eine Notiz in der heutigen Tagespresse, betreffend den Beschluß der Obmännerkonferenz des Wiener Gemeinderates gegen eine angebliche Verfügung des Staatssekretärs für Öffentliche Arbeiten, betreffend die Einstellung des Betriebes des Gas- und Elektrizitätswerkes und der Straßenbahn, wird der Präsident beauftragt, mit dem Staatssekretär für Öffentliche Arbeiten darüber Rücksprache zu pflegen, ob es zweckmäßig sei, derartige Verfügungen an die Gemeinden vom Staatsamte zu erlassen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Präsidenten Karl S e i t z und an den Herrn Staatssekretär für Öffentliche Arbeiten. II. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Das Staatsamt für Heerwesen wird angewiesen, die volle militärische Ausrüstung für diese Truppen beizustellen und sofort zu verfügen, daß wenigstens eine Batterie Artillerie mit 4 Geschützen nach Znaim abzugeben hat.“ Beschluß: „Der Staatsrat beschließt, diese Angelegenheit könne vom Staatsamte für Heerwesen im eigenen Wirkungskreise entschieden werden.“ An den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. Beschluß:
III. Der Staatsrat nimmt zur Kenntnis, daß bei der heutigen Sitzung der Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n durch den Ersatzmann Raimund N e u n t e u f e l, der Staatsrat Karl I r o durch den Ersatzmann Anton K e s c h m a n n und der Staatsrat Michael S c h o i s w o h l durch den Ersatzmann Franz P r i s c h i n g vertreten sind.71
IV. Antragsteller: Ersatzmann Raimund N e u n t e u f e l. Antrag: „Zur Untersuchung aller jener Klagen und Anklagen, welche gegen militärische Organe während des Krieges erhoben worden sind und jetzt noch in großer Zahl erhoben und in der Bevölkerung verbreitet werden, ohne daß Wahres von Erfundenem geschieden werden könnte, ist eine Kommission einzusetzen mit der Aufgabe, Schuld oder Schuldlosigkeit festzustellen und gegen Schuldige die Anklage zu erheben. Diese Kommission hat sofort ihre Tätigkeit zu beginnen und ihre Verhandlungen öffentlich zu führen. Sie setzt sich zusammen: Der Antrag scheint im Protokollverlauf nicht auf. Beilage 49/III: Anmeldung des Ersatzmannes Prisching für Schoiswohl (¼ Seite, handschriftlich). Der Inhalt der Beilage stimmt mit dem Beschlußprotokoll zur Gänze überein.
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a) aus Vertretern des Staatsrates, b) aus Vertretern des Ausschusses für Heerwesen und c) aus vertrauenswürdigen Persönlichkeiten, die aus dem Richter- und Anwaltstande und aus Experten aus dem Militärstande nach Bedarf berufen werden. Der Nationalversammlung ist ein Antrag auf Einsetzung eines besonderen Kriegsgerichtshofes vorzulegen, der über die von der erwähnten Kommission zu erhebenden Anklagen zu entscheiden hat. Mit den anderen Nationalstaaten der bisherigen österr. ungar. Monarchie ist ein Abkommen hinsichtlich gemeinsamen Vorgehens dieser Sache anzustreben, ohne daß jedoch hiedurch die Durchführung in Deutschösterreich verhindert oder verzögert würde.“ Beschluß: Wird der Heereskommission zugewiesen. An die Heereskommission. V. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Der Staatsrat beschließt, daß der Aufstellung von Offiziersregimentern nichts im Wege steht.“ Beschluß: Wird der Heereskommission mit dem Auftrage zur raschesten Berichterstattung zugewiesen. An die Heereskommission. VI. Antragsteller: Staatssekretär für Justiz, Dr. Julius R o l l e r. Antrag: „Das gegen Elfriede E i s l e r - F r i e d l ä n d e r und Genossen wegen des Verbrechens nach § 76 und 83 StGBl. eingeleitete Strafverfahren wird eingestellt.“ Beschluß: Wird einstimmig angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Justiz. VII. Antragsteller: Staatssekretär für Unterricht Raphael P a c h e r. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Über Antrag des akademischen Senates der beiden deutschen Hochschulen bekräftigt der Staatsrat neuerdings den am 11. November 1918 über diese Hochschulen gefaßten Beschluß und erklärt: „Die Prager Deutsche Universität und die Prager Deutsche Technische Hochschule werden von der Republik Deutschösterreich als deutschösterreichisches Besitztum für jetzt und für alle Zukunft in Anspruch genommen. DeutschÖsterreich erwartet, daß die Tschechoslowakische Nation diese geschichtlichen Kulturstätten in der Zeit des Überganges vor jeder Behelligung und Feindseligkeit bewahren wird. Der Staatsrat behält sich vor, über den künftigen Standort dieser Hochschulen selbst zu entscheiden und beauftragt das Staatsamt des Äußern, behufs Regelung dieser Frage sofort Verhandlungen mit der Tschechoslowakischen Regierung in Prag einzuleiten.“ Von diesem Beschlusse ist je eine Ausfertigung an das Rektorat und das Professorenkollegium der beiden Hochschulen zu leiten. Der Beschluß ist in der Presse zu veröffentlichen.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Unterricht.
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VIII. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: „Der Staatsrat ersucht die Nationalversammlung um Reassumierung ihres am 27. November 1918 gefaßten Beschlusses über den § 1 des Staatsbürgerrechtsgesetzes, da der Staatsrat nicht in der Lage ist, diesen Beschluß zu beurkunden und durchzuführen.“ Beschluß: Die Verhandlung über diesen Gegenstand wird vertagt. An den Herrn Staatskanzler. IX. Antragsteller: Unterstaatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft Richard R i e d l, Unterstaatssekretär für Volksernährung Oberst Norbert W a l l e n s d o r f e r und Staatsrat Jodok F i n k. Antrag: Vertrag mit Ungarn. Beschluß: 1.) Der Vertrag wird vorbehaltlich der Zustimmung des Staatsamtes des Äußern genehmigt. 2.) Es wird überdies der ungarischen Regierung mitgeteilt, daß noch heute Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n nach Budapest kommen wird, um darauf aufmerksam zu machen, daß es im beiderseitigen Interesse gelegen wäre, die Bestimmung des Punktes 5 des Vertrages, betreffend die Nichtverwendung von Heeresartikeln zu Kompensationszwecken, im gegenseitigen Einvernehmen zu eliminieren. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft, an den Herrn Staatssekretär für Volksernährung und an den Herrn Staatssekretär des Äußern. Nächste Sitzung morgen um ½ 5 Uhr.
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50. [Freitag] 1918-11-29 Vorsitz: Anwesend:1
Schriftführer: Dauer:
Seitz Baechlé, Bauer, Bodirsky, Dinghofer, Ellenbogen, Fink, Gruber, Jerzabek, Keschmann, Langenhan, Licht, Luksch, Marckhl, Miklas, Ofner, Pri sching, Renner, Roller, Schoepfer, Schürff, Sylvester, Teufel, Tomschik, Urban, Waldner, Wolf unbekannt 16.30–19.45 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste Beilagen: 50/II
50/III 50/IV 50/V 50/VI
D.ö. Staatsamt für Landwirtschaft, Z. 557: Für den Vortrag im Staatsrate, Gegenstand: Erlassung einer Vollzugsanweisung betreffend den Verkehr mit künstlichen Düngemitteln, Antrag: Der Staatssekretär für Landwirtschaft stellt den Antrag, obige Vollzugsanweisung zu erlassen (½ Seite); Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Landwirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Gewerbe, Handel und Industrie und dem Staatsamte für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom … betreffend den Verkehr mit künstlichen Düngemitteln (1 Seite); Referat (1½ Seiten). Antrag Domes, betreffend Urlaubsansuchen und Anmeldung des Ersatzmannes Tomschik (1 Seite). Grundgesetz vom … 1918 über die Rechte und Pflichten des Soldaten (3¼ Seiten); Erläuterungen zum Grundgesetze über die Rechte und Pflichten des Soldaten (2 Seiten). Grundgesetz über das deutschösterreichische Volksheer vom ... (4¼ Seiten); Erläuterungen zum Grundgesetze über das deutschösterreichische Volksheer (2½ Seiten). Antrag Keschmann, betreffend Wahrung des Optionsrechtes für die deutschen Beamten (1 Seite, handschriftlich).
Präsident S e i t z eröffnet die Sitzung um 4 Uhr 30 Minuten nachmittags. Nach Verlesung des Einlaufes2 teilt L a n g e n h a n mit, daß er von der Ausführung des gestrigen Beschlusses, nach Budapest zu fahren3, Umgang genommen habe, weil er dort zu spät angekommen wäre. Diese Mitteilung wird z u r K e n n t n i s g e n o m m e n. Die Präsenzliste, die hier erstmals in gedruckter Form vorliegt, ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Georg Fröhlich und Johann Zerdik, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Dr. Georg Fröhlich, Sektionsrat, ab 19. November 1918 Leiter des Verfassungsdienstes der Staatskanzlei bzw. Vorstand der Verfassungsabteilung des Bundeskanzleramtes. 2 Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 3 Zum Beschluß des Staatsrates, betreffend die Reise Staatsrat Langenhans nach Budapest zum Zweck der Nachverhandlungen des Punkt 5 des am 25. November 1918 abgeschlossenen Kompensationsvertrages vgl. SRP Nr. 49 vom 28. November 1918. 1
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Punkt 3 der Tagesordnung4: Die Vollzugsanweisung5 des Staatsamtes für Landwirtschaft, betreffend den Verkehr mit künstlichen Düngemitteln wird g e n e h m i g t. D o m e s entschuldigt sein Fernbleiben von der heutigen Sitzung und nominiert den Abgeordneten T o m s c h i k als seinen Stellvertreter.6 Wird g e n e h m i g t. Der S t a a t s k a n z l e r läßt für den ersten Teil der Sitzung seine Abwesenheit entschuldigen. Es wird nun in die Beratung der vorliegenden Grundgesetze über die Rechte und Pflichten der Soldaten, sowie über das deutschösterreichische Volksheer eingegangen. Sektionsrat Dr. F r ö h l i c h: Es sind zwei Grundgesetze vorgelegt worden, eines behandelt die Rechte und Pflichten des Soldaten und das zweite das österreichische Volksheer.7 Das erste Gesetz8 verfolgt den Zweck, die Stellung der Angehörigen der bewaffneten
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Dem Protokoll liegt keine Tagesordnung bei. Beilage 50/II: StALF, Vollzugsanweisungsentwurf (½ Seite); Referat (1½ Seiten). Die Vollzugsanweisung sollte die Handelsbeschränkungen, die durch die Kriegswirtschaft im Verkehr mit künstlichen Düngemitteln eingeführt worden waren, beseitigen. Da auf dem Staatsgebiet Deutschösterreichs nur wenige Düngemittelfabriken lagen, bestand erhöhter Importbedarf, der durch einen freien Warenverkehr erleichtert werden sollte. StGBl. Nr. 82, Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Landwirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Gewerbe, Handel und Industrie und dem Staatsamte für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 22. November 1918, betreffend den Verkehr mit künstlichen Düngemitteln, ausgegeben am 10. Dezember 1918 stimmt mit dem Entwurf überein. Vgl. dazu auch KRP Nr. 18/5 vom 29. November 1918. Beilage 50/III: Antrag Domes (1 Seite). Domes führte als Grund für sein Urlaubsansuchen die in der Arbeiterschaft von Wöllersdorf und Blumau aufgetretene Beunruhigung an, die seine Anwesenheit als Vorsitzender des Österreichischen Metallarbeiterverbandes erfordere. Zur Pulverfabrik Blumau sowie zur Munitionsfabrik Wöllersdorf vgl. Franz Mathis, Big Business in Österreich. Österreichische Großunternehmen in Kurzdarstellungen, Wien 1987, S. 56 f und 365 f. Zur wirtschaftlichen Situation der Pulver- und Munitionsfabriken in Blumau und Wöllersdorf nach dem Krieg vgl. Klaus-Dieter Mulley, Vom Munitionswerk zur Industrieruine. Zur Entwicklung des Areals der k.u.k Munitionsfabrik in Wöllersdorf 1918 bis 1938, in: Klaus-Dieter Mulley/Hans Leopold (Hg.), Geschosse-Skandale-Stacheldraht. Arbeiterschaft und Rüstungsindustrie in Wöllersdorf, Enzesfeld und Hirtenberg, Ebenfurth 1999, S. 142–184. Der Prozeß der Gesetzwerdung der durch diese beiden Entwürfe ins Auge gefaßten Regelungen war langwierig und konnte erst im Februar des Jahres 1919 durch vorläufige Bestimmungen abgeschlossen werden, wobei die im vorliegenden Protokoll noch getrennt angeführten Vorlagen in einem Gesetz vereinigt wurden. Zur Forderung nach einem Wehrgesetz vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918; weiters SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Zur schwierigen Genese des Wehrgesetzes vgl. auch Karl Glaubauf, Die Volkswehr 1918–1920 und die Gründung der Republik (= Österreichische Militärgeschichte, Sonderband 1993, Folge 1), Wien 1993, S. 94–103; Julius Deutsch, Aus Österreichs Revolution. Militärpolitische Erinnerungen, Wien o. J., S. 63–67; Gerhard Rauter, Die österreichische Wehrgesetzgebung. Motive – Entwicklungslinien – Zielsetzungen. Wehrrechtsindex 1868–1989, Wien 1989, S. 44–92; Karl Haas, Studien zur Wehrpolitik der österreichischen Sozialdemokratie 1918–1926, phil. Diss., Wien 1967, S. 45–57 sowie spezifisch zu den in der vorliegenden Sitzung besprochenen Entwürfen ders., Austromarxismus und Wehrfrage. Zur militärpolitischen Pragmatik der österreichischen Sozialdemokratie in der Ersten Republik, Habil., Wien 1985, S. 87–92. Umfangreiches Material und Erläuterungen zum Wehrgesetz finden sich in AdR, StK, GZl. 533/1919. Beilage 50/IV: Gesetzesentwurf (3¼ Seiten); Erläuterungen (2 Seiten). Der Entwurf konzentrierte sich vor allem auf die staatsbürgerlichen Rechte der Soldaten. Im Gegensatz zu früheren Bestimmungen sollte ihnen nunmehr u. a. das uneingeschränkte Versammlungs- Vereins- und Wahlrecht zugestanden
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Macht, welche nach der bisherigen Gesetzgebung durchaus nicht festgesetzt war, nunmehr zu fixieren und einerseits festzustellen, welche Rechte der Soldat im Staate hat, andererseits welche Pflichten ihm durch das besondere Verhältnis, in dem er zum Staate steht, obliegen. Der Artikel I setzt zunächst den Begriff des Soldaten fest: „Soldat ist der im Heeresdienste stehende Staatsbürger“ und er spricht diesem Soldaten die staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten voll zu. Dadurch werden die entgegenstehenden Bestimmungen der verschiedenen Gesetze, namentlich Vereins- und Versammlungsgesetz und die verschiedenen Wahlgesetze aufgehoben und der Soldat ist in die Lage versetzt, an Versammlungen teilzunehmen, das Vereinsrecht auszuüben und das aktive und passive Wahlrecht zu besitzen. Im dritten Absatze dieses Artikels ist ein Auftrag an die Befehlshaber, den Soldaten die Möglichkeit zu geben, diese Rechte nach Maßgabe des Dienstes ungehindert auszuüben. Im Artikel II werden die Rechte des Soldaten gegen den Staat in materieller Beziehung geregelt. Diese Gebühren werden durch Gesetze geregelt. Das ist eine Klarstellung des bisher ungeregelt gewesenen Zustandes, indem z. B. die Mannschaftsgebühren durch Gesetze bisher nicht geregelt waren. Der Artikel III spricht prinzipiell die Verpflichtung des Staates aus, den Angehörigen des Soldaten, deren Lebensunterhalt von seinem Arbeitsverdienst abhängt und durch die Heeresdienstleistung beeinträchtigt wird, einen Unterhaltsbeitrag zu gewähren. Es ist das nur das Prinzip, auf das sich ein besonderes Gesetz gründen wird. Im Artikel IV ist das Prinzip der Militärversorgung ausgesprochen, der Artikel V behandelt die Soldatenausschüsse und spricht ihnen hauptsächlich zwei Funktionen zu, nämlich die Entgegennahme und ihre Mitwirkung bei der Behandlung von Wünschen und Beschwerden und die andererseits stattzufindende Überwachung der vorschriftsmäßigen Verabreichung der Besoldung, Verpflegung, Bekleidung u. Unterbringung. Im Artikel VI sind die Pflichten des Soldaten geregelt, die sich aus der Notwendigkeit des militärischen Lebens ergeben. Dieser Ehrenberuf birgt auch die Pflicht in sich, den Befehlen der Vorgesetzten und den Anordnungen der Beauftragten der bürgerlichen Gewalt Gehorsam zu leisten. Dieser Artikel enthält das Novum, daß die militärischen Dienstvorschriften vom Staatsrate oder mit dessen Zustimmung erlassen werden und das zweite Novum, daß die Disziplinarrechte gesetzlich geregelt werden. Der fünfte Absatz enthält den Wunsch an den Soldaten, sich seinem Soldatenkleide entsprechend zu benehmen und der 6. Absatz enthält die Strafsanktion bezüglich der Gehorsamsverweigerung, wobei auch das Disziplinarrecht den Gesetzen überantwortet wird. Artikel VII, entspricht vollständig dem bezüglichen Paragraphen des Schweizer Miliz gesetzes9, er verpflichtet den Soldaten zur Bekleidung eines Dienstgrades und zur Versorgung jeder ihm übertragenen Dienststelle, weil es z. B. wegen der Unterrichtskurse, die im Milizsystem für höhere Dienstgrade gedacht sind, vorkommen könnte, daß sich Soldaten weigern, höhere Dienststellen zu bekleiden.
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werden. Zudem wurden einige bisher außergesetzlich geregelte militärische Rechtsverhältnisse der Nationalversammlung zur gesetzlichen Regelung überantwortet. Einzelne Formulierungen und Passagen des Entwurfes finden sich vor allem im zweiten Teil des Gesetzes wieder. Insgesamt weicht das fertige Gesetz aber stark vom Entwurf ab wenngleich einige Grundlinien erhalten blieben. Weitere Entwürfe zu diesem Gesetz finden sich in KA, Nachlaß Josef Mayer B/858, Konvolut 3, Ziffer XXXI und in AVA, Nachlaß Renner, E/1731: 296. Hier könnte Artikel 10 der Militärorganisation der schweizerischen Eidgenossenschaft aus dem Jahr 1907 gemeint sein, welcher lautet: „Jeder Wehrmann kann zur Bekleidung eines Grades, zur Leistung des hierfür vorgeschriebenen Militärdienstes und zur Übernahme jedes ihm übergebenen Kommandos verhalten werden. Wer einen Grad bekleidet, hat auch den damit verbundenen Dienst zu leisten.“ Vgl. Schweizerisches Bundesblatt, 59. Jahrgang II, Nr. 17 vom 19. April 1907.
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Der Artikel VIII regelt ein Verhältnis, welches schon im letzten Wehrgesetze angedeutet war, aber nie ins Leben getreten ist, nämlich die Ausscheidung des Soldaten, der sich unwürdig benimmt, aus dem militärischen Dienste und andererseits besagt er, daß diejenigen, welche wegen Unwürdigkeit vom Heeresdienste ausgeschlossen sind, auch das Wahlrecht und die Wahlfähigkeit verlieren.10 Der Artikel IX überläßt die Regelung des Tragens der Waffen den Heeresvorschriften, welche nach Artikel VI mit Zustimmung des Staatsrates zu erlassen sind und setzt fest, daß jeder Mißbrauch der Waffen strenge zu bestrafen ist. D i n g h o f e r fragt mit Bezug auf Artikel 8, Abs. 3, für wie lange der Ausschluß vom Wahlrechte und von der Wählbarkeit gedacht ist. Sekt. Rat F r ö h l i c h: Ich glaube, da müßte man in den Wahlgesetzen dann später eine Norm dafür schaffen, welche einen Termin festsetzt, denn es wird jedenfalls nicht anders sein können, als bei dem Ausschlusse wegen eines Verbrechens und Vergehens. S e i t z: Es liegt der Antrag vor: „Der Staatsrat beschließt, diese Vorlage als Regierungsvorlage der Nationalversammlung zu unterbreiten“. A n g e n o m m e n. Sekt. Rat Dr. F r ö h l i c h: Das zweite Gesetz, das über das deutschösterreichische Volksheer11, regelt die Stellung des Volksheeres im Staate. Dadurch, daß bisher der Oberbefehl über die bewaffnete Macht dem Monarchen, also einem unverantwortlichen Faktor vorbehalten war, ist es gekommen, daß das österreichische Gesetz über die Stellung der Wehrmacht im Staate eigentlich so gut wie nichts enthalten hat. Ein zweites Moment für die Notwendigkeit eines derartigen Grundgesetzes ist der Übergang auf das Milizsystem. Wenn dieser Übergang auch nicht mit einem Ruck wird vollzogen werden können, so sollte doch jetzt schon prinzipiell niedergelegt werden, daß wir ein Milizsystem haben werden.12 Diese beiden Aufgaben versucht der vorliegende Entwurf zu erfüllen. Fröhlich bezog sich vermutlich auf § 45 Absatz 5 des Gesetzes vom 5. Juli 1912, betreffend die Einführung eines neuen Wehrgesetzes (RGBl. Nr. 128/1912), welcher lautete: „In welchen Fällen und in welcher Art Wehrpflichtige, die vor oder während der Erfüllung der Wehrpflicht strafgerichtlich verurteilt worden sind, nach Freistellung der Unmöglichkeit ihrer Besserung und konstatierter Schädlichkeit für die Disziplin aus dem aktiven Militärdienst im Frieden auszuscheiden sind, bleibt der Regelung durch Verordnung vorbehalten.“ 11 Beilage 50/V: Gesetzesentwurf (4¼ Seiten); Erläuterungen (2½ Seiten). Das Gesetz sollte im Wesentlichen die Befehlsgewalt über das Heer in die republikanische Ordnung überführen. Die Verfügung über das Heer sollte somit der Nationalversammlung zustehen. Als Oberbefehlshaber sollte der Beauftragte des geschäftsführenden Staatsdirektoriums fungieren, die innere Organisation und oberste Verwaltung sollte der Staatssekretär für Heerwesen im Auftrag des Staatsrates übernehmen, dem auch der Oberbefehlshaber, ausgenommen, Angelegenheiten der Leitung und Führung, unterstellt wurde. Weiters sollten das Milizsystem eingeführt und die Berufs-Militärpersonen einer gesetzlichen Dienstpragmatik unterstellt werden. Auch für diesen Entwurf gilt, daß sich einzelne Passagen und Formulierungen vor allem im ersten Teil des fertigen Gesetzes wiederfinden. § 1 des Entwurfes in dem festgelegt wird, daß das deutschösterreichische Volksheer „die bewaffnete Macht der Republik“ sei, entfiel in der endgültigen Version, in der durchgängig nur von der „bewaffneten Macht“ die Rede ist. Ansonsten blieben die im Entwurf enthaltenen Bestimmungen aber im Gesetz weitgehend erhalten. 12 Das Gesetz, betreffend vorläufige Bestimmungen über die bewaffnete Macht (StGBl. Nr. 91/1919), das in weiterer Folge als erstes provisorisches Wehrgesetz beschlossen wurde, sah ein Milizsystem auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht vor. Die Bedingungen des Vertrages von St. Germain sollten jedoch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verbieten, sodaß im Wehrgesetz von 1920 (StGBl. Nr. 122/1920) nur ein Berufsheer von höchstens 30.000 Mann vorgesehen war. Zu einer Änderung kam es erst im Jahr 1936 mit dem Bundesverfassungsgesetz über eine allgemeine Dienstpflicht für öffentliche Zwecke (BGBl. Nr. 102/1936). Vgl. Rauter, Die österreichische Wehrgesetzgebung, S. 61 und S. 71–76. 10
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Im § 1 ist das Volksheer erklärt, im § 2 ist das Novum, daß es vor allem bestimmt ist, das Vaterland gegen Angriffe äußerer Feinde zu schützen, wodurch der Begriff des Verteidigungskrieges schärfer hervorgehoben ist, andererseits hat das Volksheer für die Aufrechterhaltung der Ruhe im Innern zu sorgen, soweit es die gesetzmäßige bürgerliche Gewalt für notwendig findet. Im § 3 wird nicht nur von einer allgemeinen, sondern auch von einer gleichen Wehrpflicht gesprochen, es wird also kein Freiwilligen-Recht mehr geben.13 Natürlich schließt das gewisse Vorrechte nicht aus, wie sie z. B. für Lehrer und Geistliche auch in dem Milizsystem vorkommen, die aber meist darauf beruhen, daß die Ausbildungszeit aufgeschoben wird. Der § 4 behandelt die Trennung der Gewalt, die oberste Leitung und Führung ist dem Staatsratsdirektorium übertragen, zur Verwaltung ist aber auch die innere Organisation gekommen. Der § 5 besagt, daß der Oberbefehlshaber an die Aufträge des Direktoriums gebunden ist. O f n e r bemerkt, daß es im zweiten Absatz des § 5 heißt: „die Gesetze des Vaterlandes“ u.s.w. Wir haben sonst immer gesagt: „Die Grundgesetze und“ - nämlich und die anderen Gesetze und ich beantrage daher, daß wir die Worte: „die Grundgesetze und“ einfügen sollen. A n g e n o m m e n. Sekt. Rat F r ö h l i c h: Zu § 6 möchte ich folgendes vorausschicken: Bisher war das allgemeine Ernennungsrecht nach dem Staatsgrundgesetze über die Regierungs- und Vollzugsgewalt dem Monarchen übertragen, daher gesetzlich weiter nicht geregelt. Da dies jetzt geregelt werden muß, was im § 7 geschieht, so war es nötig, im § 6 die Soldaten nach ihrem Grade zu unterscheiden. Der § 7 ist der Beamtenernennung ziemlich gleich, der § 8 regelt die Verleihung der Dienststellen. Es wird b e s c h l o s s e n, am Beginne des § 8 statt: „Bei den Kommandos“ zu sagen: „Bei den Kommanden“. Was den § 10 betrifft, so ist es auch beim Milizheer unvermeidlich, daß es Berufssoldaten gibt, denn wir brauchen Ausbildungspersonen umso dringender, als die Ausbildung in kurzer Zeit stattfinden soll. Bisher hat für die Rechtsstellung der Offiziere eine Dienstpragmatik nicht bestanden und diese soll nun eingeführt werden. Bezüglich des § 11 ist zu erwähnen, daß es sich hier nur um Grundzüge handelt, der zweite Absatz des § 12 ist dem Schweizer Milizsystem nachgebildet. Damit nicht das Aufgebot überflüssigerweise erlassen wird, und die vom Aufgebote Betroffenen ihrem Berufe entrissen werden, sieht das Gesetz eine Bereitstellung vor. Diese Bereitstellung hat zur Folge, daß der durch sie betroffene Mann das Land nicht verlassen darf, seine Sachen in Ordnung zu bringen hat, so daß das Aufgebot in kürzester Zeit einberufen werden könnte. Es ist eine Trennung in dem einen Falle vom Aufgebot, weil das Vorgehen gegen äußere Feinde ebenso wie die Entscheidung über Krieg und Frieden der Nationalversammlung überlassen ist; diese soll die Möglichkeit haben, auch ein Aufgebot zu bestimmen, wenn die Kriegserklärung noch nicht ergangen ist. Im zweiten Falle ist gewöhnlich größte Eile geboten; innere Unruhen werden es mit sich bringen, daß man nicht Zeit hat, erst die Nationalversammlung einzuberufen. In dem einen Falle sollte betont werden, daß die größere Ingerenz14 der Nationalversammlung dort sein sollte, wo es sich um Krieg und Frieden handelt, der weniger wichtige Fall ist aber, wenn wegen innerer Verhältnisse das Aufgebot erlassen werden soll. Dieses letztere Aufgebot pflegt auch einen Das Einjährig-Freiwilligen-Recht verkürzte den Präsenzdienst für Personen, die einen bestimmten Bildungsgrad vorweisen konnten, auf ein Jahr. Die Regelung galt als sichtbarer Ausdruck der Privilegierung bürgerlicher und adeliger Schichten in der Armee. Vgl. Ernst Zehetbauer, Das Reserve offizierssystem Österreich-Ungarns. Die alte Armee und ihre „Einjährigen“ 1868–1914, Hamburg 2016. 14 Ingerenz: Einflußbereich, Wirkungskreis. 13
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geringeren Umfang zu haben und nicht diese Bedeutung in sich zu schließen, wie dort, wo es sich um Krieg oder Frieden handelt. O f n e r: Ich erinnere mich nur an den Gegensatz zwischen der Februar- und der Dezemberverfassung.15 In der Februarverfassung gilt der § 13, daß, wenn das Parlament nicht versammelt ist, das Ministerium die Verfügung zu treffen und sie zur Kenntnis zu bringen hat, im § 14 heißt es, sie muß sie zur Genehmigung bringen. Diese Kenntnisnahme kann ebenso gut verstanden werden: Ihr habt nichts drein zu reden, ich habe es gemacht und bringe es lediglich zur Kenntnis. Selbstverständlich kann daraus ein Mißtrauensvotum entstehen, das Ministerium kann zurücktreten müssen. Aber in dem zweiten Falle hat die Nationalversammlung nichts zu tun, sie hat es nur zur Kenntnis zu nehmen. Es ist eigentlich der Nationalversammlung gar kein Recht gegeben und ich weiß nicht, ob das nicht zu wenig ist. Sekt. Rat F r ö h l i c h macht auf die Analogie mit dem Schweizer Gesetze aufmerksam, wo auch dieser Unterschied gemacht ist. Nach der auf die Niederschlagung der Revolution von 1848 folgenden Periode neoabsolutistischer Herrschaft, die sich auf die Sylvesterpatente von 1851 gestützt hatte, zwang die Niederlage im sardinischen Krieg von 1859 und die damit verbundene Krise der Staatsfinanzen die Staatsspitze zu konstitutionellen Zugeständnissen. Das hierzu im Jahr 1860 erlassene Oktoberdiplom (RGBl. Nr. 226/1860) mußte bereits im folgenden Jahr durch das sogenannte Februarpatent (RGBl. Nr. 20/1861), das als Mantelgesetz für mehrere Grundgesetze fungierte, ergänzt bzw. abgelöst werden. § 13 des darin enthaltenen Grundgesetzes über die Reichsvertretung lautet: „Wenn zur Zeit, als der Reichsrath nicht versammelt ist, in einem Gegenstande seines Wirkungskreises dringende Maßregeln getroffen werden müssen, ist das Ministerium verpflichtet, dem nächsten Reichsrathe die Gründe und Erfolge der Verfügung darzulegen.“ Vgl. RGBl. Nr. 20, ausgegeben und versendet am 28. Februar 1861, I. Beilage zu Nr. 20, Grundgesetz über die Reichsvertretung. Im Zuge der Verhandlungen über die Bedingungen des Ausgleichs mit der ungarischen Reichshälfte war das Februarpatent teilweise sistiert und nach dem Ausgleich im Jahr 1867 durch die als Dezemberverfassung zusammengefaßten, für die cisleithanische Reichshälfte gültigen Grundgesetze ergänzt worden, die bis zum Ende der Monarchie wirksam blieben. § 14 des Grundgesetzes über die Reichsvertretung, auf den sich Staatsrat Ofner wohl bezieht, lautet: „Wenn sich die dringende Notwendigkeit solcher Anordnungen, zu welchen verfassungsmäßig die Zustimmung des Reichsrathes erforderlich ist, zu einer Zeit herausstellt, wo dieser nicht versammelt ist, so können dieselben unter Verantwortung des Gesammtministeriums durch kaiserliche Verordnung erlassen werden, in soferne solche keine Abänderung des Staatsgrundgesetzes bezwecken, keine dauernde Belastung des Staatsschatzes und keine Veräußerung von Staatsgut betreffen. Solche Verordnungen haben provisorische Gesetzeskraft, wenn sie von sämmtlichen Ministern unterzeichnet sind und mit ausdrücklicher Beziehung auf diese Bestimmung des Staatsgrundgesetzes kundgemacht werden. / Die Gesetzeskraft dieser Verordnungen erlischt, wenn die Regierung unterlassen hat, dieselben dem nächsten nach deren Kundmachung zusammentretenden Reichsrathe, und zwar zuvörderst dem Hause der Abgeordneten binnen vier Wochen nach diesem Zusammentritte zur Genehmigung vorzulegen, oder wenn dieselben die Genehmigung eines der beiden Häuser des Reichsrathes nicht erhalten. / Das Gesammtministerium ist dafür verantwortlich, daß solche Verordnungen, sobald sie ihre provisorische Gesetzeskraft verloren haben, sofort außer Wirksamkeit gesetzt werden.“ Vgl. RGBl. Nr. 141, Gesetz vom 21. December 1867, wodurch das Grundgesetz über die Reichsvertretung vom 26. Februar 1861 abgeändert wird, ausgegeben und versendet am 22. December 1867. Vgl. weiters Stefan Malfér, „Das Recht, Gesetz zu geben…“. Vom verstärkten über den Gesamt- zum engeren Reichsrat, oder: über die Anfänge der Gewaltenteilung in Cisleithanien, in: Franz Adlgasser/Jana Malíská/Helmut Rumpler/Luboš Velek (Hg.), Hohes Haus! 150 Jahre moderner Parlamentarismus in Österreich, Böhmen, der Tschechoslowakei und der Republik Tschechien im mitteleuropäischen Kontext, Wien 2015, S. 109–119; Rudolf Hoke, Österreichische und Deutsche Rechtsgeschichte, Wien/ Köln/Weimar 1996, S. 359–387; Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band VII: Verfassung und Parlamentarismus. 1. Teilband: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 69–237.
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D i n g h o f e r empfiehlt die vorgeschlagene Fassung als eine ganz glückliche Lösung anzunehmen. T o m s c h i k bemerkt, daß seine Partei bezüglich dieser Fassung doch Bedenken hätte, weshalb er sich der Abstimmung enthalten werde. Der § 12 wird mit einer erklärten Stimmenthaltung a n g e n o m m e n. F r ö h l i c h: Der § 13 ist deshalb hereingebracht worden, weil einerseits unter den Delikten, welche unter das Verbrechen des Hochverrates fallen, es strittig sein könnte, ob das untergebracht werden kann.16 In diesem Falle ist jetzt eine neue Deliktskonstruktion gegeben. Die zweite Subsummierung versteht sich von selbst. T o m s c h i k gibt bezüglich dieses Hochverratspassus die Erklärung ab, daß er sich der Abstimmung enthalten werde. Der § 13 wird mit einer erklärten Stimmenthaltung a n g e n o m m e n. Die beiden Gesetzesvorlagen werden der Nationalversammlung als Regierungsvorlage u n t e r b r e i t e t.17 O f n e r interpelliert18 wegen der Vorgänge bei der Eidesablegung durch den Staatssekretär Kaup.19 Der § 13 des beiliegenden Entwurfes lautet: „Wer unbefugt ein Aufgebot erläßt, macht sich des Verbrechens des Hochverrates, wer ohne staatlichen Auftrag eine bewaffnete Macht aufstellt, des Verbrechens der unbefugten Werbung schuldig“. 17 Die Gesetzesvorlagen wurden erst in der 10. Sitzung am 18. Dezember in die Nationalversammlung eingebracht, nachdem der Staatsrat in seiner 51. Sitzung beschlossen hatte, die Entwürfe an die Heereskommission zurückzuweisen. Im Zuge der erneuten Überarbeitung wurden die beiden Entwürfe zu einem Gesetz zusammengefaßt. Vgl. zum weiteren Verlauf der Gesetzwerdung SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. 18 Interpellieren: eine Interpellation einbringen. Interpellation: von einem oder mehreren Parlamentariern an die Regierung gerichtetes Verlangen um Auskunft in einer bestimmten Sache. 19 Die Formulierung im Protokoll ist mißverständlich. Staatsrat Ofner bezieht sich auf die Angelobung von Militärärzten durch den Staatssekretär für Volksgesundheit, Ignaz Kaup, am 27. November 1918. Dieser weigerte sich, jüdischen Ärzten das Gelöbnis abzunehmen, da seiner Ansicht nach „über deren Staatsangehörigkeit nicht sofort entschieden werden konnte“. In seinem schriftlichen Bericht hielt Kaup fest, daß sich die betreffenden Ärzte unter Protest entfernt hätten, nachdem sie auf „die Zugehörigkeit zur deutschen Nation als Grundbedingung für die Abnahme der Angelobung“ hingewiesen worden waren. Er beteuerte „selbstverständlich“ auf dem Standpunkt zu stehen, daß „jene jüdischen Militärärzte, die sich als Deutschösterreicher fühlen und bekennen und die etwa gar schon längere Zeit hier gewirkt haben, ihre weitere Verwendung als Militärärzte finden müssen“. Voraussetzung sei aber die Klärung ihrer „Staatsangehörigkeit und Nationalität“. Vgl. AdR, StK, GZl. 726/1918, Staatssekretär für Volksgesundheit, Vorfälle bei der Beeidigung der Militärärzte. Über den Vorfall war auch in der Presse berichtet worden. So bemerkte die „Neue Freie Presse“: „Alle die Aerzte, die eines schönen Tages ihre Ordinationszimmer zusperren, auf ihre oft in jahrzehntelanger mühseliger Arbeit erworbene Praxis verzichten durften, haben wohl kaum geahnt, daß sie nach ihrer Rückkehr aus dem Felde sich gegen derlei rabulistische Spitzfindigkeiten zur Wehr setzen müßten.“ Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 28. November 1918, S. 3 „Ein merkwürdiger Zwischenfall bei der Angelobung von Militärärzten“; Abendblatt, 28. November 1918, S. 2 „Der gestrige Zwischenfall bei der Angelobung von Militärärzten“. Zu weiteren Reaktionen vgl. auch AdR, StK, GZl. 836/1918, Deutschösterreichisches Staatsamt für Äußeres, Deutschösterreichische Staatsbürgerschaft; antisemitische Maßnahmen. Der Vorfall verdeutlichte die grundsätzliche Fragestellung, ob die deutschösterreichische Staatsbürgerschaft auf ethnischen oder rein rechtlichen Kategorien aufbauen sollte. Diese Thematik, die ja auch im Zuge der Debatten um das Staatsbürgerschaftsgesetz aufgeworfen worden war, hatte im Zeitalter des Nationalismus als politisches Paradigma gerade für die traditionell ausgegrenzte und marginalisierte jüdische Bevölkerungsgruppe entscheidende Bedeutung. Exemplarisch kann hier ein Artikel der „Reichspost“ vom 28. November 1918 stehen, in welchem moniert wurde, daß laut Wahlordnung die „Angehörigen der jüdischen Nation [...] ohneweiters dem deutschen Volke zugezählt“ würden. Vgl. Reichspost. Nachmittagsausgabe, 28. November 1918, S. 1 „Wo ist die jüdische Nation?“. Im Zuge 16
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S e i t z erwidert, daß diese Angelegenheit mit dem Kanzler und ihm schon ausgetragen wurde und daß der Kanzler selbst einen bezüglichen Antrag stellen werde.20 S y l v e s t e r b e a n t r a g t den Gesetzentwurf, betreffend die Ausfuhr und Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung21 auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Nationalversammlung zu setzen. A n g e n o m m e n.22 M a r c k h l bespricht die Übergriffe der steierischen Landesregierung, betreffend die Befugnis zu Verhandlungen mit den fremden Nationalstaaten. K e s c h m a n n stellt folgenden Antrag23: „Die Staatskanzlei wird beauftragt, mit den Regierungen des czechoslovakischen, jugo slavischen, polnischen, ukrainischen und rumänischen Staates sogleich wegen Wahrung des Optionsrechtes für die deutschen Beamten in Verhandlung zu treten und anzustreben, daß
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der allgemeinen Tendenz zur Bildung von Nationalräten nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich auch ein jüdischer Nationalrat gebildet. In einer Eingabe vom 9. November 1918 hatte dieser „Jüdische Nationalrat für Deutschösterreich“ den Staatssekretär für Heerwesen um die Verlautbarung des folgenden Kommuniqués gebeten: „Bestimmungen über Soldaten, Offiziere (und Beamte) nicht deutscher Nationalität haben auf Juden, welche sich zum deutsch-österreichischen Staat bekennen, keine Anwendung zu finden, gleichwohl ob sie sich als Angehörige der jüdischen Nation bekennen erklären oder nicht.“ Die damit befaßte Staatskanzlei befand diese Rechtsansicht inhaltlich richtig, überließ die Veröffentlichung aber dem Jüdischen Nationalrat. Die Eingabe findet sich in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.499/1918, Behandlung der jüdischen Offiziere (Beamten) und Soldaten, die sich zum deutschösterreichischen Staate bekennen. Zum jüdischen Nationalrat im Zusammenhang mit den „zionistischen Garden“ vgl. auch SRP Nr. 18 vom 5. November 1918. Der jüdische Nationalrat konnte aber wiederum nicht den Anspruch erheben, als alleiniger Vertreter der jüdischen Bevölkerung aufzutreten. Die Bruchlinie verlief hier ebenfalls genau entlang der Begriffe „Nationalität“ und „Konfession“. So hielt eine Gruppe von jüdischen Bürgerinnen und Bürgern in einer Eingabe an den Staatskanzler, die sich gegen den jüdischen Nationalrat richtete, fest „Wir stehen auf dem von jeher festgehaltenen Standpunkt, dass das Band, welches die Judenheit verbindet und zusammenhält, ausschließlich das konfessionelle ist. Wir fühlen uns durch Heimat, Sprache und Erziehung als Deutsche und als vollberechtigte Bürger der deutschösterreichischen Republik.“ Vgl. AdR, StK, GZl. 1.095/1918. Vgl. dazu auch Malachi Haim Hacohen, Kosmopoliten in einer ethnonationalen Zeit? Juden und Österreicher in der Ersten Republik, in: Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner (Hg.), …der Rest ist Österreich. Das Werden der Republik – Band I, Wien 2008, S. 281–317, hier S. 285. Renner empfing in der Folge eine Delegation jüdischer Militärärzte und ersuchte sie um Geduld bis zur endgültigen Regelung der deutschösterreichischen Staatsbürgerschaft, meinte aber, daß es sowohl dem Staatsrat als auch dem Staatssekretär für Volksgesundheit fernliege, „einen Unterschied zwischen den Staatsbürgern nach Konfessionen zu machen oder sich auf eine einseitige konfessionelle oder Rassenpolitik einzulassen“. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 30. November 1918, S. 4 „Die deutschösterreichische Staatsbürgerschaft. Präsident Seitz und Staatskanzler Renner über die Angelobung der Ärzte“. Zur generellen Haltung der Sozialdemokratie in Bezug auf die Nationalitätenfrage vgl. Günther Sandner, Austromarxismus und Multikulturalismus. Karl Renner und Otto Bauer zur nationalen Frage im Habsburgerstaat, in: Kakanien revisited, http://www.kakanien-revisited.at/beitr/ fallstudie/GSandner1/?page=15, abgerufen am 23. Mai 2019. Vgl. dazu auch SRP Nr. 43 vom 23. November 1918 sowie Nr. 47 vom 26. November 1918. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, Bericht sowie zweite und dritte Lesung, S. 285 f; StGBl. Nr. 90, Gesetz vom 5. Dezember 1918, betreffend das Verbot der Ausfuhr und der Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, ausgegeben am 13. Dezember 1918. Beilage 50/VI: Antrag Keschmann (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI.
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diese Beamten bis zur Regelung der Verhältnisse auf der Friedenskonferenz zur Eidesleistung nicht gezwungen werden.“ T e u f e l ist gegen diesen Antrag, weil er nur im Reziprozitätsverhältnisse zu regeln wäre. S e i t z erklärt, daß der Antrag Keschmann, da ein Widerspruch erfolgt, dem Staatskanzler zur Berichterstattung zugewiesen wird.24 W o l f erwähnt den Fall eines Lieferanten, der sich mit der 13. Abteilung des alten Kriegsministeriums25 in einem Prozeß wegen Zahlung eines Pönales befindet. Nunmehr erklärt die Finanzprokuratur, die 13. Abteilung nicht mehr vertreten zu können, da diese nicht mehr existiere. Das Gericht beharrt jedoch auf der Durchführung der für den 4. Dezember angesetzten Verhandlung. Im Falle eines Schuldspruches werde also von dem Lieferanten ein Pönale eingefordert werden, für jemanden, der gar nicht mehr existiere. Der Staatsrat fragt das Präsidium, wer in einem solchen Falle gegenseitiger Rechtsverpflichtung der Nachfolger und Erbe der 13. Abteilung sei. O f n e r: Die deutschösterreichische Finanzprokuratur sollte über Ermächtigung des Justizamtes erklären, daß sie nicht berechtigt sei, für die alte österreichische Finanzprokuratur einzutreten, und die Wahl eines Prokurators verlangen.26 Als dieser Prokurator könnte sie dann selbst bestellt werden. Damit wäre die Sache praktisch erledigt. Die Anfrage Wolf wird d e r S t a a t s k a n z l e i z u g e w i e s e n mit dem Ersuchen, bis morgen den Entwurf einer Antwort vorzulegen.27 Die Sitzung wird um 5 Uhr 35 Minuten bis zum Eintreffen des Staatsekretärs für Äußeres unterbrochen. Nach Wiederaufnahme der Sitzung um 6 Uhr 10 Minuten macht
Die Staatskanzlei stellte unter Verweis auf den Kabinettsratsbeschluß vom 23. November 1918 fest, daß die endgültige Regelung dieser Frage zwischenstaatlichen Verhandlungen vorbehalten bleibe. Der Staatsrat solle das Staatsamt für Äußeres anweisen, mit den Nachfolgestaaten zu vereinbaren, daß österreichische Staatsbedienstete deutscher Nationalität, die in einem der Nachfolgestaaten tätig wären, nicht zur Fortsetzung ihrer Tätigkeit oder zur Eidesleistung gezwungen werden konnten, sondern bestenfalls ein einfaches Gelöbnis „der gewissenhaften Erfüllung ihrer Dienstpflichten“ abzugeben hätten. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 773/1918, Eidesleistung der ehemals österr. Staatsbediensteten deutscher Nationalität außerhalb des d.ö. Staatsgebietes. Zu der in Aussicht gestellten Berichterstattung scheint es im Staatsrat nicht gekommen zu sein. Zur Frage der Reziprozität vgl. SRP Nr. 43 vom 23. November 1918 und Nr. 62 vom 8. Jänner 1919 sowie KRP Nr. 29/5 vom 9. Jänner 1919. 25 Die 13. Abteilung des k.u.k. Kriegsministeriums war für die Materialbeschaffung zuständig. 26 Die Finanzprokuratur ist eine dem Finanzministerium unterstellte Behörde, die mit der rechtlichen Vertretung und Beratung des Staates vor allem in Vermögens- und Privatrechtsfragen betraut ist. Im Jahr 1918 war noch die Dienstinstruktion vom 9. März 1898 (RGBl. Nr. 41/1898) gültig, nach welcher in den Kronländern jeweils einzelne Finanzprokuraturen bestanden. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie wurden die auf deutschösterreichischem Gebiet verbliebenen Finanzprokuraturen sukzessive aufgelassen, bis im Jahr 1923 nur noch die Finanzprokuratur in Wien mit Zuständigkeit für das ganze Bundesgebiet bestand. Vgl. Wolfgang Peschorn, Die Geschichte der Finanzprokuratur, in: Manfred Kremser (Hg.), Anwalt und Berater der Republik. Festschrift zum 50. Jahrestag der Wiedererrichtung der österreichischen Finanzprokuratur, Wien 1995, S. 15–35. 27 Die Staatskanzlei ließ vom Staatsamt für Heerwesen im Einvernehmen mit der Finanzprokuratur ein diesbezügliches Gutachten ausarbeiten, welches zu dem Schluß kam, daß bei Forderungen gegen das alte Kriegsministerium bzw. dessen Abteilung 13 kein Wechsel des Rechtssubjektes stattgefunden habe. „Forderungsberechtigt und verpflichtet“ sei somit nach wie vor das k.u.k. Ärar, das gerichtlich von der deutschösterreichischen Finanzprokuratur und außergerichtlich von der zuständigen deutschösterreichischen Zentralstelle vertreten werde. Vgl. dazu den Bericht der Staatskanzlei über den Vollzug des ihr mit dem Beschluß des Staatsrates vom 29. November 1918 (50. Sitzung) erteilten Auftrages in AdR, StK, GZl. 275/1919, Zl. 275/1/1919, Lieferungsverträge mit dem K.M. – Rechtssubjekt bei Prozessen. Dieser Bericht wurde dann vom Staatskanzler in der 71. Sitzung dem Staatsrat vorgelegt. Vgl. SRP Nr. 71 vom 3. Februar 1919. 24
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Dr. B a u e r Mitteilungen über die Vorgänge in Kärnten und Südsteiermark: Bald heißt es, daß die Italiener, bald, daß die Südslaven die deutschen Gebiete Kärntens besetzen wollen und zwar, wie es scheint, aus Furcht voreinander. Nach den letzten Nachrichten denken die Italiener nicht ernsthaft an eine Besetzung Villachs und Klagenfurts.28 Demnächst sollen nämlich die czechoslovakischen Brigaden von der Süd- und Westfront über Villach, Selztal, Linz, Budweis nach Böhmen transportiert werden unter der Leitung italienischer Offiziere, die Italiener haben aber darauf verzichtet, die Eisenbahnknotenpunkte zu besetzen, sie wollen nur einzelne Offiziere in die hauptsächlichen Stationen senden; das Stationskommando bleibt aber in unserer Hand.29 Dagegen ist die Haltung der Südslaven seit einiger Zeit bedrohlich. Der Klagenfurter Wehrausschuß30 hat schon einige Male in Wien wegen Verhaltungsmaßregeln angefragt. Gestern abends 8 Uhr werde ich nun von der Kärntner Landesregierung angerufen: Der slovenische Major Lurić31 sei in Klagenfurt erschienen und habe einen Vertrag vorgezeigt, abgeschlossen zwischen dem Obersten Passi32 des Militärkommandos Graz im Auftrage des steierischen Wohlfahrtsausschusses einerseits und dem General Meister33 im Auftrage der slovenischen Nationalregierung in Laibach andererseits.34 Dieser Vertrag enthielt neben Zur Besetzung von Teilen Kärntens durch italienische Truppen vgl. Johann Rainer, Die italienische Besatzung in Österreich 1918–1920 (= Innsbrucker Historische Studien. Herausgegeben vom Institut für Geschichte der Universität Innsbruck, 2. Band. Sonderdruck), Innsbruck 1979, S. 84–88. 29 Zum Transport der Tschechischen Legion über österreichisches Gebiet vgl. auch SRP Nr. 38 vom 19. November 1918 und Nr. 46 vom 26. November 1918 vormittags. Diese Frage wurde auch in der 19. Sitzung des Kabinettsrates vom 30. November 1918 unter Punkt 7 der Tagesordnung behandelt. 30 Der Kärntner Wehrausschuß war ein Unterausschuß des am 26. Oktober 1918 zur Landesverwaltung gebildeten provisorischen Vollzugsausschusses. Der Wehrausschuß blieb innerhalb der provisorischen Landesversammlung Kärntens, die am 11. November 1918 aus dem Vollzugsausschuß hervorgegangen war, bestehen. Vgl. Glaubauf, Die Volkswehr, S. 105. 31 Alfred Lavrič von Zaplaz war mit 8. November 1918 von der slowenischen Nationalregierung zum Militärbevollmächtigten für Kärnten ernannt worden. Als solcher sollte er u. a. die Angliederung des slowenischsprachigen Teils Kärntens durchführen. Lavrič befand sich mit der Kärntner Landesregierung ab dem 15. November 1918 in Verhandlungen über die Festlegung der Demarkationslinie. Am 28. November 1918 erschien Lavrič im Klagenfurter Landhaus, um die Unterstellung der Bezirkshauptmannschaft Völkermarkt unter das militärische Kommando General Maisters zu fordern. Vgl. dazu Tamara Griesser-Pečar, Die Stellung der slowenischen Landesregierung zum Land Kärnten 1918– 1920, Klagenfurt/Ljubljana/Wien 2010, S. 152–165. Vgl. dazu weiters AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.476/1918, Bericht über die Lage in Kärnten; weiters Martin Wutte, Kärntens Freiheitskampf 1918–1920, Klagenfurt 1985, S. 91–96. 32 Rudolf Passy de Pereg, Oberst beim Militärkommando Graz. 33 Rudolf Maister, ab 1. Oktober 1917 Kommandant des Landsturm-Bezirkskommandos 26 in Marburg. Am 1. November 1918 übernahm er für die slowenische Armee das Militärkommando in Marburg und wurde zum Generalmajor befördert. Am 23. November entwaffnete Maister den Rest des deutschen Militärs und der Bürgerwehr. Vgl. Martin Moll, „Die blutende Wunde im Süden“: Eine neue Grenze entsteht, in: Alfred Ableitinger (Hg.): Bundesland und Reichsgau. Demokratie, „Ständestaat“ und NS-Herrschaft in der Steiermark 1918 bis 1945 (= Geschichte der Steiermark. Herausgegeben von der historischen Landeskommission für Steiermark, Band 9/1), Wien/Köln/Weimar 2015, S. 289–316, hier S. 296 f; weiters Wutte, Freiheitskampf, S. 95 und Lojze Penič, General Rudolf Maister in boj za slovensko severno mejo v letih 1918–1920, in: Muzej narodne osvoboditve (Hg.): Skozi čas : zbornik Muzeja narodne osvoboditve Maribor za leto, Maribor 2005, S. 25–38. Zur Entwaffnung und Auf lösung der Marburger Schutzwehr vgl. auch Neue Freie Presse. Morgenblatt, 24. November 1918, S. 5 „Besetzung von Marburg durch serbische Truppen“. 34 Der Vertragstext wurde am 28. November 1918 dem Staatsamt für Heerwesen vom Militärkommando Graz telegrafisch übermittelt. Vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.672/1918, Gemischtsprachige Gebiete in Steiermark und Kärnten – Besetzung durch jugoslavische Truppen – Vertrag. Eine Abschrift des Vertrages vom 27. November 1918 findet sich, neben umfangreichen anderen Materialien in AdR, 28
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verschiedenen Bestimmungen über Steiermark, die der Kärntner Regierung nicht mitgeteilt wurden, bezüglich Kärntens die Bestimmung einer Demarkationslinie 10 bis 20 km nördlich von Klagenfurt und Villach. Bis zu dieser Linie sei das Land von den Slovenen zu besetzen und es seien keine Lebensmitteltransporte und keine Transporte von Staatsgut, insbesondere auch von Militärgut über diese Linie zulässig. Diese Bestimmung galt auch für die steierische Demarkationslinie. Das bedeutet also, daß wir nicht nur keine Lebensmittel aus dem Süden bekommen dürfen, sondern daß auch ungeheure Mengen Militärgut verloren wären. Dabei war der Vertrag auch noch so gefaßt, daß es z. B. hieß, wenn die Slovenen etwa feindselig von der Bevölkerung behandelt würden, so seien sie berechtigt, auch noch über die Demarkationslinie hinauszugehen. Kurz, ein ganz unmöglicher Vertrag. Von diesem Vertrag erfuhr die Kärntner Landesregierung erst durch den slovenischen Major. Die Aufregung in Klagenfurt sei ungeheuer, wenn die Slovenen wirklich kommen, werde sich die Bevölkerung zur Wehr setzen, ein Blutvergießen sei unvermeidlich. Um 12 Uhr nachts trete der Vertrag in Kraft35, da werden die Slovenen einmarschieren. Die Kärntner Landesregierung fragt nun – um 8 Uhr abends – was sie machen soll. Ich telephonierte sofort nach Laibach und Graz. Mit Laibach konnte ich natürlich zunächst keine ordentliche Verbindung bekommen. Von Graz sagte mir Dr. Eisler vom Wohlfahrtsausschuß36, die Grazer hätten sich durch den Vormarsch der Südslawen bedroht gefühlt und hätten den Obersten Passi beauftragt, Verhandlungen mit dem General Meister zu führen. Passi habe nun seine Vollmachten überschritten. Als er von Marburg zurückkam, habe man erst gesehen, daß das ein unmöglicher Vertrag sei. In Graz hat man sich hauptsächlich über die Bestimmung wegen der Lebensmitteltransporte aufgeregt. Die Grazer hätten nun sofort Laibach angerufen, seien mit dem Finanzminister der Nationalregierung37 verbunden worden und hätten ihm mitgeteilt, daß sie den Vertrag nicht anerkennen. Der StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.250/1918, Passy Rudolf von Obst., Vorgehen in Bezug auf südslavische Gebietsansprüche. Weiteres Material liegt in AdR, StK, GZl. 557/1919, Staatsamt für Heerwesen, Rudolf von Passy, Vorläufige Erhebungen. Vgl. dazu auch Griesser-Pečar, Die Stellung der slowenischen Landesregierung, S. 166–174; Wutte, Freiheitskampf, S. 96 f. 35 Laut § 9 des Vertrages sollten die Bestimmungen mit 30. November 1918, 12 Uhr mittags in Kraft treten. 36 Dr. Arnold Eisler und Viktor Wutte wurden vom steirischen Wohlfahrtsausschuß, der sich am 20. Oktober 1918 konstituiert und die Landesverwaltung übernommen hatte, zu Landesverwesern bestimmt. Nach dem Rücktritt des Statthalters am 26. Oktober 1918 wurde Wutte zum Wirtschaftskommissär für die Steiermark und Eisler zu dessen Stellvertreter ernannt. Dieses Amt wurde als der Statthalterei übergeordnet definiert. Die Wirtschaftskommissäre sollten, mit dem Wohlfahrtsausschuß als Beratungsorgan, die gesamte wirtschaftliche Verwaltung des Landes übernehmen. Vgl. dazu Gernot D. Hasiba, Gesetzgebung und Verwaltung in der Steiermark 1918 bis 1933, in: Alfred Ableitinger (Hg.), Bundesland und Reichsgau. Demokratie, „Ständestaat“ und NS-Herrschaft in der Steiermark 1918 bis 1945 (= Geschichte der Steiermark. Herausgegeben von der historischen Landeskommission für Steiermark, Band 9/1), Wien/Köln/Weimar 2015, S. 191–239, hier S. 191 f. Dr. Arnold Eisler, Wirtschaftskommissär für die Steiermark, 4. März 1919 bis 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdAP, 17. Oktober 1919 bis 20. November 1920 Unterstaatssekretär im Staatsamt für Justiz. Dr. Viktor Wutte, Industrieller, Vorstandsmitglied des Verbandes österreichischer Industrieller, ab 21. Oktober 1918 einer der drei gewählten Präsidenten des steiermärkischen Wohlfahrtsausschusses, 6. November 1918 bis 27. Mai 1919 Mitglied der steiermärkischen Landesregierung, 4. März 1919 bis 9. November 1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, GdP. 37 Der Rechtsanwalt in Cilli und frühere Abgeordnete des steirischen Landtages, Dr. Vekoslav Kukovec, war Kommissar des Finanzwesens in der „Nationalregierung der Slowenen, Kroaten und Serben in Laibach“, welche in weiterer Folge zur slowenischen Landesregierung wurde, aus welcher Kukovec jedoch ausschied, da diese kein Finanzressort mehr enthielt. Vgl. dazu Griesser-Pečar, Die Stellung der slowenischen Landesregierung, S. 71–110.
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Finanzminister habe das zur Kenntnis genommen. Für heute sei eine neue Verhandlung in Marburg vereinbart worden.38 Ich habe veranlaßt, daß das sofort nach Kärnten mitgeteilt werde, und habe in Laibach ersucht, auch den slovenischen Major davon zu verständigen.39 Vorläufig sind die Slovenen in Klagenfurt nicht einmarschiert, wenigstens nicht bis zur Zeit des letzten Telephongesprächs. Ich habe auch veranlaßt, daß jemand von Klagenfurt nach Marburg reist, um an den Verhandlungen teilzunehmen. Dabei habe ich ausdrücklich Vollmacht gegeben, daß man, damit ein Einmarsch vermieden werde, einen Vertrag mit den Slovenen abschließen dürfe, wenn die Demarkationslinie so bestimmt wird, daß bis auf weitere Verhandlungen niemand weiter gehen darf als er schon ist. Über die heutigen Verhandlungen habe ich noch keinen Bericht, aber es ist wahrscheinlich gelungen, das Unglück noch im letzten Momente zu verhüten – obwohl es schon Unglück genug ist, daß man den Slovenen überhaupt einmal gesagt hat, daß man Klagenfurt und Villach besetzen könnte. Ich habe auch noch gestern dem Baron Haupt40 in die Schweiz telegraphiert, er möge in vorsichtiger Form die Entente-Vertreter darauf aufmerksam machen, daß bald die Italiener, bald die Slovenen, jeder aus Angst vor dem andern, Klagenfurt und Villach besetzen wollen; wir bitten dringend darauf hinzuwirken, daß niemand es besetze.41 Wenn aber die Entente Am 29. November fand in Marburg eine Besprechung zwischen den Bevollmächtigten der steirischen Landesregierung, Einspinner und Eisler, und General Maister statt, die zur Annullierung des Vertrages vom 27. November 1918 führte. Eine Abschrift des Protokolls der Besprechung liegt in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.250/1918, Passy Rudolf von Obst., Vorgehen in Bezug auf südslavische Gebietsansprüche. August Einspinner, Goldschmied und Politiker, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 6. November 1918 bis 27. Mai 1919 Landesrat in der Steiermark, nach 1918 Mitglied des steirischen Wohlfahrtsausschusses und des Landesausschusses sowie Militärbevollmächtigter, DnP. 39 Zu diesen Anweisungen des Staatsamtes für Äußeres die Abschriften der entsprechenden Telegramme an den Landesrat in Klagenfurt, die Regierung in Laibach und die Landesregierung in Graz vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslawien 9/1, Zl. 827/1918, Südslavische Truppen; Vordringen gegen deutsche Gebiete; Besetzungslinie. 40 Dr. Stephan Freiherr Haupt von Buchenrode, 19. November 1918 bis 30. November 1919 bevollmächtigter Vertreter Deutschösterreichs in Bern. Er wurde am 20. November 1918, zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in der Schweiz ernannt. 41 Das Telegramm vom 28. November 1918 findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslavien 9/1, Fasz. Neutralisierung von Villach und Klagenfurt durch Ententetruppen (Amerikaner & Engländer), Zl. 742/1918. Haupt sprach in dieser Angelegenheit am 29. November im Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten vor. Vgl. Aide-Mémoire de l’Adjoint de la Division des Affaires étrangères du Département politique, W. Thurnheer, in: Diplomatic Documents of Switzerland, 1848 ff., Online Database Dodis: http://dodis.ch/43779, abgerufen am 23. Mai 2019. Staatssekretär Bauer forderte erneut die Neutralisierung der umstrittenen Gebiete durch amerikanische und englische Truppen u. a. am 1. und 3. Dezember 1918 in Telegrammen an die deutschösterreichische Gesandtschaft in Bern und an die österreichisch-ungarische Gesandtschaft in Stockholm. Abschriften der entsprechenden Telegramme finden sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslavien 9/1, Fasz. Neutralisierung von Villach und Klagenfurt durch Ententetruppen (Amerikaner & Engländer), Zl. 880/1918, Südslavische Einbrüche in deutsches Gebiet und Zl. 1.543/1/1918. Die Forderung wurde in einer Note der Schwedischen Gesandtschaft vom 7. Dezember 1918 an das Department of State weitergeleitet. Vgl. dazu Papers Relating to the Foreign Relations of the United States, The Paris Peace Conference 1919, Volume 2 document 127, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d127, und document 130 https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d130, beide abgerufen am 23. Mai 2019. Das amerikanische Außenministerium antwortete daraufhin: „if you would kindly request your Government to suggest to the Government of Austria that communications of this 38
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eine Besetzung dieser Städte unbedingt für notwendig hält, um einen Zusammenstoß zwischen Italienern und Südslawen zu verhüten und die Eisenbahnlinie zu sichern, oder sonst aus einem Grunde, dann bitten wir dringend, daß keine anderen Truppen hinkommen als amerikanische, und zwar habe ich vorgeschlagen, daß man nicht mehr als je eine Halbkompagnie nach Klagenfurt und Villach lege, ein amerikanisches Bataillon stehe ja in Cormons und eines in Bozen. Ich habe geglaubt, das ohne vorherige Befragung des Staatsrates in die Schweiz telegraphieren zu sollen, weil die Sache sehr dringend sein kann. Es muß den Ländern gesagt werden, daß auswärtige Politik so nicht betrieben werden kann. Schon das Verhalten des Tiroler Nationalrats hat uns schweren Schaden zugefügt und noch mehr, was den durchreisenden ausländischen Journalisten in Innsbruck gesagt wurde. Schraffl42 hat dem Journalisten Jeffries43 von den „Times“ gesagt, die Tiroler wollen nichts mit Wien zu tun haben.44 Nun sind alle englischen und französischen Zeitungen voll von der Tiroler Separationsbewegung und erklären den deutschösterreichischen Staat für etwas nicht Festes, für ein Schwindelgebilde. Solche Gespräche haben dann Folgen, die die Herren in Innsbruck unmöglich voraussehen können, und die ihnen ebenso wenig erwünscht sind wie uns. Und das steierische Beispiel zeigt, daß das größte Unglück geschehen kann, wenn man Verhandlungen so führt, daß man in Wien überhaupt nicht weiß, was geschieht, wenn gar ein Oberst eigenmächtig solche Verträge schließt. Ich habe dem Staatsamt für Heerwesen den Vorfall mitgeteilt und ersucht, daß man den Oberst suspendiere und eine Disziplinaruntersuchung einleite.45 Ferner habe ich mich verpflichtet gehalten, das dem Kabinettsrat46 und dem Staatsrat mitzuteilen, und richte nun die dringende Bitte, den Landesregierungen mitzuteilen, daß die auswärtige Politik unbedingt uns überlassen bleiben muß. Für den Fall aber, daß ein Land, was ja jetzt vorkommen kann,
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nature which pertain to the terms of the armistice and to matters in which all the associated governments are interested, should be sent to all the governments and not addressed only to the President or Government of the United States, and to inform your Government that the Government of the United States would prefer not to receive further communications of the above nature from the Government of Austria unless it is clear that they are being simultaneously communicated to the other governments concerned.” Vgl. ebd., document 128, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/ d128, abgerufen am 23. Mai 2019. Vgl. auch das restliche umfangreiche Material in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslavien 9/1, Fasz. Neutralisierung von Villach und Klagenfurt durch Ententetruppen (Amerikaner & Engländer). Josef Schraffl, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 1908 Mitglied des Tiroler Landesausschusses, ab Jänner 1914 Präsident des Landeskulturrates, 23. Mai 1917 bis 6. Juni 1921 Landeshauptmann von Tirol, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP. Vermutlich handelt es sich hier um Joseph Mary Nagel Jeffries, 1914 bis 1933 Korrespondent der Daily Mail, während des 1. WK Kriegsberichterstatter in Ägypten, Albanien, Griechenland, Österreich, Italien, Belgien, Frankreich und Rußland. Das entsprechende Interview Schraffls konnte nicht eruiert werden. Vgl. zum Thema auch Schraffls eigenmächtig an die Entente gerichtete Forderung nach Entsendung von Truppen und Verpflegung in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 574/1918, Ansuchen des Tiroler Landesrates um Besetzung gewisser Punkte in Tirol durch die Entente. Vgl. auch den Bericht des Staatssekretärs Urban vom 17. Dezember 1918, betreffend das eigenmächtige Vorgehen der Landesregierungen in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/II, GZl. 3562/1918, Eigenmächtiges Vorgehen der Landesregierungen, Eingreifen in auswärtige Politik. Oberst Rudolf Passy de Pereg wurde am 30. November 1918 vom Dienst enthoben und angewiesen, um seine Versetzung in den Ruhestand anzusuchen, die er mit 1. Dezember 1918 beantragte. Vgl. dazu das Schreiben des Volkswehrkommandos Graz vom 12. Dezember 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.250/1918, Passy Rudolf von Obst., Vorgehen in Bezug auf südslavische Gebietsansprüche. Vgl. dazu das Stenogramm zu KRP Nr. 18/10 und 11 vom 29. November 1918.
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gezwungen ist, selbst unmittelbare Verhandlungen zu führen, möge der Staatsrat beschließen, es sei den Landesregierungen mitzuteilen, wenn sie, durch die Umstände gezwungen, Verträge mit fremden Staaten vereinbaren, dann müsse jede solche Vereinbarung die Klausel enthalten, daß der Vertrag nur dann rechtskräftig wird, wenn er vom deutschösterreichischen Staatsrat ratifiziert wird. A n g e n o m m e n.47 W o l f: Über eine etwaige Waffenstillstandsvereinbarung kann man aber nicht immer nach Wien berichten. Dr. B a u e r: Das natürlich nicht. P r i s c h i n g findet48 das Vorgehen des steierischen Wohlfahrtsausschusses geradezu unbegreiflich. Er erbietet sich, zur morgigen Landesversammlung nach Graz zu fahren und ihr Aufträge des Staatsrates zu übermitteln. Hierauf wird folgender Beschluß gefaßt: Prisching ist gebeten, in der morgigen steirischen Landesversammlung auf die schweren Bedenken zu verweisen, die im Staatsrat gegen das von der steirischen Landesregierung beliebte Vorgehen geltend gemacht worden sind, ferner dort von dem heutigen Beschlusse Mitteilung zu machen und an die Landesregierung den dringenden Appell zu richten, sich künftighin an diese Vorschriften zu halten, deren Nichteinhaltung das Staatsgefüge auf das schwerste gefährden würde.49 W o l f verweist im Anschluß an die Vorgänge im Süden auf den Vorstoß der Tschechen gegen Brüx50, der nur ein Glied sei in einer Kette fortgesetzter Versuche, mit Gewalt in deutschem Gebiet Fuß zu fassen. Bisher sei Deutschösterreich dagegen so gut wie wehrlos gewesen. Wenn es so weitergehe, müßte er seinen Volksgenossen raten, sich von Deutschösterreich abzuwenden und den Anschluß an Sachsen zu suchen, so schwer es auch fiele, Vgl. AdR, StK, GZl. 751/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 50. Sitzung des deutschösterreichischen Staatsrates vom 29. November 1918. 48 Im Original ursprünglich erklärt. 49 Prisching erstattete in der 2. Sitzung der provisorischen Landesversammlung des Landes Steiermark am 2. Dezember 1918 Bericht über die Diskussion im Staatsrat. Der „dringende“ Appell an die Landesregierung ist in seinen Ausführungen nicht enthalten, allerdings richtete er an den Landeshauptmann Anfragen, ob es richtig sei, daß die steirische Landesregierung und der Landeshauptmann 1. „ohne Rücksichtnahme auf andere Kronländer mit der Regierung des südslawischen Staates über die Landes-, respektive Reichsgrenzen Abmachungen getroffen habe[n]?“ und 2. diese Abmachungen das Recht auf die Besetzung von Teilen Kärntens beinhaltet hätten, „um auf diese Weise die Südslawen von Steiermark fernzuhalten?“. Der Landeshauptmann antwortete darauf „mit einem ebenso entrüsteten als klaren „Nein“. Vgl. Stenographischer Bericht über die 2. Sitzung der provisorischen Landesversammlung des Landes Steiermark am 2. Dezember 1918, S. 14–16. 50 Am 27. November 1918 besetzten tschechoslowakische Truppen die nordböhmische Stadt Brüx. Noch am selben sowie auch am darauffolgenden Tag kam es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Volkswehr und tschechischen Demonstranten, die durch tschechoslowakisches Militär unterstützt wurden. Vgl. dazu Neue Freie Presse. Abendblatt, 29. November 1918, S. 1 „Die blutigen Straßenkämpfe in Brüx. Stundenlanges Feuern aus Maschinengewehren“; und ebd., S. 1 f „Das Eindringen der Tschechen in Brüx. Heftige Feuerkämpfe in den Straßen“. Vgl. auch die ausführlichen Berichte zu den Vorgängen in Brüx in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Berichte aus verschiedenen Orten A–L, Brüx sowie das auch unter M–Z einliegende weitere Material zu Brüx. Vgl. weiters den Bericht des deutschen Generalkonsuls in Prag, von Gebsattel, vom 30. November 1918 über die Unruhen und die tschechische Besetzung von Brüx, in: Deutsche Gesandtschaftsberichte aus Prag. Teil I: Von der Staatsgründung bis zum ersten Kabinett Benesch 1918–1921. Berichte des Generalkonsuls von Gebsattel, des Konsuls König und des Gesandten Professor Saenger. Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Manfred Alexander (= Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 49/I), München/Wien 1983, S. 106 f. Fritz Freiherr von Gebsattel, 1909 bis 1919 Leiter des deutschen Konsulats in Prag. 47
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Deutschösterreich im Augenblicke der gemeinsamen Not zu verlassen. Die Volkswehr51 genüge absolut nicht, unsere Schwäche verlocke ja zu diesen Einbrüchen. Er bittet den Staatssekretär für Äußeres anzuregen, daß der Staatsrat den Staatssekretär für Heerwesen beauftrage, mit allen verfügbaren Mitteln ein Heer zu schaffen, das das Staatsgebiet wenigstens gegen diese wiederholten kleinen Angriffe schützen könne. Wenn einmal die tschechischen Brigaden zurückgekehrt sein werden, werden wir allerdings nicht viel ausrichten können. Dr. R e n n e r macht Mitteilung von einem Einfall der Tschechen in Prachatitz52 und weist auf die kriegerischen Artikel der „Národní Listy“ hin. Ein Gesetzentwurf, der die Grundlage für die Aufstellung eines größeren Heeres bildet, sei ja heute eingebracht worden. Aber selbst nach Aufstellung dieses Heeres wären wir zu schwach, um den Krieg selbst aufzunehmen. Es bleibe nichts übrig, als so viel als möglich präventiv zu wirken, indem man überall die Bürger wehrhaft erhalte. P r i s c h i n g: Wenn man mir morgen in Graz sagt, der Wiener Staatsrat soll uns Militär schicken, dann werden wir so etwas nicht wieder tun: kann ich dann sagen, daß nächstens Militär werde geschickt werden? Dr. B a u e r: Über die Möglichkeit der Aufstellung einer Heeresmacht müßte sich der Staatssekretär für Heerwesen äußern. Eine Grenze nach oben bilden natürlich schon die Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages.53 Vom Standpunkte meines Ressorts hätte ich selbstverständlich das größte Interesse an einer möglichst starken Heeresmacht. Oft ist es wirklich nur unsere Wehrlosigkeit, die die Nachbarn zu solchen Einfällen direkt einladet. In Brüx und in Bilin scheint es sich allerdings um einen systematischen Vorstoß zu handeln, um das Braunkohlengebiet in die Hände zu bekommen. Das bedeutet für uns eine große Gefahr, weil wir, insbesondere Deutschböhmen, von dort Kohle beziehen und weil es bei einer Besetzung durch die Tschechen unzweifelhaft zu einer Arbeitseinstellung kommen würde. So sehr ich also meine, daß im gegenwärtigen Augenblick eine Stärkung unserer Wehrkraft ein wirksamer Schutz wäre, so gilt das doch nur für die nächsten zwei, drei Wochen. Denn dann werden die Tschechen mit den zurückkehrenden Brigaden ein wirkliches Armeekorps bekommen, und da wird jede Möglichkeit eines Widerstandes für uns aufhören, nicht nur weil wir in so kurzer Zeit eine entsprechende Macht nicht aufstellen können, sondern weil auch der Waffenstillstandsvertrag uns verbietet, mit diesen Brigaden, die als Bestandteil der Ententearmee anerkannt sind, den Kampf aufzunehmen. Die Tschechen erklären zwar täglich, daß diese Brigaden nicht gegen Deutschböhmen bestimmt seien, sondern gegen die Slovakei, aber darauf können wir natürlich nichts geben. T e u f e l rügt in den schärfsten Worten das Vorgehen der steirischen Regierung. Er dankt dem Staatsamt für Äußeres für seine Stellungnahme in der Frage der Verteidigung Südmährens. Dem Staatskanzler könne er nicht zustimmen, wenn dieser jeden Kampf für aussichtslos halte. Wir müssen den Kampf gegen die einbrechenden Banden so lange führen, bis Ententetruppen einmarschieren, und wir müssen schon heute eine Mitteilung der Entente verlangen, wie sie die Bestimmungen des Waffenstillstandsvertrages bezüglich der Rechte der tschechischen Brigaden auslege. Außerdem aber hätten wir die größten militärischen Vorkehrungen zu treffen, wenigstens die fünf Divisionen, die uns der Waffenstillstandsver Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Am 22. November 1918 wurde die südböhmische Stadt Prachatitz von tschechoslowakischen Truppen besetzt und alle Mitglieder des dortigen deutschen Nationalrates festgenommen und nach Prag gebracht, wo sie bis zum 17. Dezember 1918 inhaftiert blieben. Zu diesem und anderen Vorfällen im Zuge der Besetzung von Prachatitz sowie dem diesbezüglichen Protestschreiben des Staatsamtes für Äußeres vgl. das Material in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, GZl. 1.571/1/1918, Verhaftung des deutschen Nationalrates von Prachatitz. 53 Vgl. dazu SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 51 52
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trag gestattet, sollten innerhalb der nächsten drei oder vier Wochen vollständig bereitgestellt werden. Das Gesetz über das Volksheer soll auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der Nationalversammlung gestellt werden, die baldigst stattzufinden hat. Dann soll sofort die Mobilisierung angeordnet werden. Die Tschechen werden mit uns ganz anders verkehren, wenn wir unsere fünf Divisionen haben, als wenn sie sehen, daß wir ohne jeden Mann dastehen. Die Armee ist nicht auf Grund des Abschnittes I (Kriegserklärung) aufzustellen, sondern zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Sicherheit im Innern. Dann sind wir gedeckt und haben auch für die Zukunft Truppen im Lande, die die Ruhe und Ordnung aufrechterhalten. Dr. B a u e r kann an der Sitzung des Staatsrates nicht weiter teilnehmen, da ein Vertreter der deutschen Botschaft und der südslavische Gesandte ihn im Staatsamt für Äußeres erwarten.54 Dr. v. L a n g e n h a n hält es für ausgeschlossen, daß die tschechischen Brigaden, gegen die wir uns allerdings nicht schützen könnten, uns angreifen werden, denn sie seien ja ein Bestandteil des Ententeheeres, da würde also dann die Entente wieder gegen uns Krieg führen. Aber für die Zeit vor der Ankunft der Brigaden müssen wir unser Gebiet schützen. Die böhmische Nordbahn sei im Streik aus nationalen Gründen.55 Das Staatsamt für Verkehrswesen könne keine Information darüber bekommen, weil die telephonische Verbindung mit Teplitz und Warnsdorf unterbrochen sei. Vielleicht sei es der Staatskanzlei möglich, Informationen zu erhalten. Den Staatssekretär für Äußeres wollte er um Informationen über den Fortgang der Verhandlungen über die Friedenskonferenz bitten, denn der Waffenstillstand gehe bald zu Ende. Er bittet, diese Frage auf die Tagesordnung der morgigen Sitzung zu stellen.56 W a l d n e r wünscht, daß das ungeheuerliche Vorgehen des steirischen Wohlfahrtsausschusses in irgendeiner Weise vom Staatsrat mißbilligt werde. Dr. R e n n e r: Dazu müßte erst der Sachverhalt klargestellt werden. Aber man könnte eine dreigliedrige Untersuchungskommission nach Graz schicken. Im Notfall müßte man, wenn ein Funktionär sich nicht fügt, ihn wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt anklagen. P r i s c h i n g ersucht, von der Mißbilligung vorläufig abzusehen. Er werde zunächst die Sache klarzustellen trachten und dann dem Staatsrat darüber Mitteilung machen. Dr. R e n n e r: Sagen Sie in Graz, daß im Staatsrat von Mißbilligung, von Einsetzung einer Untersuchungskommission und von Anklage wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt die Rede war. W a l d n e r regt an, daß dem Lande Kärnten eine Genugtuung gegeben werde. Dadurch würde die Mißbilligung über das Vorgehen der steirischen Regierung nach außenhin zum Zu der erwähnten Besprechung Staatssekretär Bauers mit Vertretern der deutschen Botschaft und dem südslawischen Gesandten im Staatsamt für Äußeres konnten im Bestand des AdR, BKA/AA keine Unterlagen eruiert werden. 55 Vgl. dazu Neue Freie Presse. Morgenblatt, 26. November 1918, S. 5 „Widerstand deutscher Arbeiter gegen czechische Besetzungen“. Zum Streik der Bahnbediensteten in Leipa vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918; KRP Nr. 20/5 vom 2. Dezember 1918. Das nordböhmische Eisenbahnpersonal war schon in der Endphase der Monarchie deutschnational infiltriert. Vgl. Hanns Haas, Im Widerstreit der Selbstbestimmungsansprüche: vom Habsburgerstaat zur Tschechoslowakei – die Deutschen der böhmischen Länder 1918 bis 1919, in: Hans Mommsen/Dušan Kováč/Jiří Malíř/Michaela Marek (Hg.), Der Erste Weltkrieg und die Beziehungen zwischen Tschechen, Slowaken und Deutschen, Leipzig 2001, S. 141–220, hier S. 214. Die tschechoslowakische Administration bewertete die Streiks als systematische Blockierung der Kohleversorgung Böhmens. Vgl. Beneš Schreiben an Clemenceau vom 16. Dezember 1918 in Dokumenty československé zahraniční politiky. Československo na parížské mírové konferenci 1918–1919. Band 1 (listopad 1918–cerven 1919). Herausgegeben von Martin Nechvátal/Helena Nováčková/Ivan Št’ovíček, bearbeitet von Jindřich Demek/František Kolář, Prag 2001, S. 113. 56 Vgl. SRP Nr. 51/7 vom 30. November 1918. 54
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Ausdruck gebracht werden, was unbedingt notwendig sei, aber in unpersönlicher Weise, ohne daß der Wohlfahrtsausschuß oder das Militärkommando genannt werden. Präs. S e i t z schlägt als Kompromiß die Protokollierung des folgenden Satzes vor: „Staatsrat Waldner verwahrt sich namens des Landes Kärnten auf das aller entschiedenste dagegen, daß von Organen eines anderen Landes über das Schicksal Kärntens verfügt werde. Er behält sich vor, nach Klarstellung des ganzen Sachverhaltes, weitere Anträge zu stellen.“ W a l d n e r erklärt, sich vorläufig damit zu begnügen. S e i t z: Die Tagesordnung ist erledigt. T e u f e l bittet schon heute den Tag der nächsten Nationalversammlung festzusetzen. S e i t z stimmt diesem Wunsche zu, hält aber entgegen, daß auch die Tagesordnung festgesetzt werden muß. R e n n e r: Der Justizausschuß hat eine Vorlage fertig und wird am Dienstag drei weitere Vorlagen fertig haben.57 Auch die Vorlage bezüglich der Ausdehnung des Wahlrechtes in den Gemeinden wird bald die Gemeindekommission58 verlassen. Einige von diesen Gegenständen, die unbestritten sind, können schon auch in zweiter und dritter Lesung gemacht werden. Ausnahmsweise ist das schon zulässig, oder wir machen am Mittwoch eine Sitzung und am Donnerstag die zweite Sitzung. Was die Gemeindevorlage betrifft, so muß diese aus folgendem Grunde ergänzt werden: Die Gemeindevertretungen haben sich durch Kooptierungen59 ergänzt. Wenn nun eine solche Gemeinde eine Verfügung trifft und irgend eine Privatpartei sich beschwert erachtet, kann sie zum Verwaltungsgerichtshof gehen und dieser muß erklären, daß der Beschluß nichtig ist. Wir müssen daher jede dieser Maßregeln, die geschehen sind oder noch geschehen, legalisieren. F i n k hat nichts dagegen, fragt aber an, was mit den Landtagen geschehen soll, wo es sich doch um dasselbe handelt. Es wäre zweckmäßig, daß die Landtage gewählt werden und nicht bloß auf diesen erloschenen Mandaten beruhen. Wir haben neulich beschlossen, daß ein Rahmengesetz für eine Landes- für eine Kreis-, für eine Bezirks- und eine Gemeindeordnung gemacht werde.60 Nun ist das „Land“ nicht im Staatsgesetzblatte drinnen, es kann sein, daß das nur ein Druckfehler ist, er muß aber berichtigt werden. Ich bringe das auch deshalb vor, weil es in einzelnen Ländern vielleicht möglich wäre, mit der Wahl in die Nationalversammlung gleichzeitig auch den Landtag wählen zu lassen, was beim Proporzwahlrecht sehr leicht geschehen könnte. In der Schweiz wählt man die Bundes-, die Kanton-, die Gemeinde- und Kirchenräte in einer Wahl und an einem Tage nur in verschiedenen Kouverts. R e n n e r bemerkt, daß doch endlich einmal in einer Regierungserklärung im Namen der Republik Deutschösterreich der Welt gesagt werden müßte, was wir übernommen haben, wie es im Allgemeinen gestanden ist, daß wir keine einzige militärische Formation gehabt haben und dgl. In jedem Parlamente werden die Debatten vorher vereinbart. Wir sind jetzt eine Nation, es muß daher vereinbart werden, es sprechen nicht mehr als die drei Hauptrichtungen und damit ist Schluß. Ich würde daher empfehlen, daß dieser allgemeine Regierungsbericht für das Innere erstattet werde, für das Äußere, sowie für die Ernährungs- und Kriegswirtschaft. Der Provisorischen Nationalversammlung wurden in der 7. Sitzung vom 4. Dezember 1918 drei Gesetzesvorlagen durch den Justizausschuß vorgelegt, nämlich das Gesetz, betreffend die Vereinfachung der Strafrechtspflege, das Gesetz, betreffend die Ablösung der Zinsgründe in Böhmen sowie ein Gesetz über die Abänderung einiger Bestimmungen des Militärstrafgesetzes. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 189. 58 Das Verzeichnis der Kommissionen des Staatsrates enthält keinen Hinweis auf eine Gemeindekommission. 59 Kooption auch Kooptation: nachträgliche Hinzuwahl neuer Mitglieder in eine Körperschaft durch die dieser Körperschaft bereits angehörenden Mitglieder. 60 Vgl. SRP Nr. 37 vom 19. November 1918. 57
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Es wird hierauf b e s c h l o s s e n61: Für nächsten Mittwoch 10 Uhr vormittags eine Obmännerkonferenz einzuberufen und die Nationalversammlung für 11 Uhr vormittags und zwar mit folgender Tagesordnung: 1. Allgemeiner Regierungsbericht, 2. Die vom Justizausschusse bis dahin fertiggestellten Vorlagen. 3. Dritte Lesung des Gesetzes über die Kontrolle der Staatsschuld. 4. Gesetz betreffend die Ausfuhr und Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung. 5. Wahl des Staatsangestellten-Ausschusses. Es wird weiters beschlossen, die Anberaumung der Nationalversammlung durch die Zeitungen zu verlautbaren62 und am Schlusse der Tagesordnung für die Mittwochsitzung die Bemerkung anzuknüpfen, daß am Mittwoch Nachmittag die Ausschüsse tagen werden, und daß auch am darauffolgenden Donnerstag eine Sitzung der Nationalversammlung stattfinden wird, in der die von den Ausschüssen bis dahin fertiggestellten Vorlagen verhandelt werden sollen. Nachdem noch der Staatssekretär für öffentliche Arbeiten Z e r d i k Informationen betreffend die Sparmaßnahmen beim Verbrauche von Gas und Elektrizität in Wien gegeben hat63, wird die Sitzung um 7 Uhr 45 Minuten abends geschlossen.
Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, Tagesordnung, S. 189. Dieser Punkt fehlt im Beschlußprotokoll zu dieser Sitzung. 62 Zeitpunkt und Tagesordnung der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918 wurden u. a. in der Wiener Zeitung, 1. Dezember 1918, S. 1 „Inland“ veröffentlicht. 63 Vgl. dazu SRP Nr. 49 vom 28. November 1918 sowie Nr. 51 vom 30. November 1918. 61
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50. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 29. November 1918 Vorsitzender Präsident S e i t z. B e s c h l ü s s e: I. Mitteilung des Staatsrates Dr. von L a n g e n h a n über das Unterbleiben der ihm in der 49. Sitzung des Staatsrates aufgetragenen Reise nach Budapest zu Verhandlungen mit der ungarischen Regierung, da nach den gegenwärtigen Zugsverbindungen sein Eintreffen in Budapest erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkte, als er für die Besprechung vereinbart worden war, hätte erfolgen können. Beschluß: Die Mitteilung wird zur Kenntnis genommen. II. Bericht des Staatsamtes für Landwirtschaft über die Erlassung einer Vollzugsanweisung betreffend den Verkehr mit künstlichen Düngemitteln. Beschluß: Der Staatsrat genehmigt die Erlassung der Vollzugsanweisung nach dem beigebrachten Entwurfe. An den Herrn Staatssekretär für Landwirtschaft. III. Personalien: Dem Staatsrate D o m e s wird ein Urlaub bis einschließlich 3. Dezember erteilt und für diese Zeit sein Ersatzmann, Nationalrat T o m s c h i k zu den Sitzungen des Staatsrates einberufen. IV. Bericht des Sektionsrates Dr. F r ö h l i c h namens des Staatssekretärs für Heerwesen, betreffend den von der Heereskommission an den Staatsrat geleiteten Entwurf eines Grundgesetzes über die Rechte und Pflichten des Soldaten. Beschluß: Die Vorlage wird in der von der Heereskommission vorgeschlagenen Fassung in der Nationalversammlung als Regierungsvorlage unterbreitet. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär für Heerwesen. V. Bericht des Sektionsrates Dr. F r ö h l i c h namens des Staatssekretärs für Heerwesen betreffend den von der Heereskommission an den Staatsrat geleiteten Entwurf eines Grundgesetzes über das deutschösterreichische Volksheer. Beschluß: Die Vorlage wird in der von der Heereskommission vorgeschlagenen Fassung der Nationalversammlung als Regierungsvorlage mit der Abänderung unterbreitet, daß es in § 5, Absatz 2 zu lauten hat: „Die G r u n d g e s e t z e und Gesetze des Vaterlandes unverbrüchlich zu beobachten“ und im § 8 die Mehrzahlsform „Kommanden, Unterabteilungskommanden und Abteilungskommanden“ zu gebrauchen ist. Bei der Abstimmung über § 12 und ebenso über § 13 des Entwurfes erklärt Staatsrat T o m s c h i k, daß er sich namens der sozialdemokratischen Partei vorläufig der Abstimmung enthalte und seiner Partei für die Verhandlung des Gegenstandes in der Nationalversammlung freie Hand bewahre. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär für Heerwesen.
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VI. Antragsteller: Staatsrat K e s c h m a n n Die Staatskanzlei wird beauftragt, mit den Regierungen des cschechoslovakischen, jugoslavischen, polnischen, ukrainischen und rumänischen Staates sogleich wegen Wahrung des Optionsrechtes für die deutschen Beamten in Verhandlung zu treten und anzustreben, daß diese Beamten bis zur Regelung der Verhältnisse auf der Friedenskonferenz zur Eidesleistung nicht gezwungen werden. Beschluß: Der Antrag wird dem Staatskanzler zur Berichterstattung zugewiesen. An den Herrn Staatskanzler. VII. Anfrage des Staatsrates W o l f welches Rechtssubjekt bei Prozessen aus Lieferungsverträgen mit dem bestandenen Kriegsministerium an dessen beziehungsweise an die Stelle der Kriegsministerialabteilung 13 getreten ist. Beschluß: Die Anfrage wird der Staatskanzlei zur sofortigen Einholung einer gutächtlichen Äußerung des Staatsamtes für Heerwesen überwiesen. An den Herrn Staatskanzler. VIII. Bericht des Staatssekretärs des Äußern über die Vereinbarungen der steirischen Landesregierung mit dem slovenischen Nationalrate in Laibach bezüglich der Besetzung deutscher Gebiete in Untersteiermark und in Kärnten durch die Slovenen. Beschluß: Den Landesregierungen ist mitzuteilen, daß jede Vereinbarung, die sie durch die Umstände gezwungen mit fremden Staaten zu schließen genötigt sind, die Klausel enthalten muß, daß sie erst dann in Rechtskraft tritt, wenn sie vom deutschösterreichischen Staatsrate ratifiziert worden ist. Der Herr Staatsrat P r i s c h i n g ist gebeten 1.) in der morgigen Sitzung der steirischen Landesversammlung auf die schweren Bedenken zu verweisen, die im Staatsrate gegen das von der steirischen Landesregierung beliebte Vorgehen geltend gemacht worden sind, 2.) dort von dem heutigen Beschluß Mitteilung zu machen und an die Landesregierung den dringendsten Appell zu richten, künftighin sich an diese Vorschrift strengstens zu halten, da andernfalls die Beständigkeit des deutschösterreichischen Staatsgefüges den allerschwersten Gefährdungen ausgesetzt würde. Der Staatsrat Dr. W a l d n e r verwahrt sich namens des Landes Kärnten auf das allerentschiedenste dagegen, daß von Organen eines anderen Landes über das Schicksal Kärntens verfügt wird und behält sich vor, nach Klarstellung des Sachverhaltes weitere Anträge zu stellen. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatssekretär des Äußern.
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51. [Samstag] 1918-11-30 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Seitz Dinghofer, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Gruber, Heine, Jerzabek, Keschmann, Kroy, Langenhan, Leuthner, Licht, Luksch, Miklas, Schoepfer, Schürff, Sylvester, Teufel, Tomschik, Waihs, Waldner, Wolf, Wollek unbekannt 16.30–19.45 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g: 1. Beglaubigung des Protokolls 2. Einlauf: Vortragender 3. Ss. für Landwirtschaft: Die weitere Auszahlung der Kriegszuschläge zu den Lebendviehpreisen und Fleischverbilligungsaktionen für Wien. 4. Ss. für Justiz: Abgrenzungsvertrag für die politische Gerichts- und Postverwaltung in Südböhmen.2 5. Referat des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten, betr. Sparmaßnahmen für Gas und Elektrizität in Wien. 6. Vereinsrealschule in Laa a. d. Th. 7. Auskunft wegen Fortganges der Friedensverhandlungen und wegen der Maßnahmen zu deren Vorbereitung in Wien. [kein Inhalt] 8.3 9. Allfälliges. Initiativanträge, etc. Beilagen: 51/I 51/II 51/III 51/IV 51/V
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Antrag Bodirsky, Mitteilung an Rudolf Heine mit Ersuchen um Vertretung im Staatsrat (1 Seite). Vollzugsanweisung des d.ö. Staatsamtes für öffentliche Arbeiten im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom … Dezember 1918, betreffend Sparmaßnahmen beim Verbrauche von Gas, Elektrizität und Brennstoffen (3 Seiten). Antrag des Staatssekretärs für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend Ermächtigung zur Erlassung von Vollzugsanweisungen (½ Seite, zweifach); Zusatzantrag, Seitz (½ Seite, handschriftlich). Der Deutschösterr. Staatsrat: 50. Sitzung, Tagesordnung (Punkte 1–3) (1 Seite); Antrag des Staatssekretärs für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend Ermächtigung zur Erlassung von Vollzugsanweisungen (½ Seite). Antrag des Staatssekretärs für Landwirtschaft, betreffend die weitere Zahlung und Finanzierung des Kriegszuschlages zu den Schlachtviehpreisen (1 Seite); Antrag, betreffend die Durchführung der Fleischverbilligungsaktion (½ Seite, handschriftlich); Antrag, betreffend die Erhöhung der Preise für Extremfleisch und Fleisch besserer Qualität (½ Seite, handschriftlich).
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Otto Bauer, Dr. Ferdinand Grimm, Dr. Johann Loewenfeld-Ruß, Dr. Julius Ofner, Dr. Karl Renner, Josef Stöckler, Dr. Karl Urban und Johann Zerdik, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Dieser Punkt der Tagesordnung wurde in der vorliegenden Sitzung nicht behandelt. Der Punkt 8 wurde in der Tagesordnung ohne Betreff verzeichnet.
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51 – 1918-11-30 Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen vom … wegen Verlängerung der Wirksamkeit des Gesetzes vom 9. Juli 1913, RGBl. Nr. 135, betreffend die Ermächtigung zur zeitweiligen Außerkraftsetzung der Bestimmungen über den Einfluß der Zinsfußerhöhung auf die zu Konvertierungszwecken gewährten Gebührenerleichterungen (1 Seite).
Präs. S e i t z eröffnet die Sitzung um ½ 5 Uhr nachmittags. [2] Nach Bekanntgabe des E i n l a u f e s4 gelangt [5] Punkt 5 der Tagesordnung: Referat des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten, betreffend Sparmaßnahmen für Gas und Elektrizität zur Verhandlung. Z e r d i k: Ich habe im Auftrage des Staatsrates eine Vollzugsanweisung in dem Sinne ausarbeiten lassen, daß der Magistrat von Wien die Verfügungen wegen der Sparmaßnahmen zu treffen hat. Nun war Herr Bürgermeister Dr. Weiskirchner5 beim Herrn Staatskanzler und hat darauf verwiesen, daß er in jenen Orten, die außerhalb des Gemeindegebietes liegen und die Strom aus den städtischen Werken beziehen, keine Ingerenz6 und daher auch nicht die Möglichkeit hat, diese Verordnung durchzusetzen, weil ihm die betreffenden Bezirkshauptleute nicht unterstehen.7 Er hat daher gebeten, daß die Landesregierung das machen solle. Aus der Vollzugsanweisung für den Magistrat kann man sich ja ein Urteil bilden, ob das möglich ist. (Verliest diese Vollzugsanweisung8) Präs. S e i t z: Da hat ja der Herr Bürgermeister recht, wenn er sagt, daß er über ein Gebiet, das ihm nicht untersteht, eine Verfügung nicht treffen kann. Man müßte also diese Ausdehnung weglassen und es müßten die zu treffenden Verfügungen für diese beteiligten Bezirke von der Landesregierung erlassen werden. Z e r d i k: Dann müßte man zwei Vollzugsanweisungen herausgeben, eine für den Magistrat und eine für die Landesregierung. Präs. S e i t z: Oder wäre es nicht überhaupt durch die Landesregierung zu machen? Z e r d i k: Ja, das wäre viel einfacher und kürzer. Die betreffende Vollzugsanweisung würde dann lauten: (Verliest dieselbe)
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Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Dr. Richard Weiskirchner, Jurist, 1910 bis 1919 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 23. Dezember 1912 bis 22. Mai 1919 Bürgermeister der Stadt Wien, 1917 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses. Ingerenz: Einmischung, Einfluß. Zum erwähnten Treffen Weiskirchners mit Renner konnten keine Unterlagen eruiert werden. Beilage 51/II: StAöA, Vollzugsanweisung (Seite 3). Die Beilage enthält zahlreiche handschriftliche Korrekturen, welche den im Verlauf der Debatte gemachten Vorschlägen entsprechen. So wurde in § 1 die niederösterreichische Landesregierung anstelle des Wiener Magistrates zu entsprechenden Maßnahmen ermächtigt. Zudem wurde das Wort Einschränkungen beinahe durchgängig durch Anordnungen ersetzt und folgende Passage handschriftlich eingefügt: „Insoweit es sich um den Verbrauch von Gas oder Elektrizität aus den Wiener Gas- und Elektrizitätswerken […] handelt, ist das Einvernehmen mit der Gemeinde Wien zu pflegen.“ Diese Überarbeitungen fanden sich allesamt auch in StGBl. Nr. 76, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für öffentliche Arbeiten im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom 30. November 1918, betreffend Sparmaßnahmen beim Verbrauche von Gas, Elektrizität und Brennstoffen, ausgegeben am 4. Dezember 1918, wieder, die ansonsten den restlichen Text des Entwurfes unverändert übernahm.
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Präs. S e i t z: Da müßte man wohl auch die Worte hineinnehmen „Im Einvernehmen mit der Gemeinde Wien“. Z e r d i k: Ja. Auch ich halte den zweiten Weg für den besseren und würde daher den Antrag stellen, diese Vollzugsanweisung für die Landesregierung hinauszugeben. Der Staatsrat b e s c h l i e ß t: „Das Staatsamt für öffentliche Arbeiten wird ermächtigt, eine Vollzugsanweisung betreffend die Abänderung der Verordnung des Ministers für öffentliche Arbeiten vom 1. September 1917, R.G.Bl. Nr. 370, betreffend Sparmaßnahmen beim Verbrauche von Gas, Elektrizität und Brennstoff zu erlassen.“9 L a n g e n h a n: Ich möchte an den Herrn Staatssekretär die Anfrage richten, wie es hinsichtlich der Versorgung mit oberschlesischer Kohle steht. Z e r d i k: Die Verladung von Kohle in Oberschlesien erfolgt täglich zu dem vom Reichskohlenkommissär10 festgesetzten Quantum von 2.300 Tonnen.11 Dieses Kohlenquantum ist nur für Wien und die Bahnen bestimmt, es kommt aber fast nichts nach Wien, weil verschiedene Verwaltungsstellen des czecho-slovakischen Staates in angeblicher Unkenntnis der bewilligten freien Durchfuhr diese Kohle beschlagnahmen. So wurden erst vor einigen Tagen wieder zwei Züge, die in Lundenburg eingelangt waren, aufgehalten, um nach Brünn dirigiert zu werden.12 Es wurde dagegen durch das Staatsamt des Äußeren bei Herrn Tusar13 Einspruch erhoben und auch telephonisch mit dem Kohlenmacher in Prag, Herrn Obertor14, 9
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Im Beschlußprotokoll enthält die Vollzugsanweisung auch die Geschäftszahl des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten: Zl. 232/1918. Für den 14. Dezember 1918 wurde eine Beratung im Staatsamt für öffentliche Arbeiten anberaumt, da die Elektrizitätswerke in Wien aufgrund des anhaltenden Kohlemangels Abschaltungen und Einschränkungen in der Stromversorgung angekündigt hatten. Vgl. dazu das Material in AdR, StK, GZl. 1.080/1918, StAöA, Einschränkung der Beheizung und Beleuchtung in Staatsgebäuden sowie in AdR, StK, GZl. 2.712/1919. Ernst Stutz, Bergingenieur, ab dem 22. Juni 1917 Reichskommissar für die Kohlenverteilung, ab dem 1. Oktober 1919 Vorstandsvorsitzender des Reichskohleverbandes. In einem Telegramm der deutschösterreichischen Gesandtschaft in Berlin vom 30. November 1918 hieß es hingegen „Mit Rücksicht auf die Situation in Oberschlesien, die sich in den letzten Tagen kaum gebessert hat, erklärt sich hiesiger Reichskohlenkommissär gänzlich ausserstande, täglich mehr als 1500 bis 2000 t nach Wien abrollen zu lassen, zusagt aber, sobald Situation sich günstiger gestaltet, Zuschübe aus Oberschlesien entsprechend zu vermehren.“ Vgl. AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Deutsches Reich 1918–1925, Kohle Deutsches Reich 1, Zl. 1.531/10/1918. So stellte auch Staatssekretär Bauer am 5. Dezember 1918 in einem Telegramm an den deutschösterreichischen Gesandten Ludo Hartmann in Berlin, fest: „Verladungen in Oberschlesien für uns bleiben sehr stark hinter den versprochenen Mengen von 1500 bis 2000 Tonnen zurück.“ Vgl. ebd., Zl. 2.009/10/1918. Zu den Kohleverhandlungen mit Deutschland vgl. auch SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 sowie KRP Nr. 8/1 vom 11. November 1918, Nr. 9/2 vom 12. November 1918 und Nr. 10/1 vom 13. November 1918. Am 28. und 29. November 1918 wurde ein ursprünglich für Wien bestimmter Kohlentransport von Lundenburg nach Brünn umgeleitet. Vgl. dazu das Schreiben Tusars vom 3. Februar 1919 in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. III1.968/10/1919 und das Telegramm des Staatsamtes für Verkehr vom 1. Dezember 1918 in ebd., Zl. 1.292/12/1918. Zu den Beschlagnahmungen und dem Transport oberschlesischer Kohle vgl. das in dem oben genannten Bestand einliegende weitere Aktenmaterial. Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. Dr. Franz Oberthor, Ministerialsekretär im k.k. Ministerium für öffentliche Arbeiten, nach der Konstituierung des tschechoslowakischen Staates Sektionsrat im tschechoslowakischen Ministerium für öffentliche Arbeiten. Er war auch in die von 9. bis 12. Dezember 1918 in Prag stattfindenden Kohleverhandlungen involviert.
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verhandelt.15 Beide haben erklärt, daß sie das nötige veranlassen werden, daß die Kohlen nach Wien kommen. Heute haben wir aber die Mitteilung erhalten, daß trotz aller Zusagen die Kohle, 1.200 Tonnen, nach Brünn abgerollt ist. Diese Beschlagnahme ist für Wien sehr nachteilig, weil der Kohlenkommissär in Berlin das Anrollen von Kohle verhindern wird, weil ja Herr Dr. v. Langenhan die Gewähr geboten hat, daß die Kohle für Deutschösterreich bestimmt ist und nicht in den tschechoslovakischen Staat gelange. L a n g e n h a n: Und was ist bisher hieher gekommen? Z e r d i k: Es werden täglich 2.300 Tonnen verladen, sie kommen aber trotz der Zusagen nicht hieher. Man redet sich fortwährend auf Mißverständnisse aus. Dasselbe gilt bezüglich der Ostrauer Kohle. Diesbezüglich ist bei den Prager Verhandlungen folgendes festgesetzt worden: Die Czechen haben Wert darauf gelegt, daß sie allein die Ostrauer Kohle16 liefern, und wir diesbezüglich nicht mit den Polen verhandeln.17 Wir haben keinen Anstand genommen, ihnen dies einzuräumen. Nun haben sie aber nicht am 24., sondern erst am 28. den Kohlenversorgungsinspektor von dieser Abmachung verständigt. Dann ist von Herrn Obertor die Verständigung in dem Sinne hinausgegangen, daß die ganze Kohle für Wien In einer diesbezüglichen Note an das Staatsamt für Äußeres vom 3. Februar 1919 teilte Tusar, bezugnehmend auf den Vorfall in Lundenburg mit, daß „die Staatsbahnen der čechoslovakischen Republik an diesem Vorfalle keine Schuld tragen, sondern derselbe von unverantwortlichen autonomen Organen verschuldet wurde. Denselben wurde ihr Vorgehen auf das Schärfste ausgesetzt.“ Aus einem sich auf der Note befindlichen handschriftlichen Vermerk des Leiters der handelspolitischen Abteilung im Staatsamt für Äußeres, Heinrich Wildner, geht hervor, daß Sektionschef Schüller direkt mit Tusar verhandelt hatte. Da er nicht wisse „wessen Interesse, ob Eisenbahnen oder Stadt Wien etc. dadurch berührt“ sei, entfalle „eine weitere Veranlassung, dies umso mehr als die Note eigentlich nur eine formelle Entschuldigung“ darstelle. Vgl. AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. III-1.968/10/1919. Dr. Heinrich Wildner, 28. November 1903 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, November 1918 Bestellung zum Vorstand der Abteilung 10 im Staatsamt für Äußeres. Dr. Richard Schüller, 28. Oktober 1913 Ernennung zum Ministerialrat, bis 1918 im Department 23 des Handelsministeriums tätig, 1918 Mitglied der österreichisch-ungarischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk und Bukarest, im selben Jahr Übernahme in das Staatsamt für Äußeres und Bestellung zum Leiter der Handelspolitischen Sektion. 16 Das mährisch-schlesische Ostrau-Karwiner Revier hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Steinkohleabbaugebiet Österreich-Ungarns entwickelt. Vgl. Vladimir Marek, Die Entwicklung der Montanindustrie der mährisch-schlesischen Region 1840–1914, in: Toni Pierenkemper (Hg.), Die Industrialisierung europäischer Montanregionen im 19. Jahrhundert, Stuttgart 2002, S. 343–365. 17 Zu den Kohleverhandlungen mit der Tschechoslowakei vgl. den Bericht des Staatssekretärs Zerdik in SRP Nr. 33 vom 14. November 1918 sowie Nr. 56/6 vom 9. Dezember 1918, Nr. 58 vom 13. Dezember 1918 und Nr. 59/3a vom 16. Dezember 1918; weiters KRP Nr. 9/2 vom 12. November 1918, Nr. 13/4 vom 18. November 1918, Nr. 21/1 vom 6. Dezember 1918, Nr. 23/4 vom 14. Dezember 1918, Nr. 24/5 vom 17. Dezember 1918 und Nr. 34/4 vom 28. Jänner 1919; weiters das Aktenmaterial in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. 643/10/1918. Am 19. November 1918 war verlautbart worden, daß die tschechoslowakische Regierung eine mündliche Zusage gegeben habe, die zuvor gestoppte Lieferung von Ostrauer Kohle nach Österreich wieder zu genehmigen. Vgl. Neue Freie Presse. Abendblatt, 19. November 1918, S. 1 „Gestattung der Kohlenzufuhr aus dem Ostrauer Revier“. Zur Neutralisierung bzw. Internationalisierung des Ostrauer Kohleabbaugebietes vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Neutralisierung des Ostrauer Kohlereviers, Zl. 1.192/1919 sowie Zl. 1.509/1919, 1.510/1919 und 2.696/1919. Ein Hinweis auf diesbezügliche Verhandlungen in Prag Ende November 1918 findet sich in „Wirtschaftliche Nachrichten aus Deutschösterreich. Zusammengestellt vom Handelsmuseum in Wien“ in AdR, BKA/AA, H-pol Handel u. Industrie Deutsch-Österreich, Zl. 1.782/1918 sowie im Schreiben des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten an das Staatsamt für Verkehrswesen vom 25. November 1918 in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 168/1918. 15
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aus dem polnischen Gebiete anzuliefern ist. Diesem Auftrage können aber die Polen nicht entsprechen. Über telephonische Anfrage hat nun Herr Obertor wieder erklärt, das sei ein Mißverständnis, die Sache werde in Ordnung gebracht. Es werden einfach alle Abmachungen, die wir in Prag getroffen haben, nicht gehalten oder irgendwie umgangen. Auch von dem Braunkohlenquantum, das in Wien einlaufen sollte, läuft nur die Hälfte ein, trotzdem seitens des Kohleninspektors der Nachweis besteht, daß die Kohle ordnungsmäßig verladen wird. Die westphäler Kohle kommt teilweise dadurch herein, daß sie als Eisenbahndienstkohle deklariert wird, in welchem Falle sie die Bayern durchlassen. Wir haben daher jetzt nichts anderes im Anrollen, als 300–400 Tonnen westphälische Kohle und ungefähr 1.200 Tonnen Braunkohle. L a n g e n h a n: Diese Ausführungen sind sehr interessant, aber auch sehr wichtig für uns. Wir bekommen von Deutschland die uns in Berlin zugesagte Kohle zugeschickt, unsere Verhandlungen in Berlin waren aber effektiv für die tschechische Republik. Es dürfte sich bis heute um ungefähr 2.000 Waggon handeln, welche die Tschechen auf diese Art sich verschafft haben. Das ist eine Menge, welche auch für Deutschland von Bedeutung ist und es ist daher unsere Pflicht, dafür zu sorgen, daß Deutschland nicht den Tschechen diese Kohle weiterliefert. Die Deutschen haben diese Kohlenlieferungen durch das tschechische Gebiet nach Wien ausdrücklich erst dann bewilligt, als ich ein Telegramm des Herrn Staatssekretärs des Äußeren vorweisen konnte, daß in den Verhandlungen mit den Tschechen festgesetzt worden sei, daß diese Kohle bestimmt nach Deutschösterreich durchrollen wird.18 Dieses Telegramm erliegt auch in den Akten in Berlin. Es ist daher notwendig, daß wir ein Aviso19 nach Berlin geben, es solle jetzt mit der Verladung oberschlesischer Kohle inne gehalten werden und ich bitte daher um eine entsprechende Anweisung an den Herrn Staatssekretär. Präs. S e i t z: Wir können diese Angelegenheit jetzt nicht verhandeln, der Herr Staatssekretär hat aber gehört, um was es sich handelt, und er möge in seinem Amtsbereiche das notwendige vorkehren. Er möge auch mit dem Auswärtigen Amte in Verbindung treten und wenn ein Beschluß des Staatsrates erforderlich ist, so möge er einen Antrag stellen, sonst aber das Erforderliche im eigenen Wirkungskreise vorkehren. Der Staatsrat stimmt diesem Vorschlage zu. U r b a n: Das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft sieht sich veranlaßt, eine Reihe von Vollzugsanweisungen zu erlassen, welche einen ganz unpolitischen Charakter haben und auch für den Staatsrat wenig Interesse besitzen. Es handelt sich dabei aber doch um dringende wirtschaftliche Maßnahmen, z. B. um die Anzeige wegen Verwendung von bestimmten Metallen oder die Verlautbarung wegen der Flachsverarbeitung.20 Bezüglich der letzteren ist mit sämtlichen beteiligten Ressorts das Einvernehmen hergestellt und deren Zustimmung eingeholt worden. Diese Vollzugsanweisungen gleichen vollständig jenen Verordnungen, zu denen die frühere Regierung auf Grund des bekannten Ermächtigungsgesetzes vom 24. Juli 1917 ermächtigt war und ich erlaube mir daher den Antrag21 zu stellen (liest) Eine Abschrift des betreffenden Telegrammes findet sich neben anderen umfangreichen Materialien zur Frage der Kohlenlieferung aus und über die Tschechoslowakei in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. 405/10/1918, Kohlenbezug aus Tschechien, französisch-englische Intervention. Zu Langenhans Verhandlungen in Berlin vgl. auch SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 nachmittags. 19 Aviso: Anzeige, Ankündigung, Mitteilung des Ausstellers eines Wechsels an den Schuldner über die Deckung der Wechselsumme. 20 Vgl. dazu Anm. 31 der vorliegenden Sitzung. 21 Beilage 51/III: Antrag des Staatssekretärs für Kriegs- und Übergangswirtschaft (½ Seite, zweifach). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. 18
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„Der Staatsrat wolle beschließen, daß das Staatsamt für Kriegs- u. Übergangswirtschaft vom Staatsrate generell ermächtigt werde, aus Anlaß der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse auf Grund des wirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes v. 24. Juli 1917 RGBl. Nr. 307 die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen und die einschlägigen Vollzugsanweisungen unter Berufung auf diese Ermächtigung des Staatsrates zu erlassen. Die auf Grund dieser generellen Ermächtigung erlassenen Vollzugsanweisungen sind vom Staatsamte für Kriegs- u. Übergangswirtschaft periodisch wie bisher der Nationalversammlung zur Kenntnis zu bringen“. Ich füge noch hinzu, daß wir, um festzustellen, daß derartige Verordnungen wirklich keinen politischen Charakter haben, in jedem Falle den Herrn Staatskanzler von der Erlassung einer solchen Verordnung verständigen werden. Er bekommt immer ein Exemplar, um das prüfen zu können, und außerdem muß jede Verordnung vom Staatsnotar beglaubigt werden. Unter diese Maßnahmen würde dann auch die Ernennung aller jener Funktionäre fallen, welche für die neu zu errichtenden Fachverbände bestellt werden müssen. T e u f e l: Ich sehe ein, daß sehr viele Geschäfte dringend einer Erledigung zuzuführen sind, allein der Staatsrat hat auf Grund seiner Geschäftsordnung und nach der bisherigen Praxis jeden Tag Sitzung, ich glaube daher nicht, daß es notwendig ist, eine so weitgehende Ermächtigung zu erteilen. Ich werde daher gegen eine derartige Vollmacht votieren. Dr. E l l e n b o g e n: Ich möchte zunächst fragen, ob in diese generelle Vollmacht auch die Verfügungen bezüglich der Sachdemobilisierung gehören. (K r o y: Selbstverständlich!) Dann möchte ich nur mitteilen, daß durch die Hauptstelle der Sachdemobilisierung bereits eine Verfügung getroffen sein soll, durch welche Güter im Betrage von 1½ bis 2 Milliarden demobilisiert werden sollen. Es handelt sich um Automobile, um Strebersdorf, Reparaturwerkstätten u.s.w.22 Diesbezüglich möchte ich um Aufklärung bitten. Wenn also eine generelle Vollmacht erteilt werden sollte, daß auch alle diese Dinge darunter einbegriffen sein sollten, so müßte ich mich mit aller Entschiedenheit dagegen aussprechen. Auf Grund der vorgelegten Ermächtigung wäre das immerhin möglich. Dr. O f n e r: Bei der Sachdemobilisierung geht es sehr merkwürdig zu. Ich habe von zuverlässiger Seite Folgendes erfahren: In Korneuburg ist ein Eisenbahnzeugsdepot, dort sind eine Reihe von Sachen, welche zu verkaufen sind.23 Präs. S e i t z: Ich kann jetzt nicht eine Debatte über die Sachdemobilisierung zulassen. Es handelt sich jetzt nicht darum, was seitens der Stelle für Kriegs- u. Übergangswirtschaft bisher verfügt wurde oder was sie verfügen soll, sondern es handelt sich um die prinzipielle Frage, ob der Staatsrat eine Ermächtigung im Umfange des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes geben will. Dabei kann, um zu exemplifizieren, auf Vorfälle hingewiesen werden, aber eine Diskussion darüber kann ich nicht zulassen. Dr. O f n e r: Ich will auch nur exemplifizieren. In Korneuburg ist ein Eisenbahnzeug depot. Dort sind Offiziere, welche verlangten, man solle ihnen den Verkauf überlassen. Als In Strebersdorf befand sich ein Kraftfahrtruppenlager, welches die Hauptanstalt für Sachdemobilisierung mit 1. Januar 1919 von der Heeresverwaltung übernahm. Vgl. Mitteilungen der deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung Nr. 7 vom 8. März 1919, S. 3 „Allgemeine Nachrichten. Das Autodepot Strebersdorf“. 23 In Korneuburg befanden sich ein „Stabiles Eisenbahnzeugsdepot“ sowie ein „Sappeurzeugsdepot“, deren Bestände wegen nachlässiger Bewachung gefährdet waren. Vgl. dazu Der Montag, 25. November 1918, S. 3 „Die Wirtschaft in den militärischen Depots“. Die in diesem Artikel vorgebrachten Anschuldigungen gegen Offiziere des Eisenbahnzeugsdepots mußten zurückgenommen werden. Eine Aufforderung zur Berichtigung des Artikels findet sich in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.517/1918. Zu den Unstimmigkeiten zwischen Volkswehr und Depotskommando in Klosterneuburg vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.520/1918, sowie Zl. 3.038/1918. 22
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das nicht bewilligt wurde, haben sie gesagt, sie müssen abgefertigt werden. Darauf hin ist mit einer oder mit mehreren Fabriken ein Verkaufvertrag geschlossen worden, in welchem gesagt wird, diese Fabriken sollen die Offiziere abfertigen und sollen das als Kosten aufrechnen. (Dr. U r b a n: Das ist alles nicht wahr!) Präs. S e i t z: Beschränken wir uns auf diese Ermächtigung. Dr. O f n e r: Ich bin gegen eine allgemeine Ermächtigung. Ich glaube, wir haben im alten Österreich eine solche allgemeine Ermächtigung gegeben, wir sollen es aber in Deutschösterreich nicht so weiter machen. L a n g e n h a n: Der Antrag, der uns vorgelegt wurde, bedeutet nichts anderes, als daß der deutschösterreichische Staatsrat dem Staatsamt für Kriegs- u. Übergangswirtschaft dieselbe Ermächtigung geben soll, welche der kriegswirtschaftliche Ausschuß des österreichischen Parlamentes dem damaligen Handelsministerium gegeben hat. Ich halte es für notwendig, daß wir diese Ermächtigung erteilen, weil wir nicht jede einzelne Verordnung in den Staatsrat bringen und uns damit beschäftigen können. J e r z a b e k: Ich bin dagegen, denn das Ermächtigungsgesetz vom 24. Juli 1917, umfaßt alle Zwangswirtschaften, daher könnte das Staatsamt für Kriegs- u. Übergangswirtschaft, ohne uns zu fragen, noch immer auch für solche Artikel, die nicht der Zwangswirtschaft unterliegen, die Zwangswirtschaft beschließen. U r b a n: Die Ansicht des Herrn Dr. Ellenbogen, daß unter diese Ermächtigung eventuell auch die Sachdemobilisierung fällt, ist vollständig irrig. In Fragen der Sachdemobilisierung werden gar keine Verordnungen erlassen. Das Amt für Übergangswirtschaft ist bereits heute ermächtigt worden, die Sache in Beschlag zu nehmen und die Veräußerungen durchzuführen. Es ist uns heute nach Rücksprache mit dem Finanzministerium gelungen, das Statut für die Sachdemobilisierung fertigzustellen, dasselbe wird in der nächsten Zeit publiziert werden. Präs. S e i t z: Es muß aber zuerst vorgelegt werden, das hat der Staatsrat beschlossen. U r b a n: Ja, das Statut wird vorgelegt, es wird auch ein Bericht erstattet werden und dann kann die Sachdemobilisierung ihren Fortgang nehmen.24 Bisher ist nichts geschehen (Präs. S e i t z: Montag ist doch schon die Liquidation von Automobilen!) Ich meine, bis jetzt ist nichts geschehen. Am Montag beginnt die Sache. Präs. S e i t z: Ich bitte, wir haben erst unlängst in der Landesregierung von Niederösterreich festgestellt, daß wir nun, trotzdem uns Herr Sektionschef Dr. Riedl25 versprochen hat, daß vorerst die Ämter und öffentlichen Stellen aufgefordert werden, ihren Bedarf geltend zu machen, und daß zuerst ihr Bedarf gedeckt und erst dann an Private verkauft werden wird, hören müssen, daß man uns, die Landesverwaltung, nun auf die öffentliche Lizitation26 verweist, wo wir uns gleichzeitig mit anderen Herren, die dort erscheinen werden, mitbewerben sollen. U r b a n: Ich kann nicht feststellen, ob das wahr ist. Ich werde mich aber orientieren. Wir waren erst heute mit den Herren beisammen und die Herren von beiden Stellen haben erklärt, daß noch nicht verkauft wurde. Auch gilt der Grundsatz, daß zuerst der Bedarf des Staates und der Länder berücksichtigt wird, und daß diese ein Vorzugsrecht haben. Ich kann nur feststellen, daß von dem mit Beschlag belegten Gütern noch nichts in Verkehr gesetzt worden ist. Zur Errichtung der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung und ihren Statuten vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918 und SRP Nr. 57 vom 11. Dezember 1918. 25 Gemeint ist wahrscheinlich der Unterstaatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel, Richard Riedl, der 1909 zum Sektionschef im Handelsministerium ernannt und mit der Leitung der Sektion IV (handelspolitische Angelegenheiten u. a.) betraut worden war. 26 Lizitation: öffentliche Versteigerung, mündliches Unterbietungsverfahren, Abbieten. 24
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Auch das, was Herr Dr. Ofner vorgebracht hat, trifft nicht zu. Ich verweise darauf, daß der Staatsrat einen Beschluß gefaßt hat, wonach eine Art Scheinverkauf stattfinden solle, indem gewisse Gegenstände Firmen in Depot gegeben werden sollen, damit die betreffenden Firmen nur als Verwahrer erscheinen, damit für den Fall einer Okkupation diese Gegenstände als Privateigentum erscheinen.27 Das ist bei Leder und bei Eisenbahnmaterial geschehen. Diese Scheinverkäufe haben nun den Anlaß dazu gegeben, daß man gesagt hat, die Sachen sind verkauft worden. Es ist aber bisher nichts verkauft worden. Bezüglich der Mitteilung des Herrn Präsidenten werde ich mich erkundigen und die Sache richtig stellen. Sollte der Antrag abgelehnt werden, so möchte ich bitten, daß eine Verordnung, welche sehr dringend ist, heute sofort auf die Tagesordnung gesetzt werde. Es ist dies die Verordnung bezüglich des Flachses, bezüglich der Festsetzung der Löhne für Brechflachs u.s.w. Dasselbe gilt bezüglich der Verordnung betreffend die Anzeige über die Verwendung bestimmter Metalle. Beide Verordnungen haben keinen politischen Charakter. Ich habe daher schon früher angeführt, daß ich es für nötig halte, daß vor der Erlassung derartiger Verordnungen der Herr Staatskanzler davon verständigt werde, damit er Gelegenheit hat, Einblick zu nehmen und zu beurteilen, ob die betreffende Verordnung vor den Staatsrat kommen soll. Verordnungen von Bedeutung sollen gewiß hier besprochen werden. Durch diese Kautele28 wäre eine gewisse Garantie gegeben, daß alle wichtigen Sachen vor den Staatsrat kommen. Präs. S e i t z: Die Sachen müssen doch wohl an das Präsidium gehen und dieses entscheidet, ob sie im kurzen Wege erledigt werden können. Ich würde daher den Antrag stellen: „Der Staatssekretär wird beauftragt, jede auf Grund dieser Ermächtigung zu treffende Verfügung vorher dem Präsidium des Staatsrates bekannt zu geben, damit dieses entscheide, ob nicht eine Vorlage an den Staatsrat notwendig sei.“29 L o e w e n f e l d - R u ß: Ich möchte nur darauf aufmerksam machen, daß mir in einer der ersten Sitzungen des Staatsrates eine solche allgemeine Ermächtigung, wie sie Herr Dr. Urban verlangt, erteilt wurde.30 Wenn nun der Staatsrat dem Herrn Staatssekretär für Übergangswirtschaft diese Ermächtigung verweigert, so muß ich fragen, ob meine Ermächtigung, von der ich bisher noch keinen Gebrauch gemacht habe, aufrecht bleibt. Präs. S e i t z: Dieser Zusatz müßte natürlich dann auch analog für jene Ermächtigung gelten, die der Herr Staatssekretär für Volkernährung bekommen hat. Der Antrag des Staatssekretärs für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird mit dem Zusatze des Präsidenten Seitz a n g e n o m m e n.31
Ein entsprechender Beschluß des Staatsrates konnte nicht eruiert werden. Der Staatsrat hatte allerdings in seiner 26. Sitzung vom 8. November 1918 über die schnellstmögliche Übertragung der Demobilisierungsgüter in Privatbesitz, um diese einer entschädigungslosen Requirierung zu entziehen, diskutiert. Außerdem war in der 42. Sitzung beschlossen worden, das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft zu beauftragen, die Sachdemobilisierung so rasch als möglich durchzuführen. Vgl. SRP Nr. 42 vom 22. November 1918. 28 Kautel: Vorsichtsmaßregel, Vorbehalt. 29 Beilage 51/III: Zusatzantrag Seitz (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. 30 Eine entsprechende Ermächtigung für Staatssekretär Loewenfeld-Ruß konnte nicht eruiert werden. 31 Aufgrund dieser Ermächtigung kam es zum Erlaß der folgenden Vollzugsanweisungen: StGBl. Nr. 78, Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 3. Dezember 1918, betreffend die Anzeige und Verwendung bestimmter Metalle und Legierungen, ausgegeben am 5. Dezember 1918 sowie StGBl. Nr. 79, Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 3. Dezember 1918, betreffend den Verkehr mit Flachs, ausgegeben am 5. Dezember 1918. Zur Vollzugsanweisung, betreffend den Verkehr mit Flachs vgl. das umfangreiche Material in AdR, StAKÜ, GZl. 704/1918, Verlautbarung einer Vollzugsanweisung, betreffend den Verkehr mit Flachs. 27
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Desgleichen wird der Antrag des Präsidenten Seitz, daß der einschränkende Zusatz a u c h bezüglich der dem Volksernährungsamte gegebenen Ermächtigung Geltung hat, a n g e n o m m e n.32 [3] P u n k t 3 d e r T a g e s o r d n u n g: A n t r a g des Staatssekretärs für Landwirtschaft betreffend die weitere Auszahlung der Kriegszuschläge zu den Lebendviehpreisen und Fleischverbilligungsaktion für Wien.33 S t ö c k l e r: Seit März d. J. wurde bis auf weiteres den Viehbesitzern aus der sogenannten ungarischen Differenz ein Kriegszuschlag von einer Krone per Kilo Lebendgewicht zugebilligt.34 Das Militärärar hat nämlich den Ungarn für das Lebendvieh höhere Preise gezahlt, als die österreichischen Preise waren. Diese Differenz wurde nun zu diesen Kriegszuschlägen verwendet und es wurden monatlich 35–40 Millionen zur Auszahlung gebracht. Durch die Trennung von Österreich-Ungarn und dadurch, daß nun nicht mehr Vieh an die Front geliefert wird, ist diese ungarische Differenz verschwunden. Wir müssen uns nun darüber schlüssig werden, ob dieser Kriegszuschlag weiter auszuzahlen ist. Die Viehaufbringung ist infolge des reduzierten Rinderstandes äußerst schwierig, wir sind fast ausschließlich auf Niederösterreich angewiesen, da es nicht möglich ist, größere Quantitäten aus den einzelnen Kronländern für Wien zu bekommen. Ungarn liefert auch bedeutend weniger. Wenn wir nun diesen Kriegszuschlag nicht weiter auszahlen, so besteht die Gefahr, daß die Viehzuschübe mit einem Male abgeschnitten werden. Wir haben ja nicht die Machtmittel, um durch Repressalien den Viehzuschub zu beschleunigen. Wir können nur mit allen möglichen künstlichen Mitteln versuchen, die Viehanlieferung aufrecht zu erhalten. Es wird daher notwendig sein, daß dieser Kriegszuschlag weiter gezahlt wird. Nun ist es selbstverständlich, daß das Staatsamt für Finanzen sich dagegen wehrt, und Einspruch dagegen erhoben hat, weil es sich da um namhafte Beträge handelt. Für das Staatsamt für Landwirtschaft ist es gleichgiltig, wie der Aufwand getragen wird, ob diese Summe auf den Konsum überwälzt wird, oder ob sie der Staat auf sich nimmt. Das Staatsamt für Volksernährung hat sich aber gegen die Überwälzung auf den Konsum ausgesprochen. Die Vieh § 7 des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt (StGBl. Nr. 1/1918) legte fest, daß Vollzugsanweisungen nur durch den Staatsrat erlassen werden konnten, weswegen einzelne Ermächtigungen für die Staatsämter notwendig wurden. Mit dem StGBl. Nr. 139, Gesetz vom 19. Dezember 1918, womit einige Bestimmungen des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Oktober 1918, StGBl. Nr. 1, abgeändert oder ergänzt werden, ausgegeben am 24. Dezember 1918, wurde diese Bestimmung aufgehoben. 33 Vgl. dazu auch KRP 18/4 vom 29. November 1918. 34 Als „ungarische Differenz“ wurde der Unterschied zwischen den Fleischpreisen des während des Krieges nicht regulierten ungarischen und des damals staatlich beschränkten österreichischen Marktes bezeichnet. Da die Preise für ungarisches Fleisch höher lagen als für österreichisches, leistete die Militärverwaltung eine Ausgleichszahlung an die österreichische Finanzverwaltung, um einer erhöhten Belastung Österreichs entgegen zu steuern. Der Kriegszuschlag auf österreichisches Fleisch wurde wiederum aus dieser ungarischen Differenz bestritten. Vgl. Hans Loewenfeld-Russ, Die Regelung der Volksernährung im Kriege (= Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Weltkrieges. Österreichische und Ungarische Serie), Wien/New Haven 1926, S. 196. Zur Preisdifferenz zwischen der ungarischen und österreichischen Reichshälfte während des Krieges in Bezug auf Nahrungsmittel vgl. weiters Protokolle des Gemeinsamen Ministerrates der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (1914–1918). Eingeleitet und zusammengestellt von Miklós Komjáthy (= Publikationen des Ungarischen Staatsarchivs II. Quellenpublikationen 10), Budapest 1966, S. 586–592. Material zur sogenannten „ungarischen Differenz“ findet sich in AdR, BMLuF, Allgemeine Reihe (1914–1918), 145 Viehverkehrsregelung: ungarische Differenz (1918–1922). 32
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anlieferung aus Ungarn nach Wien ist immer eine sehr ungeregelte, daher sind die für Wien bewilligten Fleischpreise in dem Falle, wenn aus Ungarn wenig Vieh kommt, und wir hier den Bedarf decken können, für die Fleischhauer günstig, weil dann das Plus in ihre Tasche geht. Es entzieht sich aber unserer Einsicht, ob es überhaupt unmöglich ist, den Betrag auf den Konsum zu überwälzen. Nach den Aussagen des Staatsamtes für Volksernährung ist es nicht tunlich. Das Staatsamt für Landwirtschaft erlaubt sich daher folgenden Antrag35 zu stellen (liest) „1.) Der seit 20. März 1918 bewilligte Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen im Betrage von 1 K pro kg Lebendgewicht kann im gegenwärtigen Zeitpunkte mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten bei der Schlachtviehaufbringung und dem bekannten Mangel an abgebbarer Ware nicht eingestellt werden, sondern ist bis auf weiteres an die Vieheigentümer fortzubezahlen. 2.) Da die bisher zur Deckung des Kriegszuschlages verwendete sogenannte ungarische Differenz seit der Trennung Österreichs von Ungarn mangels einer weiteren gemeinsamen Belieferung der Armee mit Schlachtvieh entfällt, und das Staatsamt für Volkernährung eine Überwälzung des Kriegszuschlages auf den Konsum wegen der damit verbundenen Erhöhung der Fleischpreise für undurchführbar erklärt, wird seitens des Staatsamtes für Landwirtschaft (einvernehmlich mit dem Staatsamte für Volksernährung) der weitere Antrag gestellt, den Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen im Betrage von 1 K pro kg Lebendgewicht vorläufig bis Ende Jänner 1919 aus Staatsmitteln zu bezahlen“. L o e w e n f e l d - R u ß: Der Staatssekretär für Landwirtschaft hat bereits ausgeführt, daß, wenn den Landwirten diese 1 K Kriegszuschlag nicht bezahlt wird, es unmöglich ist, die entsprechende Menge Schlachtvieh aufzubringen. Soweit ich die Verhältnisse kenne, muß ich auch sagen, daß es ganz ausgeschlossen ist. Es ist ja laut Staatsratsbeschluß für die Anlieferung von Vieh nach Wien im Monat November noch eine Separatprämie gegeben worden.36 Wien ist nun von der Belieferung durch Niederösterreich abhängig, und wenn diese Krone nicht bezahlt wird, so wäre es unmöglich, die notwendige Viehmenge heranzubringen. Die zweite Möglichkeit aber, diesen Kriegszuschlag auf den Konsum zu überwälzen, scheint uns vom Standpunkte des Staatsamtes für Volksernährung gleichfalls undiskutabel in einem Momente, wo die Bevölkerung keine Kartoffeln, keinen Zucker hat und wo die Fleischzuweisung überhaupt fraglich ist. Mit Rücksicht auf die Stimmung der Bevölkerung wäre daher eine Erhöhung des Fleischpreises unmöglich. Denn wenn diese Krone überwälzt würde, so würde das beim Fleischpreis je nach der Fleischausbeute 2 K 20 bis 3 K per Kilo ausmachen. Eine solche Erhöhung des Preises halten wir nicht für möglich. Die zweite Frage, die gleichfalls auf der Tagesordnung steht, ist die Fleischverbilligungsaktion für Wien.37 Nachdem diese Frage unbedingt einer Lösung bedarf, muß ich sie auch zur Sprache bringen. Zur Aufklärung muß ich folgendes vorbringen: Seit dem 17. März wurde vom damaligen Finanzministerium zum Zwecke der Fleischverbilligung ein Beitrag geleistet.38 Das rührt daher, daß man einen gewissen Preis halten wollte Beilage 51/V: Antrag des Staatssekretärs für Landwirtschaft (1 Seite). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt weitgehend mit dem des Protokolltextes überein, enthält aber einige handschriftliche Ergänzungen, welche den in der Debatte gemachten Änderungsvorschlägen entsprechen. Der Inhalt dieser geänderten Variante stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. 36 Auf Antrag des Staatssekretärs für Landwirtschaft hatte der Staatsrat in seiner 22. Sitzung beschlossen, im November 1918 bei Fleischstücken bis 400 kg eine Auslieferungsprämie im Ausmaß von 100 K für den Besitzer und 10 K für den Einkäufer bzw. 200 K und 20 K bei Stücken über 400 kg zu zahlen. Vgl. SRP Nr. 22 vom 7. November 1918. 37 Zur Fleischverbilligungsaktion für Wien vgl. auch KRP Nr. 18/4 vom 29. November 1918. 38 Zu den vorgeschriebenen Preisen und Richtlinien für den Handel mit Rindfleisch in Wien und der staatlichen Unterstützung zum Ausgleich der „ungarischen Differenz“ vgl. Neue Freie Presse. Mor35
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und halten mußte, weil das ungarische Vieh, welches den größten Teil des Wiener Marktes versorgt hat, teurer war als der Preis, den man damals festgesetzt hatte. Dieser Staatszuschuß hat im März 6 Millionen betragen, ist aber stetig gestiegen, weil das ungarische Vieh im Preis immer in die Höhe gegangen und außerdem in manchen Monaten mehr ungarisches Vieh im Verhältnisse angeliefert wurde als österreichisches Vieh. Diese Staatszuschüsse betrugen im April 14 Millionen, im Mai 14, im Juni 14, im Juli 20, im August 18, im September 25, im Oktober 25, im November 35 Millionen Kronen, so daß der Staat für die Verbilligung des Fleisches für Wien seit dem Monate März 171 Millionen Kr ausgegeben hat, welcher Betrag natürlich zum größten Teil in die ungarischen Taschen geflossen ist. Nur so konnten wir die festgesetzten Fleischpreise aufrechterhalten. Wenn im November 35 Millionen ausgegeben wurden, so rührt dies daher, daß laut Staatsratsbeschluß außerdem noch gewisse Prämien für die Lieferung gegeben worden sind, die außerhalb dieses Kredites gezahlt wurden, ferner davon, daß die ungarische Vieh- und Fleischverwertungsgesellschaft von uns einen Vorschuß verlangt hat, und daß auch die deutschösterr. Viehverwertungsstelle einen Vorschuß bekommen hat. Wenn wir nun die Fleischpreise auf derselben Höhe halten wollen, so würden wir im Dezember weitere 23 Millionen brauchen. Die Frage ist nun deshalb sehr dringend, weil morgen der 1. Dezember ist und wir die amtliche Übernahmestelle mit Geld dotieren müssen, sonst kann sie das ungarische Fleisch nicht bezahlen. Wir müßten also bis zum 3. Dezember die Hälfte dieses Betrages bekommen. Nun ist in Besprechungen, die in den letzten Tagen stattgefunden haben, der Antrag gestellt worden, die ganze Sache auf die Gemeinde Wien zu überwälzen. Diese hat es aber glatt abgelehnt.39 Ein weiterer Vorschlag ging dahin, daß man diesen Betrag auf die reichsten und vermögendsten Schichten überwälzt, die Extremfleisch40 beziehen. Dieser letztere Ausweg würde zur Folge haben, daß das Extremfleisch, welches ja nur einen Teil des Bedarfes darstellt, 80 K per Kilo kosten würde. Wenn wir das Fleisch durchwegs verteuern, d. h., wenn wir vom Finanzministerium nichts mehr bekommen, so würde sich der Rindfleischpreis in Wien um 15 K höher stellen als bisher. Es würden also die gewöhnlichste Sorte 22–23 K, das beste Fleisch gegen 40 K kosten. Eine derartige Erhöhung der Fleischpreise ist unseres Erachtens nach ganz unmöglich41, denn wir würden dann in Wien gewiß Aufstände haben. Der Vorschlag, den einer unserer Direktoren gemacht hat, die Lebensmittelkarten der bemittelten Stände zu besteuern, um auf diese Weise einen Teil der Kosten hereinzubringen, ist sicher diskutabel, hat aber keinen Effekt, weil ja den Herren vom Finanzministerium bekannt ist, daß nach den Schichtungen unserer Einkommensverhältnisse da nicht viel zu holen ist. Ich sehe es ein, daß es für das Staatsamt für Finanzen unter den derzeitigen Verhältnissen sehr schwer ist, einen Betrag von 23 Millionen nur für die Fleischverbilligung in Wien und genblatt, 17. März 1918, S. 10 „Inkrafttreten der Vorschriften über den Rindfleischverkehr in Wien“ sowie Neue Freie Presse. Morgenblatt, 19. März 1918, S. 8 f „Die Regelung des Fleischverkehrs“. 39 Zu den erwähnten Besprechungen konnten keine Unterlagen eruiert werden. 40 Aufgrund einer „Verordnung des Ernährungsamtes über die Regelung des Fleischverbrauches in Wien“ vom 16. Februar 1918 wurde das staatlich abgegebene Rindfleisch anhand der Preise in zwei Kategorien eingeteilt. Zusätzlich zu dem verbilligten Einheitsfleisch wurde das höherpreisige sogenannte Extremfleisch eingeführt. Zur Ausgabe von Extremfleisch waren nur bestimmte Gewerbe-, Gast- und Schankgewerbebetriebe sowie Anstalten und Körperschaften berechtigt, die vom Amt für Volksernährung in einer Liste verlautbart wurden. Der Verkauf von Einheitsfleisch stand allen übrigen Betrieben zu. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 17. Februar 1918, S. 10 f „Die bevorstehende Einführung des verbilligten Einheitsfleisches“; Wiener Zeitung, 17. Februar 1918, S. 2 „Verordnung des Amtes für Volksernährung vom 16. Februar 1918“ und S. 3 f „Kundmachung des Amtes für Volksernährung vom 16. Februar 1918“, wo diejenigen Betriebe, die zum Verkauf von Extremfleisch berechtigt waren, aufgelistet wurden. 41 Im Original ursprünglich unnötig.
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außerdem 16 Millionen für den Kriegszuschlag, also zusammen 40 Millionen in einem Monate zu geben. Ich muß aber sagen, daß ich es für indiskutabel halte, unter den derzeitigen Verhältnissen jetzt im Dezember die Fleischpreise in Wien zu erhöhen, geschweige denn, sie in solchem Maße zu erhöhen. Denn wenn auch das Staatsamt für Finanzen unserem Standpunkte nicht Rechnung trägt und wir nur einen Teil davon bekommen, so würde die Erhöhung immerhin 10 K ausmachen. Ich muß daher den Antrag stellen, daß der Kriegszuschlag aus den allgemeinen Kassen getragen werde, wie es der Herr Staatssekretär für Landwirtschaft beantragt hat, und ferner, daß auch im Monate Dezember die Kosten der Fleischverbilligung in Wien wie bisher das Staatsamt für Finanzen übernimmt, d. h., einen Betrag für diesen Zweck zur Verfügung stellt, der nach unserer Berechnung ungefähr 23 Millionen Kronen ausmachen würde. G r i m m betont, daß der Kriegszuschlag früher nur deshalb gezahlt werden konnte, weil die sogenannte ungarische Differenz zur Verfügung stand, die aber jetzt wegfalle. Der deutschösterreichische Staat müßte daher jetzt etwas als neue Aktion übernehmen, was er nie aus eigenen Mitteln bestritten hat. Bei der gegenwärtigen finanziellen Situation sei es aber unmöglich, das Ganze auf den Staat zu übernehmen; es könne höchstens mit dem halben Kriegszuschlag die Viehaufbringung unterstützt werden. Man müsse trachten, zu einem Abbau der Viehpreise zu gelangen. Die Viehzüchter, die im Kriege viel verdient haben, könnten jetzt doch etwas beitragen, wo es gelte, alle Kräfte anzuspannen. Er beantrage daher, für die Monate Dezember und Jänner nur den halben Kriegszuschlag auf Staatskosten zu übernehmen, die andere Hälfte des Kriegszuschlages aber auf den Konsum zu überwälzen, was pro Kopf und Woche 15 h ausmache. Betreffs der Verbilligung des Fleisches für die Wiener Bevölkerung müsse darauf bestanden werden, daß die höheren Klassen zur Tragung des staatlichen Zuschusses von ungefähr 23 Millionen Kronen monatlich herangezogen werden und zwar in der Weise, daß das Extremfleisch und die besseren Qualitäten des Einheitsfleisches im Preise entsprechend erhöht werden. Aus diesem Grunde müsse die Umrayonierung von Extremfleisch zu Einheitsfleisch42 jetzt eine zeitlang eingeschränkt werden. L o e w e n f e l d - R u ß bemerkt, er könne keine Garantie dafür übernehmen, daß im Dezember jedesmal die 12½ dkg Fleisch werden ausgeteilt werden können;43 es könne somit der Fall eintreten, daß einerseits nicht die volle Quote gegeben werde, und daß andererseits doch eine enorme Preiserhöhung eintritt. F i n k bittet um Aufschluß darüber, zu welchen Lebendgewichtpreisen das ungarische und zu welchen das österreichische Vieh im Durchschnitt übernommen werde. Es müsse irgendwo eine riesige Verteuerung des Fleisches gegenüber den in den Ländern bestehenden Preisen unterlaufen. Dies habe man auch deutlich bei dem jetzigen Verkaufe des Pferdefleisches sehen können. L o e w e n f e l d - R u ß: Der Bedarf für Wien beträgt monatlich eineinhalb Millionen Kilogramm, das Defizit hat die Differenz von 23 Millionen K ergeben. Im Durchschnitt kostet also das Fleisch um 15 K mehr. Werden die 23 Mill. K nur auf das Extremfleisch daraufgeschlagen, so würde dieses 80 K pro kg kosten. Für das ungarische Vieh werden im Der Begriff „Rayonierung“ bezeichnet eigentlich einen Teilaspekt der kriegswirtschaftlich organisierten Verteilung von Lebensmitteln, wobei jeder Bezieher einer bestimmten Abgabestelle zugeordnet wurde. Dieses System war in Wien ab dem Jahr 1916 sukzessive für sämtliche rationierte Lebensmittel eingeführt worden und sollte zu deren gleichmäßiger Verteilung beitragen. Vgl. Loewenfeld-Russ, Die Regelung der Volksernährung im Kriege, S. 343. Staatsrat Grimm scheint mit dem Begriff „Rayonierung“ an dieser Stelle aber eine bestimmte Art der Umwidmung gemeint zu haben. 43 Die Fleischquote war für die Woche vom 10. bis zum 16. Oktober 1918 von 15 auf 12½ dkg gesenkt worden. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 9. Oktober 1918, S. 9 „Kürzung der Fleischquote auf 12½ Dekagramm“. 42
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Durchschnitt 12–13 K, für das österreichische Vieh höchstens 5 K bezahlt. Von den 1½ Millionen kg Fleisch werden 270.000 kg als Extremfleisch ausgegeben. Es steckt aber sehr viel Extremfleisch auch in dem Einheitsfleisch. F i n k: Das ungarische Fleisch könnte bei einem Lebendgewichtpreise von 12 K um 26–27 K abgegeben werden, das österreichische Fleisch bei einem Einkaufspreise von 5 K pro kg Lebendgewicht um 12 K dem Konsum überlassen werden. Es wird aber viel teurer abgegeben, was beweist, daß keine entsprechende Kontrolle der Fleischpreise bestehe. So sehr er sonst für eine Herabsetzung der Viehpreise sei, glaube er doch, daß man für den Monat Dezember noch den Kriegszuschlag werde bezahlen müssen. Dann werde vielleicht infolge des Abschlusses des Vorfriedensvertrages44 eine Erleichterung der Ernährungslage eintreten, so daß man sofort mit dem Abbau der Viehpreise vorgehen könne. Für den Monat Dezember aber solle man wegen der allgemeinen schlechten Ernährungslage die Fleischpreise nicht erhöhen und diesen einen Monat noch den Kriegszuschlag aus Staatsmitteln bezahlen. G r u b e r meint, es sei überaus schädlich gewesen, wohl Preise für das Schlachtvieh, nicht aber für das Nutzvieh festzusetzen. Da der Bauer heute das Nutzvieh viel teurer einkaufen müsse, als er das Schlachtvieh verkaufen könne, führe er die durch die bessere Winterfütterung angefleischten Zugochsen nicht auf den Markt, weil er sich sonst im Frühjahr ein bedeutend teureres und dabei mageres Nutzvieh kaufen müsse. Im Frühjahr aber falle das Zugvieh wieder im Fleische ab. Darin liege eine große Schädigung der Bevölkerung. Wenn der Kriegszuschlag nicht gezahlt wird, werde man überhaupt kein Vieh aufbringen. Mit Gewalt könne man da nichts ausrichten. O f n e r meint, wenn man das Fleisch für die Mindestbemittelten von der Erhöhung ausnehme, werde die Preiserhöhung der übrigen Sorten doch etwas leichter aufgenommen werden. J e r z a b e k macht darauf aufmerksam, daß jetzt auch die Unterhaltsbeiträge verkürzt werden; wenn jetzt noch eine Fleischverteuerung dazu komme, werde das in Wien keinesfalls ruhig hingenommen werden. Präs. S e i t z bemerkt, daß der staatliche Zuschuß keineswegs ein Geschenk für die Wiener Bevölkerung, sondern eine Subvention für eine Anzahl von Gewerbetreibenden sei, denen es dadurch ermöglicht werde, eine Betriebsform aufrecht zu erhalten, die heute unmöglich sei. Das Ernährungsamt werde sich entschließen müssen, bezüglich der zentralen Schlachtung energisch vorzugehen. Bei der Abstimmung wird der erste Teil des Antrages des Staatsamtes für Landwirtschaft ohne Änderung a n g e n o m m e n. Zum zweiten Teile stellt das Staatsamt für Finanzen den Antrag45, „den Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen im Betrage von 1 K pro kg Lebendgewicht vorläufig bis Ende Dezember zur Hälfte aus Staatsmitteln zu bezahlen, die andere Hälfte auf den Konsum zu überweisen.“ Dieser Antrag wird a b g e l e h n t. Der Präliminarfrieden war ein seit dem 17. Jahrhundert bestehendes diplomatisches Instrument – das auch im deutsch-französischen Krieg von 1871 zur Anwendung gekommen war – und die Aushandlung des endgültigen Friedensvertrages durch die siegreichen Mächte unter Einbeziehung der besiegten Parteien vorsah. Die auf das Ende des Ersten Weltkrieges folgende Pariser Friedenskonferenz hatte ursprünglich diese Struktur vorgesehen, entwickelte sich jedoch unbeabsichtigt „von der Vorbereitungskonferenz zum Hauptereignis“ sodaß für die Verhandlungen mit den Delegationen der besiegten Länder nur noch Zeit für ein schriftliches Verfahren blieb. Vgl. Margaret MacMillan, Die Friedensmacher. Wie der Versailler Vertrag die Welt veränderte, Berlin 2015, S. 21; Jörn Leonhard, Der überforderte Frieden. Versailles und die Welt 1918–1923, München 2018, S. 663–665. 45 Dieser Antrag findet sich als handschriftliche Ergänzung zu dem unter Zahl 51/V beiliegenden Antragstext und ist im Beschlußprotokoll dieser Sitzung unter Punkt V enthalten. 44
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Der zweite Teil des Antrages des Staatsamtes für Landwirtschaft wird hierauf mit der Änderung46 a n g e n o m m e n, daß die Worte: „vorläufig bis Ende Jänner 1919“ durch die Worte: „vorläufig bis Ende Dezember“ ersetzt werden. Weiters wird folgender Antrag47 a n g e n o m m e n: „Das Staatsamt für Finanzen wird beauftragt, zum Zwecke der Durchführung der Fleischverbilligungsaktion in Wien die erforderlichen Beträge pro Dezember 1918 bereitzustellen.“ Der hiezu gestellte Zusatzantrag48 Grimm, welcher lautet: „Bei dieser Aktion sind die Preise für Extremfleisch und für die besseren Qualitäten des Einheitsfleisches entsprechend zu erhöhen“ wird a b g e l e h n t.49 [7] P. 7 A u s k u n f t w e g e n d e s F o r t g a n g e s d e r F r i e d e n s v e r h a n d l u n g e n u n d w e g e n d e r M a ß n a h m e n, z u d e r e n V o r b e r e i t u n g i n W i e n. B a u e r: Über den Fortgang der Friedensverhandlungen ist leider noch nichts zu berichten, da sie noch nicht begonnen haben. Die Entente hat auf eine Anfrage, die wir gestellt haben, ausdrücklich geantwortet, daß ihre Bevollmächtigten in Bern nicht das Recht haben, mit unseren Vertretern direkt zu verkehren, sondern daß sie mit uns nicht anders verkehre, als auf dem Wege über die Schutzmächte. Es kann also nur von ganz inoffiziellen Fühlungnahmen gesprochen werden, die vorläufig höchstens für die Verpflegungsfrage, sicher aber nicht für die Friedensverhandlungen Bedeutung haben.50 In Wirklichkeit ist die Entente unter sich noch nicht einig, was sie eigentlich tun will, und es besteht gar keine Möglichkeit, daß wir jetzt mit ihr reden. Was wir jetzt tun können, ist lediglich eine gewisse Propagandatätigkeit in den neutralen Ländern, die bereits eingeleitet Die entsprechende Passage ist auf dem unter der Zahl 51/V beiliegenden Antrag handschriftlich verzeichnet. Der gedruckte Text enthält diesbezüglich keinerlei zeitliche Einschränkung. 47 Beilage 51/V: Antrag des Staatssekretärs für Volksernährung (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. 48 Beilage 51/V: Antrag des Unterstaatssekretärs für Finanzen (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. 49 Vgl. zur weiteren Erledigung durch das Staatsamt für Finanzen das Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.330/1918. In einer darin enthaltenen kurzen Notiz berichtete Grimm, daß die Beschlüsse trotz seiner „lebhaftesten Einsprache“ gefaßt worden wären. Er forderte in dieser Angelegenheit Verhandlungen der betreffenden Staatsämter und die Behandlung dieser Frage im Staats- und Kabinettsrat. Vgl. KRP Nr. 34/12 vom 28. Januar 1919; weiters AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.252/1918, Sta.f.Volksernährung: Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen und Fleischverbilligung in Wien. Die Festsetzung der Übernahmspreise für Rindfleisch für Jänner 1919 wurde einer Kommission übertragen. Vgl. dazu SRP Nr. 60 vom 20. Dezember 1918. Vgl. SRP Nr. 60/I vom 20. Dezember 1918 sowie KRP Nr. 18/4 vom 29. November 1918 und Nr. 31/5 vom 14. Jänner 1919. 50 Die erste Zusammenkunft der US- und der deutschösterreichischen Delegation zur „Beratung der Frage der Lebensmittelversorgung Deutsch-Österreichs und insbesondere Wiens“ fand am 24. Dezember in Bern statt. Vgl. Volkswirtschaftliche Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Nr. 12, Dezember 1918, S. 355 „Lebensmittelversorgung durch die Entente“; weiters Mitteilungen des Staatsamtes für Volksernährung über die Verhandlungen mit den alliierten Hauptmächten über die Lebensmittelversorgung der Republik Österreich in der Zeit vom Dezember 1918 bis Anfang Oktober 1919, Wien 1920, S. 7–11. Vgl. dazu auch KRP Nr. 26/1 vom 28. Dezember 1918. 46
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und an einzelnen Stellen auch schon im Gange ist, und andererseits die Vorbereitung der Friedensverhandlungen hier in Wien, damit sie uns gerüstet finden.51 Diese Vorbereitungen gehen nach verschiedenen Richtungen. Die erste Aufgabe ist die Vorbereitung bezüglich der territorialen Fragen. In dieser Beziehung lassen wir ein größeres Elaborat über die Grenzlinien und über die nationalen Minderheiten auf beiden Seiten ausarbeiten, im wesentlichen eine Sammlung statistischen und kartographischen Materials, die von der statistischen Zentralkommission und dem militärgeographischen Institut besorgt wird.52 Im Zusammenhange damit bereiten wir Erklärungen über die einzelnen Fragen vor, insbesondere einen Vorschlag, der dahingeht, die strittigen Grenzfragen, insbesondere die deutschböhmische und die Deutsch-Südtirolerfrage auf dem Wege einer Volksabstimmung unter neutraler Kontrolle zu entscheiden. In dieser Beziehung wird ein Entwurf ausgearbeitet, wie wir uns die Volksabstimmung und die Kontrolle hierüber vorstellen.53 Im Zusammenhange damit steht die Frage der westungarischen Komitate, auf die sich auch ein Vorschlag bezüglich der Volksabstimmung erstrecken könnte, und für die ebenfalls das statistische und kartographische Material gesammelt wird.54 Die Frage der nationalen Minoritäten wird ebenfalls in diesem Zusammenhange behandelt. Wir lassen hier zunächst nur für unsere Verwendung verschiedene Vorschläge ausarbeiten. Ich will nebenbei bemerken, daß ich bezüglich der Forderung des Schutzes für unsere Minoritäten und Sprachinseln sehr skeptisch bin, weil ich überzeugt bin, daß jeder Versuch, eine solche völkerrechtliche Sicherung zu erlangen, nur um den Preis Erfolg haben wird, daß wir denselben Schutz auch den anderen Minoritäten, z. B. den Tschechen in Wien gewähren, also um einen unzweifelhaft sehr hohen Preis.55 Wir bereiten natürlich die Entwürfe vor, damit wir das Material haben, wenn es zur Verhandlung dieser Fragen kommen sollte. Wir behalten uns aber vor, ob und wie weit wir überhaupt davon bei der Friedensverhandlung Gebrauch machen werden. Ein anderer Fragenkomplex sind die verschiedenartigen wirtschaftlichen und rechtlichen Fragen, die bei der Friedenskonferenz zur Beratung kommen werden. Da sind zunächst die Fragen der Veränderung des Völkerrechtes, des Völkerbundes u.s.w. Eine zweite Gruppe sind Zu den Instruktionen für den deutschösterreichischen Gesandten in Bern, Baron Haupt von Buchenrode, welche auch Anweisungen zur Propagandatätigkeit enthielten Vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 52 Der Unterstaatssekretär des Staatsamtes für Äußeres, Egon Pflügl, ersuchte das Militärgeographische Institut am 18. November 1918 im Einvernehmen mit der Statistischen Zentralkommission Kartenmaterial zur Vorbereitung für die Friedensverhandlungen „in welches der für einen Minderheitsschutz in Betracht kommende deutsche Besitzstand auf statistischen Grundlagen in einer hinreichend genauen Weise eingetragen“ werden sollte, bereit zu stellen. Pflügls Schreiben findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 25/2, Sprachminderheitskarten, Zl. 589/1/1918. Zur Ausarbeitung der Karten und ihrer weiteren Verwendung vgl. das weitere in diesem Bestand einliegende Aktenmaterial. 53 Die Forderung nach einer Volksabstimmung in den umstrittenen Gebieten zählte zu den Grundzügen der Außenpolitik Otto Bauers, die er in einer grundsätzlichen Denkschrift vom 25. Dezember 1918 formulierte. Vgl. Ernst Hanisch, Der große Illusionist. Otto Bauer (1881–1938), Wien/Köln/Weimar 2011, S. 153; weiters Staatssekretär für Äußeres Bauer an alle in Wien vertretenen Mächte und Regierungen der Ententestaaten und der Vereinigten Staaten von Amerika. Denkschrift, in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1993, S. 316–328. 54 Eine Sprachenkarte von Deutsch-Westungarn, die auf Grund amtlicher Zählung vom 31. Dezember 1910 erstellt worden war, findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 25/2. 55 Zur grundsätzlichen Ablehnung von Schutzbestimmungen für Minderheiten in Österreich vgl. Hanns Haas, Die österreichische Regierung und die Minderheitenschutzbestimmungen von Saint Germain, in: Integratio 11–12 (1979), S. 23–37. 51
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die Fragen der Aufhebung des Kriegsvertragsrechtes und der Kriegsbeschlagnahmen, wobei es sich um den Schutz sehr großer Interessen unserer Staatsbürger im Auslande handelt. Eine dritte Gruppe sind die Fragen, die sich aus der Auseinandersetzung mit den anderen Staaten der ehemaligen Monarchie ergeben, aus der Auseinandersetzung über Staatsgut, Staatsschuld und schließlich über die Internationalisierung der Verkehrswege.56 Was das Völkerrecht anbelangt, so wurden bezüglich dieser Angelegenheit einige Vorarbeiten schon im früheren Ministerium des Äußern gemacht, und es handelt sich eigentlich jetzt nur darum, diese Vorarbeiten abzuschließen. Das ist eine Angelegenheit, wo es weniger auf uns ankommen wird, wo es mehr eine Frage des Prestiges ist, daß wir da auch dreinreden können. Viel wichtiger ist für uns die Frage der Auseinandersetzung mit den anderen Nationen. Darüber werden sehr große Arbeiten notwendig sein, die zum Teile nur von den einzelnen Ressorts vorbereitet werden können, und wo im Staatsamte des Äußeren das wenigste geschehen kann. Aufgabe des Staatsamtes für Äußeres wird es sein, diese Arbeiten der einzelnen Ressorts zu sammeln.57 Dagegen fällt in unsere Kompetenz der ganze Komplex der Fragen der Aufhebung des Kriegsprivatrechtes, der Kriegsbeschlagnahmen, des Kriegsvertragsrechtes u.s.w. Darüber liegen im Ministerium des Äußern schon beträchtliche Vorarbeiten vor, die fortzusetzen und abzuschließen sein werden.58 Auch das wird schwerlich in kurzer Zeit zur Entscheidung kommen und wird wohl auch erst im endgiltigen Friedensvertrag und nicht im Präliminarvertrag geregelt werden. Unter den Fragen der Internationalisierung taucht an erster Stelle die Frage auf, was mit unseren Eisenbahnen geschehen wird, also mit der Südbahn, die in drei oder vier Staatsgebieten liegen wird, und wo überdies die Franzosen wegen ihres großen Kapitalbesitzes auch noch mit dreinreden werden.59 Aber auch unsere Staatsbahnen, die in fremde Gebiete gehen, Vgl. dazu Hanns Haas, Die österreichische Sozialdemokratie und das Friedensprogramm des Völkerbundes. Ein Vorbericht, in: Jahrbuch für Zeitgeschichte 1984/85, Wien 1986, S. 37–75; Leonhard, Der überforderte Frieden, S. 1053–1069. 57 Vgl. dazu u. a. das Aktenmaterial zu den im Rahmen der Vorarbeiten der Friedensverhandlungen abgehaltenen Besprechungen von Vertretern der Staatsämter für Justiz, für Finanzen, für Inneres, für Handel, Gewerbe und Industrie und für Äußeres, die vor allem finanzielle Fragen berührten, in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, GZl. 2.286/1918. 58 Zu den Vorbereitungen zum Friedensschluß vgl. auch AdR, BKA/Inneres, 19/3, StAI, Zl. 2.088/1918. 59 Der Habsburgerstaat veräußerte aus Finanznot 1854 das großteils privat finanzierte Eisenbahnnetz und überließ den Bahnbau bis 1873 der privaten Initiative, allerdings unter Zusicherung einer Mindestrendite. Der nachfolgenden neuerlichen Verstaatlichung des Eisenbahnwesens unterlagen nur wenige Bahnen, unter ihnen die Südbahn, ein Konglomerat verschiedener, nach dem Verlust Lombardo-Venetiens teils im Königreich Italien liegender Bahnstrecken, welche nach und nach in den Besitz französisch-englischer Investoren kamen, wobei die „Creditanstalt für Handel und Gewerbe“ federführend auftrat. Im Jahr 1862 kam es zum Zusammenschluß dieser Investorengruppe zur k.k. privilegierten Südbahn-Gesellschaft, welche die in Österreich liegenden Abschnitte des von ihr erworbenen südlichen Gesamtnetzes verwaltete. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Streckennetz der Südbahn defacto auf vier Staaten aufgeteilt, wobei sich der formale Sitz in Österreich befand. In dieser Situation bestand das hauptsächliche Interesse Österreichs in der Internationalisierung der Kosten sowie der Aufrechterhaltung eines Zugangs zur Adria. Die zentrale Frage bildete die zukünftige Rechtsform der Südbahn. Optionen waren die Weiterführung der Südbahn als private Gesellschaft, ihre Internationalisierung, also die Führung durch eine internationale Kommission, oder die Nationalisierung und Aufteilung auf die betroffenen Staaten. Am 16. und 17. Dezember 1918 fanden im Staatsamt für Äußeres Besprechungen bezüglich dieser und weiterer, vor allem finanzielle Aspekte berührender Fragen, statt. Vgl. dazu das umfangreiche Material unter AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.395/1918, Südbahn; zu den Besprechungen vgl. weiters AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 271/Präs./1918, D.ö. Staatsamt für Äu56
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kommen hier in Betracht. Darüber haben wir uns schon mit dem Staatsamt für Verkehrswesen ins Einvernehmen gesetzt, wo verschiedene Projekte ausgearbeitet werden, für die Südbahn ein Internationalisierungsprojekt, für die anderen Bahnen Alternativprojekte. Man könnte auch hier eine Internationalisierung oder eine Teilung vorschlagen, daß z. B. der Betrieb der Nordbahn in unseren Händen bliebe, während man die St.E.G.60 den Tschechen zum Betriebe überlassen könnte u.s.w. Es ist das ein Komplex außerordentlich vieler, ganz verschiedener Fragen und Vorarbeiten, die sehr dringend sind und die zum Teile im Staatsamt für Äußeres, zum Teile in den einzelnen Ressorts geleistet werden und wo es sich darum handelt, eine ständige Übersicht über das Ganze zu gewinnen. Ich habe deshalb den früheren Justizminister Dr. Franz Klein61 ersucht, diese Arbeit zu übernehmen. Dr. Klein ist nicht als Beamter in das Ministerium eingetreten, sondern er macht die Arbeit sozusagen als Privatmann, nur mit einem Spezialauftrag des Staatsamtes für Äußeres. Dieser Auftrag geht dahin, einerseits die Arbeiten, die ohnehin gemacht werden, zu kontrollieren und zu fördern und andererseits die Verbindung mit den einzelnen Ressorts herzustellen.62 Was schließlich die eigentlichen politischen Vorarbeiten anbelangt, so bestehen sie darin, daß man eine Menge von Erklärungen, die abzugeben sein werden – besonders da die Friedensverhandlungen wenigstens zum Teile öffentlich geführt werden dürften – jetzt schon in französischer Sprache stilisiert. Eine ganze Menge solcher Erklärungen sind heute schon vorauszusehen: so werden über den Anschluß an Deutschland, über die Frage Deutsch böhmens und Deutschsüdtirols verschiedene Erklärungen abzugeben sein, wir werden uns auf die Statistik berufen, die Tschechen werden sie bestreiten, kurz, wir stilisieren uns jetzt schon eine ganze Anzahl von Erklärungen, die man voraussehen kann, weil das für die Unterhändler eine große Erleichterung sein wird. Auch diese Arbeiten vorläufig zu leiten, fällt in den Aufgabenkreis Dr. Kleins.
ßeres, betr. Südbahnfragen bei den Friedensverhandlungen. Letztendlich kam es 1922 zum Abschluß eines Vertrages, wodurch die Südbahn-Gesellschaft zur „Donau-Save-Adria Eisenbahn-Gesellschaft“ (DOSAG) umbenannt wurde. Bis zum Ende ihrer Konzession blieb diese unter der Verwaltung der vier Staatsbahnen bestehen. In Österreich wurde die DOSAG im Jahr 1982 aus dem Handelsregister gelöscht. Vgl. Herbert Dietrich, Die Südbahn und ihre Vorläufer, Wien 1994, S. 8–47 und S. 66–69; Sonja Schneller, Die Auswirkungen des Zerfalls der Habsburgermonarchie auf die Eisenbahnen der Nachfolgestaaten (1918–1923) mit besonderer Berücksichtigung Österreichs, phil. Diss., Wien 1986, S. 163–165 und S. 179–236. Vgl. weiters SRP Nr. 52 vom 2. Dezember 1918. 60 Im Zuge der Privatisierungen weiter Teile des Bahnnetzes in der Mitte des 19. Jhdts. war der aus einer Gruppe französischer Investoren gebildeten „Österreichischen Staatseisenbahngesellschaft“ im Jahr 1855 die Konzession erteilt und die nordöstliche und südöstliche Staatsbahn mit den Strecken Bodenbach-Prag-Brünn bzw. Olmütz sowie den ungarischen Linien verkauft worden. Im Jahr 1908 kaufte der Staat die österreichischen Linien der Staatseisenbahngesellschaft wieder zurück. Vgl. Alfred Horn, Von den Anfängen bis 1938, in: Gerhard Artl, Gerhard H. Gürtlich und Hubert Zenz, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. 175 Jahre Eisenbahn in Österreich (Band 1), Wien 2012, S. 27–67, hier S. 48 und S. 55. 61 Dr. Franz Klein, Jurist, ab 1891 Dienst im Justizministerium, 1905 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses, 2. Juni 1906 bis 15. November 1908 und 31. Oktober bis 20. Dezember 1916 Justizminister, 1919 führendes Mitglied der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain. 62 Das Staatsamt für Äußeres informierte etwa das Staatsamt für Heerwesen am 27. November 1918 von der Bestellung Kleins mit dem Ersuchen, ihn bei seiner Arbeit zu unterstützen. Vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.555/1918. Material zu Kleins Ernennung und Tätigkeit liegt in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 15/V-2, Fasz. Österreich 15/I, Betrauung des Ministers a. D. Dr. Franz Klein mit der Leitung der vorbereitenden Arbeiten für die Friedensverhandlungen. Vgl. dazu auch das weiterführende Material in AdR, StAH, Zl. 272/Präs./1918.
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Schließlich ergibt sich noch ein Fragenkomplex, das ist der, der aus dem angestrebten Anschluß an Deutschland hervorgeht. Neben den allgemeinen politischen Fragen kommen da eine ganze Unzahl wirtschaftlicher und juristischer Fragen in Betracht, vor allem die ganze Frage der Umleitung der Gesetzgebung und ferner wirtschaftliche Fragen, die sich aus der Einbeziehung in das deutsche Zollgebiet, aus dem Übergang zur deutschen Währung u.s.w. ergeben. Es schien mir zweckmäßig, daß ein Herr alle diese Fragen studiere, darüber Arbeiten fertigmache und sich mit den einzelnen Ressorts in Verbindung setze, die diese Fragen untersuchen. Mit dieser Aufgabe ist Hofrat Gärtner63 betraut. Das ist im allgemeinen das, was an Vorarbeiten geleistet wurde, bezw. jetzt geleistet wird. Keine dieser Arbeiten ist noch abgeschlossen. Es ist beabsichtigt, zunächst diejenigen Arbeiten möglichst schnell abzuschließen, die unmittelbar für den Präliminarfrieden notwendig sein werden. Das sind vor allem diejenigen, die sich auf die territorialen Fragen beziehen, während bezüglich der anderen mehr Zeit vorhanden ist. L a n g e n h a n bittet um Auskunft darüber, ob irgendwelche Anzeichen vorhanden sind, daß die Entente beabsichtige, den Krieg weiter zu führen, ferner, ob irgendwelche Anzeichen vorhanden sind, aus denen man die Gründe entnehmen kann, warum die Entente bezüglich der Friedensverhandlungen und der Besprechungen wegen des Präliminarfriedens gar nichts tue, und ob aus dieser Handlungsweise der Entente irgendwelche Gefahren drohen. Es sei merkwürdig, daß die Entente immer darauf hinweise, nur mit vollkommen konsolidierten Staaten in Friedensverhandlungen eintreten zu wollen, was zu einem gewissen Mißtrauen Anlaß gebe. Er stellt ferner die Anfrage, ob die zwischen den Gesandten der Nationalstaaten des alten Staates stattfindenden Verhandlungen über die Demobilisierungsgüter definitive Erledigungen sind, oder ob bei diesen Verhandlungen nur Propositionen gemacht werden, die dann dem Staatsrate vorgelegt werden. J e r z a b e k stellt die Anfrage, ob von der Entente ein bestimmter Grund dafür angeführt wurde, daß sie noch immer nicht geneigt ist, mit uns in Friedensverhandlungen einzutreten, nachdem wir gegenwärtig schon in einem neuen Staate leben und dadurch dem Wunsche der Entente entgegengekommen sind. L i c h t stellt die Anfrage, wie weit die Anerkennung der Republik Deutschösterreich namentlich seitens der neutralen Staaten gediehen ist, und ob hierüber bereits Antworten entscheidender Natur eingelangt sind. Er hält es für dringend notwendig, für Deutschösterreich einen Propagandadienst zur Klarstellung der nationalpolitischen Verhältnisse einzurichten u. zw. durch volkstümliche kleine Broschüren in englischer und französischer Sprache, welche die Verteilung der Bevölkerung in Deutschösterreich, im tschechoslovakischen Staate u.s.w., die Rechte der Minderheiten, die Bedeutung des Deutschtums für die Entwicklung des alten Staates und für die gegenwärtigen Nationalstaaten in volkstümlicher Weise schildern. Es solle namentlich dafür gesorgt werden, daß der Pressedienst die entsprechenden ausländischen Blätter bedient.64 T e u f e l bemerkt, man höre, daß der Plan des Anschlusses Deutschösterreichs an Deutschland im Deutschen Reiche fallen gelassen wurde, und daß die Wahlen für Deutschösterreich im Wahlgesetze nicht vorgesehen seien. Er bittet um Mitteilung, wie weit authen Dr. Friedrich Gaertner, Nationalökonom, ab 1910 Privatdozent an der Technischen Hochschule in Wien, ab 1914 Regierungskommissär der Kriegsgetreideanstalt bzw. Deutschösterreichischen Getreideanstalt, 26. Juli 1916 Ernennung zum Sektionsrat, 1. Januar bis 30. Oktober 1919 aushilfsweise Verwendung im Staatsamt für Äußeres, betraut mit Fragen wirtschaftlicher und juristischer Natur bei den Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen in St. Germain. 64 Die Einrichtung eines Pressedienstes in den Staatsämtern war im Kabinettsrat beschlossen und von der Staatskanzlei angeordnet worden. Vgl. KRP Nr. 12/1 vom 16. November 1918; sowie AdR, BKA/ Inneres, 16/gen., StAI, Zl. 767/1918, Pressedienst, Einrichtung. 63
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tische Erklärungen Deutschlands hierüber vorliegen, und aus welchen Gründen man den einmal gefaßten Beschluß fallen gelassen habe.65 W o l f: Eine Propaganda in der Art, wie sie Herr Dr. v. Licht angeregt hat, ist äußerst notwendig. Wir haben in dieser Beziehung ohnehin schon zu viel Zeit verstreichen lassen. Ich habe vor einiger Zeit beantragt, es soll eine gewisse Summe für Propagandazwecke gewidmet werden; ich weiß nicht, welchem Staatsamte dieser Antrag zugewiesen wurde, ich habe nichts mehr davon gehört.66 Dagegen wird von anderer Seite mit unserer Unterstützung eifrigst Propaganda getrieben. So wurde vor kurzem hier im Parlamente sogar eine Filmvorführung veranstaltet und in der dazu ausgegebenen Einleitung zu diesem Vortrage waren die Städte des ehemaligen Österreich als tschechische und tschecho-slovakisch-deutsche und deutschtschecho-slovakische angegeben, rein deutsche Städte hat es überhaupt nicht gegeben, und mit besonderer Befriedigung wurde konstatiert, daß auch Wien zu diesen deutsch-tschechoslovakischen Städten gehört. Ich wollte an den Herrn Präsidenten eine diesbezügliche Anfrage richten, es wurde mir aber gesagt, das sei unmöglich, der Herr Präsident hat aber die Sache zur Kenntnis genommen.67 Präs. S e i t z: Ich habe mich sofort erkundigt und es ist mir von einigen Herren, die streng deutsch-nationaler Gesinnung sind, gesagt worden, daß dieser Film propagandistisch für uns wirklich von Vorteil sei. W o l f: Ich habe den Fall nur erwähnt, weil ich sagen wollte, daß von der Gegenseite eine sehr erfolgreiche und wirksame Propaganda unternommen wird, während von unserer Seite nichts geschieht. Daher begrüße ich die Anregung Licht. H e i n e verweist auf die Verhaftung des Bürgermeisters von Brüx, Abg. Dr. Herold68, und stellt die Anfrage, ob in dieser Angelegenheit, die sich auch auf den Verkehr mit einem auswärtigen Staate bezieht, schon etwas veranlaßt wurde und ob man nicht von Seite unseres Staates prinzipiell in Verhandlungen mit den Tschechen eintreten wolle, damit diese fortwährenden Behelligungen deutschböhmischer Abgeordneter, die in ihrem Gebiete tätig sind, aufhören. M i k l a s: Ich möchte auf die Verhältnisse in Unter- und Oberthemenau aufmerksam machen. Dort sind von den Tschechen nicht nur deutsche Schulen in Anspruch genommen worden, sondern ungefähr 21 deutsche Lehrpersonen wurden nicht nur an Hab und Gut geschädigt, sondern auch in ihrer Sicherheit bedroht. Es wurde den Leuten seinerzeit gesagt, Vgl. dazu das Telegramm des Auswärtigen Amts in Berlin in AdR, StK, GZl. 1.102/1918, Zl. 2.501/1/1918, betr. Verordnungen über die Wahlen zur verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung. Vgl. weiters VAP Nr. 3 vom 23. Oktober 1918 nachmittags sowie SRP Nr. 36 vom 18. November 1918. 66 Die Äußerung des Staatsrates Wolf konnte nicht verifiziert werden. 67 Am 30. Oktober 1918 informierte das Institut für Kulturforschung, Abteilung Allgemeine Kultur den Staatsrat über die Fertigstellung eines statistischen Filmes mit dem Titel „Deutschoesterreich und der cechisch-slovakische Staat“. Laut Information sollte der Film „die deutsch-cechische Völkerdurchdringung“ klarlegen und zur politischen Aufklärung beitragen. Vgl. AdR, StAfKÜ, Zl. 830/1918, Statistische Films für politische Aufklärungszwecke. Beschreibung und Titel legen nahe, daß es sich dabei um den hier angesprochenen Film handeln könnte. Die im Protokolltext erwähnte Filmvorführung im Parlament konnte allerdings nicht eruiert werden. 68 Dr. Josef Herold, von 1909 bis 1918 Bürgermeister von Brüx, seit 1905 Abgeordneter im Böhmischen Landtag, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Abgeordneter der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. Am 29. November 1918 wurde Herold verhaftet und mußte die Stadt verlassen. Er wurde des Landes verwiesen und hielt sich bis zu seiner Amnestierung in Dresden auf. Zur Schilderung der Verhaftung Herolds vgl. die „Denkschrift der deutschen Mitglieder der Verwaltungskommission für die Stadt Brüx über die anläßlich der Besetzung der Stadt Brüx durch tschechoslovakisches Militär vorgekommenen Ungesetzlichkeiten, Beschädigungen und Plünderungen“ in AdR, OBh 1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Berichte aus verschiedenen Orten A–L, Brüx. 65
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sie sollen auf diesem gefährdeten Posten so lange ausharren als es nur geht und nur der Gewalt weichen. Unter diesen Umständen jetzt müßten aber wohl Maßregeln getroffen werden, daß diese Lehrpersonen von dort weggenommen und die deutschen Schulen als gesperrt erklärt werden.69 Es sollten aber auch Repressivmaßregeln ergriffen werden, wozu in Wien eventuell Gelegenheit wäre. Weiters möchte ich um Auskunft darüber bitten, aus welchem Grunde unsere deutschösterreichische Republik z. B. in der Schweiz hinsichtlich unseres Gesandten nicht anerkannt wird, ferner darüber, wo wir überhaupt schon Gesandte haben und wie ihre Namen lauten und in welchem Staate das Staatsamt für Äußeres noch Gesandtschaften zu errichten gedenkt. Endlich möchte ich fragen, welche Bewandtnis es mit den Zeitungsnachrichten von einer eventuellen Okkupation Wiens durch die Italiener hat,70 und wie groß die tschechische Legion ist, welche von der Entente 71 auf dem Wege über Linz-Budweis nach Prag gebracht werden soll.72 O f n e r: Ich möchte um Auskunft darüber bitten, was es mit unseren Kriegsgefangenen ist. Dr. B a u e r: Die Entente hat die Ablehnung von Verhandlungen mit uns gar nicht begründet, sondern einfach erklärt, daß sie mit uns nicht verhandle. Sie steht auf dem Standpunkt, daß sie uns als einen Staat betrachtet, mit dem sie noch im Kriege ist und mit dem sie daher nicht verhandelt. Und daß sie vor dem Abschluß des Präliminarvertrages in Verhandlungen nicht eintreten wolle, beweist sie uns wieder dadurch, daß sie uns sagen läßt, die Friedensbedingungen werden auf der Konferenz der Ententemächte festgestellt, und bis sie fertig sind, werde sie uns schon verständigen. Deswegen kann man nichts machen. Bezüglich der Frage, ob die Entente den Krieg weiterführen will, kann ich nur sagen, daß aus der Ententepresse dies zu entnehmen ist. Sie droht immer damit, was gewöhnlich in der Form geschieht, daß sie behauptet, daß Deutschland die Waffenstillstandsbedingungen nicht erfülle, daß die Gefangenen grausam behandelt werden, und daß Deutschland nicht vergessen solle, daß die Entente noch weiter marschieren könne. In dieser Form tritt es in der Ententepresse auf, nicht aber in der Form, daß sie es tun wollen. In Deutschland befürchtet man, daß Frankreich es tun wolle. Man meint, daß die Pariser Lust dazu haben; einerseits aus taktischen Gründen, denn man kann sich vorstellen, daß für die Franzosen die Vorstellung, in Berlin einzumarschieren, sehr verlockend ist; andererseits, und das ist ernster, weil sie Deutschland neuerlich treffen, noch mehr Kriegsmaterial und Eisenbahnmaterial beschlagnahmen zu können glauben. Man hat die Kraft Deutschlands kennen gelernt und meint, man müsse es so treffen, daß es nicht wieder Krieg führen kann. Nach Auffassung der deutschen Staatsmänner sind in Frankreich solche Strömungen vorhanden. Dagegen glaubt man, daß in England und Amerika ein Widerstand dagegen vorhanden sei. Eine Meinung Die drei niederösterreichischen Gemeinden des politischen Bezirkes Mistelbach Ober- und UnterThemenau sowie Bischofswarth waren von slowakisierten Kroaten bewohnt und tschechisch-national eingestellt. Der Schulunterricht in diesen drei slowakischen Gemeinden hatte schon in altösterreichischer Zeit Gegenstand politischer Auseinandersetzungen gebildet. Vgl. dazu Hanns Haas, Die Pariser Friedenskonferenz und die Frage Gmünd, in: Kamptal-Studien 2 (1982/83), 3. Band (1983), S. 213–247, hier S. 236. Zur Besitznahme der Komensky-Schule in Unter-Themenau vgl. SRP Nr. 26 vom 8. November 1918 sowie AdR, StK, GZl. 177/1918. 70 Die „Neue Freie Presse“ hatte in einem Artikel vom 22. November 1918 gemeldet: „In Salzburg rücken fünftausend Italiener ein und Wien könnte […] ebenfalls an die Reihe kommen.“ Vgl. Neue Freie Presse. Abendblatt, 22. November 1918, S. 1 „Die Möglichkeit einer Besetzung von Wien durch Truppen der Entente“ und ebd., „Forderung nach Besetzung Wiens“. 71 An dieser Stelle wurde das Wort schon gestrichen. 72 Zum Transport der tschechischen Legion über österreichisches Gebiet vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918 und Nr. 46 vom 26. November 1918. 69
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darüber, kann man sich natürlich nicht bilden, ob diese Strömung so stark ist, daß die Feinde wirklich dazu übergehen wollen. Die bekannte Äußerung Hindenburgs73, daß sie es tun wolle, ist ja den Herren bekannt.74 Diese Äußerung war aber für den inneren Gebrauch bestimmt, um zur Ruhe zu mahnen. Jedenfalls kann ich sagen, daß mir der deutsche Botschafter gesagt hat, daß man in Berlin glaubt, daß die Feinde den Waffenstillstand kündigen und weiter marschieren werden. Gegen uns, glaube ich, würde man das nicht tun. Deutschland aber käme in die Lage, daß die Feinde alles besetzen könnten, nur mit dem Unterschiede, daß sie dort als Kriegführende kämen, während sie bei uns nur militärisch besetzen könnten, der Waffenstillstand aber aufrecht bleiben würde. Praktisch ist das sehr maßgebend, weil es sich da auch um Kontributionen, Beschlagnahmen, Requisitionen u.s.w. handeln würde. Darüber, warum die Entente mit den Friedensverhandlungen so lange zuwartet, kann ich nur Vermutungen äußern. Ich glaube, hauptsächlich aus drei Gründen. Der erste ist wohl, daß die Ententemächte über das Programm noch nicht einig sind. Es ist sicher, daß sich die Franzosen den Frieden anders vorstellen als die Engländer, diese wieder anders als die Italiener und diese erst recht anders als die Amerikaner.75 Es ist kein Zweifel, daß man erst Versuche machen wird, sich zu einigen, bis Wilson nach Europa kommt.76 Ein zweiter Grund dürften auch die englischen Wahlen sein. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß man in England nicht vor den Wahlen, sondern erst nach Abschluß derselben verhandeln will, weil das parteipolitisch für Lloyd George77 günstiger ist.78 Schließlich kann ein Grund dafür auch die Unsicherheit der Lage in Deutschland sein. Ich habe den Eindruck, daß die Franzosen darauf rechnen, daß der weitere Verlauf der deutschen Revolution ihnen noch Gelegenheit bieten könnte, ihre Zwecke zu erreichen. Es ist sicher, daß die alten, die historischen Traditionen der französischen Politik wieder aufgelebt sind, daß sie glauben, Deutschland spalten, die Mainlinie und die Rheinprovinz wiederherstellen zu können und daß sie daher warten, ob ihnen nicht vielleicht Deutschland Gelegenheit dazu biete. Jedenfalls verzögern sie die Verhandlungen (L a n g e n h a n: Wie lange können sie dieselben verzögern?) Das hängt Paul von Beneckendorff und Hindenburg, 29. August 1916 bis September 1919 Chef des deutschen Generalstabes. 74 Möglicherweise bezog sich Staatssekretär Bauer hier auf ein auch in der „Neuen Freien Presse“ veröffentlichtes Telegramm Hindenburgs, in welchem dieser vermutete, „daß es nicht ausgeschlossen ist, daß sich die Franzosen Rechtstitel für eine Wiederaufnahme des Kampfes schaffen werden“. Vgl. Neue Freie Presse. Abendblatt, 23. November 1918, S. 1 „Die unmöglichen Waffenstillstandsbedingungen. Ein Telegramm Hindenburgs an die Reichsleitung“. 75 Zu den unterschiedlichen Friedensvorstellungen vgl. Adam Tooze, Sintflut. Die Neuordnung der Welt 1916–1931, München 2017, S. 317–413; Helmut Konrad, Drafting the Peace, in: Jay Winter (Hg.), The Cambridge History of the First World War. Volume II: The State, Cambridge 2014, S. 606–637, hier S. 614 f; Leonhard, Der überforderte Frieden, S. 376–430. 76 Woodrow Wilson traf nach 9-tägiger Schiffsreise an Bord der „George Washington“, einem ehemaligen Passagierschiff des Norddeutschen Lloyd, am 13. Dezember 1918 in Brest/Frankreich ein. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 14. Dezember 1918, S. 2 f „Die Ankunft Wilsons in Frankreich“ und „Die Einfahrt des ‚George Washington‘ in Brest“. 77 David Lloyd George, Jurist, 10. Dezember 1916 bis 19. Oktober 1922 britischer Premierminister. 78 Am 14. November 1918 waren in Großbritannien Neuwahlen ausgerufen worden, die am 14. Dezember 1918 stattfanden. Die Wahlen waren geprägt von der Einführung des allgemeinen Wahlrechts für Frauen ab 30 und für Männer ab 21 Jahren, der irischen Frage und der vom Krieg geprägten Konstellation der Koalitionsregierung. Das Ergebnis brachte einen Sieg für die Regierung und sicherte Lloyd George eine erneute Amtszeit als Premier. In Irland sollte sich die von der linksnationalen Sinn Féin erzielte überwältigende Mehrheit als Startschuß für den irischen Unabhängigkeitskrieg erweisen. Vgl. dazu Kenneth O’Morgan, The Oxford History of Britain, Oxford/New York 2010, S. 588–595; weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 23. November 1918, S. 4 „Die Neuwahlen in England“ und „Das Wahlprogramm Lloyd-Georges und Bonar Laws“. 73
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von der Stimmung ihrer Truppen ab. Es gibt jedenfalls einen Moment, wo sie dieselben nicht mehr verzögern können, weil ihre Truppen ungeduldig sein werden. Die Ungeduld bei den Truppen ist groß, die Leute wollen nach Hause. In einer der letzten Sitzungen der französischen Kammern ist das deutlich zum Ausdrucke gekommen.79 Wir haben gesehen, daß die Abgeordneten von der Stimmung der Truppen beeinflußt sind. Andererseits wird behauptet, daß die Italiener das größte Interesse daran haben, daß ihre Truppen nicht nach Hause kommen, und daß der italienische Vormarsch damit zusammenhängt. Sie wollen noch weiter marschieren, weil sie Furcht vor den heimkehrenden Truppen haben, eine Furcht, die für Italien nicht unbegründet sein mag. Wo die Grenze liegt, kann man von hier aus nicht beurteilen. Irgendwelche Nachrichten darüber habe ich nicht. Was die Frage der Anerkennung der deutschösterreichischen Republik anbelangt, so sind wir außer von Deutschland formell von keinem Staate anerkannt. Das muß man auch begreifen. Alle Staaten, die uns überhaupt sozusagen anerkannt haben, stellen immer fest, daß sie de facto Beziehungen mit uns unterhalten wollen, ohne uns aber formell anzuerkennen. Sie wollen dem Friedenskongresse nicht vorgreifen. Sie fürchten sich eben vor der Entente. Auch wüßten sie nicht, inwieweit die Verhältnisse hier stabile sind. Sie verhalten sich uns gegenüber so, wie sich die Mittelmächte den Neugründungen, auch den sympathischen Neugründungen in Rußland, gegenüber verhalten haben, wo man sich auch immer auf den Standpunkt der de facto-Anerkennung gestellt hat.80 Eine solche de facto-Anerkennung haben die Schweiz und die skandinavischen Länder ausgesprochen. (L a n g e n h a n: Ist der Musolini81 noch dort?) Nicht als Gesandter, er ist zur Disponibilität gestellt. Die tatsächliche Anknüpfung von Beziehungen ist mit der Schweiz und mit den skandinavischen Staaten erfolgt. Dabei muß ich sagen, daß die Schweiz es nur in ängstlicher Weise getan hat, viel ängstlicher als Dänemark. Dänemark – das ist die erste Anerkennung gewesen – hat gesagt, formell, völkerrechtlich können wir es nicht tun, weil wir auf Grund einer Vereinbarung es nur gemeinsam mit den anderen skandinavischen Staaten tun können, das ist aber eine reine Formalität, das wird bei einer Konferenz geschehen, tatsächlich wollen wir aber in Beziehung sein; und wir sind auch mit ihnen und mit Schweden in Verbindung.82 Die Schweiz hat es nur sehr ängstlich getan, und hat gegenüber dem Herrn Baron Haupt83 eine vorsichtige Haltung eingenommen. Sie hat verfügt, daß sie den Baron Haupt nicht als Gesandten anerkennen können, was selbstverständlich ist, aber sie ist so weit gegangen zu sagen, daß sie ihm nicht das Recht auf Die Abgeordnetenkammer der französischen Nationalversammlung führte in ihrer Sitzung am 22. November 1918 eine ausführlichere Debatte über die Frage der Demobilisierung. Vgl. Journal officiel de la République française. Débats parlementaires. Chambre des députés: compte rendu in-extenso, Chambre des députés, Séance du 22 novembre 1918, S. 3119–3133, https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ bpt6k6465489h/f9.item, abgerufen am 24. Mai 2019. 80 Im Zuge der russischen Oktoberrevolution des Jahres 1917 hatten sich mehrere Gebiete des ehemaligen Zarenreichs zu unabhängigen Nationalstaaten erklärt. Vgl. dazu Helmut Altrichter, Rußland 1917. Ein Land auf der Suche nach sich selbst, Paderborn 2017, S. 399–531. 81 Dr. Alexander Freiherr Musulin von Gomirje, 24. Jänner 1917 bis 27. November 1918 a.o. Gesandter und bevollmächtigter Minister in Bern. 82 Die dänische Regierung hatte dem Staatsamt für Äußeres am 15. November 1918 mitgeteilt, daß sie bereit sei, in faktische Verbindung mit der deutsch-österreichischen Regierung zu treten und „dass die Königlich dänische Regierung die Gesandtschaft in Kopenhagen als faktischen Vertreter des deutschösterreichischen Staates betrachten“ werde. Die offizielle Anerkennung Deutschösterreichs durch Dänemark und Schweden sollte erst am 5. November 1919 erfolgen. Vgl. dazu AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 12/II, Zl. 423/1918, Zl. 6.848/1919 und Zl. 6.875/1919. 83 Dr. Stephan Freiherr Haupt von Buchenrode, 19. November 1918 bis 30. November 1919 bevollmächtigter Vertreter Deutschösterreichs in Bern. Er wurde am 20. November 1918 zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in der Schweiz ernannt. 79
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den Kurierverkehr mit uns und das Recht auf Chiffrentelegramme zuerkennen könne.84 Das ist für uns ein unerwünschter Zustand; denn ich muß jetzt, um mit Herrn Baron Haupt verkehren zu können, durch die bisherige österreichische Gesandtschaft über Baron Devaux85 verkehren, was eine unmögliche Sache ist, weil wir dann im Auslande nicht mehr als ein eigener Staat erscheinen würden, sondern nur als eine Dependance des alten Staates. Um das zu verhindern, habe ich nun Herrn Baron Haupt folgendes vorgeschlagen – das ist nur ein Vorschlag, weil ich erst einen Bericht darüber haben will, ob er es nach den lokalen Verhältnissen und nach Kenntnis der Personen für durchführbar hält –; Herr Baron Haupt soll in die Gesandtschaft einziehen, er soll die deutsch-österreichischen Beamten übernehmen, die ungarischen Beamten der Dame, die dort ist,86 übergeben und wir werden von Herrn Baron Flotow87, der noch das liquidierende Ministerium des Äußern leitet, verlangen, daß er der Schweiz mitteilt, daß auch die Geschäfte des liquidierenden Ministeriums auf Herrn Baron Haupt übergehen. Damit käme die Schweiz in eine Lage, in der sie sich nicht helfen kann, da sie die Beziehungen nicht ganz abbrechen kann. Sie müßte Herrn Baron Haupt, wenn auch nicht als Gesandten des deutschösterreichischen Staates, so doch als Gesandten dieser Liquidierungsstelle anerkennen und müßte ihm dann das Recht des direkten Kurierverkehrs und des Chiffrenverkehrs zuerkennen. In der Form werden wir es vielleicht durchsetzen. Es ist nur die Frage, von wann an wir es machen können.88 Haupt hatte sich am 29. November 1918 beim Eidgenössischen Departement für Auswärtige Angelegenheiten vorgestellt, welches ihn darüber in Kenntnis setzte, „dass die schweizerische Regierung die Mission, jedenfalls so lange die deutsch-österreichische Regierung von uns nicht anerkannt sei, ebenfalls nicht offiziell als Gesandtschaft anerkennen könne, dass die schweizerische Regierung jedoch gerne bereit sei de facto mit der Mission in Beziehung zu treten“. In Bezug auf den Kurierdienst wurde Haupt mitgeteilt: „dass ein solcher aus prinzipiellen Gründen nicht zugestanden werden könne, hingegen sei eine Lösung dieser Frage auf einfache Weise darin zu finden, dass die bisherige österreichische k.u.k. Gesandtschaft, die ja auch heute noch bestehe, Kuriere entsende“. Vgl. Aide-Mémoire de l’Adjoint de la Division des Affaires étrangères du Département politique, W. Thurnheer, in: Diplomatic Documents of Switzerland, 1848 ff., Online Database Dodis: http://dodis.ch/43779, abgerufen am 24. Mai 2019. 85 Léon Freiherr de Vaux, 27. November 1918 bis 20. Oktober 1920 Leiter der liquidierenden österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Bern. 86 Gemeint ist hier vermutlich die Frauenrechtlerin und Pazifistin Rosika Schwimmer, die von der Regierung Károlyi nach Bern entsandt worden war, wo sie vom 29. Oktober 1918 bis zum 18. Januar 1919 als Vertreterin Ungarns fungierte. Vgl. Tibor Glant, Against All Odds: Vira B. Whitehouse and Rosika Schwimmer in Switzerland, 1918, in: American Studies International, Nr. 1 (2002), S. 34–51. 87 Dr. Ludwig Freiherr von Flotow, 30. November 1894 Einberufung in das Ministerium des Äußern, 28. März 1918 mit den Funktionen des Ersten Sektionschefs betraut, 2. bis 11. November 1918 Leiter des Ministerium des Äußern, 12. November 1918 bis 8. November 1920 Leiter des liquidierenden Ministeriums des Äußern. 88 Mit einem Schreiben vom 17. Januar 1919 informierte das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten die Gesandtschaft der Schweiz in Wien, daß Haupt darum ersucht habe, die Führung der liquidierenden Gesandtschaft von de Vaux zu übernehmen und ersuchte um Auskunft bezüglich Haupts Beziehung zum Außenministerium. Vgl. La Division des Affaires étrangères du Département politique au Ministre de Suisse à Vienne, Ch. D. Bourcart in: Diplomatic Documents of Switzerland, 1848 ff., Online Database Dodis: http://dodis.ch/43861, abgerufen am 24. Mai 2019. Im langwierigen Prozeß der diplomatischen Anerkennung Österreichs durch die Schweiz hat dieses von Seiten Österreichs angewandte Druckmittel offensichtlich wiederholt Verwendung gefunden. So hielt der Schweizer Bundesrat bezüglich der Anerkennung Österreichs am 27. September 1919 fest, daß diese aufgrund mehrerer schwebender Angelegenheiten noch nicht erfolgen könne. Darunter fand sich auch folgende Feststellung: „Die österreichische Regierung besteht darauf, die Vertretung des liquidierenden Ministeriums von Österreich-Ungarn in Bern zurückzuziehen, um uns zur Anerkennung zu zwingen. Diese Vertretung ist uns sehr nützlich, namentlich in Bezug auf unsern Verkehr mit Ungarn, einem Staat welchen wir gegenwärtig nicht anerkennen können. Wir müssen darauf bestehen, dass die 84
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Was die Frage der Bestellung von Gesandten anbelangt, so sind solche bisher bestellt: als Gesandter in Berlin Herr Dr. Hartmann89, für Budapest Herr Baron Knobloch90, und weiter wurde ein Agrément angesucht für Herr Dr. Robert Meyer91 aus Brünn als Bevollmächtigter für Prag. Dieses Ansuchen ist von den Czechen nie beantwortet worden, obwohl wir schon fünfmal urgiert haben, ob er ihnen genehm ist oder nicht.92 Ich habe darauf Herrn Dr. Marek93 einfach nach Prag geschickt, ohne zu fragen, ob er den Czechen genehm ist oder nicht, und zwar nicht als Gesandten, sondern nur deshalb, weil wir zu den Unterhandlungen technisch dort jemanden brauchen, und ich habe den Czechen einfach mitgeteilt, daß vorläufig, bis ein Gesandter hinkommt, Herr Dr. Marek unsere Geschäfte zu führen hat. Ebenso haben sich mit den Südslaven Schwierigkeiten ergeben. Ich habe für den früheren Kreisgerichtspräsidenten von Cilli, Herrn Dr. Kozmian94, ein Agrément als Bevollmächtigten für Laibach verlangt.95 Dieses Ansuchen wurde von den Slovenen in der unhöflichsten Weise abgelehnt, so daß man sich schon über die Form beschweren mußte.96 Privat sagen sie, der
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Vertretung des liquidierenden Ministeriums nicht aufgehoben werde.“ Vgl. ebd., Online Database Dodis: http://dodis.ch/44307, abgerufen am 24. Mai 2019. Einen wesentlichen Hinderungsgrund stellte hierfür auch die Frage des Anschlusses an Deutschland dar. So hieß es etwa in einem Schreiben des Departement für Auswärtige Angelegenheiten an die schweizerische Gesandtschaft in Wien vom 19. April 1919: „Anlässlich der Anerkennung Deutschlands durch die Schweiz bat uns Baron Haupt auch Deutsch-Österreich anzuerkennen. Wir sind völlig einverstanden, diese Hypothese in wohlwollendster Weise in Aussicht zu nehmen, können aber keinen Beschluss fassen, bevor wir die Gewissheit oder wenigstens Sicherheiten haben, dass Deutsch-Österreich wirklich ein unabhängiger Staat werden und bleiben wird. Solange noch der Anschluss an Deutschland in Frage steht, können wir natürlich die Anerkennung nicht in Aussicht nehmen.“ Vgl. ebd., Online Database Dodis: http:// dodis.ch/44089, abgerufen am 24. Mai 2019. Die Anerkennung Österreichs durch die Schweiz sollte erst im Jahr 1920 erfolgen. Dr. Ludwig (Ludo) Moritz Hartmann, Historiker und Volksbildner, 25. November 1918 bis April 1921 a.o. Gesandter und bev. Minister in Berlin. Johann Alois Alfred Freiherr von Cnobloch, im November 1918 mit der Führung der wirtschaftlichen Verhandlungen in Ungarn betraut und Vertreter Österreichs in Budapest. Dr. Robert Mayer, Sekretär der Handels- und Gewerbekammer in Brünn. Die Ernennung Dr. Robert Mayers zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Prag wurde am 19. November 1918 vom Staatsamt für Äußeres beantragt und am 22. November vom Staatsratsdirektorium bewilligt. Vgl. SRP Nr. 40 vom 20. November 1918. Vgl. dazu SRP Nr. 33 vom 14. November 1918 und Nr. 40 vom 20. November 1918. Dr. Ferdinand Marek ab 29. November 1918 provisorischer Geschäftsträger an der Gesandtschaft, im Juni 1919 zum Bevollmächtigten ernannt. Adalbert Kotzian, Jurist, 1918 Übernahme in das Oberlandesgericht Graz, 23. November 1918 Ernennung zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Laibach. Am 19. November 1918 hatte das Staatsamt für Äußeres Exemplare des Ernennungsschreibens an Kotzian sowie an das Staatsamt für Justiz und an das Direktorium des Staatsrates übermittelt. Am selben Tag war auch ein Beglaubigungsschreiben an den Präsidenten der Laibacher Nationalregierung, mit dem Ersuchen um Anerkennung Kotzians als Vertreter Deutschösterreichs, übermittelt worden. Trotz mehrfacher Urgenz seitens des Staatsamtes für Äußeres blieb dieses Schreiben zunächst unbeantwortet. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslawien 5/1, Deutschösterreichische Vertretung in Laibach, Fasz. Frage der Errichtung einer d. österr. Gesandtschaft in Laibach. Vom Staatsratsdirektorium wurde Adalbert Kotzian am 23. November 1918 zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Laibach ernannt. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Abteilungen 1918, GZl. 5/Dir./1918, Bestellung des Hofrates Adalbert Kotzian, bisher Kreisgerichtspräsident in Cilli, als Bevollmächtigter der Deutschösterr. Republik in Laibach. Damit war wahrscheinlich das Telegramm des Präsidenten der slowenischen Nationalregierung in Laibach, Josef Pogacnik, vom 23. November 1918 gemeint, in welchem die Bestellung Kotzians mit den lapidaren Worten „Hofrat Kotzian nicht genehm“ abgelehnt wurde. Staatssekretär Bauer beschwerte sich daraufhin am 26. November 1918 über diese, den diplomatischen Gepflogenheiten
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Grund sei der, daß Herr Dr. Kozmian ein Jugoslave gewesen, dann ein Deutscher geworden sei, und einen Renegaten wollen sie nicht. Ich habe nicht die Absicht, jetzt jemanden nach Laibach zu schicken, sondern beabsichtige, jetzt einen Gesandten nach Agram zu senden. In Laibach ist jetzt als vorläufiger Vertreter, als Geschäftsführer, der unsere Angelegenheiten dort erledigt und sich insbesondere um die untersteierischen Städte und um unsere Minoritäten kümmert, Herr Dr. Fasching97, ein Bezirkskommissär aus Marburg; er ist dort nicht in der Stellung eines Gesandten, sondern nur als Geschäftsführer, er ist sehr eifrig und leistet uns dort sehr gute Dienste.98 Weiters soll noch eine Reihe von Gesandten bestellt werden. Außer für Agram99 wird es notwendig sein, schon in der nächsten Zeit Gesandte für den Haag100 und für Stockholm oder Kopenhagen101 zu bestellen; denn eine Vertretung in den skandinavischen Ländern werden wir brauchen. Was Warschau anbelangt, halte ich es für zweckmäßiger, noch zu warten, weil die politischen Verhältnisse noch zu ungeklärt sind. Bis sich eine Regierung stabilisiert hat, kann man auch daran denken. Endlich ist mir von verschiedenen Mitgliedern des Staatsrates der Wunsch geäußert worden, daß auch ein Gesandter beim Hl. Stuhl bestellt werde.102 Das kann dann unter einem gemacht werden. Natürlich kommen da bezüglich der Personenfrage Schwierigkeiten in Betracht. Ich habe immer Bedenken, das alte diplomatische Personal zu verwenden, weil wir dann einfach als eine Fortsetzung der alten Monarchie erscheinen würden, und Herren, die hiefür geeignet sind, sind nicht leicht zu finden. Man holt sich, wenn man einmal jemandem gefunden zu haben glaubt, gewöhnlich einen Korb. Will man jemanden aus der Bürokratie nehmen, so gibt ihn das betreffende Ressort nicht gerne her. Es ist daher schwer, geeignete Personen zu
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nicht entsprechende Art und Weise, die Anerkennung des deutschösterreichischen Bevollmächtigten zu verweigern. Deutschösterreich sei der Vertretung der südslawischen Regierung in jeder erdenklichen Weise entgegengekommen. Er erwarte daher, daß ein neuer Ernennungsvorschlag den diplomatischen Normen gemäß behandelt werde. Vgl. dazu AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Südslawien 5/1, Deutschösterreichische Vertretung in Laibach, Fasz. Frage der Errichtung einer d. österr. Gesandtschaft in Laibach, GZl. 815/1918, Vertretung beim südslavischen Staate, Hofrat A. Kotzian. Jožef von Pogačnik, August 1918 Vizepräsident des slowenischen Nationalrates, Oktober 1918 bis Mai 1919 Präsident der slowenischen Nationalregierung. Dr. Josef Fasching, Bezirkskommissär bei der k.k. Bezirkshauptmannschaft Cilli, 8. November 1918 Ernennung zum Bevollmächtigen des Staatsamtes für Äußeres in Laibach. An dieser Stelle findet sich im Original folgende gestrichene Textstelle: „Dieses Ansuchen ist von den Tschechen nie beantwortet worden. D r . M e y e r ist daher nicht in der Stellung eines Gesandten dort, sondern nur als Geschäftsführer, er ist sehr eifrig und leistet dort sehr gute Dienste.“ In Agram wurde vorerst eine Paßstelle eingerichtet, der seit Juni 1919 Legationsrat Stefan Iselstöger als Leiter vorstand. Vgl. Rudolf Agstner, Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes. Band 1: 1918–1938 Zentrale, Gesandtschaften und Konsulate (= Forschungen zur Geschichte des österreichischen Auswärtigen Dienstes Band 11), Wien 2015, S. 202 f. Die diplomatischen Beziehungen zu den Niederlanden wurden vorerst über die österreichisch-ungarische Botschaft abgewickelt. Am 30. September 1919 wurde diese liquidiert und Legationsrat Franz Calice zum deutschösterreichischen Geschäftsträger im Haag ernannt. Vgl. Agstner, Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes, S. 96–98. Erst 1925 wurde als österreichischer Geschäftsträger in Stockholm ad interim der frühere Gesandte in Berlin, Karl Buchberger, ernannt. 1928 wurde in Stockholm schließlich eine österreichische Gesandtschaft mit Buchberger als ständigem Geschäftsträger errichtet. In Kopenhagen führte der k.u.k. Generalkonsul die Geschäfte de facto weiter bis er am 30. November 1919 provisorisch die Konsularfunktion für die Republik Österreich übernahm. Vgl. AdR, BKA/AA, NAR, Fasz. 4 Buchberger; Agstner, Handbuch des Österreichischen Auswärtigen Dienstes, S. 104 f und S. 164. Die Stelle eines Gesandten beim Hl. Stuhl wurde erst im Jahr 1920 mit Universitätsprofessor Dr. Ludwig Pastor provisorisch besetzt. Vgl. dazu das Material in AdR, BKA/AA, NAR, Fasz. 4 Pastor.
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finden; ich hoffe aber, daß ich in der Lage sein werde, dem hiefür kompetenten Staatsrats direktorium bald einen Antrag wegen Besetzung weiterer Gesandtenposten stellen zu können. Was die Frage unseres Verhältnisses zu Deutschland anbelangt, so habe ich gerade heute den ersten Bericht von Herrn Dr. Hartmann bekommen, in dem er mir eine Reihe von Besprechungen mitteilte.103 Der Bericht lautet so, wie es zu erwarten war, nämlich, daß alles für den Anschluß ist, daß sich die Leute aber fürchten, von dort aus irgendwie etwas beizutragen, weil sie eine große Angst vor der Entente haben. Sie meinen, es sei sehr erwünscht, daß wir den Wunsch aussprechen, zu Deutschland zu kommen, und zwar sehr deutlich. Wenn sie so tun und uns nicht freundschaftlich begrüßen, so geschehe dies nur aus Furcht, daß die Entente darin ein Berliner Gelüste sieht, und daher müßten sie vorsichtig sein. Damit hängt auch die Frage bezüglich der Wahlreform zusammen. Herr Dr. Hartmann hat mit Herrn Dr. Preuss104, der die Wahlreform entworfen hat, ausführlich darüber verhandelt. In dem ursprünglichen Entwurfe dachte man noch daran, in die Wahlordnung ohne weiteres auch Deutschösterreich einzubeziehen. Die Herren sind aber dann doch davon abgekommen, und zwar einerseits aus dem Grunde, den ich schon genügend hervorgehoben habe, aus Furcht, dadurch die Entente zu provozieren, andererseits aus folgendem Grunde: Es ist die Frage gewesen, wie soll man in dieser Wahlordnung die Gebiete behandeln, die rechtlich noch zum Deutschen Reiche gehören und auf die das Deutsche Reich nicht verzichten will – wenigstens den Anspruch auf diese Gebiete will man nicht aufgeben –, die die Entente für sich beansprucht, vor allem Elsaß-Lothringen. Man hat sich nicht entschließen können, diese Gebiete einfach ungenannt zu lassen, weil das ein Verzicht auf diese Gebiete gewesen wäre, andererseits hat man auch wieder aus Furcht vor der Entente nicht gewagt, aus eigener Macht Grenzen zu bestimmen und daher hat man schließlich gesagt, es werden die Grenzen vom Jahre 1914 gewählt, ohne den Friedensverhandlungen vorzugreifen. Wenn die Deutschen diese Grenzen nehmen, so können sie uns nicht einbeziehen. Wir kommen daher in die Wahlordnung nicht hinein, es soll aber – darauf ist Herr Dr. Hartmann bestanden, und Herr Dr. Preuss war damit einverstanden, wie das Kabinett darüber entschieden hat, weiß ich nicht – ein Paragraph in das Gesetz hineinkommen, daß die Vertretung Deutschösterreichs besonders geregelt wird.105 Theoretisch kommen wir also in irgendeiner Weise in das Gesetz hinein, wenn wir auch in der Wahlkreiseinteilung nicht darinnen sind. Hartmann berichtete am 28. und 29. November 1918 aus Berlin. Die Schreiben finden sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Deutschland 11/1, Fasz. Deutsches Reichswahlgesetz, Zl. 1.918/1918. 104 Dr. Hugo Preuss, Professor für öffentliches Recht in Berlin, Staatssekretär für Inneres vom 15. November 1918 bis 20. Juni 1920. 105 Es handelt sich hierbei um den § 25 der Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichswahlgesetz) und Wahlordnung für die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung (Reichsgesetzblatt Nr. 167/1918), welcher lautet: „Beschließt die deutsche Nationalversammlung, daß Deutsch-Österreich seinem Wunsche entsprechend in das Deutsche Reich aufgenommen wird, so treten die deutsch-österreichischen Abgeordneten ihr als gleichberechtigte Mitglieder bei. Voraussetzung für den Beitritt ist, daß die Abgeordneten auf Grund allgemeiner, gleicher, unmittelbarer und geheimer Wahlen unter Beteiligung auch der Frauen nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden. Die Zahl der Abgeordneten wird auf der Grundlage bestimmt, daß durchschnittlich auf 150 000 Seelen ein Abgeordneter entfällt. Der Wahltag braucht mit dem deutschen Wahltag nicht zusammenzufallen.“ Ein Exemplar des Reichsgesetzblattes Nr. 167 findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Deutschland 11/1, Fasz. Deutsches Reichswahlgesetz, Zl. 2.175/1918, Information des Gesandten in Berlin. Hartmann bemerkte in einem unter derselben Zahl liegenden erläuternden Schreiben vom 1. Dezember 1918 dazu weiters: „Die von mir mit Haase besprochene Abänderung ist leider nicht durchgeführt worden.“ Sein Bericht vom 29. November 1918, welcher die Schilderung seiner Besprechung mit Haase über das Wahlgesetz beinhaltet, läßt den Schluß zu, daß es sich hierbei um die Frage des Zeitpunktes des Eintrittes der deutschösterreichischen Abgeordneten in die Deutsche konstituierende Nationalversammlung gehandelt hatte, wobei Hartmann 103
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Was die Okkupation anbelangt, so sind alles das, was ich darüber weiß, nur Zeitungsnachrichten, die die Herren auch kennen. Einen konkreten Anhaltspunkt dafür, daß das wirklich die Absicht der Ententeheere sei, habe ich nicht, im Gegenteile, ich muß sagen, daß die Verhandlungen mit den italienischen Offizieren über den Transport der tschechoslovakischen Brigade nach Böhmen106 bei mir nicht den Eindruck erweckt haben, daß sie okkupieren wollen. Sie haben erstens eine Route gewählt, die Wien ausweicht107, und zweitens haben sie auch da gesagt, sie wollen nicht unsere Eisenbahnlinien besetzen, obwohl sie nach dem Waffenstillstandsvertrage dieselben besetzen könnten, sondern sie wollen nur in die Haupteisenbahnknotenpunkte Offiziere schicken, welche im Einvernehmen mit unseren Stationskommandanten die Transporte leiten und organisieren. Dieses Verhalten läßt nicht den Schluß zu, daß sie entschlossen seien, Wien zu besetzen. Etwas sicheres kann ich natürlich nicht sagen. Es sind auch an mich höchst geheimnisvolle Nachrichten aus bester Quelle gekommen, daß die Italiener am 1. Dezember marschieren wollen. Das ist aber nichts Greifbares. Was die Stärke der tschechischen Brigaden anbelangt, so weiß ich nur von tschechischer Seite, daß es ein Armeekorps sein soll, also zwei Divisionen u. zw. disziplinierte Truppen. Was den Propagandadienst betrifft, so wissen die Herren, daß bei der Staatskanzlei ein Presseamt errichtet wird, dem die einzelnen Pressedepartements bei den Ressorts untergeordnet werden sollen; auch das Pressedepartement des früheren Ministeriums des Äußern ist diesem Presseamt unterstellt. Die Propaganda wird in erster Linie Aufgabe dieses Presseamtes sein.108 Unterdessen ist es eine Funktion des Ministeriums des Äußern, daß diese Propaganda erfolgt und in welcher Richtung. Wir haben diesbezüglich bereits eine Reihe von Vorkehrungen getroffen, wir haben auch Herrn Baron Haupt Instruktionen gegeben, für „die sofortige Beteiligung der gewählten Deutschösterreicher an den Verhandlungen“ plädierte und nicht erst dann, wenn der Beschluß zum Anschluß gefaßt worden sei. Haase versprach Hartmann sich für diese Lösung einzusetzen, blieb aber offensichtlich erfolglos. Vgl. den Bericht Hartmanns in ebd., Zl. 1.918/1918. Hugo Haase, deutscher Jurist, Politiker und Pazifist, ab 1917 Vorsitzender der neugegründeten USPD, November bis Dezember 1918 Mitglied des Rates der Volksbeauftragten. 106 Am 28. November 1918 fanden Verhandlungen zwischen Vertretern der deutschösterreichischen Zentraltransportleitung und italienischen und tschechoslowakischen Delegierten statt, in der die Modalitäten für den Transport eines tschechoslowakischen Armeekorps durch österreichisches Gebiet festgelegt wurden. Die italienische Oberste Heeresleitung erkannte allerdings das Abkommen zwischen Deutschösterreich und der Tschechoslowakei über Militärtransporte nicht an und telegraphierte am 11. Dezember 1918, den Soldaten seien alle Waffen zu belassen und nicht in eigenen, verschlossenen Waggons mitzuführen. Telegramme der italienischen Obersten Heeresleitung, umfangreiches Material zu Art und Zahl der Transporte sowie eine Karte der Transportroute finden sich in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.892/1918, Transport tschechoslowakischer Truppen von Italien durch Deutschösterreich. 107 Die Transporte (insgesamt 60 Züge) sollten über Toblach, Villach, St. Michael, Selztal, Kleinreifling, Mauthausen, Gaisbach und Wartberg nach Budweis geführt werden. Vgl. AdR, StK, GZl. 876/1918, Evidenzbureau des dö. Staatsamtes für Heerwesen, Transport tschecho-slovak. Truppen von Italien durch Deutsch-Österreich nach Böhmen. 108 Der Antrag auf Schaffung eines Minderheitsschutzdienstes hatte die Beistellung eines Propaganda dienstes „im näheren Ausland“ vorgesehen. Vgl. SRP 47 vom 26. November 1918. Der Minderheitsschutzdienst sollte wiederum mit dem Pressedienst zusammenarbeiten. Am 4. Dezember fand im Staatsamt für Äußeres eine Sitzung über die Einrichtung eines zentralen Presseamtes statt, die sich vor allem mit der Frage der Zentralisierung der aktiven und passiven Presse arbeit und den „materiellen und technischen Details“ eines neu aufzubauenden, zentralen Presse dienstes in der Staatskanzlei beschäftigte. Vgl. AdR, StAsVw, Präsidium, Zl. 216/1918, Organisation eines zentralen staatlichen Presseamtes, Beratung; weiters AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.746/1918. Zur Einrichtung des Pressedienstes vgl. auch SRP Nr. 55/5d vom 7. Dezember 1918 und Nr. 56/8b vom 9. Dezember 1918.
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daß er sich von der Schweiz aus bemüht, eine Propaganda einzuleiten.109 Auch von hier aus werden direkte Versuche gemacht. Wir haben versucht, mit einer ganzen Reihe von Blättern Beziehungen anzuknüpfen. In einzelnen Fällen sind Artikel in uns günstigem Sinne, die teils hinausgeschickt, teils angeregt wurden, auch erschienen. Es werden auch Karten, Broschüren u. dgl. vorbereitet, die dann hinausgeschickt werden. Auch der Besuch fremder Journalisten in Wien ist geschickt dazu benützt worden, weniger zu politischer Propaganda als dazu, für die unmittelbare Zukunft Nahrungshilfen zu bekommen; man hat diese Herren aber auch über die Politik instruiert. Auch mit den verschiedenen Journalisten, die unabhängig hieher gekommen sind, hat man über Politik gesprochen und hat sie zu beeinflussen versucht, was in einzelnen Fällen gelungen ist, in anderen wieder weniger, weil das von den politischen Neigungen des Blattes abhängt, das der betreffende Journalist vertritt.110 Für die allernächste Zeit wird Verschiedenes vorbereitet, um die Propaganda auszugestalten. Was insbesondere die politischen Fragen anbelangt, wird zunächst ein ausführliches Memorandum über unsere ganze politische Lage unter Mitwirkung einer ganzen Reihe von Herren ausgearbeitet, sowohl über die territorialen Fragen, Deutschböhmen, Sudetenland, Südtirol und Westungarn, als auch über die Frage des Anschlusses an Deutschland. Dieses Memorandum, das eine große stattliche Broschüre sein soll, wird in französischer und englischer Sprache hergestellt, und wir wollen es zunächst offiziell für die Regierung als Beilage zu Noten verwenden, es kann aber auch als Propagandamittel zur Veröffentlichung in den Zeitungen zur Verfügung stehen.111 Das ist die ernste Form der Propaganda. Daneben soll auch eine populäre Propaganda betrieben werden. Dazu werden einzelne Broschüren vorbereitet. Ich habe bereits mit Herrn Dr. Grabmayr112 gesprochen, welcher eine Broschüre über Deutschsüdtirol verfassen soll.113 Mit diesen Broschüren erreicht man doch einen gewissen Zu dem Instruktionsschreiben Otto Bauers an den Gesandten in der Schweiz, Baron Haupt, das u. a. auch die thematische Ausrichtung der Öffentlichkeits- und Pressearbeit beschrieb vgl. SRP Nr. 38 vom 19. November 1918. 110 So konnte etwa der Korrespondent der englischen „Morning Post“ dafür gewonnen werden, maßgeblichen Persönlichkeiten in England die Notlage in Österreich zu schildern und für Hilfsmaßnahmen zu werben. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.047/1918, Reise des in Wien aufhältlichen englischen Journalisten V.W. Germains nach London; weiter ebd., GZl. 818/1919, Unterstützung der Miß Germains. Zu dem englischen Schriftsteller und Journalisten Victor Wallace Germains konnten keine näheren Angaben eruiert werden. 111 Gemeint ist hier vermutlich die Denkschrift über die internationale, politische und wirtschaftliche Stellung Deutschösterreichs, die der Regierung der Vereinigten Staaten und der Entente übermittelt worden war. Die Denkschrift sowie weiterführendes Material findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/3, Zl. 4.202/1/1918. 112 Dr. Karl von Grabmayr, ehemaliger Präsident des k.k. Reichsgerichtes, Jurist, 1907 bis 1918 Abgeordneter des Herrenhauses, ab 1905 Vizepräsident des k.k. Reichsgerichtes, ab 1913 dessen Präsident, ab 1908 Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft, 1919 bis 1921 Präsident des Verwaltungsgerichtshofes. Er hatte bereits verschiedene Publikationen zu diesem Thema veröffentlicht. Vgl. z.B. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 17. November 1918, S. 2 „Die Zukunft Deutschtirols“. Grabmayr, der auf Betreiben des Tiroler Landtages und einiger Vertreter der Landespolitik eine „diplomatische Mission“ übernehmen sollte, um für den Verbleib Südtirols bei Österreich zu werben, äußerte sich zu diesem Ansinnen aber folgendermaßen: „[…] nüchterne Prüfung ergab aber leider, in Übereinstimmung mit dem Staatssekretär des Äußeren Dr. Otto Bauer, den ich zu Rate zog, die völlige Hoffnungslosigkeit und Undurchführbarkeit dieser Ideen. Das Einzige, was man tun konnte war, möglichst aufklärend über die Verhältnisse in Südtirol zu wirken. Das Ergebnis dieser Bemühung war die Schrift ‚Südtirol‘, als deren Herausgeber ich zeichnete“. Vgl. Karl von Grabmayr, Erinnerungen eines Tiroler Politikers 1892–1920, Innsbruck 1955, S. 191 f. 113 Gemeint ist hier die von Grabmayer in seiner oben angeführten Äußerung angesprochene und im Jahr 1919 erschienene Publikation „Süd-Tirol, Land und Leute vom Brenner bis zur Salurner Klause“. 109
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Kreis. Einen anderen Kreis von spezifisch politisch interessierten Menschen suchen wir dadurch zu erreichen, daß wir Deutschösterreicher mit in Europa bekannten Namen veranlassen wollen, Artikel an große französische und englische Revuen zu senden. Damit komme ich zur Zeitungspropaganda, die auf das Publikum wirken soll. Da darf nicht übersehen werden, daß wir große Schwierigkeiten haben, in das feindliche Ausland zu kommen. Einen unmittelbaren Weg haben wir bisher nicht, sondern nur den Weg in die neutralen Länder und wir müssen sehen, dorthin zu kommen. Die Schwierigkeiten in den feindlichen Ländern sind so groß, weil die Zensur und die Absperrung insbesondere nach Frankreich so aufrechterhalten wird, wie während des Krieges. W o l f: Sollte nicht bei der Zusammensetzung des Presseamtes auch auf andere Parteien Rücksicht genommen werden? Bisher setzt es sich nur aus Vertretern der sozialdemokratischen Richtung zusammen und außerdem, das fällt allgemein auf, fast ausschließlich aus Juden. Es könnten doch auch deutschnationale Vertreter hineingenommen werden. B a u e r: Der Herr Staatsrat Wolf weiß mehr als ich. Mir ist die Zusammensetzung nicht bekannt. Das Presseamt fällt nicht in meine Kompetenz, sondern in die Kompetenz der Staatskanzlei, ich bitte sich daher mit dem Herrn Staatskanzler darüber auseinanderzusetzen. Schließlich sind einige Fragen aufgeworfen worden, die sich auf andere Dinge beziehen. Zunächst die Frage der Sachdemobilisierung. Diesbezüglich ist von der Gesandtenkonferenz eine besondere Kommission eingesetzt worden, die darüber berät.114 Wir hatten keine Veranlassung, eine Entscheidung des Staatsrates einzuholen, weil wir uns noch in keiner Weise gebunden haben. Wir haben den Standpunkt vertreten, daß das zur allgemeinen Liquidierung gehört, daß wir die Güter, die auf unserem Boden sind, behalten, und mit den anderen Staaten nur in Geld abrechnen wollen, d. h., daß wir praktisch die Beteiligung der anderen Staaten an der Sachdemobilisierung abgelehnt und daraus nur eine Verrechnungs frage gemacht haben. Dieser Standpunkt wird nicht aufrecht zu erhalten sein, wenn wir nicht andere Verhandlungen gefährden wollen; wir werden daher die anderen Nationen daran teilnehmen lassen müssen. Wenn es zu ernsthaften Verhandlungen darüber kommt, so wird der Kabinettsrat, der die Instruktionen für die Unterhändler ausgearbeitet hat, jedenfalls die Genehmigung des Staatsrates einholen.115 Dermalen ist es noch nicht so weit, vorläufig haben wir unseren Standpunkt noch prinzipiell aufrechterhalten. Was die Frage der Verletzung der Immunität des Herrn Abg. Dr. Herold betrifft, so liegt die Sache folgendermaßen: Wir haben schon dreimal wegen der Frage der Immunität der Abgeordneten Noten an die Tschechen gerichtet, wir haben auch jetzt im Falle des Herrn Bürgermeisters von Brüx wieder schriftlich und mündlich interveniert und gleichzeitig eine Antwort auf unsere früheren Noten verlangt.116 Die Tschechen stellen sich auf den Standpunkt, daß sie die Immunität der Abgeordneten, die z. B. in Niederösterreich oder in Steiermark gewählt sind, anerkennen; das sind Deutschösterreicher, aber die in Böhmen und Mähren gewählten Abgeordneten sind Rebellen. Ich habe nun in der letzten Note mit Repressalien gedroht und gesagt, daß die Stimmung hier so ist, daß ich keine Verantwortung für die Sicherheit der tschechischen Abgeordneten übernehmen kann. Das ist das weiteste, bis wohin man gehen In der 2. Gesandtenkonferenz, die am 20. November 1918 im Staatsamt für Äußeres stattgefunden hatte, wurde unter Punkt VI der Tagesordnung die Teilung der Sachdemobilisierungsgüter beraten. Die Gesandtenkonferenz beschloß „zur weiteren Behandlung dieser Frage wird ein Komitee bestimmt, deren {sic!} Einberufung der U.St.S. Riedl übernimmt“. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz, Niederschrift der 2. Gesandtenkonferenz. 115 Zu den Instruktionen vgl. KRP 11/1 vom 15. November 1918. 116 Das Protestschreiben vom 29. November findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschecho slowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, GZl. 873/1/1918, Tschechoslovakische Überfälle auf deutsche Gebiete, Besetzung von Brüx. Zur Frage der Immunität der Abgeordneten vgl. SRP Nr. 43 vom 23. November 1918. 114
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kann, die Drohung. Eine andere Frage ist es, ob man mit Repressalien vorgehen kann. Das ist eine Machtfrage, wie hier schon auseinandergesetzt wurde. Gegen die Besetzung von Themenau habe ich auch protestiert.117 Wir dürfen aber nicht übersehen, daß unsere Lage nicht günstig ist. Auf Argumente wie, daß das Niederösterreich ist, können wir uns nicht einlassen, weil dieses Argument für uns kein Argument sein kann. Über den Fall der Lehrer, den Herr Miklas vorgebracht hat, habe ich noch keine Meldung; wenn die Herren eine besondere Intervention wünschen, bitte ich um eine besondere Meldung darüber. L i c h t verweist darauf, daß nach einer Meldung in der „Frankfurter Zeitung“ in Mannheim die 105. österreichische Truppendivision geschlossen durchmarschiert sei und fragt, ob es nicht möglich wäre, diese geschlossenen Formationen uns zuzuführen, damit sie eventuell nach Deutschböhmen gesandt werden.118 B a u e r: So viel ich weiß, sind das überwiegend Ungarn. L i c h t: Es waren gewiß auch deutschösterreichische Truppen dort. Diese sollen zusammengefaßt und nach Deutschböhmen gebracht werden. R e n n e r: Gegenüber den Ausführungen des Herrn Staatsrates Wolf bezüglich des Pressedepartements möchte ich Folgendes vorbringen: Wiewohl ich wiederholt den Auftrag erhalten habe, das Pressedepartement endlich zu aktivieren, habe ich deshalb zurückgehalten, und sind erst die Ansätze dazu vorhanden119, weil ich vollkommen entsprechende Leute momentan nur sehr schwer finden kann. Es ist daher außer der Anstellung des Pressechefs Brügel120, die schon beschlossen war, nur eine einzige Anstellung, die des Herrn Otto Pohl121 vollzogen worden. Die Anstellung eines dritten Journalisten, der die Verbindung mit der Presse im Inland aufrechterhalten soll, habe ich mir noch immer vorbehalten und stehe diesbezüglich noch in Verhandlung mit der Journalistenvereinigung, weil diese will, daß einer der Journalisten selbst in diese Stellung berufen wird, und ein ihr geeigneter noch nicht gefunden ist. Die Anstellung des Herrn Pohl war aber geradezu geboten. Er war 9 Jahre in Paris, kennt in Paris jedes einzelne Blatt in seiner inneren Zusammensetzung, er kennt die Personalien, er kennt vor allem die Menschen, sowohl jene, welche die heutige Regierungspolitik machen, Die Protestnote vom 3. Dezember 1918 findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, GZl. 845/1918, Tschechoslowakische Übergriffe in Ober- und Unter-Themenau. 118 Anfang November 1918 wurden die an der Westfront stationierten k.u.k. Divisionen 1, 35 und 106, um welche es sich hierbei offensichtlich gehandelt haben dürfte, aus der Front gelöst. Aufgrund der Schwierigkeiten im Bahnbetrieb marschierten die hauptsächlich aus Ungarn und den Sudetenländern stammenden Soldaten zunächst entlang des rechten Rheinufers bevor ihr Heimtransport in Heilbronn, Pforzheim und Ulm mit der Bahn fortgesetzt werden konnte. Vgl. dazu Österreich-Ungarns letzter Krieg 1914–1918. Herausgegeben vom österreichischen Bundesministerium für Landesverteidigung und vom Kriegsarchiv. Band 7: Das Kriegsjahr 1918, Wien 1938, S. 801. 119 Die Einrichtung eines Presseamtes war bereits Anfang November 1918 im Staatsrat angeregt worden. Vgl. SRP Nr. 22 vom 7. November 1918. Daneben wurde die Schaffung einer Propaganda- sowie einer Minderheitenschutzstelle gefordert. Vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918 sowie Nr. 47 vom 26. November 1918. 120 Ludwig Brügel, sozialdemokratischer Journalist und Historiker, Redakteur des „Neuen Wiener Tagblattes“, 1918 Pressechef der Staatskanzlei. Brügel war im Zuge der Ereignisse des 12. November 1918 verletzt und aufgrund eines Beschlusses des Staatsrates mit einer Entschädigung bedacht worden. Vgl. dazu SRP Nr. 31 vom 13. November 1918 und SRP Nr. 60/I vom 20. Dezember 1918. 121 Otto Pohl, bis 1918 Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, 1918 bis 1920 Leiter der Presseabteilung der Staatskanzlei und des Auswärtigen Dienstes. Zur Bestellung Pohls vgl. auch die Äußerung des Staatsamtes für Finanzen, betreffend die Herabsetzung seines Honorars in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, 5.435/1918; weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 26. November 1918, S. 4 „Wechsel in der Leitung des Preßburaues im Staatsamt für Äußeres“. 117
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also den Kreis um Clemenceau122, als auch die sozialistische Minderheit, auf die sehr viel ankommt, auf die wir uns hauptsächlich stützen müssen. Er war aber auch in Brüssel, dann während des Krieges in Amsterdam, dann in Stockholm und Kopenhagen und zuletzt in Bern, von wo er herberufen wurde. Es gibt also wenig Journalisten, die diese internationale Praxis haben, und ich war glücklich, daß er das Amt übernahm. Die Besetzung von journalistischen Posten ist außerordentlich schwierig, da eben unter den Berufsjournalisten ein ganz gewaltiger Prozentsatz von Juden ist, und ich werde daher wahrscheinlich für die dritte Stelle, nämlich den Verbindungsmann mit den Wiener Blättern, auch einen Juden vorschlagen müssen, weil es eben nicht anders geht. (W o l f: Wir werden uns gestatten, Ihnen Vorschläge zu machen.) Ich bitte, ich bin in der Sache sogar schon gebunden, weil ich bezüglich dieses Mandates mit der Journalistenvereinigung verhandeln soll. Sie verlangt eine Rücksichtnahme, und ich bin in der größten Verlegenheit jemanden zu finden, obwohl die Zeit schon drängt. Was die Berufungen in das Pressedepartement betrifft, muß ich Folgendes sagen: Es ist da zu unterscheiden der Pressedienst, der Minoritätenschutzdienst und der Propagandadienst. Diese drei stehen in einem notwendigen Zusammenhange und werden gleichsam eine Abteilung der Staatskanzlei bilden. Dabei soll der Minoritäten- und Propagandadienst unter die Leitung des Professors von Wotawa123 kommen, und bezüglich des Propagandadienstes habe ich vor, als Leiter, allerdings mit strengster Amtsverpflichtung, den Herrn Staatsrat Teufel zu berufen, weil ich mir von ihm infolge seiner Arbeitskraft und Energie viel verspreche. Ich habe überhaupt die Absicht, um eine ständige Verbindung mit den Parteien herzustellen, bei den einzelnen Abteilungen der Staatskanzlei, vortragende Staatsräte zu verwenden, sowie ich für die verfassungsrechtliche Abteilung bereits Herrn Dr. v. Licht und für die Abteilung für Verwaltungsreform Herrn Dr. Schöpfer herangezogen habe. Ich werde mich bei dieser Heranziehung von Personen bemühen, der Zusammensetzung dieser Koalition Rechnung zu tragen, aber eine Garantie kann ich nicht übernehmen. So wurden ja bereits Herr Professor von Wotawa und Herr Finanzrat Oberndorfer124 berufen. Sie können sich daher nicht beklagen, daß ich nicht vollste Objektivität einhalte. Bei der Presse geht es aber schwer. Ich habe mir auch die Mühe gegeben, da ich diesen Auftrag des Staatsrates zu übernehmen hatte, die Presse zu versöhnen. Sie war uns feindlich gesinnt. Ich habe infolgedessen in der letzten Zeit Besuche gemacht, die ich sonst unter keinen Umständen gemacht hätte. Wir müssen trachten, daß wir mit der Presse auskommen. Die Presse ist eine Macht, wir können sie nicht übersehen, wir brauchen für uns mindestens ihre Indulgenz125, und da ich der Presse auf einem anderen Gebiete werde sehr nahe treten müssen, nämlich was den Dispositionsfonds betrifft126, so muß ich mir auf der anderen Seite Mühe geben, mit jedermann sehr freundlich, Georges Clemenceau, 17. November 1917 bis 18. Jänner 1920 französischer Ministerpräsident und Kriegsminister. 123 Dr. August Ritter von Wotawa, Mittelschullehrer, Leiter des Realgymnasiums Grinzing, 1920 Mitbegründer der Großdeutschen Partei. 124 Leonhard Oberdorffer, Jurist, Finanzrat, Tätigkeit im Finanzdienst in Leitmeritz, Schluckenau, Gablonz und Prag, 1917 Einberufung in das Ministerium für soziale Fürsorge, 16. November 1918 Bestellung zum Leiter der deutschböhmischen Abteilung der Staatskanzlei, 16. Januar 1919 Ernennung zum Ministerialsekretär, 9. Mai 1919 Sektionsrat. 125 Indulgenz: Nachsicht, Milde. 126 Der Begriff „Dispositionsfonds“, auch „Reptilienfonds“, bezeichnet generell eine nicht verrechnungspflichtige Geldquelle, die häufig zur politischen Einflußnahme genutzt wird. In der 33. Sitzung des Staatsrates vom 14. November 1918 hatte Staatskanzler Renner berichtet, daß er den Dispositionsfonds im Wert von etwa 600.000 K übernommen habe und unter „Mitsperre“, seitens des Staatsnotars verwalte. Der Dispositonsfonds war offensichtlich während des Krieges zur Einflußnahme auf die Berichterstattung einiger Publikationen benutzt worden. Aus einem Artikel der „Arbeiter-Zeitung“ aus dem Jahr 1915 über die Arbeitsbedingungen in Druckereibetrieben läßt sich dieser Zusammenhang 122
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entgegenkommend und höflich zu sein, ohne gerade die konfessionelle oder Rassenfrage aufwerfen zu dürfen. L a n g e n h a n: Der Herr Staatssekretär hat seine Ausführungen über den Anschluß an Deutschland mit der Bemerkung geschlossen, daß wir theoretisch doch hineinkommen werden, ohne daß es in der Wahlkreiseinteilung steht. B a u e r: In dem Wahlgesetze wird Deutschösterreich vorkommen, aber nicht in der Wahlkreiseinteilung. L a n g e n h a n: Ich erlaube mir noch die Anfrage, ob das auswärtige Amt alle für den Propagandadienst notwendigen Mittel zur Verfügung erhält, und ob man im Staatsamt für Finanzen den Wert einer solchen Propaganda so weit anerkennt, daß man keine Schwierigkeiten macht. B a u e r: Was die 105. I.T.D. anbelangt, so kann ich nur das zuständige Staatsamt für Heerwesen darauf aufmerksam machen, das ohnehin weiß, daß wir immer wünschen, daß Truppen nach Deutschböhmen und in das Sudetenland kommen. Bezüglich der vom Staatsrat Ofner gewünschten Auskunft über die Kriegsgefangenen kann ich nur erklären, daß wir Kriegsgefangene vom Westen und von Italien nicht bekommen können, weil dies im Waffenstillstandsvertrag klar ausgesprochen ist. Von Sibirien und Turkestan sind wir gänzlich abgesperrt. Bei Sibirien wäre eine Hilfe nur durch Amerika und Japan möglich, und es ist in dieser Beziehung eine Note an diese beiden Staaten schon vor zehn Tagen abgegangen, worin wir ersuchten, eine Hilfsaktion für unsere Gefangenen in Sibirien zu unternehmen und den Leuten etwas Geld und warme Kleidung zu schicken.127 Wir haben dabei auch angefragt, ob sie nicht auch etwas in der Frage des Heimtransportes jener Leute, die schon seit dem Jahre 1914 in Kriegsgefangenschaft sind, sowie der Invaliden exemplarisch nachvollziehen. Darin wurde bemerkt: „Alle diese Betriebe leben vorwiegend von Regierungsaufträgen, alle diese Zeitungen fressen aus den Geheimfonds, die der Regierung für solche Zwecke zur Verfügung stehen, ohne daß diese Summen im besonderen dem Parlament verrechnet werden müssen. Man nennt diesen Fonds den Dispositionsfonds.“ Vgl. Arbeiter-Zeitung, 3. August 1915, S. 6 „Die Zustände bei der Elbemühl“. In der Provisorischen Nationalversammlung bemerkte Seitz hierzu: „Dann ist eine gewisse Sorte von Presse, die den bisherigen Regierungen Lakaiendienste geleistet hat, die aus dem Dispositionsfonds bezahlt wurde, die mit Informationen oder Auszeichnungen bezahlt war und nun plötzlich das alles wegschwimmen sieht, daher über die neue Regierung empört ist und die allerschroffsten Töne findet, die in diesen Blättern niemals zu hören waren.“ Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, S. 258. Vermutlich hatte Renner nun die Aufgabe diesen ehemals vom Dispositionsfonds profitierenden Zeitungen als Vertreter der neuen Ordnung gegenüber zu treten und dementsprechende Kürzungen zu verkünden. 127 Der Präsident der Auskunftstelle für Kriegsgefangene, Graf Spiegelfeld, verfaßte gemeinsam mit dem Unterstaatssekretär im Staatsamt für Heerwesen, Erwin Waihs, am 13. November 1918 eine Note an Präsident Wilson, betreffend die Kriegsgefangenen in Sibirien. Vgl. Matthias Egger (Hg.), „Wir gehen furchtbar ernsten Zeiten entgegen“. Die Tagebuchaufzeichnungen von Markus Graf Spiegelfeld aus den Jahren 1917–1923, S. 236 (im Druck); vgl. auch Wiener Zeitung, 28. Dezember 1918, S. 8 „Unsere Gefangenen in Sibirien“. Bei einer in Wien stattfindenden Sitzung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz am 6. Dezember 1918 ersuchte Spiegelfeld um Intervention für die Kriegsgefangenen. Vgl. ebd., S. 245; vgl. weiters Matthias Egger, Der institutionelle Rahmen der Kriegsgefangenenfürsorge der Habsburgermonarchie 1914–1918, in: Storia e futuro. Rivista di storia e storiografia, Nr. 28 (2012), http://storiaefuturo.eu/der-institutionelle-rahmen-der-kriegsgefangenenfursorge-derhabsburgermonarchie-1914-1918/, abgerufen am 24. Mai 2019; Reinhard Nachtigall, Rußland und seine österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen (1914–1918), Remshalden 2003. Markus Graf von Spiegelfeld, 1907 bis 1913 Statthalter von Tirol und Vorarlberg, während des 1. WK in der Kriegsgefangenenfürsorge tätig. Thomas Woodrow Wilson, 4. März 1913 bis 4. März 1921 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
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unternehmen könnten. Eine Antwort haben wir darauf noch nicht erhalten. Sie werden sich wahrscheinlich auf den Standpunkt stellen, daß auch das vor dem Frieden nicht zulässig sei. Im europäischen Rußland ist die Zahl der Kriegsgefangenen nicht mehr sehr groß, immerhin sind wir auch hier um den Heimtransport bemüht. Durch Polen und die Ukraine ist aber derzeit ein Transport nicht möglich. Vielleicht wird sich in Polen in kurzer Zeit etwas tun lassen. Wir haben auch versucht, die Reise des Slatin Pascha128 in die Schweiz zu benützen, der Entente klarzumachen, daß die Zurückhaltung der Kriegsgefangenen keinen Sinn hat, da wir ja keinen Krieg mehr führen können.129 Es gibt Leute, die befürchten, daß die Ententestaaten unsere Gefangenen überhaupt nicht hergeben wollen, weil sie sie zu den Wiederherstellungsarbeiten verwenden wollen. Was die finanzielle Frage des Propagandadienstes anbelangt, so ist die Schwierigkeit hier sehr groß, weil es sich um ausländische Valuten handelt, die wir bekanntlich nicht haben. Ich hoffe aber, daß das Staatsamt für Finanzen helfen wird.130 Präs. S e i t z: Damit ist dieser Gegenstand erledigt. [9] Wir haben gestern zwei Wehrgesetze auf Grund eines Irrtums verhandelt.131 Es wurde vom Berichterstatter konstatiert, daß er diese Vorlagen nomine des Staatskanzlers, aber vor allem nomine des Heeresamtes vertritt. Es hat sich nun herausgestellt, daß das Heeresamt diese Vorlagen gar nicht gehabt hat. Ich glaube daher, daß die Herren dem Antrage zustimmen werden, daß wir diesen Beschluß reassumieren132 und die Vorlage der Heereskommission zuweisen. Rudolf Carl Freiherr von Slatin, Offizier, 1900 bis 1914 britischer Generalinspektor im Sudan, während des Ersten Weltkriegs Leiter der Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen Roten Kreuzes, nach dem Weltkrieg engagierte er sich besonders für die Kriegsgefangenen und Zivilinternierten. 129 Slatin war von der zweiten Dezemberwoche 1918 bis in die dritte Jännerwoche 1919 in offiziösem Auftrag des deutschösterreichischen Außenamtes in Bern, um die Lebensmittelhilfe für Österreich zu beschleunigen, die Zusendung von tschechoslowakischer Kohle zu erreichen und über Hilfe für die Kriegsgefangenen sowie deren baldige Heimkehr zu beraten. Es gelang ihm tatsächlich, mit amerikanischen und britischen Repräsentanten in Verbindung zu treten. Am 23. Dezember 1918 berichtete Slatin aus Bern, daß „ich am Tage meiner Ankunft hier […] beim englischen und beim amerikanischen Gesandten vorgesprochen und sie dringend gebeten habe, ihre Regierungen für unsere Kriegsgefangenen in Sibirien zu interessieren. […] Ferner habe ich an den japanischen Botschafter in London ein für das japanische Rote Kreuz bestimmtes längeres und ausführliches Schreiben gerichtet, indem ich dieses im Namen der Menschlichkeit um Intervention ersuchte und es gleichzeitig bat, unverzüglich Delegierte zu den Gefangenen zu entsenden, um ihre Lage festzustellen, jedem Gefangenen eine Postkarte zu geben und diese dann schnellstens hierher zu senden und wenn möglich Listen der Gefangenen in den einzelnen Lagern mit Hilfe der Lagerkomités aufzustellen und diese ebenfalls auf schnellstem Wege hierher zu senden.“ Vgl. dazu die Schreiben in AdR, BKA/AA, NPA, Präsidium, Nachlaß Bauer, IId, General Slatin. Zudem überbrachte Slatin dem amerikanischen Botschafter in der Schweiz einen Bericht Otto Bauers über den Kohlenmangel in Wien. Vgl. den Bericht des amerikanischen Botschafters Stovall an die Commission to Negotiate Peace vom 10. Dezember 1918 in Papers Relating to the Foreign Relations of the United States, The Paris Peace Conference 1919. Vol. 2: document 539, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d539, abgerufen am 24. Mai 2019. Pleasant Alexander Stovall, 1913 bis 1919/1920 Botschafter der USA in der Schweiz. 130 Am 1. Jänner 1919 wurde in der Staatskanzlei eine Besprechung über die Frage der Budgetierung der Minderheitenschutzstelle und des Presse- und Propagandadienstes abgehalten. Vgl. dazu den Bericht in AdR, StK, GZl. 1.010/1920, Zl. 48/1919, Feststellung der Mittel für den Presse-, Minderheitsschutzund Propagandadienst. Zur Frage der Bereitstellung finanzieller Mittel für diese Dienste vgl. auch das weitere Material in GZl. 1.010/1920. 131 Gemeint sind hier das „Grundgesetz über die Rechte und Pflichten des Soldaten“ sowie das „Grundgesetz über das deutschösterreichische Volksheer“. Vgl. dazu SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 132 Reassumieren: ein Verfahren wiederaufnehmen. 128
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Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n.133 R e n n e r: Ich möchte bezüglich des Gesetzes über das Staatsbürgerrecht bemerken, daß das letztemal die Frage der Bekräftigung von Beschlüssen der Nationalversammlung aufgeworfen wurde.134 Nach der Rechtsauffassung der Staatskanzlei und nach dem Buchstaben der Verfassung steht die Sache so, daß der Staatsrat die Beschlüsse der Nationalversammlung wohl nicht bekräftigen oder sanktionieren müsse, daß aber das Haus dem Vollzugsausschuß einen Auftrag gibt. Der Staatsrat kann nun nicht verhalten werden, diesen Beschluß inappellabel135 durchzuführen, sondern er kann sich an das Haus zurückwenden und erklären, er halte den Auftrag für undurchführbar, und wenn er gezwungen werde, ihn dennoch durchzuführen, werde er seine Demission geben. Jedenfalls hat der Staatsrat das Recht, eine solche Vorlage an das Haus mit der Bitte zurückzuleiten, den Beschluß zu reassumieren. Ein solches Reassumierungsverfahren, das die Beschlußgewalt der Nationalversammlung keineswegs beeinträchtigt, muß zulässig sein. Jedenfalls muß der Staatsrat über die Vorlagen, die das Haus beschlossen hat, Beschluß fassen und sich überzeugen, daß die Vorlage mit dem Beschlusse des Hauses übereinstimmt, und daß sie auch durchführbar ist. Auf dieser Grundlage muß dann die Beurkundung ausgesprochen werden. Der Staatsrat muß dann erst den Beschluß fassen, daß das Gesetz auch kundzumachen ist. Es muß also jeder Beschluß der Nationalversammlung den Staatsrat noch einmal beschäftigen; das ist schon notwendig, um die Korrekturen vorzunehmen. Darin liegt keine Sanktion und keine Beeinträchtigung der Demokratie. Nach dem Gesetz über das Staatsgesetzblatt entscheidet der Staatsrat auch über die Kundmachung und er hat jedenfalls die Machtvollkommenheit, einen Beschluß der Nationalversammlung nicht kundzumachen, sondern bei ihr die Vorstellung zu erheben, daß gegen die Kundmachung dieses Gesetzes ernste Bedenken obwalten.136 Wenn die Nationalversammlung ihren Beschluß wiederholt, wird der Staatsrat den Beschluß entweder durchführen, oder demissionieren. Präs. S e i t z stellt den A n t r a g: Der Staatsrat wolle beschließen: Der nächsten Nationalversammlung wird folgender Antrag des Staatsrates unterbreitet: Die Nationalversammlung wolle beschließen: Der Beschluß der Nationalversammlung vom 27. November 1918, betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht wird aufgehoben und die Vorlage abermals in zweiter Lesung verhandelt. Dieser Antrag wird a n g e n o m m e n.137 Die in der 50. Sitzung diskutierten Entwürfe wurden in weiterer Folge überarbeitet und zu einem Gesetz zusammengefaßt, dessen Einbringung in die Provisorische Nationalversammlung in der 59. Sitzung des Staatsrates beschlossen wurde. Vgl. SRP Nr. 59 vom 16. Dezember 1918. Zur Einbringung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. prov. NV, 10. Sitzung am 18. Dezember 1918, Zuweisung an den Ausschuß für Heerwesen, S. 319 f; 13. Sitzung am 23. Jänner 1918, Bericht des Ausschusses und Zurückweisung des Entwurfes an den Heeresausschuß, S.471–472; 18. Sitzung am 6. Februar 1919, zweite und dritte Lesung in dringlicher Behandlung, S. 669–686; StGBl. Nr. 91, Gesetz vom 6. Februar 1919, betreffend vorläufige Bestimmungen über die bewaffnete Macht, ausgegeben am 12. Februar 1919. Umfangreiches Aktenmaterial zum Wehrgesetz findet sich in AdR, StK, GZl. 533/1919. Vgl. dazu auch KRP Nr. 17/3 vom 28. November 1918 und Nr. 18/1 vom 29. November 1918. 134 Vgl. SRP Nr. 49 vom 28. November 1918. 135 Inappelabel: keine Möglichkeit mehr bietend, ein Rechtsmittel einzulegen, durch Berufung nicht anfechtbar. 136 Renner bezog sich hier vermutlich auf § 4 des Gesetzes über die Kundmachung von Gesetzen und Verordnungen durch das Staatsgesetzblatt (StGBl. Nr. 7/1918), welcher lautet: „In das Staatsgesetzblatt sind nur jene Gesetze und jene Beschlüsse der Nationalversammlung aufzunehmen, die vom Staatsrat beurkundet, von einem Präsidenten gefertigt und vom Leiter der Kanzlei und dem Notar des Staatsrates mitgezeichnet sind.“ 137 Vgl. dazu weiter SRP Nr. 52 vom 2. Dezember 1918. 133
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Die V o l l z u g s a n w e i s u n g 138 des deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen wegen Verlängerung der Wirksamkeit des Gesetzes vom 9. Juli 1913, RGBl. Nr. 135, betreffend die Ermächtigung zur zeitweiligen Außerkraftsetzung der Bestimmungen über den Einfluß der Zinsfußerhöhung auf die zu Konvertierungszwecken gewährten Gebührenerleichterungen w i r d a n g e n o m m e n. Die Beurkundung des Gesetzes über das Staatsgebiet wird auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung des Staatsrates gestellt.139 [6] P. G V e r e i n s r e a l s c h u l e i n L a a a./T h. R e n n e r führt aus, daß die Privatrealschulen in Laa a. d. Th. mit Öffentlichkeitsrecht, mit der auch eine landwirtschaftliche Mittelschule verbunden ist, infolge der Kriegsereignisse nicht mehr in der Lage sei, die finanziellen Erfordernisse bis Ende d. J. zu decken. Die Finanzverwaltung habe zugestimmt, daß der Maximalaufwand von 40.000 K zur Verfügung gestellt werde. Die Schule sei umso notwendiger, als sie an der Grenze von Mähren und Nied. Österreich liegt und für das ganze bedrohte deutsche Gebiet der nächste Zufluchtsort sei. Es wird hierauf folgender B e s c h l u ß140 gefaßt: „Der Staatsrat beschließt: Das Staatsamt der Finanzen ist ermächtigt, der Privatschule in Laa a./Th. für die Deckung des finanziellen Bedarfes für dieses Schuljahr 40.000 K Subvention zu gewähren.“ R e n n e r: Das Unterrichtsamt wird eine Ausfertigung des Beschlusses der Schuldirektion übermitteln.141 Die Sitzung wird um 7 Uhr 45 Min. abends geschlossen. Nächste Sitzung Montag, den 2. Dezember ½ 5 Uhr nachmittags.
Beilage 51/IX: StAF, Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite, gedruckt). Die Vollzugsanweisung sollte die Wirksamkeit des betreffenden Gesetzes bis zum 31. Dezember 1921 verlängern. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 80, Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen vom 4. Dezember 1918 wegen Verlängerung der Wirksamkeit des Gesetzes vom 9. Juli 1913, RGBl. Nr. 135, betreffend die Ermächtigung zur zeitweiligen Außerkraftsetzung der Bestimmungen über den Einfluß der Zinsfußerhöhung auf die zu Konvertierungszwecken gewährten Gebührenerleichterungen, ausgegeben am 6. Dezember 1918, zur Gänze überein. 139 Vgl. dazu auch SRP Nr. 43 vom 23. November 1918. 140 Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.924/1918. 141 Vgl. dazu das Aktenmaterial in AVA, Unterricht allgemein 1848–1940, Fasz. 2.488, Sign. 13 B1, Mittelschulen, Niederösterreich Laa a.d. Thaya – Zwettl, Zl. 30.446/1918, Landesschulrat für Niederösterreich Betreff: Laa a. d. Thaya, Vereinsrealschule Verstaatlichung, Subventionierung. 138
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51 – 1918-11-30 51. Sitzung des Staatsrates vom 30. November 1 9 1 8. V o r s i t z e n d e r: Präsident Karl S e i t z. B e s c h l ü s s e:
Beschluß:
I. Der Staatsrat nimmt zur Kenntnis, daß bei der heutigen Sitzung der Staatsrat Dr. Gustav Bodirsky durch den Ersatzmann Rudolf Heine vertreten ist.142
II. Antragsteller: Staatssekretär für öffentliche Arbeiten Johann Z e r d i k. Antrag: Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsamtes für öffentliche Arbeiten im Einvernehmen mit den beteiligten Staatsämtern vom … Dezember 1918, betreffend Sparmaßnahmen beim Verbrauche von Gas, Elektrizität und Brennstoff. Beschluß: Der Staatssekretär für öffentliche Arbeiten wird ermächtigt, eine Vollzugsanweisung, betreffend die Abänderung der Verordnung des Ministers für öffentliche Arbeiten vom 1. Sept. 1917, RGBl. Nr. 370, betreffend Sparmaßnahmen beim Verbrauche von Gas, Elektrizität und Brennstoffen, zu erlassen. (Gesch.Z. des Amtes für öffentliche Arbeiten K.Z. 232 ex 1918.) An den Herrn Staatssekretär für öffentliche Arbeiten. III. Antragsteller: Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel Dr. Karl U r b a n. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird generell ermächtigt, aus Anlaß der durch den Krieg hervorgerufenen außerordentlichen Verhältnisse auf Grund des wirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes vom 24. Juli 1917, RGBl. Nr. 307, die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiete zu treffen und die einschlägigen Vollzugsanweisungen unter Berufung auf diese Ermächtigung des Staatsrates zu erlassen. Die auf Grund dieser generellen Ermächtigung erlassenen Vollzugsanweisungen sind vom Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft periodisch wie bisher der Nationalversammlung zur Kenntnis zu bringen. Das Amt für Kriegs- und Übergangswirtschaft wird beauftragt, jede auf Grund dieser Ermächtigung zu treffende Verfügung vorher dem Präsidium des Staatsrates bekannt zu geben, damit dieses entscheide, ob nicht eine Vorlage an den Staatsrat notwendig sei.“ Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel und an den Herrn Unterstaatssekretär Richard R i e d l.
Dieser Beschluß scheint im Protokollverlauf nicht auf. Beilage 51/I: Antrag Bodirsky, Mitteilung an Rudolf Heine mit Ersuchen um Vertretung im Staatsrat (1 Seite). Bodirsky ersucht seinen Ersatzmann Heine um Vertretung, da er wegen Verhinderung an der „heutigen“ Staatsratssitzung nicht teilnehmen könne.
142
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IV. Antragsteller: Staatssekretär für Volksernährung Dr. Johann L o e w e n f e l d - R u ß. Antrag: Der Staatsrat wolle beschließen, daß die im letzten Absatze des vorhergegangenen Beschlusse (III) verfügten einschränkenden Bestimmungen auch bezüglich des Staatsamtes für Volksernährung zu gelten hätten. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Volksernährung. V. Antragsteller: Staatssekretär für Landwirtschaft Josef S t ö c k l e r, Staatssekretär für Volksernährung Dr. Johann L o e w e n f e l d - R u ß und Unterstaatssekretär der Finanzen Dr. Leopold von G r i m m. Anträge: 1. Antrag (des Staatssekretärs für Landwirtschaft): „Der seit 20. März 1918 bewilligte Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen im Betrage von K 1 – pro kg Lebendgewicht kann im gegenwärtigen Zeitpunkte mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten bei der Schlachtviehaufbringung und den bekannten Mangel an abgebbarer Ware nicht eingestellt werden, sondern ist bis auf weiteres an die Vieheigentümer fort zu bezahlen.“ Beschluß: Wird angenommen. 2. Antrag (des Staatssekretärs für Landwirtschaft und des Staatssekretärs für Volksernährung): „Da die bisher zur Deckung des Kriegszuschlages verwendete sogenannte ungarische Differenz seit der Trennung Österreichs von Ungarn mangels einer weiteren gemeinsamen Belieferung der Armee mit Schlachtvieh entfällt und das Staatsamt für Volksernährung eine Überwälzung des Kriegszuschlages auf den Konsum wegen der damit verbundenen Erhöhung der Fleischpreise für undurchführbar erklärt, wird seitens des Staatsamtes für Landwirtschaft (einvernehmlich mit dem Staatsamte für Volksernährung) der weitere Antrag gestellt, den Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen im Betrage von K 1 – pro kg Lebendgewicht vorläufig bis Ende Dezember aus Staatsmitteln zu bezahlen.“ Beschluß: Wird angenommen. Der während der Debatte seitens des Herrn Unterstaatssekretärs der Finanzen Dr. von Grimm gestellte: 3. Antrag, lautend: „… den Kriegszuschlag zu den Schlachtviehpreisen im Betrage von K 1 – pro kg Lebendgewicht vorläufig bis Ende Dezember zur Hälfte aus Staatsmitteln zu bezahlen, die andere Hälfte auf den Konsum zu überweisen“ wird abgelehnt. 4. Antrag (des Staatssekretärs für Volksernährung): „Das Staatsamt für Finanzen wird beauftragt, zum Zwecke der Durchführung der Fleischverbilligungsaktion in Wien die erforderlichen Beträge pro Dezember 1918 bereit zu stellen.“ Beschluß: Wird angenommen. Der während der Verhandlung vom Herrn Unterstaatssekretär der Finanzen Dr. von Grimm gestellte Zusatzantrag: „Bei dieser Aktion sind die Preise für Extremfleisch und für die besseren Qualitäten des Einheitspreises entsprechend zu erhöhen“ wird abgelehnt. An die Herren Staatssekretäre für Landwirtschaft, für Volksernährung und der Finanzen. Beschluß:
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VI. Der Bericht des Herrn Staatssekretärs des Äußern Dr. Otto B a u e r über den Fortgang der Friedensverhandlungen und bezüglich der Maßnahmen zu deren
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Vorbereitung in Wien, sowie die Auskünfte des genannten Staatssekretärs über einzelne an ihn gestellte Anfragen einiger Herrn Staatsräte werden zur Kenntnis genommen. An den Herrn Staatssekretär des Äußern. VII. Antragsteller: Präsident Karl S e i t z. Antrag: Reassumierung der in der 50. Sitzung des Staatsrates vom 29. November 1918 gefaßten Beschlüsse Nr. IV und V, betreffend den Entwurf eines Grundgesetzes über die Rechte und Pflichten des Soldaten und betreffend den Entwurf eines Grundgesetzes über das deutschösterreichische Volksheer, da der Herr Staatssekretär für Heerwesen diese Vorlagen noch nicht eingesehen haben soll. Beschluß: Die Beschlüsse werde reassumiert. Vorläufige Zuweisung an die Heereskommission. An die Heereskommission. VIII. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r. Antrag: Der nächsten Nationalversammlung ist folgender Antrag des Staatsrates zu unterbreiten: „Die Nationalversammlung wolle beschließen: Der Beschluß vom 27. November 1918 über das Gesetz, betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht, wird aufgehoben und die Vorlage bezüglich des erwähnten Gesetzes abermals in zweiter Lesung verhandelt.“ Beschluß: wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler. IX. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r nomine des Staatsamtes der Finanzen. Beschluß: Die Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen wegen Verlängerung der Wirksamkeit des Gesetzes vom 9. Juli 1913, RGBl. Nr. 135, betreffend die Ermächtigung zur zeitweiligen Außerkraftsetzung der Bestimmungen über den Einfluß der Zinsfußerhöhung auf die zu Konvertierungszwecken gewährten Gebührenerleichterungen, wird nach dem beigebrachten Entwurfe genehmigt. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen. X. Antragsteller: Staatskanzler Dr. Karl R e n n e r nomine des Staatsamtes für Unterricht. Beschluß: Der Staatsrat beschließt: „Das Staatsamt der Finanzen ist ermächtigt, der Privatrealschule in Laa a. d. Thaya für die Deckung des Finanzbedarfes für dieses Schuljahr 40.000 K Subvention zu gewähren.“ An den Herrn Staatssekretär der Finanzen und an den Herrn Staatssekretär für Unterricht, welch letzterer die Direktion der erwähnten Schule hievon in Kenntnis zu setzen hätte. Nächste Sitzung Montag, den 2. Dezember 1918, um ½ 5 Uhr Nachmittag.
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52. [Montag] 1918-12-02 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Abram, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Gruber, Heine, Jerzabek, Keschmann, Langenhan, Leuthner, Licht, Luksch, Ofner, Seitz, Schoepfer, Schürff, Sylvester, Teufel, Tomschik, Waldner, Wolf, Wollek, Urban unbekannt 16.35–20.00 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g:2 1. Einlauf, Vortragender 2. Anträge, welche der Nationalversammlung über das Staatsbürgerrecht vorzuschlagen wären. 3. Bericht über den Streik der Post und Bahnbediensteten und die Situation in Marburg. 4. Gesetzentwurf über die Bahngendarmerie in Deutsch-Österreich.3 5. Ermächtigung des Staatssekretärs L o e w e n f e l d - R u s s zur mündlichen Beantwortung einer Reihe an ihn gerichteten Anfragen in der Nationalversammlung. 6. Vorbereitung der Regierungserklärung in der Nationalversammlung über die innere und äußere Lage. 7. Bericht zur Wahlreform-Kommission. Vortragender Staatsrat F i n k. [kein Inhalt] 8.4 9. Allfälliges. Initiativanträge, etz. Beilagen: 52/I 52/II 52/III
52/IV 52/V 52/VIII 1
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Museum für Kunst und Industrie, Mitteilung, betreffend Kunstsammlung des Grafen Johann Pálffy im Palais Wien I. Wallnerstraße 6 (4 Seiten, handschriftlich). Liste mit Gnadengesuchen (8 Seiten). Bericht der Akademie der Wissenschaften in Wien vom 28. November 1918, Nr. 743, betreffend die genehmigende Kenntnisnahme der in der außerordentlichen Gesamtsitzung der Akademie der Wissenschaften in Wien vom 25. November 1918 gefassten Beschlüsse, durch den Staatsrat (1 Seite). Auszug aus dem 51. Sitzungsprotokolle des Staatsrates vom 30. November 1918, Beschluß VIII (1 Seite). Antrag Sylvester, betreffend Beitritt des Herrenhauses und die sogenannte Sanktion (1 Seite, handschriftlich). Antrag Heine, betreffend die Bahnbediensteten im von Jugoslavien besetzten Gebiet (1 Seite, handschriftlich).
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Otto Bauer, Richard Markhl, Dr. Karl Renner und Johann Zerdik, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Die Tagesordnung ist nicht vollständig und auch die Reihenfolge der Tagesordnungspunkte entspricht nicht dem Sitzungsverlauf. Dieser Punkt steht zwar auf der Tagesordnung wurde aber in dieser Sitzung nicht behandelt. Der Punkt 8 wurde in der Tagesordnung ohne Betreff verzeichnet.
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52 – 1918-12-02 Gesetz vom … über die Verwendung von Teilen der Gebarungsüberschüße der gemeinschaftlichen Waisenkassen (1 Seite, gedruckt); Erläuternde Bemerkungen (½ Seite, gedruckt).
Präs. D i n g h o f e r eröffnet die Sitzung um 4 Uhr 35 Minuten nachmittags. Nach Verlesung des Einlaufs5 stellt
[1]
S y l v e s t e r mit Rücksicht auf den Umstand, daß der Rechtsnachfolger des verstorbenen Grafen Palffy6 entgegen der Bestimmung des Testaments, das Palais gleichsam als Fideikommiß zu betrachten und es samt den Kunstschätzen dem Publikum zur ständigen Besichtigung freizugeben, dieses Palais zu verkaufen beabsichtigt folgenden A n t r a g7: „Der Staatsrat wolle beschließen, Herrn Direktor Leisching8 zu beauftragen, unter Zuziehung des Erbenvertreters Koderle9 und eines Vertreters des Sekretariats für Unterricht sowie eines Vertreters des Staatsamtes für ö. Arbeiten dafür Sorge zu tragen, daß diese Sammlung erhalten werde, er möge ihn weiters beauftragen, dieselbe sofort in Verwahrung und weitere Beaufsichtigung zu nehmen.“ G e n e h m i g t.10 S y l v e s t e r beauftragt 46 Einzelbegnadigungen, die durch die Justizkommission vorgenommen wurden, zu genehmigen.11 G e n e h m i g t. D i n g h o f e r: Vom Präsidenten Seitz ist mir folgender Antrag12 überreicht worden: 5 6
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Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Johann Franz Graf Pálffy de Erdöd, Obergespan des Komitates Preßburg, Mitglied des ungarischen Magnatenhauses, im Jahr 1908 verstorben. Beilage 52/I: Schreiben des Museums für Kunst und Industrie (4 Seiten, handschriftlich). Das Schreiben bezieht sich auf die Kunstsammlung des verstorbenen Grafen Pálffy und hier vor allem auf die Forderungen seiner Erben. Es enthält Empfehlungen zur weiteren Vorgehensweise, die auch in Sylvesters Antrag enthalten sind. Dr. Eduard Leisching, Kunsthistoriker, Gründer des Wiener Volksbildungsvereins, 1909 bis 1925 Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. Zu Erbenvertreter Emil Koderle konnten keine näheren Angaben eruiert werden. Staatsnotar Sylvester leitete den Staatsratsbeschluß in der Folge an Leisching und Koderle weiter und verständigte auch die Staatssekretäre für Unterricht und öffentliche Arbeiten. Vgl. HHStA, Hofärar – Liquidationsakten, Fasz. Staatsnotar K1, Deutschösterreichisches Staatsnotariat, Zl. 76/1918, Amtsveranlassung, Beschluß des Staatsrates betreffend Erhaltung der Graf Johann Palffy’schen Kunstsammlung in Wien, I. Wallnerstr. 6. Zu Leischings Antwort, der ein Exemplar von Palffys Testament beiliegt, vgl. ebd., Zl. 90/1918, Dr. Eduard Leisching, Direktor des Oesterreichischen Museums für Kunst und Industrie in Wien, Beschluß des Staatsrates, betreffend Erhaltung der Graf Johann Palffy’schen Kunstsammlung in Wien, I. Wallnerstr. 6; weiteres Material findet sich ebd. in Zl. 112/1918, Zl. 114/1918, Zl. 140/1918, Zl. 158/1918 und Zl. 209/1918. Vgl. auch AdR, StAI, Zl. 825/1918, Palffy ab Erdöd Johann Graf, Errichtung eines Prosenioratsfideikommisses. Beilage 52/II: Gnadengesuche (8 Seiten). In der Beilage werden die Gnadengesuche von 46 Verurteilten unter Angabe des Namens und Deliktes aufgelistet. Die mit Abstand am häufigsten genannten Vergehen sind Preistreiberei und Diebstahl. Vgl. dazu Beschlußprotokoll Punkt II. Beilage 52/III: Antrag der Akademie der Wissenschaften in Wien (1 Seite). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes überein. Material zu diesem Antrag inklusive einer Begründung der Akademie finden sich in AdR, OBh, Büro Seitz, Karton 4, Akademie der Wissenschaften.
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Der Staatsrat nimmt die in der außerordentl. Gesamtsitzung der Akademie der Wissenschaften in Wien vom 25. November 1918 gefaßten Beschlüsse: „1.) Alle Bestimmungen der akademischen Statuten und der Geschäftsordnung nebst Anhang und Nachträgen, welche die Einwirkung des Kaisers oder des Kuratoriums auf die Tätigkeit der Akademie der Wissenschaften betreffen, sind aufgehoben (Art. V des Gesetzes vom 12. November 1918, Staatsgesetzblatt 1. Stück vom 15. November 1918, Nr. 5). 2.) Alle von der Akademie vorzunehmenden Wahlen der wirklichen, korrespondierenden und Ehrenmitglieder sowie des Präsidenten, des Vizepräsidenten und der Sekretäre gelten als Ernennungen. Neugewählte Mitglieder erwerben durch die Verkündung der Wahl seitens des Vorsitzenden ohneweiters die Rechte, die mit der ihnen zugedachten Stellung verbunden sind. Die Bildung von Wahlternen13 hat zu entfallen. Die Zahl der zu wählenden Personen bestimmt sich in allen Fällen nach der Zahl der zu besetzenden Stellen. 3.) Die Bestimmungen des Punktes 2) haben rückwirkende Kraft auf die am 28. Mai 1918 von der Akademie vorgenommenen Wahlen. Soweit durch diese Wahlen Ternen festgesetzt werden, gilt diejenige Person als gewählt, der durch die Wahl der erste Platz in der Terne zugefallen ist.“ genehmigend zur Kenntnis. O f n e r stellt den Antrag auf Zuweisung der Beschlüsse der Akademie der Wissenschaften an das Sekretariat für Unterricht zur Berichterstattung. A n g e n o m m e n.14 [2] R e n n e r referiert zu P. 2 der Tagesordnung: Anträge, welche der Nationalversammlung über das Staatsbürgerrecht vorzuschlagen wären. Der Staatsrat hat in der letzten Sitzung beschlossen15: „Der nächsten Sitzung der Nationalversammlung ist folgender Antrag des Staatsrates zu unterbreiten: Die Nationalversammlung wolle beschließen: Der Beschluß vom 27. November 1918 über das Gesetz betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht wird aufgehoben und die Vorlage des erwähnten Gesetzes abermals in zweiter Lesung verhandelt.“ Um dem Hause die Entscheidung zu erleichtern, habe ich die Professoren Bernatzik16 und Menzel17 gebeten, mir mit einem Gutachten zu Hilfe zu kommen. Diese beiden Herren Professoren haben zusammen mit dem Gesetzgebungsdienst der Staatskanzlei einen Antrag ausgearbeitet, der im Wesentlichen eine verbesserte Fassung des ursprünglichen Ausschußantrages bedeutet. Der neulich gefaßte Beschluß kann nicht aufrechterhalten werden. Diese Auffassung des Staatsbürgerrechts würde auch dem ganzen internationalen Privatrecht wider Terne: lat. eigentlich Dreitreffer, hier wahrscheinlich zur Bezeichnung eines Wahlvorschlages verwendet. 14 Das Staatsamt für Unterricht äußerte sich in einem Schreiben vom 3. Dezember 1918 dahingehend, daß gegen den Antrag der Akademie der Wissenschaften kein Einwand bestehe, gab aber zu bedenken, daß die Akademie durch die Einführung des vorgesehenen Wahlmodus ihre bevorzugte Stellung gegenüber anderen vergleichbaren Gesellschaften verlieren würde. Vgl. AdR, OBh, Büro Seitz, Karton 4, Akademie der Wissenschaften. 15 Beilage 52/IV: Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 51. Sitzung, Punkt VIII (1 Seite). Die Beilage enthält folgende in Gabelsberger Kurzschrift verfaßte Notiz: „der Verfassungsausschuss wird beauftragt innerhalb 24 Stunden über die Vorlage neuerlich zu berichten“. 16 Dr. Edmund Bernatzik, o. Professor des Strafrechts, 1906 bis 1919 Mitglied des Reichsgerichtes, Februar 1919 zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofes bestellt. 17 Dr. Adolf Menzel, o. Professor für österreichisches Verwaltungsrecht, 1917 bis 1918 Mitglied des Reichsgerichts, 1918 bis 1930 erster Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes. 13
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sprechen. Zwei Haager Konferenzen haben sich auch mit internationalem Privatrecht befaßt und haben für die Feststellung der Staatsbürgerschaft gewisse allgemeine Regeln gegeben, von denen wir nicht absehen können.18 Der Staatsrat wäre nicht in der Lage, dieses Gesetz zu vollziehen. Die Nationalversammlung hat das Recht der Gesetzgebung, jedes Gesetz ist ein Auftrag an die Vollzugsorgane. Der Staatsrat ist das oberste Vollzugsorgan. Nun steht aber der Staatsrat als Beauftragter der Nationalversammlung nicht willenlos gegenüber, er kann, wenn er die Durchführung eines Beschlusses für unmöglich oder untauglich hält, an das Haus mit dem Wunsch herantreten, den Beschluß aufzuheben und einen neuerlichen Beschluß zu fassen. Das ist weder ein Veto noch eine absolutistische Anmaßung, sondern ergibt sich aus der Tatsache, daß hier ein Verhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vorliegt. Ich schlage vor, daß ein Mitglied der Gesetzgebungskommission, etwa Dr. von Licht den Antrag einbringt und daß auf Grund dieses neu eingebrachten Antrags die Angelegenheit dem Ausschuß nochmals zugewiesen wird, der binnen 24 Stunden darüber zu beschließen hätte.19 T e u f e l bezeichnet diesen Weg als ungangbar. Ein in dritter Lesung verabschiedetes Gesetz kann nicht im Hause wieder als nichtig erklärt werden; Alle Bestimmungen der Geschäftsordnung sprechen dagegen. Es ist nur die Einbringung einer Novelle möglich. Meritorisch verlangt er die Berücksichtigung des richtigen Gedankens des sich zum Staate Bekennens, etwa durch Anerkennung aller derer als Staatsbürger, die sich bei der letzten Volkszählung zur deutschen Muttersprache bekannt haben. W a l d n e r erklärt, die Nationalversammlung sei souverän, es sei daher formal juristisch gegen die Abänderung nichts einzuwenden. Er bezeichnet es als notwendig, künftighin derlei Entgleisungen zu vermeiden, was am besten in der Weise geschehen könnte, daß Vertreter der einzelnen Ressorts anwesend sein sollten, die derartige neue Anträge zu begutachten und eventuell anzuregen hätten, daß der Ausschuß wieder mit der Sache befaßt werde. O f n e r bestreitet die Auffassung des Staatskanzlers hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Nationalversammlung und Staatsrat. Der Staatsrat habe durchzuführen, was die Nationalversammlung als Gesetz beschlossen hat. Entgleisungen können am besten dadurch vermieden werden, daß in allen Fällen, wo in der Nationalversammlung derartige Initiativanträge gestellt und angenommen werden, die dritte Lesung nicht sofort vorgenommen wird. D i n g h o f e r: Am einfachsten wäre es, wenn der Antrag des Staatsrates im Einlauf erschiene, der Staatsnotar erklären würde, er könne das Gesetz nicht durchführen und der Vorsitzende den Antrag auf Rückverweisung an den Ausschuß stellen würde. R e n n e r akkomodiert20 sich dem Antrage Dinghofers, daß das Gesetz in erster Lesung auf die Tagesordnung gestellt und sofort mit der Zuweisung an den Ausschuß vorgegangen werde. Von einer Novellierung könne keine Rede sein, da das Gesetz noch nicht kundgemacht sei. Er weist nochmals auf die dringende Notwendigkeit einer Änderung des Beschlusses hin, vor allem auch aus politischen Gründen. Die ganze Presse der Welt, insbesondere des Westens Im Rahmen der seit 1893 bestehenden Haager Konferenz für internationales Privatrecht wurden mehrere grundlegende Abkommen mit dem Ziel der Schaffung internationaler Privatrechtsnormen beschlossen. In den Jahren 1893, 1894, 1900 und 1904 waren mehrere das Familienrecht betreffende Abkommen sowie ein Zivilprozeßabkommen von den Mitgliedstaaten, darunter Österreich-Ungarn, abgeschlossen worden. Die Haager Privatrechtskonventionen beruhten dabei auf dem Staatsangehörigkeitsprinzip. Vgl. Jan Kropholler, Internationales Privatrecht. Einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts (6. Auflage), Tübingen 2006, S. 58 und S. 276. 19 Vgl. PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Verfassungsausschuß, Protokoll über die Sitzung am 4. Dezember 1918. 20 Akkomodieren: sich anpassen, sich einfügen. 18
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sei von Journalisten beherrscht, die zum größten Teil Juden sind, und die ausländische Presse sei in der Frage der Behandlung der Juden als Staatsbürger äußerst empfindlich. Ein solches Gesetz wäre nun schlimmer als das Staatsbürgerrecht in Rußland und die Bestimmungen in Rumänien.21 Aber auch mit Rücksicht auf das nähere Ausland sei die Bestimmung unmöglich, denn es würden dadurch bei Anwendung der Reziprozität seitens des tschechoslovakischen Staates die Deutschen, die dort zurückbleiben, gefährdet. Redner richtet schließlich einen Appell an die Vertreter der einzelnen Parteien, dahin zu wirken, daß so oftmals und gründlich beratenen Beschlüsse in der Nationalversammlung nicht umgestoßen werden; er weist auf die Schädigungen hin, die dadurch entstehen, wie dies besonders im Gebietsgesetz zutage getreten sei.22 L a n g e n h a n beantragt, zunächst eine Änderung der Geschäftsordnung und dann des Beschlusses vorzunehmen. R e n n e r beantragt, den Beschluß, der in der 51. Sitzung gefaßt worden ist (Nr. 8) so zu ändern, daß in der letzten Zeile die Worte „in zweiter Lesung“ gestrichen werden.23 D i n g h o f e r spricht sich dagegen aus, die Abänderung der Geschäftsordnung auf die Tagesordnung zu setzen. Er werde den Antrag des Staatsrates im Einlauf, wenn kein Einwand erhoben werde, dem Verfassungsausschuß zuweisen; werde ein Einwand erhoben werden, so werde er darüber abstimmen lassen. T e u f e l pflichtet der Anschauung des Staatskanzlers bei, daß die Beschlüsse des Staatsrates im allgemeinen nicht im Hause umgestoßen werden sollen, wendet sich aber gegen ein Vetorecht des Staatsnotars oder Staatsrates gegen die Nationalversammlung und erklärt, er werde in der nächsten Sitzung der Nationalversammlung einen Initiativantrag einbringen, wonach der Staatsrat verpflichtet sei, innerhalb kürzester Zeit, in 2–3 Tagen ein vom Hause verabschiedetes Gesetz kundzumachen. Er weist auf die Gefährlichkeit des Präjudizes hin, wenn ein in dritter Lesung beschlossenes Gesetz auf diese Weise abgeändert werde. Dadurch würden die Grundlagen des parlamentarischen Lebens untergraben.24 W o l f erklärt es für unerfindlich, warum gesetzlich unumstößliche Bestimmungen mit künstlichen Mitteln und unter Verletzung aller verfassungsrechtlichen Grundsätze geändert werden sollen, nur weil dadurch der Judenschaft Nachteile erwachsen. Der Staatsrat habe
In Rußland galten bis zur Februarrevolution des Jahres 1917 die im Jahr 1882 erlassenen sogenannten Maigesetze, welche die jüdische Bevölkerung mehreren diskriminierenden Verordnungen, darunter restriktiven Ansiedlungsvorschriften, unterwarfen. Die Verfassung Rumäniens des Jahres 1866 hatte in Artikel 7 ursprünglich vorgesehen, daß nur Christen rumänische Staatsbürger werden konnten. Im Zuge der folgenden Verfassungsänderungen blieb diese Ausschlußregelung im wesentlichen erhalten. Allerdings lag ihr zunehmend nicht mehr ein konfessionelles, sondern ein ethnisches Prinzip zu Grunde. Vgl. Dietmar Müller, Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878–1941, Wiesbaden 2005, S. 37–41 und S. 104 f sowie zum hier vor allem relevanten Zeitraum S. 211–248; Jeffrey Kopstein, Maigesetze, in: Dan Diner (Hg.), Enzyklopädie jüdischer Geschichte und Kultur. Band 4 Ly–Po, Stuttgart/Weimar 2013 S. 29–31. 22 Das Gesetz über das Staatsgebiet (StGBl. Nr. 40/1918) war durch eine Erklärung der Nationalversammlung (StGBl. Nr. 41/1918) ergänzt worden, nachdem sich in der Nationalversammlung eine Kontroverse um die Frage der Einbeziehung der Sprachinseln entwickelt hatte. 23 Diese Textpassage wurde in Beilage 52/IV handschriftlich gestrichen. 24 Ein entsprechender Initiativantrag Teufels konnte nicht eruiert werden. In der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918 beantragte Teufel aber, gemeinsam mit anderen Abgeordneten den Beschluß des Staatsrates über die Aufhebung des Staatsbürgerschaftsgesetzes und seine neuerliche Zuweisung an den Verfassungsausschuß in erster Lesung zu verhandeln. Im Lauf der Debatte wurde auch die Forderung Teufels nach rascher Kundmachung von Gesetzen angesprochen. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 190–199, insbesondere S. 195. 21
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nur pflichtgemäß die Veröffentlichung der Gesetze zu vollziehen. Es handle sich nur um die Durchführbarkeit des gefaßten Beschlusses. Der Antragsteller Nationalrat Kemetter25 habe durch seinen Vorschlag, daß auf den Wahlzetteln eine diesbezügliche Bemerkung gemacht werden solle, den Weg gewiesen. Durch Abänderg. des Beschlusses würde ein verschleiertes Sanktionsrecht konstruiert. Präs. S e i t z betont, daß durch diese Bestimmung nicht nur Juden getroffen werden, sondern auch Hunderttausende andere Menschen, denen man zumutet, erst ein Bekenntnis abzulegen, um Staatsbürger zu werden. Redner bezeichnet ein Vetorecht des Staatsnotars als widersinnig, denn gerade der Staatsnotar habe nur mechanisch zu prüfen, ob eine Übereinstimmung zwischen dem im amtlichen Protokoll niedergelegten Beschluß des Hauses und der Ausfertigung, die hinausgegeben wird, besteht. Es ist die Idee aufgetaucht, dem Staatsrat das Recht zu geben, im Falle einer Unstimmigkeit in dem beschlossenen und dadurch zur Geltung bestimmten Gesetz an die Nationalversammlung noch einmal zu berichten und auf den Widerspruch hinzuweisen.26 Es handelt sich hier nicht um eine Frage der Geschäftsordnung, sondern das muß durch Änderung unseres Grundgesetzes geschehen. Wir können ja im Hause eine Vorlage des Staatsrates einbringen, in welcher wir sagen: „In Abänderung des Beschlusses vom … über das Gesetz betreffend … wird beschlossen: Der Paragraph ... ist in der Fassung des Beschlusses vom … aufgehoben und hat künftighin zu lauten wie folgt: ...“ F i n k: Dieser Antrag wäre als erste Lesung zu behandeln und dem Ausschuß zuzuweisen. W o l l e k beantragt Schluß der Debatte. A n g e n o m m e n. Dr. O f n e r bemerkt, es handle sich nicht um das Meritum27 des Gesetzes, sondern nur darum, daß ein Gesetz, welches einen inneren Widerspruch in sich enthält, nicht promulgiert28 werden könne. Man könnte in der Geschäftsordnung festsetzen, daß, wenn der Staatsrat finde, daß in einem Gesetz ein Widerspruch oder schwere formale Bedenken bestehen, er die Promulgierung sistieren könne, aber sofort die Nationalversammlung einberufen müsse, um die Bedenken zu beheben. Dr. S c h o e p f e r spricht sich dafür aus, daß Vorsorge getroffen werde, daß solche Entgleisung in Zukunft verhindert werden. W o l f meint, der Vorschlag Seitz sei nichts anderes als eine verschämte Umgehung der Sanktion. Das frühere System habe immer mit der Sanktionsverweigerung gedroht. Er warne davor, einen Schritt zu unternehmen, der leicht auf denselben Weg führen könnte. Dr. S y l v e s t e r schlägt vor, ein dreigliedriges Komitee einzusetzen, welches sich mit der Änderung des Grundgesetzes zu befassen hätte, die unbedingt notwendig sei. Es müsse August Maria Kemetter, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten. 26 Vgl. hierzu Renners Wortmeldung zur Frage des Staatsbürgerschaftsgesetzes in SRP Nr. 51 vom 30. November 1918, in welcher er u. a. festhielt: „Jedenfalls hat der Staatsrat das Recht, eine solche Vorlage an das Haus mit der Bitte zurückzuleiten, den Beschluß zu reassumieren. Ein solches Reassumierungsverfahren, das die Beschlußgewalt der Nationalversammlung keineswegs beeinträchtigt, muß zulässig sein. Jedenfalls muß der Staatsrat über die Vorlagen, die das Haus beschlossen hat, Beschluß fassen und sich überzeugen, daß die Vorlage mit dem Beschlusse des Hauses übereinstimmt, und daß sie auch durchführbar ist. Auf dieser Grundlage muß dann die Beurkundung ausgesprochen werden.“ 27 Meritorisch: wesentlich, sachlich. 28 Promulgieren: (öffentlich) bekanntmachen, verkünd(ig)en, verbreiten. 25
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ein Ersatz für Herrenhausbeschlüsse und die Sanktion geschaffen werden.29 Ihm selbst stehe natürlich kein Vetorecht, sondern nur die Beurkundung dessen, was beschlossen ist, zu. T e u f e l spricht sich gleichfalls gegen den Antrag Seitz aus. Es handle sich nicht um einen gewöhnlichen Beschluß, sondern, da auch Titel und Eingang des Gesetzes genehmigt werden, um ein beschlossenes Gesetz. Der Gesetzentwurf sei durch die Genehmigung der Nationalversammlung zum Gesetze geworden, daher könne man nicht sagen, wir heben einen Beschluß auf. In merito stehe Redner auf dem Standpunkte Dr. Ofners, es müsse aber ein Weg gefunden werden, der vollständig einwandfrei sei und für immer gelte, sonst sei der Möglichkeit von Überrumpelungen Tür und Tor geöffnet. Dr. R e n n e r: Wenn die Nationalversammlung die Gesetzgebung souverän ausübe, dann könne sie jeden Tag sagen: ich habe gestern geirrt und mache den Irrtum heute gut. Gewisse Gesetze könne man ja an stärkere Mehrheiten binden, jetzt sei aber noch eine entsprechende Beweglichkeit in der Gesetzgebung erforderlich. Der Begriff der Sanktion, mit dem Abgeordneter Wolf operiere, setze 2 oder 3 gleichwertige Faktoren an der Gesetzgebung voraus, was hier nicht zutreffe, denn der Staatsrat oder der Vollzugsausschuß habe nicht zu genehmigen, er könne aber an die Nationalversammlung eine Vorstellung in Bezug auf die Änderung eines gefaßten Beschlusses richten, wenn der Staatsrat behauptet, den Beschluß nicht durchführen zu können. Zum Gesetze werde ein Gesetzentwurf erst im Augenblick der Kundmachung im Staatsgesetzblatte. Ein Termin für die Promulgierung von Gesetzen dem Staatsrate allgemein vorzuschreiben, wäre nicht klug und praktisch. Was die Sache selbst betrifft, so gebiete es unser nationales Interesse, hier nicht auf die Tschechen loszuschlagen, da sonst die Tschechen eben auf die Deutschen draußen, die viel zahlreicher sind, und an denen wir ein gewichtiges wirtschaftliches Interesse haben, losschlagen würden. Es handle sich also nicht bloß um eine Judenfrage. Der Weg, den Abgeordneter Kemetter vorgeschlagen habe sei ungangbar, da man vorher das Bekenntnis ablegen müsse, um in die Wählerliste aufgenommen zu werden. Beschließe die Nationalversammlung, das Gesetz zu ändern, so sei die Sache erledigt. Nur für den Fall, als in der Geschäftsordnung dagegen ein Hindernis obwalten würde, sei Redner dafür, die Geschäftsordnung in diesem Punkte zu ändern. Präs. D i n g h o f e r verliest nachstehenden Antrag Renners. „Der nächsten Nationalversammlung ist folgender Antrag des Staatsrates zu unterbreiten: „Die Nationalversammlung wolle beschließen: Der Beschluß vom 27. November 1918 über das Gesetz betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht wird aufgehoben und die Vorlage bezüglich des erwähnten Gesetzes abermals verhandelt. In formaler Beziehung wird beantragt, diesen Antrag dem Verfassungsausschusse zur Berichterstattung innerhalb 24 Stunden zuzuweisen.“ Präs. S e i t z beantragt folgende Änderung: „... wird aufgehoben und der Verfassungsausschuß wird beauftragt, innerhalb 24 Stunden über die Vorlage neuerlich zu berichten.“ 30
Nach der Regelung des legislativen Prozesses in der Monarchie bedurfte ein Gesetzesentwurf, um nach der Annahme durch das Abgeordnetenhaus des Reichsrates in Kraft treten zu können, noch sowohl der Zustimmung des Kaisers, der sogenannten Sanktion, wie auch der des Herrenhauses. Vgl. Stefan Malfér, Der Konstitutionalismus in der Habsburgermonarchie – siebzig Jahre Verfassungsdiskussion in „Cisleithanien“, in: Helmut Rumpler/Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Band VII. Verfassung und Parlamentarismus. 1. Teilband. Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Repräsentativkörperschaften, Wien 2000, S. 11–67, hier S. 17–27. 30 Die Beilage 52/IV enthält die handschriftliche Ergänzung der Verfassungsausschuß wird beauftragt, innerhalb 24 Stunden über diese Vorlage neuerlich dem Hause zu berichten. 29
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Präs. D i n g h o f e r: Ferner liegt ein Antrag31 Sylvester vor, welcher lautet: „Der Staatsrat wolle beschließen: Zur Abänderung des bestehenden Grundgesetzes, um einen Ersatz für den Beitritt des Herrenhauses und die sogenannte Sanktion zum Behufe der Korrigierung eines Gesetzentwurfes herbeizuführen, ist der Kanzler zu beauftragen, ehestens Vorschläge zu erstatten.“ W o l f verlangt, daß in das Protokoll aufgenommen werde, daß er dagegen gestimmt und entschiedenst gegen diesen Versuch protestiert habe, sich auf Schleichwegen das Recht der Sanktion anzumaßen und dadurch die Volkssouveränität in den Beschlüssen des Volkshauses herabzusetzen. T e u f e l protestiert im Namen seiner Partei, daß ein derartiger Antrag, der die Rechte der Nationalversammlung auf das tiefste verletze, vom Staatsrate der Nationalversammlung vorgelegt werde. Nachdem in dem Antrag nicht angegeben ist, daß die Nationalversammlung für einen solchen Beschluß mehr Stimmen aufbringen müsse als die letzte Nationalversammlung, gehe es nicht an, daß ein solcher Beschluß gefaßt werde. Bei der Abstimmung wird der Antrag Renner mit der von Seitz beantragten Modifikation mit allen, gegen die Stimmen der Staatsräte Teufel und Wolf a n g e n o m m e n.32 Der Antrag Sylvester wird gleichfalls a n g e n o m m e n.33 R e n n e r teilt mit, daß die Wahlreformvorlage verteilt worden sei, daß jedoch die in dem Anhange enthaltenen Ziffern noch nicht richtig gestellt seien. Präs. D i n g h o f e r: Dient zur K e n n t n i s. [5 und 6] Punkt 6 der Tagesordnung: V o r b e r e i t u n g d e r R e g i e r u n g s e r k l ä r u n g in der Nationalversammlung über die innere und äußere L a g e. R e n n e r weist darauf hin, daß beschlossen worden sei, einen solchen Bericht zu erstatten34 und teilt mit, daß Dr. Loewenfeld bei dieser Gelegenheit eine Interpellation35 mündlich beantworten wolle, jedoch nicht wünsche, daß die ziffermäßigen Details in der Presse veröffentlicht werden. Der Staatsrat müsse beschließen, wie viele und welche Redner zu diesem Punkte bestellt werden. Auch wäre die Frage zu erwägen, ob Dr. Loewenfeld seine Ausführungen im Rahmen einer Interpellationsbeantwortung zu halten hätte oder zu beauftragen wäre, separat über die Ernährungslage zu berichten.
Beilage 52/V: Antrag Sylvester (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. Das Original enthält eine gestrichene Textstelle, in der die Bestellung eines Ausschusses, der innerhalb von 48 Stunden an den Staatsrat zu berichten habe, gefordert wurde. 32 Auf die Einbringung dieses Antrages in die Nationalversammlung folgte dort ein Gegenantrag des Abgeordneten Teufel und Genossen, mit dem eine erste Lesung ebendieses Antrages gefordert wurde, da dem Staatsrat nicht zustehe, ein Gesetz eigenmächtig, d. h. ohne Absprache mit der Nationalversammlung zu reassumieren. Die darauf folgende detaillierte Debatte endete schließlich mit der neuerlichen Zuweisung des Gesetzes an den Verfassungsausschuß. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 191–199; 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, Bericht des Verfassungsausschusses sowie zweite und dritte Lesung, S. 281 f. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 928/1918, Gesetz über das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht. Vgl. weiter SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 33 Zur entsprechenden Ergänzung des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt (StGBl. Nr. 1/1918) vgl. SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918 und Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 34 Vgl. SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 35 Interpellation: Einspruch, Mahnung. 31
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S e i t z meint, es komme darauf an, was Dr. Loewenfeld sagen wolle. Es wäre gut, ein allgemeines Bild über die Ernährungslage zu geben. Wenn aber Dr. Loewenfeld auch etwas vorbringen wolle, was nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei, müßte dieser Teil seiner Ausführungen in eine geheime Sitzung verlegt werden. Redner stellt in Ergänzung des gefaßten Beschlusses den Antrag, daß der Staatssekretär für Ernährung ersucht werde, eine Darstellung über die Maßnahmen bezüglich seines Ressorts, über den Stand der Ernährung und über die weiteren Absichten des Ernährungsamtes im Anschlusse an die Berichte der Staatssekretäre des Äußern und des Innern zu erstatten.36 Redner verweist auf den jüngst gefaßten Entschluß, die Obmännerkonferenz zur Besprechung der technischen Fragen einzuberufen. T e u f e l schließt sich diesem Antrage an und glaubt, daß es nicht angehe, in öffentlicher Sitzung Ziffern zu nennen, die dann nicht verbreitet werden sollen. Z e r d i k ersucht um die Ermächtigung in derselben Sitzung auch eine eingehende Darstellung über die Kohlenfrage zu geben. Diese Ermächtigung w i r d e r t e i l t.37 D i n g h o f e r: Über das Äußere wird Herr Dr. Bauer sprechen. Dr. B a u e r glaubt, daß es nicht zweckmäßig wäre, im gegenwärtigen Augenblicke über unsere Beziehungen zur Entente zu sprechen. Was zu besprechen wäre, lasse sich im gegenwärtigen Moment nicht öffentlich besprechen.38 Man könnte nur unser Verhältnis zu den Czechen und den Jugoslaven besprechen und man könnte die verschiedenen Proteste, die erhoben wurden noch einmal wiederholen. Dann könnte man einen Vorschlag erörtern, den Redner den Czechen und Jugoslaven machen wolle, alle diese strittigen Fragen einem Schiedsgerichte vorzulegen, das nach den Bestimmungen der Haager Konferenz zusammengesetzt ist. Er könnte auch über die Kriegsgefangenen etwas sagen, weil in der Öffentlichkeit danach sehr viel gefragt werde, auch über die Art der Verhandlungsführung in der Kohlenfrage und einmal die Geschichte eines Kohlenzuges der Öffentlichkeit mitteilen. Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 208–220. Vgl. dazu Zerdiks Bericht in der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung, Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, Tagesordnung Punkt 1, Allgemeiner Regierungsbericht, S. 220–225. 38 Im Auftrag Staatssekretär Bauers informierten von Anfang Dezember 1918 bis Jahresbeginn 1919 zwei nach Bern entsandte Emissäre, Berta Zuckerkandl und Rudolf Carl Freiherr von Slatin, französische, britische und US-amerikanische Diplomaten über die Grundsätze der deutschösterreichischen Außenpolitik sowie über die Not an Lebensmitteln und Kohle in der Großstadt Wien. Die französische Seite brach die Gespräche ab, nachdem Bauer ein widersprüchliches Konzept vorgelegt hatte, das den politischen Anschluß an Deutschland mit einem Wirtschaftsbündnis der Donaustaaten kombinieren wollte. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Präsidium, Nachlaß Bauer, IId, General Slatin; weiters Gesandter De Vaux an Staatsamt für Äußeres. Telegramm Nr. 1002 (Chiffre), in: Außenpolitische Dokumente der Republik Österreich 1918–1938 (ADÖ). Band 1: Selbstbestimmung der Republik. 21. Oktober 1918 bis 14. März 1919. Herausgegeben von Klaus Koch, Walter Rauscher und Arnold Suppan, Wien 1993, S. 315 f; Documents diplomatiques Français. Armistice et paix 1918–1920. Vol. 1 (27 septembre 1918–17. janvier 1919). Dirigée par Robert Frank/Gerd Krumeich. Préparé par Jean-Michel Guieu/Vincent Laniol/Alexandre Sumpf, Bruxelles/Bern/Berlin 2014, S. 424 und S. 469 f. Rudolf Carl Freiherr von Slatin, 1900 bis 1914 britischer Generalinspektor im Sudan, während des Ersten Weltkriegs Leiter der Kriegsgefangenenhilfe des österreichischen Roten Kreuzes, nach dem Weltkrieg engagierte er sich besonders für die Kriegsgefangenen und Zivilinternierten. Berta Zuckerkandl-Szeps, Journalistin und Salonière, 1917 in geheimer politischer Mission als Vermittlerin für einen Separatfrieden mit Frankreich tätig, nach Kriegsende Weiterführung der Vermittlertätigkeit v. a. im Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung Wiens. Vgl. dazu Gertrude Enderle-Burcel (Hg.), Berta Zuckerkandl – Gottfried Kunwald. Briefwechsel 1928–1938, Wien/Köln/ Weimar 2018, S. 22 f. 36 37
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Dr. S c h o e p f e r tritt dafür ein, daß bei Besprechungen der äußeren Angelegenheiten auch die Frage Deutsch-Südtirols besprochen werde. Wenn man glaubt, daß man diese Frage nicht behandeln dürfe, dann dürfe man überhaupt die äußere Politik nicht zum Gegenstande der Verhandlungen machen. Es müsse deutlich gesagt werden, daß Deutsch-Südtirol nicht nach den Bestimmungen des Waffenstillstandes ein Bestandteil des italienischen Reiches werden dürfe und daß aus der Tatsache der Besetzung nicht abgeleitet werden dürfe, daß es etwa schon jetzt ein Bestandteil Italiens sei. Dr. B a u e r entgegnet, es sei selbstverständlich, daß man in das Programmatische unserer äußeren Politik auch einige Worte über das Selbstbestimmungsrecht Deutschböhmens, Südmährens und Deutsch-Südtirols einschieben werde. Redner habe heute einen ausführlichen Bericht über die Verhältnisse und insbesondere über die Verpflegslage in den besetzten Gebieten Südtirols erhalten. Es sei kein Zweifel, daß man über einige Sachen Beschwerde führen könnte, es wäre aber zweckmäßig, das sehr zurückhaltend zu tun. Es wäre naheliegend, auch über die Beamtenfrage und über die Gefangennahme nach Abschluß des Waffenstillstandes zu sprechen. Redner müsse aber erklären, daß er nach Einsichtnahme in das Material das nicht mit gutem Gewissen tun könnte, denn das Armeeoberkommando habe den Auftrag gegeben, sofort die Waffen zu strecken, während in dem Vertrage stand, daß die Feindseligkeiten erst 24 Stunden nach Unterzeichnung des Vertrages aufhören. Das A.O.K. habe also etwas gemacht, wovon es wissen mußte, daß es die Gefangennahme von einigen hunderttausend Menschen zur Folge haben werde.39 Dr. R e n n e r: Das gehört vor ein Kriegsgericht! Dr. B a u e r fährt fort, es spreche vieles dafür, das öffentlich mitzuteilen. Andererseits wäre es aber vielleicht politisch nicht nützlich, weil wir bei den Italienern protestiert und verlangt haben, daß sie die Leute freilassen.40 Dr. J e r z a b e k möchte der Erörterung über Deutschböhmen einen breiteren Raum geben, damit die Nationalversammlung Gelegenheit habe, gegen die Übergriffe der Czechen zu protestieren. Die Deutschböhmen würden sonst annehmen, daß sie von Wien ganz verlassen seien. Dr. R e n n e r hält es für eine Pflicht der Nationalversammlung gegenüber den Eltern dieser vierhunderttausend neuen Kriegsgefangenen und gegenüber der Öffentlichkeit, nicht länger über das A.O.K. den Mantel der christlichen Nächstenliebe zu bereiten. Es sollte dann aus der Mitte der Versammlung der Antrag eingebracht werden, die Schuldigen vor ein Kriegsgericht zu ziehen. Eine solche Debatte, die mit einem bestimmten Beschlusse endet, müßte entsprechend vorbereitet sein, es müßten die Redner angewiesen werden, alles, was sie über die auswärtige Politik sprechen, vorher genau zu erwägen; da das österreichische Parlament niemals mit solchen Fragen befaßt worden sei, sei es kein Wunder, wenn die früheren Mitglieder desselben in diesen Fragen dilettieren. Redner gebe zur Erwägung anheim, ob der Bericht des Staatssekretärs des Äußern nicht in einem Antrag ausmünden sollte, daß ein Kriegsgericht eingesetzt und die Schuldigen festgestellt und zur Verantwortung gezogen werden. Auch bezüglich der anderen Punkte müßte ein Beschlußantrag eingebracht werden, Staatssekretär Bauer bezog in seinem Bericht dementsprechend kritisch Stellung und bemerkte bezüglich der Vorgehensweise des Armeeoberkommandos: „Man kann dazu nur sagen, daß das k.u.k. Armeeoberkommando seine Tätigkeit würdig beschlossen hat [...]. Wie der Anfang, so das Ende.“ Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 204. Eine Protestnote des Armee Oberkommandos an die italienische Heeresleitung wurde aufgrund eines Beschlusses vom 21. November 1918 von der Staatskanzlei nicht weitergeleitet, womit sich das Staatsamt für Äußeres am 6. Dezember 1918 einverstanden erklärte. Vgl. AdR, StK, GZl. 362/1918, Protest des bisherigen Armeeoberkommandos bei der italien. Heeresleitung gegen widerrechtliche Gefangennahme von österr.ungar. Truppen am 3. u. 4. November. 40 Vgl. dazu SRP Nr. 38 vom 19. November 1918 nachmittags. 39
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auf den sich die drei Gruppen vereinigen und der in ein Vertrauensvotum der Nationalversammlung für den Staatsrat ausmündet. Dieser Beschlußantrag müßte kurz und für alle Parteien unpräjudizierlich41 sein. Diejenigen, die dagegen stimmen, würden die Opposition bedeuten.42 Dr. U r b a n weist darauf hin, daß sich die Verhältnisse in Deutschböhmen in gefähr licher Weise zuspitzen. Aus einem aus Aussig eingelangten Berichte gehe hervor, daß Böhm. Leipa besetzt sei und daß infolge des eingeschobenen czechischen Keiles die ganze Verwaltung in Deutschböhmen nicht mehr funktionieren könne.43 Es wird angefragt, wie man sich verhalten solle. Dr. Z e r d i k: verliest einen vom Amtsvorstande der staatlichen Bergdirektion in Brüx, Hofrat Markus, eingelangten Bericht über die am 27. November erfolgte Besetzung der Stadt durch czechisches Militär und die Forderung der czechischen Regierung, daß die staatliche Bergdirektion die Geschäfte für die tschechische Republik fortführe.44 Hofrat Markus habe gegenüber dieser Forderung eine Erklärung abgegeben, in welcher er ausspricht, daß er gegen die Übernahme des Betriebes seitens der tschechoslovakischen Regierung protestiere, sich aber im Interesse des ungestörten Betriebes bereit erkläre, bis zur endgiltigen Entscheidung die Geschäfte mit einem tschechischen Vertrauensmann fortzuführen. Er ersucht zugleich um Entbindung des dem deutschösterreichischen Staate geleisteten Gelöbnisses. S e i t z gibt bekannt, daß nach den heute eingelangten Nachrichten Kramar nach Paris gehe45 und dort die endgiltige Proklamation über den tschechoslovakischen Staat verfaßt werde.46 Die deutschösterreichische Sozialdemokratie werde versuchen, im Wege der schwe Präjudiziell: bedeutsam für die Beurteilung künftiger Fälle, als Präjudiz (Entscheidung eines obersten Gerichts mit Leitbildfunktion) dienend. 42 Der Abgeordnete Schürff stellte in der 8. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 5. Dezember 1918 den folgenden Antrag: „Die provisorische Nationalversammlung beauftragt den Staatsrat, ohne Verzug alle Vorkehrungen zu treffen, daß die Vorkommnisse, die zum Zusammenbruch an der Südwestfront geführt haben, sowie die Vorfälle am Rückmarsch untersucht und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.“ Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, S. 248. 43 Zur Besetzung von Böhmisch Leipa vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918 vormittags. 44 August Markus, Hofrat der staatlichen Bergdirektion in Brüx, am 25. Oktober 1918 Einberufung in das Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien. Zu seinem Bericht über die am 27. November erfolgte Besetzung der Stadt Brüx durch tschechisches Militär konnte in den Beständen des AdR nichts eruiert werden. 45 Die von Seitz zitierte Nachricht beruhte auf einer Falschinformation, die offenbar davon ausging, daß Kramář Mitte Dezember in Paris Präsident Masaryk treffen wolle. Kramář hielt sich in diesem Zeitraum jedoch in Prag auf, nahm dort an allen Ministerratssitzungen teil und korrespondierte durchgehend mit Beneš in Paris. Erst als Leiter der tschechoslowakischen Friedensdelegation lebte er vom 18. Jänner bis Ende September 1919 in Paris. Vgl. Martin Nechvátal/Helena Nováčková/Ivan Št’ovíček (Hg.), Dokumenty československé zahraniční politiky. Československo na parížské mírové konferenci 1918–1919. Band 1 (listopad 1918–cerven 1919), Prag 2001, S. 24 f. Dr. Thomas Garrigue Masaryk, während des Ersten Weltkriegs führender tschechischer Politiker im Exil, 7. November 1918 bis 14. Dezember 1935 Staatspräsident der Tschechoslowakei. Dr. Karel Kramář, Fabrikant, 14. November 1918 bis 10. Juli 1919 erster Ministerpräsident der Tschechoslowakei, bis 1937 Mitglied der tschechischen Nationalversammlung. 46 Der tschechische bzw. tschechoslowakische Auslandswiderstand hatte am 29. Juni 1918 die französische, am 9. August 1918 die britische und am 2. September 1918 die Anerkennung des tschechoslowakischen Nationalrats als Vertretung der militärischen und politischen Angelegenheiten der tschechischen Nation erreicht. Sodann konstituierte sich am 14. Oktober 1918 der Tschechoslowakische Nationalrat in Paris formell als „provisorische tschechoslowakische Regierung“. Es folgte am 18. Oktober die von Thomas G. Masaryk in Washington entworfene, aber in Paris veröffentlichte „Proklamation der Unabhängigkeit des tschechoslowakischen Volkes“. Die provisorische Regierung wurde am 15. Oktober von Frankreich, am 23. Oktober von Großbritannien und am 12. November 41
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dischen Sozialdemokratie auf die Entwicklung der Dinge Einfluß zu nehmen unter Hinweis auf die schweren Schäden, welche eintreten könnten, wenn das deutschböhmische Volk in einen Verzweiflungskampf getrieben werde. Allerdings scheine Frankreich so abgesperrt zu sein, daß auch die Sozialisten keine Verbindung gewinnen können. Es sei nötig, die Wahlen in die Konstituante so rasch als möglich vorzunehmen, denn eine Konstituante, bei welcher die Deutschböhmen nicht mitwählen können, habe keinen Wert. Die Wahlen in Deutschböhmen hätten die Bedeutung eines Plebiszits. Was die vorzutragenden Berichte betrifft, so meint Redner, die Parteien müßten bezüglich des morgen im Anschlusse an diese Berichte zu fassenden Beschlusses eine Vereinbarung treffen. Er schlage vor, ein kleines Komitee einzusetzen, welches diesen Beschlußantrag berät. Der Beschlußantrag sollte dahin lauten, daß die Erklärungen der Regierung genehmigend zur Kenntnis genommen werden, er müßte eine Aufforderung an die Deutschböhmen enthalten, auszuharren, und müßte einen Satz wegen der Gefangennahme von hunderttausenden beim Abschluß des Waffenstillstandes enthalten und schließlich in die Forderung nach einer strengen Untersuchung eventuell kriegsgerichtlichen Behandlung ausklingen. Das Letztere könnte auch in einem separaten Beschlusse ausgesprochen werden. Präs. D i n g h o f e r: Als Redner über die äußere Lage ist Dr. Bauer bestimmt. Für das Innere wird Dr. Renner vorgeschlagen. Dr. R e n n e r: Wenn die innere Politik im Namen des Staatsrates dargestellt werden soll, hätte ein Präsident oder der Staatskanzler zu sprechen. Ich habe mir Ausführungen im Umfange von etwa 20 Minuten gedacht. Es wäre darzulegen, was wir übernommen haben, und was wir bisher ausrichten konnten. F i n k hat nichts dagegen, daß der Staatskanzler über die innere Lage spricht. Da über das Ganze gesprochen werden müsse, verlange seine Partei nicht, daß Dr. Mataja spricht. Der Staatsrat s t i m m t z u, daß über die innere Lage Staatskanzler Dr. Renner spricht, über die Ernährung Dr. Loewenfeld und über die Kohlenfrage Zerdik.47 S e i t z fragt, ob für morgen die Obmännerkonferenz einberufen werde und teilt mit, daß Baron d’Elvert48 und Nissner49 bei ihm waren und verlangt haben, daß ein kleineres von den USA anerkannt. Unabhängig von der Auslandsaktion proklamierte der „Sozialistische Rat“ im Rahmen einer breiten Volksbewegung in den böhmischen Ländern am 14. Oktober in Prag die staatliche Souveränität der freien Tschechoslowakischen Republik. Diese linke Initiative wurde „im Zusammenspiel“ tschechischer bürgerlicher Repräsentanten mit der habsburgischen Staatsmacht liquidiert. Den Weg zur tatsächlichen Machtübernahme ebnete erst der für Österreich-Ungarn ungünstige Kriegsausgang. Als bekannt wurde, daß Österreich-Ungarn die alliierten Mächte um einen Sonderwaffenstillstand ersuchte, übernahm der Prager Nationalausschuß am 28. Oktober 1918 in einem weitgehend gewaltfreien „revolutionären Umsturz“ die Macht von der habsburgischen Staatsgewalt. Der 28. Oktober gilt bis heute als tschechischer Nationalfeiertag. Am 14. November 1918 konstituierte sich die tschechoslowakische Nationalversammlung aus dem Nationalausschuß und bildete eine Regierung unter Ministerpräsident Karl Kramář. Vgl. Otto Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848 bis 1918. Band I, Wien/Köln/Weimar 1994, S. 918–924; Peter Burian, Der neue Staat und seine Verfassung, in: Hans Lemberg/Peter Heumos (Hg.): Das Jahr 1919 in der Tschechoslowakei und in Ostmitteleuropa. Vorträge der Tagung des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 24. bis 26. November 1989, München 1993, S. 203–215, hier S. 205–209. 47 Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, Tagesordnung Punkt 1, allgemeiner Regierungsbericht, S. 199–225. Zur ausführlichen Debatte des Regierungsberichtes in der Nationalversammlung vgl. ebd., 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, Tagesordnung Punkt 1, Debatte über den Allgemeinen Regierungsbericht, S. 239–281. 48 Heinrich d’Elvert, Hofrat, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der provisorischen Nationalversammlung, DnP. 49 Wilhelm Niessner, Schriftsetzer, 1913 bis 1918 Abgeordneter im mährischen Landtag, 1921 bis 1935 Chefredakteur des Sozialdemokrat (Prag), 1920 bis 1936 Mitglied des tschechoslowakischen Senats, DSAP.
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Komitee des Staatsrates mit Vertretern Mährens bezüglich der mährischen Fragen zusammen trete. Er beantragt: 1.) Gemeinsame Besprechung eines Komitees des Staatsrates mit deutschmährischen Vertretern. 2.) Wahl eines Komitees zu diesem Zwecke von etwa 10 Herren. 3.) Einberufung für Freitag, den 13. 10 Uhr v.m. Dr. L i c h t wünscht, daß gesagt werde: Vertreter von Mittelmähren oder der Einschlußgebiete50 von Mähren und des internationalen Gebietes von Mährisch-Ostrau. Bei der Abstimmung wird der Antrag a n g e n o m m e n51 und dieses Komitee entsendet die Herren: Teufel, Licht, Renner, Seitz, von Langenhan, Luksch, Dr. Bodirsky, Jerzabek und Miklas. [3] Der nächste Punkt der Tagesordnung ist der B e r i c h t ü b e r d e n S t r e i k d e r P o s t - u n d E i s e n b a h n b e d i e n s t e t e n u n d A r b e i t e r i n M a r b u r g. Dr. R e n n e r erstattet hierüber den Bericht und weist darauf hin, daß der Staatsrat sich darüber zu entscheiden habe, ob er die Streikenden in ihrem Kampfe ermutigen solle. Wären die Slovenen imstande, die deutschen Eisenbahner und Postler zu ersetzen, dann wäre es besser, die Leute zurückzuhalten. Im anderen Falle wäre ihnen zu empfehlen, den Streik fortzuführen. Diese Vorfrage könnten nur Personen entscheiden, welche die konkreten Verhältnisse zuverlässig beurteilen können. Dr. B a u e r: Marburg befindet sich in den Händen der Slovenen und eine Hoffnung, es gewaltsam zurückzuerobern, besteht nicht. Es sei ungewiß, wie weit die Frage lösbar sei, die Südslaven an einer weiteren Überschreitung unserer Gebiete zu hindern, insbesondere da die slavischen Truppen dort die Rolle von Ententetruppen spielen. Der Streik der Eisenbahner, in welchen die Postler auf Grund einer Vereinbarung eingetreten seien, sei aus rein lokalen Gründen entstanden.52 Die Frage sei die, ob wir durch diesen Streik die Slovenen zwingen können, uns Zugeständnisse zu machen, oder ob der Streik uns treffe. Unsere Interessen seien allerdings dadurch schwer getroffen, daß der Transport unterbunden ist. Aus Graz haben wir erfahren, daß die Slovenen bisher nicht imstande waren, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Sie können täglich nur einige Züge expedieren. Nun sind in Laibach einige tausend slavischer, hauptsächlich czechischer Truppen, die vom Süden kommen. Würden sich diese in Marburg Im Original ursprünglich Anschlußgebiete. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 915/1918, Nationalrat Freiherr d’Elvert, Deutsche Interessen im tschechischen Einschlußgebiete Mährens. Der Akt enthält neben einem Auszug aus dem Beschlußprotokoll der vorliegenden Sitzung ein Schreiben d’Elverts vom 7. Dezember 1918, in welchem er um die Einladung von weiteren vier Personen, darunter Präsident Dinghofer, bat. 52 Am 29. November 1918 trat die Eisenbahn- und Postbedienstetenschaft Marburgs, die überwiegend aus deutschsprachigen Beamten bestand, in den Streik. Die Gründe lagen darin, daß deutschsprachige Beamte willkürlich von ihren Dienstposten entfernt und durch slowenischsprachige Beamte ersetzt worden waren. Vgl. Sonja Schneller, Die Auswirkungen des Zerfalls der Habsburgermonarchie auf die Eisenbahnen der Nachfolgestaaten (1918–1923) mit besonderer Berücksichtigung Österreichs, phil. Diss., Wien 1986, S. 81–91; weiters Grazer Tagblatt, 1. Dezember 1918, S. 10 „Die Vorgeschichte des Marburger Ausstandes“; Neue Freie Presse. Morgenblatt, 30. November 1918, S. 5 „Eisenbahner- und Postbedienstetenstreik in Marburg“. Laut Darstellung des Sachverhaltes von Seiten der Staatskanzlei hätten die Postbediensteten vom Staatskanzler per Telegramm die Weisung erhalten, „im Streike auszuharren“, während die Eisenbahner sich nach Weisung des Staatsamtes für Verkehr am Vorgehen der Postbediensteten orientieren sollten. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.135/1918, Eisenbahner-Streikkomitee in Marburg, Südbahnerstreik in Marburg. 50 51
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ansammeln, so würde die Gefahr bestehen, daß durch die Fortführung des Streiks unsere Interessen mehr geschädigt würden als die der Slovenen. Es ist unmöglich, die Verantwortung für die Fortführung des Streiks von hier aus zu übernehmen. Wenn die deutschen Eisenbahner, die Postbeamten u.s.w. aus den untersteirischen Städten entfernt werden, dann ist die Bevölkerung dieser Städte ihrer natürlichen Führer beraubt und wehrlos. Ich glaube daß wir es nicht hindern können, daß diese Städte in der Machtsphäre der Slovenen bis zur Entscheidung durch die Friedenskonferenz bleiben, ich meine aber auch, daß wir ein Interesse daran haben, daß das Deutschtum in diesen Städten bis zur Friedenskonferenz nicht geschwächt werde. Wir müssen den Leuten es dort überlassen, die es beurteilen können, ob der Streik weitergeführt werden kann, und müssen eine Form suchen, wie er in einer für die Beamten und Bediensteten möglichst ehrenvollen Weise abgeschlossen werden kann. H e i n e glaubt, daß der Streik nicht den gewünschten Effekt haben werde. Eine bei ihm erschienene Deputation von Postlern habe sich dahin ausgesprochen, daß sie in der Lage seien, den Streik durchzuführen, weil die Slovenen kein Personal haben. Es komme hiebei aber auch die Verpflegung des benachbarten deutschen Gebietes in Frage. Vielleicht wäre es den Südslaven sogar möglich, technische Truppen der Italiener hinzustellen und einen etwas reduzierten Betrieb einzuführen. Alle Umstände sprechen eigentlich gegen die Fortführung des Streiks. Man müßte daher raten, den Streik in ehrenvoller Weise zum Abschluß zu bringen. Die deutschen Beamten, welche in Wien waren, seien an den Staatsrat um Schutz für ihre Person herangetreten. Man dürfe nicht vergessen, daß die Südbahn ein Privatunternehmen sei.53 Es müßten also entsprechende Vorkehrungen hinsichtlich der Südbahnbeamten getroffen werden. Es müßte auf die Südbahndirektion in der Richtung eingewirkt werden, daß sie die Zusage gebe, daß deutsche Beamte, die gemaßregelt werden, im deutschen Hinterlande verwendet werden. Redner beantragt,54 daß von Seite des Staatsamtes für Verkehrswesen mit der Südbahndirektion in dieser Hinsicht Verhandlungen gepflogen werden. M a r c k h l verweist darauf, daß die Wiederherstellung des Verkehrs auch aus dem Grunde wünschenswert wäre, weil eine große Anzahl von Flüchtlingen aus dem Süden jetzt repatriiert werden sollen. Es wäre zu erwägen, ob nicht ein Bevollmächtigter des Staatsrates hingeschickt werden solle, welcher in die Verhandlungen eingreift. In Grazer Blättern und auch seitens der Streikenden seien Angriffe gegen den Staatsrat erfolgt.55 Wenn sich der Staatsrat gegen die Fortführung des Streiks aussprechen würde, würde dies eine nachteilige Wirkung haben und die Leute würden sich nochmehr verlassen fühlen. T e u f e l hält es für unrichtig, von hieraus Weisungen zu geben, ob der Streik einzustellen sei oder nicht. Das Urteil hierüber müsse den Eisenbahnern selbst überlassen bleiben, der Staatsrat möge den Streikenden nur materielle Sicherstellungen zusichern. Redner tritt der Anschauung Heines entgegen, daß die Slovenen in italienischen Truppen Ersatz für die deutschen Eisenbahner finden werden, da das Verhältnis zwischen Italienern und Jugoslaven nicht das beste sei. T o m s c h i k will erst genaue Informationen abwarten, bevor Erklärungen des Staatsrates abgegangen werden und hält es für angezeigt, ein bis zwei Leute hinunterzuschicken, um die Verhältnisse kennen zu lernen und dann Bericht zu erstatten. Zur Südbahn vgl. SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Beilage 52/VIII: Antrag Heine (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt entspricht weitgehend dem Protokolltext, enthält aber darüber hinaus eine gestrichene Textstelle, in welcher die eheste Erlassung einer diesbezüglichen offiziellen Verlautbarung gefordert wurde. 55 In einem Bericht des „Grazer Tagblattes“ heißt es etwa, die deutschen Eisenbahner und Postbeamten in Marburg „bedauern nur, daß es den Anschein hat, die deutschösterreichische Regierung überlasse den Kampf für die Allgemeinheit den Eisenbahnern und Postlern allein, während die südslavischen Berufsgenossen jede Unterstützung ihrer Regierung finden“. Vgl. Grazer Tagblatt, 30. November 1918, S. 2 „Der Eisenbahnerausstand in Marburg“. 53 54
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Präs. D i n g h o f e r schlägt vor, sich auf den Antrag Tomschik zu einigen. v. L i c h t weist auf die schwierige Situation und rechtliche Stellung der Südbahn als Privatunternehmen hin. Die eventuelle Aufnahme der streikenden Eisenbahner bezeichnet er als eine zu schwere Belastung des Staates. Er hält es nicht für zweckmäßig, Mitglieder des Staatsrates zu entsenden, sondern beantragt die Entsendung von zwei Vertrauensmännern der Organisationen der Eisenbahner, um die Verhältnisse zu erheben und dem Staatsrat zu berichten. T o m s c h i k beantragt die Auswahl zweier Vertrauensmänner durch den Beirat der Eisenbahner. Es wird folgender B e s c h l u ß gefaßt. „Der Staatsrat beschließt, zwei Herren und zwar Vertrauensmänner der Fachorganisationen sofort nach Marburg zu entsenden, damit dieselben mit den Eisenbahn- und Postangestellten die entsprechende Verbindung herstellen und die notwendige Aufklärung über die Lage erhalten. Staatsrat T o m s c h i k wird bei der morgigen Eisenbahner-Beiratssitzung die Feststellung der Vertrauensmänner veranlassen.“56 [9] v. L i c h t legt ein G e s e t z 57 ü b e r d i e V e r w e n d u n g v o n T e i l e n d e r G e b a r u n g s ü b e r s c h ü s s e d e r g e m e i n s c h a f t l i c h e n Wa i s e n k a s s e n vor, das eine Ausdehnung der geltenden Bestimmungen bis 31. Dezember 1918 beinhaltet. A n g e n o m m e n.58 Redner ersucht, es möge bei der morgigen Sitzung der Staatssekretär für Heerwesen bestimmt erscheinen, um Auskunft zu geben über die außerordentlich wichtige Frage der Liquidierung der Zahlungen der Kriegskasse. D i n g h o f e r: Der Staatssekretär für Heereswesen wird für morgen 7 Uhr abends eingeladen werden. F i n k beantragt, daß das Wahlgesetz als erster Gegenstand in der morgigen Sitzung verhandelt werde. A n g e n o m m e n.59 (Schluß der Sitzung 8 Uhr abends.) Zur Einsetzung der beiden Vertrauensmänner vgl. die Verhandlungsschrift über die am 3. Dezember 1918 im Reichsratsgebäude abgehaltene fünfte Sitzung des Eisenbahnbeirates in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.092/1918. Vgl. weiters auch SRP Nr. 59/VI vom 16. Dezember 1918, wo der Staatsrat den Beschluß faßte, die Streikenden finanziell zu unterstützen. 57 Beilage 52/IX: Gesetzesentwurf (1 Seite, gedruckt); Erläuternde Bemerkungen (½ Seite, gedruckt). Damit sollte die durch das RGBl. Nr. 62/1901 getroffene Regelung, die den Ländern einen Teil der Überschüsse der gemeinsamen Waisenkasse für die Waisenfürsorge zur Verfügung gestellt hatte, bis zum 31. Dezember 1918 verlängert werden, um die Finanzierung für die Zeit bis zur Beschlußfassung des endgültigen Gesetzes, betreffend die Fürsorgeerziehung, zu sichern. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 136, Gesetz vom 19. Dezember 1918 über die Verwendung von Teilen der Gebarungsüberschüsse der gemeinschaftlichen Waisenkassen, ausgegeben am 24. Dezember 1918, überein. 58 Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, Zuweisung an den Justizausschuß, S. 191; 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, Bericht, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 400 und S. 413. 59 Vgl. SRP Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. 56
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52 – 1918-12-02 52. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 2. Dezember 1918. Vorsitzender: Präsident Dr. D i n g h o f e r. B e s c h l ü s s e:
I. Bericht des Staatsnotars Dr. S y l v e s t e r über Maßnahmen zur Sicherung der Erfüllung der Testamentsbestimmung des Johann Grafen P á l f f y, wonach die von ihm in seinem Palais, Wien I., Wallnerstraße Nr. 6, gesammelten Kunstschätze bei Belassung in der von ihm besorgten Aufstellung als Museum dem Publikum bleibend zur Besichtigung zugänglich erhalten werden sollen, gegenüber den Absichten seiner Erben, die Sammlung zwecks Durchführung der Erbteilung aufzulösen und stückweise zu verkaufen. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, den Direktor des österreichischen Museums für Kunst und Industrie, Dr. Eduard Leisching, damit zu betrauen, unter Zuziehung des Testamentsvollstreckers Emil K o d e r l e in Pressburg und je eines Vertreters der Staatsämter für Unterricht und öffentliche Arbeiten Sorge für die Erhaltung der Sammlung zu tragen und sie sofort in Verwahrung und weitere Aufsicht zu nehmen. An den Herrn Staatsnotar und die Herren Staatssekretäre für Unterricht und für öffentliche Arbeiten. II. Bericht des Staatsnotars Dr. S y l v e s t e r namens der Justizkommission über Gnadenanträge des Staatsamtes für Justiz. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, nach den Vorschlägen der Justizkommission nachstehende Begnadigungen zu gewähren: […]60 An den Herrn Staatssekretär für Justiz. III. Bericht des Präsidenten Dr. D i n g h o f e r über die Mitteilung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften von ihren Beschlüssen, betreffend Abänderung ihrer Statuten im Gefolge des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform Deutschösterreichs. Beschluß: Der Antrag auf Kenntnisnahme der in der außerordentlichen Gesamtsitzung der Akademie der Wissenschaften in Wien vom 25. November 1918 gefaßten Beschlüsse wird dem Staatsamte für Unterricht zur Berichterstattung zugewiesen. An den Herrn Staatssekretär für Unterricht.
Hier folgt im Original eine Liste von 46 Gnadengesuchen. Die Verurteilten sind unter Angabe des Namens und Deliktes aufgelistet. Die mit Abstand am häufigsten genannten Vergehen sind Preistreiberei und Diebstahl. In den meisten Fällen wurden Strafmilderungen, etwa durch die Umwandlung von Kerkerstrafen in Geldstrafen, in vereinzelten Fällen auch Strafnachsicht gewährt. Nur in einem Fall wurde das Gnadengesuch abgewiesen.
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IV. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r, betreffend die Reassumierung des Beschlusses der Nationalversammlung vom 27. November 1918 über das Gesetz, betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht. Antrag: Der nächsten Sitzung der Nationalversammlung ist folgender Antrag des Staatsrates zu unterbreiten: „Die Nationalversammlung wolle beschließen, der Beschluß vom 27. November 1918 über das Gesetz, betreffend das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht wird aufgehoben und der Verfassungsausschuß beauftragt, innerhalb 24 Stunden über diese Vorlage neuerlich dem Hause zu berichten.“ Beschluß: Der Antrag wird angenommen. Dagegen stimmen die Staatsräte T e u f e l und W o l f mit der ausdrücklichen Erklärung, den vorgeschlagenen Vorgang auf das Entschiedenste ablehnen zu müssen, da er ein gefährliches Präjudiz enthalte, Gesetzesbeschlüsse der Nationalversammlung willkürlich umzustoßen, bzw. einer Art Sanktion durch den Staatsrat zu unterwerfen. An den Herrn Staatskanzler. V. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r. Der Staatsrat wolle beschließen: Zur Abänderung des bestehenden Grundgesetzes, um einen Ersatz für den Beitritt des Herrenhauses und die sogenannte Sanktion zum Behufe der Korrigierung eines Gesetzentwurfes herbeizuführen, hat der Staatskanzler ehestens Vorschläge zu erstatten. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler. VI. Bericht des Präsidenten S e i t z über das Ersuchen der mährischen Landtagsabgeordneten Freiherrn d’E l v e r t und N i e s s n e r um Ermöglichung einer Aussprache mit Vertretern des Staatsrates über die die Verhältnisse der Deutschen im czechischen Teile von Mähren berührenden Angelegenheiten. Beschluß: Der Staatsrat setzt ein Komité, bestehend aus den Staatsräten B o d i r s k y, J e r z a b e k, L a n g e n h a n, L i c h t, L u k s c h, M i k l a s, R e n n e r, S e i t z und T e u f e l und eventuell noch einem Staatsratsmitgliede aus den Alpenländern ein, welches mit den mährischen Landtagsabgeordneten Freiherrn d’E l v e r t und N i e s s n e r am Freitag den 13. Dezember l. J. um 10 Uhr vormittags im Staatsratssitzungssaale zu einer Besprechung über die Wahrung der Interessen der Deutschen im czechischen Einschlußgebiete von Mähren und im internationalen Wirtschaftsgebiete von Mährisch-Ostrau zusammenzutreten hat. An den Herrn Präsidenten S e i t z, den Herrn Staatskanzler und die Herren Staatsräte Dr. B o d i r s k y, Dr. J e r z a b e k, Dr. von L a n g e n h a n, Dr. von L i c h t, L u k s c h, M i k l a s und T e u f e l. VII. Bericht des Staatskanzlers über die Vorbereitung der Regierungserklärung für die Sitzung der Nationalversammlung am 4. Dezember 1918.
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Beschluß:
Die Regierung hat in der Sitzung der Nationalversammlung vom 4. Dezember l. J. Erklärungen abzugeben über a) die äußere Lage, b) die innere Lage, c) den Stand der Ernährungslage, d) die Kohlenversorgung. Als Referenten werden bestimmt ad 1) Staatssekretär für Äußeres, ad 2) Staatskanzler, ad 3) Staatssekretär für Volksernährung, ad 4) Staatssekretär für öffentliche Arbeiten. An den Herrn Staatskanzler, die Herren Staatssekretäre für Äußeres, für Volksernährung und für öffentliche Arbeiten. VIII. Bericht des Staatskanzlers über den Streik der Eisenbahn- und Postbediensteten in Marburg und die dortige Lage. Beschluß: Der Staatsrat beschließt, sofort zwei Vertrauensmänner der Fachorganisationen nach Marburg zu entsenden, um durch sie mit den Eisenbahn- und Postangestellten die entsprechende Verbindung herzustellen und die notwendige Aufklärung über die Lage zu erhalten. Staatsrat T o m s c h i k wird in der morgigen Sitzung des Eisenbahner-Beirates die Auswahl der Vertrauens männer veranlassen. An die Herren Staatssekretäre für Verkehrswesen und für Gewerbe, Handel und Industrie und den Herrn Staatsrat T o m s c h i k. IX. Bericht des Staatsrates Dr. von L i c h t über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Verwendung von Teilen der Gebahrungsüberschüsse der gemeinschaftlichen Waisenkassen. Beschluß: Der vorliegende Entwurf wird als Regierungsvorlage der Nationalversammlung unterbreitet.
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53. [Dienstag] 1918-12-03 Vorsitz: Anwesend:1
Schriftführer: Dauer:
Hauser Abram, Dinghofer, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Grim, Gruber, Heine, Jerzabek, Keschmann, Kroy, Langenhan, Licht, Luksch, Miklas, Neunteufel, Ofner, Prisching, Seitz, Schoepfer, Schürff, Sylvester, Teufel, Tomschik, Waldner, Wolf unbekannt 16.30–23.15 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g2: 1. Einlauf: Vortragender 2. Wahlreformvorlage. 3. Anweisungen für den Dienst bei den obersten Behörden des Staates.3 4. Antrag des Staatsrates T e u f e l: Alle Orden und Titel sind abzuschaffen, die Ordensvermögen gehören dem österreichischen Staate.4 5. Antrag des Staatsrates T e u f e l: Die Postbehörden an der schweizerischen Grenze sind vom Staatsamte für Handel unverzüglich anzuweisen, die dortselbst beschlagnahmten Postsäcke auf zur Ausfuhr verbotene Gegenstände zu unter suchen.5 6 6.–8. [kein Inhalt] 9. Allfälliges. Initiativanträge, etc.
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurde Dr. Karl Renner, dessen Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Die Tagesordnung liegt dem Protokoll in zweifacher Ausfertigung bei, wobei die Punkte 3, 4 und 5 in einem der beiden Dokumente handschriftlich gestrichen wurden. 3 Der Punkt wurde in der vorliegenden Sitzung nicht besprochen, es liegen auch keine Anträge dazu bei. Vgl. dazu weiters SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 4 Der Punkt wurde in der vorliegenden Sitzung nicht besprochen, es liegen auch keine Anträge dazu bei. Vgl. dazu weiters SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. 5 Der Punkt wurde in der vorliegenden Sitzung nicht besprochen, dem Protokoll liegen auch keine entsprechenden Anträge bei. Die Frage der Kontrolle des Brief- und Postverkehrs in die Schweiz und der Briefzensur im Allgemeinen war bereits in früheren Sitzungen behandelt worden. Vgl. dazu SRP Nr. 39 vom 20. November 1918 und Nr. 41 vom 21. November 1918. Der hier vorliegende Antrag des Staatsrates Teufel könnte möglicherweise auch mit der Anfrage des Zollamtes Feldkirch an das Staatsamt für Finanzen vom 30. November 1918 in Verbindung stehen, in welcher das Zollamt den Erhalt einer größeren Menge rekommandierter Briefe für die Schweiz meldete und das Staatsamt um Weisung ersuchte. Das Staatsamt für Finanzen wies daraufhin das Zollamt Feldkirch an, in diese Briefe Einsicht zu nehmen. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.559/1918, Telegr. aus Feldkirch um Weisung wg. Anhaltung rekommandierter Briefsendungen in Schweiz. Behandelt wurde Teufels Antrag erst in SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. Zur gesetzlichen Regelung der Brief- und Postzensur kam es erst im Januar 1919 durch das Gesetz vom 6. Februar 1919 über die Zensur des Post- und Telegrammverkehrs mit dem Ausland (StGBl. Nr. 89/1919). Vgl. weiters SRP Nr. 60 vom 20. Dezember 1918 und Nr. 68 vom 20. Jänner 1919. 6 Die Punkte 6–8 wurden in der Tagesordnung ohne Betreffe verzeichnet. 1
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53/III 53/IV 53/VIII
53 – 1918-12-03 Antrag Teufel, betreffend Motivenbericht und Abänderung der Staatsratsvor lagen in den Ausschüssen der Nationalversammlung (1 Seite, handschriftlich). Vertrauliche Vorlage der Staatskanzlei an den Staatsrat, Entwurf einer Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, Vorbemerkungen (17½ Seiten, gedruckt); Entwurf, Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung (18 Seiten, gedruckt); Antrag Teufel, betreffend Änderung der Wahlreformvorlage (1 Seite, handschriftlich); Zusatz zu § 12 der Wahlreformvorlage (½ Seite, handschriftlich); Antrag betreffend Änderung des § 14 der Wahlreformvorlage (1½ Seiten, handschriftlich); Antrag Miklas, Zusatz betreffend § 22 der Wahlreformvorlage (½ Seite, handschriftlich). Langenhan, Bevollmächtigung Neunteufels als Stellvertreter (½ Seite, handschriftlich); Ofner, Ersuchen um Vertretung durch Ersatzmann Friedmann (½ Seite, handschriftlich). Entwurf, Gesetz vom … über die Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung (1½ Seiten, gedruckt). Beschluß des Staatsrates, betreffend Korrekturen zu Gnadengesuchen der 43. und 44. Sitzung (1 Seite, handschriftlich); Antrag Roller, betreffend Korrekturen zu Gnadengesuchen der 43. und 44. Sitzung (1 Seite, handschriftlich); Liste mit Gnadengesuchen (11 Seiten); Vermerk, betreffend Nachsicht der Todesstrafe auf Grund des Antrages des Staatssekretärs für Justiz im Sinne des Gutachtens des Ob. Ger. Hofes gem. § 341 StPO (1½ Seiten, handschriftlich); Deutschösterreichisches Staatsamt für Justiz, Entwurf eines verfassungsmäßig richtig formulierten Beschlusses zu Punkt VI des Protokolles über die 43. Sitzung des Staatsrates vom 23. November 1918, betreffend Strafnachsicht von 44 strafgerichtlich Verurteilten Personen (1 Seite); Stenographische Notizen (1 Seite, handschriftlich tw. Gabelsberger Kurzschrift).
Präsident H a u s e r eröffnet die Sitzung um ½ 5 Uhr nachmittags. [1] Nach Bekanntgabe des E i n l a u f e s7 unterbreitet T e u f e l folgende zwei Anträge8: 1.) Alle für die Nationalversammlung bestimmten Gesetzesvorlagen des Staatsrates müssen mit einem entsprechend ausführlichen Motivenbericht ausgestattet sein. 2.) Die Vertreter der Staatsämter sind nicht berechtigt, in den Ausschüssen der Nationalversammlung Abänderungen von Staatsratsvorlagen ohne Genehmigung des Staatsrates bezw. in besonders dringenden Fällen des Staatsratsdirektoriums zur Beratung zu stellen. Beide Anträge werden nach kurzer Begründung durch den Antragsteller a n g e n o m m e n.9
7 8
9
Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Beilage 53/I: Anträge Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt I. Vgl. AdR, StK, GZl. 891/1918, 1) Motivenbericht zu eingebrachten Gesetzesvorlagen, 2) Stellung von Abänderungsanträgen zu Staatsratsvorlagen in den Ausschüssen durch Vertreter der Staatsämter.
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[2] Hierauf wird zu Punkt 2 der Tagesordnung: W a h l o r d n u n g s v o r l a g e übergegangen.10 F i n k: Ich möchte zunächst konstatieren, daß die „Vorbemerkungen“ des Entwurfes nicht von der Kommission des Staatsrates ausgehen, sondern vom Staatskanzler verfaßt wurden. Weiters hat der Herr Staatskanzler schon gestern darauf aufmerksam gemacht, daß der dem Entwurfe angeschlossene Anhang zu § 1 der Wahlordnung in seiner jetzigen, ursprünglichen Form in verschiedenen Punkten noch geändert werden muß.11 Dies vorausgeschickt gehe ich auf die Besprechung derjenigen Änderungen über, die die Kommission an dem ursprünglichen Entwurfe vorgenommen hat.12 Im § 1 des ursprünglichen Entwurfes war ein Druckfehler enthalten, in dem es hieß, „Linz m i t Mühlviertel“. Das Wort „m i t“ hat zu entfallen. Was den meritorischen13 Inhalt des § 1 betrifft, so war die Kommission ihrer Mehrheit nach der Anschauung, daß man eher größere Wahlkreise schaffen solle als kleinere. Demgemäß ist im zweiten Absatz des § 1 in der 3. Zeile ein Wahlkreis, nämlich der Wahlkreis Wien und Umgebung ausgefallen. Es ist darauf verwiesen worden, daß dieser Wahlkreis eigentlich aus den 4 Vierteln von Wien herausgeschnitten worden sei, und man hat ihn nun wieder auf die 4 Viertel aufgeteilt. Ebenso sind in Steiermark aus 3 Wahlkreisen zwei gemacht worden, nämlich Obersteier, und dann Mittel- und Untersteier. Ferner ist Innsbruck mit dem Inntal zusammen zu einem Wahlkreis vereinigt worden. Hingegen war Reichenberg und Trautenau schon in dem ursprünglichen Entwurfe vereinigt, nur war Trautenau nicht namentlich aufgeführt.14 Weiters ist Westschlesien vom Wahlkreise Troppau abgetrennt und mit dem Kuhländchen zu einem Wahlkreise vereinigt worden. Mährisch-Schönberg wurde ferner mit dem Schönhengster Gau zu e i n e m Wahlkreise zusammengezogen und endlich wurden vor den Worten „Brünn und Umgebung ...“ etc. eingefügt die Worte: „ferner die Einschlußgebiete“. Was nun die Zahl der Mandate betrifft, so entfiel nach der Vorlage des Staatskanzler ein Mandat auf ungefähr 48.000 Einwohner. Dabei hat sich herausgestellt, daß die Gesamtzahl der Mandate um 17 oder 18 kleiner wäre als bisher. Von Seite derjenigen Kronländer, die dadurch an ihrem Besitzstande geschädigt worden wären, hat man nun verlangt, es möge der alte Stand der Mandate beibehalten werden. Auf der andern Seite ist aber hervorgehoben worden, daß das eine große Ungleichheit gegenüber jenen Bezirken beinhalten würde, die wie z. B. insbesondere Wien eine größere Einwohnerzahl haben, und die Kommission hat Beilage 53/II: Staatskanzlei, Gesetzesentwurf (37 Seiten). Der Entwurf enthält neben einem ausführlichen Vorwort Renners eine Gegenüberstellung der einzelnen Artikel der Wahlordnung in der Fassung des Staatskanzlers und in der überarbeiteten Fassung der Wahlreformkommission. Der Entwurf ist vereinzelt mit handschriftlichen Kommentaren versehen, welche den im Verlauf der Debatte gemachten Änderungsvorschlägen entsprechen. Insbesondere die im Anhang zu § 1 angeführte Liste der Wahlkreise enthält zahlreiche Korrekturen, die sich hauptsächlich auf die Zahl der zu wählenden Abgeordneten (= Mandate) beziehen. Diese Frage wurde am Ende der vorliegenden Sitzung ausführlich behandelt. Auch im Haupttext weicht das fertige Gesetz von den Entwürfen ab. Die Änderungen sind teils stilistischer und redaktioneller Natur, betreffen aber auch inhaltliche Aspekte, wobei in der Endversion vor allem Ergänzungen bzw. genauere Ausführungen vorgenommen wurden. Zu den Änderungen vgl. die folgenden Anmerkungen. 11 Vgl. dazu SRP Nr. 52 vom 30. November 1918. Die Debatte über § 1 erfolgte an späterer Stelle der vorliegenden Sitzung. 12 Der ursprüngliche Entwurf zur Wahlordnung stammte von Staatskanzler Renner. Der Entwurf war bereits in der 48. Sitzung präsentiert und der Wahlreformkommission zur Überarbeitung zugewiesen worden. Vgl. SRP Nr. 48 vom 27. November 1918. 13 Meritorisch: wesentlich, sachlich. 14 Dieser Zusatz wurde in die fertige Version des Gesetzes übernommen. 10
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sich dahin geeinigt, daß nicht erst auf 48.000, sondern schon auf 40.000 Einwohner ein Mandat entfallen soll. Es sind dann die Mandate genau nach dem Proporzverhältnisse auf je 40.000 Einwohner aufgeteilt worden und von den übrigen bleibenden Restmandaten hat man zunächst jene wenigen Mandate, um die verschiedene Länder weniger bekommen hätten als bisher, diesen zugeteilt und die dann noch übrig bleibenden Restmandate auf die größten Reste aufgeteilt, die bei der Division herausgekommen sind. Dr. D i n g h o f e r: Ich möchte vorschlagen, in die Debatte über die Zusammenfassung der einzelnen Wahlkreise erst dann einzutreten, bis wir im Besitze des richtiggestellten Anhanges sind. A n g e n o m m e n.15 Vors. H a u s e r: Ich bemerke nur, daß die Zusammenfassung des Mühlviertels mit dem Böhmerwald-Gau ganz untunlich ist, denn eine Wahl in Südböhmen ist, da es von den Czechen besetzt ist, nicht durchzuführen.16 F i n k: Im Ganzen sind – ohne Einschlußgebiete – 250 Mandate resultiert – bisher haben wir 233 deutsche Mandate gehabt, dazu kommen für die Einschlußgebiete noch 5 Mandate. Dr. E l l e n b o g e n: Ich beantrage, daß die Debatte über den § 1 erst ganz zum Schluß abgeführt werde, da dieser Paragraph wohl die meisten Diskussion hervorrufen wird. A n g e n o m m e n. F i n k: § 2 ist unverändert geblieben. Zu § 3 hat die Kommission den Antrag gestellt, daß jede Gemeinde Wahlort sein soll und daß räumlich ausgedehnte Gemeinden in mehrere Wahlorte17 geteilt werden können. Letzteres ist hauptsächlich deshalb geschehen, damit es in weit auseinanderliegenden Gemeinden den Leuten namentlich im Winter ermöglicht wird, zur Wahl zu gehen. Ferner hat man sich gesagt, daß, wenn es möglich ist, genügend Wahllokale bereit zu stellen, es auch möglich sein wird, die Wahl an einem Tage vorzunehmen. Dann werden auch die einzelnen Familienmitglieder abwechselnd zur Wahl gehen können. T e u f e l: Ich möchte nur im Namen meiner Partei die Erklärung abgeben, daß wir uns vorbehalten, zu den einzelnen Paragraphen Abänderungsanträge in der Weise zu stellen, daß wir in der Nationalversammlung einen eigenen Entwurf über die Wahlordnung einbringen werden.18 W i r d z u r K e n n t n i s g e n o m m e n. Über die Zusammenfassung der Wahlkreise wurde trotz dieses Vorschlages von Dinghofer in der vorliegenden Sitzung debattiert. 16 Am 3. Dezember 1918 wurde Kaplitz von tschechoslowakischen Truppen besetzt. Damit waren alle größeren Orte Südböhmens unter tschechoslowakischer Kontrolle. Vgl. dazu einen Bericht des nach Freistadt geflohenen Bezirkshauptmannes von Kaplitz vom 11. Dezember 1918 in AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.187/1918, Deutschösterreichische Bezirkshauptmannschaft Kaplitz, weitere Schilderungen über die Vorfälle in Kaplitz und im Bezirke Kaplitz aus Anlaß des Tschecheneinbruches Anfangs Dezember 1918. Umfangreiches Material zur Lage in Südböhmen findet sich in AdR, StK, GZl. 93/1919, Präsidium der provisorischen Landesregierung für Oberösterreich, Aktion in Deutschsüdböhmen. 17 Im Original ursprünglich Wahlkreise. 18 Ein entsprechender Entwurf wurde von Teufel und Genossen in der Sitzung am 4. Dezember in die provisorische Nationalversammlung eingebracht und dem Wahlgesetzausschuß zugewiesen. Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, S. 235. Der Ausschuß beriet über die von Teufel und Genossen beantragte alternative Version des Wahlgesetzes in seiner Sitzung vom 5. und 6. Dezember 1918, beschloß aber am 9. Dezember für die weitere Behandlung des Gesetzes als Grundlage die Gesetzesvorlage des Staatsrates heranzuziehen. Vgl. PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Wahlgesetzausschuß, Protokolle, Protokoll über die Sitzung am 5., 6. und 9. Dezember 1918. 15
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Hierauf wird der § 3 in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.19 F i n k: Nach § 4 der Vorlage des Staatskanzlers hätten Wähler, die zur Zeit der Wahl im Wehrdienste stehen, vor einer bei der Truppe erscheinenden Wahlbehörde wählen sollen. Das hätte nach Ansicht der Kommission große Schwierigkeiten bereitet und man hat sich dahin geeinigt, daß man diese Wähler mittels Vollmacht in dem Wahlkreise wählen solle, in dem sie vor ihrer militärischen Verwendung den ordentlichen Wohnsitz hatten. Dr. S c h o e p f e r: Wie soll diese Bevollmächtigung erfolgen? F i n k: Es ist ohnehin in Aussicht genommen, eine Durchführungsverordnung hinauszugeben, durch die auch diese Frage im Einzelnen geregelt werden soll.20 H e i n e: Urprinzip der Wahl ist es doch, daß der Wähler die Kandidaten kennen lernt und sich dann für den einen oder den anderen entscheidet. Im vorliegenden Falle tritt aber der abnormale Fall ein, daß der in einem anderen als seinem Wohnorte stationierte Soldat, der sein Wahlrecht ausüben soll, dort unter dem Einflusse irgendeiner Garde oder politischen Organisation der Truppe, in der er sich befindet, stehend, seine Vollmacht, da er die Kandidaten des Wahlkreises, in dem er seinen ordentlichen Wohnsitz hat, ja nicht kennt, lediglich unter dem Gesichtspunkte der Parteizugehörigkeit der Kandidaten ausstellt und einsendet. Ein Zusammenhang des Wählers mit den Kandidaten, wie er normalerweise bestehen sollte, ist ja nicht gegeben. Ich wäre also dafür, daß der Paragraph, wie ihn der Staatskanzler vorgeschlagen hat, angenommen würde in der Form, daß die Leute in dem Bezirk wählen, in dem sie stationiert sind. T e u f e l: Kollege Heine argumentiert ganz unrichtig. Ich stehe in Opposition gegen die einzelnen Punkte des vorliegenden Entwurfes, der allerdings21 bis zu einem gewissen Grade eine starre Parteidiktatur verlangt. Wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, so kann nicht die Rede davon sein, daß der Zusammenhang des Wählers mit dem Kandidaten unterbrochen wird. Es gibt keinen Zusammenhang des Kandidaten mit dem Wähler mehr, es gibt nur eine Parteiwahl; der Wähler hat sich eben zu entscheiden, ob er christlich-sozial oder sozialdemokratisch u.s.w. wählen will. Ferner müssen wir damit rechnen, daß dieses Gesetz von der konstituierenden Nationalversammlung nicht sofort aufgehoben, sondern daß wahrscheinlich auch noch die nächste Wahl auf Grund dieses Gesetzes stattfinden wird. Unterdessen ist es möglich, daß die Wehrmacht in Österreich ausgebaut wird, und nun sind in einem Wahl Der § 3 wurde in der endgültigen Version geändert. Als Wahlort wurde dort diejenige Gemeinde bestimmt, in welcher der Wähler am Tag der Verlautbarung der Wahlordnung seinen Wohnsitz hatte. Im Entwurf fehlt diese zeitliche Festlegung. Zudem wurde die Größe der Ortsgemeinden, die in Sprengel geteilt werden durften, im Entwurf mit mehr als 10.000, in der Endversion jedoch mit mehr als 1.000 Einwohnern festgelegt. 20 Für Angehörige der Volkswehr, die sich in Ausübung ihres Dienstes an einem anderen Ort als ihrem vorgesehenen Wahlort aufhielten, wurde die Wahlordnung durch eine Reihe von Vollzugsanweisungen näher geregelt, die den Betroffenen im wesentlichen ermöglichten, an jenem Ort zu wählen, an dem sie sich am Wahltag aufhielten. Vgl. StGBl. Nr. 72, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 3. Februar 1919 über die Ausübung des Wahlrechtes durch die Angehörigen der im Abwehrdienste stehenden Formationen der Kärntner Volkswehr, sowie StGBl. Nr. 73, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 3. Februar 1919 über die Ausübung des Wahlrechtes durch die Angehörigen der im Abwehrdienste stehenden Formationen der Volkswehr in Steiermark, beide ausgegeben am 5 Februar; weiters StGBl. Nr. 78, Vollzugsanweisung des Staatsamtes des Innern vom 7. Februar 1919 über die Ausübung des Wahlrechtes durch Angehörige der im Abwehrdienste stehenden Formationen der Volkswehr in einigen Gemeinden Niederösterreichs, ausgegeben am 8. Februar 1919; und StGBl. Nr. 97, Vollzugsanweisung des Staatsamtes des Innern vom 11. Februar 1919 über die Ausübung des Wahlrechtes durch Angehörige einiger Truppenabteilungen deren Standort in letzter Zeit verlegt wurde, ausgegeben am 12. Februar 1919. 21 Im Original ursprünglich und verlange. 19
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bezirk auf einmal 100.000 mobilisierte Soldaten, die in dem betreffenden Bezirke ortsfremd sind und dennoch das Wahlergebnis des Bezirkes vollständig beeinflussen können. Dr. E l l e n b o g e n: Ich möchte den Ausführungen des Herrn Teufel nur hinzufügen, daß, wenn der Vorschlag Heine angenommen würde, es jeder Regierung möglich wäre, durch Hineinwerfen eines größeren Soldatenkontingents in einen bestimmten Wahlort das Wahlresultat nach ihrem Belieben zu beeinflussen. H e i n e z i e h t seinen A n t r a g z u r ü c k. § 4 wird sodann in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.22 F i n k: § 5 ist unverändert. Die Änderungen im ersten Absatz des § 6 sind eigentlich nur eine Durchführung der Änderung des § 3. Wenn man nämlich im § 3 zugegeben hat, daß gewisse Gemeinden in mehrere Wahlorte geteilt werden können, so muß man im § 6 die Bestimmung treffen, daß in diesen Gemeinden auch kleine Kommissionen fungieren. Die im zweiten Absatz des § 6 vorgesehene „Bezirkswahlbehörde“ tritt außer in diesem nur noch im § 21, wo von der Nominierung der Vertrauensmänner die Rede ist, in Erscheinung. Ihr wurde die Festsetzung und Abgrenzung der Wahlorte übertragen, weil man von der Anschauung ausging, die Bezirkshauptmannschaft wisse das besser als jemand aus einem größeren Kreise. Dr. O f n e r: Nach dem Vorschlage des Staatskanzlers war die Ortswahlbehörde am Sitze einer politischen Behörde die Bezirkswahlbehörde. Wird nun an diesem Orte eine Ortswahlbehörde u n d eine Bezirkswahlbehörde bestehen? F i n k: Für den Ort bleibt das. Wir haben uns bei der Beratung in der Kommission gesagt, der Bürgermeister am Sitze einer Bezirkshauptmannschaft wird es nicht gerne sehen, wenn alle anderen Bürgermeister Vorsitzende der Ortswahlbehörde sind, und nur gerade er am Sitze der Bezirkshauptmannschaft darf nicht der Vorsitzende der Ortswahlbehörde sein. Dr. O f n e r: Dann würden Sie aber zu dem Resultate kommen, daß an diesem Orte sowohl eine Bezirkswahlbehörde als auch eine Ortswahlbehörde besteht? F i n k: Ja, aber die Bezirkswahlbehörde hat abgesehen von der Mitwirkung bei der Zulassung der Vertrauensmänner keine andere Funktion als die hier in Aussicht genommene. Dr. O f n e r: Ich möchte nur bitten, daß das in den Motiven gesagt werde. § 6 wird sodann a n g e n o m m e n.23 F i n k: Nach § 7 wird in dem im Anhange bezeichneten Vorort des Wahlkreises eine Kreiswahlbehörde eingesetzt. Nach dem Entwurfe des Staatskanzlers sollte sie in der größten Stadt eingesetzt werden und in Wien beim Bezirksamt des größten Wahlbezirkes. Nun sind wir bei der Detailberatung darauf gekommen, daß das Schwierigkeiten macht. Wenn z. B. zum Bezirk Korneuburg noch Znaim zugeschlagen wird, so wäre dann Znaim die größte Stadt und nach dem ursprünglichen Entwurfe auch Hauptwahlort. Es wäre aber auch noch Stockerau24 größer als Korneuburg. Wir haben es daher für zweckmäßig gehalten, den Vorort des Wahlkreises im Anhang ausdrücklich zu bezeichnen. Der zweite Absatz hat durch die Einfügung der Worte „der Kreiswahlbehörde“ bloß eine deutlichere Fassung erhalten. § 7 wird sodann a n g e n o m m e n.
Im § 4 des fertigen Gesetzes entfiel die im Entwurf in Aussicht genommene Vollmachtregelung und es wurde festgelegt, daß am Tag der Verlautbarung der Wahlordnung aktiv im Militärdienst stehende Personen an dem Ort wählen sollten, an welchem sie zum Zeitpunkt der Verlautbarung der Wahlordnung ihren Wohnsitz hatten. 23 Der § 6 wurde im fertigen Gesetzestext gekürzt. Der Entwurf hatte je nach Größe der Gemeinde noch Unterschiede in der Zahl der Beisitzer der Ortswahlbehörde vorgesehen. 24 Im Original ursprünglich Komotau. 22
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F i n k: Im § 8 hatte der Staatskanzler in Aussicht genommen, daß die Hauptwahlbehörde aus 10 Mitgliedern bestehen soll. Wir haben nach eingehender Beratung gefunden, daß es zweckmäßig sein wird, wenn sie aus 15 Mitgliedern besteht, weil sie ja viel Arbeit haben wird, und wir gedacht haben, daß es dadurch erleichtert wird, bei der Bestellung der Beisitzer auf die Stärke der einzelnen Parteien entsprechend Rücksicht zu nehmen. A n g e n o m m e n.25 F i n k: § 9 ist mit der Ausnahme, daß statt „Kreiswahlbehörde“ „Bezirkswahlbehörde“ gesetzt wird, unverändert. A n g e n o m m e n.26 F i n k: § 10. Die im ersten Absatz eingefügten Worte „von der Wahlbehörde“ dienen nur zur besseren Orientierung. A n g e n o m m e n. F i n k: Im § 11 kommt eine wichtige Änderung. Nach dem Entwurfe des Staatskanzlers sollten zunächst alle Großjährigen und weiters alle diejenigen, die während der Jahre 1914 bis 1918 Kriegsdienste geleistet haben, wahlberechtigt sein. Die Kommission war der Anschauung, daß es zweckmäßiger sei, das Wahlrecht an die Erreichung eines bestimmten Lebensalters zu knüpfen. Die Festsetzung des Momentes der Großjährigkeit könnte ja auch geändert werden und sie wird wahrscheinlich sogar geändert werden. Ferner haben wir uns aber gesagt, daß, wenn man alle diejenigen als wahlberechtigt erklären würde, die Kriegsdienste geleistet haben, man bis auf 15-jährige Buben und Mädel herunterkäme, sofern sie in irgendeinem Betriebe oder beim Roten Kreuz Dienste geleistet haben. Wir haben daher gesagt, es soll jeder Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechtes das Wahlrecht haben, der im Wahljahre das 21. Lebensjahr vollendet. In der Durchführungsverordnung wird es heißen: Für diese Wahl sind alle im Jahre 1898 geborenen und älteren Personen wahlberechtigt. T e u f e l: Ich habe in der Kommission mich für die Festsetzung des 20. Lebensjahres ausgesprochen. Nun ist unterdessen auch die Reichstagswahlordnung im Deutschen Reich herausgekommen27, die ebenfalls das Wahlrecht an die Erreichung des 20. Lebensjahres knüpft, und ich möchte auch aus diesem für mich maßgebenden Grunde beantragen28, statt „das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet“ zu setzen: „das zwanzigste Lebensjahr vollendet“. W o l f: Ich fühle mich bemüßigt, im Namen der gesunden Vernunft und der heiligen, unverletzlichen Natur gegen die Hereinzerrung des weiblichen Elements in die Politik Verwahrung einzulegen, und spreche mich gegen die Ausdehnung des Wahlrechtes auf die Frauen aus. Ich spreche mich auch dagegen aus, daß man die 21-jährigen mit dem Wahlrecht ausstattet. Es geht doch nicht an, das Wahlrecht unter die Altersgrenze herabzusetzen, nach deren Erreichung einer erst das Verfügungsrecht in vermögensrechtlicher Beziehung, kurz das erlangt, was man Großjährigkeit nennt.29 Ich glaube, man würde dadurch die Teilnahme In der endgültigen Version wurde die Zahl der Beisitzer in § 8 mit zwanzig festgesetzt. Zudem wurde im Gegensatz zum Entwurf festgelegt, daß fünf der Beisitzer aktive oder ehemalige Richter sein sollten. Dieser zweite Zusatz wurde von Seitz in der 56. Sitzung des Staatsrates vorgeschlagen. Vgl. SRP Nr. 56/5 vom 9. Dezember 1918. 26 Letztendlich wurde in den § 9 des fertigen Gesetzestextes noch eine Ergänzung aufgenommen, welche die Berufung der „nicht dem richterlichen Berufsstand entstammenden Beisitzer“ regelte. 27 Vgl. dazu SRP Nr. 51/7 vom 30. November 1918. 28 Beilage 53/II: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Antrag lautet wörtlich: „An Stelle des Wortes ‚einundzwanzigste‘ beantrage ich das Wort ‚zwanzigste‘ zu setzen.“ Er wurde nicht in das Beschlußprotokoll aufgenommen. 29 Im § 21 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches war festgelegt worden, daß Personen, „die das vier und zwanzigste Jahr ihres Lebens noch nicht zurückgelegt haben“, als Minderjährige gelten sollten. Vgl. Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie. 1. Theil, Wien 1811, S. 8. 25
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am politischen Leben entwerten, man würde ihr Bedeutung und Wert nehmen und ich stelle daher den A n t r a g, daß das aktive Wahlrecht an die Erreichung des 24. Lebensjahres geknüpft werde. Weil ich gerade beim Worte bin, so möchte ich mich gleich auch gegen die Fassung des § 12 wenden, in welchem der Unsinn und perverse Unfug und die Naturwidrigkeit auf den Gipfel getrieben wird, indem man den Frauen nicht nur das aktive, sondern auch das passive Wahlrecht zugesteht. Darüber des weiteren zu reden, ist wohl überflüssig, da die Gegnerschaft gegen das passive Wahlrecht der Frauen auch bei denjenigen Anklang findet, die aus Scheu vor der Wirkung gewisser Schlagworte sich vor der Forderung des aktiven Wahlrechtes der Frauen geduckt haben, zum Teil auch unter dem Eindruck des die Köpfe verwirrenden Buches von Bebel30 stehen, das passive Wahlrecht den Frauen aber doch nicht zugestehen möchten. S e i t z: Ich bekenne ganz offen, daß wir Sozialdemokraten, wenn wir ein momentanes Parteiinteresse wahren wollten, auch ein Interesse daran hätten, gegen das Frauenwahlrecht aufzutreten. Wir werden darunter gewiß sehr schwer leiden, denn die Frauen sind ja im Allgemeinen doch konservativ. Nichtsdestoweniger sage ich mir, das Frauenwahlrecht läßt sich heute nicht mehr aufhalten, und es wäre eine konstituierende Nationalversammlung von vornherein vollkommen wertlos und bar jeder Autorität, wenn in ihr nicht auch die Frauen vertreten wären, nicht nur daß sie mit dem Willen der Frauen zur Geltung kommt, sondern auch daß Frauen darin sind. Die Frauen ließen es sich heute nicht mehr gefallen, und es ist auch ganz unmöglich, daß eine ganze Klasse von Menschen, die in der öffentlichen Wirtschaft ja doch notwendig sind, von den Entscheidungen über die Wirtschaft und über ihre Regelung in der Gesetzgebung ferngehalten wird. Auch wenn das Bebel’sche Buch nicht geschrieben worden wäre, wäre der Weltkrieg gekommen, wäre die Frau im Weltkrieg in diese Stellung gerückt und hätte sie heute nicht nur das Recht, am öffentlichen Leben teilzunehmen, sondern auch Macht genug, jede gesetzgebende Körperschaft, die sie ausschließt, zur Ohnmacht zu verdammen, indem sie ihr die Autorität bestreitet. Es gibt kein Regiertwerden mehr; jemand, der im öffentlichen Leben wirkt und in der Wirtschaft beteiligt ist, läßt sich nicht mehr regieren. Was nun die Festsetzung des 21. Lebensjahres anbelangt, so berufen sich die Gegner auch darauf, daß man jenes Alter annehmen sollte, in welchem die Mündigkeit ausgesprochen wird. Nur unsere Gesetzgebung ist aber noch so rückständig, an dem 24. Lebensjahre als Mündigkeitsalter festzuhalten. Schon das alte, gewiß konservative Herrenhaus, dem die Vorlage über das bürgerliche Gesetzbuch vorgelegt wurde, hat in seinem seinerzeitigen Entwurfe Wolf könnte sich hier auf August Bebels erstmals im Jahr 1879 veröffentlichtes Buch Die Frau und der Sozialismus beziehen, das zu dessen einflußreichsten und bekanntesten Werken zählte. Darin widmet Bebel ein Kapitel dem Kampf der Frauen um zivilrechtliche und politische Gleichberechtigung und bemerkte hierzu: „Die handgreifliche Rechtsungleichheit der Frauen gegenüber den Männern hat bei den vorgeschritteneren unter ihnen die Forderung nach politischen Rechten hervorgerufen, um durch die Gesetzgebung für ihre Gleichberechtigung zu wirken. Es ist derselbe Gedanke, der auch die Arbeiterklasse leitete, auf die Eroberung politischer Macht ihre Agitation zu richten. Was für die Arbeiterklasse recht ist, kann für die Frauen nicht unrecht sein. Unterdrückt, rechtlos, vielfach hintangesetzt, haben sie nicht bloß das Recht, sondern die Pflicht, sich zu wehren und jedes ihnen gut scheinende Mittel zu ergreifen, um sich eine unabhängige Stellung zu erobern. Gegen diese Bestrebungen erheben sich natürlich wieder die reaktionären Unkenrufe.“ Vgl. August Bebel, Die Frau und der Sozialismus. 62. Auflage, Berlin 1973, S. 318. Möglicherweise ist hier aber auch Bebels noch einschlägigere Schrift Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht, mit besonderer Berücksichtigung des Frauen-Stimmrechts und des Proportional-Wahlsystems aus dem Jahr 1895 gemeint. August Bebel, deutscher Politiker und Schriftsteller, 1869 Mitgründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, ab 1892 Mitglied des Parteivorsitzes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 30
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das 21. Lebensjahr als Mündigkeitsalter in Aussicht genommen.31 Auch in Deutschland hat man heute das 21. Lebensjahr angenommen und es gibt keinen Staat, wo man noch am 24. Lebensjahr festhält. Es ist auch praktisch unmöglich, beispielsweise einen jungen Oberleutnant, der an der Front über das Schicksal von hunderten von Menschenleben verfügt hat, die Wahlberechtigung abzusprechen. Wir werden ja selbst mit den unter 21 Jahren Alten Schwierigkeiten genug haben – die vorliegende Bestimmung bedeutet ja32 nur ein Kompromiß. M i k l a s: Ich glaube, über die Notwendigkeit der Gewährung des Frauenwahlrechtes brauchen wir uns weiter nicht zu echauffieren. Hinsichtlich der Frage, wie das Frauenwahlrecht wirken wird, bin ich nicht der Meinung des Abgeordneten Seitz, denn wir wissen, daß es weite radikalisierte Frauenkreise gibt, und das sind diejenigen, die zur Wahlurne gehen werden, während der konservative Teil der Frauenwelt der Wahlurne fernbleiben würde. Aus diesem Grunde brauchen wir als notwendiges Korrelat des Frauenwahlrechtes eine Sicherungsmaßnahme und diese besteht in der Einführung der Wahlpflicht. Ich möchte mir daher den A n t r a g33 erlauben, daß zwischen Frauenwahlrecht und Wahlpflicht ein Junktim34 geschaffen werde, nicht gesetzlich, aber wenigstens intern für uns. Mein Antrag würde lauten: Die Annahme des § 11 gilt nur bedingungsweise für den Fall, daß auch ein Gesetz über die allgemeine Wahlpflicht angenommen wird. Dr. v. L a n g e n h a n unterstützt den Antrag Miklas. H e i n e: Ich bin grundsätzlich auch Anhänger des Frauenwahlrechtes und stehe auf dem Standpunkt, daß die Frauen dasselbe Recht haben sollen wie wir. Immerhin wäre aber die Tatsache zu erwägen, daß, was das Zahlenverhältnis der Geschlechter anbelangt, die Zahl der Frauen von 20 Jahren aufwärts jene der Männer, wie sich dies auch aus der im Anhang enthaltenen Statistik ergibt, weitaus überwiegt. Dazu kommt jetzt noch, daß infolge des Krieges viele Männer ums Leben gekommen sind. Wir stehen also vor der Tatsache, daß, wenn wir für Männer und Frauen das gleiche Mindestalter in Aussicht nehmen, eine weitaus größere Zahl von weiblichen Wählern vorhanden sein wird, als von männlichen. Somit ist in der praktischen Wirkung eine Gleichheit von Mann und Frau im Wahlrecht nicht gegeben. Diese Ungleichheit könnte aber einmal zur Folge haben, daß die Frauen mit eigenen Frauenlisten in den Wahlkampf eintreten, und dann könnte der Fall eintreten, daß die Frauen die Männer ganz und gar aus dem Parlament hinauswerfen, weil sie tatsächlich die Mehrheit haben. Wenn wir also hier die volle Gleichheit der politischen Rechte von Männern und Frauen statuieren wollen, so muß das in der Weise zum Ausdruck kommen, daß die Zahl der männlichen und weiblichen Wähler ungefähr gleich ist. Das läßt sich nun bewerkstelligen, indem man auf Grund der Statistik berechnet, wie viel Jahrgänge der Frauen von unten angefangen vom Wahlrecht auszuschließen wären, um die faktische Gleichheit der Männer und Frauen herzustellen. Ich würde also den A n t r a g stellen, diesbezüglich noch statistische Erhebungen zu pflegen und dann festzustellen, welche Jahrgänge der Frauen von unten an gerechnet vom Wahlrecht auszuschließen wären. Dr. O f n e r: Mit dem 24. Lebensjahr kann man das Wahlrecht nicht beginnen lassen. In allen Staaten, namentlich aber im Deutschen Reich und in Ungarn ist längst die Großjährigkeit mit dem 21. Lebensjahr erreicht. Wir sind in dieser Beziehung noch sehr Im Jahr 1907 hatte das Justizministerium einen Gesetzesentwurf zur Änderung und Ergänzung des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches von 1811 als Regierungsvorlage in das Herrenhaus eingebracht. Die von der juristischen Kommission überarbeitete Gesetzesvorlage wurde dann im Herrenhaus in der 22. Sitzung am 19. Dezember 1912 in zweiter Lesung verhandelt und in dritter Lesung angenommen. Vgl. Stenographische Protokolle über die Sitzungen des Herrnhauses des Reichsrates 1911–1914. XXI Session, 22. Sitzung am 19. Dezember 1912, S. 447–478. 32 Im Original ursprünglich dann. 33 Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. 34 Junktim: Verknüpfung zweier oder mehrerer Gesetzesvorlagen. 31
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rückständig. Wir haben in Österreich ein ganz merkwürdiges System: mit 14 Jahren kann man ein Verbrechen begehen, mit 14 Jahren kann man die Religion wechseln, mit 18 ein Testament machen, mit 20 Jahren kann man gehenkt werden und erst mit 24 Jahren kann man sich 10 K ausborgen. Was den Antrag des Kollegen Teufel anbelangt, die Wahlberechtigung bereits mit dem 20. Lebensjahr beginnen zu lassen, so läßt sich darüber sprechen, doch ist das nicht von so großer Wichtigkeit; ob wir uns für das 21. oder 22. Lebensjahr entscheiden, ist gleichgiltig. Was die Wahlpflicht betrifft, so bin ich wohl für die Wahlpflicht, aber ein Junktim ist ganz und gar nicht berechtigt. Warum man gerade die Wahlpflicht mit dem Wahlrecht der Frau bedingungsweise in Verbindung bringen soll, ist mir nicht recht verständlich. S e i t z: Das Wahlrecht ist ein öffentliches Recht, aber es ist kein Ständerecht, sondern es muß individuell verliehen sein; der einzelne Staatsbürger hat ein Recht. Mit der Argumentation des Herrn Heine kämen wir auf ein Klassen- und Ständewahlrecht hinaus. Der Begriff des gleichen Wahlrechtes besteht darin, daß alle Bürger, die im Allgemeinen die festgesetzten Qualifikationen besitzen, individuell das Wahlrecht haben, gleichgiltig, in welchem Zahlenverhältnis sich diese Bürger zu einander befinden. Man kann auch eine Verschiedenheit nach dem Alter nicht annehmen; es ginge im günstigsten Fall nach der Reife, denn das Alter wird ja bestimmt gemäß der Reife. Nun wissen wir aber, daß die Frauen gerade für das öffentliche Leben früher reif sind als die Männer, man müßte sie also eher früher zur Wahl zulassen. Was nun die Wahlpflicht anbelangt, so bitte ich diesen Zankapfel in die Parteien nicht hineinzuschleudern, denn ich glaube nicht, daß wir überhaupt zu einer Wahlreform kommen könnten, wenn dieses Schlagwort wieder aufgegriffen wird. Die Wahlpflicht hat überall dort, wo sie eingeführt wurde, praktisch gar nichts bewirkt, als daß so und so viel Leute chikaniert {sic!} wurden, und diese Chikanen richten sich vor allem natürlich gegen die Arbeiter, denn unter den Arbeitern ist die größte Zahl der Leute, die man nicht erfassen, denen man die Legitimation nicht zustellen kann, die am meisten umziehen u.dgl. Praktisch für das Verhältnis der Parteien zueinander hat es gar keinen Zweck, denn diese gesinnungslosen, indolenten35 Leute, die man bloß unter dem Hinweis auf die Wahlpflicht dafür gewinnt, zur Wahlurne zu gehen, müssen ja auch gewonnen werden, einen bestimmten Kandidaten zu wählen, sonst gehen sie mit dem leeren Stimmzettel zur Urne. Die Einführung der Wahlpflicht hat also praktisch keinen Zweck, ist aber eine Chikanierung gerade der untersten Volksschichten, gegen die wir uns auf das Allerentschiedenste verwahren müssen, und ich sage es ganz offen heraus, wir könnten einer Wahlordnung, die diese Wahlpflicht statuiert und diese Chikanen wieder einführt, einfach nicht zustimmen.36 Dr. J e r z a b e k: Ich bekenne mich gleichfalls als Anhänger des Frauenwahlrechtes und kann in demselben keinesfalls eine Unzucht wider die Natur erblicken. Ich verstehe aber absolut nicht, warum der Vertreter der sozialdemokratischen Partei sosehr gegen die Wahlpflicht auftritt und wieso er insbesondere in der Durchführung der Wahlpflicht eine Chikane für die Arbeiterschaft erblickt. Ich glaube, die Wahlpflicht ist notwendig, weil sie einen Wahlschutz voraussetzt, und den braucht man unbedingt. Man darf nicht vergessen, daß die Frauen zum erstenmal zur Wahl gehen und an und für sich leicht eingeschüchtert sind, und wenn nun keine Wahlpflicht und kein Wahlschutz besteht, so ist es sicher, daß von den bürgerlichen Frauen kaum 5 % zur Wahl schreiten werden. Ich glaube daher, die Vertreter der bürgerlichen Parteien, auch diejenigen, die sonst keine Anhänger des Frauenwahlrechtes sind, können dafür eintreten, wenn gleichzeitig die Wahlpflicht statuiert wird. Indolent: gleichgültig, teilnahmslos. Zur Wahlpflicht vgl. Neue Freie Presse. Nachmittagsblatt, S. 3 f „Die Frage der Wahlpflicht“; ArbeiterZeitung. Morgenblatt, 7. Dezember 1918, S. 1 f „Die Wahlpflicht“; Reichspost. Morgenblatt, 5. Dezember 1918, S. 1 „Um die Wahlpflicht“.
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W o l f: Ich möchte behaupten, daß meine Anschauungen aus einer weit höheren Einschätzung und Bewertung des Weibes hervorgehen als die Anschauungen derer, die das Weib in den Schmutz des politischen Lebens hineinziehen wollen. Es ist merkwürdig, daß außer den verbohrten Parteifanatikern, die, weil es nun einmal im Evangelium des Bebel-Buches steht, auf das Frauenwahlrecht schwören, es eine ganz bestimmte Kategorie von Männern ist, die für das Frauenwahlrecht kämpfen, das sind nämlich solche, die nicht imstande sind, dem weiblichen Geschlechte gegenüber die natürliche Pflicht zu erfüllen, die der Mann dem Weibe gegenüber hat, und die nun die Forderungen ihrer in natürlicherweise nicht befriedigten Frauen vertreten.37 Und wer unter den Frauen fordert das Wahlrecht? Man braucht sich nur diejenigen Frauen, die diese Forderungen erheben, anzuschauen, um sofort zu erkennen, welcher Geist da wirksam ist, daß das nicht der Geist ist, der das deutsche Volk zu weiterer geistiger und kultureller Entwicklung führen kann, weil er nicht zu uns paßt und nicht zu uns gehörig ist. Jedenfalls wende ich mich aber auf das entschiedenste und schärfste dagegen, daß seitens der Sozialdemokratie jetzt gegen die Wahlpflicht Stellung genommen wird. Wenn immer gedroht wird: Wenn das nicht so gemacht wird, wie ich will, dann tue ich nicht mehr mit! Dann soll der Teufel die Koalition halten! Dagegen verwahren wir uns also, und wenn ich bei der Frage der Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechtes an die Frauen mich lediglich auf einen Protest beschränke und wenn auch die Vertreter der anderen bürgerlichen Parteien von der Nichtannahme oder Annahme ihr weiteres Verhalten zur Koalition nicht abhängig gemacht haben, dann dürfen38 die Sozialdemokraten das auch nicht tun. Die Wahlpflicht muß eingeführt werden, weil wir sonst auf das Wahlrecht der Frauen unter keinen Umständen einwilligen würden, denn wenn wir das Wahlrecht der Frauen ohne Wahlpflicht einführen, dann werden selbstverständlich sämtliche Mandate durch Sozialdemokraten besetzt werden. Darum werden wir für die Wahlpflicht beim Frauenwahlrecht und auch für den Wahlschutz mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln kämpfen müssen. T e u f e l: Ich b e a n t r a g e S c h l u ß d e r D e b a t t e (Zustimmung). Vors. H a u s e r: Wenn wir die Sache in dieser Weise weiterbehandeln, dann werden wir eine Woche darüber beraten. Es kommt ja doch alles noch im Wahlreformausschuß zur Beratung und da können sich die Herren genügend darüber aussprechen.39 Dr. E l l e n b o g e n: Staatsrat Miklas hat mit äußerst dankenswerter Offenheit gesagt, um was es sich ihm bei der Wahlpflicht handelt; er hat gesagt, um einen parteipolitischen Vorteil. Um das zu begründen, hat er behauptet, daß das Frauenwahlrecht uns, den Sozialdemokraten nütze; er hat das getan, um einen Gegenstand zu haben, gegen den er losgehen kann, um einen Vorwand zu haben, um die Wahlpflicht zu begründen. Wir Sozialdemokraten hätten in hundert Fällen bei diesem Gesetze Gelegenheit gehabt, parteipolitische Vorteile herauszuschlagen: Bei der Wahlkreiseinteilung, bei tausend anderen Dingen hätten wir das tun können. Wir haben jede Art von Parteipolitik ausgeschaltet und vor allem nur getrachtet, einen Entwurf zustandezubringen in einer Form, die das Prinzip der Gleichheit und Reinheit der Wahl sichert. Der entscheidende Grund, warum wir gegen die Wahlpflicht sind, ist Zur Entwicklung der Wahlbeteiligung von Frauen und der Durchsetzung des allgemeinen Frauenwahlrechtes in der österreichischen Reichshälfte und Deutschösterreich vgl. Birgitta Bader-Zaar, Bürgerrechte und Geschlecht. Zur Frage der politischen Gleichberechtigung von Frauen in Österreich, 1848–1918, in: Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 547–563; dies., Women’s Citizenship and the First World War: general remarks and a case study of women’s enfranchisement in Austria and Germany, in: Women’s History Review, Nr. 2 (2016), S. 274–295. 38 Im Original ursprünglich würden. 39 Zur Debatte der Gesetzesvorlagen im Wahlgesetzausschuß der Provisorischen Nationalversammlung vgl. das umfangreiche Material in PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Wahlgesetzausschuß. Die Frage der Wahlpflicht wurde in der Sitzung des Ausschusses am 10. Dezember 1918 diskutiert. 37
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folgender. Es gibt eine große Reihe von Wählern, die durch politische Agitation, durch die politischen Ereignisse nicht berührt werden, und diese Herrschaften, die durch nichts bewegt werden, die wollen Sie zu entscheidenden Faktoren bei der Wahlbewegung machen! Das ist der Grund, warum wir gegen die Wahlpflicht sind: die Hereinzerrung von solchen Leuten, die aber einen entscheidenden Einfluß auf den Wahlausgang haben würden. Nehmen Sie es uns nicht übel, daß wir uns so entschieden dagegen erklären. Es gibt für jede Partei eine gewisse Grenze, bis zu der sie anderen Parteien auf dem Kompromißwege entgegenkommen kann. Da können Sie nicht von Diktatur und dergleichen sprechen, sondern wir tun eben einfach das, was man in einem konstitutionellen Staate immer tut, wenn die Regierung, an der man teilnimmt, etwas macht, was man nicht mitmachen kann: man tritt aus! W a l d n e r: Ich habe in der Kommission die Auffassung vertreten, daß die Wahlpflicht dem Rechtsgefühl widerspricht, da es jedem Einzelnen freistehen soll, ob er wählen will oder nicht. Ich bin aber seither zur Überzeugung gekommen, daß man, wenn man schon den Frauen das aktive Wahlrecht und die Wählbarkeit gibt, auch die letzte Konsequenz daraus ziehen muß, und das ist die Wahlpflicht, sonst würde man ein verfälschtes Wahlrecht erhalten. Eine Wahlbeteiligung der Hunderttausenden von Bauernfrauen, die noch kein Interesse an der Politik haben, ist nur durch die Wahlpflicht zu erreichen, der ja noch nicht der Zwang, die Strafe tatsächlich folgen muß. Die Wahlpflicht ist ein notwendiges Mittel zur Wahlerziehung. Ohne Wahlpflicht ist der Sprung ins Ungewisse, den diese Wahlreform bedeutet, für meine Partei unannehmbar. M i k l a s: Ich stelle folgendes richtig: Dr. Ellenbogen hat meine Ausführungen gerade in ihr Gegenteil verkehrt. Das parteipolitische Moment hat zuerst Präsident Seitz mit der Behauptung in die Debatte gezogen, das Frauenwahlrecht wirke gegen die Sozialdemokratie. Ich habe demgegenüber auf die anscheinend beabsichtigten Vorteile des Frauenwahlrechts für die Sozialdemokratie hingewiesen. Meine Worte haben sich gegen diese Bevorzugung gerichtet und waren daher nur die Abwehr eines sozialdemokratischen Parteivorteils im Interesse der Feststellung des unverfälschten Staatswillens bei der Wahl. R e n n e r: Durch die Wahlpflicht würden Sie Frauen, von denen Sie selbst sagen, daß sie noch nicht dazu reif sind, zu politischen Entscheidungen zwingen. Aus dem Wahlrecht unmittelbar die Wahlpflicht abzuleiten, ist ein doppelter Sprung ins Ungewisse. Das Moment der Erziehung zur Politik kann später in Betracht kommen, wir können aber nicht bei der so folgenschweren Wahl der Konstituante die Entscheidung zwangsweise den Indifferenten ausliefern, die noch nicht reif zur Politik sind, die aber wahrscheinlich größtenteils für die alte Gesellschaftsform der patriarchalischen Monarchie eintreten und damit unser ganzes Verfassungswerk gefährden würden. Durch die Einführung der Wahlpflicht würden Sie uns zwingen, den Wahlkampf in ganz anderer Weise zu führen, nämlich in jedes Dorf zu gehen und an die Mutterinstinkte der Frauen zu appellieren. Wir müßten den Wahlkampf auf Rekriminationen40 wegen des Krieges und der Schuld am Kriege, kurz auf die Vergangenheit einstellen, um die Indifferenten zu gewinnen, während wir uns bei Beschränkung des Wahlkampfes auf die politisch Orientierten auf die mit der Einrichtung der Zukunft zusammenhängenden Fragen beschränken können. Jeder Teil muß ja bei einer Koalition etwas zurückstellen. Wir Sozialdemokraten stellen alle sozialen und kulturellen Aufgaben vollständig zurück, während die übrigen Parteien nur Dinge zurückstellen, die heute ohnehin abgetan sind. Unser Opfer und unsere Verantwortung vor den Wählern ist also gewiß größer. Wir haben auch insofern eine schwerere Aufgabe, als wir eine in äußerster Not befindliche Bevölkerungsklasse vor dem Angriff zurückhalten müssen, und das muß uns auch für den Fall ermöglicht werden, daß das Proletariat bei den Wahlen in der Minorität bleibt und darüber enttäuscht ist. Wenn in diesem Zeitpunkte die Arbeiter noch dazu das Gefühl hätten, nur Rekrimination: Gegenbeschuldigung, Gegenklage.
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deshalb unterlegen zu sein, weil die Bürgerlichen auf Grund der Wahlpflicht das ganze Heer der Indifferenten haben aufmarschieren lassen, so wären die Folgen unabsehbar. A b r a m: Bei den Arbeitern war die politische Entwicklung eine sehr langsame und diese ganze Entwicklung kann nicht von den Frauen mit einem Schlage übersprungen werden. Es genügt daher vorläufig, wenn sich alle politisch reifen Frauen an der Wahl beteiligen. Würde sich die Arbeiterklasse durch das herdenweise Heranführen politisch indifferenter Frauen um ihr Recht betrogen fühlen, so wäre die durch eine solche Wahl erzielte Scheinmacht unmöglich aufrechtzuerhalten. M i k l a s: Ich stelle meinen Antrag zurück bis nach der Beratung des ganzen Entwurfes der Wahlordnung und des Wahlpflichtgesetzes und bitte ihn erst dann zur Abstimmung zu bringen. F i n k: Der Antrag Teufel erscheint mir überflüssig, da ohnehin auch diejenigen das Wahlrecht bekommen, die erst knapp vor Beginn des neuen Kalenderjahres das zwanzigste Lebensjahr vollenden. T e u f e l: Ich ziehe meinen Antrag zurück. § 11 wird in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.41 Bei § 12 stellt T e u f e l den Zusatzantrag,42 nach dem Worte „vollendet“ anzufügen: „und sich zur deutschen Nation bekannt“. S e i t z: Aus denselben Gründen wie beim Staatsbürgerrecht ist es unmöglich, dieses Bekenntnis zu verlangen.43 Vielleicht geht es in späteren Zeiten. L i c h t spricht sich ebenfalls gegen den Antrag aus, zumal jeder Kandidat dieses Lippenbekenntnis abgeben würde und eine Kontrolle unmöglich sei. R e n n e r: Wir müssen es den hier wohnenden Slaven erleichtern, sich allmählich als Deutsche zu fühlen, was durch die Annahme des Antrages Teufel psychologisch erschwert würde. Auch sollen wir den Tschechen nicht die Handhabe geben, in gleicher Weise die Deutschen in ihrem Staate an der Geltendmachung ihrer nationalen Rechte zu hindern. Im § 11 des Entwurfes wurde festgelegt, daß diejenigen Personen, die im Kalenderjahr das einundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, ohne Unterschied des Geschlechts wahlberechtigt sind. Hieraus ergab sich, wie auch in der ähnlich lautenden Bestimmung im § 12 zum passiven Wahlrecht, daß die Wählerschaft ausschließlich aus Personen dieses Alters bestand. Auf diesen formalen Fehler wurde die Staatskanzlei auch durch private Eingaben hingewiesen. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.147/1918, Zl. 954/1918 und Zl. 909/1918. In der endgültigen Fassung wurde dann die Wahlberechtigung folgerichtig an die Überschreitung des zwanzigsten Lebensjahres mit 1. Jänner 1919 geknüpft. Für die Wahlpflicht wurde im Entwurf ein eigenes Gesetz in Aussicht gestellt. In der Endversion wurde die Regelung der Wahlpflicht der jeweiligen Landesgesetzgebung anheimgestellt. 42 Beilage 53/II: Teufel, Zusatzantrag (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt II. In der Beilage und im Beschlußprotokoll steht das Wort bekennt anstelle von bekannt im Protokolltext. 43 Die erste Variante des Staatsbürgerschaftsgesetzes war auf Antrag des Abgeordneten Kemetter durch einen Zusatz ergänzt worden, der die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft an ein vorhergehendes Bekenntnis zur deutschen Nation geknüpft hatte. Dies hätte das Gesetz undurchführbar gemacht, weswegen der Staatsrat beschlossen hatte, das Gesetz an die Nationalversammlung zurückzuverweisen. Neben den formalen Schwierigkeiten barg eine solche Bekenntnisforderung vor allem die Möglichkeit der Provokation ähnlicher Maßnahmen der Nachfolgestaaten und damit einer Gefährdung der Position dort befindlicher potentieller deutschösterreichischer Staatsbürger sowie die Ungleichbehandlung potentieller, sich nicht zur deutschen Nation bekennender Staatsbürger in sich. Vgl. zum Staatsbürgerschaftsgesetz SRP Nr. 35 vom 16. November 1918, Nr. 39 vom 20. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 42/2 vom 22. November 1918, Nr. 49/2 vom 28. November 1918 und Nr. 52 vom 2. Dezember 1918. Zum Aspekt der Ungleichbehandlung durch Bekenntniszwang vgl. auch den Vorfall bei der Angelobung jüdischer Militärärzte in SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 41
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T e u f e l: Mein Antrag kann den Deutschen in Böhmen keinen Schaden bringen, weil sie, wenn sie wirklich zum tschechischen Staate kommen sollten, als eine geschlossene Volksmasse ganz anders behandelt werden müssen als zerstreute Minoritäten in einem Nationalstaate. S e i t z: Vielleicht ist ein Kompromiß dadurch möglich, daß wir für den Eintritt in die Nationalversammlung eine entsprechende Gelöbnisformel vorschreiben. F i n k ist gegen den Antrag Teufel. W o l f verlangt getrennte Abstimmung für die Worte „ohne Unterschied des Geschlechtes“ sowie Konstatierung des Stimmenverhältnisses. § 12 wird zunächst mit Auslassung dieser Worte a n g e n o m m e n. Der Passus „ohne Unterschied des Geschlechtes“ wird mit 17 gegen 2 Stimmen a n g e n o m m e n, der Zusatzantrag Teufel „und sich zur deutschen Nation bekennt“ wird a b g e l e h n t.44 Die Sitzung wird um 7 Uhr unterbrochen und um 8 Uhr wieder aufgenommen. F i n k: Bei § 13 soll die nähere Erklärung der neu aufgenommenen Worte „Konkurs“ und „Bescholtenheit“ in der Durchführungsverordnung erfolgen. § 13 wird in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.45 Zu § 14 stellt F r i e d m a n n einen A n t r a g46, der in folgender modifizierten Fassung als Schlußabsatz des § 14 a n g e n o m m e n wird: „In Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern ist das Wählerverzeichnis jeder Partei zu Handen ihres Zustellungsbevollmächtigten Vertreters (§ 18, Punkt 3) gegen Ersatz der Kosten zuzustellen. Das Begehren um Ausfolgung eines solchen Verzeichnisses ist mindestens acht Tage vor Auflegung der Wählerlisten bei der Orts- oder Sprengelwahlbehörde zu stellen.“47 Die §§ 15 und 16 werden in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.48 F i n k: In § 17 ist die grundsätzliche Änderung aufgenommen worden, daß die Kreiswahlbehörde bei offenbaren Unrichtigkeiten der Wählerverzeichnisse von Amtswegen ein Richtigstellungsverfahren einzuleiten hat. S e i t z: Für die Durchführungsverordnung wäre vorzumerken, daß hiegegen ein Rekurs möglich ist. Die §§ 17–21 werden in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.49 Analog zu den Änderungen in § 11 wurde das passive Wahlalter in der endgültigen Version des Gesetzes um ein Jahr von 30 auf 29 Jahre herabgesetzt. 45 In der endgültigen Version des Gesetzes wurden die Gründe für den Verlust des Wahlrechtes detailliert ausgeführt. Der Entwurf legte sich in dieser Frage nicht eindeutig fest, indem er die Regelung einem besonderen Gesetz vorbehielt. 46 Beilage 53/II: Friedmann, Antrag (1½ Seiten handschriftlich). Der Inhalt entspricht weitgehend dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls. Die Beilage enthält darüber hinaus die gestrichene Passage in drei Exemplaren. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt II. 47 Dieser Schlußabsatz des § 14 findet sich weder im Entwurf der Kommission, die darauf verweist, daß der Absatz 3 gestrichen worden sei, noch in der endgültigen Version des Gesetzes. Einzig Renners Entwurf enthält den abschließenden Satz: „In Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern ist das Wählerverzeichnis in Druck zu legen.“ 48 Beide Paragraphen sollten die Möglichkeiten des Einspruches gegen das Wählerverzeichnis regeln. Der Kommissionsentwurf und die endgültige Version weisen keine gravierenden Unterschiede auf. Einzig in § 15 wurde im Entwurf der Zeitraum, in welchem ein Einspruch möglich sein sollte, mit acht Tagen festgelegt, während in der Endversion hierfür 14 Tage vorgesehen wurden. 49 Die entsprechenden Paragraphen unterscheiden sich in einigen Punkten von der endgültigen Version. In § 17, der den Abschluß des Wählerverzeichnisses festlegt, findet sich in der Endversion der Zusatz, daß Mitglieder einer Ortswahlbehörde in derselben ihr Wahlrecht ausüben können. § 18 über die Wahlbewerbung der Parteien räumt in der Endversion den Parteien drei Wochen Zeit zur Bekanntgabe ihrer Vorschläge ein. Der Entwurf hatte hierfür 14 Tage vorgesehen. § 19 der das Vorgehen im Fall 44
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Zu § 22 stellt M i k l a s den Antrag50, die von der Kommission gestrichenen Worte „innerhalb eines Wahlkreises“ nach dem Worte „Parteilisten“ wieder einzuschalten. § 22 wird samt der von Miklas beantragten Einschaltung a n g e n o m m e n.51 Die §§ 23–25 werden in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.52 Bei § 26 macht S e i t z aufmerksam, daß es in der vierten Zeile des vierten Absatzes offenbar anstatt „Wahlbewerbung“ heißen muß „Wahlwerbung“. § 26 wird mit dieser Richtigstellung a n g e n o m m e n, u. zw. in der Fassung der Kommission.53 § 27 wird ebenfalls in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.54 F i n k: In § 28 hat die Kommission das Wahlkuvert eingeführt. Der Begriff der „Bescheinigung“ muß in der Durchführungsverordnung genau erklärt werden. F r i e d m a n n: Zur Vermeidung von Mißbräuchen ist es notwendig, in der Durchführungsverordnung zu erklären, welche Arten von Bescheinigungen zulässig sind, wobei von der Gemeinde ausgestellte Legitimationen nicht ins Auge gefaßt werden dürfen und auch festzustellen wäre, daß eine Bescheinigung in solchen Fällen, wo das zum Wahlrecht befähigende Alter außer allem Zweifel ist, das Alter des Wählers nicht enthalten muß. § 28 wird in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.55 E l l e n b o g e n stellt zu § 29 den Antrag, für weibliche Wähler Stimmzettel in einer anderen Farbe als für Männer zu verwenden, um so statistisch ermitteln zu können, wie viele Männer und Frauen für jede Partei gestimmt haben. Er weist ferner auf die Notwendigkeit hin, zur Wahrung des Wahlgeheimnisses in der Durchführungsverordnung die ungefähre Größe des Stimmzettels anzugeben. M i k l a s sieht in zweifarbigen Stimmzetteln eine Durchbrechung des Wahlgeheimnisses und ist daher gegen den Antrag Ellenbogen.
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gleicher Wahlvorschläge regeln sollte, sieht in der Endversion einen ausführlicheren Lösungsmodus als der Entwurf vor. Die §§ 20 und 21 der endgültigen Version weichen hingegen nur gering vom Entwurf ab. Beilage 53/II: Antrag Miklas (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt II. Der Absatz des § 22, den Miklas durch seinen Antrag ergänzen wollte, fehlt in der endgültigen Version des Gesetzes. Demnach hätte ein Bewerber, der gleichzeitig auf mehreren Parteilisten vertreten war, befragt werden sollen, welche er bevorzuge. § 24 über die Möglichkeit der Verbindung mehrerer Wahlvorschläge innerhalb eines Wahlkreises sah im Entwurf eine diesbezügliche Meldefrist von acht Tagen vor, die in der endgültigen Version auf vierzehn Tage verlängert wurde. Die übrigen Paragraphen des Entwurfes stimmen mit dem endgültigen Gesetz überein. Diese Richtigstellung fehlt in der endgültigen Version des § 26, wo es wieder „Wahlbewerbung“ heißt. Zudem wurde mit der Bestimmung des Wahlortes und der Wahlzeit die Bezirkswahlbehörde im Einvernehmen mit der Ortswahlbehörde betraut. Dies stand im Gegensatz zur Bestimmung des Entwurfes, der hierfür nur die Ortswahlbehörde vorgesehen hatte. Der Schlußabsatz des Entwurfes verbot die Ausschank von geistigen Getränken am Wahltag sowie am Tag vor und nach der Wahl. In der endgültigen Version wurde dieses Verbot nur für den Wahltag und den Tag davor festgesetzt. In der endgültigen Version des § 27 über die Ausstattung und Einrichtung der Wahllokale wurden, im Gegensatz zum Entwurf, die Gemeinden mit dieser Aufgabe betraut. Die genannten Anregungen wurden in die endgültige Version des § 28 übernommen, der von einer „amtlichen Bescheinigung, aus der sein Personenstand ersichtlich ist“, spricht. Im Entwurf war für den Fall, daß sich ein Wähler nicht ausweisen könnte, die Möglichkeit vorgesehen, dessen Identität durch Zeugen bestätigen zu lassen. Dies wurde in der Endversion dahingehend spezifiziert, daß der Wähler in diesem Fall der Mehrheit der Mitglieder der Wahlkommission persönlich bekannt sein mußte, um wählen zu dürfen.
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S c h o e p f e r spricht sich vom Standpunkte der allgemeinen Rechtsgleichheit gegen den Antrag aus. F i n k: Der Antrag Ellenbogen stößt auf Schwierigkeiten, da wir den Grundsatz aufgenommen haben, daß es jedem Wähler freisteht, einen geschriebenen, gedruckten oder vervielfältigten Stimmzettel mitzubringen. Ich muß mich entschieden gegen den Antrag aussprechen. E l l e n b o g e n zieht seinen Antrag zurück. § 29 wird in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n. Ebenso werden die §§ 30 bis 41 sowie Titel und Eingang der Wahlordnung in der Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.56 F i n k berichtet über den G e s e t z e n t w u r f ü b e r d i e E i n b e r u f u n g d e r k o n s t i t u i e r e n d e n N a t i o n a l v e r s a m m l u n g.57 R e n n e r bemerkt zu Artikel I, die Bestimmung, daß die konstituierende Nationalversammlung für zwei Jahre gewählt werde, solle nur die Absichten des Gesetzgebers vor der Öffentlichkeit klarstellen, denn die konstituierende Nationalversammlung sei ja eigentlich ganz frei in der Bestimmung ihrer Mandatsdauer. S e i t z: Die konst. N.V. wird vielleicht schon auf einen früheren Termin einberufen werden können als auf den 1. März. Die Paragraphen 30 bis 41 des Entwurfes stimmen weitgehend mit der fertigen Version des Gesetzes überein. § 36 wurde durch einen Absatz, betreffend Wahlbewerber, die auf mehreren Listen stehen, ergänzt. Der § 37 des Entwurfes wurde zudem in der endgültigen Version in zwei Paragraphen unterteilt, die sich allerdings inhaltlich nicht vom Entwurf unterscheiden. Im fertigen Gesetz wurde weiters ein zusätzlicher Paragraph eingefügt, durch welchen, sollten es die Umstände erfordern, der Staatsrat zur beschleunigten Durchführung der Wahl befugt war. Das fertige Gesetz umfaßt demnach 43, der Entwurf 41 Paragraphen. Die Vorlage des Gesetzes über die Wahlordnung wurde in der Nationalversammlung gemeinsam mit dem Gesetz über die Einberufung der Konstituierenden Nationalversammlung behandelt. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, Zuweisung an den Wahlgesetzausschuß, S. 191; 10. Sitzung am 18. Dezember 1918, Bericht sowie zweite und dritte Lesung, S. 320–367; StGBl. Nr. 115, Gesetz vom 18. Dezember 1918 über die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, ausgegeben am 20. Dezember 1918. Vgl. weiters Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich – Teil 2 (1919). Grundgesetz vom 18. Dezember 1918 über die Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung (mit Erläuterungen), in: Matthias Jestaedt (Hg.), Hans Kelsen. Werke. Band 5: Veröffentlichte Schriften 1919–1920, Tübingen 2011, S. 141–240; Karl Ucakar, Demokratie und Wahlrecht in Österreich. Zur Entwicklung von politischer Partizipation und staatlicher Legitimationspolitik, Wien 1985, S. 385–403. Zur Diskussion der Wahlordnung in der Presse vgl. exemplarisch Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 3. Dezember 1918, S. 1 „Die neue Wahlordnung“; Neue Freie Presse. Morgenblatt, 3. Dezember 1918, S. 2 „Zum Gesetzentwurf über eine Wahlordnung für die Nationalversammlung“; Wiener Zeitung, 4. Dezember 1918, S. 5 „Wien, 3. Dezember. Beratung der Wahlordnung im Staatsrat“; Reichspost. Morgenblatt, 4. Dezember 1918, S. 2 „Die Abänderungen an der Wahlordnung“. Zur Wahlordnung vgl. auch SRP Nr. 37 vom 19. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 43 vom 23. November 1918, Nr. 46 vom 26. November 1918, Nr. 48/9 vom 27. November 1918 und zur Hauptwahlbehörde Nr. 56/5 vom 9. Dezember 1918. 57 Beilage 53/IV: Gesetzesentwurf (1½ Seiten). Die Beilage enthält einige handschriftliche Änderungen, welche den im Verlauf der Debatte gemachten Vorschlägen entsprechen. So wurde in Artikel 1 des fertigen Gesetzes die Einberufung der Nationalversammlung schließlich auf 16 Tage nach dem Wahltag festgesetzt. Weiters wurde der Artikel um einen Absatz ergänzt, der die Auflösung der provisorischen Nationalversammlung am Tag der Wahl verfügte. Der Artikel 2 der endgültigen Version wurde an die in dieser Sitzung getroffenen Beschlüsse angepaßt. Ansonsten stimmt der Entwurf mit StGBl. Nr. 114, Gesetz vom 18. Dezember 1918 über die Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung, ausgegeben am 20. Dezember 1918, überein. 56
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F i n k: Das wird man erst nach der zweiten Lesung in der Nationalversammlung wissen können. L a n g e n h a n: Sagen wir also „8 Tage nach erfolgter Wahl“. R e n n e r: Wir werden den Wahltermin im Jänner kaum einhalten können, umso mehr muß vor der Öffentlichkeit ein bestimmter Termin für den Zusammentritt festgelegt werden. Und da auch niemand da ist, der die konst. N.V. einberufen könnte, muß ein bestimmter Termin ins Gesetz hereingenommen werden. Lassen wir jetzt den 1. März; vor der dritten Lesung in der Nationalversammlung können wir den Termin ja noch vorrücken. S e i t z: Schreiben wir jetzt: „spätestens auf den 1. März“. R e n n e r: Dann nehmen wir den 16. Februar! L a n g e n h a n: Sagen wir „14 Tage nach dem Wahltage“. Den Termin können wir dann in der Nationalversammlung noch festlegen. Artikel I wird mit der von Langenhan vorgeschlagenen Änderung a n g e n o m m e n. Art. II wird mit Streichung des Wortes „großjährigen“ (Druckfehler) a n g e n o m m e n. Art. III wird unverändert a n g e n o m m e n. In Art. IV wird „§ 8“ eingesetzt und der Artikel unverändert a n g e n o m m e n. Art. V wird mit der Änderung „um die e l f t e Morgenstunde“ statt „um die zehnte Morgenstunde“ a n g e n o m m e n. Art. VI, VII, Titel und Eingang werden unverändert a n g e n o m m e n.58 Nun wird die zurückgestellte Verhandlung über § 1 und über den Anhang wieder aufgenommen.59 F i n k berichtet nochmals zusammenfassend über den Vorschlag der Kommission zu § 1. R e n n e r bespricht die Aufteilung der Mandate auf die einzelnen Wahlkreise. Ursprünglich sei als Schlüsselzahl für ein Mandat 48.000 Einwohner gewählt worden. Die Zahl der Abgeordneten wäre dann 215 gewesen. Dabei hätten aber einige Länder gegenüber ihrer früheren Vertretungsstärke verloren, nämlich Vorarlberg, Salzburg, Tirol und Deutschböhmen um zusammen 17 Mandate. Diesen Ländern hätte man nun 17 Mandate zugeben können, das stieß aber auf den Widerstand der anderen Gebiete. Darauf habe man es mit einer Schlüsselzahl von 40.000 versucht, aber auch da wären einige Länder nicht auf ihren alten Besitzstand gekommen. Nun sei man umgekehrt von der runden Zahl von 250 Abgeordneten ausgegangen und habe danach die Schlüsselzahl berechnet: 38.810 Einwohner. Der Bezirk sei jetzt beinahe genau ein Viertel eines Wahlbezirkes in Deutschland, man könnte also später eine Vertretung für den deutschen Reichstag leicht aus der konst. N.V. hervorgehen lassen. Bei dieser Aufteilung sei nun ein Rest von 17 Mandaten geblieben. 10 Mandate wurden an Länder verteilt, die sonst nicht auf ihren alten Besitzstand gekommen wären. Die übrigen 7 Mandate wurden dann nach der Methode H a g e n b a c h - B i s c h o f 60 aufgeteilt. Dabei ergaben sich Differenzen mit den Berechnungen des Abg. Fink. F i n k: Wir haben in der Kommission zunächst die Wahlzahl gesucht, mit der Zahl 251, dann dividiert, dadurch eine Wahlziffer von 131½ bekommen, haben nun nach der Methode Hagenbach-Bischof 132 genommen und nun die Mandate aufgeteilt. Dabei sind 15 oder 16 Mandate übrig geblieben. Von diesen haben wir den gegen früher zu kurz gekommenen Das Gesetz über die Einberufung der Konstituierenden Nationalversammlung wurde in der Nationalversammlung gemeinsam mit dem Entwurf der Wahlordnung behandelt. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung am 4. Dezember 1918, Zuweisung an den Wahlgesetzausschuß, S. 191; 10. Sitzung am 18. Dezember 1918, Bericht sowie zweite und dritte Lesung, S. 320–367. 59 Gemeint ist die eingangs zurückgestellte Debatte über die Änderungen zu § 1 des Gesetzesentwurfes über die Wahlordnung. 60 Diese Methode zur Ermittlung einer proportionalen Sitzverteilung bei der Verhältniswahl ist nach dem Schweizer Mathematiker und Physiker Edouard Hagenbach-Bischoff benannt. 58
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Ländern Mandate zugegeben und zwar Vorarlberg 1, Tirol 2, Salzburg 2, Oberösterreich 3, Kärnten 1, Westschlesien 1. Die noch verbleibenden Mandate haben wir den größten Resten zufallen lassen. R e n n e r: Ich habe auch diesen letzten Rest nicht nach den größten Resten, sondern wieder nach Hagenbach-Bischof verteilt. Es zeigen sich also zwischen den Berechnungen des Abg. Fink und jenen der Staatskanzlei Differenzen, die noch korrigiert werden müssen. (Der Kanzler verliest eine Zusammenstellung der Differenzen)61 Wir können aber die Grundsätze der Verteilung schon jetzt beschließen, das Gesetz vorbehaltlich des Anhanges einbringen und den Anhang direkt dem Wahlreformausschuß zuweisen. Ich b e a n t r a g e folgende Grundsätze:62 1. Grundsatz: Die gesamte Einwohnerzahl wird dividiert durch 250 plus 1, der Quotient erhöht auf die nächst höhere ganze Zahl. So erhält man den vorläufigen Zuteilungsschlüssel. Auf Grund dessen wird zum erstenmal verteilt. 2. Grundsatz: Da so einige Mandate unverteilt bleiben, werden aus den unverteilten Mandaten zunächst diejenigen Länder und Ländergruppen befriedigt, welche gegenüber ihrem bisherigen Besitzstand einen Ausfall hätten; sie erhalten ihren bisherigen Besitzstand. Dabei muß aber bemerkt werden, daß Kärnten wegen des Wegfalles des slovenischen Gebietes nicht 10 sondern 9 Mandate bekommt. 3. Grundsatz: Die noch verbleibenden Restmandate werden sodann nach der Methode Hagenbach-Bischof auf die übrigen Wahlkreise verteilt, und so die Schlüsselzahl ermittelt, welche das Anrecht auf ein Mandat gibt. (Mit dieser Schlüsselzahl kann man dann die Probe machen) 4. Grundsatz: Der Berechnung werden die Bevölkerungszahlen vom Jahre 1910 (nur der anwesenden Zivilbevölkerung, nicht der Militärbevölkerung) zugrunde gelegt. Präs. S e i t z: Ich stelle zunächst diese Grundsätze zur Diskussion. D i n g h o f e r erklärt sich mit den Grundsätzen einverstanden, nur müsse man beachten, daß manche Wahlkreise seit 191063 an Bevölkerung zugenommen, manche abgenommen haben. So habe Linz um 20.000 Einwohner zugenommen, das Mühlviertel abgenommen. Diesbezüglich möchte er einen Punkt in die Grundsätze aufgenommen wissen. S c h o e p f e r lehnt die Zugrundelegung der reinen Bevölkerungszahl ab. Der Staat bestehe nicht bloß aus Menschen, sondern auch aus dem Boden, auf dem die Menschen leben. Der politische Einfluß sollte nach beiden Faktoren bestimmt werden. Tirol, das nach dem reinen Bevölkerungsschlüssel gar nur 12 Mandate erhalten hätte, habe dann allerdings die bisherige Zahl von 16 Mandaten bekommen, sei aber gegen früher doch verkürzt, weil ja auch die Gesamtzahl der Abgeordneten vermehrt worden sei. Wenn man, nach den großen Kriegsopfern des Landes, den politischen Einfluß Tirols jetzt noch schmälere, dann stärke man die separatistischen Bestrebungen im Lande und treibe es direkt von Deutschösterreich fort. Wenn sich die anderen Alpenländer diese Behandlung gefallen lassen, sei es ihre Sache. Wien sei übermäßig begünstigt. Die Bevölkerungszahl allein sei eben nicht die richtige Bemessungsgrundlage. Bei Wien müsse man z. B. auch den ungeheuren politischen Einfluß in Rechnung ziehen, den es als Zentrum des Reiches auf jeden Fall habe. F i n k: Tirol hat um vier Mandate mehr als nach dem Bevölkerungsschlüssel. Linz hat um 1 Mandat mehr, es könnte noch um 30.000 Einwohner mehr haben als im Jahre 1910 und wäre noch nicht benachteiligt.
Eine handschriftliche Auflistung der unterschiedlichen Mandatszahlen findet sich in Beilage 53/II. Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. 63 Dinghofer bezieht sich an dieser Stelle auf die im Jahr 1910 durchgeführte Volkszählung. 61 62
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E l l e n b o g e n: Das bisherige Wahlrecht war bekanntlich nur angeblich gleich.64 Da müssen es sich die bisher bevorzugten Länder wohl gefallen lassen, jetzt ein wenig zu verlieren. Wie kämen denn die anderen Länder dazu, sich eine Ungleichheit zu ihren Ungunsten gefallen zu lassen. Wenn man eine andere Grundlage als die Bevölkerungszahl nähme, käme man zu Willkür und Künstelei. A b r a m: Mir haben vor kurzem Dr. Erler65 und andere bürgerliche Abg. gesagt, die bisherige Mandatszahl könne man akzeptieren. Auch nach der Lostrennung von Österreich verlangen die Tiroler nicht so sehr, wie Schoepfer meint. Man hat mir aus Tirol eine Reihe von Schul- und Eisenbahnwünschen mitgegeben, die gar nicht nach Lostrennung klingen. S y l v e s t e r: Ich erkläre mich als Alpenländer mit der Einteilung und den aufgestellten Prinzipien vollkommen zufrieden. R e n n e r: Früher hatte Tirol mit 16 Abgeordneten von 516 1/32 des politischen Einflusses, heute wird es 1/16 haben. Jedes Land gewinnt relativ an Gewicht. Außerdem aber wird Tirol als Verbindungsland mit der Schweiz und als Grenzland für Österreich immer besonders wertvoll sein. Der Augapfel ist nur ein kleines Glied des menschlichen Körpers, nicht so groß wie der Fuß, aber wir werden Tirol eben wie einen Augapfel schätzen, wenn es auch nur 16 Mandate hat. S c h o e p f e r: Tirol war auch bisher Grenzland und benachteiligt. Der Vergleich mit dem Augapfel würde von jedem anderen als vom Kanzler wie Hohn klingen. Wohlwollen wiegt nicht den Mangel an Einfluß auf. Daß Tirol jetzt 1/16 des parlamentarischen Einflusses habe und früher nur 1/32 hatte, bedeutet keine Besserung, eben weil sich diese Verschiebung bei allen Ländern vollzieht. Ich müßte für Tirol ein Mandat mehr verlangen. Mit 16 von 250 Mandaten bin ich nicht einverstanden und füge hinzu, daß die separatistischen Bestrebungen – es sind ja nicht meine Bestrebungen – dadurch gefördert werden. Einen Antrag kann ich in diesem Stadium nicht stellen, weil er Ihr Prinzip umstieße, was ich Ihnen nicht zumuten kann. Die „Grundsätze“ werden hierauf in der Formulierung des Staatskanzlers a n g e n o m m e n. Nun wird die W a h l k r e i s e i n t e i l u n g in Verhandlung genommen. F r i e d m a n n: Bei der Einteilung Wiens, ist das, was der Kanzler die ziemlich gleiche soziale Schichtung genannt hat, nicht immer berücksichtigt worden. Die Hinzufügung von Floridsdorf zu Leopoldstadt und Brigittenau bringt die bürgerlich-freiheitlichen Mandate in eine ungünstige Stellung. Leopoldstadt und Brigittenau sollten für sich einen Wahlkreis bilden. Aus demselben Grunde sollte die Landstraße geteilt werden, da sie nach der Erdberger Seite ganz anders sozial geschichtet ist als nach der anderen Seite. Ein Teil der Landstraße sollte zu Favoriten und Simmering geschlagen werden. So würde ein Wahlkreis mehr entstehen. Ich b e a n t r a g e, daß in Wien statt 7 Wahlkreisen in der geschilderten Weise 8 Wahlkreise geschaffen werden. Das 1907 eingeführte Wahlrecht enthielt entgegen seiner Bezeichnung „allgemein, gleich, direkt und geheim“ gleich mehrere Einschränkungen, die vor allem die Begriffe „Allgemeinheit“ und „Gleichheit“ konterkarierten. So waren Frauen, zuvor laut Kurienwahlrecht zumindest teilweise wahlberechtigt, nunmehr gänzlich von der Wahl ausgeschlossen. Die Seßhaftigkeitsklausel setzte zur Erlangung des Wahlrechtes den mindestens einjährigen Wohnsitz in derjenigen Gemeinde, in welcher gewählt werden sollte, voraus. Ellenbogen bezog sich hier vermutlich vor allem auf die Wahlkreiseinteilung und das Wahlsystem, die entscheidende regionale und nationale Ungleichgewichte bewirkten. Vgl. Ucakar, Demokratie und Wahlrecht in Österreich, S. 353–361. 65 Dr. Eduard Erler, 1909 bis 1918 Vizebürgermeister von Innsbruck, deutschfreiheitliche Partei, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung. 64
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E l l e n b o g e n: Die Einführung von Wahlkreisen mit gleicher sozialen Schichtung entspricht nicht dem Wesen des Proporzes. Damit schaffen wir Herrenhaussitze, die Bewerbung um ein Mandat verliert jeden Sinn. F r i e d m a n n: Dann nehmen Sie Wien als einen Wahlkreis! E l l e n b o g e n: Da ist Gefahr, daß wir vier tschechische und ein zionistisches Mandat bekommen. Es handelt sich doch darum, daß die bürgerlichen Elemente in Wien nicht erdrückt werden. Nun haben sie ja in Wien Innen-West die Majorität, in Wien Innen-Ost sind für sie mindestens 3 von 7 Mandaten zu erzielen und wenn sie in Wien Nordost von den 8 Mandaten nicht 2–3 zustandebringen, dann sind sie überhaupt nicht lebensfähig. Der Antrag Friedmann wird a b g e l e h n t, die Fassung der Kommission a n g e n o m m e n.66 Die Wahlkreise Korneuburg und Krems werden nach dem Antrag der Kommission a n g e n o m m e n, doch behält sich M i k l a s vor, daß seine n.ö. Parteigenossen eventuell die Ausscheidung Südmährens zu einem eigenen Wahlkreise beantragen werden. Die Wahlkreise St. Pölten und Wiener Neustadt werden a n g e n o m m e n.67 Für Oberösterreich erklärt sich D i n g h o f e r mit der Mandatszahl einverstanden, b e a n t r a g t aber eine geänderte Wahlkreiseinteilung. (Er überreicht den schriftlichen formulierten Antrag68). Unter anderem soll danach der Böhmerwaldgau mit Rücksicht auf die ungeklärten Verhältnisse vom Mühlviertel geschieden werden. S e i t z schlägt vor, den Antrag der Kommission vorläufig anzunehmen, damit die Vorlage fertiggestellt werden könne, aber zu erklären, daß man auf die Wünsche Oberösterreichs eingehen werde, wenn die Parteien Oberösterreichs eine andere Vereinbarung treffen. F i n k: Das kann man dann im Wahlreformausschuß machen. E l l e n b o g e n stimmt dem Vorschlage Seitz zu, nur über die Ausscheidung des Böhmerwaldgaus müsse schon jetzt im Staatsrat entschieden werden, das könne man nicht den Parteien Oberösterreichs überlassen. Durch die Vereinigung Südböhmens und Südmährens mit Oberösterreich und Niederösterreich sollte nämlich die Zugehörigkeit dieser Wahlkreise zu Deutschösterreich nach außen hin zum Ausdruck gebracht werden. Wenn die Tschechen die Wahl in diesen Gebieten hindern sollten, werde der Notparagraph 4069 platzgreifen. Diese Wahlkreiseinteilung wurde auch ins endgültige Gesetz übernommen. In den Entwürfen wurden bereits im § 1 die Vororte der Wahlkreise neben den dazugehörigen Vierteln („oberm und unterm Manhartsberg“; „oberm und unterm Wienerwald“) genannt. Das endgültige Gesetz enthielt in § 1 nur die Bezeichnungen der Viertel und ergänzte diese um den Znaimer Kreis. 68 Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. Die Frage der Wahlpflicht wurde in § 11, zweiter Absatz des Gesetzes vom 18. Dezember 1918 über die Wahlordnung für die Konstituierende Nationalversammlung (StGBl. Nr. 115/1918) geregelt. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 893/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 53. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 3. Dezember 1918, Beschluß VII. 69 Der hier vermutlich relevante zweite Absatz des § 40 des Entwurfes lautet: „Bei späteren Änderungen der Gebietseinteilung ist der Staatsrat ermächtigt, durch Verordnung die sich hieraus ergebenden Änderungen der Wahlkreiseinteilung durchzuführen.“ Gemeint sein könnte aber auch § 39 des Entwurfes, der im Falle, daß die Wahlen nicht gesetzeskonform durchgeführt werden konnten, festlegte, der Staatsrat könne „durch Verordnung die Vornahme dieser Wahlen außerhalb des Wahlortes oder Wahlkreises, die unmittelbare Einsendung der Stimmzettel an die Hauptwahlbehörde sowie jene sonstigen Änderungen an den Vorschriften dieser Wahlordnung verfügen, die zur Ausübung des Wahlrechtes unabweislich geboten sind.“ Der hier vermutlich noch relevantere zweite Absatz des § 39 legte fest: „Im äußersten Notfall beruft der Staatsrat aus den behinderten Gebieten unter gewissenhafter Berücksichtigung der Parteiverhältnisse selbst die gebührende Zahl von Vertretern in die Nationalversammlung als deren vollberechtigte Mitglieder ein.“ § 39 des Entwurfes wurde im endgültigen Gesetz zu § 40. 66 67
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H e i n e stimmt dem Antrage Ellenbogen zu und spricht sich für die Schaffung eines besonderen Wahlkreises Böhmerwaldgau aus. Die Entente dürfte noch vor der Wahl über die deutschböhmischen Gebiete beschließen, das könnte uns vor eine neue Situation stellen und wir kämen dann nicht dazu, die Vereinigung Südböhmens mit Oberösterreich praktisch zu dokumentieren. D i n g h o f e r erklärt sich für seine Person damit einverstanden, daß der Böhmerwaldgau mit dem Mühlviertel verbunden bleibe. Aber alle drei Parteien Oberösterreichs seien für die Ernennung. Hinsichtlich der sonstigen Wahlkreiseinteilung bestehe eine Übereinstimmung zwischen den Parteien nicht, es werde also doch der Wahlreformausschuß entscheiden müssen. R e n n e r tritt für die Fassung der Vorlage ein. Wenn es auch nicht zur Wahl aus dem Böhmerwaldgau komme, so müssen wir doch wenigstens den Willen zur Vereinigung dokumentieren und dürfen nicht den Anschein erwecken, daß die Länder diesen Zuwachs eigentlich gar nicht wollen. Im Übrigen werde der Wahlreformausschuß noch immer freie Hand haben. Sodann b e a n t r a g t er, der Staatsrat wolle beschließen: Es werden die Verhandlungen über den Anhang abgebrochen und es werden morgen als Regierungsvorlage bloß eingebracht die Wahlordnung und das Mantelgesetz.70 Die Vorlage über die Wahlkreiseinteilung wird dann gleich dem Ausschusse unterbreitet.71 F i n k bemerkt gegenüber Heine, daß, wenn auch der Böhmerwaldgau nicht mitwählen könne, die Oberösterreicher ja mit die böhmischen Mandate wählen. Eventuell könne man auch mit Vollmacht oder mit Zusendung der Stimmzettel wählen lassen. S e i t z ist dafür, daß die Verhandlung jetzt abgebrochen werde. Auch für Steiermark werde ja wohl eine ganz andere Einteilung vorgeschlagen werden, und auch Sudetenland dürfte spezielle Wünsche haben. Da wäre es am besten, wenn sich zunächst die Länder zusammensetzten.72 R e n n e r: Aber über das allgemeine Prinzip muß das ganze Haus entscheiden. S e i t z: Entscheiden gewiß. Aber wo ein Land eine andere Einteilung vorzieht, kommt man ihm entgegen. In der Frage der Solidarität mit dem südlichen Böhmen und Mähren allerdings muß das Haus ein Machtwort sprechen. Wenn man bei den Friedensverhandlungen darauf hinweisen kann, dies sei ein einziger Wahlkreis, geschlossenes deutsches Gebiet, so macht das einen ganz anderen Eindruck, als wenn wir in unserer Wahlordnung schon selbst diese Gebiete ausstoßen.73
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Ob es sich hier um einen Irrtum im Protokolltext handelte und bereits der endgültige Gesetzestext oder tatsächlich § 40 des Entwurfes gemeint war, konnte nicht geklärt werden. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 7. Sitzung vom 4. Dezember 1918, Zuweisung an den Wahlgesetzausschuß, S. 191. Vgl. PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Wahlgesetzausschuß, Protokoll über die Sitzung am 11. Dezember 1918. Im fertigen Gesetzestext lautete die Einteilung für die Steiermark: Mittel- und Untersteier, Oststeier, Obersteier. Das Sudetenland wurde in die Wahlkreise Westschlesien und Kuhländchen, Schönberger Kreis und Schönhengstergau aufgeteilt. Gegen die Wahlkreiseinteilung wurde u. a. von den erwähnten Ländern Protest eingelegt. Vgl. hierzu das Material in AdR, StK, GZl. 1.147/1918, Bezirksvertretung, Stadtgemeinde und demokratische Partei Murau, Entwurf der Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung, Wahlkreiseinteilung (Zuweisung des Gerichtsbezirkes Murau). Zu den diesbezüglichen Wünschen und Beschwerden der Länder vgl. auch das Material, darunter vor allem die dem Protokoll über die Sitzung vom 11. Dezember beiliegende Niederschrift einer bei der Landesregierung Oberösterreich am 6. Dezember 1918 zu dieser Frage abgehaltenen Verhandlung, in PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Wahlgesetzausschuß, Zugewiesene Agenden. In der endgültigen Version wurde der Böhmerwaldgau vom Mühlviertel separiert und als eigener Wahlkreis festgelegt.
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S c h o e p f e r wünscht, weil die jetzige Textierung vielleicht Empfindlichkeiten verletzen könnte, daß statt „Innsbruck und Inntal“ gesetzt werde „Nordtirol“ und statt „Bozen und Vintschgau“ „das Etschtal“. Der Antrag Schoepfer wird a n g e n o m m e n.74 Sodann wird nach längerer Debatte der A n t r a g E l l e n b o g e n a n g e n o m m e n, wonach die Verhandlung über die W a h l p f l i c h t (§ 11) von der Tagesordnung abgesetzt wird und die Obmänner der Parteien ersucht werden, über diesen Gegenstand Verhandlungen zu führen.75 Schließlich wird ein Antrag76 des Staatssekretärs für Justiz, betreffend Nachsicht von Strafen, g e n e h m i g t. Schluß der Sitzung: 11 Uhr 15 Min. nachts.
Im endgültigen Gesetzestext lautete die Einteilung: Nordtirol und Deutsch-Südtirol. Vgl. AdR, StK, GZl. 893/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 53. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 3. Dezember 1918. Der Akt enthält folgende handschriftliche Notiz vom 24 Dezember 1918: „In § 11, zweiter Abs. des Ges. v. 18. Dezbr 18, StGBl No 115 geregelt. Zu hinterlegen.“ 76 Beilage 53/VIII: Gnadengesuche (11 Seiten). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII. Diese Liste ist die richtiggestellte Version der aufgrund einer verfassungsmäßig inkorrekten Formulierung erneut verhandelten Liste mit Gnadengesuchen. Die Beilage enthält noch folgende handschriftliche Notiz in Gabelsberger Kurzschrift: „Die Vorschläge der Justizkommission über zwei vom Obersten Gerichtshof gemäß § 341 StPO. erstattete Gutachten betreffend Nachsicht der Todesstrafen und über die Gnadenbitten von 44 strafgerichtlich verurteilten Personen die Umwandlung oder Nachsicht der Strafen bzw. Nachsicht der Rechtsfolgen oder Tilgung der Verurteilung sowie von 74 in strafgerichtlicher Untersuchung stehender Personen um Niederschlagung des Strafverfahrens wird genehmigt“. Vgl. SRP Nr. 43 vom 23. November 1918, Nr. 44/7 vom 25. November 1918, Nr. 48 vom 27. November 1918 und Nr. 49/1 vom 28. November 1918. 74 75
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53. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 3. Dezember 1918. Vorsitzender: Präsident H a u s e r, später: Präsident S e i t z. B e s c h l ü s s e: I. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l Antrag: Der Staatsrat wolle beschließen: 1.) Alle für die Nationalversammlung bestimmten Gesetzesvorlagen des Staatsrates müssen mit einem entsprechenden, ausführlichen Motivenberichte ausgestattet sein. 2.) die Vertreter der Staatsämter sind berechtigt, in den Ausschüssen der Nationalversammlung Abänderungen von Staatsratsvorlagen ohne Genehmigung des Staatsrates, bezw. in besonders dringenden Fällen des Staatsratsdirektoriums zur Beratung zu stellen. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler II. Beschlüsse über den Entwurf einer Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung: § 1 wird angenommen. § 2 wird angenommen. § 3 wird angenommen. § 4 wird angenommen. § 5 wird angenommen. § 6 wird angenommen. § 7 wird angenommen. § 8 wird angenommen. § 9 wird angenommen. § 10 wird angenommen. § 11 wird angenommen. (u. zw. würde der 1. Abs. des § 11 mit Ausschluß des Passus „ohne Unterschied des Geschlechtes“ zur Abstimmung gebracht und angenommen, sodann wurde die Aufnahme des erwähnten Passus zur Abstimmung gebracht und angenommen und schließlich wurde über den letzten Satz des § 11, lautend: „Die Wahlpflicht wird durch ein besonderes Gesetz geregelt“ abgestimmt und der bezügliche Satz angenommen.) § 12 wird angenommen (u. zw. wurde der § mit Ausschluß des Passus „ohne Unterschied des Geschlechtes“ zur Abstimmung gebracht und angenommen, sodann wurde über die Einschaltung des erwähnten Passus abgestimmt und dieselbe mit 17 gegen 2 Stimmen angenommen und schließlich wurde der Zusatzantrag des Staatsrates Teufel „Nach dem Worte „vollendet“ ist anzufügen „und sich zur deutschen Nation bekennt“ abgelehnt. § 13 wird angenommen.
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53 – 1918-12-03 § 14 wird angenommen. Der Antrag des Staatsrates Friedmann, dem § 14 folgenden Schlußabsatz anzufügen: „In Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern ist das Wählerverzeichnis jeder Partei zu Handen ihres zustellungsbevollmächtigten Vertreters (§ 18, Punkt 3) gegen Ersatz der Kosten zuzustellen. Das Begehren um Ausfolgung eines solchen Verzeichnisses ist mindestens 8 Tage vor Auflegung der Wählerliste bei der Orts-, bezw. Sprengelwahlbehörde anzumelden“ wird angenommen. § 15 wird angenommen. § 16 wird angenommen. § 17 wird angenommen. § 18 wird angenommen. § 19 wird angenommen. § 20 wird angenommen. § 21 wird angenommen. § 22 wird über Antrag der Staatsräte Teufel und Miklas mit der Maßgabe angenommen, daß in dem 2. Absatze nach dem Worte „Parteilisten“ der Passus „innerhalb eines Wahlkreises“ eingeschaltet wird. § 23 wird angenommen. § 24 wird angenommen. § 25 wird angenommen. § 26 wird mit der Maßgabe angenommen, daß es im 4. Satze selbstverständlich statt „Wahlbewerbung“ richtig „Wahlwerbung“ heißen muß. § 27 wird angenommen. § 28 wird angenommen. § 29 wird angenommen. § 30 wird angenommen. § 31 wird angenommen. § 32 wird angenommen. § 33 wird angenommen. § 34 wird angenommen. § 35 wird angenommen. § 36 wird angenommen. § 37 wird angenommen. § 38 wird angenommen. § 39 wird angenommen. § 40 wird angenommen. § 41 wird angenommen.
III. Der Staatsrat nimmt zur Kenntnis, daß bei der weiteren Verhandlung der Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n durch den Ersatzmann N e u n t e u f e l und der Staatsrat Dr. O f n e r durch den Ersatzmann F r i e d m a n n vertreten werden.77
Beilage 53/III: Antrag Langenhan (½ Seite); Antrag Ofner (½ Seite). Die beiden Anträge scheinen im Protokollverlauf nicht auf. Ihr Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein.
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IV. Beschlüsse über den Entwurf eines Gesetzes über die Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung: Artikel I wird mit der Maßgabe angenommen, daß an Stelle der Worte „auf den 1. März 1919“ die Worte „14 Tage nach dem Wahltage“ gesetzt werden. Artikel II wird mit der Streichung des Wortes „großjährigen“ angenommen. Artikel III wird angenommen. Artikel IV wird mit der Maßgabe angenommen, daß nach „(Wahlordnung §“ die Ziffer 8 einzuschalten ist. Artikel V wird mit der Maßgabe angenommen, daß an Stelle des Wortes „zehnte Morgenstunde“ das Wort „elfte Morgenstunde“ zu setzen ist. Artikel VI und VII werden angenommen. V. Bezüglich der Art und Weise der Zuteilung der Mandate auf die einzelnen Länder und Ländergruppen einigte sich der Staatsrat auf folgende Grundsätze: 1.) Die gesamte Einwohnerzahl wird durch 250 plus 1, erhöht auf die nächst höhere ganze Zahl, dividiert. So erhält man den vorläufigen Zuteilungsschlüssel, auf Grund dessen zum ersten Male verteilt wird. 2.) Da so einige Mandate unverteilt bleiben, werden aus den unverteilten Mandaten zunächst diejenigen Länder und Ländergruppen befriedigt, die einen Ausfall gegenüber ihren bisherigen Besitzstande hatten. Sie erhalten demnach ihren bisherigen Besitzstand, wobei aber bemerkt werden muß, daß Kärnten wegen des Wegfalles des slovenischen Gebietes nicht 10 sondern 9 Mandate erhält. 3.) Die noch verbleibenden Restmandate werden sodann nach der Methode Hagenbach-Bischof auf die übrigen Wahlkreise verteilt und wird so die Schlüsselzahl ermittelt, welche das Anrecht auf ein Mandat gibt. 4.) Der Berechnung werden die Bevölkerungszahlen (u. zw. nur der anwesenden Zivilbevölkerung, nicht der Militärbevölkerung) vom Jahre 1910 zugrunde gelegt. VI. Antragsteller: Präsident S e i t z und Staatskanzler Dr. R e n n e r, während der Debatte über den Anhang zu § 1 der Wahlordnung. Antrag: Der Staatsrat wolle beschließen: „Es wird die Verhandlung über den Anhang abgebrochen und es werden morgen als Regierungsvorlage bloß das Gesetz über die Wahlordnung und das Gesetz über die Einberufung der konstituierenden Nationalversammlung eingebracht. Die Vorlage über die Wahlkreiseinteilung wird gleich dem Ausschusse unterbreitet.“ Wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler. VII. Antragsteller: Staatsrat Dr. E l l e n b o g e n Antrag: Der Entwurf eines Gesetzes, betreffend die allgemeine Wahlpflicht zur Nationalversammlung, wird von der Tagesordnung abgesetzt und werden die
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Obmänner der Parteien ersucht, über diesen Gegenstand Verhandlungen zu führen. An den Herrn Staatskanzler. VIII. Antragsteller: Präsident S e i t z Beschluß: Der Staatsrat beschließt auf Grund des Antrages des Staatssekretärs für Justiz im Sinne des Gutachtens des Obersten Gerichtshofes gemäß § 341 Strafprozeßordnung nachstehende Begnadigungen zu gewähren: […]78 An den Herrn Staatssekretär für Justiz. Nächste Sitzung Freitag, den 6. Dezember 1918, um ½5 Uhr Nachmittag.
Hier folgt im Original eine Liste von 67 Gnadengesuchen. Die Verurteilten sind unter Angabe des Namens und Deliktes aufgelistet. Die mit Abstand am häufigsten genannten Vergehen sind Preistreiberei und Diebstahl. In den meisten Fällen wurden Strafmilderungen, etwa durch die Umwandlung von Kerkerstrafen in Geldstrafen, in vereinzelten Fällen auch Strafnachsicht gewährt. Zwei Todesstrafen wurden in lebenslängliche Haft umgewandelt.
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54. [Freitag] 1918-12-06 Vorsitz: Anwesend:1
Schriftführer: Dauer:
Hauser Abram, Bodirsky, Dinghofer, Domes, Ellenbogen, Fink, Friedmann, Gruber, Iro, Jerzabek, Keschmann, Langenhan, Leuthner, Licht, Luksch, Miklas, Ofner, Seitz, Schoepfer, Schoiswohl, Sylvester, Teufel, Waihs, Waldner, Wolf unbekannt 16.30–19.45 Uhr2
Reinschrift, Beschlußprotokoll 3, Präsenzliste Beilagen: 54/I
54/III 54/IV a 54/IV b 54/IV c 54/IV d 54/IV e 54/V 54/VI 54/VIII
Novellen zum Gesetz über die Staats und Regierungsform, Ergänzung des § 7 des Gesetzes über die Staats u. Reg. Form., Vorlage des Staatsrates, Gesetz vom … wodurch § 7 des Gesetzes vom 30. Oktober 1918 über die Staats und Regierungsform in Deutschösterreich, StGBl. Nr. … ergänzt wird (1 Seite); Begründung (4½ Seiten); Vorlage des Staatsrates, Gesetz vom … wodurch § 7 des Gesetzes vom 30. Oktober 1918 über die Staats und Regierungsform in Deutschösterreich, StGBl. Nr. … ergänzt wird (1 Seite). Antrag des Staatskanzlers, betreffend Einsetzung einer provisorischen Hauptwahlbehörde (¼ Seite). Weisung des Staatsrates, betreffend Demobilisierungsgüter (1 Seite). Antrag Teufel, betreffend Verkauf der Sachdemobilisierungsmaterialien und -güter (1 Seite, handschriftlich). Antrag Licht, Zusatz zu Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel/Steinwender, betreffend Erlös aus militärischen Sachgütern falls Antrag Renner abgelehnt werden sollte (1 Seite, handschriftlich). Antrag Licht, betreffend die Aufteilung der Erlöse der Sachgüter (½ Seite). Deutschösterreichisches Staatsamt für Heerwesen, Ernennung des Sektionschefs Hanausek zum deutschösterreichischen Liquidierungskommissär (¼ Seite, zweifach). Antrag Domes, betreffend Ausgabe der im Staatsbesitz befindlichen Holzschuhe und anderen Bekleidungsmittel an die mittellose, arme Bevölkerung (1 Seite). Urlaubsansuchen Fink (½ Seite, handschriftlich).4
Präs. H a u s e r eröffnet die Sitzung. Bekanntgabe des Einlaufes und Zuweisung desselben an die betreffenden Staatsämter.5 Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Josef Mayer, Dr. Karl Renner, Richard Riedl, Dr. Otto Steinwender, Josef Stöckler und Dr. Karl Urban, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. 2 Der Sitzungsbeginn ergibt sich aus dem Beschlußprotokoll des SRP Nr. 53 vom 3. Dezember 1918. 3 Dem Beschlußprotokoll ist ein geheimer Anhang beigefügt. 4 Weiters liegt dem Protokoll bei: Deutschösterreichisches Staatsamt für Heerwesen, Beschluß des Staatsrates, betreffend das Vorgehen für die nächste Konferenz der Nachfolgestaaten der Monarchie über Liquidationsfragen (1½ Seiten). 5 Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 1
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Dr. R e n n e r: Gestern ist im Hause das Staatsbürgerrechtsgesetz beschlossen worden.6 Wir haben nun dieses Gesetz im Staatsrate noch einer letzten Lesung zu unterziehen.7 Da in der Nationalversammlung streitig geworden ist, in welcher Weise der Staatsrat an dem Vollzuge der Gesetze mitwirkt, und da insbesondere gewünscht wurde, daß eine Vorlage, die diesen Punkt klarstellt, dem Hause unterbreitet werde,8 hat sich das staatsrechtliche Departement, also der Gesetzgebungsdienst, bemüht, einen solchen Gesetzentwurf zu unterbreiten, der in Ergänzung des Gesetzes über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt diese Frage endgültig regelt. (Verliest das Gesetz9) Ich stelle den Antrag, diesen Gesetzesvorschlag als hier eingebracht zur Kenntnis zu nehmen und ihn der Verfassungskommission zuzuweisen. A n g e n o m m e n.10 Über Antrag11 Ellenbogen wird an Stelle des Staatsrates Seliger Staatsrat Seitz in die Verfassungskommission entsendet.12 Zu diesem Beschluß vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 8. Sitzung vom 5. Dezember 1918, Bericht des Verfassungsausschusses, S. 281 f; StGBl. Nr. 91, Gesetz vom 5. Dezember 1918 über das deutschösterreichische Staatsbürgerrecht, ausgegeben am 13. Dezember 1918. Zur schwierigen Genese des Staatsbürgerschaftsgesetzes vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. Zur Beurkundung vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 7 Der Staatskanzler bezog sich hier auf § 7 des StGBl. Nr. 1/1918 über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt, der folgendermaßen lautete: „Der Staatsrat berät die Vorlagen an die Nationalversammlung vor, beurkundet deren Beschlüsse, macht sie kund und erläßt die nötigen Vollzugsanweisungen.“ 8 Zu dieser Debatte vgl. Sten Prot. Prov. NV, 7. Sitzung vom 4. Dezember 1918, S. 191–199. 9 Beilage 54/I: Gesetzesentwurf (1 Seite); Begründung (4½ Seiten); Gesetzesentwurf (1 Seite). Dem Protokoll liegen zwei gleichlautende Entwürfe des Gesetzes bei, wobei ein Entwurf eine umfangreiche Begründung enthält. Mit dem Gesetz sollte der § 7 des StGBl. Nr. 1/1918 dahingehend ergänzt werden, daß dem Staatsrat das Recht eingeräumt werden sollte, im Falle etwaiger Bedenken, betreffend zur Beurkundung vorgelegte Gesetzesbeschlüsse, eine erneute Einbringung in der Nationalversammlung zu beantragen. Die Begründung hält zur Frage der Kompetenzverteilung, die vor allem im Zuge der Verhandlung des Staatsbürgerschaftsgesetzes, insbesondere in SRP Nr. 51/9 vom 30. November 1918 und Nr. 52/2 vom 2. Dezember 1918, sowie in der 7. Sitzung der provisorischen Nationalversammlung am 4. Dezember 1918 ausführlich diskutiert worden war, eindeutig fest: „Beurkundungs- und Kundmachungsbefehl machen den Gesetzesbeschluß der Nationalversammlung zum Gesetz, bis dorthin ist er bloß Beschluß.“ Auf dieser Grundlage sollte dem Staatsrat ermöglicht werden, „Vorstellung“ zu erheben, wobei nochmals betont wurde: „Eine solche Vorstellung ist weder ein Veto noch ein Sanktionsrecht, sondern eine unerläßliche Cautel beim Einkammersystem.“ StGBl. Nr. 139, Gesetz vom 19 Dezember 1918, womit einige Bestimmungen des Beschlusses der Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Dezember 1918, StGBl. Nr. 1, abgeändert oder ergänzt werden, ausgegeben am 24. Dezember 1918, weicht vom Entwurf insofern ab, als die in Aussicht gestellte Erweiterung des § 7 nicht durchgeführt wurde. Statt dessen wurde der § 7 zur Gänze aufgehoben und die im vorliegenden Entwurf angeregten Änderungen mit einigen Modifikationen in den § 4 übernommen. Die grundsätzliche Intention des Entwurfes, dem Staatsrat ein Widerspruchsrecht gegen Gesetzesbeschlüsse der Nationalversammlung einzuräumen, blieb aber erhalten. Vgl. Hans Kelsen, Die Verfassungsgesetze der Republik Deutschösterreich – Teil 2 (1919). Gesetz vom 19. Dezember 1918 zur Abänderung oder Ergänzung einiger Bestimmungen des Beschlusses über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Oktober 1918 (mit Erläuterungen), in: Matthias Jestaedt (Hg.), Hans Kelsen. Werke. Band 5: Veröffentlichte Schriften 1919–1920, Tübingen 2011, S. 141–240. 10 Zur Behandlung des Gesetzes in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 9. Sitzung am 12. Dezember 1918, Zuweisung an den Verfassungsausschuß, S. 289; 11. Sitzung am 19 Dezember 1918, Bericht, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 416–419. 11 Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. 12 Gemeint ist hier die Beratungsgruppe für Verfassungs- und Verwaltungsorganisation, die in der 15. Sitzung des Staatsrates vom 2. November 1918 eingesetzt worden war. Vgl. weiters den Punkt II des 6
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Über Antrag13 Teufel wird an Stelle des Unterstaatssekretärs Marckhl Staatsrat Dr. von Langenhan in die Verfassungskommission entsendet.14 Dr. R e n n e r: Ich habe einen Antrag bezüglich der Sachdemobilisierung zu stellen. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß die Gesandten des näheren Auslandes miteinander zusammengekommen sind und sich zu folgendem Vorgehen vereinbart haben: Sie wollen in der nächsten Gesandtenkonferenz, die jetzt stattfindet, den Antrag stellen, daß eine Kommission aus den Vertretern aller Staaten eingesetzt werde, und zwar unter dem Vorsitze des Tusar15. Außerdem soll noch hiezu der Beisitz eines Ententevertreters erbeten werden. Diese Kommission soll über die Realverteilung unserer Sachdemobilisierung entscheiden.16 Dieser Vorgang wurde, wie ich informiert bin, deshalb gewählt, weil wir den Standpunkt einnehmen, daß die Sachdemobilisierungsgüter dem Eigentume nach uns gehören und daß die anderen nur einen Anspruch auf verhältnismäßigen Wertersatz haben. Um nun diesem Treiben von vorneherein einen Riegel vorzuschieben, möchte ich, daß der Staatsrat heute noch, bevor er von dieser Gesandtenkonferenz irgend etwas intimiert17 bekommt, einen Beschluß faßt. (Verliest den Antrag18) S e i t z: Der letzte Absatz dieses Antrages steht im Gegensatze zu dem Antrage, der heute im Kabinettsrate angenommen wurde19 und der dahin geht, man solle den anderen
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Beschlußprotokolls der vorliegenden Sitzung, in dem Seliger nicht als Staatsrat, sondern als Landeshauptmannstellvertreter von Deutschböhmen genannt wird. Der Antrag liegt dem Protokoll nicht bei. Dieser Beschluß scheint schon unter Punkt IX des Beschlußprotokolls der 43. Sitzung auf. Vgl. dazu auch SRP Nr. 56 vom 9. Dezember 1918. Vlastimil Tusar, Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 30. Oktober 1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10. Juli 1919 bis 15. September 1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident. Auf der vierten Gesandtenkonferenz vom 6. Dezember 1918 wurde die Frage der Sachdemobilisierung als dritter Punkt der Tagesordnung besprochen. Wie von Renner vermutet, protestierten die Vertreter der übrigen Nachfolgestaaten zunächst gegen den bisherigen Modus der Sachdemobilisierung und forderten schließlich die Bildung einer eigenen Liquidierungskommission, die in der achten Gesandtenkonferenz am 21. Jänner 1919 eingesetzt wurde. Vgl. die Protokolle der Sitzungen in AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Österreich 2/9 Gesandtschaftskonferenzen, Gesandtenkonferenz, Protokoll über die am 6. Dezember 1918 im Deutschösterreichischen Staatsamt für Äußeres abgehaltene vierte Gesandten-Konferenz sowie ebd., Niederschrift über die am 21. Jänner 1919 im Deutschösterreichischen Staatsamt für Äußeres abgehaltene achte Gesandten-Konferenz. Die Frage der Durchführung der Liquidierung und Sachdemobilisierung wurde zudem in der am 8. Dezember abgehaltenen Sitzung des geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums diskutiert, wo einige diesbezügliche Grundsätze festgelegt wurden. Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Reihe 1918, GZl. 31/ Dir./1918, Vermerk Nr. 6 über die Besprechung des geschäftsführenden Direktoriums am 8. Dezember 1918, Tagesordnung: Liquidierung des alten österr. Staates im allgemeinen, Sachdemobilisierung im besonderen. Zur Verhandlung der Sachdemobilisierung in der Gesandtenkonferenz und zur Haltung Deutschösterreichs vgl. auch SRP Nr. 51 vom 30. November 1918. Intimieren: jemandem eine Intimation (gerichtliche Ankündigung, Aufforderung, Vorladung) zustellen. Vgl. Beilage 54/IV a: Weisung des Staatsrates, betreffend Demobilisierungsgüter (1 Seite). Der Inhalt der Beilage stimmt mit dem Geheimen Anhang des Beschlußprotokolls, der neben den in der Beilage enthaltenen Richtlinien auch die Ausführungen Renners und die folgenden Anträge 54/IV b–e enthält, überein. Vgl. dazu KRP Nr. 21/4 vom 6. Dezember 1918, hier besonders das Stenogramm zu diesem Punkt. Die Verhandlungen über die Einsetzung einer internationalen Liquidierungskommission wurden im Kabinettsrat nicht weiter verfolgt, da diese Angelegenheit auch im Staatsrat diskutiert werden sollte.
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Nationalstaaten vorschlagen, ein Liquidierungsdirektorium einzusetzen, bestehend aus je einem Mitgliede der Nationalstaaten. Diesem Direktorium seien Liquidierungskommissionen für die einzelnen Gegenstände anzuschließen, und insoferne sich diese Kommissionen nicht einigen, habe das Direktorium zu entscheiden. Was die Sache selbst anbelangt, so ist nicht zu bestreiten, daß wir in der Sachdemobilisierung nicht weiter kommen. Die größte Sachdemobilisierung ist beim Rückzug der Armee geschehen. Da hat sich aber kein Mensch darum gekümmert. Wir müssen so rasch als möglich die Sachen, hauptsächlich Bekleidung und Beschuhung, an die Bevölkerung abgeben. In den einzelnen Ländern ist noch eine Masse von Vorräten aufgestapelt. Wir dürfen es nicht darauf ankommen lassen, daß die Ententetruppen zu uns kommen und die Magazine besetzen und das alles als gemeinsames Gut erklären, an dem wir dann nur einen quotenmäßigen Anteil haben. Gegen diese tatsächlich bestehende Gefahr nützt eine papierene Deklaration nichts. Dieser Antrag in seinen Punkten 1 und 2 schadet nichts, er nützt aber auch nichts. Ich bin nicht dagegen, würde aber beantragen, daß die Stilisierung dieser beiden Punkte umgekehrt geschieht. Es ist doch viel besser zu sagen: Da diese sich alles genommen haben, was auf ihrem Boden ist, machen auch wir von diesem unseren Rechte Gebrauch, folgen ihnen auf diesem Wege u.s.w. Ebenso verhält es sich beim P. 3. Da würde ich sagen: Wenn die anderen Nationalstaaten bereit sind, aus dem Erlöse der von ihnen in Anspruch genommenen Güter und Sachen die berechtigte Quote an uns abzuführen, so sind auch wir bereit, aus unserem Erlöse an sie abzuführen. Dadurch ist immer dasjenige, was der Feind getan hat und tut, die Voraussetzung dessen, was wir tun und tun werden. Das Wichtigste also ist, daß alles, was heute bei uns in den Magazinen aufgestapelt und nahezu wertlos ist, wie z. B. Holzschuhe, gewisse Papierwaren u.s.w., sofort abgestoßen wird. Zweitens ist wichtig, daß die Landes- oder Bezirksstellen so rasch als möglich die Bevölkerung mit Bekleidungsstoffen zu den billigsten Preisen versehen, und zwar unbekümmert darum, wo sie diese gerade hernehmen, und daß so weit es sich um Textilwaren handelt, nur die besonders hochwertige Ware zurückbleibt, die dann für die Freihändler verwendet werden kann.20 S t e i n w e n d e r bezeichnet einen Beschluß, wie ihn der Staatskanzler in den Richtlinien vorschlägt, als ungerecht, schädlich und ungeschickt. Die Sachgüter sind kein freies, sondern ein gemeinsames Eigentum. Die Folgen eines solchen Schrittes wären, daß Wien in den nächsten Tagen die schrecklichsten Zustände erleben würde. Die Tschechen waren und sind auch wohl zu Verhandlungen bereit. Wir müßten uns informieren und unsere Ansprüche auf der Gegenseite gerade so erheben wie die Tschechen uns gegenüber. Durch solche Beschlüsse werden die Tschechen auf das äußerste gereizt. Wir müssen trachten zu einer Verständigung zu kommen. Wenn wir die Sachen verschleudern, so kommen wir finanziell in die allerschwerste Lage. Wir müssen bestrebt sein, aus den Demobilisierungsgütern möglichst viel Geld zu erzielen, sonst kommen wir zum vollständigen Krach. R i e d l: Die Tschechen verlangen die Aufstellung einer gemeinsamen Liquidierungskommission in jedem Ministerium unter einem Liquidierungsdirektor, um die ganze Liquidation durchzuführen. Ich habe durch einen meiner Beamten auf der heutigen Gesandtenkonferenz erklären lassen, daß es notwendig sei, ein Organ zu schaffen, welches die Liquidation, diesmal beschränkt auf die Heeresgüter, durchführt.21 Diese Kommission soll in großen Zügen feststellen, was in allen Nationalstaaten an Heeresgut vorhanden ist, damit alles erfaßt werden und aufgeteilt werden kann. Nun aber leugnen die anderen Nationalstaaten uns gegenüber Zu Vollzugsanweisungen, betreffend die Bekleidung und Beschuhung der Bevölkerung, vgl. SRP Nr. 55/2 vom 7. Dezember 1918. 21 Gemeint ist vermutlich der in Anm. 16 der vorliegenden Sitzung bereits erwähnte Punkt III des Protokolls der 4. Gesandtenkonferenz am 6. Dezember 1918. 20
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das Vorhandensein solcher Güter, während wir uns eine solche Aufsicht gefallen lassen sollen. Die zweite Forderung, die die anderen Staaten aufstellen, ist, daß nicht bloß die Abrechnung der Werte stattfinden, sondern auch daß die Güter selbst in natura geteilt werden. Ich habe eine Realaufteilung nicht abgelehnt, aber nur unter der Voraussetzung, daß ein freundnachbarlicher Verkehr stattfinde. Was die Tschechen von uns zunächst fordern, ist eine komplette Armeeausrüstung für 300.000 Mann. T e u f e l ist der Anschauung, daß die Sachgüter so rasch wie möglich der Bevölkerung zugeführt werden müssen. Es sei viel besser, die Sachen zu verschenken, ehe sie die Entente in ihren Besitz bekommt. Es sind viele Dinge darunter, die für den Lebensbedarf der Bevölkerung unentbehrlich sind. Er stimme dem Antrage des Staatskanzlers zu. Er verlangt, daß der Staatsrat von den Vorgängen in der Gesandtenkonferenz immer rechtzeitig verständigt werde. Redner polemisiert gegen den Staatssekretär Steinwender und stellt folgenden Z u s a t z a n t r a g 22 zum Antrage Renner: „Der Staatsrat wolle beschließen: Alle vorhandenen in die Sachdemobilisierung fallenden Materialien und Güter aller Art sind sofort in geeigneter Weise zu entsprechendem Preise dem Verkaufe zuzuführen“. L i c h t: Die Sachdemobilisierung ist ein Teil des ganzen wirtschaftlichen und finanziellen Problems. Wir müssen das Miteigentum der anderen Nationalstaaten anerkennen, weil wir dies auch von ihnen hinsichtlich der Lasten begehren. Es ist unrichtig, wenn im ersten Leitsatz des Staatskanzlers von einer Festhaltung oder ins Eigentum übernehmen gesprochen wird, während sich der zweite Satz damit in Widerspruch setzt. Da Exzellenz Riedl im Prinzip einer materiellen Aufteilung zustimmt, ist die Festlegung auf diesen ersten Leitsatz unrichtig. Von einer Auslieferung des von den Tschechen verlangten Kriegsmaterials kann keine Rede sein. Das widerspricht den Waffenstillstandsbedingungen und ist gegen jedes Völkerrecht. Aber bezüglich der anderen Güter müssen wir eine Verständigung suchen. Es handelt sich nicht bloß um die Tschechen, sondern auch um die Magyaren. Man darf die Bevölkerung nicht aus bloß doktrinären Gründen in eine Notlage versetzen. Wir kommen nicht darüber hinweg, den anderen Staaten das Recht zuzugestehen, über das in ihrem Miteigentum befindliche Gut Kontrolle zu üben. Da die Tschechen ein kriegführender Staat sind, dürfen wir ihm keine Waffen ausliefern; aber bezüglich der anderen Sachen, von denen wir ja das, was unsere Volkswirtschaft unbedingt nötig hat, zu einem vertretbaren Preise abstoßen könnten, muß man verhandeln. (R i e d l: Unter der Voraussetzung eines freundnachbarlichen Verkehrs!) Bezüglich der Organisation würde ich empfehlen, die Leitsätze des Heeresamtes zu Grunde zu legen.23 In jedem Ressort, wo Sachgüter sind, wird eine Kommission gebildet, der Beilage 54/IV b: Antrag Teufel (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 23 Das Staatsamt für Heerwesen hatte am 16. November eine Verordnung, betreffend die personelle Demobilisierung, erlassen. Vgl. Verordnungsblatt des deutschösterreichischen Staatsamtes für Heerwesen Nr. 1, Anordnungen über die Demobilisierung, ausgegeben am 16. November 1918. Die „Wiener Zeitung“ veröffentlichte zudem am 20. November 1918 in ihrem Bericht über die Sitzung des Staatsrates vom 18. November vom Staatsamt für Heerwesen erlassene „Weisungen über die Sachdemobilisierung“, aufgrund welcher alle auf dem deutschösterreichischen Staatsgebiet befindlichen beweglichen und unbeweglichen militärischen Güter als beschlagnahmt gelten und das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft mit ihrer Verwertung unter Rücksichtnahme auf die Anteilsrechte der anderen Nachfolgestaaten betraut werden sollte, sofern das Staatsamt für Heerwesen keinen Bedarf anmeldete. Vgl. Wiener Zeitung, 20. November 1918, S. 5 f „Meldungen des Telegraphen-KorrespondenzBureaus. Deutschösterreich“. Diese in der „Wiener Zeitung“ veröffentlichten „Weisungen“ sind im Protokoll der 36. Sitzung des Staatsrates vom 18. November 1918 nicht enthalten. Teile dieser Sitzung waren allerdings für geheim erklärt worden. 22
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Vertreter aller Nationalstaaten angehören, über diese Kommissionen ist eine Oberkommis sion gesetzt, die über die Anträge der einzelnen Kommissionen zu entscheiden hat. In dieser Kommission oder Konferenz hat jeder Nationalstaat ein Vetorecht. Einigt man sich nicht, dann gibt es nur den völkerrechtlichen Weg an das Haager Schiedsgericht24. Es handelt sich ja nicht bloß um die Sachgüter, das wichtigere ist die Bereinigung der Lasten von der tausende Existenzen, die Industrie und das Gewerbe abhängen. Wir müssen mit größter Eilfertigkeit uns zur vollständigen Auseinandersetzung mit den anderen Nationalstaaten zusammenfinden. Die Tschechen haben denselben Drang zur Ordnung zu kommen wie wir. Dr. v. L a n g e n h a n: Ich bin gegen einen solchen Beschluß, weil ich ihn politisch für unrichtig halte. Wir rufen dadurch bei den anderen Nationalstaaten eine große Opposition hervor, wenn wir die Sachen bei uns behalten wollen, so machen wir es wie die anderen, und lassen sie in irgendeiner Form verschwinden. Das ist schon einmal bei den Schuhen geschehen, die man bei den Kaufleuten fiktiv verkauft hat. D o m e s: Es ist dringend notwendig, ein Einvernehmen mit den Tschechen zu erzielen, denn sonst sind wir in 14 Tagen vor einer ungeheuren Katastrophe. Der Stand der Arbeitslosen vermehrt sich in Wien täglich um 1.000; gegenwärtig haben wir in Wien allein 40.000 Arbeitslose.25 Wenn wir diesen Gegenstand so behandeln wie bis jetzt, so werden Sie übermorgen in Wien einen Aufstand haben, von dem Sie sich keine Vorstellung machen können. Ich bin selbstverständlich dafür, daß bei den Verhandlungen mit den Tschechen unsere Interessen strengstens gewahrt werden. Was nützt es uns, hier zu sagen: Wir erklären die Sachgüter als unser absolutes Eigentum, wenn uns die Tschechen keine Kohle liefern. Sie haben die Kohle und wir die Sachgüter und müssen dabei hungern und frieren.26 Da ich unbedingt auf dem Boden der praktischen Betätigung jener Grundsätze stehe, die in Bezug auf die Sachdemobilisierung hier angewendet werden sollen, stelle ich folgenden Antrag27: Die Not der armen Bevölkerung an Beschuhung und Bekleidung ist außerordent Gemeint war der Ständige Schiedshof in Den Haag, der auf Grundlage der Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 als Schiedsgerichtshof für internationale Streitfragen fungierte. 25 Das „Österreichische Jahrbuch“ verzeichnete für den 1. Dezember 1918 einen Stand von 24.503 Arbeitslosen für Wien (Stadt). Vgl. Österreichisches Jahrbuch 1920. Nach amtlichen Quellen. Zweite Folge, Wien 1921, S. 19. 26 Zu den Kohlenlieferungen aus der und über die Tschechoslowakei vgl. den Bericht des Staatssekretärs Zerdik in SRP Nr. 33 vom 14. November 1918, Nr. 37 vom 19. November 1918 vormittags, Nr. 54 vom 6. Dezember 1918, Nr. 56/6 vom 9. Dezember 1918 und Nr. 58/IIId vom 13. Dezember 1918; weiters KRP Nr. 3/3 vom 4. November 1918, Nr. 9/2 vom 12. November 1918, Nr. 13/4 vom 18. November 1918, Nr. 21/1 vom 6. Dezember 1918, Nr. 23/4 vom 14. Dezember 1918, Nr. 24/5 vom 17. Dezember 1918 und Nr. 34/4 vom 28. Januar 1919 sowie das Material in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. 643/10/1918. Insbesondere zur Frage der Ostrauer Kohle vgl. SRP Nr. 51/5 vom 30. November 1918. Zur Lieferung von Zucker und anderen Nahrungsmitteln aus der Tschechoslowakei vgl. ebenfalls KRP Nr. 13/4 vom 18. November 1918 sowie Nr. 31/4 vom 14. Januar 1919. Zum Stand der Versorgung mit Kohle und Lebensmitteln Anfang Dezember 1918 vgl. auch die Regierungsberichte der Staatssekretäre Loewenfeld-Ruß und Zerdik in der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918. Vgl. weiters Gertrude Enderle-Burcel/Eduard Kubů, „Handelsbeziehungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit“, in: Alice Teichova/Herbert Matis (Hg.) Österreich und die Tschechoslowakei 1918–1938. Die wirtschaftliche Neuordnung in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit, Wien 1996, S. 113–130, hier S. 113 f; Jürgen Nautz, Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit. 1918 bis 1923. Die Handelsvertragsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten, Wien/Köln/Graz 1994, S. 382–385. 27 Beilage 54/VI: Domes, Antrag (1 Seite). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt nicht zur Gänze mit dem des Protokolltextes überein. Der letzte Absatz des Antrages wurde in das Beschlußprotokoll übernommen. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VII. 24
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lich groß, bei strenger Kälte und Schnee des früh einsetzenden harten Winters verfügen die Armen nicht über die Mittel, sich durch Ankauf von Schuhen und Kleidern vor den Schäden der Kälte zu schützen. Die Kinder dieser Armen können die Schule nicht besuchen. Viele Frauen und Männer sind mangels an Bekleidung außerstande, ihrer Berufstätigkeit nachzugehen. In den Magazinen des Staates befinden sich tausende von Holzschuhen lagernd; auch Bekleidungsstücke. Diese in der Zeit härtester Not und Kälte an die Armen abzugeben, ist dringend geboten. Ich b e a n t r a g e daher: Der Staatsrat wolle beschließen: Die im Staatsbesitz befindlichen Holzschuhe und anderen Bekleidungsmittel sind unentgeltlich an die mittellose arme Bevölkerung raschestens abzugeben. M a y e r: Es ist notwendig, mit einigen Worten zu erklären, wieso das Staatsamt für Heerwesen zu diesem Antrag gekommen ist. Er ist aus der Praxis heraus entsprungen. Bei der ungeheuren Menge von Arbeiten, die hier zu leisten sind, hat es sich gezeigt, daß man so nicht weiter arbeiten könne. Es haben sich diese sogenannten Gesandtenkonferenzen28 eingebürgert, die eine Annäherung zwischen den einzelnen Staaten erzielen sollen. Darin sind die Tschechen, Jugoslaven, die Polen, die Ruthenen und auch wir durch Bevollmächtigte vertreten. Wir waren je nach Bedarf durch die verschiedenen Staatsämter vertreten und da hat es sich gezeigt, daß die Vertreter der verschiedenen Staatsämter dort gegeneinander gesprochen haben, und daß es zu Auftritten und Szenen gekommen ist, die unserer Sache nicht nützen können. Da ist es selbstverständlich, daß man hier etwas tun muß, damit in Hinkunft unsere Stellung gegenüber den anderen Staaten gefestigt werde. Dabei erheben wir keineswegs den Anspruch darauf, daß der vom Staatsamte für Heerwesen gemachte Vorschlag der einzig richtige sein muß. Es handelt sich uns hauptsächlich darum, dem Gegner als geschlossenes Ganzes gegenüberzustehen. Was die Anträge des Staatskanzlers betrifft, so muß ich sagen, daß sich hier bei einigem guten Willen gewiß auch eine Brücke finden lassen wird, denn was hier gesagt wird, hat das Staatsamt für Heerwesen schon vor vier Wochen verlangt.29 Es war uns immer darum zu tun, diese Werte, die von der Bevölkerung dringend gebraucht werden, ihr so rasch als möglich zuzuführen. Ich bitte Sie um eines: Ändern Sie die Vorschläge des Staatsamtes für Heerwesen wie Sie wollen, legen Sie den betreffenden Vertretern30, die dort zu sprechen haben, Handschellen an, verlangen Sie, daß sie über ein bestimmtes Ziel nicht hinausgehen, aber machen Sie dem heutigen Zustande ein Ende, denn er ist ein Zeichen der Schwäche. Dr. O f n e r: Man darf keine formalen Beschlüsse fassen, die dem formellen Rechte nicht entsprechen. Wir dürfen nicht aussprechen, daß das Eigentum des alten österreichischen Staates unser Eigentum ist; denn das ist nicht richtig.31 Die Hauptsache ist, daß die Sach Zu den Gesandtenkonferenzen allgemein vgl. den Bestand in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9. 29 Wahrscheinlich bezieht sich Staatssekretär Mayer hier auf die in Anm. 23 der vorliegenden Sitzung erwähnten Weisungen des Staatsamtes für Heerwesen, betreffend die Sachdemobilisierung. 30 Im Original ursprünglich Gesandten. 31 Vermutlich bezieht sich Staatssekretär Mayer hier auf den Artikel des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich (StGBl. Nr. 5/1918), der folgendermaßen lautete: „Die k.uk. Ministerien und die k.k. Ministerien werden aufgelöst. Ihre Aufträge und Vollmachten auf dem Staatsgebiete von Deutschösterreich gehen unter ausdrücklicher Ablehnung jeder Rechtsnachfolge auf die deutschösterreichischen Staatsämter über. Den anderen Nationalstaaten, die auf dem Boden der österreichisch-ungarischen Monarchie entstanden sind, bleiben ihre Ansprüche an die erwähnten Ministerien wie auf das von diesen verwaltete Staatsvermögen gewahrt. Die Liquidierung dieser Ansprüche ist völkerrechtlichen Vereinbarungen durch Kommissionen vorbehalten, die aus Bevollmächtigten aller Nationalregierungen zu bilden sind. Bis zum Zusammentreten dieser Kommissionen haben die deutschösterreichischen Staatsämter das Gemeinschaftsgut, soweit es sich auf dem Staatsgebiet der Republik Deutschösterreich vorfindet, als Treuhänder aller beteiligten Nationen zu verwalten.“ 28
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demobilisierung so rasch als möglich durchgeführt wird, so daß wir dann für die anderen überhaupt keine Sachen mehr haben, sondern nur den Erlös, der dann als gemeinsames Gut betrachtet werden soll. Man soll aber ja keine Beschlüsse fassen, die doch nicht geheim bleiben werden, und auf Grund deren man sagen würde: Man kann sich in Deutschösterreich auf das Recht überhaupt nicht mehr verlassen, man tut dort, was man will. T e u f e l: Wenn der Herr Staatsrat Domes glaubt, daß die Tschechen uns für die Erfüllung ihrer Forderung auf Bildung einer solchen Liquidierungskommission Kohlen liefern werden, so ist er auf dem Holzwege. Die Tschechen fassen das als ihr Recht auf und werden uns dafür nie auch nur den Schein einer Kompensation geben. Mit Nachgiebigkeit erreichen wir bei den Tschechen nichts. Sie spekulieren ja nur auf Unruhen bei uns, um einmarschieren zu können. Für den Fall als der Antrag Renner abgelehnt werden sollte, erlaube ich mir folgenden E v e n t u a l a n t r a g32 zu stellen, den mir Kollege Steinwender übergeben hat: Der Erlös aus den militärischen Sachgütern hat den Aktiven der Nationalstaaten zur Tilgung gemeinsamer Ausgaben zuzufallen. Für die Verwertung ist die prinzipielle Zustimmung der Vertreter aller Nationalstaaten notwendig. Wenn eine solche Zustimmung nicht erreicht wird und wenn die anderen Nationalstaaten die in ihrem Gebiete befindlichen Sachgüter für sich in Beschlag nehmen, bleibt nichts übrig, als daß auch der deutschösterreichische Staat über die Güter seines Landes frei verfüge. Bei der Verwertung ist auf die schleunigste Durchführung und auf die Erreichung der Marktpreise Bedacht zu nehmen. U r b a n schildert die Schwierigkeiten, die sich in der Sachdemobilisierung ergeben. Die Anstalten, die beim Kriegsministerium für diesen Zweck errichtet worden waren, haben sich aufgelöst, und es mußte ein neues Bureau geschaffen werden.33 Es wurden keine Verzeichnisse vorgefunden. Es mußte zunächst das Gut gesichert werden und dann die Inventuren aufgenommen werden. Es geschehe alles, um die Sache zu beschleunigen. Den Antrag des Staatskanzlers könne er nur als eine Direktive betrachten. Er sei allerdings dagegen, daß man sage, wir hätten die Sachen in unser Eigentum überführt. Was den Erlös anbelangt, so würde Beilage 54/IV d: Antrag Teufel/Steinwender (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und dem des Geheimen Anhanges zum Beschlußprotokoll zur Gänze überein. 33 Staatssekretär Urban könnte hier auf das vom Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Januar 1919 zur Durchführung des Warenkompensationsverkehrs mit dem Ausland eingerichtete deutschösterreichische Warenverkehrsbüro anspielen. Bereits Ende November 1918 hatten Pläne bestanden, das alte österreichische Warenverkehrsbüro mit dieser Aufgabe zu betrauen. Zu den Richtlinien des Büros vgl. AdR, BKA/AA, H-pol Handel und Industrie Deutsch-Österreich, Zl. 2617/1918; weiters AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 4.241/1918; vgl. auch StGBl. Nr. 35, Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte für Volksernährung und dem Staatsamte der Finanzen vom 25. Jänner 1919, betreffend die Errichtung des Deutschösterreichischen Warenverkehrsbureaus in Wien, ausgegeben am 29. Jänner 1919, sowie dazu Verordnungsblatt des Staatsamtes für Volksernährung, 1. Jg., Nr. 6, 27. Februar 1919, S. 116–119 „Statut des Deutschösterreichischen Warenverkehrsbureaus“ sowie KRP 31/4 vom 14. Jänner 1919. Möglicherweise ist hier aber auch das im Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft angesiedelte Kriegsmaterialverwertungsamt gemeint, das die Erfassung und Verteilung der Sachgüter übernehmen sollte und der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, die für die Verwertung zuständig war, zur Seite gestellt wurde. Die Gründung dieser Institution ging auf einen Staatsratsbeschluß vom 8. November zurück, der zunächst das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft mit der Übernahme der Materialien und Vorräte der alten Heeresverwaltung betraut und diese sodann der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung zur Verwertung nach Weisung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft übertragen hatte. Vgl. SRP Nr. 26 vom 8. November 1918; weiters Mitteilungen der deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, Nr. 1, 25. Jänner 1919, S. 1 „Allgemeines über die Sachdemobilisierung“; Wiener Zeitung, 20. November 1918, S. 5 „Wien, 19. November. Sachdemobilisierung“. 32
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es sich empfehlen anzuerkennen, daß alle Nationalstaaten einen Anteil am Erlös haben sollen, vorausgesetzt, daß eine Einigung zustandekommt. Ebenso bin ich der Ansicht des Sektionschefs Riedl, daß es fallweise möglich ist, wenn eine Nationalregierung an uns herantritt, ihr aus den Beständen etwas zuzuweisen. Kompensationsverträge können vorkommen, aber die Betreffenden müssen uns entgegenkommen. Ich stimme dem Antrage des Staatskanzlers zu, glaube aber, er wird eine Umformulierung in einigen Punkten brauchen. A b r a m erbittet für sich und Staatsrat Fink die formelle Ermächtigung, die in Innsbruck lagernden Vorräte zu angemessenen Preisen an die Bevölkerung zu veräußern. H a u s e r: Das ist selbstverständlich! R e n n e r: Gleichzeitig mit dem in Verhandlung stehenden Gegenstande könnte folgender A n t r a g34 des Staatssekretärs Mayer verhandelt werden. „Über Antrag des Staatsamtes für Heerwesen wird zum deutschösterr. Liquidierungskommissär für das liquidierende Kriegsministerium und das liquidierende Landesverteidigungsministerium Sektionschef Hanausek35 ernannt. Demselben ist je ein Vertreter des Staatsamtes für Finanzen und des Staatsamtes für Übergangswirtschaft als Berater zur Seite zu stellen.“36 L i c h t verliest seinen A b ä n d e r u n g s a n t r a g37 zum Antrag Renner. R e n n e r: Die Richtlinien, die ich vorgeschlagen habe, haben nunmehr folgende Fassung38 (liest). Der deutschösterr. Staatsrat beschließt die nachfolgende vertrauliche Weisung an das Staatsamt für Übergangswirtschaft und alle mit dieser Angelegenheit befaßten Staatsämter: „1. Die auf dem Boden der Österr.ung. Monarchie entstandenen Nationalstaaten haben die Demobilisierungsgüter in ihre ausschließliche Verfügung übernommen und behandeln sie als ihr Staatseigentum, ohne über die Frage des Ersatzes unseres Anteiles und über die endgiltige Abrechnung mit uns zu verhandeln. 2. Daher ist der deutschösterr. Staat gezwungen so vorzugehen, daß alle auf dem deutschösterr. Staatsgebiete vorfindlichen Sachgüter, die im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt des ehemaligen k.u.k Heeres, der k.k. Landwehr und des k.k. Landsturmes gestanden sind, in der freien Verfügung des deutschösterr. Staates stehen. 3. Ein Anspruch auf Realteilung der Demobilisierungsgüter kann in der Regel nicht anerkannt werden, insolange die Gegenseite den gleichen Anspruch auf die in ihrem Gebiete in Anspruch genommenen Sachgüter nicht zugesteht. Beilage 54/V: StAHw, Antrag (¼ Seite, zweifach). Der Antrag liegt dem Protokoll in zweifacher Ausfertigung bei. Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt V. 35 Wilhelm Hanausek, 4. August 1915 Ernennung zum Sektionschef im k.u.k. Kriegsministerium, 1918 Liquidierungskommissär für das liquidierende Kriegsministerium und das liquidierende Landesverteidigungsministerium. 36 Zur Ernennung Hanauseks vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 3.044/1918. Zuvor leitete Hanausek die Abteilung für Liquidation der Armee im Felde und der Militärverwaltung der besetzten Gebiete im liquidierenden Kriegsministerium. Vgl. AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.202/1918, Abtlg. für Liquidation der A. i. F. und der MV der besetzten Gebiete. 37 Beilage 54/IV e: Antrag Licht (½ Seite). Der Inhalt des beiliegenden Antrages stimmt weitgehend mit dem des Geheimen Anhanges zu dieser Sitzung überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. Der Antrag besteht aus zwei Absätzen, wovon der erste dem zweiten Punkt der von Renner vorgeschlagenen Richtlinien entspricht. Der zweite Absatz des beiliegenden Antrages ist nur teilweise in diesen Richtlinien enthalten und findet sich zur Gänze im Punkt IV des Geheimen Anhanges zum Beschlußprotokoll. Die Beilage enthält den handschriftlichen Vermerk zurückgezogen. 38 Beilage 54/IV a: Weisung des Staatsrates (1 Seite). Die Beilage enthält die endgültige Fassung des als vertrauliche Weisung an das Staatsamt für Übergangswirtschaft beiliegenden Beschlusses des Staats rates. Sie stimmt zur Gänze mit dem des Geheimen Anhanges zu dieser Sitzung überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 34
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4. Jedoch ist eine Zuteilung 39 in natura zulässig, insoferne die Gegenseite die Gegenseitigkeit anerkennt und Gegenleistungen macht. 5. Irgendeine kollektive Verfügung durch Mehrheitsbeschluß über die Demobilisierungsgüter ist nicht zulässig. Wenn ein Liquidierungsdirektorium eingesetzt wird, so kann in diesem nur durch einstimmige Beschlüsse verfügt werden. Eine Einflußnahme dritter Mächte darf nicht zugestanden werden, außer in der Form, daß einer neutralen Macht der Schiedsspruch vorbehalten bleibt.“ Dr. v. L i c h t: Ich ziehe meinen Antrag zurück, wenn die Worte „in einzelnen Fällen“ entfallen. Dem wird Rechnung getragen. Dr. v. L i c h t: Zum Eventualantrage des Herrn Kollegen Teufel stelle ich den Z u s a t z a n t r a g40, daß nach den Worten „Materialien und Güter aller Art“ die Worte eingeschaltet werden „die dem Verderben und der Entwertung unterliegen“. Dr. R e n n e r: Wenn mein Antrag angenommen wird, so ist diese Instruktion sofort an das Staatsamt des Innern, das Staatsamt für Heerwesen und das Staatsamt für Handel auszufertigen. Der Antrag an das Kriegsamt kann dann mitbeschlossen werden. A b s t i m m u n g: Der Antrag Renner wird a n g e n o m m e n. Der Antrag Teufel wird abgelehnt. Dadurch entfällt der Zusatzantrag Licht. Der Antrag Steinwender entfällt infolge der Annahme des Antrages Renner. Der Antrag des Staatsamtes für Heerwesen wird a n g e n o m m e n. Der Antrag Domes wird a n g e n o m m e n. Dr. R e n n e r: Ich habe noch namens des Präsidiums bezüglich der Kohle eine Mitteilung zu machen. Gestern ist Dr. Kranz41 in meine Kanzlei gekommen und hat mir folgendes Schreiben der Gesandtschaft des tschechoslovakischen Staates unterschrieben von Tusar, vorgelegt, „Die tschechoslovakische Regierung hat den Minister für öffentliche Arbeiten, Stanek42, beauftragt, Sie im Namen der tschechoslovakischen Regierung einzuladen, zum Zwecke der Verhandlungen über die Kohlenbelieferung von Deutschösterreich und Wien nach Prag zu kommen.“ Im Direktorium, das ich sofort zusammenberufen habe, ist man sich klar geworden, daß es die tschechoslovakische Regierung, die offenbar von Seite der Entente neuerlich einen Auftrag bekommen hat, in der Kohlenfrage anders vorzugehen,43 als Im Original ursprünglich in einzelnen Fällen. Beilage 54/IV c: Licht, Antrag (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und mit dem des Geheimen Anhanges zu dieser Sitzung überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. 41 Dr. Josef Kranz, Präsident der Spirituszentrale, nach 1918 Präsident der Depositenbank, danach Tätigkeit als Anwalt. 42 František Staněk, tschechischer Politiker der Agrarpartei, 14. November 1918 bis 10. Juli 1919 tschechoslowakischer Minister für öffentliche Arbeiten. 43 Die Siegermächte wurden von mehreren Seiten über die Kohlennot in Wien informiert. Das deutschösterreichische Außenamt erbat durch Vermittlung der schwedischen und der Schweizer Botschaft in Wien eine Intervention der alliierten und assoziierten Mächte bei der tschechoslowakischen Regierung wegen Kohlelieferungen. Vgl. die Telegramme vom 18. und 21. November in Papers Relating to the Foreign Relations of the United States. The Paris Peace Conference 1919. Volume 2, document 517, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d517, und document 518, https://history. state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d518, beide abgerufen am 24. Mai 2019. Am 11. Dezember ersuchten die neutralen diplomatischen Missionen in Wien die Alliierten dringend um Intervention bei der tschechoslowakischen Regierung wegen „Freigabe von Kohlen für Wien“. Vgl. den Bericht des US-amerikanischen Botschafters in der Schweiz an die amerikanische Commission to Negotiate Peace in ebd., document 542, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/ d542, abgerufen am 24. Mai 2019. Weil sich noch immer keine Lösung abzeichnete, obwohl angeblich 39 40
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Verlegenheit empfindet, von Staat zu Staat einen Abschluß zu machen und es daher vorzieht, einen Privatmann dazwischen zu schieben.44 Wir befinden uns aber in einer Zwangslage und der Staatssekretär für öffentliche Arbeiten, Zerdik, hat daher an Kranz ein Schreiben gerichtet, daß die Regierung von diesem Schreiben der tschechoslovakischen Regierung Kenntnis genommen habe und ihn ersuche, die Anlieferung von Kohle in die Wege zu leiten. Dem Kranz war diese Vollmacht formell zu wenig, und wir haben ihm eine andere ausgestellt, worin gesagt ist, daß er ermächtigt sei zu verhandeln, aber nicht abzuschließen, und daß ihm als sachlicher Berater Oberbergrat Kloss45 vom Staatsamte für öffentl. Arbeiten beigegeben wird. Mit diesem Schreiben wird sich Kranz am Sonntag nach Prag begeben. Ich bitte, diesen Bericht zur Kenntnis zu nehmen. Der Bericht wird g e n e h m i g e n d z u r K e n n t n i s g e n o m m e n.46 Frankreich auf Ersuchen der Schweizer Regierung bereits bei der tschechoslowakischen Regierung interveniert habe, ersuchte der Wiener Bürgermeister Weiskirchner bei einem Meeting mit den neutralen Missionschefs in Wien erneut um Intervention in Prag wegen Kohlelieferungen und um Durchfuhrgenehmigung oberschlesischer Kohle durch die Tschechoslowakei. Vgl. das Telegramm der schwedischen Botschaft an die amerikanische Commission to Negotiate Peace vom 13. Dezember in ebd., document 557, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/d557, abgerufen am 24. Mai 2019. Auch die Zulieferung von Lebensmitteln bedurfte der Intervention Dritter. In diesem Fall erreichte eine nach Prag entsandte „Mission“ der schwedischen und der Schweizer Vertretungen in Wien bei Ministerpräsident Kramář entsprechende „human dispositions“. Ihr geradezu unterwürfiges Dankschreiben diente Außenminister Beneš als Beweis für die tschechoslowakische Hilfsbereitschaft und „how incorrect was the information given by the Government of Vienna to the Entente Governments when it claimed that the Czechs were opposed to the revictualling of Vienna“. Vgl. den Brief des Botschafters in Frankreich an die amerikanische Commission to Negotiate Peace vom 21. Dezember 1918 in ebd., document 570, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1919Parisv02/ d570, abgerufen am 24. Mai 2019. Das Dankschreiben der Schweizer und schwedischen Vertretung in Wien übermittelte Beneš am 22. Dezember dem tschechoslowakischen Botschafter in London als Beweis für das tschechoslowakische Entgegenkommen in der Lebensmittelfrage gegenüber Österreich. Vgl. Martin Nechvátal/Helena Nováčková/Ivan Št’ovíček (Hg.), Dokumenty československé zahraniční politiky. Československo na parížské mírové konferenci 1918–1919. Band 1 (listopad 1918–cerven 1919), Prag 2001, S. 123 f. Dr. Richard Weiskirchner, Jurist, 1910 bis 1919 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 23. Dezember 1912 bis 22. Mai 1919 Bürgermeister der Stadt Wien, 1917 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses. Dr. Karel Kramář, Fabrikant, 14. November 1918 bis 10. Juli 1919 erster Ministerpräsident der Tschechoslowakei, bis 1937 Mitglied der tschechischen Nationalversammlung. Dr. Edvard Beneš, Oktober 1918 bis 18. Dezember 1935 Außenminister der Tschechoslowakei. 44 Hinweise auf die von Renner erwähnte Direktoriumssitzung konnten im Bestand der Präsidentschaftskanzlei nicht eruiert werden. 45 Ing. Dr. Rudolf Kloss, Bergrat mit Titel und Charakter eines Oberbergrates im k.k. Ministerium für öffentliche Arbeiten, seit 13. Dezember 1917 ständiger Vertreter des k.k. Ministeriums für öffentliche Arbeiten in der „Österreichischer Kohleneinfuhr-Gesellschaft“, deren Geschäftszweck im Import westfälischer und anderer ausländischer Kohle bestand. Am 11. Dezember 1918 wurde er in den deutschösterreichischen Staatsdienst übernommen. Vgl. dazu AdR, StAH, Präsidium, Standesausweis Dr. Rudolf Kloss. 46 Die Verhandlungen in Prag fanden am 9., 10. und 11. Dezember 1918 statt und wurden am 12. Dezember durch einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. Vgl. Volkswirtschaftliche Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Nr. 12, Dezember 1918, S. 353 „Der Abschluss von Kohlenverhandlungen in Prag“. Informationen zum Verhandlungsverlauf und zur diesbezüglichen Rolle des Dr. Josef Kranz finden sich in AdR, StK, GZl. 34/1919. Vgl. weiters SRP Nr. 58 vom 13. Dezember 1918 und Nr. 59/III a vom 16. Dezember 1918. Ein Entwurf des Vertrages findet sich in AdR, StK, GZl. 1.150/1918. Zu den Ergebnissen der Verhandlungen vgl. auch die Abschrift unter AVA, Nachlaß Renner, E/1731: 281. Zu Josef Kranz im Zusammenhang mit den Lebensmittelverhandlungen mit Ungarn vgl. auch SRP Nr. 37 vom 19. November 1918.
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Dem Staatsrate Fink wird bis Dienstag den 10. Dezember ein Urlaub erteilt.47 Schluß der Sitzung um ¾ 8 Uhr abends.
Beilage 54/VIII: Urlaubsansuchen Fink (½ Seite, handschriftlich). Fink beantragte Urlaub, „um nach ununterbrochener 3wöchentlicher Anwesenheit in Wien auf kurze Zeit nach Vorarlberg fahren zu können“.
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54. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 6. Dezember 1918. Vorsitzender: Präsident H a u s e r, am Schlusse: Präsident S e i t z. I. Bericht des Staatskanzlers Dr. R e n n e r über den Entwurf eines Gesetzes, wodurch § 7 des Gesetzes über die Staatsund Regierungsform in Deutschösterreich48 ergänzt wird. Beschluß: Der Staatsrat nimmt die Einbringung der Vorlage zur Kenntnis und weist sie der Verfassungskommission zur Vorberatung zu. An den Herrn Obmann der Verfassungskommission. II. Antragsteller: Staatsrat Dr. E l l e n b o g e n Beschluß: Zum Mitglied der Verfassungskommission wird an Stelle desnunmehrigen Landeshauptmannstellvertreters von Deutschböhmen S e l i g e r Präsident S e i t z bestellt. An den Herrn Obmann der Verfassungskommission. III. Bericht des Staatskanzlers Dr. R e n n e r über die provisorische Einsetzung der Hauptwahlbehörde. Beschluß: Die Beratung des Gegenstandes wird auf die Staatsratssitzung vom 7. Dezember verschoben. An den Herrn Staatskanzler. IV. Die Verhandlung über Punkt IV wird nach dem Antrage des Staatskanzlers als vertraulich erklärt. V. Antragsteller: Staatssekretär für Heerwesen Beschluß: Über Antrag des Staatsamtes für Heerwesen wird zum deutsch-österreichischen Liquidierungskommissär für das liquidierende Kriegsministerium und das liquidierende Landesverteidigungsministerium Sektionschef Wilhelm H a n a u s e k ernannt. Ihm ist je ein Vertreter des Staatsamtes für Finanzen und des Staatsamtes für Übergangswirtschaft als Berater zur Seite zu stellen. An die Herren Staatssekretäre für Heerwesen, für Finanzen und für Kriegs- und Übergangswirtschaft. VI. Antragsteller: Staatsrat D o m e s Die im Staatsbesitz befindlichen Holzschuhe und anderen Bekleidungsmittel sind unentgeltlich an die mittellose, arme Bevölkerung raschestens abzugeben. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für Kriegs- und Übergangswirtschaft. Richtig: Gesetz über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt.
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VII. Die Verhandlung über den Punkt VII ist nach § 5 der Geschäftsordnung des Staatsrates als vertraulich zu behandeln. VIII. Personalien: Dem Staatsrat F i n k wird ein Urlaub bis einschließlich 10. Dezember erteilt.
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405 Geheimer Anhang zum Beschlußprotokolle über die
54. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 6. Dezember 1918. IV. Antrag des Staatskanzlers Dr. R e n n e r angesichts der bekanntgewordenen Absicht, von slavischer Seite in der Gesandtenkonferenz einen Antrag einzubringen, wonach zur Durchführung der Sachdemobilisierung aus Vertretern der auf dem Boden der ehemaligen Monarchie entstandenen Nationalstaaten eine Kommission unter dem Vorsitze des čechoslovakischen Gesandten Tusar und unter Zuziehung eines Vertreters der Entente zu bilden wäre, welche auf Grund von Mehrheitsbeschlüssen die reale Aufteilung der Demobilisierungsgüter vorzunehmen hätte: Der Deutschösterreichische Staatsrat beschließt, die nachfolgende vertrauliche Weisung an das Staatsamt für Übergangswirtschaft und alle mit der Sachdemobilisierung befaßten Staatsämter: 1.) Die auf dem Boden der Österreichisch-ungarischen Monarchie entstandenen Nationalstaaten haben die Demobilisierungsgüter in ihre ausschließliche Verfügung übernommen und behandeln sie als ihr Staatseigentum, ohne über die Frage des Ersatzes unseres Anteiles und über die endgültige Abrechnung mit uns zu verhandeln. 2.) Daher ist der Deutschösterreichische Staat gezwungen so vorzugehen, daß alle auf dem deutschösterreichischen Staatsgebiete vorfindlichen Sachgüter, die im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt des ehemaligen k.u.k. Heeres, der k.k. Landwehr und des k.k. Landsturmes bestanden sind, in der freien Verfügung des Deutschösterreichischen Staates stehen. 3.) Ein Anspruch auf Realteilung der Demobilisierungsgüter kann in der Regel nicht anerkannt werden, insolange die Gegenseite den gleichen Anspruch auf die in ihrem Gebiete in Anspruch genommenen Sachgüter nicht zugesteht. 4.) Jedoch ist eine Zuteilung in natura zulässig, insoferne die Gegenseite die Gegenseitigkeit anerkennt und Gegenleistungen macht. 5.) Irgendeine kollektive Verfügung durch Mehrheitsbeschluß über die Demobilisierungsgüter ist nicht zulässig. Wenn ein Liquidierungsdirektorium eingesetzt wird, so kann in diesem nur durch einstimmige Beschlüsse verfügt werden. Eine Einflußnahme dritter Mächte darf nicht zugestanden werden, außer in der Form, daß einer neutralen Macht der Schiedsspruch vorbehalten bleibt. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. Mit Rücksicht auf dieses Abstimmungsergebnis entfällt der Eventualantrag des Staatssekretärs für Finanzen: „Der Erlös aus den militärischen Sachgütern hat den Aktiven der Einzelstaaten zur Tilgung der gemeinsamen Ausgaben zuzufallen. Für die Verwertung ist die prinzipielle Zustimmung der Vertreter aller Nationalstaaten notwendig. Wenn eine solche Zustimmung nicht erreicht wird und wenn die anderen Nationalstaaten die in ihrem Gebiete befindlichen Sachgüter für sich in Beschlag nehmen, bleibt nichts übrig, als daß auch der Deutschösterreichische Staat über die Güter seines Landes frei verfüge.
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Bei der Verwertung ist auf die schleunigste Durchführung und auf Erreichung der Marktpreise Bedacht zu nehmen.“ Staatsrat Dr. von L i c h t zieht seinen Antrag zurück, welcher besagt hatte: „Die Nationalstaaten haben die auf ihrem Staatsgebiete befindlichen Sachgüter, die im Eigentum oder in der Verfügungsgewalt des ehemaligen k.u.k Heeres, der k.k. Landwehr und des k.k. Landsturmes bestanden sind, sich angeeignet. Sachgüter solcher Art, die auf dem Gebiete Deutschösterreichs sich befinden, werden von unserem Staate übernommen. Im Allgemeinen sollen die Nationalstaaten nur einen verhältnismäßigen Anteil an dem Erlöse der Sachgüter bekommen. Doch ist eine Zuteilung in natura unter entsprechender Anrechnung insoferne und insoweit zulässig, als die Nationalstaaten die Gegenseitigkeit gewähren.“ Antragsteller: T e u f e l „Alle vorhandenen in die Sachdemobilisierung fallenden Materialien und Güter aller Art (Zusatzantrag Dr. von Licht: Die dem Verderben oder der Entwertung unterliegen) sind sofort in geeigneter Weise zu entsprechenden Preisen dem Verkaufe zuzuführen. Beschluß: Der Antrag wird abgelehnt. Den Staatssekretären des Äußern, für Kriegs- und Übergangswirtschaft, für Gewerbe, Handel und Industrie und des Innern wurde ein Auszug aus dem Beschluß zugefertigt. VII. Bericht des Staatskanzlers Dr. R e n n e r über die Einladung des čechoslovakischen Ministers für öffentliche Arbeiten an Dr. Josef K r a n z zur Verhandlung nach Prag über die Belieferung von Deutschösterreich mit Kohle. Beschluß: Der Staatsrat nimmt den Bericht genehmigend zur Kenntnis und erteilt die nachträgliche Zustimmung, daß seitens der Staatskanzlei im Wege des Staatsamtes für öffentliche Arbeiten an Dr. K r a n z die schriftliche Vollmacht erteilt worden ist, unter Mitwirkung des Oberbergrates Dr. Rudolf K l o s s als Sachverständigen mit den maßgebenden Stellen in Prag über die Lieferung von Kohle zu verhandeln, aber nicht abzuschließen. An den Herrn Staatskanzler.
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55. [Samstag] 1918-12-07 Vorsitz: Anwesend:1 Schriftführer: Dauer:
Hauser, Seitz Abram, Dinghofer, Domes, Ellenbogen, Friedmann, Guggenberg, Iro, Jerzabek, Kroy, Langenhan, Licht, Luksch, Mayer, Ofner, Pacher, Roller, Schoiswohl, Sylvester, Teufel, Urban, Waldner, Waihs, Wolf unbekannt 15.00–17.00 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g:2 1. Einlauf: Vortragender 2. Vollzugsanweisung wegen Volksbekleidung 3. Vollzugsanweisung wegen Errichtung einer Hauptstelle für Sachdemobilisierung. 4. Verlängerung der Funktionsdauer der Mitglieder der Wiener Handelskammer. 5. a) Durchführung der Beschlüsse der Nationalversammlung, insbesondere Ver fügungen wegen der vom Abg. S c h ü r f f beantragten Untersuchungen. b) Dienstanweisung für die obersten Behörden. c) Ergänzungsgesetz über die Staats- und Regierungsform. d) Organisierung des Pressedienstes und Minderheitsschutzdienstes in der Staatskanzlei. Vortragender: Der Staatskanzler. 6. Beurkundung von Gesetzen. 6. a) Provisorische Einsetzung der Hauptwahlbehörde. 7. Gesetz über die Hofgüter. Vortragender: Staatsrat Dr. v. L i c h t. 8. Berichterstattung des Sudetendienstes über die Lage in den Sudetenländern. Vortragender: Der Leiter des Sudetendienstes in der Staatskanzlei Dr. O b e r n d o r f e r. 9. Gesetz betr. die Änderung in der Organisierung der Finanzbehörden. 10. Antrag T e u f e l betr. Abschaffung der Titel und Orden. “ T e u f e l betr. Postkontrolle nach der Schweiz. 11. Restanten früherer Sitzungen: 1. Bahngendarmerie. 2. Vollzugsanweisungen des Staatsamtes der Finanzen in Angelegenheit der begünstigten Dienstzeitanrechnung für die deutschösterr. Staatsbediensteten während des Krieges für die Vorrückung in höhere Bezüge und bei Bemessung des Ruhegenusses. 12. Allfälliges. Initiativanträge, etz. 1
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Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Otto Bauer, Eugen Beck von Mannagetta, Dr. Karl Renner, Richard Riedl und Dr. Lothar Wimmer, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Dr. Lothar Freiherr von Wimmer, Diplomat 1917 bis 1918 im Dienst des Ministerratspräsidiums, danach in der Staatskanzlei bzw. im Bundeskanzleramt. Die Punkte 5 b, c, d, 6 a, 7, 8, 10 und 11 der Tagesordnung wurden zurückgestellt. Vgl. Anm. 27 der vorliegenden Sitzung.
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408 Beilagen: 55/I 55/II 55/IV 55/VI
55/VII
55/VIII
55/IX
55/X
55/XI
55 – 1918-12-07 Antrag Schoepfer, Ersuchen um Vertretung durch den Ersatzmann General von Guggenberg (1 Seite, handschriftlich). Antrag Teufel in der 54. Sitzung vom 6. Dezember, betreffend Entsendung Markhls statt Langenhan in die Verfassungskommission (½ Seite, handschriftlich). Antrag Teufel, betreffend Tierverwertung (½ Seite, handschriftlich). Vollzugsanweisung über Volksbekleidung, Verordnung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 4. Dezember 1918, betreffend Ausnahmen von der Bedarfsscheinpflicht für Bekleidung, Wäsche u. Schuhe (4 Seiten, gedruckt); Vollzugsanweisung des deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 4. Dezember 1918, betreffend Vorkehrungen für die Versorgung der Bevölkerung mit Bekleidung, Wäsche und Schuhen (14 Seiten, gedruckt). Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen vom … November 1918 über die Gewährung von Gebührenbefreiungen zur Förderung der Zeichnung der deutschösterreichischen Staatsanleihe (7 Seiten, gedruckt); Erläuterung (1 Seite). Vollzugsanweisung des deutsch-österreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte der Finanzen vom … Dezember 1918 betreffend die Errichtung einer deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung (1 Seite); Kundmachung des deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem deutschösterreichischen Staatsamt der Finanzen vom … Dezember 1918, betreffend die Erlassung eines Statutes der deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung (8 Seiten). Gesetz über Anordnungen in der Organisation der Finanzverwaltung, Gesetz betreffend Änderungen in der Organisation der Finanzverwaltung inklusive Begründung (1 Seite, gedruckt); Begründung (3 Seiten, gedruckt); Auszug für den Staatsrat, Beilage z. Zl. 5464/18 (1 Seite); Gesetz betreffend Änderungen in der Organisation der Finanzverwaltung, z.Z. 845/St.K.-1918 (1¼ Seiten). Liste der zu beurkundenden Gesetze, betreffend die Ablösung der Zinsgründe in Deutschböhmen, das deutschösterr. Staatsbürgerrecht, die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs, die Vereinfachung der Strafrechtspflege, die Novelle des Strafgesetzes, die Abänderung des Militärstrafgesetzes sowie das Verbot der Ausfuhr und Veräußerung von Kunstgegenständen (½ Seite). Gesetz über Verlängerung der Funktionsdauer der Handelskammern, Gesetz vom … 1918 womit die Funktionsdauer der wirklichen Mitglieder der Handels- und Gewerbekammern bis 31. Dezember 1919 verlängert wird (1 Seite, gedruckt); Erläuternde Bemerkungen (1 Seite, gedruckt).
Vorsitz: Präsident Hauser, später Präsident Seitz. Anwesend laut aufliegender Präsenzliste, entschuldigt Staatsrat Schoepfer, vertreten durch Ersatzmann Guggenberg3 (Beschlußprotokoll 55/I.). Präsident S e i t z berichtet über den Vorschlag des Direktoriums betreffs Änderung in der Protokollführung.4
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Beilage 55/I: Antrag Schoepfer, Ersuchen um Vertretung durch den Ersatzmann Guggenberg (1 Seite, handschriftlich). Das Direktorium faßte in seiner Sitzung am 7. Dezember 1918 unter dem Tagesordnungspunkt 6a den Beschluß: „Eine stenogr. Aufnahme des Protokolles hat nur dann einzutreten, wenn der Präsident es
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Präsident H a u s e r ergänzt diesen Bericht. Antrag S e i t z: „In Hinkunft von der Führung eines Protokolles seitens des Stenographen- und Korrespondenzbüros über die Staatsratssitzungen abzusehen und nurmehr neben einem Beschlußprotokolle ein schlagwortartiges Protokoll zu führen, welches kurz den Gegenstand der Verhandlung, Berichterstatter, Redner, Antragsteller und Anträge, sowie die hierfür gefaßten Beschlüsse, ferner anderweitige wichtige Vorkommnisse zu enthalten hat. A n g e n o m m e n – (Beschlußprotokoll 55/III.) Mitteilung W a l d n e r betreffs Übernahme des gemeinsamen Finanzministeriums, ersucht um Bestellung des Sektionschefs Freiherrn von E r h a r t5 zu seinem Stellvertreter, an das Direktorium verwiesen.6 Mitteilung T e u f e l betreffs Vorsprache einer südmährischen Bauerndeputation wegen Überlassung von Pferden. Antrag Teufel7 wird dem Staatsamt für Landwirtschaft zur ehesten Berichterstattung zugewiesen. (Beschlußprotokoll 55/IV.) [1] 1. Punkt der Tagesordnung: Verlesung des Einlaufes8, Zuweisung desselben (Vortragender Dr. von Wimmer). [2] 2. Punkt der Tagesordnung: Vollzugsanweisung betreffs Volksbekleidung: Staatssekretär Dr. Urban berichtet über die Vollzugsanweisung des d.ö. Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend Vorkehrungen für die Versorgung der Bevölkerung mit Bekleidung, Wäsche und Schuhen,9 und Verordnung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangs-
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ausdrücklich anordnet. Regelmäßig sind Stenographen nicht beizuziehen.“ Vgl. AdR, Österreichische Präsidentschaftskanzlei, Allgemeine Reihe 1918, GZl. 27/Dir./1918, Vermerk Nr. 5 über die Besprechung des geschäftsführenden Direktoriums vom 7. Dezember 1918. Es könnte sich hier um Robert Freiherr Ehrhart von Ehrhartstein, Sektionschef im Präsidium des k.k. Ministerrates, handeln, der bereits seit 11. November 1918 pensioniert war. Vgl. Gertrude EnderleBurcel/Michaela Follner, Diener vieler Herren. Biographisches Handbuch der Sektionschefs der Ersten Republik und des Jahres 1945, Wien 1997, S. 82. Zur Bestellung des Sektionschefs Freiherr von Erhart konnten im Bestand AdR, Präsidentschaftskanzlei keine Unterlagen eruiert werden. Beilage 55/IV: Antrag Teufel (½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IV. Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Beilage 55/VI: Vollzugsanweisungsentwurf (14 Seiten, gedruckt). Der Entwurf enthält einige handschriftliche Korrekturen. Die Vollzugsanweisung sollte an die Stelle der früheren Verordnungen, betreffend Vorkehrungen für die Bekleidung der Bevölkerung (RGBl. Nr. 383/1917) und betreffend Vorkehrungen für die Beschuhung der Bevölkerung (RGBl. Nr. 482/1917), treten. Sie sollte die Fortsetzung der Tätigkeit der Landesbekleidungsstellen ermöglichen, indem sie die Geschäftsordnung, den Warenhandel sowie das System der Bedarfsbescheinigungen regelte. Im § 37, der den Anbotszwang im Verordnungswege des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft regelte, enthält der Entwurf einen handschriftlichen Zusatz, der bestimmte, daß diejenigen Anbotszwangverfügungen, die zum Zeitpunkt der Verlautbarung dieser Vollzugsanweisung bestanden, weiterhin in Geltung bleiben sollten. Die endgültige Version der Vollzugsanweisung wurde im § 10 um einen Absatz ergänzt, der die öffentliche Verlautbarung der Bedarfsscheinpflicht bzw. -freiheit zu Werbezwecken verbot. Darüber hinaus stimmt StGBl. Nr. 86, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs-
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wirtschaft, betreffend Ausnahmen von der Bedarfsscheinpflicht für Bekleidung, Wäsche und Schuhe, (Freiliste)10 und erläutert die Veränderungen gegenüber früheren Vorschriften. Diese Vollzugsanweisung wird mit dem Zusatzantrag S e i t z: „Daß die Verkäufer auch weiterhin gehalten sind, in ihren Auslagen Tafeln, mit denen kundgemacht wird, welche Waren nur gegen Bezugsschein verkauft werde dürfen, aufzustellen.“ A n g e n o m m e n.11 (Beschlußprotokoll 55/VI.) 3. Punkt der Tagesordnung: wird einstweilen zurückgestellt. [4] 4. Punkt der Tagesordnung: Verlängerung der Funktionsdauer der Mitglieder der Gewerbe- und12 Handelskammern.13 Der vorliegende Gesetzentwurf wird genehmigt und der Nationalversammlung als Regierungsvorlage vorgelegt.14 [5] 5. Punkt der Tagesordnung: a) Durchführung der Beschlüsse der Nationalversammlung, insbesonders Verfügungen wegen der vom Abgeordneten Schürff beantragten Untersuchungen.15
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und Übergangswirtschaft vom 7. Dezember 1918, betreffend Vorkehrungen für die Versorgung der Bevölkerung mit Bekleidung, Wäsche und Schuhen, ausgegeben am 11. Dezember 1918, mit dem Entwurf überein. Beilage 55/VI: Verordnungsentwurf (4 Seiten, gedruckt). Der gedruckte Entwurf enthält handschriftliche Korrekturen. Die Verordnung ergänzte die zuvor behandelte Vollzugsanweisung, betreffend die Volksbekleidung, durch eine Liste mit Waren, die von der Bedarfsscheinpflicht ausgenommen waren. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 87, Verordnung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 7. Dezember 1918, betreffend Ausnahmen von der Bedarfsscheinpflicht für Bekleidung, Wäsche und Schuhe (Freiliste), ausgegeben am 11. Dezember 1918, überein. Der Zusatzantrag scheint in keiner der beiden Vollzugsanweisungen auf. Im Original ursprünglich Wiener. Beilage 55/XI: Gesetzesentwurf (1 Seite, gedruckt); Erläuternde Bemerkungen (1 Seite, gedruckt). Nach § 6 des Gesetzes vom 29. Juni 1868, RGBl. Nr. 85, betreffend die Organisation der Handelsund Gewerbekammern, wurden die wirklichen Mitglieder der Handels- und Gewerbekammern für sechs Jahre gewählt. Da seit 1911 keine Handelskammerwahlen mehr durchgeführt worden waren, mußte ihre Funktionsdauer schon 1917 per Gesetz bis 31. Dezember 1918 verlängert werden (RGBl. Nr. 2/1918). Die in dieser Sitzung eingebrachte Vorlage zur neuerlichen Verlängerung der Funktionsdauer bis 31. Dezember 1919 entsprach einer Regierungsvorlage des k.k. Handelsministers, die aufgrund der politischen Umwälzungen nicht mehr im Reichsrat beschlossen werden konnte. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 133, Gesetz vom 19. Dezember 1918, womit die Funktionsdauer der wirklichen Mitglieder der Gewerbe- bzw. Handelskammern bis 30. Juni 1919 verlängert wird, ausgegeben am 24. Dezember 1918, überein. Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 9. Sitzung am 12. Dezember 1918, Zuweisung an den volkswirtschaftlichen Ausschuß, S. 289; 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 413–416. Im Zuge der Debatte der Vorlage in der Nationalversammlung wurde der Beschluß gefaßt, die Verlängerung bis Ende Juni 1919 auszudehnen. In weiterer Folge kam es zur erneuten Verlängerung des Gesetzes. Vgl. AdR, StK, GZl. 2.112/3/1919, Präsidium der Nationalversammlung Deutschösterreichs, Gesetz, betreffend die Verlängerung der Funktionsdauer der wirklichen Mitglieder der Handels- und Gewerbekammern bis 31. März 1920. Schürff hatte in der Nationalversammlung gemeinsam mit anderen Abgeordneten einen Antrag, betreffend das Verhalten der höheren Kommandanten während des Rückzuges von der italienischen Front, gestellt. Vgl. dazu Sten. Prot. Prov. NV, 5. Sitzung am 22. November 1918, Anhang S. 8; weiters 8. Sitzung am 5. Dezember 1918, S. 248 und S. 281, in der folgender Antrag Schürffs angenommen
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Die Sitzung wird über Antrag des Staatskanzlers Dr. R e n n e r für die Dauer der Beratung dieses Punktes für geheim erklärt.16 Präsident S e i t z schlägt vor, die nächste Nationalversammlung auf Donnerstag, den 12. Dezember 1918, drei Uhr nachmittags anzuberaumen. Gegenantrag G u g g e n b e r g für 11 Uhr vormittags, Vermittlungsvorschlag H a u s e r 2 Uhr nachmittags, Vorschlag S e i t z mit Abänderung H a u s e r (2 Uhr nachm.) wird a n g e n o m m e n.17 (Beschlußprotokoll 55/V.) Präsident S e i t z übernimmt den Vorsitz. Präsident S e i t z berichtigt das Beschlußprotokoll der 54. Sitzung18 dahin, daß in die Verfassungskommission auch an Stelle des Unterstaatssektetärs Richard Marckhl, Staatsrat Dr. von Langenhan entsendet wurde (Beschlußprotokoll 55/II). Unterstaatssekretär Dr. B e c k v o n M a n n a g e t t a berichtet über eine Vollzugsanweisung betreffend die Gewährung von Gebührenbefreiungen zur Förderung der Zeichnung der d.ö. Staatsanleihe.19 (Beschlußprotokoll 55/VII.)
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wurde: „Die Provisorische Nationalversammlung beauftragt den Staatsrat, ohne Verzug alle Vorkehrungen zu treffen, daß die Vorkommnisse, die zum Zusammenbruch an der Südwestfront geführt haben, sowie die Vorfälle am Rückmarsch untersucht und die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden.“ Vgl. dazu auch SRP Nr. 49 vom 28. November 1918. Dieser Tagesordnungspunkt fehlt im Geheimbuch des Staatsnotariats. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.655/1919, Staatsiegelamt, Übermittlung von vertraulichen Kabinetts- und Staatsratsbeschlüssen behufs Hinterlegung in der Staatskanzlei. Vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 9. Sitzung am 12. Dezember 1918; weiters AdR, StK, GZl. 962/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokoll der 55. Sitzung des deutschösterreichischen Staatsrates vom 7. Dezember 1918. Beilage 55/II: Beschluß (½ Seite, handschriftlich). Der Beschluß enthält den Zusatz Dieser Beschluß steht nicht im Protokoll. Damit wurde ein von Staatsrat Teufel ursprünglich bereits in der 43. Sitzung gestellter Antrag, den er in der 54. Sitzung erneut vorgebracht hatte und der nicht im Beschlußprotokoll verzeichnet worden war, berücksichtigt. Vgl. SRP Nr. 43 vom 23. November 1918 und Nr. 54 vom 6. Dezember 1918. Beilage 55/VII: Vollzugsanweisungsentwurf (7 Seiten). Mit dieser Vollzugsanweisung sollten für die deutschösterreichische Staatsanleihe die gleichen Gebührenerleichterungen geschaffen werden, die schon zur Förderung der Zeichnung der österreichischen Kriegsanleihen gewährt wurden. Der Entwurf stimmt mit der endgültigen Version der Vollzugsanweisung überein. Die erste deutschösterreichische Staatsanleihe sollte vom 2. bis 18. Dezember 1918 aufgelegt werden und umfaßte einen Betrag von 500 Millionen Kronen. Es handelte sich um „eine kurzfristige Schatzscheinanleihe, die das Publikum in unruhigen Zeiten vorzieht“. Vgl. Der Österreichische Volkswirt, 11. Jg., Nr. 9 vom 30. November 1918, S. 136 f „Deutschösterreichs Finanzen und Anleihe“, hier S. 137; weiters Nr. 11 vom 14. Dezember 1918, S. 170 „Die deutschösterreichische Anleihe“. Vgl. auch KRP Nr. 17/10 vom 28. November 1918 und Nr. 20/2 vom 2. Dezember 1918 sowie das Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 2.818/1918, Prospekt zur deutschösterreichischen Staatsanleihe, sowie spezifisch zur betreffenden Vollzugsanweisung Zl. 3.603/1918, Gewährung von Gebührenbegünstigungen zur Förderung der Zeichnung der deutschösterreichischen Staatsanleihe; weiters Volkswirtschaftliche Chronik. Mit Benützung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. Karl Neisser, Jg. 1918, Heft 11, November 1918, S. 323 „Deutschösterreichische Staatsanleihe“. Der Gesamtertrag der Anleihe belief sich schließlich auf 571 Millionen Kronen, von denen die Großbanken einen Betrag von 150 Millionen zeichneten. Vgl. Fritz Weber, Vor dem großen Krach. Österreichs Banken in der Zwischenkriegszeit am Beispiel der Credit-Anstalt für Handel und Gewerbe, Wien/Köln/Weimar 2016, S. 104. Ein ausführliches Prospekt des Staats-
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A n g e n o m m e n.20 [3] 3. Punkt der Tagesordnung: Vollzugsanweisung21 wegen Errichtung einer Hauptstelle für Sachdemobilisierung. Unterstaatssekretär R i e d l berichtet über den Plan der Sachdemobilisierung und über die Errichtung der genannten Hauptstelle. Wechselrede: Staatssekretär Dr. B a u e r verweist auf die internationalen Zusammenhänge, die Konfliktmöglichkeit mit den anderen Nationalregierungen, die Vorgänge auf der Gesandtenkonferenz und das Verlangen nach einer gemeinsamen Liquidierungskommission zum Zwecke der Sachdemobilisierung in Natura und nicht gegen Abrechnung.22 Antrag Seitz: Diesen Gegenstand von der Tagesordnung abzusetzen. Hiezu sprechen, Bauer (dafür), Riedl, Langenhan (dagegen). Der Vertagungsantrag Seitz wird mit 12 gegen 2 Stimmen a n g e n o m m e n.23 (Beschlußprotokoll 55/VIII). [9] 9. Punkt der Tagesordnung. Gesetz, betreffend die Änderung in der Organisierung der Finanzbehörden.24
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amtes für Finanzen, in dem die Anleihe detailliert beworben wurde, findet sich in Der Österreichische Volkswirt, 11. Jg., Nr. 10 vom 7. Dezember 1918, S. 158–160. Vgl. weiters AdR, StK, GZl. 794/1918, Deutschösterreichische Staatsanleihe, Werbeaktion. Zu den Kriegsanleihen vgl. weiters auch Thomas Winkelbauer, Wer bezahlte den Untergang der Habsburgermonarchie? Zur nationalen Streuung der österreichischen Kriegsanleihen im Ersten Weltkrieg, in: MÖG, Nr. 112 (2004), S. 368–398. Vgl. StGBl. Nr. 84, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes der Finanzen vom 7. Dezember 1918 über die Gewährung von Gebührenbefreiungen zur Förderung der Zeichnung der deutschösterreichischen Staatsanleihe, ausgegeben am 10. Dezember 1918. Beilage 55/VIII: Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite); Statut der deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung (8 Seiten). In Abänderung der Verordnung des Finanzministers vom 13. Juli 1918, RGBl. Nr. 256, und auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, RGBl. Nr. 307, wurde mit der Vollzugsanweisung verfügt, daß die Österreichische Hauptanstalt für Sachdemobilisierung die Firma mit der Bezeichnung Deutsch-Österreichische Hauptanstalt für Sachdemobilisierung zu führen und ihre Wirksamkeit auf das deutsch-österreichische Staatsgebiet einzuschränken habe. Die Vollzugsanweisung erwirkte zudem die Übertragung der in RGBl. Nr. 256/1918 dem Finanzministerium eingeräumten Rechte auf das Staatsamt für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Finanzen. Die Vollzugsanweisung stimmt beinahe zur Gänze mit dem Entwurf überein. Der einzige Unterschied betrifft den Titel. In der Vollzugsanweisung fehlt die im Entwurf enthaltene Passage im Einvernehmen mit dem Staatsamt der Finanzen. Zur Vorbereitung dieser Vollzugsanweisungen vgl. das Material, darunter ein ausführlich kommentierter korrigierter Entwurf der Statuten der Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.760/1918. Vgl. weiters SRP Nr. 41 vom 21. November 1918 und Nr. 42/3 vom 22. November 1918. Vgl. dazu Punkt 3 des Protokolls der 4. Gesandtenkonferenz in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/9, Gesandtenkonferenz, Protokoll über die am 6. Dezember 1918 im Deutschösterreichischen Staatsamt für Äußeres abgehaltene vierte Gesandten-Konferenz. Zur dort diskutieren Frage über den Modus der Sachdemobilisierung vgl. SRP Nr. 54 vom 6. Dezember 1918. Zum weiteren Verlauf vgl. SRP Nr. 57 vom 11. Dezember 1918; weiters AVA, FHKA, k.k. Finanz ministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.253/1918, Sachdemobilisierung, Beschleunigung der Verständigung des Regierungskomms. von den in Staatsrate bezw. Kabinettsrate gefaßten Beschlüssen. Beilage 55/IX: Gesetzesentwurf (1 Seite, gedruckt); Begründung (3 Seiten, gedruckt). Durch das Gesetz sollten die Steuerabteilungen bei den Bezirkshauptmannschaften in selbständige, der Finanz-
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Unterstaatssekretär Dr. B e c k von M a n n a g e t t a berichtet. Antrag: diesen Bericht zu genehmigen und diesen Gesetzentwurf als Regierungsvorlage der nächsten Nationalversammlung vorzulegen. A n g e n o m m e n.25 (Beschlußprotokoll 55/IX.) [6] 6. Punkt der Tagesordnung: „Beurkundung von Gesetzen“. Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r berichtet, daß gegen die Beurkundung der in den Nationalversammlungen vom 4. und 5. Dezember 1918 beschlossenen Gesetze betreffend die Ablösung der Zinsgründe in Deutschböhmen, betreffend das d.ö. Staatsbürgerrecht, über die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs, über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918), betreffend die Abänderungen einiger Bestimmungen des Strafgesetzes (Strafgesetznovelle vom Jahre 1918), betreffend Abänderungen einiger Bestimmungen des Militär-Strafgesetzes und betreffend das Verbot der Ausfuhr und Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer und kultureller Bedeutung, keine Bedenken obwalten. Der Antrag26 Sylvester: Diese Gesetze im Einvernehmen mit dem Staatskanzler zu beurkunden und deren Kundmachung zu veranlassen (Beschlußprotokoll 55/X.) wird a n g e n o m m e n. Die Punkte 5 b, c, d, 6 a, 7, 8, 10 und 11 der Tagesordnung werden zurückgestellt.27 Nächste Sitzung: Montag, den 9. Dezember 1918, drei Uhr nachmittags, Schluß der Sitzung 5 Uhr nachmittags.
landesdirektion unterstellte Steuerbehörden umfunktioniert werden. Die Begründung enthält einen historischen Abriß über die Genese der Verbindung von politischer und Finanzverwaltung in Bezug auf die Einhebung direkter Steuern, die das Gesetz nunmehr lösen sollte. Die bestehende Regelung habe unbotmäßige politische Eingriffe in die Steuereinhebung ermöglicht. Die Umstände nach dem Umbruch, insbesondere der erwartete Anstieg direkter Steuern, erforderten aber, „daß die Verwaltung um so mehr rein vom sachkundigen Standpunkt und als strikte Anwendung des Rechtes fachmännisch geführt“ werde. Dies diene auch zur Beruhigung der Bevölkerung. Der Entwurf stimmt mit dem Gesetz überein. Weiters liegt dem Protokoll unter Zahl 55/IX ein gedruckter Auszug des Gesetzes mit handschriftlichen Änderungen (1 Seite) bei. Darin wird, wie auch in der Begründung, darauf hingewiesen, die §§ 2 und 3 des vorliegenden Gesetzesentwurfes hätten zur Konsequenz, daß § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Übernahme der Staatsgewalt in den Ländern (StGBl. Nr. 24/1918), welcher einen vom Landesrat mit Genehmigung des Staatsrates berufenen Stellvertreter des Landeshauptmannes als Leiter der Finanzlandesbehörden eingesetzt hatte, gegenstandslos werde. 25 Vgl. auch SRP Nr. 34 vom 16. November 1918 vormittags und Nr. 42 vom 22. November 1918; AdR, StK, GZl. 27/1919, Zl. 1.211/1918, verfassungsmäßige Behandlung des Gesetzentwurfes, betreffend Änderungen in der Organisation d. Finanzverwaltung. Unter dieser Grundzahl findet sich weiteres umfangreiches Material. Zur Behandlung in der Nationalversammlung vgl. Sten. Prot. Prov. NV, 10. Sitzung am 18. Dezember 1918, Zuweisung an den Verwaltungsausschuß, S. 319 f; 11. Sitzung am 19. Dezember 1918, Antrag auf dringliche Behandlung sowie zweite und dritte Lesung, S. 420 f; StGBl. Nr. 135, Gesetz vom 19. Dezember 1918, betreffend Änderungen in der Organisation der Finanzverwaltung, ausgegeben am 24. Dezember 1918. 26 Beilage 55/X: Liste der zu beurkundenden Gesetze (½ Seite). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt X. 27 Zu Punkt 5b vgl. SRP Nr. 56/8a vom 9. Dezember 1918, zu 5d Nr. 56/8b vom 9. Dezember 1918, zu Punkt 10 Nr. 56/9, zu 6a Nr. 56/5, zu 7 Nr. 56/11, zu 8 Nr. 56/6, zu 10 Nr. 56/9. Zu Punkt 5c vgl. SRP Nr. 57/2b vom 11. Dezember 1918.
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55 – 1918-12-07 55. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 7. Dezember 1918. Vorsitzender Präsident H a u s e r, später Präsident S e i t z. B e s c h l ü s s e:
Beschluß:
I. Der Staatsrat nimmt zur Kenntnis, daß bei der heutigen Sitzung der Staatsrat Dr. Emilian S c h o e p f e r durch den Ersatzmann General von G u g g e n b e r g vertreten wird.
II. Der Beschluß II der 54. Sitzung vom 6. Dezember 1918 wird dahin ergänzt, daß in die Verfassungskommission an Stelle des Unterstaatssekretärs Richard M a r c k h l der Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n mit dem erwähnten Beschlusse entsendet wurde. An den Herrn Obmann der Verfassungskommission. Beschluß:
III. Antragsteller: Präsident S e i t z Beschluß: Der Staatsrat beschließt, daß in Hinkunft von der Führung eines Protokolles seitens des Stenographen- und Korrespondenz-Bureaus über die Staatsratssitzungen abgesehen wird und daß nunmehr neben einem Beschlußprotokolle nur ein schlagwortartig zu führendes Protokoll aufzunehmen sei, welches kurz den Gegenstand der Verhandlung, Berichterstatter, Redner, Antragsteller und Anträge, sowie die hierüber gefassten Beschlüsse, ferner anderweitige wichtige Vorkommnisse zu enthalten hat. An den Herrn Staatskanzler. IV. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l. Antrag: „Der Staatsrat wolle beschließen: Das Staatsamt für Landwirtschaft wird angewiesen, der Viehverwertungsstelle (Zollamtsstraße 11) die Weisung zu geben, daß Pferde auch an Landwirte Südmährens abzugeben sind.“ Beschluß: Wird dem Staatsamte für Landwirtschaft zugewiesen. An den Herrn Staatssekretär für Landwirtschaft. V. Der Staatsrat beschließt, daß die Nationalversammlung auf Donnerstag, den 12. Dezember 1918, 2 Uhr nm. anberaumt wird. An den Herrn Staatskanzler. Beschluß:
VI. Antragsteller: Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel Dr. U r b a n . Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterr. Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend Vorkehrungen für die Versorgung der Bevölkerung mit
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Bekleidung, Wäsche und Schuhen, und Verordnung des St.A. für Kriegs- und Übergangswirtschaft, betreffend Ausnahmen von der Bedarfscheinpflicht für Bekleidung, Wäsche und Schuhe, (Freiliste). Beschluß: Wird mit der Maßgabe, genehmigt daß die Verkäufer weiterhin gehalten sind, in ihren Auslagen Tafeln, mit denen kundgemacht wird, daß Waren nur gegen Bezugsscheine verkauft werden dürften, auszustellen. An den Herrn Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel. VII. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. B e c k v o n M a n a g e t t a. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterr. Staatsamtes der Finanzen über die Gewährung von Gebührenbefreiungen zur Förderung der Zeichnung der Deutschösterr. Staatsanleihe. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen. VIII. Antragsteller: Unterstaatssekretär R i e d l. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterr. Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte der Finanzen, betreffend die Errichtung einer Deutschösterr. Hauptanstalt für Sachdemobilisierung. Beschluß: Die Verhandlung über diesen Gegenstand wird vertagt. An den Herrn Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel. IX. Antragsteller: Unterstaatssekretär Dr. B e c k v o n M a n a g e t t a. Antrag: Gesetzesentwurf, betreffend Änderungen in der Organisation der Finanzverwaltung. Beschluß: Der Antrag auf Einbringung dieser Gesetzesvorlage in der Nationalversammlung wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen. X. Antragsteller: Staatsnotar Dr. S y l v e s t e r. Antrag: Der Staatsnotar beantragt, das in der Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918 beschlossene Gesetz, betreffend die Ablösung der Zinsgründe in Deutschböhmen, sowie die in der Nationalversammlung vom 5. Dezember 1918 beschlossenen Gesetze, betreffend das Deutschösterreichische Staatsbürgerrecht, über die Kontrolle der Staatsschuld Deutschösterreichs, über die Vereinfachung der Strafrechtspflege (Strafprozeßnovelle vom Jahre 1918), betreffend Abänderungen einiger Bestimmungen des Militär-Straf-Gesetzes und betreffend das Verbot der Ausfuhr und Veräußerung von Gegenständen von geschichtlicher, künstlerischer und kultureller Bedeutung, im Einvernehmen mit dem Herrn Staatskanzler zu beurkunden und deren Kundmachung zu veranlassen. An den Herrn Staatsnotar. Nächste Sitzung Montag, den 9. Dezember 1918 3 Uhr nachmittags.
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Ad 55/X und XI Nachtrag zum Beschlußprotokolle der 55. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 7. Dezember 1918. ad X In diesen Punkt wird eingefügt: B e s c h l u ß: Wird angenommen. XI. Antragsteller: Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel Dr. U r b a n Antrag: Gesetz, womit die Funktionsdauer der wirklichen Mitglieder der Handelsund Gewerbekammern bis 31. Dezember 1919 verlängert wird. Beschluß: Der Entwurf wird in der vorliegenden Fassung genehmigt und als Regierungsvorlage der Nationalversammlung vorgelegt. An den Herrn Staatskanzler.
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56. [Montag] 1918-12-09 Vorsitz: Anwesend:1
Schriftführer: Dauer:
Dinghofer Abram, Baechlé, Bodirsky, Domes, Ellenbogen, Gruber, Hauser, Iro, Jerzabek, Keschmann, Kroy, Langenhan, Licht, Nagele, Ofner, Pantz, Roller, Schoepfer, Schoiswohl, Schürff, Seitz, Stöckler, Sylvester, Waldner, Wolf unbekannt 15.10–19.15 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll 2, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g:3 1. Einlauf: Vortragender 2. Vollzugsanweisung betr. Verwaltung und Verwertung der Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge. 3. Vollzugsanweisung wegen Zuerkennung der Mittelschulreife an Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten des Berufsstandes sowie ihre Zulassung zu Hochschulstudien. 4. Beurkundung von Gesetzen. Gesetz über die Ablösung der Zinsgründe und frühere. 5. Provisorische Einsetzung der Hauptwahlbehörde. 6. Berichterstattung des Sudetendienstes über die Lage in den Sudetenländern. Vortragender: der Leiter des Sudetendienstes in der Staatskanzlei Dr. O b e r n d o r f e r. 7. Änderungen einiger Bestimmungen des Strafgesetzes (Strafgesetznovelle O f n e r). 8. a) Dienstanweisung für die Obersten Behörden. b) Organisierung des Pressedienstes und Minderheitsschutzdienstes in der Staatskanzlei. Vortragender: Der Staatskanzler. 9. Antrag T e u f e l, betreffend Abschaffung der Titel und Orden. Antrag T e u f e l, betreffend Postkontrolle nach der Schweiz. 10. Fürsorge für Bühnenangestellte (Staatsamt für soz. Fürsorge). 11. Gesetz, betreffend die zeitweilige Unzulässigkeit von Exekutionsführungen wegen Ansprüchen gegen das k.k. Ärar, k. und k. Ärar, k.k. Hofärar und gewisse Anstalten und Fonde. 12. Restanten früherer Sitzungen: Vollzugsanweisung des Staatsamtes der Finanzen in Angelegenheit der begünstigten Dienstzeitanrechnung für die d.ö. Staatsbediensteten während des Krieges für die Vorrückung in höhere Bezüge und bei Bemessung des Ruhegenusses. [kein Inhalt] 13.4 14. Allfälliges, Initiativanträge, etz. 1
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Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurden Dr. Eugen Beck von Mannagetta, Dr. Julius Deutsch, Bruno Enderes, Dr. Ferdinand Hanusch, Richard Marckhl, Rafael Pacher, Dr. Karl Renner, Oskar Teufel und Johann Zerdik, deren Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Dem Beschlußprotokoll ist eine Berichtigung zum Protokoll beigefügt. Die Reihung der Tagesordnungspunkte entspricht nicht dem Protokollverlauf. Der Punkt 13 wurde in der Tagesordnung ohne Betreff verzeichnet.
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418 Beilagen: 56/I 56/II 56/III 56/IV 56/V 56/VI 56/VII/1 56/VII/2 56/VII/3 56/VIII 56/IX
56/IX/1
56/X 56/XI 56/XII
56/XII/1 56/XIII
56/XIV 56/XVI
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56 – 1918-12-09 Urlaubsansuchen Luksch und Ernennung des Abg. Nagele zum Ersatzmann (1 Seite, handschriftlich). Antrag Ofner, betreffend Herausgabe von Vollzugsanweisungen (1 Seite). Antrag des Staatskanzlers, betreffend Einsetzung der Hauptwahlbehörde (¼ Seite). Beschlüsse der Nationalversammlung, deren Beurkundung durch den Staatsrat zu veranlassen wäre (1 Seite). Gesetz vom … über den Dienst bei den obersten Behörden des Staates (5 Seiten). Antrag an den Staatsrat betreffend Bestellung Prof. Wotawa als Leiter der Minderheitenschutzstelle in der Staatskanzlei (¼ Seite). Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 11. Dezember 1918 über die Dienstverhältnisse der Angestellten von Theater- und ähnlichen Unternehmungen während der Betriebseinstellung (2 Seiten). Der Verein Wiener Theaterdirektoren, Einwand gegen die Schließung der Theater als Energiesparmaßnahme (2 Seiten). Ergänzungen der Vollzugsanweisung betreffend Angestellte von Operettenbühnen und Varietes, Prosabühnen, der Volksoper, dem Tonkünstler- und Orchesterverein und Lichtspieltheatern (½ Seite, zweifach). Entwurf, Vollzugsanweisung des Staatsamtes des Innern vom … Dezember 1918, betreffend die Verwaltung und Verwertung der Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge (1 Seite). Iro, Auszug für den Vortrag im Staatsrate betreffend die Vollzugsanweisung über die Zuerkennung der Mittelschulreife an Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten des Berufsstandes sowie ihre Zulassung zu Hochschulstudien (1¼ Seiten). Vollzugsanweisung des Staatsamtes für Unterricht im Einvernehmen mit dem deutschösterreichischen Staatsamt für Heerwesen und für öffentliche Arbeiten, betreffend die Zuerkennung der Mittelschulreife an Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten des Berufsstandes sowie ihre Zulassung zu Hochschulstudien (1½ Seiten). Antrag Teufel, betreffend Abschaffung aller Orden und Titel (1 Seite). Antrag Teufel, betreffend Ausfuhr in die Schweiz (1 Seite). Exekutionsbeschränkungen gegen Staats- und Hofärar, Entwurf 1, ad Zl. 5.120/18.: Gesetz vom … 1918, betreffend die zeitweilige Unzulässigkeit von Exekutionsführungen wegen Ansprüchen gegen das k.k. Ärar, k.u.k. Ärar, k.k. Hofärar und gewisse Anstalten und Fonde (1 Seite). Entwurf 2., ad Zl. 5.120/18.: Begründung zum Entwurfe eines Gesetzes, betreffend die zeitweilige Unzulässigkeit von Exekutionsführungen gegen das k.k. Ärar, k.u.k. Ärar, k.k. Hofärar und gewisse Anstalten und Fonde (2½ Seiten). Erlaß an die Finanzprokuraturen hinsichtlich ihrer Vertretungsbefugnisse für das k.k., sowie das k. und k. Ärar, Entwurf 3, ad Zl. 5.120/1918: Bestimmungen darüber, in wessen Vertretung die Prokuraturen einzuschreiten haben (1¼ Seiten). Beschlüsse der Nationalversammlung, deren Beurkundung durch den Staatsrat zu veranlassen wäre (1 Seite). Antrag Bodirsky, betreffend Beiziehung des Landeshautpmannes Freissler (1 Seite handschriftlich); Antrag Iro, betreffend Leitung des gesamten privaten Briefund Postpaketverkehrs über Bayern (1 Seite, handschriftlich).
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Vorsitzender: Präsident D i n g h o f e r. Anwesende laut aufgelegter Präsenzliste. Staatsrat L u k s c h wird bis 17. Dezember 1918 beurlaubt, sein Vertreter ist Ersatzmann N a g e l e (Beschlußprotokoll 56/I).5 [1] 1. Punkt der Tagesordnung: Verlesung des Einlaufes6, Zuweisung desselben, (Vortragender Dr. v. S z i l v i n y i). 2., 3. und 4. Punkt der Tagesordnung werden einstweilen zurückgestellt. Antrag O f n e r: Die auftauchende Frage, wer Vollzugsanweisungen herauszugeben berechtigt ist, der wegen der Richtigstellung der Nationalversammlungsbeschlüsse ohnedies mit der Novellierung des Grundgesetzes befaßten Verfassungskommission zuzuweisen.7 A n g e n o m m e n (Beschlußprotokoll 56/II).8 [5] 5. Punkt der Tagesordnung: provisorische Einsetzung der Hauptwahlbehörde. Berichterstatter Staatskanzler R e n n e r. Wechselrede: Präsident S e i t z (Vorschlag 5 Berufsrichter in diese Hauptwahlbehörde hineinzunehmen). Präsident D i n g h o f e r (für den Vorschlag Seitz, jedoch Bedenken wegen Parteischlüssel, Vorschlag diese Sache zurückzustellen), Staatsrat W o l f und W a l d n e r (für Vorschlag Seitz, jedoch mit der Änderung, außer den 15 Beisitzenden noch 5 Berufsrichter hineinzunehmen, wodurch die parteimäßigen Bedenken fallen). Antrag des Berichterstatters9 wird mit dem Zusatzantrag W a l d n e r, „daß die Hauptwahlbehörde außer dem Staatssekretär für Inneres oder seinem Stellvertreter und 15 Beisitzern (nach dem Parteischlüssel) noch aus 5 Berufsrichtern zu bestehen hat“ Beilage 56/I: Urlaubsansuchen Luksch (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und des Beschlußprotokolls überein. 6 Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. 7 Beilage 56/II: Antrag Ofner (1 Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt II. Mit diesem Antrag wollte Staatsrat Ofner eine Klärung der Kompetenzverteilung zwischen Staatsrat und Staatsämtern in Bezug auf die Herausgabe von Vollzugsanweisungen herbeiführen. Ofner bezog sich in seinem Antrag auf die diesbezügliche unklare Formulierung in der Einleitung zum StGBl. Nr. 79/1918. Zur vorhergehenden Diskussion dieser Frage im Staatsrat vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918 sowie Nr. 51 vom 30. November 1918. Vgl. zur Frage der Verordnungsgewalt auch KRP Nr. 4/3 vom 7. November 1918 und Nr. 6/5 vom 9. November 1918. Die von Ofner angesprochene Novellierung des Grundgesetzes durch die Verfassungskommission war aus der Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes durch die provisorische Nationalversammlung und die dadurch entstandene Notwendigkeit der Wiedereinbringung des Gesetzes durch den Staatsrat entstanden. Kern der Diskussionen bildete auch die Frage der Aufteilung von Kompetenzen, in diesem Fall zwischen der Provisorischen Nationalversammlung und dem Staatsrat. Vgl. SRP Nr. 49 vom 28. November 1918 und Nr. 51 vom 30. November 1918. In der 52. Sitzung hatte der Staatsrat sodann den Staatskanzler beauftragt, ehestens Vorschläge „zur Abänderung des bestehenden Grundgesetzes, um einen Ersatz für den Beitritt des Herrenhauses und die sogenannte Sanktion zum Behufe der Korrigierung eines Gesetzentwurfes herbeizuführen“ vorzulegen. Vgl. SRP Nr. 52 vom 2. Dezember 1918. 8 In weiterer Folge wurde das Gesetz über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt (StGBl. Nr. 1/1918) entsprechend modifiziert. Vgl. SRP Nr. 59 vom 16. Dezember 1918. 9 Beilage 56/III: Antrag Renner (¼ Seite). Waldners Zusatzantrag findet sich nicht in den Beilagen zu diesem Protokoll, wurde aber zur Gänze in das Beschlußprotokoll aufgenommen. Der Inhalt des bei5
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a n g e n o m m e n (Beschlußprotokoll 56/III).10 Staatsrat E l l e n b o g e n übernimmt die sofortige Verständigung des Wahlgesetzausschusses.11 [8] 8. Punkt der Tagesordnung: a) Dienstanweisung für die obersten Behörden. Staatskanzler R e n n e r berichtet. Der Gesetzentwurf 12 wird der Verfassungskommission zur ehesten Berichterstattung zugewiesen (Beschlußprotokoll 56/V).13 L i c h t bemerkt formell, daß keine Verfassungskommission, sondern nur die alte Beratungsgruppe für Verfassungs- und Verwaltungsorganisation bestehe.14 Sein Antrag „an deren Stelle eine 5gliedrige Verfassungskommission bestehend aus den Staatsratsmitgliedern H a u s e r (als Obmann), L a n g e n h a n, S e i t z, T e u f e l und L i c h t (als vortragenden Rat der Staatskanzlei) einzusetzen“ wird a n g e n o m m e n15 (Beschlußprotokoll 56/IV). 8. Punkt der Tagesordnung: b) Organisierung des Pressedienstes und des Minderheitsschutzdienstes in der Staatskanzlei.
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liegenden Antrages stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt III. Vgl. AdR, StK, GZl. 992/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokolle über die 56. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 9. Dezember 1918. Zur Bestellung der Hauptwahlbehörde, der Berufung der Beisitzer sowie zu deren Einsetzung als Wahlgerichtshof vgl. auch SRP Nr. 60/Va vom 20. Dezember 1918, Nr. 61/II vom 3. Jänner 1919, Nr. 66/II vom 15. Jänner 1919, Nr. 69/V vom 22. Jänner 1919, Nr. 70 vom 29. Jänner 1919, Nr. 75/II vom 26. Februar 1919, Nr. 76/IId vom 3. März 1919 und Nr. 77/IIc vom 7. März 1919 sowie das umfangreiche Material in AdR, StK, GZl. 4/1919. Zur Diskussion der Hauptwahlbehörde im Wahlgesetzausschuß vgl. PA, Prov. NV, politische Akten, Ausschüsse/Wahlgesetzausschuß, Protokoll über die Sitzung am 10. Dezember 1918. Beilage 56/V: Gesetzesentwurf (5 Seiten). Mit diesem Gesetz sollten die Dienstvorschriften und der Aufbau der obersten Behörden des Staates, namentlich der Präsidentschafts- und der Staatskanzlei und des Staatssiegelamtes, des Kabinetts und der Staatsämter sowie die Geschäftsbehandlung im Staatsrat festgelegt werden. Ein weitgehend gleichlautender Entwurf einer Anweisung des Staatsrates für den Dienst in den obersten Behörden des Staates findet sich neben weiterem Material zur Einrichtung der Staatsregierung in AdR, OBh, Büro Seitz, Karton 2, Regierungsbildung u. Einrichtung der Zivilverwaltung. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 569/1918, Gesetzentwurf über den Dienst bei den obersten Behörden des Staates. Der Entwurf erlangte in der vorliegenden Form keine Gesetzeskraft. Einige Passagen finden sich allerdings im Gesetz vom 19. Dezember 1918, womit einige Bestimmungen über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt vom 30. Oktober 1918, StGBl. Nr. 1, abgeändert oder ergänzt werden (StGBl. Nr. 139/1918). Vgl. dazu SRP Nr. 49 vom 28. November 1918, Nr. 51 vom 30. November 1918 und Nr. 52 vom 2. Dezember 1918 sowie SRP Nr. 59 vom 16. Dezember 1918. Vgl. dazu auch AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.541/1918, Aeußerung zum Gesetzentwurf, betreffend eine Anweisung für den Dienst in den obersten Behörden des Staates. In seiner 15. Sitzung hatte der Staatsrat eine Beratungsgruppe „mit dem Auftrage, Vorschläge über die Verfassungs- und Verwaltungsorganisation zu erstatten“, eingesetzt, mit deren Leitung laut Beschlußprotokoll Staatsrat Licht betraut wurde. Die Staatsräte Seliger, Markhl und Schoepfer wurden ursprünglich zu Mitgliedern gewählt. Vgl. SRP Nr. 15 vom 2. November 1918. In der 54. Sitzung vom 6. Dezember 1918 waren bereits Präsident Seitz an Stelle von Staatsrat Seliger und Staatsrat Langenhan an Stelle von Unterstaatssekretär Marckhl als Mitglieder in die Beratungsgruppe „entsendet“ worden. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 993/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokolle über die 56. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 9. Dezember 1918, Punkt IV.
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Staatskanzler R e n n e r berichtet.16 (Teilung des administrativen und technischen Pressedienstes, Bestellung Brügel, Pohl,17 Verbindungsdienst mit den Wiener Zeitungen: Breisky18; Minderheitsschutz- und Propagandadienst Direktor von Wottawa19, Beanspruchung eines vorläufigen Kredites von 100.000 K). Wechselrede: T e u f e l, S e i t z, W o l f (gegen das geringe Ausmaß des Betrages), R e n n e r, D i n g h o f e r, L i c h t (für den Vorschlag des Staatskanzlers, da eine Ausdehnung des vorläufigen Kredites jederzeit möglich ist), S e i t z (gegen die Befassung des Staatsrates mit der Bestellung von Beamten: Wottawa): Aufklärung R e n n e r: (außerordentliche Bestellung). Antrag D i n g h o f e r: Den Bericht des Staatskanzlers: 1.) Bezüglich der Organisierung und Dotierung des Presse- und Minderheitsschutzdienstes sowie 2.) betreffs der Bestellung des Professors Dr. August Ritter von Wottawa als Leiter der Abteilung: Minderheitsschutzstelle in der Staatskanzlei, zur Kenntnis zu nehmen. A n g e n o m m e n (Beschlußprotokoll 56/VI.)20 Gegenantrag S e i t z: Die Bestellung Prof. Dr. Wottawa im normalmäßigen Wege vorzunehmen, abgelehnt. [10] 10. Punkt der Tagesordnung: Fürsorge für Bühnenangestellte. Licht berichtet über die geplanten Fürsorgemaßnahmen zu Gunsten der durch die Sperrung der Theater, Varietes, Lichtspieltheater u.s.w. brotlos gewordenen Angestellten.21 Der Bericht liegt dem Protokoll in Teilen bei. Vgl. Beilage 56/VI: Antrag Renner (¼ Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VI. Die direkt dem Staatskanzler unterstellte Abteilung „Pressedienst“ sollte in einen Fachdienst und einen Verwaltungsdienst aufgeteilt werden. Der Fachdienst sollte drei Abteilungen enthalten, nämlich den auswärtigen Dienst in besonderer Zuteilung zum Staatssekretär für Äußeres, den Präsidialdienst der Presse, welcher dem Präsidenten im Staatsrat, dem Präsidenten im Kabinett und dem Staatskanzler zugeteilt werden sollte, sowie den inneren Pressedienst zur Verbindung mit allen wichtigen Printmedien. Die Staatskorrespondenz und das Telegraphen-Korrespondenz-Bureau sollten dem Pressedienst angeschlossen werden. Zur Koordination dieser Organisationseinheiten war eine gemeinsame Presskommission der Staatskanzlei geplant. Der Minderheitsschutzdienst sollte in ständiger Zusammenarbeit mit dem Pressedienst agieren. Zu dieser Einteilung des Pressedienstes vgl. den undatierten „Antrag an den Staatsrat, betreffend die Organisation des Pressedienstes“, in welchem auch Brügel, Pohl, Breisky und Wotawa erwähnt werden in AVA, Nachlaß Renner, E/1731: 289. 17 Zu der Bestellung Brügels und Pohls vgl. SRP Nr. 51/7 vom 30. November 1918. Ludwig Brügel, sozialdemokratischer Journalist und Historiker, Redakteur des „Neuen Wiener Tagblatts“, 1918 bis 1920 Pressechef der Staatskanzlei. Otto Pohl, Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, 1918 bis 1920 Leiter der Presseabteilung der Staatskanzlei und des Auswärtigen Dienstes, Regierungskommissär für die Heimbeförderung der österreichischen Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion, österreichischer Gesandter in Moskau bis 1927. 18 Dr. Walther Breisky, 1907 bis 1919 Tätigkeit im Ministerratspräsidium bzw. Staatsratspräsidium. 19 Dr. August Ritter von Wotawa, Mittelschullehrer, Leiter des Realgymnasiums Grinzing, 1920 Mitbegründer der Großdeutschen Partei. 20 Zur Einrichtung und Finanzierung der in Aussicht genommenen Abteilungen vgl. das umfangreiche Material in AdR, StK, GZl. 1.010/1920. Zur Kenntnisnahme durch das Staatsamt für Finanzen vgl. auch AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.433/1918. Informationen zu den Aufgaben, zur Organisation und zum Personalstand des Pressedienstes finden sich auch in AdR, StK, GZl. 1.657/1918. 21 Die niederösterreichische Landesregierung hatte aufgrund des § 11 der Vollzugsanweisung, betreffend die durch die Not an Brennstoffen verursachten unvermeidlichen Einschränkungen beim Verbrauche von Gas, Elektrizität und Brennstoffen vom 4. Dezember 1918, angeordnet: „Konzert- und Vortrags säle aller Art, Theater, Lichtspielhäuser, Varietés und ähnliche Vergnügungslokale bleiben bis auf 16
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Als solche Maßnahmen kommen in Betracht: 1.) Eine Vollzugsanweisung über die Dienstverhältnisse der Angestellten22, 2.) Einflußnahme der beteiligten Staatsämter auf die Gemeinde Wien und die n.ö. Landesregierung, die Sperre für 4 Spieltage in der Woche aufzuheben23, sowie 3.) im Falle der Untunlichkeit der Aufhebung der Sperre eine finanzielle Teilnahme des Staates an der Unterstützungsaktion durch die Unternehmer24 zu beschließen. Nachdem sich in der Wechselrede die Staatssekretäre Z e r d i k und H a n u s c h sowie die Mitglieder des Staatsrates J e r z a b e k, W o l f, S y l v e s t e r einstimmig dafür ausgesprochen haben und die geringe Belastung des Kohlenkontingentes durch die Aufhebung der Sperre für 4 Tage betont wurde, werden die Anträge Licht a n g e n o m m e n.25 (Beschlußprotokoll 56/VII.) [2] 2. Punkt der Tagesordnung: Vollzugsanweisung betreffs Verwaltung und Verwertung der Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge.26 Berichterstatter Unterstaatssekretär M a r c k h l.
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weiteres gesperrt.“ Vgl. Wiener Zeitung, 5. Dezember 1918, S. 2 „Nichtamtlicher Teil. Vollzugsanweisung der niederösterreichischen Landesregierung vom 4. Dezember 1918, Z. 879/1K“. Vgl. zu den Energiesparmaßnahmen auch SRP Nr. 51/5 vom 30. November 1918. Beilage 56/VII/1: Vollzugsanweisungsentwurf (2 Seiten). Mit der Vollzugsanweisung wurden besondere Vorschriften für die Dienstverhältnisse der von der Betriebseinstellung betroffenen Angestellten erlassen, die den Anspruch auf Mindestentgelt festlegten und bestimmten, daß aufgrund der durch die Brennstoffnot entstandenen Sperre der Theater, Lichtspielhäuser, Varietés und ähnlicher Vergnügungslokale keine Kündigung erfolgen dürfe. Diese Maßnahme wurde bis zum 1. Januar 1919 befristet. Der Entwurf stimmt weitgehend mit StGBl. Nr. 97, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 9. Dezember 1918 über die Dienstverhältnisse der Angestellten von Theater- und ähnlichen Unternehmungen während der Betriebseinstellung, ausgegeben am 13. Dezember 1918, überein. Abgesehen von einigen abweichenden Formulierungen wurde in der ausgegebenen Fassung zudem die in § 4 verfügte Mindestentlohnung von 4 Kronen auf 6 Kronen pro Tag erhöht. Zum vollständigen Text des Entwurfes vgl. Beschlußprotokoll Punkt VII. Beilage 56/VII/2: Schreiben des Vereins der Wiener Theaterdirektoren (2 Seiten). Der Verein plädierte in dem Schreiben für eine Aufhebung der Sperre der Wiener Theater für drei bis vier Tage. Seine Argumente stützten sich hauptsächlich auf den im Vergleich höheren Energieverbrauch der Restaurants und Cafés sowie die energiesparende Wirkung auf private Haushalte, die eine Öffnung der Theater mit sich bringen würde. Beilage 56/VII/3: Vollzugsanweisungsergänzung (½ Seite). Die Ergänzung beschreibt den Umfang der staatlichen Beteiligung an dieser Aktion in Bezug auf Operettenbühnen und Varietés, Prosabühnen, die Volksoper, den Tonkünstler- und Orchesterverein sowie Lichtspieltheater. Vgl. dazu auch das Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 7.806/1918, Unterstützung der Bühnenangestellten während der Dauer der Betriebssperre infolge Kohlenmangels. Vgl. Neue Freie Presse. Morgenblatt, 10. Dezember 1918, S. 3 „Möglichkeit einer teilweisen Wiedereröffnung der Theater, Varietés und Kinos“. In der 58. Sitzung des Staatsrates berichtete Renner zudem „über eine Vorsprache der Theaterdirektoren, welche um Freigabe des Samstags und Sonntags zur Veranstaltung von Vorstellungen ersucht haben“. „Mit Rücksicht auf die geringe Belastung des Kohlenverbrauchs“ wurde am 13. Dezember 1918 seitens des Staatsrates beschlossen, dieses Ersuchen zu genehmigen. Vgl. SRP Nr. 58/XII vom 13. Dezember 1918. Beilage 56/VIII: Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite). Der Entwurf war im Kabinettsrat gemeinsam mit einer Vollzugsanweisung, betreffend die Flüchtlingsfürsorge, beraten und zur Vorlage an den Staatsrat verwiesen worden. Vgl. dazu KRP Nr. 21/3 vom 6. Dezember 1918. Mit der Vollzugsanweisung wurde im Wesentlichen die Verwaltung der mit Mitteln des alten österreichischen Staates angeschafften und im österreichischen Staatsgebiet befindlichen Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge in den Bereich des Staatsamtes für Inneres übertragen. Dieses sollte im Einvernehmen mit dem Staatsamt für Finanzen über eine allfällige Verwertung der Mittel entscheiden. Die Landesregierungen, Gemeinden und Flüchtlingsfürsorgestellen wurden aufgefordert, keine eigenständigen Verfügungen
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Die Erlassung der Vollzugsanweisung wird g e n e h m i g t.27 (Beschlußprotokoll 56/VIII). [3] 3. Punkt der Tagesordnung: Vollzugsanweisung wegen Zuerkennung der Mittelschulreife an Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten des Berufsstandes sowie ihre Zulassung zu Hochschulstudien.28 Berichterstatter Staatssekretär P a c h e r: Die Erlassung der Vollzugsanweisung wird g e n e h m i g t.29 (Beschlußprotokoll 56/IX). [9] 9. Punkt der Tagesordnung: a) Antrag30 T e u f e l, betreffend Abschaffung der Titel und Orden. Wechselrede: Präsident D i n g h o f e r, Staatskanzler R e n n e r (betont, daß schon ein entsprechender Gesetzentwurf vorbereitet werde), Staatssekretär R o l l e r, Staatsrat W o l f (betreffs der Unterschiede in den Titeln).
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über diese Sachgüter zu treffen. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 102, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 14. Dezember 1918, betreffend die Verwaltung und Verwertung der Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge, ausgegeben am 15. Dezember 1918, zur Gänze überein. Bereits im November war im Staatsamt für Inneres zur Durchführung dieser Maßnahmen die „Abteilung 13 – Verwertungsstelle für Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge“ eingerichtet worden. Vgl. dazu AdR, BKA/Inneres, 19/gen., Zl. 1.127/1918, Flüchtlingsfürsorgeeinrichtungen, künftige Verwertung, Errichtung einer Verwertungsstelle. Umfangreiches Aktenmaterial zur praktischen Durchführung der Flüchtlingsfürsorge und der Verwertung der Güter, darunter einzelne Beschwerden, Kostenaufstellungen und Verrechnungen sowie Bescheide der Zentralstelle der Fürsorge für Kriegsflüchtlinge etc., findet sich im Bestand AdR, BKA/Inneres, 19/gen., StAI, 1918. Material zur Frage der Verwertung, insbesondere der Holzbestände der Flüchtlingslager, findet sich in AdR, StK, GZl. 104/1919. Beilage 56/IX/1: Vollzugsanweisungsentwurf (1½ Seiten) und Beilage 56/IX: Iro, Auszug für den Vortrag im Staatsrat (1¼ Seiten). Die Vollzugsanweisung stützte sich auf den Ministerialerlaß RGBl. Nr. 301/1915. Dieser hatte kriegsinvaliden Offizieren, Militärbeamten und Offiziersaspiranten die Berechtigungen des Reifezeugnisses einer Staatsrealschule zuerkannt und ihnen damit den Zugang zur Erlangung der Hochschulreife erleichtert. Diese Maßnahme sollte nun einerseits nur mehr für jene Personen gelten, „welche ihre Zugehörigkeit zum deutschösterreichischen Staatsverbande nachzuweisen vermögen“. Andererseits sollten nunmehr auch Nichtinvalide anspruchsberechtigt sein, da mit einer Verkleinerung des Heeres und infolgedessen einer Erhöhung der Zahl der aus dem Militärdienst ausgeschiedenen Berufsoffiziere gerechnet wurde. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 98, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Unterricht im Einvernehmen mit den Deutschösterreichischen Staatsämtern für Heerwesen und für öffentliche Arbeiten vom 10. Dezember 1918, betreffend die Zuerkennung der Mittelschulreife an Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten des Berufsstandes sowie ihre Zulassung zu Hochschulstudien, ausgegeben am 15. Dezember 1918, zur Gänze überein. Anfang Dezember 1918 hatte im Staatsamt für Heerwesen eine Sitzung von Vertretern der Staatsämter für Heerwesen, für Unterricht sowie des liquidierenden Kriegsministeriums, der Marinesektion und des liquidierenden Ministeriums für Landesverteidigung zur Ausarbeitung eines beschlußfähigen Entwurfes stattgefunden. Vgl. dazu AdR, StAHw, Amtsleitung, Zl. 2.709/1918, Zuerkennung der Mittelschulreife an Berufsgagisten – Sitzung am 2. Dezember 1918. Die Vollzugsanweisung wurde am 15. Dezember 1918 ausgegeben. Beilage 56/X: Antrag, Teufel (1 Seite). Dieser Antrag des Staatsrates Teufel stand bereits auf der Tagesordnung der 53. Sitzung des Staatsrates vom 3. Dezember 1918, wurde dort allerdings nicht behandelt. Der Antrag lautete folgendermaßen „Alle Orden und Titel sind abzuschaffen. Die Ordensvermögen gehören dem Deutschösterreichischen Staate.“
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Der Antrag wird der Staatskanzlei zur Vorbehandlung zugewiesen.31 (Beschlußprotokoll 56/X). 9. Punkt der Tagesordnung: b) Antrag32 T e u f e l , betreffend die Postkontrolle nach der Schweiz. Wird dem Staatsamt für Gewerbe, Handel und Industrie zur Berichterstattung zugewiesen.33 (Beschlußprotokoll 56/XI). [11] 11. Punkt der Tagesordnung: Gesetz34, betreffend die zeitweilige Unzulässigkeit von Exekutionsführungen wegen Ansprüchen gegen das k.k. Ärar, k.u.k. Ärar, k.k. Hofärar und gewisse Anstalten und Fonde. Berichterstatter U.S.S. B e c k v o n M a n n a g e t t a. Der Gesetzentwurf wird zur ehesten Berichterstattung der Justizkommission zugewiesen.35 (Beschlußprotokoll 56/XII.) U.S.S. B e c k v o n M a n n a g e t t a berichtet ferner noch über die Notwendigkeit der Hinausgabe eines Erlasses an die Finanzprokuratur hinsichtlich ihrer Vertretungsbefugnis für das k.k. und k.u.k. Ärar.36 Dem vorgelegten Entwurf wird zugestimmt. (Beschlußprotokoll 56/XIII). Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 346/1919, Zl. 995/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokolle über die 56. Sitzung des Deutschösterreichischen Staatsrates vom 9. Dezember 1918, Punkt X; weiters SRP Nr. 68/ IIc vom 20. Januar 1919. 32 Beilage 56/XI: Antrag Teufel (1 Seite). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. 33 Teufel hatte bereits zuvor Anträge zur Kontrolle der Postsendungen in die Schweiz gestellt. In weiterer Folge wurde ein allgemein gehaltenes Gesetz, betreffend die Postzensur (StGBl. Nr. 89/1919), erlassen. Vgl. dazu SRP Nr. 39 vom 20. November 1918, Nr. 41 vom 21. November 1918 und Nr. 60/III vom 20. Dezember 1918. 34 Beilage 56/XII und Beilage 56/XII/1: Gesetzesentwurf (1 Seite); Begründung (2½ Seiten). In der Begründung wurde zunächst festgestellt, daß sich privatrechtliche Forderungen gegen das k.k. und k.u.k. Ärar auf Deutschösterreich konzentrieren würden, obwohl zwischen dem alten und neuen Österreich keine Rechtskontinuität bestehe. Das vorliegende Gesetz sollte nun ermöglichen, alle diesbezüglichen Forderungen „behufs ungestörter Abwicklung […] der Liquidierung“ temporär auszusetzen, um nach der Klärung der Liquidationsfragen die Behandlung der Ansprüche gegen das Ärar unter den Nachfolgestaaten aufteilen zu können. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 131 vom 19. Dezember 1918, betreffend die zeitweise Unzulässigkeit von Exekutionen und einstweiligen Verfügungen wegen Ansprüchen gegen das k.k. Ärar, das k.u.k. Ärar und gewisse Anstalten und Fonds, ausgegeben am 24. Dezember 1918, überein. Der vom Staatsamt für Finanzen ausgearbeitete Gesetzesentwurf findet sich neben anderen Materialien, darunter einer ausführlichen Darlegung der Problematik, in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 3.074/1918 und AdR, StK, GZl. 543/1921, Zl. 689/1918. Weiteres Material, darunter eine Zusammenfassung der von der Justizkommission geforderten Änderungen und ein Protokoll über eine zwischenstaatsamtliche Beratung in dieser Frage, findet sich in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 6.361/1918, Zl. 6.966/1918 und Zl. 5.120/1918. Vgl. weiters AdR, StAsF, Präsidium, GZl. 279/1918, Maßnahmen, betreffend Forderungen und Verpflichtungen des k.k. Aerars und des k.u.k. Aerars; AdR, BMHV, StAöA, Abteilung Li, 1918–1921, GZl. 32, Maßnahmen bezüglich der Forderungen und Verpflichtungen des k.k. beziehungsweise des k.u.k. Aerars. 35 Zum weiteren Verlauf vgl. SRP Nr. 58/V vom 13. Dezember 1918. Vgl. auch AdR, StK, GZl. 543/1921. 36 Beilage 56/XIII: Erlaß (1¼ Seiten). Hierbei ging es um die erneute Feststellung, daß der deutschösterreichische Staatsschatz nach Artikel 4 des Gesetzes über die Staats- und Regierungsform (StGBl. Nr. 5/1918) nicht als Rechtsnachfolger des k.k. oder k.u.k. Ärars anzusehen sei. Für die Aufbringung der Steuern, sonstiger öffentlicher Abgaben und Monopoleinnahmen auf deutschösterreichischem Staatsgebiet galt dieser Grundsatz nicht, „gleichgütig, wann diese Forderungen entstanden, für welche Zeit sie zu entrichten und wann sie fällig geworden“ waren, da der deutschösterreichische Staat kraft 31
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[4] 4. Punkt der Tagesordnung: Beurkundung von Gesetzen, Gesetz über die Ablösung der Zinsgründe und frühere.37 Aufklärung des Staatsnotars S y l v e s t e r, daß diese Beurkundung schon in der 55. Sitzung des Staatsrates vom 7. Dezember 1918 vorgenommen wurde.38 (Vergleiche Beschlußprotokoll 55/X). Staatssekretär für Justiz R o l l e r, Staatskanzler R e n n e r und Präsident S e i t z sprechen zur Beurkundung der Gesetze überhaupt, (Notwendigkeit der Überprüfung der Formulierung durch die sachlich zuständigen Staatsämter, Aufschub der endgiltigen Regelung der Beurkundungsfrage, vorläufige Nichtbefassung des Staatsrates hiemit.) Es werden die Anträge a) von der Beurkundung der Gesetzesbeschlüsse der Nationalversammlung im Staatsrate vorläufig abzusehen, b) den Staatsnotar zu ersuchen, die Gesetze vor ihrer endgültigen Kundmachung dem sachlich zuständigen Staatsamte zur Einsicht und Bekanntgabe etwaiger Einwendungen innerhalb einer kurzen Frist zuzumitteln, a n g e n o m m e n.39 (Beschlußprotokoll 56/XIV.) Präsident D i n g h o f e r und S e i t z besprechen die durch die gleichzeitige Veranstaltung von Staatsrats- und Kabinettssitzungen sich ergebenden Schwierigkeiten. Es wird der Antrag des Staatskanzlers R e n n e r: „Die Staatsratssitzungen künftighin für Montag, Mittwoch, Freitag 3 Uhr nachm. anzuberaumen, die Kabinettssitzungen am Dienstag, Donnerstag und Samstag abzuhalten“, a n g e n o m m e n.40 (Beschlußprotokoll 56/XV.) [7] 7. Punkt der Tagesordnung: Änderungen einiger Bestimmungen des Strafgesetzes (Strafgesetznovelle Ofner) zurückgestellt, da Berichterstatter nicht anwesend.41
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seiner Gebiets- und Abgabenhoheit seit 1. November 1918 alle Steuereinnahmen auf seinem Gebiet einheben konnte. Diese Materie wurde gemeinsam mit dem Gesetz, betreffend die zeitweilige Unzulässigkeit von Exekutionsführungen wegen Ansprüchen gegen das k.k. und k.u.k Ärar behandelt. Vgl. dazu weiters AdR, BMfHuV, StAöA, Abteilung Li, 1918–1921, GZl. 32, Maßnahmen bezüglich der Forderungen und Verpflichtungen des k.k. beziehungsweise des k.u.k. Aerars. Beilage 56/IV und Beilage 56/XIV: Liste der zu beurkundenden Gesetze (1 Seite). Es handelt sich dabei um die in der 5. und 6. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung am 22. und 27. November 1918 beschlossenen Gesetze, die dem Staatsnotar in der 43. Sitzung des Staatsrates vom 23. November 1918 zur Beurkundung überwiesen wurden. Vgl. SRP Nr. 55/6 vom 7. Dezember 1918. Vgl. dazu AdR, StK, GZl. 271/1919, Zl. 997/1918, Auszug aus dem Beschlußprotokolle über die 56. Sitzung des Staatsrates, Punkt XIV. Die Festsetzung von fixen Terminen für die Sitzungen des Staatsrates und des Kabinettsrates wurde mehrmals den jeweiligen zeitlichen Rahmenbedingungen angepaßt. Vgl. dazu auch SRP Nr. 48 vom 27. November 1918. Der Entwurf zur Strafgesetznovelle war bereits auf der Tagesordnung der 47. Sitzung des Staatsrates gestanden. Obwohl sie in dieser Sitzung nicht behandelt worden war, war die Gesetzesvorlage dennoch in die Provisorische Nationalversammlung eingebracht worden. Vgl. SRP Nr. 47 vom 26. November 1918. Am 7. Dezember 1918 erfolgte in der Staatskanzlei die Weisung, die Einleitungsformel und die Vollzugsklausel des Entwurfes zu ändern und den geänderten Entwurf dem Staatsrat vorzulegen. Auf dem Akt wurde vermerkt, daß die Einbringung des Entwurfes auf die Tagesordnung des 9. Dezember 1918 gesetzt werden solle. Vgl. AdR, StK, GZl. 483/1918. Die Novelle war allerdings bereits am 5. Dezember in der Nationalversammlung angenommen und laut Beschluß des Staatsrates in der 55. Sitzung beurkundet worden. Vgl. SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. Das Gesetz wurde am 13. Dezember 1918 ausgegeben. Vgl. StGBl. Nr. 92, Gesetz vom 5. Dezember 1918, womit mehrere Bestimmungen
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[12] 12. Punkt der Tagesordnung: Restanten früherer Sitzungen: Vollzugsanweisung des Staatsamtes der Finanzen in Angelegenheit der begünstigten Dienstzeitanrechnung für die deutschösterreichischen Staatsbeamten während des Krieges für die Vorrückung in höhere Bezüge und bei Bemessung des Ruhegenusses.42 Hiezu beauftragt Präsident D i n g h o f e r die Kanzlei, beim Staatsamt für Finanzen sich zu erkundigen, welcher Art diese Vollzugsanweisung sei und ob der Staatsrat mit dieser Sache nicht schon befaßt gewesen.43 [6] 6. Punkt der Tagesordnung: Berichterstattung des Sudentendienstes über die Lage in den Sudetenländern.44 Nach den einleitenden Worten des Staatskanzlers R e n n e r, welcher kurz über die Sprengung der deutschböhmischen Staatsbahndirektion in Teplitz45 sowie über die Zerlegung des Gerichtssprengels Troppau in einen tschechischen und einen deutschen Teil und über ein Nebeneinanderarbeiten des tschechischen und deutschen Bezirksgerichtes dortselbst, sowie über die schwebenden Verhandlungen in Angelegenheit der Sachdemobilisierung, der Kohlenfrage, der finanziellen Frage und der Ernährungsaushilfen46 Mitteilung
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des Strafgesetzes abgeändert werden (Strafgesetznovelle vom Jahre 1918), ausgegeben am 11. Dezember 1918. Unter Hinweis auf diesen Umstand wurde die Angelegenheit am 15. Dezember schließlich auch in der Staatskanzlei als erledigt betrachtet. Dem Tagesordnungspunkt liegt kein entsprechendes Material bei. Vgl. dazu SRP Nr. 28 vom 9. November 1918 und Nr. 48 vom 27. November 1918. Die folgenden Berichte liegen dem Protokoll nicht bei. Infolge der Besetzung wichtiger Knotenpunkte durch tschechoslowakische Truppen, darunter Teplitz selbst, hatte die dortige Staatsbahndirektion am 7. Dezember 1918 ihre Tätigkeit eingestellt. Vgl. AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 322/Präs./1918, Staatsbahndirektion Teplitz, betreffend Besetzung von Teplitz durch die Tschechoslowaken. Vgl. auch das Telegramm der Staatsbahndirektion in ebd., Zl. 380/ Präs/1918, Telegramm der Staatsbahndirektion Teplitz, betreffend die Einstellung ihrer Amtstätigkeit. Zur Einrichtung der Staatsbahndirektion Teplitz vgl. auch SRP Nr. 17 vom 4. November 1918; weiters KRP Nr. 3/2 vom 4. November 1918. Die Kohleverhandlungen zwischen dem tschechoslowakischen Ministerium für öffentliche Arbeiten und dem deutschösterreichischen Verhandler Dr. Josef Kranz hatten am 9. Dezember 1918 in Prag begonnen. Die Kohlen- und Zuckerlieferungen aus der Tschechoslowakei liefen bis zum Abschluß des Friedensvertrages von St. Germain insgesamt aber schleppend. Zu den Kohleverhandlungen mit der Tschechoslowakei vgl. den Bericht des Staatssekretärs Zerdik in SRP Nr. 33 vom 14. November 1918, Nr. 37 vom 19. November 1918, Nr. 54 vom 6. Dezember 1918, Nr. 56/6 vom 9. Dezember 1918, Nr. 58/IIId vom 13. Dezember 1918 und Nr. 59/3a vom 16. Dezember 1918, weiters KRP Nr. 3/3 vom 4. November 1918, Nr. 9/2 vom 12. November 1918, Nr. 13/4 vom 18. November 1918, Nr. 21/1 vom 6. Dezember 1918, Nr. 23/4 vom 14. Dezember 1918, Nr. 24/5 vom 17. Dezember 1918 und Nr. 34/1 und 4 vom 28. Januar 1919 sowie das Material in AdR, BKA/AA, Abteilung 14 H-pol, Kohle Tschechoslowakei 1918–1925, Kohle Tschechien 1, Zl. 643/10/1918. Insbesondere zur Frage der Ostrauer Kohle vgl. SRP Nr. 51/5 vom 30. November 1918. Zur Lieferung von Zucker und anderen Nahrungsmitteln aus der Tschechoslowakei vgl. ebenfalls KRP Nr. 13/4 vom 18. November 1918 sowie Nr. 31/4 vom 14. Januar 1919. Zum Stand der Versorgung mit Kohle und Lebensmitteln Anfang Dezember 1918 vgl. auch die Regierungsberichte der Staatssekretäre Loewenfeld-Ruß und Zerdik in der 7. Sitzung der Provisorischen Nationalversammlung vom 4. Dezember 1918. Vgl. weiters Gertrude Enderle-Burcel/Eduard Kubů, „Handelsbeziehungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit“, in: Alice Teichova/Herbert Matis (Hg.), Österreich und die Tschechoslowakei 1918–1938. Die wirtschaftliche Neuordnung in Zentraleuropa in der Zwischenkriegszeit, Wien/Böhlau 1996, S. 113–130, hier S. 113 f; Jürgen Nautz, Die österreichische Handelspolitik der Nachkriegszeit 1918 bis 1923. Die Handelsvertragsbeziehungen zu den Nachfolgestaaten, Wien/Köln/Graz 1994, S. 382–385; Hans Loewenfeld-Russ, Im Kampf gegen den Hunger. Aus den Erinnerungen des Staatssekretärs für Volksernährung 1918–1920. Herausgegeben und bearbeitet von Isabella Ackerl, Wien 1986, S. 197–206.
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gemacht, erstattet der Leiter des Sudetendienstes der Staatskanzlei Dr. O b e r n d o r f e r47 eingehenden Bericht über die Verhältnisse in den Sudetenländern. (Die Landesregierungen kämpfen mit Personalmangel zur Einrichtung der Ämter, mit den durch die tschechischen Besetzungen hervorgerufenen Verkehrsschwierigkeiten der Gebiete untereinander und mit Wien, sowie die dadurch bedingte Unterbrechung und Unmöglichmachung jeder Verwaltungstätigkeit; daher einerseits der Ruf der Bevölkerung in dem deutschböhmischen Gebiete und in Südböhmen, sowie des Landeshauptmannes vom Sudetenland Freißler nach Verhandlungen mit dem tschechoslowakischen Staate auf Grundlage des Standes vom 16. November 1918, andererseits der Abschluß rein lokaler Vereinbarungen – z. B. in Kaplitz, Troppau. Staatssekretär Bauer ist geneigt, in diesem Sinne Verhandlungen in Prag selbst zu führen).48 Wechselrede49: K r o y (Verhaftung von Bahnvorständen, Verlangen nach Gegenmaßregeln), Präsident Hauser (Schilderung der Zustände in Südböhmen, Kritik der Volkswehr50), I r o (Antrag, den gesamten Postverkehr über Bayern zu leiten), U.S.S. E n d e r e s (Ergänzung des Berichtes durch genaue Mitteilungen über die Besetzung der Eisenbahndirektion Teplitz, der Eisenbahnknotenpunkte Brüx, Oberleuthensdorf, Böhmisch-Leipa, wodurch Deutschböhmen eisenbahntechnisch nicht mehr zu halten ist, zumal auch die Kohlenversorgung durch die Besetzung von Brüx unterbunden.51 Bericht über den Mißerfolg des nationalen Streikes der Eisenbahnbediensteten in Böhmisch-Leipa52, deren Verlangen, sie Leonhard Oberdorffer, Jurist, Finanzrat, Tätigkeit im Finanzdienst in Leitmeritz, Schluckenau, Gablonz und Prag, 1917 Einberufung in das Ministerium für soziale Fürsorge, 16. November 1918 Bestellung zum Leiter der deutschböhmischen Abteilung der Staatskanzlei. 48 Freißler hatte am 3. Dezember 1918 dem Staatskanzler einen Situationsbericht über die Lage in der Provinz Sudetenland erstattet, in welchem er sich dafür ausgesprochen hatte, „dass Verhandlungen über die Herstellung eines vorläufigen Verwaltungszustandes in Deutschböhmen und im Sudetenlande von der Staatskanzlei, beziehungsweise vom Staatsrate in Wien mit Prag ehestens anzustreben und sodann unter Mitwirkung der Provinzialregierungen mit jeder nur möglichen Beschleunigung einzuleiten sind“. Eine an das Staatsamt für Äußeres weitergeleitete Abschrift seines Berichtes mit dem Ersuchen, „wegen Einleitung von Verhandlungen mit der tschechoslovakischen Regierung an den Staatsrat Antrag zu stellen“, findet sich in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 2.906/1918, wo die Angelegenheit unter Verweis auf die bereits laufenden Verhandlungen am 23. Dezember 1918 als einstweilen erledigt betrachtet wurde. Vgl. auch die Meldung über die zwischen Vertretern des Böhmerwaldgaues, Krumau und des tschechischen Kommandos in Kaplitz getroffene Waffenstillstandsvereinbarung in AdR, BKA/ AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. 816/1 Kaplitz, Verhaftung der Volkswehrmänner, Haltung der Geistlichkeit, GZl. 816/1918, Zl. 2.270/1/1918, Tschechoslovakisches Vordringen gegen deutsche Gebiete, Waffenstillstand in Bezug auf Krumau und Kaplitz. Zu den Verhandlungen vgl. weiters das Material, darunter eine Abschrift des Verhandlungsprotokolls, in ebd., Zl. 2.616/1/1918, Tschechoslovakisches Vordringen gegen Südböhmen. Vgl. weiters das Telegramm der Landesregierung Linz in ebd., Zl. 2.475/1918. Vgl. dazu auch Neue Freie Presse. Morgenblatt, 7. Dezember 1918, S. 6 „Ein Waffenstillstand in Südböhmen“. 49 Die folgende Wechselrede wurde nur in Stichworten festgehalten. 50 Zur Volkswehr allgemein vgl. SRP Nr. 35 vom 16. November 1918. 51 Zur Besetzung von Brüx vgl. SRP Nr. 50 vom 29. November 1918. 52 Das Bahnpersonal von Böhmisch Leipa war am 25. November aus Protest gegen die erzwungene Übernahme in die Verwaltung des tschechoslowakischen Staates in den Streik getreten. Zum Streik der Eisenbahnbediensteten in Böhmisch Leipa vgl. neben weiterem Material das diesbezügliche Schreiben der Staatsbahndirektion in Teplitz vom 2. Dezember 1918 in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 269/ Präs/1918, Ausstand in Böhm.-Leipa. Darin heißt es u. a., daß die Streikenden ihr Ziel, „den Abzug der Tschechoslovaken aus Böhmisch-Leipa“ zu erzwingen, nicht zu erreichen schienen, weswegen sich die baldige Beendigung des Streiks empfehle. Vgl. auch den beiliegenden Artikel „Abschrift aus der Reichenberger Zeitung vom 4. Dezember 1918. Zu den Vorkommnissen auf den deutschen Linien der Böhm. Nordbahn. Leipa, am 2. Dezember 1918“ sowie das Protokoll eines Berichtes über die Ausstandsbewegung der deutschen Eisenbahnbediensteten der Böhmischen Nordbahn in AdR, OBh 47
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des deutschen Diensteides zu entbinden und ihnen den Dienstbetrieb, für den tschechischen Staat zu gestatten. Verkehrsamt war genötigt, dies bedingt zuzugestehen.53 Vorschlag: Protest und Rechtsverwahrung gegen das tschechische Vorgehen einzulegen. Undurchführbarkeit des Antrages Iro wegen Widerstrebens der bayrischen Regierung), J e r z a b e k (Prager Gesandtenfrage Aufklärung durch Präsident Dinghofer), W o l f (Kritik der Volkswehr, Organisierung des Volkswiderstandes wurde unmöglich gemacht, Deutschböhmen im Stiche gelassen, wird sich auf sich selbst zurückziehen müssen. Verlangen nach Ermöglichung einer Volkskundgebung). B o d i r s k y (Verhandlungen einzige Möglichkeit, Antrag, auch Landeshauptmann Freißler zu den Prager Verhandlungen beizuziehen). Staatssekretär R o l l e r (Ergänzung des Berichtes durch Mitteilung über die Verhältnisse im Justizwesen.54 Tschechisches Verhalten nach den örtlichen Verhältnissen verschieden, daher örtliche Vereinbarungen größte Wahrscheinlichkeit eines Erfolges. Gemischtes System im Sudetenland.55 Unterstützt das Verlangen nach Herstellung des Zustandes vor dem 16. November 1918, sodaß weder eine Angelobung für den deutschösterreichischen noch für den tschechoslovakischen Staat bestünde, an deren Stelle tatsächliche Pflichtenerfüllung treten würde.56 Vorschlag, vor der politischen Klarstellung unserer Lage im Staatsrate keinerlei Ressortverfügungen zu treffen), A b r a m (gegen Wolf: Zurückweisung des Vorwurfes, daß die sozialdemokratische Partei einen bewaffneten Widerstand Deutschböhmens verhindert hätte.) Unterstaatssekretär D e u t s c h (Volkswehr ein Notbehelf, Söldnerheer, daher eigentümliche Zusammensetzung; Wahl war zu treffen zwischen anarchistischen Elementen und organisierten Arbeitern, letztere Wahl gebilligt, daher Vorwurf, daß Volkswehr sozialdemokratisch, nicht am Platze. Betreffs der bedrohten sudetenländischen Gebiete wünscht die Bevölkerung selbst keinen bewaffneten Widerstand), I r o (hält trotz Einwurf Enderes seinen Antrag aufrecht. Geist der Volkswehr ergibt sich aus dem Gefühl des Besiegtseins). T e u f e l (Kritik der Volkswehr, Aufstellung von Offiziersregimentern, Anfrage betreffs der Rede Dr. Frey’s für die sozialistische Republik57,
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1918–2003, Deutschböhmische Landesregierung 1918–1919, Berichte aus verschiedenen Orten A–L, Leipa. Da die zuvor von Teplitz nach Tetschen verlegte Staatsbahndirektion Teplitz zur Konsultation in der Frage nicht erreichbar und Gefahr im Verzug war, ermächtigte das Staatsamt für Verkehrswesen die Landesregierung für Deutschböhmen, „die Eisenbahner in Böhm. Leipa vom Gelöbnis zu entheben“. Vgl. dazu das Material in AdR, StAVw, Präsidium, Zl. 321/Präs./1918, StB. Dion. Teplitz betr. die Enthebung der Bediensteten in B. Leipa vom Gelöbnis für Deutschösterreich. Am 11. Dezember 1918 verlangte das Staatsamt für Justiz eine Richtigstellung und Ergänzung des Protokolls dieser Sitzung. Begründet wurde dies damit, daß einerseits ein Widerruf des von den Gerichtsbeamten abzulegenden Gelöbnisses für Deutschösterreich nicht verfügt worden wäre und dem Staatsamt für Justiz eine Vereinbarung zwischen der Landesvertretung des Sudetenlandes und dem tschechoslowakischen Staat, betreffend die Aufteilung der Gerichte in Troppau, zur Genehmigung vorliege, womit die „beschlossene Gebietsabgrenzung durchbrochen“ werde. Vgl. AVA, StAJ, Präsidium, Zl. 77/1918. Zur gemischten Verwaltung im Sudetenland vgl. den Bericht des Landesverwesers Fürer vom 19. November 1918 in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 369/1918. Zum Beispiel ist diese Forderung auch in einer Resolution der Vertreter Deutschböhmens vom 9. Dezember 1918 enthalten, die, nachdem die tschechoslowakischen Vertreter zu einer anberaumten Verhandlung nicht erschienen waren, beschlossen hatten, diese als Versammlung der „Vertreter Deutschböhmens“ abzuhalten. Vgl. AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. 816/1 Kaplitz, Verhaftung der Volkswehrmänner, Haltung der Geistlichkeit, Zl. 2.784/1918. Teufel dürfte sich hier auf eine Rede des Vorsitzenden des Vollzugsausschusses der Wiener Soldatenräte, Dr. Josef Frey, beziehen, welche dieser auf der ersten Vollversammlung der Soldatenräte der Wiener Volkswehr am 2. Dezember 1918 gehalten hatte. Ob er sich darin tatsächlich für die Errichtung einer sozialistischen Republik ausgesprochen hatte, ist fraglich. In der Presse existierten verschiedene Versionen über Freys Aussagen. Laut dem „Neuigkeits-Welt-Blatt“ hatte sich Frey dahingehend geäußert, daß
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wegen Absendung eines Telegrammes an die Spartakus-Gruppe in Berlin58, wegen der Vorgänge in Znaim, wo die örtliche Wehrorganisation durch die gegebene Order des Heeresamtes lahm gelegt wurde59. Staatskanzler R e n n e r (ergänzt den Bericht durch Mitteilungen über die zum Teil zwischen Privatvertretern schwebenden Verhandlungen, da die tschechische Regierung Verhandlungen von Staat zu Staat ablehnt. Trostlosigkeit der militärischen Lage wegen der Waffenstillstandsbedingungen, noch erschwert durch die wirtschaftliche Lage. Einspruch gegen die teilweise auftauchende Anschauung in den Kabinettssitzungen, daß eine Änderung unserer Haltung in der deutschböhmischen, sudetenländischen Sache gegenüber dem tschechoslovakischen Staate notwendig sei60; jedenfalls dürfte die politische Entscheidung nicht vor Abschluß der schwebenden Verhandlungen erfolgen, dann aber Notwendigkeit, einzelnen Staatsämtern klare Weisungen vom Staatsrate zu geben. Ersuchen, bis dahin die Volkswehr „so lange am Klassenkampfe teilnehmen“ müsse, „bis die sozialistische Republik errichtet sei“. In der „Arbeiter-Zeitung“ hieß es, Frey habe erklärt: „Die erste und alles überragende Aufgabe des Soldatenrates aber wird sein, aus der Volkswehr eine schlagfertige proletarische revolutionäre Armee zu machen. [...] Die Soldatenräte werden die obersten Wächter sein, dass diese schlagfertige Armee dann nie verwendet werden kann zu reaktionären, sondern nur zu revolutionären Zwecken.“ Die „Wiener Zeitung“ enthielt nur die lapidare Feststellung: „Die Versammlung wurde vom Unterstaatssekretär für Heerwesen Dr. Deutsch und vom Gehilfen des Volkswehrkommandanten Major Henning begrüßt, worauf [...] Dr. Frey über die Aufgaben des Soldatenrates referierte.“ Vgl. Neuigkeits-Welt-Blatt, 4. Dezember 1918, S. 3 „Was die Rote Garde möchte“; Arbeiter-Zeitung. Morgenblatt, 3. Dezember 1918, S. 6 „Militärische Fragen. Versammlung der Soldatenräte der Volkswehr“; Wiener Zeitung, 4. Dezember 1918, S. 5 f „Kleine Chronik. Soldatenrat der Volkswehr“. Dr. Josef Frey, Journalist, Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, 1916 Adjutant beim Landesgendarmeriekommando 2, ab 1917 beim Ersatzbataillon 8, ab November 1918 Kommandant der Roten Garde, Dezember 1918 Wahl zum Vorsitzenden des Vollzugsausschusses des Soldatenrates der Wiener Volkswehr, nach der Aufspaltung der Roten Garde am 16. Dezember 1918 Kommandant des Volkswehrbataillons 40, April 1919 Rücktritt. 58 Der Spartakusbund war als eine Abspaltung der USPD entstanden und bildete die Keimzelle der deutschen Kommunistischen Partei Deutschlands. Im November 1918 war der Spartakusbund eine führende Kraft in der linken Revolutionsbewegung in Deutschland, insbesondere in Berlin. Vgl. Joachim Käppner, 1918 – Aufstand für die Freiheit. Die Revolution der Besonnenen, München 2017, S. 79–121 und S. 163–411. 59 Staatsrat Teufel bezog sich hier auf die Anordnung des Oberbefehlshabers der deutschösterreichischen Wehrmacht Adolf von Boog, daß regulären tschechischen Truppen kein militärischer Widerstand entgegengesetzt werden sollte, sondern nur bewaffnete Banden zu vertreiben seien. Vgl. dazu Hieronymus Oldofredi, Zwischen Krieg und Frieden, Zürich/Leipzig/Wien 1925, S. 83 f. Boog hatte bereits am 18. November 1918 eine ähnliche Weisung erlassen, die in Südmähren kritisch aufgenommen worden war. Vgl. ebd., S. 58 und S. 62. Boogs Weisung findet sich in AdR, BKA/AA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 1.655/1918, Verfügung geg. die tschechoslov. Einbrüche. Darin wurde die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung als erste Aufgabe der Volkswehrtruppen definiert. Die Möglichkeit, daß die Volkswehr durch ihre bloße Anwesenheit ein weiteres Vordringen und Festsetzen der tschechoslowakischen Truppen verhindern könnte, wurde zwar nicht ausgeschlossen, es wurde aber auch unmißverständlich festgehalten: „Ausgesprochener Uebermacht jedoch haben sie unter ausdrücklicher feierlicher Verwahrung zu weichen, ohne es auf unnützes Blutvergießen ankommen zu lassen.“ 60 Auf welche Äußerungen sich Renner hier genau bezieht, konnte nicht eindeutig eruiert werden. Am 9. Dezember 1918 hatte der Kabinettsrat unter Punkt 2 der Tagesordnung die Entbindung der Eisenbahnbediensteten in Deutschböhmen von ihrem Gelöbnis behandelt. In der im Stenogramm wiedergegebenen Debatte wurden Verhandlungen mit der Tschechoslowakei gefordert. Renner äußerte sich bezugnehmend auf diese Forderungen folgendermaßen: „Die Verhandlungen von Regierung zu Regierung sind wiederholt versucht worden. Die Tschechoslowaken erklären, dass Deutsch-Österreich als Staat von der Entente nicht anerkannt wurde und daher auch für die Tschechoslowakei nicht existiert. Die Tschechoslowaken verhandeln höchstens von Ressort zu Ressort.“ Vgl. KRP Nr. 22/2 vom 9. Dezember 1918.
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zuzuwarten). W o l f (gegen Vertagungsvorschlag Renner), Unterstaatssekretär D e u t s c h (Ausführungen Teufel betreffend Dr. Frey und Znaimer Vorgänge auf Mißverständnissen beruhend. Unmöglichkeit, Deutschböhmen zu schützen, da Bevölkerung kriegsmüde gewesen. Offiziere zu Mannschaftsdienst schwer verwendbar). Präsident S e i t z (Organisation des Volkswiderstandes war den Deutschböhmen unbenommen, Volkswehr überall bodenständig, daher erübrigt sich der Vorwurf der parteimäßigen Zusammensetzung. Offiziersregimenter wegen der Liquidation und Zukunft der Leute unmöglich. Betreffs Südböhmens verliest er den Befehl an den Oberbefehlshaber, betont die Unmöglichkeit Krieg zu führen und die Gefahr, welche aus der Verletzung oder Tötung von Ententeoffizieren erwachsen würde): R e n n e r (schwierige Lage der Sudetenländer überall anerkannt, Sudetendienst genötigt, klare Antworten zu geben, daher Richtlinien für die Sudetenpolitik notwendig. Die schwebenden Verhandlungen abwarten, einstweilen Staatskanzlei ermächtigen, den Standpunkt der Aufrechterhaltung unseres deutschen Besitzes, welcher durch die örtlichen Vereinbarungen – Kaplitzer Waffenstillstand61, Errichtung eines tschechischen Bezirksgerichtes in Troppau, Ersuchen Freißlers um Verhandlungen – etwas verändert worden ist, in den Antworten auf die vorliegenden Anfragen entsprechend zur Geltung bringen zu können.) Antrag D i n g h o f e r: Den Bericht der Staatsfunktionäre zur Kenntnis zu nehmen, den Staatskanzler zur Beantwortung der ergangenen Fragen im angegebenen Sinne zu bevollmächtigen, a n g e n o m m e n.62 (Beschlußprotokoll 56/XVI, Abs. 5). Antrag63 B o d i r s k y betreffs Zuziehung des Landeshauptmannes Freißler zu den einzuleitenden Verhandlungen in Prag, a n g e n o m m e n.64 (Beschlußprotokoll 56/XVI, Abs. 6). Antrag65 I r o, den gesamten Postverkehr über Bayern zu leiten und diesbezüglich mit dem bayrischen Verkehrsministerium sich ins Einvernehmen zu setzen, a n g e n o m m e n.66 (Beschlußprotokoll 56/XVI, Abs. 7). Nächste Sitzung: Mittwoch, den 11. Dezember 1918, 3 Uhr nachmittags. Schluß der Sitzung 7 Uhr 15 abends. Vgl. Anm. 48 der vorliegenden Sitzung. Der Staatskanzler ermächtigte in weiterer Folge den Landeshauptmann des Sudetenlandes Freißler zur selbständigen Aufnahme von Verhandlungen. Er ließ den relevanten Staatsämtern den Situationsbericht Freißlers übermitteln und erteilte die entsprechenden Weisungen. Vgl. AdR, StK, GZl. 991/1918. Renners Schreiben findet sich auch in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Tschechoslowakei 9/1, Fasz. Grenzeinfälle der Tschechoslowaken und Verfügungen der Besetzungsmacht, Zl. 2.906/1918. Das Staatsamt für Justiz verständigte den Staatskanzler unter Bezugnahme auf diesen Beschluß am 13. Dezember darüber, daß sich das Reichenberger Oberlandesgericht am 12. Dezember 1918 nach Wien begeben habe. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.145/1918. 63 Beilage 56/XVI: Antrag Bodirsky (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. 64 Unter den Weisungen des Staatskanzlers an die Staatsämter findet sich auch die Aufforderung an das Staatsamt für Äußeres, zur Stellung eines Antrages an den Staatsrat, betreffend die „Zuziehung der beiden Landeshauptmänner für Deutschböhmen und Sudetenland“ zu den Verhandlungen mit der tschechoslowakischen Regierung. Vgl. AdR, StK, GZl. 991/1918. 65 Beilage 56/XVI: Antrag Iro (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Zur Leitung der Post- und der Bahneilgüter über Bayern vgl. auch das Schreiben des Staatsamtes für Gewerbe, Handel und Industrie vom 12. Dezember 1918 in AdR, StK, GZl. 412/1919, Zl. 1.129/1918. 66 Die Durchführung dieser Umleitungsaktion wurde durch einen Erlaß des Staatsamtes für Gewerbe, Handel und Industrie vom 19. Dezember 1918 geregelt. Zu diesem Erlaß vgl. AdR, StK, GZl. 412/1919, Zl. 1.501/1918, D.ö. Staatsamt für Gewerbe Industrie und Handel, Generalpostdirektion, Leitung d. Amtspost nach Deutschböhmen und Sudetenland über Bayern. Vgl. auch das weitere unter dieser Grundzahl einliegende Material. 61 62
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des Deutschösterreichischen Staatsrates am 9. Dezember 1918. Vorsitzender: Präsident Dr. D i n g h o f e r B e s c h l ü s s e: I. Personalien: Dem Staatsrate L u k s c h wird ein Urlaub bis zum 17. Dezember l. J. erteilt und für diese Zeit sein Ersatzmann N a g e l e den Sitzungen des Staatsrates zugezogen. II. Antragsteller: Staatsrat Dr. O f n e r. Das 17. Stück des Staatsgesetzblattes ist für die Verworrenheit in der Auffassung der maßgebenden Personen über die Stellung des Staatsrates und der Staatsämter von besonderem Interesse. Nr. 79 enthält eine Vollzugsanweisung des Staatsamtes auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917 mit der Einleitung: „Das Staatsamt hat verordnet wie folgt:“ Nr. 80 enthält eine Vollzugsanweisung des Staatsamtes über Ermächtigung des Staatsrates, wiederum in Form der Verordnung. Nr. 81 enthält eine Vollzugsanweisung des Staatsrates in der Form der Anordnung. Frage: Wer gibt Vollzugsanweisungen heraus? Der Staatsrat oder das Staatsamt? Kann das Staatsamt unmittelbar auf Grund des Gesetzes Vollzugsanweisungen oder Verordnungen geben oder nur nach Ermächtigung des Staatsrates? Kann der Staatsrat in Form einer Ermächtigung eine Vollzugsanweisung, die in sein Arbeitsgebiet gehört, dem Staatsrat {sic!}67 überlassen? Kommt dem Staatsamt das Recht zu, zu verordnen, da nach dem Grundgesetz Durchführungsverordnungen ausdrücklich dem Staatsrat vorbehalten sind? Da dem Verfassungskomitee ohnehin eine Novelle vorgelegt wurde, welche die etwa nötige Richtigstellung von Beschlüssen der Nationalversammlung behandelt, wo stelle ich den Antrag, das Verfassungskomitee zu beauftragen, auch diese Frage in der Novelle zu bereinigen? Beschluß: Der Antrag wird der Verfassungskommission zugewiesen. An den Herrn Obmann der Verfassungskommission. III. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r. Die in der Wahlordnung für die konstituierende Nationalversammlung vorgesehene Hauptwahlbehörde, die aus dem Staatssekretär für Inneres oder seinem Stellvertreter und 15 Besitzern bestehen soll, wird sofort provisorisch eingesetzt und hat ihre Arbeiten unverzüglich zu beginnen. Sie arbeitet an der Erlassung der Vollzugsanweisung des Staatsrates mit, um rechtzeitig mit jeder Einzelheit des Gesetzes vertraut, die erforderlichen Entscheidungen binnen kürzester Frist treffen zu können.
Richtig wohl: Staatsamt.
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Beschluß:
Der Antrag wird mit der Abänderung angenommen, daß die Hauptwahlbehörde außer dem Staatssekretär für Inneres oder seinem Stellvertreter und 15 Beisitzern noch aus 5 Berufsrichtern zu bestehen hat. Von diesem Beschluß ist der Wahlgesetzausschuß durch sein Mitglied Staatsrat Dr. E l l e n b o g e n sofort in Kenntnis zu setzen. An den Herrn Staatskanzler. IV. Antragsteller: Staatsrat Dr. von L i c h t. An Stelle der Beratungsgruppe für Verfassungs- und Verwaltungsorganisation wird eine fünfgliedrige Verfassungskommission eingesetzt. Beschluß: Der Antrag wird angenommen und als Mitglieder der Kommission gewählt die Staatsratsmitglieder H a u s e r, L a n g e n h a n, L i c h t, S e i t z und T e u f e l. Zum Obmann wird Präsident H a u s e r bestimmt. An die Herren Präsidenten H a u s e r und S e i t z, den Herrn Staatskanzler und die Herren Staatsräte Dr. von L a n g e n h a n, Dr. von L i c h t und T e u f e l. V. Bericht des Staatskanzlers Dr. R e n n e r über den Entwurf für ein Gesetz, betreffend den Dienst bei den Obersten Behörden des Staates. Beschluß: Der Staatsrat nimmt die Einbringung der Vorlage zur Kenntnis und beschließt deren Zuweisung zur Vorberatung an die Verfassungskommission. An den Herrn Obmann der Verfassungskommission. VI. Bericht des Staatskanzlers Dr. R e n n e r über die Organisierung des Pressedienstes und Minderheitsschutzdienstes in der Staatskanzlei, verbunden mit dem Antrage: Professor Dr. August Ritter von W o t a w a ist als Leiter der Abteilung „Minderheitsschutzstelle in der Staatskanzlei“ zu bestellen. Der Staatsrat bewilligt für den Minderheitsschutzdienst einschließlich des Propagandadienstes zunächst einen Betrag von 100.000 Kronen, für den die Staatskanzlei anweisende Behörde ist. Für die Erhaltung des Amtes selbst ist im Staatshaushalte ein eigener Kredit zu eröffnen. Beschluß: Der Bericht über die Organisierung des Presse- und Minderheitsschutzdienstes in der Staatskanzlei wird zur Kenntnis genommen. Der Antrag wird angenommen und der Gegenantrag des Präsidenten S e i t z zu Absatz 1: „Soferne diese Bestellung eine beamtenmäßige ist, ist sie im normalen Wege vorzunehmen“ abgelehnt. An den Herrn Staatskanzler. VII. Bericht des Staatsrates Dr. von L i c h t über die Fürsorgemaßnahmen zu Gunsten der durch die Sperrung der Theater, Varietés, Lichtspieltheater etc. brotlos gewordenen Angestellten. Beschluß: 1.) Der Staatsrat beschließt die Erlassung einer Vollzugsanweisung über die Dienstverhältnisse der Angestellten von Theater- und ähnlichen Unternehmungen während der Betriebseinstellung mit folgendem Wortlaute:
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„Auf Grund des Gesetzes vom 24. Juli 1917, R.G.Bl. Nr. 307 wird verordnet wie folgt: § 1. Für das Dienstverhältnis von Personen, die zur Leistung künstlerischer oder bühnentechnischer Dienste in Theater- und ähnlichen Unternehmungen angestellt sind, deren Betrieb infolge der durch § 11 der Vollzugsanweisung der n.ö. Landesregierung vom 4. Dezember 1918, Z. 879/1 K verfügten Sperre eingestellt werden müssen, gelten, soferne das Dienstverhältnis ihre Erwerbstätigkeit hauptsächlich in Anspruch nimmt, folgende besondere Vorschriften. § 2. Ein Dienstverhältnis, das nach dem Wirksamkeitsbeginne dieser Vollzugsanweisung vom Dienstgeber gekündigt worden ist, endet keinesfalls vor dem 31. Dezember 1918. Eine Entlassung wegen der infolge der behördlich verfügten Sperre erfolgten Einstellung des Betriebes des Dienstgebers (§ 1) ist unwirksam. Die vorstehenden Bestimmungen finden auch auf Dienstverhältnisse Anwendung, die in der Zeit zwischen 4. Dezember 1918 und dem Wirksamkeitsbeginne dieser Vollzugsanweisung vom Dienstgeber gekündigt oder von ihm wegen der Sperre (§ 1) vorzeitig aufgelöst worden sind. § 3. Im Übrigen bleiben das Kündigungsrecht des Dienstnehmers sowie die Vorschriften über die vorzeitige Auflösung des Dienstverhältnisses unberührt. § 4. Ungeachtet der Sperre bleibt den Angestellten der Anspruch auf das Entgelt im Ausmaße von 2/3 ihrer vollen Bezüge mit der Einschränkung gewahrt, daß der Dienstgeber zu einer höheren Leistung als zur Bezahlung eines Betrages von 20 K für den Tag nicht verpflichtet ist. Die vom Dienstgeber zu entrichtenden 2/3 des Entgeltes dürfen jedoch nicht weniger betragen als 4 K für den Tag. § 5. Mit der Durchführung dieser Vollzugsanweisung ist das Staatsamt für Justiz im Einvernehmen mit dem Staatsamte für soziale Fürsorge beauftragt. Diese Vollzugsanweisung tritt am Tage der Kundmachung in Kraft; sie verliert ihre Wirksamkeit am 1. Jänner 1919.“ 2.) Der Staatsrat ist der Ansicht, daß allen Theatern einschließlich der beiden hofärarischen Bühnen, und den sonst von der Sperre getroffenen ähnlichen Unternehmungen unter Auferlegung der weitestgehenden Einschränkung im Lichtverbrauche vier Spieltage in der Woche freigegeben werden sollten. Die beteiligten Staatsämter werden ersucht, auf die n.ö. Landesregierung und die Gemeinde Wien im Sinne einer derartigen teilweisen Aufhebung der Sperre Einfluß zu nehmen. 3.) Sollte sich diese eingeschränkte Freigabe der Theater- und sonstigen Betriebe als unmöglich herausstellen, erklärt sich der Staatsrat bereit, nach den folgenden Grundsätzen finanziell an einer Unterstützungsaktion für die Angestellten der gesperrten Unternehmungen teilzunehmen. 1.) Operettenbühnen und Varietés fallen aus dem Rahmen dieser Aktion, da sich die Unternehmer verpflichtet haben, selbst für ihre Angestellten zu sorgen. 2.) Prosabühnen, die Volksoper sowie der Tonkünstler- und Orchesterverein übernehmen
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a) bei den Angestellten ohne Unterschied des Charakters ebenso wie der Staat je ein Drittel der zu zahlenden Gagen, während das letzte Drittel zu Lasten der Angestellten geht, wobei jedoch von der Monatsgage nur ein Höchstsatz von 900 K berücksichtigt wird. b) Für krankenversicherte Arbeiter leistet der Staat eine Refundierung von 60 %, der dem Arbeiter gemäß der Vollzugsanweisung vom 6. November l. J. gebührenden Arbeitslosenunterstützung. 3.) Lichtspieltheater Refundierung wie unter 2 b. Für Arbeiter und Angestellte, die bloß im Nebenberufe bei einer der oben erwähnten Unternehmungen beschäftigt sind, wird keine Refundierung geleistet. An die Herren Staatssekretäre für soziale Fürsorge, für öffentliche Arbeiten und für Justiz. VIII. Bericht des Unterstaatssekretär M a r c k h l über die Erlassung einer Vollzugsanweisung des Staatsamtes des Innern, betreffend die Verwaltung und Verwertung der Sachgüter der Flüchtlingsfürsorge. Beschluß: Der Staatsrat stimmt der Erlassung der Vollzugsanweisung nach dem beigebrachten Entwurfe zu. An den Herrn Staatssekretär des Innern. IX. Bericht des Staatssekretärs für Unterricht über die Erlassung einer Vollzugsanweisung, betreffend die Zuerkennung der Mittelschulreife an Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten des Berufsstandes sowie ihre Zulassung zu Hochschulstudien. Beschluß: Der Staatsrat stimmt der Erlassung der Vollzugsanweisung nach dem beigebrachten Entwurfe zu. An die Herren Staatssekretäre für Unterricht, für Heerwesen und für öffentliche Arbeiten. X. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l: Alle Orden und Titel sind abzuschaffen. Die Ordensvermögen gehören dem Deutschösterreichischen Staate. Beschluß: Der Antrag wird der Staatskanzlei zur Vorbehandlung überwiesen. An die Staatskanzlei. XI. Antragsteller: Staatsrat T e u f e l: Die Postbehörden an der schweizerischen Grenze sind vom Staatsamte für Handel unverzüglich anzuweisen, die dortselbst beschlagnahmten Postsäcke auf die zur Ausfuhr verbotenen Gegenstände zu untersuchen. Beschluß: Der Antrag wird dem Staatsamte für Gewerbe, Handel und Industrie überwiesen. An den Herrn Staatssekretär für Gewerbe, Handel und Industrie. XII. Bericht des Unterstaatssekretärs Dr. Ritter von B e c k über den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die zeitweilige Unzulässigkeit von Exekutionsführungen wegen Ansprüche gegen das k.k. Ärar, k.u.k. Ärar, k.k. Hofärar und gewisse Anstalten und Fonds.
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Beschluß:
Der Gesetzesentwurf wird der Justizkommission zur beschleunigten Vorberatung zugewiesen. An den Herrn Obmann der Justizkommission. XIII. Bericht des Unterstaatssekretärs Dr. Ritter von B e c k über die Hinausgabe eines Erlasses an die Finanzprokuraturen hinsichtlich ihrer Vertretungsbefugnisse für das k.k., sowie das k.u.k. Ärar. Beschluß: Der Staatsrat pflichtet den Festsetzungen des Erlasses nach dem beigebrachten Entwurfe bei. An den Herrn Staatssekretär der Finanzen. XIV. Bericht des Präsidenten Dr. D i n g h o f e r über die Vornahme der Beurkundung von Gesetzesbeschlüssen der Nationalversammlung im Staatsrate. Beschluß: Von der Beurkundung von Gesetzesbeschlüssen der Nationalversammlung im Staatsrate ist vorläufig abzusehen. Der Herr Staatsnotar wird ersucht, die Gesetze vor ihrer endgiltigen Kundmachung dem sachlich zuständigen Staatsamte zur Einsicht und Bekanntgabe etwaiger Einwendungen innerhalb eines kurzen Termines zuzumitteln. An den Herrn Staatskanzler und den Herrn Staatsnotar. XV. Antragsteller: Staatskanzler Dr. R e n n e r, betreffend die Festsetzung der Zeiten für die Staatsrats- und Kabinettsratssitzungen. Beschluß: Die Staatsratssitzungen werden künftighin jeden Montag, Mittwoch und Freitag, immer um 3 Uhr nachmittags, die Kabinettsratssitzungen am Dienstag, Donnerstag und Samstag stattfinden. An den Herrn Staatskanzler. XVI. Bericht des Leiters des Sudetendienstes in der Staatskanzlei über die Lage in den Sudetenländern, ergänzt durch Mitteilungen des Unterstaatssekretärs Ritter von E n d e r e s, des Staatssekretärs für Justiz und des Staatskanzlers. Bezeichnend für die immer unhaltbarer werdende Lage in den Sudetenländern ist das dringende Verlangen des Landeshauptmannes des Sudetenlandes Dr. F r e i ß l e r, zur Sicherung der Zukunft der Deutschen ehestens Verhandlungen des Staatsrates mit der tschechoslovakischen Regierung über die Herstellung eines vorläufigen Verwaltungszustandes in Deutschböhmen und im Sudetenlande anzustreben und sie unter Mitwirkung der Provinzialregierungen mit jeder nur möglichen Beschleunigung durchzuführen. Eine Ergänzung des Situationsbildes bietet die Mitteilung des Unterstaatssekretärs Ritter von E n d e r e s, daß Nordböhmen seit der Besetzung der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte durch die Tschechoslovaken eisenbahntechnisch nicht mehr zu halten sei, da die bayerische Regierung die Benützung ihrer Eisenbahnlinien für den Materialverkehr nach Deutschböhmen abgelehnt hat. Das Staatsamt für Verkehrswesen mußte sich daher entschließen,
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die Landesregierung Deutschböhmens zu ermächtigen, die Eisenbahner vom Gelöbnis auf den Deutschösterreichischen Staat für den Fall zu entheben, als sich sonst die Lage für die Versorgung und Ernährung der auf den Eisenbahnverkehr angewiesenen Bevölkerung und der Tausenden von Bahnbediensteten gefahrdrohend gestalten würde. Das Referat des Staatssekretärs für Justiz hebt hervor, daß die Tschechen in Troppau ein Bezirksgericht für die tschechischen Gemeinden des Bezirkes mit ausschließlich tschechischer innerer und äußerer Amtssprache eingesetzt haben, welches dort neben dem deutschen Bezirksgericht für die deutschen Gemeinden des Gerichtsbezirkes Troppau amtiert. Der Staatskanzler berichtete in dem Sinne, daß die politische und wirtschaftliche Lage von Deutschösterreich eine Änderung des Verhältnisses zum tschechoslovakischen Staate notwendig mache und die Aufstellung neuer Richtlinien für unsere Politik in Erwägung gezogen werden müsse. Die Beschlußfassung darüber wäre aber dem Zeitpunkte vorzubehalten, bis die jetzt in Prag schwebenden Verhandlungen über die Sachdemobilisierung, die Kohlenversorgung, Finanzfragen und Ernährungsvorsorgen abgeschlossen sind. Beschluß: Der Staatsrat nimmt die Berichte über die Lage in den Sudetenländern zur Kenntnis und bevollmächtigt den Staatskanzler, die an ihn gerichteten Anfragen der Landesregierung in Linz, Troppau und Reichenberg um Verhaltungsmaßregeln gegenüber den Tschechen im Sinne der bisher verfolgten nationalen Politik nach Aufrechterhaltung unseres Besitzstandes, jedoch unter Bedachtnahme auf die jeweils an dem in Betracht kommenden Orte selbst herrschenden tatsächlichen Machtverhältnisse im Einvernehmen mit den Fachressorts zu beantworten. Antragsteller: Staatsrat Dr. B o d i r s k y. Zum Berichte des Herrn Finanzrates Dr. O b e r n d o r f e r wird der Staatssekretär des Äußern dringendst ersucht, seinen einzuleitenden Verhandlungen in Prag auch den Landeshauptmann des Sudetenlandes Dr. F r e i ß l e r beizuziehen. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. Antragsteller: Staatsrat I r o. Das Staatsamt für Handel, Gewerbe und Industrie wird aufgefordert unverzüglich ohne jede weitere Verzögerung nicht nur den amtlichen, sondern auch den gesamten privaten Brief- und Postpaketverkehr, sowie Bahneilgutsendungen ausschließlich über Bayern zu leiten und sich diesbezüglich sofort mit dem bayerischen Verkehrsministerium und dem deutschösterreichischen Staatsamte für Verkehrswesen ins Einvernehmen zu setzen. Den deutschböhmischen Post- und Bahnämtern sind die entsprechenden Weisungen sogleich telegraphisch zu erteilen. Beschluß: Der Antrag wird angenommen. An den Herrn Staatskanzler und die Herren Staatssekretäre des Äußern, für Gewerbe, Handel und Industrie, für Verkehrswesen und für Justiz.
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437 Berichtigung
des Protokolles über die Beschlüsse der 56. Sitzung des Staatsrates vom 9. Dezember 1918. In Punkt XVI ist der Absatz 3 durch folgende vom Staatsamte für Justiz beigebrachte Fassung zu ersetzen.68 „Der Staatssekretär für Justiz teilt mit, daß ein Widerruf des Gelöbnisses für den Deutschösterreichischen Staat bei den Gerichtsbeamten bisher nicht vorgenommen wurde, diese vielmehr angewiesen worden sind, nötigenfalls der Gewalt unter Protest zu weichen; ferner daß dem Staatsamte für Justiz eine Vereinbarung der Landesvertretung des Sudetenlandes mit den Vertretern der Tschechen zur Genehmigung vorgelegt wurde, wonach letztere zur Errichtung eines tschechoslovakischen Bezirksgerichtes mit dem Sitze in Troppau für 5 gemischte Gemeinden des Bezirkes (52 ½ % Deutsche, 47 ½ % Tschechen) neben einem deutschen Bezirksgerichte mit 91 ½ % Deutschen und 8 ½ % Tschechen, ferner eines tschechoslovakischen Kreisgerichtes ebenfalls in Troppau für den tschechischen Gerichtsbezirk Königsberg und für die tschechischen Teile der Bezirksgerichte Troppau, Wagstadt und Wigstadtl neben den deutschen Landesgerichte in Troppau berechtigt wären. Hiedurch würde die beschlossene Gebietsabgrenzung durchbrochen.“
Vgl. dazu die Zuschrift des Staatsamtes für Justiz vom 11. Dezember 1918 in AdR, StK, GZl. 19/1919, Zl. 1.090/1918.
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57. [Mittwoch] 1918-12-11 Vorsitz: Anwesend:1
Schriftführer: Dauer:
Hauser Abram, Baechlé, Bauer, Bodirsky, Deutsch, Domes, Fink, Grim, Hanusch, Iro, Jerzabek, Jukel, Kroy, Langenhan, Leuthner, Licht, Marckhl, Mayer, Miklas, Nagele, Ofner, Pacher, Pantz, Renner, Resch, Roller, Schoepfer, Schoiswohl, Schürff, Seitz, Steinwender, Sylvester, Urban, Waldner unbekannt 15.00–17.45 Uhr
Reinschrift, Beschlußprotokoll, Präsenzliste, Tagesordnung T a g e s o r d n u n g2: 1. Einlauf: Vortragender Bericht über 2.3 a) Gesetzentwurf über die obersten Behörden. b) Gesetzentwurf, womit das Gesetz über die grundlegenden Einrichtungen der Staatsgewalt ergänzt wird. Vortragender: Staatsrat Dr. Licht 3. a) Telegramm des Landeshauptmannes Lodgman über die Besetzung der strittigen Gebiete durch Ententetruppen. b) Antrag Teufel: Verhandlung mit der tschechoslowakischen Regierung über eine provisorische Vereinbarung über die strittigen Gebiete Südmährens und Böhmens bis zur Friedenskonferenz. 4. Vollzugsanweisung des d.ö. Staatsamtes für soziale Fürsorge, betreffend die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg. (Hanusch) 5. Schaffung eines eigenen Kunstamtes. (Pacher) Antrag des Staatsrates Bodirsky: 6.4 Gesetzentwurf über die Verantwortlichkeit der Staatssekretäre, etz. (Ministerverantwortlichkeit) (Zuweisung an die Verfassungskommission). 7. Antrag Teufel: Ergänzung der Verordnung des Staatsamtes für Volksernährung über Wildabschuß. 8. Staatssekretär der Finanzen: Gesetzentwurf betreffend Gewährung eines Anschaffungsbeitrages an die Lehrer. 9. Allfälliges, Initiativanträge etz.5 Beilagen: 57/I 57/II 1
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Waldner, Urlaubsansuchen (¼ Seite, handschriftlich). Riedl, Mitteilung, betreffend telephonische Verständigung der Reichenberger Kammer über die Situation der deutschböhmischen Landesregierung (1½ Seiten).
Die Präsenzliste ist unvollständig, nicht verzeichnet wurde Oskar Teufel, dessen Anwesenheit sich aus dem Sitzungsverlauf ergibt. Die Tagesordnung stimmt nur teilweise mit dem Verlauf der vorliegenden Sitzung überein. Dieser Tagesordnungspunkt wurde im Original handschriftlich gestrichen. Dieser Tagesordnungspunkt wurde im Original handschriftlich gestrichen. Dieser Punkt der Tagesordnung wurde in der vorliegenden Sitzung nicht behandelt.
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57/III
Staatsamt für soziale Fürsorge, Ansuchen um Ermächtigung zur Erlassung der Vollzugsanweisung, betreffend die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg (¼ Seite). 57/III/1 Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für soziale Fürsorge vom … betreffend die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg (1 Seite). 57/IV Vollzugsanweisung des deutsch-österreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamt der Finanzen vom … Dezember 1918, betreffend die Errichtung einer deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung (1 Seite). 57/IV/1 Kundmachung des deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamt der Finanzen vom … Dezember 1918, betreffend die Erlassung eines Statutes der deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung (8 Seiten). 57/V Antrag Teufel, betreffend die Ergänzung einer Verordnung über den zwangsweisen Abschuß des Wildstandes (½ Seite). 57/VI Gesetz vom … über die Gewährung von Teuerungszulagen für das erste Halbjahr 1919 an die aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen (3 Seiten, gedruckt); Begründung (½ Seite, gedruckt). 57/VI/1 Gesetz vom … über die Gewährung von einmaligen Anschaffungsbeiträgen an die aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen für das Jahr 1918 (1½ Seiten, gedruckt); Begründung (½ Seite, gedruckt). 57/VII Antrag, betreffend Schaffung eines Kunstamtes (1 Seite); Antrag Seitz, betreffend Prüfung dieses Vorhabens durch das Staatsamt für Finanzen (1 Seite, handschriftlich). 57/VIII Abschrift eines Telegramms des R.R. Abg. Lodgman vom 9. Dezember 1918 an die Deutschösterreichische Staatskanzlei (2¼ Seiten). 57/VIII/1 Antrag Langenhan, betreffend Weiterleitung der Depesche der deutschböhmischen Landesregierung an Präsident Wilson (½ Seite, handschriftlich). 57/VIII/2 Antrag Langenhan, betreffend Zustimmung des Staatsrates zum Inhalt der an Wilson abgesandten Depesche (½ Seite, handschriftlich). 57/IX Anträge in Gnadensachen (7 Seiten). Dem Staatsrat Waldner wird ein Urlaub für Dezember erteilt.6 (Beschlußprotokoll 57/I). [1] 1. Punkt der Tagesordnung: Verlesung des Einlaufes7, Zuweisung desselben, (Vortragender Dr. von S z i l v i n y i). [2] 2. Punkt der Tagesordnung: Gesetzentwurf über die obersten Behörden wird vom Vorsitzenden von der Tagesordnung abgesetzt, da die damit befaßte Verfassungskommission nicht zusammentreten konnte.8
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Beilage 57/I: Waldner, Urlaubsansuchen (¼ Seite, handschriftlich). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes und dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Dem Protokoll liegt kein Material aus dem Einlauf bei. Diese Materie war als Punkt 3 auf der Tagesordnung der 53. Sitzung vom 3. Dezember gestanden, dort aber nicht beraten worden.
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Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel, U r b a n übermittelt die telephonisch eingelangte Mitteilung9 der Reichenberger Handelskammer, a) daß sie als Vertretung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft in Angelegenheit der Sachdemobilisierung infolge der wegen drohender Besetzung Reichenbergs durch die Tschechen erfolgten Abreise der deutschböhmischen Landesregierung10 diese Vertretung niederzulegen gezwungen sei. b) daß sie als Geschäftsstelle der Arbeitslosenfürsorge ebenfalls infolge Abreise der Landesregierung wegen Fehlens zeichnungsberechtigter Organe nicht imstande sei, die notwendigen 6 Millionen Kronen von der Nebenstelle der österr.ung. Bank zu beheben. Die Kammer ersucht deshalb um Entsendung eines bevollmächtigten Vertreters des Finanzamtes bezw. um Expreßsendung eines Dotierungs-Schecks und macht auf die Folgen aufmerksam, welche durch die Einstellung der Zahlungen mangels flüssiger Mittel entstehen würden. Staatssekretär Urban hat zu Punkt a) die Enthebung der Reichenberger Handelskammer von der Vertretung in Angelegenheit der Sachdemobilisierung telephonisch verfügt.11 Wechselrede12: Staatssekretär Hanusch, Präsident Hauser. Antrag H a u s e r: Den Bericht zur Kenntnis zu nehmen und den beteiligten Ressorts zur dringlichen Veranlassung zuzuweisen, a n g e n o m m e n. (Beschlußprotokoll 57/II).13 [3] 3. Punkt der Tagesordnung: a) Telegramm Lodgeman14 über Besetzung der strittigen Gebiete Böhmens durch Ententetruppen. b) Antrag15 T e u f e l: Verhandlungen mit der tschechoslovakischen Regierung über eine provisorische Vereinbarung über die strittigen Gebiete Südmährens und Böhmens bis zur Friedenskonferenz.
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Beilage 57/II: Mitteilung (1½ Seiten). Der Inhalt stimmt mit dem des Protokolltextes weitgehend, mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt II. Laut einer mit 12. Dezember 1918 datierten Aufzeichnung über ein Telefongespräch zwischen Staatskanzler Renner und deutschösterreichischen Stellen in Reichenberg verließ die deutschböhmische Landesregierung am 11. Dezember 1918 Reichenberg und begab sich nach Zittau, von wo sie nach Dresden übersiedeln wollte. In Reichenberg zurückgeblieben war das Landeswirtschaftsamt. Vgl. AdR, StK, GZl. 1.099/1918, Verlegung des Amtssitzes der Landesregierung für Deutschböhmen von Reichenberg nach Zittau. Tatsächlich begab sich die deutschböhmische Landesregierung kurz nach Dresden, verlegte ihren Sitz dann aber rasch nach Wien. Vgl. dazu mehrere Telegramme von Mitte Dezember 1918 in AdR, StK, GZl. 1.134/1918 und GZl. 1.145/1918. Vgl. weiters Neue Freie Presse. Morgenblatt, 13. Dezember 1918, S. 4 „Die deutschböhmische Frage und die Wahlbewegung“; Paul Molisch, Die sudetendeutsche Freiheitsbewegung in den Jahren 1918–1919, Wien/Leipzig 1932, S. 97 f. Vgl. auch SRP Nr. 58/III vom 13. Dezember 1918. Die Enthebung der Reichenberger Handelskammer wurde laut Beilage an das Ersuchen geknüpft, die Handelskammer möge in Abstimmung mit der Industrie die Fortführung des Betriebes der Unternehmungen und die Verwendung der im Bezirke vorhandenen Materialien sichern. Der Inhalt der Wechselrede wurde im Protokoll nicht wiedergegeben. Die sodann im weiteren Verlauf des Protokolls erwähnten Wechselreden wurden nur stichwortartig wiedergegeben. Aus der in der Beilage enthaltenen handschriftlichen Notiz geht hervor, daß die Staatssekretäre Bauer und Hanusch sowie Unterstaatssekretär Grimm durch Unterstaatssekretär Riedl verständigt wurden. Dr. Rudolf Lodgman von Auen, 1906 bis 1918 Kanzleivorstand der Zentralstelle des Verbandes der deutschen Bezirke in Böhmen, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21. Oktober 1918 bis 16. Februar 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, ab 4. November 1918 Landeshauptmann von Deutschböhmen, DnP. Teufels Antrag liegt dem Protokoll nicht bei.
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Präsident H a u s e r teilt mit, daß über Ersuchen dieser Punkt bis Freitag zurückgestellt werden möge, um dann im Zusammenhange mit dem Ergebnis der schwebenden Verhandlungen behandelt zu werden. Wechselrede: L a n g e n h a n (gegen einen Aufschub), Präsident H a u s e r, Staatsnotar S y l v e s t e r (wenigstens vorläufige Zurückstellung, bis Staatssekretär des Äußeren berufen). Antrag S y l v e s t e r: Diesen Punkt der Tagesordnung einstweilen zurückzustellen und inzwischen den Staatssekretär des Äußern um sein Erscheinen zu ersuchen. A n g e n o m m e n. [4] 4. Punkt der Tagesordnung: Vollzugsanweisung16 des deutschösterreichischen Staatsamtes für soziale Fürsorge, betreffend die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Berichterstatter Staatssekretär für soziale Fürsorge, H a n u s c h. Die vorgelegte Vollzugsanweisung wird genehmigt. (Beschlußprotokoll 57/III). Staatssekretär für Gewerbe, Handel und Industrie, U r b a n berichtet über die Dringlichkeit der Einsetzung der deutschösterreichischen Sachdemobilisierungshauptstelle sowie des in dieser Vollzugsanweisung vorgesehenen Aufsichtsrates. Da das Referat über die Errichtung einer deutschösterreichischen Sachdemobilisierungshauptstelle schon vorgetragen wurde (55. Staatsratssitzung vom 7. Dezember 1918, Punkt 3 der Tagesordnung), beantragt er die Genehmigung dieser Vollzugsanweisung.17 A n g e n o m m e n.18 (Beschlußprotokoll 57/IV). 5. Punkt der Tagesordnung wird einstweilen zurückgestellt.19 [6] 6. Punkt der Tagesordnung: Antrag B o d i r s k y über die Verantwortlichkeit der obersten Staatsfunktionäre (Ministerverantwortlichkeit), Zuweisung an die Verfassungskommission. Wird von der Tagesordnung abgesetzt, da der Antragsteller nicht anwesend. Beilage 57/III/1: StAsF, Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite). Damit sollte die Vollzugsanweisung des Staatsrates vom 4. November 1918, StGBl. Nr. 19, dahingehend abgeändert werden, daß in Bregenz eine industrielle Bezirkskommission für das Land Vorarlberg und in Salzburg eine solche für das Land Salzburg errichtet werden und sich die Sprengel der Bezirkskommissionen Innsbruck und Linz auf das Land Tirol bzw. Oberösterreich erstrecken sollten. Der Entwurf stimmt mit StGBl. Nr. 99, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für soziale Fürsorge vom 11. Dezember 1918, betreffend die Standorte und Sprengel der Industriellen Bezirkskommissionen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg, ausgegeben am 15. Dezember 1918, überein. 17 Beilage 57/IV: Vollzugsanweisungsentwurf (1 Seite) und Beilage 57/IV/1: Statut der deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung (8 Seiten). Die Beilagen stimmen mit den bereits in SRP Nr. 55 vom 7. Dezember 1918 als Beilage 55/VIII enthaltenen Entwürfen überein. 18 Vgl. StGBl. Nr. 109, Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft vom 11. Dezember 1918, betreffend die Errichtung einer Deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung, ausgegeben am 20. Dezember 1918. Zur Organisation der Sachdemobilisierung vgl. auch die Übersichtsdarstellung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft in AdR, StAsVw, Präsidium, Zl. 392/1918. Zur Durchführung der Sachdemobilisierung und zur Hauptanstalt für Sachdemobilisierung vgl. auch SRP Nr. 41 vom 21. November 1918, Nr. 42/3 vom 22. November 1918 und Nr. 55 vom 7. Dezember 1918. 19 Vgl. SRP 75/I vom 26. Februar 1919. 16
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[7] 7. Punkt der Tagesordnung: Antrag20 T e u f e l, bezüglich der notwendigen Ergänzung der Verordnung des Staatsamtes für Volksernährung betreffend den 80 %igen Wildabschuß21, wird den Staatssekretären für Volksernährung und Landwirtschaft zur Berichterstattung zugewiesen.22 (Beschlußprotokoll 57/V). [8] 8. Punkt der Tagesordnung: Gesetzentwürfe23, betreffend die Gewährung eines Anschaffungsbeitrages bezw. von Teuerungszulagen an die Lehrer. Unterstaatssekretär B e c k v o n M a n n a g e t t a berichtet über die Gewährung 1.) eines einmaligen Anschaffungsbeitrages für das Jahr 1918, 2.) von Teuerungszulagen für das erste Halbjahr 1919 für Lehrpersonen an öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen. Wechselrede: Präsident H a u s e r (für Zuweisung an Finanzkommission), L a n g e n h a n (jedoch dringende Behandlung). Die beiden Gesetzentwürfe werden der Finanzkommission zur dringlichen Behandlung und ehesten Berichterstattung zugewiesen. A n g e n o m m e n.24 (Beschlußprotokoll 57/VI). [5] 5. Punkt der Tagesordnung: Schaffung eines eigenen Kunstamtes. Staatssekretär für Unterricht P a c h e r berichtet25: (Schaffung eines eigenen Kunstamtes im Rahmen des Staatsamtes für Unterricht, mit dessen Leitung ein Unterstaatssekretär für Beilage 57/V: Antrag Teufel (½ Seite). Der Inhalt stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. In seinem Antrag verlangte Teufel eine Ergänzung der Verordnung des Staatsamtes für Volksernährung, betreffend den Abschuß von 80 % des Wildbestandes. Die Schußzeiten sollten verlängert, die Abschüsse durch Organe des Staatsamtes für Volksernährung kontrolliert, die Preise angepaßt und Abschüsse auf ehemaligen Hofrevieren nur durch Organe der Staatsverwaltung vorgenommen werden dürfen. 21 Vgl. dazu SRP Nr. 22 vom 7. November 1918; weiters Sten. Prot. Prov. NV, 4. Sitzung am 14. November 1918, Antrag des Abgeordneten Ganser, betreffend die Verproviantierung der notleidenden Städte und Orte Deutschösterreichs mit Wild; 6. Sitzung am 27. November 1918, Zuweisung an den Ernährungsausschuß, S. 187; AdR, StAVe, A 1, Zl. 162/1918, Haussitzung vom 13. November 1918. 22 Vgl. dazu weiters SRP Nr. 69/IIe vom 22. Jänner 1919. 23 Beilage 57/VI: Gesetzesentwurf (4 Seiten) und Beilage 57/VI/1: Gesetzesentwurf (3 Seiten). Das Gesetz über die Teuerungszulagen sollte die im RGBl. Nr. 319/1918 getroffenen Regelungen des staatlichen Zuschusses zu den von den Ländern zu bestreitenden Teuerungszulagen für die Volks- und Bürgerschullehrerschaft und deren Hinterbliebene bis zum 30. Juni 1919 verlängern. Mit dem Gesetz über die Gewährung von Anschaffungsbeiträgen sollte die bereits im Jahr 1917 an die Lehrerschaft und deren Hinterbliebene einmalig ausbezahlte staatliche Unterstützung im Jahr 1918 erneut gewährt werden. Im Entwurf des Gesetzes zur Teuerungszulage wurde das Auszahlungsschema, auf welches sich auch der Entwurf des Gesetzes über die Gewährung von Anschaffungsbeiträgen bezieht, modifiziert, indem die Höhe der ausgezahlten Beträge verringert wurde. Die Entwürfe stimmen mit StGBl. Nr. 40, Gesetz vom 25. Jänner 1919 über die Gewährung von Teuerungszulagen für das erste Halbjahr 1919 an die aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen, ausgegeben am 30. Jänner 1919, bzw. StGBl. Nr. 39, Gesetz vom 25. Jänner 1919 über die Gewährung von einmaligen Anschaffungsbeiträgen an die aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen für das Jahr 1918, ausgegeben am 30. Jänner 1919, überein. Zur Materie vgl. weiters das umfangreiche Material in AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 5.233/1918 und Zl. 5.386/1918. 24 Zum weiteren Verlauf vgl. SRP Nr. 60/I vom 20. Dezember 1918. 25 Beilage 57/VII: Antrag Pacher (1 Seite). Die Beilage stimmt inhaltlich weitgehend mit dem des Protokolls überein und wurde zur Gänze in das Beschlußprotokoll aufgenommen. Pacher hatte die20
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schöne Künste betraut werden soll, dem ein Kunstbeirat zur Seite zu stellen wäre. Die Durchführung würde eine Abänderung des Wirkungskreises der einzelnen Staatsämter bedingen). Wechselrede: Präsident S e i t z: (Anregung dankenswert, Abänderung des Wirkungskreises der Staatsämter, eine der wichtigsten Organisationsfragen, muß dem künftigen Aufbau überlassen bleiben. Gegen Bestellung eines Unterstaatssekretärs, überhaupt Frage der finanziellen Belastung; deshalb Antrag26: Zuweisung an das Staatsamt für Finanzen zur Überprüfung der finanziellen Tragweite des Vorschlages und zur Berichterstattung). Staatssekretär S t e i n w e n d e r: (Keine Dringlichkeit, zurückstellen, nur Notwendigkeit des Schutzes gegen Verschleppung von Kunstwerken), J e r z a b e k, O f n e r (Wichtigkeit und Dringlichkeit der Schaffung eines derartigen Kunstamtes, jedoch gegen Bestellung eines Unterstaatssekretärs). S c h o e p f e r (gegen Zurückstellung ebenso wie sofortige Annahme, für Zuweisung an eine Kommission). Antrag S e i t z betreffs Zuweisung an das Staatsamt für Finanzen zur Beratung der finanziellen Belastung und zur Berichterstattung a n g e n o m m e n.27 (Beschlußprotokoll 57/VII). [3] 3. Punkt der Tagesordnung nunmehr, da Staatssekretär für Äußeres (Bauer) erschienen, zur Verhandlung. Staatssekretär B a u e r berichtet zu zwei vorliegenden Telegrammen28 des Chefs der deutschböhmischen Landesregierung Dr. von Lodgeman, welche a) das Ansuchen an den interalliierten Kriegsrat in Versailles um Entente-Besetzung Deutschböhmens, b) ein Ersuchen um Eingreifen und einen Protest gegen die tschechischen Besetzungen an den Präsidenten von Nordamerika Wilson29 zum Inhalt haben und welche an die bezeichneten Empfänger weiterzuleiten das Staatsamt ersucht wurde. (Gegen den Hilferuf an die Entente, weil derselbe a) zwecklos, da er entweder verspätet oder überhaupt nicht erfüllt werde, b) gefährlich, da die Besetzung Deutschböhmens zur Besetzung Deutschösterreichs wegen der Eisenbahnsicherung führen kann und wegen der Rückwirkung auf dieselbe. c) Nicht folgerichtig, da mit Protest gegen italienische Besetzung Tirols sich kreuzend. Bezüglich der Hilfe für Deutschböhmen waren 3 Auffassungen verbreitet: 1.) Aktiver militärischer Widerstand. Nicht möglich, da tschechoslovakische Truppen Entente-Truppen sind, Waffenstillstandsverletzung, hiezu wirtschaftliche Schwäche Deutschösterreichs. 2.) Verlangen nach Ententebesetzung.
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sen Vorschlag bereits in der Sitzung des Kabinettsrates vom 13. November 1918 im Zusammenhang mit der Frage der Weiterführung der bisher von den Hofstellen verwalteten wissenschaftlichen und künstlerischen Institute vorgebracht. Vgl. KRP Nr. 10/2 vom 13. November 1918. Beilage 57/VII: Antrag Seitz (1 Seite, handschriftlich). Der Inhalt der in der Formulierung geringfügig vom Protokolltext abweichenden Beilage stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Das Staatsamt für Finanzen sprach sich letztendlich zwar gegen die Errichtung eines eigenen Kunstamtes aus, genehmigte aber die Schaffung einer Kunstsektion im Staatsamt für Unterricht. Vgl. AVA, FHKA, k.k. Finanzministerium, Allgemeine Abteilungen, StAF, Zl. 7.256/1918, Staatsratsbeschluß vom 11. Dezember 1918, betreffend Errichtung eines Kunstamtes im Rahmen des Staatsamtes für Unterricht. Vgl. auch SRP Nr. 75/I vom 26. Februar 1919. Beilage 57/VIII: Telegrammabschriften (2¼ Seiten). Der Inhalt der Abschriften stimmt mit dem des Beschlußprotokolls zur Gänze überein. Die Telegramme finden sich in AdR, StK, GZl. 968/1918. Thomas Woodrow Wilson, 4. März 1913 bis 4. März 1921 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.
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3.) Möglichst energischen Protest einlegen. Eindruckvollste Form: Volksabstimmung, Vereinfachte Wahl zur Nationalversammlung, diesbezügliche Verhandlungen der deutschböhmischen Abgeordneten mit dem Staatskanzler. 4.) Verhandlungsweg, jedoch keine Bereitwilligkeit der Gegenseite, höchstens bei örtlichen Vereinbarungen.30 Wechselrede: P a n t z (Kritik der Propagandatätigkeit, zu geringe Dotierung, noch keine Persönlichkeiten namhaft gemacht. L a n g e n h a n (Weiterleitung des Ansuchens der deutschböhmischen Landesregierung nicht von dieser Tragweite, daher Argumentation Bauer nicht richtig. Befürchtet Abfall Deutschböhmens, Verbleiben der sudetenländischen Abgeordneten im Staatsrate unmöglich. Ersucht um Weiterleitung der Depeschen, zumal bei Engländern und Amerikanern einiges Verständnis für die deutschböhmischen Zustände zu erhoffen. Antrag31: 1.) Staatsamt für Äußeres anzuweisen, die Depeschen weiterzuleiten, 2.) Der Staatsrat spricht seine volle Zustimmung zum Inhalte der Depeschen aus). J e r z a b e k (gegen die Argumentation Bauer, Land muß geschützt werden, wir haben keine Truppen, daher Ruf nach Ententebesetzung. Staatsrat kein Recht, das zu verhindern, sonst müßte Deutschböhmen sich selbständig machen. Gegen eine Volksabstimmung, welche überhastet wäre; für die Weiterleitung der Depeschen). Staatssekretär S t e i n w e n d e r (Hilferuf zwecklos, wird ohne Antwort bleiben. Deutschösterreich und Deutschböhmen müssen den Zusammenhang immer wieder aussprechen. Befürchtet Rückwirkungen auf die finanziellen Verhandlungen, gegen Weiterleitung). I r o (für die Aussendung der Depeschen, da eine Entente-Besetzung besser als Besetzung durch die Tschechen, jedoch nur Engländer oder Amerikaner, für Weglassung der Worte Franzosen und Italiener). L i c h t (Hilferuf verspätet, keine Herausforderung zur Besetzung Deutschösterreichs, aber zwecklos, daher gegen Weiterleitung). Staatssekretär P a c h e r (Tschechische Besetzung Deutschböhmens vor der Friedenskonferenz, um jede Kundgebung der Deutschböhmen unmöglich zu machen. Ruf nach neutraler Besetzung ein Ruf nach Gerechtigkeit. Für die Weiterleitung). S c h o e p f e r (angestrebte Besetzung würde die Lage in Deutschböhmen verbessern, Weitersendung des Telegrammes zu verhindern möglich, doch zwecklos, da bereits bekannt geworden. Rückwirkung auf das Verhalten der Tschechen gegen Deutschösterreich fraglich). L a n g e n h a n (gegen Steinwender und Licht, keine nutzlose Demonstration, da Möglichkeit der Folgeleistung vorhanden, auch wenn Entente unseren Wunsch nicht erfüllt, präjudizierend, nicht für die Friedensverhandlungen, außerdem eine Unterstützung unserer Propaganda. Befürchtung, daß Deutschböhmen sich von Wien selbständig machen wird). Staatssekretär U r b a n (drohende Besetzung Deutschösterreichs und Deutschlands richtig, allein Ententetruppen kommen auch ohne unseren Hilferuf nach Böhmen. Unterschied, ob Deutschböhmen von Tschechen oder anderen Entente-Truppen besetzt ist. Im ersteren Falle jede Wahl und Volkskundgebung unmöglich. Im letzteren Falle die Entscheidung über die künftige Zuteilung noch nicht gefallen; tschechische Sozialdemokraten keine Annexionisten). Staatssekretär M a y e r (von Deutschböhmen wiederholte Hilferufe, teilweise bescheidene lokale Erfolge; seit tschechoslovakische Legionäre angekommen: Fortschreiten der tschechischen Besetzung.32 Früher Zu diesen lokalen Vereinbarungen vgl. SRP Nr. 56/6 vom 9. Dezember 1918. Beilage 57/VIII/1 und Beilage 57/VIII/2: Anträge Langenhan (jeweils ½ Seite, handschriftlich). Der Inhalt der Anträge stimmt weitgehend mit dem des Protokolltextes und zur Gänze mit dem des Beschlußprotokolls überein. Vgl. Beschlußprotokoll Punkt VIII. 32 Vgl. dazu eine dem Situationsbericht der deutschböhmischen Landesregierung an die Staatskanzlei vom 11. Dezember 1918 beigefügte Liste der zu diesem Zeitpunkt teilweise bzw. ganz besetzten Bezirke und Ortschaften in AdR, StK, GZl. 1.142/1918, Landesregierung für Deutschböhmen, Situationsbericht. Zum Transport der tschechoslowakischen Legion aus Italien über deutschösterreichisches Gebiet vgl. SRP Nr. 46 vom 26. November 1918. 30 31
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unser Standpunkt: Einfälle von Plünderern, heute Entente-Besetzung, daher vor Kampf zu warnen, einheitlicher Wunsch nach wirklichen Entente-Truppen, trotzdem er Mißerfolg einer Volksabstimmung bei einheitlicher Kandidatenliste nicht befürchtet. Für die Absendung der Telegramme, da sonst Forderung nach dem Austritt der deutschböhmischen Abgeordneten gestellt werden wird). Staatssekretär R o l l e r (Tschechoslovaken Richter in eigener Sache, Freiheit der Abstimmung für Wahl und Volkskundgebung nur unter der Voraussetzung der Entente-Besetzung durchführbar). Präsident S e i t z (kein einheitlicher Beschluß der Landesvertretung, sondern Ansuchen Lodgeman. Keine bloße Angelegenheit Böhmens, sondern Sache des Staatsrates, Volkskundgebung und Wahlbekenntnis zu verbinden. Vorschlag Lodgeman undurchführbar, da keine Ablösung der tschechoslovakischen Truppen erfolgen würde, außerdem bei Entente-Besetzung gänzliche Abwehr-Unmöglichkeit, während heute noch der ganze Konflikt als deutsch-tschechischer Streit aufgefaßt wird. Gegen Absendung der Depeschen). Schlußwort Staatssekretär B a u e r (Unmöglichkeit, auswärtige Politik zu führen, wenn jede Landesregierung dieses Recht für sich in Anspruch nimmt.33 Entente-Besetzung nicht zu erreichen, auch das Ansuchen Lodgemans, wird ein telegraphischer Wunsch bleiben. Sollten den Eindruck nicht abschwächen, daß uns jede Besetzung unerwünscht; außerdem Entente den Tschechen zu Dank verpflichtet. Fehler, die Telegramme weiterzuleiten, falls doch, ersucht um Vermerk, daß gegen seinen Rat, weiters daß wenigstens das Verlangen nach italienischen Truppen zu streichen sei). Präsident H a u s e r: Es gelangen zur Abstimmung die beiden Anträge Langenhan: 1.) betreffs Weiterleitung der Telegramme 2.) betreffs Zustimmung zum Inhalte dieser Depeschen 3.) ein Zusatzantrag Iro, die Worte „Franzosen und Italiener“ zu streichen. Die Abstimmung über den ersten Antrag Langenhan gibt das Stimmenverhältnis 8:8, die Abstimmung über den zweiten Antrag Langenhan gibt das Stimmenverhältnis 12:4, womit derselbe abgelehnt erscheint. Zur ersten Abstimmung sprechen formell: Präsident H a u s e r (lehnt ab, in so wichtiger Sache zu dirimieren34, zumal der Staatsrat nicht den Charakter eines Parlamentes an sich trägt. Vorschlag, die Sache am Freitag nochmals zu behandeln). Staatskanzler R e n n e r (Stimmenverhältnis zeigt, daß die Frage noch nicht entscheidungsreif, zumal noch Verhandlungen schweben. Für Vertagung auf Freitag). Staatsrat L a n g e n h a n (fordert die Abstimmung zu Ende zu führen und die Dirimierung durch den Vorsitzenden. Vertagung unmöglich). Präsident S e i t z (Langenhan formell im Rechte, sachlich unmöglich, zuerst hätte die meritorische, dann die Abstimmung über die Absendung erfolgen sollen. Für eine Reassumierung35 des Beschlusses, dann für Vertagung). L a n g e n h a n (Standpunkt Seitz und Renner unmöglich, Reassumierung nur nach erfolgter Abstimmung, hier Abstimmung unterbrochen, Dirimierung des Vorsitzenden noch ausständig. Erklärt sich jedoch einverstanden, daß Freitags ohne weitere Debatte nochmals abgestimmt werde). Präsident H a u s e r, Staatsrat W a l d n e r, S c h o e p f e r (Freitag neues Material vorliegend, Notwendigkeit sich nochmals zu orientieren, Anwesenheit anderer Mitglieder, daher Abstimmung ohne Debatte unmöglich).
Vgl. dazu auch SRP Nr. 50 vom 29. November 1918; weiters den Bericht des Staatssekretärs Urban vom 17. Dezember 1918, betreffend das eigenmächtige Vorgehen der Landesregierungen in AdR, BKA/AA, NPA, Liasse Österreich 2/II, GZl. 3.562/1918, Eigenmächtiges Vorgehen der Landesregierungen, Eingreifen in auswärtige Politik. 34 Dirimieren: (bei Stimmengleichheit) eine Entscheidung (zugunsten der einen oder der anderen Partei) treffen. 35 Reassumieren: (das Verfahren) wiederaufnehmen. 33
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Es wird eine Einigung dahin erzielt, daß am Freitag über die beiden Anträge neuerlich abzustimmen sei.36 (Beschlußprotokoll 57/VIII). Staatsnotar S y l v e s t e r legt auf Grund des Antrages des Staatssekretärs für Justiz 32 Begnadigungsfälle zur Gewährung vor.37 A n g e n o m m e n. (Beschlußprotokoll 57/IX). Nächste Sitzung Freitag, den 13. Dezember 1918, 3 Uhr nachm. Sitzung geschlossen 5 Uhr 45 abends.
Der Staatsrat lehnte in der 58. Sitzung vom 13. Dezember 1918 die Entsendung der beiden Noten der deutschböhmischen Landesregierung an den Interalliierten Obersten Kriegsrat in Versailles und an Präsident Wilson mit Stimmenmehrheit ab. Von einer neuerlichen Abstimmung über den bereits in der 56. Staatsratssitzung abgelehnten Inhalt der beiden Noten wurde in dieser Sitzung abgesehen. Die Pariser Friedenskonferenz erhielt über das „Bulletin périodique de la presse austro-hongroise“ mit dem Zusatz „Non transmise par le Conseil d’État de Vienne“ Kenntnis von diesen beiden Noten. Vgl. Ministères des affaires étrangéres et de la guerre, Recueil de documents étrangèrs. Supplément périodique aux Bulletins de Presse étrangère, Nr. 38 (1919), S. 152, https://bibliotheque-numerique. diplomatie.gouv.fr/ark:/12148/bpt6k6440714q.item, abgerufen am 24. Mai 2019. Vgl. dazu auch die Wechselrede in SRP Nr. 58/III vom 13. Dezember 1918. 37 Beilage 57/IX: Gnadengesuche (7 Seiten). Vgl. Beschlußprotokoll Punkt IX. 36
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57 – 1918-12-11 57. S i t z u n g des Deutschösterreichischen Staatsrates am 11. Dezember 1918. Vorsitzender: Präsident H a u s e r. B e s c h l ü s s e:
I. Personalien. Dem Staatsrate Dr. Viktor W a l d n e r wird ein Urlaub für Dezember l.J. bewilligt. II. Antragsteller: Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel Dr. Karl U r b a n. Antrag: Derselbe bringt nachstehende Meldung des Unterstaatssekretärs für Kriegsund Übergangswirtschaft Richard R i e d l dem Staatsrate zur Kenntnis: „Von der Reichenberger Kammer wurde ich soeben (12 Uhr 30 Minuten) telefonisch verständigt, daß die deutschböhmische Landesregierung das Land verlassen hat und stündlich die Besetzung Reichenbergs durch čechoslovakische Truppen zu gewärtigen ist. Mit Rücksicht darauf, daß die Landesregierung sich nicht mehr in Reichenberg befindet, ist es auch nicht möglich, in Reichenberg eine Vertretung des Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft bei der Landesregierung aufrecht zu erhalten. Die Betrauung der Reichenberger Kammer mit dieser Vertretung würde diese Körperschaft auch gegenüber der čechoslovakischen Regierung in eine höchst unangenehme, wenn nicht gefährliche Lage bringen. Ich habe infolgedessen die Reichenberger Kammer und ihren Sekretär Dr. D e m u t h38 von der Führung dieser Vertretung telefonisch enthoben, jedoch daran das Ersuchen geknüpft, daß die Reichenberger Kammer in ihrem Wirkungskreise und im Einvernehmen mit der Industrie die notwendigen Vorkehrungen treffen möge, um die Fortführung des Betriebes der Unternehmungen und der Verwendung der im Bezirke vorhandenen Materialien zu sichern. Die Kammer verständigte mich weiter davon, daß sie bisher die Geschäftsstelle für Arbeitslosenfürsorge geführt habe. Die jetzt notwendige Anweisung von 6 Millionen Kronen bei der Nebenstelle der Österreichisch-ungarischen Bank in Reichenberg, die zur Dotierung der dortigen Stellen für die Bezahlung der Arbeitslosenunterstützung bestimmt wäre, ist nicht mehr durchführbar, weil infolge der Abreise der Landesregierung kein zeichnungsberechtigtes Organ mehr vorhanden ist. Die Anweisung hätte heute erfolgen sollen. Die Beschaffung der Unterschriften auf dem Chek {sic!} ist augenblicklich nicht durchführbar. Die Kammer ersucht, einen mit Vollmacht ausgerüsteten Vertreter des Finanzamtes nach Reichenberg zu schicken oder express einen Dotierungschek {sic!} auf die Österreichisch-ungarische Bankfiliale nach Reichenberg zu senden. Sie macht aufmerksam, daß im Falle, als die Mittel nicht flüssig gemacht werden könnten, die Arbeitslosenunterstützung von morgen an im größten Teile von Deutschböhmen ins Stocken geriete und unabsehbare Folgen eintreten würden. Die čechoslovakische Regierung werde zwar voraussichtlich auch eine Arbeitslosenunterstützung einführen müssen, Dr. Adolf Demuth, Regierungsrat, seit 1891 Mitarbeiter und seit 1917 Erster Sekretär der Reichenberger Handelskammer.
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doch kann ein gefährliches Vakuum eintreten, das unter allen Umständen vermieden werden müßte.“ Beschluß: Wird zur Kenntnis genommen und den beteiligten Ressorts zur weiteren dringlichen Veranlassung zugewiesen. An die Herren Staatssekretäre für Äußeres, für soziale Fürsorge, für Finanzen, für Gewerbe, Industrie und Handel und für Kriegs- und Übergangswirtschaft. III. Antragsteller: Unterstaatssekretär für soziale Fürsorge Ferdinand H a n u s c h. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für soziale Fürsorge, betreffend die Standorte und Sprengel der industriellen Bezirkskommissionen in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg. Beschluß: Wird angenommen. An den Herrn Staatssekretär für soziale Fürsorge. IV. Antragsteller: Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel Dr. Karl U r b a n. Antrag: Vollzugsanweisung des Deutschösterreichischen Staatsamtes für Kriegs- und Übergangswirtschaft im Einvernehmen mit dem Staatsamte der Finanzen, betreffend die Errichtung einer deutschösterreichischen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung. Beschluß: Wird angenommen. An den Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel, für Kriegs- und Übergangswirtschaft und für Finanzen. V. Antragsteller: Staatsrat Oskar T e u f e l. Antrag: „Das Amt für Volksernährung hat eine Verordnung hinausgegeben, derzufolge 80 % des Wildstandes abzuschießen ist und der zwangsweise Abschuß durchgeführt wird, wenn der Jagdbesitzer den Abschuß nicht bewirkt. Diese Verordnung bedarf einer Ergänzung durch nachstehende Verordnung des Staatsrates: 1.) Die Schußzeiten für alle Wildgattungen mit Ausnahme von Federwild werden bis 1. Februar 1919 verlängert. 2.) Vom Staatsrate, respektive vom Amte für Volksernährung sind Kontrollorgane zu entsenden, welche zu konstatieren haben, ob der Abschuß durchgeführt wurde und die, wenn nötig, die zur Durchführung nötigen Maßnahmen zu treffen haben. 3.) Das Amt für Volksernährung hat eine Neuregelung der Wildpretpreise und der Ablieferungsprozente vorzunehmen. 4.) Auf den ehemaligen Hofrevieren ist der Abschuß durch Organe der Staatsverwaltung durchzuführen.“ Beschluß: Wird den Herrn Staatssekretären für Landwirtschaft und für Volksernährung zur Berichterstattung zugewiesen. An die Herren Staatssekretäre für Landwirtschaft und für Volksernährung. VI. Antragsteller: Unterstaatssekretär für Finanzen Dr. B e c k von M a n a g e t t a. Antrag: 1.) Gesetz über die Gewährung von einmaligen Anschaffungsbeiträgen an die aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürger-
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schulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen für das Jahr 1918. 2.) Gesetz über die Gewährung von Teuerungszulagen für das erste Halbjahr 1919 an die aktiven und pensionierten Lehrpersonen der öffentlichen Volks- und Bürgerschulen sowie an die Witwen und Waisen nach solchen Lehrpersonen. Beschluß: Die beiden Gesetzentwürfe werden Finanzkommission zur dringlichen Behandlung zugewiesen. An den Herrn Obmann der Finanzkommission und an den Herrn Staatssekretär für Finanzen. VII. Antragsteller: Staatssekretär für Unterricht Raphael P a c h e r. Antrag: Der Staatsrat wolle beschließen: „Für die gesamte staatliche Kunstpflege wird im Rahmen des Staatsamtes für Unterricht ein eigenes Kunstamt geschaffen. Mit der Leitung dieses Amtes wird ein „Unterstaatssekretär für schöne Künste“ betraut. Demselben wird ein aus verschiedenen Sektionen bestehender Kunstbeirat zur Seite gestellt, welcher zur Mitarbeit in allen wichtigen künstlerischen Fachfragen berufen ist. Die Mitglieder dieses Beirates werden zum überwiegenden Teile von den berufenen Fachkreisen entsendet, der Rest aber vom Unterstaatssekretär für schöne Künste bestellt. Das Staatsamt für Unterricht wird beauftragt, wegen Durchführung dieses Beschlusses das Erforderliche zu veranlassen und insbesondere wegen der hiedurch bedingten Abänderung des Wirkungskreises einzelner Staatsämter (§ 12 des Beschlusses der provisorischen Nationalversammlung Deutschösterreichs vom 30. Oktober 1918, Staatsgesetzblatt Nr. 1) mit diesen Staatsämtern das Einvernehmen zu pflegen.“ Antragsteller: Präsident Karl S e i t z. Antrag: „Der Vorschlag des Staatsamtes für Unterricht, betreffend die Schaffung eines Kunstamtes, wird dem Staatsamte für Finanzen mit dem Auftrage zugewiesen, die finanzielle Tragweite des Projektes zu prüfen und sodann Bericht zu erstatten.“ Beschluß: Der Antrag des Präsidenten S e i t z wird angenommen. An die Herren Staatssekretäre für Finanzen und für Unterricht. VIII. Antragsteller: Staatsrat Dr. von L a n g e n h a n. Antrag: Über ein Telegramm des Nationalrates v. L o d g m a n vom 9. Dezember 1918 an die Deutschösterreichische Staatskanzlei, lautend: „Die folgenden 2 Telegramme bitte ohne Verzug in englischer und französischer Sprache an die Empfänger weiterzuleiten, da die Besetzung durch Ententetruppen im Hinblicke auf die Verhältnisse zwingend geboten ist. Ich bin nicht mehr in der Lage, die Verwaltung ordnungsgemäß zu führen und die Verantwortung für die nächsten Wochen zu tragen, wenn nicht sofort der Einmarsch von Ententetruppen verlangt wird. Lodgman. 1.) An den interalliierten Kriegsrat in Versailles im Wege der französischen Regierung. Die deutschböhmische Landesregierung, gebildet aus Vertretern der auf Grund des allgemeinen und gleichen Wahlrechtes gewählten Abgeordneten, stellt an die Regierungen der verbündeten Mächte der Entente die
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dringende Bitte, raschestens die Besetzung Deutschböhmens durch nordamerikanische, englische, französische oder italienische Truppen in die Wege zu leiten und keinesfalls zuzugeben, daß die Besetzung Deutschböhmens durch Čechoslovaken erfolge, da dies bei den im Lande herrschenden Verhältnissen unabsehbare Folgen und überflüssiges Blutvergießen zur Folge hätte. Durch das Bestreben der čechoslovakischen Republik, Deutschböhmen durch Hunger und Vergewaltigung der neu eingesetzten demokratischen Verwaltungsbehörden zum Anschlusse an die čechoslovakische Republik noch vor dem Friedensschlusse zu pressen, hat sich das Verhältnis der beiden Völker derartig zugespitzt, daß die Besetzung des Landes durch čechoslovakische Truppen die traurigsten Folgen mit sich bringen müßte. Die Landesregierung schlägt daher zur Vermeidung unnützen Blutvergießens den verbündeten Mächten vor, das Land durch ihre eigenen Truppen besetzen zu lassen und bittet sie, diese Maßnahmen im Hinblicke auf die immer mehr drohende Gefahr neuerlicher Zusammenstöße zwischen Deutschen und Čechen raschestens in die Wege zu leiten. Für die Landesregierung Lodgman. 2.) An den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika Woodrow W i l s o n in Brest. Herr Präsident! Im Namen und in Vertretung von 2,000.000 Deutschen in Böhmen wende ich mich an Sie in der Überzeugung, daß Sie die Sache der Gerechtigkeit und Demokratie, welche in den von Ihnen aufgestellten Leitsätzen niedergelegt ist, würdigen und unterstützen werden. Das deutsche Volk in Böhmen ist den gewalttätigen Übergriffen der čechoslovakischen Republik schutzlos ausgeliefert. Nicht nur, daß die Čechoslovaken mit allen Mitteln bestrebt sind, die Unterwerfung des deutschen Teiles Böhmens unter die čechische Herrschaft im Widerspruche zum Selbstbestimmungsrechte der Völker dadurch zu erzwingen, daß sie die Einfuhr von Lebensmitteln an der Sprachgrenze Deutschböhmens gewalttätig unterbinden, daß sie eine ordnungsgemäße Verwaltung des Landes durch Unterbindung des Verkehres verhindern, scheuen sie sich nicht, mit bewaffneten Kräften in unsere Städte und Siedlungen einzufallen, die Bevölkerung zu vergewaltigen, die von der Bewohnerschaft in freier Wahl ernannten Träger der öffentlichen Gewalt abzusetzen, zu verhaften, zu verschleppen, Geiseln auszuheben, kurz in einer Weise vorzugehen, welche den von Ihnen kundgegebenen Absichten in jeder Weise zuwiderläuft, trotzdem sie die von Ihnen verkündeten Grundsätze im Munde führen und so Ihre Person förmlich zur Beschönigung ihrer schändlichen Taten mißbrauchen. Das deutsche Volk in Böhmen hat wiederholt und unzweideutig kundgegeben, daß es eine čechische Oberherrschaft, in welcher Form und Gestalt immer, ablehnt. Es hat sich durch seine freigewählten Vertreter als Teil der deutschösterreichischen Republik erklärt. Sie erbittet sich diese Hilfe nicht nur weil sie zu den verbündeten Nationen volles Vertrauen in deren unparteiische Verwaltung hegt, sondern auch aus Gründen reiner Menschlichkeit, da die Besetzung Deutschböhmens durch die Čechoslowaken das Land in einen Kriegszustand versetzen und neues Elend trotz des nahenden Friedens heraufbeschwören muß. Sie haben, Herr Präsident, wiederholt Ihr gewichtiges Wort für unterdrückte Völker in die Waagschale geworfen, geben Sie nicht zu, daß Deutschböhmen der Schauplatz neuer Kämpfe, das Opfer der Fremdherrschaft und der Keim neuer zukünftiger Verwicklungen in Europa werde und unterstützen Sie unser Ansuchen im Rate der Alliierten. Für die deutschböhmische Landesregierung: L o d g m a n“
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werden von dem Staatsrate Dr. von L a n g e n h a n folgende zwei Anträge gestellt: 1.) Der Staatsrat beschließt, daß das Staatsamt für Äußeres angewiesen werde, die Depesche der Deutschböhmischen Landesregierung an Präsident W i l s o n, respektive an den Kriegsrat in Versailles unverzüglich weiterleiten zu lassen. 2.) Der Staatsrat bringt seine volle Zustimmung zu dem Inhalte der von der deutschböhmischen Landesregierung an den Präsidenten W i l s o n und an den Kriegsrat in Versailles am 9. d. M. abgesandten Depeschen aus. Hiezu ersucht bzw. beantragt der Herr Staatssekretär für Äußeres Dr. Otto B a u e r, daß, falls die beiden obigen Anträge angenommen werden sollten, ausdrücklich im Protokolle bemerkt werden möge, daß dies gegen seinen Rat geschehen sei und daß wenigstens die „französischen und italienischen Truppen“ in der Depesche gestrichen werden. Die Streichung der „französischen und italienischen Truppen“ in der Depesche wird auch von Staatsrat I r o beantragt. Beschluß: da sich zu dem Antrage des Staatsrates Dr. von L a n g e n h a n 8 Mitglieder des Staatsrates pro und 8 Mitglieder kontra erklärten, während der Antrag 2 des erwähnten Antragstellers abgelehnt worden ist, einigte sich der Staatsrat dahin, über diese Anträge am Freitag, den 13. Dezember l. J. neuerlich abzustimmen. An den Herrn Staatskanzler. IX. Antragsteller: Staatsnotar Dr. Julius S y l v e s t e r . Beschluß: Der Staatsrat beschließt, auf Grund des Antrages des Staatssekretärs für Justiz nachstehende Begnadigungen zu gewähren: […]39 An den Herrn Staatssekretär für Justiz. Nächste Sitzung Freitag den 13. Dezember 1918 3 Uhr nachmittags.
Hier folgt im Original eine Liste von 32 Gnadengesuchen. Die Verurteilten sind unter Angabe des Namens und Deliktes aufgelistet. Die mit Abstand am häufigsten genannten Vergehen sind Preistreiberei und Diebstahl. In den meisten Fällen wurden Strafmilderungen, etwa durch die Umwandlung von Kerkerstrafen in Geldstrafen, in vereinzelten Fällen auch Strafnachsicht gewährt. Ein in der Liste enthaltenes Todesurteil wurde in Kerkerhaft umgewandelt.
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Geographisches Register A Agram 333 Alsergrund siehe Wien Altmannsdorf 141, 147 f, 157, 164 Altpaka/Stará Paka 215 Amerika siehe Vereinigte Staaten von Amerika Amsterdam 339 Auspitz/Hustopeče 119, 223 Aussig/Ústí nad Labem 154, 357 B Bayern 36, 43, 47 f, 91, 203, 224, 229, 238, 313, 418, 427, 430, 436 Bergreichenstein/Kašperské Hory 98, 111, 204 Berlin 18 f, 25, 36, 43, 47, 55 f, 68, 88, 95, 100, 132, 134, 145, 229, 280, 311–313, 327–329, 332–334, 355, 429 Bern 2, 65, 85, 130 f, 230 f, 300, 322 f, 330 f, 339, 341, 355 Bielitz/Bielsko-Biała 108 Bilin/Bilina 303 Bischofswarth/Hlohovec 328 Blumau 290 Bodenbach/Podmokly 325 Böhmen 8, 17, 63, 103 f, 113, 123, 150, 152, 154, 175, 189, 192, 204, 223, 229, 231, 238, 245 f, 271, 298, 305, 335, 337, 378, 385, 439, 441, 445, 451 Böhmerwald 86, 98, 196, 204, 210 Böhmerwaldgau, Böhmerwald-Gau 98, 368, 384 f, 427 Bösig/Bezděkov 225 Bosnien und Herzegov/wina, Bosnien 117, 133 f, 139, 198, 200 Bozen 62, 301, 386 Braunau in Böhmen/Broumov 215 Braunau am Inn 163 f Bregenz 151, 156, 442 Brenner 62 Breslau/Wrocław 37 Brest 329, 451 Brest-Litowsk/Bjeraszje 312 Brigittenau siehe Wien Brünn/Brno 10, 38 f, 47, 62, 125, 150, 153 f, 186, 188 f, 192, 195, 204, 211, 228, 269, 277 f, 311 f, 325, 332, 367
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Brüssel 339 Brüx/Most 302 f, 327, 337, 357, 427 Budapest 10, 87, 145, 147, 149, 167, 231, 280, 283 f, 287, 289, 307, 332 Budweis/České Budějovice 106, 114, 298, 328, 335 Bukarest 312 C č/czechischer Staat siehe Tschechoslowakei čechoslovakische Republik siehe Tschechoslowakei č/czechoslovakischer Staat siehe Tschechoslowakei China 86 Cilli/Celje 39, 172, 299, 332 f Cisleithanien 69, 152, 198, 294 Cormons 301 Czechisch-Böhmen siehe Tschechischböhmen Czechoslovakien siehe Tschechoslowakei Czernowitz/Tscherniwzi 269, 277 f D Dalmatien 279 Dänemark 330 Den Haag 227, 333, 396 Deutschböhmen, Deutsch-Böhmen 8 f, 22, 47–49, 57, 88, 91, 108, 114, 119, 124 f, 153 f, 171, 179, 193, 196, 202–204, 210 f, 216, 223–225, 228–231, 234 f, 242, 248, 303, 336, 338, 340, 356–358, 381, 393, 403, 408, 413, 415, 427– 430, 435, 441, 444 f, 448, 451 Deutschland, deutsche Republik, Deutsches Reich 18, 25, 36 f, 43, 54 f, 65 f, 85, 88, 91, 124, 153, 187, 229, 231, 313, 325 f, 328–330, 332, 334, 336, 340, 355, 373, 381, 429 Deutschmähren 108, 120, 243 Deutschösterreich, Deutsch-Österreich, deutsch öster reichische Republik, deutschösterreichischer Staat 1–3, 5, 10, 12, 17, 20, 22, 26, 31, 35, 42, 46, 48–50, 52–57, 64–66, 69, 73, 81, 83, 85, 89, 91, 93, 98, 103–105, 108, 113 f, 118, 122–127, 129, 132–135, 137, 139 f, 145 f, 149, 154, 158 f, 160–162, 165, 172, 174, 176 f, 180, 183, 185, 188–190, 204, 206 f, 211, 223 f, 227 f, 230, 235–238, 248 f, 261, 271, 273, 277 f, 280, 286, 296, 300–303,
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Geographisches Register
305, 312 f, 315, 317, 320, 322, 326, 328, 330, 332–335, 340, 347, 375, 382, 384, 391 f, 397–400, 405 f, 424, 428 f, 436 f, 445, 451 Deutschschlesien 108 Deutschsüdböhmen, Deutsch-Südböhmen siehe Südböhmen Deutschsüdmähren, Deutsch-Südmähren siehe Süd mähren Deutschsüdtirol, Deutsch-Südtirol siehe Südtirol Deutsch-Tirol siehe Tirol Deutsch-Westungarn siehe Westungarn Donaustaaten 355 Dresden 47, 203, 229, 327, 441 E Eckartsau 169 f Eger/Cheb 88, 91, 194, 225, 229, 238 Eisenburg/Vas 46, 57 Eisenerz 252 f Elsaß-Lothringen 334 England 17, 231, 328 f, 336 Etschtal 386 Europa 329, 337, 451 F
H Haag siehe Den Haag Haimendorf 151 Halbstadt/Meziměstí 224 Hartmanitz/Hartmanice 111, 204 Heilbronn 338 Höflein an der Thaya/Hevlin 123, 237 Hohenau 25, 31–34, 41 Hohenfurth/Vyšší Brod 104 I Iglau/Jihlava 39, 153, 186, 188 f, 192, 195, 204, 211 Innere Stadt siehe Wien Innsbruck 32, 67, 91, 120, 130 f, 138 f, 151, 194, 301, 367, 383, 386, 399, 442 Inntal 367, 386 Irland 329 Istrien 279 Italien 12, 62, 84, 131, 165, 232, 242 f, 301, 324, 330, 335, 340, 356, 445 J
Favoriten siehe Wien X Feldkirch 107, 143 f, 365 Floridsdorf siehe Wien XXI Frankreich 55, 62, 231, 301, 328, 337, 355, 357 f, 401 Freistadt in Oberösterreich 103, 368 Fulnek 234
Jägerndorf/Krnov 101 Japan 340 Jicin/Jičin 215 Joslowitz/Jaroslavice 123, 237 Jugoslav/wien, jugoslavischer Staat 142, 158, 165, 167, 175, 180, 184, 188 f, 198, 230, 280, 296, 347
G
K
Gablonz/Jablonec nad Nisou 44, 204, 339, 427 Gailtal 131 Gaisbach 335 Galizien 14, 158, 279 f Gänserndorf 25, 31–34, 41 Georgswalde/Jiříkov 225 Gießhübl 195 f, 210 Gmünd 184, 328 Gottschee/Kočevje 39, 154, 172 Gradlitz/Choustníkovo Hradiště 195 f, 210 Gratzen/Nové Hrady 104, 113 Graz 91 f, 235 f, 270, 298–304, 332, 359 Grinzing 206, 250, 339, 421 Grödig bei Salzburg 163 Großbritannien 62, 329, 357 Grulich/Králíky 88 Grusbach/Hrušovany nad Jevišovkou 123, 236 f
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Kanaltal 131 Kaplitz/Kaplice 8, 86, 98, 103–106, 113, 118, 193, 205, 212, 368, 427 f Karlsbad/Karlovy Vary 47 Kärnten 92, 131, 189, 298, 300, 304 f, 308, 382, 389 Kattowitz/Katowice 37 Klagenfurt 91, 151, 189, 230, 298–301 Klattau/Klatovy 86 Kleinreifling 335 Komotau/Chomutov 108, 370 Königreich Böhmen siehe Böhmen Königreich Italien siehe Italien Königsberg/Kynšperk nad Ohří 437 Kopenhagen 330, 333, 339 Korneuburg 314, 370, 384 Krems 195, 207, 384
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Geographisches Register Kroatien 14, 271 Krumau/Český Krumlov 98, 427 Kuhländchen 367, 385 Küstenlande 208 L Laa a. d. Thaya 309, 343, 346 Laibach 298–300, 308, 332 f, 359 Landstraße siehe Wien III Laxenburg 32 Leibnitz 235 f Leipa, Böhm. Leipa/Česká Lípa 194, 224, 304, 357, 427 f Leitmeritz/Litome˘řice 44, 204, 224 f, 339, 427 Leopoldstadt siehe Wien II Liebenau/Hodkovice nad Mohelkou 225 Linz 91, 104 f, 113, 121, 151 f, 163, 170, 193, 205, 212, 270, 298, 328, 367, 382, 427, 436, 442 Lobositz/Lovosice 224 Loiblpaß 131 Lombardo-Venetien 324 London 16, 65, 341, 401 Lundenburg/Břeclav 234, 311 f M Mähren 123 f, 152, 175, 189, 192, 237, 245, 279, 337, 343, 359, 363, 385 Mährisch-Schönberg/Šumperk 101, 195 f, 210, 367 Mährisch-Ostrau/Ostrava 84, 94, 206, 359, 363 Manhartsberg 384 Mannheim 338 Marburg/Maribor 132, 195, 198, 234, 298–300, 333, 347, 359–361, 364 Marienbad/Mariánské Lázně 8, 224 f, 229 Mattersburg 46 Mauthausen 335 Meran 66 Mies/Stříbro 224 Mislitz/Miroslav 123 Mistelbach 328 Mödling 282 Moskau 421 Mühlviertel 367, 382, 384 f
467 Niederösterreich 18, 34, 46, 117, 129 f, 138, 163, 171, 177, 185, 190, 196, 210, 248, 254, 282, 315, 317 f, 337 f, 343, 384 Nikolsburg/Mikulov 121, 234, 240 Nordamerika siehe Vereinigte Staaten von Amerika Nordböhmen 435 Nordtirol 130 f, 138, 386 Nürnberg 47
O Oberleuthensdorf/Horní Litvínov 427 Oberösterreich 98, 104 f, 113, 163, 195 f, 210, 248, 254, 368, 382, 384 f, 439 f, 442, 449 Oberschlesien 37, 228, 311 Obersteiermark 367, 385 Oberthemenau/Charvátská Nová Ves 327 f Ödenburg/Sopron 46, 57 Olmütz/Olomouc 39, 186, 188 f, 192, 195, 204, 211, 325 Österreich, Republik Österreich 37, 43, 48, 55, 63, 65, 124, 127, 139, 149 f, 174, 184, 204, 206, 226 f, 236, 246, 248, 271, 275, 279–281, 283 f, 301, 312, 317 f, 323–325, 331–333, 336, 341, 345, 365, 369, 374, 383, 401, 424 Österreich-Ungarn, österreichisch-ungarische Monarchie 15, 36 f, 42, 50, 52, 63, 82, 86, 88 f, 110, 127, 131, 134, 200, 226, 230, 246, 250, 252, 262, 279, 281, 312, 315, 317, 324, 327, 331, 350, 358, 397, 399, 405, 422 Österreich ob der Enns siehe Oberösterreich Österreich unter der Enns siehe Niederösterreich Ostrau-Karwiner/Ostrava-Karviná Revier 312
P Paris 65, 68, 132, 145, 226 f, 280, 338, 357 Passau 91, 229 Pforzheim 338 Polen, polnischer Staat 12, 17, 55, 165, 228, 296, 308, 341 Prachatitz/Prachatice 98, 104, 113, 303 Prag 8–10, 44, 47, 86, 103 f, 106, 112 f, 117, 124– 126, 137, 164, 194, 204, 225–228, 231, 234 f, 238, 269, 277, 286, 302 f, 311–313, 325, 328, 332, 339, 357 f, 400 f, 406, 426 f, 430, 436 Preßburg/Pozsony/Prešporok 46, 57, 348, 362
N Neu-Bistritz/Nová Bystřice 195 f, 210 Neuern/Nýrsko 86, 98, 111 Neutitschein/Nový Jičín 84, 94, 152, 234 Niederlande 333
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R Radkersburg 188, 233 Radmer 252 f
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Geographisches Register
Reichenberg/Liberec 9, 47, 151, 184, 194 f, 210, 225, 229, 231, 367, 436, 441, 448 Retz 174, 180 Ringelshain/Rynoltice 154 Rudoletz/Český Rudolec 86 Rumänien, rumänischer Staat 12, 165, 296, 308, 351 Rumburg/Rumburk 224 Rußland 62, 86 f, 94, 275, 301, 330, 341, 351 S Sachsen 47, 224, 229, 302 Salzburg 32, 91, 130, 163, 328, 381 f, 439 f, 442, 449 Sarajevo 200 Schlesien 151 f, 175, 189, 192, 204 Schluckenau/Šluknov 44, 204, 224, 339, 427 Schönberger/Šumperk Kreis 385 Schönbrunn 32, 252 Schönhengstergau, Schönhengster Gau/Hřebečsko 367, 385 Schweden 330 Schweiz 60, 65, 73, 85, 106, 122, 141–144, 156, 162, 175, 180, 248, 281, 300 f, 305, 328, 330–332, 336, 341, 365, 383, 400, 407, 417 f, 424 Selztal 298, 335 Shanghai 86 SHS-Staat siehe Jugoslav/wien Sibirien 340 f Simmering siehe Wien XI Slowenien 189 Slov/wakei 119, 230, 303 Spielfeld 188, 233 St-Germain 3, 63, 66, 227, 292, 325 f, 426 St. Michael 335 St. Pölten 195, 384 Steiermark 92, 132, 139, 150, 188, 231, 233, 298– 300, 302, 337, 367, 369, 385 Steinfeld 238 Steyr 155 Stockerau 370 Stockholm 119, 300, 333, 339 Strebersdorf 314 Südafrika 16 Südböhmen 86, 105, 195, 248, 254, 309, 368, 384, 427 Sudetenland, Sudetenländer 8 f, 22, 38, 47, 85, 91, 100 f, 111 f, 118, 121 f, 124–126, 130, 136, 151, 160, 193, 195 f, 202–204, 210 f, 216, 221, 223, 232, 236, 248, 273, 279, 336, 338, 340, 385, 407, 417, 426–428, 430, 435–437 Südmähren 9, 37, 85, 107 f, 113 f, 119–121, 124, 126, 136, 216, 223, 231, 233 f, 237, 239 f,
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242 f, 248, 254, 273, 303, 356, 384, 414, 429, 439, 441 südslav/wischer Staat siehe Jugoslav/wien Südtirol 62 f, 66, 85, 94, 218 f, 223, 236, 242, 325, 336, 356, 386 T Tannenberg/Jedlová 224 Tarvis/Tarvisio 131, 230 Tepl-Marienbad/Teplá-Mariánské Lázně 8 Teplitz/Teplice 48, 304, 426–428 Themenau/Poštorná 328, 338 Theresienstadt/Terezín 224 Tientsin/Tiānjīn 86 Tirol 2, 62 f, 66 f, 91, 130 f, 152, 202 f, 211, 219, 232, 236, 301, 340, 381–383, 439 f, 442, 444, 449 Toblach 335 Trautenau/Trutnov 215, 367 Trentino 63 Triest 208 Troppau/Opava 9, 47, 153, 160, 367, 426–428, 430, 436 f Tschechien siehe Tschechoslowakei Tschechischböhmen 9, 88 Tschechoslowakei, tschechische Republik, tschechischer Staat, tschechoslov/wakische Republik, tschechoslov/wakischer Staat 8 f, 12, 20, 34, 48, 60, 65 f, 68, 73, 76, 91, 105–107, 114, 119–121, 123, 125, 158, 161, 165, 167, 175, 180, 184, 190, 226 f, 229, 235, 277 f, 296, 308, 312 f, 326, 335, 351, 357 f, 378, 396, 400 f, 426, 428 f, 436, 451 Turkestan 340 U Ukraine, ukrainischer Staat 193, 208, 212, 296, 308, 341 Ulm 338 Ungarn, ungarischer Staat 12, 14, 17, 46, 68, 76, 87, 89, 99, 107, 114, 127, 132 f, 142, 145 f, 149 f, 158 f, 161, 165, 167, 175, 177, 180, 204, 227, 231, 271, 279–284, 287, 317 f, 331 f, 338, 345, 373, 401 Untersteiermark 132, 139, 230, 308 USA siehe Vereinigte Staaten von Amerika V Vereinigte Staaten von Amerika 17, 119, 231, 272, 323, 328, 340 f, 358, 444, 451 Versailles 444, 447, 450, 452 Villa Giusti 62, 230
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Geographisches Register Villach 189, 230, 298–301, 335 Vintschgau 386 Völkermarkt 298 Vorarlberg 3, 20, 62, 65, 106 f, 131, 142 f, 203, 340, 381 f, 402, 439 f, 442, 449 W Wagstadt/Bílovec 437 Warnsdorf/Varnsdorf 224 f, 304 Wartberg 335 Washington 357 Westschlesien 367, 382, 385 Westukraine 12, 165 Westungarn 39, 46, 57, 76, 99, 132, 139, 146, 167, 177, 323, 336 Wien 8, 10, 18, 22, 30 f, 37, 46 f, 57, 65, 68, 86 f, 91, 104, 107 f, 114, 117–119, 122–124, 126, 129, 138, 132 f, 144 f, 147, 152, 165, 169 f, 184 f, 195, 198, 202–204, 206, 211, 223, 225–229, 234, 236, 239 f, 243, 248, 252, 271, 297 f, 301 f, 306, 309, 311–313, 317–323, 326–328, 331 f, 335 f, 340 f, 345–349, 355– 357, 360, 362, 367, 370, 382–384, 394, 396, 398, 400–402, 427, 441, 445 Wien I (Innere Stadt) 1, 347 f, 362
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469 Wien II (Leopoldstadt) 383 Wien X (Favoriten) 383 Wien IX (Alsergrund) 1, 122 Wien XI (Simmering) 383 Wien XX (Brigittenau) 383 Wien XXI (Floridsdorf ) 383 Wiener Neustadt 384 Wienerwald 384 Wieselburg/Moson 46, 57 Wigstadtl/Vítkov 437 Winterberg/Vimperk 152 Wodnan-Čičenitz/Vodňany-Čičeniče 104 Wöllersdorf 238, 290 Wörth bei St. Pölten 141, 147 f, 157, 164 Y Yokohama 86 Z Zauchtel/Suchdol nad Odrou 234 Zlabings/Slavonice 86, 119–122 Znaim/Znojmo 37, 100, 112, 120 f, 123, 126, 161, 174, 180, 195 f, 210, 223, 234, 237, 239 f, 243 f, 272 f, 285, 370, 429
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Sachregister A Abgaben s. a. Steuern – allgemein 50 f Verbrauchsabgaben 194 – Vermögensabgabe 117 f, 136, 218 f Abgeordnete s. a. Nationalversammlung – deutsche in Böhmen (und Mähren) 104 f, 113, 190, 327, 445 f, 450 – von Deutsch-Tirol 232, 242, 383 – französische 330 – Freizügigkeit (Immunität) 183 f, 190, 337 – sudetenländische 445 – tschechische 234 f – Zahl 381 f Abgeordnetenhaus s. Parlament Abkommen (Übereinkommen, Vereinbarungen) s. a. Vertrag – allgemein 18, 105, 127, 197 f, 200, 253, 311, 330, 358 f, 384 – mit den k.k. und k.u.k. Behörden 33 – über die Liquidierungskommission 53, 58 – lokale (Kaplitz/Troppau) 427 f, 430, 445 – mit anderen Nationalstaaten der ÖsterreichischUngarischen Monarchie – – Kriegsgerichtshof/Einsetzung 286 – – Österreichisch-ungarische Bank 10 – – Sachgüter/Transport 90 – mit fremden Staaten 302, 308 – mit den liquidierenden Stellen der ÖsterreichischUngarischen Monarchie 128, 137 – der steirischen Landesregierung mit dem slowenischen Nationalrat 308 – mit der tschechoslowakischen Regierung – – Kohlewaggons 36, 43 – – provisorisches, betr. Südmähren und Böhmen 119, 439, 441 – – Truppentransport nach Deutschböhmen 228 – – der Landesvertretung des Sudetenlandes 437 Abrüstung s. Militär Akademie der Wissenschaften 347, 349, 362 Alkoholverbot 219 Allgemeiner deutscher Sprachverein 43 Alliierte s. Entente Alpenländer s. Land Amerikaner 109, 132, 230, 236, 329, 445 Amnestie (Begnadigungen, Gnadensachen, Strafnachsicht) 2, 99, 111, 185 f, 191, 208 f, 213,
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263, 269 f, 276 f, 327, 348, 362, 366, 386, 390, 440, 447, 452 Amt (Ämter, Stellen) s. a. Gerichtsbarkeit, Staatsamt – allgemein 36, 203, 227, 229, 315, 406, 427, 448 – amtliche Übernahmestelle 319 – Arbeitsvermittlung 27 – deutschböhmische Post- und Bahnämter 436 – Finanzamt 5, 169, 441, 448 – Grenzzollämter – – allgemein 20, 143, 156 – – auf der Nordwestbahnstrecke 162, 174, 180 – – Schweizer 143 – – in Znaim 161 – Hofwirtschaftsamt 170 – Landesbekleidungsstellen 14 – Liquidierungsstelle 331 – Oberstes Hofmarschallamt 246 f, 253 f – Presseamt 335, 337 – Sprachgebrauch 36, 43 – Staatssiegelamt 59, 75 – städtisches Übernahmsamt für Vieh und Fleisch in Wien 107 – Steueramt 153 – – in Kaplitz 104, 113 – Viehverwertungsstelle 319, 414 – Volksbekleidungsamt, niederösterreichisches 13– 17, 22, 161, 163, 176 f, 202, 245, 257 – Zentralstelle für Demobilisierung 17 Amtsgeheimnis 77 Amtsgewalt, Missbrauch 304 Anarchie 9, 428 Angelobung s. Gelöbnis Angestellte s. a. Anstalten, Ausschuß, Eisenbahn – allgemein 42, 102, 114, 142 – Arbeitslosenunterstützung s. Vollzugsanweisungen – Bühnenangestellte s. Vollzugsanweisungen Anleihe (Anlehen) s. a. Gesetze – der Gemeinde Wien 117, 129, 138, 185, 191 – Kriegsanleihe 12 – Staatsanleihe 10, 262 Anschluß – an Deutschland 54 f, 153, 325 f, 334, 340 – Deutsch-Südtirols an Italien 242, 356 – an Sachsen 302 – Südböhmens und Südmährens an Oberösterreich und Niederösterreich 384 f
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472 – tschechischer 231 – Westungarns an Deutschösterreich 46, 57, 146, 162, 177 Anstalten s. a. Gesetze – Hauptanstalt für Sachdemobilisierung s. Sach demobilisierung – – Erlassung eines Statutes 408, 440 – Kriegsgetreide-Verkehrsanstalt 225 – militärische Erziehungs- und Bildungsanstalten s. Schulen – Pensionsanstalt für Angestellte s. Vollzugsanweisungen Ärar s. a. Gesetze, Theater, Verwaltung – ärarische Kasse 193, 208 – hofärarisches Eigentum 32 f, 41 – Militärärar 317 – Vertretungsbefugnis 418, 435 Arbeiter s. a. Delegationen, Eisenbahn, Partei – allgemein 4, 26 f, 146 f, 276, 374, 376, 434 – Arbeiterorganisationen und Gewerkschaften 26 – landwirtschaftliche s. a. Vollzugsanweisungen 26 f, 30, 60 – Vertrauensleute der 30 „Arbeiter-Zeitung“ s. Zeitung Arbeiterfürsorge s. a. Vollzugsanweisungen 61, 72 Arbeitgeber 27, 60 Arbeitslose 25 f, 29, 40, 59, 61, 72, 102, 396 Arbeitslosigkeit 25, 40, 59, 61, 72, 202, 236, 249 Arbeitstag (Arbeitszeit) s. a. Gesetze 147, 157, 162, 167, 170, 178, 237 Arbeitsvermittlung s. Amt Archive s. a. Ministerium des Äußern 133, 250, 255 Armee s. Heer, Militär Aufstand 9, 396 Ausfuhr (Ausfuhrverbot) s. a. Gesetze 183, 185, 191, 248, 254, 296, 306, 365, 408, 413, 415, 418, 434, Ausland s. Land, Presse, Waren Ausländer 118 Ausschuß/Ausschüsse – allgemein (diverse) 11 f, 22, 54, 63, 70, 136, 178, 187, 191, 208, 212, 215, 219, 226, 272, 291, 306, 350, 352, 389 – kriegswirtschaftlicher Ausschuß des österreichischen Parlamentes 315 – Vollzugsausschuß 342, 353 – Wahlreformausschuß der Nationalversammlung 385 – Wehrausschuß, Klagenfurter 298 Auswärtiges Amt s. Staatsamt für Äußeres Autos 314 f Autonomie – allgemein 53 f, 67, 72 – nationale 154 – des Trentino 63
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Sachregister B Bahn s. Eisenbahn Bahngendarmerie s. Gesetze Banken – allgemein 52 – Banken- und Sparkassenkonzern (Anglo-österr. Bank, Wiener Bankverein, n.ö. Eskomptegesellschaft, Allgemeine Verkehrsbank, Union-Bank, Zentralbank der Deutschen Sparkassen, I. österr. Sparkassa, Zentralsparkasse der Gemeinde Wien) 13, 22 – deutschösterreichische Staatsnotenbank 35 – Österreichisch-ungarische Bank 10, 22, 52, 441, 448 Banknoten s. Währung Bankrott 14 Bauern (Landwirte) s. a. Delegationen – allgemein 14, 46, 91, 106 f, 414 – deutsche in Ungarn 177, 281 – Weinbauern in Südtirol 218 Bayern 313 Beamte (Bedienstete, Staatsbeamte, Staatsbedienstete) s. a. Gelöbnis, Kommissionen, Recht, Streik, Verhandlungen – allgemein 9, 44, 77, 79, 104, 108, 113, 124, 133, 188, 197–200, 210, 278, 293, 306, 356, 360, 394, 421 – Bahnbedienstete s. Eisenbahn – deutschböhmische 105 f, 193, 204, 211 – deutschösterreichische (deutsche) 69, 74, 104, 195, 199 f, 211, 289, 296 f, 308, 331, 360, 426 – – in Bosnien (und Jugoslawien) 198 – – in nichtdeutschen Gebieten 196 f, 199 – Finanz(wach)leute 65, 106 f – Gehalt (Bezüge) s. a. Vollzugsanweisungen 197, 204 – Gerichtsbeamte 437 – Militärbeamte s. Vollzugsanweisungen – Postbeamte s. Post – Südbahnbeamte s. Eisenbahn – tschechische 47 – ungarische 331 – Verbindungsbeamte 193, 202 f, 211 Beförderungsmittel 143, 156 Begnadigungen s. Amnestie Behörden s. a. Abkommen – allgemein 109, 145, 147, 153, 224 f, 451 – Finanzbehörden s. a. Gesetze – – allgemein 11, 203 – – in Prag 104, 113 – k.k. und k.u.k. Behörden 33, 133, 276 – Landes- oder Bezirksstellen 394 – liquidierende Stellen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 128, 137
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Sachregister – Minoritätenschutzdienst (Minderheitsschutzdienst, Propagandastelle) 193, 205 f, 212, 250 f, 339, 407, 417 f, 420 f, 432 – oberste s. a. Gesetze 365, 407, 417, 420 – politische 11 – Postbehörden an der schweizerischen Grenze 365, 434 – Steuerbehörden 260, 266 – Wahlbehörden 370 f, 378, 388, 391, 403, 407, 417–419, 431 f Beiräte – landwirtschaftliche 27, 60 – Kunstbeirat 444, 450 Bekleidung s. a. Vollzugsanweisungen, Waren 15, 291, 391, 394, 396 f, 403, 408, 409 f, 415 Benzin 170 Bergdirektion, staatliche (Brüx) 357 Besatzungen (Besetzung, Okkupation) – allgemein 109, 177, 188, 230, 445 f, 450 – der böhmischen Nordbahnstrecke 225 – Deutschböhmen, Deutschsüdmähren und der Sudetenländer, diverse Orte 119 f, 123 f, 224, 230 f, 234, 239, 273, 302 f, 338, 357, 427, 439, 441, 444 f, 448, 451 – der Eisenbahndirektion Teplitz 427 – der Eisenbahnknotenpunkte Brüx, Oberleuthensdorf, Böhmisch-Leipa 427, 435 – durch Ententetruppen 301 – Innsbrucks/Nordtirols 130 f, 138, 444 – Kärntens 298, 308 – der Slowakei 230 – Südtirols 356 – tschechische 241, 244, 303, 445 – der Untersteiermark (Marburg, Spielfeld) 139, 195, 233, 308, 359 – Wiens, angebliche 328, 335 Betriebe s. a. Eisenbahn, Fabriken 4, 146, 157, 197, 270, 371, 433 Bevölkerung – allgemein 4, 20, 83, 88, 119, 121, 123–127, 130 f, 138, 225, 233–235, 238, 242, 285, 299, 326, 360, 382, 394, 451 – arme 391, 396 f, 403 – in den deutschböhmischen Gebieten 219, 427, 430 – deutsche 32, 177, 204, 211 – Ernährung und Versorgung 281–283, 318, 395, 397, 399, 408 f, 414, 436 – slowenische Landbevölkerung 234 – der Sudetenländer 216, 221, 224, 428 – Wiener 320 f – Zivilbevölkerung 382, 389 Bevölkerungszahl 350, 367 Bevollmächtigte – der bosnisch-herzegovinischen Landesregierung 133 f, 140
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473 – der deutschösterreichischen Wehrmacht 240, 243 – der Entente in Bern 322 – Militärbevollmächtigte 59, 63, 67, 73 – für Laibach 332 – Oberösterreichs 105 – in der Schweiz 85 – des Staatsrates 360 – Vorarlbergs 62 Bewirtschaftung 17, 159, 280, 315 Bezirke s. a. Gerichte, Kommissionen – allgemein 60, 88, 153, 310, 367, 370, 448 – deutsche Bezirke 120, 231 – Kaplitz 106 – Wahlbezirke 121, 153, 234, 369 f, 381 Bezirkshauptmann 104, 113, 153, 310 Bezirkshauptmannschaften – allgemein 278, 370 – Bergreichenstein/Neuern 98, 111 – Kaplitz 86, 103, 104, 112 Bezirksordnung s. Gesetze Bezugsschein (Kleiderkarte) 15, 201, 202, 415 Biersteuer s. Gesetze, Steuern Bolschewismus 275 Branntweinsteuer s. Gesetze, Steuern Briefgeheimnis s. Post Budget s. a. Gesetze 7, 21, 50 f, 58 f, 89, 93, 141, 145, 156, 179, 261, 318, 321, 345 Bundesgesetz s. Gesetze Bürger (Bourgeoisie) 115, 153, 271, 303, 374, 384 Bürgerkrieg 123 f, 189 Bürgerliche s. Parteien Bürgermeister 310, 370 Burg Kreuzenstein 111, 161, 162, 176 Burgwache 207 Bürokratie s. Verwaltung C Chemische Produkte s. Vollzugsanweisungen Christlich-sozial s. Parteien D Delegationen (Deputation/en) – allgemein 57, 171 – der Industriellen und Arbeiter 4 – von Postlern 360 – südmährische Bauerndeputation 409 – der westungarischen deutschen Bauernschaft 177 – zur Durchführung der Sachdemobilisierung 161 Demarkationslinie 299 f Demobilisierung s. Militär
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474 Demobilisierungsware (Güter) 14, 17, 164, 326, 391, 399 f, 405 Demokratie 243, 273, 342, 451 Demokratisierung 54 Denkmalschutz s. Gesetze Departement (Abteilung) s. a. Ministerium, Staatskanzlei – legislatives (legislative Abteilung) 168 f – Pressedepartement 335, 338 f – staatsrechtliches 53, 392 – Verfassungs-Departement 187 Deutsche (Deutschtum) s. a. Abgeordnete, Bauern, Bevölkerung – allgemein 36, 43, 153, 243, 313, 334, 351, 353, 377, 435, 437 – Auslandsdeutsche 153 – in Böhmen 108, 378, 451 – Bukowinaer 278 – Iglauer 153 f – Mährens 108, 363 – Muttersprache, deutsche 350 – Schlesiens 108 – des Sudetenlandes s. a. Schutz 121, 124, 195, 223 f, 232, 279 – in Ungarn 133 – in Untersteiermark 132, 139, 230 – Westungarns 46, 57, 139, 146, 177 Deutschösterreicher 89, 108 f, 174, 337 Devisen 16 Dienst s. a. Gesetze, Vollzugsanweisungen 11, 99, 103, 113, 196 f, 199 f, 252, 291, 349, 392 Dienstanweisung s. a. Gesetze 13, 197, 407, 417, 420 Diktatur 274, 376 Diplomatische Beziehungen – Italiener-Jugoslawen 360 – mit Dänemark 330, 333 – mit Deutschland 330, 332, 334 – mit Jugoslawien 332 f, 355 – mit Schweden 330, 333 – mit der Schweiz 85, 328, 330 f – mit der Tschechoslowakei 3, 62, 86, 105, 117, 124 f, 164 f, 226 f, 234, 327, 332, 337, 355, 400, 405 – mit Ungarn 133, 139, 146, 149, 161, 167, 177, 282, 332 Diplomatische Vertretung/Vertreter – Botschafter, deutscher 304, 329 – Deutschösterreichs – – Diplomatisches Personal, altes 331, 333 – Gesandte s. a. Konferenzen – – allgemein 18, 55, 125, 142 – – des näheren Auslandes 393 – – in Den Haag 333 – – beim Hl. Stuhl 333 Direktorium s. Liquidierung/Liquidierungsdirektorium, Staatsratsdirektorium
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Sachregister Disziplinaruntersuchung 301 Düngemittel s. Vollzugsanweisungen E Eidesleistung s. Gelöbnis Eigentum s. a. Ärar – allgemein 12, 25, 35, 42, 134, 231, 253, 299, 324, 394–399, 405 – der k.u.k. Heeresverwaltung 280, 399, 405 f Einfuhr s. a. Verhandlungen – allgemein 17 – von Lebensmitteln – – aus der Schweiz 60, 65, 73, 142 f – – aus der tschechischen Republik 60, 451 – – aus Westungarn 68, 76, 99 Eisenbahn s. a. Besatzung/Besetzung, Kohle, Verhandlungen – allgemein 34, 107,131, 153, 198, 231, 233, 238, 311, 313 f, 316, 324 f, 328, 335, 435 f – ausländische 238 – Aussig-Teplitzer 25 – Bahnhof- und Wachtdienst 275 – Buschtěhrader Eisenbahn 48 – Eger 238 – Eisenbahnbedienstete (Staatsbahnangestellte) s. a. Streik – – allgemein 42, 153, 347, 361, 364, 436 – – in Böhmisch-Leipa 427 – – deutsche 200, 233, 359 f – – Eisenbahnerorganisation 197, 361 – – Südbahnbeamte 360 – Eisenbahndirektion Teplitz 427 – Internationalisierung 324 – Nordbahn, böhmische 304, 325 – Nordwestbahn s. a. Amt – Staatseisenbahn-Gesellschaft 325 – Südbahn 90, 324 f, 360 f Eisenbahnressort s. Staatsamt für Verkehrswesen Engländer 230, 236, 329, 445 Entente s. a. Heer, Presse, Staaten – allgemein 16, 85, 88, 94, 109, 121 f, 124, 127, 132, 139, 142, 224, 230 f, 233–235, 239, 281 f, 301, 303 f, 326, 328–330, 334, 341, 355, 385, 395, 400, 444–446, 450 – Bevollmächtigte in Bern 322 – Kriegsrat, interalliierter 444, 450 – Rat (der Alliierten) 451 – Vertreter 223, 238, 243, 300, 405 Erlass (Erlässe) 47, 51, 156, 198, 424, 435 Ermächtigungsgesetz s. Gesetze Ernährung s. a. Bevölkerung – allgemein 14, 66, 88, 95, 224 f, 271, 282, 305, 355, 358, 436 – Ernährungshilfe (Amerikas) 271 – Verpflegung(sfrage) 291, 322, 360
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Sachregister
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Ernährungsamt s. Staatsamt für Volksernährung Ernennungsrecht s. Recht Erwerb(s)steuer s. Steuern Exekutive 51, 188, 199 F Fabriken/Fabrikanten s. a. Gesetze – allgemein 4, 14, 16 f, 102, 107, 315 – deutsche 152 – Seifenfabrik Schicht in Aussig 154 Familien s. a. Fonds 271 Fett 282 Fideikommiß s. a. Fonds 176, 246, 252–254, 348 Finanzamt s. Amt, Staatsamt für Finanzen Finanzen s. a. Kommissionen, Staatsamt für Finanzen, Verwaltung 7, 48, 17, 65, 83, 89, 99, 106 f, 239, 249, 261, 320, 343, 395, 426, 444 Finanzlandesdirektion s. Behörden/Finanzbehörden Finanzminister s. Minister Finanzministerium s. Ministerium, Staatsamt Finanzprokuraturen 297, 418, 424, 435 Firma – allgemein 316 – „Ungarische Forstindustrie“ 157 Flachs s. a. Verordnung 313 Fleisch s. Lebensmittel, Preise Flüchtlinge 163, 360 Flüchtlingsfürsorge s. Vollzugsanweisungen Fonds s. a. Gesetze – Dispositionsfonds 339 – Fideikommißfond 252 – Liquidationsfonds 36 – Pensionsfonds 127 – kaiserliche Privat- und Familienfonds 253 „Frankfurter Zeitung“ s. Zeitung Franzosen s. a. Parlament 230 f, 324, 328, 445 f Frauenwahlrecht s. Wahlen Frieden s. a. Konferenzen, Verhandlungen – allgemein 146, 157, 196 f, 321, 324, 326, 328, 451 – mit Ungarn 167 Front – allgemein 108, 317, 373 – italienische 229 – Westfront 123, 298 Fürsorge s. Vollzugsanweisungen Futter(mittel) 90, 91, 92 G Galizianer 118 Garantie (Staatsgarantie) 13–16, 199, 316, 320, 339 Gas und Elektrizität (Strom) s. a. Vollzugsanweisungen 270, 306, 309 f
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Gebiet(e) s. a. Bevölkerung, Gesetze, Vollzugsanweisungen – Abgrenzung 189, 192, 273, 359, 406 – bayerisches 229 – deutsche s. a. Militärpersonen – – Böhmens 98, 216, 385, 427, 439, 441 – – Kärntens 298 – – der Sudetenländer 124, 236, 428 – – in Südmähren 108, 216, 231, 243 – – Südtirol 356 – – Tschechien 313 – – in Untersteiermark 308 – – Westungarns 46, 57, 157, 177 – des Deutschen Reiches 334 – Einschlußgebiete 188 f, 192, 363, 367 f – Feindgebiet 107 – fremde 36, 324 – Galiziens 280 – Gebietshoheit 152 f – Gemeindegebiet (Wiens) 310 – Grenzgebiete – – allgemein 218 – – Sprachgrenzgebiete 238 – internationales Gebiet von Mährisch-Ostrau 359, 363 – jugoslawisches 280, 347 – Minderheitsgebiete 206 – der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 37, 42, 52, 250, 262, 281, 397, 399, 405 – polnisches 313 – Siedlungsgebiet(e) – – deutsche 46, 57 – – nichtdeutsche 30, 40 – slowenisches in Kärnten 382, 389 – Staatsgebiet – – deutschösterreichisches 50, 122, 136, 152 f, 195, 211, 229, 232 f, 247, 303 – – Länder, Kreise und Gaue, Beitrittserklärung 98, 109, 111 – Zollgebiet, deutsches 326 Gebühren s. a. Vollzugsanweisungen 23, 126 f, 179, 291, 310, 343, 346, 408, 411, 415 Gefangene (Kriegsgefangene) – allgemein 248, 328, 340 f, 355 f – in Russland 87, 341 Gehalt (Bezüge) s. a. Beamte, Gesetze, Militär 47, 89, 185 Geld – allgemein 4, 9, 10, 14, 17 f, 104, 106, 107, 113, 124, 142 f, 156, 200, 235, 241, 319, 337, 340, 394 – Geldersatzzeichen s. a. Vollzugsanweisungen 141, 144, 156 Gelöbnis (Angelobung, Eid) – allgemein 195, 295 – der Beamten 297, 308
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476 – – für den deutschösterreichischen Staat 103 f, 108, 113–115, 134, 140, 204, 211, 378, 428, 436 – Kaplitzer Bezirkshauptmannschaft für den deutschösterreichischen Staat 103, 112 – der Postbeamten auf den tschechoslowakischen Staat (Slip) 105, 106, 114 – Widerruf 193, 437 Gemeinden s. a. Kommissionen – allgemein 34, 41, 46, 53 f, 60, 101 f, 111, 119, 121, 231, 237, 241, 244, 270 f, 285, 305, 368, 370, 378 f, 388, 436 f – Wien 107 f, 114, 117, 129, 138, 185, 190, 270, 285, 311, 319, 422, 433 Gemeindeordnung s. Gesetze Gemeindevertretungen s. Vollzugsanweisungen Gemüse (südmährisches, tschechisches und ungarisches) 107, 114 Gendarmerie (Gendarmen) s. a. Gesetze – Burggendarmerie 207 – des deutschösterreichischen Staates 183, 190 – Organisation der 31, 183 f, 227 – tschechische 104, 113 Genehmigung – allgemein 294, 437 – kaiserliche s. a. Sanktion 253, 353 – des Staatsrates 3, 20, 62, 69, 74, 168, 170, 178, 190, 193, 199, 204–206, 212, 218 f, 254, 337, 366, 387, 442 Generalkommissariat für Übergangswirtschaft 166 Genossenschaft 202 Gerichte (Gerichtshof ) s. a. Beamte – Berggericht 195 – Bezirksgerichte – – 195 f, 210, 436 f – – in Gießhübl/Gradlitz 195, 210 – – in Troppau 430, 436 f – Gerichtseinteilung s. Vollzugsanweisungen – Haager Schiedsgericht 396 – Kreisgerichte 195 f, 210, 437 – Kriegsgericht(shof ) 286, 356 – Landesgerichtsrat 105, 113 – in Marburg 195 – Oberlandesgericht in Reichenberg 194 f, 210 – Oberster Gerichtshof 186, 366, 390 – Reichsgericht 246, 254 – Verwaltungsgerichtshof 305 – Zivilgericht(e) 276 Gerichtsbarkeit 195, 246 f Gerichtsverfassung s. Gesetze Gesandte s. Diplomatische Vertretung, Konferenzen Geschäftsordnung s. Staatsrat, Nationalversammlung Gesetze s. a. Verordnungen, Vollzugsanweisungen – allgemein 12, 28, 36, 43, 51, 114, 124, 152 f, 222, 224, 277, 279, 291, 293, 307, 350–353
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Sachregister – Ansprüche gegen das k.k. und k.u.k. Ärar, StGBl. Nr. 131/1918 424, 434 – Bahngendarmerie 347, 407 – oberste Behörden des Staates 418, 420, 432, 439 f – Beurkundung 342, 407, 413, 425, 435 – Biersteuer, StGBl. Nr. 112/1919 83, 94, 215, 218, 221 – Branntweinsteuer, StGBl. Nr. 134/1919 218, 221 – Budgetprovisorium 7, 21 – Ermächtigungsgesetz, kriegswirtschaftliches, RGBl. Nr. 307/1917 34, 41, 313 f, 344 – Ehegesetz 45 – Einleitung(sformel) 2, 5, 20 – Einrichtungen der Staatsgewalt, StGBl. Nr. 139/1918 392, 403, 439 – Gegenstände von geschichtlicher, künstlerischer oder kultureller Bedeutung, Ausfuhrverbot, StGBl. Nr. 90/1918 183, 191, 248, 254, 296, 306, 413, 415 – Gendarmerie, StGBl. Nr. 75/1918 161, 183 – Gewalt, richterliche, StGBl. Nr. 38/1918 185 f, 190 – Fabriksmäßige Gewerbeunternehmungen, Achtstündiger Arbeitstag, StGBl. 138/1918 162, 167, 170, 178 – Finanzverwaltung, Änderungen in der Organisation, StGBl. Nr. 135/1918 408, 415 – Gesetze und Verordnungen, Kundmachung durch das Staatsgesetzblatt, StGBl. Nr. 7/1918 342 – Gewerbe- bzw. Handelskammern, StGBl. Nr. 133/1918 408, 410 – Grundgesetze (Staatsgrundgesetze) – – zur Ausübung der Regierungs- und Vollzugsgewalt, StGBl. Nr. 1/1918 26, 44 – – Soldaten, Rechte und Pflichten 237, 269, 289–291, 307, 346 – – Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich, StGBl. Nr. 5/1918 139 – – Volksheer, Grundgesetz 237, 269, 273, 289 f, 292 f, 304, 307, 346 – Handlungsgehilfengesetz, RGBl. Nr. 20/1910 103 – Heimarbeitergesetz, StGBl. Nr. 140/1918 103 – Jugendliche, Schutz 103 – Kinderarbeit, StGBl. Nr. 141/1918 103, 193, 215–217, 221 – Krankenversicherungsgesetz, RGBl. Nr. 33/1888 103 – Kriegsartikel 21 – Kriegsleistungsgesetz, RGBl. Nr. 236/1912 59, 95, 101 – Landes-, Kreis-, Bezirks- und Gemeindeordnung 305
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Sachregister – Lehrpersonen – – Anschaffungsbeiträge, StGBl. Nr. 39/1919 440, 449 – – Teuerungszulagen, StGBl. Nr. 40/1919 440, 443, 450 – Mantelgesetz 385 – Militär-Strafgesetz, Abänderungen 408 – Mineralwassersteuer, StGBl. Nr. 154/119 218, 221 – über Minderheitsschulen 206 – Motivenbericht der Staatsratsvorlagen 366 – Nachtarbeit 103 – konstituierende Nationalversammlung, StGBl. Nr. 114/1918 366, 389 – Reinhaltung 36, 43 – Richter – – Pensionierung 185, 190 – – Unabhängigkeit der 38, 44 – Schaumweinsteuer 215, 218, 221 – Staatsbürgerrecht, deutschösterreichisches, StGBl. Nr. 91/1918 (Staatsbürgerschaftsgesetz) 38, 44, 342, 346, 349, 408, 413, 415 – – Reassumierung 353, 363 – Staatsgebiet von Deutschösterreich, StGBl. Nr. 40/1918 und Nr. 41/1918 38, 44, 83, 109, 152– 154, 172, 188, 210, 343, 351 – Staatsgewalt in den Ländern, Übernahme, StGBl. Nr. 24/1918 63, 99, 111, 178 – Staatshaushalt, 1. November 1918 bis 30. Juni 1919 50, 58, 93 – Staatssekretäre, Verantwortlichkeit 439, 442 – Staatsorgane, Dienstbezüge, StGBl. Nr. 42/1918 185 – Staatsschuld Deutschösterreichs, Kontrolle S tGBl. Nr. 88/1918 93, 306, 408, 413, 415 – Steuern, direkte, Einhebung, StGBl. Nr. 121/ 1918 257, 265 – Strafgesetznovelle, StGBl. Nr. 92/ 1918 245, 413, 417, 425 – Strafrechtspflege, Vereinfachung, StGBl. Nr. 93/ 1918 (Strafprozessnovelle) 223, 242, 408, 413, 415 – Stiftungs-, Pupillar und ähnliche Kapitalien – – Teilschuldverschreibungen der Gemeinde Wien, StGBl. Nr. 37/1918 117, 185, 191 – – Teilschuldverschreibungen der Salzburger Landesversammlung, StGBl. Nr. 36/1918 170, 185, 191 – Unterhaltsbeitrag, RGBl. Nr. 313/1917 261 f, 266 – Vereins- und Versammlungsgesetz 291 – unentgeltliche Vermögensübertragungen 179 – Gesetz über die Wahlordnung – – allgemein 64, 154, 191, 232, 361, 366, 368, 377, 380, 385, 387, 389, 431 – – reichsdeutsches 334
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477 – Wahlreformvorlage 264, 354, 365 f – gemeinschaftliche Waisenkassen, StGBl. Nr. 136/ 1918 348, 364 – Wehrgesetz 117, 128, 137 – Weinsteuer, StGBl. Nr. 125/1919 215, 218 f, 221 – Zinsgründe in Deutschböhmen 408, 413, 415, 417, 425 Gesetzbuch, bürgerliches 252, 372 Gesetzgebung 349 f, 392 Getreide s. Lebensmittel Gewalt 124, 153, 169, 227, 231, 233 f, 238, 243, 276, 302, 321, 328, 437, 451 Gewerbe (Handel und Gewerbe) s. a. Kammern, Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel 147, 154, 157, 160, 396 Gewerkschaften 26 Gnadengesuche s. Amnestie Gold – Verschleppung/Schweiz 107, 141, 143, 156, 162, 175, 180 – Verschleppung/Tschechoslowakei 161 Grenzen s. a. Gebiet(e) – allgemein 106, 167, 185, 190, 303, 323, 330, 343, 376, 383 – deutschböhmische 323 – des Deutschen Reiches 334 – Deutsch-Südtiroler 323 – schweizerische 114, 141, 365, 434 Grenzwache 106 f Grenzzollämter s. Amt Grund- und Realitätenverkäufe 26, 161 f, 174, 180 Grundgesetze s. Gesetze Güter s. a. Ärar – mit Beschlag belegte 315 – im Eigentum des k.u.k Heeres, der k.k. Landwehr, des k.k. Landsturmes 399, 405 f – der Flüchtlingsfürsorge s. a. Vollzugsanweisungen 417 f, 422, 434 – öffentliche, Schutz vor Plünderungen 4 H Haager Schiedsgericht 396 Haager Konferenz 350, 355 Handel s. a. Kammern, Staatsamt/Staatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel – allgemein 18, 102, 165, 185 – freier/privater 14–16, 142, 202, 394 – Schleichhandel 17, 271 Handelsministerium s. Ministerium Handelsschiffe 110, 115 Handlungsgehilfengesetz s. Gesetze, Vollzugsanweisungen Hauptanstalt für Sachdemobilisierung s. Sachdemobilisierung
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Sachregister
Hauptstelle für Volksbekleidung s. Amt Heer (Armeen, bewaffnete Macht, Truppen, Wehrmacht) s. a. Abkommen, Besatzung/Besetzung, Eigentum, Güter, Militär, Staatsamt – allgemein 18, 22, 31, 44, 88, 91, 120-124, 228, 231–233, 235–238, 240, 243, 272–274, 284 f, 287, 291–293, 301, 303 f, 318, 338, 345, 369, 394 f, 429 f, 445 – amerikanisches 230, 301, 451 – Armeeoberkommando 356 – – italienisches 62 – Aufstellung – – in Znaim 223, 239 f, 244, 285 – – in Deutschböhmen 228 f, 303, 340 – deutsches 88, 229 – Ententearmeen (Truppen) 230 f, 303, 359, 394, 439, 441, 444–446, 450 – französische 330, 451 f – feindliche 84 – Gefangennahme 84 f, 356, 358 – Heereskommission s. Kommission – Heeresverwaltung 15, 21, 17, 102, 161, 171, 179, 280 – italienische 84, 94, 120, 130, 132, 138 f, 230, 360, 446, 451 f – österreichisch-ungarisches (k.k.) 94, 127 f, 137, 236, 261 f, 266, 399, 405 f – serbische 234 – slawische 359 – slowenische 132 – Sprachgebrauch 36, 43 – tschechische 120, 223, 225, 227, 229–231, 233 f, 239, 243, 273, 303, 335, 444, 446, 448, 451 – Volksheer, deutschösterreichisches 237, 269, 273, 289 f, 293, 304, 307, 346 – Wehrpflicht (Wehrdienst) 293, 369 Heimarbeit s. Gesetze Herrenhaus s. Parlament Hochschulen (Universitäten Czernowitz/Brünn/ Prag) 63, 269, 277 f, 286 Hochverrat 276, 295 Hof s. a. Amt, Ärar, Gesetze, Museum, Theater – Hofburg 32, 193, 204, 212 – Hofreviere 449 – Oberstes Hofmarschallamt 247 Holzlager (Altmannsdorf/Wörth) 141, 147 f, 157 Hunger 124, 451 I Industrielle Bezirkskommissionen s. Vollzugsanweisungen Industrien (Industrielle) s. a. Delegationen, Kommissionen, Produktion, Verhandlungen – allgemein 4, 14 f, 153 f, 160, 165, 396, 448 – Papierindustrielle 141, 151, 159
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Initiativantrag 272, 351 Invalide s. Krieg/Kriegsopfer Italiener 63, 130–132, 138, 230, 298, 300, 329 f, 335, 360, 445 f
J Journalisten – allgemein 48, 337–339, 351 – ausländische 301, 336 Juden s. a. Staatsbürger 337, 339, 351–353 Jugendliche s. Gesetze Justiz s. a. Kommissionen, Staatsamt für Justiz 186, 428
K Kabinett – allgemein 165, 200 – deutsches 334 Kabinettsrat 8, 67 f, 76, 167 f, 171, 179, 210, 249, 261, 282, 337 Kaiser s. Monarchie Kammern s. a. Parlament – Gewerbekammern s. Gesetze – Handelskammern s. a. Gesetze – – in Brünn 125 – – Handelskammersekretär 228 – – Reichenberger 441 – – Wiener 407 Kanzler s. Staatskanzler Kapital (Stiftungs-/Pupillarkapitalien, Kapitalien, Kapitalbesitz) s. a. Gesetze 117, 185, 191, 218, 252 Kartoffeln s. Lebensmittel Kassen s. a. Ärar, Gesetze Kinderarbeit s. Gesetze Klassen – Arbeiterklasse (Proletariat) 26, 235, 274, 377 – bemittelte 319 Koalition 187, 274, 339, 375 f Kohle s. a. Abkommen – allgemein 14, 228, 270, 303, 313, 396, 400 – Braunkohle 303, 313 – Kohlenlieferungen 25, 36, 43, 313 – Kohlenversorgung 312, 364, 427, 436 – Kohlenzüge 311, 355 – Oberschlesische/Ostrauer 228, 311–313 – Westphäler Kohle 313 Komitate, westungarische (deutsch-ungarische) s. Anschluß, Gebiete, Lebensmittel Kommissionen (Komitees) s. a. Krieg – Abgrenzungskommission 186, 205
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Sachregister – allgemein 28–30, 40, 49, 54, 60, 85, 89, 102, 147, 155, 160, 164, 194, 199 f, 205, 211, 246, 278, 285 f, 337, 352, 358 f, 370, 393, 395 f, 405, 444 – Bezirkskommission, industrielle s. a. Vollzugsanweisungen 100, 112, 439 f, 442, 449 – Denkmalkomitee 250 – Exekutivkommitee des Nationalrates 167 – Gemeindekommission 305 – Gesetzgebungskommission 350 – Geschäftsstelle zur Regelung der Staatsbedienstetenfrage (zwischenstaatsamtliches Komitee) 197 – Industriekommission 4 – Justizkommission 2, 138, 186, 191, 208, 213, 242, 269 f, 348, 362, 424, 435 – Liquidierungskommissionen 394, 398, 412 – Kommissionen aus Unternehmern und Arbeitern 147 – Kontrollkommission, englisch-amerikanische 236 – Kriegsgefangenenkommission, sowjetische 87, 94 – Staatsratskommission – – allgemein 77 f, 193, 208, 212, 263 f, 267, 269, 272, 274 – – für Äußeres/für Inneres 78, 208 – – Finanzkommission 5, 6, 7, 21, 35, 41 f, 50, 52, 58–60, 74, 78, 83, 97, 118, 136, 169, 173, 178, 217, 219, 221, 241, 244, 265, 443, 450 – – Heereskommission (Dreier Komitee) 31 f, 78, 89, 95 f, 117, 126, 128, 137 f, 273–275, 286, 307, 341, 346 – – volkswirtschaftliche 49, 50, 58, 78 – Staatsschuldenkontrollkommission s. a. Gesetze/ Staatsschuld 5, 6, 52 f, 58 f, 82 f, 93 – statistische Zentralkommission 186, 323 – Untersuchungskommission – – dreigliedrige 304 – – Fideikommiß 247 f, 254 – Verfassungskommission (-komitee) 183, 392 f, 403, 408, 411, 414, 419 f, 431 f, 439 f, 442 – Verwaltungskommission 53 f, 58, 138, 192, 420, 432 – Wahlreformkommission 187, 193, 208, 212, 223, 232, 242, 263 f, 267, 347, 367–371, 376– 381, 384 – Zivilkommissär für Innsbruck 131 Kommunisten s. Parteien Kompensationen – allgemein 14, 16, 17, 141, 154, 159, 202, 280, 282, 284, 287, 398 f – galizische/südslawische 159 – Lebensmittel gegen Zeitungsdruckpapier 141, 150, 159 – tschechoslowakische 3, 62, 398 – ungarische 68, 76, 280 Kompetenzen (Befugnisse) 8, 26, 165, 186, 324, 337
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479 Konferenzen (Kongresse) – allgemein 198, 232, 242, 281, 330, 396 – Friedenskonferenz (Friedenskongreß, Konferenz der Ententemächte) 108 f, 119, 152, 177, 235, 297, 304, 308, 323 f, 328, 360, 439, 441, 445 – Gesandtenkonferenz 164 f, 283, 326, 337, 393– 395, 397, 405, 412 – Haager Konferenz 350, 355 – Länderkonferenz (Landeshauptleute, Landesregierungen) 67, 151, 193, 202 f, 211 – Obmännerkonferenz 270, 285, 306, 355, 358 Konsum (Konsumenten) – allgemein 14, 219, 280 – Kriegszuschlag 309, 317 f, 320 f, 345 Konvertierung s. Vollzugsanweisungen Körperschaften 166, 239, 372, 448 Krankenversicherung s. Gesetze 68 Kredite (Kreditgebarung) 5, 13–17, 21 f, 61, 72, 432 Kreis s. a. Gebiet(e), Gerichte, Verfassung – deutschböhmischer 254 – südböhmischer 104 f, 113 – südmährischer 105, 107 f, 113 f, 126, 136, 239, 243, 248, 254 Kreisordnung s. Gesetze Krieg (Weltkrieg) s. a. Anleihe, Anstalten, Entente, Gefangene, Gesetze – Kriegserklärung 121, 123, 145, 233, 293, 304 – Kriegsgefangenenkommission, sowjetische 87, 94 – Kriegskasse, Liquidierung 361 – Kriegsopfer (-gefangenenlager) 163, 340, 382 – Kriegsrecht 324 – Kriegszentralen (-wirtschaft, -material) 7, 14, 16–18, 49, 305, 328, 395 – Kriegszuschläge s. Konsum Kriegsamt s. Staatsamt f. Heereswesen Kriegsministerium s. Ministerium Krone s. Monarchie, Währung Krongüter s. Ärar Kündigung s. Gesetze, Recht Kunst s. a. Museum, Vollzugsanweisungen – Kunstpflege, staatliche 450 – Veräußerung 3, 183, 185, 191, 248, 254, 296, 306, 408, 413, 415 Kunstamt s. Staatsamt für Unterricht Kurie 247 Kuriere 142 f, 203, 331
L Ladiner 278 Land (Ländergruppen) s. a. Abkommen, Behörden, Gebiet(e), Konferenzen, Monarchie, Regierungen, Verfassung, Verwaltung
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480 – allgemein 9, 14, 35, 42, 65–67, 98, 101, 111, 164 f, 168, 200, 202 f, 228, 230, 237, 239, 293, 299, 301, 305, 315, 338, 368, 381–383, 385, 389, 445, 448, 451 – Ausland 19 f, 74, 77, 85, 118, 202, 231, 236, 251, 324, 331, 337, 351, 393 – Ententeländer s. Staaten – neutrale 322, 337 – skandinavische Länder 330, 333 – Sudetenländer 121 f, 223, 232, 279, 407, 417, 426 f, 435 f Landesbekleidungsstellen s. Amt Landeshauptmann (Landespräsidenten) s. a. Konferenzen – allgemein 67, 150–152, 168, 178 – von (Deutsch)Böhmen 203, 223, 229, 428 – von Oberösterreich 105 – des Sudetenlandes (Landesverweser) 195, 203, 234, 427, 430, 435 f, 439 Landesordnung s. Gesetze/Rahmengesetz Landesversammlungen (Landesrat, Landtag) s. a. Gesetze, Wahlen – allgemein 62, 231, 305 – des Landes Niederösterreich 117, 138, 185, 190 – Salzburger Landesversammlung 170, 178, 185, 191 – steirische 302, 308 Landwirte s. Bauern Landwirtschaft s. a. Arbeiter, Staatsamt/Staatssekretär für Landwirtschaft, Vollzugsanweisungen 30, 40, 60, 92, 107, 165 Lebensmittel (Nahrungsmittel) s. a. Einfuhr, Preise – allgemein 15, 46, 90, 142 f, 150, 158 f, 177, 225, 238, 271, 319 f, 336 – Fleisch 281 f, 309, 317 f, 319, 321 f, 345 – Getreide 65, 73, 143 – Kartoffeln 3, 20, 62, 282, 318 – Kraut/Rüben 107, 121 – Lebensmittellieferungen (aus diversen Staaten) 14, 46, 57, 65, 68, 76, 99, 143, 145, 158, 167, 177, 228, 299 – Mehl 65, 143, 225, 282 – Milch 225 – Zucker 65, 73, 121, 236, 318 Leder 14, 316 Legionen (Legionäre), tschechoslowakische 122, 328, 445 Lehranstalten s. Schulen Lehrer s. a. Gesetze – allgemein 104, 113, 148, 158, 293, 338, 439 f, 443, 449 f – deutsche 327 f Lichtspieltheater s. Vollzugsanweisungen Liegenschaften s. a. Vollzugsanweisungen 97, 101 f, 112
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Sachregister Liquidation s. a. Amt, Fonds, Krieg, Regierung 4, 18, 60, 69, 74, 127, 140, 337, 361, 394, 430 – Liquidator (Liquidierungskommissär) 133, 391, 399, 403 – Liquidierungsdirektorium (Liquidierungsdirektor) 394, 400, 405 Lloyd, österreichischer 115 Löhne s. a. Gesetze 4, 215–217, 221, 237, 316 M Mainlinie 329 Mandate (politische) – allgemein 367 f, 380–385, 389 – Verteilung nach Hagenbach-Bischof 381 f, 389 Mehl s. Lebensmittel Metalle 316 Milch s. Lebensmittel Militär s. a. Ärar, Bevollmächtigte, Eigentum, Heer, Schulen – allgemein (diverse Institutionen/Angelegenheiten) 14, 17, 67, 88, 102, 118, 127, 148, 158, 202, 249, 269, 272, 285, 291, 293, 299, 303, 323, 382, 389 – Demobilisierung (Abrüstung) 15, 90 f, 96, 101, 161, 163–166, 233, 236, 238, 249 – Gardegebäude 32 – Militärische Hilfe – – des deutschen Reiches 120 – – für Südmähren/Deutschböhmen 117, 121, 126, 216, 240, 243, 245, 303 – Militärkommando – – Graz 92, 298, 305 – – tschechisches 215 – Schweiz 122 – Tschechisches 119, 123, 204, 357 Militärpersonen s. a. Unterhalt – Abgerüstete 7, 21, 91, 174, 180, 249 – allgemein 143, 156 – Gagisten 89, 117, 137 – Militärakademiker 148, 158 – Offiziere s. a. Vollzugsanweisungen – – allgemein (diverse) 7, 21, 90 f, 110, 115, 117, 127 f, 137, 233, 238, 293, 430 – Rekrutierungen (Mobilisierung) – – allgemein 31 f, 123, 132, 235, 237 f, 304 – – in den deutschen Gebieten 152 – – in Deutschböhmen 234 – Soldaten s. a. Gesetze – – allgemein 122, 237 f, 245 f, 249, 254, 257, 261 f, 266, 269, 289–293, 307, 346, 370 – – Soldatenräte 90, 128, 162, 173 f, 180, 238 – – tschechische 234 – Söldnerheer (-truppen) 174, 180, 428 Miliz 123, 227, 291–293 Minderbemittelte (Mindestbemittelte) 13–15, 202, 321
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Sachregister
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Minderheiten s. a. Behörden 154, 197, 225, 251, 323, 326, 333, 378, 432 Mineralwassersteuer s. Gesetze, Steuern Minister (k.k. Minister) – allgemein (diverse Ressorts) 51, 82, 93, 95, 186, 325, 439, 442 – der Nationalregierung in Laibach 299 f – tschechoslowakischer 400 Ministerium s. a. Staatsämter, Verordnungen – allgemein 28, 183, 294, 325, 394 – des Äußern s. a. Staatsamt für Äußeres 324, 331, 335 – – Archive 245, 250, 255 – Finanzministerium (k.u.k. gemeinsames Finanzministerium) s. a. Staatsamt für Finanzen 13, 60, 69, 74, 89, 133, 135, 139 f, 164, 186, 318, 409 – – bosnisch-herzegovinische Abteilung 134, 140 – Handelsministerium s. a. Staatsamt für Gewerbe, Industrie und Handel 315 – Kriegsministerium (liquidierendes Kriegsministerium) 4, 15 f, 18, 49, 89, 141, 147 f, 154, 157, 160, 164, 280 f, 297, 308, 398 f, 403 – für Landesverteidigung (liquidierendes) 95, 184, 399, 403 – Verkehrsministerium, bayrisches 430, 436 Ministerrat – früherer 13 – ungarischer 132 Mittelmächte 330 Mittelschulen 148, 158 Mobilisierte s. Militär, Vollzugsanweisungen Monarchie (Österreich-Ungarn) s. a. Abkommen, Behörden, Nationen, Parteien – allgemein 42, 89, 126–128, 134, 137, 230, 252, 262, 281, 286, 317 f, 324, 333, 345, 376, 399, 405 – Kronländer 8, 35, 42, 200, 367 – Monarch (Erzhaus Habsburg-Lothringen, Herrscherhaus, Kaiser, kaiserliches Haus, Träger der Krone) 89, 126, 252 – – Testament des Kaisers Franz Joseph 252 f – Restauration (Konterrevolution, Gegenrevolu tion) 207, 274 – Umwandlung in die Republik 276 Monarchisten 274 Morgenblätter s. Zeitung Mündelsicherheit s. Gesetze Museum – Hofmuseen 32 f – für Kunst und Industrie 347, 362 N Nahrungsmittel s. Lebensmittel „Národní Listy“ s. Zeitung
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Národni vy˙bor s. Nationalrat Nationen s. a. Autonomie, Politik, Regierungen – allgemein 109, 121, 305, 451 – des ehemaligen Österreich 10, 17, 88, 90, 164, 197, 283, 324, 337 – auswärtige 77, 99 – deutsche 377 f, 387 – tschechoslowakische 227, 277, 286 Nationalität – deutsche 36, 42, 196 – Nationalitätenprinzip 231 – Nationalitätenstreit 154 Nationalrat (Nationalausschuß) – allgemein 167, 274 – slowenischer 308 – Tiroler 2, 301 – tschechoslowakischer (Národni vy˙bor, Prager výbor, Vybor in Prag) 3, 104, 226 Nationalstaaten s. Abkommen, Regierungen, Staaten Nationalvermögen 31 Nationalversammlung s. a. Parlament, Wahlen – Abgeordnete 38, 272 – allgemein 2, 11 f, 28, 34, 38 f, 41, 43, 54 f, 62, 64, 66, 70, 77, 82 f, 93, 109, 111, 114, 118, 127, 129, 136–138, 144, 146, 152–154, 157, 160, 170, 172, 178 f, 184–186, 188, 190 f, 205, 207, 210, 212, 217-219, 221 f, 224, 230–232, 237 f, 242, 248, 254, 259, 265, 267, 272, 278 f, 286 f, 292–296, 304–307, 314, 342, 344, 346 f, 349, 351–354, 356 f, 363 f, 366, 368 f, 372, 376, 378, 380 f, 387, 389, 407, 410 f, 413, 414–416, 419, 425, 431, 435, 445 – Geschäftsordnung 38, 272, 350, 352 f – Provisorische 12, 20, 22, 83, 99, 185, 450 – tschechische 234 – Nationalversammlung und Staatsrat, Verhältnis 51, 342, 350 f, 392 „Neue Freie Presse“ s. Zeitung Noten – allgemein 177, 226, 336, 340 – an die Tschechen betr. Immunität der Abgeordneten 337
O Öffentlichkeit (öffentliches Leben) 109, 124, 137, 148, 151, 355 f, 374, 380 f – öffentlicher Besitz 185 – öffentliche Meinung 124, 231 Okkupation s. Besatzung Operettenbühnen s. Vollzugsanweisungen Orden (diverse) 247, 365, 407, 417 f, 423, 434, Österreichisch-ungarische Bank s. Banken
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Sachregister P
Palais Palffy 347 f, 362 Papier 60, 73, 141, 150 f, 158 f, 394 Parlament (Abgeordnetenhaus, Volkshaus) s. a. Ausschuß, Nationalversammlung – allgemein 82, 172, 187, 272, 278, 294, 342, 350, 354, 356, 373, 385 – altes (ehemaliges) 154 – – Abgeordnetenhaus 12, 35, 42, 219 – – Herrenhaus 347, 354, 363, – Hauswache (Parlamentswache) 193, 207, 212 – Kammern, französische 330 – Reichstag, deutscher 381 – Vorfälle am 12. November 1918 1, 81, 148, 276 Parteien – allgemein 35, 42, 109, 138, 153, 187 f, 191, 199, 261, 264, 274 f, 278, 337, 339, 351, 357 f, 369, 371, 374 f, 376, 378 f, 386, 388, 390, 419 – bürgerliche Parteien 63, 121, 374 f – christlichsoziale Partei 187 – deutschbürgerliche Parteien 150 – Klubs 49, 150 – Kommunistische Partei 87 – Monarchisten 274 – Oberösterreichs 384 f – Sozialdemokratische Arbeiterpartei (sozialdemokratische Partei Sozialdemokraten, Sozialdemokratie) 19, 125, 187, 191, 274 f, 307, 337, 357, 374–376 – – deutschtiroler 63 – – schwedische 358 – – tschechische 445 Pensionen (Rente) s. a. Anstalten, Fonds, Gesetze, Steuern 124, 126 f, 186, 253, 259 Personen – allgemein 18, 21, 77, 83, 93, 103, 106, 108, 142, 168, 174, 231 f, 253 – verurteilte 191, 269 Petroleum 14 Pferde 91 f, 414 Plünderungen 4 Polen 53, 58, 91, 282, 312 f, 397 Politik s. a. Parteien, Regierungen – allgemein 159, 165, 274, 336, 358, 371, 376 – auswärtige 301, 356, 446 – französische 329 – nationale 436 Polizei 2, 81 Post (Postdienst/-wesen) – allgemein 47, 105, 107, 153, 203, 225, 309, 360, 365, 434 – Briefgeheimnis 144 – Postbedienstete s. Streik – Postkontrolle nach der Schweiz 407, 417, 424, 434
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– Postverwaltung, Südböhmen 309 Präliminarfrieden 324, 326 Preise – allgemein 14 f, 17 f, 164, 202, 281, 318, 395, 398, 406 – Lebensmittelpreise 65, 143, 318–321, 345, 449 – Viehpreise 309, 317 f, 321, 345 Presse s. a. Propaganda, Staatskanzlei, Zeitung – allgemein 68, 117, 127, 157, 159, 185, 188, 243, 263, 264, 272, 277, 286, 335, 337–339, 354185, – amerikanische 169, 271 – Auslandspresse 243, 350 f – Ententepresse 271, 328 – Korrespondenz, deutschnationale 264 – Korrespondenz Wilhelm 1, 20 – Verlautbarungen, amtliche (Communiqué) 20, 137, 157, 171, 179, 198–200, 262, 266 Privatunternehmen 360 f Produkte, chemische s. Vollzugsanweisungen Produktion – industrielle 4, 21, 58 – von Rotationspapier 159 Proletariat s. Klassen Propaganda (Doppelagitation, Presskampagne) – allgemein 26 f, 29, 40, 85, 233–235, 322, 326 f, 335–337, 339 f, 421, 445 – Propagandadienst 326, 335, 339 f, 421 – Propagandastelle s. a. Behörden 223, 233, 239, 242, 251, 255 Proporz 368, 384 Protest – gegen italienische Besetzung Nordtirols 130, 444 – gegen Übergriffe tschechischer Staatsorgane 104, 113, 119, 124, 231, 428, 444 – bei Wilson 119, 444 Provinzen – allgemein 14, 31, 91, 120, 165, 174, 180, 225, 237 – deutsche 123 – Deutschböhmen 224 – Rheinprovinz 329 Pupillarfähigkeit (Mündelsicherheit) s. Gesetze R Reassumierung(sverfahren) s. a. Gesetze 255, 278 f, 287, 342, 346, 363, 446 Rechnungshof 82, 133 Recht s. a. Staatsbürger – Gleichheit der politischen Rechte von Männern und Frauen 373 – Optionsrecht für die deutschen Beamten 289, 296, 308 – Rechte (diverse) 47, 52, 70, 122, 144, 152, 227, 247, 293, 324, 326, 349 f, 371, 373 f, 433
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Sachregister – Rechtsgleichheit 380 – Rechtspflege 78, 208 – Sanktion(srecht) 342, 347, 352–354, 363 – Selbstbestimmungsrecht – – allgemein (der Völker) 63, 233, 235, 243, 451 – – Deutschböhmens/Deutsch-Südtirols/Südmährens 356 – – der Deutschen Westungarns 133, 146, 177 – Staatsbürgerrecht s. a. Gesetze – – in Rumänien/Rußland 351 – Verfügungsrecht, der ungarischen Regierung 177 – Vetorecht 351, 352 f, 396 – Völkerrecht 323 f, 330, 395 f – Wahlrecht s. a. Reformen – – allgemein 291, 305, 371–376, 383 – – Frauenwahlrecht 371–376 Reformen s. a. Gesetze – Regierungsreform 252 – Verwaltungsreform 339 – Wahlreform – – allgemein 186 f, 208, 334, 347, 374, 376 – – des Jahres 1906 264 Regierungen (Regime) s. a. Abkommen – allgemein 12, 16, 36, 51, 120, 151, 166, 202, 219, 227, 274, 279, 333, 336, 358, 364, 370, 376, 399 – bayrische 238, 428, 435 – bosnische 117, 198 – deutschösterreichische 42, 67 f, 76, 124, 128, 134, 137–140, 159 – – Regierungsbericht 305 f, 347, 363 – französische 450 – frühere 186, 275, 313 – italienische 130 f – jugoslawische 190, 296 – Landesregierungen s. a. Bevollmächtigte – – allgemein 63, 67, 72 f, 91, 104–106, 152, 164 f, 168, 176, 193, 203, 211, 224, 239, 243, 301 f, 308, 427, 446 – – bosnisch herzegowinische 133 f, 139 f – – deutschböhmische 8, 436, 439–441, 444 f, 448, 450–452 – – Kärntner 298 f – – von Oberösterreich 105, 113, 152, 163, 436 – – niederösterreichische 310 f, 315, 422, 433 – – Regierungsbeauftragte (Regierungskommissäre) 59, 62–64, 66, 72 – – in Reichenberg 9, 231, 436 – – Salzburger 162 – – Steirische 132, 139, 296, 302–304, 308 – – in Troppau 9 – – Vorarlberger 62, 106 f, 142 f, 156 – Liquidationsregierung Lammasch 226 – Nationalregierungen 42, 199, 210, 399, 412 – polnische 296, 308 – Reichsregierung, deutsche 9, 54
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483 – Regierungsform s. a. Gesetze 252 – Regierungspolitik 338 – rumänische 296, 308 – slowenische 298 f – Sowjetregierung 94 – Staatsregierung/Zentralregierung 11, 13, 63, 67 f, 72 f, 76, 197, 202 f, 211, 233 – tschechoslowakische s. a. Abkommen 8 f, 62, 190, 204, 228, 234, 242, 277, 286, 296, 308, 357, 400 f, 429, 435, 439, 441, 448 – ukrainische 296, 308 – ungarische 68, 76, 133, 139, 145 f, 167, 177, 284, 287, 307 Reichskohlenkommissär, deutscher 312 „Reichspost“ s. Zeitung Reichsratsgebäude s. Parlament Reichstag, deutscher 381 Religion 374 Republik – allgemein 88, 218, 274–276 – deutsche 55, 66 – (deutsch)österreichische 46, 57, 65, 73, 177, 227, 277, 286, 305, 326, 328, 330, 451 – Jugoslawien 175, 180 – sozialistische 428 – russische Sowjetrepublik 86 – tschechische 60, 65, 73, 175, 180, 313, 357, 451 – Ungarn 175, 180 Restauration s. Monarchie Revolution (Konterrevolution) 10, 153, 229, 233, 274, 329 Reziprozität 184, 190, 234 f, 262, 266, 351 Richter s. a. Gesetze – allgemein 38, 44, 286 – des Oberlandesgerichtes Reichenberg 210 Rohstoffe, Rationierung 16 Rotationspapier s. Papier Rote Garde 238, 273, 275 Rotes Kreuz 371 Rotkleesamen s. Vollzugsanweisungen Rüben s. Lebensmittel Ruhegenüsse s. Pension(en) Rumänen 278 Russland s. a. Republik, Staaten – Garde 275 – Gefangene 87, 341 Ruthenen 397
S Sachdemobilisierung s. a. Vollzugsanweisungen – allgemein 16, 49, 161, 163–166, 176, 196, 202, 280, 282, 314–316, 337, 391, 393–396, 398, 400, 405 f, 412, 426, 436, 441
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484 – Hauptanstalt für Sachdemobilisierungsgüter 17, 147, 157, 164, 314, 398, 407 f, 412, 415, 440, 442, 449 Schiffahrt(sgesellschaften) 110, 115 Schleichhandel 17, 271 Schuhe s. a. Vollzugsanweisungen 14, 391, 394, 396 f, 403, 408, 410, 415 Schulden – allgemein 52, 127, 164 f – Staatsschulden s. a. Kommissionen 5, 52, 82 f, 93, 165 Schulen s. a. Hochschulen – allgemein (diverse) 115, 148, 158, 343, 346, 397 – deutsche 154, 327 f – militärische 25, 30, 40, 141, 148 f, 157 f – Sprachgebrauch 36, 43 – Subvention 343, 346 Schutz – Deutschböhmens 303 – der Deutschen in den Sudetenländern 216, 221, 224, 232 – des Staatsgebietes 233 Schweizer Francs s. Währung Selbstbestimmungsrecht s. Recht Selbstverwaltung 63 Separationsbewegung, Tiroler 301 Serben 195, 233, 235 f Sicherheitswache, Wiener 184 Slawen 377 Slowaken 231 Slowenen 53, 58, 132, 230, 234, 299 f, 308, 332, 359 f Sokol (Turnerbewegung) 104, 113 Soldatenräte 174, 180 Söldnerheer s. Militärpersonen Sozialdemokraten (Sozialdemokratie) s. Parteien Sparmaßnahmen s. Vollzugsanweisungen Spartakus-Gruppe 429 Spekulationen 15 Sprachgebrauch s. Amt, Heer, Schulen, Vereine Sprachinsel(n) 108, 153 f, 211, 323 Staaten s. a. Abkommen, Anleihe, Garantie, Ge biet(e), Gesetze, Verhandlungen – allgemein 326, 376, 395 – deutschösterreichischer s. a. Gelöbnis 17, 35, 42, 53, 134 f – Ententestaaten (Ententeländer) 65, 73, 341 – jugoslawischer (südslawischer) 158, 198, 296, 308 – Nachfolgestaaten Österreich-Ungarns 127, 133, 140, 155, 159 f, 165, 210, 266, 324, 326, 394, 398, 405 – Nationalstaaten 166, 396, 398, 405 – Neugründungen in Russland 330 – österreichischer (alter Staat) 50, 82, 127, 326, 331, 397
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Sachregister – polnischer 296, 308 – rumänischer 296, 308 – slawische 243 – Staatserklärung 109, 190 – tschechoslowakischer 8, 9, 105–107, 114, 296, 308, 312, 357, 378, 428 – ukrainischer 296, 308 – ungarischer 107, 114 – staatliche Zugehörigkeit Deutschböhmens 57, 171, 179 – Zerfall des 275 Staatsamt (Ministerium, Ressort, Staatssekretariat) – allgemein 7, 9, 12, 21 f, 32, 146, 197, 249, 264, 324 f, 335, 397, 431 – für Äußeres (des Äußern, Auswärtiges Amt) 42 f, 53, 58, 63, 65, 67, 73, 94 f, 122 f, 132–134, 138 f, 158, 162, 167, 177, 190, 206, 212, 216, 221, 242, 248, 250, 266, 273, 277, 283, 286 f, 303 f, 313, 325, 328, 335, 340, 445, 452 – – ungarisches 167, 281 – für Finanzen (Finanzamt/-ministerium/-ressort) 5, 7, 9, 21 f, 35, 41, 48, 50 f, 58, 99, 155, 158, 160, 168 f, 171, 178 f, 219, 249, 315, 317, 319, 320–322, 340 f, 345, 399, 403, 426, 440 f, 444, 448, 450 – für Gewerbe, Industrie und Handel (Staatsamt für Handel) 50, 58, 110, 114 f, 143, 159 f, 202, 365, 400, 434, 436 – für Heereswesen (Amt für Heerwesen, Heeresamt, Kriegsamt) 4, 7, 17, 21, 30–32, 34, 40 f, 50, 58, 63, 67, 73, 88, 90, 95 f, 117, 119, 122 f, 126–128, 136–138, 148, 157 f, 171, 174, 179 f, 183 f, 190, 193, 207, 212, 216, 219, 227–229, 231, 237, 239 f, 243–245, 249, 257, 272–274, 285, 301, 308, 340 f, 391, 397, 399 f, 403, 418 – für Inneres (des Innern) 2, 32, 34, 41, 87, 98, 111, 161, 183 f, 190, 206, 216, 221, 250, 400, 418, 434 – für Justiz (Justizamt/-ministerium) 34, 41, 45, 102, 125, 185, 196, 210, 223, 263, 267, 269, 297, 362, 366, 433, 437 – für Kriegs- und Übergangswirtschaft 18, 50, 58, 60, 66, 68, 73, 76, 148, 150, 155, 157–160, 164–166, 176, 194, 201 f, 211, 255, 257, 260, 266, 280, 289, 313–315, 344, 399, 403, 405, 408 f, 414 f, 440 f, 448 f – für Landwirtschaft (Amt für Landwirtschaft, Landwirtschaftsamt) 20, 25 f, 29, 40, 49, 58 f, 61 f, 72, 257, 262, 267, 289 f, 307, 317 f, 321 f, 345, 409, 414 – für öffentliche Arbeiten 58, 155, 160, 270 f, 309–311, 344, 406, 418 – für soziale Fürsorge 27–30, 44 f, 50, 58, 61, 99–102, 111, 150, 155, 158, 160, 193, 245, 433, 439 f, 442, 449
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Sachregister – für Unterricht (Unterrichtsamt) 30, 33, 117, 119, 136, 148, 158, 250, 269, 343, 346, 348 f, 362, 418, 443, 450 – – Kunstamt 439 f, 443 f, 450 – für Verkehrswesen (Eisenbahnressort, für Eisenbahnen) 25, 34, 50, 58, 108, 174, 180, 197, 304, 325, 360, 366, 387, 435 f – für Volksernährung (Amt für Volksernährung, Ernährungsamt, Volksamt, Volksernährungsamt) 20, 28, 46, 57, 68, 76, 78, 99, 107 f, 111, 114, 143, 145 f, 150, 158, 280, 282 f, 317 f, 321, 345, 355, 439, 443, 449 Staatsangestellte s. Ausschuß, Beamte Staatsanleihe s. Anleihe, Vollzugsanweisung Staatsanwaltschaft 195, 276 Staatsbahndirektionen s. Eisenbahn Staatsbeamte s. Beamte Staatsbedienstetenfragen s. Kommissionen Staatsbürger (Staatsbürgerschaft) s. a. Gesetze, Recht – allgemein 108, 152, 154, 172, 279, 291, 324, 350, 352, 371, 374 – (deutsch)österreichische 118, 174, 180, 200, 278 – Juden als 351 Staatsdruckerei 186 Staatshaushalt s. Budget Staatskanzlei – allgemein 3, 19 f, 27, 35–37, 42–44, 59, 64, 67, 71, 73, 75–79, 112, 128, 137, 140 f, 168 f, 171, 174, 178 f, 181, 186, 193, 197, 203 f, 206, 220 f, 247, 250 f, 255, 258, 262–264, 266–268, 296, 304, 308, 337, 342, 366, 382, 406, 420, 424, 430, 434, 440, 450 – deutschböhmische Abteilung 25, 37, 44 – Gesetzgebungsdienst 349, 392 – Pressedienst (Pressedepartement) 335, 337–339, 407, 417, 420, 432 – Sudetendienst (Verbindungsstelle mit Deutschböhmen und dem Sudetenland) 204, 211, 407, 417, 427, 435 – verfassungsrechtliche Abteilung/für Verwaltungsreform 339 Staatskanzler (Staatskanzleramt) 5, 7, 9 f, 19–22, 26, 42, 49, 54, 57 f, 60, 62, 64, 66 f, 69, 73, 75, 77, 79, 106–108, 111, 114, 134, 137–140, 146, 150, 157–160, 167–169, 171, 173 f, 177–180, 184, 186–193, 199, 206, 211–213, 222, 242 f, 247, 254 f, 264–268, 271, 279, 287, 297, 303, 307 f, 310, 314, 316, 337, 341, 346, 350 f, 358, 363 f, 367, 369–371, 383, 387, 389, 390 f, 394 f, 397–399, 403, 406 f, 413–418, 421, 430, 432, 435 f, 445, 452 Staatsmittel s. Budget Staatsnotar 3, 20, 33 f, 40 f, 58, 77, 79, 82 f, 93, 99, 111 f, 129, 176, 179, 191, 222, 252, 254, 279, 314, 350, 352, 362, 415, 425, 435
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485 Staatsrat s. a. Kommissionen – Demission 342 – Geschäftsordnung des 59 f, 74, 193, 208, 212, 263, 267, 272, 274, 277, 314, 404 – Kompetenzen 26 – Mitglied(er) (Ersatzmitglieder) 27, 31, 38, 52, 54, 58, 70 f, 74 f, 77–79, 93, 263, 272, 277, 333, 360 f, 363, 446, 452 – Präsident des 77 f, 105, 113, 270, 273 f, 279, 285, 327, 358 – Protokolle des 3, 79, 452 – Sitzungen 18, 38, 70, 74, 77 f, 190, 264, 307, 316 – Vorlagen 366, 387 – Vorsitz des 77, 273 f Staatsratsdirektorium (geschäftsführendes Direktorium) 210, 212 f, 293, 334 Staatsratspräsidium 2, 316, 344 Staatsregierung s. Regierungen Staatsschatz 241, 244 Staatsschulden s. Schulden Staatsschuldenkontrollkommission s. Gesetze Staatssekretäre s. a. Kabinettsrat, Unterstaatssekretäre – allgemein 9, 26, 49, 51, 57, 77, 79, 159–161, 165, 171, 179, 197, 220 f, 439 – für Äußeres (des Äußern) 55, 68, 73, 84 f, 87 f, 94 f, 100, 106, 111, 114, 124, 137, 149 f, 158, 164, 167 f, 190, 212, 226, 234 f, 242 f, 267, 287, 303 f, 308, 313, 340, 355 f, 346, 364, 406, 436, 442, 444, 449, 452 – für Finanzen 9, 21 f, 50 f, 57, 61 f, 72 f, 83, 93, 99 f, 106, 138, 141, 143, 145, 156, 169, 171, 178–180, 211, 266 f, 345 f, 415, 435, 439, 449 f – für Gewerbe, Industrie und Handel 21, 106, 141, 147, 156, 159, 165, 176 f, 344, 364, 406, 414– 416, 434, 436, 441, 448 f – für Heereswesen 21, 30 f, 73, 89, 95, 100, 111 f, 123, 136–138, 143, 156, 171, 179, 208, 212, 244, 266 f, 275, 285, 303, 307, 346, 361, 403, 434 – für Inneres (des Innern) 111, 190, 212, 355, 406, 419, 431 f, 434 – für Justiz 191 f, 195, 210, 213, 242, 246, 254, 286, 362, 390, 425, 434–437, 447, 452 – für Kriegs- und Übergangswirtschaft 23, 73 f, 159, 163, 165, 176 f, 211, 266, 287, 309, 316, 403, 406, 449 – für Landwirtschaft 20, 26, 28, 40, 61, 72, 257, 289, 307, 309, 317 f, 320, 345, 414, 443, 449 – für öffentliche Arbeiten 100, 285, 311, 344, 362, 364, 401, 403, 434 – für soziale Fürsorge 21, 26, 28, 61, 97, 103, 112, 157, 170, 434, 449 – ungarischer 145 f – für Unterricht 115, 136, 191, 212, 278, 286, 346, 362, 434, 450
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Sachregister
– für Verkehrswesen 35, 100, 180, 364, 436 – für Volksernährung 20, 73, 282, 287, 316, 345, 355, 364, 443, 449 Staatssiegelamt s. Amt Staatsverwaltung s. Verwaltung Stand (Stände) s. Klassen Statistik s. a. Kommissionen 325, 373 Statthalterei (Statthalter) – allgemein 152, 169 – in Prag 103 f, 112 f Stenographen und Korrespondenzbüro 409 Steuern (Abgaben) s. a. Amt, Behörden, Gesetze – allgemein (diverse) 50 f, 83, 109, 173, 218 f, 221, 258–260, 265 f – Rentensteuer 259 Strafprozessordnung s. Gesetze Strafsache/-verfahren – allgemein 191, 270 – gegen Eisler-Friedländer und Genossen 276 f Straßenbahn, Wiener 270, 285 Straßenkämpfe 271 Streik – der böhmischen Nordbahn 304 – der Post- und Bahnbediensteten in Marburg 347, 359 f, 364 Strom s. Gas und Elektrizität Subvention s. a. Schulen, Wasserbau 321 Südbahn s. Eisenbahn Sudetendienst s. Staatskanzlei Sudetengebiete s. Gebiete Südslawen 35, 88 f, 134, 139, 188, 231, 298 f, 301, 332, 359 f
– von Soldatenräten 174, 180 – der Südslawen 139 Ungarn (Magyaren) 89, 145, 149, 231, 281–283, 317, 338, 395 Universitäten s. Hochschulen Unruhen 31, 169, 293, 398 Unterhalt(sbeiträge) s. a. Gesetze, Volkswehr, Vollzugsanweisungen – allgemein 219, 245, 321 – für Angehörige der Mobilisierten 245 f, 249, 254, 257, 261 f, 266, 291 – für Deutschböhmen und das Sudetenland 8–10, 22, 47, 104, 113 – für Reserveoffiziere und Einjährig-Freiwillige 22 Unterhändler – allgemein 149, 325, 337 – tschechische 283 Unternehmer 147 Unterrichtsamt s. Staatsamt für Unterricht Unterstaatssekretäre, Unterstaatssekretariate – allgemein 77, 284 – Ernennung 99, 150, 158 – im Staatsamte für Finanzen 99, 111, 193, 196 – für Heerwesen 95 f, 157 – für Kriegs- und Übergangswirtschaft 15, 17 – für schöne Künste 443 f, 450 – für Landwirtschaft 26 – im Staatsamt für Unterricht 117, 119, 136 – im Staatsamte für soziale Fürsorge 99, 111, 150 – im Staatsamte für Volksernährung 99, 111
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Valuten s. a. Verhandlungen 282, 341 Varietés s. Vollzugsanweisungen Verbindungsstelle zu Deutschböhmen s. Staatskanzlei/Sudetendienst Vereine – Allgemeiner Deutscher Sprachverein 43 – Tonkünstler- und Orchesterverein s. Vollzugsanweisungen – Verein Wiener Theaterdirektoren 418 Verfassung s. a. Gesetze, Kommissionen 77, 82, 187 f, 342, 376 – Dezemberverfassung/Februarverfassung 294 – Gerichtsverfassung s. Gesetze – Kreisverfassung 59, 63 f, 67, 73 – Kronlandsverfassung 63 Verfügungen s. a. Recht 3, 9, 20, 22, 26, 31, 43, 51, 54, 63, 66 f, 72, 92, 127, 142, 160, 185, 197, 198, 211, 224, 270 f, 273, 285, 294, 305, 310, 314, 316, 344, 407, 410, 428 Verhandlungen – allgemein 32 f, 38, 77, 142, 159, 200, 301, 319, 328, 334, 356
Teilschuldverschreibungen s. Gesetze Territorium (territoriale Fragen) 127 f, 323, 326, 336 Teuerungszulagen (Verteuerung) s. Gesetze, Preise Textilien s. Waren Theater s. a. Vollzugsanweisungen – Hoftheater 32 f – Verein Wiener Theaterdirektoren 418 Tiroler 203, 301, 383 Titel, Abschaffung 365, 407, 417 f, 423, 434 Todesstrafe 21, 270, 366 Tschechoslowaken (Tschechen) s. a. Übergriffe – Werbe- und Auskunftsbureau 35 – in Wien 323 U Übergriffe (Überfälle) s. a. Protest – der Tschechoslowaken 111, 118–125, 136, 153, 216, 223, 226, 234, 238, 303, 327, 356, 384, 451
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Sachregister – der Ausschüsse der Nationalversammlung 70 – internationale Verhandlungen in Beamtenfragen 197, 199, 210 – in Berlin (Kohle, Valuta, Waggons) 100, 313 – über Demobilisierungsgüter 326 – der deutschböhmischen Abgeordneten mit dem Staatskanzler 445 – Friedensverhandlungen 84 f, 94, 108, 124, 127, 154, 309, 322 f, 325 f, 329, 334, 345, 385, 445 – mit dem italienischen Armeeoberkommando 62 – mit italienischen Offizieren über Transport der tschechoslowakischen Brigade nach Böhmen 335 – mit der Journalistenvereinigung 337 – mit den Jugoslawen 189, 192 – Kompensationsverhandlungen 141, 159 – Liquidationsverhandlungen 127 – mit General Maister 300 – mit den auswärtigen Nationen 77, 99 – Parteienverhandlungen 191, 264, 386, 390 – über industrielle Produktion 21, 58 – über Steuergesetze 83 – mit der Südbahndirektion 360 – mit den Nationalstaaten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 155, 160, 164, 197, 199, 210, 266, 281, 296, 308, 326, 337 – mit der Tschechoslowakei (diverse) 228, 313, 327, 332, 396 – mit Ungarn (diverse) 76, 99, 133, 139, 167, 282 – zwischenstaatliche 197–199 – zwischen den Staatsämtern für Heerwesen und Unterricht betr. Militärerziehungsanstalten 148, 158 Verkehr s. a. Eisenbahn, Staatsamt für Verkehrs wesen, Vollzugsanweisungen – allgemein 14, 18, 43, 106, 202, 315, 360, 395, 452 – mit dem Ausland 19, 327 – Chiffrenverkehr/Kurierverkehr 331 – Edelmetallverkehr 114 – Kompensationsverkehr 280 – mit Düngemitteln s. Vollzugsanweisungen – Materialverkehr nach Deutschböhmen 435 – zwischen Regierung und Landespräsidenten 152 – mit chemischen Produkten s. Vollzugsanweisungen – Verkehrshemmnisse 159, 427 – Verkehrswege, Internationalisierung 324 – Waren- und Personenverkehr, Kontrolle 107, 114 Vermögen s. a. Abgaben – Bosniens 117, 134 – gemeinsames Vermögen der Österreichisch-Ungarischen Monarchie 127, 200 – Nationalvermögen 31 – Ordensvermögen 365, 434 – Privatbesitz (Erzherzog Franz Salvator) 193, 204, 212
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487 – Privatvermögen Franz Joseph 252 – Volksvermögen 185 Verordnungen – allgemein 26, 28, 36, 43, 51, 124, 313–316, 431 – bez. des Flachses 316 – betr. Vergütungszinsen von zurückgezahlten Steuer- und Steuerstrafbeträgen, RGBl. Nr. 79/ 1904 260 – Landes-, Bezirks- und Gemeindeverordnungen 64 – über Metalle 316 – Rotkleesamen, RGBl. Nr. 478/1917 s. a. Vollzugsanweisungen 257, 262, 267 – Verbrauch von Gas, Elektrizität und Brennstoff, RGBl. Nr. 370/1917 311 – Verpflichtung zu Kriegsleistungen, RGBl. Nr. 170/1914 95 – über Wildabschuß 443 Versicherungen s. Gesetze Vertrag (Verträge) s. a. Abkommen – Abgrenzungsvertrag (Südböhmen) 309 – Heereslieferungsverträge 281 – Kompensationsverträge 399 – mit Rumänien (Universität Czernowitz) 278 – mit Slowenen (General Maister) 298, 299–301 – mit den fremden Staaten 302, 308 – mit der Tschechoslowakei 20 – mit Ungarn 280–284, 287 – Vorfriedensvertrag/Präliminarvertrag 321, 324 – Waffenstillstandsvertrag 88, 91, 340 Vertrauensmänner 30, 40, 43, 104, 113, 361, 364, 370 Verwaltung (Bürokratie) s. a. Behörden, Gebiet(e), Gerichte, Kommissionen, Reformen, Vollzugsanweisungen – allgemein (diverse) 54, 133, 151, 202 f, 293, 309, 315, 333, 427, 449 – in Deutschböhmen 224, 357, 435, 450 f – Finanzverwaltung 22, 99, 168, 178, 343 – – Organisation der s. Gesetze – der hofärarischen Güter (Krongüter) 25, 32 f, 41, 49 – der k.u.k. und k.k. Ministerien durch den deutschösterreichischen Staat 140 – Selbstverwaltung 63 – des Sudetenlandes 151, 160, 195 – der Südsteiermark 233 – ungarische 139 Vetorecht s. Recht Vieh 3, 62, 281, 317–321, 345 Viehverwertungsstelle s. Amt Volk – allgemein 120, 132, 152, 154, 177, 185, 190, 374 – deutsche(s) 121, 132, 243, 375, 451, – deutschböhmisches 302, 358, 378
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488 – Selbstbestimmungsrecht 63, 451 – Volkssouveränität 354 – Volkswiderstand 428, 430 Völkerbund 323 Volksabstimmung (Plebiszit) 119, 323, 358, 445 f Volksbekleidung s. a. Amt, Vollzugsanweisungen 13–17, 22 Volksernährung s. Staatsamt für Volksernährung Volksgesundheit 34, 78, 208 Volkshaus s. Parlament Volksheer, deutschösterreichisches s. Gesetze, Heer Volksoper s. Vollzugsanweisungen Volksrat, SHS in Bosnien und Herzegovina 117, 198 Volkswehr (Volkswehrleute) s. a. Kommissionen/ Heereskommission, Vollzugsanweisungen – allgemein 31, 32, 91, 108, 120 f, 207, 235–237, 239, 274 f, 303, 428 – in Deutschböhmen 88, 229, 234, 427 f, 430 – in Leibnitz 236 – in Nordtirol 130 – Unterhaltsbeiträge für Angehörige der 261 f, 266 – in Vorarlberg 107, 142 f, 156 – Wiener Volkswehrkommando 21, 106, 240, 243 – Zivilkommissariat 96, 117, 128, 138 Volkswirtschaft s. Wirtschaft Volkszählung 350 Volljährigkeit (Großjährigkeit) 371, 373 Vollzugsanweisungen – allgemein 26, 28, 309, 418 f – betr. Angestellte von Bühnen (diverse) 418 – Arbeitslosenunterstützung (Angestellte), StGBl. Nr. 32/1918 97, 112 – Versorgung der Bevölkerung mit Bekleidung, StGBl. Nr. 86/1918 408 f, 414 f – Bedarfsschein für Bekleidung, StGBl., Nr. 87/ 1918 408–410 – Chemische Produkte, StGBl. Nr. 33/1918 60, 74 – Dienstverhältnisse (Kündigung), StGBl. Nr. 28/ 1918 34 – Dienstverhältnisse (Theaterangestellte), StGBl. Nr. 97/1918 418, 422, 432–434 – Düngemittel, StGBl. Nr. 82/1918 289 f, 307 – Flüchtlingsfürsorge, StGBl. Nr. 102/1918 417 f, 422, 434 – Gas, Elektrizität und Brennstoffe, Sparmaßnahmen, StGBl. Nr. 76/1918 309–311, 344 – Gebührenerleichterungen zu Konvertierungszwecken, StGBl. Nr. 80/1918 310, 343, 346 – Geldersatzzeichen, StGBl. Nr. 34/1918 141, 144 – Gemeindevertretungen, StGBl. Nr. 81/1918 58, 117, 129, 138 – Gerichtseinteilung, StGBl. Nr. 58/1918, Nr. 61/ 1918, Nr. 65/1918 und Nr. 66/1918 196 – Handlungsgehilfengesetz, StGBl. Nr. 27/1918 34
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Sachregister – Industrielle Bezirkskommissionen, StGBl. Nr. 19/1918, Nr. 30/1918 und Nr. 99/1918 100, 112, 439 f, 442, 449 – Land- und Forstwirtschaft, Arbeiterfürsorge, StGBl. Nr. 72/1918 25, 40, 59, 61, 72 – Liegenschaften, Anforderung für öffentliche Zwecke, StGBl. Nr. 31/1918 97, 101, 112 – Mobilisierte, Unterhaltsbeiträge für Angehörige, StGBl. Nr. 55/1918 219, 245 f, 249, 254, 257, 261 f, 266 – Offiziere, Militärbeamte und Offiziersaspiranten (Mittelschulreife), StGBl. Nr. 98/1918 417 f, 423, 434 – Rotkleesamen, StGBl. Nr. 118/1918 257, 262, 267 – Sachdemobilisierung 407, 412, 442 – Staatsanleihe, Gebührenbefreiungen StGBl. Nr. 84/1918 408, 411, 415 – Staatsbedienstete (d.ö.) Dienstzeitanrechnung 407, 417, 426 – Unterhaltsbeiträge 245 – Zeitungsdruckpapier, Regelung des Verbrauchs, StGBl. Nr. 29/1918 60, 73 Vollzugsausschuß s. Ausschuß/Ausschüsse Vollzugsgewalt s. Gesetze Voranschlag s. Budget W Waffen (Ausrüstung, Sprengmittel, Munition) 4, 16, 88, 90, 124, 228 f, 238, 240, 243, 272, 285, 292, 395 Waffenstillstand – allgemein 84, 94, 284, 304, 329, 358, 430 – Waffenstillstandsbedingungen 302, 328, 356, 395, 429 – Waffenstillstandsbruch 84, 121, 444 – Waffenstillstandsvertrag 88, 91, 340 Waggons s. a. Abkommen 36, 43, 65, 225, 228 Wahlen s. a. Behörden, Bezirke, Gesetze, Kommissionen, Mandate, Reformen – allgemein 188, 292, 349, 352, 368–370, 373– 377, 379–381, 385, 387–389, 445 – in Deutschböhmen 358 – englische 329 – Ersatzmänner für den Verfassungsausschuss 109 – der Kommissionen des Staatsrates 212, 267 – zur Nationalversammlung 445 – – konstituierenden 118, 231, 358, 376, 231 – – tschechische/ungarische Konstituante 231 – von Offizieren 238 – eines Prokurators 297 – in der Schweiz 305 – des Staatsangestellten-Ausschusses 306 – Wähler 187, 353, 369, 373, 378–380, 388
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Sachregister – Wahlkreise – – allgemein 154, 367–369, 381 f, 389 – – diverse Orte 154, 367–370, 381–386, 389 – Wahlrecht 371–376 Wahlordnung – für die konstituierende Nationalversammlung 64, 191, 366, 387, 431 – Reichstagswahlordnung 371 – Wahlordnungsvorlage s. Gesetze Währung – Banknoten 9 f, 22, 47 – – Verschleppung nach der Schweiz 141–143, 156, 162, 175, 180 – deutsche 326 – Devisen 16 – Kronen 21–23, 129, 138, 145, 170, 193, 252 f, 261, 319 f, 432, 441, 448 – Schweizer Francs 283 Waren s. a. Verkehr, Vollzugsanweisungen – allgemein 14, 16 f, 106–108, 280 f, 410, 415 – ausländische 17 – aus Militärmagazinen 202 – Papierwaren 394 – Schleichhandelswaren 17, 271 – Textilwaren 14, 152, 394, 397 Wasserbau, staatlich subventionierter 35, 42 Wehrmacht s. Heer Wein s. a Gesetze 218 f Werbe- und Auskunftsbureau der Südslawen, Tschechoslowaken 35 Wertpapiere – allgemein 15, 52, 253 – Verschleppung nach der Schweiz 141–143, 156, 162, 175, 180 Widerstand (Volkswiderstand) 236 f, 328, 381, 428, 430, 444 Wien s. Gemeinden Wiener Bankverein s. Banken
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489 „Wiener Zeitung“ s. Zeitung Wild(stand) s. Verordnungen Wirtschaft s. a. Amt, Generalkommissariat, Kommissionen, Krieg – allgemein 15, 372, 395, 429 – Deutschösterreich 436, 444 Witwen s. a. Gesetze 124 Wohnsitz, ordentlicher 369 Z Zeitung (Blätter) s. a. Papier, Presse – allgemein 48, 123, 133, 148, 151, 158, 233, 270, 306, 336 – „Arbeiter-Zeitung“ 47 – ausländische 326 – englische 301 – „Frankfurter Zeitung“ 338 – französische 301 – Grazer Blätter 360 – Morgenblätter 1 – „Národní Listy“ 303 – „Neue Freie Presse“, Besetzung 1, 148, 157 – „Reichspost“ 18 f – Wiener 339, 421 – „Wiener Zeitung“ 194, 196, 198 f, 210 Zensur – Aufhebung 106 – durch tschechoslowakische Behörden 47, 106 – Wiederaufnahme 114, 141 f, 337 Zentralen (Zentralstelle) s. Amt, Krieg Zivilbevölkerung s. Bevölkerung Zivilgericht s. Gerichte Zivilkommissariat für die Volkswehr s. Volkswehr Zivilkommissäre für Innsbruck 131 Zoll s. Amt Zucker s. Lebensmittel
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Personenregister A Abram, Simon (*3.4.1871 Innsbruck, †29.2.1940 Salzburg), Drechsler, Kaufmann, Genossenschaftsdirektor, Vorstand der SdAP Tirol, 1902 bis 1904 Mitglied des Gemeinderates von Innsbruck, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1914 bis 1918 Abgeordneter zum Landtag Tirol, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– 17.2.1934 Nationalratsabgeordneter. 1, 14, 18, 25–30, 40, 59, 62, 66, 81, 83, 89, 94 f, 97, 107 f, 131, 139, 194, 210, 347, 365, 377, 383, 391, 399, 407, 417, 428, 439 Adler, Dr. Viktor (*24.6.1852 Prag, †11.11.1918 Wien), Arzt und Schriftsteller, 1889 Gründer der „Arbeiter-Zeitung“, ab 1905 Parteivorsitzender der SdAP, 2.7.1905 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.–11.11.1918 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.–11.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 30.10.–11.11.1918 Staatssekretär für Äußeres. 19, 150 B Baechlé, Dr. Josef von (*21.5.1868 Wien, †11.5. 1933 Wien), Jurist, 19.12.1902–20.7.1908 Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, 1906 bis 1918 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses, 21.10.–27.11.1918 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.–27.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 27.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates. 25, 31, 35, 43, 66, 59, 141 f, 161, 183, 193, 215, 223, 245, 247, 257, 265, 289, 417, 439 Bauer, Dr. Otto (*5.9.1882 Wien, †4.7.1938 Paris), sozialdemokratischer Politiker, ab 1917 Tä-
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tigkeit in der kriegswirtschaftlichen Abteilung des Kriegsministeriums, 31.10.–21.11.1918 Unterstaatssekretär für Äußeres, 21.11.1918–15.3.1919 Staatssekretär für Äußeres, 1919 Vorsitzender der Sozialisierungskommission, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, SdAP, 1934 Flucht nach Brünn, Leiter des Auslandsbüros der österreichischen Sozialdemokraten in Brünn, Herausgeber der dort erscheinenden „Arbeiter-Zeitung“, 1938 Emigration nach Paris. 81, 84, 86–88, 94 f, 114, 124, 130–132, 134, 150, 158, 206, 228, 235 f, 289, 298, 302–304, 322, 328, 337 f, 340, 345, 355 f, 358 f, 412, 427, 439, 444–446, 452 Baukal, Dr. Viktor (*12.11.1860 Elisabethstadt/ Siebenbürgen, heute Dumbrăveni/Rumänien, †8.12.1925 Wien), Oberlandesgerichtsrat der deutschen Gruppe am k.k. Oberlandesgericht in Prag, mit 25.11.1918 zum Oberlandesgericht Reichenberg versetzt und am 7.12.1918 auf Beschluß des Staatsratsdirektoriums zu dessen Vizepräsidenten ernannt. 194 Bebel, August (*22.2.1840 Deutz/Preußen, †13.8. 1913 Passugg/Schweiz), deutscher Politiker und Schriftsteller, 1865 Vorsitzender des Arbeiterbildungsvereines, 1866 Mitgründer der Sächsischen Volkspartei, 1867 in den Norddeutschen Reichstag gewählt, 1869 Mitgründer der Sozial demokratischen Arbeiterpartei, ab 1871 Mitglied des Deutschen Reichstages, 1872 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Festungshaft und zu weiteren neun Monaten wegen „Majestätsbeleidigung“ verurteilt, ab 1892 Mitglied des Parteivorsitzes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. 372, 375 Beck, Dr. Eugen Ritter von Mannagetta und Lerchenau (*15.6.1861 Preßburg/Ungarn, heute Bratislava/Slowakische Republik, †11.7.1943 Wien), 22.8.1883 Eintritt in den Staatsdienst, 15.5.1886 Einberufung in das Finanzministerium, 11.2.1902 Ernennung zum Ministerialrat, 1907 bis 1919 Leiter der Gebührensektion und 1918 bis 1919 zugleich der Personalsektion, 12.4.1909 Ernennung zum Sektionschef,
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492 5.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Finanzen, 17.3.1919–30.11.1921 vom Kabinettsrat mit der obersten Verwaltung des Hofärars betraut, 31.4.1919 Versetzung in den dauernden Ruhestand, zahlreiche Wirtschaftsfunktionen, u. a. 1920 bis 1940 Verwaltungsrat der Österreichischen Erdöl AG. Wien sowie Präsident und Vorstandsmitglied der Korneuburger MineralölRaffinerie AG. 8, 99, 193, 196 f, 210, 407, 411, 413, 415, 417, 424, 434 f, 443, 449 Behrmann siehe Berman Beneš, Dr. Edvard (*28.5.1884 Kozlany/Böhmen, heute Kožlany/Tschechische Republik, †3.9.1948 Sezimovo Ustí/Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik), Prof. für Volkswirtschaftslehre, Oktober 1918 bis 18.12.1935 Außenminister der Tschechoslowakei, 26.9.1921–5.10.1922 Ministerpräsident, 18.12.1935–5.10.1938 Staatspräsident, nach dem Münchener Abkommen Emigration nach London und anschließend in die USA, seit 4.5.1945 erneut Staatspräsident, 7.6.1948 Abdankung. 226 f, 229, 302, 304, 357, 401 Berka, Johann (*1.3.1850 Neutitschein/Österreichisch-Schlesien, heute Nový Jičín/Tschechische Republik, †29.6.1920 Mödling/NÖ), Jurist, 1892 Landesgerichtsrat, 1897 Oberlandesgerichtsrat in Brünn, ab 1898 im Justizministerium Wien, 1909 bis 1917 Senatspräsident beim Obersten Gerichtshof, 27.3.1917–1919 zweiter Präsident des Obersten Gerichts- und Kassations hofes. 246, 254 Berman, Dr. Jakov Aleksandrovič (*1868 Tver/ Russisches Reich heute Rußland, †1933), Jurist, Philosoph und Politiker, ab 1900 Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands, 1906 Beitritt zur bolschewistischen Fraktion, Dezember 1917 bis Juli 1918 Vorsitzender des Moskauer Revolutionstribunals, ab Juli 1918 Leiter der russischen Fürsorgekommission für Kriegsgefangene in Wien und politische Tätigkeit, ab Dezember 1918 in Ungarn u. a. als Herausgeber der „Pravda“ tätig, September 1919 Rückkehr in die russische sozialistische föderative Sowjetrepublik, ab 1920 Leiter der Justizabteilung des Mossovet, ab 1922 Dozent und Prof., 1924 Mitglied der Kommission für Legislativvorschläge beim Rat der Volkskommissare. 87 Bernatzik, Dr. Edmund (*28.9.1854 Mistelbach/ NÖ, †30.3.1919 Wien), Juristenpräfekt am Theresianum in Wien, Privatdozent an der Universität Wien, ab 1891 o. Prof. an der Universität
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Personenregister Basel, ab 1893 an der Universität Graz, ab 1894 o. Prof. des Strafrechts an der Universität Wien, 1910/11 Rektor, 1901 bis 1905 Ersatzmitglied des Reichsgerichtes, 1906 bis 1919 Mitglied des Reichsgerichtes, Februar 1919 zum Mitglied des Verfassungsgerichtshofes bestellt. 349 Bodiersky siehe Bodirsky Bodirsky, Dr. Gustav (*1.4.1864 Stachenwald/ Mähren, heute Stachovice/Tschechische Republik, †18.9.1934 Fulnek/Mähren, heute Tschechische Republik), Hof- und Gerichts advokat, 1912 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschradikale Partei, 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 12.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates. 71, 74, 97, 117, 124–126, 137, 141, 152, 154, 160 f, 164, 194, 210, 223, 242, 257, 269, 289, 309, 344, 359, 363, 391, 417 f, 428, 430, 436, 439, 442 Boog, Adolf von (*27.4.1866 Belluno/Königreich Italien, heute Republik Italien, †15.2.1929 Wien), ab 1.5.1910 Oberst im Generalstab und Generalstabschef des XV. Korps, ab 3.11.1911 Vorstand des Präsidialbüros des Kriegsministeriums, ab 18.10.1913 Kommandant der 8. Infanteriebrigade, 1.8.1914 Ernennung zum Generalmajor, 30.8.1914 Generalstabschef der 3. Armee, 9.5.1915 von diesem Posten enthoben, ab Mai 1915 Kommandant der 93. Infanteriedivision, 12.9.1915 mit dem Kommando der 25. Infanteriedivision betraut und am 31.3.1916 zu deren Kommandanten ernannt, 1.8.1917 Ernennung zum Feldmarschallleutnant, ab 13.5.1918 Kommandant der 4. Infanteriedivision, 8.11.1918– 1.7.1919 Oberbefehlshaber der Deutschösterreichischen Volkswehr. 31, 239 f, 429 Bratusch, Dr. Richard Edler von Marrein (*3.4.1861 Seisenberg/Krain, heute Žužemberk/Republik Slowenien, †11.8.1949 Graz), 29.12.1882 Eintritt in den Staatsdienst, 26.6.1906 Einberufung in das Justizministerium und Betrauung mit der Leitung des Departements für politische Strafsachen und Preßsachen, 27.1.1909 Ernennung zum Ministerialrat, 18.4.1917 Sektionschef und Leiter der administrativen und legislativen Sektion, 15.3.–17.10.1919 Staatssekretär für Justiz, ab 20.10.1919 Oberlandesgerichtspräsident in Graz, 31.12.1926 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1926 bis 1938 stellvertretender Präsident und später Präsident der Steiermärkischen Sparkassa Graz. 37, 44
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Personenregister Breisky, Dr. Walther (*8.7.1871 Bern, †25.9.1944 Selbstmord in Klosterneuburg/NÖ), 27.1.1895 Eintritt in den Staatsdienst, 1.1.1900 Einberufung in das Unterrichtsministerium, 1907 bis 1919 Tätigkeit im Ministerratspräsidium bzw. Staatsratspräsidium, 23.5.1919 Ernennung zum Sektionschef, 7.7.–20.11.1920 Staatssekretär für Inneres und Unterricht, 22.10.–20.11.1920 vorübergehend mit der Führung des Staatsamtes für Heereswesen betraut, 20.11.1920–21.6.1921 und 27.1.–31.5.1922 Vizekanzler, 7.4.–23.4.1921 und 21.6.1921–26.1.1922 Leitung des Bundesministeriums für Inneres und Unterricht, 7.4.– 28.4.1921 Leitung des Bundesministeriums für Heereswesen, 26.–27.1.1922 mit dem Vorsitz in der einstweiligen Regierung betraut, 27.1.– 31.5.1922 Leitung der Angelegenheiten des Unterrichts und des Kultus, 19.2.1923–30.9.1931 Präsident des Bundesamtes für Statistik. 421 Brügel, Ludwig (*6.2.1866 Großmeseritsch/Mähren, heute Velké Meziříčí/Tschechische Republik, †30.8.1942 Theresienstadt/Protektorat Böhmen und Mähren, heute Terezín/Tschechische Republik), sozialdemokratischer Journalist und Historiker, Redakteur des „Neuen Wiener Tagblatts“, 1918 Pressechef der Staatskanzlei, 1922 bis 1925 Publikation einer Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie, 13.8.1942 Deportation nach Theresienstadt. 338, 421 Brunner, Josef (*9.9.1861 Höflein an der Thaya/ Mähren, heute Hevlín/Tschechische Republik, †25.11.1941 Höflein an der Thaya), Landwirt und Bäckermeister in Höflein an der Thaya, Obmannstellvertreter des deutschen landwirtschaftlichen Bezirksvereines in Joslowitz und Znaim, Ausschußmitglied der deutschen Sektion des Landeskulturrates von Mähren, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 123, 237 Buchberger, Karl (*14.8.1887 Olmütz/Mähren, heute Olomouc/Tschechische Republik, †6.5.1974 Bad Ragaz/Schweiz), 1911 Eintritt in den diplomatischen Dienst, vielfältige diplomatische Tätigkeit u. a. in Berlin und Den Haag, ab November 1924 interimistischer Geschäftsträger der österreichischen Gesandtschaft in Stockholm, 1.1.1926 Ernennung zum Legationsrat I. Klasse, 11.1.1928–19.8.1933 ständiger Geschäftsträger in Stockholm, 19.7.1933 Ernennung zum a.o. Gesandten und bev. Minister, 16.9.1933–30.4.1938 a.o. Gesandter und bev. Minister in Ankara, 31.12.1938 Versetzung
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493 in den dauernden Ruhestand, 1942 Annahme der schwedischen Staatsbürgerschaft, 27.4.1945 rehabilitiert und erneut in den Ruhestand versetzt, ab November 1949 wieder österreichischer Staatsbürger. 333 C Calice, Dr. Franz (*20.8.1875 Wien, †2.1.1935 Wien), Jurist, 10.1.1898–2.12.1905 diplomatische Tätigkeit an der österreichischen Botschaft in Konstantinopel, 2.12.1905–28.11.1909 an der Gesandtschaft in Stuttgart, 28.11.1909 Einberufung zur Gremialdienstleistung in das Ministerium des Äußern, 15.10.1912 bis Dezember 1922 an der Gesandtschaft in Den Haag, 22.1.1916 Ernennung zum Legationsrat 1. Kategorie, 30.9.1919 Ernennung zum deutschösterreichischen Geschäftsträger im Haag, Dezember 1922 bis Oktober 1932 Tätigkeit in Budapest, 29.12.1926 Ernennung zum a.o. Gesandten und bev. Minister, ab 1.11.1932 gegen Wartegeld beurlaubt, 31.1.1933 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 333 Čerović, Dr. Božidar (*, †), 1911 Ernennung zum Regierungssekretär, 1913 Ernennung zum Regierungsrat in der bosnisch-herzegowinischen Abteilung des Gemeinsamen Finanzministeriums. 117, 133 f, 135, 139 f, 198, 200 Chalupek (*, †), Steuerverwalter in Kaplitz. 104, 113 Clemenceau, Georges (*28.9.1841 Mouilleron-enPareds/Frankreich, †24.11.1929 Paris), Journalist und Politiker, 1865 bis 1869 Journalist und Lehrer in Stamford Connecticut, ab 1870 Bürgermeister von Montmartre, ab 1871 Mitglied der Abgeordnetenkammer, 1902 in den Senat gewählt, 1906 Innenminister, 1906 bis 1909 und 1917 bis 1920 Premierminister, Partei der Radikalsozialisten. 229, 304, 339 Cnobloch, Johann Alois Alfred Freiherr von (*6.3.1871 St. Ruprecht/Kärnten, †19.2.1962 Lehen/Salzburg), 14.11.1893 Eintritt in den nö. Landesdienst, 12.2.1899 Einberufung in das Ackerbauministerium, 1909 mit der Leitung des Departements XIV betraut, ab 1912 Leiter des Departements für Handelspolitik, Eisenbahnund Steuerfragen, 24.12.1912 Ernennung zum Ministerialrat, 1917 Regierungskommissär bei der Holzwirtschaftsstelle, 14.8.1917 Ernennung zum Sektionschef, im November 1918 mit der Führung der wirtschaftlichen Verhandlungen in
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Personenregister
Ungarn betraut und Vertreter Österreichs in Budapest, 21.4.1920 als a.o. Gesandter und bev. Minister in den Auswärtigen Dienst übernommen, ab November 1922 österreichischer Vertreter in Bukarest, 30.6.1925 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 149, 332 D d’Elvert, Dr. Heinrich (*4.4.1853 Brünn, heute Brno/Tschechische Republik, †7.4.1926 Wien), ab 1893 Landesgerichtsrat in Brünn, Mitglied des Gemeinderates von Brünn, ab 1896 Abgeordneter zum Landtag Mähren, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1906 Ernennung zum Hofrat, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 38, 358 f de Vaux, Dr. Léon Freiherr (*7.5.1870 Wien, †27.6.1944 Lausanne/Schweiz), Diplomat, 1893 Promotion, 1895 Konzepts-Praktikant bei der niederösterreichischen Statthalterei, 1896 Gesandschaftsattaché bei der Botschaft am Heiligen Stuhl, danach in Stockholm, München, Berlin, Den Haag, Paris und Rom, ab Mai 1915 Diplomat in Bern, 27.11.1918–20.10.1920 erster Geschäftsträger der liquidierenden österreichischungarischen Botschaft in Bern, danach Versetzung in den Ruhestand. 331, 355 Demuth, Dr. Adolf (*19.9.1862 Reichenberg/ Böhmen, heute Liberec/Tschechische Republik, †8.1.1927 Liberec/Tschechoslowakische Republik, heute Tschechische Republik), Regierungsrat, ab 1917 Erster Sekretär der Reichenberger Handelskammer. 448 Deutsch, Dr. Julius (*2.2.1884 Lackenbach/Westungarn, heute Burgenland, †17.1.1968 Wien), Jurist, vor 1914 Redakteur der „ArbeiterZeitung“, 1918 bis 1920 Mitwirkung beim Aufbau der Volkswehr, 3.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Heereswesen, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdAP, 15.3.1919–22.10.1920 Staatssekretär für Heereswesen, 10.11.1920– 17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, 1923 bis 1934 Obmann des Republikanischen Schutzbundes, militärischer Leiter der Februarkämpfe 1934, danach Flucht in die ČSR, 1936 bis 1939 Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der republikanischen Volksarmee, 1939 Emigration nach Paris, 1940 in die USA. 1, 8, 31 f, 37, 43, 81, 89 f, 92, 95 f, 117 f, 120, 122, 126–128, 137 f, 240, 417, 428–430, 439
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Diner-Dénes, Josef (*27.6.1857 Liptau-SanktNikolaus/Ungarn, heute Liptovský Mikuláš/Slowakei, †5.8.1937 Paris), sozialdemokratisch ausgerichteter Journalist und Soziologe, Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen, November 1918 bis 1919 ungarischer Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, lebte danach in Berlin und Paris. 68, 132, 145, 280, 281 Dinghofer, Dr. Franz (*6.4.1873 Ottensheim/ OÖ, †12.1.1956 Wien), 1907 bis 1918 Bürgermeister von Linz, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1914 bis 1918 Abgeordneter zum Landtag OÖ, 21.10.1918–16.2.1919 Dritter Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied und ab 12.3.1919 Dritter Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung, GdP, 1920 bis 1928 Obmann des großdeutschen Parlamentsklubs, 10.11.1920– 6.11.1928 Nationalratsabgeordneter und Dritter Präsident des Nationalrates, 20.10.1926– 19.5.1927 Vizekanzler mit der Leitung der Justizangelegenheiten betraut, 19.5.–30.8.1927 Bundesminister im Bundeskanzleramt mit der Leitung der Justizangelegenheiten betraut, 31.8.1927–4.7.1928 Bundesminister für Justiz, 1.1.1928–2.5.1938 Präsident des Obersten Gerichtshofes. 32 f, 38, 45, 48 f, 52, 60, 62, 67, 70, 72, 74, 81, 88 f, 93, 95–97, 103, 107 f, 110 f, 117–119, 121, 125 f, 136, 141, 143–147, 156, 161 f, 164–166, 176, 257, 269, 278, 289, 292, 295, 309, 347 f, 350 f, 353–355, 358 f, 361 f, 365, 368, 382, 384 f, 391, 407, 417, 419, 421, 423, 425, 426, 430 f, 435 Domes, Franz (*25.6.1863 Wien, †11.7.1930 Wien), Gewerkschaftsbeamter, ab 1906 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, Präsident des Österreichischen Arbeiterkammertages, Mitbegründer des Metallarbeiterverbandes und 1918 dessen Obmann, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, ab 26.2.1920 Präsident der neu geschaffenen Kammer für Arbeiter und Angestellte, 10.11.1920–11.7.1930 Nationalratsabgeordneter. 1, 4, 21, 25, 27, 50, 58 f, 161, 183, 194, 210, 223, 257, 289 f, 307, 391, 396, 398, 400, 403, 407, 417, 439
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Personenregister
495 E
Ehrhart von Ehrhartstein, Robert Freiherr (*12.9. 1870 Innsbruck, †18.4.1956 Baden/NÖ), 23.12. 1893 Eintritt in den niederösterreichischen Landesdienst, 7.12.1899 Einberufung in das Unterrichtsministerium, ab 1905 in der Präsidialkanzlei des Ministerratspräsidiums tätig, 6.5.1911 Ernennung zum Ministerialrat, ab 1912 Protokollführer im Ministerrat, 22.1.1917 Ernennung zum Sektionschef, 11.11.1918 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1925 Verwaltungsrat der Sanatorium und Kuranstalten in Baden bei Wien AG., 1925 bis 1934 geschäftsführender Vizepräsident des Hauptverbandes der Industriellen Österreichs, 1932 bis 1938 Vizepräsident der Sanatorium Gutenbrunn AG. in Baden bei Wien. 409 Einspinner, August (*30.7.1870 Mürzzuschlag/ Steiermark, †28.4.1927 Graz), Goldschmied, 1901 Mitglied des Grazer Gemeinderates, 1902 Abgeordneter im steirischen Landtag, 1906 Reichsratsabgeordneter und Kammermitglied, 1916 bis 1918 Präsidium für die Bewältigung der kriegswirtschaftlichen Aufgaben der Kammer und Mitglied des Hauptausschusses für Kriegsund Übergangswirtschaft, nach 1918 Mitglied des Wohlfahrtsausschusses dann im Landesausschuß und Militärbevollmächtigter der steiermärkischen Landesregierung, 1921 Geschäftsleiter der Grazer Messe, 1921 bis 1924 Präsident des Hauptverbandes der Gewerbeverbände Österreichs. 300 Eisler, Dr. Arnold (*6.4.1879 Holleschau/Mähren, heute Holešov Tschechische Republik, †28.1.1947 New York), Rechtsanwalt, Mitglied des Grazer Gemeinderates und Abgeordneter im steirischen Landtag, ab Oktober 1918 Vizekommissär in Wirtschaftsfragen, November 1918 bis Juni 1919 und Juli bis November 1920 steiermärkischer Landesrat, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdAP, 17.10.1919–20.11.1920 Unterstaatssekretär für Justiz, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, 1925 bis 1934 Rechtsanwalt in Wien, 1938 Emigration in die USA. 299 f Eisler-Friedländer, Elfriede siehe Fischer, Ruth Elfriede Ekengren, Wilhelm August Ferdinand (*10.11.1861 Stockholm, †26.11.1920 Washington D.C.), Diplomat, ab 1896 Vizekonsul in Rouen, Bourdeaux, Le Havre und New York, 1902 Generalkonsul in Lübeck, ab 1903 im schwedi-
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schen Außenministerium, ab 1906 Legationssekretär und charge d’affairs in Washington D.C., 22.3.1912–26.11.1920 schwedischer Gesandter in den USA. 119 Ellenbogen, Dr. Wilhelm (*9.7.1863 Lundenburg/ Mähren, heute Břeclav/Tschechische Republik, †24.2.1951 New York), Arzt, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 12.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 15.3.1919–24.6.1920 und 7.7.1920–22.10.1922 Unterstaatssekretär für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, 24.6.–7.7.1920 mit der einstweiligen Führung des Staatsamtes für Handel, Gewerbe, Industrie und Bauten betraut, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, 1938 Emigration in die USA, 1943 bis 1945 Vorstandsmitglied des Austrian Labor Committee. 1, 13, 17, 19, 25, 27, 36, 41 f, 45, 51–53, 58 f, 63 f, 67, 73, 81 f, 97, 117, 141, 146, 149, 154, 161, 173, 179, 183, 193, 208, 223, 232, 240, 242, 257, 264, 269, 289, 309, 314 f, 347, 365, 368, 370, 375 f, 379 f, 383–386, 389, 391 f, 403, 407, 417, 420, 432 Enderes, Ing. Bruno Ritter von (*19.2.1871 Wien, †17.10.1934 Wien), 13.4.1897 Eintritt in den Staatsdienst, 31.10.1903 Einberufung in das Eisenbahnministerium, 28.10.1908 aus dem Staatsdienst ausgeschieden, danach bis 1917 Tätigkeit bei der Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft, ab 1909 Generaldirektor, 12.2.1917 erneuter Eintritt in den Staatsdienst als Sektionschef, 30.10.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Verkehrswesen, 30.11.1923 Versetzung in den dauernden Ruhestand, Vizepräsident und bis Anfang 1926 Mitglied der Verwaltungskommission der ÖBB. 417, 427 f, 435 Erler, Dr. Eduard (*25.9.1861 Innsbruck, †1.1.1949 Innsbruck), Rechtsanwalt, Vizebürgermeister von Innsbruck, 1901 bis 1908 und 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschfreiheitliche Partei Tirols. 383 F Falta, Ladislaus (*24.11.1884, †), Hauptmann, Mitglied der Holzgruppe des Kriegsministeriums. 147, 157
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496 Falter siehe Falta Fasching, Dr. Josef (*, †), Bezirkskommissär bei der k.k. Bezirkshauptmannschaft Cilli, 8.11.1918 Ernennung zum Bevollmächtigen des Staatsamtes für Äußeres in Laibach, ab April 1919 bis 16.11.1919 Chef der Expositur behufs Vidierung von Pässen in Laibach, danach im Innenministerium. 333 Fayrer, Julius (*, †), September 1898 Ernennung zum Gerichtsadjunkten in Elbogen, November 1907 Ernennung zum Bezirksrichter in Marschendorf, Dezember 1912 Ernennung zum Landesgerichtsrat und Gerichtsvorstand am k.k. Bezirksgericht Kaplitz. 105, 113 Feyler/Feyrer/Freyer siehe Fayrer Fink, Dr. Jodok (*19.2.1853 Andelsbuch/Vorarlberg, †1.7.1929 Andelsbuch), 1890 bis 1918 Abgeordneter zum Landtag Vorarlberg, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 1911 Landeshauptmannstellvertreter von Vorarlberg, 1914 bis 1918 Direktor des Volksernährungsamtes, 21.–30.10.1918 Vorsitzender des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.–30.10.1918 Zweiter Präsident und bis 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 15.3.1919–24.6.1920 Vizekanzler, 10.11.1920–1.7.1929 Nationalratsabgeordneter, 1922 bis 1929 Obmann des christlichsozialen Parlamentsklubs. 3, 38, 59 f, 62, 65 f, 97 f, 101 f, 107, 117, 141, 144, 152, 161, 183, 193, 208, 212, 215, 223, 232, 242, 245, 257, 269, 284, 289, 309, 347, 365, 381 f, 391, 399, 402, 439 Fischer, Ruth Elfriede, verh. Friedländer (ab 1896 Eisler, ab September 1919 führte sie den Geburtsnamen ihrer Mutter Fischer) (*11.12.1895 Leipzig/Sachsen, †13.3.1961 Paris), kommunistische Publizistin und Politikerin, 1901 mit ihren Eltern nach Wien übersiedelt, Herausgeberin des kommunistischen Organs „Weckruf“ und Redakteurin der Zeitschrift „Die revolutionäre Proletarierin“, Anfang November 1918 Mitbegründerin der KPDÖ, wegen Teilnahme an der Besetzung des Redaktionsgebäudes der „Neuen Freien Presse“ am 12. November 1918 vorübergehend inhaftiert, August 1919 Rückkehr ins Deutsche Reich, ab 1920 Mitarbeit am KPD-Organ „Die Internationale“, ab 1921 im Zentralausschuß der
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Personenregister KPD und in der Leitung der Berliner KPD, ab 1924 Vorsitzende des Politischen Büros des Zentralkomitees der KPD sowie Reichstagsabgeordnete und Abgeordnete im Preußischen Landtag, August 1926 Ausschluß aus der KPD, 1933 Emigration nach Frankreich und 1941 weiter nach New York. 269, 276 f, 286 Flieder, Dr. Robert (*28.5.1883 Patzdorf/Böhmen, heute Pacov/Tschechische Republik, †16.8.1957 Prag), Diplomat, Sekretär des Tschechischen Verbandes im Reichsrat, Bevollmächtigter der Tschechoslowakischen Republik in Wien, bis 1921 diplomatischer Vertreter derselben, 1921 bis 1924 Gesandter in Bern und Delegierter beim Völkerbund in Genf, 1924 bis 1927 Gesandter in Warschau, 1927 bis 1933 in Schweden, Norwegen, Litauen und Belgrad, 1933 bis 1935 Leiter der politischen Abteilung des Außenministeriums der Tschechoslowakei, ab 1935 Gesandter in Madrid und Lissabon. 227, 229 Flotow, Dr. Ludwig Freiherr von (*17.11.1867 Wien, †6.4.1948 Gmunden/OÖ), 29.4.1894 Eintritt in den steiermärkischen Landesdienst, 30.11.1894 Einberufung in das Ministerium des Äußern, 1895 bis 1913 vielfältige diplomatische Tätigkeit, u. a. in Belgrad, Bukarest und Brüssel, 28.3.1909 Ernennung zum Legationsrat I. Kategorie, 10.10.1913 zur Dienstleistung in das Ministerium des Äußern einberufen, 13.11.1913 Ernennung zum a.o. Gesandten und bev. Minister, bis 1918 Leiter des Referates I der politischen Sektion, 4.1.1917 Ernennung zum Zweiten Sektionschef und mit der Oberleitung aller politischen und Presseangelegenheiten des Ministeriums betraut, 28.3.1918 mit den Funktionen des Ersten Sektionschefs betraut, 2.– 11.11.1918 Leiter des Ministerium des Äußern, 12.11.1918–8.11.1920 Leiter des liquidierenden Ministeriums des Äußern, 8.4.1922 Übernahme in den österreichischen Bundesdienst, am selben Tag Amtsniederlegung auf eigenen Wunsch, 30.4.1922 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 331 Franz Ferdinand (*18.12.1863 Graz, †28.6.1914 Sarajewo), Erzherzog von Österreich-Este, ab 1889 Thronfolger, Mitglied des Hauses Habsburg-Lothringen. 151, 246, 252 f Franz Joseph I. (*18.8.1830 Wien, †21.11.1916 Wien), 2.12.1848–21.11.1916 Kaiser von Österreich zugleich Apostolischer König von Ungarn und König von Böhmen, Mitglied des Hauses Habsburg-Lothringen. 246, 252
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Personenregister Franz Salvator (*21.8.1866 Altmünster/OÖ, †20.4.1939 Wien), Erzherzog von Österreich, 1914 bis 1918 Generalinspektor der freiwilligen Sanitätspflege und Protektor-Stellvertreter des Roten Kreuzes in Österreich und Ungarn. 193, 204 f, 212 Freißler, Dr. Robert (*23.3.1877 Troppau/Österreichisch-Schlesien, heute Opava/Tschechische Republik, †7.1.1950 Graz), Handelskammersekretär in Troppau, Mitglied der Exportkommission beim Handelsministerium und Mitglied des Gewerbeförderungsbeirates beim Ministerium für öffentliche Arbeiten, Vizepräsident des Landesvereines für Arbeitsvermittlung in Schlesien, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutsche Volkspartei, 30.10.1918 Ernennung zum Obmann des Geschäftsführenden Ausschusses der Konstituierenden Landesversammlung für das Sudetenland, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 2.11.1918 Übernahme der landesfürstlichen und autonomen Gewalt in der designierten Landeshauptstadt der Provinz Sudetenland Troppau, im November 1946 aus der Tschechoslowakei in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands ausgewiesen, 1947 Übersiedlung nach Österreich. 97, 100, 111, 117 f, 136, 195, 427 f, 430, 435 f Frey, Dr. Josef (*24.11.1882 Strakonitz/Böhmen, heute Strakonice/Tschechische Republik, †17.3.1957 Zollikon bei Zürich/Schweiz), Journalist, Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, 1916 Adjutant beim Landesgendarmeriekommando 2, ab 1917 beim Ersatzbataillon 8, ab 10.11.1918 Kommandant der „Roten Garde“, 5.12.1918 Wahl zum Vorsitzenden des Vollzugsausschusses des Soldatenrates der Wiener Volkswehr, nach der Aufspaltung der „Roten Garde“ am 16.12.1918 Kommandant des Volkswehrbataillons 40, April 1919 Rücktritt, ab Mitte 1919 erneut Vorsitzender des Vollzugsausschusses des Soldatenrates, 1921 Eintritt in die KPÖ und Mitglied des Zentralkomitees, 1922 bis März 1923 Vorsitzender des Politbüros, 1923 bis 1925 als Mitarbeiter des militärischen Nachrichtendienstes der Roten Armee in Frankreich, Deutschland und der Tschechoslowakei, Mai 1926 Kündigung durch das Zentralkomitee, Jänner 1927 Ausschluß aus der KPÖ als Trotzkist, organisierte danach die „KPÖ (Opposition)“, November 1930 Austritt, 1934 kurzfristig inhaftiert, 1938 Emigration in die Schweiz. 428–430
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497 Freyer/Feyler/Feyrer siehe Fayrer Friedmann, Max (*14.4.1864 Reschitza/Banat, heute Reșița/Rumänien, †23.8.1936 Wien), Fabrikant, 1910 Gründer der wirtschaftlichen Zentrale für Gewerbe, Handel und Industrie, Präsident derselben, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Demokratische Partei, 30.10.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung. 45, 49 f, 58 f, 81, 83, 94, 136, 117, 183, 193 f, 215, 217–219, 221, 223, 232, 242, 257 f, 265, 309, 347, 365 f, 378 f, 383 f, 388, 391, 407 Fries-Skene, Dr. Alfred Freiherr von (*17.6.1870 Budva/Dalmatien, heute Montenegro, †16.2. 1947 Wien), 1894 Eintritt in den Dienst der politischen Landesstelle in Kärnten dann in Triest, 1895 Berufung in das Unterrichtsministerium, danach in das Ministerpräsidium, 1909 Sektionschef im Ministerium des Innern, 1912 Geheimer Rat und Landespräsident in Kärnten, 1915 bis 1918 Statthalter von Triest und den Küstenlanden. 208 Fröhlich, Dr. Georg (*17.7.1872 Brünn/Mähren, heute Brno/Tschechische Republik, †21.9.1939 Wien), Jurist, 9.7.1896 Eintritt in den Staatsdienst, 9.2.1907 Einberufung in das Ministerium für Landesverteidigung, ab 19.11.1918 Leiter des Verfassungsdienstes der Staatskanzlei bzw. Vorstand der Verfassungsabteilung des Bundeskanzleramtes, 31.12.1918 Ernennung zum Sektionsrat, 1.7.1920 Ministerialrat, 28.2.1930 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 16.2.1930– 14.7.1934 Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes, 1934 bis 1937 außerordentliches Mitglied des Bundesgerichtshofes. 289 f, 292–295, 307 Fuchs, Dr. Victor Freiherr von (*25.10.1840 Wien, †29.9.1921 Hall/Tirol), Rechtsanwalt und Politiker, 1879 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.3–24.7.1898 sowie 26.9.1898–8.10.1898 und 18.10.1899–8.6.1900 Präsident des Abgeordnetenhauses, 4.7.1907–12.11.1918 Präsidentenstellvertreter der Staatsschuldkontrollkommission des Reichsrates, Abgeordneter zum Landtag Salzburg, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der provisorischen Nationalversammlung, CSP. 53 Fürer, Dr. Rudolf Ritter von Haimendorf (*27.5. 1876 Troppau/Österreichisch-Schlesien, heute Opava/Tschechische Republik †17.2.1946 Wien), Jurist, politischer und wirtschaftlicher Berater der
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Personenregister
Militärkanzlei des Thronfolgers Franz Ferdinand, 1906 Gründer des Reichsverbandes der öffentlichen Arbeitsvermittlungsanstalten, 1914 bis 1918 Vizesekretär im Ackerbauministerium, ab 1916 Statthaltereirat, August 1918 Ernennung zum Sektionsrat im Amt für Volksernährung, 1918 Landesverweser des Sudetenlandes, ab 23.2.1921 Vorstandsmitglied und Vizepräsident der österreichischen Holzbank. 151–154, 428 G Gaertner, Ing. Dr. Friedrich (*1.5.1882 Teschen/ Österreichisch-Schlesien, heute Cieszyn/Republik Polen, †6.2.1931 Wien), Nationalökonom, 4.11.1907 Eintritt in den Dienst des Arbeitsstatistischen Amtes, 3.2.1909 Übernahme in das Handelsministerium, 8.6.1910 Ernennung zum Ministerialvizesekretär, ab 1910 Privatdozent an der Technischen Hochschule in Wien, 26.2.1911 Einberufung in das Ministerratspräsidium, 5.3. 1913 Ernennung zum Ministerialsekretär, ab 1914 Regierungskommissär der Kriegsgetreideanstalt bzw. Deutschösterreichischen Getreideanstalt, 26.7.1916 Ernennung zum Sektionsrat, 1.1.–30.10.1919 aushilfsweise Verwendung im Staatsamt für Äußeres, betraut mit Fragen wirtschaftlicher und juristischer Natur bei den Vorbereitungen für die Friedensverhandlungen in St. Germain, 19.12.1919 Ernennung zum Ministerialrat in der Staatskanzlei, 23.7.1923 Verleihung des Titels Sektionschef, 31.1.1924 Versetzung in den dauernden Ruhestand auf eigenes Ansuchen, 1924 bis 1931 Direktor des kommerziellen Dienstes der DDSG. 326 Germains, Victor Wallace (*Juni 1888 London, †), Journalist und Schriftsteller. 336 Giusti del Giardino, Vettor (*29.12.1855 Padua/ Lombardo-Venetien, †12.2.1926 Venedig), Gutsbesitzer und Politiker, 1.9.1890–8.9.1893 Bürgermeister von Padua, 30.12.1914–12.2.1926 Senator des Königreichs Italien. 84 Glöckel, Otto (*8.2.1874 Pottendorf/NÖ, †23.7. 1935 Wien), Lehrer, 1897 aus politischen Gründen seines Lehrerpostens enthoben, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 5.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Inneres und 15.3.1919–22.10.1920 Unterstaatssekretär für Unterricht, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Natio-
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nalversammlung, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, 1920 bis 1934 Präsident des Wiener Stadtschulrates, 13.2.1934 Verhaftung, mehrwöchige Inhaftierung im Polizeigefängnis, danach bis Oktober 1934 im Anhaltelager Wöllersdorf. 2, 31, 81, 93 f, 161, 183, 190 Grabmayr, Dr. Karl von (*12.2.1848 Bozen, †24.6.1923 Meran/Italien), Jurist, 1878 bis 1891 Advokat in Meran, 1892 bis 1912 Abgeordneter zum Tiroler Landtag, 1898 bis 1906 Mitglied des Abgeordnetenhauses, 1907 bis 1918 Abgeordneter des Herrenhauses, 1910 bis 1914 Mitglied der Österreichisch-Ungarischen Delegationen, ab 1905 Vizepräsident des k.k. Reichsgerichtes, ab 1913 dessen Präsident, ab 1908 Präsident der Wiener juristischen Gesellschaft, 1919 bis 1921 Präsident des Verwaltungsgerichtshofes. 246, 254, 336 Grim, Josef (*7.11.1860 Preinsbach/NÖ, †10.7. 1948 Preinsbach), Landwirt, Mitbegründer des Niederösterreichischen Bauernbundes, ab 1897 Gemeinderat von Preinsbach, 1900 bis 1938 Bürgermeister von Preinsbach, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 8.1.1909–8.1.1915 Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, 21.10. 1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 5.11.1918–4.5.1919 Mitglied der provisorischen Landesversammlung Niederösterreich, 12.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung. 257, 269, 365, 439 Grimm, Dr. Ferdinand von (*15.2.1869 Wien, †8.11.1948 Bad Kreuzen/OÖ), Jurist, 13.8.1892 Eintritt in den Staatsdienst, 19.1.1898 Einberufung in das Finanzministerium, 14.12.1912 Ernennung zum Ministerialrat, 25.9.1917 Sektionschef, 1917 bis 1918 Vorstand des Präsidial büros, 1917 bis 1924 Leiter der Budget- und Kreditsektion, 4.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Finanzen, 20.11.1920–7.10.1921 Bundesminister für Finanzen, 1921 bis 1933 Verwaltungsrat des Österreichischen Creditinstitutes für öffentliche Unternehmungen und Arbeiten, 21.5.1924 Ernennung zum Ministerialdirektor, 1925 bis 1934 Vizepräsident der Österreichischen Radioverkehrs AG. (Ravag), 31.10.1931 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 99, 150, 158, 257, 261, 266, 309, 320, 322, 345 Grimm, Ing. Leopold von (*3.3.1862 Schöbritz/ Böhmen heute Všebořice/Tschechische Republik, †23.4.1939 Brünn, heute Brno/Tschechische Re-
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Personenregister publik), o. Prof. an der Technischen Hochschule in Brünn, ab Februar 1907 Mitglied des Versicherungsbeirates, ab Februar 1908 fachtechnisches Mitglied des k.k. Patent-Gerichtshofes, 1911 Ernennung zum Hofrat. 150 Gruber, Josef (*12.3.1867 Lambach/OÖ, †5.9.1945 Linz), Bürgerschullehrer in Linz, 1905 bis 1934 Mitglied des Linzer Gemeinderates, 1907 bis 1911 Reichsratsabgeordneter, 1918 bis 1934 Abgeordneter zum Landtag OÖ, 2.–17.11.1918 Mitglied der provisorischen Landesregierung, 18.11.1918–22.6.1919 Mitglied des provisorischen Landesausschusses, 18.11.1918–17.5.1931 Landeshauptmannstellvertreter von OÖ, 4.3.– 20.12.1919 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdAP, 10.11.–25.11.1920 Nationalratsabgeordneter, 25.11.1920–1.7.1925 Mitglied des Bundesrates, 7.12.1920–28.6.1921 stv. Vorsitzender des Bundesrates, 1930 bis 1934 Bürgermeister der Stadt Linz. 163
499 Rechtsanwalt und Journalist in Königsberg, ab 1887 Mitglied der SPD, 1911 bis 1916 deren Vorsitzender, 1917 bis 1919 Mitbegründer und Vorsitzender der USPD, 10.11.–29.12.1918 Mitvorsitzender des Rates der Volksbeauftragten, erlag am 7.11.1919 in Berlin den Folgen eines Attentates. 54 f, 334 f Hagenbach-Bischoff, Edouard (*20.2.1833 Basel/ Schweiz, †23.12.1910 Basel), Schweizer Mathematiker und Physiker, 1863 bis 1906 o. Prof. für Physik an der Universität Basel, 1874 bis 1879 Präsident der Schweizer Akademie der Naturwissenschaften. 381
Hanausek, Willhelm (*28.7.1856 Wien, †27.9.1926 Wien), ab 1.11.1876 Militärrechnungseleve bei der Feldrechnungsabteilung des Kriegsministeriums, ab 1.10.1895 Unterintendant im k.u.k. Kriegsministerium, 4.8.1915 Ernennung zum Sektionschef, 1918 Übernahme in das Staatsamt für Heerwesen als Sektionschef, Bestellung zum deutschösterreichischen Liquidierungskommissär Gruber, Rudolf (*29.11.1864 Sollenau/NÖ, für das liquidierende Kriegsministerium und das †13.10.1926 Sollenau), Gastwirt und Wirt liquidierende Landesverteidigungsministerium, schaftsbesitzer, 19.12.1902–20.7.1908 und 8.1. 1920 Österreichischer Vertreter im bevollmäch1909–8.1.1915 Abgeordneter zum Landtag tigten Kollegium für das liquidierende KriegsNiederösterreich, ab 1904 Bürgermeister von ministerium, 1.9.1920 Pensionierung. 391, 399 Sollenau, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, Hanke, Norbert (*10.2.1896 Würbenthal/Österreichisch-Schlesien, heute Vrbno pod Pradědem/ 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des StaatsraTschechische Republik, †), Elektrotechniker, tes, 5.11.1918–4.5.1919 Mitglied der provisoOberleutnant, 15.4.1915 Eintritt in das Heer, rischen Landesversammlung Niederösterreich, ab diesem Datum bis Februar 1916 in der Re12.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, serve Offiziers Schule des Telegraphenregiments, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstitu3.3.–24.9.1916 Zugskommandant der Festungsierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– Telegraphen Kompagnie III/6 (Pergine), vom 13.10.1926 Nationalratsabgeordneter. 1, 15, 29, 24.9.1916–10.5.1918 Kommandant der selbst36, 43, 59, 97, 102, 117, 161, 193, 215, 223, ständigen Brigade Telefon-Abteilung 181 (später 289, 309, 321, 347, 365, 391, 417 38. Brigade), mit 1.1.1917 in den Berufs-Offiziersstand übernommen, 10.5.1918–5.7.1918 Guggenberg, Atanas von (*12.10.1846 Brixen/ Fachorgan für das Verbindungswesen der 38. Tirol, †8.12.1920 Brixen/Italien), Generalmajor Brigade, ab 5.7.1918 Spezial-Telefon-Offizier des d. R., Mitglied des Gemeinderates und Obmann 10. Armeekommandos, 20.11.1918 Übertritt zur des Kurvereines Brixen, Zentralausschußmitbewaffneten Macht Deutschösterreichs. 237 glied des Landesverbandes für Fremdenverkehr in Tirol, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, Hanusch, Ferdinand (*9.11.1866 Oberdorf bei 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der ProvisoriWigstadtl/Österreichisch-Schlesien, heute Vítschen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918– kov/Tschechische Republik, †28.9.1923 Wien), 14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates. 193 f, Sekretär der Union der Textilarbeiter Öster203, 210 f, 215, 218 f, 407 f, 411 reichs in Wien, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, H 30.10.1918–15.3.1919 Staatssekretär für soziale Fürsorge, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied Haase, Hugo (*29.9.1863 Allenstein/Ostpreußen, der Konstituierenden Nationalversammlung, heute Olsztyn/Republik Polen, †7.11.1919 Ber15.3.1919–22.10.1920 Staatssekretär für soziale lin), Jurist, Politiker und Pazifist, 1890 bis 1911
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500 Verwaltung, 1.–7.7.1920 mit der einstweiligen Führung des Staatsamtes für Verkehrswesen betraut, 7.7.–23.10.1920 Stellvertreter im Vorsitz im Kabinett und in der Leitung der Staatskanzlei, 10.11.1920–28.9.1923 Nationalratsabgeordneter, ab 1921 Direktor der Wiener Arbeiterkammer. 25, 28, 50, 97, 101–103, 112, 141, 146, 157, 161, 167, 170, 178, 215–217, 221, 245, 248 f, 254, 417, 422, 439, 441 f, 449 Harrer, Dr. Ferenc (*2.6.1874 Budapest, †21.11. 1969 Budapest), Jurist, 1918 stv. Bürgermeister von Budapest, 11.11.–2.12.1918 ungarischer Gesandter in Wien, 24.1.–21.3.1919 ungarischer Außenminister, 1925 bis 1942 Mitglied des Budapester Rates für öffentliche Arbeiten, 1949 bis 1969 Parlamentsabgeordneter. 145 f Hartmann, Dr. Ludwig (Ludo) Moritz (*2.3.1865 Stuttgart, †14.11.1924 Wien), Historiker und Volksbildner, ab 1889 Privatdozent an der Universität Wien, 1903 Ernennung zum a.o. Prof. für Geschichte, 1918 mit der Sichtung der Akten im Haus-, Hof- und Staatsarchiv betraut und zum Archivbevollmächtigten für Deutschösterreich bestellt, 25.11.1918 bis April 1921 a.o. Gesandter und bev. Minister in Berlin, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, SdAP, 1.12.1920–14.11.1924 Mitglied des Bundesrates, 30.7.1924 Ernennung zum o. Prof. 18 f, 55 f, 134, 311, 332, 334 f Haupt, Dr. Stephan Freiherr von Buchenrode (*27.10.1869 Brünn/Mähren, heute Brno/Tschechische Republik, †4.10.1954 Rio de Janeiro/ Brasilien), Gutsbesitzer und Jurist, 8.8.1892 Eintritt in den Dienst bei der Statthalterei in Brünn, 3.1.1895 Zulassung zur probeweisen Konzeptspraxis im Ministerium des Äußern, 1896 freiwilliges Ausscheiden aus dem Auswärtigen Dienst, Übernahme des väterlichen Gutes in Zlín, Abgeordneter zum Landtag Mähren, 1910 Honorarkonsul des Deutschen Reichs für Mähren und Schlesien mit Sitz in Brünn, ab 1912 Mitglied und ab 1914 Präsident der Handelsund Gewerbekammer in Brünn, 19.11.1918 Ernennung zum bevollmächtigten Vertreter Deutschösterreichs in Bern, 30.11.1919 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 85, 230, 300, 323, 330–332, 335 f Hauser, Dr. Johann Nepomuk (*24.2.1866 Kopfing am Inn/OÖ, †8.2.1927 Linz), Prälat, 1899 bis 1927 Abgeordneter zum Landtag OÖ, Mitglied des oö. Landesschulrates, 1908 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 4.5.1908–8.2.1927 Lan-
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Personenregister deshauptmann von OÖ, 1914 bis 1918 Klub obmann der CSP, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, 30.10.1918–16.2.1919 Zweiter Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums, 26.11.1918 bis Ende Februar 1920 Obmann der CSP, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied und ab 5.3.1919 Zweiter Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920–8.2.1927 Nationalratsabgeordneter. 28, 105, 113, 117, 122 f, 141, 152, 161, 163–165, 170, 173, 175 f, 183, 185 f, 190, 223, 231 f, 242, 245 f, 249, 252, 257, 365 f, 368, 375, 387, 391, 399, 403, 407– 409, 411, 414, 417, 427, 432, 439, 441–443, 446, 448 Hawerda-Wehrlandt, Franz von (*22.7.1854 Wiener Neustadt/NÖ, †13.11.1931 Wien), 1897 Eintritt in den Staatsdienst, Tätigkeit bei mehreren Bezirkshauptmannschaften, 30.9.1878 in die nö. Statthalterei einberufen, ab 2.11.1878 im Präsidialbüro ebendort tätig, 2.9.1880 Ernennung zum Hofsekretär, 1893 mit der Führung des Präsidialdienstes betraut, 25.11.1899 Ernennung zum Regierungsrat, 24.5.1900 Verleihung des Titels Sektionsrat, 10.12.1903 Ernennung zum Hofrat, Dezember 1903 stv. Generaldirektor der kaiserlichen Privat- und Familienfonds, ab November 1910 Generaldirektor, 1.12.1917– 12.8.1918 zugleich Leiter der Kabinettskanzlei, 1.3.1920 Versetzung in den dauernden Ruhestand, Verwaltungsrat der Allgemeinen österreichischen Bodenkreditanstalt. 253 Heine, Dipl.-Ing. Rudolf (*14.12.1877 Rumburg/ Böhmen, heute Rumburk/Tschechische Republik †10.12.1949 Wien), 1902 Eintritt in das Eisenbahnministerium, Tätigkeit in der Baudirektion als Oberingenieur, 1907 Ernennung zum Baurat, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1916 Ernennung zum Oberbaurat, Oktober 1917 bis Kriegsende im Kriegswissenschaftlichen Amt des Kriegsministeriums, danach Tätigkeit im Staatsamt für Verkehrswesen, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 12.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 24.3.1921 Verleihung des Titels Ministerialrat, 31.1.1923 Versetzung in den dauernden Ruhestand, danach Leiter eines technischen Büros in Wien. 50, 58 f, 97, 105 f, 114, 183, 187, 191, 193 f, 198, 200, 210 f, 215, 309, 327, 344, 347, 360, 365, 369 f, 373 f, 385
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Personenregister Hejpetr, Josef (*, †), Finanzrat in Kaplitz, zuständig für die direkte Besteuerung bei der Bezirkshauptmannschaft Kaplitz, September 1907 Ernennung zum Finanzsekretär bei der Finanz-Landesdirek tion in Prag, Mai 1913 Ernennung zum Finanzrat, Dezember 1930 Versetzung in den Ruhestand. 104, 113 Herold, Dr. Josef (*11.10.1861 Skyrl/Böhmen, heute Škrle/Tschechische Republik, †5.3.1932 Most/Tschechoslowakische Republik, heute Tschechische Republik), Rechtsanwalt, Mitglied der Bundesleitung des Bundes der Deutschen in Böhmen, ab 1894 Mitglied des Schiedsgerichtes des Deutschen Schulvereines, ab 1905 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 1905 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1909 bis 1918 Bürgermeister von Brüx, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 327, 337 Hiatt, Walter S. (*, †), amerikanischer Journalist und Publizist, Vertreter der Associated Press. 169 f, 178, 271 Hikisch, Franz (*, †), ab 1895 BezirksgerichtsAdjunkt in Weseritz, 1898 Versetzung nach Asch, 1903 Ernennung zum Bezirksrichter, 1909 Ernennung zum Landesgerichtsrat, 1911 Versetzung nach Budweis, 1916 Ernennung zum Oberlandesgerichtsrat am k.k. Kreisgericht Reichenberg. 194 Hindenburg, Paul von Beneckendorff und von (*2.10.1847 Posen/Preußen, heute Poznan/ Republik Polen, †2.8.1934 Neudeck/Preußen, heute Ogrodzieniec/Republik Polen), Generalfeldmarschall, ab August 1916 als Chef des Generalstabs an der Spitze der dritten OHL, 25.6.1919 Rücktritt als Chef des Generalstabs, 12.5.1925–2.8.1934 deutscher Reichspräsident. 329 Hock, Paul Freiherr von (*20.10.1857 Wien, †2.10.1924 Wien), 1904 Eintritt in den niederösterreichischen Landesdienst, erster Bezirks hauptmann von Floridsdorf, 1907 bis 1918 Hofrat des k.k. Verwaltungsgerichtshofes, 1905 Gründer des Vereines „Freie Schule“ und dessen Obmann, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschfreiheitliche Vereinigung Wiener Abgeordneter bzw. Demokratische Partei, Mitglied des deutschösterreichischen Verwaltungsgerichtshofes. 117, 119, 136
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501 Hoffenreich, Dr. Ernst (*26.4.1890 Wien, †6.12. 1958 Mattersburg/Burgenland), Rechtsanwalt und Politiker, 1918 bis 1919 Mitarbeiter der Staatskanzlei, 1920 bis 1931 Magistratsbeamter in Wiener Neustadt (1922 bis 1925 beurlaubt), 15.7.1922–12.4.1934 Abgeordneter des burgenländischen Landtages, 20.5.1927–5.12.1930 erster danach bis 12.2.1934 zweiter Landtagspräsident, zwischen 1922 und 1925 Landesrat in mehreren Regierungen, 1927 bis 1934 Bürgermeister von Sauerbrunn, 1934 Verlust der politischen Ämter, ab 1939 Rechtsanwalt in Sauerbrunn, 1946 bis 1950 Vizepräsident der burgenländischen Handelskammer, 13.12.1945– 19.3.1953 Abgeordneter des burgenländischen Landtages, SPÖ. 208 Hoheisel, Dr. Konrad (*12.11.1862 Alt-Rothwasser/Österreichisch-Schlesien, heute Stará Červená Voda/Tschechische Republik, †15.9.1930 Wien), 22.4.1886 Eintritt in den Staatsdienst, 1.10.1895 Einberufung in das Handelsministerium, 13.2. 1907 Ernennung zum Hofrat, ab 1907 Leiter der Salzburger und Linzer Postdirektion, 1910 bis 1918 Präsident der Post- und Telegraphendirektion in Wien, 17.4.1918 Ernennung zum Sektionschef und Generaldirektor für die Postund Telegraphenangelegenheiten, 10.7.1930 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 47 Holzhammer, Josef (*23.11.1850 Innsbruck, †22.5.1942 Innsbruck), Schlosser, 1877 Gründer der Allgemeinen Arbeiterkrankenkasse für Tirol und Vorarlberg, bis 1928 zuerst ehrenamtlicher und sodann hauptberuflicher Leiter dieses Institutes, Mitbegründer der sozialdemokratischen Partei in Tirol sowie der sozialdemokratischen „Volkszeitung“, zeitweise deren Redakteur und Mitarbeiter, 1907 bis 1911 Reichsratsabgeordneter, 20.11.1918 Ernennung zum Zivilkommissär beim italienischen Besatzungskommando in Nordtirol, 1919 bis 1925 Abgeordneter zum Landtag Tirol und Mitglied der Tiroler Landesregierung. 131, 139 Hummer, Mag. Gustav (*11.12.1877 Znaim/ Mähren, heute Znojmo/Tschechische Republik, †18.11.1959 Wien), Apotheker und Schriftsteller, Mitglied der Mährischen Landesparteileitung der deutschradikalen Partei, ab 1907 Aufsichtsrat des Südmährerbundes, seit 1910 Mitglied des Ausschusses des Deutschnationalen Vereines für Österreich, 1908 bis 1909 politischer Leiter von „Deutscher Mahnruf. Deutschvölkisches Wochenblatt für Znaim und Südmähren“, seit
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Personenregister
1911 Herausgeber des „Deutschradikalen Jahrbuches“, 1916 bis 1918 Herausgeber der „Politischen Tagebücher“ in Wien, Mai 1918 bis 1919 Leiter einer Nachrichtenagentur, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten, ab 30.10.1918 Mitglied des Staatsgerichtshofes, Vizepräsident bzw. Präsident der Apothekerkammer, 1920 bis 1922 Generaldirektor der Österr. Mineralwassermonopols-Gesellschaft. 12 Hyatt siehe Hiatt I Iro, Karl (*25.9.1861 Eger/Böhmen, heute Cheb/ Tschechische Republik, †12.10.1934 Wien), Schriftsteller, Herausgeber der Zeitschrift „Unverfälschte deutsche Worte“ in Wien, ab 1895 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 12.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates. 1, 4, 25, 27, 29, 31, 34 f, 37, 40, 43 f, 59, 97, 117, 141, 153, 161 f, 173, 180, 183 f, 190, 193, 206, 215, 223, 234, 245, 248, 257, 263, 268, 285, 391, 407, 417 f, 423, 427 f, 430, 436, 439, 445 f, 452 Iselstöger, Stefan (*11.12.1883 Páncsova/Ungarn, heute Pancevo/Republik Serbien, †26.8.1955 Wien), Legationsrat, 18.11.1904–15.2.1906 Tätigkeit für die Ungarische Handels-Aktiengesellschaft, August 1907 bis August 1908 Korrespondent bei der Firma Georg Weifert, 25.6.1909–1914 Honorarbeamter im k.u.k. Konsulat in Belgrad, 1912 Konsularoffizial, 31.7.1914–24.3.1916 Offizial im k.u.k. Konsulat in Dortmund, 3.4.1916–1918 Offizial im k.u.k. Konsulat in Nisch, 1919 Kanzlei sekretär, 22.5.1919–1928 Leiter der Paßstelle des Generalkonsulats Agram, 1921 Konsularkanzleirat, 1924 Kanzleidirektor, 1928 Amts sekretär, ab 1.11.1928–1930 Amtssekretär in der österreichischen Gesandtschaft in Budapest, ab 1.7.1930–1938 Amtssekretär, ab 1934 provisorischer Gerent im Honorarkonsulat in Breslau, 1935 wirklicher Amtsrat, Mai 1938 Versetzung nach Wien. 333
J Jeffries, Joseph Mary Nagel (*1880, †1960), Autor und Journalist, 1914 bis 1933 Korrespondent der „Daily Mail“, während des 1. WK Kriegsberichterstatter zunächst in Frankreich, Leiter des Pariser Büros der „Daily Mail“, berichtet über den 1. WK u. a. aus Ägypten, Albanien, Griechenland, Österreich, Italien, Belgien, Frankreich und Rußland, 1922 Aufenthalt in Palästina. 301 Jerzabek, Dr. Anton (*28.4.1867 Wien, †26.3.1939 Wien), Arzt, Oberstadtrat, Obmann des Bürger- und Städterates Favoriten, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1918 bis 1919 Mitglied des Deutschböhmischen Landtages, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.–27.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 27.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 10.11.1920–1.10.1930 Nationalratsabgeordneter. 31, 97, 117, 223, 257, 265, 269 f, 275 f, 289, 309, 315, 321, 326, 347, 356, 359, 363, 365, 374, 391, 407, 417, 422, 428, 439, 444 f Jukel, Ing. Karl (*21.1.1865 Wien, †20.8.1931 Schönau an der Triesting/NÖ), Gastwirt, Mitglied des nö. Landesschulrates, 1902 bis 1915 und 1921 bis 1931 mehrmals Abgeordneter zum Landtag NÖ, 1906 bis 1908 Bürgermeister von Schönau, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918– 15.3.1919 Staatssekretär für Verkehrswesen, 5.11. 1918–4.5.1919 Mitglied des provisorischen Landesausschusses NÖ, 1.12.1920–20.5.1927 Mitglied des Bundesrates, 11.5.1921–20.8.1931 Erster Präsident des Landtages NÖ. 223, 257, 439 K Kamitz, Dr. Wenzel (*4.10.1870 Niedersoor/Böhmen, heute Dolní Žďár/Tschechische Republik, †10.9.1954 Wien), Richter, 29.11.1899 Einberufung in das Ministerium der Justiz, 10.10.1911 Ernennung zum Sektionsrat, 25.10.1912 Rat des Verwaltungsgerichtshofes, 23.7.1923 Verleihung des Titels eines Senatspräsidenten, Ende 1925 bis 1930 Senatspräsident, 1930 bis 1931 Zweiter Präsident, ab 29.9.1931 Erster Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, 14.7.1934 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 125 Karl I. (*17.8.1887 Persenbeug/NÖ, †1.4.1922 Funchal auf Madeira/Portugal), 1916 bis 1918
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Personenregister Kaiser von Österreich, zugleich König von Böhmen (als Karl III.) und von Ungarn und Kroatien (als Karl IV.), Mitglied des Hauses HabsburgLothringen. 169 f, 207, 253, 271 Károlyi von Nagykároly, Graf Michael (Mihály) (*4.3.1875 Budapest, †19.3.1955 Vence/Frankreich), Gutsbesitzer, 31.10.1918–11.1.1919 ungarischer Ministerpräsident, 31.10.–5.11.1918 mit den auswärtigen Angelegenheiten betraut, 31.10.–25.11.1918 Finanzminister, 5.11.1918– 11.1.1919 Außenminister, 12.–29.12.1918 Kriegsminister, 11.1.–21.3.1919 Staatspräsident betraut mit den auswärtigen Angelegenheiten, 1919 bis 1946 in Großbritannien, 9.5.1946 Rückkehr nach Ungarn, ab 7.8.1946 a.o. Gesandter und bev. Minister, 21.8.1947–2.6.1949 ungarischer Gesandter in Paris, ab 14.8.1948 in Brüssel und ab 13.1.1949 in Luxemburg mitbeglaubigt. 282 f Kaup, Dr. Ignaz (*11.1.1870 Marburg/Steiermark, heute Maribor/Republik Slowenien †25.3.1944 München), 19.8.1899 Eintritt in den nö. Landesdienst, 1900 bis 1904 Amtsarzt in Floridsdorf, 1904 Einberufung in das Handelsministerium, bis Februar 1907 als Gewerbehygieniker in den gewerblichen Betrieben Österreichs dem Arbeitsstatistischen Amt im Handelsministerium zugewiesen, 1908 bis 1912 Dozent für Gewerbehygiene an der Technischen Hochschule Charlottenburg, ab 1911 Prof. und Leiter der Hygieneabteilung an der Reichszentrale für Volkswohlfahrt in Berlin, September 1912 bis 1917 Prof. für soziale Hygiene in München, 1.1.– 28.11.1917 Extraordinarius in München, 1917 Rückkehr nach Österreich und Wiedereintritt in den Staatsdienst, Tätigkeit im Volksgesundheitsamt, 8.8.1918 Ernennung zum Ministerialrat, 30.10.1918–9.5.1919 Staatssekretär für Volksgesundheit, 20.3.1919 Ernennung zum Sektionschef, 23.12.1919 a.o. Prof. an der Universität Wien, 31.3.1920 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1920 bis 1935 erneut Prof. für Sozialhygiene an der Universität München. 295 Keller, Dr. Oskar Ritter von (*16.1.1861, †6.12. 1946 Gmunden/OÖ), 10.8.1911 Ernennung zum Hofrat, 18.5.1916 Ernennung zum Sektionschef im Ministerium des Inneren, Vizepräsident des Amtes für Volksernährung, ab 1917 Kanzleidirektor des Oberhofmeisteramtes, nach dem Ende der Monarchie bis Februar 1919 Leiter der hofärarischen Verwaltung. 32–34, 41, 169 f, 271
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503 Kelsen, Dr. Hans (*11.10.1881 Prag, †19.4.1973 Berkeley/USA), Rechtswissenschaftler, ab 1910 Dozent an der Exportakademie, ab 1.10.1915 im Kriegsministerium, 1918 bis 1920 Konsulent der Staatskanzlei, 1919 bis 1930 Univ.-Prof. in Wien, Schöpfer der österreichischen Bundesverfassung von 1920, 1921 bis 1930 Richter am Verfassungsgerichtshof, 1930 Prof. in Köln, 1933 bis 1935 und 1938 in Genf, 1936 bis 1938 in Prag, 1945 bis 1952 in Berkeley. 27, 264 Kemetter, August Maria (*17.7.1866 Wien, †4.12.1945 Innsbruck), 1898 bis 1903 Prof. am Gymnasium in Mödling, 1903 bis 1905 Direktor des Gymnasiums in Horn, ab 1905 Direktor der Niederösterreichischen Landeslehrerbildungsanstalt in Wien, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutsch österreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten, 23.1.–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates. 173, 279, 352 f, 377 Keschmann, Anton (*12.3.1870 Gurahumora/ Bukowina, heute Gura Humorului/Rumänien †22.2.1947 Waiern/Kärnten), Jurist, ab 1893 Konzeptspraktikant bei der Landesregierung in Czernowitz, ab 1900 Bezirkskommissär, ab 1902 Vorstand des Präsidialbüros, 1906 Titel Bezirkshauptmann, ab 1907 definitiver Bezirkshauptmann, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, ab 30.10.1918 Mitglied des Staatsgerichtshofes, 12.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staats rates, 1921 bis 1934 Mitglied und zuletzt Senatspräsident des Verwaltungsgerichtshofes. 97, 109, 117, 161, 215, 257, 263, 268 f, 285, 289, 296 f, 308 f, 347, 365, 391, 417 Kikisch siehe Hikisch Klein, Dr. Franz (*24.4.1854 Wien, †6.4.1926 Wien), Jurist, 1885 bis 1891 Kanzleidirektor der Universität Wien, 1887 bis 1896 a.o. Prof. des Zivilprozess-, Handels- und Wechselrechtes, ab 1891 im Justizministerium tätig, ab 1895 tit. o. Prof., 1905 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses, 1.1.1905–2.6.1906 Leiter des Justizministeriums, 2.6.1906–15.11.1908 und 31.10.–20.12.1916 Justizminister, 1919 Mitglied der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain. 325 Kloss, Ing. Dr. Rudolf (*1.1.1875 Rossitz/Mähren, heute Rosice/Tschechische Republik, †15.10.
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504 1925 Wien), Oberbergrat, August 1900 Eintritt in den Staatsdienst, September 1903 Einberufung in das Ackerbauministerium, ab Oktober 1908 Tätigkeit beim Revierbergamt Graz, ab November 1916 Abteilungsleiter im Ministerium für öffentliche Arbeiten, ab 1918 im Staatsamt für öffentliche Arbeiten tätig, 16.4.1919 Ernennung zum Ministerialrat im Staatsamt für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten, 20.3.1922 Versetzung in den dauernden Ruhestand mit Titel Sektionschef, danach in der Privatwirtschaft tätig. 401 Knobloch siehe Cnobloch Koderle, Emil (*, †), Erbenvertreter von Johann Franz Graf Pálffy de Erdöd. 348 Körner, Oskar Ritter von (*, †), Präsident der „Vereinigten Holz- und Industrie-AG.“ in Budapest, Direktionsmitglied der „Sollux Maschinen- und Metallwarenfabriks-AG.“ sowie der „Menzel Vilmos AG.“ ebendort. 147 f, 157 Kotzian, Adalbert (*26.4.1861, †5.1937 Eggenberg/Steiermark), Jurist, 19.11.1913 Präsident des Kreisgerichtes in Cilli, 19.12.1916 Ernennung zum Hofrat, 1918 Übernahme in das Oberlandesgericht Graz, 23.11.1918 Ernennung zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Laibach, von der slowenischen Nationalregierung abgelehnt, Mitarbeit am Aufbau des Landesgerichtes Burgenland in Ödenburg als dessen Präsident er vorgesehen war, nach dem Votum Ödenburgs für Ungarn Rückkehr an das Oberlandesgericht Graz, 2.10.1922 Vizepräsident des Oberlandesgerichts Graz, 1926 Versetzung in den dauernden Ruhestand und Verleihung des Titels eines Oberlandesgerichtspräsidenten. 332 f Kozmian siehe Kotzian Kraft, Emil (*26.1.1865 Wien, †5.9.1931 Graz), Kaufmann, Vizebürgermeister von Meran, Abgeordneter zum Landtag Tirol, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 4.4.1919–9.11.1920 Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung, GdP, 10.11.1920–13.12.1923 Nationalratsabgeordneter, 31.5.1922–17.4.1923 Bundesminister für Gewerbe, Industrie und Bauten. 12, 22, 163, 177 Kramář, Dr. Karel (*27.12.1860 Hochstedt/Böhmen, heute Vysoké nad Jizerou/Tschechische
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Personenregister Republik, †26.5.1937 Prag), Fabrikant in Semil/ Böhmen, 1891 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1916 Hochverratsprozeß und Todesurteil, 1917 begnadigt, ab 13.7.1918 Präsident des Národní Výbor, 14.11.1918–10.7.1919 erster Ministerpräsident der Tschechoslowakei, bis 1937 Mitglied der tschechischen Nationalversammlung. 226 f, 235, 357 f, 401 Kranz, Dr. Josef (*7.10.1862 Auschwitz/Galizien, heute Oświęcim/Republik Polen, †14.9.1934 Wien), Präsident der Spirituszentrale sowie Präsident und Vorsitzender des Verwaltungsrates der Allgemeinen Depositen-Bank in Wien, im April 1917 im sogenannten „Kranz-Prozeß“ zu neun Monaten Haft verurteilt, im Oktober und November 1918 an Wirtschaftsverhandlungen mit Ungarn und der Tschechoslowakei beteiligt. 280 Kroy, Otto (*16.11.1874 Libochowan/Böhmen, heute Libochovany/Tschechische Republik, †16.11. 1937 Wien), Bahnbeamter in Schreckenstein/ Böhmen, ab 1905 1. Vorsitzender des Reichsbundes deutscher Eisenbahner in Österreich, Redakteur der Zeitschrift „Der deutsche Eisenbahner“, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschnationale Partei, 30.10.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 1923 Inspektor bei den ÖBB, 1925 Regierungsrat, ab 1930 im Ruhestand. 25, 36 f, 42, 59, 74, 161, 193, 223, 257, 269, 309, 314, 365, 407, 417, 427, 439 Kuh-Chrobak, Dr. Paul Freiherr von (*11.3.1863 Wien, †7.1.1931 Meran/Italien), 22.7.1890 Eintritt in den Justizdienst, 28.1.1894 Einberufung in das Unterrichtsministerium, ab 1896 im Gemeinsamen Finanzministerium in der Abteilung für Bosnien-Herzegowina verwendet, 1910 Ernennung zum Hofrat, ab 1913 Präsidialvorstand im Gemeinsamen Finanzministerium, 27.12.1913 Ernennung zum Sektionschef, 4.–11.11.1918 Minister im Gemeinsamen Finanzministerium, 1918 bis 1920 Leiter des liquidierenden Gemeinsamen Finanzministeriums, 1.7.1920 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 133–135, 139 f Kukovec, Dr. Vekoslav (*10.6.1876 Koračice/ Untersteiermark, heute Republik Slowenien, †19.7.1951 Celje/Jugoslawien, heute Republik Slowenien), Politiker und Rechtsanwalt, 1902 Promotion, ab 1909 Rechtsanwalt in Cilli und Abgeordneter des steirischen Landtages, November 1918 bis Februar 1919 Kommissar des
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Personenregister
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Finanzwesens in der nationalen Regierung der Serben, Kroaten und Slowenen in Laibach, Mai 1920 bis Dezember 1921 Minister für Sozial politik. 299 Kupka, Josef (*4.10.1864 Wien, †16.1.1946 Wien), Hof- und Regierungsrat, 1886 Eintritt in den Staatsdienst, Tätigkeit als Archivskanzlist im Büro des Abgeordnetenhauses, dann Archivar und danach Kanzleidirektor, bis 5.11.1918 Präsidialdirektor der Staatskanzlei, Direktor der Kanzlei des Präsidenten der Nationalversammlung, 31.5.1919 Ernennung zum Sektionschef, 29.4.1921 Weiterbelassung im Dienst bis auf weiteres, 1.12.1923 Versetzung in den dauernden Ruhestand, ab 1931 Vizepräsident des Wiener Tierschutzvereines, ab 1934 Präsident. 246
L Lammasch, Dr. Heinrich (*21.5.1853 Seitenstetten/NÖ, †6.1.1920 Salzburg), Jurist, ab 1885 o. Prof. für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Völkerrecht an der Universität Innsbruck, ab 1889 an der Universität Wien, 1899 und 1907 völkerrechtlicher Berater der österreichischungarischen Delegationen bei den Haager Friedenskonferenzen, ab 1899 Mitglied des Ständigen Gerichtshofes in Den Haag, 1899 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses, 27.10.–11.11.1918 österreichischer Ministerpräsident, 1919 Mitglied der österreichischen Friedensdelegation in St. Germain. 227 Langenhan, Dr. Philipp von (*4.6.1878 Czernowitz/Bukowina, heute Černivci/Ukraine, †14.11. 1960 München), Industrieller, Vorstandsmitglied der deutsch-nationalen Geschäftsstelle, Handelskammersekretär in der Bukowina, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 12.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, ab 1919 Obmann des Sudetendeutschen Heimatbundes in Österreich. 25, 36 f, 43, 88, 95, 97, 100, 183, 192 f, 199 f, 206, 210, 215, 223, 239 f, 243, 245, 257, 263, 267, 283– 285, 287, 289, 304, 307, 309, 311–313, 315, 326, 329 f, 340, 347, 351, 359, 363, 365 f, 373, 381, 388, 391, 393, 396, 407 f, 411 f, 414, 417, 420, 432, 439 f, 442, 445 f, 450, 452 Lansing, Robert (*17.10.1864 Watertown/USA, †30.10.1928 New York/USA), Jurist, ab 1914 Rechtsberater im US-amerikanischen Außen
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ministerium, 24.6.1915–13.2.1920 Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, 1919 einer der Hauptverhandler der US-amerikanischen Delegation bei der Pariser Friedenskonferenz. 119 Laun, Dr. Rudolf Edler von (*1.1.1882 Prag, †20.1.1975 Ahrensburg/Schleswig-Holstein), ab 1908 Privatdozent für Völkerrecht an der Universität Wien, ab 1911 a.o. Prof., 1916 bis 1917 dem Kriegsministerium zugeteilt, 1917 bis 1918 im staatsrechtlichen Departement des Ministerratspräsidiums tätig, 1918 bis 1919 im Staatsamt des Äußern, 1919 bis 1950 o. Universitätsprofessor in Hamburg, 1934 bis 1938 Gastprofessor in Michigan/USA, 1949 bis 1955 Präsident des Staatsgerichtshofes in Bremen. 206 Lavrič Edler von Zaplaz, Alfred (*27.6.1883 Gruž/ Dalmatien, heute Dubrovnik/Republik Kroatien †21.6.1935 Maribor/SHS, heute Republik Slowenien), Generalstabsoffizier der 18. Infanterie brigade, Hauptmann im Infanterieregiment Nr. 41, im 1. WK Kommandant des 17. Infanterieregiments, im November 1918 von der Laibacher Nationalregierung zum Oberkommandanten in Kärnten und Vertreter der Nationalregierung ernannt. 298 Bonar Law, Andrew (*16.9.1858 Rexton/Kanada, †30.10.1923 London), schottischer Politiker, ab 1900 Parlamentsabgeordneter, 1902 bis 1905 parlamentarischer Staatssekretär im Handelsministerium, ab 1911 Vorsitzender der Conservative Party, 1915 Kolonialminister, 1916 Finanzminister, 1918 Lordsiegelbewahrer, 1922 bis 1923 Premierminister. 329 Leisching, Dr. Eduard (*26.11.1858 Wien, †7.12.1938 Wien), Kunsthistoriker, Gründer des Wiener Volksbildungsvereines, 1909 bis 1925 Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie. 348, 362 Leuthner, Karl (*12.10.1869 Padochau/Böhmen, heute Padochov/Tschechische Republik, †8.5.1944 Wien), 1895 bis 1934 außenpolitischer Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 12.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversamm lung, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter. 59, 117, 193, 245, 257, 269, 274 f, 309, 347, 391, 439
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506 Licht, Dr. Stefan Edler von (*28.10.1860 Brünn/ Mähren, heute Brno/Tschechische Republik, †4.3.1932 Wien), Rechtsanwalt in Brünn, Mitglied der Handels- und Gewerbekammer in Brünn, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.1918– 14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 1918 bis 1919 externer Mitarbeiter der Staatskanzlei in Verfassungsangelegenheiten. 1, 4–7, 21, 25, 34, 41, 45, 49–51, 53, 58 f, 62, 81 f, 84, 93 f, 97 f, 108 f, 117 f, 125 f, 136, 154, 162, 173 f, 180, 193, 206, 223, 245–247, 254, 257 f, 289, 309, 326 f, 338 f, 347, 350, 359, 361, 363–365, 377, 391, 395, 399 f, 406 f, 417, 420–422, 432, 439, 445 Lloyd George, David (*17.1.1863 Manchester/ England, †26.3.1945 Llanystumdwy/Wales), Jurist und Politiker, 1890 bis 1945 Mitglied des britischen Unterhauses, 10.12.1905–6.4.1908 Handelsminister, 6.4.1908–26.5.1915 Schatzkanzler, 26.5.1915–5.12.1916 Munitionsminister und Kriegsminister, 10.12.1916–19.10.1922 Premierminister. 329 Lodgman von Auen, Dr. Rudolf (*21.12.1877 Königgrätz/Böhmen, heute Hradec Králové/ Tschechische Republik, †11.12.1962 München), 1906 bis 1918 Kanzleivorstand der Zentralstelle des Verbandes der deutschen Bezirke in Böhmen, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1912 bis 1913 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, ab 4.11.1918 Landeshauptmann von Deutschböhmen, Mitglied der österreichischen Friedensdelegation in St. Germain, 1922 bis 1925 Parteiobmann der Deutschen Nationalpartei im tschechoslowakischen Parlament, bis 1938 Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Selbstverwaltungskörper in der Tschechoslowakei, ab 1945 Aufenthalt in Sachsen, ab 1947 in Freising, 1948 bis 1959 Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft in München. 125, 223–225, 235, 239, 439–441, 450 f Loser, Franz (*12.3.1862 Rieden/Vorarlberg, †15.2.1923 Rieden/Vorarlberg), Schuhmacher und Politiker, 1904 bis 1919 Obmann des Christlichsozialen Volksvereines für das Land Vorarlberg, 1908 Mitgründer des Deutsch-österr. Gewerbebundes, bis 1918 dessen Vizepräsident, 1902 bis 1908 sowie 1909 bis 1918 Abgeordneter im Vorarlberger Landtag, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter 1894 bis 1919 Gemein-
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Personenregister devertretung in Rieden, Dezember 1918 bis 1919 Landeshauptmannstellvertreter von Vorarlberg, 1919 bis 1923 Landesrat. 183 Loewenfeld-Ruß, Dr. Johann (*29.10.1873 Wien, †18.4.1945 Wien), 26.12.1896 Eintritt in den Staatsdienst, 22.12.1898 Übernahme in das Handelsministerium, 1914 bis 1916 Vorstand des Büros des Industriereferates ebendort, 7.2.1916 Ernennung zum Ministerialrat im Volksernährungsamt, ab November 1916 Koordinator des gesamten Lebensmittelsektors, 1917 Referent für Lebensmittelindustrien im Generalkommissariat für Kriegs- und Übergangswirtschaft, 14.9.1917–18.11.1918 Regierungskommissär bei der Zuckerzentrale und der Spiritusstelle, 11.2.1918 Ernennung zum Sektionschef, 30.10.1918–7.7.1920 Staatssekretär für Volksernährung, 28.2.1921 Versetzung in den dauernden Ruhestand, hatte danach verschiedene Posten in der Privatwirtschaft inne. 65 f, 68, 99, 141–143, 145 f, 156, 309, 316, 318, 320, 345, 347, 354 f, 358, 396, 426 Löwenthal, Josef Freiherr von (*4.4.1873 Wien, †12.1.1940 Wien), Jurist, 10.8.1897 Eintritt in den nö. Landesdienst, 29.3.1899 Einberufung in das Handelsministerium, ab 1912 Tätigkeit im Ministerratspräsidium, dem Staatsrechtsdepartement zugeteilt und später dessen Vorstand, 2.12.1917 Ernennung zum Ministerialrat, 5.11.1918 bis März 1919 Präsidialdirektor der Staatskanzlei, 14.2.1919 Ernennung zum Sektionschef, 24.3.1919 Kabinettsdirektor in der Präsidentschaftskanzlei, 31.12.1933 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1936 bis 1938 Verwaltungsrat der Donau Allgemeine Versicherungs-AG. Wien. 29, 40 Luksch, Josef (*6.3.1862 Lodenitz bei Pohrlitz/ Mähren, heute Loděnice bei Pohořelice/Tschechische Republik, †26.11.1936 Loděnice bei Pohořelice/Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik), Landwirt und Politiker, leitendes Mitglied der mährischen Ackerbaugesellschaft in Brünn, 1893 Gründer der Spar- und Darlehenskasse in Lodenitz, ab 1893 Abgeordneter zum Landtag Mähren, 1894 bis 1900 Bürgermeister von Lodenitz, 1900 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 12.11.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 1920 bis 1925 Senator für den Bund der Landwirte im tschechoslowakischen Parlament. 117 f, 162, 174, 183, 190, 215, 223, 234, 239, 242,
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245, 257, 269, 279, 289, 309, 347, 359, 363, 365, 391, 407, 418 f, 431 Lurić siehe Lavrič M Maister, Rudolf (*29.3.1874 Stein in Oberkrain/ Krain, heute Kamnik/Republik Slowenien, †26.7. 1934 Unec/Königreich Jugoslawien, heute Cerk nica/Republik Slowenien), slowenischer Dichter und Offizier, während des I. WK Kommandant des Landsturmregiments in Marburg an der Drau, Anfang November 1918 vom slowenischen Nationalrat in Laibach zum General befördert, leitete ab Ende November 1918 die Besetzung der Untersteiermark und von Mai 1919 bis November 1920 Südkärntens, 1921 bis 1923 Vorsitzender der jugoslawischen Kommission zur Regelung des Grenzverlaufs mit Italien, 1923 als Brigadegeneral in den Ruhestand versetzt. 298, 300 Marckhl, Richard (*10.5.1861 Wien, †27.4.1945 Wien), Jurist, 1883 Eintritt in den Justizdienst, ab 1905 Landesgerichtsrat in Klagenfurt, später Oberlandesgerichtsrat, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.–12.11.1918 Ersatzmann des Staatsrates, 5.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Inneres. 192, 206, 223, 233, 289, 296, 360, 393, 411, 414, 417, 420, 422, 434, 439 Marek, Dr. Ferdinand (*25.1.1881 Karolinenthal/ Böhmen, heute Stadtteil von Prag, †4.5.1947 Lefartowskaja/Sowjetunion), Jurist und Diplomat, 26.5.1904 Eintritt in den Dienst der Finanzbezirksdirektion Wien, 1.12.1906–30.7.1914 Tätigkeit bei der Handels- und Gewerbekammer in Brünn, ab 1915 im Kriegsministerium Wien, 1.11.1918 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, ab 29.11.1918 provisorischer Geschäftsträger an der Gesandtschaft Prag und Legationsrat II. Kategorie, im Juni 1919 zum Bevollmächtigten ernannt, 1.7.1920 Ernennung zum Legationsrat 1. Klasse, 11.4.1922–13.3.1938 a.o. Gesandter und bev. Minister in Prag, 12.3.1938 beurlaubt, 28.2.1939 Entlassung gemäß § 4 Abs. 1 BBV mit ¾ des Ruhegenusses, danach Umwandlung der Entlassung in eine Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1941 bis 1942 Verwaltungsrat mehrerer Aktiengesellschaften in Prag, 7.5.1945 Rehabilitierung und mit der Wahrnehmung der österreichischen Interessen in der Tschechoslowa-
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kei betraut, am 23.5.1945 in der sowjetischen Stadtkommandantur in Prag verhaftet und in ein Gefangenenlager in der Sowjetunion verschleppt. 125, 228, 332 Markus, August (*31.7.1862 Leipnik/Mähren, heute Lipník nad Bečvou/Tschechische Republik, †), 6.2.1891 Ernennung zum Hüttenmeister in Pržibram, 22.6.1893 Bergmeister, 6.2.1895 Bergverwalter, 21.8.1909 Bergverwalter in Brüx, 19.11.1902 Oberbergverwalter, 24.4.1908 Bergrat, 16.12.1910 Oberbergrat, 19.4.1914 Verleihung des Titels und Charakters eines Hofrates, 22.1.1917 Ernennung zum Hofrat in der staatlichen Bergdirektion in Brüx, 25.10.1918 Einberufung als Vorstand der Abteilung für die Verwaltung der Staatsmontanwerke in das Ministerium für öffentliche Arbeiten in Wien. 357 Masaryk, Dr. Thomas Garrigue (*7.3.1850 Göding/Südmähren, heute Hodonín/Tschechische Republik, †14.9.1937 Schloß Lány bei Prag), 1907 bis 1914 Reichsratsabgeordneter, während des I. WK führender tschechischer Politiker im Exil, 7.11.1918–14.12.1935 Staatspräsident der Tschechoslowakei. 357 Mataja, Dr. Heinrich (*14.3.1877 Wien, †23.1. 1937 Wien), Rechtsanwalt, 1910 bis 1918 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 1912 bis 1920 Wiener Stadtrat, 1913 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–15.3.1919 Staatssekretär des Innern, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– 1.10.1930 Nationalratsabgeordneter, 20.11. 1924–15.1.1926 Bundesminister im Bundeskanzleramt mit der Führung der auswärtigen Angelegenheiten betraut. 206, 358 Mataja, Prof. Viktor (*20.7.1857 Wien, †19.6.1934 Wien) Nationalökonom und Sozialpolitiker, 1883 bis 1890 Tätigkeit in der Wiener Handelskammer, ab 1892 Ministerialrat, Vorstand des handelsstatistischen Dienstes im k.k. Handelsministerium, ab 1900 Sektionschef, 1908/09 und 1911 sowie 23.6.–30.8.1917 Leitung des Handelsministeriums, ab 1897 Hon. Prof. an der Univ. Wien, 1914 Präsident der Statistischen Zentralkommission, mit den Vorbereitungsarbeiten für die Errichtung eines k.k. Ministeriums für soziale Fürsorge beauftragt, 22.12.1917– 27.10.1918 erster Minister für soziale Fürsorge, 1919 bis 1922 wieder Präsident der Statistischen Zentralkommission, 1922 im Ruhestand. 186
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508 Mayer, Johann (*28.2.1858 Deutsch-Wagram/ NÖ, †12.10.1941 Bockfließ/NÖ), Wirtschaftsbesitzer, 1890 bis 1922 mehrmals Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 19.12.1902–5.11.1918 Mitglied des niederösterreichischen Landesausschusses, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 5.11.1918–10.11.1920 Landeshauptmannstellvertreter von Niederösterreich, bis 6.11.1918 Ernährungsdirektor, 4.3.–21.5.1919 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920–9.6.1922 Landeshauptmann von Niederösterreich, 30.11.1920–23.12.1922 Mitglied des Bundesrates, 1.12.1921–21.2.1922 Vorsitzender des Bundesrates. 282 Mayer, Josef (*9.4.1877 Eger/Böhmen, heute Cheb/Tschechische Republik, †2.5.1938 Cheb/ Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik), Brauereibesitzer, Ausschußmitglied der deutschen Sektion des Landeskulturrates für Böhmen, ab 1905 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 1910 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 16.12.1916 Leiter der landwirtschaftlichen Abteilung des Wirtschaftsstabes der Militärverwaltung in Rumänien, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.–12.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 30.10.1918–15.3.1919 Staatssekretär für Heereswesen, 1920 bis 1928 Abgeordneter zum tschechoslowakischen Parlament für den Bund der Landwirte, Obmann des „Sudetendeutschen Landbundes“. 25, 30 f, 37, 40, 43, 88, 91, 95, 183 f, 223, 236, 245, 249, 254, 257, 261, 269, 274, 276, 391, 397, 399, 407, 439, 445 Mayer, Dr. Robert (*1875, †16.5.1939 Brünn/ Mähren, heute Brno/Tschechische Republik), Regierungsrat, Konzipist der Handelskammer in Graz, Sekretär der Handels- und Gewerbekammer in Brünn, 21.11.1918 Bestellung zum bevollmächtigten Vertreter der deutschösterreichischen Republik in Prag. 125, 228, 332 Meier siehe Mayer, Dr. Robert Meinl, Julius (*18.1.1869 Wien, †16.5.1944 AltPrerau/NÖ), Großkaufmann, 1862 Gründung eines Lebensmittelgeschäftes in Wien, ab 1889 im Geschäft des Vaters tätig, ab 1913 dessen Alleininhaber, Ausbau des Unternehmens insbesondere des Filialnetzes, 1916 Organisation der Kriegskaffeezentrale, initiierte während des
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Personenregister 1. WK eine Friedensinitiative, nach dem Krieg im Auftrag der österr. Regierung in der Schweiz um Hilfsleistungen für Österreich bemüht. 248 Menzel, Dr. Adolf (*9.7.1857 Reichenberg/Böhmen, heute Liberec/Tschechische Republik, †12.8.1938 Wien), 1886 bis 1889 Juristenpräfekt an der Theresianischen Akademie, ab 1889 a.o. Prof. für öffentliches Recht an der Universität Wien, ab 1894 o. Prof. für österreichisches Verwaltungsrecht, 1915 Rektor, 1917 bis 1918 Mitglied des Reichsgerichts, 1918 bis 1930 1. Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes, ab 1925 Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 349 Meyer siehe Mayer, Dr. Robert Miklas, Wilhelm (*15.10.1872 Krems/NÖ, †20.3.1956 Wien), Mittelschullehrer, 1905 bis 1924 Gymnasialdirektor in Horn, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 8.1.1909–8.1.1915 und 5.11.1918–15.3.1919 Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 15.3.1919–20.11.1920 Unterstaatssekretär für Kultus, 10.11.1920–6.12.1928 Nationalratsabgeordneter, 20.11.1923–6.12.1928 Erster Präsident des Nationalrates, 10.12.1928–12.3.1938 Bundespräsident. 2, 38, 45, 54, 59, 70, 81, 86, 94, 97, 101 f, 117, 131 f, 138, 161 f, 169, 178, 183, 245, 248 f, 257, 261 f, 266, 269, 289, 309, 327, 338, 359, 363, 365 f, 373, 375–377, 379, 384, 388, 391, 439 Montgomery-Cuninghame, Sir Thomas, (*30.5.1877, †15.1.1945 London), 1912 bis 1914 britischer Militärattaché in Wien, 1919 bis 1920 Repräsentant der britischen Armee in Deutschösterreich bzw. Österreich, 1920 bis 1923 Militärattaché in Prag und Wien. 236 Musolini siehe Musulin Musulin von Gomirje, Dr. Alexander Freiherr, (*27.10.1868 Agram, heute Zagreb/Republik Kroatien, †9.1.1947 Fridau/NÖ), Diplomat, ab 1892 eingesetzt in Dresden, Paris, Stuttgart, Bukarest, St. Petersburg, Athen und Belgrad, 1903 Legationsrat im Orientalischen Referat des Außenministeriums, 1910 bis 1916 Referat für kirchenpolitische Agenden und die Angelegenheiten
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Ostasiens, 24.1.1917–27.11.1918 a.o. Gesandter und bev. Minister in Bern. 330
N Nagele, Josef (*18.5.1860 Obertrixen/Kärnten, †2.1.1926 Völkermarkt/Kärnten), Brauerei- und Realitätenbesitzer, Obmann der landwirtschaftlichen Genossenschaft mit Lagerhausbetrieb in Völkermarkt, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschnationale Partei, 12.11.1918–7.3.1918 Ersatzmann des Staatsrates. 183, 190, 215, 417–419, 431, 439 Neunteufel, Raimund (*22.5.1872 Japons/NÖ, †18.4.1937 Graz), Schriftsteller, Obmann der Parteileitung der CSP Steiermark, Hauptleiter des Christlichsozialen Volksbundes für Steiermark, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 1917 Mitglied des Deutschen Nationalverbandes, dann des Deutschen Zentrums, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 12.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates. 25, 36, 43, 59, 81, 88, 95, 117, 161, 269, 272, 285, 365, 388 Nissner siehe Niessner Niessner Wilhelm, (*21.9.1873 Neuhwězdlitz/ Mähren, heute Nové Hvězdlice/Tschechische Republik, †14.5.1953 Brünn/Mähren, heute Brno/ Tschechische Republik), Schriftsetzer, 1900 Privatbeamter der Bezirkskrankenkasse Brünn, 1901 leitender Chefredakteur des „Volksfreund“, 1906 bis 1907 Stadtrat Brünn, 1913 bis 1918 Abgeordneter im mährischen Landtag, 1921 bis 1935 Chefredakteur des „Sozialdemokrat“ (Prag), 1920 bis 1936 Mitglied des tschechoslowakischen Senats, DSAP. 358 f, 363
O Oberdorffer, Leonhard (*8.3.1875 Prag, †18.12.1956 Wien), Jurist, Finanzrat, finanzdienstliche Tätigkeit in Leitmeritz, Schluckenau, Gablonz und Prag, 1917 Einberufung in das Ministerium für soziale Fürsorge, 16.11.1918 Bestellung zum Leiter der deutschböhmischen Abteilung der Staatskanzlei, 16.1.1919 Ernennung zum Ministerialsekretär, 9.5.1919 Sektionsrat, 1921 bis 1949 Rechtskonsulent in der
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Kohlenhandelsgesellschaft I. Petschek in Aussig. 44, 204, 211, 339, 427 Oberthor, Dr. Franz (*1878 Prag, †), Bezirkskommissär der dalmatinischen Statthalterei, Mai 1911 Ernennung zum Ministerialsekretär im k.k. Ministerium für öffentliche Arbeiten, nach der Konstituierung des tschechoslowakischen Staates Sektionsrat im tschechoslowakischen Ministerium für öffentliche Arbeiten, 1931 Ernennung zum Vizepräsidenten der Prager Handelskammer und Vorsitzenden der Handelssektion. 311 Obertor siehe Oberthor Ofner, Dr. Julius (*20.8.1845 Horschenz/Böhmen, heute Nezabylice/Tschechische Republik, †26.9.1925 Wien), Rechtsanwalt, 28.12.1896– 8.9.1902 Abgeordneter zum Landtag NÖ, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschfreiheitliche Vereinigung Wiener Abgeordneter, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 5.11.1918–4.5.1919 Mitglied der provisorischen Landesversammlung NÖ. 1, 2, 5, 25, 45, 51 f, 59, 97, 110, 117 f, 161 f, 174, 183, 193, 215, 219, 222 f, 257 f, 269, 289, 294 f, 309, 316, 340, 347, 365, 366, 388, 391, 407, 417–419, 425, 439 P Pacher, Raphael (*21.7.1857 Iserthal/Böhmen, heute Semily/Tschechische Republik, †25.3.1936 Wien), Mitglied des Gewerbeförderungsbeirates im Handelsministerium, Vorstandsmitglied des Deutschnationalen Vereines für Österreich, ab 1899 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschradikale Partei, 29.10.–4.11.1918 Landeshauptmann von Deutschböhmen, 30.10.–12.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 30.10.1918–15.3.1919 Staatssekretär für Unterricht, danach Präsident der Zentraldirektion der Schulbücher-Verlage. 8, 97, 108, 114, 183, 185, 191, 206, 269, 277 f, 286, 407, 417, 423, 439, 443, 445, 450 Pálffy de Erdöd, Johann Franz Graf (*12.8.1829 Preßburg/Ungarn, heute Slowakische Republik,
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510 †2.6.1908 Wien), Obergespan des Komitates Preßburg, Mitglied des ungarischen Magnatenhauses, 1884 Ernennung zum wirklichen Geheimen Rat, Kunstsammler. 347 f Pantz, Ferdinand Freiherr von (*12.10.1868 Eibiswald/Steiermark, †15.3.1933 Wien), Jurist, Gutsbesitzer in Sonnhof bei Steinach, Tätigkeit im Verwaltungsdienst und danach in der agrarischen Zentralstelle in Wien, Mitglied des Landwirtschaftsrates, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten, 30.10.1918–23.1.1919 Ersatzmann des Staatsrates, Verwaltungsrat mehrerer Gesellschaften, u. a. der „k.k. privaten Südbahn-Gesellschaft Wien“. 37, 44 f, 54, 59, 161, 193, 215, 417, 439, 445 Passi siehe Passy Passy de Pereg, Rudolf (*1868 Bruck a. d. Mur/Steiermark, †21.12.1924 Graz), Oberst, 1.11.1901 Hauptmann II. Klasse im Infanterieregiment 47, 1.5.1905 Hauptmann I. Klasse, 1.10.1908 Hauptmann, 29.9.1914 Kommandant des 4. Marschbataillons des Infanterieregiments 47, 1.7.1915 Oberstleutnant, 1917 Kommandant des Infanterieregiments 47, 22.10.1913 Entlassung aus dem österr. Staatsverband und Erlangung der ung. Staatsbürgerschaft, 16.2.1914 Ablegung des ung. Staatsbürgereides, 16.8.1914 vom katholischen zum evangelischen Glauben konvertiert, 4.1.1918 Verleihung des ung. Adelstitels „von Pereg“, 1.2.1918 Ernennung zum Oberst, 1.1.1919 Versetzung in den Ruhestand, 10.2.1919 Übernahme in die Evidenz des d.ö. Platzkommandos in Graz, 3.3.1919 Erwerbung der österr. Staatsbürgerschaft durch Erklärung. 298–301 Pastor von Camperfelden, Dr. Ludwig (*31.1.1854 Aachen, †30.9.1928 Innsbruck), Historiker, ab 1875 Studium an den Universitäten Löwen, Bonn, Berlin, Wien und Graz, 1878 Promotion, ab 1887 o. Prof. für Geschichte an der Universität Innsbruck, 1901 bis 1928 Direktor des österr. Historischen Instituts in Rom, 14.2.1920– 30.9.1928 Gesandter beim Hl. Stuhl, ab 1926 Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Wien. 333 Pflügl, Egon Edler von (*9.9.1869 Linz, †18.6.1960 Wien), 17.8.1892 Eintritt in den bosnischherzegowinischen Landesdienst, ab 31.10.1893
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Personenregister Auskultant am Kreisgericht in Sarajevo, ab Oktober 1894 im diplomatischen Dienst, vielfältige Tätigkeit auf diversen Posten, u. a. in Genua, Varna und Rustschuk, 27.12.1905 Ernennung zum Konsul, 9.12.1911 Generalkonsul II. Klasse, ab 18.11.1912 Leiter des Honorarkonsulates in St. Gallen, ab 24.4.1913 des Generalkonsulates in Neapel, 1915 Kriegsdienst, 5.11.1918– 17.10.1919 Unterstaatssekretär für Äußeres. 59, 81, 86, 117, 123, 323 Pichon, Stéphen Jean Marie (*10.8.1857 Arnay-leDuc/Frankreich, †18.9.1933 Vers-en-Montagne/ Frankreich), Politiker, zunächst als Journalist bei der Zeitung „La Justice“ tätig, ab 1885 Abgeordneter in der Deputiertenkammer, Diplomat in Port-au-Prince, Santo Domingo, Rio de Janeiro, Peking und Tunis, 1906 bis 1911 und 1917 bis 1920 Außenminister Frankreichs. 227 Pitreich, Dr. August Ritter von (*1855 Wien, †17.6.1934 Graz), Jurist, Vizepräsident der Steiermärkischen Sparkasse, 1888 bis 1906 Tätigkeit im Justizministerium, ab 9.3.1906 Präsident des k.k. Oberlandesgerichtes für Steiermark, Kärnten und Krain, ab 1911 Mitglied des k.k. Staatsgerichtshofes, 1919 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 195 Pockels, Dr. Georg (*13.10.1864 Troppau/Österreichisch-Schlesien, heute Opava/Tschechische Republik, †21.10.1953 Innsbruck), 1.1.1887 Eintritt in den Dienst der politischen Verwaltung für Tirol und Vorarlberg, Tätigkeit bei der Statthalterei in Innsbruck und diversen Bezirkshauptmannschaften, 10.11.1895 Einberufung in das Ministerium des Innern, 11.8.1904 Ernennung zum Sektionsrat, 27.12.1908 Ministerialrat, ab 27.11.1915 Statthaltereivizepräsident bei der Statthalterei in Innsbruck, 20.11.1918 Ernennung zum Zivilkommissär beim italienischen Besatzungskommando in Nordtirol, ab 21.12.1918 Landesamtsdirektor von Tirol, 17.2.1930 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 131, 139 Pogačnik, Jožef Ritter von (*19.10.1866 Podnart/ Krain, heute Republik Slowenien, †19.8.1932 Ljubljana), Gutsbesitzer, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1901 bis 1918 Abgeordneter zum Landtag Krain, 1908 bis 1918 Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, August 1918 Vizepräsident des Slowenischen Nationalrates, 31.10.1918 bis Mai 1919 Präsident der Nationalregierung für Slowenien, Juni 1919 bis Oktober 1920 Gesandter des SHS-Staates in Wien, ab 1920 Wirtschaftstätigkeit, u. a. 1920 bis 1931 in der
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Personenregister Kreditanstalt für Handel und Industrie, ab 1920 Verwaltungsrat der Trifailer Kohlenbergwerk AG., ab 1926 Präsident der Bierbrauerei AG. Union. 332 f Pohl, Otto (*28.3.1872 Prag, †Mai 1941 Selbstmord in Vaison la Romaine/Frankreich), 1898 bis 1918 Redakteur der „Arbeiter-Zeitung“, 16.11.1918 Eintritt in den Auswärtigen Dienst, 1918 bis 1920 Leiter der Presseabteilung der Staatskanzlei und des Auswärtigen Dienstes, 1919 Mitglied der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain, August 1920 bis April 1922 Chef der österreichischen Kriegsgefangenenmission für Rußland, ab 7.12.1921 bevollmächtigter Vertreter Österreichs in Moskau, Juli 1924 bis Dezember 1927 a.o. Gesandter und bev. Minister Österreichs in Moskau, 30.11.1927 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1929 bis 1934 Herausgeber und Chefredakteur der „Moskauer Rundschau”, 1937 Emigration nach Paris, 1940 Flucht nach Südfrankreich. 338, 421 Preuß, Hugo (*28.10.1860 Berlin, †9.10.1925 Berlin), Staatsrechtsgelehrter und Mitgründer der Deutschen Demokratischen Partei, 15.11.1918– 20.6.1920 Staatssekretär im Reichsamt des Innern, im November 1918 mit der Ausarbeitung eines Entwurfes der deutschen Reichsverfassung beauftragt, Februar bis Juni 1919 Reichsinnenminister. 334 Pribram siehe Přibram Prisching, Franz (*30.9.1866 Straden bei Gleichenberg/Steiermark, †5.6.1935 Krieglach/Steiermark), Pfarrer in Krieglach, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1909 Abgeordneter zum Landtag Steiermark, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–23.1.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 20.1.1919–20.11.1923 und 25.6.–22.10.1926 Mitglied der steiermärkischen Landesregierung, 1.12.1924–25.6.1926 Landeshauptmannstellvertreter der Steiermark, 25.6.– 22.10.1926 Landeshauptmann. 265, 269, 285, 289, 302–304, 308, 365 Přibram, Dr. Karl (*2.12.1877 Prag, †14.7.1973 Washington D.C.), Nationalökonom, 1900 Promotion an der Karls Universität in Prag, 1907 Habilitation an der Universität Wien, 1909 bis 1921 Sekretär in der Zentralstelle für Wohnungsreform, 1911 bis 1917 Vizesekretär bei der statistischen Zentralkommission, ab 1917
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511 Ministerialsekretär im Handelsministerium, ab 9. März 1917 Ministerialrat im k.k. Ministerium für soziale Fürsorge, ab 1918 Vorstand des Departements für die legislativen Angelegenheiten des Arbeiterschutzes und der Angestelltenfürsorge im Staatsamt für soziale Fürsorge, 1921 bis 1928 Abteilungsleiter für Statistik und Forschung der ILO in Genf, ab 1907 Privatdozent, ab 1914 a.o. Prof. an der Universität Wien, 1928 o. Prof. an der Universität Frankfurt, Direktor des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts ebendort, 1933 Emigration in die USA, 1934 bis 1936 Tätigkeit für die Brookings-Institution, 1936 bis 1942 für das Social Security Board, ab 1951 Senior Economist in der US Tariff Commission, ab 1953 im Ruhestand. 29, 40 R Redlich, Dr. Oswald (*17.9.1858 Innsbruck, †20.1.1944 Wien), Historiker, 1881 bis 1892 Archivar in Innsbruck, ab 1893 am Institut für Österreichische Geschichtsforschung an der Universität Wien tätig, ab 1897 o. Prof., 1911/12 Rektor der Universität Wien, ab 1915 Vizepräsident und 1919 bis 1938 Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1926 bis 1929 Vorstand des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. 250, 255 Renner, Dr. Karl (*14.12.1870 Untertannowitz/ Mähren, heute Dolní Dunajovice/Tschechische Republik, †31.12.1950 Wien), 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.1918–7.7.1920 Staatskanzler, 1919 Leiter der österreichischen Delegation in St. Germain, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 15.3.–9.5.1919 Staatssekretär für Inneres und Unterricht, 26.7.–17.10.1919 mit der Leitung des Staatsamtes für Äußeres betraut, 17.10.1919– 22.10.1920 Staatssekretär für Äußeres, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, 1923 Gründer der Arbeiterbank, ab 1.1.1926 Präsident der Großeinkaufsgesellschaft österreichischer Consumvereine, 29.4.1931–4.3.1933 Präsident des Nationalrates, 1934 vorübergehend inhaftiert, 27.4.–20.12.1945 Staatskanzler, SPÖ, 19.–20.12.1945 Nationalratsabgeordneter, 20.12.1945–31.12.1950 Bundespräsident. 1, 3–9, 11, 13–15, 17, 20, 26, 37 f, 45–47, 49, 53–55, 57–59, 63 f, 66–68, 70–76, 97–99, 109, 111, 114, 130, 141–143, 145 f, 149–151, 153, 158, 160 f, 164–169, 171–173, 177–179, 183,
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512 186–188, 191–195, 197–199, 202–205, 207 f, 210–212, 245, 250 f, 255, 257, 263 f, 267, 269, 276, 278, 287, 289, 291, 296, 303–305, 309 f, 338–340, 342 f, 346 f, 349–351, 353 f, 356, 358 f, 363, 365, 367, 376 f, 380–383, 385, 389, 391–393, 395, 398–401, 403, 405–407, 411, 417, 419, 420–423, 425 f, 429–432, 435, 439, 441, 446 Resch, Dr. Josef (*28.9.1880 Wien, †6.4.1939 Wien), Jurist, Beamter der Arbeiter-UnfallVersicherungsanstalt, 1.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für soziale Fürsorge, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, CSP, 4.4.1919–24.6.1920 und 7.7.–20.11.1920 Unterstaatssekretär für soziale Verwaltung, 10.11.1920–20.11.1923 Nationalratsabgeordneter, 20.11.1920–21.6.1921 und 20.11.1924–26.9.1929 Bundesminister für soziale Verwaltung, 1929 Ernennung zum Hofrat, 4.12.1930–15.4.1931, 20.6.1931–11.3.1933 und 14.5.1936–11.3.1938 Bundesminister für soziale Verwaltung, 1.11.1934–14.5.1936 Mitglied des Staatsrates, 27.11.1934–14.5.1936 Mitglied des Bundestages, ab 1935 Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank, ab Mai 1935 Präsident des Reichsverbandes der Sozialversicherungsträger, ab 1937 o. Prof. an der Technischen Hochschule, März 1938 Enthebung aller Funktionen und Entlassung unter Aberkennung des Pensionsanspruches, Inhaftierung und Tod im Gefängnis. 439 Riedl, Richard Freiherr von (*8.12.1865 Wien, †9.3.1944 Wien), 1890 bis 1909 im Dienst der Handels- und Gewerbekammer Wien, 21.1.1909 Einberufung in das Handelsministerium und Ernennung zum Sektionschef extra statum sowie Betrauung mit der Leitung der Sektion IV (handelspolitische Angelegenheiten u. a.), 23.4.1917 Ernennung zum a.o. Gesandten und bev. Minister, 7.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Gewerbe, Industrie und Handel sowie für Kriegs- und Übergangswirtschaft, 1921 bis 1925 Leiter der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, ab 1924 mitakkreditiert in Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland, 30.6.1926 Versetzung in den dauernden Ruhestand, 1926 bis 1934 Delegierter der Österreichischen Handelskammer, bis 1934 österreichischer Vertreter in der Internationalen Handelskammer, 16.3.1938 mit der Leitung der handelspolitischen Agenden im Bundesministerium für Handel und Verkehr betraut, zugleich kommissarischer Leiter der Wiener Handelskammer und der Landeshandelskammer für Niederdonau und Burgenland,
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Personenregister zahlreiche Wirtschaftsfunktionen. 1, 4, 8, 13 f, 16–18, 22, 46, 90, 157, 161, 164 f, 177, 201, 269, 280, 282 f, 287, 315, 337, 344, 391, 394 f, 399, 407, 412, 415, 439, 441, 448 Rodler siehe Rogler Rogler, Dr. Wenzel Franz (*, †), ab 8. Februar 1911 Landesgerichtsrat am k.k. Kreisgericht Böhm. Leipa, ab 25.11.1918 Oberlandesgerichtsrat in Reichenberg, mit 28.10.1919 Rückversetzung an das Oberlandesgericht Wien. 194 Roller, Dr. Julius (*28.10.1862 Thomigsdorf/ Böhmen, heute Damníkov/Tschechische Republik, †27.12.1946 Wien), Jurist, 1885 Eintritt in den Gerichtsdienst, ab 1898 Gerichtsvorsteher in Hohenelbe, 1907 Ernennung zum Landesgerichtsrat, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 1908 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, ab 1912 Rat des Oberlandesgerichtes Prag, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.1918– 15.3.1919 und 7.8.–20.11.1920 Staatssekretär für Justiz, März 1919 bis 1927 Präsident des Obersten Gerichtshofes. 25, 37, 43, 45, 59, 117, 119, 183, 186, 193 f, 223, 232, 269, 276, 286, 289, 366, 407, 417, 423, 425, 428, 439, 446 Roth, Karl Ritter von (*11.4.1857, †13.3.1938 Wien), Oberlandesgerichtsrat am I. k.k. Landesgericht für Zivilsachen in Wien, Referent und Beisitzer des Obersthofmarschall-Amtes, Senatsmitglied des Obersthofmarschall-Gerichtes in Wien, 1.6.1919 Versetzung in den Ruhestand. 204, 211 Rott siehe Roth
S Sadleder, Karl (*5.3.1883 Linz, †13.10.1930 Linz), Kaufmann, ab 1913 Gemeinderat der Stadt Linz, DnP, während des 1. WK Leiter des städtischen Lebensmittelamtes Linz, 1915 bis 1918 zweiter Vizebürgermeister, 1918/19 Mitglied der provisorischen Landesversammlung und provisorischer Bürgermeister, 1919 und 1923 dritter Bürgermeister und Stadtrat. 205, 212 Schiegl, Wilhelm (*9.5.1866 Wien, †23.5.1936 Wien), gelernter Buchdrucker, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, 21.10.1918–16.2.1919 Ab-
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Personenregister geordneter der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 5.11.1918–4.5.1919 Mitglied der provisorischen Landesversammlung Niederösterreichs, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– 1.10.1930 Abgeordneter zum Nationalrat. 12 Schmarda, Dr. Alfred (*1861 Wien, †10.7.1921 Wien), Mediziner, Mitglied des Vereines Deutscher Ärzte Österreichs, ab 1893 Mitglied ab 1896 Sprecher der Deutschen Wiener Turnerschaft, 1904 bis 1919 Kreisobmann des Turnvereines Deutsch-Österreich, Vorstandsmitglied des „Vereines zur Pflege der deutschen Sprache in Wien“. 43 Schöbel, Josef (*, †), Amtsleiter der k.k. Bezirkshauptmannschaft in Trautenau, Bezirkshauptmann von Kaplitz, November 1919 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 103, 105, 118 Schoepfer, Dr. Aemilian (*29.4.1858 Brixen/Tirol, heute Italien, †24.3.1936 Innsbruck), 1886 bis 1913 Prof. am theologischen Diözesanseminar in Brixen, 1896 bis 1923 Abgeordneter zum Landtag Tirol, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1898 Mitbegründer der CSP Tirol, 1907 Gründer und Präsident der Verlagsanstalt „Tyrolia“, 1908 bis 1918 Mitglied des Tiroler Landesausschusses, Oktober 1916 bis Mai 1917 kommissarischer Landeshauptmann von Tirol, 1918 Ernennung zum Hofrat, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 4.4.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– 18.5.1927 Nationalratsabgeordneter. 1 f, 15, 20, 35, 42 f, 59, 66, 70 f, 81, 84, 94, 97, 117, 127 f, 131, 137, 141, 152, 161, 194, 210, 223, 232, 236, 242, 245, 257, 269, 278, 289, 309, 347, 352, 356, 365, 369, 380, 382 f, 386, 391, 408, 414, 417, 420, 439, 444–446 Schoiswohl, Michael (*20.9.1858 Gußwerk bei Mariazell/Steiermark, †28.2.1924 Gußwerk), Maschinenzeichner, 1878 Gründer einer Zeichenschule, Obmann des Arbeitervereines in Donawitz, 1904 bis 1918 Abgeordneter zum Landtag Steiermark, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 6.11.1918–20.1.1919 Mitglied der
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513 steiermärkischen Landesregierung, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920–19.7.1923 Nationalratsabgeordneter. 25, 36, 42, 50, 58, 81, 92, 117, 161, 183, 215, 223, 235, 245, 257, 269, 285, 391, 407, 417, 439 Scholz, (*, †), Hofrat. Schraffl, Josef (*13.6.1855 Sillian/Tirol, †11.1. 1922 Innsbruck), Grundbesitzer, ab 1884 Bürgermeister von Sillian, 1898 Mitbegründer der CSP Tirol, ab 1898 Abgeordneter zum Landtag Tirol, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, ab 1908 Mitglied des Tiroler Landesausschusses, ab Jänner 1914 Präsident des Landeskulturrates, 23.5.1917–6.6.1921 Landeshauptmann von Tirol, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 4.4.– 28.7.1919 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 1.12.1920–11.1.1922 Mitglied des Bundesrates. 130, 301 Schüller, Dr. Richard (*28.5.1870 Brünn/Mähren, heute Brno/Tschechische Republik, †13.5.1972 Georgetown/USA), Jurist, 1.8.1898 Eintritt in den Staatsdienst, 17.5.1910 Ernennung zum a.o. Prof. für Nationalökonomie an der Universität Wien, 28.10.1913 Ministerialrat, 1918 Übernahme in das Staatsamt für Äußeres und Bestellung zum Leiter der handelspolitischen Sektion, 30.1.1919 Ernennung zum Sektionschef, 1919 Mitglied der österreichischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in St. Germain, Dezember 1926 Ernennung zum Hon. Prof. an der Universität Wien, 14.3.1938 vom Dienst beurlaubt, 1.9.1938 Versetzung in den dauernden Ruhestand, Juli 1938 Emigration nach Italien und 1940 in die USA, dort bis 1952 Prof. für Nationalökonomie an der New School for Social Research in New York. 312 Schumpeter, Hugo (*15.5.1881 Triesch/Mähren, heute Třešť/Tschechische Republik, †7.1.1930 Wien), Diplomat, 14.7.1905 Zuteilung zum Generalkonsulat in Shanghai, 12.10.1906 Konsularattaché, Juni/Juli 1910 sowie Sommer 1911 interimistischer Gerent des Generalkonsulates Shanghai, 1.10.1911–3.9.1912 interimistischer Gerent in Yokohama, 12.12.1912 mit der ständigen Gerenz des Konsulates in Tientsin betraut, 13.8.1915 Konsul, 14.8.1917 Verlassen des Dienstpostens Tientsin wegen Kriegserklärung Chinas an Österreich-Ungarn, 13.11.1918 Übernahme in die Republik, mit Ende Jänner 1921 in den dauernden Ruhestand versetzt. 86
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514 Schürff, Dr. Hans (*12.5.1875 Mödling/NÖ, †27.3.1939 Wien), Jurist, 1910 bis 1923 Mitglied des Gemeinderates der Stadt Mödling, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 11.5.– 10.6.1921 Abgeordneter zum Landtag NÖ, ab 21.10.1918 Mitglied des Ernährungsausschusses, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 12.11.1918– 14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, GdP, 10.11.1920–1.10.1930 Nationalratsabgeordneter, 17.4.1923–26.9.1929 Bundesminister für Handel und Verkehr, 1929 bis 1930 und 1932 Bürgermeister von Mödling, April 1930 bis Dezember 1931 Obmann der GdP, 2.12.1930–2.5.1934 Nationalratsabgeordneter, Nationaler Wirtschaftsblock, 4.12.1930– 30.5.1931 und 20.6.1931–29.1.1932 Bundesminister für Justiz, 1934 aus allen öffentlichen Funktionen ausgeschieden. 59, 117, 183, 193, 215, 223, 245, 257, 269, 282, 289, 309, 347, 357, 365, 410, 417, 439 Schwimmer, Rosika (geborene Rózsa) (*11.9.1877 Budapest, †3.8.1948 New York), Journalistin, Pazifistin und Frauenrechtlerin, 1897 Gründerin des Vereines für weibliche Büroangestellte, bis 1912 dessen Vorstand, ab 1904 Herausgeberin der Zeitschrift „Frau und Gesellschaft“ im Ungarischen Feministinnenverein, Mitglied der „International Woman Suffrage Alliance“, ab 1914 Korrespondentin in London, nach Ende des 1. WK kurzzeitig diplomatische Vertreterin Ungarns in der Schweiz, im Zuge der Machtergreifung Horthys Emigration nach Österreich und danach in die USA. 331 Seitz, Karl (*4.9.1869 Wien, †3.2.1950 Wien), Lehrer, 1901 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Vorsitzender des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Präsident der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.1918–9.12.1920 als Präsident des Staatsratsdirektoriums bzw. der Konstituierenden Nationalversammlung Staatsoberhaupt, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied und ab 5.3.1919 Präsident der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920–17.2.1934 Nationalratsabgeordneter, 15.12.1920–20.11.1923 Zweiter Präsident des Nationalrates, 1920 bis 1934 Obmann der SdAP, 13.11.1923–12.2.1934 Bürgermeister und Landeshauptmann von Wien, Februar 1934 Inhaftierung, 20.7.1944 Inhaftierung durch die Gestapo, 1944 bis 1945 Internierung im KZ Ravensbrück, 19.12.1945–3.2.1950 National-
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Personenregister ratsabgeordneter, SPÖ. 1 f, 4 f, 9–11, 13, 15–20, 22, 25, 28–33, 35 f, 38–40, 44, 70, 76, 81 f, 93, 117, 119, 126 f, 133 f, 136 f, 139, 141 f, 146, 148, 150–153, 156 f, 160 f, 165, 168, 170, 193, 195 f, 210, 215 f, 218 f, 221, 223, 232, 239, 242, 245, 255, 257 f, 261, 263–267, 269 f, 272–275, 277, 279, 282–285, 289, 292, 296 f, 305, 307, 309, 310 f, 313–317, 321, 327, 340– 342, 344, 346–349, 352–355, 357–359, 363, 365, 371 f, 373 f, 376–382, 384 f, 387, 389, 390–393, 403, 407–412, 414, 417, 419–421, 425, 430, 432, 439 f, 444, 446, 450 Seliger, Josef (*16.2.1870 Schönborn bei Reichenberg/Böhmen, heute Liberec/Tschechische Republik, †18.10.1920 Teplice/Tschechoslowakei, heute Tschechische Republik), Redakteur, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 30.10.–12.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 12.11.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, Landeshauptmannstellvertreter von Deutschböhmen, erster Parteivorsitzender der Deutschen Sozialdemokratischen Partei in der Tschechoslowakei. 47, 392 f, 403, 420 Skaret, Ferdinand (*10.9.1862 Reichenberg/Böhmen, heute Liberec/Tschechische Republik †3.1. 1941 Wien), gelernter Tischler, 1893-1907 Obmann des Verbandes der Gewerkschaften und Fachvereine der Holzarbeiter und verwandten Berufe, 1902 Gründungs- und Vorstandsmitglied des Konsumvereines „Vorwärts“ in Wien, 1898 Sekretär der SdAP in Wien, nach 1918 deren Zentralsekretär, 1906 bis 1923 Gemeinderat in Wien, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1918 bis 1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Obmann des Heeresausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 1919 bis 1920 Mitglied der konstituierenden Nationalversammlung, 1920 bis 1930 Abgeordneter des Nationalrates, SdAP. Slatin, Rudolf Carl Freiherr von (auch Abd al-Quadir) (*7.6.1857 Ober St. Veit, †4.10.1932 Wien), 1874 bis 1876 Aufenthalt in Ägypten und dem Sudan, ab 1879 Finanzinspektor des Sudan und Distriktskommandant der Provinz Dara, 1881 Ernennung zum Gouverneur, 1883 zum Islam konvertiert, im selben Jahr Übergabe der Provinz Dara an den Mahdi, ab 1884 Dolmetscher, Berater und Ausbilder am Hof des Mahdi, Anfang 1895 Flucht, 21.3.1895 Ernennung zum Pascha
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Personenregister und zugleich Beförderung zum Oberst der ägyptischen Armee, 1900 bis 1914 Generalinspektor des Sudan, ab 1915 stellvertretender Direktor des Informationsbüros für Kriegsgefangene und Vizepräsident des Kriegsgefangenenausschusses des österr. Roten Kreuzes. 341, 355 Smitka, Johann (*9.1.1863 Wien, †24.3.1944 Wien), Schneider, Mitglied des Arbeiterbeirates im Handelsministerium, Vorsitzender der Österreichischen Gewerbekommission, ab 1907 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– 1.10.1930 Nationalratsabgeordneter. 201 Serowic siehe Čerović Smuts, Jan Christiaan (*24.5.1870 Bovenplaats/ Kapkolonie, heute Republik Südafrika, †11.9. 1950 Irene/Republik Südafrika, heute Centurion/Republik Südafrika), südafrikanischer Jurist, Militär und Politiker, nach dem Studium der Rechtswissenschaften zunächst Rechtsanwalt, ab 1898 Generalstaatsanwalt der Burenrepublik Transvaal, 1901 bis 1902 Oberbefehlshaber der Buren im Krieg gegen England, nach dem Eintritt Transvaals in die Südafrikanische Union 1910 bis 1912 Minister für Inneres und Bergbau, 1910 bis 1920 Verteidigungsminister, 1914 Kommandant der Truppen in Deutsch-Südwestafrika, 1917 und 1918 südafrikanischer Vertreter im britischen Kriegskabinett, 1919 Bevollmächtigter für Südafrika bei der Pariser Friedenskonferenz, 1919 bis 1924 Premierminister, 1933 bis 1939 Justizminister, 1939 bis 1948 Premier-, Außen- und Verteidigungsminister, ab 1941 Feldmarschall der südafrikanischen Truppen auf der Seite der Westmächte, gehörte zu den Betreibern und Mitbegründern des Völkerbundes 1919 und der Vereinten Nationen 1945. 16 Sobitschka, Josef Richard Edler von Wiesenhag (*9.1.1854 Böhm.-Wiesenthal/Böhmen, heute Loučná pod Klínovcem/Tschechische Republik, †23.5.1940 Böhm.-Wiesenthal), Industrieller, Direktor der böhmischen Landesbank, Senior der Österreichisch-Ungarischen Bank, ab 1895 Mitglied des böhmischen Landtages, 1897 Gründer der dt. Credit-Genossenschaft für Böhmen, Verwaltungsratspräsident der Zentralbank der deutschen Sparkassen in Prag. 125 Solf, Wilhelm Heinrich (*5.10.1862 Berlin, †6.2. 1936 Berlin), deutscher Politiker und Diplomat, 1888 Aufnahme in den diplomatischen Dienst,
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515 Tätigkeit im deutschen Generalkonsulat Kalkutta, 1898 Bezirksrichter in Daressalam, 1900 Gouverneur von Deutsch-Samoa, ab Dezember 1911 Staatssekretär des Reichskolonialamtes, Oktober bis Dezember 1918 Staatssekretär des deutschen Auswärtigen Amtes, 1920 bis 1928 deutscher Botschafter in Tokio. 55 Soukup, Martin (*5.11.1853 Ruttenschlag/Böhmen, heute Hrutkov/Tschechische Republik, †28.7.1934 Kačlehy/Tschechoslowakische Republik, heute Tschechische Republik), Obmann des Deutsch-Österreichischen Bundes in Budweis, Direktor der Molkereigenossenschaft in Oberbaumgarten, 1901 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der prov. Nationalversammlung, DnP. 184 f Spiegelfeld, Markus Graf von (*16.2.1858 Innsbruck, †6.5.1943 Innsbruck), Beamter, ab 1880 bei der Statthalterei Innsbruck, 1893 bis 1897 bei der Bezirkshauptmannschaft Trient, 1888 bis 1891 Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel, 1897 bis 1901 Bezirkshauptmann von Meran, 1901 Leitung des Präsidialbüros der Statthalterei für Tirol und Vorarlberg, 1904 Ernennung zum Statthaltereirat, 1906 Vizepräsident der Statthalterei, ab 1907 Statthalter, März 1913 Versetzung in den Ruhestand, während des 1. WK. in der Kriegsgefangenenfürsorge tätig. 340 Staněk, František (*14.11.1867 Tremles/Böhmen, heute Strmilov/Tschechische Republik, †19.6. 1936 Prag), tschechischer Politiker der Agrarpartei, 1901 bis 1907 Reichsratsabgeordneter, 14.11.1918–10.7.1919 tschechoslowakischer Minister für öffentliche Arbeiten, 10.7.1919– 15.9.1920 Minister für Post- und Telegraphenwesen, 26.9.1921–7.10.1922 Minister für Landwirtschaft. 400 Steinhardt, Karl (*1.8.1875 Gyöngyös/Ungarn, †21.1.1963 Wien), Buchdrucker und Politiker, 1900 Emigration nach Hamburg, 1904 bis 1908 als Schiffsbuchdrucker tätig, 1913 Rückkehr nach Wien, ab 1894 Mitglied der SdAP, 1916 Ausschluß wegen Antikriegshaltung, November 1918 Gründungsmitglied der KPDÖ, am 14. November 1918 gemeinsam mit Elfriede EisnerFriedländer verhaftet, 9.2.1919 Wahl zum Mitglied des Parteivorstandes und Generalsekretär der KPDÖ, zudem Bestellung zum Delegierten für den Gründungskongreß der kommunistischen Internationale, 1.5.1919–1.1920 Gefangenschaft in Rumänien, Juli/August 1920 Wahl zum Mitglied des Exekutivkomitees der Komintern auf
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516 ihrem 2. Weltkongreß, bis zum 3. Weltkongreß im Juni/Juli 1921 Aufenthalt in Moskau, ab November 1921 in Bremen für das KPD-Organ „Nordwestdeutsches Echo“ tätig, ab April 1922 Tätigkeit für die sowjetische Handelsvertretung in Hamburg, 1925 nach seiner Ausweisung aus Hamburg für die sowjetische Handelsvertretung in Berlin tätig, nach Ausweisung aus Deutschland Rückkehr nach Österreich und bis November 1928 Tätigkeit für die sowjetische Handelsvertretung, 1938 bis 1945 als Buchdrucker tätig, April 1945 bis Februar 1946 Vizebürgermeister von Wien und zuständig für das Wohlfahrtswesen, 13.12.1945–5.12.1949 Abgeordneter zum Wiener Landtag und Gemeinderat, April 1946 bis November 1951 Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ. 276 Steinwender, Dr. Otto (*17.2.1847 Klagenfurt, †20.3.1921 Villach), Gymnasialprofessor in Wien, Abgeordneter zum Landtag Kärnten, 1885 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1909 bis 1911 Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.–12.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 30.10.1918–15.3.1919 Staatssekretär für Finanzen, 26.11.1920–20.3.1921 Mitglied des Bundesrates. 1, 4–11, 14 f, 18, 45, 48 f, 51 f, 57, 81–83, 97 f, 141, 144 f, 156, 161, 168 f, 171, 178, 183, 186, 257 f, 391, 394 f, 398, 400, 439, 444 f Stern, Georg (*1869, †8.11.1936 Wien), Direktor der Länderbank, ab Mai 1917 Konsulent des Ackerbauministeriums und Ernennung zum Regierungsrat, 9.11.1918 Übernahme in das deutschösterreichische Staatsamt für Landwirtschaft, Generalrat in der Nationalbank und Arbeiterkammer, Vizepräsident der Ravag, Vizepräsident der Bankenkommission. 147, 157 Sternberg, Adalbert Graf (*14.1.1868 Pohrlitz/ Mähren, heute Pohořelice/Tschechische Republik, †25.4.1930 Wien), Politiker Schriftsteller und Journalist, 1899 Beteiligung am Burenkrieg, 1902 bis 1916 Präsident der Ostrauer Bergwerksgesellschaft, 1904 bis 1911 Abgeordneter zum Reichsrat, August 1914 bis März 1918 Kriegsdienst zuletzt als Rittmeister, nach dem Krieg freier Schriftsteller und Herausgeber meist in Wien, mehrfache Verurteilungen wegen Beleidigung, 1923, 1924 und 1925 kurzfristige Ausweisungen aus Österreich im Zusammenhang mit Duellforderungen. 207
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Personenregister Steurer, Hermann (*14.4.1873 Hard/Vorarlberg, †3.3.1923 Pisarovina/SHS-Königreich, heute Republik Kroatien), 18.8.1894 Eintritt in die bewaffnete Macht, 1.11.1912 Ernennung zum Major, 28.3.1915–2.3.1917 Generalstabschef der 48. Infanteriedivision, 2.3.1917–10.11.1918 Vorstand der Abteilung VIII des Ministeriums für Landesverteidigung, 17.8.1917 Ernennung zum Oberst, 16.11.1918 Landeskommandant von Vorarlberg, 1.3.1921 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 142, 156 Stöckler, Josef (*8.6.1866 St. Valentin/NÖ, †9.12.1936 St. Valentin), Landwirt, Bürgermeister von St. Valentin, 19.12.1902–20.7.1908 und 8.1.1909–8.1.1915 Abgeordneter zum Landtag NÖ, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 8.1.1909–5.11.1918 Mitglied des nö. Landesausschusses, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.–12.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 30.10.1918–24.6.1920 Staatssekretär für Landwirtschaft bzw. Land- und Forstwirtschaft, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920– 18.5.1927 Nationalratsabgeordneter, 20.5.1927– 2.5.1934 Mitglied des Bundesrates. 25–30, 40, 59 f, 72, 309, 317, 345, 391, 417 Stovall, Pleasant Alexander (*7.7.1857 Augusta/ USA, †14.5.1935 Savannah/USA), Journalist und Politiker, 1902 bis 1906 und 1912 Abgeordneter der Georgia State Legislature, 1913 bis 1919 Botschafter der USA in der Schweiz. 341 Straub, Konrad Ritter von (*15.2.1872 Prag, †19.2.1931 Wien), Oberst, 1.9.1892 Eintritt in die bewaffnete Macht, 1.11.1917 Ernennung zum Oberst, während des 1. WK als Kommandant eingesetzt, 13.7.1917–23.8.1918 Kommandant des Infanterieregimentes 99, 27.11.1918– 15.1.1919 Kreisunterbefehlshaber für Südmähren, 16.1.–26.3.1919 Grenzschutzkommandant an der Marchgrenze, ab 27.3.1919 Kreisunterbefehlshaber des Kreises I, am 1.10.1920 Versetzung in den Ruhestand. 240 Stritzl, Dr. Friedrich Freiherr von Artstatt (*7.12.1858 Tribuswinkel/NÖ, †5.11.1938 Wien), Hof- und Gerichtsadvokat, Bezirksrichter in Gloggnitz, ab 1900 als Landesgerichtsrat in Ruhestand getreten und Aufnahme der Tätigkeit als Rechtsanwalt, Anwalt Erzherzog Franz
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Personenregister Ferdinands und Karls I, Generalbevollmächtigter der Vormundschaft der Vermächtnisnehmer aus dem Testament Kaiser Franz Josefs, ab 1918 Freiherr, ab Juni 1922 Leiter der Verwaltung des Habsburg-Lothringischen Vermögens. 253 Stutz, Ernst (*28.7.1868 Marten/Westfalen, heute Dortmund/Nordrhein-Westfalen, †22.8.1940 Berlin), deutscher Bergingenieur, ab 22.6.1917 Reichskommissar für die Kohlenverteilung, ab 1.10.1919 Vorstandsvorsitzender des Reichskohlenverbandes, 1934 bis 1936 Reichsbeauftragter der Überwachungsstelle für Kohle und Salz. 37, 311 Sylvester, Dr. Julius (*30.6.1854 Wien, †13.7.1944 Zell am Wallersee/Salzburg), Rechtsanwalt, Hofund Gerichtsadvokat in Salzburg, 1896 bis 1897 Vizebürgermeister der Stadt Salzburg, 1897 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1911 bis 1917 Präsident des Abgeordnetenhauses, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates und des geschäftsführenden Staatsratsdirektoriums sowie Staatsnotar, 1918 bis 1930 Mitglied des Staatsgerichtshofes, ab 1919 Mitglied des Verfassungsgerichtshofes. 1–3, 20, 25, 32 f, 40, 45, 49, 57, 59 f, 67, 69, 71, 74, 81, 90, 97, 100, 111, 117, 129, 138, 161–163, 170, 176, 178, 183, 185 f, 191, 193, 198, 205 f, 208, 210, 213, 215, 223, 245–248, 252, 254, 257, 263, 269, 289, 296, 309, 347 f, 352, 354, 362 f, 365, 383, 391, 407, 413, 415, 417, 422, 425, 439, 442, 447, 452 Szilvinyi, Ladislaus von (*1.5.1879 Tamsweg/Salzburg, †12.5.1978 Wien), 27.2.1904 Eintritt in den niederösterreichischen Landesdienst, 1911 Einberufung in das Pressedepartement des Ministerrates, 29.12.1916 Ernennung zum Ministerialsekretär, ab 9.11.1918 Schriftführer des Staatsrates, Leiter der administrativen Agenden des Pressedienstes in der Staatskanzlei, 31.3.1919 Verleihung des Titels Sektionsrat, Anfang 1921 Titel Ministerialrat, danach Ministerialrat im Bundesministerium für Unterricht, bis 1938 Amtsleiter der Verwaltungsstelle der Wiener Hochschulen, 31.5.1938 Versetzung in den Ruhestand, 25.4.1945 Rehabilitierung und Wiedereintritt in den Dienst, 31.12.1947 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 25, 419, 440
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517 T Tenschert, Julius (*23.11.1867 Zottig/Schlesien heute Sádek/Tschechische Republik, †), Oberst, 18.8.1891 Eintritt in die bewaffnete Macht als Leutnant zum 1. Genie-Regiment, 15.8.1914– 16.10.1916 bei der Befestigungsdirektion in Wien, 16.10.1916–1.11.1918 im Kriegsministerium bei der Holzgruppe eingesetzt, ab 1.11.1918 Vorstand der Holzgruppe im liquidierenden Kriegsministerium. 148, 157 Teufel, Oskar (*5.10.1880 Znaim/Mähren, heute Znojmo/Tschechische Republik, †26.1.1946 Wien), Konservenfabrikant in Znaim, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, Deutschösterreichische Unabhängigkeitspartei bzw. Partei der Nationaldemokraten, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, 3.11.–16.12.1918 Kreishauptmann von Deutschsüdmähren. 1, 3, 9 f, 14 f, 17 f, 22, 25, 31–35, 37, 41–45, 81, 83, 85, 97, 103–105, 107 f, 110, 112, 117, 120–126, 128, 132, 141–144, 147, 153, 161 f, 164–166, 172, 174–176, 183 f, 192 f, 215 f, 218, 223, 231 f, 238–242, 245 f, 248 f, 257 f, 261, 264, 269, 272–274, 277, 279, 283 f, 289, 297, 303, 305, 309, 314, 326, 339, 347, 350 f, 353–355, 359 f, 363, 365 f, 368–371, 374 f, 377 f, 387 f, 391, 393, 395, 398, 400, 406–409, 411, 417 f, 420 f, 423 f, 428–430, 432, 439–441, 443 Teuschert siehe Tenschert Thun-Hohenstein, Rudolf Graf (*21.6.1859 Salzburg, †23.2.1943 Schloss Haunsperg/Salzburg), 1883 Eintritt in den Staatsdienst, ab 1896 Leiter der Bezirkshauptmannschaft Hallein und ab 1900 der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung, ab 1904 Landesregierungsrat, ab 1911 Hofrat, ab 1912 Bezirkshauptmann von Bregenz, 1916 bis 1919 Statthalterei- bzw. Landesregierungsvizepräsident und Landesamtsdirektor in Linz. 253 Tietze, Dr. Hans (*1.3.1880 Prag, †11.4.1954 New York), Kunsthistoriker, 1906 Eintritt in die k.k. Zentralkommission für Denkmalpflege, ab 1909 Privatdozent für mittelalterliche und moderne Kunstgeschichte an der Universität Wien, 1919 bis 1925 Referent für museale Angelegenheiten im Staatsamt bzw. Bundesministerium für Unterricht, 1938 Emigration in die USA. 250, 255
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Personenregister
Tomschik, Josef (*27.12.1867 Wien, †6.7.1945 Wien), 1894 bis 1930 Zentralsekretär der sozialdemokratischen Eisenbahnergewerkschaft Österreichs, ab 1895 Mitglied des Parteivorstandes der SdAP, 1902 bis 1905 Vorsitzender der Parteivertretung, Zweiter Vorsitzender des SdAP-Parteivorstandes, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, SdAP, 5.11.1918–4.5.1919 Mitglied der provisorischen Landesversammlung NÖ, 12.11.1918– 14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 4.3.1919– 9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, 10.11.1920–21.2.1933 Nationalratsabgeordneter. 193 f, 197, 199, 210, 215, 218, 289 f, 295, 307, 309, 347, 360 f, 364 f Tschurtschentaler siehe Tschurtschenthaler Tschurtschenthaler von Helmheim, Georg (*22.9. 1885 Gries bei Bozen/Südtirol, heute Italien, †), 1.9.1915 Hauptmann im Generalstab, ab 13.11.1918 Bevollmächtigter des d.ö. Staatsamtes für Heerwesen in Innsbruck, 1.11.1919 Versetzung in den Ruhestand. 120 Tusar, Vlastimil (*18.10.1880 Prag, †22.3.1924 Berlin), Journalist und sozialdemokratischer Politiker, ab 1908 Chefredakteur der Zeitschrift „Rovnost“ in Brünn, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 1913 bis 1914 Abgeordneter zum Landtag Mähren, Mitglied des Národni Výbor, ab 30.10.1918 tschechoslowakischer Bevollmächtigter bei der k.k. Regierung in Wien, 10.7.1919–15.9.1920 tschechoslowakischer Ministerpräsident, 25.5.–16.7.1920 Verteidigungsminister, 1921 bis 22.3.1924 tschechoslowakischer Gesandter in Berlin. 8, 86, 90, 104, 113, 119, 121, 165, 184 f, 226–229, 311 f, 393, 400, 405 U Udržal, Franz/František (*3.1.1866 Unterroweň/ Böhmen, heute Dolní Roveň/Tschechische Republik, †25.4.1938 Prag), Politiker und Landwirt, ab 1896 Gründer und Leiter des politischen Bauernbundes für Ostböhmen, 1897 Mitgründer und Mitglied des Verbandes der tschechischen Landwirte, 1911 Mitbegründer der Agrární banka, von 1897 bis 1918 Mitglied des Abgeordnetenhauses, 1899 bis 1903 im böhmischen Landtag, ab 1903 bei der tschechoslowakischen Agrarpartei, 1907 bis 1913 Leiter des agrarischen
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Klubs und Vizepräsident des Tschechenklubs sowie ab 1911 der slawischen Union, ab 1911 Mitglied des tschechischen Nationalrates, 1914 Gründung der wirtschaftspolitischen tschechischen Agrar-Kanzlei, 1917 „tschechischer“ Vizepräsident des Abgeordnetenhauses, ab 1918 Mitglied des tschechoslowakischen Nationalausschusses und Vorsitzender des revolutionären Verteidigungsausschusses, 1918 bis 1935 Mitglied der tschechoslowakischen Nationalversammlung, Republikanische Partei des landwirtschaftlichen und kleinbäuerlichen Volks, bis 1920 Vizepräsident der Nationalversammlung, 1935 bis 1937 Mitglied des Senats, 1921 bis 1925 und 1926 bis 1929 Verteidigungsminister, 1929 bis 1932 Ministerpräsident. 234 Urban, Dr. Karl (*1.9.1855 Prag, †24.10.1940 Prag), Industrieller, Präsident der Aktienbrauerei in Pilsen, Generaldirektor der Tschechischen Sparkasse, ab 1895 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 1900 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 20.12.1916–23.6.1917 Handelsminister, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.– 12.11.1918 Mitglied des Staatsrates, 30.10.1918– 15.3.1919 Staatssekretär für Gewerbe, Handel und Industrie sowie für Kriegs- und Übergangswirtschaft, Verwaltungsrat der Semperit AG. Wien und der Cosmanos AG. in Prag. 1, 17, 45, 47, 49 f, 58 f, 69, 73 f, 105, 117, 141–143, 154, 160 f, 163, 165, 176, 183, 193, 201, 211, 257, 260, 289, 301, 309, 313, 315 f, 344, 347, 357, 391, 398, 407, 409, 414, 416, 439, 441 f, 445 f, 448 f W Waihs, Dr. Erwin (*3.8.1880 Wien, †5.7.1959 Aich am Attersee/OÖ), Richter und Vorsitzender Rat des Oberlandesgerichtes Wien, Hauptmannauditor, ab 1918 Bezirksrichter in Wien, 5.11.1918–24.6.1920 Unterstaatssekretär für Heereswesen, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, CSP, 10.11.1920–2.5.1934 Nationalratsabgeordneter, ab 1929 Senatsvorsitzender beim Oberlandesgericht Wien, 1938 bis 1945 außer Dienst gestellt und politisch verfolgt, 1944 drei Wochen in Untersuchungshaft, Präsident des Österreichischen Schwarzen Kreuzes und der Gesellschaft für internationale Freundschaftsbeziehungen. 141, 148, 157, 269, 309, 340, 391, 407
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Personenregister Waldner, Dr. Viktor (*1.4.1852 Dellach/Kärnten, †30.8.1924 Klagenfurt), Univ.-Prof. für österreichisches Zivilprozeß-, Handels- und Wechselrecht in Klagenfurt, Obmann der Sektion Obergailtal des Deutschen und Österreichischen Alpenvereines, 1894 bis 1895 Abgeordneter zum Landtag Kärnten, 1907 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates. 43, 59, 70, 81, 89, 92, 117, 131, 133 f, 140, 161, 183, 189, 193, 198, 215, 223, 232, 242, 257, 269 f, 289, 304 f, 308 f, 347, 350, 365, 376, 391, 407, 409, 417, 419, 439 f, 446, 448 Wallensdorfer siehe Wallenstorfer Wallenstorfer, Norbert (*14.1.1872 Krems/NÖ, †), Oberst, ab 18.8.1893 Offizierslaufbahn, ab 1905 im Generalstab verwendet, 30.11.1916 Ernennung zum Direktor des Amtes für Volksernährung, 23.3.1917 General-Ernährungsinspektor, 21.11.1918–15.3.1919 Unterstaatssekretär für Volksernährung, 26.2.1919 Ernennung zum Ministerialrat bei gleichzeitiger Versetzung in das Verhältnis „außer Dienst“ als Oberst des Generalstabes, ab 1919 Direktor der Getreideanstalt für Wien und NÖ, 7.8.1922 Ernennung zum Sektionschef, 1.9.1922 Übernahme in das Bundesministerium für soziale Verwaltung, 1.1.1923 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 158, 281, 283 Weiskirchner, Dr. Richard (*24.3.1861 Wien, †30.4.1926 Wien), Jurist, 1883 Eintritt in den Dienst der Stadt Wien, 1903 bis 1909 Magistratsdirektor, 1909 bis 1911 Handelsminister, 1910 bis 1919 Mitglied des Wiener Gemeinderates, 23.12.1912–22.5.1919 Bürgermeister der Stadt Wien, 1917 bis 1918 Mitglied des Herrenhauses, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, CSP, 10.11.1920–20.11.1923 Nationalratsabgeordneter sowie Präsident des Nationalrates. 226 f, 310, 401 Wenzel siehe Wenzl Wenzl, Dr. Karl (*1866 Warnsdorf/Böhmen, heute Varnsdorf/Tschechische Republik, †), 21.11.1889–4.5.1890 Rechtspraktikant beim k.k. Handelsgericht in Wien, 5.5.1890–30.7.1890 dem k.k. Landesgericht für Strafsachen in Wien zugeteilt, 1.8.1890–15.11.1890 Rechtsprak-
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519 tikant beim k.k. Kreisgericht in Leitmeritz, ab 16.11.1890 Auskultant ebendort, ab 6.4.1896 Bezirksgerichtsadjunkt in Falkenau, 28.9.1897 Versetzung nach Tetschen, 20.8.1904 Gerichtssekretär in Eger, 8.2.1911 Ernennung zum Landesgerichtsrat in Eger, 25.11.1918 Ernennung zum Oberlandesgerichtsrat für das Oberlandesgericht Reichenberg, 28.10.1919 Versetzung als Oberlandesgerichtsrat nach Ried im Innkreis. 194 Wichtl, Dr. Friedrich (*15.3.1872 Wien, †29.7. 1922 Wien), Begründer und Direktor der 1. Österreichischen Privatrechtsschule in Wien, Obmann der Ortsgruppe Josefstadt des „Bundes der Deutschen in Niederösterreich“, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918– 16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP. 97, 104–106, 113, 193, 205, 212 Wilczeck siehe Wilczek Wilczek, Graf Johann Nepomuk (*7.12.1837 Wien, †27.01.1922 Wien), Mitglied des Herrenhauses, Polarforscher, Kunstmäzen und Kunstsammler, seit 1875 Präsident der österreichischen geographischen Gesellschaft, 1874 Erwerbung der im 30jährigen Krieg zerstörten Burg Kreuzenstein, danach Restauration zum Zweck der Unterbringung seiner umfangreichen historischen Kunstsammlung. 100, 111, 161 f, 176 Wildner, Dr. Heinrich (*27.5.1879 Reichenberg/ Böhmen, heute Liberec/Tschechische Republik, †4.12.1957 Wien), 28.11.1903 Eintritt in den diplomatischen Dienst, Tätigkeit in St. Petersburg und Belgrad, 29.1.1914 Einberufung in die handelspolitische Abteilung des Ministeriums des Äußern, ab November 1918 Leiter der handelspolitischen Abteilung im Staatsamt für Äußeres, 18.5.1922 Ernennung zum a.o. Gesandten und bev. Minister, 31.5.1939 Versetzung in den Ruhestand gemäß § 6 BBV, 30.4.1945 Wiedereintritt in den Auswärtigen Dienst, 17.7.1945– 11.11.1949 Generalsekretär für die Auswärtigen Angelegenheiten, 31.12.1949 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 312 Wilson, Thomas Woodrow (*28.12.1856 Staunton/Virginia, †3.2.1924 Washington), 4.3.1913– 4.3.1921 Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. 119, 124, 136, 329, 340, 440, 444, 447, 451 f Wimmer, Dr. Lothar Freiherr von (*19.4.1889 Wien, †16.12.1966 Purkersdorf/NÖ), Jurist und
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520 Diplomat, 29.3.1913 Eintritt in den Staatsdienst, 1917 bis 1918 im Dienst des k.k. Ministerratspräsidiums, danach in der Staatskanzlei bzw. im Bundeskanzleramt, 1.5.1924 Ernennung zum Sektionsrat, 1929 Übertritt in den Auswärtigen Dienst, 1.2.1930–28.12.1933 bei der Gesandtschaft in London, 10.1.1934–7.5.1937 a.o. Gesandter und bev. Minister in Athen, 17.4.1937 bis Mai 1938 in Belgrad, 1938 Versetzung in den Wartestand, 1939 bis 1946 Exil in der Schweiz, 22.1.1946 neuerlicher Dienstantritt im Bundeskanzleramt/Auswärtige Angelegenheiten und Zuteilung zur politischen Abteilung, 24.4.1946 mit den Vorbereitungen des Wiederaufbaues der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich, Belgien und den Niederlanden betraut, 2.5.1946–10.9.1950 a.o. Gesandter und bev. Minister in Brüssel, ab 14.10.1947 in Luxemburg mitbeglaubigt, ab 26.1.1950 a.o. Gesandter und bev. Minister in London, 30.1.1952–26.2.1955 als a.o. und bev. Botschafter, 21.12.1951 Ernennung zum a.o. Gesandten und bev. Minister, 31.12.1954 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 407, 409 Wolf, Karl Hermann (*27.1.1862 Eger/Böhmen, heute Cheb/Tschechische Republik, †11.6.1941 Wien), Schriftsteller und Journalist, Obmann des Deutschnationalen Vereines in Österreich, 1890 Gründer der deutschnationalen Zeitung „Ostdeutsche Rundschau“, 1897 bis 1918 Reichratsabgeordneter, ab 1898 Abgeordneter zum Landtag Böhmen, 21.–30.10.1918 Mitglied des Vollzugsausschusses der Provisorischen Nationalversammlung, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, DnP, 30.10.1918–14.3.1919 Mitglied des Staatsrates, danach Rückzug aus der Öffentlichkeit und Inhaber einer Tabak-Trafik in Wien. 18 f, 25, 27, 29 f, 33 f, 36, 40–43, 45, 47 f, 53, 55, 59, 71, 81, 88 f, 117, 120, 124–127, 141, 150 f, 153, 159, 161, 183, 187 f, 191, 215 f, 219, 245, 248, 257, 269, 273, 279, 282, 289, 297, 302, 308 f, 327, 337–339, 347, 351–354, 363, 365, 371 f, 375, 378, 391, 407, 417, 419, 421–423, 428, 430 Wölfel, Dr. Heinrich (*, †), Jurist, 1891 Ernennung zum Auskultanten in Reichenberg, 1897 Ernennung zum Bezirksgerichtsadjunkt in Tannwald, 1898 Versetzung nach Kratzau, 1904 Ernennung zum Gerichtssekretär in Reichenberg, Februar 1911 Ernennung zum Landesgerichtsrat in Reichenberg, 1916 Ernennung zum Oberlandesgerichtsrat in Reichenberg. 194 Wölfl siehe Wölfel
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Personenregister Wollek, Richard (*18.12.1874 Innsbruck, †14.1. 1940 Wien), Gutsbesitzer, Sekretär der christlichsozialen Reichsparteileitung, 1908 bis 1920 Abgeordneter zum Landtag Niederösterreich, Mitglied des niederösterreichischen Landesschulrates, 1911 bis 1918 Reichsratsabgeordneter, 21.10.1918–16.2.1919 Mitglied der Provisorischen Nationalversammlung, CSP, 30.10.1918–14.3.1919 Ersatzmann des Staatsrates, 10.11.1920–1.10.1930 und 2.12.1930– 2.5.1934 Nationalratsabgeordneter, 20.4.1935 Ernennung zum Regierungsrat, 1937 Hofrat. 309, 347, 352 Wotawa, Dr. August Ritter von (*21.12.1876 Wien, †22.5.1933 Linz), Mittelschullehrer, Leiter des Realgymnasiums Grinzing, 9.12.1918 Bestellung zum Leiter der Minderheitsschutzstelle in der Staatskanzlei, 1920 Mitbegründer der GdP, 1923 bis 1933 Präsident des Österreichischen Bundesverlages für Unterricht, Wissenschaft und Kunst, 1924 bis 1930 Obmann der GdP, 1927 bis 1930 Obmann des großdeutschen Parlamentsklubs, 18.5.1927–1.10.1930 Nationalratsabgeordneter, GdP, 2.12.1930–13.5.1933 Nationalratsabgeordneter. 206, 250, 339, 418, 421, 431 f Wottawa siehe Wotawa Wurm, Emanuel (*16.9.1857 Breslau/PreußischSchlesien heute Wrocław/Republik Polen, †3.5. 1920 Berlin), studierter Chemiker, Journalist und Politiker, Leiter von Essig- und Preßhefefabriken in Deutschland und Rußland, 1883 Redakteur bei der „Zeitschrift für Spirituosen und Presshefeindustrie“ in Wien, 1887 bis 1888 beim „Volksfreund“, 1888 Gründer und bis 1890 Leiter des Konsumvereines „Vorwärts“ in Dresden, Oktober 1890 bis 1893 Redakteur der sozialdemokratischen Zeitung „Volkswille“, ab 1902 bei der Wochenschrift „Die Neue Zeit“, ab 1900 Stadtverordneter von Berlin, 1890 bis 1907 und 1912 bis 1918 Reichstagsabgeordneter, 14.11.1918–13.2.1919 Staatssekretär des Reichsernährungsamtes. 88, 95 Wutte, Dr. Viktor (*19.9.1881 Graz, †28.11.1962 Graz), Industrieller, Vorstandsmitglied des Verbandes österreichischer Industrieller, ab 21.10. 1918 einer der drei gewählten Präsidenten des steiermärkischen Wohlfahrtsausschusses, 6.11. 1918–27.5.1919 Mitglied der steiermärkischen Landesregierung, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung,
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Personenregister
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DnP, 1922 bis 1924 Geschäftsführer des Grazer Opernhauses, Präsident der Graz-Köflacher Eisenbahn- und Kohlenbergbaugesellschaft, geschäftsführender Verwaltungsrat der Greinitz AG. 299 Z Zeidler-Daublebsky, Egon Freiherr von Sterneck (*24.9.1870 Graz, †6.12.1919 Wien), Generalstabsoffizier, ab 1.5.1912 Oberstleutnant beim 3. Tiroler Kaiserjägerregiment, ab 27.4.1914 Generalstabschef des XXII. Korps, ab 1.11.1914 Oberst im Generalstab, ab 11.8.1916 beim Heeresfrontkommando Erzherzog Karl, 26.11.1916 der Militärkanzlei des Kaisers zugeteilt, ab 20.1.1917 stellvertretender Leiter der Militärkanzlei, 1.5.1918 Ernennung zum Generalmajor, 8.5.1918 Generaladjutant, ab 18.5.1918 Vorstand der Militärkanzlei, 1.5.1919 Versetzung in den dauernden Ruhestand. 178, 271 Zerdik, Ing. Johann (*7.4.1878 Wien, †1.6.1961 Wien), Landesbaurat, ab 1911 Mitglied des Gemeinderates von Amstetten, 12.11.1912– 8.1.1915 Abgeordneter zum Landtag NÖ, 30.10.1918–15.3.1919 Staatssekretär für öffentliche Arbeiten, 4.3.1919–9.11.1920 Mitglied der Konstituierenden Nationalversammlung, CSP, 15.3.1919–24.6.1920 Staatssekretär für Handel und Gewerbe, Industrie und Bauten. 37, 65 f, 271, 289, 306, 309–312, 344, 347, 355, 357 f, 396, 401, 417, 422, 426
_Staatsrat Band 2.indb 521
Zierhut, Wolfgang (*31.12.1886 Chudiwa/Böhmen, heute Chudenín/Tschechische Republik, †13.3.1946 Klatovy/Tschechoslowakische Republik, heute Tschechische Republik), Politiker, Mitglied des Deutschen Rindviehzüchterverbandes, Geschäftsführer des Vereines der deutschen Landund Forstwirte in Neuern, ab 1920 Abgeordneter zum Abgeordnetenhaus, deutsche Agrarpartei, später Bund der Landwirte, ab 1926 stellvertretender Vorsitzender des Abgeordnetenhauses. 86 Zorn, Victor (*5.8.1850 Landskron/Böhmen, heute Lanškroun/Tschechische Republik, †), ab 28.11.1874 Richter beim k.k. Landesgericht Wien, 22.3.1875 Ernennung zum Auskultanten im böhmischen Oberlandesgerichtssprengel und Zuweisung an das Kreisgericht in Chrudim, 2.10.1878 Bezirksgerichtsadjunkt in Starkenbach, 23.2.1881 Versetzung nach Saaz, 2.11.1885 Versetzung nach Smichow, 2.3.1887 Gerichtshofadjunkt in Prag, 25.5.1893 Staatsanwaltssubstitut in Böhm. Leipa, 11.9.1897 Staatsanwalt für Reichenberg, 22.12.1912 Ernennung zum Hofrat. 195 Zuckerkandl-Szeps, Berta (*13.4.1864 Wien, †16.10.1945 Paris), Journalistin und Salonière, 1917 in geheimer politischer Mission als Vermittlerin für einen Separatfrieden mit Frankreich tätig, nach Kriegsende Weiterführung der Vermittlertätigkeit v. a. im Zusammenhang mit der Lebensmittelversorgung Wiens, 1938 Flucht zunächst nach Paris, 1940 nach Algier, 1945 Rückkehr nach Paris. 355
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