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German Pages 578 Year 1942
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BUNDESARCHIV
Koblenz, im Januar 1956
Das große vom ehemaligen Reichsarchiv begonnene Gesdiichtswerk „Der Weltkrieg 1914—1918“ ist bisher Torso geblieben. In der Zeit von 1925 bis 1939 waren 12 Bände erschienen. Davon wurden die ersten neun vom
Reichsarchiv, die folgenden drei von der Kriegsgeschichtlichen Forschungs¬ anstalt des Heeres1) in Potsdam bearbeitet und herausgegeben. Die beiden letzten Bände XIII und XIV des Gesamtwerkes sind bis zum Schluß des 2. Weltkrieges nicht mehr zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangt.
Band XIII, der die Operationen im Westen während des zweiten Halb¬
jahres 1917 sowie die Ereignisse auf den anderen Kriegsschauplätzen bis zum Kriegsende 1918 enthält, war allerdings schon 1942 fertiggestellt. Die Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt übernahm von der Auflage 1500 Stücke. Sie trugen am oberen Rande des Titelblattes den für eine solche
Publikation ungewöhnlichen Aufdruck „Nur für den Dienstgebrauch“ und wurden daher nur einem dienstlich begrenzten Empfängerkreis zugänglich gemacht. Von diesen Bänden ist der größere Teil ausgegeben worden. Die übrigen Stücke wurden von der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt ein¬
gelagert und sind bei der Zerstörung des Heeresarchivs Potsdam im Frühjahr 1945 mitverbrannt8). Auch der Rest der nicht ausgelieferten Auflage ist nach Mitteilung des Verlages E. S. Mittler & Sohn vernichtet worden. Band XIV war ausschließlich den Vorgängen des letzten Kriegsjahres 1918 an der Westfront vorbehalten. Er mußte also auch das sdiließlidie Versagen 1) Sie ist unmittelbar aus der Historisdien Abteilung des Reidisarchivs hervorgegangen, die am 1.4. 1935 als „Forschungsanstalt für Kriegs- und Heeresgeschichte“ dem Reichs¬ wehrminister (seit 21. 5. Reichskriegsminister) unterstellt wurde. Am 1. 4. 1937 trat sie als „Kriegsgesdiiditlidie Forschungsanstalt des Heeres“ unter den Befehl des Oberbefehls¬ haber des Heeres als nachgeordnete Dienststelle des Chefs des Generalstabes des Heeres.
*) Nach mündlichen Erklärungen des ehemaligen Präsidenten der Kriegsgesdiichtlichea Forschungsanstalt Professor Wolfgang Foerster und des jetzigen Archivdirektors Dr. Bernhard Poll in Aachen. — Die meisten der ausgegebenen Bände dürften in
Kriegs- und Nachkriegszeiten verloren gegangen sein. Ein Stück dieser Reihe, aus der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt stammend und mit der aufgedruckten laufen¬ den Nr. 9 versehen, konnte nach dem 2. Weltkrieg vom Bundesarchiv erworben werden;
es liegt dem hier folgenden Nachdruck zugrunde.
der militärischen Widerstandskraft, die mit dem Waffenstillstandsersuchen
zusammenhängenden Fragen und den erfolglosen Ausgang der Operationen behandeln. Darum richtete sich auf ihn in besonderem Maße und weit über den Kreis nur kriegsgeschichtlich interessierter Fachleute hinaus die Erwar¬ tung von Politikern und Historikern und von breiteren Schichten der Öffent¬ lichkeit. Der Band wurde 1942/43 in die Setzerei gegeben, aber vor dem
Zusammenbruch nicht mehr vollendet. Doch liegen mehrere Satzumbrüche und zwar aus aufeinanderfolgenden Korrekturstadien vor. E i n Umbruch
befindet sich heute noch in amerikanischer Hand; er weist zahllose, in be¬
stimmten Abschnitten erhebliche handschriftliche Änderungsvermerke auf3). Einen späteren Umbruch, in dem jene Änderungen schon berücksichtigt sind, besaß Professor W. Foerster; er hat ihn dem Bundesarchiv zur Ver¬ öffentlichung überlassen. In diesem Umbruch ist noch eine Reihe von Kor¬
rekturen „letzter Hand“ enthalten4). Das Bundesarchiv, das in seinem Militärarchiv die Nachfolge der früheren Wehrmachtarchive angetreten hat, unternimmt es in Verbindung mit dem
Verlag Mittler & Sohn, die beiden Bände im Nachdruck der wissenschaft¬ lichen Forschung zu erschließen. Im Heeresarchiv Potsdam gingen am
14. April 1945 sämtliche archivalisdien Quellen der preußisdi-deutschen Heeres- und Kriegsgeschichte unter — ein Verlust von unermeßlicher
geschichtlicher Bedeutung! — und mit ihnen die schriftlichen Zeugnisse aus
dem 1. Weltkrieg5). So haben denn das Weltkriegs werk und namentlich die Bände XIII und XIV, als eine mit amtlicher Genauigkeit erstellte Wieder¬ gabe des Akteninhalts betrachtet und gewertet, das Wesen einer abgeleiteten
Geschichtsquelle angenommen. Und zwar einer Überlieferung, deren Grund¬ lagen bereits vernichtet sind. Dies allein schon würde die Veröffentlichung der Schlußbände jenes großen Unternehmens rechtfertigen, das einen rühm¬ lich anerkannten Platz in der Reihe der „Generalstabswerke“ der am Kriege
beteiligten großen Mächte behauptet. Auf eben diese wissenschaftliche Bedeutung des Weltkriegs Werkes und auf
die Dringlichkeit seines baldigen Abschlusses, solange nämlich noch die Probleme jener Jahre den Forscher zeitgeschichtlich erregen, solange noch die 3) Man kann von ihm einen Mikrofilm bei der Library of Congress in Washington er¬ werben. 4) Die Akten der Kriegsgeschiditlidien Forschungsanstalt des Heeres sind nach der Ein¬ nahme Potsdams von der Besatzungsmacht beschlagnahmt worden. Ob sich in diesem Bestand neben den Vorarbeiten der Angehörigen der Forschungsanstalt zu Band XIII und XIV auch noch Drucke, Fahnen, Umbrüche dieser Bände befinden, ist hier nicht bekannt. 5) Vgl. Bernhard Poll : Vom Schicksal der deutschen Heeresakten und der amtlichen Kriegsgeschichtsschreibung. In: Die Welt als Geschichte, 1952, S. 61 ff.
ältere Generation sich aus eigenem Erleben dazu äußern kann und ehe andersartige Publikationsaufgaben in den Vordergrund treten, ist von vie¬
len Seiten hingewiesen worden6). Das Werk ist das Ergebnis kriegsgeschichtlicher Forschung. Unter diesem Gesichtpunkt sind auch die beiden Schlußbände zu lesen und zu würdigen, keineswegs ausschließlich, aber doch in erster Linie. Sie gehen also zunächst den Soldaten, den militärischen Fachmann an. Für ihn ist der Inhalt aller¬ dings nur noch von historischem Interesse. Er kann ihm kaum etwas für die
völlig verwandelte Kriegstechnik der Gegenwart entnehmen. Aber die Ab¬ leitung von „Lehren“ war auch nie von den Bearbeitern zum unmittelbaren
Zweck der Weltkriegsdarstellung erhoben worden; das hätte die Vorurteils¬
losigkeit ihrer wissenschaftlich-geschichtlichen Forschung gestört7). Die in den letzten beiden Bänden vorgenommene Zusammenpressung eines gewal¬ tigen Stoffes läßt vielleicht sogar das militärische Anliegen an eine solche Arbeit etwas zu kurz kommen.
Die Kriegsgeschichte ist aber in die allgemeine historische Wissenschaft eingebettet. Und gerade bei diesen Bänden tritt die unentrinnbare Verflech¬ tung des modernen „totalen“ Kriegsgeschehens mit allen Problemen der inne¬ ren und äußeren Politik zutage. Die Oberste Heeresleitung hat in den letzten Kriegsjahren auf alle Lebensgebiete des deutschen Volkes einen maßgeblichen Einfluß ausgeübt. Die auf ihren Akten aufbauende Darstellung ist daher auch für den politischen Historiker von ausnehmender Bedeutung. Dies gilt durchaus nicht bloß für die Abschnitte zusammenfassender Betrachtung, zu¬
mal in ihnen die persönlichen Auffassungen der jeweiligen Bearbeiter stärker zu Worte kommen. Der Historiker kann auch aus dem Bericht von Tatsachen
rein militärischen Charakters, wie etwa Nachschub- und Ersatzschwierig¬ keiten oder Verlusten, kritische Rückschlüsse ziehen und darauf sein eigenes
Urteil über Vorgänge oder Maßnahmen jener Jahre gründen. In jedem Fall wird er feststellen müssen, daß der Kriegsgeschichtler in den beiden Bänden seinen wesentlichen Beitrag zur Beantwortung wichtiger, durch die gesdiicht6) Erwähnt sei eine Kundgebung vom 6. März 1954, die von sechs Göttinger Professoren
unterschrieben ist (P. E. Schramm, W. Treue, Wittram, Kaehler, Bußmann, Hubatsch}. — Der Nachdruck der beiden Bände war schon lange zuvor mit besonderem Eifer von Präsident Foerster, Admiral A ß m a n n und
Professor Walther Hubatsch betrieben worden; ihren Bemühungen zollt das
Bundesarchiv dankbare Anerkennung. *) Dies ist in einer Ausarbeitung gesagt worden, die bei der Kriegsgeschichtlichen For¬ schungsanstalt im Herbst 1944, nach Abschluß der Arbeiten zum letzten Bande und im
Zuge eines umfassenden Rückblicks auf die Herausgabe des Weltkriegswerks, über die dabei angewandten Forschungsmethoden und gewonnenen Erfahrungen gefertigt wurde. Ein maschinegeschriebenes Manuskript der Ausarbeitung befindet sich im Besitz W. Foersters, eine Fotokopie davon im Bundesarchiv.
liehe Wende des verlorenen Krieges heraufbeschworener Fragen unseres poli¬ tischen Daseins geliefert hat. An solchen Fragen: „versäumter Verständi¬ gungsfriede?“, „falsches Verhältnis zwischen politischer und militärischer Führung?“, „Dolchstoß?“, „im Felde unbesiegt?“ usw., haben sich schicksal¬ hafte innenpolitische Auseinandersetzungen nach dem ersten Weltkrieg ent¬ zündet; die unterschiedliche Einstellung dazu hat die staatspolitische Hal¬ tung weiter Volksschichten bestimmt. Um so mehr dürfte der Historiker der
Gegenwart die Veröffentlichung der Schlußbände des Weltkriegswerkes auch als einen Beitrag zur Erforschung und Klärung unserer Zeitgeschichte
begrüßen. Dabei werden diese vor der Katastrophe von 1945, vor der großen
Umwertung so vieler Überlieferungen geschriebenen Bände in den Augen des Forschers heute selbst schon wieder zeitgeschichtliche Quelle und Gegenstand quellenkritischer Prüfung, etwa inwiefern darin noch eine von 1914/18 her
fortwirkende militärpolitische Tradition, eine bestimmte Tendenz, eine Ge¬ schichtslegende aufspürbar ist. Das erhellte blitzartig die Kontroverse, die durch die Aufsätzewon Alexander Griebel: „Geschichte — n. f. D.“ und „Geschichte — Geheime Kommandosache“ in der Deutschen Rundschau aus¬
gelöst wurde8). Wichtiger als das, was A. Griebel dem Bande XIII über die Verständigungsmöglichkeit zwischen den Kriegsgegnern 1917 entnahm, war der von F.T. Epstein beigesteuerte Nachweis, daß in dem ihm zur Ver¬ fügung stehenden Umbruch des Bandes XIV noch erhebliche Textänderungen
gerade bei den politisch bedeutsamen Ausführungen über die von Ludendorff verlangte Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen vorgenommen worden sind. Er ersah daraus, daß in diesem Stadium der Drucklegung der „Chefredakteur“ noch einmal die Wahl jeden Wortes aufs genaueste erwogen und mit der neuen Nuancierung die Absicht herausgekehrt habe, so viel Ver¬ antwortung wie möglich auf die Reichsregierung abzuwälzen. W. Foerster 8) An ihr beteiligten sich W. Foerster und Fritz T. E p s t e i n - Washington: Deut¬
sche Rundschau 1950 S. 167 ff., 1952 S. 1024 ff., 1953 S. 187 ff.; ferner Helmut Gr ein er: Allgemeine Zeitung, Wiesbaden, 12. Juni 1950. — Foerster und Gr ein er haben Griebels Vermutungen, daß der Vermerk über dem Bande XIII
innenpolitisch begründet gewesen sei, zurückgewiesen und außenpolitische Rücksichten dafür als maßgebend bezeichnet. Professor W. Foerster hat kürzlich dem Bundes¬ archiv noch einmal schriftlich mitgeteilt, daß die eingeschränkte Herausgabe des Bandes „auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes vom Beauftragten des Führers für die militärische Geschichtsschreibung, General Scherfs, angeordnet worden ist“. Eine weitere Klärung des merkwürdigen Verfahrens wäre vielleicht aus den für uns noch nicht wieder greifbaren Akten des Auswärtigen Amtes und den Akten der Kriegsgeschichtlichen Forschungsanstalt zu erreichen. — Hitler selbst hat dem Welt¬
kriegswerk niemals Beachtung geschenkt; von Göbbels sind den Publikationen der Forschungsanstalt Hemmnisse nicht in den Weg gelegt worden (W. Foerster).
hat sich entschieden dagegen verwahrt, daß jene Änderungen eine Entlastung des Großen Hauptquartiers bezwecken sollten. In seinem Buche über Luden¬ dorff im Unglück8) führe er ja selbst noch einmal den Beweis, daß tatsächlich
die Oberste Heeresleitung für das Friedens- und Waffenstillstandsangebot verantwortlich sei. Aber Epsteins Beobachtungen waren damit nicht gegen¬
standslos geworden. Seit den parlamentarischen Untersuchungen über die Ursachen des Zusam¬ menbruches 1918 hat die in mancherlei Veröffentlichungen zutage getretene „Generalstabshistoriographie“ den Widerspruch von Politikern und Histc rikern hervorgerufen. Im Kern aller gegen sie erhobenen Vorwürfe steht die Dolchstoßlegende. So ist es verständlich, daß gegen die Herausgabe der Schlußbände des Weltkriegswerkes durch das Bundesarchiv ebenfalls Be¬ denken laut geworden sind, zumal in jener Kontroverse wieder einige der alten Streitpunkte aufgerührt worden waren. Man fürchtete den in der poli¬ tischen Öffentlichkeit vielleicht entstehenden Eindruck, daß damit die Wie¬ dererrichtung und Rechtfertigung eines überholten Geschichtsbildes altmili¬ tärischer Tradition bezweckt werden solle. Die Frage wurde gestellt, ob das Bundesarchiv überhaupt nachträglich einer Publikation zum Leben verhelfen dürfte, deren Ergebnisse es nicht in vollem Umfange sich zu eigen machen könne, weil sie nicht den heutigen Stand der Forschung und der politischen Erkenntnis enthielten. Der Entschluß zur Herausgabe der militärischen Darstellung der letzten anderthalb Kriegs jähre 1917 und 1918 gründet sich auf die quellenhafte
und allgemeingeschichtliche Bedeutung, die ihr innewohnt. Diese und keine andere Überlegung verpflichtet uns, ein so großes wissen¬
schaftliches Unternehmen wie dasWeltkriegswerk, nachdem die Entscheidung über sein Schicksal dem Bundesarchiv zugefallen ist, im letztmöglichen Zeitpunkt doch noch zum Abschluß zu bringen. Aus der positiven allge¬ meingeschichtlichen und wissenschaftlichen Wertung darf allerdings keine innere Übereinstimmung des Bundesarchivs mit dem Urteil gefolgert werden, das die Bearbeiter und Redaktoren der beiden Bände über einzelne Vor¬ gänge mit politischem Gehalt gewonnen und geäußert haben. Auch die
seelische oder politische Gesamthaltung der Verfasser gegenüber dem Stoff, von der ihr Urteil über geschichtliche Zusammenhänge getragen war, ist nicht 9) Wolfgang Foerster : Der Feldherr Ludendorff im Unglück. Eine Studie über seine
seelische Haltung in der Endphase des ersten Weltkrieges. Wiesbaden: Limes Verlag (1952). — Die Studie ist (wie andere unveröffentlichte) aus den Vorarbeiten für den
Band XIV hervorgegangen und war bereits 1943 in Maschinenschrift bei einer Reihe von Generalstabsoffizieren umgelaufen. Vgl. hierzu auch Siegfried A. K a e h 1 e r :
Zur Beurteilung Ludendorffs im Sommer 1918. In: Nachrichten d. Göttinger Akade¬ mie d. Wiss., Phil.-Histor. Klasse, 1953 Nr. 1 S. 1 ff.
die des heute rückschauenden Betrachters. Der Sonde zeitgeschichtlicher Kritik bietet sich also nicht bloß die Auffassung und Behandlung einzelner Geschehnisse durch den Kriegsgeschichtler an; sie wird bis auf die Wurzeln dieser Geschichtsschreibung geführt werden müssen. Dem politischen Histo¬ riker tut sich — wir sagten es schon — in der Veröffentlichung eine doppelte
Forschungsmöglichkeit auf: die Geschichte des Weltkriegs selbst und ihre Spiegelung in der militäramtlichen Darstellung. Von solchem Standpunkt aus lassen sich zuweilen die nackten Tatsachen, die in den schildernden Par¬
tien der Bände objektiv aufgeführt werden, gegen die Beurteilung der Vor¬ gänge durch die Verfasser ausspielen. Der auf den letzten Bogen des XIV. Bandes zweimal, wenn auch in vorsichtiger Abschwächung gebrauchte Be¬ griff des Dolchstoßes findet beispielsweise nicht nur keine Rechtfertigung in den Darlegungen der vorausgehenden Kapitel, sondern wird u. E. von ihnen auch unmittelbar widerlegt. Es wäre aber abwegig, dem Werke der Kriegsgeschichtlichen Forschungs¬ anstalt eine bewußte Tendenz unterzuschieben, die sich gegen die Freiheit
der Forschung und die (subjektive) Wahrheit der Darstellung auswirkte. In diesem Falle wäre die Herausgabe der beiden Bände durch das Bundesarchiv nicht in Frage gekommen. Ihre Bearbeiter und Redaktoren würden ohne Zweifel jede Verdächtigung, daß sie in ihren Formulierungen Zugeständnisse an ein politisches System gemacht oder absichtlich einer parteilichen Ein¬
stellung Raum gegeben hätten, weit von sich weisen. Sie würden für sich in
Anspruch nehmen, daß die Darstellung nur ihre in langjähriger Forschung, methodisch einwandfrei und unbeeinflußt erarbeitete wissenschaftliche Über¬ zeugung von Ursachen und Hergang der Geschehnisse enthalte. In der Ausarbeitung des Herbstes 1944 über die im Weltkriegswerk angewandten
Forschungsmethoden und gewonnenen Erfahrungen10) ist dies eingehend er¬ läutert worden. Das Problem ruht in tieferen Schichten. In jenen methodischen Erörte¬ rungen klingt an einigen wenigen Stellen ein Ton auf, der uns der Lösung näherzubringen vermag. „Es galt“ — so heißt es dort — „eine . . . dem
Andenken unseres ehemaligen Heeres und seiner Taten in jeder Hinsicht würdige Darstellung zu schaffen.“ Sie hatte „dem Ansehen des alten Heeres in seiner Gesamtheit Rechnung zu tragen und seinen Ruhm der Nachwelt zu
überliefern“. Das muß uns hellhörig machen für Gefahren, denen die Be¬
arbeiter des Weltkriegswerkes durch ihr Befangensein in der berufsständi¬ schen Tradition, durch das Fortwirken eines militärischen Korps- und Front¬ geistes ausgesetzt waren. Die Angehörigen der Forschungsanstalt haben die "») Vgl. Anm. 7.
Mitarbeit eines „politisch aufgenötigten“, „heeresfeindlichen“ Zivilhisto¬ rikers und zugeteilter nichtmilitärischer Beamter als Fehlschlag angesehen. Aber umgekehrt erhebt sich die Frage, ob der objektiven Erkenntnis, zumal der politischen Zusammenhänge, die Beschränkung auf militärische Bear¬ beiter und ihre Vereinigung in einer Forschungsanstalt, deren spätere Wie¬ dereingliederung in das Militärressort die berufsständische Abkapselung nur noch einmal bestätigte, wahrhaft nützlich gewesen ist. Hier lag ein Schwäche¬ punkt für die kritische Behandlung bestimmter Überlieferungen und Ge¬ schichtsbilder der militärischen Standesgemeinschaft sowie für die kritische
Wertung militärischer Führerpersönlichkeiten. Eine rückhaltlose Darlegung der Ereignisse wäre beispielsweise zu Lebzeiten Ludendorffs der Kriegsge¬ schichtlichen Forschungsanstalt eingestandenermaßen nicht möglich gewesen. Sie konnte auch nur sagen, daß Moltkes Warnung, gewisse Prestigen zu zer¬ stören, welche die Siege der Armee an bestimmte Persönlichkeiten knüpfen,
ihre Bedeutung „fast ganz“ verloren gehabt hatte. Aber sie fügte hinzu: „Zersetzender Darstellung, wie sie sich einerseits vielfach gegen General Ludendorff, andererseits gegen Generalfeldmarschall von Hindenburg in
der Öffentlichkeit breitmachte, mußte vorgebeugt werden, indem immer wieder die Einheit dieses bewährten Feldherrnpaares betont wurde.“ Mit den angedeuteten inneren, schwer wägbaren Hemmungen für die Bearbeiter des Weltkriegswerkes hängt letztlich wohl ihr „vornehmes und zurückhaltendes“ Verfahren in allen kritischen Stellungnahmen zusammen11). Man stützte sich dabei allerdings auf die alte Anleitung Moltkes, daß eine gerechte Kritik nicht ex eventu urteilen dürfe, sondern daß sie sich fragen müsse, „was die Leiter der Begebenheiten zur Zeit ihres Handelns davon wissen konnten“. Aber erweist diese Bezugnahme auf Moltke nicht eine
Selbsttäuschung des Geschichtsschreibers des modernen Weltkrieges über die in ganz veränderten Verhältnissen begründete Neuartigkeit und Ausdehnung
der jetzt gestellten historiographischen Aufgabe? Entsprang oder entsprach die Einengung der Kritik nicht auch einer Rücksichtnahme, zu der ein nicht¬
militärischer Historiker weniger Veranlassung gehabt hätte? Angesichts der Rolle, die die Oberste Heeresleitung wie im rein strategischen so auch im politischen Bereich gespielt hat, konnte der Forschung nur gedient sein, wenn das Seziermesser unerbittlicher Kritik bis in den letzten Winkel vordrang.
Der sieglose Ausgang des Krieges hätte die schärfste Untersuchung über die Bewährung von Einrichtungen und Persönlichkeiten veranlassen müssen. Fehler und Versagen und vor allem ihre Gründe hätten dann darn) Diese Zurückhaltung der Kritik ist auch in dem Aufsatz von B. Poll (vgl. Anm. 5) a. a. O. S. 63 ausdrücklich vermerkt worden.
stellungsmäßig nicht weniger berücksichtigt werden müssen, als die unantast¬
baren großen Leistungen von Heer und Führung. Das Bundesardiiv hat im Text der beiden Schlußbände des Weltkriegs¬ werkes keinerlei Veränderungen vorgenommen, die durch eine abweichende Auffassung im einzelnen oder gesamten veranlaßt werden könnten. Es hat
der kritischen Forschung auch nicht durch die Beifügung eines Sonderheftes von Anmerkungen und Stellungnahmen vorgegriffen; das hätte das Erschei¬ nen der Veröffentlichung weiter verzögert, ihre Ausdehnung und Kosten er¬
heblich vermehrt. So wie die Bände während der Kriegsjahre gedruckt oder gesetzt worden sind, einschließlich der damaligen Titulatur, werden sie jetzt im photomechanischen Nachdruck der Öffentlichkeit übergeben. Nur der Mehrfarbendruck der Kartenbeilagen ließ sich der Kostspieligkeit halber nicht wiederholen. Wir mußten den einfarbigen Druck in Kauf nehmen, der keineswegs alle Ansprüche befriedigt. Auf den Einbänden tritt an die Stelle der früheren Herausgeber der Name des Bundesarchivs. Möge die wissen¬
schaftliche Zielsetzung, die das Bundesarchiv bei der Veröffentlichung im Auge hatte, richtig verstanden und gebilligt werden.
Nur zum Dienstgebrauch!
(Oberkommando des 5eeres
Der Weltkrieg Dreizehnter Band
Der Weltkrieg J9J4 bis m$
Im Aufträge des
Oberkommandos des Heeres bearbeitet und herausgegeben von der
Kriegs geschichtlichen Forschungsanstalt des Heeres *
Die militärischen Operationen zu Eande
Dreizehnter Band
Berlin im Jahre J942
Gedruckt bei Ernst Siegfried Mittler und Sohn
Nr. 9
Die Rriegführung im Sommer und Herbst J9J7
Die Ereignisse außerhalb der Westfront bis November J9JS
Nit dreißig Beilagen, davon
26Darten und Skizzen
Berlin im Jahre
Gedruckt bei Ernst Siegfried Mittler und Sohn
Alle Rechte aus dem Gesetze vom l-. Juni l$Ol
sowie das Übersetzungsrecht sind vorbehalten Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Buchdruckerei, Berlin Copyright 1942 by E. S. Mittler & Sohn, Berlin Printed in Germany
Einführung zum dreizehnten und vierzehnten Bande. Die Bände XIII und XIV behandeln die Zeit vom Juli 1917 bis November 1918.
Die durch den Ausbruch des Großdeutschen Freiheitskrieges geschaffene Lage nötigte dazu, diesen letzten Abschnitt des Weltkrieges, für den ur¬ sprünglich drei Bände vorgesehen waren, aus engeren Raum zusammen¬ zudrängen. Die Bände XIII und XIV stellen insofern ein einheitliches Ganzes dar, als lediglich mit Rücksicht aus die Raumverhältnisse die Er¬ eignisse an den Nebenfronten bis zum Kriegsende bereits im Bande xiii
vorweggenommen werden, um für die kriegsentscheidenden Kämpfe des Jahres 1918 an der Westfront im Bande XIV den nötigen Raum zu gewinnen und sie dort ungeteilt zusammenzuhalten. Damit ergab sich
folgende Verteilung des Stoffes: Band XIII. Erster Teil: Gesamtheit der Ereignisse bis Ende des Jahres 1917, soweit es sich nicht um Vorbereitung der großen Offensive des Jahres 1918 handelt, und Rückblick auf die Führung der 3. Obersten Heeresleitung seit Herbst 1916. — Zweiter Teil: Ereignisse des Jahres 1918 im Osten und Südosten, Gesamtereignisse zur See und in den Kolonien. Band XIV: Die große Offensive im Westen, die damit eng zusammen¬
hängenden Ereignisse in Italien und zur Luft, sowie der Abschluß des
Krieges. Im Band XIII ist, wie schon in früheren Bänden, denjenigen Ereig¬ nissen, die ihrer Eigenart wegen stärkeres Interesse beanspruchen, wie vor allem der Gegenangriff bei Cambrai und die Offensive in Italien, ein etwas breiterer Raum gewährt worden, während die Eintönigkeit der
Abwehrschlacht in Flandern trotz ihrer längeren Dauer und ihres gewal¬ tigeren Krästeeinsatzes zu kürzerer Fassung veranlaßte.
Inhaltsverzeichnis. Die Kriegführung im Sommer und Herbst 1917
Die Ereignisse außerhalb der Westfront bis November 1918
Erster Teil: Die Kriegführung im Sommer und Herbst 1917 I. Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917
A. Auffassung der Obersten Heeresleitung Ende Juni
B. Die Oberste Heeresleitung und die Weiterentwicklung der Politischen Lage 1. Kanzlerwechsel und Friedensresolution 2. Entwicklung der Beziehungen zu Österreich-Ungarn und Kriegs¬ zielfragen 3. Zusammenarbeit mit Reichskanzler Michaelis C. Neue Ziele der militärischen Kriegführung 1. Zustand des Heeres a) Allgemeines b) Ersatzlage. .
c) Waffen, Gerät und Munition
d) Weiterentwicklung des Kampfverfahrens 2. Operative Erwägungen Gliederung des Westheeres am 1. August 1917
II. Lage und Absichten der Entente A. Die Gesamtlage B. Die Lage an der Westfront
III. Der Krieg im Westen A. Die Schlacht in Flandern 1. Bis zum ersten Großkampftage am 31. Juli a) Lage nach dem Verlust des Wytschaete-Bogens b) Der englische Angriffsplan c) Bis zum Vorabend des ersten Großkampftages
@eite
1 3
14 21
22 24
27
30 32 42
44 50
53 58 60
2. Vom Beginn der Schlacht bis zum 19. September
a) Großkämpfe zwischen Bixschoote und Warneton b) Teilangriffe und Großkampf bei Bixschoote —Gheluvelt (16. August)
62 65
c) Teilangriffe und Kampfpause bis Mitte September 3. Wiederbeginn der Offensive a) Großkampf zwischen Langemarckund Hollebeke (20. September) ...
69
73
b) Großkampf bei Zonnebeke und am Polygon-Wald (26. September) . .
76
Inhaltsverzeichnis
VIII
Seite
c) Großkampf bei Poelkappelle—Gheluvelt (4. Oktober) d) Großkampf zwischen Draaibankund Gheluvelt (9. Oktober)
79 82
e) Großkämpfe um Passchendaele. Angriff am 12. Oktober
84
Angriff südlich des Houthulster Waldes (22. Oktober)
88
Neuer Großkampf am 26. Oktober Angriff am 30. Oktober
90 92
Angriffe am 6. und 10. November und Ende der Schlacht ....
4. Betrachtungen
B. Die übrige Westfront wahrend der Schlacht in Flandern
100
1. Die Kämpfe der 5. Armee vor Verdun 2. Die Kämpfe der 7. und 1.Armee und der Verlust der Laf-
faux-Ecke Der französische Angriffsplan Der Verlauf des Kampfes
101
109 115 117
Die Räumung des Che min des Dames Betrachtungen
92
96
121 .
123
C. Die Schlacht bei Cambrai
1. Der britische Tankangriff a) Die deutsche Front und die englischen Angriffsvorbereitungen
...
b) Die Abwehr des englischen Angriffs 2. Der deutsche Gegenangriff a) Die Vorbereitungen b) Erster Angriffstag c) Zweiter Angriffstag und Ende der Schlacht 3. Betrachtungen v. Das Ergebnis der großen Abwehrschlachten
IV. Der Krieg im Osten A. Die Abwehr der Kerenski-Offensive 1. Die Kämpfe der Heeresgruppe Böhm-Ermolli 2. Die Kämpfe der Heeresgruppe Eichhorn
8. Die Gegenoffensive in Ostgalizien 1. Der Durchbruchsangriff bei Zloczow 2. Die Verfolgung a) Anschluß der Südarmee und ö.-u. 3. Armee an das Vorgehen ... b) Ausdehnung der Offensive auf die Heeresfront Erzherzog Josef . .
3. Die Vorgänge auf russischer Seite 4. Betrachtungen
124
128 133
139 142 143
145
148 150 156
159 165 168
176 178
C. Die Kämpfe in Rumänien und in den Karpaten
180
0. Die Offensive im Baltikum
189
1. Die Einnahme von Riga 2. Die Einnahme von Iakobstadt
191 199
3. Die Einnahme der Baltischen Inseln
200
E. Entwicklung der Gesamtlage an der Ostfront
206
IX
Inhaltsverzeichnis.
Seite
V. Der Krieg an der italienischen Front A. Die 11. Zsonzo-Schlacht
208
B. Der Gegenangriff der Mittelmächte 1. Die Entwicklung des Angriffsgedankens und die Bereitstellung der Truppen a) Die Bitte um deutsche Unterstützung 212 b) Die Erkundung durch General von Krafft und erste grundlegende Be¬ fehle 218 c) Die Bereitstellung der Angrifsstruppen 224 d) Die Lage beim Gegner vor Angriffsbeginn
227
2. Der Durchbruchsangriff im Gebirge (12. Isonzo-Schlacht) a) Der Einbruch in die feindlichen Stellungen am 24. Oktober
. . .
230
Aufgaben und Angriff der Truppen bei Flitsch 232 Ausgaben und Angriff der Truppen tm „Tolmeiner Brückenkopf" 233 Maßnahmen der Führung 235 b) Fortgang der Kampfe am 25. Oktober c) Die Vollendung des Durchbruchs am 26. Oktober
236 240
d) Der Austritt in die Ebene am 27. Oktober
244
e) Maßnahmen des Gegners und Betrachtungen 3. Die Kämpfe in der Ebene bis zum Übergang über den Taglia-
247
mento
a) Absichten der Führung
250
b) Der Vormarsch am 28. und 29. Oktober. Einnahme von Udine und
erste Kämpfe am Tagliamento : c) Die Führung am 28. und 29. Oktober d) Der Vorstoß gegen Codroipo und Latisana am 30. und 31. Oktober. Vermischung der Verbände .
253 257 261
e) Die ö.-u. 10. Armee und der Nordflügel der 14. Armee am 30. und 31. Oktober
266
f) Stillstand am Tagliamento vom 31. Oktober bis 2. November . . .
268
g) Die Bewegungen des Gegners. Betrachtungen, Beute und Verluste 272 4. Vom Übergang über den Tagliamento bis zur Einstellung der
Offensive a) Ziele der weiteren Operationen 276 b) Der Übergang über den Tagliamento und die Verfolgung Maßnahmen der Führung 282 Durchführung des Flußüberganges und Vormarsch 284 c) Die Kämpfe zwischen Brenta und Piave. Beginn des Stellungs¬
krieges Maßnahmen der Führung, Angriff bei der Heeresgruppe Conrad 289 Die Kämpfe im Gebiet des Mt. Grappa und am Piave ....
292
d) Einstellung der Offensive Die Entschlüsse der Führung Die letzten Kämpfe e) Maßnahmen des Gegners und abschließende Betrachtungen
298 302 . . .
303
X
Inhaltsverzeichnis. Seite
VI. Der Krieg zur Luft
309
VII. Die Kriegführung der Gegner im Sommer und Herbst 1917 . . .
314
VIII. Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917und Rück¬ blick auf die Kriegführung seit Herbst 1916 318
Rückblick auf die Kriegführung der dritten Obersten Heeresleitung von Herbst 1916 bis Herbst 1917
332
Zweiter Teil: Die Ereignisse außerhalb der Westfront bis Kriegsende IX. Der Abschluß der Kämpfe im Osten seit Herbst 1917 A. Waffenstillstand und Friedensverhandlungen 1. Der Weg zum Waffenstillstand
342 2. Die Friedensverhandlungen mit Sowjet-Nußland und der Ukraine in Brest-Litowsk 346 Friedensschluß mit der Ukraine und Aussprache mit Graf Czernin in Berlin 352
Abschluß der Verhandlungen
353
3. Die Friedensverhandlungen mit Rumänien in Buftea
.
.
.
356
B. Die Wiederaufnahme des Kampfes im Osten 1. Der Einmarsch in Sowjet-Rußland a) Der Vormarsch der 10. Armee über Mnsk zum Dnjepcr. 19. Februar bis 9. März b) Vormarsch der Armee-Abteilung D auf Polozk und Pleskau. 18. bis 28. Februar c) Der Vormarsch der 8. Armee nach Livland und Estland. 19. Februar
362 363
bis 5. März
365
367 368
2. Die Hilfeleistung für Finnland 21. Februar bis 2. Mai. . . . 3. Der Einmarsch in die Ukraine. 18. Februar bis 22. Mai . . .
371 374
a) Die Einnahme von Kiew und Gomel
375
b) Vordringen bis Odessa, Cherson und Charkow c) Entwicklung der inneren Verhältnisse der Ukraine
378 380
d) Besetzung der Krim und des Donez-Gcbietes e) Der Abschluß der Operationen in der Ukraine
383 386
C. Die Ostfront nach Abschluß der militärischen Operationen
387
Betrachtungen
397
X. Der Abschluß der Kämpfe an den Nebenfronten seit Sommerl917 A. Die mazedonische Front 1. Die Ereignisse bis zum Sommer 1918
400
2. Der Zusammenbruch der Mazedonischen Front a) Der französisch-serbische Angriff. 14. bis 20. September b) Bis zum Abschluß des Waffenstillstandes durch Bulgarien
....
407 409
c) Der Rückzug der deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen aus Serbien
413
3. Betrachtungen
417
Inhaltsv?rzeichnis. B. Der Krieg der Türkei
XI Seite
L Die Ereignisse bis Oktober 1917
419
2. Der Kampf in Palästina im Herbst und Winter 1917/18 . . .
423
a) Die unglücklichen Kämpfe der 8. Armee 424 b) Der Verlust von Jerusalem 426 c) Maßnahmen der obersten Führung und weitere Ereignisse an der Front 428 3. Ereignisse an der Kaukasus-Front und zur See 431 4. Der Endkampf in Palästina 436 5. Betrachtungen 442 XI. Die Ereignisse zur See und in Ostafrika A. Der Krieg zur See seit Sommer 1917
447
B. Der Krieg in Ostafrika seit 1916
452
Nachweis des wesentlichsten Schrifttums Personen Verzeichnis Truppen Verzeichnis
463 466 474
Inhaltsverzeichnis.
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Beilagen Karten:
A. Kriegsleitung. Beilage 1: Die Kriegsschauplätze der Mittelmächte im Oktober 1917 und August 1918. 1:10200000 (Mit Nebenkarten: Die Kämpfe in Palästina und die
Kämpfe in Armenien).
Beilage 2: Die Front gegen Frankreich am 20. Juni 1917. 1:1000000. Beilage 2a: Die Front gegen Frankreich am 20. guli 1917. (Truppenübersicht.) Beilage 3: Die Front gegen Frankreich Mitte November 1917. 1:1000000. B. Westen.
Beilage 4: Die Flandernschlacht 1917. Die Lage am 30. guli. 1:200000. (Mit Nebenkarte: Der Angriff bei Lombartzyde am 10. guli. 1:40000.)
Beilage 5: Die Flandernschlacht 1917. 31. guli bis 19. September. 1:150000. Beilage 6: Die Flandernschlacht 1917. 20. September bis 12. Oktober. 1:150000. Beilage
7:
Die Flandernschlacht 1917. 22. Oktober bis 10. November. 1:150000.
Beilage 8: Der Verlust der Laffaux-Ecke. 23. Oktober 1917. 1:150000. Beilage 9: Verdun im Herbst 1917. 1:80000. (Mit Nebenkarte: Lage am 19. August. 1:500000.) Beilage 10: Die Schlacht bei Cambrai im Herbst 1917. Die Lage am 18. No¬ vember. 1:150000.
Beilage 11: Die Schlacht bei Cambrai im Herbst 1917. Der britische Tankangrifs am 20. November morgens. 1:150000.
Beilage 12: Die Schlacht bei Cambrai im Herbst 1917. Der deutsche Gegenangriff am 30. November morgens. 1:150000.
C. Osten. Beilage 13: Der Krieg im Osten. Die Front Anfang guli 1917. 1:4000000. (Mit Frontbesetzung am 1. Januar 1918.)
Beilage 14: Der Krieg im Osten. Die Kerenski-Offensive. Lage am 1. guli 1917. Ereignisse bis 16. guli. 1:750000. Der Krieg im Osten. Der deutsche Durchbruch in Ostgalizien. 19. guli bis 31. August 1917. 1:750000. Beilage 16: Der Krieg im Osten. Der Aufmarsch zum Durchbruch der Gruppe Beilage 15:
Iloczow am 19. guli 1917. 1:150000.
Beilage 17: Der Krieg im Osten. Die Kämpfe an der rumänischen Front vom 22. guli bis 3. September 1917. 1:1000000.
Inhaltsverzeichnis.
XIV Beilage 18:
Der Krieg im Osten. Die Einnahme von Riga. Die Lage am
I. September 1917. 1:250000. (Mt Nebenkarte: Übergang über die Düna.
1:75000.) Beilage 19:
Der Krieg im Osten. Die Eroberung von gakobstadt am 21. bis 22. September 1917. 1:100000.
Beilage 20:
Der Krieg im Osten. Die Einnahme der baltischen Inseln vom 9. bis 21. Oktober 1917. 1:500000. (Mit Nebenkarte: Die Lage Ende Ok¬
tober 1917)
D. Italien. Beilage 21:
Die Kampfe an der italienischen Front im Sommer 1917. Die II. Isonzo-Schlacht. 18. August bis IS. September. 1:200000. Beilage 22: Die Kampfe an der italienischen Front im Herbst 1917. 1:500000. (Mit Nebenkarte: Die Kämpfe im Grappa-Gebiet vom IS. November bis 21. Dezember. 1:200000.) Beilage 2S: Die Kämpfe an der italienischen Front im Herbst 1917. Der Durchbruch durch die Iulischen Alpen vom 24. bis 27. Oktober. 1:100000.
E. Kriegsabschluh im Osten, Südosten und in den Kolonien. Beilage 24: Der Krieg im Osten im Jahre 1918. 1:4000000. (Mt Nebenkarte: Die Front in Mazedonien 1918. 1:2500000.) Beilage 25: Der Feldzug in Finnland. 3. April bis 5. Mai 1918. 1:600000. Beilage 26: Die Kämpfe in Ostafrika 1916 bis 1918. 1:5000000.
Sonstige: Beilage 27:
Gliederung des Westheeres am 1.August 1917.
Beilage 28: Wechsel von Divisionen.
a) Zwischen den Kriegsschauplätzen (1. Juli 1917 bis Kriegsende). b) Innerhalb der Westfront (1. Juli 1917 bis 31. Januar 1918). c) Innerhalb der Ostfront (1. Juli bis 31. Oktober 1917). Beilage 29: Gegenüberstellung deutscher und feindlicher Artilleriestärten von Juli bis Dezember 1917.
a) Schlacht in Flandern am 30. Juli 1917. b) Kämpfe bei Verdun am 20. August 1917. c) Verlust der Laffaux-Ecke am 23. Oktober 1917. d) Schlacht bei Cambrai am 20. und 30. November 1917. e) Durchbruchsschlacht bei Zloczow (Osten) am 19. Juli 1917. f) Einnahme von Riga (Osten) am 1. September 1917. g) 11. Isonzo-Schlacht (Italien) am 24. Oktober 1917. Beilage 30: Zeittafel des Kriegsverlaufes von Juni 1917 bis März 1918.
Abkürzungen. A. Abt
--- Armee-Abteilung
Abt
— Abteilung
Haub Hgr
= Haubitze ----- Heeresgruppe
A. Gr
----- Armeegruppe
Honv
A. K
= Armeekorps
---- Honved, ungarische Teile des ö.-u. Heeres — Fnfanterie-Brigade
A. O. K
---- Armee-Oberkommando
F. Br
Art
= Artillerie
3-D.,
b., bayer. ...= bayerisch
Znf. Div. . -= Infanterie-Division
Brig
----- Brigade
Inf
----- Infanterie
Btl
--- Bataillon
Kan
----- Kanone
Bttr
= Batterie
kauk
----- kaukasisch
D., Div
--- Division
Kav
— Kavallerie
E. D.,
K. D.,
Ers. Div... — Ersatz-Division
Kav. Div. . ------Kavallerie-Division
Esk
== Eskadron
Kdr
— Kommandeur
Felda
— Fcldartillerie
K. K.
— Kavallerie-Korps = f. unter k. u. k.
(— leichte Art.) Feldmlt
== Feldmarschalleutnant
(ö.-u. Bezeichnung für Genlt.) finnl F. K Fl Flak Futza
= = = = =
finnlandisch Feldkanone Flieger Flugabwehr-Kanone Frchartitlerie
k. k K. Kdo
— Korpskommando
Komm. Gen.
— Kommandierender
Komp
General = Kompanie
Kos
— Kosaken
Kr. Tgb
----- Kriegstagebuch
Kub
— Kuban
k. u. k
----- kaiserlich und königlich
(== schwere Art.) G
— Garde
G. F. D
----- Garde-InfanterieDivision
G. K
— Garde korps
gern
----- gemischt
Gen
----- General
Gen. Feldm. — Generalseld marschall Gen. Kdo Generalkommando
(Truppen des gemein¬ samen ö.-u. Heeres) im Unterschiede
Truppen Ldst. Br., Löst. D
Genlt
— Generalleutnant
L., Ldw.
---- Generalmajor
L. Br
Generaloberst
L. D.,
Genst
Gr Gren
--- Generalstab
Gruppe --- Grenadier
k. k.
und k. (königl.-ungar.)
Genmaj
Gen. Ob.
von
(kaiserl.-königl.-österr.)
= Landsturm-Brigade, -Division ... — Landwehr
— Landwehr-Brigade
Ldw. Div.. — Landwehr-Division
L. K., Ldw.K. — Landwehrkorps l = leicht
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zum Kanzler „das Vertrauen zu haben, das als Grundlage für eine
nützliche Zusammenarbeit zwischen dem Herrn Reichskanzler und der Obersten Heeresleitung zur glücklichen Beendigung des Krieges unerlä߬ lich ist, nachdem der Krieg nicht mehr allein auf rein kriegerischem Gebiet ausgesochten werden kann". Demgegenüber erklärte der Reichskanzler dem Kaiser nunmehr, „daß eine Entlassung der beiden so Verdienstreichen und von dem einmütigen Vertrauen der Nation getragenen Heerführer
selbstverständlich ausgeschlossen sei", und reichte am 13. Juli früh sein Ent¬ lassungsgesuch ein. Da aber inzwischen nicht nur die Heeresleitung das
Vertrauen zu seiner Führung verloren hatte, sondern auch die Parteien des Reichstages, war der Kaiser, als er an diesem Tage die beiden Ge¬
nerale empfing, bereits entschlossen, das Gesuch des Kanzlers zu ge¬
nehmigen. Die Abschiedsgesuche der Heerführer wurden hinfällig. Reichs¬ kanzler wurde Dr. Michaelis, ein bewährter Verwaltungsmann, der politisch noch nicht hervorgetreten war. Die Frage der Friedensresolution ist — soweit bekannt — beim
Empfang der Generale am 13. Juli gar nicht erörtert worden. Auch bei ihrer Unterredung mit maßgebenden Abgeordneten am Abend des Tages
hat sie zum mindesten nicht im Vordergrund gestanden*). Es handelte sich vielmehr darum, gegenüber der schwarzseherischen Auffassung des Abgeordneten Erzberger die Zuversicht der verantwortlichen Obersten Heeresleitung in die Waagschale zu werfen, das bereits erschütterte Ver¬ trauen der Volksvertreter wieder zu festigen und dadurch mittelbar auch auf den Plan der Friedensresolution oder wenigstens auf deren Inhalt und Ton einzuwirken. Das diesmal besonders früh, bereits am 9. Juli, vom Admiralstab bekanntgegebene wieder erheblich gestiegene Versen¬
kungsergebnis des Unterseekrieges 2) konnte dieses Streben unterstützen. Über die Lage zu Lande faßten die Generale ihre Ansicht etwa dahin zusammen — so schrieb General Ludendorfs nach dem Kriege3) —, daß *) Een. Ludendorff schreibt in seinen Kriegserinnerungen (S. 362) von der „an sich vollständig irrtümlichen Meinung, wir wären zur Teilnahme an der Beratung der Friedens-
resolution eingetroffen". 2) Näheres S. 319.
3) »Meine Kriegserinnerungen", 6.362 f.; „Urkunden der Obersten Heeresleitung",
12
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
sie „ernst, aber gesichert sei. Wir müßten einfach durchhalten, da unsere Feinde den Frieden nicht wollten... Aber die Friedensresolution äußer¬ ten wir uns lediglich zurückhaltend; sie entspräche nicht unserer Ansicht, weil sie den Geist der Truppen und den Siegeswillen des Volkes schädlich beeinflussen, von dem Feinde aber als Schwächebekenntnis ausgelegt werden würde und daher eine für uns ungünstige Wirkung ausüben müsse. Auch deuteten wir die etwaigen nachteiligen Folgen aus Bulgarien an,
das weitgehende Friedenssorderungen verfolgte. Ich führte aus: Wir werden siegen, wenn hinter dem Heer das Volk in geschlossener Einigkeit
steht. Dazu muß die Volksvertretung helfen." Die Wirkung dieser Eröffnungen von maßgebender militärischer Stelle blieb aus. Trotz Einspruchs des neuen Reichskanzlers brachte am ü. 3»n. Morgen des 14. Juli der „Vorwärts", das Blatt der sozialdemokratischen
Partei, den Wortlaut der beabsichtigten Friedensresolution. Der Generalseldmarfchall und General Ludendorsf nahmen, wenn auch widerstrebend, auf Bitten des Kanzlers Michaelis, an weiteren parlamentarischen Be¬ sprechungen über die Friedensresolution teil. Dabei — so schrieb General Ludendorfs nach dem Kriege1) — sei ihnen äußerst bemerkenswert ge¬
wesen, daß „die Notwendigkeit der Friedensresolution von den Mehrheits¬ parteien mit der inneren Stimmung begründet wurde. Nur so könne die Masse zum weiteren Durchhalten befähigt werden, falls der erwünschte Friede nicht käme ... Der Generalseldmarschall sprach sich nochmals als ältester Vertreter der Obersten Heeresleitung gegen die Resolution aus". Es war aber kein so scharfer Einspruch, wie man ihn nach dem Telegramm vom 12. Juli an den Kaiser erwarten konnte. Die Oberste Heeresleitung — so schrieb General Ludendorsf weiter2) — habe die Friedensresolution
„militärisch nicht für richtig gehalten. Der Generalfeldmarschall und ich ermächtigten aber den Reichskanzler, unsere Zustimmung zu seiner Stel¬ lungnahme zu ihr öffentlich auszusprechen, weil er einen Konflikt mit
der Mehrheit des Reichstages im Interesse unserer Kriegführung vermieden sehen wollte. Wir nahmen damit die Friedensresolution auch aus unsere Schultern, wir hielten dies für weniger schädlich als Wirren im Innern. So weit waren die inneren Zustände Deutschlands gekommen! Wir hoff¬ ten, daß der neue Reichskanzler sie, wenn auch nur langsam, bessern würde, und hielten deshalb ein Entgegenkommen auf seine Wünsche für not¬
wendig"2). x) „Meine Kriegserinnerungen", S. 364. 2) Ebenda S. 365, 3) Vgl. S. 14, Anm. 1.
Oberste Heeresleitung: Friedensresolution des Reichstages.
13
Am 19. Juli faßte die im wesentlichen aus Sozialdemokraten, Frei- i». g««.
sinnigen und Zentrum bestehende Mehrheit des Reichstages mit 214 Stimmen von 347 folgende Entschließung*): „Wie am 4. August 1914 gilt für das deutsche Volk auch an der Schwelle des vierten Kriegsjahres das Wort der Thronrede: ,Ans treibt
nicht Eroberungssucht'. Zur Verteidigung seiner Freiheit und Selb¬ ständigkeit, für die Unversehrtheit seines territorialen Besitzstandes hat Deutschland die Waffen ergriffen. Der Reichstag erstrebt einen Frieden der Verständigung und der dauernden Versöhnung der Völker. Mit einem solchen Frieden sind er¬ zwungene Gebietserwerbungen und politische, wirtschaftliche oder finan¬
zielle Vergewaltigungen unvereinbar. Der Reichstag weist auch alle Pläne ab, die auf eine wirtschaftliche Absperrung und Verfeindung der Völker nach dem Kriege ausgehen. Die Freiheit der Meere muß sichergestellt werden. Rur der Wirtschaftsfriede wird einem freundschaftlichen Zusammenleben der Völker den
Boden bereiten... Solange jedoch die feindlichen Regierungen auf einen solchen Frieden nicht eingehen, solange sie Deutschland und seine Verbündeten mit Eroberung und Vergewaltigung bedrohen, wird das deutsche Volk wie ein Mann zusammenstehen, unerschütterlich ausharren und kämpfen, bis sein und seiner Verbündeten Recht auf Leben und Ent¬
wicklung gesichert ist. Zn seiner Einigkeit ist das deutsche Volk unüberwindlich. Der Reichstag weiß sich darin eins mit den Männern, die in heldenhaftem Kampf das Vaterland schützen. Der unvergängliche Dank des ganzen Volkes ist ihnen sicher." Diese Kundgebung des Reichstages stellte letzten Endes ein ver¬ kapptes Friedensangebot dar und war damit gewissermaßen eine Wiederholung des von den Gegnern schärfstens zurückgewiesenen An¬ gebotes der Reichsregierung vom 12. Dezember 1916, nur daß jetzt auch
auf jede Eroberung ausdrücklich verzichtet wurde. Gewiß wurde die Wir¬ kung der Resolution durch eine Rede des Kanzlers, insbesondere durch seine Worte: „wie ich sie (die Resolution) auffasse", namentlich dem Aus¬ lande gegenüber abgeschwächt. Darüber, wie sie seitens der Feinde wie der eigenen Bundesgenossen, abgesehen von der Regierung des Kaisers Karl, beurteilt werden würde, konnte bei nüchterner Abwägung kein *) Die während der Rede des Reichskanzlers eingehende Nachricht vom Siege bei Zloczow, der der russischen Offensive ein Ende bereitete (S. 164ff.), wurde durch Zurufe:
„Stimmungsmache" beantwortet.
14
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
Zweifel fein1). Daß die Regierung die Resolution nicht verhindert, sie nicht einmal entschieden zurückgewiesen hatte, zeigte aller Welt ihre Schwäche gegenüber den Parteien des Reichstages.
2. Entwicklung der Beziehungen zu Österreich-Ungarn und Rriegszielfragen. An Österreich-Ungarn hatten sich die Verhältnisse besonders be¬ denklich entwickelt, feit Kaiser Karl die bisher geübte diktatorische Staatssührung aufgegeben hatte und Ende Mai die Volksvertretung wieder zu Worte kam. Die tschechischen Abgeordneten hatten alsbald die Umwand¬ lung der habsburgischen Monarchie in einen „Bundesstaat freier und guii. gleichberechtigter Nationalstaaten" gefordert. Am 2. Juli wurden Poli¬ tiker, die von Militärgerichten wegen Hochverrats verurteilt worden waren,
durch den Kaiser begnadigt. Diese Amnestie gab den staatsfeindlichen tschechischen.Kreisen ihre Führer zurück, zerstörte die Autorität des Staates und untergrub die Mannszucht bei der Truppe, und das um so mehr, als an demselben 2. Juli bei Zborow tschechische Kriegsgefangene und Über¬
läufer zu einer Brigade formiert, in den Reihen der Russen auftraten, und die ihnen gegenüberstehenden tschechischen Truppenteile des öster¬ reichisch-ungarischen Heeres -wieder einmal völlig versagten. „Die tra¬ ditionellen Beziehungen zwischen dem Obersten Kriegsherrn und dem Offizierkorps erhielten damals den ersten schweren Stoß"*). Am 31. Juli berichtete Generalmajor von Seeckt, der Generalstabschef der Heeres¬ front Erzherzog Josef, über diese Verhältnisse an die Oberste Heeres¬ leitung: Seit etwa drei Monaten seien in beiden Hälften der Monarchie Bestrebungen im Gange, die zu einer Lockerung des Bündnisses mit Deutschland, wenn nicht zu seiner Auslösung führen könnten. Dadurch würden sie bedeutungsvoll für unsere Kriegführung. Sie beträfen vor allem das Streben nach Durchführung des Nationalitätenprinzips in Österreich und damit die Gründung des föderalistischen Staates. In diesem Gebilde würde neben einem Deutsch-Österreich ein polnischer, ein *) Rückblickend urteilte Gen. Ludendorfs in „Kriegführung und Politik": „Die Oberste Heeresleitung hatte vor der Friedensresolution gewarnt, ohne indes, wie es richtig ge¬
wesen wäre, im Falle ihrer Annahme die äußerste Folge für sich zu ziehen" (S. 131); — und ferner: .„Der Reichskanzler ging, aber die Friedensentschließung blieb. Sie ist einer der größten Fehler der Politik dieses Krieges auf Kosten der Kriegführung. Die
Oberste Heeresleitung muß sich den Vorwurf machen, auch wenn sie über die politische Lage nicht unterrichtet war, sich ihr nicht mit allen irgendwie verfügbaren Mitteln entgegen¬ gestemmt zu haben" (S. 277). 2) E. von Slaise-Horstenau: „Die Katastrophe", S. 108.
Oberste Heeresleitung: Osterreich-Ilngarn. Kriegszielfragen.
15
tschechischer und ein südslawischer Nationalstaat entstehen. „Es darf darauf hingewiesen werden, daß im österreichischen Abgeordnetenhaus von tschechischer Seite offen ausgesprochen wurde, daß man aus der falschen Seite kämpfe. Die Antwort war der Amnestieerlaß ... Weniger russen-
sreundlich, aber ebenso deutschfeindlich ist die polnische Nation. In dem angestrebten Bundesstaat wird für ein Bündnis mit Deutschland keine Majorität sein. Die reichsseindlichen Bestrebungen finden in den un¬
einigen deutschen Parteien keine entschlossene und geschlossene Gegner¬ schaft, zum Teil heimliche Sympathie..." Die von der Krone ein¬
geschlagene Politik müsse die bisherigen Fundamente des Staates, die deutsche Vorherrschaft, in ihren Folgen beseitigen. „Die Stärkung der deutschfeindlichen Elemente, die auf einen möglichst baldigen Frieden drängen, birgt die Gefahr, daß die Krone zu einem Abschluß des Krieges gegen den Willen und die Interessen des Bundesgenossen gedrängt wird." Ähnlich lägen die Verhältnisse in Ungarn, wo die Wahlrechts¬ vorlage und in Verbindung damit der Sturz des Ministerpräsidenten Gra¬ sen Tisza alle Verhältnisse geändert hätten. Die den Frieden erstrebenden Rumänen, Serben, Slowaken und Sozialdemokraten würden gegenüber den Magyaren und Deutschen in die Mehrheit kommen. „So sehen wir in beiden Hälften der Monarchie Kräfte am Werk, die uns feindlich sind und deren zunehmenden Einfluß zu verkennen, gefährlich werden könnte."
Am I. August machte Reichskanzler Michaelis seinen Antritts¬ besuch in Wien. Er traf sich mit Gras Czernin in der Auffassung, daß es für die Mittelmächte dringend geboten sei, möglichst noch vor dem Winter zum Frieden zu kommen. „Machterweiterungstendenzen" dürsten dabei kein Hindernis bilden. Graf Czernin kam auf seinen bereits im April
abgelehnten Plan der Abtretung Elsaß-Lothringens zurück. Am 9. August folgte eine Aussprache des Reichskanzlers mit der Obersten Heeresleitung in Kreuznach. Dabei wiederholte diese ihre
schon bei der Kriegszielbesprechung im Aprils erhobene Forderung, daß Belgien als besonderer Staat in deutscher Hand bleiben müsse. Sollte England aber wider alles Erwarten durch den Anterseekrieg nicht aus die Knie zu zwingen sein — eine Möglichkeit, die von der Heeresleitung hier zum ersten Male erwähnt wurde —, so müsse man zum Schutz des Aachener
Industriebezirks mindestens die Festung Lüttich mit nördlichem Vorland behalten. Auch sei das Kohlen- und Erzgebiet von Longwy—Briey un¬
entbehrlich. Ferner seien Vergrößerung des Festungsbereichs von Metz und Grenzberichtigungen westlich des Vogesen-Kammes erwünscht; im J) Bd. xn, eTsn.
~
August.
16
Hie Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
August- Austausch hiergegen könnten allenfalls einige französische Ortschaften im Oberelsaß an Frankreich abgetreten werden, aus keinen Fall aber das wich¬ tige dortige Kali-Gebiet. Hinsichtlich des Ostens stimmten Kanzler und Oberste Heeresleitung darin überein, daß das Herzogtum Kurland und das Großsürstentum Litauen') in enger Form an Deutschland angeschlossen werden müßten. In Polen sei die militärische, politische und wirtschaftliche Vorherrschaft Deutschlands anzustreben; werde sie erreicht, so sei nur ein geringes Sicherungsgelände vorwärts der jetzigen deutschen Grenze er¬ forderlich, anderenfalls aber müsse diese Grenze weiter vorgeschoben werden. Inzwischen war an Stelle des Staatssekretärs Zimmermann der
bisherige Botschafter in Konstantinopel von Kühlmann am 7.August Staatssekretär des Auswärtigen Amtes geworden; er hielt ein Nieder¬
zwingen der Gegner durch militärische Machtmittel für ausgeschlossen und traf sich darin mit der Auffassung des Grasen Czernin. Als dieser Mitte August in Berlin weilte, ging am 15.August ein Rundschreiben des Papstes an alle Kriegführenden ein, in dem als Grundlage für einen
gerechten Frieden vorgeschlagen wurde: Verminderung der Rüstungen, internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Freiheit der Meere, gegenseitiger Verzicht auf Erstattung der Kriegskosten, beiderseitige Räumung der be¬ setzten Gebiete, wobei es sich für Deutschland um die Herausgabe der be¬ setzten Teile Frankreichs und Belgiens „mit Garantie der vollen politi¬
schen, militärischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit" handle, für die Westmächte um die Rückgabe der deutschen Kolonien. Damit schien sich vielleicht ein Weg zu Verhandlungen mit den Gegnern zu öffnen. Die Oberste Heeresleitung, die die Gesamtlage in diesen Tagen als günstig ansah, da die deutsche Gegenoffensive in Galizien ein großes Ergebnis
gebracht hatte, scheint einen Erfolg des päpstlichen Schrittes für durch¬ aus möglich gehalten zu haben. Am 16. August glaubte General Luden-
dorss „sicher, daß die Entente noch in diesem Jahre den Frieden suchen werbe“2). Am 19. August äußerte er im Ferngespräch mit General von
Kühl: „Wenn wir Belgien zurückgäben, könnten wir jeden Tag Frieden haben"3). Dann aber übermittelte der päpstliche Nuntius der deutschen Regierung in einem Schreiben vom 30. August die Stellungnahme Eng') Bd. XII, S. 575. 2) Brief des Leg.-Rates Freiherrn von Lersner an Staatssekretär von Kühlmann vom
16. August 1917 (Akten des Ausw. Amtes). 3) Aufzeichnung des Gen. von Kühl vom 20. August 1917. An demselben Tage be¬ richtet auch Kronprinz Nupprecht, wahrscheinlich auf Grund des Vortrages des Gen. von
Kühl, über diese Äußerung („Mein Kriegstagebuch", II, S. 247).
Oberste Heeresleitung: Friedensschritt des Papstes.
17
lands, das unter Hinweis auf die Kriegszielnote der Entente vom Januars
als Vorleistung der Mittelmächte die Bekanntgabe ihrer Kriegsziele sowie der von ihnen beabsichtigten Wiederherstellungen und Entschädigungen verlangte; „selbst über Belgien" sei niemals eine bestimmte Zusage be¬ kanntgeworden. Staatssekretär von Kühlmann war jedoch entschlossen, eine öffentliche Erklärung über Belgien zu vermeiden, solange nicht die
Gewißheit bestand, dadurch zu wirklich ernsthaften Friedensverhandlungen zu gelangen. Die im übrigen entgegenkommende deutsche Antwort, die am 12. September dem Nuntius überreicht wurde, besagte daher, daß s-pt-mb--. man über Belgien zu verhandeln bereit sei. Unterdessen war aber der
päpstliche Vermittlungsversuch angesichts der Antworten der Entente bereits gescheitert; Präsident Wilson z. B. hatte sich überhaupt geweigert, „mit den augenblicklichen deutschen Machthabern einen Verständigungs¬ frieden zu schließen". An den Hergängen war die Oberste Heeresleitung unbeteiligt. Sie ist zu ihnen erst in einem Kronrat am 11. September und nur zur
belgischen Frage gehört worden. Sie entnahm dabei den Mitteilungen des Kanzlers wie des Staatssekretärs von Kühlmann, daß von neutraler Seite ein Schritt unternommen sei, der auf einen Friedensfühler Englands schließen lasse2), und fand sich mit der kaiserlichen Entscheidung ab, daß — falls es noch im Fahre 1917 zu Verhandlungen komme — Belgien preis¬
gegeben werden könne, vorausgesetzt, daß es nicht unter den Einfluß der
Gegner falle, sondern tatsächlich unabhängig bleibe. In einem Schreiben vom 15. September faßte der Generalfeldmarschall seine Wünsche aber nochmals dahin zusammen: Bei einem Verzicht aus Belgien müsse man versuchen, vor allem Lüttich in der Hand zu behalten und auch das übrige Land nur allmählich zu räumen, entsprechend der Festigung der Verhält¬ nisse in dem für Deutschland erforderlichen Sinne. Eine über das neu¬ trale Ausland nach London vermittelte unverbindliche Anfrage des Aus¬
wärtigen Amtes, ob durch grundsätzliche Zusicherung der deutschen Be¬ reitschaft zur Freigabe Belgiens der Beginn von Friedensverhandlungen erreicht werden könne, ergab dann aber bis Anfang Oktober, daß das nicht der Fall sei.
Unterdessen hatte Graf Czernin gelegentlich seines Aufenthaltes in Deutschland im August auch den Kronprinzen des Deutschen Reiches und den Kronprinzen von Bayern aufgesucht, um sie für seine Friedenspläne zu gewinnen, war aber auch auf diesem Wege nicht weitergekommen. *) Bd. XI, S. 472. 2) Die Auffassung war irrig, aber nach dem, was Kanzler und Staatssekretär aus¬
geführt hatten, berechtigt. Weltkrieg. XIII. Bd.
0
18
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
Anregungen zu einem Sonderfrieden, die von französischer Seite nach dem Scheitern der Vermittlung des Prinzen Sixtus an ihn herangebracht worden waren, gipfelten am 22. August, dem vierten . Tage des neuen
italienischen Ansturms am Isonzo, in einem Vorschlage, der die Abgabe großer reichsdeutscher Gebiete an die Donaumonarchie vorsah, aber auch
Polen und Rumänien unter ihren Einfluß stellen wollte. Dieser Vorschlag hatte jedoch zur Voraussetzung, daß Italiens und Serbiens Ansprüche befriedigt würden. Von Befriedigung der italienischen Forderungen wollte man aber in Wien schon gar nichts wissen. Andererseits konnte man die Lage am Isonzo — wie sich immer mehr herausstellte — aus
eigener Kraft auf die Dauer nicht halten. Am 26. August erbat Kaiser Karl deutsche Hilfe, aber nur durch Artillerie und Ablösungen an der Ost¬
front, denn in vorderer Linie sollten deutsche Truppen gegen Italien nicht in Erscheinung treten. An demselben Tage lehnte er die französischen Vorschläge ab. Der deutschen Regierung hatte Graf Czernin die Mög¬
lichkeit, mit Frankreich ins Gespräch zu kommen, schon früher angedeutet. Fm Lause der Verhandlungen über die deutsche Unterstützung teilte er nunmehr am 30. August den Inhalt und die Ablehnung des jetzigen fran¬ zösischen Angebots mit, nach dem — wie er sagte — Bayern, Sachsen und
Schlesien mit Österreich vereinigt werden sollten.
Aber Unterstützung Österreich-Ungarns durch Waffenhilfe gegen Italien war bereits zu Jahresbeginn verhandelt worden4). Reben rein
militärischen Aberlegungen3) sprachen politische mit. Ob ein Wafsenersolg — so schrieb General Ludendorss nach dem Kriege3) — „in Ver¬
bindung mit der Kohlennot Italien eine innere Krise bringen würde, mußte dahingestellt bleiben. Diese Frage wurde allgemein skeptisch be¬ urteilt." Erst recht war nicht damit zu rechnen, daß Italien nach einer Niederlage aus der Reihe der Gegner ausscheiden könne, denn England war „jederzeit imstande, diesen Verbündeten einfach durch Hunger zur Fortsetzung der einmal eingeschlagenen Politik zu zwingen'"). Wohl aber
konnte eine Niederlage Italiens dazu führen, daß seine Forderungen be¬ scheidener wurden und damit ein wesentliches (das letzte) Hindernis für einen österreichisch-ungarischen Sonderfrieden aus dem Wege geräumt war3). !) Bd. XI, S. 493ff. 2) S. 37. 3) „Meine Kriegserinnerungen", S. 384. 4) Hindenburg: „Aus meinem Leben", S. 151. 5) Die Berechtigung solcher Sorge wird bestätigt durch die Bemerkung des Genmaj. von Elaise-Horstenau (während des Krieges Leiter der Pcefseabteilung bei der v.-u. Heeres»
19
Oberste Heeresleitung: Waffenhilfe gegen Italien.
Diese Sorge wurde neu belebt, als Graf Czernin auch im September
noch auf dem Wege über deutsche Reichstagsabgeordnete die Reichs¬ regierung zum Verzichtfrieden unter Preisgabe Elsaß-Lothringens zu
drängen suchte; der Reichstag möge sie durch Verweigerung weiterer Mittel dazu zwingen. Daher wurde, als die Vorbereitungen zur militäri¬ schen Unterstützung des Bundesgenossen am Isonzo bereits in vollem Gange waren, der deutsche General bei der österreichisch-ungarischen Heeres¬
leitung, Generalleutnant von Cramon, vom Kaiser nach Kreuznach besohlen und „mit den bestimmtesten Forderungen'") zu Kaiser Karl zurückgesandt. Am 23. September meldete er, er habe Gelegenheit gehabt, mit General
von Arz die Möglichkeit eines Abspringens seitens Österreichs nach einer gelungenen Offensive gegen Italien zu besprechen. „General von Arz versicherte mir, daß daran unter keinen Umständen zu denken sei, und daß er etwaige nach dieser Richtung hin auftretende Gelüste unter allen Umständen zu ersticken wissen würde ..." Kaiser Karl bot schließlich eine schriftliche Versicherung seiner Bündnistreue an und gab General von Cramon die feierliche Zusage, daß er keinen Sonderftieden eingehen werde. Das war für die Oberste Heeresleitung die „Veranlassung, von schrift¬
lichen Abmachungen gelegentlich der Offensive abzusehen'"). In der polnischen Frage hatte sich die Haltung Österreich-Ungarns zu wandeln begonnen, seit Graf Czernin die Hoffnung aus deutsches Entleitung), bah für die Entente der Weg zum Sonderfrieden mit Wien erst durch den Sieg oder die Niederlage Italiens frei geworden fein würde („Die Katastrophe", S. 131). Daß die Sorge vor einem ö.-u. Sonderftieden bestanden hat, ergibt sich aus den Auf¬ zeichnungen des Gen.Ob. von Plessen vom Juni 1917 (Bd. XII, S. 578, Anm. 1). Bei der
O. H. L. scheinen die Auffassungen allerdings nicht einheitlich gewesen zu sein. Genlt. a. D. Ritter Mertz von Quirnheim, damals Chef der Op. Abt. B der O. H. L.,
äußerte sich im Juli 1938 dahin, daß sich Gen.Feldm. von Hindenburg im Januar 1917 gegen einen Angriff in Italien ausgesprochen habe, da dann Österreich-Ungarn nach einem Siege nicht mehr beim Bündnis zu hakten sei, das sei damals der entscheidende Grund für
die Absage gewesen. Andererseits hat Gen. Lubendorff nach Bereinigung dieser Frage am 5.Nov.(S. 21) geäußert: „Die Sorge vor einem Separatfrieden Österreichs sei ihm vom Auswärtigen Amt schon wiederholt entgegengebracht worden. Er habe diese Sorge immer abgelehnt, und er lehne sie auch jetzt wieder ab. Seine Majestät der Kaiser Karl habe noch vor Beginn der italienischen Offensive ihm deutlich zu erkennen gegeben, daß er an ein Abspringen von dem
Bundesverhältnisse nicht denke (s. oben), ebenso Gras Czernin. Er nehme an, daß im Gegenteil nach den großen Erfolgen in Italien die österreichische Politik sehr stark aktiv und stark annektionistisch werde, aber jedenfalls nicht von unserem Bündnis abspringen werde". *) Tgb.-Aufzeichnungen des Gen. von Krafft vom 28. Okt. 1917 über ihm von Gen. von Cramon gemachte Mitteilungen. *) Schreiben der O. H. L. an den Reichskanzler vom 28. Dez. 1917, 2*
September.
20
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
S«pt-Mb«r. gegenkommen hinsichtlich Elsatz-Lothringens verloren hatte. Den Plan, Galizien vereint mit Kongretzpolen Deutschland in enger Form anzu¬ gliedern1), gab er aus. Von der Zusage vom 18. Map), daß Deutsch¬ lands Kriegsziele im Osten, die Österreich-Ungarns im Südosten liegen sollten, suchte er loszukommen, indem er am 1. September andeutete,
daß umgekehrt Österreich-Ungarn seine Ziele künftig in Polen, Deutsch¬ land die feinigen in Rumänien suchen könne. Dieser Gedanke fand bei der Obersten Heeresleitung erbitterte Gegnerschaft, während er von der
deutschen politischen Leitung keineswegs abgelehnt wurde. In Polen hatten unterdessen die russische Revolution, vor allem das Schlagwort vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, der Eintritt Amerikas in den Krieg, die Verlautbarungen des Präsidenten Wilson, der bereits am 22. Januar ein „einiges unabhängiges, selbständiges Polen" ge¬
fordert hatte3), und die offensichtlich schwierige Gesamtlage der Mittel¬ mächte dazu geführt, daß weiteste Kreise für die Zukunft des Landes mehr von der Entente erhofften als von den Mittelmächten. Die großpolnische
Propaganda griff in das Gebiet des Oberbefehlshabers Ost über, wo sie den Erwerb Litauens forderte. Die Bildung der unter deutscher Leitung
auszustellenden polnischen Armee4) machte keine Fortschritte; bis zum 1. April hatten sich erst 4700 Mann gemeldet. Am 9. April hatte Kaiser Karl den Hinzutritt des bisher beim österreichisch-ungarischen Heere ein¬ gesetzten polnischen Hilsskorps, rund 15000 Mann, verfügt. Als aber am
9. Juli die so gebildete Wehrmacht vereidigt werden sollte, ergaben sich durch deutschfeindliche und revolutionäre Amtriebe Schwierigkeiten, die in der Nacht zum 22. Juli zur Verhaftung des Obersten Pilsudski und zur
Internierung der Eidverweigerer führten. Auch stellte sich heraus, daß 7000 Angehörige des Hilsskorps nicht russische Polen, sondern öster¬ reichisch-ungarische Wehrpflichtige waren. Das Hilfskorps wurde schlie߬ lich dem österreichisch-ungarischen Heere wieder zugeführt; an seinen Ein¬ satz an der Front war aber wegen der herrschenden Disziplinlosigkeit einst¬
weilen nicht zu denken. Deutscherseits wurden für die künftige polnische Armee nur noch Lehrtruppenteile von geringer Stärke beibehalten.
Aber den jetzt von Österreich-Ungarn betriebenen Plan der künftigen Otto»«*. Gestaltung Polens hatte der Reichskanzler am 7. Oktober in Kreuznach
eine Aussprache mit der Obersten Heeresleitung. Diese forderte für den Fall der Annahme der „austropolnischen Lösung" weitgehende Sicher*) Bd. XII, S. 568. 3) Ebenda, S. 575.
O. H. L.: Polnische Frage. Rücktritt des Reichskanzlers Michaelis.
21
heiten, dazu vor allem einen breiten Landstreifen an der deutschen Grenze, und betonte, daß an dem bisher erstrebten Abschluß einer über den Krieg
hinaus bindenden Militärkonvention mit Österreich-Ungarn1) jetzt kein Interesse mehr bestehe, denn diese würde — wie die Oberste Heeresleitung am 12. Oktober an General von Cramon schrieb — „lediglich die öster¬
reichisch-polnische Wehrmacht stärken, eine Entwicklung, die bei dem un¬
vermeidlich wachsenden Gegensatz zwischen Deutschland und ÖsterreichPolen unerwünscht sei". General von Cramon solle den Plan nicht weiter
betreiben, sondern sich ihm gegenüber ablehnend verhalten. Am 5. November, unmittelbar nach dem gemeinsamen großen Was- N»v«mb«r. fenersolg gegen Italien, wurde die polnische Frage in einem Kronrat in Berlin erörtert2). Dabei wies Generalseldmarschall von Hindenburg unter anderem aus die Gefahr hin, daß Deutschland, wenn Polen in irgend¬
einer Form zur österreichisch-ungarischen Monarchie geschlagen würde, von einem einheitlichen Slawentum von Eger bis Lomsha hinauf um¬
spannt werde; „die Politik sei wandelbar". Ebenso sah General Luden¬ dorff in der austropolnischen Lösung eine Gefahr für das Bündnis, weil Polen bei seinen Aspirationen auf Wilna und Litauen, auf Danzig und Posen „sich an Österreich anlehnen werde und müsse und Österreich, als dann stark slawischer und slawisierter Staat, diese Aspirationen unter¬ stützen werde". Er sprach sich daher unbedingt gegen die vorgeschlagene Lösung aus). Da aber alle übrigen Anwesenden zu deren Annahme bereit
waren, drang die Oberste Heeresleitung mit ihren Bedenken nicht durch. Es blieb bei der austropolnischen Lösung, während Rumänien deutsches Einflußgebiet werden sollte. Am folgenden Tage begründete General Ludendorff, in Gegenwart des Grasen Ezernin, unter Vorlage einer Karte die bei der austropolnischen Lösung zu fordernde Abtretung eines breiten polnischen Grenzstreifens2). Er schloß, Deutschland müsse sich wirksam gegen
die mögliche Bedrohung schützen. Staatssekretär Helfserich unterstützte diese Ausführungen. Man einigte sich schließlich dahin, daß Gras Ezernin einen Gegenvorschlag zu der vorgelegten Karte machen möge.
Z. Zusammenarbeit mit Reichskanzler Michaelis. Unterdessen war Reichskanzler Michaelis im Oktober an den Wider¬
ständen der Reichstagsparteien gescheitert. Er hatte sein Amt in enger Zusammenarbeit mit der Obersten Heeresleitung verwaltet, die Errichtung *) Bd. XI, S. 23. — Eine Militärkonvention mit der Türkei wurde am 18. Oktober
abgeschlossen. Der Versuch mit Bulgarien zum Abschluß zu kommen, scheiterte dagegen.
2) Reichskanzler Michaelis war inzwischen durch Graf Hertling ersetzt (S. 22). 3) Akten des Ausw. Amtes, abgedruckt in Pari. Unters. Ausschuß 12,1, 6. 211 ff.
22
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
sr»v«mb«r. einer Presse- und Aufklärungszentrale in Aussicht gestellt, Frontreisen führender Abgeordneter vermittelt, um ihr Verständnis für die Erforder¬ nisse der militärischen Kriegführung zu wecken, und wollte sich auch für Änderung des Hilfsdienstgesetzes einsetzen, um dessen inzwischen klar er¬ kannte Schäden*) zu beseitigen. Die Oberste Heeresleitung, bestrebt, innenpolitische Kämpfe zu vermeiden, war bereit, auf die von ihr zunächst geforderte Beseitigung jenes Gesetzes zu verzichten, wenn dies „innen¬
politisch zweckmäßig erscheine". Sie hielt aber daran fest, daß scharfe Überwachung und Durchführung der Arbeitspflicht, Einschränkung des Betriebswechsels, Aufhebung der Freizügigkeit zwischen den Arbeits¬ stellen erreicht werde. Unterdessen entwickelte sich ein Kampf der Reichs¬ tagsmehrheit gegen die Einrichtung des „Vaterländischen Unterrichts" der Obersten Heeresleitung wie gegen die durch Generallandschaftsdirek¬ tor Kapp und Großadmiral von Lirpitz zur Stützung des Willens zum Siege geschaffene „Vaterlandspartei". Die Linksparteien forderten weit¬ gehende Parlamentarisierung der Regierung. Verhandlungen über die Rolle der Unabhängigen Sozialdemokratie als Anstifterin einer auf der Hochseeflotte aufgedeckten Meuterei führten am I. November zum Ab¬ gang des Reichskanzlers Michaelis. Nachfolger wurde der 74jährige Graf
Hertling, bisher bayerischer Ministerpräsident und früherer Führer der Zentrumspartei, Vizekanzler der Abgeordnete von Payer der Süd¬
deutschen Volkspartei. Die Oberste Heeresleitung hatte mit Besorgnis gesehen, daß die Reichsregierung nicht die Kraft und daher auch nicht den Weg gefunden hatte, gegen die Unabhängige Sozialdemokratie vorzugehen, war aber bei der Frage des Kanzlerwechsels unbeteiligt geblieben.
C. Neue Ziele der militärischen Kriegführung. J. Zustand des Heeres, a) Allgemeines. Die Abwehrkämpfe des Frühjahrs waren im ganzen erfolgreich ge¬ führt worden; die Doppelschlacht an der Aisne und in der Champagne
wurde als deutscher Abwehrsieg gebucht. Die Kräfte des Heeres hatten aber bis zum äußersten angespannt werden müssen. Die Verluste waren
teilweise sehr schwer gewesen; in den Monaten April bis Juni hatte das Westheer 384000 Mann verloren, davon 121000 Tote und Vermißte. *) Bd. XII, 6.25f.
Stimmung im Heere. Vaterländischer Unterricht
23
So war die Kampfkraft abermals erheblich gesunken. Die seit Mitte April eemm« mi. durchgeführte Herabsetzung der Brotration*) — nur die im Kampfe stehen¬ den oder gerade aus dem Kampfe zurückkehrenden Truppen erhielten noch die früheren Verpflegungsmengen — wurde schwer empfunden. Sie
hatte zwar nach Meldung des Chefs des Feldsanitätswesens den Gesund¬ heitszustand einstweilen nicht beeinträchtigt, es hatte aber eingehender Aufklärung bedurft, um die Stimmung der Truppe nicht zu gefährden. Auch lange Trennung von Heimat und Angehörigen, eng begrenzte Ur¬ laubsmöglichkeiten, vielfach ungünstig wirkende Nachrichten aus der Hei¬ mat und planmäßige Wühlarbeit der Unabhängigen Sozialdemokratie2) wirkten auf sie ein. Dabei spürte jedermann, daß das vom Unterseekrieg erwartete Ende des blutigen Ringens vorläufig noch nicht abzusehen sei. Die Meutereien aus mehreren Großkampsschifsen der Hochseeflotte im Juli waren eine deutliche Warnung. Es wurden Klagen laut über un¬
günstige Stimmungsbeeinslussung zwischen Urlaubern und Heimatbevöl¬ kerung. Die Oberste Heeresleitung mußte Weisung geben, zu verhindern, daß Nachrichten in die Truppe kamen, die für ihre Siegeszuversicht und Schlagsertigkeit bedrohlich sein könnten. General von Gallwitz hielt all¬ gemeine Kontrolle des Lesestoffes im Heer und ein durchgreifendes Verbot
sozialdemokratischer Zeitungen für notwendig3).
Durch Einführung
„Vaterländischen Unterrichts" für alle Truppenteile im Felde wie in der Heimat suchte die Oberste Heeresleitung dem Sinken der Stimmung entgegenzuwirken. Die Maßnahme wurde durch folgende Leitsätze vom 29, Juli eingeleitet: »Das deutsche Heer ist durch den Geist, der es beseelt, seinen Feinden überlegen und seinen Verbündeten ein starker Rückhalt. Zu Beginn des Krieges war die Grundlage dafür Begeisterung und in langer Friedensausbildung anerzogene Manneszucht. Die drei Kriegs¬
jahre haben diese Grundlage verschoben und erweitert. Verständliche Sehnsucht nach Heimat, Familie und Berus kann die Kampfentschlos¬ senheit lähmen und den Willen, bis zum endgültigen Sieg durch¬
zuhalten, abschleifen. Die Länge des Krieges brachte auch in zunehmendem Maße für Heimat und Heer Entbehrungen und Opfer. Je mehr diese Lasten aus den Geist des Heeres drücken, um so mehr müssen Aberzeugung, Pflicht¬ gefühl und klare Entschlossenheit Grundlage der Kampfkraft des Heeres werden." ') Bd. XII, 6. 571.
2) Bd. XI, 6.35. 3) v. Gallwitz: „Erleben im Westen", 6.208 u. 213.
24
Sommer 1917.
Die Entwicklung der Eesamtlage im Sommer 1917.
Gegenstand dieses Unterrichts sollten unter anderem sein: Ursachen,
des Krieges, Folgen eines verlorenen Krieges, besonders auch für den deutschen Arbeiter, Größe der bisherigen Erfolge und, aus ihr abgeleitet,
das Vertrauen zu endgültigem Siege. Siegesbewußtsein, Pflichttreue
und Mannesstolz sollten gefördert, vorzeitige Friedenssehnsucht bekämpft werden, denn selbst wenn die Gegner die Aussichtslosigkeit weiterer Krieg¬
führung erkennen sollten, würden sie die Früchte des militärischen Sieges durch Friedensverhandlungen uns zu entreißen suchen. Daher müßten „wir auch dann bereit sein, den Kamps jederzeit wieder aufzunehmen, um unser Kriegsziel, d. H. die Sicherstellung unserer Zukunft, zu erreichen".
b) Ersatzlage. Das deutsche Feldheer war bei Beginn der großen Frühjahrsschlach¬ ten insgesamt 5253 OOO Mann stark gewesen, 680 000 Mann stärker als im Herbst 1916; 13 Generalkommandos und 53 Divisionen waren in dieser
Zeit neu gebildet worden, die letzteren zum Teil aus schon bestehenden Truppen; im übrigen waren vor allem Artillerie, technische Truppen und Luststreitkräfte bedeutend vermehrt worden. Fortsetzung dieses Ausbaues war beabsichtigt. Das Kriegsministerium rechnete dafür bis zum Sep¬ tember mit einem weiteren Bedarf von etwa 125000 Mann und äußerte,
wie auch schon früher, angesichts der Ersatzlage Bedenken gegen Aus¬ stellungen weiterer neuer Truppenverbände und höherer Stäbe. Die
Oberste Heeresleitung hielt aber auch diese für unbedingt notwendig und sah die Abhilfe nötigenfalls in Herabsetzung der Fnsanterie-Stärken nach entsprechender Vermehrung der Maschinengewehre. So waren im Früh¬ sommer 1917 neben zahlreichen Einzelformationen doch noch einige höhere Stäbe, vier Divisionen und das „Asienkorps" (ein verstärktes Re¬ giment) neu gebildet worden. Das Feldheer zählte damit 238 Divisionen
Infanterie und einige selbständige Brigaden, seine zahlenmäßige Stärke aber begann bereits langsam zu sinken.
Den laufenden Ersatzbedars für den Sommer hatte das Kriegs¬ ministerium nach den Erfahrungen von 1916 auf etwa 250000 Mann monatlich, davon etwa ein Drittel Wiedergenesene, berechnet. Der Be¬
stand der Ersahtruppen reichte danach voraussichtlich für drei Monate, also bis Anfang Juli. Es war somit nicht überraschend, daß nach den hohen Verlusten der Frühjahrsschlachten die Gesamtstärke des Heeres Ende Zuli um etwa 16000 Mann geringer war als Anfang April. Der Ausfall
betraf naturgemäß in erster Linie die Infanterie. Die MannschaftsGefechtsstärke der Bataillone, einschließlich Abkommandierter, betrug an der Westfront durchschnittlich nur noch 713 statt 750 Mann, an der Ost-
Schwierigkeiten der Ersatzlage.
25
front 780 statt 800 Mann. Nur zu oft verfügten die heimischen Ersatz¬ truppenteile nicht über die angeforderte Zahl Ausgebildeter. Die FeldRekrutendepots, bei denen für jede der im Westen eingesetzten InfanterieDivisionen etwa 600 Mann in der Ausbildung sein sollten, mußten aus¬
helfen. Trotzdem traten in der Wiederausfüllung abgekämpfter Divisionen und damit in ihrer Wiederverwendbarkeit mehrfach Verzögerungen ein. Die Schwierigkeiten der Ersatzlage waren zum Teil darauf zurück¬ zuführen, daß in derselben Zeit, da das Feldheer um 680000 Mann ge¬ wachsen war, auch die Zahl der vor allem für die Kriegswirtschaft Zurück¬ gestellten um 300000 Mann, von 1200000 Ende September 1916 aus
1500 000 (davon 866000 Kriegsverwendungssähige) im März 1917, gestiegen war; denn die Durchführung des Hindenburg-Programms, daneben die
Instandsetzung und Ergänzung des stark heruntergewirtschafteten Eisen¬ bahnmaterials und die Kriegsernährungswirtschaft erforderten zahlreiche geschulte Arbeitskräfte, bei deren Zurückstellung die Oberste Heeresleitung, vor allem anfangs, freigebig gewesen war. Die Bemühungen des Kriegs¬
ministeriums, einen Ausgleich zwischen den widerstrebenden Forderungen der Front und der Kriegswirtschaft zu schassen, hatten nur geringen Erfolg, da leistungsfähige Arbeitskräfte zum Ersah der freizumachenden nicht in genügender Zahl zu beschaffen waren. Die vom Hilssdienstgeseh er¬ wartete Wirkung war ausgeblieben, da die Masse der Hilssdienstpflichtigen ohnehin schon im Heere oder in der Kriegswirtschaft eingestellt war. Der
Versuch, durch „Auskämmen" die in der Wirtschaft tätigen kriegsverwen-
dungsfähigen Mannschaften freizumachen, schlug fehl, denn gleichzeitig forderte diese eine vielmals größere Zahl neu an. Bis Ende Juli waren im ganzen an 600000 Mann abgelöst, die Zahl der erneut Zurückgestellten
aber war noch größer, so daß die Gesamtzahl, statt kleiner zu werden, bis Mitte Juli auf 1900000 anstieg; davon waren mehr als die Hälfte kriegs¬ verwendungsfähig. Gleichzeitig nahm die Zahl der aus kriegswirtschaft¬
lichen Gründen zurückgestellten Offiziere ständig zu, sie betrug Ende Mai bereits 4500.
Einen wenn auch beschränkten Erfolg hatte der Versuch, aus der
Etappe, den Generalgouvernements und sonstigen besetzten Gebieten sowie aus dem Besatzungsheer in der Heimat Kriegsverwendungssähige herauszuziehen. Eine „Generalmusterung" hatte um die Jahreswende 1916/17 rund 590000 Kriegsverwendungssähige bei den gesamten rück¬ wärtigen Diensten festgestellt, etwa 124000 von ihnen waren bis Ende
April für die Front freigemacht worden. Das Verfahren wurde fort¬ gesetzt, litt aber ebenfalls darunter, daß entsprechender Ersatz in den meisten Fällen nicht zur Hand war.
26
s-mm«r lsi5.
Die Entwicklung der Sesamtlage im Sommer 1917.
Gegen Einsatz des im Juni eingestellten Nekruten-Iahrgangs 1899
(rund 440000, davon310000Kriegsverwendugsfähige) bestanden ernsteste Bedenken, da die im Durchschnitt erst 18jährigen jungen Leute größten¬ teils noch nicht ausreichend entwickelt waren. Auch mit Rücksicht aus den Ausbildungsstand kam ihre Verwendung an der Front vor dem Herbst nicht in Frage. Bei dem dauernd sehr hohen Ersatzbedarf des Westheeres blieb der Obersten Heeresleitung zunächst nichts anderes übrig, als Ende Juli für die gesamte Ostfront, wenngleich auch an ihr jetzt ernste Kämpfe im Gange waren, die Ersatzzuweisung aus der Heimat aufs schärfste zu drosseln. Eine schwere Krise der Ersatzlage kündigte sich an; denn die Einberufung des Jahrgangs 1900 (zur Zeit 17jährige) kam frühestens in Jahresfrist in Frage. Ende August regte die Oberste Heeresleitung daher außerordent¬ liche Maßnahmen an, um die Ersatzgestellung fernerhin zu sichern, wobei die im Herbst 1916 von der Reichsregierung abgelehnte Ausdehnung der Wehrpflicht bis zum 60. Lebensjahrs im Vordergrund stand. Man hoffte dadurch Kräfte zu gewinnen, um weitere Kriegsverwendungsfähige aus
den rückwärtigen Diensten des Heeres und aus der Wirtschaft herausziehen zu können. Über die Güte der ins Feld gesandten Ersatzmannschaften war von
den Feldtruppen seit Anfang 1917 weniger Klage geführt worden als
früher. Gelegentlich wurden die durch kärgliche Ernährung verursachte Körperschwäche sowie die unzulängliche Leistungsfähigkeit älterer Leute beanstandet. Auch zunehmende Anzuverlässigkeit der aus Elsaß-Lothringen und aus polnisch sprechenden Gebieten stammenden Mannschaften gab wiederholt zu Klagen Anlaß. Vereinzelt kamen auch recht bedenkliche Anbotmäßigkeiten bei Ersatztransporten vor-). Gegenstand häufiger Klagen war die unzureichende Ausbildung der Ersatzmannschaften, namentlich solcher, die nicht vorher in Feldrekrutendepots weiter gefördert waren. Vor allem die Ausbildung im Schieß- und Gesechtsdienst sowie im Stel¬ lungskampf genügte oft nicht, manchmal aber fehlte es auch an Manns¬
zucht und soldatischer Haltung. In diesen Mängeln zeigte sich die Unzu¬ länglichkeit des den Ersatztruppenteilen schließlich noch verbliebenen Aus¬ bildungspersonals. Sie war zurückzuführen auf die immer wieder zu
leistende Abgabe aller kriegsverwendungsfähigen und tüchtigen Leute *) Bd. XI, S. 37 ff. 2) Ende Juli verweigerten von 300 Mann, die aus dem Bezirk des III. Armeekorps an die Westfront gehen sollten, 13 Unteroffiziere und 130 Mann unterwegs die Weiterfahrt und wurden festgenommen. — Um dieselbe Zeit befanden sich allein 18000 Infanteristen
der preußischen Ersatztruppenteile im Arrest oder Gefängnis.
Offizlersersatz. Leichte Maschinengewehre.
27
und dem damit verbundenen allzu häufigen Wechsel. Der hohe Wert der Feldrekrutendepots, in denen die Ersahmannschaften vor Einstellung in die Feldtruppenteile durch kriegserfahrene Ausbilder weiter gefördert wurden, trat um so deutlicher in Erscheinung.
Auch in der Ergänzung, der Offiziere ergaben sich Schwierigkeiten, wenngleich die aus dem Frieden überkommenen Bestimmungen durch
weitherzige Auslegung stark gelockert waren. Der große Bedarf brachte es mit sich, daß der Nachwuchs auch für das aktive Offizierkorps vielfach Kreisen entnommen werden mußte, die dem Ossizierstande bisher fern standen, daß die Fahnenjunker zum größten Teil in sehr jugendlichem Alter eingestellt wurden und vorher häufig nicht mit der nötigen Strenge erzogen und zur Pflichterfüllung angehalten worden waren. Um so mehr war für ihre Erziehung und Ausbildung, die außer bei der Truppe in be¬
sonderen Lehrgängen erfolgte, nicht allein tüchtiges, sondern auch charak¬ terfestes Lehrpersonal erforderlich. Seine Ausbringung aber bereitete bei dem hohen Bedarf des Feldheeres, vornehmlich an kriegserfahrenen äl¬ teren Offizieren, immer größere Schwierigkeiten.
c) Waffen, Gerät und Munition*). Die Ziele des Hindenburg-Programms waren bei weitem noch nicht
erreicht. Bei der Infanterie hatte im zweiten Vierteljahr 1917 die Aus¬
stattung mit leichten Maschinengewehren begonnen, doch konnten die Kompanien statt der in Aussicht genommenen sechs zunächst nur je ein Gewehr erhalten; bis Ende Juli waren die Divisionen der Westfront in
dieser Weise ausgerüstet. Die große Unterlegenheit gegenüber Franzosen und Engländern bestand fort. Für die Tankabwehr schienen nach den Meldungen aus der Front die bisherigen Kampfmittel, neben der Artil¬ lerie Maschinengewehre mit „s. m. K."-Munition (Spitzgeschoß mit Stahl¬
kern), die allerdings nur leichte Panzerungen durchschlugen, ausgereicht zu haben. Von der Einführung eines Sondergeschützes sah man mit Rück¬
sicht auf die schon bestehende Überlastung der Fabrikation ab. Bei der Feldartillerie war die Umbewasfnung mit Feldkanone und leichter Feldhaubitze 16, die mit neuen, besonders geformten „6-Geschossen" Schußweiten bis zu 10700 und 9700 Meter erreichten, im Sange; bis Ende Juli 1917 waren aber erst etwa 10 v.H. der Kanonen und 16 v.H.
der Haubih-Batterien der Westfront neu bewaffnet. Da Fahrversuche in¬ zwischen ergeben hatten, daß beide neuen Geschütze zu schwer waren, um ') Dgl. Bd. XII, S. 5 u. 12ff.
28
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
Sommer 1917. bett Infanterie-Angriff unmittelbar zu begleiten, wollte man für diese Auf¬ gabe einen Teil der alten Feldkanonen beibehalten. Bei der schweren Artillerie hatte bis Juli etwa ein Fünftel der
Steilfeuer-Batterien die neuen Geschütze, lange schwere Feldhaubitze 13 und langen Mörser (größte Schußweiten 8800 und 10200 Meter), erhalten. Beim schweren Flachfeuer war im Mai die erste mit 15 om-Kanonen 16
(größte Schußweite 22800 Meter) ausgerüstete Batterie an die Front gekommen, bis Ende Juli wuchs die Zahl auf zwölf an. Wesentlich ver¬ mehrt war das aus Marinebeständen übernommene schwerste Flachfeuer; im Juli standen an der Westfront bereits 14 Batterien 17 cm-, 5 Batterien 21 cm- und 24 Batterien 24 crn-Kanonen mit Schußweiten bis zu
24200 Meter (17 crn-Kanone). Zugleich mit der Umbewaffnung war aber auch die Gesamtzahl der Rohre der Artillerie wesentlich gewachsen, an der Westfront1) seit dem Sommer 1916:
bei den Feldgeschützen?) von „
„
schweren Geschützen von
zusammen von
5300 aus 6700 3700
„
4300
9000 auf 11000,
also um mehr als lOv.H. Da es sich bei dieser Vermehrung durchweg um Gerät neuester Art und besonders um schwere Geschütze handelte, be¬
deutete sie eine über die zahlenmäßige Steigerung noch hinausgehende Stärkung der Feuerkraft. Dabei waren die Forderungen des HindenburgProgramms noch keineswegs restlos erfüllt; so war die Fertigstellung von
Feldgeschützen gegenüber der im Hindenburg-Programm verlangten Ver¬ doppelung noch sehr weit zurückgeblieben. Ernste Sorge bereitete die Bespannungs- und Transportsrage. Der Bestand an Pferden nahm vor allem infolge unzureichender Haferrationen (drei Pfund täglich = y3 des niedrigsten Satzes der Friedens¬ ration), aber auch durch Kampsverluste und Krankheiten an Leistungs¬ fähigkeit und Zahl ab. Anfang September mußte „zur dringend not¬
wendigen Schonung der Pferde" die Bestimmung, daß bei Verschiebun¬ gen alle abzugebenden Formationen stets mit gefüllten Munitionsfahr¬ zeugen abrücken sollten, aufgehoben werden. Das führte dazu, daß in ernsten Kampftagen nur zu oft Artillerie-Verstärkungen ohne Munition *) An der Ostfront war die Zahl so gut wie unverändert geblieben. Die für den rumä¬
nischen Feldzug vom Westen dorthin abgegebenen Kräfte waren inzwischen wieder zurück-
gegeben.
2) Fn diesen Zahlen rund 400 alte 9-em-Geschütze für Sturmabwehr. — Gesamtzahl einschl. Ostfront, Balkan und Türkei rund 10700 Geschütze.
29
Umbewaffnung der Artillerie. Munitionslage.
eintrafen. Der Verwendung des Motors zu Transportzwecken waren vor allem durch Knappheit an Treibmitteln wie an Gummi enge Grenzen ge¬
zogen, so daß nur wenige schwere Batterien (Mörser und 15 cm-Kanoncn 16) mit Motorzug ausgestattet werden konnten. Die Munitionslage war nach wie vor ein Sorgenkind. Die für
Mai 1917 erwartete Steigerung der Pulverfertigung auf monatlich lOOOO Tonnen wurde erst im Juli annähernd erreicht. Die Munitions¬
lieferungen wuchsen daher nur sehr langsam. Das im September 1916 von der Obersten Heeresleitung gesteckte Ziel, Verdoppelung bis zum
Frühjahr 1917, konnte selbst bis zum Schluß dieses Jahres nicht erreicht werden*). Durch strenges Haushalten war es zwar gelungen, den jeweiligen Bestand an verfügbaren Munitionszügen teilweise erheblich zu steigern. Kennzeichnend für die Lage bleibt aber, daß zahlreiche von Heeresgrup¬ pen und Armeen als notwendig erachtete Angrifssunternehmungen mit Rücksicht aus den Munitionsverbrauch von der Obersten Heeresleitung abgelehnt werden mußten3). Mit dem Munitionseinsatz der Gegner im
Westen auch nur einigermaßen Schritt zu halten, war völlig ausgeschlossen, wobei allerdings auch die gewaltige Unterlegenheit an Zahl der Rohre
(11000 gegen 17000)3) mitsprach. Eine Neuerung trat auf dem Gebiete der Gasmunition durch Einführung von „Blaukreuz-" und „Gelbkreuz"-Geschossen ein. Erstere,
mit einem Kampfstoff von starker Reizwirkung gefüllt, sollten gemischt mit der bisherigen mit tödlich wirkendem ker-Stoff (dem Phosgen der Franzosen entsprechend) gefüllten „Grünkreuz"-Munition verwendet wer¬ den und dem Gegner das Atmen unter seiner damaligen Maske unmöglich *) Monatliche Lieferung von Munitionszügen (93b. XII, S. 24) für: 1916 August.... 1917 Dezember
. .
Feldkan. 122
l.F.H. 113
f.F.H. 184
Mrs. 70
10 om-Kan. 23
198
182
211
104
51
2) Als z. B. die 4. Armee im Juli, um die englischen Angriffspläne zu durchkreuzen,
für größere Angriffsunternehmen (S. 58) 65 Munitionszüge, 7000 Schuß 13- oder 15-crnMunition und möglichst hohe Zuschüsse für schwerstes Steil- und Flachfeuer sowie Gas¬ munition der verschiedenen Arten anforderte, mußte der Sachbearbeiter für Artillerie und
Munition bei der O. H. L. melden: Es sei „in jetziger Lage (Streiks pp.) bedenklich, so tief in den Munitionsbeutel zu greifen". Die Munition könne überhaupt nicht in dem geforderten Umfange gegeben werden. „An Feldhaubitzmunition fehlen bis jetzt 16 Züge an der Durch¬
schnitts-Monatslieferung; ob sie nachgeholt werden, muß abgewartet werden. 7000 Schuß 13-om-Kanonen-Munition sind überhaupt nicht vorhanden, ebenso fehlt die Munition für die schwersten Flachfeuergeschütze. 13 Mörser-Züge können bei dem schlechten Zustand dieser Munition nicht gegeben werden". — Weitere Beispiele S. 38 s. und 102.
3) S. 33.
30
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
«•mm« len. machen; riß er sie dann ab, so trat der Per-Stoff der Grünkreuz-Munition m Wirksamkeit. Die Gelbkreuz-Geschosse waren mit einem ganz neuen
Kampfstoff gefüllt, von dem der Erfinder annahm, daß die Gegner ihn vor
Jahresfrist nicht würden nachmachen können. Dieser Kampfstoff durch¬ drang Stiesel und Kleider und verursachte selbst in kleinsten Mengen schwere Hautverbrennungen. Damit machte er das Gelände auch für eigene Truppen ungangbar; bei ruhigem Wetter blieb er eine Woche lang wirksam. Das neue Blaukreuz wurde zuerst in der Nacht zum 11. Juli bei Nieuport mit
gutem Erfolg angewendet, Gelbkreuz unmittelbar daraus in der Nacht zum 13. Juli vor Dpern. Auch begann man Gasmunition nicht nur aus Ge¬
schützen und Minenwerfern zu verschießen, sondern auch aus, den englischen „8tokcs"-Werfern nachgebildeten, „Gaswerfern", 18 cm-Rohren ein¬ fachster Art und ohne Schießgestell, die in großer Zahl mit der erforder¬ lichen Erhöhung und Seitenrichtung in den Boden eingegraben, geladen und dann gleichzeitig elektrisch gezündet wurden. Sie wurden zum ersten Male Ende Oktober beim Angriff am Isonzo verwendet.
Der Bau von Flugzeugen nahm seinen planmäßigen Fortgang, erhebliche weitere Vermehrung war in Aussicht genommen. Für das
Frühjahr 1918 forderte die Oberste Heeresleitung, daß alle Vorkehrungen getroffen würden, um den Bau von 2000 Flugzeugen und 2500 Motoren
monatlich zu ermöglichen*).. Die Ausstattung des Heeres mit neuzeitlichen Flugabwehr-Kanonen (Flak) machte nach wie vor nur langsame Fortschritte. Immerhin waren bis zum Jahresschluß bereits mehr als 100 schwere Kraftwagen-Flaks
(7,7 und 8,8 cm) eingesetzt.
d) Weiterentwicklung des Kampfverfahrens. Die im Winter erlassenen Kampfvorschristen-) hatten sich in dem wochenlangen Ringen des Frühjahrs gegen Franzosen wie Engländer im wesentlichen bewährt. Als die Oberste Heeresleitung am 10. Juni die bisher gemachten Erfahrungen bekannt gab, handelte es sich nur um Verbesserungen und Ergänzungen, daneben um Hervorhebung bereits ausgesprochener, aber — wie es schien — nicht immer genügend beachte¬
ter Grundsätze. Wie bisher beschränkten sich die Weisungen aus die Ab¬ wehr im Stellungskrieg; der Angriff wurde nicht behandelt. Für den Stellungsbau wurde nochmals auf die Notwendigkeit
der Tarnung und zahlreicher Scheinanlagen hingewiesen; je mehr Ziele *) Schreiben an das Kriegsministerium vom 26. guni.
*) Bd. XH, S. 38 ff.
Ergänzung der Kampfvorschriften.
31
der Feind beschießen müsse, um so mehr zersplittere sich die Wirkung. Dem wegen der vernichtenden Wirkung des feindlichen Feuers von einigen
Seiten empfohlenen Verzicht auf Stellungsbau trat die Oberste Heeres¬ leitung sehr bestimmt entgegen: „Nur durchlaufende Kampf- und Ver¬ kehrsgräben, gute Hindernisse und Unterstände ermöglichen das dauernde Halten einer Stellung... Sie sind auch im Großkampf für geordnete Führung, Unterkunft und Versorgung einer Truppe in den hinteren Linien namentlich dann unentbehrlich, wenn die vorderen zu Trichter¬
stellungen geworden sind." Verbindung der Trichter sei, sobald es die Lage erlaube, anzustreben, neue Kampfstellungen aber sollten — sofern nicht die örtlichen Verhältnisse ausnahmsweise anderes erforderten —
weiter rückwärts geschaffen, das Trichterfeld nur mit Vortruppen (Vor¬
posten) gehalten werden. Vor tiefminierten Unterständen und großen Tunnels in vorderer Linie wurde nach den Erfahrungen in der Champagne besonders gewarnt; es wurde befohlen, sie „spätestens bei Beginn des Großkampfes" zu zerstören oder zu verkleinern.
Dem Streben, die Divisionsabschnitte immer schmäler zu machen, mußte schon deswegen entgegengetreten werden, weil dafür die Fahl der vorhandenen Divisionen nicht mehr ausreichte. Die Abschnitte sollten im allgemeinen „zwischen 2500 und über 3000 Meter" breit sein. Neu aufgenommen war der Begriff der „Eingreif-Divisionen", die „so
nahe, d. h. bis in den Bereich des feindlichen Fernfeuers", vorzuziehen waren, daß sie „im Bedarfsfälle, sofort in den Kampf eingreifen" konnten. Das dürfe aber nicht dazu führen, daß diese Divisionen frühzeitig ab¬ gekämpft würden, denn hier lag — wie die Frühjahrskämpfe gezeigt hat¬ ten — die große Gefahr bei ihrer Verwendung. Weites Auseinander¬
ziehen der Stellungsbesatzung und bewegliche Kampfführung wurden scharf betont. Aus dem Kampf „in oder um die vorderste Linie" war der
Kamps um diel. Stellung geworden. In diesem Zusammeenhang wurde
auch darauf hingewiesen, daß ungünstige Stellungsteile nötigenfalls rechtzeitig auszugeben seien: „Wir haben uns gegenüber einer Reihe von Punkten, auf die wir keinesfalls verzichten zu können glaubten, mit dem nicht zu vermeidenden Verlust abfinden können, nachdem wir ver¬
geblich viele Opfer gebracht haben. Die Moral der Truppe wird in solchen
Fällen durch rechtzeitige freiwillige Aufgabe auf Befehl nie geschädigt werden, wenn sie die Gründe versteht, während starres Festhalten von
Punkten, die offensichtlich für uns ungünstig geworden sind, ihr Ver¬ trauen in die Führung erschüttern muß." Damit war die Oberste Heeres¬ leitung vom starren Festhalten am Geländebesitz noch mehr als bisher ab¬ gerückt; Beweglichkeit und Tiefe der Abwehr waren beträchtlich vergrößert.
32
6»mm«i9i7.
Die Entwicklung der Gesamtlage im Sommer 1917.
In ben Weisungen für die Artillerie hatte sich nichts Wesentliches geändert. Nach wie vor wurde frühzeitige und -nachhaltige Bekämpfung der feindlichen Angriffsvorbereitungen und damit besonders der feind¬
lichen Artillerie gefordert. Zur unmittelbaren Abwehr des Angriffs selbst wurde planmäßigem Vernichtungsfeuer der Vorzug vor dem starren und
automatischen Sperrfeuer gegeben. Der Kamps gegen feindliche Panzer wurde nicht erwähnt; sie schienen nach den abschließenden Berichten über die Frühjahrskämpfe nicht der gefährliche Gegner zu sein, als der sie zeitweise eingeschätzt wor¬ den waren.
Die Mitarbeit der Luftstreitkräfte erschien wichtiger denn je, wenn auch ihre immerhin beschränkte Zahl „Haushalten mit den Kräften der Flieger" zu einer „nicht ernst genug zu nehmenden Pflicht" aller
Kommandostellen machte. Zusammenfassung der Luftstreitkräfte an den Hauptkampssronten und innerhalb dieser „in den zur Zeit wichtigsten Abschnitten" wurde erneut gefordert, um „wenigstens für Stunden die
feindliche Luftbeobachtung auszuschalten und die eigene sicherzustellen". Ganz besonders hoch wurde die „mühsame, aufreibende, aber ausschlag¬ gebende und dankbare" Tätigkeit des Infanterie- und Artillerie-Fliegers bewertet als eines der wesentlichsten Mittel, um die „unbedingt notwendige Biegsamkeit des Artilleriefeuers" zu erreichen; daneben wurde dem Ein¬ greifen der Infanterie- und Jagdflieger mit Maschinengewehrfeuer in
den Erdkampf „hoher moralischer Wert" zuerkannt. Mit diesen Weisungen war der erheblich gesteigerten Wucht des feind¬ lichen Angriffs in den durch die Beschränktheit der eigenen Mittel ge¬ zogenen Grenzen so gut als möglich Rechnung getragen.
2. Operative Erwägungen. ®nbe 3nm.
Alles in allem hatte die Oberste Heeresleitung in der zweiten JuniHälfte bereits mehr Entschlußfreiheit als vor den großen Abwehrschlachten
des Frühjahrs. An den Hauptfronten zeigte die militärische Lage gegen Ende des Monats Juni folgendes Bild: Im Westen waren die Gegner den deutschen Kräften an Zahl und Material nach wie vor erheblich überlegen. Vor allem verfügten sie über ein wesentliches Mehr an ausgeruhten Reserven, an Arbeitskräften aller Art, an Gerät und an Munition, während auf der deutschen Seite Men¬ schen und Material nur zur Abwehr gerade ausreichten. Bei Gegenüber¬ stellung der Zahl vorhandener Divisionen kommt das keineswegs voll zum Ausdruck. So standen gegen Ende Juni rund 156 deutsche Divisionen
Die militärische Lage Ende guni.
33
gegen etwa 175 der Gegner. Danach betrug die feindliche Überlegenheit nur 19 Divisionen. 60 englische Divisionen waren aber wegen ihrer er¬
heblich größeren Stärke (zwölf statt neun Bataillone mit je 1000 statt 750 Mann) etwa 80, wenn nicht mehr, deutschen gleichzusehen, so daß sich schon damit ein Gesamtverhältnis von 156 zu etwa 195, also eine feindliche Überlegenheit an Stärke von etwa 39 Divisionen, ergab. Dieses Mehr an Kräften machte es den Gegnern möglich, ihren Kampftruppen in ganz anderer Weise Auffrischung zukommen zu lassen, als das auf deutscher Seite durchführbar war. Günstigere Eisenbahnverhältnisse, reichere Transportmittel aller Art und wesentlich bessere Verpflegung kamen hinzu. Im übrigen spielte in den Materialschlachten seit etwa Sommer 1916 die
gewaltige französisch-englische Überlegenheit an Maschinengewehren, Ge¬ schützen (nahe an 18 000 gegen 11000)
')undMunitioneinefastnochgrößere
Rolle als die an Divisionen.
Bisher war es den Gegnern trotz aller Überlegenheit und größter Kraftanstrengung nirgends gelungen, auch nur ein Loch in die deutsche Front zu schlagen, geschweige denn zum Bewegungskrieg zu kommen.
Kein Angriff hatte sie über operativ bedeutungslosen Geländegewinn hinausgeführt. Wohl aber hatten sie erheblich größere Verluste erlitten als der Verteidiger. Solange das Kräfteverhältnis sich nicht änderte, kam nach solchen Erfahrungen eine große deutsche Offensive im Westen keinesfalls in Frage; es fehlten einfach die Mittel dazu. Inzwischen aber zeigte sich immer klarer, daß die Engländer sich zu einer neuen sehr großen Kraftanstrengung in Flandern — vielleicht sogar unter Landung aus holländischem Gebiet — bereit machten mit dem Ziele, dem deutschen ünterseekrieg, soweit er von der belgischen Küste aus geführt wurde, ein
Ende zu bereiten. Auch begann das französische Heer sich von den Er¬ schütterungen der Frühjahrsniederlage bald zu erholen und kam wieder in die Hand seiner Führer. Eine Unterstützung der großen englischen Offen¬
sive durch französische Teilangrisfe erschien daher jederzeit möglich. In solcher Lage mußte die Oberste Heeresleitung ihre geringen Reserven . Otio6«i.
Der Krieg im Westen. Schlacht in Flandern.
90
Neuer Großkamps am 26. Oktober. 26. Oktober.
Heftiger Beschießung der deutschen Stellungen, auch nördlich des Blanckaart-Sees, während der ganzen Nacht folgten am 26. Oktober gegen
7° morgens starke Angriffe zwischen der Straße Dixmude—Zuydschote und der Bahn Roulers—Ypern sowie beiderseits der Straße Menin—
Ypern. Auf dem Nordflügel der Angriffsfront, östlich der Straße Dix¬ mude—Zuydschote, warfen die Franzosen die dort stehende deutsche Division, die durch Gasbeschuh gelitten hatte, etwa einen Kilometer zurück und erreichten ohne große Verluste ihre Ziele. Gegenstöße waren erfolglos. Am die Gefahr zu beseitigen, daß die Truppen westlich und südwestlich des Blanckaart-Sees bei weiterem Vordringen der Franzosen abgeschnitten würden, befahl General Sixt von Armin, die Hauptwiderstandslinie in eine Stellung zurückzunehmen, die vom See zur Südwestecke des Hout-
hulster Waldes verlief. Auf dem übrigen Kampsfelde bis zur Bahn Roulers—Ypern waren zwar die Briten anfangs an einzelnen Stellen in die
Hauptwiderstandslinie eingedrungen, aber im Laufe des Tages wieder hinausgeworfen worden, zum Teil auch aus dem Vorfelds. Nur an der
Grenze zwischen den Gruppen Staden und Ypern behaupteten sie sich in einer Einbuchtung von ungefähr einem Kilometer Breite. Beim „Anter-
stühungsangrisf" an der Chaussee Menin—Ypern hatten sie Schloß Polderhoek genommen und waren bis Gheluvelt gelangt, wurden aber ohne Ein¬ sah von Eingreis-Divisionen wieder über die ursprüngliche vordere deutsche
Linie zurückgeworfen. 27. bis 29. Oktober.
Am 27. Oktober griffen die Franzosen nach kräftiger Artillerie-Vor¬ bereitung zwischen der Straße Dixmude—Zuydschote und Houthulster
Wald nochmals an und drückten die deutsche Linie bis Bultehoek zurück. In das geräumte Gelände westlich jener Straße rückten sie und der rechte Flügel der Belgier an diesem und dem folgenden Tage ein. Sonst fanden
außer einem erfolglosen britischen Vorstoß dicht nördlich der Bahn Staden Langemarck, bis zum 29. Oktober keine Infanteriekämpfe von Bedeutung
mehr statt.
Daß der Raum zwischen der Straße Dixmude—Steenstraate, dem Martje Vaert und der Yser bis auf kleine Teile in Feindeshand geraten
war, hatte geringe Bedeutung, solange der Anschluß der deutschen Stellung an das Sumpfgelände des Blanckaart-Sees und der Houthulster Wald
gehalten wurden. Immerhin war den Franzosen damit ein verhältnis¬
mäßig großer Geländegewinn zugefallen. Dagegen hatte die Schlacht den Briten nur sehr geringe Erfolge gebracht. Sie führen das auf die Ver¬ sumpfung des Bodens zurück: „Selbst die stärksten Leute konnten kaum
91
Erfolge der Franzosen.
vorwärts kommen und wurden eine leichte Beute der feindlichen Scharf¬
schützen. Während sie, so gut es ging, vorwärts taumelten, wurden ihre Gewehre mit Schlamm so verklebt und verschmutzt, daß sie nicht mehr zu ge¬ brauchen waren'"). Entscheidender ist aber wohl der hartnäckige deutsche Widerstand gewesen, denn General Gough betonte bei einer Besprechung mit Feldmarschall Haig am 28. Oktober, „daß es nicht der Schlamm gewesen sei, der am letzten Tage das Fortschreiten des Angriffs des XIV. Korps
(nördlich von Poelkappelle) verhindert habe, sondern die sehr starken feind¬ lichen Verteidigungsanlagen, die nicht genügend beschossen worden seien'"). Wenn auch die Verluste auf deutscher Seite stellenweise schwer waren3) (die Gegner geben an, daß sie über 1200 deutsche Gefangene eingebracht hätten), so haben die Engländer doch anscheinend sehr viel mehr gelitten. Südlich der Straße Menin—Vpern wurden vor einem Regiments-Ab¬
schnitt ungefähr 500 tote Briten gezählt, noch größer soll die Menge der Gefallenen nördlich der Straße gewesen sein. Die Zahl der gefangenen Engländer überstieg 300. Anscheinend hatte sich die Vorseldzone wiederum
gut bewährt. General Gough hatte am Abend des 26. Oktober Feldmarschall Haig gebeten, die Operationen für längere Zeit zu unterbrechen. Dieser war aber daraus nicht eingegangen, sondern hatte der 2. Armee besohlen, am 30. Oktober Passchendaele anzugreifen, während die 5. Armee die linke
Flanke durch Vorstoß aus Spriet decken sollte. Für den Angriff, der sich von der Bahn Dpern—Roulers bis zur Straße Poelkappelle—Westroosebeke erstreckte, wurden im ganzen vier Divisionen bestimmt.
Deutscherseits wurde mit baldiger Fortsetzung der feindlichen Offensive gerechnet, weil die vorgeschrittene Jahreszeit zur Eile nötigen mußte. Verteilung und Tätigkeit der britischen Artillerie ließen annehmen, daß sich der Angriff bis Dipmude nach Norden ausdehnen werde. Ant 30. Oktober morgens standen in dem tatsächlich angegriffenen Raume so. ottot»«.
zwei Divisionen, dahinter zwei Eingreis-DivisionenH. 1) Gough: „The fifth army“, S. 213f. 2) Duff Cooper: „Haig", II, S. 171. 3) Näheres S. 96. 4) Gliederung an der Angriffsfront am 30. Oktober:
Angreifer Reserven Angriffs-Div. nicht näher bekannt
Deutsche 4. Armee Stellgs. Div.
Eingr. Div.
2 Div./brit. 5. A.
5. b. N. D.
111. g. D.
von Gr. Staden
2 Div./brit. 2. A.
238. g. D.
39. g. D.
von Gr. Dpern
92
Der Krieg im Westen. Schlacht in Flandern.
Angriff am 30. Oktober. zo.ort-b«,.
Nach unruhiger Nacht setzte am 30. Oktober gegen 6« morgens schlagartig Trommelfeuer ein aus die deutschen Stellungen vom Ostrand
des Houthulster Waldes bis Hollebeke. Bald folgten britische Angriffe zwischen Poelkappelle und der Bahnlinie Roulers—t)pern sowie etwas später ein ergebnisloser Vorstoß an der Straße Menin—Vpern. Nord¬ westlich von Passchendaele an einer Stelle, die keine Vorfeldzone hatte und anscheinend auch unzureichend besetzt war, weil man einen Geländeteil
irrtümlicherweise als Sumpf angesprochen hatte, durchstießen kanadische Sturmtruppen die Hauptwiderstandslinie, drangen etwa 800 Meter darüber hinaus vor und gelangten bis dicht vor den Westrand von Passchendaele.
Gegenstöße brachten diese Angriffe sowie auch einen neuen starken Vor¬ stoß bald nach 5° nachmittags beiderseits von Passchendaele zum Stehen und gewannen einen Teil des verlorenen Bodens zurück. Die Eroberung von Passchendaele war den Engländern abermals
nicht geglückt. Doch war in der deutschen Front eine Einbuchtung ent¬ standen, die sich etwa vom Haenixbeek (südlich der Straße Westroosebeke— Poelkappelle) bis 700 Meter südlich von Passchendaele erstreckte. Zwischen den Gruppen Staden und Ppern war der Anschluß verlorengegangen. 3i-et«»»« Am 31. Oktober morgens warf der linke Flügel der Gruppe Staden die s. 9u>»«mb« Briten ein Stück zurück und schloß diese Lücke. An demselben Tage und am
2. November versuchte der rechte Flügel der Gruppe Vpern, die Höhen westlich und südwestlich von Passchendaele zurückzuerobern. Das erste Unternehmen kam infolge starken feindlichen Abwehrfeuers nicht zur Durchführung, das zweite gewann zwar etwas Raum, erreichte aber das gesteckte Ziel nicht. Sonst fanden bis zum 5. November von beiden Seiten nur kleinere Unternehmungen statt. Die dabei in den letzten Tagen, be¬
sonders auf dem linken Flügel der Gruppe Staden, unternommenen zahl¬ reichen Versuche des Gegners, in das Vorfeld einzudringen, liehen auf
baldigen, größeren Angriff schließen. Ant 5. November trat zur Entlastung der 4. Armee die Gruppe Lille zur 6. Armee über. Die 4. Armee verlegte ihr Hauptquartier dementsprechend von Courtrai wieder nach Thiels). Angriffe am 6. und 10. November und Ende der Schlacht. e. 3to»tntb«.
Am 6. November vor Tagesanbruch lebte die Tätigkeit der feindlichen
Artillerie, die sich in der Nacht verhältnismäßig ruhig verhalten hatte, auf.
Die letzten Angriffe und der Verlust von Passchendaele.
93
Etwa um 7° morgens setzte gegen die deutsche Front^ vom Westrand des
Houthulster Waldes bis Zandvoorde Trommelfeuer ein. Nach ungefähr halbstündiger Dauer brachen in der Gegend von Passchendaele sowie zwischen Becelaere und Gheluvelt britische Sturmtruppen vor. Während sie hier abgewiesen wurden, entwickelten sich um Passchendaele erbitterte Kämpfe. Der Gegner, der zwei frische kanadische Divisionen eingesetzt hatte, drang in das Dorf ein, wurde durch Gegenstöße zwar wieder hinaus¬ geworfen, setzte sich aber gegen Mittag durch erneuten starken Angriff end¬ gültig in den Besitz des Ortes und des beiderseits von ihm liegenden
Höhenkammes. Ein einheitlicher Gegenstoß von Truppen der Gruppen Staden und Ppern kam wegen zerstörter Verbindungen und Einbruchs der Dunkelheit über erste Bewegungen nicht hinaus. Immerhin wurde um
Passchendaele herum eine durchgehende Linie hergestellt. Die Absicht, einen Gegenangriff am nächsten Morgen auszuführen, stieß auf den Ein¬ spruch des Armee-Oberkommandos: Lage und Zustand der verfügbaren Truppen — so betonte General von Loßberg in einem nächtlichen Fern¬
gespräch mit der Gruppe Ppern — seien unbekannt; ob die Befehle recht¬
zeitig durchkommen würden, sei sehr fraglich; die Briten würden sich am
nächsten Morgen fest eingenistet haben; ohne starke Artillerie-Vorbereitung sei ein Angriff aussichtslos; am 7. November vormittags könne auf Grund der Lage erwogen werden, ob ein Angriff am Nachmittag nach gründlicher
Artillerie-Wirkung Aussicht aus Erfolg habe. Das Unternehmen unter¬ blieb dann ganz. Die deutschen Verluste waren in der Gegend von Passchendaele
wiederum beträchtlich2). Die Engländer hatten über 400 Gefangene ge¬
macht. Aber auch ihnen scheint, nach deutschen Truppenmeldungen, die Schlacht große Opfer gekostet zu haben. Es war ihnen gelungen, das hart umstrittene Passchendaele zu nehmen, das Feldmarschall Haig aller¬ dings schon Ende Juli hatte erreichen wollen und das seit dem 12. Oktober unmittelbares Angriffsziel war. Der Erfolg war insofern bedeutsam, als x) Gliederung an der Angriffsfront am 6. November:
Bei Passchendaele: Don Gr. Staden: V3 4. I. D., dahinter als Gingt. Div.: 5. b. R. D. Don Er. Ppern: 2/3 11. u. V3 3. G. I. D., dahinter als Gingt. Div.: V3 11. u. 39. Z. D.
Bei Becelaere —Gheluvelt: Don Gr. Wytschaete: 7.1. D., dahinter als Gingt. Div.: 15.1. D., zur Zeit im Austausch gegeneinander. ^ Bei 11. F. D. allein rund 1700 Mann, darunter 4 Btl.-Führer und 22 Komp.-
Führer; im übrigen S. 96.
B
WWW» uv
Der Krieg im Westen. Schlacht in Flandern.
94
die dortigen Bodenerhebungen gute Einsicht in die deutschen ArtillerieStellungen boten. Die Briten hatten eine vorteilhafte Grundlage für weitere Angriffe gegen die inneren Flügel der Gruppen Staden und Ypern gewonnen. Mit baldiger Fortsetzung ihrer Offensive mutzte gerechnet werden. 7. bi» 9. November.
Die Gruppe Ypern war der Ansicht, datz es notwendig sei, Passchendaele und die Höhen westlich davon wiederzunehmen, zum mindesten aber den nordöstlich des Dorfes entstandenen tiefen Sack abzuschnüren. General Sipt von Armin sprach sich indessen gegen das erstere Unternehmen aus, das den Einsatz von zwei Divisionen und von zwei Ablösungs-Divisionen über den laufenden Verbrauch hinaus verlange. Diese Kräfte würden in
absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen. Da nach Agenten-Nachrichten starke feindliche Angriffe gegen die ganze Armeesront bevorstünden, auch mit Landungen an der flandrischen Küste und auf Walcheren zu rechnen sei und eine große Anzahl von deutschen Divisionen in nächster Zeit ablösungs¬
bedürftig werde, sei äußerstes Haushalten mit den Kräften geboten. Die Abschnürung des Sackes komme in Frage, falls nach Ansicht der vorne
liegenden Infanterie die Stellung dadurch günstiger werde. Zunächst aber wurde die Hauptwiderstandslinie zwischen den Straßen von Westroosebeke nach Poelkappelle und Passchendaele um einige Hundert Meter zu¬
rückverlegt und dadurch ein Vorfeld geschaffen. Vom 7. bis zum 9. November fanden nur unbedeutende Infanterie¬ kämpfe statt. Dagegen war die Tätigkeit von Artillerie und Luftstreitkrästen rege. 10. November.
Am 10. November*) gingen die Briten nach kräftiger Vorbereitung durch Artillerieseuer zwischen 730 und 8° morgens zwischen den eben ge¬ nannten Straßen zum Sturm vor. Sie drangen in das Vorfeld ein, un¬
gefähr zwei Kilometer nordwestlich von Passchendaele auch in die Haupt¬ widerstandslinie, wurden aber aus dieser und dem größten Teil des Vor¬
feldes durch Gegenstöße wieder vertrieben. An diesem Ergebnis änderte
es nichts, daß sie ihre starken Angriffe stellenweise mehrmals wiederholten und am Nachmittag auch über Passchendaele hinaus nach Süden aus¬
dehnten. !) Gliederung an der Angriffsfront am 10. November:
Deutsche 4.Armee
Angreifer Reserven
vordere Linien
Stellgs. Div.
Eingr. Div.
nicht naher
3 Div./brit. 2. A.
4. F. D.
199. g. D. 11. g. D.
bekannt
44. R. D.
von Gr. Staden
von Gr. ypem
Das Ende der Schlacht.
95
In der nächsten Zeit fanden nur noch Vorfeldkämpse und Stoßtrupp- 20 Unternehmungen statt. Das Artillerieseuer blieb aber im allgemeinen lebhaft. Das Verhalten des Gegners war nicht anders als in den früheren
Pausen zwischen den Großangriffen. Den Schluß, daß die Schlacht zu Ende sei, konnte man noch nicht ziehen. Zwar waren Oberste Heeresleitung sowie die Oberkommandos von Heeresgruppe und Armee seit langem der
Ansicht, daß Feldmarschall Haig nicht imstande sein werde, die Angriffe den Winter über fortzusetzen, aber es war doch noch ganz ungewiß, wann
er sie einstellen werde. Die Heeresgruppe rechnete mit der Möglich¬ keit, daß die Schlacht nunmehr in Einzelkämpfen ausklingen werde. Bis zum 16. November wurde auf dem bisherigen linken Flügel der franzö¬
sischen 1. Armee eine belgische Division festgestellt, auch kamen Nachrichten über Abbeförderung mehrerer britischer und französischer Divisionen nach Italien. Heeresgruppe und Oberste Heeresleitung hielten nun die Schlacht für beendet. Die 4. Armee blieb dagegen der Ansicht, daß der Feind neue Schläge vorbereite, um sich vor dem Winter noch mindestens in den Besitz der Höhen von Westroosebeke zu setzen. Erst der britische Tankangrifs bei Cambrai am 20. November schien Klarheit zu bringen. Die Schlacht hatte sich über fast vier Monate erstreckt und zu sehr er¬ heblichem Kräfteverbrauch geführt. An ihr hatten vom 15. Juli bis zum 10. November 75 deutsche Divisionen teilgenommen1). Auf der Gegen¬ seite waren 57 Divisionen (51 britische und sechs französische) an der Schlacht beteiligt, wobei zu berücksichtigen bleibt, daß die britischen Divi¬
sionen an Infanterie wohl fast doppelt so stark wie die deutschen waren2). An Artillerie hatten die Gegner mindestens dreimal soviel eingesetzt wie
die Deutschen; zeitweise war das Zahlenverhältnis für letztere noch erheb¬ lich ungünstiger2). An Artillerie-Munition sind von der 4. Armee vom
1. Juli bis zum 15. November fast 18 Millionen Schuß verbraucht worden. Nach Ansicht des Armee-Oberkommandos hatte der Feind mehr als sechsmal
soviel verschossen. Feldmarschall Haig führte als Ergebnis der Schlacht rund 24000 Ge¬ fangene sowie 941 Maschinengewehre, 158 Minenwerser und 74 Geschütze als Beute an und bezeichnete als sicher, daß die deutschen Verluste die englischen erheblich überstiegen hätten. Das Gegenteil trifft zu: ') In dieser Zeit sind der 4. Armee von anderen Armeen 67 Divisionen (davon vier
zweimal), zugeführt worden, abbefördert wurden 51 Divisionen (davon sieben zweimal); vgl. Beil. 28 d. 2) S. 33 u. 63.
3) S. 63.
Di« . November.
Der Krieg im Westen. Schlacht in Flandern.
96
Die deutsche 4. Armee verlor vom 21. Juli bis 31. Dezember 1917
rund 217000 Mann, davon 55000 Gefallene, 48000 Vermißte'); die Gegner in dem um zehn Tage kürzeren Zeitraum vom 31. Juli bis 31. Dezember rund 332000 Mann, und zwar die Briten 324000 Mann,
davon 50000 Gefallene, 38000 Vermißte-), die französische 1. Armee rund 8000 Mann.
4. Betrachtungen. Als sich Ende Juli die heiß ersehnte Möglichkeit bot, die seit langem geplante Vertreibung der Deutschen von der belgischen Küste in Angriff zu nehmen, hatte Feldmarschall Haig unter dem Eindruck gestanden, daß alle
bisherigen Durchbruchsversuche gegen die deutsche Front gescheitert waren, derjenige im April 1917 an der Aisne unter Verlusten, die zu einer schweren
Erschütterung des französischen Heeres geführt hatten. Deshalb hatte er es für erforderlich gehalten, die Truppen des Verteidigers zunächst durch Artillerie-
feuer und wiederholte starke Schläge so abzunutzen, daß sie schließlich nicht mehr fähig seien zu widerstehen; erst dann werde der Durchbruch glücken. Die
Angriffe sollten nacheinander gegen verschiedene Abschnitte der künftigen Durchbruchsfront erfolgen. Bei der großen eigenen Überlegenheit, beson¬ ders an Artillerie, sicherte dieses Verfahren Geländegewinn und schützte vor schweren Rückschlägen, machte aber die Ausdehnung der Offensive von
dem Erreichen der im ersten Angriffsabschnitt gesteckten Ziele abhängig. Da nun die Eroberung des Höhenrückens Passchendaele—Staden—Clerken nur bei Passchendaele und auch dort erst im November gelang, kamen der 1) Nach den bei der O. H. L. geführten Verlustlisten. Der „Sanitätsbericht über das deutsche Heer" gibt als Gesamtsumme eine noch um rund 27000 Mann niedrigere Zahl.
Welche Zahl richtiger ist, läßt sich nicht mehr feststellen. Verluste nach den Listen der O. H. L. (Zahlen abgerundet): Mann 21./31. Juli ....
1./10. Aug 11./21. Aug.
.
.
.
21./31. Aug.
.
.
.
1./10. Sept.
.
.
.
11./20. Sept.
.
.
.
21./30. Sept.
.
.
.
1./10. Okt
30000 16000 24000 12500 4000 25000 13500 35000
davon
Mann
Vermißte 9000 2000 5000 1000 —
6500 3500 13000
11./20. Okt 21./31. Oft 1./10. Nov 11./20. Nov 21./30. Nov 1./10. Dez 11./20. Dez 21./31. Dez
12000 20500 9500 4000 4500 4000
| 2500
davon
Vermißte 2000 3000 2000
500
500
2) „Statistics of the military effort of the British empire during the great war“,
S. 320. Andere englische Quellen geben teils höhere, teils geringere Zahlen.
97
Betrachtungen.
Angriff gegen Roulers—Thourout sowie der Vorstoß von Nieuport längs der Küste und die sorgfältig vorbereitete Landung nicht zur Ausführung. Die Offensive blieb im wesentlichen aus den Raum zwischen dem Houthülstet Wald und dem Kanalknie bei Hollebeke beschränkt. Das erleich¬ terte die schwierige Aufgabe der deutschen Führung, die fast vier Monate hindurch trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit und trotz der Anforderungen, die andere Fronten stellten, den Bedarf an Truppen zu decken hatte. Am Ende des schweren Ringens hatte der Gegner die deutsche Front um Vpern in einer Breite von etwa 22 Kilometer zurückgedrückt, an der tiefsten Stelle um fast acht Kilometer. Bis zu einer Stellung, von der er
die deutsche Ünterseeboots-Basis durch Fernfeuer gefährden konnte, hatte er noch wenigstens viereinhalb Kilometer zurückzulegen. Sein operatives Ziel hatte er also in keiner Weise erreicht. Der taktische Erfolg beschränkte sich aus die Fortnähme einiger Bodenwellen, die Einblick in den Dpern-
Bogen gewährt hatten, sonst aber handelte es sich um versumpftes Trichter¬
gelände. Das einzig wesentliche Ergebnis lag darin, daß starke deutsche Kräfte gebunden und erheblich geschwächt wurden. Die Offensive hatte die Fran¬ zosen vor deutschen Angriffen geschützt und ihnen damit Zeit verschafft, ihre stark erschütterten Truppen wieder zu festigen. Sie hatte die deutsche
Oberste Heeresleitung genötigt, sich auch beim Kräfteeinsatz aus anderen Kriegsschauplätzen stärkste Beschränkungen aufzuerlegen; zwei vom Osten schon auf der Fahrt nach Italien begriffene Divisionen mußten nach Flandern abgedreht werden1). Vor allem aber hat die Schlacht zu
einem übergroßen Verbrauch deutscher Kräfte geführt. Die Verluste waren so hoch, daß der Ersatz nicht mehr voll gedeckt werden konnte und die
schon vorher herabgesetzten Gefechtsstärken der Bataillone weiter bedenk¬ lich sanken. Aber diese Ergebnisse haben die Briten mit Opfern erkaufen müssen, welche die der Deutschen bei weitem übertrafen*). So war das Ergebnis alles in allem doch ein großer deut¬
scher Abwehrerfolg. Wenn die Gegner trotz sorgfältigster Vorberei¬ tungen, großer Überzahl, Tapferkeit und Beharrlichkeit nur so wenig erreicht haben, so ist das sicherlich zum Teil durch die ungünstige Witterung bedingt worden, die bei den flandrischen Bodenverhältnissen alle Be¬ wegungen äußerst erschwerte. Wasser und Schlamm sind aber den Ver¬ teidigern nicht minder nachteilig gewesen. Briten und Franzosen ver¬ mochten zwischen den Angriffen einen großen Teil ihrer Truppen zurück*) S. 226; eine davon wurde durch Neubildung der „Deutschen Iäg. Di»." ersetzt. 2) 6. 96. W«,tkrle,. XIII. Bd.
7
Der Krieg im Westen. Schlacht in Flandern.
SS
zuziehen, um ihnen in besserer Unterkunft Erholung zu geben. Die Deut¬
schen, die nicht wußten, wann der nächste Angriff komme, mußten ihre Truppen in dauernder Bereitschaft halten. Da die Gräben, soweit sie überhaupt noch vorhanden waren, voll liefen, Stollen wegen des hohen Grundwasserstandes nicht in die Erde getrieben werden konnten und die wenigen Betonunterstände nicht ausreichten, konnte die Mehrzahl der Verteidiger gegen das gewaltige Artilleriefeuer nur in den zum Teil mit
Wasser gefüllten Granattrichtern notdürftig Schutz finden. Diese Verhält¬ nisse führten noch mehr als die blutigen Verluste zu schneller Abnutzung der Truppen und wurden neben der geringeren zahlenmäßigen Stärke der deutschen Divisionen und der außerordentlichen Unterlegenheit an
Geschützen und Munition die Ursache dafür, daß bei der deutschen Abwehr wesentlich mehr Divisionen ablösungsbedürftig wurden als beim gegne¬
rischen Angriff1).
Oberste Heeresleitung, Heeresgruppe und Armee haben
wiederholt erwogen, ob es nicht möglich sei, der britischen Offensive durch größeren eigenen Angriff zuvorzukommen oder sie später dadurch zum Scheitern zu bringen. Die nötigen Kräfte standen indessen nicht zur Ver¬ fügung. Die auf dem Kampfselde in Flandern innerhalb von etwa vier Monaten eingesetzten 73 deutschen Divisionen konnten nur dadurch auf¬ gebracht werden, daß abgekämpfte Divisionen der 4. Armee gegen frischere, bei anderen Armeen ausgetauscht wurden. Ein nennenswerter Uberschuß war niemals vorhanden. Ganz besonders aber war die Menge an Batterien
und Artillerie-Munition nicht verfügbar, die man für einen Angriff gegen
den zahlreicheren, mit allen Kampfmitteln überreichlich ausgestatteten Feind gebraucht hätte. Eine größere Gegenoffensive kam infolgedessen nicht zustande, sondern nur der örtlich beschränkte, durch verhältnismäßig viele Batterien und Luftstreitkräfte unterstützte Angriff bei Nieuport. Der dabei erzielte volle Erfolg hob die Zuversicht der deutschen Truppen und nahm dem längs der Küste geplanten britischen Vorstoß das Sprungbrett. Angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gegner war es eine
ungemein schwere Aufgabe für die deutsche Führung, Mittel zu finden, um ihrem wirksamer gewordenen Angriffsverfahren zu begegnen und der Front immer wieder rechtzeitig die nötigen Ablösungen und Ver¬
stärkungen zuzuführen. Vor und während der Schlacht hielten General Sipt von Armin und sein Generalstabschef fast täglich Besprechungen bei Gruppen und Divisionen ab, um sich über Lage und Erfahrungen zu unter¬
richten und danach ihre Anordnungen zu treffen. Häufig war General von Kühl zugegen, mehrmals haben auch Kronprinz Nupprecht von Bayern !) S. 95.
Betrachtungen.
99
und General Ludendorss teilgenommen. Die Folge dieser engen Fühlung zwischen Führung und Truppe war, daß den Bedürfnissen der Front soweit irgend möglich entsprochen wurde. Ein sicheres Mittel, Einbrüche des Gegners in die deutsche Stellung zu verhindern, gab es bei der großen Übermacht des Gegners, namentlich an Geschützen und Artillerie-Munition,
freilich nicht. Der Versuch, durch stärkere Besetzung der vorderen Kampf¬ zone und näheres Heranhalten der Divisions-Reserven, also im wesentlichen durch Rückkehr zum Abwehrversahren von 1916, Geländeverlusten vor¬
zubeugen, erwies sich als Fehlschlag. Dagegen bewährte sich die ursprüng¬ lich von der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz angeregte und dann von der Obersten Heeresleitung empfohlene Einrichtung eines Vorfeldes vor
der Hauptkampfzone. Die deutschen Batterien vermochten die Sturm¬ truppen des Gegners bei ihrem Fortschreiten jetzt wirksamer zu fassen und Gegenstöße besser zu unterstützen. Die Eingreif-Divisionen brauchten nur
noch in geringerem Umfange, zum Teil überhaupt nicht mehr, heran¬ gezogen zu werden, der bedrohlich gewordene Krästeverbrauch wurde eingeschränkt. Wenn in den letzten Großkampftagen die Erfolge der Briten abnahmen, ihre Verluste dagegen wuchsen1), so ist das zum großen Teil auf die neue deutsche Kampfweise zurückzuführen. Angesichts des gleichzeitigen Bedarfs anderer Kriegsschauplätze lastete während der Höhepunkte der Schlacht aus Oberster Heeresleitung und Heeresgruppe schwer die Sorge, ob es auf die Dauer möglich sein werde, den wachsenden, sehr großen Verbrauch der 4. Armee zu ersetzen. Daß dies gelang, ist nicht nur ihren vorsorglichen, zweckmäßigen Maßnahmen, sondern auch der trefflichen Organisation der Verteidigung durch das Ober¬ kommando der 4. Armee zu danken, das niemals starr am alten Verfahren
festhielt, sondern immer wieder neue Abhilfen den feindlichen Anstürmen entgegensetzte. Die rastlose Arbeit hat aber die Nervenkraft der Führer aufs
Äußerste beansprucht. In einem Bericht, den das Armee-Oberkommando 4 am 21. Oktober,
also nach den schwersten Schlachttagen, der Heeresgruppe einreichte, er¬ wähnt General Sixt von Armin, daß die Truppe fast ausnahmslos das Höchste leiste. Sie hat es getan unter Verhältnissen, die an Furcht¬ barkeit alles Dagewesene übertrafen. Denn die Gegner hatten, um den Erfolg diesmal zu erzwingen, Kampfmittel — besonders artilleristische —
eingesetzt, deren Masse im Verhältnis zum Raum weit größer war als bei
allen früheren Schlachten. Dem entsprach die Wasfenwirkung. Rach Ur¬ teilen von Frontkämpfern, die auch bei Verdun und an der Somme ge¬
fochten hatten, war der Feuerorkan, mit dem die Angreifer im Jahre 1917 *) Duff Cooper: „Haig", II, S. 171.
100
Der Krieg im Westen.
in Flandern ihre Stürme vorbereiteten und begleiteten, weit heftiger als je zuvor. Angeheuer waren die Anforderungen an die seelischen Kräfte
der Verteidiger, die hinter völlig zerschossenen Hindernissen, ungeschützt gegen Feuer und Witterung vereinzelt in verschlammten Trichtern kauerten,
jeden Augenblick eines feindlichen Angriffs gewärtig, erschöpft durch Mangel an Schlaf und an Verpflegung, da diese nur selten in ausreichender
Menge und Beschaffenheit vorgebracht werden konnte. Die große Mehrzahl der in der Schlacht eingesetzten deutschen Truppen hat diese fast über¬
menschliche Belastungsprobe bestanden.
General Ludendorff urteilte1): „Was der deutsche Soldat in der Flandernschlacht geleistet, erlebt, gelitten, wird für ihn zu allen Zeiten ein ehernes Denkmal sein, das er sich selbst auf feindlichem Boden errichtet
hat!"
B. Die übrige Westfront während der Schlacht in Flandern. 3-H Von Zuli bis November stand die gesamte Westfront2) unter dem "nb 2,aa“'t' Zeichen des schweren Ringens der 4. Armee. Alle sonstigen Angriffe der Gegner hatten operativ gesehen vor allem den Zweck, abzulenken und
Kräfte zu fesseln; taktisch handelte es sich um das Verbessern im Kampfe entstandener Stellungen, ein Ziel, das auf dem Frühjahrsschlachtfeld an der Aisne auch deutscherseits erstrebt wurde. Bei der 6. Armee der
Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht scheiterten am 1. Zuli wieder¬ holte Angriffe einer britischen Division westlich von Lens. Größere Kämpfe folgten am 15. August3). Im übrigen handelte es sich nur um kleinere Unternehmungen, die den Raum eines Regimentsabschnittes nicht über¬ schritten. Ähnlich war es bei der 2. Armee. Hier waren vor die Siegfried-
Stellung vorgeschobene Punkte nördlich von St. Quentin die am häu¬
figsten umkämpften Örtlichkeiten. So folgte einem deutschen Angriff am 9. August, der hart nordwestlich der Stadt gegenüber den Franzosen einigen Geländegewinn gebracht hatte, am 19. August weiter nördlich ein stärkerer englischer Angriff, der aber bis auf kleine Einbrüche abgewiesen wurde. Mit einem Angriff gegen St. Quentin selber, das aus der Gesamtfront
basteiartig vorsprang, wurde gerechnet. Die größten Kämpfe spielten sich !) „Meine Kriegserinnerungen" S. 292. 2) Gliederung Beil. 27. *) Näheres 6.67.
Ereignisse bei
6.und2.Armee.
101
an der Front der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz bei derl.Armee an der Aisne und bei der 5. vor Verdun ab, während es zwischen ihnen bei
der 1. und mehr noch bei der 3. Armee ziemlich ruhig blieb. Völlig ruhig war es bis auf einzelne Stoßtrupp - Unternehmungen an der Front der
Heeresgruppe Herzog Albrecht. I. Die Rümpfe der 5. Armee vor Verdun. Beilage 9; Skizze 17 in Band X und 13 in Band XI.
Angriffe aus der Festung Verdun heraus waren bereits während der Wa, bi, Juli.
Frühjahrsschlachten erwartet worden. Seit dem 30. Mai war für die 5.Armee des Generals der Artillerie von Gallwitz (Chef des General-
stabes Oberst Bernhard Bronsart von Schellendorff) „Vorbereitung für die Abwehrschlacht besohlen. Die Armee stand zu dieser Zeit in 48 Kilo¬ meter Frontbreite vom Walde von Cheppy bis in die Wosvre-Ebene und
war in drei Gruppen (Maas-West, Maas-Ost mit je drei Stellungs¬ Divisionen und zwei dahinter, Vaux mit zwei Stellungs-Divisionen*) ge¬ gliedert. Anfang Juli wurde die Angriffsabsicht des Gegners gegen die Front nördlich der Festung immer deutlicher. Über die Gefährdung vor allem der Stellungen auf dem Westuser war man sich klar, doch war
General Ludendorff gegen jede Aufgabe von Gelände2). Tatsächlich hatte bereits General Nivelle am 29. April AngriffsVorbereitungen besohlen, allerdings nur westlich der Maas. Sein Nach¬ folger, General Pstain, wollte auch auf dem östlichen Maas-User die deutschen Truppen bis in die Ausgangsstellung von 1916 zurückdrücken und die Höhen 307/310 nordöstlich von Ornes nehmen, einmal um deutsche
Artilleriewirkung gegen die Eisenbahnen nach Verdun auszuschalten, zum anderen um den Angriff gegen den Stellungsbogen von St. Mihiel sowie Vorstöße in die Wosvre-Ebene und damit gegen das Erzbecken von Briey
vorzubereiten. Ein Angriff bei Verdun, der „Siegesstätte des franzö¬ sischen Heeres", hatte für General Pstain aber noch eine andere Bedeutung: er sollte zum Prüfstein werden für die wiedererstarkte Angrisfsmoral und das Vertrauen der Truppe zur Führung. Am 9. Juli berichtete die S. Armee, daß „überraschende französische s.g-n. Angriffe auch bei Großkämpfen an anderen Fronten unter Ausnutzung der Festung immer möglich sind und Verdun nie mit Sicherheit ruhige Front werden wird. ... Unterstände wie Batteriestellungen stehen so
zahlreich zu Verfügung, daß Verstärkungen sehr leicht möglich sind. Ver*) Gliederung S. 104. 9 6.102 u. 110.
H
102
Der Krieg im Westen. Verdun.
s.g„i. kehrswege, Lager und Munitionsdepots im Hintergelände erlauben jeder¬
zeit den Aufmarsch starker Kräfte, deren Bereitstellung zum Angriff in den Schluchten ohne mögliche Einsicht erleichtert wird, zumal die Artillerie des gesamten Festungsbereichs jederzeit an beliebiger Stelle beiderseits der Maas zusammenwirken kann". Andererseits waren die deutschen Stel¬
lungen immer noch mangelhaft'), da die Fronttruppen durch Abwehr stark in Anspruch genommen und ausreichende sonstige Arbeitskräfte nicht vorhanden waren. Rückwärtige Stellungen fehlten fast ganz. Die deutsche vordere Linie verlies westlich der Maas — für die Ab¬ wehr wenig günstig — über die Höhen 304 und Toter Mann. Mit dem
breiten und meist sumpfigen Tal des Forges-Baches im Rücken konnte sie nach Ansicht der Heeresgruppe „einem Großangriff nur schwerlich stand¬ halten". Eine Zurücknahme der Stellung auf die Höhen nördlich des Baches hätte aber die bereits früher zurückverlegte deutsche Linie östlich der Maas gefährdet. Dazu kam der weiterhin bestehende Wunsch der Obersten Heeresleitung, nach den Rückschlägen von 1916 aus mora¬ lischen Gründen „östlich der Argonnen unter keinen Umständen Gelände Mu«J»».
aufzugeben"2).
Mitte Juli wurde die 29. Infanterie-Division bei Maas-West ein¬ geschoben. Roch bevor dies beendet war, hatte sie am 17. Juli einen
größeren Teilangrisf des Gegners dicht westlich der Höhe 304 abzuwehren, bei dem die am 28. Juni gewonnenen Gräben2) wieder verlorengingen.
Der feindliche Einbruch reichte so weit nach Norden, daß die Höhe 304 im Rücken bedroht war; die Heeresgruppe befahl daher sofortigen Gegen¬ angriff. Er fand am 1. August statt und brachte die Wiedernahme des ganzen verlorenen Geländes. Darüber hinaus nach Süden vorzustoßen, hatte die Oberste Heeresleitung angesichts der Kräftelage nicht ge¬ stattet). Gegenangriffe des Feindes blieben im flankierenden Maschinengewehrseuer von der Höhe 304 und vom Avocourt-Wald aus liegen, Ihre
Vorbereitung durch Artillerie zeigte aber, wie schon am 17. Juli, eine starke
Vermehrung der feindlichen Batterien; schwerste Eisenbahngeschütze griffen in einem Ausmaß wie nur vor Großangriffen ein. Nach Gefangenen-
aussagen war der französische Angriff Mitte August zu erwarten. Dies
hatte die Heranführung weiterer Abwehrkräfte, insbesondere schwerer Artil¬ lerie zur Folge. -Bei Maas-Ost war bereits am 25. Juli eine vierte Divi¬
sion in die Front geschoben worden. !) Vgl. die Charakteristik der deutschen Stellungen, Bd. XI, S. 182. 2) Weisung der O.H. L. vom 2. Juni 1917 über den Bau rückwärtiger Stellungen. 3) Sd. XII, 6.401. *)S.29.
Französische Angriffsvorbereitungen.
103
Am 10. August meldete die Heeresgruppe, daß Patrouillenvor¬ stöße und Fernaufklärung beiderseits der Maas den Einsah frischer fran¬ zösischer Divisionen festgestellt hätten, der Angriff mithin jeden Tag er¬ wartet werden müsse. Das entsprach auch den Tatsachen. Ursprünglich hatte General Guillaumat, der Oberbefehlshaber der französischen 2. Armee, den Angriffsbeginn auf den 15. Juli fest¬ gesetzt, dann aber aus den 31. Juli, den Tag des Beginns der englischen Offensive in Flandern, und später auf den 15. August verschoben, weil die
10. August.
notwendige schwere Artillerie noch am Chemin des Dames gefesselt war. Zur Ablenkung fanden im Sundgau vom 5. August ab Täuschungsmanöver
statt. Gesteigerte Artillerietätigkeit, deutlich sichtbare Truppenbewegungen, Verlegung von Stabsquartieren, Verbreitung falscher Nachrichten, Schlie¬ ßung der Schweizer Grenze sollten den Eindruck erwecken, daß größere Angriffe in der Richtung auf Mülhausen und die Kaliselder des Ober-Elsaß
bevorständen. Die französische Artillerie-Vorbereitung gegen die deutsche Nord¬ front von Verdun begann am 10. August, flaute dann aber bei plötzlich einsetzendem Regenwetter wieder ab, um vom 13. August ab mit voller
13. August.
Stärke die deutschen Stellungen zwischen Avocourt und Bezonvaux zu
treffen. Die Abwehrfront stand bereit; eine Anzahl schwerer und schwerster Batterien und vor allem starke Luftstreitkräste wurden aber erst heran¬
geführt.
Über den tatsächlichen Angrisfsbeginn brachten am 16. August Sto߬ trupps der 28. Infanterie-Division Klarheit, die bei einem Unternehmen
16. August.
südwestlich von Ornes tief in den Caurieres-Wald eindrangen, Unter¬
stände sprengten und über 700 Gefangene einbrachten. Dabei wurden
sämtliche Befehle für die Durchführung des französischen Angriffs erbeutet. Sie bestätigten die erwartete Ausdehnung von Avocourt bis Bezonvaux
und liehen die infolge schlechter Witterung angeordnete Verschiebung des Angriffstages vom 15. auf den 18. August erkennen. Der deutsche Erfolg führte zu weiterer Verschiebung aus den 20. August. Aber auch das wurde bei Wiederholung des Unternehmens am 18. August durch Beutestücke bekannt. Das französische Artilleriefeuer — nach dem 18. August zu Trommel¬ feuer ansteigend — ging weiter. Tag für Tag in unverminderter Stärke
anhaltend, verbunden mit Vergasung der Schluchten und Täler sowie Fernfeuer auf rückwärtige Lager und Ortschaften, hatte es allen Anlagen, besonders dem vorderen Stellungssystem, stark zugesetzt. Das von tage¬ langem Regen ausgeweichte Erdreich war in grundloses Trichterfeld ver¬ wandelt. Unterstände waren verschüttet, die Verbindungswege nach rück-
18. August.
104 18. bis 20.
Arrgrrst.
Der Krieg im Westen. Verdun.
wärts einschließlich der Brücken über den Forges-Bach zerstört. Besonders
schwer lag das Feuer auf dem Abschnitt der 6. Reserve-Division in der Gegend der großen Tunnels unter dem Toten Mann, wo bei zunehmender Ansammlung von Verwundeten und Gaskranken das Äußerste getan werden mußte, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Trotz schwerster Verluste versahen die Posten der vorderen Linie, zum Teil tagelang ohne warme Verpflegung und fast dauernd in verschlammten Trichtern dem
feindlichen Artilleriefeuer1) ausgesetzt, ihren Dienst. Die deutsche Artillerie antwortete mit Vernichtungsfeuer auf alle Bereitstellungsräume, Truppen¬ ansammlungen und wichtige Punkte des Hintergeländes. Deutsche Flieger belegten rückwärtige Anlagen des Feindes mit schweren Bomben. Die Reserven der Heeresgruppe wurden näher an die Front gezogen
und Teile der Eingreif-Divisionen zur Stützung der durch Verluste ge¬
schwächten Stellungs-Divisionen3) eingesetzt. Die letzten Verstärkungs¬ Batterien trafen ein; sie hatten allerdings bis zum Angriffsbeginn nicht Zeit, sich ausreichend einzurichten. Bis zum 20. August waren rund 1100 Geschütze in dem vom Angriff bedrohten Raum eingesetzt. Die
Überweisung zusätzlicher Fliegerverbände war erst spät erfolgt, die Ge¬
samtzahl dadurch auf 16 Flieger-Abteilungen sowie fünf Jagd-, sechs Kampf- und sechs Schutzstaffeln gebracht. 20. August.
Am 20. August um 5° vormittags begannen beiderseits der Maas die
französischen Angriffe, zu denen acht Divisionen mit 30 Infanterie-Regi¬ mentern gegen reichlich sechs deutsche Divisionen mit nur 19 Regimentern
angesetzt waren. 2150 Geschütze, also fast doppelte Übermacht3), hatten den Angriff vorbereitet. Bei der Maasgruppe West wurde die deutsche Linie dicht westlich der Höhe 304 bis zum „Termitenhügel" (Punkt 287
südlich von Malancourt) eingedrückt. Östlich davon drang der Gegner in den „Heckengrund" (Schlucht südlich von Böthincourt) ein und versuchte von hier aus, die Höhe 304 zu umgehen, auf der die 213. Infanteriel) Vom 17. bis 27. Aug. verschoß der Gegner mehr als 1 Million schwere Granaten
(franz. amtl. Werk V, 2, S. 826). *) Gliederung am Angriffstage: Maas-West: Maas-Ost:
Gen. Kdo. VII. A. K., Gen. d. Inf. von Franxois mit 2. L. D., 206., 213. g. D., 6. R. D., dahinter 29. I. D., 48. R. D. Gen. Kdo. V. R. K., Genlt. von Garnier mit 28., 23. R. D., 228.,
28. I. D.; dahinter 80., 46. R. D. Gruppe Daux: Gen. Kdo. z. b. V. 63d., Gen. d. Inf. Ritter von Schoch mit 192., 56. 3. $>., 19. E. D.
») Beil. 29 d.
Der französische Angriff.
105
Division alle Angriffe abweisen konnte. Sofort einsehende Gegenstöße führten zu erbitterten Nahkämpsen, die bis zum Abend anhielten. Wesent¬ lich ernster gestaltete sich die Lage am Toten Mann, wo die im Mai aus dem Osten herangeführte 6. Reserve-Division überrannt wurde. In den Mittag¬ stunden war der Nordhang des Toten Mannes in der Hand des Feindes, der die deutsche Linie nordostwärts bis zum Rabenwald aufrollte. Gleich¬ zeitig drangen Marokkaner von Cumisres aus im Schutze des steil ab¬ fallenden „Hohen Gänserückens" (Hfc de la Cote de l’Oie) längs der Straße nach Forges vor, wo sie an der Höhe 205 von tapfer sich wehrenden Land¬
sturm-Truppen ausgehalten wurden.. Östlich der Maas richtete sich der Hauptstoß gegen die Höhe 344, deren Kuppe und anschließend die Höhe nördlich der Mormont-Ferme schon um 730 vormittags in feindlichem Besitz waren. Die Postierungen auf dem
Tdou-Rüden1) zogen sich nach Samogneux zurück. Hier und am Nordhang der Höhe 344 konnte der Angriff aufgefangen werden; die Lage war aber
schwierig, da unmittelbar hinter der jetzigen Front die vergaste SamogneuxSchlucht jede Verbindung nach rückwärts abschnitt. Südlich von Beau¬ mont geriet der Gegner beim Hinabsteigen in die Fosses-Schlucht in deut¬
sches Sperrfeuer, das ihm schwerste Verluste zufügte. Bis zum Nachmittag hatte er den Westzipfel und weiter östlich die Mitte des Waldes Les Fosses,
den Südteil der „Kegelbahn" (Weg Chambrettes-Ferme—Azannes) sowie den Südrand des Chaume-Waldes erreicht. Gegenstöße verhinderten sein weiteres Vordringen, konnten aber die alte vordere Linie nicht zurück¬ gewinnen. Hartnäckige Handgranatenkämpfe hielten bis zum Abend an. Der Abschnitt vom „Vaux-Kreuz" (unmittelbar nördlich des CaurieresWaldes) bis Bezonvaux wurde nicht angegriffen. Die höheren deutschen Kommandostellen konnten sich über die Er¬ eignisse zunächst nur an der Hand von Lichtsignal- und Fliegermeldungen ein ungefähres Bild machen, da alle Fernsprechkabel zerstört waren. Brieftauben und Meldehunde waren meist gasvergistet, Fernbeobach¬ tungen durch Nebel und Rauch stark behindert. Am 10° vormittags meldete die Gruppe Maas-Ost den Verlust der Höhe 344 und des Geländes östlich davon; südlich von Beaumont und an der Kegelbahn werde noch um den
zweiten Graben gekämpft, ein Durchbruch sei nirgends erfolgt. Inzwischen hatte die 80. Reserve-Division Befehl erhalten, die Höhe 344 wieder zu nehmen, während die 46. Reserve-Division und die weiter zurückliegende 51. Reserve-Division alarmiert waren und, teilweise auf Lastwagen, zum
Einsah bereitstanden. Gleich darauf meldete die Gruppe Maas-West, daß die Angriffe beiderseits der Höhe 304 zum Stehen gebracht seien; im Ab*) Bd. XII, S. 398.
106 20. August.
Der Krieg im Westen. Verdun.
schnitt der 6. Reserve-Division am Toten Mann wäre die Lage anscheinend
kritisch. Das Armee-Oberkommando zog daraufhin alle verfügbaren
Kräfte der Eingreis-Divisionen, soweit sie nicht schon im Kampf standen, hinter dem Forges-Bach zusammen und befahl, diesen Abschnitt unbedingt zu halten. Das Ergebnis aller bisherigen Maßnahmen war erst um 5° nach¬
mittags annähernd zu übersehen: Beiderseits der Höhe 304 hatten die Gegenstöße den feindlichen Ansturm gebrochen, Geländegewinn nach vor¬ wärts war aber nicht erzielt. Am Toten Mann hatten alle Gegenangriffe keine Entlastung bringen können, da sich der Gegner am Nordhang der
Höhe bereits eingenistet hatte. Zur gleichen Zeit waren im Heckengrund geschlossene französische Kolonnen mit berittenenen Offizieren an der Spitze im Anmarsch, sie wurden unter schwersten Verlusten durch Artilleriefeuer zerstreut. Östlich der Maas trafen die eingeleiteten deutschen Gegenstöße bei der Höhe 344 aus wiederholt angreifenden Gegner, so daß sie nicht durchdrangen. Auch die 46. Reserve-Division, die jetzt zwischen Beaumont und der Kegelbahn eingesetzt worden war, kam nicht zu einheitlicher Wir¬ kung; Teile von ihr hatten die Angriffsbefehle zu spät erhalten, andere er¬ litten beim Durchschreiten oder Umgehen der vergasten Schluchten schwere
Verluste durch feindliches Artilleriefeuer, so daß am Nachmittag die Ver¬ bände bei Maas-Ost mehr und mehr durcheinander kamen. Am Abend des 20. August herrschte beim Armee-Oberkommando
der Eindruck, daß der Gegner östlich der Maas über Anfangserfolge nicht hinausgekommen sei. Westlich der Maas dagegen war der Tote Mann ver¬
loren, seine sofortige Wiedernahme kam angesichts des Fehlens frischer Kräfte nicht in Betracht. Die Höhe 304 war durch die Einbrüche westlich und östlich von ihr stark gefährdet. Ihre Räumung wurde erwogen, da das ganze Gelände auch von dem jetzt in Feindeshand befindlichen Talou21. August.
Rücken einzusehen war. Nach neuer Artillerie-Vorbereitung, die während der Nacht zum
21. August die Neuordnung der deutschen Verbände sehr erschwerte, setzte der Gegner am Morgen seine Angriffe fort. Westlich der Maas scheiterten sie an der heldenmütigen Abwehr der neugebildeten Front beiderseits der
Höhe 304, die selbst wiederum nicht frontal angegriffen wurde. Weiter öst¬ lich waren die Angriffe schwächer. Hier standen zwischen Bethincourt und Forges noch deutsche Sicherungen südlich des Forges-Baches, nachdem auch Regnemlle nachts geräumt worden war. Die Reste der 6. Reserve-
Division hatten mit Teilen der 48. Reserve-Division nördlich des Baches die Stellung „Hagen-Süd" bezogen. Weiter südlich wurde erbittert um die Tunnels gekämpft, deren Besatzungen abends zur Übergabe gezwungen wurden. Kritischer gestaltete sich die Lage bei Maas-Ost, wo der Gegner
Ende des Kampfes.
107
den Nordrand von Samogneux, vorübergehend sogar den Grund westlich der Anglemont-Ferrne erreichte. Östlich der Höhe 344 gelang es nur durch
Zusammenfassung aller erreichbaren Kräfte einschließlich Trägertrupps und eiligst nach vorn gezogener Troßmannschaften, einen Durchbruch zu verhindern. Zwischen Beaumont und der Kegelbahn wurde bis zum Abend
erbittert gekämpft. Angesichts der Entwicklung der Lage hatte General von Gallwitz um 1016 vormittags befohlen, auf dem Westufer die Hagen-Süd-Stellung als neue Hauptverteidigungslinie zu besetzen und das Norduser des ForgesBaches mit Vorposten zu halten. Hiermit war jedoch die Heeresgruppe nicht einverstanden,- um 1050 vormittags empfahl sie, das Gelände südlich des Forges-Baches nicht sofort zu räumen, da es „sonst eine verlorene
Schlacht" sei. Dieser Auffassung war auch die Oberste Heeresleitung, die sich nur schwer von der Notwendigkeit der von General von Gallwitz
getroffenen Maßnahme überzeugen ließ. General Ludendorfs willigte schließlich ein, betonte aber, daß für die Truppen der „Eindruck des frei¬ willigen Rückzuges" erhalten bleiben müsse. Nachmittags entschloß sich General von Gallwitz, auch östlich der Maas zwischen Brabant und Beau¬ mont die Hauptverteidigung in die Hagen-Süd-Stellung zurückzuverlegen. Demgegenüber legte General Ludendorss, wie er der Heeresgruppe
drahtete, „großen Wert darauf, daß im jetzigen Augenblick bei Verdun möglichst wenig Gelände aufgegeben wird". So erging um 616 nachmittags der Befehl, östlich der Maas den derzeitigen „vordersten Graben" zu halten. Westlich der Maas begann in der Nacht zum 22. August die Räumung der Höhe 304, deren Besetzung vorgetäuscht blieb. Erst nach neuem starkem Artilleriefeuer besetzte der Gegner am 24. August das südliche User des
Forges-Baches. Damit hatte die dritte große Abwehrschlacht vor Verdun im wesent¬
lichen ihren Abschluß gefunden. Bei Maas-West beruhigte sich die Lage, während der Gegner bei Maas-Ost seinen Großangriff in Einzelvorstößen ausklingen ließ, bei denen es noch lange Zeit hindurch zu schweren Kämpfen kam. Besonders hart war am 26. August das Ringen um Beaumont, das
nach siebenmaligem Besitzwechsel schließlich doch in deutscher Hand blieb. Weiter östlich gewann der Gegner bis über die Straße Beaumont—Ornes Boden; an der Kegelbahn und am Chaume-Wald konnte sich die deutsche
Truppe trotz dauernder Angriffe des Feindes behaupten. Der französische Angriff hatte etwa 14000 Mann Verluste gekostet, davon gegen 6000 Vermißte. Der Gegner will 7500 Gefangene gemacht und 24 Geschütze erbeutet haben. Abermals war vor Verdun trotz gründ-
22. bi» 26.
Augrrft.
108 22. bis 26.
August.
Der Krieg Im Westen. Verdun.
lichster Abwehrvorbereitungen — soweit solche angesichts der Gesamtkräftelage überhaupt möglich waren — ein sehr ernster Rückschlag einge¬ treten. Der Gegner hatte mit dem Angriff am 20. August, den man seit
langem hatte kommen sehen, seine ersten Ziele im wesentlichen erreicht. Die neue Niederlage bedeutete gerade vor Verdun eine starke moralische Schädigung. Die Gründe des Mißerfolges waren im wesentlichen die gleichen wie bei den Rückschlägen des 24. Oktober und 15. November
19161). Man hatte trotz aller, mehrfach vorgebrachter Bedenken«) und trotz des von Oberster Heeresleitung und Heeresgruppe aufgestellten em-
wandfres richtigen Grundsatzes, daß bei drohendem feindlichem Gro߬ angriff taktisch ungünstige Stellungen aufzugeben seien«), diese vor Verdun mit Rücksicht auf die politische und militärische Gesamtlage doch zu halten
versucht. Angesichts des erwarteten Fortganges der feindlichen Angriffe suchte General Ludendorff durch Änderung in der Gliederung und in der Stellenbesehung gegen neue Rückschläge Sicherheit zu schaffen. Die übergroße Breite des Abschnittes der Gruppe Maas-Ost und die Gefahren weiteren französischen Vordringens nach Nordosten veranlaßten dazu, den linken Flügel als „Abschnitt Ornes" unter dem Generalkommando des XI. Armee¬ korps abzutrennen. Oberstleutnant von Pawelsz, bisher bei der 2. Armee,
wurde Generalstabschef der 5. Armee. Bei der Gruppe Maas-Ost wechselten Kommandierender General und Generalstabschef. September.
Auch im September hielten die französischen Teilangriffe östlich der Maas an. Der Gegner hatte den Plan zur Eroberung der Höhen 307/310 nordöstlich von Ornes offenbar noch nicht aufgegeben. Er griff am 8. Sep¬ tember nach kurzer Artillerie-Vorbereitung zwischen Les Fosses und Bezonvaux mit Tanks an und drang bis zum Nordteil des Chaume-Waldes
vor, auch die Höhe des Vaux-Kreuzes ging verloren. Nur durch eiliges Heranführen aller verfügbaren Reserven wurde der Angriff zum Stehen gebracht. Zn den folgenden Tagen wechselten eigene und feindliche An¬
Oktober.
griffe, bis es dem „Abschnitt Ornes" gelang, nach Südwesten mehr und mehr Gelände zu gewinnen. Am 24. September wurde die Höhe des Vaux-Kreuzes zurückerobert, Ende Oktober war auch der Südteil des Chaume-Waldes wieder in deutscher Hand.
Der Gegner schien zu dieser Zeit schwere Artillerie für den Angriff bei Laffaux herausgezogen zu haben, auch Abgaben nach Italien waren wahrscheinlich. Jedenfalls nahm er den Angriff in der Richtung auf Ornes 1) Bd. XI, S. 167 ff. 2) Bd. XI, 6.181 ff., Bd. XII, 6.39. 3) S. 31 u.Bd. XI, 6.500f.
Teilangriffe im Herbst.
m
nicf>t wieder aus. Am 25. November machte er einen letzten Angriff dicht 25.9t»»«mb«. nördlich der Höhe 344, wo die deutsche Truppe mit der Samogneux-
Schlucht im Rücken wieder in sehr schwierige Lage kam. Die Franzosen drangen beiderseits der Höhe nach Norden vor, erreichten sogar den Grund südlich der Anglemont-Ferme und bedrohten damit die Höhe 344 im Rücken. In erbitterten Nahkämpfen wurde der Ansturm ausgehalten. Am Abend aber befahl die Heeresgruppe die Zurücknahme der Front auf die Höhen nördlich der Samogneux-Schlucht mit Vorposten am Hang. Der Gegner fühlte erst am folgenden Tage tastend gegen diese vor. Damit waren die Kämpfe vor Verdun beendet. Westlich der Maas
war die deutsche Front weithin in die Ausgangsstellung des Jahres 1916
zurückgedrückt. Es ragte jetzt aber westlich von Avocourt der Cheppy-Wald in die französische Stellung hinein. Seine Räumung wurde erwogen, aber wegen der Rückwirkung auf den linken Flügel der 3. Armee, insbesondere die Stellung aus dem wichtigen Vauquois-Berge (im Aire-Tal südlich von
Darennes), nicht durchgeführt. Östlich der Maas hatten die Franzosen geringere Erfolge gehabt. Das Ziel, auch hier die Lage vor dem deutschen Angriff von 1916 wiederherzustellen und vor allem durch Gewinnung des
Cötes-Randes bei Ornes die Voraussetzung zu schassen für einen Angriff aus den Bogen von St. Mihiel und in der Richtung auf das Erzbecken von
Briey, war nicht erreicht. Die Gesamttiefe des Einbruches betrug durch¬ schnittlich drei Kilometer. In diesem Raum lagen allerdings wichtige Erd¬ beobachtungen gegen das Festungsgebiet. Der 5. Armee hatten die Kämpfe vom 11. August bis 30. November insgesamt 49000 Mann gekostet.
2. Die Rümpfe der 7. und J. Armee und der Verlust
der Laffaux-Ecke. Beilagen 8 sowie 13,14,15 u. 17 von Dd. XII.
Auch der rechte Flügel der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz hatte »>, Aog-st. schwere Kämpfe zu bestehen. Die durch die Siegfried-Bewegung dort ent¬ standene Linienführung stellte ein Kompromiß zwischen den beiden For¬ derungen dar, die Front zu verkürzen und doch die taktisch besonders wert¬ volle, 1914 ruhmreich erstürmte Hochfläche des Chemin des Dames fest¬ zuhalten. So war eine bis an die Aisne bei Conds scharf vorspringende
Ecke entstanden*). Im Abwehrkampf der Frühjahrsschlacht war die nach Süden gerichtete Front hier bis auf den Chemin des Dames zurückgedrückt *) Bd. XII, S. 121 u. 131.
110
Der Krieg im Westen. Laffaux-Ecke.
Dis August, und auch bei Lafsaux und östlich von Vauxaillon etwas Gelände ein¬
gebüßt worden. Weiter nach Norden war die Siegfried-Stellung noch unberührt. Obgleich die scharf gegen Südwesten und damit am weitesten
gegen Paris vorspringende Lassaux-Ecke französischen Angriff geradezu herausforderte, sollte sie gehalten werden, denn mit dem Ausweichen, das hinter den Oise/Aisne-Kanal führen muhte, wurde auch das Halten der ganzen ostwärts anschließenden Chemin des Dames-Front in Frage ge¬
stellt. Im übrigen hals das Gefühl der durch die Frühjahrsschlacht erneut bestätigten Überlegenheit deutscher Führung und Truppe über entgegen¬ stehende Bedenken hinweg. Rückwärtige Stellungen waren im Bau, das Ausweichen dorthin, „Gudrun"-Bewegung, für alle Fälle vorbereitet*). Ein Grund, das vor¬ dere Stellungssystem auszugeben, konnte aber, wie die Oberste Heeres¬
leitung am 1. Juni ausdrücklich betont hatte, „nur strategischer Natur" sein; Ausgabe der Heeresgruppe bleibe es, ihr „vorderstes Stellungs¬
system auch weiter stärksten Angriffen gegenüber" zu behaupten. Auch am 29. Juni, als ihm Oberst Graf Schulenburg in Kreuznach über die Lage bei der 7. und 5. Armee, insbesondere die Frage einer Zurücknahme der Stellungen vor Verdun westlich der Maas hinter den Forges-Bach sowie des Ausweichens an der Laffaup-Ecke hinter den Ailette-Abschnitt vor¬ trug, war General Ludendorfs gegen jede Aufgabe von Gelände2). An¬ dererseits dachte auch die Heeresgruppe selber an Verbesserung der Stellungen nach vorwärts und verlor ihren alten Plan, das Unternehmen „Blücher"2), nicht aus dem Auge, durch das sie den Gegner bis über die
Aisne zurückzuwerfen hoffte. Die Oberste Heeresleitung lehnte diesen Plan nicht ab, entschied aber angesichts des Mangels an Kräften, daß einstweilen nur noch Teilangrisfe
zur Erreichung einer Dauerstellung*) durchzuführen seien. Da die Fran¬ zosen das gleiche Ziel verfolgten, hielten die Kämpfe vor allem im Bereiche der 7. Armee des Generals der Infanterie von Boehn (Chef des Gene¬ ralstabes Oberst Reinhardt) an. Deutscherseits wurden hier am 8. und 14. Juli südlich von Filain und südöstlich von Courtecon wertvolle Stel¬
lungsverbesserungen erzielt und wichtige Beobachtungsstellen in das AisneTal gewonnen. Ebenso erfolgreich waren Angriffe vom 19. bis 25. Juli
am Winterberg bei Craonne, die fast 1600 Gefangene einbrachten. Auch 1) Bd. XII, S. 553. *) Mitteilung des Obstlt. Bramsch, der damals als Verbindungsoffizier der O. H. L. Oberst Graf Schulenburg begleitete, vom Febr. 1941 nach Tagebuchaufzeichnungen. *) Bd. XI, S. 179 u. 506. «) Bd. XII, S. 390 u. 559.
Deutsche Angriffs-Erwägungen.
111
cm der Front der 1. Armee des Generals der Infanterie Fritz von Below (Chef des Generalstabes Major von Klüber) war südlich von Moronvillers
der Kampf wieder ausgelebt. Nach viertägigem Trommelfeuer drang der Gegner hier am 14. Juli zwischen dem Cornillet- und Pöhlberg in den vorderen deutschen Graben ein. Erst in zahlreichen einzelnen Gegen¬ stößen gelang es bis Ende Juli, die Lage wiederherzustellen und darüber
hinaus wichtige Stellungen auf der Bergkette zu gewinnen. Der Wunsch der Heeresgruppe, zum mindesten im Raume der 7. Ar¬ mee das ganze in der Frühjahrsschlacht verlorene Gelände zurückzu¬ erobern, hatte sie bereits am 28. Juni veranlaßt, in einem Bericht an die
Oberste Heeresleitung nochmals darzulegen: „Der Angriff bis zur Aisne ist ein bedeutendes Ziel mit einem vielleicht großen Schlachterfolg. Stehen die Mittel hierfür zur Zeit nicht zur Verfügung, so ist es doch wünschenswert, sich durch die Großkampfstellung auf dem Chemin des Dames seine spätere Ausführung offen zu lassen." An dieser Auffassung änderte sich auch nichts, als von Juli an die Ereignisse im Osten, vor allem aber der beginnende
Großkampf in Flandern, allerstrengstes Haushalten mit den Kräften auf¬ zwangen. Denn vom Zurückweichen des Gegners über die Aisne erhoffte die Heeresgruppe auf die Dauer eine Ersparnis an Kräften. So trat sie
Anfang August nochmals für den „Blücher"-Angriff ein, wobei sie große Hoffnungen auf ein neues Gas1) setzte; im übrigen würden Angriffe „mehr zur Hebung der Stimmung beitragen, als alle anderen Mittel es ver¬
mögen". Die Oberste Heeresleitung war, wie sie am 13. August schrieb, mit dieser Auffassung und der geplanten Vorbereitung von Angriffen ein¬ verstanden; deren Ausführung hänge allerdings von der Gesamtlage, dem Kräfteverbrauch und der Munitionslage ab: „Gestatten diese drei Faktoren, im Lause des Jahres 1917 noch einem Angriff auf der Westseite näherzu¬ treten, so wird das unbedingt geschehen." In den damit gezogenen Grenzen begann im Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung die Heeres¬
gruppe mit Vorbereitungen für „Blücher". Inzwischen hatte auf französischer Seite die Heeresgruppe Nord befohlen, die Deutschen „endgültig vom Chemin des Dames zu vertreiben"
und die „Laffaux-Ecke zu beseitigen". Nach stärkstem Trommelfeuer zwischen Vauxaillon und Craonne waren am 29. Juli französische Sturmtruppen gegen zahlreiche Stellen der 7. Armee vorgestoßen, aber überall an der
hartnäckigen deutschen Gegenwehr gescheitert. Im Gegenstoß konnte die l3. Infanterie-Division am 31. Juli sogar den gesamten Bovelle-Rücken zwischen Cerny und Stilles erobern. Am 1. August suchte der Gegner, l) 6.29 f.
HÄHSiS
112
Der Krieg im Westen. Laffaux-Ecke.
angofi -nd j>ic|cn deutschen Erfolg wieder wett zu machen, wurde jedoch in erbitterten S«pt«mb»r. ^Eämpsen abgewiesen. Daraufhin änderte er seine Taktik. Er belegte die gesamte deutsche Linie zwischen Vauxaillon und Craonne täglich mit
stärkstem Artillerieseuer, vergaste das Hintergelände und griff immer wieder an anderen Stellen der breiten Front an, um diese langsam zu zermürben.
Damit erreichte er am ZI. August dicht westlich der Hurtebise Fe. stellen¬ weise den steilen Nordhang des hier sehr schmalen Höhenrückens des Chemin des Dames. Mit dieser Lage mutzte man sich deutscherseits abfinden, da die unterdessen vor Verdun entbrannten Abwehrkämpfe *) auch von der 7. Armee Abgaben an Infanterie, schwerer Artillerie und Fliegerver-
bänden forderten. Die Kämpfe der Monate Juli und August hatten ihr 23000 Mann Verluste gekostet, aber auch 7000 Gefangene eingebracht. Das starke feindliche Artillerieseuer hielt weiterhin an und lieh in
Verbindung mit dichter Lustsperre über der gesamten Laffaux-Ecke auf Angriffsabsichten gegen diese schließen. Die 7. Armee ergänzte die AbWehrvorbereitungen bei den Gruppen Cr6py und Vailly, die sich in die Verteidigung der Laffaux-Ecke teilten. Von letzterer lieh sie seit Mitte September ein Unternehmen „Herbstlese" vorbereiten, das deren linkem, gerade noch am Nordabfall der Hochfläche hängendem Flügel auf einer Breite von vier Kilometern größere Tiefe und Stärke geben, dabei zugleich
die feindlichen Angriffsarbeiten stören sollte. Die Ausführung wurde für Mitte Oktober in Aussicht genommen. Feindliche Angriffe mit beschränktem Ziele schienen auch an anderen
Abschnitten der Heeresgruppen-Front bevorzustehen.
Allmählich war
aber bei der 7. Armee kein Zweifel mehr darüber, daß ein Großangriff
gegen die Laffaux-Ecke gerichtet sein würde. Sie glaubte dabei, „ein mit jedem weiteren Vorbereitungstag wahrscheinlicher werdendes größeres Ziel des Gegners" zu erkennen, nämlich die Wegnahme der ganzen südlich vom Oise/Aisne-Kanal gelegenen vorspringenden Ecke der Armeefront. Bei der Obersten Heeresleitung begann man zu zweifeln, ob diese Ecke gegen einen gut vorbereiteten Angriff zu halten sei. Ihrem Verbin¬ dungsoffizier gegenüber urteilte aber Oberst Reinhardt am 21. September sehr zuversichtlich; er sagte, „daß man einem Angriff nicht dauernd aus¬ weichen könne und daß einmal das Stellen und Ausringen nötig sei"; die für die Abwehr zugewiesenen Kräfte hielt er für ausreichend^). Am 29. Sep¬ tember begab sich General Ludendorff zum Armee-Oberkommando 7. Dort sollte in Gegenwart des Obersten Grasen Schulenburg unter anderem
die Frage des Ausweichens geprüft werden. Da aber auch diesmal vor i) S. 104 ff. *) Mitteilung des Obstlt. Bramsch vom Febr. 1941.
113
Zn Erwartung des französischen Angriffs.
allem Oberst Reinhardt mit großer Bestimmtheit für Halten der Stellung eintrat, verzichtete General Ludendorff auf einen Eingriff durch Befehls. Am 10. Oktober verzeichnete die Heeresgruppe noch „Angriffsänzeichen bei allen Armeen", entschied aber am 11. Oktober auf einen Antrag der 3. Armee, die besonders in der Gegend des Py- und Dormoife-Tales Angriffe erwartete: „Angesichts der erheblichen Abgaben aller Art an die Flandernfront ist es nicht möglich, alle zur Zeit im Bereich der Heeresgmppe bedrohten Fronten gleichmäßig zu stärken. Es bleibt nur die Mög¬ lichkeit, die Front auf Kosten der übrigen in vollem Umfange abwehrbereit
zu machen, gegen die sich ein Angriff wahrscheinlich zuerst richten wird." Gemeint war die Front der 7. Armee. Sie war nunmehr „auf Abwehr zu
stellen". Die Möglichkeit des Ausweichend vor dem drohenden Angriff wurde — soweit bekannt — nicht mehr erörtert.
Die Laffaux-Ecke bot, abgesehen von der Gefahr der Umfassung, da¬
durch besondere Schwierigkeiten für die Verteidigung, daß sie nach rück¬ wärts durch den etwa 100 Meter tiefer gelegenen Grund der Ailette be¬
grenzt wird, die auf der ganzen Strecke vom Oise/Aisne-Kanal begleitet ist, bis er östlich von Filain in einem Tunnel den Chemin des Dames unter¬ fährt. Damit war der Verkehr von rückwärts zu den Kampfstellungen in ganz ungewöhnlicher Weise erschwert und konnte — trotz zahlreich ein¬ gebauter Übergänge über beide Wasserläufe — bei starkem Artillerie¬
beschuß, vor allem bei solchem mit Gasmunition, vielleicht ganz in Frage gestellt werden. Dabei mußte von Pmon bis gegen Pargny die Masse der Artillerie auf verhältnismäßig engem Raum im Waldgelände südlich des Kanals stehen, da aus Stellungen nördlich von ihm nur die äußersten *) Über den Verlauf der Besprechung gehen die Angaben auseinander. Aufzeich¬ nungen aus damaliger Zeit fehlen. Gen. Ludendorfs schrieb nach dem Kriege (Erinnerungen S. 392): Die 7. Armee „wollte trotz Abratens in sicherer Erwartung eines Erfolges jenen Bogen halten und traf ihre Maßnahmen mit nie versagender Sorgfalt. Die O. H. L. hätte trotzdem das Raumen
des Bogens befehlen müssen". Nach Mitteilungen des Gen.Wehell vom März 1940, Jan.u.Febr. 1941 hat Gen.
Ludendorff eingangs darauf hingewiesen, daß die O. H. L. „keineswegs auf dem unbedingten Halten der Stellung bestände, sondern auch eine rechtzeitige Räumung der Stellung vor Seiner Majestät verantworten würde"; ein Rückschlag wie bei Verdun müsse unbedingt ver¬ mieden werden. Oberst Reinhardt sei es aber durch geschickten und überzeugenden Vortrag
gelungen, Gen. Ludendorff umzustimmen. Dem stehen Mitteilungen des damaligen Ersten Genst. Off. des A. O. K. 7, Gen. Feldm. von Blomberg vom Dez. 1940 und Febr. 1941 gegenüber, nach denen Gen. Luden¬ dorff die Frage des Ausweichend damals nur „berührt — berührt, nicht mehr —" habe.
Ebenso schrieb Oberst Hassenstein, damals Genst.Chef der Gruppe Vailly, im Jan. 1941, die Frage des Ausweichens sei „nur gestreift" worden. Weltkrieg. XIII. Bd.
8
114
Der Krieg im Westen. Laffaux-Ecke.
ll. oftober. Schußweiten noch vor die Front reichten. Für den Nachschub aber ergaben
sich weitere Schwierigkeiten und Reibungen dadurch, daß die den Gruppen und Divisionen zugewiesenen rückwärtigen Streifen aus der vorspringenden
Ecke heraus nicht rechtwinklig zur Front verlausen konnten, sondern nordostwärts schräg geführt werden mußten. Eine weitere Ungunst der Ver¬ hältnisse bestand darin, daß die Infanterie-Stellungen größtenteils nur ungenügendes oder gar kein Vorfeld hatten. Sie lagen teils auf, teils hinter dem Kamm der in ihrem oberen Teile flach gewölbten Höhen, gewährten aber in die finget- und fächerartig von der Aisne-Niederung zu ihnen herausführenden Täler nur unzureichenden Einblick. Auch die Artillerie-
Unterstützung war daher schwierig. Im übrigen befanden sich die Stel¬ lungen aus Mangel an Arbeitskräften sowie durch starken feindlichen Be¬ schuß und Herbstregen in wenig günstigem Zustande; in einzelnen Teilen gab es überhaupt nur Trichterfeld mit Fuchslöchern. Es fehlte an Unter¬
ständen und Stollen; die zahlreichen unterirdischen Steinbrüche der Gegend dienten als Ersah; ihre Belegungsfähigkeit war festgestellt, Lüstungs- und Beleuchtungsanlagen geschaffen und Vorräte an Munition wie Ver¬
pflegung in ihnen niedergelegt. Hinter der am weitesten gegen Laffaux vorspringenden Ecke war südwestlich an Pinon und Vaudesson vorbei-
führend der „Pinon-Riegel" noch unfertig, ebenso hinter dem Oise/AisneKanal die „Kanalstellung". Etwaiges Ausweichen in diese Stellung war als Teil der Gudrun-Bewegung vorbereitet. Am 11. Oktober und in den nächstfolgenden Tagen wurde die rechte
Flügeldivision der Gruppe Vailly durch die 13. Infanterie-Division abgelöst, links neben ihr im Raume von Malmaison die 2. Garde-Infanterie-Division neu eingeschoben. Künftig standen an der vermutlichen Angriffsfront von der
Eisenbahn Anizy-Vauxaillon bis zum Kanal-Tunnel östlich von Filain bei der Gruppe Cröpy (Generalkommando des VIII. Neservekorps unter General der Infanterie Wichura) der linke Flügel der 37. und die 14. In¬ fanterie-Division, dahinter — vom 15. Oktober an eintreffend — die
52. Infanterie-Division; Gruppe Vailly (Generalkommando z.b.V.54 unter General¬ leutnant Max von Müller) die 13. Infanterie-, 2. und 5. Garde-Infanterie-Division und der rechte Flügel der 47. Reserve-Division, dahinter die 43. Reserve-Division, sowie — in der Hauptsache zur Stützung der links anschließenden Gruppe Liesse bestimmt — die 9. Infanterie-Division.
Die Stellungs-Divisionen hatten eine Frontbreite von durchschnittlich drei Kilometern in der Luftlinie. Da die Ruhebataillone, um außerhalb des
feindlichen Feuerbereichs zu liegen, weit zurückgenommen werden mußten, wurden als Rückhalt für die Stellungsbesahung starke Teile der rück-
115
gn Erwartung des französischen Angriffs.
wältigen Eingreif - Divisionen, im ganzen 18 Bataillone, teilweise bis über
den Ailette-Grund nach vorn geschoben. Die Artillerie wurde um 36 Batterien verstärkt, so daß schließlich, Ausfälle ungerechnet, rund 580 deutsche Geschütze, davon 225 schwere und schwerste, zur Abwehr bereitstanden. Damit war zwar etwas geholfen, aber die gewaltige zahlenmäßige Überlegenheit des Feindes*) in keiner Weise ausgeglichen. Von der Gesamtzahl standen etwa 220 Geschütze, vor allem bei der 14. und 13. Infanterie-Division, in geringerem Umfange auch bei der 2. Garde-Insanterie-Division, südlich von Kanal und Ailette und litten unter den damit verbundenen Schwierigkeiten des Nachschubs. Neu herankommende Batterien?) wurden nördlich der Ailette in einem
zweiten Artillerie-Treffen eingesetzt. Recht ungünstig war auch das Stärkeverhältnis in der Luft. Am 15. September hatte die 7. Armee mit 168 Flugzeugen gegen 300 feind¬
liche gerechnet. Sie drängte seitdem immer wieder auf Verstärkung der Luftstreitkräfte. Die Heeresgruppe half, soweit sie konnte, begann damit aber doch erst gegen Mitte Oktober, da sie vorher mit Angriffen auch an anderen Frontteilen rechnete und ihre Mittel angesichts der Schlacht in
Flandern aufs äußerste beschränkt waren. Die Verstärkungen kamen daher für die Feit des Artilleriekampfes größtenteils zu spät und waren, als der französische Angriff einsetzte, über Gelände- und Kampfverhältnisse nicht ausreichend unterrichtet. Immerhin war die 7. Armee bis zum Be¬ ginn dieses Angriffs im ganzen um 17 Flugzeug-Staffeln, darunter vier Kampfstaffeln, verstärkt worden und verfügte damit über mehr als 200 Flug¬ zeuge. Darüber hinaus erbat sie von den Nachbarn, der 2. und 1. Armee,
Unterstützung durch Jagdflieger aus ihren Flügeln. Der französische Angrifssplan. Auf französischer Seite hatte man sich schon seit den Frühjahrskämpfen 3m» w8 g»u.
mit dem Gedanken beschäftigt, die Laffaux-Ecke wegzunehmen, die für
einen Angriff mit beschränktem Ziel besonders günstige Verhältnisse bot. Das Unternehmen hatte bereits Mitte Juni stattfinden sollen, war aber wegen des damaligen Zustandes des Heeres zurückgestellt worden. Am 18. Juli hatte der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Nord, General
Franchet d'Esperey, der Heeresleitung gemeldet, die Vorbereitungen könnten bis Ende August abgeschlossen sein. Die Teilunternehmungen des 29. Juli2) galten unter anderem der Gewinnung geeigneter Ausl) 6.117. l) Diese Batterien sind in den oben angeführten 580 Geschützen enthalten. •) 6.111. 8*
116
Der Krieg im Westen. Laffaux-Ecke.
gangsstellungen. Der Zeitpunkt Ende August Uetz sich aber nicht inne¬ halten, da General Petain eine solche Überlegenheit an Artillerie ein¬
gesetzt wissen wollte, datz die noch unter den Nachwirkungen der Frühjahrsniederlage leidende Infanterie keinesfalls eine Enttäuschung erlebe. Der Einsatz einer ungeheueren Munitionsmenge sollte die artilleristische Übermacht noch verstärken. Die Infanterie wurde an Übungswerken für
ihre Ausgabe eingehend vorgebildet. nb«r.
Am 15. September gab der Oberbefehlshaber der französischen 6. Armee, General Mangin, den grundlegenden Befehl für die „Eroberung der Hochfläche des ehemaligen Forts Malmaison bis an den Futz ihrer Nordhänge", um l.nach Osten hin das Ailette-Tal und die deutschen Stellungen aus dem Chemin des Dames wirksam aus der Flanke zu fassen, 2. dem Feind den Einblick in das Aisne-Tal zu verwehren, 3. das feindliche Batterienest in der Gegend von Daudesson—Ehavignon wegzunehmen und die deutsche Artillerie aus das Norduser der Ailette zurückzudrängen. Für die Artillerie-Vorbereitung wurden vier Tage angesetzt; Die Ziel¬
verteilung sah Umfassung des Angriffsabschnitts, dabei Längsbestreichung, zum Teil sogar Rückenfeuer gegen die deutschen Gräben vor. Dement¬ sprechend war die Aufstellung der Artillerie ohne Rücksicht aus Korpsgrenzen zu regeln. Die Heeresgruppe bereitete die Ausbeutung des er¬
hofften Erfolges durch Fortsetzung des Angriffs „nach einer Frist von etlichen Tagen" vor.
Unterdessen versuchte der englische Oberbefehlshaber zur Entlastung seiner Offensive in Flandern baldigsten Angrifssbeginn zu erreichen, mindestens vier nach seinen Nachrichten um Laon liegende deutsche Divi¬
sionen wollte er dadurch gebunden wissen. Nach mehrfachen Änderungen dauerte aber das Eintreffen der schweren Artillerie bis zum 23. Sep¬ tember, und auch dann wurde ihr noch eine Woche Ruhe zugebilligt. General Franchet d'Esperey meldete, datz die 6. Armee nicht vor dem
10. Oktober angriffsbereit sei. Um den englischen Wünschen trotzdem bi» 7. entgegenzukommen, fand am 6. und 7. Oktober eine „Artillerie-Aktion' !tob”- von rund 48 Stunden gegen einen Teil des Westfront der Gruppe Cwpy
statt. Aus dem Verhalten der deutschen Stellungsbesatzungen bei dieser
Gelegenheit schlotz die französische Führung, datz freiwilliges Ausweichen des Gegners aus dem gefährdeten Stellungsvorsprung — das sie bis
dahin immerhin für möglich gehalten hatte — nicht zu erwarten sei. Die
6. Armee rechnete sogar mit der Möglichkeit, datz ihre Angrisssvorbereitungen durch deutschen Gegenangriff gestört würden. ftob«.
Am 11. Oktober begann das vorsichtige Einschietzen der Berstärkungs-
batterien, wobei ein neues Verfahren „glänzende Ergebnisse zu liefern
Französische Angriffsvorbereitungen.
117
schien'"). Am 17. folgte bei gutem Wetter und gleichzeitigem Flieger¬ angriff auf die deutschen Fesselballone das Wirkungsschießen von rund 1790 Geschützen; das war das Dreifache der gegenüberstehenden deutschen
17. und IS. Oktober.
Artillerie. Durchschnittlich standen mehr als 180 Geschütze aus je einen Kilo¬ meter Frontbreite. Abgesehen von dem üblichen Zerstörungsschietzen be¬ gann man vom ersten Tage an mit gründlicher Vergasung des AiletteGrundes. Da vom 18. Oktober ab mit Ausnahme weniger Stunden viel
Nebel herrschte, verlängerte die Heeresgruppe die Artillerievorbereitung um einen Tag. Die anfangs beachtliche deutsche Gegenwirkung hielt nur im Ostteil der Angriffsfront an.
Schon am 18. Oktober wurden vor¬
geschobene deutsche Stellungsteile unbesetzt gefunden. Trotzdem zweifelte man, ob die Feuerwirkung genüge, und verlängerte am 21. Oktober die
Dorbereitungszeit um einen weiteren, sechsten Tag. Der Sturm wurde auf den 23. Oktober früh festgesetzt.
Der Verlauf des Kampfes. Anfangs hatte sich die deutsche Artillerie kräftig gegen die umfassend wirkende dreifache französische Übermacht gewehrt. Ihre Lage wurde aber von Tag zu Tag schlechter, vor allem bei den Batterien südlich des Ailette-
Erundes, da Munitionsnachschub und Geräteersatz durch die vergaste Niederung bald ganz aufhörten. Man begann Teile dieser Artillerie hinter den Abschnitt in das zweite Treffen zurückzunehmen, konnte das aber vom 19. Oktober ab wegen der Vergasung bereits nicht mehr durchführen, deren Wirkung durch Nebel und Windstille noch verstärkt wurde. Die gesamte Stellungsbesatzung südlich der Ailette war schließlich so gut wie abgeriegelt. Bei der 14. Infanterie-Division der Gruppe Crepy sowie bei der 13. In¬ fanterie- und 2. Garde-Insanterie-Division der Gruppe Vailly wurden
IS. Oktober.
die Stellungen rasch in Trichterfelder verwandelt, Stollen, Höhlen und viele Befehlsstellen eingedrückt. Immer wieder stellten französische Tief¬ flieger fest, wo noch Leben in den Trichtern oder noch ein Stollen erhalten war, und leiteten dorthin das Artilleriefeuer. Besonders schwer war die
Wirkung an der Naht zwischen der 13. Infanterie- und 2. Garde-Insanterie-Division; schon in der Nacht zum 21. Oktober stellte letztere dort eine Lücke von 800 Metern in der vorderen Linie fest, deren Schließung nicht mehr gelang. Die am Nande des Angriffsfeldes liegende 5. Garde-In-
fanterie-Division litt weniger. Die für diese Tage angesetzte Durchfüh¬ rung des ünternehmens „Herbstlese" erwies sich aber als nicht möglich. *) Franz. amtl. Werk, V, 2, S. 1015s. — Anscheinend ein abgekürztes Einschiehen durch
vorheriges Ausschalten der Witterungs- und sonstigen Einflüsse.
21. und 22. Oktober.
118 21. und 22. Oktober.
Der Krieg im Westen. Laffaux-Ecke.
Die Lage wurde immer unerträglicher. Die in unterirdischen Räumen
bereitliegenden Vorräte wurden durch feindliche Treffer, herabstürzende Erdmassen und Gas unbrauchbar. Viele Kompanien und Batterien blieben tagelang ohne warme Kost; über Durst wurde überall geklagt. Zahlreiche Verwundete und Gaskranke beengten die Kämpfer in den
wenigen noch erhaltenen Unterständen und Befehlsstellen. Ihre Anwesen¬ heit drückte auf die Stimmung der tagelang bei aufgesetzter Gasmaske
durch Sicherungsdienst und Aufräumungsarbeiten zermürbten Truppe. Nimmt man den damals schon allgemeinen Mangel an erfahrenen Unter¬
führern, die geringe Mannschaftsstärke der Einheiten, die ordnungsmäßige Ablösung nicht gestattete, und die Verluste durch Beschießung und feucht¬ kaltes Oktoberwetter hinzu, so gewinnt man eine Vorstellung von dem, was die Verteidiger der Laffaux-Ecke in diesen Tagen durchzumachen hatten.
Eine härtere Probe für die Widerstandskraft einer Truppe läßt sich kaum denken. Heeresgruppe und Armee waren sich des Ernstes der Lage voll be¬ wußt. Vor allem die letztere rechnete aber immer noch auf die Wider¬
standskraft der vorne stehenden, anerkannt guten Divisionen, wie auf die Wirksamkeit der mit größter Sorgfalt getroffenen Abwehrvorbereitungen. Ihre Zuversicht ging so weit, daß sie am 20. Oktober, nach Eintreffen einiger Verstärkung an Fliegern, glaubte, im eigenen Luftraum bereits die
Überlegenheit über den Gegner zurückgewonnen zu haben. Der für den 25. Oktober 645 morgens angesetzte französische Infanterie-
Angriff sollte zwischen der Eisenbahn Anizy—Vauxaillon und Roysre in etwa zehn Kilometer Breite und in zwei bis drei zeitlich aufeinander¬ folgenden Abschnitten bis zum Nordrand des Höhenzuges vorstoßen, der durch die Dörfer Pinon, Chavignon, Pargny und Filain begrenzt wird. Nach eintägiger Pause sollte der Angriff erst am 25. Oktober bis an die
Ailette fortgesetzt werden. Nach der Verteilung der Angriffskräfte lag der Schwerpunkt auf einem tiefen Durchstoß über die Linie Vaurains—Fort Malmaison aus Chavignon. Hinter sechs Divisionen und zwei Regimentern von Nachbardivisionen in vorderer Linie waren weitere sechs Divisionen zum Ablösen und zum Halten des Gewonnenen bereitgestellt. Diesen Kräften standen im angegriffenen Raume auf deutscher Seite drei und eine
halbe Stellungs-Division gegenüber, dahinter zwei durch Abgaben weit¬ gehend geschwächte Eingreif-Divisionen, denn die noch zurückgehaltenen Teile der 9. Infanterie-Division gehörten der Gruppe Liesse. Gegen die 1790 umfassend wirkenden französischen Geschütze feuerten nach den Aus¬ fällen der Vortage nur noch etwa 400 deutsche, von denen mehr als 200
Verlauf des Kampfes.
119
südlich der Stilette, auf engem Raume zusammengedrängt und ohne aus¬
reichende Munition, schon stark gelitten hatten. In Stellungen und Hinter¬ gelände bis einschließlich der Stilette- und Kanalbrücken hatte das feind¬ liche Artilleriefeuer — wie französifcherseits berichtet roirt)1) — Zerstö¬
rungen in einem „bis dahin unbekannten" Umfange angerichtet; „das Leben hinter der deutschen Front war lahmgelegt"; es war „eine Artillerievor¬ bereitung, die als Vorbild dieser Art" anzusehen war.
In den Abendstunden des 22. Oktober ließ der Beschuß erheblich nach, von Mitternacht an steigerte er sich zu höchster Stärke. Deutscherseits war für 630 früh am 23. Oktober Vernichtungsfeuer befohlen, nachdem der 23. cttob«.
beim Feinde für den Angriff befohlene Zeitpunkt tagszuvor durch Ge¬ fangene mitgeteilt worden war. Dieses Feuer kam aber, soweit bekannt,
nicht zur Wirkung, denn die Franzosen hatten angesichts der Möglichkeit, daß der Sturmbeginn verraten sei, diesen noch rechtzeitig um 30 Minuten
vorverlegt. Hinter einer Feuerwalze, die zum Beispiel bei der auf Allemant an¬ greifenden Division 16 Schuß in der Minute auf 100 Meter der deutschen Front legte und in Sprüngen von 50 Metern bis 6 55 morgens vorwärts¬
rollte, folgten die Sturmwellen. Sie fanden Grabenbesatzung wie Sto߬ reserven meist niedergekämpft. Die deutsche Artillerie südlich der Stilette blieb infolge von Verlusten, Munitionsknappheit, Zerstörung aller Nach¬ richtenmittel und mangelnder Beobachtungsmöglichkeiten fast ohne Wir¬ kung. Die Artillerie des zweiten Treffens konnte nur durch vorgesandte Offiziere Klarheit gewinnen und erst dann das Feuer aufnehmen. Der Verlauf der Ereignisse im einzelnen ist nicht mehr zu klären. Durch
die feindliche Feuerwalze und über den vergasten Ailette-Grund hinweg gelangten zu den deutschen Kommandostellen nur wenige mündliche und verspätete Meldungen körperlich erschöpfter und seelisch tieferregter Män¬ ner. Dem entsprach der Inhalt ihrer Nachrichten, die immer nur einen
ganz geringen Ausschnitt umfaßten und die Lage aussichtslos erscheinen ließen. Von den Bravsten, die vorne, obwohl schon umgangen, noch zähe ihr Grabenstück oder Maschinengewehrnest verteidigten, gelangte keine Kunde mehr nach rückwärts. Daß tatsächlich von Infanterie und Artil¬ lerie stundenlang zäher Widerstand geleistet worden ist, geht nicht nur aus den Aussagen Überlebender, sondern auch aus Schilderungen von feindlicher Seite hervor. Nach dem französischen amtlichen Werk ist der letzte deutsche Widerstand in Allemant (14. Infanterie-Division) erst um 12° mittags niedergekämpft worden, und auch nördlich davon haben die hinteren französischen Angriffswellen noch Arbeit genug mit deutschen >) Franz. amtl. Werk, V, 2, S. 1019s.
120
Der Ärieg im Westen. Laffaux-Ecke.
23. o«eb«r. Maschinengewehren gehabt. An der Straße Soissons—Chavignon (13. In¬
fanterie-Division) kam es auch nach Einsatz französischer Unterstühungsbataillone noch zu sehr hartem Kamps; erst eine Stunde nach Angriffs¬ beginn konnte sie überschritten werden. Westlich vom Fort Malmaison (2. Garde-Insanterie-Division) wurden die Sturmtruppen durch heftiges Maschinengewehrfeuer niedergehalten; eine bei Malmaison feuernde deut¬ sche Artillerie-Abteilung muhte im „Kampf Mann gegen Mann" ge¬ nommen werden. Erst um 2° nachmittags war Chavignon in französischer
Hand, aber ein deutscher Gegenstoß gewann den Nordostteil vorüber¬ gehend zurück. Gegen die 5. Garde-Infanterie-Division wurden nur ganz
geringe Erfolge erzielt. Mittags hatte das Armee-Oberkommando die Lage folgender¬ maßen beurteilt: Nach Verlust von Allemant, Daudesson, Chavignon und Malmaison gelte es zunächst, unter Festhalten des Pinon-Riegels Cha¬ vignon wiederzunehmen und dort, sowie bei Malmaison, einen Riegel zu bilden; zugleich aber müsse mit Zurücknahme der Artillerie aus dem PinonWald begonnen werden. Um 1“ mittags wurden der Gruppe Crepy die 52. Infanterie - Division, im ganzen noch vier Bataillone, zur Ver¬ fügung gestellt, um 2° ebenso der Gruppe Vailly die Reste der 43. Reserveund 9. Infanterie-Division, davon aber nur erstere (zwei Bataillone) in erreichbarer Nähe. Teile der rückwärts von Laon liegenden 6. bayerischen Reserve- und 6. Infanterie-Division wurden nach Laon und Pierrepont
(12 Kilometer nordöstlich von Laon) vorbefohlen. Das Heranziehen einer weiteren Division von der 1. Armee durch Fußmarsch war angeordnet. Von 2° nachmittags an beobachteten dann Flieger an den verschiedensten
Stellen, daß die Franzosen sich eingruben; sie schienen ihre Ziele erreicht zu haben. Inzwischen hatte bei der Gruppe Crepy die 14. Infanterie-Division im Anschluß an ihren noch in der alten Stellung haltenden rechten Flügel eine durchlaufende Linie längs des Pinon-Riegels gebildet. Die fran¬ zösische Infanterie drängte nicht weiter. Um 345 nachmittags befahl die Gruppe, sämtliche noch südlich des Kanals stehenden Batterien zurück¬ zunehmen. Bei der Gruppe Vailly hatte sich die Lage ungünstiger entwickelt. Der beherrschende, von den Trümmern des alten Forts Mal¬
maison gekrönte Teil der Hochfläche war das Ziel des stärksten feindlichen Artilleriefeuers gewesen. In dieser Gegend, am linken Flügel der 13. In¬ fanterie-Division und anscheinend auch in Teilabschnitten der 2. GardeInfanterie-Division, war die vordere Linie schließlich gar nicht oder kaum
noch beseht gewesen. Hier war der Haupteinbruch des Gegners erfolgt. Heit er mittags Chavignon erreicht hatte, befanden sich die vorne noch
Verlauf des Kampfes.
121
haltenden Teile in hoffnungsloser Lage. Kampfkräftige Reserven waren nicht zur Hand. Immerhin gelang es, wie schon erwähnt, gegen Abend, in Chavignon vorübergehend wieder Fuß zu fassen. Am wenigsten war die 5. Garde-Insanterie-Division getroffen, von der nur etwa die rechte
Hälfte angegriffen worden war.
Ihre durchweg nördlich des Kanals
stehende Artillerie hatte nicht allzusehr gelitten, und auch die seinerzeit für „Herbstlese" in der vorderen Stellung eingebauten zahlreichen Minenwerser waren zur Geltung gekommen. So gelang es, den größten Teil der Stellung zu behaupten; nur der rechte Flügel mußte infolge des Ein¬
bruchs beim Nachbarn zurückgebogen werden. Auf den nördlich und östlich an das Angriffsseld anschließenden Teilen der deutschen Front war die Kampstätigkeit auf stärkeres Feuer und
Zurückweisen einzelner französischer Erkundungsabteilungen beschränkt geblieben. Erst in den späten Nachmittagsstunden ließ das gewaltige französische Artillerieseuer nach. Die deutsche vordere Linie verlies abends von der Hochfläche östlich von Bauxaillon über den Pinon-Riegel nördlich an Vaudesson und Chavignon vorbei bis halbwegs zum Kanal, dann über den Höhenrand südwestlich von Pargny zur alten Stellung. Die Besatzung von sieben Regimentsabschnitten mußte als größtenteils verloren gelten, dazu ein namhafter Teil der Artillerie. An Wiedereroberung des ver¬ lorenen Geländes war nicht zu denken, wenn auch anzunehmen war, daß
sich noch manche Teile der Besatzung hielten. Das Gelände südlich des Kanals sollte künftig nur als Vorfeld gelten, die Verteidigung hinter den Kanal gelegt werden. Zunächst aber mußte Infanterie wieder mög¬ lichst weit vorgeschoben werden, damit die noch vorn stehende Artillerie geborgen werden konnte.
Die Räumung des Chemin des Dames. Beiderseitige Erschöpfung ließ die Nacht zum 24. Oktober ruhig ver- 24. cm*«, laufen; auch an diesem Tage selbst kam es nur zu kleineren Zusammen¬ stößen, da der Gegner — wie geplant — nicht weiter vorwärts drängte.
Die Oberste Heeresleitung war entschlossen, den Chemin des Dames nun¬ mehr aufzugeben. Das bedeutete, daß nicht nur im Einbruchsraum an
der Laffaux-Ecke, sondern noch rund 20 Kilometer darüber hinaus nach Osten, bis in die Gegend von Craonne einschließlich, in etwa drei Kilometer
rückwärts gelegene Höhenstellungen zurückgegangen werden sollte. Diese „Bunzelwitz-Bewegung" war als Teil der Gudrun-Bewegung auf dem Papier vorbereitet. Nach dem Verlust der Lafsaux-Ecke hielt es die Oberste
Heeresleitung für geboten, sie nunmehr sofort in vollem Umfange durch-
122
Der Krieg im Westen. Laffaux-Ecke.
zuführen. Demgegenüber trat die Heeresgruppe dafür ein, die im Frühjahr mit soviel Blut verteidigten Stellungen noch so lange zu halten, bis ein neuer französischer Angriff gegen sie bevorstehe; man zwinge da¬ durch den Gegner zu neuem Artillerie-Ausmarsch und gewinne Zeit. Sie
befahl, die Durchführung der Bewegung vorzubereiten, die Masse der noch am Chemin des Dames stehenden Truppen (östlich von der 5. Garde-
Infanterie-Division noch sechs Divisionen) aber erst zurückzunehmen, wenn
sich ein feindlicher Großangriff ankündige. Anabhängig hiervon sollte die Räumung des Gebietes vorwärts der Kanalstellung sofort eingeleitet werden. Die 7. Armee befahl, den Stellungswechsel der noch dort stehen¬ den Artillerie mit aller Beschleunigung durchzuführen, bei feindlichem Großangriff aber hinter den Kanal auszuweichen. Drei an sich dringend der Ruhe bedürftige Divisionen (3. bayerische, 30. und 103. InfanterieDivision) sollten so nahe an den bedrohten Frontabschnitt herangeschoben
werden, daß sie zur Verwendung als Eingreif-Divisionen bereitstanden. 25.oitob«.
Am 25. Oktober begann der Gegner an der Einbruchsfront weiter
vorwärts zu drücken. Die deutschen Truppen wichen kämpfend in die Kanalstellung aus, die unterdessen von der 6. bayerischen Reserve- und 6. Infanterie-Division besetzt worden war; insgesamt hatten nur noch wenige Geschütze aus dem Raume südlich des Kanals zurückgeführt werden können.
Unterdessen lag bei Oberster Heeresleitung und Heeresgruppe die Eiffelturm-Sendung vor, aus der die Größe des französischen Erfolges
(bisher 8000 Gefangene und 25 schwere Geschütze) hervorging. Im Zu¬ sammenhang damit löste die irrige Nachricht, daß der Gegner im Raume der 37. Infanterie-Div ision bei Anizy den Kanal bereits überschritten habe, vorübergehend besonders ernste Besorgnisse aus, denn damit schien die Siegfried-Front nördlich der Ailette in Flanke und Rücken bedroht. Nach
Ferngesprächen mit General Ludendorfs führte Oberst Graf Schulenburg nachmittags in einer Besprechung beim Armee-Oberkommando 7 aus:
„Wir müssen eine Katastrophe vermeiden, die unter Umständen den Feld¬ zug entscheiden könnte. Uber den Ernst der Lage müssen wir völlig klar sein. ... Das Letzte, was wir haben, ist heran." Der 7. Armee wurden
zwei Divisionen neu zugeführt (21. Reserve- und 28. Infanterie-Division). Die Generalstabschess der Heiden geschlagenen Gruppen wurden durch andere ersetzt. Dementsprechend war bereits um 1215 mittags im Ein¬
vernehmen mit der Heeresgruppe der entscheidende Armeebefehl für das Ausweichen an der gesamten Front des Chemin des Da¬ mes ergangen, der 26. Oktober war als „Erster Bunzelwih-Tag" bestimmt,
die Bewegung sollte nötigenfalls abgekürzt werden. Ein besonderer Ge-
Räumung des Chemin des Dames.
123
fahrenpunkt blieb künftig die vorspringende Ecke von Anizy; die Heeres¬ gruppe schob daher der Gruppe Cräpy die 14. Reserve- und 103. Infan¬ terie-Division zu. Die folgenden Tage vergingen ohne größere Kampfhandlungen. Der Gegner hatte sein Ziel in vollem Umfange erreicht. Er rechnete zwar jetzt mit Räumung des Chemin des Dames, drängte aber nicht; denn General Pötain, der gerade in diesen Tagen starke Kräfte nach Italien abgeben mußte1), wollte vermeiden, daß „der moralische Gewinn der bisherigen, völlig gelungenen" Operation gemindert werden könne. Man beschränkte
sich daher zunächst auf stärkeres Artilleriefeuer und versuchte durch kleinere Unternehmungen den Zeitpunkt des deutschen Ausweichens festzustellen. Ein neuer Angriff mit stärkeren Kräften wurde vorbereitet, am 2. Ro-
vember sollte das Artilleriefeuer für ihn einsetzen. Inzwischen aber war in der Nacht zu diesem Tage die Bunzelwitz-Bewegung bereits abgeschlossen. Dank der sachgemäßen Haltung aller Beteiligten hatte die 7. Armee ihre neue Stellung vom Gegner völlig unbemerkt bezogen. Dieser aber hielt die unbesetzten Stellungen des Chemin des Dames am Vormittag des 2. November noch stundenlang unter stärkstem Artilleriefeuer. Den neuen Stellungen näherte er sich erst im Laufe des Tages vorsichtig und tastend; zu größeren Angriffen gegen sie kam es nicht mehr.
Betrachtungen. Die deutsche Verteidigung war dreifacher Übermacht erlegen, die den Angriff mit schier unbeschränktem Munitionseinsah aus umfassender Auf¬ stellung vorbereitet hatte. Die Abriegelung durch den vergasten AiletteGrund hatte — ähnlich wie zwei Monate vorher bei Verdun vorwärts des Forges-Baches — bereits einige Tage vor dem französischen Infan¬
terie-Angriff ein Ausweichen unmöglich gemacht. Aus diesen Verhält¬ nissen erklären sich die hohen Verluste an Gefangenen. Die Franzosen wollen insgesamt 11500 eingebracht haben, dazu an Beute 200 Geschütze, 222 Minenwerfer und 700 Maschinengewehre. Der deutsche Gesamt¬ verlust betrug gegen 18000 Mann, davon 10000 Vermißte»). Aber auch die französischen Verluste, gegen 15000 Mann, waren beträchtlich. Die Höhe der Verluste erklärt die ernste Auffassung, die die Hergänge bei der deutschen obersten Führung auslösen mußten, nachdem im Mai bei Wytschaete und im August vor Verdun») bereits Ähnliches sich ereignet ') 2) ?at sich ')
6. 304. Der Unterschied gegenüber der von den Franzosen angegebenen Eefangenenzabl nicht klären lassen. 6. 104.
124
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
hatte und die Schlacht in Flandern mit dauernden ernsten Einbußen an
Menschen weiterging. Es hatte sich wieder klar gezeigt, daß bei zweck¬ mäßig vorbereiteten Angriffen feindlicher Übermacht der Versuch, taktisch ungünstige Stellungen zu halten, schwerste Verluste kostete und doch mi߬ lang. Daß es richtig gewesen wäre, die Verteidigung spätestens bei Be¬
ginn des feindlichen Vorbereitungsfeuers in die Kanalstellung zurück¬ zunehmen, ist nachträglich allgemein anerkannt worden und hätte auch den von der Obersten Heeresleitung wie von den Nachgeordneten Stellen
seit längerer Zeit immer wiederholten Grundsätzen*) entsprochen. Die Oberste Heeresleitung hätte die Zurücknahme der Front befehlen müssen, schrieb General Ludendorfs nach dem Kriege2). Sie hat sich durch den Behauptungswillen und die Zuversicht von Heeresgruppe und Armee
überzeugen lassen, daß ein Halten möglich sei. Diese aber hatten sich nicht frei machen können von der lange genährten und besonders bei der Heeres¬ gruppe dauernd lebendigen Hoffnung, den „Blücher"-Angriff bis zur
Aisne schließlich doch noch ausführen zu können. Im übrigen hatten sich beide nach früheren Entscheidungen der Obersten Heeresleitung in den Gedanken des Festhaltens der Laffaux-Ecke derart eingelebt und die Vor¬
bereitungen dafür mit soviel Sorgfalt und Hingabe getroffen, daß sie die gestellte Ausgabe trotz allem für lösbar hielten.
C. Die Schlacht bei Cambrai. J. Der britische Tankangriff. Beilagen 10 und 11.
a) Die deutsche Front und die englischen Angriffsvorbereitungen. Im Bereiche der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht hielt die 2. Armee unter General von der Marwitz (Generalstabschef Oberst¬
leutnant von Pawelsz, seit Ende August Major Stapss) die im Frühjahr
bezogene Siegfried-Stellung bei Cambrai—St. Quentin—La Fere. Diese Front galt als ruhig. In Abschnitten von erheblicher Breite standen im
Herbst ausschließlich abgekämpfte und ausbildungsbedürstige Truppen. Durch zahlreiche Vorstöße war festgestellt, daß bei den gegenüberliegenden Briten !) Zuletzt am 8. August hatte die Hgr. verfügt: Bei Vorbereitung der Abwehr sei „nur dem einen Gesichtspunkt Rechnung zu tragen, dah unsere Truppen in dem für sie günstigsten Gelände und unter den für ihre Zahl und Können besten Bedingungen die Verteidigung
durchzuführen haben". 2) „Meine Kriegserinnerungen", 6.392.
Stille vor dem Angriff.
und Franzosen ähnliche Verhältnisse herrschten; die Grenze zwischen beiden verlies nördlich von St. Quentin. Einen größeren Angriff abzuwehren, genügten die schwachen Kräfte und Reserven der 2. Armee nicht. Dafür boten aber die bis zu 100 Meter breiten und so gut wie unversehrten
Hindernisse der tiefgegliederten Stellung nach allen bisherigen Erfahrungen ausreichenden Schutz. Zu ihrer Zerstörung schienen Zeit und gewaltiger
Munitionseinsatz erforderlich. Überraschtwerden durch feindlichen Angriff galt unter diesen Umständen für so gut wie ausgeschlossen. Als in Flandern Ausdehnung und Heftigkeit der britischen Angriffe allmählich nachließen, schien es Mitte November, daß der Gegner seine Offensive dort ganz einstellen wolle. Sichere Anzeichen dafür fehlten je¬ doch. Die Heeresgruppe rechnete einstweilen noch mit Fortgang der Kämpfe in Flandern. Bei der 6. Armee herrschte Ruhe. Die 2. Armee berichtete am 16. November, daß nach allen vorliegenden Nachrichten ihren zwölf Divisionen die bereits seit längerer Zeit bekannten acht englischen und vier französischen gegenüberlägen. An britischen Reserven rechne sie mit drei Divisionen, über französische fehle jeder Anhalt. Die gegne¬
rische Infanterie verhalte sich bis auf kleinere Unternehmungen ruhig; sie arbeite eifrig an Stellungen und Hindernissen. Artillerie- und Minen¬ werfertätigkeit sei nur bei Bullecourt, Havrincourt und St. Quentin etwas
lebhafter. Verkehr, Lager- und Bahnbauten im Hinterlande wären, soweit das trübe Wetter ihre Überwachung zuließ, nicht ungewöhnlich. Der Bericht schloß: „Größere feindliche Angriffe gegen die Armeefront sind in der nächsten Zeit nicht zu erwarten". Die Heeresgruppe meldete dementsprechend am 18. November der is.3u>t>«m»«.
Obersten Heeresleitung; allgemein fügte sie hinzu: „Möglichkeit, daß Eng¬ länder bei Mißerfolg in Flandern an anderer Stelle zu Teilangrisfen
schreitet, ist vorhanden". Unterdessen hatte die 54. Infanterie-Division am 18. November bei
Havrincourt Gefangene der dort bereits festgestellten, aus Iren bestehenden britischen 36. Division eingebracht. Diese sagten aus, daß für den 20. No¬ vember ein Unternehmen zur Wegnahme von Havrincourt geplant sei; frische Truppen wären bereitgestellt, auch einige Tanks seien gesehen worden*). 7 Gliederung der 2.Armee am 18.November:
Gmppe Arrad (Gen. Kdo. XIV. N. K.): 111., 240., 20. F. D. Gruppe Caudry (Gen. Kdo. XIII. A. K.): 20. L. D.,- 2/3 54. I. D.; 9. N. D.,- 183. g. D. Gruppe Quentin (Gen. Kdo. IX.A. K.): 79. R. D.; 36. u. 238. Z. D. Gmppe Oise (Gen. Kdo. XVII. A. K.): 4. G. F. D., 13. L. D. Reserven: 7s 54. g. D., 107. F. D. (Hgr. Res.) im Eintreffen aus dem Osten. Artillerie: insgesamt 483 leichte, 271 schwere Geschütze. Luftstreitkräfte: 5 Feld-, 12 Art. Fl. Abt., 12 Jagd-, 12 Schutz-Staffeln.
126
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
Danach schien besonders der rechte Flügel der Gruppe Caudry des Generals der Infanterie Freiherrn von Watter (Theodor) bedroht. Seine Stellungen waren von Truppen beseht, die nach schweren Verlusten in Flandern nur beschränkt kampffähig waren. Für ein zurückgezogenes Regi¬ ment der am meisten gefährdeten 54. Infanterie-Division war ein Re¬
giment der benachbarten 20. Landwehr-Division eingesetzt, deren Kom¬ panien nur etwa 70 Mann Gefechtsstärke hatten. Die Artillerie-Aus¬ stattung war so gering, daß sich Sperrfeuerbreiten von 900 bis 1200 Meter
für eine Batterie ergaben. i9.3i»»«mb«.
Angesichts der Gefangenen-Aussagen wurden der 54. Infanterie-
Division am 19. November das ihr fehlende Regiment sowie zwei Feld¬ artillerie-Abteilungen der 107. Infanterie-Division zur Verfügung ge¬ stellt; der linke Regimentsabschnitt der 20. Landwehr-Division wurde ihr
zwecks einheitlicher Kampfführung bei Havrincourt angegliedert. Vier dringend beantragte schwere Batterien waren nicht vor dem 20. November zu erwarten. Bei allen Divisionen der Gruppen Arras und Caudry rückten die Ruhe-Bataillone in die etwa zwei Kilometer hinter der vorderen
Linie liegende Zwischenstellung ein. An der Front verlies der 19. November ziemlich ruhig. Einschießen des Gegners auf Stellungen bei Croisilles, Queant, Havrincourt und Flesquieres, etwas stärkerer Verkehr in und hinter seinen Linien, regere Flieger¬ tätigkeit in geringen Höhen waren das Einzige, was im Zusammenhang
mit den Gefangenen-Aussagen als Anzeichen für bevorstehende örtliche Angriffe gedeutet werden konnte. Allerdings erschwerten der Wald von
Havrincourt und zahlreiche tief eingeschnittene Mulden die Beobachtung erheblich, und die Lusterkundung war durch die Witterung der letzten zehn Tage stark behindert gewesen. Ein bei La Vacquerie eingebrachter Ge¬ fangener bestätigte die Bereitstellung von Tanks. Zu ihrer Bekämpfung wurden der Infanterie die geringen vorhandenen Bestände an S.M.K.-
Munition1) ausgegeben. In der Nacht zum 20. November wurden Feuerüberfälle auf voraussichtliche britische Bereitstellungsräume, vor allem auf den Wald von Havrincourt, gemacht. Die deutsche Führung rechnete nur
mit feindlichen Teilunternehmungen, denen sie sich gewachsen glaubte. Auf englischer Seite war ein völlig neues Angriffsverfahren in Vor¬
bereitung. Der Kommandeur des Tankkorps hatte angesichts des Stockens der Offensive in Flandern schon Anfang August vorgeschlagen, an ver¬
schiedenen Stellen der Front überraschende, aufeinanderfolgende „Raids" !) S. 27.
Englische An griffsvorbereitungen.
127
durchzuführen, um die deutsche Abwehr zu zermürben. Geschlossene Tankverbände, unterstützt von schwacher Infanterie, sollten ohne Artillerie¬ vorbereitung die feindlichen Stellungen durchbrechen, ihre Verteidigungs¬ anlagen und Verbindungen zerstören, aber vor dem Eingreifen stärkerer
deutscher Reserven den Kampf abbrechen, um ihn bald daraus an anderer Stelle zu wiederholen. Zunächst hatte er einen solchen Angriff südwestlich von Cambrai ins Auge gefaßt, wo das Gelände besonders geeignet schien. Die ausgedehnten deutschen Hindernisse sollten von den Tanks nieder¬
gewalzt und mit Schleppankern auseinandergerissen werden. General Byng, der Oberbefehlshaber der vor Cambrai eingesetzten
britischen 3. Armee, befürwortete den Plan. Dagegen herrschten im Hauptquartier des Feldmarschalls Haig Bedenken, weil vorläufig der letzte Mann in Flandern erforderlich sei, und das Vertrauen zu den Kampf¬ wagen nach den bisherigen Erfahrungen noch gering war. Marschall Haig meinte, der Tank stecke noch in den Kinderschuhen, sein Wert könne nur vermutet werden, die Truppe sei noch nicht genügend an ihn gewöhnt. Erst im Oktober scheint er unter der Einwirkung einflußreicher Persön¬ lichkeiten in London mehr Vertrauen zu der neuen Waffe gewonnen zu
haben. Angesichts der Erkenntnis, daß mit Erreichung des Zieles in Flan¬ dern nicht mehr zu rechnen sei, und der Hilferufe Italiens, das einen An¬ griff der Mittelmächte erwartete, gab er der 3. Armee am 19. Oktober die Weisung, unter Benutzung der Vorschläge des Tankkorps einen größeren
Angriff gemischter Truppenverbände mit dem Ziele Bourlon für den 20. November vorzubereiten, um dann — über den Rahmen eines Raids hinaus — gegebenenfalls vor allem nach Norden weiterzustoßen,- denn er
glaubte, daß bei Gelingen der Geheimhaltung deutsche Verstärkungen erst nach 48 Stunden eintreffen könnten. Er behielt sich vor, die Offensive je nach Erfolg und allgemeiner Lage jederzeit anzuhalten. Trotz des weiter gesteckten Angriffzieles blieb die 3. Armee im wesent¬
lichen auf ihre eigenen Kräfte angewiesen und konnte daher neben den Stellungstruppen nur einige zu Ablösungen bereitgehaltene Divisionen einsehen. Sie bestimmte für den Angriff das III. und IV. Korps mit zu¬
sammen sieben Divisionen. Dazu kamen das Kavallerie-Korps mit drei Divisionen, rund 1000 Geschütze, etwa ebenso viele Flugzeuge und das Tankkorps mit mehr als 400 Tanks'). Die Ziele steckte General Byng noch weiter als die Heeresleitung. Zunächst sollten die deutschen Stellungen ') Das Tankkorps war in 3 Brigaden zu 3 Bataillonen zu 3 Kompanien gegliedert, gllscherseits wird die Gesamtzahl mit 362 Kampfwagen angegeben. Cs scheint aber, dah vadel die zugeteilten Nachschub- und Nachrichten-Tanks, sowie solche zum Vorbringen von
Bruckenmaterial nicht mitberechnet sind.
*-i. * .u
128
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
3ioo«mb«t. zwischen dem (erst im Bau befindlichen) Canal du Nord und der Schelde
in zwei Sprüngen durchbrochen und die Übergänge bei Masnieres und Marcoing, anschließend der Bourlon-Wald genommen werden. Weiter¬ hin waren durch Kavallerie und Tanks die wichtigsten Übergänge über den Sensöe-Abschnitt östlich von Arras sowie die Stadt Cambrai zu be¬ setzen. Die deutschen Kräfte südlich der Sensee und westlich des Canals du Nord waren abzuschneiden. Schließlich sollte der Erfolg in der Richtung aus Valenciennes ausgebaut werden. Zur Ablenkung wurden Neben-
angriffe bei Bullecourt und auf die Gillemont-Ferme (bei Le Catelet) angesetzt. Die Heeresleitung zog zur Ausnutzung eines möglichen größeren Erfolges drei Divisionen bei Bapaume zusammen, die Fran¬ zosen stellten bei Peronne zwei Infanterie- und zwei Kavallerie-Divi¬ sionen bereit.
Als Vorbereitung für den Angriff hatten alle am Sturm beteiligten Truppen Gelegenheit, mit der Panzerwaffe zu üben. Am 9. November begann die Zuführung von Munition für die Artillerie, bis zum 17. be¬ endete diese ihren Aufmarsch. Die Infanterie-Besetzung der vorderen Linie blieb unverändert. Alle Verstärkungen, vor allem die Tanks, wurden
nachts und so spät als möglich vorgeführt. Einschießen der VerstärkungsBatterien unterblieb. Das Artilleriefeuer sollte erst unmittelbar vor dem Einbruch einsetzen. Die Sturmtruppen wurden in der Nacht zum 20. No¬ vember im vordersten Graben oder dicht dahinter so bereitgestellt, daß sie nach dem Durchlässen der Tanks diesen unmittelbar folgen konnten. Der
Angriffsbefehl enthielt die Mahnung: „Die angreifenden Divisionen müssen sich darüber klar sein, daß während der ersten beiden Tage rücksichtsloses Drausgehen Bedingung ist. Zögern und Abwarten von Verstärkungen könnten dem Feinde Gelegenheit geben, sich von seiner ersten Über¬ raschung zu erholen und den Vormarsch der Kavallerie zum Stocken
bringen." d) Sie Abwehr des englischen Angriffs. ro.N»v«mb«.
In der Morgendämmerung des 20. November, etwa um 715 früh,
setzte schlagartig englisches Trommelfeuer gegen die deutschen Stellungen bei Havrincourt und starkes Feuer gegen die übrige Front der 2. Armee ein. Unmittelbar daraus erreichte im Angrifssraum Havrincourt—Banteux die vorderste britische Tankwelle unter dem Schutze künstlichen und natür¬ lichen Nebels bereits den deutschen Vorpostengraben. Mit etwa 40 Meter
Zwischenraum vorgehend, rissen die Kampfwagen breite Sturmgassen durch die Hindernisse, fuhren dann schießend die Gräben entlang und hielten damit die deutsche Besatzung nieder. Trotz des ungünstigen Wetters,
129
Der englische Angriff.
das eine Flughöhe von nur etwa 50 Metern gestattete, begleiteten Flieger¬
geschwader den Angriff. Unter dem gewaltigen Feuerschutz von Artillerie, Tanks und Fliegern folgte die Infanterie. Bald nach dem Einbruch nahmen auch Batterien Stellungswechsel nach vorwärts vor. Das Artilleriefeuer blieb Schrittmacher der Tanks.
Der überraschend vorbrechenden britischen Übermacht war die schwache Besatzung des deutschen Vorfeldes und der I. Stellung nicht gewachsen. Ausreichende Mittel zur Bekämpfung der zahlreichen Tanks standen ihr nicht zur Verfügung. Die Artillerie schoß in dichten Nebel und Qualm hinein Sperr- und Vernichtungsfeuer, konnte aber keine wesentliche Ent¬ lastung bringen. Den schwersten Anprall hatte die 54. Infanterie-Division auszuhalten, die von fünf britischen angegriffen wurde, während eine sechste mit geringem Abstand folgte und eine siebente sich gegen den rechten Flügel der 9. Reserve-Division wandte. Die vielen Kampfwagen brachen jeden Widerstand. Die I. Stellung ging verloren. Beim Vordringen des Gegners gegen die Zwischenstellung kam es um Flesquivres, wo Reste der Etellungsbesahung und das vorgeworfene einzige in Reserve befindliche Regiment das britische Vorgehen zum Stehen brachten, und um das Wäldchen von Le Pavs zu schweren Kämpfen. Bei Flesquieres blieben
16 Tanks im Feuer deutscher Feldgeschütze liegen. Beiderseits dieses zäh behaupteten Widerstandsnestes aber flutete der Angriff unter dem Schutze frischer Tankwellen gegen die II. Stellung vor. Bei den deutschen Batterien
machte sich bald Munitionsmangel fühlbar; die neueingetroffene Artillerie war ohne Munition gekommen1). Der größte Teil der Batterien, ins¬ besondere die unbespannten schweren, fielen nach und nach in Feindeshand.
Die deutsche Führung hatte trotz Störung aller Nachrichtenmittel sehr bald erkannt, daß es sich nicht nur um einen örtlichen Vorstoß, sondern um
einen Angriff großen Stils handele. Darüber hinaus aber sah sie bis gegen Mittag nicht klar. Von der 107. Infanterie-Division wurden um 940 vor¬
mittags zwei Bataillone des vordersten Regiments und die letzte ArtillerieAbteilung der 54. Infanterie-Division, ein Bataillon der 9. ReserveDivision zugewiesen; das zweite Regiment wurde auf Fontaine-Notre
Dame und Cantaing in Marsch gesetzt, das dritte, eben erst ausgeladen, sollte Cambrai erreichen. Drei Bataillone und fünf Batterien, die das Armee-Oberkommando von den Gruppen Quentin und Oise heran¬ führte, konnten das Schlachtfeld kaum vor Dunkelheit erreichen. Erst vom 21. November ab war auf Verstärkungen seitens der Heeresgruppe zu rechnen. Sie hatte auf die Nachricht von dem auch sie „völlig überraschen¬ den" britischen Angriff drei Divisionen, Artillerie und Flieger von der 4. ') 6.28. Weltkrieg. XIII. 95b.
9
130
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
2o.9t.»mb«. und 6. Armee in Marsch gesetzt und drei weitere Divisionen aus den Re¬
serven der Obersten Heeresleitung in Aussicht gestellt. Erst seit den Mittagsstunden ließen vor allem Fliegermeldungen die Größe des britischen Einbruchs erkennen. Die 20. Landwehr-Division war von Süden her bis nahe an Moeuvres heran aufgerollt worden. Bei
Marcoing und Masnieres hatte der Gegner den breiten und tiefen ScheldeKanal erreicht, dessen Übergänge mit Ausnahme der Brücke in Masnieres
unzerstört in seine Hand fielen. Schwache britische Kavallerie überschritt in den Nachmittagsstunden östlich von Masnieres die Schelde und wurde
erst dicht südlich von Cambrai durch ein heraneilendes Rekrutendepot zer¬ sprengt. Unterdessen hatten die in ungeklärte Verhältnisse vorstoßenden Bataillone der 107. Infanterie-Division die noch wenig ausgebaute II. Stel¬ lung bei Anneux und Cantaing erreicht und Teile von Royelles zurück¬ gewinnen können, von wo Kavallerie bereits nach Norden im Vorgehen gemeldet war. Damit war der britische Angriff von schwachen deutschen
Kräften zum Stehen gebracht, wenn auch örtliche Kämpfe noch bis in die Dunkelheit andauerten. Auf rund 15 Kilometer Breite und bis zu sieben Kilometer Tiefe war die Siegfried-Stellung aufgerissen. Moeuvres, Teile
von Anneux, Flesquisres und Noyelles, Rumilly, Crevecoeur, Rue des Bignes und Banteup waren in deutscher Hand geblieben. Die britischen Nebenangriffe bei Bullecourt und südlich von Bendhuille waren ohne
nennenswerte Erfolge verlaufen, üm den Einbruchsraum bildeten Truppen der 20. Landwehr-, 107. und 54. Infanterie- sowie der 9. Reserve-Division,
größtenteils durch Verluste stark geschwächt und durcheinander gewürfelt, eine wenn auch noch lückenhafte Front. Hinter deren rechtem Flügel und Mitte standen aber nur noch acht Feld- und drei schwere Batterien feuer¬ bereit, der linke Flügel war artilleristisch etwas besser gestützt. Flesquieres wurde in der Nacht von seiner tapferen Besatzung befehlsgemäß geräumt. Für den folgenden Tag war mit Fortsetzung des englischen Angriffs auf Cambrai, gleichzeitig aber auch nach Norden und Nordwesten in den Rücken der Gruppe Arras und weiterhin der 6. Armee zu rechnen. Dabei muhte das beherrschende Höhengelände südlich von Bourlon eine wichtige Rolle spielen, üm dort die Abwehr zu stützen, erhielt die herankommende 214. Infanterie-Division Befehl, am 21. November früh als EingreifDivision der Gruppe Arras den Raum Marquion—Bourlon zu erreichen. Die 50. und 119. Infanterie-Division wurden hinter der Gruppe Caudry bei Cambrai versammelt; drei weitere Divisionen waren als Armee¬
reserve nach Cambrai, Caudry und Bohain bestimmt. Obgleich die Lage
äußerst ernst blieb, entschlossen sich Heeresgruppe und Armee-Oberkom¬ mando zu baldigem Gegenangriff.
Der englische Angriff.
131
Die englische Z. Armee blickte aus einen erfolgreichen Angrissstag zurück. Der entscheidende Anteil der Tanks war unbestreitbar. Wenn die
Infanterie ihre Tagesziele nicht voll erreicht hatte, so lag das in erster Linie an dem unerwartetst zähen Widerstand bei Flesquiores und an dem
tapferen Eingreifen der deutschen 107. Infanterie-Division. Mißlungen war das Vorgehen der britischen Kavallerie darüber hinaus auf Cambrai und Bourlon. Aber 5000 Gefangene und gegen 100 Geschütze meldeten die Briten als Beute; ihre blutigen Verluste waren gering gewesen, der Aus¬ fall an Kampfwagen aber sehr groß; allein 70 Tanks lagen bewegungsunfähig innerhalb oder dicht vor den deutschen Linien. Am 21. November sollte der Angriff auf Cambrai fortgesetzt und dazu vor allem der zähe Widerstand in Flesquieres und am Bourlon-Rücken gebrochen, bei Marcoing und nördlich das Ostufer des Schelde-Kanals gewonnen werden. Die Gruppe Caudry meldete am frühen Morgen des 21. November, 21 „daß, wenn der Gegner vor Eintreffen starker Artillerie den Tankangrifs
fortsetze, ein weiterer Einbruch und damit vielleicht ein wirklicher Durch¬ bruch kaum zu verhindern wäre". Sie erbat baldigst drei gute Divisionen mit Artillerie für die zerschlagenen und befürwortete die Rückeroberung der Zwischenstellung „nicht nur aus moralischen, sondern auch aus taktischen
Gründen"; denn die jetzt gehaltenen Linien seien großenteils „ganz frei¬ liegende Vorderhangstellungen". Nach den Kämpfen des Vortages kamen die Bewegungen erst nach¬ mittags wieder in Gang. Unter dem Schutze von Tanks ging der Gegner gegen die ganze Front von Moeuvres bis Rumilly vor. Bei Moeuvres konnte er nur wenig Gelände gewinnen, der Ort blieb in deutscher Hand.
Dagegen gingen Anneup, Cantaing und Noyelles verloren. Bei Bourlon wurde der Einbruch durch einen Gegenstoß der 214. Insanterie-Division zum Stehen gebracht, das beherrschende Höhengelände und der Wald ge¬
halten. In Fontaine und La Folie1) drang der Gegner ein, ehe die dorthin angesetzten vordersten Teile der 119. Infanterie-Division es verhindern konnten. Fontaine wieder zu nehmen, gelang nicht. Bis in den Park von La Folie vorgedrungene deutsche Kräfte wurden in der Nacht in die un¬
fertige Wotan-III-Stellung zurückgenommen. Östlich des Schelde-Kanals zwangen frisch eingesetzte Bataillone den Gegner zur Umkehr und gewannen
die II. Stellung Noyelles—Rumilly zurück. Der keilförmige feindliche Einbruch forderte zum Gegenangriff ge¬ radezu heraus. Noch am 21.November gab die Heeresgruppe den Befehl zur Wiedernahme der verlorengegangenen Stellungen; die heran¬ kommenden Verstärkungen sollten dazu möglichst flankierend von Norden *) Gehöft und Park an der Kanalbrücke nordöstlich von Cantaing.
132
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
2i.9tee«mb«. Und Osten her eingesetzt werden. Zunächst aber verzehrten weitere Ab-
wehrkämpse die eintreffenden Kräfte. So hatten die 214. InfanterieDivision bereits der Gruppe Arras, deren Front jetzt bis Fontaine aus¬ schließlich ausgedehnt wurde, die 119. und 30. Infanterie-Division der Gruppe Caudry zur Ablösung zugewiesen werden müssen. Die englische Heeresleitung schwankte nach den geringen Ergeb¬ nissen des 21. November, ob sie den Angriff fortführen solle. Die Ge¬ legenheit, durch Einsatz der immer noch bei Bapaume und Psronne bereit¬ gehaltenen fünf Divisionen einen wesentlich größeren Erfolg zu erringen, war offensichtlich verpaßt. Die Angriffstruppen waren stark erschöpft.
Mit Eintreffen erheblicher deutscher Verstärkungen mußte gerechnet werden. Da aber die gewonnenen vordersten Linien nicht günstig waren, und auch
die Gesamtlage weitere Erfolge wünschenswert machte, entschloß sich Feld¬ marschall Haig, den Angriff fortführen zu lassen, wenn auch auf schmalerer Front und ohne einheitlichen Tankeinsatz. Nächstes Ziel waren die beherr¬
schenden Höhen bei Bourlon. 22.9i»e«m»«t.
Am 22. November errangen die Engländer nur bei Moeuvres, wo
die Landwehrtruppen sich gerade in der Ablösung befanden, unbedeutende Erfolge. Dagegen konnten Teile der 119. und 107. Infanterie-Division trotz heftiger Gegenwehr Fontaine und den Park von La Folie zurück¬ gewinnen. Bei Rumilly, Crövecoeur und Rue des Vignes wiesen die 30. Infanterie- und 9. Reserve-Division feindliche Angriffe ab. Nach diesem etwas ruhigeren Verlaus des dritten Kampftages hielt das Armee-Oberkommando die Lage im Raum von Cambrai „nicht mehr
für gefährdet". Es rechnete jedoch mit Fortsetzung der Angriffe auf den Flügeln der Einbruchsstelle gegen Inchy sowie gegen Banteux und südlich, stop««»«.
Der Gegner aber griff in den folgenden Tagen mit Nachdruck nur
noch die beherrschenden Höhen von Bourlon an und setzte für abgekämpfte Divisionen eine, später drei weitere neu ein. Deutscherseits wurden die
21. Reserve-und 3. Garde-Infanterie-Division in den Kampf geworfen. Das am 23. November beginnende fünftägige Ringen um den mit dichtem Unter¬
holz durchsetzten Bourlon-Wald und die Dörfer Bourlon und Fontaine nahm besonders heftige Formen an. Dank ihrer weit stärkeren Artillerie be¬ hielten die Engländer schließlich den Höhenrücken und den Wald zum grö¬ ßeren Teil in der Hand; nur aus den Eckpfeilern Bourlon und Fontaine gelang es, sie nach jedem Einbruch wieder zu vertreiben. Erst in den letzten Novembertagen wurde es bis auf blutiges Geplänkel im Bourlon-Walde wieder etwas ruhiger.
Die Beute seiner zehntägigen Angriffe bezifferte der Gegner auf rund 10500 Gefangene, 140 Geschütze und 350 Maschinengewehre. Der
Abklingen des englischen Angriffs.
133
deutschen Verteidigung war es gelungen, bei Gegenstößen etwa 600 Eng¬ länder und mehr als 20 Maschinengewehre einzubringen. Der deutsche Gesamtverlust betrug etwa 27000 Mann.
2. Der deutsche Gegenangriff. a) Sie Vorbereitungen. Beilagen 10 und 12.
Heeresgruppe und Armee-Oberkommando hatten bereits am 20. No-
vember die Oberste Heeresleitung für den Entschluß zum Gegenangriff gewonnen. Nach dem ersten am 21. November erlassenen Befehl nahm der Plan allmählich festere Gestalt an. Am 22. November wurden der Armee außer der bisherigen Verstärkung um sechs Divisionen drei weitere Divi¬
sionen, zwei Generalkommandos, starke Artillerie, Luststreitkräfte usw. überwiesen1). Einstweilen lastete aber noch der englische Ansturm bei Bourlon aus allen Entschlüssen und Maßnahmen. So zeichnete General von Kühl am 23. November als Absicht auf, den Flügel des Feindes bei
Le Pavs „mit allem Verfügbaren möglichst schnell anzugreifen. Dadurch beste Entlastung bei Bourlon". Am 24. November begab sich Kronprinz Rupprecht mit General von Kühl zum Armee-Oberkommando nach Le
Cateau. Der Plan hatte sich inzwischen dahin verdichtet, den Angriff auch aus nördlicher Richtung zu führen. Ob das angesichts der um Bourlon
fortdauernden britischen Angriffe möglich sein werde, erschien allerdings fraglich. Ohne Rücksicht daraus sollte der auf Überraschung und günstige artilleristische Flankierungsmöglichkeiten gegründete Angriff aus östlicher Richtung auf jeden Fall durchgeführt, die Angriffsfront dabei bis in die Gegend von Vendhuille nach Süden ausgedehnt werden. Südlich von
Banteux erschienen die Ersolgsaussichten besonders günstig, da der Gegner hier, durch die vielfach überschwemmte Schelde-Niederung geschützt, einen Angriff wohl kaum erwartete. Dieser war gegen seine hier schwach besetzten Linien auch einfacher als im Norden gegen den im Grabengewirr und
Trichtergelände nur schwer feststellbaren und wesentlich stärkeren Feind. Die Heeresgruppe sehte zunächst den 26. November als Angriffstag fest, damit — wie sie der Obersten Heeresleitung meldete — „mit der größten
Energie die Vorbereitungen durchgeführt" würden. General von der Marwitz gab nach dieser Aussprache noch am 24. November den grundlegenden Armee-Befehl. Die Gruppe Caudry *) Bisher: Z. Garde-, 119., 214. I. D. von Hgr.; 5. Garde-, 30., 34. I. D. von O. H. L. Dazu neu: Gen. Kdo. XVIII. A. K., 220. g. D., 21. R. D. von Hgr.,- Gen. Kdo. XXIII. R. K., 28. F. D. von O. H. L.
134 20. bis 26. November.
Der Krieg im Westen. Schlacht bet Lambrai.
und die an ihrem Südflügel neu einzusetzende Gruppe Busigny (General¬ kommando des XXIII, Reservekorps) sollten den Hauptstoß auf Metz en
Couture führen, die Gruppe Arras, deren Nordflügel als Gruppe Lewarde vom Generalkommando des XVIII. Armeekorps übernommen wurde,
gleichzeitig über die Linie Moeuvres—Fontaine nach Süden angreifen. Zur Deckung der Flanken und zur Ablenkung wurden Unternehmungen bei Inchy im Norden, bei Dendhuille, sowie bei der Gillemont- und
Malakosf-Ferme im Süden angesetzt. Die Vorbereitungen sollten auf das äußerste beschleunigt werden, weil jeder Tag dem Gegner Gewinn bracht^ und Überraschung von ausschlaggebender Bedeutung war. Unterdessen forderte die Heeresgruppe von der 4. Armee, bei der
sie jetzt nur noch mit britischen Teilunternehmungen rechnete, noch zwei Divisionen, um den Südflügel des Angriffs zu verstärken. Je eine weitere Division hielt sie zunächst hinter dem linken Flügel der 6. Armee und bei St. Quentin bereit, wo sie mit örtlichen feindlichen Angriffen rechnete.
Die Vorbereitungen für den Gegenangriff erforderten mehr Zeit,
27. November.
als zunächst angenommen war. Auf Anfrage des Generals Ludendorff meldete Major Stapff am 25. November, der Angriff werde ant 27., spä¬ testens am 29. stattfinden, die Lage verschlechtere sich durch das Verschieben nicht; je mehr Kräfte der Feind gegen Norden einsetze, um so wirksamer werde der Hauptstoß; alles hänge vom Anrollen der Artillerie und Minenwerfer ab. Doch auch diese Berechnung erwies sich trotz Höchstleistungen der Eisenbahn noch als zu günstig. Am 27. November fand im Beisein von General Ludendorsf eine Besprechung aller beteiligten Stellen in le Cateau statt1). Die Generale Ludendorfs und von Kühl äußerten Bedenken, ob die stark mitgenommenen Truppen der Gruppe Arras noch
in der Lage wären, den ihnen zugedachten schwierigen Angriff, durchzu¬ führen. Insbesondere sollte der Wald von Bourlon nicht angegriffen, sondern westlich umgangen und von rückwärts abgeschlossen werden.
General Ludendorsf hielt es ferner für erwünscht, daß die Gruppe Busigny nicht nur nach Westen vorstoße, sondern sich durch Aufrollen der feindlichen Flanke auch nach Süden Luft schasse; hier könnten dann bei glücklichem Verlaus immer weitere Divisionen dem Angriff angehängt werden. Ein
Vorschlag des Majors Stapff, die nach dem ersten Einbruch frei werdende schwere Artillerie nach Süden zu verschieben, um auch die nur schwach be¬
setzte britische Front nördlich von St. Quentin zu Fall zu bringen, fand Zu¬ stimmung. Als Ergebnis der Besprechung gab die Oberste Heeres¬ leitung folgende Richtlinien an die Heeresgruppe: !) Aktenmäßige Unterlagen über den Verlauf waren nicht zu ermitteln. Das Folgende
ist geschildert nach Kronprinz Rupprecht: „Mein Kriegstagebuch", Bd. III, S. 182f.
Vorbereitung des deutschen Gegenangriffs.
135
Ml. Der Angriff hat am 30. November zu erfolgen. 2. Der Hauptstoß ist mit der Ostgruppe in der von der Armee beab¬
sichtigten Richtung auf Metz en Couture zu führen. Die Inbesitznahme der Höhe von Flesquivres und des Waldes von Havrincourt von Süden
her, um den englischen Hauptkrästen in Flanke und Rücken zu gehen, ist
entscheidend für den Gesamterfolg. Z. Der Angriff von Norden (Gruppe Artas) — soweit er nach der Ent¬ wicklung der Lage überhaupt möglich ist — hat zeitlich erst dann ein¬
zusetzen, nachdem der Hauptstoß der Ostgruppe wirksam geworden ist1). Er ist mit allen verfügbar zu machenden Kräften westlich des BourlonWaldes in südlicher Richtung zu führen. Es wird empfohlen, durch möglichst frühzeitigen Beginn des Artilleriefeuers bei der Nordgruppe und Demon¬
strationen aus den Nebensronten die feindlichen Kräfte zu binden. 4. Zur Ausnützung eines größeren Erfolges werden seitens der Heeres¬ gruppe Kronprinz Rupprecht und der Obersten Heeresleitung weitere Divisionen — etwa drei bis fünf — herangeführt werden....
5. Der für den Fall eines großen Erfolges vom Armee-Oberkommando 2
vorgeschlagene Nebenangrifs nördlich St. Quentin ist vorzubereiten." Diese Richtlinien brachten besonders für die Gruppe Arras umfang- sr.«,rs. reiche Änderungen der bisherigen Angriffsvorbereitungen. Für die “* Gruppen Caudry und Busigny wurde in der Nacht zum 29. November
noch eine Verschiebung der Angrisssstreifen befohlen. Erst dann stand endgültig fest, wie der Angriff am 30. geführt werden sollte. Die Vor¬ bereitungen konnten nur notdürftig abgeschlossen werden. Obgleich seit dem 20. November durchschnittlich 160 Züge täglich zur 2. Armee rollten, war es nicht möglich, neben den Divisionen, zahlreichen anderen Truppen¬ teilen und dem laufenden Nachschub die für den Angriff angeforderte
Munition voll heranzufahren. Die höhere Führung glaubte aber trotz der von den Gruppen mehrfach geäußerten Bedenken, das Eintreffen aller Kolonnen, der gesamten Munition und vieler Sondertruppenteile nicht mehr abwarten zu dürfen; denn die Voraussetzung zum Erfolge lag nicht in der letzten Planmäßigkeit aller Vorbereitungen, sondern in der
Geheimhaltung, Überraschung und schnellen Ausnutzung der taktisch gün¬ stigen Lage. Einstweilen schienen nur etwa acht bereits mehr oder minder *) Von wem dieser Gedanke zeitlicher Staffelung ausgegangen ist, hat sich nicht fest¬ stellen lassen. Der Kommandierende General der Gruppe Arras war, wie er selber berichtet
(von Moser: „Feldzugaufzeichnungen", 6.318), mit seinen Bedenken bei der Besprechung
nicht zu Morte gekommen.
136 27. bis 29. November.
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
abgekämpfte britische Divisionen gegenüber zu stehen, frische Kräfte noch nicht herangezogen zu sein. Der Aufmarsch der deutschen Artillerie und die Bereitstellung der Angrifsstruppen waren in dem weithin offenen und von der feindlichen
Erdbeobachtung großenteils eingesehenen Gelände kaum zu verbergen. Die Überwindung des Schelde-Tals, in dem Kanal und Fluß nebeneinander her lausen, erforderte besondere Vorbereitungen und mußte ebenso wie das im allgemeinen nordsüdwärts verlausende Wegenetz bei fortschreitendem Angriff den Nachschub schwierig gestalten. Vor allem aber stand man vor einer völlig neuen Aufgabe, denn die Angriffsziele — Höhen von Flesquieres und Metzen Couture — lagen rund zehn Kilometer jenseits der
vordersten feindlichen Linien. Für die Formen, in denen ein so tiefgreifen¬ der Angriff zu führen war, gab es weder Vorschriften noch Vorgänge. Seit dem Angriff aus Verdun waren anderthalb Jahre verflossen, und die im Osten und soeben in Italien gemachten Erfahrungen waren nur mit Vor¬ behalt zu übernehmen. Führung und Truppe gingen aber mit Vertrauen
an die gestellte Ausgabe heran. 29. November.
Zum Angriff standen schließlich 18 Divisionen bereit1). Von diesen waren aber nur zehn voll kampfkräftiga), die anderen durch vorhergehende
Kämpfe bereits mehr oder minder geschwächt. Irgendwelche Sonderaus-
bildung für den Angriff hatte keiner zuteil werden können. *) Gliederung der Angriffsfront: Gruppe Arras unter Genlt. von Moser:
20. I. D., 21. R. D., 3. G. und 119. I. D. als Stellungsbesatzung,' 49. R. D., 214. und 221. F. D. dahinter;
insgesamt 118 schwere und 390 leichte Geschütze. Gruppe Caudry unter Gen. d. gnf. Frhr. von Watter: 107., 30., 220. und 23.1. D. in vorderer Linie; 9. R. D. dahinter;
insgesamt 111 schwere und 284 leichte Geschütze. Gtuppe Busigny unter Gen. d. Inf. von Kathen: 34., 183. und 5. G. I. D. in vorderer Linie; 208. I. D. dahinter;
insgesamt 121 schwere und 216 leichte Geschütze. Heeresgruppenreserve: 185. I. D. hinter Gruppe Caudry, 9. b. R.D. hinter
Gruppe Busigny. a) In Fußnote 1 unterstrichen. Näheres über Artillerie Beil. 29 d.
Vorbereitung des deutschen Gegenangriffs.
137
Außer diesen Kräften und der zunächst hinter der bedrohten Gruppe Quentin als Armeereserve bereitgestellten 79. Reserve-Division verfügte die Heeresgruppe an Reserven noch über sechs, die Oberste Heeresleitung im Heeresgruppenbereich über zwei Divisionen. AnLuftstreitkrästen standen im ganzen fünf Feld-, zehn Artillerie¬ fliegerabteilungen, drei Jagd- und sechs Schutzstaffeln zur Verfügung. Ihre Tätigkeit war durch die Witterung stark behindert. Um den Gegner überraschend zu treffen, sollte nur kurzes Artillerie¬
feuer dem Infanterie-Angriff vorausgehen, auch das Einschießen auf das Äußerste beschränkt werden. Alle bekannten feindlichen Batteriestellungen waren zu vergasen; mit Beginn des Hellwerdens sollten die vorderen
feindlichen Stellungen mit einstündigem Vernichtungsfeuer belegt werden. Dann hatte die Infanterie der Gruppen Caudry und Busigny hinter der Feuerwalze zum Sturm anzutreten, die der Gruppe Arras erst drei Stun¬ den später. Möglichst wenig Kräfte sollten für die verzehrenden Ort- und Waldkämpfe eingesetzt, der Gegner im Wald von Bourlon nur durch Ver¬
gasung ausgeschaltet werden.
Im einzelnen war nach wiederholten Besprechungen folgendes für den Angriff besohlen: Die Gruppe Caudry hatte den Hauptstoß auf Metzen Couture zu führen, Inbesitznahme des Höhengeländes bei Beaucamp und Trescault sei „von entscheidender Bedeutung". In dieser Richtung setzte General von Watter die 220. und 28. Infanterie-Division an, linken Flügel von
Banteux über die Mitte von Gouzeaucourt, während die 30. InfanterieDivision nach Überschreiten des Kanals bei Crepecoeur auf Ribecourt vor¬ zugehen hatte. Die von den Kämpfen schon etwas mitgenommene 9. Re¬
serve-Division sollte sich bei Fortschreiten des Angriffes zwischen die 30. und 220. Infanterie-Division einschieben und das Höhengelände bei Tres¬ cault gewinnen. Die abgekämpfte 107. Infanterie-Division hatte nur mit ihren Flügeln und im Einklang mit den Nachbarn vorzugehen; ihr nächstes Ziel war der Höhenzug nordwestlich von Marcoing. Die Gruppe Busigny hatte aus einer vom britischen Angriff un¬
berührten und bisher ruhigen Front mit starkem rechtem Flügel in engstem Anschluß an die Gruppe Caudry aus Fins anzugreifen. General von Kathen sehte hierzu die 34. und 183. Infanterie-Division, dazwischen die vordersten Teile der 208., an. Die 5. Garde - Infanterie - Division wurde
mit Unternehmungen gegen die Gillemom- und Malakoff-Ferme be¬ auftragt. Erstes Angriffsziel war die ungefähre Linie Gonnelieu—Villers
Euislain—Gillemont-Ferme.
138
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Lambrai.
Der Gruppe Arras waren die ehemalige deutsche Stellung westlich von Graincourt und die Höhen bei Flesguiöres als Ziele bezeichnet, Ge¬ neral von Moser setzte zum Hauptangrifs westlich des Bourlon-Waldes, linker Flügel über Anneux, die 49. Reserve-, 214. und 221. InfanterieDivision an; von ihnen hatte die 214. schon ziemlich gelitten. Die 20. In¬ fanterie- und 21. Reserve-Division sollten durch Angriff beiderseits von Moeuvres die Flanke des Vorgehens decken. Die 3. Garde-InfanterieDivision hatte den Bourlon-Wald im Norden, die 119. ihn im Osten ab¬ zuriegeln und über Cantaing vorzugehen. Eine besondere Schwierigkeit lag darin, datz der Sturm erst drei Stunden später als bei den anderen Gruppen, um die Mittagszeit einsetzen sollte. Am die drei Stohdivisionen nicht vor¬ zeitigen Verlusten auszusehen, hatte das Armee-Oberkommando als Ab¬ hilfe empfohlen, sie zunächst mehrere Kilometer hinter der vorderen Linie bereitzustellen und erst während des Vorbereitungsfeuers unter dem
Schuhe einer künstlichen Nebelwand in die Sturmstellung vorzuführen. Sie
sollten dann durch die Stellungstruppen hindurch vorstohen. Den „allgemeinen großen Gedanken" des Angriffs faßte General von der Marwitz am 29. November nochmals dahin zusammen, daß der Hauptstoß von den inneren Flügel-Divisionen der Gruppen Caudry und
Vusigny, die fest zusammenhalten müßten, soweit als möglich in westlicher Richtung zu führen sei. Die übrigen Kräfte der beiden Gruppen hätten durch ihr Vorgehen die Flanken zu decken oder nachzustoßen. Nach Wirk¬ samwerden dieser Angriffe sollte „von Norden aus der Gruppe Arras eine
starke Stoßgruppe nach Süden in Richtung Havrincourt—Flesquiöres" vorgehen. Auf diese Weise sollte „der Gegner an der Wurzel der Einbruchs-
stelle abgeschnürt und vernichtet werden". Die 4. und 6. Armee hatten den Auftrag, den Feind vor ihrer Front zu fesseln. Befehlsgemäß wurden bei diesen beiden Armeen je eine, bei der 7. zwei Divisionen abfahrbereit gehalten, außerdem viel Artillerie,
Luftstreitkräfte usw. Den Eng ländern waren die deutschen Vorbereitungen für den Gegen¬ angriff — wie Feldmarschall Haig berichtet1) — nicht entgangen. Er er¬
wartete aber den Hauptangrifs in dem bisher am heftigsten umkämpften
Abschnitt von Bourlon. Dort und bei Cantaing hatten nach und nach drei ftische britische Divisionen abgekämpfte abgelöst. Im übrigen war die ge¬ samte Front noch mit denselben Truppen beseht, die schon am 20. No¬ vember den Angriff geführt hatten. Vier Infanterie- und vier KatmllerteDivisionen standen hinter der Front, davon als vorderste je eine Infani) Haig: „Bericht über die Schlacht bei Lambrai" („Times" vom 5. März 1918).
Der deutsche Gegenangriff.
139
terie-Division bei Hermies und im Wald von Havrincourt, Kavallerie bei Fins und Epähy. Das Tankkorps war bereits im Abtransport, nur die
2. Brigade stand verladebereit noch bei Fins. Insgesamt konnten den am Angriff beteiligten 18 deutschen Infan¬ terie-Divisionen (162 Bataillone) am ersten Tage mindestens 13 britische (156 Bataillone) entgegentreten, dazu vier Kavallerie-Divisionen und eine Tank-Brigade. An Artillerie standen rund 1200 deutsche Geschütze etwa 1150 britischen gegenüber. Auch an Luststreitkräften bestand keine
wesentliche deutsche Überlegenheit. Der Angriff traf also aus annähernd
gleich starken Feind. b) Erster Angriffstag. Nach Vergasung der feindlichen Batterien und des Bourlon-Waldes setzte an der Schelde-Front um 760 morgens das Vorbereitungsfeuer der
Artillerie ein, dem sich in den letzten zehn Minuten alle Minen- und Granat¬ werfer und unmittelbar vor dem Sturme auch sämtliche Maschinengewehre anschlossen. Es bahnte der um 850 antretenden Infanterie zwischen Crevecoeur und Vendhuille den Weg durch die vordere feindliche Stellung. Das Wetter war trüb, aber sichtig. Schlachtflieger begleiteten den Angriff. Die artilleristische Gegenwirkung war nur schwach. Den Hauptwiderstand
leisteten Maschinengewehre. Über Erwarten erfolgreich gestaltete sich das Vorgehen der starken inneren Flügel der Gruppen Caudry und Busigny. Nachdem sie im ersten Anlauf die vordersten englischen Gräben genommen hatten, waren sie bald nach 10° vormittags auch Herren von Gonnelieu und Villers Guislain. Artillerie wurde über den Kanal nachgezogen. Bei der Gruppe Caudry erreichte die 28. Infanterie-Division mit
ihrem linken Flügel mittags die Eisenbahn bei Gouzeaucourt. Ihr rechter Flügel hing ab, da die 220. Infanterie-Division bei le Pave auf hart¬ näckigen Widerstand gestoßen war. Erst gegen Abend konnte dieser ge¬ brochen und die Gegend östlich von la Vacquerie, das in Feindeshand blieb, erreicht werden. Die 30. Infanterie-Division von Crövecoeur vor¬
gehend, hatte auf dem linken Schelde-Üser die große Straße Cambrai—le Pavö überschritten, war dann aber durch Flankenseuer und Gegenstöße aus der Linie Masnisres—Marcoing veranlaßt worden, nach Norden ein¬ zuschwenken. Die nachfolgende 9. Reserve-Division wurde eingeschoben, um gegen die Linie Rib6court—Trescault vorzustoßen, blieb aber nördlich von la Vacquerie vor der Höhe 128 liegen, wo der Gegner im Zuge der
ehemaligen deutschen I.-Stellung hartnäckigen Widerstand leistete. Die 107. Infanterie-Division konnte gegen Cantaing und Marcoing nur wenig
Gelände gewinnen.
30. November.
140 30. November.
Der Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
Bei der Gruppe Busigny war der Angriffsschwung der 34. und der
vordersten Teile der 208. Infanterie-Division so groß, daß die Truppe wiederholt in das eigene, nicht schnell genug fortschreitende Artilleriefeuer kam. Der Gegner wurde stellenweise völlig überrascht. Der Angriff machte über Villers Guislain hinaus rasche Fortschritte, obwohl noch zahlreiche Widerstandsnester in verlustreichem Kampfe genommen werden mußten. Gegen Mittag war Gouzeaucourt, wo soeben noch ein englischer Liebesgabenzug eingelaufen war, in deutscher Hand. Etwa um 1280 er¬
reichten die vordersten Teile, die rund sieben Kilometer tief eingebrochen waren, die großen feindlichen Munitionslager halbwegs Gouzeaucourt— Fins. Damit war aber die Stoßkraft der durch hohe Offizierverluste führerlos gewordenen Truppe am Ende. Die 208. Infanterie-Division arbeitete sich bis an die Höhen westlich und südwestlich von Villers Guislain vor, wo sie besonders an der Vaucelette-Ferme hartnäckigen Widerstand
fand. Die 183. Infanterie-Division schien in westlicher Richtung so gut vorwärts zu kommen, daß sie gegen Mittag den Befehl erhielt, auch den beherrschend in ihrer linken Flanke liegenden Ort Ep6hy zu nehmen.
Die benachbarte 5. Garde-Insanterie-Division, deren Unternehmungen gegen die Gillemont- und Malakoff-Ferme gescheitert waren, sollte sich
bereithalten, dieses Vorgehen mitzumachen. Unterdessen hatten britische Gegenstöße zunächst aus Epöhy und Lempire eingesetzt und dem sieg¬ reichen Vorwärtsstürmen der Gruppe Busigny ein Ende bereitet. Bald darauf wurde auch die in beiden Flanken ungeschützte 34. InfanterieDivision von der englischen Garde-Division, Kavallerie und Kampfwagen
angegriffen und zurückgedrängt. Ihre Artillerie hatte über Schelde und Kanal noch nicht genug Munition herangebracht, um wirksam helfen zu können. Erst östlich von Gouzeaucourt faßten die deutschen Truppen wieder festen Fuß. Um 430 nachmittags meldete die 34. Division einen neuen starken britischen Angriff von Westen her; der Anschluß an die 28. und 208. Infanterie-Division sei verlorengegangen; sie erbat unverzüg¬
liches Eingreifen der nachfolgenden 9. bayerischen Reserve-Division. In¬ zwischen aber brach die Dunkelheit herein. Bei der Gruppe Arras war der Bourlon-Wald mit 16000 Gas¬ granaten, aber nur aus Feldkanonen, belegt worden, da die angeforderte
Munition für leichte Feldhaubihen ausgeblieben war; damit mußte auch
die Wirkung geringer sein. In der Frühe hatte starkes britisches Feuer auf Bourlon und Fontaine gelegen. Die erste Bereitstellung der drei StoßDivisionen wurde um 960 vormittags unbehelligt eingenommen. Auf den
feindlichen Stellungen lag nach einer kurzen Vernichtungsfeuerwelle lang¬ sames Zerstörungsfeuer. Die verfügbaren schweren Feldhaubitzen er-
Der deutsche Gegenangriff.
141
zeugten eine Nebelwand*), hinter der dann der Vormarsch zu den Sturm-
ausgangsstellungen begann. Doch der Wind riß Lücken in diesen Schleier, so daß insbesondere Luftbeobachtung möglich wurde. Zwar verjagten deutsche Flieger die britischen und schossen fünf von ihnen sowie einen Fesselballon ab, aber die Vorwärtsbewegung war doch erkannt und wurde von verlustbringendem Feuer gefaßt. Kurz nach 11° wurde die Sturm¬
ausgangsstellung erreicht. Die Artillerie steigerte ihr Feuer zu höchster Kraft, bis es um 1150 in die Feuerwalze überging. Es hatte nicht genügt, um den angreifenden Fußtruppen den Weg zu bahnen. Diese stießen
aus starke abwehrbereite Kräfte, darunter aus zwei neu eingesetzte eng¬ lische Divisionen. Der linke Flügel der 20. Infanterie- und die 21. ReserveDivision gewannen bei Moeuvres etwas Gelände. Die 49. Reserve- und
214. Infanterie-Division blieben nach Anfangserfolgen nördlich der Straße Bapaume—Cambrai liegen, die 221. Infanterie-Division vor der be¬ herrschenden Höhe 100, die sie erst um 3° nachmittags nehmen konnte. Vorfühlende Teile der 3. Garde - Infanterie - Division fanden den Wald
von Bourlon trotz der Vergasung besetzt. Östlich davon gewann die 119. Infanterie-Division zunächst Boden, geriet dann aber in flankieren¬ des Maschinengewehrfeuer aus dem Walde und von Cantaing her. So
blieb auch ihr Angriff bald liegen. Im wesentlichen war die deutsche höhere Führung seit Mittag über die Lage gut unterrichtet. Die anfänglich sehr günstigen Meldungen hatten Vorbereitungen für weitere Ausnutzung des Erfolges veranlaßt, die spätere Entwicklung der Lage aber die hochgespannten Erwartungen erheblich gedämpft. Noch waren die 185. Infanterie- und 9. bayerische Reserve-Division, beide voll kampfkräftig, gar nicht zum Eingreifen ge¬ kommen; die 79. Reserve-Division rückte von St. Quentin heran, weitere Verstärkungen standen in Aussicht. So blieb General von der Marwitz entschlossen, den Angriff fortzusetzen, wenn auch zunächst mit dem be¬ schränkteren Ziele der Wegnahme des Höhengeländes von Trescault. Weiterhin beabsichtigte er, die Höhen bei Havrincourt von Süden her zu nehmen und damit den Anschluß an die Gruppe Areas zu gewinnen. Diese sollte am 1. Dezember ihre jetzige Linie halten und danach „trachten, den Zusammenschluß" zwischen ihren vor Graincourt und vor Cantaing kämp¬ fenden Einheiten herzustellen. Die Gruppe Eaudry, verstärkt durch die 185. Infanterie-Division, hatte den Gegner in Masniores einzuschließen und Dillers-Plouich von Süden anzugreifen. Die Gruppe Busigny mit
unterstellter 9. bayerischer Reserve-Division sollte Gouzeaucourt durch beiderseitige Umfassung wieder nehmen und, zwischen diesem Ort und *) Nebelgeschosse gab es damals nur für s. F. H.
Her Arieg im Äesten. Schlacht bei Cambrai.
142
Villers-Plouich nach Nordwesten vorgehend, die Gruppe Caudry unter¬ stützen. Die 79. Reserve-Division wurde bis zum Morgen südlich von Banteux erwartet; drei weitere Divisionen waren nach Cambrai, Caudry und Bohain im Anrollen.
c) Zweiter Angriffstag und Ende der Schlacht. r.
Die beiderseitige Artillerietätigkeit hatte die Nacht über angehalten,
feindliches Feuer auf die ohnehin kaum zureichenden Schelde- und KanalÜbergänge dabei zu ernsten Reibungen in Befehlsgebung und Nachschub geführt. Das Wetter war trübe und dunstig. Bei der Gruppe Arras kam es infolge starker feindlicher Gegenwirkung nur mittags vorübergehend zu Teilerfolgen südöstlich von Moeuvres und bei Cantaing. Auch die für den
Vormittag angesetzten Angriffe der Gruppen Caudry und Busigny kamen nicht zur Entwicklung; denn mit Hellwerden brach wieder ein starker von Tanks begleiteter englischer Stotz aus Gouzeaucourt und südlich vor, der vor allem die 34. Infanterie-Division schwer traf. Der Gegner drang in Gonnelieu ein und nahm mehrere der immer noch unter Munitions¬
mangel leidenden deutschen Batterien. Stotztrupps gewannen diese zurück. Die 208. Infanterie-Division behauptete ihre Stellung und schoß etwa zehn Kampfwagen in Brand. Nur die neu eingesetzte 9. bayerische
Reserve-Division, der sich die 185. Infanterie-Division anschlotz, trat noch zu dem befohlenen Angriff an, gewann etwas Boden, wurde dann aber
zur Stützung der erschöpften 34. Infanterie-Division auf Gonnelieu zurück¬ genommen. Insgesamt war die deutsche Front in die Abwehr gedrängt. Die schweren Kämpfe dauerten bis in die Nacht hinein. Ein kleiner Fort¬ schritt war nur bei Masnieres zu verzeichnen, das von Norden und Süden eng umklammert wurde. Von dort verlief die Linie, in der nunmehr neun
deutsche Divisionen1) gegen sieben bis acht britisches 'nebst Kavallerie und Tanks standen, zunächst ähnlich wie am 30. November abends, dann über Gonnelieu und in weitem Bogen um Villers Guislain herum auf Bend-
huille.
Der Verlaus des zweiten Schlachttages hatte Oberste Heeres¬ leitung und Heeresgruppe zu der Überzeugung gebracht, datz die Fort¬ führung des Angriffs mit den verfügbaren Kräften kaum noch Aussicht auf Erfolg habe. Nach einem Ferngespräch mit General Ludendorsf erteilte General von Kühl am Abend des 1. Dezember in le Cateau die nötigen
Weisungen. General von der Marwitz befahl daraufhin: „Der Angriff 1) 30. I. D., 9. R. D., 220., 28., 185. Z. D., 9. b. R. D., 34., 208., 183. g. D.
2) 6., 29., 20., 12., Garde, 61., vermutlich 36., vielleicht auch 51. Div.
Ende des deutschen Gegenangriffs.
143
wird am 2. Dezember nicht fortgesetzt. Das gewonnene Gelände ist zu
halten. Gruppe Caudry hat Masniöres und la Vacquerie im planmäßigen Angriff zu nehmen". Die schweren Batterien der Gruppe Busigny wurden noch in der Nacht über die Schelde zurückgenommen. Der 2. Dezember brachte nachmittags erfolglose britische Vorstöße am Bourlon-Walde. Über Masnieres, das der Gegner nachts geräumt hatte, konnte die deutsche Front gegen Marcoing vorgeschoben werden. Bei la Vacquerie griff der Engländer nachmittags an; im Gegenstoß erreichten
2. Dezember.
Teile der 9. Reserve- und 28. Infanterie-Division den Südrand des Dorfes. Die nicht stark angegrjffene Gruppe Busigny nahm die westwärts von
Villers Guislain noch zäh haltenden, gefährdeten Teile der 208. InfanterieDivision auf dieses Dorf zurück. Am 3. Dezember wurde vor Marcoing das östliche Kanal-Afer er¬
reicht. Die 28. Infanterie-Division eroberte durch ein geschickt angelegtes Unternehmen das heißumkämpfte la Vacquerie. General von der Marwitz
hielt jetzt die Zeit für gekommen, auch den von drei Seiten umfaßten BourlonWald durch planmäßigen Angriff zu nehmen; er setzte ihn aus den 9. De¬ zember fest. Aber bereits in der Nacht zum 5. räumte der Gegner, zunächst unbemerkt, diesen Wald und das ganze Gelände bis Sraincourt—Mar¬
coing, letzteren Ort ausschließlich. Die deutschen Truppen stießen teilweise unter Kämpfen nach. Mit der Einnahme von la Iustice1) und Marcoing am 6. Dezember fand die Vorwärtsbewegung in der ungefähren Linie
Graincourt—Marcoing ihren Abschluß. Die Lage begann sich zu beruhigen. Man fing an, die bei der 2. Armee zusammengeballten Kräfte wieder aus die Eesamtfront des Westheeres zu verteilen. Angesichts des bei St. Quen¬ tin immer noch erwarteten Angriffs wurde unter dem Generalkommando des XXIII. Reservekorps auf dem linken Flügel der 2. Armee aus den Gruppen Quentin und Oise eine besondere „Armeegruppe Etreux" ge¬ bildet. Der Feind griff hier aber nicht an.
Z. Betrachtungen. Insgesamt hatte die Schlacht bei Cambrai der deutschen Seite rund 41000 Mann gekostet, davon 14000 beim Gegenangriff. Die Beute zählte etwa 9000 Gefangene, 165 Geschütze, 200 Minenwerfer, 600 Maschinen¬ gewehre und 90 Tanks. Dem stand ein britischer Verlust von insgesamt rund 45000 Mann2) und eine Beute von 11000 Gefangenen, 145 Ge*) Gehöft bei Punkt 76 füdl. von Anneux.
2) Errechnet nach den Derlustangaben der „Times".
3. bis 8.
Dezember.
144
Her Krieg im Westen. Schlacht bei Cambrai.
schützen und einer unbekannten Zahl von Minenwerfern und Maschinen¬ gewehren gegenüber. Der britische Geländegewinn war durch den deut¬ schen Erfolg zu einem grohen Teil wieder ausgeglichen. Rein äußerlich betrachtet wogen die Ergebnisse einander ziemlich aus. Seinem inneren Werte nach aber überwog der deutsche Angrifsserfolg erheblich den voran¬ gegangenen englischen; nach 17 Monaten der reinen Abwehr wirkte er als erster von größerer Bedeutung belebend und belehrend auf Führung und
Truppe. Der britische Überraschungsangriff gegen eine stark ausgebaute, aber nur schwach besetzte deutsche Front war nach sorgfältigster Vorbereitung in erster Linie durch Masseneinsatz von Tanks (über 400 gegenüber etwa 50 bei Arras und 100 in der Schlacht an der Aisne und in der Champagne) gelungen, allerdings ohne die gesteckten Ziele voll zu erreichen. Der nach
zehn Tagen folgende, ebenfalls auf Überraschung aufgebaute deutsche Angriff war ohne die Möglichkeit gründlicher Vorbereitung mit verhältnis¬ mäßig recht bescheidenen Mitteln geführt worden und gleichfalls nach An¬ fangserfolgen steckengeblieben. Hatten Enlgänder und Franzosen alle Angriffe des Jahres 1917 nicht nur mit insanteristischer, sondern vor allem mit der gewaltigen artilleristischen Überlegenheit von mindestens 2:1 (bei Wytschaete sogar beinahe 4:1) begonnen, so war der deutsche Angriff am 30. November ohne artilleristisches Übergewicht durchgeführt worden. Auch die stürmende Infanterie war zahlenmäßig kaum stärker gewesen als die des britischen Verteidigers, Tanks aber, die ihr den Weg hätten bahnen können, gab es auf deutscher Seite noch nicht. Wenn trotzdem ein taktischer Erfolg errungen wurde, der dem britischen vom 20. No¬ vember etwa gleichkam, so war das neben überlegener Führungskunst der
Tüchtigkeit der deutschen Truppe zu verdanken, die trotz vorangegangener zermürbender Abwehrkämpfe und knapper Verpflegung immer noch von vorbildlichem Angriffsgeist beseelt war. Gewiß ist nicht alles so gegangen, wie es beabsichtigt war und bei ein¬
gehenderer Vorbereitung wohl auch erreichbar gewesen wäre. Die Gründe dafür lagen in erster Linie in der von der Obersten Heeresleitung mit Recht
erhobenen Forderung schnellsten Handelns. Ohne dieses hätte die Über¬ raschung, die die wesentlichste Vorbedingung des Erfolges war, kaum ge¬ lingen können; bei der Nordgruppe, wo sie fehlte, kam der Angriff nicht vorwärts. Den Bourlon-Wald auszuschalten und den Angriff westlich davon zu führen, war gewiß richtig. Der Gedanke, den Nordangriff
gegenüber dem Ostangriff zeitlich zu staffeln, hat sich aber als wenig glück¬ lich erwiesen. Es kam hinzu, daß Vergasung und Vernebelung nicht hielten, was man von ihnen erwartete. Sobald die vorderste feindliche
145
Betrachtungen.
Stellung überschritten war, hatten sich in Ausbildung und Ausrüstung der deutschen Truppen für den Angriff Lücken fühlbar gemacht. So blieb das beispielhafte Vorwärtsstürmen von Teilen der 34. Infanterie-Division
gegen Fms ungenutzt. Hauptursache des Rückschlages bei Gouzeaucourt aber waren wieder die feindlichen Tanks, gegen die wirksame Ab¬
wehrmittel um so mehr fehlten, als ausreichende Artillerie und Munition
über die wenigen Schelde-Übergänge erst spät herankamen. Auch hat die Erbeutung reicher englischer Vorräte Teile der kaum genügend verpflegten deutschen Truppe abgelenkt. Dazu kam im weiteren Ver¬ laus die zunehmende Verstopfung der Brücken, die Reibungen in der Befehlsübermittlung, Stockungen im Vorkommen von Truppen wie
im Nachschub jeder Art mit sich brachte. Auch die Leistungsfähigkeit der Kolonnen ließ zu wünschen übrig. Wertvolle Erfahrungen waren ge¬
macht worden; sie sollten die Grundlage werden für das künftige Angriffs-
verfahren. Alles in allem stellte der Gegenangriff bei Cambrai einen Erfolg dar,
auf den Führung und Truppe stolz sein konnten. Der deutsche Gegen¬ schlag hatte den nachteiligen Eindruck des feindlichen Tanküberfalls völlig verwischt. Zum erstenmal waren im Westen starke deutsche Streitkräste aus der Abwehr zum umfassenden Gegenangriff übergegangen. Sie hatten dabei gezeigt, daß sie auch ohne weitgehende Vorbereitung und mit geringeren Mitteln als der Feind Erfolge zu erringen vermochten.
D. Das Ergebnis der großen Abwehrschlachten. Mit der fast fünf Monate dauernden Schlacht an der Somme hatte am 1. Juli 1916 die lange Reihe schwerer Abwehrkämpfe im Westen be¬ gonnen. Die Frühjahrsschlacht bei Arras und die Doppelschlacht an der Aisne und in der Champagne hatten den Höhepunkt des gegnerischen An¬ sturms dargestellt, das dreieinhalb Monate währende Ringen in Flandern, im Großen gesehen, den Abschluß. Daneben waren drei schwere Angriffe vor Verdun, sowie die gegen den Wytschaete-Bogen, die Laffaux-Ecke
und bei Cambrai aufzufangen gewesen. In jedem Falle waren starke Verluste, dabei vor allem auch hohe Einbußen an Gefangenen und Gerät eingetreten. Eine Zusammenstellung ergibt etwa folgendes Bild der Ver¬ luste an Toten und Verwundeten*): l) Zahlen nach Trupxenmeldungen, von denen die Angaben des Sanitätsberichts
über das deutsche Heer im Weltkriege vielfach abweichen (vgl. Bd. XI, 6.407); Zahl der
Vermißten, soweit deutsche Unterlagen fehlen, nach feindlichen Angaben über Gefangene. HXlHtlcg. XIII. (Bb.
10
146
Der Krieg im Westen.
1916: Schlacht an der Somme Oktober: Schlacht vor Verdun
Dezember: Schlacht vor Verdun 1917: Frühjahrsschlacht bei Arras
500000 75000 11000 6700 14000 9000
Mann, davon Vermißte. Mann, davon Vermißte. Mann, davon Vermißte.
85000 Mann, davon 18000 Vermißte.
Doppelschlacht an der Aisne und in der
Champagne
163000 Mann, davon 37000 Vermißte.
Verlust des Wytschaete-Bogens
25000 10000 Schlacht in Flandern 217000 48000 August-Schlacht vor Verdun 35000 11000 Verlust der Lasfaux-Ecke 18000 10000 Schlacht bei Cambrai (ohne Gegenangriff) 27000 10500
Mann, davon Vermißte. Mann, davon Vermißte. Mann, davon Vermißte. Mann, davon Vermißte. Mann, davon Vermißte.
Die Gesamtverluste, des Westheeres hatten seit dem 1. Juli 1916 die gewaltige Höhe von 1788000 Mann erreicht, davon 501000 Tote und Ver¬ mißte. Dem stand eine Beute von rund 100000 Gefangenen gegenüber.
Die gegnerischen Verluste hatten rund 2000000 Mann betragen, davon zwei Drittel Engländer.
Operativ hatten die Gegner nichts erreicht. Auch ihr Versuch, die deutsche Kraft durch fortgesetzte Angriffe abzunutzen, war trotz gewaltiger Überzahl an Menschen und Gerät nicht zu ihrem Vorteil ausgeschlagen;
ihre eigene Kraft hatte mindestens ebenso gelitten wie die deutsche. Das Ziel, das man sich gesteckt hatte, lag noch in weiter Ferne. Die Zähigkeit der deutschen Gegenwehr hatte sich stärker erwiesen als vorausgesehen; denn das deutsche Westheer, Führer wie Truppen, hatten in oft hoffnungs¬ los erscheinender Lage eine Widerstandskraft und ein Heldentum gezeigt, das nicht übertroffen werden kann. Hatten die Großkämpfe der Sommer- und Herbstmonate jeweils
noch erhöhte Kampftätigkeit auch bei den Nachbar-Armeen ausgelöst, so trat nach der Räumung des Chemin des Dames am 2. November, dem
147
Ergebnisse der Abwehrschlachten.
Abklingen der Schlacht in Flandern um Mitte November, der Abweisung des letzten französischen Vorstoßes bei Verdun am 25. November und dem Ende der Kämpfe bei Cambrai am 6. Dezember nach und nach an der
ganzen Westfront Ruhe ein, nur gelegentlich noch unterbrochen durch
Patrouillenunternehmen zur Feststellung feindlicher Truppenverschie¬ bungen. Aus weiten Strecken wurden die Kampfzonen durch Zurück¬ nahme der Hauptwiderstandslinie und Einrichtung eines davorliegenden Vorfeldes von genügender Tiefe neu geregelt. Im übrigen bereiteten sich beide Seiten aus neue Großkämpse im Frühjahr 1918 vor, bei denen
dann aber die Deutschen die Angreifer sein würden.
10*
IV. Der Rrieg im Osten. A. Die Abwehr der Rerenski-Dffensive. Beilagen 13 und 14.
Juni.
Seit Ansang Juni rechneten die Oberste Heeresleitung und die Be¬ fehlshaber im Osten in zunehmendem Maße mit Wiedererstarkung des russischen Heeres und baldiger großer Offensive, vor allem in Oftgalizien1); das nächste Ziel schienen Lemberg und die Ölquellen von Drohobycz zu sein. Diesen Angriff wollte man nicht nur abwehren, sondern man hoffte, im Anschluß daran durch Gegenangriff die ganze russische Front in weitem Umfange einstürzen zu können. Über die Kräfteverteilung beim Gegner wie auch über seine Absichten im einzelnen war man durch den ununter¬
brochenen Verkehr von Graben zu Graben ungewöhnlich gut unterrichtet. Man rechnete gegen die zunächst nur 24 V, Infanterie- und 21/, Kavallerie-
Divisionen starke Heeresgruppe Böhm-Ermolli") mit 51 Infanterie- und 5Kavallerie-Divisionen der russischen 11. und 7. Armee, wobei der Haupt¬ stoß gegen die deutsche Südarmee des Generalobersten Grafen von Bothmer (Chef des Generalstabes Oberst Ritter von Hemmer) erwartet wurde. Hier
standen aus 65 Kilometer Breite zehn Divisionen, davon drei österreichisch1) Bd. XII, S. 505f. 2) Gliederung der Ostfront Ende Juni: Hgr. Mackensen mit bulg. 3. und deutscher 9. Armee (16 I. D., 1 K. D.) zwischen Schwarzem Meer und Karpaten; Heeresfront Erzherzog Josef mit ö.-u. 1. und 7. Armee (19 I. D., 8 K. D.), an¬ schließend daran die Grenzen Ungarns deckend; Oberbefehlshaber Ost, unter ihm: ö.-u. Hgr. Böhm-Ermolli mit ö.-u. 3., deutscher Süd- und ö.-u. 2. Armee (26 g. D.,
37j K. D.) in Ostgalizien; Hgr. Linsingen mit ö.-u. 4. Armee und 2 deutschen Armeegruppen (22 8- D., 3 K. D.) anschließend auf russischem Gebiet bis südlich von Pinsk; Hgr. Woyrsch mit A. Abtlgn. Gronau, Woyrsch und Scheffer (16 I. D., 3 K. D.), an¬ schließend bis südlich von Wilna; Hgr.Eichhorn mit 10.Armee, A.Abt.v und 8.Armee (27V, 3-D., 3 K. D.) in Litauen und Kurland.
gn Erwartung der Kerenski-Offensive.
149
ungarische und eine türkische, zur Abwehr bereit, rechts und links davon waren die Fronten besonders der ö.-u. Z., aber auch der ö.-u. 2. Armee
erheblich schwächer besetzt, sie litten auch unter der teilweise verminderten
Kampfkraft ihrer fast ausschließlich österreichisch-ungarischen Divisionen. Am 29. Juni setzte gegen die Südarmee beiderseits der Zlota Lipa und bei rs. g»»r.
Koniuchy, hier auf den Südslügel der ö.-u. 2. Armee übergreifend, Ar¬ tillerie-Feuer von einer Stärke ein, wie man sie auf dem östlichen Kriegs¬
schauplatz noch nicht erlebt hatte. Umfangreiche Stellungsteile wurden zertrümmert. Zahlreiche russische Erkundungsvorstöße und Teilangrisfe konnten aber abgewiesen werden. Der Oberbefehlshaber Oft stellte der
Südarmee zwei bisher zurückgehaltene Divisionen zur Verfügung. Das russische Feuer dauerte während der beiden folgenden Tage mit unver¬ minderter Heftigkeit an, vor allem gegen die Stellungen vor Brzezany
und bei Koniuchy*). Auf russischer Seite hatte General Alexejew am Z. Juni, kurz vor seiner Enthebung von dem Posten des Obersten Befehlshabers^), die
grundlegende Weisung für die geplante große Offensive erlassen. Den entscheidenden Angriff sollte die Südwestfront^) in der Richtung aus Lem¬ berg führen, aber auch die Rumänische, sowie die West- und die Nordfront, letztere nur in der Form eines Nebenangriffs, sollten angreifen. Bis etwa zum 2. Juli, hoffte man die Truppen soweit wieder in der Hand zu haben, daß die Offensive beginnen könne. l) Gliederung der angegriffenen Front: Linker Flügel der Südarmee: Gen.Kdo. türk. XV. Korps (Genmaj. Djewad Pascha) mit türk. 20. F. D.; Gen.Kdo. XXV. R. K. (Genlt. von Heineecius) mit 15. und 24. R. D.; Gen.Kdo ö.-u. XXV. Korps (Feldmlt. Hofmann) mit ö.-u. 55. und 54. F. D., da¬ hinter 241. g. D.
Rechter Flügel der ö.-u.2.Armee: Dvm Abschnitt Floczow unter Gen.Kdo. des I.A. K., Gen. d. Fnf. von Winckler: Gen.Kdo. ö.-u. IX. Korps (Feldmlt. Kletter) mit ö.-u. 19. und 32. F. D., dahinter 223. g. D. ') Bd. XII, S. 511.
8) Gliederung des russ.Heeres (einschl. rumän.Armee) Ende Juni: Nordfront unter Gen. Klembowski mit 12. und 5. Armee (zusammen 39 g. D. und 8 K. D.); Westfront unter Gen. Denikin mit 3., 10. und 2. Armee (zusammen 47 g. D. und
4K.9.); Südwestfront unter Gen. Gutor mit Besonderer, 11., 7., 9. und 1.Armee (zu¬ sammen 90 g. D. und 17 K. $>.);
Rumänische Front unter König Ferdinand (Genst.Ches russ. Gen. Schtscherbatschew) mit 9., rum. 2., 4., in der Bildung begriffener rum. 1. und 6. Armee (zu¬ sammen 45V, g. D. und 81/, K. D.).
150
Der Krieg im Osten. Kerenski-Offensive.
Am 9. Juni setzte der Nachfolger in der Heeresleitung, General Brussilow, den Beginn des Angriffs für die Südwestftont auf den 23., für die übrigen Heeresfronten auf den 28. Juni fest. Dieser Zeitpunkt wurde aber für die Südwestsront, nach der sich die anderen zu richten hatten, bald darauf aus den 25. Juni und dann noch weiter verschoben, da der Kriegsminister Kerenski vorher noch die Angrifsskorps aufsuchen und durch anfeuernde Reden aus ihre Aufgaben vorbereiten wollte. Diesen Ansprachen folgten die Soldaten meist mit Begeisterung; sie versprachen, den Befehlen ihrer Vorgesetzten zu gehorchen.
j. Die Rümpfe der Heeresgruppe Böhm-Ermolli. 16. gnni.
Für den Angriff der russischen Südwestfront hatte General Gutor am IS. Funi folgende Aufgabe gegeben1): Besondere Armee (General Balujew mit 15 Infanterie- und 5 Kavallerie-Divisionen): Fesselung des Gegners; 11. Armee (General Erdeli mit 27 Infanterieund 2 Kavallerie-Divisionen): Durchbruch über die Linie Zborow—
Koniuchy, Erweiterung des Erfolges in nördlicher und nordwestlicher Richtung, Wegnahme von Zloczow und Vorgehen in der Richtung auf Lemberg; 7. Armee (General Bjelkowitsch mit 18 Infanterie- und 3 Ka¬ vallerie-Divisionen) : Durchbruch im Abschnitt von Brzezany und Vor¬ gehen in der Richtung auf Lemberg; 8. Armee (General Kornilow?) mit 18 Infanterie- und 3 Kavallerie-Divisionen): Angriff des rechten Flügels in das Lomnica-Tal und weiter über Kalusz auf Bolechow, im übrigen Sicherung der Flanke des Angriffs. Als Reserven der höheren Führung waren im ganzen sieben Infanterie- und drei Kavallerie-Divisionen, dabei vor allem die beiden Sardekorps, ausgeschieden. Die Stärke der zur Ver¬
fügung stehenden Artillerie ist nicht bekannt; jedenfalls war alles heran¬ gezogen worden, was nur möglich war, darunter die gesamte Heeres¬ artillerie. An der Durchbruchsfront der 11. und 7. Armee rechnete man
mit vierfacher infanteristischer Überlegenheit. Der Beginn der Artillerie-Vorbereitung, bei der nach Kalibern und Zahl der Rohre schwere Artillerie in bisher an der Ostfront nicht dagewe¬ senem Umfange mitwirkte (im Hauptangrisfsraum der 11. und 7. Armee je Kilometer 29 Geschütze, davon 9 schwere), wurde endgültig für den 29. Juni, der des Infanterie-Angriffs bei der Besonderen, 11. und 7. Armee i) Die Stärken der Armeen haben sich bis zum Beginn des Angriffs teilweise noch
geändert (vgl. Veil. 14). !) Im Sommer 1916 aus österreichisch-ungarischer Gefangenschaft (Bd. VIII, 6.408)
Der russische Einbruch bei der Heeresgruppe Döhm-Ermolli.
151
für den 1. Juli, bei der 8. Armee für den 8. Juli, besohlen. Die Zeiten
wurden auch innegehalten, obgleich sich noch bedenkliche Reibungen da¬ durch ergaben, daß jede Anordnung immer wieder abhängig war vom
Verlauf von Versammlungen sowie von Verabredungen zwischen Kerenski und den durch Kommissare und Ausschüsse dauernd überwachten militä¬
rischen Befehlshabern.
Am Vormittag des heißen l.guli begann der russische Infanterie-
Angriff, den vor allem die 7. und 11. Armee führten. Südlich von Brzezany brachen die Sturmwellen um 10° vormittags gegen die türkische 20. Division und die 24. Reserve-Division, etwas später auch gegen die
iS. Reserve-Division vor; weiter südlich hatte die Truppe den Angriff verweigert. Bis zum Abend waren die Türken nach erbitterten Rah-
kämpfen gegen eingebrochenen Feind wieder im Besitz ihrer Stellungen. Die 15. Reserve-Division hatte vormittags alle feindlichen Angriffe ab¬ geschlagen; nachmittags kam ein nach stärkster Artillerie-Entfaltung ge¬ führter russischer Massenstoß erst im Feuer rückwärtiger Maschinengewehr¬ nester zum Stehen, ein Gegenstoß warf den Feind von den erstürmten Höhen alsbald wieder hinunter. Bei der 24. Reserve-Division war der Gegner im Tale und beiderseits der Zlota Lipa schon vormittags in die Stellungen eingebrochen und seitdem in unentschiedene Kämpfe ver¬ strickt. Als er von 5° nachmittags an weiter Boden gewann, geboten ihm Teile der eingreifenden 241. Infanterie-Division um 9° abends noch gerade zu rechter Zeit Halt. Die Kämpfe dauerten hier, wo es den wichtigen Ver¬ kehrsknotenpunkt Brzezany zu decken galt, bis in die Nacht hinein an. Weiter nördlich, wo in breiteren Abschnitten vier österreichisch-unga¬
rische Divisionen standen, drang der Feind um 6° abends in die Front der ö.-u. 55. und 54. Infanterie-Division ein, die ihn jedoch im wesent¬ lichen aus eigener Kraft wieder zurückwarfen. Unterdessen aber waren
die Russen bei der ö.-u. 19. Infanterie-Division eingebrochen und schwenk¬ ten nach Süden aus Koniuchy ein. Nunmehr im Rücken gefaßt, brach auch der Nordflügel der ö.-u. 54. Infanterie-Division zusammen. Beiderseits von Koniuchy klaffte eine elf Kilometer breite Lücke. Aber der Gegner
drängte jetzt nicht weiter; seine Soldatenräte hatten beschlossen, zur Ver¬ meidung weiterer Verluste für die Vollendung des Sieges die Nacht ab¬ zuwarten. Das kam der zerrissenen Abwehrfront zugute. Die 223. In¬ fanterie-Division war bereits auf Koniuchy in Marsch gesetzt, ebenso die Reserve des ö.-u. XXV. Korps sowie die nördlich des Abschnitts Zloczow bereitgestellte 96. Infanterie-Division. Den vordersten Teilen dieser Ver¬
stärkungen gelang es, die Einbruchstelle abzuriegeln; zum Gegenangriff aber reichten die Kräfte einstweilen nicht.
152 L. Juli.
Der Krieg im Osten. Kerenski-Offensive.
Am 2. Juli kam es bei der Südarmee nur noch zu Nahkämpfen, in denen Initiative und Erfolg mehr und mehr an die Truppen der Mittel¬ mächte übergingen. Die Krise war überwunden. Anders bei der ö.-u.
2. Armee, wo der Gegner seine Angriffe fortsetzte und dabei nun auch den linken Flügel der ö.-u. 19. Infanterie-Division über den Haufen warf, eine Brigade, deren Mehrzahl Tschechen waren. Gegen sie hatte er die
aus österreichisch-ungarischen Kriegsgefangenen gebildete Tschechoslowa¬ kische Schützen-Brigade2) eingesetzt, der ihre Landsleute keinen großen Widerstand entgegensetzten. „Die Tschechen taten auf beiden Seiten ihre Pflicht — urteilte später eine halbamtliche tschechische Schrift2) über
solches Verhalten. Ihren leichten Erfolg weiteten die Russen sofort nach Norden bis zur Strypa gegen die ö.-u. 32. Infanterie-Division aus.
Herankommende starke Teile der 96. Infanterie-Division singen die Wei¬ chenden auf und bildeten zusammen mit ihnen nach hin und her wogenden Kämpfen eine neue Abwehrfront, die bei Hodow an die 223. Infanterie-
Division anschloß und nach Norden zum Strypa-Knie westlich von Zborow verlies. Teile der ö.-u. 32. Infanterie-Division und der 197. Infanterie-
Division sperrten hier die Straße nach Zloczow. 3. bis 7. Juli.
Am 3. Juli und den folgenden Tagen fanden an der Front der Süd¬ armee nur noch vergebliche russische Einzelvorstöße und Nahkämpfe statt, bei denen die Armee schließlich ihre alten Abwehrstellungen zurückgewann. Die Stoßkraft der Russen war erschöpft. Bei der ö.-u. 2. Armee mußten die beiden Divisionen des ö.-u. IX. Korps, deren Gefechtsstärke von 16000 aus 6700 Mann zusammengeschmolzen war, aus der Front ge¬ zogen werden. Das Generalkommando z. b. D. 51 unter Generalleutnant von Berrer übernahm den Abschnitt. Eine deutsche Division als Ver¬ stärkung war auf Lastkraftwagen von der südlich von Wilna stehenden
Armee-Abteilung Schefser in Marsch gesetzt. Aber schon vor ihrem Ein¬ treffen griff der Gegner am 6. Juli nach starker Artillerie-Vorbereitung unter Einsatz des I. Gardekorps auf der Front Koniuchy—Zborow noch¬ mals an. Er hatte keinerlei Erfolg und ging am 7. Juli unter dem Drucke
deutscher Gegenstöße in seine Ausgangsstellungen vom Tage vorher
zurück. Nach den ersten Erfolgen hatte der russische Ministerpräsident Fürst Lwow verkündet: „Der 1. Juli hat der ganzen Welt die Kraft des Revo¬
lutionsheeres gezeigt". Inzwischen aber konnte über den Mißerfolg der !) Bd. X, S. 430. 2) Dr. Frant. 93. Steidler: „Zborow. Operationen der Tschechoslowakischen Brigade bei Zborow und Tarnopol im Jahre 1917", S. 79. — Der Tag von Zborow wurde später
als der Geburtstag des tschechoslowakischen Heeres gefeiert,
Fortgang der Schlacht bei der Heeresgruppe Böhm-Ermolli.
153
7. und 11. Armee kein Zweifel mehr sein. Die Begeisterung des ersten Ansturms war erloschen. Zu weiteren Angriffen fehlten der Truppe fester Halt und Ausdauer. Die Soldatenräte erwiesen sich als unerträglicher
Hemmschuh. Drückeberger in übergroßer Zahl befanden sich hinter der Front. Daß General Brussilow von seinen Unterführern mehr Härte und Tatkraft forderte, um den Kampfgeist wieder zu heben, und eine Reihe von Personalveränderungen in hohen Kommandostellen vornahm, konnte bei dieser Lage nichts helfen. Unterdessen aber hatte sich weiter südlich ein neuer russischer Angriff « gegen die ö.-u. 3.Ar m e e*) des Generalobersten vonTersztyanszky vorbereitet,
die hinter der zur Zeit nur wenig Wasser führenden Bystrzyca-Solotwinska aus 100 Kilometer Breite nur vier Infanterie- und eine Kavallerie-
Division in der Front hatte. Hinter diesen österreichisch-ungarischen Ver¬ bänden standen als einzige Reserve Teile der 83. Infanterie-Division und die aus Italien abgekämpft und zunächst ohne Artillerie zugesührte ö.-u. 16. In¬ fanterie-Division. Nunmehr wurde die erstere zur Stützung der überaus
dünn besetzten Front ausgeteilt. Der Oberbefehlshaber Ost mahnte zu unbedingtem Festhalten der wichtigen Höhen unmittelbar nordwestlich des Eisenbahn- und Straßenknotens Stanislau; die Oberste Heeresleitung regte an, nötigenfalls rechtzeitig in die allerdings noch unfertige Stellung hinter der Lomnica auszuweichen. Aber bereits am 6. Juli, gleichzeitig mit dem letzten Angriff der russischen 11. Armee, sehte der Gegner bei Stanislau zum Angriff an.
Die russische 8. Armee unter General Kornilow mit insgesamt
18 Infanterie- und 3 Kavallerie-Divisionen, davon mindestens zehn In¬ fanterie-Divisionen vor der ö.-u. 3. Armee, die übrigen vor der Heeres-
front Erzherzog Josef, hatte im Rahmen der Gesamtossensive nur einen Nebenangrisf zu führen, der erst am 8. Juli beginnen sollte. Dazu hatte General Kornilow vor allem bei Stanislau, wo das westliche Bystrzyca-
Ufer bereits in seiner Hand war, starke Kräfte zusammengezogen. Bon hier wollte er auf Kalusz und, da der Angriff der 7. Armee gegen die deutsche Südarmee inzwischen liegen geblieben war, weiter gegen deren rechte Flanke vorstoßen. Er begann den Angriff bereits am 6. Juli.
Dieser Tag brachte den Russen geringen Geländegewinn gegen das ö.-u. XIII. Korps. Weiter nördlich hielten die dünnen Linien der ö.-u. *) Gliederung der ö.-u. Z. Armee am 6. Juli:
ö.-u. S. g. $>.; ö.u. XIII. Korps (Feldmlt. Edler von Schenk) mit ung. 42. und ö.-u. 36. I. ö.-u. XXVI. Korps (Feldmlt. von Hadfy) mit ö.-u. 15. g. D., ö.-u. 2. K. ©.; dahinter
Teile der 83. H. D. und die p.-u. 16. H. D. (ohne Artl.).
154
Der Krieg im Osten. Kerenski-Offensive.
e. m. 11.3.11 15. Infanterie-Division, nur durch ein deutsches Regiment verstärkt, bis sie westlich von Stanislau am 8. Juli neuem Ansturm von sechs russischen
Divisionen erlagen. Die weithin die Gegend beherrschende Iutrena-Höhe
ging verloren. Zum Schutze ihres rechten Flügels setzte die Südarmee ihre letzten Reserven ein. Als die Russen dann am 9. Juli neue Erfolge
nördlich der Bahn Stanislau—Kalusz errangen, entschloß sich General¬ oberst von Tersztyanszky im Einvernehmen mit dem vorgesetzten Heeres-
gruppenkommando und dem Oberbefehlshaber Ost, seinen linken Flügel hinter die schützende Lomnica zurückzunehmen, während der rechte im
Gebirge zunächst noch stehenblieb. Der Oberbefehlshaber Ost befahl, die neue Linie unbedingt zu
halten, da sich sonst der taktische Erfolg der Russen operativ auswirken und die aus der Front der ö.-u. 2. Armee beabsichtigte große Gegen¬
offensive vielleicht zu spät kommen könne. Ihre Vorbereitung wurde durch die Ereignisse bei Stanislau ohnehin bereits in Mitleidenschaft gezogen; denn schon hatten zwei für sie bestimmte Divisionen (16. und 8. baye¬ rische Reserve-Division) zur ö.-u. Z. Armee abgedreht werden müssen. Diese leitete die bayerische Division von Westen, die 16. Reserve-Division von Nordosten her auf Kalusz weiter. Die Ausladungen konnten dort allerdings erst am 10. oder 11. Juli beginnen. Bei der großenteils aus Ruthenen bestehenden ö.-u. 15. Infanterie-Division war die Gefechtsstärke von 7700 auf nur noch 800 Mann gesunken, 43 Geschütze waren verloren.
Die Südarmee entsandte eine zusammengesetzte Brigade aus Last¬ kraftwagen zur Stützung der Front bei Halicz. Dieser Ort und die um¬ liegenden Höhen fielen aber bereits am 10. Juli in Feindeshand. Trotz¬ dem war Generaloberst Gras Bothmer entschlossen, seine Stellungen
auch weiter zu behaupten. Der Oberbefehlshaber Ost sah sich genötigt, von den anrollenden Angriffstruppen noch weitere deutsche Kräfte (20. und 42. Infanterie- und bayerische Kavallerie-Division) in den Raum hinter der ö.-u. 3. Armee abzudrehen. Auch der rechte Flügel dieser Armee sollte in den nächsten Tagen im wesentlichen hinter die Lomnica zurück¬ genommen werden.
Unterdessen hatte General Kornilow den Angriff fortgesetzt. Noch ehe aus Seiten der Mittelmächte ausreichende Verstärkungen heran waren, überschritt er am 11. Juli mit frischen Divisionen die Lomnica und nahm bereits um 7° vormittags in überraschendem Angriff Kalusz. Alle verfüg¬ baren Reserven wurden eingesetzt, um diesen neuen russischen Erfolg zu
begrenzen. Die 8. bayerische Reserve-Division baute im Halbkreis um die Stadt eine, wenn auch nur schwache Widerstandslinie auf, der erst allmäh¬
lich weitere Verstärkungen zuflössen. Die 16. Reserve-Division sollte später
Ende der Schlacht bei der Heeresgruppe Böhm-Ermolli.
155
zur Wiedernahme von Kalusz einheitlich eingesetzt werden. Die Lage blieb aber ernst, denn das unzureichende Bahnnetz gestattete nur langsames und
tropsenweises Heranführen von Verstärkungen. Oberste Heeresleitung und Oberbefehlshaber Ost führten den Rückschlag auf Versagen der Armeeführung zurück. Für Generaloberst von Tersztyanszky übernahm am 12. Juli Generaloberst Kritek den Befehl über die ö.-u. Z. Armee. Die Russen drängten an diesem Tage nicht weiter vor. Die nötigen Kräfte, um sie über die Lomnica wieder zurückzuwerfen,
konnten aber vor dem 15. Juli nicht heran sein. Inzwischen errangen die Russen am 13. einen neuen Erfolg gegen Truppen des ö.-u. XIII. Korps,
die bei Rowica noch auf dem Ostuser des Flusses hielten. Von Dolina herankommende Teile der bayerischen Kavallerie-Division halfen den
Stoh aufzufangen. Unterdessen hatte wolkenbruchartiger Regen die Wege grundlos gemacht; die Lomnica schwoll hoch an und wurde damit zu einem
ernsten Hindernis im Rücken der Russen bei Kalusz, aber auch der öster¬ reichisch-ungarischen und deutschen Truppen bei Rowica. In der Nacht zum 16. Juli gingen die Russen unerwartet und un¬
bemerkt bei Kalusz aus das Ostufer des Flusses zurück. Weiter südlich hatte inzwischen General Litzmann (Generalkommando XXXX. Reservekorps) den Befehl übernommen. Teile der ö.-u. 36. Infanterie-Division, unter¬
stützt durch solche der 8. bayerischen Reserve-Division und der 20. Infan¬ terie-Division, sollten am 17. Juli die Höhen um Rowica wiedernehmen, um dann die russische Stellung aus dem Ostuser der Lomnica nordwärts
aufzurollen. Diesem Unternehmen warf der Gegner aber so starke Kräfte, vier Divisionen, entgegen, daß es aufgeschoben werden mußte. Es unter¬ blieb schließlich ganz, da die 20. Infanterie-Division inzwischen zur Teil¬ nahme an der großen deutschen Gegenoffensive abberufen wurde.
Die Kerenski-Offensive hatte nach Anfangserfolgen an der ganzen
Front der Heeresgruppe Böhm-Ermolli mit Stillstand geendet. Wohl hatte General Brussilow am 8. Juli gleichzeitig mit dem Angriff seiner 8. Armee auch die Offensive der 7. und 11. Armee nochmals in Gang zu bringen versucht, aber hier verweigerte die Truppe neuen Angriff. Die Erfolge der 8. Armee hatten Heer und Volk mit neuer Hoffnung erfüllt.
General Brussilow hatte ihr als Verstärkung das II. Gardekorps zugesandt, damit sie sich nordwärts gegen die Flanke der deutschen Südarmee wende.
Kriegsminister Kerenski hatte gemahnt: „Laßt den Feind nicht zum Halten und Eingraben kommen." Aber die Angriffskrast der Truppe war nach den ersten gegen schwachen Feind verhältnismäßig leicht errungenen Er¬
folgen auch hier verbraucht, in Kalusz aufgefundene Vorräte an alkoho-
156
Der Krieg im Osten. Kerenski-Ofsenslve.
lischen Getränken hatten das übrige getan. 40000 Mann (nach russischen Angaben 14 v. H. ihres Bestandes) hatten die drei angreifenden Armeen der Südwestfront bei ihren vergeblichen Anstrengungen verloren. Auf Seiten der Mittelmächte hatte die überwiegend aus deutschen Ver¬ bänden bestehende Südarmee, die zudem für die Abwehr des in erster Linie bei ihr erwarteten Angriffs noch besonders verstärkt war, ihre Stel¬ lungen in vollem Umfange behauptet; ihre Verluste betrugen 12500 Mann, davon mehr als 4000 Vermißte*). Die wesentlich schwächer besetzten Fronten der ö.-u. 2., vor allem aber der ö.Hi. 3. Armee2) hatten mehr oder minder
große Geländeeinbußen erlitten; bei der letzteren erreichten sie mehr als 20 Kilometer Tiefe. Aber auch hier war der russische Ansturm durch Zu¬ führung neuer deutscher Verbände überall zum Stehen gebracht worden, bevor er operativ bedenkliche Folgen haben konnte.
2. Die Rümpfe der Heeresgruppe Eichhorn. Weit weniger noch als die Angriffe der russischen Südwestfront hatten die der Nord- und Westfront sowie der Rumänischen Front Erfolg, die denen der Südwestfront zeitlich alsbald folgen sollten. Sie ver¬ späteten sich erheblich, da es bei der hinter der Front herrschenden An¬ ordnung nicht gelungen war, die Truppen rechtzeitig bereitzustellen. Ge¬ neral Brussilow hielt aber an ihrer Durchführung fest, wobei unter anderem
Rücksicht aus die bevorstehende Offensive der Westmächte in Flandern mit¬ sprach, für die ihm der 28. Juli als Tag des Artilleriefeuer-Beginns an¬ gegeben worden war. Schließlich bestimmte er als ersten Angriffstag bei
der Nord- und Westfront den 22. Juli; höchstens zwei Tage später sollte die Rumänische Front angreifen; diese Zeiten wurden auch annähernd innegehalten. Der Nord- und der Westfront war Wilna als gemeinsames
Angriffsziel gegeben. Dorthin sollten von Dünaburg aus die 5. Armee, aus dem Raume von Molodeczno der linke Flügel der 3. und die 10. Armee
angreifen. Auf deutscher Seite hatte die 10. Armee unter Generaloberst von Eichhorn (Chef des Generalstabes Generalmajor Frotscher) schon seit längerer Zeit einen russischen Angriff gegen die 65 Kilometer breite, aber nur mit fünf Divisionen besetzte Front des III. Reservekorps des *) Deutsche Verluste 5400 Mann (davon 1900 Vermißte), österreichisch-ungarische 4600 Mann (davon 2300 Vermißte), türkische 2500 Mann (davon 50 Vermißte). Die Verluste der ö.-u. 2. und 3. Armee waren nicht festzustellen.
a) Deutsche Südarmee: 55 km Front, 8 Divn. Div.Breite knapp 7 km; ö.-u. 2. Armee: 80 km Front, 8 Divn. u. 1 K. D., Div.Breite etwa 10 km; ö.-u. 3. Armee: 100 km Front, 4 Divn. u. 1 K. D., Div.Breite mehr als 20 km.
Erfolgreiche Abwehr bei der Heeresgruppe Eichhorn.
157
Generals der Infanterie von Carlowitz erwartet. Ihr standen — wie man annahm — 9 russische Divisionen in der Front und 11 bis 14 nebst
starker Kavallerie in Reserve gegenüber. Trotzdem sah man, wie der Ober¬ befehlshaber Ost am 15. Juli nach Kreuznach meldete, dem Angriff mit Zuversicht entgegen. Am 19. Juli begann gegen den rechten Flügel der Korpssront südlich der Wilia eine wirkungsvolle Artillerievorbereitung durch etwa 90 russische Batterien und zahlreiche Minenwerfer. Russische Erkundungsvorstöße wurden abgewiesen. Am 20. und 21. Juli verstärkte
sich das feindliche Artilleriefeuer gegen die beiden südlichsten Divisions¬ abschnitte. Mehrere Bataillone der Armee-Abteilungen Woyrsch und D
sowie Feldartillerie der Armee-Abteilung Schefser wurden dem bedrohten Abschnitt als Reserven zugeführt*). In der Frühe des 22. Juli brach der Feind bei und beiderseits von Krewo bei der 16. Landwehr-Division zum Teil bis in die Artillerie-Stellungen durch, wurde aber meist schon im Lause
des Vormittags in seine Ausgangsstellungen zurückgeworfen. Größeren Erfolg hatte er weiter nördlich gegen den Anschlußslügel zur 226. In¬ fanterie-Division. Hier stand er gegen Mittag in einem über vier Kilometer
breiten und zwei Kilometer tiefen Einbruchsbogen, während sein Angriff noch weiter nördlich, einige Kilometer südlich von Smorgon, wo die 226. In¬
fanterie-Division von der nicht angegriffenen 14. Landwehr-Division durch
flankierendes Artilleriefeuer unterstützt wurde, keinerlei Erfolg hatte. Gegen den Einbruchsbogen traten die herangeführten Reserven noch nachmittags von Südwesten her zu einheitlichem Gegenangriff an, stießen aber nach an¬ fänglichen Erfolgen gegen 10° abends auf mehrere frisch eingesetzte feind¬ liche Divisionen und blieben liegen. Am 23. Juli führten deutsche Einzel¬ vorstöße zur Festigung und Verbesserung der Lage. Die Stoßkraft des Feindes schien zunächst erschöpft. Generaloberst von Eichhorn wollte mit dem Gegenangriff aber warten, bis ausreichende Kräfte bereit standen. Insgesamt flössen dem Kampfselde 23 Bataillone nebst zahlreichen Ma¬ schinengewehr- und Artillerie-Formationen zu. Weitere Verstärkungen, vor allem die Garde-Ersatz-Division aus dem Westen und die vom Ober¬
befehlshaber Ost aus Galizien überwiesene 75. Reserve-Division, wurden demnächst erwartet. Bevor sie heran waren, machte der Gegner am 25. Juli
noch einen letzten Versuch, die Einbruchsstelle nordwärts zu erweitern. Da¬ bei aber bröckelte seine Infanterie unter umfassendem deutschen Feuer mehr und mehr ab und gab schließlich den ganzen Geländegewinn wieder preis. Am Abend des Tages waren alle Stellungen wieder in der Hand *) Besetzung des bedrohten Abschnittes vom rechten Flügel: 16. L. D., 226. Z. D., 14. L. D.
I. bis 25.
Juli.
Der Krieg im Osten. Kerenski-Ofsensive.
158
des III. Reservekorps. Der Versuch des Feindes, die Front südlich der Wilia zu durchstoßen, war gescheitert. Die Kämpfe hatten die beteiligten deutschen Truppen aber doch mehr als 7000 Mann gekostet. Die blutigen
Verluste der Russen dürften weit größer gewesen sein; ihr Heeresbericht
hob hervor, daß russische Offiziere massenhaft gefallen seien. 21. Me 24.
Juli.
Bei der Armee-Abteilung D des Generals der Infanterie Grafen von Kirchbach (Chef des Generalstabes Oberst von Kessel) lagen seit An¬ fang Juli Anzeichen für Angriffsabsichten der russischen 5. Armee vor. Dem Abschnitt des Generalkommandos z. b. V. 53 (General der Kavallerie Frei¬
herr von Richthofen) bei Dünaburg gegenüberstehende russische Verbände, die sich der deutschen Frontpropaganda zugänglich gezeigt hatten, wurden durch zuverlässigere Truppen abgelöst. Der Oberbefehlshaber Ost er¬ wartete den Angriff, den er als Rebenangriff einschätzte, für den er aber
doch etwa siebeneinhalb russische Infanterie-Divisionen und drei KavallerieDivisionen als verfügbar annahm, südwestlich von Dünaburg, beiderseits der Bahn nach Wilna. Am 21. Juli war die Artillerieschlacht hier bereits in vollem Gange. Am 23. griff der Feind in einer Ausdehnung von zwölf
Kilometern, wie Gefangene später aussagten, mit sechs Divisionen an, während viereinhalb dahinter noch in Reserve standen. Er brach an meh¬ reren Stellen in die Abwehrfront ein, so daß vor allem an und östlich der
Bahn Verstärkungen zur Stützung der Front eingesetzt werden mußten. Aber bald zeigte sich bei den Russen schnell wieder zunehmender Verfall. Schon am 24. Juli ließ ihr Druck nach; nachmittags wurden bereits rück¬
gängige Bewegungen festgestellt. Die Einbruchsstelle wurde ohne Schwie¬ rigkeit ausgeräumt. Bei Krewo-Smorgon sowohl wie bei Dünaburg war es der Heeres¬
gruppe Eichhorn gelungen, ohne Mitwirkung nennenswerter Kräfte von anderen Heeresgruppen die weit überlegenen feindlichen Angriffe abzu¬
weisen. 24. anb 25.
Juli.
Damit war die große russische Offensive bei der Nord-, West und
Südwestsront gescheitert. Der Angriff der Rumänischen Front, der erst am 24. Juli begann, brachte noch einen Anfangserfolg'). Aber bereits am 25. ließ General Brussilow aus Weisung des Kriegsministers Kerenski die Angrifssunternehmungen an allen Fronten einstellen. Die Abwehr der großen deutschen Gegenoffensive in Ostgalizien, die am 19. Juli mit voller Wucht eingesetzt hatte, nahm alle Kräfte in Anspruch. !) Näheres hierüber im Zusammenhang mit der Schilderung des dort anschließenden deutschen Gegenangriffs. S. 180 ff.
Vorbereitung der Gegenoffensive.
159
B. Die Gegenoffensive in Dstgalizien. Beilagen 15 und 16.
J. Der Durchbruchsangriff bei Zloczow. Der Bruchpunkt in der Front der ö.-u. 2. Armee derHeeresgruppe Böhrn-Ermvlli am oberen Seret (Nebenfluß des Dniester) bot günstige
Möglichkeiten für eine operativ wirksame Offensive auf dem westlichen Flußufer nach Südosten und damit in die Flanke der südlich anschließenden russischen Front. „Es war hier" — wie General Ludendorff schrieb1) —
„eine der wenigen Stellen der Ostfront, wo mit geringen Mitteln, und mit diesen konnte man nur rechnen, ein größerer strategischer Erfolg mög¬ lich war. Der Gedanke ist kein Zeichen von besonderer Genialität, er ergab
sich, wie so viele Gedanken, bei richtiger militärischer Schulung von selbst". Eine solche Offensive, allerdings mit starken Kräften und sehr weitem Ziel (Odessa), war daher schon im Dezember 1916 vom Oberbefehls¬
haber Ost vorgeschlagen und seitdem mehrfach erörtert worben2). Als nun am 24. Juni General Ludendorff bei Oberst Hoffmann anfragte3), ob er angesichts der russischen Angrifssvorbereitungen gegen die Südarmee bei einem Zuschuß von Divisionen aus dem Westen die Operation auf
Tamopol auch jetzt noch machen und damit der erwarteten russischen Offensive begegnen könne, war dieser dazu sofort bereit, auch wenn er
nur vier Divisionen erhalte«). General Ludendorff stellte fünf in Aussicht. Eeneralfeldmarschall Prinz Leopold von Bayern betraute den Befehls¬ haber im Abschnitt Zloczow, General der Infanterie von Winckler (Gene¬ ralkommando des I. Armeekorps, Chef des Generalstabes Major Frantz) mit den ersten Vorbereitungen für den Durchbruch durch die russische
Stellungsftont. Von derselben Kommandostelle schon früher gefertigte Vorarbeiten konnten die Grundlage bilden.
Die Oberste Heeresleitung stellte außer den zugesagten fünf Divi¬ sionen noch eine sechste, ein Generalkommando und Artillerie zur Ver¬ fügung und gab als Operationsziel die Linie Tarnopol—Czernowih. Die
Heeresfront Erzherzog Josef hatte ebenfalls Artillerie sowie später eine Division zu geben. Alles Übrige muhte der Oberbefehlshaber Ost der ") *) ') *)
Mitteilung vom November 1922. Bd. XI, S. 385f. und 489ff. S. 38. Mitteilung des Gen. Hoffmann vom Okt. 1922.
160
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
eigenen Front entnehmen, wobei es angesichts des bevorstehenden russischen Angriffs fraglich blieb, inwieweit er auf Reserven der Heeresgruppe BöhmErmolli selbst zurückgreifen konnte. rs.g°ni. Am 29, Zum reichte die Heeresgruppe dem Oberbefehlshaber Oft den vom Abschnitt Zloczow für den Durchbruchsangriss aufgestellten Ent¬ wurf „Sommerreise" ein. Der Grundgedanke war: „Durchbrechen der feindlichen Linie vor dem linken Flügel des Abschnitts, Ausnutzung des Seret als Flankenschutz, Vordringen mit starkem linken Flügel am Seiet
entlang nach Südosten, um so die russische Front möglichst weit aufzu¬ rollen. Ein Überschreiten des Seret war nicht beabsichtigt"'). Das An¬
griffsgelände, reichgegliedertes Hügelland mit Höhenunterschieden bis zu 100 Metern, bedeckt von zahlreichen Ortschaften, Gehöften und Wald¬
stücken, bot taktisch in seinem Nordteil günstigere Verhältnisse für den Ein¬ bruch in die feindliche Front als in der Mitte und im Südteil. Auch das weitere Vordringen, in der linken Flanke gedeckt durch die an Seen reiche Seret-Niederung, hatte dort die besten Aussichten. Zwei etwa vier Kilo¬ meter hintereinander liegende, wie es schien, gut ausgebaute russische Stellungen waren zu überwinden; noch etwa 20 Kilometer weiter konnte der Gegner die Stellungen des Jahres 1915/16 zu neuem Widerstand aus¬
nutzen. Nachteilig war, datz aus dem Abschnitt Zloczow nicht eine einzige feste Straße in der Angriffsrichtung führte. In Anlehnung an den Angrisfsentwurf ordnete der Oberbefehls¬ haber Ost an, daß der Hauptstoß mit drei Westdivisionen, die schon bis zum 10. Juli aufmarschiert sein konnten, auf etwa sechs Kilometer breiter
Front vom Nordflügel des Abschnitts Zloczow zu führen sei. Dahinter sollten ein zweites und drittes Treffen von Divisionen bereitgestellt werden,
von denen starke Teile rechts einschwenkend die feindliche Front nach Süden auszurollen hatten, während eine Division und Heereskavallerie im Vor¬ gehen „möglichst östlich des Seret" den Schuh der linken Flanke gegen Nordosten übernahmen; hierbei sollte die Heereskavallerie, als deren Kern die bayerische Kavallerie-Division bestimmt wurde2), „vielleicht aus Tarnopol" gehen. Schließlich hatten ein bis zwei Divisionen südlich des Hauptangriffs einen Nebenangriff gegen die Zlota Gora zu führen. Während nun Generaloberst von Böhm-Ermolli den Angriff erst e
ginnen lassen wollte, wenn auch die Truppen des zweiten und dritten
Treffens bereitstünden, entschied der Oberbefehlshaber Ost angesichts des i) Mitteilung des Obst. a. D. Franh vom August 1928. *) An berittenen Kavallerie-Verbänden hatte der O.B. Ost auher der buiicnw Division nur noch die im Küstenschutz am Rigaschen Meerbusen verwendete l.K.D. un
die Leid-Hus. Brig.
161
Entwicklung des Angriffsplanes.
russischen Einbruchs bei Zborotv1) am 5. Juli, daß auf diese Divisionen nicht gewartet werden dürfe. Er bestimmte den 12. Juli als Angriffstag. Aber bald stellte sich heraus, daß der Artillerieaufmarsch bis dahin nicht beendet sein konnte; der Angriff mußte auf den 14. Juli verschoben werden. Inzwischen wurde am 8. Juli die Lage bei der ö.-u. 3. Armee2) s. kritisch. Sie zu stützen war nur möglich, wenn man auf die zum Angriff
bei Zloczow bestimmten Truppen zurückgrisf. Das wollte Generalfeld¬ marschall Leopold Prinz von Bayern2) aber vermeiden und den Dingen bei Kalusz daher ihren Laus lassen, selbst aus die Gefahr hin, daß die Russen bis an die Karpaten, möglicherweise sogar nach Ungarn hinein vordrangen; um so vernichtender würde sie die beabsichtigte Offensive in Flanke und Rücken treffen. Als ihm Oberst Hossmann aber vorstellte, daß die Oberste Heeresleitung den dabei möglichen, wenn auch nur vorübergehenden Verlust des Etappenhauptortes Stryj und des Erdöl¬
gebietes von Drohobycz, die schweren Schaden leiden könnten, nicht gut¬ heißen könne, gab er schweren Herzens vier der für den Angriff bestimmten Divisionen, dazu die bayerische Kavallerie-Division*) und auch Artillerie zur Stützung der ö.-u. 3. Armee ab. Dieser Ausfall im Abschnitt Zloczow konnte zwar aus eigenen Kräften des Oberbefehlshabers Ost ersetzt werden, es ergaben sich aber erhebliche Änderungen in den Angrifssvorbereitungen. Am 9. Juli ließ General von Winckler melden, daß auch Reibungen in der Munitionszufuhr den weiteren Aufschub des Angriffs bis zum 16. Juli nötig machten. Damit erhob sich die neue Sorge, daß der Angriff in der beabsichtigten Form zu spät kommen könne, um das Vordringen der Russen nach Stryj und Drohobycz zu verhindern. Ein Gegenangriff über die Linie Chodorow—Rohatyn in südlicher Richtung wurde erwogen, auch wurden
Vorbereitungen für diese Aushilfe getroffen, doch entschied Prinz Leopold im Vertrauen auf weiteres Standhalten der Südarmee, wie auf Besserung der Lage bei der ö.-u. 3. Armee, daß es bei dem ursprünglichen Plan zu bleiben habe. Run aber machte der am 13. Juli einsehende heftige Regen den schweren Lehmboden Ostgaliziens und damit alle Wege grundlos und ließ die Wasserläuse über die Ufer treten. Rechtzeitige Ausstattung der Batterien mit Munition war abermals in Frage gestellt. Der Angcisssbeginn mußte noch weiter, auf den 19. Juli, verlegt werden. r) S. 151 f. 2) S. 153 f. *) Persönliches Kriegstagebuch des Prinzen Leopold, Eintragung vom 9. Juli 1917. *) „Es war ein Verhängnis, daß im Augenblick des Versagens der ö.-u. 3. Armee die
Eisenbahntransporte derart liefen, dah nichts anderes übrig blieb, als die Transportzüge gerade der Kav. Div. abzudrehen. Andere Truppen wären zu spät gekommen". (Mit¬ teilung des Obst. a. D. Brinckmann, damals 1. (Seilst.Off. beim O.B. Oft, vom Juli 1929.) Weltkrieg. XIII. Bd.
11
162
14.3«h.
Der Krieg Im Osten. Gegenoffensive In Ostgalizien.
Unterdessen war der Oberbefehlshaber Ost mit seinem engeren Stabe bereits am 14. Juli in Zloczow eingetroffen, um bei dem fast aus¬ schließlich von deutschen Truppen zu führenden Angriff „an Ort und Stelle
eingreifen zu können, falls dies erforderlich werden sollte"1). Dadurch war allerdings das weiter rückwärts liegende österreichisch-ungarische Heeres¬ gruppen- und zugleich Armee-Kommando Böhm-Ermolli im wesentlichen
ausgeschaltet, doch wurde versucht, diesen Mißstand durch Innehaltung des Befehlsweges soweit als möglich zu mildern, denn der Oberbefehlshaber
wie sein Chef des Generalstabes gehörten gerade zu denjenigen österreichisch¬ ungarischen Generalen, die sich „dem deutschen Oberbefehl verständnisvoll und einsichtig unterstellt hatten und mit denen ein durchaus erfreuliches,
auf gegenseitigem Vertrauen beruhendes Zusammenarbeiten bestand"1). Hinsichtlich der operativen Ausnutzung des erwarteten Angriffs¬ erfolges gingen die Hoffnungen der Obersten Heeresleitung weiter als die des Oberbefehlshabers Ost. Sie hatte von Haus aus die Linie Czernowitz—Tarnopol als Ziel gesetzt und hoffte — je nachdem, wie die russischen Truppen sich schlagen würden — aus eine noch weiter reichende Operation. Der Oberbefehlshaber Ost dagegen sah die Vorbedin¬
gungen für so weitgesteckte Ziele nicht als gegeben an; Zahl und Stoßkraft der Truppen, ihre Ausstattung mit Fuhrpark und die Eisenbahnverhält¬ nisse würden dafür nicht ausreichen, es sei denn, daß der Gegner sich nicht mehr schlage und den Kampf aufgebe. Darauf glaubte aber der Ober¬ befehlshaber Ost nach den Eindrücken, die er unmittelbar vorher von den
russischen Truppen gewonnen hatte, nicht rechnen zu dürfen. So faßte er, in voller Übereinstimmung mit der Auffassung des Generalkommandos Winckler, nur ein Aufrollen der russischen Front aus dem Abschnitt Zloczow nach Süden ins Auge, wobei der Seret das Vorgehen nach Osten begrenzen
sollte. Tarnopol, das durch einen See geschützt, schon jenseits des Seret liegt, konnte „vielleicht" durch östlich des Flusses vorgehende Heereskavallerie genommen werden. Im übrigen war das Streben, alle Kraft
westlich des Seret zum Stoß nach Süden zusammenzuhalten. Im Sinne der Auffassung des Oberbefehlshabers Ost hatte der bei ihm eingesetzte Verbindungsoffizier, Major Freiherr von dem Bussche, am 9. Juli an die
Oberste Heeresleitung gemeldet^). General Ludendorff versah die Melx) Hoffmann: „Aufzeichnungen", II, S. 179. *) Mitteilung des Obst. Brinckmann vom Juli 1929. 8) Über den Gedankenaustausch zwischen O. H. L. und O. B. Oft geben die Akten keinerlei Aufschluß i er hat offenbar nur am Fernsprecher stattgefunden. Maj. von dem
Bussche hat seine Meldung noch beim Abschnitt Zloczow abgesandt, während der O. B. Oft in Brest weilte. Er gab aber offenbar dessen Auffassung wieder; denn hätte sich diese mit dem Gemeldeten nicht gedeckt, so würde er das zum Ausdruck gebracht haben.
Bereitstellung der Angriffstruppen.
163
düng mit der Bemerkung: „Sehr verständig. Hoffentlich kommen wir doch weiter". In diesem Sinne nahm er in Aussicht, daß sich je nach dem Verlaus die Südarmee, vielleicht sogar die ö.-u. 3. Armee, dem Angriff
anschließen sollten.
Am 19. Juli standen im Abschnitt Aloczow elf Divisionen, davon zwei
österreich-ungarische, und eine verstärkte Kavallerie-Brigade mit ins¬
gesamt 830 Geschützen (davon 260 schwere), sowie 230 mittleren und schweren Minenwersern zum Angriff bereit1). Die von der österreichisch¬ ungarischen Heeresleitung erbetene Heranziehung weiterer österreichischungarischer Kräfte hatte der Oberbefehlshaber Ost wegen der bedrohten Lage an den österreichisch-ungarischen Frontabschnitten und auch deswegen abgelehnt, weil jene Verbände fast in jeder Hinsicht noch schlechter aus¬ gestattet waren als die deutschen Stellungs-Divisionen. Am die Überraschung bis zuletzt zu sichern, waren die Westdivisionen
hinter dem Schleier der bisherigen österreichisch-ungarischen Stellungs¬ besatzungen bereitgehalten und sollten dann durch diese hindurch vorgehen, diese selbst sich dem weiteren Angriff eingliedern. Am die Aufmerksamkeit des Gegners abzulenken, war vor allem für die Südarmee in den Tagen vor
dem Angriff und am Angriffstage selber, in geringerem Umfange auch für das nördlich an den Abschnitt Zloczow angrenzende ö.-u. V. Korps, gestei¬ gerte Artillerietätigkeit angeordnet. Die Heeresfront Erzherzog Josef hatte eine ähnliche Mitwirkung als ihrer Munitionslage nicht entsprechend abgelehnt, wollte aber bei günstigem Verlaus der Offensive sich dieser mit dem rechten Flügel der ö.-u. 7. Armee in der Richtung aus Kuty-Wiznitz oder Kimpolung anschließen. So war alles für das Durchstoßen der feindlichen Front bestens vor*) Gliederung der Angriffsfront am 19. Fuli (vom linken Flügel): anschließend an rechten Flügel des ö.-u. V. Korps (12. Ldw. D.): Abschnitt Floczow, Een. d. Inf. von Winckler, Chef d. Genst.: Mas. Frantz, Een. d. Fußart.: Eenmaj. von Berendt:
Een. d. Inf. von Kathen (Gen. Kdo. XXIII. R. K.) mit 2. u. 1. G. F. D. u. 6. F. D., davor ö.-u. 33. F. D. als
Dahinter als Reser¬ Ste llungsbesahung; Eenlt. von Berrer (Gen.Kdo. 51) mit 5. F. D., dahinter ven: L. Hus. Brig., 22. g. D.; 92. u. 42. Z. D. Eenlt. Wilhelmi (Kdr. 197. g. D.) mit Teilen der ö.-u. 22. I.D., 197. u. 237. g. D.
Ferner südlich von Fborow bereit, sich dem Angriff anzuschließen: Eenlt. Hofmann (Gen.Kdo. des Beskiden-Korps) mit 96. u. 223. F. D., dann Südarmee.
19. guli
164
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
IS. Jon. bereitet, und auch für das weitere Ziel4), „den Nordslügel des russischen
Heeresteiles südlich der Durchbruchsstelle so empfindlich wie möglich zu schlagen". Der Gedanke eines auf das Ostufer des Seret übergreifenden Vorgehens aber war mit dem Ausscheiden der bayerischen KavallerieDivision auch vom Oberbefehlshaber Ost aufgegeben worden; General von Winckler hatte so weites Ausgreisen bei beschränkten Mitteln, die zu¬
dem wahrscheinlich nur für beschränkte Zeit zur Verfügung standen, ohne¬
hin für unzweckmäßig gehalten. Die erst im letzten Augenblick herankom¬ mende Leib-Husaren-Brigade (900 Pferde) allein erschien für solche Auf¬ gabe viel zu schwach, zumal da auch der Zustand ihrer Pferde sehr zu wünschen übrig ließ. Die Vorwärtsbewegung sollte also mit starkem linken Flügel am westlichen Seret-Üfer entlang geführt werden, wobei der Ober¬
befehlshaber Ost bei „raschem Vordringen in scharf südöstlicher Richtung wenigstens Teilen der noch in Gegend Stanislau befindlichen russischen Kräfte den Rückzug zu verlegen" hoffte. Am 19. Juli um 3° früh begannen Artillerie und Minenwerfer die
Vergasung der russischen Batterien und Stellungen in und hinter der Linie Harbuzow—Zwyzyn mit 90000 Schuß. Rach Hellwerden setzte um 5° das Wirkungsschießen von 540 Geschützen, etwas später auch von 180 schweren und mittleren Minenwersern ein; es dauerte bis 10°. Unterdessen gelang bereits um 730 ein zur Ablenkung angesetzter Vorstoß der nördlich anschließenden 12. Landwehr-Division, und im Süden erreichte um 9° die
Gruppe Wilhelmi, unterstützt durch das Feuer von etwa 130 Geschützen und zahlreichen Minenwerfern, das ihr auf der Zlota Gora gesteckte Ziel.
Vor der Gruppe Kathen zeigten sich Überläufer, auch rückwärtige Be¬ wegungen wurden sichtbar. Die feindliche Artillerie antwortete nur ganz
vereinzelt; reger Protzenverkehr deutete auf Abfahren der Batterien. So fand das Vorgehen der 2. und 1. Garde- sowie der 6. Infanterie-Division nur noch geringen Widerstand. Dem in großen Sprüngen vorverlegten
Artilleriefeuer folgend, wurde die nur schwach besetzte russische I. Stellung überrannt, und bereits um ll40 wurde auch die II. Stellung genommen. Der
planmäßige Einsatz von rund 250000 Schuh Brisanz-Munition hatte den Gegner derart beeindruckt, daß nur noch Sibirier in Zwyzyn vorübergehend Widerstand leisteten; im übrigen war er in vollem Abzüge. Auch vor den Truppen des Generals von Berrer wich er alsbald nach Süden und Süd-
osten zurück. Es war ein drückend heißer Fulitag, aber rastlos sehte die deutsche Infanterie bis in die späten Abendstunden dem Feinde nach. Sie stieß nirgends mehr auf geregelten Widerstand. Man hatte den Eindruck, !) Das folgende im wesentlichen nach einer Mitteilung des Obst. Brinckmann, vom Fuli 1929.
Der Angriff bei Floczow. Einbruch in die feindlichen Stellungen.
165
dah der Gegner vielleicht schon vor Einsatz des Artillerieseuers mit der Räumung seiner Stellungen begonnen habe. Mit der Zlota Gora als Schwenkungspunkt, gelangte der Angriff mit dem linken Flügel noch über Zalozce hinaus. Rund 6000 Gefangene waren eingebracht, dazu zehn Ge¬
schütze.
In der Nacht zum 20. Juli ging wieder starker Regen nieder. In der 20.30».
Frühe des Tages stellten Flieger den Abzug langer russischer Marsch- und
Fahrzeug-Kolonnen sowie Bahntransporte auf Tarnopol fest. Zahlreiche Ortschaften und Magazine brannten. Während die ö.-u. 33. InfanterieDivision und die Leib-Husaren-Brigade den Flankenschutz am Seret über¬
nahmen, erreichte die Angriffsfront aus grundlosen Wegen nach Über¬ windung großer Marschschwierigkeiten um 5° nachmittags unter Kämpfen Iezierna an der Bahn Tarnopol-Zborow. Damit war der vor dem Bes-
kiden-Korps noch haltende Feind seiner wichtigsten rückwärtigen Ver¬ bindung beraubt. Östlich der Strypa wichen starke Teile nach Süden aus, westlich des Flusses bis zum Rordflügel der Südarmee bei Koniuchy, geriet die russische Front in Bewegung. General von Winckler wollte auch weiterhin durch Druck von Norden mit dem Schwerpunkt am Seret des Feindes Verbindungen durch¬
schneiden und dadurch die südlich anschließenden Teile seiner Front zum Einsturz bringen. Der Oberbefehlshaber Ost stellte ihm^die 92. In¬ fanterie-Division für den weiteren Flankenschutz am Seret zur Verfügung, ließ die 42. Infanterie-Division hinter der Mitte der Angriffsfront nach¬ führen und veranlaßte die Abbeförderung der 20. Infanterie-Division von der ö.-u. 3. Armee, bei der jetzt keine Gefahr mehr bestand1), über Iloczow auf Iezierna. Bei der Südarmee wurde die 15. Reserve-Division aus der Front gezogen, um später dem linken Flügel dieser Armee zu
folgen.
2. Die Verfolgung, a) Anschluß der Südarmee und ö.-u. 3. Armee an das Vorgehen.
Am 21. Juli muhte der rechte Flügel der Verfolgung auf die Stel- 21.3011. hingen stoßen, die die Russen vor der Brussilow-Osfensive innegehabt hatten. Dort war voraussichtlich stärkerer Widerstand zu überwinden. General von Kathen hatte daher bereits am Abend des 20. Juli vor¬
geschlagen, unterhalb von Zalozce den dort anscheinend kaum besetzten Seret-Abschnitt zu überschreiten, um die Russen dadurch zur Ausgabe des
Widerstandes auf dem Westufer zu veranlassen und auch leichter in den *) S. 155.
166 21. Juli.
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
Besitz von Tarnopol zu kommen. General von Winckler hatte dieses
Vorhaben seiner Gesamtaufsassung entsprechend abgelehnt. Er legte auf Tarnopol keinen Wert und wollte seine Kräfte für das Vorgehen westlich des Seret nach Süden scharf zusammenhalten. Sie stießen, wie erwartet, aus ernsteren Widerstand, zu dem die Russen auch Panzerkrastwagen ein¬ setzten. In heftigen Kämpfen drängten I. Garde- und 6. InfanterieDivision den Feind zurück und näherten sich abends der westlich des Seret gelegenen Vorstadt von Tarnopol. Bei Iezierna durchbrach die Gruppe Berrer (5. und 22. Infanterie-Division) den russischen Abwehrriegel und erreichte um Mitternacht zusammen mit der Gruppe Wilhelmi (237. und 197. Infanterie-Division) östlich der Strypa die Bahn Tarnopol—Brzezany, die Zubringerlinie der russischen Front vor der Südarmee. Westlich der Strypa hatte vor allem die 223. Infanterie-Division gegen dort zusammen¬ gedrängte russische Massen zu kämpfen, denn auch südwärts bis zur Zlota Lipa war der Feind bereits im Weichen. Ihm folgend, schwenkte der Nordflügel der Südarmee in die Angriffsftont ein. Die abendliche Luft¬ aufklärung stellte fest, daß auch noch weiter südlich der Abmarsch des Gegners begonnen hatte. Aussagen zahlreicher Gefangener und Überläufer ergaben,
daß große Teile der russischen Truppen ihren Vorgesetzten jeden Gehorsam verweigerten. 22.3BK.
Am 22. Juli räumte der Gegner südlich von Brzezany die vor kurzem
noch heiß umstrittene Front bis zur Gnila Lipa. Die gesamte Südarmee drückte in einer großen Rechtsschwenkung bis zum Dniester nach. Dabei hatte sie längs der Strypa, zusammen mit dem rechten Flügel des Ab¬ schnitts Zloczow, Kämpfe zu bestehen. Bei und südlich von Tarnopol wurde das Westuser des Seret erreicht. Auf dem Ostufer schien der Feind hartnäckigen Widerstand leisten zu wollen.
Unterdessen hatte der Oberbefehlshaber Ost bereits vormittags befohlen, den Angriff gegen Osten nur so weit fortzusetzen, daß der Besitz von Tarnopol, das nun einmal von der Obersten Heeresleitung als Ope¬
rationsziel genannt war, gesichert sei; auf den Höhen östlich der Stadt, im übrigen aus dem westlichen Seret-User bis Zwyzyn sollte eine Dauer¬ stellung zum Schuh der linken Flanke des nach Süden gerichteten weiteren Angriffs ausgebaut werden. Damit wurde der linke Flügel des Generals von Winckler in der Abwehr festgelegt. Er hatte für den 22. Juli Angriff auf Tarnopol besohlen, den aber General von Kathen erst nach Heran¬ ziehung ausreichender Artillerie und Munition am 23. durchführen wollte. Dann aber kam abends, auf Anregung des Abschnittskommandos Zloczow, ein neuer Befehl des Oberbefehlshaber Ost, der begann: „Für die Fort¬
führung der Operation ist die östliche Richtung und damit auch Tarnopol
Verfolgung zwischen Dniester und Seret.
167
Nebensache, die südliche Richtung ist entscheidend. Der Schwerpunkt des Angriffs geht damit auf die Südarmee über". Zu ihr sollte vom Abend des 23. Juli an der bisherige rechte Flügel des Generals von Winckler
(Beskidenkorps, Gruppe Wilhelmi und die heranzuziehende Leib-HusarenDrigade) übertreten, ihr linker Flügel erhielt Trembowla als Ziel. General von Winckler, dem die 42. Infanterie-Division überwiesen wurde, hatte, entgegen den bisherigen Absichten, zur Deckung dieser Bewegung die all¬ gemeine Linie Trembowla—Tarnopol zu gewinnen und sollte auch „an¬ streben", die Höhen zwischen beiden Orten, also in 30 Kilometer Breite das Ostuser des Seret zu nehmen1). Er verschob daraufhin den Angriff aus Tarnopol, um zunächst noch dem Vorgehen nach Süden schärfsten Nach¬ druck zu geben. Am Abend des 22. Juli begann der Gegner auch vor der ö.-u. 3. Armee
zurückzugehen. Für die Verfolgung wurde der Dniester als Trennungslinie zwischen Südarmee und ö.-u. 3. Armee bestimmt, zwischen dieser und der Heeresfront Erzherzog Josef, deren ö.-u. 7. Armee sich inzwischen ebenfalls zum Angriff bereit machte, der Pruth. Am 23. Juli schwenkte General von Winckler nach und nach auch mit dem rechten Flügel gegen den Seret ein. Bei der Gruppe Berrer gewann die 22. Infanterie-Division den Eindruck, daß das Ostuser des Flusses in der Gegend von Strusow nur noch schwach beseht sei, und legte Hand aus die dortigen Übergänge. General von Berrer sehte die 22. und 5. Infanterie-Division zum Angriff an, der aber jenseits des Flusses auf starken Widerstand stieß. Vor allem die erstere Division wurde in verlust¬ reiche Kämpfe verwickelt, beide konnten nur wenig Raum gewinnen. Der
im Anschluß an die Gruppe Berrer nachmittags auch für den Südflügel der Gruppe Kathen befohlene Angriff kam unter diesen Umständen nicht mehr zur Durchführung. Die Gruppen Wilhelmi und Beskidenkorps ge¬ wannen unter Kämpfen Gelände nach Süden. Mit zunehmender Ent¬ fernung von den Ausgangsstellungen waren die täglichen Fortschritte aber immer geringer geworden, vor allem, da nicht genügend Munition nach vorn gebracht werden konnte.
Die Südarmee folgte kämpfend russischen Nachhuten. General¬ oberst Graf Bothmer forderte für die „ununterbrochene Fortsetzung der *) Dieser zu dem Anfang des Befehls nicht recht passende Schluß ist vielleicht auf einen Eingriff der O. tz. L. zurückzuführen. Sicheres hat sich nicht feststellen lassen. — Gen. Ludendorff nahm zum Verlauf der Operation im ganzen in einer Mitteilung vom Aug. 1928 wie folgt Stellung: „So sehr ich mit der Führung des O. B. Oft vor Beginn des Angriffs
einverstanden war, so hatte ich nachher nicht den gleichen günstigen Eindruck und glaubte treiben zu müssen und vor allem auch taktische Anweisungen geben zu müssen".
23. Juli.
168
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
*3. gtiL Offensive mit starkem linken Flügel" höchste Leistungen von Truppe und Führung. Sein Fiel war, im Winkel zwischen Seret und Dniester möglichst viel vom Feinde zusammenzudrängen. Die ö.m. 3. Armee, vor der auf
beiden Dniester-Afern völlig durcheinander geratene russische Verbände nach Osten eilten, stieß gegen die Bistrzyca-Solotwinska nach. Auf ihrem Nordflügel bildeten vor allem deutsche Divisionen unter General Litzmann
den Schwerpunkt; sie hatten Horodenka als Fiel. Stanislau stand in Flammen; es galt, dem Feinde den Abmarsch aus den Karpaten zu verlegen.
b) Ausdehnung der Offensive auf die Heeresfront Erzherzog Joseph. Der Angriff war wesentlich rascher vorwärts gekommen, als erwartet worden war. Ein am 23. Juli aufgefangener Funkspruch der russischen
Südwestfront offenbarte den völligen Zusammenbruch der feindlichen ll. Armee. Im Zusammenhang mit den bisherigen Ergebnissen der
deutschen Offensive schienen weitgehende Hoffnungen berechtigt. General¬ feldmarschall von Hindenburg gab seitens der Obersten Kriegsleitung am Abend des23.Juli folgende Weisung an den Oberbefehlshaber Ost: „Der erste Teil der Operationen des Oberbefehlshabers Ost hatte vollen Erfolg. Die russische 11., 7. und 8. Armee ist ins Wanken gebracht. Zur Ausgestaltung dieses Erfolges kommt es nunmehr darauf an, durch Umfassung von Norden die- russische 7. und 8. Armee zu schlagen. Ein
Überschreiten des, oberen Seret südlich Tarnopol ist hierfür wichtig. Die Heeressront Erzherzog Josef hätte hierbei die Russen-Rumänen gegen den südlichen ©ereth1) zu werfen, Heeresgruppe Mackensen nach Abwehr des Angriffs insonderheit die Rumänen anzugreifen und den unteren Sereth zu überschreiten." Heeresfront Erzherzog Josef und Heeresgruppe Mackensen waren unterrichtet und hatten bereits begonnen, sich auf die neue Aufgabe vorzubereiten3). 84.3««. In der Nacht zum 24. Juli war wiederum sehr starker Regen nieder¬ gegangen. An diesem Tage3) gewannen die Truppen des Generals von *) Sereth. 2) *)
Nicht der Nebenfluß des Dnjefter, sondern der in die Donau mündende rumänische Zur Unterscheidung ist der erstere am Schluß mit t, der letztere mit th geschrieben. Weiteres über Hgr. Mackensen S. 180ff.
Gliederung der Verfolgungsfront (vom linken Flügel):
Abschnitt Zloczow der ö.-u. 2. Armee, Gen. d. Znf. von Winckler (Gen. Kdo. I.A. K.): Gruppe Genlt. Melior (Kdr. 92. g. D.) mit ö.-u. 33.1. D., 92. g. D. Gen. Kd o. XXIII. R. K. (Gen. d. Inf. von Kathen) mit 2. u. 1. G. u. 6.1. D. Gen. Kdo. z. b. 93. 51 (Genlt. von Berrer) mit 22. u. 42. g. D.
Reserve: 20, g. D.
Verfolgung auch südlich des Dniester.
169
Ninckler zwischen Trembowla und Tarnopol, zum Teil in schweren Kämpfen, weitere Seret-Übergänge. Der Druck ging von der Gruppe Berrer aus, die die 42. Infanterie-Division aus ihrem rechten Flügel neu einsetzte. Von der Gruppe Kathen konnte an diesem Tage nur noch die an
der Eisenbahnbrücke südlich von Tarnopol angreifende 6. InfanterieDivision östlich des Flusses Raum gewinnen. Die zum Teil ebenfalls dort übergehende 1. Garde-Infanterie-Divisivn sollte am folgenden Tage Tarnopol von Süden her nehmen. Die Südarmee gelangte unter Kämpfen mit dem linken Flügel westlich von Trembowla über den Flujz;
die wichtige Bahnlinie von Stanislau über Buczacz nach Osten vermochte sie nur bei Monasterzyska zu erreichen. Der Oberbefehlshaber Ost führte ihrem Nordflügel die 20. Infanterie-Division nach. Südlich vom Dniester wurde die Gruppe Sitzmann der ö.-u. 3. Armee, namentlich vor Stanislau, das der Gegner erst gegen Abend räumte, durch starken Widerstand und
Geländeschwierigkeiten aufgehalten, während der rechte Armeeslügel bis an und über die Bistrzyca-Nadwornianska vorschwenken konnte.
Dementsprechend gab der Feind jetzt auch vor dem Nordflügel der
Heeresfront Erzherzog Josef nach. Diese hatte den geplanten Vor¬ stoß gegen Kuty-Wiznitz oder Kimpolung wegen der inzwischen an ihrem
Südflügel eingetretenen Krise*) nicht durchführen können. Jetzt stieß der linke Flügel der ö.-u. 7. Armee4) des Generaloberst Köveh von Kövehhaza Südarmee, Gen. Ob. Graf Bochmer. Gen. Kdo. Beskidenkorps (Genlt. Hofmann) unter Auflösung der Gruppe Wilhelmi mit 237., 197., 96. u. 223. I. D., L. Hus. Brig. Sen. Kdo. ö.-u. XXV. Korps (Feldmlt. Hofmann) mit ö.-u. 54. u. 55. Z. D. Gen. Kdo. XXV. R. K. (Genlt. von Heineccius) mit 241. g. D., 4.Ers. Div. u. türk. 20. Div. Gen. Kdo. XXVII. R. K. (Gen. d. Kav. Krug von Nidda) mit 53.u. 24. R. D. u. ung. 38. Div. Reserve: 15. R. D. ö.-u. 3. Armee, Gen. Ob. Kritek. Gen. Kdo. XXXX. R. K. (Gen. d. Znf. Litzmann) mit 83. I. D., 16. R. D., ö.-u. 16. F. D., 8. b. R. D. u. ö.-u. 2. K. D.
Een.Kdo. ö.-u. XIII. Korps (Feldmlt. Edler von Schenk) mit ö.-u. 36. F. D., ung. 42. Div., ö.-u. 5. g. D. u. bayer. K. D. ») S. 163 und 181. *) Gliederung der ö.-u. 7. Armee vom linken Flügel: Gen. Kdo. ö.-u. XVII. Korps (Feldmlt. von Fabini) mit ö.-u. 30. u. 34. Z. D. u. ö.-u. 8. K. D.
Gen. Kdo. Karpatenkorps (Genlt. von Conto) mit 200. u. 1. I. D. ©cn. Kdo. ö.-u. XXVI. Korps (Feldmlt. von Horsetzky) mit ung. 40. u. 59. g. D. Gen. Kdo. ö.-u. I. Korps (Feldmlt. Krauh) mit ung. 11., ö.-u. 6. u. 5. K. D.; ung. 74. u. 51. g. D.
170
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
24.3«H. (Chef des Generalstabes Generalmajor Ritter von Steinitz) über den
Pantyr-Paß nach und erkämpfte sich am Tartaren-Paß den Abstieg zum
Oberlauf des Pruth. Den Hauptstoß aus Kuty-Wiznitz sollte demnächst das Karpatenkorps führet-. Unterdessen hatte General Ludendorss angesichts der geringen Fort¬ schritte des linken Angriffsflügels am oberen Seret in der Frühe des Tages
die Weisung der Obersten Heeresleitung vom 23. Juli durch den Zu¬
satz ergänzt: „93et dem schnellen Rückzug der Russen empfehle ich Über¬ griff des neuen linken Flügels der Südarmee weit über den Seret, Rich¬
tung Husiatyn—Kamienivc-Podolski". Der Oberbefehlshaber Ost gab die neue Weisung an die HeeresgruppeBöhm-Ermvlli, die inzwischen in vollem Umfange wieder in die Leitung der Operationen eingeschaltet war, mit dem Bemerken weiter, es werde „sich vielleicht ermöglichen lassen, unsere Linie bis an den Zbrucz vorzuschieben", der in seinem ganzen Lauf die Ostgrenze Galiziens bildete. 25.3s«. In der Nacht zum 25. Juli gab der Feind vor der Front des Generals von Winckler Tarnopol und seine Stellungen östlich des Seret auf. Vor der Südarmee entzog er sich westlich des Flusses eiligst der drohenden Ge¬
fahr, gegen den Dniester gedrückt zu werden. Unter Kämpfen drängten die deutschen Truppen nach. Der rechte Flügel der Südarmee kam weit über die Bahn Buczacz—Stanislau hinaus. Die ö.-u. 3. Armee, die von
Generaloberst von Böhm-Ermolli Befehl erhalten hatte, die Entsendung russischer Kräfte vom südlichen auf das nördliche Dniester-Ufer gegen die Flanke der Südarmee zu verhindern, gelangte mit dem Südflügel nach Delatyn. Bei der ö.-u. 7. Armee kam auch der linke Flügel des Karpatenkorps in Bewegung. Der Anregung des Erzherzogs Fosef, mit ihrem rechten Flügel von gakobeny über Kimpolung auf kürzestem Wege gegen Czernowitz vorzustoßen, um im Zusammenwirken mit der Südarmee starke russische Kräfte abzuschneiden, konnte sie dagegen aus Mangel an
Kräften nicht entsprechen. Das Vorwärtskommen der größtenteils aus älteren Jahrgängen be¬
stehenden, aus den Bewegungskrieg in keiner Weise vorbereiteten und mit Offizieren nur dürftig ausgestatteten Stellungstruppen der Südarmee und erst recht der ö.-u. 3. und 7. Armee war bei meist grundlosen Wegen von vielfachen Reibungen begleitet, die aber in der Begeisterung des Ver-
folgungsgedankens bemerkenswert gut überwunden wurden. Schwieriger mußte sich die Nachschubsrage gestalten, da vor allem die Ausstattung der österreichisch-ungarischen Verbände mit Fuhrpark überaus dürftig war. Dazu kamen unzureichende Leistungsfähigkeit der Pferde und Mangel an festen Straßen. Allerdings konnte die Verpflegung einstweilen er-
Weiteres Ausweichen der Russen gegen die Grenze.
171
beuteten russischen Vorräten entnommen werden; sonst bot das Land wenig, da die Felder nur sehr mangelhaft bestellt waren. Im Zusammenhang mit der endgültigen Festsetzung der Operationsziele fragte die Heeresgruppe nach der Nachschublage bei der Südarmee. Diese meldete am
25. Juli: Der Nachschub stoße jetzt aus sehr große Schwierigkeiten; Voraus¬ setzung für Weiterführung der Operation bis zum Zbrucz sei Zuteilung weiterer Lastkraftwagen-Kolonnen. Für später mußte die zweigleisige Bahn Lemberg—Tarnopol mit ihren Abzweigungen nach Süden eine wich¬ tige Rolle spielen. Die Oberste Kriegsleitung befahl daher, für die weitere Gesamtoperation den Angriff des linken Flügels in eine Stellung vorzutragen, die uns die Benutzung der Bahn nach Husiatyn nach Wieder¬
herstellung gestatte. „Mitte und rechter Flügel haben die Landesgrenze zu erreichen, südlich des Dniester bis in die Höhe von Lipkany*) am Pruth—
Chotin vorzudringen". Bei dieser Zielsetzung dachte die Oberste Kriegs¬ leitung bereits an spätere Fortführung des Angriffs in die Moldau. Auch wurde durch einen Ausruf an die ukrainische Bevölkerung Rußlands et¬ waiges Vorgehen über die österreichische Grenze nach Osten vorbereitet. Den neuen Weisungen entsprechend bestimmte Generaloberst von
Böhm-Ermolli für den Südflügel des Generals von Winckler die Gnila als Ziel; der Südarmee gab er weiterhin die Richtung nach Südosten, linker Flügel aus Husiatyn. Die ö.-u. 3. Armee sollte mit dem Nordflügel auf Horodenka vorgehen, um die russische 8. Armee zu schlagen; da¬ durch werde sowohl einem russischen Stoß vom Südufer des Dniester gegen die Südarmee begegnet, den man immer noch für möglich hielt, als auch am ehesten Wirkung gegen den Rücken der weiter südlich aus den Karpaten
weichenden russischen Front erreicht. Im Laus des 26. Juli ging die Fühlung mit dem Gegner an manchen r«.g»n Stellen verloren. Mehr und mehr gewann man den Eindruck, daß er zu geregeltem Widerstände und vollends zu Gegenangriffen gar nicht mehr in der Lage sei. Die Größe der Beute an zurückgelassenen Waffen, darunter zahlreiche Geschütze, und an Gerät bei einer im Verhältnis dazu niedrigen
Gefangenenzahl?) bewies, daß sich zum mindesten große Teile der Russen in voller Auslösung befanden. Von Tarnopol bis Trembowla schoben sich die Truppen des Generals von Winckler zum Schutze der dicht hinter ihrer Front nach Süden ver¬ laufenden Eisenbahn fast kampflos einige Kilometer nach Osten vor. Ihre *) 70 km östlich von Czernowitz, da wo der Pruth, die Ostgrenze Rumäniens bildend, nach Süden abbiegt. 2) Beute der Hgr. Böhm-Ermolli bis zum 28. Juli 192 Geschütze, aber nur 23000 Ge¬
fangene.
172
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
Teilnahme an der Angriffsoperation war damit beendet. Die Südarmee
versuchte, noch möglichst starke Teile des Gegners diesseits des Zbrucz zu umfassen; ihr voraus erreichte die Leib-Husaren-Brigade Czvrtkow. Südlich vom Dniester folgte die ö.-u. 3. Armee dem in eine Stellung Niezwiska—Kolomea ausweichenden Feinde. Die ö.-u. 7. Armee konnte am Tartaren-Paß und im Gebirge südlich davon Raum gewinnen. Die
Absicht, ihr Vorwärtskommen durch Angriff der südlich anschließenden ö.-u. 1. Armee zu unterstützen, erwies sich als unausführbar, da deren
rechter Flügel inzwischen in ernste Abwehrkämpfe verstrickt war1). 27.3HI.
Vor der gesamten Angriffsfront der Heeresgruppe Böhm-Ermolli blieb der Gegner überall im Weichen. Fast kampflos folgten die Truppen der Mittelmächte. Für den Fall, daß die Russen auch nördlich von Tarnopol zurückgehen sollten, befahl Generaloberst von Böhm-Ermolli am 27. Juli, bis zur Grenze zu folgen; dazu kam es aber nicht. Im übrigen schien der Gegner nördlich des Dniester erst auf russischem Boden in einer Grenz¬ stellung hinter dem Zbrucz wieder Halt machen zu wollen; südlich des Flusses zog er über die Linie Horodenka—Zablotow eiligst ab. Die Oberste Kriegsleitung sah die Offensive nördlich des Dniester als im wesentlichen abgeschlossen an. Ihr Augenmerk wandte sich der Fortsetzung des Angriffs in die Moldau zu. Sie befahl dem Oberbefehlshaber Ost, um der im Ge¬ birge nur langsam vorwärts kommenden ö.-u. 7. Armee zu helfen, mit starken Abteilungen der ö.-u. 3. Armee über den Pruth zu gehen; es sei er¬
wünscht, „mit möglichst starkem Druck zwischen Pruth und Sereth in die Moldau einzudringen".
2%n*i.31’
Am 28. Juli gelangte die Südarmee ungehindert bis an den Zbmcz beiderseits von Husiatyn und schob sich in den folgenden Tagen ebenfalls kampflos auch an dessen Mittellauf vor, während in dem gegen Chotin vorspringenden Winkel noch Widerstand zu brechen war. Die hier von den Truppen des Generals Krug von Nidda geführten Kämpfe dauerten bis zum 31. Juli an. Unterdessen glaubte Generaloberst Graf Bothmer als Dauerstellung die Höhen östlich des Zbrucz gewinnen zu können. Der Versuch führte in einer Reihe teilweise verlustreicher Einzelangrisfe zur r. August. Gewinnung einiger Brückenköpfe in den Flußschleifen, stieß dann aber auf einen Widerstand, der nur durch planmäßigen Angriff mit reichlicher Mu¬ nition gebrochen werden konnte. Diese heranzuschaffen erforderte Zeitz denn die Entfernung zu den Eisenbahnendpunkten betrug bis zu 130 Kilo¬ meter, und die bei Beginn des Vormarsches beantragten LastkraftwagenKolonnen hatten noch nicht überwiesen werden können. Am 31. Juli wurde der Angriff bis auf weiteres verschoben; am 1. August befahl die ') S. 181 f.
Schwerpunkt der Verfolgung südlich des Dniester.
173
Oberste Kriegsleitung, ihn endgültig auszugeben, da Truppen und Munition für andere Zwecke gebraucht wurden. Die Südarmee hatte
Reserven herauszuziehen. Der Schwerpunkt der Verfolgung lag jetzt bereits südlich des Dniester bei der ö.-u. 3. Armee. Die Oberste Kriegsleitung war daher dankbar für
das österreichisch-ungarischerseits beabsichtigte Vorgehen der ö.-u. 7. Armee mit starkem linken Flügel und bemerkte dazu, es werde später „Ausgabe des
übereinstimmenden Zusammenwirkens der Heeresfront Erzherzog Josef und Heeresgruppe Mackensen sein, die Moldau in Besitz zu nehmen, soweit unsere Kräfte hierzu ausreichen". Die ö.-u. 3. Armee kam aber unter Kämpfen nur langsam vorwärts. Die ö.-u. 7. Armee gewann im Gebirge noch langsamer Raum und war
noch beträchtlich zurück. Ilm ihr vorwärts zu helfen, stieh nunmehr östlich von Zablotow die v.u. 5. Infanterie-Division über den Pruth nach Süden vor, blieb aber bereits am Czeremosz-Abschnitt liegen. Am 29. schaffte sich 29.3ml. der Nordflügel der ö.-u. 3. Armee unter General Sitzmann in der Richtung auf Sniatyn nach Südosten Raum. Dagegen kam der ausschließlich von
österreichisch-ungarischen Truppen geführte Angriff beiderseits des Pruth nicht vorwärts. Am 30. Juli meldete der Erste Generalstabsosfizier des Oberbefehls¬ habers Ost, Major Brinckmann, in einem Ferngespräch mit Major Wetzell,
vermutlich auf dessen Anfrage, über die Möglichkeit einer Fortsetzung der Offensive: Der Feind sei nicht geschlagen, er leiste in der Richtung auf Czernvwitz heftigen Widerstand, der bisher nur von deutschen, nicht von österreichisch-ungarischen Truppen gebrochen worden sei. Wenn man bis zur Grenze der Bukowina östlich von Czernvwitz vorkomme, könne man schon sehr zufrieden sein. Für weitere Operationen müsse der Vor¬ bau der Bahn abgewartet werden; in fünf bis sechs Wochen werde die
Brücke bei Halicz fertig sein. Major Wetzell antwortete, Weiterführung der Operationen über die Gegend östlich von Czernvwitz hinaus sei nicht beabsichtigt. Dagegen war der Gedanke der Offensive in die Moldau, die wegen der dort erwarteten Getreidevorräte auch der österreichisch-unga¬
rischen Heeresleitung am Herzen lag1), noch nicht ausgegeben. Um Klarheit zu schaffen, aber auch um die österreichisch-ungarischen Truppen zu größeren ro. 3°».
Leistungen anzusporen, wandte sich General Ludendorff am 30. Juli durch General von Cramon an Generaloberst von Arz: „Die Ziele der
Ostoffensive sind in Galizien nach dessen Befreiung im wesentlichen er¬ reicht. Die Fortsetzung der Operationen bezweckt nunmehr die Inbesitz¬ nahme und Sicherung der Bukowina. Ob dieses Ziel sowie das Endziel *) Öftere, amtl. Werk, Bd. VI, S. 323.
174
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
der Operationen (auch der in Rumänien beabsichtigten) die Eroberung der Moldau bis zum Pruth mit unseren Kräften erreicht werden kann, ist nach den Erfahrungen der bisherigen Kämpfe allein abhängig vom Kampfwert der Truppe, ihrem festen Zufassen und rücksichtslosen Draufgehen. Greifen alle Truppen unbeirrt an, so werden wir unser Ziel erreichen, sonst nicht. O.B. Ost weiß, daß der rechte Flügel der Südarmee die 3. Armee vor¬
wärtsbringen soll. Zunächst muß die Zbrucz-Mündung erreicht werden. Für die Operationen in der Moldau ist das Vordringen der ö.-u. 7. Armee
zwischen Pruth und Sereth von entscheidender Bedeutung. Für dauernden Hinweis wäre ich Euer Exzellenz zu Dank verpflichtet." Unterdessen hatte der Gegner am 30. Juli angesichts der Bedrohung durch die Gruppe Lihmann und das auf Kuty-Wiznitz vordringende Kar¬ patenkorps den Widerstand bei Sniatyn und- an der Czeremosz-Mündung
ausgegeben. Er machte aber schon bald wieder Front. Die Mitte der ö.-u. 7. Armee drang in das Suczawa- und Moldau-Tal vor, ihr Süd,i.g»n.
flügel trat den Vormarsch von den Paßhöhen an. Am 31. Juli stand der Gegner in einer Linie, die vom Dniester zwischen Okna und Zaleszczyki östlich an Sniatyn vorbei zum oberen Sereth bei Lopuschna verlies. Die Entscheidung wurde wiederum vor allem
durch Angriff der Gruppe Lihmann gebracht, bei der wie bisher besonders die 16. Reserve-Division Schrittmacher war. Die 83. Infanterie-Division kam hart am Dniester in recht schwierigem Gelände (100 Meter hohe Steil¬
wände) langsamer vorwärts. Die 8. bayerische Reserve-Division vermochte aus dem linken Flügel den feindlichen Widerstand erst abends zu brechen. Der Gegner war auf 25 Kilometer breiter Front geworfen, während er beiderseits des Pruth vor dem ö.-u. XIII. Korps noch hielt. Weiter südlich gewann die ö.-u. 7. Armee in der Enge der Karpaten-Täler nur langsam
und unter verlustreichen Kämpfen Raum. Die ö.-u. Heeresleitung
glaubte daher darauf hinweisen zu müssen, daß da, wo der Erfolg durch Umgehung erreicht werden könne, frontales Losstürmen zu vermeiden sei. Der Generalstabschef des Heeresfront-Kommandos General von Seeckt
und Oberste Kriegsleitung hielten aber die Weitergabe einer solchen Weisung für äußerst bedenklich; sie könne dazu führen, daß einer aus den anderen warte; in der jetzigen Lage müsse jedem die Energie der Verfolgung lähmenden Einfluß mit allem Nachdruck entgegengetreten werden, l. A»g»st.
Der Erfolg der Gruppe Lihmann veranlaßte den Feind, in der Nacht zum 1. August auch vor dem ö.-u. XIII. Korps zurückzugehen. Seine Be¬ wegungen vollzogen sich aber durchweg in voller Ordnung. Er schien in der allgemeinen Linie Okna — Gegend zehn Kilometer nordwestlich von
Czernowih und Storozyneh wieder Front zu machen, leistete dann aber
Einnahme von Czernowih. Beendigung der Verfolgung.
175
stärkeren Widerstand nur noch vor Czernowitz, das er unter dem Druck von
Norden erst in der Nacht zum 3. August räumte. An diesem Tage rückten österreichisch-ungarische Truppen der ö.-u. 3. und 7. Armee in die Stadt ein, während andere Teile darüber hinaus im Vorgehen gegen die Grenze blieben. Inzwischen war die Fortsetzung der Operation in die Moldau zunächst vertagt worden. Als die Heeresfront Erzherzog Josef dem Ober¬ befehlshaber Ost am 1. August mitgeteilt hatte, daß die ö.-u. 7. Armee
nach Erreichen von Czernowih „mit starkem linken Flügel in südöstlicher Rich¬ tung, linker Flügel von Czernowitz aus Dorohoiu" angesetzt werden solle, hatte dieser dem entgegengehalten: die ö.-u. 3. Armee sei zur Teilnahme an
einer Operation in die Moldau nicht stark genug; auch sei ausreichender
Nachschub zunächst nicht gewährleistet, da die Eisenbahn vor fünf Wochen nicht über Stanislau hinauskomme; der rechte Flügel der ö.-u. 3. Armee werde voraussichtlich bei Bojan am Pruth haltmachen. Auf Veran¬ lassung der Obersten Kriegsleitung sollte daher auch die ö.-u. 7. Armee an der Grenze haltmachen, „zu weiterem Vorgehen bereit". Nunmehr
faßte die Heeresfront den Plan, den Angriff ohne wesentliche Mitwirkung der ö.-u. 3. Armee zu führen. Sie wollte mit dem linken Flügel längs des
Sereth starke Kräfte der ö.-u. 7. Armee (einschließlich des Karpatenkorps
sechs Infanterie- und drei Kavallerie-Divisionen) nach Süden ansehen, um im Zusammenwirken mit dem jetzt nahe bevorstehenden Angriff der Heeresgruppe Mackensens den Gegner wenigstens aus den Karpaten zu vertreiben, vielleicht sogar — wie General von Seeckt meinte — aus der
ganzen Moldau. Die Oberste Kriegsleitung befahl zur Sicherung der für
dieses Vorhaben wichtigen von Czernowitz nach Suczawa führenden Bahn die ö.-u. 3. Armee noch etwas weiter bis in die Linie Nowosielica (am Pruth 12 Kilometer unterhalb Bojan) — Raszkow am Dniester vorzuführen.
Während der Nordflügel der ö.-u. 3. Armee das befohlene Ziel am
4. August im wesentlichen erreichte, stieß ihr Südflügel (ö.-u. XIII. Korps) bereits vor Bojan und der unmittelbar nördlich davon gelegenen Dolzoc-
Höhe auf nachhaltigen Widerstand. Ebenso versteifte sich die feindliche Abwehr vor der anschließenden Heeresftont Erzherzog Josef, bei der auch der Nordflügel der ö.-u. 1. Armee jetzt im Vorgehen war. Die Kampf¬ moral der Russen schien sich allgemein gebessert zu haben. Man traf auf zahlreiche vom Kampf noch völlig unberührte Kavallerie-Verbände. Am 5. August warf der Gegner nördlich von Bojan den linken Flügel des ö.-u. XIII. Korps zurück. An demselben Tage erreichte bei der ö.-u. 7. Armee
das Karpatenkorps die Höhen vor der Stadt Sereth, während ungarische
Truppen Radautz besetzen konnten. S. 182 f.
4. und 5.
August.
176 S. bi« 27.
August.
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
Als dann am 6. August der Angriff der Heeresgruppe Mackensen am unteren Sereth begann, gab die o.-u. Heeresleitung den Befehl zum An¬
griff der ö.-u. 7. Armee, rechter Flügel auf Folticeni. Sie erbat dazu aber, damit auch die ö.-u. Z. Armee den Angriff weiter vortragen könne, bereits am 7. August die Zuweisung weiterer deutscher Truppen. Die aber lehnte
General Ludendvrff ab. Er versprach sich nach den bisherigen Erfahrungen von der beabsichtigten Operation keinen Erfolg, solange nicht der Nach¬ schub durch Vorbau der Eisenbahn gesichert war, auch wollte er nicht weitere deutsche Truppen in einer Gegend festlegen, aus der sie bei Be¬ darf an anderen Fronten nur schwer wieder zurückgeholt werden konnten'). Ohne das Mitgehen der ö.-u. 3. Armee kam die ö.-u. 7. Armee aber nicht
weiter; man war sogar in Sorge, daß ein russischer Angriff die Stadt Czernowih gefährden könne. Als dann sehr bald auch die Offensive der Heeresgruppe Mackensen zum Stehen kam, untersagte die österreichisch-unga¬ rische Heeresleitung weitere Teilangriffe. Die Offensive der HeeresftvntErz¬ herzog Josef war aufgegeben. Man ging in einer Linie zum Stellungsbau
über, die vom Pruth halbwegs Czernowitz—Nowosielica nach Süden in die Gegend zwischen Kimpolung und Gurahumora verlief, wobei die Stellung des Karpatenkorps vor der Stadt Sereth am weitesten gegen denFeind vorsprang. Das Vorgehen des rechten Flügels der ö.-u. 3. Armee bis Nowosielica kam bei dieser Lage nicht mehr in Frage. Das ö.-u. XIII. Korps lag noch immer vor den Hohen von Bojan—Dolzoc fest, deren Besitz zur Sicherung von Czernowitz und der von dort nach Süden führenden Bahn nötig war.
Erst nach Zuweisung einer deutschen Gruppe unter Generalleutnant Sieger (16. und 8 bayerische Reserve-Division) konnte am 27. August der Angriff durchgeführt werden, der nach kurzer Artilleriebeschießung vollen Erfolg hatte. In zehn Kilometer Breite wurde der Gegner geworfen. Damit war die am 19. Juli bei Zloczow begonnene Offensive der
Heeresgruppe Bohm-Ermolli, der sich Nordflügel und Mitte der Heeressront Erzherzog Joses angeschlossen hatten, beendet. Am den Schutz von Czernowitz in eine Hand zu legen, trat die ö.-u. 3. Armee am 6. September
zur Heeressront Erzherzog Joses über.
Z. Die Vorgänge auf russischer Seite. Ab IS. Juli.
An dem durch die Gegenoffensive der Mittelmächte eingedrückten Frontabschnitt hatten am 19. Juli der Südflügel der 11., die 7., 8. und l. Armee der russischen Südwestfront und der Nordslügel der 9. Armee i) gm Gegensatz hierzu trat Major Wetze« noch in einer Denkschrift vom 10. August für die Operation in die Moldau statt der gegen Riga ein (S. 190).
177
RückzugskSmpfe der Russen.
der Rumänischen Front gestanden. Der Durchbruchsangriff des Generals von Winckler hatte den Südflügel der 11. Armee getroffen, dessen Truppen
trotz zahlenmäßig fast dreifacher Überlegenheit schon frühzeitig unter Zu¬ rücklassung von Waffen und Gerät die Rückwärtsbewegung nach Osten hinter den schützenden Seret antraten. Die Führung war demgegenüber machtlos; Versammlungen der Truppenteile, die die Befehle der Vor¬
gesetzten besprachen und über ihre Ausführung beschlossen, sowie Eigen¬ mächtigkeiten jeder Art steigerten im weiteren Verlaus die Verwirrung. Selbst ein besonders gutes Korps, wie das I. Gardekorps, verließ ohne Ge¬ nehmigung seinen Platz hinter der Front. Weisungen des Generals Brussilow zum Standhalten und vollends zu Gegenangriffen blieben im allgemeinen ebenso wirkungslos wie seine Bitten an die Kommissare bei den höheren Stäben um Unterstützung der militärischen Vorgesetzten. Der Versuch, der angegriffenen Front Reserven von anderen Armeen zuzu¬ führen, scheiterte an den Zuständen im rückwärtigen Gebiet. Der Ober¬ befehlshaber der Südwestfront, General Gutor, wurde durch den als be¬
sonders tatkräftig anerkannten und erfolgreichen Führer der 8. Armee, General Komüow*), erseht. Dieser verbot im Bereiche der Kampfhand¬ lungen alle Versammlungen und drohte, sie nötigenfalls mit Waffen¬ gewalt auseinander zu jagen. Angesichts der in erschreckendem Maße zu¬ nehmenden Fahnenflucht ließ er neue zuverlässige Einheiten wie Sturm-, Todes- und sogar Frauen-Bataillone ins Leben rufen. Sie sollten an Brennpunkten verwendet werden, im übrigen dem Verfall mit den ent¬
schlossensten Maßnahmen, die auch zu Erschießungen führten, Einhalt tun; ein derartiges Bataillon konnte allein am Grenzübergang östlich von
Tarnopol 12000 Fahnenflüchtige anhalten. Kriegsminister Kerenski, seit 21. Juli gleichzeitig Ministerpräsident, unterstützte diese Maßnahmen nach Kräften, aber ohne entscheidende Besserung zu erreichen. Bei dem völligen Zusammenbruch der 11. Armee blieb daher auch General Kornilow nichts anderes übrig, als nacheinander die 7., 8. und schließlich die 1. Armee zurückzunehmen. Dabei machten sich vor allem bei der 7. Armee bald ähn¬
liche Erscheinungen wie bei der 11. geltend. Immerhin gelang es, wenig¬ stens den Zusammenhang der Gesamtfront aufrechtzuerhalten. Diesem Umstande, dem schärferen Durchgreifen gegen Meuterer und dem Stand¬
halten einzelner, zuverlässig gebliebener Truppenteile (neben den oben¬ genannten Formationen werden vor allem die 1. Brigade der 1. Garde-
Znfanterie-Division bei Tarnopol, sowie eine größere Zahl von KavallerieDivisionen rühmend erwähnt) war es zu danken, daß sich schließlich an der Reichsgrenze eine neue Widerstandsfront bilden konnte, die einzustürzen, *) S. 150 u. 153ff. Weltkrieg. XIII. Bd.
12
178
Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
die Stoßkraft des Verfolgers nicht mehr ausreichte. Auch die deutscherseits
fast ununterbrochen fortgesetzte Frontpropaganda konnte nicht helfen. Inwieweit sie dazu beigetragen hat, die früheren Erfolge vorzubereiten, steht dahin. 4. Betrachtungen. Die Hoffnung, wesentliche Teile der Russen durch Aufrollen der Front nach Süden abzufangen, hatte sich nicht verwirklicht, da der Gegner rechtzeitig auswich. Bei der Verfolgung nach Osten aber machten sich als¬ bald die vom Oberbefehlshaber Ost befürchteten Schwierigkeiten geltend. Rur weil der Gegner im wesentlichen kampflos zurückging und damit der eigene Munitionsverbrauch gering blieb, konnte die als Ziel gesetzte russische Grenze erreicht werden. Als der Gegner hier Halt machte, hätte die Offensive nur nach einer zur Regelung des Nachschubes, vor allem Heran¬
führung ausreichender Munition, nötigen längeren Pause wieder auf¬ genommen werden können. Trotz der seit dem Sommer 1915 stark ver¬
minderten Widerstandskraft der Russen hatten sich die Erfahrungen von damals wiederholt. Und doch war, vor allem dank der weiten Zielsetzung der Obersten
Kriegsleitung, erreicht, daß die russische Front aus rund 200 Kilometer Breite und bis zu 120 Kilometer Tiefe zurückgeworfen war. Bis auf geringe Reste, vor allem nördlich von Tarnopol, waren Ostgalizien und die Bukowina und damit Österreich-Ungarn überhaupt vom Feinde be¬
freit. Zu der erhofften Vernichtung größerer russischer Heeresteile war es aber trotz vorbildlichen Ansatzes der Operation und glänzender Anfangs¬ erfolge nicht gekommen. Es war ein „ordinärer Sieg" geblieben, denn der
Gegner, der sich seiner unzulänglichen Kampfkraft bewußt war, hatte die Gefahr frühzeitig erkannt und danach gehandelt. Die Gesamtbeute von 257 Geschützen bei nur 42000 Gefangenen*) zeigt deutlich, daß die Masse der russischen Truppen nicht mehr kämpfen wollte, sondern unter Preis¬ gabe ihrer Waffen davongelaufen war. Die Teile aber, die sich zum Schutze des heimatlichen Bodens an der Grenze wieder setzten, reichten aus, die Offensive zum Stehen zu bringen. Der nach der Einnahme von Czernowitz im Zusammenhang mit den Angrifssabsichten bei der Heeresgruppe Mackensen von der Obersten
Heeresleitung verfolgte und von der österreichisch-ungarischen Heeresleitung, wie der Heeresfront Erzherzog Josef freudigst aufgegriffene Gedanke, die Operation in die Moldau fortzusetzen, muhte bei der völlig unzureichenden 1) Die russischen Gesamtverluste sind nicht bekannt. Auch für die deutschen und österreichisch-ungarischen Verluste haben sich keine brauchbaren Zahlen ermitteln lassen.
179
Betrachtungen.
Angrifsskraft der österreichisch-ungarischen Verbände^), und da auch die Heeresgruppe Mackensen nur wenig vorwärtskam, alsbald ausgegeben werden.
Alles in allem war erreicht, was mit den verfügbaren Mitteln zu
erreichen war. Die Angriffsaufgabe war nach zweijährigem Stellungs¬
krieg allerseits freudig begrüßt worden. Angespornt durch den leichten Sieg von Zloczow und das rasche Weichen des Gegners, hatte die Truppe, obgleich meist ältere Jahrgänge, in der Begeisterung des Verfolgungs¬
gedankens marschierend und kämpfend aus meist grundlosen Wegen bei teilweise übergroßer Hitze Hervorragendes geleistet. Die Führung hatte vorbildlich gearbeitet. Trotz der Rückschläge im ersten Juli-Drittel und trotz gleichzeitiger Inanspruchnahme durch Abwehr russischer Angriffe bei der Heeresgruppe Eichhorn, hatte es der Oberbefehlshaber Ost verstanden, die für den Angriff bei Zloczow nötigen Kräfte zusammenzubringen, und die Operation mit Tatkraft geleitet. „Der Oberbefehlshaber Ost erkannte sofort die Bedeutung und führte die Absicht hervorragend durch", lautete das Gesamturteil des Generals Ludendorff^).
Der mit weitgehenden Erwartungen begonnene russische Großangriff war mit einem Gegenschlag beantwortet worden, der ihn in eine schwere
Niederlage verwandelte. Die moralische Wirkung überstieg noch bei weitem die Größe des rein militärischen Erfolges. Das deutsche Heer hatte ge¬
zeigt, daß es trotz gleichzeitiger Anstürme feindlicher Abermacht im Westen, in der Lage geblieben war, einen kraftvollen Angriff im Osten zu führen. *) Nicht nur die Ausstattung mit Waffen und Gerät jeder Art war dürftiger als bei
den deutschen Truppen, sondern bei großen Teilen, vor allem solchen mit slavischem Ersah, war die Kampfmoral tief gesunken. Major von dem Bursche berichtete darüber am 1. August: „Es würde ein Irrtum sein, aus dem schnellen Fortschreiten der Operationen der 3. Armee
den Schluß zu ziehen, daß die österreichisch-ungarischen Truppen durch das Vorwärtsgehen in ihrer Stimmung so gehoben seien, daß sie fortan als sicherer Faktor in die Rechnung ein¬ gestellt werden könnten. Die Ereignisse des Vormarsches haben das glatte Gegenteil be¬ wiesen. Wo der Russe gegenstieß, gingen die österreichisch-ungarischen Truppen in alter Weise weg." Er habe die feste Überzeugung, daß in dem Augenblick, wo der Russe Front mache, wieder Rückschläge einträten. Die an der Naht Heeresfront—Oberost eingesetzten fünf österreichisch-ungarischen Divisionen würden „in der neuen Dauerstellung erst dann
sicher stehen, wenn deutsche Führer die Gruppen befehligen werden, deutsche Truppen die österreichisch-ungarischen Truppen stützen". Major von dem Bussche warnte deshalb ein¬ dringlich vor dem immer wieder bei der österreichisch-ungarischen Führung zutage tretenden
Bestreben, österreichisch-ungarische und deutsche Truppen voneinander zu sondern. 2) Zuschrift vom Nov. 1922.
12*
180
Der Krieg im Osten. Kampfe in Rumänien und den Karpaten.
C. Die Kämpfe Ln Rumänien und in den Karpaten. Beilage 17. Dis 22. Juli.
Mit einem Angriff gegen die Heeresgruppe Mackensen (Chef des Generalstabes Generalmajor Hell), die auf rumänischem Boden die Front vom Schwarzen Meer bis zu den Karpaten innehatte, rechnete man
seit langem1). Auch in diesem Falle wollte die Oberste Kriegsleitung, ebenso wie in Ostgalizien, mit einem Gegenschlage antworten. Er sollte vor allem die rumänische Armee treffen, die von den zersetzenden Ein¬
flüssen der russischen Revolution bisher' ziemlich unberührt geblieben, nach Neuaufbau durch französische Instrukteure wieder ein beachtlicher Gegner und damit die Stütze der feindlichen Front geworden war. Schon
bei Beginn der russischen Offensive in Galizien schien es erwünscht- daß die Heeresgruppe Mackensen entlastend mitwirke, indem sie durch Angriff möglichst starke Kräfte binde und, wenn möglich, einen großen Erfolg erringe. Verstärkungen, die sie hierzu erbat, konnten aber nicht gegeben werden. Der Angriff muhte zunächst unterbleiben. Aber auch die öster¬ reichisch-ungarische Anregung, nunmehr Kräfte aus Rumänien als Ver¬
stärkung nach Ostgalizien zu schicken, wurde abgelehnt, denn die Oberste Kriegsleitung rechnete nach wie vor mit der Möglichkeit, daß die 9. Armee
(linker Flügel der Heeresgruppe), die mit sieben deutschen, zweieinhalb österreichisch-ungarischen, zwei türkischen, einer bulgarischen Division von Braila bis westlich von Panciu am unteren Sereth und an der Putna
stand, von den gegenüberstehenden Russen und Rumänen demnächst an¬ gegriffen werde. Bis zum 22. Juli schienen dazu auf der nur 40 Kilometer breiten Front von Braila bis Fundeni, wo der Gegner ausgedehnte
Stellungen diesseits des Sereth innehatte, etwa zwölf feindliche Infan¬ terie- und drei Kavallerie-Divisionen bereitzustehen. Seit Mitte des Monats wurde aber auch ein Angriff in den Karpaten
erwartet. Hier standen an die 9. Armee anschließend, als rechter Flügel der ö.-u.1. Armee (Heeresfront Erzherzog Josef) drei Infanterie- und eine Kavallerie-Division unter General von Gerok (Generalkommando des
XXIV. Reservekorpö) aus über 60 Kilometer breiter Gebirgsfront. Kampf¬
kräftige Reserven fehlten fast ganz, auch hatte die Heeresfront im Juni 18000 Mann guten Ersatz an die Isonzo-Front abgeben müssen. Allein vor der Gruppe Gerok waren insgesamt etwa 14 russische und rumänische
Divisionen festgestellt. !) Bd. XII, S. 502f.
Russisch-rumänisch« Angriffe.
181
Tatsächlich hatte die russische Heeresleitung schon feit langem Angriffe ihrer Rumänischen Front befohlen1). Die Ausführung war nur dadurch verzögert worden, daß die Vorbereitungen, vor allem die Neu¬
aufstellung der rumänischen Armee, Zeit beanspruchten; jetzt war diese im wesentlichen abgeschlossen. Als Stützen der Front waren zwischen die russische 9., 4. und 6. Armee die rumänische 2. und 1. Armee (zusammen über 400000 Mann) eingeschoben3). Das Ziel war, durch Angriff in breiter Front mit dem Schwerpunkt in der Ebene den Gegner zu werfen, um wenn
möglich der Armee von Saloniki, die gleichfalls angreifen sollte, die Hand zu reichen. Deren Angriff aber siel aus. Den Hauptangriff sollte die rumänische 1. Armee führen, bei der dazu rund 600 Geschütze eingesetzt wurden.
Gegen die 9. Armee, nach Abberufung des Generals von Falken- M-« hayn unter General der Infanterie von Eben (Chef des Generalstabes Oberstleutnant Walter Bronsart von Schellendorss) setzte am 23. Juli die rumänische Artillerie-Vorbereitung mit aller Kraft ein, aber schon am
26. ließ das Artilleriefeuer wieder nach. Der erwartete feindliche Angriff blieb aus. Den Grund hierfür sah die Heeresgruppe in erster Linie in der
Wirkung der eigenen Propaganda, die die Russen zu der häufigen Äußerung veranlaßt habe: „Angreifen tun wir nicht, wir wollen nur unsere Stellung
halten". Gegen den rechten Flügel der Gruppe Geros3) hatte starkes feind¬ liches Artilleriefeuer schon am 22. Juli begonnen. In der Frühe des 24. griffen einige russische, vor allem aber vier rumänische Divisionen die auf fast 20 Kilometer Breite im Gebirge auseinandergezogene Front der 218. Infanterie-Division an und stießen im ersten Anlauf bis in die Ar¬
tillerie-Stellungen durch; die Mehrzahl der Geschütze, etwa 40, ging verloren. Abends wurde einige Kilometer östlich von Soveja die II. Stel¬
lung gehalten, die nördlich anschließende ö.-u. 1. Kavallerie-Division dem¬ entsprechend zurückgenommen. Die geringen Reserven der Heeresftont Erzherzog Josef wurden zur Gruppe Eerok in Marsch gesetzt, konnten aber *) 6.149. !) Gliederung der Rumänischen Front: russ. 9. Armee: rum. 2. Armee: russ. 4. Armee: rum. l. Armee: russ. H. Armee:
Gen. Stupin Gen. Averescu Gen.Ragosa Gen. Cristescu Gen. Zurikow
mit 16 mit 4 mit 8 mit 67, mit 14
Sit), Siv. Siv. Siv. Mo.
u. u. u. u. u.
1
Rat). Sit), */. Kav. Siv. 1 Kav. Siv. 21/, Kav. Siv. 6Kav. Siv.
*) Gliederung (anschließend an 217. F.D.der 9.Armee): Gruppe des Feldmlt. Chevalier Ruiz de Roxas: 218. Z. D., ö.-u. 1. K. S. Een. Kdo. ö.-u. VIII. Korps (Fldzgm. Ritter von Benigni): ö.-u. 71. u. ung. 70. Z. D.
182
Der Krieg im Osten. Kämpfe in Rumänien und den Karpaten.
22. He $n»e angesichts der überaus schwierigen Wegeverhältnisse im Gebirge im
3uH'
wesentlichen erst am 29. Juli die Front erreichen. Unterdessen drängte der Gegner die 21ö. Infanterie-Division weiter zurück. Am 26. Juli muhte sie ihm Soveja überlassen, am 27. erreichte sie im Zurückweichen die obere Putna und die Lepsa. Nach rechts wie nach links war die Verbindung abgerissen. Die Heeresgruppe Mackensen hatte bereits elf Bataillone und neun Batterien zur Schließung der entstandenen Lücke an der Putna ein¬
setzen müssen. Bevor nennenswerte Verstärkungen*) herankamen, er¬ weiterte der Gegner, jetzt nur noch Truppen der rumänischen 2. Armee, seinen Einbruch bis zum 28. Juli auf beiden Flanken zu einer Gesamtbreite von etwa 50 Kilometern und bis zu 20 Kilometern Tiefe. Dann
trat Stillstand ein. Der Gegner hatte außer der genannten Geschützbeute mehr als 3000 Gefangene gemacht. Inzwischen hatte die Oberste Kriegsleitung am 24. Juli, im Zu¬ sammenhang mit den Weisungen für Fortführung der Offensive in Ga¬ liziens, als Aufgabe der Heeresgruppe Mackensen bezeichnet, „nach Ab¬ wehr des Angriffs insonderheit die Rumänen anzugreifen und den unteren Sereth zu überschreiten". Dies sollte mit etwa fünf Divisionen bei Funden, gegen die rumänische 1. Armee geschehen, um dann, mit dem rechten Flügel am Pruth nach Norden vorgehend, möglichst die gesamte feindliche Front in der Moldau einzustürzen. Die Vorbereitungen waren bereits im Gange,
als der tiefe gegnerische Einbruch bei der Gruppe Gerok dazu veranlaßte, diesen Plan zurückzustellen, um im Zusammenwirken mit dem linken Flügel der ö.-u. 1. Armee zunächst den um Soveja im Gebirge stehenden Feind
vernichtend zu treffen. Der Angriff sollte nunmehr aus dem westlichen Sereth-Ufer über die Linie Baltaretu—Panciu nach Norden auf AdjudulNou angesetzt, gleichzeitig aber für die spätere Offensive östlich des Sereth bei Baltaretu ein Brückenkopf gewonnen werden. Eine Stoßgruppe von vier Divisionen unter General von Morgen und drei weitere Divisionen als Armeereserve wurden dafür in Aussicht genommen. Der Angriff sie r. Äugest, konnte nicht vor dem 6. August beginnen. Durch ihn entlastet, sollte dann
der rechte Flügel der ö.-u. 1. Armee gegen die Nordslanke des rumänischen
Einbruchs im Oitoz-Tal auf Onesti angreifen. Aber auch dieser Plan erfuhr noch Änderungen. Während die O.Armee entschieden dafür eintrat, unter Verzicht auf einen Brückenkopf bei Bal¬ taretu zunächst die ganze Kraft zum Stoße westlich des Sereth nach Norden
zusammenzuhalten, machte die Heeresgruppe geltend: Das Vorgehen in der Ebene westlich des Sereth mit nur einer Straße sei von den bis zu !) 117. Z. D., ung. 37. g. D., ö.-u. 7. und s. K. D. 2) S. 168.
Veutsch-österreichisch-ungarisch« Angriffsvvrbereitungen.
183
200 Metern überragenden Höhen östlich des Flusses völlig eingesehen und beherrscht; auch könne der Gegner im Gebirge dem Vordringen leicht einen Riegel vorschieben, der das Entkommen seiner dortigen Truppen decke. Sie wollte daher nach gelungenem Durchbruchsangriss bis Baltaretu— Panciu den Hauptstoß über Tecuciu auf dem Ostuser des Sereth führen. Eine solche Operation erschien möglich, da, wie General Hell meinte, die
Rumänen einem ernsthaften Angriff überhaupt nicht standhalten würden. Auch hatte die Heeresgruppe angesichts der völligen Antätigkeit der Russen, die Truppen nach Galizien wegzuziehen schienen, ihre Abwehrfront ge¬ dehnt und dafür dem Angrissöslügel.noch weitere Kräfte zugeführt, so daß jetzt im ganzen sieben deutsche und zwei österreichisch-ungarische Divisionen für den Angriff verfügbar waren. Die Oberste Kriegsleitung, die ausserdem noch ein Generalkommando und eine Division (Alpenkorps) im. Westen freigemacht hatte, stimmte dem Vorhaben der Heeresgruppe zu.
Dabei sprach mit, daß östlich des Sereth nicht russische, sondern rumänische Truppen getroffen wurden, was politisch wichtig erschien. Das Alpenkorpv, erst nach Angrifssbeginn eintreffend, sollte am linken Flügel der 9. Armee aus Racoasa, in einer Gegend, die es erst im März verlassen hatte, gegen den Rücken des rumänischen Einbruchs angesetzt, bei der Gruppe Eervk unter Verzicht auf jeden Angriff in der Front alle Kraft für einen um so
tieferen Durchstoß im Oitoz-Tale zusammengefaßt werden. Die Oberste Kriegeleitung erwartete, wie sie am 3. August, dem Tag der Einnahme von
Czemowih, der Heeresgruppe mitteilte, von dem bevorstehenden Angriff
sehr weitgehende operative Wirkung, nämlich Aufrollung der feindlichen Front nach rechts bis zur Sereth-Mündung und Vormarsch zwischen Pruth und Sereth nach Norden auf Iassi, also Eroberung der ganzen Moldau. Dabei rechnete sie aus Zusammenwirken mit der Heeressront Erzherzog Fvsef, die ihren Nordslügel aus der Bukowina nach Südosten vorgehen lassen wollte1). Andererseits hatten die Bulgaren den Gedanken eines gleichzeitigen Angriffs ihrer 3. Armee gegen die Donau unterhalb von
Ealaz abgelehnt, da er mit den verfügbaren Mitteln unausführbar sel. Planmäßig traten am 6. August2) nach Vergasung der feindlichen e.aogoft.
Artillerie und anschließendem dreistündigem Wirkungsschießen fünf Di¬ visionen unter General von Morgen zum Angriff an. Sie trafen auf das *) S. 175. *) Gliederung der Angriffsfronten am 6.Aug.: Don tz.Armee: Gen. von Morgen (Gen. Kdo. I. R. K.) mit 12. b. I. $>., 76.R. D.,
89. g. D., ö.-u. 62. g. D., rund 300 Geschütze, 2gib. Fl.-Abtlgen.; dahinter 216. g. D. Armeereserve: 212., 115. g. D., ö.-u. 13. Schütz.-Div. Ferner vom 7. Aug. an: Gen.Kdo. XVIU. R. K. (Genlt. Ritter von Wenninger)
184 S. August.
Der Krieg im Osten. Kämpfe in Rumänien und den Karpaten.
russische VII. Korps, das in der Nacht zum 7. August beginnend abbefördert und durch Truppen der rumänischen 1. Armee erseht werden sollte. Zn der zu durchschreitenden Ebene wirkte die Glut der Augustsonne, bis zu 60°,
besonders erschlaffend. Den entscheidenden Stoß hatten aus dem rechten Flügel in rund 18 Kilometer Breite die 12. bayerische Infanterie-, 76. Re¬ serve- und 89. Infanterie-Division zu führen. Unter dem Schutze des Feuers von rund 300 Geschützen durchwateten sie die Putna und schwenkten kämpfend mit dem rechten Flügel über Ciuslea nach Norden vor. Der linke
Flügel des Angriffs schloß sich an. Inzwischen versteifte sich der feindliche Widerstand mehr und mehr, auch machte sich Flankenfeuer vom hohen östlichen Sereth-User fühlbar. Trotzdem drang der Angriff bei verhältnis¬ mäßig geringen Verlusten bis zu zwölf Kilometern Tiefe in die feindlichen Stellungen ein. Die dafür geringe Deute (1200 Gefangene und 12 Ge¬ schütze) zeigte, daß man zunächst nur feindliche Vorstellungen getroffen hatte. Ein Brückenkopf jenseits des Sereth zum späteren Vorgehen gegen die rumänische 1. Armee war noch nicht gewonnen, wohl aber hatte das Abschwenken der 12. bayerischen Infanterie-Division in dieser Richtung den Schwung des Angriffs gegen Norden gelähmt. Links neben ihr hatte die 216. Infanterie-Division erst allmählich die Kampffront erreichen können, zwei Divisionen der Armeereserve waren nach dem rechten Flügel in Marsch gesetzt worden. Am linken Flügel übernahm das General¬ kommando des XVIII. Reservekorps den Befehl über die ö.-u. 62. und
6. bis S.
August.
die 217. Infanterie-Division. Der feindliche Widerstand war schließlich unerwartet stark geworden. Beim Oberkommando Mackensen bestand der Eindruck, daß der Feind mit seinen Hauptkräften erst hinter der Susita stehe. Abends befahl die Oberste Kriegsleitung, von dem inzwischen bereits weitgehend vor¬
bereiteten Übergang über den Sereth abzusehen; alle Kräfte sollten in nördlicher Richtung gegen Marasesti—Panciu vereinigt werden. Am 7. August gelang es nur, den rechten Flügel bis an die Susita heranzu¬ führen. Am 8. August wurden nur westlich der Eisenbahn Fortschritte erzielt, abends lagen die Angriffs-Divisionen vor einem feindlichen SusitaBrückenkopf beiderseits der Bahn fest. Der Gegner, bisher etwa fünf mit ö.-u. 62. 3. D. (bisher Gruppe Morgen), 217. F. D., Alpenkorps (im An-
rollen). Gr. Geros der ö.-u. 1.Armee:
Stellungsfront: Gruppe Ruiz mit 218. g. D., ö.-u. 1. K. D. (später Teile der ö.-u. 37. 3. $>.), ö.-u. 7., 8. K. D. Angriffsflügel: Fldzm. Ritter von Benigni (ö.-u. VIII. Korps) mit ö.-u. 71. Z. D., 117. F. D., ung.70.g.D.
Der deutsch-österreichisch-ungarische Angriff.
185
russische Divisionen, hatte sich durch rumänische Truppen erheblich ver¬ stärkt. Um im Zusammenwirken mit der ö.-u. 1. Armee möglichst viele im
Gebirge stehende Kräfte abzufangen, gab Generalfeldmarschall von Mackensen die Richtung nach Nordwesten. Gelinge es am nächsten Tage nicht, in dieser Richtung vorwärts zu kommen — so schlug General Hell der Obersten Kriegsleitung vor —, dann müsse man sich mit dem Er¬ rungenen begnügen und zum Sereth-Übergang bei Funden! umgrup¬
pieren, wo der Gegner sich inzwischen offenbar geschwächt habe. Das aber lehnte General Ludendorff bestimmt ab: Der Angriff sei mit aus¬
gesprochenem Schwerpunkt auf dem linken Flügel der Gruppe Morgen weiterzuführen, immer neue kräftige Artillerievorbereitung sei dabei nötig, auch wenn das Zeit koste; „mit diesem Artillerieseuer werden wir uns all¬
mählich durchftessen". Unterdessen war am 8. August das ö.-u. VIII. Korps der Gruppe
Gerok, dabei die für Gebirgskrieg ausgerüstete 117. Infanterie-Division, im Oitoz-Tale gegen zähen Widerstand in die rumänischen Stellungen eingedrungen. Eine Einwirkung auf die Kämpfe der 9. Armee war aber
bei der großen Entfernung (50 Kilometer Luftlinie im Gebirge) einst¬ weilen nicht zu erwarten. Bei der 9. Armee machte die neue Angriffsrichtung eine Linksschiebung von Divisionen und Umgruppierung der Artillerie nötig. Am 9. August wurde aus der ganzen Angriffsfront die Susita erreicht und süd¬
östlich von Panciu überschritten. Die Absicht, das Alpenkorps im Gebirge nach Norden auf Racoasa vorgehen zu lassen, wurde aufgegeben, da es
ein Luftstoß zu werden drohte, denn schon wurden Bewegungen feind¬ licher Teile aus dem Raume von Soveja nach Osten beobachtet. Das Alpenkorps sollte nunmehr gegen Panciu eingesetzt werden, wo die ö.-u.
62. Infanterie-Division nach einem Anfangserfolg zurückgeworfen wor¬ den war.
Am 10. August führte der Gegner starke Angriffe gegen die 9. Armee, wie es schien, um den Abmarsch aus dem Gebirge zu decken. Erst am
ll. August gelangten die Truppen des Generals von Morgen auch beider¬ seits der Eisenbahn über die Susita. Das nunmehr am rechten Flügel des Generals von Wenninger eingesetzte Alpenkorps schob sich an den Fluß heran, überwand am 12. August den Abschnitt und stürmte noch über Panciu hinaus nach Nordwesten weiter. Die ö.-u. 62. und die 217. InfanterieDivision schwenkten entsprechend vor. Am 13. August hatte das Alpenkvrps heftige Gegenstöße abzuweisen, gm übrigen war der Tag mit Vor¬
bereitungen für Fortsetzung des Angriffs ausgefüllt, dessen Schwerpunkt jetzt auf den äußersten linken Flügel verlegt wurde, denn im Gebirgs-
10. bis 13.
August.
186
Der Krieg im Osten. Kämpfe in Rumänien und den Karpaten.
vorland hoffte man besser vorwärts zu kommen als in der offenen, der
14. bi» 19.
Avgost.
feindlichen Artilleriewirkung vom hohen Ostuser des Sersth besonders ausgesetzten Ebene. Hier sollte nur noch das westliche Sereth-Ufer süd¬ östlich von Marasesti gesäubert werden. Am 14. August warf die 216. Infanterie-Division die Rumänen bei Baltaretu über den Fluß zurück und machte 3300 Gefangene. Die Gruppe Wenninger kam in schluchtenreichem Gelände, in dem auch die starken Spanndrähte der Weinberge Schwierigkeiten bereiteten, gegen erheb¬ lichen Widerstand beiderseits der Susita und nördlich des Putna-Knies nach Nordwesten vorwärts. Weiter links schlossen sich die im Gebirge bisher zur Abwehr eingesetzten Kräfte der Vorwärtsbewegung an. Aber schon
am folgenden Tage kam die Gruppe Wenninger angesichts starker Flan¬ kierung von rechts her zum Stehen. Am diese auszuschalten, sollte die Gruppe Morgen die Linie Marasesti—Panciu gewinnen. Dazu waren abermals umfangreiche Umgruppierungen nötig. Erst am 19. August konnte der Angriff wieder aufgenommen werden. Fn der Ebene westlich der Eisenbahn kamen die 12. bayerische Infanterie- und 76. Resewe-
Division zunächst gut vorwärts, dann aber warf sie ein zwischen manns¬
hohen Maisfeldern überraschend geführter feindlicher Gegenstoß bis fast zu den Ausgangsstellungen zurück. Auch gegen Marasesti waren keine Fortschritte erzielt. Es trat Stillstand ein. Unterdessen mehrten sich im Zusammenhang mit der großen Hitze die vorher schon verbreiteten Darm¬ erkrankungen und schwächten die Gefechtsstärken. Die Gruppe Gerok hatte inzwischen nur wenig Raum gewonnen, von der Bahn im Trotus-Tal war sie immer noch etwa 15 Kilometer entfernt. Don der Heeresgruppe beantragte Verstärkungen konnten nicht gegeben werden. Die 9. Armee wollte aber Marasesti noch nehmen und auch den Angriff im Gebirge noch weiter vortragen. Die dazu nötigen Umgruppierungen sollten in den nächsten Tagen durchgeführt werden. Die Heeresgruppe hatte weitergehende Pläne, denn die russische 4. Armee war aus der Front gezogen; es standen nur noch die beiden rumänischen 21. bis 26.
August.
Armeen gegenüber. General Hell wandte sich am 21. August an General Ludendorfs und schlug vor, gegen sie alle an der Ostfront frei zu machenden
Kräfte anzusetzen. Wenn dieser Schlag gelinge, würde man zweifellos zum Frieden mit Rumänien kommen; das Feld sei dafür vorbereitet. General Ludendorff hielt den Vorschlag an sich für gut, lehnte ihn aber ab, denn: Die Ersahlage zwinge dazu, den Operationen ein vorläufiges Ziel zu setzen; es würde genügen, im Gebirge mit eigenen Kräften so weit vor¬
zustoßen, daß die von Racoasa nach Osten führende Straße beherrscht werde; wenn daraufhin die Rumänen weiter auswichen, wäre zu ent-
Beendigung des Angriffs.
187
scheiden, ob man den Druck fortsetzen oder die Operation endgültig ab¬
schließen wolle. Die Gruppe Gerok sollte bei diesem Schlußangriff mit¬ wirken. Als Angriffstag wurde der 28. August vorgesehen. Unterdessen erbat am 23. der österreichisch-ungarische Generalstadsches bringend Hilfe gegen Italien, und am 24. teilte die Oberste Kriegsleitung mit, daß das Alpenkorps und die österreichische 13. Schützen-Division dafür frei¬ zumachen seien. Die Heeresgruppe wollte daher von dem beabsichtigten Angriff absehen. Die Oberste Kriegsleitung aber befahl für die 9. Armee am 26. August, ihn vor Abtransport der beiden Divisionen doch noch
durchzuführen. Am 28. August gewann denn auch die Gruppe Wenninger (nunmehr 76. Reserve-Division, Alpenkorps, 216. und 217. Infanterie-Division) bei¬ derseits der Straße nach Racoasa etwa sechs Kilometer Raum nach Nord¬ osten. Am 29. und 30. August konnte der linke Armeeflügel sich mit dem
rechten Nachbarn auf gleiche Höhe sehen. Dann lag der Angriff einige Kilometer südöstlich von Racoasa vor ausgebauten rumänischen Höhen¬
stellungen wieder fest. Auch Teilvorstöße in den ersten Septembertagen führten nicht zum Gewinn der das Susita-Tal beherrschenden Höhen, mit der die Heeresgruppe die Operation abzuschließen hoffte. Man mußte
zur Dauerstellung übergehen. Diese wünschte die Heeresgruppe zwischen Sereth und Gebirge hinter die Susita zurückzulegen. Das aber wurde von
der Obersten Kriegsleitung wegen des ungünstigen Eindruckes nicht ge¬ billigt; es sollten die im Angriff gewonnenen Stellungen ausgebaut werden. Die Kämpfe dauerten noch bis zum 3. September an, dann flauten sie rasch ab. Bei ihnen fiel am 8. in vorderster Linie der Kommandierende General des XVIII. Reservekorps, Generalleutnant von Wenninger. Die Gesamtbeute des Gegenangriffs zählte mehr als 18000 Ge¬ fangene und 22 Geschütze*). Dem stand ein eigener Verlust von mehr als
16000 Mann gegenüber, während die rumänischen Verluste insgesamt 2700p Mann betrugen; die der Russen sind nicht bekannt.
Betrachtungen. Nach dem leichten und weitgreisenden Erfolge des Durchbruchs¬ angriffs von Zloczow hatte das Ergebnis des Angriffs der 9. Armee, zu dem etwa ebenso starke Stoßkräfte, aber wesentlich schwächere Artillerie eingesetzt waren, vom ersten Tage an enttäuscht. Die Gründe wären mannigfacher Art. Vor allem war der Gegner unterschätzt worden. Der
Angriff war auf russische Truppen gestoßen, die noch besonders fest in der *) Ohne 3,7- und 5-cm-„©tobentononen".
28. August bis Anfang September.
188
Der Krieg im Osten.
Hand ihrer Führer waren. Erst recht hatten die rumänischen Truppen eine überraschende Kraft in der Abwehr wie in Gegenangriffen gezeigt. Schier unerträgliche Hitze, Ausfälle durch Darmerkrankungen (5000 Mann in Lazarettbehandlung) sowie Ungunst des Geländes hatten die Auf¬ gabe erschwert, zumal da die Truppen durchweg unmittelbar aus dem Stellungskriege ohne entsprechende Ausbildung zum Angriff angesetzt werden muhten. Dazu hatte sich schon bald die Flankierung vom östlichen Sereth-üser bemerkbar gemacht. Aber auch die Angrisfsstreisen für den entscheidenden ersten Stoh des rechten Flügels (fast fünf Kilometer je Di¬ vision) waren recht breit, die Artillerie-Ausstattung (etwa 20 Geschütze aus den Kilometer) gering gewesen. Endlich aber war, wie Gefangene aussagten, die Überraschung nicht geglückt. Der Hauptwiderstand scheint erst hinter der Susita, also außerhalb der deutschen Artilleriewirkung gelegen zu haben, so dah sich die beste Stoßkraft bereits erschöpft hatte, als man auf ihn traf.
Unter diesen Umständen war der Kräfteeinsatz für die doppelte Ziel¬ setzung nicht nur der ganzen Offensive, sondern schon des ersten Tages: Stoß nach Norden und gleichzeitige Gewinnung eines Brückenkopfes nach Osten über den Sereth, zu gering gewesen. Nach dem unzureichenden Ansangsergebnis aber war dem Angriff das übliche Schicksal beschieden: er mußte sich durch die weiteren Stellungen und Widerstandslinien des Gegners mit immer wieder neuer starker Artillerie-Vorbereitung „durch-
fressen"; damit verbundene mehrfache Schwerpunktverschiebungen und Herbeischaffen der nötigen Munition erforderten Feit, die dem Gegner zugute kam. Die zu erfolgreicher Durchführung solchen Kampfes nötigen ftischen Reserven aber fehlten. So hat sich der mit großen Erwartungen
begonnene Angriff nach einigem Geländegewinn bald sestgelausen. Für den Angriff bei der Gruppe Gerok gilt Ähnliches. Mit nur einer einzigen, deutschen Division war hier aus größeren Erfolg nur zu rechnen, wenn der zwei Tage vorher begonnene Angriff der 9. Armee die erwartete Entlastung gebracht hätte. Dazu aber wären dort ganz andere
Anfangserfolge erforderlich gewesen, als tatsächlich erreicht wurden. So machte sich die Wechselwirkung der beiden 50 Kilometer voneinander
entfernt geführten Angriffe kaum bemerkbar. Daran dürfte sich auch nichts geändert haben, wenn das Alpenkorps — wie Major Wetzell dringen
befürwortet, General Ludendoff aber abgelehnt hatte
der Gruppe
Gerok statt der 9. Armee zugeführt worden wäre.
Angesichts der unerwarteten Stärke des feindlichen Widerstandes reichte der Kräfteeinsatz für die zu lösende Gesamtausgabe nicht aus. Das
Ergebnis der dreiwöchigen Angriffskämpfe beschränkte sich daraus, daß 16
Betrachtungen zur Offensive in Rumänien und den Karpaten.
IAH
Front der Mittelmächte beiderseits des feindlichen Einbruchs im SovejaDecken bis zu zwölf Kilometer vorgeschoben und dadurch der Gegner ver¬ anlaßt wurde, den größeren Teil des Ende Juli gewonnenen Raumes wieder aufzugeben. Mehr war mit den verfügbaren Mitteln bei aller
Tapferkeit der angreifenden Truppen wohl nicht zu erreichen gewesen. Alles in allem war die örtliche Lage taktisch um einiges gebessert. Der erstrebte operative Erfolg war aber ausgeblieben. Die Rumänen rechneten
sich ihren in der „Schlacht bei Marasesti" gegen deutsche Truppen ge¬ leisteten Widerstand sogar als „Abwehrsieg" an. In Wirklichkeit aber hatte ihre für den Angriff ausgebildete und neu ausgerüstete Armee einen
so schweren Schlag erhalten, daß sie jeden Gedanken an Offensive endgültig
aufgeben mußte.
D. Die Offensive im Baltikum. Der Gedanke einer Operation gegen Riga und die den Rigaschen Meerbusen abschließenden Inseln war bereits im Sommer 1915 sowie im darauffolgenden Winter und Frühjahr erörtert worden*). Der Ober¬
befehlshaber Ost, damals noch Generalfeldmarschall von Hindenburg mit General Ludendorfs, sowie der Admiralstab waren dafür eingetreten, auch General von Falkenhayn war nicht abgeneigt gewesen, aber die er¬
forderlichen Landstreitkräfte waren einstweilen nicht verfügbar. Das änderte sich auch nicht, als die neue Oberste Heeresleitung den Plan im De¬ zember 1916 wieder aufnahm. Immerhin hatte der Oberbefehlshaber Ost nunmehr einen „Angriffsentwurf zur späteren Wegnahme von Riga" vorzulegen. An eine weitergehende Operation, etwa aus Petersburg, war dabei nicht gedacht. Doch hielt der Oberbefehlshaber Ost eine gleichzeitige Unternehmung zusammen mit der Marine gegen die Insel Osel für wichtig. Nach den Winterkämpsen an der Aa2) begannen unter dem Decknamen „Nordabwehr" die Vorarbeiten für den Angriff gegen Riga. Von Mai 1917 ab wurde gemeinsam mit der Marine auch die Wegnahme der baltischen
Inseln besprochen und vorbereitet. General Ludendorff betonte dabei,
daß dieses Unternehmen, zu dem erhebliche Seestreitkräfte herangezogen werden mußten, nur in Frage komme, wenn die Wirkung des Untersee¬
krieges dadurch nicht beeinträchtigt werde. Aussicht auf Ausführung beider Pläne bot sich aber erst im Anschluß an «»gast. die Gegenoffensive in Galizien. Als in den ersten Augusttagen klar wurde, *) Bd. VIII, S. 130 u. 468; Bd. X, S. 426.
*) Bd. XI, S. 398ff.
Iso
Der Krieg Im Osten. Offensive im Baltikum.
Magus«, daß an ihre Fortsetzung vor Wiederherstellung der Eisenbahnen nicht zu denken sei, fragte General Ludendorfs, dem die Zukunft der baltischen Rand¬ staaten schon immer sehr am Herzen gelegen hatte, beim Oberbefehlshaber Ost an, „wie er sich zu einem Düna-Übergang oberhalb von Riga stelle". Oberst Hosfmann war „sogleich Feuer und Flamme'"). Am 4. August erhielt die 8. Armee (Heeresgruppe Eichhorn) Befehl, mit den Vorbereitungen für den Angriff zu beginnen. Aber auch nach diesem Tage trat bei der Obersten Heeresleitung Major Wehell am 10. August noch dafür ein, das Unter¬ nehmen zurückzustellen gegenüber der Eroberung der Moldau, die von
großer strategischer und politischer Tragweite sei, vielleicht sogar zum Frieden mit Rumänien führe, während das Unternehmen gegen Riga nur örtliche Bedeutung habe; es könne später durchgeführt werden. Angesichts der einst¬
weilen völlig unzureichenden Nachschubverhältnisse für die Operation in die Moldau, entschied General Ludendorff aber für Riga. Am 11. August wurde der österreichisch-ungarischen Heeresleitung mitgeteilt, daß die
Moldau-Operation zunächst nicht in Frage komme, sondern „mit allen irgend vom Oberbefehlshaber Ost verfügbaren Kräften ein Angriff bei der Heeresgruppe Eichhorn" geführt werden solle. Am 14. August folgten neue Besprechungen mit der Marine, die zur Unterstützung des Unter¬ nehmens gegen Riga vorherige Wegnahme von Ösel vorschlug. Der schon weitgehend vorbereitete Angriff der 8. Armee hätte also verschoben werden
müssen. Darauf ging die Oberste Heeresleitung nicht ein, wenn auch wegen der starken Minensperren am Eingang zum Rigaschen Meerbusen ohne vorherige Wegnahme von Osel nur die Mitwirkung von Unterseebooten und Marine-Fliegern gegen Riga in Aussicht gestellt werden konnte. Die
Wegnahme von Osel sollte erst nach dem Angriff auf Riga durchgeführt werden. Beide Unternehmen aber blieben abhängig von der Entwicklung
der Lage im Westen). Die Kräfte für den Angriff aus Riga mußten den an der Offensive in Galizien beteiligten Truppen entnommen werden und, da am 23. August
die österreichisch-ungarische Heeresleitung deutsche Truppenhilfe gegen Italien erbat, bis spätestens Ende September wieder verfügbar sein'). Demgemäß konnte dem Unternehmen nur ein eng begrenztes Ziel gesteckt werden. x) Ludendorff: „Meine Kriegserinnerungen" S. 279f. „Die Aufzeichnungen des Ge¬ neralmajors Hoffmann", II, 175 (Brief vom 2. Aug. 1917) u. I, S. 180. — Das Gespräch
hat vermutlich am 1. Aug. stattgefunden, denn an diesem Tage hielt die O. H. L. die Offen¬ sive in Galizien an, da Truppen und Munition für andere Zwecke gebraucht würden (S. 175). ’) gn einer Denkschrift vom 25. Aug. mahnte Maj. Wetzeil, wohl unter dem Eindruck
des unbefriedigenden Verlaufs der Kämpfe in Rumänien, aber auch entsprechend seiner
Die Einnahme von Riga.
191
J. Die Einnahme von Riga. Beilagen 13 und 18.
Die Vorbereitungen. Der erste Angriffsplan zur Wegnahme von Riga war auf Weisung des Oberbefehlshabers Ost im Dezember 1916 beim Oberkommando der ö.Armee aufgestellt worden mit dem Ziele, die über die untere Düna
weit nach Westen vorgeschobenen starken russischen Kräfte abzufangen. Der Flußübergang sollte oberhalb der großen Düna-Insel Dalen in der Gegend von Äxkül stattfinden. Von hier aus wollte man den Angriff mit dem linken Flügel unmittelbar an der Düna, mit dem rechten etwa am Kl. Iägel
entlang weiterführen und den Abschluß gegen Osten an diesem Wasserlaus sowie am Iägel- und Stint-See Herstellen. Demgegenüber entschied sich
der Oberbefehlshaber Oft, der mit stärkerem Kräfteeinsatz rechnete, für eine weiter ausgreifende Operation, die östlich des Iägel-Sees gegen die Küste zu richten sei. Sie ergab zwar eine längere Flanke gegen von Osten etwa herankommende russische Reserven, gewährte aber auch er¬
heblich bessere Aussichten für das Abfangen der westlich von Riga stehenden russischen Divisionen. Damit ergab sich folgende Gliederung: eine möglichst starke Hauptgruppe mit Heereskavallerie zum Vorgehen östlich des Kl. Iägel nach Norden gegen die Küste, etwa zwei Divisionen zum Schutz der rechten Flanke, etwa drei Divisionen als linker Flügel zum Angriff
westlich des Kl. Iägel auf Riga. Dieser Plan wurde den Angriffsvorbereitungen zugrunde gelegt, mit denen der Oberbefehlshaber der 8. Armee, General der Infanterie von Hutier mit Generalmajor von Sauberzweig als Generalstabschef, am
4.August 1917 beauftragt wurde. Zu dieser Zeit stand die Armee mit saugest reichlich vier Divisionen in etwa 120 Kilometer breiter Front von der Gegend südlich von Iakobstadt bis zum Ostende der Insel Dalen hinter der Düna und weiterhin mit nicht ganz vier Divisionen in fast 70 Kilometer Breite südlich des Tirul-Sumpfes und noch über die Mündung der kur¬
ländischen Ast1) hinaus nach Westen. Anschließend sicherte eine KavallerieDivision an der Küste. Für die Durchführung des Angriffs nahm General gegen das Riga-Unternehmen gerichteten Grundeinstellung, dieses sei „sofort abzubrechen, wenn ... zu erkennen sei, daß die russischen Gegenmaßnahmen die beabsichtigten, weit¬
gehenden Erfolge nur unter schrittweisem Kampf und stärkstem Kräfteverbrauch zulassen würden". x) Diese kurländische Aa ist nicht zu verwechseln mit der etwa ebenso weit nordöstlich von Riga mündenden livländischen Aa.
192 4. August.
Der Krieg im Öftcn. Offensive im Baltikum.
Ludendorfs zunächst den 20. August in Aussicht, müßte sie aber, da die nötigen Kräfte in Galizien nicht zeitig genug frei wurden, auf den 1. Sep¬ tember verschieben. Von den Angriffstruppen hatte die 8. Armee vier Infanterie- und eine Kavallerie-Division zu stellen, acht InfanterieDivisionen und weitere Kavallerie sollten zugeführt werden, dazu reichliche
Artillerie, Minenwerfer, Pioniersormationen und Luftstreitkräfte). Der Antransport dieser Truppen, dazu der von Übersetz- und Brückengerät, von rund 650000 Schuß Artillerie- und Minenwerfer-Munition sowie von Verpflegung, mußte innerhalb von vier Wochen aus durchweg ein¬
gleisigen Bahnen erfolgen; doch gelang es durch schärfste Anspannung des Betriebes, den Aufmarsch mit insgesamt 829 Zügen rechtzeitig durch¬ zuführen. Eine Reihe von Täuschungsmahnahmen sollte den Gegner irreführen. Der plötzlich einsehende starke Bahnverkehr war aber nicht zu verbergen und veranlaßte die Russen zusammen mit Überläufer- und Agen¬ tenaussagen ihren bisher noch 16 Kilometer über die kurländische Aa nach Westen hinausreichenden rechten Flügel bereits am 20. August hinter
diesen Flußlauf zurückzunehmen. LS. August.
Am 28.August bestimmte die Oberste Heeresleitung als erstes Ziel des Unternehmens die Gewinnung einer günstigeren und kürzeren Front östlich von Riga, lehnte aber weiteres Vorgehen auf Wenden abi
Dagegen sollte die „Ausnutzung eines vollen Durchbruchsieges im Auf¬ rollen der Front nach Südosten in Richtung der Brückenköpfe Iakobstadt und Dünaburg im Bereich der Möglichkeit" bleiben. Bei der Durchführung des Angriffs handelte es sich darum, zunächst auf verhältnismäßig schmaler Front überraschend den DünaÜbergang zu erzwingen, dann so schnell als möglich den Kl. und Gr. Iägel zu überwinden und über die von Riga nach Walk und Pleskau führende Bahn und die Straße hinweg die Küste zu erreichen. Dabei waren vom
Düna-Übergang bis zur Küste fast 35 Kilometer Luftlinie zurückzulegen. Dieser Raum aber war ausgefüllt von einem fast völlig ebenen Waldgebiet, das in der Angriffsrichtung nur von wenigen Wegen, quer zu dieser aber
von zahlreichen Wasserläusen und Sumpsstreisen durchzogen ist. Inwie¬ weit in diesem Raum auf Bewegungsmöglichkeit außerhalb der Wege zu rechnen war, stand dahin. Für die rechte Flanke boten weite Sumpf-
gebiete wertvollen Schutz. Von der gegenüberstehenden russischen 12. Armee nahm man an,
daß hinter der Düna in dem für den Übergang in Aussicht genommenen Abschnitt zwischen Oger-Mündung und Kirchholm eine Division, zwei weitere Divisionen oberhalb bis in die Gegend von Friedrichstadt standen, an Reserven eine Division östlich, drei westlich von Riga und schließlich an
193
Einnahme von Riga. Vorbereitungen.
der Front zwischen Riga und der kurländischen Aa noch etwa acht Divi¬ sionen. Diese letzteren galt es abzuschneiden. Die Entscheidung lag daher, wie General von Hutier in den Weisungen für den Angriff aussprach, an der von Riga nach Osten führenden großen Straße, und sie schien erst gesichert, wenn auch die längs dieser Straße von Nordosten zu erwarten¬ den russischen Verstärkungen abgewiesen waren. Erstes Ziel war, an einer Stelle mit starken Kräften das vom Gegner
einstweilen nur schwach besetzte nördliche Düna-üser zu gewinnen. Die hierfür in Aussicht genommenen Übergangsstellen bei Borkowitz, Gut Üxkül und Dünhof lagen nur je zwei bis drei Kilometer voneinander entfernt. Der Fluß hat hier 350 Meter Mindestbreite, aber nur geringe Strömung. Das Süduser bot die Möglichkeit verdeckter Annäherung, das flach ansteigende Nordufer war bis gegen die Eisenbahn Friedrichstadt—
Riga hin übersichtlicher. Auf im ganzen etwa fünf Kilometer Frontbreite sollten unter Leitung des Generalleutnants von Berrer (Generalkom¬
mando z. b. D. 51) nach stärkster Artillerievorbereitung zunächst drei aus¬ gesuchte Stoßdivisionen übergehen; die bisher in diesem Abschnitt ein¬
gesetzte Stellungsdivision hatte ihnen sogleich zu folgen. Nächste Ausgabe war die Gewinnung eines ausreichenden Brückenkopfes, wenn möglich
auch schon von Übergängen über den Kl. Iägel. Über die Düna sollten drei Brücken geschlagen werden. In der Frühe des zweiten Tages hatten drei bis vier inzwischen herangekommene weitere Divisionen überzugehen; jenseits des Flusses sollten dann drei Gruppen unter je einem General¬ kommando gebildet werden, die den Angriff mit möglichster Beschleunigung vor allem nach Norden weiter vortrugen. Weitere Divisionen und Heeres¬
kavallerie sollten folgen1). l) Gliederung der Angriffstruppen am I. Sept. früh:
Für den Düna-Übergang. 1. Treffen: . Gen. Kdo. 51: Genlt. v. Berrer mit 19. R. D., 14. b. u. 2. E. Z. D., Anfänge
nahe den Übergangsstellen; ihnen folgend 203. F. D. (bisherige Stellungsdivision). 2. Treffen: 1. G. g. D., 42. F. D., G. E. Div., Anfänge durchschnitt!. 10 km von den Über¬
gangsstellen entfernt; 2. b. L. D., bisherige Stellungsdivision östlich der Übergangsstelle. ö. Treffen: 20. g. D., 75. R. D., Heereskav. (1. K. D., L.-Hus. u. 17. Kav. Brig.) und 202. g. D. an der Bahn gakobstadt-Mitau; 77. R. D. im Anrollen.
Feuervorbereitung: 615 Geschütze (davon 251 schwere u. schwerste), 544 931.28. (davon 220 nuttl. u. schwere).
übersehen und Brückenbau: 29 Pi., 8 Arm.-Komp., 9 Korps-, 15 Div.Br.Trs.
LuststreitkrSfte: etwa 90 Flugzeuge. ©egen die russischen Stellungen westlich von Riga:
Bisherige Stellungsbesahung:
1.9t. S. ®en. Kdo. 60: Genlt. von Pappritz mit 22. L. D. u. 205. F. D. Weltkrieg. XIII. Sb.
iq
Der Krieg im Osten. Offensive im Baltikum.
194 LS. Asgust.
Zur artilleristischen Vorbereitung des Überganges wurden 159 Bat¬ terien und zahlreiche Minenwerser-Einheiten eingesetzt mit insgesamt 407000 Schuß Splittermunition, dazu 154000 Gas- und 3000 Nebel¬ granaten sowie 82000 mittlere und schwere Minen. Nach kräftiger Ver¬ gasung, vor allem der feindlichen Artillerie-Stellungen, sollte das Wirkungs¬ schießen folgen, während das Übersehen dem Einblick von den Flanken her
durch Vernebelung entzogen wurde. Zur Täuschung des Gegners wurde für die Nachbarabschnitte, vom Oberbefehlshaber Ost außerdem auch für die Armee-Abteilung D und die 10. Armee, Steigerung der Artillerietätigkeit in den letzten Tagen vor
dem Angriff angeordnet. Auf einen ursprünglich geplanten, gleichzeitigen Nebenangriss über die Düna in der Gegend von Friedrichstadt war dagegen aus Mangel an Kräften verzichtet worden. Statt dessen sollten an drei
Stellen zwischen Friedrichstadt und Jakobstadt Täuschungsunterneh¬ mungen mit starkem Artillerie-Einsatz durchgeführt werden.
Die Truppen westlich von Riga hatten nachzustoßen, sobald der Gegner dort unter der Wirkung des Düna-Überganges den Rückzug ein¬ leitete.
Der Düna-Übergang. 1. September.
In der Nacht zum 1. September begann um 4° morgens das Gas-
schießen der Artillerie, ihm folgte von 6° an das Wirkungsschießen. Am 9° begann nach Wegnahme der beiden im Äbergangsraume liegenden Düna-
Inseln das Übersetzen der Infanterie. Jeder der drei Divisionen standen dafür 75 Pontons zur Verfügung, so daß sie gleichzeitig je anderthalb Bataillone an das feindliche Ufer bringen konnten. Die russische Gegen¬ wirkung war von Anfang an sehr gering. Unterstützt von Schlacht- und
Jagdfliegern nahm die Infanterie der 19. Reserve-, 14. bayerischen und
2. Garde-Insanterie-Division, ohne noch ernstlichen Widerstand zu finden, die russischen Herstellungen und erreichte die nahe dahinter verlaufende
Eisenbahn. Flieger beobachteten nach Nordosten zurückflutende feindliche Truppen, meldeten aber auch, daß Teile des Gegners aus Riga bereits im Abzüge seien. Um 1230 mittags war die erste, um 230 auch die letzte Brücke fertig. Bis zum Abend war ein zwölf Kilometer breiter und bis zu sechs
Kilometer tiefer Brückenkopf auf dem nördlichen Ufer gewonnen. Nur die mittlere, 14. bayerische Infanterie-Division, die bis zum Kl. Iägel vorstieß, hatte ernstere Kämpfe gehabt; am Kl. Iägel traf sie so hartnäckigen
Widerstand, daß sie den Übergang auf den nächsten Tag verschob. 2. September.
Bis zum Morgen des 2. September standen etwa sechs Divisionen aus dem nördlichen Düna-Ufer. Für das weitere Vorgehen wurden drei
195
Einnahme von Riga. Der Düna-Übergang.
Gruppen gebildet'). Unterdessen ergab die Luftaufklärung, daß der Gegner aus seinen Stellungen westlich von Riga in vollem Abzüge war
und seine Reserven dem deutschen Angriff entgegenwars. Bei der Sto߬ gruppe des Generalleutnants von Berrer gelang es der I. Garde-In-
fanterie-Dioision erst gegen 4° nachmittags, bei Lindenberg die russische Stellung am Kl. Jaget zu durchstoßen. Bis zum Abend erreichten ihre
Aufklärungsabteilungen und die 14. bayerische Infanterie-Division zwischen Boijer und Sacke den Gr. Iägel. Sie hatten von den Düna-Brücken her in zwei Tagen im ganzen 15 Kilometer Raum gewonnen. Die Gruppe Kathen kam ohne größere Kämpfe einige Kilometer nach Osten vorwärts. Von der Gruppe Riemann erzwang die 42. Infanterie-Division im An¬ schluß an die Gruppe Berrer den Übergang über den Kl. Iägel und wandte sich dann nordwestwärts gegen Kulpe, wo sie abends vor starkem feind¬
lichen Widerstand festlag. Garde-Ersah-Division und 2. Garde-InsanterieDwision erstürmten nach Artillerievorbereitung eine russische Riegel¬ stellung, kamen aber über die Linie Sauresch—Kurtenhos nicht hinaus; denn der Gegner führte hier bis tief in die Nacht hinein mit immer neuen
Kräften heftige Gegenangriffe. Die Schwierigkeiten des Angriffsgeländes machten sich in zunehmen¬ dem Maße geltend. Es erwies sich außerhalb der Wege ungangbar für Fahr¬ zeuge. In dem unübersichtlichen und teilweise versumpften Waldgebiet fand die Artillerie kaum irgendwo geeignete Feuerstellungen. Ihre Fahr¬ zeuge sowie viele andere jeder Art sperrten in endloser Reihe die wenigen Wege, und diese Stauung setzte sich wie in Engpässen bis weit über die
Brücken auf das südliche Düna-Aser fort. Westlich von Riga waren um 8° morgens die russischen Stellungen
unbesetzt gefunden worden. Dem Gegner folgend erreichten die deutschen Tmppen den Nordrand des Tirul-Sumpfes sowie nördlich vom Babit-See die Gegend westlich von Majorenhos. Für den 3. September gab General vonHutier der Gruppe Berrer
die Aufgabe, „unter vollster Ausnützung der Marschleistungen aller Waffen" nach Norden an die Bahn und Straße nach Hinzenberg heranzugehen und
schleunigst die Enge zwischen Iägel- und Stint-See sowie der Küste zu sperren. Die Gruppe Kathen hatte weiterhin die rechte Flanke zu decken, ') Oftgruppe: Gen. d. Inf. von Kathen (Gen.Kdo. XXIII. R. K.) mit 19. R. D., 203. g. D., 17. Kav. Brig., ferner auf südl. Flußufer in Stellung 2. b. L. D. Stvßgruppe: Genlt. von Berrer (Gen. Kdo. 51) mit 1. G., 14. b. I. D., dahinter verst. 1.K.D., 20. g. $>., 75. R. D. Weftgruppe: Gen. d. Znf. Riemann (Gen. Kdo. VI. A. K.) mit 42. I. D., G. E. Div., 2. ©. g. D.
Noch zurück: 202. g. D., 77. R. D. 13*
196
2. September.
Der Krieg im Osten. Offensive im Baltikum.
die Gruppe Riernann und die Truppen westlich von Riga sollten den An¬ griff gegen die Stadt selbst fortsetzen. Bei der Gruppe Berrer verzögerte sich das Vorgehen der 1. GardeInfanterie-Division durch die unklaren Verhältnisse in ihrer zunächst'un¬ geschützten Ostslanke. Sie überschritt um 12° mittags den Gr. Iägel bei Boijer und östlich und erreichte mit Vortruppen bis zum Abend bei Sidrobsal das Südufer der Trumschuppe. Links neben ihr war es der 14. baye¬
rischen Infanterie-Division gelungen, im Morgengrauen östlich von Sacke die Brücke über den Gr. Iägel in die Hand zu bekommen. Es folgten dann aber hartnäckige Kämpfe vor allem bei Sacke, wo der Gegner noch auf dem
Südufer stand. Da Artillerie bei den schwierigen Wegeverhältnissen erst spät herankam und auch nur schwer zur Wirkung gebracht werden konnte, gewann der Angriff nur langsam Raum. Am Abend lag die Division vor einer neuen feindlichen Stellung an der Trumschuppe bei Balin fest. Don den nachfolgenden Divisionen gewann rechts von der 1. Garde-InfanterieDivision in starkem Vorwärtsgehen die Vorhut der 20. Infanterie-Division
nach leichten Gefechten abends das nördliche Trumschuppe-Aser bei St. Ricolaja, ihr Gros und rechts daneben die 1. Kavallerie-Division waren
noch weiter zurück. Der Versuch, auch die 75. Reserve-Division im Laufe des Tages in die vordere Linie vorzuziehen, scheiterte an der Ungang¬ barkeit des Geländes außerhalb der Wege, die von den vorne befindlichen Divisionen völlig belegt waren; abends erreichte ein einzelnes Bataillon
der Division die Trumschuppe bei Podekai-Bunze. Die Gruppe Kathen hatte ihre Stellungen abermals etwas ostwärts vorgeschoben. Ihr linker Flügel, 203. Infanterie-Division, hatte dabei zusammen mit Teilen der 1. Kavallerie-Division bei Kranzem feindlichen Widerstand gebrochen. Bei der Gruppe Riemann nahm die 42. Infanterie-Division nach schwerem Kamps Kulpe und kam im Vorgehen nach Norden bis an den Gr. Iägel, dessen Nordufer sie besetzt fand. Da weiter südlich der Gegner nachts ab¬ gezogen war, konnte die Garde-Ersatz-Division westlich des Iägel-Sees vorgehend, bis zum Abend die Enge zwischen diesem See und dem StintSee erreichen. Die dortige Straßenbrücke war abgebrannt, der Gegner offenbar nach Osten bereits abgezogen. Links von der Garde-ErsatzDivision erreichte die 2. Garde-Infanterie-Division unter Kämpfen bis zum Abend die vorn Gegner geräumte Stadt Riga, während von Westen her die 1. Reserve- und 22. Landwehr-Division schon vormittags bis an die gesprengten Düna-Brücken gelangt waren. Aus Riga und dem Raume westlich der Stadt war der Gegner ab¬
gezogen. Flieger hatten nicht nur auf der großen Straße nach Hinzenberg, sondern auch auf dem Wege nordwestlich des Gr. Weißen Sees lange
Einnahme von Riga. Rückzug der Russen.
197
Kolonnen aller Waffen im Abmarsch beobachtet. Ein aufgefangener
Funkspruch bestätigte diese Beobachtung: Das VI. sibirische Korps sollte zur Entlastung der großen Straße auf das Norduser der Aa ausweichen, das II. sibirische Korps zur Deckung des Abmarsches gegen Süden angreifen. Es bestand also bestenfalls noch Aussicht, Teile des Gegners gegen die Aa westlich von Hinzenberg zu drücken. Entscheidend dafür war das Vor¬ wärtskommen des rechten Flügels der Gruppe Berrer. Dessen 20. In¬
fanterie-Division hatte jedoch am 4. September zunächst bei Planup russischen Widerstand zu brechen; dann wandte sie sich gegen den Bahnhof
4. September.
Hinzenberg, den sie dem Gegner aber erst um 3° nachmittags entreißen konnte. Rechts von ihr hatte die 1. Kavallerie-Division die Verfolgung in das Sumpfgebiet des Gr. Iägel aufgenommen. Links von ihr erreichte
die 1. Earde-Infanterie-Division unter Kämpfen nach 5° nachmittags bei Birsnek die große Straße und gelangte bis zum Abend von Stoischen bis westlich von Wangasch an die Aa. Fm ganzen konnte sie dabei nur noch
200 Gefangene und acht Geschütze einbringen. Der Gegner war entkommen.
Die Oberste Heeresleitung hatte bereits am Z. September, als
sich dieses Ergebnis voraussehen ließ, die Weisung erteilt, die Operationen nordöstlich von Riga „bald zu einem Abschluß zu bringen"; drei Divisionen sollten nach dem Westen abgegeben werden. So wurde die Front am 5. September nur noch einige Kilometer nach Osten, dabei auch über die untere Aa bis zum Lilast-See vorgeschoben. Zu Kämpfen kam es dabei nicht mehr. Die Operation war beendet. Der Gegner schien aus Stel¬ lungen im Hügel- und Seen-Gebiet von Wenden ausgewichen zu sein.
Maßnahmen des Gegners, Verluste und Beute, Betrachtungen. Der deutschen 8. Armee stand die russische 12. Armee, seit Anfang August unter General Parski, gegenüber. Bereits am 6. August, zwei Tage nachdem die 8. Armee mit den Angrifssvorbereitungen betraut worden war, befahl die russische Heeresleitung wegen der Versammlung deutscher Kräfte in der Gegend von Baldon*), diesem Abschnitt größte Aufmerksam¬ keit zuzuwenden. Bis zum 20. August wurden die noch westlich der kur¬
ländischen Aa eingesetzten Kräfte hinter diesen Flußlauf zurückgenommen. Seitdem standen westlich von Riga etwa acht Divisionen in vorderer Linie, eine dahinter; auf dem nördlichen Düna-Ufer von der Insel Dalen bis östlich von Friedrichstadt hielten mindestens drei Divisionen die vordere ‘) Da zu dieser Zeit noch keinerlei Truppenansammlungen bei Baldon stattgefunden hatten, muh die Nachricht über die Absichten der höheren Führung durch Verrat, vielleicht unter Ausnutzung der Wege der ehemaligen Frontpropaganda, zu den Russen gekommen sein.
5. September.
Der Krieg im Osten.
198
Linie, zwei lagen dahinter; etwa anderthalb Divisionen waren südöstlich von Riga versammelt. Durch Überläufer frühzeitig unterrichtet, erwartete General Parski den deutschen Angriff gegen den von etwa einer Division
besetzten Abschnitt Insel Dalen—Oger. Da hinter ihm und seitlich Re¬ serven bereit standen, stieß der deutsche Angriff in Front und Flanken als¬ bald auf Widerstand, der durch Truppen, die von Riga her anrückten, neu genährt wurde. Die Russen kämpften aber nur noch um Deckung des Rück¬ zuges, den die noch westlich der Stadt stehenden Truppen über fünf Brücken schon am 1. September begonnen hatten. In der Nacht zum 3. Sep¬ tember wurden Dünamünde und Riga geräumt, die Brücken über die Düna und die Befestigungen von Dünamünde gesprengt. Die Armee sollte aus eine bei Wenden vorbereitete Stellung zurückgehen. Das VI. sibi¬ rische Korps entkam westlich des Gr. Weißen Sees ungestört, das XXXXIIL und das II. sibirische vermochten sich aus der verstopften Hauptstraße nur in völliger Unordnung dem Abgeschnittenwerden zu entziehen, das XXI. Korps wich ostwärts aus. Insgesamt soll die Armee nach Berech¬ nungen der russischen Heeresleitung 25000 Mann verloren haben, dagegen die Artillerie von wohl fünf Divisionen. Dem stand ein deutscher Verlust von nur 4200 Mann, von dem mehr als ein Viertel auf die 14. bayerische
Infanterie-Division entfiel, gegenüber; 9000 Gefangene waren eingebracht, dazu 262 Geschütze, davon ein Drittel schwere, und zahlreiche sonstige Beute.
Der Geländegewinn entsprach durchaus der Zielsetzung: die alte Hansestadt Riga mit gegen 50000 deutschen Bewohnern war in ge¬ sichertem Besitz, östlich der unteren Düna war bis zu 25 Kilometer Raum
gewonnen. Das große operative Ziel, die westlich von Riga stehenden russischen Divisionen abzufangen, war aber nicht erreicht. Ob es an¬
gesichts der Gegenmaßnahmen der russischen Führung und der doch immer noch bemerkenswerten Widerstandskraft der zur Gegenwehr vorgeworfenen russischen Truppen, vor allem aber der Schwierigkeiten des großen Wald¬
gebiets überhaupt erreichbar gewesen war, erscheint zweifelhaft. Auch bei Zurücklassung der alsbald nur noch hindernden Masse der Artillerie und Fahrzeuge wäre man wohl kaum rascher vorwärts gekommen. Nur
der Düna-Übergang hatte mit vorbildlicher Pünktlichkeit und Schnelligkeit durchgeführt werden können; dann aber waren vier volle Tage vergangen,
bis die 25 Kilometer entfernte Hauptrückzugsstraße des Gegners erreicht war. Dieser hatte damit Zeit genug gehabt, den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. So waren seine Truppen, wenn auch unter Verlust eines großen Teiles der Artillerie und unter schweren inneren Erschütterungen,
der ihnen zugedachten Vernichtung doch entgangen.
Offensive im Baltikum.
199
2. Die Einnahme von Jakobstadt. Beilage 19.
Don den am Angriff auf Riga beteiligten Truppen mußte der Ober¬ befehlshaber Ost bis Mitte September vier Divisionen und eine ent¬ sprechende Zahl von Batterien abgeben. Der Gedanke, die russische DünaFront von der Übergangsstelle aus bis Iakobstadt oder gar bis Dünaburg aufzurollen, wurde damit hinfällig. Den russischen Brückenkopf von Iakob¬
stadt, vielleicht auch den von Dünaburg, glaubte der Oberbefehlshaber Ost mit den ihm verbleibenden Kräften aber noch wegnehmen zu können. Bei Iakobstadt handelte es sich um einen Raum von mehr als
40 Kilometer Breite und fast 10 Kilometer Tiefe südlich der Düna, in dem, soweit bekannt, etwa drei Divisionen standen. Angesichts des gesunkenen Kampfwertes der russischen Truppen glaubte man die Aufgabe durch Zuführung von nur einer deutschen Angriffsdivision lösen zu können, sie wurde nebst Heeresartillerie dem vor Iakobstadt befehligenden General¬ leutnant Egon Graf von Schmettow (Generalkommando z. b. B. 58) über¬ wiesen, das selbst schon über Truppen in Stärke von fast zwei Divisionen verfügte. Der Brückenkopf sollte von insgesamt zwei Divisionen etwa in seiner Mitte durchstoßen werden, die dazu über die schmalen, das ausgedehnte Sumpfgelände durchziehenden Landbrücken von Roshe und Rudsait in die feindliche Front einzubrechen hatten; der Einbruchsraum war für beide Divisionen zusammen kaum einen Kilometer breit. Dann
sollte sich die nördliche, 105. Infanterie-Division nordwärts wenden, um das Höhengelände in der großen Düna-Schleife von Stockmannshof in Besitz zu nehmen, während die südliche, 14. bayerische Infanterie-Division geradeaus bis zum Fluß vorstoßend, dieses Vorgehen gegen den Südteil des Brückenkopfes und die Stadt Iakobstadt deckte. Kleinere Unterneh¬ mungen der 29. Landwehr-Brigade rechts, der 4. Kavallerie-Division links
sollten mithelfen. Der Angriff wurde am 21. September früh durch dreistündiges Vor- ei.eepttmb«. bereitungsfeuer von rund 250 Geschützen und 130 schweren und mittleren Minenwerfern eingeleitet. Die um 630 zum Sturm antretende Infanterie fand nur geringen Widerstand. Unter dem Schuhe von Nachhuten suchte der Gegner über die Düna zu entkommen. In der Gegend von Wizan
erreichten die deutschen Truppen bereits mittags den Fluß. Grundlose Wege verzögerten das Nachziehen der Artillerie; trotzdem konnte die 105. Infanterie-Division bis zum Abend den gesamten Brückenkopftaum nördlich der Einbruchstelle vom Feinde säubern. Unterdessen brach die 14. bayerische Infanterie-Division nachmittags feindlichen Widerstand am
200 22. September.
Der Krieg im Osten. Offensive im Baltikum.
Sussei-Abschnitt und besetzte im Lause der Nacht auch Fakobstadt selbst. Der Gegner war überall aus das rechte Stromuser ausgewichen, die Brücken hatte er zerstört. Den noch etwa 25 Kilometer weiter gegen Süd¬
osten sich erstreckenden Teil des Brückenkopfes, durchweg Sumpfniederung und daher nur ganz schwach besetzt, räumte er ebenfalls. So standen am
22. September abends der äußerste linke Flügel der Armee-Abteilung D und die Truppen des Generalkommandos 58 auf der ganzen Linie an der
Düna. Die Beute zählte 4000 Gefangene und 50 Geschütze, die eigenen Verluste betrugen 700 Mann. Der Angriff gegen den erheblich ausgedehnteren und stärker aus¬
gebauten Brückenkopf von Dünaburg ließ sich mit so bescheidenen Mitteln wie bei Fakobstadt nicht durchführen. Da aber die Oberste Heeres¬ leitung am 22. September ihre Zustimmung zu diesem Unternehmen nur unter der Voraussetzung erteilte, daß es der Oberbefehlshaber Oft mit seinen eigenen Kräften durchführe, und sich vorbehielt, es angesichts der
gespannten Gesamtlage nötigenfalls im letzten Augenblick noch anzuhalten, gab der Oberbefehlshaber Ost den Plan am 26. September auf. Er konnte die erforderlichen Kräfte nicht zusammenbringen, zumal da er in¬ zwischen bereits den Angriff gegen die Baltischen Inseln vorbereitete.
Z. Die Einnahme der Baltischen Inseln. Beilage 20. Dis Mitte September.
Unmittelbar nach Beendigung des Unternehmens gegen Riga hatte die Oberste Heeresleitung den Entschluß gefaßt, „die Schwächung Rußlands noch weiter durchzuführen und eine weitere gute Basis für eine,
wenn erforderlich, noch weitergehende Offensive auf Petersburg im Fahre 1918 zu schaffen", und zwar sollten die russischen Seestreitkräfte im Rigaschen Meerbusen, die sich auf die vorgelagerten Baltischen Inseln stützten, vertrieben, die Inseln Öfel und Moon weggenommen werden. Die Zeit drängte bereits, da der Herbst mit seinen besonders für das Minenräumen schwierigeren Verhältnissen vor der Tür stand. Nach Be¬ sprechungen mit der Marineleitung erhielt der Oberbefehlshaber Ost am 12. September Mitteilung von dem Beabsichtigten; mit Verladung der Truppen könne vom 27. September ab begonnen werden. Die Ober¬ leitung des Unternehmens „Albion" wurde der 8. Armee übertragen. Die
Durchführung des Seetransportes und dessen Schuh „bis zum Augenblick des Gelandetseins" sollten Sache der Marine, die Operationen aus den Inseln selbst Sache des Heeres sein; die Seestreitkräfte hatten die Land-
kämpfe auf Anfordern zu unterstützen. Die Marine stellte den „Flotten-
Bereitstellung der Seestreitkräfte und Truppen.
201
verband für Sonderunternehmungen", in ihm die neuesten und kampf¬ kräftigsten Schiffe der Flotte, unter Vizeadmiral Schmidt, das Heer das Generalkommando des XXIII. Reservekorps, General der Infanterie von
Kathen, mit der verstärkten 42. Infanterie-Divifion; die Truppen wurden zur Verladung bei Libau versammelt*). Am 19. September befahl der Kaiser als Oberster Kriegsherr: „Zur Beherrschung des Rigaer Meerbusens und zur Sicherung der Flanke des
Ostheeres sind durch gemeinsamen Angriff von Land- und Seestreit¬ kräften die Inseln Ösel und Moon zu nehmen, der Große Sund ist für die Durchfahrt von Seestreitkrästen zu sperren". Die Heranziehung der für das Unternehmen nötigen Seestreitkräfte
nebst zahlreichen Hilssschisfen bedeutete fast völlige Entblößung der Nord¬ see sowie der mittleren und westlichen Ostsee2). In der Ostsee mußte außer mit acht englischen und etwa 30 russischen Unterseebooten mit der im
Finnischen Meerbusen liegenden russischen Flotte gerechnet werden, die immerhin acht Linienschiffe, neun Kreuzer und etwa 50Torpedoboote zählte,
allerdings fast durchweg Schiffe älterer Bauart. Wie hoch die Kampfkraft dieser Verbände einzuschätzen war, ließ sich wegen der revolutionären Um¬
triebe in der Flotte schwer sagen. Über die Verhältnisse auf den Inseln war bekannt, daß der Gegner seit dem Falle von Riga eifrig an Befestigungsanlagen arbeitete; er schien 1) Gliederung der Streitkräfte: Sonder verband für Flotten Unternehmungen, Vizeadmiral Erhard t Schmidt
Flaggschiff: Schlachtkreuzer „Moltke"; IH. Geschwader: 5 Linienschiffe; IV. Geschwader: 5 Linienschiffe; II. Aufkl.Gruppe: 5 kl. Kreuzer; Aufkl.Streitkr. d. östl. Ostsee: 3 kl. Kreuzer, 24 Torp. B.; I. Führer d. Torp. B. Streitkr.: 1 kl. Kreuzer, 27 Torp. B.
Minen-Such- und Räum.-Verbände: 99 Fahrzeuge (einschl. Motorboote); 6 Unterseeboote;
N-Bootabwehr: 99 Fahrzeuge (einschl. Leichter); H Luftschiffe, etwa 100 Seeflugzeuge; Transportflotte: 19 Dampfer mit zus. rund 120000 Br.Reg.T. für die Überführung von rund 25000 M., 8500 Pf., 40 Gesch., 2500Fahrz., dazu mehr als 20 Hilfsschiffe für Muni¬
tion, Verpflegung, Kohlen, Heizöl, Wasser, Sanitätsdienst. Gen. Kdo. XXIII. R. K., Gen. d. Fnf. von Kathen:
42. F. D., verst. durch: l Fnf.Rgt., Sturm-Btl. zu 2 Komp. (ein weiteres Fnf.Ngt. sollte später folgen); 2. Radf. Brig. mit 5V8 Btln.; 2 Esks.; 5 schw. Bttrn.; Pion. Nachr. u. sonstige Formationen; Luststreitkräfte: Flieg. Abt. 16.
2) Vgl. S. 449s.
19. September bis Anfang Oktober.
Der Krieg im Osten. Offensive im Baltikum.
202 19. September bis Anfang Oktober.
den Angriff also zu erwarten. Die Inselbesatzung wurde im ganzen auf etwa eine Division geschätzt, deren Hauptkräfte im Westteil von Öfel, an der Tagga-Bucht, bei der Stadt Areneburg und auf der Halbinsel Sworbe angenommen wurden. Der zur Insel Moon führende Damm war durch einen Brückenkopf bei Orrisar geschützt. Schwere Batterien an der Süd¬ spitze von Sworbe sperrten in Verbindung mit einem ausgedehnten
Minenfeld die Irbe-Stratze, aber auch die Einfahrt in die Tagga-Bucht, der Soela- und der Große Sund waren durch Geschützausstellungen und
Minen gesperrt. Unter diesen Umständen war die frühere Absicht, in den Rigaschen Meerbusen einzudringen und an der Südküste von Öfel bei Arensburg zu
landen/ aufgegeben worden. Die Landung sollte an der Nordwestküste er¬
folgen, wo die Tagga-Bucht günstige Verhältnisse bot. Scheinunter¬ nehmungen an anderen Stellen sollten den Gegner ablenken.
Für die Landoperationen gab die Oberste Heeresleitung als „erstes und baldigst zu erreichendes Ziel" die Wegnahme von Arensburg, das Flottenstützpunkt werden sollte, sowie, um den Seeweg dorthin zu öffnen, auch der Halbinsel Sworbe. „Zweites, ebenfalls möglichst schnell zu erreichendes" Ziel sollte, um die Nordeinsahrt in den Meerbusen sperren zu können, die Insel Moon sein. Aufgabe der Seestreitkräfte sei es, „bei
diesen schnell durchzuführenden Operationen, durch baldiges Eindringen in den Rigaschen Meerbusen die rechte Flanke des Landungskorps gegen See zu sichern und den Angriff gegen den Brückenkopf von Orrisar und die Insel Moon mit allen verfügbaren Kräften zu unterstützen".
Für die Überfahrt wurden zwei Transportstasfeln gebildet, die I. Staffel hatte die fechtenden Truppen, die II. ein weiteres zugeteiltes Infanterie-Regiment, den Rest von Pferden und Fahrzeugen sowie Kolonnen und Trains zu überführen.
Die Hauptaufgabe lag zunächst bei der Flotte. Ihr oblag als erstes die Überführung der I. Transportstaffel nach der Tagga-Bucht und der Schutz der Landung. Ein „Vortrupp" auf Torpedobooten und schnellen Dampfern sollte überraschend an Land geworfen werden, um die feind¬ lichen Batterien wegzunehmen und die weitere Landung zu decken. Die nach der Tagga-Bucht bestimmten Hauptkräfte erhielten Arensburg und Sworbe als Vormarschziele. Gleichzeitig sollten aber auch vor allem Radsahrtruppen bei Pammerort an der Nordspihe der Insel an Land gesetzt werden, um dem Gegner den Rückzug nach Moon zu verlegen. Die Flotte
hatte unterdessen die Einfahrt durch die Irbe-Straße wie durch den SoelaSund vollends freizumachen, um den Übergang nach Moon von See aus unterstützen und die II. Transportstaffel in Arensburg ausladen zu
Vorbereitung der Landung auf öfel.
203
sönnen; diesen Ort hoffte man bis dahin vom Lande her genommen zu
haben.
Schlechtes Wetter behinderte die Erkundungen und das Minenm der Flotte derart, daß die Verladung der Truppen von Tag zu ( Meit"- hinausgeschoben werden mußte. Nach dem Arteil des Vize-
p
„jbeitcn
mußte man vor Beginn der Überfahrt drei bis vier ' 'ben, da rechtzeitige Beendigung der Näumungs-
r II. Staffel nach Arensburg sonst nicht gewähr¬
leistet sei, ,.v nach w taffel in der Tagga-Bucht auszuladen, verbiete sich wegen der Anterseeboot-Gesahr, die bei Wiederbenuhung dieses, dem
Gegner inzwischen bekannten Weges drohte; auch sei ohne vorherige Frei¬ legung des Fahrtweges die Mitwirkung der Flotte beim Übergang nach Moon in Frage gestellt. General Ludendorsf drängte zwar daraus, das Unternehmen auch ohne vorherige völlige Freimachung der Fahrtrinne nach Arensburg auszuführen, denn er trug angesichts der dauernd aufs äußerste gespannten Lage in Flandern Bedenken, die bewährte 42. In¬ fanterie-Division allzulange im Osten festzulegen. Im übrigen müsse das Unternehmen des Wetters wegen voraussichtlich aufgegeben werden, wenn es bis Mitte Oktober nicht ausgeführt werden könne. Doch bestand General von Hutier als Leiter des Ganzen auf weiterem Zuwarten ent¬
sprechend der Auffassung des für die Überfahrt verantwortlichen See¬
offiziers. Erst am 8. Oktober konnte Vizeadmiral Schmidt nach erheblicher Besserung des Wetters melden, daß am folgenden Tage die Einschiffung beginnen könne. Den Zeitbedarf für sie hatte man durch vorherige Ver¬ ladung von Fahrzeugen und wiederholte Übungen von drei aus zwei Tage für die I. Staffel abgekürzt. Am 10. Oktober war die Einschiffung beendet.
Die Abfahrt mußte so gelegt werden, daß der Vortrupp bei Morgen¬ grauen landen konnte. Am 11. mittags sehte sich die vor Libau versammelte
Transport-Flotte, auch unter Aufklärung durch Luftschiffe und Flieger, in Bewegung. Am 12. Oktober, noch bei Dunkelheit, lies der Vortrupp unbemerkt in die Tagga-Bucht ein; die vordersten Teile der gelandeten Truppen er¬ reichten das Land, ohne nennenswerten Widerstand zu finden. Die Flotte kämpfte die nur wenig in Tätigkeit tretenden russischen Küstenbatterien an der Tagga-Bucht und am Soela-Sund nieder. Dann begann die Aus¬
schiffung der I. Staffel. Ohne ihre Artillerie abzuwarten, drang die ge¬ landete Infanterie gegen nur sehr schwachen Widerstand nach Süden und Osten vor; Aufklärungsflieger und Schlachtslieger unterstützten sie. Der ©egner zog, wie es schien in großer Verwirrung, ins Innere der Insel ab.
8. Me 12. Oktober.
204
Der Krieg im Osten. Offensive im Baltikum.
Ihm folgend kamen die vordersten Teile abends bis Pajeküll, Ristiküll
und Kiddemets. Unterdessen hatte nach Niederkämpfung der russischen Bat¬ terie an der Südspitze von Dagö auch die Landung der Radsahr-Truppen bei
Pammerort begonnen. Im Vorgehen nach Süden und Osten erreichten sie, meist ohne Widerstand zu finden, bis zum Abend bereits Ladjall, Tikka und Könno, während ein Bataillon nebst Sturmkompanie in der Richtung aus Orrisar bis in den dortigen Brückenkopf vordrang. Der Gegner schien 13. Oktober.
im Rückzug von Arensburg auf Orrisar. Für den 13. Oktober gab der Kommandeur der 42. InfanterieDivision, Generalleutnant von Estorss, Orrisar als Hauptziel. Während bei schlechtem Wetter und ausgeweichten Wegen von der Tagga-Bucht nach Süden vordringende Teile der Division den Zugang zur Halbinsel Sworbe und in der Nacht zum 14. Oktober die Stadt Arensburg erreichten,
marschierten drei Infanterie-Regimenter in zwei Kolonnen nach Osten und kamen bis Irrasse und Putla. Inzwischen aber hatte der vor ihnen auf
Orrisar abziehende Feind die schwachen deutschen Truppen/ die ihm dort den Weg verlegten, in eine schwierige Lage gebracht. Es kam zu einer ern¬
14. bis 20. Oktober.
sten Krise. General von Estorss befahl sofortigen Weitermarsch seiner infolge der vorhergegangenen Anstrengungen todmüden Hauptkräste nach Osten. Am 14. Oktober, bei strömendem Regen, ging der ungleiche Kampf der deutschen Truppen bei Orrisar gegen die andrängenden russischen Massen weiter. Torpedoboote griffen vom Kleinen Sund aus ein, führten auch Munition und Verpflegung zu. Aber erst nachmittags brachte die vorderste durch Wald- und Sumpfgelände aus grundlosen Wegen über Taggaser anmarschierende Nordkolonne der 42. Infanterie-Division wirk¬
same Entlastung; die Südkolonne erreichte nach 50 Kilometer Marsch Kapra. Für den 15. Oktober befahl Generalleutnant von Estorfs den all¬
gemeinen Angriff, der nach kurzer aber teilweise heftiger Gegenwehr des Feindes zur Waffenstreckung von etwa 6000 Mann der russischen 107. In¬
fanterie-Division führte. An demselben Tage nachmittags ergab sich auf Sworbe, von Norden angegriffen und von See aus beschossen, auch der
Rest der Fnselbesatzung, insgesamt noch 4000 Mann. Unterdessen hatten Minensuchverbände der Flotte unter dem Schuhe von Kreuzern in mühsamer und gefahrvoller Arbeit durch mehrere Minen¬
sperren wenigstens einen schmalen Weg durch die Irbe-Strahe freigelegt, der den schweren Schiffen den weiteren Vorstoß zum Großen Sund ermöglichte. Am 17. Oktober griffen sie an dessen Südeingang feind¬
liche Flottenteile und Küsten-Batterien aus Moon sowie aus dem Fest¬ lande bei Werder an. Nach Vernichtung des russischen Linienschiffes, „Slawa", entfernten sich die übrigen russischen Seestreitkräste und eine
Einnahme von Öfel, Moon und Dagö.
205
Transportflotte unter dem Schutze der den Großen Sund abschließenden Minensperre nach Norden. Durch überraschendes Übersehen nördlich von Orrisar faßte die 42. In¬ fanterie-Division noch am 17. Oktober auf der Insel Moon Fuß. Unter diesem Druck von Norden, und im Rücken durch das Eindringen der
deutschen Flottenteile in den Großen Sund bedroht, gab der Gegner die Abwehr am Zugangsdamm auf; 5000 Mann streckten die Waffen. Damit waren am Nachmittag des 18. Oktober ganz Osel und Moon in deutscher
Hand. Am 20. besetzte die Marine auch die Insel Schildau im Großen Sund. Unterdessen hatte sich General von Hutier bereits seit dem 12. Ok¬ tober mit dem Gedanken beschäftigt, auch Dagö wegzunehmen, dessen Besitz für die Flotte wichtig war, und das in der Hand des Feindes eine dauernde Bedrohung Osels darstellte. Auch General von Kathen riet am
14.Oktober, Dagö sofort zu nehmen. Der Oberbefehlshaber Ost aber entschied, daß die Wegnahme „erwünscht, aber nicht unbedingt notwendig" sei; sie komme daher erst nach der Einnahme von Ösel und Moon in Frage. Am 15.Oktober befahl aberdieOberste Heeresleitung, die Insel, wenn die Lage es gestatte, sofort zu nehmen. Am gleichen Tage hatte bereits eine Landungsabteilung der Flotte die Südspihe von Dagö beseht. Am 17. Oktober folgte ein Radfahr-Bataillon, am 18. ein Infanterie-Regiment. Unter leichten Gefechten wurde bis zum 21. Oktober die Insel gesäubert. Nur 750 Mann hatten sich ergeben, die Masse der Besatzung war von Helternaa aus über See entkommen.
Geringen Verlusten, bei den Landtruppen im ganzen noch nicht 200 Mann, stand eine Beute von mehr als 20000 Gefangenen, 141 Ge¬
schützen und zahlreichem anderen Kriegsgerät gegenüber. Anderthalb russische Divisionen waren, soweit sie nicht über See entkamen, vernichtet. Die deutschen Seestreitkräfte hatten, außer geringen Beschädigungen an drei Linienschiffen und teilweise schwereren an 27 anderen Fahrzeugen durch Minen, etwas über 200 Mann verloren. Dagegen hatte die russische Ostseeflotte ihr stärkstes Schlachtschiff und ihre, die Erz- und Holzzuftchr aus Schweden bedrohende Ausfallstellung im Rigaschen Meerbusen ein¬
gebüßt. Für etwaige Weiterführung der Operationen gegen den Finnischen Meerbusen und Petersburg war eine wertvolle Ausgangsstelle gewonnen.
Zum ersten Male seit ihrem Bestehen hatte die deutsche Flotte Schulter an Schulter mit dem Heere im Kampf gestanden. Vorbildliche Zusammen¬ arbeit hatte dabei einen in jeder Hinsicht vollen Erfolg gebracht.
E. Entwicklung der Eesamtlage an der Ostfront. 8. November.
Die Angriffserfolge der Verbündeten in Galizien und Rumänien, die ppn Riga, gakobstadt und den Baltischen Inseln hatten den inneren Halt des russischen Heeres derart erschüttert, daß alles, was
Kriegsminister Kerenski, nach Kräften unterstützt von den Westmächten und Amerika, wieder aufzubauen versucht hatte, abermals völlig zusammen¬ brach. Wohl leisteten die Truppen in der Abwehr immer noch einigen Widerstand. Auch gelang es der 12. Armee, nachdem sie von Riga zunächst bis in die Stellungen von Wenden zurückgewichen war, ihre Front wieder
so weit vorzuschieben, daß die verlorengegangene Fühlung mit deutschen Truppen wieder hergestellt wurde. Im ganzen aber war der Kampfeswille des Heeres so gut wie erloschen. Die Auflösung der Ordnung war aber
nicht nur aus die militärischen Niederlagen zurückzuführen, sondern hatte auch von innen heraus neuen Auftrieb bekommen. Weitgehendes Ver¬
sagen des Nachschubs infolge der hinter der Front herrschenden Unordnung führte zu Mumtions- und, was sich weit schlimmer auswirkte, zu Derpflegungsmangel. Die Unzufriedenheit wuchs; es bedurfte nur noch eines geringen Anstoßes, um auch die notdürftig auftechterhaltenen letzten Reste der Ordnung im Heere und damit im ganzen Staate zu
zerstören.
Hatten die Erfolge der Kerenski-Osfensive die Regierung noch einmal so weit gestärkt, daß sie in der zweiten gulihälste einen bolschewistischen Er¬ hebungsversuch mit Waffengewalt niederschlagen konnte, so war die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte doch keineswegs gebrochen. Am 21. Juli war Kriegsminister Kerenski zugleich Ministerpräsident geworden, und, da er es mit den Räten nicht verderben wollte, alsbald in scharfen Gegensatz zu General Kornilow gekommen, den er selbst am 1. August
zum Oberbefehlshaber des Heeres ernannt hatte. Die Auseinander¬
setzungen hatten mit dessen Sturz und der Verhaftung zahlreicher hoher militärischer Führer geendet. Als dann am 14. September im Peters¬ burger Arbeiter- und Soldatenrat die Bolschewiken ihre Forderungen
durchsetzten, darunter Aushebung der Todesstrafe im Heere sowie Selb¬ ständigkeit Finnlands und der Akraine, ging die Auflösung mit Riesen¬ schritten vorwärts. Im Heere sonderten sich finnländische, polnische un ukrainische Truppenteile ab. Offiziere wurden in Massen von ihren Sol¬ daten mißhandelt oder ermordet. Diese aber dachten mit wenigen rühm liehen Ausnahmen nur noch an Beendigung des Kampfes und Rückkehr in
die Heimat.
207
Die Vorgänge auf russischer Seite.
Auf deutscher Seite hatte man diese Hergänge mit Aufmerksamkeit perfolgt. Sie erleichterten die Lage im Osten und damit die Gesamtlage in
entscheidender Weise. Insgesamt war das Ostheer von Zum bis Ende Oktober aber doch nur um eine deutsche und sieben österreichisch-ungarische Divisionen ge¬ schwächt morden1), denn auch am 26. Oktober noch, als der Angriff der Mittelmächte am Ifonzo bereits erfolgreich im Gange war, rechnete die
Oberste Heeresleitung mit der Möglichkeit russischer oder auch rumä¬ nischer Entlastungsangriffe. Sie blieben aus. Statt dessen kamen Anfang November Nachrichten über neue Unruhen in Petersburg, und am 8. er¬
fuhr die Oberste Heeresleitung, daß dort der Arbeiter- und Soldatenrat und damit der bolschewistische Führer Lenin die Macht an sich gerissen habe. Diese Wendung war ihr im Hinblick aus die gesamte Kriegslage nicht un¬ willkommen.
Abgang: »)Zugang: Juli .... August
.
.
8 dtsche. Div.
4 ö.-u. Div.
.
September .
3 dtsche. Div.
Oktober
6 dtsche. Div.
9 dtsche., 1 ö.-u. Div. 9 dtsche., 2 ö.-u. Div.
zusammen: 17 dtsche. Div.
18 dtsche., 7 ö.-u. Div.
.
.
Der Abgang überstieg den Zugang mithin nur um 1 dtsche. u. 7 ö.-u. Div.
Das Bild änderte sich bis zum II. Nov. nicht mehr (Zugang 2 dtsche., 1 ö.-u. Div.; Abgang 3 dtsche. Div.). Näheres Beil. 28a.
V. Der Rrieg an der italienischen Sront1). A. Die 11. Isonzo-Gchlacht. Beilagen 21 und 22. Juli/August.
Nach Abschluß der Frühjahrs-Kämpfe stand das italienische Heer unter General Gras Cadorna mit der Masse seiner Kräfte wie bisher am Isonzo2). Das große Ziel war, wie von Kriegsbeginn an, Österreich-
Ungarn durch gleichzeitigen Angriff mit dem russischen Heere zum Erliegen zu bringen. Als die Russen am 1. Juli zum Angriff schritten, war aber
das italienische Heer noch nicht bereit, und als bei den Verhandlungen mit den Bundesgenossen in Paris (24. bis 26. Juli2)) die Notwendigkeit des Zusammenwirkens nochmals betont wurde, war die russische Hauptosfensive durch den deutschen Gegenangriff bereits zum Erliegen gebracht. Es war wieder zweifelhaft geworden, ob auf Rußlands Angriffskraft über¬
haupt noch zu rechnen sei. Die Ausgabe Italiens erschien damit schwieriger, denn die Westmächte stellten Waffenhilfe, außer etwa 100 schon im Früh¬ jahr zugeführten Geschützen, erst nach dem 15. September in Aussicht. Daran änderte sich auch nichts, als der italienische Vertreter bei nochmaliger Aussprache in Londons den Angriff noch vor Ende August zusagte, sofern 1) Anschluß an Bd. XII, 6.91 ff., 168ff. und 513ff. 2) Gliederung Ende Juli vom linken Flügel: 1. Armee: Genlt. Giraldi mit 7 Div., 977 Geschützen (davon 275 schwere) von der Schweizer Grenze bis nördl. von Arsiero.
H. Armee: Genlt. Etna mit 8 Div., 698 Geschützen (davon 187 schwere) anschließend bis zum E.d'Afta. 4. Armee: Genlt. Nicolis di Robilant mit 4 Div., 569 Geschützen (davon 181 schwere) an¬ schließend bis zum Quellgebiet des Piave einschl. Karnische Gruppe: Genlt. Tassoni mit 2 Div., 387 Geschützen (davon 189 schwere) an¬
schließend bis Flitsch ausschl. 2. Armee: Genlt. Capello (einschl. bisheriger Gruppe Görz) mit 21 Div., 1 Kav.Div., 2047 Geschützen (davon 1146 schwere) anschließend bis zur Wippach, Schwerpunkt am Südflügel.
3. Armee: Genlt. Herzog von Aosta mit 17 Div., 1166 Geschützen (davon 661 schwere) an¬ schließend bis zum Meere.
Heeresreserven: 4 Div., 3Kav. Div., 12Bersagl.- (Radf.-) Btl. 8) S. 49. 4) S. 50.
209
I I. gsonzo-Schlacht. Italienische Angriffsvorbereitungen.
weitere 400 schwere Geschütze nebst Munition zugeführt würden. General Ladorna glaubte, die Offensive aber schließlich auch aus eigener Kraft durch¬ führen zu können. Nachrichten über die Zustände in der Donaumonarchie ließen auf Erfolg hoffen, und die Stimmung im eigenen Lande bedurfte dringend eines Sieges. Die ersten Weisungen für die neue Offensive waren noch vor Abschluß der 10. Isonzo-Schlacht am 28. Mai gegeben worden. Dieses Mal sollte die gesamte, fast 50 Kilometer breite Front von Tolmein bis zum Meere an¬ gegriffen werden. Links erhielt die 2. Armee die Hochflächen von Bainsizza (Heiligengeist) und von Ternova zum Ziel, rechts die 3. Armee die KarstHochfläche von Comen. Dazwischen wollte man den tiefer gelegenen
Raum östlich von Görz im Angriff zunächst aussparen. Ein weiter gestecktes operatives Ziel wurde nicht gegeben. Nach allen bisherigen Erfahrungen suchte General Cadorna den Erfolg durch Einsah allerstärkster Angriffs¬ mittel sicherzustellen. Don insgesamt 887 Bataillonen sollten 600 (51 Di¬ visionen) den Angriff führen, 3400 Geschütze und 1700 Minenwerfer hatten ihn vorzubereiten. Die österreichisch-ungarische „Südwestfront" unter Feld¬ marschall Erzherzog (Eugen1) war nach wie vor auf reine Abwehr ein¬ gestellt. Der neue italienische Angriff wurde gegen die Gesamtfront der
Isonzo-Armee (bisherige ö.-u. 5. Armee) des GeneraloberstenBoroevic vonBojna mit Ausnahme ihres nördlichsten Divisionsabschnittes erwartet. An ihr standen von Tolmein bis zur Wippach sieben Divisionen in vorderer
Linie, eine dahinter; der nur halb so breite Abschnitt südlich der Wippach, der den Weg nach Triest deckte, war mit sechs Divisionen in Stellung,
dreien dahinter, wesentlich stärker beseht; schließlich verfügte das Heeres¬ front-Kommando noch über eine Division als Reserve bei Laibach. Weitere *) Gliederung im August: Heeresgruppe des Feldm. Freiherrn Conrad von Hötzendorff: Rayons I u. II, ö.-u. N. Armee und ö.-u. XX. Korps mit zusammen 10V2 Di v., 1244 Geschützen (davon 181 schwere) von der Schweizer Grenze bis zum oberen
Piave-Tal ausschl. ö.-u. 10. Armee: Gen. Ob. Freiherr von Krobatin mit ZDio., 342 Geschützen (davon
12 schwere) bis halbwegs Flitsch/Tolmein. ö.-u. gsonzo-Armee: Gen. Ob. Boroevic von Bojna mit 201/, Di v., 1526 Geschützen
(davon 56 schwere): XV. Korps: Feldmit. Scotti mit 2 Div. bis Auzza einschl. XXIV. Korps: Gen. d. gnf. von Lukas mit 4 Div. bis Mt. S. Gabriele einschl. XVI. Korps: Een. d. gnf. Kralicek mit ZV, Div. bis zur Wippach. VII. Korps: Feldmit. Schariczer mit Z Div. bis nördl. von Selo. XXIII. Korps: Feldmit. von Csicserics mit ZDiv. bis zum Meer. Heeres- und Ameereserven: 5 Div. Weltkrieg. XIII. Bd.
14
210 IS. August.
Der Krieg an der italienischen Front. 11. Isonzo-Schlacht.
Kräfte konnten nur durch Abgaben von der Front gegen Rußland ge¬ wonnen werden, die im Juli bereits ihren besten Ersatz an die Isonzo-Front
gesandt hatte und ihre Truppen selbst dringend gebrauchte, da sie seit dem 19. im Angriff lag. So sah sich die Isonzo-Armee, aus sich selbst gestellt, mehr als doppelter insanteristischer und mehr als dreifacher artilleristischer Übermacht gegenüber. An Luftstreitkrästen war die italienische Über¬
legenheit sogar noch erheblich größer. Mitte August verdichteten sich die Anzeichen baldigen italienischen An¬ griffs durch das Erscheinen zahlreicher, stellenweise in ganzen Trupps an¬ kommender Überläufer. Am 19. August trat nach anderthalbtägiger, hef¬ tigster Artillerievorbereitung die feindliche Infanterie zum Sturm auf die ersten Angriffsziele an.
Im Norden, wo fünf italienische Divisionen in zwölf Kilometer Breite zwischen Selo und Descla gegen eineinhalb österreichisch-ungarische den Hauptstoß über den Isonzo führten, faßte der Gegner auf der rund 500 Me¬ ter über dem Tale gelegenen Vorstufe der Bainsizza-Hochfläche beim Dorfe örh1) festen Fuß. Weiter südlich bis zum Mt. S. Gabriele blieben
seine Angriffe liegen, ebenso schwächere Versuche im Raume von Eörz. Auch aus dem Karst wurden gegen elf angreifende italienische Divisionen 20. bis 22.
August.
die vorderen Linien im allgemeinen behauptet. Nach geringerer Kampftätigkeit am 20. August setzte der Angriff am
21. wieder mit voller Wucht ein. Aus der Bainsizza-Hochfläche machten die Italiener Fortschritte, doch wurden die Höhen des Kolk und Ielenik gehalten. Auf dem Karst ging eine Vorstellung an der Hermada verloren. Am 22. August ries der Gegner auf der Bainsizza-Hochfläche durch Vorstoß bis Bäte eine ernste Krise hervor, die südlich anschließende Front mußte zurückgenommen werden. Auf dem Karst tobte der Großkampf weiter, ohne daß die Italiener Fortschritte machten. General Cadorna war daher entschlossen, den Angriff hier abzubrechen und alle Kraft auf der Hoch¬ fläche von Bainsizza zusammenzufassen. Am Morgen des 22. August suchte Kaiser Karl, begleitet von seinem Generalstabschef, General von Arz, das Kommando der 5. Armee auf. Dabei erfuhr Generaloberst von Boroevic, daß nach den jüngsten Er¬
folgen gegen die Russen Aussicht bestehe, demnächst mit stärkeren Kräften von Flitsch—Tolmein aus einen Entlastungsstoß gegen die Flanke des
italienischen Angriffs zu führen. Da ausreichende Reserven fehlten, um den Widerstand auf der Bainsizza-Hochfläche mit Aussicht auf Erfolg fort¬ zusetzen, faßte er in der Hoffnung aus den kommenden Entlastungsstoh den !) Die öfters wiederkehrende Bezeichnung „Drh" bedeutet: Berg.
Italienische Angriffserfolge.
211
gewagten Entschluß), sich weiteren italienischen Angriffen durch Aus- £2£m& weichen hinter den Chiapovano-Abschnitt zu entziehen; damit sollte sich eine Zangenstellung ergeben, deren Nordftont nördlich an Kal vorbei gegen
Ostsüdost verlies. Am 23. August früh befahl er die Ausführung des Rück¬ zuges für die Nacht zum 24. Als dann aber der Kampf am 23. ohne wesent¬ lichen Geländeverlust verlief und die Führer an der Front gegen das weite
Ausweichen Bedenken aussprachen, sollte die Front zunächst nur etwa drei Kilometer bis in eine über Kal nach Süden zum Mt. S. Gabriele verlausende Linie zurückgenommen werden.
Bis zum Morgen des 24. August erreichten die österreichisch-unga¬ rischen Truppen, vom Gegner unbelästigt, ihre neue Abwehrlinie; aus¬
gebaute Stellungen waren in ihr nicht vorhanden. Der Gegner folgte vorsichtig. Angriffe, die er am 25. und in den Tagen bis zum 29. August
führte, brachten ihm nirgends nennenswerten Erfolg. General Cadorna ließ die Offensive daher auch hier einstellen; es sollte nur noch der Mt. S. Gabriele genommen werden, der über 600 Meter aufragend die Stadt Görz sowie das Wippach-Tal beherrscht und auch die Möglichkeit bot, von Süden gegen die Chiapovano-Senke zu wirken. Neben einigen Hundert Minen¬ werfern wurden allein 700 mittlere und schwere Geschütze gegen den Berg
in Stellung gebracht, „in bezug auf Ausdehnung des Zieles die größte Anhäufung von Rohren während des Krieges"2). Trotzdem vermochten die österreichisch-ungarischen Truppen in heldenhafter Abwehr den Gipfel gegen alle, bis zum 13. September mehrfach wiederholten italienischen Anstürme zu behaupten. Das Unternehmen gegen den „Berg des Todes" war unter schweren Verlusten gescheitert. General Cadorna sah den
Hauptgrund darin, daß sich „der kämpferische Geist der Truppen im all¬ gemeinen nicht aus der Höhe früherer Zeiten" gezeigt habe. Die schwersten Sorgen der Isonzo-Armee waren inzwischen durch das Herankommen zweier Divisionen von der Ostfront und mehrerer einzelner Regimenter aus Tirol und Kärnten behoben. Die Lage festigte und be¬
ruhigte sich. Aus italienischer Seite aber gaben Schwierigkeiten des Mann¬ schafts- wie des Munitionsersatzes, ungünstige Nachrichten von der russischen Front, das Eintreffen österreichisch-ungarischer Truppen von dort, die Kunde, daß das deutsche Alpenkorps nach Tirol komme, sowie sich verdichtende Meldungen über eine bevorstehende Offensive des Gegners an der Front *) Im öftere, amtl. Werk, VI, S. 457, wird u. a. die allerdings „wenig wahrschein¬
liche" Vermutung erwähnt, daß der später wieder aufgegebene Rückzugsentschluß nur gefaßt worden sei, um „eine Gefahr geradezu heraufzubeschwören", das hieße also, um den Ent-
schluß zum Gegenangriff vorwärtszutreiben. ') L. Cadorna: La Guerra alla fronte italiana II, S. 107. 14*
212 18. September.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Flitsch—Tolmein die Veranlassung dazu, daß General Cadorna am 18. Sep¬ tember die Einstellung aller weiteren Angriffsunternehmungen befahl. Die Erfolge des italienischen Angriffs in der 11. Isonzo-Schlacht — im wesentlichen ein Geländegewinn von 16 Kilometern Breite bei etwa acht Kilometern Tiefe auf der Bainsizza-Hochfläche und eine Beute von über 30000 Gefangenen und 145 Geschützen — war mit einem Verlust
von etwa 140000 Mann, darunter 18000 Vermißten, teuer genug erkauft.
Der Verteidiger hatte im ganzen 100000 Mann verloren.
B. Der Gegenangriff der Mittelmächte. Beilagen 22 und 23.
J. Die Entwicklung des Angriffsgedankens und die
Bereitstellung der Truppen. Dis Januar 1917.
a) Die Bitte um deutsche Unterstützung. Der Gedanke, die Lage an der italienischen Front durch eigenen Angriff entscheidend zu verbessern, war bei der österreichisch-unga¬ rischen Heeresleitung seit der Offensive des Frühjahrs 1916 dauernd im Auge behalten worden. Damals war der ohne deutsche Mitwirkung
von 14 österreichisch-ungarischen Divisionen aus Tirol nach Süden geführte
Angriff nach Anfangserfolgen liegen geblieben. Mit dem Wechsel in der deutschen Obersten Heeresleitung fand der Gedanke einer gemein¬ samen deutsch/österreichisch-ungarischen Offensive in Major Wetzell einen unermüdlichen Fürsprechers. Der im Januar 1917 von österreichischi) Da Maj. Wehell die kriegsentscheidende Wirkung des Unterseekrieges bezweifelte (Bd. XII, S. 2f.), trat er immer wieder für den Gedanken des Angriffs zu Lande ein.
Für diesen aber schien ihm der italienische Kriegsschauplatz die besten Aussichten zu bieten. Er vertrat den Standpunkt (Zuschrift vom Juni 1941): „1. Die Westfront reicht vom Kanal bis zur Adria.
£. Feder durchschlagende Erfolg aus einem der beiden durch die Schweiz getrennten Kriegs¬ schauplätze wirkt sich zwangsläufig auf den anderen aus.
3. Wir sind auf Gedeih und Verderb mit dem österr.-ung. Bundesgenossen verbunden. Wird
dessen italienische Front durchstoßen, so bricht Österreich-Ungarn zusammen, da wir schon aus eisenbahntechnischen Gründen gar nicht in der Lage sind, zeitgerecht und ausreichend starke Kräfte dorthin zu werfen. Die Kriegsentscheidung wäre damit gefallen. Dabei war Italien unser bei weitem schwächster Gegner! 4. Eine gemeinsame Offensive in Italien kann dagegen eine für die Gesamtkriegführung
entscheidende Bedeutung gewinnen, wenn deutscherseits ausreichende Kräfte eingesetzt werden. Die bisherigen gemeinsamen Operationen 1914, 1915 (Gorlice), insbesondere der Feldzug in Rumänien, hatte dies klar erwiesen." Vgl. auch S. 35ff., Bd. XI, S. 491 sowie die Denkschriften Bd. XII, S. 548ff.
Vorschläge des Majors Wehell.
213
ungarischer Seite eingeleitete Gedankenaustausch*) über diese Frage endete aber am 25. Februar mit einer vorläufigen Absage deutscherseits, da rs-s-br»»». Truppen wie Munition bis auf weiteres im Westen nicht entbehrt werden konnten. Feldmarschall von Conrad, unmittelbar darauf zum Ober¬
befehlshaber der Heeresgruppe in Tirol ernannt, kam jedoch alsbald auf seinen alten Plan zurück. Die Schwächung Rußlands durch die Revolution bot seines Erachtens die Möglichkeit, Kräfte der Ostfront frei zu machen für eine großzügige Offensive gegen Italien. Er wollte zu ihr aber nur öster¬
reichisch-ungarische Truppen verwenden, die im Osten, soweit nötig, durch deutsche abzulösen seien, denn die Angrissstruppen in Tirol dürften nicht „an eine — alles für sich in Anspruch nehmende — deutsche Hilfe" gebunden
werden. Folgen hatte dieser an die österreichisch-ungarische Heeresleitung gerichtete Vorschlag einstweilen ebensowenig wie die weiteren Denk¬ schriften des Majors Wehell vom Mai und Juni, in denen dieser immer
wieder auf die Offensive gegen Italien zurückkam und Zuführung von
zwölf deutschen Divisionen für erforderlich hielt, um in gemeinsamem Angriff das italienische Heer entscheidend zu schlagen; dabei dachte er ebenso wie Feldmarschall von Conrad an einen Hauptangrifs aus Tirol.
Aber zunächst wurden im Westen wie im Osten noch alle Kräfte gebraucht. In einer neuen Denkschrift vom 20. Juli schlug Major Wehell die Zeit 20.3«».
nach Abschluß der soeben begonnenen Gegenoffensive in Galizien für den Angriff in Italien vor. Da dieser längere Vorbereitungszeit erheische, werde er dann aber der herbstlichen Witterungsverhältnisse wegen nicht mehr aus Tirol, sondern nur noch an der Isonzo-Front geführt werden
können. Zwei bis drei deutsche Divisionen, die vorher an der Tiroler Front
gezeigt würden, sollten den Gegner zunächst irreführen und dann noch rechtzeitig an den Isonzo abgefahren werden. Um größte operative Wir¬ kung zu erzielen, wollte Major Wehell den Hauptstoß unter Einsatz einer deutschen Armee von sechs bis acht Divisionen und sehr starker Artillerie am Unterlauf des Flusses auf der Front vom Isonzo-Knie nördlich von Eörz bis zur Küste, somit allerdings gegen den am stärksten besetzten Ab¬
schnitt der gegnerischen Front2), aus Udine, ansehen, einen Nebenangriff, dabei etwa drei weitere, und zwar für den Gebirgskrieg ausgerüstete 1) Bd. XI, 6.491 f.; XII, 6. 548ff. 2) Hierzu schrieb Gen. d. gnf. a.D.Wetzellimguni 1941: „Ich ging damals von dem Ge¬ sichtspunkt aus, daß wir nur ganz wenig für den Gebirgskrieg ausgerüstete und geeignete Divisionen hatten. Ich war aber, nach meinen reichlichen West-Erfahrungen gegen einen viel
härteren Feind als den durch die zehn Fsonzo-Schlachten abgekämpften Italiener, fest über¬ ragt, daß der beabsichtigte Durchbruch an der Isonzo-Front bei dem vorgeschlagenen Einsatz von 500 schweren und 100 leichten deutschen Geschützen (außer den der Divisionen selbst und
den österreichischen) bestimmt gelingen würde."
214 20. g»H.
Der Krieg ;5.3. D., ö.-u. 1. g. D.; dahinter: ö.-u. 55. g. D., öst. 13. Sch. D., 117. g. D., ö.-u. 4., 3- D.; neu: ö.-u. 29. g. D. 2) S. 243.
254
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
uoiieb«. Ruhe bis ins Isonzo-Tal zurückgenommen wurde. Die öst. 22. Schützen-
Division konnte nach kurzem Gefecht die nicht armierte Besestigungsgruppe auf dem Mt. la Bernadia über Tarcento nehmen; ihre Vorhut stieß in diesem Ort am Torre aus Feind, der unter Sprengung der Brücke das Ostuser räumte. Die ö.-u. 50. Infanterie-Division, durch Kampf und
angeschwollene Wasserläufe ausgehalten, erreichte die Gebirgsausgänge bei S. Gervasio und Attimis. Bei der Gruppe Stein gelang es der Vorhut der südlichsten Kolonne
des Älpenkorps, die Torre-Brücke bei Salt unversehrt in die Hand zu be¬ kommen und aus dem Westuser Godia gegen italienische Rückerobemngsversuche zu halten. Weiter nördlich kamen 12. Infanterie-Division wie Alpenkorps an dem bereits hochangeschwollenen Torre zum Stehen, die hinteren Teile des Alpenkorps sogar bereits an einem kleineren Gebirgswasser. Obgleich das Generalkommando in Bernasso (nordöstlich von Eividale) nahe hinter der Front lag, hatten die vorderen Divisionen die Verbindung zu ihm verloren.
Die Divisionen der Gruppe Berrer waren die ganze Nacht hindurch
bei strömendem Regen und grundlosen Wegen im Vormarsch geblieben. Die Marschkolonnen waren weit auseinandergerissen, die Truppen zum
Umfallen ermattet. Trotzdem erstritten Jäger-Bataillone der 200. In¬ fanterie-Division um 4° früh den Übergang über den zu dieser Zeit noch durchfurtbaren Torre bei Beivars, überschritten die Bahn Gemona üdine, aus der noch lebhafter Verkehr herrschte, drangen um 10° vormittags in den Nordteil von üdine ein und besetzten nach kurzem Kamps die geräumte Stadt. Bedeutende Vorräte aller Art sielen hier, wie auch vorher schon in Cividale, in deutsche Hand. Die 26. Infanterie-Division war bereits um 2° morgens am Torre östlich von üdine aus so starken Widerstand ge¬
stoßen, daß sie den Angriff bis zum Hellwerden verschob. Inzwischen aber schwoll das Wasser an, der Angriff wurde unausführbar, doch räumte der Gegner angesichts des Einrückens der 200. Infanterie-Division in üdine nunmehr das Westufer. Auch die 26. Infanterie-Division erreichte über die nur unvollkommen zerstörte Brücke von S. Gottardo die Stadt. Unter¬
dessen war General von Berrer, der sich, um seinen Einfluß aus die Vor wärtsbewegung zu voller Geltung zu bringen, bereits seit dem 26. Oktober bei den vordersten Truppen befand, am Vormittag bei einer Erkundungsfahrt an dieser Brücke gefallen. Da er den Armeebefehl vom 27. Oktober
noch nicht kannte, war seine letzte Absicht gewesen, sich mit allen erreich baren Kräften, dabei auch die ebenfalls auf üdine anrückende 5. InfanterieDivision der Gruppe Scotti, sogleich südwestwärts auf Latisana zu wen en, also gegen den südlichsten dem Gegner zur Verfügung stehenden Taglm-
Der Gegner in vollem Rückzug. Einnahme von Udine.
mento-Übergang vorzustoßen*). Der Tod des Kommandierenden Generals ließ es dazu nicht kommen. Die beiden Divisionen blieben abends in und um
Udine. Der Kommandeur der 26. Infanterie-Division, Generalleutnant von Hosacker, übernahm den Befehl über die Gruppe. Von der Gruppe Scotti wurde die 5. Insanterie-Divisionwor allem durch die vom Gegner in endlosen Reihen zurückgelassenen Fahrzeuge
aufgehalten; sie versperrten die Straßen stellenweise völlig. Die Division gelangte abends mit dem vordersten Regiment noch bis Udine. Die Ver¬ bindung zum Gruppenkommando wie zur ö.-u. 1. Infanterie-Division war abgerissen. Diese war nach den Anstrengungen des Vortages erst nachmittags wieder aufgebrochen und selbst mit den vordersten Teilen nur bis Firmano gelangt.
Noch immer stieß die Tätigkeit der Flieger auf erhebliche Schwierig¬ keiten. Die Vorverlegung der Flughäfen hatte erst zum geringen Teile durchgeführt werden können, da der Transport von Zelten, Betriebsstoff usw. bei der Verstopfung der Straßen unverhältnismäßig lange dauerte. Auch der Bau der notwendigen Fernsprechverbindungen konnte nur mit großer Mühe durchgeführt werden. Immerhin gelang es, mehrfach den Rückzug des Gegners durch Bombenabwürfe und Maschinengewehr¬
angriffe aus Marschkolonnen und Unterkünfte zu stören; vereinzelt konnte auch die Luftaufklärung über den Tagliamento hinaus durchgeführt werden.
Dem Feinde nachdrängend, hatte die 2. Isonzo-Armee, hinter den vorderen Divisionen der 14. Armee einen vollen Tagemarsch zurück, die
Linie Prepotto—Cormons, die 1. Isonzo-Armee anschließend den Unter¬
lauf des Isonzo erreicht. Der 29. Oktober brachte vorübergehend besseres Wetter, doch setzte 29. oh»»«. bereits abends wieder Gewitterbildung ein, die den Funkverkehr behin¬ derte. Die Gebirgswasser waren teilweise noch im Steigen. Der linke Flügel der ö.-u. 10. Armee besetzte die gesprengte Sperrbefestigung von Chiusasorte und rückte auch von Norden dem aus dem
Hochgebirge weichenden Gegner langsam nach. Bei der Gruppe Krauß kam der rechte Flügel (Gruppe Wieden) nach fünftägigen Kämpfen unter schwierigstenHochgebirgsverhältnissen und nur mit geringer Gebirgsartillerie (neun Batterien für zwei Divisionen) ausgestattet mit den Ansängen über Resiutta im Fella-Tale und östlich von Venzone am Tagliamento nicht hinaus. Im Vorgehen gegen die Tagliamento-Brücke von Braulins erreichten die vordersten Teile der öst. 22. Schützen-Division Gemona; bei *) Mitteilung des damaligen Leutnants d. Res. Dr. von Herrmann, der vom Stabe der 5. g. D. zum Gen. Kdo. 51 entsandt war, vom Aug. 1938.
256
Der Angriff an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
29. Oktober, ihrer Annäherung sprengte der Feind die Befestigungen nördlich und west¬ lich der Stadt. Die gegen die Brücken von Cornino und Pinzano angesetzte
ö.-u. 50. und 55. Infanterie-Division, durch Brückenzerstörungen und Hoch¬ wasser aufgehalten, machten in der Gegend westlich von Tarcento und vor der zerstörten Torre-Brücke von Nimis halt. General von Stein hatte, immer noch ohne Kenntnis des Armee¬ befehls vom 27. Oktober, gegen den Tagliamento nur Aufklärung an¬ gesetzt. Als er am 29. Oktober mittags die weitere Zielsetzung dieses Be¬
fehls erfuhr, erweiterte er die Aufgabe dahin, daß die Tagliamento-Übergänge im Gefechtsstreifen der Gruppe „möglichst heute noch durch vor¬ geschobene Detachements in die Hand zu nehmen" seien; im übrigen sollten die Divisionen ihre rückwärtigen Teile über den Torre nachziehen. In ununterbrochenem Vormarsch, bei dem die Befestigung von Tricesimo
verlassen gefunden wurde, erreichte die 12. Infanterie-Division um 2° in der Nacht zum 30. Oktober ostnordöstlich von S. Daniele den vom Gegner verteidigten Ledra-Kanal bei Majano. Südlich von S. Daniele
überschritten die vordersten Teile des Alpenkorps bei Dunkelwerden den hier nicht verteidigten Kanal. Eine gegen die Brücke von Dignano/Bon-
zicco angesetzte Unternehmung von Freiwilligen aus Kraftwagen kam, ohne daß es der Divisions-Kommandeur rechtzeitig erfuhr, nicht zur Aus¬ führung, da es nicht gelungen war, die Kraftwagen zusammenzubringen. Auch General von Hofacker erhielt erst am 29. Oktober früh Kenntnis vom Armeebefehl des 27. Oktober. Auf das Tagesergebnis seiner Gruppe blieb das ohne Einfluß. Vortruppen der 200. Infanterie-Division stießen abends vor der Brücke von Dignano/Bonzicco auf Widerstand, die der 26. Infanterie-Division erreichten südlich davon bis Rivis an mehreren Stellen das Tagliamento-üfer. Das mehr als kilometerbreite Flußbett war mit tosenden Wassermassen ausgefüllt.
Die Brückentrains waren
noch weit zurück, irgendwelche übersehmittel nicht aufzufinden. Auch war bei der augenblicklichen reißenden Strömung ein Übergang außerhalb schon bestehender Brücken, also durch Brückenschlag oder Übersehen, so gut wie
ausgeschlossen.
Die 5. Infanterie-Division der Gruppe Scotti war auf sich selbst gestellt, da südlich von ihr die ö.-u. 1. Infanterie-Division noch weit zurück und Verbindung zum Gruppenkommando nicht zu erreichen war. Unter Sicherung gegen Süden schloß die Division bei üdine auf und sehte den Marsch nach Südwesten auf Codroipo fort. Unterdessen kam es wenige Kilo¬ meter südöstlich von üdine zum Kampf gegen angreifenden Feind; später stieß bei Basagliapenta auch die Vorhut auf Gegner. Die Kämpfe zogen sich bis in die Dunkelheit hin. Die Flieger, deren Tätigkeit durch die un-
257
Der Tagliamento in der Verfolgung erreicht.
günstige Wetterlage nach wie vor stark eingeschränkt war, meldeten den
Rückmarsch starker italienischer Kräfte von Palmanova auf Codroipo. Die ö.-u. 1. Infanterie-Division kam mit den vordersten Teilen bis dicht östlich von Adine.
Hinter der Kampffront der 14. Armee waren die 117. InfanterieDivision und die öst. 13. Schützen-Division nördlich von Adine bis an den Dorre gekommen. Die ö.-u. 4. und 33. Infanterie-Division konnten am 29. Oktober wegen Verstopfung der Straßen erst über Tolmein vor¬ gezogen werden, die ö.-u. 29. Infanterie-Division war noch östlich des
Isonzo zurückgehalten. Die 2. Isonzo-Armee gelangte inzwischen bis an und über die
Eisenbahn Adine—Cormons, die 1. Isonzo-Armee überschritt ven Isonzo, eine vorausgesandte Abteilung kam über Cervignano hinaus bis Dorre Iuino. c) Sie Führung am 28. und 29. Oktober.
Während die Ergebnisse der Luftaufklärung der letzten Tage außer¬ ordentlich gering geblieben waren und nicht ausreichten, der Führung ein einigermaßen klares Bild der Lage beim Feinde zu bieten, ergab sich aus dem italienischen Funkverkehr, daß der Gegner von der Kärntner Front bis zum Meere in vollem Rückzüge war. Das Kommando der Südwestfront
glaubte bereits auf Ausweichen bis hinter den Piave schließen zu können. Truppen der Westmächte sollten zur Stützung des italienischen Heeres zu erwarten sein, doch konnte es sich einstweilen nur um unbedeutende Kräfte
handeln, die die Lage nicht beeinflussen würden. Die Oberste Heeres¬ leitung verlangte daher, mit der Zurückführung der schweren und leichten Heeresartillerie H nunmehr zu beginnen, und kündigte an, daß mit der Ab¬ gabe weiterer Kräfte für die Westfront zu rechnen sei. Das Kommando der Südwestfront regte an, den rechten Armeeflügel baldigst durch die noch zurück befindlichen Divisionen zu verstärken. Dem lieh sich jedoch, solange nicht die Straße von Saga in das Fella-Tal oder nach Tarcento fahrbar war, schwer entsprechen. Der einzige benutzbare Fahrweg zur Front führte immer noch durch das Ratisone-Tal nach Cividale. Aus ihm waren die bespannten Fahrzeuge mehrerer Divisionen im Nachrücken und aus ihm lastete bis auf weiteres der gesamte rückwärtige Verkehr von mehr als zehn Divisionen. Da der Munitionsverbrauch einstweilen sehr gering geblieben war und die Verpflegung fast ganz dem Lande entnommen werden konnte, blieben Stockungen in der Versorgung der Kampf¬ front aus. l) S. 253. Weltkrieg. XIII. Bd.
17
258
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Die schon in den letzten Tagen aufgetretenen Schwierigkeiten der Verbindung des Armee-Oberkommandos mit den vorne kämpfenden
Truppen hatten sich am 28. Oktober erheblich gesteigert. Die Fernsprech¬ verbindung hatte aufgehört, und der Funkverkehr wurde durch Gewitterbildung zeitweise völlig lahmgelegt; die Folgen des Wettersturzes be¬ hinderten auch die als letztes Mittel bleibenden Kraftfahrzeuge aufs äußerste. General von Be low entschloß sich daher, am nächsten Tage gleich bis Cividale vorzugehen; die Verbindung nach rückwärts konnte dann allerdings einstweilen nur durch Funkverkehr gehalten werden. Am 29. Oktober um 8° früh verlieh er Krainburg und erreichte mit dem Operationsstabe um 5° nachmittags Cividale, auf verstopften Straßen und über beschädigte Brücken hatte er für noch nicht 150 Kilometer Fahrstrecke neun Stunden gebraucht. In Cividale erfuhr er, daß General von Berrer gefallen sei, über die Lage an der Front war aber auch hier nichts be¬ kannt. General von Krafft fuhr noch bis Üdine vor, wo er gegen 8° abends
General von Hofacker traf, der gerade von der Front zurückkam. Bei diesem hatte sich mittags der Generalstabsoffizier der 5. Infanterie-Division der Gruppe Scotti gemeldet, um zu erfahren, was besohlen sei; denn zu ihrem Gruppenkommando hatte die Division keine Verbindung. Aach Ansicht des Generals von Hofacker war rasches Überwinden des Taglia" mento bei dem jetzigen Hochwasser nicht sehr wahrscheinlich. Da die 2. und
1. Isonzo-Armee noch erheblich zurück zu sein schienen und den Italienern südlich von Codroipo außer einer Kriegsbrücke bei Madrisio*) noch die Übergänge von Latisana mit der großen Straße von Monfalcone zur Ver¬ fügung standen, war er zu demselben Entschluß gekommen wie schon sein
gefallener Vorgänger und hatte mit der 5. Infanterie-Division für den 30. Oktober gemeinsamen Angriff auf dem östlichen Tagliamento-Üfer nach Süden auf Latisana verabredet. Jetzt unterrichtete er General von Krafft
über die Lage seiner Gruppe und der rechts und links anschließenden Di¬ visionen. Im übrigen teilte er ihm seine Absichten für den 30. Oktober mit; er wollte die Italiener noch östlich des Tagliamento vernichten, sofern nicht vorher noch der Flußübergang gelinge, wobei er auf etwaige Erfolge der gegen die Brücken von Dignano/Bonzicco und Codroipo angesetzten
Abteilungen hoffte. General von Krafft beurteilte die Aussichten eines
Tagliamento-Überganges wesentlich günstiger; vielleicht sei er inzwischen sogar schon irgendwo gelungen. Er bat, die Befehle für beide Fälle vorzubereiten, während er nach Cividale zurückfahre, um die Entschei1) Das A. O. K. erhielt erst bei dieser Gelegenheit Kenntnis vom Vorhandensein der Brücke bei Madrisio, die auf einem Teil der ausgegebenen Karten — darunter gerade den Karten des 21.0. K. — nicht eingezeichnet war. (Mitteilung des Gen. v. Krafft vom Sept. 19 )•
259
Die Frage des Abschwenkens auf Latifana.
düng des Oberbefehlshabers einzuholen. General von Hofacker glaubte ihn aber doch von der Zweckmäßigkeit seines Entschlusses überzeugt zu
haben1) und zweifelte nicht, daß er auch mit der Zustimmung des Ober¬ befehlshabers rechnen könne. Er erließ daher sofort die Befehle zum Vor¬ gehen der 26. und 5. Infanterie-Division aus Latisana, während die 200. Infanterie-Division mit schwachen Kräften die Brücken von Dignano/ Bonzicco und Lodroipo besehen, die Masse aber bei Codroipo versammeln sollte, um den beiden anderen Divisionen nach Süden zu folgen. Da es nicht gelungen war, mit dem Kommando der Südwestfront, der 2. Isonzo-Armee oder dem Gruppenkommando Scotti Verbindung zu bekommen, konnte General von Be low nur nach den Verhältnissen im Raume um Udine entscheiden. General von Krafst trug ihm eingehend über die Absichten des Generals von Hofacker vor. Der Oberbefehlshaber
teilte die Zuversicht seines Generalstabschefs hinsichtlich der Gewinnung des Flußüberganges; nur dadurch konnte die Operation in Fluß gehalten werden, und das erschien wichtiger als eine mehr oder minder große Beute dieseits des Tagliamento?); wieweit der Gegner diesen bereits 1 ) Vgl. Aufsähe der Gen. v. Hofacker und v. Krafft im Ml.-Woch.-Bl. 1921, Rr. 12 und 1922, Ar. 30. Damals schrieb der inzwischen verstorbene Gen. v. Hofacker sogar, daß Gen. v. Krafft seinen Entschluß gebilligt und nur den Vorbehalt gemacht habe, daß vor der Ausführung der vorzubereitenden Befehle erst noch die Genehmigung der höheren Vor¬
gesetzten eingeholt werden müsse. Demgegenüber hält Gen. v. Krafft nach einer Mitteilung vom Sept. 1941 es für ausgeschlossen, daß Gen. v. Hofacker habe annehmen können, ihn ganz von seiner Ansicht überzeugt zu haben, denn er (Gen. v. K.) habe ihm (Gen. v. H.)
ausdrücklich gesagt, daß der Entschluß mit den bisherigen Absichten des Oberbefehlshabers nicht im Einklang stehe. 2) In einem an Gen. von Krafft gerichteten Schreiben vom 4. April 1926 führte Gen. von Below u. a. aus:
„... In unseren Erwägungen am 29. Okt. abends hat der Latisana-Entschluß des Gen. von Hofacker gar keine Rolle gespielt, nur die Aufstellung seiner Truppen ist besprochen
worden. Ich selbst hatte während Ihres Voreilens nach Udine mir die Ansicht gebildet, nun scharf nach Südwest vorzustoßen, allerdings ohne jedes Kartenmaterial. (Es war in unserem 2. Auto liegen geblieben, das infolge des Zusammenbruchs der schon halb ge¬ sprengten Ratisone-Brücke vor Cividale hinter uns nicht mehr durchgekommen war.) Rach Ihrer Rückkehr aus Udine führten Sie Willisens (1. Genstb. Off. des A.O.K.) Einwand an, daß über die Codroipo-Brücken hinüber ein Vorlegen auf rechtem (westl.) TagliamentoÜfer größere Erfolge bringen könne. Wagen um des größeren Erfolgs willen ist nie falsch! Das leuchtete mir bei näherem Kartenstudium um so mehr ein, als mir nun gleich die
2. Schlieffen-Aufgabe 1897 am Nordostsee-Kanal mit ihrer genialen Lösung vor die Seele trat, und mir in gehobener, siegesfreudiger Stimmung waren..
Die hier erwähnte Schlieffen-Lösung (Z. Aufgabe von 1896) lehnte Frontalverfolgung Segen den Nordostsee-Kanal ab und forderte Übergang seitwärts zur Parallelverfolgung, die in diesem Falle, ohne daß eingeschwenkt zu werden brauchte, den Gegner gegen das
Meer gedrängt hätte. 17*
260
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
LS.Oktober, überschritten hatte, war nicht bekannt; die 2. Isonzo-Armee schien noch
weit zurück zu sein, andernfalls hätte sie sich wohl schon bemerkbar ge¬ macht. So ordnete der gegen Mitternacht erlassene Armeebefehl für den 30. Oktober an:
„1. Vor 14. Armee nur schwache zurückgehende Abteilungen. Die vom unteren Isonzo zurückgehenden italienischen Heeresteile haben an¬
scheinend den Tagliamento noch nicht überschritten. 2. Die Verfolgung wird bis zur Vernichtung des italienischen Heeres fort¬
gesetzt. Z. Von der 14. Armee gehen die Gruppen Krauß, Stein (ohne 117. In¬ fanterie-Division) ... und Hofacker (bisher Verrer) mit rechtem Flügel am Gebirgsrande entlang, mit linkem Flügel über S. Vito. 4. Sefechtsstreisen ..." Diese waren in allgemein südwestlicher Richtung
so festgelegt, daß dem linken Flügel der Gruppe Krauß die Brückenstelle von Pinzano, der Gruppe Stein die von Dignano/Bonzicco, der Gruppe
Hofacker die von Codroipo zufiel. „Die durch 117. Infanterie-Division verstärkte Gruppe Scotti stößt über die Linie Basagliapenta—Pozzuolo—Lanzacco (in allgemeiner Rich¬ tung Latisana) vor. Verbindungsaufnahme mit rechtem Flügel 2. IsonzoArmee ...“ Die ö.-u. 4. und 33. Infanterie-Division sollten auf Cividale, die ö.-u. 29. Infanterie-Division hinter dem rechten Flügel der 2. IsonzoArmee aus Adine folgen. An die Oberste Heeresleitung, die österreichisch-ungarische Heeres¬ leitung und das Kommando der Südwestfront wurde durch Funkspruch
gemeldet: „Verfolgungsabteilungen nähern sich Tagliamento Gemvna— Codroipo ... Absicht: Durch Fortführung Operation über Tagliamento und Angriff von Adine gegen Latisana Italiener zu vernichten."
Während also General von Hofacker beabsichtigt hatte, vor der Front
des noch zurückhängenden linken Armeeslügels einen Stoß mit drei Divisionen am Tagliamento entlang von Norden nach Süden zu führen, ordnete der Armeebefehl eine Schwenkung der gesamten Armee aus der West- in die Südwestrichtung mit Adine als Drehpunkt an. Die beiden Divisionen der
Gruppe Hofacker hatten damit im wesentlichen frontal gegen den Fluh bei Codroipo anzugreifen, während die mit ihren Hauptkrästen noch weiter zurück befindliche, aus drei Divisionen verstärkte Gruppe Scotti zum Stoß aus der Gegend von Adine auf Latisana, also nunmehr von Nordosten nach
Südwesten angesetzt war. Ohne Kenntnis von diesen Absichten der 14. Armee hatte General¬ oberst von Boroevic, entsprechend der am 28. Oktober vom Kommando
Befehl der 14. Armee vom 29. Oktober abends.
261
der Südwestfront zwischen 14. Armee und Heeresgruppe festgesetzten Grenze, für das weitere Vorgehen der 2. Zsonzo-Armee die Linie Udine— S. Odorico als Nordgrenze gegeben. Damit liefen die Vormarsch- und Angriffsstreisen der 14. Armee und 2. Isonzo-Armee für den 30. Oktober
ineinander. d) 9er Vorstoß gegen Eodroipo und Latisana am 30. und 31. Oktober.
Vermischung der Verbände. Der Armeebefehl vom 29. Oktober gründete sich auf die Voraus- so.ort»»«.. setzung, daß es alsbald gelingen werde, auf dem Westuser des hochange¬ schwollenen und zur Zeit wohl stellenweise mindestens 1000 Meter breiten Tagliamento festen Fuß zu fassen und ihn in mehreren Kolonnen zu über¬ schreiten. Gelang das nicht, so mußte der Gegner jenseits des Flusses einen Vorsprung gewinnen, der schwer wieder einzuholen war. General von Hosacker hatte von der Entscheidung des Armee-
Oberkommandos durch Fernsprecher alsbald Kenntnis erhalten; der Plan, der seiner Ansicht nach der am Tagliamento westlich von Adine tatsächlich gegebenen Lage allein entsprochen hätte, war abgelehnt. Vorübergehend
erwog er, trotzdem bei seinem Vorhaben zu bleiben, aber die Durchführung hätte schon daran scheitern müssen, daß unter den veränderten Verhält¬ nissen mit der zur Gruppe Scotti gehörenden 5. Infanterie-Division neue Vereinbarungen nötig gewesen wären, für die Zeit und Möglichkeiten fehlten; denn weder zu dieser Division, noch zur Gruppe Scotti bestand irgendwelche Verbindung. Am 30. Oktober um 2° früh gab General von
Hofacker der 200. und 26. Infanterie-Division dem inzwischen angetrof¬ fenen Armeebefehl entsprechend neue Weisungen. Da beide Divisionen schon Verschiebungen im Sinne des Gruppenbefehls vom 29. Oktober abends eingeleitet hatten, ergaben sich einige Reibungen, die aber auf den weiteren Verlaus der Dinge ohne entscheidenden Einfluß blieben. Bei Dignano räumte der Gegner angesichts des Angriffs der Vortruppen der 200. Infanterie-Division das Ostufer des Tagliamento, und als diese um
6° früh den Fluß erreichten, stellte sich heraus, daß der Westteil der etwa 1600 Meter langen Brücke zerstört war. Bei Eodroipo führten eine Straßen-, eine Eisenbahn- und eine Kriegsbrücke über den Fluß. Die ständigen Brücken¬ kopfbefestigungen wurden unbesetzt gefunden. Die gegen die Brücken vorgehenden schwachen Teile der 200. und 26. Infanterie-Division über¬ rannten bei Pozzo eine italienische Schutzstellung und trafen aus die Flut der über Eodroipo den Brücken zuströmenden Truppen. Unter Kämpfen gegen diese mehr oder minder führerlosen und völlig überraschten
Massen wurden die Übergänge erreicht. Gemeinsam mit flüchtenden
262
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
ZS. Oktober. Italienern drängten die vordersten deutschen Trupps über die Brücken,
die durch ineinandergefahrene Fahrzeuge aller Art nahezu verstopft waren. Aber kurz bevor sie das andere Ufer erreichten, flogen die Westteile aller drei Brücken in die Luft und alles, was daraus war, mit ihnen. Da der
Tagliamento noch im Steigen und sein Westuser vom Feinde beseht war, bestand einstweilen keinerlei Möglichkeit, über die breiten, reißenden Wasser zu kommen. Am östlichen Eingang der Brücken vermochten sich die schwachen deutschen Kräfte nur mit Mühe der von Osten und Süden alsbald ein¬
setzenden italienischen Angriffe zu erwehren, bis die Hauptkräfte der nach¬ folgenden 26. Infanterie-Division unter heftigen Kämpfen Codroipo er¬ reicht hatten. Aber auch diese gerieten angesichts von Osten nachrückender, immer neuer italienischer Kolonnen in eine schwierige Lage, vermochten sich jedoch zu behaupten. Sie machten 27000 Gefangene, dabei mehrere höhere Stäbe; aus der Straße von Ubine stand ein schweres Geschütz hinter dem anderen. Die 200. Infanterie-Division war weiter nördlich
noch zurück. Bei der Gruppe Scotti hatte der Kommandeur der 5. InfanterieDivision, Generalmajor von Wedel, immer noch ohne jede Verbindung mit seinem Gruppenkommando, den Armeebefehl bereits in den ersten Morgenstunden unmittelbar erhalten. Selbsttätig hatte er daraufhin die Führung der drei durch diesen Befehl zum Stoß bestimmten Divisionen übernommen und sie über die Linie Rivolto—Mortegliano zum Angriff nach Südwesten angesetzt. Aber schon an der Straße Codroipo—Pal¬ manova kam das Vorgehen der 5. Infanterie-Division zum Stehen. Don der 117. und der ö.-u. 1. Infanterie-Division traten nur die vorderen
Teile in den Kampf, die rückwärtigen wurden durch die von Osten die
Marschstraßen kreuzende ö.-u. 60. Infanterie-Division der 2. Isonzo-Armee von ihnen getrennt. Gemeinsam mit Teilen dieser Division wurde nach län¬
gerem Kamps Feind bei Pozzuolo geworfen; der linke Flügel der Gruppe stand abends bei Mortegliano, das von der ö.-u. 1. Infanterie-Division in verlustreichem Gefecht genommen worden war. Unterdessen war bei General von Be low in Cividale schon morgens um 8° ein Generalstabsoffizier der Gruppe Kaiser der 2. Isonzo-Armee eingetroffen und hatte um Freimachung der Straßen im Vormarschraum
seiner Gruppe gebeten. Dabei hatte sich die völlig überraschende Tatsache ergeben, daß die Gruppe Kaiser bereits seit dem 29. Oktober abends bei
Pradamano und südlich stand, die Gruppe Kosak links davon auf gleicher Höhe; nirgends vor der Front der 2. Isonzo-Armee sei ernster Widerstand oder
Der Südflügel der 14. Armee am Tagliamento.
263
starker Feind gemeldet. Beim Armee-Oberkommando 14 nahm man nunmehr an, daß der Gegner bereits einen großen Vorsprung nach Westen gewonnen habe. Don der Fortsetzung des Angriffs der Gruppe Scotti nach Südwesten erhoffte man daher nicht mehr viel; sie erhielt Befehl, die der Gruppe Kaiser
zustehenden Straßen nach Westen frei zu machen; ihre Hinteren Teile wurden angehalten. Der Gruppe Kaiser ließ General von Below übermitteln, er erwarte, daß sie und die übrigen Teile der 2. Isonzo-Armee sich der Ver¬
folgung aus Latisana unverzüglich anschlössen. Um l30 mittags traf er in Udine ein und erfuhr hier von dem ernsten Kamps bei Pozzuolo; also mußten doch noch starke italienische Kräfte diesseits des Tagliamento und
sogar noch weit nördlich der Straße Palmanova—Codroipo stehen. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch weitere Nachrichten über die Kämpfe der
Gmppe Scotti und dabei erreichte hohe Gesangenenzahlen. Andererseits wurde die Zerstörung der Brücke von Dignano/Bonzicco bekannt. Zn den
ersten Nachmittagsstunden ließen schwere Detonationen vermuten, daß weitere Brücken gesprengt wurden. Dann aber traf gegen 7° abends von seinem Gefechtsstand her General von Hofacker ein, der von
dem Ausgang der Kämpfe bei Codroipo und Sprengung der dortigen Brücken Kenntnis hatte, aber die Zerstörungen für so unbedeutend hielt,
daß der Übergang für Infanterie unschwer zu bewerkstelligen sei. Da das Westufer stark beseht schien, wollte er am 31. Oktober noch vor Tages¬ anbruch mit der 26. Infanterie-Division den Angriff über die Brücken hinweg wieder aufnehmen; durch Überraschung in der Dunkelheit könne
die Inbesitznahme glücken. General von Below hegte zwar jetzt nur noch wenig Hoffnung aus das Gelingen des Unternehmens, entschloß sich aber, das Ergebnis abzu¬ warten. Aber Richtung und Stand des feindlichen Rückzuges sah er nicht
klar, denn Regen und Gewitter hatten fast jeden Flugbetrieb unmöglich gemacht. Er wollte nunmehr in breiter Front nach Süden gegen die
offenbar noch östlich des Tagliamento zusammengeballten feindlichen Massen angreifen. Dabei muhten sich neue Marschkreuzungen und Rei¬ bungen mit der Gruppe Kaiser der 2. Isonzo-Armee ergeben. Am einer
Wiederholung der schon bisher daraus entstandenen ernsten Mihhelligkeiten vorzubeugen und da weder zum Kommando der Südwestfront noch zur Heeresgruppe Boroevic oder dem Kommando der 2. Isonzo-Armee,
die sämtlich noch weit rückwärts in ihren ursprünglichen Unterkünften lagen, Verbindung bestand, suchte General von Below die Gruppe Kaiser zu entsprechenden Anordnungen zu veranlassen. Dem um Mitternacht ausgegebenen Befehl für den 31. Oktober, der die Armee nach Süden schärfer zusammenfaßte, lag der schon im
264
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
so. ottpber. Befehl für den 30. Oktober enthaltene Gedanke zugrunde, die Offensive
jenseits des Tagliamento mit dem rechten Flügel am Gebirgsfuß entlang weiterzuführen. Die Gruppe Krauß erhielt die Übergänge von Braulins und Cornino als nächstes Ziel und sollte die Verfolgung dann „in all¬
gemeiner Richtung" über Pinzano nach Südwesten aus Sacile fortsetzen. Die Gruppe Stein sollte bei Pinzano übergehen und die Richtung auf Pordenone nehmen, außerdem mit erbeutetem italienischen Brückengerät
einen Übergang bei Dignano/Bonzicco Herstellen. Die Gruppe Hofacker wurde über die Brücken von Codroipo aus Motta di Livenza angesetzt, die zu ihr tretende 5. Infanterie-Division auf dem östlichen Tagliamento-
Ufer nach Süden auf Barmo, wo eine Furt sein sollte. Die Gruppe Scotti, nunmehr l 17. und ö.-u. 1. Infanterie-Division, hatte den gegenüber¬
stehenden Feind über Mortegliano zurückzuwerfen und auf Latisana vor¬ zustoßen. Alle damit in den Raum der Isonzo-Armeen übergreifenden Teile sollten, sobald diese näher herankämen, in den der 14. Armee zurück¬ gezogen werden. Die Gruppe Kaiser wurde angewiesen, ihre Infanterie zunächst anzuhalten, ihre Artillerie aber zur Mitwirkung bei der 5. In¬ fanterie-Division zur Verfügung zu stellen. Dem Kommando der Süd¬ westfront und der Obersten Heeresleitung wurde über Krainburg als
Absicht für den 31. Oktober gemeldet: „Inbesitznahme der TagliamentoÜbergänge und Fortsetzung der Verfolgung allgemeine Richtung Sacile— Pordenone—Motta—Varmo, Seitenkolonne auf Latisana." Unterdessen ging ebenfalls über Krainburg eine von 430 nachmittags stammende
Weisung der Obersten Heeresleitung ein, in der es hieß: das Ein¬ drehen von Teilen der 14. Armee östlich des Tagliamento auf die Drücke
von Latisana könne „von vernichtender Bedeutung für die dort zurück¬ flutenden italienischen Kräfte werden". Damit sah das Armee-Ober¬ kommando 14 seine Auffassung von maßgebender Seite gebilligt. DieHeeresgruppeBoroevic einschließlich ihrer bereits am Kampfe bei Pozzuolo beteiligten Truppen der 2. Isonzo-Armee erreichte am 30. Ok¬ tober mit vordersten Teilen die Linie Camposormido—Pozzuolo—Bi-
cinicco—Cervignano; die vorausgesandte Abteilung der 1. Isonzo-Armee war in der Richtung aus Latisana bis S. Giorgio gekommen. Das Kommando der Südwestfront war über den Vorstoß des linken Flügels der 14. Armee gegen Südwesten durch die 2. Isonzo-Armee unterrichtet, ebenso vermutlich über die daraus entstandenen Reibungen und wohl auch über die am Morgen erlassene Weisung des Generals von Below,
daß die Gruppe Scotti die der ö.-u. 2. Isonzo-Armee zustehenden Straßen
frei machen solle, nicht aber über dessen Befehl für den 31. Oktober, der
Südflügel der 14. Armee. Vermischung der Verbände.
265
diese Regelung — ohne es allerdings besonders auszusprechen — wieder
aufhob. Am Klarheit zu schaffen, befahl Erzherzog Eugen um 745 abends für die 2. Isonzo-Armee den Weitermarsch „im zugewiesenen Raume gegen Westen"; die dabei angetroffenen Teile der Gruppe Scotti sollten zur Heeresgruppe Boroevic treten. Als Raum der 2. Isonzo-Armee aber hatte nach einer Weisung vom 28. Oktober, sobald die Heeresgruppe die Linie Adine—Cervignano erreicht hatte (was jetzt der Fall war), das ge¬ samte Gebiet südlich des Straßenzuges Adine—S. Odorico—Pozzo zu
gelten1), so daß tatsächlich nicht nur die ganze Gruppe Scotti, sondern auch die Gruppe Hofacker in das Gebiet der 2. Isonzo-Armee fiel. Eine Fülle neuer Reibungen mußte sich ergeben. Eine etwa zwei Stunden später erlassene Weisung regelte die weiteren Operationen dahin, daß die südlichste Vormarschstraße der 14. Armee von Pozzo weiter nach Pordenone (mithin über die nördlichste der drei Brücken von Codroipo) und
dann, nach Südwesten abbiegend, über Prata auf Fontanelle führen solle. Bis zum 31. Oktober früh stellte die 26. Infanterie-Division der 3i.ott»b«. Gruppe Hofacker fest, daß die Zerstörungen an den drei Brücken von
Codroipo den Abergang ohne Abersetzgerät unmöglich machten. Der Tagliamento führte noch immer Hochwasser. Die Division, deren fahrende Batterien inzwischen herankamen, entschloß sich, unter deren Schutze in der Rächt zum 1. November nördlich der Abergänge von Codroipo einen Brückenschlag vorzunehmen. Die 200. und die 5. Infanterie-Division wurden durch die Massen der stehengebliebenen italienischen Geschütze und Fahrzeuge sowie durch Truppen der 26. Infanterie-Division und auch der 2. Isonzo-Armee erheblich aufgehalten. Sie kamen ohne wesent¬ liche Kämpfe bis westlich von Varmo und bis Madrisio. Auch hier war die Brücke bereits zerstört. Bei der Gruppe Scotti zeigten sich dieselben Schwierigkeiten in teilweise verstärktem Umfange. Während die 117. In¬ fanterie-Division mit einer Seitenabteilung ebenfalls bis Madrisio vor¬
stieß, kam die Masse bis Ariis und nördlich. Die ö.-u. 1. InfanterieDivision gelangte nur bis Pozzuolo und nördlich. Die Gruppe Kaiser hielt sich an die Befehle der 2. Isonzo-Armee und trat ebenso wie die übrigen Teile dieser Armee den Marsch nach Westen an und erreichte westlich von Adine Tomba und Campoformido. Bei der Gruppe Kosak hatten die beiden vordersten Divisionen keine Verbindung zu ihrem Gruppenkommando. Der Kommandeur der ö.-u. *) Dieser Befehl ist von der Armee-Fernspr.-Abt. 20, Station Cividale, erst am 31. Okt. 226 vorm. aufgenommen worden; Gen. von Krafft erfuhr von ihm erst um 11° vorm.
durch den Chef d. Gcnst. des ö.-u. II. Korps.
266 31. Oktober.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
60. Infanterie-Division, Feldmarschalleutnant Goiginger, der vom Auf¬ träge der Gruppe Scotti Kenntnis erhalten hatte, setzte dementsprechend aus eigene Verantwortung den Vormarsch der Gruppe sowie der nächst¬ stehenden Divisionen des südlich anschließenden XXIV. Korps nach Südwesten an. Die vordere Brigade seiner eigenen Division erreichte abends
denTagliamento beiMadrisio. Da die feindliche Gegenwirkung vom Westufer gering war, gelang es, das Feuer der brennenden Brücke bis zu dem heraus¬ gesprengten Teil am Westende (etwa 30 Meter) in der Nacht zu löschen1). Die ö.-u. 24. und 3S. Infanterie-Division blieben bei Ariis und östlich liegen, da sie aus Marschkolonnen der 1. Isonzo-Armee gestoßen waren. Feldmarschalleutnant Kosak, der das selbsttätige Handeln der 60. Infan¬ terie-Division nicht billigte, hatte nur noch die ö.-u. 9. Infanterie-Division anhalten und die 35. nach Westen abdrehen können. Der linke Flügel der 2. Isonzo-Armee war noch zurück. Die vordersten Teile der l. IsonzoArmee gelangten ihm voraus bis über Morteglione hinaus, bis vor Ariis und an den Stella-Abschnitt östlich von Latisana. Die Gros waren aber
noch erheblich zurück. Die noch in Unter-Loitsch und Sesana befindlichen Hauptquartiere der beiden Isonzo-Armeen sollten nunmehr nach Cormons und Cervignano vorverlegt werden.
e) Die ö.-u. 10. Armee und der Nordflügel der 14. Armee am 30. und 31. Oktober. 30. Oktober.
Der fortschreitende Angriff der 14. Armee lockerte auch mehr und mehr die italienische Front vor der ö.-u. 10. Armee. Deren Oberbefehls¬
haber, Generaloberst von Krobatin, hatte beabsichtigt, unter Zurück¬ haltung seines rechten Flügels zunächst von Norden her das obere Tagliamento-Tal bei Villa Santina und Tolmezzo einerseits, das Resia-Tal bei Moggio und Resiutta andererseits zu erreichen. Dort wollte er die Be¬
hebung der außerordentlichen Nachschubschwierigkeiten auf den vielfach zerstörten Gebirgsstraßen sowie die Gewinnung des Fella-Talausganges durch den rechten Flügel der Gruppe Krauß abwarten. Angesichts des schnellen Ausweichens der Italiener vor der gesamten Südwestfront hatte ihn aber die österreichisch-ungarische Heeresleitung am 29. Oktober
angewiesen, nach Versammlung seiner Kräfte sogleich über Sappada und durch das obere Tagliamento-Tal in das obere Piave-Tal vorzustoßen. Dementsprechend erreichten Teile der ö.-u. 10. Armee, aus der Gegend des Plöken-Passes absteigend, am 30. Oktober Comeglians und Cedarchis, der linke Flügel schloß gegen Moggio und Resiutta aus. i) Nach ital. Quellen wäre die Brücke bereits am 29. Okt. durch Hochwasser zerstört worden.
Vorbereitungen zum Überschreiten des Tagliamento.
267
Bei der 14. Armee hatte General Krauß die Deutsche JägerDivision nördlich, die in der Front eingesetzte Brigade der EdelweißDivision südlich der Fella zum Vormarsch nach Westen angesetzt. Erstere sollte Tolmezzo erreichen, dann nach Süden einschwenken und die Sperrbefestigungen am Tagliamento-Knie, vor allem das Panzerwerk auf dem
Mt.Festa durch Handstreich nehmen, letztere am Fella-Talausgang aus Gemona abbiegen. Der Vormarsch wurde aber bereits im Fella-Tale
aufgehalten und noch vor Erreichen des Tagliamento-Tales durch wirk¬ sames Fernfeuer vom Mt. Festa zum Stehen gebracht; für den Weiter¬ marsch wurde die Dunkelheit abgewartet. Eine Seitenkolonne erreichte unterdessen Venzone, die öst. 22. Schützen-Division den Tagliamento westlich von Gemona; die Brücke von Braulins war gesprengt, der
Gegner hielt das Westufer mit anscheinend stärkeren Kräften. Die ö.-u. 50. Infanterie-Division vertrieb feindliche Nachhuten am Ledra-Kanal und näherte sich der Eisenbahnbrücke von Cornino, die von vorausgesandten Teilen der ö.-u. 55. Infanterie-Division nach Ortsgefecht in Majano in¬ zwischen erreicht wurde; der Belag war bis auf einen schmalen Gehweg
abgetragen, das Westufer auch hier besetzt. Bei der Gruppe Stein erkämpfte die 12. Infanterie-Division den Übergang über den Ledra-Kanal und nahm das hartnäckig verteidigte Vergstädchen S. Daniele. 10000 Gefangene, 50 Geschütze und der Troß von vier bis fünf Divisionen fielen hier in ihre Hand. Vor den besetzten Höhen von Ragogna und dem Tagliamento bei Spilimbergo kam das
Vorgehen zum Stehen. Jenseits des Flusses herrschte reger Bahnverkehr.
Nach Gefangenen-Aussagen standen frisch herangeführte Reserven gegen¬ über, sie deckten die Brücken von Pinzano. Weiter südlich erreichte das Alpenkorps in breiter Front ebenfalls den Tagliamento und traf Vor¬ bereitungen zum Übergang bei Dignano, wo die Lage unverändert ge¬ blieben war. Die öst. 13. Schützen-Division blieb, durch Marschkreu¬ zungen mit der 117. Infanterie-Division aufgehalten, weiter rückwärts. In der Nacht zum 31. Oktober trat die ö.-u. 10. Armee zur Süd- 3i.o«eb»
Westfront über; die Grenze zur 14. Armee verlief künftig südlich des oberen Tagliamento über Mt. Festa und Mt. Facit. Im Laufe des Tages er¬ reichten zwei Gebirgsbrigaden Villa Santina und Tolmezzo, zwei andere kamen im Fella-Tale bis Moggio und Resiutta. Der Gruppe Krauß hatte General von Below im Befehl für den 31. Oktober1) die Tagliamento-Übergänge von Braulins und Cornino als
nächstes Ziel und jenseits des Flusses die Richtung über Pinzano nach Südwesten gegeben, während die Gruppe Stein bei Pinzano übergehen *) 6.263 f.
268
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
si.oitob« und mit erbeutetem italienischen Gerät eine Brücke bei Dignano schlagen
sollte. Noch ohne Kenntnis von diesen Anordnungen hatte General Krauh am Abend des 30. Oktober der Gruppe Wieden, die ihn über die VorMarschziele der 10. Armee unterrichtete, auf ihren Antrag befohlen, im Tagliamento-Tale nach Süden aus Gemona abzubiegen. Es gelang ihr, noch in der Dunkelheit mit dem größten Teil ihrer Truppen unter den Be¬
festigungen des Mt. Festa vorbeizukommen, so daß die Edelweiß-Division, deren noch' bei Saga liegende Brigade aus Tarcento heranzurücken hatte, bis südlich von Gemona kam, während die Deutsche Jäger-Division Venzone erreichte; ihre zurückgebliebenen Teile folgten am Abend nach; ein einzelnes Bataillon erhielt den Auftrag, sich von Norden her in Besitz der Werke des Mt. Festa zu setzen. An der Brücke von Braulins blieb die Lage unverändert. Bei Cornino war es der ö.-u. 55. Infanterie-Division ge¬
glückt, den bis zu einer Insel im Tagliamento führenden Ostteil der Eisen¬ bahnbrücke durch Abschneiden der Zündschnüre gegen Sprengung zu
sichern. Die Besetzung der Insel aber gelang nicht. Der linke Flügel der ö.-u. 50. Infanterie-Division versuchte vergeblich im Verein mit dem rechten Flügel der Gruppe Stein, 12. InfanterieDivision und Teile der öst. 13. Schützen-Division, die stark befestigten Höhen von Ragogna zu nehmen. Nach sieben Tagen Kamps und Verfolgung durch
schwieriges Gebirgsland machte sich bei allen Teilen Ermattung geltend; schwerer aber wog, daß Munition nicht in ausreichender Menge zur Stelle war, obgleich das Armee-Oberkommando bereits seit Tagen aus bevorzugtes Durchlässen der Munitionssahrzeuge aus den Gebirgsstraßen gedrängt hatte. Das Alpenkorps lag noch vor der Brückenstelle von Dignano/Bonzicco. f) Stillstand am Tagliamento vom 31. Oktober bis 2. November. Entscheidend für die weiteren Operationen war, wann und wo ein
erster Übergang über den Tagliamento gelang. Beides aber hing einstweilen mehr von den Stromverhältnissen als vom Gegner ab. Dessen
Gegenwirkung vom Westuser wäre wohl auszuschalten gewesen, aber Stärke und Breite der wild dahinbrausenden Wassermassen boten Schwierig¬ keiten, deren Überwindung, auch wenn die Brückentrains der Armee be¬ reits herangewesen wären*), kaum gelingen konnte. Einstweilen war die i) Man hatte weder damit gerechnet, innerhalb von sechs Tagen den Tagliamento zu erreichen, noch mit so großen Wassermassen in dem sonst an vielen Stellen durchfurtbaren Flußbett. Am 24. Okt. war schweres Brückengerät bei der O. H. L. erbeten worden, ie Verladung begann am 28. in Rumänien. Die Brückentrains der Armee hatten für cn
Durchmarsch durch das straßenarme Gebirge zunächst weit hinten eingereiht werden müßen, ob und wann sie aus den engen und vielfach zerstörten Wegen durchkommen würden, war
fraglich. Zunächst stand nur erbeutetes italienisches Brückengerät bei Udine zur Verfügung.
Schwierigkeiten am linken Flügel der 14. Armee.
269
einzige Hoffnung, daß es doch noch glücke, eine der vorhandenen Brücken in benutzbarem oder leicht wiederherstellbarem Zustande in die Hand zu bekommen. Die Versuche in dieser Richtung sollten mit Nachdruck fortgesetzt werden, wobei die Hoffnungen je nach den gerade vorliegenden Meldungen wechselten, sich aber schließlich in erster Linie auf die Über¬ gänge bei Domino und Pinzano richteten, die nach Fliegermeldungen noch unzerstört sein sollten, deren Zugang aber durch die italienische Brücken¬ kopsstellung bei Ragogna zunächst noch gesperrt war. Da sich das Wetter allmählich beruhigte und das Hochwasser zu fallen begann, schienen die
Aussichten sich zu bessern. Planmäßige Zusammenfassung aller Äbergangsmittel und entsprechender Streitkräste wurde vorbereitet. Daneben nahmen die Reibungen mit den österreichisch-ungarischen Kommandostellen wegen der Verhältnisse am linken Armeeflügel
die Aufmerksamkeit weiterhin stark in Anspruch. Dort waren im Laufe des 31. Oktober die Verbände von drei Armeen derart ineinander mar¬
schiert, daß Regelung der Befehlsverhältnisse dringend erforderlich war. Die dafür zuständige Stelle, das Kommando der Südwestfront, sah die Lösung in der naheliegenden und schon im Befehl vom 30. Oktober
für die Gruppe Scotti getroffenen Anordnung, daß alle Truppen zunächst einmal unter den Befehl der Armee träten, in deren Vormarschstreifen
sie sich zur Zeit befanden; spätere endgültige Regelung sollte vorbehalten bleiben. Demgegenüber erfüllte General von Be low die berechtigte
Sorge, daß die erprobten Truppen, mit denen er den entscheidenden Sieg errungen, seinem Einfluß gerade in dem Augenblick entzogen würden, da alles darauf ankam, die erreichten großen Erfolge am Tagliamento zur Auswirkung zu bringen. Er war der Ansicht, daß ein Kommandowechsel die Unternehmungen an den Übergangsstellen von Codroipo und südlich
ungünstig beeinflussen würde, und wehrte sich daher gegen die getroffene Regelung. Dabei konnte er sich darauf berufen, daß einschneidende An¬ ordnungen für die 14. Armee nur im vorherigen Einvernehmen mit der
Obersten Kriegsleitung getroffen werden sollten. Zwischen 5° und 6° nach¬ mittags, als die erste Sprechverbindung zur zweiten Staffel des Ober¬ kommandos der Südwestfront in Krainburg endlich fertig und damit
wenigstens durch Umsprechen ein Verkehr zu den österreichisch-ungarischen Kommandostellen möglich geworden war, wurde das Oberkommando der Südwestfront über die Verhältnisse unterrichtet und gebeten, die 2. IsonzoArmee wenigstens für den 1. November noch anzuhalten, bis die beab¬
sichtigte Neuordnung der Verbände durchgeführt sei. Unterdessen war man sich am Abend des Tages beim Armee-Ober¬
kommando 14 darüber klargeworden, daß der Stoß auf Latisana zu spät
270 21. Oktober.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
gekommen sei. Der Gegner schien das östliche Tagliamento-Ufer so gut wie ganz ausgegeben zu haben; die Gefangenen- und Beutezahlen aber waren zu bisher in diesem Kriege nicht dagewesener Höhe gestiegen1). Die Luft-
erkundung hatte auch am westlichen Tagliamento-Ufer nur geringe feind¬
liche Kräfte festgestellt, dagegen starke Ansammlungen im Raume Pordenone—Sacile—Motta di Livenza, zurückmarschierende Kolonnen von Latisana auf Portogruaro. General von Below wollte die Truppen seines Südflügels, ausgenommen die am Tagliamento zum Übergang angesetzten Divisionen, nunmehr alsbald in den zugewiesenen Raum zurückführen, die
letzteren aber nötigenfalls erst jenseits des Flusses. Als jedoch die hierfür erbetene und vom Kommando der Südwestfront auch in Aussicht gestellte Weisung bis zum späten Abend nicht eingetroffen und immer noch keine Verbindung zur Heeresgruppe Boroevic und ihren Armeen gelungen war, wies er in der Nacht zum 1. November der Gruppe Hofacker (200., 26., 5. Infanterie-Division) nach dem „mit allen Mitteln zu beschleunigenden Übergang über den Tagliamento" die Straße Codroipo—Pordenone— Prata als südlichste Straße zu; das entsprach der Weisung der Heeres¬ gruppe vom 30. Oktober2). Die Gruppe Scotti (künftig ö.-u. 1. Infanterie-
Division bei Udine, 4. bei Cividale, 33. bei Karfreit) sollte rasten, die 117. Infanterie-Division zur Gruppe Stein treten. Andererseits hatte bereits am frühen Nachmittag das Kommando der Südwestfront be¬ sohlen, daß die im Raume der Heeresgruppe Boroevic befindlichen Teile der 14. Armee (wie es in einer am Abend folgenden Weisung hieß: „an¬
geblich 26., 200., 5., 117. Infanterie-Division") unter den Befehl der Armee zu treten hätten, in deren Raum sie sich befänden, und zwar mit dem Zeitpunkt, in dem sie eingeholt würden; den Ausgaben, welche diese deutschen Divisionen hätten, sei Rechnung zu tragen, soweit die Lage es zulasse; es sei wichtig, daß die 2. Isonzo-Armee sich alsbald mit der 14. Ar¬ mee in Verbindung setze. Das Armee-Oberkommando 14 erfuhr diese von ihm nicht erwartete Regelung erst am 1. November abends. Unter¬ dessen aber hatte der Streit über die Besehlsabgrenzung vorübergehend bedauerlich scharfe Formen angenommen, vor allem, da unmittelbare
Aussprache mit den beteiligten hohen österreichisch-ungarischen Kommando¬ 1. aitb 2. November.
stellen fehlte. Erst als am 1. November das Kommando der 2. IsonzoArmee in Cormons eingetroffen war, wurde durch den abends dorthin
entsandten Ersten Generalstabsossizier der 14. Armee, Major Freiherrn von Willisen, rasch eine Einigung erzielt, die den Belangen beider Seiten
entsprach. Auch die Oberste Heeresleitung setzte sich für Ausgleich der !) S. 276.
2) 6.265.
Versteifung der italienischen Abwehr.
271
Gegensätze ein, indem General Ludendorff tags darauf die 14. Armee bat, den Befehlen der Südwestfront nachzukommen und etwaige Wünsche in wichtigen taktischen oder Verwaltungssragen, wenn erforderlich, ihm vorzulegen.
Daß auf dem Nordflügel General Krauß den Vormarsch nach Westen ins obere Tagliamento-Tal, vor allem aber die Wegnahme der Werke am
Ausgange des Fella-Tales nicht ausgeführt hatte, kam dem Armee-Ober¬ kommando 14 sehr ungelegen. Damit blieb die für den Nachschub so wich¬ tige Hauptstraße und Bahn von Villach über Tarvis nach Gemona wahr¬ scheinlich bis auf weiteres gesperrt; denn die Kräfte des linken Flügels der ö.-u. 10. Armee schienen kaum ausreichend, um jene nach der Grenzfestsehung in ihrem Gebiet liegenden Befestigungen zu nehmen. Daher schlug General von Below dem Kommando der Südwestfront vor, diese Aufgabe dem als besonders tatkräftig bekannten General Krauß mit der ö.-u. Edelweiß- und der öst. 22. Schützen-Division zu übertragen und ihn hierzu der 10. Armee zu unterstellen. Damit wären der 14. Armee außer ihren
sieben deutschen Divisionen immer noch sechs österreichisch-ungarische ver¬ blieben.
Unterdessen schien es, daß der Gegner seinen Rückzug vielleicht doch angehalten habe und versuche, die Tagliamento-Linie zu halten. Das Oberkommando der italienischen 2. Armee war von Tezze wieder nach Pordenone vorgegangen, und die Funkstation des Oberkommandos der italienischen 3. Armee, die in Motta bereits abgebaut gewesen war, hatte sich dort wieder gemeldet. Die an der Tiroler Front abgebauten Funk¬
stationen waren noch nicht wieder festgestellt worden. Italienische Befehle erwähnten das bevorstehende Eintreffen von 100000 Franzosen. Am Abend des 2. November griffen italienische Flieger ein zurückgelassenes Munitionsdepot am Bahnhof Udine, das in die Luft ging, sowie auch das Armeehauptquartier und zahlreiche Punkte der Umgebung an. Die Bemühungen, einen Tagliamento-Äbergang in die Hand zu bekommen, waren ohne Unterbrechung fortgesetzt worden. Schon am frühen Morgen des 1. November war der Brückenkopf auf den Höhen von Ragogna genommen und damit der Zugang zu den Brücken von Cornino und PinMo geöffnet worden. Die aber hatte der Gegner gesprengt. 3000 Mann,
die dadurch östlich des Flusses abgeschnitten waren, streckten die Waffen. Bei Cornino wurde die im Tagliamento liegende Insel besetzt. Dom West¬ teil der Eisenbahnbrücke ragten Pfeiler und zusammengestürzte Brücken¬ teile noch so weit aus dem Wasser, daß die Vorbedingungen für Herstellung eines ersten Überganges gegeben schienen. Bei Latisana räumten an diesem
272
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Tage die letzten italienischen Nachhuten vor der nachdrängenden 1. IsonzoArmee das östliche Flutzufer. Nach Cornino und zu der ebenfalls besonders geeignet erscheinenden nördlichen Brückenstelle von Pinzano wollte General von Below jetzt alles Brückengerät zusammenziehen. Der ohnehin dort befehligende, aus
der Pionierwaffe hervorgegangene Kommandeur der 12. InfanterieDivision, Generalmajor Lequis, sollte das Übergangsunternehmen leiten. Falls aber auch dieser Versuch scheiterte, muhte das Vorgehen des künftig durch die zwei abzugebenden Divisionen verstärkten linken Flügels der 2. November.
10. Armee ins obere Tagliamento-Tal die Übergänge öffnen. Dort versuchten am 2. November früh die gegen den Mt. Festa an¬
gesetzten Teile der Deutschen Jäger-Division bei Amaro und Venzone über den Fluh zu kommen. Als dies scheiterte, befahl General Krauh, der inzwischen bei persönlicher Erkundung die Brückenstelle von Cornino als
für einen Brückenschlag geeignet gefunden hatte, die Deutsche JägerDivision bei Amaro zusammenzuziehen. Dort sollte sie, unterstützt durch ihre an diesem Tage herangekommene Artillerie1), den Übergang er¬
zwingen und, durch das Gebirge nach Süden vordringend, die Brücken¬ stelle von Cornino öffnen. Gleichzeitig aber ordnete er für den Abend zwei¬
stündige Artillerievorbereitung und Angriff der ö.-u. 55. InfanterieDivision über den Tagliamento bei Cornino an. Über die aus dem Wasser
ragenden Brückenreste erreichten die braven Bosniaken das Westufer, stießen nach links bis an die Höhen über der Nordbrücke von Pinzano vor und behaupteten sich gegen mehrfache bis zum Morgen des 3. November
geführte italienische Gegenangriffe. In der gleichen Nacht gelang es aber wenige Kilometer weiter stromabwärts auch der 12. Infanterie-Division, eine Abteilung aus das westliche Fluhufer zu bringen. Alle sonstigen Ver¬ suche, das Westuser zu erreichen, waren auch am 2. November gescheitert. Bei Cornino und Pinzano aber schien der Übergang auch für stärkere
Kräfte gesichert. 28. Oktober
g) Die Bewegungen des Gegners2). Betrachtungen. Deute und Verluste. Bei General Cadorna hatte das offensichtliche Nachlassen der Wider¬ standskraft seiner Truppen bereits frühzeitig Zweifel geweckt, ob die Tagliamento-Linie gehalten werden könne. Dazu drückte ihn die immer bestehende Sorge vor einem seindlichenAngrifs aus Tirol; er bestimmte fünf Divisionen zur Verfügung der Tiroler Front nach Bassano und Brescia. Aber auch
die Durchführung des Rückzuges hinter den Hochwasser führenden 1) S. 244. 2) Anschluß an S. 247ff.
273
Rückzug der Italiener über den Tagliamento.
Tagliamento schien gefährdet; Verstopfung aller Straßen durch Troß und flüchtende Bevölkerung erschwerten die Bewegungen. Als dann am Vormittag des 28. Oktober der Gegner den Torre überschritt und Udine erreichte, war der Tagliamento bereits derart angeschwollen, daß außer¬ halb der Brücken ein Userwechsel nicht mehr möglich war. Nun wurden an diesem Tage aber auch noch die Brücken bei Rivis und bei S. Odorico
vom Hochwasser zerstört, die bei Dignano/Bonzicco überflutet. Der aus diese Übergänge angesetzte Südflügel der 2. Armee mußte hinter der Z. Armee bei Codroipo übergehen. Unterdessen wurde am 29. Oktober
auch die Brücke bei Dignano/Bonzicco vom Hochwasser fortgerissen, die von Madrisio überflutet. Etwa 23 Divisionen der 3. Armee und zwölf
schwache Divisionen des Südflügels der 2. Armee drängten sich daher gegen die drei Brücken von Codroipo und die zwei von Latisana zusammen. In
den von Truppen im wesentlichen freien Raum zwischen diesen Heeresteilen und dem Nordflügel der 2. Armee aber drangen die Divisionen der Gruppe Berrer bis gegen den Strom selbst vor. Damit war für die Verbände bei Codroipo und Latisana eine äußerst bedrohliche Lage entstanden, denn um
Mitternacht zum 30. Oktober befanden sich dort noch 22 Divisionen östlich des Flusses, ßu einem geordneten Gegenangriff, der allein noch Rettung versprochen hätte, kam es nicht mehr. Bereits im Laufe des Tages schieden auch die Brücken von Codroipo durch das Vordringen des Gegners für den Übergang aus. Um Mitternacht zum 1. November standen bei Latisana noch drei volle Divisionen und die Reste von sechs weiteren auf dem Ostufer. An diesem Tage wurde der Übergang, wenn auch unter Zurücklassung ungeheurer Mengen an Gefangenen und Gerät, beendet; gegen 4° nachmittags wurden die Brücken gesprengt. Unterdessen hatte eben¬ falls der Nordflügel der 2. Armee, etwa zwölf schwache Divisionen, den Tagliamento bei Pinzano und nördlich schon überschritten. Das dorthin vorausgesandte „Spezialkorps" hatte bei S. Daniele und Ragogna noch bis zum 31. Oktober einen ausgedehnten Brückenkopf auf dem Oftufer
gehalten. General Cadorna, der sein Hauptquartier inzwischen nach Treviso ver¬ legt hatte, empfing dort am 30. und 31. Oktober den französischen und
englischen Generalstabschef, die ihm Hilfe durch vier französische und zwei britische Divisionen nebst starker Artillerie zusagten; die ersten Transporte waren bereits seit dem 28. Oktober im Rollen. Als dann am 1. November
der Widerstand der eigenen Truppen und das Wasser des Tagliamento
dem Gegner doch Halt zu gebieten schienen, hoffte er, sich hinter dem Fluß noch längere Zeit behaupten, weiteren Rückzug vielleicht überhaupt ver¬ meiden zu können, denn dieser mußte hinter den Piave führen. Damit Weltkrieg. XIII. Bd.
18
so.Oktober bis 2. November.
274
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
aber hätte die gesamte Front bis zur Hochfläche von Asiago, also nicht nur die Karnische Gruppe, sondern auch die ganze 4. Armee zurückgenommen werden müssen. Am 2. November gab General Cadorna Befehle zum Halten der Tagliamento-Front, bereitete aber gleichzeitig auch alles für den vielleicht doch noch notwendig werdenden weiteren Rückzug vor.
Betrachtungen. Die außerordentlichen Schwierigkeiten, vor die sich die deutsche Füh¬ rung und Truppe bei Überwindung des straßenarmen Gebirges gestellt sahen, waren dem Gegner in weitestem Maße zugute gekommen. Hätte
General Cadorna seine sehr starken Reserven frühzeitig mit Eisenbahn, Kraftwagen und Fußmarsch nordwestwärts verschoben, so hätte er den Angriff der zunächst nur mit ganz geringer Artillerie und unzureichender Munition ausgestatteten Truppen der 14. Armee an den Gebirgsausgängen von Gemona bis Cividale vielleicht doch zum Stehen bringen können. Auch ein geschlossener Gegenangriff aus dem Raume Cividale— üdine nach Norden hätte den Gegner aushalten können. Da aber General Cadorna seine Anordnungen für den Rückmarsch traf, ohne der 14. Armee
ausreichende Kräfte entgegenzuwerfen, machte schließlich das Hochwasser des Tagliamento eine Katastrophe unvermeidlich und unterbrach erst, nach¬ dem diese eingetreten war, die Verfolgung durch den Gegner. Die Beute, die die deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen am östlichen Tagliamento-Üfer machten, war riesengroß. Sie hätte noch größer werden können bei schärferem Vorwärtsdrängen der beiden IsonzoArmeen, vor allem aber bei Durchführung des von General von Hofacker
für den 30. Oktober schon angesetzten Angriffs von drei deutschen Divisionen am Tagliamento entlang nach Süden aus Latisana. Wohl waren diese an Artillerie einstweilen sehr schwach, nur die 5. Infanterie-Division hatte die ihrige vollzählig zur Hand, die 26. hatte nur vier, die 200. sechs GebirgsBatterien und alle drei nur sehr wenig Munition. Der Angreifer wäre
also vielleicht in eine recht schwierige Lage gekommen, denn sein Stoß führte in die Flut verzweifelt um ihr Dasein ringender, am Kampfe bisher nicht beteiligter italienischer Massen. Die Hergänge bei Codroipo und der heute bekannte Zustand der dort und weiter südlich zurückflutenden italienischen Truppen lassen aber kaum einen Zweifel, daß zielbewußte Fortsetzung des Stoßes nach Süden nicht nur die Beutezahlen noch wesent¬ lich gesteigert, sondern — was wichtiger war — auch große Teile der bisher
wenig erschütterten italienischen 3. Armee zur Auslösung gebracht hätte. Jedenfalls hätte der Gegner den Übergang bei Latisana nicht wie ge¬ schehen — bis zum 1. November ungestört fortsetzen können.
Betrachtungen zu den Operationen in der Ebene.
275
General von Krasft hat den Plan des Generals von Hosacker ab¬ gelehnt, General von Below hat ihn ernstlich gar nicht erwogen. Beide dachten in erster Linie an die Fortführung der Operation im großen über den Tagliamento. Da die Lufterkundung durch Wetter, Gebirge und sonstige Schwierigkeiten stark behindert war, wurde zu spät erkannt, wie
große italienische Massen noch östlich des Flusses standen1). Der eigene Stromübergang aber mußte, auch im günstigsten Falle, das heißt, wenn man sofort die eine oder andere Brücke unzerstört in die Hand bekam, mehr Zeit in Anspruch nehmen als der des Gegners, der planmäßig über zahl¬
reiche Brücken zugleich zurückmarschierte. Den in der Verfolgung gewon¬ nenen Dorsprung jenseits des Flusses auch nur auftechtzuerhalten, bestand keine Aussicht. Als es dann gar noch Tage dauerte, bis die ersten Teile der Armee das Westuser des Tagliamento erreichten, war klar, daß man eine Gelegenheit versäumt hatte. Der für den 30. Oktober angesetzte
Angriff, nicht mit dem rechten Flügel scharf am Fluß entlang nach Süden, sondern von Nordost gegen Südwest, hatte die Wirkung des vom General von Hofacker vorbereiteten Vorgehens nicht ersetzen können. Die aus ihm sich ergebenden Marschkreuzungen mit Teilen der Isonzo-Armeen und die daraus entstandenen Reibungen mit österreichisch-ungarischen Kommando¬
stellen haben das frontale Nachdrängen wohl in Unordnung gebracht, aber nicht ausgehalten, sind also auf das Ergebnis der Operationen nicht von
entscheidendem Einfluß gewesen. Diese Reibungen wären sicherlich leichter auszugleichen gewesen, wenn die Verbindung zu den österreichisch-ungarischen höheren Kommando¬
stellen gewahrt geblieben, diese also ftühzeitiger nach vorn verlegt worden wären. Daß damit ihre Verbindung nach rückwärts abriß, war kaum zu befürchten. Beim Oberkommando 14 war solcher mißliche Zustand die
Folge der besonders ungünstigen Verhältnisse unmittelbar hinter der Front: Verkehrsengpaß von St. Luzia und zunächst nur eine einzige, stellenweise
ernstlich beschädigte Nachschubstraße durchs Gebirge für mehr als zehn Divisionen. Taktisch befand sich das Armee-Oberkommando in Cividale und Udine rechtzeitig an der richtigen Stelle, operativ brachte der Platz aber bereits ernste Nachteile, denn es fehlte nicht nur die Verbindung nach rückwärts und zu den Nachbar-Armeen, sondern, was wichtiger war, auch zu dem ganzen Nordflügel (Gruppen Krauß und Stein) der eigenen Armee. Und doch wird man den Drang des Armee-Oberkommandos nach vorne
nicht nur als berechtigt, sondern als vorbildlich anerkennen müssen. L) Tatsächlich hatte die Luftaufklärung vor der Heeresgruppe Boroevie am 29. Oktober ein durchaus zutreffendes Bild der Lage vor den beiden gsonzo-Armeen ergeben. Dem A. O.K. 14 ist davon aber nichts bekannt geworden.
276
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Im ganzen hatten General von Below und seine Truppen, deutsche wie österreichisch-ungarische, eine Leistung vollbracht, die zu den glän¬
zendsten der Kriegsgeschichte gehört. Dem entsprach das Ergebnis. Insgesamt waren nach einer Zusammen¬ stellung des Kommandos der Südwestfront bis zum 2. November 260000 Gefangene und 2500 Geschütze (davon allein 200000 Gefangene und 1700 Geschütze bei der 14. Armee) als Beute gemeldet. Dazu rechnete man mit weiterem feindlichen Verlust von rund 40000 Mann, so dah die italienischen Streitkräste an der Isonzo- und der Karnischen Front, die man vor Beginn der Schlacht mit 450000 Mann und 3200 Geschützen
angenommen hatte, aus etwa 150000 Mann und 700 Geschütze zusammen¬
geschmolzen sein mochten1). Dem stand aus deutscher und österreichisch¬ ungarischer Seite ein Verlust von etwa 30000 Mann (davon rund 4400
Deutsche) gegenüber. Es war mit verhältnismäßig geringen Mitteln ein Sieg errungen, dessen Größe von keiner Seite auch nur im entferntesten vorausgesehen worden war.
4. Vom Übergang über den Tagliamento bis zur Einstellung
der Offensive, a) Ziele der weiteren Operationen. In der Nacht zum 29. Oktober, noch ohne Kenntnis davon, daß sich die vordersten Teile der 14. Armee bereits dem Tagliamento näherten, hatte General Ludendorff bei General von Arz nach den weiteren
Operationsabsichten gefragt: „mit Rücksicht aus die Westlage" sei bei Er¬ reichen des Tagliamento mit Zurücknahme von Teilen der deutschen Trup¬ pen zu rechnen. General von Arz verlangte dazu eine Stellungnahme
der Südwestfront unter der Annahme, daß „sukzessive" fünf deutsche Divisionen weggezogen würden. Erzherzog Eugen antwortete, er wolle
die Offensive auch in diesem Falle über den Tagliamento fortsetzen; da die 14. Armee am weitesten voraus sei, könne sie jedoch „erst nach For¬
cierung des Flusses" Truppen abgeben. Inzwischen aber hatte auch Gene¬ ral Ludendorfs eine andere Lösung in Aussicht genommen. Wie er am 29. Oktober nachmittags drahtete, legte er größten Wert darauf, von den
deutschen Truppen in Italien möglichst wenig wegzuziehen und die Offen¬ sive dort nicht anzuhalten. Er schlug daher vor, von der Isonzo-Front
statt der deutschen Divisionen sechs bis acht, noch im zweiten Treffen zurück befindliche österreichisch-ungarische Divisionen abzufahren, um mit i) S. 508.
General Ludendorffs Auffassung über die weiteren Operationen.
277
diesen deutsche Ost-Divisionen für den Westen frei zu machen. Am 31. Ok¬
SI.0kt»b«r.
tober legte er in einer weiteren Mitteilung General von Arz seine Auf¬ fassung über die weiteren Operationen, für die er mit dem Ein¬ treffen französischer Truppen in Oberitalien von Ansang November an rechnete, wie folgt dar:
„Westlich des Tagliamento hat der Weitermarsch zunächst bis an die Livenza nicht mehr den ausgesprochenen Charakter der Verfolgung, son¬ dern den einer geschlossenen Vorwärtsbewegung, aus der jederzeit zur Schlacht übergegangen werden kann, anzunehmen. Die Versorgung an Munition gewinnt an Bedeutung, ebenso wie die Festigung der rück¬
wärtigen Verbindungen, namentlich Vervollständigung des Eisenbahn¬ netzes. Während die 10. Armee den Schwerpunkt ihres linken Flügels nach Belluno legt, mutz auch die 14. Armee Teile ihres rechten Flügels, der besonders stark zu halten ist, aus den Höhen am Nordrande der ita¬ lienischen Tiefebene im Anschluß an die 10. Armee entlang führen. Südlich der 14. Armee mutz eine der Isonzv-Armeen in geschlossenem Vormarsch, wenn auch zunächst gestaffelt, belassen werden. Die weniger beweglichen Teile sind bis westlich des Tagliamento vorzuziehen, um hier Brückenköpfe als Rückhalt auszubauen, so einen südwestlich Pinzano, einen
westlich Casarsä, einen bei Portogruaro. Die 11. Armee ist möglichst zu verstärken. Feldmarschall von Conrad und
die 10. Armee haben daraufhin die Höhen nördlich Bassano und südlich Feltre—Belluno zu gewinnen." Die Reibungen, die sich inzwischen hinsichtlich der Besehlsverhältnisse zwischen der 14. Armee und der Heeresgruppe Boroevic ergeben hatten, veranlaßten General Ludendorff ferner, am 1. November durch General von Cramon auch daraus hinzuweisen, daß die Verbände der 14. Armee weiterhin unter General von Below zusammenbleiben müßten. Er glaube, daß südlich von dieser Armee zunächst nur eine Isonzo-Armee Platz habe, während die andere zurückzuhalten und mit Teilen an die Ostfront oder
nach Tirol zu fahren sei. General von Arz hatte unterdessen am 1. November geantwortet,
daß auch er, in Übereinstimmung mit dem Kommando der Südwestsront, das Erreichen des Piave als vorläufiges Ziel der gemeinsamen Operation betrachte. Den Aufgaben, die der Heeresgruppe Conrad und der 10. Armee zugedacht seien, stimmte er zu. Am 2. November äußerte er sich über die
Abgabe von Truppen dahin: Von den gegenwärtig in Venetien eingesetzten deutschen und öster¬ reichisch-ungarischen Kräften dürfe nichts abgezogen werden, denn es gelte,
die gemeinsame Operation zu einem „möglichst definitiven, gedeihlichen"
1. und 2. November.
278
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Abschluß zu bringen, also den Gegner mindestens bis hinter den Piave zurückzudrängen. Dabei sei mit den von den Westmächten entsandten Verstärkungen zu rechnen. Abgabe von Truppen komme daher erst in Frage, wenn der Bewegungskrieg in den Stellungskrieg übergegangen
sei. Falls aber die Verhältnisse eine Schwächung der italienischen Front zuließen oder die Lage an der Westfront sie erforderlich mache, bitte er, deutsche Divisionen bis auf zwei oder drei herauszuziehen. Eine öster¬
reichisch-ungarische Division sei zur Ablösung einer deutschen Ost-Division bereits bestimmt1). Weiterer Abgabe österreichisch-ungarischer Divisionen an die Ostfront könne er aber nicht zustimmen, solange sich noch deutsche Divisionen an der Südwestfront befänden; er würde das weder seinem
Allerhöchsten Kriegsherrn noch der Armee gegenüber vertreten können. Die Abgaben, um im Osten an ruhiger Front deutsche, für den Westen bestimmte Divisionen abzulösen, würden von dieser als schwere Kränkung, als Zweifel in ihre Tüchtigkeit empfunden werden; es würde dies dem
für alle Zukunft hochzuhaltenden, auf gegenseitiger Wertschätzung be¬ ruhenden Bundesverhältnisse der beiden Armeen bestimmt schwer schaden. „So dankbar wir Deutschland für seine selbstlose Unterstützung, welche uns
erst das Niederkämpfen des italienischen Heeres gestattete, auch sind, so kann ich es vor der Armee, der Geschichte und der Dynastie doch nicht verantworten, wenn ich zustimmen würde, daß wir uns auf dem italie¬
nischen Kriegsschauplatz dauernd durch deutsche Truppen vertreten lassen". Schließlich führte General von Arz als Grund für die Ablehnung auch noch die längere Transportdauer und die weiteren Transportwege des Truppen¬ austausches von Italien über die Ostfront nach dem Westen an. Sie be¬ deuteten eine „derart unökonomische Verwertung der Bahnen und ihrer
Betriebsmittel", daß er es, soweit Österreich-Ungarn in Betracht komme, „gegenüber den so dringenden Bedürfnissen der Bevölkerung nicht ver¬ antworten" könne. Er schloß mit einem Hinweis auf die uneingeschränkte Würdigung der deutschen Truppenhilfe seitens aller Stellen im Staate und mit der Erklärung, bei Teilung der Kriegsbeute deutschen Wünschen weitest entgegenzukommen, „um Deutschland zu seinen großen moralischen und kriegerischen Vorteilen auch größtmögliche materielle Vorteile für sein
so bundesfreundliches Verhalten zu sichern". General Ludendorsf versah dieses Fernschreiben, das durch Ab¬ lehnung aller seiner Vorschläge ernstliche Verstimmung hervorrief, mit dem Vermerk: „Ein Dokument." Daneben hatte in diesen Tagen ein Gedankenaustausch über das Ein¬
treffen der französisch-englischen Verstärkungen in Italien statt*) S. 250.
Meinungsaustausch zwischen O.H.L. und österr.-ungar. Heeresleitung.
270
gefunden. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung hatte am 1. November mitgeteilt, ihres Erachtens könnten acht französische und eine . englische Division nebst 400 Geschützen mit der Bahn über den Mont
Cenis und über Nizza, Material aus dem Seewege, zugeführt werden. Der Anfang könne bereits am 3. November bei Treviso, das Ende bis zum
28. November, vielleicht auch erst 12. Dezember eintreffen; außerdem könne bis 30. November eine Division vom Balkan herangezogen werden.
Die deutsche Oberste Heeresleitung, die gebeten wurde, hierzu Stel¬ lung zu nehmen, meinte, daß die Westmächte, wenn sie „in selbstloser Weise" helfen wollten, mehr als zehn bis zwölf Divisionen senden würden; vier bis fünf könnten bis zum IS. November, zehn bestimmt bis zum Monatsende eingetroffen sein; mit diesen Grundlagen müsse man rechnen.
Im übrigen kam die Abteilung Fremde Heere der Obersten Heeresleitung am 2. November zu dem Ergebnis, daß die Italiener am Tagliamento nur
vorübergehenden Widerstand beabsichtigten, dagegen angeblich den LivenzaAbschnitt halten wollten; die Durchführbarkeit dieser Absichten werde aber von ihnen selbst bezweifelt und daher die Piave-Linie befestigt. Die Franzosen wollten insgesamt zehn, die Engländer acht und eine halbe Division nach Italien schicken, dazu außer der Divisionsartillerie 850 mittlere und schwere Geschütze sowie Tanks. Der Abtransport würde auf den genannten beiden Bahnen erfolgen, habe am 30. Oktober begonnen und solle in 14 Tagen beendet sein; das Gros der Truppen solle in den Raum westlich des GardaSees befördert werden. Dom Balkan seien zweieinhalb italienische Di¬ visionen abberufen. Schließlich hatte sich General von Arz wegen der Besehlsverhältnisse in Benetien am 2. November, noch ohne genaue Kenntnis der Zusammenhänge, an Generalseldmarschall von Hindenburg gewendet und um „geneigte Einflußnahme" gebeten, damit die 14. Armee dem Befehl
des Südwestfront-Kommandos nachkomme, da sonst jede einheitliche Füh¬ rung unterbunden würde. General Ludendorsf hatte die 14. Armee alsbald entsprechend angewiesen*). Die Gesamtheit der vorliegenden Fragen wurde am 3. November in einer Besprechung mit General von Waldstätten in Berlin be¬
handelt. Dabei scheint die Oberste Heeresleitung ihre Verstimmung deut¬ lich zum Ausdruck gebracht zu haben. Sie bestand aus der Ablösung wei¬ terer deutscher Truppen im Osten, überliest es aber der österreichischungarischen Heeresleitung, woher sie die Kräfte dazu nehmen wolle. Das Ergebnis wurde wie folgt festgelegt: ') 6.271.
L November.
280 3. November.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
„1. Die deutsche Oberste Heeresleitung hat durch die Offensiven an der Ostfront und in Italien die deutschen Truppen im Westen überaus an¬ gestrengt. Diese Truppen bedürfen vermehrter Ausbildung und Ablösung. Das kann nur durch Neuzuführung von deutschen Truppen aus dem Osten
erreicht werden. Es ist deshalb geboten, die deutschen Truppen der Heeresfront Erzherzog Josef1), etwa vom 15. November ab, in täglich sechs bis acht Zügen ab¬
zufahren. 2. Die Offensive in Venetien wird zunächst bis zum Piave fortgesetzt. Ein Wegziehen deutscher Truppen aus Venetien und die weitere Ablösung deutscher Truppen der Heeresgruppe Böhm-Ermolli3) wird dann in die Wege zu leiten sein. Dies müßte auch dann eintreten, wenn die Operationen in Italien einen anderen Verlaus nehmen, vorausgesetzt, daß die Entente
nicht stärkere Kräfte dorthin fährt, als bisher angenommen ist (etwa acht bis zehn Divisionen). 5. Die deutsche Oberste Heeresleitung strebt im Frühjahr 1918 einen Waffenerfolg im Westen an. Hierbei werden möglichst starke deutsche Truppen verwendet. Die Teilnahme von k. u. f.3) Divisionen wird will¬
kommen sein, Artillerie schon vorher jederzeit." In Ergänzung dieser Auszeichnung ließ General Ludendorfs am 4.November in Badens darauf hinweisen, daß innerhalb des letzten halben Jahres acht österreichisch-ungarische Divisionen ohne Ersatz von der Ostan die Südwestfront abgegeben und diese Lücken durch Streckung der Front des Oberbefehlshabers Ost und Einschub von zwei bis drei deutschen Divisionen wieder ausgefüllt worden seien. Am gleichen Tage suchte General von Arz durch ein persönliches Handschreiben an Generalseldmarschall von Hindenburg die entstandene Verstimmung zu überbrücken. General von Cramon, der es weiterzuleiten
hatte, schrieb dazu: „Wunderbarer-, aber zugleich auch erfreulicherweise ist sowohl General von Waldstätten wie General von Arz von der gestrigen Aussprache sehr befriedigt; man betrachtet sie als ein reinigendes Gewitter, das Klarheit geschaffen hätte . . Ein herzlich gehaltenes Antwort¬ schreiben des Generalfeldmarschalls an General von Arz beendete den
Zwischenfall. Unterdessen war die 14. Armee angewiesen worden, wenn deutsche Truppen, die in den Raum der Heeresgruppe Boroevic oder der 10. Armee 2) Dort standen noch 6 deutsche Div. 2) Dort standen noch 16 deutsche Div. 3) = österr.-ung.
4) = österr.-ungar. Heeresleitung.
Die Frage der Offensive aus Tirol.
281
kämen, seitens der Südwestsront diesen unterstellt würden, dem ohne
weiteres zu entsprechen. Das Gleiche gelte umgekehrt für österreichisch¬ ungarische Verbände. Das Südwestfront-Kommando sei gebeten, die alte Unterstellung stets so bald als möglich wiederherzustellen. Daß auch die Offensive aus Tirol, die der Obersten Heeres¬ leitung so wichtig erschien, daß sie dafür am 1. November sechs von der
Isonzo-Front zunächst nach dem Westen bestimmte schwere Batterien (Mörser und 15-cm-Kanonen) zur Verfügung stellte, bei der Besprechung am 3. November erörtert worden ist, darf als sicher angenommen werden;
Aufzeichnungen darüber fehlen. Die deutsche Oberste Heeresleitung hatte aber auch in ihrer Eigenschaft als Oberste Kriegsleitung nicht die Macht, ihre Ansicht in dieser Frage durchzudrücken, die schließlich immer als eine innere Angelegenheit der österreichisch-ungarischen Kriegführung angesehen wurde. Nun hatten aber um die Oktober/November-Wende nicht nur
General Ludendorsf und General von Below, sondern auch Feldmarschall von Conrad nochmals auf Durchführung der Offensive aus Tirol ge¬ drängt. Dieser nahm an, daß der italienische Rückzug erst am Piave zum Stehen komme; dann werde der Stoß aus Tirol entscheidende Be¬
deutung haben; für ihn mühten möglichst starke Kräfte verfügbar gemacht werden.
Die österreichisch-ungarische Heeresleitung konnte sich indessen nicht entschließen, mehr als die bereits dorthin entsandten zwei Divisionen*)
dafür abzugeben?). Dagegen hatte sie für geboten gehalten, den Schwer¬ punkt der Offensive über den Tagliamerkto nunmehr auf den Südslügel zu legen. Die Südwestfront hatte dazu bereits am 2. November Weisung erhalten, beim Vorrücken gegen den Piave den Südflügel, „der den kür¬
zeren Weg hat", stark zu halten. „An dem möglichst rasch zu erreichenden Piave angelangt, wird anzustreben sein, durch kräftigen, raschen Stoß in nördlicher und nordwestlicher Richtung dem nördlichen feindlichen Armee¬ flügel größtmöglichen Abbruch zu tun." Die Verhältnisse zwangen aber vorläufig dazu, das Schwergewicht auf dem Nordflügel zu belassen. Da im übrigen der Feind am Tagliamento hielt, beschränkte sich Erzherzog Eugen auf folgende am 3. November ausgegebene Weisung an die Heeres¬ gruppe Boroevic: „Für den Fall, daß der Übergang eigener Kräfte bei *) 6.251, die beiden Divisionen konnten erst am 8. November ganz dort einge¬
troffen sein. 2) Der im öst. amtl. Werk, VI, 6.601 vermutete Grund, man habe die Armeen in Venetien nicht schwächen wollen, da mit Abzug der deutschen Kräfte zu rechnen war, erscheint nicht überzeugend, da man spätestens seit dem 31. Oktober wußte, daß die deutschen Divisionen mindestens bis zum Piave eingesetzt bleiben würden.
282
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Cornino und Pinzano zu einer Fortsetzung des feindlichen Rückzuges führt, vertraut Südwestfront-Kommando der Energie der vorne befindlichen Kommandanten und Truppen der Heeresgruppe, daß es bei weiterer Vor¬
rückung gelingen wird, sich wenigstens auf gleicher Höhe mit der 14. Armee zu halten. Armee-Oberkommando Baden hat für genannten Fall befohlen, den südlichen Flügel der Front, der den kürzesten Weg zum Piave hat, stark zu halten." b) 9er Übergang über den Tagliamento und die Verfolgung.
Maßnahmen der Führung. 3 itotnnt.»
Für die Fortsetzung der Operationen hatte General von Be low bereits in einem Befehl vom 30. Oktober ausgesprochen, daß er die Armee
jenseits des Tagliamento mit dem rechten Flügel, auf dem der Schwer¬ punkt liegen sollte, längs des Gebirges, mit dem linken entlang der Meduna nach Südwesten gegen die Linie Bittorio—Motta weiterführen wolle, von da ab in rein westlicher Richtung, linker Flügel auf S. Polo. Dabei sollte der rechte Flügel so weit ins Gebirge hineingreifen, daß das Vor¬ gehen in der Ebene gegen Flankenfeuer gesichert war. Mit diesen Ab¬ sichten deckte sich folgende am l. November früh bei ihm eingehende Weisung, die General Ludendorss am 31. Oktober, gleichzeitig mit der Mitteilung an General von Atz1), an das Armee-Oberkommando 14 ge¬
richtet hatte: „Wir müssen im weiteren Verlauf der Operationen, je weiter wir über den Tagliamento vorkommen, mit dem Auftreten französisch¬
englischer Verstärkungen rechnen. Der geschlossene Zusammenhalt der 14. Armee für ihr Vorwärtsgehen, wenn auch im Staffelverhältnis zu den Isonzo-Armeen, tritt in Vordergrund". Der Schwerpunkt liege auch
weiterhin auf dem rechten Flügel. Er halte es für erforderlich, daß die 14. Armee mit Teilen dieses Flügels auf den Höhen am Nordrand der
Tiefebene vorgehe. Insonderheit wäre, solange die 10. Armee zurück und Belluno nicht in ihrer Hand sei, aus die Inbesitznahme der Höhenblocks nördlich von Sacile Wert zu legen. Die Mitte der Armee wäre über
Sacile—Conegliano vorzuführen, der auf Motta angesetzte linke Flügel wieder heranzuziehen, sobald er auf ernsthaften Widerstand stoße und die
2. Isonzo-Armee hinreichend heran sei.
Am 2.November unterstellte das Kommando der Südwestfront die Edelweiß- und die oft. 22. Schützen-Division dem Vorschlage des Gei) S. 276f.
Weisung des Kommandos der Südwestfront.
283
nerals von Below entsprechend H der 10. Armee, die nach Vertreibung des Gegners südwestlich von Tolmezzo mit den Hauptkräften nach Westen aus Pieve di Cadore vorgehen sollte. Mt.Pramaggiore und MtCitta wurden als Nordgrenze der 14. Armee bestimmt. Ihren rechten Flügel wollte General von Below dementsprechend auf Longarone ansetzen, Edelweiß- und öst. 22. Schützen-Division sollten bei Tolmezzo Anschluß an die 10. Armee ge¬ winnen. Am 3. November traf Erzherzog Eugen in Udine ein. Fm Hin¬ blick auf die zu dieser Zeit bekannt gewordene Erzwingung des Taglia-
s. November.
mento-Übergangs beiCornino undPinzano schlug ihm General vonBelow die Etsch als zu erreichendes Ziel vor und regte von neuem eine starke Offensive aus Tirol an. Der Erzherzog begrüßte diese Vorschläge, wollte sich aber vorerst mit dem Piave als Ziel begnügen. General von Below
bezeichnete ihm daraufhin als seine Absicht, möglichst bald über Belluno das westliche Piave-Ufer zu gewinnen und, aus diesem abwärts stoßend, die Piave-Front und zugleich auch die Ostflanke der Tiroler Front des Gegners zum Einsturz zu bringen. Die Vorschläge wirkten sich — so scheint es — in einer Weisung
des Kommandos der Südwestsront vom 4.November aus, die — ohne Kenntnis der am Tage vorher von der Obersten Heeresleitung mit General von Waldstätten verabredeten Ziele — nunmehr die Brenta
als Mindestziel vorschrieb. Hierzu sollten die den Tagliamento über¬ schreitenden Kräfte „unausgesetzt dem Feinde am Leibe bleiben und ihm ein Festsetzen am Piave unmöglich machen". Die Heeresgruppe Boroevic hatte, „sei es auch vorerst nur mit einigen Divisionen, raschestens vor¬ zudringen", um den vor der 14. Armee weichenden Feind nach Westen
abzudrängen. Diese sollte gegen die Brenta unaufhaltsam vorstoßen, um auch der an der Tiroler Front stehenden italienischen 4. Armee alle über Belluno, Feltre und Cismon führenden Rückzugswege zu verlegen; dabei wurde aber ihre Nordgrenze südwärts in die Linie Longarone—Belluno (beide Orte ausschließlich) verlegt. Die 10. Armee sollte über Pieve di Cadore nach Belluno, Feltre und Primolano vorgehen, um dann zusammen mit der Heeresgruppe Conrad den Südrand der Hochfläche der Sieben Gemeinden in Besitz zu nehmen. Feldmarschall Conrad werde dazu am 10. November beiderseits von Asiago mit fünf Divisionen aus Valstagna
im Brenta-Tal zum Angriff schreiten, sein linker Flügel (XX. Korps) gegebenenfalls über Fiera di Primiero nach Süden. Auf Grund dieses Heeresfront-Befehls unterrichtete General von Be¬ low am 5. November die Gruppe Krauß dahin, daß es „nun darauf an-
kmnme, mit starkem rechten Flügel auch durch das Gebirge vorzudringen". ”
T)6.271.
4. November.
284
6. November.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Nach ergänzenden Besprechungen mit General von Arz, der an diesem Tage als Begleiter Kaiser Karls nach Üdine kam, sowie mit dem Kommando der Südwestsront gab er am 6. November, als seine vordersten Truppen sich im Gebirge bereits Tramonti, in der Ebene der Livenza näherten, folgenden Armeebefehl: „Es ist damit zu rechnen, daß der Feind seinen Rückzug noch östlich des Piave-Tales bis1) Belluno und beiderseits Vittorio zu decken versuchen wird. Die 14. Armee greift daher über die Linie Belluno— Dittorio—Conegliano—Tezze an und wirft denFeind hinter denPiavezurück.
Diesen Frontalangriff hat die Gruppe Krauß dadurch zu unterstützen, daß sie mit starken Kräften noch vor der 10. Armee die Linie Longarone—Piave-
Knie nordöstlich Belluno durchstößt und auf dem Westufer in Richtung
Feltre einschwenkt." Hierzu dürfe „nach ausdrücklicher Genehmigung der Südwestsront" die von dieser festgesetzte Nordgrenze der Armee über¬ schritten werden. Der Gruppe Krauß wurden die Orte Vittorio, Pederobba und Bassano als Südgrenze ihres Vorgehens zugewiesen, während die Südgrenze der Armee über Tezze auf Camisano (östlich von Vicenza)
verlausen sollte. Unterdessen war die Abgabe der öst. 22. Schützen-Division unter¬ blieben, da aus einem mitgehörten Funkspruch der Angriff einer italie¬ nischen Division von Tolmezzo nach Süden gegen den rechten Flügel der 14. Armee erwartet wurde. Die Armee war neu gegliedert worden?).
S. November.
Durchführung des Flußüberganges und Vormarsch. Zunächst galt es noch den Tagliamento zu überwinden. Die erste Meldung vom gelungenen Übergang der ö.-u. 55. InfanterieDivision bei Cornino hatte General von Below am frühen Morgen des
3. November erhalten; eine Gebirgsbrigade stehe bereits westlich des Flusses. Damit schien wenigstens eine Übergangsstelle gewonnen. Bald daraus kam auch Nachricht, daß es der 12. Infanterie-Division gelungen sei, bei Pinzano Teile über den Fluh zu bringen. Da das Wetter sich langsam besserte, begannen die Wassermassen abzufließen. Man durste hoffen, den Übergang bald auch an anderen Stellen bewerkstelligen zu können. Zunächst aber fehlte es noch an Drückengerät, das durch das
Gebirge immer noch nicht heran war. Im Laufe des Tages gelang es bei
Cornino, später auch bei Pinzano, Übergänge für Fußtruppen zu schassen. Da der Gegner sich an beiden Stellen bald völlig zurückhielt, waren wei¬
teres Übergehen und Brückenschlag gesichert. Bis zur Mitternacht zum !) So im Urtext. 2) S. 287.
Überschreiten des Tagliamento durch 14. Armee.
4. November stand die Infanterie von etwa anderthalb Divisionen aber
i. November.
mit nur einer einzigen dem Gegner abgenommenen Gebirgsbatterie auf
dem Westufer des Flusses. Aus erbeuteten Befehlen ergab sich, daß ein besonders gebildetes italienisches Korps zur Verteidigung der TagliamentoFront gegenübergestanden hatte, und abends aus einem aufgefangenen Funkspruch, daß die im Flußbogen zwischen Villa Santina und Cornino
stehenden Truppen bereits gegen Mittag Befehl zum Zurückgehen nach Westen erhalten hatten. Das Überschreiten des Flusses bei Cornino und
Pinzano schien sich auszuwirken. Auch die Heeresgruppe Boroevic glaubte, bei Latisana nur noch schwachen Feind auf dem jenseitigen Ufer vor sich zu haben. Einstweilen war es aber noch nicht gelungen, dort an weiteren
Stellen Fuß zu fassen. Der Vormarsch nach Westen konnte erst in Gang kommen, wenn Fahrbrücken über den Tagliamento fertig waren. Inzwischen hatte der Gegner am 4. November begonnen, auch vor
dem äußersten linken Flügel der Heeresgruppe Conrad zurückzugehen; das ö.-u. XX. Korps folgte ihm. Die ö.-u. 10. Armee hatte mit Teilen
den Angriff auf die Höhen südlich von Ampezzo begonnen und östlich davon bei Preone das südliche Tagliamento-Üser erreicht. Diese Teile sollten den Vormarsch nach Westen zum oberen Piave-Tal fortsetzen, während die Gruppe Hordt sich nach Süden gegen das Becken von Tramonti wandte, um den vor der 14. Armee weichenden Italienern den Rückweg zu ver¬
legen. Bei der 14. Armee war bei Cornino durch Einbrechen der Behelfs¬
brücke eine Verzögerung im Übergang eingetreten; bei Pinzano wurde bis 3° nachmittags trotz zahlreicher italienischer Fliegerangriffe eine Fahr¬ brücke fertig. Bis zum Abend des Tages hatten die ö.-u. 55. InfanterieDivision und vier Bataillone der Deutschen Jäger-Division bei Cornino, die 12. und schwache Teile der ö.-u. 50. Infanterie-Division bei Pinzano
das Westufer erreicht, Sicherungen in das Gebirge vorgeschoben und, ohne stärkeren Widerstand zu finden, südlich davon bis Cavasso und Spilimbergo Raum nach Südwesten gewonnen. Bei Dignanv aber verhinderte der Gegner an diesem Tage noch alle Übergangsversuche. Dagegen gelang es der ö.-u. 24. Infanterie-Division der 2. Isonzo-Armee am Abend des
Tages bei Codroipo den hier nur noch 1,3 Meter tiefen Fluß zu durchfurten und gegen geringen feindlichen Widerstand das Westuser zu er¬
reichen. Während der linke Flügel der 10. Armee am 5. November nach Westen und Süden weiter vorwärts drängte, stieß der rechte der 14. Armee (Teile der von Cornino anrückenden Deutschen Jäger-Division) im Gebirge bei
Pielungo auf zwei italienische Divisionen, die von San Francesco nach Süden marschierten. Der beiderseits verlustreiche Kamps währte bis zur
». November.
286
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Nacht. Weiter südlich vollzogen sich die Bewegungen ohne nennenswerte Kämpfe. Das Hochwasser der Gebirgsslüsse war schon weitgehend ab¬ geflossen. Am Südrand des Gebirges überschritten die ö.-u. 55. und der
Ansang der ö.-u. 50. Infanterie-Division die Meduna, hinter ihnen kam die öst. 22. Schützen-Division heran. Die Anfänge der 12. InfanterieDivision erreichten bei S. Leonardo und südlich bereits das Westufer der Cellma. Die 117. Infanterie-Division begann den Tagliamento bei Dignano/Bonzicco zu überschreiten, wo die Wiederherstellung der Brücke im Gange war. Alle übrigen Teile der 14. Armee befanden sich noch
östlich des Flusses. Bei der Heeresgruppe Boroevic konnte der Tagliamento an mehreren Stellen auf Stegen und Kähnen überwunden werden. Die Brücken von Codroipo und Latisana wurden wiederhergestellt.
Die vordersten Teile der 2. Isonzv-Armee kamen bis Azzano Decimo, die der 1. Isonzo-Armee bis Portogruaro und südlich. 6.9v>e«mb«.
Am 6. November erreichte die Gruppe Hordt der 10-Arm e e Tramonti,
eine über San Francesco vorgehende Seitenkolonne kam den bei Pielungo gegen die Deutsche Jäger-Division der 14. Armee im Kampfe stehenden Ita¬ lienern in den Rücken; 4000 Mann und weitere 3000 am folgenden Tage
streckten hier die Waffen. Andere Teile, die versucht hatten, westwärts zu entkommen, sielen bei Tramonti der Gruppe Hordt und über Meduno anrückenden Teilen der öst. 22. Schützen-Division in die Hand. Die Gesangenenzahl stieg damit auf 10000. Hinter der Front war der Angriff gegen die vom Gegner immer noch gehaltenen Befestigungen auf dem Mt. Festa, die den Ausgang des Fella-Tales sperrten, durch die Feuer¬ eröffnung einiger schwerer Batterien der 200. Infanterie-Division ein¬ geleitet. Der Gegner wartete die Durchführung aber nicht ab, sondern sprengte am Abend des 6. November das Werk. Unterdessen beendete bei
Cornino die öst. 22. Schützen-Division als letzte der Gruppe Krauß den Tagliamento-Übergang. Die ö.-u. 50. und 55. Infanterie-Division über¬ schritten am Fuß des Gebirges die Cellina. Ihnen weit voraus kam die 12. Infanterie-Division der Gruppe Stein bei Sacile an die Livenza.
Links von ihr näherte sich die 117. Infanterie-Division der Gruppe Hofacker ebenfalls dem Fluß, während ihn Teile der beiden Isonzo-Armeen bei Meduna und an der Eisenbahn von Portogruaro bereits erreichten. Das Westufer war vom Gegner besetzt, der hier bereit schien, Widerstand
zu leisten. Nachdem inzwischen auch die Brücke bei Dignano/Bonzicco fertig geworden war,, befanden sich von der 14. Armee am Abend des
Tages noch das Alpenkorps, Teile der 117. und die 26. Infanterie-Division sowie die Armeereserven (5. und 200., ö.-u. 1., 4. und 33. Infanterie-
Division) östlich des Tagliamento.
Vormarsch nach Überschreiten des Lagliamento. Kämpfe im Gebirge.
287
Am 7. November*) erreichte der rechte Flügel der 10. Armee (ö.-u.
94. Infanterie-Division) nach Kamps am Mauria-Paß (1299 m) das oberste Piave-Tal bei Lorenzago. Die Grenzbefestigungen in diesem Raume waren vom Gegner gesprengt. Auf dem rechten Flügel derl 4. Arm e e war die Gruppe
Krauß (durch deutsche Gebirgstruppen verstärkte oft. 22. Schützen-Division), deren rasches Vordringen auf Longarone und Belluno besonders wirkungs¬ voll werden konnte, am Gebirgspaß östlich von Claut (Forcella Clautana
1439 m) aus stärkeren Widerstand gestoßen. Die Deutsche Jäger-Division, durch den Kamps bei Pielungo aufgehalten, wurde am Südfuß des Ge¬ birges nachgeführt. Vor ihr waren die ö.-u. 55. und 50. Infanterie-Division im Weitermarsch nach Südwesten. Diesen voraus aber überschritt die
12. Infanterie-Division der Gruppe Stein nach kurzem Kampf bereits die Livenza bei Sacile. Auch weiter unterhalb leistete der Gegner an
diesem Flußlaus keinen nachhaltigen Widerstand, so daß die beiden IsonzoArmeen an einigen Stellen ebenfalls das Westufer erreichten. Nach den bis zum Abend des 7. November vorliegenden Nachrichten begann der Gegner im Grappa-Gebiet und am Piave zahlreiche Truppen, wenn auch stark durcheinandergemischt, auszubauen; nach Aussage von ') Gliederung der Front gegen Italien am 7. Nov.:
Hgr. Conrad (14Div.): Mitte: ö.-u. ll.Armee, Gen. Ob. Graf Scheuchenstuel mit 11 Div. Linker Flügel: XX. Korps mit N/, Div.
Südwestfront: ö.-u. lO.Armee (3 Div.): ö.-u. 94. g. D. ©t. des Gen. d. Inf. von Hordt mit ö.-u. 59. und 29. Geb. Brig. und Edelw. D.
14.Armee (14Div.): bis 7. Nov.
Er. Krauß: D. Jag. D., öst. 22. Sch. ©., ö.-u. 50. und 55. g. D. Gr. Stein: 12. g. D., öst. 13. Sch. D. und Alp. K. Gr. Hofacker: 117. und 26. I. D. Armeeres.: 200. und 5. I. D. Sr. Scott! mit ö.-u. 1., 4., 33. g. D.
ab 8. Nov.
Gr. Krauß: D. Jag. D., öst. 22. Sch. D. und ö.-u. 55. I. D. Gr. Scott!: ö.-u. 50. I. D. und Alp. K.
(später auch ö.-u. 1. g. D.) Gr. Stein: 12. I. D. und öst. 13. Sch. D.
(später auch 200. g. D.) Gr. Hofacker: 117. und 26. I. D. Armeeres, (nach Abgabe der 200. und ö.-u. 1.3- D.): 5. g. D., ö.-u. 4. und 33. I.D.
Hgr. Boroevic (18Div.): ö.-u. 2. Isonzo-Armee (6 Div.): am rechten Flügel ö.-u. H. Korps (28. und _ S7.I.D.)
ö.-u. 1. Isonzo-Armee: 8'/, Div.
Reserven der Südivestfront: 3V»Div.
s. November.
28&
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Landeseinwohnern waren bei Conegliano und Treviso englische und fran¬
zösische Truppen gesehen worden. Gegen sie hatte das Kommando der Südwestfront, einem Hinweis der Obersten Heeresleitung*) ent¬ sprechend, „rücksichtsloses Draufgehen" als nach den Erfahrungen des Westkrieges wirkungsvollste Taktik empfohlen. 8. bis 10. November.
Am 8. November konnten durch das Boite-Tal anrückende Teile des ö.-u. XX. Korps und, Piave abwärts vordringend, die ö.-u. 94. InfanterieDivision der 10. Armee nach Kampf bei Pieve diCadore 6000 Gefangene einbringen und 21 Geschütze nehmen. Die zahlreichen dortigen italie¬ nischen Befestigungen waren gesprengt. Die jetzt aus drei Divisionen
bestehendes Gruppe Krauß hatte General von Below durch einen Befehl vom 7. November zum Vorgehen durch das Gebirge nördlich der Linie
Mt. Costa—Mt. Artent—Mt. Grappa angesetzt. Der Befehl erreichte sie aber nicht mehr rechtzeitig. Ihr rechter Flügel (öst. 22. Schützen-Divison) kam gegen feindlichen Widerstand in schwierigem Gebirgsgelände, dessen Gipfel bis 2000 Meter anstiegen, nur langsam vorwärts. Die ö.-u. 50. In¬ fanterie-Division marschierte am Fuß des Gebirges weiter und erreichte
Bittorio, die Deutsche Jäger-Division war hinter ihr noch zurück. Am 9. November kam die zur Hälfte aus deutschen Truppen bestehende Vor¬
hut der 22. Schützen-Division nach Kamps im Gebirge und anschließen¬ dem flotten Abstieg bereits gegen Mittag in das Piave-Tal bei Longarone; überschritt den hoch angeschwollenen Fluß auf einem teilweise über¬ fluteten Wehr und verlegte den von Norden talabwärts zurückströmenden Kolonnen der italienischen 4. Armee den Weg. Nachdem abends weitere Teile der Division herangekommen und auch von Norden nachdrängende Teile der ö.-u. 94. Infanterie-Division der 10. Armee in den Kamps ein¬
gegriffen hatten, ergaben sich in den frühen Morgenstunden des 10. No¬ vember 10000 Italiener mit 17 Geschützen. Talabwärts erreichte die öst. 22. Schützen-Division am Abend dieses Tages Belluno. Die ö.-u. 55. Infanterie-Division, die sich am 9. November, auf dem Weg in den ihr zu¬ gewiesenen Vormarschraum, von Bittorio nach Norden gewandt hatte und bei Fadalto durch Widerstand aufgehalten worden war, gelangte von Osten her ebenfalls bis in die Gegend von Belluno. Weiter nördlich aber stauten sich im Piave-Tal Teile des ö.-u. XX. Korps der Heeresgruppe Conrad 1) Am 4. Nov. hatte Gen. Ludendorff an Gen. von Arz mitteilen lassen, daß Fran¬
zosen wie Engländer „einem gut vorbereiteten, energisch durchgeführten Angriff im Be
wegungskrieg" nicht standhalten. „Dementsprechend halte ich nach den Erfahrungen Westkriegsschauplahes für die beste Taktik, unseren verbündeten Armeen ein rücksichtsloses Draufgehen zu empfehlen." 2) S. 287 Anm. 1.
Vorschlag des Generals Ludendorff für die weiteren Operationen.
289
und die Truppen der ö.-u. 10. Armee. Die Deutsche Jäger-Division er¬
reichte Dittorio. Unterdessen hatten in der Ebene die Gruppen Scotti, Stein und Hofacker, sowie die 2. und 1. Isonzo-Armee unter Kämpfen gegen feindliche Nachhuten aus der ganzen Front vom Gebirge bis zum Meer den Piave erreicht. Der Feind hielt das Westuser, wo er nach Einwohner¬ aussagen Stellungen ausgebaut hatte. Alle Versuche, eine der Brücken über den breiten, Hochwasser führenden Strom unzerstört in die Hand zu bekommen, scheiterten am Widerstand des Gegners; seine Artillerie zeigte sich wesentlich tätiger als bisher. General von Below verlegte sein Hauptquartier am 10.November
nach Dittorio. Von seinen rückwärtigen Truppen überschritt die ö.-u. 1. Infanterie-Division an diesem Tage erst den Tagliamento, die ö.-u. 4.
und 33. Infanterie-Division strebten den Brücken zu, die 5. InfanterieDivision befand sich noch im Ordnungs- und Sicherheitsdienst in Üdine.
c) Sie Kämpfe zwischen Brenta und Piave. Beginn des
Stellungskrieges. Maßnahmen der Führung, Angriff bei der Heeresgruppe Conrad.
Am 6. November hatte General Ludendorff der österreichisch¬
ungarischen Heeresleitung für die weiteren Operationen folgenden Vor¬
schlag gemacht: Ob sich die Italiener „hinter dem Piave, der Brenta oder der Etsch wieder zum Kampf stellen werden, ist noch nicht zu übersehen. Der weitere Vormarsch der verbündeten Armeen bis zur erwünschten kürzesten Front in der allgemeinen Linie Rovereto—Venedig ist in erster Linie abhängig von den Eisenbahnen und der Bewegungsfähigkeit unserer Truppen, er muß nunmehr aber in Betracht gezogen werden". Dazu hätten vorzugehen: Heeresgruppe Conrad und die ö.-u. 10. Armee westlich der Brenta, linker
Flügel bis südlich von Bassano; 14. Armee nach Überschreiten des Piave im Raume von Feltre bis östlich des Montello, linker Flügel über Campo S. Piero; Heeresgruppe Boroevic mit starkem rechten Flügel gegen die Linie Campo S. Piero—Venedig. „Hält der Gegner am Piave stand, so wird ein etwa gleichzeitiges Überschreiten der Linie Asiago—Montello—
Piave durch die verbündeten Armeen und ein Vorgehen in ihren Marsch¬ streifen sie in die Lage versehen, die Italiener vernichtend zu schlagen und auf das Adriatische Meer zu werfen. Sollte der Gegner den Piave über9B«ltftleg. XIII. »b.
in
Dis .November.
290
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
11.stowmb«. Haupt nicht oder nur mit schwächeren Kräften halten, so kann der Vor¬ marsch in die Ebene gegen die Linie Bassano—Venedig in ununter¬
brochenem Fluß gehalten werden." General von Arz hatte gegen diese Pläne keine Einwendung. Über die nächste Frage, wie der Piave zu überwinden sei, berichtete ihm das Kommando der Südwestfront: 14. Armee und Heeresgruppe Voroevic würden versuchen, den Übergang „in kurzem Verfahren" zu öffnen. Bleibe der Erfolg, auf den „nicht mit Sicherheit, kaum mit Wahrschein¬ lichkeit" zu rechnen sei, aus, so käme eine Operation „aus zwei Fronten" in Frage, nämlich einerseits „systematische Fluhforcierung", die am leich¬ testen über den „geschlossenen Fluhlauf" vor der 1. Isonzo-Armee sein würde, andererseits Angriff aus der Linie Arsiero—Feltre nach Süden. Dazu sollten Teile der Heeresgruppe Conrad westlich der Brenta vor¬ gehen, östlich dieses Flusses die bisher dort schon in vorderer Linie stehenden Truppen der 14. Armee; hinter diesen sei die 10. Armee am besten zunächst anzuhalten. Die österreichisch-ungarische Heeresleitung stimmte im wesent¬ lichen zu: Der Zustand des italienischeil Heeres erfordere allseits energisches Anfassen, und zwar so früh als möglich. Die Heeresgruppe Conrad werde am 12. November (bisher war der 10. in Aussicht genommen ge¬
wesen) angreifen; „möglichst gleichzeitiger kräftiger Druck im Raume zwischen Brenta und Piave erscheint erwünscht". Mit dem Zurückhalten der 10. Armee war sie nicht ganz einverstanden. Das Ergebnis des Ge¬ dankenaustausches war ein Befehl des Erzherzogs Eugen vom 11.No¬
vember, der das Ziel setzte, „wenigstens den Brenta-Abschnitt zu gewinnen",
sofern nicht doch ein überraschender Piave-Übergang gelänge; in diesem Falle sollte das Ziel also noch weiter gesteckt werden. Die Heeresgruppe Boroevic und die 14. Armee sollten den planmäßigen Angriff über den Fluß von der Mündung bis in die Gegend südlich von Feltre führen. Die Gruppe Krauß, die der 14. Armee unterstellt blieb und durch die vorüber¬ gehend an die 10. Armee abgegebene Edelweiß-Division wieder verstärkt
werden sollte, hatte zwischen Brenta und Piave anzugreifen. Hinter ihr wurden die übrigen Teile der 10. Armee und das XX. Korps der Heeres¬
12.November.
gruppe Conrad bei Longarone und oberhalb zunächst angehalten. Wesentlich weitere Ziele hatte inzwischen die Oberste Kriegsleitung ins Auge gefaßt. Sie war — wie sie am 12.November nach
Baden mitteilte — „der Auffassung, daß bei dem jetzigen Durcheinander
in Rußlands und der durch unsere Erfolge überaus gespannten Gesamtläge der Entente neue Schläge in Italien sehr erwünscht sind und daß jeder weitere dortige Erfolg die Entente zu immer stärkeren Entsendungen von !) S. 331 u. 342.
291
Erweiterte Ziele der Obersten Kriegsleitung.
Hilfstruppen und damit zur Schwächung ihrer Westfront zwingt oder aber Italien zum Einleiten eines Waffenstillstandes veranlaßt". In dieser Be¬ ziehung gewinne die Wetterführung der Operationen „jetzt auch vom Standpunkt der Obersten Kriegsleitung" ganz besonders an Bedeutung. Es sei nun sehr wahrscheinlich, daß der Gegner, dem scharfen Druck der 10. und 14. Armee nachgebend, hinter den befestigten Bacchiglione oder die Etsch zurückgehen werde, und bei der günstigen operativen Lage scheine es durchaus geboten, zunächst diese als Ziel anzustreben. Damit ergebe sich im weiteren Verlauf die Möglichkeit einer Bedrohung der italienischen
Nordslanke östlich des Garda-Sees auf Verona oder besser noch westlich des Sees auf Brescia. Dazu bot die Oberste Kriegsleitung eine gebirgserfahrene deutsche Division (195. Infanterie-Division) an, die unter dem Generalkommando des Karpaten-Korps zusammen mit der Deutschen
Jäger-Division oder dem Alpenkorps, vielleicht auch weiteren österreichisch¬ ungarischen Gebirgstruppen, am rechten Flügel der Heeresgruppe Conrad anzusetzen wäre. Mitbestimmend bei diesem Angebot war allerdings, daß die Oberste Kriegsleitung, angesichts der in Oberitalien erwarteten starken englisch-französischen Streitkräste, es als „zwingende Notwendigkeit" an¬
sah, „die rückwärtigen Linien über Tirol durch deutsche Truppen fest in der Hand zu haben“1). Dagegen kam die Entsendung noch weiterer deut¬ scher Truppen für eine Offensive der Heeresgruppe Conrad schon deswegen nicht in Frage, weil weitere für den Gebirgskrieg geeignete Verbände nicht vorhanden waren.
Inzwischen waren Versuche der Heeresgruppe Conrad, den Geg¬ ner, der bei Asiago am 9. November einige vorgeschobene Stellungen
geräumt hatte, noch weiter zurückzudrängen, in den beiden folgenden Tagen gescheitert. Der planmäßig für den 12. November angesetzte Angriff von fünf Divisionen mit insgesamt 361 Geschützen mußte unter ver¬ änderten Verhältnissen stattfinden und brachte an diesem wie am folgenden
Tage keinerlei nennenswertes Ergebnis. Diese Hergänge mögen dazu beigetragen haben, daß General von Arz die Verwendung der Truppen etwas anders wünschte als die Oberste Kriegsleitung. Er antwortete am 14. November in der Form entgegenkommend, dem Sinne nach aus- u. sneoemb«
weichend. Den Einsatz eines weiteren deutschen Generalkommandos schien er nicht zu wünschen, das Angebot einer deutschen Division nahm er sofort
an. Deutscherseits wurde daraufhin veranlaßt, daß die 195. InfanterieDivision, am Abend des 15. November beginnend, mit täglich sechs Fügen nach Trient abrollte. Für die weiteren Operationen wollte General von
Arz zunächst alle verfügbaren Kräfte zwischen Brenta und Piave ein*) Ferngespräch des Maj. Wetzcll mit Maj. von Williscn am 16. Nov. (S. 297). 19*
292
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
setzen. Das Kommando der Südwestfront erhielt Weisung, die vperationsfähigen Teile der 10. Armee schon jetzt dorthin vorzuführen und außerdem drei Divisionen aus der venetianischen Ebene in das Becken von Belluno—
Feltre zu verschieben. Sie sollten den dort angesetzten Kräften folgen oder, falls der Feind hinter den Bacchiglione oder die Etsch zurückgehe, am rechten Flügel der Heeresgruppe Conrad östlich des Garda-Sees nach Süden vorstoßen. Das Kommando der Südwestfront, das am 14. No¬ vember nach Ädine übergesiedelt war, bestimmte die 94. Infanterie-Division zur Verstärkung der Gruppe Krauß; im übrigen waren die ö.-u. 4. und 33. Infanterie-Division der 14. Armee sowie die 35. Infanterie-Division der Heeresgruppe Boroevic nach Belluno und Feltre in Marsch zu sehen.
12. und 13. November.
Die Kämpfe im Gebiet des Mt.Grappa und am Piave. General von Be low hatte der Gruppe Krauß am 12. November die Aufgabe gestellt, mit vier Divisionen im Angriff von Norden aus der Linie
Fonzaso—Feltre das Grappa-Massiv zu nehmen; schwere Artillerie sollte noch zugewiesen werden. General von Stein wurde mit der Leitung des
gewaltsamen Piave-Äberganges bei Vidor und Wegnahme des Montello beauftragt, die Gruppe Scotti ihm dazu unterstellt. Die Gruppe Hof¬ acker hatte gleichzeitig den Übergang an der Furt von Nervesa zu er¬ zwingen. Während die Wegnahme des Grappa-Massivs mit möglichster Beschleunigung durchgeführt werden sollte, wollte General von Below
für die Erzwingung des Piave-Äberganges den Zeitpunkt noch bestimmen. Bei der Heeresgruppe Boroevic sollte der linke Flügel der 2. Isonzo-Armee den Fluß bei S. Bartolomeo in der Richtung aus Treviso, die 1. Isonzo-Armee ihn bei Jenson und unterhalb überschreiten.
Eine ernste Schwierigkeit für die Durchführung der gestellten Auf¬ gaben bedeutete es, daß der Nachschub mit dem raschen Vordringen nach Westen nicht Schritt halten konnte. Dom Bahn-Endpunkt der 14. Armee, immer noch St. Luzia im Isonzo-Tale, zur Front waren bereits Wege von 150 und mehr Kilometern zurückzulegen. Besserung konnte erst erhofft werden, wenn die Bahn durch das Fella-Tal wieder in Betrieb war, deren Zerstörungen sich als verhältnismäßig gering herausgestellt
hatten. Schlimmer noch als bei den deutschen Divisionen lagen diese Verhältnisse bei den österreichisch-ungarischen Verbänden, vor allem bei denen der beiden Fsonzo-Armeen, denen es an den nötigen Gespannen
selbst für den Munitionsnachschub fehlte, da diese an die österreichischungarischen Truppen der 14. Armee abgegeben worden waren, während für Lastkraftwagen die bisher großenteils nur leicht gebauten Tagliamento-
Brücken nicht ausreichten. Es kam hinzu, daß westlich des Tagliamento
Vorbereitung des Angriffs auf das Grappa-Massiv.
293
die Wiederherstellung der zahlreichen zerstörten Brücken nur langsam fort¬ schritt, daß sich die Straßen, aus denen soeben das italienische Heer zurück¬ marschiert war, in überaus schlechtem Zustand befanden und jetzt unter dem Verkehr eisenbereister Lastkraftwagen in bedenklicher Weise litten. Der General der Artillerie der 14. Armee, Generalmajor von Berendt, meldete am 13. November, daß die Munitionsausstattung bei der Gruppe Krauß zunächst nur ein „Vorwärtsdrücken", nicht aber einen großen
Angriff gestatte; bei ihren österreichisch-ungarischen Divisionen waren einstweilen nur 20 bis 50 Schuß für jedes Geschütz, etwa 50 für jedes Gewehr vorhanden. Bei den Truppen in der Ebene war die Munitionsläge etwas besser, aber auch hier war wie überall Brücken- und Nachrichten¬
gerät weit zurück. And doch hatten beide Isonzo-Armeen, um die Truppen vorderer Linie nur einigermaßen mit Gespannen ausstatten zu können, bereits ein volles Drittel ihrer Kräfte östlich des Tagliamento zurückgelassen.
Das Grappa-Massiv, das der Gruppe Krauß als Angriffsziel ge¬ wiesen war, erhebt sich, in der Ost-West- wie in der Nord-Süd-Richtung etwa 17 Kilometer messend, zwischen den schluchtartig, tief und eng ein¬ geschnittenen Felsentälern von Brenta, Cismon und Piave. Es erreicht im Mt. Grappa 1779 Meter Höhe und fällt von da steil nach Süden zu der nur etwa 100 Meter über dem Meere liegenden Ebene ab. Die nörd¬
lichen Gipfel sind einige hundert Meter niedriger als der Mt. Grappa. Das Ganze ist ein teilweise wild zerklüfteter Gebirgsstock mit schwachem Waldbestand an den Hängen. Nur eine einzige brauchbare, von den Ita¬ lienern erst im Kriege erbaute Straße führte aus der Ebene von Bassano
auf den Mt. Grappa. Zunächst galt es, die zum Angriff bestimmten Truppen im Raume nördlich des Grappa-Massivs bereitzustellen. Der Anmarsch dorthin war nur über Belluno und weiter nur auf einer einzigen durchlaufenden Straße
auf dem westlichen Piave-Afer möglich, erforderte also erhebliche Zeit. General Krauß rechnete nicht mit ernstlichem Widerstand der Italiener im Grappa-Gebiet, mußte sich aber am 15. November bei seinem Ein¬
treffen in Feltre doch davon überzeugen, daß er keinen weichenden Feind mehr vor sich habe. An den bereits 1916 angelegten Stellungen wurde
nach Einwohner-Aussagen seit mehreren Tagen eifrig gearbeitet. Drei italienische Divisionen sollten am 12. November aus der Ebene nach dem
Mt. Grappa aufgestiegen sein. Truppenmeldungen bestätigten die Be¬ setzung der aus der Linie Fonzaso—Feltre 1000 und mehr Meter nach Süden ansteigenden mächtigen Höhenzüge und Gipfel. Nun war General
Krauß auf Grund seiner Kriegsersahrungen der Auffassung, daß im
294
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Gebirgskriege der Talstoß grundsätzlich den Vorzug gegenüber dem Angriff
1Z. November.
über die Höhen verdiene. Er wollte daher keine starken Kräfte in das
Innere des Grappa-Massivs führen; denn sie würden bei den schwierigen Wegverhältnissen artilleristisch nicht ausreichend zu unterstützen, mit Mu¬ nition und Verpflegung schwer zu versorgen sein und könnten schon durch schwachen Gegner aufgehalten werden. Hauptsache sei, die Verbindungen durch das Cismon/Brenta- und durch das Piave-Tal in die Ebene zu öffnen; das aber sei nur durch Überraschung in den Tälern möglich. Dieser Auffassung entsprechend setzte er für den 14. November den Angriff in zwei Gruppen an: Edelweiß- und öst. 22. Schützen-Division sollten als Gruppe Wieden mit den Hauptkräften im Cismon- und Brenta-Tale auf Bassano durchstoßen, nur ein Regiment diesen Stoß in der Ostflanke auf dem von Arten über Mt. Roncone (1164 m), Mt. Cismon (1369 m) und
Mt. Pertica (1559 m) zum Mt. Grappa (1779 m) ziehenden Höhenrücken begleiten. Die andere Gruppe, ö.-u. 55. Infanterie-Division und Deutsche Jäger-Division, von denen letztere aber erst Sedico erreichte, unter dem
Kommandeur der ersteren, Generalmajor Prinzen zu Schwarzenberg, zusammengefaßt, hatte im Piave-Tal und „an den Hängen hart westlich davon" aus Pederobba durchzustoßen, „schwache Kräfte" auch über den vom Mt. Grappa nach Osten über den Mt. Tomba (868 m) nach Pederobba
streichenden Höhenzug. Sollte sich herausstellen, daß die feindlichen Stel¬ lungen so stark ausgebaut und beseht seien, daß der Angriff mit der zunächst noch sehr geringen Artillerie und knapper Munition nicht ausführbar sei, so wollte General Krauß den Zeitpunkt für den Angriff neu festsetzen. Unterdessen hatte seit dem 11. November anhaltender Landregen ein¬
gesetzt. Auf den Bergen fiel Schnee. Als der Angriffsbefehl bei der Gruppe Wieden am späten Abend des 13. November einging, waren die Anordnungen für den 14. bereits ge¬ troffen. Die in das Gebirge angesetzten Kräfte waren reichlich doppelt
so stark, wie General Krauß es gewollt hatte, und sollten zur Hälfte auch noch weiter östlich, als dieser befohlen hatte, über den Mt. Peurna vor¬ gehen.
Generalmajor von Wieden beließ es bei diesen Anordnungen,
denn vom Stoß im engen, schluchtartigen Tal ohne gleichzeitige Inbesitz¬ nahme der Höhen versprach er sich keinen Erfolg. In einem abendlichen
Ferngespräch mit General Krauß schlug er daher Angriff seiner ganzen Gruppe aus dem vom Mt. Roncone zum Mt. Grappa führenden Höhenzuge vor, stieß aber auf Ablehnung. 14. November.
Das Vorgehen kam am 14. November im Cismon-Tale an der Ein¬
mündung in das Brenta-Tal, vor dem Orte Cismon, zum Stehen; es
Angriff der Gruppe Krauß.
295
hatte den fast 15 Kilometer langen Engpaß des Brenta-Tales noch vor sich. Im Gebirge, wo inzwischen vereiste Wege und Felsen das Vorwärts¬ kommen erschwerten, wurde abends der Mt. Peurna (1381 m) genommen, im übrigen war der Angriff hier nur bis an die vordersten italienischen
Stellungen herangekommen. Fm Piave-Tal erreichte die ö.-u. 55. In¬ fanterie-Division den Bahnhof S. Maria und die Höhen westlich davon, während der Mt. Tomatico (1594 m) noch in Feindeshand geblieben war. Die engste Stelle des Tales war noch zu durchschreiten. Die Deutsche Jäger-
Division erreichte Feltre. General Krauß war über die geringen Erfolge enttäuscht. Da er sie
auf unzureichende Angriffsenergie und ungeeignete Maßnahmen zurück¬ führte, befahl er, den Angriff am 15. November in der von ihm angeord¬ neten Form fortzusetzen. Falls er im Brenta-Tale auch an diesem Tage keine Fortschritte machte, wollte er ihn dort einstellen und den Druck nur
noch aus den Oftflügel legen, um im Piave-Tal über Quero und den Mt.Tomba durchzustoßen. Beim Armee-Oberkommando 14, das von den Hergängen und Maßnahmen alsbald Kenntnis erhielt, war man zwar nicht ganz einverstanden, doch widerstrebte es General von Below,
einem bewährten General für Einzelheiten der Gefechtsführung bindende
Vorschriften zu machen. Am 15. November wurden im Brenta- wie im Piave-Tal keine Fort¬
schritte erzielt, wohl aber trotz des geringen Kräfteeinsatzes in den Bergen. Die Gruppe Wieden kam auf dem das Cismon- und Brenta-Tal östlich begleitenden Höhenkamm über den Mt. Cismon hinaus bis etwa auf Höhe des gleichnamigen Ortes, noch weiter östlich vom Mt. Peurna her bis vor
den Mt. Fontana Secca (1608 m). Bei der Gruppe Schwarzenberg wurden der Mt. Tomatico und Mt. Santo (1532 m) genommen. In¬ zwischen waren bei allen Divisionen auch stärkere Teile ihrer Artillerie herangekommen. Der Angriff kam am 16. November im Brenta-Tal etwa einen Kilometer südlich über Cismon hinaus, in den Bergen bis vor den Mt. Pertica; vor dem Mt. Fontana Secca lag er fest. Im Piave-Tal ver¬ ging der größte Teil des Tages mit dem Aufbau der in der Nacht heran¬
gekommenen Artillerie. Nachmittags befahl General Krauß, bei Einbruch der Dämmerung Quero zu nehmen, durch das dann die Deutsche JägerDivision vorgehen und im Morgengrauen überraschend den Mt. Tomba
nehmen sollte.
Gegen hartnäckigen feindlichen Widerstand, bei dem
2400 Gefangene gemacht wurden, gelang es erst bis zum Morgen des
17. November im Gebirge Nocat Cisa und Mt. Cornelia, im Tale Quero
zu nehmen. Damit mußte der Angriff der Deutschen Jäger-Division auf den Mt. Tomba bis zum frühen Morgen des 18. November verschoben
15. bis 18. November.
296
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
werden, denn die Bereitstellung dazu in dem vom Gegner völlig ein¬ gesehenen und artilleristisch beherrschten Becken von Alano war nur bei
Dunkelheit möglich. Die Aussicht, den Gegner zu überraschen, war damit gemindert. Gegen den Mt. Tomba waren rechts neben der Jäger-Division Teile der ö.-u. 55. Infanterie-Division angesetzt, weitere Kräfte folgten als Reserven. Unter Verlusten durch Flankenfeuer aus der Gegend des Mt. Pallone und der Höhen nördlich davon wurde der mehr als 600 Meter
steil ansteigende Nordhang des Mt. Tomba erklommen, am Kamme aber blieb der Angriff vor der ungeschwächten Abwehrkraft des Verteidigers im feindlichen Flanken- und Rückenfeuer liegen. Mittel, um ihn wieder in Gang zu bringen, vor allem Munition, fehlten; ein Stillstand war unvermeidlich. 14. bis 16. November.
Unterdessen war in der Ebene versucht worden, den Übergang über den Piave zu erzwingen. Die Vorbereitungen der Gruppe Hofacker bei Nervesa waren wegen Munitionsmangel eingestellt worden. Bei der
Gruppe Stein sollten Übergang und Brückenschlag durch die 12. InfanterieDivision unmittelbar am Fuß des Gebirges bei S. Vito und außerdem etwas unterhalb von Pederobba stattfinden, während die öst. 13. Schützen-
Division bei Falz« zu demonstrieren und, wenn möglich, einen Übergang mit Behelfsmaterial herzustellen hatte. Am Mittag des 14. November erteilte General von Below, um den Angriff der Gruppe Krauß we¬
nigstens mittelbar zu unterstützen, den Befehl, diese Unternehmungen bereits am Abend des 15. November durchzuführen. Sie scheiterten aber an allen drei Stellen bereits in den ersten Anfängen unter erheblichen Verlusten im feindlichen Abwehrfeuer, teilweise aber auch infolge un¬
zureichender Vorbereitungszeit. Weitere Versuche mußten angesichts der Munitionslage unterbleiben. Nur ein groß angelegter Angriff mit reich¬ lichem Einsah von Geschützen und Geschossen konnte nach Ansicht des Armee-Oberkommandos noch zum Ziele führen.
Günstiger hatten sich zunächst die Übergangsunternehmen bei der Heeresgruppe Boroevic angelassen, wo die 2. Isonzo-Armee schon früh die Piave-Insel südlich von Tezze, die 1. Isonzo-Armee einen grö¬ ßeren Brückenkopf unterhalb von S. Dona gewonnen hatte. In der Nacht zum 16. November war es auch bei S. Bartolomeo geglückt, überzugehen.
Der Enderfolg aber blieb infolge kräftiger feindlicher Gegenwehr überall aus: Bei Tezze gelang es nicht, den besonders tiefen und reißenden letzten Stromarm zu überwinden, bei S. Bartolomeo wurden die übergegangenen
Teile durch übermächtigen italienischen Gegenangriff aufgerieben, bei S. Dona öffnete der Gegner die Dämme des hier kanalisierten Stromes und setzte damit die vorliegende Sumpsniederung unter Wasser.
Eintreffen französisch-englischer Divisionen.
297
Inzwischen lagen Nachrichten vor, nach denen französisch-englische Verstärkungen, darunter beste französische Angriffs-Divisionen, hinter der Piave-Front in Bassano, Vicenza und Mestre ausgeladen würden. Beim Armee-Oberkommando 14 nahm man an1), daß die Italiener diesen Aufmarsch am Piave decken wollten. Man sah das große Ziel der Ope¬
rationen jetzt nicht mehr „nur im Erreichen der Brenta-Linie, sondern im Durchstoßen der italienischen Sicherungslinien und Hineinstoßen in den Aufmarsch der Entente". Man rechnete damit, daß bereits etwa sechs
französisch-englische Divisionen eingetroffen seien, und machte sich daher auf ernstliche Gegenangriffe nach Überschreiten des Flusses gefaßt, lim so wichtiger war, daß der Angriff der Gruppe Krauß alsbald durchdrang und daß der Munitionsnachschub in Fluß kam. General von Below hatte
daher die nächste Aufgabe der Gruppe Stein in artilleristischer Unter¬ stützung der Gruppe Krauß gegen den Mt. Tomba gesehen und General von Berendt mit der Leitung des einheitlichen Einsatzes hierzu beauftragt, der sich aber beim Angriff in der Frühe des 18. Novembers noch kaum hatte auswirken können. Die Munitionsversorgung der Gruppe Krauß sollte künftig über Trient auf der Bahn durch das Suganer (oberes Brenta-) Tal stattfinden. Unterdessen hatte General von Below auch Einzelheiten des aus¬
schließlich aus Talangriffe zugeschnittenen Kräfteeinsatzes der Gruppe Krauß im Grappa-Gebiet erfahren. Er befahl daher am 19. November, nunmehr vor allem die durch ihre flankierende Wirkung so lästigen vor¬
springenden Höhenstellungen am Col dell'Orso (1677 m) und Mt. Spinuccia (1501 m) wegzunehmen. Dazu wurde der rechte Armeeflügel derart neu gegliedert?), daß General Krauß mit vier Divisionen westlich der Linie Mt. Cornelia—Possagno, also gegen das Grappa-Gebiet selbst, die seit dem 7. November links daneben eingeschobene Gruppe Scotti am Mt.
Tomba und im Piave-Tal weiter anzugreifen hatte. Als Zeitpunkt wurde zunächst der 23. November bestimmt, er ließ sich aber wegen Verzögerung in
derMunitionszusuhr nicht innehalten,'dennderVerpflegungsnachschub bean¬ spruchte, nachdem die Vorräte des Landes im wesentlichen aufgezehrt waren, bereits einen großen Teil der ohnehin schon stark überanstrengten Kolonnen. Am 21. November wurde der Angriff auf den 26. November verschoben. Vorher gelang es, in Einzelkämpfen allmählich noch etwas Gelände zu gewinnen. So drangen österreichisch-ungarische Truppen im Brenta') Ferngespräch des Maj. von Willisen mit Maj. Wehell am 16. Nov.
2) Gliederung des rechten Flügels der I4.Armee ab 19. Nov.: Gr. Krautz: Edelw. D., oft. 22. Sch. D., ö.-u. 55. und 94. F. D. Scotti: D. Jag. D., Alp. K., ö.-u. 1. und 50. F. D.
Dis i. November.
298
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
23.9tM.m6«. Tale bis über S. Marino vor und nahmen im Gebirge den Mt. Pertica
sowie, unterstützt von deutschen Truppen, den heiß umstrittenen Mt. Fon¬ tana Secca; auch die Deutsche Jäger-Division konnte ihre Stellungen am Mt. Tomba um einiges verbessern. Entscheidendes war damit aber trotz
aller Hingabe der Truppen nicht erreicht. Der heraufziehende Winter machte sich mehr und mehr geltend. Unterdessen hatte Feldmarschall von Conrad am 16. November noch¬ mals angeregt, ihm Verstärkungen aus der Heeresgruppe Boroevic zu überweisen; er schlug vor, statt des Angriffs über den Piave mit starken Kräften beiderseits der Brenta anzugreifen. Die österreichisch-unga¬ rische Heeresleitung sah aber die Lösung in dem bereits befohlenen
Angriff zwischen Mt. Grappa und Piave und wollte Verstärkung nach Südtirol erst nach Erzwingung des Piave-Überganges geben. Am 22. und 23. November wiederholte die ö.-u. 11. Armee bei Asiago nochmals
den Versuchs, durch Wegnahme des Mt. Meletta (1827 m) in der Richtung auf Valstagna Raum zu gewinnen. Trotz hoher Blutopfer — die Gefechts¬ verluste der Heeresgruppe betrugen seit dem ersten Angriff am IO. No¬ vember mehr als 8000 Ntann2) — blieb der Erfolg aus.
d) Die Einstellung der Offensive. Die Entschlüsse der Führung. Die geringen Erfolge im Grappa-Gebiet hatten beim Armee-Ober¬ kommando 14 bereits am 19. November zu Erwägungen darüber geführt3),
was geschehen solle, „wenn die Bewegungen in ein langsames, schritt¬ weises Vorwärtskommen auslaufen, das schließlich im Stellungskriege versanden wird". Auf baldige durchschlagende Erfolge der Heeresgruppe
Conrad westlich der Brenta schien ebensowenig Aussicht wie aus solche der Heeresgruppe Boroevic am unteren Piave. Die jetzt gewonnene Front bildete, wenn der Südrand des Grappa-Gebirges erreicht war, eine operativ wie taktisch brauchbare Abschluhlinie. Brenta oder Etsch waren
ohne ernsten Kampf gegen die inzwischen eingetrosfenen französischenglischen Truppen nicht zu erreichen und gewährten für spätere Abwehr kaum günstigere Bedingungen als der Piave. Es war also zu entscheiden, ob man in den demnächst zu erreichenden Linien zur Abwehr übergehen oder die Offensive mit weitgesteckten Zielen wieder aufnehmen solle; letzteres bedingte große Vorbereitungen und damit eine Operationspause i) Vgl. S. 291. -) Ost. amtl. Werk VI, S. 672. 8) Tgb.-Aufzeichnung des Gen. von Krafft vom 19. Nov. 1917.
Erwägungen der Führung.
299
bis zum nächsten Frühjahr. Über diese Gedanken unterrichtete General von Krafft am 20. November den Generalstabsches der Südwestfront, der
sie vermutlich an die österreichisch-ungarische Heeresleitung weitergab. Tags daraus, am 21. November, drahtete General von Arz an die
Oberste Kriegsleitung, wenn der zwischen Brenta und Piave beabsichtigte
Angriff nicht zum Erfolge führe, so sei er für „Festhalten unserer jetzigen Stellungen und deren technischen Ausbau"; im übrigen halte er dafür,
daß vom italienischen Kriegsschauplatz einstweilen keine Truppen weg¬ zuziehen wären, da man über die von den Westmächten dorthin entsandten
Kräfte noch nicht klar sehe. Die Oberste Kriegsleitung stimmte zu. Auch sie wollte, obgleich gerade eben durch den englischen Tankangrifs bei Cambrai (20. November) an der Westfront ein ernster Rückschlag ein¬ getreten war, vorläufig keine Kräfte aus Italien abziehen; wenn es aber
dort zum Stellungskriege komme, würde „die beste Entlastung dieser
Front durch Verstärkung der Westfront und dortige Offensive" erreicht werden.
Noch aber hatten sowohl Erzherzog Eugen und die ihm unterstellten Armeen wie auch Feldmarschall von Conrad den Gedanken an Fort¬
setzung der Offensive nicht aufgegeben. Nach einer Besprechung mit den Generalstabschess der beiden Isonzo-Armeen gab das Kommando der Südwestfront am 23. November eine Weisung für die Fortsetzung der Offensive, bei der es sich darum handele, das italienische Heer „am und jenseits des Piave erneut zu schlagen, bevor fremde Hilfe sich wirksam geltend machen kann"; an mehreren Stellen sollte der Flußübergang er¬ zwungen werden. Im Zusammenhang damit befahl ebenfalls am 23. No¬ vember auch General von Be low den Angriff: Im Grappa-Gebiet
sollte die feindliche Front zwischen Mt. Pallone und dem Piave durch¬ brochen, dieser bei Vidor und gegenüber dem Montello überschritten werden.
An demselben Tage befahl Kaiser Karl, der seit 22. November mit General von Arz bei der ö.-u. 11.Armee weilte, die vorläufige Ein¬ stellung des dortigen Angriffs. Am 24. hatte er in Polpet (nördlich von Belluno) eine kurze Aussprache mit General von Below. Der Kaiser sah die Lage nicht sehr aussichtsreich an. General von Below sprach sich aber, nachdem er soeben neuen Angriff befohlen hatte, im allgemeinen recht zuversichtlich aus. Am 25. November meldete in Feltre General Krauß dem Kaiser, daß er hoffe, vorwärts zu kommen, wenn nur der Gegner
am Piave auch angegriffen und seine Reserven dadurch gefesselt würden. Nachdem der Kaiser dann am 26. November in Villach auch Erzherzog Eugen und Generaloberst von Boroevic gehört hatte, wollte er die befoh-
24. bis 26. November.
300 24. bis 26.
November.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
lenen Angriffe nicht aufhalten; er gab Weisung, die ohnehin schon er¬ lassenen Befehle nun auch tatsächlich durchzuführen x). Der Angriff war bei der 14. Armee vorläufig auf den 30., bei den beiden Isonzo-Armeen aus den 29. November angesetzt. Aber schon bald
stellte sich heraus, daß diese Zeiten nicht innegehalten werden konnten. General Krauß meldete bereits am 26. November, daß die Wegnahme der vorgeschobenen feindlichen Stellungen am Col dell'Orso und Mt. Spi-
nuccia, die dem Hauptangriff vorausgehen sollte, erst möglich sei, wenn die angeforderte Munition und das nötige Fernsprechgerät eingetroffen seien. An demselben Tage ließ General vonBelow der Obersten Heeres¬ leitung eine „Beurteilung der Lage" im Sinne der bereits am 19. November
angestellten Erwägungen zugehen. Über den bevorstehenden Angriff hieß es darin, er könne aus Munitionsnachschub- usw. Rücksichten frühestens
Anfang nächsten Monats erfolgen. „Zu diesem Zeitpunkt kann die Entente
nach hiesiger Rechnung etwa sechs Divisionen frei verfügbar haben. Jede weitere Verzögerung erschwert die Lösung der Aufgabe". Wie sich im übrigen „die österreichische Führung, Truppe und Organisation mit dem Ententegegner abfinden wird", bleibe eine offene Frage. Die Beurteilung
schloß: „Es erscheint demnach die Möglichkeit gegeben, dem Italiener abermals einen Schlag zu versehen und auch die Hilfskräfte dabei mit zu 27. und 28.
November.
treffen. Man muß hierbei aber auf schwere Kämpfe gefaßt sein". Am 27. November ergaben sich bei den Gruppen Krauß und Scott!
hinsichtlich des Artillerieaufmarsches, bei ihren österreichisch-ungarischen Divisionen auch hinsichtlich der Munitionsversorgung, weitere derartige Schwierigkeiten, daß die Wegnahme der vorgeschobenen Stellungen min¬ destens bis zum 2., der Hauptangriff bis zum 4. oder 5. Dezember hinaus¬ geschoben werden muhte; dementsprechend änderte sich auch der Zeitpunkt des Angriffs über den Piave. Diese immer neuen Verzögerungen verringerten die ohnehin nicht allzu großen Ersolgsaussichten. Als dann eine am 28. November ein¬
treffende Mitteilung der Obersten Kriegsleitung die Beendigung des Gesamtaufmarsches von 11 bis 14 französisch-englischen Divisionen bereits
für Anfang Dezember ankündigte, sank die Hoffnung auf durchschlagenden Erfolg der künftigen Offensive immer mehr. Die Aussicht, die Italiener nochmals allein zu treffen, war endgültig dahin. Die Überlegenheit der französisch-englischen Divisionen an Artillerie, Munitionsausstattung, artilleristischer Technik und Kampfversahren gegenüber einem großen Teil der österreichisch-ungarischen Divisionen war zu berücksichtigen. Bestenfalls !) Arz: „Zur Geschichte des Großen Krieges 1914-1918", 6.183 und bst. amtl. Werk VI, S. 676.
Entschluß, die Offensive einzustellen.
301
konnte man noch hoffen, den Feind in langsamen, verlustreichen Kämpfen frontal weiter zurückzudrücken. Die vorgerückte Jahreszeit sprach gegen Fortsetzung der Offensive; es schien geboten, sie einzustellen. Aus Grund der von General von Below am 26. November abgesandten
Beurteilung der Lage wandte sich General Ludendorfs am 28. unter gleichzeitiger Mitteilung an die 14. Armee an General von Arz mit der
Frage, „ob es unter den veränderten Verhältnissen nicht richtiger wäre, von einem weiteren Angriff abzusehen und an dem für die Verteidigung
besonders günstigen Piave-Abschnitt, vielleicht nach Verbesserung der Stellung des rechten Flügels und der Mitte der 14. Armee, unsere gemein¬ same Offensive abzuschließen". Beim Angriff am 3. oder 4. Dezember müsse man auf Eingreifen der Entente-Verstärkungen gefaßt sein. Mit Sicherheit sei daher „nach Erkämpfen des Piave-Abschnittes mit ver¬ stärktem Widerstand und harten Kämpfen zu rechnen. Ob hierzu unsere
rückwärtigen Verbindungen, insonderheit die Eisenbahnverhältnisse^), hin¬ reichend gefestigt sind, kann hier nicht übersehen werden; die fortgesetzten Verschiebungen des Angriffs sprechen allerdings nicht dafür". Damit war die Entscheidung gefallen, wenn sich auch noch ein umfang¬
reicher Meinungsaustausch zwischen den beteiligten weiteren Dienststellen anschloß. Dabei trat die österreichisch-ungarische Heeresleitung mit dem Gedanken hervor, daß zunächst die 14. Armee die Linie Bassano— Montello gewinnen könne und dann erst die Heeresgruppe Boroevic den Piave-Übergang erkämpfen solle, ein Vorschlag, den General von Krafft bei einer Besprechung mit dem Kommando der Südwestsront und in
Übereinstimmung mit diesem mit großer Bestimmtheit ablehnte. Am
2.Dezember befahl die österreichisch-ungarische Heeresleitung: „Offensive einstellen! Dauerstellung einrichten, jedoch derart handeln, daß dem Feinde bis auf weiteres intensive Vorbereitung einer allgemeinen Offensive vorgetäuscht wird ..." Bei der Heeresgruppe Conrad blieb der gegen den Mt. Meletta vorbereitete Angriff der ö.-u. 11. Armee noch
durchzuführen. Die Südwestsront hatte sich aus Abgabe von sechs Di¬ visionen, davon drei deutschen-), einzurichten, nachdem die 195. InfanterieDivision, ohne an die Front gekommen zu sein, bereits am 30. Dezember wieder zurückgerufen worden war. Das Armee-Oberkommando 14 mit
seinen zwei deutschen Generalkommandos und vier deutschen Divisionen-) sollte vorläufig noch in Italien bleiben. lS. Nov. beanstandete die österr.-ung. Heeresleitung, daß „am 13. Nov., also Tage nach Wiederinbesitznahme der Görzer Eisenbahnbrücke, das Material für deren le erherstellung noch nicht einmal avisiert war! Diese Unglaublichkeit ist unverständlich..." 2) 12., 26., 5. I.D. 3) 117., 200. g. D., Alp. K., D. Zag. D.
2. Dezember.
302
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Die letzten Kämpfe. 4. und 5.
Dezember.
Ein größerer Erfolg war nur noch der Heeresgruppe Conrad be¬ frieden, deren ö.-u. l l. Armee unter Generaloberst Gras Scheuchenstuel
in der Richtung aus Valstagna im Brenta-Tal Raum gewinnen sollte. Der Angriff führte nach gründlicher Vorbereitung am 4. Dezember zu einem vollen Erfolge der östlich des Mt. Meletta (1827 m) angreifenden ö.-u. 18. Infanterie-Division, während westlich des Berges zunächst ein Rückschlag eintrat. Der 5. Dezember brachte die Vollendung des Sieges, der Gegner wurde über die Frenzela-Schlucht und vom Höhenrand in das
Dis
Jahresschluß.
Tal von Valstagna zurückgeworfen; 18000 Gefangene wurden eingebracht und 90 Geschütze erbeutet. Nunmehr wünschte Feldmarschall von Conrad die Front auch noch weiter, bis an den Rand der Hochfläche nördlich von Bassano vorzutragen, wobei er an entsprechendes Mitgehen des rechten Flügels der 14. Armee dachte; er beantragte drei frische, voll aufgefüllte Divisionen. Die Heeresleitung stand diesen Absichten jetzt weniger ablehnend gegen¬ über, „allein man verfügte nicht über die erbetenen Kräfte'"). Feldmarschall von Conrad beschränkte sich daher auf eine geringere Stellungs¬ verbesserung. Sie wurde am 23. Dezember mit der Erstürmung des Col
del Rost» (1276 m) erreicht. Damit war der Gegner auch westlich der Frenzela-Schlucht zurückgeworfen, abermals waren 8000 Gefangene in
der Hand siegreicher österreichisch-ungarischer Truppen geblieben. Weniger erfolgreich waren die Angriffe des rechten Flügels der 14. Armee im Grappa-Gebiet. Hier hatten sich die Divisionen nach den vorausgegangenen Kämpfen und Märschen, ohne Winterbekleidung, ohne Obdach aus nacktem Fels und im Schnee, aber auch ohne Gerät und
Baustoffe für den Stellungsbau, verhältnismäßig schnell verbraucht; die Edelweiß-Division zählte am 27. Oktober nur noch 2000 Gewehre. So waren die schließlich ermatteten Truppen in den ersten Dezembertagen
abgelöst worden?). Der aus den 11. Dezember festgesetzte und durch das Feuer von 400 Geschützen (davon 110 schweren) mit allerdings nur ge¬ ringer Munition vorzubereitende Angriff der Gruppe Krauß wurde durch Nebel ernstlich behindert. Die Ergebnisse waren dementsprechend gering. x) Öft. amtl. Werk, VI, 6. 695 f. 2) Truppen im Grappa-Gebiet am N. Dezember: Gr. Krauh mit: ö.-u. 4. und 94. I. D. (von der Brenta bis Col dellDrso). Genmaj. von Wedel mit 200. lind 5.1. D. (anschließend bis zum Mt.Tomba ausschl.).
Von Gruppe Scotti: Alpenkorps am Mt.Tomba urid bis zum Piave.
Beginnender Stellungskrieg.
303
Vor allem gelang es nicht, den feindlichen Stellungsvorsprung nördlich vom Mt. Meate und Mt. Pallone zu beseitigen, wenn auch der Gipfel des Mt. Spinuccia genommen war. Bis zum 16. Dezember wurde nach
weiteren Ablösungen in der Front auch der Mt. Asolone noch erobert. Dann setzten bis zum 21. Dezember währende italienische Gegenangriffe ein; sie wurden überall abgewiesen.
Die Kämpfe hatten gezeigt, daß Stellungsverbesserungen im winter¬ lichen Gebirge jetzt nur noch unter stärkstem Kräfteeinsatz und dabei auch erheblichen Verlusten zu erreichen waren. General von Be low entschloß
sich daher, den Angriff auch im Grappa-Gebiet einzustellen. Dabei ergab sich die Frage, die von Westen immer noch unter Flankenfeuer gehaltene
Tomba-Stellung auszugeben. Bevor sich jedoch die österreichisch-ungarische Heeresleitung hierüber schlüssig geworden war, brach am 30. Dezember die französische 47. Alpenjäger-Division unter Mitwirkung einer großen Zahl von Schlachtfliegern in die Stellung der inzwischen dort eingesetzten ö.-u. 50. Infanterie-Division ein, machte 1400 Gefangene und nahm sieben
Geschützes. Die Front mußte aus das Norduser des Ornigo zurück¬ genommen werden.
Am Piave war die Kampstätigkeit schon seit Mitte November immer mehr abgeflaut. Der Brückenkopf von Jenson wurde in Erwartung eines feindlichen Angriffs am 26. Dezember rechtzeitig geräumt. Mit Abschluß des Jahres fanden auch die Kämpfe ihr Ende. An der Front in Italien trat Ruhe ein. Insgesamt waren dort nur noch drei
deutsche Divisionen, davon zwei im Grappa-Gebiet, eingesetzt, die übrigen bereits im Abtransport oder herausgezogen. Andererseits standen dem bisher von deutschen Truppen besetzten Abschnitt der 14. Armee insgesamt vier englische und französische Divisionen gegenüber, weitere lagen rück¬ wärts bereit. Am 10. Januar 1918 wurde das Armee-Oberkommando, im Februar die letzte deutsche Division zum Abtransport aus der Front ge¬ zogen. Die Beteiligung am österreichisch-ungarischen Kriege gegen Italien war beendet.
e) Maßnahmen des Gegners 2) und abschließende Betrachtungen. Als in der Nacht zum 3. November von deutschen und österreichisch¬
ungarischen Truppen der Tagliamento-Übergang bei Pinzano und Cornino erzwungen worden war, hatte General Cadorna den Rückzug der dadurch im Rücken bedrohten noch am oberen Tagliamento bei Tolmezzo stehenden Teile der Karnischen Gruppe befohlen und am 4. November, als auch die *) Palat, La grande guerre sur le front Occidental, XIII, S. 2.
2) Anschluß an S. 272ff.
304 Di»
Iahresschluh.
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Gegenwehr des bei Pinzano—Cornino eingesetzten „Spezialkorps" ge¬ brochen war, die bereits vorbereiteten Befehle zum Rückzüge auf die Piave-Linie ausgegeben. Unterwegs sollte dem Gegner an der Livenza Aufenthalt bereitet werden. Schwierig muhte sich der Rückzug der 4. Armee durch das obere Piave-Tal nach Süden gestalten, wenn der Feind durch das Gebirge rasch dorthin vorstieß; doch konnten die aus dem Raum von
Tolmezzo ausweichenden Kräfte als hinreichender Flankenschutz angesehen werden. Bedenklicher war die immer drohende Möglichkeit feindlichen Angriffs aus Tirol. In einer Besprechung der verbündeten Staatsmänner und Generalstabschefs am 5. November in Rapallo1) legte General Cadorna den
ganzen Ernst der Lage dar und drängte aus erheblich stärkere Unterstützung als die bisher zugesagten sechs Divisionen, die über Nizza sowie über den
Mt. Cenis anrollten; die Zahl wurde auf acht erhöht. Sie sollten zunächst, südlich des Garda-Sees am Mincio aufmarschieren, um dann je nach der Lage am Piave oder gegen einen Angriff aus Tirol verwendet zu werden. Als dann der Gegner bereits am 7. November an einzelnen Stellen
die Livenza überschritt, wurde diese Fluhlinie ausgegeben. Am 8. No¬ vember erhielten die Nachhuten Befehl, auch das östliche Piave-User zu räumen. Hinter dem Fluh stand künftig die italienische 3. Armee vom Meer bis zum Montello ausschließlich. Die 4. Armee, deren Ostslügel in¬ folge der Vernichtung der die Flanke deckenden Kräfte bei Pielungo und Tramonti auf dem Rückzüge aus dem Hochgebirge noch gefaßt worden war und erhebliche Einbuhen erlitten hatte, übernahm die Piave-Front am Montello und das wichtige Grappa-Gebiet, dessen Verteidigung be¬ reits im Sommer 1916 vorbereitet worden war. Westlich der Brenta schloß die 1. Armee an. Die 2. Armee und mit ihr die aufzulösende Karnische
Gruppe wurde zur Wiederherstellung der Verbände hinter die Front genommen. Am 8. November übernahm General Diaz den Oberbefehl über das
italienische Heer; General Gras Cadorna wurde Vertreter Italiens bei dem inzwischen gebildeten gemeinsamen „Obersten Kriegsrat" der En¬ tente^). In weiteren Verhandlungen mit den Westmächten wurde die Ver¬ mehrung der zugesagten Divisionen von acht aus elf (sechs französische und fünf englische) erreicht. Ihr Aufmarsch sollte, vor allem zur Hebung der Stimmung, vom Mincio in den Raum von Vicenza vorverlegt werden.
Das Eintreffen zog sich aber bis Ende November hin. So hatten die italienischen Armeen die Abwehrkämpfe der nächsten Wochen aus eigener Kraft zu bestehen. Dabei kam ihnen die natürliche !) 6.314.
2) Ebenda.
Maßnahmen des Gegners seit 3. November.
305
Stärke der Piave- wie der Grappa-Verteidigung zugute. Auch standen in der Front jetzt fast überall Verbände, die bei den bisherigen Kämpfen gar nicht oder wenig gelitten hatten. Im Grappa-Gebiet waren bereits am 7. November Truppen für die Vorbereitung der Abwehr eingetroffen; am 13. November, dem Tage vor Beginn des deutschen Angriffs, standen vier Divisionen (43 Bataillone und 40 Batterien) zwischen Piave und Brenta, einschließlich der Täler, bereit. Damit konnte die Verteidigung des wichtigen Gebirgsstockes fürs erste gesichert erscheinen. Bis zum 26. November war die Stärke der Besetzung dort auf acht Divisionen (110 Bataillone und 116 Batterien, davon 62 schwere und schwerste) ge¬
stiegen. Ansang Dezember rückten zwei englische Divisionen am Montello, zwei französische westlich anschließend, bis zum Mt. Tomba einschließlich, in die Front ein. Hinter der Front standen drei weitere englische Und ebensoviel französische Divisionen verteilt. Die im wesentlichen erfolgreichen Abwehrkämpfe am Piave und im
Grappa-Gebiet sowie das Bewußtsein, auf rasche Unterstützung durch die mit Waffen, Munition und Gerät reichlich ausgestatteten englischen und
französischen Divisionen rechnen zu können, führten dazu, daß die nach dem Zusammenbruch am Isonzv und Tagliamento tief gesunkene Stim¬ mung im Heere sich bis zum Jahresende wieder zu heben begann. 300000 Versprengte und ebenso viele Ersatzmannschaften hatten die entstandenen Lücken zu einem großen Teil wieder geschlossen. Wenn auch die gewaltige Einbuße an Waffen und Gerät noch nicht wieder erseht war, so sah man doch weiteren Kämpfen mit Vertrauen entgegen.
Betrachtungen. Der Zusammenbruch des italienischen Widerstandes am Tagliamento hatte bei den Mittelmächten weitgehende Hoffnungen ausgelöst, die Er¬ gebnisse der Verfolgung durch das Gebirge gegen den oberen Piave hatten sie weiter genährt, schließlich aber waren sie doch nicht in Erfüllung ge¬ gangen. Mit größter Hingabe waren die siegreichen Truppen dem Gegner gefolgt und hatten ihm — wie sie glaubten — keine Möglichkeit gelassen,
sich vorwärts des Piave auch nur vorübergehend nochmals zu setzen. Ob aber der Gegner nach seiner schweren Niederlage nicht etwa bewußt ohne Aufenthalt ausgewichen war, bis er das schützende Hindernis des breiten, vom Herbstregen angeschwollenen Flusses zwischen sich und den Verfolger gelegt hatte, konnte man nicht wissen. Am Piave war der eigenen Vor¬ wärtsbewegung in der Ebene ein natürliches Ziel gesetzt. Der Gegner fand Zeit, sich auf nachhaltigen Widerstand einzurichten. Er war ent«feltttteg. XIII. 3b.
20
306
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
schlossen, hier die Entscheidungsschlacht anzunehmen. Die Hoffnung auf bald herannahende Hilfe der Westmächte gab ihm neue Zuversicht. Dem¬ gegenüber reichte die Angrissskrast der zunächst nur mit schwachen Teilen, und vor allem mit nur ganz geringer Munitionsausstattung an den Fluß
herankommenden Verfolger nicht aus. In der Ebene gelang es nirgends,
in raschem Nachstoß aus dem anderen Piave-Aser festen Fuß zu fassen. Am so mehr wandte sich die Hoffnung dem Angriff durch das Gebirge zu, wo man am Oberlauf des Flusses schon frühzeitig auf beiden Äsern
stand. Damit bot sich die Möglichkeit, und aus sie gründete sich die Hoff¬ nung, wie bei Beginn der Offensive am Isonzo und dann am Tagliamento,
so auch am Piave und vielleicht auch noch weiterhin die feindliche Front von der Nordflanke her zu Fall zu bringen. Im Gebirge lag daher der Schwerpunkt der Operation; vom Gelingen des Angriffs auf das GrappaMassiv und dem Vorwärtskommen der Heeresgruppe Conrad hing ihr Ausgang ab. Seitens der oberen Führung ist wohl alles geschehen, um den Nordflügel der 14. Armee so stark als möglich zu machen. Das aber und vor
allem sein Vorwärtsschreiten fanden eine Grenze in den Schwierigkeiten des Gebirges, in dem die Angriffstruppen schließlich aus nur einer einzigen durchgehenden Straße und daher im wesentlichen nur nacheinander den
Ausmarschraum gegen das Grappa-Gebirge erreichen konnten. Das Nach¬ ziehen der Artillerie über zerstörte Brücken kostete Zeit, und erst recht war ausreichende Munitionszufuhr in Frage gestellt, zumal da alsbald auch die gesamte Verpflegung nachgeführt werden muhte. Der Versuch des örtlichen Führers an der Grappa-Front, unter
Vermeidung des schwierigen Gebirgsgeländes durch überraschendes Durch¬ stoßen der schluchtartigen Engen des Cismon-Brenta- und des PiaveTales den Weg in die Ebene zu öffnen, konnte nur dann Erfolg haben, wenn man einen Gegner vor sich hatte,, der noch ebenso wie bisher nur an
Rückzug dachte. Das aber war nicht der Fall. Man stieß auf frische Trup¬ pen, die in vorbereiteter Stellung zu zähem Widerstande entschlossen waren. Gegen die Zweckmäßigkeit des von General Krauß befohlenen,
fast ausschließlichen Talangrisfs sind schon vor und während der Durch' sührung von vorgesetzten wie untergebenen Stellen berechtigte Bedenken geäußert worden. Nach dem, was über den Gegner bekannt ist, kann kein
Zweifel darüber bestehen, daß ein Angriff, bei dem der Schwerpunkt von Haus aus auf die Höhen gelegt wurde, trotz der Schwäche der zunächst nur zur Verfügung stehenden Kräfte beim ersten Anlauf bessere Ergebnisse gebracht hätte. Vielleicht wäre sogar der Mt. Grappa selber genommen worden. Von Tag zu Tag aber wurde der Angriff auch auf den Höhen
307
Abschließende Betrachtungen.
schwieriger und erforderte damit den Einsah stärkerer Kampfmittel und
schließlich auch frischer Truppen. Daß es Wochen dauerte, bis beide, und auch dann nur mit beschränkter Munition herankamen, hat nicht an irgendwelcher Unterlassung von Führung oder Truppe, sondern an den schwierigen Verkehrs- und Nachschubverhältnissen im Gebirge gelegen. Inzwischen aber hatte sich die Widerstandskraft des Gegners so weit ver¬ stärkt, daß man vor Ausgaben des Stellungskrieges stand, noch erschwert durch Gebirge und herausziehenden Winter. Eine weitere Frage ist, ob nicht der Angriff im Grappa-Gebiet durch
gleichzeitigen Angriff der Heeresgruppe Conrad auf dem westlichen Brenta-Ufer wirkungsvoller unterstützt werden konnte. Dazu wäre aller¬
dings nötig gewesen, die Angrifsskraft dieser Heeresgruppe durch Zufühmng geeigneter Truppen und reichlicher Artillerie nebst Munition recht¬ zeitig entscheidend zu stärken. Nun war bereits am 27. Oktober von meh¬
reren Seiten bei der österreichisch-ungarischen Heeresleitung angeregt worden, alsbald starke Kräfte von der nunmehr allzu dicht besetzten Isonzo-
Front der Tiroler Front zuzuführen. Dafür standen zwei Bahnen, über den Brenner und durch das Pustertal, zur Verfügung, wobei die durch das Pustertal geleiteten Verbände von Franzensfeste ab auf Fußmarsch angewiesen werden konnten. Tatsächlich sind aber nur zwei Divisionen, beginnend am 29. Oktober, zur Heeresgruppe Conrad gefahren worden. Die Betriebsverhältnisse der österreichischen Eisenbahnen geben dafür allein keine ausreichende Erklärung. Da an der Front gegen Rußland Ruhe herrschte, kann es an verfügbaren österreichisch-ungarischen Kräften nicht
gefehlt haben. Weitere Zuführung deutscher Divisionen verbot dagegen die Lage im Westen, wo gleichzeitig in Flandern, bei Laffaup und schlie߬ lich bei Cambrai schwer gekämpft wurde. Sieht man von der vielleicht vorhandenen Möglichkeit ab, die italie¬
nische Nordslanke durch rasche Inbesitznahme des Grappa-Blockes und wirksames Eingreifen der Heeresgruppe Conrad zum Einsturz zu bringen, so hat die Offensive in Italien schließlich durch die Gesamtverhältnisse ihren natürlichen Abschluß gefunden. Die Truppen, die am 24. Oktober am Isonzo einen stürmischen Siegeslauf begannen, hatten in 16 Tagen unter
Überwindung des Hochwasser führenden Tagliamento bis zu 140 Kilometer
Marschentfernung zurückgelegt. Die Schwierigkeit des Überganges über diesen Fluß hatte aber die vorher dicht besetzte Front in schmale Ansänge und große Tiefe aufgelöst. Der Nachschub kam erst recht nicht mit. Die Truppe selber war von Kämpfen und Märschen schließlich schon erheblich mitgenommen, als sie vor die neue, besonders schwere Ausgabe gestellt wurde, die von Natur starke und hartnäckig verteidigte Grappa- und £0*
308
Der Krieg an der italienischen Front. Angriff der Mittelmächte.
Piave-Front zu überwältigen. So führte hier das Gleichgewicht der Kräfte zum Stellungskriege. Die dem Bundesgenossen in seiner größten Not zu Hilfe gesandten und dabei von dessen Oberstem Kriegsherrn auf dem eigensten Kriegs¬
schauplatz Österreich-Ungarns gar nicht einmal gern gesehenen deutschen Divisionen wurden an anderer Stelle für neue Ausgaben gebraucht.
Durch ihren Einsatz gegen Italien war ohnehin schon weit mehr erreicht, als irgend jemand bei der Entsendung zu hoffen gewagt hatte. Entlastung der österreichisch-ungarischen Front war das ursprüngliche Ziel gewesen, mit Erreichen des Tagliamento sollte die Aufgabe beendet sein. Statt dessen hatte der glänzende Anfang der Offensive über alles ursprüngliche Planen hinaus rund 100 Kilometer weiter nach Westen geführt. Starke französische und englische Kräfte waren vom Westkriegsschauplatz abgezogen
worden. Österreich-Ungarns Heer hatte einen lebhaften Auftrieb erhalten, hatte wieder Zuversicht und festen Halt gewonnen. Schulter an Schulter
hatten deutsche und österreichisch-ungarische Truppen in siegreichem Kampfe Vorbildliches geleistet. Seit Beginn der Offensive hatte das italienische Heer an die 400000 Mann, davon gegen 300000 Gefangene, und über 3000 Geschützes verloren, die Mittelmächte nur etwa 65000
Mann, davon 10600 bei den deutschen Truppen. Aus dem italienischen Kriegsschauplatz war ein Krästeausgleich geschaffen, der auch nach Abzug der deutschen Divisionen zu vollem Vertrauen in die weitere Entwicklung berechtigte. Die deutschen Kommandostellen aber hatten aus eigener An¬
schauung die Überzeugung mitgenommen, daß es auch im verbündeten Heere noch Führer und Truppen gebe, die den schweren Ausgaben des Kampfes an der Westfront gewachsen sein würden. *) Nach italienischen Quellen betrugen die Verluste vom 24. Ott. bis 10. Nov.: 10000
Tote, 30000 Verwundete, 293000 Gefangene, 350000 Versprengte, 50000 Fahnenflüch¬ tige, insgesamt 733000 Mann; dazu 3152 Geschütze, 1772 Minenwerfer, 1600 Kraftwagen.
VI. Der Brieg zur Luft'). Die Organisation der Luftstreitkräfte stand seit dem Winter 1916/17 im wesentlichen fest. Der Ausbau wurde fortgesetzt, fand aber seine Grenze darin, daß die Verluste an kriegserfahrenen Besatzungen wie an Material bereits schwer zu ersetzen waren.
An der Westfront bestand in der zweiten Hälfte des Jahres 1917 die zahlenmäßige Überlegenheit der Gegner in der Luft weiter. Auch an der italienischen Front konnte sie während des dortigen Einsatzes der 14. Armee
nicht ausgeglichen werden. Gegen die feindliche Überzahl vermochte sich die deutsche Luftwaffe nach wie vor nur durch bessere Leistungen von
Personal und Material zu behaupten. Eine zahlenmäßige Überlegenheit im Luftraum ließ sich immer nur bei größeren Angriffsunternehmungen durch scharfe Zusammenfassung der Kräfte und auch dann nur vorübergehend erzielen. Die Luftkämpfe fanden daher vorwiegend diesseits der deutschen Linien statt. An der Westftont, der gegenüber alle anderen nur eine ge¬
ringe Rolle spielten, verloren die Gegner im Lause des zweiten Halb¬ jahres 1917 rund 1400 Flugzeuge, davon 1100 im Luftkamps, während die deutschen Verluste in der gleichen Zeit einschließlich des operativen Luftkrieges im Westen und Osten etwa 600 betrugen, dazu gegen 1800
Mann fast durchweg fliegenden Personals. In zunehmendem Maße unterstützte die Luftwaffe den Erdkamps. Richt nur Flieger, sondern auch Flugabwehrkanonen, diese vor allem gegen feindliche Tanks, waren dabei beteiligt. Über unmittelbare Mit¬
wirkung beim Kampfe hinaus leisteten Aufklärungsflugzeuge insbesondere durch die immer mehr vervollkommnete Ausnahme und Auswertung von Reihenbildern hervorragende Dienste. Kampfgeschwader griffen in ver¬
mehrtem Maße militärische Anlagen hinter der feindlichen Kampffront, vor allem Truppen- und Munitionslager sowie Eisenbahnen und Werke der Rüstungsindustrie an. Im ganzen verfügte die Oberste Heeresleitung über vier Kampf¬ geschwader mit zusammen 21 Staffeln, davon waren die Kampf¬ geschwader 2 und zunächst auch 4 im Raume der Heeresgruppen Deutscher
Kronprinz und Herzog Albrecht gegen Bahnhöfe im Marne-Tal (besonders *) Anschluß an Bd. XII, S. 529 ff.
Sommer und
Herbst 1917.
310 Sommer- und
Herbst 1917.
Der Krieg zur Luft.
Epernay, ChLlons und Dar le Duc), vor allem aber gegen Anlagen bei Verdun und Rüstungswerke bei Nancy tätig. Gegen letztere wurden im Juli elf, im August ein, im Oktober und November je fünf, im Dezember acht Angriffe unternommen und dabei Bomben bis zu 90 und mehr
Kilogramm Gewicht teilweise aus niedrigen Höhen (weniger als 600 Meter) abgeworfen. Des öfteren fielen mehr als 6000 Kilogramm in einer Nacht auf eine einzige Stadt, auf Frouard einmal mehr als 9000 Kilogramm. Bestimmte Angaben über den Erfolg fehlen, doch scheint es, wie schon im Februar, zu Stillegungen größerer Betriebe gekommen zu sein. Die französische Bodenabwehr war stark. Kurz vor Beginn der Schlacht in Flandern wurde das Kampf¬ geschwader 4 zur 4. Armee verlegt, bei der bisher schon das Kampf¬ geschwader 1 tätig war, während das ebenfalls im Bereich dieser Armee untergebrachte Kampfgeschwader 3 gegen die französischen Kanalhäfen und England flog1). Schon vorher hatte eine dem Kampfgeschwader 1 zu¬ geteilte Staffel des Kampfgeschwaders 4 den Angriff bei Lombartzyde
(10. Juli) so wirksam unterstützt2), daß künftig auch bei anderen Geschwadern die mit OFlugzeugen2) ausgerüsteten Staffeln zu unmittelbarem Ein¬ greifen in den Erdkampf eingesetzt wurden. Die Kampfgeschwader 1 und 4 unterstützten diesen weiterhin, und zwar zunächst vornehmlich in unmittel¬ barem Zusammenwirken mit der Infanterie. Daneben wurde ihnen auch die Bekämpfung feindlicher Batterienester als Aufgabe gestellt; der Erfolg
gegen diese gut getarnten Ziele entsprach jedoch bei starker feindlicher Abwehr nicht den Erwartungen. Die Oberste Heeresleitung entschied da¬ her am 21. Oktober, daß Angriffe der Kampfgeschwader auf Batterie¬ stellungen einzustellen seien. Dafür wurden wieder Bahn-, Hafen- und Fabrikanlagen, sowie Munitionslager und Flughäfen weit hinter der feind¬
lichen Front als Ziele zugewiesen. Unter Beteiligung des Kampfgeschwaders 3 waren unterdessen in
den Nächten zum 5., 11., 21. und 24. August Dünkirchen, die für den feind¬ lichen Munitionsnachschub wichtigen Bahnhöfe von Aire und Isbergues
(dicht südlich davon), das Hüttenwerk Isbergues sowie der Bahnknoten¬ punkt St. Omer angegriffen und mit zahlreichen Bomben, darunter solchen von 100 und 300 Kilogramm, belegt worden. Anschließend setzten die
Großangriffe gegen Etappenorte hinter der feindlichen Front und besonders gegen die französischen Kanalhäfen ein, über die fast der gesamte Nach¬ schub aus England kam. In der Zeit vom 2. bis 6. und 10. bis 13. Sep') 6.311. -) 6.57.
S) Zweisitzer mit Masch.-Grw.-Ausrüstung.
Operative Luftangriffe.
311
tember wurden Boulogne, dreimal Calais und Dünkirchen sowie wiederum die Eisenbahnanlagen von St. Omer angegriffen. Nach einer kurzen Pause folgten vom 24. September ab weitere Angriffe. Die in einer Nacht aus einzelne Ziele geworfenen Bombenmengen betrugen bis zu 10000 Kilo¬ gramm. Als Erfolg wurden beispielsweise in Dünkirchen vier Tage und
Nächte anhaltende Brände festgestellt, durch die Fabriken, große Lager mit Heeresvorräten und Hasenanlagen schwer beschädigt wurden. Auch feindliche Flughäfen wurden bei den mit kurzen Unterbrechungen bis Ende
des Jahres anhaltenden Angriffen heimgesucht. In der zweiten Novemberhälfte gab der plötzliche feindliche Durch¬ bruchsversuch bei Cambrai Veranlassung, auch bei der 2. Armee starke deutsche Vombenkräfte einzusetzen. Das Kampfgeschwader 4 wurde Ende
November nach dem italienischen Kriegsschauplatz verlegt. Die Erfahrungen im zweiten Halbjahr 1917 führten zu einer Neu¬ gliederung der Kampfgeschwader. Aus den Kampfgeschwadern 1, 2 und 4 wurden sechs Geschwader zu je drei Bombenstasfeln gebildet, nur das Kampfgeschwader 3 behielt sechs. Die Geschwader wurden in „Bomben¬ geschwader" umbenannt.
Die Luftangriffe gegen England hatten bereits Ende Mai be¬
gonnen. Durch sie sollten nicht allein die feindliche Rüstungsindustrie getroffen und militärische Kräfte, die sonst an der Front in Frankreich hätten eingesetzt werden können, gebunden werden, sondern man hoffte auch, die Widerstandskraft des englischen Volkes zu schwächen. Das Kampfgeschwader 3 war dazu Ende Juni wieder auf die frühere Stärke von sechs Staffeln gebracht worden.
Die Schwierigkeit der stundenlangen Flüge über den Kanal, der, wie sich bereits bei den ersten Flügen gezeigt hatte, eine Wetterscheide zwischen dem Festland und England bildete, wurde durch die Anfang Juli nach kurzer Unterbrechung H wieder aufgenommenen Angriffe voll bestätigt. Zudem lag das Hauptangriffsziel London an der Grenze der Reichweite der Flugzeuge. Von sechs in den Monaten Juli und August unternommenen Flügen über den Kanal konnte nur einer, am 7. Juli,
bis London durchgeführt werden; 22 Flugzeuge warfen dabei in wenigen Minuten insgesamt 4475 Kilogramm Bomben ab. Neben erheblichem Sach¬ schaden fielen 250 Menschen dem Angriff zum Opfer. Die Verluste des
möglichst geschlossen fliegenden Geschwaders waren trotz starken wohl¬ gezielten Abwehrfeuers und zahlreicher Luftkämpfe gering: nur ein Flug¬ zeug wurde abgeschossen. In Verbindung mit dem Angriff vom 13. Juni *) Bd. XII, S. 534 f.
312 Sommer und
Herbst 1917.
Der Krieg zur Luft.
hatte dieser Angriff den Engländern gezeigt, daß ihre Hauptstadt jederzeit durch deutsche Geschwaderangrisfe ernstlich bedroht mar1). Bei Flügen, die London nicht erreichten, wurden Ziele an der Küste bombardiert, so Dover und Häsen an der Themse-Mündung durch elf Flugzeuge am 22. August. Dabei gingen drei Flugzeuge verloren. Der Angriff hatte aber gezeigt, daß Flüge weit über feindliches Gebiet am Tage nur noch schwer durchzu¬ führen waren. Man ging daher auch gegen England künftig zu Nachtflügen
über, die weniger Opfer forderten. Nachtangriffe über den Kanal wurden nunmehr sowohl vom
Bombengeschwader 3 als auch, unabhängig davon, wie bisher schon von
Luftschiffen der Marine ausgeführt. So griffen acht Marine-Luftschiffe in der Nacht zum 22. August, elf in der zum 25. September und 13 in der zum 20. Oktober Industriegebiete der englischen Ostküste, bei der
letzten Fahrt auch London selbst an. Bei dieser führten aber die WitterungsVerhältnisse — vier Luftschiffe wurden nach Frankreich, eines bis nach Mitteldeutschland abgetrieben — zu so schweren Verlusten, daß man von
weiteren Unternehmungen mit Luftschiffen Abstand nahm2). Die Nacht¬ slüge des Bombengeschwaders 3 hatten inzwischen in der Nacht zum 3. Sep¬ tember begonnen, es folgten in demselben Monat weitere sechs, im Oktober vier, im November einer, im Dezember drei. London wurde dabei trotz guter Abblendung am Themse-Lauf leicht ausgemacht und achtmal erreicht. Die in einer Nacht abgeworfene Last an Spreng- und Brandbomben schwankte zwischen 400 und 4000 Kilogramm.
Für die Landkriegführung lag die Bedeutung der Angriffe auf Eng¬ land darin, daß ein großes Aufgebot von Abwehrkräften auf der Insel festgehalten und damit der Front in Frankreich entzogen wurde, die aus Flandern sogar eine größere Anzahl von Jagdfliegern abgeben mußte, für die deutschen Flieger eine nicht zu unterschätzende Entlastung. Auch bedeutende Munitionsmengen wurden durch die Abwehr im englischen Heimatland verbraucht; mehr als 20000 Schuß wurden gelegentlich eines
einzigen deutschen Angriffs verfeuert. Ein wesentliches weiteres Ergebnis war die oft stundenlange Unterbrechung der Arbeit und damit Verzögerung in der Erzeugung wichtigsten Kriegsbedarfs, nicht nur in dem angegriffenen *) Engl. amtl. Werk, „The War in the Air“, V, S. 38: „Dieser zweite kühne Angriff auf das Herz von London schaffte eine gespannte Atmosphäre... Der Feind war un¬
gehindert am hellen Tage zum zweitenmal in wenigen Wochen quer über England geflogen, und dafür konnte die englische Öffentlichkeit keine Entschuldigungen finden." 2) Im übrigen waren im Oktober Marine-Luftschiffe an der Eroberung der Baltischen
Inseln beteiligt (S. 201). Eine für damalige Verhältnisse fahrtechnische Leistung erster Ordnung vollbrachte im November L/59, das von Mazedonien den Weg zum oberen Nil
und zurück (zusammen gegen 7000 Kilometer) ohne Zwischenlandung machte (S. 459).
Bombenangriffe auf England.
313
Raum selbst, sondern in dem gesamten vom An-und Rückfluge beunruhigten Raum. In den von Fliegeralarm betroffenen Gebieten stellten 75 v. H. der Munitionsarbeiter die Arbeit ein. Im ganzen wurden durch Nachtangriffe über 800 Personen getötet oder verletzt*), London hatte mit 538 Personen den größten Anteil. 31 Gebäude der Stadt wurden völlig zerstört, 162
schwer beschädigt, 75 sich ausdehnende Brandherde waren entstanden. Besonders schwer aber fiel die Wirkung aus die seelische Haltung der Lon¬ doner Bevölkerung ins Gewicht. Während der Angriffswelle Ende Sep¬ tember stieg die Erregung ständig und versetzte die Negierung in Sorge. Schließlich führten die Luftangriffe aber doch zur Versteifung des englischen Widerstandswillens. Sie wurden zum Anlaß genommen, um die Mannschaftswerbung anzuspornen und die nationalen Kräfte wach¬
zurütteln. „Der großzügige Ausbau des ganzen Militärflugwesens in England während des Krieges und letzten Endes sogar die Schaffung eines gesonderten Luftfahrtdienstes sind zum größten Teil aus die von Bomben
geschwängerte Atmosphäre zurückzuführen, welche in den englischen Städten explodierten" ?).
Als Erwiderung der deutschen operativen Luftangriffe führten die Franzosen und weiterhin auch die Engländer Bombenangriffe
auf das deutsche Heimatgebiet durch. Die Hauptangrifse richteten sich gegen das lothringisch-luxemburgische Industriegebiet einschließlich Metz; die Zahl dieser Angriffe betrug nicht weniger als 43. Sie hatten das Ziel,
durch Lahmlegung der wichtigsten Eisenbahnknotenpunkte das ganze Eisen¬ erzbecken abzusperren. Dank der wirksamen Abwehr gegen die meist nicht einheitlich durchgeführten Angriffe wurde dies nicht erreicht. Fm übrigen wurden das Saargebiet zwölfmal, die Pfalz mit Mannheim und Ludwigs¬ hafen zehnmal, Stuttgart fünfmal, Frankfurt a. M. sowie Trier und Um¬
gebung viermal, Freiburg i. Br., Ossenburg und Tübingen dreimal, Lahr und Oberndorf zweimal angegriffen. Der durch feindliche Luftangriffe auf das deutsche Heimatgebiet ver¬ ursachte Schaden war im Vergleich zur Zahl der Angriffe gering. Die Gesamtzahl der Toten und Verletzten betrug etwa 250. 1) Gesamtverlust in England im Jahre 1917 mehr als 2100 Personen. 2) Amtl. engl. Werk, „The War in the Air“, V, S. 153.
VII. Die Kriegführung der Gegner im Gommer und 6ecbft J9J7* Seit das französische Heer infolge seiner mißlungenen Frühjahrsoffensive und innerer Zersetzung nur noch beschränkt angriffsfähig war, während das britische Heer in Flandern kämpfte, um die deutschen Untersee¬ bootstützpunkte zu erobern, bestand zwischen den beiderseitigen operativen Maßnahmen kein unmittelbarer Zusammenhang mehr. Die Franzosen waren an der britischen Offensive nur mit ihrer 1. Armee (sechs Divisionen)
beteiligt und hatten im übrigen durch ihre Angriffe, bei Verdun im August und gegen die Lauffaux-Ecke im Oktober, deutsche Kräfte zu binden ver¬ sucht. Noch weniger als zwischen den Westmächten selbst konnte von einer
Zusammenarbeit zwischen ihnen und dem russischen Heere die Nede sein; dieses verfiel seinem Schicksal, ohne daß die Westmächte helfen konnten. Auch das italienische Heer erhielt erst nach schwerer Niederlage durch ihre Unterstützung die Möglichkeit, der Offensive der Mittelmächte am Piave endgültig Halt zu gebieten; sechs französische und fünf britische Divisionen waren dazu im November nach Oberitalien entsandt worden*). DieAbgabe
bedeutete für die britische Heersührung einen willkommenen Grund zur
Einstellung der überaus verlustreichen und auch sonst enttäuschenden Offen¬ sive in Flandern. Im Zusammenhang mit der Hilfeleistung für Italien ist es bei Be¬ sprechungen der führenden Generale und Staatsmänner in Rapallo am
5. November zur Vereinheitlichung der gemeinsamen Kriegführung durch Bildung eines „Obersten Kriegsrats" der Verbündeten gekommen. Ihm sollten neben den leitenden Staatsmännern Frankreichs, Englands und Italiens und je einem weiteren Regierungsmitglied je ein General der ver¬ bündeten Staaten als Berater angehören, und zwar der französische Generalstabschef General Foch, der englische General Wilson, der bereits früher die
Verbindung mit der französischen Heeresleitung zu halten gehabt hatte und das besondere Vertrauen des Premierministers Lloyd George wie der
Franzosen genoßt), für Italien der bisherige Oberbefehlshaber des Heeres !) 6.305. a) Bd. XII, S. Ivsf. #
oberster Kriegsrat. — Ersatzschwierigkeiten.
315
General Graf Cadorna, für Amerika General Tasker H. Bliß. Dieser Oberste Kriegsrat, der monatlich einmal in Versailles zusammentreten sollte, hatte die Führung des Krieges im Großen zu überwachen, die Unter¬ lagen für die Entschlüsse der Regierungen zu schaffen, deren Durchführung zu verfolgen und an die beteiligten Regierungen darüber zu berichten.
Die Verantwortlichkeit der Oberbefehlshaber und Generalstäbe ihren eigenen Regierungen gegenüber blieb im übrigen unberührt. Mit dieser Regelung war ein erster Schritt aus dem Wege zum einheitlichen Ober¬
befehl getan. In der Frage der Hilfeleistung für Italien hatte der Oberste Kriegsrat sich zum erstenmal und mit Erfolg betätigt. Die Verluste des Jahres 1917 waren schwer gewesen, beim fran¬ zösischen Heere rund 500000, beim britischen 800000 Mann, die nicht voll wieder erseht werden konnten, zumal da gleichzeitig vor allem Artillerie, Tankwafsen und Luststreitkräfte ausgebaut wurden. In Frankreich waren daher bis zum 1. November 1917 bereits 235 Infanterie-Bataillone aufgelöst und der Bestand der Depots bei den Divisionen auf die Hälfte herabgesetzt worden, was einem weiteren Aus¬ fall von etwa 100 Bataillonen gleichkam. Die Kopfstärke des Feldheeres an der Front im Westen (einschließlich Italien) war bis zum Jahreswechsel um 216000 Mann gesunken. Die noch im Gange befindliche Umwandlung der Divisionen zu vier Regimentern in solche zu drei konnte nicht mehr, wie ursprünglich beabsichtigt, der Aufstellung neuer Verbände dienen, sondern nur noch der Deckung von Ausfällen. Am 2. Oktober hatte General Petain die Auflösung von sechs Divisionen innerhalb Jahresfrist vorge¬ schlagen, für drei Divisionen wurde sie bereits im November angeordnet. Andererseits war gleichzeitig die Vermehrung der Feldartillerie um 100, der schweren um 250 Batterien beabsichtigt. Alles in allem aber mußte damit gerechnet werden, daß die Kopsstärke an der Front gegen Deutsch¬ land, wenn die Verluste aus bisheriger Höhe blieben, bis zum Herbst 1918 um voraussichtlich 700000 Mann sinken würde.
Auch beim britischen Expeditionsheere hatten die Ersatzquellen nicht ausgereicht, die Verluste zu decken. In den letzten Monaten waren durchschnittlich 15000 Fehlstellen entstanden. Da man die Bataillonszahl der Divisionen (zwölf) nicht herabsetzen wollte, mußten vier in der Heimat befindliche Divisionen aufgelöst werden. Die Artillerie blieb in ihrem
Bestände im wesentlichen unverändert, Tankwafse und Luststreitkräste wurden vermehrt.
Die Lage war recht ernst geworden. Das führte in Frankreich dazu, daß am 16. November mit Clemenceau ein Mann von fanatischem Siegeswillen an die Spitze der Regierung berufen wurde. Das war
316
Die Kriegführung der Gegner im Sommer und Herbst 1917.
einerseits ein Zeichen der schweren Not, in der sich Frankreich befand, andererseits aber auch ein Beweis für die Entschlossenheit, die das fran¬ zösische Volk noch beseelte. Als Ministerpräsident und Kriegsminister zu¬ gleich verkörperte er ebenso wie Lloyd George in England den Willen
zur Fortsetzung des Kampfes bis zum vollen Endsiege.
In England hatten sich angesichts der ungeheuren Blutopser aber geringen Erfolge der Offensive in Flandern ernste Reibungen zwischen Lloyd George und den führenden Generalen ergeben. Da diese, ebenso wie die französische Heeresleitung, aber auch wie einige Mitglieder des englischen Kriegskabinetts der Ansicht waren, daß die Entscheidung unbedingt an der Westfront gesucht und daher dort der letzte Mann ein¬
gesetzt werden müsse, hatte der Premierminister darauf verzichtet, den Abbruch der Schlacht in Flandern zu verlangen. Ihr Verlaus schien ihm aber zu bestätigen, daß der Krieg durch Angriff gegen die deutsche West¬ front nicht zum siegreichen Ende zu bringen, sondern daß Deutschland nur nach vorheriger Ausschaltung seiner Verbündeten, vor allem OsterreichUngarns, zu überwinden sei. In diesem Sinne war er, im Gegensatz zum Reichsgeneralstabsches, General Robertson, und zum Oberbefehlshaber des
Expeditionsheeres, Feldmarschall Haig, schon frühzeitig für kräftige Unter¬ stützung Italiens eingetreten, um es zum Angriff auf die Donaumonarchie zu befähigen. Mit der Herbstniederlage des italienischen Heeres war dieser Plan zerronnen. Der Gedanke, statt dessen nunmehr die türkische Front zum Einsturz zu bringen, ließ sich aus Mangel an Schiffsraum für den Transport von Truppen und Gerät einstweilen nur in der beschränkten
Form des Angriffs auf Palästina ausführen. Operativ bedeutungslose Geländegewinne an verschiedenen Stellen der deutschen Westfront, geringfügige auch am Balkan und etwas größere in Palästina waren seit dem Frühjahr die einzigen militärischen Erfolge der Entente gewesen. Sie wurden völlig überschattet durch das Aus¬
scheiden Rußlands und Rumäniens, die Niederlage Italiens und schließlich auch den Erfolg des deutschen Gegenangriffs westlich von Cambrai bei gleich¬ zeitigem Anhalten der würgenden Wirkung des Unterseekrieges und bedenk¬ licher Schrumpfung der eigenen Wehrkraft. Der östliche Arm der Zange, in der man die Mittelmächte bisher zu erdrücken versucht hatte, war endgültig
zerbrochen. Auf Sowjet-Rußland war überhaupt nicht mehr zu rechnen, auch die Hoffnungen auf die Ukraine entschwanden bald, nur im unbesetzten Teile Rumäniens war die französische Militärmission einstweilen noch tätig. Durch die Gesamtheit dieser Verhältnisse und die Abgaben an das
italienische Heer einerseits, durch das Freiwerden bisher gegen Rußland eingesetzter deutscher Truppen andererseits war an der Front in Frankreich
Gesamtlage und Hoffnung auf die Hilfe Amerikas.
317
und Belgien ein Umschwung im Stärkeverhältnis eingetreten. Zum ersten Male seit Kriegsbeginn schien die zahlenmäßige Überlegenheit der West¬ mächte in Frage gestellt. Die Hoffnung der Entente gründete sich jetzt hauptsächlich auf das Eingreifen des amerikanischenExpeditionsheeres. Dabei aber wurde ihre Geduld auf eine harte Probe gestellt. Bei aller Bereitwilligkeit der Bereinigten Staaten zu schneller Hilfe waren vor allem infolge von Ausbildungs- und Transportschwierigkeiten bis Ende 1917 doch erst 145000 Mann
amerikanischer Truppen in Frankreich eingetroffen. Der Oberste Kriegs¬ rat mußte damit rechnen, daß das amerikanische Expeditionsheer erst im Laufe des Jahres 1918, unter Umständen erst im Jahre 1919, so stark sein werde, daß man wieder zum Angriff schreiten könne. Das Jahr 1917 hat Präsident Poincar« als „l’annee trouble“ be¬ zeichnet1). Die Initiative auf den europäischen Kriegsschauplätzen war der Entente entglitten. Sie mußte sich aus Abwehr beschränken. Haus¬ halten mit den in bedrohlichem Maße schwindenden Kräften, bis die Amerikaner angriffsbereit waren, blieb die vordringlichste Aufgabe. Die
Hoffnungen für die nächste Zukunft gründeten sich hauptsächlich auf Härte und Willen der beiden Persönlichkeiten, die jetzt die Geschicke ihrer Länder lenkten: Clemenceau und Lloyd George. *) „Au Service de la France“, Bd. IX.
VIII. Die Oberste Heeresleitung im Gommer und Herbst 191 und Rückblick
auf die Kriegführung seit Herbst 1916. Mai/Juni.
In der Mitteilung der Obersten Heeresleitung: „Lage an der West¬ front am 26. Mai 1917" waren zum ersten Male auch die Amerikaners erwähnt worden. Es hieß dort: Nach den Erfahrungen der Engländer
seien für Ausstellung, Ausrüstung und Ausbildung größerer Verbände etwa zehn Monate erforderlich. Die Beanspruchung des Schiffsraums für die Versorgung der Entente schließe größere Mannschaftstransporte aus, und zwar um so mehr, solange der Unterseekrieg wirksam bleibe. Es könne
daher dahingestellt bleiben, inwieweit die Entente in der Lage sei, starke amerikanische Kräfte nach Europa zu schaffen. Da die Reguläre Armee den Stamm für die Neusormationen abgeben müsse, stehe sie mit ihrer Masse vorläufig nicht zur Verfügung. Doch sei aus politischen Gründen die Überführung von ein bis zwei Divisionen nach Frankreich im Laufe des Sommers möglich. Die dann im Juni dort gelandeten ersten ameri¬
kanischen Truppen hatten anscheinend die Stärke einer Division, deren seldmäßige Ausrüstung aber noch unvollständig sein sollte. Aus mehr als zwei Divisionen rechnete man für das Fahr 1917 auf dem europäischen Kriegsschauplatz nicht, denn die Masse des Heeres könne vor Anfang 1918 nicht transportbereit sein und der Umfang der Transporte werde von dem dann noch verfügbaren Schiffsraum abhängen. In einer Denkschrift vom 20. Juni hielt es Major Wetzell aller¬ dings für recht fraglich, ob der Unterseekrieg das Eingreifen starker ameri¬ kanischer Heeresteile verhindern werde. Man müsse also die Zeit bis zu ihrem Wirksamwerden ausnutzen, „um durch aktives Handeln auf dem Landkriegsschauplah unseren Gegnern die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage klar vor Augen zu führen". Dies sei nur zu erreichen, wenn das Jahr 1917 *) Bd. XII, S. 166. — Die Mitteilungen „Lage an der Westfront" wurden von
der Abteilung „Fremde Heere" bearbeitet und seit 26. Februar 1917, von General Luden¬ dorfs unterschrieben, wöchentlich bis zu den Armee-Oberkommandos einschl. ausgegeben.
Eintreffen der Amerikaner und Untersee krieg.
319
durch einen sichtbaren (Erfolg abschließe wie 1915 gegen Rußland und Serbien, 1916 gegen Rumänien. Nur aus diesem Wege bestehe „neben dem automatisch wirkenden U-Boot-Krieg die Möglichkeit, vielleicht zu einem Frieden noch im Jahre 1917, bevor Amerikas Hilfe wirksam werden kann, zu kommen". Er schlug vor, nach Abschluß der soeben begonnenen Offensive in Galizien und nachdem die Entscheidung in der in Flandern erwarteten Schlacht gefallen sei, einen Angriff gegen Italien zu führen, und wiederholte damit die schon mehrfach von ihm vertretene Auffassung1),
daß ein gemeinsam mit dem österreichisch-ungarischen Heere geführter entscheidender Schlag die „schon weit gediehene innere Zersetzung des italienischen Volkes vollenden und es wahrscheinlich für einen Frieden gefügig machen werde".
Eine Stellungnahme des Generals Ludendorffzu dieser Denkschrift liegt nicht vor2). Bei ihm stand die Hoffnung, daß der Unterseekrieg bei gleichzeitiger erfolgreicher Abwehr im Westen und siegreicher Gegen¬ offensive im Osten die Gegner bis zum Winter zum Nachgeben zwingen
werde, durchaus im Vordergründe. Das wiederum sehr hohe Versenkungsergebnis des Monats Funi, das auf mehr als eine Million Tonnen (Mai nur 870000 Tonnen) angegeben wurde, konnte solche Hoffnung wohl
bestärken. Der Admiralstab hatte der Mitteilung hinzugefügt: „Diese Erfolge rechtfertigen volles Vertrauen in die unausbleibliche und ent¬
scheidende Wirkung auf unsere Gegner". Derselben Auffassung war auch General Ludendorff. Andererseits leitete ihn — wie er nach dem Kriege schrieb2) — der Gedanke, „Rußland und Rumänien zu schlagen, um 1918
die Entscheidung im Westen durch einen Angriff in Frankreich unter Mit¬ wirkung des U-Boot-Krieges zu erstreben, falls dieser allein die erhoffte
Wirkung noch immer nicht erzielt haben sollte". Äußerste Sparsamkeit mit den eigenen Kräften war geboten, um
unabweisbaren Forderungen einigermaßen gerecht zu werden. Solange mit Kriegsmüdigkeit und baldigem Nachgeben der Gegner gerechnet wurde, kam aber das Einsparen von Truppen durch freiwillige Zurück¬ nahme von Frontabschnitten nur im äußersten Notfall in Frage; es wäre
als Zeichen von Schwäche ausgelegt worden, hätte den Gegnern neuen Auftrieb gegeben, die Stimmung im eigenen Volke aber gedrückt. Daher wurde mit einer dem Nichteingeweihten fast kleinlich erscheinenden Ge’) S.ZSff. ') 6.37.
8) „Meine Kriegserinnerungen", 6.379; ähnlich auch in: „Kriegführung und Politik,
S.198.
%
320 Dis
Ende Juli.
Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917.
nauigkeit über jeden Kräfteemfatz gewacht*), nachdem seit Anfang Zum im ganzen zehn deutsche West-Divisionen ohne Ersah nach dem Osten abgegeben waren. Selbst kleinste Angrisssunternehmungen mußten wegen
des mit ihnen verbundenen Verbrauchs auf ihre Durchführbarkeit geprüft werden. Einschub auch nur einer einzigen Division mehr an einer Haupt-
kampsftont zog das Bereithalten von zwei weiteren Divisionen zur Ablösung nach sich und verminderte dementsprechend die freien Reserven. Geradezu ängstlich mußte dauernd der Munitionsverbrauch geregelt werden. Unterdessen nahm — abgesehen von Verhandlungen mit der Reichs¬ leitung wie mit Österreich-Ungarn über Friedensfragen?) — vor allem
die dauernd aufs äußerste gespannte Lage an der Westfront Aufmerksam¬ keit und Arbeitskraft der Obersten Heeresleitung voll in Anspruch. Alle operativen Erwägungen standen unter dem Drucke der seit dem 31. Juli entbrannten Abwehrschlacht in Flandern, aber auch der Bedrohung an¬
derer Abschnitte durch wuchtige französische Teilangrisfe. Der Gegner schrieb durch seine große zahlenmäßige Überlegenheit das Gesetz des Han¬ delns vor. Von der Lage im Westen hing es ab, mit welchen Kräften die
begonnene Gegenoffensive im Osten fortgesetzt und weitere AngriffsUnternehmungen eingeleitet werden konnten. Bis zur Grenze des Mög¬
lichen hat die Oberste Heeresl.eitung die Westfront geschwächt, um die Unteri) Am 25. guli, bei gespannter Lage vor Verdun, mahnte die Hgr. Deutscher Kronprinz offensichtlich auf Veranlassung der Q. H. L. die Oberbefehlshaber ihrer Armeen, „sich mit ihrer ganzen Person für weitgehendste Sparsamkeit mit Kräften und Munition einzusehen". Nach einer Aufzeichnung des Generals von Kühl vom 2.August 1917 (während der Schlacht in Flandern) verlangte General Ludendorff an diesem Tage, daß die Gruppe Ypern der 4. Armee statt vier nur drei Division in ihre Front einschiebe. „Sonst können die Ope¬ rationen im Osten nicht durchgeführt werden." Auch bei der Gruppe Wytschaete sollte möglichst eine Division herausgezogen werden. Eine Tagebuch-Aufzeichnung vom 16. August lautet: „... Ludendorff rief mich gestern abend an, die Munition reicht nicht, die 4. Armee müsse weniger feuern.“ Am 20. August heißt es in den Aufzeichnungen des Generals von Kühl: „Ludendorff ruft an, wie lange wir mit unseren eigenen Kräften die Schlacht in Flandern durchkämpfen können. Danach werde entschieden, ob die Operation bei Mitau gemacht werden kann oder
nicht." Antwort: Es geht bis Anfang Oktober, doch müßten wir dann die Divisionen schon zum dritten Male einsetzen.
Am 18. Oktober, angesichts französischer Artillerievorbereitung gegen die Laffaux-Ecke, heißt es im Kriegstagebuch der Hgr. Deutscher Kronprinz: „Von O. H. L. Hinweis, daß mit Gasmunition zu sparen ist, nachdem erst kurz vorher auch auf Sparsamkeit mit BrisanzMunition für l. F. H. und s. F. H. hingewiesen wurde." Am gleichen Tage antwortete die O. H. L. auf eine Meldung dieser Heereegwppe über unzureichende Luftstreitkräfte, daß, „solange der Grohkampf in Flandem dauert, nennenswerte Verstärkungen an Luftstreit- und Flakkräften nicht zugeführt werden können .
-) S. 14f.
321
Gespannte Lage an der Westfront.
nehmungen gegen Rußland in Gang zu setzen und im Gang zu halten und damit zunächst einmal im Osten den Krieg zum Abschluß zu bringen. „Die
Kriegslage verlangte, daß ich Schweres auf mich nahm, so Schweres, daß es auch an mir rüttelte" — schrieb General Ludendorsf nach dem Kriege1) —
„... Don dem Deutschen Kronprinzen wurde mir im Lause der Ereignisse
oft gesagt, ich solle die Lage im Westen nicht überspannen... Konnte die Oberste Heeresleitung das Festlegen der Divisionen im Osten überhaupt verantworten? Richt nur der Deutsche Kronprinz, auch einzelne sehr ruhig denkende Chefs2) schüttelten den Kopf." Die Abwehrsront vor Verdun hatte man nicht so ausstatten können, wie es erwünscht gewesen wäre, und doch auch zum Ausweichen sich nicht entschließen können. Es entstand vorübergehend eine so gespannte Lage, daß General Ludendorsf am 13. August zum Angriff auf Riga bestimmte Divisionen zum Abtransport nach dem Westen bereitstellen ließ und, als am 20. August morgens der französische Angriff bei Verdun einsetzte, ihre Verladung befahl. Verdun wurde ein schwerer Rückschlag, nachdem erst zwei Tage vorher ein neuer gewaltiger Ansturm der Italiener gegen
die österreichisch-ungarische Südwest-Front und auch am Isonzo eine be¬
denkliche Lage geschaffen hatte. Trotzdem entschloß sich General Luden¬ dorff bereits am Nachmittag des 20. August, die Ost-Divisionen zum Ein¬ satz gegen Riga wieder freizugeben. Denn alles in allem beurteilte er nach dem Siege in Galizien und nach erfolgreicher Abwehr der englischen Gro߬ angriffe vom 31. Juli, 10. und 16. August in Flandern die Gesamtlage
doch nicht ungünstig2). In der „Auffassung der Lage4") vom 22.August wurden die geringen Erfolge der englischen Dauer- und Massenanstürme in Flandern wie auch der neuesten französischen Angriffe vor Verdun dem so viel grö¬ ßeren Ergebnis der deutschen Offensive im Osten gegenübergestellt. Weiter hieß es:
„Sollten die Angriffe unserer westlichen Gegner beweisen, daß sie doch nicht mehr aus die amerikanische Hilfe warten können?... Die
Konferenz in London2) verlies nicht zur Zufriedenheit der Teilnehmer. ‘) „Meine Kriegserinnerungen", S. 379 ff. 2) Wer damit gemeint war, ist nicht bekannt. *) S. 16. 4) Die „Auffassung der Lage" wurde von der Polit. Abtlg. der O. H. L. bearbeitet und, von General Ludendorff unterschrieben, nach Bedarf an die Heeresgruppen sowie an die
militärischen Vertreter bei Bundesgenossen und Neutralen ausgegeben. l) Sie hatte am 7. und 8. August stattgefunden. Weltkrieg. XIII. Sb.
21
322
Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917.
End« August. Italiens Eroberungspläne fanden nicht die volle Billigung. Die kleinen Staaten waren gar nicht hinzugezogen. Das neue Schlagwort .ElsaßLothringen' zieht nicht mehr, um die Kriegsmüdigkeit Frankreichs zu
unterdrücken. Ribot, ja auch die Präsidentschaft Poincares sind in Gefahr. Fn England sind gleiche Anzeichen, daß die inneren Verhältnisse sich schwie¬ riger gestalten. Der Fortgang Hendersons4) und die Mittel Lloyd Georges, sich am Ruder zu erhalten, sind kennzeichnend für die Auffassung der Arbeiter gegen die Regierung. Die Wirkung des U-Boot-Krieges tritt mit zwingender Kraft immer mehr in die Erscheinung. Daran wird auch eine vorübergehende Verringerung der U-Boot-Erfolge wie im Mai nichts ändern. Sie ist eine natürliche Erscheinung, bedingt durch größere Über¬
holungen nach jeder Zeit besonders wirksamer Tätigkeit. England fordert seine an Frankreich geliehenen Schiffe zurück." Eine Verringerung der Ergebnisse des Unterseekrieges war - wie um diese Zeit bekannt wurde — im Juli tatsächlich eingetreten; sie waren aus 811000 Tonnen gesunken. Admiral von Holhendorfs aber war seiner
Sache nach wie vor gewiß. Er hatte gelegentlich eines Besuches an der Front der 4. Armee am 20. August Kronprinz Rupprecht gegenüber sogar ver¬
sichert^), „seiner Meinung nach werde der U-Boot-Krieg England bereits bis Ende Oktober niederzwingen". Den Rückgang der Versenkungsziffern führte der Admiralstab 3) auf. verminderten Seeverkehr und nicht auf Ver¬
stärkung der feindlichen Abwehr zurück. Immerhin weckte dieser Rückgang bei der Obersten Heeresleitung Bedenken. „Sechs Monate des U-Boot-Krieges" — schrieb General Ludendorff nach dem Kriege4) — „waren verflossen. Er hatte viel, rein zahlenmäßig mehr, aber in seinem Enderfolge nicht das geleistet, was vorausgesagt war.
Roch hatte ich die Hoffnung, daß die Vermutungen der Marine sich doch in naher Zeit erfüllen würden." Am 28. August ging eine von ihm per¬
sönlich entworfene Anftage an den Chef des Admiralstabes: Der Tauchbootkrieg weise nur geringe Ergebnisse aus; er würde es nicht für zweckmäßig halten, wenn — wie gesagt worden sei — Unterseeboote für Kampfzwecke
zurückgestellt würden. Admiral von Holtzendorsf antwortete in beruhi¬ gendem Sinne. *) Minister und Führer der Ladour-Partei. a) Aufzeichnung des Kronprinzen Rupprecht von diesem Tage („Mein Kriegstage¬ buch« n, S. 248). *) Aufzeichnung des Kronprinzen Rupprecht vom 28. August 1917 („Mein Kriegs¬ tagebuch« II, S. 251). Die dort erwähnte „Denkschrift« des Admiralstabes konnte nicht ermittelt werden.
*)„Meine Kriegserinnerungen«, 6.348.
Sinkende Ünterseekriegs-Ergebnisse. — Entspannung im Westen.
523
Als unterdessen am 23. August die österreichisch-ungarische Heeres¬ leitung mit der Bitte um deutsche Unterstützung gegen Italien vor¬
stellig wurde, da sie sonst weiteren Anstürmen des Gegners nicht stand¬ zuhalten vermöge, war der Widerstandswille Rußlands trotz großen Erfolges in Galizien noch keineswegs gebrochen. Die galizische Offensive war an der russischen Grenze zum Stehen gekommen, und in Rumänien
war nichts Entscheidendes erreicht. Die Regierung Kerenski hatte die Leitung durchaus in der Hand. Sie stand ebenso wie die rumänische fest zur Entente und wurde von dieser, vor allem auch von Amerika, nach
Kräften unterstützt. Von dem jetzt unmittelbar bevorstehenden Angriff auf Riga wurde weitere Wirkung erhofft. Die dann folgende Offensive in die Moldau sollte die entscheidende Wendung der Lage im Osten bringen. Der Entschluß, statt dessen nach Abschluß des Unternehmens gegen Riga und, sofern es die Lage im Westen gestattete, sechs Divisionen an den
Zsonzo zu geben, ist General Ludendorff besonders schwergefallen; er wollte sie daher auch nur für kurze Zeit und nicht weiter als bis zum Tagliamento zur Verfügung stellen. Im Westen aber schien sich die Lage doch allmählich zu ent¬
spannen; seit zwei Wochen hatte kein englischer Großangriff mehr statt¬ gefunden. Beim Kronrat am I I. Septembers gewann die Oberste Heeres¬
leitung den Eindruck, daß ein Friedensfühler von englischer Seite vorliege. Bei einer Besprechung, zu der am 19. September die Generalstabs-
chefs der drei westlichen Heeresgruppen sowie des Oberbefehlshabers Ost, der Heeressront Erzherzog Josef und der Heeresgruppe Mackensen, ferner General von Cramon nach Kreuznach gekommen waren, gab General Ludendorss — nach Tagebuchauszeichnungen des Generals von Kühl vom 20. September^) — folgendes Bild der Gesamtlage: „Eine große Offen¬ sive bei uns im Westen kommt nicht in Betracht. Die Engländer und Fran¬
zosen haben mit den stärksten Mitteln keinen Durchbruch zustande gebracht. :) S. 17. — Nach einer Aufzeichnung des Kronprinzen Rupprecht vom 12. Sep¬
tember 1917 („Mein Kriegstagebuch" II, S. 260) lagen Nachrichten vor, nach denen „Eng¬ land allmählich des Krieges müde zu werden" schien. Dort heißt es weiter: „Wie ein aus dem Osten kommender General mir sagte, hatte er (Ludendorff) kurz vor der Einnahme
von Riga (Z. September) erklärt, seiner Überzeugung nach werde der Krieg noch in diesem Winter zu Ende gehen."
2) Ergänzt durch Aufzeichnungen des Kronprinzen Rupprecht von Bayern („Mein Kriegstagebuch" II, S. 263) vom 20. September nach dem ihm von General von Kühl erstatteten Bericht. Dabei heißt es zum Schluß: „gm Großen Hauptquartier meint man, er Krieg werde noch in diesem Jahre zu Ende gehen". Die Akten enthalten nichts über I Besprechung. Bei Hans von Geeckt: „Aus meinem Leben" (6.607s.) wird die Be¬
sprechung lediglich erwähnt. Was den Anstoß zu ihr gegeben hat, ist nicht bekannt. 21*
September.
324
Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917.
s.pt«nb«r. In Italien sind die inneren Verhältnisse sehr gespannt, es kann eine
Revolution geben. In Frankreich ist die Stimmung der Armee besser als im Mai... Unsere Ersatzlage ist schwer." Für das Wirtschaftsleben seien 1026000 Kriegsverwendungsfähige zurückgestellt; man hoffe etwa 300000 davon herauszuziehen. Der Ersahbedarf betrage für Preußen zur Zeit monatlich 44000 Ausgebildete, 16000 Rekruten1); bis Januar sei er gedeckt, von da ab schwierig, da der nächste Jahrgang (1900) erst im Herbst 1918 eingezogen werden könne. „Von diesem Gesichtspunkt aus
sind alle Unternehmungen zu unterlassen, die nicht nötig sind." Die Pferdelage sei sehr ernst; die Futterlage werde auch durch die neue Ernte nicht gebessert. Im Verbrauch von Benzin sei äußerste Sparsamkeit geboten, doch hoffe man im Frühjahr weiteres Benzin aus Rumänien zu erhalten.
Durch Explosion einer großen Pulverfabrik sei die Pulvererzeugung um ein Achtel zurückgegangen. Die Kohlenfrage sei sehr schwierig. „Aber alle diese Schwierigkeiten sind auch beim Feind. Sie werden keinen ent¬
scheidenden Einfluß auf unsere Kriegslage haben"2), ottos«.
Ant 3. Oktober lag bei der Obersten Heeresleitung eine Agenten¬ meldung vor, nach der England den Krieg zu beenden suche, bevor Ame¬ rika sein Schwert in die Waagschale geworfen habe, denn es fürchte
dessen Übergewicht für die Friedensfragen und suche daher durch mili¬ tärische Erfolge wie durch andere Mittel einen annehmbaren Frieden. Als dann tags daraus die Meldung eines anderen Agenten einging, die
militärische Situation der Entente dränge zur Entscheidung, es sei daher mit energischer Fortsetzung der Angriffe an der Westfront zu rechnen,
hielt General Ludendorff diese beiden Nachrichten doch für so bedeutsam, daß er sie mit der Einleitung: „Zwei zuverlässige Agenten melden" an
die Heeresgruppen Kronprinz Rupprecht und Deutscher Kronprinz weiter¬ gehen ließ. Soweit aus den Akten erkennbar, unter dem Eindruck dieser Nachrichten, daneben wohl auch angesichts der immer schwieriger wer¬ denden und stets überaus verlustreichen Abwehr der feindlichen Gro߬ angriffe im Westen, zuletzt am 4. Oktober in Flandern mit wiederum mehr als 4000 Gefangenen, fragte er am 6. Oktober früh bei der 4. Armee !) Für Bayern, Sachsen und Württemberg war noch knapp ein Drittel hinzuzurechnen, so daß sich der Gesamtbedarf auf etwa SöOM Ausgebildete und 21 OCX) Rekruten gestellt
haben dürfte. 2) Ebenfalls im September (Tag unbekannt) sprach General Ludendorff in einem Brief an den Verleger der Königsberger Allgemeinen Zeitung, Alexander Wyneken, ähn¬ liche Gedanken aus: „Fch kann aus innerster Überzeugung sagen: Unsere Lage ist trotz Österreich-Ungarn besser wie die der Entente ... Wir haben also allen ©rund, unsere Nerven
zehn Minuten länger wie unsere Feinde zu behalten. Hierauf kommt es an" („Am heiligen Quell deutscher Kraft, Ludendorffs Halbmonatsschrift" vom 5.Mai 1939).
Vorübergehende Hoffnung auf Einlenken der Gegner.
325
und der Heeresgruppe Kronprinz Nupprecht an, wie oft der Feind dort
noch angreifen werde, und fügte hinzu: „Wenn wir diesen Herbst durch¬ halten, haben wir gewonnen'"). An die Heeresgruppe ließ er unmittelbar darauf ein eigenhändig entworfenes Fernschreiben abgehen, das mit den Worten begann: „Für den Ausgang des Krieges ist die Erhaltung der eigenen Kraft in Flandern von ausschlaggebender Bedeutung. Halten wir dort kampfkräftig bis Winterbeginn durch, so ist unsere Lage ein sehr gute. Wir dürfen uns daher nicht zerschlagen lassen und müssen Geländeverluste in den Kauf nehmen, um dies Ziel zu erreichen. Die Sicherung unserer U-Boot-Basis läßt aber nur beschränkten Geländeverlust zu". Eine Woche später, nach den Abwehrerfolgen des 9. und 12. Oktober, meinte er daher,
„dah wir möglichst wenig Gelände dem Gegner preisgeben sollten, da ja doch bis in 14 Tagen alles gewonnen sei"2).
Die hier zutage tretende Auffassung, dah der Krieg den Winter nicht überdauern werde, scheint aber doch nur noch kurze Feit bestanden zu haben. Der Grund lag vielleicht in dem weiteren Absinken der Erfolge des Unterseekrieges. Im August war die Versenkungszisser nicht wieder gestiegen, im September war sie gar mit 672000 Tonnen auf den nied¬
rigsten Stand seit Beginn der warnungslosen Torpedierungen am
1. Februar heruntergegangen. Obgleich diese Form des Handelskrieges zur See nun volle acht Monate (statt der vom Admiralstab ursprünglich
veranschlagten fünf) gewirkt und, soweit die Meldungen erkennen ließen, über Erwarten hohe Ergebnisse gebracht hatte2), war von einer ernst zu
nehmenden Neigung zum Einlenken, trotz gelegentlich anders lautender Nachrichten, bei den Gegnern immer noch nichts zu spüren. Im großen und ganzen schien der Tiefstand ihrer Stimmung, der im Mai-Juni ge¬ herrscht hatte, überwunden. Sie stellten ihren Völkern in Aussicht, daß im Frühjahr 1918 das Eingreifen des amerikanischen Heeres den Sieg bringen werde, und stärkten dadurch ohne Zweifel den Willen zum Durchhalten und *) Aufzeichnung des Gen. von Kühl vom 6. Oktober 1917. (Ähnlich Kronprinz Rupprecht an demselben Tage: „Mein Kriegstagebuch", S. 268.) !) Aufzeichnung des Kronprinzen Rupprecht vom 13. Oktober („Mein Kriegstage¬ buch" n, S. 272). Generaloberst von Einem schrieb am 16. Oktober („Ein Armeeführer erlebt den Weltkrieg", S. 344): „Die Kriegslage wird als sehr günstig angesehen". Worauf sich die Zuversicht der O.H. L. außer auf die militärische Lage (Flandem, Landung
auf Osel) gegründet haben könnte, hat sich bisher nicht feststellen lassen. Dah etwa die Reichs¬ tagsrede des Staatssekretärs von Kühlmann vom 9. Oktober mit dem Satze: „Außer dem französischen Wunsche auf Elsah-Lothringen soll es kein Friedenshindernis geben" — mit¬
gesprochen hat, ist kaum anzunehmen, da sie letzten Endes eine scharfe Absage an Frankreich enthielt und seit dem 10. Oktober bekannt war, daß England in dieser Frage hinter Frank¬ reich stehe. So bedeutete sie vielmehr das Ende aller Friedensanknüpfungen. 3) Bd. XII, S. 83 und 539. Gemeldete Versenkungsergebnisse S. 448.
326
Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917.
ouofrtr. die Kampffreudigkeit. Aber auch von der durch den Unterseekrieg erhofften Entlastung der deutschen Westfront war bei den bisherigen Kämpfen wenig zu merken, es sei denn, daß ohne den Unterseekrieg die feindliche Übermacht an Zahl und Material noch erdrückender gewesen wäre. Als die Oberste Heeresleitung beim Admiralstab wegen wirksamerer Störung der
Transporte zwischen England und Frankreich anfragen ließ, antwortete Admiral von Holtzendorff am 24. Oktober: Größtmögliche Störung werde
dauernd angestrebt; seit 1. Februar seien im östlichen Kanal, wo der Transportverkehr im wesentlichen stattfinde, 104 Schiffe mit 167434 Tonnen versenkt worden; mehr Boote als bisher dort anzusetzen, sei aber wenig aussichtsvoll und entzöge diese dem Unterseekrieg in lohnenderen Gebieten. Fn der nach Abschluß des Monats Oktober herausgegebenen „Auf¬ fassung der Lage" (seit dem 22. August war keine mehr erschienen), die die Oberste Heeresleitung an die militärischen Vertreter bei Bundes¬
genossen und Neutralen verteilen ließ, hieß es: „In kurzen Pausen folgen sich die Großkampftage in Flandern. Das beweist, wie der U-Boot-Krieg wirkt. England versucht alles, um vor dem Winter unseren U-Booten ihre Stützpunkte an der flandrischen Küste zu nehmen. Kein Einsatz an
Menschen und Material wird gescheut. Heftiger sind die Kämpfe denn je. Unsere Front hält aber und wird halten". Weiter wurden Mitteilungen über die Erfolge gegen Rußland und Italien sowie über politische und wirtschaftliche Verhältnisse gemacht. Der Unterseekrieg wurde also er¬ wähnt, großes Vertrauen auf seine Wirkung als alleiniges Mittel zur Kriegsentscheidung hatte man aber offensichtlich nicht mehr1). Unterdessen war am 23. Oktober in dem voll gelungenen französischen
Ansturm gegen die Lassaux-Ecke die wieder erstarkte Angriffskraft des
französischen Heeres klar zum Ausdruck gekommen. Tags darauf hatte aber auch die deutsch/österreichisch-ungarische Offensive zur Entlastung der Front des Verbündeten gegen Italien mit glänzendem Anfangserfolg End« Oktober, begonnen. In Flandern ging das schwere Ringen weiter. Der Verlauf der Schlacht veranlaßte zu Erwägungen darüber, wie zu verfahren sei, um der Wiederholung des bisherigen kräfteverzehrenden Abwehrkampfes in der Zukunft vorzubeugen. Nachdem die verx) Am 6. Nov. heißt es in einer Tagebuchaufzeichnung des Gen. von Kühl: „Man hört wenig mehr vom U-Boot-Krieg. Ich glaube, es war ein Schlag ins Wasser". — Am 11. Nov. wird in den Aufzeichnungen des Gen. Ob. von Plessen aus dem Marinevortrag
beim Kaiser die Schwierigkeit angedeutet, den Unterseekrieg in bisheriger Stärke fort¬ zusetzen: „Die angespannteste Fabrikation unserer U-Neubauten ist erforderlich, um nicht mit den Monatserfolgen zurückzugehen. Aber die Materialbeschaffung, die Kommuni¬
kationsschwierigkeiten und der Arbeitermangel sind erhebliche Erschwernisse".
Künftige Führung der Abwehr im Westen.
327
schiedenen Versuche, die im Frühjahr bewährte Taktik dem neuen Angriffs¬ verfahren der Gegner, vor allem der gesteigerten Artilleriewirkung und
den Angriffen mit beschränktem Fiel, anzupassen, nicht befriedigt hatten, sann die Heeresgruppe Kronprinz Nupprecht auf neue Abhilfen. Die Unterlage bildete ein Bericht der 4. Armee1), in dem diese ausgeführt hatte, daß man mit Abwehr allein auf die Dauer nicht auskomme; nur
durch Angriff könne der Gegner endgültig ausgehalten werden. Fehlten zum Angriff die Kräfte, so ergebe sich für das Frühjahr 1918 die „Frage, ob wir uns auch dann den sicher einsetzenden zermürbenden Dauerangrifsen des Gegners aussetzen sollen, oder ob es sich empfiehlt, planmäßig aus¬ zuweichen und dann gegen den nachdrängenden Gegner offensiv zu werden". Solche Operation bedürfe aber eingehender Vorbereitung von langer
Hand. Diesen Bericht legte die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht am 25. Oktober der Obersten Heeresleitung mit einer „Denkschrift" vor.
Sie ging davon aus, daß die Kräfte wahrscheinlich auch im Fahre 1918
nicht ausreichen würden, um die englische Offensive durch Angriff auf die Dauer zum Stehen zu bringen. Sie würden nicht einmal ausreichen für eine „Entlastungsoffensive"; nur „Gegenangriffe kleineren Umfangs" kämen in Frage. Für einen solchen bei Gheluvelt trat die Heeresgruppe ein, doch fehlten ihr auch dazu die Mittel. Im Spätherbst würden Er¬
schöpfung und Ungunst der Jahreszeit der englischen Offensive ein Ziel setzen. Im Jahre 1918 sei im Westen, wenn nicht etwa das Ostheer frei werde, nach Eintreffen der Amerikaner aus gesteigerte feindliche Über¬ legenheit zu rechnen, während wir eine „bemessene Verstärkung" nur an
Fliegem und Maschinengewehren erreichen könnten. Die Ersatzlage werde noch mehr als bisher' zu sparsamer Verwendung der Menschenkräfte zwingen. „Eine große Offensive unsererseits würde angesichts der starken
Überlegenheit der feindlichen Reserven sich allmählich totlaufen. Sie könnte daher den Feind auch auf die Dauer nicht hindern, selbst durch Angriff die Entscheidung zu suchen. Ebensowenig werden wir uns aber
auf eine Abwehr der feindlichen Offensiven in wohlvorbereiteten Abwehr¬ schlachten beschränken dürfen... Wir dürfen dem Feinde nicht den Ge¬ fallen tun, uns in großen Materialschlachten allmählich zerschlagen zu
lassen", deren Nachteile auch durch Änderung des Kampfverfahrens oder Vermehrung der Maschinengewehre nicht ausgeglichen werden könnten. „Wir müssen also den feindlichen Angrifssschlachten ausweichen", um zu
»stärkeren, ausfallartigen Ofsensivschlägen" befähigt zu sein. Aber auch das würde im wesentlichen nur Kampf um Zeitgewinn bedeuten. ') 6. 86.
328
Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917.
«xd« Ottos«. Geländeverlust dürfe bei ihm „weniger eine Rolle spielen als das Ziel,
den Feind durch Schläge möglichst zu schädigen und unsere Menschen mög¬ lichst zu sparen". Man könne dabei aus der Schwerfälligkeit der Engländer
Nutzen ziehen und daraus, daß sie zu großen Angriffsschlachten ihr Material in langer Vorbereitung festlegen müßten. Auch der Vorteil, daß wir weit
in Feindesland stehen und dieses streifenweise der Zerstörung durch den Kamps preisgeben könnten, müsse verwertet werden. Ob man in Flandern im Frühjahr wiederum die Abwehrschlacht mit allen ihren Nachteilen an¬ nehmen oder ihr planmäßig ausweichen solle, hänge aber davon ab, wie
hoch der Schutz der Unterseeboot-Basis zu stellen sei. Um die erforder¬
lichen Vorbereitungen rechtzeitig treffen zu können, sei eine Entscheidung der Obersten Heeresleitung über die Grundzüge der künftigen Operationen
erwünscht1). Die Geschehnisse an der Laffaux-Ecke mit außergewöhnlich schweren Einbußen an Gefangenen wie an Gerät2) hatten die von der 4. Armee wie
von der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht betonte Aussichtslosigkeit der reinen Abwehr erneut grell beleuchtet. Es waren ähnliche Erfahrungen, wie man sie bereits im Wytschaete-Bogen und dreimal vor der Nordftont
von Verdun gemacht hatte. Als der Verbindungsoffizier der Obersten Heeresleitung bei der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz am 24. Oktober meldete: „Der Verlauf der Schlacht an der Laffaux-Ecke hat erneut ge¬ zeigt, daß konzentrisch von allen Seiten zu fassende, durch Vergasung nach
rückwärts leicht abzusperrende Stellungen, trotz bester Organisation der Abwehr auch durch gute Truppen, gegen eine solche Feuervorbereitung, wie die Franzosen sie jetzt zusammenfassen, nicht zu halten sind", hatte General Ludendorff daneben geschrieben: „Das wollen wir beherzigen". Zu demselben Ergebnis war die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz in einer der Obersten Heeresleitung eingereichten Verfügung, ebenfalls vom 24. Oktober, gekommen, in der sie mahnte: „Wir müssen aus den
hierdurch bestätigten Erfahrungen dieses Jahres... die notwendigen Lehren ziehen..." Die Zurücknahme der Front von dem lange und heiß umstrittenen Höhenrücken des Chemin des Dames wurde eingeleitet. Bei
der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht fragte General Ludendorff an, wie man bei St. Quentin, wo die Abwehrverhältnisse ebenfalls ungünstig
lagen, den Großkamps führen wolle: „Ist dort bereits die Möglichkeit l) Zu diesen Vorschlägen zeichnete General von Kühl am 24. Oktober in seinem Tagebuch auf: „Ich bin neugierig, was die Oberste Heeresleitung dazu sagen wird. Viel¬ leicht: wir seien schlappe Leute. Man muß aber die Wahrheit sagen". *) Der französische Heeresbericht meldete bereits am 24. Okt. 7500 Gefangene und 20 Geschütze, abschließend am A. Nov. 11000 Gefangene und 200 Geschütze.
Künftige Führung der Abwehr im Westen.
329
vorhanden, um einige Kilometer auszuweichen?" An den Admiralstab ging die Frage, ob es mit erfolgreicher Fortführung des Unterseekrieges vereinbar sei, bei nötig werdendem Ausweichen in Flandern die dortigen
Unterseeboot-Stützpunkte auszugeben*). So schlotz sich General Ludendorfs in seiner Antwort vom 28. Ok¬ tober den von der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht vorgebrachten grundsätzlichen Gedankengängen „im allgemeinen" an, ohne allerdings näher auf sie einzugehen. Im einzelnen bemerkte er, ein Entlastungs¬ angriff bei Gheluvelt sei nur möglich, wenn die englischen Angriffe nach¬ liehen und die Heeresgruppe selber die nötigen Kräfte (es handelte sich um drei bis vier Divisionen) auszusparen vermöge. Aus keinen Fall könne
sie bei der jetzigen Lage auf dem Westkriegsschauplah auf vermehrte Zu¬ führung von Divisionen rechnen. Für einen von der 4. Armee angeregten
Gegenangriff in der Richtung Armentieres—Bailleul, wie ihn früher die Heeresgruppe ähnlich auch schon vorgeschlagen hatte2), der aber erst im Frühjahr ausgeführt werden sollte und nur taktischen Erfolg und Zeit¬ gewinn bringen konnte, erbat General Ludendorss einen allgemeinen Entwurf. „Wenn er durchführbar wäre, so müßte er so früh als möglich beginnen, um der Einwirkung der Amerikaner zuvorzukommen. Anderer¬ seits müßten dazu so starke Kräfte eingesetzt werden, als nur irgend mög¬ lich... Dann würde auch das zu steckende Ziel, die Engländer zu schlagen...
und die englische Flandern-Offensive aufzuhalten, erreicht und vielleicht eine ganz neue Kriegslage geschaffen werden". In diesen Worten blickte
bereits die Hoffnung durch, im Frühjahr möglicherweise doch zu einer größeren Offensive stark genug zu sein. Mit der Frage, wie der Krieg im kommenden Jahre weiter¬ zuführen sei, hatte man sich bei der Obersten Heeresleitung, da die kriegs¬ entscheidende Wirkung des Unterseekrieges auf sich warten ließ, in zu¬ nehmendem Maße beschäftigt. „Es war zu erwägen" — so schrieb General
Ludendorff später2) — „ob die Oberste Heeresleitung ähnlich wie im Frühjahr 1917 den Ausgang des Krieges allein auf den Erfolg des U-BootKrieges aufbauen sollte. Jenes uneingeschränkte Vertrauen hatte sie zu ottob«. dieser Waffe nicht mehr, selbst wenn sie auch weiterhin von ihrem Wirken bedeutungsvollste Unterstützung erhoffte. Der U-Boot-Krieg war ein sehr wesentliches Mittel zum Siege geblieben, aber nicht mehr das alleinige". *) Aufzeichnung des Kronprinzen Rupprecht vom 11. Nov. („Mein Kriegstagebuch" II» S. 287). — Andere Quellen fehlen.
2) 6.62. S) „Kriegführung und Politik", S. 207.
330
Die Oberste Heeresleitung im Sommer und Herbst 1917.
o«»b«r. So war allmählich der Gedanke herangereift1), „neben dem Angriff der Marine zur See auch zu Lande wieder zum Angriff, das heißt von der »Ermattungsstrategie' zu einer unmittelbar die Entscheidung suchenden Kriegführung überzugehen, um den Sieg zu erringen, bevor die Streit¬ kräfte der Vereinigten Staaten wirksam eingreifen konnten". Dieselben Gedanken finden sich in einer Denkschrift des Majors Wetzell vom 23. Oktober:
«Wie sind unter Betrachtung unserer Lage im Frühjahr 1918 unsere Operationen im Winter 1917/18 zu führen und welche Vorbereitungen imFrühjahr 1918 zu treffen?" Diese Frage findet sich damit zum ersten Male in einer Niederschrift bei der Obersten Heeresleitung, während sie vorher nur gelegentlich mündlich berührt worden ist. Major Wetzell legte einleitend dar: „Wollen wir uns keinen
Trugschlüssen hingeben, so müssen wir damit rechnen, daß der Zusammen¬ halt der Entente den Winter übersteht, daß Rußland nicht abfällt und damit auch weiter erhebliche Teile unserer Kräfte im Osten bindet. Wir müssen ferner damit rechnen, daß mit Beginn des Frühjahrs 1918 die Amerikaner dem Westkriegsschauplah beträchtliche Kräfte zugeführt haben werden (10 bis 15 Divisionen). Als Leitgrundsah unserer militärischen Gesamtlage bleibt nach wie vor, daß die Entscheidung auf dem West¬ kriegsschauplatz fällt". Es gelte daher, „dem Engländer einen vernichtenden Schlag beizubringen, bevor die amerikanische Hilfe wirksam werden kann'").
Nach diesem Ziel müsse das gesamte Handeln aus allen Kriegsschauplätzen im Winter eingerichtet werden. Bei der Heeresgruppe Deutscher Kron¬
prinz sollten daher durch teilweises Zurücknehmen der Front, „GudtunBewegung'"), 20 Divisionen frei gemacht werden, 15 weitere Divisionen müsse die Ostfront geben. Dazu sei aber nötig, den Russen, denen nach der Wegnahme von Riga und Iakobstadt soeben auch die Baltischen Inseln entrissen worden waren, sowie den Rumänen vorher eine vernichtende
Niederlage beizubringen, da andernfalls die Russen „trotz des inneren Wirrwarrs" unter dem Hochdruck der Entente, vor allem Amerikas, bis
zum Frühjahr militärisch wieder erstarken könnten. Zu diesem Angriff an der Ostfront brauche man fünf Divisionen, von der italienischen Front; die beiden anderen dorthin abgegebenen wären der Westfront zuzuführen. *) „Kriegführung und Politik", S. 196. S) Weiteres über den geplanten Angriff im Westen in Bd. XIV. 3) Bd. XII, S. 553.. — Kronprinz Rupprecht zeichnete bereits am 29. August auf
(„Mein Kriegstagebuch" II, S. 251): „Die Oberste Heeresleitung trägt sich mit dem Ge¬ danken, bis zum Frühjahr durch Beziehen der Gudrun-Stellung eine weitere Verkürzung der Front herbeizuführen".
Major Wetzell über die künftigen Operationen.
331
Sollten allerdings die Westmächte erhebliche Kräfte zur Stützung der Italiener nach Oberitalien bringen, so bekäme die Lage „selbstredend ein anderes Gesicht, und die beabsichtigte Offensive käme zunächst in Fort¬ fall'"). Zusammenfassend wurde vorgeschlagen: Nach erfolgreicher Be¬ endigung der Offensive in Italien: 1. Angriff gegen Rußland, beginnend Ende November bis Mitte Dezember, 2. Vorbereitung des großen An¬ griffs im Westen für 1918, 3. Gudrun-Bewegung Anfang 1918. Sollte aber selbst nach Heranführung der nötigen Kräfte aus dem Angriffsplan im
Westen nichts werden, so würde die dortige Front durch die frei gemachten Kräfte doch „eine derartige Stärke erreichen, daß wir auch in der Abwehr trotz Auftretens der Amerikaner dem Ausgang der Westkämpfe im Jahre 1918 voll guten Vertrauens entgegensehen können". Diese Niederschrift versah General Ludendorff am 24. Oktober mit dem Vermerk: „Gut, alles kommt auf Italien an". Da sich die Lage dort bis zum Monatsende bereits über alles Erwarten günstig entwickelte und
das russische Heer bis auf weiteres offensichtlich keine Angriffstraft mehr besaß, sollte Österreich-Ungarn künftig gegen Italien wie gegen Ru߬ land ohne deutsche Truppen auskommen, wenn möglich sogar im Westen mithelfen. Am 3. November wurde Generalmajor Freiherr von Wald- sr»o«mb«r.
statten, der Chef der Operationsabteilung der österreichisch-ungarischen Heeresleitung, bei der Besprechung in Berlin3) in diesem Sinne unter¬
richtet. Als dann seit dem 5. November Gerüchte über neue Unruhen in
Petersburg eingingen und am 8. November die Nachricht kam, daß dort der Arbeiter- und Soldatenrat die Macht an sich gerissen habe, schien das
nach längerer Unklarheit über die innerrussischen Machtverhältnisse eine Wendung der Gesamtlage zu bedeuten, denn mit diesem zweiten Um¬ sturz in Rußland kamen die Bolschewiken unter Lenin ans Ruder, der nicht bereit war, für die Belange der Westmächte weiterzukämpfen. Wenn
auch ihr endgültiger Sieg noch keineswegs gesichert erschien3), so wuchs doch die Hoffnung, im Osten bald den Rücken frei zu bekommen. Dann konnte man die ganze Kraft im Westen einsetzen.
Unterdessen flaute die Schlacht in Flandern Mitte November all¬ mählich ab, und auch an der französischen Front trat eine Entspannung ein. Damit erhielt die Oberste Heeresleitung eine Freiheit in operativer Entschlußfassung auch im Westen, wie sie seit mehr als einem Jahre nicht *) Gemeint war hier offenbar die im Osten in die Moldau. a) S. 279f.
a) Weiteres 6.342 f.
332
Rückblick auf die Oberste Heeresleitung seit Herbst 1916.
3ioo*mb«. mehr bestanden hatte. Sie konnte angesichts des völlig überraschend ge¬
führten englischen Tankangrifss bei Cambrai bereits zehn Divisionen der Westfront, nebst entsprechender Artillerie und Munition, zum raschen Eegenschlag heranführen. Dessen Verlaus bestätigte aber nicht nur die Ansicht, daß ein großer Angriff wesentlich längerer Vorbereitungszeit be¬ dürfe, sondern er zeigte auch, daß dazu ganz erheblich stärkere Mittel bereitgestellt werden müßten. Seine Erfahrungen bildeten neben den seit dem Juli im Osten und in Italien gewonnenen die Grundlage für die
Vorbereitung der Offensive des Frühjahrs 1918. In welchem Umfange sie ausführbar sein würde, hing vom Freiwerden von Kräften des Ostheeres1) ab. Rückblick auf die Kriegführung der dritten Obersten Heeresleitung vom Herbst 1916 bis Herbst 1917.
Generalfeldmarschall von Hindenburg und General Ludendorff hatten ihr verantwortungsschweres Amt Ende August 1916 in überaus ernster Lage angetreten. Unverbrauchte Kraft und eiserner Wille einer¬
seits, unbegrenztes Vertrauen von Heer und Volk andererseits gaben ihnen eine Machtfülle, über die der Vorgänger nicht verfügt hatte. Das er¬ leichterte die Ausgabe. Ein neuer Geist zog in die Oberste Heeresleitung ein. Zunächst aber war sie gezwungen, den Krieg im wesentlichen mit denselben Zielen fortzusetzen, wie sie ihn übernahm: Abwehr an den Hauptfronten, Angriff gegen Rumänien. Auch bei der Forderung des uneingeschränkten Unterseekrieges handelte es sich um die Fortsetzung eines von General von Falkenhayn soeben erneut eingeleiteten Schrittes. Dabei war die bestimmte Voraussage des Admiralstabes, daß England
durch die gesteigerten Schiffsversenkungen binnen kurzer Zeit zum Ein¬ lenken gezwungen sein werde, für die neuen Führer mitentscheidend; denn unter dieser Voraussetzung spielte die Gefahr keine ausschlaggebende Rolle, daß Amerika die neue Form des Unterseekrieges zum Anlaß nehmen könnte, um offen ins Lager der Feinde überzutreten. Wohl aber muhten, bevor
der uneingeschränkte Unterseekrieg einsetzte, die Landfronten feststehen. Dazu mußte Rumänien niedergeworfen sein, im übrigen vor allem die
Westfront so gestärkt werden, daß sie den für das Frühjahr 1917 erwar¬ teten neuen gewaltigen Anstürmen der Gegner unbedingt standhielt.
Gelang das, so schien durch die Wirkung des Unterseekrieges der Sieg in absehbarer Zeit gesichert. Damit bekam die Gesamtkriegführung ein neues
Gesicht. i) S. 342 ff.
Der Winter 1916/17.
333
Hatte General von Falkenhayn seit dem Sommer 1916 ohne irgend¬
welche greifbare Siegeshosfnung mit lange sich hinschleppendem Abwehrkampfe rechnen müssen, so stand jetzt die Zuversicht im Vordergrund, das gewaltige Ringen im Laufe des Jahres 1917 durch die Unterseeboote zum siegreichen Abschluß zu bringen. Die Kraft des ganzen deutschen Volkes sollte dazu mehr als bisher und beschleunigt in den Dienst des Krieges gestellt werden. Das Heer sollte bis zur Höchstgrenze des Möglichen aus¬ gebaut, die Waffen- und Munitionssertigung in kürzester Zeit — teilweise auf ein Mehrfaches der bisherigen Leistung — gesteigert werden.
Der Übergang zum uneingeschränkten Unterseekrieg griff in das Gebiet der auswärtigen Politik über, die geplanten Rüstungsmaßnahmen be¬ rührten die innere Politik und das Wirtschaftsleben. Beide Vorhaben
konnten daher ohne Mitwirkung der Reichsregierung nicht durchgesetzt werden. Dabei aber ergab sich, daß aus die Unterstützung des Kanzlers, der seinerzeit mit an erster Stelle den Wechsel in der Obersten Heeres¬ leitung betrieben hatte, in der Rüstungsfrage nur mit Einschränkung zu rechnen war, und daß er die Verschärfung des Unterseekrieges wie bisher zu verhindern wünschte. Seine Gesamthaltung entsprach nicht der ernsten Lage Deutschlands, die schärfste Zusammenfassung aller Kräfte ebenso er¬ forderte wie Vermeidung jeglichen nach außen erkennbaren Zeichens von
Schwäche. So ergab sich alsbald ein Gegensatz der Obersten Heeresleitung zum Reichskanzler. Sie sah sich, ganz gegen ihr ursprüngliches Wollen, immer mehr an politischen und wirtschaftlichen Fragen beteiligt und konnte sich ihnen nicht entziehen, ohne die Aussichten der Kriegführung zu schädigen. Aus ein zusammen mit Österreich-Ungarn geplantes Friedensangebot, das der Kanzler mit Rücksicht auf die Volksstimmung für unentbehrlich hielt, ging die Oberste Heeresleitung ein, nachdem die Erfolge in Rumänien solchen Schritt nicht mehr lediglich als Ausdruck der Schwäche erscheinen lassen konnten. Wenn sie sich auch kaum Erfolg von ihm versprach, so wollte
doch auch sie nichts unversucht lassen, zum Frieden zu kommen. Zum mindesten aber sollte die Lage eindeutig geklärt werden, bevor man zum uneingeschränkten Unterseekrieg als letztem Mittel griff. Als das Angebot von den Gegnern in schroffster Form abgelehnt war, setzte die Oberste Heeresleitung vermöge ihres größeren Ansehens trotz des Widerstrebens des Kanzlers durch, daß am 1. Februar 1917 der uneingeschränkte Unterseekrieg begann. Auch der beschleunigte Ausbau der Rüstung wurde nach den im „Hindenburg-Programm" zusammengefaßten Forderungen in
Angriff genommen, doch mußte sich die Oberste Heeresleitung hierbei mit einer vom Reichstage bedenklich verwässerten Form des zur Durchführung
des Programms notwendigen „Hilssdienstgesehes" abfinden.
334
Rückblick auf die Oberste Heeresleitung seit Herbst 1916.
Unterdessen war mit dem Kampf gegen Rumänien die letzte große
Ofsensiv-Unternehmung abgeschlossen. Sie hatte bedeutenden und schnellen Erfolg gebracht; eine unmittelbare große Gefahr war beseitigt, wenn auch volle Vernichtung des Gegners nicht erreicht war. Die Ostfront verlief künftig von der Donau-Mündung fast geradlinig zum Rigaschen Meer¬
busen. Zu Lande galten seitdem alle weiteren Planungen und Ma߬ nahmen der reinen Verteidigung mit dem Ziele: Aushalten, bis der
Unterseekrieg gewirkt hat, also wahrscheinlich bis zum Sommer, allenfalls auch Herbst 1917. Für die Lösung dieser nächsten Aufgabe wurden in vorbildlicher Weise alle Maßnahmen getroffen: Aus organisatorischem Gebiet durch Erweiterung und Vereinheitlichung des Heeresausbaus, auf materiellem durch Vermehrung und Erneuerung von Waffen und Gerät, auf taktischem durch Ausgabe lange entbehrter zeitgemäßer Vorschriften, besonders der über die „Abwehrschlacht im Stellungskriege", sowie durch entsprechende Ausbildung von Führern und Truppe, auf operativem durch Ausbau rückwärtiger Stellungen, vor allem der Siegfried^Stellung; der
Rückzug dorthin verdarb den Gegnern den Plan für ihre große Frühjahrsoffensive. Ohne diese sinnvoll einander ergänzenden und mit größter Willensstärke in kurzer Zeit durchgeführten Vorbereitungen hätten weder der Heldenmut der Truppe, die in wochenlangem Trommelfeuer von
bisher unbekannter Stärke ausharrte, noch die Leistungen der unteren und mittleren Führung genügt, dem englisch-französischen Massenanstürmen des Frühjahrs 1917 standzuhalten und dem französischen Heere dabei sogar einen Schlag zu versetzen, der ihm für den Rest des Jahres nur die Kraft zu Teilunternehmungen ließ. Die erfolgreiche Abwehr bei Arras, an der Aisne und in der Champagne ist das große Verdienst der neuen Obersten Heeres¬
leitung. Eine wesentliche Hilfe war ihr dabei der völlig unerwartete Zusammen¬ bruch Rußlands, in dem die seit Tannenberg dem Zarenreiche immer wieder von neuem versetzten schweren Schläge endlich ihre Wirkung zeigten. Diese Lage ist nicht zum Fangstoß gegen den niedergebrochenen Gegner benutzt worden — die Kräfte dürften dazu auch kaum hingereicht haben —,
sondern die Oberste Heeresleitung hat Rußland im Sinne ihrer Gesamt¬ planung und dabei im vollen Einvernehmen mit der Reichsregierung, wenn
auch aus durchaus anderen Gründen, zunächst seinem Schicksal überlassen. Sie glaubte dadurch seine innere Auslösung zu fördern, vor allem aber
brauchte sie vorerst alle Kraft für den Abwehrkampf im Westen. Ersah und Munition konnten so gut wie ausschließlich diesem zufließen. Der Versuch, den Ostgegner unterdessen durch Propaganda zum Erliegen zu bringen, hat über die schwierigste Zeit hinweggeholfen. Aus die Dauer
Das Frühjahr 1917.
335
schlug er fehl und konnte nicht verhindern, daß Kriegsminister Kerenski zusammen mit den militärischen Führern den Kampfeswillen des russischen Heeres so weit wieder ansachte, daß es Anfang Juli gegen österreichischungarische Truppen in Ostgalizien beachtliche Angriffserfolge erzielte. In¬ zwischen aber war die Lage an der Westfront einigermaßen gesichert. Dort
bereit gehaltene, wenn auch zahlenmäßig geringe Reserven konnten zum Eegenschlage im Osten abgegeben werden.
Unterdessen hatten sich die Versenkungsergebnisse des uneingeschränkten Unterseekrieges seit seinem Beginn fünf Monate hindurch ganz erheblich über dem vom Admiralstab veranschlagten Soll gehalten; es nahte der Zeitpunkt, für den Admiral von Holtzendorff den Zusammenbruch der eng¬
lischen Widerstandskraft mit Bestimmtheit vorausgesagt hatte. Diese Wir¬ kung wurde aber gefährdet, wenn die Gesamthaltung der Mittelmächte eine Schwäche, ein vorzeitiges Friedensbedürfnis erkennen ließ, das den Gegnern neue Hoffnung gab. Daß es im Österreich-Ungarn Kaiser
Karls in dieser Hinsicht nicht günstig stand, war der Obersten Heeres¬ leitung bekannt, ließ sich aber kaum entscheidend ändern. Um so wichtiger war, daß Deutschland eine zum Siege fest entschlossene Einheit darstellte. Im Streben nach diesem Ziele aber vermißte die Oberste Heeresleitung ausreichende Mitarbeit des Reichskanzlers. Im Ringen um diese wurde sie immer weiter in das Getriebe der Politik hineingezogen. Sie erreichte dabei wohl den Sturz des Kanzlers, fühlte sich aber doch nicht stark genug, die Friedensresolution des Reichstages zu verhindern. Unterdessen hatten die Friedensbestrebungen Kaiser Karls, das Bekanntwerden der absichtlich
pessimistisch gehaltenen Denkschrift des Grafen Czernin über die hoffnungs¬ lose Lage Österreich-Ungarns und innerpolitische Hergänge in Deutschland den Gegnern die Schwäche der Mittelmächte bereits in bedenklicher Weise offengelegt. Die Friedensresolution mußte solchen Eindruck bestärken. Ob damit im Sommer 1917 die Möglichkeit zu einer auch deutschen Belangen
entsprechenden Verständigung mit den Gegnern zerstört worden ist, steht
dahin; ihr Vorhandensein hat sich nicht nachweisen lassen. Die Hoffnung der Obersten Heeresleitung blieb auch weiterhin auf kriegsentscheidende Wirkung des Unterseekrieges gerichtet. Roch im Ok¬ tober schien es ihr, daß die Gegner einzulenken bereit seien; General Luden¬ dorff rechnete mit großer Zuversicht darauf, daß der Krieg den Winter nicht mehr überdauern werde. Diese Hoffnung wurde enttäuscht. Unterdessen hatte die große englische Offensive in Flandern mit schier unerschöpflichem Einsatz von Menschen, Gerät und Munition die deutsche Landfront seit Monaten aus eine neue, vielleicht die schwerste Probe
336
Rückblick auf die Oberste Heeresleitung seit Herbst 1916.
gestellt. Mit ungeheuren Opfern wurde den Gegnern in der Richtung auf die Unterseeboot-Häsen an der belgischen Küste jeder Schritt Boden streitig gemacht, doch bestand nur geringe Aussicht, das Vorwärtskommen des Angreifers endgültig zum Stehen zu bringen. Dazu kamen verlust¬ reiche Einzelrückschläge an anderen Frontabschnitten. Gegen große Durchbruchsangrisfe hatte das für die Abwehr ausgebildete Verfahren bisher gesichert, gegen gut vorbereitete Angriffe mit beschränktem Ziel reichte es aber offensichtlich nicht aus. Dabei wurde es immer schwerer, die ein¬
getretenen Verluste zu ersetzen. Auch hatten schon frühzeitig maßgebende Unterführer daraus hingewiesen, daß die Moral der Truppe leiden müsse, wenn der Gegner trotz gründlichster Vorbereitung der Abwehr und größten Heldenmutes der Truppe doch immer wieder neue, wenn auch nur örtliche Erfolge erringe; es müsse versucht werden, die Lage durch eigenen Angriff zu wenden.
Stellt man die Zahl der vorhandenen Divisionen einander gegenüber und rechnet außerdem mit der oft bewiesenen und von allen Führern
mit Recht betonten inneren Überlegenheit der deutschen Truppen, so er¬ scheint die Frage berechtigt) ob nicht ein willensstarker und geschickt ope¬ rierender Feldherr mit 156 Divisionen (Stand im Juni1)) einen Gegner, der über nur 19 Divisionen mehr verfügte, hätte schlagen können. Die Kriegsgeschichte kennt Kriege und Schlachten genug, in denen bei weit ungünstigerem Verhältnis der an Zahl Schwächere den Sieg errang. Da¬
bei ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Zahl der Divisionen das Stärke¬ verhältnis für die deutsche Seite sehr viel günstiger erscheinen läßt, als es nach Zahl der Kämpfer wie der Waffen tatsächlich war; in der Geschützausstattung stellte es sich wie 11:18, in der Munitionsausrüstung war es wohl noch um vieles ungünstiger. Auch lagen im Stellungskampfe des Weltkrieges die Verhältnisse wesentlich anders als in Bewegungskriegen
früherer Zeiten. Eine Offensive war ohne Einsatz artilleristischer Über¬ legenheit sowohl an Rohren wie an Munition nicht mehr möglich; die aber konnte deutscherseits nur unter wesentlicher Schwächung anderer
Fronten zusammengebracht werden. Ihre Bereitstellung und das Heran¬ führen der Angriffstruppen hätte Wochen erfordert, in denen die eigenen Kräfte festlagen, der Gegner aber an den geschwächten übrigen Fronten Handlungsfreiheit hatte. Auch war nach den Erfahrungen von bald drei
Kriegsjahren auf schnelle Entscheidung im Angriff nicht zu rechnen. Man mußte vielmehr auf lange, krästeverzehrende Kämpfe gefaßt sein und hätte an der Angriffsstelle, wenn nicht sonst irgendwo, nach und nach die ganze Streitmacht der Gegner vor die Klinge bekommen, wobei sich dann !) S.32f.
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Der Sommer 1917.
seine Gesamtüberlegenheit an Zahl, Gerät und Munition voll auswirken muhte. Bestenfalls konnte mit verhältnismäßig geringen Verlusten ein schöner Anfangserfolg errungen werden; im weiteren Verlaus kam man um eine Material- und Dauerschlacht nicht herum, wobei die Verluste des Angreifers wie in allen ähnlichen Fällen wahrscheinlich weit über die des
Verteidigers hinauswuchsen. Über diese Verhältnisse ist sich die Oberste Heeresleitung klar gewesen. Ein größerer Angriff im Westen kam für sie deshalb nicht in Frage1). Soweit bekannt nur bei einer einzigen Gelegenheit, bei Anwesenheit des General-
stabschefs des Oberbefehlshabers Ost im April 1917 in Kreuznachs), hat General Ludendorff den Gedanken erörtert, wenn einmal das deutsche
Ostheer frei geworden sei, im Westen anzugreifen. Im übrigen hat er solchen Gedanken, so oft er von anderer Seite an ihn herangetragen wurde,
mit Recht entschieden abgelehnt, so schwer ihm das bei seiner Gesamt¬ einstellung zum Wesen der Kriegführung gefallen sein mag. Erst als die
Jahreszeit größeren feindlichen Unternehmungen ein Ende gesetzt hatte, an allen Teilen der Westfront eine gewisse Entspannung eingetreten war
und daher auch eine größere Zahl einigermaßen ausgeruhter Divisionen zur Verfügung stand, war es ihm möglich, den englischen Angriff bei Lambrai mit einem Gegenschlag zu beantworten. Aber gerade dessen Verlaus
zeigte deutlich, daß ein Angriff aus dem Stellungskriege gründlichste Vor¬ bereitung von langer Hand erfordert. Was erreicht wurde, war ein Anfangs¬ erfolg gegen einen eng begrenzten und schwach besetzten Teilabschnitt, an dem der Gegner überrascht wurde. Trotzdem war es ein Erfolg von
größter Bedeutung; sie lag vornehmlich aus moralischem Gebiet. Der Erfolg von Cambrai läßt aber doch auch die Frage auswerfen, ob es nicht schon früher möglich gewesen wäre, die Kräfte wenigstens für Angriffsunternehmungen mit beschränktem Ziel zusammenzubringen und damit die Abwehr im ganzen beweglicher zu gestalten. Dazu muß zunächst gesagt werden, daß taktisch ähnlich günstige Ausgangstagen, wie die durch den englischen Angriff bei Cambrai geschaffene, sich an der Westfront sonst nirgends geboten haben. Im übrigen hätte man sich wahrscheinlich ent¬ schließen müssen, an anderen Fronten größere Geländeteile freiwillig aufzugeben, um die für den Angriff nötigen Kräfte zu gewinnen. Die Mai-Denkschrift3) des Majors Wehell hatte diesen Vorschlag enthalten. Er hatte die Zurücknahme der 6. Armee im Kampfraum von Attas, vor ') Bd. XII, S. 2. 2) Bd. XII, S. 495.
3) Bd. XII, S. 548ff. Weltkrieg. XIII. Bd.
22
338
Rückblick auf die Oberste Heeresleitung feit Herbst 1916.
allem aber des rechten Flügels der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz empfohlen, der nach Verlust der bisherigen vorderen Stellungen durch die französische Frühjahrsoffensive in wenig günstiger Linie stand, die dauernd starke Besetzung erforderte. Auch im Wytschaete-Bogen, dann an der gesamten Nordftont von Verdun, deren Zurücknahme die Heeres¬ gruppe Deutscher Kronprinz bereits im Januar vorgeschlagen hatte, und ebenso im St.-Mihiel-Bogen wäre es möglich gewesen, durch Absetzen vom Gegner günstigere Kampfbedingungen und damit eine Kräfte¬
ersparnis zu erzielen. Gewiß bekam bei jedem Ausweichen bald auch der Gegner Kräfte frei, doch konnte man ihm gegenüber zeitlich einen wert¬ vollen Vorsprung gewinnen. Denkt man vollends rückschauend an die
schweren Rückschläge des 7. Zum bei Wytschaete, des 20. August bei Verdun und des 23. Oktober an der Laffaux-Ecke mit erheblichen Einbußen an
Gefangenen und Geschützen, so kann die Zweckmäßigkeit des Ausweichens an diesen Stellen, auch ohne daß man an anderer Stelle angreifen wollte,
kaum noch zweifelhaft sein. Solches Ausweichen hätte auch durchaus dem vor Verdun bei den ernsten Rückschlägen des 24. Oktober und 15. Dezember 1916 gemachten Erfahrungen wie dem von der Obersten Heeresleitung selber mehrfach, zuletzt noch in den Weisungen vom 10. Juni und verschärft am 25. Juli
19171) festgelegten Grundsatz entsprochen, daß ungünstig gelegene und daher übermäßig viel Kräfte beanspruchende Stellungsteile rechtzeitig aufzugeben seien. Warum man diesen richtigen Gedanken im Einzelfalle nicht in die Tat umgesetzt hat, ist mit operativen oder rein taktischen Er¬ wägungen kaum zu erklären. Die Gründe sind aus psychologischem und
politischem, daneben auch auf taktisch-technischem Gebiet zu suchen, denn jedes Ausweichen war im Stellungskriege wegen der Masse des eingebauten Gerätes bei Mangel an Arbeitskräften und Gespannen überaus schwierig und daher ohne Verluste an schwer ersetzbarem Material kaum unbemerkt
auszuführen; auch fehlten genügend vorbereitete rückwärtige Stellungen. Vor allem aber verriet Ausweichen in jedemFalle Schwäche, zumal wenn es
sich um bisher zähe verteidigtes Gelände handelte. Gewiß konnte ein alsbald folgender wirkungsvoller Schlag an anderer Stelle den ungünstigen ersten Eindruck durchaus wieder wettmachen; es war das aber unter den ge¬
gebenen Gesamtverhältnissen eine recht unsichere Aussicht. So war General Ludendorss an sich gegen jedes Ausweichen. Er hat das oft genug durch Ablehnung bei ihm vorgebrachter Anregungen deutlich er¬ kennen lassen und sich auch zum Siegfried-Rückzuge nur sehr schwer entschließen können. Er hat daher auch in Fällen, bei denen er selber gegen ') S. 30 u. 40.
339
Der Herbst 1917.
weiteres Festhalten von Stellungsteilen Bedenken hatte, diese gerne
zurückgestellt, wenn die örtliche Führung das Halten für aussichtsvoll erklärte. Hinsichtlich des Wytschaete-Bogens wie der Laffaux-Ecke war er
nach dem Kriege der Ansicht, er hätte das Ausweichen befehlen sollen. Insgesamt steht man unter dem Eindruck, daß in der Lage des Sommers und des Herbstes 1917, bei weniger starrem Festhalten am Geländebesitz
im Westen, sich manche Verluste hätten vermeiden und zugleich auch die freien Reserven vermehren lassen. Damit hätte sich dann eine gesichertere Eesamtlage ergeben können. Tatsächlich hat sich die Tätigkeit der Obersten Heeresleitung an der Westfront im Sommer und Herbst 1917 im wesentlichen auf rechtzeitige Bereitstellung und Zuführung von Truppen und Munition für die Ab¬ wehr in Flandern sowie für die Kampfabschnitte der 5. und 7. Armee
und auf Nutzbarmachung der in den Kämpfen gesammelten Erfahrungen beschränkt. Was an Reserven erübrigt werden konnte, wurde an der Front
gegen Rußland und gegen Italien eingesetzt, wo mit verhältnismäßig
geringen Kräften Ergebnisse zu erreichen waren, die die Gesamtkriegslage beeinflussen konnten. Die Oberste Heeresleitung hat hierfür, Mitte Juni beginnend, an der Westfront im ganzen zehn Divisionen frei gemacht und ist mit deren Entsendung auf weit entfernte Kriegsschauplätze wohl bis an die Grenze des zu Verantwortenden gegangen. Die damit in Galizien,
vor allem aber in Italien erzielten Erfolge übertrafen alle Erwartungen.
Auch sonst zeigt das Kriegsjahr 1917 zu Lande, trotz der im großen bewußt einseitigen Einstellung auf Abwehr, sehr bemerkenswerte Lei¬ stungen. Klar und eindeutig liegt der Weg vor uns, den die Oberste Heeres¬ leitung, ohne abzuweichen, dabei gegangen ist. Es war der Weg zum „totalen Kriege". In den Dienst des Krieges, und zwar zu Lande zunächst allein des Abwehrkrieges, sollten die ganze Kraft des Volkes und alle seine Hilfsmittel gestellt werden. Wenn das nicht in jeder Hinsicht voll erreicht wurde, so lag die Schuld an Verhältnissen, die zu überwinden auch
die Macht der Obersten Heeresleitung nicht genügte. Arbeitskräfte, Fabriken und Rohstoffe reichten nicht aus, alle Forderungen des Hindenburg-Programms in der gestellten kurzen Frist zu erfüllen, vor allem
nicht bei völlig unzureichender Unterstützung durch die Volksvertretung sowie die von ihr mehr oder minder abhängige Reichsregierung. So
ist die Waffen- und Munitionserzeugung wohl gewaltig gesteigert worden, dis zum Herbst 1917 aber doch nicht wesentlich über das hinausge¬ wachsen, was auch vorher schon geplant und eingeleitet gewesen war.
Gleichzeitig aber begann sich die vermehrte Anspannung aller Kräfte 22*
340
Rückblick auf die Oberste Heeresleitung seit Herbst 1916.
für rein militärische Aufgaben auf anderen Gebieten in verstärktem Maße auszuwirken: Der Landwirtschaft fehlten Arbeitskräfte, daneben Pferde, Maschinen, Treibstoff, Düngemittel; die Ernten gingen zurück. Die Ernährungslage blieb trotz der Zufuhren aus Rumänien durchaus un¬
befriedigend; die Verpflegung der Truppe reichte nur gerade noch hin, die Pferde hungerten. Besonders schwierig aber war die Transportfrage: Die Eisenbahnen waren in drei Kriegsjahren stark heruntergewirtschaftet, der Krastwagenverkehr litt unter Mangel an Treibstoffen wie an Gummi.
Trotz dieser auf fast allen Gebieten zunehmenden Erschwernisse, trotz dauernder feindlicher Angriffe mit entsprechenden Verlusten und ange¬ spanntester Ersatzlage ist es der Obersten Heeresleitung gelungen, das Heer in allen seinen Teilen im wesentlichen kampffähig zu erhalten und für besondere Zwecke immer wieder angriffskräftige Verbände und auch hin¬ reichende Munition zur Verfügung zu stellen. Die Ausstattung mit Waffen, Munition und Gerät wurde verbessert und vermehrt. Rur der Tankwaffe
hat man keine große Aufmerksamkeit geschenkt, zum Teil offenbar, weil ihre Bedeutung aus Grund der Meldungen von der Front bis zum Tage von Cambrai unterschätzt wurde. Auch kann es, solange man nur mit Abwehr
und dann mit Frieden rechnete, begreiflich erscheinen, daß bei dem ohnehin bestehenden Mangel an Rohstoffen wie an Arbeitskräften die Herstellung
einer reinen Angriffswasfe nicht für dringlich gehalten wurde. Dagegen wurde Deutschland wegweisend in der Verwendung der Unterseeboote wie der Luftwaffe als Mittel der operativen Offensive, und auf beiden Gebieten war die Oberste Heeresleitung die entschieden vorwärts treibende
Stelle. Auf dem Gebiete der Propaganda drängte sie, den gewaltigen Vorsprung vor allem Englands einzuholen, ohne allerdings angesichts der
bei der Reichsregierung bestehenden Widerstände Wesentliches zu erreichen. Das Heer konnte sich in seinem ununterbrochenen schweren Ringen noch mehr als bisher durch das Bewußtsein gestärkt fühlen, daß die Schwester¬ waffe zur See nach Kräften mithalf und daß ihm auch sonst, soweit es in der Macht der militärischen Führung lag, alle nur erdenkliche Erleichterung geschaffen wurde. Damit ist es gelungen, die Anstürme der großen feind¬ lichen Übermacht im Westen abzuwehren und gleichzeitig Russen wie Italienern schwere Schläge zu versetzen. Gewiß eine glänzende Leistung, nicht nur der kämpfenden Truppe, die sich in Abwehr wie Angriff über
jedes Lob erhaben zeigte, sondern auch der obersten Führung, die bei knappsten Mitteln Großes vollbracht hat. Das Ziel, das sich die Oberste Heeresleitung für die Kriegführung des Jahres 1917 zu Lande gesteckt hatte, war vollauf erreicht. Rein äußer-
Das Ergebnis des Jahres 1917.
341
lich gesehen mag das Ergebnis unbefriedigend erscheinen. Zieht man aber in Betracht, daß die Kräfte auch zu Teilangriffen nicht ausgereicht hätten und daß den Gegnern auch der gewaltigste Einsah von Menschen und Material keinerlei entscheidenden Erfolg, wohl aber so schwere Verluste gebracht hat, daß ihre Kampfkraft schließlich mehr gelitten hatte als die deutsche, so wird man in der Haltung der Obersten Heeresleitung weise Selbstbeschränkung erkennen müssen. Waren die hochgespannten Siegeshosfnungen der Westgegner schon im Frühjahr durch die Erfolge der deutschen Abwehr hinweggefegt worden, so haben Tarnopol, Riga, Iakobstadt und Ösel dazu beigetragen, die bereits geschwächte Widerstandskraft Rußlands vollends zu zermürben. Die 12. Isonzo-Schlacht hat Österreich-Ungarn auch von seinen Sorgen an der italienischen Front befteit und vorübergehend sogar die deutsche West¬ front entlastet. Als unterdessen eindeutig klar wurde, daß die Wirkung des uneingeschränkten Unterseekrieges allein nicht ausreiche, um die Westgegner zum Einlenken zu veranlassen, und als damit auch die Gefahr des
Eingreifens stärkerer amerikanischer Truppenaufgebote in Europa näher¬ rückte, konnte man bereits darauf hoffen, demnächst ausreichende Kräfte aus dem Osten frei zu bekommen, um im Frühjahr 1918 auch im Westen zum Angriff überzugehen. So war Anfang November, als die Nachricht vom zweiten Umsturz in Rußland und vom Friedensangebot der dortigen
neuen Machthaber einging, die Zeit der „Ermattungsstrategie" zu Lande beendet. Alles Planen und alle Vorbereitungen galten bald nur noch dem künftigen Vernichtungsschlage gegen die Westgegner zu Lande, der zusammen mit dem Unterseekrieg Sieg und Frieden bringen sollte.
Zweiter Teil.
Die Ereignisse außerhalb der Westfront bis Kriegsende.
IX. Der Abschluß der Dämpfe im Osten') seit Herbst J9J7. A. Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. t. Der weg zum Waffenstillstand. 9. November.
Am 9. November schlug der soeben ins Leben getretene russische „Rat der Volkskommissare" allen am Kriege beteiligten Staaten einen „demokratischen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen"
vor und gleichzeitig sofortigen Waffenstillstand für drei Monate. Noch schien es aber keineswegs sicher, ob die jetzigen Machthaber sich auch würden halten können. Immerhin teilte die Oberste Heeresleitung dem Ober¬ befehlshaber Ost mit, es sei beabsichtigt, „falls die politische und die mili¬ tärische Lage in Rußland es zuläßt", im Laufe des Winters außer den
bereits früher befohlenen Truppenverschiebungen2) noch zwölf deutsche Divisionen seines Befehlsbereichs nach dem Westen zu überführen. Im übrigen begegnete sie ebenso wie auch das Auswärtige Amt den neuen
Verhältnissen in Rußland zunächst mit Zurückhaltung; in Verhandlungen über einen Frieden der vorgeschlagenen Art sah sie eine Gefahr. Dagegen
15. November.
war sie bereit, auf größere Unternehmungen im Osten und damit vor allem aus den Feldzug in die Moldau3) nunmehr zu verzichten und die Kampftätigkeit nur soweit aufrechtzuerhalten, daß demoralisierende Ver¬ brüderungen verhindert würden. Noch am 15. November hatte sie den Eindruck, daß in Rußland bisher keine der beiden Parteien gesiegt habe; selbst ein Ausgleich, der Kerenski an der Spitze ließ, erschien noch nicht *) Anschluß an S. 207 u. 331.
2) Drei Divisionen für den Westen, Ersatz durch drei öst.-ung. Divisionen. 3) S. 173 ff. u. 190.
Russisches Waffenstillstandsangebot.
343
ausgeschlossen. Größere Klarheit kam erst, als am 22. November bekannt 22.7iocemt.er.
wurde, daß die Bolschewikenführer die russische Front zum Abschluß einer
Waffenruhe aufgefordert hatten und sich die Zahl entsprechender örtlicher Vereinbarungen in den nächsten Tagen vermehrte. Unterdessen hatten die Mehrheitsparteien des Reichstages, vor allem Zentrum und Sozialdemokratie, bereits versucht, auf Grund ihrer Friedens¬ resolution vom 19. Juli über Kopenhagen und Stockholm unmittelbare
Verbindung zu den Bolschewiken aufzunehmen. Das Eingreifen der Obersten Heeresleitung machte diesem Treiben ein Ende. Ihr lag gewiß daran, rasch zu einem Abschluß zu kommen, um Rückenfreiheit und Truppen für den Westen zu erhalten, aber nicht unter Preisgabe der bisher von ihr vertretenen deutschen Belange im Osten, vor allem nicht
unter Verzicht auf Abtretung der nichtrussischen Randgebiete an der Ost¬ see. Außer zur deutschen Reichstagsmehrheit ergaben sich aber auch Gegen¬ sätze zur Politik Österreich-Ungarns, mit dem man ohnehin über die Zukunft Polens und die Größe des im Falle der austropolnischen Lösung an Deutschland zu überlassenden Grenzstreifens russisch-polnischen Gebietes
verschiedener Meinung war1) und dessen Außenminister jetzt unter Be¬ rufung auf das Friedensbedürfnis der Monarchie öffentlich für die Friedens¬ formel der Bolschewiken eintrat. Andererseits stellten sich die Türkei und Bulgarien angesichts ihrer Gebietsansprüche aus den deutschen Standpunkt.
Für die zu erwartenden Verhandlungen kamen Oberste Heeresleitung und Auswärtiges Amt dahin überein, daß erstere zusammen mit Ver¬ tretern dieses Amtes die Waffenstillstandsverhandlungen, das Auswärtige Amt zusammen mit militärischen Vertretern später die Friedensverhand¬ lungen führen solle. Mit den Waffenstillstandsverhandlungen wurde im (Einvernehmen mit der österreichisch-ungarischen Heeresleitung der Ober¬
befehlshaber Ost betraut. Nach zahlreichen Teilabschlüssen über Waffenruhe suchte am 26. No®nbe vember der vor vier Tagen an die Spitze des russischen Heeres getretene Anfang"' „Fähnrich" Krylenko, ursprünglich Politiker und Advokat, bei der Obersten ®,,e,n6"‘
Heeresleitung um Waffenstillstand nach. Anfang Dezember trafen die Vertreter Deutschlands, Österreich-Ungarns, der Türkei, Bulgariens und Rußlands im Hauptquartier des Oberbefehlshabers Ost in Brest-Litowsk
zusammen.
Da die in der russischen Front stehende rumänische Armee in das
bisherige Waffenstillstandsangebot nicht eingeschlossen war, suchte unmittell) 6.20 f.
~
•
344
Abschluß der Kämpfe im Osten. Verhandlungen in Brest-Litowsk.
bar darauf General Schtscherbatschew, als Oberbefehlshaber der gesamten Front südlich desPripjet, der „Ukraine-Front", noch gesondert um Waffen¬
stillstand nach. Daß die Ukraine, ebenso wie andere Teile des Russischen Reiches, seit dem Umsturz eine mehr oder minder große völkische Selbständigkeit zu
erreichen suchte, war bekannt. Deutscherseits waren diese Bestrebungen stets unterstützt worden, dagegen war Österreich-Ungarn besorgt wegen der Rückwirkung aus seine eigene ukrainische Bevölkerung, die „Ruthenen". Seit Juli 1917 bestand ein besonderes ukrainisches Ministerium. Die Absonderung ukrainischer Truppenteile, ebenso wie übrigens auch der polnischen und finnischen, von den übrigen russischen war im wesent¬
lichen bereits vollzogen. Am 21. November hatte der Generalkommissar Petljura die Ukraine zu einer von Rußland unabhängigen Republik
erklärt, Anfang Dezember hatte er 350000 ukrainischen Soldaten den Befehl gegeben, die russischen Fronten zu verlassen. Das neue Staatswesen bekämpfte den auch in seinem Gebiet sich fühlbar machenden Bol¬ schewismus und stand damit nicht nur völkisch, sondern auch weltanschaulich in scharfem Gegensatz zu den Machthabern in Petersburg und Moskau, war dafür aber mit Rumänien zu einer Verständigung gekommen. Die
Führung der Verhandlungen mit General Schtscherbatschew sollte in Focsani stattfinden und wurde in die Hand des Oberkommandos Mackensen 5. bis 11. Dezember.
gelegt. Unterdessen erklärten die Russen in Brest schon am 5. Dezember, daß sie vor Abschluß eines Abkommens zur Berichterstattung nach Petersburg fahren müßten. Am 7. Dezember wurde für die Zeit ihrer Abwesenheit, bis zum 17. Dezember, Waffenruhe für die russische Front vereinbart. Danach sollten Truppenverschiebungen von Divisionsstärke und mehr bis 28 Tage nach Abschluß des Waffenstillstandes nur noch zugelassen sein, soweit sie bereits befohlen seien. Diese angesichts der dringenden Bedürfnisse der Westfront schwer tragbaren Bindungen hatten die Oberste Heeres¬ leitung zu der Weisung an den Oberbefehlshaber Ost veranlaßt, sofort die Abbeförderung von 15 Divisionen zu befehlen, sowie zu einer ent¬ sprechenden Weisung an das Oberkommando Mackensen. Für den Vertrag selber hatte sie zum mindesten nach 28 Tagen, „jedenfalls vom 10. Januar ab", volle Freiheit zu Truppenverschiebungen verlangt. Am 11. Dezember setzte sie die Zahl der vom Oberbefehlshaber Ost in nächster Zeit abzugeben¬ den Truppen aus 26 Divisionen und 5Kavallerie-Divisionen fest. Unter der Voraussetzung, daß die Verhandlungen mit den Russen günstig ver¬ liefen, wurde eine neue Abgrenzung gegen die Heeresfront Erzherzog Josef
Abschluß des Waffenstillstandes.
345
in Aussicht genommen, an der alle deutschen Divisionen gegen österreichisch-
ungarische ausgetauscht werden sollten1). Der Oberbefehlshaber Ost rechnete damit, daß er bei nur grenzschutzartiger Besetzung der verkürzten Front statt 71 nur noch 26 Divisionen brauchen würde. Insgesamt 45 Divisionen, dazu vier von der rumänischen Front, sollten somit nach und nach für die
Oberste Heeresleitung frei werden. Inzwischen war mit General Schtscherbatschew am 9. Dezember
9. Sie 15.
Dezember.
in Focsani für die Ukraine-Front und damit auch für die rumänische Armee ebenfalls ein Waffenstillstand abgeschlossen worden. Am 15. Dezember wurde in Brest der Waffenstillstandsvertrag mit Rußland unterzeichnet, der zunächst bis 14. Januar 1918 in Kraft bleiben und dann mit siebentägiger Kündigungsfrist weiterlaufen
sollte. Er enthielt die Verpflichtung „von der Front zwischen Schwarzem Meer und Ostsee keine operativen Truppenverschiebungen durchzuführen, es sei denn, daß die Verschiebungen im Augenblick der Unterzeichnung
schon eingeleitet" seien; dabei galten auch die auf lange Sicht befohlenen Verschiebungen als „schon eingeleitet". Im übrigen enthielt der Vertrag unter anderem Bestimmungen, die die Einschleppung des Bolschewismus
nach Deutschland verhindern sollten. Am 17. Dezember erklärte General Schtscherbatschew die Brester Ab¬
machungen als für seine Front nicht verbindlich. Am gleichen Tage trafen in Brest Abgesandte der Ukraine aus Kiew ein. So begann neben
Rußland und Rumänien ein dritter Gegenpartner sich einzuschalten. Dabei blieben die rumänischen Truppen, diese immer noch betreut von einer
französischen Militärmission, nach wie vor unter dem gemeinsamen Ober¬ befehl des Generals Schtscherbatschew, und die Ablösung russischer Truppen durch ukrainische, meist aber rumänische, nahm an der Front ihren Fortgang.
Diese Zusammenarbeit, deren Ziel noch recht unklar war, erforderte schärfste Beobachtung, denn ukrainische, zur Mannszucht zurückgeführte Truppen konnten zusammen mit den gut disziplinierten Rumänen wieder einen
beachtlichen Gegner abgeben. Dabei war den Mittelmächten noch nicht einmal bekannt, daß die Ukraine zunächst Anschluß bei den Westmächten gesucht hatte und von Frankreich und England Anfang Dezember als selbständiger Staat anerkannt worden war. Erst als sich herausstellte,
daß die Westmächte nicht in der Lage waren, gegen die Bolschewiken zu
helfen, hatte sich die provisorische Regierung, die „Zentralrada", zu Ver¬ handlungen mit den Mittelmächten entschlossen2). ') S. 279f. und Beil. 28a.
ä) Borys Krupnickyj, Geschichte der Ukraine, S. 286.
17. Dezember.
346
Abschluß der Kämpfe im Osten. Verhandlungen in Brest-Litowsk.
Von weniger unmittelbarer Bedeutung war, daß Anfang Dezember auch Finnland seine Selbständigkeit erklärt und die Anerkennung der
ausländischen Mächte nachgesucht hatte. 2.Die Friedensverhandlungen mit Sowjet-Rußland und der Ukraine in Brest-Litowsk. Die bei den Friedensverhandlungen an Rußland zu stellenden Forderungen wurden am 18. Dezember in einem Kronrat zu Kreuz¬
nach besprochen. Die in der Verwaltung des Oberbefehlshabers Ost stehenden Gebiete, Kurland und Litauen, deren „Landesräte" den Schuh des deutschen Kaisers erbeten hatten, sollten dem Reich angegliedert werden. Für Livland und Estland, die noch in russischer Hand waren, stellte die Oberste Heeresleitung, damit England sich nicht über Murmansk im Baltikum festsetzen könne, das gleiche Verlangen, stieß aber dabei auf den Widerstand der politischen Leitung. Diese Frage blieb daher ebenso in der Schwebe wie die des polnischen Grenzstreifens, der im Falle der austropolnischen Lösung an Deutschland fallen sollte; ein von ÖsterreichAngarn hierzu gemachter Vorschlag wurde als ungenügend abgelehnt. 22.»«am»«. Am 22. Dezember begannen die Friedensverhandlungen in Brest, bei denen die Hauptbeteiligten: Deutschland durch Staatssekretär von Kühl¬
mann, Österreich-Ungarn durch Außenminister Graf Czernin, Rußland durch Volkskommissar Joffe vertreten waren; der Vorsitz sollte zwischen den Mittelmächten täglich wechseln. Die Oberste Heeresleitung hatte nach Entscheidung des Obersten Kriegsherrn an den Friedensverhandlungen „verantwortlich" mitzuwirken. Die russischen Bevollmächtigten nahmen die Gelegenheit wahr, durch propagandistische Ausführungen ihre Weltanschauung zu verbreiten; an raschem Abschluß der Verhandlungen schien ihnen wenig gelegen. Graf Czernin als Vertreter der friedensbedürftigen Habsburger Mon¬ archie war bereit, die russische Friedensformel anzunehmen, nach der die
Bevölkerung der Randgebiete, Finnland, Estland, Livland, Kurland, Li¬ tauen, Polen, Kaukasien, in „freier Volksabstimmung" über ihr Schicksal entscheiden sollte. Staatssekretär von Kühlmann hatte damit für die deutschen Forderungen einen schweren Stand; sein Streben war, unter
Ausnutzung aller Mittel diplomatischer Verhandlungskunst nach und nach zum Ziele zu kommen. Die Oberste Heeresleitung aber drängte auf
rasche Annahme aller Forderungen, zunächst mit Rücksicht auf die mili¬ tärische Lage, aber auch wegen der gefährlichen Rückwirkung jeder Ver¬ schleppung auf die politische Gesamtlage wie auf Stimmung und Haltung
Oberste Heeresleitung und Auswärtiges Amt.
347
des deutschen Volkes, auf das der abermalige Umsturz in Rußland zum Teil schon bedenklich zu wirken begonnen hatte. Sie hielt es daher für geboten, als Sieger gegenüber dem Besiegten aufzutreten, General Hoffmann hatte ihr jeden Abend und nach jeder Sitzung zu berichten; ohne ihre aus¬
drückliche Zustimmung sollte kein Abschluß stattfinden. Schon am dritten Tage, dem 25. Dezember, wurde unter Vorsitz des rs. *>«»«*«*.
Grafen Czernin den Russen eine Unterbrechung der Verhandlungen bis 4. Januar bewilligt, damit die Entente-Mächte nochmals Gelegenheit er¬ hielten, sich zur Teilnahme bereit zu erklären. Die Oberste Heeres¬ leitung war mit dieser neuen Verzögerung durchaus nicht einverstanden;
General Hofsmann hatte daher künftig vor jeder einzelnen Entscheidung ihre Zustimmung einzuholen. Er sollte den Standpunkt vertreten, daß Rußland nach Abschluß des Friedens alle Gebiete mit nichtrussischer Be¬ völkerung, also Livland, Estland, den Rest von Galizien, die Moldau und Armenien zu räumen und möglichst auch Finnland freizugeben habe, wo¬ gegen die Mittelmächte ihre Truppen hinter die allgemeine Linie Smorgon
—Brest—Bug zurückziehen würden. Falls Rußland auf diese Bedin¬ gungen nicht eingehe, herrsche vom 14. Januar ab wieder Kriegszustand. Andererseits war Staatssekretär von Kühlmann angesichts eines Hin- Jahr«-»»»»«
weises des Grasen Czernin auf die Möglichkeit eines österreichisch-unga-
m7/t8,
rischen Sonderfriedens bereit, auf die russische Formel einzugehen, daß die in Frage kommenden Gebiete wohl zu räumen seien, daß danach aber
die Bevölkerung in „freier Abstimmung" über ihre Zukunft entscheiden solle. Die Gegensätze, die sich hinsichtlich der zu stellenden Bedingungen zwischen Oberster Heeresleitung und Auswärtigem Amte heraus¬ gebildet hatten, veranlaßten Generalfeldmarschall von Hindenburg, sich am 31. Dezember in einem längeren Schreiben an den Kanzler zu
wenden. In diesem Schreiben hieß es, er müsse sich für die weiteren Verhandlungen „eine größere Einflußnahme und die ausdrückliche Zu¬ stimmung zu allen Vorschlägen und Entscheidungen wahren". Damit war die Frage der Verantwortlichkeit für die Friedensschlüsse gestellt. Am 2. Januar wurde in einem Kronrat in Berlin versucht, die sachlichen Meinungsverschiedenheiten auszugleichen. Aber die Frage des an Deutsch¬
land abzugebenden polnischen Grenzstreifens hatte sich der Kaiser inzwischen durch General Hoffmann unmittelbar Vortrag halten lassen, wobei dieser, abweichend von der Forderung der Obersten Heeresleitung, aber überein¬ stimmend mit der Auffassung des Kaisers und der Reichsregierung, sich mit einem schmalen Gebietsstreifen begnügen wollte. Es kam zu einer ernsten 3«»»«. ®rtse, da General Ludendorff erwog, eine andere Verwendung zu erbitten. Der Generalfeldmarschall stellte sich vor ihn und wandte sich am 7. Januar
348
Abschluß der KSmpfe im Osten. 1918, Verhandlungen in Drest-Litowsk.
gaimar. in einet ausführlichen Eingabe an den Kaiser, in der es hieß: „In der
polnischen Frage haben Euere Majestät geruht, das Urteil des Generals Hoffmann höher zu stellen als das meinige und das des Generals Ludendorff. General Hoffmann ist mir unterstellt und ohne eigene Verant¬ wortung in der polnischen Frage. Der Vorgang am 2. Januar ... ist für uns ein Zeichen, daß Euere Majestät in einer das Leben des deutschen
Vaterlandes berührenden Frage unser Urteil hintansetzen..Abschlie¬ ßend erbat der Generalseldmarschall eine grundlegende Entscheidung und fügte hinzu: „Meine und des Generals Ludendorff Person dürfen bei Staatsnotwendigkeiten keine Rolle spielen". Bevor der Kaiser antwortete, fand zwischen dem Reichskanzler, dem er das Schreiben des Generalfeldmarschalls zur Stellungnahme zu¬
geleitet hatte, und der Obersten Heeresleitung ein Gedankenaustausch statt. Der Kanzler wünschte „Abgrenzung der Verantwortlichkeit" beiden Friedensverhandlungen. Der Generalfeldmarschall und General
Ludendorff erachteten die ihnen hierfür vorgeschlagene Formulierung zwar für entbehrlich, denn sie regle Fragen, die gar nicht strittig seien, und die moralische Verantwortung vor dem deutschen Volk, der Geschichte und dem eigenen Gewissen könne ihnen niemand abnehmen, doch stimmten sie einem Schriftsatz des Kanzlers zu, der besagte: Die staatsrechtliche Verant¬ wortung für die Friedensverhandlungen, die dabei zu erstrebenden Ziele, die anzuwendende Taktik und die Ergebnisse trägt allein der Reichskanzler. Die
militärischen Dienststellen: Chef des Generalstabes des Feldheeres, Erster Generalquartiermeister, Kriegsminister und Chef des Admiralstabes haben Recht und Pflicht, beratend hinsichtlich der militärischen Belange mit¬ zuwirken. Diese waren dabei so weitherzig ausgelegt, daß alle Gebiete der Staats- und Volksführung von ihnen berührt wurden. Forderungen, die die militärische Durchführung des gegenwärtigen Krieges beträfen, sollten vor anderen bedacht werden. Falls keine Einigung erzielt werde, sei die Entscheidung des Kaisers einzuholen. Im übrigen verteidigte der Kanzler die bisherige Führung der Verhandlungen in Brest, die insofern einen großen Erfolg darstelle, als jetzt nur noch ein Friede mit Rußland allein in Frage komme, während man den Westmächten gegenüber von
allen Fesseln früherer Erklärungen vollständig frei sei. Der Friedensreso¬ lution des Reichstages vom 19. Juli 1917 habe die Regierung damals zu¬ gestimmt, weil sie „in dem Augenblick, wo sie gefaßt wurde, den tatsäch¬
lichen Machtverhältnissen und der politischen Lage zu entsprechen schien". Inzwischen hätten die Voraussetzungen sich geändert, und die Regierung werde jetzt, „unbekümmert um die Stimmung in weiten Kreisen, die poli¬ tisch notwendigen Konsequenzen der neuen Situation ziehen".
Reichskanzler und Oberste Heeresleitung.
349
Am 24. Januar beantwortete der Kaiser die Eingabe des General¬ feldmarschalls vom 7. mit einem in Worten wärmster Anerkennung ge¬
haltenen Schreiben. Er stimmte der vom Reichskanzler entworfenen Ab¬ grenzung der Verantworlichkeiten zu und sprach „vertrauensvoll die Er¬ wartung" aus, daß es dem Generalfeldmarschall und General Ludendorsf
gelingen werde, „weitere Bedenken fallenzulassen, um sich unbeeinflußt den Aufgaben der eigentlichen Kriegführung widmen zu können". Damit war der augenblickliche Streitfall zwischen Kanzler und Oberster Heeresleitung in einer für beide Teile annehmbaren Form beigelegt. Die
sachlichen Meinungsverschiedenheiten aber blieben bestehen. Dem Buch¬ staben nach hatte der Kanzler recht behalten, in der Wirklichkeit war die Stellung der Heerführer stärker denn je, zumal da aus ihr Betreiben am 16. Januar der Chef des Zivilkabinetts des Kaisers, Wirklicher Geheimer Rat von Valentin!, ausgeschieden war, in dem sie seit langem den Ver¬
treter einer schwächlichen Politik gesehen hatten. Welchen Eindruck die bisherige Haltung der Mittelmächte in Rußland
gemacht hatte, zeigte ein Funkspruch des russischen Oberbefehls¬ habers an alle Truppen: „Genossen, ein Lroßer Sieg ist errungen. Die gierigen Räuber der deutschen Bourgeoisie haben sich vor dem Willen der russischen Revolution gebeugt. Sie wagen es nicht, uns Forderungen des
Raubes und der Sklaverei zu stellen, sie fürchten ihr Volk". Ebenso hatte Volkskommissar Trotzki am 29. Dezember in einer nochmaligen Einladung an die Entente-Staaten und ihre Völker durch Funkspruch verkündet: Die feindlichen Regierungen seien „vor allem unter dem Drucke der
Arbeitermassen dem Programm der Demokratie entgegengekommen"; die Verhandlungen würden am 8. Januar an einem neutralen Orte wieder
aufgenommen werden. Als sich die Bevollmächtigten der Mittelmächte verabredungsgemäß am 4. Januar wieder in Brest vereinigten, blieben die Russen aus und verlangten Fortsetzung der Verhandlungen in Stock¬
holm. Scharfe Ablehnung dieser Forderung veranlaßte sie, am 7. wieder zu erscheinen. Ihr Führer war diesmal Volkskommissar Trotzki. In den nächsten Tagen folgten ergebnislose Verhandlungen über Räumung der noch von den Russen besetzt gehaltenen Gebiete. Es zeigte sich immer mehr, daß Trotzki die Verhandlungen in die Länge zu ziehen suchte, um durch weit ausschweifende Reden für die Weltrevolution zy wirken. Dies veranlaßte am 12. Januar eine scharfe Mahnung an die
Russen; General Hosfmann hielt ihnen vor, daß sie sich anmaßten auf¬ zutreten, als wären sie die Sieger, die auf erobertem Boden ständen; die
Verhältnisse lägen umgekehrt; sie forderten Selbstbestimmungsrecht für die
350
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1418, Verhandlungen in Brest-Litowsk.
von den Mittelmächten besetzten Gebiete, unterdrückten aber jede freie
Meinung im eigenen Lande; die deutsche Oberste Heeresleitung lehne eine Einmischung in die Angelegenheiten der besetzten Gebiete ab, deren Völker bereits unzweideutig den Wunsch der Lostrennung von Rußland zum Ausdruck gebracht hätten. Die Verhandlungen kamen aber auch weiterhin j*”' nicht vom Fleck. Am 15. Januar berichtete General Hoffmann, „daß die Russen möglicherweise darauf hinaussteuern, die Verhandlungen an der Räumungsfrage zum Scheitern zu bringen um sich dadurch einen für
ihre Zwecke geeigneten Abgang zu schaffen". Die Oberste Heeresleitung verfolgte die Hergänge mit wachsender Ungeduld. Am 16. Januar teilte sie dem Kanzler mit, daß sich Trohki an das internationale sozialdemokratische Büro in Stockholm gewandt
habe: An Sonderfrieden mit Deutschland sei nicht zu denken; es komme nur darauf an, „die Verhandlungen in die Länge zu ziehen, um unter¬
dessen die internationale Sozialdemokratie zwecks Herbeiführung eines allgemeinen Friedens mobil zu machen". Der Generalfeldmarschall fügte hinzu: „Diese Meldung bestätigt die Vermutung, daß Trohki in Brest nur zum Verhandlungssenster hinausredet.
Sobald Klarheit über die
Absichten der Ukrainer gewonnen ist, muß diesem Vorgehen Trotzkis durch ein Ultimatum ein Ende bereitet werden. Das Hinausziehen der Ver¬
handlungen verschlechtert unsere militärische Lage. Diese bedingt Klärung der Verhältnisse und eintretendenfalls Zurückgewinnung der militärischen Handlungsfreiheit im Osten ...“ Die Ukraine hatte inzwischen bereits am 26. Dezember für ihre Vertreter in Brest gleichberechtigte Teilnahme an den Verhandlungen gefordert. Die Verhältnisse in der Ukraine waren aber noch recht ungeklärt. Siegte die Regierung in Kiew, die „Rada", die nach wie vor mit Rumänien eng zusammenarbeitete, über die Bolschewiken im Lande, was aber noch
keineswegs sicher war, so konnte die Lösung der rumänischen Frage recht schwierig werden. Um die Jahreswende hatte die Heeresfront Erzherzog Josef geurteilt: Die Ziele des Generals Schtscherbatschew seien noch unklar. Doch sprächen sein Vorleben und die augenfällige Unterstützung durch die Entente dafür, daß er ententegünstige Zwecke verfolge. Er gehe planmäßig an die Arbeit, im Süden Rußlands „ein organisiertes Sonder¬
gebiet mit einer disziplinierten Sonder-Armee unter dem Schlagwort ,Ukraina° zu schaffen". Die großrussischen Truppen würden „durch Derpflegungsentzug zum Abziehen ins Hinterland gezwungen, wo sie entganoar. wasfnet oder interniert werden, eventuell nach Großrußland abziehen, wo sie, solange kein Frieden geschlossen, einen Kräfteausgleich zwischen Nord und Süd repräsentieren". Diese Bewegungen widersprächen den
Verzögerung der Verhandlungen. Die Akraine.
351
Waffenstillstandsverträgen, und daraus ergebe sich eine Handhabe, den
Quertreibereien entgegenzutreten. Es stände fest, „daß sich die ukrainische Bewegung Schtscherbatschews unter dem Schutze des Waffenstillstandes aus den ungefährlichen Anfängen zu einem respektablen Feinde entwickeln
kann, der zum mindesten Kräfte festhält und zu seiner späteren Niederzwingung bedeutenden Einsatz verlangt...“ Damit war die Gefahr klar aufgezeigt, wenn auch von einer Seite, deren Regierung die Bildung einer selbständigen Ukraine nicht wünschte. Da aber in Focsani die Ver¬ handlungen mit General Schtscherbatschew und den Rumänen ebenso wenig wie die in Brest mit den Russen vorwärts kamen, mußte versucht werden, wenigstens mit den Vertretern der Rada baldigst zum Abschluß zu kommen. Das erschien angesichts ihrer zunehmenden inneren Schwie¬ rigkeiten um Mitte Januar schon eher erreichbar als bisher, denn in Charkow
hatte sich eine bolschewistische Gegenregierung gebildet. Auch der Widerstand österreich-Ungarns war jetzt leichter zu über¬ winden, da die Donaumonarchie unter schweren inneren Erschütterungen litt. Aus Wien gingen verzweifelte Hilferufe um Nahrungsmittel bei Graf Czernin ein; er möge sich „sofort an Berlin um Hilfe wenden, da sonst Katastrophe vor der Tür stände"1). Er bemerkte dazu: „Sowie die
russischen Unterhändler merken, daß die Revolution bei uns im Anzug ist, schließen sie keinen Frieden, da ihre ganze Spekulation auf diesen Faktor berechnet ist." Es folgten Nachrichten über „große Streikbewegung, die auf gekürzte Mehlquote und auf den schleppenden Verlauf der Brester Verhandlungen zurückzuführen" sei; die Arbeiter verlangten an diesen
Verhandlungen teilzunehmen. Als einzige Rettung erschien rascher Friede mit der Ukraine, von dem man baldige Versorgung mit Getreide erhoffte.
Graf Czernin drängte daher zum Abschluß. Er leistete der ukrainischen Forderung aus das bisher zu Russisch-Polen gehörige Gebiet von Cholm keinen Widerstand mehr und war auch bereit, den Ukrainern in Ostgalizien eine gewisse Selbständigkeit einzuräumen. Andererseits hatten die Ukrainer ihr Desinteressement an Bessarabien bekanntgegeben, so daß man damit Rumänien entgegenkommen konnte. Am 17. Januar erklärte Trohki, daß er demnächst für etwa 6 Tage
zur Eröffnung der konstituierenden Versammlung nach Petersburg fahren müsse, am 19. reiste er ab. Erst am 29. Januar sollten die Verhandlungen m Brest wieder aufgenommen werden. Angesichts dieser neuen zehntä¬
gigen Verschleppung drängte die Oberste Heeresleitung beim Reichsjfflzler und drahtete darüber am 28. Januar an General Hoffmann: Sie ') Ottokar Czernin: „gm Weltkriege", 6.323ff.
352 Iansar.
Abschluß der Kämpfe im Osten, ldl8, Verhandlungen in Brest-Litowsk.
habe dem Kanzler erklärt, daß sie wegen der beabsichtigten Operationen
größten Wert darauf legen müsse, „im Osten je eher, je lieber unbedingt klare Verhältnisse zu erlangen... Vom militärischen Standpunkt aus haben wir jedenfalls nicht die Zeit, um die nur auf Revolutionierung der
deutschen Arbeiter abzielenden Reden der Russen anzuhören". Diese Reden aber zeigten ihre Wirkung bereits in der an demselben Tage auch in Deutsch¬
land einsetzenden großen Streikbewegung2). Friedensschluß mit der Ukraine und Aussprache mit Gras Czernin in Berlin. Am 31. Januar wurden die Verhandlungen in Brest wieder auf¬ genommen; aus Verständigung mit Trotzki war aber nicht mehr zu hoffen.
Dagegen erklärten sich die Ukrainer angesichts der zunehmenden Macht der Bolschewiken in ihrem Lande — Kiew selbst war in deren Hände ge¬ fallen — rückhaltlos zum Frieden und zur Lieferung von 1000000 Tonnen
Getreide bereit; eine Kündigung des Waffenstillstandes mit Rußland oder Rumänien würde sie nicht berühren. Am 2. Februar gab Gras Czernin daraufhin die feierliche Anerkennung der Ukrainischen Volks¬ republik durch die Mittelmächte bekannt. Bevor sie mit dieser abschlössen, hielten er und Staatssekretär von Kühlmann aber noch eine Aussprache
mit der Obersten Heeresleitung für nötig. Die Aussprache fand am 4. und 5. Februar in Berlin statt. Graf Czernin kam es dabei angesichts der Pläne der Obersten Heeresleitung
daraus an, „endlich einmal schriftlich festzulegen", daß Österreich-Ungarn „nur für den vorkriegerischen Besitzstand Deutschlands zu kämpfen ver¬ pflichtet" fei2). Er schlug ein entsprechendes „Dokument für Auslegung des Bündnisvertrages" vor, in dem aber doch gleichzeitig gesagt sein sollte, daß kein Teil Frieden schließen werde, solange die Entente nicht auf jeden Wirtschaftskrieg verzichte, und daß auch von dem Rechte, gegebenen¬ falls unabhängig vom anderen Frieden zu schließen, kein Teil Gebrauch machen werde, solange er nicht durch „vollständige Erschöpfung oder andere
zwingende Gründe unbedingt" dazu genötigt sei. Ohne solchen Zwang würden beide Teile den Krieg fortsetzen, „bis ein Friede möglich ist, der
ihnen eine Vermehrung ihrer politischen Sicherheiten und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten gewährleistet". Diesem Dokument, das an den
tatsächlichen Verhältnissen nichts änderte, stimmte der Reichskanzler zu; er machte nur die Einschränkung, daß es „in der Öffentlichkeit nicht gebraucht Februar.
werden dürfe. Im übrigen handelte es sich bei der Aussprache um die *) Weiteres hierüber wird Bd. XIV enthalten. 2) Czernin, a. a. O. S. 334.
353
Graf Czernin in Berlin. Friede mit der Ukraine.
Rumänien aufzuerlegenden Bedingungen*) und um die Frage, wie in Brest weiter zu verfahren sei. Während General Ludendorss vor allem
mit Trotz« brechen, „etwas gegen die Großrussen unternehmen" und „auf diese Weise auch den deutschen Besitz in Livland und Estland schützen" wollte, schlug Gras Czernin vor: 1. Friede mit der Ukraine, 2. Friede mit Rumänien, 3. möglichst auch Friede mit den Großrussen. Diesem Plan trat dann auch die Oberste Heeresleitung bei. Am 7. Februar drahtete Generalfeldmarschall von Hindenburg an
den Oberbefehlshaber Oft, Kaiser Wilhelm habe beim gestrigen Vortrag „die feste Absicht" ausgesprochen, „den Deutschen in den bisher nicht be¬ setzten Teilen Livlands und Estlands den von ihnen erbetenen Schutz zuteil werden zu lassen. Mit den Operationen, die hierfür in Aussicht genommen
find2), wird daher als feststehend zu rechnen fein. General Hosfmann erhält hiermit zugleich den Auftrag, die Räumung von Livland und Estland seitens der russischen Truppen oder den Bruch mit Trotz« zu erwirken". Graf Czernin machte zunächst noch einen letzten Versuch, sich mit Trotz« zu verständigen. Als dieser fehlschlug, wurde in der Nacht zum 9. Februar der Friede mit den Vertretern der Ukraine unterzeichnet. Dabei wurde ihnen das Gebiet von Cholm und die Umwandlung des hauptsächlich von Ukrainern bewohnten Ostteiles von Galizien in ein selbständiges öster¬ reichisches Kronland — letzteres als Geheimklausel des Vertrages — zu¬
gesagt. Als Gegenleistung verpflichtete die Ukraine sich, große Mengen von Getreide an Deutschland und Österreich-Ungarn zu liefern. Durch diesen Abschluß waren für die militärische Lage insofern klarere Verhältnisse geschaffen, als Österreich-Ungarn von Wiederaufnahme der
Feindseligkeiten gegen Sowjet-Rußland künftig nicht mehr unmittelbar berührt wurde. An seiner Ostgrenze herrschte — abgesehen von der Front in Rumänien — Friede. Deutschland hatte gegen Sowjet-Rußland mehr
als bisher freie Hand.
Abschluß der Verhandlungen. Die Russen versuchten unterdessen weiterhin, den inneren Halt der deutschen Truppen zu erschüttern. Ihre Heeresleitung verbreitete durch Rundfunk am 9. Februar einen Befehl, der unter Hinweis auf die Wohltat
weitgehender Entlassung russischer Reservistenjahrgänge sowie aus „Revo¬ lution in Deutschland und Beschießung deutscher Arbeiter durch eigene Truppen" die russischen Soldaten aufforderte, „deutsche Truppen anzuleiten zum Vorgehen gegen ihre Peiniger, Generale, Offiziere". Dieser *) 6.357. 2) 6.363 ff. Weltkrieg. XIII. Bd.
23
354
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Verhandlungen in Brest-Litowsk.
S«br»ar. russische Vorstoß veranlaßte nunmehr Kaiser Wilhelm in einer Drah¬ tung nach Brest zu verlangen, daß schleunigst ein Ende gemacht werde; Trotzki müsse bis morgen, 10. Februar abends, den Frieden nach unseren Bedingungen kurzweg unterzeichnen unter sofortiger Ausgabe des Balti¬ kums; im Weigerungsfälle oder bei Hinschleppungsversuchen sei der Waffen¬ stillstand zu kündigen; der Oberbefehlshaber Oft gehe dann gegen die vor¬ geschriebene Linie vor. Noch hatte aber Staatssekretär vonKühlmannBe-
denken. Er sah „hohe Wahrscheinlichkeit", daß Trotzki einlenken werde. Wegen der Forderung, Estland und Livland zu räumen, dürfe es dann nicht zum
Bruch kommen; „Sprengung des Bündnisses mitöfterreich und Entfesselung innerpolitischen Konflikts in Deutschland würden unmittelbar" folgen. Da der Reichskanzler dieser Auffassung beitrat, war der Kaiser damit ein¬ verstanden, daß die Forderung der Räumung von Estland und Livland nicht in die Form eines Ultimatums gekleidet und zunächst noch das Er¬ gebnis der Verhandlungen des 10. Februar abgewartet wurde. Der Schwierigkeiten der Lage wurde die deutsche Vertretung dadurch enthoben, daß Trotzki an diesem Tage mündlich und schriftlich die Erklärung abgab, „daß Rußland, indem es darauf verzichtet, einen annexio-
nistischen Vertrag zu unterzeichnen, seinerseits den Kriegs¬ zustand mit Deutschland, Österreich-Ungarn, der Türkei und Bulgarien für beendet erklärt. Den russischen Truppen wird gleich¬ zeitig der Befehl zur vollständigen Demobilisierung an allen Fronten erteilt". Staatssekretär von Kühlmann erwiderte sofort: Die verbündeten
Regierungen ständen mit Rußland zur Zeit noch im Kriege; der Waffen¬ stillstand sei abgeschlossen, um zum Abschluß des Friedens zu kommen. Die Erklärung Trotzkis könne diesen Abschluß nicht ersehen. Sie bedeute die Kündigung des Waffenstillstandes und nach dessen Ablauf den Wiederein¬ tritt des Kriegszustandes. Fm übrigen war er ebenso wie der Reichskanzler und auch die Bundesgenossen der Meinung, man solle es ohne Wieder¬
aufnahme der Feindseligkeiten bei der Erklärung Trotzkis bewenden lassen. Demgegenüber vertrat die Öberste Heeresleitung mit Nachdruck den Standpunkt, daß nach Ablauf des Waffenstillstandes, also am 18. Fe¬ bruar, die militärischen Operationen gegen Sowjet-Rußland sofort wieder aufzunehmen und bis zur Linie Dünaburg—Pleskau—Narwa durch¬ zuführen seien. Da die Beteiligung von Truppen der Verbündeten hierbei nicht in Frage kam, handelte es sich um eine rein deutsche Angelegenheit. Über sie wurde am 13. Februar in einem Kronrat entschieden. Dabei führte die Oberste Heeresleitung neben dem Bedürfnis, Estland und Livland von der Herrschaft der Bolschewiken zu befreien, auch die Notwendigkeit ins Feld, die Ukraine vom bolschewistischen Druck zu entlasten, da man
355
Friedensschluß nach Wiederaufnahme der Feindseligkeiten.
sonst nicht daraus rechnen könne, die zugesagten und dringend notwendigen Lebensmittel von ihr zu erhalten; auch müsse verhindert werden, daß England sich in Estland festsetze, und daß Finnland vergewaltigt werde. Entscheidend sei im übrigen, daß im Osten klare Verhältnisse geschaffen würden, um Truppen für die Westfront frei zu bekommen. Demgegenüber bezweifelte Staatssekretär von Kühlmann, daß die Bolschewiken durch militärische Unternehmungen gezwungen werden könnten, einen ihnen nicht genehmen Friedensvertrag zu unterschreiben; wir sollten im Osten abwarten und erst eingreifen, wenn wir dazu gezwungen würden. Vize¬ kanzler von Payer schloß sich aus innenpolitischen Gründen dieser Auf¬ fassung an. Das Endergebnis war aber, daß die Oberste Heeresleitung,
auf deren Seite der Kaiser stand, ihren Willen durchsetzte. So sprachen vom 18. Februar mittags an wieder die Waffen1), und
18. Februar.
zwar, nachdem die Ukraine tags zuvor deutsche Hilfe gegen die Bolsche¬ wiken in ihrem Gebiet erbeten hatte, auch an der ukrainischen Front. Oberste Heeresleitung und Auswärtiges Amt vereinbarten unterdessen im
wesentlichen folgende künftige Friedensbedingungen: Räumung Estlands, Livlands, Finnlands, der Aalands-Znseln und der Ukraine durch russische Truppen und Rote Garde; Besetzung von
Estland und Livland durch deutsche Polizei, bis „die Sicherheit durch eigene Landeseinrichtungen gewährleistet und die staatliche Ordnung
hergestellt ist"; Verpflichtung Rußlands, sofort mit der „Ukrainischen Volksrepublik" Frieden zu schließen; Räumung der türkischen Gebiete Kleinasiens; Sofortige völlige Demobilmachung des Heeres, Überführung der Flotte in sowjetrussische Häfen oder ihre Desarmierung; Unterlassung jeder Agitation oder Propaganda in den Ländern der
Mittelmächte. Weitere Forderungen bezogen sich auf wirtschaftliche Fragen und Ge¬
fangenenaustausch. Diese Bedingungen wurden am 22. Februar russischen Kurieren mit¬ gegeben, die mit einem Protestschreiben gegen die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten in Dünaburg eingetroffen waren. Am 24. Februar teilte
die Räteregierung durch Funkspruch die Annahme der Bedingungen mit, versuchte aber am 26., da der deutsche Vormarsch Petersburg bedroht
erscheinen ließ, noch einmal den völlig zusammengebrochenen Widerstand neu zu beleben, doch ohne jeden Erfolg. So erklärte am 1. März eine l) S. 362 ff. 23*
22. Februar bis 3. Marz.
356
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Verhandlungen mit Rumänien.
neue russische Friedensdelegation in Brest, sie sei gekommen, „die von den Deutschen mit der Waffe in der Hand diktierten Bedingungen anzu¬
nehmen". Diese waren unterdessen durch die türkische Forderung auf so¬ fortige Räumung der 1878 an Rußland verlorenen Gebiete an der kauka¬
sischen Grenze noch ergänzt worden. Am 3. März nachmittags wurden die Feindseligkeiten eingestellt und der Friedensvertrag mit Sowjet-Rußland unterzeichnet.
Z. Die Friedensverhandlungen mit Rumänien in Buftea. Sie Ende
gamrar.
Ebenso schwierig wie die Verhandlungen mit Rußland gestalteten sich die mit Rumänien, dessen Heer in der Hand seiner Führer geblieben war. Unter dem Einfluß der französischen Militärmission und im Zusammen¬
hang mit den zunächst auch noch einigermaßen geordneten ukrainischen Verbänden des Generals Schtscherbatschew stellte es immer noch einen
nicht zu unterschätzenden Gegner dar, es zählte noch etwa 18 Divisionen neben etwa 30 ukrainischen. Ihnen gegenüber standen in der Heeresgruppe Mackensen und der Heeresfront des Feldmarschalls Freiherr Köveß von
Köveßhaza*) Ende Januar 1918 noch 12 deutsche, 15 österreichisch-ungarische, 3 bulgarische und 1 türkische Division, dazu 6 österreichisch-ungarische und 1 bulgarische Kavallerie-Division?). Als Mitte Januar vier deutsche Di¬ visionen abrollen sollten, ohne daß bisher irgendein Fortschritt in den Ver¬ handlungen erzielt war, schlug Generalfeldmarschall von Mackensen vor, die Rumänen vor die Wahl zu stellen, entweder innerhalb 24 Stunden Frieden zu erbitten oder die Kündigung des Waffenstillstandes zu gewär¬
tigen; denn er glaube nicht, daß sie ohne Zwang zum Frieden zu bringen sein würden. Gegen militärisches Vorgehen bestanden aber einstweilen Be¬ denken mit Rücksicht aus die Ukraine, mit der man gerade zum Frieden zu
kommen hoffte. Unterdessen vertrieben die Rumänen in teilweise heftigen Kämpfen die noch an ihrer Front stehenden sowjetrussischen Truppen. Am 28. Ja¬
Februar.
nuar wurde bekannt, daß Sowjet-Rußland die Beziehungen zu Rumänien abgebrochen habe. Damit waren die Grundlagen des WaffenstillstandsAbkommens völlig verschoben und neue Verhandlungen nötig. Sie sollten am 4. Februar in Focsani beginnen und im Aufträge des Oberkommandos Mackensen durch General von Morgen geführt werden, während General’ x) Feldm. von Köveh hatte am 15. Jan. den Befehl von Erzherzog Josef übernommen, der eine Heeresgruppe in Italien erhielt.
2) Seit Anfang November 1917 waren ohne Ersatz abbefördert: 24 deutsche, 5 österr.ung., 1 türk. Div.
Die Friedensbedingungen.
357
major Hell die Oberste Heeresleitung, Legationsrat Freiherr von Richthosen das Auswärtige Amt zu vertreten hatten. Die Forderung der Obersten Heeresleitung, den Rumänen sofort zu eröffnen, daß ein neuer Waffenstillstandsvertrag nur dann in Frage käme, wenn sie ihre künftigen militä¬ rischen und politischen Ziele offen bekannt gäben, wurde zurückgestellt, als Graf Czernin am 2. Februar mitteilte, König Ferdinand von Rumänien habe sich unmittelbar an Kaiser Karl gewandt1). Am 4. Februar erklärte er in Berlin,
man brauche nur noch wenige Tage. Im Gegensatz hierzu meldete General Hell als Eindruck des ersten Verhandlungstages, daß ein Entgegenkommen der Rumänen nicht zu erwarten sei; nur durch rücksichtslose Festigkeit dürfte etwas zu erreichen sein. So wurde am 5. Februar von der rumä¬
nischen Regierung gefordert, innerhalb von vier Tagen die seitens der
Obersten Heeresleitung verlangte Erklärung abzugeben. Bei den Berliner Besprechungen am 4. und 5. Februar?) waren unterdessen als Friedensbedingungen, die den Rumänen aber zunächst
noch nicht bekanntgegeben werden sollten, vereinbart worden: Einsetzung einer den Mittelmächten genehmen Regierung; Abtretung der ganzen Dobrudscha an die vier Verbündeten „zu
gesamter Hand", wobei Constanza (dieses als Freihafen) und die
Bahn Cernawoda—Constanza Deutschland zufallen sollten; Grenzberichtigungen in den Karpaten zugunsten Österreich-Ungarns; Rumänische Gebietserwerbungen von Rußland in Bessarabien; Belastung des mobilen rumänischen Heeres an der Front gegen die
Ukraine, wo zu dieser Zeit die Bolschewiken dieMachtansich gerissen hatten; Demobilmachung aller dort nicht eingesetzten Truppen; Fortdauer der Besetzung Rumäniens durch Truppen der Mittel¬ mächte unter deutschem Oberbefehl und deutscher Verwaltung bis auf weiteres; Bestimmungen über Wirtschaftsfragen, Betrieb der Eisenbahnen in der Moldau, Donau-Schiffahrt und Gefangenenaustausch. Nachdem dann am 9. Februar der Friede mit den Vertretern der
Ukraine unterzeichnet war, verlangte die Oberste Heeresleitung, daß die Rumänen in Focsani nunmehr „vor kurzen Entschluß" gestellt würden, denn es schien nach einem aufgefangenen italienischen Funkspruch wahr*) Die Anregung war von Kaiser Karl ausgegangen, der Oberst Ritter von Randa
mit der Mitteilung zu König Ferdinand entsandt hatte, er sei „gern bereit, mit Rumänien eine Allianz zu schließen. Hauptzweck derselben wäre, die internationale Revolution der Bolschewik!, welche alle Monarchen der Welt in gleichem Maße bedrohen, zu bekämpfen". Oberst von Randa kehrte, ohne eine Antwort erhalten zu haben, zurück.
2) 6.352 f.
358 Februar.
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Verhandlungen mit Rumänien.
scheinlich, daß sie in der Hoffnung aus Entente-Hilfe noch Widerstand leisten würden. Unterdessen verzögerte sich die geforderte Erklärung über ihre
Absichten durch Neubildung der Regierung. Rumänien verlangte Bedin¬ gungen, wie sie „unabhängigen Staaten zugebilligt" würden, und erbat wegen Schwierigkeiten der Regierungsbildung am l Z. Februar Verlän¬ gerung des Waffenstillstandes um 20 Tage. Diesem Hinausziehen gegen¬
über befand sich die Oberste Heeresleitung in schwieriger Lage, da alle übrigen Vertreter der Mittelmächte militärischen Druck ablehnten und selbst das Oberkommando Mackensen ihn zu vermeiden wünschte, weil
ihm die deutschen Kräfte allein dazu nicht ausreichend erschienen. So wurde nur gefordert, daß die Friedensverhandlungen spätestens am
22.Februar in Buftea bei Bukarest beginnen müßten.
Die inzwischen bevorstehende neue Offensive gegen Sowjet-Rußland, vor allem aber die am 17. Februar von der Akraine gestellte Bitte um
Hilfe gegen die Bolschewiken in ihrem Gebiete änderten die Lage aber¬ mals. Die Oberste Heeresleitung hielt es für erwünscht, daß Rumänien sich an der Hilfeleistung in der Akraine beteilige, indem es den Kampf gegen die Bolschewiken nicht nur bis zur Inbesitznahme ganz Bessarabiens
weiterführe, sondern auch Odessa — allerdings ohne künftige Besitz¬ ansprüche — besetze. Andererseits zeigte sich mehr und mehr das Streben
Österreich-Ungarns, die im Zusammenhang mit der austropolnischen Lösung angebotene wirtschaftliche Vormachtstellung Deutschlands in Ru¬ mänien1) einzuschränken; die ohne Wissen des Bundesgenossen eingeleitete unmittelbare Fühlungnahme zwischen Kaiser Karl und König Ferdinand schien der erste Schritt in dieser Richtung gewesen zu sein. Auf Veranlassung des Grafen Czernin warnte Kaiser Karl in einem Briefe an den Deutschen Kaiser davor, den Rumänen schwerere Bedingungen aufzuerlegen, als un¬ vermeidlich sei. Kaiser Wilhelm aber sah darin nur das Abrücken von
der jetzt mit den Forderungen der Akraine belasteten austropolnischen Lösung, um statt dessen Deutschland aus Rumänien zu verdrängen. Der deutsche Einmarsch in die Akraine muhte zur operativen Um¬ fassung der rumänischen Armee führen und sie damit in eine hoffnungs¬ lose Lage bringen. Bei Vorbesprechungen mit dem neuen rumänischen
Ministerpräsidenten General Averescu ergab sich daher jetzt dessen Be¬ reitschaft, aus die Forderungen der Mittelmächte einzugehen bis auf die Abtretung der Dobrudscha; falls auf diesem Verlangen bestanden würde, sei es möglich, daß sich das rumänische Heer bis zum letzten Mann schlage. Neue Verzögerungen ergaben sich daraus, daß Staatssekretär von Kühlr) e.19ff.
Stocken der Verhandlungen und Ultimatum.
359
mann Aufschub der letzten Verhandlungen verlangte, bis Graf Czernin und er in Brest mit den Russen abgeschlossen hätten, denn die rumänische
Frage werde Deutschlands „Bundesverhältnis zu Österreich-Ungarn, Bul¬ garien und der Türkei einer so schweren Belastungsprobe unterziehen, daß die persönliche Anwesenheit der Chefs der auswärtigen Politik aller Verbündeten bei den Verhandlungen erforderlich sei". So begannen schließlich erst am 24. Februar Vorverhandlungen mit den Rumänen, die wegen der Dobrudscha-Frage ergebnislos verliefen. Anwendung militärischer Gewalt wurde erwogen. Aber General Hell
hatte Bedenken, für die hierbei in erster Linie stehenden bulgarischen Be¬ lange noch einen Wassengang zu unternehmen, der nicht etwa einen
militärischen Spaziergang, sondern einen verlustreichen Kampf bedeute. General Ludendorfs hielt dem entgegen, daß auch die österreichisch¬ ungarische Heeresleitung bereit sein würde, die Forderungen mit Waffen¬ gewalt zu unterstützen; die Rumänen würden es daher auf einen Kampf
nicht ankommen lassen. Unterdessen hatte am 27. Februar Gras Czernin, der bis Herbst 1916 österreichisch-ungarischer Gesandter in Bukarest gewesen war, eine
lange persönliche Aussprache mit König Ferdinand, wobei er diesem ab¬ schließend eröffnete, entweder würden die Bedingungen der Mittelmächte innerhalb von 48 Stunden als Verhandlungsbasis angenommen, oder die
Dinge nähmen ihren unabänderlichen Lauf, das heiße, daß Rumänien in längstens vier Wochen zu bestehen aufgehört hätte. Zm Anschluß an die Meldung über diesen Vorgang fragte General Hell bei der Obersten Heeresleitung an, ob die zum Abtransport nach dem Westen zurückgezogenen deutschen Divisionen nun zum „Halali" (Deckname für den Endangriff) gegen die Moldau bereitgestellt werden sollten. Die Antwort lautete „ja", aber derart, daß eine Division — falls der König nachgibt — sofort verladen werden kann. Als General Luden¬
dorff gleichzeitig den Reichskanzler bat, weitere Verzögerung des Ab¬ schlusses nunmehr zu verhindern, erfuhr er, daß Kaiser Karl sich bisher nicht habe bereit finden lassen, für den Fall der Ablehnung durch Rumänien neue Operationen seines Heeres zu befehlen; Graf Czernin wolle sich dafür einsehen, brauche dazu aber deutsche Zugeständnisse in Rumänien zugunsten
Österreich-Ungarns wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiet. Der Kanzler fragte schließlich, ob denn die Mitwirkung der Bulgaren und Türken bei
neuem Wafsengang gesichert sei, und ob die Oberste Heeresleitung diesen auch dann beginnen wolle, wenn Österreich-Ungarn nicht teilnehme. Die Lage war recht unklar. Mit Generaloberst von Arz waren zwar alle
erforderlichen Vereinbarungen getroffen, General Ludendorff war aber
360
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Verhandlungen mit Rumänien.
im Zweifel, ob Kaiser Karl „Stange halten" werde. Auch über Mitwirkung der Bulgaren und Türken bestand keine Klarheit. Das Oberkommando
Mackensen meldete, ohne Teilnahme Österreich-Ungarns könne mit durchschlagendem Erfolg nicht gerechnet werden; mit fünf deutschen Di¬ visionen allein würde die Offensive nach kurzer Zeit stecken bleiben und das Ergebnis „als Sieg der Rumänen erscheinen". Mit Ablauf der 48stündigen Frist ging am l.März ein Schreiben
des rumänischen Ministerpräsidenten ein, dessen Inhalt „ungenügend" war. Auf Bitten des Grasen Czernin kam es zu nochmaligem Aufschub um 24 Stunden. General Ludendorss erhob Einspruch. General Hell
sollte aus Graf Czernin einwirken, General von Cramon bei Kaiser Karl vorstellig werden, damit die österreichisch-ungarischen Truppen an dem
anscheinend unvermeidlichen neuen Waffengang teilnähmen, so daß nach Niederwerfung der Rumänen die deutschen Truppen schnellstens für die Offensive im Westen frei würden. Am 2. März traf die Zusage Kaiser Karls ein; die Heeressront Köveß habe bereits entsprechenden Befehl. Erst daraufhin war auch der Kanzler mit Kündigung des Waffenstillstandes einverstanden. Als dann eine Stunde vor Ablauf der Frist Ministerpräsident Averescu mitteilen ließ, die rumänische Antwort könne erst nachmittags ab¬
gegeben werden, wurde ihm nur eröffnet, daß die Kündigung des Waffen¬ stillstandes für 12° mittags bestehen bleibe. Drei Tage später, am 5. März mittags, sollten die Operationen beginnen. Aber bereits am Nachmittag des 2. März erklärte sich Rumänien bereit, die Bedingungen anzunehmen. Neue Forderungen, die am 3. März Bulgarien für seine Teilnahme an einem etwa nötigen Kampfe stellte, waren damit bedeu¬
tungslos. Am S. März nachmittags wurden die Friedensbedingungen von
einem nach Buftea entsandten Bevollmächtigten der rumänischen Re¬ gierung unterschrieben. Sie enthielten gegenüber den am 3.Febmar verabredeten im wesentlichen nur folgende Änderungen: Rumänische Unterstützung der Ukraine gegen die Bolschewiken fiel weg, dafür hatten die Rumänen den Transport von Truppen der
Mittelmächte durch die Moldau und durch Bessarabien nach Odessa eisenbahntechnisch mit allen Mitteln zu unterstützen. Mindestens acht rumänische Divisionen waren sofort zu demobilisieren. Die Offiziere der Entente waren sofort zu entlassen.
Damit war zwei Tage nach dem Abschluß in Brest auch mit Rumänien ein Borsriede zustande gekommen, aber noch sollten zwei Monate vergehen,
Vorfriede von Buftea und Friede von Bukarest.
361
bis der endgültige Friedensvertrag unterzeichnet war. Die Hauptschwierig¬ keit bereitete der türkisch-bulgarische Gegensatz in der DobrudschaFrage. Bulgarien forderte mehr, als ihm im Abkommen vom Spät¬ sommer 1915 für den Fall des Eintritts Rumäniens in den Krieg zugesagt worden war1), und entsprechend größer wurden auch die Ansprüche der Türkei aus Rückgabe bulgarischen, früher türkischen Gebietes in Thrazien. Auch abermalige Umbildung der rumänischen Negierung, an deren Spitze
Mitte März Ministerpräsident Marghiloman trat, brachte Verzögerungen. Der ursprünglich nur bis zum 19. März laufende Waffenstillstand mußte mehrfach verlängert werden. Die zum Abtransport bestimmten vier
deutschen Divisionen konnten daher immer noch nicht weggezogen werden, denn auf österreichisch-ungarische Waffenunterstühung war bei etwaiger Wiederaufnahme der Feindseligkeiten nicht mehr zu rechnen. Am 26. März, fünf Tage nach erfolgreichem Beginn der großen Offensive in Frankreich, verlangte die Oberste Heeresleitung schließlich von General Hell bis Mitternacht 28./29. März Meldung, daß ihre im Einvernehmen mit den maßgebenden Reichsbehörden gestellten For¬ derungen über Getreidelieferung, Erdölgewinnung, Eisenbahnen und
Donau-Schisfahrt in ihren Grundzügen vertragsmäßig soweit festgelegt seien, daß der Abtransport der Divisionen unbekümmert um weitere
Einzelberatungen durchgeführt werden könne. „Gestützt auf unsere Erfolge im Westen", dürfe nach keiner Richtung mehr nachgegeben werden. Diese Erfolge haben die Verhandlungen denn auch tatsächlich so erleichtert, daß es bereits am 26. März zu dem geforderten vorläufigen Abschluß kam:
Das rumänische Heer war bis auf zwei Infanterie- und zwei KavallerieDivisionen in Bessarabien zu demobilisieren; weitere acht Divisionen durften in Friedensstärke weiter bestehen. Die Räumung des besetzten rumänischen Gebietes wurde späteren Vereinbarungen vorbehalten. Am 28. März meldete General Hell, daß der Abtransport der Divisionen nun¬
mehr beginnen könne. Mit Bulgaren und Türken wurde in weiteren langwierigen Ver¬
Mai.
handlungen schließlich bis Anfang Mai eine Einigung dahin erzielt, daß der Südteil der Dobrudscha bis durchschnittlich sieben Kilometer südlich der Bahn Cernawoda—Constanza sofort an Bulgarien gegeben, der Nordteil einstweilen unter deutscher Oberleitung gemeinsam verwaltet werden sollte. Am 7. Mai wurde daraufhin zu Bukarest der endgültige Friede
der Mittelmächte mit Rumänien unterzeichnet. Für Deutschland, das keine Gebietsforderungen zu stellen hatte, brachte er die Zusage von Getreidelieferungen für 1918 und 1919 sowie sieben weitere Jahre, vor*)Bd. X, S. SSL f.
7. Mai.
362
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Friede mit Rumänien.
r.Wau wiegenden Einfluß auf die Erdölgewinnung für 90 Fahre, und Zugeständ¬ nisse hinsichtlich der Donau-Schiffahrt sowie der Eisenbahnverbindung zum Schwarzen Meer. Dieser Friede war zwar mit einer erst vor kurzem eingesetzten, den
Mittelmächten zuneigenden rumänischen Regierung, aber doch unter dem Druck der Waffen, zustande gekommen. Es gab daher weite Kreise im Lande, die sich von einer Wendung des Kriegsglücks Besserung versprachen und auf solche hofften. Der Wert der Friedensabmachungen war völlig abhängig von
der Entwicklung der militärischen Gesamtlage. Unter diesen Umständen be¬ deutete es immerhin eine Gefahr, daß der bisher nicht besetzte Teil des Landes auch weiterhin seine volle Unabhängigkeit behielt, daß in Bessarabien mobile rumänische Divisionen stehen blieben und daß die übrige Armee, wenn auch größtenteils demobilisiert, mit ihrer vollen Bewaffnung und Aus¬ rüstung weiter bestand. Es kam hinzu, daß die Gesandtschaften und zahl¬ reiche sonstige Vertretungen der Entente nach wie vor im Lande blieben und
damit die Fäden zu den Gegnern der Mittelmächte weiterspinnen konnten. Mehr als der Friedensvertrag festsetzte, war aber bei den beschränkten militärischen Kräften der Mittelmächte, wie auch angesichts der Sonder¬
belange Österreich-Ungarns,, nicht zu erreichen gewesen.
B. Die Miederaufnahme des Kampfes im (Dften. Als Sowjet-Rußland am 10. Februar die Verhandlungen in Brest abbrach und damit die Wiederaufnahme des Kampfes wahrscheinlich wurde,
hatte die Ostfront der Mittelmächte bereits erhebliche deutsche Kräfte nach dem Westen, österreichisch-ungarische nach Italien abgegeben*); mrix) Gliederung der Ostfront Mitte Februar 1918 (Abgaben nach dem Westen Veil. 28a):
Hgr. d. Sen. Feldm. von Mackensen. Chef d. Genst.: Genmaj. Hell. Bulg. 3. Armee: Gen. Todorow mit 2 I. D., 1 K. D. 9. Armee: Gen. d. Inf. von Eben mit 13 g. D., 2 K. D. (davon 1 öst.-ung. und 1 türk.
I. D., 2 öst.-ung. K. D.). Österr.-ung. Heeresfront d. Feldm. Freiherr Köveß von Köveßhaza. Chef d. Genst.: Genmaj. Ritter von Steinitz. ö.-u. 1. Armee: Gen. Ob. Freiherr von Rohr mit 7 g. D. und 2 K. D. ö.-u. 7. Armee: Gen. Ob. Kritek mit 7 F. D. und 2 K. D.
Oberbefehlshaber Ost Gen. Feldm. Prinz Leopold von Bayern. Chef d. Genst.:
Genmaj. Hoffmann. ö.-u. 2. Armee: Feldm. Freiherr von Böhm-Ermolli mit 19 I. D., 1 K. D. (davon
11 deutsche g. D.).
Wiederaufnahme des Kampfes gegen Sowjet-Ruhland.
363
tere Abgaben standen bevor. Von den verbleibenden Verbänden aber
kamen für die Wiederaufnahme des Kampfes gegen Sowjet-Rußland wie auch für etwaige Unterstützung der Ukraine gegen die Bolschewiken zunächst nur die deutschen Truppen, vor allem die des Oberbefehlshabers
Ost, in Betracht; denn Österreich-Ungarn war zur Mitwirkung nicht bereit, und an der Front der Heeresgruppe Mackensen gingen die Verhandlungen mit den Rumänen weiter.
Unter dem Oberbefehlshaber Ost standen Mitte Februar an
deutschen Truppen noch 50y2 Divisionen Infanterie und 9 KavallerieDivisionen, davon eine berittene. Diese Truppen hatten aber ununter¬ brochen ihre besten Kräfte an Offizieren, Unteroffizieren und Mann¬ schaften wie an Pferden und Material jeder Art nach dem Westen abge¬
geben. Sie waren daher nicht nur zahlenmäßig schwach, sondern auch ihrer Zusammensetzung nach nicht mehr voll leistungsfähig. Besonders fehlte es an Kolonnen für den Nachschub. 27 000 Pferde, abgesehen von denen der abzugebenden Formationen, gingen noch zu Anfang des Monats nach dem Westen. Eine Krastfutterzulage für die zum Vormarsch bestimmten Truppen und Kolonnen wurde abgelehnt.
J. Der Einmarsch in Sowjet-Rußland. Beilage 24.
Schon am 5. Januar hatte die Oberste Heeresleitung dem Ober¬ befehlshaber Ost für den Fall des Scheiterns der Brester Verhandlungen
die Vorbereitung eines Angriffs auf Dünaburg befohlen. Am 31. Januar hatte sie weitere militärische Vorbereitungen (Deckname „Faustschlag^ angeordnet, um „mit zwei bis drei Divisionen längs der Eisenbahn Wenden Hgr. d. Gen.Ob. von Linsingen. Chef d. Genst.: Obstlt. Keller. Abschnitt Lipa: Gen. d. Kav. von Falkenhayn mit 3 I.D. (davon 2 öst.-ung.). 0.-U..4. Armee: Gen. Ob. Graf Kirchbach auf Lauterbach mit 4 g. D., 1 K. D. (davon
2 deutsche g. D.). Abschnitt Kowel: Gen. d. Kav. von Bemhardi mit 5 F. D., iy2 K. D. (davon 1 öst.ung. g. D.). Armee-Abt. d. Gen. d. Art. von Gronau mit 4 F. D., 3 K. D. Abschnitt Slonim: Gen. d. Inf. von Briehke mit 4y, I. D.
Hgr. d. Gen.Feldm. von Eichhorn*). Chef d. Genst.: Genmaj. Freiherr Schmidt von Schmidtseck (ab 16. Febr. Ob. Frotscher). 10. Armee: Gen. Feldm. von (Eichhorn mit 11 F. D., 1 y2 K. D. Armee-Abt. D: Gen. Ob. von Kirchbach mit 6 F. D., 1 K. D. 8. Armee: Gen. Ob. Graf Kirchbach mit 7 F. D., 2 K. D.
*) Am 18. Dez. 1917 zu diesem Dienstgrad befördert.
Dis
16. Februar.
364 Dis 16. Februar.
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in Sowjet-Rußland.
—Walk—Pleskau vorzudringen und die Besatzung von Ösel, Dagö und Moon über das Eis auf das Festland über- und dann in Richtung Pernau vorzuführen". Sie billigte auch den Plan des Oberbefehlshabers Ost, diese Offensive bis zu den Rokitno-Sümpfen nach Süden auszuweiten; denn mit nennenswertem Widerstand rechnete sie bei dem Zustande des
russischen Heeres nicht. Die für die Westfront geforderten Abgaben aller Art sollten daher weiter geleistet werden, wenngleich sie die Gefechtskraft immer mehr schwächen muhten. Die Operationen waren mit einem Mindest¬ maß von Kräften, und dabei größtenteils nicht vollwertigen, zu führen. Einstweilen bereitete der Oberbefehlshaber Oft alles vor, um nach Ablauf des Waffenstillstandes am 18. Februar mittags den Vormarsch sofort anzutreten. Nachdem dann im Kronrat vom 13. Februar endgültig
entschieden war, daß die Feindseligkeiten wieder aufzunehmen seien, meldete er am 16.Februar folgende Absichten an die Oberste Heeres¬
leitung: Bei der Heeresgruppe Eichhorn sollten eine Abteilung nach Osten auf Minsk, eine weitere über Smorgon—Molodeczno und als Bindeglied
zwischen beiden zwei schwächere Abteilungen an und nördlich der Bahn Bogdanow—Molodeczno vorgehen; weiter sei beabsichtigt: Wegnahme von Dünaburg, Vormarsch aus den Stellungen östlich von Riga, Marsch von Moon über das Eis auf Pernau. Von der Heeresgruppe Linsingen sollte eine Division aus dem Abschnitt Slonim ebenfalls auf Minsk angesetzt werden, um Verbindung mit dem dort stehenden aus dem russischen Heere
18. Februar.
ausgeschiedenen polnischen I. Korps zu gewinnen. Die ersten Marschziele müßten der geringen Angriffskraft entsprechend nahe gewählt werden. Die Fortführung der Operationen sei vom Verhalten der russischen Trup¬ pen und der Bevölkerung abhängig sowie vom Vorbau der Bahnen'). Aber auch die weiteren Ziele mühten wegen der geringen Kampfkraft und Marschsähigkeit der Truppen begrenzt bleiben. Den am Vormarsch beteiligten Verbänden legte ein Aufruf die Gründe klar, die zur Wieder¬ aufnahme der Feindseligkeiten zwangen. In der Nacht zum 18. Februar wurde mit der Verbreitung eines Flug¬ blattes begonnen, das der Bevölkerung hinter den russischen Linien er¬ öffnete, die Wiederaufnahme des Kampfes gelte nur den Bolschewiken und ihrer „Roten Garde". Alle für den Angriff nötigen Verschiebungen und Bereitstellungen waren inzwischen beendet. Auch hatte sich ergeben, daß die feindlichen Stellungen nur noch ganz schwach beseht waren und daß mit nennenswerter russischer Artillerie nicht zu rechnen sei. Es herrschte ') Zunächst mußte über die beiderseitigen Stellungszonen der Anschluß an die rus¬ sischen Bahnen hergestellt, dann mußten diese auf deutsche Spur umgenagelt werden, soweit man nicht etwa mit erbeuteten russischen Lokomotiven und Wagen weiter fahren konnte.
Vorbereitungen.
365
Winterwetter; der Boden war mit Schnee bedeckt, die Wasserläufe und Seen zugefroren. Am die Mittagstunde des 18. Februar wurden zum
Zeichen, daß der Kriegszustand wieder begonnen habe, an allen Front¬ abschnitten einige Kanonenschüsse abgegeben. Wegen der Kürze des Nach¬ mittags (Sonnenuntergang in Wilna etwa um 5° deutscher Winterzeit) und um die Operationen mit dem Vorgehen der Heeresgruppe Linsingen in Einklang zu bringen, begann der Vormarsch aber erst am 19. Februar
früh. Hinter den vormarschierenden Truppen blieb die alte Stellung
beseht. a) 9er Vormarsch der 10. Armee über Minsk zum Dnjeper. 19. Februar bis 9. März. Der Schwerpunkt der Operationen der 10. Armee1) des General- i9.s«bto«. feldmarschalls von Eichhorn lag beim III. Reservekorps, das mit seinen vier
Divisionen über Smorgon aus Molodeczno vorgehen sollte. Aus diesen hatte Generalleutnant Graf von Bredow, wenn auch nur kleine, so doch vollkommen kämpf- und marschfähige Formationen zusammenstellen lassen. Bei Molodeczno hoffte man Vorräte und vor allem Bahnmaterial
in die Hand zu bekommen. Den Hauptstoß dorthin führte die 14. Landwehr¬
division. Eine vorausgesandte Abteilung (Kavallerie, Radfahrer und Schnee¬ schuhläufer mit Maschinengewehren aus Wagen) erreichte schon am 19. Februar, ohne Widerstand zu finden, Molodeczno und damit den End¬ punkt der russischen Eisenbahnen. Mit Truppen und Material beladene Züge und sonstige Beute fielen in ihre Hand. Die Bahn war bis auf einige Unter¬ brechungen betriebsfähig, das Personal zur Bedienung bereit. Damit ergab sich die Möglichkeit, den Vormarsch unter Ausnutzung der Bahn als „Eisenbahnvormarsch" fortzusetzen. Auch die aus den südlich und
nördlich anschließenden Korpsabschnitten angesetzten Abteilungen konnten über die alten Stellungen vorstoßen.
Bei so reibungslosem und schnellem Verlauf des Vormarsches gab man die bisherigen beschränkten Ziele auf, um die bei den Russen herr¬ schende Verwirrung auszunutzen und vor allem den großen Bahnknoten¬
punkt Minsk schnell zu besetzen. Die dorthin vorausgesandte Abteilung der 14. Landwehr-Division erreichte am 21. Februar die Stadt, in der ri.F«broar. x) Front der 10.Armee (vom rechten Flügel): Gen. Kdo. z. b. V. 66: Gen. d. Inf. von Held mit 95. R.I.Br., 94. I.D. Gen. Kdo. z. b. V. 57: Gen. d Kav. Ritter von Fromme! mit 93. I.D., 21. und 11. L.D. ni.R.K.: Genlt. Graf von Bredow mit 16. L.D., 40. I.D., 14. und 46. L.D. Gen. Kdo. z. b. V. 67: Gen. d. Inf. Freiherr von Scheffer-Boyadel mit9. L.Br., 226. I.D., 23. R. D.; 16. K.Br., 17. L. D.
366
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in Sowjet-Rußland.
sie Teile des polnischen I. Korps antraf. Weitere Truppen der Divi¬ sion folgten noch an demselben Tage. Beutevorräte und rollendes Mate¬ rial wurden von den Polen übergeben. 3000 russische Offiziere und
10000 Mann, darunter der gesamte Stab der russischen Westftont, die sich noch in der Stadt befanden, spielten die Rolle unbeteiligter Zuschauer. Die entlang der Bahn Baranowicze—Minsk anrückende 18. Landwehr-
Division des Abschnitts Slonim (Heeresgruppe Linsingen) hatte inzwischen die zerstörte Riemen-Brücke erreicht, wurde von dort durch entgegen¬ gesandte Eisenbahnzüge nach Minsk überführt und trat zur 10. Armee. Nördlich von Minsk war der Oberlauf der Wilia erreicht. Der aus Polozk
angesetzte Nordflügel des III. Reservekorps hatte im Eisenbahnvormarsch ein Drittel der Strecke Molodeczno—Polozk zurückgelegt. 22.g«6*m«. Am Vormittag des 22. Februar befahl der Oberbefehlshaber Ost, Minsk fest in die Hand zu nehmen; jenseits der Stadt seien mit Rücksicht aus das polnische Korps nur Erkundungen an den Bahnen vorzunehmen.
Die Oberste Heeresleitung erweiterte den Befehl: „Düna auswärts ist der Besitz von Polozk anzustreben. Über Minsk hinaus sind Vor¬
truppen bis Boriszow, Züge bis Orscha vorzuschieben". Die Polen sollten um Bobruisk verbleiben und am Dnjeper den Bahnknotenpunkt Zlobin
besetzen. Die Truppen des III. Reservekorps wurden, meist durch Bahn¬ transport, um Minsk zusammengezogen. Eisenbahnvorstöße wurden nach Bobruisk, Boriszow und Polozk angesetzt, um vor allem weiteres rollendes Material in die Hand zu bekommen. Das rückwärtige Gebiet, in dem die
Einwohner sich wohlgesinnt zeigten, wurde in Verwaltung genommen. Das polnische Korps räumte Minsk; an deutschen Angriffen sich zu beteiligen, lehnte es ab.
Da die Bahn zwischen Boriszow und Orscha unterbrochen war, wurde versucht, Orscha durch das Gebiet des polnischen Korps über Bo¬
bruisk—Zlobin—Mogilew zu erreichen. Eine gemischte Abteilung des III. Reservekorps kam auf diesem Wege, durch Bahnunterbrechungen auf¬ gehalten, erst am 27. Februar bis Zlobin, am 28. bis Rogaczew. Eine von Boriszow mit Fußmarsch aus Orscha angesetzte Abteilung war 50 Kilo¬ meter über Boriszow hinaus gelangt. Gegen Polozk waren Truppen des Generalkommandos 67 vom Narocz-See her auf der Bahn über Glubokoje und an der Disna entlang im Vormarsch; in Polozk aber waren in¬
zwischen über Drissa schon Truppen der Armee-Abteilung D eingetroffen. Unterdessen war Sowjet-Rußland bereit, die Friedensbedingungen 2. Mörz, anzunehmen*). Am 2. März teilte der Oberbefehlshaber Ost mit, daß der !) 6.355f.
Über Minsk zum Dnjeper.
367
Friede voraussichtlich am 3. März unterzeichnet würde. Die Operationen seien an diesem Tage um 1° mittags einzustellen. Bis dahin war der
Eisenbahnvormarsch über Zlobin bis Mogilew gelangt, von Boriszow her war trotz bolschewistischer Gegenwehr der westlich von Orscha gelegene
Güterbahnhof erreicht. Östlich dieser Punkte wurde mit den Russen eine Demarkationslinie vereinbart, die auch die Stadt Orscha in deutschen Be¬
sitz brachte. b) Vormarsch der Armee-Abteilung D auf Polozk und Pleskau. 18. bis 28. Februar. Erste Ausgabe der Armee-Abteilung D1) war die Einnahme von Düna¬ burg. Generaloberst von Kirchbach setzte dazu Truppen der General¬ kommandos 53 und 56 von Süden und Westen her an. Mit feindlichem Widerstand diesseits der Düna rechnete er nicht, aber er befürchtete die
Zerstörung der wichtigen Düna-Brücken und erwirkte daher die Erlaubnis, den Vormarsch schon am 18. Februar mittags anzutreten, insbesondere durch die zum Teil auf Kraftwagen beförderte 5. Ersatz-Division eiligst die Brücken zu besehen.
18. Februar.
Schon um l50 nachmittags am 18. Februar
waren sie unbeschädigt in deutscher Hand; unmittelbar anschließend wurden die Bahnhöfe mit ihrem rollendem Material in Besitz genommen. Die anderen auf Dünaburg angesetzten Divisionen wurden seitlich der großen
Straße durch Wegeschwierigkeiten und Schneeverwehungen ausgehalten. Nordwestlich von Dünaburg überschritten Truppen des Generalkomman¬ dos 53 die Düna und riegelten die von Dünaburg nach Osten führenden
Eisenbahnen ab. Eine starke, Pleskau zustrebende russische Marschkolonne und andere nach Osten flüchtende Kolonnen und Züge wurden durch
Flieger mit Maschinengewehren und Bomben wirksam angegriffen. Am 19. Februar rückten deutsche Truppen längs der Eisenbahn gegen Drissa vor. Generalleutnant Limbourg sehte aus Kraftwagen verladene Teile auf der Straße, andere auf der Petersburger Eisenbahn nach Pleskau in Marsch. Bereits auf den nächsten Stationen wurden beladene Züge der Bolschewiken erbeutet.
Nach diesen ersten schnellen Erfolgen befahl Generaloberst von Kirch¬ lich. „Es kommt jetzt darauf an, durch tiefen Nachstoß den Zusammen¬ bruch der Bolschewiken zu erzwingen. Deshalb schnelle Verfolgung mit ganz schwachen Kräften unter äußerster Ausnutzung der Kraftwagen und der Eisenbahn für alle Waffen. Langsames Nachziehen der Hauptkräfte *) Front der Armee-Abt. D (vom rechten Flügel): .
19. Februar.
368
Abschluß der Kämpfe im Osten. ISIS, Einmarsch in Sowjet-Rußland.
unter sorgsamer Schonung und sorgsamer Versorgung für Mann und Pferd". Pleskau und damit der Ausgangspunkt der nach Petersburg führenden Hauptbahn wurde dem Generalkommando 53als das unter
Einsatz aller Transportmittel zu erreichende Ziel gegeben. Die Masse Sie
26. Februar.
des erbeuteten Bahnmaterials und alle verfügbaren LastkraftwagenKolonnen wurden hierfür zur Verfügung gestellt. Am 2l. Februar erreichten die Truppen des Generalkommandos 55 Rositten, bis zum Abend des 23. Ostrom, am 24. abends nahmen sie
Pleskau mit seinen zahlreichen Verbindungen und großen Vorräten in Besitz. Tags darauf wurde von Drissa her der bereits im Vormarschstreifen der 10. Armee gelegene Bahnknotenpunkt Polozk besetzt und am 26. Februar darüber hinaus gegen Witebsk und Newel aufgeklärt. Die Operationsziele der Armee-Abteilung D waren erreicht. c) Der Vormarsch der 8. Armee nach Livland und Estland. 19. Februar bis 5. März. Der Vormarsch der 8. Armee des Generalobersten Graf von Kirchbtich1) sollte Livland und Estland von bolschewistischer Bedrückung befreien, unter der namentlich die deutschstämmige Bevölkerung schwer zu leiden gehabt hatte. Erstes Ziel für den Vormarsch war die Linie Marienburg— Walk; gleichzeitig sollten die Besatzungen von Ösel, Moon und Dagö (Nordkorps) über das Eis das Festland erreichen und sich gegen Pernau oder Reval wenden. Es handelte sich nach den vorliegenden Nachrichten — vor allem in Livland — um ein von den Russen völlig ausgesogenes 19. bis 26
Februar.
Gebiet. Die Regelung des Vormarsches mußte dem Rechnung tragen. In der Frühe des 19. Februar stießen vom VI. Armeekorps zwei Divisionen in breiter Front an und südlich der Bahn Riga—Walk—-Pleskau 50 Kilometer weit vor, ohne daß es gelang, rollendes Material zu er¬
beuten. Generalleutnant von Heineccius entschloß sich daher, Abteilungen aus Schlitten vorauszusenden. Die drei Divisionen des Generalkomman¬ dos 60 drangen auf schmaler Front zwischen der Bahn und dem Rigaschen Busen, ohne aus Gegenwehr zu stoßen, 25 Kilometer weit vor. Die Am strengungen waren infolge von Schneeverwehungen überall sehr groß, i) Front der 8.Armee (vom rechten Flügel): Een. Kdo. z. b. D. 58: Eenlt. Graf Egon von Schmettow mit Landsturm. VI. A. K.: Genlt. von Heineccius mit 2. L. D., 205. und 219. g. D. Gen. Kdo. z. b. D. 60: Genlt. von Papprih mit 77. R. D., 4. K. D. und 19. L.
Gouv. Ösel: Eenlt. Freiherr von Seckendorfs mit Besahungstruppen der Ins« n
forps). 1. K. D. (beritten).
•
369
Einnahme von Dorpat und Reval
die Truppen mußten in dem weitgehend zerstörten Gebiet trotz der Kälte biwakieren. Am 20. Februar wurden die Höhenstellungen südöstlich von Wenden unbesetzt gefunden. Wolmar und Lemsal wurden erreicht. Da die Wegeschwierigkeiten sich noch steigerten, wurde aus dem Gebiet der Armee-Abteilung D Zuführung von rollendem Material erbeten; doch konnte dort vorerst noch nichts entbehrt werden. Abends gab General¬ oberst Graf von Kirchbach neue Ziele in der Richtung nach Norden. Am 22. Februar erreichte die 77. Reserve-Division Walk und trat zum VI. Armeekorps, das den Schwerpunkt nunmehr zum Vorstoß aus Dor¬ pat verlegte. Abteilungen aus Schlitten überholten am 23. Februar zahl¬
reiche russische Kolonnen, deren frische Pferde den Schlittenbespannungen zugute kamen. So konnten sie, sowie Kavallerie- und Radfahrer-Abtei¬ lungen schon am 24. Februar Dorpat besetzen. Mit dort vorgefundenem Bahnmaterial stießen Abteilungen nach Norden vor und unterbrachen am 26. Februar, westlich von Wesenberg, im Rücken der noch in Estland
stehenden russischen Kräfte, die Bahn nach Petersburg. Die angetroffenen feindlichen Truppen flüchteten unter Hinterlassung ihrer Waffen. In¬ zwischen waren durch die Besetzung von Fellin und Weißenstein starke nach Osten strebende Teile der russischen 1. Division abgeschnitten worden, sie streckten am 26. Februar die Waffen. Mit der Bahn von Walk her und aus Schlitten über das Eis des Rigaschen Busens wurde Pernau erreicht. Das Nordkorps hatte unterdessen mit der Hauptkolonne am 19. Fe¬ bruar von Moon, einer nördlichen Nebenkolonne in der Nacht zum 21. Fe¬ bruar von Dagö den Vormarsch über das Eis angetreten und in Hapsal Verbindung mit einem estnischen, früher russischen Regiment ausgenommen;
feindliche Truppen konnten auch von Fliegern nirgends festgestellt werden. Dem Nordkorps wurde daher statt Pernau die estnische Hauptstadt Reval als Ziel gegeben. Rollendes Eisenbahnmaterial fehlte; hohe Schnee¬ verwehungen verzögerten den Fußmarsch. Das Nordkorps bildete daher hauptsächlich aus seinen fünf Radsahr-Bataillonen eine Sonder-Abteilung, die den anderen Truppen voraus Reval zustrebte und bereits am 23. Fe¬ bruar den Bahnknotenpunkt südwestlich der Stadt erreichte. Deren Be¬ festigungen wurden als unbesetzt erkannt, aber der Führer des Nordkorps
rechnete doch mit feindlichem Widerstand, besonders der in Reval liegenden russischen Flottenteile. Daher sollten sich die Truppen am 24. Februar nur an die Festung heranschieben und erst am 25. zum planmäßigen An¬
griff schreiten. In der Frühe dieses Tages aber drangen vorgeschobene Einheiten bereits aus eigenem Entschluß, ohne noch Widerstand zu finden, von verschiedenen Seiten in die Stadt ein; 226 Geschütze und große Vorratslager wurden erbeutet. Weltkrieg. XIII. Bd.
34
23. Februar bis 4. März.
370
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in Sowjet-Rußland.
Am 26. Februar erhielt das Nordkorps Befehl, die Bahn Reval— Narwa und Narwa selbst in Besitz zu nehmen. Inzwischen aber erreichte die von Dorpat entsandte Abteilung des VI. Armeekorps, von Süden
her noch verstärkt, am 27. Februar bereits Wesenberg, wo sie viel rollendes Material erbeutete. Auch konnte die Armee-Abteilung D nunmehr 15 erbeutete Lokomotiven und 300 Wagen an die 8. Armee abgeben. Beim
weiteren Vorgehen nach Osten kam es um den Bahnhof Iewe zu wechsel¬ vollen Kämpfen, an denen sich auch inzwischen mit der Bahn herankom¬
mende Truppen des Nordkorps beteiligten. Alle hier zusammengeführten Verbände erstürmten dann unter einheitlichem Befehl am 1. März Iewe; am 4. März konnte nach weiteren Kämpfen auch die von den Russen den Friedensbedingungen entsprechend aufgegebene Stadt Narwa beseht
werden, während südlich davon der Narowa-Abschnitt durch die inzwischen über den Nordteil des Peipus-Sees anrückende 1. Kavallerie-Division vom Feinde gesäubert wurde.
Mit Erreichung der Dnjeper-Linie Zlobin—Orscha, sowie der Städte Polozk, Pleskau und Narwa war die Aufgabe der Heeresgruppe Eichhorn erfüllt. Sie hatte zum Teil schon während der Operationen fünf Divisionen zum Westen abzugeben. Da aber der Friedensvertrag durch Sowjet-Rußland einstweilen noch r.Mürz. nicht ratifiziert war, befahl die Oberste Heeresleitung am 5.März,
die Truppen an der Nordostfront für alle Fälle so zu gruppieren, daß „die Operationen mit den Schwerpunkten in der Richtung Petersburg und Moskau weitergeführt werden könnten". Bei diesem „Fangstoß" wollte der Oberbefehlshaber Ost die „zur Zeit abgebrochenen" Operationen auf Witebsk, sowie aus der Gegend von Pleskau und vom Narowa-Abschnitt
auf Petersburg fortsetzen. Generalfeldmarschall von Eichhorn beabsich¬ tigte, dazu die 10. Armee, zu deren Oberbefehlshaber am 5. März General der Infanterie von Falkenhayn*) ernannt worden war, auf Smolensk an¬
zusetzen und dadurch Moskau unmittelbar zu bedrohen. Für die beiden anderen Armeen wurde eine gemeinsame Operation gegen Petersburg in
Aussicht genommen. Mit der Ratifizierung des Friedens durch die Russen 16. März, am 16. März entfielen diese Operationen.
Die neubesetzten Gebiete wurden unter Militärverwaltung gestellt.
Soweit sie nach dem Friedensvertrag zu Sowjet-Rußland gehörten, sollten sie erst nach dessen völliger Demobilmachung geräumt werden. Livland und Estland sollten besetzt bleiben, bis eigene Landeseinrichtungen die staat¬ liche Ordnung und Sicherheit gewährleisten könnten. x) Bisher in der Türkei (S. 420 ff.).
371
Friede mit Sowjet-Rußland. Truppen für Finnland.
2. Die Hilfeleistung für Finnland. 2J.Februar bis 2. Mai. Beilage 25.
In Finnland*) hatte Ende Januar die von Sowjet-Rußland in jeder Weise unterstützte „Note Garde" den Südteil des Landes in der Hand, im Norden behauptete sich die „Weiße Garde" unter dem früheren rus¬ sischen Generalleutnant Baron Mannerheim. Dieser verfügte, da die Finnen seit Auflösung ihrer Armee im Jahre 1901 vom Wehrdienst fast ganz ausgeschlossen gewesen waren, nur über einen geringen Bestand
an Unterführern und Ausgebildeten. Waffen hatte seit Herbst 1917 Deutsch¬ land geliefert. Dort war auch bereits 1916 aus finnischen Freiwilligen
das „Preußische Jäger-Bataillon Nr. 27" aufgestellt und ausgebildet worden, das auch an der Front (bei Riga) zeitweise eingesetzt war. Im Februar 1918 wurde es in Stärke von etwa 2000 Mann2) auf Antrag des Generals Baron
Mannerheim auf Eisbrechern über den zugefrorenen Bottnischen Meer¬ busen nach Wasa (200 Kilometer nördlich von Björneborg) überführt. Es bildete seitdem den Kern des Führerkorps der auszustellenden finnischen Armee.
Unterdessen hatte sich die Lage durch Zuzug weiterer sowjet-russischer Kräfte zur Roten Garde derart verschärft, daß sich die finnische Regierung nach Abbruch der Friedensverhandlungen zwischen den Mittelmächten und Sowjet-Rußland am 14. Februar mit einem Hilferuf an Deutschland wandte. In ihm hieß es: „Es versteht sich von selbst, daß die Entsendung
deutscher Truppen nach Finnland das kräftigste Mittel zur Rettung des Landes sein würde". Das führte dazu, daß dem finnischen Gesandten am 21. Februar im Großen Hauptquartier zu Kreuznach die Entsendung eines
Hilfskorps nach Finnland zugesagt wurde. Deutsche Belange sprachen dabei entscheidend mit. Es galt, die Bildung einer neuen feindlichen Front zu verhindern, denn bereits hatten die Engländer Murmansk besetzt. Deutsche Truppen und Schiffe in Finnland bedrohten die Murman-Bahn und waren wichtig für Beherrschung der Ostsee, vor allem des Zugangs zum Finnischen Meerbusen und damit nach Petersburg. In Danzig wurde daher unter Generalmajor Graf von der Goltz die „Ostsee-Division" mit einer Verpflegungsstärke von rund 10000 Rlann3) gebildet. Sie sollte nahe dem Westflügel des Generals Baron Mannerheim in Rauma ge¬ landet werden, um sofort gegen Rücken und Flanke der gegenüberstehenden *) *) ’) etwa je
S. 206. Rach Mil.-Wochenbl. vom 17. Ott. 1941, S. 433. Stab d. 95. R. g. Br. mit 3 gäg. Btln., 6 Radf. Kompn., 3 Kav. Sch. Rgtrn. (Stärke l Btl.), 5 Bttrn. (davon 2 (chm.). 24*
21. Februar.
372
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Hilfeleistung für Finnland.
Roten Garde vorzugehen. Als Basis für die Landung waren vorher die
Alands-Inseln zu besetzen. Dorthin brachte durch dickes Packeis nach zweimaligen vergeblichen M»s*Aprii. Versuchen ein Flottenverband unter Konteradmiral Meurer am 5.März zunächst ein Jäger-Bataillon, das die Inseln von Bolschewiken säuberte. Die Fahrt erwies aber die Unmöglichkeit, durch das Eis zur finnischen Westküste zu gelangen. Die Ostsee-Division mutzte daher nach dem eisfreien Hafen Hangö überführt werden, und damit ergab sich die Einnahme der nahegelegenen Landeshauptstadt Helsingsors als nächstes Operationsziel, zumal da dort aus Petersburg dauernd Waffen für die Rote Garde ein¬ gingen und zahlreiche Gefangene von den Bolschewiken festgehalten wurden. Auch war gegen Helsingsors Mitwirkung der Flotte möglich. Die Streitkräste des Generals Baron Mannerheim zählten Anfang April etwa 11000 Mann. Ihnen gegenüber standen etwa 50—60000 Mann Rote Garde. Sie waren in eine West- und eine Ostarmee gegliedert, die aber in etwa 400 Kilometer Breite vom Bottnischen Busen bis Wiborg
verteilt standen. Ihre am 9. März begonnene „Offensive" hatte General Baron Mannerheim bisher abwehren können, ihnen am 6. April sogar Tammersors entrissen. Unterdessen hatte am 3. April nach Vorbereitungen durch den in¬ zwischen verstärkten Flottenverband*) und unter dessen Schutz und Mit¬ wirkung die Landung der aus 19 Dampfern herangeführten Ostsee-Division bei Hangö begonnen. Die russische Besatzung der dortigen Küstenbatterie hatte sich neutral erklärt. Roch an demselben Tage wurden die Brücken bei sie u.Hptii. Ekenäs besetzt. Am 6. April trat General Gras von der Goltz nach zwei¬
tägigem Kampf bei Karis unter Sicherung der Nordflanke den Vormarsch aus Helsingsors an. Am 11. April wurde die Linie der Landsorts durch¬
brochen und die Mitwirkung des Flottenverbandes eingeleitet; angesichts der Eisverhältnisse des minenverseuchten Fahrwassers und der zahlreichen der Küste vorgelagerten Felseninseln und Klippen eine an sich schon recht schwierige Ausgabe. Da aber die Besatzungen der Seebesestigungen und der im Hasen noch ankernden russischen Kriegsschiffe sich neutral verhielten, konnte Admiral Meurer ohne Kamps am 12. April den Hafen von Hel¬
singsors erreichen. Die Stadt selbst kam erst nach Stratzenkämpfen am 13. April ganz in deutsche Hand. Inzwischen war seit dem 7. April eine von Reval entsandte deutsche
Brigade unter Oberst Freiherr von Brandenstem?) östlich von Helsingsors J) 3 Schlachtschiffe, 1 älteres Küsten-Panzerschiff, 4 kleine Kreuzer, Torpedoboots-, Minensuch- und Sperrbrecher-Verbände, einschl. Hilfsschiffe 154 Fahrzeuge. *) Stab d.Z.G. K. Br. mit 3 Btln., 1 Rad f. Btl., 2 Feld-Bttrn., zusammen 3000 Mann.
Vernichtung der roten Armeen.
373
bei Lovisa im Ausladen. Sie sollte die Verbindungen der Roten West¬
armee mit Petersburg durchschneiden. Ganz aus sich allein gestellt, stieß sie dazu trotz Bedrohung der rechten Flanke vom Kymin-Abschnitt her S0 Kilometer nach Norden vor und unterbrach am 13. April die Bahn
Wiborg—Lahti, mußte dann aber vor Übermacht ausweichen. Erst am
17. April gelang es, Funkverbindung mit der Ostsee-Division herzu¬
stellen.
Für die Hauptkräfte der Ostsee-Division hatte General Baron Mannerheim den Vormarsch von Helsingsors aus Tavastehus erbeten, während er selbst von Tammerfors aus staffelweise vom rechten Flügel nach Süden angreifen würde. Dazu wollte General Erasvon der Goltz am 19. April von Helsingsors nach Norden vorgehen; die Brigade Branden¬
stein hatte sich bei Lahti einem Ausweichen des Gegners nach Osten vor¬ zulegen. Bei Tauwetter und Regen trat die Ostsee-Division den Marsch an und nahm am 26. April nach kurzem Gefecht Tavastehus. Von hier
nach Osten einschwenkend stieß sie am 27. und 28. April aus zahlenmäßig weit überlegenen Feind, der vor den Finnen nach Südosten auswich. Es bestand die Gefahr, daß die deutsche Absperrung bei Lahti durchbrochen würde. General Graf von der Goltz griff gegen die rechte Flanke des von Tuulos auf Lahti drängenden Feindes an, und auch Oberst von Branden¬ stein ging zum Angriff über, mit Teilen nördlich um den Päijärvi-See.
Durch dieses gleichzeitige Vorgehen von Südwesten, Osten und Nordosten wurde die Rote Westarmee in schweren Kämpfen vom 30. April bis 2. Mai
zusammengedrängt und eingekesselt, so daß sie in Stärke von 25000 Mann mit 200 Maschinengewehren und 50 Geschützen die Waffen streckte. Unter¬
dessen hatte General Baron Mannerheim selber mit den Truppen seines Ostflügels am 28. April bei Wiborg auch die Rote Ostarmee geschlagen
und nach Westen abgedrängt, wo sie sich auslöste. Die Befreiung Finn¬ lands vom Bolschewismus war vollzogen. Die Mitwirkung der OstseeDivision hatte entscheidend dazu beigetragen. Bei einer schließlichen Ge¬ samtstärke von etwa 13000 Mann hatte sie rund 1000 Mann Gefechts¬ verluste gehabt. Auf Bitten der finnischen Regierung verblieb eine verminderte deut¬ sche Truppenzahl unter General Graf von der Goltz noch im Lande zurück. Sie half bei Ausstellung und Ausbildung einer nationalen finnischen Wehr¬
macht, bis diese deutsche Mitwirkung infolge des unglücklichen Ausganges des Krieges eingestellt werden mußte.
IS. April bis 2. Mai.
374
Abschluß der Kämpfe im Osten. ISIS, Einmarsch in die Ukraine.
Z. Der Einmarsch in die Ukraine. 18. Februar bis 22. Mai. Beilage 24. DI» 18. Februar.
Als die ukrainische Rada-Regierung^) am 9. Februar den Frieden mit den Mittelmächten abschloß, war Kiew bereits in der Hand bolschewistischer
Kräfte, die sich aus Charkow mit seinen Arbeitermassen stützten. Die durch Petljura aus der alten russischen Armee für die Rada aufgestellten ukrainischen
Truppen hatten versagt. Die im Friedensvertrage vereinbarten Getreideliefe¬ rungen waren völlig in Frage gestellt. Die Oberste Heeresleitung hielt unter diesen Umständen die Unterstützung der Rada gegen die Bolschewiken und damit den Einmarsch in die Ukraine für unvermeidlich, und zwar gleich¬ zeitig mit Wiederaufnahme der Feindseligkeiten gegen Sowjet-Rußland. Unterdessen war in Deutschland bereits seit längerer Zeit die Bildung von Truppen aus ukrainischen Kriegsgefangenen im Gange. Aus ihnen wurde Mitte Februar bei Kowel unter Zuteilung der nötigen deutschen Offi¬ ziere, sonstigen Personals und Materials, aber unter einem ukrainischen Ge¬
neral und in ukrainischen Uniformen ein Truppenverband zusammengestellt, der sich am Einmarsch beteiligen sollte. Rach Zuführung weiterer Ukrainer aus den Lagern und bei erhofftem weiterem Zulauf aus dem Lande selbst wollte man im Lause des Vormarsches größere Verbände aus ihnen entwickeln. Am 15. Februar berichtete der in Kowel befehligende General von
Bernhardt auf Aufforderung der Obersten Heeresleitung und in Be¬ stätigung von deren Auffassung, die Anarchie in der Ukraine mache jede Ausfuhr unmöglich. Deutsche Hilfe sei nötig, denn es sei zweifelhaft, ob sich die Rada aus eigener Kraft würde behaupten können. Die Hilfe sei eilig, um die vorhandenen Vorräte vor Plünderung und Vernichtung zu
schützen. Am gleichen Tage wandte sich aber auch die ukrainische Friedens¬ abordnung in Brest an die deutsche Regierung mit einer Darlegung der
starken Bedrohung durch Moskau. Darin hieß es: „In diesem harten Kampf um unsere Existenz sehen wir uns nach Beistand um ... Das deutsche Heer,
das in der Flanke unseres nördlichen Feindes steht, besitzt die Macht, uns zu helfen und durch sein Eingreifen unsere nördlichen Grenzen vor dem weiteren Eindringen des Feindes zu schützen". Inzwischen war die Rada-Regierung bis an die Westgrenze ihres Landes geflohen. Der zu ihr entsandte Ver¬
bindungs-Offizier der Obersten Heeresleitung, Oberstleutnant Engelien, berichtete am 16. Februar, die Wiederherstellung der Lage durch ukrainische Truppen sei ausgeschlossen; Hilfe könne nur von Deutschland kommen. So konnte kein Zweifel mehr sein, daß den Ukrainern aktive mili¬ tärische Hilfe geleistet werden mußte, wenn nicht das ganze Gebiet endi) Vgl. S. 345 und 350ff.
Operationoziele.
375
gültig in die Hände der Bolschewiken fallen sollte, was mit Ausfall der dringend nötigen Getreidelieserungen gleichbedeutend war. Als erwünschte
Nebenwirkung versprach sich die Oberste Heeresleitung, daß der deutsche Einmarsch Rumänien veranlassen werde, seine unnachgiebige Haltung bei den Friedensverhandlungen aufzugeben*). Zu dieser Zeit waren die österreichisch-ungarischen Truppen auf Grund des mit der Ukraine geschlossenen Friedens in Ostgalizien bei Tarnopol und Vrody bereits wieder bis an die Reichsgrenze vorgerückt. Beteiligung am Einmarsch aber lehnte Kaiser Karl zum mindesten
sollte gewartet werden, bis der Friede mit Rumänien abgeschlossen sei. Als diese Stellungnahme durch GeneraloberstvonArz am 17.Februar derObersten Kriegsleitung mitgeteilt wurde, erwiderte sie, daß es für Deutschland bei der versprochenen Waffenhilfe bleibe; es würde aber sehr zu begrüßen sein, wenn österreichisch-ungarische Truppen längs der Bahnen zwischen Czernowih und Brody vorrücken würden, zumal der Friede mit den Rumänen wahrscheinlich sei. Am 18. Februar bat Graf Czernin, die Hilfeleistung vom Nachgeben der Ukraine in der Cholm-Frage3) abhängig zu machen. Die Oberste Kriegsleitung lehnte aber jedes Hinausschieben des Einmarsches ab. So traten am 18. Februar nur deutsche Truppen zum Vormarsch an. a) Die Einnahme von Kiew und Gomel.
Beim Gegner hatte man einerseits mit den in der Demobilmachung
begriffenen russischen Truppen zu rechnen, die sich wahrscheinlich neutral verhalten würden, andererseits mit bolschewistischen Banden. Nur gegen 15,5e6,aar„
Mcfe richtete sich das Vorgehen. Die Leitung der Operationen lag in der Hand der Heeresgruppe Linsingen. Nach den Weisungen des Oberbefehlshabers Ost vom 15. Februar
sollte sie ansetzen: »a) Stärkere Kräfte auf Luck—Rowno. Erste Ausgabe: Besetzung beider Städte, Sicherung der Verbindung dorthin.
t>) GemischteAbteilung aufLuninieczurBesetzung desBahnknotenpunktes. o) Gemischte Abteilung aus Siniawka zur Besetzung der Bahnlinie, d) Stärkere Kräfte an der Bahn nach Minsk. Ziel dieser Operation Minsk, um dort die Verbindung mit dem aus Richtung Bobruisk aus Minsk
operierenden polnischen Korps3) aufzunehmen." Generaloberst von Linsingen hatte als erstes Ziel die Bahnlinie
Rowno—Sarny—Luniniec bezeichnet. Dazu sollten vorgehen: 215. Infanterie-Division des Abschnitts Lipa auf Dubno; l) 6.358.
2) 6.351.
3) 6. 364.
376
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in die Akraine.
Korps des Generals der Kavallerie von Knoerzer*) aus dem Bereich der
ö.-u. 4. Armee und des Abschnitts Komet auf Luck—Rowno; 91. Infanterie-Division und 4. bayerische Kavallerie-Brigade des Ab¬ schnitts Kowel auf Maniewicze—Sarny; 224. Infanterie-Division der Armee-Abteilung Gronau auf Luniniec. Der Abschnitt Slonim sollte die Eisenbahnknotenpunkte Siniawka und
©noro2) besetzen. 's«»««.."
Am 18. Februar wurde der Vormarsch planmäßig angetreten. Die bisherige Stellung blieb besetzt. Die in der Demobilmachung begriffenen russischen Stäbe und Soldatenmassen sahen dem deutschen Vorgehen teilnahmlos zu. Der Vormarsch aus Dubno wurde nicht gestört. Ebenso konnten am 18. Februar Luck, am 20. Rowno, Rasalowka, Luniniec und die Bahn Luniniec—Baranowicze beseht werden.
Rach den ersten leichten Erfolgen hatte der Oberbefehlshaber Ost schon am 19. Februar befohlen: „Die Operationen in der Akraine sind entlang der über Rowno—Sarny und Luniniec führenden Bahnen so
rasch als möglich fortzusetzen. Zweck der Operationen ist Wiederaufrichtung sieT.mäti. der Macht der Zentralrada, die Herstellung von Ruhe und Ordnung im Lande und der Beginn von Handelsbeziehungen". Als nächstes Operations-
ziel bestimmte Generaloberst von Linsingen Inbesitznahme der Bahnen bis zur Linie Kiew—Reczyca, also bis zum Dnjeper. Der Vormarsch sollte mit größter Beschleunigung durchgeführt werden, um vor allem die Hauptstadt Kiew möglichst bald in die Hand zu bekommen. Schon in den ersten Tagen war viel rollendes Material erbeutet worden, und aus der Truppe zusammengestelltes Betriebspersonal hatte
einzelne Bahntransporte ermöglicht. Inzwischen aber hatte sich auch das ukrainische Bahnpersonal zum Dienst für die deutschen Truppen bereit erklärt. So wurde auch in der Akraine bald ein allgemeiner Eisenbahn-
vormarsch möglich. Behelfsmäßig ausgerüstete Panzerzüge führenden Transportzügen voraus. Diese selbst, mit Feldküchen und DerpflegungsVorräten ausgestattet und angesichts des Winters zu tagelangem Wohnen
eingerichtet, umfaßten jeweils geschlossene Kampfeinheiten. Die von Dubno vormarschierende 215. Infanterie-Division wurde
dem Korps Knoerzer unterstellt. Dessen Eisenbahnvormarsch aus Kiew, 45. und 7. Landwehr-D iv ision von Rowno über Berdyczew, 91. Infanterie-
Division von Sarny über Ißkoroßt, stieß mehrfach aus Bahnunterbrechungen. *) Stab d. 7. L. D. mit 7. u. 45. L. D. u. (berittener) 2. K. D.
2) Unmittelbar vor der Front gelegen.
Einnahme von Kiew. Beteiligung Österreich-Ungarns.
377
Ukrainische Truppen halsen, sie zu beseitigen und schickten auch Leerzüge dem deutschen Vormarsch entgegen. Teile der 2. Kavallerie-Division mit Panzer¬ kraftwagen, die zwischen beiden Bahnlinien von Rowno über Shitomir ost¬
wärts marschierten, warfen tschechoslowakische Einheiten*) zurück. General von Knoerzer entschloß sich, der Beschleunigung halber die zuerst eintreffen¬ den Teile seiner Divisionen ohne Aufmarsch sofort aus Kiew anzusehen. Am I.März bemächtigte sich das vorderste Bataillon der ^.LandwehrDivision in kühnem Zugriff des Bahnhofs in Kiew und stieß bis zur
Dnjeper-Brücke durch; auf dem östlichen Ufer zogen tschechoslowakische Kräfte ab. Am 2. März rückten die deutschen Truppen im konzentrischen Vormarsch von Südwest, West und Nordwest in Kiew ein. Am 7. März
kehrte auch die Rada-Regierung dorthin zurück. Die Armee-Abteilung Gronau hatte in Luniniec genügend rollendes Material für den Eisenbahnvormarsch nach Osten vorgefunden. General von Gronau hatte die 224. Infanterie-Division auf Sperrung der von Kiew nach Norden führenden Bahn hingewiesen. Das bedeutete
Inbesitznahme der Bahnknotenpunkte Koljenkowitschi und Gomel. Koljenkowitschi wurde am 24. Februar, die Dnjeper-Brücke bei Neczyca am
28. Februar bolschewistischen Kräften im Kamps entrissen. Nach Zurück¬ weisen feindlicher Panzerzüge wurde am 1. März Gomel besetzt.
Inzwischen hatte sich Österreich-Ungarn entschlossen, nun doch am 25-^n“,t Vormarsch teilzunehmen. Die Erkenntnis, daß dabei ohne große Opfer Anfang Ais»,. Wesentliches zu erreichen war, mag mitgesprochen haben. Entscheidend aber war die zwingende Not, für die hungernde Bevölkerung den Getreide¬ anteil aus der Ukraine zu sichern. So hatte Generaloberst von Arz bereits am 25. Februar der Obersten Kriegsleitung mitgeteilt, die aus dem
österreichisch-ungarischen Bereich ostwärts führenden Bahnen würden mit Rücksicht aus ihre Wichtigkeit für die Getreideeinfuhr aus der Ukraine von österreichisch-ungarischen Abteilungen besetzt werden. Am 28. Fe¬ bruar wurde daraus der Vormarsch von zunächst sechs Divisionen aus der Front der ö.-u. 7. und 2. Armee mit dem Ziele Odessa. Es kam zu
einem Wettlauf dorthin, denn die österreichisch-ungarische Heeresleitung drängte ihre Truppen, diese Stadt „rasch und noch vor den Deutschen" zu erreichen2). Sie befürchtete, wie sie am 6. März dem Minister des Äußeren darlegte, daß die Monarchie durch Deutschland vom Schwarzen Meer ganz abgedrängt werde, wenn dieses neben der Festsetzung an der unteren
Donau und in Rumänien auch noch die Bahn nach Odessa in die Hand bekomme. Zur Behebung von Reibungen wurde einstweilen der Bug
als Grenze der Vormarschgebiete vereinbart. l) S. 152.
2) Öft. amtl. Werk, VII, S. 123.
378
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in die Ukraine.
d) Vordringen bis Odessa, Cherson und Charkow. Beilage 24.
3.roa»j.
Nach der Einnahme von Kiew waren die Operationen nach fol¬ genden am 3. März von der Obersten Heeresleitung gegebenen Gesichts¬ punkten fortzusetzen: „Der Rada ist die Verwaltung des Landes bald¬ möglichst zu überlassen. Unterstützung der Rada in Erfüllung des Friedens¬ vertrages, besonders wegen Beschaffung von Lebens- und Futtermitteln
usw. für Deutschland. Dazu Inbetriebsetzung der Eisenbahnen, Ankauf und Sammlung der für Deutschland bestimmten Vorräte an den Eisen¬ bahnen". Gleichzeitig bat aber General Ludendorfs zu erwägen, ob man nicht mit weniger Kräften auskommen könne. Der Oberbefehlshaber Ost jedoch hielt dies zur Zeit nicht für ratsam, da wegen der noch ungeklärten Lage der Schutz der Etappenlinien stärkere Kräfte erfordere. Zunächst mußten die aus den Bahnlinien weit auseinandergezogenen Divisionen um Kiew und Gomel aufschließen und weitere Divisionen zum
Schutze der Bahnen nachgezogen werden. Das Generalkommando des I. Armeekorps (Generalleutnant Groener), sowie die 92. Infanterie- und 15. Landwehr-Division, bisher bei der ö.-u. 2. Armee, traten zur Heeres¬
gruppe Linsingen. Die aus Kriegsgefangenen zusammengestellte „ukrai¬ nische 1. Division"*) wurde nach Kiew befördert. Die zeitweise erwogene t. jna*j. Beteiligung rumänischer Truppen war inzwischen aufgegeben worden.
Am 4. März wurden dem weiteren Vormarsch folgende Gliederung und Ziele gegeben: Die südliche Gruppe, Korps Knoerzer3), sollte von Berdyczew aus die Häfen des Schwarzen Meeres, Odessa, Nikolajew und Cherson
erreichen. Die um Kiew versammelte mittlere Gruppe, I. Armeekorps unter
General Groener3), sollte das getreidereiche Gouvernement Poltawa und das Industriegebiet von Charkow besetzen. Die als nördliche Gruppe um Gomel aufschließenden Teile der
Armee-Abteilung Gronau4) hatten auf Bjelgorod und Lgow vorzugehen und die nach Sowjet-Rußland führenden Bahnen zu sperren. Als dann am 5. März Rumänien im Vorfriedensvertrag3) das Durch-
marschrecht durch die Moldau und Bessarabien zugestanden hatte, ergab sich die Möglichkeit, auch Truppen der Heeresgruppe Mackensen zu 1) 2) 3) 4)
S. 374. 92. und 215. I.D., 7. und I5.fi.D., 4.b.K.Brig. 91. I.D., 45.fi.©., 2. K.D. 224. I. D., 47. fi. ©., 35. R. ©.
6) 6.3ö0f.
Einnahme von Odessa.
379
den Operationen heranzuziehen. Am 6. März wurde hierzu das Korps des Generals der Infanterie Kofeh1) bestimmt. General Kofeh sandte die 229. Infanterie-Brigade als fliegende Ko¬ lonne von Braila auf Lastkraftwagen voraus; sie erreichte am 11. März
S. bi« 18.
März.
Tiraspol. Am Tage vorher hatte auch der Eisenbahnvormarsch seiner übrigen Truppen begonnen. Vor Odessa kam es am 13. März zum Kampf, in den auch mit der Bahn von Norden anrollende österreichisch-ungarische Verbände des Generalobersten Graf von Kirchbach eingrissen. In der Frühe des 14. März konnte Odessa besetzt werden. Die im Hafen liegenden
russischen Kriegsschiffe hatten diesen verlassen. Don der Heeresgruppe Linsingen hatte das Korps Knoerzer den Eisenbahnvormarsch fortgesetzt. Inzwischen war ihm am 11. März als
Trennungslinie gegen den österreichisch-ungarischen Vormarsch aus Odessa der Bug von Olwiopol bis zum Meer bestimmt worden. Die Oberste
Heeresleitung hatte hinzugefügt, es sei „von Bedeutung, daß wir bald Nikolajew erreichen". Zugleich war eine Neugliederung der Vormarschgruppen nötig geworden 2). General Groener hatte von Kiew am 8. März über Poltawa und
Bachmatsch den Vormarsch aus Charkow angetreten. Die 91. InfanterieDivision stieß bei Bachmatsch auf stärkeren Widerstand tschechoslowakischer Truppen. Nach Bachmatsch hatte aber auch General von Gronau die 224. Infanterie-Division von Gomel her angesetzt. Der Ort siel nach Kämpfen vom 11. bis 14. März. Infolge zahlreicher Zerstörungen mußte der weitere Eisenbahnvormarsch des I. Armeekorps durch Fußmarsch mehrfach unterbrochen werden. Teile der Armee-Abteilung Gronau be¬
setzten Konotop. Gegen weiteres Vorgehen nach Nordosten erhob die Sowjet-Regierung angesichts des inzwischen von ihr unterzeichneten Friedens Einspruch. Deshalb sollten nur noch die nach Osten führenden Vormarschbahnen gegen Norden gesichert werden. General von Gronau
ging daher über Konotop vorläufig nicht hinaus, zog aber zur Sicherung der langen Nordflanke noch die 95. Infanterie- und 20. Landwehr-Division aus der alten Stellung nach. Unterdessen hatte der Oberbefehlshaber Ost am 15. März der Obersten Heeresleitung gemeldet, General Groener sei der Ansicht, man müsse bis an die Bahn Krim—Charkow herankommen, um die Getreidegegenden zu erreichen; aus dem bisher besetzten Gebiet sei Getreide nicht heraus-
zuholen. Zu so weitem Vormarsch würden aber die deutschen Truppen Gen. Kdo. z. b. V. 52 mit 217. F. D., ö.-u. 145. g. Br., b. K. D.
Korps Knoerzer: 7. und 15. L. D., 4. b.K.Brig. I. Armeekorps: 92., 215., 91. I.D., 45. L.D., 2. K.D.
März.
380
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in die Ukraine.
nicht ausreichen und auch österreichisch-ungarische herangezogen werden müssen. Da diesen Odessa überlassen werden sollte, wurde das Korps Kosch am 18. März auf Nikolajew und Cherson angesetzt und ihm weiterhin Einrücken in die Krim in Aussicht gestellt. Der rechte Flügel der Heeres¬ gruppe Lmsingen wurde dementsprechend noch weiter nach Norden ab¬ gedreht, so daß das Korps Knoerzer zu beiden Seiten der Bahn Olwio-
pol—Fekaterinoslaw vorzugehen hatte. Unterdessen war Nikolajew bereits am 17. März dem Korps Kosch übergeben worden. Cherson wurde auf Hilferufe hin am 19. März schwach beseht, mußte aber am 20. März vor Übermacht wieder geräumt werden. Da auch in Nikolajew Unruhen drohten, konnte Hilfe zunächst nicht gebracht werden; am 22. März kam es zu einem auch von außen genährten Auf¬
März und April.
stand in der Stadt. Zeitweise waren dort die deutschen Kräfte, darunter auch das Generalkommando Kosch, von den Bolschewiken eingeschlossen. Erst am 24. März waren ausreichende deutsche und österreichisch-ungarische
Truppen zur Stelle, so daß sich die Krise am 25. März nach harten Kämpfen löste. Cherson aber wurde erst am 5. April durch österreichisch-ungarische
Truppen mit deutscher Unterstützung den Bolschewiken wieder entrissen. Als Vorbereitung für den weiteren Vormarsch ließ General Kosch am 9. April die Dnjeper-Brücke von Berislaw besetzen. Inzwischen hatten Teile des Korps Knoerzer vor allem bei Ielisawetgrad Kämpfe zu bestehen gehabt. Am 3. April erreichte die 7. Landwehr-
Division Fekaterinoslaw. Beim I. Armeekorps war am 29. März Poltawa in die Hand der
2. Kavallerie-Division gefallen. Vor Charkow aber versteifte sich der bolsche¬ wistische Widerstand. Erst am 8. April konnte die Stadt genommen werden,
reiche Beute und umfangreiches Bahnmaterial sielen in die Hand des Korps. Zur Sicherung wurden Losowaja, Izium und Kupiansk beseht. Die bisherige Armee-Abteilung Gronau, seit dem 27. März XXXXI. Reservekorps genannt und durch Mell. Landwehr-Division ver¬ stärkt, hatte am 28. die 224. Infanterie-Division auf Bjelopolje angesetzt. Der Ort siel nach Kamps am 31. März. Die Division ging dann teils mit der Bahn, teils mit Fußmarsch gegen Bjelgorod weiter, das die Heeres¬ gruppe zum Schutz der Flanke des I. Armeekorps als nächstes Ziel gesetzt hatte; auch dieser Ort mußte am 11. April durch Kamps genommen werden.
c) Entwicklung der inneren Verhältnisse der Ukraine. Damit die beiden Besatzungmächte der Rada gegenüber als geschlossene Einheit dastanden, hatte eine in Kiew zur Regelung der Befehlsverhältnisse
und Abgrenzung der Gebietsbereiche eingesetzte gemischte Kommission am
Einnahme von Charkow. Regelung mit öfterreich-llngam.
381
14. März vorgeschlagen, Generaloberst von Linsingen zum gemeinsamen Oberbefehlshaber der verbündeten Hilfstruppen in der Ukraine zu be¬ stimmen. Kaiser Karl aber war unbedingt gegen diese Regelung. Er
hatte mit der Führung seiner Truppen sofort ebenfalls einen General¬ obersten betraut und wollte, daß „jede Partei in ihrem Gebiet im Ein¬ vernehmen mit der ukrainischen Regierung unumschränkter Herr" sei. Auch ein Telegramm des Deutschen Kaisers, der sich unter Hinweis auf die
Abmachungen über einheitlichen Oberbefehls in seiner Eigenschaft „als Oberste Kriegsleitung" an Kaiser Karl wandte, hatte an dessen Haltung nichts zu ändern vermocht. Am 28. März war dann nach langwierigen
Verhandlungen vereinbart worden, daß der südwestliche Teil Wolhyniens und die Gouvernements Podolien, Cherson und Iekaterinoslaw ÖsterreichUngarn, der Rest der Ukraine, Taurien und die Krim Deutschland zur
Besetzung zufallen sollten2); die Kohlen- und Erzgebiete von Iekaterinoslaw sollten zu gleichen Teilen gemeinsam verwaltet und ausgenützt werden. An demselben Tage ernannte Kaiser Karl Feldmarschall von Böhm-
Ermolli zum Oberbefehlshaber seiner Truppen in der Ukraine. Am 31. März gab er den Befehl, den Hauptteil der Truppen zum „requirieren" zu verwenden, da, um den Krieg fortführen zu können, bald eine Besserung
der Getreideersassung für Österreich-Ungarn erforderlich sei. Auch in der Besetzung der deutschen obersten Befehlsstelle trat eine Änderung ein, indem am 28.März Generalfeldmarschall von Eichhorn den Befehl übernahm2). Chef des Generalstabes der nunmehrigen Heeres¬ gruppe Eichhorn in Kiew wurde Generalleutnant Groener, der auf wirtschaftlichem Gebiet Erfahrungen besaß. Er hatte, noch ehe er seine neue Stellung antrat, am 23. März an General Ludendorff über die
Lage in der Ukraine berichtet: Die Rada-Regierung versage völlig. Es bleibe nur übrig selbst zu regieren und dabei, soweit angängig, wenigstens „das Gesicht der gegenwärtigen oder einer anderen Regierung zu wahren". Dazu seien aber „dringend mehr Truppen für die weiten Räume" nötig. Die Schaffung eines ukrainischen Heeres sei jedoch nicht zu unterstützen, denn es sei fraglich, ob es in schwieriger Lage aus unserer Seite stände4). Die Volksstimmung sei gegen die Besatzungsmächte. General Groener warnte davor, „auf baldige Zufuhr von Getreide in erheblichen Mengen *) Bd. XI, S. 21 und 486. 2) Abgrenzung als gerissene rote Linie in der Karte. 3) Gen. Ob. von Linsingen wurde Oberbefehlshaber in den Marken und Gouverneur von Berlin.
4) Die bisher vorhandenen ukrainischen Truppen (S. 374 u. 378) hatten sich im Kampfe gegen die Bolschewiken nicht bewährt. Sie wurden im Einverständnis mit dem ukrainischen
Kriegsminister am 23. April aufgelöst.
382
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1913, Einmarsch in die Ukraine.
-W- nach Deutschland zu rechnen"; Voraussetzung für jeden wirtschaftlichen Erfolg sei „starke militärische Besetzung des Landes, ohne die nichts zu machen ist. Die bisherigen deutschen Kräfte sind nicht nur nach meiner Ansicht und der mir unterstellten Kommandeure, sondern auch nach der Auffassung vieler Kenner des Landes, die ich gesprochen habe, zu schwach". Besonders schlimm wirkten sich die radikalen Bestimmungen der RadaRegierung über die Landverteilung aus, da sie der Aushebung des Besitzes gleichkamen und infolgedessen mit geordneter Landbestellung und für die Mittelmächte ergiebiger Ernte nicht zu rechnen war. Am 6. April ließ daher Generalfeldmarschall von Eichhorn bekanntmachen: „Demjenigen, der das Land bestellt, gehört auch die Ernte; er erhält für seine Ernte angemessene Bezahlung in barem Gelde". Für Nichtbestellung wurden Strafen angedroht. Ohne der späteren gesetzlichen Regelung der Land¬ verteilung vorzugreifen, sollten die Gutsbesitzer dort, wo sie noch vorhanden wären, die Bestellung ihrer Güter vornehmen. Die deutschen militärischen Stellen aber hätten die alleinige Verantwortung dafür, daß die Land¬ bestellung in Gang käme. Aprii. Zn diesem Erlaß sah die Rada einen unzulässigen Eingriff in ihre Regierungsrechte. Im übrigen griffen bei der Schwäche der Regierung Raubzüge und Plünderungen mehr und mehr um sich. Die Truppe mußte dauernd mit Straseppeditionen eingreifen. Unter diesen Eindrücken mel¬
dete der Bevollmächtigte der Obersten Heeresleitung, Oberst Freiherr von Stolhenberg, am 15. April, man müsse sich fragen, ob man die jetzige
Regierung noch stützen dürfe. Er schlug vor, sobald das am 2. April mit ihr abgeschlossene Getreideabkommen unterschrieben sei, die Bildung einer mehr rechts gerichteten Regierung zu versuchen. Auch General Groener meldete am 16. April, man könne mit der bestehenden Re¬
gierung keine praktische Arbeit leisten. Beim Auftreten der militärischen
Macht aber sei „eine scharfe Grenze zwischen militärischen Maßnahmen und inneren Angelegenheiten der Regierung" unmöglich. Die Kommando¬ gewalt müßte „in die inneren Angelegenheiten eingreifen, da sonst An¬ ordnung und Unfug in Permanenz erklärt sind und die Sicherheit im Lande nicht gewährleistet ist". Der Oberbefehlshaber Ost schloß sich dieser An¬ sicht an. Auch der inzwischen bei der Rada-Regierung beglaubigte Deutsche Botschafter Freiherr Mumm von Schwarzenstein berichtete demAuswärtigen Amt entsprechend. Am 17. April bat General Groener nochmals, „alle an¬ derswo entbehrlichen Truppen nach der Ukraine zu senden"; denn, wo die
deutschen Bajonette nicht hinreichten, herrsche Chaos. Daraufhin wies die Oberste Heeresleitung den Oberbefehlshaber Ost an, nach Unter¬ zeichnung des Getreideabkommens „auf klare Verhältnisse zu drücken".
Innere Verhältnisse in der Akraine.
383
Am 23. April wurde das Abkommen unterschrieben. Im Anschluß daran ergab eine Besprechung des Generals Groener mit dem Botschafter und den Bevollmächtigten der beiden Heeresleitungen, daß eine Zu¬
sammenarbeit mit der Rada-Regierung nicht möglich sei. Es müsse eine ukrainische Regierung geschaffen werden, die die militärischen und wirt¬
schaftlichen Maßnahmen der Besatzung nicht hindere. Dem schloß sich auch das Auswärtige Amt grundsätzlich an, hatte jedoch noch Vorbehalte. Aber die Oberste Heeresleitung lehnte jede Verzögerung ab. Die Heeres¬ gruppe Eichhorn in Kiew wurde angewiesen, „die Getreidelieserungen durch¬
zudrücken". Die schon in dieser Frage bestehenden Spannungen zwischen ihr und der Rada-Regierung hatten sich inzwischen noch durch inner¬ politische Vorgänge verschärft, die am 25. April zur Verhaftung von Regierungsmitgliedern und zur Einsetzung von Feldgerichten auch für die Aburteilung von Ukrainern führten. Die Rada-Regierung aber forderte Ablösung des Generalfeldmarschalls von Eichhorn. Nochmals wies Ge¬ neral Groener am 26. April auf die verworrene Lage hin; Getreide- Apr«w,dMar. lieferungen seien von der jetzigen Regierung nicht zu erwarten. Er hielt
„militärische Exekutive" für nötig und schloß: „Daher Truppen her, so¬ viel als möglich".
In diesem Augenblick allgemeiner Unsicherheit wurde in Kiew in einer Versammlung von Bauern und Gutsbesitzern am 29. April der
bisherige russische General Skoropadski als „Diktator und Hetman der Ukraine" ausgerufen. Er stimmte allen Maßnahmen der Besatzungsmächte zu. Am 5. Mai konnte General Ludendorss feststellen: „Dank dem Ein¬ greifen der Heeresgruppe Eichhorn scheinen sich die Verhältnisse in der Ukraine zu unseren Gunsten zu bessern". d) Besetzung der Krim und des Vonez-Gebietes. Mit der Besetzung der Ukraine bis Charkow war das ursprüngliche
Operationsziel erreicht. Die Verhältnisse aber zwangen dazu, auch noch die Krim und das Donez-Gebiet durch deutsche Truppen zu sichern. Die russische Flotte im Schwarzen Meer, darunter zwei erst während des Krieges fertig gewordene Großkampfschiffe, die in den Händen der Bolschewiken war, gefährdete nicht nur die Schiffahrt, sondern störte auch durch Landung bolschewistischer Abteilungen immer wieder die Ordnung und Sicherheit des Küstengebietes. Ihre Basis war der Kriegshafen Sewastopol. Damit ergab sich die Notwendigkeit, auch noch die aus der Akraine nur über zwei schmale Zugänge erreichbare Halbinsel Krim in besitz zu nehmen. Das hierzu bestimmte Korps Kosch wurde nach
Erreichen des Dnjeper der Heeresgruppe Eichhorn unterstellt und nach
384
Abschluß der Kämpfe im Osten. 1918, Einmarsch in die Ukraine.
April and Mai. Einnahme von Iekaterinoslaw auch die 15. Landwehr-Division des Korps
Knoerzer nach Süden über Aleksandrowsk zu ihm abgedreht. Das Korps Kosch*) überschritt den Dnjeper bei Berislaw, stieß aber an der Enge von Perekop aus Widerstand, der am 19. April durch die
217. Infanterie-Division gebrochen wurde. Zn Auflösung flüchtete der Feind vor der verfolgenden bayerischen Kavallerie-Division. Diese schwenkte mit Teilen nach Osten ab und öffnete damit der im Eisenbahnvormarsch herankommenden 15. Landwehr-Division die Eisenbahnbrücke in die Krim.
Der für den 26. April beabsichtigte Angriff auf Sewastopol erlitt dadurch Verzögerungen, daß sich bei Simferopol Transporte ukrainischer Trup¬ pen eigenmächtig in den Aufmarsch eingeschoben hatten, die ebenfalls die Krim vom Bolschewismus befreien wollten. So konnte erst am 28. April
eine Abteilung der 15. Landwehr-Division über das Gebirge nach Jalta angesetzt werden, um Sewastopol auch von Südosten her anzugreifen. Am 29. April wurde von Simferopol auch der Vormarsch unmittelbar aus die Festung angetreten. Am 30. April nahm die 217. Infanterie-
Division die den Hasen beherrschenden Nordbefestigungen. Die beiden Großkampfschifse, 15 neuzeitliche Zerstörer und 10 Dampfer liefen daraufhin nachmittags nach Noworossijsk aus, nur ältere Schiffe und Unterseeboote blieben im Hasen zurück. Am 1. Mai wurde die Stadt selbst beseht. Erst in der Nacht zum 2. Mai langten die zum Abfangen der russischen Flotte unter Vizeadmiral von Rebeur-Paschwitz vom Bosporus herankommenden
türkischen Flottenteile, dabei die „Soeben", vor Sewastopol an. Inzwischen hatte die bayerische Kavallerie-Division am 30. April Feodosia genommen, sie erreichte am 2. Mai Kertsch. Damit war auch der Zugang zum Asowschen Meere und zur Don-Mündung in deutscher Hand. Der Zwang zur Besetzung des Donez-Gebietes ergab sich daraus, daß die Ukraine ohne die dort vorhandenen Kohlen und Erze nicht lebens¬
fähig war.
Vor allem zunehmende Kohlennot, unter der Eisenbahn¬
betrieb und wirtschaftliche Unternehmungen aufs schwerste litten, erfor¬ derte gebieterisch die Vertreibung der Bolschewiken auch aus dem DonezGebiet. Im Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung hatte der Oberbefehlshaber Ost daher bereits am 10.April der Heeresgruppe Eichhorn befohlen, mit den Hauptkräften des Korps Knoerzer auf Taganrog, mit einer Seitenabteilung auf Mariupol zur Besetzung der Häfen des Asowschen Meeres und Beherrschung der Bucht von Rostow am Don vorzugehen. Das I. Armeekorps sollte von Charkow aus die Bahnlinie Rostow—Moskau beiderseits von Millerowo erreichen und gegen SowjetRußland sperren. Anschließend hatte das XXXXI. Reservekorps mit dem !) 217. g. D., b. K. D., 15. L. D. und (von Rumänien in Anmarsch) 212. g. D.
Besetzung der Krim und des Donez-Gebietes.
385
rechten Flügel bei Bjelgorod gegen Norden und Nordosten zu sichern. Für Besetzung des Hinterlandes wurden der Heeresgruppe noch die 92. In¬ fanterie-Division und zur Förderung der Getreideerfassung, deren Dring¬ lichkeit General Ludendorfs am 22. April auf Veranlassung des Kriegsernährungsamtes nochmals betonte, die I. Kavallerie-Division von der 8. Armee in Aussicht gestellt. Die Etappe Bug sollte die alte Stellung als Sperrlinie übernehmen, um möglichst viel Truppen für die Ukraine frei zu bekommen'). Dom Korps Knoerzer hatte bis zum 21. April die ö.-u. 59. In¬ fanterie-Division von Aleksandrowsk her Bolnowacha erreicht, die 7. Land¬ wehr-Division war östlich von Iekaterinoslaw versammelt, nördlich an¬
schließend die 4. bayerische Kavallerie-Brigade; die 215. InfanterieDivision erreichte von Losowaja her erst nach Kampf Slawjansk. Aus dieser Aufstellung wurde der Vormarsch in das um Bachmut gelagerte Kohlengebiet angetreten. Der Feind wich im allgemeinen kampflos aus. Während die ö.-u. 59. Infanterie-Division und die 215. Infanterie-Division das Kohlengebiet besetzten, hatten die 7. Landwehr-Division und die bayerische Kavallerie Taganrog und die wichtige Hafenstadt Rostow am
Don zu nehmen. Nördlich von Taganrog zersprengter Feind suchte aus seine Schiffe oder nach Rostow zu entkommen. Taganrog wurde am l.Mai besetzt. Am 8. Mai war auch der Aufmarsch zu umfassendem
Angriff aus Rostow beendet. Aber die Bolschewiken nahmen den Kamps hier nicht an, sondern flüchteten über den Don nach Süden, da das Gebiet östlich von Rostow in der Hand der ihnen feindlichen Don-Kosaken war. Vom I. Armeekorps, seit Ende März unter Generalleutnant
Mengelbier, fuhren die 16. Landwehr- und 91. Infanterie-Division, zu¬ nächst ohne Widerstand zu finden, auf der von Losowaja und Charkow ostwärts führenden Bahn über Slawjansk und über Kupiansk—Lugansk auf Millerowo vor. Die 2. Kavallerie-Division marschierte nördlich davon nach Osten, während andere Teile die Nordflanke deckten. Allmählich verstärkte sich der feindliche Widerstand. Am 28. April wurde die Gegend von Lugansk erreicht. Am 29. April konnte die 2. Kavallerie-Division bei
Millerowo eine nach Norden gerichtete bolschewistische Transportbewegung durch Sprengung der Bahn unterbinden. Am 1. Mai erreichte auch die 91. Infanterie-Division Millerowo. Starke bolschewistische Kräfte standen noch im Donez-Bogen nördlich von Rostow. Gegen sie stießen am 7. Mai ') Gliederung für den Vormarsch: T 9, e
’Cr3. Nachdem die von den Unterseebooten gemeldeten Versenkungsziffern im April und Zum ihren Höchststand erreicht hatten, gingen sie im weiteren Verlaus des Krieges langsam zurück. Maßgebend dafür war neben ver¬
stärkter feindlicher Gegenwirkung durch Bewachungs- und Sicherungsfahrzeuge, Minen und Wasserbomben vor allem das Fahren in Geleit¬
zügen. Dagegen haben Maßnahmen, die deutscherseits mit Rücksicht auf noch neutrale Staaten getroffen waren, wie Zugeständnisse für die nor¬
wegische und dänische, holländische und spanische Fischerei, sowie schonende Behandlung argentinischer, schwedischer und Schweizer Transporte, die Führung des Untersee-Handelskrieges nicht nennenswert beeinträchtigt. Die Hoffnung allerdings, durch solche Nachgiebigkeit wirtschaftliche Zu¬ geständnisse von den Neutralen zu erhalten, erwies sich als trügerisch, da
diese längst nicht mehr Herren ihrer Entschlüsse waren. Das Verhalten gegenüber der amerikanischen Schiffahrt wurde bis zum August 1917 von der Überlegung geleitet, „die Feindseligkeiten von unserer Seite nicht zu eröffnen, um es dem Präsidenten zu erschweren, die vorläufig noch flaue Kriegsstimmung zu beleben^)". Angesichts der zunehmenden Zwangs¬
und Erpressungsmahnahmen, durch die England seine gelichteten Schifssbestände aus der neutralen Schiffahrt zu ergänzen bemüht war, erweiterte
Deutschland am 22. November das Sperrgebiet um England so weit nach Westen, daß es feindliche Schiffe nicht mehr in einer Nacht durchfahren konnten. Gleichzeitig wurde ein neues Sperrgebiet um die Azoren gelegt, um die dort beobachtete Zusammenstellung der feindlichen Geleitzüge zu
stören. Zm Mittelmeer siel der neutrale Streifen für die Fahrt nach Griechenland weg, da dieser Staat Ende Zuni in die Reihe der Gegner getreten war. An der nordamerikanischen Küste begnügte man sich aber
auch weiterhin mit der Handhabung des Kreuzerkrieges. l) Anschluß an Bd. XII, S. 536ff. *) Denkschrift des Admiralstabes vom 3. Sept. 1917.
448
Die Ereignisse zur See 1917/18.
L»mm« len Im Juli 1917 befanden sich 127 Unterseeboote in der Front, von denen Heetst 1918. jeweils etwa 30 im Atlantischen Ozean und in der Nordsee, etwa 10 im
Mittelmeer tätig waren, während sich die übrigen auf der Ausreise oder Rückreise, in Reparatur oder auf den Stützpunkten zum Einfahren und zu
Übungen befanden. Die Gesamtzahl blieb dauernd auf etwa gleicher Höhe, da der Zuwachs an neuen Booten nur immer gerade den Verlust (von
Februar bis Ende 1917 im ganzen 63, bis Oktober 1918 weitere 69 Boote) deckte. Am den Bootsbau vorwärts zu treiben, fehlte es vor allem an
Facharbeitern. Sie konnten, wenngleich der Unterseeboots-Bau auf der „Dringlichkeitsliste I" stand, solange auch das Heer nach Zahl und Material noch im Ausbau war, nicht in genügender Menge verfügbar gemacht werden. Die gemeldeten Versenkungsergebnisse übertrafen bis in den Sommer 1918 hinein durchweg die Tonnenzahl, die der Admiralstab ursprünglich für nötig erachtet hatte, um England binnen fünf Monaten auf die Knie zu zwingen. Da es seine Verluste aber durch den Schiffsraum neu hinzu¬
tretender Mächte sowie auch neutraler Staaten weitgehend wieder ersetzte, und da die tatsächlichen Dersenhmgsergebnisse erheblich unter den an¬ genommenen lagen1), blieb das erwartete Ergebnis aus. Wohl hatte die Lage — wie Admiral Iellicoe nach dem Kriege schrieb — von Febmar bis
einschließlich August 1917 aus des Messers Schneide gestanden. Dann aber
hatten sich die inzwischen eingespielten Gegenmaßnahmen geltend gemacht. Nur ein geringer Bruchteil des Schiffsverkehrs nach England konnte wirk¬ lich gefaßt werden. So sollen z. B. von 6000 Dampfern, die von April bis
Dezember 1917 das Seegebiet zwischen England und Norwegen durch¬ fuhren, nur 70 verlorengegangen sein. Rund zwei Millionen amerikanischer Truppen kamen ohne Verluste über den Ozean; nur einiges „Material", davon 142000 Tonnen durch „Torpedos", ging verloren^). *) Abgerundete Gesamtversenkungsergebnisse durch „kriegerische Ma߬ nahmen" in Brutto-Register-Tvnnen:
Nach damaligen Bekanntmachungen des Admiralstabes:
Nach jetzigen Feststellungen der Kriegswiss. Abtlg. der Marine („Der Handelskrieg mit
U-Booten", IV, 6.503): Februar bis Dezember 1917: 8945000
Januar bis September 1918: 5198000
5822000 (dazu beschädigt 871000, zu¬
sammen 6693000). Nach englischen Angaben (andere fehlen einstweilen): Bis Kriegsfchluß etwa 2600000.
(Für Oktober sind keine Ergebnisse mehr
bekanntgemacht worden.) *) Lord Iellicoe: „Zwischen Skagerrak und Scapa Flow", S. 121.
449
Der Unterseekrieg.
Als dann im Spätsommer und Herbst 1918 die deutsche Front in Frankreich allmählich zurückgedrängt wurde und damit schließlich auch die flandrische Küste ausgegeben werden mußte, während am Mittelmeer Bulgarien am 29. September als verbündetes Land ausschied, verlor der
Unterseekrieg wichtigste Stützpunkte. Die seit 11. August unter dem Chef des Admiralst'abes, Admiral Scheer, neu geschaffene Seekriegsleitung war
aber gewillt, ihn durch verstärkten und wesentlich beschleunigten Bootsbau auch weiterhin in Gang zu halten. Wenngleich die Oberste Heeresleitung die hierfür in Aussicht gestellten 40000 Facharbeiter wegen der Lage der Westfront schließlich doch nicht herausziehen konnte, wurde am 1. Oktober 1918 in gemeinschaftlicher Sitzung der Behörden und Industrievertreter
beschlossen, das große Bauprogramm durchzuführen. Es sah, einschließlich der bereits vorher bestellten, den Bau von 376 Unterseebooten vor, die bis
zum Dezember 1919 abgeliefert sein sollten. Diesen Plänen wurde aber bereits am 21. Oktober der Boden entzogen, als die Reichsregierung ent¬
gegen allen Vorstellungen der Obersten Heeresleitung wie der Seekriegs¬ leitung den Forderungen des Präsidenten Wilson nachgab und anordnete, daß Unterseeboote keine Passagierdampfer mehr versenken dürften. Da diese nicht kenntlich, alle Schiffe aber bewaffnet waren, muhten noch am gleichen Tage alle Boote zurückgerufen werden. Der Unterseekrieg gegen die feindliche Handelsschifsahrt war beendet. Er hatte im ganzen rund 13 Mil¬ lionen Tonnen Handelöschifssraum vernichtet von etwa 35 Millionen Tonnen,
die die Feindmächte einschließlich der später hinzutretenden besessen hotten1). Er hatte die englische Kriegführung im Frühsommer 1917 in eine so kri¬ tische Lage gebracht, daß sie kein Blutopser scheute, um die deutschen Unter¬ seeboote von der flandrischen Küste zu vertreiben. Die vom Unterseekriege erhoffte kriegsentscheidende Wirkung aber war ausgeblieben.
Die Tätigkeit derHochseeflotte trat gegenüber den Unternehmungen der Unterseeboote nach außen wenig hervor. Da die Hochseeflotte für die Durchführung des Unterseekrieges unentbehrlich war und sich die englische Flotte infolge der Beschränkung aus die Fernblockade außer Reichweite hielt, fehlten für das Gros der deutschen Flotte unmittelbare Kampsauf¬ gaben. Diese Lage drückte aus die Stimmung der Schisssbesahungen, deren beste Teile vielfach an die Unterseeboote abgegeben waren. So ent¬
stand ein günstiger Nährboden für die hetzerische Tätigkeit der Unabhän¬ gigen Sozialdemokratischen Partei; Ansang August 1917 kam es auf ein¬ zelnen Schiffen zu Unbotmäßigkeiten. Diese konnten zwar von den ört*) England 21, Frankreich und Italien zusammen 3,5, alle sonstigen nnd neutralen Mächte zusammen 11 Millionen Tonnen. Weltkrieg. XIII. Bd.
29
Die Ereignisse zur See 1417/18.
450 Sommer 1917 Wo
Herbst 1918.
lichen Dienststellen bald unterdrückt werden, doch verhinderte die Reichs¬ tagsmehrheit, daß die eigentlichen Drahtzieher der Bewegung, durch ihre Immunität geschützte Abgeordnete, zur Rechenschaft gezogen wurden. Hauptaufgabe der Hochseeflotte blieb der Schuh der Such- und Räumverbände, die den Weg durch die immer wieder neu entstehenden feind¬ lichen Minensperren zu bahnen hatten, und das Geleit der 'Unterseeboote
durch die geschaffenen Lücken. Solcher Dienst stellte große Anforderungen vor allem an die leichten Fahrzeuge. Im übrigen war der Seeverkehr in der Ostsee, vor allem die Erzzufuhr aus Schweden, zu sichern.
Im Oktober 1917 wurde die Masse der Hochseeflotte vorüber¬ gehend in der Ostsee zusammengezogen, um in ausschlaggebender Weise die Eroberung der Baltischen Inseln vorzubereiten und zu unterstützen1). Daneben wurden in der Nordsee Vorstöße gegen die feindliche Blockade unternommen. So zersprengten am 17. Oktober zwei kleine Kreuzer einen Geleitzug an der norwegischen Küste, am 17. November folgte ein
Torpedoboots-Vorstoß in die norwegisch-schottischen Gewässer.. Diese beiden
Unternehmungen leichter Überwasserstreitkräfte gegen Geleitzüge zwischen Norwegen und England hatten, ohne daß dies auf deutscher Seite wäh¬ rend des Krieges erkannt wurde, weitreichende Wirkungen auf das Ver¬
halten der englischen Flotte. Deren Oberbefehlshaber mußte in Zukunft starke Kräfte zum Schutz der wichtigen Verbindung nach Norwegen ein¬ setzen, so daß er auch bei sich bietender günstiger Gelegenheit eine Flotten¬ schlacht nicht mehr anstrebte. Am 15. Februar 1918 griff die II. Torpedo¬ boots-Flottille eine von den Engländern quer über den Kanal gelegte
Sperre an. Im März/April nahmen Flottenteile an der Hilfeleistung für Finnland gegen die Bolschewiken teil2). Dann stieß am 23. April die
Hochseeflotte selber bis in das Seegebiet zwischen Norwegen und Schott¬ land vor, ohne bei diesem weitreichenden Unternehmen auf einen Geleitzug
oder feindliche Seestreitkräfte zu treffen. Aus den Weltmeeren war die deutsche Flagge nur noch durch die
Hilfskreuzer „Seeadler" und „Wolf" vertreten. Ersterer fand östlich von Neu-Guinea am 2. August 1917 sein Ende in einem Sturm, letzterer traf nach mehr als einjähriger erfolgreicher Kaperfahrt am 18. Februar 1918 wieder in der Heimat ein. Die mitgebrachten Rohstoffe, vor allem Gummi, waren eine wertvolle Unterstützung der deutschen Kriegswirtschaft. Als dann am 21. Oktober 1918 der Unterseekrieg gegen die feindliche
Schiffahrt abgebrochen war, wurde der Weg frei für bedingungslosen Einsatz der Hochseeflotte, für den ihr künftig auch die Gesamtzahl der Unter!) Näheres S. 200ff. >) Näheres 6. 371 ff.
451
Die Hochseeflotte.
seeboote zur Mitwirkung zur Verfügung stand. Die Seeschlacht auch gegen Übermacht erschien unter diesen Umständen nicht aussichtslos. Fm Einvernehmen mit der Obersten Heeresleitung entschloß sich Admiral Scheer daher, die Hochseeflotte nunmehr zur Entlastung der schwer ringen¬ den Landfront einzusehen. Angriff aus die englische Flotte und dazu Vor¬ stoß gegen den Kanal war geplant. Unterdessen hatte sich aber die Stim¬ mung der Schisfsbesatzungen infolge der niemals ganz unterbrochenen Wühlarbeit der Unabhängigen Sozialdemokratie abermals derart ver¬ schlechtert, daß am 29. Oktober aus einigen der vor Wilhelmshaven in der
Versammlung begriffenen Schiffe Meutereien ausbrachen. Sie machten den Einsatz der Flotte gegen den Feind unmöglich, griffen alsbald auch auf Marineteile an Land über und leiteten damit den nach außen sichtbaren Beginn des deutschen Zusammenbruchs ein.
Die deutsche Flotte hat während des ganzen Krieges vielleicht noch größerer Übermacht als das Heer gegenübergestanden. Trotzdem hat sie volle vier Jahre hindurch den Feind von den deutschen Küsten fern¬ gehalten und den Verkehr auf der Ostsee gesichert. Allein dadurch schon hat sie das Heer in wesenüichen Stücken entlastet und die Versorgung der
Heimat mit manchen kriegsnotwendigen Rohstoffen ermöglicht.
Ge¬
legenheit zu unmittelbarer Unterstützung der Operationen und Kämpfe an Land hatte sich nur in der Ostsee geboten. In der Nordsee wäre die Ver¬ hinderung der englischen Truppen- und Materialttansporte über den Kanal gewiß wertvoll gewesen. Dazu aber hätte, ebenso wie zu jeder wirksamen Unterstützung der Kämpfe an der flandrischen Küste, der Sieg über die an Zahl der Einheiten wie an Gesamttonnage weit überlegene englische
Flotte vorausgehen müssen. Da sich diese auf die Fernblockade beschränkte, war angesichts des Stärkeverhältnisses, der ungünstigen Lage der deutschen Flottenbasis im innersten Winkel der Nordsee und bei begrenzter Schlag¬ weite der Hochseeflotte auf solchen Sieg nur unter besonders günstigen Um¬ ständen zu hoffen. Trotzdem ist es Admiral Scheer vor dem Skagerrak ge¬
lungen, durch Überlegenheit der Führung, der Manövrier- und Schiehleistungen wie auch des Materials einem Teil der englischen Flotte einen schweren Schlag zu versetzen, bevor deren Gros voll zur Wirkung kommen konnte.
Während eine Kriegsentscheidung vom Einsatz der Hochseeflotte nicht zu erwarten war, durste man vom Unterseekrieg gegen den feindlichen
Handel sehr wohl kriegsentscheidende Wirkung gegen England und damit gegen die Entente in ihrer Gesamtheit erhoffen. Diese Wirkung dürfte auch eingetteten sein, wenn der Unterseekrieg von Ansang an nach einheit29*
452
Die Ereignisse zur See 1917/18.
eemmw,1617 lichem Plane geführt, das heißt, wenn er nach frühzeitigem Bauauftrag Herbst 1918. mit einer ausreichenden Anzahl von Booten überraschend und schlagartig
eröffnet worden wäre. Daß die Planung uneinheitlich und schwankend war, lag aber in allererster Linie an der Sorge der politischen Leitung,
durch rücksichtslose Versenkung feindlicher Tonnage die Vereinigten Staaten von Amerika zum offenen Eintritt in den Krieg zu veranlassen. So ist der Unterseekrieg in seiner allein voll wirksamen uneingeschränkten
Form erst durch die nachdrückliche Fürsprache der dritten Obersten Heeres¬ leitung in Gang gekommen. Er hat im Zusammenwirken mit dem Handels¬ krieg der Auslandskreuzer die feindliche Schiffahrt aufs schwerste ge¬ schädigt. Seine Wirkung reichte aber nicht aus, um England die Hoffnung auf den Endsieg zu nehmen.
Fm ganzen haben Führung und Besatzung der deutschen Flotte mit der Skagerrak-Schlacht ebenso wie mit den Heldentaten ihrer Untersee¬
boote und Auslandsschiffe Leistungen vollbracht, denen die Gegner wäh¬ rend des ganzen Krieges Ähnliches nicht gegenüberzustellen haben.
B. Der Krieg in Ostafrika seil I9J6‘). Beilage 26.
Frühjahr 191«.
Ostafrtka war im Februar 1916 die einzige deutsche Kolonie, die sich noch hielt. Seit Kriegsbeginn war sie, abgesehen von der einmaligen An¬ kunft eines Hilfsschiffes mit allerdringendstem Bedarf, von der Heimat
völlig abgeschnitten. Der Gouverneur, Dr. Schnee, war durch Ausgaben im Innern, darunter auch Versorgung der Schutztruppe mit Trägern und Verpflegung, vollauf beschäftigt. Die Operationen gegen den Feind lagen in der Hand des Kommandeurs der Schutztruppe, Oberst vonLettow-
Vorbeck, der hierbei völlig selbständig handelte. Er hatte bisher alle Einbruchsversuche an den Grenzen abgewiesen, so daß das Schutzgebiet bis auf einen unbedeutenden Grenzstrich nördlich des Kagera (westlich vom
Viktoria-See) noch vollständig in deutscher Hand war. Mit der Haupt¬ macht stand er nach wie vor im Gebiete des Kilimandscharo, östlich davon, bei Taveta,'sogar auf britischem Boden. Hier galt es, den am dichtesten von Weißen besiedelten und längs der Nordbahn Tanga—Neu-Moschi am besten angebauten Teil der Kolonie zu schützen. Andererseits drohte hier i) Anschluß an Bd. IX, S. 480ff., vgl. ferner Bd. X, S. 621, Bd. XI, S. 27, Bd. XII, gm übrigen wird über den Krieg in den Kolonien ein Sonderband erscheinen (vgl. Bd. IX, S. 459, Anm. 1).
Der Krieg in Ostafrika seit ISIS.
453
von der Uganda-Bahn und ihrer im Bau befindlichen Abzweigung von Boi auf Taveta die meiste Gefahr, gm übrigen waren die Truppen an den Grenzen der Kolonie »erteilt. Sie waren durch weitere Einziehung
Weißer, die gelandeten Besatzungen des Vermessungsfahrzeuges „Möwe", seit guli 1915 auch des Kleinen Kreuzers „Königsberg", sowie durch Neu¬ anwerbung Farbiger (Askari) auf 60 Kompanien und eine Anzahl kleinerer
Einheiten mit rund 14500Mann angewachsen [3000Meitze1), 11500Astaris] mit 96 Maschinengewehren und 51 Geschützen (darunter zehn 10,5 cm Kanonen der „Königsberg"). An den Grenzen, die im Norden dicht an
den Äquator heranreichten und, in der Luftlinie sowie über die großen Binnenseen hinweg gemessen, im ganzen 3300 Kilometer lang waren, standen im Norden und Südwesten britische, im Westen belgische Streitkräfte gegenüber. Nur im Süden lag aus 600 Kilometer Länge noch neu¬ trales, portugiesisches Gebiet, das aber stark unter englischem Einfluß stand.
Nachdem die Gegner, Engländer und Belgier, anderthalb Jahre Zeit zu Vorbereitungen gehabt hatten, war damit zu rechnen, datz sie im Frühjahr 1916 eine planmäßige Offensive mit stärkeren Kräften unternehmen würden. Sie konnten vor allem von Norden, aber auch von Westen über die Landgrenzen und die von ihnen völlig beherrschten großen Seen an¬ greifen, außerdem an der 700 Kilometer langen Küste des Indischen
Ozeans jederzeit Truppen landen. Die Gegner hatten bis zum Beginn des Jahres 1916, einschließlich etwa 10000 Mann belgischer Truppen, 40000 Mann (9000 weihe, 14000 in¬
dische, 17000 schwarze Soldaten) mit 100 Geschützen und zehn Flugzeugen gegen Ostaftika bereitgestellt. In der Südafrikanischen Union war nach Freiwerden der gegen Deutsch-Südwestafrika verwendeten Kräfte ein Ex¬ peditionskorps in der Stärke einer Division in der Bildung begriffen, das
in der Hauptsache bis Ende Februar in Britisch-Ostaftika einttas. Auch waren, indische Truppen aus Europa, andere aus Indien selbst, dorthin unterwegs. Nachdem der Versuch, von der See her in die Kolonie einzu¬ dringen, bei Tanga im November 1914 gescheitert war, hielt man es briti-
scherseits trotz der Beherrschung des Meeres für geboten, derartige Ope¬ rationen zu vermeiden und den Hauptangriff auf die Nordgrenze zu richten.
Maßgebend dafür sollen gewesen fein2): die Schwierigkeit zu landen, die große Hitze und das ungesunde Klima in dem sumpfigen Küstengürtel, in *) Diese und weitere Stärkeangaben über deutsche wie feindliche Truppen weichen von den Angaben in den früheren Bänden zum Teil ab, da neuerschlossene Quellen oder
andere Berechnung Berichtigungen nötig machten. *) Vortrag des Generals Smuts vor der Royal Geographical Society am 28. Januar
1918 („The Geographical Journal“, vom März 1918).
454 Frühjahr 1916.
Die Ereignisse in Ostafrika seit 1916.
betn in kurzer Zeit eine einbringende Truppe durch die Malaria dahingerafft sein müßte, und die große Schwierigkeit, größere Operationen von Ges¬ und Landftreitkräften zeitlich miteinander in Einklang zu dringen. Die Belgier verstärkten sich ebenfalls, gm März trat Portugal als neuer Bundesgenosse hinzu. Seitdem konnte die deutsche Kolonie auch über die Südgrenze angegriffen werden. Engländer und Belgier nahmen von allen Seiten den Vormarsch aus, und zwar im März der zum Oberbefehlshaber
der britischen Hauptmacht in Britisch-Ostasrika und Uganda ernannte Kriegsminister der Südafrikanischen Union General Smuts mit drei Divi¬
sionen, dabei auch zahlreiche berittene Formationen, zusammen 46000 Mann gegen das Kilimandscharo-Gebiet, im April der belgische General Tombeur mit 15000 Mann gegen die Nordwestecke der Kolonie, im Mai der britische General Northey mit 4000 Mann aus Rhodesia und Njassa-Land gegen
Bismarckburg und Neu-Langenburg. Später landete auch ein portugie¬
sisches Expeditionskorps in Palma. Eine einheitliche Gesamtleitung der Operationen bestand zunächst nicht. Bei Beginn der feindlichen Offensive waren von den deutschen Streitkräften 41 Kompanien unter dem unmittelbaren Befehl des Obersten von Lettow an der Nordost- und Südfront, an der Küste und im
Innern verteilt, davon 26 Kompanien im Kilimandscharo-Gebiet. 19 Kom¬ panien deckten unter Generalmajor Wahle die Nordwest- und Westgrenze vom Viktoria-See einschließlich bis zum Südende des Tanganjika-Sees.
Durch die feindliche Übermacht in der linken Flanke umfaßt, sah sich Oöerst von Lettow nach blutigen Kämpfen (8. bis 21. März) genötigt, das Ge¬ biet zwischen Kilimandscharo und Pare-Gebirge zu räumen und hinter den Oberlauf des Pangani auszuweichen. Während die Regenzeit weiteren Operationen gegen die deutsche Hauptmacht ein Ziel setzte, sandte General Smuts eine Division unter General van Deventer über Aruscha—Kondoa-
Irangi vor. Zwei Kompanien suchten sie aufzuhalten. Auch von der Mittellandbahn in Marsch gesetzte Verstärkungen konnten nicht verhindern, daß Kondoa-Frangi am 19. April vom Gegner beseht wurde. Oberst von
Lettow entschloß sich, gegenüber der britischen Hauptmacht an der Nordbahn nur zehn Kompanien stehen zu lassen, und rückte mit den eigenen Hauptkräften zur Mittelandbahn ab, um sie aus dieser nach Dodoma zu bringen und der Division Deventer entgegenzuwerfen. Es gelang, vor¬
geschobene britische Abteilungen auf Kondoa-Irangi zurückzutreiben. Nach verlustreichem Angriff auf die Höhen südlich des Ortes am 9. Mai und in der folgenden Nacht kam das Vorgehen aber zum Stehen.
Unterdessen hatte General Smuts die Abzweigung der Aganda-Bahn über Taveta zum Anschluß an die Nordbahn weiterbauen lassen und
Kämpfe im Norden der Kolonie.
455
nahm am 20. Mai die Offensive mit zwei Divisionen wieder aus. Fechtend ainaen die zehn deutschen Kompanien zurück, zunächst längs der Nordbahn, von Mombo ab auf der über Handeni zur Mittellandbahn führenden Etappenstratze. Oberst von Lettow mutzte sich daher mit den Hauptkrästen wieder gegen General Smuts wenden, dessen Vormarsch vor der KangaStellung eine Unterbrechung von Ende Zum bis Anfang August erfuhr.
e»mm« wie.
Inzwischen hatte der Gegner von Kondoa-Jrangi her Ende Juli die Mittellandbahn bei Dodoma erreicht. Die Verbindung der deutschen Hauptmacht mit dem Westbesehlshaber war unterbrochen. Vom Viktoriaund vom Tanganjika-See her strebten britische und belgische Truppen gegen Tabora vorwärts, auf das die Westtruppen zurückgingen. Weitere britische Kräfte waren nördlich des Njassa-Sees über Neu-Langenburg im Vor dringen auf Jringa und Mahenge. Deutscherseits war der grötzte Teil der noch bei Daressalam stehenden Kompanien teils an die Hauptkräste heran¬ gezogen, teils über Jringa an die Südwestsront entsandt worden. An der portugiesischen Grenze war es bisher nur zu Plänkeleien gekommen; der
Gegner schien hier noch mit Vorbereitungen beschäftigt. Angesichts der nunmehr drohenden Einkreisung durch drei britische Divisionen wich Oberst von Lettow mit der Hauptmacht Ende August von Morogoro und Kilossa nach Süden aus, wobei es ihm gelang, bei Kissaki am 7. Sep¬ tember zwei südafrikanische Brigaden und am 8. eine weitere einzeln zu
schlagen. Mitte September bezog er hinter dem Mgeta-Flutz und vorwärts des Ruaha-Flusses Stellungen, vor denen die feindliche Offensive zum
Stehen kam. Unterdessen besetzte der Gegner sämtliche Küstenstädte. Der Westbesehlshaber schlug am 14. September vor den Toren von Tabora
eine belgische Brigade, muhte dann aber in der Nacht zum 19. nach Südosten abmarschieren, um sich drohender Umklammerung von West und
Ost durch zwei weitere feindliche Brigaden zu entziehen. Dabei richtete er aus den rückwärtigen Verbindungen der bereits östlich von Jringa und
Lupembe stehenden britischen Truppen des Generals Northey grotze Ver¬ heerungen an und veranlahte sie, aus diese Orte zurückzugehen. General Smuts sah sich genötigt, von Kilossa her eine Division nach Jringa zu werfen. Am 22. November fanden die Westtruppen Anschluß an den östlich von Lupembe stehenden linken Flügel der Hauptkräste. Südlich davon
stand der Gegner schon in Ssongea. Die Küste sowie der ganze Norden und Westen der Kolonie waren ver¬
loren, doch war es den Gegnern nicht gelungen, die deutschen Streitkräfte zum Endkampf zu stellen und damit den Krieg in der Kolonie zu beenden.
Noch hielt die Schutztruppe unbesiegt, wenn auch an Fahl stark zusammen-
wie.
456
Die Ereignisse in Oftafrika seit 1916.
geschmolzen, den Südostteil der Kolonie. Die Europäer-Verluste hatten we-
auch durch Einziehung des mit dem Vordringen des Gegners frei werden¬
den Personals der Zivilverwaltung und einiger Landsturmpflichttger der Südbezirke nur zum geringsten Teil ersetzt werden können, die FarbigenVerluste durch Rekruteneinstellung ebenfalls nur noch in sehr beschränktem Umfange. Dagegen hatte bereits während der Kämpfe am Kilimandscharo ein zweites deutsches Hilfsschifs vor allem Waffen und Munition (2000 Kara¬
biner, vier Maschinengewehre, vier leichte Feldhaubitzen, zwei Gebirge-
geschütze) gebracht. Im Gegensatz zu dem unaufhaltsamen Dahinschwinden der deutschen Stteitkräste wuchsen die Truppen der Gegner trotz aller Gefechts- und Krankheitsverluste durch über See eintreffende Verstärkungen und Neu¬ aufstellung schwarzer Bataillone immer mehr an. Am 1. Oktober betrug
die Gesamtstärke der gegen die deutsche Schuhtruppe eingesetzten Streit¬ kräfte rund 87000 Mann (davon 43000 Weihe) mit 164 Geschützen und
36 Flugzeugen*). General Smuts hatte eine Division auf dem Seewege nach Kilwa gebracht, von wo sie in den Rücken der deutschen Aufstellung auf Liwale
vorgehen sollte. Zum Schuhe ihrer rechten Flanke besetzte die Division Kibata in den Matumbi-Bergen. Oberst von Lettow ging mit Teilen, die er von der Mgeta-Front wegzog, zum Angriff über und zwang den Gegner,
den Vormarsch auf Liwale aufzugeben. Portugiesische Truppen, die den Marsch auf Massassi angetreten und am 26. Oktober Rewala erreicht hatten, wurden von zwei über Liwale entgegengeworfenen Kompanien im Verein mit bereits dauernd im Süden stehenden schwachen Kräften Ende November geschlagen und über die Grenze aus Palma zurückgeworfen. ms/ü. Nachteilig wirkte sich seit Verlassen der Mittellandbahn die Ein¬ engung des Raumes besonders auf die Ernährungslage der Truppe aus.
Sie wurde im Januar 1917 durch scharfes persönliches Eingreifen des Kommandeurs gerade noch gemeistert, indem er trotz aller Widerstände *) Die Truppen des Gen. Smuts hatten von Februar bis September rund 2000 Mann Gefechtsverluste (davon 763 Weihe) gehabt, waren aber vom Juni bis Oktober trotzdem
von 52000 auf 63000 Mann (34000 Weihe, 20000 Inder, 9000 Schwarz«) angewachsen. Die Gesamtstärke aller Gegner betrug am 1. Oktober:
Truppen des Gen. Smuts
63000 Mann, davon 34000 Weihe
Belgier
12000
„
Truppen des Gen. Northey
4000
„
Portugiesen
8000
700
„
(ungerechnet 3000 schwarze Rekruten) „
2200
„6000
„
(ungerechnet 6000 schwarze Besatzungstruppen) Zusammen 87000 Wann, davon 42900 Weih«
Abnehmen der Kampfkraft.
457
bie Rationen der Lage entsprechend herabsetzte und den schweren, aber unvermeidlichen Entschluß faßte, alle nicht mehr kampffähigen oder entbehrlichen Esser, vor allem einen hohen Prozentsatz des schwarzen Trosses, zum Feinde abzuschieben. Die Verpslegungslage blieb aber ein Faktor, der in Zukunst die gesamte Kriegführung mehr oder weniger beherrschte. An Zahl war die Schutztruppe im Lause des Jahres 1916 bei einem Kampfverlust von 1000 Weihen und 4100 Schwarzen um etwa ein Drittel, auf rund 10500 Mann gesunken, von denen aber eine größere Zahl verwundet oder krank in den Lazaretten lag oder nur garnison- oder arbeitsdienstsähig war. So zählten die Kampftruppen nur noch rund 8000 Mann, davon 1000 Europäer. Aber auch die Gesechtskrast des Gegners hatte — unbeschadet des Anwachsens der Gesamtstärke — seit dem Frühjahr durch Kämpfe und Krankheiten schwer gelitten, vor allem bei den weißen und indischen Ein¬
heiten. Von den britischen Truppen lagen im September (Revierkranke bei den Truppen nicht gerechnet) 9000 Mann in Lazaretten, davon allein 4000 Weiße und über 200 Offiziere. Ende Oktober waren 12000 Weiße
den Anstrengungen der Kriegführung in den Tropen nicht mehr ge¬
wachsen, sie wurden zur Erholung nach Südastika gebracht. Der Verbrauch an Pferden und Maultieren hatte im Laufe des Jahres mit dem Dreifachen
des Sollbestandes seinen höchsten Stand in Ostastika erreicht, hauptsächlich durch Tsetse und Pserdesterbe; allein in der Zeit von Mitte September bis Mitte November waren 10000 Pferde, 10000 Maultiere, 11000 Ochsen und 2500 Esel verendet. Unter diesen Umständen wurden die britischen Streitkräste neu organisiert. Die nur aus Weißen bestehenden Truppen¬ teile wurden größtenteils aufgelöst, ihre Mannschaften verteilt. Andererseits wurden neue Verstärkungen an schwarzen Truppen herangebracht. Die
Zahl der Flugzeuge wurde trotz dauernder Verluste ständig vermehrt und
bis Anfang Februar 1917 auf 60 betriebsfähige Maschinen gebracht. Unterdessen hatte General Smuts um die Jahreswende 1916/17 eine neue allgemeine Offensive begonnen, und zwar mit je einer Division von Kibata nach Norden und Westen, von Morogoro gegen die Mgeta-
Etellung und von Iringa nach Südosten, mit schwächeren Kräften von Lupembe und Ssongea aus nach Osten. Diese aus dreiseitige Umfassung
angelegte Bewegung kam jedoch bereits nach drei Wochen, ohne beson¬ deren Geländegewinn gebracht zu haben, zum Stehen. Es war nicht ge¬ lungen, die einzelnen Telle der deutschen Hauptmacht voneinander und von
ihrem Etappengebiet abzuschneiden. Die einsetzende Regenzeit erschwerte weitere Operationen im Stromgebiet des Ruhudje, Ulanga und Rufiji und machte den Nachschub teilweise unmöglich. Das ungesunde Klima in
458 Winter
1919/17.
Die Ereignisse in Ostafrika seit 1916.
den überschwemmten Niederungen gab den weißen und indischen Ein¬
heiten den Rest, so daß sie in gesündere Gegenden zurückgezogen werden mußten. Die einzige noch beibehaltene berittene Brigade verlor zum zweiten
Male binnen kürzester Frist ihre sämtlichen Tiere. Die deutschen Stellungen nördlich des Rufiji waren hinter diesen Fluh zurückgenommen worden. General Smuts hielt den Feldzug in Ost¬ afrika für beendet; nur das Hinwegfegen der Reste des Gegners bleibe noch übrig. Am 20. Januar gab er den Oberbefehl an General Hoskins ab, der nach Ergänzung der Verluste eine neue Offensive von der Küste her einleiten wollte. Am Rufiji ließ er nur schwache Kräfte stehen und zog die übrigen aus dem Seewege teils nach Kilwa, teils nach Lindi. Bevor Frühjahr und Sommer 1917.
aber die Vorbereitungen beendet waren, wurde er am 29. Mai durch General van Deventer ersetzt.
Angesichts des nunmehr auch von der Küste her drohenden feindlichen Vorgehens hatte Oberst von Lettow inzwischen die Rufiji-Linie allmählich geräumt und seine Hauptkräfte nach Süden in die Gegend von Mpotora verlegt. Von hier ging er Ende März südlich umfassend gegen die feindliche rückwärtige Verbindung Kilwa—Njinjo vor und zwang den Gegner, seine in der Linie Kibata—Njinjo mit der Front nach Westen stehenden Truppen in die Linie Njinjo—Kilwa zu ziehen und Front nach Süden zu nehmen. Gegen Mitte Juni begann die britische Offensive von Lindi, Ansang Juli auch von Kilwa, Iringa und Ssongea aus. Gleichzeitig verdrängten
britische Truppen, die östlich des Njassa-Sees durch portugiesisches Gebiet vorgingen, eine deutsche Abteilung, die in der Gegend von Mwembe seit April Verpflegung beschaffte, und besetzten am 23. August Tundum. An der Küste operierten zweieinhalb britische Divisionen, gegen Mahenge zwei belgische und eine britische Brigade, am Unterlauf des Rowuma standen portugiesische Truppen in Stärke von eineinhalb Brigaden. Immer bedenklicher zeichnete sich die neue Einkreisung ab. Die deutschen Truppen vor Lindi unter General Wahle gingen schrittweise Lukuledi aufwärts zurück, die vor Kilwa zunächst auf Nahungo am Mbemkuru, dann diesen Fluß auf¬ Herbst 1917.
wärts, um kurz vor Nangano nach Süden abzubiegen. Am 9. Oktober wurde
die Verbindung mit den bei Mahenge stehenden Westtruppen durch eine
die Hauptmacht westlich umfassende Brigade unterbrochen. In den Tagen vom 15. bis 18. Oktober kam es bei Mahiwa zum blutigsten Kamps des
ganzen Feldzuges; Oberst von Lettow gelang es, durch kühne Ausnutzung der inneren Linie mit 18 deutschen Kompanien und sechs Geschützen gegen
eineinhalb feindliche Divisionen das Feld zu behaupten. Gegen Mitte November mußte er aber, inzwischen zum Generalmajor befördert, vor
den nunmehr bei Massassi vereinigten zweieinhalb feindlichen Divisionen
Ausweichen der Schutztruppe über die Südgrenze.
459
unter dauernden schweren Kämpfen auf das Makonde-Plateau ausweichen, auf dessen Westrand seine letzten Magazine lagen. Bald gingen Verpflegung, Munition, Sanitätsmaterial zu Ende; mit Bekleidung und Ausrüstung stand es nicht besser. Das Schutzgebiet war bis zum Äußersten verteidigt worden. Der größte Teil der Truppen war am Ende seiner körperlichen und, was
noch viel schlimmer war, seiner seelischen Kraft. Doch ihr willensstarker Führer hielt sie in seinem Bann. Noch stand der Weg nach Süden in die portugiesische Kolonie offen. Er war aber nur gangbar für voll leistungs¬
fähige Kämpfer. Es war ein schwerer Entschluß, alle übrigen zurückzu¬ lassen, um den Rest mit dem Notwendigsten, vor allem Munition und Ver¬
pflegung, auszurüsten und dadurch gefechtsfähig zu machen.
Am 19. November marschierte General von Lettow von Kitangari
über Newala mit dem kleinen, aber auserlesenen Reste seiner Truppen,
14 Kompanien, 30 schweren, sieben leichten Maschinengewehren und zwei Eebirgsgeschützen, insgesamt 267 Europäern, etwa 1700Askaris, 4000 Trä¬ gern und 470 Boys, zum Rowuma, dann diesen aufwärts. Der Gouver¬
neur, dessen Tätigkeit als Leiter der Zivilverwaltung mit Räumung des Schutzgebietes ihr Ende gefunden hatte, begleitete die Truppe. Am 25. November überschritt General von Lettow den Rowuma bei Ngomano und nahm am gleichen Tage im Sturm den dortigen, von sechs Kompanien
und einer Maschinengewehr-Kompanie besetzten portugiesischen Grenz¬ posten. Kurz vorher hatte das Reichskolonialamt, noch ohne Kenntnis vom Abmarsch von Kitangari, versucht, der Schutztruppe aus dem Luftwege wenigstens einige Munition und Arzneimittel zuzuführen; doch mußte das Luftschiff „L. 59", das vom bulgarischen Lusthasen Iamboli aus am 23. No¬ vember morgens die Höhe von Khartum erreicht hatte, infolge der inzwischen
bekanntgewordenen Veränderung der Lage sunkentelegraphisch zurück¬ gerufen werden.
Die Westtruppen, bei Unterbrechung der Verbindung noch 15 Kom¬ panien unter Hauptmann Tafel, die Befehl erhalten hatten, nach möglichster Ausnutzung der in ihrem Gebiet befindlichen Verpflegung zur Hauptmacht zu stoßen, hatten inzwischen die Station Mahenge am 9. Oktober geräumt, waren kämpfend auf Dapate zurückgegangen und hatten von dort am 11. November mit 14 tägiger Verpflegung den Abmarsch nach Süden an¬
getreten. Nach glücklichen Gefechten mit englisch-belgischen Truppen, die ihnen am oberen Mbemkuru den Weg zu versperren suchten, bogen sie, die Hauptmacht noch auf dem Makonde-Plateau vermutend, mehr und mehr nach Osten ab und stießen am 25. November, nahe Newala, auf britische Truppen, die in der Verfolgung nach Südosten begriffen waren. Es gelang ihnen zwar, sich nach Süden durchzuschlagen und den Rowuma
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Die Ereignisse in Ostafrika seit 1916.
zu überschreiten, dann aber zwang sie vollkommener Mangel an Ver¬ pflegung am 28. November zur Kapitulation. General von Lettow zog von Ngomanv am Lujenda aufwärts, breitete
sich unter Brechung jeglichen Widerstandes in Portugiesisch-Ostafrika nach
Westen und Osten aus, setzte sich in der Linie Mwembe—Nanungu—Mvntepuesi fest und trieb Erkundungsabteilungen weit nach Süden bis in die Höhe von Fort Iohnston—Mozambique vor. Unterdessen begann General van Deventer bereits im Dezember, Truppen aus dem Njassa-See nach
Mtengula und Fort Iohnston sowie aus dem Seewege nach Porto Amelia Vas gahr Isis, zu schaffen. Anfang Januar 1918 trat er von Westen und Osten mit je
fünf Bataillonen den Vormarsch an. Schrittweise wichen die deutschen Abteilungen auf Nanungu aus. Als dann die beiden britischen Kolonnen im letzten Drittel des Mai im Begriff standen, sich dort die Hand zu reichen, rückte General von Lettow nach Süden ab.
General van Deventer hatte inzwischen weitere britische Truppen, an¬ nähernd zehn Bataillone, nach Mozambique, Quelimane und in die Gegend des Chilwa-Sees gebracht, die im Verein mit den zehn von Norden kommen¬
den Bataillonen und portugiesischen Truppen ein wahres Kesseltreiben gegen die schwachen Reste der deutschen Schutztruppe veranstalteten. Diese konnten sich nirgends mehr längere Zeit festsetzen. Ihre Basis waren bald portugiesische, bald englische Magazine, aus denen es immer wieder,
teilweise in überreichem Mähe, gelang, Verpflegung, Waffen, Munition und Ausrüstung zu ergänzen. Allerdings kostete das mehr und mehr Opfer an Menschen. Um den Abgang an Askaris, am 1. August 1918 seit Über¬ schreiten des Rowuma rund 500 Mann, einigermaßen auszugleichen, wurden 400 Träger als Rekruten eingestellt. Der Weg führte nach Süden bis Nhamacurra, dann über Oziwa nach Namirrue, von dort, um einen Vor¬
marsch aus Mozambique vorzutäuschen, nach Chalaua, nun direkt nach Westen, um bei Ille—Namorroe wieder nach Norden abzubiegen. Von sechs Bataillonen verfolgt, mußte sich die Schutztruppe vom 24. August
bis 6. September durch acht zum Schutze des Njassa-Landes bereitstehende Bataillone hindurch in schweren Kämpfen einen Weg nach Norden bahnen. Am 28. September betrat sie bei Magwamira wieder deutschen Boden, aber nur um ihn am 1. November bei Fise wieder zu verlassen und in Rho¬ desien einzufallen.
Die Erhaltung der Truppe machte es erforderlich, ein vom Krieg noch unberührtes Land aufzusuchen. General von Lettow wählte die portu¬ giesische Kolonie Angola an der Westküste Afrikas als Ziel. Der Marsch
dorthin, mitten durch Fentralasrika, und die Ungewißheit, wohin sich die Deutschen wenden würden, sollte auch weiterhin beträchtliche englische,
Das Ende des Heldenkampfes.
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belgische, portugiesische Truppen binden. Bis diese in ausreichender Zahl zu neuer Jagd bereitgestellt waren, mutzten wieder Monate vergehen.
Am 13. November, zwei Tage nach Abschluß des Waffenstillstandes in Europa, stand die Vorhut der deutschen Schutztruppe am Chambezi, die Nachhut hielt bei Kasama ein britisches Bataillon auf. Unbesiegt mutzten, den Wafsenstillstandsbedingungen gemätz, am 25. November bei Abercorn 155 weitze und 1168 schwarze deutsche Soldaten die Waffen niederlegen. Don diesen aber waren nur noch sieben schwere Maschinengewehre deutscher
Herkunft; alles übrige: Gewehre, 16 schwere sowie 14 leichte Maschinen¬ gewehre und ein Gebirgsgeschütz samt Munition, waren im Kampfe Eng¬ ländern und Portugiesen abgenommen worden. Ein Ringen, das die ganze Welt in Staunen und Bewunderung versetzt hatte und in der Ge¬
schichte wohl einzig dasteht, hatte seinen tragischen Abschluß gesunden. General von Lettow hatte einst, am 15. Mai 19141), in einer Eingabe
an das Reichskolonialamt geschrieben: „Der Krieg hier in der Kolonie darf doch auch nicht so ganz als eine Episode für sich aufgefaßt werden. Er und der große Krieg beeinflussen sich gegenseitig. So verhindern wir durch energisches Verhalten den Abtransport englischer Truppen, zwingen den Feind, Verstärkungen über See heranzuführen und zu deren Schutz Kriegsschiffe zu binden. Dadurch aber gewinnen unsere Kreuzer Vorteile
für den Kaperkrieg gegen feindliche Handelsschiffe. Hat die Schutztruppe aber nur einige Aussicht, Einfluß auf den großen Krieg zu gewinnen, so muß sie dies auch tun". Die hier niedergelegten Gedanken bildeten die Richtschnur seines Handelns im Kriege. Sie banden ihn nicht an den Boden von Deutsch-Ostafrika. Wie er in den ersten eineinhalb Jahren Vorstöße
nach Britisch-Ostasrika, Belgisch-Kongo, Rhodesien und Njassa-Land unter¬ nommen hatte, um die Gegner zu zwingen, Truppen zum Schutze ihrer Kolonien heranzubringen, so sah er auch mit dem Verlust der letzten Ecke
der deutschen Kolonie seine Aufgabe noch nicht als beendet an, sondern sehte den Kamps zielbewußt fort, bis ihn ein volles Jahr später der Waffen¬ stillstand zwang, ihn aufzugeben. 210000 bis 240000 Mann Truppen, davon allein 77000 Weiße, und mindestens 700000 Träger und Arbeiter waren im Laufe des Krieges gegen die kleine deutsche Heldenschar in Bewegung gesetzt worden, von denen zum mindesten Teile dem Einsatz auf anderen Kriegsschauplätzen entzogen wurden. So hat die Hartnäckigkeit und Ausdauer des deutschen Wider¬
standes zugleich die Kriegführung in Europa und Vorderasien entlastet. Diese Aufgabe, die sich General von Lettow aus eigenem Entschluß gestellt *) Bd. ix, S. 482.
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Die Ereignisse in Ostafrika seit 1916.
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