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Der Platz des Publikums
Studien zur Kunst 19
Eva Kernbauer
Der Platz des Publikums Modelle für Kunstöffentlichkeit im 18. Jahrhundert
2011 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Raymond Pettibon, No Title (I’ve often lamented), 2004, Feder und Tinte auf Papier, Privatsammlung. Courtesy Regen Projects, Los Angeles © Raymond Pettibon
© 2011 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau.de Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20555-3
INHALT Einleitung....................................................................................................... 7 Kunst, Öffentlichkeit................................................................................... 7 Geteilte Kulturtopografien: Das Gegensatzpaar England und Frankreich..... 14 Kunst, Publikum, Öffentlichkeit.................................................................. 18 1. Kennerschaft: Ent- und Verschlüsselung der Malkunst.................. Die Entdeckung des Wissens........................................................................ Ausstellungspraxis an der Pariser Académie royale im 17. Jahrhundert......... Die Ausstellung von 1699............................................................................ Apelles post tabulam...................................................................................... Die Malerei als Hieroglyphe.........................................................................
25 25 39 44 51 57
2. Sensus communis: Gemeinschaftsmodelle zu Beginn des 18. Jahrhunderts.............................................................................. 66 Shaftesbury: Kunst- als Selbstkritik.............................................................. 66 Die Entgrenzung der Kennerschaft: Mandevilles The Fable of the Bees.......... 73 Teilhaben an der Gemeinschaft: Jonathan Richardsons Two Discourses......... 79 Das Publikum als Öffentlichkeit: Jean-Baptiste Du Bos’ Réflexions critiques sur la poësie et sur la peinture............................................................ 87 Kunstwerke und ihr Publikum: Theatralität als Bildpraxis............................ 100 3. Das Publikum der Pariser Académie royale...................................... 108 Auf der Suche nach neuer Patronage............................................................ 108 Öffentlichkeit und Geheimnis...................................................................... 113 Charles Coypel: Die Patronage des Publikums............................................. 121 Teilungen, Spaltungen.................................................................................. 132 Kritik und Anonymität................................................................................ 146 4. Multitudes................................................................................................. 161 Aspekte der Connaisseurkritik: Der partikulare Blick ... ........................... 161 ... und der Blick in die Vergangenheit.......................................................... 170 Multitude und Kritik.................................................................................... 175 „Unity amidst Variety“................................................................................. 193 Anti-Apelles: Falconet/Polyklet..................................................................... 202 5. Das Publikum der englischen Künstlervereinigungen..................... 213 The Standard of Taste..................................................................................... 213
6 | Inhalt
Umwerbung und Abgrenzung: Die Royal Academy im Konflikt mit. ihrem Publikum........................................................................................... 225 Popularität und Gesellschaftsanspruch: Publikumskonzepte anderer . Londoner Ausstellungsunternehmer............................................................. 244 ‚Fame‘ vs. ‚Celebrity‘.................................................................................... 250
6. Inszenierungen von Öffentlichkeit....................................................... 253 Die Freiheit der Kunst.................................................................................. 253 Die Repräsentation der Menge: Jacques Louis Davids Schwur im Ballhaus...... 267 7. Das Publikum im Museum.................................................................... 287 Bibliografie..................................................................................................... 297 Quellen vor 1830......................................................................................... 297 Quellen nach 1830....................................................................................... 304 Unpublizierte Quellen.................................................................................. 322 Abbildungsnachweis.................................................................................... 324 Danksagung................................................................................................... 330 Personenregister.......................................................................................... 331 Orts- und Sachregister................................................................................ 337
Einleitung Kunst, Öffentlichkeit ‚Öffentlichkeit‘ ist ein Schlüsselbegriff des 18. Jahrhunderts, eine zentrale Kategorie aufklärerischen Denkens und legitimierende Instanz in politischen, moralischen und ästhetischen Fragen. Für den Bereich der bildenden Kunst bedeutete die Orientierung an dieser Öffentlichkeit die Entstehung und Formulierung neuer künstlerischer Kommunikationsstrategien. Neben die klassische Patronage durch Auftraggeber und Auftraggeberinnen1 trat die Kunstausstellung als Instrument zur Erreichung eines anonymen Publikums.2 Bedeutende Akteure in diesem Prozess waren die Kunstakademien des späten 17. und des 18. Jahrhunderts, in denen zuerst regelmäßige Ausstellungen veranstaltet wurden, und, kurz darauf folgend, die Kunstkritik. Diese Neuorientierung, die einen grundlegenden Wandel in den ökonomischen Grundlagen, der Produktion und Präsentation bildender Kunst nach sich zog, führte zu intensiven Auseinandersetzungen mit dem Kunstpublikum als reale Figur und imaginäres Konstrukt in der zeitgenössischen Kunsttheorie und -literatur, in der Kunstkritik und in bildnerischen Darstellungen. Die Kunstöffentlichkeit etablierte sich als ein Akteur des modernen Kunstsystems. Dieser Prozess verdankt sich, so scheint es, vollständig der emanzipatorischen Rhetorik und den Institutionen der Aufklärung und kann daher wie selbstverständlich als bekannt vorausgesetzt werden. So fragt René Démoris in der Einleitung zu einer Sammlung von Kunstkritiken des frühen 18. Jahrhunderts: „Faut-il rappeler qu’un des phénomènes majeurs du siècle des Lumières est que l’art y devient l’affaire du public et se voit reconnaître une fonction sociale?“
und führt aus,
1 Von einer durchgängigen Verwendung der geschlechtsneutralen Form, etwa durch Kennzeichnung mit dem Suffix ,Innen‘ wurde Abstand genommen. Die häufige Beschränkung auf die generalisierende männliche Form in den Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts (zuweilen mit etlichem Abstand zwischen einem maskulinisierten Diskurs und der sozialen Realität) ist konstitutiv und rechtfertigt bei Weitem nicht immer die Miteinbeziehung weiblicher Formen. Ist eine solche Miteinbeziehung anzunehmen, oder erscheint ein Hinweis auf die Bedeutung von Kunstakteurinnen und Künstlerinnen sinnvoll, erfolgt, punktuell, die explizite Nennung der weiblichen Form. 2 Über diesen Prozess: Oskar Bätschmann, Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln: Dumont, 1997.
8 | Einleitung
„d’affaire d’État, la peinture devient celle du public. Terme flou, à certains égards. En ce domaine, comme en d’autres, le centre d’activité culturelle est passé de la Cour à la Ville.“3
In dieser Kurzdarstellung sind bedeutende Faktoren des Wandels der Patronage bildender Kunst im 18. Jahrhundert genannt, insbesondere die Verlagerung des kulturellen Zentrums vom Hof in die Stadt und vom Staat zur Öffentlichkeit (‚public‘). Mit diesem, wie es bei Démoris heißt, „unscharfen Begriff“ („terme flou“) ist der Untersuchungsgegenstand dieses Buches bezeichnet. Betrachtet man die Quellen des 18. Jahrhunderts, so ergibt sich ein zunächst banal erscheinender, aber grundlegender Befund: die Omnipräsenz des Öffentlichkeitsbegriffs. Es gibt kaum eine Ausstellungskritik, die sich nicht darauf berufen würde, die Meinung der Öffentlichkeit wiederzugeben. Denn das 18. Jahrhundert brachte nicht nur ‚Öffentlichkeit‘ als soziales Phänomen in Form von Ausstellungen, ihren Besuchern und Besucherinnen oder Kritiken, ihren Lesern und Leserinnen hervor, sondern auch das Sprechen über Öffentlichkeit als Legitimationsgrundlage und als Wertmaßstab für zivilisatorische Reife. Doch wie sind diese Phänomene aufeinander zu beziehen? Der Öffentlichkeitsdiskurs beschrieb nicht die soziale Realität des 18. Jahrhunderts, ja nicht einmal immer das emanzipatorische Ideal der Aufklärung. ‚Public‘ war ein attraktives Diskurskonzept, dem sehr unterschiedliche Eigenschaften zugeschrieben wurden, ein Produkt der Kunsttheorie und der neuen Textsorten Ausstellungskatalog, Sammlungskatalog und Kunstkritik. Der Gedanke, dass das Sprechen über Öffentlichkeit ein ebenso wichtiger Prozess ist wie deren tatsächliche Entwicklung, lässt sich zunächst problemlos mit Jürgen Habermas’ Darstellung des Strukturwandels der Öffentlichkeit4 vereinbaren, dessen grundlegendes Merkmal ja ein bewusstes Selbstverständnis als Öffentlichkeit darstellt. Doch anstatt den Öffentlichkeitsdiskurs nur als Abbild oder als Faktor politischer Emanzipierung zu interpretieren, lohnt es sich, seine Aufwertung als ein komplexeres Symptom zu betrachten. Seine erstaunliche Anpassungsfähigkeit an verschiedene Positionen und Phasen des 17. und 18. Jahrhunderts erlaubt einen Blick auf heterogene Diskursformen, die seine Interpretation als grundsätzlich emanzipatorisch geprägtes, bürgerliches Konzept infrage stellen. Das ‚Kunstpublikum‘ wurde in Beschreibungen und bildlichen Darstellungen in anschauliche Begriffe gefasst, die immer wieder neu verhandelt und modifiziert wurden. Im Zentrum des Interesses dieses Buches stehen diese Motive, Strukturen und Modelle, die zur Beschreibung der Beziehung zwischen bildender Kunst und Öffentlichkeit verfügbar waren, entwickelt und verwendet wurden. Die Perspektive der Künstler ist dabei ebenso bedeu3 René Démoris/Florence Ferran, La peinture en procès. L’invention de la critique d’art au siècle des Lumières, Paris: Presses de la Sorbonne nouvelle, 2001, S. 7, 10. Die Zitate wurden ohne Kennzeichnung durch ,sic!‘ orthografisch genau von ihren jeweiligen Quellen übernommen. 4 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1990.
Kunst, Öffentlichkeit | 9
tend wie die Schriften einflussreicher Autoren aus anderen Bereichen. Diese Quellen werden jedoch nicht als normativ oder als direkte Reflexion der jeweiligen Situation verstanden. Es geht nicht primär um die Beschreibung des Verhältnisses einzelner Künstler zu ihrem Publikum. Darüber, dass die Bedingungen künstlerischer Produktion im tiefgreifenden Wandel begriffen waren, herrschte im 18. Jahrhundert Einigkeit. „Ne soyons pas surpris si la réputation & l’état d’un Artiste dépendent aujourd’hui de l’opinion publique“, hieß es 1785 in einer französischen Ausstellungskritik.5 Das Werben um den Applaus des zeitgenössischen Publikums war eine zentrale Notwendigkeit und zeigte sich nicht zuletzt in dessen wiederholter diskursiver Zurückweisung oder zumindest Modifizierung. Das ,richtige‘ oder ,falsche‘ Publikum manifestierte sich nicht als bloßes Gegenüber, sondern als Evidenz künstlerischer Qualität. Der Publikumsbegriff war in dieser Hinsicht eng mit dem Begriff ‚Geschmack‘ (‚goût‘ bzw. ‚taste‘) verwandt, denn dieser war gebunden an soziale Zugehörigkeit, er formte und vermittelte gesellschaftliche Werte. Der Geschmack einer Gesellschaft konnte Aufschluss über deren Entwicklungsstufe geben und zu Aufstieg oder Untergang der Künste beitragen. Das Publikum sollte künstlerische Qualität daher nicht nur zeigen, sondern auch gewährleisten, und die Ausstellung, ‚exposition‘ des Werks, war erst durch diesen Anspruch gerechtfertigt. So beschrieb ein Autor des Mercure de France 1738 die Notwendigkeit regelmäßiger Kunstausstellungen für die Mitglieder der Pariser Académie royale de sculpture et de peinture: „[L]’Académie veut bien de temps en temps rendre une espece de compte au Public de ses travaux, & faire voir les progrès des Arts qu’elle cultive, [...] afin que chacun subisse le jugement des gens eclairés, réünis dans le plus grand nombre, & qu’il reçoive le tribut de loüanges & de censures qu’il mérite, en encourageant les vrais talens & en réprimant la fausse gloire de ceux qui ne se sont pas encore assés dévelopés [...]“.6
Zugleich war die Kunstausstellung das bedeutendste – und für die Mitglieder der französischen Akademie das einzige erlaubte – direkte Instrument zur Adressierung des Marktes. Die Bezeichnung ‚public‘ beinhaltete die Käuferschicht des 18. Jahrhunderts, und auch daran erinnerten manche Kommentatoren: „si MM. les Peintres veulent continuer d’instruire le Public de leur existence, ils ont grand intérêt à garnir le Salon de leurs Ouvrages“.7 Und so wurde ‚Öffentlichkeit‘ auch in der Ausstellungspraxis inszeniert. Präsentationsformen bildender Kunst geben Auskunft 5 [Jean-Louis Giraud Soulavie], Réflexions impartiales sur les progrès de l’art en France, Londres et Paris à l’entrée du Sallon, [s. l.] [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #331], S. 7. Für den englischen Raum hatte ein anderer Autor, André Rouquet, schon 1755 einen ähnlichen Befund gestellt: [André Rouquet], L’Etat des Arts en Angleterre, Paris: Jombert, 1755, S. 61–63. 6 [anon.], Exposition de Tableaux, Sculptures & autres Ouvrages [...], in: Mercure de France, Oktober 1738, S. 2180–2181. 7 [anon.], Lettre sur le Salon de Peinture de 1769 par M. B***, Paris: Humaire, 1769, [Collection Deloynes #119], S. 2–3.
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über das erwartete und umworbene Kunstpublikum. Die Ausstellungen des 17. und 18. Jahrhunderts erinnern daran, dass neben Sammlungen, neben Kunst- und Wunderkammern als Vorformen des Museums, auch die bedeutende Tradition der ‚fêtes‘, ‚spectacles‘ und ‚shows‘ bestand.8 Der Umgang mit Kunst begann als soziale Praktik, deren Grundlage spezifische gesellschaftliche Identifikationsrahmen bildeten, in denen Kunstrezeption und -kritik geübt werden konnten. Diese Untersuchung beschränkt sich auf den französischen und englischen Raum, eine Auswahl, die aus institutionsgeschichtlichen, methodischen und pragmatischen Gründen geschehen ist. Damit werden Diskursstränge verfolgt, deren Bedeutung über lokale Aktualität hinausgeht. In Paris und London wurden besonders früh regelmäßige öffentliche Kunstausstellungen veranstaltet, und dies nicht nur vor völlig unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Hintergründen, sondern in bewusst gegensätzlicher Auffassung und Positionierung. Obwohl es dabei bei allen sprachlichen und politischen Abgrenzungen auffallende Gemeinsamkeiten gab, formierten sich, vereinfacht skizziert, zwei bis heute nachwirkende Interpretationen von Kunstöffentlichkeit: die staatlich institutionalisierte Repräsentation eines gesamtgesellschaftlichen Anspruchs in Frankreich, und Patronage als Aufgabe einer kulturell führenden Oberschicht in England. Solch grobe Differenzierungen dienen nicht nur der Vereinfachung, sondern sind durch die gegenseitigen Zuschreibungen an die Kulturtopografien beider Länder, wie das folgende Kapitel zeigen wird, gerechtfertigt. Hinsichtlich der respektiven Ausstellungsgeschichte(n) waren die im 17. Jahrhundert unregelmäßig, später im Zweijahresrhythmus organisierten Salons der Pariser Académie royale von zentraler Bedeutung, während vergleichbare Veranstaltungen in England erst ab den 1760er-Jahren folgten. Während der Untersuchungsschwerpunkt auf dem Publikumskonzept der Aufklärung und damit im 18. Jahrhundert liegt, ist die Institutionen- und Diskursgeschichte des späten 17. Jahrhunderts in beiden Ländern, wie zu sehen sein wird, von großer Bedeutung für die nachfolgende Entwicklung. Fragen zur soziologischen Verfasstheit des Publikums stehen nicht im Zentrum dieses Buches.9 Ausstellungs- und institutionsgeschichtlichen Aspekten wird nur im Falle der Abweichung von gängigen Darstellungen und zur Kontextua8 Georg Friedrich Koch, Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter, 1967. 9 Zum Publikum der Kunstausstellungen in London und Paris vgl. C. Matheson, ,A Shilling Well Laid Out‘: The Royal Academy’s Early Public, in: David Solkin (Hg.), Art on the Line. The Royal Academy Exhibitions at Somerset House 1780–1836, The Paul Mellon Centre for Studies in British Art/The Courtauld Institute Gallery, New Haven/London: Yale University Press, 2001, S. 39– 53; Matthew Hargraves, ‚Candidates for Fame‘: The Society of Artists of Great Britain 1760–1791, New Haven/London: Yale University Press, 2005; Udolpho van de Sandt, La fréquentation des Salons sous l’Ancien Régime, la Révolution et l’Empire, in: Revue de l’Art, 73, 1986, S. 43–48; ders., Le Salon de l’Académie de 1759 à 1781, in: Edgar Munhall (Hg.), Diderot et l’art de Boucher à David, Kat. Paris, Hôtel de la Monnaie, Paris: Éditions de la Réunion des musées nationaux, 1984, S. 79–84.
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lisierung von Aussagen über das Kunstpublikum Platz eingeräumt. Medientechnisch wird die Druckgrafik wenig zur Sprache kommen, denn obwohl sie intensiv zur Verbreitung bildender Kunst genutzt wurde, gab es nur wenig theoretische Reflexion über ihren Öffentlichkeitsanspruch,10 und in dieser Hinsicht wurden auch Skulptur und Architektur wenig beachtet. Im Zentrum der Publikumskonzeptionen im 18. Jahrhundert stand die ‚un-öffentlichste‘ der Gattungen: die Malerei. Auf der anderen Seite wird die Untersuchung von der Frage begrenzt, inwieweit die erwartete Präsenz des Publikums künstlerische Prozesse und Entwicklungen beeinflusste. Angesichts der Bedeutung programmatischer Verstöße gegen Bildund Präsentationskonventionen vor dem Ausstellungspublikum böte sich Material für weitere Überlegungen, doch kann die Frage nach den ,impliziten‘ Rezipienten eines Bildes in dieser Untersuchung nur angedeutet werden. Emma Barker hat etwa die Bedeutung von Serialität in Greuzes Beiträgen zu den Salon-Ausstellungen der 1760er-Jahre skizziert, Mary D. Sheriff die Inszenierung stilistischer Vielseitigkeit im Werk Fragonards angesprochen.11 Thema, Stil und Format eines Gemäldes können Öffentlichkeitsanspruch erheben: So beschreibt Thomas Crow Girodets Scène du déluge im Salon von 1806 als „a canvas of outsized, aggressively public scale“.12 Die Ausgangssituation der vorliegenden Untersuchung hat Oskar Bätschmann in seiner Darstellung der Entstehung des ‚Ausstellungskünstlers‘ beschrieben und damit auch die Bedeutung der Entwicklungen des 18. Jahrhunderts für die Kunst der Moderne und der Gegenwart gezeigt.13 Während Bätschmanns Fokus auf dem künstlerischen Umgang mit dem Medium Ausstellung liegt, wird in diesem Buch die aktive Rolle der Künstler als Autoren und Kritiker hervorgehoben, die die Grenzen zwischen Kunstinstitutionen und Kunstöffentlichkeit zuweilen fließend werden lässt. Wolfgang Kemp wiederum hat die bedeutende Tradition kunstliterarischer Rezeptionstheorien seit der Gegenreformation dargestellt, in denen für die nachfolgende Entwicklung bedeutende Entsprechungen zwischen sozialen Rezipientengruppen und ästhetischen und stilistischen Ausdrucksmitteln hergestellt wurden. So unternahm Gabriele Paleotti im Discorso interno alle imagini (1582) die Formulierung einer allgemein, allen sozialen Gruppen gleichermaßen verständlichen Kunst 10 Zu diesem Aspekt: Katie Scott, Reproduction and Reputation: „François Boucher“ and the Formation of Artistic Identities, in: Melissa Hyde/Mark Ledbury (Hgg.), Rethinking Boucher, Los Angeles: Getty Publications, 2006, S. 91–132. Eine Ausnahme ist der Recueil Crozat: [Pierre-Jean Mariette, Hg.], Recueil Crozat (Recueil d’estampes d’après les plus beaux tableaux et d’après les plus beaux desseins qui sont en France), Paris: Imprimerie royale, 1729. 11 Emma Barker, Greuze and the Painting of Sentiment, Cambridge: Cambridge University Press, 2005, S. 21–89; Mary D. Sheriff, For Love or Money? Rethinking Fragonard, in: EighteenthCentury Studies, 19/3, 1986, S. 333–337. 12 Thomas E. Crow, Emulation. Making artists for revolutionary France, New Haven/London: Yale University Press, 1995, S. 254. 13 Bätschmann 1997, S. 12–57.
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(ars una) und differenzierte vier Rezipientengruppen religiöser Malerei – Maler, Gebildete, Ungebildete und Geistliche – sowie deren respektive Anforderungen an das Kunstwerk – kunstgemäße Darstellung, adäquate Darstellung des Inhalts, Schönheit und moralische Botschaft.14 Für die Ästhetik des späten 18. Jahrhunderts konstatiert Kemp, ähnlich wie Bätschmann, eine zunehmende Distanzierung vom Publikum.15 Auch wenn damit die Auseinandersetzung mit dem Kunstpublikum natürlich nicht abgeschlossen ist, markiert das Ideal der autonomen Kunst des Idealismus und der Romantik das Ende der aufklärerischen Entwicklung des Gesellschaftsbezugs bildender Kunst und damit das Ende dieser Untersuchung. Die beiden grundlegenden Darstellungen zu Kunst und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert sind Thomas Crows Painters and Public Life16 für den französischen und David Solkins Painting for Money17 für den englischen Raum. Diese Studien verknüpfen Ausstellungsgeschichte und Kunsttheorie und stellen zentrale Referenzwerke für die vorliegende Untersuchung dar. Crow beschreibt das Öffentlichkeitskonzept der akademischen Kunstpolitik bis hin zur oppositionellen Rhetorik der 1780er-Jahre und untersucht die Frage nach der Rückwirkung solcher Publikumstheorien auf die künstlerische Praxis. Seine Publikation ist allerdings, wie Richard Wrigley bemerkt hat, buchstäblich rückwärtsgewandt, vom Blickpunkt des letzten Kapitels der Publikation, das Jacques-Louis Davids Schwur der Horatier gewidmet ist, entstanden.18 Die Untersuchung der ersten Jahrhunderthälfte wird so gewissermaßen zu einer Vorgeschichte der Realisierung der Öffentlichkeit am Ende des Jahrhunderts. Zwar kann man in der zweiten Jahrhunderthälfte von einer sich deutlicher publizistisch und markttechnisch artikulierenden Öffentlichkeit ausgehen, doch bedeutet dies nicht unbedingt eine größere Nähe zwischen der Öffentlichkeit als Begriff und ihrer historischen Konkretisierung. Diese Problematik 14 Wolfgang Kemp (Hg.), Der Betrachter ist im Bild. Kunstwissenschaft und Rezeptionsästhetik, Köln: Dumont, 1985, S. 9–12. Die Entstehung der Laienkunstliteratur im doppelten Sinne – als Kunstliteratur, die entweder von oder für Laien geschrieben wurde – hat Thomas Frangenberg früher datiert. Insbesondere in der florentinischen Theorie des Cinquecento verfolgt Frangenberg die Thematisierung von Rezeptionsprozessen. Vgl. Thomas Frangenberg, Der Betrachter. Studien zur florentinischen Kunstliteratur des 16. Jahrhunderts, Berlin: Mann, 1990. Zur Reaktion der Bildpraxis beispielhaft: Michael Baxandall, Giotto and the orators. Humanist observers of painting in Italy and the discovery of pictorial composition, Oxford: Clarendon Press, 1971; Thomas Puttfarken, The discovery of pictorial composition. Theories of visual order in painting 1400–1800, New Haven/London: Yale University Press, 2000. 15 Kemp 1985, S. 12–17. Zur Feindschaft zwischen Künstlern und Publikum vgl. Bätschmann 1997, S. 165–172. 16 Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985. 17 David Solkin, Painting for Money. The Visual Arts and the Public Sphere in Eighteenth-Century England, New Haven/London: Yale University Press, 1993. 18 Richard Wrigley, Pictures at an Exhibition (Rezension von: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985), in: Art History, 9/3, 1986, S. 381.
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ist Crow selbst durchaus bewusst, wenn er beschreibt, dass ‚the public‘ lange Zeit über eine Chimäre bleibt, auf die sich Künstler, Kunstpolitiker und Kunstkritiker berufen. Wie Crows Publikation stellt auch dieses Buch die Rolle der Akademien und der akademischen Künstler bei der Formulierung und Konstruktion der Kunstöffentlichkeit in den Vordergrund.19 Denn wenngleich ‚le public‘ häufig als Instanz der Kritik an Künstlern, Kunstakademien und Kunstpolitikern eingesetzt wurde, trugen diese zu seiner Konzeption maßgeblich bei. Um die Kunstöffentlichkeit als „Gegenautorität zur Akademie“20 begreifen zu können, als Instrument zur Kritik an den Institutionen und Autoritäten bildender Kunst, muss man die spezifische Differenzierung von Privatheit und Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert miteinbeziehen, die durchaus konträre Haltungen und Positionierungen von Individuen erlaubte, je nachdem, ob diese etwa als Privatleute oder als öffentliche Funktionäre auftraten.21 David Solkins Studie über England beschäftigt sich mit der Problematik der Formulierung des Konzepts von Öffentlichkeit in einer offen von Marktbedingungen geprägten Gesellschaft. Solkin zeichnet die von Iain Pears postulierte Rolle der bildenden Kunst als Mittel zur kulturellen Einigung einer gesellschaftlichen Oberschicht nach22 und verfolgt künstlerische Strategien, die auf die Adressierung neuer Rezipientenschichten abzielten. Im Unterschied zu Crow verweist er mehrfach auf Jürgen Habermas’ Konzeption bürgerlicher Öffentlichkeit als grundlegend für die eigenen Überlegungen.23 Solkins Darstellung der sozialen und ökonomischen Bedingungen künstlerischer Arbeit baut zudem auf John Barrells Untersuchung zur philosophischen Matrix des civic humanism auf, die inzwischen durch Publikationen zum Diskurs der politeness erweitert und differenziert wurde.24 19 Seit Crows Publikation sind zahlreiche Arbeiten über die Beziehungen zwischen Künstlern und ihrem Publikum und die Entwicklung der Kunstkritik entstanden, an die diese Arbeit anschließen kann, etwa: Richard Wrigley, The origins of French Art Criticism. From the Ancien Regime to the Restoration, Oxford: Clarendon, 1993; Melissa Hyde, Making Up the Rococo. François Boucher and His Critics, Los Angeles: Getty Publications, 2006; Mary D. Sheriff, The exceptional woman, Chicago: University of Chicago Press, 1996. 20 Bätschmann 1997, S. 14. 21 Zur Differenzierung von Privatheit und Öffentlichkeit, wie sie aus Kants „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?“ in der Berlinischen Monatsschrift im Dezember 1784 bekannt ist und wie sie etwa Malesherbes, königlicher Zensor und Förderer der klandestinen Literatur, für sich beanspruchte: vgl. Roger Chartier, Die kulturellen Ursprünge der französischen Revolution, Frankfurt a. Main/New York: Campus, 1995, S. 36–40, 52–57. 22 Iain Pears, The Discovery of Painting. The Growth of Interest in the Arts in England 1680–1768, New Haven/London: Yale University Press, 1988. 23 Solkin 1993, S. 2, 27–28, 46, 114, 155. 24 John Barrell, The Political Theory of Painting from Reynolds to Hazlitt, New Haven/London: Yale University Press, 1986; Lawrence E. Klein, The Third Earl of Shaftesbury and the Progress of Politeness, in: Eighteenth-Century Studies, 18/2, 1984–85, S. 186–214; Lawrence E. Klein, Shaftesbury
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Viele Anregungen für den thematischen Rahmen dieses Buches stammen von der institutionskritisch geprägten Forschung. In diesem Bereich haben insbesondere Thomas Crow, Stefan Germer und Tom Holert, häufig aus der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst heraus, gegenwartsbezogene Fragestellungen zu den Grundlagen des modernen Kunstsystems formuliert.25 Einen weiteren wichtigen Bezugsrahmen bildet die politische Philosophie, insbesondere Texte von Claude Lefort und Jacques Rancière, und zwar durchaus mit Blick auf aktuelle Debatten.26 Der Umstand, dass sich der Gesellschaftsbezug bildender Kunst im 18. Jahrhundert anhand der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst entwickelte – die Akademieausstellungen zeigten ja aktuelle Exponate – ist erstaunlich wenig reflektiert worden. Doch, so ein Leitgedanke dieses Buches, nicht das Museum als Archiv der besten Werke vergangener Zeiten stand im Zentrum der Entwicklung der Kunstöffentlichkeit, sondern die erst im Prozess befindliche Beurteilung zeitgenössischer Arbeiten durch ihr Publikum. Um Aussagen über die Relevanz und Qualität eines Kunstwerks treffen zu können, war die Partizipation des Publikums grundsätzlich notwendig. Unter diesem Blickwinkel ergeben sich bedeutende Verbindungen nicht nur zur politischen Theorie des 18. Jahrhunderts, sondern auch zu aktuellen Debatten, in denen die emanzipatorische Kraft des Publikums hoch bewertet wird; häufig auch im Rückbezug auf das 18. Jahrhundert.
Geteilte Kulturtopografien: Das Gegensatzpaar England und Frankreich „Londres, voisine et rivale, est inévitable à considerer en parlant de Paris; et le parallèle vient s’offrir de lui même. Elles sont si proches et si différentes, quoique se ressemblant à
and the culture of politeness, Cambridge: Cambridge University Press, 1994; Stephen Copley, The Fine Arts in Eighteenth-Century Polite Culture, in: John Barrell (Hg.), Painting and the Politics of Culture, New York: Oxford University Press, 1992, S. 13–37; zur Kritik an Barrells Studie: Andrew Hemingway, The Political Theory of Painting without the Politics (Rezension von: John Barrell, The Political Theory of Painting from Reynolds to Hazlitt, New Haven/London: Yale University Press, 1986), in: Art History, 10/3, 1987, S. 381–395. 25 Crow 1985; Thomas Crow, Beitrag zu: The Birth and Death of the Viewer. On the Public Function of Art, in: Hal Foster (Hg.), Discussions in Contemporary Culture, 1, Seattle: Bay Press, 1987; Stefan Germer, Kunst – Macht – Diskurs, München: Fink, 1987; Tom Holert, Künstlerwissen, München: Fink, 1999. 26 Claude Lefort, L’invention démocratique. Les limites de la domination totalitaire, Paris: Fayard 1981; ders., Essais sur le politique. XIXe–XXe siècles, Paris: Éditions du Seuil, 2001; Jacques Rancière, Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien, Berlin: bbooks, 2006; ders., Das Unvernehmen. Politik und Philosophie, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 2002; Oliver Marchart (Hg.), Das Undarstellbare der Politik, Wien: Turia + Kant, 1998; Gerald Raunig/ Ulf Wuggenig (Hgg.), Publicum. Theorien der Öffentlichkeit, Wien: Turia + Kant, 2005.
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bien des égards, que pour achever le portrait de l’une, il n’est pas [...] hors de place, d’arrêter un peu les yeux sur quelques traits de l’autre.“27
Diese Feststellung aus Louis-Sébastien Merciers Parallele de Paris et de Londres, dem unvollendet gebliebenen Pendant seines Tableau de Paris, rechtfertigt den Vergleich der beiden Länder, ebenso wie sie dessen Schwierigkeiten benennt. Auf der anderen Seite des Kanals wird, bezeichnenderweise, Ähnliches verlautbart: „The English and French seem to place themselves foremost among the champion states of Europe. Though parted by a narrow sea, yet they are entirely of opposite characters; and from their vicinity are taught to fear and admire each other.“28
London und Paris, die größten Städte Europas, waren nur wenige Tagesreisen voneinander entfernt. Sie waren die Hauptstädte zweier europäischer Großmächte, die, mit wenigen Unterbrechungen, während des langen britischen 18. Jahrhunderts zwischen 1689 und 1815, einen Krieg globalen Ausmaßes führten, an den das übrige Europa in wechselnden Allianzen gebunden war.29 Die Beziehungsgeschichte der beiden Länder ist von gegenseitiger Beeinflussung und Abgrenzung geprägt. Insbesondere der britische Whiggism definierte sich ganz spezifisch in Absetzung vom französischen Modell: „Whiggism loved dichotomies: liberty and tyranny, Protestantism and popery, England and France.“30 Civic humanism und Politeness-Diskurse waren mit der Abgrenzung der ‚freien‘ britischen Soziabilität von der absolutistischen Hofkultur beschäftigt. Die karikaturistische Darstellung der Franzosen, sei es als exaltierte Froschesser oder als geknechtete Hungerleider, war ein so häufiger Gegenstand der Druckgrafik, dass ein Autor des 18. Jahrhunderts meinte, „the low people all over the kingdom seem to think that there are but two nations in the world, the English and the French“.31 Diese dichotomische Struktur war so ausge27 Louis-Sébastien Mercier, Parallèle de Paris et de Londres, Hgg. Claude Bruneteau/Bernard Cottret, Paris: Didier, 1982, S. 53. 28 Oliver Goldsmith, The Citizen of the World, Brief XVII, in: The Collected Works of Oliver Goldsmith, Hg. Arthur Friedman, Oxford: Clarendon Press, 1966, II, S. 72. 29 Jeremy Black, Natural and necessary enemies. Anglo-French relations in the eighteenth century, Athens: University of Georgia Press, 1987. Vgl. Eric J. Hobsbawm, The age of revolution, New York/London: Weidenfeld & Nicolson, 1962, S. xv. 30 Lawrence E. Klein, The Figure of France: The Politics of Sociability in England 1660–1715, in: Yale French Studies, 92, 1997, S. 40. Linda Colley hat gezeigt, wie die Etablierung einer britischen Nationalidentität im 18. Jahrhundert gerade durch die Abgrenzung von Frankreich vorangetrieben wurde (Linda Colley, Britons. Forging the Nation 1707–1837, New Haven/London: Yale University Press, 1992, S. 1–3). Vgl. Roberto Romani, National character and public spirit in Britain and France, 1750–1914, Cambridge: Cambridge University Press, 2002, S. 160–164. Zu den unterschiedlichen politischen Systemen der beiden Länder: James van Horn Melton, The Rise of the Public in Enlightenment Europe, Cambridge (u. a.): Cambridge University Press, 2001, S. 19–77. 31 Giuseppe Baretti, zit. nach: Michael Duffy, The Englishman and the Foreigner. The English Satirical Print 1600–1832, Cambridge: Chadwyck-Healey, 1986, S. 36. Vgl. David Bindman, How the French became frogs: English caricature and a national stereotype, in: Apollo, 158, August 2003, S. 15–20.
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prägt, dass Anglophilie in Frankreich eine Form politischer Opposition, eine Kritik am eigenen politischen Modell bedeuten konnte.32 Allerdings wurde diese Liebe in Großbritannien selten erwidert, und generell waren negative Einschätzungen des Gegenübers in beiden Ländern häufiger. Paris und London waren im 18. Jahrhundert neben Amsterdam die wichtigsten europäischen Kunstmarktzentren. Dort entstanden die ersten regelmäßigen zeitgenössischen Kunstausstellungen, die den Diskurs über den Gesellschaftsbezug bildender Kunst prägten. In Frankreich kam der Präsentation zeitgenössischer Kunst als Element der absolutistischen Repräsentationspolitik eine bedeutende Rolle zu. In England ermöglichten im Unterschied dazu das geringe kulturelle Engagement des Hofs und die anglikanische Bilderskepsis der bildenden Kunst lange Zeit nur geringe Sichtbarkeit.33 Öffentlichkeitsanspruch für zeitgenössische Kunst zu erheben, bedurfte zuerst der Legitimation durch andere, als bedeutender erachtete Bereiche, wobei sich die Anbindung an die Wohlfahrt als besonders förderlich erwies.34 Kunstkennerschaft blieb in Großbritannien lange Zeit hindurch ein umstrittenes und häufig negativ besetztes Konzept. Die jeweiligen Kunstsysteme in Großbritannien und Frankreich verweisen nicht nur auf unterschiedliche politische Hintergründe, sie stehen auch für einen topografischen Paragone, der zur Bildung des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses beider Länder beitrug. Eine Untersuchung der Kunstöffentlichkeit Englands und Frankreichs in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts findet, polemisch gesagt, in England keine eigenständige Kunst, in Frankreich keine Öffentlichkeit vor:. „[T]o early eighteenth-century English commentators, it seemed that England had a public but no painting, while France had painting but no public“.35 Um die Gegensätze weiter zu bemühen: In beiden Ländern wurden schon früh nationale Museen gegründet, doch während im Musée du Luxembourg und im Louvre historische und zeitgenössische Kunst präsentiert wurden, bestand die Sammlung des British Museum hauptsächlich aus Antiquitäten und naturwissenschaftlichen Objekten. In Frankreich gab es traditionell eine starke höfische Kunsttradition, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit der politischen Vereinnahmung der 1648 gegründeten Académie royale de peinture et de sculpture noch verstärkt wurde. In England gab es unterschiedliche Künstlervereinigungen, doch erst die 1768 gegründete Royal Academy erhob einen der Pariser Akademie vergleichbaren Führungsanspruch. Die meisten Ansätze zur Kunstförderung und -ausbildung geschahen auf Basis privater Initiativen. Dementsprechend ist die Forschung für Frankreich oft auf Institutionen 32 Josephine Grieder, Anglomania in France 1740–1789. Fact, fiction, and political discourse, Genf/ Paris: Droz, 1985; Sarah Maza, Luxury, Morality, and Social Change, in: Journal of Modern History, 69/2, 1997, S. 219–221. 33 Pears 1988, S. 133–139. 34 Solkin 1993, S. 157–213. 35 John Barrell, Rezension von: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985, in: Oxford Art Journal, 9/1, 1986, S. 67.
Geteilte Kulturtopografien | 17
und staatliche Kunstpolitik konzentriert,36 während die englische Situation in der Regel als ein frühes Beispiel einer Konsumgesellschaft beschrieben wird,37 im Einklang mit der traditionellen Zuschreibung der jeweiligen länderspezifischen politischen und industriellen Revolutionen zu Frankreich resp. Großbritannien.38 Es fällt leichter, William Hogarth und Joshua Reynolds als Figuren des Marktes zu interpretieren, als selbst diejenigen französischen Künstler, die sich intensiv selbstständig und unternehmerisch betätigten, wie etwa Jean Baptiste Greuze, Jean-Honoré Fragonard oder Élisabeth Vigée-Lebrun.39 Letztlich jedoch und getreu ihrer dichotomischen Positionierung vereinten das Gegensatzpaar nicht nur wechselseitige Abgrenzung, sondern auch zahlreiche Gemeinsamkeiten und insbesondere ein gemeinsames kunstliterarisches und philosophisches Repertoire. Die umfangreiche Rezeption der englischen und schottischen Philosophie in Frankreich und die Verbreitung der französischen Kunstliteratur in Großbritannien belegen den engen wissenschaftlichen und publizistischen Austausch zwischen beiden Ländern.40 Es erschien daher weder durchführbar noch sinnvoll, die Darstellung englischer oder französischer Publikumskonzepte auf den folgenden Seiten immer streng zu trennen. Den Anfangspunkt unserer Fragestellung bildet das ausgehende 17. Jahrhundert, in dem sowohl in Frankreich als auch in Großbritannien ältere Quellen der italienischen Kunstliteratur adaptiert wurden. In beiden Ländern expandierte der Kunstmarkt, es entstanden Ausstellungen und kunstkritische Publikationsformen. Selbst innerhalb unterschiedlicher Organisationsformen der Bildkünste, mit der Institution der Kunstakademie in Paris zu Beginn, in London erst fast zu Ende des Untersuchungszeitraums, kann von verwandten Fragestellungen ausgegangen werden. Und so wird es im Folgenden nicht um einen strukturellen Vergleich der beiden Kunstsysteme gehen, sondern um die Beschreibung parallel geführter Diskurse, die bis heute Konzeptionen des Gesellschaftsbezugs bildender Kunst geprägt haben: universalistische und liberale, gemeinschafts- und elitenbasierte Vorstellungen von Kunstförderung und Kunstöffentlichkeit. 36 Crow 1985; Andrew L. McClellan, Inventing the Louvre, Cambridge: Cambridge University Press, 1994. 37 Solkin 1993; Ann Bermingham/John Brewer (Hgg.), The Consumption of Culture, 1600–1800. Image, object, text, London (u. a): Routledge, 1995. 38 Hobsbawm 1962, S. xv. Zur Kritik an diesem Modell: Colin Jones/Dror Wahrman (Hgg.), The Age of Cultural Revolutions, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 2002, S. 1–3. 39 Sheriff 1986; Julie-Anne Plax (Hg.), Special Section: Work, Leisure, and Art, in: Eighteenth-Century Studies, 29/2, 1995–96, S. 211–228. Ausnahmen bilden die Arbeiten von Annie Becq: Annie Becq, Expositions, peintres et critiques. Vers l’image moderne de l’artiste, in: Dix-huitième siècle, 14, 1982, S. 131–149; dies., Artistes et marchés, in: Jean-Claude Bonnet (Hg.), La Carmagnole des muses, Paris: Armand Colin, 1989, S. 81–95. Vgl. auch: Jean Chatelus, Peindre à Paris au XVIIIe siècle, Nimes: Editions Jacqueline Chambon, 1991. 40 Vgl. etwa hinsichtlich der Kunstkritik Denis Diderots: Else Marie Bukdahl, Diderot, Critique d’art, Kopenhagen: Rosenkilde & Bagger, 1980–82, II, S. 75–160.
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Kunst, Publikum, Öffentlichkeit Zur Konturierung des, wie eingangs zitiert, „unscharfen“ Begriffs ‚public‘ bieten sich unterschiedliche Modelle an. Die Spezialisierung und Professionalisierung der Bereiche ‚Künstler‘ – ‚Vermittler‘ – ‚Publikum‘ lässt sich mit Niklas Luhmanns Konzept der Ausdifferenzierung des Kunstsystems als gesellschafts- und kommunikationstheoretischer Prozess fassen, als ein Vorgang, der mit jeder Erweiterung auch neue Grenzen setzt. Dabei stellt Luhmann an seine soziologische Theorie „historische[n] Erklärungsanspruch.“41 Ein in der kunsthistorischen Forschung häufiger angewandtes Modell ist Jürgen Habermas’ Strukturwandel der Öffentlichkeit, eine ebenfalls historische und soziologische Relevanz beanspruchende Untersuchung, deren Einfluss nicht zuletzt wegen ihrer verzögerten Rezeption im englischsprachigen Raum über mehrere Jahrzehnte hindurch ungebrochen war. Habermas’ Darstellung der Kunstöffentlichkeit orientiert sich an seiner eigenen Interpretation literarischer Öffentlichkeit als Vorläuferphänomen politisch-emanzipatorischer Öffentlichkeit. Ausgehend vom „Modellfall“ England bezieht er den Markt als konstitutiv für Kunstrezeption und Kunstkritik mit ein: Außerhalb des zeremoniellen Rahmens der feudalen Repräsentationsgesellschaft, „von ihren Funktionen der gesellschaftlichen Repräsentation entlastet“, wurden Kunstwerke, so Habermas, „zum Gegenstand der freien Wahl und der wechselnden Neigung“. Die Zugehörigkeit zur Kunstöffentlichkeit gründete sich auf das Recht zum Kunsturteil, und „im Publikum darf jedermann Zuständigkeit beanspruchen“.42 Mit Pierre Bourdieu ist der Widerspruch zu einer solchen liberalistischen Interpretation von Kunsterfahrung rasch formuliert: Kunsterfahrung ist nach Bourdieu sozial strukturiert, ästhetische Kompetenz ein Distinktionsmerkmal, das nicht nur von Wissen und Zugangsmöglichkeiten zur bildenden Kunst, sondern ebenso von „ästhetische[r] Einstellung“ geprägt ist.43 Dass Jacques Rancière demgegenüber Gleichheit als Grundvoraussetzung ästhetischer Erfahrung und politischen Handelns betont hat, berührt nun zwar die Möglichkeit der Nivellierung jeglichen ästhetischen und politischen Freiraums durch die Hervorhebung sozialer Differenz bei Bourdieu, nicht aber Habermas’ Konzept.44 Angesichts der langen Rezeptionstradition seines Buches hatte Habermas wiederholt Gelegenheit zu Aktualisierungen und Revisionen. So begegnete er anlässlich der Neuausgabe von Strukturwandel der Öffentlichkeit im Jahr 1990 der Kritik am Universalismus seines Öffentlichkeitsbegriffs mit einer pluralistischen Erweiterung auf ‚Öffentlichkeiten‘ und räumte die konstitutive Rolle des Ausschlusses bestimmter gesellschaftlicher Gruppen, insbesondere von Frauen, bei der Entwicklung der 41 Niklas Luhmann, Die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, Bern: Benteli, 1994, S. 8; ders., Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1995. 42 Habermas 1990, S. 102. 43 Pierre Bourdieu, Die Regeln der Kunst, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1999, S. 455. 44 Vgl. Rancière 2002; Rancière 2006.
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bürgerlichen Öffentlichkeit ein.45 Mit der Erosion des Bürgerlichkeitsbegriffs für das französische und britische 18. Jahrhundert in der historischen Forschung ist zuletzt jedoch eine seiner wichtigsten Argumentationslinien zur Schwachstelle geworden. Sarah Maza hat die Übertragung soziologischer Kategorien des 19. und 20. Jahrhunderts auf frühere Jahrzehnte als unzulässig dargestellt.46 Linda Colley hat die große politische und kulturelle Bedeutung der britischen Aristokratie gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft im 18. Jahrhundert betont,47 und Roy Porter hat zur Verdeutlichung einer solchen Interpretation vorgeschlagen, auch das Georgianische Großbritannien als Ancien Régime zu bezeichnen.48 Um Habermas’ politisch-emanzipatorisches Öffentlichkeitsmodell anwendungsfähig zu erhalten, ist es wiederholt durch Rückgriffe auf seine ‚Gegenmodelle‘ erweitert worden. Ein Wuchern an Bachtin’schen Äußerungen – „vulgar, popular, subversive, grotesque and sexual“49 – wurde der rationalen, bürgerlichen Sphäre komplementär zur Seite gestellt. Habermas erwähnte selbst, Bachtin habe ihm die Augen geöffnet für die „innere Dynamik einer Volkskultur“ als „Gegenentwurf[s] zur hierarchischen Welt der Herrschaft“.50 Weder die Existenz noch die Legitimität solcher Äußerungen soll angezweifelt werden (wenngleich die Beschränkung auf das ‚Volk‘ als alleinigen Akteur subversiven, grotesken und vulgären Handelns kurios erscheint), wohl aber die Relevanz solcher Erscheinungsformen für die diskursive Entwicklung des aufklärerischen Öffentlichkeitsmodells. Die Abgrenzung vom Schmutz des Pöbels und der Launenhaftigkeit der Menge diente zur Konturierung und Aufrechterhaltung des positiven Begriffs der (Kunst-)Öffentlichkeit: eine nahtlose Integration in Habermas’ System ist kontraproduktiv. Und so erscheint das Modell des Strukturwandels der Öffentlichkeit zur Übertragung auf die bildende Kunst wenig 45 Habermas 1990, S. 11–50. Zur Kritik an Habermas’ Öffentlichkeitskonzept: Rosalyn Deutsche, Evictions. Art and Spatial Politics, Cambridge/London: MIT Press, 1996, S. 287–289; Craig Calhoun (Hg.), Habermas and the public sphere, Cambridge: MIT Press, 1992; Melton 2001, S. 3–15; aus feministischer Sicht: Joan Landes, Women and the Public Sphere in the Age of the Revolution, Ithaca: Cornell University Press, 1988; zur Kritik an Landes: Dena Goodman, Public Sphere and Private Life. Toward a Synthesis of Current Historiographical Approaches to the Old Regime, in: History and Theory, 31, 1992, S. 1–20. 46 Maza 1997, S. 208–209 sowie dies., The Myth of the French Bourgeoisie, Cambridge/London: Harvard University Press, 2003. Vgl. Colin Lucas, Nobles, Bourgeois and the Origins of the French Revolution, in: Past and Present, 60, August 1973, S. 84–126. Bereits J. G. A. Pocock hat die Verwendung des Begriffs ‚bürgerlich‘ für das 18. Jahrhundert abgelehnt. J. G. A. Pocock, Virtue, Commerce, and History, Cambridge: Cambridge University Press, 1985, S. 258–259. 47 Colley 1992, S. 164–177. 48 Roy Porter, Georgian Britain: An ancien régime?, in: British Journal for Eighteenth Century Studies, 15, 1992, S. 141–144. 49 Markman Ellis, The coffee-women, The Spectator and the public sphere in the early-eighteenth century, in: Elizabeth Eger/Charlotte Grant (Hgg.), Women, Writing and the Public Sphere 1700– 1830, Cambridge: Cambridge University Press, 2001, S. 31. 50 Habermas 1990, S. 17–18 (Kursivierung im Original).
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geeignet; ein Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass Habermas’ Beziehungs- und Kommunikationsmodell in der kunsthistorischen Forschung oft rein operativ, wie als ‚Black Box‘ eingesetzt wird: Die Entwicklung der Öffentlichkeit stellt sich als ein ungreifbarer, gleichsam selbsterklärender Prozess dar, der kaum Berührungspunkte mit dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand aufweist.51 Hinter diesen Anwendungsschwierigkeiten steht ein komplexeres Problem: Bei einer, wie im Eingangszitat so selbstverständlich vorgeschlagenen, Verknüpfung der Geschichte der Kunstöffentlichkeit mit der des großen gemeinsamen Nenners des europäischen 18. Jahrhunderts, der Aufklärung, ergeben sich bald einige Stolpersteine. Es ist fraglich, ob und unter welchen Aspekten der aus einer Textkultur entstandene Begriff überhaupt auf die bildende Kunst übertragen werden kann. Konnten die Künste tatsächlich zu „Medien des Aufklärungsprozesses“ werden?52 Im 18. Jahrhundert wurde dieser Frage einige Aufmerksamkeit gewidmet. Während Francesco Algarotti meinte, dass die Philosophie, die in seinem Zeitalter in alle Wissensgebiete vorgedrungen sei, auch zu einem Richter über die Schönen Künste geworden sei,53 gab es ebenso viele Gegenstimmen, die bildende Kunst – in ihrer Funktion als Imitation der immerwährenden Natur – als außerhalb des Zugriffs der rationalen Erörterung und der Flüchtigkeit gesellschaftlicher Veränderung betrachteten.54 Selbst vonseiten Diderots und d’Alemberts kamen skeptische Äußerungen hinsichtlich der Rolle der bildenden Kunst als Instrument der Geschichte.55 Der aufklärerische Rationalismus schien der imagination créatrice entgegenzustehen, und so erscheint es plausibel, auch Tendenzen der Widerständigkeit der bildenden Kunst gegenüber der Aufklärung zu betonen.56 51 Ein Beispiel dafür: William Ray, Talking About Art: The French Royal Academy Salons and the Formation of the Discursive Citizen, in: Eighteenth-Century Studies, 37/4, 2004, S. 527–552. 52 Herbert Beck/Peter C. Bol/Maraike Bückling (Hgg.), Mehr Licht. Europa um 1770. Die bildende Kunst der Aufklärung, Kat. Frankfurt a. Main, Städelsches Kunstinstitut/Liebighaus, Museum Alter Plastik, München: Klinkhardt & Biermann, 1999, S. 7. Vgl. zur Darstellung des Verhältnisses zwischen Kunst und Aufklärung: Klaus Herding, Im Zeichen der Aufklärung, Frankfurt a. Main: Fischer, 1989; Jutta Held, Monument und Volk. Vorrevolutionäre Wahrnehmung in Bildern des ausgehenden Ancien Régime, Köln: Böhlau, 1990. 53 Francesco Algarotti, Saggio sopra l’architettura, Hg. Ettore Bonora, Opere di Francesco Algarotti e di Saverio Bettinelli (Illuministi Italiani, II), Mailand/Neapel: Ricciardi, 1969, S. 307. 54 Etwa in: [anon.], Lettre pittoresque à l’occasion des Tableaux exposés au Sallon, Paris: [s. n.] [s. a.], S. 10–11. 55 Salon de 1769, Denis Diderot, Salons, Hg. Else Marie Bukdahl, Paris: Hermann 1984–1995, IV, S. 100–101. D’Alembert, Réflexions sur l’usage et l’abus de la Philosophie dans les matières de goût, in: ders., Œuvres complètes, IV, Genf: Slatkine, 1967, S. 326–333. Vgl. Eva Kernbauer, Time goes by ... so slowly: Zyklische Zeitmodelle zu Beginn der Kunstgeschichte, in: Albert Müller (Hg.), Zyklische Zeit, Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 2007/4, S. 8–38, bes. S. 18–24. 56 Thomas E. Crow, La critique des Lumières dans l’art du dix-huitième siècle, in: Revue de l’art, 73, 1986, S. 9–16 (engl.: The Critique of Enlightenment in Eighteenth-Century Art, in: Art Criticism, 3, 1987, S. 17–31).
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Aus dem Dispositiv der Ausstellung, des primären Interaktionssystems zwischen Künstlern und Publikum, ergibt sich eine grundlegende Differenz zu literarischen Publizitätsformen: Diese erlauben die Vorstellung von einer prinzipiell unbegrenzten, ortlosen Öffentlichkeit („non-lieu“ oder „hors-lieu“57), einer „Gemeinschaft ohne sichtbare Präsenz“58. Vergleichbares mag, wenn auch in begrenzterem Ausmaß, auf die Druckgrafik zutreffen, nicht aber auf die Rezeption bildender Kunst in Ausstellungen, deren Ortsgebundenheit und gemeinschaftlichen Charakter die Kommentatoren des 18. Jahrhunderts regelmäßig betonten.59 Allerdings ging diese Ortsgebundenheit, auf die auch die Kunstkritik immer wieder Bezug nahm, mit der Schwierigkeit der Lokalisierung des Publikums als geschlossenes Phänomen einher. Es ist aufschlussreich, dass Thomas Crow seine Untersuchung des französischen Kunstpublikums des 18. Jahrhunderts als einen Versuch beschrieben hat, „to map the expanding public sphere [...] in the later seventeenth and eighteenth centuries“.60 Crows Insistieren auf dem Erbe des 17. Jahrhunderts ist ebenso bedeutend. Häufig beschränken sich Untersuchungen von (Kunst-)Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert auf die zweite Jahrhunderthälfte, geleitet von der Evidenz des Ansturms auf die Ausstellungen und der publizistischen Welle von Periodika, Enzyklopädien, Wörterbüchern und Kunsttraktaten. Doch für das Verständnis von Öffentlichkeitskonzeptionen sind nicht nur diese Phänomene ausschlaggebend. Die Miteinbeziehung des späten 17. und des frühen 18. Jahrhunderts dient nicht nur der Schließung einer zeitlichen Lücke, sondern ermöglicht, die Anpassungsfähigkeit der absolutistischen und feudalen Ordnung deutlicher zu sehen und den Blick auf das grundlegende Erbe des Öffentlichkeitsdiskurses des Grand Siècle zu erweitern. Der Grundstein für die Entwicklung von Publikumstheorien wurde in Frankreich zwischen 1675 und 1735 gelegt.61 In diesen Jahren konkretisierte sich die diskursive Konstruktion der Kunstöffentlichkeit, die in den folgenden Jahrzehnten immer wieder problematisiert wurde. Viele Komplexitäten des Begriffs werden erst verständlich, wenn man ältere Positionen mitdenkt, die im Diskurs des 18. Jahrhunderts konkretisiert oder angepasst wurden. ‚Öffentlichkeit‘ entstand nicht als bürgerliches Gegengewicht zum Absolutismus oder als Ausgleich zwischen den Interessen von Staat und Gesellschaft, 57 Arlette Farge, Dire et mal dire. L’opinion publique au XVIIIe siècle, Paris: Editions du Seuil, 1992. 58 Chartier 1995, S. 46. 59 Zu diesem Punkt: Suzanne Rodin Pucci, The Spectator Surfaces: Tableau and Tabloid in Marivaux’s Spectateur français, in: Yale French Studies, 92, 1997, S. 149–170. 60 Crow 1985, S. 255 (meine Hervorhebung). 61 Albert Dresdner, Die Entstehung der Kunstkritik im Zusammenhang der Geschichte des europäischen Kunstlebens, München: F. Bruckmann, 1915, Repr. Dresden: Verlag der Kunst, 2001. Zur Bedeutung der ersten Jahrhunderthälfte vgl. Remy G. Saisselin, Taste in Eighteenth Century France, Syracuse: Syracuse University Press, 1965; Annie Becq, Genèse de l’esthétique française moderne 1680–1914, Paris: Albin Michel, 1994, S. 7–11. Werner Krauss beschreibt, Erich Auerbach folgend, die Entstehung des Geschmacks als Ergebnis der Entstehung einer neuen Gesellschaftlichkeit aus Bürgertum und Aristokratie im frühen Absolutismus. Vgl. Werner Krauss, Die Innenseite der Weltgeschichte, Leipzig: Reclam, 1983, S. 84.
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sondern umfasst sehr unterschiedliche Konzeptionen, und wurde gerade von der politischen Theorie des Absolutismus bedeutend geprägt.62 Wie Brian Cowan bemerkt hat, läuft die Erfolgsgeschichte des Öffentlichkeitsbegriffs Gefahr, den ubiquitären Topoi der „ever rising middle class“ und „alwaysseparating masculine and feminine spheres“ zu folgen.63 Einen Ausweg aus dieser Problematik bietet der Vorläuferbegriff ‚Publikum‘, der sich sowohl im Englischen wie auch im Französischen plausibel aus der Polysemie des Wortes ‚public‘ ergibt. Der Bezug auf den Publikumsbegriff erschließt eine lange Tradition, die zuerst Erich Auerbach erarbeitet hat.64 Mit seiner Untersuchung des französischen Theaterpublikums des 17. Jahrhunderts beschrieb Auerbach eine historische Phase, in der neben den traditionellen Bezeichnungen ‚lecteurs‘, ‚spectateurs‘, ‚auditeurs‘, ‚assemblée‘ erstmals umfassende Begriffe für das Publikum gebraucht werden, und zwar ‚la cour et la ville‘ und ‚le public‘, eine soziologisch schwer fassbare, urban geprägte Bildungsallianz aus Aristokratie und Bürgertum mit eigenen kulturellen Regeln und Begrifflichkeiten, in Distanz von der sogenannten ‚Volkskultur‘. Die Interpretation eines, wie im Eingangszitat formulierten, Übergangs kultureller Dominanz von ‚la cour‘ zu ‚la ville‘ erlaubt Auerbachs Darstellung (die ja auch im 17. Jahrhundert verbleibt) gar nicht erst. Stattdessen ergibt sich das Bild der Verschmelzung von Hof und Stadt zu Ende des 17. Jahrhunderts in „parasitäre[r] Funktionslosigkeit und im Bildungsideal“.65 Neben dieser Vorstellung, die mit Blick auf die oben dargelegte fortwährende Bedeutung der Aristokratie im 18. Jahrhundert durchaus auch für spätere Jahrzehnte Berechtigung beanspruchen darf, beinhaltet Auerbachs Publikumsbegriff noch weitere bedeutende Aspekte. Er schließt Kunstrezeption als soziale Praktik mit ein – ein Modell, das für den Umgang mit bildender Kunst im 18. Jahrhundert unverzichtbar ist –, und er öffnet den Blick für die Bedeutung des Theaters und der Theaterliteratur für die Entwicklung von Kunstpublikumsmodellen, die im Folgenden immer wieder deutlich werden wird. Doch wie verhalten sich Publikums- und Öffentlichkeitsmodelle zueinander? ‚Public‘ bezeichnete zunächst im Englischen wie im Französischen, in Ableitung vom lateinischen ‚publicus‘, das Gemeinwohl, die Gesamtheit des Volks. In beiden Sprachen wurde ‚Öffentlichkeit‘ entlang der naturrechtlichen Theorien des 17. Jahr62 Dazu aus sehr unterschiedlichen Perspektiven: Keith M. Baker, Politics and Public Opinion under the Old Regime. Some Reflections, in: Jack R. Censer/Jeremy D. Popkin (Hgg.), Press and Politics in Pre-Revolutionary France, Berkeley: University of California Press, 1987, S. 204–246; Louis Marin, Le portrait du roi, Paris: Les Éditions de Minuit, 1981 (dt.: Das Porträt des Königs, Berlin: Diaphanes, 2005). 63 Brian Cowan, What was masculine about the Public Sphere? Gender and the coffeehouse milieu in post-Restoration England, in: History Workshop Journal, 51, 2001, S. 127–157. 64 Erich Auerbach, Das französische Publikum des 17. Jahrhunderts, München: Hueber, 1933; Erich Auerbach, La cour et la ville, in: ders., Vier Untersuchungen zur Geschichte der französischen Bildung, Bern: Francke, 1951, S. 12–50. 65 Auerbach 1933, S. 45.
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hunderts als politisch-staatliche Kategorie entwickelt. Im 18. Jahrhundert erfuhr der Begriff eine Aktivierung: Er bezeichnete nun nicht mehr nur den „Geltungsbereich staatlicher Autorität, sondern zugleich den geistigen und sozialen Raum, in dem diese sich legitimieren und kritisieren lassen muss“.66 Die historische Forschung zeigt die Komplexität dieses Prozesses. Das britische System der Gewaltenteilung erlaubte die Verwendung des Begriffs ‚public opinion‘ als ethisches und politisches Bezugssystem bereits in den 1720er- und 1730er-Jahren.67 Im Französischen entstand dessen explizit politischer Gebrauch erst in den 1760er-Jahren (‚opinion publique‘). Keith Michael Baker hat die Übertragung politischer Autorität vom königlichen Souverän auf die Instanz der Öffentlichkeit in den 1770er- und 1780er-Jahren beschrieben,68 doch lange zuvor war diese ein „fiktiver Partner“69, der als unfehlbarer Adressat und Richter angerufen werden konnte. Die Publikumstheorien des Grand Siècle stellten für die nachfolgende theoretische Entwicklung einen wichtigen Impuls dar.70 Peter Bürger hat gezeigt, wie die heftigen Auseinandersetzungen um die Qualität eines Kunstwerks in der französischen Klassik zur Etablierung des Publikumsbegriffs beigetragen haben.71 Ein bekannter Anlassfall war die ‚Querelle du Cid‘, der Streit um die Qualität von Corneilles Theaterstück El Cid, dessen Erfolg beim zeitgenössischen Publikum in krassem Gegensatz zur scharfen Kritik durch die Académie française stand. Wie Peter Bürger dargelegt hat,72 wurde im 17. Jahrhundert das Publikum immer dann – punktuell – angerufen, wenn Künstler ihre Werke gegen Kritik verteidigen wollten. Bereits Richelets Dictionnaire François erwähnte den Topos vom Richteramt des Publikums: „Quelque décrié que soit le public, il n’y a pas un juge plus incorruptible, & tot ou tard il rend justice.“73 Doch erst im frühen 18. Jahrhundert wurde das Publikum als Instanz der Kunstöffentlichkeit zu einem prinzipiell verpflichtenden, allgegenwärtigen Konzept. Entlang dieser Linie wird im Folgenden die Grenze zwischen den Übersetzungen von ‚public‘ ins Deutsche gezogen, die ja aus den englisch- und französischsprachigen Quellen nicht hervorgeht: Das Publikum als eine punktuell auftauchende, an66 Lucian Hölscher, Öffentlichkeit, in: Otto Brunner (u. a., Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, IV, Stuttgart: Klett-Cotta, 1978, S. 438. 67 J. A. W. Gunn, Beyond Liberty and Property. The Process of Self-Recognition in Eighteenth-Century Political Thought, Kingston/Montreal: McGill-Queen’s University Press, 1983, S. 261–267. 68 Baker 1987; Keith Michael Baker, Inventing the French Revolution, Essays on French Political Culture in the Eighteenth Century, Cambridge: Cambridge University Press, 1990. 69 Hölscher, Öffentlichkeit, in: Brunner 1978, S. 435. 70 Vgl. grundlegend: Bernadette Fort, Théorie du public et critique d’art, in: Studies on Voltaire and the eighteenth Century, 265, 1989, S. 1485–1488. 71 Peter Bürger, Zur Auffassung des Publikums bei Du Bos und Desfontaines, in: ders., Studien zur französischen Frühaufklärung, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1972, S. 44–68. 72 Bürger 1972, S. 46. 73 Pierre Richelet, Dictionnaire françois contenant les mots et les choses, Genf: Jean Herman Widerhold, 1680, S. 229–230.
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rufbare Rezipientengruppe ebenso wie als ideale Urteilsinstanz; Öffentlichkeit als ein geschichtsphilosophisches und gesellschaftliches Phänomen, in dem die Konzeption des Publikums weitergeführt wird. Die Begriffsgeschichte des deutschen ‚Publikum‘ kann nicht zur Klärung herangezogen werden, da dieses Lehnwort aus dem Französischen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Verwendung kam. Dieses Buch geht nicht von einem harmonischen Übergang von Publikums- zu Öffentlichkeitskonzepten aus, sondern behandelt Momente einer Konfrontation: Im 18. Jahrhundert traf der traditionelle Publikumsbegriff, mit allen ihm zugeschriebenen Funktionen und Eigenschaften, auf eine konkret sichtbar werdende Gruppe von Ausstellungsbesuchern und auf einen zunehmend politisch geprägten Begriff von Öffentlichkeit. Die Funktionen, die dem Publikum zugewiesen wurden, wechselten dabei immer wieder. Wenn im 18. Jahrhundert von ‚enlightened public‘ oder ‚public éclairé‘ die Rede war, dann ist es oft schwierig, die Grenzen zwischen höflicher Leerformel, Euphemismus, Ironie und oratio pro domo richtig zu lesen. Im fortschreitenden Jahrhundert verfestigte sich der Begriff zu einem schier unangreifbaren Dispositiv, dessen vermeintliche Stabilität tiefgreifende Unterschiede und gesellschaftliche Brüche verdeckte. Diese konfliktreiche Situation für den Bereich der bildenden Kunst darzustellen, ist das Anliegen dieses Buches. Aus dem hier präsentierten Bild- und Textmaterial ist nicht direkt auf gesellschaftliche Realität zu schließen, schon allein deshalb, da das Interesse an Kunstöffentlichkeit im 18. Jahrhundert gar nicht unbedingt darin bestand, ,Realität‘ zu zeigen, sondern bestimmte gesellschaftliche Utopien und Dystopien, Befürchtungen und Ideale. Dabei wird nicht nur der Einfluss politischer, moralphilosophischer und gesellschaftstheoretischer Schriften greifbar, sondern auch die große Bedeutung der Ästhetik, der Kunstbetrachtung und der Kulturtheorie im Denken der Aufklärung.
1. Kennerschaft: Ent- und Verschlüsselung der Malkunst Die Entdeckung des Wissens „Et vous, Peintres sçavans, heureux depositaires. Des secrets de la Nymphe & de ses saints mysteres. Dont par votre discours, & les traits de vos mains. se répand la lumiere au reste des humains [...]“.1
Mit diesen Worten wandte sich Charles Perrault 1668 an die Künstler der Pariser Académie royale de peinture et de sculpture.2 Diese waren allerdings noch weit davon entfernt, sich als „peintres sçavans“ und ihre Kunst als eine Wissensform zu verstehen, die ebenso in Worte wie in Werke zu fassen gewesen wäre, und so hatten die Schüler der Académie in deren Anfangsjahren allen Grund, sich über ihre „professeurs muets“ zu beschweren.3 Perrault drückte ein Anliegen der absolutistischen Kunstpolitik aus, der die Académie seit Kurzem in Person ihres vice-protecteur Jean-Baptiste Colbert unterstellt war – eine protection, deren weitreichende Folgen nicht zuletzt sein Auftritt vor dem Plenum belegte.4 Zwar befand sich die Acadé1 Charles Perrault, La Peinture, in: ders., Recueil de divers ouvrages en prose et en vers dédié à son altesse Monseigneur le Prince de Conti, Hg. Jean Le Laboureur, Paris: Jean Baptiste Coignard, 1675, S. 203. 2 Die Pariser Académie nahm auch Frauen auf, allerdings waren diese nicht mit den gleichen Stimmund Amtsrechten ausgestattet wie ihre männlichen Kollegen (Vgl. Kapitel 6, Abschnitt „Die Freiheit der Kunst“). Diese 15 Künstlerinnen nahmen zwar an den Ausstellungen teil, nicht aber an den Sitzungen der Académie und sie bekleideten auch keine ihrer Ämter. Daher muss zwischen den männlichen Akademikern und den Künstlern und Künstlerinnen der Akademie unterschieden werden. 3 Emmanuelle Delapierre/Cécile Krings (Hgg.), Rubens contre Poussin. La querelle du coloris dans la peinture française à la fin du XVIIe siècle, Kat. Arras, Musée des beaux-arts/Épinal, Musée départemental d’art ancien et contemporain, Gent: Ludion, 2004, S. 74. Zum Problem des ‚gelehrten Künstlers‘: Holert 1999. 4 Zur Geschichte der Académie im 17. Jahrhundert: Crow 1985, S. 23–39; June Hargrove (Hg.), The French Academy. Classicism and its Antagonists, London/Toronto: Associated University Presses, 1990; Thomas Kirchner, L’expression des Passions, Mainz a. Rhein: von Zabern, 1991, S. 10–19; Bernard Teyssèdre, Roger de Piles et les débats sur le coloris au siècle de Louis XIV, Paris: La Bibliothèque des arts, 1965, passim; Jacques Thuillier, Académie et classicisme en France. Les débuts de l’Académie royale de peinture et de sculpture (1648–1663), in: Stefano Bottari (Hg.), Il mito del classicismo nel seicento, Messina: D’Anna, 1964, S. 181–209; Antoine Schnapper, Les débuts de l’Académie royale de peinture et de sculpture, in: ders., Le métier de peintre au Grand Siècle, Paris: Gallimard, 2004, S. 114–153; Louis A. Olivier, Curieux, Amateurs and Connoisseurs. Laymen and the Fine Arts in the Ancien Régime, Dissertation, Baltimore, Johns Hopkins University, 1976, S. 54–139. In der Bewertung der „Aufwertung der Académie bei gleichzeitiger politischer Vereinnahmung“ (Kirchner 1991, S. 11) gibt es große Differenzen. Während Schnapper
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mie seit ihrer Gründung im Jahr 1648 unter königlich-staatlicher Schirmherrschaft, doch dies hatte das traditionell korporatistische Selbstverständnis der Akademiker zunächst nicht grundlegend verändert. Die Unterstützung der Krone galt in den ersten Jahren nur hinsichtlich des juristischen Status der Académie. Finanziell war sie weitestgehend auf sich, d. h. auf die Finanzmittel ihrer Mitglieder, gestellt.5 Und so hatte die junge Académie royale von Beginn an erhebliche Schwierigkeiten, ihre Existenzberechtigung gegenüber der Zunftorganisation (Maîtrise) zu verteidigen, die in prompter Reaktion eine eigene Académie de Saint-Luc hervorbrachte. Ihre faktische Ohnmacht drückte sich im Zusammenschluss mit der Académie de Saint-Luc in den Jahren 1651 bis 1654 aus, wobei die Akademiker dem Werkstattgeheimnis der Maîtrise „die Prinzipien von Publizität und Diskursivität der künstlerischen Produktion“ entgegenhalten konnten.6 In diesen Jahren der erzwungenen Opposition geschah ein erster Schritt zur Identitätsfindung der königlich-akademischen Künstler, in der die Verteidigung bildender Kunst als akademisch vermittelbare Wissenschaft und ihre Zugehörigkeit zu den freien Künsten eine wichtige Rolle spielten.7 Doch erst mit Colberts Neuorganisation der akademischen Strukturen ab 1664 war der Schritt in den Raum „totaler Sichtbarkeit, [...] absoluter Repräsentierbarkeit“8 der absolutistischen Kunstpolitik getan: Die Académiciens waren nun programmatisch der Beurteilung durch Nichtkünstler ausgesetzt und so begann, unterstützt von der Konzeption der bildenden Kunst als Wissenschaft, die Konzeption des Kunstpublikums auch als epistemologische und ästhetische Kategorie. Perraults eingangs zitierter Aufruf an die Akademiker drückte einen Paradigmenwechsel in der Beschreibung künstlerischer Kompetenz aus. Dies zeigt ein Vergleich mit einem etwa zeitgleich entstandenen Gedicht Molières, La Gloire du Val-de-Grâce, das mit Pierre Mignard einen Künstler pries, der sich als Nichtakademiker gewis-
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die Anbindung der Académie an die Krone als Emanzipierungsleistung der Künstler von der Maîtrise interpretiert, bezeichnet Teyssèdre diese als Knechtschaft („servitude“, Teyssèdre 1965, S. 44). Auch Martin Warnke sieht mit der systematischen Regelung der Kunstämter durch die königlichen Kunstakademien eine Verengung der den Künstlern zuvor zur Verfügung gestandenen „Vermittlungs- und Zugangswege“. Vgl. Martin Warnke, Hofkünstler. Zur Vorgeschichte des modernen Künstlers, Köln: DuMont, 1996, S. 140. In den Anfangsjahren sprangen etwa Louis Testelin und Claude Vignon mit privaten Finanzmitteln ein. Louis Vitet, L’Académie royale de peinture et de sculpture, Paris: Michel Lévy frères, 1861, S. 89–100. Germer 1987, S. 348. Zur Geschichte der Académie de Saint-Luc: Jules-Joseph Guiffrey, Histoire de l’Académie de Saint-Luc (Archives de l’art français, IX, 1915), Repr. Paris: De Nobele, 1970. Zum Prozess dieser Nobilitierung: Louis A. Olivier, The Case for the Fine Arts in Seventeenth-Century France, in: Australian Journal of French Studies, XVI, 1979, S. 377–388; Paul Oskar Kristeller, Das moderne System der Künste, in: ders., Humanismus und Renaissance, II, Philosophie, Bildung und Kunst, Hg. Eckhard Kessler, München: Fink, 1976, S. 164–206; Rudolf Wittkower, The Artist and the Liberal Arts, in: Eidos, I, 1950, S. 11–17. Marin 2005, S. 121.
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sermaßen außerhalb der Rhetorik der Académie befand. Und so durfte der Maler schweigen – sein Pinsel sprach an seiner Stelle: „Tu te tais, et prétends que ce sont des matières . Dont tu dois nous cacher les savantes lumières,. Et que ces beaux secrets, à tes travaux vendus, . Te coûtent un peu trop pour être répandus.. Mais ton pinceau s’explique, et trahit ton silence; . Malgré toi, de ton art il nous fait confidence;. Et, dans ses beaux efforts à nos yeux étalés,. Les mystères profonds nous en sont révélés.“9
Die Malerei war eine „école ouverte“, eine nicht nur Kennern, sondern allen sichtbare, erfahrbare Kunst. Doch das ihr zugrunde liegende Können blieb selbst diesen ein Geheimnis, nicht weil es verborgen, sondern weil es unwiederholbar, unvermittelbar war: „Et ce sont des secrets qui ne s’apprennent point.“10 Während Perrault mit ihrer Wissensbasiertheit die allgemeine Zugänglichkeit der Künste darlegte, blieben bei Molière die Wurzeln der Kunst außerhalb der Reichweite eines solchen Zugriffs. In dieser Differenz war ein grundlegendes Distinktionsmerkmal der Académie royale formuliert, Auszeichnung und Verpflichtung zugleich, die sie nur zögernd in voller Konsequenz erfasste und umsetzte. Mit dem Erstarken der königlichen Macht Ludwigs XIV. gewann auch die Position der Académie an Sicherheit. Ab 1662 bekam sie eine jährliche Zuwendung vom König, ihre Professoren und Rektoren Pensionen, zusätzliche Mittel wurden für die Ausschreibung von Preisen zur Verfügung gestellt. 1663 verfügte Colbert den Beitritt aller brevetés zur Académie, die nun hierarchisch strukturiert und ihrem viceprotecteur direkt unterstellt wurde.11 Zu Beginn des Jahres 1664 erhielt die Académie das Monopol für die Abhaltung von Zeichenklassen vor dem lebenden Modell, das ihr einen bedeutenden Vorteil gegenüber der Zunft und anderen Konkurrenten verschaffte.12 9 Molière, La Gloire du Val-de-Grâce, in: ders., Œuvres complètes, Hg. Georges Couton, Paris: Gallimard, 1971, II, S. 1187. 10 Ebd., II, S. 1191. 11 Dieser Beitritt betraf in etwa 50 Künstler (verzeichnet in Vitet 1861, S. 332–336). Die akademische Hierarchie wurde schon bald kritisiert und ebenso heftig verteidigt. Simon Jaillot, der vermeintliche Verfasser eines kritischen Pamphlets der 1670er-Jahre, bezahlte seinen Konflikt mit dem Akademiedirektor Charles Le Brun mit einem mehrmonatigen Aufenthalt in der Bastille, einer Geldstrafe, und einer fünfjährigen Verbannung aus Paris (André Fontaine, Académiciens d’autrefois, Paris: H. Laurens, 1914, S. 115–143; ENSBA Archives, MS 48, VII, S. vii). Vgl. einen frühen Eintrag in den Akten der Académie zu einer „libelle offencif, quy a caussé du trouble en la Compagnie“: Anatole de Montaiglon (Hg.), Procès-verbaux de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture (1648–1792), Paris: Baur, 1875–1909, I, S. 84–85. 12 Die Aktivitäten der Académie de Saint-Luc wurden bis 1705 unterbunden, als sich die Maîtrise für eine hohe Gebühr ihre Zulassung als Kunstschule zurückkaufte. Die Académie setzte dieses Mono-
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Die Aufnahmestücke der neuen Mitglieder illustrierten den engen Herrscherbezug ebenso wie die neue Nobilitierung von Malerei und Skulptur: „Le tableau de M. Montagne, donné en 1663, est sur les avantages de la peinture et de la sculpture [...]. Le tableau de M. de Sève le jeune [...] représente le Temps qui découvre la Peinture et la Sculpture dans la conjonction de la paix des Pyrénées. Le tableau de M. Yvart [...] est à la gloire particulière de la sculpture, et réciproquement le bas-relief de M. Magnier le père, [...] est à la gloire particulière de la peinture [...]. [...] En 1664, M. Vignon fit l’éloge de ces deux talents dans son tableau qui a pour sujet les prix que le roi fait distribuer dans l’Académie. M. Loir, dans le tableau [...] qu’il donna en 1666, représente la Peinture et la Sculpture découvertes par le Temps. Le bas-relief de M. Hutinot, donné en 1667, traite le même sujet.“13
Diese Bilder gingen in die Kunstsammlung der Académie ein und waren, soweit es ihre wachsende Zahl erlaubte, in den Versammlungsräumen ausgestellt. Die Académie schuf einen Grundstock an Werken, die ihre eigene raison d’être repräsentierten: die Nobilitierung der Künste und die Glorifizierung des Herrschers. Stefan Germer hat anhand der Entwicklung der Kunsttheorie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts illustriert, wie die Machtbündelung der Académie ihren Öffentlichkeitsbezug ausweitete. Auch außerhalb der Institution verfasste kunsttheoretische Texte waren bereits in den 1640er- und 1650er-Jahren häufig der Académie gewidmet.14 Doch entgegen den eingangs zitierten Worten Charles Perraults kamen die Akademiker ihrer neuen Aufgabe als Wissensproduzenten und -vermittler nur langsam nach. Die Befürworter theoretischer Diskussionen innerhalb der Académie waren in der Regel Laien, jene „particuliers que les Académiciens avaient introduits par civilité dans leur assemblée“,15 und damit blieb auch die theoretische Konzeption der Kennerschaft fast gänzlich diesen selbst überlassen. Zugeständnisse an Laien gewährte die Académie nur als einzeln verhandelte Privilegien, und so war deren Zugang ex negativo, als Ausnahme innerhalb eines generellen Zutrittsverbots, formuliert: „Nul ne sera présant aux deslibérations de l’assempol auch gegen ihren ehemaligen Professor Abraham Bosse ein, der nach seinem Ausschluss aus der Académie 1661 eine eigene Zeichenschule gegründet hatte. Vgl. Sophie Lambert/Maxime Préaud (Hgg.), Abraham Bosse. Savant graveur. Tours, vers 1604–1676, Paris, Kat. Paris, Bibliothèque nationale de France/Tours, Musée des Beaux-Arts, Paris: Bibliothèque nationale, 2004, S. 69–70. Bosse war einer der wenigen kunsttheoretisch tätigen Akademiker gewesen, und so enthält seine 1649 publizierte Schrift Sentimens sur la distinction des diverses manières de peinture, dessein et graveure, et des originaux d’avec leurs copies (Paris: A. Bosse, 1649) auch eine Geschmackshierarchie, in der die ästhetische Kompetenz der Künstler als privilegiert dargestellt wird. 13 Louis Dussieux (u. a.), Mémoires inédits sur la vie et les ouvrages des membres de l’Académie royale de peinture et de sculpture, Paris: F. de Nobele, Réimpression 1968, II, S. 81–82. Zur Kunstsammlung der Académie: Cathrin Klingsöhr, Die Kunstsammlung der Académie Royale de Peinture et de Sculpture in Paris, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte, 49, 1986, S. 556–578. 14 Germer 1987, S. 338–339. 15 Guillet de Saint Georges, zit. nach Delapierre/Krings 2004, S. 76.
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1 [Anon.], Die Werkzeuge des Stechers, in: André Félibien, Des principes de l’architecture, de la sculpture, de la peinture et des autres arts qui en dépendent, Paris: Coignard, 1690, S. 395, Paris, BN.
2 [Anon.], Die Werkzeuge des Malers, in: André Félibien, Des principes de l’architecture, de la sculpture, de la peinture et des autres arts qui en dépendent, Paris: Coignard, 1690, S. 421, Paris, BN.
blée, s’il n’est du Corps de l’Académie, ou qu’elle les ay resçeus comme Bienfacteurs ou amateurs de Peinture et Sculpture.“16 Neben dem ‚Corps de l’Académie‘ stand die zunächst nicht reglementierte und sprachlich nur schwer fassbare Gruppe der „personnes curieuses quy y seront par eux introduites“.17 Erst Colbert wertete den Status der Laienmitglieder zu den stimmberechtigten, und so den Künstlern gleichgestellten ‚conseillers honoraires‘ auf. Dieser Ehrentitel war nicht nur dem Vorbild der römischen Accademia di San Luca nachempfunden, wo seit 1617 ‚accademici d’onore‘ aufgenommen wurden, sondern fand auch in anderen Staatsgremien im absolutistischen Frankreich Verwendung.18 Dieser staatsnahen Interpretation entsprach Colberts Ernennung von Vertrauenspersonen – Gédéon Berbier du Metz 1663, 16 Montaiglon 1875–1909, I, S. 1. 17 Ebd., I, S. 7 (Statuten von 1648). Der Begriff ‚amateur‘ als Bezeichnung eines Liebhabers der bildenden Kunst war zu diesem Zeitpunkt noch neu; in diesem Sinne erscheint er erstmals in der vorläufigen Ausgabe des Wörterbuchs der Académie française 1687. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist der Begriff unmittelbar verständlich. Vgl. Charlotte Guichard, Les Amateurs d’Art à Paris dans la seconde moitié du XVIIIe siècle, Dissertation, Paris-I, Sorbonne, 2005, S. 12–14, 150–159. Zur Verwendung der Bezeichnungen collectionneurs, curieux, amateurs, connaisseurs im 17. und 18. Jahrhundert: Olivier 1976, S. 21–53. 18 Der Titel war etwa für Grand Conseil, Grand-Chambre, la Cour des Aides, Châtelet etc. gebräuchlich.
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Charles Perrault 1665 und André Félibien 1667 – zu den ersten ‚amateurs honoraires‘, die die Académiciens berechtigterweise als Organe der absolutistischen Kontrolle empfanden.19 Denn auch wenn die Akademiker selbst wenig kunsttheoretische Eigeninitiative zeigten, wollten sie die Entscheidungshoheit über Fragen ‚ihrer‘ Künste behalten. Als Colbert 1667 den historiographe du roi André Félibien mit der Herausgabe der theoretischen Diskussionen der Académie beauftragte, kam es zum ersten offenen Konflikt. Obwohl er zum conseiller honoraire der Académie ernannt worden war, galt Félibien als Vertreter der Administration und wurde nicht nur von seinem Konkurrenten Henri Testelin, dem von Colbert übergangenen Sekretär der Académie, sondern auch von ihrem Direktor Charles Le Brun mit Misstrauen betrachtet. Nur über die nachdrückliche Protektion Colberts war Félibiens Herausgeberschaft des ersten Teils der Conférences durchsetzbar, und bei diesem außerhalb der Académie publizierten Band blieb es auch.20 Und auch inhaltlich wurden rasch Unterschiede in der Handhabung künstlerischen Wissens sichtbar: Anstelle eines didaktischen Regelwerks verfasste Félibien einen kunsttheoretischen Text, der über die Wiedergabe der conférences hinausging. Später, im Rahmen seiner Publikation Des principes de l’architecture, de la sculpture, de la peinture, beklagte Félibien „la difficulté de trouver beaucoup de ces habilles hommes dans tous les Arts dont l’on parle, avec lesquels on puisse aisément s’entretenir. Car bien souvent [...] on trouve des gens ignorans ou bizarres, qui au lieu de respondre aux demandes qu’on leur fait, & parler sincerement du mestier dont ils se meslent, disent des choses toutes contraires à ce qu’on desire sçavoir, & souvent par malice déguisent la vérité qu’on recherche. Dans quelques rencontres, j’ai trouvé de ces derniers, dont les uns pour faire un grand mystère de quelque maniere particuliere de travailler, faisoient des contes ridicules; & d’autres qui cachoient des outils & des machines communes & ordinaires qu’ils ne vouloient pas laisser voir.“21
Die Künstler selbst befand Félibien als wenig kooperativ, und so bezeugen die im Band versammelten Illustrationen einen Akt der „Enteignung und Verschriftlichung“22 künstlerischen Wissens (Abb. 1–2): Die Künstler sind beiseite geschoben, ihre Werkzeuge dem Blick der Leser freigegeben. Das Atelier wird als Ort präsentiert, an dem die künstlerischen „lumières“ gesammelt, geordnet und bewertet werden können. Ähnliches unternahm Roger de Piles, als er Staffelei und Farbbehältnis des Malers, mit Maßen versehen und beschriftet, in seiner Publikation Les premiers éléments de la peinture pratique (1684) abbildete. Später, als einflussreiches Amateurmitglied der Académie, konnte er mit Humor auf sein erfolgreiches Eindringen in das Heiligtum („Sanctu19 Germer 1987, S. 354; Olivier 1976, S. 54–139. 20 Zum Konflikt im Detail: Germer 1987, S. 379–384; Teyssèdre 1965, S. 121–126. 21 André Félibien, Des principes de l’architecture, de la sculpture, de la peinture et des autres arts qui en dependent, Paris: Coignard, 1676, Préface, n. p. 22 Germer 1987, S. 432.
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aire“) künstlerischen Wissens zurückblicken,23 doch der Weg in die Welt künstlerischen Wissens war für beide Autoren mühsam und nur in kleinen Schritten möglich. In seiner ersten kunstliterarischen Publikation De l’origine de la peinture (1660) hatte sich Félibien betont vorsichtig ausgedrückt, auf seine Dankesschuld gegenüber den Künstlern und ihren Werken verwiesen und sich dagegen verwehrt, diese belehren zu wollen. Diese Respektsbekundung wiederholte er wörtlich noch 1666 im ersten Band der Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes,24 doch nun war dies kaum mehr als eine rhetorische Geste. Zwar wehrte der Erzähler mit einigen Höflichkeitsformeln die Bitte seines wissbegierigen Gegenübers Pymandre ab, mehr über die Malerei zu erzählen. Die folgenden dreihundert Seiten und vier weiteren Bände der Entretiens allerdings lösten Pymandres Bitte sehr ausführlich ein. Seinen diplomatischen Formulierungen zum Trotz entwickelte Félibien aus dem Grundsatz der Malerei als Wissenschaft das Recht und die Befähigung zur Laienkennerschaft. Die praktische Ausführung der Malerei verbleibe zwar bei der Kompetenz der Maler, doch auch Nichtkünstler verstünden deren höherstehenden theoretischen Teil, dessen Prinzipien nicht nach feststehenden Regeln zu vermitteln seien, sondern alleine durch „la lumière de la raison“.25 Nachdem seine Mitarbeit am akademischen Projekt an den unterschiedlichen Auffassungen seiner Definition gescheitert war, entwickelte Félibien seine Entretiens nach und nach zu einem umfassenden theoretischen Alternativprojekt zu den Conférences. Die ‚Gespräche‘ handelten nicht nur von Leben und Werken der berühmtesten Maler, wie ihr Titel ankündigte, sondern enthielten immer umfangreichere kunsttheoretische Abhandlungen.26 „Il est donc vray qu’il y a un Art tout particulier qui est détaché de la matière & de la main de l’Artisan, par lequel il doit d’abord former ses Tableaux dans son esprit, & sans quoy un Peintre ne peut faire avec le pinceau seul un ouvrage parfait“,27
hatte Félibien schon im Vorwort der Conférences geschrieben. Die Kunst der Malerei stellte sich für ihn als eine Disziplin dar, die im didaktischen Gespräch verhandelt und vermittelt wurde. Schon im ersten Band der Entretiens machte er deutlich, dass er sich an die „Gens de lettres, aussi-bien qu’à ceux qui veulent en faire profession“, 23 Roger de Piles, Abregé de la vie des peintres avec des Réflexions sur leurs ouvrages et un traité du peintre parfait, de la connoissance des desseins, & de l’utilité des estampes (1699), Hildesheim: Olms, 1969, S. 94–95. 24 André Félibien, De l’origine de la peinture et des plus excellens peintres de l’Antiquité, Paris: Pierre le petit, 1660, S. 9. Vgl. ders., Entretiens sur les vies et sur les ouvrages des plus excellens peintres anciens et modernes, Paris: Trevoux, 1725, I, S. 98. Der erste Band der Entretiens ist im Grunde eine nach dem Fall Fouquets Colbert gewidmete Neufassung von De l’origine de la peinture. 25 Ebd., I, S. 26. 26 Germer 1987, S. 391–392. 27 André Félibien, Conférences de l’Académie Royale de Peinture et de Sculpture pendant l’année 1667, Paris: Frédéric Leonard, 1669, Préface, n. p.
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an Laien und Künstler gleichermaßen, wandte. Auch für Maler sei die theoretische Auseinandersetzung grundlegend, sie könnten von Gesprächen mit Nichtkünstlern profitieren.28 Nicht nur Félibiens Adressatenkreis war erweitert, sondern auch der Kreis der Quellen, aus denen er sein Wissen geschöpft hatte. Der Autor vereinigte in sich nicht nur das Wissen der Maler, sondern auch das anderer Kenner und Autoren: „[J]e suis bien aisé qu’on ne [...] considere pas [ce travail] seulement comme l’ouvrage d’un homme seul qui a mis par escrit ce qu’il a acquis de connoissance dans les Arts; mais encore comme l’ouvrage des Auteurs qui en ont escrit; des meilleurs Ouvriers qui les pratiquent, & des hommes les plus capables d’en juger.“29
Wie weit solches Selbstbewusstsein von der akademischen Sichtweise entfernt war, zeigt ein Blick auf den ältesten erhaltenen Ausstellungsbericht, der 1667, kurz vor Veröffentlichung des ersten Bands der Conférences entstand. Die neue Textsorte hätte durchaus die Möglichkeit zu einem sprachlichen Zugriff auf das künstlerische „Sanktuarium“ gegeben, doch stattdessen zeigte sich der Verfasser/Erzähler von den Exponaten überwältigt. Die Arbeiten der Künstler seien „une espece de magie“, die ihn in fremde Länder und Zeiten versetze. Die rhetorische Strategie der Immersion in die Welt der Bilder diente der Verneigung vor den Künstlern, deren Anleitung der fiktive Ausstellungsbesucher bedurfte, dessen Sinne vom Glanz der Geheimnisse der Malerei verwirrt waren. Die Kunstwerke wurden nicht genauer, und schon gar nicht kritisch besprochen, obwohl unter den im Text vorgeführten Figuren ein Kunstkenner und ein Professor der Académie waren. Stellvertretend für die Leser führte der Autor vor, dass Laien keineswegs volle Kennerschaft über die Künste erlangen könnten, „des mystères d’une profession dont il n’y a que les inititiés qui aient une véritable connaissance [...]“.30 Der Text stammte von Félibiens Konkurrenten Jean Rou, dem Wunschkandidaten Testelins und Le Bruns für die Niederschrift der conférences. Rou entgegnete in dieser Passage dem ältesten Argument für die Laienkennerschaft, der direkten Vergleichbarkeit der Kunst als imitatio mit der wahrnehmbaren Wirklichkeit. Die epistemologische Prämisse, der auch Félibien folgte, war dabei denkbar einfach: „tout le monde peut dire son avis sur la ressemblance des choses.“31 Diese Auffassung folgte der Tradition der italienischen Kunstliteratur. Im Aretino meinte Lodovico Dolce, dass Kunstkenntnis letztlich nur von „Augenlicht und Verstand“ abhinge, doch habe 28 Félibien 1725, I, S. 32–33, 36. Zu den ,impliziten‘ Rezipienten dieser Texte: Stefan Germer, Les lecteurs implicites d’André Félibien ou pour qui écrit-on la théorie de l’art?, in: Christian Michel/ Maryvonne Saison (Hgg.), La naissance de la théorie de l’art en France 1640–1720 (Revue d’esthétique, 31/32), 1997, S. 259–267. 29 Félibien 1676, Préface, n. p. 30 [Jean Rou], Mémoires inédits et opuscules de Jean Rou (1638–1711), Hg. Francis Waddington, Paris: Agence centrale de la société, II, 1857, S. 18. 31 Félibien 1725, III, S. 280.
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er in dieser Hinsicht „im Allgemeinen nicht die Menge, wohl aber einige bevorzugte Talente vor Augen“.32 Diese Einschränkung entsprach den im 17. Jahrhundert akademisch formulierten Kriterien ästhetischer Beurteilung. Denn die Beachtung der vraisemblance und bienséance betraf nicht nur rein bildliche Logik, sondern gewährleistete Glaubwürdigkeit, Wahrheitstreue und Schicklichkeit. Der Maßstab für diese ‚öffentlichen‘ Kategorien war bestimmt von den Sitten und Einschätzungen der Betrachter und Betrachterinnen.33 Ein derartiger Anspruch setzte eine Elite voraus, der das notwendige historische und literarische Wissen ebenso wie moralische, religiöse und philosophische Bildung zugetraut wurde. Zugleich aber war so ein prinzipielles Zugeständnis an Laienkennerschaft formuliert, das von der rasch expandierenden Kunstliteratur des späten 17. Jahrhunderts unterstützt wurde. Die Dynamik dieser Entwicklung wurde durch die Querelle sur le coloris beschleunigt, der akademischen Auseinandersetzung um den Vorrang von Linie oder Farbe als künstlerische Ausdrucksmittel. Die Bedeutung der Querelle für die Entwicklung des Laienurteils und die „Konstituierung des französischen Kunstpublikums“ hat bereits Albert Dresdner hervorgehoben,34 und es ist in unserem Zusammenhang von Interesse, einen kurzen Blick auf diese Diskussion zu werfen, in der mehrere wichtige Motive der Laienkennerschaft entwickelt wurden. Die Querelle zog weite Kreise außerhalb der Académie und führte zu einem Pamphletkrieg, wie er erst wieder in den 1740er-Jahren entstehen sollte, und der unbarmherzig zwischen „Curieux justes & eclairez“ und „Curieux ignorants“ oder „interessez“ unterschied. Aus der akademischen Verteidigungslinie ergaben sich Konfliktachsen, die zu einer Verbindung der eigentlich kunsttheoretischen Auseinandersetzung mit rezeptionstheoretischen Fragen führten. Die Farbe, so meinte Roger de Piles, hätte den größten Anteil an der Wirkung der Malerei, den Betrachter anzusprechen („l’effet qui appelle le spectateur“). Selbst auf ungebildete und unerfahrene Betrachter verfehle sie ihre Wirkung nicht.35 Die Verteidigung der Farbe konnte so zu einem Argument für die Berechtigung des Urteils der ignorans werden. Und so überrascht es nicht, eines der uneingeschränktesten innerakademischen Bekenntnisse zu einem breiten Publikum in einer conférence eines Coloris-Anhängers zu finden: 32 Lodovico Dolce, Aretino oder Dialog über Malerei, Hg. Cajetan Cerri, Wien: Braumüller, 1871, S. 25–27. 33 Thomas Puttfarken, Roger de Piles’ Theory of art, New Haven/London: Yale University Press, 1985, S. 25–26. 34 Dresdner 2001, S. 173–175 (Zitat: S. 174). Nicolas Milovanovic, La Surintendance des Bâtiments et la Querelle du coloris, in: Delapierre/Krings 2004, S. 51–53; Jacques Thuillier, Doctrines et querelles artistiques en France au XVIIe siècle: Quelques textes oubliés ou inédits, in: Archives de l’Art français, 23, 1968, S. 137–217. 35 Roger de Piles, Cours de peinture par principes, Paris: Jacques Estienne, 1708, S. 19. Vgl. noch zur Mitte des 18. Jahrhunderts Diderots Aussage: „Elle parle à l’ignorant comme au savant“. Zit. nach Diderot 1984–95, I, S. 21 [Essais sur la Peinture].
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„[N]’y a-t-il pas plus d’avantage de plaire à tout le monde que de ne plaire qu’à un petit nombre? Le dessein dans toute sa justesse n’est connu que de très peu de personnes et ne flatte le goût que des plus fins connaisseurs et des plus habiles peintres, au lieu que la couleur, comme nous la supposons dans toute sa justesse et toute son harmonie, charme tout le monde. C’est peu de ne plaire qu’aux ignorants, c’est beaucoup de ne plaire qu’aux savants, mais il est d’une perfection consommée de plaire à tout le monde.“36
De Piles stieg mit einer umfassenden Verteidigung der Farbe 1673 in die Querelle ein: In einem Dialogue sur le coloris trugen die beiden Amateure Damon und Pamphile, unbefriedigt vom Verlauf der Diskussion in der Académie, das Gespräch über die Farbe nach außen. (De Piles selbst war zu diesem Zeitpunkt nicht Akademiemitglied, nahm jedoch als Zuhörer an den conférences teil.) Dabei eroberte der überlegene Kenner Pamphile Stück für Stück das in der akademischen Diskussion verlorene Terrain der Koloristen zurück. Am Ende des Dialogs stellte sich die Frage, was denn die Académie zu diesem Thema beschlossen hätte? Nichts, meinte Pamphile, und das mit Recht, denn der Wahrheit komme man nur nach und nach auf die Spur. Dies sei schon die dritte conférence zum Thema, ergänzte Damon, „[m]ais quand on auroit décidé quelque chose, seroit-ce un crime de revenir contre, & de proposer ses raisons? Je ne le croy pas, dit Pamphile. La verité doit estre toûjours bien recuë, & l’on doit fléchir le genoüil devant elle en tout temps & en tout lieu.“37
Die akademischen Gemüter waren anderer Meinung, doch de Piles richtete sich in seiner nächsten Publikation, den 1677 publizierten Conversations sur la connoissance, gar nicht erst an diese, sondern an eine breitere Leserschaft: „ceux qui aiment la Peinture, & qui desirent y acquerir quelque connoissance.“38 Interessen und Wissen über Kunst konnten dabei variieren. Im zweiten Gespräch stellten fünf Kunstliebhaber ihre verschiedenen Herangehensweisen an die Malerei vor: Darunter waren ein Sammler von Medaillen und Anhänger der Anciens, ein Liebhaber lombardischer Kunst und ein hochrangiger älterer Amateur, der als ehemaliger Vertrauter von Rubens dessen Lebensgeschichte erzählte (die nachfolgende Hymne auf Rubens wurde bekanntlich kontrovers aufgenommen). Alle diese Kunstliebhaber waren weit gereiste Angehörige des Hofs, viele hatten ihre Kenntnisse in Rom verfeinert.
36 Gabriel Blanchard, Conférence sur le mérite de la couleur, 7. November 1671, in: Jacqueline Lichtenstein/Christian Michel (Hgg.), Conférences de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture, I, Les Conférences au temps de Henri Testelin 1648–1681, Paris: École nationale supérieure des beaux-arts, 2006, Bd. I/1, S. 437. 37 Roger de Piles, Dialogue sur le coloris, Paris: Nicolas Langlois, 1699, S. 70. 38 Roger de Piles, Conversations sur la connoissance de la peinture et sur le jugement qu’on doit faire des tableaux, Paris: Nicolas Langlois, 1677, Préface, n. p.
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Die Gespräche dieser Kenner fanden vor Bildern statt, ganz wie es Colbert von den conférences erwartet hatte. Darin verband sich das Lob des Kolorits als wichtigstes Ausdrucksmittel der Malerei mit dem Vorrang des unmittelbaren Sinneseindrucks: Das Bild solle sich an alle Betrachtergruppen richten, deren Genuss nur noch mit zunehmendem Wissen über die Kunst der Malerei gesteigert werde: „Puisqu’il est fait pour les yeux, il doit plaire à tout le monde, aux uns plus, aux autres moins, selon la connoissance de ceux qui le voyent.“39 Da das Auge das wichtigste Rezeptionsorgan für Malerei sei, seien zur Beurteilung von Kunstwerken zuallererst unverbildete Augen notwendig: „Le Spectateur n’est point obligé de sçavoir ce que sçait un Peintre, il n’a qu’à s’abandonner à son sens commun pour juger de ce qu’il voit. Ses yeux naturellement sont capables de juger de la ressemblance des objets en particulier, aussi bien que des effets en général que doivent produire les principes de la Peinture.“40
Mit der Natürlichkeit des Sehens führte de Piles einen für die Diskussion um Laienkennerschaft im 18. Jahrhundert bedeutenden Topos ein. Als ideale Empfänger des unmittelbaren Sinneseindrucks („premier coup d’œil“) standen die unverbildeten Augen für das unmittelbare, vorurteilslose Urteil der Laien im Gegensatz zu demjenigen der Künstler. Den Neulingen in der Kunstbetrachtung empfahl de Piles, ihr unverbrauchtes Sehen zu nutzen: „Voir des Tableaux [...], les regarder comme si iamais vous n’en aviez veu, & en juger de bonne foy sans vouloir trop faire le Connoisseur, & préférer ceux qui vous surprendront davantage. Car les yeux d’un homme d’esprit, quoyque tout noeufs en Peinture, doivent estre touchez d’un beau Tableau“.41
Das ideale Empfangsorgan der Malerei war der unbeschränkte und leere Geist, „un esprit net & épuré & qui soit vide de tout préoccupation“. Er solle keinerlei Unebenheiten durch spezielles Wissen oder bestimmte Interessen aufweisen, sondern wie eine glatte und allumfassende Oberfläche beschaffen sein, damit die Wahrnehmung des Gesehenen nicht verzerrt werde. Dies entsprach der cartesianischen Parallelisierung von Auge und Geist, Sehen und Denken.42 Unebenheiten des Geistes, Asymmetrien des Wissens, Beschränkungen der Kennerschaft trübten den Kunstgenuss und das Kunsturteil. Auch in der Dissertation sur les ouvrages des plus fameux peintres betonte de Piles die Bedeutung von Natürlichkeit und Unvoreingenommenheit, von
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Ebd., S. 81. Ebd., S. 94. Ebd., S. 20. Vgl. Martin Jay, Downcast Eyes. The Denigration of Vision in Twentieth-Century French Thought, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1993, S. 21–82.
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einer Offenheit oder Leere des Geistes („le goust & les yeux épurez“43), die nichts mit mangelnder Bildung zu tun habe. Wie sich die Unterschiede zwischen richtigem und falschem Gebrauch der Augen darstellen konnten, zeigte de Piles in der ersten der beiden Conversations sur la connoissance anhand der unterschiedlichen Zugangsweisen der Curieux Damon und Pamphile: Für Damon bedeutet Kennerschaft Kompetenz in der Zuschreibung von Bildern und der Unterscheidung zwischen Originalen und Kopien anhand stilistischer und materieller Kriterien (wie etwa Herkunft und Alter der Leinwand). Die Differenz zum überlegenen Pamphile wird deutlich, als dieser die Kennerschaft der Malerei mit dem Empfang eines Briefes vergleicht: So wie man das Schreiben eines Bekannten sofort erkenne, so erkenne man auch die Autorschaft eines Malers, von dem man schon mehrere Bilder gesehen habe.44 Damon tappt in die Falle, als er mit dem Argument zustimmt, schon am Umschlag sei der Absender des Briefs zu erkennen. Genau so beurteile er Bilder, entgegnet Pamphile, doch erkenne man die Autorschaft eines Künstlers nicht nur an der Handschrift oder gar der Signatur, sondern vielmehr am Charakter eines Gemäldes. Pamphiles Wissen gründet sich auf das Geistesurteil, Damons Kenntnisse können oberflächlich gelernt werden, sie sind nichts mehr als eine Sache des Gedächtnisses. Die traditionellen Fähigkeiten des Curieux – Autorschaft und Originalität eines Gemäldes zu erkennen – waren für de Piles nicht ausreichend. Wichtiger sei es, Gutes und Schlechtes in einem Kunstwerk unterscheiden zu können,45 wobei er empfahl, dazu die Gemälde selbst zu befragen und sich direkt von ästhetischen Kriterien, statt von Malern und Kennern, leiten zu lassen.46 Von den Differenzen zwischen den Kennern unbetroffen bleibt die Rührung der ignoranti, die de Piles wiederholt als einen Wertmaßstab der Malerei darstellte: Die Qualität eines Gemäldes zeige sich darin, alle Betrachter und Betrachterinnen anzusprechen, so wie dies Peter Paul Rubens’ Höllensturz leiste: „On voit par experience, que ce Tableau produit tout l’effet qu’on en peut attendre: car personne ne le regarde attentivement qu’il ne soit frapé d’horreur, & qu’il ne descende, pour ainsi dire, tout vivant dans les enfers. Les ignorans, sans y penser, en font l’éloge aussi-bien que les plus savans Connoisseurs; les premiers en detournant leurs yeux, après l’avoir régardé quelque tems, parce qu’ils n’en peuvent souffrir l’effet terrible, & qu’il leur semble effectivement voir de veritables damnez; & les savans, en changeant aussi-tost
43 [Roger de Piles], Dissertation sur les ouvrages des plus fameux peintres, Paris: Nicolas Langlois, 1681, S. 27–28. 44 De Piles 1677, S. 9–10. 45 Diese Unterscheidung der Formen von Kennerschaft folgt Giulio Mancinis Considerazioni sulla pittura. Zu Mancinis Theorie der Kennerschaft: Carol Gibson-Wood, Studies in the Theory of Connoisseurship from Vasari to Morelli, New York: Garland Press, 1988, S. 33–40. 46 De Piles 1677, S. 27.
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cette terreur en admiration, & en s’extasiant, pour ainsi parler, à la veuë de cet Ouvrage incomparable, aprés en avoir examiné chaque partie, & l’effet du Tout-ensemble.“47
Die Wirkung auf die ungelehrten Betrachter geschieht über die illusionistische Wirkung des Bildes, die Wertschätzung der bildästhetischen Qualitäten bleibt einem exklusiveren Kreis vorbehalten. Allen gemeinsam ist das Erleben des sinnlichen Eindrucks. Die Wirkung des Gemäldes findet in einer Kaskade von Ausrufen ihren Ausdruck: „Quel épouvantable fracas! Quel désordre affreux! Que de prodiges! Que de merveilles! Que d’horreurs & de miseres tout à la fois dans ce Tableau!“48 De Piles’ wirkungsästhetische Zuordnung war möglich, da die Malerei im Wesentlichen als ein Ebenbild des Menschen konzipiert war: Die drei essenziellen Mittel der Malerei – Komposition, Zeichnung und Farbe – entsprechen den essenziellen menschlichen Organen: Körper, Seele und Vernunft.49 Die Unterscheidung der verschiedenen Wirkinstrumente der Malerei führt zur qualitativ unterschiedlichen Einbindung der Betrachter: „Comme il y a des stiles de penser, il y en a aussi d’executer.“ Der Rezeptionsvorgang selbst wird bei de Piles zu einem schöpferischen Prozess, und so zieht er den energischen Malstil („stile ferme“) dem geglätteten Stil („stile poli“) vor, denn letzterer „ne laisse rien à faire à l’imagination du Spectateur laquelle se fait un plaisir de trouver & d’achever des choses qu’elle attribuë au Peintre quoi’quelles viennent véritablement d’elle.“50 In dieser Konzeption eines ‚offenen Kunstwerks‘ wird deutlich, welch hohen Stellenwert de Piles der Imagination zuschreibt, die in heimlicher Komplizenschaft mit dem Kunstwerk steht und dieses diskret vollendet. Charles Perrault hatte ein vergleichbares System entworfen, in dem er vier Kategorien der Differenzierung – künstlerische Mittel, Rezeptionsorgane, Rezipientenschichten und Malschulen – in jeweils drei Stufen unterschied. Anders als bei de Piles war dabei die Farbe der Imitation und damit der untersten Stufe unmittelbarer und allen Gesellschaftsschichten zugänglicher Rezeption durch die Augen zugeordnet. Perrault, Vertreter der Modernes, stellte die Malerei der Antike auf diese früheste Entwicklungsstufe. Einen Schritt weiter befand sich die Ausdrucksfähigkeit der modernen italienischen Malerei, die nur êtres sensibles zugänglich sei, indem sie die Gefühle anspreche. An oberster Stelle stand die moderne Ecole française, deren Primat der Komposition zu verstehen einigen wenigen Vernunftbegabten vorbehalten sei.51 Die Spannungen zwischen den unterschiedlichen Rezeptionstechniken ließ Perrault deutlich hervortreten. Kunstgeschmack war bei ihm ein Mittel zur sozialen Differenzierung, ja Ursache für désaccord: „Généralement ce qui est de plus fin & de
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De Piles 1681, S. 88–89. Ebd., S. 79. De Piles 1969, S. 27. De Piles 1708, S. 258. Charles Perrault, Parallele des Anciens et des Modernes, en ce qui regarde les arts et les sciences, Hg. Hans Robert Jauß, München: Eidos, 1964, I, S. 213.
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plus spirituel dans tous les Arts, a le don de déplaire au commun du monde.“52 Eine schöne Frau werde den Schatten unter ihrer Nase, den ein Maler als Zeichen seiner Kunst in ihrem Porträt dargestellt hat, als Fleck missverstehen und sich mit ihrer Familie über die „ombres ridicules & impertinentes“ verwundern. Die lebensechte Darstellung des Martyriums des heiligen Stephan werde vielleicht manche Kenner befriedigen, doch nicht die kleinen Leute, die eine klar erkennbare emblematische Darstellung, so wie in ihren Gebetbüchern, vorzögen. Dabei vermutete Perrault, dass die meisten Angehörigen der vermeintlichen kulturellen Elite insgeheim mit der Meinung des Volkes übereinstimmten und die wahren Schönheiten der Malerei allen außer einigen wenigen Kennern verborgen blieben. Entgegen dieser Position wird de Piles’ Anliegen deutlich, kulturelle und soziale Kluften zu überbrücken. Grundlegend für Kunstrezeption sei die unmittelbare Empfänglichkeit für die Wirkung eines Kunstwerks. Ein gelungenes Werk müsse alle möglichen Betrachter und Betrachterinnen ansprechen und könne so zu einem Mittel kultureller Einigung werden. An der Maxime der antiken Rhetorik, „Docti rationem artis intelligunt, indocti voluptatem“ („Die Gelehrten erfassen das Wesen der Kunst, die Nichtgelehrten das Vergnügen, das sie bereitet“), hielt de Piles jedoch ebenfalls fest: „Ceux qui n’ont pas cultivé leur Esprit par les connoissances des Principes, du moins spéculativement, pourront bien être sensibles à l’effet d’un beau Tableau: mais ils ne pourront jamais rendre raison des jugemens qu’ils en auront porté.“53
Nur Kennerschaft erlaube, die Wirkung eines Kunstwerks im Nachhinein zu erklären. Den ignoranti sei dies nicht möglich, ihnen bleibe die Reflexion über das Kunstwerk verschlossen. Ein Werturteil aber, das ohne rationale Analyse gefällt wird, sei für Künstler nicht hilfreich. Diese Abstufungen der Laienkennerschaft waren auch bei Félibien zu finden: „[L]es ignorans jugent librement de ce qu’ils voyent de bien imité dans un tableau, & de ce qui [...] plaît à leurs yeux, mais ne vont plus avant dans le secret de l’Art. Les sçavans au contraire jugent de la parfaite imitation, & de la science de l’ouvrier; & ces sçavans peuvent être, ou les Peintres, ou ceux qui ont une notion parfaite de la Theorie de l’Art.“54
Die imitatio sei die Sphäre der ungebildeten Laien, ästhetische Feinheiten blieben Kennern und Künstlern vorbehalten. Diese Differenzierungen der Laienkennerschaft allerdings dienten nicht nur ihrer sozialen Absicherung, sondern auch ihrer Verteidigung, und zu allen theoretischen Maximen kam nun ein neues Argument aus der zeitgenössischen Kunstpraxis hinzu: Félibien scheute sich nicht, Plinius, Cicero und andere ehrwürdige Quellen zu widerlegen, die Berechtigungen oder Kompetenzen von 52 Ebd., I, S. 217–218. 53 De Piles 1969, S. 94. 54 Félibien 1725, III, S. 280–281.
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Nichtkünstlern in der Kunstkenntnis einschränken wollten. Ganz offen ließ er den Erzähler der Entretiens durch einen Einwurf seines Gesprächspartners an den Konflikt mit der Académie erinnern: Die Maler, meint dieser, seien wohl kaum seiner Meinung. Dann seien sie im Unrecht, entgegnet der Erzähler, denn sie forderten täglich Urteile über ihre Werke heraus.55 Mit diesem Argument verwies Félibien zunächst nur auf den Umstand, dass Künstler auf ein Publikum, also auf Patronage und Kritik angewiesen seien. Doch die Akademiker hatten sich zu diesem Zeitpunkt schon deutlich weiter exponiert. Seit den 1660er-Jahren hatte eine unregelmäßige Serie von Ausstellungen an der Académie stattgefunden, die auf baldige Fortsetzung hoffen ließ. Anfangs reflektierten diese Ausstellungen vor allem die Vereinnahmung durch die absolutistische Kulturpolitik, doch nichts unterstützte die Legitimierung der Laienkennerschaft nachhaltiger. Die Kunstwerke der Akademiker stellten sich bald nicht mehr nur dem Urteil ihrer Auftraggeber, sondern auch dem eines deutlich breiteren Publikums.
Ausstellungspraxis an der Pariser Académie royale im 17. Jahrhundert In den knapp zwei Jahrzehnten seines Protektorats der Académie setzte Colbert ein strikt beaufsichtigtes Maßnahmenprogramm durch, zu dessen Eckpfeilern die Abhaltung von Ausstellungen, die Reglementierung der kunsttheoretischen Ausbildung, die Veranstaltung von innerakademischen conférences zur Diskussion einzelner Werke und die Ausschreibung von Preisen unter den Schülern der Académie zählten.56 Die Bildkünste waren mit einem Mal, und deutlich stärker als die anderen akademisch organisierten Künste,57 dem hochkomplexen Raum des absolutistischen Öffentlichkeitsanspruchs ausgesetzt. Die Einführung der Ausstellungen wird in der Forschungsliteratur häufig auf die akademischen Statuten zurückgeführt, und tatsächlich war darin eine jährliche „Exposition d’ouvrage“ vorgeschrieben. Doch es war nicht von öffentlichen Veranstaltungen die Rede, sondern lediglich davon, dass die Werke vor den versammelten Mitgliedern der Académie präsentiert werden sollten. Die Regelung betraf in ihrem eigentlichen Sinn das Aufnahmeverfahren, dessen Grundlage die Präsentation und 55 Ebd., III, S. 281. 56 Montaiglon 1875–1909, I, S. 251, 256–257. Diese vier zentralen Punkte hielt Testelin in seiner Gründungsgeschichte der Académie fest, wobei er den fünften Punkt verschwieg, nämlich die Einführung des Status der conseillers honoraires. Henry Testelin, Sentimens des plus habiles peintres du temps, Paris: Académie royale, 1696, Préface, n. p. Zur Entstehung der conférences: Lichtenstein/ Michel 2006, Bd. I/1, S. 75–109. 57 Seit 1635 bestand die Académie française. Während der Regierungszeit Ludwigs XIV. (und der Amtszeit Colberts) wurden noch die Académie de Danse (1661), die Académie des Inscriptions et Belles Lettres (1663), die Académie des Sciences (1666), die Académie de Musique (1669) und die Académie d’Architecture (1671) gegründet.
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Begutachtung der Arbeiten des Bewerbers vor dem versammelten Plenum war.58 Dies war keine Neuerung: Die Académie folgte der römischen Accademia di San Luca, die 1596 vergleichbare Bestimmungen festgesetzt hatte. Auch in den niederländischen Gilden und Malerkollegien gab es ähnliche interne Präsentationsformen.59 Nicht ihre Statuten also veranlassten die Künstler und Künstlerinnen der Académie, ihre Arbeiten in Malerei, Bildhauerei und Druckgrafik öffentlich zu präsentieren, sondern erst der intensive Druck der absolutistischen Kunstpolitik. Auf die in den Akten genauestens dokumentierten Ermahnungen Colberts antworteten sie mit unenthusiastischen Ausstellungsvorbereitungen, deren ebenso penible Dokumentation zwar nicht Unterwerfung, aber doch einen erheblichen Rechtfertigungsbedarf gegenüber ihrem Vice-Protecteur belegt. Trotz Colberts Bemühungen kam es immer wieder zu monatelangen, ja jahrelangen Verzögerungen, die die finanziellen Nöte der Académie ebenso wie die Gegenwehr der Künstler reflektieren. Und so fanden bis zu seinem Tod im Jahr 1683 anstatt alle zwei Jahre, wie er geplant hatte, insgesamt nur drei Ausstellungen statt, und auch danach blieb deren Veranstaltung von den Bemühungen seiner Nachfolger abhängig.60 Doch Colbert schuf eine Tradition öffentlicher Präsenz, auf die die Académie zurückgreifen konnte, und deren Vorteile sie angesichts der geringen kulturpolitischen und finanziellen Unterstützung der nachfolgenden Ära61 schätzen lernte. Die knapp zwei Jahrzehnte seiner Amtszeit allerdings waren von der Verzögerungs- und Nichterfüllungstaktik der Akademiker gekennzeichnet. Als Colbert 1665 zum ersten Mal die Abhaltung öffentlicher Kunstpräsentationen anordnete, wichen die Künstler umständlich aus: „[L]’Académie estant assemblée pour esfectuer l’article vingt-cinq des Status, touchant l’exposition des ouvrages, considérant les difigultèz qui se sont présentée, a esté résolu que l’éxécution dudit article sur led. faict des ouvrages sera sursis et qu’il sera rédigé par escrist lesd. difigultés pour présenter à Noseigneurs les Protecteur et Vice-Protecteurs et rescevoir sur cela leurs ordre.“62 58 Montaiglon 1875–1909, I, S. 28, 257 (Statuten). Die Regelung verweist auf ihren Ursprungstext, einen Beschluss über die interne Präsentation von Kunstwerken aus dem Jahr 1650. 59 Koch 1967, S. 62–72, 117–121, 127–134. 60 Die folgende Chronologie der Ausstellungen der Académie im 17. Jahrhundert basiert auf deren publizierten Sitzungsprotokollen (Montaiglon 1875–1909) sowie auf Recherchen im Archiv der Ecole nationale supérieure des Beaux-arts (ENSBA), Paris, insbesondere MS 11–12, Extrait des registres des déliberations de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture, de 1648 à 1752. Sie weicht an mehreren Stellen von den Chronologien Georg Friedrich Kochs (Koch 1967, S. 127– 134; teils basierend auf Pierre Marcel, Notes sur les 6 Expositions du règne de Louis XIV, in: Chronique des Arts, 1904, S. 10–13, 19–20), Thomas Crows (Crow 1985, S. 23–39) und damit von den meisten gängigen Darstellungen ab. Meine Recherchen ergaben insgesamt fünf Ausstellungen während der Regierungszeit Ludwigs XIV.: 1667, 1671, 1673, 1699 und 1704. 61 Pierre Marcel, La peinture française au début du XVIIIe siècle, Paris: Ancienne Maison Quantin, o. J. (1906). 62 Montaiglon 1875–1909, I, S. 287. Im erweiterten Sitzungsprotokoll werden, nach einem äußerst kurzfristigen Terminvorschlag zur Eröffnung der Ausstellung, ebenfalls nicht genannte Schwierig-
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Zum Besuch Gian Lorenzo Berninis im August 1665 war im Versammlungsraum der Académie vermutlich nur eine Auswahl von Aufnahmestücken präsentiert.63 Im folgenden Januar nahm Colbert die Vorbereitungen der „solemnité de l’establissement et la descoration de l’Académie par l’exposition des ouvrages de chacun“64 selbst in die Hand. Er kündigte einen Zwei-Jahres-Rhythmus an und befahl, dass die präsentierten Werke in seiner Gegenwart von den versammelten Mitgliedern der Académie besprochen werden sollten. Die Ausstellungen und die conférences gingen Hand in Hand, sie hatten die gleiche Funktion: die Etablierung eines öffentlichen diskursiven Raums durch die Abhaltung von exercices publiques. Im April 1667 fand endlich eine zweiwöchige Ausstellung im Hof des Hôtel Brion statt, die von Colbert, wieder mit dem Hinweis auf die conférences, begutachtet wurde. Diesmal – und erst diesmal – handelte es sich um eine „exposition publique des tableaux“.65 Die kunstinteressierte Öffentlichkeit konnte zudem die Unterrichts- und Versammlungsräume der Académie besuchen, mit der ihr eigenen Kunstsammlung und ihrem umkämpften Stolz, der Modellklasse. Zwei Jahre später, im April 1669, begutachtete Colbert die nächste interne Präsentation. Doch es sah nicht gut aus: „[A]pprèz avoir considéréz les tableaux, extraordinairement exposéz pour la solemnité de l’establissement de l’Académie, il [...] a exorté chacun d’aporter soigneusement de ses derniers ouvrage en pareilles solemnitéz, suivant les Statutz.“66 Anscheinend hatten viele Akademiker nicht teilgenommen oder vielleicht auch ältere, bereits gezeigte Arbeiten nochmals hervorgeholt. Doch mit den folgenden beiden öffentlichen Ausstellungen von 1671 und 1673 schien der Rhythmus gefunden. Colbert hatte die Teilnahme der Akademiker mit Nachdruck eingefordert, und nun dehnten sich die eingereichten Werke bis in den Hof des Hôtel de Richelieu bzw. des Palais Royal aus.67 1673 wurde erstmals eine Begleitpublikation, das sogenannte livret, nach dem Vorbild der catalogues raisonnés
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keiten angeführt, die deren Abhaltung verhinderten: „L’Exposition indiquée n’aiant pû s’effectuer par plusieurs xxxxx dificultés qui y ont été formée.“ Es muss ungeklärt bleiben, was das heftig durchgestrichene Wort bezeichnete, das den Unwillen der Akademiker beschrieb (ENSBA Archives, MS 11–12, S. 201–202). Ebd., I, S. 290. Koch 1967, S. 128, interpretiert wohl diesen Eintrag im Sinne einer ersten Ausstellung, wobei er mit der Vermutung, die Bilder blieben bis April 1666 hängen, auf André Fontaine, L’origine des salons, in: Revue bleue, 48/1, 1910, S. 626, verweist. Fontaine bleibt allerdings ohne Quellenangabe, und in seinen anderen einschlägigen Publikationen ist diese Behauptung nicht zu finden. Gian Lorenzo Bernini empfahl während seines Besuchs übrigens die Veranstaltung von Ausstellungen nachdrücklich („de l’exposer en public“): Paul Fréart de Chantelou, Journal de voyage du Cavalier Bernin en France, Aix-en-Provence: Pandora Éditions, 1981, S. 157–158. Montaiglon 1875–1909, I, S. 298. Ebd., I, S. 319. Ebd., I, S. 339. Ebd., I, S. 358–359; II, S. 9. 1671 fand die Ausstellung um Ostern statt, 1673 wurde sie zuerst von Ostern auf Pfingsten verschoben und schließlich im August veranstaltet.
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der königlichen Kunstsammlung herausgegeben.68 Offensichtlich waren beide Veranstaltungen gut besucht: Mit einem Verweis auf das große Interesse des Publikums an der Ausstellung von 1671 (die deshalb auf Colberts Anordnung hin sogar verlängert worden war) beschloss man, den durch die „confusion populaire“ beeinträchtigten Akademiebetrieb für die Dauer der Ausstellung einzustellen, um „acssidents fascheux“ zu vermeiden und „lesser au public la liberté d’entrer partout et de satisfaire sa curiosité“. In derselben Sitzung wurde festgehalten, dass nur die Werke von Mitgliedern der Académie zur Ausstellung zugelassen waren: Dies ist ironischerweise überhaupt der erste Beleg für ein Interesse von Künstlern – gleich ob innerhalb oder außerhalb der Académie – an einer öffentlichen Präsentation ihrer Werke.69 Mit einer Beteiligung von knapp mehr als der Hälfte ihrer Künstler und Künstlerinnen hatte die Académie einen Standard erreicht, der auch im 18. Jahrhundert, zumindest bis zur Öffnung der Ausstellungen 1789, nicht übertroffen werden sollte.70 Der Bedeutung des Ereignisses entsprechend, erschien sogar ein satirisches Pamphlet, das dem Öffentlichkeitscharakter der Ausstellung in aller Konsequenz gerecht wurde.71 Wenn Ausstellungen, Besucherzahlen, Kataloge, Besprechungen und Satiren als Gradmesser ausreichen, dann kann man bereits für das 17. Jahrhundert von einer kritischen Kunstöffentlichkeit sprechen.1675 fand keine Ausstellung statt.72 In den folgenden Jahren bat man Colbert um finanzielle Unterstützung für die Veranstaltung der „solemnité de l’establissement de l’Académie“ und um die Erlaubnis, auch Gemälde alter Meister präsentieren zu dürfen. Doch trotz wiederholter Verfügungen, Mahnungen und bekümmerter Begutachtungen der wenigen eingereichten Ar68 Jules-Joseph Guiffrey (Hg.), Collection des livrets des anciennes expositions depuis 1673 jusqu’en 1800, Paris: Liepmannssohn & Dufour, 1869–1873, I (1673). 69 Montaiglon 1875–1909, II, S. 6–7. 70 Zur Anzahl der ausstellenden Künstler und Künstlerinnen und einer Auflistung der Exponate nach Bildgattungen bis 1800: Koch 1967, S. 160–161. 71 Diese Schrift, La Friperie des Peintres, verunglimpfte insbesondere die Arbeiten des Akademiedirektors Charles Le Brun, war also, wie anzunehmen ist, primär gegen seine Person und seinen Führungsstil gerichtet. Fontaine 1914, S. 131; ENSBA Archives, MS 48, VII, S. vii. 72 ENSBA Archives, MS 11, S. 358, vermerkt „L’Exposition solemnelle des ouvrages académiques remise à l’année 1676.“ Koch schließt aus einer Notiz über die Modifikation der Hängung von Gemälden in der Académie (Montaiglon 1875–1909, II, S. 60), dass „wohl auch 1675“ eine Ausstellung stattfand (Koch 1967, S. 128). Diese Notiz stammt aber von November 1675 und betrifft vermutlich die Neuhängung der Aufnahmearbeiten im Versammlungsraum. In den publizierten Protokollen der Académie ist von „l’arrangement des tableaux“ die Rede, doch in den Akten heißt es ausführlicher „l’arrangement des tableaux nouvellemen fait en l’Académie“. Es geht also um die Hängung von Aufnahmestücken (ENSBA Archives, MS 11, I, S. 364). Vgl. ähnliche Einträge zu Umhängungen von Aufnahmearbeiten am 26. Januar 1675 (unveröffentlicht) sowie 10. April 1675 (Montaiglon 1875–1909, II, S. 47). Für den Hinweis Gosselins, die Ausstellung habe am 14. August begonnen (Théodore Gosselin, Histoire anecdotique des Salons de peinture depuis 1673, Paris: E. Dentu, 1881, S. 18) habe ich weder bei Montaiglon noch in ENSBA Archives MS 11–12 Belege gefunden.
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beiten blieb die nächste Ausstellung aus.73 Die Wortwahl der Académie, die 1680 zwar rasch zum Beschluss der Feier einer „messe solemnel tous les ans au jour de St Louis“ bereit war, doch kurz darauf die Organisation der Ausstellung umständlich als „la charge qu’elle a estably pour vaquer aux solemnitez qu’elle sera obligée de fair célébrer“ umschrieb, ist aufschlussreich.74 1683 bezeichnen die Vorbereitungen für die „solemnité de la feste de St. Louis“ neben der jährlichen Preisverleihung unter den Studenten eine katholische Messe, doch selbst deren Veranstaltung verhinderten zuerst die Gedenkfeierlichkeiten zum Tod der Königin und dann der Tod Colberts.75 Mit dem Kunstminister verschwand der wichtigste Motivator der Ausstellungen. Unter seinen Nachfolgern, dem Marquis de Louvois (1683–1691) und dem Marquis de Villacerf (1691–1699) hatte die Académie weniger kunstpolitisches Engagement zu erwarten, zudem wurden die Mittel der Bâtiments stark beschränkt. Die conférences wurden weiter abgehalten, doch die Veranstaltung von Ausstellungen im Louvre war nicht einmal mehr Gegenstand der Diskussion. Stattdessen fand in der mit Kunstwerken geschmückten Eglise de l’Oratoire zu Beginn des Jahres 1687 eine Dankesmesse für die Genesung des Königs statt, und zu diesem Anlass wurde auch ein Begleitkatalog gedruckt.76 Während der Amtszeit des Marquis de Villacerf wurden die Zuwendungen an die Académie auf ein Viertel gekürzt. Ab 1694 ermöglichte nur das persönliche Engagement einiger Mitglieder den Fortbestand der Académie, bis 1699 wieder, wenn auch geringe, Zuwendungen der Krone eintrafen.77 An diesem Interessenkonflikt wird deutlich, wie die Akademiker Bestimmungen auswichen, die sie für nicht förderlich erachteten. Nathalie Heinich spricht in diesem Zusammenhang von der „autonomie relative“ der Künstlerschaft und hebt die beiden divergierenden Grundtendenzen des akademischen Selbstverständnisses zwischen dem Streben nach Nobilitierung des eigenen Status und den Auto73 Montaiglon 1875–1909, II, S. 166, 167–168, 182, 186–188, 190. Der letzte Eintrag vom 7. Juni 1681 vermerkt, dass Le Brun um eine endgültige Entscheidung gebeten wird. Damit konnten die Künstler sicher sein, dass sich die Angelegenheit von selbst erledigen würde, denn der Direktor war bis zum 1. August 1681 abwesend. Nach seiner Wiederkehr erforderten andere Angelegenheiten seine Aufmerksamkeit, und bereits am 30. August versammelte sich das Plenum wie gewöhnlich, ohne die Ausstellung weiter zu diskutieren (Montaiglon 1875–1909, II, S. 193–195). Für Kochs Behauptung, die Beteiligung an der Ausstellung sei so gering gewesen, dass „auf Colberts Anordnung der traurige Anblick wieder entfernt“ wurde (Koch 1967, S. 128 sowie André Fontaine, Les Collections de l’Académie royale de peinture et de sculpture, Paris: H. Laurens, 1910, S. 49–50; Fontaine 1910, S. 628), habe ich weder bei Montaiglon noch in ENSBA Archives MS 11–12 Belege gefunden. 74 Montaiglon 1875–1909, II, S. 166–167. Die Abhaltung von Messen anstelle von Ausstellungen reflektiert den Rückzug Ludwigs XIV. in die Religion. Noch vor der Widerrufung des Edikts von Nantes verfügte die Académie den Ausschluss ihrer nicht-katholischen Künstler, darunter des Sekretärs Henri Testelin. Montaiglon 1875–1909, II, S. 197–199. 75 Montaiglon 1875–1909, II, S. 250–251. 76 Ebd., II, S. 344–347. 77 Nikolaus Pevsner, Academies of Art, Cambridge: Cambridge University Press, 1940, S. 103–104.
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nomiebestrebungen gegenüber der Krone hervor.78 Es gab keine übergreifenden Interessen im Sinne eines Gesellschaftsbezugs bildender Kunst. Die Transparenz der Tätigkeit der Académie war ein Anliegen der absolutistischen Herrschaft; ihr Öffentlichkeitsanspruch war mit der hierarchischen Struktur des Absolutismus vereinbar: Öffentlichkeit als Resonanzraum der Machtbündelung, die den Glanz der Krone reflektierte. In ihrer Colbert’schen Idealkonzeption war die Académie Teil des staatlichen Körpers des Königs, die Ausstellungen waren ‚Repräsentationen‘ (im Sinne von ‚Darstellungen‘ oder ‚Aufführungen‘) seiner Herrschaft.79 Problematisch wurde diese Beziehung jedoch nicht zuletzt dadurch, dass die Krone den wirtschaftlichen Exklusivitätsanspruch, der mit diesem Repräsentationsanspruch einherging, in den späteren Regierungsjahren Ludwigs XIV. immer weniger einlöste. In Martin de Charmois’ Requête, dem Gründungsdokument der Académie, war deren Funktion klar ausgedrückt: Die Werke der Akademiker sollten im Dienste der höfischen und kirchlichen Repräsentation stehen und nicht wie gewöhnliche Waren der Marktlogik unterworfen sein („ne doiuent pas estre exposéz à l’examen du vulgaire comme les marchandises qui sont purement pour la nécéssité de la vie [...]“80). Die Abgrenzung der freien Künste vom Markt sollte die Académie vor der Auslieferung an das breite Publikum bewahren. Doch dies blieb eine Utopie. Wie unzureichend die Bindung an die Krone war, wurde in den langen Jahren finanzieller und kunstpolitischer Dürre zu Ende der Herrschaft Ludwigs XIV. besonders deutlich. Die Generation um 1700 zeigte mehr Bereitschaft, sich dem anonymen Publikum zu öffnen, als die korporatistisch-protektive Haltung der ersten Akademiker dies erlaubt hatte.
Die Ausstellung von 1699 1699 veranstaltete die Académie die erste Ausstellung nach der Regierungszeit Colberts, diesmal auf Betreiben des neuen Surintendant des Batîments, Jules HardouinMansart, und des ebenfalls neu ernannten ‚conseiller-honoraire‘ Roger de Piles.81 Von dieser „exposition générale et publique“ sind erstmals bildliche Zeugnisse bekannt (Abb. 3–5). Dies hängt damit zusammen, dass die Ausstellung in eine Reihe
78 Nathalie Heinich, La constitution du champ de la peinture française au XVIIe siècle, Paris: EHESS, 1981, S. 51. 79 Peter Burke, Ludwig XIV., Berlin: Wagenbach, 1993, S. 17–18. 80 Nathalie Heinich, Du peintre à l’artiste. Artisans et académiciens à l’age classique, Paris: Les Éditions de Minuit, 1993, Annex 2, S. 237. 81 Montaiglon 1875–1909, III, S. 257–259 sowie ENSBA Archives MS 12, S. 275–276. Aber nur noch einmal zu Lebzeiten Ludwigs XIV. fand eine Akademieausstellung statt, nämlich 1704 im Rahmen der Feierlichkeiten zur Geburt des Duc de Bretagne (Montaiglon 1875–1909, III, S. 397). In den Jahren der Sukzessionskriege bezeichnete sich die Académie als durch die Statuten zu deren Veranstaltung verpflichtet, aufgrund weiterer finanzieller Kürzungen jedoch davon abgehalten.
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3 Nicolas Langlois, Almanach de 1700: Cérémonies observées à Paris pour l’Erection de la Statue équestre de Louis le Grand, 1700, Kupferstich, Paris, BN.
von Festakten zur Feier der Errichtung eines Reiterstandbilds Ludwigs XIV. an der Place Louis le Grand (der späteren Place Vendome) eingebunden war. Die Illustrationen wurden in drei verschiedenen Almanachen publiziert, die Datum und Ort der Veranstaltung genau bezeichnen. Das ungewohnte Szenario einer Kunstausstellung im Louvre ist detailliert geschildert, doch im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen nicht die ausgestellten Arbeiten. Auf die Identifikation einzelner Exponate wird kaum Wert gelegt: Girardons Modell für das Reiterstandbild des Königs auf der Place Louis le Grand, das in der Mitte des Raums aufgestellt war, ist nur einmal zu sehen (Abb. 5). Auch die Schilderung der ausgestellten Gemälde bleibt kursorisch und typenhaft. Die anderen beiden Almanache zeigen links im Vordergrund eine hochformatige Kreuzigungsdarstellung, die aber weder in ihren Maßen noch in ihrer Hängung mit einem der beiden tatsächlich ausgestellten Bilder dieses Themas übereinstimmt, obwohl sich darunter ein viel gerühmtes Gemälde Antoine Coypels befand.82 82 Anatole de Montaiglon (Hg.), Le livret de l’exposition faite en 1673, dans la cour du Palais-Royal, suivi d’un essai de bibliographie des livrets et des critiques de Salon depuis 1673 jusqu’en 1851, Paris: Dumoulin, 1852.
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3a Exposition des Ouvrages de Peinture et de Sculpture par Mrs. de l’Académie dans la Galerie du Louvre en 7bre, Paris, BN (Detail von Abb. 3).
Stattdessen steht das Schauspiel des Ausstellungspublikums im Vordergrund, und mit ihm die performativ inszenierten Rezeptionskriterien bildender Kunst. Die Illustrationen zeigen Besucher und Besucherinnen unterschiedlicher gesellschaftlicher Ränge und Altersstufen, die sich in der Grande Galerie des Louvre versammelt haben. Der Verkauf des livret zur Ausstellung brachte nach Abzug der Druckkosten einen Gewinn von 200 Livres (4.000 Sols);83 bei einem Preis von 10 Sols pro Stück lässt diese Summe allein auf 400 verkaufte Exemplare und eine dementsprechend mehrfach multiplizierbare Besucherzahl schließen. Die Männer haben ihre Hüte abgenommen: Man befindet sich im Louvre, beim König.84 Während im Vordergrund die Hängung von Gemälden auf Wandteppichen demonstriert wird, untersuchen die Besucher und Besucherinnen die Exponate. Es finden Gespräche über die ausgestellten Werke statt, begleitet von einem Durcheinander an Blicken und nachdrücklichen Zeigegesten mit Stöcken, Fächern und Fingern. So wie in Félibiens und de Piles’ conversations und entretiens ist das Gespräch die wichtigste Technik der Kunstrezeption. Die Qualität der ausgestellten Kunstwerke manifestiert sich in ihrer Wirkung auf die Betrachter: Zwei Mönche diskutieren eine Kreuzigungsdarstellung, zwei Kinder betrachten kleinformatige und wie für sie passend tiefer gehängte Bilder. Innerhalb der sozialen Grenzen von la cour et la ville, so wird hier verdeutlicht, gibt es für jedes Interesse ein geeignetes Kunstwerk.
83 Montaiglon 1875–1909, III, S. 279. 84 [anon.], La première exposition de peinture au Louvre, en 1699, in: Magasin pittoresque, IX, 1841, S. 106.
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4 François und Gerard Landry, Almanach pour l‘An de Grace 1700 (Detail): Septembre 1699. La grande Gallerie du Louvre Ornée de Tableaux des plus fameux peintre modernes pour la feste St Louis par l’Ordre de Mr. Mansart Sur-intendant des Bâtimens du Roi le 2er jusqu’au 22 Septembre 1699, 1700, Kupferstich, Paris, BN.
Ein Gemälde jedoch ist durch seine Position im Bildfeld hervorgehoben, so wie es in der Begleitpublikation zur Ausstellung als erstes verzeichnet ist: Im Fluchtpunkt der beiden Darstellungen, an der Stirnseite der Galerie, hängt das Porträt des Königs, gerahmt von Thron und Baldachin, stellvertretend für seine Darstellung in persona. Das Porträt des Königs unterscheidet sich von den anderen Gemälden: Es ist nicht nur Repräsentation (im bildlichen und machtpolitischen Sinn), sondern Präsentation seines Körpers. So wie andere königliche Einrichtungen, etwa die Gobelinmanufaktur, unabhängig von tatsächlich stattgefundenen Besuchen häufig mit dem König oder einem seiner Beamten dargestellt wurden, verkörpert hier das Porträt des Königs die Macht, die hinter der Veranstaltung steht. Die Darstellung der Ausstellung war eingebettet in mehrere Bilder königlicher Festakte, Cérémonies observées à Paris pour l’erection de la Statuë equestre de Louis le Grand, élevée en l’honneur de cet monarque et consacrée dans la Place apellée de son nom, le 13 Aout 1699 (Abb. 3). Der König ist der „Archi-Akteur“, derjenige, der „alle anderen enthält, in sich vereinigt. Auf diesen Fluchtpunkt hin konzentrieren und verdichten sich die Figuren der Erzählung: von diesem Blickpunkt her werden sie geboren, treten sie hervor und entwickeln sie sich.“ Er ist Grund und Zentrum des Bildes: „Nicht nur läßt der König die anderen der Geschichte durch sein Handeln erst agieren, nicht nur ruft er sie durch sein eigenes und absolutes Handeln erst auf die Bühne der Geschichte, sondern er ist selbst diese Bühne, ist der leuchtende Raum ihrer Repräsentation“.85 Das Kunstpublikum behauptete seinen Vorrang vor den Bildern im Urteil, der „Geste der Vernunft, die
85 Marin 2005, S. 112–114.
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5 Jacques Langlois, Almanach de 1700 (Detail): Exposition des Tableaux des Peintres de l’Académie dans la grande Galerie du Louvre depuis le 2. jusqu’au 22 Septembre 1699, 1700, Kupferstich, Paris, BN.
über das gesamte Bild regiert“86 – einer Geste, die sich auf alle Gemälde erstrecken kann, nicht aber auf das Porträt des Königs, das erst die Grundlage der Repräsentation des Publikums darstellt und sich als Präsentation selbst dieser Geste entzieht. Indem das Porträt des Königs nicht betrachtet wird, sondern den Augenpunkt darstellt, also betrachtet, positioniert es sich gleichsam außerhalb der Handlung und gibt zugleich einen zentralen Sonderstatus bekannt. Der Ort des Ereignisses war zugleich ein Ort monarchischer Repräsentation; Kunstrezeption eine Form der Ehrerbietung gegenüber dem Monarchen. Noch im 18. Jahrhundert wurden die Ausstellungen häufig mit den traditionellen Begriffen ‚solemnités‘ oder ‚fêtes‘ bezeichnet: zu Ehren des Königs und im Andenken an die Gründung seiner Académie. Die Ausstellungen der 1660er- und 1670er-Jahre hatten bei Wind und Wetter im Freien stattgefunden und sich nur wenig von den traditionellen Pariser Kunstpräsentationen unterschieden.87 Mit der Grande Galerie des Louvre war der Académie erstmals ein geeigneter
86 Olga Lewicka, An den Grenzen der Repräsentation, in: Vera Beyer/Jutta Voorhoeve/Anselm Haverkamp (Hgg.), Das Bild ist der König. Repräsentation nach Louis Marin, München: Wilhelm Fink, 2006, S. 106. 87 Dies waren etwa die Maiausstellungen (Mays) von Notre-Dame und Saint-Germain-de-Près und die Fronleichnamsausstellungen an der Place Dauphine. Annick Notter (Hg.), Les Mays de NotreDame de Paris, Kat. Arras, Musée des Beaux-Arts d’Arras, Arras: [s. n.], 1999; Robert W. Berger, Public Access to Art in Paris. A Documentary History from the Middle Ages to 1800, University Park: The Pennsylvania State University Press, 1999, S. 53–59, 149–156.
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6 Pierre Aveline, Place Louis le Grand, ca. 1699, Kupferstich, Paris, BN.
Ausstellungsraum zugewiesen, der dem königlichen Rahmen des Ereignisses formal gerecht wurde.88 Einer der drei Almanache zeigt ein deutlich lebhafteres Publikum (Abb. 5): Ungeduldig drängen die Besucher am Eingang in die Grande Galerie, es kommt zu tumultartigen Szenen. In der Ausstellung selbst jedoch, dem Ort der Zelebrierung königlicher Macht, herrscht Ordnung. Für die Praktik der Kunstrezeption war dies entscheidend: Bei der Ausstellung handelte es sich um eine Leistungsschau der königlichen Académie, die von einem verständigen, zu einem verbindlichen Qualitätsurteil fähigen Publikum beurteilt werden musste. Die Ausstellung war eine öffentliche Übung: „exercices publiques“ hießen die von Colbert geforderten Aktivitäten der Académie im Einklang mit der absolutistischen Kunstpolitik. Die Illustrationen zeigen sich daher kongruent mit dem Darstellungsmodus der öffentlichen Feste und Rituale des höfischen und städtischen Lebens, wie eine Darstellung der Place Louis le Grand aus ihrem Projektstadium (Abb. 6) zeigt, des Platzes also, für den Girardons Reiterstandbild bestimmt war. Die Wirkung des Fluchtpunktes geht ver88 Seit den 1660er-Jahren wurde im Louvre die königliche Kunstsammlung präsentiert. Berger 1999, S. 81–89; Antoine Schnapper, Curieux du grand siècle. Collections et collectionneurs dans la France du XVIIe siècle, Paris: Flammarion, 1994, S. 317–321. Die Galerie als Ort königlicher Kunstpräsentation war durch die Galerie des Ambassadeurs in den Tuilerien vertraut, der ersten öffentlichen Galerie, die primär der Präsentation von Kunstwerken aus der königlichen Sammlung gewidmet war. Nicole Sainte-Fare Garnot, La Galerie des Ambassadeurs au Palais des Tuileries (1666–1671), in: Bulletin de la Societé de l’histoire de l’art français, 1978, S. 119–126.
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loren, doch die Anordnung der Darstellung bleibt dieselbe: Um das bronzene Reiterstandbild des Königs, dessen Modell in der Ausstellung steht, gruppieren sich die Betrachter aus dem Volk, Assistenzfiguren königlicher Macht. Und die Planung der beiden Repräsentationsräume entstammte derselben Feder: Hardouin-Mansart, der neue kunstpolitische Intendant, der die Ausstellung von 1699 initiiert hatte, war zugleich mit der städtebaulichen Planung der Place Louis le Grand betraut.89 Die Ausstellungsberichte des Jahres 1699 hatten einen ähnlichen Fokus: Ein Verweis auf das livret, in dem alle Werke kurz verzeichnet sind, genügte – mehr Interesse an den Exponaten wurde von den Lesern offensichtlich gar nicht erwartet: „Je ne vous parle point des Ouvrages qui ont esté exposez puis qu’il s’en debite une Liste qui vous instruira de tout ce que vous pourriez souhaiter d’apprendre là-dessus“, meinte Donneau de Visé im Mercure galant und berichtete stattdessen von den positiven Reaktionen auf die Ausstellungen, vonseiten der Besucher, des Volks und der ausländischen Gesandten in Paris: „[L]e peuple a marqué par son concours le plaisir que luy a donné l’exposition de tant de Chef d’œuvres. Les Etrangers les ont admirez, & sont demeurez d’accord qu’il n’y a que la France capable de produire tant de merveilles, & qu’elle est bien redevable au Roy, qui, par sa protection et par ses liberalitez, donne lieu aux beaux Arts de parvenir à un si haut degré de perfection, qu’il n’y a point d’aujourd’huy de Nation qui pust oser prétendre d’y parvenir.“90
Jahrzehnte vor der Entstehung musealer Präsentationsformen kam dem urteilenden Publikum und der Praxis der sprachlichen Kunstrezeption eine entscheidende Rolle bei der Valorisierung und Legitimierung der ausgestellten Arbeiten zu. Für manche der ausländischen Beobachter bot ein solches Verhalten einen kuriosen Anblick. Der deutsche Mathematiker und Architekturtheoretiker Leonhard Christoph Sturm etwa, der eine kurz davor veranstaltete Wettbewerbsausstellung unter Studierenden in der Académie gesehen hatte, verbarg sein Befremden angesichts der „unvergleichlichen Judicir-Sucht der Pariser“ nicht.91 Die Rolle, die dem Publikum innerhalb des Schauspiels der Ausstellung zugewiesen war, war die der Be89 Zur Planungsgeschichte: Rochelle Ziskin, The Place de Nos Conquêtes and the Unraveling of the Myth of Louis XIV, in: Art Bulletin, 76/1994, S. 147–162. 90 Mercure Galant, Septembre 1699, S. 226–227. Ein anderer Ausstellungsbericht, der innerhalb einer Publikation über die Pariser Kunst und Architektur erschien, erweiterte die Paraphrasierung des livret zumindest um einige wenige Hintergrundinformationen und Kommentare. Vgl. Florent Le Comte, Description des Peintures, Sculptures et Estampes Exposées dans la grande galerie du Louvre au mois de Septembre 1699, in: Revue universelle des Arts, XIV, 1861, S. 33–48. 91 Leonhard Christoph Sturms durch einen grossen Theil von Teutschland und den Niederlanden bis nach Paris gemachete Architectonische Reise-Anmerckungen, Augsburg: Jeremia Wolffen, 1719, S. 54, Brief XIII. Über Sturms Reise nach Paris: Hellmut Lorenz, Leonhard Christoph Sturm als Architekturtheoretiker und Architekt, in: Die Wissenschaftlichen Größen der Viadrina, Hg. K. Wojciechowski, Frankfurt a. d. Oder: Europa-Universität Viadrina, 1992, S. 78– 96. Zur Wettbewerbsausstellung im Versammlungsraum der Académie im August 1699: Mon-
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trachtung und Bewertung der Kunstwerke. Dabei handelte es nicht um die Gewinnung beliebiger, subjektiver Erfahrungen, sondern um einen Prozess, der zu einem verbindlichen ästhetischen Urteil führen sollte – ‚jugement‘ in der cartesianischen Tradition. Denn, wie Louis Marin André Félibien zitiert, der sich wiederum auf Nicolas Poussin bezieht: „Das ist keine natürliche Operation des Auges. Es ist ein Urteil, eine Vernunftleistung, die überall im Bild ausgebreitet ist.“ Diese Konzeption der Kunstbetrachtung ist in der Prospektive bedingt, dem Gerüst oder Netz, das über das Bild gespannt ist, „indem es in der Oberfläche die Tiefe aufbaut, die Geschichte selbst errichtet“.92 Für eine solche ‚historisierende‘ Vernunftleistung gibt es eine Entsprechung in der Konzeption des Publikums der absolutistischen Repräsentationspolitik: Denn Donneau de Visé hatte mit „peuple“ und „etrangers“ nur zwei Instanzen der Trias des absolutistischen Öffentlichkeitsverständnisses bezeichnet, wie sie Peter Burke beschrieben hat: die zeitgenössische gesellschaftliche Oberschicht („la cour et la ville“) und die internationalen Beobachter der europäischen Bühne.93 Die dritte und bedeutendste Instanz der absolutistischen Repräsentation war aber der Ruhm der Nachwelt (‚gloire‘), ein zentraler Legitimationsfaktor, dessen Widerhall die Ausstellungen gewährleisten sollten. Das Publikum musste mit den notwendigen Eigenschaften ausgestattet sein, die mit seiner Funktion als Urteilsinstanz über ästhetischen Wert und ewigen Ruhm verbunden waren. Dieser Prozess der Konstituierung des Publikums als Wertinstanz allerdings geschah unabhängig von den Ausstellungen und ebenso unabhängig von den Plädoyers für die Berechtigung des Kunsturteils (wie etwa in den Schriften Félibiens und de Piles’).
Apelles post tabulam Bevor die Frage nach der Definition und Beschreibung des Kunstpublikums zu einem expliziten Thema der Kunstliteratur wurde, hinterließ sie bereits Spuren in deren Paratexten, in Untertiteln, Vorworten und Einschüben.94 Fréart de Chambrays taiglon 1875–1909, III, S. 276. Ich danke Marcel Schumacher für den Hinweis auf Sturms Reisebericht. 92 „Die Theorie ist nicht Sicht [vision], Ansicht [aspect]. Sie ist Urteil, Prospekt [prospect].“ Zit. nach Louis Marin, Die Malerei zerstören, Berlin: Diaphanes, 2003, S. 16–17. Nach André Félibien unterscheidet Poussin das bloße, naturgegebene Betrachten (‚simple aspect‘) vom ‚office de raison‘, dem ‚Prospect‘, das von der Kenntnis des Auges, den Sehstrahlen und der Betrachtungsdistanz abhängt. Vgl. Félibien 1725, IV, S. 43–44. 93 Burke 1993, S. 184–185. 94 Ganz ähnlich waren die Vorworte publizierter Bühnenstücke ein zentraler Austragungsort literaturtheoretischer Konflikte: Giovanni Dotoli, Temps de préfaces. Critique théâtrale et unité de l’histoire de 1625 au ‚Cid‘, in: Georges Forestier (Hg.), Storiografia della critica francese nel Seicento, Bari/Paris: Adriatica/Nizet, 1986, S. 45–83.
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Traktat Idée de la perfection de la peinture (1662) ist ein augenscheinliches Beispiel für die Bedeutung eines solchen Paratexts zum Verständnis des vorgeblichen Haupttexts. Das Vorwort des Traktats war eine der ersten Auseinandersetzungen mit dem Kunstpublikum im französischen Raum und ließ dessen Funktionalisierung als Legitimierung der eigenen Kritik deutlich zutage treten. Im Unterschied zu Félibien und de Piles kümmerte Freárt de Chambray nicht die Entwicklung der Laienkennerschaft als epistemologische und soziale Kompetenz, sondern die Wirkung des Kunsturteils auf Künstler und Gesellschaft. Die Argumente zur Verteidigung der Laienkennerschaft stellten für ihn Gefahren dar, die er mit einem Ausweichverfahren in die klassische Tradition aus dem Weg zu räumen versuchte. Den Beginn seiner Schrift machte eine ironische Zurückweisung des wachsenden Interesses an bildender Kunst: „Il n’y a presque personne qui n’ait quelque inclination pour la Peinture, & qui ne pretende mesme auoir un jugement naturel & vn sens commun capables de contrôller les Ouurages qu’elle produit. Car non seulement les gens de lettres & de condition, qui sont vray-semblablement toûjours les plus raisonnables, se piquent de s’y connoistre; mais encore le vulgaire se mesle d’en dire son sentiment: si bien qu’il semble qu’elle soit en quelque façon le mestier de tout le monde.“
Die vermeintlich einfache Zugänglichkeit der Malerei sei ein verbreiteter Irrtum, ein Übel („vice“), dessen Ursprung nach Fréart de Chambray auf das Beispiel des antiken Malers Apelles zurückgehe. Der Überlieferung des Plinius zufolge hatte dieser sich hinter seinen Gemälden versteckt, um den Vorübergehenden zu lauschen und ihren Kommentaren zu folgen, sofern sie ihm nützlich waren. „Apelles [...] auoit acoustumé, auant que de mettre la derniere main à ses Tableaux, de les exposer publiquement à la censure de touts les passans, & se tenoit cependant caché derrière, pour escouter ce qu’ils en disoient, & pour en faire son proffit: d’où est venu le Prouerbe, Apelles post tabulam.“95
Nun war zwar das Beispiel des Apelles selbst über jedes Urteil erhaben, doch: „Le temps d’Apelles n’est plus“. Die Zeit, in der sich Maler der Beurteilung durch „Philosophes & des Sçauans, mais encore du commun peuple, & des artisants de tous mestiers“ unterwarfen, sei vorbei. Unter seinen Zeitgenossen sah Fréart de Chambray nur Künstler, die Komplimente suchten. Anstatt wie die Maler der Antike nach Ruhm und Unsterblichkeit zu streben, nach einer Vollkommenheit, die nur durch das Urteil aller gewährleistet werde, hätten sie lediglich die „utilité presente“ ihres unmittelbaren Vorteils vor Augen. Die blinde Liebe der Amateure zur Malerei und ihre unkritische Schmeichelei korrumpiere die Kunst.96
95 Roland Fréart de Chambray, Idée de la Perfection de la Peinture, Le Mans: Jacques Ysambart, 1662, n. p. 96 Ebd.
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Erst an dieser Stelle wird die Kritik greifbar: Sie zielt nicht auf das Urteil des einfachen Volks ab (das zu sinnvoller Kritik fähig wäre, würde es nur unter den richtigen Rahmenbedingungen angesprochen), sondern auf die ‚falschen‘ Sammler und Auftraggeber, die sich anmaßen, Kunstrichter zu sein, und die Maler, die sich unkritisch nach deren Geschmack richten. Das antike Beispiel des ‚einfachen Publikums‘ wird dem der Kenner entgegengesetzt, deren allgegenwärtiger Einfluss unweigerlich zum Niedergang der Kunst führt. Und so ist nicht das Urteil des „vulgaire“ verwerflich, sondern „le vulgaire de nos Peintres“: die zeitgenössischen Maler, die ihre Arbeit nur dem einen neuen Idol weihten, „vne nouuelle Maistresse, coquette & badine, qui ne leur demande que du fard & de couleurs, pour agreer à la premiere rencontre, sans se soucier si elle plaira long-temps.“ Einer Dirne vergleichbar, korrumpiere der gefällige, vergängliche Geschmack nach Farbe und Glanz die Suche nach den wahren Prinzipien der Malerei. Damit meinte Fréart de Chambray die Malerei Raffaels, dessen Vorrang gegenüber Michelangelo – „le Mauvais Ange de la Peinture [...] si fameux parmi le Vulgaire“ – er im Folgenden zu beweisen suchte.97 All dies war zur Belehrung der Maler ebenso wie der Kenner gedacht, denen Fréarts ‚Kompass‘ den Weg aus ihrer Verwirrung weisen wollte. Zugleich war seine Schrift ein Empfehlungswerk an den jungen König und die Académie zu Beginn ihrer Reorganisierung im Dienste der Krone. Fréart de Chambrays Kontrastierung eines abstrakten, idealen Kunstpublikums mit den Kunstliebhabern seiner Zeit war charakteristisch. Auch die Kommentatoren des 18. Jahrhunderts evozierten entgegen dem aktuellen, tatsächlich fassbaren Publikum ein ideales Gegenbild, sei es als Phänomen der Vergangenheit oder der Zukunft. ‚Public‘ trat nicht nur als soziale Formation in Erscheinung, sondern war „in large part an imaginary entity“98, ein Standard, an dem das Urteil der zeitgenössischen Rezipienten und die Qualität der zeitgenössischen Kunst gemessen wurden. Die Konzeption des idealen Publikums diente als Orientierung auf der Suche nach der Perfektion der Kunst, dem „Maß zeitloser Vollkommenheit“99. Neben diesem Streben nach Ruhm aber existierte der Irrweg der Gefall- und Gewinnsucht, der sich aus der Zustimmung Einzelner/Privater anstelle der der Allgemeinheit/Öffentlichkeit ergab: „la loüange se donne par les particuliers, & la gloire par le general le monde.“ Eine zweite, direkter einflussreiche Position zur Adressierung der Öffentlichkeit durch bildende Kunst war in dem Lehrgedicht De Arte Graphica zusammengefasst, das Roger de Piles 1668 kurz nach dem Tod seines Autors, Charles-Alphonse Du Fresnoys, in einer französischen Übersetzung mit ausführlichem Kommentar veröf-
97 Ebd. Vgl. Baldine de Saint Girons, Michel-Ange et Raphaël: Les enjeux d’une confrontation (1662–1824), in: René Démoris (Hg.), Les fins de la peinture, Paris: Desjonquères, 1990, S. 173– 194. 98 Crow 1987, S. 2. 99 Hans Robert Jauß, in: Perrault 1964, S. 27.
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fentlichte.100 De Arte Graphica sollte den Künstlern als Leitfaden dienen, vergleichbar mit der Ars Poetica des Horaz für die Dichtkunst. In diesem Transfermedium der italienischen Kunsttheorie hatte Du Fresnoy ein poetisches Empfehlungswerk geschaffen, das mehr als ein Jahrhundert lang als kunstliterarische Referenzquelle diente. In seiner orakelhaften Enigmatik war De Arte Graphica für verschiedenste Interpretationen offen. Es ist bezeichnend, dass keine der zahlreichen englischen und französischen Übersetzungen des 17. und 18. Jahrhunderts ohne ausführlichen Kommentar erschien, wobei schon derjenige von Roger de Piles mehr als viermal so lang war wie der Ausgangstext.101 Auch bei Du Fresnoy stellte sich das Kunstpublikum als Instrument zur Bewertung und Sicherung ästhetischer Qualität dar. Den Künstlern empfahl er, für die Beurteilung eigener Arbeiten nicht auf sich selbst zu vertrauen, sondern die Meinung anderer einzuholen. Dabei sollten sie sich nicht nur an die Gelehrten wenden, sondern auch an das Volk (vulgus): „Utere Doctorum Monitis, nec sperne superbus Discere, quae de te fuerit Sententia Vulgi. Est coecus nam quisque suis in rebus & expers Iudicii, Prolemque suam miratur amatque.“
Doch bei dieser Empfehlung blieb es nicht, denn unmittelbar daran anschließend heißt es: „Ast ubi Consilium deerit Sapientis Amici, Id tempus dabit, atque mora intermissa labori. Non facilis tamen ad nutus & inania Vulgi Dicta levis mutabis Opus, Geniumque relinques.“102 100 Nicht nur de Piles’ Übersetzung, sondern auch Du Fresnoys Gedicht war in Distanz zur Académie entstanden. Vgl. Christopher Allen, Les deux premières éditions de De arte graphica, in: Jean-Claude Boyer (Hg.), Pierre Mignard „le Romain“, Paris: La documentation Française, 1997, S. 117–134, Annexes S. 135–158. 101 De Piles’ Übersetzung, die fast zeitgleich mit einer weiteren Ausgabe durch Pierre Mignard veröffentlicht wurde, war der Ausgangspunkt für die drei ersten englischen Fassungen durch Dryden, Gent/Defoe und Jervas/Pope. Zur englischen Rezeption Du Fresnoys: Lawrence Lipking, The Ordering of the Arts in Eighteenth-Century England, Princeton: Princeton University Press, 1970, S. 38–65. 102 So lautete de Piles’ Übersetzung dieser Zeilen: „Tirez votre profit des avis des Gens Doctes, & ne méprisez pas avec arrogance d’apprendre le sentiment d’un chacun sur vos Ouvrages: tout le monde est aveugle dans ses propres affaires, & personne n’est capable de porter jugement dans sa propre cause, non plus que de retirer des choses qu’il a enfantées, & dont il est l’admirateur. Mais si vous n’avez point d’Amy sçavant qui vous aide de son Conseil, celuy du temps ne vous manquera pas, après que vous aurez laissé passer quelques semaines, ou du moins quelques jours, sans voir vostre Ouvrage, il vous en découvrira ingenuëment les beautez & les defauts. Ne vous laissez pas pourtant aller trop facilement aux Avis du Vulgaire, qui parle bien souvent sans connoissance, & n’abandonnez pas ainsi vostre Génie, pour changer avec trop de légèreté ce que vous avez fait; car
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Fehlten geeignete Freunde, um die Arbeit bewerten zu lassen, so werde zeitlicher Abstand eine objektive Bewertung ermöglichen. Niemals aber richte man sich nach dem wankelmütigen und unbeständigen Geschmack des Volkes („nutus et inania Vulgi“). Das Urteil des Publikums diente der Vervollkommnung des Kunstwerks. Doch Du Fresnoys Ratschläge führten den Künstler in eine Situation, die durchaus zwiespältig war: Nur wenige Zeilen trennten die „Sententia Vulgi“ (Urteile des Volks) von ihren gefährlichen Nachbarn, „nutus et inania Vulgi“. Zwischen den beiden Interpretationen des ungebildeten Volkes stand die Instanz der Zeit („Id tempus dabit atque mora intermissa labori“), die in jedem Fall zu einem richtigen Urteil führen werde. Ein paar Tage oder Wochen lang, so präzisierte de Piles in seinem Kommentar, solle man das Werk beiseitestellen, dann werde es selbst seine Fehler und Qualitäten offenlegen. Die Befragung des idealen Publikums ersetzte diese Zeit. Und so waren es Wankelmut und Unbeständigkeit („levis mutabis“), die das Volk zu einem gefährlichen Ratgeber machten. In seinem Kommentar untermauerte de Piles die vielsinnigen Verse Du Fresnoys mit demjenigen antiken exemplum, das uns bereits von Fréart de Chambray bekannt ist: der Apelles-Anekdote. „Vous scavez ce qu’Apelle faisoit quand il avoit achevé quelque Ouvrage. Il exposoit aux Passans, & se cachoit derriere, pour écouter ses défauts, dans la pensée d’en profiter quand on les luy auroit fait connoître, sçachant bien que le peuple les examineroit plus rigoureusement que luy, & ne pardonneroit pas la moindre faute.“103
Apelles selbst natürlich, mochte der gelehrte Kenner ergänzen, entstammte einer adeligen Familie, sein Lehrer Pamphilos, der ‚Vater der antiken Kunsttheorie‘, akzeptierte nur wenige Schüler. Weit davon entfernt, selbst ein Mann der Menge zu sein, stand er für ein künstlerisches Bildungsideal und die Zugehörigkeit zur sozialen Elite. De Piles’ Kommentar folgte den italienischen Quellen, insbesondere Leon Battista Alberti, der ebenfalls auf das Vorbild des Apelles verwiesen hatte, und zwar als Hilfestellung für den Künstler: „Ich will, dass unsere Maler auf gleiche Weise offen fragen und jeden anhören, der ein Urteil abgibt; das wird ihnen dienlich sein, um Erfolg zu erreichen. [...] Daher höre er jeden an, überlege sich zuerst alles wohl und verbessere sich richtig; und wenn er jeden angehört hat, vertraue er den Sachkundigeren.“104 celuy qui se met en teste & se flate de la vaine espérance de mériter l’approbation du Peuple, dont les Jugemens sont inconsiderez & changeans à toute heure, il se nuit à soy-mesme, & ne plait à personne.“ Zit. nach Charles-Alphonse Du Fresnoy/Roger de Piles, L’art de peinture, Paris: Nicolas Langlois, 1673, S. 70–73. 103 Roger de Piles, in: Du Fresnoy/de Piles 1673, S. 231. 104 Leon Battista Alberti, Über die Malkunst, Hgg. Oskar Bätschmann/Sandra Gianfreda, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2002, S. 169. Auch Dolce erwähnt die Apelles-An-
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Als de Piles in seiner letzten Publikation Cours de peinture par principes noch einmal auf die Apelles-Anekdote zurückgriff, hatte seine Gewichtung sich geändert. Hatte er bisher, so wie Fréart de Chambray, nur den ersten Teil der Anekdote erzählt, ergänzte er sie nun um ihre zweite Hälfte. Apelles nämlich akzeptierte nicht jede Kritik: „Man berichtet, ein Schuster habe getadelt, daß er an den Schuhen auf der Innenseite eine Öse zu wenig angebracht habe; als dieser aber am nächsten Tage, übermütig durch die Verbesserung des vorher genannten Fehlers, etwas am Bein bekrittelte, soll Apelles, darüber aufgebracht, hervor gesehen und gesagt haben, der Schuster solle bei seinem Leisten bleiben [...].“105
Die Ergänzung der Anekdote um die Zurückweisung des zweiten, falschen Urteils des Schusters erlaubte eine neue Auslegung, die dem Maler eine hohe Verantwortung in der Wahl seines Publikums und seiner Ratgeber auferlegte: „Il faut en ceci beaucoup d’art & d’honnesteté de la part du Peintre lequel doit faire grande distinction des personnes qui lui parlent & qui lui disent leurs sentiments sur ses ouvrages.“106 Apelles post tabulam drückte eine Position zum Gesellschafts- und Marktbezug aus, die in der Literatur des 18. Jahrhunderts immer wieder zitiert wurde. Das Beispiel des Apelles rechtfertigte Ausstellungen als Instrumente zur Anrufung des Publikums und erlaubte zugleich, die Kritik der ignoranti in die Schranken zu weisen. Mit der Empfehlung einer grundsätzlichen Hinwendung zur Gesellschaft war immer die Warnung vor den Meinungen der Menge verbunden. Den Schwerpunkt konnte dabei jeder Erzähler selbst setzen. Und so wurde die Anekdote auch dann aufgegriffen, wenn es um die Bezeichnung eines falschen Urteils ging. Wenn etwa in Madeleine de Scudérys Conversations nouvelles sur divers Sujets den Betrachtern angesichts der Glanzwerke der Grande Galerie die Stimme versagt, denn „tous les grands & beaux objets ne se peuvent ny depeindre ny décrire qu’imparfaitement“, so wird der Versuch des Lobs – dem das Gespräch gewidmet ist – zu einem Vergehen: Der Sprecher wird zum Schuster, der den Schuh des Apelles kritisiert, denn der Blick auf Einzelheiten zerstört die Möglichkeit, die Schönheit des Werks zu erkennen.107 Dem entgegen stand, eineinhalb Jahrzehnte später, das gestikulierende und argumentierende Publikum, dessen Verständigkeit die Qualität der Kunstwerke der Académie sowohl bezeugte als auch gewährleistete. Dabei fand die Ausstellung des Jahres 1699 in einer Zeit geringer finanzieller und kunstpolitischer Unterstützung ekdote: Dolce 1871, S. 26. Vgl. Lionardo da Vinci, Das Buch von der Malerei, Hg. Heinrich Ludwig, Wien: Wilhelm Braumüller, 1882, S. 62–63. 105 C. Plinius Secundus d. Ä., Naturkunde (Historia naturalis), Buch XXXV (Farben, Malerei, Plastik), Hgg. Roderich König/Gerhard Winkler, Düsseldorf/Zürich: Artemis & Winkler, 1997, S. 71. 106 De Piles 1708, S. 301. 107 Madeleine de Scudéry, Conversations nouvelles sur divers Sujets dédiees au Roy, Paris: Claude Barbin, 1684, S. 19–20.
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durch die Krone statt, in einer Zeit, als die Beschwörung der Kunstbetrachtung als absolutistisches Zeremoniell längst als ein Moment der Reminiszenz auftrat. Diese Nostalgie prägte die aufklärerische Kunstpolitik des 18. Jahrhunderts auf Jahrzehnte hin. Die französische Académie royale de peinture et de sculpture leistete im 17. Jahrhundert einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Institutionalisierung von Kunst. Mit der Organisation von Ausstellungen, dem Aufbau einer eigenen Kunstsammlung und der Entwicklung des Vokabulars und der Präsentationsformen zur Vermittlung bildender Kunst erfüllte sie die wichtigsten Aufgaben des späteren Museums. In den Ausstellungen kam dem Publikum die Rolle zu, symbolisch die Qualität der Kunstwerke zu beurteilen und damit auf die Erfüllung des imaginären Ruhmesversprechens zu verweisen. An die Stelle des Ruhmes trat in den folgenden Jahrzehnten die Figur der Öffentlichkeit: eine historisch nicht konkret verortbare, aber dennoch gesellschaftlich folgenreiche „imaginäre Institution des Sozialen“.108
Die Malerei als Hieroglyphe Gegenüber der französischen Situation, die so stark von kunstpolitischen Auseinandersetzungen geprägt war, traf die Konzeption der Kennerschaft in England auf ein vergleichsweise friedliches, da noch relativ unbesetztes Feld. Die englische Kunstliteratur griff auf dieselbe kunstliterarische Tradition und häufig auch auf französische Texte des grand siècle zurück, führte diese jedoch zu völlig anderen theoretischen Konzepten. Am Beginn der Beschäftigung mit Kennerschaft in England stand ein negativer Befund über die Versäumnisse vergangener Generationen: „I have often wondred, considering how much all Arts and Sciences are Improved in these Northern Parts, and particularly with us, that we have never produced an Historical Painter, Native of our own Soyl; [...] we never had, as yet, any of Note, that was an English Man, that pretended to History-Painting“,109
schrieb William Aglionby 1685. Diese Situation, oder zumindest deren Beurteilung, änderte sich in den folgenden Jahrzehnten kaum: Fast 30 Jahre später kam Anthony
108 Zum Begriff der „imaginären Institutionen des Sozialen“: Cornelius Castoriadis, Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1984, bes. S. 233–250. Vgl. Joseph Vogl, Einleitung, in: ders. (Hg.), Gemeinschaften. Positionen zu einer Philosophie des Politischen, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1994, S. 15. 109 William Aglionby, Painting Illustrated in three Diallogues, containing some choice observations upon the art, Hg. Theodore Besterman, Portland: Collegium Graphicum, 1972, Preface, n. p. Vgl. dasselbe Fazit Richard Haydockes in seiner Übersetzung von Lomazzos Trattato dell’arte della pittura: Richard Haydocke, A tracte containing the artes of curious paintings, carvings and buildings, [Oxford]: [Joseph Barnes], 1598, n. p.
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Ashley Cooper, der dritte Earl of Shaftesbury, zu einem ähnlichen Befund, der sich nur durch eine optimistischere Färbung unterschied: „Tho’ we have as yet nothing of our own native Growth in this kind, worthy of being mentioned; yet since the Publick has of late begun to express a Relish for Engravings, Drawings, Coppyings, and for the original Paintings of the chief Italian Schools (so contrary to the modern French Relish), I doubt not, but in very few Years, we shall make an equal progress in this other Science.“110
Klagen über den Mangel an Bildung und kulturellem Engagement der Oberschicht waren auch in Frankreich nicht unbekannt.111 In England aber war der niedrige Status bildender Kunst noch viel deutlicher spürbar. Fast alle namhaften Künstler und Künstlerinnen waren kontinentaler Herkunft. Anders als in Frankreich gab es im späten 17. Jahrhundert keine zentrale Kunstpolitik, keine programmatischen höfischen oder kirchlichen Aufträge, keine akademische Kunstausbildung. Von Interessenskonflikten zwischen staatlichen Institutionen und externen Amateurkreisen wie in Paris war man weit entfernt. Es gab jedoch einen lebhaften Kunstmarkt. Die ersten englischen Kunstauktionen entstanden in den 1670er-Jahren und damit Jahrzehnte vor denen in Paris.112 Häufig wurden Kunstwerke gemeinsam mit Büchern und anderen Luxusgütern verkauft, die Auktionen richteten sich nicht ausschließlich an erklärte Kunstkenner. Einer der wenigen englischen kunsttheoretischen Traktate des 17. Jahrhunderts wurde 110 Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, Complete Works/Sämtliche Werke, Hgg. Wolfram Benda (u. a.), Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann/Holzboog, 1981–(2001), I, 5 (A Letter Concerning the Art, or Sience of Design), S. 44. 111 „L’amour pour les Beaux-Arts est rare chez les grands seigneurs de ce temps, qui font gloire la plupart du temps de l’ignorance la plus crasse, et traitent avec mépris ceux qu’ils croient en savoir plus qu’eux“, lautete Germain Brices negatives Urteil. Zit. nach Jean Adhémar, Les critiques d’art français du XVIIe siècle et le public, in: Forestier 1986, S. 230. 112 In Paris veranstaltete Edme Gersaint, dem die Auktionen vor allem von seinen Reisen nach Holland bekannt waren, ab 1733 öffentliche Auktionen. Guillaume Glorieux, Edme-François Gersaint (1694–1750), Dissertation, Sorbonne, Paris-IV, 2000, S. 490–566; Andrew L. McClellan, Watteau’s Dealer: Gersaint and the Marketing of Art in Eighteenth-Century Paris, in: The Art Bulletin, 78/3, 1996, S. 439–453; Krysztof Pomian, Collectionneurs, amateurs et curieux. Paris, Venise, XVIe–XVIIIe siècle, Paris: Gallimard, 1987, S. 186, spricht von ca. 5 Versteigerungen/ Jahr zwischen 1750 und 1760, im folgenden Jahrzehnt ca. 15/Jahr, bis zur Revolution 30–40/ Jahr. Zum englischen Kunstmarkt des 17. und 18. Jahrhunderts: Pears 1988, S. 51–106; David Ormrod, The Origins of the London Art Market, 1660–1730, in: Michael North/David Ormrod (Hgg.), Art Markets in Europe, 1400–1800, Aldershot (u. a.): Ashgate, 1998, S. 166–186; Brian Cowan, Arenas of Connoisseurship: Auctioning Art in Later Stuart England, in: ebd., S. 153– 166. Walter Minchinton, English Merchants and the Market for Art in the Long 18th Century, in: Michael North (Hg.): Economic history and the arts, Köln/Wien: Böhlau, 1996, S. 89–96. David Ormrod und Brian Cowan gehen von einem konstant wachsenden Londoner Kunstmarkt in der Periode zwischen 1660 und 1730 aus, der ab den 1720er-Jahren holländische Städte als Kunstmarktzentren ablöst.
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im Auftrag des innovativen und erfolgreichen Auktionators Edward Millington publiziert.113 Noch zur Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Auktionsausstellungen die beste und verlässlichste Gelegenheit, qualitätsvolle Kunst zu sehen, und so waren sie für André Rouquet mit den Pariser Akademieausstellungen vergleichbar: „Quand une vente est affichée, la salle où elle doit se faire, & où sont avantageusement étalés les tableaux, est ouverte pendant deux ou trois jours consécutifs, tout le monde peut y entrer, excepté la vile populace. Un officier de police, revêtu des marques de sa charge, en garde la porte. Le public à Londres se fait un amusement de cet étalage, à peu près comme à Paris de celui du sallon, lorsque les ouvrages des Artistes de l’Académie sont exposés.“114
Die Bedeutung solcher Veranstaltungen war insbesondere bis zu den 1760er-Jahren, als die ersten Ausstellungen zeitgenössischer Kunst veranstaltet wurden, groß. Doch gerade der Vergleich mit den Pariser Akademieausstellungen macht einen grundlegenden Unterschied deutlich: In den Kunstauktionen wurden in der Regel Werke kontinentaler Herkunft verkauft. Zeitgenössischen britischen Künstlern und Künstlerinnen boten die Auktionsausstellungen kein Forum. Die wichtigste Organisationsform von Kennerschaft des späten 17. Jahrhunderts war die Kultur der Virtuosi,115 deren Interessen in den Clubs ebenso wie in den vielfältigen Aktivitäten der Royal Society reflektiert waren. Auch William Aglionby war Mitglied der Royal Society, deren Philosophical transactions immer wieder kunsttheoretischen Fragen gewidmet waren und die auch Interesse an den conférences der Pariser Académie zeigte. Allerdings, und dies wurde den Virtuosi ab dem frühen 18. Jahrhundert zum Verhängnis, waren ihre Interessen breit gefächert: Sie mochten „a dry scalp“ neben „some (forsooth) Italian painting, be it of Raphaël or Titian himself“ stellen, kritisierte etwa John Evelyn, der sich mit mehreren kunstliterarischen Publikationen und mit Übersetzungen zweier Schriften von Fréart de Chambray engagierte. Evelyn selbst hatte an der Malerei rein ‚antiquarisches‘ Interesse. Für 113 Dies war Marshall Smiths The art of Painting (1691). Vgl. die Ankündigung in: The London Gazette, no. 2745, 29. Februar–3. März 1691. 114 Rouquet 1755, S. 190–191. Vgl. Jonathan Swifts Beschreibungen von Auktionsbesuchen, in: Jonathan Swift, Journal to Stella, Hg. Harold Williams, Oxford: Clarendon Press, 1963, passim. 115 Walter E. Houghton, The English virtuoso in the seventeenth century, in: The Journal of the History of Ideas, III, 1942, S. 51–73, 190–219; Claire Pace, Virtuoso to Connoisseur: Some seventeenth-century English responses to the visual arts, in: Seventeenth Century, 2, 1987, S. 167–188; Brian Cowan, An Open Elite: The Peculiarities of Connoisseurship in early modern England, in: Modern Intellectual History, 1/2, 2004, S. 151–183. Bereits Henry Peacham verwendete den Begriff vertuoso sowie die später nicht mehr gebräuchliche weibliche Form vertuosa in der zweiten Ausgabe des Compleat Gentleman (1634) für gelehrte Sammler alter Kunst. Neben der italienischen war die holländische Tradition bedeutend, und so nennt Peacham auch den liefhebber, der in Edward Norgates Miniatura (1655) ebenfalls aufscheint. Vgl. Cowan 2004, S. 154, Fn. 10. Der Verwendung des englischen virtuoso entspricht etwa diejenige des französischen curieux. Vgl. Olivier 1976, S. 24–25.
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ihn war sie im besten Fall eine historische Quelle über das Aussehen des „learned Count of Mirondola, Politian, Guicciardini, Machiavel, Petrarch, Ariosto, or Tasso; or some famous pope, prince, poet, or other hero of those times.“116 Aus der Sicht des kulturpolitischen Projekts der Kunstförderung jedoch führte ein solcher (pseudo)wissenschaftlicher Zugang in die Irre. Der kulturelle Leitbegriff der politeness beschrieb ein Ideal geselliger Kultiviertheit, das als identitätsstiftender Faktor breiter gesellschaftlicher Schichten funktionieren sollte.117 Er umfasste zunächst soziale Tugenden – ‚refinement‘ (Bildung), ‚good breeding‘ (gutes Benehmen), ‚civility‘ (Höflichkeit) und ‚complaisance‘ (Gefälligkeit).118 Dabei fanden sich die Adressaten der umfangreichen politeness-Literatur nicht nur innerhalb der gentry.119 Die Leitfigur des Spectator war der ‚sociable man‘, ein Gesellschaftsmensch, der Kunst im gemeinschaftlichen Verbund erleben und diskutieren konnte. Politeness war ein integraler Bestandteil der britischen Konsumkultur des frühen 18. Jahrhunderts: Der Ausspruch von Alexander Gerard, „Taste stamps a value upon riches“, war durchaus nicht ironisch gemeint.120 Politeness – „[v]irtue, as defined by culture“121 – wurde zu einer einflussreichen sozialen Distinktions- und Legitimationsgrundlage. Modelle der Kunstrezeption und der Kunstförderung orientierten sich daran.122 Das Kulturideal erlaubte die Integration von Bildung und, in begrenztem Maß, Gelehrtentum in die Verhaltensregeln der Oberschicht, deren privilegierte Position die Erfüllung gesellschaftlicher Aufgaben nach sich ziehen sollte, insbesondere die Förderung der Künste und der Wissenschaften.123 William Aglionbys erklärtes Ziel war, „to make Painting Familiar and Easie to the Nobility and Gentry of this Nation, and to enter them so far in the Knowledge and Acquaintance of the Italian Painters, that they may converse
116 John Evelyn an Samuel Pepys, 12. August 1689, zit. nach: Houghton 1942, S. 208. 117 Pears 1988; Solkin 1993 (bes. S. 11, 27–47); Klein 1994. Auch Terry Eagleton streicht den konsensuellen Charakter der englischen Kulturkritik des frühen 18. Jahrhunderts hervor. Terry Eagleton, The Function of Criticism, London: Verso, 1984, S. 10–11. Vgl. John Brewer, The pleasures of the imagination. English culture in the eighteenth century, Chicago: The University of Chicago Press, 1997. 118 Klein 1994; Peter France, Politeness and its Discontents. Problems in French classical culture, Cambridge: Cambridge University Press, 1992. 119 Lawrence E. Klein, Politeness for plebes. Consumption and social identity in early eighteenthcentury England, in: Bermingham/Brewer 1995, S. 362–382. 120 Alexander Gerard, An Essay on Taste, Edinburgh/London: J. Bell/W. Creech/T. Cadell, 1780, Repr. New York: Delmar, 1978, S. 194–195. 121 Pears 1988, S. 23. 122 „[P]oliteness should not be dismissed simply as an irrelevant ideological gloss on a reality of an entirely different nature. Since politeness was a model of cultural action, it helped shape a wide range of cultural institutions and practices in the eighteenth century“. Zit. nach Klein 1994, S. 12. 123 Ebd., S. 10–11. Vgl. beispielhaft Daniel Defoe, An essay upon projects, New York: AMS Press, 1999.
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with their Works, and understand the different Characters“.124 Painting Illustrated in three Diallogues enthielt ein Glossar der wichtigsten fremdsprachigen Fachtermini, in drei Gesprächen wurden zahlreiche weitere Grundbegriffe der Malerei erklärt. Den Grundstock des historischen Teils des Buches bildete eine explizit auf Vasari gestützte Vitensammlung der bekanntesten (und daher vor allem italienischen) Maler. Damit waren die wichtigsten Grundlagen der Kennerschaft zusammengefasst. Aglionbys Publikation wandte sich ausdrücklich und notwendigerweise an Laien. Die mangelnde heimische Bildtradition führte er auf mangelnde Förderung durch die Oberschicht zurück. Es gäbe „no Judges, [...] no Promoters of an Art that lies all in nice Observations.“ Stattdessen neige man zu „sensual Delights, which destroy our Health, and dull our Minds.“125 Der Zusammenhang zwischen der theoretischen Beschäftigung mit Kunst und ihrer Förderung war schon in früheren Schriften zur englischen Laienkennerschaft entwickelt worden, etwa in Henry Peachams The Art of Drawing with the Pen (1606) bzw. Graphice/The Gentleman’s Exercise (1612/1627).126 Aglionby spielte mit dem Bild des spürbaren Verlusts einer ehemals besonders blühenden und nun besonders vernachlässigten Kultur der Kennerschaft und wandte sich an den patriotischen Ehrgeiz seiner Landsleute: „the Dutch in the midst of their Boggs and ill Air, have their Houses full of Pictures, from the Highest to the Lowest; the Germans are also Curious in their Collections; the French have as good as can be had for Money; and that Art seems now to take Sanctuary there“.127 Kennerschaft sei notwendig, um die heimischen Künstler gegenüber der Prädominanz deutscher, holländischer, französischer und italienischer Künstler und dem Import kontinentaler Kunst zu stärken. Es ist symptomatisch für Aglionbys Einschätzung der Situation, dass die (für die didaktische Dialogform klassische) Unterscheidung zwischen Kenner und Novizen anhand eines Reisenden („Traveller“) und seines Freundes geschieht. Kennerschaft ist gleichbedeutend mit Auslandserfahrung: „The extream delight you take in Pictures, is a Pleasure you have acquired abroad“, meint der Freund, „for I remember before you travelled, all Pictures were alike to you [...]“. Der Kenner erinnert sich verschämt an seine frühere „Ignorance, or rather willful Stupidity“, denn Kunstkenntnis erfordere keine jahrelangen Studien, sondern sei Zeichen von Weltgewandtheit.128 Aglionbys Begriff von Kennerschaft war deutlich weniger anspruchsvoll formuliert als derjenige Roger de Piles’. Die verschiedenen „Hands and Manners“ der Maler zu erkennen, sei nicht notwendig, „a few Rules of Common Sense and Obvious Notions will suffice [...] to make any one a Judge of Painting.“ Grundsätzlich sei die 124 Aglionby 1972, Preface, n. p. 125 Ebd., Preface; 35. Im Vorwort spricht Aglionby noch deutlicher von „the most Profuse Gluttony and Exorbitant Drunkenness“. 126 F. J. Levy, Henry Peacham and the Art of Drawing, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 37, 1974, S. 174–190. 127 Aglionby 1972, Preface, n. p. 128 Ebd., S. 1–2.
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Beurteilung von Bildern bereits auf der Basis der Kenntnis der Natur möglich, wenn auch mit wachsendem Wissen über manner und invention des Malers der Genuss für den Rezipienten steige. Sei der Kenner mit common sense ausgestattet, dann könnten auch katholische Bildwerke keinerlei Schaden anrichten, denn diese seien „subject to a certain Absurdity of Anachronisaie’s Drawing. For Example, our Saviour upon the Cross, and Saint Francis and Saint Benedict looking on, though they did not live till eight hundred Years after our Saviour’s Passion.“129 Solche Darstellungen widersprächen der historischen Plausibilität und seien daher unglaubwürdig. Die hohe Kunst der Kennerschaft sollte der britischen Aristokratie wahrlich „easie“ gemacht werden. Kennerschaft erreiche man durch Übung und durch Gespräche vor Kunstwerken, denn sie sei ein gesellschaftliches Vergnügen: „it improves by being shared, and growes greater by the number of its Enjoyers, every one making some Observation, according to his Genius and Inclination, which still Illustrates the whole.“130 Wenn der Neuling auf den nachfolgenden Seiten von den Schönheiten der Kunst erfährt, dann zeigt Aglionby nicht nur, dass Kunstkenntnis (auch für seine Leser) mit Lektüre beginnt. Die vorgeführten Gespräche sind, wie de Piles’ Conversations und Félibiens Entretiens, ein integraler Teil des Kunstgenusses, sie bedeuten, „aus dem Vergnügen oder dem Genuß am Gemälde ein sprachliches Vergnügen oder einen sprachlichen Genuß zu machen.“131 Die Übersetzung des Bildes in die Sprache stand allerdings nicht in jedermanns Macht. In seiner Widmung an den Earl of Devon formulierte Aglionby pointiert den exklusiven Charakter der Kennerschaft: „Secret Beauties are the great Charm of Life to Dilicate Souls; but they want nice Observers to be enjoyed; and Pictures have that singular Priviledge, that though they seem Legible Books, yet they are perfect Hieroglyphicks to the Vulgar, and are all alike to them.“132
Mit der Beschreibung von Bildern als verschlüsselte und nur vermeintlich lesbare Zeichen kehrte Aglionby den Topos der Universalität der Malerei um, unabhängig von Bildung, Sprache und Alter allen Menschen zugänglich zu sein. Der Vergleich mit der Hieroglyphe eröffnete ein weites Assoziationsspektrum. Francis Bacon hatte in seiner Kritik an der auf Schriftzeichen basierenden Sprache die Hieroglyphen als Gegenmodell, als Beispiele ‚natürlicher‘ Zeichen, genannt. Entgegen der willkürlich gesetzten Medialität der Sprache, die die Entwicklung und Dynamik des Denkens behindere, erschienen die Hieroglyphen (darunter auch die Gestensprache, die Bacon „transitory hieroglyphs“ nannte) als sinnlich wahrnehmbare Zeichen, die durch Ähnlichkeit („similitude“) oder Übereinstimmung („congruity“) mit der Idee verbunden seien, durch „an affinity with the thing signified“. Bilder besaßen eine un129 Ebd., S. 100, 120. 130 Ebd., S. 2. 131 Marin 2003, S. 19. 132 Aglionby 1972, n. p. ‚Nice‘ bedeutet hier, und noch bis in das frühe 19. Jahrhundert, ‚genau‘, ,differenzierend‘.
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mittelbarere Nähe zum Dargestellten als Schriftzeichen, sie waren näher an einer ‚natürlichen‘ Sprache.133 Aglionby bezog sich nur beschränkt auf diese Interpretation der Hieroglyphen. Die Malerei mochte für ihn wohl Zeichen einer natürlichen, nicht aber einer universalen Sprache sein. Für spätere Generationen zuweilen unverständlich, zielte das Interesse des 16. und 17. Jahrhunderts nicht unbedingt auf die Entschlüsselung der altägyptischen Hieroglyphen als Sprachzeichen, sondern auf ihre Vorbildlichkeit als komplexe Sinnzeichen. Entgegen den zahlreichen Bezugnahmen auf Hieroglyphen in modernen Universalsprachprojekten und entgegen allen Widerlegungen (bis hin zum einschlägigen Artikel in der Encyclopédie134) hielt sich die Vorstellung, dass die ‚heiligen Zeichen‘ eine Geheimsprache der altägyptischen Priester gewesen seien, die ihre Weisheit vor dem Volk verbergen wollten. Dieser Konzeption exklusiver Zugänglichkeit entsprach die Verwendung der Hieroglyphe in der englischen Emblemtradition. So wie die Hieroglyphe offenbarten sich Emblem und Imprese nur dem Kenner, der sie zu entschlüsseln vermochte.135 In der mystischen Poetik des 17. Jahrhunderts und in Schriften über die Gartenkunst wurde der Vergleich mit der Hieroglyphe dann auch zur Beschreibung von Kunstwerken herangezogen.136 Die humanistische Emblemtradition bot Aglionby daher einen bedeutenden Anknüpfungspunkt. Marsilio Ficino hatte erläutert, wie Gott das Wissen über die Dinge „nicht durch eine Vielzahl von Gedanken über einen Gegenstand, 133 „For men believe that their reason governs words; but it is also true that words react on the understanding [...]. [...] [W]ords stand in the way and resist the change“. Francis Bacon, zit. nach Thomas C. Singer, Hieroglyphs, Real Characters, and the Idea of a Natural Language in English Seventeenth-Century Thought, in: Journal of the History of Ideas, 50, 1989, S. 52. Vgl. Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1999, S. 46–56, 82–113. Singer plädiert für eine spätere Datierung der von Foucault beschriebenen epistemologischen Verschiebung von Affinitätsbeziehungen zur Repräsentationsbeziehung in England in die letzten Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Singer 1989, S. 66. 134 Denis Diderot (u. a., Hgg.), Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers, (1751–1780), Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog, 1966–67, VIII, S. 205– 206. 135 Marc Fumaroli, Hiéroglyphes et Lettres: La „Sagesse mystérieuse des Anciens“ au XVIIe siècle, in: Dix-septième siècle, 40, 158, 1988, S. 7–20. 136 John Dixon Hunt, The Figure in the Landscape. Poetry, Painting and Gardening During the Eighteenth Century, Baltimore: Johns Hopkins University Press, 1976, S. 9–15; Ronald Paulson, Emblem and Expression, London: Thames & Hudson, 1975, S. 19–34. Im 18. Jahrhundert taucht der Begriff der Hieroglyphe in verschiedenen Zusammenhängen auf. Shaftesbury sah sie als (abzulehnende) Mischform zwischen Text und Bild, vgl. Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (Plasticks), S. 214. Denis Diderot beschrieb mit der Hieroglyphe komplexe Strukturen des künstlerischen Ausdrucks. Vgl. Hubertus Kohle, Ut pictura poesis non erit. Denis Diderots Kunstbegriff, Hildesheim/Zürich/New York: Olms, 1989, S. 71–77; Hans Körner, Die Sprache der Künste. Die Hieroglyphe als Denkmodell in den kunsttheoretischen Schriften Diderots, in: Wolfgang Harms (Hg.), Text und Bild, Bild und Text, Stuttgart: Metzler, 1990, S. 385–398; Tzvetan Todorov, Symboltheorien, Tübingen: Niemeyer, 1995, S. 125–142.
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sondern durch ein einfaches, festes Begreifen von dessen Wesen hat“, und ähnlich bezeichneten die altägyptischen Priester „die göttlichen Mysterien nicht durch sorgfältig geschriebene Buchstaben, sondern durch vollständige Pflanzen-, Baum- und Tierfiguren“.137 Die Doppelheit von Komplikation (der Verknüpfung und Einfaltung des Sinns) und Explikation (seiner Entfaltung und Entschlüsselung) hat Edgar Wind als Grundlage des Emblems beschrieben: „[W]ie Erasmus in den Adagia bemerkte, sollte sich der Gehalt dieser Figuren nicht in der unmittelbaren Anschauung erschließen oder ,jedermanns Vermutung zugänglich‘ sein [...]. Im Gegensatz zum göttlichen Verstehen, das im Lesen der Hieroglyphen präfiguriert werden sollte, ist also deren intuitives Begreifen von diskursivem Wissen abhängig. Wenn man nicht weiß, was eine Hieroglyphe bedeutet, kann man auch nicht sehen, was sie sagt.“138
Der Vergleich mit der Hieroglyphe sollte die Nobilitierung der Malerei unterstützen, ein Anliegen, das Aglionby in seiner Publikation mehrfach wiederholte. Im Unterschied zur französischen Kunstliteratur über die Kennerschaft ging Aglionby nicht den Weg der Exploration zur Offenlegung des Wissens, sondern zu dessen Einkapselung für einen kleinen, eingeweihten Kreis. Die Rezeption der Malerei/Hieroglyphe bedurfte der Kennerschaft, denn sie war eine eigenständige Schöpfung, nicht einfach Imitation der Natur. Sie erlaubte die Verkörperung des Sinns ohne Komplexitätsverlust, in einer natürlichen, sinnlich erfassbaren Sprache. Hieroglyphen waren nicht Instrumente einer Sprache, nicht Medien, sondern Sinn selbst. Das verschlüsselte Wissen, das sich in dieser Dialektik zwischen Exklusivität und Universalität entwickelte, fand entsprechenden Ausdruck in den englischen Künstler- und Kennervereinigungen, die privat und zumeist in Form von Clubs organisiert waren und prinzipiell demokratische mit äußerst beschränkten Zugangsprinzipien vereinten.139 Zutritt war nur für Mitglieder möglich, und neue Kandidaten konnten in der Regel nur über Einladungen eingeführt werden. Bereits vor der Gründung der Royal Academy existierte eine fast ununterbrochene Reihe männlich dominierter Clubs und Ausbildungsstätten, die die Funktion von Kunstakademien in fast allen Bereichen erfüllten – mit Ausnahme der Veranstaltung öffentlicher Ausstellungen.140 137 Marsilio Ficino, zit. nach Edgar Wind, Heidnische Mysterien in der Renaissance, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1984, S. 238. 138 Ebd.; Wind geht auch auf die Inkongruenz der vielfältigen nebeneinander bestehenden Deutungstraditionen der Hieroglyphen in der Renaissance ein: ihre unmittelbare Verständlichkeit in der Tradition Plotins; die Struktur der Sinneinfaltung bei Ficino; ihre Eigenschaft als diskursive Bilderschrift in der Hypnerotomachia Poliphilii. 139 Colley 1992, S. 88; Peter Clark, British Clubs and Societies 1580–1800. The Origins of an Associational World, Oxford: Clarendon Press, 2000. 140 Diese Darstellung folgt Ilaria Bignamini, Art Institutions in London 1689–1768. A Study of Clubs and Academies in: Walpole Society, 54, 1988, S. 19–148 sowie dies., The ‚Academy of Art‘ in Britain before the Foundation of the Royal Academy, in: A. Boschloo (u. a., Hgg.), Academies
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Bereits 1673 dürfte in London kurz eine Akademie existiert haben, und nach Aglionbys Publikation entstanden längerlebige Clubs, darunter die Virtuosi of Saint Luke (1689–1743) und der Rose and Crown Club (1704–1745) der Londoner Künstlerschaft. Die exklusivere Vereinigung der Virtuosi of Saint Luke, der „tip top Clubb of all“141, stellte sich mit Banketten zum Lukastag selbstbewusst in die Tradition Van Dycks. Zu den Gründungsmitgliedern zählten Künstler wie John Closterman und Michael Dahl sowie Kenner wie Richard Graham, der als Verfasser eines Short Account of the Most Eminent Painters über die britische Künstlerschaft die erste englische Übersetzung von De arte Graphica durch John Dryden (1695) ergänzt hatte. 1706 kam die Übersetzung von Roger de Piles’ Idée du Peintre Parfait von Bainbrigg Buckeridge unter dem Titel The art of painting and the lives of the painters hinzu, die Kurzbiografien der wichtigsten britischen Künstler enthielt.142 Die Treffen sollten Künstler und Sammler zusammenbringen, es wurden Bilder aus dem Besitz der Mitglieder besichtigt, verkauft und versteigert. Beide Clubs waren für den Transfer der kontinentalen Kunsttheorie nach England und für die Erstellung der englischen Kunsthistoriografie zentral. Doch zwei Kernaufgaben der französischen Akademien fehlten beiden Vereinigungen: Das Problem der Organisation der Kunstausbildung blieb ungelöst (diese fand nach wie vor primär in den Ateliers statt), und es gab keinerlei öffentliche Ausstellungen. Die Frage, ob die englische Künstlerschaft dem französischen Akademiemodell folgen sollte, als dessen wichtigste Merkmale man die Unterordnung unter die staatliche Kulturpolitik und eine hierarchische Organisationsform sah, oder stattdessen ihren Clubcharakter beibehalten sollte, beschäftigte und spaltete die englische Künstlerschaft für Jahrzehnte. Dies scheint bereits dem Versuch zur Gründung einer Akademie durch die Virtuosi im Jahr 1698 im Wege gestanden zu haben.143 Die britischen Herrscher brachten kein Interesse an der Gründung einer Kunstakademie auf, und es bestand Uneinigkeit darüber, wie eine zentrale Kunstakademie ohne direkte höfische Anbindung aussehen sollte. Erst 1768 wurde die Royal Academy gegründet. Bis dahin entstanden mehr oder weniger dauerhafte Initiativen, die von den Künstlern selbst organisiert und verwaltet wurden. So waren gegenseitiger Austausch und Ausbildung gewährleistet, Ausstellungen wurden jedoch nicht veranstaltet. of Art between Renaissance and Romanticism (Leids Kunsthistorisch Jaarboek, V–VI, 1986/87), Den Haag: SDU Uitgeverij, 1989, S. 434–450. 141 George Vertue, nach Ronald Paulson, Hogarth, New Brunswick (u. a.): Rutgers University Press, 1991–1993, II, S. 68. 142 Bainbrigg Buckeridge, An essay towards an English school of painting/Roger de Piles, The art of painting and the lives of the painters, London: J. Nutt, 1706. 143 Bignamini bezeichnet den Zeitpunkt des Gesuchs an William III. aufgrund der Verbindung John Clostermans zu Shaftesbury, der wiederum mit dem Lord Chancellor John Somers bekannt war, als günstig (Bignamini 1988, S. 26–27), doch überrascht ihre Annahme seiner Befürwortung des französischen Akademiemodells. Shaftesburys Haltung in dieser Frage war äußerst kritisch (vgl. das folgende Kapitel).
2. Sensus communis: Gemeinschaftsmodelle zu Beginn des 18. Jahrhunderts Shaftesbury: Kunst- als Selbstkritik Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde die Rolle des Publikums als Richter über künstlerische Qualität innerhalb eines neuen Bedeutungshorizonts umgewertet und konkretisiert. Zwei einflussreiche Autoren dieser Zeit, die dieser Frage besondere Aufmerksamkeit widmeten, Anthony Ashley Cooper, Third Earl of Shaftesbury, und der französische Historiker und Diplomat Jean-Baptiste Du Bos, sind dabei von besonderer Bedeutung. Während sich die Kunstliteratur des 17. Jahrhunderts auf die theoretische Entwicklung der Laienkennerschaft konzentriert hatte, waren ihre Texte konstitutiv für die Einbindung bildender Kunst und damit auch des Publikums in gesellschaftstheoretische und geschichtsphilosophische Diskurse. Das Interesse an den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kultureller Blüte war grundsätzlich von historischen Modellen geprägt, und zwar im doppelten Sinn: durch Rückblicke auf die (Kultur-)Geschichte und durch die Funktionalisierung der Gemeinschaft der Kunstrezipienten als Instrument der Geschichte. Damit war die Grundlage der Umwertung des Kunstpublikums zum Konzept der Kunstöffentlichkeit geschaffen. Shaftesbury formulierte seine Philosophie in Auseinandersetzung mit dem modellhaften Ideal der griechischen polis. Während er sich schon früh für die gesellschaftliche Verantwortung der Philosophen und Literaten interessiert hatte, setzte die Beschäftigung mit bildender Kunst erst an einem relativ späten Punkt seiner schriftstellerischen Tätigkeit ein. Die Untersuchung Second Characters, or the Language of Forms, die die Integration der bildenden Kunst in sein philosophisches System vollzogen hätte, ist nicht vollendet. Nach seinem Tod in Neapel im Jahr 1713 blieb der umfangreiche Plan zu dieser Abhandlung zurück, die als Folgeschrift zu den 1711 publizierten Characteristicks geplant war.1 Shaftesburys Bemühen „to twist [...] & interweave Morality with Plasticks“2 geht aber weit über einzelne Schriften hinaus. In den dreibändigen Characteristicks, einer Sammelschrift aus politischen, moral1 Zwei der vier geplanten Teile der Second Characters veröffentlichte Shaftesbury noch zu Lebzeiten. Le Jugement d’Hercule wurde 1712 im Amsterdamer Journal des Sçavans publiziert, im Jahr darauf folgte die Publikation der englischen Fassung. Ebenfalls 1712 entstand die als dazugehöriger Begleitbrief konzipierte Schrift A Letter concerning Design, in dem er sich über die Situation der bildenden Kunst in England äußerte. Zur Publikationsgeschichte: Kerry Downes, The Publication of Shaftesbury’s ‚Letter concerning Design‘, in: Architectural History, 27, 1984, S. 519–523. 2 Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (Plasticks), S. 166. Der Ausdruck „Plasticks“ meint eben die bildende Kunst.
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philosophischen und kunsttheoretischen Texten, verfolgte er ein „soziopolitisches“ Projekt,3 in dem politische und ästhetische Betrachtungen untrennbar miteinander verbunden waren. Literatur und bildende Kunst waren dabei häufig unter denselben strukturellen und begrifflichen Vorzeichen behandelt. Wie kein anderer britischer Autor schrieb Shaftesbury der Ästhetik eine gesellschaftlich verbindende Funktion zu und formulierte Kunstrezeption als Verknüpfung öffentlicher und privater Tugenden. Sein Begriff von ‚morality‘ umfasste geistige und moralische Kompetenz und basierte nicht nur auf rationaler Intellektualität, sondern auch auf sinnlicher Kognition.4 Als Shaftesbury schrieb, „Thus are the Arts and Virtues mutually Friends: and thus the Science of Virtuoso’s, and that of Virtue it-self, become, in a manner, one and the same“,5
so stellte dies den Versuch dar, den Leser aufgrund der gegenseitigen Bedingtheit moralischer und ästhetischer Urteilsfähigkeit zur Integration der Künste in die wichtigsten menschlichen Lebensbereiche zu führen. Die Auseinandersetzung mit (bildender) Kunst sollte nicht Selbstzweck sein, sondern ein Mittel zur Schulung gesellschaftsbildender Kompetenzen. Kunstbetrachtung war eine soziale Praktik, doch zugleich basierte sie auf der Übung der Selbstreflexion, einer Übung, die bedingt war durch Selbststudium (Introspektion) und Weltoffenheit (Extrovertiertheit). Introspektion diente als Grundlage der Konstitution des Subjekts innerhalb der Gesellschaft. Das Kernstück der ästhetischen Theorie Shaftesburys, dargestellt in Soliloquy, or Advice to an Author („Selbstgespräch, oder Rat an einen Autor“), war die Selbstkritik. In der Zurückgezogenheit erlangte Shaftesburys Autor/Philosoph seine intellektuelle und moralische Vollkommenheit. Das ästhetische Ideal entfaltete sich außerhalb des Marktes, außerhalb von commerce und conversation. Selbsterkenntnis, Selbstkritik und Selbstbestimmung waren die Voraussetzungen für die Entwicklung des individuellen Urteilsvermögens und der geistigen Leistung des Autors/Philosophen. Im zweiten Teil des Soliloquy erörterte Shaftesbury die äußeren Bedingungen, die diese Leistung beeinflussen könnten: fürstliche Patronage, die Kritiker, der Geschmack des Publikums. Sein Fazit hinsichtlich der zeitgenössischen Bedingungen geistiger Arbeit in England war positiv, und so lag die Grundverantwortung beim Autor/Philosophen selbst: „‘TIS on Themselves, that all depends. We have consider’d their other Subjects of Excuse. We have acquittted the GREAT MEN, their presumptive Patrons; and left ’em to their own Discretion. We have prov’d the CRITICKS not only an inoffensive, but highly use-
3 Klein 1994, S. 1, nach Joseph Rykwert. 4 Vgl. die informative Studie von Barbara Schmidt-Haberkamp, Die Kunst der Kritik. Zum Zusammenhang von Ethik und Ästhetik bei Shaftesbury, München: Fink, 2000. 5 Shaftesbury 1981–(2001), I, 1 (Soliloquy), S. 270.
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ful Race. And for the AUDIENCE, we have found it not so bad as might perhaps at first be apprehended.“6
Die Bestimmung dieser gesellschaftlichen Faktoren diente der Steigerung der Qualität geistiger Arbeit. Shaftesburys ‚Audience‘ bzw. ‚Publick‘ war zwar weniger Richter über ästhetische Fragen als ihr Empfänger, doch war es notwendig, sein ästhetisches Empfinden zu schulen, um höherstehende Arbeiten zu produzieren und diese in der Gesellschaft zu verankern. Diese Aufgabe stand den Künstlern zu, die dem Markt nicht folgen, sondern ihn leiten sollten: „Our modern Authors [...] regulate themselves by the irregular Fancy of the World; and frankly own they are preposterous and absurd, in order to accommodate themselves to the Genius of the Age. [...] And this perhaps maybe some occasion of the Laziness and Negligence of our Authors; who observing this Need, which our Curiosity brings on us, and making an exact Calculation in the way of Trade, to know justly the Quality and Quantity of the publick Demand, feed us thus from hand to mouth; resolving not to over-stock the Market, or be at the pains of more Correctness or Wit than is absolutely necessary to carry on the Traffick.“7
‚Publick‘ bezeichnete in diesem Zusammenhang den zeitgenössischen Markt, der nicht als Regulativ funktioniere, sondern Mittelmaß produziere. An anderen Stellen führte Shaftesbury Publick in die politische Begrifflichkeit der ‚Allgemeinheit‘ zurück, was sich im emphatischen Zusatz „it-self“ ausdrückte. Dies lautete dann etwa so: „The Arts and Sciences must not be left Patron-leß. The Publick it-self will join with the good Wits and Judges, in the resentment of such a Neglect“, oder: „Merit in every kind is easily discover’d, when sought. The Publick it-self fails not to give sufficient Indication; and points out those Genius’s who want only Countenance and Encouragement to become considerable.“8 Doch nicht jede politische Verfassung ermögliche das Entstehen dieser Form von Öffentlichkeit. Shaftesbury betonte an vorderster Stelle zahlreicher englischer Denker des 18. Jahrhunderts: „where Absolute Power is, there is no PUBLICK.“9 In einem absolutistisch-despotischen Staat, als dessen Beispiel Frankreich im Hintergrund der Argumentation steht, könne sie nicht existieren. Doch „[a]s for us BRITONS, thank Heaven, we have a better Sense of Government deliver’d to us from our Ancestors. We have the notion of a PUBLICK, and a CONSTITUTION [...].“10 Der „pathologischen Soziabilität“11 der fran6 7 8 9 10
Ebd., S. 194. Ebd., S. 178–180. Ebd., S. 136, 138–140. Shaftesbury 1981–(2001), I, 3 (Sensus Communis), S. 72. Vgl. Barrell 1986, S. 33–39. Ebd., S. 74–76. Zur Tradition und Bedeutung der Lehre vom sensus communis für die englische und vor allem schottische Moralphilosophie: Klaus Oehler, Der Consensus omnium als Kriterium der Wahrheit in der antiken Philosophie und der Patristik, in: Antike und Abendland, 10, 1961, S. 103–129, bes. S. 126–127. 11 Klein 1997, S. 30–45.
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zösischen Hofkultur stellte Shaftesbury das Bild des freien britischen Gemeinsinns gegenüber, des sensus communis, dem er eine gleichnamige, innerhalb der Characteristicks publizierte Schrift widmete. Der sensus communis einer Gemeinschaft, das gemeinsame Interesse am Gemeinwohl, war nach Shaftesbury nicht zuletzt durch kulturelle Werte gestützt. Da das Prinzip der Eigenverantwortung in der britischen Verfassung verankert sei, seien seine Landsleute begünstigt, gültige ästhetische Urteile zu fällen. Die Freiheit der Gemeinschaft und die Notwendigkeit der Selbstdisziplinierung beförderten die ästhetische, moralische und geistige Urteilskraft des Einzelnen, ja selbst des Volkes, dessen Verachtung von Despotismus zeuge und der britischen Verfassung unwürdig sei: „The Publick is not, on any account, to be laugh’d at, to its face; or so reprehended for its Follys, as to make it think it-self contemn’d. And what is contrary to good Breeding, is in this respect as contrary to Liberty. It belongs to Men of slavish Principles, to affect a Superiority over the Vulgar, and to despise the Multitude.“12
‚Publick‘ war hier nahe am Begriff ‚Volk‘. An anderer Stelle machte Shaftesbury diesen Punkt noch deutlicher und verlangte zugleich die Führung des Volkes durch den Kritiker: „In reality the People are no small Partys in this Cause. Nothing moves successfully without ’em. There can be no PUBLICK, but where they are included. And without a publick Voice, knowingly guided and directed, there is nothing which can raise a true Ambition in the Artist; nothing which can exalt the Genius of the Workman; or make him emulous of after-Fame, and of the approbation of his Country, and of Posterity.“13
Die Kompetenz der „publick Voice“ musste geschult werden, und so setzte Shaftesbury die Rolle der Kritiker hoch an. Er verurteilte „the fashionable and prevailing Custom of inveighing against CRITICKS“ und stellte deren Urteil dem der undifferenzierenden Menge gegenüber. „Accuracy of Workmanship requires a CRITICK’S Eye. ‘Tis lost upon a vulgar Judgment. Nothing grieves a real Artist more than that Indifference of the Publick, which suffers Work to pass uncriticiz’d. Nothing, on the other side, rejoices him more than the nice View and Inspection of the accurate Examiner and Judg of Work. [...] What is there mortifies the good Painter more, than when amidst his admiring Spectators there is not one present, who has been us’d to compare the Hands of different Masters, or has an Eye to distinguish the Advantages or Defects of every Stile?“14
12 Shaftesbury 1981–(2001), I, 3 (Sensus Communis), S. 38. 13 Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (A Letter Concerning Design), S. 48–50. 14 Shaftesbury 1981–(2001), I, 1 (Soliloquy), S. 144–146.
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Die Kritiker seien notwendig, um das Urteil der Öffentlichkeit bzw. des Volkes zu leiten, sie fungierten als „Interpreters to the People; and who by their Example taught the Publick to discover what was just and excellent in each Performance.“15 Sie waren Vermittler zwischen Künstler und Publikum. Ihre Urteile stellten die einzige unmittelbare Gratifikation des Künstlers dar, dem sonst kein irdischer Fingerzeig auf den richtigen Weg zum Nachruhm, keinerlei gerechtfertigte Anerkennung zu Lebzeiten verbleibe. Unkritische Urteile überließen entweder dem „Humour and odd Fancy“ der Künstler/Autoren das Feld, oder dem von Shaftesbury beklagten Relativismus des „je ne sais quoi“. Auf die Mehrheit könne man sich nicht stützen, schon alleine deshalb, weil Übereinstimmung im Urteil der Menschen nicht zu erwarten sei: „Variety of Opinion [is] not to be cur’d.“16 Die Wahrheit sei vielmehr im Prozess der Verfeinerung des Urteils zu finden, basierend auf der Selbstkritik des Individuums und verkörpert in der Rolle des Kritikers. Die Wertmaßstäbe, an denen Shaftesbury diesen Kritiker selbst maß, waren daher streng. Nur die Fähigkeit zu philosophischem Denken, zur Selbstdisziplinierung und -kritik rechtfertige seine bevorzugte Rolle innerhalb der Gemeinschaft. Die Verantwortung der Künstler hingegen setzte Shaftesbury niedrig an. Ihre Urteile seien denen der Kritiker unterlegen. Die Trennung des idealen künstlerischen Konzepts von seiner praktischen Ausführung fand ihren Niederschlag denn auch in Shaftesburys Verhalten als Auftraggeber. Die eigentliche künstlerische Arbeit, der Entwurf, verdanke sich „the genius of your Lordship“, wie John Closterman schrieb, der Shaftesburys Frontispiz zur zweiten Ausgabe der Characteristicks ausführte. Ähnlich malte Paolo de Mattheis nach den Angaben des Autors ein Gemälde zu The judgment of Hercules – „brought [...] into practice“, heißt es bei Shaftesbury.17 Shaftesburys philosophisches Vermächtnis bildete, unter dem Begriff civic humanism gefasst, eine wichtige Basis für den moralphilosophischen und ästhetischen Diskurs des 18. Jahrhunderts.18 Das in diesen civic humanism integrierte Konzept der politeness bediente sich der Verknüpfung von moralischen und ästhetischen Idealen. Dabei war Shaftesburys Konzept der politeness scharf abgegrenzt von der zeitgenössisch gängigen Definition als „the art of pleasing others“, die zu höfischer Schmei15 Ebd., S. 152. 16 Shaftesbury 1981–(2001), I, 2 (Miscellaneous Reflections), S. 374. 17 Zu Shaftesbury als Auftraggeber: Solkin 1993, S. 4–13; Edgar Wind, Shaftesbury as a patron of art, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 2, 1938, S. 185–188 bzw. in: Edgar Wind, Hume and the Heroic Portrait, Hg. Jaynie Anderson, Oxford: Clarendon Press, 1986, S. 64–68; Felix Paknadel, Shaftesbury’s Illustrations of Characteristics, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 37, 1974, S. 290–312. 18 J. G. A. Pocock, The Macchiavellian Moment. Florentine Political Thought and the Atlantic Republican Tradition, Princeton: Princeton University Press, 1975; Cowan 2004, S. 161–162; Barrell 1986, S. 1–68. Zur Differenzierung dieses Interpretationsmodells: Copley 1992; Solkin 1993, S. 1–26, 27–77, der die Pragmatisierung der republikanischen Ideale als ‚commercial humanism‘ bezeichnet.
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chelei führen könne. Die Malerei war von diesem Verdacht nicht ausgenommen, vor allem dann nicht, wenn sie sich dem gefälligen Spiel der Farbe als Selbstzweck bediente („to raise a separate and flattering Pleasure to the SENSE“).19 Nicht nur Shaftesburys Judgment of Hercules stellte bei der Kunstrezeption ‚instruction‘ über ‚pleasure‘. In Anschluss an Shaftesbury entwickelten Alexander Gerard, David Hume, Henry Home (Lord Kames) und Francis Hutcheson (der Shaftesburys „moral Sense of Beauty“ gegen die Angriffe Bernard Mandevilles verteidigte20), ästhetische Urteilsfähigkeit als eine Filiation moralphilosophischer Erkenntnistheorie. Die Formulierung der Kennerschaft als ein gesellschaftlich relevantes Konzept wurde durch ihre Bindung an die politische Reife des britischen Regierungsmodells begründet. Die ‚republic of painting‘ war, in den Worten John Barrells, eine politische: „[I]t was no secret, in the eighteenth and early nineteenth centuries that the criticism of painting had no language to employ but a political language, and had no ambition to develop an approach which was not political.“21 Tatsächlich zeigt die Kunstliteratur des 18. Jahrhunderts eine enge Verknüpfung der ästhetischen mit moralischer und politischer Urteilsfähigkeit. Der politeness-Diskurs ging über parteipolitische Grenzen hinaus, spiegelte aber bekanntlich in seiner Prägung durch die Zeitschriftenliteratur, etwa durch Joseph Addisons und Richard Steeles Spectator, das politische Programm der Whigs wider. Die politische Ideologie der Selbstregulation war in ein Konzept moderner Soziabilität integriert, das sich gegen die Machtzentren des 17. Jahrhunderts – Kirche und Hof – richtete. Shaftesbury selbst hatte große Vorbehalte gegen die kontinentalen Modelle der Kunstförderung. Nicht Hof, Kirche oder Universitäten sollten tonangebend für die Künste und Wissenschaften sein, sondern das frei zugängliche urbane Sozialleben. Dem entsprach auch Addisons Vorhaben der Popularisierung von Wissen, wie sein bekanntes Credo zeigt: „It was said of Socrates, that he brought Philosophy down from Heaven, to inhabit among Men; and I shall be ambitious to have it said of me, that I have brought Philosophy out of Closets and Libraries, Schools and Colleges, to dwell in Clubs and Assemblies, at TeaTables and Coffee-Houses.“
Der Anspruch auf die Soziabilität des ‚Coffee-House‘, nach Habermas der paradigmatische Ort bürgerlicher Emanzipation, galt allerdings, wie Brian Cowan gezeigt
19 Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (Judgment of Hercules), S. 136. 20 Diese Intention war bereits im Titel der ersten Ausgabe von Hutchesons Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue des Jahres 1725 angekündigt: „An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue, in Two Treatises, in which the Principles of the late Earl of Shaftesbury are Explain’d and Defended against the Author of the Fable of the Bees [s. n.]“, Francis Hutcheson, An Inquiry into the Original of our Ideas of Beauty and Virtue, Hg. Wolfgang Leidhold, Indianapolis: Liberty Fund, 2004, S. xxiii–xxiv, 199. 21 Barrell 1986, S. vii.
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hat, nur bedingt,22 und für Shaftesbury trifft die Abgrenzung von den urbanen Zentren des geselligen Austauschs in noch stärkerem Maße zu. Zwar zeigt das Frontispiz seiner Schrift The Moralists den idealen Wirkungsort der Philosophie abseits von der Beengtheit von „Colleges and Cells“,23 doch im selben Text wird auch deutlich, was es heißt, Philosophie „active the world“ zu betreiben: Aus dem Kabinett hinaus wandert das Wissen in das freundschaftliche Gespräch unter Gleichberechtigten auf einem Landsitz, in die nicht nur durch Parkmauern begrenzte Soziabilität einer gebildeten Oberschicht.24 Diese Problematik betrifft eine grundlegende Ambivalenz, die Shaftesbury in seiner eigenen Lebensführung nicht immer zu seiner Zufriedenheit lösen konnte, zwischen der Hinwendung zum öffentlichen Leben und der Zurückgezogenheit in privates Gelehrtentum.25 Shaftesburys positive Konzeption der Verankerung von Kultur in der Gesellschaft, abseits von Kirche und Hof, war für die englische Kunstsituation, die ohne zentrale Steuerung der Kunstförderung auskommen musste, besonders attraktiv. Er formulierte die Absenz höfischer und kirchlicher Patronage nicht als Defizit, sondern als ein überlegenes Modell.26 Die Gründung einer staatlichen Akademie nach französischem Vorbild lehnte er dementsprechend ab. Es sei so sehr im Interesse der Macht, die Bildkünste für reine Repräsentationszwecke zu verwenden, dass eine wohlmeinende Förderung ohne Hintergedanken undenkbar sei: „Since ‘tis not the Nature of a Court [...] to improve, but rather corrupt a Taste.“27 Auch in Soliloquy, or Advice to an Author hatte sich Shaftesbury deutlich gegen höfische Patronage ausgesprochen. Stattdessen sollten die Künste in der Gemeinschaft, in tugendhaftem Wettstreit, gefördert werden („our own Virtue and Emulation“)28 – eine Auffassung, die nicht ohne Kritik hingenommen wurde.
22 Brian Cowan, Mr. Spectator and Coffeehouse Public Sphere, in: Eighteenth-Century Studies, 37/3, 2004, S. 345–366. 23 Zweite Ausgabe der Characteristicks von 1714, ill. in: Paknadel 1974, Abb. 71c. 24 Lawrence Klein hat dies besonders eingängig beschrieben: Klein 1994, S. 34–41. Vgl. zum Lob des privaten gegenüber dem öffentlichen Gespräch in größeren Gruppen: Spectator 1965, I, Nr. 68, 18. Mai 1711, S. 289–292. 25 An dieser Ambivalenz zwischen aristokratischer Exklusivität und dem Modernismus eines ‚whig cultural ideologist‘ haben sich die unterschiedlichen Shaftesbury-Interpretationen entzündet. Vgl. Miles Ogborn, Spaces of Modernity, London’s geographies 1680–1780, New York: Guilford Press, 1998, S. 82–84. 26 Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (A Letter Concerning Design), S. 52. 27 Ebd., S. 50. Zur Verurteilung des Hofs und zur Gleichstellung Frankreichs mit Rom: Klein 1994, S. 185–194. 28 Shaftesbury 1981–(2001), I, 1 (Soliloquy), S. 130. In den Notizen zur unabgeschlossenen Schrift über die Bildkünste, Plasticks, heißt es kurz: „Pedantry in Painting; as in Schollarship – Mere Schollar: Mere Painter – Colledges of Schollars: Academys of Painters.“ Zit. nach Shaftesbury 1981– (2001), I, 5 (Plasticks), S. 191.
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Die Entgrenzung der Kennerschaft: Mandevilles The Fable of the Bees Schon kurz nach Shaftesburys Tod wurde seine gesellschaftstheoretische Konzeption von einem rhetorisch durchaus ebenbürtigen Schriftsteller kritisiert. In der berühmten Bienenfabel (The Fable of the Bees) (1714) warf Bernard Mandeville Shaftesbury soziale und ökonomische Realitätsferne vor.29 Seine beiden Hauptargumente trafen dabei den Kern von Shaftesburys Rhetorik: Mandeville legte die soziale Differenzierung des Tugendbegriffs bei Shaftesbury bloß, der gesellschaftlich niedrigstehende Schichten mit dem Argument ausschloss, dass sie sich dem Konzept der Öffentlichkeit nicht bewusst sein könnten – ein wahrlich Habermas’scher Gedanke – und kritisierte die Elastizität eines Moralbegriffs, der so wesentlich mit ‚manners‘ verknüpft werde.30 Zudem wehrte er sich gegen die absolut gesetzte Aufwertung des Gemeinsinns („Publick Spirit“), der nicht notwendig und naturgegeben auf Tugend, sondern auch auf Privatinteressen beruhe: „From what appears to us in human Affairs, and the Works of Nature, we have more Reason to imagine that the Desire as well as Aptness of Man to associate, do not proceed from his Love to others“.31 Mandeville fungierte als klassisches Sprachrohr der ‚Anderen‘, als Vervollständiger des Ungesagten, Ausgesparten und implizit Vorausgesetzten. Shaftesburys Idealmodell der klassizistischen Historienmalerei, exemplarisch vorgeführt in The Judgment of Hercules, stellte er so auch die marginalisierten Genres und Schulen zur Seite.32 Eine Gemäldegalerie ist der Ort eines Disputs in The Fable of the Bees, der sich zwischen einem Bewunderer Shaftesburys, Horatio, und seinem Kritiker, Cleomenes, entzündet, und in den außerdem noch Cleomenes’ Kusine Fulvia gerät. Die Kontroverse wird nicht offen ausgetragen, denn Cleomenes gibt vor, von seinen Irrmeinungen bekehrt zu sein und nun ebenfalls der Lehre Shaftesburys zu folgen. Indem er dessen Lehren bis zur Karikatur übertreibt und so ihre Schwachstellen offenlegt, erweist er sich freilich als der eigentliche Kritiker Shaftesburys. Es bleibt Fulvia vorbehalten, die Stimme der Vernunft sprechen zu lassen und den Lesern und Leserinnen ein Identifikationsmodell zu bieten. Vor zwei Gemälden der Geburt Christi, eines der italienischen und eines der holländischen Schule, entbrennt eine besonders heftige Diskussion. Als Fulvia die ‚wahrheitsgetreue‘ Darstellung der nördlichen Schule bewundert, ergießt sich Cleomenes’ Hohn über sie: 29 Die erste Ausgabe der Bienenfabel erschien 1705; doch erst die 1714 und 1723 publizierten Fassungen enthielten einen Prosakommentar mit expliziter Kritik an Shaftesbury. In den 1720er- und 1730er-Jahren folgten mehrere publizistische Attacken sowie eine Replik Mandevilles. 1740 wurde die Bienenfabel ins Französische, 1761 ins Deutsche übersetzt. 30 Bernard Mandeville, The Fable of the Bees, or, Private Vices, Publick Benefits, Hg. F. B. Kaye, Indianapolis: Liberty Fund, 1988, II, S. 12–13, 43–52. 31 Ebd., II, S. 178. 32 Zu den unterschiedlichen Kunstkonzeptionen der beiden Autoren: Solkin 1993, S. 14–19.
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„Pray, Cousin, say no more in Defence of your low Taste: The Painter has nothing to do with the Truth of the History; his Business is to express the Dignity of the Subject, and in Compliment to his Judges, never to forget the Excellency of our Species: [...] Great Masters don’t paint for the common People, but for Persons of refin’d Understanding“.
Der wahre Maler, so meint Cleomenes mit geheimer Ironie, folge nicht Wirklichkeit oder good sense, sondern verfeinere seinen Gegenstand. So zeige die Darstellung der italienischen Schule eine Ruinenarchitektur und unterdrücke so alle Hinweise auf die Niedrigkeit eines Bauernstalls: „How skilfully is that Ass removed, and how little you see of the Ox; pray mind the Obscurity they are both placed in [...]: Behold those pillars of the Corinthian Order, how lofty they are, and what an Effect they have, what a noble Space, what an Area here is!“33 Cleomenes’ Taktik, die klassizistische Lehrmeinung ins Lächerliche zu ziehen, unterstützt indirekt das Urteil seiner Kusine, das er mit übertrieben patriarchalischem Gestus unterdrückt. Fulvia hingegen zeigt offene Parteinahme für die wahrheitsgetreue Darstellung: „I have no Skill in Painting, but I can see whether things are drawn to the Life or not; sure nothing can be more like the Head of an Ox than that there. A Picture then pleases me best when the Art in such a Manner deceives my Eye, that without making any Allowances, I can imagine I see the Things in reality which the Painter has endeavour’d to represent.“34
Ihre Position ist die des ‚good‘ oder ‚common sense‘, des unverbildeten Kunsturteils, das die Sympathie des Lesers erwecken soll, ohne sich selbst gegen die philosophischen Angriffe der beiden Männer verteidigen zu können. Ihrer hohen sozialen Stellung zum Trotz wird Fulvia so zur positiven Figur der ‚einfachen Betrachterin‘ und steht damit in einer bekannten Traditionslinie. Diese Figur, verkörpert durch eine ungebildete Frau aus dem Volk, steht im Zentrum der sogenannten Vecchiarella-Anekdote, die zuerst 1646 in einer Sammlung von Stichen nach den Zeichnungen Annibale Carraccis festgehalten wurde. Darin wurde die Reaktion einer alten Frau, die gemeinsam mit ihrer Enkelin zwei Gemälde mit Darstellungen aus dem Leben des Hl. Andreas betrachtet, als Maßstab herangezogen. Für den Erzähler Carracci waren die beiden Werke von Guido Reni und Domenichino gleichwertig, denn als Maler verstehe er die Sprache beider Künstler. Nicht so für die alte Frau, die ihm vor Augen führt, welches Gemälde vorzuziehen ist. Vor Renis Bild bleibt sie ungerührt und stumm. Erst Domenichinos Werk zeigt seine Wirkung. Sie beginnt mit dem Mädchen zu sprechen, „‚Schau, schau, mein Töchterchen, diesen Mann, der sowas tut‘, und zeigt[e] ihm mit dem Finger die Figur, welche die Handlung, die sie benannte, darstellte.“35 33 Mandeville 1988, II, S. 33. 34 Ebd., II, S. 32. 35 Felix Thürlemann, Betrachterperspektiven im Konflikt: Zur Überlieferungsgeschichte der „vecchiarella“-Anekdote, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 21, 1986, S. 136. Félibien überlie-
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Im 18. Jahrhundert fand die Vecchiarella-Anekdote wenig Widerhall, erstaunlich eigentlich angesichts des hohen Stellenwerts, der der didaktischen Funktion bildender Kunst zugeschrieben wurde. Möglicherweise lag dies an ihrer kontroversiellen Diskussion in der italienischen Kunstliteratur, die die Auslegung der Anekdote verkomplizierte.36 Wie das theoretische Vermächtnis Gian Pietro Belloris zeigt, war die Darstellung der Kunstrezeption der ignoranti ambivalent. In seiner Vita Domenichinos diente die Vecchiarella-Anekdote zu einer verständnisbasierten Verteidigung der affetti: Domenichinos Bild berühre, da sein Inhalt klar ersichtlich bleibe.37 In seinem ästhetischen Traktat Idea hingegen betonte Bellori nicht nur, dass das Volk nichts von der Malerei verstünde, sondern begründete dies mit dessen Mangel an Wissen über die difficultà der Malerei: „Es lobt alles, was naturgetreu gemalt ist, weil es gewöhnlich nur darauf sieht, wie so etwas ausgeführt wird, und es schätzt die schönen Farben mehr als die schönen Linien, von denen es nichts versteht.“38 Im ersten Beispiel also war es charakteristisch für die ignoranti, nur auf die Übereinstimmung der dargestellten mit der tatsächlichen Wirklichkeit zu achten (inhaltsbasiert zu urteilen), im zweiten Beispiel wurde ihre Inkompetenz mit einer Bewunderung für die Sinnesreize der Malerei erklärt, deren komplexere Bedeutungsträger sie aber weder zu lesen noch zu deuten vermochten. Auch die Kunstliteratur des 18. Jahrhunderts versetzte die ignoranti in unterschiedlichste Rollen, je nach Autor und Motivation des Texts. Das einfache Volk wurde etwa zuweilen in der Figur der ‚alten Frau‘ exemplifiziert, deren mangelnde Bildung auch mit affektiver Empfänglichkeit und natürlichem Verstand einhergehen konnte. Häufig wurden diese positiven Eigenschaften gerade mit der Unvertrautheit mit kennerschaftlichen Konventionen und Jargons begründet. So berichtet Denis Diderot in den Pensées détaches sur la peinture von einer einfachen Frau vom Land, die ohne Scheu ein Gemälde Annibale Carraccis kritisiert und Raffael, dessen Darstellung eines Jesuskinds nicht den Worten der Heiligen Schrift entspräche, als Esel bezeichnet. Diderot akzeptiert das Urteil der Frau als Vertreterin des ‚sens commun‘. Er selbst gleichwohl versteht die Darstellungskonventionen, denen Raffael gefolgt ist und beschließt für sich, „que la composition n’en fut pas moins belle pour moi.“39
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ferte die Anekdote in einer eigenwilligen Variante: In seiner Vita Poussins berichtet er, dieser habe, der unter jungen Künstlern weitverbreiteten Bewunderung für Guido Reni zum Trotz, lieber das Gemälde Domenichinos studiert. Überzeugt von seinen Worten und seinem Beispiel, seien ihm viele gefolgt. Vgl. Félibien 1725, IV, S. 16–17. Indem der Maler dem Urteil der einfachen Frau folgt – nicht etwa explizit, sondern wie zufällig, denn die Vecchiarella-Anekdote wird gar nicht erwähnt –, nobilitiert er es. Thürlemann 1986, S. 142–143. Giovanni Pietro Bellori, Le vite de’ pittori, scultori et architetti moderni, Rom: Per il succeso, al Mascardi, 1672, S. 303–304. Giovanni Pietro Bellori, Die Idee des Künstlers, Hg. Kurt Gerstenberg, Berlin: Berthold 1939, S. 22. Diderot 1984–95, IV, S. 398 (Pensées détachées sur la peinture).
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An einer anderen Stelle, innerhalb einer Salon-Kritik, stellt Diderot die Figur der ‚einfachen Frau‘ als ein rein sensualistisches Wesen dar, als emotionalen Spiegel des Kunstwerks. Doch obwohl die Betrachterin vor zwei zum Vergleich herangezogenen Bildern meint, eines bereite ihr Vergnügen, das andere Schmerz, kann sie ihr Urteil nicht begründen. „L’homme instruit connaît les principes; l’ignorant sent les effets“, übersetzte Diderot die traditionelle rhetorische Maxime, der er bereits in einem Kommentar zu Daniel Webbs An Inquiry into the beauties of painting für die Correspondance littéraire gefolgt war. Dabei zog er zugleich eine rezeptionsästhetische Parallele: Die Menge des Volks (‚multitude‘) verhalte sich wie die genannte Frau.40 In beiden Fällen stand das Urteil der einfachen Frau für den unverbildeten ‚Menschenverstand‘, der sich von ästhetischen Konventionen nicht beeindrucken lässt und unbeeinträchtigt von der Reflexion über das Gesehene (aber ebenso unfähig dazu) die Wirkung eines Kunstwerks zu empfangen vermag. Indem Mandeville Fulvia nun ebenfalls als Beispiel einer solchen ‚einfachen Frau‘ heranzog, entschied er, dass ihr Geschlecht schwerer wiegen sollte als ihre Standeszugehörigkeit. Doch innerhalb der englischen Kunstliteratur hatte eine solche Zuschreibung deutlich größeres positives Potenzial als in der französischen Tradition. Als Sprachrohr des Autors41 war Fulvia im Recht, und der/die kluge LeserIn bemerkte Cleomenes’ geheime Zustimmung und so die unausgesprochene Aufwertung ihrer Position durch den ihr als Kontrahent entgegentretenden Cousin. Mandeville spielte mit dem Verhaltensideal weiblicher Passivität und deren Validierung durch einen mächtigeren und männlichen Begleiter, wie sie etwa in einer Ausgabe des Spectator vorgeführt war: „Erastus has a perfect Taste in Painting, and carried Lætitia with him, the other Day, to see a Collection of Pictures: I sometimes visit this happy Couple. As we were last Week walking in the long Gallery before Dinner, I have lately laid out some Mony in Paintings, says Erastus, I bought that Venus and Adonis purely upon Lætitia’s Judgment, it cost me Threescore Guineas, and I was this Morning offer’d a hundred for it. I turned towards Lætitia, and saw her Cheeks glow with Pleasure, while at the same time she cast a Look upon Erastus, the most tender and affectionate I ever beheld.“42
40 Diderot 1984–95, III, S. 200 (Salon de 1767); [Friedrich Melchior Grimm], Correspondance littéraire, philosophique et critique par Grimm, Diderot, Raynal, Meister, etc., Hg. Maurice Tourneux (Paris: Garnier 1877–1882), Repr. Nendeln: Kraus, 1968, V, S. 202 (15. Januar 1763). Vgl. Daniel Webb, An Inquiry into the Beauties of Painting, London: Dodsley, 1769, Repr. Bristol (u. a.): Thoemmes, 1998. 41 Es war dies nicht das erste Mal, dass Mandeville eine Frau als sein Sprachrohr wählte: Zwischen 1709 und 1711 hatte er für den Female Tatler unter den Namen Lucinda und Artemisia, zweier Mitglieder einer Society of Ladies, Aufsätze verfasst. Zur Darstellung von Frauen, Leserinnen und Korrespondentinnen in der britischen Zeitschriftenliteratur: Kathryn Shevelow, Women and print culture. The construction of feminity in the early periodical, London/New York: Routledge, 1989. 42 Spectator 1965, IV, Nr. 506, 10. Oktober 1712, S. 297–298.
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Laetitias natürliches und richtiges Geschmacksurteil wird von ihrem Mann entdeckt und durch seine Zustimmung legitimiert – wobei die letztendliche Validierung dem (gestiegenen) Marktwert vorbehalten bleibt. Kennerschaft ist der öffentlichen Sphäre der Wissenschaft und der Ökonomie zugeordnet, einem Bereich, der der Frau idealerweise nur durch ihren Ehemann vermittelt werden kann (dem ihr Blick denn auch gilt). Dagegen erfährt Fulvias Urteil keine Protektion durch ihre männlichen Begleiter, sie fügt sich deren Urteilen nicht, sondern hinterfragt die Machtposition der vermeintlichen Kenner: „[H]as good Sense ever any Share in the Judgment which your Men of true Taste form about Pictures?“43 Als Protagonistin der Kritik am Kennertum zeigt sie, dass Kunsturteile sich nicht immer mit dem common sense der Gemeinschaft decken. Liebhaberschaft verblendet. Mandevilles Text bezeugt, dass insbesondere im britischen Diskurs Kennerschaft nicht nur positiv besetzt war, sondern als eine Sonderform des Wissens galt, deren Berechtigung umstritten war. Die ‚Grenzen der Gemeinschaft‘ waren nun von beiden Seiten gezogen: Der Zugang zur Kennerschaft stand nicht allen offen, doch diese selbst galt als eine durchaus angreifbare Wissensform. Damit befand sich Mandevilles Text gerade wegen seiner Verteidigung der außerhalb der Kennerschaft Stehenden im mainstream des englischen Diskurses. Auch Shaftesburys Theorie des Geschmacksurteils stützte sich auf die gemeinsamen Werte einer Gemeinschaft, wenngleich diese, nach Mandevilles Auffassung, zu eng gefasst war. So gründete Shaftesbury die Vorbildstellung der antiken Kunstwerke auf ihre Wertschätzung durch eine ästhetisch und moralisch gebildete Gemeinschaft. Richtiger Geschmack war für ihn das Resultat der Schulung des Selbst an Natürlichkeit und Angemessenheit, „that Opinion of things which is natural and proportionable“. Standard of Taste bedeutete bei Shaftesbury Standard of Nature: Ohne ästhetische Maßstäbe, geleitet nur von seinem eigenen Willen, werde der halbgebildete Kenner rasch zu einem „Mock-Virtuoso, or mere Pedant of the kind.“44 Shaftesburys Sensus communis-Konzept wurde im weiteren Verlauf des Jahrhunderts von verschiedenen Autoren weiterentwickelt. Für Immanuel Kant, dessen Kritik der Urteilskraft auf die britische Tradition zurückgeht,45 bildete der soziale Gemeinsinn das Fundament des Geschmacksurteils. Das ästhetische Urteil sei gültig, weil der Prozess seiner Erlangung bei allen Menschen derselbe sei, weil es sich auf die Vergleichbarkeit und Gültigkeit innerhalb einer Gemeinschaft richte und daher kommuniziert werden könne: Kant spricht von der „allgemeine[n] Mitteilbar43 Mandeville 1988, II, S. 33. 44 Shaftesbury 1981–(2001), I, 2 (Miscellaneous Reflections), S. 224; Shaftesbury 1981–(2001), I, 1 (Soliloquy), S. 272. 45 Jerome Stolnitz, On the Origins of „Aesthetic Disinterestedness“, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism, 20, 1961–62, S. 131–143. Vgl. Monika Tiffany, Der Begriff des sensus communis in Kants Kritik der Urteilskraft, Dissertation, Universität Zürich, 2002; David Summers, Why did Kant call taste a „common sense“?, in: Paul Mattick, Eighteenth Century Aesthetics and the Reconstruction of Art, Cambridge: Cambridge University Press, 1993, S. 120–151.
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keit der Empfindung“.46 Das ästhetische Urteil erhebe „anmaßend“ Anspruch auf Verbindlichkeit, da es auf der Annahme einer gefühlsmäßigen, unbestimmten, aber verbindlichen Norm des Schönen beruhe, der alle Menschen einer Gemeinschaft verpflichtet seien: „nur unter der Voraussetzung [...] eines solchen Gemeinsinns kann das Geschmacksurteil gefällt werden“.47 Ein rein individuelles Geschmacksurteil treffen zu wollen sei unsinnig, dieses richte sich immer nach den Werten einer Gemeinschaft. Die Frage ist nur, wie umfassend man diese Gemeinschaft ansetzt: Shaftesbury ging von einer kleinen Elite seiner eigenen Gesellschaftsschicht der landed gentry aus. Kant folgte der Auffassung späterer englischer und schottischer Autoren, dass man nur dann von Geschmack (als größtmöglicher Gültigkeit des Urteils im Hinblick auf eine größtmögliche Übereinstimmung mit der ästhetischen Norm) sprechen könne, wenn der Urteilende exemplarisch für seine Gemeinschaft sei. Daher müsse der Geschmack erst in und an einer Gemeinschaft gebildet werden.48 Es war eben dieser, bei Shaftesbury nicht problematisierte Punkt, den Mandeville explizit machte. Wo Shaftesbury das Schöne und das Gute als überzeitlich und universell annahm, sah Mandeville nur Sitten, Moden und Geschmäcker, und zwar in moralischen wie in ästhetischen Fragen. Die Annahme eines „Standard to go by that always remains the same“ bezweifelte er dabei nicht, ja er war mit Shaftesbury einig, dass dieser in der Natur liege, deren Imitation die Aufgabe der Malerei sei.49 Doch stehe diesem verborgenen Maßstab die Evidenz der unterschiedlichen Gebräuche und Geschmäcker verschiedener Personen und Epochen entgegen. Sitten und Moden brächten nur zeitlich begrenzte Vorstellungen von Schönem und Gutem hervor, und so werde die Suche nach überzeitlichen ästhetischen und moralischen Normen zu einer „Wild-Goose-Chace that is but little to be depended upon“.50 Mandevilles pragmatische Argumentation beschrieb das Problem des Standard of Taste, der „idée fixe“ (Peter Kivy) des britischen 18. Jahrhunderts. Bevor eine solche Diskussion aber kunsttheoretische Fragen berühren konnte, musste die Kompetenz der politeness überhaupt erst für die bildende Kunst fassbar gemacht werden. 46 Immanuel Kant, Werke, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1968, X, § 15–22, S. 306–324; Zitat: § 17, S. 313. 47 Ebd., X, § 20, S. 321. Vgl. auch § 40, S. 388–392. 48 Ebd., X, § 60, S. 465. Allerdings bedeutet diese gemeinschaftliche Geschmacksbildung bei Kant nicht die Gleichsetzung von ästhetischer mit gemeinschaftlicher Erfahrung. Vgl. Jean-Francois Lyotard, Sensus communis, das Subjekt im Entstehen, in: Vogl 1994, S. 239: „In Paragraph 41 wendet sich Kant gegen diese Verwechslung, die in der englischen Ästhetik bis Burke nahezu die Regel ist und sich nach ihm durch Schiller schnell verbreiten wird, bis hin zu den neukantianischen und neuneukantianischen Lesarten der dritten Kritik. Durch den sensus communis, sagt man, bereite oder begünstige der Geschmack die Soziabilität.“ 49 Dieser ästhetische Grundsatz fand sich in Alexander Popes didaktischem Standardwerk An Essay on Criticism. Vgl. The Twickenham Edition of the Poems of Alexander Pope, Hg. John Butt, London (u. a.): Methuen, 1993, I, S. 246–247, Z 68–73. 50 Mandeville 1988, I, S. 331.
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Teilhaben an der Gemeinschaft: Jonathan Richardsons Two Discourses „Painting is but another Sort of Writing, but like the Hieroglyphicks anciently ’tis a Character not for the Vulgar: To read it, is not only to know that ’tis such a Story, or such a Man, but to see the Beauties of the Thought, and Pencil; of the Colouring, and Composition; the Expression, Grace, and Greatness that is to be found in it: and not to be able to do This is a Sort of Illiterature, and Unpoliteness.“51
Diese Zeilen klingen vertraut. Jonathan Richardson, der erste britische Maler, der intensiv kunsttheoretisch publizierte, nahm das traditionelle Bild der Malerei als Hieroglyphe auf. Ihre „Lesbarkeit“ bezog er dabei nicht auf inhaltliches, sondern auf ästhetisches Verständnis. Die Schönheiten der Malerei nicht zu erkennen, bedeute eine Art ästhetischen Analphabetismus und einen Verstoß gegen die Regeln der politeness. Indem Richardson Aglionbys Konzept der Kennerschaft für die deutlich breitere gesellschaftliche Gruppe der gentlemen adaptierte, der er sich selbst zuordnete, unterwarf er es zugleich einer grundlegenden Neuinterpretation. Als Richardson 1719 die Systematisierung der Wissenschaft der Kunstkennerschaft („the Science of a Connoisseur“) in Two Discourses publizierte,52 machte er es sich zur Aufgabe, möglichen Argumenten gegen Kennerschaft im Detail zu entgegnen. Tatsächlich erfährt man aus kaum einer anderen Quelle so viel über die britischen Vorbehalte gegen die Beschäftigung mit bildender Kunst. Wie Mandevilles Fable of the Bees zeigt Richardsons Schrift, dass Kennerschaft nicht selbstverständlich positiv konnotiert war, sondern der Legitimierung bedurfte. Zugleich entsprachen die Two Discourses einem theoretischen und moralphilosophischen Nachholbedarf der Aufwertung bildender Kunst. Im Vergleich mit anderen Kunst- und Bildungsformen, insbesondere der Literatur, wurde Malerei und Skulptur kaum Aufmerksamkeit zuteil. Die wichtigsten Medien zur Popularisierung der politeness, Joseph Addisons und Richard Steeles Zeitschriften Tatler (1709–11) und Spectator (1711–14), brachten den Bildkünsten wenig Interesse und noch weniger Wohlwollen entgegen. Der Frage nach Rezeption und Wirkung von Kunstwerken, zusammengefasst unter dem Archetopos ‚Geschmack‘, waren zahlreiche Artikel des 51 Jonathan Richardson, Two Discourses (London 1725), London (u. a.): Thoemmes, 1998, II, S. 221–222. 52 Den noch relativ unbekannten Begriff „Connoissance“ erklärte Richardson in einem Einschub (Richardson 1998, II, S. 62–64). Eine zweite Edition der Two Discourses erschien 1725, 1728 eine französische Übersetzung (Traité de la Peinture et de la Sculpture). Eine an der Pariser Académie royale erstellte Kompilation von Texten enthält Exzerpte und Anmerkungen dieser Übersetzung (ENSBA Archives, MS 503). Zu Richardsons Publikationen: Carol Gibson-Wood, Jonathan Richardson. Art Theorist of the English Enlightenment, New Haven/London: Yale University Press, 2000, S. 253–254; Irene Haberland, Jonathan Richardson (1660–1745). Die Begründung der Kunstkennerschaft, Münster: Literaturverlag, 1991.
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Spectator gewidmet, darunter Addisons umfangreiche Essayreihe The Pleasures of the Imagination. Doch selbst darin waren der Malerei nur wenige Zeilen gewidmet, und zwar innerhalb eines Vergleichs mit den anderen Bildkünsten, der für sie ungünstig ausfiel. Addison wies ihr nicht nur gegenüber der Literatur, sondern auch gegenüber der Skulptur eine untergeordnete Stellung zu.53 The Pleasures of the Imagination handelten denn auch eher von den Freuden, die der Geist aus der Betrachtung der Natur, der Poesie oder der Architektur erfahren könne. Unter dem Stichwort Malerei war nur die Kunst der alten Meister, und selbst diese als Zeitvertreib für Schlechtwetter, beschrieben: „when I have found the Weather set in to be very bad, I have taken a whole Day’s Journey to see a Gallery that is furnished by the Hands of Great Masters.“ Selbst Richard Steele, der sich als führendes Mitglied der Queen Street Academy aktiv im Bereich der bildenden Kunst engagierte, entwickelte keine umfassende Verteidigung der Malerei. Wie viele andere britische Autoren schenkte er ihrer ästhetischen Wirkkraft nur unter dem Blickpunkt ihres hohen didaktischen Potenzials Beachtung, doch sah er in der ihm bekannten Kunstpraxis wenig Hoffnung auf gesellschaftliche Relevanz: „I have very often lamented and hinted my Sorrow in several Speculations, that the Art of Painting is made so little Use of to the Improvement of our Manners. [...] What strong images of Virtue and Humanity might we not expect would be instilled into the Mind from the Labours of the Pencil? This is a Poetry which would be understood with much less Capacity, and less Expence of Time, than what is taught by Writing; but the Use of it is generally perverted, and that admirable Skill prostituted to the basest and most unworthy Ends. Who is the better Man for beholding the most beautiful Venus, the best wrought Bacchanal, the Images of sleeping Cupids, Languishing Nymphs, or any of the Representations of Gods, Goddesses, Demy-gods, Satyrs, Polyphemes, Sphinxes or Fauns? But if the Virtues and Vices which are sometimes pretended to be represented under such Draughts, were given us by the Painter in the Character of real Life, and the Persons of Men and Women whose Actions have rendered them laudable or infamous; we should not see a good History-Piece without receiving an instructive Lecture.“54
Die Hoffnung auf eine Belebung der Historienmalerei, von der Belehrung und Erbauung erwartet wurde, blieb im Konjunktiv einer Zukunftsvision formuliert. Allerdings versuchte Steele, der Vorherrschaft der Porträtmalerei positive Aspekte abzugewinnen, indem er vorschlug, England als Ausbildungsort für diesen Zweig der Malerei zu etablieren.55 Jonathan Richardson begann mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit als Porträtmaler, ohne sich auf die Nobilitierung seines Berufs durch eine Akademie stützen zu können, ohne als Historienmaler in der höchsten Gattung seiner Kunst tätig zu 53 Spectator 1965, I, Nr. 93, 16. Juni 1711, S. 397; III, Nr. 416, 27. Juni 1712, S. 559. 54 Ebd., II, Nr. 226, 19. November 1711, S. 378–379. 55 Ebd., IV, Nr. 555, 6. Dezember 1712, S. 495–497.
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sein, und, voller Selbstbewusstsein, ohne sich auf hohe Patronage zu berufen. Sein Adressat war das breite Lesepublikum, das er von den Vorteilen der Connoisseurship überzeugen wollte. Richardson hatte in der in England erfolgreichsten Bildgattung, der Porträtmalerei, dem direkten Abbild der auf privaten Auftraggebern und Auftraggeberinnen basierenden Kunstmarktsituation, beachtliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Erfolge erzielt. Der theoretischen Verteidigung der Malerei als ars liberalis und seines eigenen Berufs als „Face Painter“ hatte er weite Teile seiner ersten Publikation Essay on the Theory of Painting (1715) gewidmet.56 Angesichts seiner Verbindungen zur Royal Society, die ein wichtiger Verankerungspunkt für Kenner und Künstler seit dem späten 17. Jahrhundert war, sollte der Anspruch der Entwicklung einer ‚Science‘ der Kennerschaft wenig überraschen. Der vollständige Titel der Two Discourses enthielt die Kernpunkte der beiden Texte: An Essay on the whole Art of Criticism As it relates to Painting. Shewing how to judge I. Of the Goodness of a Picture; II. Of the Hand of the Master; and III. Whether ‘tis an Original, or a Copy. An Argument in Behalf of the Science of a Connoisseur; Wherein is shewn the Dignity, Certainty, Pleasure and Advantage of it. Statt sich auf die formalen Vorgaben der kontinentalen Kunstliteratur zu stützen57 und etwa wie Aglionby die Dialogform der französischen Kunsttexte zu übernehmen, bezog sich Richardson mit den von ihm verwendeten Textsorten essay und argument auf heimische Strategien religiöser, politischer und wissenschaftlicher Rhetorik.58 Im zweiten Aufsatz An Argument in Behalf of the Science of a Connoisseur wandelte Richardson Aglionbys Negativbefund über das geringe englische Interesse an bildender Kunst in einen eindringlichen patriotischen Aufruf um: „Such fine Writers! Such Solid Reasoners! Such Able Statesmen! Gallant Soldiers! Excellent Divines, Lawyers, Physicians, Mathematicians, and Mechanicks! and yet so few! so very few Lovers, and Connoisseurs in Painting!“59 Es folgte eine über 200 Seiten lange Legiti56 Zum Prozess der Spezialisierung und Nobilitierung der Künstler-Maler gegenüber den ‚artisans‘: Pears 1988, S. 107–119; Patricia Crown, British Rococo as Social and Political Style, in: Eighteenth-Century Studies, 23/3, 1990, S. 269–282. Entgegen der oft zitierten Kritik an der englischen Porträtmalerei haben wichtige Schriftsteller des 18. Jahrhunderts diese auch häufig verteidigt. Samuel Johnson etwa wehrte sich gegen den Vorwurf, die Blüte der englischen Porträtkunst sei auf „national selfishness“ zurückzuführen: „I should grieve to see Reynolds transfer to heroes and to goddesses, to empty splendor and to airy fiction, that art which is now employed in diffusing friendship, in reviving tenderness, in quickening the affections of the absent, and continuing the presence of the dead.“ Zit. nach Samuel Johnson, The Idler and The Adventurer, Hg. W. J. Bate, New Haven/London: Yale University Press, 1963, S. 140 (The Idler, no. 45, 24. Februar 1759). 57 Allerdings gab es durchaus inhaltliche Anleihen bei der kontinentalen Kunstliteratur, insbesondere im ersten Aufsatz The whole Art of Criticism As it relates to Painting. In der Beschreibung der notwendigen Fähigkeiten des Kenners folgte Richardson Roger de Piles’ 1706 ins Englische übersetzten Schrift L’idée du peintre parfait (The Idea of a Perfect Painter, or: Rules for forming a right judgment on the works of the Painters), die er als sein wichtigstes Vorbild angab. 58 Gibson-Wood 2000, S. 138–142, 184–186. 59 Richardson 1998, II, S. 3–4.
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mation der Kennerschaft, die die Widerlegung der Vorbehalte gegen Connoisseurship in England beinhaltete. Die Bezeichnung des Texts als „a Persuasive“ weist darauf hin, dass er Kreise ansprechen wollte, die sich bisher wenig mit bildender Kunst auseinandergesetzt hatten. Er vermied Fachtermini und umschrieb kunsttheoretisch anspruchsvollere Passagen mit betont simplen Analogien. Es sei, als bezeichne man einen Apfel als Auster, wenn man Rembrandt mit Correggio verwechsle, erläutert er etwa an einer Stelle.60 Doch wie der eingangs zitierte Verweis auf die Tradition der Hieroglyphe zeigt, bedeutete dies nicht, dass Richardson eine unbegrenzte, möglichst weite Leserschaft ansprechen wollte, oder dass ihm ein radikal offenes Konzept der Kennerschaft zuzuschreiben wäre.61 Ihren sozial distinguierenden Charakter hatte the Science of a Connoisseur keineswegs verloren. Richardsons Formulierung der Kennerschaft als ein allgemein verständliches, anschlussfähiges Konzept zeigt, dass er selbst von interessierten Lesern wenig Vorwissen über bildende Kunst erwartete. Es ist anzunehmen, dass er im Wesentlichen eine ähnliche Leserschaft wie die des Spectator ansprechen wollte, doch seine Argumentation hinsichtlich des gesellschaftlichen Nutzens der Kennerschaft ging deutlich weiter. Er unterschied drei Bereiche, in denen die Beschäftigung der gentlemen mit bildender Kunst positive Auswirkungen auf die Allgemeinheit haben würde: „if Gentlemen were Lovers of Painting, and Connoisseurs, it would be of great Advantage to the Publick, in: 1. The Reformation of our Manners 2. The Improvement of our People 3. The Increase of our Wealth, and with all these of our Honour, and Power.“62 Um die beschwörende Wiederholung des Leitsatzes „if Gentlemen were Lovers of Painting, and Connoisseurs“ waren alle seine Argumente angeordnet. Das erste Ziel der Verfeinerung der Sitten der Oberschicht („our Manners“ meinte der gentleman-painter, nicht diejenigen des Volkes, das davon erst indirekt betroffen sei), konnte Richardson direkt von Aglionby übernehmen, und wie dieser warnte er vor den „Mischievous Effects of Vice, as Covetousness, Pride, Lust, Love of Wine, or any other Passion whatsoever“. Kennerschaft sei ein geeignetes Mittel gegen den Verfall der Sitten, und das Beispiel der Oberschicht wirke sich durch Vorbildwirkung auf den Rest der Gesellschaft aus. Zum Nutzen der „Common People“ empfahl Richardson in seinem zweiten Punkt die praktische Ausbildung in der Zeichenkunst zur Förderung von Handwerk und Handel.63 Und damit war er beim dritten Argument, das er in einer Deutlichkeit ausführte, die für einen französischen Maler, vor allem für einen Akademiker, nur schwer vertretbar gewesen wäre: dem wirtschaftlichen Nutzen des Kunstsammelns. 60 61 62 63
Ebd., I, S. 202–203. Diese Auffassung vertritt Gibson-Wood 2000, S. 183–184. Richardson 1998, II, S. 41. Ebd., II, S. 45–47. Dieses traditionell aristokratische Bildungsideal hatte bereits Henry Peacham in Compleat Gentleman zur Verbesserung der Ausbildung des Handwerkers empfohlen. Ann Bermingham, ‚An Exquisite Practice‘: The Institution of Drawing as a Polite Art in Britain, in: Allen 1995, S. 50–52.
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Dieser Punkt richtete sich gezielt gegen die Einordnung der bildenden Kunst als verwerflicher Luxus (die hinsichtlich der gesetzlichen Bewertung von Kunstgegenständen durchaus zutraf ).64 Richardson entgegnete der Luxuskritik im Kern: Das Sammeln von Kunstgegenständen sei keine Verschwendung, sondern eine Wertanlage, „[s]ince as Time, and Accidents must continually waste, and diminish the Number of these Curiosities, and no New Supply (Equal in Goodness to those we have) is to be hop’d for, as the appearances of things at present are, the Value of such as are preserv’d with Care must necessarily encrease more and more“.65
Das Argument des hohen Werts der Werke der alten Meister verweist auf die reichlich ambivalente Position des Autors. Denn Richardson war nicht nur Maler, sondern selbst auch ‚Connoisseur‘. Er besaß eine wertvolle Sammlung von 4.700 Handzeichnungen.66 Kennerschaft bedeutete für ihn vorrangig die Kenntnis der Werke der Klassiker der kontinentalen Schulen, und so verdankte sich sein eigener Status als gentleman zumindest ebenso seiner Sammeltätigkeit wie seines Berufs. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er den Import kontinentaler Kunstwerke nach England als notwendig erachtete, ja er forderte sogar Einfuhrerleichterungen. Die Abdeckung des großen Bedarfs im Inland (selbst „the meanest Cottager in the Kingdom“ wäre gerne in der Lage, seine Behausung mit Bildern zu schmücken, wie er meinte) traute Richardson nur zum Teil der englischen Produktion zu. „The English School of Painting“ war immer noch Zukunftsvision, „a thing as yet unheard of, and whose very Name (to our Dishonour) has at present an Uncouth Sound“.67 Es blieben zwei weitere, wirkkräftige Einwände, die sich aus der Erinnerung an das Beispiel des bekanntesten Kunstkenners der britischen Geschichte, Charles I., und aus einem Blick auf das französische Gegenüber ergaben. Kennerschaft wurde mit absolutistischem Machtstreben und (Krypto-)Katholizismus in Verbindung gebracht.68 An dieser Stelle machte sich Richardsons Fokus auf ästhetischen gegenüber inhaltlichen Werten der Malerei bezahlt, denn das Argument, dass eine Auseinandersetzung mit der italienischen religiösen Historienmalerei nicht notwendigerweise zur Annahme katholischer Glaubensinhalte führe, war nicht anders zu bewerkstelligen. „If when I see a Madonna tho’ painted by Rafaelle I be enticed and drawn away to Idolatry; [...] May my Tongue cleave to the Roof of my Mouth and my Right Hand forget
64 John Sekora, Luxury. The Concept in Western Thought from Eden to Smollet, Baltimore/London: Johns Hopkins University Press, 1977; Christopher J. Berry, The idea of luxury. A conceptual and historical investigation, Cambridge: Cambridge University Press, 1994; Paul Mattick, Art and Money, in: Mattick 1993, S. 152–177. 65 Richardson 1998, II, S. 47–48. 66 Gibson-Wood 2000, S. 89–104; Haberland 1991, S. 12–16. 67 Richardson 1998, II, S. 51. 68 Zu dieser Auffassung: Pears 1988, S. 41–50.
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its Cunning“69, beteuerte Richardson. Kennerschaft bedeute nicht die Aufgabe patriotischer Tugenden, denn gerade das Vermögen, selbst urteilen zu können, mache eigenständiger (und letztlich unabhängiger vom Kontinent): „Those who are Connoisseurs [...] can Judge for Themselves [...]. Here we are all Connoisseurs as we are Protestants“.70 Kennerschaft bedeute nicht einfach nur die Beschäftigung mit Kunstwerken, sondern schule das Auge, verfeinere die Wahrnehmung und ermögliche so das Erkennen der Wunder der Natur: „A Connoisseur has this farther Advantage, He not only sees Beauties in Pictures, and Drawings, which to Common Eyes are Invisible; He Learns by these to see such in Nature [...]. The Noblest Works of Rafaelle [...] touch not People without Discernment: So the Beauties of the Works of the great Author of Nature are not seen but by Enlighten’d Eyes“.71
Die Schulung der Sensibilität an den Werken der bildenden Kunst ermögliche die Wahrnehmung der göttlichen Natur, die, hieroglyphengleich, den Augen der Allgemeinheit verborgen bleibe. In diesen Zeilen zeigte sich eine enge Anlehnung an Addisons The Pleasures of the Imagination: „A Man of a Polite Imagination, is let into a great many Pleasures that the Vulgar are not capable of receiving. He can converse with a Picture, and find an agreeable Companion in a Statue. He meets with a secret Refreshment in a Description, and often feels a greater Satisfaction in the Prospect of Fields and Meadows, than another does in the Possession. It gives him, indeed, a kind of Property in every thing he sees, and makes the most rude uncultivated Parts of Nature administer to his Pleasures: So that he looks upon the World, as it were, in another Light, and discovers in it a Multitude of Charms, that conceal themselves from the generality of Mankind.“72
Geschmacksbildung, Taste, erschließe die Welt unabhängig von Besitzverhältnissen und mache selbst die unzugänglichsten Teile der Natur für Freuden zugänglich. Diese Form ideeller Nutzung der wahrgenommenen Natur eröffnete die Teilhabe an neuen Gemeinschaftsformen, die nicht materielle, sondern kulturelle und moralische Werte teilten. Die Einbindung der bildenden Kunst in die Moralphilosophie kennzeichnete den englischen und schottischen Diskurs das gesamte Jahrhundert hindurch. Der mit Richardson befreundete George Turnbull setzte sich mit einem Treatise on Ancient Painting das Ziel, „to shew how mean, insipid, and trifling the fine Arts are when they are quite alienated from their better and nobler, genuine Purposes, which, as well as those
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Richardson 1998, II, S. 39–40. Ebd., II, S. 223, 231. Ebd., II, S. 202–203. Spectator 1965, III, Nr. 411, 21. Juni 1712, S. 538.
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of their Sister Poetry, are truly philosophical and moral“.73 Turnbulls Schrift vertrat eine antikisch geprägte, in den civic humanism eingebettete Argumentation, die aus den antiken Quellen nicht nur die Postulierung eines gesellschaftlichen Anspruchs bildender Kunst, sondern auch ein exklusives Gemeinschaftsmodell übernahm. Wie bei anderen Autoren ging auch bei Turnbull das Studium der antiken Quellen mit der positiven Einschätzung der Laienkennerschaft einher und führte zur Forderung nach besserer Zugänglichkeit privater Kunstschätze.74 Diese Argumentation war auf die große Bedeutung der in britischen Landsitzen verborgenen Kunstsammlungen gemünzt, nicht aber auf die Unterstützung heimischer Künstler. Turnbulls Konzept der Kunstausstellung war am antikischen Öffentlichkeitsanspruch bildender Kunst geschult; sie war kein Mittel zur Hinwendung zum Markt, sondern zu seiner Aufhebung.75 Vor allem aber übertrug er antike Kunstförderungsmodelle gar nicht erst auf die Gegenwart, sondern beschränkte sich in seinem Interesse für bildende Kunst auf Werke des Altertums. Als Abschluss des Treatise diente eine Sammlung von Stichen nach 50 antiken Werken, die er kurze Zeit später auch als eigenständige Publikation herausgab. Seine Schrift diente der Vorbereitung auf die Grand Tour und sollte „the right manner of considering the fine Arts“ lehren, zielte also auf ein Lesepublikum, das nicht aus Künstlern, sondern aus Sammlern bestand.76 Kurz, Turnbulls Schrift zeigt, dass sich in England über mehrere Jahrzehnte hindurch die Postulierung eines gesellschaftlichen Anspruchs bildender Kunst ohne die Einbindung zeitgenössischer Künstler als erstaunlich lebensfähiges Konzept erwies. Als Richardson seine ersten Schriften verfasste, unternahmen die englischen Künstler bereits mehrere Versuche zur besseren Selbstorganisation. 1715 war der lange umstrittene Auftrag zur Ausschmückung der Saint Paul’s Cathedral mit patriotischem Nachdruck an einen englischen Künstler, James Thornhill – sehr bald danach Sir James Thornhill –, vergeben worden. Seinem eigenen Ruf nach „Publick Encouragement and Assistance” der Malerei folgte auch Richardson, als er sich bei der Gründung einer Kunstakademie in der Great Queen Street unter Vorsitz des Hofmalers Godfrey Kneller beteiligte.77 Diese Künstlervereinigung repräsentierte einen wichtigen Teil der Londoner Kunstszene. Insgesamt waren 94 Subskribenten an ihrer Gründung beteiligt, darunter fast die Hälfte der Mitglieder des Rose and Crown Club. Erstmals wurde eine Aktzeichenklasse eingerichtet. Neben dem ‚Governor‘ Sir Godfrey Kneller waren Antonio Pellegrini, Louis Laguerre, Thomas Gibson, George Vertue, James Thornhill und Jonathan Richardson vertreten, ebenso wie zahlreiche Amateure (darunter James Seymour, Owen McSwiney und Richard Steele). Denn es 73 George Turnbull, A Treatise on Ancient Painting, Hg. Vincent M. Bevilacqua, München: Fink, 1971, S. xv. 74 Ebd., S. 121. 75 Copley 1992, S. 19. 76 Turnbull 1971, S. xvi. 77 Zu dieser Akademie: Bignamini 1989; Ronald Paulson, Hogarth. His life, art, and times, New Haven/London: Yale University Press, 1971, I, S. 92–100.
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sollten neben dem praktischen Unterricht auch kunsttheoretische Fragen diskutiert werden, „to study there to cultivate knowledge. in a more extensive way than had ever been before in England.“78 Die Great Queen Street Academy hatte nur wenige Jahre Bestand. 1716 übernahm James Thornhill, der sich davor vergeblich um königliche Unterstützung für ein Akademieprojekt bemüht hatte,79 die Leitung, doch schon kurze Zeit später kam es zu Führungskonflikten und zur Schließung der Institution. Thornhill eröffnete daraufhin in seinem Privathaus eine kostenlose Zeichenklasse, die aber nur kurz existierte. Eine erfolgreichere „life-class-Academy“ eröffneten zwei andere ehemalige Künstler der Great Queen Street Academy, John Vanderbank und Louis Cheron, im Oktober 1720 in der St. Martin’s Lane. Als einer der ersten Schüler schrieb sich der 23-jährige William Hogarth ein, auch Joseph Highmore und William Kent studierten dort. Diese erste St. Martin’s Lane Academy, die als Academy for the Improvement of Painters and Sculptors, by Drawing after the Naked um Schüler warb, scheint sich deutlicher als ihre Vorgänger auf die künstlerische Ausbildung konzentriert zu haben. Sie bestand wahrscheinlich bis zur Wintersaison 1723/24. Danach versuchte Thornhill ein weiteres Mal, mit einer privaten Zeichenschule die entstandene Lücke zu schließen, doch wieder war er nicht erfolgreich.80 Daneben bestand der Rose and Crown Club als Künstlervereinigung weiter. Dort wurden auch Bilder präsentiert,81 doch noch immer gab es nur wenige Orte, an denen englische Künstler ihre Werke zeigen bzw. die englische Öffentlichkeit Kunstwerke sehen hätte können. Die erste ‚Ausstellung‘ fand in Form der öffentlichen Präsentation der Dekoration des Foundling Hospital statt, einem Gemeinschaftsprojekt mehrerer Londoner Künstler.82 Als Waisenhaus war das Foundling Hospital wie eine Genossenschaft organisiert, es verfügte über eine wirtschaftliche Organisationsstruktur mit karitativem Ziel. Diese Anbindung an das „cultural power-sharing“ (Robert Markley)83 der Wohlfahrt war eine willkommene Gelegenheit, bildende Kunst als öffentliches Projekt zu prägen. Das Foundling Hospital war kein Ort, der sich primär dem Kunstbereich hätte zuordnen lassen. Doch bot es aufgrund seines Öffentlichkeitsanspruchs als patriotische und wohltätige Organisation einen als gesellschaftlich wertvoll konnotierten Präsentationsort für zeitgenössische Kunst. In einem völlig anderen Kontext stand die Ausstattung der populären Vauxhall Gardens, eines privaten Vergnügungsgartens im Londoner Vorort Lambeth, der seit 78 79 80 81 82
George Vertue, Notebooks, in: Walpole Society, 18, 1929–30 (Vertue Note Books, I), S. 16. George Vertue, Notebooks, in: Walpole Society, 22, 1933–34 (Vertue Note Books, III), S. 74. Paulson 1971, I, S. 108. Bignamini 1988, S. 47, basierend auf einer Notiz von George Vertue des Jahres 1724. Solkin 1993, S. 157–174. Der Ausstattung des Foundling Hospital war ein ähnliches Projekt im St. Bartholomew’s Hospital vorangegangen. 83 Robert Markley, Sentimentality as Performance: Shaftesbury and the Theatrics of Virtue, in: Felicity Nussbaum (Hg.), The new eighteenth century. Theory, practice, English literature, New York/London: Methuen, 1987, S. 218.
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etwa 1730 mit großformatigen Dekorationsgemälden ausgestattet wurde. Auch in Vauxhall Gardens waren die Kunstwerke selbst nicht zum Verkauf ausgestellt, wenngleich deren Nachstiche in unterschiedlichster Qualität in der Stadt London und auch im Garten selbst erhältlich waren. Vauxhall Gardens bot seinem Publikum die Möglichkeit, Kunstwerke in völlig unterschiedlichen Präsentationsstufen – von den dekorativen Genre- und Theaterszenen bis hin zu einem patriotischen Programm der zeitgenössischen Historienmalerei – zu rezipieren. Innerhalb der inszenierten Öffentlichkeit des Vergnügungsgartens konnte sich die Londoner Gesellschaft als polite nation bewegen. Der niedrige Eintrittspreis erlaubte fast allen Bevölkerungsschichten Zugang, und in den Anfangsjahren wurde bildende Kunst in Form spektakelhafter Dekorationen präsentiert. Sowohl Bildprogramme als auch Präsentationskontexte änderten sich bis zur Jahrhundertmitte erheblich. Die Kunstwerke wurden räumlich und präsentationstechnisch von ihrer Dekorations- und Unterhaltungsfunktion isoliert. Zu Beginn der 1760er-Jahre wurde ein eigener Raum zur Kunstpräsentation, die sogenannte Rotunda, gebaut, die Francis Haymans Darstellungen der aktuellen britischen Militärerfolge gewidmet war.84 Zu diesem Zeitpunkt allerdings waren endlich auch die ersten zeitgenössischen Kunstausstellungen entstanden.
Das Publikum als Öffentlichkeit: Jean-Baptiste Du Bos’ Réflexions critiques sur la poësie et sur la peinture Die umfassendste und einflussreichste gesellschaftliche Kontextualisierung der Künste im frühen 18. Jahrhundert unternahm der Diplomat und Historiker JeanBaptiste Du Bos. Wenn wir uns für die nähere Betrachtung der 1719 publizierten Réflexions critiques sur la poësie et sur la peinture einem französischen Autor zuwenden, dann soll dies nicht über die länderübergreifende und lang anhaltende Bedeutung seiner Schrift hinwegtäuschen. Der Einfluss dieser geschichtsphilosophisch geprägten Untersuchung über die gesellschaftliche Rolle von Dichtung, Malerei und Musik ist das gesamte 18. Jahrhundert hindurch zu verfolgen: „Le Livre de M. l’Abbé Du Bos est pour les Poëtes & pour les Peintres ce que sont ceux de Quintilien pour les Orateurs“, konstatierte Jean-Bernard Le Blanc.85 Doch die Bedeutung der Réflexions critiques ging weit über professionelle Kreise hinaus. Zahlreiche andere Autoren des 18. Jahrhunderts bezogen sich darauf und konnten die Kenntnis der wichtigsten Punkte der dreibändigen Untersuchung bei ihrem Publikum als bekannt vorausset84 Zu Vauxhall Gardens: Solkin 1993, S. 106–156, 190–199; Eva Kernbauer, Die ‚supper-box‘-Gemälde in Vauxhall Gardens im Kontext der Präsentation von Kunstwerken in England in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, Diplomarbeit, Universität Wien, 2001. 85 Jean-Bernard le Blanc, Lettre sur l’exposition des ouvrages de peinture, sculpture etc. de l’année 1747, Genf: Slatkine, 1970, S. 166. Zur Bedeutung dieser Schrift für David Hume: Peter Jones, Hume on art, criticism and language, in: Philosophical Studies, 33, 2, 1978, S. 109–134.
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zen. Sie wurde ins Englische, Holländische und Deutsche übersetzt und mehrfach neu aufgelegt. Und ebenso grenzüberschreitend war sie entstanden: Du Bos hatte während seiner Tätigkeit als Diplomat Flandern, Holland, England und Italien bereist, er war langjähriger Korrespondent Bayles und Lockes, dessen Manuskript des Essay concerning human understanding er noch vor der französischen Publikation erhalten hatte.86 Mit Addisons und Steeles Spectator und den Schriften Shaftesburys war er ebenso vertraut wie mit den Poetiken Aristoteles’, Horaz’ und Boileaus. Das quasi-kulturhistorische Interesse der Réflexions critiques führte ihn zu einer höchst eigenwilligen und originellen Untersuchung der gesellschaftlichen Bedingungen und Funktionen von Musik, Literatur und bildender Kunst. Du Bos’ Schrift wird häufig als Beleg für einen grundlegenden Paradigmenwechsel des frühen 18. Jahrhunderts herangezogen, der schlagwortartig als Abkehr von der Regelästhetik zugunsten der Wirkungsästhetik skizziert werden kann. Doch gerade die Lektüre der Réflexions critiques erlaubt, nicht nur die Brüche einer solchen Verschiebung, sondern auch Kontinuitäten wahrzunehmen. Denn die beiden Systeme wiesen grundlegende Parallelen auf. Die Regelästhetik basierte letztlich auf empirischer Methodik und war daher dem Prüfstein der Wirkung des Kunstwerks unterworfen. Die Regeln stellten den Versuch dar, Qualitätsmerkmale eines Kunstwerks zu analysieren und in anwendbaren Richtlinien festzuhalten – etwa in der Ausdifferenzierung und Gewichtung der Begriffe ‚Ordnung‘, ‚Einheit‘ und ‚Vielfalt‘ oder, kontroversieller, der Bestimmung des Vorrangs von ‚Farbe‘ oder ‚Linie‘. In der ersten conférence, die Roger de Piles 1699 an der Académie royale hielt, „de la nécessité d’etablir des principes et des moyens d’y parvenir“, und die auf Wunsch Hardouin-Mansarts vollständig in die Akten der Académie aufgenommen wurde, beschrieb der Autor die Kunsttheorie als einen Kompass, der das Schiff (der Praxis) im Sturm leiten würde, „la boussole et l’aiguille émentée de ce vaisseau, laquelle est en danger de se rouiller faute d’usage“.87 De Piles’ Bekräftigung des Werts verbindlicher Regeln scheint in starkem Kontrast zu deren Verurteilung in der Nachfolge des englischen Sensualismus zu stehen. Denn dort zeigte sich, dass die Kritik an Regeln als starres System („Mechanical Rules which a Man of very little Taste may discourse upon“, meinte Addison88) sich als äußerst produktiv für die Erstellung eines neuen Normierungskonzepts zur Qualität von Kunstwerken erweisen konnte – des Geschmacks: „[...] Musick, Architecture, and Painting, as well as Poetry and Oratory, are to deduce their Laws and Rules from the general Sense and Taste of Mankind, and not from the 86 Zur Biografie Du Bos’: Alfred Lombard, Abbé Du Bos. Un initiateur de la pensée moderne, Paris: Hachette, 1913. 87 Montaiglon 1875–1909, III, S. 270. Baldine de Saint Girons, Un nouveau „discours sur la méthode“: La première conférence de Roger de Piles à l’Académie royale de peinture et de sculpture (1699), in: Michel/Saison 1997, S. 83–98. 88 Spectator 1965, III, Nr. 409, 19. Juni 1712, S. 530.
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Principles of those Art themselves; or, in other Words, the Taste is not to conform to the Art, but the Art to the Taste.“89
Die Abkehr von den verstandesmäßig objektivierbaren und externalisierbaren Kriterien der Regelästhetik war auch bei Du Bos zentral in der Postulierung der ‚authentischen‘, auf dem individuellen Gefühl beruhenden Kunsterfahrung als Maßstab für die Qualität eines Kunstwerks ausgedrückt. Grundlage des Rezeptionsvorgangs war nach seiner Auffassung der unmittelbare Sinneseindruck, der Wahrnehmung und Erkenntnis als ein und denselben Vorgang umfasste. Das entsprach der gefühlsmäßigen Kognition (‚sensitive knowledge‘) John Lockes.90 Die Rührung der Sinne sei die primäre Funktion bildender Kunst, und nach dem Maß seiner Wirkung sei auch die Qualität eines Kunstwerks zu beurteilen.91 Eine verstandesmäßige Reflexion der ersten Empfindung könne zwar Schritt für Schritt helfen, die Qualitäten und Mängel eines Kunstwerks zu analysieren, als alleiniger Weg zur Erkenntnis selbst könne sie jedoch nicht dienen: „Ce que l’analyse ne sçauroit trouver, le sentiment le saisit d’abord.“92 Ebenso könne man die Qualität eines Ragouts beurteilen, ohne die Regeln seiner Herstellung zu kennen – indem man es koste: „On goûte le ragoût, & même sans sçavoir ces regles, on connoît s’il est bon. Il en est de même en quelque maniere des ouvrages d’esprit & des tableaux faits pour nous plaire en nous touchant.“93
Diese Auffassung baute auf der kunstliterarischen Unterscheidung zwischen gebildetem und ungebildetem Kunsturteil auf, nicht mehr aber auf deren traditioneller Bewertung. Du Bos’ Betrachter sollte in sich ignorans und elegans vereinen, er musste ebenso zur unmittelbaren Rührung fähig sein wie zur reflektierenden Begründung der Empfindung. Mit der zentralen Rolle, die er dem sentiment zuschrieb, zielte Du Bos keineswegs auf eine Relativierung von Schönheit und Wahrheit. Ihm kam der gleiche Stellenwert zu wie dem Verstand bei Descartes, und darum hat Peter Bürger auf dessen spiegelbildliche Entsprechung bei Du Bos hingewiesen: „La puissance de bien juger et distinguer le vrai d’avec le faux, qui est proprement ce qu’on nomme le bon sens ou la raison, est naturellement égale à tous les hommes“,94
hatte Descartes geschrieben, und Du Bos antwortete, 89 Ebd., I, Nr. 29, 3. April 1711, S. 123. 90 John Locke, An Essay concerning Human Understanding, Hg. Peter H. Nidditch, Oxford: Clarendon Press, 1975, Book IV, Chapter 2, §14, S. 536–538. 91 Jean-Baptiste Du Bos, Réflexions critiques sur la poesie et sur la peinture, Genf: Slatkine, 1982, II, Sect. XII, S. 339–340. 92 Ebd., II, Sect. 23, S. 369. 93 Ebd., II, Sect. 22, S. 341. 94 René Descartes, Discours de la Methode, zit. nach Bürger 1972, S. 49.
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„Mais tous les hommes peuvent juger des vers & des tableaux, parce que tous les hommes sont sensibles, & que l’effet des vers & des tableaux tombe sous le sentiment.“95
‚Sentiment‘ (‚Gefühl‘ und zugleich ‚Empfindsamkeit‘) ersetzte die Vernunft, verkörpert in den normgebenden Regeln der französischen Klassik, als Urteilsorgan über wahr und falsch, gut und schlecht. Da das Kunsturteil in der Empfindsamkeit verankert sei, sei auch die Fähigkeit zum Kunstgenuss und -urteil eine universale, allen Menschen mögliche Erfahrung: „Tous les hommes, à l’aide du sentiment intérieur qui est en eux, connoissent, sans sçavoir les règles, si les productions des arts sont de bons ou de mauvais ouvrages, & si le raisonnement qu’ils entendent, conclut bien.“96
Als Autorität für seine Position konnte Du Bos auf eine klassisch gewordene literaturtheoretische Debatte verweisen, die sogenannte Querelle du Cid. 1637 hatte die noch junge Académie française an Corneilles überaus erfolgreichem Theaterstück El Cid Verstöße gegen die Regeln der drei Einheiten beanstandet.97 Dabei waren sich der Schriftsteller und die Académie in ihrem grundlegenden Verständnis der Regeln durchaus einig, unterschiedliche Auffassungen gab es nur hinsichtlich deren Anwendung. Corneille betonte, dass die erste Aufgabe eines Theaterstücks sei, den Regeln entsprechend zu gefallen – „de plaire selon les règles“. Diese seien jedoch nicht klar überliefert und müssten erst vom Autor interpretiert werden.98 Du Bos bezog sich in den Réflexions critiques auf die Querelle, indem er den offensichtlichen Fehlern des Stücks dessen positive Wirkung auf das Publikum entgegensetzte. Wie die Zeit zeige, sei das Gefallen („plaire“) an dem Theaterstück ein sichereres Indiz als die schwer fassbaren Regeln. Die Zustimmung des Publikums bürge nicht nur für die Popularität des Stücks, sondern auch für seine Qualität.99 Denn die Empfindsamkeit sei eine objektive Instanz innerhalb des Einzelnen, die ein unfehlbares Urteil ergeben würde: „C’est ce sixiéme sens qui est en nous, sans que nous voyions ses organes. C’est la portion de nous mêmes qui juge sur l’impression qu’elle ressent, & qui, pour me servir des termes de Platon, prononce, sans consulter la regle & le compas. C’est enfin ce qu’on appelle communément le sentiment.“100
Der unsichtbare sechste Sinn war damit als Sitz von Empfindung und Geschmack etabliert. Bereits der Theatertheoretiker des 17. Jahrhunderts François Hédelin, abbé 95 Du Bos 1982, II, Sect. 24, S. 378. 96 Ebd., II, Sect. 22, S. 348. 97 Ähnlich wie bei der Querelle du coloris war die Verteidigung des Publikumsurteils ein wichtiger Aspekt der Querelle du Cid, vgl. Bürger 1972. 98 Pierre Corneille, Trois discours sur le poème dramatique, Hg. Bénédicte Louvat/Marc Escola, Paris: Flammarion, 1999, S. 63–66. 99 Du Bos 1982, II, Sect. 32, S. 467–468. 100 Ebd., II, Sect. 22, S. 342.
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d’Aubignac, hatte von dem geheimen – nicht nachvollziehbaren – Urteilsvermögen des Publikums gesprochen: „Ils ne laissent pas d’auoir dans les oreilles & dans le fonds de l’âme un tribunal secret qui ne se peut tromper & deuant lequel rien ne se déguise.“101 Diese Unsichtbarkeit bezeichnete eine grundlegende Differenz zum rational nachvollziehbaren, auf Evidenz basierenden Urteil des cartesianischen Denkens. In der Nachfolge John Lockes betrachtete der englische Sensualismus das Schöne nicht als eine Eigenschaft des Kunstwerks, sondern als eine Empfindung des Betrachters. Welche Verantwortung dies dem einzelnen Rezipienten auferlegte, macht ein Blick auf Joseph Addisons Untersuchung des Geschmacks deutlich, die Du Bos folgte. Geschmack bedeutete demnach nicht die Fähigkeit, Gutes von Schlechtem zu unterscheiden, sondern Gefallen am Guten, Missfallen am Schlechten zu finden, („that Faculty of the Soul, which discerns the Beauties of an Author with Pleasure, and the Imperfections with Dislike“102). Damit waren hohe Anforderungen an das Individuum gestellt. Die Vorrangstellung des Gefühls führte zur Verinnerlichung und Naturalisierung des Geschmackserlebnisses, der viele französische Autoren des 18. Jahrhunderts folgten: „Le Goût est une connoissance des Règles par le sentiment“103, schrieb Charles Batteux, und dieser Interpretation folgte die Encyclopédie: Geschmack sei „le sentiment des beautés & des défauts dans tous les arts“. Die Reaktion des Betrachters müsse von innen kommen, auf einem authentischen Gefühl beruhen: „Il ne suffit pas pour le goût, de voir, de connoître la beauté d’un ouvrage; il faut la sentir, en être touché. Il ne suffit pas de sentir, d’être touché d’une maniere confuse, il faut démêler les différentes nuances; rien ne doit échapper à la promtitude du discernement; & c’est encore une ressemblance de ce goût intellectuel, de ce goût des Arts, avec le goût sensuel: car si le gourmet sent & reconnoît promptement le mélange de deux liqueurs, l’homme de goût, le connoisseur, verra d’un coup-d’œil prompt le mélange de deux styles; il verra un défaut à côté d’un agrément [...]“.104
Der augenblickliche Eindruck eines Kunstwerks auf den Betrachter („le premier coup-d’œil“) war entscheidend für die Gültigkeit des Urteils. Der Ratschlag, auf diese erste Reaktion zu achten, hatte eine lange Tradition in der italienischen Kunstliteratur und wurde im französischen 18. Jahrhundert immer wieder aufgegriffen. Der Ausdruck, der sich beim Anblick des Kunstwerks auf dem Gesicht der Rezipienten abzeichne, sei entscheidend: „Soïons prompts a démêler sur le visage de celui que nous consultons, l’impression qu’il reçoit au premier coup d’œil: c’est le sentiment que sa politesse même ne peut nous cacher.“105 Die komplizierten Arrangements, die 101 François Hédelin, Abbé d’Aubignac, Deux dissertations concernant le poème dramatique, Paris: J. Du Brueil, 1663, S. 3. 102 Spectator 1965, III, Nr. 409, 19. Juni 1712, S. 528. 103 Charles Batteux, Les beaux-arts réduits à un même principe, Paris: Durand, 1746, S. 97. 104 Diderot 1966–67, VII, S. 761. 105 Charles-Antoine Coypel, Discours sur la nécessité de recevoir des avis, in: ders., Œuvres, Genf: Slatkine, 1971, S. 56.
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der Künstler errichten musste, um denn überhaupt erst ein brauchbares Urteil zu erhalten, zeigt die offensichtlich geringe Hoffnung auf sprachlich ausformulierte Laienurteile, deren Kommunikation eher über Mimik zu erwarten war: „Car tel est le pouvoir du Beau, dès qu’on le voit, on en est saisi [...]“.106 Die Stummheit der Laien verwies zudem auf die bescheidene Haltung, hinter die Kompetenz der Künstler zurückzutreten. Solange sie sich an das Primat der Sprachlosigkeit hielten, verdienten sie denn auch Anerkennung als ‚einfaches Publikum‘. Du Bos’ Konzeption des sechsten Sinns erlaubte zugleich Spontaneität und Reflexion. Denn Geschmack erlangte man seiner Auffassung nach erst durch den goût de comparaison, die Schulung der Wahrnehmung an der Tradition der Meisterwerke. Die Norm aller derjenigen Kunstwerke, die das Urteil der Zeiten überstanden haben – „Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus“ (Quintilian) – sollte nun das Publikum einnehmen.107 Der ‚sixième sens‘ war das Zeichen des naturalisierten Geschmacks, der sich spontan äußerte, doch auf Bildung beruhte. Denn auch wenn Du Bos die Sprache der Kunst als potenziell für jedermann zugänglich formulierte, umfasste seine Konzeption des Publikums nicht alle gesellschaftlichen Gruppen: „C’est que je ne comprens point le bas peuple dans le public capable de prononcer sur les poëmes ou sur les tableaux, comme de décider à quel degré ils sont excellens. Le mot du public ne renferme ici que les personnes qui ont acquis des lumières, soit par la lecture, soit par le commerce du monde. [...] Le public, dont il s’agit ici, est donc borné aux personnes qui lisent, qui connoissent les spectacles, qui voyent & qui entendent parler de tableaux, ou qui ont acquis de quelque manière que ce soit, ce discernement qu’on appelle goût de comparaison“.108
Das Publikum, das tatsächlich Werturteile über Kunstwerke abgeben durfte, rekrutierte sich aus einer gebildeten Schicht, deren Gefühl sich auf einen Grundstock von Bildung und Wissen legte. Zwar gäbe es wohl Schönheiten in einem Kunstwerk, die selbst ungebildeten Menschen zugänglich seien und die sich in den lauten Bewunderungsrufen eines Publikums äußerten, das zu keinem qualifizierteren Ausdruck fähig sei – „des beautés capables de se faire sentir au peuple du plus bas étage, & de l’obliger à se récrier“109. Mit seinem Ausschluss des „bas peuple“ aus dem Kreis der urteilsfähigen Kunstrezipienten sprach Du Bos diesem nicht die naturgegebene ästhetische Genussfähigkeit ab. Doch bliebe den unteren Gesellschaftsschichten der Weg zur Bildung und Verfeinerung des Geschmacks versperrt. Die Reichweite der
106 [Saint-Yves], Observations sur les arts et sur quelques morceaux de peinture et de sculpture exposés au Louvre, Leyde: Luzac, 1748, [Collection Deloynes #34], S. 3. 107 Zu diesem consensum temporum: Oehler 1961, S. 108–109. 108 Du Bos 1982, II, Sect. 22, S. 351–352. 109 Ebd., II, Sect. 22, S. 351.
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Kunstöffentlichkeit sei gesellschaftlich und historisch bedingt und abhängig von der Art des Werks und der Zivilisationsstufe einer Gesellschaft.110 Der ‚sechste Sinn‘ hatte das Erbe der Regel angetreten, er war das unsichtbare innere Organ zur Normierung und Sicherung der Qualität des Qualitätsurteils selbst. Dies führte nicht zur Relativierung im Sinne des von Shaftesbury verurteilten „je ne scay quoy to wch Idiots & the ignorant of Art woud reduce every thing.“111 Als naturgegebene Grundlage der Gesellschaft („premier fondement de la société“)112 kam der Empfindung eine zentrale gesellschaftliche Funktion zu. Die authentische, individuelle Gefühlsreaktion war zugleich das sozial relevante Verhalten eines Subjekts, das in einem gesellschaftlichen Zusammenhang steht. Dies ist ein Öffentlichkeitsverständnis in der (von Habermas als spezifisch bürgerlich bezeichneten) Dialektik des 18. Jahrhunderts von Innerlichkeit und Öffentlichkeit.113 Vergleichbar ist Du Bos’ Subjektkonstruktion mit dem fast zeitgleich entstandenen Modell der Leibniz’schen Monade, der organischen ‚Vielheit in der Einheit‘ (‚multorum in uno expressio‘). Das Einzelne verweist immer bereits auf das Ganze, denn nur „in dieser Rückbeziehung und in dieser Anknüpfung ans Allgemeine“, so Cassirer, lässt sich das Individuelle überhaupt denken.114 Du Bos selbst definierte seinen idealen Rezipienten als ein doppeltes Subjekt: Kunstwerke sollten gleichermaßen den „homme en général“ und den „homme en particulier“ ansprechen.115 Die Aufwertung des unmittelbaren Gefühlseindrucks führte Du Bos zur radikalen Aufwertung der Laien: Die Künstler waren in seiner Konzeption von Kunstöffentlichkeit nicht einmal eingeschlossen. Das Urteil der gens du métier sei durch Voreingenommenheit und Abstumpfung beeinträchtigt und basiere in der Regel auf Verstand, nicht auf spontanem Gefühl. Selbst ungebildete Betrachter seien ihnen daher in der Beurteilung von Kunstwerken zumindest ebenbürtig: „Le parterre, sans sçavoir les regles, juge d’une pièce de théâtre aussi bien que les gens du métier.“116
Der Ausdruck ‚parterre‘, ein metonymischer Sammelname für die auf den Stehplätzen versammelten Theaterbesucher, bezeichnete das Organ der unmittelbaren Kritik 110 Ebd., II, Sect. 22, S. 352–353. 111 Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (Plasticks), S. 186. Allerdings stellt Shaftesbury dieses Urteil noch über den pedantischen „artifical, witty, far-fetch’d, refin’d, Huper-critical Taste“. Ebd., S. 198. 112 Du Bos 1982, I, Sect. 4, S. 39. 113 Habermas 1990, S. 17. Habermas spricht von der „publikumsbezogenen Privatheit der bürgerlichen Intimsphäre im 18. Jahrhundert“. 114 Ernst Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung, Hamburg: Felix Meiner Verlag, 1998, S. 42. Vgl. Hans Körner, Auf der Suche nach der „wahren Einheit“. Ganzheitsvorstellungen in der französischen Malerei und Kunstliteratur vom mittleren 17. bis zum mittleren 19. Jahrhundert, München: Fink, 1988. 115 Du Bos 1982, I, Sect. 12, S. 75–83. 116 Ebd., II, Sect. 22, S. 349.
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und die Verkörperung der Stimme des Volkes.117 Diese Stimme zu verachten, galt als Zeichen von Anmaßung und Dummheit.118 Es ist charakteristisch für Du Bos’ deutlich größere Vertrautheit mit der Theater- als der Kunstliteratur, dass er bei seiner Parteinahme für das Urteil des parterre nicht etwa die Apelles-Anekdote anführte, sondern stattdessen auf verwandte Anekdoten aus der Theaterliteratur verwies, nämlich auf Malherbe und Molière, die ihre Werke ihren Köchinnen vorgelesen hätten, um über das Urteil des Volkes Bescheid zu erlangen.119 Du Bos maß dem Publikum die normative Macht der Wahrheit bei, einer Medizin ähnlich, die nur ein starker Geist ertragen könne: Ein Dichter ohne ‚génie‘ könne wohl mit einigem Erfolg bestehen, solange er seine Stücke allmählich, über Vermittlung eines kleineren Kreises, an die Öffentlichkeit brächte. Er hüte sich jedoch, waghalsig das Urteil des versammelten Publikums („public attroupé“) herauszufordern: dessen Verachtung sei ihm sicher, und er könne sich glücklich schätzen, wenn seine Schande seinen Tod nicht überdauere.120 Von dem „vielköpfigen Monster“121, das Voltaire im Theater versammelt sah, war dieses Publikum nicht weit entfernt. Das „public attroupé“ von Ausstellungsbesuchern und -besucherinnen, das für seine Argumentation so zentral gewesen wäre, hat Du Bos vermutlich nie erlebt. Zur Zeit der Akademieausstellungen von 1699 und 1704 hielt er sich in Flandern bzw. in Brüssel und England auf. Er hatte keine engeren Kontakte zu Künstlern, statt einer Kunst- besaß er eine Münzsammlung. In diesem Sinne entsprach er selbst recht gut dem Negativbild des Curieux, zu dessen Verurteilung seine Schrift häufig herangezogen wurde. Ob er die im Freien stattfindenden jährlichen Kunstpräsentationen an der Place Dauphine oder die vor den 1740er-Jahren noch unregelmäßig veranstalteten Auktionsausstellungen als gültige Beispiele in seine Überlegungen ein117 Das parterre rekrutierte sich aus den städtischen Mittel- und Unterschichten: Bedienstete, Handwerker und Lehrlinge, Soldaten, untere Beamte und Studenten. Vgl. Jeffrey S. Ravel, The Contested Parterre. Public Theater and French Political Culture, 1680–1791, Ithaca: Cornell University Press, 1999, mit einer Grafik zur sozialen Differenzierung, S. 17. Das parterre war männlich dominiert, auch wenn Frauen der Zugang nicht gesetzlich verboten war. Madame de Beaumer, die Herausgeberin des Journal des Dames, soll sich 1763 für die Rezension eines Theaterstücks in Männerkleidung unter das parterre gemischt haben. Vgl. Nina Rattner Gelbart, Feminine and opposition journalism in Old Regime France. „Le Journal des dames“, Berkeley/London: University of California Press, 1987, S. 95. 118 Bei dem sich im 18. Jahrhundert ungebrochener Popularität erfreuenden Molière wird ein Ignorant, der hochmütig auf das sich im Theater amüsierende parterre hinabblickt – „Ris donc, parterre, ris donc“ –, selbst zur Komödie (Critique de l’Ecole des femmes, Molière 1971, I, S. 653). 119 Du Bos 1982, II, Sect. 22, S. 350. Ein weiteres Beispiel nahm Du Bos aus dem Bereich der Physik: Leibniz habe immer auf die Erfahrung seines Kutschers vertraut, statt Berechnungen zu glauben, welche Kurven die Kutsche gefahrlos nehmen könne. Ebd., II, Sect. 23, S. 361–362. 120 Ebd., II, Sect. 6, S. 63–64. 121 „Qui? le Public! ce fantôme inconstant,/ Monstre à cent voix, Cerbère dévorant [...]/ Il juge, il loue, il condamne au hasard / Toute vertu, tout mérite, et tout art.“ Zit. nach Voltaire, Epître à Mme Denis, La vie de Paris et de Versailles, in: Œuvres complètes de Voltaire, Hg. Charles Lahure, Paris: Lahure, VI, 1859, S. 267.
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bezogen hätte, muss bezweifelt werden. Auch die ab 1725 langsam einsetzende Reihe von Ausstellungen und Wettbewerben der Académie im Louvre, und schließlich die glanzvolle Wiederaufnahme regelmäßiger Salons ab 1737, veranlassten ihn nicht zu einer Erweiterung oder Modifikation seiner Darstellung des Kunstpublikums in der Ausgabe letzter Hand der Réflexions critiques (1740). Ihre Komplexität erhielt Du Bos’ Konzeption nicht etwa durch einen Bruch mit ihren klassischen Wurzeln (etwa eine demokratische Zustimmung zur Meinung der Gesamtheit oder der Mehrheit), sondern vielmehr durch die Übertragung der traditionellen Ruhmesvorstellung auf die Kunstöffentlichkeit. Mit der Annahme der Universalität des Geschmackserlebnisses glaubte er Zeitgenossenschaft und Überzeitlichkeit, Kritik und Ruhm zusammengeführt zu haben. Dieser Universalismus war bereits im Spectator vorbereitet worden,122 und wurde bei Du Bos nicht nur zeitlich, sondern auch geografisch wirksam, wenn er meinte, „les hommes de tous les tems & de tous les pays sont semblables par le cœur.“123 Die Schriften Du Fresnoys und Fréart de Chambrays hatten das ‚Publikum‘ als eine überzeitliche Urteilsinstanz über die Qualität eines Kunstwerks und als eine Quelle künstlerischen Ruhmes etabliert. Indem Du Bos diese Anforderungen auf das zeitgenössische Publikum anwandte, entwickelte er die Vorstellung einer zugleich gegenwärtigen und überzeitlichen, konkret und universal wirkenden Einheit. Bei gleichbleibender Terminologie vollzog sich ein Paradigmenwechsel innerhalb des Worts ‚public‘, dem nur die Übersetzung ‚Öffentlichkeit‘ im Sinne der älteren Bedeutung ‚Allgemeinheit‘ gerecht wird. Die zugleich abstrakte und zeitgenössisch fassbare Kunstöffentlichkeit sollte alle Anforderungen der traditionellen Regelästhetik erfüllen. Sie musste ein unfehlbarer, unparteiischer Maßstab für künstlerische Größe sein und universale Geltung haben. Doch auch innerhalb von Du Bos’ Öffentlichkeitsmodell blieb der traditionelle Abstand zwischen der Konzeption des idealen Kunstrichters und seiner zeitgenössischen Konkretisierung bestehen, auch bei ihm gab es keine völlige Konvergenz zwischen beiden Seiten. Denn die wichtigste Aufgabe dieser Öffentlichkeit war ja immer noch, ein Organ der Qualitätssicherung zu sein und künstlerischen Ruhm zu erkennen. Dementsprechend leitete Du Bos seine Überlegungen zum Kunsturteil mit dem Kapitel „De la maniere dont la réputation des Poëtes & des Peintres s’établit“124 ein, einer Frage, die er im Vorwort zur letzten Ausgabe der Réflexions critiques ausführlicher erläuterte. Sein Anliegen sei gewesen, zu zeigen, wie die Reputation eines Künstlers entstehe und ob diese zeitgenössische Präfiguration der „gloire“ auf dauerhaften Ruhm vorausweise oder nur eine vergängliche Mode sei. Er wolle herauszufinden, „quels sont enfin les présages sur la loi desquels il est permis d’augurer que la renommée d’un Peintre ou d’un Poëte vanté par ses Contempo122 Spectator 1965, I, Nr. 70, 21. Mai 1711, S. 297. 123 Du Bos 1982, II, Sect. 34, S. 516. 124 Ebd., II, Sect. 21, S. 336–339.
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rains, ira toujours en augmentant“.125 Entscheidend war die Differenz zwischen dem (womöglich kurzfristigen) Erfolg eines Künstlers zu Lebzeiten und dem fortdauernden Nachruhm, deren zuverlässige Unterscheidung auch Du Bos nicht vornehmen konnte. Die Bedeutung der Zeit hatte bereits Nicolas Boileau hervorgehoben, und es ist anzunehmen, dass Du Bos ihm in diesem Punkt folgte. Die Autorität des Publikums sei nicht immanent, sondern setze erst nach und nach ein. Mit zunehmender Dauer gewinne sie an Festigkeit: „Le gros des hommes peut bien, durant quelque temps, prendre le faux pour le vrai, et admirer de méchantes choses: mais il n’est pas possible qu’à la longue une bonne chose ne lui plaise [...]. J’avoue néanmoins [...] que, quelquefois, lorsque d’excellents ouvrages viennent à paraître, la cabale et l’envie trouvent moyen de les rebaisser et d’en rendre en apparance le succès douteux: mais cela ne dure guère; et il en arrive de ces ouvrages comme d’un morceau de bois qu’on enfonce dans l’eau avec la main: il demeure au fond tant qu’on l’y retient; mais bientôt, la main venant à se lasser, il se rélève et gagne le dessus.“126
Das gemeinschaftliche Urteil möge kurzfristig (etwa durch die Manipulation der gens du métier) getrübt sein, doch lange werde der Irrtum nie anhalten127 – gleich einer hypostasierten Zeit werde das Publikum am Ende doch noch die wahren Qualitäten des Kunstwerks ans Licht bringen. Die Wahrheit ist die Tochter der Zeit (Abb. 7–8), in diesem Punkt waren sich selbst die erbittertsten künstlerischen Konkurrenten einig.128 Bereits Jean Rou hatte in der ältesten bekannten Besprechung einer Ausstellung der Académie royale von einem „espèce de Parnasse réel“129 gesprochen. Die Anrufung des Publikums in den Ausstellungen wurde zu einem zentralen Topos des 18. Jahrhunderts. Gegen die Abgeschiedenheit des Ateliers wurde der Künstlerwettstreit gestellt, die unparteiische Kraft des öffentlichen Urteils, dem alle Künstler, gleich welchen Berühmtheitsgrads, in gleichem Maß ausgesetzt seien: Vor dem Publikum sind alle gleich.130 Der Topos der aemulatio war so verbindlich, dass die 125 Ebd., Avertissement, n. p. 126 Nicolas Boileau, Œuvres complètes, Paris: La Place, Sanchez, 1873, S. 5–6. 127 Du Bos 1982, II, Sect. 21, 22 und 25, S. 336–357, 383–392; Sect. 26, 31 und 32, S. 393–400, 442–473. 128 Zu dieser Bildtradition: Fritz Saxl, Veritas Filia Temporis, in: Raymond Klibansky/H. J. Paton (Hgg.), Philosophy & History. Essays presented to Ernst Cassirer, Oxford: Clarendon, 1936, S. 197–222; Donald Gordon, „Veritas Filia Temporis“, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 3, 1939, S. 228–240; Guy de Tervarent, Veritas and Justitia Triumphant, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 7, 1944, S. 95–101. 129 Rou 1857, II, S. 21. 130 Gestützt auf den Topos des Richteramts des Publikums meinte Francesco Algarotti, dass die Ausstellungen überhaupt erst eingeführt worden wären, um der Tyrannei des Akademiedirektors Le Brun das Licht der Öffentlichkeit entgegenzustellen. Vgl. Francesco Algarotti, Essai sur la peinture et sur l’Académie de France établie à Rome, Genf: Minkoff, 1972, S. 197.
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7 François Lemoyne, Die Zeit rettet die Wahrheit vor Lüge und Neid, 1735–1737, Öl auf Leinwand, London, Wallace Collection.
8 Jean-François de Troy, Die Zeit enthüllt die Wahrheit, 1733, Öl auf Leinwand, London, National Gallery.
Vorstellung von Einzelausstellungen über lange Zeit hindurch völlig unsinnig erschien.131 Die Beurteilung von Kunstwerken konnte nur in deren Verbund stattfinden. Und da die Ausstellungen, in ihrer idealisierten Interpretation unter Verleugnung ihres Marktbezugs, ausschließlich dieser Beurteilung dienten, wurde auch die mehrmalige Präsentation ein und desselben Werks kritisiert: „Ce qui a été une fois jugé, ne devroit plus y reparoître.“132 Der Salon wurde im 18. Jahrhundert zum Wirkungsort der Kunstöffentlichkeit par excellence. Die Darstellung des Ausstellungspublikums aber, und seiner Doppelheit als zugleich zeitgenössische und überzeitliche Instanz, stellte eine Herausforderung dar, die nur selten realisiert wurde. Am intensivsten setzte sich Gabriel de Saint-Aubin, ein Mitglied der Académie de Saint-Luc, mit Kunstereignissen (Ausstellungen, Atelierszenen, Auktionen) und dem anwesenden Kunstpublikum auseinander. Und tatsächlich versuchte er sich über Jahrzehnte hin in der Darstellung des
131 [Antoine-Joseph Garrigues de Froment], Sentiments d’un amateur sur l’exposition des Tablaux du Louvre, & la Critique qui en a été faite, [Paris] [s. n.], 1753, S. 29–30. 132 Le Blanc 1970, S. 104.
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9 Gabriel de Saint-Aubin, Ansicht des Salon von 1767, 1767, Radierung, Paris, Privatsammlung.
‚irdischen Parnass‘ (Abb. 9–10).133 In beiden Zeichnungen hat sich das Publikum vor den Exponaten versammelt, um diese gemeinschaftlich zu studieren und zu genießen. Im Zentrum des salon carré, über den Köpfen der Besucher, die in Saint-Aubins gewohnt narrativem Modus geschildert sind, schwebt die Allegorie des Ruhmes. Zu einer Synthese aber, sei diese bildnerisch oder thematisch konzipiert, kommt es nicht. Der irdische Parnass bleibt eine Kompositkonstruktion, die als Einheit nicht visualisierbar ist. Du Bos’ universalistisches Publikumsmodell, das so verbindlich für nachfolgende Autoren des 18. Jahrhunderts war, enthielt unbestreitbar grundlegende Beschränkungen.134 Trotzdem ging er von einem gesamtgesellschaftlichen Anspruch bildender Kunst aus, der auf der innerhalb der absolutistischen Repräsentationskultur grundlegenden Konzeption der gesellschaftlichen Einheit (unité) basierte. Die Kunstöffentlichkeit etablierte sich als ein Konzept, dem sich jeder Maler und Dichter prinzipiell und unbedingt verpflichtet sehen sollte, denn der Ruhmesdiskurs war ihm unlöslich eingeschrieben. Nicht das Kunsturteil einzelner Gelehrter war dafür ausschlaggebend, sondern die gesellschaftlich verbindende Praktik der Kunstrezeption, die zu133 Das Motiv des irdischen Parnass ist auch in einem der seltenen Ölgemälde des Künstlers dargestellt: Gabriel de Saint-Aubin, Vue du Salon de 1779, Öl auf Leinwand, Paris, Louvre. Vgl. Colin B. Bailey (u. a., Hgg.), Gabriel de Saint-Aubin, 1724–1780, Paris: Musée du Louvre, 2007, Kat. 72, mit Abbildung. 134 Generell zu den inhärenten Beschränkungen des Universalitätsbegriffs: Ernesto Laclau/Chantal Mouffe, Hegemonie und radikale Demokratie. Zur Dekonstruktion des Marxismus, Wien: Passagen, 1991, S. 13–15 (Vorwort der Herausgeber).
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10 Gabriel de Saint-Aubin, Ansicht des Salon von 1757, 1757, Radierung, Waddesdon Manor, Sammlung Rothschild, National Trust.
gleich die Zivilisationsstufe der Gesellschaft reflektierte. „Malheur aux productions de l’Art dont la beauté n’est que pour les Artistes“, meinte d’Alembert135, und Le Blanc warnte deutlicher, „malheur à tout Tableau dont il [le Public] ne dit rien“.136 Das Kunstwerk bedingte sich durch seine Sichtbarkeit für das Publikum, durch seinen Ausstellungswert.137 135 D’Alembert, Eloge de Montesquieu, zit. nach: Diderot 1966–67, V, S. vi. 136 Le Blanc 1970, S. 117. 137 Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 2000, S. 18–20.
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Nicht nur im Bereich der Kunstliteratur und der Kunstkritik, auch für die Bildpraxis ergaben sich Konsequenzen. Die tiefgreifenden Umwälzungen der ästhetischen Konzeption und Präsentation von Kunstwerken im 18. Jahrhundert sind nicht generalisierend auf Du Bos zurückzuführen, doch einige der im Laufe des Jahrhunderts eingelösten Neuerungen und Entwicklungen waren erstmals in seinen Forderungen an die künstlerische Praxis formuliert.
Kunstwerke und ihr Publikum: Theatralität als Bildpraxis Wenn es die erste Aufgabe eines Kunstwerks ist, die Betrachter zu rühren, ja wenn seine Qualität primär nach seiner Wirkung beurteilt wird, dann ergibt sich daraus eine Reihe von bild- und präsentationsästhetischen Konsequenzen. Du Bos’ primäres Wirkkonzept bildender Kunst war die Nachahmung (imitatio), wobei die künstlerische Qualität eines Kunstwerks seiner Auffassung nach zwar den Kunstgenuss erhöhen, nicht aber Gefühle zu bewegen vermochte. Ein solcher Reiz sei ohnehin nur für die ‚uninteressanten‘ Gattungen Stillleben und Genremalerei relevant, da hier der dargestellte Gegenstand weniger Beachtung hervorrufe als die Kunstfertigkeit des Malers.138 Sehr unsentimental bemerkt Du Bos, dass das Gemälde eines Bauern, der seine Kühe nach Hause treibt, schon deshalb die Aufmerksamkeit des Betrachters nicht zu fesseln vermag, weil die Handlung selbst kein Interesse hervorrufe. Eine belehrende, die Moral verbessernde Wirkung der Kunst hielt er nur sehr eingeschränkt für möglich, denn seiner Vorstellung nach brachten Kunstwerke nicht echte Emotionen, sondern „passions artificielles“ hervor. Wie er zu Beginn der Réflexions critiques darlegte, entfernten sich die Gefühle, die ein Bild erregt, in dem Maß von Authentizität, wie der Grad der Darstellung sich von der Wirklichkeit entfernt. Ein Kampf, selbst ein antiker Schaukampf, rufe Gefühle hervor, in der Darstellung eines Kampfs jedoch ginge die Authentizität des Gefühls verloren. Die Nachbildung eines Gegenstandes („copie de l’objet“) rufe nur die Nachbildung des Gefühls („copie de la passion“) hervor.139 Das ästhetische Erlebnis selbst, das Pierre Estève später als „un des plus heureux besoins de l’homme“140 bezeichnete, war für Du Bos nur insofern von Bedeutung, als es die Bewegung des premier fondement de la société, der Empfindsamkeit, veranlassen und Kunstbetrachtung zu einem gemeinschaftlichen Erlebnis führen konnte. Den Vorwurf, er vernachlässige die ästhetischen Qualitäten der Malerei gegenüber ihrem dargestellten Inhalt und mache die Maler zu „simples Historiens“, 138 Du Bos 1982, I, Sect. 6, S. 52–57; Sect. 10, S. 69–72. 139 Ebd., I, Sect. 3, S. 27–28. Du Bos orientierte sich an Joseph Addisons Unterscheidung zwischen Primary und Secondary Pleasures of Imagination (Spectator 1965, III, Nr. 411, 21. Juni 1712, S. 537). 140 Pierre Estève, L’esprit des beaux-arts, Paris: C. J. B. Bauche fils, 1753, I, S. 2.
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schien Du Bos selbst zu erwarten. Er spreche der Malerei nicht ihre „poësie“ ab, beteuerte er. Diese läge eben in der bestmöglichen Darstellung des Themas, in der Erhöhung der Wirkkraft des Kunstwerks. Bilder dürften keine Rätsel aufgeben: „les tableaux ne doivent pas être des enigmes“.141 Ebenso wenig erschließe sich der Sinn der Malerei in dekorativer Bedeutungslosigkeit, in dem, was Jean Starobinski die Illusion des „zweckfreien Bildes und der entschärften Fiktion“ genannt hat.142 Du Bos kritisierte die Wahl wenig bekannter Symbole und Allegorien und riet ab von ihrer alleinigen Verwendung („composition purement allegorique“). Einfacher verständlich sei eine kommentierende Allegorie, etwa innerhalb eines Historienbilds („composition mixte“).143 Denn der Sinn der Allegorie sei es, die stumme Malerei („poësie muette“) zum Sprechen zu bringen und die Wahrnehmung der Betrachter direkt zu rühren. Im Vergleich zwischen Malerei und Poesie, betonte Du Bos, verlange die Beurteilung der ersteren größere Kennerschaft: Es gäbe Qualitäten eines Gemäldes, die sich nur dem Blick der Maler und der gebildeten Kenner erschließen – und diese Einschränkung bedeutete für ihn keine Auszeichnung.144 Zwar wirke die Malerei über unmittelbar verständliche, natürliche Zeichen („signes naturels“), ganz im Gegensatz zur Dichtung, die der Schrift bedürfe und damit einer Art mechanischen Wirkungsverlusts unterworfen sei.145 Doch trotz dieses größeren direkten Wirkpotenzials vermöge sie nicht die inhaltliche Komplexität der Literatur zu erreichen. Nur diese könne unbekannte Themen entwickeln und ihre Leser bzw. Zuhörer nach und nach mit einer Geschichte vertraut machen. Der Malerei bleibe nur die Darstellung bereits bekannter Themen und damit letztlich eine illustrative Funktion. Aus dem Primat des Inhalts gegenüber der Darstellung leitete Du Bos zudem einen Vorschlag zur Präsentationspraxis ab. Er empfahl die Beschilderung von Historienbildern zur besseren Verständlichkeit wenig bekannter oder neuer Themen, ähnlich wie in der Druckgrafik: „Je me suis étonné plusieurs fois que les peintres qui ont un si grand interêt à nous faire reconnoître les personnages dont ils veulent se servir pour nous toucher, & qui doivent rencontrer tant de difficultés à les faire reconnoître à l’aide seul du pinceau, n’accompagnassent pas toujours leurs tableaux d’histoire d’une courte inscription. Les trois quarts 141 Du Bos 1982, I, Sect. 24, S. 219, 211. 142 Jean Starobinski, Das Rettende in der Gefahr, Frankfurt a. Main: Fischer, 1990, S. 326. 143 Du Bos 1982, I, Sect. 24, S. 190–222. 144 Ebd., II, Sect. 22, S. 357; Sect. 27, S. 401–407. 145 Ebd., I, Sect. 40, S. 414–416. Du Bos bezog sich dabei auf Lockes Vorzug des Zeigens gegenüber der sprachlichen Beschreibung: „For the shape of an Horse, or Cassuary, will be but rudely and imperfectly imprinted on the Mind by Words, the sight of the Animals doth it a thousand times better“. Zit. nach: Locke 1975, S. 519 (An essay concerning human understanding, Book III, Chapter XI, § 21).
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des Spectateurs qui sont d’ailleurs très-capables de rendre justice à l’ouvrage, ne sont point assez lettrés pour deviner le sujet du tableau.“146
Diese Forderung führte eine noch relativ junge Entwicklung weiter, die erst im 17. Jahrhundert mit der Betitelung von Kunstwerken eingesetzt hatte. Die neuen Textsorten der Sammlungs- und Ausstellungskataloge und der Kunstkritik, ebenso wie die Themenvorgaben der Aufnahmestücke der Académie, erforderten die Präzision des Dargestellten in prägnanten, unmittelbar verständlichen Titeln. So hatte das erste livret zur Akademieausstellung des Jahres 1673 nur stichwortartige Auflistungen der ausgestellten Gemälde und Skulpturen enthalten. Die späteren livrets wurden ausführlicher. Um die Identifizierung zu erleichtern, wurden kurze Beschreibungen gegeben und die genauen Hängungs- und Aufstellungssorte der Arbeiten bezeichnet. Neben der Vermeidung von Allegorien und der Beschriftung von Kunstwerken empfahl Du Bos noch andere Maßnahmen, darunter die Darstellung bekannter Figuren und ‚universeller‘ Themen, die Ergänzung durch Begleittexte und die Wahl des richtigen Darstellungsmoments.147 Die Künstler sollten bessere Kommunikationsstrategien entwickeln, etwa durch die Einbindung ihrer Werke in klare Präsentationskontexte, durch die Entwicklung erkennbarer künstlerischer Handschriften, Wiederholungen, Serien und dergleichen.148 Viele dieser Phänomene entstanden zwar nicht erst im 18. Jahrhundert, doch wurden sie, vor allem im Zuge der SalonAusstellungen, verstärkt reflektiert. Du Bos erklärte die Notwendigkeit der Diskursivität des Gemäldes mit seiner Entwicklung zum Tafelbild: Mit wechselnden Sammlungs- und Präsentationsorten müsse das einzelne Kunstwerk – „destinés à changer souvent de place comme de maître“ – verstärkt für sich sprechen.149 Der Kritiker La Font de Saint Yenne griff zur Jahrhundertmitte Du Bos’ Vorschlag zur Bildbeschriftung auf, verbunden mit der Forderung nach einer innovativeren Themenwahl im Bereich der Historienmalerei.150 Auch Du Bos hatte die Darstellung
146 Du Bos 1982, I, Sect. 13, S. 90–92. Vgl. Thomas Kirchner, Neue Themen – neue Kunst? in: Ekkehard Mai (Hg.), Historienmalerei in Europa, Mainz a. Rhein: von Zabern, 1990, S. 107–120. Peter Johannes Schneemann, Geschichte als Vorbild. Die Modelle der französischen Historienmalerei 1747–1789, Berlin: Akademie Verlag, 1994, bes. S. 58–65. 147 Hinsichtlich dieses ‚punctum temporis‘ konnte Du Bos auf die Kunsttheorie Roger de Piles’ ebenso wie auf Shaftesburys The judgment of Hercules (1713) und Richardsons Essay on the Theory of Painting (1715) aufbauen. 148 John Nichols bemerkte im Hinblick auf Hogarths A Harlot’s Progress: „What Du Bos wished to see done, Hogarth performed.“ John Nichols, Biographical Anecdotes of William Hogarth, London: J. Nichols, 1782, S. 29. 149 Du Bos 1982, I, Sect. 13, S. 109. 150 [Etienne La Font de Saint-Yenne], Sentiments sur quelques ouvrages de peinture, sculpture, et gravure, 1754, in: La Font de Saint Yenne, Œuvre critique, Hg. Etienne Jollet, Paris: Ecole nationale des beaux-arts, 2001, S. 309–313.
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neuer Themen angeregt,151 ebenso wie später der Comte de Caylus,152 Louis Petit de Bachaumont153 und Denis Diderot, dessen Kunstkritik zuweilen in sehr konkrete Anweisungen und Verbesserungsvorschläge an die Künstler mündete, wobei höchstes Lob zuweilen in der Übereinstimmung des konkretisierten Bildes mit der eigenen Vorstellung bestehen konnte.154 Von den britischen Schriftstellern kamen ebenfalls Darstellungsvorschläge155 bzw. sehr exakte Bildaufträge – man denke nur an das Beispiel des Earls of Shaftesbury. La Font begründete das Erfordernis der Beschilderung von Kunstwerken mit der mangelnden klassischen Bildung des zeitgenössischen Publikums, was ihn im Unterschied zu Du Bos zu kulturpessimistischen Bemerkungen veranlasste („dans ce temps où l’on ne lit presque plus [...] que des brochures, des historiettes galantes, et des Dictionnaires“156). Anstatt „unerklärliche Rätsel“ zu malen, sollten die Akademiker ihre Arbeiten seinen detaillierten Anweisungen entsprechend beschriften: „placer un cartouche dans le bas du tableau où sera écrit sur un fond très clair et en caractères noirs, le sujet que le peintre a choisi. On peut encore placer ce cartouche au milieu de la bordure sur un fond jaune, clair, ou doré très pâle et jamais argenté, parce que ce dernier noircit infailliblement.“157
Die heftige Gegenwehr der Académie auf La Font de Saint Yennes kunstkritische Schrift Réflexions sur quelques causes de l’état présent de la peinture en France (1747) lässt zuweilen übersehen, dass ihre Anliegen häufig identisch waren: 1751 hielt der Akademiker Claude François Desportes einen Vortrag Sur la nécessité de mettre des inscriptions aux tableaux. Der Text ist heute verloren, nicht aber die Antwort des damaligen Direktors Charles Coypel, der verschiedene Möglichkeiten der Beschriftung innerhalb und außerhalb des Bildes diskutierte. Durch die Verbindung mit Schriftlichkeit könne die Malerei die Wirkkraft der Poesie nutzen, um ihre Verständlichkeit zu erhöhen. Diese Maßnahme „ne peut blesser les savans; les ignorans de bonne foi l’approuveront, et ceux qui craignent de le paroître nous sauront gré de leur épargner le désagrément de faire des questions qui décèlent ce qu’ils efforcent de 151 Du Bos 1982, I, Sect. 26, S. 231–237. 152 Olivier 1979, S. 386, Fn. 34. Vgl. Kirchner 1990, der die Integration dieser Themenvorschläge in die akademische Lehre untersucht. Vgl. einen Briefwechsel zur Thematisierung der neueren französischen Geschichte in der Historienmalerei: Henry Jouin, Charles Natoire et la peinture historique, in: Nouvelles Archives de l’art français, V, 1889, S. 139–149. Zu einer Gegenposition des Protests: Charles-Nicolas Cochin, Les donneurs d’idées, Badinage instructif adressé à M. de Boissy, in: Mercure de France, Juni 1755, II, S. 11–19. 153 Olivier 1976, S. 176–213. Vgl. Louis Petit de Bachaumont, Essai sur la Peinture, la Sculpture et l’Architecture, Genf: Slatkine, 1971. 154 Vgl. seine Besprechung von Fragonards Le Grand-prêtre Corésus s’immole pour sauver Callirhoé: Diderot 1984–95, II, S. 253–264 (Salon de 1765). 155 Johnson 1963, S. 141–142 (The Idler, no. 45, 24. Februar 1759). 156 La Font 2001, S. 309 (Sentiments). 157 Ebd., S. 310.
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cacher.“158 Bei ihren Ausstellungen verzichtete die Académie allerdings aufgrund der dichten Hängung der Kunstwerke auf Beschilderungen. Die Namen der Künstler und Künstlerinnen, die Bildtitel und andere wichtige Daten waren ja im livret verzeichnet, dem hilfreichen „mot de leurs enigmes“, wie der Autor einer Flugschrift der 1760er-Jahre spöttelte.159 Die Reihenfolge im livret folgte dem hierarchischen Rang der Künstler und der Dargestellten. Um die Identifikation der Werke zu erleichtern und die raschere Publikation des livret zu gewährleisten, wurden die Exponate ab 1738 durchnummeriert.160 Erst spät im Jahrhundert, kurz vor der Auflösung der Académie, fordert ein Pamphlet eine Reform der Reihung der Exponate im Ausstellungskatalog – im Sinne der Égalité.161 Die Salon-Ausstellungen boten ein alternatives Beurteilungssystem zu den Konventionen der Académie. Erfolgreiche „Ausstellungskünstler“ (Oskar Bätschmann) wie Chardin, La Tour, Vernet und Greuze belegen das hohe Ansehen der niederen akademischen Gattungen auch beim hochgestellten Publikum. Angesichts der zunehmenden Bedeutung der künstlerischen Reputation und der offensichtlichen Abhängigkeit dieser Reputation vom Applaus der Besucher der Salon-Ausstellung, wurde das interne Hierarchie- und Wertesystem der Académie deutlich geschwächt. Doch die Erklärung, dass ein breites Publikum notwendigerweise Vereinfachung erfordere, ist unzureichend. Es war nicht einfach nur so, dass das Bildungsniveau der neuen Bildadressaten und -adressatinnen niedriger war, wie La Font de Saint Yenne meinte. Vielmehr waren mit dem Postulat einer möglichst umfassenden Verständlichkeit des Bildes die Anforderungen an dessen Lesbarkeit stark gestiegen. Die „stumme Poesie“ sollte an der Kraft ihrer Bildzeichen gemessen werden. Wie ein Tauber solle man die Kunstgalerie betreten, schreibt Diderot 1751 im Lettre sur les sourds et muets, und so die Bilder betrachten, die sich stumm über bekannte Gegenstände unterhielten. Auf diese Art seien ihre Fehler besonders eingängig: die Darstellung missverständlicher Handlungen oder Bewegungen, Verstöße gegen Komposition und Farbgebung.162 158 Montaiglon 1875–1909, VI, S. 259. 159 [Daudet de Jossan], Lettre sur les peintures, gravures et sculptures [...], par M. Raphaël, Peintre, de l’Académie de S. Luc, Paris: Delalain, 1769, [Collection Deloynes #123], S. 9. 160 Zur Entwicklung der livrets: Ruth Legrand, Livrets des Salons: Fonction et Évolution (1673– 1791), in: Gazette des beaux-arts, 125, 1995, S. 237–248. 1699 etwa wurden die Besucher auf einem umständlichen Parcours durch die Ausstellung geführt, beginnend beim Porträt des Königs, wie Legrand anhand einer Skizze illustriert. 161 [Nau-Deville], Sur l’exposition des tableaux au Sallon du Louvre, [s. l.] [s. n.], 1789, [Collection Deloynes #417]. 162 Denis Diderot, Œuvres, Hg. Laurent Versini, Paris: Laffont, 1994–96, IV, S. 20–21. Schon Roger de Piles hatte in seinem Kommentar zu De arte graphica dem Maler empfohlen, zur Darstellung der Figuren „à qui on n’a pû donner la voix“ das Vorbild der Gestensprache von Stummen heranzuziehen, ein Vorschlag, dem Antoine Coypel folgte. Vgl. Du Fresnoy/de Piles 1673, S. 23, 153; Antoine Coypel, Discours prononcez dans les conférences de l’Académie royale de peinture et de sculpture, Paris: Jacques Collombat, 1721, S. 63–64; Kirchner 1991, S. 115–116.
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Die Forderung nach der unmittelbaren Eindrücklichkeit und Entschlüsselbarkeit der Malerei ging mit einer Gegenbewegung einher: In einer bekannten Passage entwickelte Diderot das Ideal eines Kunstwerks, das den Bezug zu seinen Betrachtern verleugnet, nicht direkt mit ihnen zu kommunizieren vorgibt: „Layresse prétend qu’il est permis à l’artiste de faire entrer le spectateur dans la scène de son tableau. Je n’en crois rien et il y a si peu d’exceptions, que je ferais volontiers une règle générale du contraire. Cela me semblerait d’aussi mauvais goût que le jeu d’un acteur qui s’adresserait au parterre. La toile renferme tout l’espace, et il n y a personne au delà. Lorsque Suzanne s’expose nue à mes regards, en opposant aux regards des vieillards tous les voiles qui l’enveloppaient, Suzanne est chaste et le peintre aussi; ni l’un ni l’autre me savaient là.“163
Und nicht nur Suzanne ist keusch, sondern auch das Bild, das sich nicht ‚zur Schau stellt‘, nicht prostituiert. In der „Fiktion seiner Nichtexistenz“ muss sich der Betrachter nicht als Voyeur fühlen, wie Michael Frieds bekannte Folgerung zur ‚absorption‘ der Bildfiguren lautet, die sich, im Gegensatz zu ihren ‚theatralischen‘ Gegenübern, unbeobachtet, un-betrachtet, geben.164 Angesichts der großen Bedeutung der Theatertradition für die Entwicklung der Publikumsbezüge bildender Kunst ist deren Verbindung mit Theatralität einleuchtend. Doch wie steht es mit der Bildstrategie der ‚absorption‘, der Verleugnung der Rezipienten – einer reichlich koketten Haltung, mit der die Verleugnung der eigenen physischen Präsenz, des ihm zugedachten Platzes, seiner möglichen Interaktion mit weiteren Bildern und Objekten einhergeht? Suzanne Pucci hat auf den Unterschied zwischen dem Betrachter Diderot und dem Erzähler/Kritiker Diderot aufmerksam gemacht.165 Wenn Diderot sich als Betrachter des Bildes negierte, dann nur, um sich umso lebendiger als Erzähler zu erfinden. Wenn er 1767 in Vernets Landschaften umherwandelte, verriet der Autor, ungeachtet seiner Kritik an Lairesses Bildkonzept, große Bereitschaft, in Bilder ‚einzutreten‘.166 Die strategische Leugnung der eigenen Präsenz vor dem Bild erlaubte ihm, eine Vielzahl unterschiedlicher Positionen und Rollen innerhalb und außerhalb des Bildes einzunehmen. Im Akt der Metalepse, des Wechsels zwischen verschiedenen Darstellungs- und Erzählebenen, suchte er seinen Anteil als Betrachter: Das Bild regte die 163 Diderot 1984–95, IV, S. 412–413 (Pensées détachées sur la peinture); Max Imdahl, Farbe. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich, München: Fink, 1987, S. 76–77; Michael Fried, Absorption and Theatricality. Painting and beholder in the age of Diderot, Chicago: University of Chicago Press, 1998, S. 96–97. 164 Fried 1998, S. 108; Wolfgang Kemp, Der Anteil des Betrachters. Rezeptionsästhetische Studien zur Malerei des 19. Jahrhunderts, München: Mäander, 1983, S. 10–40. 165 Suzanne Rodin Pucci, Sites of the Spectator. Emerging Literary and Cultural Practice in Eighteenth-Century France (Studies on Voltaire and the eighteenth Century, 9), Oxford: Voltaire Foundation, 2001, S. 74–75, 83. 166 Diderot 1984–95, III, S. 174–224 (Salon de 1767).
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Phantasie an und überließ sich spielerisch der Vollendung durch den Rezipienten. Die Inszenierung der Betrachter durch das Bild war dabei notwendig und auch explizit erwünscht, wie Daniel Brewer betont hat, der Diderots Argumentation, in Absetzung von Michael Fried, als Widerstreit zweier theatralischer Konzepte interpretiert hat.167 Die frühe Salon-Kritik der Mémoires secrets, einer journal-ähnlichen Flugschrift, die zwischen 1767 und 1787 Ausstellungsbesprechungen verschiedener einander nachfolgender Autoren enthielt und ab 1779 (auch rückwirkend) in Druck erschien, enthielt zahlreiche Parallelen zu Diderots bildästhetischem Denken, darunter auch Bemerkungen über die ‚Theatralität‘ (um bei Frieds Wortwahl zu bleiben) mancher Porträts im Salon: Die Darstellung von Figuren für das Publikum sei unnatürlich und verstoße gegen die vraisemblance, lautete die Kritik.168 Die ideale Darstellungskonvention der absorption war damit mit Diderots Postulat der Wirklichkeitsnähe begründet: Um Erfahrbarkeit zu gewährleisten, vergesse sich das Kunstwerk für sein Publikum. Die paradigmatischen Figuren der absorption – spielende Kinder, lesende Frauen – verteidigen ihre Darstellungsberechtigung, die in der höchsten Kunst gewährleistet ist: derjenigen, die sich selbst vergessen lässt. Das ideale Bild leugnet seine Medialität, um seinen Betrachtern möglichst ohne Hindernisse und Schranken zur Verfügung zu stehen, so wie in Shaftesburys Beschreibung des ‚zahmen‘ Tafelbilds, gegenüber der ‚wilden‘ physischen Präsenz von Fresken in Kirchen und Palästen.169 In der idealen Kunstrezeption löst sich die Kunsthaftigkeit des Kunstwerks auf: „L’art et l’artiste sont oubliés. Ce n’est plus une toile, c’est la nature, c’est une portion de l’univers qu’on a devant de soi“, schrieb Diderot.170 Ähnlich ‚vergaß‘ Falconet vor einem Gemälde, dass es eines sei, ähnlich beschrieb Algarotti, die Malerei sei nicht eine Darstellung der Natur, sondern „la chose même“.171 „Quelles mains! Quelle mollesse de chair! Non, ce n’est pas du marbre. Appuyez-y votre doigt, et la matière qui a perdu sa dureté, cédera à votre impression“,172
167 Daniel Brewer, The Discourse of Enlightenment in Eighteenth-Century France. Diderot and the Art of Philosophizing, Cambridge: Cambridge University Press, 1993, S. 150–155. 168 Bernadette Fort (Hg.), Les Salons des „Mémoires secrets“ 1767–1787, Paris: ENSBA 1999, S. 44, 75. Zur Publikationsform und den Autoren der Mémoires secrets: ebd., S. 9–26 sowie Bernadette Fort: The visual arts in a critical mirror, in: Bernadette Fort/Jeremy Popkin (Hgg.), ‚The Mémoires secrets‘ and the culture of publicity in eighteenth-century France, Oxford: Voltaire Foundation, 1998, S. 143–174. 169 Shaftesbury 1981–(2001), I, 5 (The judgment of Hercules), S. 74. 170 Diderot 1984–95, I, S. 30 (Essais sur la peinture). 171 Eric Rothstein, „Ideal Presence“ and the „Non Finito“ in Eighteenth-Century Aesthetics, in: Eighteenth Century Studies, IX, 3, 1976, S. 307–332, 315. 172 Diderot 1984–95, I, S. 249 (Salon de 1763); Pucci 2001, S. 89–97.
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schrieb Diderot über Falconets Pygmalion. Und man muss den Prozess der Naturalisierung des Kunstwerks nur auf die Skulptur umlegen, um den dahinterliegenden, im 18. Jahrhundert höchst geläufigen Topos zu erkennen, und damit die Rolle, die dem Publikum auf diese Art ermöglicht werden konnte: Der empfindsame Betrachter-Erzähler Diderot wurde selbst zu Pygmalion, wenn er die Skulptur für sich und seine Leser zum Leben erweckte.
3. Das Publikum der Pariser Académie royale Auf der Suche nach neuer Patronage In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts vollzog die Pariser Académie royale die Integration der Schriften de Piles’ und Du Bos’ in ihr theoretisches Programm. Ihr Direktor Antoine Coypel hielt während seiner Amtszeit zwischen 1714 und 1722 eine Reihe von conférences, in denen er Du Bos’ Réflexions critiques „gleichsam amtlich bestätigt[e]“.1 Darin ist der Einfluss Du Bos’, de Piles’, Boileaus und Bouhours’ im Detail nachweisbar (wobei er mit den ersten drei am Hof des Regenten persönlich verkehrte). Die Legitimierung des Laienurteils diente dabei auch der Legitimierung künstlerischer Marktstrategien. Coypel leitete die Académie während einer Zeit geringer finanzieller und politischer Unterstützung, denn „the same system and sponsor that underwrote art as a noble activity did not always provide adequate financial support through commissions“.2 Die Mitglieder der Pariser Akademie waren kaum weniger sich selbst überlassen als ihre Kollegen auf der anderen Seite des Ärmelkanals. In jungen Jahren hatte Coypel sich selbst sehr erfolgreich abseits der akademischen Auftragspolitik bewegt. Während die königlichen Pensionen der akademischen Hierarchie folgten, bemühte sich der junge Künstler um die besser bezahlten und ebenso prestigeträchtigen Aufträge der adeligen und städtischen Elite. Dass die akademische Rangfolge nicht unbedingt künstlerischen Erfolg innerhalb der Pariser Gesellschaft widerspiegelte, muss Coypel – damals Coypel fils – bewusst gewesen sein. Zwar war er selbst nicht premier peintre, doch: „celui à qui le public donne cette place et qui a maintenant le plus de réputation, c’est Coypel le fils.“3 Gleichermaßen mit ‚la ville‘ und ‚la cour‘ vertraut, versuchte er als Akademiedirektor, die immer dringlicher notwendige Ausweitung der Patronagekreise theoretisch zu unterstützen. Angesichts der in den Statuten festgelegten Abgrenzung vom Markt und von der Möglichkeit, direkt Käufer anzusprechen,4 war dies eine äußerst heikle Aufgabe. Und so formulierte Coypel die Hinwendung zur privaten Patronage unter dem Begriff public, der im Registerteil seiner Schrift erstmals, zwischen ‚Poussin‘ und ‚Qualité‘, als Bestandteil akademischer Rhetorik verzeichnet war. 1 Dresdner 2001, S. 185. 2 Julie-Anne Plax, Introduction to Special Section: Work, Leisure, and Art, in: Eighteenth-Century Studies, 29/2, 1995–1996, S. 211. 3 Brief Daniel Cronströms an Nicodème Tessin le Jeune, 3. Juni 1695, zit. nach Delapierre/Krings 2004, S. 52. 4 [Jean Rou], Relation de ce qui s’est passé en l’établissement de l’Académie royale de peinture et de sculpture, in: Revue universelle des Arts, III, 1856, S. 441. Vgl. die Bestätigung dieser Regelung 1777: Montaiglon 1875–1909, VIII, S. 285.
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Coypels 1721 publizierte Discours prononcez dans les conférences de l’Académie royale de peinture et de sculpture bestehen aus einem kurzen, in Hexametern verfassten Lehrgedicht an seinen Sohn Charles-Antoine (Epistre à mon fils) sowie einem ausführlichen erläuternden Kommentar.5 Das Wissen, das in dem instruktiven Epistre vermittelt werden soll, verstand Coypel in bester cartesianischer Tradition als eine Karte oder einen Führer auf dem Weg der künstlerischen Karriere. Und so warnte er, nun Coypel père, den jüngsten und letzten Spross der erfolgreichen Malerfamilie vor den schlechten Einflüssen falscher Vorbilder und Berater. Der Aufbau der Publikation in ‚base‘ und ‚commentaire‘ folgte de Piles’/Du Fresnoys De arte Graphica, wobei Coypel zugleich als Autor und sein eigener Kommentator auftrat. Die Problematik des Publikumsbezugs formulierte er im Epistre ebenso knapp wie Du Fresnoy: „Consultez le public, & fuyez les flateurs“.6 Seiner Aufgabe als Kommentator entsprechend, bemühte er sich, dies in praktische Anweisungen umzuformulieren, wobei er damit de Piles’ Vorbild auch inhaltlich folgte, indem er ebenso auf die Apelles-Anekdote verwies. Dabei unterstrich Coypel einen für ihn ausschlaggebenden Aspekt: Apelles habe unerkannt den Ratschlägen des Volkes gelauscht. Dies war für Coypel entscheidend: Das Versteck hinter dem Kunstwerk gewährleiste die Abgrenzung des Künstlers von seinem Publikum und schütze vor Verfälschungen seines Urteils durch Schmeichelei oder Befangenheit. Direkter Kontakt sei nicht zielführend: „quel moyen de démêler la verité, quand au milieu d’une foule à qui on a donné son ouvrage en spectacle, on s’y donne en même temps soy-même“.7 Weiter ging Coypels Einschränkung aber nicht. Es folgte ein umfassendes Bekenntnis zum Geschmack des Publikums, belegt durch mehr oder weniger wörtliche Übernahmen Boileaus und Du Bos’: „Nous avons beau nous flatter d’être approuvéz d’un petit nombre de prétendus connoisseurs, si nous ne sçavons piquer le goût general des hommes, nos travaux seront infructueux. Le Public est toujours le plus fort; & comme il est notre Juge, c’est luy que nous devons consulter. Si quelquefois la cabale & l’envie luy font prendre le faux pour le vray, ce n’est jamais que pour un temps, & la verité perce toujours.“8
Coypel griff zudem auf die Vecchiarella-Anekdote zurück – ein seltener Fall in der akademischen Doktrin des 18. Jahrhunderts –, um selbst das Urteil des ungebildeten Volkes als nutzbringend zu verteidigen. Guido Reni versetzte er kurzerhand in die 5 Das Epistre entstand zwischen 1676 und 1705 und wurde mehrmals zwischen 1708 und 1712 an der Académie vorgetragen. Die conférences des Kommentars fanden 1712–1714 und 1718–1720 statt. Die Gesamtpublikation erschien kurz vor Coypels Tod im Jahr 1721. Schille 1996, S. 49–57. 6 Coypel 1721, Epistre, n. p. (Z 31) 7 Ebd., S. 20. 8 Ebd., S. 21. Bei Boileau heißt es: „Un ouvrage a beau être approuvé d’un petit nombre de connoisseurs, s’il n’est plein d’un certain agrément et un certain sel propre à piquer le goût général des hommes, il ne passera jamais pour un bon ouvrage, et il faudra à la fin que les connaisseurs euxmêmes avouent qu’ils se sont trompés en lui donnant leur approbation“. Boileau 1873, S. 5.
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Rolle des Apelles, als er schrieb, dieser habe gut daran getan, hinter seinem Werk den Worten der ‚vecchiarella‘ zu lauschen.9 Die Konkretisierung dieser Empfehlung folgte an anderer Stelle. Im Kommentar zu einer Verszeile, die die unterschiedlichen Wirkungen von und Meinungen über bildende Kunst beschrieb, unternahm Coypel eine Ausdifferenzierung zeitgenössischer Rezipientengruppen: „Qui sont ceux qui jugent ordinairement de la Peinture? Ce sont, ou les Peintres mêmes, ou les gens du monde, qu’on suppose gens d’esprit, & de sentiment: ce sont aussi les Sçavans, gens de Lettres, les Curieux & le Peuple en général.“10
Diese Reihenfolge war zugleich eine hierarchische Ordnung. Niemand sei besser zum Kunsturteil befähigt als die königlich-akademischen Maler. Es folgten die gens du monde. Begabt mit Geist und sentiment, ließen sie sich nur von ihrem Gefühl leiten, das einen richtigen Eindruck gewährleiste: „le vray seul les saisit & les frappe.“ Erst dann waren die Gelehrten und die Denker gereiht, die nur wenig Gespür für große Schönheit besäßen und sich mehr für vergangene Zeiten und ihre jeweiligen Fachgebiete interessierten. Du Bos’ Zweifel an der Urteilsfähigkeit der Künstler übertrug Coypel auf diese Gruppe: Es sei grundlegend falsch, sich bei der Kunstrezeption vom Verstand leiten zu lassen („se laisser toucher par méthode“). An letzter Stelle stand das Volk. Schwach und unstetig, habe es keine eigene Meinung; anstatt mit den eigenen Augen zu sehen, verlasse es sich lieber auf die der anderen. Seine Bewunderung werde erst dann verlässlich, wenn sie lange Zeit hindurch anhalte – und damit war Coypel bei Boileau und Du Bos angelangt: „il ne devient jamais équitable que lorsqu’un long-temps a déterminé ses jugements“11. Nie zuvor oder danach wurde innerhalb der Académie ein derartig konkreter Publikumsbezug empfohlen: Das unumstößliche und nun von höchster akademischer Seite empfohlene Ziel war allgemeiner Erfolg („un succès assez general“). Den Künstlern riet Coypel, sich am zeitgenössischen Geschmack zu orientieren, sofern dieser nicht die wahren Regeln der Kunst missachte. Denn auch vor den Gefahren des Publikumsbezugs wurde gewarnt. Im Publikum seien Voreingenommenheit, Blindheit, Faulheit, Ignoranz, die opportunistische Menge („multitude“) und die Launen des unbeständigen „vulgaire“ verborgen. Kurz: Das Ausmaß, in dem sich die Künstler nach ihrem Publikum richten sollten, sei schwierig zu bestimmen.12 Im Zentrum der Konkretisierung der Rezeptionstypen stand der primär angesprochene Patronagekreis der Akademiker, die gens du monde, die auch von den Kunsthändlern umworben wurden.13 Zahlreiche Auktionskataloge des 18. Jahrhun 9 10 11 12 13
Coypel 1721, S. 25. Ebd., S. 6–7. Ebd., S. 7–11. Ebd., Préface, n. p. Der Pariser Kunstmarkt erlaubte allerdings in der ersten Jahrhunderthälfte noch keine klare Differenzierung zwischen Künstlern und Kunsthändlern. Vor allem Angehörige der Académie de
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11 Charles-Nicholas Cochin père nach fils, Frontispiz des Auktionskatalogs der Sammlung Lorangère, 1744, Radierung, Paris, BN.
12 Augustin de Saint-Aubin, Frontispiz des Auktionskatalogs der Sammlung Heinecken, 1757, Radierung, Paris, BN.
derts zeigen dementsprechend idealisierte Darstellungen des gehobenen Kunstpublikums (Abb. 11–12): Arrangiert wie kleine conversation pieces, zeigen zwei Kataloge des Kunsthändlers Edme Gersaint in ihren Frontispizen versammelte Gesellschaften, die sich in der Kennerschaft und Bewertung von Kunstwerken üben. Immer noch war die Kunstrezeption eine Sache des gemeinschaftlichen Gesprächs, angelehnt an Diskussionsformen anderer gelehrter Gesellschaften.14
Saint-Luc arbeiteten häufig als Kunsthändler. Das traf auch auf manche Mitglieder der Académie royale zu, selbst wenn die Statuten dies untersagten: Im Tagebuch Johann Georg Willes finden sich mehrere Einträge betreffend des An- und Verkaufs von Kunstwerken. Vgl. Mémoires et journal de Jean-Georges Wille. Graveur du roi, Hg. Georges Duplessis, Paris: Renouard, 1857, passim; Glorieux 2000, passim; François Marandet, Pierre Remy. The Parisian art market in the mid-eighteenth century 1715–97, in: Apollo, 158, August 2003, S. 32–42. 14 Für weitere Beispiele vgl. Emile Dacier, Les catalogues de ventes illustrés au XVIIIe siècle, in: Le Portique, 3, 1946, S. 104–120.
112 | Das Publikum der Pariser Académie royale
13 Antoine Watteau, Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint, 1720, Öl auf Leinwand, Berlin, Staatliche Museen, Schloss Charlottenburg.
Das wohl bekannteste Bild eines kaufinteressierten Kunstpublikums ist Watteaus Ladenschild für denselben Edme Gersaint (Abb. 13), das eine idealtypische Situation in einer Kunsthandlung zeigt.15 Die Nobilitierung sowohl der Kennerschaft wie auch der Marktsituation ist vollkommen: Die Darstellung der Kunsthandlung ähnelt der einer Kunstsammlung, die Verkäufer und Verkäuferinnen unterscheiden sich, im Gegensatz zu den Trägern und Packern am linken Bildrand, in Kleidung und Status nicht von ihrer Kundschaft.16 Im linken Bildvordergrund wird ein Porträt des 1715 verstorbenen Ludwigs XIV. in eine Transportkiste gepackt. Gerade vor dem Hintergrund der langen Tradition der Präsenz königlicher Porträts in Ausstellungsillustrationen drängt sich die Interpretation dieser Szene als Anspielung auf den strukturellen Wandel in der Kunstpatronage auf: Das Zeitalter der absolutistischen 15 Weder die Darstellung von Gersaints Laden noch die dargestellte Konzentration hochqualitativer Gemälde entsprechen der zeitgenössischen Realität. Noch 1740 verkaufte Gersaint nach eigenen Angaben „toute sorte de Clainquaillerie Nouvelle et de Gout, Bijoux, Glaces, Tableaux de Cabinet, Pagodes, Vernis et Porcelain de Japon, Coquillages et autres morceaux d’Histoire Naturelle, Cailloux, Agathes, et généralement toutes Marchandises Curieuses et Etrangères.“ (Julie-Anne Plax, Watteau and the Cultural Politics of Eighteenth-Century France, Cambridge: Cambridge University Press, 2000, S. 154–183; Glorieux 2000, S. 92–106). Zudem sind alle Gemälde der ursprünglichen Fassung Watteaus (innerhalb des noch sichtbaren Halbrunds der ehemaligen Supraporte) ‚erfunden‘ und beziehen sich nicht auf tatsächliche zeitgenössische Gemälde (Christoph Martin Vogtherr, Nouveau regard sur l’Enseigne de Gersaint, Vortrag, Paris, INHA, 8. März 2006). 16 McClellan 1996, S. 442.
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Repräsentationspolitik ist vorbei.17 Der Wandel ist auch in der Bildkomposition ablesbar, denn mit in diese Kiste ist auch der ehemalige Bildgrund der Darstellung, der Fluchtpunkt der absolutistischen Repräsentation gepackt. An die Stelle der Zentrierung der Darstellung in königlicher Macht und Patronage ist die Streuung des Publikums getreten.
Öffentlichkeit und Geheimnis Mit der Tradition der Ausstellungen im Louvre stand dem akademischen Instrumentarium ein erprobtes Mittel zur direkten Adressierung der Öffentlichkeit zur Verfügung. Doch aus Antoine Coypels Amtszeit als Direktor (1714–1722) sind keine Initiativen zu deren Wiederbelebung bekannt. Stattdessen nutzten die Künstler vermehrt die Möglichkeit, an den Pariser Festtagsausstellungen teilzunehmen. Während frühere Generationen an den prestigeträchtigen Mays de Notre-Dame oder den sacres du roi teilgenommen hatten, kamen zu Beginn des 18. Jahrhunderts den freien Ausstellungen an der Place Dauphine besondere Bedeutung zu.18 Die Ausstellungen fanden einmal jährlich an der Place Dauphine auf der Pariser Ile de la cité statt. Sie waren aus der Tradition der Präsentation von Kunstwerken zu den Fronleichnamsprozessionen entstanden, wie sie für Rom und Venedig seit Anfang des 17. Jahrhunderts belegt sind. Etwa ebenso weit zurück reicht die Tradition der Place-Dauphine-Ausstellungen.19 17 Zu einem anders gelagerten, aber vergleichbaren Interpretationsansatz, der von der Darstellung monarchischer und städtischer Kunstpatronage in den beiden Bildhälften ausgeht: Plax 2000, S. 158 und 228, Fn. 8. 18 Das lässt auch den Salon des Bankiers Crozat, den immerhin auch Antoine Coypel frequentierte, weniger als eine oppositionelle Vereinigung als eine Ergänzung zur besseren Vernetzung erscheinen (Crow 1985, S. 39–41). Zu den Ausstellungen an der Place Dauphine: Wrigley 1993, S. 29–32; Berger 1999, S. 149–156. 19 Koch 1967, S. 169–171. Koch zitiert zwei Tagebucheinträge John Evelyns aus den Jahren 1644 bzw. 1651, in denen dieser von den geschmückten Prozessionswegen in Paris berichtet, doch ist es durchaus möglich, dass diese Einträge gar nicht die Ausstellungen an der Place Dauphine beschreiben. Am Fronleichnamstag fanden viele andere Prozessionen und Festlichkeiten statt: Der Regent ließ 1736 im Palais Royal einen prachtvollen Altar mit Bildern aus seiner eigenen Sammlung errichten (Description du Reposoir, dressé par ordre de S. A. S. Monseigneur le Duc d’Orleans, dans la premiere Cour du Palais Royal, pour la Fête-Dieu de cette année, le 31. May, Mercure de France, Juni 1736, II, S. 1461–1469). Joachim Christoph Nemeitz beschreibt in seinen Reiseberichten ausführlich Fronleichnamsfestlichkeiten abseits der Place Dauphine (etwa in: Joachim-Christoph Nemeitz, Séjour de Paris, Frankfurt a. Main: Friedrich Wilhelm Förster, 1728, S. 194–195). Thomas Highmore besuchte 1734 während eines Parisaufenthalts die jährliche Präsentation von Wandteppichen in der königlichen Gobelinmanufaktur am Fronleichnamstag, hingegen von der Ausstellung an der Place Dauphine eine Woche später berichtet er nicht. Vgl. Elizabeth Johnston (Hg.), Thomas Highmore’s Paris Journal, 1734, in: Walpole Society, 42, 1968–70, S. 61–104.
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Wie in Italien waren auch in Paris die Kunstwerke zunächst Bestandteile des Festtagsschmucks. Die an den Straßen entlang des Prozessionswegs zur Pfarrkirche Saint Barthélemy-en-la-Cité ansässigen Geschäftsinhaber waren angehalten, ihre Geschäftslokale mit Teppichen und Tüchern zu verhängen, um damit einen Hintergrund für die Ausschmückung mit Altären und Bildwerken zu schaffen.20 In der Umgebung des Pont Neuf lebten zahlreiche Kunsthändler und Künstler, an der Place Dauphine und dem angrenzenden Quai d’Orfèvres waren Juweliere und Goldschmiede angesiedelt – wichtige Berufsgruppen des bürgerlichen Stadtpublikums.21 Die Goldschmiede, die bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts einmal jährlich die Mays de Notre-Dame finanzierten, beteiligten sich mit Kunstwerken aus eigenen Sammlungen, aus Künstlerateliers und Kunsthandlungen an der Dekoration. Viele Pariser Künstler konnten sich mit Auftragsarbeiten für die Fronleichnamsdekorationen einen Namen machen.22 Die Académie bewertete diese Präsentationsform zunächst aber nicht sehr hoch: 1688 wurde die Anfrage für eine Leihgabe eines Gemäldes aus der Sammlung der Académie zur Dekoration einer Fronleichnamsprozession abschlägig beschieden.23 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden aus den Dekorationen entlang des Prozessionswegs eigenständige Ausstellungen, deren Veranstaltung an keine feste In
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Weitere Quellen zur Geschichte der Ausstellungen sind: [anon.], Notice historique sur les Expositions publiques d’Ouvrages d’art, in: Magasin pittoresque, II, 1834, S. 114; XXVI, 1858, S. 79; Paul Mantz, Exposition de la place Dauphine, in: L’Artiste, I, 24. Mai 1857, S. 142–146; P[aul]. L[acroix]., La dernière exposition de la Jeunesse, à la Place Dauphine, en 1788, in: Revue Universelle des Arts, XX, 1865, S. 391–398, die Pariser Stadtführer (Germain Brice, Description nouvelle de ce qu’il y a de plus remarquable dans la ville de Paris, Den Haag: Abraham Arondeus, 1685; ders. Description de la Ville de Paris, et de tout ce qu’elle contient de plus remarquable, Paris: Lemercier, 1752) sowie Henri Sauval, Histoire et recherche des antiquités de la ville de Paris, Paris: C. Moette, 1724. Hippolyte Monin, L’Etat de Paris en 1789. Études et documents sur l’ancien régime à Paris, Paris: Jouast/Noblet/Maison Quantin, 1889, S. 407 zu entsprechenden Polizeiverordnungen der Jahre 1720 und 1739. Vgl. Edme de La Poix de Fréminville, Dictionnaire ou traité de la police générale des villes, bourgs, paroisses et seigneuries de la campagne (1771), Nîmes: Praxis/C. Lacour, 1989, S. 645–647. Sir John Lauder berichtet über die Probleme der Hugenotten während der Fronleichnamstage in Poitiers: Die Nichtteilnahme an den Dekorationen und das Unterlassen von Ehrfurchtsbezeugungen vor dem Fronleichnamszug wurden gleichermaßen geahndet. Vgl. John Lough, France Observed in the Seventeenth Century by British Travellers, Stocksfield/Boston: Oriels Press, 1984, S. 218. Auerbach 1951, S. 29–30. Eine Anekdote aus dem Leben Claude Vignons belegt seine Teilnahme an einer Festtagsdekoration an der Place Dauphine, die von „tout Paris“ bewundert worden wäre. Dussieux 1968, I, S. 272– 273. Bassani datiert die Anekdote zwischen 1631 und 1641. Vgl. Paola Pacht Bassani, Claude Vignon. La vie et l’œuvre (1593–1670), Dissertation, Lille-III, 1992, S. 58–59; Paola Pacht Bassani, Claude Vignon 1593–1670, Kat. Tours, Musée des Beaux-Arts/Arras, Musée des Beaux-Arts/ Toulouse, Musée des Augustins, Paris: Arthena, 1992, MC 73, S. 545 (mit einem Verweis auf eine etwas frühere Datierung durch J.-L. Chalmel um 1628/1629). Montaiglon 1875–1909, II, S. 375–376. Ob die Anfrage von der Pfarre Saint-Barthélemy gestellt wurde, ist nicht überliefert.
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stitution gebunden war. Sie erhielten örtliche Unterstützung von der Pfarre Saint Barthélemy und der Bezirks- und Stadtverwaltung, ebenso wie von den Zeitungen, deren Berichte heute die wichtigsten Zeugnisse darstellen.24 Der Prozessionsweg verlief entlang des Pont Neuf; die Kunstwerke wurden an der Place Dauphine in unmittelbarer Nähe präsentiert, wo zuweilen königliche Feste, ebenso aber auch Hinrichtungen, Märkte und andere Veranstaltungen stattfanden.25 Die Ausstellungen von 1722 und 1723 fanden am Fronleichnamstag (Fête-Dieu) und ein zweites Mal an der sogenannten petite Fête-Dieu eine Woche später statt. Als Schlechtwetter am ersten Feiertag die Veranstaltung des Jahres 1724 verhinderte, fand sie nur am ,kleineren‘ Feiertag statt,26 und bei diesem Datum blieb es denn auch für alle weiteren Ausstellungen. Da die Präsentation verkäuflicher Waren während der Prozession verboten war,27 war der kleinere Feiertag, an dem die religiösen Feierlichkeiten auf den Nachmittag beschränkt waren, für die Ausstellungen besser geeignet. Damit waren die Place-Dauphine-Ausstellungen ihrem ursprünglichen Kontext der Festtagsdekoration entwachsen und hatten keine primär religiöse Funktion mehr. Vor dem Hintergrund des akademischen Stillstands der 1720er- und 1730er-Jahre war ihre Bedeutung groß: In diesen Jahren nahmen selbst hochrangige Akademiker an den Ausstellungen teil: Antoine Coypel, Noël-Nicolas Coypel, Hyacinthe Rigaud, François Le Moyne, Jean-François de Troy, Henri de Favanne, Nicolas Lancret, JeanMarc Nattier und Jean Restout. Alle diese Künstler waren Mitglieder der Académie, sie zeigten neben religiösen Darstellungen auch Stillleben, Genrebilder, Porträts und fêtes galantes. Auch Akademieschüler wie François Boucher, Samuel Massé und Jacques-François Delyen präsentierten ihre Arbeiten, ebenso wie Maler und Schüler der Académie de Saint-Luc – etwa deren späterer Direktor Jean-Jacques Spoëde, 24 Für die Jahre 1722 bis 1725, 1728, 1732 und 1734 sind Ausstellungen dokumentiert; außerdem gab eine weitere, zwischen 1718 und 1721, Anlass zu Konflikt zwischen Lancret und Watteau. Vgl. Ballot de Sovot, Eloge de Lancret, peintre du Roi (1743), Hg. Jules-Joseph Guiffrey, Paris: Baur, 1874, S. 19; Mary Taverner Holmes, Nicolas Lancret 1690–1743, Kat. New York, The Frick Collection/Fort Worth, Kimbell Art Museum, New York: Abrams, 1991, S. 149, Fn. 40. Zwischen 1759 und 1791 wurden fast jedes Jahr Ausstellungen veranstaltet.. Da die Ausstellungen keiner Institution zugeordnet waren, gestaltet sich die Recherche relativ schwierig. Zudem sind die Akten der Pfarrkirche Saint Barthélemy in den Pariser Archives nationales nicht erhalten. Die folgende Darstellung basiert in erster Linie auf den Besprechungen im Mercure de France und auf weiteren heterogenen Quellen zu den Ausstellungen. 25 1660 fand ein Einzug Ludwigs XIV. statt, dessen Beschreibung Anlass für eine der ersten Auftragsarbeiten Félibiens gab. Vgl. Germer 1987, S. 185–202. 1745 organisierte der corps des marchands die Dekoration der Place Dauphine für die Feierlichkeiten zur Hochzeit des Dauphin. Zu den Hinrichtungen vgl. die entsprechenden Verordnungen des Parlement de Paris, zum Markttreiben die Verordnungen des Châtelet de Paris (etwa im Bestand der Bibliothèque nationale). Zu weiteren Aktivitäten vgl. Édouard Fournier, Histoire du Pont-Neuf, Paris: E. Dentu, 1862. 26 Mercure de France, Juni 1724, S. 1389–1391. 27 La Poix de Fréminville 1989, S. 553.
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Jean-Baptiste Oudry, der mit großem Erfolg regelmäßig Jagdstücke ausstellte, und Jean-Baptiste Siméon Chardin, der an der Place Dauphine von der Académie, wie es heißt, ‚entdeckt‘ wurde. Die beiden dort gezeigten Stillleben Der Rochen und Das Buffet führten zur Einladung, sich an der Académie zu präsentieren und wurden kurzerhand zu seinen Aufnahmestücken.28 Der Status der ausstellenden Künstler zeigt, dass die seit dem frühen 19. Jahrhundert verwendete Bezeichnung Exposition de la Jeunesse29 nicht nur marginalisierend, sondern schlichtweg falsch ist. Eine Neuinterpretation der Ausstellungen ist auch in anderer Hinsicht notwendig. Ihre Bedeutung als Marktinstrument ist hoch anzusetzen. Annie Becq ist mit ihrer hellsichtigen, aber kurzen Darstellung der Ausstellung als „étalage commercial que pratiquent [...] les membres de la communauté des peintres à la Foire du PontNeuf“30 bisher nahezu allein geblieben. Die von Georg Friedrich Koch beschriebene enge Einbindung der Ausstellung in den religiösen Festkontext31 – eine Einschätzung, der auch Thomas Crow gefolgt ist32 – ist für das 18. Jahrhundert nicht zutreffend. Die Teilnahme der Akademiker an diesen Ausstellungen ist viel eher, ähnlich wie die Initiativen der britischen Künstlerschaft des frühen 18. Jahrhunderts, als künstlerische und wirtschaftliche Selbsthilfe zu verstehen. Die Ausstellungen an der Place Dauphine waren frei zugänglich. Es ist bemerkenswert, wie wenig Berührungsängste die Akademiker hinsichtlich einer gemeinsamen Präsentation ihrer Arbeiten mit Amateuren oder Angehörigen der Zunftakademie hatten. Dass es allerdings durchaus Animositäten zwischen den Akademikern und dem unprofessionellen Straßentreiben der Place Dauphine gab, lässt eine Anekdote über das als hochmütig empfundene Verhalten Antoine Coypels sowie seiner Parodisierung vermuten, die gegen Ende des Jahrhunderts aufgezeichnet wurde:
28 Dietmar Lüdke (Hg.), Jean Siméon Chardin 1699–1779. Werk – Herkunft – Wirkung, Kat. Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle, Ostfildern-Ruit: Hatje Cantz, 1999, S. 35. 29 Zuerst bei Gault de Saint-Germain, Les Trois Siècles de la Peinture en France, Paris: Belin fils, 1808, S. 67. 30 Becq 1982, S. 132. 31 Koch 1967, S. 171 und XXXIX, Abb. 67. Die Ausstellungen fanden nicht direkt vor der Kirche Saint Barthélemy statt, wie dies Koch aus einer Zeichnung Meuniers aus dem Jahr 1788 (gestochen von François-Denis Née für die Voyage pittoresque de la France, 1781–1796) geschlossen hat. Koch bezog sich dabei wohl auf Prosper Dorbec, L’Exposition de la Jeunesse au XVIIIe siècle, in: Gazette des beaux-arts, 34, 1905, S. 83. Die Zeichnung zeigt Dekorationen vor der Kirche Saint Barthélemy, nicht die Place Dauphine, die sich in einiger Entfernung von der Kirche hinter dem alten Palais befand. Er verweist selbst auf diese unabhängigen Fronleichnamsdekorationen der Pfarrkirche. Vgl. Koch 1967, S. 169, Fn. 364. Die Prozession wurde an der Kirche vorbei und durch das Palais geführt, wofür jährlich die Erlaubnis des Vogts der Stadtverwaltung eingeholt werden musste. Vgl. [anon.], Memoire instructif pour servir à Messieurs les Marguilliers en Charge de l’Eglise Royale & Paroissale de Saint-Barthélemy, fait en l’année 1715, Paris: Saugrain, 1715, S. 3–4. 32 Crows hohe Bewertung der Ausstellungen als Vorläufer für die akademischen Salons hätte dabei eine andere Lesart nahegelegt. Vgl. Crow 1985, S. 82–88.
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„Avant que l’Académie de Peinture fut logée au Louvre, elle exposait régulièrement ses ouvrages dans la place Dauphine. À l’une de ces expositions, A. Coypel vint avec faste s’y faire voir, dans un magnifique carrosse, tandis que les personnes de la première distinction descendaient de leur équipage à l’entrée de la place. Choqué de l’orgueil de Coypel, le Sr. Leclerc, peintre, monta sur une charrette qu’il rencontra par hasard, et suivit dans la place Dauphine le Peintre de l’Académie Royale, en parodiant tous ses gestes d’une manière fort plaisante.“33
Die Veranstaltungen an der Place Dauphine lösten eine regelmäßige Reihe von Ausstellungsberichten im Mercure de France aus. Weder in Stil noch in Bewertung unterschieden sich diese Besprechungen von den späteren Artikeln über die Salons, und tatsächlich waren selbst die Exponate dieselben.34 Es gibt keinen Hinweis auf eine Geringschätzung vonseiten des Mercure de France, im Gegenteil: Der Bericht über die Akademieausstellung des Jahres 1725 verweist, zur Erklärung der Textsorte und der Forderung nach regelmäßigen Ausstellungen, auf die Berichte über die Place Dauphine.35 Offensichtlich war es in der Zeit mangelnder Patronage nicht möglich – und unter den Direktoren Antoine Coypel und Louis de Boulogne nicht notwendig –, auf die Unterschiede zwischen akademischer Kunstpräsentation und dem Treiben des übrigen Pariser Kunstlebens zu pochen. Die Schutzhülle repräsentativer Öffentlichkeit um die Académie war dünn geworden und hatte die kommerziellen Bedürfnisse und Interessen ihrer Mitglieder freigelegt. Zwischen 1734 und 1759 gibt es keine Nachrichten von Ausstellungen an der Place Dauphine. Nach einem Jahrzehnt regelmäßiger Berichterstattung ist das plötzliche Ende überraschend. Diese Lücke wird in der Regel mit den ab 1737 regelmäßig im Ein- oder Zweijahresrhythmus veranstalteten akademischen Salon-Ausstellungen begründet. Die meisten Darstellungen folgen einer unbelegten Aussage André Fontaines, derzufolge die Académie ihren Mitgliedern die Beteiligung an den Ausstellungen der Place Dauphine verboten hätte.36 In den Akten der Académie gibt es aber keinen Hinweis auf ein explizites Verbot, die Place-Dauphine-Ausstellungen wur-
33 Handschriftliche Notiz zu [Collection Deloynes #280]. Vgl. Pierre-Jean-Baptiste Nougaret (Hg.), Anecdotes des beaux-arts, Paris: Bastien, 1776–1780, II, S. 317. Die Datierung ist nicht ganz richtig, denn erst 1706 kam Coypel in den Besitz der prächtigen Kutsche (vgl. Nicole Garnier, Antoine Coypel (1661–1722), Paris: Arthena, 1989, S. 30–31), doch befand sich die Académie damals schon längst im Louvre. Sébastien Le Clerc war der Sohn des Kupferstechers desselben Namens, den Coypel als dessinateur de Médailles abgelöst hatte. 34 1725 zeigte Jean-François de Troy dasselbe Gemälde Rinaldo und Armida zuerst an der Place Dauphine und dann zwei Monate später in der Akademieausstellung. Vgl. Mercure de France, Juni 1725, S. 1402; Mercure de France, September 1725, S. 2256. 35 Mercure de France, September 1725, S. 2253. 36 André Fontaine, Les Doctrines d’Art en France. Peintres, Amateurs, Critiques. De Poussin à Diderot, Paris: H. Laurens, 1909, S. 158.
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den dort niemals diskutiert.37 Es ist wahrscheinlich, dass die Académiciens mit dem langsamen Einsetzen eigener Präsentationen ab 1735 bzw. 1737 vollständig von der Straße in die eigenen Räume wanderten. Vielleicht aber hat das (vorläufige) Ende der Berichterstattung im Mercure de France zwar mit dem Ausbleiben der Akademiker zu tun, bedeutete aber nicht zwangsläufig das Ende der Ausstellungen.38 Mit der regelmäßigen Wiederaufnahme der Salons ab 1737 wurde die Abgrenzung von kommerziellen Formen der Kunstpräsentation wichtiger. Dies illustriert auch der Bedeutungswandel der Place-Dauphine-Ausstellungen, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zur einzigen öffentlichen Alternative für Künstler und Künstlerinnen wurden, die nicht in der Académie ausstellen wollten oder konnten: Frauen, Stadtfremde, Nichtkatholiken, Amateure. Die Bedeutung, die dem Jahr 1737 und der Wiedereinführung der Akademieausstellungen zugeschrieben wird, ist gut mit dem Wunsch vereinbar, die Salons als von höchster Seite angeordnete Kunstpräsentationen möglichst klar von den früheren Aktivitäten der Académie zu trennen und ihre Exponiertheit gegenüber den Marktbedingungen zu verleugnen. Diese Darstellung entspricht der akademischen Geschichtsschreibung, nicht aber der tatsächlichen Situation der 1720erund frühen 1730er-Jahre. Thomas Kirchner hat etwa den Proto-Salon von 1725 als einen Versuch der Akademiker interpretiert, „systematisch einen neuen Markt zu erschließen“39, und tatsächlich war die Ausstellung nicht eine Initiative der Kunstverwaltung, sondern der Künstler: Der Mercure de France verweist auf den Initiator Louis de Boulogne, den neuen Akademiedirektor.40 Einen weiteren Beleg dafür erbrachte die Académie, indem sie die Kosten für die Ausstellung selbst übernahm, anstatt diese wie in den Jahren 1699 und 1704 an die Leitung der Bâtiments weiterzuleiten.41 37 Ein solches Verbot war weder in Montaiglon 1875–1909 noch in ENSBA Archives, MS 11–12 zu finden. 38 Die Umgestaltung und Neudekoration der Kirche Saint Barthélemy durch die Brüder Slodtz zwischen 1736 und 1741 mag eine Unterbrechung der Prozessionen nach sich gezogen haben, doch muss dies keineswegs die Ausstellungen verhindert haben. Bereits 1732 gibt es eine erste Lücke in der Berichterstattung. 1732 meinte der Kritiker des Mercure de France, in den letzten Jahren wären kaum Exponate zu sehen gewesen, und tatsächlich stammt der letzte Bericht aus dem Jahr 1725. Vgl. Mercure de France, Juli 1732, S. 1611. 39 Kirchner 1991, S. 169; anders Crow 1985, S. 39, der diese Ausstellung als wenig bedeutend interpretiert. Vgl. Georges Wildenstein, Le Salon de 1725. Compte rendu par le Mercure de France de l’exposition faite au Salon Carré du Louvre par l’Académie royale de peinture et de sculpture en 1725, publié avec des notes et documents nouveaux sur les expositions de l’Académie pendant le XVIIIe siècle, Paris: Impr. de Frazier-Soye, [1924]. 40 Mercure de France, September 1725, S. 2253–2254. 41 Candace Clements, Unexpected consequences: The Concours de peinture of 1727 and history painting in early eighteenth-century Paris, Dissertation, New Haven, Yale University, 1992, S. 141; Candace Clements, The Duc d’Antin, the Royal Administration of Pictures, and the Painting Competition of 1727, in: Art Bulletin, 78/4, 1996, S. 659, Fn. 81.
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Kurze Zeit später, im Frühjahr 1727, veranstaltete der zuvor recht untätige Leiter der Bâtiments, der Herzog d’Antin, einen Wettbewerb unter zwölf ausgewählten Historienmalern der Académie. Der Gewinner sollte neben einem angemessenen Preisgeld den umfangreichen und prestigeträchtigen Auftrag der Ausstattung des Salon d’Hercule in Versailles erhalten. Schließlich war auch die Frage nach der Führerschaft unter den französischen Malern nach dem Tod Antoine Coypels, Jean Jouvenets und Charles de La Fosses offen, da der Posten des premier peintre mit dem kranken Akademiedirektor Boullongne nur nominell besetzt war. Pierre Rosenberg hat diesen Wettbewerb als eine nachträgliche Legitimierung des bereits im Vorfeld als Gewinner ausersehenen François Lemoyne interpretiert.42 Dagegen hat Candace Clements ein komplexeres Bild der Hintergründe der Veranstaltung entworfen. Sie deutet den Wettbewerb weniger als ein gezieltes Scheinmanöver zur Protektion Lemoynes als einen späten Versuch d’Antins, seiner Amtszeit doch noch den Stempel kunstpolitischen Engagements aufzudrücken und nicht nur den Teilnehmern, sondern auch sich selbst ein Denkmal zu setzen.43 Clements unternimmt eine erhellende Differenzierung zwischen dem Wettbewerb – der ja nicht unbedingt öffentlich ausgetragen werden musste – und der Präsentation der eingereichten Arbeiten im Mai und Juni 1727 in der Galerie d’Apollon. D’Antin ließ wohl den Wettbewerb veranstalten, es scheint jedoch plausibel, in der Ausstellung, ähnlich wie zwei Jahre zuvor, eine Initiative der Künstlerschaft zu sehen.44 Während der Wettbewerb die Rangfolge unter den Künstlern und die Vergabe des prestigeträchtigen königlichen Auftrags klären sollte (stattdessen aber zeigte, wie umstritten die Führungsposition unter den akademischen Künstlern war), bot die Ausstellung einen willkommenen Anlass, die von der Krone nicht honorierten Arbeiten einem breiteren Publikum anzubieten. Es ist bemerkenswert, dass die zwölf Gemälde, gemeinsam mit einem offensichtlich kurzfristig eingereichten Historienbild Charles Parrocels, nicht gehängt, sondern auf Staffeleien präsentiert wurden. Dies entsprach eher der Präsentations- und Verkaufssituation in Kunsthandlungen und Ateliers als jener der früheren Akademieausstellungen. Und das livret zu dieser Ausstellung war keine offizielle Publikation der Académie, sondern entstand außerhalb der Institution und erwähnt weder den Wettbewerb, noch eine etwaige Protektion der Ausstellung durch d’Antin. Im Lauf der Ausstellung behaupteten sich mehrere Künstler, insbesondere Jean-François de Troy, Charles Coypel und PierreJacques Cazes, sodass der Wettbewerb mit der Teilung der Gewinnsumme zwischen de Troy und dem späteren premier peintre Lemoyne, sowie dem Ankauf von Coypels 42 Pierre Rosenberg, Le concours de peinture de 1727, in: Revue de l’Art, 37, 1977. Diese Behauptung wurde bereits im 18. Jahrhundert gemacht. Vgl. ENSBA Archives, MS „Dattes des Salons“, in leicht geänderter Form publiziert in der Correspondance littéraire vom 1. Oktober 1763: Correspondance littéraire 1968, V, S. 394–395. 43 Clements 1992, S. 54–55. 44 Montaiglon 1875–1909, V, S. 25; Clements 1992, S. 146–148, 328–329.
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Gemälde endete.45 Der Mercure de France berichtet von einem „très-grand concours de gens de distinction & de peuple“,46 und es heißt bei mehreren Kommentatoren des 18. Jahrhunderts (d’Argenville, Caylus, Mariette und Piganiol de la Force), dass die Bilder von Noël-Nicholas Coypel und Cazes beim Publikum am meisten Zustimmung gefunden hätten.47 Thomas Crow hat daraus geschlossen, dass die Durchführung der Ausstellung und die Revidierung eines angeblich schon zuvor feststehenden Ergebnisses des Wettbewerbs zeige, dass d’Antin gezwungen gewesen sei, die Öffentlichkeit für seine Entscheidung anzurufen: „The 1727 competition does reveal that the state did not feel itself able to make a major decision without establishing the legitimacy of that decision in a larger public forum than the one provided by the Academy itself.“48 Nicht nur Crows eigene Ausführungen, sondern auch Clements’ Untersuchung schwächen diese Interpretation nachhaltig. Die Académie hatte der Öffentlichkeit ein Feld eröffnet, ihr jedoch keinen aktiven Part zugeteilt: „a public arena, yet at the same time no public speech“, so hat Crow selbst an einer anderen Stelle das absolutistische Öffentlichkeitsverständnis beschrieben.49 Zwar bat d’Antin diejenigen Akademiker, die nicht am Wettbewerb teilgenommen hatten, um ihre schriftliche Stimmabgabe,50 doch ob dies seine Entscheidung beeinflusste, ist kaum zu beantworten. Sein Verhalten im Zuge der Preisvergabe, das Candace Clements im Detail beschreibt, ist durchaus konform mit einer Arkanpolitik, die „nur über bereits gefallene Entscheidungen und zumeist in den Ritualen offizieller Verlautbarungen informierte“51. Die Notwendigkeit von Ausstellungen war nun evidenter denn je zuvor. In den Berichten über die Expositions dans la place Dauphine war bereits mehrmals die Wiedereinführung regelmäßiger Akademieausstellungen gefordert worden.52 Als die Académie im Jahr 1735 wieder eine Ausstellung veranstaltete, betonte der Mercure de France in seiner Besprechung einmal mehr deren Notwendigkeit. Im Vordergrund der Argumentation stand das große Interesse des Publikums: „[...] cette exposition de Tableaux, quoiqu’en très-petite quantité et par un très-petit nombre d’Acadèmiciens, n’a pas laissé d’attirer dans les Salles de l’Académie, un concours considérable, des Gens de l’Art, des Connoisseurs et des Amateurs, qui ont marqué beaucoup d’empressement et d’ardeur pour la Peinture, la Sculpture, la Gravure, &c. Cet empressement semble demander hautement une exposition publique des Ouvrages de notre 45 46 47 48 49 50 51
Montaiglon 1875–1909, V, S. 27–28. Mercure de France, Juli 1727, S. 1563. Rosenberg 1977, S. 31–32. Crow 1985, S. 80. Ebd., S. 10. Montaiglon 1875–1909, V, S. 26–27. Johannes Kunisch, Absolutismus und Öffentlichkeit, in: Hans-Wolf Jäger (Hg.), Öffentlichkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen: Wallstein, 1997, S. 38. 52 Mercure de France, Juni 1725, II, S. 1399–1400; Juli 1732, S. 1610–1611.
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Académie, dont le Public n’a pas été gratifié depuis très-long-temps, malgré l’exemple fréquent qu’en donnent les Académies d’Italie. Outre le plaisir et la magnificence du Spectacle, on laisse à juger de l’utile émulation que cela donne pour l’avancement des Arts et la perfection du gôut.“53
Auch wenn als Vorbild der Ausstellungen nicht die Place Dauphine, sondern die römische Akademie genannt wurde, auch wenn als ihr vorgebliches Ziel nicht die Erschließung des Markts, sondern der gegenseitige Wettbewerb (émulation) und die gesellschaftliche Geschmacksbildung genannt wurden, war dem Artikel ein bemerkenswerter Zusatz nachgestellt: Es folgten Verweise auf die Privatadressen mehrerer Künstler der Académie, eine Marktstrategie, die vonseiten einzelner Künstler und Kunsthändler nicht unüblich war,54 aber im Rahmen einer Salon-Besprechung später im Jahrhundert kaum vorstellbar gewesen wäre. Die Académie setzte im Juli 1736 mit einer weiteren, kleineren Ausstellung anlässlich der Neubesetzung mehrerer interner Posten nach, die im Mercure de France ebenfalls besprochen wurde.55 Auch im Folgejahr fand eine solche Ausstellung statt,56 die allerdings vom Glanz der kurz darauf offiziell einsetzenden Serie regelmäßiger Salons überstrahlt wurde. Die ‚erste‘ Ausstellung des Jahres 1737 unterbrach daher nicht eine Periode jahrelanger Inaktivität, sondern hatte sich in den Initiativen der Académie seit zumindest einem Jahrzehnt angekündigt. Doch es waren die Salons, das Zentrum der offiziellen französischen Kunstpräsentation, veranstaltet von der Krone und den Mitgliedern der Académie, die das Publikum in Scharen anlockten, eine ungeahnte Zahl an Kommentaren auslösten und das Interesse an Publikumsmodellen neu anregten.57
Charles Coypel: Die Patronage des Publikums Antoine Coypels Sohn Charles (eigtl. Charles-Antoine) folgte dem Weg seines Vaters in wahrlich dynastischer Erbfolge. Aufgewachsen im väterlichen Atelier im Louvre, dessen Nutznießung er später übernehmen sollte, 1715 Mitglied der Académie, deren Direktor der Vater war, zwei Jahre später peintre ordinaire du Roy sowie premier peintre des Regenten, stand seine Nachfolge als Garde des Tableaux et Dessins de la Couronne bereits zu Lebzeiten des Vaters fest. Nach dessen Tod hielt er etwas Distanz zur Académie, um sich seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu widmen. Doch 53 Ebd., Juni 1735, S. 1387–1388. 54 Ebd., Juli 1728, S. 1651–1654 (Jean-Baptiste Massé); Juni 1734, II, S. 1406–1407 (Edme Gersaint). Vgl. Chatelus 1991, S. 17–54. 55 Mercure de France, Juli 1736, S. 1639–1640. 56 Ebd., Juli 1737, S. 1619–1621. 57 Die Ausstellungen fanden 1737–1751 jährlich statt, außer in den Jahren 1744 und 1749. Ab 1751 wurden sie im Zweijahresrhythmus veranstaltet.
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1732 kündigte er mit dem Gemälde Thalie chassée par la peinture programmatisch seine Rückkehr zur Malerei und der akademischen Karriereleiter an58 und führte ab den 1740er-Jahren auch die Nachfolge seines Vaters Schritt für Schritt weiter. 1747 erlangte er die nun seit zehn Jahren vakante Stelle des premier peintre wieder und wurde Direktor der Académie. Beide Ämter hatte er bis zu seinem Tod 1752 inne, und als Berater des nach eigenen Angaben unerfahrenen neuen Directeur des Bâtiments Le Normant de Tournehem kam ihm in dieser kurzen Zeit eine bedeutende Rolle zu. Gewandt in den Künsten der Rede und der Schrift betätigte sich auch Charles Coypel, wie sein Vater, kunsttheoretisch. Trotz aller Parallelen zu dessen Karriere aber traf der Sohn auf eine komplexere kunstpolitische Situation und war gezwungen, seine Positionen deutlich weiterzuentwickeln. Die Auseinandersetzung mit der anonymen Öffentlichkeit, die sich nicht nur in den Scharen der Ausstellungsbesucher, sondern auch in Form der Kunstkritik manifestierte, wurde unversehens zur zentralen Aufgabe seiner Amtszeit. Gerade noch eine Figur der Rezeptionsästhetik, geriet ‚le public‘ rasch aus der sorgsamen Kontrolle des Akademiedirektors und zwang ihn zur Formulierung einer Position, die zugleich den theoretischen Ansprüchen der Akademie und der veränderten historischen Situation gerecht werden sollte. 1726 veröffentlichte Charles Coypel eine Druckgrafikserie zu ausgewählten Szenen der Komödien Molières. „Dediée au public“ kündigte das Titelblatt an, das eine Szene in einem Theater zeigt (Abb. 14).59 In einer ausführlichen Widmung an das Publikum, das er als „[t]rès respectable et redoutable juge“ bezeichnete, versicherte Coypel, sich dessen Entscheidungen immer unterwerfen zu wollen und unterzeichnete als „untertänigster Diener“. Der Text ist in die Darstellung eines Theaters integriert: Wir befinden uns – der Funktion eines Frontispizes entsprechend – kurz vor Beginn der Aufführung: Vorhang und Lüster sind noch nicht hochgezogen. Auf beiden Seiten der Bühne, in den Logen und im Parkett hat sich ein erwartungsvolles Publikum versammelt. Die 58 Thalie chassée par la peinture, Öl auf Leinwand, 65x81 cm, gestochen 1733 von Bernard Lépicié. Vgl. Thierry Lefrançois, Charles Coypel. Peintre du roi (1694–1752), Paris: Arthena, 1994, S. 257–260, P 140. 59 Der vollständige auf den Vorhang geschriebene Text lautet: „Très respectable et redoutable juge // Tu n’ignores pas que c’est au désir de te plaire que les beaux arts doivent leur naissance. C’est ce même désir qui nous porte à les cultiver et à les perfectionner. Ne sois donc point surpris de l’hômage que j’ose t’offrir, daigne le regarder comme une marque de reconnoissance que j’ay cru te devoir pour le favorable accueil que tu as bien voulu faire aux gravures de D. Quichotte. Mais tu me diras peut-estre que je le dois plutôst au fameux autheur qui m’en a fourny les sujets qu’aux foibles traits de mon pinceau. Si tu le dis je le croiray. Car je fais vœu de me soumettre toujours à tes décisions. Quoi qu’il en soit tu ne chéris pas moins les ouvrages de Molière que ceux de Michel Cervantes, ainsy je veux Espérer encore que tu feras grâce aux dessins en faveur des sujets. Je suis avec le respect que te doivent ceux qui osent s’exposer à tes regards // Ton très humble et très soumis Serviteur // Charles Coypel.“ Der Verweis auf Cervantes bezieht sich auf Coypels ab 1723 veröffentlichte erfolgreiche Grafikserie zur Geschichte Don Quixotes.
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14 François Joullain nach Charles Coypel, Suitte d'Estampes des principaux Sujets des Comédies de Molière (Frontispiz), 1726, Radierung, Paris, BN.
unterschiedlichen Ränge sind genau zu sehen: das parterre, die Logen und das den vornehmen Gästen vorbehaltene paradis auf der Bühne. Die Widmung ist auf den Vorhang geschrieben; eine Figur blickt hervor, wohl der Autor, als Verweis auf Coypels Position. In einer Ankündigung im Mercure de France, die die ungewöhnliche „Hommage“ an das Publikum wortgetreu wiedergibt, heißt es, dass die verschiedenen Besuchergruppen „charakteristisch“ dargestellt seien: „Petits-Maîtres sur le Theatre; Femmes du bel air dans les Loges; au Parterre, vieux pilliers de Spectacles, jeunes gens nouvellement debarquéz; grands hommes incommodes à des petits, &c.“60 Diesem Publikum ist das Blatt gewidmet. Mit der Anwendung der höfischen Praxis der ehrenden Widmung auf das zeitgenössische Publikum bewegte sich Coypel auf einem schmalen Grat. „Cher respectable juge“ heißt es im Frontispiz. Die Anrufung des public éclairé, public équitable oder public redoutable als Richter war im zeitgenössischen Sprachgebrauch allgegenwärtig. Coypels würdevoll-exaltierte Anrufung trägt denn auch durchaus humorvolle Züge: 60 Mercure de France, Juli 1726, S. 1648.
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Nicht umsonst handelte es sich um eine Stichserie nach den Komödien Molières, und der schelmische Blick der Figur hinter dem Vorhang hervor erlaubte auch ein Lächeln angesichts der ehrenvollen Widmung an dieses anonyme Etwas, das Voltaire „vielköpfiges Monster“ nennen sollte. Damit stand er durchaus im Einklang mit anderen Kommentatoren seiner Zeit. Denn während die Anrufung des Publikums als Ganzes immer wieder bemüht wurde, wurden dessen Beschreibungen, wie die Ankündigung des Stichs im Mercure de France zeigt, rasch ironisch. Wieso bezog er sich auf das Theaterpublikum? Im Kontext der nachfolgenden Molière-Illustrationen war dies naheliegend, doch beschrieb Coypel ja sein eigenes Publikum, nicht das Molières. Als autobiografischer Verweis ist die Darstellung wenig glaubwürdig. Coypel war während seiner Laufbahn als Bühnenautor, ebenso wie später als Maler, selten gezwungen, sich direkt dem Geschmack des Publikums zu stellen. Doch konnte das Theaterpublikum als paradigmatisch für die direkte Auseinandersetzung mit dem ‚einfachen Publikum‘ gelten, und es war der wichtigste kunsttheoretische Referenzpunkt. Coypel war mit der Tradition der Publikumstheorien in der Theaterliteratur vertraut, ebenso wie mit Du Bos’ Réflexions critiques, in denen das Theaterpublikum als Faszinosum unvermittelter und anonymer Rezeption dargestellt war. Im selben Jahr, in dem Coypel die Molière-Illustrationen veröffentlichte, trug er an der Académie einen Dialogue sur la connoissance de la peinture vor, in dem ein Kenner seinen in Kunstdingen unbewanderten Freund mit dem Hinweis auf das Theater ermunterte: So wie eine Szene auf der Bühne könne er auch ein Gemälde nach seiner unmittelbaren Wirkung beurteilen.61 Und doch stellte die Anrufung des Theaterpublikums einen gewagten Schritt dar. Insbesondere das Publikum des parterre galt als laut, launisch, intrigant, käuflich – ein eher abschreckendes Beispiel der öffentlichen Meinung.62 Den Anblick der überwältigenden Menge des parterre hatte Coypel in seiner Darstellung deutlich gemildert. Einen besseren Eindruck von den relativen Größenverhältnissen gibt eine Zeichnung des Zuschauerraums der Comédie Italienne (Abb. 15). Ebenso wie in der Comédie Française fasste das parterre dort etwa 600–700, zuweilen bis zu 1.000 Menschen.63 Auch im englischen Diskurs war der Topos der Macht des Theaterpublikums verbreitet. Die Stadtöffentlichkeit wurde als „governor of the stage“ bezeichnet, gegen den die Schriftsteller nicht ankämen. Samuel Johnson verfasste für David Garrick 1747 einen Prolog, in dem das Publikum als direkter Adressat der Autoren dargestellt wurde: „The Stage but echoes back the public Voice“.64 Das Theaterpublikum 61 Coypel 1971, S. 81. 62 Coypel 1721, S. 16; zu Voltaires Umgang mit dem parterre: John Lough, Paris Theatre Audiences in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, London: Oxford University Press, 1957, S. 190–192. 63 Ravel 1999, S. 32–35. Vgl. Henri Lagrave, Le théâtre et le public à Paris de 1715 à 1750, Paris: Klincksieck, 1972. 64 Melton 2001, S. 161.
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15 Pierre-Alexandre Wille, Comédie Italienne, Graphitzeichnung, 1767, Paris, BN.
verkörperte wie kein anderes die Funktion des Publikums als Tribunal. Der direkte Vergleich mit politischer Entscheidungsfähigkeit lag nahe: Das Parterre, schrieb einer der Journalisten des Connoisseur, sei der „grand court of criticism“, doch „it is not wonderful, that the parliament of criticism, like all others, should be liable to corruption“.65 Wenige Jahre zuvor hatte Coypel eine als Auftragsarbeit entstandene Serie von Tapisseriekartons nach Szenen von Cervantes druckgrafisch reproduzieren lassen und so, „jaloux de se faire un nom“,66 erfolgreich seine Rezipientenschicht erweitert
65 Connoisseur, 43, 21. November 1754, in: R. B. Lynam, The British essayists. With prefaces biographical, historical, and critical, London: Dove, 1827, XVIII, S. 178–182. 66 Zitat Mariettes nach Lefrançois 1994, S. 225.
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und beachtlichen finanziellen Gewinn gemacht.67 Seine innovativen Marktstrategien wurden von einem bekannten englischen Künstlerkollegen imitiert. William Hogarth kannte Coypels Don Quixote-Illustrationen und wurde davon vermutlich zu seiner ersten eigenen großformatigen Illustrationsserie angeregt, nämlich zum „englischen Don Quixote“ Hudibras (1726), die denn auch gemeinsam mit Coypels Drucken beworben wurde.68 Mit der Widmung an das Publikum bot sich Coypel einer neuen Form der Patronage an. Sozial und finanziell bestens abgesichert, unternahm er ein Experiment, dessen Konsequenzen wohl für ihn selbst noch nicht voll erfassbar waren: Mit der Anrufung des Publikums anstelle eines Gönners oder Mäzens unterwarf er sich einem neuen Souverän, doch hatte er nur seinen Adressaten ausgetauscht, ohne die Qualität dieser Anrufung zu modifizieren. Doch nicht nur neue Käuferschichten wollte Charles Coypel erreichen, sondern das gesamte Spektrum des Publikums als Widerhall des Ruhmes und als Urteilsinstanz. Und so veröffentlichte er 1729 im Mercure de France eine von ihm selbst verfasste Besprechung eines eigenen Gemäldes. Dazu wählte er die Form eines offenen Briefes an den Vorsteher der Congrégation de l’Oratoire, der zugleich der Empfänger des betreffenden Altarbilds, einer großformatigen „Ecce-Homo“-Darstellung, war.69 Geschult in der Rhetorik der Theaterliteratur, verstand Coypel seinen Artikel als „une espèce de Préface“ zu dem eben fertiggestellten Gemälde. Er schilderte darin die lange Entstehungsgeschichte des großformatigen Werks und begegnete fiktiver oder realer Kritik. Dem Brief war eine Skizze des Raumkonzepts des Altarbilds beigefügt, durch die Coypel illustrieren wollte, wieweit er dessen Aufstellungsort bei der Komposition des Bildes berücksichtigt hatte. Außerdem publizierte er Reproduktionsstiche des Gemäldes und der vorbereitenden Porträtstudien.70 Das Altarbild selbst war schon ein Geschenk an die Congrégation de l’Oratoire gewesen, Coypel hatte sich sozusagen selbst den Auftrag dazu gegeben. Die Besprechung der eigenen Arbeit zeigt den Versuch, kritischen Widerhall als Vorform des Ruhmes zu erzeugen. Es scheint Coypel nicht primär darum gegangen zu sein, Kritik vorwegnehmen oder ihr zu entgegnen. Stattdessen exerzierte er, in seinem Wunsch nach der Steuerung der Rezeption seines Werks, das politesse-Ideal einer Kunstkritik als Selbstkritik vor. Der Artikel, erklärte er, sei durch Gespräche mit hochrangigen Mitgliedern der Académie zustande ge-
67 Candace Clements, Noble Liberality and Speculative Industry in Early Eighteenth Century Paris: Charles Coypel, in: Eighteenth-Century Studies, 29/2, 1995–96, S. 214; Lefrançois 1994, S. 372– 374. 68 Zu Parallelen zwischen Hogarth und Coypel: Paulson 1971, I, S. 132–134; Paulson 1991–93, I, S. 117, 142; Mark Hallett, The Spectacle of Difference. Graphic Satire in the Age of Hogarth, New Haven/London: Yale University Press, 1999, S. 78–91. 69 Mercure de France, Juni 1729, II, S. 1290–1296. 70 Kirchner 1991, S. 143–156.
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kommen.71 Coypel scheute sich keineswegs, sein Bild als ein Objekt innerhalb eines diskursiven Raumes zu verstehen, und tatsächlich hatte er jeden Grund anzunehmen, dass dieser völlig seiner Kontrolle unterstehe. Die Akteure dieses Raums waren aus seiner Sicht (außer seiner eigenen Person und der des Empfängers von Gemälde und Brief ) die Künstlerkollegen an der Académie und ihm bekannte Kunstfreunde, deren Ratschläge er nun auf publizistischem Weg erbat.72 Coypels Hinwendung zum Publikum kulminierte in einem Vortrag, den er aus Anlass seiner Rückkehr an die Académie hielt. Das Hauptthema des 1732 publizierten Discours de la nécessité de recevoir des avis war die Beschreibung der Notwendigkeit eines kritischen Resonanzraums. Die Konkretisierung dieses Raums ging allerdings über die Académie nicht hinaus, die er als einen Ort gleichberechtigten Meinungsaustausches und gegenseitiger Unterstützung darstellte.73 Dem entsprach auch die Rezeptionshierarchie, die er in einem früheren Text, seinem Dialogue sur la connoissance de la peinture, erstellt hatte: Der Blick für die ästhetischen Feinheiten des Gemäldes war die Kompetenz des „habile homme du métier“ und des „véritable connoisseur“, die den unwissenden Laien an den Schönheiten der Darstellung teilhaben lassen können. Coypel evozierte das Ideal der schweigenden Betrachter, deren Sprachlosigkeit in Bescheidenheit und zurückhaltender Bewunderung gründet: „ceux qui n’osent ouvrir la bouche devant un tableau, sont quelquefois ceux qui en parleroient le mieux“.74 Die ab 1737 veranstalteten Salon-Ausstellungen gaben Coypel ausreichend Gelegenheit, wie gewünscht mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Doch entfernte sich dieses immer mehr von seinem Idealbild. Von nun an vervielfachten sich die Bemühungen, diesem Publikum in seiner traditionellen Funktion als Urteilsinstanz als Sprachrohr zu dienen. Bereits in der Ausstellung von 1725 beobachtete ein Autor des Mercure de France „un concours infini de Spectateurs de toutes conditions, de tout sexe & de tout âge, admirer & critiquer, loüer & blâmer“.75 Das urteilende Publikum diente der Legitimation der eigenen Kritik. Diese auf die eigene Meinung zurückzuführen, hätte den Regeln der Objektivität und Bescheidenheit widersprochen. Stattdessen stellten sich die Autoren hinter das Urteil des Publikums: „ce sont les sentiments du Public que nous exposons ici, et nous osons âjouter que ce sont les nôtres“.76 71 Charles-Antoine Coypel, Lettre de M. Ch. Coypel, de l’Académie Royale de Peinture & Sculpture, au Reverend Pere de la Tour, Superieur General de la Congrégation de l’Oratoire, in: Coypel 1971, S. 92. 72 Ebd., S. 91. 73 Coypel 1971, S. 63–64. So war die Académie bereits in ihren ersten Statuten beschrieben worden: Montaiglon 1875–1909, I, S. 9–10 (Artikel IX). 74 Coypel 1971, S. 80, 86. 75 Mercure de France, September 1725, S. 2255. 76 Ebd., September 1737, S. 2014. Diese Ausstellungsbesprechung übernahm mehrere Passagen derjenigen von 1725.
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Der Andrang in die Ausstellung rechtfertigte die Publizität der Kritik. Die „foule prodigieuse“77 oder „foule continuelle“78 war ein immer wiederkehrender Topos der Ausstellungsberichte. 1746 wurde der Ausstellungsraum in Hinblick auf die hohen Besucherzahlen mit einer breiteren Stiege ausgestattet, um den Zugang zu erleichtern.79 1755 sprach eine Salon-Kritik von 20.000 Ausstellungsbesuchern und -besucherinnen, eine Zahl, die Diderot 1765 wiederholte.80 Damit übereinstimmend, berücksichtigt man die Ausstellungsdauer von fünf Wochen, berichtete Mathon de La Cour 1763 von 700 bis 800 zugleich im Salon anwesenden Personen.81 Da der Besuch der Ausstellung kostenlos und der Erwerb des begleitenden livret nicht verpflichtend war, gibt es für genauere Schätzungen nur wenige Anhaltspunkte. Die Anzahl der verkauften Kataloge ist erst ab 1755 dokumentiert. Bis 1787 stieg diese auf 22.000, und da die livrets üblicherweise gemeinsam benutzt wurden, ergibt sich daraus eine Schätzung von etwa 60.000 Besuchern und Besucherinnen.82 Negative Äußerungen über diesen Ansturm waren in der Frühzeit der Salons selten. Nur in einer Kritik des Jahres 1741 fühlte sich der Autor durch den großen Andrang gestört, wobei er allerdings zugab, er sei zur falschen Zeit gekommen: „J’avois mal choisi mon temps. J’avois adressé à un de ces quarts d’heures de turbulence où la vûë n’a pas toutes ses aises, & où l’esprit, distrait par des tourbillons de spectateurs, est incapable de discuter les beautés ou les défauts d’un ouvrage. [...] Si l’on pouvait compter de ne trouver là que des connoisseurs, on chercheroit l’heure où la salle seroit plus fréquentée: mais ce sont des plotons tumultueux de toutes sortes de regardans, qui
77 Anne-Claude-Philippe, comte de Caylus, Dissertation sur l’amateur, Paris Sorbonne MS 1155; Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes Yb 3 18; ENSBA Archives MS 13, zitiert nach einer unveröffentlichen Transkription des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris, Forschungsgruppe Herausgabe der Conférences de l’Académie Royale de Peinture et de Sculpture, vgl. Lichtenstein/Michel 2006. 78 Le Blanc 1970, S. 171. 79 Zum Vorhaben: Montaiglon 1875–1909, VI, S. 30. 80 [anon.], Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront, Amsterdam: chez Arkstée et Merkus, 1755, [Collection Deloynes #71], S. 17–18; Diderot 1984–95, II, S. 149 (Salon de 1765). 81 [Mathon de la Cour], Lettres à Madame **, Sur les Peintures, les Sculptures & les Gravures exposées dans le Sallon du Louvre en 1763, Paris: G. Desprez et Duchesne, 1763, [Collection Deloynes #101], S. 88. 82 Sandt 1986; ders., Le Salon de l’Académie de 1759 à 1781, in: Munhall 1984, S. 82 verzeichnet die Anzahl der verkauften Kataloge zwischen 1759 und 1781. Die livrets waren ein beachtlicher Verkaufserfolg, und selbst bei einem geringen Preis von 10, bzw. ab 1771 12 sols wurden sie zu einer willkommenen Einnahmequelle für die Académie, allerdings erst ab 1755, als Marigny die Unachtsamkeit der Akademiker gutmachte und ihnen die Erlöse des Verkaufs der livrets zuschrieb, die zuvor der Sekretär einbehalten hatte. Vgl. Cochin an Marigny, 17. April 1755 sowie Marigny an Cochin, 3. Mai 1755, in: Marc Furcy-Raynaud (Hg.), Correspondance de M. de Marigny avec Coypel, Lépicié et Cochin, Paris: J. Schemit, 1904–1905, XIX, S. 84–86, 87–88.
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vous embarrassent ou que vous avez peur d’importuner par une attention trop marquée. Il est bon de leur laisser le champ libre.“83
Die Enttäuschung über das Gedränge, in dem Kunstbetrachtung unmöglich wird, verwandelt sich allerdings kurz darauf in Genugtuung. Denn nicht nur der Autor, ein „simple particulier“, sondern auch eine Gruppe hochmütiger Aristokraten muss sich damit abfinden, nicht vor der Stunde in die Ausstellung gelassen zu werden. Im Tempel der Kunst sind die Vorrechte der höheren Stände außer Kraft gesetzt, und so ist der lästige Andrang der Massen in der Ausstellung zugleich auch Zeichen der Freiheit.84 Der Mercure de France integrierte den großen Besucheransturm im Salon zunächst mühelos in die traditionelle Begrifflichkeit, wie ein Bericht des Jahres 1737 zeigt, der hier stellvertretend für zahlreiche ähnliche Besprechungen ausführlich wiedergegeben wird: „[Q]uoique le Lieu soit spacieux et vaste, il y a eû des temps, où la foule étoit telle, que malgré les bons ordres donnés, on ne pouvoit y aborder, ce qui marque l’amour et la goût de la Nation pour les Beaux-Arts, et à quel point de Perfection l’Académie de France les a portés: rien ne manque à sa gloire, si on s’en raporte au témoignage des Spectateurs, qui pleins d’admiration et de reconnaissance, ne pouvoient se lasser de loüer ceux qui ont contribué à donner à cette Capitale un Spectacle si pompeux, si aimable et si varié. Les Etrangers sont tous convenus, sans hésiter, qu’on ne pouvoit voir tant des belles, ni de si heureuses productions qu’en France: ce sont les sentiments du Public que nous exposons ici, et nous osons âjouter que ce sont les nôtres [...].. On ne fera point d’Observations sur les beautés ou les défauts, qui ont fait loüer ou censurer divers Morceaux. On n’est point assés certain des Remarques du Public, pour entrer dans ce détail; nous craindrions d’ailleurs de donner atteinte à l’exacte impartialité dont nous nous piquons [...]“.85
In dieser Besprechung sind die wichtigsten Topoi des Publikumsbegriffs zusammengefasst, wie er in den Salon-Artikeln und der Académie bis zum Ende der 1740erJahre verwendet wurde: Das Gedränge in der Ausstellung ist greifbare Evidenz für den Erfolg der Académie. Das Publikum umfasst, der absolutistischen Trias des Öffentlichkeitsbegriffs entsprechend, neben den Besuchern der Ausstellung auch die Bewunderung internationaler Beobachter und verkörpert den Ruhm („gloire“) der Académie und des Königs. Die eigene Kritik dient ausschließlich der Wiedergabe 83 [anon.], Lettre à Monsieur de Poiresson-Chamarande, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #14], S. 2. 84 Tatsächlich gab es immer wieder Ausnahmegenehmigungen, um den Salon abseits der Masse zu sehen, die besten Stücke des Salon wurden zudem auf Wunsch des Königs nach Versailles gebracht. Jules-Joseph Guiffrey (Hg.), Notes et documents inédits sur les expositions du XVIIIe siècle, Paris: J. Baur, 1873, S. 28–29, 62. 85 Mercure de France, September 1737, S. 2013–2016.
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der Meinung dieses Publikums, diese ist die einzige, die es zu äußern gibt, denn es kann nicht darum gehen, eigene Eindrücke zu beschreiben. Erst die spätere Pamphletliteratur wird den Autor erfinden, als Vertreter einer Meinung, die anderen widerspricht, und der dann wiederum widersprochen werden kann. Die Ausstellungskritik versteht sich als „Echo du Public“86 – „nous ne parlons que d’après le public“.87 Caylus bezeichnet sich und die Gemeinschaft der Kritiker in einer Ausstellungsbesprechung als „[h]istoriens“.88 Zuweilen erlaubte dies, besonders gelungene Werke mit einem kleinen Sternchen zu kennzeichnen, wie dies in einer Besprechung der Ausstellung des Jahres 1738 geschah,89 doch in der Regel war die Kritik äußerst zurückhaltend. Der Verweis auf „la décision du Public connoisseur & impartial“ definierte den Text als Kritik. „Ce n’est pas mon jugement personnel, Monsieur, que je vous donne [...]: je n’ai pas assez de présomption pour me livrer uniquement à mon goût [...]“.90 War ein klares Urteil nicht möglich, so war dies ebenso auf das Publikum zurückzuführen.91 Die livrets teilten diesen Umgang mit dem Publikum.92 Seit 1699 waren ihnen Erklärungen zu Sinn und Zweck der Veranstaltung vorangestellt, die Aufschluss darüber gaben, wie die Académie und die Kunstadministration die Ausstellungen beurteilten. Diese kurzen Vorworte wurden immer wieder leicht modifiziert, wobei vor allem in den ersten Jahren nach der Wiederaufnahme der Salons das Publikum durchaus positiv gezeichnet und als eigentlicher Adressat der Ausstellungen dargestellt wurde. Die Académie betrachtete, will man diesen kurzen Texten Glauben schenken, „le Public aussi éclairé qu’équitable“93 als Richter über ihre Ehre und den Ruhm der einzelnen Künstler. Den livrets von 1741–1743 etwa war das folgende Vorwort vorangestellt: „Le desir de la Gloire est la source des efforts que chaque Artiste fait pour atteindre à la perfection de l’Art qu’il professe. [...] Comme les suffrages du Public éclairé donnent 86 Ebd., Oktober 1738, S. 2181. Es gab auch eine Zeitschrift dieses Namens, in der 1740 eine SalonKritik erschien: [R. Bridard de la Garde], L’Echo du Public, 3, September, 1740, S. 55–70. 87 Mercure de France, September 1745, S. 137. Vgl. zur Literaturkritik die Aussage Voltaires, „Je n’etais que le secrétaire du public“. Zit. nach Voltaire, Lettre à M. Cideville sur Le Temple du Goût, in: Voltaire, Le Temple du goût, Hg. Élie Carcassonne, Genf/Lille: Droz & Giard, 1953, S. 106. 88 Mercure de France, Oktober 1751, S. 161. 89 Dies führte, wenig überraschend, zu einem Sternchenwald: Mercure de France, Oktober 1738, S. 2182–2192. 90 Charles-Etienne Presselier, Lettre sur les quatres modèles exposés au Salon, pour le mausolée de E. Mgr. Le Cardinal de Fleury, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #17], S. 381 (handschriftliche Paginierung). 91 S.o. Mercure de France, September 1737, S. 2016, oder fast wortident bereits in: Mercure de France, September 1725, S. 2254. 92 Guiffrey 1869–73, mit Angaben zur Auflage und Publikation der livrets. Zur Entwicklung und Form der livrets: Legrand 1995. 93 Guiffrey 1869–73, I (1737), S. 11.
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à chaque genre de travail son véritable prix, c’est de ses suffrages réünis que se forme la réputation.“94
Die zeitgenössische réputation, die sich aus dem Beifall des Publikums ergäbe, sei der Vorbote seines Ruhmes. Dem Publikum wurde gar zuweilen eine Rolle zugeschrieben, die eigentlich dem Monarchen entsprochen hätte: „[son] approbation est le gage le plus certain de l’immortalité!“95 Der Text unterstrich zudem, dass die Qualität des Publikums umgekehrt auch auf die Leistung der Académie zurückzuführen sei: Die Ausstellungen dienten der Verfeinerung und Belehrung des Publikums, dessen verbesserter Geschmack wiederum die wichtigste Grundlage für weitere künstlerische Erfolge darstellte. Der Fortschritt der Académie und der Fortschritt der Gesellschaft waren ein und derselbe Prozess. Dieser Interpretation des Nutzens der Ausstellung schlossen sich viele Flugschriften an.96 Die positive Bewertung des öffentlichen Urteils wurde in den livrets von 1745 und 1746 noch weiter verstärkt. Der Salon sei ein Ort der freien Kritik und des strengen Urteils, heißt es: „la vérité debarrassé des égards dûs à la société civile, dispense avec liberté la loüange & la censure & fait appréhender aux plus fameux Artistes la sévérité de ses jugemens.“ Nicht nur als Richter, sondern auch als Käufer und Auftraggeber trat das Publikum auf: „indépendamment des Ouvrages pour le Roy, le Public y verra aussi ceux q’il a fait faire, ou qui lui sont destinez.“97 Die Explication des livret des Jahres 1747 war um den Hinweis auf einen neuen Künstlerwettbewerb erweitert, der diesmal innerhalb der Salon-Ausstellung veranstaltet wurde. Dieser concours war unter elf Historiengemälden, Auftragsarbeiten für die königliche Sammlung, ausgeschrieben. Die Akten der Académie notierten, dass der Directeur des Bâtiments die Entscheidung über den Sieger den Künstlern überlasse, „comme il est persuadé de l’équité de ceux qui ont concouru, il souhaite qu’ils soient eux-mêmes les juges“. Diese einigten sich darauf, das Preisgeld, das eigentlich für sechs Preisträger gedacht war, gleichmäßig auf alle Bewerber aufzuteilen.98 Die Darstellung im livret war eine andere: Das Ausstellungspublikum – „Public équitable“ – kröne den besten Künstler.99 Dieser Darstellung folgte eine der bekanntes94 Ebd., II (1741), S. 11. 95 Ebd., II (1741), S. 12. 96 Zum Beispiel: [Saint-Yves], Observations sur les arts, et sur quelques morceaux de Peinture & et de Sculpture, exposés au Louvre en 1748, Leyde: Elias Luzac Jr., 1748, [Collection Deloynes #34], S. 4. Kurze Zeit später bedauerte der anonyme Autor einer Flugschrift, dass Rubens noch keine zeitgenössischen Kritiker gehabt habe: „Ce critique lui auroit sans doute fait ouvrir les yeux sur ce gout flamand dans le dessein, & ce trop grand éclat dans le Coloris, que bien de gens reprochent aujourd’hui, comme un fard qui ne se trouve pas dans la nature.“ Zit. nach [anon.], Lettre à M. *** au sujet de celle intitulée, Lettre à M. D., in: [anon.], Lettre sur la peinture, la sculpture, et l’architecture à M.***, Amsterdam: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #39], S. 173–174. 97 Guiffrey 1869–73, II (1745), S. 13–14. 98 Montaiglon 1875–1909, VI, S. 68–69. 99 Guiffrey 1869–73, II (1747), S. 14.
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ten Ausstellungsbesprechungen des Jahres 1747, jene des Literaten und Historikers Jean-Bernard Le Blanc, der die Teilung des Preisgeldes positiv interpretierte. Die zu gleichen Teilen vergebene finanzielle Absicherung stelle sicher, dass die Künstler ausschließlich für ihren Ruhm arbeiteten: „Juge impartial & incorruptible, c’est le Public.“100 Wie dieser Begriff aber verwendet wurde, zeigt Le Blancs Schlussfolgerung nach der Besprechung der Wettbewerbsgemälde: Um herauszufinden, welches das beste sei, sei es notwendig, die Künstler selbst zu befragen – wie dies Tournehem ja auch getan hatte.101 ‚Public‘ war kein eigener Akteur, sondern eine Art öffentlicher Aktionsraum der Académie, ein Adjektivzusatz zur Präsentationsform der Kunstausstellung. Das Publikum war der nominelle Grund, Adressat und Richter über die Ausstellungen der Académie, und bis 1747 schien das Vertrauen, das dem körperlosen ‚public équitable‘ vonseiten der Kunstadministration entgegengebracht wurde, grenzenlos. 1748 folgte ein deutlicher Bruch. Der Text des livret war völlig verändert: Bei der Ausstellung handle es sich um eine Veranstaltung des Königs für seine Académie, heißt es. Die Öffentlichkeit war nun tatsächlich zu einem Adjektiv reduziert. Zweck der Ausstellung sei es, „de rendre sa reconnoissance publique.“102 Der einzige explizite Adressat der Ausstellung war der König, dessen Förderung der Künste als wichtigstes Instrument zu deren Fortschritt dargestellt wurde. Die Rhetorik der Académie war ins Schwanken geraten. Das Vorwort der nachfolgenden drei livrets (1750, 1751 und 1753) war deutlich gekürzt und erwähnte wiederum nur König und Künstler als Akteure der Veranstaltung. Danach gab es einige Diskussionen über die Erneuerung des Katalogtexts, erhebliche Schwierigkeiten bei der Formulierung eines neuen Texts, und das 1755 schließlich publizierte Vorwort war kaum aussagekräftiger als seine Vorgänger. Es war das letzte seiner Art. Ab 1757 verfügten die livrets nur noch über mehr oder weniger ausführliche Kommentare zur Bezeichnung und Hängung der ausgestellten Arbeiten. Was war geschehen? ‚Le public‘ trat nun in Form der Kunstkritik in Erscheinung, und in Auseinandersetzung damit wurde es für die Académie zunehmend schwieriger, ihre Haltung zur Öffentlichkeit positiv zu formulieren.
Teilungen, Spaltungen Ein Jahrzehnt lang nutzte Charles Coypel die Möglichkeit, seine Arbeiten bei den Salon-Ausstellungen zu präsentieren. Doch nach seiner Ernennung zum premier peintre und Akademiedirektor zog er sich aus dem Licht der Öffentlichkeit zurück: 100 Le Blanc 1970, S. 30. 101 Angesichts der Eitelkeit der Künstler sah Le Blanc allerdings vor, alle einzeln über das beste Gemälde außer dem eigenen abstimmen zu lassen. Ebd., S. 76. 102 Guiffrey 1869–73, II (1748), S. 14.
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„M. Coipel, [...] dépuis qu’il est premier peintre du Roi, a refusé constamment au public la satisfaction d’admirer ses ouvrages.“103 Coypel hatte das Publikum als seinen Richter angerufen, doch dessen Antwort war anders, als er erwartet hatte. Ab 1738 zogen die Ausstellungen Besprechungen abseits des Mercure de France an,104 in denen ein neuer Öffentlichkeitsbezug bildender Kunst formuliert wurde: der Vergleich des (ausgestellten) Kunstwerks mit dem (publizierten) Buch. Jürgen Habermas hat als Beleg für die räsonierende Kunstöffentlichkeit des 18. Jahrhunderts auf die bekannte Maxime La Font de Saint Yennes verwiesen: „Un Tableau exposé est un Livre mis au jour de l’impression. C’est une pièce représentée sur le théâtre: chacun a le droit d’en porter son jugement.“105
La Font de Saint Yenne zog damit eine neue Konsequenz aus der alten Schwesternschaft von Malerei und Poesie: Die Ausstellung von Kunstwerken sei wie die Bühnenaufführung eines Theaterstücks, wie die Publikation eines Buchs: Publizität legitimiert Kritik. Dies war ein Gedanke, der in der klassischen Literaturtheorie längst formuliert war: Antoine Houdar de La Motte hatte von einem „droit naturel du Public, de juger des écrits qu’on lui expose“ gesprochen,106 und vielleicht noch bekannter war die Aussage Boileaus: „En effet, qu’est-ce que mettre un ouvrage au jour? N’est-ce pas en quelque sorte dire au public: Jugez-moi. Pourquoi donc trouver mauvais qu’on nous juge?“107 Doch trotz dieser theoretischen Legitimation traf La Font de Saint Yenne in der Ausübung dieses Rechts auf den Widerstand der erzürnten Akademiker. Seine 1747 veröffentlichten Réflexions sur quelques causes de l’État présent de la peinture en France, avec un Examen des principaux Ouvrages exposés au Louvre sorgten für erhebliche Aufregung und lösten eine Reihe von nachfolgenden Publikationen aus. Wie der Titel seiner Schrift zeigt, handelte es sich eigentlich um ein kulturpolitisches Traktat, in das Kritik an den ausgestellten Gemälden, Skulpturen, Zeichnungen, Grafiken und Medaillen eingefügt war. Die eigentlichen kunstkritischen Passagen wandelten im Wesentlichen auf bereits bekannten Wegen: Zuweilen erschien ein Arm zu kurz oder zu lang, eine heilige Anna zu alt oder eine Farbgebung naturwidrig. Weiter ging das Interesse des Autors nicht. Die Titulierung als ‚erster Kunstkritiker‘ – eine Rolle, die unweigerlich entweder La Font oder Denis Diderot zugeschrieben wird – ist wenig 103 Lettres écrites de Paris à Bruxelles sur le Salon de peinture de l’année 1748, in: Revue Universelle des Arts, X, 1859, S. 442. 104 Einen Überblick gibt Neil McWilliam (Hg.), A Bibliography of Salon Criticism in Paris from the Ancien Régime to the Restauration, 1699–1827, Cambridge: Cambridge University Press, 1991. 105 [La Font de Saint-Yenne], Réflexions sur quelques causes de l’état présent de la Peinture en France. Avec un Examen des principaux Ouvrages exposés au Louvre le mois d’Août 1746, La Haye 1747, La Font 2001, S. 45. 106 Antoine Houdar de La Motte, Réflexions sur la critique, Paris: G. Du Puis, 1716, S. 21. 107 Boileau 1873, S. 7.
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treffend: La Fonts Hauptinteresse war die Kunstpolitik. Um die traumatische Wirkung dieser Schrift auf die Académie108 zu verstehen, ist es notwendig, nicht nur die recht maßvolle Negativkritik an einzelnen Kunstwerken, sondern die Publikation als Ganzes zu berücksichtigen: Im Unterschied zu früheren Ausstellungsbesprechungen wählte La Font nicht die Form (vorgeblich) privater Korrespondenz,109 das Medium freundschaftlichen Austauschs, sondern richtete seine offene Schrift an den anonymen „lecteur“, die Öffentlichkeit. Als Rechtfertigung für seine kunstkritischen Ambitionen berief La Font sich auf einen im Vorjahr im Mercure de France publizierten Artikel, der die Notwendigkeit einer eingehenden Kritik der ausgestellten Arbeiten erläuterte. Darin war die Rolle des Kritikers hoch angesetzt: Er müsse nicht nur über Kenntnisse verfügen, sondern auch über „cette aménité de style, qui sçait rendre la critique utile sans blesser. Un pareil ouvrage instruiroit par degrés, & insensiblement mettroit les Spectateurs qui ont quelque génie en état de ne pas hazarder des jugemens aussi bizarres que ceux que j’ai quelquefois entendus [...]“.110 Der kompetente und wortgewandte Kritiker sollte nicht die Künstler, sondern zuallererst das Publikum belehren. Wie seine Vorgänger stellte La Font seine Kritik als die Meinung des Publikums dar. „Le Public pense à peu près de même des Tableaux du Sieur Natoire“, oder „Deux Tableaux du Sieur Collin de Vermont ont arrêté agréablement les yeux des spectateurs“, so reklamierte er die Stimmen des Publikums für sich.111 Doch dieses Bekenntnis war nicht ungebrochen: Zweifellos urteilte das Publikum nicht immer richtig, und so präzisierte La Font, wessen Stimmen er der Veröffentlichung für würdig befand: „[Je suis] persuadé que ce même Public, dont les jugements sont si souvent bizarres, et injustes par leur prévention ou leur précipitation, se trompe rarement quand toutes se voix se concilient sur le mérite ou sur les défauts de quelque ouvrage que ce soit. C’est avec les égards les plus scrupuleux, et l’intention très réelle de ne désobliger personne, que l’on rapporte les jugements des connaisseurs judicieux, éclairés par des principes, et encore plus par cette lumière naturelle que l’on appelle sentiment, parce qu’elle fait sentir au premier coup d’œil la dissonance ou l’harmonie d’un ouvrage, et c’est ce sentiment qui est la base du goût, j’entends de ce goût ferme et invariable du vrai beau, qui ne s’acquiert presque jamais, dès qu’il n’est pas le don d’une heureuse naissance.“112 108 Von anderer Seite gab es auch positive Kritik: Le Blanc 1970, S. 4, 11; [Abbé Gougenot], Jugement des Journalistes de Trévoux sur cet ouvrage [Collection Deloynes, #24]. 109 Vgl. [Neufville de Brunhaubois-Montador], Description raisonnée des tableaux exposés au Louvre, [s. l.] [s. n.] [1738]; ders., Description raisonnée des tableaux exposés au Salon du Louvre, [s. l.] [s. n.] [1739], [Collection Deloynes #8; #11] bzw. [anon.], Lettre à Monsieur de PoiressonChamarande, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #14]. 110 M. Bonneval, Lettre à M. de La Tour, in: Mercure de France, Oktober 1746, S. 137. 111 La Font 2001, S. 68, 70 (Réflexions). 112 Ebd., S. 45–46.
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Es handelte sich um die Kenner/Kritiker, deren Wissen über die Malerei sich einer geniegleichen „heureuse naissance“ verdankte. Ihre Begabungen kämen derjenigen der Künstler nahe, seien jedoch aufgrund von Unvoreingenommenheit und aufgrund der Gefühlsbasiertheit ihres Urteils, „sans attention servile aux règles“, überlegen.113 Das „sentiment“ war daher nicht, wie bei Du Bos, das Vorrecht eines breiten Publikums, sondern, ganz gegenläufig zu dessen Interpretation, das der Kenner/Kritiker. Der ehemalige gentilhomme de la reine, der bis 1737 in Versailles gedient hatte, wollte mit den Réflexions dem drohenden Untergang der französischen Kunst ein exemplarisches Modell entgegenstellen: das Grand Siècle der Kulturpolitik Colberts.114 Nicht die zeitgenössische Öffentlichkeit, als die er sich selbst so unüberhörbar äußerte, war sein Maßstab für Qualität und Ruhm, sondern die Tradition des âge classique. In einer flammenden Kritik am zeitgenössischen Rokoko und am Niedergang der akademischen Prinzipien beklagte La Font die Marktexponiertheit der Kunst. Die Gemälde seien auf die Straße hinausgejagt worden, „pour être traînés dans les rues, y essuyer les outrages de la boue, et être exposés tous les jours sans aucune défense à être mis en pièces par [...] les embarras infinis des voies publiques“.115
Die Öffentlichkeit von Stadt, Straße und freier Meinungsäußerung befand La Font offensichtlich als den falschen Ort für die Kunst. Der einzige Weg, um die französische Malerei zu einer neuen Blüte zu bringen, sei eine Rückorientierung hin zur Malerei des vergangenen Jahrhunderts, und so forderte er die Errichtung eines öffentlich zugänglichen Museums aus den Beständen der königlichen Sammlung im Louvre, dessen ruinösen Zustand er als Sinnbild des Verfalls der französischen Kultur darstellte.116 La Font teilte mehrere Anliegen der Académie und eines ihrer Amateurmitglieder, Louis Petit de Bachaumont, der als Berater, Kritiker und Kunsthändler tätig war. Auch Bachaumont wünschte die Errichtung eines öffentlichen Museums, auch ihm war die Belebung des Louvre ein wichtiges Anliegen. Er publizierte 1751 zu dieser Frage ein Mémoire sur le Louvre und entwarf das Konzept des staatlichen Kul113 Ebd., S. 46. 114 Die Idealisierung der frühabsolutistischen (Kultur-)Politik, die 1751 in Voltaires Siècle de Louis le Grand kulminierte, war kein isoliertes Projekt La Fonts, sondern spiegelt sich auch in den conférences der Académie und in der Amtsführung des neuen Directeur des Bâtiments Le Normant de Tournehem wider, der explizit an Colbert anschließen wollte. Christian Michel, Cochin et l’art des lumières, Rom: Ecole française de Rome, 1993, S. 65–68; Nicole Ferrier-Caverivière, Le Grand roi à l’aube des Lumières, 1715–1751, Paris: Presses universitaires de France, 1985. Bereits 1725 hatte La Font eine Ode sur le progrès de la peinture sur le règne de Louis le Grand als Empfehlungswerk an den jungen Ludwig XV. verfasst. 1749 griff er das Thema in einem ‚Pendant‘ (Jollet) zu den Réflexions mit dem Titel L’Ombre du grand Colbert nochmals auf. Vgl. La Font 2001, S. 37–41, 120–190. 115 La Font 2001, S. 50 (Réflexions). 116 Ebd., S. 55–56.
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turerbes (patrimoine) als Maßstab für die Leistungen der eigenen Generation und als denkmalpflegerischen Auftrag. Auch Bachaumont übte zuweilen harte Kritik an den ausgestellten Arbeiten – doch tat er dies in Briefform, ohne weiter reichende Publizität.117 Während La Font außerhalb der Académie stand, hatte Bachaumont beste Verbindungen sowohl zu Charles Coypel als auch zu den jeweiligen directeurs der Königlichen Bauten und beriet Coypel und Le Normant de Tournehem bei der Akademiereform der späten 1740er-Jahre. Zu Recht bezeichnete Bachaumont La Font als einen „amateur très zélé des Beaux-Arts“.118 Ein derartig nachdrückliches Engagement für die französische Kulturpolitik hatte es außerhalb der Académie noch nicht gegeben. Einige der von ihm publizierten Reformvorschläge wurden befolgt, darunter die Öffnung der königlichen Kunstsammlung, allerdings nicht im Louvre, sondern dem tatsächlichen ersten französischen Museum, dem Musée du Luxembourg, im Jahr 1750.119 Dass La Font aber kein Fürsprecher einer bürgerlichen oder von einer diskursiven Öffentlichkeit getragenen Kunst war, machte er selbst deutlich. Er sah Kunstkritik als Teil seiner gesellschaftlichen Pflicht als „citoyen“, und dies war kein bürgerliches Konzept: Der erste „citoyen“ war immer noch Colbert, das Pariser Bürgertum hingegen beschrieb er als „singe éternel de la Cour sans pouvoir lui ressembler qu’en ridicule“.120 Die Diskrepanz zwischen der Beanspruchung und Öffnung eines diskursiven Raums durch die Publikation der Réflexions und der darin geäußerten gesellschaftspolitischen Auffassung ist daher groß. Kunst war für La Font ein Anliegen des Staates, und sein kunstpolitisches Engagement wurde durch eine Begeisterung für die straff organisierte Administration der hochabsolutistischen Regierung geschürt. Obwohl La Font selbst nicht am Konzept bürgerlich-emanzipatorischer Öffentlichkeit interessiert war, lösten seine Schriften, ebenso wie die heftige Gegenwehr darauf, ein stetiges Wachsen des diskursiven Raums aus, in dem sich die akademischen Kunstausstellungen zu verorten hatten: Die Bibliografie der Salon-Kritiken verzeichnet sechs Einträge für das Jahr 1737, 15 für 1755, 40 für 1785.121 Den Auftakt dazu machte die Kontroverse um die Réflexions, und obwohl La Font sich nach-
117 Zu Bachaumont: Olivier 1976, S. 176–201. Olivier lehnt an anderer Stelle die traditionelle Zuschreibung der Mémoires secrets an Bachaumont ab: Louis A. Olivier, Bachaumont the chronicler: a questionable renown, in: Studies on Voltaire and the eighteenth century, 143, 1975, S. 161–179. 118 La Font 2001, S. 10. 119 McClellan 1994, S. 13–48. Anlässlich der Eröffnung des Musée du Luxembourg wies ein Artikel im Mercure de France implizit alle Verbindlichkeiten bei La Font de Saint Yenne zurück: „M. de Tournehem […] vient d’éxécuter un projet si simple, que tout le monde croît l’avoir imaginé, & si heureux que plusieurs personnes voudroient faire penser qu’elles en ont fourni l’idee.“ Zit. nach Mercure de France, Dezember 1750, S. 147. 120 La Font 2001, S. 122 (L’Ombre du grand Colbert) sowie S. 64 (Réflexions). 121 McWilliam 1991, S. 5–6, 85–90.
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drücklich von den „coupables calomnies“ distanzierte,122 wurde er noch Jahrzehnte später für die Entstehung der kunstkritischen Pamphlete verantwortlich gemacht. Viele Autoren nahmen seine Réflexions als Grund – oder Vorwand – für ihre eigenen Publikationen: Das falsche Urteil erforderte eine Richtigstellung. Es hagelte Kritik an La Fonts Réflexions, weitere Ausstellungskritiken, Kritiken an diesen Kritiken, Entgegnungen, und so fort.123 Viele der Pamphlete widmeten sich der Zurückweisung der Kritik als solche: die Schüler der Académie verlören die Ehrfurcht vor ihren Professoren;124 Herabwürdigungen eines Künstlers gefährdeten dessen Lebensgrundlage;125 der Ruf der Ecole française im Ausland sei gefährdet; das Genie würde durch Kritik gehemmt (bzw. eingefroren: „congellation d’esprit“ nennt der Autor diesen Vorgang); die Künstler könnten von weiteren Ausstellungen abgehalten werden.126 La Font veröffentlichte weitere Schriften, in denen er sich gegen solche Aussagen wehrte. Ohne die Kritik der unparteiischen Öffentlichkeit (nun zu einer kleinen, maskulinisierten, rationalisierten Gruppe verdichtet), seien Ausstellungen nur eitle Spektakel: „Ce n’est donc que dans la bouche de ces hommes fermes et équitables qui composent le Public, et qui ne tiennent aux Auteurs ni par le sang, ni par l’amitié ni par la perfection, 122 La Font 2001, S. 130 (L’Ombre du grand Colbert); sowie in einem Lettre à l’Auteur du Mercure contenant une justification de l’auteur sur des Brochures qu’on lui a injustement attribuées. Vgl. La Font 2001, S. 191–194. 123 Zu einer Übersicht der Schriften der späten 1740er-Jahre: Michel 1993, S. 228–229. Einen Einblick in die Komplexität dieser Texte gibt die anonym publizierte Schrift Lettre sur la peinture, la sculpture, et l’architecture à M. ***, Amsterdam: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #39], die den im Titel angekündigten dreiteiligen Brief (unterteilt in eine Kritik an La Fonts Réflexions, eine Kritik an einer Ausstellungsbesprechung Jean-Bernard Le Blancs – die ebenfalls eine Antwort auf La Fonts Réflexions darstellt – und eine eigene Besprechung des Salon), zusätzlich noch einen dem Mercure de France entnommenen Artikel und drei Texte über de Troy enthält. Der Haupttext wird dem Akademiemitglied Louis Gougenot zugeschrieben. Vgl. Michel 1993, S. 231. Der vorletzte Artikel stammt möglicherweise von Charles Coypel: Jean Larans Zuschreibung ist hinsichtlich des Publikationsorgans, der zahlreichen Verweise auf die Theaterliteratur und der augenscheinlichen Lust des Autors, ‚richtige‘ Kritik vorzuexerzieren, glaubwürdig. Vgl. Louis Gougenot, L’éxposition des tableaux du Roi au Luxembourg en 1750, Hg. Jean Laran, Paris (Nogent-le-Rotrou): Daupeley-Gouverneur, 1909, passim. Dagegen hat Christian Michel eine ältere Zuschreibung an Alexandre Tanevot übernommen. Vgl. Michel 1993, S. 229. 124 [Claude-Henri Watelet], Lettre des jeunes élèves de Peinture, à M. L. F., [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #29]. 125 [Charles-Nicolas Cochin], Réflexions sur la Critique des Ouvrages exposés au sallon du Louvre [...], Mercure de France, Oktober 1757, II, S. 170–184; Handschriftliche Notiz, [Collection Deloynes #23]. 126 [anon.], Lettre à M. D*** sur celles qui ont été publiées recemment, in: [anon.], Lettre sur la peinture, la sculpture, et l’architecture à M.***, Amsterdam: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #39], S. 151 (Zitat); Charles-Antoine Coypel, Dialogue [...] sur l’exposition des Tableaux dans le Sallon du Louvre, en 1747, in: Coypel 1971, S. 97.
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16 Claude-Henri Watelet, La Font de Saint-Yenne, ca. 1750, Radierung, Paris, BN.
que l’on peut trouver le langage de la vérité. L’opinion que je combats est d’autant plus singulièrement étonnante que ceux qui en sont les inventeurs la condamnent eux-mêmes, en exposant toutes les années leurs Ouvrages aux jugements du Public; exposition qui ne serait plus qu’un vain spectacle pour amuser la curiosité et braver la critique réservée aux gens de l’Art, et à leurs infaillibles Confrères.“127
Die Akademiker reagierten auf La Fonts Schrift mit ihren eigenen Waffen und publizierten eine anonyme Karikatur auf den Kritiker (Abb. 16) in Form einer Adaptierung eines Gemäldes von Chardin. In der Rolle des Aveugle de l’Hôpital des QuinzeVingts128, des blinden Bettlers, fehlten dem Kritiker, was für das ästhetische Urteil am dringendsten notwendig war: die (natürlichen) Augen. In einer Besprechung der „jolie Estampe“ durch den Mercure de France, die eine deutliche Parteinahme darstellte, hieß es, diese Karikatur sei die beste Antwort auf die „mauvaises brochures“, die seit. . 127 La Font 2001, S. 97–98 (Lettre de l’auteur des Réflexions sur la peinture). 128 Kat. Chardin 1999, S. 161–162.
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17 Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d'Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel III, Paris, BN.
18 Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d'Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel VIII, Paris, BN.
einiger Zeit zirkulierten. Es folgte die Persiflage einer Ausstellungskritik, in der Ignoranz und Profitsucht der Kritiker parodiert wurden.129 Mariette, der so wie später Bachaumont beteuern sollte, La Font von der Publikation der Réflexions abgeraten zu haben, hinterließ ebenfalls eine Beschreibung des Autors im Sinne der Karikatur: „celui, qui se croit avoir des yeux, & qui vis-à-vis des Tableaux qu’il censure, n’est réellemens qu’un aveugle, qui ne voit qu’avec ceux qui comme lui sont sans yeux.“ Wie Bachaumont unterschied auch Mariette sehr deutlich zwischen öffentlich und persönlich geäußerter Kritik, die dem Ethos der Académie entsprach: „autre chose est de dire confidemment ce que dicte l’amitié, autre chose est de les laisser écrire imprudemment à la plume, et de faire imprimer des absurdités.“130 Oder, wie es Charles Coypel formulierte, Kritik sei etwas, „qu’un homme modeste & vraiment zélé ne doit hazarder qu’en particulier.“131 Der Sekretär der Académie, Charles-Nicolas Cochin, machte La Font in einer Streitschrift noch 1763 persönlich für „l’usage odieux des critiques imprimées contre les Artistes“132 verantwortlich und ließ ihn in der Unterwelt für seine Sünden büßen. Für diese Publikation gestaltete Cochin mehrere Vignettendarstellungen, die die Verblendung der Kritiker illustrieren sollten (Abb. 17–18). Einmal mehr tauchte der Topos der Blindheit auf. Mit verbundenen Augen, eine Brille an die Seite geheftet, schreibt der Kritiker auf, was ihm zugerufen wird: „L’ignorance grossiere, le bandeau toujours sur les yeux, s’attache en tâtonnant à chercher toujours des défauts sans 129 Mercure de France, Dezember 1750, I, S. 153–154. ‚Mauvais livres‘ war die gängige Bezeichnung der Polizei für die klandestinen Schriften des 18. Jahrhunderts. Robert Darnton, The Forbidden Bestsellers of Pre-Revolutionary France, London: Harper Collins, 1996, S. xx. 130 Handschriftliche Notiz, [Collection Deloynes #23]. 131 Charles-Antoine Coypel, Dialogue [...] sur l’exposition des Tableaux dans le Sallon du Louvre, en 1747, in: Coypel 1971, S. 96. 132 Charles-Nicolas Cochin, Les Misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d’Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, S. 3.
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entrevoir jamais les plus grandes beautez.“133 Der Kritiker ist nicht der willfährige Sekretär des Publikums, sondern einer einzelnen Stimme, die ihm zum Urteil der Öffentlichkeit vergrößert erscheint. Eine Variante des blinden Schreibers zeigt nicht nur seine Dummheit, sondern auch seine Bösartigkeit: Der Satyr hält dem Autor die Augen zu und flüstert ihm die Kritik ein. Als ihr Direktor war Charles Coypel für die offizielle Reaktion der Académie verantwortlich. La Fonts Réflexions erschienen im Juni 1747, am 1. Juli 1747 wiederholte Coypel die Lesung seines Discours sur la nécessité de recevoir des avis, der, um den Hinweis auf dessen praktische Konkretisierung in den regelmäßigen Ausstellungen der Académie erweitert, im August im Mercure de France abgedruckt wurde: Der ‚falschen‘ Kritik La Font de Saint Yennes entgegnete die Académie mit der Beschreibung des ‚richtigen‘ Beurteilungsrahmens. Anfang August, kurz vor der Eröffnung der neuen Ausstellung, reagierte Coypel neuerlich mit der Lesung einer conférence, die diesmal direkter auf La Fonts Text gemünzt war, und zwar mit dem Dialogue sur l’exposition des Tableaux dans le Sallon du Louvre.134 Darin griff er gezielt diejenigen beiden Paradigmen an, auf denen die bisherige Rhetorik der Académie und der Ausstellungsbesprechungen aufbauten, und zwar, dass das Publikum in den Kunstkritiken oder in den Salon-Besuchern zu finden sei. Im Dialog wird diese Frage von einem Amateur und seinem Freund verhandelt: „Le grand Corneille demandoit autrefois où logeoit le public? Moi, je soutiens que dans le Salon ou l’on expose les Tableaux, le public change vingt fois le jour. Ce qu’admiroit le public a dix heures du matin est blâmé publiquement à midi. Oui, vous dis-je, ce lieu peut vous offrir dans le cours d’une seule journée vingt publics de caractères & de tons differens. Public simple en certains moments, & ce public n’est pas celui qu’on devroit le moins écouter: public partial, public léger, public envieux, public esclave du bel air, qui pour décider veut tout voir, & n’examine rien. [...] Cependant, je veux bien supposer que le Salon pût être toujours rempli des mêmes sortes de gens, croyez, qu’après les avoir écoutés, vous n’auriez encore entendu que la multitude, & point du tout ce public auquel on doit s’en rapporter. Ne confondons point l’une avec l’autre; la multitude accourt d’abord avec fureur, parle avec véhemence, craint de perdre en réflechissant le peu de momens qu’elle consacre à prononcer ses oracles. Mais le tems à la fin modère ses emportemens: c’est alors [...] qu’on peut entendre le sage public qu’elle cachoit dans son sein, & dont elle étouffoit la voix. Ce fut la multitude qui fit tomber Phèdre & le Misantrope, c’est le public qui les a relevés.“135
133 Coypel 1721, Préface, [n. p.]. 134 Montaiglon 1875–1909, VI, S. 62–63; Dialogue de M. Coypel [...] Sur l’exposition des Tableaux dans le Sallon du Louvre, en 1747, in: Mercure de France, November 1751, S. 59–73 sowie in Coypel 1971, S. 95–98. 135 Coypel 1971, S. 96. Vgl. eine ähnliche Darlegung dieser Ansicht durch den Marquis d’Argens: [Jean-Baptiste de Boyer, marquis d’Argens], Mémoires secrets de la république des lettres, ou, la théâtre de la vérité, par l’auteur des lettres juives, Amsterdam, 1744, VII, S. 155–156.
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Anstatt die Anrufung des ‚einfachen‘ Publikums zurückzuweisen oder den Sinn der Ausstellungen in Frage zu stellen – zwei Herzstücke seiner früheren Argumentation –, versuchte Coypel, den gängigen Publikumsbegriff durch Differenzierung bis zur Zersplitterung kampfunfähig zu machen. Im Salon werde man nicht das Publikum finden, an dem man sich orientieren sollte, sondern sein Zerrbild, die unfassbare, sich ständig wandelnde multitude. Das wahre Publikum überführte Coypel, dem bekannten Topos entsprechend, in die Kategorie Zeit: Es sei in den Tiefen der Menge zu finden. In seiner Brust versteckt und erstickt von den Stimmen dieser multitude, komme seine Weisheit erst Stück für Stück zum Tragen. Mit der Gegenüberstellung des idealen Publikums (‚public‘) auf der einen, und der versammelten heterogenen Menschenmenge der Ausstellungsbesucher (‚multitude‘) auf der anderen Seite tat Coypel einen wichtigen Schritt. Sein Begriff multitude verwies auf die ungeordneten, rasch wechselnden Meinungen der Menge, die nie das auf Einigkeit bzw. Einheitlichkeit basierende Urteilsvermögen des Publikums repräsentieren konnten. Die Kritik zielte dabei nicht auf das ‚niedere Volk‘, das so zahlreich zum Ansturm auf die Salons beitrug und dem schlimmstenfalls staunende Ignoranz vorgeworfen wurde.136 Das wahre Problem war die vielfältige, unberechenbare Menge, die im falschen Urteil und den Kritiken ausgedrückt war. Gegenüber dem Begriff ‚Masse‘, der seit dem 19. Jahrhundert eine Reihe von Inszenierungen erfahren hat, die auf Uniformität verweisen, steht ‚Menge‘ für die Unabgeschlossenheit, Wandelbarkeit und Heterogenität einer Ansammlung von Menschen. Polybios beschrieb sie aufgrund ihrer Unberechenbarkeit und Emotionalität als entwicklungshemmend und staatsgefährdend, als „Feind jeder auf Vernunft gegründeten zivilisatorischen Ordnung“.137 In einer Grammatik der Multitude hat Paolo Virno beschrieben, wie diese politische Figur in einer ähnlichen Denkbewegung im 17. Jahrhundert als Gegenpol zum identitären Konzept des Volks entworfen wurde. Für Spinoza war die multitudo die „soziale und politische Existenzform der Vielen Als Viele“, die sich nicht in einer Einheit binden lässt, aber ein immerwährendes, beständiges Phänomen und damit eine politisch relevante kollektive Größe darstellt. Dagegen sah Thomas Hobbes darin eine Antithese zur politischen Einheit, die es im staatlichen Entscheidungsmonopol zu überwinden galt.138 In dieser Logik 136 „[C]e Vulgaire grossier qui n’aporte au SALON que des yeux ignorans, plus avides d’être ébloüis par la quantité des Ouvrages, que satisfaits par des qualités qu’ils ne seroient pas en état d’y remarquer.“ [R. Bridard de la Garde], L’Echo du Public, 3, September, 1740, S. 56. 137 Michael Gamper, Masse lesen, Masse schreiben. Eine Diskurs- und Imaginationsgeschichte der Menschenmenge 1765–1930, München: Fink, 2007, S. 13. 138 Baruch de Spinoza, Politischer Traktat/Tractatus politicus, Hg. Wolfgang Bartuschat, Hamburg: Felix Meiner, 1994 (=Sämtliche Werke Band 5.2); Thomas Hobbes, Vom Bürger, in: ders., Vom Menschen. Vom Bürger. Elemente der Philosophie II/III, Hg. Günter Gawlick, Hamburg: Felix Meiner, 1994, bes. Kap. 6, S. 130–131 (Anmerkung); Kap. 12, Pkt. 8, S. 198–199. Zur Bildtradition um Hobbes’ Leviathan: Horst Bredekamp, Thomas Hobbes. Der Leviathan. Das Urbild des modernen Staates und seine Gegenbilder 1651–2001, Berlin: Akademie Verlag, 2006.
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diente die ‚multitude‘ als negative Konturierung, als Bezeichnung für das „niedrige, feige, wilde und gemeine Außen des Staatsvolkes“.139 Für das 18. Jahrhundert ist ein vergleichbarer Befund festzustellen: ‚Public‘ (die Öffentlichkeit, die politisches Handeln legitimierte) wurde zu einem Schlüsselbegriff der Aufklärung.140 ‚Multitude‘ blieb ein Gegenbegriff, der nun an den Rändern des aufklärerischen Projekts angesiedelt war, ohne dabei klar feststehende soziale Determinanten zu umfassen. Sie war das ‚konstitutive Außen‘, das nicht zur sprachlichen Äußerung fähige ‚Andere‘ par excellence. Getreu der stoischen Philosophie wiederholte sich in der Scheidung der Menge vom Publikum diejenige der Meinung vom wahren, kommunizierbaren Wissen. Entscheidend war daher ihre strukturelle Verfasstheit: unabgeschlossen, wankelmütig und uneinheitlich war die Menge, was ihre Schließung zur Öffentlichkeit (‚public‘) unmöglich machte.141 Eigentlich bedeutete ‚multitude‘ nichts anderes als ‚Menge‘, und Coypels Verwendung des Begriffs war nicht verbindlich. Die Menge als negative Figur antwortete auf eine spezifische historische Situation: auf die Menschenansammlungen in den Ausstellungen (Abb. 19) und auf die Kunstkritik. Das Publikum als geschlossene Gruppe konnte nicht nur eine lose, zufällige Ansammlung von Privatleuten darstellen, es musste mehr bedeuten als nur die Summe verstreuter Einzelteile. In der Kunstkritik wurde die multitude als ein monströser Körper imaginiert, in unterschiedliche Richtungen gezogen von seinen zahlreichen Köpfen, deren Münder unterschiedliche Meinungen äußerten („corps entraîné en sens contraire par plusieurs têtes, dont chaque bouche ouvre autant d’avis différens“).142 Der Begriff ‚multitude‘ hat eine lange Tradition in der Theaterliteratur, die Coypel bekannt gewesen sein muss. Zuweilen konnte er eine positive Charakterisierung darstellen, da auch dieses Publikum den Keim des wahren Urteils in sich trage (und es war diese Interpretation, die Du Bos aufgegriffen und weiterentwickelt hatte): „Ce n’est pas mon dessein d’examiner maintenant si [...] tous ceux qui s’y sont divertis ont ri selon les règles [...]. En attendant cet examen, qui peut-être ne viendra point, je m’en remets assez aux décisions de la multitude, et je tiens aussi difficile de combattre un ouvrage que le public approuve, que d’en défendre un qu’il condamne.“143
139 Klaus Neundlinger, in: Paolo Virno, Grammatik der Multitude. Öffentlichkeit, Intellekt und Arbeit als Lebensformen, Wien: Turia + Kant, 2005, S. 10–11 sowie Paolo Virno, ebd., S. 25–28. 140 Melton 2001, passim. 141 Dies ist keine Anlehnung an das von Michael Hardt und Antonio Negri entworfene MultitudeKonzept. Hardt/Negri verwenden einen emanzipatorisch aktivierten Begriff als eine dem Verständnis von ‚public‘ des 18. Jahrhunderts nahe kommende Synthese von Einheit und Vielfalt, in Absetzung von der Uniformität der Masse. Vgl. Michael Hardt/Antonio Negri, Multitude. Krieg und Demokratie im Empire, Frankfurt a. Main/New York: Campus, 2004, bes. S. 121–134. 142 [Louis-Guillaume Baillet de Saint-Julien], La Peinture. Ode de M. Telliab traduite de l’anglois par M. ***, un des Auteurs de l’Encyclopédie, London: [s. n.], 1753, [Collection Deloynes #57], S. 4. 143 Avertissement, Les Fâcheux, Molière 1971, I, S. 483.
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19 Gabriel de Saint-Aubin, Vue Du Salon Du Louvre en l’année 1753, 1753, Radierung, New York, The Metropolitan Museum of Art.
Meistens aber fielen die Urteile wesentlich härter aus. La Mesnardière beschrieb den „humeur großiere & farouche d’une brutale multitude“ als Geißel des Theaters und Grund für dessen Verirrungen: „ce Monstre, qui n’aime que les bassesses, les ris & les bouffoneries.“144 Diese ‚Menge‘ war nahe am traditionellen Bild des parterre, dem „animal à tant de testes & à tant d’opinions“ (Georges de Scudéry), dem „manyheaded Monster of the Pit“ (Pope).145 144 Hippolyte-Jules Pilet de La Mesnardière, La Poétique, Paris: Antoine de Sommaville, 1639, I, S. K–L. 145 Georges de Scudéry, L’apologie du théâtre, Paris: A. Courbé, 1639, S. 97; Pope 1993, IV, S. 221 (Imitations of Horace, Z 305). Vgl. Lough 1957, S. 65–70. Die Tiermetaphorik hatte auch innerhalb der politischen Rhetorik des 17. Jahrhunderts Konjunktur: In Furétieres Wörterbuch findet man das Volk unter dem Eintrag ‚Hydra‘: „le peuple est une hydre à cent testes.“ Zit. nach Furétiere 1690, ‚Hydra‘. Vgl. Ravel 1999, S. 76. Zur englischen Tradition: Christopher Hill, The Many-Headed Monster, in: ders., Change and Continuity in Seventeenth-Century England, Cambridge: Harvard University Press, 1975, S. 181–204. Zur Fortführung dieses Diskurses im
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Im 18. Jahrhundert wurde multitude als Charakterisierung verschiedenster Gegenbilder zum Publikum verwendet. Der Begriff umfasste nur wenige feststehende soziale Determinanten und sagt daher mehr über die projektierte Verfasstheit von ‚public‘ aus. „Il est plus aisé de dire ce que ce Temple n’est pas, que de faire connaître ce qu’il est“,146 meinte Voltaire über den Temple du Gout, und so waren die Aussagen über die Menge zahllos. Die verschiedenen Nuancierungen des Begriffs dienten dazu, eigene Rezeptionsideale herauszustreichen. Diderot etwa wandte sich damit nicht gegen Heterogenität, sondern gegen mangelnde ästhetische Sensibilität und stumpfes, rein mechanisches Fassungsvermögen.147 Die häufigste Kritik jedoch geschah durch die Abgrenzung vom überzeitlichen Ruhm, der im berechtigten Urteil des Publikums etabliert werden sollte. Die multitude war nicht nur, wie die traditionelle Figur des Volkes, uneigenständig und willfährig, sondern wild, unberechenbar und launisch, sie stand für die momentane, unbeständige Verwirrung, bevor die Zeit die Wahrheit hervorbringen könne. Nach dieser Vorstellung konnte die Menge kein Urteil, sondern bestenfalls eine Farce hervorbringen – und dieser Farce widmete sich eine Flut von Ausstellungsbesprechungen des 18. Jahrhunderts mit zumindest ebenso viel Aufmerksamkeit wie den ausgestellten Bildern. Häufig wurden Vertreter der Menge zu vorgeblichen Autoren der satirischen Pamphlete: ein Blumenmädchen aus der Provinz, ein Blinder, ein vierzehnjähriges Kind gaben Urteile über die ausgestellten Kunstwerke ab. Das livret diente bald nicht nur als Orientierungshilfe für den Gang durch die Ausstellung, sondern ungewollt auch als Leitfaden für diese Pamphlete, die in der Regel die kritisierten Kunstwerke einfach nach der Reihenfolge oder Nummerierung im offiziellen Katalog besprachen, den sie auch formal nachahmten. Viele solcher Broschüren wurden am Eingang zum Salon verkauft, und mit einem Pamphlet in der Hand konnte sich jeder Besucher, jede Besucherin eine alternative, zuweilen subversive Lektüre der Ausstellung und damit zusätzliches Amüsement verschaffen. Mit den Ansprüchen an das Urteil der zeitgenössischen Öffentlichkeit wuchs auch die Notwendigkeit, dessen Charakteristika und Grenzen zu definieren. Widersprüchlichkeiten innerhalb des Publikums – die unendlichen „contrariétés dans le public, puisqu’il a en lui toutes les vertus et tous les vices, toute la force et toute la faiblesse humaine“148 – waren im neuen emphatischen Öffentlichkeitsbegriff des 18. Jahrhunderts immer weniger denkbar. Und so war Coypel mit seinen Zweifeln an der Aussagekraft des Begriffs ‚public‘ nicht allein: 1755 widmete sich ein ganzer Artikel des Mercure de France den „Doutes sur l’existence d’un public“. Die Verun18. Jahrhundert vgl. Colin Lucas, The Crowd and Politics between Ancien Regime and Revolution in France, in: The Journal of Modern History, 60/3, 1988, S. 421–457; J. M. Golby/A. W. Purdue, The Civilisation of the Crowd. Popular Culture in England, 1750–1900, London: Batsford Academic, 1984. 146 Voltaire 1953, S. 119. 147 Diderot 1984–95, III, S. 164 (Salon de 1767). 148 Charles Du Fresny, Amusements sérieux et comiques, zit. nach Bürger 1972, S. 47.
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sicherung des einheitlichen Urteils wurde der Zersplitterung in Einzelmeinungen („jurisdictions particulières“) zugeschrieben: „Paris s’est partagé en différens partis. Par cette division le bon goût est devenu problématique, la véritable croyance douteuse, & l’autorité du public légitime a cessé d’être une. Elle se trouve aujourd’hui absorbée par la multiplicité des prétensions sans titres, au point que les particuliers sont tout, & que le public n’est rien. Chacun s’érige un tribunal qui méconnoît tous les autres, ou s’il admet un public, il le borne dans le cercle de ses amis ou de ses connoissances. Les sentimens varient & se croisent dans chaque quartier: de là vient, sur tout ce qui paroît, cette diversité d’opinions, & cette incertitude de jugemens.“
Diese Zersplitterung des Publikums ging mit seiner Ortlosigkeit einher, die den Maßstab der Beurteilung unsicher und unüberprüfbar machte: „Je parcours tous les théâtres, où [le public] a toujours regné d’une façon plus sensible; je l’y cherche, & je ne l’y trouve plus: le parterre indépendant qui le composoit, n’y donne plus la loi. D’un côté je n’y vois à sa place qu’une multitude esclave & vendue à qui veut la soudoyer, & de l’autre des spectateurs d’habitude [...]“.149
Es sei ausreichend, die Kritik auf ein einziges, richtiges Organ – in diesem Fall wird Frérons Année littéraire angegeben – zu beschränken, denn den verstreuten Meinungen fehle es an Ordnung und Geschlossenheit. Das weibliche Urteil, das ausdrücklich als grundlegend für Geschmacksfragen dargestellt wurde, sei ebenfalls durch Parteilichkeit beeinträchtigt. 1762 veröffentlichte der Schriftsteller Louis Poinsinet de Sivry, kurz nach dem Durchfall seines Theaterstücks Ajax an der Comédie Française eine Kampfschrift mit dem Titel Appel au petit nombre, ou, le Procés de la multitude.150 Statt sein Werk zu verteidigen, ging der Autor in die Offensive und attackierte das parterre: „cette horde, [...] cette cohue [...], cet étrange composé qu’on ose appeller Public.“151 Nur abseits dieser Menge sei ein gültiges Urteil zu erwarten: „Qu’arrive-t-il en effet dans toutes ces assemblées? les cervaux s’échauffent; les idées s’entrechoquent; les préjugés se communiquent; les impressions se confondent; le jugement s’altère.“ Der beste Ausweg für den Dichter sei, statt auf die Aufführung seiner Stücke auf deren Publikation zu setzen: „[L]a lecture refléchie est le seul tribunal compétant, d’un ouvrage de goût. C’est là que s’épurent, & se rectifient les jugemens infideles d’un Parterre.“152
149 [Louis de Boissy], Doutes sur l’existence d’un public, in: Mercure de France, März 1755, S. 33, 39. In der Zuschreibung an Louis de Boissy folge ich Jeffrey Ravel. Vgl. Jeffrey S. Ravel, Allegory and April Foolery on the Eve of the French Revolution, in: British Journal for Eighteenth-Century Studies, 25, 2002, S. 121. 150 [Louis Poinsinet de Sivry], L’Appel au petit nombre, ou, le Procés de la multitude, in: Théâtre et œuvres divers de M. de Sivry, London: [s. n.], 1764, S. 73–100. 151 Ebd., S. 92–93. 152 Ebd., S. 6.
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Ein Bühnenautor scheint seinen Beruf falsch gewählt zu haben, wenn er die Lektüre seiner Werke deren Aufführung vorzieht. Die Reaktion auf diese Publikation fiel denn auch nicht positiv aus. In der Correspondance littéraire hieß es, das Theaterstück Ajax sei zu Recht verlacht worden: „la platitude des expressions a fait rire le parterre depuis le commencement de la pièce jusqu’à la fin [...]“. Mit seiner jüngsten Schrift richte der Autor sich selbst, und weitere Kritik sei gar nicht erst notwendig: „la colère de ce pauvre diable sifflé est bien plus plaisante que tout ce qu’on fera jamais contre lui.“153
Kritik und Anonymität Dass Poinsinet de Sivry von einer gerechteren Beurteilung seiner Dramen in der Lektüre als im Theater ausging, erinnert an die alte Streitfrage, ob der Öffentlichkeitscharakter bildender Kunst eher mit dem Theater oder mit dem gedruckten Buch zu vergleichen sei. Dahinter verbargen sich grundsätzlich unterschiedliche Zugangsweisen zur Verbreitung und Rezeption bildender Kunst: die ikonische Theatralität des Ancien Regime auf der einen, die Textualität der Aufklärung auf der anderen Seite.154 Du Bos hatte seine Hinwendung zum zeitgenössischen Publikum anhand des Theaters entwickelt, und auch Charles Coypel hatte seine Argumente aus der Theaterliteratur bezogen. Gegen La Font de Saint Yennes Auffassung, das ausgestellte Kunstwerk sei wie ein gedrucktes Buch zu verstehen, wandte er sich explizit. Die Präsenz des Kunstwerks könne, ähnlich wie ein an die Aufführung gebundenes Theaterstück, nicht mit der Publizität eines Druckwerks konkurrieren. Oft erschienen Kritiken mit Verspätung oder erreichten die Provinz und ferne Länder, sodass die Bilder nicht für sich selbst sprechen könnten.155 Eine anonyme Salon-Kritik widersprach dieser Auffassung mit der Selbstsicherheit der Pariser Oberschicht, die sich immer noch als primäre Adressatin des Salon sah. Die Flugschriften hätten tatsächlich wenig Gewicht, meinte darin eine Dame der Gesellschaft: „Je veux avec vous qu’elle puisse prévenir quelques personnes dans les Provinces; mais lorsque ces personnes auront quelque Ouvrage à faire, elles viendront à Paris pour sçavoir au juste à qui le confier, & c’est toujours la voix de Paris qui décide.“156 Ein dem Protektionismus der Académie äu153 Correspondance littéraire 1968, V, S. 158 (15. September 1762), S. 193 (1. Dezember 1762). 154 Joan Landes spricht von „an implicit opposition between old and new forms of representation, [...] between the iconic spectacularity of the Old Regime and the textual and legal order of the bourgeois public sphere.“ Zit. nach Landes 1988, S. 67. Gegen die Darstellung eines derartigen epistemischen Bruchs wendet sich Jeffrey Ravel (Ravel 1999, S. 2–11); zur Orientierung in der Diskussion um den Öffentlichkeitscharakter bildender Kunst ist diese Opposition jedoch durchaus sinnvoll. 155 Charles-Antoine Coypel, Dialogue sur l’exposition, in: Coypel 1971, S. 97. 156 [anon.], Lettre sur la Cessation du Sallon de Peinture, Cologne: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #40], S. 9–10.
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ßerst kritisch entgegenstehender Verfasser eines Pamphlets mit dem Titel Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront meinte ebenfalls, die Schriften könnten keinen Schaden anrichten: Da sie sich gegenseitig widersprächen, ergäben sie kein einheitliches Urteil, sei es negativ oder positiv. Stattdessen machte der Autor auf die positiven Folgen der Publizität aufmerksam: Welcher Schriftsteller würde sich nicht glücklich schätzen, innerhalb eines Monats 20.000 Leser zu erreichen? Sei das Urteil so vieler Ausstellungsbesucher nicht ausreichend?157 Mit den unterschiedlichen Präsenzformen der Kritik in Theater und Literatur war ein konkretes Problem verbunden. Einer der häufigsten Kritikpunkte der Académie zur Jahrhundertmitte war, dass nur die ausstellenden Künstler und Künstlerinnen namentlich auftraten, während die Kritiken zumeist anonym publiziert wurden.158 Dies verstieß ganz grundlegend gegen das akademische Verständnis freundschaftlicher Kritik: „Le veritable amy louë en public ce qui peut être loüé, & critique en particulier ce qui luy paroît faible ou défectueux“159, hatte schon Antoine Coypel geschrieben, und sein Sohn zog als Gewährsmann Roger de Piles heran (eine Entscheidung, gegen die sich seine Vorgänger an der Académie entrüstet gewehrt hätten): „Relever publiquement les défauts d’un ouvrage, avec le ton d’un Juge compétent, & l’audace d’un Anonyme, c’est un moyen cruel, qui loin d’être utile à celui qu’on veut corriger, presque toujours l’irrite ou le décourage“, urteilte Coypels ‚de Piles‘ und fügte hinzu: „surtout, je mettrai mon nom à la tête de ces écrits, afin que ceux qui avec raison pourroient y trouver des fautes, ou des choses hazardées, sçachent à qui ils doivent s’adresser pour les réctifier ou les supprimer.“160
In den folgenden Jahren unternahm die Académie wiederholt Versuche, ein Verbot der Anonymität von Ausstellungskritiken zu erreichen – mit so wenig Erfolg wie in anderen Bereichen der Untergrundliteratur des 18. Jahrhunderts.161 Fast alle kunstkritischen Schriften erschienen anonym, und nur wenige mit Genehmigung und Imprimatur des Zensors. Auch aus Zeitgründen wurden die meisten mit „permission tacite“ (stillschweigender Genehmigung) des Zensurbüros, oder unter Angabe eines (falschen) Druckorts außerhalb Frankreichs, der den Zensor außer Obligo stellte, publiziert. Der Druck musste rasch vor sich gehen, denn die Ausstellung dauerte nur wenige Wochen. Zuweilen traten der lieutenant de police und der Directeur des 157 [anon.], Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront, Amsterdam: chez Arkstée et Merkus, 1755, [Collection Deloynes #71], S. 17–18. 158 Zu einem Verzeichnis der Autoren dieser Kritiken: Hélène Zmijewska, La critique des Salons en France avant Diderot, in: Gazette des beaux-arts, 76, 1970, S. 1–143. Genauere und aktuellere Zuschreibungen macht Wrigley 1993. 159 Coypel 1721, S. 5. 160 Charles-Antoine Coypel, Dialogue sur l’exposition, in: Coypel 1971, S. 97. 161 Richard Wrigley, Censorship and Anonymity in Eighteenth-Century French Art Criticism, in: Oxford Art Journal, 6/2, 1983, S. 17–28. Zur Untergrundliteratur generell: Darnton 1996.
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Bâtiments in Kontakt, um unliebsame Schriften verbieten oder abändern zu lassen. Charles-Nicolas Cochin, Sekretär der Académie und selbst engagierter Publizist, suchte 1767 um ein Verbot der Anonymität an, um die Kritiken „plus circonspect et plus honnête“ zu machen.162 Er war, wenn auch nur kurzfristig, erfolgreich. In diesem Jahr erschienen wenige Kritiken. Einer der populärsten Autoren, Mathon de La Cour, der noch 1765 seine Kritik persönlich an Marigny geschickt hatte, soll im Hinblick auf seine Kandidatur für die Académie des Inscriptions von Publikationen unter seinem eigenen Namen Abstand genommen haben. Doch nach kurzer Zeit wurde diese Initiative auf Betreiben des premier peintre Pierre rückgängig gemacht.163 Es gab fortan nur noch punktuelle Zensur im Fall direkter Kritik an der königlichen Kunstpolitik und persönlicher Angriffe auf einzelne Künstler und vor allem Künstlerinnen.164 Entgegen dem vonseiten der Académie geäußerten Vorwurf diente die Anonymität nicht nur zur Verschleierung der Identität des Autors. Bereits in den 1730er-Jahren waren fast alle Salon-Besprechungen anonym (oder eher pseudo-anonym, denn in der Regel waren die Verfasser ihren Lesern bekannt) publiziert worden. Diese nominelle Anonymität legitimierte den Öffentlichkeitscharakter des Geschriebenen. Bereits Félibien hatte bei der Herausgabe der Conférences die Anonymität gewählt, da er ihnen die „Qualität eines offiziellen, das heißt qua definitione autorlosen Textes geben wollte.“165 1721 hatte der Mercure de France seine Leser darauf aufmerksam gemacht, dass fortan mehrere Autoren für die Artikel zuständig seien. Anders als zuvor, als die Artikel dem Herausgeber – etwa Donneau de Visé für den Mercure Galant – zugeschrieben werden konnten, verbarg sich nun hinter den Artikeln des Mercure ein anonym auftretender Korpus von Verfassern.166 Diese Situation änderte sich in den 1740er-Jahren. Was zunächst als ein Zeichen der Höflichkeit gegolten hatte, wurde nun zu einem Mittel, der eigenen Schrift zu emphatischer Publizität zu verhelfen. Bis heute verdankt sich die emanzipatorische Kraft der Ausstellungsbesprechungen des 18. Jahrhunderts zu einem nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Anonymität. Einerseits wurde es immer schwieriger, die Autoren der wachsenden Zahl der Flugschriften zu 162 Wrigley 1983, S. 20; Cochin an Marigny, 7. September 1765, in: Furcy-Raynaud 1904–05, XX, S. 32–33. Wie Coypel wehrte sich auch Cochin gegen den Vergleich des Kunstwerks mit einem Buch: Cochin 1763, S. 56. 163 Vgl. die Dokumentation der Notizen Mariettes und Cochins in: Collection Deloynes #114; Marigny an Cochin, 17. September 1765, Furcy-Raynaud 1904–05, XX, S. 34. 164 Dies betraf insbesondere zwei weibliche Akademiemitglieder der 1780er-Jahre, Élisabeth VigéeLebrun und Adélaïde Labille-Guiard. Wrigley 1983, S. 18. Vgl. zu einem unterdrückten Pamphlet gegen den Akademiedirektor Jean-Baptiste Pierre die Notiz (mit Inhaltsangabe des schwer erhältlichen Pamphlets) in den Mémoires secrets, 16. April 1774: [anon.], Mémoires secrets pour servir à l’histoire de la république des lettres en France, London: Adamsohn, 1777–1789, XXVII, S. 207–208. 165 Germer 1987, S. 357. 166 Pucci 1997, S. 167.
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identifizieren, andererseits nahmen mit der Schärfe der Auseinandersetzung auch die Motive zu, die eigene Identität zu verbergen. Der Abbé Le Blanc nahm zu dieser Frage in einer 1747 veröffentlichten SalonBesprechung Stellung, indem er die eigene Anonymität mit dem Hinweis auf den englischen Spectator verteidigte. Anonymität sei ein Zeichen des Respekts vor den Kritisierten und vor der Öffentlichkeit: „On ne peut trop respecter le Public, & le plus grand respect qu’on puisse lui marquer en publiant un Ouvrage est de ne se pas nommer.“167 Die Anonymität ermögliche öffentliche Kritik, indem sie die usurpierte Autorität des Kritikers verhülle. Seine Ausführungen seien, meinte Le Blanc, ebenso wie die ohne Angaben der Künstlernamen ausgestellten Wettbewerbsgemälde von 1747, dem unparteiischen Urteil des Ausstellungspublikums unterworfen. Sie seien – und dies war ein neuer Standpunkt – nichts anderes als „le sentiment d’un Particulier“168 und erlangten ihre Publizität erst durch die Publikation und kritische Rezeption in der Öffentlichkeit. Dabei war auch Le Blancs Anonymität nur nominell. Wie das Journal de Trévoux bemerkte, war es nicht weiter schwierig, seine Identität festzustellen, da der Autor einen Briefwechsel zwischen Maupertuis und sich selbst in den Text eingefügt, sowie einen Hinweis auf eine zwei Jahre zuvor unter seinem Namen publizierte Schrift gegeben hatte.169 In einer Ausstellungsbesprechung machte er sich ausführlich Gedanken über die Bedingungen der Kritik, denn: „c’est souvent de la meilleure foi du monde qu’on croit être l’interprete du Public, en lui prêtant les sentimens particuliers, ou ceux de ses amis. [...] Ce Public, dont tout Ecrivain qui veut accréditer ses opinions, reclame l’autorité, varie selon des différentes sociétés, & chacun le trouve dans la sienne. Le Public seul, dit-on, est en droit de décider, mais c’est celui que l’on connoit que l’on constituë pour ce juge infaillible.“170
Anstatt sich als Sprachrohr der Öffentlichkeit auszugeben, wenn er ja doch nur für einen kleinen Kreis sprechen könne, solle der Autor seine Kritik in den Dienst des öffentlichen Wohls stellen.171 Die Überlegungen über die Rolle des Publikums führten Le Blanc zur Funktion der Ausstellungen, und dabei griff er, der Tradition entsprechend, auf das Beispiel des Apelles zurück, das, wie er meinte, in den Salons nachgeahmt sei: „J’en connois un qui est si convaincu de l’importance de ce précepte que pour ne négliger aucune des voies qui peuvent le conduire à la perfection de son Art, tant que durent ces expositions, il tient journellement auprès de ses Tableaux une personne assidée qui lui 167 Le Blanc 1970, S. 22, 23–24 (Zitat). 168 Ebd., S. 30. 169 Dies waren die Lettres d’un François concernant le gouvernement, la politique et les mœurs des Anglais. Le Blanc 1970, S. 44–47. Journal de Trévoux, Dezember 1747, CXXV, S. 2624. 170 Le Blanc 1970, S. 10–11. 171 Ebd., S. 20.
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rend compte de tout ce qu’il en entend dire. L’usage qu’il fait de cette espèce d’espion du Public, s’il est permis de l’appeler ainsi, en rend la profession aussi louable qu’elle est honteuse d’ordinaire.“172
Der Maler sendet einen ‚Spion‘ in die Ausstellung, um so von der Kritik an seinem Bild zu erfahren, ohne aber der Gefahr der direkten Interaktion mit seinem Publikum ausgesetzt zu sein. Ähnlich verstand im folgenden Jahr der Autor Saint-Yves seine Kritik als Sammlung der Eindrücke der Besucher, die die Künstler zur Selbstkritik nutzen sollten.173 Diese Vorstellung nahm Pernety in sein Dictionnaire portatif de peinture, sculpture, et gravure auf, der von der Salon-Ausstellung handelt: „Cette Salle est alors ouverte à tout le Public, & chaque Particulier peut dire ouvertement ce qu’il pense de chaque tableau exposé. Les Peintres mêmes qui les ont faits, s’y trouvent souvent mêlés dans la foule, pour profiter des critiques que l’on en porte, & corriger les défauts réels que les connoisseurs y remarquent.“174
Noch 1785 präsentierte sich ein Kritiker als L’Espion des peintres de l’Académie royale.175 Das Bild ist bekannt und hat ein ehrwürdiges kunstliterarisches Vorbild: Die Apelles-Anekdote. Die Interpretation der Ausstellung in der Tradition der Anrufung des Publikums durch Apelles war ein Zeichen der Offenheit für Kritik, und so war in der akademischen Rhetorik nur bis zu den 1740er-Jahren dafür Platz. Noch im Dezember 1747, kurz nach La Font de Saint Yennes erster Schrift, führte der neue Directeur des Bâtiments Le Normant de Tournehem in einem Mémoire au Roi den Nutzen der Ausstellungen gerade auf die Anonymität aller Beteiligten zurück.176 Kurze Zeit darauf war er gezwungen, die Akademiker überhaupt von ihrer Teilnahme an Ausstellungen zu überzeugen, da viele Stimmen deren Beendigung oder zumindest Reform verlangten. Bereits am Rande des genannten Mémoire au Roi waren Notizen zur Modifikation der Ausstellungen vermerkt, und 1748 musste Tournehem auf der jährlichen Abhaltung bestehen.177 Es ist gut vorstellbar, dass die jährlichen Ausstellungen tatsächlich die Kapazitäten der Künstler überstiegen, doch eine weitere dringliche Motivation für die Reform waren wohl die Kritiken. Sein Insistieren auf der Abhaltung des Salon verband Tournehem mit einer Neuerung. Der Directeur des Bâtiments folgte einem Vorschlag des Abbé Le Blanc und bestimmte die Einführung einer Jury, die über die Qualität der ausgestellten Werke 172 Ebd., S. 115–116. Einen Verweis auf die Verse Du Fresnoys enthält das Titelblatt von: [Antoine Renou], Dialogues sur la Peinture, Paris: Tartouillis, [s. a.], [Collection Deloynes #147]. 173 [Saint-Yves], Observations sur les arts et sur quelques morceaux de Peinture & de Sculpture, exposés au Louvre en 1748, Leyde: Luzac, 1748, [Collection Deloynes #34], Avertissement. 174 Antoine-Joseph Pernety, Dictionnaire portatif de peinture, sculpture et gravure, Paris: Bauche, 1757, S. 309 (‚Exposition‘). 175 [anon.], L’Espion des peintres de l’Académie royale, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #337]. 176 Tournehem, Mémoire au Roi, 17. Dezember 1747, in: Guiffrey 1873, S. 5. 177 Tournehem an Coypel, 6. Mai 1748, in: Guiffrey 1873, S. 6.
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wachen sollte.178 Diese Maßnahme gehörte zu einem umfangreichen Reformpaket. Coypels Schriften waren nur einer von vielen Versuchen, die Usurpation der ‚multitude‘ und die kritische Reflexion der Ausstellungen von außen abzuwehren. Während seiner kurzen Amtszeit als Akademiedirektor (1747–1751) setzte er in Zusammenarbeit mit Tournehem ein Bündel von Reformmaßnahmen durch. Seine Amtszeit begann mit Propositions faites par M. Coypel pour le bon ordre de l’Académie und endete mit einem Règlement de police général de l’Académie. Dabei waren all diese Maßnahmen restaurativ geprägt: Die Académie wurde durch eine Reihe von internen und begrenzt externen Kontrollinstanzen in ähnlicher Weise ‚modernisiert‘, wie dies Colbert ein knappes Jahrhundert zuvor unternommen hatte. Der Kreis der Amateure wurde um den Status der Associés libres erweitert, wobei den neuen Mitgliedern nicht dieselben Stimmrechte zustanden wie den honoraires amateurs. Eine Ecole des élèves protégés sollte die Ausbildung der Schüler verbessern. Die Tradition der conférences wurde mit reformatorischem Ehrgeiz wiederaufgenommen und mit ausführlichen Antworten des Akademiedirektors bedacht. Die Akten der Académie wurden deutlich genauer geführt als bisher, und die Académie direkt der Protektion des Königs unterstellt.179 Die letztgenannte Maßnahme sollte wohl als Schutzschild gegen Angriffe von außen dienen, doch es ist zweifelhaft, ob dies der Académie letztlich zuträglich war. Bereits zuvor war sie von der Pariser Stadtöffentlichkeit häufig als ein Ableger Versailles’ in Paris wahrgenommen worden.180 Je stärker die Académie sich als zentrales kunstpolitisches Organ der Krone darstellte, desto mehr wurde sie Angriffsfläche für politische Kritik. Die Einbindung in die staatliche Kunstpolitik machte die Académie noch angreifbarer, denn diese konnte als Angelegenheit der Öffentlichkeit betrachtet werden: „Le Public a été mécontent de voir dissiper les finances du Prince ausquelles il a quelque sujet de s’intéresser“, hieß es 1749 in einer Flugschrift gegen die Akademieführung.181 Und deutlicher wird diese Auffassung in einer anderen Salon-Kritik: „[S]i jamais la critique a eu des droits sur quelqu’un, c’est sans doute sur eux; la plupart d’entre eux ont été aidés dans les années les plus intéressantes de leur travail, par les libéralités du Gouvernement; c’est aux dépens du Roi qu’ils ont été à Rome, on est donc en droit de leur faire rendre compte de leur travail & d’en examiner les fruits“.182 178 Le Blanc 1970, S. 104–106. Die Jury war allerdings nicht völlig neu: Bereits 1745 und 1746 hatten die amtsführenden Officiers die eingereichten Arbeiten einer Prüfung unterzogen „pour suprimer tous les morceaux qui ne seront pas dignes de paroître aux yeux du public.“ Vgl. Montaiglon 1875–1909, VI, S. 14, 32 (Zitat). 179 Montaiglon 1875–1909, VI, S. 61, 249–250; Lefrançois 1994, S. 99. 180 Roland Desné, L’Eveil du sentiment national et la critique d’art, in: La Pensée, 73, Mai–Juni 1957, S. 83. 181 [anon.], Lettre sur la Cessation du Sallon de Peinture, Cologne: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #40], S. 34. 182 [anon.], Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront, Amsterdam: chez Arkstée et Merkus, 1755, [Collection Deloynes #71], S. 72–73.
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Die Einführung der Jury sollte nicht nur das Qualitätsniveau der kommenden Ausstellung überwachen, sondern durch eine interne Vorbeurteilung externe Kritik unterlaufen. In einem Brief, den Coypel in seinem Auftrag an die Akademiker verlas, verdeutlichte Le Normant de Tournehem die Funktion dieser Maßnahme: „Ceux à qui ce règlement paroîtroit sévère n’entendroient pas leurs propres interests; ce qui peut arriver de plus cruel à un Artiste, c’est de recevoir l’improbation générale; d’ailleurs comme ils seront avertis de bonne heure de ce qu’ils peuvent redouter, c’est à eux de s’aider des conseils de leurs véritables amis pour ne se point hazarder légèrement; je crois même par cet arrangement leur témoigner à quel point je cherche à les ménager.“183
Besser eine interne, als eine externe Beurteilung, machten diese Zeilen deutlich. Die Bewertungsinstanz, die über Jahrzehnte hindurch das Publikum innegehabt hatte, war nun in die Académie integriert: Man entschied sich für eine gegenseitige Beurteilung unter Kollegen. Selbst der erweiterte Kreis der Amateure war zur Beurteilung nicht zugelassen. Die Jury umfasste nur Künstler: „Ces officiers réunis examineront scrupuleusement et sans passion les tableaux présentés pour orner le Salon et, par la voye du scrutin, suprimeront ceux qui ne leur paroîtront pas dignes d’être mis sous les yeux du Public.“184 Der weitere Verlauf der Ereignisse ist bekannt: Die Kritiken des Salon von 1748 fielen derart heftig aus, dass die Akademiker sich (nun erfolgreich) weigerten, weiter auszustellen. Aber selbst das Aussetzen der Ausstellung im folgenden Jahr änderte nichts daran, dass wieder mehrere Pamphlete kursierten, die sich diesmal eben nicht der Ausstellungs-, sondern gänzlich der Akademiekritik widmeten. Eines davon enthielt Anschuldigungen gegen die Amtsführung des Direktors, die Coypel als derartig beleidigend empfand, dass er seine Kollegen in einer internen Sitzung um Stellungnahme bat. Die Akademiker gaben ihr volles Vertrauen hinsichtlich seiner Amtsführung zu Protokoll: „jamais l’Académie n’a été conduite avec plus de prudence et d’équité que sous sa gestion“.185 Doch Coypels Ansprache zielte nicht nur auf Bestätigung seines Amtes, sondern enthielt auch Verdachtsmomente gegenüber seinen Kollegen: „Malheureusement, on publie dans le monde que c’est l’ouvrage de quelques membres de la Compagnie, mais je ne puis le croire. Non, il n’est pas possible que l’Académie ait reçu dans son sein des gens capables de recourir au mensonge pour la flétrir.“186
Coypel hatte einigen Grund, den Verfasser des anonymen Pamphlets in den eigenen Reihen zu vermuten. Die Flugschrift enthielt sehr präzise Informationen zur Administration der Académie und sprach von einer „autorité arbitraire & despotique“, 183 Tournehem an Coypel, 6. Mai 1748, Guiffrey 1873, S. 7. Vgl. einen leicht gekürzten Eintrag in den Akten der Académie: Montaiglon 1875–1909, VI, S. 109. 184 Tournehem an Coypel, 6. Mai 1748, Guiffrey 1873, S. 6. 185 Montaiglon 1875–1909, VI, S. 182. 186 Ebd., VI, S. 184.
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die sich durch mangelndes kunstadministratives und künstlerisches Geschick gleichermaßen auszeichne: „Le gouvernement d’une Compagnie est-il autre chose que l’ordonnance d’un Tableau [...]?“187 Bereits zu Beginn des Jahres 1749 hatte Coypel vor einer „désunion des Artistes“ gewarnt, die er implizit als Ursprung der Pamphlete darstellte. Diese führten dazu, dass die königliche Administration ihr Vertrauen in die Académie verlöre und die so diffamierten Künstler nicht mehr beschäftige.188 Coypels Ermahnungen waren berechtigt, aber wirkungslos. Viele Akademiker engagierten sich heftig im Kampf der Flugschriften, die häufig eher gegenseitiger Kritik als den ausgestellten Bildern galten. (Vorgebliche) Studenten der Académie schrieben in Verteidigung ihrer Lehrer.189 Der langjährige secrétaire der Académie Charles-Nicolas Cochin und sein Nachfolger als secrétaire adjoint Antoine Renou waren kunstkritisch tätig. Cochins erste Kritik im Mercure de France war explizit nicht der Besprechung der Ausstellung, sondern der Ausstellungskritiken gewidmet.190 Renou veröffentlichte ab 1773 Pamphlete, die häufig gegen führende Mitglieder der Académie gerichtet waren, und musste sich 1787 in einer Sondersitzung für seine in den letzten zehn Jahren im Journal de Paris publizierten Artikel verantworten.191 Die Ausstellungskritiken waren nicht prinzipiell oppositionell oder ‚gegenöffentlich‘. Viele entsprangen der Académie selbst oder Kreisen, die der höfischen Administration sehr nahestanden, und so gab es auch in den späteren Jahrzehnten Verdachtsmomente gegen Akademiker und sogar interne Untersuchungen. Kritik mittels anonymer Schriften widersprach den Statuten der Académie und konnte mit Ausschluss geahndet werden.192 187 [anon.], Lettre sur la Cessation du Sallon de Peinture, Cologne: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #40], S. 27, 19. 188 ENSBA Archives, MS 188, Charles Coypel, Réflexions sur l’Art de Peindre en le comparant à l’Art de Bien dire, Prononcées à l’Académie Royale de Peinture et de Sculpture, en 1749, zitiert nach einer unveröffentlichen Transkription des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris, Forschungsgruppe Herausgabe der Conférences de l’Académie Royale de Peinture et de Sculpture. 189 Beispiele in Wrigley 1983, S. 24. 190 [Charles-Nicolas Cochin.], Lettre à un amateur en réponse aux Critiques qui ont paru sur l’exposition des tableaux, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #61]. Cochin verrät seine Autorschaft in einer Notiz zu dieser Kritik in der Collection Deloynes. 191 Seine Verteidigungsschrift erschien als [Antoine Renou], Discours, ou Mémoire justificatif de M. Renou, Paris: impr. des Bâtiments du Roi, 1787. Vgl. Wrigley 1983, S. 19, 24. 192 Pierre an d’Angiviller, undatiert, in: Marc Furcy-Raynaud, Correspondance de M. d’Angiviller avec Pierre, Paris: J. Schemit, 1906–1907, XXI, S. 85; Bernadette Fort, An Academician in the Underground: Charles-Nicolas Cochin and Art Criticism in Eighteenth-Century France, in: Studies in eighteenth-century culture, 23, 1994, S. 3–27. Das Problem der ‚Kritik von innen‘ und der Unterminierung der Machtposition der Krone durch Angehörige des Hofs und Regierungsbeamte: Pierre Grosclaude, Malesherbes. Témoin et interprète de son temps, Paris: Fischbacher, 1961; Jeremy D. Popkin, Pamphlet Journalism at the End of the Old Regime, in: Eighteenth-Century Studies, 22/3, 1989, S. 351–367; Lynn Hunt, The Many Bodies of Marie Antoinette. Political Pornography and the Problem of the Feminine in the French Revolution, in: dies. (Hg.), Eroticism and the body politic, Baltimore/London: Johns Hopkins University Press, 1990, S. 108–130.
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Es ist anzunehmen, dass sich unter der Flut der anonymen Pamphlete noch mehr ‚interessierte‘ bzw. befangene Urteile finden. Académie und Kunstadministration zeigten immer wieder Faszination an den ‚mauvaises brochures‘. Es war keine Rede davon, diese Schriften zu ignorieren, im Gegenteil. Anstatt die Kritik außen vor zu lassen, waren die Pamphlete immer wieder Gegenstand von internen Sitzungen und Diskussionen. Eine völlige Missachtung der anonymen Schriften war gar nicht möglich, da deren Überwachung und Zensurierung Aufgabe der Kunstadministration war und sich in zahlreichen Nachfragen und gegenseitigen Zusendungen der beanstandeten Literatur ausdrückte.193 Auch Tournehems Nachfolger, sein Stiefsohn AbelFrançois Poisson de Vandières (ab 1754 Marquis de Marigny), ließ die Flugschriften sammeln und sich persönlich zukommen.194 Und ohne die von einem Amateur der Académie, Pierre-Jean Mariette, und später ihrem Sekretär Charles-Nicolas Cochin sorgfältig zusammengetragene Sammlung von Kunstkritiken des 18. Jahrhunderts, der heute so genannten Collection Deloynes, wäre wohl der Großteil der Pamphlete heute nicht mehr erhalten.195 Als dem Directeur des Bâtiments 1759 die Gründung einer Kunstzeitschrift vorgeschlagen wurde, sah Cochin darin eine Möglichkeit, Publizität nicht zu unterbinden, sondern im Sinne der Académie zu nutzen. Er empfahl Marigny, die Zeitschrift als Organ der Kunstadministration völlig der Kontrolle der Académie zu unterstellen und präzisierte dies wie folgt: „Il ne vous est pas possible d’être à la fois le protecteur des artistes et celui de quiconque se déclareroit leur persécuteur. Il faut donc, si ce journal a lieu, qu’il prenne une partie décidé de se refuser à la critique ou d’en user si sobrement et avec tant de moderation qu’il ne puisse offenser ni décourager personne.“196
Eine der Administration vollständig unterstellte Zeitschrift sollte der Kritik nicht gänzlich Einhalt gebieten, sondern ähnlich wie eine heutige PR-Abteilung den divergierenden Ansichten über die Leistungen der Akademie ein klar umrissenes, positives Bild entgegensetzen. Denn Publizität, dessen war Cochin sich im Klaren, war grundlegend notwendig. Sein Engagement gegen die Kunstkritik betraf ausschließlich negative Kritiken und Angriffe auf die Kunstadministration. Für regierungsnahe 193 Etwa: Guiffrey 1873, S. 8–9. 194 Pierre an Marigny, 26. September 1771, Furcy-Raynaud 1904–05, XX, S. 242–243. Marigny hörte sehr genau auf die Flugschriften, wie der Maler Charles-Joseph Natoire am eigenen Leib erfahren musste. 1755 kehrte sich die zunächst positive Einschätzung seiner Arbeiten durch den Directeur des Bâtiments um, als die ersten negativen Kritiken publiziert wurden. Vgl. Michel 1993, S. 330–331. 195 Mariette begann mit der Sammlung, die Cochin als derartig bedeutend erachtete, dass er sie nach Mariettes Tod 1775 aufkaufte und für die Académie weiterführte. Danach übernahm sie der auditeur des comptes Deloynes, nach dem die Sammlung benannt ist. 196 Maurice Tourneux, Un projet de journal de critique d’art en 1759, in: Mélanges offerts à H. Lemonnier, Archives de l’art français, VII, 1913, S. 324. Das Projekt wurde abgelehnt. Vgl. Crow 1985, S. 6, 9, 124.
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Zeitungen wie den Mercure de France, auf den Cochin in seiner Antwort explizit verwies, war es ohnehin Usus, Ausstellungsbesprechungen direkt von der Académie zu übernehmen. „[N]ous n’avons aucune part“, stellte der Journalist des Mercure de France 1735 stolz über eine derartige ‚Kritik‘ fest.197 Solche Ausstellungsbesprechungen kamen ihren britischen Pendants, den sogenannten ‚puffs‘, in denen Künstler werbende Lobhuldigungen auf die eigenen Arbeiten verfassten oder verfassen ließen, recht nahe. Cochins eigene langjährige schriftstellerische Tätigkeit zeigt, im Gegensatz zur paternalistischen Enge von Coypels Denken, einen meisterlichen Umgang mit dem Instrument Öffentlichkeit. Sein kunstpolitischer Einfluss als secrétaire der Académie und chargé des détail des arts zwischen 1755 und 1770 war bedeutend. Seine exzellenten Verbindungen zum Directeur des Bâtiments Marigny, den er gemeinsam mit Jean-Bernard Le Blanc und Jacques Soufflot vor dessen Amtsantritt auf eine knapp zweijährige Bildungsreise nach Italien begleitet hatte, ermöglichten ihm, de facto die Nachfolge des 1752 verstorbenen Charles Coypel anzutreten, obwohl ihm als Grafiker dessen Ämter de jure versagt waren. Sein wichtigster Amtstitel Faisant fonction de Premier Peintre chargé du détail des Arts beschreibt diesen Umstand. Cochin war für die Vergabe von Ämtern und Aufträgen, für Ankäufe für die königlichen Kunstsammlungen und die Restaurierung deren Bestände, für die Redaktion der livrets zu den Ausstellungen, für die Beurteilung auswärtiger Künstler in Paris und der Pensionäre der Académie de France in Rom verantwortlich.198 Cochin begann seine publizistische Tätigkeit mit einer Reihe von Entgegnungen auf Kunstkritiken. Nach Jean-François Marmontels Einsetzung als Herausgeber des Mercure de France 1758 schrieb er mehrere Salon-Besprechungen – „diktierte“ sie Marmontel, wie dieser in seinen Memoiren meinte.199 In seinen Schriften ging es aber nicht immer um die Rettung der Ehre der Akademiker: 1769 verfasste er in Frérons Année littéraire eine Kritik gegen seinen Kollegen Francesco Casanova, einem der beiden Malerbrüder des berühmten Abenteurers. Gegen die respektlose Wortwahl, in der Casanovas Farbwahl mit saurer Konfitüre verglichen wurde, wehrte sich der Angegriffene nicht nur mit einer Entgegnung im Mercure de France, sondern auch mit rechtlichen Schritten gegen den vermeintlichen Verfasser Fréron. Dieser übernahm für Cochin nicht nur die eintägige Haftstrafe, sondern vermied durch seine Diskretion einen Skandal: immerhin hatte der Sekretär der Académie anonym einen Akademiker diffamiert. Casanovas Genugtuung kann nur kurz angehalten haben. Cochin verfasste seinerseits eine Replik auf Casanova und unterließ noch in einer Ausstellungsbesprechung von 1775 nicht Seitenhiebe auf den Landschaftsmaler.200 197 Mercure de France, Juni 1735, II, S. 1387. 198 Michel 1993, S. 81–91. 199 Ebd., S. 123. 200 Zum Disput Cochin-Casanova: [Charles-Nicolas Cochin], Exposition des peintures, sculptures & gravures de Messieurs de l’Académie royale, in: L’Année littéraire, XIII, 4. September 1769, [Collection Deloynes #128]; [Francesco Casanova], Lettre de M. Casanova, Peintre du Roi, en réponse
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20 Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d'Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel IV, Paris, BN.
21 Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d'Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel I, Paris, BN.
Anders als Christian Michel, der Cochins kunstkritische Tätigkeit als bestintentioniert interpretiert, hat Bernadette Fort sehr eindringlich auf die Widersprüche in seinem Verhalten aufmerksam gemacht. Als Sekretär der Académie widmete er sich intensiv dem Kampf gegen die Kunstkritik, doch als Privatmann trug er nicht nur tatkräftig dazu bei, sondern lieferte mit seiner Schrift Les misotechnites aux enfers (Abb. 17–18, 20–21) ein wichtiges Vorbild für die karnevalesken Texte der 1770erund 1780er-Jahre. Cochins Position erforderte die anonyme Publikation seiner Schriften, doch war diese Anonymität relativ. Les misotechnites aux enfers, eine amüsante Satire in der Tradition der Totengespräche, handelte von der Bestrafung der Kunstkritiker in der Unterwelt: La Font de Saint Yenne und Joseph de La Porte, der Herausgeber des Observateur littéraire, waren die ‚misotechnites‘, die Gegner der Künste. Cochins Autorschaft war nur nominell verschleiert: Der Text gab vor, von einem ungenannten italienischen Akademiker verfasst und von M. C**** herausgegeben zu sein, ein leicht zu entschlüsselnder Hinweis auf den Verfasser. Auch später zeigte Cochin hinsichtlich mancher seiner Schriften wenig Diskretion, es erschienen zwei Sammelbände seiner Werke noch zu Lebzeiten. In Les misotechnites aux enfers machte er La Porte nicht nur seinen schwülstigen Sprachstil zum Vorwurf, sondern auch den Umstand, dass dieser unter dem Namen einer fiktiven Société d’Amateurs publiziert hatte.201 Cochins eigenes Verhalten hätte einer vergleichbaren Hinterfragung kaum . . à un Critique de ses tableaux, in: Mercure de France, Dezember 1769, S. 174–178, [Collection Deloynes #130]; [Charles-Nicolas Cochin], Réponse à la lettre de M. Casanova, in: L’Année littéraire, II, Dezember 1769, S. 36–37, [Collection Deloynes #131] (in der Collection Deloynes mit einer Notiz zur Autorschaft Cochins); [Charles-Nicolas Cochin], Observations sur les ouvrages exposés au Sallon du Louvre, ou lettre à M. le comte de ***, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #160]. 201 Cochin 1763, S. 8.
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standgehalten, und so illustrieren die gegen La Font und La Porte gerichteten Kapitelvignetten einer Kritik, die gegen sich selbst, bzw. seinesgleichen gerichtet ist, zugleich seine eigene Situation (Abb. 20–21). Cochins Interesse an kunstliterarischen Pamphleten zeigt seine rasche Bereitschaft (und Fähigkeit) zur Replik auf Daudet de Jossans populäre Flugschriften der 1760er- und 1770er-Jahre, die ihn, wie er in seiner Antwort meinte, zum Lachen gebracht hätten, „c’est que ton diable d’écrit m’a fait rire, & je suis comme je ne sçais combien de filles, je n’ai pas de force quand je ris.“202 Cochin hatte gut lachen, denn er war der einzige mit Namen genannte Künstler in Daudet de Jossans erster Schrift Lettre sur les peintures, gravures et sculptures, und dies obendrein in positivem Zusammenhang. Daudet de Jossans amüsante Schriften zeigen den neuen, spielerischen Charakter der Pamphlete, der sich vom kunstpolitischen Reformeifer La Font de Saint Yennes weit entfernt hatte. In der Gestalt eines Malers der Académie de Saint-Luc, der den unbescheiden gewählten Namen Raphaël trägt, setzte sich die Kritik nun tatsächlich direkt mit den ausgestellten Kunstwerken auseinander. Dabei gestand Daudet de Jossan offen ein, die Zunftakademie, die seit den 1750er-Jahren ebenso Ausstellungen veranstaltete, „ne sympathise pas avec le Louvre“.203 Der komische Held Raphaël ist eine typisch karnevaleske Figur, Quelle und Ziel des Spotts zugleich. Seine Äußerungen mochten oft übertrieben naiv oder ignorant sein, doch sie forderten ihren Platz in der kunstkritischen Literatur. Die Erfahrung des Schönen müsse kommuniziert werden: „le démon de la critique s’est emparé de moi, & la rage de faire l’entendu, de dire mon sentiment à tort & à travers m’a pris, il faut que je parle.“204 Die Ausstellung fasziniert Raphaël und macht ihn nachdenklich, an manchen Exponaten gibt es etwas auszusetzen oder misszuverstehen. Die Kunstwerke evozieren antike Fabeln, moralische Probleme, menschliche Situationen und verankern den Betrachter in der kulturellen Gemeinschaftlichkeit des Salon und seiner Werte. Raphaël, der Maler der Zunftakademie, erinnert sich der Würde des eigenen Metiers und ruft bereits am Eingang, dem Beispiel Correggios vor den Kunstwerken Raffaels folgend, aus: „Auch ich bin Maler!“. Raphaëls Lettre sur les peintures, gravures et sculptures wandte sich an seinen Freund ‚M. Jerosme, Rapeur de Tabac & Riboteur‘, und Cochin war gerne bereit, in die Rolle dieses ungehobelten Genossen zu schlüpfen, als er seine Replik verfasste. M. Jerosme/Cochin ist wenig beeindruckt vom Talent seines Freundes: Nicht Maler, sondern Kleckser sei er, meint Jerosme, und mit Raphaëls Begabung als Maler fällt auch diejenige als
202 [Charles-Nicolas Cochin], Réponse de M. Jerôme, rapeur de tabac, à M. Raphaël, Paris: Jombert, 1769, [Collection Deloynes #125], S. 33. 203 [Daudet de Jossan], Lettre sur les peintures, gravures et sculptures [...], par M. Raphaël, Peintre, de l’Académie de S. Luc, Paris: Delalain, 1769, [Collection Deloynes #123], S. 7. 204 Ebd., S. 23.
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Kritiker.205 Allerdings, und dies bleibt das Fazit der gewitzten Replik, ist Jerosme noch weniger geeignet, die Fähigkeiten seines Freundes zu beurteilen. Bernadette Fort hat Cochins Verhalten als einen Versuch interpretiert, die publizistische Öffentlichkeit von innen (dem Zentrum der Académie) heraus zu untergraben.206 Sollte es Cochins Ziel gewesen sein, externe Kritik abzuwehren oder zu stoppen, so verfehlte er es zweifellos. Doch war dieses Verhalten weniger widersprüchlich, als dies den Anschein hat. Sowohl als Privatmann als auch als akademischer Funktionär vertrat er dieselbe Position, die die Académie bereits gegen La Font de Saint Yenne eingenommen hatte: Nicht um die Vermeidung von Kritik per se ging es, sondern um die Vermeidung externer Kritik, von Nichtkünstlern und Nicht-. akademikern. Es sei das Vorrecht der Künstler, über Kunst zu sprechen, nicht das der hommes de lettre. Im Vorwort zu einer Sammlung eigener kunstkritischer Texte, die er kurz nach seinem Ausscheiden aus der Académie veröffentlichte, machte er die Vorrangstellung der Künstler deutlich: „On doit choisir avec soin l’Artiste, mais ensuite il faut lui accorder une confiance entiere. Ce choix qui paroît difficile, & qui cause tant d’erreurs, lorsqu’on le veut faire par ses propres lumieres, devient aisé lorsque l’on consent à s’en rapporter à la voix publique. Il arrive rarement qu’un Artiste se fasse une réputation distinguée sans avoir en effet de grands talens; mais comme cela n’est pas absolument sans exemple, il est un moyen plus sûr de s’en assurer: on peut interroger la voix des Artistes même, & sçavoir en quelle estime est parmi eux celui que l’on veut employer.“207
Nur die Künstler verfügen über die richtigen Parameter zur Bewertung ihrer Kollegen, und so treten am Ende von Les misotechnites aux enfers Raffael, Guido Reni, Veronese und Poussin als Gewährsmänner der Künstlerschaft auf, die sich gegen die Kritiker wehren.208 Noch zu Beginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit hatte Cochin für den Mercure de France eine mehrteilige utopische Satire verfasst. Darin beurteilte ein Forscher des Jahres 2355 die Malerei des 18. Jahrhunderts (wobei er fälschlicherweise von den erhaltenen Gemälden auf die historische Wirklichkeit schloss und sich über die Adlernasen der Männer und das vermeintlich sanfte Gemüt der Menschen des 18. Jahrhunderts verwunderte). Zugleich äußerte er sich negativ über die Folgen der ‚Exposition‘ der bildenden Kunst an ein breites, oft unverständiges Publikum. Über die durchschnittliche Qualität, meinte er, könne man sich nicht beklagen, die 205 [Charles-Nicolas Cochin], Réponse de M. Jerome, Paris: Jombert, 1769, [Collection Deloynes #125], S. 7. 206 Fort 1994. 207 Charles-Nicolas Cochin, Recueil de quelques pièces concernant les arts, in: Recueil de quelques pièces concernant les arts/Discours sur la connoissance des arts fondés sur le dessin et particulièrement de la peinture/Discours prononcé à la seance publique de l’Académie des Sciences, BellesLettres & Arts de Rouen (1757–1779), Genf: Minkoff, 1972, S. viii. 208 Cochin 1763, S. 104–109.
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Koloristen beherrschten die Zeichnung, die Zeichner die Farbe, doch letztlich werde damit das Mittelmaß begünstigt. Die wahren Genies blieben unerkannt, und für viele Künstler sei es einfacher, sich nach dem Geschmack der Allgemeinheit zu richten, als den einsamen Weg des Genies zu verfolgen.209 In einer Rede vor der Académie in Rouen relativierte Cochin die Funktion von Kunstakademien in ähnlicher Weise. Akademien könnten helfen, den hohen Standard einer Blütezeit aufrecht zu halten und so die Zeit gewissermaßen zu ‚gefrieren‘, doch niemals Genies hervorbringen. Die Blütezeiten der Kunst, so Cochin, kämen wie Blitze auf die Erde, unsteuerbar und naturgegeben, und ebenso werde das künstlerische Genie nicht von einer Gemeinschaft hervorgebracht, getragen oder zumindest verstanden, sondern stehe gewissermaßen außerhalb der Zeit und der Gesellschaft.210 Diese Aussagen fügten sich stimmig zu Cochins Verhalten als Kompilator und Kommentator der Collection Deloynes und zu einem geplanten autobiografischen Projekt, dessen ‚notes secrètes‘ er der Académie in Rouen vermachen wollte.211 Im Unterschied zu seinen akademischen Vorgängern hatte Cochin erkannt, dass ein Engagement in den ‚flüchtigen‘ Medien der Zeitschriften- und Pamphletliteratur nicht nur in der Gegenwart zweckdienlich sein konnte, sondern auch eine wichtige Verbindung zur Nachwelt darstellte. Cochin wandte sich nicht nur an die zeitgenössische Öffentlichkeit, sondern ebenso an die nachfolgenden Generationen, die sich aus der Sammlung der Kunstkritiken und den erhaltenen Kunstwerken ein wahres Bild machen würden. Aus der Sicht eines Künstlers des 18. Jahrhunderts musste es folgerichtig erscheinen, dem auf direkter Interaktion basierenden Spektakel der Ausstellungen zusätzlich den diskursiven Raum der Textualität zur Seite zu stellen. Die Konflikte der späten 1740er-Jahre führten zu einer Problematisierung und zugleich zur Verteidigung des Publikumsbegriffs als ein gültiges Wirkkonzept bildender Kunst, das Geschlossenheit und Einheit suggerieren sollte. Die Wiederaufnahme des Begriffs multitude diente seiner Abgrenzung von Zersplitterung und Uneinigkeit. Vor allem französische Autoren distanzierten sich selten von der Vorstellung der unité, des Grundkonzepts politischer Identität, vom Absolutismus bis zur Revolution.212 Das häufigste Bild zur Beschreibung von ‚public‘ blieb das der Einheit: Waren die Meinungen der Menge auch verschieden, sie verschmolzen doch im Laufe der Zeit zur Stimme der Öffentlichkeit: „Il n’y a de critique universellement supérieur que le public, plus ou moins éclairé, suivant les pays et les siècles, mais toujours respectable, en ce qu’il comprend les meilleurs juges 209 Cochin 1972, S. 135–136, 140–141 (Recueil de quelques pièces concernant les arts). 210 Ebd., S. 9–13 (Discours prononcé à la seance publique de l’Académie des Sciences, Belles-Lettres & Arts de Rouen). 211 Michel 1993, S. 160–161. 212 Mona Ozouf, „Public Opinion“ at the End of the Old Regime, in: Journal of Modern History, 60, Supplement, 1988, S. 1–21.
160 | Das Publikum der Pariser Académie royale
dans tous les genres, dont les voix, d’abord dispersées, se réunissent à la longue pour former l’avis général. L’opinion publique est comme un fleuve qui coule sans cesse, et qui dépose son limon. Le temps vient où ses eaux épurées sont le miroir le plus fidèle que puissent consulter les arts.“213
213 Jean-François Marmontel, zit. nach Peter-Eckhard Knabe, Schlüsselbegriffe des kunsttheoretischen Denkens in Frankreich von der Spätklassik bis zum Ende der Aufklärung, Düsseldorf: L. Schwann, 1972, S. 151.
4. Multitudes „MULTITUDE, s. f. (Gramm.) ce terme désigne un grand nombre d’objets rassemblés, & se dit des choses & des personnes: une multitude d’animaux, une multitude d’hommes, une multitude de choses rares. Méfiez-vous du jugement de la multitude; dans les matieres de raisonnement & de philosophie, sa voix alors est celle de la méchanceté, de la sottise, de l’inhumanité, de la déraison & du préjugé. Méfiez-vous-en encore dans les choses qui supposent ou beaucoup de connoissances, ou un goût exquis. La multitude est ignorante & hébétée. Méfiez-vous-en sur-tout dans le premier moment; elle juge mal, lorsqu’un certain nombre de personnes, d’après lesquelles elle réforme ses jugemens, ne lui ont pas encore donné le ton. Méfiez-vous-en dans la morale; elle n’est pas capable d’actions fortes & généreuses: elle en est plus étonnée qu’approbatrice; l’héroïsme est presque une folie à ses yeux. Méfiez-vous-en dans les choses de sentiment; la délicatesse de sentimens est-elle donc une qualité si commune qu’il faille l’accorder à la multitude? En quoi donc, & quand est-ce que la multitude a raison? En tout; mais au bout d’un très-long-tems, parce qu’alors c’est un écho qui répete le jugement d’un petit nombre d’hommes sensés qui forment d’avance celui de la postérité. Si vous avez pour vous le témoignage de votre conscience, & contre vous celui de la multitude, consolez-vous-en, & soyez sûr que le tems fait justice.“ Denis Diderot (u. a., Hgg.), Encyclopédie ou dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers (1751)
Aspekte der Connaisseurkritik: Der partikulare Blick ... Die ‚Menge‘ war nicht die einzige Abspaltungsfigur des Kunstpublikums des 18. Jahrhunderts. Gemeinsam mit der Aufwertung gemeinschaftlicher Kunstrezeption verloren die Tradition der Kunst- und Wunderkammer und ihr Bewohner, der Connaisseur, rasch an Ansehen.1 In sein Wissen eingeschlossen, galt er als unfähig zur Kommunikation; mit dem falschen Sensorium ausgestattet, wurde ihm nicht zugetraut, Kunst umfassend zu erfahren. Der komplexe Diskurs der Connaisseurkritik geht über die Kunstliteratur im engeren Sinn hinaus. Zudem ist der Begriff eine Vereinfachung, denn die Kritik betraf die verschiedensten Formen spezialisierter Kennerschaft: Nicht immer wurde explizit der ‚Connoisseur‘ kritisiert. Im Englischen hatte dieser erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts den veralteten ‚Virtuoso‘ abgelöst. Im Französischen hatten die Bezeichnungen ‚amateur‘ und ‚connoisseur‘ etwas früher den Platz des zunehmend
1 Pace 1987; Pears 1988, S. 193–198.
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negativ konnotierten ‚curieux‘ eingenommen.2 Die Connaisseurkritik war derartig geläufig, dass sie als verständliche und leicht adaptierbare Matrix für Kritik an verschiedenen Negativformen eingesetzt werden konnte. Sie nahm viele Namen an (etwa ‚Pedant‘, ‚Virtuoso‘ oder ‚Curieux‘) und stellte viele Typen dar (Sammler, Kritiker oder Kunsthändler).3 Die Gemeinsamkeiten dieser Feindbilder sind, insbesondere wenn sie vor dem Hintergrund der Aufwertung des Gemeinschaftsbegriffs für die bildende Kunst betrachtet werden, aufschlussreich: Häufig handelte es sich um Figuren des Markts und der Kritik, die als falsche Vermittlerfiguren zur Allgemeinheit interpretiert wurden. Bereits bei Shaftesbury waren manche Aspekte der Connaisseurkritik angeklungen, und zwar gerade wegen der hohen Bedeutung, die er dem Kenner/Kritiker zumaß. Mit den ‚closets‘ und ‚libraries‘ als Orte der Kunstrezeption verurteilte Shaftesbury auch deren vermeintliche Benutzer, die ‚Pedanten‘. Als vorbildlichen Kenner/ Kritiker beschrieb Shaftesbury die „Virtuosi, or refin’d Wits of the Age. [...] the Lovers of Art and Ingenuity; such as have seen the World, and inform’d themselves of the Manners and Customs of the several Nations of Europe, search’d into their Antiquitys, and Records; consider’d their Police, Laws, and Constitutions; observ’d the Situations, Strength, and Ornaments of their Citys, their principal Arts, Studys, and Amusements; their Architecture, Sculpture, Painting, Musick, and their Taste in Poetry, Learning, Language, and Conversation.“
Ein wahrlich umfassendes Bild verfeinerter Bildung, Welterfahrung und geschulten Geschmacks. Nicht weit davon entfernt begann allerdings das Reich der „inferior Virtuosi“, die sich, von der Welt abgewandt, im Exzess ihrer Betrachtungen verlieren: „In seeking so earnestly for Raritys, they fall in love with RARITY, for Rareneß-sake. Now the greatest Raritys in the World are MONSTERS. So that the Study and Relish of these Gentlemen, thus assiduously conversant and imploy’d, becomes at last in reality monstrous: And their whole Delight is found to consist in selecting and contemplating whatever is most monstrous, disagreeing, out of the way, and to the least purpose of any thing in Nature.“4
Shaftesbury ermunterte zur gemeinschaftlichen Kennerschaft – bei ihm noch gefasst unter dem alten Namen ‚Virtuosoship‘ – anstelle der Beschäftigung als Scholar. Selbst 2 Guichard 2005, S. 149–206, 490–495; Krysztof Pomian, Médailles/coquilles = érudition/philosophie, in: Studies on Voltaire and the eighteenth century, 154, 1976, S. 1677–1703; Harry Mount, The Monkey with the Magnifying Glass: Constructions of the Connoisseur in Eighteenth-Century Britain, in: Oxford Art Journal, 29/2, 2006, S. 167–184. Einen interessanten Blick auf die Sammlungen dieser ‚Curieux‘, in denen Kunst- und Naturobjekte gemeinsam versammelt waren, gibt: Bettina Dietz/Thomas Nutz, „Collections curieuses“. The aesthetics of curiosity and elite life style in eighteenth-century Paris, in: Eighteenth-Century Life, 29, 3, 2005, S. 44–75. 3 Der ‚Connaisseur‘ ist ein vorrangig männlich geprägter Typus. 4 Shaftesbury 1981–(2001), I, 2 (Miscellaneous Reflections), S. 190–192.
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primitive Naturbelassenheit war der pedantischen Wissensüberladung des Kenners vorzuziehen, Unbildung besser als Verbildung: „For even rude Nature it-self, in its primitive Simplicity, is a better Guide to Judgment, than improv’d Sophistry, and pedantick Learning.“5 Falsche Kennerschaft stand für die sinnlose Anhäufung von Fachwissen statt synthetisierender, gemeinschaftlicher ‚conversation‘: „A man who thinks only on the particular object before him, goes not away much illuminated by having enjoyed the privilege of handling the tooth of a shark, or the paw of a white bear“, meinte Samuel Johnson in The Rambler und warnte vor der Verblendung der Pedanten.6 Seine Sammelleidenschaft und Maßlosigkeit konnten dem Kenner zum Verhängnis werden. John Evelyn wurde von seiner Curiosity zu der für seine Begriffe fast blasphemischen Feststellung verleitet, „God has given enough for use, not for Curiosity, which is Endless.“7 Dem Titel der Publikation zum Trotz beschrieb César de Rocheforts Dictionnaire général et curieux (1685) ‚curiosité‘ unter anderem als „appetit déréglé de sçavoir les choses vaines, inutiles ou mauvaises“ und in weiterer Folge als verdammenswerte Krankheit, juckendes Geschwür, gierigen Blutegel, beißenden Wurm und so fort.8 La Bruyère erklärte in Les Caractères, ‚curiosité‘ führe nicht zum Genuss des unvergänglich Schönen, sondern sei eine Leidenschaft für das Modische und Seltene.9 Als Kunstsammler wurde der Virtuoso in Thomas Shadwells gleichnamiger Theatersatire 1676 zur Figur der Komödie. Bei Laurent Bordelon hieß er Monsieur le Sec und widmete Zeit, Geld und Aufmerksamkeit lieber „rares tableaux enfumez“ (durch ihr Alter nachgedunkelten Gemälden) als seiner eigenen Familie.10 Theatersatiren wie The Connoisseur, or, Every Man his Folly (1736), Samuel Footes Taste (1752), The English Connoisseur (1767), L’antiquaire (1751), Le déménagement d’Arlequin, marchand de tableaux (1783) und verschiedene Theateradaptionen von Marmontels Le Connaisseur in den 1770er-Jahren belegen die Popularität der Connaisseurkritik auf beiden Seiten des Ärmelkanals auch im 18. Jahrhundert.
5 Shaftesbury 1981–(2001), I, 1 (Soliloquy), S. 266. 6 Zur Connaisseurkritik in The Rambler: Samuel Johnson, The Rambler, Hg. W. J. Bate, New Haven/ London: Yale University Press, 1963, IV, S. 140 (The Rambler, no. 82, 29. Dezember 1750); IV, S. 72 (The Rambler, no. 83, 1. Januar 1751, Zitat); V, S. 168–172 (The Rambler, no. 177, 26. November 1751). 7 John Evelyn, Memoires for my Grand-son, nach Houghton 1942, S. 51. 8 César de Rochefort, Dictionnaire général et curieux, Lyon: P. Guillimin, 1685, S. 93–94. 9 Jean de la Bruyère, Les caractères ou les mœurs de ce siècle, Paris: Michallet, 1696, Kapitel „De la mode“, S. 369. 10 Laurent Bordelon, Diversitez curieuses, pour servir de récréation à l’esprit (1696), in: Thuillier 1983, S. 139–140. Vgl. eine schottische Adaption neun Jahrzehnte später: Frazer Tytler, Description of a Shopkeeper Virtuoso in a Letter from his Wife Rebecca Prune, in: The Mirror, 17, 1779/80, in: Lynam 1827, XXIV, S. 64–68.
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Innerhalb der Aktivitätsbereiche des Sammelns11, ja selbst innerhalb der Kunstkritik waren die positiven Darstellungen der Kennerschaft nach wie vor zahlreich. All diese Beispiele aber zeichnete die Hervorhebung des gemeinschaftlichen Charakters der Kunstrezeption aus, möglichst weit vom Verdacht pedantischen Einzelstudiums entfernt. Aus der Sicht der hommes savants war dieser Prozess der Kulturalisierung der Kunstbetrachtung der Wissensvermehrung nicht eben zuträglich: „l’homme de Lettres se trouve confondu avec l’homme, purement homme de goût, qui ne recherche et n’estime dans les Médailles que les beautés de la gravure antique.“12 Eine diplomatische Lösung stellte die französische Unterscheidung zwischen ‚amateur‘ und ‚connoisseur‘ dar, die an diese Differenz zwischen wissensfreier, ästhetischer Rezeption und gelehrtem bzw. fachlichem Kunsturteil anschloss: Den ersten kennzeichnete Liebe zur Kunst, und bestenfalls Geschmack, doch nur dem zweiten wurden Urteilsfähigkeit und fachliche Kompetenz zugesprochen.13 Selbst die Auktionskataloge blieben nicht immer bei der positiven Charakterisierung der Kenner. Die Connaisseurkritik war insbesondere in England derartig populär, dass sie auch einen Verkaufskatalog des Jahres 1772 erreichte – wohl als Abwehr von Angriffen vonseiten der Luxuskritik (Abb. 22). Den schlechten Geschmack des falschen Kenners belegen nicht nur mehrere exotische Gegenstände, die ihm angeboten werden, sondern auch ein bizarr gerahmtes Architekturcapriccio, das nichts Gutes für die Bauprojekte seines Besitzers verheißt. Die Bildunterschrift verweist auf ein Zitat Alexander Popes, dessen englische Werkausgabe eine frühere Adaption dieser Illustration schmückte: „What brought Sir Visto’s ill got wealth to waste? Some Dæmon whisper’d, ‚Visto! have a Taste.‘“14 Auch in Frankreich diente die Connaisseurkritik in erster Linie der Aufwertung neuer Formen der Kennerschaft, insbesondere des gemeinschaftlichen Ausstellungsbesuchs. Und so war sie in den Salon-Besprechungen besonders geläufig, wie das Beispiel eines Frontispiz des Jahres 1753 zeigt, das eine Szene aus dem Text illustriert (Abb. 23): Der Verfasser trifft am Eingang zur Ausstellung auf einen Connaisseur, der ihn, mit einer Lupe in der Hand, bedrängt, sich doch seine Sichtweise anzueignen: „Il avoit encore à sa main sa fatale Loupe, instrument dont ces Messieurs semblent ne faire usage que pour grossir les fautes de notre Académie; & nécessaire, comme vous le sçavez, à qui veut passer pour Connoisseur. L’impitoyable Lorgneur m’aperçoit, lorsque je veux, 11 Pomian 1987, S. 172–173; Dacier 1946. 12 Louis Joubert, zit. nach Pomian 1976, S. 1684. 13 Diderot 1966–67, III, S. 898; [François-Marie de Marsy], Dictionnaire abrégé de peinture et d’architecture, Paris: Nyon/Barrois, 1746. [Jacques Lacombe], Dictionnaire portatif des beaux-arts, Paris: La Veuve Estienne et fils/ J.-T. Hérissant, 1752; Pernety 1757. 14 Pope 1993, III/ii (Epistles to Several Persons: Epistle IV, To Richard Boyle, Earl of Burlington), S. 133. Über die Illustration: Guichard 2005, S. 249–250. Für vergleichbare französische Beispiele vgl. Thomas Arnauldet, Estampes satiriques bouffonnes ou singulières relatives à l’art et aux artistes français pendant les XVIIe et XVIIIe siècles, in: Gazette des beaux-arts, 3, 1859, S. 342–361; 4, 1859, S. 101–113.
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22 J. Punt nach Nicholas Blakey, Frontispiz des Auktionskatalogs der Sammlung Famas, 1772, Paris, BN.
23 Charles-Nicolas Cochin (?), Frontispiz zu: Jacques Lacombe, Le Salon, [s. l.] [s. n.] 1753, Paris, BN.
tête baissée, l’esquiver, en glissant. Mais point de quartier: il m’acole contre le mur, me saisit d’une main ferme [...].“15
Der kultivierte Erzähler versucht dem fanatischen Kenner zu entrinnen, doch umsonst: Wie die anderen Kunstwerke wird er an die Wand gedrückt, als ihm der Lorgneur mit seiner Lupe auf den Leib rückt. Die Illustration zeigt, wie man sich so einen Connaisseur vorzustellen hat: altmodisch gekleidet, hager – und natürlich ausgestattet mit der erwähnten Lupe.16 Das Figurenpaar hat auch Gabriel de Saint-Aubin in seiner Salon-Darstellung desselben Jahres wiederverwendet (Abb. 19).
15 Jacques Lacombe, Le Salon, [s. l.] [s. n.] [1753], [Collection Deloynes #55], S. 3. 16 Noch in den 1780er-Jahren ist die Figur des falschen Kenners durch Perücke und Lorgnette gekennzeichnet. [Louis-Abel Beffroy de Reigny], Le cousin Jacques hors du sallon, folie sans conséquence, Lunéville/Paris: Royez, 1787, [Collection Deloynes #389], S. 12.
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Wie die vornehmen Kunden und Kundinnen in Watteaus Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint (Abb. 13) brauchte der Kenner die Lupe, um die ‚écriture pittoresque‘ des Malers zu erkennen: „Les [...] hachures de ces desseins sont quelquefois faites à la plume, au pinceau, ou relevées de blanc de craie, ou gommé; elles sont en long, d’autres en travers, les unes à droite, les autres à gauche [...].“17 und so fort. Der Blick auf das Detail war für echtes Kunstinteresse notwendig: „Whatever we look upon therefore should be consider’d Distinctly, and Particularly, and not only seen in General to be Fine, or Not, but wherein ’tis One, or the Other.“18 Doch das Lorgnon war bald nicht nur das Zeichen des Kenners, sondern auch seiner Verblendung, Kurzsichtigkeit und Voreingenommenheit: „on aura beau froncer le sourcil, prendre un air de mécontentement à la vûe de quelque tableau, affecter une attention fort exagérée par l’usage d’une lorgnette dirigée dessus, parler, employer tous les termes de l’art, & se mêler de décider; on n’est qu’un ignorant [...]“.19 Die Behelfsmittel der Kunstbetrachtung wurden zugleich zu Instrumenten der Affektiertheit. Die Lupe steht in der Bildtradition der Sehbehelfe des Kunstkenners. Ein frühes Beispiel dieser Tradition, ein mehrfach kopiertes Blatt (Abb. 24), das Pieter Breughel d. Ä. zugeschrieben wird, zeigt einen bebrillten Kenner mit leicht zugekniffenen Augen hinter einem Maler. Im Gegensatz zu dessen versunkenem Blick, der sich dem Gehalt des Bildes zuwendet, kann der Kenner dieses gar nicht sehen, und so bleibt ihm nichts anderes als der Griff in den Geldbeutel als Zeichen eines blinden Kaufinteresses.20 In der klassischen Emblemtradition stand der Gesichtssinn für das Urteilsvermögen, und so griff die Darstellung des kurzsichtigen Kenners die Kompetenz des Publikums als Wertinstanz im Kern an. Jemand, der einen Sehbehelf brauchte, verfügte nicht über die Fähigkeit, richtig zu urteilen. Stattdessen musste er sich mit einem Instrument behelfen, das seine Wahrnehmung verzerrte. Die Lupe war paradigmatisch für das Auge des Kritikers, „that microscope of Wit“.21 Sie stand für das unbedeutende Einzelne, dafür, das Ganze nicht mehr sehen zu können (nach einem Ausdruck, der im 18. Jahrhundert geprägt wurde, den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen zu können): „Thus Criticks, of less Judgment than Caprice, Curious, not Knowing, not exact, but nice, Form short Ideas; and offend in Arts (As most in Manners) by a Love to Parts.“22 17 Antoine Joseph Dezallier d’Argenville, Abrégé de la vie des plus fameux peintres, Paris: de Bure, 1745, I, liv (discours préliminaire). 18 Richardson 1998, I, S. 51. 19 [Saint-Yves], Observations sur les arts et sur quelques morceaux de Peinture & de Sculpture, exposés au Louvre en 1748, Leyde: Elias Luzac Jr., 1748, [Collection Deloynes #34], S. 17. 20 Heinz Herbert Mann, Augenglas und Perspektiv. Studien zur Ikonographie zweier Bildmotive, Berlin: Mann, 1992, S. 116. 21 Pope 1993, V, S. 365 (The Dunciad, Z 232). 22 Pope 1993, I, S. 271 (Essay on Criticism, Z 285–288).
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24 Pieter Brueghel, Maler und Kunstfreund, ca. 1562/1563, Federzeichnung, Wien, Albertina.
25 [Anon.], La Font de Saint-Yenne, undatiert, Radierung, Paris, BN.
Die Lupe war das Zeichen der Brechung der Wahrheit, der parteiischen, gefälschten Wahrnehmung. Auch das „speculative instrument“23 der Kritik war davon betroffen, und die Karikaturen auf La Font de Saint Yenne haben darauf nicht vergessen (Abb. 25). Der Kritiker, so hieß es, bemerke nur Fehler an Bildern, er sei „tout jugement“.24 Und dieser verzerrte, analysierende Blick rückte zunehmend ins Zentrum der Kritik. Reynolds’ erste literarische Versuche waren der Connaisseurkritik gewidmet und dienten einem Angriff auf William Hogarths Analysis of Beauty, die Reynolds relativistisch und idiosynkratisch erschien. Auch bei Reynolds richtete sich die Kritik am Kenner auf dessen Unfähigkeit, das Ganze zu erkennen und zu beurteilen, „those shallow criticks [...] unable to comprehend the whole, judge only by parts [...]“.25 . 23 Samuel Coleridge, nach M. H. Abrams, Doing Things with Texts, New York/London: Norton, 1989, S. 29. 24 [D. P.], A Monsieur de Bastide, in: Le Monde, III, 1761, S. 91. 25 Johnson 1963, S. 235–236 (The Idler, no. 76, 29. September 1759). Zur Kritik an Hogarth: Paulson 1991–93, III, S. 147; David Bindman, Hogarth and his Times. Serious Comedy, London: British Museum Press, 1997, S. 15–24. Vgl. die wahrscheinlich durch Reynolds’ Beitrag angeregte Beschreibung der Connaisseure „their heads [...] stuck so full of rules and compasses“ in Sternes Tristram Shandy (Laurence Sterne, The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman, Hg. Melvyn New/Joan New, Gainesville: University Press of Florida, 1978–1984, I, S. 213).
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Der Kenner stand der Transformation des Publikums zum Instrument des überzeitlichen Ruhmes im Weg: „[T]here is a certain race of men, that either imagine it their duty, or make it their amusement, to hinder the reception of every work of learning or genius, who stand as centinels in the avenues of fame, and value themselves upon giving Ignorance and Envy the first notice of a prey“, meinte Samuel Johnson, und ließ in einer Allegory on Criticism die von Bösartigkeit und Schmeichelei durchsetzte Kritik ihr Zepter an die Zeit abgeben.26 Die Bedeutung des falschen Blicks des Connaisseurs war gravierend: Du Fresnoys Empfehlung an den Künstler, „[de] concevoir le Tout ensemble & l’effet de l’Ouvrage comme tout d’une veuë, & non pas chaque chose en particulier“,27 hatte sich de Piles in der Querelle du coloris sehr ausdrücklich angeschlossen. Du Bos beschrieb den Mangel an künstlerischem Genie als Unfähigkeit, das Ganze zu überschauen.28 Eine gelungene künstlerische Darstellung musste vollständig sein, das Ganze repräsentieren, anstatt in Partikularitäten zu verfallen. Für das Tafelbild, so meinte Shaftesbury, sei dies grundlegend, denn es definierte sich als „a single Piece, comprehended in one View, and form’d according to one single Intelligence, Meaning, or Design; which constitutes a real WHOLE, by a mutual and necessary Relation of its Parts, the same as of the Members in a natural Body.“ Die Connaisseure hatten nur wenige Fürsprecher, und diese kamen rasch in Verdacht, selbst dieser wenig renommierten Gruppe anzugehören. Caylus etwa verteidigte die Kenner vor dem Plenum der Académie als unparteiischer als die Künstler, die notwendigerweise in ihrem Urteil befangen seien. Dabei hatte auch er die Bedeutung der Vermittlung zwischen Allgemeinem und Partikularem erkannt, als er den idealen Kenner als jemanden beschrieb, der nicht seinen Einzelinteressen folgte: „[...] il ne doit affecter aucun genre ni aucun goût, il doit être l’ami solide de la peinture et des peintres en général et en particulier.“ Im Gegensatz zum Curieux, der ohne Konsequenzen seinem Privatvergnügen folgen könne, so Caylus, sei der ‚wahre‘ Kenner Mitglied der Académie, und damit der Allgemeinheit verpflichtet.29 Doch Caylus mochte noch so sehr auf die Notwendigkeit ästhetischer Bildung, auf die ‚yeux de comparaison‘, pochen. Die Warnungen vor den Sehgewohnheiten verbildeter – d. h. an der Kunst anstatt an der Natur geschulter – Connaisseure waren vorherrschend. Im Anschluss an Roger de Piles verwiesen Antoine und Charles Coypel immer wieder auf die ‚natürlichen Augen‘ des unbefangenen, empfindsamen
26 27 28 29
Johnson 1969, III, S. 15–19 (The Rambler, no. 3, 27. März 1750). Du Fresnoy/de Piles 1673, S. 27 (Übersetzung de Piles’). Du Bos 1982, II, Sect. 6, S. 65. Anne-Claude-Philippe, comte de Caylus, Dissertation sur l’amateur, Paris, Sorbonne MS 1155; Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes Yb 3 18; ENSBA Archives MS 13, zitiert nach einer unveröffentlichen Transkription des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris, Forschungsgruppe Herausgabe der Conférences de l’Académie Royale de Peinture et de Sculpture (vgl. Lichtenstein/Michel 2006).
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Laien, denen die ‚yeux de la prévention‘30 entgegenstünden. Dieses natürliche Sehen zu ermöglichen, konnte zu einem Zeichen künstlerischen Genies werden: So meinte Denis Diderot in einer Besprechung eines Gemäldes von Chardin, dass er, um die Bilder der anderen Künstler zu sehen, sich erst Augen machen müsse. Um die von Chardin zu sehen, müsse er hingegen nur die naturgegebenen gut nützen.31 Die heftige Antwort Charles Coypels auf Caylus’ Vortrag, die die Möglichkeit eines gerechtfertigten negativen Urteils durch einen Amateur fast vollständig zurücknahm,32 reflektiert bereits die Auseinandersetzungen mit den Kritikern der späten 1740er-Jahre. In diesen Jahren waren Seitenhiebe auf die falschen Kenner häufig; selbst eine conférence über Les élèves et leurs devoirs warnte vor den „prétendus connaisseurs, aussi presomptueux qu’ils sont peu éclairés sur les mystères de ce grand art [...]; ils ne laissent pas cependant de s’ériger en arbitres souverains des réputations et nous les voyons encore aujourd’hui dispenser à leur gré leur faveur ou leur mépris.“33 Coypel beschrieb die falschen Kenner als detailversessene Pedanten, die nicht auf das Ganze achteten, sondern bloß auf „un petit coin du tableau, la touche d’une plante, d’un nuage, ou le derrière de la toile“. Zugleich verwies er auf ihre Vorliebe für alte, bis zur Unkenntlichkeit nachgedunkelte Gemälde gegenüber zeitgenössischen Arbeiten: „on le suit, on l’écoute; il faut, dit-on, que cet homme soit bien profond dans la connoissance de cet art, pour découvrir encore des beautez dans ce tableau, où nous croïons ne voir que du noir. De là mon élève passe devant un tableau moderne, qui vient d’être admiré, il ne le regarde pas. Eh grand Dieu! se recrie-t-on encore, que nous sommes peu connoisseurs! Ce tableau nous avoit frappez, cette composition nous paroissoit noble, les expressions sensibles, cette couleur nous avoit attirez; dites-nous donc, Monsieur... Passez! répond-il, passez! ne voïez-vous pas bien que ce tableau est moderne? passez!“34
Damit beschrieb Coypel schon 1726 ein Klischee, das sich als ein zweiter Hauptvorwurf innerhalb der Connaisseurkritik etablieren sollte: die Verachtung zeitgenössischer Kunst. Der alte Streit zwischen Anciens und Modernes hatte ein neues Anwendungsgebiet gefunden.
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Charles-Antoine Coypel, Dialogue sur l’exposition, in: Coypel 1971, S. 95. Diderot 1984–95, I, S. 220 (Salon de 1763). Montaiglon 1875–1909, VI, S. 136–137. Jean-Baptiste Massé, Les élèves et leurs devoirs, 4. Januar 1749, Paris, ENSBA Archives MS 185, zitiert nach einer unveröffentlichen Transkription des Deutschen Forums für Kunstgeschichte, Paris, Forschungsgruppe Herausgabe der Conférences de l’Académie Royale de Peinture et de Sculpture (vgl. Lichtenstein/Michel 2006). In einer späteren Fassung 1772 wurde dieser Verweis gestrichen. 34 Charles-Antoine Coypel, Dialogue sur la connoissance, in: Coypel 1971, S. 76.
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... und der Blick in die Vergangenheit Als der Connaisseur der Salon-Kritik von 1753 (Abb. 23) kein Interesse für die aktuelle Kunst in der Ausstellung aufbringt, reagiert der Erzähler prompt mit einem Vers: „Je sçais que les tableaux par le temps enfumés . Vous paroissent les seuls dignes d’être estimés, . Cependant il est dans notre âge . Des Apelles ingénieux . A qui tout Connoisseur doit un sincère hommage.“35
Das nachgedunkelte, wertlos gewordene Bild war das Steckenpferd der „prétendus Connoisseurs qui n’approuvent que ce qui est Antique, & qui préférent un Tableau noir, où personne ne peut rien connoître, aux meilleures productions des Peintres d’aujourd’hui [...].“36 Jean-Bernard Le Blanc, der sich bei der Vorbereitung der 1745 publizierten Lettres d’un François intensiv im kulturellen Austausch zwischen London und Paris bewegt hatte, evozierte mit der Interpretation des falschen Kenners vor dem altersgeschwärzten Gemälde eine Vorstellung, die in England noch weitere Verbreitung fand. Tatsächlich war das Alter von Gemälden lange ein Zeichen ihres Wertes: Der englische Auktionator Edward Millington hatte die Spuren der Alterung der auf seinen Auktionen verkauften Gemälde als verkaufsfördernd gewertet und sprach von der „rarety of their blackness“.37 Gegen die traditionelle Aufwertung eines Kunstwerks durch sein Alter wandte sich William Hogarth mit einer Darstellung des Vaters Zeit, dessen todesähnlicher Hauch die Schönheiten eines Gemälde schwärzt, während seine Sense die Leinwand zerstört (Abb. 26). Die Radierung, die als Subskriptionsticket für einen Reproduktionsstich seines Historiengemäldes Sigismunda gedacht war, enthält einen Verweis auf einen im Spectator publizierten emblematischen Traum. Darin wandelte Addison durch eine Galerie mit Werken alter und moderner Meister, wobei er auf der Seite seiner Zeitgenossen nur Vanity, Stupidity, Fantasque und dergleichen fand, die jeweils einer europäischen Malerschule zuordenbar waren. Auf der Seite der alten Meister verschönerte die Allegorie der Zeit langsam und unmerklich die Bilder, indem sie ihren grellen Glanz verschwinden ließ („he wore off insensibly every little disagreeable Gloss [...]“). Denn selbst die alten Meister produzierten zu Lebzeiten wertlose Objekte, ihr Wert entstand erst nach und nach.38 Gegen eine derartige wertsteigernde Interpretation der Zeit hatte sich Hogarth schon in der Analysis of Beauty gewandt: „[T]ime the destroyer“ verschönere nicht, sondern zerstöre die Gemälde: 35 Jacques Lacombe, Le Salon, [s. l.] [s. n.] [1753], [Collection Deloynes #55], S. 4–5. 36 Le Blanc 1970, S. 6–7, 74–75 (Zitat). 37 Brian Cowan, Arenas of Connoisseurship: Auctioning Art in Later Stuart England, in: North/ Ormrod 1998, S. 159. 38 Spectator 1965, I, Nr. 83, 5. Juni 1711, S. 353–356 (Zitat: S. 356).
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26 William Hogarth, Time Smoking a Picture, 1761, Radierung und Mezzotinto, London, The British Museum.
27 [Anon.], A Connoisseur Admiring a Dark Night Piece, 1771, Radierung, London, The British Museum.
„time disunites, untunes, blackens, and by degrees destroys even the best preserved pictures.“39 Welch leichtes Opfer der als ‚exotick‘ – wenn nicht gar ‚catholick‘ – gebrandmarkte Kunstkenner für die britische Satire war, zeigt eine gewollt unbeholfene Karikatur eines Kunstkenners mit Zopfperücke, Gehstock und einem Degen, der ihn selbst zu durchbohren scheint, beim Bewundern eines „dunklen Nachtstücks“ (Abb. 27). Dass hier ein ganz bestimmter Typus, nämlich der italophile Kunstkenner, gemeint war, zeigt die Anlehnung an die Karikaturen Pier Leone Ghezzis, dessen Atelier ein fixes Ziel der Grand Tour darstellte. Reproduktionen solcher Karikaturen waren in England zum Beispiel beim Künstler und Kunsthändler Arthur Pond erhältlich.40 Die begehrten Zeichnungen standen in der italienischen Karikaturtradition und waren nicht kritisch, sondern im Sinne inszenierter Selbstironie ihrer Auftraggeber zu verstehen. 39 William Hogarth, The Analysis of Beauty, Hg. Joseph Burke, Oxford: Clarendon Press, 1955, S. 130–131, Fn. 1. 40 Louise Lippincott, Selling Art in Georgian London: The Rise of Arthur Pond, New Haven/London: Yale University Press, 1983, S. 134.
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Die Darstellung der Liebhaberschaft des Kenners als ‚exotick‘ kam nicht von ungefähr. Etwa 50.000 Gemälde und 500.000 Radierungen und Kupferstiche wurden im Laufe des 18. Jahrhunderts aus Italien, Frankreich und den Niederlanden nach England importiert, 100.000 Bilder über englische Auktionshäuser verkauft.41 All dies ginge auf Kosten gesellschaftlich und wirtschaftlich wertvoller, zeitgenössischer britischer Kunst, lautete der Protest der britischen Künstlerschaft. Es war dies die Kehrseite des ‚Growth of Interest of the Arts in England‘42: „All Artists are encourag’d – but our own.“43 Der Zusammenhang zwischen der Bewunderung für alte Meister und Katholizismus schien gar eng zu sein, spöttelten die Saint-Martin’sLane-Künstler, denn „it must [be] with a Painter as with the Roman Catholic Saints, who are never beatified till a Hundred years after they are dead, nor canoniz’d till after a Hundred years more; a Consideration, which, in the present undervalued if not derided State of Fame or Glory, cannot be esteemed a very powerful Incentive.“44
Und so fand die Connaisseurkritik viel Platz in den Besprechungen der zeitgenössischen Kunstausstellungen in London in den 1760er-Jahren, die damit umso nachdrücklicher als patriotische Unternehmungen dargestellt wurden. Dies gilt insbesondere für eine Reihe von Pamphleten und Besprechungen der zweiten Ausstellung der Society of Artists of Great Britain im Mai und Juni 1761. Kurz nach der Eröffnung erschien ein Artikel, in dem die ignorante und verächtliche Haltung eines Connaisseurs gegenüber der zeitgenössischen britischen Kunst persifliert wurde. Während der Autor der Besprechung sich selbst als „Admirer, but, thank God, not Encourager of the Polite Arts“ bezeichnete, gab sich der ältliche Connaisseur als Mitglied der Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (kurz: Society of Arts) zu erkennen, der Konkurrenzvereinigung der Society of Artists of Great Britain in diesen Jahren. Bereit, über die „wretched English daubs at Spring Gardens“ zu spotten, war er das leibgewordene Exemplar der von William Hogarth gestalteten Schlussvignette des Ausstellungskatalogs (Abb. 28), aber nicht in der Lage, sich selbst in der Karikatur des Äffchens mit der Lupe zu erkennen.45 Eine ähnliche Erzählung war aus Samuel Footes Taste (1752) bekannt: Dort wurde das im Foundling Hospital ausgestellte Gemälde Moses before Pharao William Hogarths zuerst von einem Connoisseur bewundert und dann, nach einem Hinweis
41 John Brewer, Cultural Production, Consumption, and the Place of the Artist in Eighteenth-Century England, in: Allen 1995, S. 8. 42 Dies ist der Untertitel von Pears 1988. 43 Samuel Foote, Taste. A Comedy, of Two Acts, London: R. Francklin, 1752, S. 1 (Prolog). 44 The Plan of an Academy for the Improvement of Arts in General, 31. Januar 1755, zit. nach Hargraves 2005, S. 18. 45 St. James’s Chronicle, 23.–26. Mai 1761, S. 2. Vgl. einen weiteren Leserbrief desselben Autors in: Ebd., 2.–4. Juni 1761, S. 2.
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28 Charles Grignion nach William Hogarth, Connaisseur, Schlussvignette zu: A catalogue of the Pictures, Sculptures, Models, Drawings, Prints, etc. exhibited by the Society of Artists of GreatBritain, London: Society of Artists of Great Britain, 1761, London, British Library.
auf die moderne Autorschaft, abgelehnt.46 Die Kritik am unmodernen, unenglischen Connaisseur und das Lob der Bemühungen der Society of Artists of Great Britain, besonders Hogarths, war auch das Anliegen einer längeren Folge von Artikeln von Autoren aus seinem Umkreis, die im St. James’s Chronicle im April und Mai 1761 publiziert wurde.47 Diesen Besprechungen kommt umso mehr Gewicht zu, als regelmäßige Ausstellungsbesprechungen in englischen Zeitungen erst ab etwa Mitte der 1760er-Jahre einsetzten.48 46 Foote 1752, S. 21–22. 47 Etwa ein von [John Oakly] verfasster Brief an den St. James’s Chronicle, 23.–25. April, S. 3 und 5.–7. Mai, S. 2 (leicht geänderter Wiederabdruck); ein weiterer Wiederabdruck ist angekündigt in: St. James’s Chronicle, 2.–5. Mai 1761, S. 4; ein zweiter Brief erscheint im St. James’s Chronicle vom 14.–16. Mai 1761, S. 4. Eine weitere Publikation in diesem Kontext ist: [T. B.], A Call to the Connoisseurs, or Decisions of Sense, with respect to the present state of Painting and Sculpture and their several Professors in these Kingdoms, together with a Review of, and an Examination into, their comparative Merits and Excellencies. Intended to vindicate Genius and Abilities of the Artists of our own Country from the Malevolence of the pretended Connoisseurs or interested Dealers, London: W. Owen, 1761. Das Pamphlet wird verschiedenen Autoren zugeschrieben: James Barry und Thomas Becket lt. Bernd Krysmanski, Hagarty, not Hogarth? The True Defender of English Wit and Humour, in: Frédéric Ogée, The Dumb Show. Image and Society in the Works of William Hogarth, Oxford: Voltaire Foundation, 1997, S. 157; Bonnell Thornton lt. Johannes Dobai, Die Kunstliteratur des Klassizismus und der Romantik in England, 1750–1790, Bern: Benteli, 1974, II, 2, S. 1124, Fn. 78a; Thomas Bardwell lt. Paulson 1991–1993, III, S. 333. Vgl. Bernd W. Krysmanski, Hogarth’s ‚Enthusiasm delineated‘: Nachahmung als Kritik am Kennertum, Hildesheim (u. a.): Olms, 1996, I, S. 302–319. 48 Vgl. die Sammlungen von Ausstellungsrezensionen, wie im Anhang aufgelistet. Die meisten wurden in Zeitschriften publiziert, unabhängige Publikationen folgten erst mit einiger Verspätung und erreichten keine mit Paris vergleichbare Zahl. Karnevaleske Pamphletliteratur war dementspre-
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Hogarths Schlussvignette zeigte nicht nur den Kenner selbst als alt, sondern auch seine Steckenpferde, die längst verstorbenen alten Meister, die keine Pflege, keine Förderung mehr zum Leben erwecken konnte. Das Äffchen, das mit blinder Liebe die althergebrachten Formeln der Kunstkennerschaft imitierte, war mit einem zugekniffenen Auge und der Lupe in der Hand dargestellt. Die äffische (‚apish‘) Nachahmung war nur einer der ikonografischen Bezugsrahmen der Darstellung, denn in der britischen Karikatur des 18. Jahrhunderts stand der Affe auch für den Franzosen.49 Hogarth war bereit, die Connaisseurkritik vielfältig einzusetzen. Eine seiner frühen kunstpolitischen Schriften, ein mit „Britophil“ unterzeichneter Aufsatz, der der Ehrenrettung seines verstorbenen Schwiegervaters James Thornhill gewidmet war, verurteilte zunächst die „Demi-Criticks“, deren Aufmerksamkeit auf unbedeutende Kleinigkeiten gerichtet war („narrow, little Genius’s“). Im nächsten Absatz wandelte sich die Kritik zu einem Protest gegen „Picture-Jobbers“: Kunsthändler, die, anstatt die britische Künstlerschaft zu fördern, „dismal Dark Subjects“ importierten und diese ihren arglosen Kunden aufschwatzten. Der englische Sammler, „tho’ naturally a Judge of what is beautiful“, verlasse sich so nicht auf seine eigenen Augen, sondern falle der Mode wertloser alter Bilder anheim.50 Die Kunsthändler stünden der Kunstrezeption im Wege, und noch viel mehr der englischen Künstlerschaft – dies bestätigte, in Hogarths Sinn, später André Rouquet: „Ils ont à combattre une espèce d’hommes dont la profession est de vendre des tableaux; & comme il seroit impossible à ces gens-là de faire commerce des tableaux des Peintres vivans, & sur-tout de ceux de leur pays, ils prennent le parti de les décrier, & d’entretenir tant qu’ils peuvent les amateurs qu’ils approchent, dans l’idée absurde que plus un tableau est ancien, plus il est précieux.
chend rar; möglicherweise vergleichbar wären etwa: [Mauritius Lowe], The Ear-Wig; or An Old Woman’s Remarks on the present Exhibition of Pictures of the Royal Academy, preceded by a Petit Mot Pour Rire, instead of a Preface [...], London: G. Kearsly, 1781; [Anthony Pasquin], The Royal Academicians. A Farce, as it was performed To the Astonishment of Mankind, by His Majesty’s Servants, at the Stone House, in Utopia, in the Summer of 1786, London: Denew and Grant, [s. a.]; [anon.], The Bee; or, the Exhibition Exhibited in a New Light, London: the Authors, 1788. Vgl.: Mark Hallett, ‚The Business of Criticism‘: The Press and the Royal Academy Exhibition in Eighteenth-Century London, in: Solkin 2001, S. 73–74. Zu den radikalen politischen Pamphleten vgl. Holger Hoock, The King’s artists. The Royal Academy of Arts and the Politics of British Culture 1760–1840, Oxford: Clarendon Press, 2003, S. 133–134. 49 Duffy 1986, S. 36; no. 61. Davon unterschied sich die französische Darstellungstradition naturgemäß, wobei die Beliebtheit der Singeries eine Erweiterung der Affenikonografie erlaubte. Chardin malte 1740 die Pendants des ‚singe-antiquaire‘ und ‚singe-peintre‘ als leise Parodie auf Künstler und Kenner, die gleichermaßen als Spezialisten karikiert werden. (Jean Siméon Chardin, Le singe-antiquaire, ca. 1740, Paris, Louvre; P. L. Surugue nach Chardin, Le Peintre, 1743, Paris, Bibliotheque Nationale.) 50 Paulson 1971, II, S. 491–492. Vgl. Krysmanski 1996, I, S. 296–301.
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Voyez, disent-ils, en parlant d’un tableau moderne, il est encore tout brillant de cette ignoble fraîcheur qu’on découvre dans la nature; il s’en faut bien que le tems l’ait encore couvert de sa docte fumée, de ce nuage sacré qui doit le cacher quelque jours aux yeux profanes du vulgaire, pour ne laisser voir qu’aux initiés les beautés mystérieuses d’une vénérable vétusté.“51
Das Alter der beanstandeten, von den Händlern favorisierten Bilder war wie ein künstlich herbeigeführter Verschleierungsprozess dargestellt, der die Malerei den Augen der Gemeinschaft entziehen und sie einem kleinen Kreis Eingeweihter vorbehalten sollte. Rouquet führte seine Kritik noch weiter, indem er selbst die Rezeptionsformen des einfachen Volks positiv beschrieb und damit zeigte, wie umstritten dilettierende wie professionelle Kennerschaft in England auch zur Mitte des Jahrhunderts war. Künstlerische Connaisseurkritik war ein Instrument zur Selbstnobilitierung und zur wirtschaftlichen Emanzipation in direkter Konkurrenz zum Kunsthandel. Unter Hogarths kreativen Initiativen zur direkten Adressierung seines Publikums stand denn auch die Veranstaltung privater Auktionen, bei denen Kunsthändler explizit ausgeschlossen waren.52 1745 bewarb er eine solche Auktion mit der Radierung The Battle of the Pictures, in der die modernen Gemälde mit einer schier unendlichen Reihe fließbandartig hergestellter Kopien nach Werken der alten Meister kämpften. Diese waren nun doppelt vom Ideal der Naturnachahmung entfernt: als Kopien nicht der Natur, sondern von gealterten, unverständlich gewordenen Kunstwerken.53 In den 1750er-Jahren bildete die von Hogarth 1735 gegründete zweite St.Martin’s-Lane-Academy die wichtigste Ausbildungsstätte Londons. Deren Künstler traten auch, in verschiedenen Konstellationen, als Slaughter’s-Coffee-House-Gruppe (nach einem nur wenige Schritte von der Academy entfernten Lokal), oder als Foundling-Hospital-Gruppe auf, denn die dortige Ausstellung ging in bedeutendem Maß auf Hogarths Initiative zurück.54 Für sich selbst, abseits der Porträtmalerei und zumeist auch der Historienmalerei, sah Hogarth in der Druckgrafik die einzige
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Rouquet 1755, S. 35–36. Paulson 1991–93, III, S. 47–55. William Hogarth, The Battle of the Pictures, 1745, London, The British Museum. Zur St. Martin’s Lane Academy: Martin Postle, The Saint Martin’s Lane Academy. True and false records, in: Apollo, 134, Juli 1991, S. 33–38; Paulson 1991–93, II, S. 74–76; Mark Girouard, Coffee at Slaughter’s. English Art and the Rococo I, in: Country Life, CXXXIX, 13. Januar 1966, S. 58–61; 27. Januar 1966, S. 188–190; 3. Februar 1966, S. 224–227. Zur komplexen Geschichte der Londoner Künstlervereinigungen vor der Gründung der Royal Academy: Kenneth Luckhurst, The story of exhibitions, London: Studio Publications, 1951, S. 23–32; Sidney Hutchison, The History of the Royal Academy 1768–1968, London: Chapman & Hall, 1968, S. 21–50; Ilaria Bignamini, Jean Bernard Le Blanc et l’Académie anglaise de 1749, in: Revue de l’art, 73, 1986, S. 17–27; Bignamini 1988; Brandon Taylor, Art for the nation. Exhibitions and the London public 1747–2001, New Brunswick: Rutgers University Press, 1999, S. 1–28; Hargraves 2005, S. 5–88.
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Möglichkeit, ein großes Publikum zu erreichen.55 Es ist bemerkenswert, dass die britische Künstlerschaft das direkte Marktinstrument der Kunstausstellung erst in den 1760er-Jahren aktivierte und die Frage der Gestaltung dieser Ausstellungen so stark an ihre Institutionalisierung und damit an die komplizierte Frage der Akademiegründung gebunden war. In Frankreich wurde die Kritik an den Kunsthändlern anders geführt, und diese waren, in gegenseitiger Konkurrenz, maßgeblich selbst am Entwurf des eigenen Negativbilds beteiligt.56 Bereits Gersaint klagte über die „basse jalousie de métier, attachée plus particulièrement à ce genre de négoce qui d’ailleurs n’a rien que d’agréable ou d’amusant“.57 Zur Abgrenzung von solchen Negativbildern diente ihm nicht zuletzt der Umstand, dass er auch mit zeitgenössischen Künstlern handelte, am prominentesten mit Arbeiten Watteaus, nach dessen Tod er wie ein Nachlassverwalter auftrat. Auch der Händler Charles-François Joullain klagte, viele seiner Kollegen, „corrompue par l’appât d’un gain médiocre“58, seien unfähig zur ästhetischen Wertschätzung bildender Kunst und verglich seine Lage als Veranstalter von Auktionen mit der ausstellender Künstler. Abgesehen von vereinzelten Attacken gegen Privatsammlungen,59 übernahmen französische Autoren erst spät den patriotischen Impetus ihrer britischen Kollegen und versuchten, ihre Leser von den Vorzügen der Förderung zeitgenössischer französischer Kunst zu überzeugen. So berichtete ein Artikel im Journal de Paris von einem Greis von 84 Jahren, der seine Kunstsammlung bereits zwanzig Jahre zuvor zum Vergnügen begonnen habe und nun von einer beträchtlichen und für die glücklichen Erben erfreulichen Wertsteigerung profitieren könne. Seine Strategie sei die folgende gewesen: „[Je] sais que l’on enrichit les artistes à moins de frais que les marchands; voici comme je fais: je n’achète plus de tableaux de maîtres morts, mais je commande aux vivants des pendants pour les morceaux de mon cabinet. [...] J’ai la douce satisfaction de prouver mon estime et de faire du bien à mes contemporains.“60
Ein Jahr später kehrte das Argument in derselben Zeitung wieder. Den Lesern wurde nahegelegt, die jungen Pflanzen der französischen Schule direkt zu fördern und nicht bei Kunsthändlern zu kaufen. Der Autor empfahl offen den Salon als 55 [John B. Nichols], Anecdotes of William Hogarth, written by himself, London: J. B. Nichols & son, 1833, S. 10–11. 56 Zur französischen Differenzierung zwischen ästhetischem und kommerziellem Wert und zur Kritik an den Kunsthändlern: Annie Becq, Artistes et Marché, in: Bonnet 1989, S. 81–95. 57 Edme Gersaint, Catalogue raisonné des tableaux [...] provenant de la succession de feu M. Charles Godefroy, Paris: Prault, 1748, S. 30. 58 C[harles]-F[rançois] Joullain, Réflexions sur la peinture et la gravure, accompagnées d’une courte dissertation sur le commerce de la curiosité, Metz: Claude Lamort, 1786, S. 147. 59 Etwa in: Garrigues de Froment 1753, S. 42–44. 60 Chatelus 1991, S. 289–290.
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Ort des Markts: „[T]ous les tableaux dont il n’est pas dit dans le Livret qu’ils sont du Cabinet de M.***, ou du Cabinet de M. un tel, appartiennent nécessairement à leur Auteur“.61 Das Ende der im Rahmen der Connaisseurkritik entworfenen Negativfiguren war jedoch noch nicht erreicht: In seiner Salon-Besprechung des Jahres 1767 wandte sich Diderot ausführlich gegen die „maudite race [...] des amateurs [...]; qui ont des galeries qui ne leur coûtent guère; des lumières ou plutôt des prétentions qui ne leur coûtent rien; qui s’interposent entre l’homme opulent et l’artiste indigent; qui font payer au talent la protection qu’ils lui accordent; qui lui ouvrent ou ferment les portes; qui se servent du besoin qu’il en a pour disposer de son temps; qui le mettent à contribution; qui lui arrachent à vil prix ses meilleures productions; qui sont à l’affût, embusqués derrière son chevalet; qui l’ont condamné secrètement à la mendicité pour le tenir esclave et dépendant; qui prêchent sans cesse la modicité de fortune comme un aiguillon nécessaire à l’artiste et à l’homme de lettres, parce que si la fortune se réunissait une fois aux talents, et aux lumières, ils ne seraient plus rien [...]“.62
Diese Tirade zielte nicht nur auf Kunsthändler und Sammler ab, sondern letztlich auf jede Form falscher Vermittlung zwischen Kunstschaffenden und Gesellschaft. Es galt zwar längst als Zeichen guten Geschmacks der Auftraggeber, Zurückhaltung und Respekt vor der Freiheit der Künstler zu bewahren,63 doch damit waren diese ja noch nicht aus ihrer Abhängigkeit gelöst. Rasch wurde ihnen Korrumpierbarkeit vorgeworfen. „M. Fragonard? Il perd son temps et son talent: il gagne de l’argent.“64 So gab Louise d’Epinay den Inhalt einer Salon-Kritik Daudet de Jossans wieder, bei dem es über die ehemalige Hoffnung der Historienmalerei Fragonard gar hieß:. „[I]l a renoncé a la gloire“.65 In der Opposition finanzieller und ästhetischer Interessen wurde die Verstrickung der Künstler in ihre zeitgenössische Gesellschaft zu einem Problemfeld. Besonders harte Kritik galt weiblichen Auftraggeberinnen, die später bekanntlich gerne für die Verirrungen des Rokoko verantwortlich gemacht wurden, und einer explizit weiblich dargestellten Variante falscher Kennerschaft.66
61 Journal de Paris, 236, 24. August 1781, S. 951, zit. nach Udo van de Sandt, Le Salon de l’Académie de 1759 à 1781, in: Munhall 1984, S. 83. 62 Diderot 1984–1995, III, S. 60–61 (Salon de 1767). 63 Colin B. Bailey, Patriotic Taste. Collecting Modern Art in Pre-Revolutionary Paris, New Haven/ London: Yale University Press, 2002, S. 9–10. Vgl. Charles-Nicolas Cochin, Les donneurs d’idées, Badinage instructif adressé à M. de Boissy, in: Mercure de France, Juni 1755, II, S. 11–19. 64 [Louise d’Épinay], Mémoires et correspondance de Madame d’Épinay, III, Paris: Volland, 1818, S. 407. 65 [Daudet de Jossan], Lettre de M. Raphaël le jeune, Elève des Ecoles gratuites de Dessin, Neveu de feu M. Raphaël, Peintre de l’Académie de St Luc, [s. l.] [s. n.], 1771, [Collection Deloynes #141], S. 59. 66 Hyde 2006, S. 59–60.
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Ein Abbild der Einzelinteressen der Auftraggeber und Auftraggeberinnen im doppelten Sinne war die Porträtmalerei, deren Verachtung vor allem in Frankreich ausgeprägt war. Sie diene nur der Vervielfachung der „êtres obscurs sans caractère, sans nom, sans place, et sans mérite“ – ja selbst „sans physionomie“ schrieb schon La Font de Saint Yenne.67 Als Abbild partikularer Interessen galt sie als negatives Gegenstück zur gesellschaftlich wertvollen Historienmalerei.68 Das Bild der parasitären, genielosen Sammler sollte besonders dann auftauchen, wenn diese Kunstwerke nicht für den Salon freigaben, sondern als ihren Privatbesitz deklarierten. Ein anonymer Autor zog eine Parallele zwischen diesen „tyrans des Arts“ und der „époque malheureuse de l’invasion des Barbares“.69 Die Missachtung der Interessen der Gesellschaft behindere deren Entwicklung und zivilisatorischen Fortschritt. Die Salons von 1767 und 1769, befand Diderot, repräsentierten nicht die Leistungen der Pariser Académie, sondern die Einzelinteressen der Kunstschaffenden. Greuze, dessen Gemälde zu den populärsten Arbeiten im Salon gezählt hatten, stellte in seinem Atelier aus, Fragonard hatte die wenig lukrative und unverlässliche Patronage der offiziellen Kunstadministration längst zurückgewiesen und sich privaten Auftraggebern zugewandt. Hubert Robert benutzte den Salon wie ein Auktionshaus: 1769 stellte er mehr als 40 Werke aus70 und war damit offensichtlich nicht allein: Die Zahl der Exponate im Salon stieg in den letzten drei Jahrzehnten vor der Revolution von 200 auf das Doppelte an. Die Salon-Ausstellung war das wichtigste Marktinstrument der Künstler: „[S]i quelqu’un veut faire faire son Portrait, ou employer un Peintre d’un autre genre, il n’a qu’à aller au Sallon, s’il a des yeux, il connoîtra bien-tôt celui qu’il doit choisir; s’il se défie de ses lumieres; il n’a qu’à écouter; le Public lui nommera celui qu’il doit préférer.“71
67 La Font 2001, S. 52, 319. 68 Mémoires secrets 1777–89, 25. September 1762, I, S. 129; 28. August 1765, II, S. 226–227; 26. August 1767, III, S. 219–220; 20. September 1767 (Salon-Kritik, Lettre III), in: Fort 1999, S. 44; 20. September 1769 (Salon-Kritik, Lettre II) in: Fort 1999, S. 56–57; 29. September 1775 (Salon-Kritik, Lettre III) in: Fort 1999, S. 147. 69 [anon.], Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront, Amsterdam: chez Arkstée et Merkus, 1755, [Collection Deloynes #71], S. 31–32. Zu vergleichbaren englischen Befunden: Pears 1988, S. 175–176. Zur Kritik an dem Sammler Laborde, dem unterstellt wurde, Gemälde zurückzuhalten, anstatt sie für den Salon zur Verfügung zu stellen: Diderot, Brief an Falconet, 7. September 1769, in: Denis Diderot, Correspondance, Hg. Georges Roth, Paris: Les Éditions de Minuit, 1955–1970, IX, S. 132. Zu einem Echo in Mémoires secrets vom 10. September 1769: Fort 1999, S. 49, 55. 70 Paula Rea Radisich, Deconstructing Dissipation, in: Eighteenth-Century Studies, 29/2, 1995– 1996, S. 223. 71 [Jean-Bernard le Blanc], Observations sur les ouvrages de MM. de l’Académie de peinture et de sculpture, exposés au Sallon du Louvre en l’année 1753, [s. l.] [s. n.], 1753, [Collection Deloynes #63], S. 55–56.
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Für viele Künstler bedeutete diese Exposition allerdings ein riskantes Unterfangen, denn der Erfolgsdruck wuchs. „On a vu des Artistes dégoûtés d’exposer leurs ouvrages. au Sallon; on a vu des particuliers, qui, après avoir commandé le Tableau exposé, ne vouloient plus le prendre, après la lecture des critiques, & plaider même pour ne pas y être forcés […]“.72 La Tour stellte anonym aus, was von manchen Kommentatoren als Zeichen seiner Bescheidenheit gelobt wurde.73 Ein anderer Ausweg für arrivierte Künstler war die Ausstellungsverweigerung – Jean-Baptiste-Marie Pierre und François Boucher seien es 1767 leid gewesen, „de s’exposer aux bêtes et d’être déchirés“, schrieb Diderot.74 Demselben Salon war die ausführliche, oben zitierte Problematisierung privater Patronage vorangestellt. Der Zerfall der Ausstellung in Einzelinteressen habe weitreichende Konsequenzen. Ein Künstler, so Diderot, „ne sera plus arrêté par mon jugement, par le vôtre; par le respect qu’il se portera à luimême; par la crainte de perdre sa réputation; ce n’est plus pour la nation, c’est pour un particulier qu’il travaillera, et vous n’en obtiendrez qu’un ouvrage médiocre et de nulle valeur.“75
Da das gemeinsame Urteil des Publikums das Kunstwerk validiere, führe dessen Zersplitterung zu geringer Qualität. Dies war das Problem der fragmentierten Wahrnehmung des Kenners, des nur seine Partikularinteressen vertretenden Kunsthändlers, der Besitzgier des Sammlers: Ebenso wie der Menge, die kein geschlossenes Ganzes ergab, wurde diesen in der Connaisseurkritik zusammengefassten Figuren die Befähigung abgesprochen, die Öffentlichkeit zu repräsentieren.
Multitude und Kritik Die Verunsicherung des Publikumsbegriffs ging nicht nur mit dem Sichtbarwerden der Besucher in den Ausstellungen einher, sondern auch mit der steigenden Bedeutung der Kunstkritik. Anstatt des traditionellen Verweises auf die Urteile des Publikums wurde dessen Hinterfragung, Differenzierung und erneute Legitimierung und damit auch diejenige der eigenen Autorschaft notwendig. Doch auf welche Souveränität konnte sich die Kritik zu einem Zeitpunkt, da der Begriff ‚public‘ brüchig geworden war, berufen? Wo war das Publikum zu verorten? „[N]ous ne dirons pas avec quelques écrivains modernes que nos Observations sont celles du public, & que nous l’avons consulté, de peur qu’on nous demande: où loge le public“, so griff 72 Jean-Louis Viel de Saint-Maux, Observations philosophiques sur l’usage d’exposer les Ouvrages de Peinture & de Sculpture. A Mme la Baronne de Vasse, La Haye/Paris: Bleuet, 1785, [Collection Deloynes #365], S. 16. 73 Munhall 1984, S. 306; Année littéraire, 6, 24. September 1767. 74 Diderot 1984–95, III, S. 57 (Salon de 1767). 75 Ebd., S. 59.
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Charles-Nicolas Cochin Charles Coypels Warnung vor einer vorschnellen Lokalisierung des Publikums auf.76 Am naheliegendsten war die Rückkehr zu den alten Bürgen des Geschmacks, der kleinen Gruppe verständiger Kunstrichter. Die undifferenzierende und undifferenzierte multitude schien leicht von den wahren Kennern unterscheidbar: „S’il ne s’agissoit que de vous dire ceux qui ont mérité le plus l’approbation générale, je vous contenterois aisément; car il en est des morceaux de Peinture & de Sculpture comme des Pièces de Théâtre. [...] Mais vous exigez quelque chose de plus, & vous souhaitez que je vous développe ce que pense cette partie respectable du Public qu’on appelle Connoisseurs [...]. [J]e me suis trouvé ces jours passés dans une assemblée de ces Connoisseurs qui par l’exactitude, la solidité, & l’impartialité de leurs observations m’ont en effet paru mériter ce nom; ainsi je n’aurai pour vous satisfaire qu’à vous rapporter exactement ce que j’ai entendu.“77
Doch die Stimmen der multitude zum Verstummen zu bringen, war kaum möglich. Anstatt deren Berechtigung zurückzuweisen, versuchten manche Kommentatoren, einen anderen Weg zu finden und sie in den Publikumsbegriff zu integrieren. Die Menge der Ausstellungsbesucher musste in einer metaphysisch anmutenden Transformation in ihr Idealbild, le public, umgewandelt werden, und zahlreiche Kommentatoren vermeinten dies in der gemeinschaftlichen Kunstrezeption im Salon zu beobachten. Drei Viertel des Publikums verstünden nicht das Geringste von der Malerei, schrieb der Abbé Le Blanc 1747, und bezog sich dabei noch gar nicht auf die vulgäre Menge des Salon, sondern auf die Besucher des Musée du Luxembourg. Und doch sei immer wieder zu beobachten, wie sich aus der Menge der Kunstbetrachter ein Publikum formiere: „Dans toutes les choses qui sont du ressort de l’esprit & du goût, la plus saine partie du Public, quoique la plus petite, donnera toujours le ton à la plus grande. Il en est une raison bien sensible; quelque petit que soit le nombre de Juges éclairés, il est le plus fort, parce qu’il a un avis uniforme. Dans la multitude, au contraire, chacun a son sentiment particulier. Les manières d’errer sont infinies. Mais ces différens sentimens que produisent l’ignorance ou le mauvais goût, cédent petit à petit à celui qui est fondé sur la vérité. [...]. Un homme qui sur de fausses idées qu’il s’étoit formées, faisoit cas de ce qu’il entend mépriser par des personnes, qui l’éclairent sur la source de son erreur, change d’avis. Tel autre entend louer ce qu’il lui avoit paru indifférent: il fixe son attention sur l’objet, il sent, il réforme son jugement.“78 76 Diese Besprechung war anonym publiziert: [anon.], Avant-Coureur, no. 36, 4. September 1769, S. 563. 77 [anon.], Lettre sur la peinture, la sculpture, et l’architecture à M. ***, Amsterdam: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #39], S. 1–4. 78 Le Blanc 1970, S. 109–110.
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Die wahre Gemeinschaft – public – verfügte über eine Qualität, die der Menge – multitude – fehlte: Einigkeit. In ihr verschmolzen die ‚kalten‘, individuellen Urteile zu einem Ganzen: „Ceux qui au Parterre décident avec tant de promptitude, & cependant avec tant justesse du mérite d’un Ouvrage, seroient tous bien embarassés, si l’on donnoit à chacun d’eux en particulier la Pièce à examiner. Rassemblés, ils se livrent au sentiment qui ne les trompe gueres, & qui n’est jamais si vif, ni si sûr que quand il est partagé. Séparés, ils recevroient une impression beaucoup plus froide, ils voudroient raisonner, & le raisonnement les empêcheroit peut-être de sentir.“79
Die Gemeinschaft garantiere die Findung empfindungsbasierter Urteile statt des vereinzelten, räsonierenden Kunststudiums – und aus diesem Grund lohne es sich, meint Le Blanc, dem Beispiel des Apelles zu folgen und in der Ausstellung die Meinung des Publikums anzurufen.80 Dessen neuer Wirkungsort war der Salon. Die metaphysische Hitze, die bei der Kunstrezeption entstehen konnte, mochte dabei auf einen Gedanken Roger de Piles’ zurückgehen, der die Erfahrung künstlerischer Sensibilität (‚genie de feu‘ bzw. ‚esprit de feu‘) als eine Art individualisierte Klimatheorie konzipiert hatte: „Il est certain que ceux qui ont un genie de feu entrent facilement dans l’Entousiasme, parce que leur imagination est presque toûjours agitée: mais ceux qui brûlent d’un feu doux, qui n’ont qu’une médiocre vivacité jointe à un bon jugement, peuvent s’insinuer dans l’Entousiasme par degrez, & le rendre même plus reglé par la solidité de leur esprit.“81
Der Künstler vermöge sich im Werkprozess auf diese Erfahrung vorbereiten, doch der Betrachter werde mit einem Mal vom génie erfasst. Dies war der Stoff für zahlreiche Künstleranekdoten: 1748 etwa hieß es über François Le Moyne, er achte sehr genau auf die unmittelbare Wirkung seiner Werke: „Feu le Moine sentoit tellement la solidité de cette maniere de porter son jugement, que lorsqu’il faisoit voir un Tableau; il avoit toujours les yeux fixés dessus celui à qui il le montroit. Si au premier abord il n’étoit saisi, & n’exprimoit sa satisfaction par un mouvement involontaire, il retouchoit son Ouvrage, & ne le regardoit comme terminé que quand il produisoit cet effet.“82
De Piles hatte die sinnliche Überwältigung angesichts der Schönheit der Kunst auch für den gebildeten, urteilsfähigen Betrachter rekrutiert, und die immer wieder geübte Kritik an der Trockenheit und ‚Unentflammbarkeit‘ des falschen Kenners bezeugte 79 Ebd., S. 112. 80 Dabei bezog sich Le Blanc direkt auf die Empfehlung Du Fresnoys, das Urteil des ‚Vulgi‘ nicht zu scheuen. Ebd., S. 114–115. 81 De Piles 1708, S. 118. 82 [anon.], Lettre sur la peinture, la sculpture, et l’architecture à M. ***, Amsterdam: [s. n.], 1749, [Collection Deloynes #39], S. 2–3, Fn. a.
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die Bedeutung, die dem ästhetischen Empfinden im 18. Jahrhundert zugeschrieben wurde. Als Daudet de Jossans Zunftmaler Raphaël, überwältigt von den Schönheiten der Gemälde im Salon, den naiven Ruf tat „moi aussi je suis peintre“, parodierte der Verfasser so den anekdotischen Ausruf Correggios vor den Gemälden Raffaels. Während die frühen Beispiele der Immersion in die Welt der Bilder häufig noch die Unfähigkeit des Laien belegt hatten, ein relevantes Urteil über das Gesehene abzugeben, unterstrich vor allem die französische Tradition, dass der Anblick der Bilder die Betrachter entflammen und nicht nur ihre Urteilsfähigkeit, sondern auch ihre Einbildungskraft ansprechen solle. Die Entfachung der Imagination konnte durchaus heilende Wirkung haben: Eine stumme Frau, Protagonistin einer Salon-Kritik, erlangte durch den Fluss ihrer Emotionen im Salon ihre Sprache wieder.83 Das Genie, das die fühlenden Betrachter und Betrachterinnen entflammte, wurde selbst zum Schauspiel, wenn etwa ein junges Mädchen von ihren Gefühlen überfordert wurde und diese nicht mehr zu verbalisieren vermochte: „elle enchantoit par son charmant embarras, on voyoit tous les jolis petits muscles de son visage conspirer à l’envi pour seconder sa voix; & peindre tout ce qu’elle sentoit.“84 Die Vorstellung gemeinschaftlicher hitziger Kunstrezeption stammt aus der Theatertradition. Während Poinsinet sie gerade als Ursache für Fehlurteile ansah, erinnerte Denis Diderot sich nostalgisch an solche Szenen: „Il y a quinze ans que nos théâtres étoient des lieux de tumulte. Les têtes les plus froides s’échauffoient en y entrant, et les hommes sensés y partageoient plus ou moins le transport des fous. [...] On s’agitoit, on se remuoit, on se poussoit; l’âme étoit mise hors d’ellemême. Or, je ne connois pas de disposition plus favorable au poëte. [...] On étoit arrivé avec chaleur, on s’en retournoit dans l’yvresse; les uns alloient chez des filles, les autres se répandoient dans le monde; c’étoit comme un orage qui alloit se dissiper au loin et dont le murmure duroit longtems après qu’il s’étoit écarté. Voilà le plaisir.“85
Einen neuen Platz fand diese Hitze im Salon der Madame Geoffrin, in dem sich montags die Philosophen, mittwochs die Künstler, Amateure und Kunstmäzene versammelten: „[O]n se brouillait, on se racommodait, on riait ou pleurait, on se disait des injures, des douceurs; et c’est au milieu de toutes ces vicissitudes que le tableau s’avançait et s’achevait.“86 Die Beschreibung des gemeinschaftlichen Feuers ging über die rein additive Form der Urteilsfindung hinaus, wie sie in der italienischen Tradition der Rezeptionstheorie, etwa beim Florentiner Priore degli Innocenti Vincenzo Borghini, formuliert 83 [Robert-Martin Lesuire], La Muette qui parle au Sallon de 1781, Amsterdam/Paris: Quillau, 1781, [Collection Deloynes #257]. 84 [Robert-Martin Lesuire], Jugement d’une demoiselle de quatorze ans, sur le Sallon du Louvre de 1777, Paris: Quillau, 1777, [Collection Deloynes #178], S. 22. 85 Denis Diderot an Mme Riccoboni, 27. November 1758, in: Diderot 1955–70, II, S. 92–93. 86 Correspondance littéraire 1968, VI, S. 322 (15. Juli 1765).
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war: Da die Menge der Betrachter viele Augen und Gehirne umfasse, entstünde aus all diesen vielen Einzelteilen ein vollkommenes Ganzes (‚universale perfetto‘). Daher stimme das Urteil einzelner Experten häufig mit dem der Gesamtheit der Betrachter überein.87 Dagegen vermeinte man im Salon nicht nur eine rein additive Klärung des Kunsturteils zu beobachten. Das Verschmelzen der Stimmen der Menge zu einer Gesamtheit wurde in den Ausstellungsbesprechungen wie ein thermodynamischer Vorgang beschrieben, bei dem eine völlig neue, gemeinschaftliche Substanz entstand. Bis zur vorrevolutionären, explizit politisch argumentierenden Salon-Kritik nahm diese Denkfigur an Deutlichkeit wie an Temperatur zu: „la vérité, comme l’or, a besoin d’un feu qui l’épure, & l’on diroit qu’extraite des opinions particulières de chaque observateur par la chaleur des discussions, elle se réunit en masse, & produit une opinion publique, d’autant plus sage qu’on lui permet de s’établir avec plus de lenteur & de liberté.“88
Einen dritten Ausweg aus der brüchig gewordenen Konzeption des Publikums bot die Sicht nach innen, auf die eigene Empfindsamkeit. Die eigene Meinung vor die Wiedergabe der öffentlichen zu stellen, war zunächst nur in parodistischen Verzerrungen klassischer Ausstellungskritik möglich gewesen. Nur langsam kristallisierte sich in den Kritiken das sprechende Ich heraus. Der Abbé Le Blanc tat den Anfang, als er seine Kritik als „sentiment d’un Particulier“ bezeichnete,89 welches erst in der Lektüre, in der Öffentlichkeit legitimiert werde. Der Verfasser des Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront meinte offen, „Ce n’est pas l’avis du Public que je dois donner ici, c’est le mien“, und wehrte mit diesem Argument jede Verärgerung der Künstlerschaft über seine Kritik ab: „mon jugement ne peut leur faire aucun tort, s’il n’est confirmé par la voix publique.“90 Mathon de la Cour versprach 1763 eine „histoire fidele de toutes les sensations que j’ai éprouvées“;91 Diderot beteuert die Authentizität des eigenen Gefühlsurteils: „J’ai senti, et j’ai dit comme je sentais.“92 Ähnlich schrieb Marc-Antoine Laugier, er lasse sich vom Urteil der anderen nicht beeinflussen, sondern höre nur auf sich selbst: „[J]’interroge mon ame, ses mouvemens sont les seuls Experts qui me décident.“93 Das empfindsame Geschmacksurteil war, entsprechend der Tradition des Abbé Du Bos, nicht willkürlich oder beliebig. 87 Vincenzo Borghini, zit. nach Frangenberg 1990, S. 55. 88 [Louis-François-Henri Lefébure], Le Frondeur, ou dialogues sur le Sallon, [s. l.] [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #329], S. 2. 89 Le Blanc 1970, S. 30. 90 [anon.], Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront, Amsterdam: chez Arkstée et Merkus, 1755, [Collection Deloynes #71], S. 19, 80–81. 91 [Mathon de la Cour], Lettre à Mme ***, Sur les Peintures, les Sculptures & les Gravures exposées dans le Sallon du Louvre cette année, [s. l.] [s. n.], 1763, [Collection Deloynes #100], S. 3. 92 Diderot 1984–95, I, S. 254 (Salon de 1763). 93 [Marc-Antoine Laugier], Jugement d’un amateur sur l’exposition des tableaux. Lettre à M. le marquis de V***, [s. l.] [s. n.], 1753, [Collection Deloynes #59], S. 6–7.
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In der Tiefe der eigenen Seele war die Messlatte der Qualität zu spüren, die nicht im Wissen anderer zu finden war. Diderot hatte in den Essais sur la peinture geschrieben, „Si le goût est une chose de caprice, s’il n’y a aucune règle du beau, d’où viennent donc ces emotions délicieuses qui s’élèvent si subitement, si involontairement, si tumultueusement, au fond de nos âmes, qui les dilatent ou qui les serrent, et qui forcent de nos yeux les pleurs de la joie, de la douleur, de l’admiration, soit à l’aspect de quelque grand phénomène physique, soit au récit de quelque grand trait moral? Apage, Sophista: Tu ne persuaderas jamais à mon cœur qu’il a tort de frémir, à mes entrailles, qu’elles ont tort de s’émouvoir.“94
Ein solches Zitat zeigt die Überzeugung, dass individuelle Empfindung nicht zur Vereinzelung des Subjekts oder zu Relativität führt, sondern zu etwas Äußerem und Gemeinschaftlichem, nämlich dem Standard ästhetischer Qualität. Diderots kunstkritische Schriften zeigen, wie sehr ästhetische Erfahrung als Befragung und Entwicklung des Subjekts zur Interaktion mit der Gemeinschaft beitrug. Zwischen 1759 und 1781 verfasste der Philosoph für Friedrich Melchior Grimms Correspondance littéraire regelmäßig anonym publizierte Salon-Besprechungen, in denen er seiner eigenen Konzeption des hieroglyphischen Schreibens als Verschmelzung von Bild und Text bedurfte. Die Ausstellungsbesprechungen wandten sich an ein Publikum außerhalb von Paris. In Ermangelung der Sichtbarkeit der Referenten übersetzte Diderot in seinen Salon-Besprechungen diese in Sprache, „into a specialised and hieroglyphic language which will allow a mental picture to emerge out of itself and to preside over it“95, und war so als Bilderzähler doppelt gefordert. In dem ‚Wachtraum‘ zwischen Wahrnehmung und Reflexion vollendete sich die synästhetische ‚ideal presence‘ des Kunstwerks: Man denke nur an Diderots Traum von Fragonards Le Grand-prêtre Corésus s’immole pour sauver Callirhoé im Salon des Jahres 1765.96 „J’ai ouvert mon âme aux effets. Je m’en suis laissé pénétrer“, beschrieb Diderot die Notwendigkeit der empfindsamen Interaktion mit den Kunstwerken. Die Suche galt der hieroglyphischen Sprache, die zugleich den Ursprungstext der Bilder darstellte und diese zu beschreiben vermochte.97 Doch zum Verfassen einer Kritik war mehr notwendig, nämlich die Befragung der Menge:
94 Diderot 1984–95, I, S. 76 (Essais sur la peinture). 95 Norman Bryson, Word & Image. French painting of the Ancien Régime, Cambridge: Cambridge University Press, 1983, S. 182. 96 Zum Begriff der „ideal presence“ als Wachtraum („waking dream“): Henry Home, Lord Kames, Elements of Criticism, Edinburgh/London: A. Millar/A. Kincaid & J. Bell, 1762, Repr. Hildesheim/New York: Olms, 1970, I, S. 104–127 (124); Rothstein 1976. 97 Michel Butor, Lire la peinture et l’ecrire, in: Cahiers du Musée national d’art moderne, 16, 1985, S. 91–98.
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„J’ai recueilli la sentence du vieillard et la pensée de l’enfant, le jugement de l’homme de lettres, le mot de l’homme du monde, et les propos du peuple; et s’il m’arrive de blesser l’artiste, c’est souvent avec l’arme qu’il a lui-même aiguisée. Je l’ai interrogé, et j’ai compris ce que c’était que finesse de dessin et vérité de nature.“98
Der alte Mann, das Kind, das Volk – dies mochte eine verfeinerte Auswahl aus den Untiefen der Menge darstellen, doch wirklich repräsentativ wurde sie erst durch Diderots vermittelnde Autorität. Denn in der rohen Ansammlung der Menschen im Salon fand er nicht die Einheit, sondern die Vielfalt der Meinungen.99 Einzeln betrachtet, sagten die Stimmen der Menge wenig aus. Sie mussten zuerst gesammelt und im Subjekt des Kritikers vereinigt werden. Um ein relevantes Urteil zu erlangen, reichte es nicht aus, die Menge nur zu befragen. Der Kritiker musste zu ihr werden – mit den Worten Jean Starobinskis: sich einer „dispersion“ oder „multiplication de soi“ unterziehen: „Pour décrire un Salon à mon gré et au vôtre, savez-vous, mon ami, ce qu’il faudrait avoir? Toutes les sortes de goût, un cœur sensible à tous les charmes, une âme susceptible d’une infinité d’enthousiasmes différents, une variété de style qui répondît à la variété des pinceaux; pouvoir être grand ou voluptueux avec Deshays, simple et vrai avec Chardin, délicat avec Vien, pathétique avec Greuze, produire toutes les illusions possibles avec Vernet.“100
Die Arbeit des Kritikers bildete damit eine Parallele zu der des Malers. Diderot vereinte in sich die Meinungen der multitude, er vervielfältigte sich selbst, um sich im performativen Eintauchen in die Menge als Kunstkritiker zu erfinden,101 mit dem ihm eigenen leichtfüßigen Stil, der zuweilen Jacques dem Fatalisten, zuweilen Rameaus Neffen entsprungen schien: „C’est une belle et grande omelette d’enfants“, rief der Kritiker angesichts eines puttiumkränzten Tondo Fragonards. Wenn sich in seinem Wort das babylonische Stimmengewirr der ungeordneten Menge zum Urteil der Öffentlichkeit filterte, dann entsprach dies dem Paradigma der Repräsentation in Thomas Hobbes’ Leviathan: Nicht der Einheit der Repräsentierten bedürfe es, sondern der des Repräsentierenden: „A Multitude of men, are made One Person, when they are by one man, or one Person, Represented; so that it be done with the consent of every one of that Multitude in particular. For it is the Unity of the Representer, not the Unity of the Represented, that maketh 98 Diderot 1984–95, II, S. 21–22 (Salon de 1765). 99 Diderot 1984–95, I, S. 193 (Salon de 1763). 100 Diderot 1984–95, I, S. 181 (Salon de 1763). Jean Starobinski, Diderot dans l’espace des peintres/ Le sacrifice en rêve, Paris: Réunion des musées nationaux, 1991, S. 12–13. 101 Eine ähnliche Form auktorialer multitude oder Zersplitterung des erzählenden Subjekts beschreibt Erich Auerbach anhand der Essais von Montaigne: Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, Tübingen/Basel: A. Francke Verlag, 2001, S. 270–296 (Kapitel XII: L’humaine condition).
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the Person One. And it is the Representer that beareth the Person, and but one Person: And Unity, cannot otherwise be understood in Multitude.“102
Ein ganz ähnliches Verständnis der Aufgabe der Kunstkritik war in den frühen SalonBesprechungen der Mémoires secrets zu finden, wenn der Autor aus der „multitude des ouvrages“ (1771), der „multitude de peintres“ (1773) und der „multitude de tableaux“ (1775) die qualitätsvollsten extrahierte und analysierte, um seinen Lesern eine repräsentative Auswahl der Werke der französischen Schule vorzustellen.103 Die hier postulierte Notwendigkeit der Integration von Diversität in die kritischliterarische Beurteilung hatte eine Parallele in Empfehlungen, die den künstlerischen Schaffensprozess betrafen. So wie der Kritiker Diderot in seinen ersten Salon-Besprechungen in sich die Stimmen der Menge vereinigte, so hatte die Kunstliteratur den Künstlern empfohlen, in sich die Vielfalt der Natur aufzunehmen. Antoine Coypel hatte eine klassische Maxime des Horaz wiederholt, als er die Künstler ermahnte, sich in die Charaktere, die sie darstellten, hineinzuversetzen, ja sich in diese zu verwandeln. Als Abbild der Welt hatte er das Studium des grand théâtre des Hofes in Versailles empfohlen und in konsequenter Folge riet Diderot, auf die Straße hinaus zu gehen.104 Zuletzt betraf dieser Prozess auch das Publikum: Die Rezeption habe sich idealerweise der ästhetischen Vielfalt anzupassen, hatte Du Bos gefordert: „Ainsi nous devons nous transformer en ceux pour qui le poëme fut écrit, si nous voulons juger sainement de ses images, de ses figures, & de ses sentimens.“105 Dass seine Ausstellungsbesprechungen keinen tatsächlichen Öffentlichkeitsanspruch vertraten, betonte Diderot immer wieder. „[C]’est pour mon ami, et non pour le public que j’écris“106, schrieb er 1763, und diese Großzügigkeit erlaubte umfangreiche Eingriffe des Herausgebers der Correspondance littéraire in seine Ausstellungsbesprechungen.107 Der Philosoph beharrte auf seiner Anonymität, sei es aus Furcht vor der Rache der Künstler, wie er schrieb, oder vor der Zensur.108 Da sich die Zirkulation der Correspondance littéraire auf ein Dutzend Fürstenhöfe außerhalb Frankreichs beschränkte, blieb auch der Dialog mit den Künstlern, denen er Ratschläge gab, die sie nicht lesen konnten, imaginär.
102 Thomas Hobbes, Leviathan, Hg. Richard Tuck, Cambridge (u. a.): Cambridge University Press, 1991, S. 114. 103 Fort 1999, S. 73, 100, 125. 104 Bei Coypel: Coypel 1721, S. 3; Thomas Kirchner, „Observons le monde“. La réalité sociale dans la peinture française du XVIIIe siècle, in: Thomas W. Gaehtgens/Christian Michel/Daniel Rabreau (Hgg.), L’art et les normes sociales au XVIIIe siècle, Paris: Éditions de la Maison des sciences de l’homme, 2001, S. 367–368. Bei Diderot: Diderot 1984–95, I, S. 16 (Essais sur la peinture). 105 Du Bos 1982, II, Sect. 37, S. 571. 106 Diderot 1984–95, I, S. 254 (Salon de 1763). 107 Diderot 1984–95, I, S. 109–110 (Salon de 1761). 108 Diderot 1984–95, I, S. 104 (Salon de 1759). Spätestens 1765 aber kündigte Grimm die SalonKritiken unter Diderots Namen an. Munhall 1984, S. 57–59, 67.
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Ganz im Unterschied zu Addisons Spectator, der sich seinem Publikum nur als unbeteiligter Beobachter präsentierte – „rather as a Spectator of Mankind, than as one of the Species“109 –, ließ sich Diderot von der Menge durchdringen. In späteren Jahren konkretisierte er dieses Projekt auktorialer multitude noch weiter. Für den Salon von 1769 reichte der Dialog mit den Kunstwerken nicht mehr, und auch der performative Dialog mit Grimm wurde erweitert. Diderot nahm Anleihen bei anderen aktuellen Kritiken (die seinen außerhalb Frankreichs lebenden Adressaten und Adressatinnen unbekannt waren) und führte innerhalb seiner Texte weitere Figuren ein, denen er oft dissonante Stimmen verlieh. In der Salon-Besprechung des Jahres 1775 legte er dem Ich-Erzähler und seinem Begleiter durch die Ausstellung (einem tatsächlich existenten Schüler Bouchers) Passagen aus einem Pamphlet Charles-Nicolas Cochins110 in den Mund. In den Worten des jungen Künstlers, der die Bilder der Akademiemitglieder erbarmungslos attackierte, erreichte Cochins Kritik eine neue Qualität. „L’art ne pardonne rien“, meinte der verkannte Künstler streng, „et je suis intraitable comme l’art.“1111769 griff Diderot auf die bereits erwähnte Kritik Daudet de Jossans zurück, die auch Cochin zur Reaktion bewegt hatte. Die Besprechung des Salon von 1771 verfasste er, wie heute angenommen wird, gemeinsam mit zumindest einem weiteren Autor,112 dessen Urteile er unterbrach und kommentierte. Im selben Jahr übernahm er Stellen aus weiteren Pamphleten Daudet de Jossans,113 um die Kritik des bis heute nicht identifizierten zweiten Autors zu kommentieren. Für den Salon von 1775 nahm er bei zumindest vier weiteren Ausstellungskritiken Anleihen, 1781 verfasste er seine Ausstellungsbesprechung ein weiteres Mal gemeinsam mit einem zweiten Autor.114 Trotz der inhaltlichen und stilistischen Erweiterung erscheint diese Entwicklung in mancher Hinsicht als Schmälerung des Kreises seiner Gesprächspartner. An der Stelle der postulierten Vereinigung mit der Menge stand nun das mehr oder weniger kompetente Fachgespräch zwischen Kritikern bzw. zwischen Kritiker und Künstler. Immer mehr näherte sich Diderot in seinen Ausstellungsbesprechungen stilistisch der Pamphletliteratur: Ebenso wie diese widmete er sich nun verstärkt der Diskussion anderer Kunstkritiken. Nun war das Ziel nicht das Verschmelzen der Meinungen in der einen Stimme des Kritikers, sondern deren Pluralität, ja oft Dissonanz, wenn die einzelnen (Pseudo-)Autoren Diderots im offenen Widerspruch zueinander argumentierten. 109 Spectator 1965, I, Nr. 1, 1. März 1711, S. 4. 110 [Charles-Nicolas Cochin], Observations sur les ouvrages exposés au Sallon du Louvre, [s. l.] [s. n.], [1775], [Collection Deloynes #160]. 111 Diderot 1984–95, IV, S. 261 (Salon de 1775). 112 Diderot 1984–95, IV, S. 121–129 (Salon de 1771). 113 Zur Besprechung dieser Schriften: Correspondance littéraire 1968, IX, S. 375–377 (15. Oktober 1771). 114 Diderot 1984–95, IV, S. 251–256, 293. Zu Diderots Anleihen bei der Pamphletliteratur vgl. Bukdahl 1980–82, II, S. 263–322.
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Die Pamphletliteratur, bei der Diderot Anleihe nahm, war wie geschaffen für diese Form der Kritik als Repräsentation der Vielfalt und der Abweichung von der ehemals verbindlichen Sprache der Einheit und Geschlossenheit des Publikums. Daudet de Jossans Schriften standen zu Beginn einer, politische Agenden und Unterhaltungswert vereinbarenden, karnevalesken Pamphletkultur, die sich der Kritik des akademischen Salon widmete. In den verstreuten kunstkritischen Flugschriften hatte die Menge ihre Stimmen gefunden. Die Protagonisten dieser Literatur scheiterten an den traditionellen Rezeptionssystemen, die den ignoranti einen festen Platz zugewiesen hatten, sie kannten weder implizite noch explizite Verhaltensregeln und führten so, auch wenn sie selbst im Zentrum der Persiflage standen, die Académie und deren Ansprüche an das Publikum ad absurdum. Die Pamphletliteratur der 1780er-Jahre vertrat offen politische Agenden, doch bereits ab den 1760er-Jahren beanspruchten Figuren des Randes, gehört, repräsentiert und in das Kunstpublikum integriert zu werden: Frauen, Kinder, Fremde, Behinderte, Arme, Obdachlose und so fort.115 Bereits zuvor waren manche dieser Figuren vereinzelt in Salon-Besprechungen aufgetaucht, doch hatte es sich dabei noch nicht um dieselbe Form karnevalesker Literatur gehandelt, sondern eher um punktuelle parodistische Kritik: 1755 besuchte ein fiktiver Blinder die Ausstellungen, um die Inkompetenz der falschen Kritiker zu entblößen: „Ne point voir, ou voir comme vous voyez, n’est-ce pas absolument la même chose?“, meinte er und beschloss, sich als Kritiker zu betätigen: „Je vais être l’écho du public“.116 Die Einführung des Blinden als wahrer Kritiker hatte eine klare, moralisierende Funktion. Ebenso leicht in eine klare Aussage zurückzuführen war 1773 ein antisemitisches Pamphlet, in dem ein jüdischer Kunsthändler im Salon zum Kenner bekehrt wurde.117 Doch schon beim nächsten Salon tauchte ein weiterer Blinder auf, der das Kunsturteil ohne moralisierende Rückführung für seine eigenen Zwecke beanspruchte.118 Dieser neue Blinde des Jahres 1775 befand sich in Begleitung eines Tauben und wurde kurz darauf, in einem anderen Pamphlet desselben Autors, gemeinsam mit einem stummen Wunderkind im Salon gesichtet. Protagonistin dieses zweiten Pamphlets war ein knapp 14-jähriges kreolisches Mädchen, das zu wahren Orakelsprüchen über die ausgestellten Werke befähigt war.119 Wie ist dieses Durcheinander zu interpretieren? 115 Zur karnevalesken Salon-Literatur: Bernadette Fort, Voice of the Public: The Carnivalization of Salon Art in Prerevolutionary Pamphlets, in: Eighteenth-Century Studies, 22/3, 1989, S. 368– 394. 116 [anon.], Réponse d’un aveugle à Messieurs les critiques des tableaux exposées au Salon, [s. l.] [s. n.], 1755, [Collection Deloynes #78], S. 3–4. 117 [anon.], Vision du Juif Ben-Esron, fils de Sépher, Marchand de Tableaux, Amsterdam: [s. n.], 1773, [Collection Deloynes #152]. 118 [Robert-Martin Lesuire], Coup d’œil sur le Sallon de 1775, par un aveugle, Paris: Quillau/Ruault, 1775, [Collection Deloynes #162]. 119 [Robert-Martin Lesuire], Jugement d’une demoiselle de quatorze ans, sur le Sallon du Louvre de 1777, Paris: Quillau, 1777, [Collection Deloynes #178].
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Der Verhöhnung dieser Figuren (und damit indirekt des Ausstellungspublikums) zum Trotz, waren diese Pamphlete Instrumente, marginalisierten und unrepräsentierten Positionen eine Stimme zu verleihen. Doch viele waren einfach zu grotesk, um vollständig in einer Interpretation als politisch subversive Texte aufzugehen. Derselbe Autor, der 1777 das kreolische Mädchen in die Ausstellung gesandt hatte, schickte in den folgenden Jahren lebende Tote hinterher.120 In Daudet de Jossans Lettre de M. Raphaël le jeune von 1771 warteten die ausgestellten Kunstwerke gar nicht erst auf ihr Publikum, sondern kritisierten sich gegenseitig.121 Eine andere Flugschrift handelte von einem Traum, in dem der Salon kurzerhand zu einer Vente après decés wurde: Da die Maler allesamt an Bleivergiftung gestorben waren, fand eine Auktion der Kunstwerke statt, deren Erlös für ihre Begräbnisse und ein Monument zu ihrem Gedenken verwendet werden sollte. Während der Versteigerung gab die Menge Spottlieder zum Besten.122 1789, kurz nach dem Sturm auf die Bastille, bedauerte ein fiktiver Gefangener in einer Salon-Kritik seine Befreiung, da er erst in der Bastille ernsthaft zu zeichnen und zu lesen begonnen hätte, vor allem die „piquants Vaudevilles qui divertisaient la Capitale aux dépens des Aristocrates“, zu denen die Salon-Pamphlete durchaus zu rechnen sind.123 1783 erschien eine der populärsten Salon-Kritiken unter dem Titel Marlborough au Sallon du Louvre, die durchmischt mit Bildkarikaturen und Liedern, einen britischen Militärhelden zu ihrem Protagonisten machte.124 Auch das Pamphlet Momus au Salon (1785) enthielt Lieder und Vaudevilles, und sein Autor ließ zwei Jahre später Beaumarchais’ Figaro in einer Pièce épisodi-critique in den Salon gelangen, komplett mit dem Ehepaar Almaviva, Suzanne und Cherubim (Abb. 29).125 Die Bühne des Salon eignete sich ideal für theatralische Inszenierungen, und dem entsprach die Publikationsform vieler der „exercices in popular theatrical genre“, wie Richard Wrigley die Pamphlete der 1770er- und 1780er-Jahre bezeichnet hat.126 120 [Robert-Martin Lesuire], Le Mort vivant au Sallon de 1779, Amsterdam/Paris: Quillau, 1779, [Collection Deloynes #209]; [Robert-Martin Lesuire], La Morte de trois mille ans au Salon de 1783, Amsterdam/Paris: Quillau, 1783, [Collection Deloynes #286]. 121 [Daudet de Jossan], Lettre de M. Raphaël le jeune, Elève des Ecoles gratuites de Dessin, Neveu de feu M. Raphaël, Peintre de l’Académie de St Luc, [s. l.] [s. n.], 1771, [Collection Deloynes #141]. 122 [anon.], Le Salon à l’encan, Rêve pittoresque, mêlé de Vaudevilles, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #285]. 123 [anon.], Pensées d’un Prisonnier de la Bastille, sur les tableaux exposés au Sallon du Louvre en 1789, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #411], S. 5. 124 [Louis-Abel Beffroy de Reigny], Marlborough au Sallon du Louvre, Paris: [s. n.], 1783, [Collection Deloynes #301]. Zwei der Karikaturen sind abgebildet in Crow 1985, Fig. 42–43 sowie in Fort 1989, Fig. 4. 125 [Jean-Baptiste Pujoulx], Momus au Sallon, Comédie-critique en vers et en vaudevilles, suivie de notes critiques, [s. l.] [s. n.], 1783, [Collection Deloynes #292]; [Jean-Baptiste Pujoulx], Figaro au Sallon de Peinture, pièce épisodi-critique, en prose et en vaudevilles, Rome: [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #330]. 126 Wrigley 1983, S. 23.
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29 [Anon.], Frontispiz zu: [JeanBaptiste Pujoulx], Figaro au Sallon de Peinture, pièce épisodi-critique, en prose et en vaudevilles, Rome: [s. n.], 1785, Paris, BN.
Und sie waren offensichtlich ein großer publizistischer Erfolg. Das Ausstellungspublikum fand allem Anschein nach großen Genuss daran, die Veranstaltungen der königlichen Académie kommentiert zu bekommen. Und der Eindruck, dass dieses Publikum gespalten sei, war nun, nicht zuletzt aufgrund der Pamphletliteratur, völlig geläufig. In den Stimmen der Theaterfiguren, ebenso wie denjenigen bedeutender Künstler der Vergangenheit (darunter François Lemoyne, Raffael, Rubens oder immer wieder auch Apelles), wurde eine Art von Hyperanonymität erzeugt, die die Unmöglichkeit, nun im Namen des Publikums zu sprechen, deutlich machte. Nur eine der frühesten Pamphletfiguren, ein sogenannter „Chinois au Salon“ staunte noch
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über die „volubilité contradictoire“ der Kritiken und war offensichtlich zur Verteidigung des Publikumsbegriffs eingesetzt.127 Der späteren Pamphletliteratur schien dieser Bruch völlig selbstverständlich, ja sie illustrierte ihn geradezu. Diese Texte waren eher Bestandteil einer journalistischen, denn einer kunsttheoretischen Kultur. Es mischten sich Gesellschaftskritik und Bildkritik, die transgressiven Identifikationsfiguren öffneten den Blick für sozial divergierende Formen der Kunstrezeption, auch wenn sie sich rasch gegenseitig lächerlich machten. In einem Pamphlet mit dem ausführlichen Titel Entretiens sur les tableaux exposés au Sallon en 1783, ou Jugement de M. Quil, Lay, Procureur au Châtelet & son Epouse; Madame Fi, delle, & Mademoiselle Descharmes, Nièce de Maître Lami, & de M. Dessence, Apothicaire-Ventilateur beklagt sich eine der Protagonistinnen, Mme Quil, Lay über die störende Menschenmenge in der Ausstellung und macht Vorschläge, wie man den Besucheransturm durch erweiterte Öffnungszeiten oder Eintrittsbeschränkungen mildern könnte. M. Quil, Lay findet das Geschwätz seiner Ehefrau lächerlich, schämt sich ihrer vorschnellen und lautstarken Urteile und wirft ihr, ebenso wie der Schar der Kritiker vor, keine Berechtigung zum Urteil, ja selbst zum Besuch des Salon zu haben: „J’enrage d’entendre parler ainsi; combien d’imbéciles comme vous font foule ici & se permettent de donner leur avis & critiquer, de pitoyables chansonniers qui écrivent sur le mur, faute de papier, qui infectent les honnêtes citoyens par leurs infâmes critiques, & découragent les talens, qui insultent le véritable Artiste? Il appartient bien à des femmes de juger des talens.“128
Doch den Meinungen seiner Ehefrau bleibt viel Platz, und das Lachen ist auf ihrer Seite, als sie ihren selbstgefälligen Begleiter M. Dessence, gleichzeitig mit der. von ihm auswendig gelernten schwülstigen Rhetorik des livret, in die Schranken weist. Die Publikation dieser karnevalesken Charaktere stellt selbst bereits deren Legitimation dar. Nur selten blieb diese Berechtigung jedoch ungebrochen. Manche Stimmen aus der Menge waren so angelegt, dass sie die Leser zwar unterhalten konnten, aber selbst durch deren besseres Wissen letztlich diskreditiert wurden (etwa das Blumenmädchen Marie-Jeanne und ihr Begleiter, der Bootsmann Jérôme, im Pamphlet Ah! Ah! Ou Relation véritable, intéressante, curieuse et remarquable de la conversation de Marie-Jeanne la Bouquetière & de Jérôme le Passeux, au Salon du Louvre, en examinant les tableaux qui y sont exposés129), oder sie sprachen sich selbst lautstark jegliche 127 [anon.], Le Chinois au Salon, [s. l.] [s. n.], 1769, [Collection Deloynes #126], S. 4. 128 [anon.], Entretiens sur les tableaux exposés au Sallon en 1783, ou Jugement de M. Quil, Lay, Procureur au Châtelet & son Epouse; Madame Fi, delle, & Mademoiselle Descharmes, Nièce de Maître Lami, & de M. Dessence, Apothicaire-Ventilateur, [s. l.] [s. n.], 1783, [Collection Deloynes #300], S. 14–15. 129 [anon.], Ah! Ah! Ou relation véritable, intéressante, curieuse et remarquable de la conversation de Marie-Jeanne la Bouquetiere et de Jérôme le Passeux, au Sallon du Louvre, en examinant les
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Urteilsfähigkeit ab (wie etwa ein Obdachloser, der seine eigene Kritik als völlig unsystematisch beschrieb).130 Nur manchmal wurde die Utopie der sozialen Gleichberechtigung der Salon-Besucher und der gesamtgesellschaftlichen Repräsentation in den ausgestellten Kunstwerken evoziert, etwa wenn sich das Verhalten einer Bürgerfamilie im Salon in den ausgestellten Genreszenen spiegelte.131 Kunstbeobachtung wurde zur Selbstbeobachtung: Die ideale Kunst war nicht nur diejenige, die alle gesellschaftlichen Schichten ansprach, sondern diese auch repräsentierte. Die Kraft der bildenden Kunst, alle diese Gruppen zu vereinigen, wurde in der Salon-Kritik immer wieder verteidigt. Und so trafen die heterogenen Randfiguren der karnevalesken Tradition im Salon auf Künstler, die, Apelles gleich, dem Urteil der Menge lauschten. Als die laut geäußerte Kritik einer Bourgeoise au Sallon im gleichnamigen Pamphlet einen Künstler verletzt, flüstert ihr Begleiter, der Autor, ihr rasch ein paar gewählte Komplimente zu, um die Taktlosigkeit wiedergutzumachen. Der Künstler ist zufrieden, die Bürgersfrau geschmeichelt: „Il me prend pour une connoisseuse“, meint sie entzückt und zeigt mit dieser Wortschöpfung, wie rar die Vorstellung weiblicher Kennerinnen war.132 Erst die Unterstützung des kultivierten Begleiters macht das Urteil der einfachen Frau für den Künstler erträglich. Doch auch wenn die Vorstellung einer ‚Connoisseuse‘ bei den Lesern und Leserinnen Lachen auslösen mochte: Die Bevormundung durch den kultivierten Begleiter korrigierte nur die Form des Urteils, dessen grundsätzlicher Berechtigung und Korrektheit nicht widersprochen wurde. Wie viele weibliche Stimmen sich tatsächlich der Kunstkritik widmeten, ist schwer zu sagen. Vivian Cameron hat zwei überzeugende Beispiele weiblicher SalonKritik aus den Jahren 1785 bzw. 1790 identifiziert,133 doch ob sich Kritikerinnen bereits früher in Pamphleten äußerten, ohne ihre eigene Identität zu thematisieren, muss unbeantwortet bleiben. Auch dies illustriert, dass die Pamphletliteratur inhaltlich nicht auf bestimmte politische Anliegen oder Aussagen festzumachen ist: Diese waren so heterogen wie sie selbst.
tableaux qui y sont exposés, Receuillie & mise au jour par M.r A. B. C. D. E. F. G. H. I. K. L. M. N. O. P. Q. R. S. T. U. X. Y. Z. etc.; opticien des Quinze vingts, [Nulle part et se trouve partout], 1787, [Collection Deloynes #386]. 130 [anon.], Sans-Quartier au Sallon; Avec un précis de la vie de Sans-Souci, élève de M. Raphaël, des Porcherons, Amsterdam: [s. n.], 1783, [Collection Deloynes #296]. 131 [Daudet de Jossan?], Éloge des Tableaux exposés au Louvre le 26 Août 1773, suivi de l’entretien d’un Lord, avec M. l’abbé A***, Paris, 1773, [Collection Deloynes #148], S. 42–43. 132 [anon.] La Bourgeoise au Sallon, London/Paris: [s. n.], 1787, [Collection Deloynes #384], S. 17– 18. 133 Vivian P. Cameron, Two 18th Century French Art Criticis, in: Woman’s Art Journal, 5, 1, 1984, S. 8–11.
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„Unity amidst Variety“ Die Frage nach dem Gleichgewicht von Einheit und Vielfalt war ein bedeutender Grundtopos des 18. Jahrhunderts, der nicht auf den Öffentlichkeitsdiskurs beschränkt war. Sie zielte von Beginn an über die Grenzen des Bildraums hinaus, denn bereits das Prinzip kompositorischer Einheit galt als Abbild gelungener gesellschaftlicher Organisation. Roger de Piles zog mehrmals den Vergleich zwischen ästhetischer und politischer bzw. gesellschaftlicher Ordnung: „[L]e Tableau [...] ressemble à un Tout politique, où les Grans ont besoin des Petits, comme les Petits ont besoin des Grans. [...] Ainsi pour définir le Tout-ensemble, on peut dire que c’est une subordination générale des objets les uns aux autres, qui les fait concourir tous ensemble à n’en faire qu’un.“
Einheit wurde als gegenseitige Abhängigkeit und Unterordnung unter ein gemeinschaftliches Ganzes beschrieben. Sie gewährleistete die Kommunikationsfähigkeit des Bildes zum Betrachter. Ein misslungenes Gemälde war vergleichbar mit misslungener sozialer Interaktion: „[P]lusieurs personnes qui parleroient dans un même lieu, en même tems & de même ton, feroient de la peine aux Auditeurs qui ne sauroient auquel entendre. Semblable chose arrive dans un Tableau, où plusieurs objets séparez, peints de même force, & éclairez de pareille lumière, partageroient & inquieteroient la vûë“.134
Während die französische Kritik auch im späteren 18. Jahrhundert das Konzept der Einheit nur selten hinterfragte, bestand die zeitgenössische britische Ästhetik nachdrücklich auf einem Ausgleich zwischen Unitas und Varietas: „The Figures which excite in us the Ideas of Beauty, seem to be those in which there is Uniformity amidst Variety. [W]hat we call Beautiful in Objects [...] seems to be in a compound Ratio of Uniformity and Variety“, schrieb Francis Hutcheson.135 Das Prinzip der Unity amidst Variety bezeichnete nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine kognitive Kategorie, wenn Hutcheson sich bemühte, die Universalität des Schönheitssinns, der seiner Auffassung nach von Sitten, Moden und Geschmäckern nur modifiziert, aber nicht grundlegend verändert werde, in dessen mannigfaltiger individueller Erfahrung zu finden. Auch hier war das Ziel die Einheit, die sich in vielgestaltiger Natur ausdrückte. Die Vielfalt der Natur zu einem Ganzen zu führen, zeichnete bereits für Shaftesbury das Genie des Malers aus: „A PAINTER, if he have any Genius, understands the Truth and Unity of Design; and knows he is even then unnatural, when he follows Nature too close, and strictly copies Life. For his Art allows him not to bring All Nature into his Piece, but a Part only. How134 De Piles 1708, S. 104–106. 135 Hutcheson 2004, S. 28–29.
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ever, this Piece, if it be beautiful, and carries Truth, must be a Whole, by it-self, compleat, independent, and withal as great and comprehensive as he can make it. So that Particulars, on this occasion, must yield to the general Design, and all Things be subservient to that which is principal: in order to form a certain Easineß of Sight; a simple, clear, and united View, which wou’d be broken and disturb’d by the Expression of any thing peculiar, and distinct.“136
Von da aus sind die Verbindungen zur Connaisseurkritik augenfällig. Ebenso wie die einfache, klare, einheitliche Sicht, die zur Kunstrezeption notwendig ist, von unterscheidbaren Einzelteilen gestört werden konnte, war es dem Blick des Connaisseurs durch die Lupe oder dem zerstreuten Blick der Menschenmenge unmöglich, sich auf ein gemeinsames Ganzes zu richten. Es war entscheidend, ob in der Wahrnehmung des Partikularen – des Connaisseurs – oder der Partikularen – der Menge – das Einzelne die Stellung eines Erkenntnishindernisses, „bloß empirische[r] Formenmannigfaltigkeit“137, oder die eines bedeutungsvollen (exemplarischen) Details besaß, das in sich, und aus sich heraus, auf die Gesamtheit verwies. Auf der Gegenseite der Einheit stand die Vielfalt, die unerheblichen, konfusen, verwirrenden Meinungen der ungeordneten Menschenmenge. Eine zu große Zahl an Details war unüberschaubar und machte ihre Besonderheit wertlos. In seinen Reden an die Royal Academy vertrat Reynolds im Hinblick auf die Darstellungsregeln der Malerei einen rigorosen Klassizismus: „The general idea constitutes real excellence. All smaller things, however perfect in their way, are to be sacrificed without mercy to the greater.“138 Ebenso wie er in seiner frühen Connaisseurkritik die Aufmerksamkeit für unbedeutende Einzelteile angegriffen hatte, stellte Reynolds nun der ‚mechanischen‘ minute exactness die Ästhetik der aristotelischen general form entgegen: „[T]he whole beauty and grandeur of the art consists, in my opinion, in being able to get above all singular forms, local customs, particularities, and details of every kind.“139 Nur die allgemeinen Formen überdauerten die Wechsel der Zeit, und so müsse der Künstler sich entscheiden, ob er Gegenwart oder Zukunft ansprechen wolle: „Present time and future may be considered as rivals, and he who solicits
136 Shaftesbury 1981–(2001), I, 3 (Sensus Communis), S. 120. 137 Rodolphe Gasché, Das harmlose Detail. Zu Hegels Ästhetik, in: Wolfgang Schäffner/Sigrid Weigel/Thomas Macho (Hgg.), Der liebe Gott steckt im Detail. Mikrostrukturen des Wissens, München: Fink, 2003, S. 54. 138 Joshua Reynolds, Discourses on Art, Hg. Robert R. Wark, New Haven/London: Yale University Press, 1997, S. 58 (Discourse IV). Der gesamte Vortrag ist der Frage des Ausgleichs zwischen dem Partikularen und dem Allgemeinen gewidmet. Vgl. Joshua Reynolds, Discourses Delivered to the Students of the Royal Academy, Hg. Roger Fry, London: Seeley, 1905, S. xiii–xiv. 139 Reynolds 1997, S. 44 (Discourse III). Zur „general form“ als gemeinsames Prinzips des ästhetischen und politischen Diskurses: Elisabeth A. Bohls, Disinterestedness and denial of the particular: Locke, Adam Smith, and the subject of aesthetics, in: Mattick 1993, S. 16–51; Barrell 1986, S. 76–82.
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the one must expect to be discountenanced by the other.“140 Doch sollte Reynolds’ Forderung nicht als Spiegelbild seiner eigenen künstlerischen Praxis gesehen werden. Bekanntlich verstand er es meisterhaft, zwischen dem Partikularen und dem Allgemeinen zu vermitteln und diese Synthese innerhalb der zugleich lukrativen und gesellschaftlich bedeutenden Bildgattung der Porträtmalerei zu entwickeln. Immer wieder strich der Akademiepräsident die Analogien zwischen Ästhetik und Gesellschaftsordnung hervor und propagierte, künstlerisch wie politisch, den Führungsanspruch einer Minderheit als ‚natürliche‘ Ordnung innerhalb und außerhalb der Leinwand, denn „nothing has its proper lustre but in its proper place. That which is most worthy of esteem in its allotted sphere, becomes an object, not of respect, but of derision, when it is forced into a higher, to which it is not suited; and there it becomes doubly a source of disorder, by occupying a situation which is not natural to it, and by putting down from the first place what is in reality of too much magnitude to become with grace and proportion that subordinate station, to which something of lesser value would be much better suited.“141
Das Unbedeutende, Partikulare war nach dieser Auffassung gesellschaftlich ebenso mit vollem Recht zu marginalisieren wie auf der Leinwand. Auch wenn Reynolds’ Schriften sowohl stilistisch als auch inhaltlich besonders nachdrücklich auf Geschlossenheit, Kanonisierung und Konsolidierung pochten, so stellten sie innerhalb der Ästhetik des 18. Jahrhunderts keineswegs eine vereinzelte Position dar. Diderot stimmte der Grundaussage zu (allerdings ohne politische Analogien zu ziehen): „La principale idée bien conçue doit exercer son despotisme sur toutes les autres“142, meinte er in den Essais sur la peinture, und ausführlich war der Gedanke im Eintrag ‚Composition‘ der Encyclopédie zu finden.143 Verwies das Einzelne nicht auf das Ganze, so wurde es zu einem Wahrnehmungshindernis. In der Besprechung des Gemäldes L’enfant gâté von Greuze im Salon von 1765 (Abb. 30) meinte Diderot, der Gegenstand des Bildes sei nicht klar, es gäbe zu viel Beiwerk, die Komposition sei überladen und konfus. Die Mutter, das Kind, der Hund und einige wenige Utensilien hätten größere Wirkung gehabt.144 140 Reynolds 1997, S. 73 (Discourse IV). 141 Ebd., S. 77 (Discourse V). 142 Diderot 1984–95, I, S. 62 (Essais sur la peinture). 143 Diderot 1966–67, III, S. 772–774. Die Unterordnung der einzelnen Elemente unter die Hauptgruppe des Bildes war ein derartig gängiger akademischer Standardtopos, dass schließlich, am Ende des Jahrhunderts, der offene Verstoß dagegen gutgeheißen werden konnte, wie der Erfolg von Davids Les licteurs rapportent à Brutus les corps de ses fils im Salon von 1789 zeigt. Vgl. Thomas Puttfarken, David’s Brutus and Theories of Pictorial Unity in France, in: Art History, 4/3, 1981, S. 291–304. 144 Diderot 1984–95, II, S. 185 (Salon de 1765). Diderots Wunsch nach der Einheit in der Vielfalt (vgl. Bukdahl 1980–82, II, S. 117–120.) zeigte ihn vertraut mit Francis Hutchesons Konzept der Schönheit. Vgl. das ästhetische Prinzip der „subordination to the whole“ bei Alexander Gerard
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30 Jean Baptiste Greuze, Das verwöhnte Kind, ca. 1760, Öl auf Leinwand, St. Petersburg, Eremitage.
Wichtig war die Eindeutigkeit des Bildgehalts, auf der anderen Seite stand die Vielfalt, die das Hauptmotiv des Bildes verunklärte. Nachdem die Entfaltung des Ideals in der Synthese zwischen dem Einzelnen und dem Ganzen geschah, kam dem Einzelnen nur dann eine tragende Rolle zu, wenn es auf das Ganze verwies. Und so konnten in Diderots Salon-Besprechungen die alte Frau oder das Kind zwar zu charakteristischen Typen werden, doch selbst nicht die Allgemeinheit repräsentieren, keinen Universalitätsanspruch als ideale Betrachter erheben. Dies war Diderots Aufgabe als Vermittler. Als widerständig gegenüber dem klassizistischen Zugriff auf das Einzelne erwies sich Hogarth, der mit der Unterscheidung zwischen Characters und Caricaturas das Detail verteidigte (Abb. 31): Die Mannigfaltigkeit individueller Formen, Wirklich(Gerard 1978, S. 85–86.) und bei Henry Home (Home 1970, Kapitel IX: „Of Uniformity and Variety“, I, S. 380–417 [falsch paginiert; eigtl.: S. 317]).
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31 William Hogarth, Characters & Caricaturas, Subskriptionsticket zur Serie Mariage à la Mode, 1743, Kupferstich und Radierung, London, The British Museum.
keitsbezüge oder Zeitgenossenschaft waren nicht unvereinbar mit dem Idealen, sofern sie nicht karikiert (verzerrt) würden. Auf der Suche nach dem geschlossenen Ganzen dürfe die Wirklichkeit, also genau das, was Shaftesbury als „any thing peculiar, and distinct“ bezeichnete, nicht auf der Strecke bleiben. Variety, „that infinite variety of human forms which always distinguishes the hand of nature from the limited and insufficient one of art“, war der Leitgedanke der Analysis of Beauty, denn, vom Standpunkt des Publikums aus gesprochen: „variety is more pleasing than uniformity“.145 Die deutsche Übersetzung von Analysis of Beauty lautete denn auch Zergliederung der Schönheit.146 Gegenüber der Aufwertung des Partikularen zum Besonderen und gegenüber den Versuchen vor allem französischer Autoren, ästhetische und gesellschaftliche Einheit zu bewahren, zeigte Hogarth nicht nur theoretisch, sondern auch 145 Hogarth 1955, S. 40, 139 (Zitat). 146 Wilhelm Hogarth, Zergliederung der Schönheit, die schwankenden Begriffe von dem Geschmack festzusetzen, Einleitung von Gotthold Ephraim Lessing, Berlin/Potsdam: Voß, 1754. Der deutsche Titel verspricht also ferner eine Erörterung des Standard of Taste, die Hogarth in dieser Form gar nicht einlöste.
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. 32 William Hogarth, The March to Finchley, 30 December 1750, 1750, Kupferstich und Radierung, London, The British Museum.
bildpraktisch eine klare Parteinahme für Heterogenität und Vielfalt. Hogarths zeitgenössisch-historisches Gemälde A March to Finchley, das sich auf den Marsch der königlichen Truppen gegen den Thronprätendenten im Jahr 1745 bezog, erschien George II. subversiv: Zu ungeordnet waren die Soldaten dargestellt, zu unkoordiniert ging ihre Mobilisierung voran. „Does the fellow mean to laugh at my guards?“, habe der König wütend gefragt und den denkwürdigen und sogleich phonetisch getreu überlieferten Ausspruch getan, „I hate bainting and boetry too! Neither the one nor the other ever did any good!“147 Die weichen Konsonanten bezeichneten den deutschen Akzent des Hannoveraners George, der Dummkopf dieser Anekdote. Statt dem britischen König widmete Hogarth den Druck nach dem Gemälde (Abb. 32) dem preußischen Herrscher Friedrich dem Großen. Doch war George II. nicht der einzige, der eine Erklärung für die Illustration benötigte. André Rouquet, bemüht, die Kunst seines Freundes erklärend zu kommentieren, erwartete von seinen französischen Lesern offensichtlich ebenfalls wenig Verständnis und erläuterte daher, dass das augenscheinliche Chaos der Soldaten eigentlich als Ordnungsprinzip im Sinne der britischen ‚Liberty‘ zu verstehen sei. „L’objet qui se presente le premier sur ce fond, est une file de Soldats marchants en assez bon ordre; la discipline est moins observée sur le premier plan, mais si vous vous plaignez
147 John Ireland, Hogarth Illustrated, London: Boydell, 1793, II, S. 132.
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33 Richard Earlom nach Charles Brandoin, The Exhibition of the Royal Academy of Painting in the Year 1771, 1771, Mezzotinto, New Haven, Yale Center for British Art.
de ce choix, on vous dira bonnement que l’ordre, & la subordination convient qu’à des esclaves; car ce qui s’apelle license par tout ailleurs s’arroge ici l’auguste nom de liberté.“148
Die unordentliche Menge der Soldaten werde sich ‚freiwillig‘ sehr bald zur geordneten Reihung der Truppen im Hintergrund transformieren. Die komödiantische Darstellung erwies sich als zugleich flexible und stabile Basis nationaler Identität, die sich ganz bewusst von der französischen politischen Rhetorik absetzte.149 Wie Linda Colley betont hat, „like so much of Hogarth’s work, this is, in fact, a profoundly patriotic image.“150 Einen ähnlichen Modus zeigt eine der frühesten Darstellungen des Londoner Kunstpublikums in einer Ausstellung der Royal Academy des Jahres 1771, „the pictures as actually placed, and a pleasing groupe of connoisseurs &c who were actually present“151 (Abb. 33). Die Individualität und unbarmherzige Zeitgenossenschaft der Besucher wurde zum Opfer satirischer Verzerrung: Eine voluminöse kleine Frau, eng am Arm eines großen mageren Mannes, dahinter ein Geistlicher mit komisch 148 André Rouquet, Description du Tableau de M. Hogarth, qui reprèsente la marche des gardes à leur ren-des-vous de Finchley, dans leur route en Ecosse, Paris: [s. n.], 1746, S. 3. 149 Douglas Fordham, William Hogarth’s The March to Finchley and the fate of comic history painting, in: Art History, 27/1, 2004, S. 95–128; Solkin 1993, S. 89–92; Bindman 1997, passim. 150 Colley 1992, S. 45. Vgl. umfassender dazu: Elizabeth Einberg (Hg.), Manners and Morals, Hogarth and British Painting 1700–1760, Kat. London, Tate Gallery, London: Tate, 1987. 151 So war der Druck im Katalog von Sayers & Bennet angekündigt. Vgl. C. S. Matheson, ,A Shilling Well Laid Out‘: The Royal Academy’s Early Public, in: Solkin 2001, S. 40.
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verrenkter Kopfhaltung, der sich bemüht, auch die hoch gehängten Bilder zu sichten. Die Connaisseure – am rechten Bildrand – dürfen nicht fehlen. Über die Blickökonomie erschließt sich das Interesse der Besucher: Ein junger Mann folgt einer modisch gekleideten Frau, die unter ihrem geöffneten Fächer hindurch auf James Barrys monumentale Darstellung einer Versuchung Adams blickt. Wie Angela Rosenthal bemerkt hat, haben sich mehrere Besucherinnen vor einem Gemälde Angelika Kauffmanns versammelt. Damit ist das Repertoire der standes- und altersspezifischen Zuschreibungen um geschlechtsspezifische erweitert.152 Im Zentrum steht der Kennerblick eines Kunstinteressierten, daneben mehrere Besucher, die den Katalog zurate ziehen. Rund um dieses disparate Publikum erhebt sich die ideale, überzeitliche, universalistische Welt der Gemälde, die die Menge kontrastiert. Die Karikatur der multitude beschrieb die Heterogenität der Gesellschaft, die Vielfalt ihrer Meinungen. Doch wie die Anwesenheit des wohlgenährt-volkstümlichen Prototyps des Engländers, eines für den Anlass adrett zurechtgemachten ‚John Bull‘ im rechten Vordergrund zeigt, der den Katalog aufgeschlagen hat und eine Landschaftsdarstellung betrachtet, war die Darstellung nicht abwertend gemeint. Die Ausstellung versammelte die heterogene englische Gesellschaft in all ihrer Mannigfaltigkeit, dem Zeichen einer freien Sozietät. Wie Hogarths Subskriptionstickets zeigen, in denen er sein Publikum in eben dieser Vielgestaltigkeit immer wieder darstellte, schloss er sich dieser Interpretation durchaus an: Sein „Laughing (or Pleased) Audience“ (für Southwark Fair und A Rake’s Progress, 1733) ist, getreu seiner Definition der Characters, or Caricaturas, im Lachen exzessiv individualisiert, aber nicht entstellt (Abb. 34). Hogarth thematisierte künstlerisch und theoretisch häufig seine Arbeitsbedingungen. Geschmackskritik war seit den frühen Sittenbildern, konkret seit The Bad Taste of the Town (Masquerades and Operas) (1724), ein wichtiges Anliegen. Der Kampf gegen die Vermittlerfiguren des Markts bedingte innovative Strategien zur Identifizierung und Adressierung seiner Käuferschicht, die er nicht in höfischer, adeliger oder kirchlicher Patronage, sondern im „public in general“ verortete.153 In der Tradition Jonathan Richardsons, der in seinen Schriften bewusst Widmungen vermieden hatte, um seine Unabhängigkeit von aristokratischer Patronage deutlich zu machen,154 stand Hogarths bis heute nicht klar einer bestimmten Publikation zugeordnete Text einer „Nicht-Widmung“ („No Dedication“).155 Seine Kunstwerke und Texte sollten zugleich niemandem und allen offenstehen: dem anonymen Publikum der Moderne. Wie umfassend Hogarth sein Publikum konzipierte, belegt eine Anek152 Angela Rosenthal, Besuch bei Penelope. Kunstbetrachtung und Selbstdarstellung im Ausstellungsraum der Royal Academy, 1771, in: Christine Keim (u. a., Hgg.), Visuelle Repräsentanz und soziale Wirklichkeit, Herbolzheim: Centaurus, 2001, S. 52–65. 153 Paulson 1991–93, I, S. 310–311. 154 Gibson-Wood 2000, S. 88. 155 Die „No Dedication“ sollte entweder den autobiografischen Texten vorangestellt werden oder war für die Analysis of Beauty bestimmt. Hogarth 1966–68, S. 49.
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34 William Hogarth, The Laughing (or Pleased) Audience, 1733, Radierung, London, The British Museum.
dote von der Ausstellung der Sigismunda: Hogarth habe, heißt es, einen Mann neben seinem Bild postiert, um die Meinungen des Publikums zu notieren. „Of these were an hundred at least; but Hogarth [...] attended but to one, and that was made by a mad-man! and perceiving the objection was well founded, he altered it. The madman after looking steadfastly at the picture, suddenly turned away saying D–n it, I hate those white roses. Hogarth then, and not till then observed that the foldings of Sigismunda’s shirt-sleeves were too regular, and had more the appearance of roses than of linen.“156
Mit der Berücksichtigung des Urteils eines Geisteskranken erwies sich Hogarth im wörtlichen Sinne als Exzentriker: Der Wahnsinnige war selbstverständlich kein sinnvoller Vertreter einer Gemeinschaft, und er verfügte auch nicht über den common sense des Volkes. Die Nobilitierung und Umsetzung dieses Urteils durch den Künstler wurde dabei nicht explizit auf ihr inhärentes Vorbild Apelles post tabulam zurückgeführt.157 156 St. James’s Chronicle, 8.–10. April 1790, S. 2. 157 Die Kenntnis dieser Anekdote konnte in England offensichtlich nicht generell vorausgesetzt werden. Vgl. einen Brief von Cox Macro an seinen Freund John Nevil aus dem Jahr 1755, in dem der
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Die Aufnahme der Sigismunda verlief auch im Weiteren wenig glücklich, und so ersetzte Hogarth das Gemälde bereits zehn Tage nach der Eröffnung der Ausstellung durch ein anderes. Letztlich sei das Bild an seinem Publikum gescheitert, berichtete ein Freund Hogarths. Sigismunda „was so altered, upon the criticism of one Connoisseur or another; and especially when, relying no longer upon strength of genius, he had recourse to the feigned tears of fictitious woe of a female friend that, when it appeared at the Exhibition in 1761, I scarce knew it again myself [...]“.158 Sigismunda ging den Weg, den Reynolds prophezeit hätte. Die gelungene Darstellung resultiere auch in der Adressierung des ‚richtigen‘ Publikums, wie der Akademiepräsident meinte: „However the mechanick and ornamental arts may sacrifice to fashion, she must be entirely excluded from the Art of Painting; the painter must never mistake this capricious changeling for the genuine offspring of nature; he must divest himself of all the prejudices in favour of his age or country; he must disregard all local and temporary ornaments, and look only to those general habits which are every where and always the same. He addresses his works to the people of every country and every age; he calls upon posterity to be his spectators, and says with Zeuxis, in aeternitatem pingo.“159
In aeternitatem pingo: Der Künstler malt für die Ewigkeit. In der Auswahl des im Bild Repräsentierten und in der Auswahl seiner Adressaten wandte er sich von unbedeutenden Details ab und richtete seine Kunst an das universale, überzeitliche Publikum. Reynolds empfahl nicht, die zeitgenössische Öffentlichkeit anzusprechen, sondern griff zurück auf die Konzeption des Publikums des 17. Jahrhunderts, als überzeitliche Quelle des Ruhmes, und entlang dieser Linie verfuhren die Anerkennung seines Urteils und seine Funktionalisierung.
Anti-Apelles: Falconet/Polyklet In den französischen und englischen Übersetzungen von Alphonse Du Fresnoys De arte graphica im 18. Jahrhundert wurde die Empfehlung, als Künstler den Rat von anderen einzuholen, um die eigene Arbeit beurteilen zu können, unterschiedlich interpretiert. John Drydens erste englische Übersetzung des Lehrgedichts, die de Piles’ Kommentar folgte, enthielt vor allem Warnungen vor falschen Ratgebern („the Vulgar“ und „the common people“). Bei Claude-Henri Watelet wurde das wankelmütige Volk 1761 zur launischen Menge („la multitude, dont les jugemens sont inconBildhauer François Roubiliac als Apelles auftritt, dies aber unkommentiert bleibt. Vgl. William Thomas Whitley, Artists and their Friends in England, 1700–1799, London: The Medici Society, 1928, I, S. 91. 158 Thomas Morell, zit. nach Paulson 1991–93, III, S. 324. 159 Reynolds 1997, S. 48–49 (Discourse III).
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sidérés & changent à toute heure“), Antoine Renou kehrte mit seiner Beschreibung einer „hydre à cent voix“ zu einem traditionellen Bild des parterre zurück. Hingegen verteidigte Joshua Reynolds, der als Kommentator einer englischen Übersetzung von Du Fresnoys De arte graphica durch William Mason sozusagen in der Rolle Roger de Piles’ auftrat, das Urteil des einfachen Volks und warnte vor den falschen Kennern, die sich anmaßten, Künstler zu beraten.160 Die Exponierung der Künstler an Kritik und Markt führte zur wachsenden Aufwertung des zukünftigen auf Kosten des zeitgenössischen Publikums. Dies geschehe nicht zuletzt zum Schutz der Künstler, hieß es: „Une trop grande sensibilité pour la censure, jette dans l’inaction et le découragement. En entrant dans les arts, faites vœu de pénitence et de docilité, attachez-vous à la raison, et nourrissez-vous du doux espoir, que le temps ou vous ne serez plus, vous vengera du siècle où vous vivez. Triste consolation: mais pourtant c’en est une. Quels artistes, quels grands hommes en tout genre, ont joui sans trouble et sans orage de leur réputation?“161
Auch außerhalb der bildenden Kunst tauchte die Apelles-Anekdote zuweilen auf. Die Literatur, so Samuel Johnson, sei „in danger of every common reader; as the slipper ill executed was censured by a shoemaker who happened to stop in his way at the Venus of Apelles.“162 Mit der Einführung von Ausstellungen wurde der Verweis auf Apelles häufiger. Während die Anekdote aber im französischen Diskurs die Ausstellungen legitimierte und die Offenheit der Künstler für ihr Publikum beschrieb, vergaßen die britischen Autoren selten auf den zweiten Teil der Anekdote, nec sutor ultra crepidam, die wenig Spielraum für positive Interpretationen des Laienurteils zuließ. Selbst die erste, ‚richtige‘ Kritik des Schusters fand nur wenige Befürworter. Joshua Reynolds und Edmund Burke wiesen darauf hin, dass die Korrektur der richtigen Darstellung des Schuhs nur die handwerkliche imitatio betreffe. Es sei völlig einleuchtend, dass der Maler gar nicht erst auf so unbedeutende Details wie die genaue Beobachtung des Schuhs geachtet habe, sondern „content with a general resemblance“ gewesen sei. Das Urteil des Schusters „was no impeachment to the Taste 160 John Dryden, De Arte Graphica, in: The Works of John Dryden, Hg. Alan Roper, Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press, 1965–1989, XX (1989), S. 104; [Claude-Henri Watelet], L’Art de peindre. Poëme, avec des réflexions sur les différentes parties de la peinture [...]. Augmentée de deux Poëmes sur l’Art de peindre, de Mr. C. A. du Fresnoy & de Mr. l’Abbé de Marsy, [Amsterdam]: Aux dépens de la compagnie, 1761, S. 232; Antoine Renou, L’art de peindre, traduction libre en vers françois du poème latin de Charles-Alphonse Dufresnoy, Paris: l’Imprimerie de Monsieur, 1789, S. 25; William Mason, The Art of Painting of Charles Alphonse du Fresnoy [...], with Annotations by Sir Joshua Reynolds, in: Joshua Reynolds, The Works, Hg. Edmund Malone, London: T. Cadell, jun./W. Davies, 1797, Repr. Hildesheim/New York: Olms, 1971, II, S. 258–259. 161 Renou 1789, S. 161. 162 Johnson 1969, III, S. 20 (The Rambler, no. 4, 31. März 1750).
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35 Philippe Jacques de Loutherbourg, An Exhibition, 1779, Aquatinta und Radierung, gedruckt in brauner Tinte, London, Privatsammlung.
of the painter, it only shewed some want of knowldege in the art of making shoes.“163 Joshua Reynolds zog aus der Anekdote den Schluss, dass das Bild schon deswegen offensichtlich grundlegend falsch angelegt gewesen sei, da es des Urteils eines Schusters (eines Einzelnen, Partikularen) über ein Detail (ein Einzelnes, Partikulares) bedurft hätte. Ein rein an der Darstellung der Wirklichkeit hängendes Detail könne nicht die Qualität eines Gemäldes bestimmen.164 Der Blick des Schusters blieb – das wusste schon Madame de Scudéry – bei unwesentlichen Kleinigkeiten hängen, seinem Urteil wurde jede Berechtigung abgesprochen. Der Schuster war das Sinnbild des mittellosen Handwerkers der Unterschicht, eine Figur aus Volksliedern und Anekdoten, verwandt mit den gaffenden, grotesken Figuren in den Ausstellungen, die sich in einer Zeichnung Philippe de Loutherbourgs, gleich dem traditionellen Sinnbild des parterre, zu einem vielköpfigen, vielarmigen Etwas verformen (Abb. 35). Reynolds warnte die Akademieschüler davor, die „mixed multitude“, wie er die Besucher der Ausstellungen der Royal Academy nannte, als ihr Leitpublikum annehmen zu wollen: 163 Edmund Burke, A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the sublime and beautiful, Hg. James T. Boulton, London: Routledge & Kegan Paul, 1958, S. 19. 164 Barrell 1986, S. 92 und vgl. das folgende Zitat aus Reynolds 1997, S. 233 (Discourse XIII).
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„It is the lowest style only of arts, whether of Painting, Poetry or Musick, that may be said, in the vulgar sense, to be naturally pleasing. The higher efforts of those arts, we know by experience, do not affect minds wholly uncultivated. This refined taste is the consequence of education and habit; we are born only with a capacity of entertaining this refinement, as we are born with a disposition to receive and disobey all the rules and regulations of society; and so far it may be said to be natural to us, and no further.. What has been said, may shew the artist how necessary it is, when he looks about him for the advice and criticism of his friends, to make some distinction of the character, taste, experience, and observation in this Art, of those, from whom it is received. An ignorant uneducated man may, like Apelles’s critick, be a competent judge of the truth of the representation of a sandal; or to go somewhat higher, like Moliere’s old woman, may decide upon what is nature, in regard to comick humour; but a critick in the higher style of art, ought to possess the same refined taste, which directed the Artist in his work.“165
Der Befund, dass nur die vulgärsten Arbeiten die Allgemeinheit ansprechen und qualitätsvoller Kunstgenuss ein exklusives Vergnügen sei, konnte als repräsentativ für den britischen Diskurs gelten. Die Einsicht, dass „man nicht die gesamte Welt zufriedenstellen könne“, zeigte Goldsmiths Citizen of the World mit einer Anekdote aus dem Bereich der bildenden Kunst: Ein berühmter Maler der Antike, so Goldsmith, wollte ein vollkommenes (hier bedeutete dies: ein fehlerloses) Kunstwerk schaffen. Als das Werk vollendet war, stellte er es auf dem Marktplatz aus und bat das Publikum, offen seine Meinung zu sagen und die fehlerhaften Stellen mit einem Stift zu markieren, den er bereitgestellt hatte. Das Volk folgte der Bitte, jeder markierte, was ihm falsch erschien. Als der Maler am Abend zurückkam, sah er zu seiner Überraschung das gesamte Gemälde übersät mit Markierungen. Er verlor jedoch nicht das Vertrauen in seine Fähigkeiten, sondern stellte sein Gemälde am nächsten Tag nochmals aus und kehrte seine Bitte um: Die Passanten sollten nun die Stellen markieren, die sie für besonders schön hielten. Am Abend sah er, dass wiederum jede Stelle im Bild bezeichnet war. Was der Volksmenge am Vortag so fehlerhaft erschienen war, hielt sie jetzt für gelungen.166 Diese Verunstaltung des eigenen Kunstwerks durch zu große Nachgiebigkeit gegenüber den Meinungen des Publikums mochte das anekdotische Vorbild des traurigen Schicksals von Hogarths Sigismunda gewesen sein. Goldsmiths Anekdote war eng mit einem klassischen Exempel der Verachtung des Urteils des gemeinen Volkes verwandt. Dieses direkte Gegenbeispiel zu Apelles war der Bildhauer Polyklet, der sich wie Apelles hinter einem Vorhang bei seiner Skulptur versteckte und den Vorschlägen der Vorübergehenden so lange entsprach,
165 Reynolds 1997, S. 90 (Discourse III), S. 233 (Discourse XIII). 166 Oliver Goldsmith, The Futility of Criticism, in: The Weekly Magazine, III, 12. Januar 1760, in: Goldsmith 1966, III, S. 51–53. Vgl. The Citizen of the World, Brief LXI, in: Goldsmith 1966, II, S. 253–254.
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bis seine Arbeit bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet war.167 Polyklet war nicht die einzige Figur, die für die Abweisung des Publikums zitiert werden konnte: Antoine Coypel nannte zudem Aussagen von Sophokles, der wusste, dass Erfolg nichts über Qualität aussage, und Phokion, dessen Rede vor dem Volk von Athen Beifall erhielt, was ihn veranlasste, seine Freunde zu fragen, ob er denn Unsinn gesprochen hätte.168 Der bekannteste Proponent der Verachtung des Publikums blieb jedoch Polyklet, und er fand in einem Bildhauer des 18. Jahrhunderts, zumindest auf theoretischem Gebiet, einen eifrigen Nachfolger. In den Jahren 1765 und 1766 entspann sich zwischen Denis Diderot und Etienne Falconet ein ausführlicher Briefwechsel über den Wert des Ruhmes der Nachwelt. Diderot, der seit seiner Haft in Vincennes nur wenig publiziert hatte und außer mit der Encyclopédie mit keiner größeren Arbeit an die Öffentlichkeit gegangen war, war sich seiner persönlichen Gründe für eine Hoffnung auf den Ruhm der Nachwelt deutlich bewusst. Für den „artiste persécuté“ sei die Nachwelt der einzige Trost, für seine Verfolger der einzige Schrecken.169 Doch einer solchen Aussicht, ewig fortzubestehen, sei es in den Fragmenten einer seiner Skulpturen oder in den Zeilen, die die Freunde wechselten, entgegnete Falconet mit einer Art künstlerischen Atheismus: „Je voudrais, comme un autre, prolonger mon être; j’ai besoin d’élever mon âme, et pourtant je n’y trouve pas ce sentiment qui vous fait haleter. J’ai beau frapper, cette idée ne me répond pas.“ Zur Arbeit treibe ihn nicht der Ruf der Nachwelt, sondern „le plaisir de bien faire“ oder, anders formuliert, „l’amour invincible du travail“. Diese Liebe zur Arbeit solle sich auch Diderot eingestehen, meinte Falconet, und beschrieb das Genie als eine teuflische Gestalt, die mit allen Mitteln auf ihre Verwirklichung dränge: „Quand le diable a bien établi son domicile dans un crâne littéraire, il n’en sort que par le bout des doigts; si on n’avait pas d’encre, on écrirait avec un charbon allumé.“170 Der gelehrte Disput hatte als Gespräch zwischen den beiden Freunden begonnen, und da Falconet die Möglichkeit zu einer umfangreichen Darlegung seines beeindruckenden, wenn auch zuweilen wenig kohärenten kunsttheoretischen Gedankengebäudes nutzen wollte, wünschte er zuletzt die Veröffentlichung der Briefe. Dies entsprach seiner Behauptung, sein einzig möglicher Adressat sei eine kleine Gruppe verständiger Zeitgenossen.171 Dies ging aber nicht mit einer positiven Einschätzung des Publikums einher, denn mit dem Konzept der Nachwelt verleugnete Falconet 167 Diese Anekdote hatte Poinsinet de Sivry mit deutlichem Vergnügen zitiert: Poinsinet de Sivry 1764, S. 94–95. 168 Coypel 1721, Préface (n. p.), S. 66. 169 Denis Diderot, Le Pour et le contre ou Lettres sur la postérité, Hg. Emita Hill/Roland Mortier/ Raymond Trousson, Paris: Hermann, 1986, S. 56–57, 158 (Zitat). 170 Ebd., S. 16, 89, 91. 171 Falconet arbeitete mehrere Jahre an der Überarbeitung der Briefe. Zur geplanten Herausgabe und der komplexen Editionsgeschichte: Emita Hill, in: Diderot 1986, S. xxiv–xxxiv. Zu Falconet: Holert 1999, S. 59–76.
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auch das eines gesamtgesellschaftlichen Publikumsanspruchs. Die beiden Aspekte der Überzeitlichkeit und des Universalismus gehörten, Du Bos’ Öffentlichkeitskonzept entsprechend, untrennbar zusammen. Diderots Position verband das Konzept einer überzeitlichen Öffentlichkeit mit der grundsätzlich positiven Einschätzung seiner zeitgenössischen Konkretisierung. Immer wieder versuchte er deutlich zu machen, dass der Nachruhm sich im zeitgenössischen Publikum offenbare: „Lorsque mes contemporains modestes m’apportent avec leur éloge, celui de la postérité, ce sont les représentants du présents et les députés de l’avenir“.172 Die Verfeinerung des Urteils der Öffentlichkeit gehe zuerst sozial stratifiziert, dann zeitlich fortschreitend vonstatten. Der Geschmack sei eine überzeitliche Größe, die sich nicht auf ihre disparaten zeitgenössischen Materialisierungen beschränke: „Ce n’est ni moi, ni Pierre, ni Paul, ni Jean qui nous loue; c’est le bon goût et le bon goût est un être abstrait qui ne meurt point: sa voix se fait entendre sans discontinuer, par des organes successifs qui se succèdent les uns aux autres.“173 Von diesem Konzept des Publikums wich Diderot nicht ab. Es war der alte Traum, der zugleich Offenheit und die Bewahrung des Geheimnisses der Kunst für die Eingeweihten versprach und die dem Universalismus inhärenten Beschränkungen beinhaltete: „Quand je parle de la voix publique, il ne s’agit pas de cette cohue mêlée de gens de toute espèce qui va tumultueusement au parterre siffler un chef-d’œuvre, élever la poussière au Salon et chercher sur le livret, si elle doit admirer ou blâmer. Je parle de ce petit troupeau, de cette église invisible qui écoute, qui regarde, qui médite, qui parle bas et dont la voix prédomine à la longue et forme l’opinion générale, je parle de ce jugement sain, tranquille et réfléchi d’une nation entière, [...] jugement sans équivoque et sans appel, lorsque la nation d’accord avec les plus grands artistes sur le mérite reconnu et senti des productions anciennes se montre compétente dans la sentence qu’elle porte des productions modernes.“174
Dem Bildhauer warf Diderot am Gipfel der Kontroverse nichts Geringeres vor, als selbstbezogen gemeinsam mit dem Nachruhm auch seine Mitmenschen zu verachten. Er sprach Falconet jeglichen Gemeinsinn ab – ein Vorwurf, der vielleicht niemals schwerer wog als im 18. Jahrhundert. Im Dialog mit Diderots Enthusiasmus rang Falconet um Worte, er kämpfte um seine Position als Künstler, der sich nicht vom Glauben an ein zeitgenössisches oder späteres Publikum leiten lassen wollte. 172 Diderot 1986, S. 28, 48. 173 Ebd., S. 5. 174 Ebd., S. 165 (dort in der Fassung: „Quand je parle de la voix publique, il s’agit bien de cette cohue [...]“). Ich folge hingegen dem Apparat Vandeuil, vgl. ebd., S. 297. In der oben zitierten Form und mit einer Datierung auf 5. August 1766 ist der Brief publiziert in: Diderot et Falconet. Le pour et le contre. Corréspondance polémique sur le respect de la posterité, Hg. Yves Benot, Paris: Les Éditeurs français réunis, 1958.
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Die Beurteilung des Genies bleibe nur dem Genie selbst überlassen. Falconet war wohl nicht allein mit dieser Auffassung, aber kein anderer Künstler seines Jahrhunderts hat eine derartig ausführliche schriftliche Erörterung seiner Ablehnung der Öffentlichkeit hinterlassen, und dies mit einer Eigenwilligkeit, die Diderot als mehr als exzentrisch verurteilte. Falconets Auffassungen seien nicht gesellschaftsfähig, sie seien nicht-exemplarisch und daher barbarisch, ja monströs: „Je vous parle d’un homme en général et vous vous citez, c’est-à-dire que d’une question importante, tenant au bonheur de l’espèce humaine, à sa nature, à la legislation, vous en faites une petite question particulière et individuelle. Et que m’importe qu’il y ait sur la surface de la terre deux ou trois monstres comme vous? il ne faut qu’un instant pour rendre à la vérité de ma proposition toute son universalité.“175
Falconet gab sich halsstarrig: „Vous daignez m’associer un ou deux autres monstres à qui dites-vous, il ne faut qu’un instant pour les anéantir. Mon ami, de leurs cendres, il en naîtra d’autres; c’est une génération éternelle!“, lautete seine Antwort aus Sankt Petersburg, und er zitierte Plato, Seneca und die Stoiker, die den Weisen vor der Meinung des Volks und der Krankheit der Ruhmsucht warnen.176
Bei allen Differenzen zwischen den beiden Positionen: In der Beobachtung der wenig urteilssicheren Kunstrezeption der Ausstellungsbesucher waren sich die Kontrahenten einig. Der Unterschied lag in der Einschätzung der Frage, wie sich das Urteil der Nachwelt etabliere. „Il y a deux grandes inventions; la poste qui porte presque en six semaines une découverte de l’équateur au pôle, et l’imprimerie qui la fixe à jamais“177, schrieb Diderot. Die Publikation sei ein zentrales Instrument, um die Nachwelt zu erreichen, und dies bedeute auch eine zunehmende Verfeinerung des Urteils. Dagegen erwartete Falconet die Übertragung der seiner Meinung nach unzulänglichen Einschätzung der Zeitgenossen in die Zukunft,178 und so blieb aus seiner Sicht auch das Tribunal des Jüngsten Gerichts aus. Der Bildhauer zweifelte an den secrétaires und echos des Publikums, die dessen Urteil verzerrten und verfälschten. Die Übereinkunft einer Gemeinschaft bleibe selbst dieser, und umso mehr der Nachwelt verschlossen: „Je le vois bien à present; car si les plus habiles gens se trompent ainsi sur différents objets, l’un sur une partie, l’autre sur une autre, comment les siècles à venir connaîtrent-ils l’histoire du nôtre.“179 Die einzige Richtlinie für den Künstler sei das künstlerische Genie selbst, das in sich zeitüberspannend Gegenwart und Zukunft vereinige: 175 Diderot 1984, S. 157. 176 Ebd., S. 157, 203. 177 Ebd., S. 9. 178 Ebd., S. 14, 64. 179 Ebd., S. 177.
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„[C]’est dans les esprits les plus sublimes, c’est dans les âmes les plus élevées que ce pressentiment intérieur des siècles futurs et de l’immortalité est le plus vif et qu’il éclate davantage [...]. C’est parce que d’un coup d’œil, ils découvriront la terre, et que leur âme, quand elle sera arrivée où naturellement elle tend, sera bien plus en état de juger et de voir les choses absolument comme elles sont. Vous voyez, mon ami, qu’il n’y a point là d’anticipation: tout se passera en présence des intéressés.“180
Der Moment der Verheißung geschehe bereits in der Gegenwart: die Erkenntnis von Wahrheit und génie erzeuge einen die Zeiten transzendierenden Moment. Berechtigte positive Wertschätzung durch die Zeitgenossen, wie sie nur von einer kleinen Gruppe zu erwarten sei, sei bereits die höchste Anerkennung, die man erfahren könne, schreibt Falconet. „Quand on est ainsi jugé par ses contemporains, on est ingrat, vain, ambitieux à outrance, si on cherche ailleurs un motif d’émulation plus touchant et plus stimulant.“ Dies sei das wahre Lob, „elle est évidente, elle est palpable.“181 Zu einer Publikation dieses Briefwechsels kam es nicht, entsprechend Diderots und entgegen Falconets Wünschen. Seine Stellung als savant sculpteur festigte der Künstler stattdessen durch die Veröffentlichung anderer Schriften, insbesondere einer Übersetzung der für die bildende Kunst relevanten Kapitel von Plinius’ Naturgeschichte mit einem ausführlichen Kommentar. Darin, und in den zwei Jahre zuvor veröffentlichten Observations sur la statue de Marc-Aurèle (1771), machte er seine Vorbehalte gegen das zeitgenössische Publikum deutlich. Es wird kaum überraschen, dass Falconet wenig Verständnis für die Apelles-Anekdote aufbrachte. Stattdessen verwies er auf das Beispiel Polyklets, der das Volk über seine eigene Unwissenheit belehrt. An dieser Stelle ist es notwendig, die Anekdote genauer wiederzugeben. Nach der von Aelian überlieferten Anekdote fertigte Polyklet zwei identische Statuen an. Mit der ersten folgte er den Verbesserungsvorschlägen des Volkes (und damit dem Beispiel des Apelles), bis sie verunstaltet war, die zweite beließ er, wie sie war. Schließlich stellte er beide Statuen zugleich aus. Da das Volk das wahre Kunstwerk wohl in seiner vollen Schönheit erkennen konnte, lobte es die eine und spottete über die andere Skulptur, bis Polyklet es mit den Worten zurechtwies, die eine stamme von ihm, dem Künstler, die andere habe das Volk selbst gemacht. Die beiden Statuen folgen unterschiedlichen Richtlinien, „l’une suivant les avis de la multitude, l’autre conformément aux règles d’art“, interpretierte Falconet die Anekdote.182 180 Ebd., S. 202. Wie „von den Reflexen der Zukunft durchzittert“ (André Breton) ist das Kunstwerk in dieser Vision, die nahe an die von Walter Benjamin zitierte Beschreibung des avantgardistischen Kunstwerks kommt. Vgl. Benjamin 2000, S. 36, Fn. 26. 181 Diderot 1986, S. 13–14, 65. 182 Etienne Falconet, Œuvres completes, Paris: Dentu, 1808, I, S. 315 (Pliniuskommentar). Falconet zitierte eine Überlieferung von Claudius Aelianus und verwies auf den Eintrag ‚Sculpteur‘ in der Encyclopédie (Diderot 1966–67, XIV, S. 824), in dem die Anekdote festgehalten war. Bei Aelian: [Claudius Aelianius], Histoires diverses d’Élien, traduites du grec avec des remarques, Paris: Moutard, 1772, S. 462–463.
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Im Laufe des Briefwechsels zeigte sich das nur sich selbst verantwortliche Künstlergenie zunehmend verbittert. Keinesfalls bedürfe er der „jugements pitoyables du peuple“, seiner „bavarde ignorance“ und „grosse inéptie“, meinte Falconet. Neben Polyklet dienten Zeuxis und Salvator Rosa, von denen einschlägige Anekdoten der Zurückweisung des Publikums überliefert waren, als Gewährsleute. Den Glauben an das ‚wahre Publikum‘ gab Falconet aber nicht auf. Es existiere als die kleine Minderheit, die sich vom Gedränge der Menschenmenge absetze. Sie gäbe dem Künstler recht und besiegelte, „à la fin“, für immer den Wert jedes Kunstwerks: „sa décision [...] met le sceau irrévocable à toutes les productions.“183 Sogar Falconet selbst musste die Nähe einer solchen Beschreibung zum Publikumsverständnis Du Bos’ eingestehen, zeigte jedoch sofort die Unterschiede zu dieser Schrift auf, die seiner Ansicht nach zum „découragement des artistes“ führe: „Vous trouverez que l’abbé du Bos fait un beau chapitre pour prouver que le jugement du public l’emporte à la fin sur le jugement des gens du métier. Il oublie sans doute de la meilleure foi du monde que le jugement de Newton, homme du métier, l’a emporté à la fin sur le jugement de Descartes & du public, comme Descartes, homme du métier, l’avoit emporté sur le jugement du public & d’Aristote. Il oublie que plusieurs autres gens du métier dans tous les genres ont seuls rectifié à la fin les jugements erronés du public, & que c’est ordinairement le jugement des artistes qui forme à la fin la voix du public.“184
Die Zurückweisung von Du Bos’ Publikumsbegriff war als negative Paraphrase formuliert: nicht das Publikum, sondern der Künstler habe recht und zwar – und hier stimmte Falconet nun doch Du Bos zu – aufgrund seines empfindsamen Geschmacksurteils. Er wehrte sich gegen die „prétendue insensibilité“, die der Abbé den Künstlern zuschreibe und machte den Historiker polemisch kurzerhand zu dessen eigenem Negativbild, dem trockenen Connoisseur: „Pardonnez à l’effusion d’une ame qui ne calcule pas toujours froidement dans un cabinet.“185 Um seinen publikumsfeindlichen Standpunkt zu unterstreichen, zog Falconet eine Illustration heran, die dem ersten Band der Ausgabe der Réflexions critiques des Jahres 1755 vorangestellt war, obwohl sie deren Grundsätzen völlig widersprach (Abb. 36). Die Radierung hatte Boucher entworfen, und zwar ursprünglich als Frontispiz zu Le Blancs Lettre sur l’exposition (1747), inmitten der Auseinandersetzungen zwischen der Académie und ihren Kritikern. Die Malerei, dargestellt mit Malerpalette, Pinsel und Messlatte und unterstützt von Putten, ist darin den Kommentaren einer boshaften und ignoranten Menge ausgesetzt. Der schlangenumkränzte Neid macht sich daran, Fehler im Bild zu bezeichnen, ihm zur Seite stehen der stumpfsinnige und dickbäuchige Überfluss und die mit Folianten ausgestattete Gelehrsamkeit. Gleich neben dem Bild lacht ein mit 183 Falconet 1808, I, S. 317 (Pliniuskommentar). 184 Ebd., I, S. 321 (Pliniuskommentar). 185 Ebd., I, S. 322 (Pliniuskommentar).
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36 Jean-Philippe Le Bas nach François Boucher, Frontispiz zu Jean-Bernard Le Blanc, Lettre sur l'exposition, Paris, 1747, Paris, BN.
Weinranken umkränzter Narr über das Gemälde. Über der Menge blökt der Esel der Dummheit. „Les voilà donc les juges éclairés, ces raisonneurs sans partialité, ces lecteurs intelligents“186, höhnte Falconet. Boucher hatte sich in der Illustration auf die ikonografische Tradition der schutzbedürftigen Malerei bezogen, die Neid und Unwissenheit ausgesetzt ist und Protektion erbittet, ohne aber einen Beschützer darzustellen, der die Widersacher in ihre Schranken weist.187 Stattdessen waren die Betrachter der Radierung angesprochen. Die ‚poesie muette‘, die stumme Malerei, 186 Ebd., III, S. 122 (Observations sur la statue de Marc-Aurèle). 187 Zu dieser Bildtradition: Andor Pigler, Neid und Unwissenheit als Widersacher der Kunst. Ikonographische Beiträge zur Geschichte der Kunstakademien, in: Actae historiae artium academiae scientarum hungaricae, I, 1954, S. 215–235. Vgl. Holert 1999, S. 66.
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vertraute sich den verständigen Lesern der nachfolgenden Schrift Le Blancs an, der seine Stimme zu ihrer Verteidigung erhoben hatte. Falconet blieb bei seinem ersten Urteil: Statt der Menge zu folgen, gehorche er nur sich selbst, „tout seul & de son propre fonds“.188 Doch das Paradox des Polyklet vermochte er nicht zu lösen: Denn dieser hielt dem Volk wohl seine falschen Ratschläge vor, doch es war durchaus in der Lage, mit ihm die schönere Statue zu identifizieren und wertzuschätzen. Das Publikum blieb auch für den antiken Bildhauer letztendlich, wenn auch nicht der Maßstab, so doch das Mittel zur Evidenz künstlerischer Qualität, und so vermochte sein Beispiel nicht, die Lehre der Apelles-Anekdote völlig zu widerlegen. Den Glauben an künstlerischen Fortschritt – des Künstlers, der die Menge erleuchtet und ihre Irrtümer korrigiert – wollte Falconet nicht aufgeben, und so war ein völliger Rückzug auf das eigene Genie und eine vollkommene Abkoppelung der bildenden Kunst von der Geschichte letztlich unmöglich.
188 Falconet 1808, III, S. 52 (Observations sur la statue de Marc-Aurèle).
5. Das Publikum der englischen Künstlervereinigungen „The Misfortune is, that Fancy and Judgment are very differently employ’d; while the First is busy’d in throwing Things together, the other is perpetually dividing them again. Fancy importunately intrudes upon you her Ware of all Sorts; flatters, and sooths you, and sollicites your Reception of them; insinuates her self, and Goods into your Favour, and enhances the Worth of whatever she exposes to your View; ’till Judgment, that stern and rigid Umpire between you, examines them against the Light of Reason; rejects those; reforms these; throws others away as false, and unsound; receiving what he likes best at the lowest Price he can; and yet notwithstanding his great Caution, is sometimes egregiously mistaken, and refuses the greatest Beauties, when he takes most Pains not to be impos’d upon.“ Hildebrand Jacob, Of the Sister Arts; an Essay (1734)
The Standard of Taste Die Suche nach den Bedingungen eines als Qualitätskriterium normierbaren und für die Gemeinschaft verbindlichen Geschmacksurteils stellt einen Aspekt des umfangreichen kulturellen Prozesses des „ordering of the arts“ (Lawrence Lipking) dar, der Parallelen in der Festschreibung künstlerischen Wissens, der Einführung des akademischen Modells in die Kunstausbildung und der Entstehung des Museums als Archiv künstlerischer Werke fand. Die französische Tradition der Postulierung eines öffentlichen Anspruchs bildender Kunst als Spiegel gesellschaftlicher Einheit fand in England wenig Anwendung. Der britische politeness-Diskurs in der Tradition des civic humanism festigte Kunstöffentlichkeit als elitäres Konzept.1 Da erst mit der Gründung der Royal Academy 1768 ein zentralisierender Anspruch auf kunsttheoretische Reflexion entstand, gab es zwar wenig Widerstand gegen Laienkennerschaft, doch in Ermangelung einer staatlichen Kunstinstitution auch wenig Verpflichtung, die Bildkünste als allen gesellschaftlichen Schichten zugänglich zu verstehen. Während französische Autoren wachsende Kritik am britischen Modell korporatistischer Repräsentation übten und diesem gemeinschaftliche Konzepte entgegenstellten, blieb der Widerstand gegen konsensuale Publikumsmodelle in England stark. Wenn Samuel Johnson in einem Artikel in The Idler die Frage nach der Diversität der Meinungen mit der Tatsache begründete, dass jeder Einzelne nur einen Teil des gesamten Problems sähe, so wäre der Schluss auf die Kompetenz der versammelten Meinungen nahegelegen, wie ihn die italienische Kunstliteratur
1 Vgl. Copley 1992, S. 13–37; Barrell 1986.
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vorgenommen hatte. Doch stattdessen blickte Johnson auf einen externen Schiedsrichter: „The only thought, therefore, on which we can repose with comfort, is that which presents to us the care of Providence, whose eye takes in the whole of things, and under whose direction all involuntary errors will terminate in happiness.“2
Viele andere Autoren dachten an diesseitigere Autoritäten, denen sie eine alles sehende und umfassende Urteilskompetenz zuschrieben. Aglionby und Richardson hatten die Malerei mit den nur wenigen Menschen verständlichen Schriftzeichen der Hieroglyphen verglichen. Für den Großteil der Bevölkerung gab es nach Auffassung der englischen Kunstliteratur in der Regel nur indirekte Wege, von bildender Kunst zu profitieren, und zwar von ihrer moralisierenden und didaktischen Wirkung: „Pictures are the Books of the ignorant, where they may learn what they ought to practice and follow“.3 Die englische Skepsis gegenüber den Bildkünsten hatte Jonathan Richardsons Schriften bezeugt, aber nicht vollständig ausgeräumt, und sie gelangte in der britischen Connaisseurkritik zu neuer Blüte: Verachtung der Kennerschaft bedeutete oft Verachtung der Kunst. Goldsmith etwa insistierte auf dem Gegensatz zwischen der seiner Auffassung nach intellektuell anspruchsvolleren Literatur und den primitiveren Bildkünsten, deren Blüte häufig den Niedergang einer Kultur ankündige. Im zyklischen Kreis der Entwicklung der Kulturen bedeute sie Verweichlichung und Verfall. „No science or art offers its instruction and amusement in so obvious a manner as statuary and painting. From hence we see, that a desire of cultivating those arts generally attends the decline of science. Thus the finest statues, and the most beautiful paintings of antiquity preceded but a little the absolute decay of every other science.“4
Die Frage nach der Erlangung des guten Geschmacks wurde daher häufig über Beispiele aus der Literatur vorgebracht. Der Frage, wie ästhetisches Urteilsvermögen zu erlangen sei, widmete sich der Spectator ausführlich, und so empfahl Joseph Addison seinen Lesern, „[to] read over the celebrated Works of Antiquity, which have stood the Test of so many different Ages and Countries; or those Works among the Moderns, which have the Sanction of the Politer Part of our Contemporaries.“ Löse der Genuss dieser Werke nicht außergewöhnliches Wohlgefallen aus, dann müssten die Leser den Fehler im eigenen Geschmack suchen. Addisons zweiter Empfehlung, das Urteilsvermögen durch „Conversation with Men of a Polite Genius“ zu 2 Johnson 1963, S. 445 (The Idler, no. 107, 13. November 1753). 3 Charles Lamotte, zit. nach Copley 1993, S. 31. Im gesamten 18. Jahrhundert wurde die Bedeutung der bildenden Kunst zur Verfeinerung der Moral betont. Vgl. Dr. Knox, On the Moral Effects of Paintings and Prints, in: Knox’s Essays 48, 1782, in: Lynam 1827, XXII, S. 201–204; Pears 1988, S. 40–50, 151–152. 4 Goldsmith 1966, I, S. 453. Vgl. Copley 1993, S. 30.
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schulen,5 war weitaus schwieriger zu folgen. Denn wie sollte man diese geschmackssicheren Mitmenschen erkennen? Diese Frage beschäftigte das britische 18. Jahrhundert intensiv. Addisons Maxime, dass sich nicht der Geschmack nach der Kunst, sondern die Kunst nach dem Geschmack richten solle – „the Taste is not to conform to the Art, but the Art to the Taste“6 –, widersprach diesen Empfehlungen nicht. Vielmehr legte er damit die Bedingungen für das gültige Geschmacksurteil fest. Diese Problematik reichte zurück bis zu den frühesten Stunden des empirischen Sensualismus, als John Locke Schönheit als eine Wahrnehmungskategorie, nicht als absolute Einheit außerhalb des menschlichen Geistes annahm. Wenn die Qualität eines Kunstwerks in der Reaktion der zeitgenössischen Gesellschaft ablesbar sein sollte, so musste diese durch die Integration kultureller Standards fundiert und gestützt werden. Die „Zentrierung des kunstkritischen Diskurses um das Individuum“7 erforderte die genaue Definition der von Du Bos beschriebenen Messlatte im Innersten des Selbst. Die Idee des Schönen zersplitterte in eine Menge disparater Subjekte, die erst in ‚natürliche‘ Harmonie gebracht werden mussten. Dabei waren ‚Varietys of Opinion‘ nicht durchgängig negativ besetzt, wie die Propagierung der Vielfalt durch William Hogarth und auch die früheste Darstellung des Londoner Ausstellungspublikums gezeigt haben (Abb. 33). Das Bewusstsein, dass Geschmack zwar subjektiv, aber deshalb nicht relativ sei, war stark ausgeprägt. „We find one transported with a Passage, which another runs over with Coldness and Indifference, or finding the Representation extremely natural, where another can perceive nothing of Likeness and Conformity“8, meinte Addison und erklärte diesen Umstand mit dem unterschiedlichen Imaginationsvermögen der einzelnen Leser. Der Frage, wie Gemeinsamkeiten und Verbindlichkeiten des Geschmacks zu entwickeln seien, widmete sich David Hume in dem 1757 publizierten Essay Of the Standard of Taste ein Text, der weitreichende Diskussionen und zahlreiche weitere Aufsätze auslöste. Ob so ein Standard denn überhaupt existiere, beantwortete Hume dabei nicht ausdrücklich, doch jedenfalls sei er ein grundlegendes gesellschaftliches Bedürfnis: „It is natural for us to seek a Standard of Taste; a rule, by which the various sentiments of men may be reconciled; at least, a decision, afforded, confirming one sentiment, and condemning another.“9 5 Spectator 1965, III, Nr. 409, 19. Juni 1712, S. 528–529. 6 Ebd., I, Nr. 29, 3. April 1711, S. 123. 7 Stefan Germer/Hubertus Kohle, Spontaneität und Rekonstruktion, in: Peter Ganz (Hg.), Kunst und Kunsttheorie, 1400–1900, Wiesbaden: Harrassowitz, 1991, S. 292. 8 Spectator 1965, III, Nr. 416, 27. Juni 1712, S. 561. 9 Of the Standard of Taste, David Hume, Essays, Moral, Political, and Literary (Essays and Treatises on Several Subjects I), Bristol: Thoemmes Press, 2002, S. 244. Zu diesem Aufsatz: Peter Kivy, Hume’s Standard: Breaking the Circle, in: British Journal of Aesthetics, 7, 1967, S. 57–66; Carolyn W. Korsmeyer, Hume and the Foundations of Taste, in: Journal of Aesthetics and Art Criticism, 35, 1976, S. 201–215; Jones 1978; Noel Carroll, Hume’s Standard of Taste, in: Journal of Aesthetics
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Die Regeln der Künste als verlässliche Indikatoren dieses Standards anzuerkennen, helfe, so Hume, nicht weiter, da deren Grundlage selbst empirische Erfahrungswerte seien. Die Regeln seien nicht a priori gültig, sondern beruhten auf „general observations, concerning what has been universally found to please in all countries and in all ages.“10 Hume stimmte mit Joseph Addison und Du Bos überein, dass der Kanon der besten Kunstwerke eine verbindliche Grundlage für die Schulung des Geschmacks darstelle. Wichtigster Indikator für die Qualität eines Kunstwerks sei dessen lang anhaltende Bewunderung, „the durable admiration, which attends those works, that have survived all the caprices of mode and fashion, all the mistakes of ignorance and envy.“11 Wie Du Bos führte auch Hume seine Leser nun zur Frage nach den normgebenden Kriterien des Publikums. Nur kurz verblieb er bei der Erwägung der Gleichberechtigung der Geschmäcker. Nicht nur seien bekanntlich manche Kunstwerke besser als andere, sondern auch manche ästhetische Urteile richtiger als andere. Für diese Differenzen mochten verschiedene Einschränkungen der Urteilsfähigkeit ausschlaggebend sein: Vorurteile, mangelnde Übung oder fehlendes Feingefühl. Weitere Schwankungen ergäben sich aus den Lebensaltern und den wechselnden Neigungen eines Menschen sowie aus kulturellen Unterschieden. Der Standard of Taste sei bedingt durch gesellschaftlichen Konsens, doch könne die individuelle Wahrnehmung durchaus davon abweichen. Nur wenige Menschen könnten ihr eigenes Empfinden als verbindlich angeben, da sie über die notwendigen Charakteristika des ästhetischen Urteils verfügten: „Strong sense, united to delicate sentiment, improved by practice, perfected by comparison, and cleared of all prejudice, can alone entitle critics to this valuable character; and the joint verdict of such, wherever they are to be found, is the true standard of taste and beauty.“12
Diese Menschen bezeichnete Hume als Kritiker. An dieser Stelle schien Hume einen Zirkelschluss erzeugt zu haben: Die Qualität eines Kunstwerks ist aus dem Beifall der Kritiker erkennbar; gute Kritiker (diejenigen, die über bestimmte Perzeptionseigenschaften verfügen) schätzen gute Kunstwerke. Die Relativität der Identifizierung des ‚richtigen Geschmacksurteils‘ war der Relativität der Identifizierung des ‚guten Kritikers‘ gewichen, und der Autor befand sich, wie er selbst feststellte, in „the same uncertainty, from which, during the course
and Art Criticism, 43, 1984, S. 181–194; Paul Guyer, The Standard of Taste and the „Most Ardent Desire of Society“, in: Ted Cohen/Paul Guyer/Hilary Putnam (Hgg.), Pursuits of Reason. Essays in Honor of Stanley Cavell, Lubbock: Texas Tech University Press, 1992, S. 37–66; David Marshall, Arguing by Analogy: Hume’s Standard of Taste, in: Eighteenth-Century Studies, 28/3, 1995, S. 323–343. 10 Hume 2002, S. 246. 11 Ebd., S. 248. 12 Ebd., S. 247, 258 (Zitat).
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of this essay, we have endeavoured to extricate ourselves“.13 Peter Kivy hat argumentiert, dass Humes Definition des Kritikers diesen Zirkelschluss unterbreche. Denn nur manche der Qualitäten, die Hume dem Kritiker zuschrieb, führten zu Zirkelschlüssen, andere nicht. So sei auch für einen Laien feststellbar, ob der Kritiker über Feinheit, Vorurteilslosigkeit und ‚good sense‘ verfüge, denn diese Eigenschaften seien auch außerhalb des Bereichs seiner Expertise gültig.14 Dies ist konform mit Humes Insistieren, dass die Merkmale des Kritikers auf feststellbaren Grundlagen, nicht auf Gefühl basierten: „these are questions of fact, not of sentiment.“15 Zur Illustration dieses Gedankens zog Hume eine Stelle aus Cervantes’ Don Quixote heran: eine Weinverkostung durch zwei Vettern Sancho Pansas, die für ihren feinen Gaumen berühmt sind. Beide trinken aus demselben Fass und befinden den Wein für gut, doch kommen sie im Detail zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Zum Spott der Umstehenden befindet der eine, der Wein schmecke ein wenig nach Leder, der andere vermeint darin eine Note Eisen zu entdecken. Doch die Zeit gibt beiden recht: Als das Weinfass geleert ist, kommt auf dessen Grund ein verloren geglaubter Schlüssel an einem Lederband zum Vorschein.16 Die Anekdote zeigt, dass die Geschmacksreaktionen der beiden Experten tatsächlich objektivierbare Ursachen haben, auch wenn diese nur für eine Minderheit erfahrbar sind und der Beweis nicht immer sofort erbracht werden kann. Humes Argumentation zielte nicht auf die Definition dieser Geschmacksnorm, sondern auf den Umstand, dass eine solche existiert, auch wenn der Schlüsselbund am Grunde des Fasses (ähnlich dem Ring in Lessings Nathan der Weise) unauffindbar bleiben wird. Man fühlt sich an Fontenelles Konzeption der Perfektion der Künste als Maßstab künstlerischen Schaffens erinnert: „il faut qu’il y ait un tems où elles soient portées à leur derniére perfection“.17 Wichtig sei, dass Perfektion gedacht werden könne, da sonst Relativität überhandnehme. Grundsätzlich gründete auch Humes Geschmacksurteil auf dem Gefühl einer normgebenden Gemeinschaft. Doch die Erkenntnis dieser Normen blieb seiner Auffassung nach einer Minderheit vorbehalten. Doch wozu führte Hume die Figur des Kritikers denn überhaupt ein?18 Wieso empfahl er nicht einfach die von ihm beschriebene Schulung von Wahrnehmung und Geschmack, die die guten Kritiker auszeichneten, der Allgemeinheit? Nur die Kritiker traten in der Rolle der Bewahrer des Kanons und der Tradition auf. Während im französischen Diskurs das Idealmodell der Verschmelzung der disparaten Meinungen der Menge zu einer gemeinsamen Stimme entworfen wurde, schränkte Hume, so wie Shaftesbury vor ihm und die schottische Moralphilosophie nach ihm, 13 14 15 16 17 18
Ebd., S. 258. Kivy 1967. Hume 2002, S. 258. Ebd., S. 250. Perrault 1964, S. 16. Carroll 1984, S. 191; Guyer 1992, S. 62–64.
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die Berechtigung zum ästhetischen Urteil und damit den gesamtgesellschaftlichen Anspruch bildender Kunst ein. Humes Kritiker war ein exemplarischer Vertreter der Gemeinschaft, „a man in general“.19 Der ‚universal spectator‘ war interesselos, er bezog seine eigenen Interessen und Vorlieben nicht in sein Urteil ein. Diese Exemplarizität des Kritikers wurde in Henry Homes Elements of Criticism (1762), dessen Schlusskapitel der Frage nach dem Standard of Taste vorbehalten war, sozial konkretisiert. Dabei kündigte sich der Geist des bürgerlichen Liberalismus an: Sei es nicht absurd, Menschen bestimmte Geschmacksreaktionen vorzuschreiben, „that a man ought not to be pleased when he is, or that he ought to be pleased when he is not?“20 Die Basis des Standard of Taste, so Henry Home, sei „common sense“, doch dies war kein pluralistisch gedachtes, sondern ein exklusives Konzept. Denn der Gemeinsinn war den exemplarischen Vertretern der menschlichen Spezies (ihren männlichen Exemplaren), der Zivilisation (den ‚polite nations‘) und der Gesellschaft (den oberen Kreisen) vorbehalten, „those who depend for food on bodily labor are totally void of taste; of such a taste at least as can be of use in the fine arts. This consideration bars the greater part of mankind; and of the remaining part, many have their taste corrupted to such a degree as to unqualify them altogether for voting. The common sense of mankind must then be confined to the few that fall not under these exceptions.“21
Dass nicht jedes Mitglied der Gesellschaft ein gültiges Geschmacksurteil abgeben könne, befand Home als gut und richtig, denn „many hands must be employ’d to procure us the conveniences of life; and it is necessary that the different branches of business, whether more or less agreeable, be filled with hands. A taste too nice and delicate, would obstruct this plan [...].”22
Gesellschaftliche Ausdifferenzierung berge das Risiko, die Bande der Gemeinschaft zu schwächen, und so sprach sich Home für die gemeinschaftliche Kunstrezeption, etwa bei öffentlichen Veranstaltungen („public spectacles“) aus. Doch das ästhetische Urteil blieb das Vorrecht einer Minderheit. Diese exklusive Haltung gelte weniger bei moralischen Fragen, in denen das Urteil der einzelnen Menschen fast immer mit gesellschaftlichen Standards übereinstimme, meinte Home. In ästhetischen Fragen aber sei eine Auswahl notwendig, basierend auf dem Universalitätsanspruch einer Gruppe, die für sich beanspruchte, die Gesellschaft zu vertreten. Homes idealer Kritiker sollte in sich gar nicht erst die Stimmen der multitude vereinigen, sondern er stand gerade durch seine bevorzugte Stellung für den Standard of Taste. Abweichun19 Hume 2002, S. 255. 20 Home 1970, III, S. 353. 21 Ebd., III, S. 369. Vgl. Andrew Hemingway, The ‚Sociology‘ of Taste of the Scottish Enlightenment, in: Oxford Art Journal, 12/2, 1989, S. 3–35. 22 Home 1970, III, S. 354–355.
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gen von diesem Standard waren nicht einfach zu akzeptieren, sondern sie waren unnatürlich, pervertiert, monströs: „A person who rejects objects generally agreeable, and delights in objects generally disagreeable, is condemned as a monster: we disapprove his taste as bad or wrong; and we have a clear conception that he deviates from the common standard.“23
The Standard of Taste war der Versuch der Etablierung eines gesellschaftlichen Kanons durch Exemplarizität, nicht durch Mehrheitsbeschluss. So galt der Gentleman als der repräsentative Vertreter der britischen Gemeinschaft, denn seine Sprache war universell verständlich: „his usage was ‚common‘, in the sense of being neither a local dialect nor infected by the terms of any particular art.“24 Und so stand Henry Homes und Alexander Gerards Definition der Gemeinschaft im Einklang mit einer Bemerkung Samuel Johnsons, die die Auswahl der Einträge für sein Dictionary beschrieb: „Of the laborious and mercantile part of the People, the Diction is in a great Measure casual and mutable [...]. This fugitive Cant, which is always in a State of Increase or Decay, cannot be regarded as any Part of the durable Materials of a Language, and therefore must be suffered to perish with other things unworthy of Preservation.“25
Die im britischen Diskurs so verbreitete Offenheit für die Heterogenität der Gesellschaft führte immer wieder zu exklusiven Publikumskonzepten. Der Maler Thomas Highmore, der mehrere moralisch-gesellschaftskritische Aufsätze verfasste, bezweifelte sowohl Sinn als auch Nutzen von Konsensmodellen: „How few have either natural or acquired abilities, or are in a situation to judge for themselves? The bulk of mankind are, have always been, and necessarily must be, led or directed. What is called the universal consent of mankind is nothing, there is no such thing; a very few influencing multitudes, even without their perceiving it.“26
Alexander Gerard, der sich nach Henry Homes Publikation ebenfalls ausführlich mit dem Problem der ästhetischen Norm beschäftigte,27 führte diese Argumentation im Wesentlichen weiter. Wolle man ein gültiges Geschmacksurteil erlangen, sei die empirische Methode nur eingeschränkt zu empfehlen.
23 Ebd., III, S. 358. 24 John Barrell, English literature in history 1730–1780. An equal, wide survey, London: Hutchinson, 1983, S. 33–34. 25 Samuel Johnson, A dictionary of the English language (1755), London: Times Books, 1983, Preface, n. p. 26 Thomas Highmore, Essays, moral, religious, and miscellaneous, London: B. White, 1766, I, S. 196. 27 Die dritte Auflage seines Essay on Taste 1780 erschien mit dem Erweiterungskapitel Of the Standard of Taste.
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„Many, being confined to incessant labour for the necessaries of life, or by being engaged in pursuits which give all their thoughts a different direction, are prevented from ever bestowing the smallest attention on productions in the fine arts; in many, taste has not received sufficient culture by education, practice, and reflection; in many, its native relish has been perverted by prejudices, by injudicious imitation, wrong habits, corruption of manners, and the like; some are naturally void of taste, or remarkably defective in its principles: all these are to be excluded, in forming our judgment of what generally pleases or displeases in the fine arts.“28
Vielen gesellschaftlichen Gruppen bliebe aufgrund ihrer Lebensumstände oder Verhaltensweisen die Möglichkeit zur Geschmacksverfeinerung verschlossen, ihre natürlichen Anlagen würden korrumpiert. Dieser Ausschluss gesellschaftlicher Gruppen aus ‚Zeitmangel‘, aus der ‚Unmöglichkeit‘, etwas anderes zu tun, als das, zu dem sie durch ihre ‚Natur‘ bestimmt seien, war ein Prinzip des platonischen Denkens: „Diese ‚Unmöglichkeit‘ gehört zu der verinnerlichten Vorstellung von der Gemeinschaft. Sie bestimmt Arbeit als notwendige Abschiebung des Arbeiters in den privaten Zeit-Raum seiner Beschäftigung und schließt ihn dadurch von der Teilnahme am Gemeinsamen aus“.29 Dieses ‚Gemeinsame‘, bei Plato die politische Versammlung, übertrug Alexander Gerard im Moment der gesellschaftlichen Aufwertung des Ästhetischen auf die bildende Kunst. Gerard berief sich in seinem Aufsatz ausdrücklich auf Du Bos’ Réflexions critiques, in denen dieser eine ähnliche Einschränkung seiner Publikumskonzeption gemacht hatte. Doch Du Bos’ Argumentation zielte vorrangig auf die Ausweitung der Adressatenkreise bildender Kunst (aufgrund der grundsätzlichen Gleichheit sinnlicher Erfahrung), nicht auf ihre Einschränkung (aufgrund unterschiedlicher Möglichkeiten zur Teilhabe an der Gemeinschaft). Gerard stimmte der herausragenden Bedeutung des sensualistischen Geschmacksurteils zu („the only test and standard of merit and demerit in the fine arts“), versah dies jedoch mit einer strengen sozialen und kulturellen Beschränkung: „The sentiments of those only are to be taken into account, who have a good natural taste, who have not allowed it to be vitiated, who have improved it by study or conversation“.30 Guter Geschmack war hier nicht das Ergebnis höchster Verfeinerung, sondern bedeutete Unkorrumpiertheit. Die „unperverted sentiments of mankind“ waren das naturalisierte Vorrecht einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht.31 Anregungen für derlei Auffassungen im politischen Denken waren zahlreich, und häufig bildeten sie politische Leitlinien für ästhetische Theorien. In der Praxis zeige sich, so Gerard, dass der Wert von Kunstwerken nicht durch allgemeine Zustimmung begründet 28 Gerard 1978, S. 226–227. Vgl. William Shenstone, „On the Test of popular opinion“, in: ders., Essays on Men and Manners, Hg. Havelock Ellis, Boston/New York: Houghton Mifflin, 1927, S. 3–11. 29 Rancière 2006, S. 66. 30 Gerard 1978, S. 229, 227. 31 Ebd., S. 10. Vgl. S. 250, 265.
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werde, und so stimmte er zeitgenössischen politischen Denkern zu, die den Ausschluss der breiten Masse von politischen Entscheidungen legitimierten. Sei jemand mit dem Ergebnis der kleinen Schicht von Entscheidungsträgern nicht zufrieden, so sei dafür sein eigener Mangel an Geschmack verantwortlich: „Though general or universal approbation be assigned as the test of excellence, it really amounts to no more than the approbation of a very few. Multitudes are excluded from the right of suffrage, as being in one respect or another unfit to judge; the select few take the lead; what pleases their vigorous and improved taste, ought to please all; whoever dissents, ought to impute it solely to his own want of taste.“32
Die Etablierung des gesellschaftlichen, kulturellen Standards, so betonte Gerard, sei keine empirisch zu klärende Frage, sondern bleibe einer philosophischen Untersuchung vorbehalten. Die positive Rezeption durch die Mehrheit sei selbst kein Maßstab, sondern „it is the materials of which the standard must be composed: it is the block from which it must be hewed out: it is the principal of those ingredients from which it must be extracted.“33 Es sei die Aufgabe des Philosophen/Kritikers, durch Abstraktion das Ideal der Schönheit zu finden, dessen unvollkommene Verkörperung die Kunstwerke seien. Dieser philosophische Denkprozess stimuliere und erweitere den Geist und sei „not the amusement[s] of the idle, or the entertainment[s] of the speculative.“34 Ästhetischer Genuss, so scheint es, wurde in erster Linie als abstrakter Denkprozess dargestellt, und manche französische Kommentatoren vermuteten dahinter den Grund für den englischen Nachholbedarf auf dem Gebiet der Kunst. Die englischen Seelen seien von Gedanken an Handel und andere wirtschaftliche Angelegenheiten durchdrungen. Der dazu notwendige Überhang von ‚raison‘ und ‚jugement‘ gefährde – ein von der Luxuskritik geliehenes Argument – die Bande der Gesellschaft. „Le commerce [...] mettoit entr’eux beaucoup de correspondance & peu de société; il les rassembloit sans les unir“.35 Vergegenwärtigen wir uns, wie Kunstrezeption im Idealfall im „temple du goût“ der Salon-Ausstellung vor sich gehen sollte anhand eines Beispiels, das von einem einfachen, in Kunstdingen unbewanderten Betrachter ausging. Der erste Anblick der Bilder war wie ein Schock vorzustellen: „quel spectacle enchanteur que l’ensemble des merveilles, qui saisit le premier coup d’œil! [...] L’âme est mille fois tentée de céder à l’aimable illusion d’un art Créateur qui imite & embellit si parfaitement la Nature, qui trahit ses mystères & reproduit en quelque sorte un second Univers. Je vole ici du-devant un ami dont la ressemblance est si vive, qu’il semble m’appeler, me sourire, m’adresser la parole; là une scène touchante m’attendrit; plus loin, des amans font passer dans mon cœur l’yvresse de leur passion; la joie, la douleur, le plai32 33 34 35
Ebd., S. 240. Ebd., S. 248. Ebd., S. 274. Rouquet 1755, S. 8–9, 14–16.
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sir, l’admiration, enfin tous les sentimens me saisissent tour à tour; voilà, Monsieur, les effets que la première vûe du Salon produit sur une âme sensible. Cependant le nuage de l’illusion se dissipe, les sens sont moins étonnés, les objets s’éclaircissent insensiblement à la vûe, la raison reprend son empire; on veut enfin détailler chaque sujet.“36
Die Betrachtung der Ausstellung folgte dem Ideal der Kunstrezeption: Zuerst war es richtig, die Überwältigung durch den Gesamteindruck zuzulassen, dann gewann die vernunftmäßige Analyse das Terrain zurück, um das Kunsturteil zu vollziehen und den ersten Eindruck zu reflektieren. Der Ausgleich zwischen Begeisterungsfähigkeit und Analyse, Gefühl und Verstand, begründete das ästhetische Urteil.37 Die britische Kritik bemühte sich redlich, die geistigen Kräfte der Einbildungs- und Urteilskraft zu scheiden und im richtigen Maß zusammenzuführen. Nur selten wurde an einer allgemeinen Zugänglichkeit der bildenden Kunst festgehalten.38 In Anlehnung an David Humes A Treatise of Human Nature ergab sich das ästhetische Urteil aus dem gleichgewichtigen Zusammenspiel (‚harmony‘) von ‚fancy‘ und ‚judgment‘.39 Ein Mann von Geschmack, meinte Joshua Reynolds, sei „always a man of judgment [...]. In the midst of the highest flights of fancy or imagination, reason ought to preside from first to last“. Insbesondere der Künstler müsse vor der Einbildungskraft gewarnt werden, und dafür sei eine solide akademische Ausbildung das geeignete Fundament. „Having well established his judgment, and stored his memory, he may now without fear try the power of his imagination.“40 Diesen Befund sollte Reynolds später aber hinsichtlich der Rezeption und Bewertung eines Kunstwerks einschränken, indem er die Einbildungskraft vor den Verstand setzte: „the imagination is here the residence of truth. If the imagination be affected, the conclusion is fairly drawn; if it be not affected, the reasoning is erronous, because the end is not obtained; the effect itself being the test, and the only test, of the truth and efficacy of the means.“41 Dass Reynolds in seinem Versuch, der jungen Royal Academy ein allumfassendes Theoriegebäude zu verleihen, seine eigenen Maximen immer wieder differenzierte 36 Jacques Lacombe, Le Salon, [s. l.] [s. n.] [1753], [Collection Deloynes #55], S. 7–8. 37 Vgl. Kants spätere Beschreibung der Gründung des Lustempfindens ästhetischer Erfahrung im Spiel von „freier“ Einbildungskraft und der „Gesetzmäßigkeit“ des Verstandes. Vgl. Kant 1968, X, § 35, S. 380–382. 38 Ein auch in seiner literarischen Qualität außergewöhnliches Beispiel stellt Allan Ramsays Dialogue on Taste (1755) dar, der zeitgleich mit Humes Of the Standard of Taste und vermutlich aus den Gesprächen mit Hume entstand. Ramsay vertrat dabei die These eines starken ästhetischen Relativismus und gestand selbst einem Bauernmädchen auf der Basis der imitatio grundsätzliches Verständnis ästhetischer Qualitäten zu. Vgl. Allan Ramsay, Dialogue on Taste, in: ders., The Investigator; containing the following Tracts: I. On Ridicule: II. On Elizabeth Canning: III. On Naturalization: IV. On Taste, London: [s.n.], 1762. 39 Vgl. Colman & Thornton, On Taste, in: Connoisseur, 120, 13. Mai 1756, in: Lynam 1827, XIX, S. 202. 40 Reynolds 1997, S. 142 (Discourse VII); S. 27 (Discourse II). 41 Ebd., S. 230 (Discourse XIII).
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und relativierte, macht seine Haltung oft nur schwer fassbar, doch die Bedeutung, die er dem Ausgleich zwischen Einbildungs- und Urteilskraft zumaß, bezeugt die Wichtigkeit, die dieser Frage im britischen Diskurs beigemessen wurde. Auch der mit ihm befreundete Edmund Burke beschrieb „sensibility and judgment“ als „the qualities that compose what we commonly call a Taste“.42 Diese beiden Qualitäten waren allerdings nicht gleichmäßig verteilt. Affektive Kunstrezeption – ohne den Ausgleich der Reflexion – wurde häufig auch dem ungebildeten Betrachter, und vor allem der ungebildeten Betrachterin zugeschrieben. Dass judgment und fancy auch zur geschlechtsspezifischen Unterscheidung angewandt wurden, wird bei Henry Homes Beschreibung der unterschiedlichen Perzeptionsfähigkeiten der Geschlechter deutlich: „The man, as a protector, is directed by nature to govern: the woman, conscious of inferiority, is disposed to obey. Their intellectual powers correspond to the destination of nature: men have penetration and solid judgement to fit them for governing, women have sufficient understanding to make a decent figure under a good government; a greater portion would excite dangerous rivalship. Women have more imagination and more sensibility than men; and yet none of them have made an eminent figure in any of the fine arts. We hear of no sculptor nor statuary among them; and none of them have risen above a mediocrity in poetry or painting. Nature has avoided rivalship between the sexes, by giving them different talents.“43
Trotz aller Beteuerungen der Notwendigkeit eines Gleichgewichts von Verstand und Einbildungskraft, war der Vorrang des ersten, insbesondere zur Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung, offensichtlich. Bei anderen Autoren geriet diese Hierarchie ins Wanken, etwa, als Horace Walpole meinte, man bedürfe des Geschmacks, um die Schönheiten griechischer Architektur zu erfahren, doch „one only wants passion to feel Gothic“. Dieser Stil stelle zwar eine Korrumpierung der Klassik dar, doch Regelverstoß und Leidenschaft waren eins.44 Was aber, wenn hohe soziale Stellung offensichtlich nicht mit gutem Geschmack einherging? In der britischen Diskussion führte dies zumeist nicht zur Hinterfragung der gängigen Geschmackshierarchie, sondern zur moralisierenden Mahnung an die gesellschaftliche Oberschicht, wie sie bereits Aglionby und Richardson unternommen hatten: „[W]e may well wonder that men, who are far above the ordinary rank of life, who are proud of their abilities to distinguish themselves from the vulgar in their clothes, tables, houses, furniture, in short, all the conveniences of modern living, even to luxury, should [...] be contented with diversions, which even the lowest mechanic may aspire to. Is it no mortification to their pride to find men of low birth, mean fortune, and no education, 42 Burke 1958, S. 23. 43 Henry Home, Lord Kames, Sketches of the History of Man, Edinburgh/London: W. Strahan/T. Cadell/W. Creech, 1778, Repr. Hildesheim: Olms, 1968, II, S. 3. 44 Lipking 1970, S. 150.
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on a level with themselves in their amusements? Is it no reproach to them to look upon a picture of Raphaël, or a Medicean Venus, with the same stupid eye of indifference, as the labourer who ground the colours, or who dug in the quarry?“45
Eine ganz ähnliche Beobachtung machte der Abbé Garrigues de Froment fast zeitgleich in Paris, doch interpretierte er sie völlig anders als der britische Autor. Der Abbé sah nicht nur das mangelnde Kunstinteresse gebildeter Kreise, sondern auch die Begeisterungs- und Urteilsfähigkeit des einfachen Volks: „[P]ourquoi tant de gens de la médiocrité, de la moindre portée, s’arrêtent, font foule dans le Salon vis-à-vis des bons, des meilleurs tableaux, & ce qu’on appelle gens d’Esprit ne font communément que passer. [...] La beauté, la vérité ont des droits sur tous les hommes: à plus forte raison en ont celles sur ceux, à qui la Nature a donné les moyens de les saisir. [...] [Q]u’est-ce que donc enfin cette avidité d’une part & cette sorte de satiété de l’autre? en vérité je n’en sçai rien. C’est pour moi depuis longtems un phenomène inexplicable & d’autant plus inquiétant, que l’experience me le remet, dans ce tems-ci surtout, plus souvent sous les yeux.“46
Der Abbé ließ das Rätsel, vor das ihn der Anblick der Salon-Besucher stellte, ungelöst, doch seine Beobachtungen legen den Schluss der Gleichheit ästhetischer Erfahrung nahe, wenn nicht gar eine Privilegierung des einfachen Volkes, das die Kraft der bildenden Kunst ungeachtet fehlender (Geschmacks-)Bildung stärker erlebe als höhergestellte gesellschaftliche Gruppen. Eine Bemerkung sei nun jedoch zum Auslöser dieser Debatten, zu David Humes Aufsatz getan, dessen Doppelbödigkeit einen zweiten Blick verdient. Humes Geschmackskonzept zeigt deutlich weniger Abgeschlossenheit als das seiner Kollegen: „We are apt to call barbarous whatever departs widely from our own taste and apprehension: But soon find the epithet of reproach retorted on us.“47 Humes ‚Wir‘ war relativ, ein wechselnder Blickpunkt zeigte die Unsicherheit tatsächlich bestehender kultureller Standards, wie verbindlich diese auch scheinen mochten. Und mit einer ähnlichen Note endete der Aufsatz. Hume ließ einem Angriff auf ‚pomp‘ und ‚bigotry‘ französischer Kultur (einem Standardtopos nationaler Kulturideologie) ein wenig schmeichelhaftes Bild englischer Derbheit folgen. Angesichts solcher kultureller Relativität gemeinsame Standards zu finden, wurde zu einem schwierigen Unterfangen. Doch nicht umsonst hatte Hume eine Gemeinsamkeit des Geschmacksdiskurses an den Beginn seines Essays gestellt: „The great variety of Taste, as well as of opinion, which prevails in the world, is too obvious not to have fallen under every one’s observation“, lautete sein Ausgangspunkt, der selbst ein Paradoxon darstellt oder einen Scherz48: Die Welt stimmt darin überein, dass sie in nichts übereinstimmt. 45 46 47 48
The World, 63, 14. März 1754, in: Lynam 1827, XVI, S. 267–269. Garrigues de Froment 1753, S. 32–33. Hume 2002, S. 241. Marshall 1995, S. 323.
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Umwerbung und Abgrenzung: Die Royal Academy im Konflikt mit ihrem Publikum Mit der Gründung der Royal Academy 1768, die sich eng am hierarchischen Modell der französischen Académie orientierte, schien der Richtungsstreit der englischen Künstlerschaft entschieden. Zu Recht hat David Solkin diese Gründung als Spaltung („schism“) bezeichnet.49 Noch mehrere Jahrzehnte lang blieb die Position der Royal Academy umstritten, die Konflikte und Rivalitäten, die die englische Kunstszene geprägt hatten, dauerten an. Joshua Reynolds’ jährliche Discourses vor dem Akademieplenum versuchten nicht nur, eine verbindliche theoretische Grundlage zu formulieren, sondern zugleich die Uneinigkeiten auszuräumen, die die Akademiegründung begleitet hatten. Die Royal Academy entstand aber selbstverständlich nicht aus dem Nichts, sondern aus der Abspaltung einer Künstlergruppe, wie es sie seit Beginn der 1760er-Jahre immer wieder gegeben hatte. So gesehen konnte der repräsentative Anspruch der Royal Academy auch als Anmaßung gesehen werden, wie eine Karikatur des Marquess of Townshend befand, die zu Ende des Jahres 1768 entstanden sein muss, als die Gruppe sich eben formierte. Die Masken der Unanimity, Candour und Disinterestedness sind abgenommen, als die künftigen Professoren in einem geheimen Treffen Gehälter aushandeln und Posten vergeben (Abb. 37).
37 [Anon., nach George Townshend], The Secret Councel of the Heads, 1768, Radierung nach einer Federzeichnung, London, The British Museum.
49 Solkin 1993, S. 3.
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1747 hatte Jean-Bernard Le Blanc in den in London und Dublin publizierten Letters on the English and French Nations die englische Kunst als rückständig beschrieben und damit verschiedene Reaktionen und Versuche zur Gründung einer Akademie ausgelöst. Dabei wurden erhebliche Differenzen in den Fragen hierarchischer oder selbstverwalteter, amateurdominierter oder künstlerorientierter, königlich oder privat finanzierter Modelle deutlich.50 In seinem an George II. gerichteten Vorschlag zur Akademiegründung empfahl John Gwynn im Anschluss an die Kunstpräsentationen im karitativen Rahmen die Einrichtung eines „Hospital for Genius, since she is so little able to provide for herself.“51 Aussichtsreicher schien George Vertues Akademieprojekt, da es an den kunstinteressierten Prince of Wales gerichtet war. Zwar verstarb der Thronfolger kurze Zeit später, doch im November 1753 wurde der Vorschlag von den Künstlern der St. Martin’s Lane Academy aufgegriffen. Als diese mit der Society of Dilettanti Kontakt aufnahmen, einem Club von Amateuren, der mit George Knapton und Joshua Reynolds nur wenige Künstlermitglieder aufweisen konnte und eigene Pläne zur Akademiegründung hegte, konnten sie sich heftiger Opposition aus ihren eigenen Reihen sicher sein. William Hogarths Analysis of Beauty (1753) enthielt eine deutliche Stellungnahme gegen das kontinentale Akademiemodell, und zugleich bereitete er mit der unveröffentlicht gebliebenen Apology of Painters eine weitere Schrift vor, in der dieser Frage viel Gewicht zukam. Seine Argumentation ähnelte der des Earls of Shaftesbury: Mehr als die Künstler, so Hogarth, profitierten die Herrscher von den Akademien. Seine enigmatische Kurzfassung „Lewis 14th a puff“ erläuterte er wie folgt: „Lewis the 14 got more honr by establishing a pompous parading [Academy] at paris than the academician advantage by their admition into it“.52 Zugleich war er sich der wirtschaftlichen Konsequenzen der Kunstinstitutionen durchaus bewusst. Obwohl er äußerst skeptisch hinsichtlich ausreichender Beschäftigungsmöglichkeiten für Künstler war – „misery among the unsuccessfull how often have they wished they had been brought up cobblers“, schrieb Hogarth – sei es ohne eine institutionelle Anbindung für viele Künstler schwierig, sich von Handwerkern zu distanzieren und ihre Kunstwerke nicht wie Möbelstücke behandelt zu sehen.53 Hogarth war bei so gut wie allen öffentlichen Projekten der Londoner Künstlerschaft der 1730er- und 1740er-Jahre federführend gewesen54 und verteidigte das selbstverwaltete, unhierarchische Subskriptionsmodell ‚seiner‘ Akademie: Er bezeich50 Bignamini 1986. Vgl. [Jean-Bernard le Blanc], Lettres de M. l’Abbé le Blanc, concernant le gouvernement, la politique et les moeurs des Anglois et des François, Amsterdam: Aux depens de la Compagnie, 1749. 51 Hargraves 2005, S. 12. 52 William Hogarth, Apology for Painters, Hg. Michael Kitson, in: Walpole Society, 41, 1966–68, S. 81, 92. 53 Hogarth 1966–68, S. 79, 89. 54 Paulson 1991–93, II, S. 70–74 zu Vauxhall Gardens; S. 77–97 zum St. Bartholomew’s Hospital; S. 323–352 zum Foundling Hospital.
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nete sich selbst als „equal subscriber with the rest signifying at the same time that superior and inferior among artists should be avoided especially in this country“.55 Grundsätzlich waren natürlich verschiedene Akademiemodelle denk- und auch durchführbar. Selbst in Frankreich bestanden neben der Académie royale noch weitere Zeichenschulen und Akademien innerhalb und außerhalb von Paris, die anders organisiert waren. Mit Bacheliers 1766 gegründeter Ecole gratuite de dessin, die sich der Förderung des Handwerks verschrieben hatte, war ein Modell geschaffen, das der Londoner 1754 gegründeten Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce (Society of Arts) ähnlich war.56 Doch Hogarths Position wurde in den 1750er-Jahren immer isolierter. Noch bevor eine Einigung auf die richtige Form der Institutionalisierung erreicht war, wurde die Veranstaltung gemeinsamer Kunstausstellungen beschlossen, die dann auch zum ausschlaggebenden Motiv für die Akademiegründung wurden.57 In den 1760er-Jahren veranstalteten verschiedene Fraktionen der Londoner Künstlerschaft Ausstellungen, zuweilen in direktem Wettbewerb zueinander. Die erste davon geschah auf Initiative der Foundling-Hospital-Künstler unter Vorsitz Francis Haymans nach einem gemeinsamen Treffen im Herbst 1759, aber ohne Beteiligung William Hogarths. Da die Künstler über keinen eigenen Ausstellungsraum verfügten, vereinbarten sie eine gemeinsame Ausstellung mit der Society of Arts, die eine jährliche Präsentation von Arbeiten ihrer Mitglieder, darunter viele Laienkünstler, in ihrem Versammlungsraum veranstaltete, im April 1760. Die Ausstellung war erfolgreich, doch die unterschiedlichen Ziele der beiden Organisationen führten zu Differenzen. Eine kleine Gruppe verblieb unter dem Namen Free Society of Artists bis 1765 bei der Society of Arts und ihren Ausstellungen, die anderen Künstler, die sich unter dem Namen Society of Artists of Great Britain zusammenschlossen, veranstalteten 1761 eine eigene Ausstellung in einem gemieteten Auktionshaus in Spring Gardens. An dieser nahm Hogarth nicht nur teil, sondern er entwarf auch zwei Illustrationen für den Ausstellungskatalog, darunter das bereits erwähnte Bild des Connaisseur-Äffchens (Abb. 28), zum Amüsement und der patriotischen Ermunterung der Ausstellungsbesucher, sowie ein Pendant auf der Vorderseite des Katalogs, das die Förderung der zeitgenössischen englischen Kunst darstellte. Die Programmatik der Ausstellung sollte für alle Besucher unmittelbar verständlich über diese Illustrationen kommuniziert werden; es gab keinen weiteren Text, sondern nur eine Liste der ausgestellten Werke.58 55 Hogarth 1966–68, S. 94. 56 Zur Society of Arts: Derek Hudson/Kenneth W. Luckhurst, The Royal Society of Arts, 1754–1954, London: John Murray, 1954; Colley 1992, S. 90–95. 57 Zur Akademiegründung: Luckhurst 1951, S. 23–30; Hoock 2003, passim. 58 Auch 1760 war nur eine solche Liste der Exponate publiziert worden, und bei diesem schmuckund kommentarlosen Format blieben die meisten englischen Ausstellungskataloge, insbesondere die der Free Society, während der Katalog der Society of Artists of Great Britain im Jahr 1762 ein umfangreiches Vorwort enthielt (s.u.).
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38 Charles Grignion nach Samuel Wale, The Genius of Painting, Sculpture and Architecture Relieving the Distressed, Titelvignette zu: A Catalogue of the Pictures, Sculptures, Models, Drawings, Prints, etc. exhibited by the Society of Artists of GreatBritain, London: Society of Artists of Great Britain, 1761, London, British Library.
Der Katalog hatte eine Schlüsselfunktion, denn der Erlös aus dem Verkauf finanzierte die Ausstellung und brachte sogar noch einen erheblichen Gewinn. Statt einen Eintrittspreis zu verlangen, was bereits die Society of Arts abgelehnt hatte, war nur der Katalog kostenpflichtig, sein Erwerb allerdings verpflichtend. Mit dem Erlös sollten nicht nur die Kosten der Ausstellung gedeckt, sondern auch ein Sozialfonds für hilfsbedürftige Künstler eingerichtet werden, wie die Titelvignette des Katalogs zeigte (Abb. 38). Die karitative Verwendung der Gelder war wichtig, um die Veranstaltung abseits kommerzieller Interessen zu positionieren. Während die französischen Ausstellungen sich relativ problemlos in die absolutistische Festkultur einfügten, mussten sich die Londoner Unternehmungen von privaten Vergnügungen und ‚shews‘ absetzen und als gesellschaftlich relevant legitimieren. 1762 fanden gleich drei Ausstellungen statt. Zu den Veranstaltungen der beiden rivalisierenden Organisationen kam eine dritte, die sogenannte Sign Painters’ Exhibition. Die Veranstalter dieser Ausstellung waren im Großen und Ganzen identisch mit der Gruppe, die im Vorjahr dem Auftritt William Hogarths zu viel publizistischem Rückenwind verholfen hatte.59 Auch dieses Mal sorgten sie für die Bewerbung und Be. 59 Erste Ankündigungen einer „Brokers and Sign Painters Exhibition“ wurden bereits im Mai 1761 im St. James’s Chronicle publiziert, während diesmal, 1762, eine fiktive Ausstellung der „Cosmetick
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sprechung der Ausstellung. Nicht Kunstwerke sollten gezeigt werden, sondern teils gefundene, teils für die Ausstellung gemalte Ladenschilder, zu deren Einreichung im Vorhinein über Zeitungsannoncen aufgerufen worden war. Schildermaler standen in der Hierarchie des Malerberufs an unterster Stelle. Von ihren Bewunderern war wenig ästhetische Kompetenz zu erwarten: „The vulgar eye gazes with equal satisfaction on the canvass of a Titian, and the daubings on a signpost“, lautete das vernichtende Urteil eines britischen Moralisten.60 Doch den Veranstaltern ging es nicht einfach darum, dieser Berufsgruppe einen öffentlichen Platz zu widmen. Die laut Zeitungsartikeln in der Mitte der Ausstellung angebrachte, der Poetik des Horaz entnommene lateinische Inschrift „SPECTATUM ADMISSI RISUM TENEATIS“ zeigt, dass die Exponate und die Ausstellung nicht nur zum Lachen anregen sollten, sondern schlichtweg als lächerlich dargestellt wurden. Doch damit war der Satire nicht genug. Der Hauptakteur der Ausstellung, der Journalist Bonnell Thornton, Mitglied des schwarzhumorigen Nonsense Club, verlautbarte per Annonce, dass die Veranstalter die erworbenen Eintrittsgelder zur Ausstellung zu vertrinken gedächten, „at the Expence of the Public“.61 Paulsons Interpretation dieser Veranstaltung als populäres Vergnügen62 überzeugt nicht, denn die medienreflexiven ‚puns‘, mit denen die Ausstellung, soweit man den erhaltenen Quellen nach schließen kann, bestückt war, waren nur für Besucher reizvoll, die mit dem karikierten Rahmen einer Kunstausstellung vertraut waren. Die Parodie auf Künstler, Publikum und das neue Medium der Ausstellung war tiefgründiger. Hinter der Veranstaltung stand, einmal mehr, auch William Hogarth, der mehrere der Bilder gemalt und wohl auch viele der satirischen Verweise ersonnen hatte. Der bittere Ton, den Jonathan Conlin hinter der dunklen Satire vermutet, fügt sich gut in Hogarths pessimistische und isolierte Position seiner letzten Lebensjahre. Auch die anderen Künstlerorganisationen waren nicht bereit, ihre Veranstaltungen zu populären Vergnügen werden zu lassen. Von Beginn der Ausstellungen im Artists in Painting“ angekündigt wurde (St. James’s Chronicle, 8.–10. April 1762). Es ist denkbar, dass auch das Projekt der Society of Sign Painters aus einer solchen satirischen Annonce entstand. 60 Knox’s Essays, 68, 1782, in: Lynam 1827, XXII, S. 274. 61 St. James’s Chronicle, 27.–29. April 1762, S. 4. Zur Ausstellung insbesondere: A catalogue of the original paintings, busts, carved figures, & & & now exhibiting, by the Society of Sign-Painters [...], London: [s. n.], [1762], sowie eine Beschreibung in: St. James’s Chronicle, 29. April–1. Mai 1762, S. 3–4. Zur Interpretation: Jonathan Conlin, „At the Expense of the Public“: The Sign Painters’ Exhibition of 1762 and the Public Sphere, in: Eighteenth-Century Studies, 36/1, 2002, S. 1–21; Taylor 1999, S. 14–19; Paulson 1991–93, III, S. 336–361; Krysmanski 1997, S. 141– 159. Annoncen und Kritiken der Ausstellung finden sich in St. James’s Chronicle, März und April 1762, während die London Evening Post mit Hinweis auf die Persiflierung der Bemühungen um die Förderung der zeitgenössischen Kunst durch andere Ausstellungsvereinigungen bat, von weiteren Ankündigungen Abstand zu nehmen. (London Evening Post, 15.–17. April 1762, S. 3; doch zwei weitere Briefe und eine Rezension erschienen in der Ausgabe von 17.–20. April, S. 3, sowie von 22.–24. April, S. 4.) 62 Paulson 1991–93, III, S. 330, 358.
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Jahr 1760 an war der Andrang groß, und ebenso von Beginn an versuchten die Veranstalter, den ‚Mob‘ fernzuhalten. Die Festlegung von Eintrittsgeldern war dabei ein willkommenes Mittel. Mit der schon 1760 (damals entgegen den Richtlinien der Gastgebervereinigung, der Society of Arts) festgelegten Summe von 6 Pence für den Katalog versuchten die Künstler, zumindest die ärmsten Bevölkerungsschichten vom Besuch der Ausstellung abzuhalten. Doch trotz der Anweisung an die Beamten der Society of Arts, „to exclude all persons whom they shall think improper to be admitted, such as livery servants, foot soldiers, porters, women with children, etc, and to prevent all disorders in the Room, such as smoaking, drinking, etc, by turning the disorderly persons out“63, kam es zu Tumulten – und zu ‚unberechtigten‘ Urteilen des Publikums: „[A]s every member of the society was at liberty to distribute what numbers of tickets for admittance he thought fit, that which was intended only as a polite, entertaining and rational amusement for the publick, became a scene of tumult and disorder; and to such a height was the rage of visiting the exhibition carried, that, when the members themselves had satisfied their own curiosity, the room was crowded, during the hours allotted for the exhibition, with menial servants and their acquaintance; this prostitution of the polite arts undoubtedly became extremely disagreeble to the professors themselves, who heard alike, with indignation, their works censured or approved by kitchen-maids and stable-boys“.64
Die Londoner Künstlerschaft erfuhr mit einem Mal, welchen Preis die Ausstellungen mit sich brachten. Die Unzufriedenheit mit dem Publikum bewog manche, mit der Gastinstitution der Society of Arts zu brechen. Als im November 1760 die zweite Ausstellung vorbereitet wurde (es war dies die erste Ausstellung der Society of Artists of Great Britain), beschlossen die Veranstalter, den Eintrittspreis zu verdoppeln: „Great inconvenience having been found by Inferior People crowding last Year.. Resolved. That the Catalogue be a shilling and that no Person be admitted without taking one, the same to serve as a Ticket.“65
Doch auch bei dieser Ausstellung kam es zu Drängeleien und Tumulten: „The Crowd was so great on Tuesday, by People pressing into the Exhibition-room in the Strand,
63 Luckhurst 1951, S. 25. 64 John Gwynn, London and Westminster Improved, Illustrated by Plans, London: the Author, 1766, S. 24–25. Der Text bezieht sich auf die Ausstellung von 1760. Auch 1764 war die Society of Arts mit den Freikarten für ihre Mitglieder noch sehr großzügig; aufgrund der „prodigious crowd“ wurde aber immerhin die Zahl der pro Person verfügbaren Karten auf 64 ,beschränkt‘. Vgl. Cuttings from English Newspapers on Matters of Artistic Interest, 1686–1835, London, Victoria & Albert Museum, Bd. 1, S. 11 (17.? März 1764). 65 The Papers of the Society of Artists, in: Walpole Society, 6, 1917–18, S. 122.
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that a deal of Mischief was done; one of the Porters, who was employed by the Society to see Decorum observed, was knocked down, and otherwise greatly abused.“66 Die Situation für die in der Society of Arts verbliebenen Künstler und Künstlerinnen war nicht viel besser. 1761 waren im Ausstellungsraum 8 (!) Wachen versammelt, und doch wurde der Besucheransturm heftig kritisiert: „Who can examine a beautiful Painting, with Advantage or Pleasure, in a Sweating-Room, choaked with Clouds of Dust, and as much Crouded, and as rudely elbowed, as if we were in Bartholomew-Fair? [...] [I]t is a Prostitution of the Arts, to exhibit them [...] for the Entertainment of the Mob. [...] For shame! Gentlemen, let your Servants wait till Fair-Time, [...] do not affront your Institution by displaying the Fruits of it to the Ignorant“.67
Der Artikel empfahl stattdessen den Besuch der Ausstellung der Society of Artists of Great Britain, war also primär gegen die Konkurrenzveranstaltung gerichtet. Doch es ist bemerkenswert, dass die Kritik am Publikum so deutlich als wertminderndes Argument eingesetzt werden konnte. Im Folgejahr verbat die Society of Arts, den Forderungen dieses Autors entsprechend, Dienern in Livree den Eintritt.68 Doch auch da beklagten sich Autoren über „the most baneful, idle, insolent banditti“, die ihren Besuch störten.69 Die Heftigkeit und Häufigkeit solcher Äußerungen verlangen nach einer Erklärung. Die englischen Ausstellungen wollten kein Volksvergnügen sein, anders als in Paris, wo ihr Ursprung in einem Festtag für den König lag, der so – als Teil der absolutistischen Repräsentationspolitik – zumindest in der Theorie das gesamte Volk zu seinem Publikum machte. Die Ausstellungen in Paris waren und blieben gratis. Auch in Paris waren Wachen postiert (Abb. 39), doch selten war von Auseinandersetzungen im Salon die Rede und ebenso selten waren Unmutsbekundungen gegen die Volksmengen in der Ausstellung. Unter den zahlreichen Beschreibungen des französischen Kunstpublikums waren klassenspezifisch generalisierende Negativcharakterisierungen, wie sie in den britischen Quellen immer wieder erschienen, äußerst selten.70 Ein Pamphlet des Jahres 1773, das einen wohlmeinenden Abbé gemeinsam 66 St. James’s Chronicle (über die Ausstellung der Society of Arts), 14.–16. Mai 1761, S. 1 und The London Evening-Post, 14.–16. Mai 1761, S. 1. 67 St. James’s Chronicle, 13.–15. Mai 1762, S. 1. 68 The London Chronicle, 7.–9. April 1763, S. 338. 69 Whitley 1928, I, S. 178. 70 Eine Ausnahme bildet eine innerhalb der französischen Ausstellungsbesprechungen ungewöhnlich heftige Abqualifizierung im Mercure de France, die eher dem englischen Diskurs folgt: „Cette multitude qui, dit-on, juge par sentiment, & dont on affecte de préférer l’approbation à celle des gens du monde, n’est qu’un amas d’êtres qui, au malheur de ne devoir aucunes lumières à l’éducation, en joignent un plus fâcheux encore; celui d’avoir étouffé dans les habitudes vicieuses d’une existence purement matérielle, le germe des facultés intellectuelles que la Nature accorde à tous les hommes. On vante pourtant l’instinct de cette classe abâtardie de la société; pourquoi? Parce qu’elle ne critique rien, qu’elle admire tout; & voilà le secret de l’orgueil.“ Zit. nach Mercure de France, Oktober 1785, S. 19.
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39 [Anon.], Salon von 1765, 1765, Radierung, Paris, BN.
mit einem kritiklustigen englischen Begleiter in den Salon schickt, zeigt an eben diesem Punkt deren Auffassungsunterschiede: Der Engländer erstaunt sich über das gemischte Volk am Eingang zur Ausstellung (darunter auch Diener in Livree), der Franzose klärt ihn auf – „On est fort curieux à Paris, la populace vient ici comme elle va aux parades, elle prend un plaisir qui ne lui coute rien.“ – und verweist seinen Gast auf das Urteil des Flickschusters gegenüber Apelles. Den Rest des Besuchs verbringen die beiden damit, den naiv-komischen Weisheiten zweier Lakaien und anderer Besucher aus der vermischten Menge zu lauschen. Am Schluss meint auch der Engländer, „Ces gens parlent de bon sens“.71 Den Brauch, durch den Eintrittspreis die ärmsten Bevölkerungsschichten aus den Ausstellungen auszuschließen, kritisierte ein Pariser Pamphlet des Jahres 1787 ausdrücklich, denn der Arme empfinde vor71 [Daudet de Jossan ?], Éloge des Tableaux exposés au Louvre le 26 Août 1773. Suivi de l’entretien d’un Lord, avec M. l’abbé A***, Paris: [s. n.], 1773, [Collection Deloynes #148], S. 31, 61.
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urteilsloser als der Reiche – „ne tenant à rien, il n’a point de parti“ –, und daher sei sein Urteil für den Künstler grundlegend. Zudem hob der Autor die Bedeutung der Fiktion der Standesfreiheit im Salon hervor, die eine grundlegende Eigenschaft und Funktion der Künste sei: „au moins en France le temple des Arts est ouvert au pauvre comme au riche: confondu avec le grand & l’opulent, il y oublie sa médiocrité; &, dans ces momens d’illusion, des traits heureux qui lui échappent servent l’Artiste attentif à l’observer jusques dans ses mouvemens. Les distinctions de rangs & de fortune, déplairont toujours aux Arts qui veulent être égaux & libres.“72
Auch die französische Salon-Literatur war voller belustigter, verächtlicher, pessimistischer Äußerungen, wenn gelangweilte Stutzer vor den Bildern gähnten, Kleinbürger sich in unqualifizierten Urteilen übertrafen, eine „petite femme“ ihr Rouge und ihre mouches in der Reflexion einer Glasscheibe richtete, ohne das dahinter gehängte großformatige Porträt der Madame de Pompadour von La Tour eines Blickes zu würdigen.73 Trotzdem – so der Wortlaut dieser Besprechungen – sei dies das Publikum, dem die Kunstwerke gefallen müssten: „L’Amateur les examine d’un œil passionné, mais troublé; le Peintre d’un œil perçant, mais jaloux; le Vulgaire d’un œil riant, mais stupide; la classe inférieure du peuple, accoutumée à régler ses goûts sur ceux d’un maître, attend que le suffrage d’un homme de marque vienne déterminer le sien. Par-dessus tout cela, beaucoup de jeunes Commis, de jeunes Marchands, de jeunes Clercs, en qui des travaux uniformes, journaliers & rebutants, doivent nécessairement éteindre le sentiment du beau: voilà pourtant quels sont les hommes que chaque artiste a désiré de se rendre favorables.“74
Vielleicht fehlten in Paris nicht die Konflikte, wohl aber negative Aussagen darüber; vielleicht hatten sich aufgrund der längeren Ausstellungstradition in Paris akzeptierte Verhaltenskodizes oder subtilere Zugangsbeschränkungen herausgebildet. In der deutlich größeren Metropole London aber beanspruchten mit einem Mal hunderte Menschen aus den unteren sozialen Schichten, die sich als Konsumenten anderer urbaner Vergnügungen durchaus gleichberechtigt fühlten, Platz im Kunstpublikum. Der Eintrittspreis in den Vergnügungsgarten Vauxhall Gardens etwa war mit einem Shilling derselbe wie der zu den Ausstellungen ab 1761. Die Londoner Ausstellungen waren offensichtlich Schauplatz tiefgreifender sozialer Konflikte. Dies mochte dazu beigetragen haben, dass die erste bildliche Darstellung des Publikums erst im Jahr 1771 entstand (Abb. 33), als die Ausstellungen 72 [anon.], L’ami des artistes au Sallon, par M. l’A. R., Paris: [s. n.], 1787, [Collection Deloynes #379–380], Supplement, S. 6. 73 [anon.], Lettre sur le Salon de 1755, adressée à ceux qui la liront, Amsterdam: chez Arkstée et Merkus, 1755, [Collection Deloynes #71], S. 8. 74 [Louis-François-Henri Lefébure], Le Frondeur, ou dialogues sur le Sallon, [s. l.] [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #329], S. 1–2.
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40 William Angus nach Daniel Dodd, Representation of the Exhibition, of Paintings, at Somerset House, 1784, Kupferstich, London, The British Museum.
bereits mehr als ein Jahrzehnt lang etabliert waren. Es war dies zugleich die letzte Illustration des Publikums der Royal Academy, die dessen soziale Heterogenität thematisierte. Die nachfolgenden Drucke zeigten Ruhe und Ordnung – und das gewünschte Publikum der Oberschicht (Abb. 40, 43). Die richtigen Besucher anzuziehen war für die Londoner Künstlerschaft ein grundlegendes kommerzielles Bedürfnis. Die ‚exhibitions‘ waren nicht einfach nur als Kunstpräsentationen zu Ehren der Künstlerschaft ersonnen worden, sondern als Verkaufsausstellungen. Ihr Sinn und Zweck war es, ein hochgestelltes Kunstpublikum zu schaffen und Käufer anzuziehen: „Tho’ we are far from wishing to diminish the pleasures, or deprecate the sentiments of any class of the community, we know however, what every one knows, that all cannot be judges or purchasers of works of art; yet we have already found by experience, that all are desirous to see an Exhibition. When the terms of admission were low, our room was throng’d with such multitudes as made access dangerous, and frightened away those, whose approbation was most desired.“75 75 A Catalogue of the Pictures, Sculptures, Models, Drawings, Prints, &. Exhibited by the Society of Artists of Great Britain, [s. l.] [s. n.] [1762], Preface, V. Dieses von Samuel Johnson entworfene Vorwort wurde in mehreren Londoner Zeitungen publiziert. Vgl. Hargraves 2005, S. 36. Um die-
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Selbst das gesittetste Benehmen aber brachte noch nicht unbedingt das gewünschte Verhalten, und so sah die englische Kunstkritik ihre Aufgabe nicht zuletzt darin, als Leitfaden für das ungebildete Publikum zu dienen. 1762 war in einer Ausstellungskritik zu lesen: „To judge of Painting, it requires a long, frequent, and attentive Comparison of Painting with the Objects they are designed to represent; and, therefore, those who have not made this Art their Study, can be no Judges of all. Hence I should imagine, however the Painters might be offended, that the Publick will think themselves obliged to the Authors of the above-mentioned Review, for assisting their Judgement, in a Matter which every one talks of, and which so few People understand.“76
Dabei waren die Ausstellungsbesprechungen in den englischen Zeitungen in der Regel betont einfach und oft auch humorvoll gehalten. Für gewöhnlich waren sie wie Leserbriefe formuliert, um jeglichen professionellen Gestus zu vermeiden. Stattdessen wurde der Dialog zwischen Autoren und Lesern betont, die Zeitung stellte sich als bloßes Medium der Publizität dar.77 Es ist charakteristisch für den britischen Diskurs, dass auch die Abwehr solch didaktischer Kritik thematisiert wurde. Ein fiktiver „Will Harebrain“ bemerkte über die Ausstellung der Society of Artists in den Spring Gardens, „[I]t seems very odd, that none of your ingenious Correspondents, Connoscenti in the fine Arts, have favoured the Public with their Judgment of that Collection; for it really signifies nothing at all for a plain Man, who has only Nature and Reason to guide him, to go to these Places, before he has been told, whether he is to be pleased or displeased.“78
Diese (Selbst-)Anklage war vielschichtig. Einerseits natürlich waren ‚Nature‘ und ‚Reason‘ immer noch die wahren Leitfäden für das richtige Kunsturteil. Las man die Satire im Sinne der Connaisseurkritik, dann war klar, dass die ‚Connoscenti‘ die letzten waren, die John Bull eines Besseren belehren konnten. Doch zugleich stellte der Artikel den Anleitungsbedarf von Rezipienten wie Will Harebrain heraus, die ohne Führung keinen Nutzen aus der Ausstellung ziehen könnten. Seine Unkenntnis zeichnete sich ja nicht zuletzt dadurch aus, dass er die falschen Kenner heranziehen wollte – der Aufruf an die richtigen Kritiker war ja implizit formuliert. Im . sen Aspekt deutlicher zu machen, waren die verkäuflichen Exponate ab 1765 im Katalog mit einem Sternchen gekennzeichnet. 76 St. James’s Chronicle, 27.–29. April, 1762, S. 2. Vgl. zu ähnlichen Argumenten: The Morning Chronicle, and London Advertiser, 31. Mai 1773, S. 2. 77 Vgl. zahlreiche Beispiele in: Press cuttings, chiefly from The Public Advertiser, including notices and reports of sales, exhibitions, and artistic matters generally, 1723–1800, London, Victoria & Albert Museum, National Art Library. 78 The Public Advertiser, 26. April 1764, S. 1–2. Ich weiche von David Solkins Interpretation dieser Quelle ab (Solkin 1993, S. 248).
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Folgejahr forderte die Zeitschrift ihre Leser direkt zur Zusendung von Ausstellungskritiken auf, sofern diese mit „Decency and Candor“ verfasst seien.79 Ausstellungsrezensionen, die sich an der gewählten Sprache von Klassikern der Kunstliteratur wie Richardsons Essay on the Art of Criticism und Reynolds’ Discourses orientiert hatten, wurden ihres elitären Gestus wegen verurteilt oder gar des ‚puffing‘ verdächtigt. Ab den 1780er-Jahren ging der Trend noch deutlicher zu Ausstellungsbesprechungen „in plain English“, die sich zwischen common sense und Ikonoklasmus bewegten.80 Obwohl die Londoner im Vergleich mit den Pariser Ausstellungskritiken wohlwollend ausfielen,81 setzte die Society of Artists of Great Britain verschiedene Maßnahmen zur Auswahl der von ihr präsentierten Kunstwerke. 1762 stellten noch Amateure aus, doch bereits 1764 wurde die Miteinbeziehung der „lower genres“ kritisiert, die die anderen Künstler beschäme.82 Die Society of Artists of Great Britain entschloss sich daher, ein Auswahlkomitee einzurichten, das die Einhaltung künstlerischer Standards gewährleisten sollte.83 Um Kritik trotzdem vorwegzunehmen, griff die Society bei der Ausstellung 1772 zu einem Mittel, das an Charles Coypels paternalistische Haltung in den 1720er-Jahren erinnert: Als „Vademecum to that Exhibition“ war dem Katalog eine Kunstkritik beigegeben, die den Besuchern mehr „critical Relish“ geben und, wie das Vorwort meinte, Wissen zum Sehen hinzufügen sollte.84 Mit der Gründung der Royal Academy im Dezember des Jahres 1768 brach die Londoner Künstlerschaft mit dem traditionellen Clubsystem. Die Zahl der stimm- und amtsberechtigten Vollmitglieder (Academicians) war, in Anlehnung an die Académie française, auf 40 beschränkt, und es galten mehrere Auflagen. Berechtigt waren nur „Painters, Sculptors, or Architects, men of fair moral characters, of high reputation in their several professions; at least five-and-twenty years of age; resident in Great Britain; and not members of any other society of artists estab79 The Public Advertiser, 1. und 2. Mai 1765, S. 2. 80 Mark Hallett, ‚The Business of Criticism‘: The Press and the Royal Academy Exhibition in Eighteenth-Century London, in: Solkin 2001, S. 65–75. Hallett sieht den Beginn dieser „plain speaker“-Tradition mit der Antwort auf eine Candid Review of the Exhibition des Jahres 1780, die ihrem Titel allerdings gar nicht gerecht wurde: [anon.], A Candid Review of the Exhibition (being the Twelfth) of the Royal Academy, London: H. Reynell, [1780]. 81 Solkin 1993, S. 259. 82 Hargraves 2005, S. 48. Es handelte sich bei der kritisierten Arbeit um die Näharbeit einer anonym ausstellenden Künstlerin. Solche Näharbeiten waren, ebenso wie ‚Gemälde‘ aus Haaren, eine gesellschaftlich beliebte und angesehene Kunstform, die aber akademisch nicht akzeptiert war. Vgl. Whitley 1928, I, S. 230–231; Hargraves 2005, S. 128. 83 Hargraves 2005, S. 45–47. 84 [anon.], Candid Observations, on the Principal Performances Now Exhibiting at the New Room of the Society of Artists, Near Exeter-Change, Intended as a Vademecum to that Exhibition, London: Bell, 1772, eingebunden in: A Catalogue of the Pictures, Sculptures, Models, Designs in Architecture, Drawings, Prints &c. exhibited at the New Room, near Exeter-Exchange, Strand, London: Society of Artists of Great Britain, 1772.
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lished in London.“85 Der anfangs festgelegte Ausschluss der Druckgrafiker wurde rasch aufgehoben, allerdings blieb ihnen auch weiterhin der Zugang zu den Akademieämtern verschlossen.86 Nicht abgeschafft wurde der Ausschluss von Frauen. Im Unterschied zur Pariser Académie royale war diesen die Mitgliedschaft bereits durch die Statuten verboten. Diese Situation war vor der Gründung der Royal Academy ähnlich gewesen. Bereits die früheren englischen Künstlervereinigungen waren männlich dominiert, nur wenige akzeptierten weibliche Mitglieder in assoziierter Form, auch wenn Frauen durchaus an den Ausstellungen teilnehmen konnten. Bei den jährlichen Treffen der Foundling-Hospital-Künstler waren keine Frauen anwesend, daher auch nicht bei demjenigen Treffen im Herbst 1759, zu dem erstmals die Veranstaltung von Ausstellungen diskutiert wurde. Die Royal Academy hatte zwar mit Angelika Kauffmann und Mary Moser zwei weibliche Gründungsmitglieder, nahm aber danach keine weiteren Frauen mehr auf.87 In der nach der Gründung der Royal Academy verbliebenen Restvereinigung der Incorporated Society standen Künstlerinnen nur Ehrenmitgliedschaften offen, die nicht über das Recht auf Ausstellungsteilnahme hinausgingen.88 In diesem Punkt lebten traditionelle Organisationsformen durchaus fort: Gemischtgeschlechtliche oder rein weibliche Clubs waren äußerst selten. „Ladies were frequently lauded and toasted as club patronesses, but in absentia. [...] Other female involvement was equally decorative“, hat Peter Clark festgestellt,89 und dieser Beschreibung entspricht auch ein frühes Beispiel für die bildliche (Selbst-)Darstellung der Royal Academy: In der Ausstellung von 1772 präsentierte Johann Zoffany ein Gruppenporträt der Künstler der Royal Academy (Abb. 41). Dargestellt waren 35 Mitglieder, angeordnet um die ranghöchsten Akademiker, den Präsidenten Joshua Reynolds und den einflussreichen Treasurer William Chambers. Die beiden weiblichen Mitglieder Angelika Kauffmann und Mary Moser waren nicht persönlich, sondern nur in Form von Porträts an der Wand dargestellt.90 Die ‚praktische‘ 85 „The Instrument of Foundation“, Art. I, zit. nach Hutchison 1968, S. 209 (Appendix A). 86 Hutchison 1968, S. 53. 87 Die beiden Malerinnen waren stimmberechtigt und nutzten ihre Stimmen bei der Vergabe der Ämter und der Preise an die Schüler der Academy. Nur Moser nahm regelmäßig an den Sitzungen teil, während Kauffmann ihre Entscheidungen brieflich an den Präsidenten Joshua Reynolds übermittelte. Vgl. Whitley 1928, I, S. 238–239. Dagegen meint Hutchison, beide Frauen hätten nur brieflich abgestimmt, ohne jemals an den Sitzungen der Academy teilzunehmen. Vgl. Hutchison 1968, S. 60–61. 88 Delia Gaze (Hg.), Dictionary of women artists, London: Fitzroy Dearborn, 1997, S. 51–53. 89 Clark 2000, S. 201, der die Zahl der nur Frauen vorbehaltenen Clubs für 1803/1804 mit 5% beziffert. 90 Marcia Pointon hat darauf hingewiesen, dass diese Darstellungsform in der Tradition der imago clipeata steht und sich damit als eine Ehrenbezeugung gegenüber abwesenden Mitgliedern begreifen lässt. Vgl. Marcia Pointon, Hanging the Head. Portraiture and Social Formation in Eighteenthcentury England, New Haven/London: Yale University Press, 1993, S. 65–66; dies., Strategies for Showing. Women, Possession and Representation in English Visual Culture 1665–1800, Oxford: Clarendon, 1997, S. 165, Fn. 4.
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41 Richard Earlom nach Johann Zoffany, The Academicians of the Royal Academy, 1773, Mezzotinto, London, The British Museum.
Erklärung, dies sei dem Umstand geschuldet, dass beiden Frauen die Anwesenheit im Aktzeichensaal nicht erlaubt war, weist direkt auf die Grundproblematik. Denn der Aktzeichensaal war ja gewissermaßen das traditionelle Herzstück der Akademie. Und so machte Zoffany mit diesem Darstellungsmodus zugleich den Status dieser Künstlerinnen innerhalb der Royal Academy transparent: Sie waren nicht als vollwertige Mitglieder dargestellt, sondern vom Kreis der aktiven Künstler ausgeschlossen.91 Grundsätzlich blieb Künstlerinnen die Möglichkeit zur Teilnahme an den Ausstellungen der Royal Academy. Denn das Londoner unterschied sich in einem Punkt grundsätzlich vom Pariser Modell: Die Ausstellungen standen „all Artists of distinguished merit“ offen, also auch Nichtmitgliedern, vorausgesetzt natürlich, ihre Arbeiten wurden vom Auswahlkomitee genehmigt.92 Da die Academy ihr Geld mit den Ausstellungen verdiente, scheute sie nicht vor Großausstellungen zurück. Die Zahl der ausgestellten Werke übertraf bald die des Pariser Gegenübers: 1795 91 Angela Rosenthal, Angelika Kauffmann. Bildnismalerei im 18. Jahrhundert, Berlin: Reimer, 1996, S. 44. 92 „The Instrument of Foundation“, Art. XVII, zit. nach Hutchison 1968, S. 212 (Appendix A).
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waren 886, 1800 gar 1.100 Arbeiten ausgestellt.93 Der Anteil der ausstellenden Künstlerinnen war relativ gering, wie die Kataloge der Royal Academy belegen. Unter den ca. 100 Teilnehmern an der Ausstellung von 1771 etwa waren nur neun Frauen. Die englischen Künstlerinnen mussten sich vor dem Hintergrund des Ideals weiblicher Unprofessionalität in Gestalt der ‚accomplished woman‘ durchsetzen. Die kultiviert-dilettantische Kunstausübung war ein soziales Distinktionsmerkmal, kein Beleg für künstlerisches Schaffen: „the accomplished woman was understood to be ‚artistic‘ but not an artist.“94 Ann Berminghams Unterscheidung, dass Frauen in den ‚accomplishments‘ des Malens und Zeichnens, Männer aber in der Beurteilung von Malerei und Zeichnung (exemplifiziert in der Grand Tour) ausgebildet wurden, zeigt eine Parallele zur traditionellen sozialen Überlegenheit der Auftraggeber gegenüber den praktizierenden Künstlern. Die Inferiorität der Kunstpraxis gegenüber der Kunstbeurteilung wiederholte sich in der Hierarchie der Geschlechter. Als Joshua Reynolds im Januar 1769 mit seiner ersten Rede die Royal Academy eröffnete, wandte er sich ausschließlich an „Gentlemen“. Diese und die folgenden vierzehn Akademiereden, die anlässlich der jährlichen Preisverleihungen gehalten wurden, richteten sich explizit nur an die männlichen Mitglieder der Academy (nur in seiner ersten Rede sprach Reynolds außerdem von „visitors“). Die Akteure der Institution Kunst waren nach dieser Darstellung die Künstler, die Aristokratie, die wohlhabende Oberschicht und der König, George III.95 Tatsächlich erhielt die Royal Academy in den Anfangsjahren königliche Zuwendungen, es war jedoch geplant, durch die Ausstellungen finanziell unabhängig zu werden, was ab 1780 auch gelang. Die Frage der Berechtigung der Einhebung eines Eintrittspreises durch eine königliche Institution und der Verwendung dieser Gelder wurde zu einem wichtigen Kritikpunkt gegen die Academy und zuweilen auch gegen den König. Bereits in der Zeichnung des Marquess of Townshend (Abb. 37) prangt eine stattliche ‚Exhibition Bank‘, deren zukünftigen Inhalt die Professoren als Zeichen ihrer Geldgier schon im Vorhinein aufteilen. Der radikale Kritiker John Wolcot bezeichnete das Auftreten des Monarchen als Förderer der Künste als heuchlerisch, denn tatsächlich würden die Künstler vom Volk finanziert. „[W]ith the richest monarch of Europe for their patron, the arts of England are literally kept from destruction by the votive shillings of the motley public, who pay the salaries
93 Ebd., S. 77. Zum Vergleich die Pariser Exponate: Koch 1967, S. 160–161. Dort schwankte die Größe des Salon während der Revolutionsjahre beträchtlich, sodass für die 1790er-Jahre der direkte Vergleich wenig sinnvoll ist. 94 Ann Bermingham, The Aesthetics of Ignorance: The Accomplished Woman in the Culture of Connoisseurship, in: Oxford Art Journal, 16/2, 1993, S. 3–20 (Zitat: S. 7). 95 Reynolds 1997, S. 13, 14.
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of the professors, and find oil for the lamps in the plaister and living schools, though the king arrogates the character of being the high supporter of the system.“96
Der Öffentlichkeitsanspruch der Academy widersprach nach dieser Auffassung ihrem Verhalten als kommerzielles Unternehmen. Und die Einhebung eines Eintrittspreises, der anfänglich dazu beitragen sollte, die ärmeren Schichten von der Ausstellung auszuschließen, hatte einen Effekt, der nicht in all seiner Konsequenz begrüßt wurde: Das zahlende Publikum finanzierte bald nicht nur die Veranstaltung, sondern auch die Academy, und eben diejenigen Besucher, die sie als ‚improper persons‘ bezeichnete, sicherten ihre Existenz.97 Die Academy war sich durchaus bewusst, dass der Eintrittspreis gerechtfertigt werden musste, und der Weg, den sie zur Legitimation wählte, ist aufschlussreich: „As the present Exhibition is a part of the Institution of an Academy supported by Royal Munificience, the Public may naturally expect the Liberty of being admitted without any Expence. The Academicians therefore think it necessary to declare, that this was very much their desire, but that they have not been able to suggest any other Means, than that of receiving Money for Admittance, to prevent the Room from being filled by improper Persons, to the entire Exclusions of those for whom the Exhibition is apparently intended.“98
Das Eintrittsgeld als Mittel des Ausschlusses darzustellen, erschien innerhalb der Rhetorik der Royal Academy offensichtlich weniger verfänglich, als auf den kommerziellen Zweck des Geldes zu verweisen. Dementsprechend bald wurde in Zusammenhang mit der Eröffnung ihrer ersten Ausstellung vom Idealbild des Ausstellungspublikums gesprochen, „a very crouded and brilliant route of persons of the first fashion“.99 1780 bezog die Royal Academy neue, repräsentative Räume in Somerset House. Eine Wendeltreppe führte in den dritten Stock, zum irdischen Parnass des über Oberlichten beleuchteten Great Exhibition Room. Wenn die Royal Academy mit dieser Lösung noch nicht ausdrücklich ihre Absetzung von den gemeinen Vergnügungen der Straße deutlich gemacht hatte, so blieb den verwunderten Besuchern die Lektüre der griechischen Inschrift „ΟΥΔΕΙΣ ΑΜΟΥΣΟΣ ΕΙΣΙΤΩ“ (Abb. 42) vor dem Eingang in den Great Exhibition Room: „Let no stranger to the muses enter.“ „Die Museen könnten an ihre Frontgiebel schreiben lassen: Einlaß nur für Kunstliebhaber – aber sie haben es nicht nötig, so sehr versteht sich das von selbst“, 96 Mark Hallett, ‚The Business of Criticism‘: The Press and the Royal Academy Exhibition in Eighteenth-Century London, in: Solkin 2001, S. 73. Vgl. ähnliche Aussagen in: John Murdoch, Architecture and Experience: The Visitor and the Spaces of Somerset House, 1780–1796, in: ebd., S. 20–21. 97 London Courant, 15. Mai 1780, S. 2. 98 Advertisement, The Exhibition of the Royal Academy, 1769. Zur Kritik an dieser Praxis: Hoock 2003, S. 206–207; Hargraves 2005, S. 95–96. 99 London Chronicle, 27.–29. April 1769, S. 402.
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42 Inschrift vor dem Eingang in den Great Exhibition Room, Royal Academy of Arts, London, Somerset House.
meinte Bourdieu zwei Jahrhunderte später.100 Zu Beginn der „ordering of the arts“ war es offensichtlich noch notwendig, derlei explizit zu machen. Die Inschrift sei griechisch, spottete ein Autor im St. James’s Chronicle, damit die zahlenden Massen nicht wüssten, dass sie unerwünscht seien. „The Painters at Somerset-Place would no Doubt. Have us think that they wish to shut the Mob out, . For lo! It is written in Greek o’er the Door, . „Let none who want Taste this Mansion explore.“ . But ’tis written in Greek for a Reason most plain . As in English ’twould rob them of Half of their Gain; . Now the Motto unread they daily seem willing, . To dispense with all Taste if you bring but a shilling.“101
Ganz ähnlich stellte die Royal Academy jedem ihrer Ausstellungskataloge ein anderes lateinisches Motto voran. Keine dieser Inschriften wirkte offensichtlich abschreckend: Die Ausstellungen der Society of Artists in den Jahren 1761–1771 erreichten zwischen 11.000 und 23.000 Besucher, in Paines neuem Gebäude in The Strand waren es gar knapp 30.000 zahlende Gäste. Die Royal Academy schlug diese Zahlen bei Weitem, insbesondere in ihren neuen Räumen in Somerset House: Mit einer Größe von etwa 13 x 16 Metern sowie einem weiteren, halb so großen Vorraum zog der Great Exhibition Room im ersten Jahr mehr als 60.000 Besucher an. In den Folgejahren waren es immer noch etwa 50.000 pro Ausstellung. 1783 schrieb Samuel Johnson: „On Monday, if I am told truth, were received at the door, one hundred and ninety pounds, for the admission of three thousand eight hundred Spectators. Supposing the show open ten hours, and the Spectators staying one with another, each an hour, the room never had fewer than three hundred and eighty justling each other. [...] The exhibition prospers so much, that Sir Joshua says it will maintain the Academy: he estimates the probable amount at £ 3,000.“102 100 Bourdieu 1999, S. 456. 101 An Epigrammatic IMPROMPTU on the MOTTO, over the Door of the Exhibition Room, at Somerset-Place, in: St. James’s Chronicle, 20.–22. Mai 1788, S. 4. 102 Aus zwei Briefen Samuel Johnsons an Mrs. Thrale im Mai 1783, zit. nach C. S. Matheson, ‚A Shilling Well Laid Out‘: The Royal Academy’s Early Public, in: Solkin 2001, S. 44.
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43 Pietro Antonio Martini nach Johann Heinrich Ramberg, The Exhibition of the Royal Academy, 1787, 1787, handkolorierter Kupferstich und Radierung, London, The British Museum.
Die Darstellungen des Ausstellungspublikums dieser Jahre aber zeigen ein völlig anderes Bild. Nicht die zahlenden, sich drängenden Mengen wurden gezeigt, sondern ein sich in Gruppen formierendes hochgestelltes Publikum, vergleichbar den Pariser Darstellungen dieser Jahre (Abb. 43–44). In einer Ausstellungsansicht des Jahres 1787 begleitet Reynolds den Prince of Wales durch die Ausstellung, die sich mit einem Mal wie eine private Sammlung darstellt. Solche Darstellungen waren beliebt: Im Folgejahr wurden Darstellungen des königlichen Ausstellungsbesuchs auf Fächern verkauft. Tatsächlich wurde die Ausstellung im Falle des Besuchs des Königs bzw. des Prince of Wales für die Öffentlichkeit gesperrt. Jeder Besuch eines Mitglieds der königlichen Familie wurde in den Zeitschriften publiziert. Die Ausstellung war zweifellos ‚fashionable‘ und zwar auch in den besten Gesellschaftskreisen, die aus der Sicht der Academy ihre eigentlichen Adressaten waren. Die Gründung der Royal Academy fiel in die Zeit der Opposition John Wilkes’. Im oppositionellen Middlesex Journal erschien 1769 und 1770 eine unter dem Pseudonym ‚Du Fresnoy‘ verfasste Artikelserie, in der dem König unter anderem vorgeworfen wurde, mit der Unterstützung der Royal Academy Privilegien statt Freiheiten zu unterstützen. Dies stellte eine Parteinahme für die Society of Artists of Great Britain dar, der ihr Autor, der streitbare Reverend James Wills angehörte, der mit seinem Pseudonym auf diesen klassischen Antagonisten zur Pariser Académie und seine eigene 1754 publizierte Ausgabe von Charles-Alphonse Du Fresnoys De arte graphica verwies.103 103 James Wills, De arte graphica; or, the Art of Painting, London: R. Francklin, 1754.
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44 Pietro Antonio Martini, Salon von 1787, 1787, Kupferstich, Hamburg, Hamburger Kunsthalle.
Während dieser Phase der Konkurrenz zur Royal Academy publizierte die Society of Arts ein Pamphlet mit dem Titel The Conduct of the Royal Academicians, while Members of the Incorporated Society of Artists (Juni 1771).104 Die darin gewählten Parallelen waren klar an der Rhetorik der politischen Opposition orientiert: Die Gründung der Royal Academy widerspreche den britischen Grundfreiheiten und insbesondere der vom König 1765 gewährten Charter (lies: Magna Charta), die der Society of Artists zugestanden worden war. Das Image antidespotischer Opposition inszenierten die Künstler im großen Stil in der ersten Ausstellung im prachtvollen neuen Gebäude in The Strand. Gleichzeitig warnte ein oppositioneller Kommentar aus dem Middlesex Journal George III. vor dem Beispiel der absolutistischen Willkür Ludwigs XIV. und meinte, durch die Nähe zur höfischen Protektion zerstöre die Royal Academy grundlegende Tugenden britischer Freiheit.105 Dem internationalistischen Modell der Royal Academy vermochte die Society of Artists of Great Britain Patriotismus entgegenzuhalten. Dies wird auch in ‚Du Fresnoys’‘ Artikeln deutlich, wenn er der „Parisian“ Ausstellung in Pall Mall die „British School“ der Society of Artists of Great 104 Hargraves 2005, S. 112–117. 105 Middlesex Journal, 5.–7. Mai 1772, S. 4; 9.–12. Mai 1772, S. 4. Vgl. Hargraves 2005, S. 127.
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Britain entgegensetzt.106 So wurde 1789 Kritik an Reynolds „unenglischer“ Kunst geäußert.107 Der Bedarf an einer nationalen, alle gesellschaftlichen Schichten vereinigenden Kunst war groß, doch die Institutionalisierung dieser Forderung in einem Museum ließ auf sich warten. Erst 1824 votierte das britische Parlament für die Gründung der National Gallery, obwohl die Diskussionen um die Gründung einer solchen Nationalgalerie und Investitionen in die britische Kunst und Künstlerschaft schon seit den 1790er-Jahren intensiv geführt worden waren. Kurz nach der Wende zum 19. Jahrhundert entstand die British Institution for Promoting the Fine Arts in the United Kingdom, die zwar unter der Beteiligung der Royal Academy gegründet, aber primär von Amateuren und Kunstsammlern getragen wurde: So wurden insbesondere Ausstellungen mit Leihgaben britischer Privatsammlungen veranstaltet. In dieser quasiöffentlichen Institution kristallisierte sich das höchst eigenwillige Konzept der britischen Patrimony heraus, das selbst Privatbesitz in einem britischen Landsitz unter der Vorstellung nationalen Kulturguts zu subsumieren vermochte, „the idea that aristocratic property was in some magical and strictly intangible way the people’s property also.“108 Zugleich aber war dies der Beleg dafür, dass unter den Vorzeichen des patriotischen Engagements, der wirtschaftlichen Rentabilität und der sozialen Distinktion die Kultur des Connaisseurs auch in England erfolgreich angekommen war.
Popularität und Gesellschaftsanspruch: Publikumskonzepte anderer Londoner Ausstellungsunternehmer Die Royal Academy konnte zu keinem Zeitpunkt ihres Bestehens beanspruchen, die zeitgenössische englische Künstlerschaft unter ihrem Dach zu vereinen, doch war keine andere Organisation ihrem zentralisierenden Anspruch gewachsen. Obwohl George Stubbs, Joseph Wright of Derby und (in loser Verbindung) George Romney der Society of Artists of Great Britain zuzurechnen waren, büßte diese in den 1770er-Jahren erheblich an Bedeutung ein. Nach zunehmenden finanziellen Problemen und Führungsstreitigkeiten verlor sie 1776 ihren neuen Ausstellungsraum, ihr Geld und fast alle ihre Mitglieder. Obwohl ihre Ausstellungen immer wieder eine Plattform für akademiekritische Künstler waren (in den späten Jahren gehörte dazu Johann Heinrich Füssli), versank sie zunehmend in der Bedeutungslosigkeit. 106 Solkin 1993, S. 265. In der Ausstellungspraxis der Society fand diese Philosophie wenig Widerhall: Angesichts der Konkurrenz der Royal Academy ersann die Society Exklusivtickets zum Preis von fünf Guineas, die Eintritt für mehrere Ausstellungen gewährten, und zwar mit einem eigenen Eingang fernab der Massen. Vgl. Hargraves 2005, S. 104. 107 Rosie Dias, ‚A world of pictures‘: Pall Mall and the topography of display, 1780–99, in: Miles Ogborn/Charles W. J. Withers (Hgg.), Georgian geographies. Essays on space, place and landscape in the eighteenth century, Manchester/New York: Manchester University Press, 2004, S. 105. 108 Colley 1992, S. 177; zur British Institution S. 174–177.
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Die Veranstaltung und Organisation von Ausstellungen stellte die Hierarchien der Künstlerorganisationen infrage. Matthew Hargraves hat dargelegt, wie in der Society of Artists of Great Britain in den 1760er-Jahren eine jüngere Künstlergeneration durch ihren Erfolg bei den Kunstausstellungen an Bedeutung gewann und so traditionelle Strukturen unterlief – ein Problem, das die bereits in den 1770er-Jahren völlig überalterte Royal Academy ebenfalls erlebte. Doch in jedem Fall war die Mitgliedschaft in der Academy, gerade wegen ihrer erfolgreichen Ausstellungen, ein karrierebildender Faktor, wie Hargraves am Beispiel der Karrieren Benjamin Wests und Joseph Wright of Derbys illustriert hat, die der ‚falschen‘ Organisation angehörten, und ebenso an derjenigen Robert Edge Pines, der in keiner der rivalisierenden Institutionen Platz fand. Die englische Künstlerschaft war zuvor in verschiedene Gruppen gespalten gewesen. Zu Ende des Jahrhunderts waren diese im Wesentlichen auf zwei reduziert: Akademiker und Akademiekritiker.109 Die Gruppenausstellung der Royal Academy war damit de facto ohne Rivalen und hieß in der Zeit zwischen 1780–1836 einfach „The Exhibition“.110 An alternativen Ausstellungsformen mangelte es jedoch nicht. Die zu Unrecht als „the poor man’s picture gallery“ bekannten Printshops in London zogen mit populären Darstellungen zeitgenössischer Ereignisse und täglich neuen Karikaturen auch das hochgestellte Publikum an.111 Nach jahrelangen Konflikten mit dem Hängungskomitee der Royal Academy, die zunächst zur Unterbrechung seiner Teilnahme an ihren Ausstellungen und 1784 zu einem vollständigen Bruch führten,112 mietete Thomas Gainsborough ein Studio in Pall Mall und veranstaltete dort eine permanente Ausstellung seiner Gemälde. Das Vorgehen der „aristocratic hangmen at Somerset House“ gegen den populären Gainsborough blieb nicht unbeachtet: Der widerständige Künstler im Kampf gegen die Royal Academy wurde zu einem eingängigen britischen Künstlertypus, befördert nicht zuletzt durch die Publikationen der ersten umfassenden Monografien über William Hogarth, der als Vaterfigur der britischen Schule dargestellt wurde.113 Die 1780er-Jahre waren das Jahrzehnt der ‚Galleries‘ – Robert Bowyers Historic Gallery, Thomas Macklins Poets’ Gallery und John Boydells Shakespeare Gallery. Wie Rosie Dias gezeigt hat, versuchte John Boydell, in expliziter Absetzung 109 Hargraves 2005, S. 168–171. 110 Solkin 2001, S. xi. Vgl. Hoock 2003, S. 64–65, Table 1, zur vergleichenden Aufstellung der Besucherzahlen der Society of Artists, Spring Gardens sowie der Royal Academy. 111 Vgl. den Erfolg des Geschäfts Hannah Humphreys, die James Gillray jahrzehntelang als ‚Galeristin‘ vertrat: Richard Godfrey (Hg.), James Gillray. The art of caricature, Kat. London, Tate Britain, London: Tate Publishing, 2001, S. 17 und passim. Umfassender zu populären Ausstellungsformen: Richard D. Altick, The Shows of London: A Panoramic History of Exhibitions, Cambridge: Belknapp Press, 1978; Robert M. Isherwood, Farce and Fantasy. Popular Entertainment in Eighteenth-Century Paris, New York/Oxford: Oxford University Press, 1986. 112 Zur Nachlese in den Briefen: John Hayes (Hg.), The Letters of Thomas Gainsborough, New Haven/ London: Yale University Press, 2001, S. 76, 108, 115, 148, 150, 158–161. 113 Bindman 1997, S. 41–60. Vgl. die einschlägige Anekdote zu Constable, etwa in: Luckhurst 1951, S. 34.
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von der Ausstellungspraxis der Royal Academy, eine direkte Beziehung zu seinem Publikum herzustellen: „[I]t must unquestionably be the wish, as it is undoubtedly the interest of the Proprietors, to have [the pictures] as perfect as possible, and should any errors which can be amended be pointed out, we may fairly rely upon their being done away by next exhibition.“114
Es scheint, dass die Schuster stumm blieben, denn es sind keine malerischen Korrekturen der ausgestellten Arbeiten bekannt. Ihre Präsentation jedoch wurde einigen Änderungen unterworfen. So fand das Publikum bei der nächsten Ausstellung Hängung und Beleuchtung der Exponate modifiziert. Ob dies wirklich aufgrund von Publikumsreaktionen geschehen war, ist heute nicht nachzuweisen – doch ebenso wenig war es das für die zeitgenössischen Besucher. Bedeutend war vielmehr die ostentative Einbeziehung des zahlenden Publikums als mündige Konsumenten. Auch in den folgenden Jahren führte Boydell diese Politik weiter: Bilder wurden adaptiert, umgehängt und abgehängt, um den Reaktionen des Publikums nachzukommen. Die populärste Form der Ausstellung aber wurde diejenige Form der Kunstpräsentation, die der ‚show‘ am nächsten war: die kostenpflichtige Ausstellung einzelner Gemälde. Nathaniel Hone hatte erstmals von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, als sein Gemälde The Conjuror (1775) nicht zur Ausstellung der Royal Academy zugelassen wurde.115 Hone konnte nicht mit dem Verkauf des Bildes rechnen und verlangte daher Eintritt für die Besichtigung seines Gemäldes. Ab 1781 nutzte John Singleton Copley diese Präsentationsform für seine patriotischen Großformate. Diese Einzelpräsentationen waren ungemein populär und fanden zahlreiche Nachahmer, darunter Joseph Wright of Derby und Robert Edge Pine.116 Diese Veranstaltungen mochten kurzlebig sein, aber sie machten der Royal Academy immer wieder erfolgreich Konkurrenz. Ein Mitgrund dafür war die geringe Anzahl großformatiger Historienbilder in den Ausstellungen der Royal Academy: Ein Drittel, zuweilen fast die Hälfte ihrer Exponate waren Porträts.117 Während die Pariser Kunstadministration der mangelnden Patronage großformatiger Historienmalerei in den 1770erund 1780er-Jahren mit Subventionen begegnete, konnten die englischen Unternehmerkünstler auf eine vergleichsweise lange Praxis populärer Malerei im Bereich der zeitgenössischen Historie zurückgreifen. Ein wichtiges Vorbild war zweifellos die seit den 1760er-Jahren sichtbare Präsentation großformatiger Historienzyklen in Vauxhall Gardens, wo Francis Haymans Darstellungen kolonialer Eroberungen an historische Aktualität und Patriotismus gleichermaßen appellierten.118 Das zeitgenössische Historienbild entsprach sowohl der akademischen Doktrin als auch dem Geschmack 114 Gazetteer and New Daily Advertiser, 8. Mai 1789, S. 2. Vgl. Dias 2004, S. 104–105. 115 Nicolas Penny (Hg.), Reynolds, Kat. Paris, Grand Palais/London, Royal Academy of Arts, London: Royal Academy of Arts, 1986, S. 343–354. 116 Dias 2004, S. 99–104; Hargraves 2005, S. 160. 117 Pointon 1993, S. 38, Fig. 2. 118 Vgl. Solkin 1993, S. 190–199.
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45 Francesco Bartolozzi, Eintrittskarte zur Ausstellung von John Singleton Copleys Siege of Gibraltar, 1791, Radierung, London, The British Museum.
des breiten Publikums und suggerierte Öffentlichkeitscharakter in einem Konzept, das die Verbindung von Exklusivität und Universalismus in seiner zugänglichsten Form darstellte: Patriotismus. Copleys vielfigurige und dramatische Großformate in minutiöser Detailcharakterisierung erwiesen sich als absoluter Publikumsmagnet (Abb. 45). Mehr als 20.000 Besucher kamen zur ersten Ausstellung des Death of the Earl of Chatham im Jahr 1781, die von 8 Uhr morgens bis Mitternacht geöffnet war.119 Ein solches erfolgreiches Beispiel künstlerischen Unternehmertums konnte durchaus als dem Gemeinwohl förderlich interpretiert werden. So stellte sich der Maler James Barry mit einem vergleichbaren Konzept explizit in die Tradition der griechischen polis. Als Barry ab 1777 unentgeltlich und ohne institutionelle Rückendeckung die Dekoration des Versammlungssaals der Society of Arts auf sich nahm, evozierte er nicht so sehr Parallelen zum Unternehmertum als zum civic humanism: 119 Maximiliane Drechsler, Zwischen Kunst und Kommerz. Zur Geschichte des Ausstellungswesens zwischen 1775 und 1905, München: Deutscher Kunstverlag, 1996, S. 58.
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„A Painter was of old look’d on as a common Good. These Artists thought their Works too much conceal’d, if they were not exhibited in public Places. Some of them chose rather to give their Labours gratis to their Country, than to set any Value upon them.“120
Barry unternahm jedoch eine entscheidende Modernisierung dieses von Hildebrand Jacob formulierten antiken Ideals: Anstatt Geld für die Dekoration zu verlangen, erbat er das Recht, zwei Ausstellungen des Zyklus zu veranstalten und deren Profit einzubehalten. Diese fanden tatsächlich in den Jahren 1783 und 1784 statt, begleitet von einer Publikation, in der er seine Intentionen getreu dem Ideal der griechischen Antike darlegte: An Account of a Series of Pictures, in the Great Room of the Society of Arts, Manufacture and Commerce, at the Adelphi. Dem Vorbild des Apelles folgend, wolle er noch vor Abschluss der Gemäldeserie, solange Kritik im Werk aufgenommen werden könne, die Meinung „of the candid and well-informed part of the public“ einholen, meinte Barry.121 Die Begleitpublikation war auch aufgrund des eigenwilligen ikonografischen Programms notwendig. Barrys Bilderzyklus handelte von The Progress of Human Knowledge vom Anfang der Welt über die Gegenwart bis hin zum Jüngsten Gericht, er integrierte öffentliche Personen in die Darstellung und folgte einem schwer zu entschlüsselnden Programm, das der Künstler selbst entworfen hatte. Für die Darstellung des Fortschritts der Künste wählte Barry die Distribution of Premiums in the Society of Arts, ein komplexes Gruppenporträt, das bedeutende Autoren, Künstler und Patronagefiguren versammelte. Die Einrichtung der Kunstvereinigungen verstand er als großen Fortschritt auf dem Weg zur Einbindung der Künste in die Gesellschaft. So bewertete er auch die Gründung der Royal Academy als einen öffentlichen und demnach quasineutralen Körper als positiv, doch wünschte er sich ein deutlicheres finanzielles Engagement von ihrem Publikum: „The king has done much, the artists have done much, but the public have done nothing [...].“122 Und gerade dieses Publikum blieb bei ihm aus: 6.541 Menschen sahen die erste Ausstellung, 3.511 die zweite im folgenden Jahr, und trotz der positiven Aufnahme der Gemäldeserie waren diese Besucherzahlen, gemessen am Erfolg der Ausstellung von Copleys Death of the Earl of Chatham im Jahr 1781, eine Enttäuschung.123 In sei120 Hildebrand Jacob, Of the Sister Arts; an Essay, London: William Lewis, 1734, Repr. Augustan Reprint Society, Los Angeles: University of California, 1974, S. 9. 121 James Barry, An Account of a Series of Pictures, in the Great Room of the Society of Arts, Manufacture and Commerce, at the Adelphi, London: The Author, 1783, S. 26. 122 Ebd., S. 102. Vgl. ders., An Inquiry into the Real and Imaginary Obstructions to the Acquisition of the Arts in England, London: T. Becket, 1775. Zu ähnlichen Standpunkten und einem Fürsprecher Barrys vgl. Valentine Green, A Review of the Polite Arts in France, at the Time of their Establishment under Louis the XIVth, Compared with Their Present State in England, London: T. Cadell, 1782. Vgl. Bätschmann 1997, S. 27–29. 123 William L. Pressly, The life and art of James Barry, New Haven/London: Yale University Press, 1981, S. 120. Zu Barrys Bilderzyklus: Marilyn Butler, Doubting Visionaries: Thomson, Barry, and the Future of the Arts, in: Allen 1995, S. 67–78.
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46 James Barry, Selbstporträt, begonnen ca. 1802, Mezzotinto, London, British Museum.
nem Account betonte Barry die Schwierigkeiten und Hindernisse in seiner bisherigen Karriere und warnte vor einer Pervertierung der „natural passion for well-deserved glory“ zu einem auf raschen Erfolg bedachten „facticious thirst for lucre and vanity“. Ob die Vorhersehung den einzelnen Künstler zum Helden oder zum Märtyrer ausersehen habe, sei hinfällig angesichts seiner Verpflichtung, seiner Kunst, Gott und seinem Vaterland treu zu bleiben.124 Dass Barry sich selbst eher als Märtyrer sah, zeigt seine wachsende Resignation, die ihn zu einem paranoid anmutenden Bündnis mit der Nachwelt führte: „I shall perhaps secure a kind word from posterity, for the goodness of my intentions, but that is all; the faction against me is five hundred odds, and they and their assistants are too extensive in their influence, and too industrious not to be an overmatch for the little vigilance of indifferent spectators, or for any exertions of mine in my own defence, which are daily growing less and less: I am heartily sick of the scuffle [...].“125
Die Hoffnung auf das Publikum der Nachwelt ist eine bekannte Vorstellung, doch das Bild trägt neue Züge. Barrys Schriften projizierten ein romantisches Künstlerbild, abgelehnt von seinen Zeitgenossen, abseits der Akademie: Die Belohnungen für seine Mühen blieben zu Lebzeiten aus, es blieb nur der Blick auf die Nachwelt (Abb. 46). 124 Barry 1783, S. 14–16. 125 Ebd., S. 67.
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‚Fame‘ vs. ‚Celebrity‘ Wenige Jahre vor seinem Tod im Jahr 1792 verfasste Reynolds den Ironical Discourse, eine Antwort auf die aktuelle politische Situation und auf aufrührerische Stimmen innerhalb der Academy. Reynolds selbst wollte den Ironical Discourse als sechzehnte und letzte seiner Akademiereden publiziert sehen, er blieb jedoch ohne Endredaktion und bis ins 20. Jahrhundert unveröffentlicht. Die erhaltene Vortragsfassung besteht primär aus einer Sammlung von Umkehrungen der ästhetischen Theorie früherer Discourses. Dementsprechend kraftlos bleibt die Kritik, die hier im einfachsten Sinne ‚ironisch‘ ist, also das Gegenteil von dem behauptet, was sie eigentlich vertritt. Angriffe auf den Kanon der alten Meister, die Kunstkritik, die ästhetische Theorie und die Hierarchie der Academy werden formuliert, Apelles’ Schuster und Molières Köchin bekommen recht, am Schluss steht eine ebenso wenig ‚ernst‘ gemeinte Tirade gegen Reynolds’ Nachfolger und Erneuerer der Historienmalerei Benjamin West, in der die zeitgenössische Historienmalerei persifliert wird.126 Neben dem Vortragstext ist Reynolds’ Vorwort zur geplanten Publikation erhalten, in dem er auf Edmund Burkes Reflections on the French Revolution einging. Darin betonte er einmal mehr die Parallelen zwischen ästhetischer und politischer Theorie. Die Französische Revolution sei mit dem Argument verteidigt worden, dass sie die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hinter sich habe. Dem entgegnete Reynolds mit seiner Erfahrung aus der bildenden Kunst: Nicht die „ignorant majority“, sondern die „few learned in that art“ sollten Entscheidungen treffen. Am Ausgang des 18. Jahrhunderts wies Reynolds den Hinweis auf die Aufklärung und die „general diffusion of knowledge amongst all ranks of people“ als unzureichendes Halbwissen zurück und setzte dem Wandel der Zeit die Tradition als alleinigen Maßstab entgegen: „This tree of knowledge, on which they pretend to say that mankind now have battened, does not grow upon a new made, slender soil, but is fastenend by strong roots to ancient rocks, and is the slow growth of ages. [...] It is now as it ever has been. Few people reach the summit from which they look down on the rest of mankind.“127
Auch in den früheren Discourses hatte Reynolds eine ähnliche Auffassung vertreten und die Studenten davor gewarnt, ihren Stil zum ‚popular taste‘ des Ausstellungspublikums herabzusenken: „Be as select in those whom you endeavour to please, as in those whom you endeavour to imitate. Without the love of fame you can never do any thing excellent; but by an excessive and undistinguishing thirst after it, you will come to have vulgar views; you will degrade your style; and your taste will be entirely corrupted. It is certain that the lowest 126 Frederick W. Hilles, Portraits by Sir Joshua Reynolds, Melbourne/London/Toronto: Heinemann, 1952, S. 138. 127 Ebd., S. 127–128.
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style will be the most popular, as it falls within the compass of ignorance itself; and the Vulgar will always be pleased with what is natural, in the confined and misunderstood sense of the word. [...] I mention this, because our Exhibitions, while they produce such admirable effects by nourishing emulation and calling out genius, have also a mischievous tendency, by seducing the Painter to an ambition of pleasing indiscriminately the mixed multitude of people who resort to them.“128
Der weitverbreitete Geschmack war nach Reynolds’ Darlegung notwendigerweise niedrig und vulgär – eine erstaunliche Aussage angesichts seines großen Erfolgs als Porträtmaler –, es zähle nur die Kraft der Tradition: „What has pleased, and continues to please, is likely to please again: hence are derived the rules of art, and on this immovable foundation they must ever stand.“129 Die auf der Suche nach der general form ausgesprochene Warnung, der Künstler müsse sich entweder für das Lob der Zeitgenossen oder den Ruhm der Nachwelt entscheiden, mutet seltsam restriktiv an angesichts von Reynolds’ Geschick, für sich beides in Anspruch zu nehmen. „[F]ame was allways his desire“, hieß es über den Präsidenten der Royal Academy. Die Bedeutung von ‚celebrity‘ gegenüber ‚fame‘ für Reynolds und seine Zeitgenossen und sein Verhalten als Marktfigur sind eingehend untersucht worden.130 Reynolds war eine prominente Figur des Londoner Stadtlebens; er plante nicht nur seine Karriere genau, sondern kontrollierte sehr aktiv sein Image. Als Künstler reagierte er bei der Auswahl seiner Auftraggeber und der Hängung der Arbeiten in der Exhibition sehr geschickt auf aktuelle Ereignisse des kulturellen und politischen Lebens. Die zeitgenössische Kunstberichterstattung beschränkte sich nicht auf die kritische Reflexion seiner Arbeiten, sondern erstreckte sich auch auf seine private persona, auf mögliche Affären mit Modellen und andere Angelegenheiten.131 Wenn, wie Mark Hallett schreibt, „celebrity“ mit der „commodification of fame“ einhergeht, dann kontrollierte Reynolds die Vermarktung seiner eigenen Person ebenso genau wie die seiner Arbeiten.132 Dies wurde auch kritisch beobachtet: Die kurzlebige Berühmtheit mancher Dargestellten sei in den ebenso kurzlebigen Farben und der berüchtigten raschen Vergänglichkeit der Bilder reflektiert, so lautete ein häufiger Vorwurf im letzten Schaffensjahrzehnt des Künstlers.133 Auch die permanente Medienpräsenz und -kontrolle des Akademiepräsidenten blieben nicht unkommentiert.134 Denn selbst die akademische Rhetorik der Idealität 128 Reynolds 1997, S. 89–90 (Discourse V). 129 Ebd., S. 133 (Discourse VII). 130 Martin Postle (Hg.), Joshua Reynolds. The Creation of Celebrity, Kat. London, Tate Britain, London: Tate, 2005, Zitat S. 18. 131 Martin Postle, ‚The Modern Apelles‘: Joshua Reynolds and the Creation of Celebrity, in: ebd., S. 17–33. 132 Mark Hallet, Reynolds, Celebrity and the Exhibition Space, in: ebd., S. 37. 133 Hallett, in: ebd., S. 46. 134 Postle, in: ebd., S. 26.
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der Malerei sub specie aeternitatis ließ Reynolds über die Presse publizieren. In einer Ausstellungsbesprechung wurde das Lob des Akademiepräsidenten mit der Paraphrasierung der entsprechenden Passage aus Reynolds’ Discourses unterstrichen: „[W]hile some Artists paint only to this age and this nation, he paints to all ages and all nations; and we may justly say with the Artist of old, In aeternitatem pingo.“135 Ein solcher Satz, über die Presse publiziert, stellte allerdings eben das Gegenteil unter Beweis: eine sehr nachdrückliche Hinwendung zum zeitgenössischen Publikum.
135 London Chronicle, 7.–10. Mai 1774, S. 444. Vgl. Postle 2005, S. 23.
6. Inszenierungen von Öffentlichkeit Die Freiheit der Kunst In den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts war die Ausstellung als Bestandteil des künstlerischen Instrumentariums etabliert, das Kunstpublikum als reale soziale Größe evident. Die Diskussion richtete sich nun zunehmend auf die Frage der Institutionalisierung dieses Öffentlichkeitsbezugs vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Repräsentativität und auf die zulässigen Akteure (Künstler und Institutionen), Präsentationsorte und -modalitäten bildender Kunst. Dabei gab es einen einschneidenden Wandel in der Beurteilung von Frauen als Künstlerinnen, der mit dem institutionellen Selbstverständnis der beiden Akademien in London und in Paris als ‚öffentliche‘ Institutionen einherging. Von der Londoner Royal Academy waren Künstlerinnen, abgesehen von den beiden weiblichen Gründungsmitgliedern Mary Moser und Angelika Kauffmann, ausgeschlossen. In den 1780er-Jahren formulierte auch die Pariser Académie Zugangsbeschränkungen für Frauen, wobei deren genereller Ausschluss von der Kunstausbildung erst während der Französischen Revolution formuliert wurde, als die verbotenen königlichen Akademien 1795 durch ein neu gegründetes Institut national des sciences et des arts ersetzt wurde. Zu diesem hatten Künstlerinnen keinen Zutritt. Die schrittweise Zurückdrängung von Frauen aus den Akademien ist häufig mit ihrer Zurückweisung in die Sphäre des Privaten – in Abgrenzung von einer vermeintlich männlich dominierten öffentlichen Sphäre – erklärt worden.1 Insbesondere für den Bereich der Literaturgeschichte hat die jüngere Forschung diese Sichtweise unter Berücksichtigung der ökonomischen Ausweitung weiblicher Aktionsrahmen im 18. Jahrhundert als Schriftstellerinnen und Leserinnen relativiert und darauf hingewiesen, dass der starke Privatisierungsdiskurs des Weiblichen auch als Symptom gelesen werden kann.2 Der restriktivere Diskurs über weibliche Kunstproduktion sei als Abwehrreaktion gegenüber der realen Zunahme von Möglichkeiten für Frauen, als professionelle Künstlerinnen zu arbeiten und aufzutreten, zu verstehen. Diese These hat auch für die bildende Kunst ihre Berechtigung: Die erfolgreichsten Künstlerinnen in beiden Ländern, etwa Angelika Kauffmann, Élisabeth Vigée-Lebrun und Adélaïde Labille-Guiard, waren im letzten Jahrhundertdrittel tätig. Und trotzdem stellt der Bereich der bildenden Kunst einen Sonderfall dar. Künstlerinnen waren auf 1 Vgl. Landes 1988; Carol Pateman, Feminist Critiques of the Public/Private Dichotomy, in: dies., The Disorder of Women, Cambridge: Blackwell, 1989, S. 118–140. 2 Amanda Vickery, The Golden Age of Separate Spheres?, in: Historical Journal, 36/2, 1993, S. 383– 414; Lawrence E. Klein, Gender and the Public/Private Distinction in the Eighteenth Century, in: Eighteenth-Century Studies, 29/1, 1995, S. 97–109.
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den Zugang zu Ausbildung und Ausstellungsmöglichkeiten und damit stärker auf adäquate institutionelle Rahmenbedingungen angewiesen. Élisabeth Vigée-Lebrun3 und Adélaïde Labille-Guiard4 waren die letzten Frauen, die in die Académie royale eintraten. Das Aufnahmeverfahren bei Frauen erfolgte anders als bei Männern: Da es Frauen rechtlich nicht möglich war, einen Eid zu leisten, konnten sie auch nicht den Akademieeid schwören; sie wurden immer zugleich mit ihrem agréement Mitglieder der Académie, durchliefen also nicht das gängige, auf dem Aufnahmestück basierende Verfahren. Diese Einschränkungen waren bedeutend, und sie wurden zu einem bedeutenden Zeitpunkt stark gemacht. Als Adélaïde LabilleGuiard, die sich während der Revolution engagiert für Frauenrechte einsetzte, im Jahr 1790 mit Unterstützung François André Vincents einen Antrag zur unbeschränkten Aufnahme von Frauen an die Académie einbringen wollte, wurde sie mit folgendem Argument davon zurückgehalten: „Parce que nous ne trouvons pas convenable que des femmes viennent s’immiscer dans un travail qui leur est étranger, n’etant question que de rédiger des Statuts, qui ne les regardent point du tout puisqu’elles n’y sont pas soumises, n’ayant jamais fait serment d’y obéir“.5 Labille-Guiards juristische Mangelstellung wurde ausgenutzt: Da sie selbst den Regelungen der Académie nicht unterworfen sei, bleibe ihr die Möglichkeit zur Mitsprache bei deren Reform versagt.6 Am Tag der gemeinsamen Aufnahme von Vigée-Lebrun und Labille-Guiard wurde die Höchstanzahl von Künstlerinnen auf vier festgelegt, nachdem Frauen dort über ein Jahrhundert lang, allerdings ohne Formalisierung ihres Status, Platz gefunden und an den Salon-Ausstellungen teilgenommen hatten. Insgesamt waren dies zwischen 1663 und 1783 15 Künstlerinnen.7 Eine Sammlung der Statuten und Regelungen der Académie, die nach der Mitte des 18. Jahrhunderts erstellt wurde, verweist in der Sparte ‚Femmes‘ nicht nur auf die Regel (mit dem Randvermerk „Les Demoiselles ne seront point reçues académiciennes“), sondern auch auf die Ausnahme („Elles peuvent être de l’Académie“), und enthält einen Verweis auf die erste akademische Malerin Catherine Duchemin (die Ehefrau des Bildhauers François Girardon), die am 14. April 1663 auf direkten Wunsch des Königs und ohne Folgerecht für zukünftige Aspirantinnen aufgenommen wurde.8 3 Zu Vigée-Lebruns Selbstbild als ‚Ausnahmefrau‘, eine traditionelle Denkfigur des maskulinischen Diskurses: Sheriff 1996, S. 73–104. 4 Zu Labille-Guiard vgl. Anne-Marie Passez, Adélaide Labille-Guiard, 1749–1803, Paris: Arts et métiers graphiques, 1973; Laura Auricchio, Adélaïde Labille-Guiard. Artist in the age of revolution, Los Angeles: The J. Paul Getty Museum, 2009. 5 Montaiglon 1875–1909, X, S. 80–81. 6 Sheriff 1996, S. 80–82. 7 Zu den weiblichen Mitgliedern der Académie royale: Octave Fidière, Les femmes artistes à l’Académie royale de peinture et de sculpture, Paris: Charavay frères, 1885; Gaze 1997, S. 46–48; Sheriff 1996, S. 73–104. 8 ENSBA Archives, MS 26, Extrait par ordre alphabétique des registres de l’Académie royale de Peinture et de Sculpture.
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Das Verbot von Frauen an der Académie war 1706 erstmals formuliert worden9 – damals zählte die Académie bereits sechs weibliche Mitglieder –, doch blieb diese Regelung ohne königliche Zustimmung und daher ohne Konsequenz und wurde von der Académie selbst schon in den 1720er-Jahren wieder gebrochen. 1770, im selben Jahr, als die Blumenmalerin Anne Vallayer-Coster aufgenommen wurde – „C’est l’équité, non la faveur / Qui t’ouvre avec transport le temple de la gloire“, schrieb dazu der Mercure de France10 –, entwarf der Akademiedirektor Pierre eine neue einschlägige Regelung zur Beschränkung von Frauen an der Académie. Doch erst 1783 beschloss der König auf Wunsch des Directeur des Bâtiments, des Comte d’Angiviller, gemeinsam mit der Aufnahme von Labille-Guiard und Vigée-Lebrun, die Höchstzahl auf vier weibliche Mitglieder festzusetzen.11 Die Restriktivität der Académie antwortete der verstärkten Nutzung der künstlerischen Ausbildungs- und Ausstellungsmöglichkeiten durch Frauen, die nun Schritt für Schritt abgebaut wurden. Als Adélaïde Labille-Guiard ein Atelier im Louvre beantragte, wie es zuvor Anne Vallayer-Coster durch die Protektion Marie-Antoinettes genehmigt worden war, wurde ihr dies vom Direktor der Königlichen Bauten verweigert: Die guten Sitten machten eine Trennung der Geschlechter im Louvre notwendig. Insbesondere der Umstand, dass in Labille-Guiards Atelier junge Künstlerinnen ausgebildet wurden, wurde als Hinderungsgrund angegeben. Mit den gleichen Argumenten unterband d’Angiviller die Praxis Jacques-Louis Davids und Joseph Benoit Suvées, ebenfalls Studentinnen in ihren Ateliers im Louvre zu unterrichten.12 Vigée-Lebrun und Labille-Guiard führten den Unterricht außerhalb des Louvre fort, wobei Labille-Guiard die Bedeutung dieser Tätigkeit künstlerisch unterstrich. Sie präsentierte sich im Salon nicht nur als Malerin und Modell zugleich, wie Vigée-Lebrun dies tat, sondern auch, mit zwei Schülerinnen, als Leiterin eines Künstlerinnenateliers (Abb. 47–48). Doch welche Ausstellungsmöglichkeiten konnten die jungen Künstlerinnen nutzen? Die Salons standen nur Mitgliedern der Académie royale offen. Die Académie de Saint-Luc, mit der sowohl Vigée-Lebrun als auch Labille-Guiard vor ihrer Aufnahme ausstellten,13 wurde zur Mitte der 1770er-Jahre geschlossen. Eine in den 1780er-Jahren neuerlich bedeutender werdende Möglichkeit waren die Ausstellungen der Place Dauphine, die seit 1759 wieder regelmäßig stattfanden und, wie die zeitgenössischen Berichte zeigen, zahlreichen Künstlern und Künstlerinnen ein Forum 9 10 11 12 13
Montaiglon 1875–1909, IV, S. 33–34. Mercure de France, September 1770, S. 175. Montaiglon 1875–1909, VIII, S. 53; IX, S. 157. Sheriff 1996, S. 111–113. Zu den Ausstellungen der Académie de Saint-Luc vgl. Jules-Joseph Guiffrey (Hg.), Livrets des expositions de l’Académie de Saint-Luc à Paris pendant les années 1751, 1752, 1753, 1756, 1762, 1764 et 1774, Paris: Baur/Ditaille, 1872; Jules-Joseph Guiffrey, Les expositions de l’Académie de SaintLuc et leurs critiques, in: Bulletin de la Societé de l’histoire de l’art Français, 8, 1910, S. 77–124, 258–270.
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47 Élisabeth Vigée-Lebrun, Selbstporträt, nach 1783, Öl auf Leinwand, London, National Gallery.
48 Adelaïde Labille-Guiard, Selbstporträt mit Schülerinnen, 1785, Öl auf Leinwand, New York, Metropolitan Museum of Art.
boten (Abb. 49). Auch wenn man mögliche Sensationslust angesichts der verstärkten Diskussion über Künstlerinnen einrechnet, so scheint doch klar zu sein, dass der Frauenanteil an der Place Dauphine deutlich höher war als in den Salon-Ausstellungen der Académie.14 Zu Beginn der Berichterstattung über die Place Dauphine unterschieden sich Besprechungen der Arbeiten von Künstlerinnen im Ton wenig von denen ihrer männ-
14 Aus den erhaltenen Quellen, insbesondere aus den Kritiken, ergeben sich folgende Ausstellungsteilnahmen von Künstlerinnen in den Jahren 1759 bis 1791: Mlle Girouard (1759, 1760, 1761, 1762); Mlle Hallet (1759, 1760, 1761, 1762); Mlle Médard (1767, 1769, 1770, 1772); Mlle Doré (1767, 1769); Mlle Sproete (1767, 1768); Victoire d’Avril (1775, 1780, 1781, 1783); Madeleine Fremy (1781, 1782, 1783); Gabrielle Capet (1781, 1782, 1783, 1784, 1785); Mlle Alexandre (1783, 1784, 1786, 1787); Mlle Carreaux de Rosemond (1783, 1784, 1786); Marie Leroulx-Delaville, später Mme Benoist (1784, 1785, 1786, 1787, 1788, 1791); Nanine Vallain (1785, 1787, 1788, 1789, 1791); Mlle Verrier (1785, 1786); Mlle Ravenel (1785, 1786, 1787); Jeanne Bernard (1786, 1787); Aimée Duvivier (1786, 1787, 1791). Eine Liste der teilnehmenden Künstler und Künstlerinnen verzeichnet zudem: Émile Bellier de la Chavignerie, Notes pour servir à l’histoire de l’exposition de la Jeunesse, in: Revue Universelle des Arts, XIX, 1864, S. 38–67.
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49 Gaspard Duché de Vancy, Vue Pittoresque de l'Exposition des tableaux et deseins dans la Place D'Auphine le jour de la petitte Feste de Dieu, 1783, Bleistift und Tinte auf Papier, Paris, Musée Carnavalet.
lichen Konkurrenten. Dass qualitativ hochwertige Exponate von Frauen zu erwarten waren, da für diese die Aufnahme in die Académie schon vor 1783 ohne Protektion nicht leicht war, muss auch den zeitgenössischen Beobachtern bewusst gewesen sein. Auch wenn kein Bericht explizit die restriktive akademische Praxis verurteilte, so wurde doch immer wieder die Bedeutung der Ausstellungen für Künstlerinnen betont, ebenso wie die hohe Qualität ihrer Arbeiten.15 Dies änderte sich in den 1780er-Jahren, als die Werke von Schülerinnen VigéeLebruns und Labille-Guiards besondere Publizität erlangten, zugleich mit den Arbeiten ihrer Lehrerinnen im Salon. Die Angriffe auf die Künstlerinnen nahmen zu. Als Protegé Marie Antoinettes wurde Vigée-Lebrun besonders heftig von der Presse kritisiert, doch auch Labille-Guiards und Anne Vallayer-Costers Fähigkeiten wurden
15 Vgl. [anon.,] Observations sur l’exposition des tableaux à la place Dauphine, [Collection Deloynes #1280], S. 231–237 (= Observateur littéraire, III, 1761, S. 125–129).
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immer wieder in Zweifel gezogen.16 Auch die Künstlerinnen an der Place Dauphine waren von sexistischer Kritik betroffen, und dies war, da die Besprechungen der dort ausgestellten Arbeiten in der Regel milde ausfielen, besonders auffallend. Ein Autor des Mercure de France richtete die schärfsten Verurteilungen, die in den erhaltenen Berichten zur Place Dauphine zu finden sind, ausschließlich gegen junge Frauen. 1787 meinte er, eines der ausgestellten Porträts verletze die Regeln des Anstands,17 im Jahr zuvor ließ er einen Künstler das persönliche Erscheinen mancher Kolleginnen am Platz als eitle Koketterie verurteilen: „Je remarque avec chagrin que les femmes qui bordent ces fenêtres sont, pour la plupart, les originaux & les auteurs des tableaux que nous voyons. D’où vient ce desir de se montrer? A quoi peut-il servir? A faire tenir des discours malins, & à donner une idée peu favorable de la modestie de celles qui se mettent ainsi en spectacle.“18
Vor allem Künstlerinnen sollten nur versteckt die Urteile des Publikums anhören, nicht diese offensiv herausfordern.19 Eine zwei Jahre zuvor entstandene Zeichnung nahm sich dieses Motivs an (Abb. 50): Eine Gruppe von Ausstellungsbesuchern drängt sich auf dem Platz vor den Exponaten, die selbst kaum zu sehen sind. Auf einem Balkon präsentiert sich eine Gruppe junger Frauen – offensichtlich die immer wieder in den Ausstellungsberichten erwähnten Künstlerinnen oder Modelle –, über ihnen blickt ein Mann aus einem Fenster auf das Treiben. Im linken Bildvordergrund hebt eine Frau neugierig die Abdeckung eines eben zur Ausstellung gebrachten Gemäldes an, eine Bewegung, die von einem neben ihr positionierten Mann parallelisiert wird, der das Bruststück ihres Kleides anhebt, um einen Blick auf ihr Dekolleté zu werfen. Zugleich wird er von einem Taschendieb bestohlen, der den Moment der Ablenkung der Sinne seines Opfers nutzt. Ästhetische und erotische Neugier sind als verwandte Phänomene dargestellt, und die exposition der Künstlerinnen rückt diese in die Nähe des Exhibitionismus.20 Dieses ‚Sittenbild‘ richtete
16 Vgl. einen Bittbrief Labille-Guiards zur Zensur eines der Pamphlete (September 1783), in: Guiffrey 1873, S. 55–58. Zur ablehnenden Haltung der Mémoires secrets gegenüber Vigée-Lebrun: Sheriff 1996, S. 103–104; vgl. [Louis-François-Henri Lefébure], Le Frondeur, ou dialogues sur le Sallon, [s. l.] [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #329], S. 14. Zu Anne Vallayer Coster vgl. Marianne Roland-Michel (Hg.), Anne Vallayer-Coster. Painter to the court of Marie-Antoinette, Kat. Washington, National Gallery of Art/Dallas, Dallas Museum of Art/New York, The Frick Collection, New Haven/London: Yale University Press, 2002. 17 Mercure de France, 23. Juni 1787, S. 185–186. 18 Ebd., Juli 1786, S. 31. Auch der Autor der Mémoires secrets spottete über die Künstlerinnen: „Ce nouveau genre de coquetterie a attiré beaucoup d’amateurs, plus empressés de regarder les originaux que les copies.“ Zit. nach Mémoires secrets 1777–89, 5. Juli 1786, XXXII, S. 155. 19 Zu dieser Problematik: Laura Auricchio, Self-promotion in Adélaïde Labille-Guiard’s 1785 SelfPortrait with Two Students, in: The Art Bulletin, 89/1, 2007, S. 45–62. 20 Vgl. Bermingham 1993, S. 3–13.
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50 A. Maucert, Exposition de tableaux sur la place Dauphine, 1784, Tinte und Gouache auf Papier, Paris, BN.
sich aber nicht generalisierend gegen diese Ausstellungen, denn es wurde selbst an der Place Dauphine gezeigt.21 1785 stellte ein Autor des Journal général de France die Frage nach dem Sinn „[de] cette nouvelle manie de se faire femme-peintre“ – all dies unter dem Titel einer Besprechung der Ausstellung an der Place Dauphine. Die Qualität der Arbeiten von Frauen wurde nicht hinterfragt, doch wem nütze es, wenn Bürgerstöchter als Malerinnen arbeiteten? Was werde mit ihren Pflichten als „épouses soigneuses, mères tendres & surveillantes, chefs vigilans de leurs domestiques“, was aus der „décence“ der jungen Frauen? Zudem sei das soziale Wohl gefährdet, denn es sei kaum auf lukrative Beschäftigungsmöglichkeiten für Malerinnen zu hoffen.22 Drei Wochen später erschien ein Leserbrief, der diesen Argumenten widersprach und zugleich die Académie aufs Korn nahm, die sich durch Malerinnen bedroht fühlte.23 Der Leserbrief war keine Kampfschrift für weibliche Gleichberechtigung, sondern eine Abwehr der zunehmenden Restriktionen und der ablehnenden Haltung gegen die Professionalisierung von 21 Neben dieser Zeichnung und Abb. 48 existiert noch eine Zeichnung der Place-Dauphine-Ausstellung des Jahres 1769 von Gabriel de Saint-Aubin, die zeigt, dass dort auch Skulpturen ausgestellt waren. (Gabriel de Saint-Aubin, Exposition de Mai. Place Dauphine, 1769, Feder, Tinte und Aquarell auf Pergament, 10x12 cm, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes, Rés. Ve-53hFol.) 22 Journal général de France, 14. Juni 1785, S. 183. Zum Kommentar der Mémoires secrets: Fort 1999, S. 297. 23 Journal général de France, 9. Juli 1785, S. 326–327. Ein weiterer Verteidigungsbrief weiblicher künstlerischer Professionalität von Antoine Renou im Journal de Paris (no. 190, 9. Juli 1785, S. 787–789) wurde vom ersten Autor des Journal général de France unbarmherzig verrissen (Journal général de France, 16. Juli 1785, S. 338–339), doch es folgte noch ein weiterer, beruhigender Leserbrief, vorgeblich von der Mutter einer Malschülerin: Journal général de France, 28. Juli 1785, S. 363.
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Künstlerinnen und beschränkte sich darauf, die Einwände zu relativieren. Nur wenige Frauen würden sich der Historienmalerei verschreiben, der Beruf stünde über vielen anderen Arbeitsmöglichkeiten für die vielen Frauen, die unverheiratet bleiben müssten. Zumindest unter den Malern würden sich auf jeden Fall verständnisvolle Ehemänner finden. Die Strategie der Relativierung scheint jedoch wenig wirkmächtig angesichts der Totalisierung der Diskussion am Ende des Jahrhunderts. Denn neu waren nicht die Vorbehalte gegen weibliche Kunstproduktion, sondern deren konsequente Durchsetzung. Während die Präsenz von Frauen in der Öffentlichkeit zunahm, wurde ihr formaler Ausschluss aus den politischen, künstlerischen und rechtlichen Institutionen des 18. Jahrhunderts vollzogen.24 Mit der wachsenden Restriktivität der Académie wurden die Ausstellungen an der Place Dauphine zu einer ernst zu nehmenden Präsentationsmöglichkeit abseits des Salon. Die Marginalisierung als sozial und künstlerisch inferior, die sich später in der Bezeichnung Exposition de la Jeunesse ausdrückte, der Umstand, dass sie im Freien stattfand und die traditionelle (längst nicht mehr gültige) Einbindung in den Festtagskontext ersparte ihr das Schicksal aller anderen Ausstellungsorte des vorrevolutionären Paris: Sie wurde als einzige Alternative zu den Akademieausstellungen nicht verboten. Allerdings wurde sie nun unter völlig anderen Vorzeichen beurteilt als die Salon-Ausstellungen. Als ein/e gewitzte/r Künstler/in 1772 ein Gemälde ausstellte, das die Rückseite eines Staffeleibildes zeigte, meinte ein Kommentator, diese Anspielung auf die antike Kunsthistoriografie sei innerhalb des Kontexts der PlaceDauphine-Ausstellung wenig geglückt: „[O]n n’a point été curieux de voir le tableau que ce chassis semblait annoncer. L’Artiste s’est sans doute rappellé en peignant ce chassis, le rideau qu’avait peint Parrhasius, & qui, suivant l’Histoire de la Peinture, trompa le celebre Peintre Zeuxis. Mais vraisemblablement si le rideau de Parrhasius eût été placé au milieu des tableaux qui accompagnaient le chassis factice, personné n’aurait été tenté de le tirer.“25
Anders als früher galten die ausgestellten Arbeiten denen im Salon, sowohl hinsichtlich ihrer Qualität als auch des Standes der Künstler, als unterlegen, sie seien, schrieb ein Autor des Journal général de France, „un moyen de juger de l’état des Arts dans la classe inférieure.“26 Eine satirische Salon-Kritik fragte angesichts schlechter Arbeiten: „est-ce qu’on a transporté au Louvre le sallon de la place Dauphine?“27 Im positiven Fall wurde die Ausstellung als Salon en miniature beschrieben, wenn Künstler Werke im „genre de M. Chardin“ oder „de M. Greuze“ ausstellten.28 Neben Gemälden, 24 Zur Differenz zwischen Präsenz in der Öffentlichkeit und politischer und kultureller Teilhabe an dieser Öffentlichkeit: Shevelow 1989; für den englischen Bereich: Colley 1992, S. 250–253. 25 L’Avant-Coureur, 6. Juli 1772, S. 419. 26 Journal général de France, 14. Juni 1785, S. 283. 27 [Robert-Martin Lesuire], Coup d’œil sur le Sallon de 1775, par un aveugle, Paris: Quillau/Ruault, 1775, [Collection Deloynes #162], S. 6. 28 L’Avant-Coureur, 16. Juni 1760, S. 347–349 sowie L’Avant-Coureur, 1. Juni 1761, S. 345–347.
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Zeichnungen, Grafiken und Skulpturen wurden auch Medien gezeigt, die in der Académie keinen Platz hatten: Porträtmedaillons aus Wachs,29 Miniaturporträts aus Haaren,30 selbst „Dessins des Expériences Aérostatiques“.31 In den 1780er-Jahren wurden in Rezensionen der Ausstellungen der Place Dauphine immer wieder kunstpolitische Themen diskutiert. Und bald betrafen diese nicht nur die Frage nach der Berechtigung professioneller Künstlerinnen, sondern auch die Kritik an der Académie royale: An der Place Dauphine sei die Freiheit der Kunst gegeben, diese sei eine wahrlich ‚öffentliche‘ Veranstaltung, während die Académie nur ein morsches Staatsgebäude vertrete. Ein Autor des Journal général de France sah die Tradition an der Place Dauphine als Fortsetzung der öffentlichen Ausstellungen in der Antike, zu einer Zeit, als Akademien gar nicht existiert hätten: „En France comme en Grèce, chaque Peintre apporte à son gré l’ouvrage qu’il lui plaît d’exposer, sans opposition d’aucun de ses confrères il y choisit sa place; il se nomme en bas de son ouvrage, ou garde l’incognito: il n’a pour Censeur que le Commissaire du Quartier, qui écarte seulement les ouvrages que la decence & le respect dû au Public, ne permettent pas d’exposer, comme faisoient probablement, à Athènes, les Archontes ou leurs représentants. Là, le Public, voyoit tous les ouvrages sans annonce, sans prévention; il les jugeoit, raisonnoit & deraisonnoit, comme on fait à Paris.“
Die Ausstellungen im Freien wurden als Sinnbild einer einfachen, ‚natürlichen‘ Gesellschaftsordnung dargestellt: Jeder könne an den Veranstaltungen teilnehmen, der Quartierskommissar wache über die Einhaltung des Anstands, die Öffentlichkeit über den Wert der Arbeiten. Trotzdem beklagte der Autor die Schwierigkeiten einer Ausstellung im Freien und sprach sich für eine Protektion der Veranstaltungen durch einen Förderer („quelque grand ami du progrès des Arts“) aus, der ihrem ephemeren, wetterabhängigen Status abhelfen und den Künstlern und Künstlerinnen einen geschlossenen Raum zur Verfügung stellen sollte: „alors ils n’auront rien à envier à ceux qui ont droit aux expositions du Louvre, mais dont le Public ne voit les ouvrages qu’avec l’agrément des Chef du Corps, qui seuls sont juges, qu’autant qu’ils le trouvent bon.“32 Drei Jahre später erfüllte sich sein Wunsch, doch auf andere Weise, als er vorhergesehen hatte. Angespornt vom Erfolg der Ausstellung erklärte sich der Kunsthändler Jean-Baptiste-Pierre Lebrun, Ehemann Élisabeth Vigée-Lebruns und selbst an der Place Dauphine ausstellender Amateurkünstler, bereit, die Ausstellung in seinen eigenen, bestens ausgestatteten Galerieräumen zu beherbergen. Drei Jahre lang, von 1789 bis 1791, fand sie in Lebruns Räumen in der Rue de Cléry statt. Die Besucher hatten mehrere Tage, 1791 sogar zwei Wochen lang Gelegenheit, die Arbeiten zu 29 30 31 32
L’Avant-Coureur, 23. Juni 1760, S. 363. L’Avant-Coureur, 20. Juni 1768, S. 385–386 und 5. Juli 1768, S. 353. Mercure de France, 3. Juli 1784, S. 38. Journal général de France, 20. Juli 1786, S. 342.
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besichtigen. Doch der Autor des Journal général de France bezeichnete Lebruns Bemühungen als kontraproduktiv. Er hätte sich die Protektion durch „un Grand, ami des talens“ gewünscht, schrieb er, nicht die Vereinnahmung durch eine kommerzielle Privatinitiative, die den öffentlichen Charakter der Ausstellung kompromittiere. An die Künstler richtete er einen eindringlichen Appell: „Croyez-moi: la place Dauphine étoit une sauvegarde à la persecution. Nul ne peut vous empêcher d’y réunir vos Tableaux aux tapisseries, comme hommage à une cérémonie touchante & religieuse. Restez-y donc et ne la quittez pas, à moins que des Grands, ou encore mieux, un Corps national, ne vous offrent une demeure constante et honorable. Encore une fois, Artistes, restez sur la place publique“.33
Andere Presseberichte begrüßten Lebruns Initiative: „Beaucoup de Peintres qui n’auroient pas consenti à exposer leurs Ouvrages aux hasards du mauvais temps, se sont empressés de les soumettre à l’examen des Amateurs & à la curiosité publique, dans une Salle fermée, & d’où le bon ordre devoit exclure, sinon la foule, au moins le tumulte & l’indécence.“
Wenige Tage vor dem Sturm auf die Bastille wurden diese privaten Galerieräume als der Place Dauphine überlegen dargestellt, nicht nur weil sie den Arbeiten Schutz boten, sondern auch wegen des überlegenen Connaisseurpublikums, „[l]a certitude d’être jugé par la bonne compagnie, par les Amateurs qu’éloignoit autrefois le désordre d’une place publique“.34 Für die Künstlerinnen hatten die Ausstellungen bei Lebrun nicht an Bedeutung verloren: Lebrun ließ 1791 ein livret zur Ausstellung drucken, das sich aus heutiger Sicht wie ein Manifest liest (Abb. 51): An erster Stelle steht ein Historiengemälde der Malerin Marie Guillemine Le Roulx De la Ville (später Madame Benoist). Sie war nicht die einzige Historienmalerin. Ingesamt waren ein Fünftel der ausstellenden Künstler Frauen. Als ein Dekret der Assemblée nationale den Salon wenige Monate später auch für Nichtangehörige der Académie öffnete,35 wurden alternative Ausstellungen offensichtlich als obsolet empfunden. Lebruns Veranstaltung von 1791 blieb die letzte, und die Place-Dauphine-Ausstellungen wurden auch im Freien nicht mehr aufgenommen. Die kulturpolitischen Maßnahmen der späteren Revolutionsphasen, die sich in der Institution des Louvre und der späteren Ecole des Beaux Arts zeigten, trugen dazu bei, die Grenzen der Präsentation bildender Kunst zu definieren und die Tradition der Ausstellungen auf der Straße, dem Markt und dem Spektakel, zu verleugnen. Für viele Autoren und Kulturpolitiker waren die Ausstellungen nicht mehr als „une 33 Journal général de France, 28.7.1789, S. 375. 34 Mercure de France, 4. Juli 1789, S. 33, 40. 35 Zum Salon während der Revolution: Udolpho van de Sandt, La peinture: situation et enjeux, in: Bonnet 1989, S. 333–357.
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51 [Jean-Baptiste-Pierre Lebrun], Catalogue des Ouvrages de peinture, sculpture, gravure, architecture, 1791, Paris, BN.
exposition banale“, ein Zustand der Entwürdigung („avilissement“), der erst mit den ersten Anzeichen der Revolution (und ihrer Beherbergung durch Lebrun) sein Ende fand.36 Lebruns Versuch, die Ausstellungen durch strengere Organisation, einen fixen Veranstaltungsort und die Publikation des Katalogs zu nobilitieren, wurde als bedeutender empfunden als die losen ephemeren Ausstellungen im Stadtraum, dem Ort der Freiheit und der Bedeutungslosigkeit. Die Nobilitierung der Kunst bedeutete ihre Institutionalisierung. Die absolutistische Kunstpolitik setzte in den 1770er- und 1780er-Jahren eine Abgrenzung von Markt- und Vergnügungskontexten und einen Exklusivitätsanspruch der Académie royale in den Agenden der Kunstausbildung und -präsentation durch, der auch andere Institutionen betraf. 1776 bewirkte d’Angiviller das Verbot der Académie de Saint-Luc und damit auch deren Ausstellungen.37 Sein Argument war das Gründungsmotto der Académie, Libertas artis restituta: die Freiheit der 36 Bericht an das Comité de Constitution der Assemblée Générale, 1791, zit. nach: John Goodman, Altar against Altar. The Colisée, Vauxhall Utopianism and Symbolic Politics in Paris 1769–1777, in: Art History, 15/4, 1992, S. 457, Fn. 7. 37 Zu diesen Ausstellungen: Paul Lacroix, Expositions de Peinture et de Sculpture de l’Académie de Saint-Luc, in: Revue Universelle des Arts, XIV, 1861/62, S. 172–196, 361–371.
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Kunst von korporatistischen Zwängen als Bedingung für die Aufnahme der bildenden Kunst in den Rang der artes liberales. Tatsächlich ging das Verbot der Maîtrise, gemeinsam mit dem aller anderen Zünfte, auf ein Edikt des Finanzministers Jacques Turgot, einem der Aufklärung eng verbundenen Reformer, zurück, der seine Anliegen im Sinne eines physiokratischen Wirtschaftsliberalismus durchzusetzen versuchte. Als Turgots Gesetzgebung kurze Zeit später zurückgenommen wurde, achtete d’Angiviller darauf, dass das Verbot der Académie de Saint-Luc bestehen blieb. Es ist möglich, dass der Wunsch nach Abgrenzung von dieser Akademie, die eine wichtige Ausbildungs- und Ausstellungsstätte für Künstlerinnen gewesen war, zum Ausschluss von Frauen aus der Académie royale beitrug.38 Von d’Angivillers Feldzug für die Freiheit der Kunst waren noch weitere Ausstellungsorte betroffen, etwa der private Salon de la Correspondance des Unternehmers Pahin de la Blancherie, der ein Sammelsurium von vielem darstellte, wovon sich die Académie abgrenzen wollte: Unternehmertum, Vermischung der Disziplinen, der Gattungen, der Nationen, der Geschlechter. In den zehn Jahren des Bestehens seines Salons zwischen 1777 und 1787 stand Pahin de la Blancherie im Dauerkonflikt mit d’Angiviller.39 Er hatte immer wieder die Nähe zur Kunstadministration und zur Académie gesucht, zugleich aber auch Nichtakademiker und Nichtakademikerinnen unterstützt. An seinen Ausstellungen nahmen unter anderem Greuze, Fragonard sowie (vor ihrer Aufnahme an die Académie) Vigée-Lebrun und Labille-Guiard teil. Im März und April 1783 fand die erste Einzelausstellung eines lebenden französischen Künstlers, nämlich Joseph Vernets, statt – trotz des Desinteresses und schließlich Missfallens des Künstlers. Als im Juli und August desselben Jahres eine Ausstellung der französischen Schule folgte, setzte d’Angiviller Schritt für Schritt die Unterdrückung des bereits finanziell bedrängten Salon de la Correspondance durch. Auch die französischen Spielarten der Vauxhall Gardens gerieten als Orte der Kunstpräsentation in d’Angivillers Gehege. Das Konzept des Londoner Vergnügungsgartens wurde in und über Europa hinaus kopiert, wobei den französischen Versionen immer wieder eine stark politisch geprägte Funktion zugeschrieben wurde: Die seit den 1760er-Jahren entstandenen Pariser ‚Wauxhalls‘ wurden in den 1770er- und 1780er-Jahren als utopische Versuchsfelder einer egalitären und freien Gesellschaft interpretiert.40 Schon die französischen Beschreibungen des Londoner 38 Sheriff 1996, S. 87. 39 Zu Pahin de la Blancherie: Dena Goodman, The Republic of Letters, A Cultural History of the French Enlightenment, Ithaca/London: Cornell University Press, 1994, S. 242–253, 276–280. Laura Auricchio, Pahin de la Blancherie’s Commercial Cabinet of Curiosity (1779–87), in: Eighteenth-Century Studies, 36/1, 2002, S. 47–61; Charlotte Guichard, Hors l’Académie, les amateurs et les expositions artistiques à Paris: Le Musée de Pahin de la Blancherie (1777–1788), in: Katia Béguin/Olivier Dautresme (Hgg.), La ville et l’esprit de société, Tours: P. U. François Rabelais, 2004, S. 55–72. 40 Gilles-Antoine Langlois, Les origines des premiers parcs de divertissements parisiens, in: Histoire de l’art, 19, 1992, S. 51–63; Alain-Charles Gruber, Les „Vauxhalls“ parisiens au XVIIIe siècle, in:
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Originals hatten häufig den gemeinschaftlichen Aspekt des Besuchs dieser Vergnügungsstätten hervorgehoben: „de tout ce monde qui parle, couvert par une symphonie continue; [...] vous concevrez aisément qu’il est peu de spectacles dont le premier coup d’œil doive produire une aussi agréable surprise.“41
Dazu kam, dass die Pariser ‚Wauxhalls‘ mit der Veranstaltung von Festen eine grundlegende Aufgabe monarchischer Repräsentation übernahmen. Wie der Autor eines anonymen Pamphlets des Jahres 1769 meinte, „l’Etat ne donne plus de fêtes publiques, excepté dans quelques circonstances qui dénotent plutôt la magnificence du Prince que celle de la Nation. [...] Tous nos Spectacles sont l’ouvrage de l’intérêt de quelques particuliers [...]“.
In der absolutistischen Festkultur wurde die Gemeinschaft des Staates inszeniert, ihr Fehlen machte die Privatisierung und Zersplitterung der Gesellschaft deutlich. Erst in der Vereinigung aller sozialen Schichten, die bei den ‚Wauxhalls‘ zu beobachten sei, so der Autor weiter, werde die Gemeinschaft des Publikums sichtbar und die verlorene Einheit wiederhergestellt: „C’est donc le Public réuni qui devient le principal spectacle. Chaque classe de ce Public s’ennoblit, et toutes semblent n’en faire plus qu’une.“42 Die Flugschrift rief zur Gründung staatlich geführter Vergnügungsgärten auf, die die monarchische Festtradition neu beleben sollten. Tatsächlich gab es kurze Zeit später eine Privatinitiative in diesem Sinne, mit zunächst königlicher Unterstützung und Beteiligung. Das sogenannte Colisée war ein Vergnügungsort von immensen Ausmaßen, in dem Orchester, Restaurants und kleinere Verkaufsstätten verteilt waren, die die Besucher unterhielten und versorgten. In dieser abgeschlossenen Welt konnte sich das Publikum ‚frei‘ und ‚egalitär‘ bewegen.43 1776 initiierten die Veranstalter des Colisée eine ‚unabhängige‘ Kunstausstellung, deren anspruchsvolle Programmatik Kompetenzbereiche der staatlichen Kunstpolitik bedrohte. Es gab Pläne für eine weitere Ausstellung mit Preisausschreibungen und für die Errichtung einer Zeichenschule, die das durch das Verbot der Zunftakademie erreichte Ausbildungs- und Ausstellungsmonopol der Académie verletzt hätten. Auch der Umstand, dass mehrere Künstler der eben verbotenen Zunftakademie
Bulletin de la Societé de l’histoire de l’art français, 1972 (1971), S. 125–143. Die Mémoires secrets enthalten eine detaillierte Berichterstattung zu den verschiedenen „Wauxhalls“: Mémoires secrets 1777–89, passim. Vgl. die Artikel im Mercure de France, Juli 1769, I, S. 168–172 und September 1772, S. 161–163. 41 Pierre-Jean Grosley, Londres, Lausanne: [s. n.], 1770, I, S. 270–271. 42 [anon.] Réponse d’un artiste à un homme de lettres qui lui avait écrit sur les Wauxhalls, Amsterdam/Paris: Dufour, 1769, S. 7–8, 10. 43 Goodman 1992.
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Interesse an diesen Ausstellungen zeigten, lässt das Ergebnis erahnen: Jede weitere Ausstellung wurde von d’Angiviller unterbunden.44 Auch aufseiten der Académie war das Engagement des Ministers umfangreich. Er organisierte ein staatliches Auftragsprogramm zur Unterstützung der Historienmalerei, das seinem Ziel entsprach, den Salon zu einer Leistungspräsentation im Auftrag der Krone umzuwerten.45 Schon 1775 ließ er die École royale des Élèves Protégés schließen, seiner Meinung nach ein Hort der künstlerischen Opposition, und forderte die tägliche Anwesenheit der Schüler und Lehrer in der (seit der Schließung der Saint-Luc erweiterten) Zeichenklasse der Académie ein. Mit seiner Ablehnung erotischer Themen in den Exponaten des Salon konnte er auf die Hilfe des Akademiedirektors Pierre zählen, der bereits 1771, im Briefwechsel mit dem Marquis de Marigny, die besondere Verantwortung der Académie als öffentliche Institution betont hatte: „Le public n’admet point encore en masse la liberté que la confiance autorise dans l’intérieur des sociétés particulières.“46 Schließlich insistierte d’Angiviller auch auf der Jury als Instrument des ästhetischen Zentralanspruchs der Académie. Das Verhalten des Direktors der Königlichen Bauten sollte nicht als das letzte Aufbäumen einer autoritären, repressiven Ordnung missverstanden werden. Mit vielen dieser Maßnahmen fand sich d’Angiviller im Kreis der fortschrittlichsten Denker seiner Zeit. Ein ähnlicher Ordnungsdiskurs kann auch für die Jahre während und nach der Revolution verfolgt werden. Innerhalb der monarchischen Repräsentation war die zentrale Machtposition der königlichen Académie notwendig. Die Institution verteidigte die Professionalität der Künstler, die Mitgliedschaft war eine Auszeichnung. Zudem stand die Konkurrenz rivalisierender Organisationen dem Einheitsgedanken des Ancien Régime entgegen. Als der Bautenminister zur Mitte der 1780er-Jahre gegen die Gründung eines von einem Amateurmitglied der Académie royale initiierten Club des Arts, der Preisverleihungen für Malerei abseits der Historienmalerei ausschreiben sollte, vorging, begründete er sein Handeln wie folgt: „Pour que les arts ainsi que les sciences et les lettres fleurissent, il ne faut qu’une académie, il faut que la difficulté d’y entrer excite les efforts. Sans cela toute émulation sera détruite. [...] Il s’élèvera une rivalité, non celle qui tend à faire faire des progrès aux arts, mais à se dénigrer mutuellement et conséquemment à les faire tomber [...]. [De pareils 44 Zur Kontroverse der Schließung der Académie de Saint-Luc und der Unterbindung der Ausstellung des Colisée: Journal de Paris, 14. März 1777, S. 1–2; 15. März 1777, S. 1–2; 17. März 1777, S. 2; 1. Mai 1777, S. 2; 3. Mai 1777, S. 2; 9. Mai 1777, S. 2–3; 14. Mai 1777, S. 2. Vgl. Jules-Joseph Guiffrey (Hg.), Livret de l’exposition du Colisée (1776), suivi de l’analyse de l’exposition ouverte à l’Elisée en 1797 et précédé d’une histoire du Colisée d’ après les mémoires du temps, avec une table des artistes qui prirent part à ces deux expositions, Paris: J. Baur, 1875. 45 D’Angiviller an Pierre, 15. Juli 1779, Furcy-Raynaud 1906–07, XXI, S. 257; Barthélémy Jobert, The travaux d’encouragement: An aspect of official arts policy in France under Louis XVI, in: Oxford Art Journal, 10/1, 1987, S. 3–14. 46 Furcy-Raynaud 1904–05, XX, 1904, 16. Juni 1773, S. 275. Zu einem Kommentar der Mémoires secrets: Fort 1999, S. 137.
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établissemens] sont bons en Angleterre où il n’y aurait point même d’académies si elles ne s’étoient pas formées par une association libre et indépendamment de tout secours public et national. Mais la constitution du gouvernement anglois est différente de celle du gouvernement françois. En France, tout établissement doit être l’ouvrage du gouvernement et tenir sa sanction de l’autorité royale; c’est elle qui doit tout vérifier par ses bienfaits et ses encouragemens.“47
Bereits im Zuge der Unterdrückung der Ausstellungen des Colisée hatte sich d’Angiviller gegen die Gründung alternativer Ausbildungs- und Ausstellungsorte ausgesprochen, denn, wie er meinte, „[l]e public, encore moins éclairé sur le mérite des ouvrages de l’art que sur celui des lettres, finirait par tout confondre, et il n’y aurait plus de distinction entre le talent supérieur et le médiocre.“48 D’Angivillers Bemühungen, die Académie zum Zentrum der absolutistischen Repräsentationspolitik zu machen, führten in den letzten Jahrzehnten vor der Revolution zu heftiger Opposition. Sein Durchsetzungsvermögen bescherte dem Bautenminister und dem akademischen Machtmonopol zwar zahlreiche Teilerfolge, doch die hierarchische Abstufung in ‚Directeur‘ – ‚Recteurs‘ – ‚Professeurs‘ – ‚Académiciens‘ – ‚Agrées‘ und das Exklusivrecht der Künstler der Académie, im Salon auszustellen, wurden immer drängender infrage gestellt. Die Machtansprüche der absolutistischen Kunstpolitik wurden in den Jahren vor der Revolution so heftig kritisiert, dass die Reform der Académie royale ab 1789 und ihre Abschaffung im Jahr 1791 zu den ersten Anliegen der revolutionären Kunstpolitik gehörten.49 Die Auseinandersetzungen der 1780er-Jahre zeigen, wie bedeutend die Debatten um die Zugangsbedingungen zu Ausstellungen, sowohl vonseiten der ausstellenden Künstler wie aufseiten des Publikums, inzwischen geworden waren. Weit davon entfernt, eine Sonderstellung außerhalb der Gesellschaft einzunehmen, wurde die bildende Kunst entlang den verfügbaren kunstpolitischen und gesellschaftstheoretischen Prämissen diskutiert.
Die Repräsentation der Menge: Jacques Louis Davids Schwur im Ballhaus Die Inszenierung von Öffentlichkeit war keinesfalls nur ein Anliegen der Kunstpolitik, sondern konnte auch ein künstlerisches Ziel sein, insbesondere für einen paradigmatisch kunstpolitisch agierenden Künstler. So stellt Jacques-Louis Davids gescheitertes Gemäldeprojekt Der Schwur im Ballhaus einen außergewöhnlichen 47 D’Angiviller, Mémoire, 12. März 1785, zit. nach: Udolpho van de Sandt, La Société des Amis des Arts (1789–1798). Un mécénat patriotique sous la Révolution, Paris: ENSBA, 2006, S. 107. 48 D’Angiviller an Le Noir, 16. Mai 1777, Guiffrey 1873, S. 36. 49 Vgl. Françoise Waquet, La Bastille académique, in: Bonnet 1989, S. 19–36.
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Versuch dar, revolutionäre Publikumsmodelle zu denken und künstlerisch zu erzeugen. In den 1780er-Jahren hatte sich in einer Reihe offen politischer Salon-Pamphlete die Argumentation der Revolution angekündigt. In den anonym publizierten Schriften mehrerer Autoren, darunter Louis-François-Henri Lefébure und der spätere girondistische Abgeordnete Antoine-Joseph Gorsas, zeichnete sich eine neue Rhetorik gegenüber der versammelten Gemeinschaft im Salon ab: „Toutes les fois que le Salon s’ouvre, on croit assister à une fête populaire, où chaque citoyen va se rendre“, schrieb Lefébure in seiner hochbrisanten und von der Zensur verfolgten Flugschriftenserie der Jahre 1779 bis 1789.50 In diesen politischen Schriften wurde die ‚multitude‘ emanzipatorisch aktiviert, um in ihrer immanenten Ungeschlossenheit den Platz des Publikums einzunehmen. Die Rhetorik, mit der Pidansat de Mairobert die „Vermischung aller Ränge, Geschlechter und Altersstufen“ beschrieb, schloss nahtlos an die anglophile ‚Wauxhall‘-Begeisterung der 1760er- und 1770er-Jahre an: „[C]e mélange de tous les ordres de l’Etat, de tous les rangs, de tous les sexes, de tous les âges, dont se plaint le petit maître dédaigneux, ou la femme vaporeuse, est pour un Anglois un coup d’œil ravissant; c’est peut-être le seul lieu public où il puisse retrouver en France l’image de cette liberté précieuse dont tout offre le spectacle à Londres, spectacle enchanteur & qui m’a plu davantage que les chefs-d’œuvre étalés dans ce temple des arts. [...] [L]’Artiste caché dans la foule en démêle le sens, & la met à profit.“51
Zur Unterstreichung dieser Vision der Menge-als-Publikum diente einmal mehr die Apelles-Anekdote: Versteckt in der Menge horcht der Künstler auf das Volk, entwirrt den Sinn aus dem Durcheinander der Meinungen und gewährleistet so die Einheit der Gesellschaft.52 Die soziale Heterogenität der Menge wurde nun nicht als hinderlich dargestellt, sondern als grundlegend für ihre Fähigkeit, die Gesamtheit der Gemeinschaft zu repräsentieren und die Beschränkungen einzelner Klassen zu überwinden. „Il faut donc que le peuple entier soit à même de juger des productions d’un Art, pour attester son excellence. Les applaudissemens d’une seule classe consacrent trop souvent 50 [Louis-François-Henri Lefébure], Encore un coup de patte pour le dernier, ou Dialogue sur le Salon de 1787, [s. l.] [s. n.], 1787, [Collection Deloynes #378], S. 3. In der Zuschreibung des Korpus kritischer Schriften folge ich Richard Wrigley. Vgl. Wrigley 1993, S. 360–362. Die bekanntesten Schriften dieser Serie sind außerdem: Coup de patte sur le Sallon de 1779, Athènes/Paris: Cailleau, 1779, [Collection Deloynes #202]; La patte de velours, Londres/Paris: Cailleau, [1781], [Collection Deloynes #263]; Le Triumvirat des Arts, Aux Antipodes: [s. n.], 1779, [Collection Deloynes #305]; Le Frondeur, ou dialogues sur le Sallon, [s. l.] [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #329]; Vérités agréables ou le Salon vu en beau [s. l.] [s. n.] [1789], [Collection Deloynes #415]. 51 [Mathieu-François Pidansat de Mairobert], Espion anglois, ou correspondance secrète entre Milord All’eye et milord All’ear, London: John Adamson, VII, 1783, S. 86–87. 52 Ein ähnliches Bild des Apelles im Salon enthält: [anon.], Sur la Peinture, La Haye et Paris: [s. n.], 1782, [Collection Deloynes #276], vgl.: Becq 1982, S. 142–143.
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des défauts: tant qu’aux mêmes loges on verra les mêmes Grands, on doit s’attendre à voir sur la Scène les mêmes vices; & c’est une vérité bien constante, que, par-tout où l’argent donne place, le bon goût n’est pas sûr d’entrer.“53
Diese Formulierung Lefébures führte die traditionelle Kritik an der Partikularität der Auftraggeber zu neuer Aktualität. Kunst war ein konstitutives Element der Gemeinschaft, sie musste den Anforderungen aller entsprechen. Diese Auffassung selbst war nicht neu, doch selten zuvor waren die disparaten Meinungen der Menge in dieser Konsequenz begrüßt, ja als konstitutiv für eine heterogene Gesellschaft dargestellt worden: „Heureusement les clameurs des mauvais Peintres ont été répoussées comme leurs ouvrages. Les critiques se sont multipliées, la vérité s’est fait entendre“,54 ließ Lefébure in der Pluralität die Wahrheit triumphieren. Die Kritik speise sich aus „cette foule de jugemens particuliers“, die im Salon zu hören war, wie ein Autor des Jahres 1783 meinte. Dabei befand er allerdings, die Menge trage nur „involontairement“ zum Urteil bei: Erster Akteur war immer noch der Kritiker.55 Menge und Publikum waren fast ununterscheidbar zusammengerückt, wie eine andere Schrift zeigt, die zum traditionellen Mittel der Introspektion als Distanzierung von den Meinungen im Salon griff: „[N]ous voulons éloigner toute prévention, rejetter même le sentiment du Public, qui, comme la renommée, a cent voix qui ne sont jamais d’accord, & ne produire que le résultat de nos sensations.“56 Und so fand selbst der Kritiker zuweilen die Wahrheit gar nicht mehr auf der Straße oder in den Besuchern des Salon: Einsam sitzt der ‚auteur composant sa critique‘ eines Pamphlets des Jahres 1781 in seinem Dachgeschoss (Abb. 52): In ärmlichsten Verhältnissen, auf einem kaputten, nur gekippt zu gebrauchenden Stuhl sitzend, nur von einem inneren Impetus und der Suche nach Wahrheit angetrieben. Es gibt kein Anzeichen für seine Integration der Meinungen der Öffentlichkeit oder deren Anerkennung. Die Zähmung der disparaten und wandelbaren Menge erforderte Kraft, und die Gesellschaft zu einen wurde zur Aufgabe des Genies, „qui maîtrise et subjugue l’âme de toutes classes d’hommes“, wie der anonyme Verfasser der Mémoires secrets schrieb.57 Wenige Jahre später sah er diesen Anspruch in Jacques-Louis Davids Schwur der Horatier eingelöst, einem Gemälde, das Bewunderung durch alle Betrachtergruppen erfahre: Der gebildete Mann schätze die einfache, ja sublime Komposition, der Künstler die Zeichnung, ein junger Mann bewundere die gefühlvolle
53 [Louis-François-Henri Lefébure], Encore un coup de patte, pour le dernier, ou Dialogue sur le Salon de 1787, [s. l.] [s. n.], 1787, [Collection Deloynes #378], S. 4. 54 Ebd., S. 5. 55 [anon.], Loterie pittoresque, pour le Salon de 1783, Amsterdam: [s. n.], 1783, [Collection Deloynes #291], S. 7, 5. 56 [anon.], Mélanges de doutes et d’opinions sur les tableaux exposés au Sallon du Louvre en 1785, Amsterdam: [s. n.], 1785, [Collection Deloynes #336], S. 2. 57 Mémoires secrets, Salon von 1779, Lettre II, Fort 1999, S. 208.
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52 [Anon.], Frontispiz zu: La Vérité critique des tableaux exposés au Sallon du Louvre en 1781, Florenz/Paris: [s. n.], 1781, Paris, BN.
Reaktion der Schwester, eine einfache Frau werde angesichts des Leidens der Mutter zu Tränen gerührt.58 Diese Totalisierung der Menge als Publikum war kein akkumulatives oder konsensuales Modell, sondern eines der Konfrontation: Immer wieder war die Rede vom Zusammenprall der verschiedenen Meinungen, dem „choc des opinions d’un million individus“59, dem „choc de tant d’opinions diverses, de passions opposées“60. In Ablehnung universalistischer Öffentlichkeitsmodelle haben Jacques Rancière und Rosalyn Deutsche die Bedeutung des konfrontativen öffentlichen Diskurses unterstrichen, 58 „Quelle composition simple et sublime, dit l’homme de lettres! [...] Quel dessin! répond l’artiste. [...] J’en aime surtout l’architecture, continue un de nos Vitruve; [...] L’aimable personne que la soeur! ajoute un jeune homme [...]. La pauvre mère! repart en sanglotant une bonne femme.“ Zit. nach Mémoires secrets, Salon de 1785, Lettre I, Fort 1999, S. 295–296. 59 [anon.], Lanlaire au Salon académique de peinture, Gattières/Paris: [s. n.], 1787, [Collection Deloynes #375], S. 9. 60 Pidansat de Mairobert 1777–84, VII, 1783, S. 72–73.
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der eine Grundbedingung des demokratischen Dispositivs ist. Offener Antagonismus verhindere die ‚Schließung‘ der Gesellschaft. Deutsche hat auf das Diktum von Laclau/Mouffe verwiesen, wonach Gesellschaft (als substanzialisierte Einheit) ‚unmöglich‘ sei.61 Zu dieser letzten radikalen Konsequenz antagonistischer Offenheit war die vorrevolutionäre Literatur nicht explizit bereit. Stattdessen evozierte sie einen Diskurs politischer Leidenschaftlichkeit, der in der Praktik der Kunstrezeption die Gemeinschaft begründete. Diese Gemeinschaft bot für Lefébure das Bild eines „vaste lycée, où l’homme ira manifester sa franchise [...] je verrois [...] la foule des citoyens réunis, couler dans un charmant commerce de lumières quelques instants de loisir. [...] [C]’est dans le choc des opinions que les beautés étincellent & que les passions s’allument“.62
Die erste Bedingung dafür war die Freiheit. Denn nur in der Freiheit („où ni le rang, ni la faveur, ni la richesse ne pussent retenir des places pour le mauvais goût“63) vollziehe sich das gemeinschaftliche, erhitzte, kontroversielle Kunsturteil, das dem Genie des Künstlers antworte. Der Status dieses konfrontativ-demokratischen Modells war jedoch instabil. Immer wieder kippte dieses Bild zurück in das traditionelle Unité-Konzept – selbst Lefébure sprach zuweilen von „les opinions uniformes de la multitude“, die in der Vereinigung in der Menge zu einem gemeinsamen Urteil verschmölzen.64 Die Menge als publikumstheoretisches Konzept erhielt gegen Ende des Jahrhunderts ein wirkungsmächtiges politisches Ebenbild im Sturm auf das Staatsgefängnis der Bastille, getragen von Volk und Straße, aus heutiger Sicht ein Gründungsereignis der Revolution. Im 18. Jahrhundert wurde dieses Ereignis selten thematisiert: Welcher französische Maler, fragt Philippe Bordes zu Recht, hätte vor 1792 auf die Idee kommen können, die Szene eines Volksaufstandes zu verherrlichen?65 Die aktuellen politischen Ereignisse fanden Platz in zahlreichen Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln und dementsprechend bald in der Druckgrafik, nicht aber in den Gemälden und Skulpturen der Salon-Ausstellungen der Revolutionsjahre, wie zeitgenössische Kommentatoren verwundert bemerkten.66 Die rasche Abfolge und Komplexität der 61 „[...] [S]ociety as a closed entity is „impossible“ – which is to say, that the conception of society as a closed entity is impossible.“ Deutsche 1996, S. 274; Laclau/Mouffe 1991, S. 161–167. Vgl. Rancière 2002, bes. S. 105–131. 62 [Louis-François-Henri Lefébure], La patte de velours, Londres/Paris: Cailleau, [1781], [Collection Deloynes #263], S. 45. 63 [Louis-François-Henri Lefébure], Le Triumvirat des Arts, Aux Antipodes: [s. n.], 1779, [Collection Deloynes #305], S. 4. 64 Ebd., S. 6. 65 Philippe Bordes, Le Serment du Jeu de Paume de Jacques-Louis David. Le peintre, son milieu et son temps de 1789 à 1792, Paris: Éditions de la Réunion des musées nationaux, 1983, S. 36. 66 Zur Problematik und Seltenheit der Darstellung zeitgenössischer Ereignisse abseits der Druckgrafik in den Revolutionsjahren: Philippe Bordes/Régis Michel (Hgg.), Aux armes et aux arts. Les arts de la Révolution 1789–1799, Paris: Adam Biro, 1988, S. 27–28, 106–119, 148–154.
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53 Hubert Robert, Démolition de la Bastille, 1789, Öl auf Leinwand, Paris, Musée Carnavalet.
Ereignisse erschwerten die künstlerische Umsetzung, und zudem folgte der politischen Instabilität die Erschütterung der kunstpolitischen Verhältnisse: An wen sollten sich solche Darstellungen richten, wer sollte sie finanzieren? Hubert Robert war einer der wenigen, die sich der Darstellung der Bastille in voller Aktualität des Ereignisses annahmen. Ab Ende August 1789 war im Salon sein Gemälde La Bastille dans les premiers jours de sa démolition (Abb. 53) ausgestellt. Der ‚Sturm‘ ist in dieser Darstellung bereits vorübergezogen, und seine Folgen gleichen tatsächlich denen einer verheerenden Naturgewalt. Von der entfesselten Volksmenge in Trümmern hinterlassen, stellt sich der ehemalige Festungsbau als eines der vertrauten Ruinenobjekte der Stadtlandschaften Hubert Roberts dar. Statt des Sturms zeigt das Gemälde die Zerstörung und Abtragung der Bastille, die die Assemblée nationale wenige Tage danach anordnete: ein Akt der nachträglichen Legalisierung und Zähmung des Volks als Handlungsträger. Die Volksmenge, die die Bastille gestürmt hatte, hatte selbst keinerlei repräsentative Funktion.67 Wie Jean-Silvain Bailly, erster Präsident der Assemblée nationale und Bürgermeister von Paris bis 1791, in seinen Memoiren festhielt: „Il s’agissait d’ordonner la démolition de la Bastille, commencée dès la veille par le peuple, par conséquent d’une manière très-illégale. Il s’agissait de sanctionner cet acte populaire, ou plûtot de le faire émaner de l’autorité, afin qu’une multitude aveugle ne s’accoutumât pas à usurper et à exercer cette autorité.“68 67 Maza 2003, S. 81–82. 68 Jean-Silvain Bailly, Mémoires de Bailly, Hgg. Albin de Berville/François Barriere, Paris: Baudouin frères, 1822, II, S. 46.
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54 Jacques-Louis David, Der Schwur im Ballhaus, 1790/91, Feder, Tusche und Weißhöhungen, Versailles, Cabinet des Dessins.
Zum offiziellen Gründungsbild der Revolution sollte hingegen der Schwur im Ballhaus werden, die Darstellung der Legitimierung der Machtausübung durch das Volk am 20. Juni 1789, wenige Wochen vor dem Sturm auf die Bastille. An diesem Tag versammelten sich die Vertreter des Dritten Standes im leerstehenden Ballhaus in Versailles, nachdem die Durchsetzung eines neuen Abstimmungsmodus und die Einberufung der Generalstände gescheitert waren. Als Präsident der Nationalversammlung leistete Bailly als einer der Ersten den Schwur und verlas ihn, auf einem Tisch stehend, vor den versammelten Repräsentanten des Dritten Standes: so lange nicht auseinanderzugehen, bis Frankreich eine neue Verfassung habe.69 Im Oktober 1790 gelang es Jacques-Louis David, für sein Vorhaben einer Darstellung dieses Ereignisses die finanzielle Unterstützung des Jakobinerklubs zu gewinnen. Ein großformatiges Historienbild sollte die Schilderung des konkreten historisch-gegenwärtigen Ereignisses mit überzeitlichem Anspruch vereinen. Die vorbereitende Zeichnung (Abb. 54) zeigt das eigentliche Geschehen entlang eines Figurenbands in der Vordergrundzone: Bailly verliest, auf einem Tisch stehend, den Eidestext, die Abgeordneten strömen zusammen und erheben ihre Hände zum Schwur. Einzelne Abgeordnete sind von demokratischem Eifer entfacht, andere verweigern die Teilnahme, es wird Überzeugungs- und Reflexionsarbeit geleistet, ja das Geschehen bereits dokumentiert: Die Figur Bertrand Barère de Vieuzacs, „faisant 69 Vgl. Bordes 1983, S. 13–15.
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des notes pour son journal“, zählte zu den ersten, die David in dem Skizzenbuch entwarf.70 Die versammelte Menge der Abgeordneten ist hinter diese Vordergrundzone gestaffelt. Sie richtet sich auf ein gemeinsames Zentrum hinter der Figur Baillys, der der Versammlung, an die er sich eigentlich wendet, den Rücken zukehrt und stattdessen aus dem Bild heraus die Betrachter adressiert. Die strenge Frieshaftigkeit der Vordergrundzone, die die historische Symbolhaftigkeit des Ereignisses verdeutlicht, ist zu den Rändern hin zu narrativen Einzelepisoden aufgelockert, in denen die Reaktionen einzelner Abgeordneter und, noch weiter am Rand, die der Zuschauer auf den Balustraden geschildert werden. Auf der Galerie drängt das Volk herein, begleitet von Windböen und Gewitterstürmen. Diese Metapher des Atmosphärischen findet ihren Höhepunkt in der Darstellung des Außenraums im Hintergrund, wo in die Schlosskapelle von Versailles gerade der Blitz einschlägt. Im Saal selbst hat dieses Volk nun in der Form des Dritten Standes seine politische Repräsentation gefunden, wie das verfestigte, symbolhafte Bildzentrum verdeutlicht. Ein Detail des kurz darauf begonnenen Gemäldes zeigt, wie David seine Figuren nach dem akademischen Modell nach Aktvorzeichnungen entwarf (Abb. 55). Die Bekleidung der Aktfiguren mit zeitgenössischen Gewändern ist wie eine Metapher des überzeitlichen Anspruchs des Gemäldes zu lesen: Die Revolution bedeutete keinen Bruch mit aller Tradition, sondern die Wiederkehr (revolutio) der paradigmatischen Antike: Der 20. Juni 1789 war die Geburtsstunde des wiedergeborenen Frankreich („La France régénérée date du 20 juin 1789“).71 Der Schwerpunkt lag dabei aber nicht auf der Historisierung eines zeitgenössischen Ereignisses (wie bei Benjamin West), sondern auf der Vergegenwärtigung der Historie in der zeitgenössischen Erfahrung. Endlich müssten die Maler nicht mehr in den Geschichten alter Völker suchen, um Themen zu finden, schrieb David an die Assemblée nationale. „[N]ous ne serons donc plus obligés d’aller chercher dans l’histoire des peuples anciens, de quoi exercer nos pinceaux. Les sujets manquaient aux artistes, obligés de se répéter, et maintenant les artistes manqueraient aux sujets.“72
Die Gegenwart selbst zeigte sich in der geschichtlichen Aktualität einer revolutionären „Jetztzeit“73, deren Augenblicke szenenhaft darzustellen Davids erste Aufgabe als Künstler der Revolution war. Lynn Hunt hat den revolutionären Gegenwartsbezug als „mythisch“ bezeichnet. Die historische, gesellschaftliche und politische Bedeutung 70 Bordes 1983, S. 40. 71 Jacques-Louis David, zit. nach: Antoine de Baecque, Le Serment du Jeu de paume: Le corps du politique idéal, in: Régis Michel (Hg.), David contre David, Paris: La Documentation française, 1993, II, S. 771. 72 Jacques-Louis David, Brief an die Assemblée nationale, 5. Februar 1792, zit. nach: Bordes 1983, S. 38. 73 Der Begriff stammt von Walter Benjamin, „Über den Begriff der Geschichte“, in: ders., Gesammelte Schriften, Hgg. Rolf Tiedemann/Hermann Schweppenhäuser, Bd. I/2, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 1977, These XIV, S. 701.
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55 Jacques-Louis David, Der Schwur im Ballhaus in Versailles am 20. Juni 1789, 1790–91, Öl auf Leinwand, Versailles, Musée national du château et des Trianons (Detail).
dieser Gegenwart, „the instant of creation of the new community, the sacred moment of the new consensus“, war in jedem Augenblick fühlbar oder zumindest inszenierbar.74 Ein grundlegendes Instrument, der Entstehung dieser „neuen Gemeinschaft“ zu gedenken und sie zugleich neu hervorzubringen, waren die rituellen Masseneide, die ein immer wiederkehrendes Element der revolutionären Feste waren und an deren Inszenierung David ab 1791 maßgeblich beteiligt war. Der politische Anspruch der Revolution verlangte nach einem besonderen Repräsentationsmodus und machte insbesondere die Darstellung von Menschenversammlungen als politische Akteure notwendig. Die versammelte Menge im Schwur im Ballhaus besteht nicht aus Assistenzfiguren, sondern aus aktiven politischen Subjekten, die sich, wie Wolfgang Kemp betont hat, „ihres historischen Handelns bewußt waren.“75 Exemplarizität reichte nicht aus, um das Geschehen wiederzugeben, vielmehr wollte David die versammelten Abgeordneten wahrheitsgetreu und indi74 Lynn Hunt, Politics, Culture and Class in the French Revolution, Berkeley/Los Angeles: University of California Press, 1984, S. 27–31. 75 Wolfgang Kemp, Das Bild der Menge (1789/1830), in: Städel Jahrbuch, N.F. IV, 1973, S. 253.
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viduell erkennbar darstellen. Die zur Quadrierung verwendete Vorzeichnung zeigt etwa 600 Figuren. Dies entsprach der verhandelten Zahl der Stimmen der Vertreter des Dritten Standes, die jedoch in dieser Form nie zur Abstimmung gelangt waren. Die Größe der im Ballhaus versammelten Menge schätzte David in Vorbereitung des Gemäldes, das 10 Meter Breite mal 8,5 Meter Höhe umfassen sollte, auf etwa 1.000 bis 1.200 Personen. Philippe Bordes hat die Konzeption von Davids Schwur im Ballhaus mit der Entwicklung des zeitgenössischen Historienbildes in Verbindung gebracht.76 Während dieses Bildgenre in England seit zumindest den 1760er-Jahren etabliert war, fand es in Frankreich bis zur Revolution nur selten Anwendung. Die Darstellungsreihen königlicher Einzüge, Empfänge und dergleichen, die die Repräsentationspolitik des grand siècle verlangte, schrumpfte bis zum Ende des Ancien Régime zum schmalen Strang der Bildtradition von Ordens- und Ämterverleihungen. Die vereinzelten Ausnahmen, etwa Charles Parrocels’ Gemälde des Einzugs des türkischen Botschafters Mehmed Effendi in den Tuilerien im Jahr 1721, das er bei der Akademieausstellung 1727 zeigte,77 oder Joseph-Marie Viens Inauguration de la statue de Louis XV. par le Corps de Ville le 20 Juin 1763,78 etablierten keine Tradition. Die Repräsentation des heldenhaften Todes des Herzogs von Braunschweig-Lüneburg von Pierre-Alexandre Wille im Salon von 1787 blieb ein wenig beachtetes Ereignis. Kritiker und Akademiker gleichermaßen forderten die Bevorzugung von Themen der französischen Geschichte gegenüber allegorischen und mythischen Historienbildern,79 nicht aber die Darstellung zeitgenössischer Sujets. Selbst innerhalb seines Reformprogramms zur Förderung der französischen Historienmalerei empfahl d’Angiviller vorwiegend antike Themen.80 Als er für den Salon des Jahres 1779 doch vier Historienbilder aus der französischen Geschichte in Auftrag gab, hielten die Künstler einigen historischen Respektabstand zur Gegenwart: François Andre Vincent präsentierte mit Président Molé und die Aufständischen der Fronde das aktuellste Ereignis, das allerdings bereits 130 Jahre zurücklag. Mit der Konzeption des Schwur im Ballhaus als zeitgenössischem Historienbild konnte sich David auf das prominente englische Beispiel von Benjamin Wests Death of General Wolfe (Abb. 56) berufen, mit dessen Schüler John Trumbull er seit den 1780er-Jahren in Kontakt stand. Da er außerdem mit Maria Cosway einen intensiven Briefwechsel führte, wusste er möglicherweise auch von John Singleton Copleys aktuelleren Erfolgen im Bereich der zeitgenössischen Historienmalerei. 76 77 78 79 80
Bordes 1983, S. 33–38. Clements 1996, Abb. 8. Bordes 1983, S. 33. Kirchner 1990. Andrew L. McClellan, Nationalism and the Origins of the Museum in France, in: Gwendolyn Wright (Hg.), The Formation of National Collections of Art and Archeology, Washington: National Gallery of Art, 1996, S. 34.
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56 Benjamin West, The Death of General Wolfe, 1770, Öl auf Leinwand, Ottawa, National Gallery of Canada.
Wests Death of General Wolfe hatte zu einer Kontroverse innerhalb der Royal Academy, und insbesondere zu einer Auseinandersetzung mit deren Präsidenten Joshua Reynolds, geführt. Nach Reynolds’ Worten löste West eine „Revolution“ der Historienmalerei aus.81 Der ‚Rebell‘ wurde später zum Nachfolger des Akademiepräsidenten, und so fällt es nicht schwer, die vorgebliche Provokation durch ein Bildgenre, das in England bereits seit Jahrzehnten etabliert war, als inszenierte Erneuerung der akademischen Doktrin innerhalb eines abgesicherten diskursiven Raums zu lesen. Der Neuheitswert des zeitgenössischen Historienbilds war relativ gering. Doch warf die Erweiterung des akademischen Kanons einige, wenn schon nicht neue, so doch immer noch ungelöste Fragen hinsichtlich der Verwendung zeitgenössischen Kostüms und der Verbindung von historischer Detailgenauigkeit und überzeitlichem Anspruch auf. Benjamin West und Francis Hayman konnten der Problematik, die die Vergegenwärtigung der Geschichte mit sich brachte, ausweichen, da in ihren erfolgreichsten Gemälden die zeitliche Aktualisierung des Historienbildes mit der räum81 John Galt, The Life, Studies, and Works of Benjamin West, Repr. Gainesville: Scholars Facsimiles & Reprints, 1960, II, S. 47–50. Edgar Wind, The Revolution of History Painting, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes, 2, 1938, S. 116–127. Zu Wests Gemälde: Solkin 1993, S. 207–213.
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lichen Entfernung der dargestellten Szene einherging. Haymans Militärbilder der 1760er-Jahre spielten, ebenso wie Benjamin Wests Death of General Wolfe, an den weit entfernten Schauplätzen der britischen Kolonialkriege, die die Exotisierung der Assistenzfiguren – seien dies die Begleiter des Sultans bei Hayman oder Wests trauernder Indianer – möglich machte. Auf diesen Punkt hat bereits Edgar Wind aufmerksam gemacht: Die historische Vergegenwärtigung um den Preis räumlicher Distanzierung entspricht einer bereits bei Racine formulierten Maxime der klassischen Theaterliteratur.82 Die Funktion der Assistenzfiguren in der Historienmalerei war bedeutend. Diese legten nicht nur Zeugenschaft über die Szene ab, sondern gaben die exemplarischen Reaktionen der Rezipienten vor: Sie vertraten die Betrachter im Bild. Durch die ostentative Exotisierung konnte das Verhältnis zwischen Assistenzfiguren und Betrachter jedoch bestenfalls exemplarisch, auf keinen Fall aber im direkten Sinne repräsentativ sein. Davids Schwur im Ballhaus forderte eine völlig andere Beziehung zu seinen Betrachtern. Denn hier war das zentrale Thema Repräsentation: die bildliche Repräsentation, die durch die Wahrhaftigkeit der Porträtdarstellungen gewährleistet sein sollte, die Repräsentation der Menge der Abgeordneten durch das Figurenband der Vordergrundgruppe und die politische Repräsentation des französischen Volkes durch die Vertreter des Dritten Standes, der rund 98% der französischen Bevölkerung umfasste. Wie Emmanuel-Joseph Sieyès, der politische Theoretiker und Wortführer der Revolution es beschrieb: Der Dritte Stand ist alles.83 Die Konzentration auf den Dritten Stand als politischen Handlungsträger und Vertreter des ‚gesamten‘ Volkes wurde in der Kritik nicht nur begrüßt: David müsse wohl daran erinnert werden, meinte ein Kommentator, dass Frankreich, entgegen dieser republikanischen Vision, nach wie vor eine monarchische Verfassung habe.84 Für Wolfgang Kemp, der die bildliche Repräsentation von Menschenmassen untersucht hat, ist der Schwur im Ballhaus als Darstellung einer modernen ‚Masse‘ allerdings gescheitert: Die Porträtgenauigkeit kennzeichne ihre Mitglieder als einzeln identifizierbare Individuen und reduziere sie so zu einer ‚Gruppe‘, meinte Kemp. Auf diesem Weg sei keine glaubhafte Darstellung der Versammelten als politisch agierende Menschen- oder Volksmasse möglich.85 Von anderer Seite ist Davids Hintereinanderstaffelung der Figuren in den Tiefenraum, die Kemp als „Etcetera-Formel“86 bezeichnet hat, als Bildstrategie be82 Wind 1938, S. 117; zu Haymans Historienbildern: Solkin 1993, S. 190–199. 83 Emmanuel-Joseph Sieyes, Politische Schriften 1788–1790, München/Wien: Oldenbourg, 1981, S. 119. 84 Bordes/Michel 1988, S. 29. 85 Wolfgang Kemp, Masse – Mensch, in: Der Einzelne und die Masse, Recklinghausen: Städtische Kunsthalle Recklinghausen, 1975, o. p. 86 Wolfgang Kemp, Das Revolutionstheater des Jacques-Louis David. Eine neue Interpretation des „Schwurs im Ballhaus“, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 21, 1986, S. 167.
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schrieben worden, die auf die Vereinheitlichung der Menge zu einem geschlossenen politischen Körper abziele, einem „unendlich vielfältigen, aber zutiefst einheitlichen Körper“ („un corps infiniment multiplié, mais profondément un“)87, einem Körper, der, denkt man dieses Modell weiter, in dem schriftlich festgehaltenen Schwur und der zum Eid erhobenen Hand Baillys seinen Kopf finden würde. Es bliebe ein abgeschlossenes Historienbild zur staunenden Kontemplation der Betrachter, das kephal organisierte Hauptgeschehen in der Mitte, an dem die versammelte Menge nur graduell abgeschwächt teilnähme, bis hin zur Reduzierung des Volks auf der Galerie zu Assistenzfiguren. Weder das Modell des politischen Körpers als organisches Ganzes, noch das der gesellschaftlichen Einheit (‚unité‘) bedeuten dabei einen Bruch mit den politischen Repräsentationskonzepten des Absolutismus. In dieser Interpretation der dargestellten Menge als geschlossener Körper wird das Scheitern des Bildes, das Kemp als unausweichliche Folge der Porträthaftigkeit beschrieben hat, zu einem reinen historischen Postskriptum und dem weiteren Verlauf der Revolution geschuldet. Denn „gescheitert“ ist Davids Gemälde tatsächlich: Es blieb bei der Vorzeichnung, die er im Salon des Jahres 1791 zeigte, das geplante Gemälde wurde nie fertiggestellt. Dies lag nicht nur an den Engpässen bei der Finanzierung des immensen Projekts. Als der Plan einer Subskription aus Mangel an Erfolg aufgegeben werden musste, sollte das Gemälde auf Staatskosten vollendet werden.88 Im einfachsten Sinn war dieses Scheitern durch den Wunsch nach porträtgenauer Darstellung verursacht: Die bildhafte Repräsentation der Schar der Abgeordneten wurde auf die Porträtierung einiger Protagonisten reduziert, und die Zeitläufte ließen viele der Köpfe rollen, die David hätte darstellen wollen: Bailly wurde im November 1793 guillotiniert, das Andenken des 1791 verstorbenen Mirabeau durch seine royalistische Haltung getrübt. Nur vier Porträtköpfe führte David in den folgenden zehn Jahren auf der unvollendet gebliebenen Leinwand aus (Abb. 57). Die für David unverzichtbare Porträthaftigkeit, die sich schließlich für das geplante Gemälde als undurchführbar erwies, verweist aber nicht so sehr auf die Repräsentation der Abgeordneten als geschlossener Körper oder als Menschenmasse, sondern auf das Begriffsspektrum der multitude. Die Menge als disparate Ansammlung musste notwendig in einzelne Individuen zersplittern (Abb. 58). Ein bildästhetisches Scheitern schon durch seine Konzeption kann David unter diesen Voraussetzungen nicht vorgeworfen werden: Die Repräsentation der Menge ist ein Paradoxon.
87 Baecque 1993, S. 763. 88 David hatte zuerst an ein vom Jakobinerklub unterstütztes Subskriptionsmodell gedacht, doch angesichts dessen geringen Erfolgs übernahm der Jakobinerklub die vollständige Finanzierung. Vgl. Antoine Schnapper, David. Témoin de son temps, Fribourg: Office du Livre, 1980, S. 109; Bordes 1983, S. 37, 50–54.
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57 Jacques-Louis David, Der Schwur im Ballhaus in Versailles am 20. Juni 1789, 1790–91, Öl auf Leinwand, Versailles, Musée national du château et des Trianons (Detail).
Der Schwur im Ballhaus sollte im zukünftigen Versammlungsraum der Abgeordneten angebracht werden, zur Identifikation jedes Einzelnen mit den politischen Grundlagen der Revolution. Statt des nie ausgeführten Gemäldes aber gelangte nur die Vorzeichnung an die Öffentlichkeit. Tatsächlicher Wirkungsort blieb, nach der ersten Präsentation der Zeichnung im Atelier des Künstlers, der erste freie Salon im September 1791, zu dem jeder Künstler und jede Künstlerin zugelassen war, gleich ob sie der Académie angehörten oder nicht. Die Zahl der Exponate wuchs gegenüber der vorhergehenden Ausstellung um das Zweieinhalbfache auf knapp 800 an. In der Ausstellung des Bilds im Salon erweiterten die Betrachter den Kreis der Dargestellten, die sie selbst in doppelter Form, politisch und bildlich, repräsentierten: politisch als die Vertreter des Dritten Standes, bildlich als die Weiterführung der zunehmend aufgelockerten Randzonen des Gemäldes, bis ins Reale des Ausstellungsraumes hinein. Noch war die Porträthaftigkeit im Bild nur angedeutet, noch nicht ausgeführt, es blieb vorerst bei dem Versprechen ihrer Einlösung. Der Autor einer Salon-Besprechung beschrieb die ideale Reaktion vor dem Gemälde als Teilhabe an dem dargestellten Geschehen, als eine Aufforderung an die Betrachter, selbst den Schwur vor dem Gemälde zu leisten:
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58 Jacques-Louis David, Figurenstudien (Skizzenbuch für Der Schwur im Ballhaus), ca. 1790, schwarze Kreide, Feder und Tinte, Versailles, Musée national du château.
„François, accourez, volez, quittez tout, précipitez-vous pour assister au serment du jeu de paulme, et si vous n’êtes pas brûlés, consumés de feu patriotique à ce foyer ardent, assurezvous bien que vous n’êtes pas digne de la liberté.“89
In diesem Text wurde die Darstellung des Schwurs im Ballhaus performativ gedeutet: Die appellative Hauptfigur, die selbst vom eigentlichen Geschehen abgewendet war, rief die Betrachter auf, diesem Folge zu leisten.90 Die revolutionäre Menge sollte in ihrer Teilnahme am Schwur die Wahrhaftigkeit des Geschehens bezeugen, die zugleich die politische Legitimation des Dritten Standes darstellte. Im Akt des Schwurs verbanden sich die dargestellte (historische) Menge im Bild und die zeitgenössische 89 [Ange-Marie] Pithou, Le plaisir prolongé, le retour du salon chez soi et celui de l’abeille dans sa ruche, Paris: [Fabre], 1791, [Collection Deloynes #437], S. 28–29. Vgl. den von diesem Zitat ausgehenden Artikel Heather MacDonalds, der mehrere hier wichtige Aspekte berührt: Heather MacDonald, Jacques-Louis David and the Politics of the Oath, in: Critical Sense, 4/2, 1996, S. 92–111. 90 Insofern unternahm David eine Radikalisierung der klassischen Rednerfigur, die sich zugleich an die im Bild dargestellten exemplarischen Figuren und an die Betrachter wendet. (Vgl. Eustache Le Sueur, Paulus predigt zu Ephesos, 1650, Paris, Louvre.)
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Menge der Ausstellungsbesucher, die Grenzen des Bildraums transzendierend, zu einer revolutionären Gemeinschaft in ihrem etymologischen Sinne: als Versprechen oder Schuld, als „Gabe und Verpflichtung“.91 Als Exponat im freien Salon des Jahres 1791 wurde Der Schwur im Ballhaus zu einem möglichen Wirkungsort eines der revolutionären Feste, wie sie ab Sommer 1789 in der Provinz und in Paris immer wieder spontan im Pflanzen eines Freiheitsbaums, der Verpflichtung zum Tragen der Kokarde und im gemeinsamen Schwören des Eides der Einheit und der Verfassungstreue begangen wurden: Das Zentrum des ersten organisierten Revolutionsfests am ersten Jahrestag des Bastillesturms, des Föderationsfests am 14. Juli 1790, das den Gestus der Kanalisierung und Reorganisation der spontanen Volksbewegungen wiederholte, bildete das Ablegen eines gemeinsamen Eids auf Nation, Gesetz und König. Louis XVI. schwor dabei auf die Verfassung. An dieser Stelle ist es lohnend, den genauen Wortlaut des im Bild dargestellten Eids vom 20. Juni 1789 in Erinnerung zu rufen. Der von Bailly verlesene Text, auf den die Abgeordneten schwören sollten, lautete: „L’Assemblée Nationale, considérant qu’appelée à fixer la Constitution du royaume, opérer la régénération de l’ordre public et maintenir les vrais principes de la monarchie, rien ne peut empêcher qu’Elle ne continue ses délibérations dans quelque lieu qu’Elle soit forcée de s’établir, et qu’enfin, partout où ses membres sont réunis, là est l’Assemblée Nationale; Arrête que tous membres de cette Assemblée prêteront à l’instant serment solennel de ne jamais se séparer et de se rassembler partout où les circonstances l’exigeront, jusqu’à ce que la constitution du royaume soit établie et affermie sur des bases solides et que, ledit serment étant prêté, tous les membres et chacun d’eux en particulier confirmeront par leur signature cette résolution inébranlable.“92
Der Schwur, einander unauflöslich verbunden zu sein und sich zu versammeln, wo auch immer es notwendig sei, wurde greifbar in derjenigen Gewissheit, die die Grundlage der revolutionären Eide bildete: Dort wo ihre Vertreter zusammenkommen, dort ist der Wirkungsort der Assemblée nationale. Die Zusammenkunft in der revolutionären Gemeinschaft bildete bereits die Grundlage politischer Legitimation. Und so war der Schwur nicht nur bildlich dargestellt. Die revolutionäre Gemeinschaft wurde im Salon, oder überall, wo Menschen dem Appell Baillys folgten, zur politischen Evidenz. Davids unabgeschlossene, konfliktuelle Darstellung des Ballhausschwurs fand nun eine sinnvolle Antwort in der unabgeschlossenen, wechselnden Menge der Ausstellungsbesucher.93 In diesem Sinne war Davids Bild eben ausdrücklich kein Histo91 Roberto Esposito, Communitas. Ursprung und Wege der Gemeinschaft, Berlin: Diaphanes 2004, S. 13–16, 26. 92 Schnapper 1980, S. 103–104. 93 Die Strategie der Einbeziehung des Publikums ist aus früheren Werken Davids bekannt. Thomas Puttfarken hat auf die Bedeutung der von den Zeitgenossen viel kommentierten kompositorischen
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riengemälde. Es sollte kein vergangenes Ereignis, keine vollzogene Handlung dargestellt werden, von der staunende Assistenzfiguren zeugen. Die Teilnahme wurde im Hier und Jetzt von den Betrachtern verlangt, die Wahrheit des Dargestellten sollte in der Gegenwart eingelöst werden. Die Vergegenwärtigung des Ereignisses war, wie Kemp es formuliert hat, „auf aktive Ergänzung und immer neue Antwort angelegt“.94 Die Entscheidung, die Zeichnung im Atelier und danach im Salon auszustellen, war nicht nur eine Konsequenz der öffentlichen Finanzierung des Projekts im Sinne eines Fortschrittsberichts an die Auftraggeber, sondern bedeutete eine Auflösung der Grenzen des Historienbildes im revolutionären Gegenwartsbezug. Die öffentliche Ausstellung bedeutete eine Kulmination des Projekts, die durch die Fertigstellung des Gemäldes kaum zu überbieten gewesen wäre. Die Utopie der Vergegenwärtigung der im Bild dargestellten politischen Handlung fand allerdings eine grundlegende Einschränkung: Frauen waren im absolutistischen Frankreich von der Möglichkeit des Eides ausgeschlossen. Dies erklärt, wieso die Menge der Abgeordneten nur Männer umfasst, wieso nur die männlichen Besucher des Salon in der Ausstellungskritik angesprochen werden. Frauen finden nur auf der Galerie des Bildes Platz, inmitten der versammelten Zeugen des Dritten Stands, die von den Repräsentanten unten im Raum vertreten werden. Mit dieser konstitutiven und folgenreichen Einschränkung evozierte der Schwur im Ballhaus die revolutionäre Gemeinschaft im Salon. Die unvollendete bildnerische Darstellung fand ihre Parallele in der unabgeschlossenen politischen Repräsentation, die erst durch den Rezeptionsprozess stetig erneuert werden sollte. Die Symbolisierung der Gemeinschaft in der Darstellung ihres historischen Gründungsmythos hätte deren Ende bedeutet: So wie die ‚Schließung‘ der Gesellschaft war die ‚Schließung‘ des Gemäldes zum Historienbild unmöglich. Der ‚offene‘, unabgeschlossene Zustand der multitude entzog sich den Möglichkeiten politischer Repräsentation. Auf die Ausstellungsbilder John Singleton Copleys berief David sich nie explizit, und doch eignen sich die ‚öffentlich‘ finanzierten Gemälde der beiden Künstler für einen Vergleich. Der Schwur im Ballhaus war von den ‚Freunden der Konstitution‘, dem Jakobinerklub, finanziert und thematisch ebenso wie strukturell dem zeitgenössischen revolutionären Publikum gewidmet. Copley machte das zahlende Publikum zu seinem Empfänger, zur materiellen Bedingung der Darstellung, auch wenn es Zweiteilung von Davids Brutus (1789) hingewiesen, die auf den moralischen Zwiespalt der Hauptfigur verweist. In der Offenheit des Kunstwerks wird die Rolle der Betrachter gestärkt: Rezeption ist nicht nur notwendig, um das Gemälde zu beurteilen, sondern um es zu vollenden und dem inneren Konflikt der Hauptfigur Rechnung zu tragen. Vgl. Puttfarken 1981 sowie Oskar Bätschmann, Das Historienbild als „tableau“ des Konflikts. Jacques-Louis Davids „Brutus“ von 1789, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte, 39, 1986, S. 145–162, 281–292 und Stefan Germer/Hubertus Kohle, From the theatrical to the aesthetic hero: On the privatization of the idea of virtue in David’s Brutus and Sabines, in: Art History, 9/2, 1986, S. 168–184. 94 Kemp 1986, S. 181.
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nicht unmittelbar politisch in die Darstellung oder Präsentation der Historiengemälde eingebunden war. Nach der Revolution kam David gerne auf Copleys Präsentationskonzept zurück, wobei er die politische Aufwertung des Kunstunternehmens gleichsam nachreichte. Ab Dezember 1799 stellte er in den verlassenen Räumen der Académie d’architecture im Louvre, außerhalb des Salon, sein Historiengemälde Die Sabinerinnen aus, wobei er sich dabei auf antike Vorbilder wie Zeuxis und auf den auf diesem Gebiet zwar wenig erfolgreichen, aber als Präsident der Royal Academy höher als Copley stehenden Benjamin West berief. Dieses Gemälde war, so wie Copleys Historienbilder, in erster Linie Ausstellungsgegenstand (auch wenn es zwei Jahrzehnte später von Ludwig XVIII. angekauft wurde). Jeder Besucher erhielt das Begleitheft zur Ausstellung (Le Tableau des Sabines exposé publiquement), in dem David La Font de Saint Yennes Parallele zwischen dem gedruckten Buch und dem ausgestellten Bild aufgriff, doch nur, um sie zu widerlegen: Die Situation eines bildenden Künstlers sei nicht mit der eines Autors zu vergleichen. Stattdessen empfahl David das Vorbild des Theaters, in dem das Publikum vorher, vor dem Kunstgenuss, bezahlen solle.95 Die kommerzielle Ausstellung erlaubte die Differenzierung zwischen ästhetischen und kommerziellen Interessen: Finanziert durch die Eintrittsgelder der Gemeinschaft und losgelöst vom Verkaufszwang, sei eine spätere Schenkung des Bildes an das Vaterland möglich. So werde das Kunstwerk freigesetzt von den Zwängen des Markts und könne letztlich ‚allen‘ gehören.96 Das Modell der Einzelbildpräsentation ermöglichte David nicht nur finanziellen Gewinn, sondern auch die Selbstpositionierung als unabhängiger Maler, nach den wechselnden Patronagesituationen des Ancien Régime und der Revolution. Während der Revolution, als Kunstpolitiker, hatte David den Höhepunkt politischer Einbeziehung seines Publikums im Schwur im Ballhaus nicht zu überbieten vermocht. Die zunehmend komplexer inszenierten revolutionären Feste bestanden in der Regel aus organisierten Prozessionen des Volks und seiner Vertreter, die mehrere Stationen durchliefen, um dort symbolische Handlungen zu setzen.97 Ein Beispiel dafür war die Fête de l’Unité et de l’indivisibilité de la République am 10. August 1793, bei der auf den Trümmern der Bastille ein Springbrunnen in Form einer ägyptischen Isis-Skulptur als Symbol der Natur installiert wurde. Von dem Wasser dieser Fontaine de la régéneration tranken zuerst der Präsident der Feste, Marie-Jean Hérault, und dann, in alphabetischer Reihenfolge, die Deputierten der Departements. Bei diesem Fest kam erstmals eine von David konzipierte monumentale Herkules-Statue zur Verwendung, die in der Logik der Prozession als Symbol des Volks eine herausra95 Annie Becq, Artistes et marché, in: Bonnet 1989, S. 87–88. 96 Ebd., S. 88. Vgl. Antoine Schnapper, Jacques-Louis David 1748–1825, Kat. Paris, Musée du Louvre/ Versailles, Musée national du château, Paris: Editions de la Réunion des musées nationaux, 1989, S. 328–336. 97 Zu Davids Beiträgen zu den Festen: Schnapper 1980, S. 130–146. Zu den Revolutionsfesten generell: Mona Ozouf, La fête revolutionnaire 1789–1999, Paris: Gallimard, 1976.
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gende Stellung einnahm. David entwickelte daraus das Projekt einer monumentalen, mit 15 Metern Höhe alle königlichen Denkmäler weit überragenden Bronzestatue, die, wiederum das Volk symbolisierend, auf dem Pont Neuf aufgestellt werden sollte. Auf der Stirn dieses Giganten sollte ‚LUMIÈRE‘ geschrieben stehen, auf seiner Brust ‚NATURE, VERITE‘, auf seinen Armen ‚FORCE‘ und den Händen ‚TRAVAIL‘.98 Dieser beschriftete Koloss, der, wie Lynn Hunt bemerkt, selbst als wenig intelligent charakterisiert, des Artikulationstalents des Künstlers bedurfte, zeigt die Spannungen und Widersprüche in der radikal-revolutionären Repräsentation. Indem David die Herkulessymbolik aufnahm, um die Überwindung der Monarchie und die Souveränität des Volks darzustellen, erzeugte er seine bildliche Repräsentation aus der Sicht ihrer Vertreter, aus einer Autorität außerhalb des Volks heraus: „even as the image proclaimed the supremacy of the people, it reintroduced the superiority of the people’s representatives.“99 Dies unterstreicht die Funktionalität des Konzepts der unité, dem sich auch die Revolutionäre verpflichtet sahen, die das Bild des Königs kippten, um es dann durch ein neues Bild der Einheit und der Geschlossenheit zu ersetzen. Klaus Herding hat vorgeschlagen, Davids Inszenierung des Marat à son dernier soupir vor dem vorüberziehenden Volk als eine demonstrative Anlehnung an den Apelles-Mythos zu interpretieren.100 Dieser Befund wirft ein charakteristisches Licht auf David: Wie kein anderer Künstler, keine andere Künstlerin des 18. Jahrhunderts inszenierte er seine Hinwendung zum Publikum und integrierte es als aktiven Teilnehmer an der Kunst: sei es in den ‚Ausstellungsperformances‘ der 1780er-Jahre, im Schwur im Ballhaus, in seiner Rolle als Kunstminister in der Revolution oder in den Einzelbildpräsentationen. Das Ethos des Künstlers, der vollständig der Zeitgenossenschaft verpflichtet war, formulierte er vor der Convention nationale: „Il faut [...] qu’il soit philosophe.“101 Seine programmatische Hinwendung zu einem zeitgenössischen Sujet und sein nachdrücklicher Gegenwartsbezug stellten das Echo des politischen Credos Sieyès’ dar, der 1789 die politischen Repräsentanten des revolutionären Frankreich davor gewarnt hatte, ihre Vorbilder in der Geschichte oder in einer von dieser geprägten politischen Theorie zu suchen. Stattdessen fände jeder Abgeordnete seinen Maßstab zum richtigen Handeln in der Gegenwart, in den Bedürfnissen seiner Zeit und der Klarheit des philosophischen Denkens – kurz, in der Aufklärung. Für David galt: Künstler und Aufklärer zu sein war eins, zusammengeführt in der umfassenden Hinwendung des Künstlers zu seiner Gegenwart, und damit zur zeitge 98 Zur Symbolik des Herkules und dem Statuenprojekt Davids: Hunt 1984, S. 94–100; Schnapper 1980, S. 141–142. 99 Hunt 1984, S. 100. 100 Klaus Herding, Rezension von: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985, in: Kunstchronik, 41, 1988, S. 439. 101 Jacques-Louis David, Rapport à la Convention nationale, sur le Jury national des Arts, 1793, zit. nach: Marie-Catherine Sahut/Régis Michel (Hgg.), David. L’art et le politique, Paris: Gallimard, 1988, S. 160.
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nössischen Gesellschaft. Im Schwur im Ballhaus verwandelte sich diese Inszenierung der Hinwendung des Künstlers zu seinem Publikum für einen kurzen Moment in eine Möglichkeit politischer Teilnahme – einer Teilnahme, der das Scheitern des Gemäldes in aller Konsequenz Rechnung trug. Denn David vertrat eine aufklärerische Haltung, wie sie Michel Foucault beschrieben hat, einen Gegenwartsbezug, der aus dem Denken „ein aufschlussreiches Moment im historischen Verlauf oder umgekehrt ein privilegiertes Mittel zur Entzifferung der Geschichte selbst macht“,102 eine Legitimitätsprüfung der Gegenwart vor den Augen der Geschichte. Und so findet die Eingangsfrage nach der Verfasstheit einer Kunst der Aufklärung eine mögliche Antwort. Öffentlichkeitsbezug entwickelt sich demnach nicht durch eine akkumulative Erweiterung von Präsentations- und Bewertungsrahmen bildender Kunst, sondern durch eine künstlerische Neupositionierung zur zeitgenössischen Gesellschaft innerhalb eines geschichtsphilosophischen Bewusstseins: als eine Haltung der Moderne,103 die in der geschichtsbewussten und zugleich gegenwartsbezogenen künstlerischen Praxis Jacques-Louis Davids exemplarisch vorgeführt ist.
102 Joseph Vogl, Einleitung, in: ders. (Hg.), Poetologien des Wissens um 1800, München: Fink, 1999, S. 8–9. 103 Michel Foucault, Was ist Aufklärung?, in: Eva Erdmann/Rainer Forst/Axel Honneth (Hgg.), Das Ethos der Moderne. Foucaults Kritik der Aufklärung, Frankfurt a. Main: Campus, 1990, S. 42.
7. Das Publikum im Museum Nur die radikalsten vorrevolutionären Pamphlete ließen die multitude in all ihrer Unabgeschlossenheit und Unschließbarkeit an die Stelle von public treten. Die meisten Autoren waren nicht bereit, die Eigenschaften des traditionellen Publikumsmodells aufzugeben. Man erinnere sich an Charles Coypels Anrufung des Publikums als Souverän, die die traditionellen Widmungsformen ohne tiefgreifende Modifikation auf das anonyme Marktpublikum der 1730er-Jahre übertragen hatte. Ähnliches lässt sich für das späte 18. Jahrhundert beobachten. Die politische Prägung und Aktivierung von public als Öffentlichkeit bedeutete nicht das Ende des monarchischen Repräsentationssystems. Keith Michael Baker hat diesen Prozess als „transfer of ultimate authority from the public person of the sovereign to the sovereign person of the public“ dargestellt, und dies bedeutete zugleich die Übertragung der Eigenschaften des öffentlichen Souveräns auf den neuen Souverän Öffentlichkeit: „Construed as rational, universal, impersonal, unitary, it took on many of the attributes of the absolute monarchical authority it was replacing, just as it prefigured many ambiguities of the revolutionary will to which it in turn gave way.“1 Mona Ozouf und Sarah Maza haben betont, dass das politische Prinzip der gesellschaftlichen Einheit (Unité), die der monarchischen Ordnung zugrunde lag und durch die Verkörperung der Macht im König gewährleistet gewesen war, auch während der Französischen Revolution rasch zum verbindlichsten politischen Argument wurde. Die meisten Autoren zögerten, Mehrheitsentscheidungen vorzuschlagen: Das Prinzip der Einheit blieb das primäre politische Argument.2 An die Stelle des Königs trat die Öffentlichkeit, imaginiert als thronender Richter, in der traditionell dem Monarchen vorbehaltenen Rolle des urteilenden Souveräns. Es ist bezeichnend, dass eine Satire des Jahres 1783 die öffentliche Meinung als ein Repressionsmittel beschreibt, als eine „malheureuse chimère“, die zur Entfremdung der einzelnen Individuen von ihren Meinungen und Empfindungen führe.3 Public bedeutete die Imagination einer hypostasierten, einheitlichen Öffentlichkeit, ein quasimonarchisches Konstrukt. Es ist nur konsequent, dass für beide Machteinheiten nebeneinander kein Platz war: „There was no public opinion under Louis XIV, for the brilliance of the monarch outshone it. Similarly, when public opinion had become king, it left no place for royal authority.“4 Dies machte, wie die Revolutionäre wussten, die Enthauptung des Königs notwendig, der in sich Macht, Recht und Wissen vereinigte. Wie Claude Lefort geschrieben hat, wurde der Ort der Macht (des 1 2 3 4
Baker 1990, S. 172, 198. Ozouf 1988; Maza 2003, S. 80–101. Wrigley 1993, S. 109. Ozouf 1988, S. 10.
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Rechts und des Wissens) durch diesen Akt im wörtlichen Sinne entkörperlicht und disloziert. Damit war die demokratische Bedingung der Unbesetztheit des Orts der Macht ermöglicht: Macht wird im demokratischen politischen Wettstreit ausgeübt und kann nur vorübergehend ergriffen werden. Ohne das substanzialisierende Prinzip eines lokalisierenden Ursprungs von Macht, Wissen und Recht ist es die Aufgabe der Gesellschaft, sich immer wieder neu zu formieren und im grundlegendsten Sinne konstitutiv unabgeschlossen zu sein. Der Ort der Macht bleibt eine Leerstelle, die in der Demokratie immer wieder neu verhandelt werden muss.5 Mit seiner Bemerkung über die Schwierigkeiten einer Lokalisierung des Publikums hatte Charles Coypel den Boden einer grundlegenden Demokratisierung berührt, so wenig er diese selbst in aller Konsequenz begrüßt hätte. Der Umgang mit dem Öffentlichkeitsbegriff im 18. Jahrhundert erinnert daran, dass der ‚ungeköpfte‘ Metabegriff der Öffentlichkeit schon zuvor an unterschiedlichen historischen Momenten als unversehrter, vollständiger Körper an die Stelle des Königs gesetzt werden konnte: Dies gilt besonders für die zahlreichen Anrufungen des Publikums in den livrets der 1730er- und 1740er-Jahre. Du Bos’ Konzept eines Publikums, das sich durch die Übereinstimmung aller und zu allen Zeiten auszeichnete, hatte auf Universalismus abgezielt, und Diderots Tätigkeit des schöpferischen Kritikers eine kraftraubende, fast übermenschliche Vereinheitlichung der Stimmen der Menge bedeutet. Auch der radikaldemokratische Moment der Revolution wurde schon bald von totalitären Tendenzen überholt. An die Stelle des geköpften Königs trat die totale Einheit des gemeinsamen Willens, die in sich, einmal mehr, Macht, Recht und Wissen vereinte. Gegen Ende des Jahrhunderts entstand ein neues Konstrukt, das diejenigen Funktionen zu übernehmen begann, die zuvor dem Publikum zugeschrieben worden waren: das Museum. Als Dispositiv ästhetischer Valorisierung institutionalisierte das Museum den traditionellen Publikumsbegriff und trat an die Stelle der verstreuten, von kommerziellen und anderen Befangenheiten geplagten Betrachter. Es ist durchaus möglich, mit dieser Behauptung bei Leforts Beschreibung der Dislozierung der Macht zu bleiben. Denn Lefort hat auch die bürgerliche Abwehrbewegung gegen die Bedrohung („menace“) der Auflösung der Gesellschaft beschrieben, der Institutionen als Bollwerke entgegengestellt wurden, um ihre Wertvorstellungen zu verteidigen und zu erhalten.6 Die Eröffnung eines öffentlichen Museums im Louvre war bereits ein Anliegen des Marquis de Marigny gewesen. Doch trotz seiner Bemühungen und der seiner Nachfolger, allen voran der Kunstadministration d’Angivillers, gelang es während
5 Claude Lefort, L’image du corps et le totalitarisme, in: Lefort 1981, S. 170–173; ders., Fortdauer des Theologisch-Politischen?, Wien: Passagen 1999, S. 93–94 bzw. ders., Permanence du théologico-politique, in: Essais sur le politique, Paris: Éditions du Seuil, 2001, S. 326–239. 6 Lefort 1981, S. 173.
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des Ancien Régime nicht mehr, das Projekt zu vollenden.7 Das nationale Kunstmuseum des Louvre wurde erst zum Fest der Einheit (Fete de l’Unité Nationale) am 10. August 1793 eröffnet. Im Direktorium und im Empire folgte man dem Hängungskonzept nach verschiedenen Schulen, das bereits d’Angiviller projektiert hatte. Die französischen Kunstwerke hingen dabei in unmittelbarer Nähe des Salon, in dem immer noch die temporären Ausstellungen stattfanden. Diese Trennung spiegelt eine nun bekannte Aufteilung wider: Von der zeitgenössischen Ausstellung im Salon in den überzeitlichen Louvre zu gelangen, war eine Auszeichnung, die nur einer kleinen Auswahl von Kunstwerken zuteil wurde, die mit ihrem Eintritt in das Museum in die Geschichte eingehen sollten. Die traditionellen Eigenschaften und Rollen des Publikums – als Maßstab und Kanon über die besten Kunstwerke (semper ubique) zu wachen – waren nun im Museum verfestigt. Diese Adaption des Ruhmesdiskurses und seine Fortführung im Museum zeigt die Institutionalisierung des Öffentlichkeitscharakters während der Revolution. Es ist aufschlussreich, dass schon früh die Sorge geäußert wurde, das Museum als Instrument der Aufbewahrung könne zugleich zu einem Versteck werden und so den Öffentlichkeitscharakter bildender Kunst reduzieren.8 In seiner Untersuchung der ‚Erfindung‘ des Louvre hat Andrew McClellan auf die Grundfunktion des Museums verwiesen, wie sie von der absolutistischen Kunstpolitik evoziert wurde: „d’Angiviller was inspired by a vision of a museum in which time might be suspended and the art of the past, present, and future preserved for posterity.“9 Diese Vision einer Hypostasierung des Zeitbegriffs hat Michel Foucault als „Heterotopie der Zeit“, als „einen Raum aller Zeiten“ beschrieben, als einen Wunsch, „gleichsam die Zeit anzuhalten“.10 Bezieht man den traditionellen Ruhmesbegriff in diese Konzeption ein, dann ist die Parallele zum Museum als „Raum aller Zeiten“ evident. Die Vision des Museums ist die der Ganzheit, des gemeinsamen Ursprungs und der gemeinsamen Bestimmung der Werke, an einem Ort vereint zu sein, der ein vollständiges kulturelles Gedächtnis verkörpert. Friedrich Schlegel schrieb im Herbst 1802, nach einem Besuch des Louvre: „Alle Kunstwerke einer Gattung gehören zusammen, und sie selber erklären sich gegenseitig am besten.“11 Ein solches Museum, dessen Ordnung von der (Kunst-)Geschichte 7 Zur Entstehung des Louvre: McClellan 1994. Zur Interpretation des Museumsprojekts als eine Schimäre, eine Vision des Ancien Régime, Jean-Rémy Mantion, Déroutes de l’art, in: Bonnet 1989, S. 97–129. 8 Jean-Rémy Mantion, Déroutes de l’art, in: Bonnet 1989, S. 110. 9 McClellan 1994, S. 70. 10 Michel Foucault, Die Heterotopien. Der utopische Körper, Frankfurt a. Main: Suhrkamp, 2005, S. 16. 11 Friedrich Schlegel, Ansichten und Ideen von der christlichen Kunst, Hg. Hans Eichner, München/ Paderborn/Wien: Schöningh, 1959, S. 12 (Nachricht von den Gemälden in Paris, an einen Freund in Dresden). Vgl. Schlegels spätes Echo auf Charles Coypels Zweifel an einer einfachen Lokalisierung des Publikums: „Mancher redet so vom Publikum, als ob es jemand wäre, mit dem er auf der Leipziger Messe im Hôtel de Saxe zu Mittage gespeist hätte. Wer ist dieser Publikum? — Publikum
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bestimmt wird, in dem die Werke einander erklären, bedarf zu seiner Legitimierung keines Publikums und keiner Kritiker mehr. Auf treffende Art fügt sich darin die Vorstellung eines zu Ende des 18. Jahrhunderts neu auftretenden Akteurs, des Kunsthistorikers, ein, dessen Aufgabe nicht mehr darin besteht, ein Echo des Publikums oder der Menge zu sein, sondern die Kunstwerke selbst zum Sprechen zu bringen: „[C]’étaient surtout les monuments qui devaient parler, je ne me chargeais, en quelque sorte, que d’écrire sous leur dictée, tout au plus d’expliquer et de commenter quelquefois leur langage“, beschrieb Séroux d’Agincourt seine Arbeit.12 Gegenüber der dialoghaften, gemeinschaftlichen Kunstrezeption, in der sich der Wert eines Werks offenbarte, war das Gespräch des Historikers mit den Kunstwerken ein Fachgespräch, und nicht ein Gespräch mit der zeitgenössischen Gesellschaft, sondern mit der Geschichte. Das 18. Jahrhundert war gekennzeichnet vom Bemühen, die Rolle der bildenden Kunst in der zeitgenössischen Gesellschaft zu bestimmen. Bei allen Einschränkungen und Relativierungen war diese Rolle niemals so umfassend positiv formuliert wie zu Beginn des Jahrhunderts, und vor allem der französische Diskurs zeigt intensive Bemühungen, den universalistisch gedachten Publikumsbegriff intakt zu halten. Am Ende des Jahrhunderts hatte sich dieses Denken erschöpft. Die positiv gefassten Publikumstheorien waren an ihr vorläufiges Ende gelangt. An die Stelle des Ideals der gemeinschaftlichen Kunstrezeption trat die Ausdifferenzierung und Trennung der verschiedenen Akteure des Kunstsystems. Im Salon des Jahres 1781 zeigte Louis Lagrenée ein Gemälde, das, wie der Verfasser der Mémoires secrets ironisch bemerkte, eine „satire pittoresque“ darstellte, „dirigée spécialement contre les critiques de l’Académie, et par consequént contre moi.“13 (Abb. 59) Doch es war nicht mehr Unzufriedenheit mit einzelnen Fehlurteilen und Pamphleten, die der Künstler zum Ausdruck brachte, sondern ein umfassenderes Gefühl, von der Kritik und dem Publikum nicht verstanden zu werden. Hoffnung für die Malerei war nicht mehr vonseiten der Betrachter zu erwarten, sondern blieb ein bildinternes, allegorisches Phänomen: Die Amour des arts, die in Lagrenées Gemälde die Malerei tröstet, ist kein exzellenter Kenner, kein einfühlsamer Kunstliebhaber, sondern ein Putto. Der bereits zuvor konturierte Antagonismus zwischen Künstlern und ihrem Publikum wurde nun nachdrücklicher formuliert. „[L]’Artiste n’est à sa place qu’au sein des Artistes, il y doit chercher sa gloire comme il y doit trouver son plaisir“,14 hatte ist gar keine Sache, sondern ein Gedanke, ein Postulat wie Kirche.“ Zit. nach Friedrich Schlegel, Kritische Fragmente, in: Friedrich Schlegel. Werke in zwei Bänden, Berlin/Weimar: Aufbau, 1988, I, S. 169. 12 Séroux d’Agincourt, Histoire de l’art par les Monumens (1789/1811–13), zit. nach Germer/Kohle 1991, S. 303. 13 Fort 1999, S. 235–236. 14 [Louis-François-Henri Lefébure], Le Triumvirat des Arts, Aux Antipodes: [s. n.], 1779, [Collection Deloynes #305], S. 13.
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59 Louis Lagrenée l'ainé, L'Amour des arts consolant la peinture des écrits ridicules et envenimés de ses ennemis, 1781, Öl auf Holz, Paris, Musée du Louvre.
Lefébure bereits in den 1770er-Jahren geschrieben. Auch wenn die zeitgenössische Anerkennung durch die Öffentlichkeit ein wichtiges Spektakel darstellte: als ästhetische Orientierung blieben nur die anderen Künstler, insbesondere diejenigen der Vergangenheit und der Zukunft, die im überzeitlichen Kanon festgehalten waren. Diese Abgrenzung vom Publikum im Sinne einer Abgrenzung von der zeitgenössischen Gesellschaft konnte auch in ein Ideal umformuliert werden, wie dies in der deutschen Ästhetik geschah: Wenn Karl Philipp Moritz die Kunst in ihrer äußeren Zwecklosigkeit definierte und sie als „in sich selbst vollendete zweite Natur“ beschrieb, so führte ihn dies notwendigerweise, und mit wenig Bedauern, zur Empfehlung, sich von der zeitgenössischen Gesellschaft abzugrenzen: „Der wahre Künstler wird die höchste innerste Zweckmäßigkeit oder Vollkommenheit in sein Werk zu bringen suchen; und wenn es dann Beifall findet, wird’s ihn freuen, aber seinen eigentlichen Zweck hat er schon mit der Vollendung seines Werks erreicht.“15 Der Rückzug der Kunst aus der Gesellschaft am Ende des Jahrhunderts gestaltete sich für viele Künstler jedoch deutlich konfliktreicher. Die Rückgriffe auf den Topos des unverstandenen, unerkannt und unbelohnt bleibenden Künstlers wurden häu15 Karl Philipp Moritz: Versuch einer Vereinigung aller schönen Künste und Wissenschaften unter dem Begriff des in sich selbst Vollendeten, in: Karl Philipp Moritz, Schriften zur Ästhetik und Poetik, Hg. Hans Joachim Schrimpf, Tübingen: Niemeyer, 1962, S. 3–9 (Zitat: S. 8). Vgl. Schillers Empfehlung, sich ganz von seiner Zeit loszusagen, ihr Urteil zu verachten, und sein Ideal stattdessen „schweigend in die unendliche Zeit“ zu werfen. Zit. nach Friedrich Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Hg. Wolfhart Henckmann, München: Fink, 1967, S. 102–103.
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60 [Anon.], François Boucher, Die Malerei, umgeben von Neid, Dummheit und Missgunst, um 1800, lavierte Federzeichnung, Paris, BN.
figer. Von den Zeitgenossen, so schien es nicht nur James Barry, war kein Lohn zu erhoffen. Selbst François Bouchers Frontispiz zu Jean-Bernard Le Blancs Lettre sur l’exposition des Jahres 1747 (Abb. 36), das Falconet solche Genugtuung verschafft hatte, war nicht vergleichbar mit dieser neuen umfassenden Abwendung der Künstler vom zeitgenössischen Publikum. In Bouchers Radierung wandte sich die zum Schweigen verurteilte Malerei den Betrachtern zu. Es gab Hoffnung auf ein verständiges Publikum, das nämlich, das die nachfolgende Ausstellungskritik Le Blancs lesen würde, und diese Kritik war zugleich das Sprachrohr der stummen Malerei, das ein gerechtes Urteil über die Kunst festhalten und kommunizieren würde. In der Pariser Bibliothèque nationale ist eine anonyme Nachzeichnung aufbewahrt, die Bouchers Vorlage mit Änderungen aufgriff (Abb. 60): Zu Neid, Dummheit und Trunkenheit waren nun zwei bebrillte Figuren gestoßen, eine davon mochte in ihrem professoralen Habitus auf den Typus des trockenen Theoretikers verweisen. Im Hintergrund hatte sich die ignorante Menschenmenge ins geisterhafte Unendliche vervielfacht. Die Konsequenz war fatal: Anders als in der früheren Fassung hatte die Malerei, nun ohne Hoffnung auf Verständnis, den Kopf gesenkt. Damit war auch das Beispiel des Apelles ad absurdum geführt, der sich hinter der Staffelei verbirgt, um den Kommentaren der Menge zu lauschen: Diesen Meinungen sollte kein Künstler folgen.
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61 [Anon.], Le sort des artistes, um 1800, Radierung, Paris, BN.
Ein anderer, ebenfalls anonym publizierter Stich (Abb. 61) markiert in ähnlicher Weise die Distanz zu den früheren Auseinandersetzungen mit dem Publikum. Nun ist der Künstler (nicht mehr die Malerei als Gattung oder System, sondern das vereinzelte Individuum) in jeder Hinsicht isoliert – von der spottenden Menge, von seinem Werk, von den Betrachtern. Draußen auf der anderen Seite der Leinwand kritisiert die multitude: Neid und Dummheit stehen an vorderster Stelle, ein kleiner Junge bezeichnet eine Stelle im Bild, selbst Kleinkinder werden dem Gemälde entgegengehalten. Die Ansammlung von Figuren mit Tierköpfen im Hintergrund mag auf die Kritiker verweisen.16 Den Kommentaren dieser Menge ist keinesfalls zu folgen, der Künstler hält sich die Ohren zu. Die Anrufung des Publikums durch Apelles bringt keinen Nutzen, sondern verdeutlicht die zunehmende Vereinsamung des Künstlers. Das Blatt trägt den Titel Le Sort des Artistes – das unvermeidliche, schicksalhafte Los des wahren Künstlers war es, unverstanden vom zeitgenössischen Publikum zu sein, und es blieb ihm nur dessen idealistische, im Bild unsichtbare Hülle, die Nachwelt. Die lautstarke Kritik, die der Künstler nicht erträgt, ist symptomatisch. Die Rückübersetzung des Bilds in die Sprache, die von der Begeisterung der Vecchiarella und von Diderots produktiver Entflammung vor dem Gemälde gezeugt hatte, verstummte zusehends. Jonathan Richardson hatte seine Leser ermuntert, am Beginn ihrer Kennerschaft einen Dialog vor den Bildern zu imaginieren, um den Bildern
16 Als Tierpersonifikationen (Eule, Schwein, Hund und Esel) treten die Kritiker der bekanntesten Zeitungen des spätrevolutionären Frankreich in einer Radierung mit dem Titel Artistes, voilà vos juges auf. (Paris, Bibliothèque nationale, Kc 164, t. VIII.)
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nahe zu kommen.17 Am Beginn der Salon-Ausstellungen hatte die Stille vom Schweigen der ignoranti gezeugt, die der richtigen Worte nicht mächtig waren und aus dem Gemälde keinen ‚sprachlichen Genuss‘ ziehen konnten. Für anspruchsvollere Betrachter konnte das eigene Unvermögen, über Bilder sprechen zu können und ihnen so gerecht zu werden, zu Verzweiflung führen. Über eine 1741 ausgestellte Vedute hieß es: „Je suis fort embarassé de vous dire ce qu’on en pense. Personne ne parle, on reste là surpris, saisis, immobiles. Il n’y a qu’un cri confus qui exprime mieux le ravissement que les paroles. Mais qu’on ne saurait vous faire sentir. La langue balbutie pour en vouloir trop dire, la bouche se ferme & ce sont les yeux qui parlent. [...] [I]l ne reste que le désespoir de n’en pouvoir parler assez dignement.“18
Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurde die „Kunst des Schweigens“ (Wolfgang Kemp)19 zu einem Ideal. Über John Singleton Copleys Gemälde The Death of the Earl of Chatham hieß es anerkennend, „The general Effect of the Painting is astonishing; for the Room, whatever Number of People it contains, is silent, or the Company whispers as at the Bed of a sick Person.“20 Eine ähnliche positive Einschätzung des Verstummens vor dem Bild wäre für das 17. Jahrhundert deutlich schwieriger vorstellbar. Diese Stille haben Bourdieu und Darbel als ein Ideologem bürgerlicher Geschmackskonzeption beschrieben: Die Naturalisierung der Kultur drückt sich im Schweigen aus, es gibt keinen Erklärungs-, keinen sprachlichen Vermittlungsbedarf.21 Wolfgang Kemp hat auf Daniel Chodowieckis Illustrationen Natürliche und Affektierte Handlungen des Lebens aus der 1779 und 1780 publizierten Serie des Göttinger Taschenkalenders verwiesen, in der sich die Kunstkenntnis der Betrachter im ruhigen, kontemplativen Verhalten ausdrückt. In der „Dyade Individuum – isoliertes Kunstobjekt“22 wurde das Problem der sprachlichen Übersetzung der Kunstrezeption greifbar: Die Sprache war nicht mehr in der Lage, sich mit dem Bild zu messen. An die Stelle des Dialogs trat die Vereinzelung, die Kunstbetrachtung sollte in der „silence de la solitude“23 geschehen. Dieser Rückbezug in die eigene Empfindsamkeit kehrte wieder in der Empfehlung der Kunstrezeption als Versenkung in das Innerste: Nicht der gesellschaftlich17 Jonathan Richardson, Essay on the Theory of Painting, London: [s. n.], 1715, S. 44–45. 18 [anon.], Lettre à Monsieur de Poiresson-Chamarande, [s. l.] [s. n.] [s. a.], [Collection Deloynes #14], S. 45–46. 19 Wolfgang Kemp, Die Kunst des Schweigens, in: Thomas Koebner (Hg.), Laokoon und kein Ende. Der Wettstreit der Künste, München: Edition Text + Kritik, 1989, S. 96–119. 20 St. James’s Chronicle, 9.–12. Juni 1781, S. 4. 21 Pierre Bourdieu/Alain Darbel, L’amour de l’art. Les musées d’art européens et leur public, Paris: Les Éditions de Minuit, 1985, S. 146: „la culture ne s’accomplit pas qu’en se niant comme telle“. 22 Kemp 1989, S. 108. 23 Quatremère de Quincy, nach Edouard Pommier, Quatremère de Quincy et la destination des ouvrages de l’art, in: Démoris 1990, S. 41.
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zeitgenössische Bezug stand an vorderster Stelle. Die höhere, sinnstiftende Kraft der Ästhetik bestand nicht mehr primär in der gesellschaftlichen Verbindlichkeit ihrer Wertkonzeptionen, sondern geschah durch die Interaktion mit dem Kunstwerk selbst. Diese Hinwendung zu einer überzeitlichen höheren Natur war in Edmund Burkes Unterscheidung zwischen dem Schönen und dem Sublimen enthalten, die auch in einer rezeptionsästhetischen Differenzierung fassbar war. Während die Betrachtung der Schönheit eine soziale Dimension enthielt und die Erfahrung der „kinship“ (Verwandtschaft) mit diesem Schönen ermöglichte, führte die Betrachtung des Sublimen zum Bewusstsein der Erkenntnis des Anderen und der Differenz, zur Vereinzelung.24 Damit war ein ästhetisches Ideal formuliert, das in einer Absetzung von der Gemeinschaft bestand. Künstler, Kunstwerk und Publikum waren die neuen und nun klar ausdifferenzierten Akteure des Handlungsraums bildender Kunst zu Ende des Jahrhunderts. Neben der Institutionalisierung des Publikumsanspruchs bildender Kunst im Museum entstand das Ideal einer rein selbstreferenziellen Malerei in ihrer Abwendung vom zeitgenössischen Publikum, die in ihrer Gegenwart ohne Adressaten bleiben muss: „L’avant-garde commence quand on ne sait plus à qui l’art s’adresse“.25 Traditionelle Öffentlichkeitstheorien hinterließen noch weit bis in das 18. Jahrhundert hinein ihre Spuren. Dies führte zu Begrifflichkeiten, die nicht emanzipatorisch oder demokratisch geprägt waren und zu einem Verständnis von Öffentlichkeit, das nicht nur prinzipiell kritisch oder widerständig, subversiv oder oppositionell gedacht werden konnte, sondern mit jeder Öffnung auch eine Schließung unternahm. ‚Kunstöffentlichkeit‘ entwickelte sich in einem konfliktreichen Prozess, in dem sich auch die Zugangsberechtigungen zur Institution Kunst immer wieder veränderten und neu ausdifferenzierten. Dabei war das ‚Publikum‘ auch ein funktionaler Begriff, eine Konstruktion, die Leerstellen auffüllen musste. Und so wechselte der Platz, den es zugewiesen bekam, immer wieder.
24 Burke 1958. Vgl. ähnlich bei Kant 1968, X, §40, S. 388–392; §59, S. 462–463. 25 Thierry de Duve, Clement Greenberg entre les lignes, Paris: Dis voir, 1996, S. 62.
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Abbildungsnachweis Abb. 1: [Anon.], Die Werkzeuge des Stechers, in: André Félibien, Des principes de l’architecture, de la sculpture, de la peinture et des autres arts qui en dépendent, Paris: Coignard, 1690, S. 395. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 2: [Anon.], Die Werkzeuge des Malers, in: André Félibien, Des principes de l’architecture, de la sculpture, de la peinture et des autres arts qui en dépendent, Paris: Coignard, 1690, S. 421. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 3: Nicolas Langlois, Almanach de 1700: Cérémonies observées à Paris pour l’Erection de la Statue équestre de Louis le Grand, 1700, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 4: François und Gerard Landry, Almanach pour l’An de Grace 1700 (Detail): Septembre 1699. La grande Gallerie du Louvre Ornée de Tableaux des plus fameux peintre modernes pour la feste St Louis par l’Ordre de Mr. Mansart Sur-intendant des Bâtimens du Roi le 2er jusqu’au 22 Septembre 1699, 1700, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 5: Jacques Langlois, Almanach de 1700 (Detail): Exposition des Tableaux des Peintres de l’Académie dans la grande Galerie du Louvre depuis le 2. jusqu’au 22 Septembre 1699, 1700, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 6: Pierre Aveline, Place Louis le Grand, ca. 1699, Kupferstich, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes. (Quelle: Rochelle Ziskin, The Place de Nos Conquêtes and the Unraveling of the Myth of Louis XIV, in: Art Bulletin, 76/1994, S. 149, Abb. 3.) Abb. 7: François Lemoyne, Die Zeit rettet die Wahrheit vor Lüge und Neid, 1735–1737, Öl auf Leinwand, London, Wallace Collection. (Quelle: Jean-Luc Bordeaux, François Lemoyne and his Generation, Paris: Arthena, 1984, Abb. 91.) Abb. 8: Jean-François de Troy, Die Zeit enthüllt die Wahrheit, 1733, Öl auf Leinwand, London, National Gallery. (Quelle: Christophe Leribault, Jean-François de Troy, Paris: Arthena, 2002, S. 332, Abb. P. 217.) Abb. 9: Gabriel de Saint-Aubin, Ansicht des Salon von 1767, 1767, Radierung, Paris, Privatsammlung. (Quelle: Colin B. Bailey (u. a., Hgg.), Gabriel de Saint-Aubin, 1724–1780, Paris: Musée du Louvre, 2007, Kat. 71, Abb. 1.) Abb. 10: Gabriel de Saint-Aubin, Ansicht des Salon von 1757, 1757, Radierung, Waddesdon Manor, Sammlung Rothschild, National Trust. (Quelle: Colin B. Bailey (u. a., Hgg.), Gabriel de Saint-Aubin, 1724–1780, Paris: Musée du Louvre, 2007, Abb. 14.) Abb. 11: Charles-Nicholas Cochin père nach fils, Frontispiz des Auktionskatalogs der Sammlung Lorangère, 1744, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Georg Friedrich Koch, Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter, 1967, Abb. 77.)
Abbildungsnachweis | 325
Abb. 12: Augustin de Saint-Aubin, Frontispiz des Auktionskatalogs der Sammlung Heinecken, 1757, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Georg Friedrich Koch, Die Kunstausstellung. Ihre Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter, 1967, Abb. 76.) Abb. 13: Antoine Watteau, Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint, 1720, Öl auf Leinwand, Berlin, Staatliche Museen, Schloss Charlottenburg. (Quelle: Colin B. Bailey (Hg.), Meisterwerke der französischen Genremalerei im Zeitalter von Watteau, Chardin und Fragonard, Kat. Ottawa, National Gallery of Canada/Washington, National Gallery of Art/Berlin, Gemäldegalerie, Köln: DuMont, 2004, Abb. 1.) Abb. 14: François Joullain nach Charles Coypel, Suitte d’Estampes des principaux Sujets des Comédies de Molière (Frontispiz), 1726, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Jeffrey S. Ravel, The Contested Parterre. Public Theater and French Political Culture, 1680–1791, Ithaca: Cornell University Press, 1999, Abb. 5.) Abb. 15: Pierre-Alexandre Wille, Comédie Italienne, 1767, Graphitzeichnung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Jeffrey S. Ravel, The Contested Parterre. Public Theater and French Political Culture, 1680–1791, Ithaca: Cornell University Press, 1999, Abb. 4.) Abb. 16: Claude-Henri Watelet, La Font de Saint-Yenne, ca. 1750, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985, Abb. 5.) Abb. 17: Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d’Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel III, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 18: Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d’Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel VIII, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 19: Gabriel de Saint-Aubin, Vue Du Salon Du Louvre en l’année 1753, 1753, Radierung, New York, The Metropolitan Museum of Art. (Quelle: Colin B. Bailey (u. a., Hgg.), Gabriel de Saint-Aubin, 1724–1780, Paris: Musée du Louvre, 2007, Kat. 69.) Abb. 20: Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d’Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel IV, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 21: Charles-Nicolas Cochin, Les misotechnites aux enfers, ou Examen des observations sur les arts par une Société d’Amateurs, Amsterdam: [s. n.], 1763, Kapitelvignette, Kapitel I, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 22: J. Punt nach Nicholas Blakey, Frontispiz des Auktionskatalogs der Sammlung Famas, 1772, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.)
326 | Abbildungsnachweis
Abb. 23: Charles-Nicolas Cochin (?), Frontispiz zu: Jacques Lacombe, Le Salon, [s. l.] [s. n.], 1753, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985, Abb. 4.) Abb. 24: Pieter Brueghel, Maler und Kunstfreund, ca. 1562/1563, Federzeichnung, Wien, Albertina. (Quelle: Nadine Orenstein (Hg.), Pieter Bruegel the Elder, New York: Metropolitan Museum of Art, 2001, Kat. 100.) Abb. 25: [Anon.], La Font de Saint-Yenne, undatiert, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale, Cabinet des Estampes. (Quelle: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985, Abb. 6.) Abb. 26: William Hogarth, Time Smoking a Picture, 1761, Radierung und Mezzotinto, London, The British Museum. (Quelle: David Bindman, Hogarth and his Times. Serious Comedy, Cambridge: University of Cambridge Press, 1997, Abb. 55.) Abb. 27: [Anon.], A Connoisseur Admiring a Dark Night Piece, 1771, Radierung, London, The British Museum. (Quelle: Iain Pears, The Discovery of Painting. The Growth of Interest in the Arts in England, 1680–1768, New Haven/London: Yale University Press, 1988, Abb. 60.) Abb. 28: Charles Grignion nach William Hogarth, Connaisseur, Schlussvignette zu: A catalogue of the Pictures, Sculptures, Models, Drawings, Prints, etc. exhibited by the Society of Artists of Great-Britain, London: Society of Artists of Great Britain, 1761. (Quelle: David Solkin, Painting for Money. The Visual Arts and the Public Sphere in Eighteenth-Century England, New Haven/London: Yale University Press, 1993, Abb. 83.) Abb. 29: [Anon.], Frontispiz zu: [Jean-Baptiste Pujoulx], Figaro au Sallon de Peinture, pièce épisodi-critique, en prose et en vaudevilles, Rome: [s. n.], 1785, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) Abb. 30: Jean Baptiste Greuze, Das verwöhnte Kind, ca. 1760, Öl auf Leinwand, St. Petersburg, Eremitage. (Quelle: Emma Barker, Greuze and the Painting of Sentiment, Cambridge: Cambridge University Press, 2005, Abb. 25.) Abb. 31: William Hogarth, Characters & Caricaturas, Subskriptionsticket zur Serie Mariage à la Mode, 1743, Kupferstich und Radierung, London, The British Museum. (Quelle: Bernadette Collenberg-Plotnikov, Klassizismus und Karikatur. Eine Konstellation der Kunst am Beginn der Moderne, Berlin: Gebr. Mann, 1998, Abb. 22.) Abb. 32: William Hogarth, The March to Finchley, 30 December 1750, 1750, Kupferstich und Radierung, London, The British Museum. (Quelle: David Bindman, Hogarth and his Times. Serious Comedy, Cambridge: University of Cambridge Press, 1997, Abb. 72.) Abb. 33: Richard Earlom nach Charles Brandoin, The Exhibition of the Royal Academy of Painting in the Year 1771, 1771, Mezzotinto, New Haven, Yale Center for British Art, Paul Mellon Collection. (Quelle: David Solkin, Painting for Money. The Visual Arts and the Public Sphere in Eighteenth-Century England, New Haven/ London: Yale University Press, 1993, Abb. 88.)
Abbildungsnachweis | 327
Abb. 34: William Hogarth, The Laughing (or Pleased) Audience, 1733, Radierung, London, The British Museum. (Quelle: David Bindman, Hogarth and his Times. Serious Comedy, Cambridge: University of Cambridge Press, 1997, Abb. 27.) Abb. 35: Philippe Jacques de Loutherbourg, An Exhibition, Aquatinta und Radierung, 1779, gedruckt in brauner Tinte, London, Privatsammlung. (Quelle: Richard Godfrey (Hg.), James Gillray. The Art of Caricature, Kat. London, Tate Britain, London: Tate Publishing, 2001, Kat. 49.) Abb. 36: Jean-Philippe Le Bas nach François Boucher, Frontispiz zu Jean-Bernard Le Blanc, Lettre sur l’exposition, Paris, 1747, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/ London: Yale University Press, 1985, Abb. 3.) Abb. 37: [Anon., nach George Townshend], The Secret Councel of the Heads, 1768, Radierung nach einer Federzeichnung, London, The British Museum. (Quelle: Holger Hoock, The King’s artists. The Royal Academy of Arts and the Politics of British Culture 1760–1840, Oxford: Clarendon Press, 2003, Abb. 5.5) Abb. 38: Charles Grignion nach Samuel Wale, The Genius of Painting, Sculpture and Architecture Relieving the Distressed, Titelvignette zu: A Catalogue of the Pictures, Sculptures, Models, Drawings, Prints, etc. exhibited by the Society of Artists of Great-Britain, London: Society of Artists of Great Britain, 1761, London, British Library. (Quelle: David Solkin, Painting for Money. The Visual Arts and the Public Sphere in Eighteenth-Century England, New Haven/London: Yale University Press, 1993, Abb. 63.) Abb. 39: [Anon.], Salon von 1765, 1765, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Richard Wrigley, The origins of French Art Criticism. From the Ancien Regime to the Restoration, Oxford: Clarendon, 1993, Abb. 1.) Abb. 40: William Angus nach Daniel Dodd, Representation of the Exhibition, of Paintings, at Somerset House, 1784, Kupferstich, London, The British Museum. (Quelle: David Solkin (Hg.), Art on the Line. The Royal Academy Exhibitions at Somerset House 1780–1836, The Paul Mellon Centre for Studies in British Art/The Courtauld Institute Gallery, New Haven/London: Yale University Press, 2001, Abb. 33.) Abb. 41: Richard Earlom nach Johann Zoffany, The Academicians of the Royal Academy, 1773, Mezzotinto, London, The British Museum. (Quelle: Martin Postle (Hg.), Joshua Reynolds. The Creation of Celebrity, Kat. London, Tate Britain, London: Tate, 2005, Kat. 86.) Abb. 42: Inschrift vor dem Eingang in den Great Exhibition Room, Royal Academy of Arts, London, Somerset House. Abb. 43: Pietro Antonio Martini nach Johann Heinrich Ramberg, The Exhibition of the Royal Academy, 1787, 1787, handkolorierter Kupferstich und Radierung, London, The British Museum. (Quelle: David Solkin (Hg.), Art on the Line. The Royal Academy Exhibitions at Somerset House 1780–1836, The Paul Mellon Centre for Studies in British Art/The Courtauld Institute Gallery, New Haven/ London: Yale University Press, 2001, Abb. 36.) Abb. 44: Pietro Antonio Martini, Salon von 1787, 1787, Kupferstich, Hamburg, Hamburger Kunsthalle. (Quelle: Georg Friedrich Koch, Die Kunstausstellung. Ihre
328 | Abbildungsnachweis
Abb. 45:
Abb. 46: Abb. 47:
Abb. 48:
Abb. 49:
Abb. 50: Abb. 51: Abb. 52:
Abb. 53: Abb. 54: Abb. 55:
Abb. 56:
Geschichte von den Anfängen bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, Berlin: de Gruyter, 1967, Abb. 61.) Francesco Bartolozzi, Eintrittskarte zur Ausstellung von John Singleton Copleys Siege of Gibraltar, 1791, Radierung, London, The British Museum. (Quelle: Rosie Dias, ‚A world of pictures‘: Pall Mall and the topography of display, 1780–99, in: Miles Ogborn/Charles W. J. Withers (Hgg.), Georgian geographies. Essays on space, place and landscape in the eighteenth century, Manchester/New York: Manchester University Press, 2004, S. 102, Abb. 5.4.) James Barry, Selbstporträt, begonnen ca. 1802, Mezzotinto, London, British Museum. (Quelle: William L. Pressly, The life and art of James Barry, New Haven/ London: Yale University Press, 1981, Kat. 97.) Élisabeth Vigée-Lebrun, Selbstporträt, nach 1783, Öl auf Leinwand, London, National Gallery. (Mary D. Sheriff, The exceptional woman. Elisabeth Vigée-. Lebrun and the cultural politics of art, Chicago: University of Chicago Press, 1996, Abb. 27.) Adelaïde Labille-Guiard, Selbstporträt mit Schülerinnen, 1785, Öl auf Leinwand, New York, Metropolitan Museum of Art. (Mary D. Sheriff, The exceptional woman. Elisabeth Vigée-Lebrun and the cultural politics of art, Chicago: University of Chicago Press, 1996, Abb. 26.) Gaspard Duché de Vancy, Vue Pittoresque de l’Exposition des tableaux et deseins dans la Place D’Auphine le jour de la petitte Feste de Dieu, 1783, Bleistift und Tinte auf Papier, Paris, Musée Carnavalet. (Quelle: Thomas E. Crow, Painters and Public Life in Eighteenth Century Paris, New Haven/London: Yale University Press, 1985, Abb. 36.) A. Maucert, Exposition de tableaux sur la place Dauphine, 1784, Tinte und Gouache auf Papier, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) [Jean-Baptiste-Pierre Lebrun], Catalogue des Ouvrages de peinture, sculpture, gravure, architecture, 1791, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) [Anon.], Frontispiz zu: La Vérité critique des tableaux exposés au Sallon du Louvre en 1781, Florenz/Paris: [s. n.], 1781, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Richard Wrigley, The origins of French Art Criticism. From the Ancien Regime to the Restoration, Oxford: Clarendon, 1993, Abb. 8.) Hubert Robert, Démolition de la Bastille, 1789, Öl auf Leinwand, Paris, Musée Carnavalet. (Philippe Bordes/Régis Michel (Hgg.), Aux armes et aux arts. Les arts de la Révolution 1789–1799, Paris: Adam Biro, 1988, Abb. 86.) Jacques-Louis David, Der Schwur im Ballhaus, 1790/91, Feder, Tusche und Weißhöhungen, Versailles, Cabinet des Dessins. (Quelle: Antoine Schnapper, David. Témoin de son temps, Fribourg: Office du Livre, 1980, Abb. 50.) Jacques-Louis David, Der Schwur im Ballhaus in Versailles am 20. Juni 1789, 1790–91, Öl auf Leinwand, Versailles, Musée national du château et des Trianons (Detail). (Quelle: Antoine Schnapper, David. Témoin de son temps, Fribourg: Office du Livre, 1980, Abb. 51.) Benjamin West, The Death of General Wolfe, 1770, Öl auf Leinwand, Ottawa, National Gallery of Canada. (Quelle: David Solkin, Painting for Money. The
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Abb. 57:
Abb. 58:
Abb. 59:
Abb. 60: Abb. 61:
Visual Arts and the Public Sphere in Eighteenth-Century England, New Haven/ London: Yale University Press, 1993, Abb. 75.) Jacques-Louis David, Der Schwur im Ballhaus in Versailles am 20. Juni 1789, 1790–91, Öl auf Leinwand, Versailles, Musée national du château et des Trianons (Detail). (Quelle: Antoine Schnapper, David. Témoin de son temps, Fribourg: Office du Livre, 1980, Abb. 52.) Jacques-Louis David, Figurenstudien (Skizzenbuch für Der Schwur im Ballhaus), ca. 1790, schwarze Kreide, Feder und Tinte, Versailles, Musée national du château. (Quelle: Antoine Schnapper, David. Témoin de son temps, Fribourg: Office du Livre, 1980, Abb. 61.) Louis Lagrenée l’ainé, L’Amour des arts consolant la peinture des écrits ridicules et envenimés de ses ennemis, 1781, Öl auf Holz, Paris, Musée du Louvre. (Quelle: Edgar Munhall (Hg.), Diderot et l’art de Boucher à David, Kat. Paris, Hôtel de la Monnaie, Paris: Éditions de la Réunion des musées nationaux, 1984, Kat. 86.) [Anon. nach François Boucher], Die Malerei, umgeben von Neid, Dummheit und Missgunst, um 1800, lavierte Federzeichnung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Paris, Bibliothèque nationale.) [Anon.], Le sort des artistes, um 1800, Radierung, Paris, Bibliothèque nationale. (Quelle: Richard Wrigley, The origins of French Art Criticism. From the Ancien Regime to the Restoration, Oxford: Clarendon, 1993, Abb. 2.)
Danksagung Dieses Buch hat viel Unterstützung erhalten. Der Text basiert auf meiner im August 2007 an der Universität Trier angenommenen Dissertation, die der kritischen Haltung Viktoria Schmidt-Linsenhoffs (emer., Universität Trier) und den wertvollen Gesprächen mit Thomas Kirchner (Universität Frankfurt) viel verdankt hat. Für die Druckfassung wurde er in mehreren Schritten überarbeitet: erweitert und gekürzt, korrigiert und aktualisiert. Yvonne Giedenbacher hat sich äußerst engagiert dem abschließenden Lektorat gewidmet. Die Publikation wurde durch Mittel der UniBern Forschungsstiftung unterstützt. Die ersten Schritte auf dem Weg zu diesem Buch wurden durch die Emanuel und Sofie Fohn-Stipendienstiftung in Wien ermöglicht, auf den letzten half ein DAAD/STIBETStipendium. Die wichtigste Unterstützung kam vom IFK in Wien, das mir anregende Forschungsjahre am Institut und am Deutschen Forum für Kunstgeschichte in Paris ermöglichte. In diesem Zusammenhang danke ich insbesondere Thomas Gaehtgens, Annie Becq, Jean-Gérald Castex, Lauren Gillet, Kerstin Thomas und Gregor Wedekind in Paris, sowie Christof Asendorf, Bernhard Siegert, Thomas Brandstetter, Barbara Clausen, Saskia Haag, Tobias Nanz, Anton Tantner, Eva Tropper und Katharina Wessely in Wien für den die gesamte Arbeit begleitenden Austausch. Meinen Freunden und meiner Familie, vor allem Barbara Kernbauer, verdanke ich viel Unterstützung sowohl ideeller als auch orthografischer Natur. In Trier boten mir Iulia und Alexander Patrut immer wieder großherzige und geistvolle Gastfreundschaft. Martin Anton Müller, der diese Arbeit in den letzten Jahren bis ins Detail kennengelernt hat, danke ich für seine vielfältigen Anregungen, Einfälle und Kommentare. Manche Teilbereiche dieser Arbeit konnte ich bei unterschiedlichen Anlässen diskutieren, wobei die American Society for Eighteenth-Century Studies einen besonders wichtigen Kontext bot. Bernadette Forts Texte und Vorträge haben die Arbeit immer wieder beflügelt. Angela Rosenthal, Melissa Hyde und Mark Ledbury haben mich auf vielfältige Weise unterstützt. Und schließlich danke ich Peter Geimer und Tom Holert für ihre Offenheit und für ihre über viele Jahre hindurch verteilten Anregungen.
Personenregister Addison, Joseph 71, 79–80, 84, 88, 91, 100 Fn. 139, 170, 187, 214–216 Aglionby, William 57–58, 60–65, 79, 81–82, 214, 223 Alberti, Leon Battista 55 Algarotti, Francesco 20, 96 Fn. 130, 106 Angus, William Abb. 40 Apelles 51–56, 94, 109–110, 149–150, 170, 181, 190, 192, 201–203, 205, 209, 212, 232, 248, 250, 251 Fn. 131, 268, 285, 292–293 Aristoteles 88 Aubignac, Francois Hédelin, abbé d’ 91 Auerbach, Erich 22, 185 Fn. 101 Aveline, Pierre Abb. 6 Bachaumont, Louis Petit de 103, 135– 136, 139 Bachelier, Jean-Jacques 227 Bachtin, Michail 19 Bacon, Francis 62, 63 Fn. 133 Bailly, Jean-Silvain 272–274, 279, 282 Baker, Keith Michael 23, 287 Barère de Vieuzac, Bertrand 273 Barker, Emma 11 Barrell, John 13, 71 Barry, James 173 Fn. 47, 200, 247–249, 292, Abb. 46 Bartolozzi, Franceso Abb. 45 Bätschmann, Oskar 11–12, 104 Batteux, Charles 91 Bayle, Pierre 88 Becq, Annie 17 Fn. 39, 116, Bellori, Gian Pietro 75 Benoist, Marie-Guillemine (Marie-Guillemine Le Roulx De la Ville) 256 Fn. 14, 262 Berbier du Metz, Gédéon 29 Bermingham, Ann 239 Bernini, Gian Lorenzo 41 Blakey, Nicholas Abb. 22
Boileau, Nicolas 88, 96, 108–110, 133 Bordelon, Laurent 163 Bordes, Philippe 271, 276 Borghini, Vincenzo 182 Boucher, François 115, 179, 187, 210– 211 292, Abb. 36, 60 Bouhours, Dominique 108 Boulogne, Louis de 117–119 Bourdieu, Pierre 18, 241, 294 Bowyer, Robert 245 Boydell, John 245–246 Brandoin, Charles Abb. 33 Braunschweig-Lüneburg, cf. Georg Wilhelm, Herzog zu BraunschweigLüneburg Brewer, Daniel 106 Brueghel, Pieter, d. Ä. Abb. 24 Buckeridge, Bainbrigg 65 Bürger, Peter 23, 89 Burke, Edmund 78 Fn. 48, 203, 223, 250, 295 Burke, Peter 51 Cameron, Vivian 192 Carracci, Annibale 74–75 Casanova, Francesco 155 Cassirer, Ernst 93 Caylus, Anne-Claude-Philippe, Comte de 103, 120, 130, 168–169 Cazes, Pierre-Jacques 119–120 Çelebi, Yirmisekiz Mehmed (Mehmed Effendi) 276 Cervantes Saavedra, Miguel de 122 Fn. 59, 125, 217 Chambers, William 237 Chardin, Jean-Baptiste Siméon 104, 116, 138, 169, 174 Fn. 49, 185, 260 Charles I. (König von Großbritannien und Irland) 83, Charmois, Martin de 44 Cheron, Louis 86
332 | Personenregister
Chodowiecki, Daniel 294 Cicero, Marcus Tullius 38 Clark, Peter 237 Clements, Candace 119–120 Closterman, John 65, 70 Cochin, Charles-Nicolas 139, 148, 153–159, 180, 187, Abb. 11, 17–18, 20–21, 23 Colbert, Jean-Baptiste 25–27, 29–30, 35, 39–44, 49, 135–136, 151 Colley, Linda 15 Fn. 30, 19, 199 Conlin, Jonathan 229 Copley, John Singleton 246–248, 276, 283–284, 294, Abb. 45 Corneille, Pierre 23, 90, 140 Correggio (Antonio Allegri) 82, 157, 182 Cosway, Maria 276 Cowan, Brian 22, 58 Fn. 112, 71 Coypel, Antoine 45, 104 Fn. 162, 108–110, 113, 115, 116–117, 119, 121–121, 147, 168, 186, 206, Abb. 14 Coypel, Charles (Charles-Antoine) 91 Fn. 105, 103, 119, 121–127, 132–133, 136, 137 Fn. 123, 139–148 Fn. 162, 150 Fn. 177, 151–153, 155, 168, 169, 180, 236, 287–288, 289 Fn. 11 Coypel, Noël-Nicolas 115, 120 Crow, Thomas 11–14, 21, 116, 120 D’Alembert (Jean le Rond) 20, 99 D’Angiviller, Charles Claude Flahaut de La Billarderie, Comte 255, 263–264, 266–267, 276, 288–289 D’Antin, Louis Antoine de Pardaillan de Gondrin, duc 119–120 Dahl, Michael 65 Daudet de Jossan 157, 177, 182, 187– 189 David, Jacques-Louis 12, 255, 267, 269, 273–276, 278–279, 282–286, Abb. 54–55, 57–58 Delyen, Jacques-François 115 Démoris, Réné 7–8 Descartes, Réné 89, 210 Desportes, Claude François 103
Dezallier d'Argenville, Antoine-Joseph 120 Deutsche, Rosalyn 270–271 Dias, Rosie 245 Diderot, Denis 17 Fn. 40, 20, 33 Fn. 35, 63 Fn. 136, 75–76, 103, 104–107, 128, 133, 144, 169, 177–179, 182, 183, 184–188, 195–196, 206–209, 288, 293 Dodd, Daniel Abb. 40 Dolce, Lodovico 32 Domenichino (Domenico Zampieri) 74–75 Donneau de Visé, Jean 50–51, 148 Dryden, John 65, 202 Du Bos, Jean-Baptiste (abbé Du Bos) 66, 87–95, 98, 100–103, 108–110, 124, 135, 142, 146, 168, 183, 186, 207, 210, 215–216, 220, 288 Duché de Vancy, Gaspard Abb. 49 Duchemin, Catherine 254 Du Fresny, Charles 144 Du Fresnoy, Charles-Alphonse 53–55, 65, 95, 109, 168, 202–203, 242–243 Earlom, Richard Abb. 33, 41 Épinay, Louise Tardieu d'Esclavelles, . Marquise d’ 177 Evelyn, John 59, 113, 163 Falconet, Etienne 106–107, 202, 206– 212, 292 Favanne, Henri de 115 Félibien, André 30–32, 38–39, 46, 51, 52, 62, 74 Fn. 35, 115 Fn. 25, 148, Abb. 1–2 Ficino, Marsilio 63 Fontaine, André 117 Foote, Samuel 163, 172 Fort, Bernadette 156, 158 Foucault, Michel 63 Fn. 133, 286, 289 Fragonard, Jean-Honoré 11, 17, 177,– 178, 184,–185, 264 Fréart de Chambray, Roland 51–53, 55–56, 59, 95
Personenregister | 333
Fréron, Elie-Cathérine 145, 155 Fried, Michael 105–106 Friedrich II. (König von Preußen) 198 Füssli, Johann Heinrich 244 Gainsborough, Thomas 245 Garrick, David 124 Garrigues de Froment, Antoine-Joseph 224 Geoffrin, Marie-Thérèse (Madame . Geoffrin) 182 Georg Wilhelm, Herzog zu BraunschweigLüneburg 276 George II., (König von Großbritannien und Irland) 198, 226 George III., (König von Großbritannien und Irland) 239, 243 Gerard, Alexander 60, 71, 219–221 Germer, Stefan 14, 28 Gersaint, Edme 58 Fn. 112, 111–112, 166, 176, Abb. 13 Ghezzi, Pier Leone 171 Gibson, Thomas 85 Girardon, François 45, 49, 254 Girodet, Anne-Louis 11 Goldsmith, Oliver 205, 214 Gorsas, Antoine-Joseph 268 Graham, Richard 65 Greuze, Jean Baptiste 11, 17, 104, 178, 185, 195, 260, 264, Abb. 30 Grignion, Charles Abb. 28, 38 Grimm, Friedrich Melchior 184, 186 Fn. 108, 187 Gwynn, John 226 Habermas, Jürgen 8, 13, 18–20, 71, 73, 93, 133 Hallett, Mark 236 Fn. 80, 251 Hardouin-Mansart, Jules 44, 50, 88, Abb. 4 Hargraves, Matthew 245 Hayman, Francis 87, 227, 246, 277–278 Heinich, Nathalie 43 Hérault, Marie-Jean 284 Herding, Klaus 285
Highmore, Thomas 86, 113 Fn. 19, 219 Hobbes, Thomas 141, 185 Hogarth, William 17, 86, 126, 167, 170– 175, 196–202, 205, 215, 226–229, 245, Abb. 26, 31–32, 34 Holert, Tom 14 Home, Henry, Lord Kames 71, 218–219, 223 Hone, Nathaniel 246 Houdar de la Motte, Antoine 133 Horaz 54, 88, 186, 229 Hume, David 71, 77–78, 213, 215–218, 219, 222, 224 Hunt, Lynn 274, 285 Hutcheson, Francis 71, 193 Jacob, Hildebrand 213, 248 Johnson, Samuel 81 Fn. 56, 124, 163, 168, 203, 213–214, 219, 241 Joullain, Charles-François 176, Abb. 14 Jouvenet, Jean 119 Kant, Immanuel 13 Fn. 21, 77–78 Kauffmann, Angelika 200, 237, 253 Kemp, Wolfgang 11–12, 275, 278–279, 283, 294 Kirchner, Thomas 118 Kivy, Peter 78, 217 Knapton, George 226 Kneller, Godfrey 85 Koch, Georg Friedrich 42 Fn. 72, 43 . Fn. 73, 113 Fn. 19, 116 Labille-Guiard, Adelaïde 148 Fn. 164, 253–255, 257, 264, Abb. 48 La Bruyère, Jean de 163 La Font de Saint Yenne, Etienne 102– 104, 133, 140, 142, 150, 156–158, 167, 284, Abb. 16, 25 La Fosse, Charles de 119 Lagrenée, Louis (Louis-Jean-François . Lagrenée, Lagrenée d. Ä.) 290, Abb. 59 Laguerre, Louis 85 Lairesse, Gérard de 105
334 | Personenregister
La Mesnardière, Hippolyte Jules Pilet de 143 Lancret, Nicolas 115 Landry, François Abb. 4 Landry, Gérard Abb. 4 Langlois, Jacques Abb. 5 Langlois, Nicolas Abb. 3 La Motte, Antoine Houdar de 133 La Porte, Joseph 156–157 La Tour, Maurice-Quentin de 104, 179, 233 Laugier, Marc-Antoine 183 Le Bas, Jean-Philippe Abb. 36 Le Blanc, Jean-Bernard (abbé Le Blanc) 87, 99, 132, 137 Fn. 123, 149–150, 155, 170, 180–181, 183, 210, 212, 226, 292, Abb. 36 Le Brun, Charles 27 Fn. 11, 30, 32, 42 Fn. 71, 43 Fn. 73, 96 Fn. 130 Lebrun, Jean-Baptiste-Pierre 261–263, Abb. 51 Lefébure, Louis-François-Henri 268–269, 271, 291 Lefort, Claude 14, 287–288 Lemoyne, François 119, 190, Abb. 7 Le Normant de Tournehem, Charles François Paul 122, 132, 135 Fn. 114, 136, 150–152, 154 Lessing, Gotthold Ephraim 217 Lipking, Lawrence 213 Locke, John 88–89, 91, 215 Loutherbourg, Philippe Jacques de 204, Abb. 35 Louvois, Marquis de (François Michel Le Tellier) 43 Ludwig XIV., König von Frankreich 27, 39 Fn. 57, 40 Fn. 60, 43–50, 53, 104 Fn. 160, 112, 115 Fn. 25, 243, Abb. 3 Ludwig XVIII., König von Frankreich 284 Luhmann, Niklas 18 Macklin, Thomas 245 Malhèrbe, François de 94 Mandeville, Bernard 71, 73, 76–79
Mariette, Pierre-Jean 120, 139, 154 Marigny, Marquis de (Abel-François . Poisson de Vandières) 128 Fn. 82, 148, 154–155, 266, 288 Marin, Louis 51 Markley, Robert 86 Marmontel, Jean-François 155, 163 Martini, Pietro Antonio Abb. 43–44 Massé, Samuel 115 Mattheis, Paolo de 70 Mathon de la Cour, Charles-Joseph 128, 148, 183 Maucert, A. Abb. 50 Maupertuis, Pierre-Louis Moreau de 149 Maza, Sarah 19, 287 McClellan, Andrew 289 McSwiney, Owen 85 Mehmed Efendi, cf. Çelebi, Yirmisekiz Mehmed Mercier, Louis-Sébastien 15 Michel, Christian 137 Fn. 123, 156, Michelangelo (Michelangelo Buonarotti) 53 Mignard, Pierre 26, 54 Fn. 101, Millington, Edward 59, 170 Mirabeau, Comte de (Gabriel de Riqueti) 279 Molière 26–27, 94, 122, 124, 205, 250, Abb. 14 Moritz, Karl Philipp 291 Moser, Mary 237, 253 Mouffe, Chantal 271 Nattier, Jean-Marc 115 Oudry, Jean-Baptiste 116 Ozouf, Mona 287 Pahin de la Blancherie 264 Paleotti, Gabriele 11 Pamphilos 55 Parrocel, Charles 119, 276 Peacham, Henry 59 Fn. 115, 61, 82 . Fn. 63 Pears, Iain 13
Personenregister | 335
Pellegrini, Antonio 85 Pernety, Antoine-Joseph 150 Perrault, Charles 25–28, 30, 37–38 Phokion 206 Pierre, Jean-Baptiste-Marie 179, 255, 266, Piganiol de la Force, Jean-Aymar 120 Piles, Roger de 30, 33–38, 44, 46, 51, 52, 53–56, 61, 62, 65, 81 Fn. 57, 88, 102 Fn. 147, 104 Fn. 162, 108, 109, 147, 168, 181, 193, 202–203 Pine, Robert Edge 245–246 Plinius d. Ältere 38, 52, 209 Poinsinet de Sivry, Louis 145–146, 182, 206 Fn. 167 Polybios 141 Polyklet 202, 205–206, 209–210, 212 Pompadour, Marquise de (Jeanne-Antoinette Poisson) 233 Pond, Arthur 171 Pope, Alexander 78 Fn. 49, 143, 164 Porter, Roy 19 Poussin, Nicolas 51, 75 Fn. 35, 108, 158 Pucci, Suzanne 105 Punt, J. Abb. 22 Quintilian 92 Racine, Jean 278 Raffael (Raffaelo Santi) 53, 59, 75, 83, 84, 157, 158, 182, 190, 224 Ramberg, Johann Heinrich Abb. 43 Rancière, Jacques 14, 18, 270 Rembrandt (Rembrandt Harmenszoon van Rijn) 82 Reni, Guido 74, 109, 158 Renou, Antoine 153, 203, 259 Fn. 23 Restout, Jean 115 Reynolds, Joshua 17, 81 Fn. 56, 167, 194–195, 202, 203–205, 222, 225, 226, 236, 237, 239, 242, 244, 250– 252, 277 Richardson, Jonathan 79–85, 200, 214, 223, 236, 293 Richelet, Pierre 23
Rigaud, Hyacinthe 115 Robert, Hubert 178, 272, Abb. 53 Rochefort, César de 163 Romney, George 244 Rosa, Salvator 210 Rosenberg, Pierre 119 Rou, Jean 32, 96 Rouquet, André 59, 174–175, 198 Rubens, Peter Paul 34, 36, 131 Fn. 96, 190 Saint-Aubin, Augustin de Ab. 12 Saint-Aubin, Gabriel de 97–98, 165, 259 Fn. 21, Abb. 9– 10, 19 Schlegel, Friedrich 289 Scudéry, Georges de 143 Scudéry, Madeleine de 56, 204 Séroux d’Agincourt, Jean-Baptiste-LouisGeorges 290 Seymour, James 85 Shadwell, Thomas 163 Shaftesbury, Third Earl of (Anthony Ashley Cooper) 58, 63 Fn. 136, 65 Fn. 143, 66–72, 73, 77–78, 86, 88, 93, 102 Fn. 147, 103, 106, 162, 168, 193, 197, 217, 226 Sheriff, Mary D. 11 Sieyès, Emmanuel-Joseph 278, 285 Solkin, David 12–13, 225 Sophokles 206 Soufflot, Jacques 155 Spinoza, Baruch 141 Spoëde, Jean-Jaques 115 Starobinski, Jean 101, 185 Steele, Richard 71, 79–80, 85, 88 Stubbs, George 244 Sturm, Leonhard Christoph 50 Suvée, Joseph Benoit 255 Testelin, Henri 26 Fn. 5, 30, 32, 39 Fn. 56, 43 Fn. 74 Thornhill, James 85–86, 174 Thornton, Bonnell 229 Tizian (Tiziano Vecellio) 59, 229 Townshend, George 225, 239, Abb. 37
336 | Personenregister
Troy, Jean-François de 115, 117 Fn. 34, 119, 137 Fn. 123, Abb. 8 Trumbull, John 276 Turgot, Jacques 264 Turnbull, George 84–85 Vallayer-Coster, Anne 255, 257 Vanderbank, John 86 Van Dyck, Anthonis 65 Vasari, Giorgio 61 Vernet, Joseph 104–105, 185, 264 Veronese, Paolo 158 Vertue, George 85, 226 Vien, Joseph-Marie 185, 276 Vigée-Lebrun, Élisabeth 17, 148 Fn. 164, 253–257, 261, 264, Abb. 47 Villacerf, Marquis de (Edouard Colbert) 43 Vincent, François André 254, 276 Virno, Paolo 141
Voltaire 94, 124, 135 Fn. 114, 144 Wale, Samuel Abb. 38 Walpole, Horace 223 Watelet, Claude-Henri 202, Abb. 16 Watteau, Antoine 112, 166, 176, Abb. 13 Webb, Daniel 76 West, Benjamin 245, 250, 274, 276–278, 284, Abb. 56 Wilkes, John 242 Wille, Pierre-Alexandre 276, Abb. 15 Wills, James 242 Wind, Edgar 64, 278 Wolcot, John 239 Wrigley, Richard 12, 189, Wright of Derby, Joseph 244–246 Zeuxis 203, 210, 260, 284 Zoffany, Johann 237–238, Abb. 41
Orts- und Sachregister Absolutismus 15, 16, 21–22, 25–51, 57, 68, 83, 98, 112–113, 120, 129, 136, 159, 228, 231, 243, 263–267, 279, 283, 289 Année littéraire 145, 155–156, 179 Fn. 73 Aufklärung 7–12, 19–20, 24, 57, 142, 146, 250, 264, 285–286 Civic humanism 13, 15, 70, 85, 213, 247 Clubs 59, 64–65, 71, 85–86, 226, 229, 236–237, 266 cf. London, Rose and Crown Club; London, Society of Dilettanti; London, Virtuosi of Saint Luke Connoisseur (Zeitschrift) 125, 222 Fn. 39 Correspondance littéraire 76, 119 Fn. 42, 146, 182 Fn. 86, 184–187 Einheit (vs. Vielfalt) 88, 93, 98, 141– 145, 147, 159, 185–188, 193–197, 213, 265, 266, 268, 271, 279–289 Gefühl/Empfindsamkeit („sentiment“) 89–91, 110, 134–135, 161, 180–181, 216–217, 220, 231 Fn. 70, 233 Gegenwartsbezug/Zeitgenossenschaft 95, 159, 194, 197, 199, 208–209, 273–286 Gemeinschaft/Gemeinsinn 13, 21, 60–62, 66–74, 77–78, 84–86, 96–100, 111, 130, 157, 159, 161–164, 175, 180–184, 193–194, 201, 207–208, 213–224, 236, 265–271, 275, 282– 284, 290, 295 Geschichtsphilosophie 24, 66, 87, 286 Hieroglyphe 57–65, 79–84, 184, 214 Ignoranti 33, 34, 36, 38, 56, 75–76, 188, 205, 214, 250, 294
Journal de Paris 153, 176–177, 259, 266 Journal de Trévoux 149 Journal général de France 259, 260, 261–262 Kunstauktionen 58, 59, 94, 97, 110–111, 164, 170, 172, 175, 176, 178, 189, 227, Abb. 11, 12, 22 Kunsthandel/Kunsthändler 110–112, 114, 119, 121, 135, 162, 166, 171, 174–179, 188, 261, Abb. 13 Kunstsammler 34, 53, 59, 65, 85, 162– 163, 174, 177–179, 244 Kunsturteil, weibliches (cf. VecchiarellaAnekdote) 73–77, 145, 177, 192 London, British Institution 244 London, Great Queen Street Academy 85–86 London, Foundling Hospital 86, 172, 175, 226, 227, 237 London, Free Society of Artists 227 London, Incorporated Society of Artists 237, 243 London, National Gallery 244 London, Rose and Crown Club 65, 85–86 London, Royal Academy 10, 13–14, 16, 17, 64, 65, 174, 194–195, 199–202, 204, 213, 222, 225, 233–253, 277, 284, Abb. 33, 37, 40–43 weibliche Mitglieder 237–239, 257 London, Royal Society 59, 81 London, Society of Artists of Great Britain 227, 230, 231, 234–236, 241–245, Abb. 28, 38 London, Society of Arts 172, 227–231, 243, 247–248 London, Society of Dilettanti 226 London, St. Martin’s Lane 86, 172, 175, 226
338 | Orts- und Sachregister
London, Sign Painters’ Exhibition 228– 229 London, Vauxhall Gardens 86–87, 226, 233, 246, 264 London, Virtuosi of Saint Luke 65 Menge („multitude“) 19, 33, 55, 56, 69, 76, 110, 124, 140–145, 151, 159, 161, 179–192, 194, 199–205, 209–212, 215–221, 231–234, 242, 251, 267– 293 Mercure de France 9, 103, 113, 117–140, 144, 145, 148, 153–158, 177, 231, 255, 258, 261–265 Mercure galant 50, 148 Middlesex Journal 242–243 Modellklasse 41, 85, 86, 238 Observateur littéraire 156, 257 Paris, Académie de Saint-Luc 26, 27, 97, 111 Fn. 13, 115, 116, 157, 255, 263–266 Paris, Académie française 23, 29 Fn. 17, 39 Fn. 57, 90, 236 Paris, Académie royale de peinture et de sculpture 9, 10, 13, 14, 16, 17, 25–50; 53, 54 Fn. 100, 56–59, 65, 79 Fn. 52, 88, 94–96, 102–104, 108–140, 146–159, 164–168, 178, 187–190, 210, 225, 227, 237, 242, 253–267, 276, 280, 290, Abb. 3–5, 9–10, 19, 23, 39, 44, 52 Conférences 30–35, 39, 41, 43, 59, 88, 108, 140, 148, 151, 169 Livrets 41, 46, 50, 102, 104, 119, 128, 130–132, 144, 177, 191, 207, 288 weibliche Mitglieder 25 Fn. 2, 148 Fn. 164, 253–256 Paris, Bâtiments du Roi 43, 44, 118, 119, 122, 131, 135 Fn. 114, 136, 148, 150, 154, 155, 255, 266–267
Paris, Colisée 265–267 Paris, Comédie Française 124, 145 Paris, Comédie Italienne 124, Abb. 15 Paris, Communauté des maîtres peintres et sculpteurs de Paris (Maîtrise) 26, 27 Fn. 12, 264 Paris, Musée du Luxembourg 16, 136, 137 Fn. 123, 180 Paris, Place-Dauphine-Ausstellungen 48 Fn. 87, 94, 113–118, 120–121, 255– 263, Abb. 49–50 Paris, Pont Neuf 114–116, 285 Politeness 13, 15, 60, 70, 71, 78, 79, 213 Querelle du ,Cid‘ 23, 90 Querelle sur le coloris 33–34, 168 Rom, Accademia di San Luca 29, 40, . 121 Ruhm („fame“/„gloire“) 51–53, 57, 69, 70, 95, 96, 98, 126, 129, 130, 131, 132, 135, 144, 168, 172, 202, 206– 207, 250–252, 289 St. James’s Chronicle 172, 173, 201, 228– 229, 231, 235, 241, 294 The Tatler 79 The Female Tatler 76 Fn. 41 The Spectator 60, 71, 76, 79–80, 82, 84, 88, 91, 95, 149, 170, 187, 214–215 Vecchiarella-Anekdote 74–75, 109–110, 293 Vielfalt/Partikularität (vs. Einheit) 70, 88, 142 Fn. 141, 168, 178–179, 185, 186, 188, 193–200, 213, 215, 224, 269, 279 Wohlfahrt 16, 86