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German Pages [264] Year 1968
Paul-Ludwig Weinacht STAAT Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert
Beiträge zur Politischen Band 2
Wissenschaft
STAAT Studien zur Bedeutungsgeschichte des Wortes von den Anfängen bis ins 19. Jahrhundert
Von Dr. P a u l - L u d w i g Weinacht
DUNCKER
& HUMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1968 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany
Matri Meae Et In Patris Memoria
Vorwort Ein Gespräch, das i m Winter 1962/63 zwischen dem Verfasser und dem damaligen Dozenten am Seminar für wissenschaftliche Politik an der Universität Freiburg, Dr. Hans Maier, stattgefunden hatte, war die Anregung zu vorliegender Arbeit. Prof. Dr. Maier, schon bald Ordinarius für Politikwissenschaft i n München, wurde mein Doktorvater, und das Gespräch von damals hat mit dem Promotionsakt der philosophischen Fakultät München i m J u l i 1967 seinen vorläufigen Abschluß gefunden. Die erste Konzeption ging auf die literatursoziologische Erfassung der Geschichte des deutschen politischen Denkens i m 18. Jh., insbesondere die Erhellung der Ideen und Begriffe, die man damals mit gängigen politischen Ausdrücken verband. Nach der wortgeschichtlichen Seite h i n schien genügend Vorarbeit geleistet zu sein. Meineckes „Weltbürgertum und Nationalstaat" sollte das ideengeschichtliche Leitseil der Darstellung abgeben. Von i h m her bestimmte sich zunächst auch der Gegenstand der Untersuchung: Es waren die von Meinecke vernachlässigten literarischen Zirkel, wissenschaftlichen Vereinigungen und Zeitschriften, also die gesellschaftliche und literarische Kultur, aus der die in „Weltbürgertum und Nationalstaat" beleuchteten Gipfel sich heraushoben. Schon bald erwies sich jedoch, daß die wortgeschichtlichen Voraussetzungen durchaus nicht zureichend geklärt oder auch nur zuverlässig beschrieben waren. Die geplante literatursoziologische Betrachtung hatte daher der strengen Forderung der Philologie zu weichen: Bevor das sprachliche Material nach Gebrauch und geschichtlicher Dimension nicht ausgeleuchtet war, konnte eine Geschichte des politischen Denkens kein Gegenstand der Darstellung werden. Während seiner Studien beschränkte der Verfasser die gleichmäßige Beobachtung der politischen Termini, denen sein Interesse galt: Policey, Politik, Republik, status, Stand, Staat, zugunsten des letzteren. Wer einmal wortgeschichtlich geforscht und sich durch Bibliotheken hindurchgelesen hat, weiß, daß der einzelne Bearbeiter eines so zentnerschweren Wortes wie „Staat", um zuverlässig zu bleiben, monographisch darstellen muß; das zugehörige Wortfeld kann nur umrißhaft i n den Blick kommen.
8
Vorwort
Indes wäre zu fragen, ob das, was dem einzelnen unmöglich ist, auch mehreren versagt bleibt? Ob dort, wo dem einzelnen nur synchronische Zurechnungen gelingen, ein Team nicht weitreichende diachronische Parallelen erarbeiten kann? Ich denke nicht an eine artikelweise Aneinanderreihung von Einzelbeiträgen, wie sie in Wörterbuchredaktionen alphabetisiert werden, sondern an die streng thematische Zusammenarbeit, das Sich-in-die-Hände-Schaffen mehrerer Bearbeiter. Das Teamwork wäre die organisatorische Voraussetzung für eine kombinierte synchronisch/diachronische Wortfeldbeschreibung, also jene A r t der Darstellung, die ein Wort i n der i h m zugehörigen Wortgruppe nach der Seite geschichtlichen Wandels wie „systematischer" Geltung vollständig sichtbar macht. Freilich mußte auch der Verfasser dieser Arbeit die Hilfe anderer nicht völlig entbehren, und es ist m i r eine sehr angenehme Pflicht, meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Hans Maier, für den Anstoß zu diesem Thema, für seine Bereitschaft, die veränderte Fassung zu unterstützen und für viele gute Anregungen zu danken. Danken möchte ich auch den Direktoren der UB Freiburg und K ö l n für die Erlaubnis der Magazinbenutzung und Herrn OBRat Dr. Haas von der UB Heidelberg für freundliche Unterstützung. Danken möchte ich insbesondere meiner lieben Braut, die m i r beim Korrekturenlesen eine unermüdliche Helfer i n war. München, i m Frühjahr 1968 P.-L. Weinacht
Inhaltsübersicht Einleitung
15
1. Fragestellung 2. Forschungsstand 3. Methodisches u n d Aufbau der Arbeit
15 16 24
Erster Erstes
Teil Kapitel
Etymologie und Wortformen von „Stat"/»Staat" 1. 2. 3. 4.
Die idg. s t a - F a m i l i e Status u n d die deutschen Parallelen (formal) Status u n d die deutschen Parallelen (inhaltlich) Wortformen v o n „Stat" u n d Schreibung des Wortes Zweites
1. „ L a n d " 2. Herrschaftliche Wortbildungen („Reich", „Fürstentum" usw., „ H e r r schaft", „Gebiet") 3. Gemeindliche Wortbildungen („Gemeiner Nutz", „Gemeines Wesen", „Gemeiner Stand") 4. Fremd- u n d Lehnwörter („Regierung", „Regiment", „Polizei", „Republik") 5. „Stand" (status, stato, estât) 6. Zusammenfassung
36 36 38 39 42 46 51
Kapitel
Die Entwicklung des politischen Wortgebraudis von lat. status 1. 2. 3. 4. 5.
31 31 32 33
Kapitel
Vorgänger und Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
Drittes
31
Antike Frühes Mittelalter Hohes u n d spätes Mittelalter Neuzeit: stato, estât u n d i h r Verhältens zu status Zusammenfassung
53 53 54 57 60 67
10
Inhaltsübersicht Zweiter Erstes
Teil Kapitel
Stat I : Der zwischen Parteien strittige oder vertraglich gesicherte Zustand Zweites
Kapitel
Stat I I : Stand (a) (b) (c) (d)
72
Hoher (niederer) Rang Leben, das man f ü h r t Standesgemäßer A u f w a n d A m t , Stelle
73 74 75 77
Drittes
Kapitel
Stat I I I : Hofstaat (a) (b) (c) (d) (e) (f)
79
Curtis colonia Curia principis Hofhaltung, -Ordnung, - E t a t Weitere finanzielle Anwendungen Trennung v o n Familie u n d Rat Regimentsverwaltung u n d verwaltende Dienerschaft Viertes
87
1. „consuetudines ac vires principis" 2. Das geschichtlich sich wandelnde Muster „fürstlicher Stat" Amt Regiment Domanium Domanium/Herzogtum Gemeines Wesen „Fürsten-Stat"
98 Fünftes
Kapitel
Stat V : Stat des Landes
1. 2. 3. 4. 5.
Beschreibung
/ in materialischer
101 Beschreibung)
Verfassung Species politiae (Form zu regieren) „Ständestand" Teile des Ständestands: „ H o f - " , „Kirchen-", „ M i l i t ä r - S t a t " usw Potential, Reichtum des Landes
B. Äußerer
Stat
88 91 91 92 93 94 96 97
3. Zusammenfassung
A. Stat (in politischer
79 79 80 81 84 85
Kapitel
Stat I V : Stat des Fürsten
(a) (b) (c) (d) (e) (f)
69
. . 101 101 103 105 107 109 111
Inhaltsübersicht 6. Stellung unter den benachbarten Mächten 7. „Staatenstat" (Staatensystem)
111 114
C. „Stat des Reiches"
116
(Zusammenfassung) Sechstes Kapitel Stat V I (Stat, Staten): Gebiet
120
A. Entlehnung
121
1. Stato w i r d „Stand" 2. Stato w i r d „Stat" (stati: „Staten") 3. Stato, Status, Etat: Fremdworte f ü r „Gebiet"
121 121 125
B. Entwicklung
126
in deutschen
Texten
4. Fürsten-Stat (a) Regiment über das L a n d (b) Territorialer Gesamtbestand des Herzogtums
127 127 128
5. Innerer Staat des Landes (in materialischer Beschreibung)
129
(a) „ U m f a n g Lands" (Geographie) (b) „Landsmacht" (Interesse-Lehre) (c) „Stück Land" (Kameralistik) C. Überblick
129 130 131
und Zusammenfassung Siebentes
132 Kapitel
Stat V I I : Ratio status 1. Die neue P o l i t i k
135 135
(a) „Stadssachen", „Rat von dem Staad"
135
(b) „Stad" ist gleich „ P o l i t i k "
137
2. Die Formel Ragion d i stato (Ratio status) i n Deutschland (a) früheste Vorkommen der Formel (b) positives Verständnis der Formel (c) abwertendes Verständnis der Formel
139 140 142 146
3. Gegensätzliches Verhalten der gelehrten Publicistik u n d der populären politischen L i t e r a t u r 151 4. Das W o r t Stat i m Einflußbereich der Staatsräson (a) Die Staatsräson i n Beziehung auf den „Stat des Fürsten" (1) Stat i . S . v. Informationsgrundlage u n d Bedingung politischen Handelns (2) Stat i. S. v. Interesse des Fürsten (3) Stat i. S. V. Prestige (4) Stat i . S . v . Sicherheit der Herrschaft (5) Stat i. S. v. Souveränität u n d absolutem Regiment als Inbegriff des fürstlichen Stats nach innen (6) Stat i . S . v . äußerer Macht eines Fürsten u n d seines Landes sowie Fürst oder L a n d als „Macht" (7) Stat i. S. v. Gebiet u n d hoheitlicher Einflußsphäre
154 154 155 155 157 158 159 161 163
12
Inhaltsübersicht (b) Die Staatsräson i n Beziehung auf den „inneren Stat des Landes" 163 (8) Stat i. S. v. gemeinem Wesen (formal) 164 (9) Stat i. S. v. Reich, Herzogtum, L a n d (substantiell) 165
5. Reflektierter Wortgebrauch: Stat als Oberbegriff f ü r Regierende u n d Regierte u n d als Oberbegriff f ü r verschiedene A r t e n von politischen Gemeinwesen 168 Achtes
Kapitel
Stat V I I I : Societas civilis
173
1. Frühe gesellschaftliche Bedeutungen des Wortes
173
(a) (b) (c) (d)
Hof u n d Stat Stand Stände des Landes Truppenkontingent
173 174 174 175
2. Überleitung zur politischen Bedeutung „societàs civilis" (a) Mitlaufende Gründe des Bedeutungswandels (1) Engl, state, niederl. staat werden „Stat" (2) Publicistische u n d kameralistische corpus-Vorstellung (b) Hauptsächliche Gründe des Bedeutungswandels: Der v e r n u n f t rechtlich gedeutete status politicus (status civilis) u n d die Aristotelische Tradition (3) „geordente rechtsgemeenschap" (4) Stat i m Einflußbereich des Naturrechts u n d der Aristotelischen Tradition (5) A u f k l ä r u n g : Stat i. S. v. Zivilisation 3. Überleitung zur souveränen Staatsgesellschaft anhand der Geschichte der Formel „Staat i m Staate" (a) absolutistischer Ausgangssinn der Formel (b) Staat i m Staate: soziale Gemengelage u n d verfassungswidriger Zustand (c) Zuspitzung des Formelsinnes i m Josephinischen Kirchenkampf . . . (d) Ursprung des Wortes Staatsbürger 4. Überleitung zur souveränen u n d nationalen Staatsgesellschaft u n d Zerfall der k u m u l a t i v e n Bedeutung (a) Abstraktes Verhältnis von „Stat" u n d „Nation" (b) Konkretes Verhältnis v o n „Stat" u n d „Nation" (c) „Staat" als äußerlich souveräner, innerlich volkstümlich geschlossener (National-)Staat, der keine „bürgerliche Gesellschaft" mehr ist Neuntes
176 176 176 178
180 181 183 186 188 189 189 191 193 193 194 195 196
Kapitel
Stat I X : Anstalt 1. Bedeutungsfolge v o m 17. ins 19. Jahrhundert (a) Fürstliches Regimentswesen oder Verwaltungsapparat (b) Organisation der Herrschaft i m T e r r i t o r i u m („Maschine") (c) Königlich-preußische Variante: Majestät des Staats (d) Zwangsanstalt 2. Begleitvorstellungen: meist negativ („Racker von Staat")
199 199 199 200 201 203 204
Inhaltsübersicht Zehntes
Kapitel
Stat X : Abstraktum und Wertbegriff A. Die abstrakten
207
Bedeutungsvarianten
207
1. Ratio status: Dämon 2. Vernunftrecht (a) Stat i. S. v. „moralischem Körper" (b) Stat als „metaphysischer Begriff" (c) Stat als „konkrete Gestalt" des sittlichen Lebens
207 208 208 210 210
B. Wertbegriff
212
1. (Negativ): „unbestimmtes Phantom" u n d unpopuläres W o r t 2. (Positiv): „vernünftiger Staat"
213 214
Elftes
Kapitel
Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat und die Reflexion auf seine Bedeutung und seinen Ursprung A. Mehrdeutigkeit
(Polysemie)
216 216
1. Ratio status u n d die sittliche Wertung (17. Jh.) 2. Jüngerer Fürstenstaat, societas civilis (18. Jh.) (a) Staat u n d Kabinett (b) Problem des d o m i n i u m eminens: Wer ist der Besitzer? (c) „Sind Finanz u n d Staat einerlei?" 3. Souveräner Staat u n d Staaten des Fürsten (18./19. Jh.) 4. „ I m State leben" (Überblick u n d Zusammenfassung) 5. Exkurs: Mehrdeutigkeit des Wortes Staat i m späten 19. u n d 20. Jh. . . (a) Dominanter juristischer Wortsinn (b) „Wer ist der Staat?" (Fünf Möglichkeiten) (c) Historische u n d juristische K r i t i k des Wortes
216 216 217 217 217 218 219 219 219 220 222
B. Reflexion
224
6. Erste Versuche 224 7. Die Hoffmann-Nestelsche Dissertation über den „wahren Begrif des Worts Staat" (1767) 225 (a) Darstellung der Dissertation 225 (b) K r i t i k der Dissertation 227 8. Etymologien 229 (a) „Stand" (consistere) 229 (b) „statten" 230 (c) „Zustand" 230 (d) „Stadt" 230 9. Historische Reflexion 231 Ergebnisse und Zusammenfassung
233
Schaubild: Versuche eines Bedeutungsgefüges nach A. O. Meyer
243
Schaubild: Bedeutungsgefüge des Wortes Staat (Stat)
244
Bibliographie
246
Abkürzungsverzeichnis a.a.O. ahd. ALMA ARSP ATB B.St.B. DNL DWb. ebd. fol. frz. HZ idg. i.S.v. lat. MG mhd. MIöG nd. NF o.J. o.O. O.S. PBB PL Philander xr St.B. Städtechronik(en) s.v. UB Vj.f.Zg. XV
W.a.G. Wb. WLG ZfdA ZfdWf ZfP Z(s)
= a m angegebenen Ort (loco citato) = althochdeutsch = A r c h i v u m Latinitatis M e d i i A e v i ( = B u l l e t i n D u Cange) = A r c h i v für Rechts- u n d Sozialphilosophie = Altdeutsche Textbibliothek = Bayerische Staatsbibliothek/München = Deutsche National-Literatur = G r i m m , Deutsches Wörterbuch = ebenda, am selben Ort = folio = französisch = Historische Zeitschrift = indogermanisch = i m Sinne von = lateinisch = Monumenta Germaniae Historica = mittelhochdeutsch = Mitteilungen des Instituts f ü r österreichische Geschichtsforschung = niederdeutsch = Neue Folge = ohne Jahr = ohne Ort = ohne Seitenzählung = Paul/Braunes Beiträge = Patrologia L a t i n a = vgl. B I B L I O G R A P H I E = Seite χ, recto = Staatsbibliothek = Chroniken der deutschen Städte v o m 14. bis ins 16. Jahrhundert; vgl. B I B L I O G R A P H I E = sub verbo (Stichwort i m Lexikon) = Universitätsbibliothek = Vierteljahreshef te f ü r Zeitgeschichte = Seite χ, verso = Die Welt als Geschichte = Wörterbuch = Württembergische Landes-Grund-Verfassung, vgl. BIBLIOGRAPHIE = Zeitschrift f ü r deutsches A l t e r t u m = Zeitschrift f ü r deutsche Wortforschung = Zeitschrift f ü r P o l i t i k = Zeitschrift
Einleitung 1. Fragestellung
„Wie das Wort Staat und die entsprechenden Worte i n den germanischen und romanischen Schwestersprachen zu ihrer modernen Bedeutung gekommen sind", fragte A. O. Meyer i n einem vielbeachteten Vortrag, den er i m Jahre 1930 vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften i n München gehalten hat und der zwanzig Jahre später unter dem Titel „ Z u r Geschichte des Wortes Staat" gedruckt worden ist 1 . Seine Frage dünkt uns heute ein wenig zu zielläufig. Das für Meyer noch unbezweifelte Telos der Wortentwicklung beginnt sich i n der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu verschleiern: die Problematik des „deutschen Staatsgedankens", ja des modernen Staatsbegriffs überhaupt, ist uns durch die geschichtlichen Veränderungen der letzten 30 Jahre eindringlich bewußt geworden 2 . Sogar die Jurisprudenz beginnt an der Brauchbarkeit eines bislang unerschütterten Terminus zu zweifeln angesichts seiner geschichtlichen Belastung durch den Gegensatz zur Sphäre der „Gesellschaft" 3 oder angesichts des zwischen Ost und West zerrissenen Völkerrechts, das eine Begriffsbestimmung „ i m Sinne des Völkerrechts" zur Farce werden läßt 4 . So wendet sich der Blick mit neuem Interesse einer Zeit zu, die die Zerklüftung des gemeinen Wesens i n Staat und Gesellschaft ebenso wenig kannte wie die „Staat werden wollende Nation" oder die abstrakte, Verantwortung und Schuld der Politiker aufzehrende und durch die Weihe der höheren Notwendigkeit absolvierende Staatsperson. Welchen Sinn hatte da das Wort Staat? Die Meyersche Frage ι I n : Die Welt als Geschichte, 10 (1950), 229—239. Vgl. W. Hennis , Z u m Problem der deutschen Staatsanschauung, i n : Vj.f.Zg. V I I (1959), 1 ff. oder H. Maier, Ältere deutsche Staatslehre u n d westliche politische Tradition, Tübingen 1966 (Recht u n d Staat, Nr. 321), 3 f. 3 Vgl. unten Teil I I , Kap. 11. 5, c. Ferner P. Häberle i n ZfP, N F X I I (1965), 382, w o er nicht ohne G r u n d die Frage stellt, ob an die Stelle von Staatsund Verfassungslehre heute „eine Lehre v o m politischen Gemeinwesen" getreten sei, die jene ältere Doppelung i n sich auflöste. Vgl. ebd. A n m . 10 (Literatur!). 4 Als beliebiges Beispiel lese m a n eine Rezension w i e die von U. Keßler zu R. Schuster, Deutschlands staatliche Existenz i m Widerstreit politischer u n d rechtlicher Gesichtspunkte 1945—1963, München 1963, i n : Der Staat, 4 (1965), 370 f. 2
16
Einleitung
muß also „entschärft", sie muß aus ihrer historischen Zielläufigkeit herausgebracht werden. Uns interessiert, wie das Wort Staat, b e v o r es zu seiner „modernen Bedeutung" gekommen war, gebraucht wurde; vielleicht vermögen w i r Heutige dem Angemessenen des älteren Wortgebrauchs gerechter zu werden. Wenn so die Nachgeschichte des Vorgestern gesehen und erfaßt werden w i l l , so sind w i r uns bewußt, daß die bisher herrschende Fragestellung nach der Herkunft des modernen Staatsbegriffs nicht unnütz war oder wissenschaftlich widerlegt wäre. Unsere A r t zu fragen setzt vielmehr die andere voraus; das Leitseil, das frühere Generationen von der Gegenwart i n die Vergangenheit hinab legten, dient auch uns zur Vergewisserung des Standorts i m Vergangenen und zur Erkenntnis des Verhältnisses oder Abstands einer geschichtlichen Erscheinung zum späteren „Resultat". Allerdings dürfen w i r i n dieser Perspektive nicht ohne Not verweilen und uns vom Ende der Entwicklung her den freien Blick verengen lassen. Wer die Nachgeschichte eines Vergangenen schreibt, hat die Chance, mehr und anderes zu gewahren als was auf der Weglinie zur Gegenwart liegt. Wo der andere „Wurzeln" und „Vorstufen" feststellt, sehen w i r „Blüten", „Abspaltungen", „Wandlungen". Wo der andere von der Einheit des (neuzeitlichen) Phänomens Staat her fragt, fragen w i r von den Ansätzen her, aus denen das Wort politischen Sinn gewinnt. Dort ist die Synthese vorausgesetzt, hier soll sie erst gewonnen werden. Wenn die ältere Fragerichtung auch ihre relative Berechtigung hat, so müssen sich ihre Ergebnisse doch vor unserer Perspektive ausweisen. I m folgenden w i r d eine charakteristische Auswahl bisher zum Thema erschienener Arbeiten geboten. Die methodischen Grundsätze unserer K r i t i k sollen dabei nach verschiedenen Richtungen entfaltet (2) und abschließend zusammengefaßt werden (3). 2. Forschungsstand
Ausgangspunkt und Grundlage der neueren Arbeiten zum Wort Staat bildet der Heynesche A r t i k e l i m Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm (1905)5. Er gibt vornehmlich aus literarischen und durch Register erschlossenen historischen Quellen verläßliches 5a , aber — gerade i m engeren politischen Bereich — wenig charakteristisches Belegmaterial. So bleiben nicht nur die früheren politischen Belege s DWb. X . 2, 1, Leipzig 1905, 270 ff. sa Die Belege aus Butschky, Pathmos (1776) erwiesen sich als Übernahmen aus Α. B. Rautner, A n f ü h r u n g zur Teutschen Stats-Kunst, Nürnberg 1672. Der Beleg aus Keisersperg, „irr.schaf f 3a" lautet i n der Ausgabe Straßburg 1514 (Expl. U B K ö l n SD 12/2070) fol. X V ' „dem herren v n d stot", nicht — wie DWb. zitiert — „herren u n d stat". Es mögen verschiedene Ausgaben vorliegen.
2. Forschungsstand
17
unklar 6 , oder sie fehlen überhaupt 7 , auch die Zurechnung oft behaupteten „romanischen einflusses" scheint willkürlich. Tatsächlich setzte hier die K r i t i k zuerst ein 8 . Die A r t der Darstellung folgt dem Grimmschen Modell der gemischten logisch-historischen Gliederung, deren Kennzeichen der vorgeordnete „allgemeine Bedeutungsbegriff" ist. Als lexikologisches Prinzip heute umstritten 9 , erweist er sich i m Fall des Wortes Staat 1 0 als besonders fragwürdig. Denn er setzt die dem juristischen, aus dem Prinzip der „Gesamtperson" konstruierten Staatsbegriff des 19. Jahrhunderts zuneigende Einheitsvorstellung voraus. Demgegenüber bleibt festzuhalten, daß solche Orientierungen ex post keineswegs dem gedanklichen Horizont oder dem Kontext, i n dem die frühen, ζ. T. auch späteren Wortbedeutungen sich aktualisieren, gerecht werden. So muß denn das Grimm-Heynesche Strukturgefüge des Wortes Staat radikal aufgegeben werden, wenn die Geschichte des Wortes, d. h. sein historisches Wesen, nicht vergewaltigt werden soll. Anders als das der Ökonomie, der Überschaubarkeit und klarer Gliederung verpflichtete und historisch-entwickelnder Darstellung gegenüber gehemmte Wörterbuch haben „ungebundene" Arbeiten den Vorzug, Übergänge und Parallelen ausführlich darstellen zu können, insbesondere aber sind sie i n der Lage, ihre ganze Aufmerksamkeit den Kontexten zuzuwenden. Das interpretierende Verfahren ist so recht eigentlich die Aufgabe der nicht-lexikographischen Wortgeschichte. Für unser Wort Staat lassen sich drei Gruppen solcher Arbeiten unterscheiden: a) kurze oder ausführlichere Bemerkungen (à propos), die i n Juridica, Historica oder Philosophica eingestreut sind; b) einzelne Abschnitte oder Kapitel i n Staatslehren und Handbüchern; c) 6
Der genannte Beleg aus Keisersperg w i r d f ü r „politisches regiment" angeführt. M i t Rücksicht auf die Stellung zwischen „herrn" u n d „nechsten" dürfte stat (stot) k a u m die abstrakte Vorstellung Regiment, sondern eher die — frz. estât entlehnte — persönliche Bedeutung „magistrat" haben; vgl. unten T e i l I, Kap. 2 („Stand"). 7 Dies gilt für Belege aus der diplomatischen und politischen Geschäfts spräche u n d Gelehrtensprache, aus denen einzelne Varianten des Wortes ihren Anfangssinn beziehen. s Vgl. Meyer 232 f. 9 Vgl. W. Schmidt, Lexikalische u n d aktuelle Bedeutung. E i n Beitrag zur Theorie der Wortbedeutung. B e r l i n 1963, 35 f. 10 „Staat: selbständige politische gemeinschaft nach leitung, gliederung und besitz"; Einzelbedeutungen lauten: „als allgemeiner begriff: etwas wider den Staat reden", „ i n engem Zusammenhang damit von einzelnen arten selbständiger politischer gemeinwesen", „ v o n einzelnen selbständigen politischen einheiten m i t geographischer u n d anderer genauer bestimmung", „bisweilen ist besonders das gebiet gemeint, das einem politischen ganzen von personen gehört, das unter einer herrschaft steht u n d seiner Verwaltung nach selbst ein ganzes darstellt" a.a.O. 2 Weinacht
18
Einleitung
Abhandlungen, die sich ausschließlich mit dem Wort (Monographien).
beschäftigen
Da sie fast durchweg von Juristen und Historikern verfaßt sind, steht die Entwicklung des „modernen Staatsbegriffs" i m Vordergrund, sei es als Nationalstaat oder als Staat „ i m Rechtssinne". Allerdings sind die Herleitungen, die Bestimmung des Ausgangssinnes, die vermuteten Gründe seiner Wandlung und Entwicklung äußerst vielgestaltig und phantasievoll. (a) Aus der ersten, unübersehbar großen Gruppe hebt sich als wohl beste Arbeit die von Adolf Stölzel (1888!) heraus, die brandenburgische Quellen auswertet 11 . Stölzel findet den „Übergang zu dem heutigen Begriffe des ,Staates4" i n Urkunden aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg, i n denen der „Hofstaat" dem „ganzen status reipublicae" gegenübergestellt wird. Er w i l l ihn auch in Seckendorffs „FürstenStat" (1656) erkennen, da hier vom „Fürsten- und Hofstaat" die Rede sei. Jedenfalls bleibe das Wort Staat i. S. v. „Gesamtheit der öffentlichen Angelegenheiten" auch nach 1700 vereinzelt, und mit dem Königt u m sei diese Bedeutung keineswegs in die amtliche Sprache eingezogen. „Status publicus", „Estat" und „Republic" seien vielmehr bis i n die Mitte des 18. Jahrhunderts die gängigeren Ausdrücke. Die Vorstellung des „Staats" als festen Rechtskörpers stamme aus der Endzeit der Regierung Friedrichs des Großen. Innerhalb der Abhandlung, die Stölzel schreibt, erfüllt diese Skizze des „amtlichen" brandenburgischen Wortgebrauchs, der durch gute Belege vorgestellt wird, ihren Zweck. Für eine Geschichte des politischen Wortes i m Deutschen bedarf es mehr: Auswertung anderer als nur Brandenburgischer Quellen, um entscheiden zu können, ob es sich um landschaftliche Sonderbewegungen handelt; die Berücksichtigung der nicht-amtlichen Sprache, um möglichst viele Faktoren der Einbürgerung und Wandlung von Bedeutungen sichtbar zu machen; die Beobachtung der Übersetzungstexte, die status, état, stato i n Umschreibungen oder Wortgleichung wiedergeben und vor allem die behutsame Unterscheidung typischer Kontexte des Wortes, i n denen seine Bedeutungen feste Kontur gewinnen oder ineinander übergehen. Solange diese — den Rahmen einer nicht-philologischen Arbeit sprengenden — Voraussetzung nicht erfüllt sind, kann füglich kein abschließendes Urteil über Herkunft, Zeitpunkt und A r t des Bedeutungswandels gegeben werden. 11 A. Stölzel, Brandenburg-Preußens Rechtsverwaltung und Rechtsverfassung dargestellt i m W i r k e n seiner Landesfürsten und obersten Justizbeamten, 1. Bd., B e r l i n 1888, 17 ff.
Einleitung
19
Genau dies aber ist das Kennzeichen vieler juristischer und historischer Abhandlungen, die i m Vorbeigehen eine in die Richtung ihres Fragens passende12 wortgeschichtliche Konjektur anbringen. Geschieht es m i t der nötigen Vorsicht, als Gewahrwerden einer Möglichkeit, so ist dagegen nichts einzuwenden, ja i m Gegenteil: die philologische Wortforschung bleibt wesentlich auf solche i m Sachzusammenhang gewonnene Einsicht angewiesen. Meistens w i r d jedoch das eben Entdeckte generalisiert und ohne genügend Belegmaterial als gefügiger Nebenbeweis für eine These verwendet. (b) Vorbehalte, wie die eben getroffenen, gelten naturgemäß auch für historische Bedeutungsübersichten, die — scheinbar selbständig und ohne die Funktion des Nebenbeweises — in Handbüchern und Staatslehrbüchern gegeben werden. Ihre Perspektive ist meist auf die Vorgeschichte eines als modern definierten „Staatsbegriffs" 13 ausgerichtet. Loening versucht i m Unterschied zu Stölzel eine allgemeine historische Einordnung. Das Wort („der technische Ausdruck") sei, nachdem es i m Italienischen und Französischen den Sinn von „Staat" angenommen habe, i m 17. Jh. von der deutschen Sprache aufgenommen worden: „Zuerst erscheint es auf dem Titel einiger Werke über Staatskunst, die nach dem Vorbild Boteros eine Klugheitslehre für den Fürsten und Staatsmann zu geben bezwecken, so ζ. B. i n G. E. Löhneys, Hof-, Staats- und Regierungskunst, 1622 (doch findet sich i n dem umfangreichen Werke, soviel ich sehe, der Ausdruck Staat nicht) 1 4 ." Die Angabe des ersten deutschen Belegs ist falsch 15 , die „ T i t e l einiger Werke", auf die angespielt wird, liegen sämtliche in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. 12 Historiker: S. Riezler, Geschichte Bayerns, Bd. 6, 88 f.; ders. Z u r W ü r d i gung Herzog Albrechts V. von Bayern u n d seiner inneren Regierung, i n : Abhandlungen der histor. Classe der königl. bayer. Akad. d. Wiss., 21. Bd., 1. Abtig., München 1895, 65 ff.; R. Wittram, Das Interesse an der Geschichte, Göttingen 1958, 35 f.; H. Heimpel, Deutsches Mittelalter, Leipzig 1941, 50 ff. — Juristen: A. L. v. Reyscher, Die Rechte des Staats, Leipzig 1863, 6 ff., H. Schulze System des deutschen Staatsrechts, Leipzig 1865, 124; J. C. Blunt schli, Allg. Staatslehre, Stuttgart 1875, 24 A n m . 1; H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, 129, 240; H. Ehmke, „Staat" u n d „Gesellschaft" als verfassungstheoretisches Problem, i n : Staatsverfassung u n d Kirchenordnung (Festgabe für R. Smend), Tübingen 1962, 27 f. 13 Seit Schlözer betont man das Kennzeichen des Generischen; Bluntschli erklärt: „ A n sich v ö l l i g indifferent (er bezeichnet ursprünglich jeden Z u stand, u n d offenbar ergänzte man anfänglich status reipublicae, u m eine nähere Beziehung zu dem State zu erlangen) ist dieser Ausdruck m i t der Zeit zu der allgemeinsten . . . Bezeichnung des States geworden." A l l g . Statslehre, Stuttgart 1875, 24 Anm. 1. 14 E. Loening, A r t i k e l „Staat", i n : Handwb. der Staatswiss., Jena 1911, 7. Bd., 693. 15 Loening nennt den T i t e l der zweiten, von J. Gerhard i m Jahr 1679 herausgegebenen Auflage und datiert i h n auf 1622, das Erscheinungsjahr der
2·
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Einleitung
Eine — von der Ungenauigkeit der Belege abgesehen — der Loeningschen vergleichbare Skizze bietet G. Jellinek. Seine auf Machiavelli zugeschnittene Ausgangsbestimmung lautet: „Dem Bedürfnis nach einem allgemeinen, sämtliche staatliche Bildungen umfassenden modernen Worte wurde zuerst i n Italien entsprochen." Zum 17. Jh. heißt es: „ I n Deutschland schwankt die Bedeutung von status lange Zeit." Immer wieder hört man: „Lange aber ist die Terminologie noch unsicher" oder „Noch aber haftet dem Worte ,Staat' ein Doppelsinn an" oder „Selbst i n kleineren Staaten findet man i n dieser Zeit (seil. 19. Jh.) denselben unklaren Sprachgebrauch", und der wortgeschichtliche Überblick endet mit der ausdrücklichen Warnung: „Irgendwelche staatsrechtliche Deduktion aus all diesen Bezeichnungen ist ganz unzulässig." Die Optik, aus der heraus Bedeutungsgeschichte getrieben wird, ist völlig eindeutig: Es geht um die Vorgeschichte des juristischen Staatsbegriffs bzw. um den „Ausdruck" für ihn, der sich seit dem 18. Jh. unter dem Einflüsse der staatswissenschaftlichen Literatur „konsolidiere" 1 6 . Eine ganze Reihe ansprechender Erklärungsversuche für den Bedeutungswandel des Wortes, das nicht bei Machiavelli fixiert, sondern aus der römisch-rechtlichen und der christlichen Tradition verstanden wird, bietet der gedrängte Überblick bei Waldecker 17 . Wichtig ist sein Hinweis auf die naturrechtliche Gesellschafts- und Staatslehre, die unser Wort habe bilden helfen. Voraussetzungen hierfür lägen i n der Ausweitung des zunächst römisch-privatrechtlich, dann mittelalterlichständisch gedachten status (Rechtsstand). Das Wort status sei ein Versuch, die auf der Grundlage des Rechts geschaffenen festen Einrichtungen generalisierend zu umschreiben. Abgesehen davon, daß Waldecker nur wenig Belege bietet, bleiben Fragen offen: Ist die lateinsprachliche Bedeutungsentwicklung für die Erklärung des volkssprachlichen Wortgebrauchs ausreichend? Wurde „Staat" nur vom Lateinischen beeinflußt? Wann w i r k t sich die naturrechtliche Strömung i m Verständnis des Wortes status (Staat) aus? Wie verhält sie sich zu den anderen Bedeutungen des Wortes? ersten: G. E. Löhneyß, Aulico Politica. D a r i n gehandelt w i r d 1. V o n Erziehung v n d Information Junger H e r r n . . . , Remlingen 1622. Es stimmt auch nicht, daß darin der „Ausdruck Staat" nicht vorkomme. A u f S. 629 findet sich ein Verzeichnis, „was auff der hohen Empter Stadt oder Monatliche Besoldung gehet"; also „Stadt" i.S.v. Pension, Entgelt. U n d ebd.: Die Standespersonen müßten sich auf Feldzügen zusammentun, „wofern der Kriegßherr etwan solchen noch darzu grosse Stadt/ m i t Koch- . . . v n d Cammerwagen v n d dergleichen h e l t " ; also „Stadt" (f.) i.S.v. standesgemäßer A u f wand. i6 G. Jellinek, Allg. Staatslehre, B e r l i n 1914, S. 130—134. it L. Waldecker, Allg. Staatslehre, Berlin 1927, 201 ff.
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Auch die neue „Allgemeine Staatslehre" von H. Krüger widmet der Bedeutungsgeschichte des Wortes mehrere Seiten 18 . Noch immer w i r d die Linie der Abstraktion gesucht, die von status zu „Staat" führt. „Das Auftreten des Wortes ,Staat' bezeichnet... den Zeitpunkt, i n dem man beginnt, sich nicht mehr als Person, sondern ,allgemein' und ,institutionell' zu verstehen, wenn es um die Existenz der Gruppe geht 1 9 ." Jene ältere Erklärung, status werde zu „Staat", da dieser für die Menschen „zum Status schlechthin" geworden sei, überzeugt Krüger nicht. Er sucht nicht nur den formal-rechtlichen Staatsbegriff, sondern einen inhaltlich gefüllten (weltlich, aktiv, rational), d. h. den Begriff „ i n seiner spezifischen Bedeutung". Diesen Begriff glaubt er in der Linie der Staatsräson-Literatur zu finden. Dort spürt man „den Geist moderner Staatlichkeit". Die oberitalienischen Stadtherrschaften, an denen Machiavelli seine Theorie der Staatsräson entwickelte, seien wohl der geschichtliche Grund und die konkrete „Lage", i n denen das Wort seine moderne Bestimmung gewonnen habe 20 . Krüger sieht seine Erklärung und Wortskizze als „nichts Endgültiges" an. Man w i r d jedenfalls die idealtypische Charakterisierung des „modernen Staats" durch die Schlagworte „Weltlichkeit, Rationalität, A k t i v i t ä t " auch für die Epoche der Ratio-status-Rezeption nur vorsichtig anwenden dürfen: Schließlich t r i f f t die „italienische" Linie i n Deutschland auf feste Traditionen des Fürstenstaats, die sich dem neuen Geist nicht widerspruchslos anpassen. Insbesondere wäre zu fragen, wie sich der „Stat" der Ratio status zum ständischen „Stat" verhält! (c) Eine dritte Gruppe von Arbeiten befaßt sich i n ausführlicherer Weise monographisch m i t dem Wort Staat, bzw. mit status und seinen volkssprachlichen Derivaten. Das Interesse an Herkunft und Schicksal des Wortes war in vielen europäischen Ländern — gleichzeitig mit der Blüte der (deutschen) Staatsrechtslehre — vor und nach dem Ersten Weltkrieg besonders lebhaft 2 1 . Die Fragerichtung war aber auch hier is H. Krüger, Allg. Staatslehre, Stuttgart 1964, 1. Kap., S. 8—14. ι» Krüger 172. 20 Krüger stützt sich m i t der Rückführung auf einen historischen K o n t e x t oder — w i e er sagt — eine „staatliche Kernlandschaft" i m weiteren Sinn auf C. Schmitt, i m engeren auf E. Kern, der den stato des italienischen Berufspodestà als Prototyp des neuzeitlichen Staates beschreibt. Vgl. E. Kern, Moderner Staat u n d Staatsbegriff, Hamburg 1949, 25 f. 21 E. Nys, L'Etat et la notion de l'Etat, i n : Revue de droit international et de législation comparée, 1901, 418 ff.; H. C. Dowdall, The w o r d „State", L a w ,Stato 4 ( I l nome ,stato 4 i n Machiavelli), i n : Archivio Giuridico 89 (1923), 223 ff., Quarterly Review, Bd. 39 (1923), 98 ff.; Ο. Condorelli, Per la storia del nome
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Einleitung
zumeist diejenige Jellineks: Man prüfte, wann und wo das Wort den Inhalt gewinnt, den man i m rechtstechnischen Sinn als modern ansehen kann: „l'idée de personne juridique poursuivant une mission supérieure" 2 2 ; dem entspricht das K r i t e r i u m der „Staatsgewalt" für die Gliederung der Bedeutungen von stato („soggetto", „oggetto di potenza") 23 , die Modellfunktion, die der „sovereign prince" für die Qualifikation einer Herrschaft als „state" (stato) hat 2 4 . Nur wenige verlassen den Weg der juristisch-begrifflichen Fragestellung, etwa jüngstens J. Hexter i n einer Untersuchung über das Wort stato in Machiavellis Principe. Die Festigkeit von „lo stato" liegt nach Hexter nicht i n der definierten Bedeutung, sondern i n der Haltung, die ihm entgegengebracht werde: „and the attitude is exploitative" 2 5 . Die bislang wichtigste Arbeit für die Geschichte des deutschen Wortes stammt aus der Feder eines Historikers: A. O. Meyer 2 6 . Er findet i n der diplomatischen Korrespondenz der frühen Regierungszeit des Großen Kurfürsten die Schlußstücke, die die „Brücke" von der Grundbedeutung, bzw. den ersten Anschlußgliedern zu der Endbedeutung des Wortes bildeten. Meyer weist ausdrücklich auf den „Parallelismus" der Bedeutungsentwicklung von status und seiner Derivate hin; er hält dafür, daß das deutsche Wort den gleichen Weg, nur später und dafür i n kürzerer Zeit, durchmessen habe. „Dieser Parallelismus ist natürlich nicht philologisch, sondern historisch-politisch zu erklären." Die Schaffung eines einheitlichen Staats sei eben in Deutschland 100 Jahre später zum Abschluß gekommen als i n den anderen Ländern. M i t dieser These 90 (1923) 77 ff.; J. W. Muller, Recht, Wet en Staat, i n : Mensch en Maatschappij, 1 (1925), 131 ff. A. O. Meyer hat von diesen Vorarbeiten offenbar keine Notiz genommen. Jüngere Darstellungen gelten insbesondere dem Wortgebrauch Machiavellis, vgl. unten Teil I, 3. Kap. A n m . 46. 22 Nys 420 i n Bezug auf „l'entourage d u souverain"! 23 Condor elli Bd. 90, 89 ff. 24 Dowdall 104. 23 j . Hexter, I I principe and lo stato, i n : Studies i n the Renaissance, Vol. 4 (New York) 1957, 123. 26 A.a.O. Einige Ungênauigkeiten bei den Belegen gehen w o h l zu Lasten des Herausgebers G. Franz: S. 231 A n m . 5 ist die falsche lateinische Entsprechung zu „ A l l e x a n d r i state" angeführt; S. 234 f. ist ein Reinking-Zitat mißverständlich abgekürzt: „ w e i l res ipsa auch nicht gut teutsch ist" bezieht sich nicht — w i e man annehmen muß — auf das „ W o r t Staad", sondern auf „Ratio Status"; S. 236 ist die von Isaacsohn mitgeteilte Stelle: Rechtshändel, „die i n den Statum des Kurfürsten einliefen" auf die „oberste Regierungsbehörde" gedeutet. Tatsächlich aber bedeutet der Ausdruck „ i n den Staat einlaufen" nicht den konkreten Posteingang, sondern ist abstrakt aufzufassen, etwa: „die kurfürstlichen Interessen tangieren"; das Zitat aus den Acta Aragonensia muß lauten: „ t u r b a b i t medullitus omnem statum". Der A u t o r des Spicilegs „Pathmos" heißt nicht „ v o n ßutschky u n d Butinfeld", sondern „ v o n Butschky u n d Rutinfeld" (S. 235).
2. Forschungsstand
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bestreitet Meyer die i m DWb. von Heyne geäußerte Vermutung, daß französischer und niederländischer Einfluß für die letzte Phase der politischen Bedeutungsentwicklung maßgebend gewesen seien (1). Meyer sieht das Studium politischer Akten bei einem Wort von so politischem Klang als „unbedingt erforderlich" an (2). So zeichnet er denn, i n Übereinstimmung mit den von ihm geprüften Brandenburgischen Urkunden, den „Staat" als die Summierung sämtlicher Hoheitsrechte und Machtansprüche des Fürsten (3). Zugrunde liege das Bedürfnis, die ehemals zwischen Ständen und Fürst geteilten Rechte, die jetzt i n einer Hand vereinigt sind, mit einem einzigen Wort zu benennnen. Nachdem ein Summenbegriff geschaffen sei, der sich nicht mehr auf einen der Unterbegriffe (Regiment, Würde, Interesse usw.) festlegen lasse, nähere sich die Bedeutung des Wortes i n der zweiten Hälfte des 17, Jahrhunderts zwei weiteren Begriffen, „ m i t denen die Entwicklung zum Abschluß kommt: Staatsgebiet und Staatsmacht" (4; vgl. das Schaubild unten S. 243). Zuletzt weist Meyer auf die für Deutschland typische negative sittliche Bewertung des Wortes h i n und meint: „Erst nach dem Sturz des Absolutismus, i m 19. Jh., hören w i r Klänge wie . . . Dahlmanns: ,Eine heilige Sache der Staat' " (5). Das Verdienst dieser Arbeit Meyers liegt darin, die Kontinuität der Entwicklung des deutschen Wortes innerhalb eines bestimmten historischen Kontexts betont und vorschnelle Einfluß-Zurechnungen gegen Heyne abgewehrt zu haben. Es fragt sich jedoch, ob Heyne mit der Auswertung der literarischen Quellen bereits am Ende war, wie Meyer unterstellt, oder ob nicht die entscheidende Phase der Bedeutungsentwicklung auch an solchen Quellen gezeigt werden könnte (2). Vielleicht w i r d sich anhand literarischer Einflüsse (Übersetzungen usw.) das Urteil über etwaige Abhängikeiten, die Meyer rundweg abwehrt und Heyne ohne Beweis behauptet, verifizieren lassen (1). Ferner wäre die politische Sprache Brandenburg-Preußens m i t der anderer deutscher Länder zu vergleichen, in denen andere Verfassungsverhältnisse bestehen; vielleicht ergibt sich dort ein anderes B i l d vom „Stat" als das einer Summe fürstlicher Machtbefugnisse (3). Fraglich ist auch, ob die Bedeutung Staatsgebiet, dem „Parallelismus" gehorchend, erst am Schluß der Entwicklung steht (4). Insbesondere aber muß die Kühnheit überraschen, mit der Meyer die negative sittliche Bewertung des Wortes bis zum Sturz des Absolutismus andauern läßt. Hier wäre zu prüfen, ob das Wort Staat i m ganzen 18. Jh. auf den absoluten Staat des Fürsten und die Politik der Staatsräson bezogen wird, und ob es sich bei der negativen Bewertung wirklich u m eine typisch „deutsche" Erscheinung handelt (5).
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Einleitung
Eine ganze Reihe von Fragen bleibt offen. Eine Fülle von Bedeutungen des Wortes bleibt unberührt. Warum? Den Juristen vergleichbar, hat der Historiker Meyer nicht die Geschichte des Wortes Staat, sondern wiederum nur die Vorgeschichte eines Staatsbegriffs untersucht, von dem er glaubt und wünscht, daß er der heutige Staatsbegriff der Deutschen sein oder werden möchte 27 . Die Geschichte des Wortes war ihm Anlaß zu einer Geschichte des deutschen Staatsgedankens. Nach Meyer haben sich noch einmal Juristen des Wortes angenommen, um die konkrete Lage zu zeigen, in der „der moderne Staatsbegriff . . . zur Welt gekommen" sei (Smend). Smend verweist auf italienische Rechtsurkunden um 1400, i n denen status als „Rechtsbegriff" vorkomme 2 8 , E. Kern zieht den italienischen Berufspodestà des 13. und 14. Jahrhunderts und dessen „Macht- und Herrschaftsapparat" heran 2 8 a . Das Fazit, das aus einer kritischen Sichtung der Literatur zu ziehen wäre, hat H. Krüger 1964 so formuliert: „Herkunft und Geschichte der Begriffe, die der Staatslehre zugehören, sind keineswegs vollständig erforscht. Das gilt insbesondere für den Terminus Staat selbst 29 ." 3. Methodisches und Aufbau der Arbeit
(a) Unsere Arbeit versteht sich als Beitrag zu einer Geschichte der europäischen Schlüsselwörter stato, estado, état, state, Staat. Da sich hinter gleichklingenden Wörtern oft ganz verschiedene Anschauungen verbergen und die Anschauungen vielfältig sind wie die Gemüter der Menschen 30 , bedarf es vor einer wortvergleichenden Studie, wenn sie überhaupt möglich und zu leisten ist 3 1 , gründlicher wortgeschichtlicher 27 Vgl. den Schlußsatz: „Die Hoffnung freilich . . . f ü r Millionen Deutscher sei n u n der deutsche Staat zum deutschen Vaterlande geworden, ist heute noch nicht erfüllt." Meyer 239. 27a Vgl. die bezeichnenden Worte von G. Franz i n der Vorbemerkung zu Meyers Aufsatz, S. 229: „Seitdem hat er sich immer erneut m i t der Entwicklung des deutschen Staatsgedankens beschäftigt. Seine Studien ,Aus der Geschichte des deutschen Nationalgefühls 4 . . . zeugen davon." 28 R. Smend, Staat u n d Politik, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, B e r l i n 1955, 367 f. 28a E. Kern, Moderner Staat 23 ff. 29 Krüger 8. so H. Finer sagt treffend: „Jeder von uns blickt durch das W o r t »Staat' hindurch i n die Tiefe des eigenen Innern u n d macht sich sein eigenes B i l d einer Ordnung", ders., Der moderne Staat, Theorie u n d Praxis, Bd. 1, Stuttgart/Düsseldorf 1957, 15. 31 R. Smend verweist anläßlich einer Betrachtung des Wortes Staat auf „leider noch nicht geschriebene A r t i k e l des Lexikons der europäischen Sprachen" (Staat u n d Politik, zit. oben A n m . 28, S. 366); man hat allerdings
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Einzelstudien. Der gemeinsame Ursprung aus dem lateinischen Wort status macht dabei eine Isolierung der nationalen Perspektiven ebenso unwahrscheinlich wie die Tatsache der gelehrten, diplomatischen, geschäftlichen Kommunikation zwischen den europäischen Völkern, i n deren Verlauf ihre Sprachen und Ideen sich einander angenähert haben 32 . Insbesondere die Übersetzungen politischer Schriften bilden für die Beurteilung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede eine hervorragende Grundlage. Unsere Monographie über das Wort Staat hat so einen doppelten sprachlichen Hintergrund: das gelehrte Latein (status) und die europäischen Partnersprachen i m Bereich von Krieg und Politik, also vornehmlich das Französische, Italienische, Spanische, Englische, Niederländische. Der Bedeutungsstand von status ist wichtig, weil er den Ausgang für das Lehnwort darstellt und weil er überhaupt den frühen Verwendungen die Richtung weist. Als gelehrtes Wort w i r d „stat" ja von Männern gebraucht, die die lateinischen Wendungen i m Ohr haben. Für die jüngere Zeit verhält es sich ähnlich m i t stato, état, Staat. Es ist undenkbar, daß ein politisch Gebildeter oder diplomatisch Versierter des 16. und 17. Jahrhunderts das deutsche Wort Stat gebrauchte, ohne die modischen Redeweisen der Italiener, Franzosen, Niederländer wenigstens zuweilen mit zu hören. Bedeutet das nun, daß der deutsche Wortsinn aus den andern Sprachen „entlehnt" ist? Keineswegs! Es bedeutet lediglich, daß das Wort für solche Einflüsse besonders disponiert war. Es bleibt am Einzelfall zu entscheiden, ob die deutsche Sprache aus sich heraus oder durch Anleihe neue Bedeutungen schafft. Solange es genug deutsche Kontexte gibt, die die Annahme einer kontinuierlichen Bedeutungslinie rechtfertigen, braucht die Entwicklung des Wortes nicht auf fremdsprachigen Einfluß zurückgeführt zu werden. (b) Bedeutung und Kontext verweisen aufeinander; durch den Kontext gewinnt das weitgespannte, vage, soziale, abstrakte Wort seine Bestimmtheit: Es w i r d engumgrenzt, präzise, individuell, konkret 3 3 . Wir können den genauen Sinn eines Wortes über seinen Kontext erschließen, weil es ihn allererst vom Kontext empfängt. von philologischer Seite Bedenken, für Universalia (also auch f ü r „Staat") wortvergleichende Studien zu unternehmen, vgl. W. Schmidt-Hidding, Zur Methode wortvergleichender u n d wortgeschichtlicher Studien, i n : Europäische Schlüsselwörter, Bd. 1, 1963, 18 f. 32 Vgl. W. Betz, Deutsch u n d Latein, Die Lehnbildungen der althochdeutschen Benediktinerregel, Bonn 1949. 33 H. Weinrich, L i n g u i s t i k der Lüge, Heidelberg 1966, 15 ff.
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Das gilt für die punktuelle Leistung des Wortes wie für die langfristige Bedeutungsentwicklung. Durch regelmäßige kontextuelle Beeinflussung verändert das Wort dauerhaft seinen Sinn; durch verschiedene solcher Bestimmungen verzweigt es sich i n verschiedene Bedeutungsvarianten. Um ein Beispiel zu geben: Das vage Wort status gliedert zwei Sonderbedeutungen aus: status regis und status regni. Das Nachbarschaftsverhältnis zu rex und zu regnum gibt dem Wort status einen je präzisen Sinn. Gleichwohl ist der status regis für sich selbst betrachtet wiederum ein (relativ) weitgespanntes, abstraktes Wort, das kontextueller Eingrenzung zugänglich ist. — Wie muß der Kontext beschaffen sein, der die Abspaltung ganzer Bedeutungsvarianten bewirkt? W i r rechnen die Wortnachbarn und den Satz zu ihm, i n dem das Wort seine syntaktische Funktion hat. Wir rechnen aber auch das Buch hinzu, i n dem dieser Satz steht, die geistige Richtung, die das Buch vertritt, j a die bewegenden Kräfte der Epoche. „Wörter, die speziell einer geschichtlichen Epoche angehören, lassen sich nicht ohne stete Bezogenheit auf diese Epoche erklären 3 4 ." So gewinnt etwa „stat" i m 15. Jh. seine Leuchtkraft erst dann 3 5 , wenn man es vor dem Hintergrund des christlichen Gradualismus sieht, i m 17. Jh. w i r d das Wort unter den Bedingungen der absolutistischen und der Ragion-di-stato-Lehre einen anderen Sinn haben als i m Bereich ständischen Denkens, und i m 18. Jh. w i r d die Aufklärung das Wort an die zum Glück berufene bürgerliche Gesellschaft anlegen. Diese epochalen Bezüge wirken nicht nur auf den Gefühlston oder auf den Nebensinn des Wortes, sondern unmittelbar auf seine Hauptbedeutung, die man i n der Semasiologie als „logischen Begriffskern", „Zentralbegriff" oder „gegenständlichen Kern der Wortbedeutung" zu bezeichnen pflegt 36 . W i r werden also aufgrund der unterschiedlichen Epochenbedingungen unterschiedliche Kontexte für das Wort und damit unterschiedliche 34 Schmidt-Hidding 31. 35 Z u m K o n t e x t des Wortes gehört auch die Erwartung, die m a n i h m j e weils entgegenbringt; Weinrich spricht hier von „Vorinformation" (Weinrieh 57 f.). I n Gadamer s „hermeneutischer Situation" sind die S t r u k t u r m o mente des für das Verstehen konstitutiven Textzusammenhangs „Tradition" philosophisch entfaltet; H. G. Gadamer , Wahrheit u n d Methode, Tübingen 21965, 285 ff. 3β Vgl. H. Kronasser, Handbuch der Semasiologie, Heidelberg 1952 u n d H. Sperber, Einführung i n die Bedeutungslehre, Bonn/Leipzig 1922, 3. I m Blick auf die maßgeblichen Forschungen der neueren Sprachwissenschaft sagt Hugo Kuhn: „Wörter bezeugen Sachen . . . Die Sachen bedingen Wörter: geschichtliche K r ä f t e u n d Bewegungen spiegeln sich i n Wortschatz u n d Syntax" (Germanistik als Wissenschaft, i n : ders., Dichtung u n d Welt i m Mittelalter, Stuttgart 1959, 78).
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Bedeutungen haben. Sie eilig abzugleichen, zu harmonisieren, als Aspekte einer Bedeutung zu sehen, ist nicht erforderlich. Es geht uns nicht um ein juristisches Konstruktionsprinzip der Staatlichkeit, sondern um das Wort Staat i n seinem konkreten Gebrauch. (c) So halten w i r uns an die sprachlichen und geschichtlichen Zusammenhänge, i n denen das Wort seinen je konkreten Sinn erhält. W i r lösen uns von der neueren Einheitsvorstellung des Wortes, daß i m „Staat" Staatsgewalt, -volk und -gebiet immer mitgedacht werden müßten, daß von einem Leistungszusammenhang oder einem obersten Zurechnungspunkt auszugehen sei. Statt dessen verfolgen wir, wie sich das Wort i n seinen Varianten von verschiedenen Bereichen her vorwärts bewegt und zu einem Aggregat politischer Bedeutungen 37 zusammenwächst. Indem dieses Aggregat i n der Theorie auf eine begriffliche Formel gebracht wird, ist es keineswegs auf höherer Stufe „aufgehoben", sondern entscheidend verändert. Es w i r d unser Ziel sein, das geschichtlich bedingte Bedeutungsgefüge sichtbar zu machen, aus dem sich später der juristische Begriff ausgliedern und zu alles überschattender Dominanz erheben wird, ferner zu zeigen, aus welchen Anfängen die politischen, dann staatlichen Bedeutungen herausgewachsen sind und unter welchen Bedingungen sie sich entfaltet haben. Das ist die Aufgabe der Wortmonographie. Sie blickt auf die geistige Spannweite eines sprachlichen Gebildes oder „Zeichens", nicht auf Der Begriff des Politischen muß m i t Rücksicht auf die ältere Zeit w e i t gefaßt werden: I m „guten Recht" wurzelnd erstreckt er sich auf den Gesamtbereich des gemeinen Wesens oder der ständischen Gesellschaft; „politisch" gehört nicht n u r zum H a u p t w o r t „ P o l i t i k " (politica prudentia), sondern zum H a u p t w o r t „Policey" (politia), das die Wohlordnung der Gesellschaft u n d die „gut angestellte" Gesellschaft selbst bedeutet. Bis ins 18. Jh. hinein steht das Politische i n einer Reihe m i t den Begriffen des Ethischen u n d ökonomischen u n d w i r d i n den aristotelischen Kategorien der philosophia practica ausgelegt. „Politicus" ist die Qualität des guten bürgerlichen Lebens — so bezeugt durch eine Reihe älterer Vokabularien, vgl. Vocabularius Predicantium, Argentinae 1504, s.v. „Politia/ ordenunge der stat/ burgerschafft Sammlung. Politica virtus/ sytlich tugent." Vgl. Keisersperg, Predig, Straßburg 1517, fol. 113 r : „ a n i m a l p o l l i t i c u m . . . ein gesellig thier". M i t der K o n solidierung der fürstlichen „Souveränität" wandert das W o r t i n die Sphäre der Regentenmacht; die „ R a t h des Fürsten" heißen i m 17. Jh. „Weltliche Politische Räth" (A. Albertinus, Der Welt T u m m e l - u n d Schaw-Platz, Augsburg 1617, 1013, 1018), so w i e sich das Substantiv Politicus i m m e r mehr auf jene Leute einschränkt, „deren eygentlicher Beruff ist/ daß es m i t dem Liecht der guten Wissenschafft/ die sie u m b aller Fürsten I n t e r esse haben/ deren sonderbare Bedencken . . . zuerkündigen wissen sollen" (T. Boccalini , Relationes auß Parnasso, F r a n k f u r t 1655, 601). Die ältere ständische Bedeutung k l i n g t noch bei Chr. Jacobi Rochlicensis an: „ E i n Politicus (soll) . . . seiner Reipublicae rathen u n d helffen" (Tractatus de Republica, Jena 1647, 17). Vgl. neuerdings auch die wortgeschichtliche Studie von W. Mohr, Politische Dichtung, i n : Merker/Stammler, Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, Bd. 3, Beri. 21966, 157 f.
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einen bestimmten „Inhalt", der bald i n dieser, bald in einer anderen sprachlich-lautlichen Form repräsentiert wird. W i r unterscheiden uns daher von der Fragerichtung der inhalts- und feldbezogenen Wortforschung 38 , die jedes Wort hinsichtlich eines bestimmten geistigen Inhalts i n einem „Feld" verortet, innerhalb dessen es seine Geltung besitze und das Weltbild der Sprachgemeinschaft mitbestimme^. Auch w i r berücksichtigen das sprachliche Feld; aber nicht als hierarchisch gegliederte lückenlose Ordung von Sprachinhalten, sondern als bewegliches, epochen- und situationsbedingtes Aggregat. Es hat rein dienende Funktion: Vom Feld ist die Rede, wenn und insoweit es einer Variante des Wortes Kontur zu geben vermag. Die „Einheit des Wortes" liegt für uns primär in der Einheit der Herkunft aller Varianten 4 0 . Damit sei unser Verfahren abschließend noch einmal gegen eine methodologisch unerhellte juristische Fragestellung abgegrenzt. Diese prüft die Geltung geschichtlicher Wortbedeutungen an einem „Begriff", d. h. vor dem Hintergrund eines fachsprachlich definierten Kontextes. Scheint eine solche Geltung gefunden, so w i r d nur noch gefragt, wie lange es dauert, bis der so gefundene Begriff konsequent verwendet und alleinherrschend geworden ist. Demgegenüber ist festzuhalten, daß für die Geschichte des politischen Wortes Staat die fachsprachliche Eingrenzung erst i n jüngster Zeit, nämlich seit dem 19. Jh., erheblich geworden ist. Damit aber muß die juristisch verengte Fragestellung am wortgeschichtlichen Thema vorbeiführen: Sie sieht weder den Stellenwert, den die fachsprachliche Verwendung i n der allgemeinen Verwendung des Wortes hat, noch vermag sie seine politischen Bedeutungen zu würdigen. Insbesondere aber fehlt ihr der Blick für 38 Dazu L. Weisgerber, Hauptgesichtspunkte inhaltsbezogener schung, i n : Europäische Schlüsselwörter I, 1963, 13.
Wortfor-
™ Z u m Ganzen: S. öhmann, W o r t i n h a l t und Weltbild, Stockholm 1951; kritisch zum Trier sehen Feldbegriff: W. Porzig, Wesenhafte Bedeutungsbeziehungen, i n : P B B 58 (1934), 70 ff.; F. Dornseiff, Das Problem des Bedeutungswandels, i n : ZfdPh 63 (1938), 199 ff.; W. Bete, Z u r Überprüfung des Feldbegriffes, i n : Zs.f. vergi. Sprachforschung 71 (1954) 189 ff. Den neuesten Stand der linguistischen Diskussion, insbesondere i m englischen u n d amerikanischen Bereich, bringt die Münchener Diss, von L. Seiffert, Wortfeldtheorie u n d Strukturalismus. Studien zum Sprachgebrauch Freidanks, Phil. Diss., München 1966 (erscheint Anfang 1968 i m Druck). 40 Das heißt: die Einheit des Wortes ist n u r i m Modus der Geschichtlichkeit (etymologisch u n d wortgeschichtlich) zu fassen. Z u m Problem des „Einswerdens von L a u t u n d Bedeutung" vgl. H. Kuhn, Germanistik als Wissenschaft 74 ff.: Die Korrelation zwischen L a u t - und Sinngestalt könne von der Sprachwissenschaft n u r als „Lücke" registriert werden; daraus erwachse für die Bedeutungsgeschichte eine methodische Gefahr (ebd. S. 79). F ü r die engere Frage: Homonym/ Bedeutungsspaltung vgl. W. Porzig, Die Einheit des Wortes. E i n Beitrag zur Diskussion, Festschrift L. Weisgerber, 1959, 158 f.
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die Proportionen des Bedeutungsgefüges. Eine Darstellung der Geschichte des Wortes Staat war so lange unmöglich, als das Augenmerk auf die Vorgeschichte des jüngeren fachsprachlichen Terminus gerichtet war. (d) I n Übereinstimmung mit unserer wort-geschichtlichen Absicht werden w i r i m Text der Darstellung das Wort Staat i n der älteren Schreibung „Stat" wiedergeben, wenn Fortleben und Entwicklung der älteren Wortbedeutungen gemeint sind; wenn heutige Vorstellungen erweckt werden sollen, ist die neuere Orthographie verwendet. Der Unterschied zwischen Stat/Staat ist also ein perspektivischer, kein inhaltlicher: „Stat" ist das Formalobjekt der nach-geschichtlichen, „Staat" das der vor-geschichtlichen Sehweise. Die Abspaltung von Bedeutungen w i r d bald innerhalb der semantischen Ursprungslinie, bald gesondert dargestellt; gesondert dann, wenn die Bedeutungen stärker wandern oder zum Ausgangspunkt für eine Reihe neuerer Bedeutungen werden. Nicht jede der von uns gesondert verfolgten Bedeutungslinien hat also von vornherein einen eigenen Kontext. Zusammenhänge m i t älteren Varianten werden ausführlich erläutert. Das so entstehende Netz von Abhängigkeiten und Wechseleinflüssen dokumentiert — bei relativer Selbständigkeit der Varianten — die entstehungsgeschichtliche Einheit des Wortes. Der entwickelnden Betrachtung entsprechend gilt dem Bedeutungswandel unsere besondere Aufmerksamkeit. Stellen des Übergangs sind daher reichlicher mit Belegen ausgestattet als der fortlaufende Gebrauch; dies gilt auch für den auslaufenden Gebrauch einer Variante, den zu belegen besonders schwer ist. Obwohl es nicht immer möglich war, festzustellen, wie lange einzelne Bedeutungen gebraucht oder verstanden werden, glauben w i r innerhalb der Geschichte des Wortes zwei Auslaufphasen unterscheiden zu können: Die erste liegt i n der Mitte des 17. Jahrhunderts; hier enden die Varianten I I (Rang, Stand, Amt) und I V (Fürstenstat i m älteren Sinn). Die zweite Phase liegt am Anfang des 19. Jahrhunderts; hier enden die Linien V (innerer und äußerer Stat des Landes), ein Teil der Varianten von I I I (Stat i.S.v. Budget, Bestallungsurkunde u. a.) und V I I I (Gesellschaft). Als sprachliche Bedingung für dieses Vergessen und Aus-der-ModeKommen von Verwendungen findet man jedesmal Abspaltung neuer oder Erweiterung und Durchsetzung konkurrierender Varianten. I m 17. Jh. sind es die Herausstellung des neuartigen Stats des Fürsten und der gesellschaftliche Stat; im 19. Jh. ist es der nach dem Niedergang
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des Reichs und seines Stats allein noch erlebbare moderne Staat 41 , dessen politisches Prinzip i n Hegels Verfassungsschrift herausgestellt ist, und dessen Rechtsbegriff festzustellen zur säkularen Aufgabe der Jurisprudenz werden sollte. W i r haben unsere Wortuntersuchungen bis zu dieser zweiten Schwelle geführt. Hegels Sprachgebrauch markiert das Ende. Einige Varianten sind andeutungs- oder exkursweise weiter hinauf verfolgt. (e) Die entwickelte Betrachtung bestimmt auch den Aufbau unserer Arbeit. Sie setzt ein m i t einem Kapitel über die indogermanische Wortfamilie, zu der „Staat" gehört und erläutert die Wechsel volle Lautgestalt des Wortes i n deutschen Texten (Kap. 1). Als ein inhaltsbezogener Schwerpunkt unseres Interesses am Wort folgt die Skizze eines Wortfeldsektors, in den „Staat" seit dem 15. Jh. einzudringen beginnt. Da es sich dabei weder u m ein vollständiges, noch um ein systematisches oder synchronisches „Feld" handelt oder handeln soll, sprechen w i r von „Begleitern und Vorgängern des Wortes Staat i m Deutschen" (Kap. 2). Das folgende Kapitel nimmt die Darstellung der Geschichte des lateinischen Bedeutungsträgers auf, wobei die Frage i m Vordergrund steht, welche engeren politischen Gebrauchsweisen das Wort status i m Mittelalter und in der frühen Neuzeit von sich her entwickelt hat; ferner geht es u m das Verhältnis der lateinischen zu den Volkssprachen, die Richtung ihrer Abhängigkeit i n der neueren Zeit (Kap. 3). M i t dem Aufriß des latein-sprachlichen Hintergrundes, vor dem die deutsche Wortentwicklung zu sehen ist, schließt der I. Teil ab. Die Darstellung des Lehnwortes „stat" und seines Weges i m Deutschen bildet den zweiten und Hauptteil der Arbeit (STAT I — STAT X). A n seinem Ende steht ein Kapitel über den reflektierten Gebrauch des Wortes, seine erkannte Polysemie und ein geschichtlicher Überblick über jene bedeutungsgeschichtlichen Versuche, deren jüngerer Teil i n der Einleitung als „Literatur zum Thema" behandelt ist (Kapitel 11). Abschließend werden die wichtigeren Ergebnisse thesenartig zusammengefaßt und der semasiologische Ertrag („Bedeutungsgefüge des Wortes Staat") graphisch vergegenwärtigt.
41 Z u m Staatserleben des beginnenden 19. Jh. vgl. H. Leo, Meine Jugendzeit, Gotha 1880, 133f.; auch R. Smend, Politisches Erlebnis u n d Staatsdenken seit dem 18. Jh., i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, 346 ff.
Erster T e i l
Erstes
Kapitel
Etymologie und Wortformen von „Stat"/„Staat" Das indogermanische Etymon von Stat, status, ist „sta-" bzw. „ste-"; die reduplizierte Form lautet „si-sta", erweiterte Formen sind „stai-", „sti-" u. a. M i t dieser Wurzel werden i n allen indogermanischen Sprachen Wörter gebildet, deren Inhalt mit „Stehen" oder „Stellen" zusammenhängt 1 . 1. Die idg. sta-familie
Die Lebenskreise, i n denen solche Wörter gebraucht werden, sind insbesondere Haus und Wirtschaft (a), Gericht und Heereszug (b). (a) „Stall", „Stute", ahd. stanta (Kübel), „Ständer" (Amboß), „stetig" (zum Stehenbleiben neigend, von Pferden), „Stütze", „Stier", „Gestade" (Landungsplatz). (b) griech. themis (ursprünglich ein Göttername: „die fest und unverbrüchlich Stehende", dann Recht und Gesetz), lat. testis (ursprünglich „tri-sto", der als dritter bei zwei Streitenden steht, der Zeuge), „Stuhl" (Thron), got. sto j an (richten), staua (Gericht), griech. stasis (Stand, Aufstand), „Steuer" (Steuerruder/Regierung und das Beisteuern, die Hilfe) u. a. 2. Status und die deutschen Parallelen (formal)
Das Lateinische bildet von „sta-re" ein Verbalsubstantiv: „status"; es hat die Bedeutung Art, Ort und Handlung des Stehens. Das inhaltlich vergleichbare deutsche Wort „Stand" erscheint bis ins Mittelhochdeutsche hinein nur als Bestandteil von Komposita (urstand, anstand u. a.) und ist in seiner lautlichen Bildung von Status geringfügig unter1 Vgl. J. Pokorny, Indogermanisches Etymologisches Wb., Bern 1959, Sp. 1004 ff. Auch zum Folgenden.
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1. Kap.: Etymologie u n d Wortformen von „Stat"/„Staat"
schieden2. Von der Wortbildung her am ähnlichsten sind ahd. stad (f.; Ort, Stelle, Stätte, Stadt), ahd. stad oder stado (m.; Landungsort, Ufer, Gestade) und ahd. stata (f.; bequemer Ort oder Zeitpunkt, Hilfe). Die Funktionen dieser Wörter sind allerdings nicht die gleichen wie die von status. Dies erklärt, warum i n mittelhochdeutscher Zeit ein weiteres, wo nicht lautgleiches, doch schriftgleiches Wort hinzutreten konnte: stat (m.) nach lat. status. 3. Status und die deutschen Parallelen (inhaltlich)
Die Tatsache, daß bei allen indogermanischen Völkern Wörter der sta-Familie i m Bezirk des Gerichts und der Politik verwendet werden, ist von untergeordneter Bedeutung gegenüber der bei den Römern eintretenden Entwicklung, i n deren Verlauf „status" zu einem rechtlichen und politischen Grundwort w i r d ; der zu übertragenem Verständnis geneigte abstrakte Wortinhalt macht es dafür geeignet und sichert i h m vielfältige Verwendbarkeit. Bei den Juristen bezeichnet status die Rechtsfähigkeit von Personen, ihre rechtliche Bestimmtheit als liberi oder servi und die innerhalb der condicio liberorum möglichen Abstufungen (capitis minutio, civitas Romana usw. 3 ). A l l dies w i r d mit einem „Stehen" in Beziehung gesetzt. Auf ein Stehen beziehen die Römer auch die Angelegenheiten aller Bürger, die Ruhe und Sicherheit der Stadt, A r t und Weise der Regierung; auf diesen Elementen beruht ja das jeweilige Gefüge oder die Form des Gemeinwesens, i n ihnen hat es Bestand: status reipublicae 4 ! Ein entsprechend weitreichendes Wort der sta-Familie ist i m Deutschen nicht i n Gebrauch. Man verwendet stat (f.) i n der rechtlichen Wendung „an eines stat", d. h. als (Stell-) Vertreter; man verwendet state (f.) in Bezug auf günstige Umstände, insbesondere das Vermögen, etwa: einer steuert „nach sinen staten" 5 . (Das Wort „Stadt" (stat. f.) hat i m hohen Mittelalter noch den unbestimmten lokalen Sinn von 2 „Status" gehört zu den Nomina m i t Dental-Suffix (sta-ti, sta-tu); „stand" zeigt präsentische Nasalierung. Pokorny 1005. s Corpus iuris civilis, (Institutiones) Editio Stereotypa undecima, vol.I., Ber o l i n i 1908, 2 f., 7. 4 Dazu: E. Koestermann, Status als politischer Terminus i n der Antike, in: Rhein. Museum f. Philol., 86 (1937), 225 f. 5 I m Jahr 1289 sind — aufgrund einer Einigung zwischen Bischof und Gemeinde von Würzburg — „die burger zu rate worden, daz sie ros vnde phert vnde ander wer uf sich v n d uf die gemeinde setzen wollen, ie dem man nach sinen staten, als ez i n vrumelich si v n d vns erlich". Monumenta Boica 38 (Mon. episcopatus wirziburgensis) München 1866, 11. Vgl. auch Benecke, Müller, Zarncke, Mhd. Wb. I I , 2, S. 604.
4. Wortformen von „Stat" und Schreibung des Wortes
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„Stelle", an der etwas steht; sein heutiger Sinn w i r d von „burc" wahrgenommen — ζ. T. bis ins späte Mittelalter hinein 6 ). M i t dem späten 13. und 14. Jh. ändert sich die Lage: „stat" (f.), „stand" und — vom Lateinischen her übernommen — „stat" (m.) beginnen ins politische und rechtliche Feld einzuwandern. Es scheint, als seien die vielen, allenthalben gebrauchten lateinischen Redewendungen m i t status nicht ohne Einfluß darauf gewesen, daß sich dieser Schub deutscher staWörter gelöst hat. 4. Wortformen von „Stat" und Schreibung des Wortes
Lautstand, Flexion, Genus und Schreibung des Wortes „stat" (m.) sind von Anfang an bis ins 18. Jh. hinein vielfältig, zuweilen regellos. Das Bedürfnis nach Unterscheidung zu stat (f.), state (f.) und nach einheitlicher Orthographie führt schließlich zu der uns heute geläufigen, einem Schlözer aber noch „exotisch" anmutenden 7 Schreibung „Staat", Mz. „Staaten". Der -a-Vokal des Wortes, von status m i t kurzem -a- entlehnt, i n spätmittelhochdeutscher Zeit lautgesetzlich gelängt, w i r d von den Mundarten — zuweilen i m Hinblick auf unterschiedliche Bedeutungsvarianten 8 -— getönt und diphtongiert; alemannisch findet sich -o-, -a-, -au- 9 ; rheinfränkisch -ay-, -ae- 1 0 ; niederdeutsch -a- 1 1 . Stat begegnet i m 15. Jh. also in mindestens sechs verschiedenen lautorientierten Schreibungen. Die frühneuhochdeutsche Schriftsprache drängt die Diphtonge zurück, aber noch Geiler von Keisersperg schreibt: „ i n dem stat oder in dem stot" (1517)12. Der gedehnte Vokal w i r d i m neueren Schriftbild bald -aa-, -ae-, -ah- wiedergegeben, wenn nicht überhaupt -a- stehen bleibt und höchstens der nachfolgende Verschlußlaut markiert w i r d : -ath, -adt. Der t-Verschluß dient schon i m 16. Jh. zur Unterscheidung von stat (f.); d. h. wenn stat (m.) m i t einfachem - t - geschrieben ist, w i r d stat (f.) gern m i t Doppel-t- geschrieben oder umgekehrt. Jedenfalls findet β Vgl. H. Planitz, Die deutsche Stadt i m Mittelalter, Graz/Köln 1954, 232: „ U m das Jahr 1200 reden die ersten Rechtsquellen von einer »Stadt'." Z u den Ausdrücken „Burgrecht" u n d „Stadtrecht" ebd. S. 332. Die B u r g - F o r schungen Dannenbauers, Dehns, Schlesingers zusammenfassend: R. Wenskus, Stammesbildung u n d Verfassung, Köln/Graz 1961, 402 ff. 7 A. L. Schlözer, Stats Gelartheit, 2. Th., Göttingen 1804, 3 Anm. 6. s Rheinisches Wb., Bd. 8, 475 f. 9 Schweizerisches Idiotikon, Bd. 11, 1673 f. 10 Diefenbach, Glossarium 551; Rhein. Wb. Bd. 8, 476. u Schiller-Lübben, Mittelniederdeutsches Wb., Β 1.4, 366 f. la G. v. Keisersperg, Predig, Straßburg 1517, fol. 106. 3 Weinacht
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1. Kap.: Etymologie u n d Wortformen von „Stat"/,,Staat"
m a n die E n d u n g e n - t h , - d t , - t h , - t t ; v e r e i n z e l t F o r m e n auf - t e 1 8 . — Das Genus v o n stat (m.) ist i m a l l g e m e i n e n fest; einzelne w e i b l i c h e F o r m e n stehen noch u n t e r d e m E i n f l u ß v o n „ S t a d t " 1 4 . D e r P l u r a l ist w e n i g gebräuchlich; i n e i n z e l n e n B e d e u t u n g e n ist „ s t a t " S i n g u l a r e t a n t u m . D i e F l e x i o n ist gemischt. Z w a r herrscht s t a r k e B e u g u n g v o r (stat, -es), entsprechend e i n s t a r k e r , o b e r r h e i n i s c h b e l e g t e r P l u r a l (stet), der sich i n W ü r t t e m b e r g i n d e r B e d e u t u n g „ B e s t a l l u n g s u r k u n d e " b i s i n s 18. J h . h ä l t 1 5 ; aber schon i m 15. J h . b i l d e t stat, besonders i m Niederdeutschen, e i n e n schwachen P l u r a l „ s t a t e n " , der i m 16. u n d 17. J h . i m m e r w i e d e r a u f t a u c h t 1 6 . Es ist also keineswegs n o t w e n d i g , z u r E r k l ä r u n g der „ a u f f ä l l i g e n Mehrzahl Staaten" auf niederländischen Einfluß zu rekurrieren 17, obgleich a n z u n e h m e n ist, daß „ s t a t e n " i m S i n n e v o n G e n e r a l - oder L a n d s t ä n d e v o m H o l l ä n d i s c h e n h e r b e e i n f l u ß t i s t 1 8 ; w u r d e das W o r t doch d u r c h rheinische F l u g s c h r i f t e n u n d Z e i t u n g e n des 16. J a h r h u n d e r t s i n D e u t s c h l a n d als E i g e n n a m e d e r H e r r e n G e n e r a l - S t a t e n bek a n n t g e m a c h t 1 9 ! A l l e r d i n g s f ä l l t a u f — w o r a u f schon A . O . M e y e r h i n w i e s — , daß i m 17. J h . die P l u r a l f o r m v o n S t a a t (respublica) w e g e n is „staute" (1459): Schw. I d i o t i k o n Bd. 11, 1672 ff. A n m . ; „State": SchillerLübben Bd. 4, 366. 14 Schw. I d i o t i k o n Bd. 11, 1674; vgl. unten S T A T V I I , A n m . 87. is Vgl. V o r w o r t der W L G : „ i n würcklicher Observanz annoch stehende Stäät des Engeren u n d Größern Ausschußes" (1765). 16 Die Anhänger des Papstes sollen nicht „ v o n iren staten wesen u n d derselben geharsam" abgedrängt werden (1410): Dte. Reichstagsakten V I I , 24; vgl. S T A T I I A n m . 38. Z w e i Herren versprechen sich Respektierung der beiderseitigen „staten, wesen, besessen, zollen u n d geleyten, gewonheyten u n d herkomen" (1452), R. Lossen, Staat u n d Kirche i n der Pfalz ( = Vorreformationsgeschichtliche Forschungen Bd. 3) Münster/W. 1907, „ N r . 5"; vgl. S T A T I V Anm. 14. Die Menschen haben es nötig, „dat dar sy eyn houet, eyn here, de bouen ( = über) alle desse state der lüde de macht der herschoppye hebbe, de alle de staten der mynschen vnder syk holden mach i n rechte" (Lübeck 1498), A T B Bd. 8, ed. Prien, Halle 1887, 5. „alle Staaten v o n I t a l i a " (1596), G. Botero, Theatrum oder Schawspiegel (M.Quad), K ö l n 1596, 19; vgl. S. 34, 61, 63, 64 u n d andere Ausgaben dieser Übersetzung, „unterthanen von ausländischen Staaten oder kommunen, als Spanien, Frankreich, Venedig oder den Staaten i n Holland u n d Seeland" (1611), Fellner-Kretschmayr, Bd. I. 2, S. 378. „Versicherung . . . der Cronen u n d anderer benachbarter Staaten u n d Interessenten" (1645), J. G. Meiern, Acta pacis Westphalicae publica, Th. 1, Hannover 1734, 853. Solche Belege waren A. O. Meyer nicht bekannt. 17 So DWb. Bd. X . 2.1, Sp. 279; Trübner Bd. 6, 508. is J, Bayer, Lexicon Germanico-Latinum, Moguntiae 1724, 566: „Staaten/ die Staaten einer Provintz. Provinciae ordines". ι 0 Der erste Beleg findet sich i n einem Schreiben „ a n die General Staten" (1580), Relation an die Rom.Kay.May. desjenigen/ was zu Collen . . . i n der Niderlendischen Friedensverhandlung gepflogen, K ö l n 1580 (Expl. U B Freib u r g H 7682). Dann bei M. Ey zing er, Rerum Vaticani j s accommodata Historia, K ö l n 1584, 147; auch i n dessen B i p a r t i t a . . . Historia, K ö l n 1586, 101, 103, 108 u n d anderen Schriften dieses Autors.
4. Wortformen von „Stat" u n d Schreibung des Wortes
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der Gefahr der Verwechslung m i t dem nomen proprium der Herren General Staten unterdrückt wurde. Lange Zeit schreibt man „die Staat", dann „die Staate" (bis ins 18. Jh.!), seit dem 18. Jh. „die Staaten" 2 0 . Wie verhält es sich nun m i t Schlözers „exotischem Wort"? Er selbst, der sein rationalistisches Wesen nie verbarg, liebte orthographische Vereinfachungen und hielt sie konsequent durch; so schrieb er denn auch i n seinen „StatsAnzeigen" oder i n seiner „StatsGelartheit" nach der „Vernunft". I m 17. Jh. war die Entscheidung zwischen „Stat" und „Staat" noch durchaus offen gewesen. Seckendorff schreibt 1656 „Für sten-Stat", 1678 „Fürsten-Staat", i m Text aber bald -a-, bald -aa-. K . Stieler („Der Spaten"), ein ausgezeichneter Stilist und Grammatiker, schreibt nur -a- (vgl. Teutsche Sekretariat-Kunst, 1673; Teutscher Sprachschatz, 1691); er vermag sich damit nicht durchzusetzen. I m 19. Jh. — wohl durch Schlözer ermuntert — versuchen K . Vollgraff (in terminologischer Unterscheidungsabsicht zu „Staat" 2 1 ), J. C. Bluntschli 22 und dessen Schüler F. Dahn 2 3 das Wort m i t einfachem Vokal in Umlauf zu bringen; sie blieben ohne Nachfolger.
20 „die Freyen Republiken oder Staate" (1675), F. Leutholf v. Frankenberg, Der Iztregierenden Welt Große Schaubühne, Nürnberg 1675, 4. Th., 9; „Kayserl. Erbland . . . über alle andere Staat i n Europa" (1684), von Hornigk, Oesterreich über alles/ w a n n es n u r w i l l , o.O. 1684, T i t e l ; „ w a n n dann die Staate unter sich anstössig werden" (1702), A. W. Ertel, Neu-eröffnete SchauBühne V o n dem Fürsten-Recht, Nürnberg 1702, 315. 21 K . Vollgraff, Die Systeme der practischen Politik, 3. Th., Gießen 1828. 22 J. C. Bluntschli, Allgemeine Statslehre, Stuttgart 51875. 23 F. Dahn, Erinnerungen, Bd. 3, Leipzig 1892, Bd. 4, Leipzig 1895, 243 f., 262 u. ö. 3·
Zweites
Kapitel
Vorgänger und Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen 1. „Land"
„Land" war dem Rechtshistoriker K a r l von Amira der germanische Ausdruck für „Staatsgebiet" 1 . Mag man manche wissenschaftlichen Konsequenzen, die aus dieser Gleichung gezogen wurden, heute als verfehlt erkennen, so ist doch soviel gewiß, daß die Vorstellung des Landes i m politischen Denken der Germanen einen der heutigen Staats-Vorstellung vergleichbaren Rang einnahm 2 . So konnte etwa ein norwegischer Fürstenspiegel des 13. Jahrhunderts i m Begriff der „Landesnotwendigkeit" (lannznaudsyniar) den Gedanken der necessitas publica oder Staatsräson erfassen 3. Das gemeingermanische Wort „land" (ursprünglich „Rodeland", i m Hildebrandslied soviel wie „Heimat" 4 ) bezeichnet i m hohen Mittelalter weniger das herrschaftsunterworfene Gebiet als den Geltungsraum des Landrechts, auch die Gemeinschaft landbebauender Leute, die nach einem bestimmten Landrecht leben 5 . Dies ist die i m späten Mittelalter v o l l entwickelte Dreiheit der politischen Bedeutungen des Wortes Land: 1. (Land-)Rechtsbezirk (provincia, terra), 2. (Land-)Rechts- und Friedegemeinschaft (populus, pagenses, conprovinciales), 3. Herrschaftsgebiet eines (Landes-)Herrn (dominium) 6 . öfters fallen mehrere Bedeutungen zusammen; etwa wenn von ι Κ. v. Amira , Grundriß des Germanischen Rechts, Straßburg 31913, 113. O. Brunner, L a n d u n d Herrschaft, Grundfragen der territorialen Verfass u n g s g e r i c h t e Südostdeutschlands i m Mittelalter, Wien/Wiesbaden 41959, 184 ff. 3 W. Berges, Die Fürstenspiegel des hohen u n d späten Mittelalters, Schriften des Reichsinstituts f ü r ältere deutsche Geschichtskunde 2, Leipzig 1938, 182 f. A n m . 3. 4 Vgl. F. Kluge, Etymologisches Wb. der deutschen Sprache, B e r l i n 1960, 420 und die dort genannte Literatur. Ferner W. Schlesinger, Beiträge zur Verfassungsgeschichte des Mittelalters, Bd. 2, Göttingen 1963, 12. s O. Brunner, L a n d u n d Herrschaft 194; ders., Moderner Verfassungsbegriff, i n : M I ö G 14, Erg.band (1939), 524. 6 Vgl. zu dieser Bedeutung die Polemik Brunners gegen O. Stolz: „ M i r aber ist L a n d kein »Wort', sondern ein Verfassungsbegriff eigener A r t . " L a n d 2
1. „Land'
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den „Deutschen landen" die Rede ist, d. h. den alten Stammesgebieten und jüngeren Territorien und Herrschaften, die das Reich unter sich vereint 7 . I m 16. und 17. Jh. steht das Wort Land („Land und Leute") dem Landesherrn gewöhnlich als Objekt seines Regiments gegenüber: Es geht den Fürsten darum, (in Verantwortung vor Gott) „ j r Landt vnnd Leut . . . zu Regieren" 8 . Die theologische Einschränkung geht später verloren: „Es beherrschet die Römische Kirche zu unserer Zeit viel mehr Landt vnd Leut in Italia/ als vor Jahren 9 ." „Land" w i r d Patrimonium: vererbbares, tauschbares, zu eroberndes „Stück Land". So hat Österreich etwa „viel Länder vnnd Herrligkeiten eins zu dem andern gezogen", die ihm „letztlichen alle . . . Erblich heimgefallen" 1 0 . Immer noch kann aber „Land" (im Singular) die politisch-rechtliche Einheit des „ganzen Landes" bedeuten. I n diesem Sinne sagte man von der Landgräfin zu Hessen, die i m Jahr 1637 ihrem verstorbenen Gemahl ins Regiment nachfolgte, daß „sie des Lands Regierungs-zaum annahm" 1 1 . I m 18. und 19. Jh. werden bei dem Wort Land bestimmte politische (sittliche) Wertungen und Gefühlstöne vernehmlich, insbesondere bei Gegenüberstellung m i t „Staat". Einerseits ist Land Herrschaftsobjekt und Familiengut von Standesherren, dem die Würde und der Rang der Staatlichkeit mangelt 1 2 , andererseits ist es geschichtlich-angestammtes, vertrautes „Vaterland", das dem abstrakten Gebilde „Staat" vorgezogen w i r d 1 3 . und Herrschaft, B r ü n n 21942, S. X I V . M a n w i r d also die Bedeutungsbestimmungen Brunners wegen dieser seiner „terminologischen" Zielsetzung m i t einer gewissen Vorsicht aufnehmen müssen. 7 Vgl. ein Ermahnungsschreiben K ö n i g Sigmunds an die Stände des Reichs, i n dem er die „verderbung des richs" darin sieht, daß „das Welische landt von Deutschen landen gantz empfrendt" werde (1432). Dte. Reichstagsakten, 4. Abt., Bd. 10, 1906, ed. Herre, S. 540. 8 L. Guicciardini , Niderlands Beschreibung, Basel 1580, 53. a J. L. Gottfried, Archontologia Cosmica, F r a n k f u r t 1638, 2. i° Guicciardini , a.a.O., „ a n den Leser". n Weckherlins Gedichte, ed. H. Fischer, 1. Bd., Tübingen 1894, Nr. 304, V. 48 (aus dem Jahr 1637). 12 Schlözer, StatsAnzeigen X I I (1777), 11: „denken Sie immer, daß der große Friedrich sich nicht als Herr des Landes, sondern als erster Diener des Stats ansieht, der u m des Besten des Landes w i l l e n da ist." — K. Vollgraff, Die teutschen Standesherrn, Glessen 1824, 122: Dem Unterschied zwischen Eigenhörigen u n d Staatsbürgern entspreche es, daß „erst seit der französischen Revolution aus den teutschen Familien-Gütern Staaten geworden sind". — Ders., Die Systeme der pract. Politik, 3. Th., 237 (Über England, das i m Mittelalter steckengeblieben sei:) „ k e i n Engländer, Minister oder Angestellter, nennt auch England einen Staat, sondern sagt stets, und es ist dies parlamentarisch, dieses L a n d (that country)". — ι» Vgl. unten S T A T X (Teil I I , 10. Kap.).
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2. Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen 2. Herrschaftliche Wortbildungen („Reich", „Fürstentum" usw., „Herrschaft", „Gebiet")
Die notorische Feststellung, es fehle der älteren deutschen Sprache ein besonderes Wort für den Staat 14 , hat wenig zu t u n mit der Frage, ob das Mittelalter einen „Staat" gekannt hat oder nicht. Wo es so gut wie nur monarchische Herrschaft gibt, da steht eben der König oder Fürst für den Staat, „wie der hl. Petrus für die Gesamtkirche, der hl. Rupert für das Erzbistum Salzburg usw." 1 5 . Eine herrscherliche Vorstellung liegt bereits i n dem althochdeutschen Wort „rihhi", „Reich", das noch i m 17. Jh. 1 6 die Gewalt und Macht eines Königs bedeutet, i m Schwabenspiegel den König selbst bezeichnet 17 . Mhd. riche, got. reiki, lat. rex haben denselben Wortstamm 1 8 . Ganz ähnlich verhält es sich mit dem von „herro" abgeleiteten Wort „hêrtuom": Es bezeichnet die von einem „Hehreren", ob König oder Ministerialen, ausgeübte „Herrschaft". Glossen, die lat. respublica durch „hêrtuom" wiedergeben, werden wohl kaum zu Unrecht als Belege für den herrschaftlichen Charakter des mittelalterlichen deutschen Gemeinwesens herangezogen 19 . Vom Träger der Herrengewalt, genauer: einer hierarchisch gestuften Herrengewalt sind Begriffe wie Königtum(-reich), Fürstentum, Herzogtum abgeleitet. Sie bezeichnen zunächst — geradeso wie die A b strakta „Gebiet" 2 0 , „Obrigkeit" — die Amtsgewalt und Gebotsmacht u Neuerdings wieder W. Schlesinger, Die Entstehung der Landesherrschaft, Darmstadt 1964, 113. 15 P. E. Schramm, Die Geschichte des mittelalterlichen Herrschertums i m Lichte der Herrschaftszeichen, H Z 178 (1954), 2. ιβ J. Sluteri, I n H i p p o l y t h i a Lapide . . . Dissertationem de Ratione Status . . . Animadversio, H a m b u r g 1653, 104: „des Reichs i m d r i t t e n Jahr." Vgl. auch R. Smend, Z u r Geschichte der Formel »Kaiser u n d Reich' i n den letzten Jahrhunderten des alten Reiches, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, B e r l i n 1955, 9 f. H. Heimpel, Deutsches Mittelalter, Leipzig 1941, 50 f. is Vgl. F. Kluge, Etymolog. Wb., B e r l i n 181960. S.591; H e r k u n f t u n d U r sprungsbedeutung des Wortes sind neuerdings umstritten. J. Trier leitet es aus dem Keltischen ab, P. von Polenz behauptet germanischen Ursprung; dort bedeutet es zunächst „Herrschaft, Macht", hier „Be-reich" (Raum). Literaturhinweise bei Kluge a.a.O. i» W. Schlesinger gegen J. O. Plassman, i n : Beiträge, I, 12 f. Ferner K . Bosl, Herrscher u n d Beherrschte i m deutschen Reich des 10.—12.Jh., i n : F r ü h formen der Gesellschaft i m mittelalterlichen Europa, München/Wien 1964, 137 (Literatur!). 20 Das W o r t „Gebiet" hat noch i m 17. Jh. neben der jüngeren räumlichen Variante die ältere: herrschaftliche Gebotsgewalt; vgl. E i n sendbrief Johan Aventroots A h n den Groosmächtigen könig von Spanien . . . I n Hochteutsche spräche übersetzet aus dem Niderlandischen/ so gedruckt i n Amsterdam, 1615, 35: „ V n d do hat sich das allgemeine gebieth v n d das absolute oder vnbendige v n d vngemessene geistliche reich des pabsts geendigt."
3. Gemeinschaftliche Wortbildungen
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eines H e r r e n ( K ö n i g s , F ü r s t e n , H e r z o g s 2 1 ) , später das v o n i h m r e g i e r t e Land22. Das W o r t H e r r s c h a f t ( u n d O b r i g k e i t ) bezieht sich auch a u f d e n I n h a b e r oder T r ä g e r der h o h e n G e w a l t : die D y n a s t i e oder d e n H e r r n selbst 2 3 .
3. Gemeindliche Wortbildungen („Gemeiner Nutz", „Gemeines Wesen", „Gemeiner Stand") E i n ganz a n d e r e r T y p p o l i t i s c h e r W o r t - u n d B e g r i f f s b i l d u n g l i e g t d o r t v o r , w o die V o r s t e l l u n g des F ü h r e r s h i n t e r der v o n i h m repräsent i e r t e n Gesellschaft 2 4 oder der v e r p f l i c h t e n d e n Sache 2 5 z u r ü c k t r i t t . Das ist d e r F a l l b e i d e n W o r t e n „ G e m e i n e r N u t z " , „ G e m e i n e s W e s e n " , „ G e m e i n e r S t a n d " . Sie l e h n e n sich der W o r t b i l d u n g nach a n B e g r i f f e w i e „gemeines Recht", „ g e m e i n e H e r r s c h a f t " , insbesondere a n l a t e i n i sche V o r b i l d e r a n u n d b ü r g e r n sich seit der M i t t e des 15. J a h r h u n d e r t s als S y n o n y m e v o n respublica e i n 2 6 . Das W o r t „ g e m e i n " e n t s p r i c h t dabei d e m l a t . p u b l i c u s (communis, c i v i l i s ) u n d v e r w e i s t a u f eine s t ä n d e ü b e r g r e i f e n d e „ p o l i t i s c h e " S p h ä r e des Rechts u n d der Sicherheit: „ g e m e i n h e i ß t m a n / das y d e r m a n s ist/ u n d also w i r d e i n g e m e i n e r n u t z / nichts anders sein d e n n eine gemeine e r b a r k e i t u n d n u t z b a r k e i t a l l e r s a m e n " (1557) 2 7 . V o n dieser B e s t i m m u n g 21 Vgl. die schöne Wort-Studie v o n E. Schröder, ,Herzog' u n d »Fürst', i n : Zs.d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte, 44. Bd., German.Abtlg., Weimar 1924, I f f . 22 „Obrigkeit" k a n n i m 17. Jh. räumlich verstanden werden; vgl. G. Obrecht, Eine sondere Policey Ordnung/ v n d Constitution, o.O. 1617, 210: Es soll registriert werden, „ W i e viel Personen alle Jahr/ i n vnserer Obrigkeit h i n v n d wider/ auß einem Orth/ i n das andere/ oder darein/ oder daraus ziehen". „Herrschaft" i m territorialen Sinne ist i m 14. Jh. fest eingebürgert. 2 3 Das späte Mittelalter kennt die Anrede „eure herrschaft", die der modernen Pluralform zugrund liegt. Sie hatte ursprünglich den Sinn von „Eure Lordschaft". I n einem Grammatellus cum glosa almannica, Leipzig 1499, ist „dominatio vestra" folgendermaßen übersetzt: „ewer herschafft ich bitte m i t innigem gebete" (Es spricht ein Schüler zu seinem Latein-Lehrer). 24 Z u m W o r t „ V o l k " : DWb. X I I . 2, Leipzig 1951, 454 ff. Ferner: K . Heissenbüttel, Die Bedeutung der Bezeichnungen f ü r „ V o l k " u n d „Nation" bei den Geschichtsschreibern des 10. bis 13. Jh. Göttingen 1920; zu „Stamm"/Staat: Wenskus 46 ff. 25 Dazu W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten i n der deutschen Staats- u n d Rechtsentwicklung, i n : Festschrift A. Schultze, Weimar 1934. 2 e Diefenbach, Glossarium 495. Außer Gemeiner Nutz finden sich hier die Übersetzungen „gemeyn gut", „gemeyn dingk". Der früheste Beleg f ü r die Wortgruppe „gemeiner Nutz" stammt von 1291, vgl. H. Stoltenberg, Geschichte der deutschen Gruppwissenschaft I, Leipzig 1937, S. 43. 27 A. Fritius, V o n Verbesserung des Gemeinen Nutz F ü n f f Bücher, Basel 1557, I I I , 172.
4 0 2 . Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
her mag einleuchten, daß das Reden und Denken über den gemeinen Nutz — sei es als Zweck oder als Inbegriff des Staats — nicht von der Herrschaft seinen Ausgang nahm. „Die Landsfürsten scheinen den gemeinen Nutzen als Zweck erheblich später anerkannt zu haben als die Städte und die kaiserliche Kanzlei 2 8 "! Tatsächlich begleitet das Wort „gemeiner Nutz" — nach Ausweis süddeutscher Quellen — vorzüglich den Zusammenschluß der Stände i n den Städten oder Verbindungen zwischen Städten 29 . Dabei bedeutet „gemeiner Nutz" — wie seit dem 15. Jh. „gemeiner Stand" 3 0 und seit dem 16. Jh. „gemeines Wesen" — den den Ständen gemeinsamen Bereich ihres guten Lebens: ihre Gesellung 31 . Außer i n den politischen Urkunden sind diese Wortbildungen — allein wegen ihrer Affinität zu lateinischen Ausdrücken — i n der gelehrten Sprache heimisch. Das Wörterbuch von Maaler gibt 1561 zu „Der gemeinstand" die lat. Entsprechung „Respublica" 32 . Der Ubersetzer von Gentillets „Fürstenspiegel" schreibt sowohl von Regeln, „den gemeinen Standt/ entweder eines Fürstenthums oder Freyenstatt w o l zu verwalten" 3 3 wie auch von „wolfahrt deß gemeinen standts" schlechthin (1580)34. Das Wort „gemeines Wesen" taucht als letztes der drei genannten auf. Ein Ubersetzer des Lipsius gebraucht es am Ende des 16. Jahrhunderts 35 , und zwar steht es für lat. respublica und administratio 28 A. Diehl, Gemeiner Nutzen i m Mittelalter. Nach süddeutschen Quellen, i n : Zs.f.württemberg. Landesgeschichte, N F 1937, 311. Die kaiserliche Kanzlei bezog den gemeinen Nutzen auf die ganze Christenheit; vgl. die Arenga K ö n i g Sigmunds von 1432: „durch gemeines nucz der ganczen Christenheit u n d sunderlich des heiligen Romischen richs ere u n d fromen w i l l e n " , Dte. Reichstagsakten I V , 10 (1906) 541. Ferner W. Merk, Der Gedanke des gemeinen Besten; H. Maier, Die ältere deutsche Staats- u n d Verwaltungslehre, Neuwied/Berlin 1966, 79 f. 29 A. Diehl, Gemeiner Nutzen 315. 30 Vgl. die Chroniken der Deutschen Städte v o m 14. bis ins 16. Jh., 3. Bd., Leipzig 1864, 34: Die jungen Bürger sollen sich sorgen u m „einen gemeinen stant u n d nutz" (1488). 31 A. Fritius, V o n Verbesserung des Gemeinen Nutz I, 3 f.: „ E i n gemeiner nutz seye der Rhat/ u n d gemeine versamlung der menschen/ m i t recht zusammen gesellet/ u n d auß viel nachbarschafften vollendet/ recht und säliglich zuläben verordnet . . . es Stadt eben umb ein gemeinen nutz/ wie umb ein leib eines lebendigen thiers/ da k e i n gelid j h m selbs allein dienet . . . zu gleicher weiß/ k a n auch kein burger komlich leben/ noch sein ampt volstrecken/ außerhalb dem gemeinen nutz." 32 J. Maaler, Die Teütsch spraach, T i g u r i 1561, fol. 18ir. 33 I. Gentillet, Regentenkunst/ oder Fürstenspiegel, Frankfurt 1580, fol. 12 r . 34 Gentillet 23r. 33 J. Lipsius, V o n Unterweisung zum Weltlichen Regiment, o.O. 1599; DWb. I V . 1, Sp. 3176 meint noch: „das gemeine wesen, res publica . . . doch erst seit dem 17. jh., w i e es scheint".
3. Gemeinschaftliche Wortbildungen
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civilis 3 6 . Hier findet sich auch erstmalig die Wendung „ i m Regiment sitzen und das Ruder i m gemeinen Wesen halten" 3 7 . Das vielausdeutbare Wort „gemeines Wesen" versammelt in seinen beiden Bestandteilen eine lange (politische) Tradition. „Wesen" ist mehr als lat. res; es vereinigt die verbalen Bedeutungen „währen", „ i n K r a f t sein", „verwalten" und die nominalen Sein (Leben), Zustand, Ordnung, Sache (Zeug), Obliegenheiten. So konnte man von eines Menschen „stand und wesen" sprechen 38 ; man konnte sagen, ein „stant" kommt „ i n wesen" (1488)39 i m Sinne von: er entsteht, kommt in Geltung (vigor) 40 ; oder „Das gemein regiment inn einen gewüssen Stand und wäsen bringen. Collocare aliquem Reipubl. statum" (1561)41. Wesen hat i m letzten Fall den Sinn von währendem Zustand, Geltung, Ordnung. I n dieser breiteren Bedeutung und in Analogie zu (Haus-) Wesen konnte das Wort auch mit Adjektiven wie gemein, bürgerlich, politisch und mit Substantiven wie Stadt, Land verbunden werden. Eyzinger spricht 1584 von „Verwüstung aller Policey vnnd Burgerlichen wesens" 42 , G. Obrecht vom „Politischen wesen" (1617)43, P. Negelein von „Einer jeden Statt beharrlichs wesen" i m Sinne von „der Statt Recht/ vnnd Gerechtigkeit" (1600)44. I n der Mitte des 17. Jahrhunderts bildet dann der Dichter Ph. Zesen nach älterem „Stadtwesen" 4 5 das Wort „Stahtswesen" (1656)46. Es bedeutet die Institutionen des Regiments, die politische Verfassung der Gemeinde. Diese glückliche Prägung entbindet das „gemeine Wesen" von seiner vorrangig politischen Funktion; jedenfalls steht es i m 36 Lipsius, Vorrede Lipsius' an den Leser (O.S.). 37 Lipsius, Vorrede des Übersetzers (O.S.). 38 Beispiele auch bei Brunner, L a n d u n d Herrschaft, Wien/Wiesbaden 41959, 402 Anim. 2. 39 Städtechronik Bd. 3, 34. 40 J. Gobier, Der Rechten Spiegel, Frankfurt 1555, fol. 2*: „So seind doch die ämpter zum t h e y l noch i m wesen/ ob sie schon ietzt m i t andern namen/ genenet werden." 41 Maaler fol. 384r 42 M. Eyzinger, Rerum Vaticani j s accommodata Historia, K ö l n 1584, 194. 43 G. Obrecht , Politisch Bedencken, v n d Diseurs: Von Verbesserung Land und Leut, o.O. 1617, i n : ders., Fünff Unterschiedliche Secreta Politica, Straßburg 1644, 290. 44 p. Ν egelein, V o m Bürgerlichen Standt, Amberg 1600, 28. 45 Maaler fol. 385 v bucht dias W o r t zwar, aber i n einem andern Sinn: „Stattwäsen (das) Stattläben, V i t a urbana". I m heutigen Sinn bei J. OldeJcop, Politischer Unterricht f ü r die Rathsherren i n Städten v n d Communen, Goßlar 1634, sowie Böhemische geheimbe Cantzley, o.O. 1636, 66. 4β Ph. von Zesen, Die Horatzische Sitten-Lehre, Amsterdam 1656, Vorrede; ders., Beschreibung der Stadt Amsterdam . . . zusamt ihrem Stahtswesen, Amsterdam 1664.
4 2 2 . Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
18. Jh. i m Kontext der allgemeinen Gesellschaftstheorie, wo es bald das „gelehrte gemeinwesen" 47 , bald überhaupt „die Verbindung einzeler Glieder oder Gesellschaften" bedeutet, welche „ihre Wohlfahrt mit vereinigten Kräften besser zu befördern" trachten 48 . Die heute gebräuchliche kontrahierte Form „Gemeinwesen" scheint von Wieland geprägt worden zu sein (1781)49.
4. Fremd- und Lehnwörter („Regierung", „Regiment", „Polizei", „Republik")
Die Geschichte der politischen Grundworte i m Deutschen ist weithin auch eine Geschichte der Assimilierung von Fremdworten. Für die Wortgeschichte ist nicht die Tatsache der Entlehnung, sondern der Prozeß der Anverwandlung interessant. (a) Nachdem i m späten 13. Jh. fürstliche und städtische Kanzlisten das Wort „regieren" (aus afrz. reger 50 ) „als ein zierliches Schreiberw o r t " 5 1 ins Deutsche übernommen haben, folgen i m 15. Jh. „regerung" (1460)52 und das vom lat. regimentum abgeleitete Wort Regiment. „Regiment" w i r d das Haupt- und Leitwort der politischen Sprache i m 16. und i n der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts: Es begleitet die Bildung der Räte zu ständigen Regierungsbehörden und betont die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben 5 3 der Planung und Lenkung des Staatslebens nach innen und außen. Der berühmte Vorwurf Machiavellis gegen die Franzosen, sie seien zwar zu Kriegen tüchtig, i n „cose di stato" aber ungeschickt, w i r d zu deutsch so wiedergegeben: „Es seyen die Frantzosen/ i n handlungen der Sachen (die sie [seil, die Machiavellisten] sonst negotia status, das ist/ gemeine/ oder Regimentssachen/ nennen) gantz ungeschickt und unerfahren" (1580)54. Die Handhabung (maneggio), das Am-Ruder-Sein, die Verwaltung (les affaires) stehen i m Vordergrund der Wortbedeutungen 55 . Gleich47 DWb. I V . 1, Sp. 3271. 48 Adelung, Dt. Wb., Th. 2, 1775, 544. 49 Geschichte der Abderiten, zit. DWb. I V . 1, Sp. 3271. so Kluge, Etymologisches Wb., B e r l i n I960, 591. 51 DWb. V I I I , 527: „aus lat. regere". 52 DWb. V I I I , 533. 53 Dazu H. Maier, Die ältere . . . Verwaltungslehre, 185. 54 Gentillet , Regentenkunst fol. 17r. Vgl. G. Alemanni , Haubtschlüssel Der Teutschen u n d Italiänischen Sprache, Augsburg 1648, 557: „ v o n wegen des Regierstands oder des Regiments, per ragion d i stato, (propter status rationem.)" 55 Dazu die erhellenden Wortstudien v o n H. Ο. Meisner, Verfassung, Verwaltung, Regierung i n neuerer Zeit, i n : Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Klasse f ü r Philosophie, Geschichte usw., Beri. 1962.
4. Fremd- u n d Lehnwörter
43
wohl verbreitert sich das Wort nach unten hin und kann als „gantzes Regiment" die „correspondentz... zwischen den Regenten vnd den Vnterthanen" (1615)56 bedeuten, also die politische Ordnung oder Verfassung des gemeinen Wesens. Es bedeutet auch — was i m DWb. übersehen w i r d 5 7 — das gemeine Wesen selbst, insofern dieses als ein „gemeines Regiment" „gut verwaltet" oder „angeordnet" w i r d 5 8 . „Regiment" hat hier einen passivischen Sinn und meint die regierte Stadt oder das beherrschte Land; „imperiorum corpus" w i r d verdeutscht durch: „Leib unnd umbkreiß der Regimenten" 5 9 . So hat der Rochlicensis etwa die Redewendung: „zu Regierung des Regiments . . . schreiten" 60 und spricht von „großen Regimenten als Keyserthumben/ Königreichen und Fürstenthumben" (1647)61. I m späten 17. Jh. zieht sich die Bedeutung des Wortes Regiment wieder nach oben hin zurück und fällt m i t „Regierung" zusammen, von welchem Wort es schließlich aus dem engeren Feld politischer Begriffe verdrängt wird. (b) Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts erscheint — fast stets i m Gefolge von „Regiment" auftretend — das aus politia (pullicia) abgeleitete „policey" 6 2 . Das neue Wort bezeichnet jenen Komplex von Ordnung und Fürsorge, der Land und Leute i n „Recht/ gleichhait/ Gehorsam/ fride/ vnd Einigkait" erhält und worin eine Herrschaft und angesammelter Reichtum „beistand haben" (1542)63. Unter gelehrtem Einfluß w i r d das Wort Policey i n der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zum Synonym der aristotelischen politia sive respublica und bildet als solche eine von mehreren Entsprechungen zu ital. stato. I m 17. Jh. entse F. Husmanus, Christpolitischer Spiegel aller Regenten v n d Vnterthanen, Goßlar 1615, Z u m Christlichen Leser (O.S.). 57 DWb. V I I I , 535 f. 58 J. Boterus, Gründlicher Bericht von Anordnimg guter Policeyen vnd Regiments, Straßburg 1596, fol. 66r: „zu guter Verwaltung deß gemeinen Regiments" (ital.: „buon maneggio della Republica"). 59 Lipsius, V o n Unterweisimg 47. e» C. Jacobi Rochlicensis, Tractatus de Republica, Jena 1647, Vorrede (O.S.). 61 Jacobi Rochlicensis 99; vgl. auch M . C. Londorpius, Acta Publica, 6. Th., F r a n k f u r t 1623, 3: „Dahero auch die Regimenter gemeiniglich einem Menschlichen Leibe verglichen werden . . . (denn es hat) ein jedes Regiment seine vnderschiedliche Ständte v n d Vnterthanen/ die das Corpus Reipublicae in seiner Vollkommenheit erhalten." 6a K. Zobel, Polizei, Geschichte u n d Bedeutungswandel des Wortes und seiner Zusammensetzungen, Diss.phil. München 1952, I. 6 f. H. Maier, Die ältere . . . Verwaltungslehre, 118ff. 63 J. Lersener, A n t w o r t / Bericht/ v n d Beweisung/ A u f f die frage Ob es besser sey/ nach gewissen/ beschribenen . . . Gesetzen/ Ordnungen v n d Gewonhayten. Oder nach aygner Vernunfft/ Sinn/ Witz/ gutbeduncken/ v n n d selbst gefaßter billichait/ zu Regieren, Augsburg 1542. Es heißt hier u.a.: „Darauß offenbart sich/ das k e y n regiment noch policey/ one gewisse n a m hafftige recht v n d gesetz mög beharrlich v n d bestendig bleiben."
4 4 2 . Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
faltet es in theologischem Kontext den Sinn „christliche Ständeordnung" und „(christliches) Gemeinwesen"; so findet man beispielsweise auf einer Grab taf el i n der Dominikanerkirche zu Erfurt die Inschrift: „Herr Hiob Ludolff Dieser Policey gewesener Obrister Vierherr . . . Liebte Gott und das Vaterland trewlich" (1651)64. Obwohl der Gebrauch des Wortes Policey i.S.v. respublica i n der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nachläßt und i m 18. Jh. verschwindet, w i r d er noch vom Zedlerschen Universal-Lexikon als Hauptbedeutung verzeichnet (1741)65. (c) „Republik", ein Wort, das i m 18. Jh. zur Erklärung und Verdeutlichung fremder Ausdrücke benutzt w i r d und recht eigentlich das politische Kennwort dieser Epoche darstellt, war i m 16. Jh. noch völlig ungeläufig. Das Wörterbuch von Frisius „übersetzt" respublica ganz nach der Manier älterer Glossare: „Der gmein stand/ oder das gemein regiment/ gemeiner handel und geschäfft/ gemeiner nuzt einer statt und eines volcks" (1568)66. Gelehrte Traktate, einzelne bis i n die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein, lassen i m deutschen Text einfach das lateinisch flektierte Fremdwort stehen. Gewisse Bösewichter, heißt es bei Albertinus, „verschneiden die Kappen der Reipublicae dermassen/ daß sie schwerlich reparirt und ergänzt werden kan" (1617)67. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts beginnt man, das Fremdwort nach italienischem bzw. französischem Modell in „Republica" und „Republic" oder „République" 6 8 zu verändern. 1620 schreibt eine „Teutsche Politick" von „Macht eines Königs oder Republic" 6 9 , in den dreißiger Jahren w i r d vinculum imperiorum bestimmt als „das rechte band . . . so das von vielen vngleichen Stücken zusammen gesetzte gebäw einer Republic oder Regierung zusammen helt" 7 0 . Die Anwesenheit der „Republica" Venedig bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden hat zur Durchsetzung der neuen Wortform beigetragen 71 . Die Tafel ist i n der wiederaufgebauten Dominikanerkirche an der 1. Säule i m Chor, l i n k e r Hand, angebracht. 65 Zedier, Großes Vniversal-Lexikon, Bd. 27, Halle/Leipzig 1741, 1503: „ P o l i cey oder Polizey, so viel, als das gemeine Wesen, Republick, RegimentsForme." Ä h n l i c h konservativ gibt sich das Universal-Lexicon bei „Stand": Bd. 39 (1744), 639. 66 Dictionarium Latinogermanicum, T i g u r i 1561 fol. 1150 v . 67 A. Albertinus, Der Welt T u m m e l - u n d Schau-Platz, Augsburg 1617, 1010. 68 Vgl. J. N. Flämitzer, Politico-Militarischer Staats-Minister, Nürnberg 1688, 313: „Potentaten oder Respubliquen", S. 15: „einem solchen Reiche oder Respublique." 69 M. Kreps, Teutsche Politick, F r a n k f u r t 1620, 174. 70 V i n c u l u m Secundum Libertatem Germaniae, Stralsund o.J. (um 1636), 84. 71 Acta pacis Westphalicae, 1.1, (ed. Braubach u. Repgen), Münster 1962, 416: I n s t r u k t i o n des Kaisers: „thuen w i r euch n i t verhalten, daß die republica durch ihren alhie anwesenden abgesanten gegen unnß sich erklert" (1643).
4. Fremd- u n d Lehnwörter
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Die Bedeutung des Wortes ist wie i n klassischer Zeit ambivalent. Zur Rechtfertigung des preußischen Königstitels fragt der Publicist Ludew i g etwa: „was ist ein König anders? als die höchste Person in einer Republique deren die andre m i t allem Gehorsam als Unterthanen unterworffen sind" (1705)72. Ebenso gut kann das Wort auf „FreiStaten" (1675) beschränkt werden, i n denen der Adel herrscht oder das Volk oder ein Fürst „ i m Nahmen des Adels und Volks" 7 3 . I n dieser Ambivalenz w i r d „Republik" zu einem Lieblingswort des philosophischen Jahrhunderts. Die Geschichte des Wortes, insbesondere der Variante, i n der Republik und Staat Synonyme sind, steht i m Zeichen der ethisierenden und spekulativen Neigung der Epoche. Auf „Tugend" und „Gesetze" bezogen, erhält Republik schon bald einen normativen Charakter; F. Schlegel bestimmte ihn am Ende des Jahrhunderts als „Republikanismus" 7 4 . Gegenbegriff zu republikanisch ist nicht monarchisch, sondern despotisch, willkürlich, ungesetzlich 75 . Auf der andern Seite nimmt das Wort den Sinn eines konstruierten Gedankendinges an. Die Rede von der „Platonischen Republik" bedeutet wenig mehr als politische „Gedankenspielerei", phantastischer Unsinn. Wielands Diogenes w i l l — wie er sagt — „eine Republik nach meiner Fantasie errichten"; und dann mustert er „eine Republic nach der . . . Platonischen, — oder nach der meinigen" 7 6 . Wieland kritisiert die Ideologie der Revolutionäre, wenn er sagt, sie würden „anstatt des eingestürzten alten Gothischen Staatsgebäudes, ihre neue Platonische oder fysiokratische Republik aufführen" 7 7 . „Republik" ist ein K i n d der revolutionären Philosophie geworden: Es hat die Mitgift höchster Ideale und zynischer Pervertierung, ist Grundelement der Theorie und Wolkenkuckucksheim. Seitdem die Franzosen die Republik mit Hilfe der Guillotine als „sogenannte Republik" heraufführten 7 8 , scheint den 7a Ludewig, Gesamte Kleine Teutsche Schrifften, Halle 1705, 2 f. 73 F. Leutholf von Frankenberg, Schaubühne 74. 74 F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus (1796), i n : Die Herdflamme, ed. Spann, Bd. 8, Jena 1924. 75 Schlegel, Versuch 34, sagt „Republikanismus" u n d der „ i h m entgegengesetzte Despotismus". Dazu auch G. B. Philipp, Politische Wortstudien I I , Gymnasium 68 (1951), 4. 76 Wieland, Nachlaß des Diogenes von Sinope, Ges. Werke Bd. 7 (1911), 280, 282; S. 312: „ i n einem Staate, der, w i e die Republik des Diogenes, eine — bloße Schimäre seyn soll." 77 Wieland, Kosmopolitische Adresse, Ges. Werke Bd. 15 (1930), 326. 78 Wieland an Reinhold, a m 5./6. A p r i l 1798: „Die französische Revoluzion u n d das aus diesem A b g r u n d emporgestiegene Ungeheuer, das sich die französische Republik nennt", Wieland u n d Reinhold, ed. Keil, Leipzig/Berlin 1885, 245. Vgl. Wieland, A n die Freunde der Wahrheit, Zusatz v o m Herausgeber, Ges. Werke Bd. 15 (1930), 795.
4 6 2 . Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
Deutschen die Lust vergangen zu sein, ihren (monarchischen) Staat weiterhin mit diesem Wort zu benennen. M i t der Revolution verschwindet die altehrwürdige Bedeutung „Gemeinwesen" aus dem Wort Republik; wenn sie i m 19. Jh. wieder gerufen wird, erscheint dies als gelehrte Verfremdung des geläufigen Wortsinnes 79 .
5. „Stand" (status, stato, estât)
Das deutsche Wort, das sich seit dem 14. Jh. parallel zu den italienischen, englischen, französischen, spanischen Derivaten von status entwickelt und das am Ende des 15. Jahrhunderts, also zusammen m i t den anderen europäischen Sprachen, zum Wechselwort von respublica (status) zu werden beginnt, ist nicht Stat, sondern älteres „stand". Erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts w i r d es von dem bisher (besonders i m Mitteldeutschen) spärlicher bezeugten Lehnwort Stat i n Anwendung auf Regiment und Land überholt. Dabei t r i t t eine entscheidende Wandlung ein: Die bisher weithin vertauschbaren Begleitworte („Stat und Stand") 8 0 trennen sich voneinander und nehmen von nun an spezifische Funktionen wahr. (a) Die Geschichte des Wortes „stant", das i n althochdeutscher Zeit nur in Zusammensetzungen vorkommt (fir stant), beginnt m i t dem Augenblick seiner Verselbständigung. Als Verbalsubstantiv hat es lexikalisch betrachtet drei Möglichkeiten: Es kann die Handlung, den Ort und die A r t des Stehens bezeichnen. „Stant" übernimmt früh die Bedeutung von „anstant", nämlich cessatio, suspensio, prägnant: Waffenstillstand" 8 1 . I m Niederdeutschen ist 1396 die Wendung „frede edir fruntlik stand" belegt 82 . Später erscheint es i n Wendungen wie „Stimme und Stand haben", d.h. einen offiziellen Platz in einer (hierarchisch geordneten) Versammlung haben. Der Weg zum Rang, Würde, Ordnung ist von da aus nicht weit 8 3 , um so weniger als lat. status diese Richtung des Wortgebrauchs mitbeein79 Demokritos, 7. Bd., Stuttgart o.J., 79: „Republik oder Nichtrepublik, oder da eigentlich jeder Staat res publica ist, besser Polyarchie u n d Monarchie, ist gleichviel" (1832/39). so Seit dem 14. Jh. sind die Bedeutungen v o n Stat u n d Stand dieselben, w e n n auch regional bestimmte Anwendungen des einen bevorzugt werden u n d so der Eindruck einer unterschiedlichen lexikalischen Bedeutung entsteht. Allerdings w i r d Stand r u n d hundert Jahre früher als Stat auf die respublica bezogen. ei G. Haltaus, Glossarium germanicum medii aevi, Leipzig 1758, S. 1729; M . Lexer, Mhd. Handwb., 2. Bd., 1137. sa Schiller-Lübben, Bd. 4, 362. 83 Dazu W. Schwer, Stand u n d Ständeordnung i m W e l t b i l d des Mittelalters, Paderborn 21952, 5 ff.
5. „Stand" (status, stato, estât)
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flußt. I n der spätmittelalterlichen Ständeliteratur ist das Wort Stand noch mehr ein moralphilosophischer und -theologischer als ein soziologischer Begriff 8 4 . Die seit der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bezeugte Form „stende des lands" 8 5 läßt sich unabhängig vom französischen oder niederländischen Vorbild erklären, wenn man die Bildungen „lanndtleut aus den vier stennden" und „die vier Stennd" neben einander betrachtet (1479)86. Die Verschiebung des qualifizierten „Standorts i n der Gesellschaft" zum Inhaber eines solchen Ortes bzw. Träger der dort deponierten Würden und Pflichten, scheint einleuchtend. (b) Stand ist aber zugleich ein Wort von großer Allgemeinheit; es bezeichnet die A r t und Weise, i n der jemand oder etwas steht oder „ist", seine „Existenz". Man könnte sagen, es erinnert an den Ort, den jedes Seiende für den mittelalterlichen Menschen i m Schöpfungsganzen innehat. Daß ein Ort friedlich und ruhig ist, w i r d lateinisch so gefaßt: „loci status est pacificus et quietus"; i n deutscher Glosse: „der . . . stat der standt (ist) fridsam vnd rugsam." Und wenn einer in Unehren lebt, so sagt man: „statum t u u m inhonestum cogar deplorare"; zu deutsch: „deinen vnerlichen standt (muß ich) . . . beweinen" (1499)87. So wie i m hohen Mittelalter der „ l i p " eines Menschen für seine Person, für „ i h n selbst" steht, so ist es i m späten Mittelalter — auch i m Bereich der Sachen — der „stand". (c) Politisches Eigengewicht gewinnt das Wort i n Anwendung auf weltliche oder geistliche Gemeinwesen. Seit dem 15. Jh. bedeutet Stand hier „Verfassung", „Ordnung des Regiments", „Regiment". M i t Bezug auf die Kirche heißt es, daß „der Römischen Kirchen stand/ der zur selbigen zeit gantz verwüst vnd vnfletig war/ verbessert vnd gereformiert" werden soll (1566)88. M i t Bezug auf eine Stadt: „Es ist i n dieser Stadt (seil. Mecheln) der beste stand deß Politischen Regiments/ wie solches von dem Polybio gerühmet w i r d " (1572)89. I m Sinne von Regierungsform: Es seien königliche Gesetze gewesen, „da8
4 H. Maier, Die ältere . . . Verwaltungslehre 51 f. u n d A n m . 3. 83 Brunner, L a n d u n d Herrschaft (1959), 404 A n m . 3. se Monumenta Habsburgica 1.2, S. 127 f.; 1.3, S. 335, 337 f. 87 Grammatellus cum glosa almannica, Leipzig 1499 O.S. 88 ph. von Commynes, Historia Das ist/ Gründliche Beschreibung allerley wichtiger namhafftiger Sachen v n n d Hänndel, Straßburg 1566, 204. 89 Beschreibung u n d Contrafactur der vornembster Stät der Welt, K ö l n 1572, 19.
4 8 2 . Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
durch der Monarchienstandt zu Rom auffgericht worden ist" (1580)90; und schließlich i m Sinne von Regierungswesen, Verwaltung des Landes: Ziel des „Finantzen Rhats" i n Niederland sei „erhaltung vnnd auffenthaltung des Landts Stande" (1580)91. I n all diesen Fällen schimmert lat. status durch die deutsche Wortform hindurch, ohne daß man — von der gelehrten Bildung „Monarchienstand" nach status monarchicus einmal abgesehen — von „Entlehnung" sprechen müßte. (d) „Stand des Landes" oder „gemeiner Stand" bedeuten auch die respublica. I m Jahr 1488 schreibt Meisterlin seine Nürnberger Chronik i n der doppelten Absicht: den Vätern zum Ruhm, den Söhnen zum Ansporn. So wie die Alten sollen die Jungen „tugent annemen, frid lieb haben und zu haus und zu feit sich treffenlich halten"; dadurch könnten sie beweisen, ob sie „lieb habent laimet ( = Leumund), ere, nutz ires vatterlands". Meisterlin faßt diesen Gedanken i n dem Satz zusammen: „ w a n ich schetz, es sei ein zier und gemeiner nutz, wann die jungen nach volgent der eitern treffenliche tet und hant haltent einen gemeinen stant und nutz mit tugentlichkeit, damit er i n wesen ist kumen 9 2 ." Der Ausdruck „gemeiner (stant und) nutz" steht für respublica; die Erweiterung um „stant" ist hier wohl aus Gründen der Abhebung gegen „zier und gemeiner nutz" erfolgt. Das Wort stant erfaßt die Lebensbeziehungen des ganzen gemeinen Wesens: Regierung, Haus, Feld. Die Verfassung der Stadt, das gute Leben ihrer Bürger ist darin ebenso eingeschlossen wie die Tüchtigkeit des Magistrats. Das Wort Stand verselbständigt sich i m 16. Jh. und bedeutet für sich allein „Land", „Herrschaft", „Reich". So ist es i n oberdeutschen Quellen seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts belegt 93 . I n der Mitte des Jahrhunderts ist „Stand" so geläufig, daß es sich zur Wiedergabe von ital. stato i n fast allen Fällen anbietet. Die 1566 erschienene Guiccardini-Übersetzung „Händel oder Geschichten in Europa" 9 4 verwendet „Stand" für it. stato i m Sinne von 1. beherrschtes Territorium („im so Gentillet , Regentenkunst fol.40r; ebd.: „der Römische Raht . . . r a h t schlagte von denen dingen/ welche den Standt deß Reichs . . . v n d i n summa/ den gemeinen nutzen/ belangten"; f o l . 4 0 v : betreffend jus populi u n d potestas g i l t : „die frommen Keyser haben den Standt m i t fleiß geschützt." 91 L. Guicciardini , Niderlands Beschreibung, Basel 1580, 53; das italienische Original hat „sostentatane dello Stato del paese", Descrittione d i t u t t i i Paesi Bassi. Anversa 1567, 35. 92 Städtechronik Bd. 3, 34. 93 Schweiz. I d i o t i k o n X I , 964 ff. 94 L. Guicciardini, Die groswichtigisten v n d namhafftigisten Hendel/ oder geschichten, A n t o r f f 1566.
49
5. „Stand" (status, stato, estât)
S t a n d t M e y l a n d t " ) 9 5 ; 2. R e g i m e n t , R e g i e r u n g s g e w a l t (einen v e r j a g t e n Fürsten wieder
„ i n Stant"
setzen) 9 6 ; 3. ständische K ö r p e r s c h a f t ,
die
das R e g i m e n t eines F ü r s t e n l e g i t i m i e r t (durch „ b e w i l l i g u n g des g a n t zen
Stands")97;
4.
Oberbegriff
für
Königreich,
Fürstentum,
Stadt-
republik usw. („alle Stendt v n d Königreiche") 98. A l s W e c h s e l w o r t f ü r status, estât, stato d u r c h z i e h t oder beherrscht „ S t a n d " m i t den g e n a n n t e n B e d e u t u n g s v a r i a n t e n die deutsche p o l i t i sche (historische, geographische) L i t e r a t u r , seien es U b e r s e t z u n g e n 9 9 oder einheimische O r i g i n a l s c h r i f t e n 1 0 0 . Insbesondere die P l u r a l f o r m „ S t ä n d e " i s t b e l i e b t . Sie h ä l t sich noch, als i m S i n g u l a r l ä n g s t „ S t a t " das N o r m a l w o r t g e w o r d e n ist, d. h. nach der M i t t e des 17. J a h r h u n d e r t s . E i n e Z e i t l a n g stehen beide ( P l u r a l - ) F o r m e n n e b e n e i n a n d e r 1 0 1 . N o c h i m J a h r 1688 schreibt T h o m a s i u s : „es redet d e r A u t o r . . . so o f f e n h e r t z i g w i e d e r F r a n c k r e i c h / als er w i d e r die a n d e r n Stände i n E u r o p a seine Meinung entdecket102." D i e B e h a r r u n g s k r a f t dieser F o r m i s t d e m a u f f a l l e n d l a n g s a m e n V o r d r i n g e n des P l u r a l s „ S t a a t e n " zuzuschreiben: Das seit 1596 ( i n t e r r i t o 95 Die Florentiner „Haben sich derohalben dapffer v n d fromlich versehen/ v n d ihre Statt v n d Standt flehenlich beuestiget". Der Kaiser zog u. a. deshalb nach Italien, „ v m b seine Sachen i m Standt Meylandt zuuerfoddern v n d zuuerrichten" S. 12; „ H e r r Ascam Colonna (war) . . . seins gantzen Stands/ so er i n der Romischen Kirche grentze hette/ gar entraubt/ v n d entblost" S. 93; Später ließ der Papst dem Colonna „seinen Standt v n d L a n d w i d e r umb . . . einräumen" S. 395. 96 „ M i t l e r zeit (seil. 1534)/ hat Philips Landtgraff zu Hessen/ da er ein zimlich hauffen knecht angenomen/ den Hertzogen zu Wirtemberg/ Vlrichen seinen Blu-tfreundt . . . m i t gewalt w i d e r u m b i n Stant gesetzt". E i n Vergleich sieht vor, daß der Kaiser nach Aussterben der männlichen Linie der Württemberger „durch begnadung des Reichs/ friedlich i m selbigen Standt eintretten" solle; S. 41. 97 „ m i t t e l eines Vertrags/ v n d durch bewilligung des gantzen Stands" S. 86. Er dankte „ i n namen v n d von wegen des gantzen Niderlendisschen standts" S. 272. 98 „Castilien/ v n d volgends alle die andere Stendt v n d Königreiche/ so vnter dem namen (Hispanien) begriffen" 395. 99 Außer den bereits zitierten Übersetzungswerken (Gentillet , Guicciardini), von Guicciardini noch: Gründtliche v n n d warhaff tige beschreibung aller F ü r nemen historienn (übers, von Forberger), 1574, fol. 463 v u. a. Ferner G. Botero, Übersetzungen der Relazioni universali (dazu Bibliographie, Botero) und des berühmten Werkes „Deila Ragion d i Stato": Gründlicher Bericht von A n ordnung guter Policeyen v n d Regiments, Straßburg 1596, fol. l r » v , 4 V , 7 r » v . Ferner T. Boccalini, Relationes auß Parnasso, F r a n k f u r t 1655, 562, 582. 100 Außer den bereits zitierten Chroniken: M. Ey zing er, Rerum Vaticani j s accommodata Historia, K ö l n 1584, 284; A. Albertinus, Der Kriegßleut Weckuhr, München 1601, 19, 208; Ν. Bellum, Politische SchatzCammer I I , F r a n k f u r t 1618, 95, 150; M. Kreps, Teutsche Politick, F r a n k f u r t 1620, 77; Theatrum Europaeum, Contin. I I I , F r a n k f u r t 1639, 374. Auch die andern Bände des Merianschen Geschichtswerks haben „Stand" i.S.v. respublica. ιοί E. G. Happelius, Mundus mirabilis, U l m 1687, 680, 687. 102 Chr. Thomasius, Monatsgespräche, I. Th., Halle 1688, 74. 4 Weinacht
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2. Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
rialem Sinne) zu belegende „Staaten" w i r d bis in die achtziger Jahre des 17. Jahrhunderts selten gebraucht, vereinzelte Muster bleiben ohne Folge. Es scheint, daß hier erst Pufendorf mit seinem berühmten Titel „Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten" (1683) den Durchbruch gebracht hat 1 0 3 . Während das gesamte deutsche Sprachgebiet zum voll flektierbaren Lehnwort übergeht, schließt sich die Schweiz von dieser Bewegung aus und hält am einheimischen Wort fest. So w i r d hier das Kompositum Staatssachen („Statsachen") weiterhin mit „Stand" gebildet: „Religions vnd Standsachen" oder „gemeiner Landen Stands/ vnnd LandsSachen" (1643) 104 ; und selbst ein so neumodisches Wort wie Statist (Politiker, insbesondere machiavellistisch gesinnter Politiker) findet sich i m Schweizerischen als „Standist" (1673) 105 . I m 18. Jh. rivalisieren bei A. von Haller die Wörter Stand und Staat miteinander 1 0 6 ; es sind wohl die Rücksichten auf ein gemeindeutsches Leserpublikum, die „Stand" i n den Hintergrund drängen. Bei J. Iselin und Johannes von Müller jedenfalls ist „Staat" alleinherrschend geworden. Aber noch heute heißen die Kantone in der Schweiz nicht „Staaten", sondern „Stände", und der Rat der Kantonsvertreter heißt „Ständerat". (e) Die Teilung der Funktionen, die i n der Mitte des Jahrhunderts zwischen Stand und Stat (und am Ende zwischen Ständen und Staten) eingetreten war, wurde von Seckendorff dahin bestimmt, daß „Stand" mehr i m Sinne „von einer Persönlichen Beschaffenheit" aufgenommen werde 1 0 7 . Damit ist i n der Tat das Entscheidende gesagt: Während i m Französischen, Italienischen oder Englischen Persönliches und Sachliches in einem Wort beisammen liegen, beginnen sie sich nun i m Deutschen zu trennen 1 0 8 . Die „Stände" des Reichs sind die Fürsten und — i m weiteren Sinn — die fürstlichen Häuser oder Dynastien, vereinzelt auch die durch sie vertretenen „Völkerschaften" 1 0 9 ; die Staten (Staaten) dagegen sind ihre Territorien oder Herrschaften. 103 So bereits A. O. Meyer 236, der jedoch meint, Pufendorf habe den P l u r a l als erster i n die Literatursprache gebracht. 104 Theatrum Europaeum, 4. Th., F r a n k f u r t 1643 (Deduction der Pündtner von jhrer Souveränitet) 570 f. los Eydgnoßisches Contrafeth, Z u g 1673, 5. Aufzug, 5. A u f t r i t t (o.S.) H e l vetia spricht: „ K o m m e t hero j h r Standisten/ Dero alles zu gehört. Auß v n d h i n ist ewer Nisten/ Gott hat ewer Nest zerstört . . . I h r Polite falsche Lüthe/ Dero Gott/ das Gelt v n d Schatz." 106 Belege i n DWb. X . 2,1, Sp. 724 (Lesearten eines Gedichts). 107 Seckendorff, Teutscher Fürsten-Stat, Hanau/Frankfurt 1656, Vorrede, los Der Prozeß zieht sich ζ. T. bis i n die M i t t e des 18. Jh. hin. Zedier registriert noch 1744 „Stand" i.S.v. „Staat" (vgl. A n m . 65 dieses Kapitels). Umgekehrt findet m a n auch „Staaten" noch vereinzelt f ü r „Stände": vgl. A n m . 9 i m 8. Kap. des Teils I I (STAT V I I I ) . loa Belege f ü r das 18. Jh. i m DWb. X . 2,1, Sp. 723 („9 b").
6. Zusammenfassung
51
„Stat" i m Singular ist kein Synonym für „Fürst" oder „König". Die gängigen Formeln „Staten und Stände", „Republiquen und Fürsten", „Staten und Potentaten" sind daher nicht nur barocke Erweiterungen und Steigerungen des Grundwortes, nicht nur Sammelbezeichnungen für monarchische und nichtmonarchische Gemeinwesen, nicht nur Prägungen nach fremdem Muster 1 1 0 , sondern sie bringen die i n „Stat" unterdrückte „persönliche Beschaffenheit" ins Spiel. „Staten und Potentaten" bedeutet— geradeso wie Etats, states für sich allein — die ihr Land darstellenden, als „Mächte" respektierten Fürsten. Vor diesem semasiologischen Hintergrund verliert übrigens auch das Wort L'Etat c'est moi seinen furchterregenden Anspruch. Zunächst einmal bedeutet es: König i n Frankreich bin ich 1 1 1 . Die „persönliche Beschaffenheit" des Wortes w i r d alleinherrschend in der demokratischen Polemik des ausgehenden 18. Jahrhunderts; man bezieht es hier auf die „Feudal-Classifikation" der älteren Gesellschaft. Wieland bemerkt i m Teutschen Merkur von 1790/91: „Das Wort S t a n d (Ordre du Clergé) war der demokratischen Parthey anstößig . . . Nach der neuen Constituzion gilt kein Unterschied der Stände mehr; alle Franzosen sind nun weder mehr noch weniger Citoyens (Staatsbürger) und, als solche, alle von einerley S t a n d e 1 1 2 ." Von diesem Wortgebrauch führt keine Brücke zu „Staat" zurück. 6. Zusammenfassung
Fassen w i r zusammen: Manche Vorstellung, die w i r heute mit dem Wort Staat verbinden, verknüpft die ältere politische Sprache m i t Wörtern wie Land, Reich, Herrschaft, Gemeiner Nutz, Stand usw. Vom 14. bis ins 17. Jh. stellten sich zusätzlich Fremdwörter ein, die ζ. T. neuen Verfasungs- und Bewußtseinslagen entsprachen: Regiment, Policey, Republik. Jedes dieser deutschen und Fremd-Wörter ist vielbezüglich und vieldeutig; die Bedeutungen überschneiden und verdrängen sich. "ο A. O. Meyer macht f ü r die Formel „Staaten u n d Potentaten" auf engl, state and pontentate aufmerksam, das bereits i m 16. Jh. geläufig ist (Meyer 236). Die Wendung ist durch das Holländische ins Deutsche vermittelt w o r den, vgl. die frühen Vorkommen i n den Übersetzungen: Interesse Von Holland/ oder Fondamenten Von Hollands-Wohlfahrt, o.O. 1665, 220 (Original: Interest v a n Holland, Amsterdam 1662, 154) u n d Anweisimg der Heilsamen Politischen Grunde . . . der Republicqen Holland v n d West-Friesland, Rotterdam 1671, 3. 111 Z u r gleichen Wendung G. Post, Ratio publicae utilitatis . . . , i n : W.a.G. 21 (1961) 71 („status, i d est magistratus"). Anders F. Härtung, L'Etat c'est moi, i n : H Z 169 (1949), 1 ff. na Wieland, Ges. Werke Bd. 15 (1930), 677 A n m . 4
5 2 2 . Kap.: Vorgänger u n d Begleiter des Wortes Staat i m Deutschen
Jedes dieser Wörter t r i t t auch zu „Stat" ins Verhältnis; die Fügung „regiment und stat" ζ. B. ist bereits i m 15 Jh. belegt. Es handelt sich dann jeweils um eine bestimmte Phase der Bedeutungsentwicklung oder eine bestimmte Variante innerhalb der lexikalischen Gesamtbedeutung von Stat; viele Berührungspunkte können darum erst in der nachfolgenden Darstellung der Geschichte des Wortes Stat berücksichtigt werden. Vorherrschende oder zumindest epochentypische Wörter des späten Mittelalters sind: Reich, Herrschaft, Fürstentum, Land; i m 15. Jh. ist es „Regiment", wozu i m 16. Jh. „Stand" t r i t t ; i m 17. Jh. schiebt sich „Policey" i n den Vordergrund, i m 18. Jh. gelangt „Republik" (und „bürgerliche Gesellschaft") an die Spitze. M i t dem ausgehenden 18. Jh. bringt die Gesetzes- und Verwaltungssprache der großen Territorien (Preußen und Österreich) sowie die gelehrte und Bildungssprache jenen Durchbruch des Wortes Stat (Staat), der alle übrigen politischen Termini i n den Rang von Teilbegriffen (elementa) oder Arten (species) zurückfallen läßt: „res publica, civitas, regnum, imperium, drücken nur species von Staten aus" (Schlözer) 113 .
na A. L. Schlözer, StatsGelartheit, 2. Th., Göttingen 1804, S. 3 A n m . b.
Drittes
Kapitel
Die Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status D i e M o n o g r a p h i e n z u m p o l i t i s c h e n W o r t status h a b e n z w e i Z e i t r ä u m e besonders g u t erfaßt: die klassische u n d spätrömische Z e i t bis u m 700 n. C h r . u n d die h o c h m i t t e l a l t e r l i c h e Z e i t ( i n legistischen u n d kanonistischen Q u e l l e n ) 1 . D i e Z w i s c h e n p e r i o d e n s i n d b i s h e r k a u m e r forscht 2 .
1. Antike Das Svennungsche M o d e l l d e r B e d e u t u n g s e n t w i c k l u n g v o n status i n römischer Z e i t ist v o n klassischer E i n f a c h h e i t . Goelzer h a t es so c h a r a k t e r i s i e r t : E i n e U r s p r u n g s b e d e u t u n g f ü h r e ü b e r B r ü c k e n z u der E n d b e d e u t u n g . N ä h e r h i n : status i.S.v. „ m a n i è r e d'être (d'une personne o u d ' u n e chose) à u n m o m e n t d o n n é " v e r b i n d e sich e i n m a l m i t G e n e t i v b e s t i m m u n g e n (status c i v i t a t i s , reipublicae) ; z u m a n d e r n mit E p i t h e t a , d i e V ö l k e r n a m e n a u s d r ü c k e n (status R o m a n u s , Judaicus) u n d g e w i n n e auf die Weise die abschließende B e d e u t u n g „ g o u v e r n e m e n t , 1 J. Svennung, Orosiana, i n : Uppsala Universitets A r s k r i f t 1922, Filosofi, Sprakvetenskap . . . 5, Uppsala 1922, 127—132; E. Köstermann, Status als politischer Terminus i n der Antike, i n : Rhein. Museum f. Philologie, N F 86 (1937), 231 ff. G. Post w i r f t Köstermann vor, das abstrakte Wesen von staus überzubetonen; er selbst verfolgt status i n der Formel status reipublicae und arbeitet die typische Synonymik zu utilitas publica heraus: G. Post, Ratio publicae utilitatis, ratio status u n d ,Staatsraison' (1100—1300), i n : W.a.G., 21 (1961) S. 8 ff., 71 ff., 194 ff. Die antike Entwicklung von status hat neuerdings W. Suerbaum i m Zusammenhang dargestellt: V o m antiken zum f r ü h m i t t e l alterlichen Staatsbegriff. Über Verwendung u n d Bedeutung von Res Publica, I m p e r i u m u n d Status von Cicero bis Jordanis, Münster 1961 (Rezension von A. d'Ors , i n : Der Staat 4 (1965) 360 ff.). F ü r die hochmittelalterliche Zeit außer dem genannten Aufsatz Posts seine Studies i n Medieval Legal Thougt, Public L a w and the State, 1100—1322, Princeton 1964. Keine (ausdrücklichen) Belege f ü r status gibt das sonst sehr quellengebunden darstellende, wichtige Buch v o n S. Mochi Onory, Fonti Canonistiche dell'Idea Moderna dello Stato, Milano 1951. Kleinere einschlägige Arbeiten sind i m folgenden angemerkt. 2 Condor elli (vgl. A n m . 21 der Einleitung) wertet f ü r die frühere Periode einzelne Quellen der Monumenta-Edition aus; f ü r die späte Epoche (16.—18. Jh.) gibt es außer rhapsodistischen Bemerkungen bei einzelnen Autoren gar nichts.
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
état, régime politique". Auch die Datierung w i r d bestimmt: Annäherungen gebe es bereits bei Cicero, der endgültige Bedeutungsstand sei bei Tertullian erreicht 3 . Nach Suerbaum hat das Wort status bei Tertullian zwar den Sinn von „Staat", doch klinge die ältere Bedeutung „fester, gesicherter, unerschütterlicher Bestand" noch mit. I m ganzen gesehen sei Tertullians Wortgebrauch „eine mehr interessante als weiterwirkende Erscheinung" 4 . Auch Ammian, Orosius, Cassiodor und Aurelius Victor kennen status i.S.v. respublica 5 ; sie gebrauchen den neuen Ausdruck aber ohne Konsequenz. Es scheint daher, als sei er in der frühmittelalterlichen Periode (nach 700) „vergessen" worden und habe i m späten Mittelalter von neuem und gleichsam von vorn entwickelt werden müssen 6 . 2. Frühes Mittelalter
(a) Für die erste Zwischenzeit (700—1100) findet Condorelli i n karolingischen Quellen keine typische Beziehung zwischen status und Imperium oder respublica; das Wort trete ebenso gern zu rex, Deus, ecclesia hinzu. „Politische" Bedeutungen habe status daher nur i.S.v. conditio (civilis) und utilitas (publica) oder als conditio bona, salus, honor; seltener i m speziellen Sinn von conditio politica, ordo fundamentalis, constitutio. Es fehlten also die drei zentralen Bedeutungsgruppen: 1. Verfassungsform; 2. Wohlstand und Machtstellung von Regent und Reich; 3. Partei an der Macht („stato"); diese würden erst i m späten Mittelalter (1250—1450) geläufig. (b) Man w i r d den Mangel einer typischen Beziehung zu herrschaftlichen oder genossenschaftlichen Verbänden nicht philologisch erklären können, sondern nur durch Beziehung auf die merovingischem und karolingischem Denken entsprechende Staatsauffassung. Es ist die germanische Vorstellung, die den „Staat" nicht als Gemeinschaft der pubes oder als Gemeinwesen, sondern vom König her als „Herrschaft" denkt 7 . Der König ist das Reich, sein Status ist der des Reichs: Friede, Sicherheit und „Heil". 3 Vgl. Goelzers Referat i n A L M A Bd. 2, 39 f. 4 Suerbaum 282. 5 Belege bei Condorelli Bd. 90, 80 A n m . 4. 6 So Condorelli. Anders Suerbaum 282: „ W e n n auch der Gebrauch des Wortes status i m Sinne von ,Staat' jahrhundertelang noch sehr beschränkt sein sollte, so w a r doch der Begriff einmal geprägt u n d jederzeit einer Wiederbelebung fähig." Suerbaum hat recht i n Bezug auf renaissanceartige Sprachepochen w i e die sog. Karolingische Renaissance (dieses Kapitel, 2e), i n andern Fällen aber ist „Wiederbelebung" eine subjektive Interpretation: Der Wortforscher darf nicht eine historische Kenntnis m i t dem Sprachbewußtsein der Zeit verwechseln! 7 Vgl. A n m . 19 des 2. Kap. v o n Teil I.
2. Frühes Mittelalter
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Der Übergang von status regis auf status regni ist durch die Vorstellung des germanischen Königsheils gewährleistet, das sich auf die politische Gemeinschaft des Stammes und das Land auswirkt und verbreitet: Fruchtbarkeit der Erde, Fehlen von Stürmen und Unwettern sind die Kennzeichen 8 . Ein anderer Kontext des Wortes ist die Verbindung von status imperii und status ecclesiae. Kirchenzucht, hierarchische Ordnung, Reinheit der Lehre, Rechte und Besitzungen der Kirchen sind nicht allein geistliche Angelegenheiten, sie verpflichten den Herrscher und haben eminent politisches Gewicht. Man denke nur an die Verantwortung der Kaiser für die Konzilien, an welche die Päpste seit je mit politischem Geschick appellierten; so schreibt etwa Papst Leo an Kaiser Marcian: „quem statum esse cupitis religionis, eundem habeatis et regni" 9 . Auch i m 9. Jh. ist eine solche Wechselbeziehung von weltlicher und geistlicher Ordnung 1 0 ein Kennzeichen des status. Und i n einer U r kunde Heinrichs I I I . findet sich dann die Parallele: „Totiens nostre corone status augendo dilatatur, quotiens sancta ecclesia ex nostris concessibus et iustis munificentiis benigne augmentatur 1 1 ." Schenkungen an die Kirche vergrößern den Einfluß der Königsgewalt: das „Reich" wächst mit der Vergrößerung des Kirchenbesitzes! Entsprechend gilt es als eine Regentenpflicht „bonum statum civitatis et episcopatus regere gubernare et salvare" (1237)12. Status ist also Gegenstand und Ziel, aber auch die unausbleibliche Folge einer klugen Regierung, eines guten Herrschers, einer wohlgeordneten Kirche, der concordia zwischen Kirche und Königsgewalt. Das mag i m einzelnen sein, was es w i l l : Friede, Gerechtigkeit, Macht, Einfluß, Reichtum, Ehre, Wohlfahrt, Bestand, Stabilität — es ist stets i m Rahmen einer allgemeinen (religiösen und politischen) Ordnung gesehen und ist deren jeweils wichtigster Aspekt. I n diesem Sinn gilt es, den „Staat" zu ordnen, zu heilen, zu retten, zu kennen, zu wissen und zu mehren. a H. Fichtenau, Arenga, Graz/Köln 1957, 69. » P L Bd. 54, 917. 10 E x V i t a Verner. Walae Abb. Corbeiensis, i n : Recueil des historiens des Gaules et de la France, par M. Bouquet , T. V I , Paris 1749, 280: „Unde p r i m u m considerari oportet intus divina, t u m exterius humana: quia proculdubio his duobus totius Ecclesiae status administratur ordinibus." 11 H. Bresslau u n d P. Kehr, Die Urkunden Heinrichs I I I . ( = M G Dipl. reg. et imp. Germ. V) 1931, 178. 12 Urkunde Friedrichs II., i n : Tiroler Urkundenbuch, 1. Abtig., Bd. 3, Innsbruck 1957, 111.
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
(c) Status ist nicht nur Gegenstand und Ziel oder Folgewirkung guten politischen Ratens und Tuns i n dem Sinne, i n dem eine abstrakte Ordnung der Dinge erhalten oder verändert wird, sondern vereinzelt auch die konkrete, materiale Seite solcher Umstände oder solcher Ordnung. William von Malmesbury schreibt etwa über Gregor VI.: „Ita apostolatus Romani statum per incuriam antecessorum diminutum invenit, ut praeter pauca oppida urbi v i c i n a . . . pene n i h i l haberet quo se sustentaret" (10. Jh.) 13 . Status bedeutet hier den Inbegriff der päpstlichen Güter — den später so genannten „Kirchenstaat" —, der den Papst und die K u r i e ernährt und die materielle Voraussetzung des kirchlichen Regiments ist. Eine andere Konkretion des status regis sind „Hof" und „Gefolge"; i n dieser Bedeutung ist status seit dem 10. Jh. nachweisbar 14 . (d) Status ist nicht nur ein Aspekt oder ein konkretes Element der Herrschaft, sondern hie und da auch die Herrschaft und Autorität oder der Amtsauftrag selber. Man sagt etwa „administratorium statum gerere" für „verwalten", „die Aufsicht führen über" 1 5 . Man kann die politischen Geschäfte (rei publicae negotium) und den status civitatis i n die Hand tüchtiger Leute legen, wenn man selbst die Regierung nicht auszuüben vermag 1 6 . Und schließlich gibt es die allerdings vereinzelte Rede: „Regni statum obedire" (11. Jh.) 1 7 für: „der Autorität des Kaisers gehorchen". ι» Zit. bei Lord Acton, Essays on Church and State, London 1952, 110 A n m . 2. 14 DuCange, Glossarium mediae et infimae latinitatis, Bd. 7 1886, 589 (zur Datierung des Belegs Dowdall 107). Vgl. C. A. Garufi, Rycardi . . . Chronica ( = Rer. Ital. Script. N.E. V I I , 2) 1937/38, S. 58 a: „ P r i m o die recipit ipsos (seil, nuntios) i n p r i m a sala de Cayro u b i semper est status eius." is Κ . Strecker, Die Tegernseer Brief Sammlung ( = M G Epist. sei. I I I ) 1925,143: „Sigefridus (seil, abbas Teg.) supra collegium saneti Q u i r i n i administratorium gerens statum." 16 L. C. Bethmann, gesta episcoporum Cameracensium ( = M G Script. V I I ) 1846, 452: „Unde praesul perterritus, civitatis statum et rei publicae negotium archidiaconis et primis m i l i t u m commendavit" (1041/1044). 17 L . Schiaparelli, Le carte antiche, i n : Archivio dello R. Società Romana d i Storia Patria, Voi. 24, Roma 1901, 430: „ I t a tamen constituimus u t ipsi (seil, priores huius ecclesiae) et successores eorum exibeant servitium Deo et regni nostri t a n t u m statum obediant, u t ubicumque i n istis partibus venientibus de ultramontanis partibus, si casu accidit moriendi, inquirant et sepeliant deducendam ad i a m dictam ecclesiam." Die Bedeutung von regni statum obedire k a n n aus parallelen Wendungen erschlossen werden: „stabili iussu decrevit nostra auetoritas" (427) oder „ u t . . . nostrae praeeeptioni obediant" (430). Gemeint ist die Reichsautorität i n der Person des Kaisers. Die zit. Stelle ist auch bei E. Mühlbacher abgedruckt: Die Urkunden der Karolinger, Bd. 1 ( = M G Dipl. Karol. Tom. I), B e r l i n 21956, 366( allerdings: statt „ t a n t u m statum": „ t e r r a r u m statum". Die erste Leseart ist dem Sinne nach besser). Z w e i mittellateinische L e x i k a buchen den genannten Beleg: J. F. Niermayer, Mediae Latinitatis Lexicon minus, Leiden 1964, 990 (falsches
3. Hohes u n d spätes Mittelalter
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(e) Der „Romanus status" des Orosius findet an der Hofakademie Karls des Großen noch einmal Verwendung; es handelt sich dabei wohl um eine der „karolingischen Renaissance" zuzurechnende Erscheinung, die i n keiner Sprechtradition steht 18 . Der Langobarde Paulus Diaconus schreibt i n seiner „Historia Romana": „nec dubium est u l t i m u m i l i u m diem Romani status futurum fuisse, si Hannibal mox post victoriam ad pervadendam urbem contendisset" 19 .
3. Hohes und spätes Mittelalter
Für die hoch- und spätmittelalterliche Epoche (1150—1400) hat man die Bedeutungsentwicklung des Wortes status in lehnsrechtlichem, städtischem (nämlich i n Bezug auf die città), sehr gründlich in kanonistischem und legistischem Kontext verfolgt. (a) Das für status, insbesondere für engl, state gültige lehnsrechtliche Modell der Bedeutungsentwicklung geht von den Bedeutungen Stellung, Rang, Macht aus, die um 1300 nachweisbar sind. Das Wort status habe i m Verlauf des 14. Jahrhunderts mit Bezug auf die englischen Grundherren (magnates) den Sinn von Amtsträger, Herr angenommen; seit 1400 seien state und magnate synonym. Von daher komme es, daß zur Stellung des „magnate" gehörige Attribute wie Aufwand, Besitz, territoriale Rechte ebenso eng m i t dem A m t verknüpft waren wie der Inhaber des Amtes selbst. Die These Dowdalls 20 , der dieses Modell zeichnet, ist nun die: Status (state) wurde zwar i m späten Mittelalter auf Feudalherrschaften angewandt 21 , aber erst Machiavelli habe den Gedanken (nicht das Wort) der Souveränität damit verbunden und so den modernen Staatsbegriff geschaffen. (b) Der „städtische" Kontext läßt die Entwicklung des ital. stato erkennen, auf lat. status dürfen aber nur m i t Vorsicht Schlüsse gezogen werden. Immerhin kann die Ausgangsbedeutung „Wohlstand" über den Begriff des Stadtregiments m i t „Machtstellung" zusammengeInterpretament „Etat"!); F. Arnaldi/ M.Turriani, Latinitatis Italicae M e d i i Aevi, Lexicon Imperfectum, i n : A L M A 29 (1959) 149 (richtiges Interpretament „Auetori tas"!). 18 Vgl. auch L. J. Engels , Observations sur le vocabulaire de Paul Diacre, Nijmwegen-Utrecht (1961) 264. Status ist nicht verzeichnet. 19 Paulus D., i n : H. Droysen, Eutropii breviarium ( = M G Auct. Ant. Bd. 2) Berlin 1879, 54 A n m . 20 Dowdall 106—108. 21 J. de Layto berichtet zum Jahr 1409 die Wiedergewinnung der von Otto de Terzi dem Herzogtum M a i l a n d entrissenen Herrschaft, nämlich: „ f i l i u m o l i m dom. Ottonis et Statum Parmae ac Regii esse sub recommendisia et protectione ipsius ducalis dominii." DuCange Bd. 7, 589 (Nr. 3). Der Beleg w i r d von Dowdall interpretiert, vgl. A n m . 20 dieses Kapitels.
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
bracht werden, von hier bis zu „signoria" ist kein weiter Weg. Die entscheidenden Etappen: stato i.S.v. Partei an der Macht (stato que reggia) 22 und Herrschaftsapparat eines Beruf s-Podestà 23 sind bisher nur an italienischen Texten gezeigt worden. (c) A m eindringlichsten ist die Linie von den frühen Glossatoren zu den Legisten bearbeitet worden. Leitbegriffe sind dabei status regni und status regnis. I n der Epoche des 12. bis 14. Jahrhunderts finden sich mannigfaltige Belege für die Vertauschbarkeit des status regis und des status regni — man denke etwa an die Formel Lothars III.: „pro nostro et totius imperii statu". Der status des Kaisers ist eben die Amtsgewalt (honor regis) und die Fülle der öffentlichen Gewalt i m Reich 24 . Die Verzahnung dieser Einzelbedeutungen und die B r ü k kenfunktion zur Endbedeutung „Staat" stellt die legistische und kanonistische Lehre dar, die die öffentliche Authorität oder Regierung des Königs, und zwar jedes Königs, nicht nur des deutschen, als Bedingung des allgemeinen Wohls erklärt und rechtfertigt: „status, id est magistratus". Die Juristen des 14. Jahrhunderts betonten die Notwendigkeit des Fürsten und der unteren Beamten für den Zweck des Staates so sehr, „daß der öffentliche status oder Stand des Fürsten mit dem ,Zustand des Gemeinwesens', schließlich mit dem Staat vermischt wurde" 2 5 . Es gibt dafür Belege aus dem 14. und 15. Jahrhundert 2 6 . Eine zweite, eng damit verbundene Linie führt von der UlpianGlosse „status, id est utilitas publica" oder „ I d est, existentiam, ne pereat" zur Bedeutung salva respublica oder gemeines Wohlwesen (common wealth). Es liegt darin die Steigerung vom Gedanken des öffentlichen Wohls der respublica zur respublica selbst 27 ; doch steht 2a Condorelli, Bd. 90, 94. 23 E. Kern, Moderner Staat u n d Staatsbegriff, Hamburg 1949, 23 f. 24 G. Post, Studies 379 ff. 23 G. Post, Ratio publicae uülitatis 71. 26 a) Ferrarius de Apilia (1323) w a r n t v o n A v i g n o n aus seinen König, Jayme II., vor der Kriegslüsternheit Papst Johannes X X I I . : „ N i s i reges concordent invicem ad infrenendam f u r i a m istius . . . ipse turbabit medullitus omnem statum." Acta Aragonensia, ed. H. Finke, Bd. I, B e r l i n u n d Leipzig 1908, 393 f. b) Eduard III. stellt zu B e g i n n des 100jährigen Krieges die eindringliche Frage: „ Q u i d ergo pro suo j u r e suaque securitate non licuit Regi, sui status silique populi periculum j a m videndi, dicat q u i noverit." DuCange Bd. 7, 589 (3). c) 1487 bestimmt ein zwischen der Republik Venedig und Herzog Sigmund von Österreich geschlossener Vertrag Sicherheit i n Handel u n d Verkehr f ü r „subditi amborum statuum", zit. O. Stolz, Wesen u n d Zweck des Staates i n der Geschichte Österreichs, i n : Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestandes des Haus-Hof- u n d Staatsarchivs, ed. Santifaller, Bd. 2, Wien 1951, 105. 27 G. Post, Studies 22 f.
3. Hohes u n d spätes Mittelalter
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status i m 13. und 14. Jh. „erst am Beginn der Trennung von seinem Objekt" 2 8 . Die Bedeutung, die status auf der genannten Linie i m 14. Jh. erreicht hat, charakterisiert G. Post wie folgt: „ I t was what would be called, i n seventeenthcentury England, the commonweal, the Commonwealth, or the State of the Commonwealth 2 9 ". Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Untersuchungen zum Begriff corona regis bzw. status coronae. Die Krone kann i n bestimmten „politischen Verhältnissen", in deren Interesse gekämpft oder gearbeitet wird, gesehen werden: „Darin ist ohne Zweifel ein Hinweis auch auf die politischen Verhältnisse des Landes, des Staates überhaupt enthalten, so daß ein Zusammenhang der Begriffe ,Krone' und ,Staat' beobachtet werden kann 3 0 ". (d) Das Wort status kann i m Anschluß an einen klassischen Wortgebrauch prägnant die Form des Regiments bedeuten, nach der ein Gemeinwesen beherrscht wird, i n der er verfaßt ist und lebt. Thomas von Aquin übersetzt i n seinen Aristoteles-Kommentaren Demokratie durch status popularis, Oligarchie durch status paucorum, Aristokratie durch status optimatum; und sein Fortsetzer bringt diese verschiedenen status als Modi eines Regiments mit regnum zusammen 31 . Es finden sich auch andere frühe Belege dieser A r t 3 2 . Daneben setzt sich schon bald eine Verwendung des Wortes durch, die nicht den Modus, sondern die Tatsache der Herrschaft und öffentlichen Ordnung betont. Bezeichnenderweise geschieht dies am selben Wort (status), so daß man sagen kann, die Betonung wandere von species politiae zu politia hinüber. I n seinem Traktat „De Tyranno" schreibt C. Salutati i m Jahr 1400: „Licet enim tyrannus maior pestis sit quam aliqua que possit i n populi vel rei publice corpus insurgere, non debent et plures, citra principis autoritatem aut populi, statum, quem vel legitimum irrstitutum, vel populi placitum ordinavit, vel obedientia vel tacitus aut expressus consensus civitatis induxerit, autoritate propria perturbare 3 3 ." Angesichts der Gefahr, die 28 G. Post, Ratio publicae utilitatis 13; statt „ O b j e k t " muß es natürlich „ A t t r i b u t " heißen. 29 G. Post, Studies 23. so J. Karpat, Corona Regni Hungariae, i n : Corona Regni, ed. Hellmann, Weimar 1961, 316. 31 E. Kantorowicz, The Kings t w o bodies 271, A n m . 235. 32 Gemäß der aristotelischen Voraussetzung, daß Menschen zum Mißbrauch der Macht geneigt sind, fordert Pierre d'Auriole (Ende des 13. Jh.) : „ i n omni statu pauciora sunt committenda arbitrio judicis et omnia deberent c o m m i t t i legi." (P. de hagarde, L a naissance de l'esprit laïque au déclin d u moyen âge, I I , Louvain/Paris 21958, 299 A ; vgl. G. Post, Studies 348.) 33 C. Salutati , De Tyranno, ed. Ercole, Bologna 1942, 19.
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
für Leben und Besitz des Bürgers bei einem Regierungssturz eintreten, ist die etablierte Ordnungsmacht die beste. Status ist das bestehende Regime, die signoria, die für Ruhe und Sicherheit Sorge trägt 3 4 . M i t E. Kantorowicz zu reden: " I t means ,government', the status publicus of the community — which later on, admittedly — came to mean 'State' 35 ." (e) I m 14. Jh. beginnt i n Frankreich auch die politisch-ständische Gebrauchsweise des Wortes: Das concilium provinciale und das concilium generale artikulieren sich i n drei „status": „ I n communi totius Galliae concilio, id Status vocant, quod ante indictum reperieb a t u r . . . 3 6 ." Der Hintergrund dieser Bedeutung läßt sich verschieden erklären. Vermutet werden kann ζ. B. dies: Die Rechts-, Pflichtenund Dignitätsmerkmale bestimmter Menschengruppen, ihr „Stand", verbinden sich m i t den Trägern oder Inhabern dieser Rechte, so daß die Träger und Inhaber in ihrer Gesamtheit auf den Concilien selbst als status erscheinen. Status nimmt damit eine konkret-kollektive Bedeutung an: die auf Concilien „vertretenen" oder dort „tagenden" Stände 37 . 4. Neuzeit: stato, estât und ihr Verhältnis zu status
Erst die frühneuzeitliche Periode, insbesondere das 16. und 17.Jh., festigen eine — analog heutigem „Staat" — i n absoluter Wortstellung gebräuchliche Verwendung von status 38 . Der vielschichtige, von mannigfaltigen Kontexten gestützte und begleitete, i n die volkssprachlichen Derivate hineingreifende Bedeutungsstand von status ist für diese Zeit noch keineswegs erforscht. Die jüngere Geschichte des Wortes status muß unter folgenden Fragen gesehen werden: a) welche traditionellen Verwendungen des Wortes bleiben lebendig? Wie verwandelt sich die ältere Bedeutungsstufe in die jüngere? I n welchem Kontext bildet sich die Abstraktions34
Salutati 30: „,Qui praesentem statum civitatis m u t a r i non optât et civis et v i r bonus est 4 . Tot quidem calamitates sequi soient totque scandala concitari, cum status reipublicae commutatur, quod omnia satius tolerare sit, quam i n mutatione periculum divenire." 33 Vgl. Anm. 31 dieses Kapitels. se DuCange Bd. 7, 589 (und andere Belege!). 37 Dazu: R. M ohi, The three estates i n medieval and Renaissance literature, New Y o r k 1933, 15 ff. Mohl gibt volkssprachliche Belege. 38 Anders F. Α. von der Heydte, Die Geburtsstunde des modernen Staates, Regensburg 1952, 43 A n m . 5: „ U m die M i t t e des 14. Jh. w a r der Ausdruck »status4 gleich ,Staat 4 überall eingebürgert." Diese kühne Behauptung w i r d durch ein einziges stichhaltiges Zitat belegt! (Vgl. auch die äußerst kritische Rezension Heimpels i n Göttinger Gelehrte Anzeigen, 207 (1953)).
4. Neuzeit: stato, estât u n d i h r Verhältnis zu status
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stufe von status i.S.v. „Staat"? b) Wie verhält sich das lateinische Wort hinsichtlich dieser jüngeren Bedeutungsveränderung zu den volkssprachlichen Derivaten stato, estât usw.? (a) Die in der hoch- und spätmittelalterlichen Zeit sich einbürgernden politischen Bedeutungen „Wohlstand des Reichs", „Regimentsverfassung", „(Reichs-)Stände" bleiben i m 16. und 17. Jh. erhalten und setzen sich weiter durch 39 . Die Publicistik bedient sich i m Gefolge der Glossatoren und der lateinischen Aristoteles-Rezeption des Wortes als Wechselworts für politia 4 0 . Hier ist — aus der Tradition heraus — der Schritt zum „Gemeinwesen", das ja i n Frankreich auch „police", i n Deutschland „Policey" genannt wird, fast getan. Ähnlich ist es i m Falle des status, auf den das jus publicum bezogen zu werden pflegt. I n der berühmten Unterscheidung: Der Fürst sei legibus solutus in Hinsicht auf das jus particulare, nicht aber „de jure publico et ad statum, ut dici solet, pertinente" (1580)41, w i r d Ulpians Definition verwendet; bezeichnend ist jedoch die attributfreie Stellung des Wortes status. Status scheint nur noch der Tradition zu Liebe hier auszuharren, bevor es Ausdrücken wie Regnum oder Imperium Platz macht. I n dieser Übergangsphase nimmt es deren Sinn vorweg 4 2 . Ein historischer Begleitumstand, der den Bedeutungswandel von status begünstigt, ist das Bestreben der französischen Monarchomachen, den status des Königreichs gegen den Anspruch des absoluten Königtums zu erhalten. Wie eine Parole w i r d der altrömische Satz aufgegriffen: „Restauremus statum populi nostri, dimicemus pro populo nostro, ... pro patria 4 3 ." I n der gallischen Geschichte glaubt man die Bestätigung der aktuellen Forderungen zu vernehmen: „ V t facile intelligatur, Rempub. nostram liberiate fundatem et stabilitam, annos amplius centum et mille statum i l l u m suum liberum et sacrosanctum, etiam v i et armis aduersus Tyrannorum potentiam, retinuisse 44 ." So erscheint der status als vertragliche, rechtsmäßige Form des Regiments gegenüber dem ausgreifenden Anspruch des Königtums 39 Als beliebiges Beispiel: J. Oldendorp, Juris naturalis, gentium et civilis eisagoge, K ö l n 1539, T i t . I U I , S. 82, 83, 98. 40 J. Oldendorp, Lexicon Juris, Epitome Definitionum, F r a n k f u r t 1553, 412, 350. 41 De Jure Magistratuum i n Subditos, i n : St. Junius Brutus, Vindiciae contra Tyrannos, o.O. 1580, 290. 42 De Jure Magistratuum, ebd. 294: „ius i l l u d publicum et ad statum populi, aut gentis pertinens (de eiusmodi enim loquimur)". J. Philipp a Vorburg, Encyclopaedia Juris Publici, F r a n k f u r t 1640, 533: „Princeps nec Legibus divinis . . . nec I m p e r i i vel status solutus est." 4 3 St. Junius Brutus, Vindiciae contra Tyrannos, Edimburg 1579, 208. 44 Franc. Hotomanus, Francogallia, o.O. 1573, 145.
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
(Tyrannorum potentia), als das Symbol der politischen Allgemeinheit, als Sache der Stände, als gemeines Wesen. Der Sinn der Worte status und estât w i r d zuweilen auch — nicht ohne Anstrengung — auf das Ständewesen radiziert; etwa die „affaires d'état": „denique de iis rebus omnibus, quae vulgus etiamnunc Negotia Statuum populari verbo appellat: quoniam de nulla (vt dixi) Reip. parte nisi i n statuum siue Ordinum concilio agi ius esset" (1573)45. Aber dieses Beispiel zeigt, daß der Lateinschreibende bereits einen volkssprachlichen Wortgebrauch berücksichtigen muß. Sollte die volkssprachliche Entwicklung der gelehrten voraneilen? (b) Der gründlich untersuchte Bedeutungsstand des Wortes stato bei Machiavelli 4 6 läßt drei hauptsächliche Verwendungsweisen £rkennen: Stato ist Autorität und Einfluß des Regenten, zuweilen öffentliche Gewalt; stato ist der Fürst und sein Parteianhang, zuweilen die Inhaber der öffentlichen Gewalt; stato ist das machtunterworfene Gebiet, Objekt und Substrat der Herrschaft. Stato ist nicht die societas civilis. Allerdings kann auch eine Stadt (città) als Herrscherin angesehen werden, auch eine Stadt hat ihren stato: das umliegende flache Land, die unterworfenen Städte 47 . War stato i m territorialen Sinn zunächst an eine Herrscherfigur gebunden, die über ihn verfügt, so kann er — als politische Einheit — bei Botero rein geographisch bestimmt werden: Es gibt die Stati Italiens, Asiens, Amerikas usw. 4 8 . I n statistischer Betrachtung kann man sagen, ein Stato bringe Geld, Reichtum, Kriegsmannschaft hervor 4 9 . 45 F. Hotomanus 93. Daß es sich u m eine angestrengte Deutung handelt, geht daraus hervor, daß „affaires d'état" ein Schlagwort der Machiavellisten w a r ; vgl. etwa I. Gentillet , Discours Sur Les Moyens De Bien Gouuerner . . . v n Royaume, o.O. 1576, 9. Auch die lat. Fassung: Ders., Commentariorum De Regno . . . L i b r i très, Ursellis 1599, 12. 46 E. W. Mayer, Machiavellis Geschichtsauffassung u n d sein Begriff v i r t ù , München 1912, 108 ff.; H. C. Dowdall, The w o r d „State", i n : L a w Quarterly Review 39 (1923), 109 ff.; O. Condorelli, Per la storia del nome „stato" (Il nome „stato" i n Machiavelli), i n : Archivio giuridico Filippo Serafini, 89 (1923), 223—35, 90 (1923), 77 ff.; zuletzt J. H. Hexter, I l principe and lo stato, i n : Studies i n the Renaissance, 4 (New Y o r k 1957), 113 ff. (dort weitere Literatur!) u. F. Gilbert, Machiavelli and Guicciardini, Princeton, N.J. 1965, 177 f. 47 Vgl. Condorelli 90, S. 110. 48 Botero schreibt: „De g l i Stati d'Africa, e d'Etiopia" u n d „Provincie de Europa, stati nobilissimi dell' Africa, e dell' Asia", vgl. Relazioni universali, Venezia 1612, 141, 129. 49 Botero, Relazioni 6. Teil, 40: „ l o stato della Chiesa produce la gente p i ù disposta all'arme, è p i ù guerrera, che sia nell' Italia." Frachetta definiert den stato m i t den Elementen „dominio", „paese", „città", indem er sagt: Eine città, die Capo d i Dominio ist und ein großes Gebiet (grande paese) beherrscht, heiße Stato. Viele stati bildeten ein „Regno" oder „ I m p e r i o " ; eine Stadt ohne v i e l L a n d sei k e i n Stato, sondern „città col suo territorio". G. Frachetta , I l Seminario, Venezia 1624, 228.
4. Neuzeit: stato, estât u n d i h r Verhältnis zu status
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I m Französischen ist der b e i M a c h i a v e l l i festgestellte B e d e u t u n g s s t a n d des W o r t e s seit der M i t t e des 16. J a h r h u n d e r t s g r u n d s ä t z l i c h a k t u a l i s i e r b a r 4 9 a . Fest e i n g e b ü r g e r t s i n d a l l e r d i n g s n u r d i e B e d e u t u n g e n „ d i s p o s i t i o n , ordre, succès, p o l i c e et cours, c o n d u i c t , et m a n i e m e n t des a f f a i r e s " (1573) 5 0 . W ä h r e n d d i e W e n d u n g „ g o u v e r n e m e n t de T e s t a t " 1568 noch die F ü h r u n g h o h e r Regierungsgeschäfte m e i n t , b e d e u t e t sie 1599 die R e g i e r u n g u n d V e r w a l t u n g eines Reichs oder „ S t a a t s " 5 1 . D e r E t a t de F r a n c e w a n d e l t sich ebenso v o n d e r D i s p o s i t i o n des L a n d e s z u r H e r r s c h a f t s o r g a n i s a t i o n , d i e b a l d ständisch, b a l d absolutistisch v e r s t a n d e n w i r d : französischer „ S t a a t " 5 2 . E i n e K o l l e k t i v b e d e u t u n g k l i n g t d a b e i n u r v o n f e r n an, u n d z w a r b e i der s t ä n dischen V a r i a n t e ; d i e absolutistische d e n k t d e n E t a t m e h r als das p e r sönliche R e g i m e n t des Herrschers, die v o n i h m h e r w i r k e n d e , a u f i h n z u r ü c k v e r w e i s e n d e O r d n u n g (souveraineté) 5 3 . M i t estât (état) i.S.v. „ m a n i e m e n t des a f f a i r e s " v e r b i n d e n sich W ö r t e r w i e h o m m e , affaires, choses u s w . u n d b i l d e n — z u m e i s t i n A n l e h n u n g ans I t a l i e n i s c h e oder Spanische — neue B e g r i f f s e i n h e i t e n . 49a Vgl. etwa das 1549 anonym i n Paris erschienene Buch: „Des estâts et maisons plus illustres de la chrestiente." Das erste Buch handelt von denen, „es quelles on peult voir la source et naissance des Royaulmes et aultres estatz de notre aage." Dann: „i'auoye destiné la premiere partie de ce liure à la deduction ample du Papat, comme à l'estat principal, et qu'on doibt plus reuerer que n u l aultre de la Chrestienté" (S. 4). Vgl. ebd. S. 19 u. passim. so Dictionnaire François-Latin, augumenté, Paris 1673, 289 f. 51 Z u m ersten: F. de Belle-Forest Comingeois, L'Histoire des neuf Roys Charles de France, Paris 1568, 437: Die Prärogative des Königs schmolz zusammen, „et est ce m a l venu des anoblissemens fust en ceux q u i estoient potentats, et grands au gouuernement de l'estat et affaires publiques"; 443: „l'ordre qui est gardé en la police ed administration de l'estat public." Z u m zweiten F a l l : G. Chappuys, Epistre à Ch. de Saldaigne, i n : Botero, Raison et Gouvernement d'Estat, Paris 1599: Der französische Conseil d'Estat wäre manchem Fürsten w i l l k o m m e n „pour gouuerner v n grand Estât et Empire". Ebd.: Boteros Buch diene manchem jungen Fürsten „pour y apprendre à gouuerner ses Estats". Vereinzelt heißen „ständische" Gemeinwesen w i e Theben, Rom u. a. schon i m 14. Jh. „estats" ; dazu R. Mohl, The three estates 18, 68. 52 Vgl. auch das Zusammentreten der Wörter estât u n d couronne de France, die sowohl von der ständischen w i e von der absolutistischen Partei i n Anspruch genommen werden. Typisch der T i t e l eines Buches von Regnault d'Orléans: Observations de diverses choses remarquées sur l'Etat, couronne et peuple de France tant ancien que moderne, Vannes 1567. F. Härtung weist darauf hin, daß die Person des Königs i m 16. Jh. durch couronne und diese am Ende des Jh. durch estât verdrängt werde; so sagt m a n von den K r o n gütern, sie seien „le dot inséparable de l'Estat public" (1574) u n d schwört seinen Treueid nicht mehr dem König, sondern der französischen Krone „pour la conservation de l'Etat" (1589), vgl. F. Härtung, Die Krone als S y m bol monarchischer Herrschaft, i n : Corona Regni 47 f. 53 Ch. Loy seau, Traité des Seugneuries (1608): „l'Estat et la Souveraineté prise i n concreto sont synonymes" (zìi. Α. Ο. Meyer 238).
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
Bei diesem Stand der Dinge gilt es zu prüfen, ob die Bedeutungsentwicklung von status m i t der seiner volkssprachlichen Derivate Schritt hält. Ubersetzungen von Machiavellis Werken ins Lateinische machen offenbar, daß dies nicht der Fall ist. Während 1553 stato oder stati durch „estatz" (Plural!) wiedergegeben werden kann 5 4 , weicht die lateinische Übersetzung auf herkömmliche Wörter aus (ducatus, terra, ratio imperandi usw.). Weiter ist festzustellen, daß auch die oben erwähnten „historischen Umstände" (die monarchomachische Ausprägung des status als ständischen Gemeinwesens) sich leichter i n französischen als i n lateinischen Texten nachweisen lassen 55 . Bedenkt man noch, daß die gelehrten französischen Juristen beider Lager für ihre Veröffentlichungen die Volkssprache oft vor der lateinischen verwenden 56 , so kommt man nicht umhin, eine vulgärsprachliche Beeinflussung anzunehmen: Die lateinische Wortbedeutung festigt sich an der volkssprachlichen. Ganz klar erscheint dieses Verhältnis i m Kontext der Ratio-statusLiteratur (STAT VII). Der deutsche Publicist Waremundus de Eremberg beschreibt die Arcana Imperii — nach Ammirato — als „profundae, secretae leges, status" und fügt sogleich hinzu: „Galli vocant l'Estat; Itali, i l stato" (1601)57: nur so kann er ganz sicher sein, daß man ihn verstanden hat. Denn er meint nicht die politische Ordnung des Landes (status publicus), sondern jenen Teil davon, der auf den Regenten und dessen Macht- und Anspruchssphäre Bezug hat (stato, 54 L e Prince de Nicolas Machiavelle . . . T r a d u i t d'Italien en Francoys Par Guillaume Cappel, Paris 1553, Vorrede: „ l e vray b u t d ' v n autheur, et d ' v n seigneur Politiq, c'est de conseruer et augmenter ses estatz". Kap. 1 beginnt — entsprechend „ T u t t i g l i stati . . . " : „Tous les estatz, toutes les Seigneuries" (S. 5). I m 2. Kap. steht dann wieder ein auffallender „französischer" Plural: „ v n g tel Prince . . . se maintiendra tousiours en ses estatz" (S. 6) u n d Kap. 7 : „Cesar Borge . . . fut poussé a grans estatz . . . i l feist toutes les choses . . . pour bien enraciner ses estatz" (S. 34). 55 Bei I. Gentillet etwa w i r d der Estât du Roy auf die Reichsgrundgesetze bezogen: „quand nous disons q u ' v n Prince ne peut abolir les loix fondamentales de l u y et de son Estât, tant s'en faut que nous diminuyons sa puissance, que par le contraire nous l'establissons, et la faisons plus ferme, plus grande, et comme inuincible. Comme aussi à l'opposite, ceux q u i disent q u ' v n Prince peut abolir et changer les loix, sur lesquelles l u y et son Estât sont fondez, ils establissent et mettent en l u y vne impuissance de se conseruer", Discours sur les moyens de bien gouuerner, o.O. 1576, 5 8 1 ; vgl. ebd. Préface S. 2. 5f l Der F a l l Bodins ist bekannt. I. Gentillet schreibt 1576 seine Discours; 1599 folgt die lateinische Übersetzung: Commentariorum De Regno aut quovis Principatu recte et tranquille administratio, L i b r i très . . . adversus Machiauellum Florentinum, Urseliis 1599. 57 Waremundus de Eremberg, Meditamenta pro foederibus, Hannoviae 1601, 115.
4. Neuzeit: stato, estât u n d i h r Verhältnis zu status
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estât). Ferner w i r k t die statistische Literatur auf status ein (Guicciardini, Botero, d'Avity u. a.), so daß das lateinische Wort Fürstentümer, Städte, Herrschaften, Königreiche i m Blick auf ihre gebietsmäßige Erstreckung, ihren Reichtum und ihre Kriegsmacht (Potential) bezeichnen kann. Status ist hier ital. stato aufgepropft und steht gewöhnlich i n Übersetzungstexten; so heißt es etwa i n Boteros „Theatrum Principum" von 1596 über den Kirchenstaat: „Hic Status gente audace bellicosaque plenus est, estimaturque ipsum, i n eo excedere omnes alios Italiae Status 58 ." Obwohl der territoriale Aspekt bei „Status Ecclesiae" eine gewisse lateinische Tradition hat 5 9 , darf ein solcher Satz als ungewöhnlich gelten, insbesondere hinsichtlich der geographischen Bestimmung (Status Italiae). Die Lateinschreibenden empfinden das Wort i n dieser wie i n der zuerst genannten, auf die Sphäre des Regenten eingegrenzten Verwendung als merkwürdig, neu und modisch; man betont daher: „ u t dici solet" oder „quae vulgo appellant" oder „ u t vocant" 6 0 . Es ist eben die Redeweise von Leuten, die das Wort so m i t Vorliebe im Munde führen und danach auch ihren Namen bekommen haben: „Statistae" oder „statistici". Unverkennbar stammen auch die Ausdrücke „negotia status", „Ratio status", aus dem Wortschatz der Statistae; es sind i m Lateinischen Lehnbildungen für älteres negotia publica und ratio publicae u t i l i tatis bzw. imperandi. Noch 1608 w i r d Boteros „Deila ragion di Stato" i n einer gelehrten Bibliographie so angezeigt: „libros decern De ratione, ut vocant, status, hoc est De rebus Politicis" 6 1 . Die unklassische, vulgäre Wortbildung „Ratio status" w i r d eigens hervorgehoben: Zuerst habe man nur Ragion di stato gehört: „qui vero Latine loqui amarunt isto tempore simpliciter verterunt Rationem status" (1656)62. Das Italienische bleibt bis i n die Definition hinein maßgeblich: Man überträgt die italienische, für stato gültigen Bestimmungen Wort für 58 j. Boterus, Theatrum Principum orbis universi, K ö l n 1596, 6. Th.; vgl. die Epitome dieser Ausgabe: Amphitheatridion, K ö l n 1597, 40: „clare apparet, Principem cuius Status 150. m i l l i a equitum cogere posset, abunde praestare." Ferner S. 39. s» Vgl. T e i l l , Kap. 3, 2 c. Ferner: Informatione sopra le ragione della Precedentia (um 1562; Expl. B.St.B. 2 Belg. 70) S. 5: „guerram mouere cum persona, genti siue terras, loca, et statum ipsius Ecclesiae." 60 Vgl. P. Zehentner, Promontorium malae spei, Graecy 1643, 245: „quibus [mediis] ipsi pro conservatione Status (vt vocant) i n manifestami Dei i n j u r i a m . . . v t u n t u r . " S. 223 : „pseudopolitici . . . Rationem status (vt vocant) . . . extrinsecis bonis cicumscribere." ei A. Possevinus, Apparatus Sacer, T. 1, 1608, 827. 62 J. Boterus, De Ratione Status sive I l l u s t r i u m statu et politia L i b r i decern Cum praefatione Hermanni Conringii Editto nova et correcta. Studio Lud. G. Lundenii Hannoverani, Helmstadii 1656, Dedicatio O.S. 5 Weinacht
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3. Kap. : Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
Wort auf status: „status quid est, nisi regnum, vel imperium, vel quocunque nomine dominatus nuncupetur?" (1609)63 Allerdings: Der gelehrte Jurist Geislerus 64 tadelt diese — auch von Hippolithus a Lapide übernommene 65 — Bestimmung. Er beruft sich dabei nach humanistischer Manier auf den antiken Sprachgebrauch, wo status mit respublica niemals „recte", sondern stets „oblique" verbunden sei: „Nunquam enim dicitur, quod Status sit Respublica, sed quod sit Reipublicae. Prior est Respublica, posterior Status. Status est i n Republica, tanquam i n subjecto recipiente: Respublica versatur circa Statum, ut objectum. Neque propter Statum Respublica est, ut quae per se consistere potest, sed propter Rempublicam Status f o r m a t u r . . . Status non est ordo, sed in ordine" (1656)66. Die Bestimmung, die Geislerus dann selbst von „meus Status" (!) 67 gibt, kann hier gleichgültig sein. Wichtig ist sein Zeugnis deshalb, weil es die Problematik der Gelehrtensprache am Ende ihrer wissenschaftlichen Verwendung in Deutschland beleuchtet: Die Anpassung und Wandlung der Wortbedeutung w i r d von humanistischen Purismen erschwert, z. T. rückgängig gemacht. I m konkreten Fall ist die philologische Anstrengung durch den Versuch veranlaßt und mitbedingt, mala ratio status zu kritisieren 6 8 . Ein Teil der lateinschreibenden Autoren hält immerhin das Wort „ex vsitate modo loquendi" fest. So schreibt z. B. W. F. von Efferen in seinem „Manuale Politicum" vom Ziel und Zweck politischer Gemeinwesen: „de regnorum, reipub. vel v t nunc Europa loquitur, status fine" (1630)69. Die Pluralform w i r d vermieden 70 . Efferen schreibt: „De fine status seu rerum publicarum 7 1 ." Wo wirklich status i m Plural 63 S. Ammirato, Dissertationes politicae sive Discursus i n C. Cornelium Taciturn, Helenopoli 1609, 165. Das italienische Original erschien 1594. 64 j . T. Geislerus, De Statu Politico Secundum Praecepta Taciti formato; Scriptum Meletema. Amstelodami 1656. 63 Hippolithus a Lapide, Dissertatio De Ratione Status i n Imperio nostro Romano-Germanico, o.O. 1640, 5. 66 Geislerus 21. 67 Geislerus 27. 68 Geislerus 186 f. 69 W. F. von Efferen, Manuale Politicum de Ratione Status, seu, Idolo Principimi, F r a n k f u r t 1630, 12. 70 J. L. Gottfried übersetzt i n Archontologia cosmica, F r a n k f u r t 1638, 440: „Status iste habet i n longitudine ter m i l l e milliaria", was i m franz. Original heißt: „ces Estats ont de longueur trois m i l l e milles" (P. d'Avity, Les Estats, Empires, et Principautez d u Monde, Paris 1613, 813). Die i n der kaiserlichen Kanzlei gefertigte Übersetzung der franz. Friedensproposition von Trinitatis 1645 setzt f ü r „quelque Place située dans les Estats des dits Princes": „ i n locis, intra ditionem sive statum dictorum P r i n c i p u m sitis", i n : von Meiern, Acta pacis Westphalicae publica, Th. 1, Hannover 1734, 444, 447. 71 Efferen 21.
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5. Zusammenfassung
steht u n d e i n e n a n d e r e n S i n n h a t als gradus u n d ordines oder p r o ceres, da geschieht
dies i n enger
Anlehnung
ans Italienische
oder
Französische 7 2 . D e r b e r ü h m t e T i t e l des Herzogs de R o h a n : „ D e L ' I n terest des Princes et Estats de l a C h r e s t i e n t é " h e i ß t lateinisch: tina
Statuum
Europae
Sive
Principum
Christiani
Orbis
„Tru-
Interesse"
(1644) 7 3 . Z u l e t z t w ä r e noch a u f Status i n seiner F u n k t i o n als deutsches F r e m d w o r t h i n z u w e i s e n ; als solches ist es i m 17. J h . sehr gebräuchlich. M a n k a n n auch h i e r eine i n n e r l a t e i n i s c h e T r a d i t i o n v o n e n t l e h n t e n B e d e u t u n g e n abheben; i m z w e i t e n F a l l w i r k t das W o r t z u w e i l e n w i e die l a t i n i s i e r t e F o r m v o n stato oder état. Das g i l t i n s besondere f ü r d e n „ l a t e i n i s c h e n " E r s a t z p l u r a l v o n „ S t a t " 7 4 .
5. Zusammenfassung Das lateinische W o r t status, das seit der A n t i k e eine Reihe p o l i tischer B e d e u t u n g e n k o n t i n u i e r l i c h ausgebildet u n d die v o l k s s p r a c h Vgl. dieses Kapitel, weiter oben. Ausgabe L u g d u n i 1644; estât w i r d hier grundsätzlich durch status wiedergegeben, interest d'Estat auch durch ratio status, vgl. S. 1, 15, 19 u. a. I n Pufendorf s Tractatus de habitu religionis christianae ad v i t a m civilem (1687) ist zwar von „vocabulum status" ausdrücklich die Rede, nicht aber von status i n der Mehrzahl, i n : Chr. Thomasius, Vollständige E r l ä u t e r u n g . . . , Frankfurt/Leipzig 1738, 218. 74 Es entspricht der lat. Tradition, w e n n A. Albertinus v o m franz. K ö n i g sagt: „ w e i l einigkeit deß Glaubens under dem Volck zertrennt ist/ so ist es kein Wunder/ daß der gantze Status zerfallen ist." (Allgemeine Historische Weltbeschreibung, München 1612, 216) Status bedeutet hier soviel wie status publicus: das gemeine Wesen, die Summe der Institutionen, Sitten u n d Gesetze bzw. die i n ihnen gründende Verfassung des gemeinschaftlichen Lebens. Albertinus gebraucht das W o r t — i m Anschluß an die italienische Vorlage — auch i m territorial-herrschaftlichen Sinne: Die japanischen Regenten sind „ j h r e r Herrschaft u n d L a n d t " n u r kurze Zeit vorangestellt; „so verlieben sie sich weder i n einen noch i m andern statu oder L a n d t " (ebd. 265). So auch bei N. Bellus, i n dessen Politischer SchatzCammer „aller Ständ und rechter Status Einkommen u n d sonst Heimlichkeiten beschrieben" werden (Politische SchatzCammer oder Form zu regieren, F r a n k furt 1617, Vorrede); die Menge der beherrschten Untertanen, das „ V o l k " , heißt gleichfalls status — ein recht auffallender Gebrauch: „streitet der Status m i t dem Fürsten/ u n n d ist dann solches entweder eine Raach unnd Straff Gottes/ oder aber ein unbilliche Defection u n n d A b f a l l der Underthanen" (ebd. 27). Ältere lateinische Gebrauchsweisen klingen i n der Historischen Chronik von 1633 an: V o m Kaiser rühre das Aufnehmen der Städte her „ v n d Vermehrung jhres Status v n d dessen Conservation" (Abelinus, Frankfurt 1633, 368; vgl. 69, 70, 575). Dagegen handelt es sich u m latinisiertes stato i n der Happelischen Italienbeschreibung: Hier w i r d über den „Florentinischen u n d Pisanischen Stato" berichtet, dann heißt es: „Die Respubliq Venedig praesentiret auch einen Statum von Italien" (E. G. Happelius, Mundus Mirabilis, U l m 1687, 682, 683). Noch i m 18. Jh. k a n n man das Fremdwort so gebrauchen: „ j e volckreicher ein Status oder Respublica, je 73
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3. Kap.: Entwicklung des politischen Wortgebrauchs von lat. status
liehen Derivate i n der spätmittelalterlichen Zeit maßgeblich beeinflußt hat, unterliegt seinerseits — nachdem die politische wissenschaftliche Sprache i n Italien und Frankreich nicht mehr lateinisch ist — dem volkssprachlichen Einfluß. Status gewinnt zwar innerhalb lateinischer Texte verschiedene Verwendungsmöglichkeiten, die es m i t jüngerem stato und estât gemeinsam hat, aber der Durchbruch zum politischen Schlagwort aus eigener K r a f t gelingt nicht. Die Übernahme der absolutistischen und der statistischen Variante in das Latein der deutschen Gelehrten darf als Zeichen der Rezeption italienischer und französischer Politik und Staatswissenschaft gelten. Sachliche Vorbehalte (mala Ratio status) vermischen sich m i t humanistischer Sprachpflege und verhindern die volle Durchsetzung der jüngsten Bedeutungen des Worts. Die Traditionsworte civitas und respublica werden daher durch status nicht verdrängt, sondern nur ergänzt.
glückseliger u n d mächtiger ist sie" (H. Boden, Fürstliche Machtkunst, i n : J. P. Ludewigs Oeconom. Anmerkungen, ed. Klotz, Frankfurt/Leipzig 1753, 288).
Zweiter Teil
Erstes Kapitel S T A T I : D e r zwischen Parteien strittige oder v e r t r a g l i c h gesicherte Z u s t a n d Die ältesten Belege für stat i m Deutschen reichen in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts, vielleicht sogar ins 13. Jh. zurück 1 . Sie sind also jünger als die ersten Belege für estât 2 , stato 3 , stat(e) 4 , die ihrerseits sicher dem ersten Drittel des 13. Jahrhunderts entstammen 1 Der früheste Beleg für stat (m.), der allerdings nicht eindeutig ist, findet sich bei Heinrich von Meissen (um 1230!). Der Dichter gibt einem herrschaftlichen Hof, wo Priester u n d Mönche ein- u n d ausgehen, den Rat, die Mönche nicht zu „klosterknappen" zu machen: Her Hof, mügt i r iuch münchen, lat der kloster hof an i u w e r n stat M a n könnte frei übersetzen: Bei aller Sympathie zu den K l e r i k e r n soll der Hof die jeweiligen Lebensordnungen respektieren; genauer: „Lasset der Klöster Hof ohne Eure Ausstattung (Aufwand)." Die nächsten Belege für Stat i m genannten Sinne sind niederdeutsch u n d fallen ins späte 14. Jh. (vgl. S chiller -Lübben Bd. 4, 367). Die zitierten Verse stehen i n : Heinrich von Meissen, Des Frauenlobs Leiche, D N L Bd. 16 ed. Ettmüller f 1843, 58; Erläuterungen S. 301. — M a n könnte die Stelle auch v o m starken Femininum (state) her zu deuten versuchen; die maskuline Form wäre dann irregulär (vgl. für stat (f.) Lexer , mhd. Wb. Bd. 2, 1145; Hartmann von Aue, I w e i n ed. Benecke, Lachmann, Wolff, Berlin-Leipzig 1926, 288). Das Schweizer. I d i o t i k o n teilt — allerdings i n jüngerer Abschrift — einen obd. Beleg für „staut", „stad" (f. u n d m.) von 1327 m i t ; das W o r t bedeutet hier weltlicher bzw. geistlicher „Stand" (Schw. Idiotikon, Bd. 11, 1666). 2 Die politischen Monographien zu état sagen nichts über das erste A u f treten des Wortes i m Französischen. T obier -Lommatzsch, Afrz. Wb., Bd. 3, Wiesbaden 1954, 1362, nennt noch die jüngeren Partien des Roman de la Rose (1. D r i t t e l des 13 Jh.) als früheste Fundstelle. Neuerdings O. Bloch/ W. v. Wartburg, Dictionnaire Etymologique de la Langue Française, Paris 1964, 239: „état. 1196" (ohne Quelle). s C. Battisti!G.Alessio, Dizionario etimologico italiano, Firenze 1957, Bd. 5, 3621 geben für stato i.S.v. situazione, condizione das 13. Jh. als Ursprung an. 4 Z u state gibt vorzügliche Auskunft das Oxford English Dictionary (O.E.D.); danach ist der erste Beleg aus dem Jahr 1225 u n d hat die Bedeutung „Condition, manner of existing"; noch i m selben Jahrhundert sind die Bedeutungen „ h i g h r a n k ; pomp" und „Common weal" („stat of holi church", 1290) belegt, O.E.D., Bd. 10, Oxford 21933, 849 ff.
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1. Kap.: S T A T I : Strittiger oder vertraglich gesicherter Zustand
und zahlreicher und stetiger belegt sind als Stat. Frz. estât, als ältestes unter den genannten, gehört schon ins 12. Jh. 5 . Ihr gemeinsamer Ausgangspunkt ist status in seinen mittellateinischen Verwendungen 6 . Bis zum Beginn der Neuzeit bleibt das lateinische Wort wegweisend für den Gebrauch der vulgärsprachlichen Derivate 7 . (a) Innerhalb des deutschen Sprachgebietes bürgert sich das Lehnwort zunächst i m Niederdeutschen ein; hansische Quellen und Urkunden des 14. Jahrhunderts bieten die ersten reicheren Belege. Das deutsche Wort ist also zunächst ein politisch-rechtliches; sein sinnbestimmender Kontext ist der politische und Rechtszustand der Hanse nach innen und außen, insbesondere die bestehenden Abmachungen und Verträge, die den Kaufleuten Handel und Wandel sichern, daneben Streitfälle und Krieg, die sie gefährden 8 . Den ersten sicheren Beleg finden w i r in einem Bestätigungsschreiben der Gemeinde Middelburg an die Stadt Lübeck, datiert vom 3. Juli 1332. Die Middelburger beziehen sich auf ein Lübisches Unterstützungsgesuch, „hoe dat ghi ons ghescreven hebbet den staet tussen jv ende die stede van Staueren" 9 . Der Betreff, den die Middelburger etwas vage „staet" nennen, w i r d von anderen Gemeinden, die auf dieses Lübische Gesuch zu antworten haben, beim Namen genannt: discordia, briga et controversia, dissencio, debatum et controversia 10 . Staet bedeutet hier soviel wie (gespannte) Lage „zwischen" zwei Parteien, „Konflikt". Der spezifische Inhalt, nämlich Krieg oder Friede, ist für staet (und status 11 ) ohne Belang; wichtig ist die Vorstellung eines zwischenparteilichen Zustands rechtlicher oder politischer Art. s Vgl. dieses Kap. Anm.2: „état. 1196". 6 Eine lexikalische Übersicht bietet DuCange, Glossarium mediae et i n fimae latinitatis, Bd. 7, 589; neuerdings auch J. F. Niermeyer 990 und F. Arnaldi/M. Turriani A L M A 20, 149 (vgl. A n m . 17 des 3. Kapitels i n T e i l I). Das großangelegte Mittellateinische Wb. der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ist erst bei Buchstabe „ B " angelangt. 7 Lexica des 15. u n d 16. Jh. — als erstes ein Vocabularius rerum von 1420 — übernehmen die Bedeutungen v o n lat. status (vgl. Diefenbach Druck Nr. 5 b , 288: „status, ayn stayt") i m Sachzusammenhang von Maßen u n d Gewichten. Z u status als Längenmaß vgl. Niermeyer 990 (status 5). 8 Vgl. neben anderen W. Stein, Beiträge zur Geschichte der deutschen Hanse bis u m die M i t t e des 15. Jh., Abhandlungen 1900—1917, o.O. » Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 2, 492. 10 Ebd. 490 ff. 11 Die Kreuzritter sollen nach einer Mahnung des Mecklenburgischen Herzogs dem Recht gemäß vorgehen: „que pro pacifico statu partis utriusque faciunt" (1366), Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 16, 30.
1. Kap.: STAT I : Strittiger oder vertraglich gesicherter Zustand
(b) Ein solcher staet macht es etwa i m Sommer 1382 den Brügger Kaufleuten unmöglich, ihren Boten zur Tagefahrt nach Lübeck zu senden. Man hätte ihn ziehen lassen, so entschuldigt man sich i n einem Brief, „heddet hir in dem state vnde punten stände ghebleuen". Die Lübecker sollten sich „vor oghen nemen den stat dis landes, aise he vor is ghewest vnde in wat maniren dat he nv vorandert is" 1 2 . Hier w i r d der durch Kriegswirren verursachte Verfall einer vertraglichen Regelung (stat vnde punte) beklagt. „Stat dis landes" bedeutete für die Kaufleute vormals „vriheit vnde Privilegien", jetzt aber Rechtsund Geschäftsunsicherheit. Der Stat verfällt nicht nur durch höhere Gewalt, sondern auch durch Wandlung der Vereinbarung. Als i n Brügge eine neue Waage eingeführt werden soll, fürchten die Kaufleute um den Verlust ihrer an die alte Waage geknüpften Rechte und Sicherheiten: Diese aber, so w i r d argumentiert, könnten nicht gekündigt werden „alle de wyle dat de kopman eren Staat bynnen den landen unde den Steden to Brugghe holden willen. Unde were dat de waghe to ghynghe, zo hadde w y anghest dat de Staat zere mede nedderet worde unde al unse alden privilegia dar mede ghekrenket worden." (1352) 1 3 Die Wendung „den Staat holden" kann geradezu übersetzt werden mit „den Vertrag halten" und „den Staat neddern" mit „den Vertrag verwässern, (für eine Seite) verschlechtern". Die ältesten Belege für stat bedeuten also nicht einfach „Zustand, Beschaffenheit, Lage, Stellung" 1 4 , sondern haben — ihrem spezifischen Kontext entsprechend — die Bedeutung eines „zwischen" Parteien strittigen oder vertraglich gesicherten (politischen) Rechtszustands.
12 Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 4, 455. 13 Hanse Rezesse I, Bd. 1, 101. 14 Schiller-Lübben, Bd. 4, 366.
Zweites Kapitel
STAT I I : Stand „Der Begriff der Gliederung der Gesellschaft i n Stände durchdringt im Mittelalter alle theologischen und politischen Betrachtungen bis in ihre Fasern", „es liegt darin der Gedanke einer von Gott gewollten Seinsweise" 1 . Kleriker verwenden seit dem hohen Mittelalter für die gesellschaftlichen Weisen zu sein („pfaffen unde leien") das Wort „status" 2 , die Stände insgesamt sind ihnen Stiftungen Gottes, und der einzelne ist von Gott i n seinen Stand gesetzt3. Wenn der König ein von ihm erkanntes Recht bekannt macht, dann wendet auch er sich nicht an eine abstrakte Allgemeinheit von Untertanen, sondern an jeden „cuiuscunque preeminencie, dignitatis, status seu condicionis fuerit" 4 . Diese Promulgationsformel w i r d i n deutschen Urkunden übernommen und erhält in Kaiser Sigismunds Kanzlei die Fassung: „ i n welichem stat adel oder wesen die sein" (1431) oder „ i n was wirden, states oder wesens die weren" (1433)5. Der in solchen Formeln sich ausprägende hierarchische Aufbau der Gesellschaft verlangt für den Kanzleiverkehr eine eigene Gattung der Gebrauchsliteratur: die Formelbücher. I n ihnen w i r d die Gesellschaft nach Begriffen wie Grad und Stat geordnet. Die lateinischen Vorlagen haben an der entsprechenden Stelle ordo, gradus, status, dignitas. I n seinem Formular von 1312 schreibt Bernold von Kaiserheim: „ i n prima parte salutaciones ad diversos status seu personas posui, a ι J. Huizinga, Die hierarchische Auffassung der Gesellschaft, Herbst des Mittelalters, Stuttgart 1952, 56. 2 R. Mohl, The three estates i n medieval and Renaissance Literature, New Y o r k 1933, 21. 3 Vgl. H. Sachs, Meisterlied, Die ungleichen K i n d e r Eve (Deutsche Dichtungen des 16. Jahrhunderts, ed. K . Goedeke, Leipzig 1870, Bd. 4, 214): „Got sprach: ,Es steht i n meiner hant,/ das ich i m lant/ m i t leuten muß besetzen ein ieglichen stant,/ darzu ich dan leut auserwel/ u n d iedem stant seines geieichen leut zu stel·." 4 Schutzbrief Karls I V . von 1354, Mecklenburgisches Urkundenbuch, Bd. 13, 416. s Deutsche Reichstagsakten, Bd. 10, 189; Oberrheinische Stadtrechte I I . 2, 158. „Stat" w i r d zuweilen durch „Stand" ersetzt, hält sich i n den Urkunden aber bis ins 16. Jh., vgl. Monumenta Habsburgica I. 2, 77 u. 375.
. Kap.: S T A T I I :
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superioribus gradibus vsque ad infimos descendo" 6 . Zu Beginn des 16. Jahrhunderts gibt F. Riederer ein deutsches Formular heraus: „Wie man eynem iegklichem was stadts würde und eren der ist schreyben sol". Er erklärt dann: Es seynt zew stend/ nemlich geystlich und weltlich. jegklicher stadt hat drey grad" 7 . Ein halbes Jahrhundert später heißt es i n einem Formular: „Erstlich sol mann den Stadt/ Grad vnnd person/ deren/ gegen den mann zureden oder schreiben hat/ gründtlich kennen" (1553)8, und am Ende des Jahrhunderts lautet dieser Hinweis: Zunächst soll „wargenommen werden/ der Würden/ Herkommens/ Statts / Geschlechts/ Ampts/ Stands und Wesens dessen dem man schreibt/ Auch wie der da schreibet j m zugethan und verwandt/ in Gewalt/ Statt oder Wesen gleich/ höher oder niderer sey" (1590)9. Das Wort stat (Stand) hat also in den deutschen Formelbüchern die Nachfolge von status angetreten. Wie status bezieht es sich auf die ehrwürdige Hierarchie der Gesellschaft von deren höchstem bis zu ihrem untersten Rang. Und wieviel Stände (stat) hat nicht die mittelalterliche Gesellschaft zu vergeben! 10 Sogar die Abgeschiedenen besitzen einen. Dantes Divina Comedia, heißt es, handele von „der abgestorbnen staat" (1559)11. Das Wort bezieht sich auf jede gottgewollte Weise des Seins.
(a) Hoher (niederer) Rang Die frühesten Belege dieses Wortgebrauchs 12 sind niederdeutsch und stammen aus der Mitte des 14. Jahrhunderts. Sie lassen sich leicht in das Modell einfügen, das den jüngeren Promulgationsformeln und Formelbüchern zugrund liegt: Jeder ist in eine bestimmte Ordnung gesetzt und bezieht aus ihr Grad" und „Stat". Die Bremischen Stiftsherren etwa sind — wie eine Bremische Chronik u m 1360 berichtet — „die overste kercken i n der provincien"; da6 Bd. 7 s »
Quellen u n d Erörterungen zur Bayer, u. Deutschen Geschichte, Quellen 9, 2, S. 845. Spiegel der waren rhetoric, o.O. o.J., fol. 1 (Expl.: U B Köln). Formular/ A l l e r t a i Schrifften, F r a n k f u r t 1553, 3. New vollkommen Cantzley u n n d Titelbuch, Frankfurt 1590, 5. 10 „Es ist mangerlay Statumb under den Menschen . . . ain yedlich Person . . . i n welchem Statumb u n d Grad irs Statz sy ist", Schwäb. Wb., Bd. 5, 1648. 11 Dante, Monarchey Oder Daz das Keyserthumb/ zu der w o l f art dieser Welt von nöten . . . verdolmetscht. Durch B. J. Heroldt, Basel 1559, Ficini vorrede. Vgl. Anm. 1 des 1. Kapitels i n T e i l I I .
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her gehen sie „boven (über) die van Hamborch yewelick i n sinen grade vnde state" 1 3 . U m die gleiche Zeit heißt es über eine Strafbestimmung i m Reich, sie gelte für jedermann, „he were keiser koning edder ni welker werdicheit edder stat he gesät were" 1 4 . Oft bedeutet Stat „hoher" Rang; das Wort hat dann jene qualifizierte Bedeutung, die w i r i n der Wendung „ein Fräulein von Stand" noch verstehen. So in der biblischen Weisheit: „Wer sik hoghet, wert van state wedder böget" (1491)15; oder i n dem die Statik mittelalterlicher Gesellschaftsordnung ausdrückenden Rat: „nicht sulvest rynghe na state" (1491)16, d. h. du sollst dich nicht i n hohe Stände eindrängen. Daß aber auch jeder andere Rang der Gesellschaft früh „Stat" heißt, geht aus dem Überlinger Stadtrecht von 1400 hervor. Es bestimmt, ein verschwenderischer Bürger sei zu entmündigen und Vögte sollten ihn aus seinem Vermögen „standesgemäß" versorgen; wörtlich: „sinem stat gemeß nach rat der oberkait zimlich underhalten" 1 7 . Und eine alemannische geistliche Regel mahnt: „Daz ain ieglicher christ sich halt nach dem i m zuogehört nach sinem vermügen und nach sinem alter und stat" (1425)18.
(b) Leben, das man führt Stat ist so sehr das einem jeden Zugehörige, daß es synonym w i r d mit seinem „Leben"; Leben i.S.v. Heiligen-,,Viten" verstanden. I n der gleichen Regel des Jahres 1425 steht: „Ouch v i l lerer der kristenhait lobend das leben und den stat der altvetter" 1 9 . I n der Mitte des 15. Jahrhunderts beginnt eine Münsterische Chronik ihren Bericht mit der Ankündigung, sie enthalte „den staedt und dat levent der bischope v a n . . . Monster". Dann rühmt sie „sunte Ludgers staet und leven", von dem es heißt, „dat he neynen gelyken hedde y n dem ganzen closter und yn dem ganzen lande van Francrike" 2 0 . Die komparativische Wendung deutet auf das gestufte Wesen eines Heiligen-Lebens, über13 Geschichtsquellen des Erzstiftes u n d der Stadt Bremen, ed. M. Lappenberg, Bremen 1841, 121. 1 4 Städtechroniken Bd. 7, 341. is Städtechroniken Bd. 16, 254. i« Ebd. Vgl. Geiler von Keisersperg, Der hellisch Leuw, 1507 (Expl. U B Köln, SD 12/2070) fol. 27r: „Der X X V . Löwenschrei ist. Hab ein mißfallen an deinem stat. Der böß feind w i r c k t dz ein mensch sich i n einen stat ergeben hat/ w a r n e m aller gebresten u n d unkumlichkeiten die der selb stat i n i m hat." 17 Oberrheinische Stadtrechte I I , 2, 86 f. is Zit. Schweiz. I d i o t i k o n Bd. 11, 1667. 19 Z i t ebd. 1666. 20 Die Münsterischen Chroniken des Mittelalters Bd. 1, 92, 94.
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haupt jedes christlichen Lebens: Es strebt jenseits irdischer Würde und Ansehens einer geistlichen Vollkommenheit zu. Eine bayrische „Sant Benedicten"-Regel handelt daher „von dem stat der anuarchenden der zunehmenden vnd der volkomen menschen" (1481)21. Auch außerhalb des geistlichen Bereichs i m engeren Sinne w i r d stat synomym m i t „Leben" verwendet. Nach der Lehre von Historien, so heißt es i m Vorwort einer Chronik, „vermercket ein yeder für sich selbs wie er seinen stath recht solle anschicken/ damit er in dem glück nit zu stolz und fräch/ sonder auffrecht/ fromm und getreuw biß an das end verharre" (1563)22. Petrarca stellt das Distichon: „ I n quicunque cupis tranquillam ducere vitam, falleris, incerta labitur hora vice" unter das Thema: „De tranquillo statu"; sämtliche deutsche Übersetzungen, vom „Glücksbuch" (1539) bis zum „Trostspiegel" von 1596, folgen dieser Paraphrase. „Von gerüwigen Stadt vnnd stände" oder „von gerühigen Stads vnd Stands vngewißheit" 2 3 . Seit 1490 w i r d die Bedeutung vita für Stat regelmäßig gebucht 24 . Noch i m 17. Jh. ist der Stat das geführte oder gestaltete Leben oder die rechte Fassung des Lebens. So hält etwa Philander zu Beginn seiner Wunderbaren Gesichte Ausschau nach „einem andern Stand vnd Stath/ da (ich)... meine tage m i t heyl vollführen könte" (1643)25. (c) Standesgemäßer
Aufwand
Stat ist, wie die Vocabularien des späten 15. Jahrhunderts angeben, „ein wesen vel vita vel ein stat" (vgl. [b]). Das Leben oder „Wesen", das man führt, w e i l es zu einem gehört, w i r d sichtbar i m Aufwand, i n der Ausstattung, z. B. des Haus-,,Wesens". Diesen Sinn hat lat. „magnum statum tenere" 2 6 , dem das deutsche „Stat halten" seit dem beginnenden 15. Jh. nachgebildet wird. Bereits aus dem 14. Jh. stammen die niederdt. Ausdrücke „ m i t groten staten unde glorie" 2 7 , „ m y t 21 Regel vnsers lieben vaters Sant Benedicten (Expl. B.St.B., Hs Cgm 829). 22 Moscouiter wunderbare Historien (Verf.: von Herberstein, Übersetzer: H. Pantaleon) Basel 1563, Vorred. 23 Petrarca, Das Glücksbuch, Augsburg 1539, cap. 90, fol. 83; Petrarca, Trostspiegel i n Glück v n d Vnglück, F r a n k f u r t 1551, 1572, 1596 cap. 90, fol. 79. 24 Vocabularius exquo, o.O. 1493: „status eyn wesen vel v i t a " ; Gemmula vocabulorum, Straßburg o.J. (um 1493) = Diefenbach-Druck Nr. 68: „Status, ein wesen. vel vita, oder ein Staat"; Vocabularius Predicantium o.O. o.J. (um 1504) u n d Vocabularius Gemma gemmorum, o.O. 1510 (Expl. B.St.B.) sowie jüngere Vocabularien Gemma gemmorum geben stets die Bestimmung „wesen", „leben" f ü r status, daneben das W o r t „stat" („staat"). 25 Philander von 1643, 21. 26 DuCange Bd. 7, 589 (status Nr. 7), dazu Dowdall 107. 27 Die Münsterischen Chroniken Bd. 1, 180 (zit. S chiller /Lübben, Mittelniederdeutsches Wb., Bd. 4, 367).
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grotem State unde apparate" 28 . Eine bremische Chronik berichtet von Boten, die Macht und Reichtum des neuen Herzogs ausspähen sollten; als sie heimkamen „do ne künden se nicht to vullen seggen wat erlikes states hie helde" (um 1420)29. Der Stat, von dem sie geblendet waren, war der achtunggebietende Hofstaat, den der Herzog sich leistete. Ein Professor hält ebenfalls einen Stat; die Basler stellen bei der Gründung ihrer Universität darauf ab: „Die ζ wen doctores sint notturfftig 300 gülden, yeglicher 150 gulden für sinen staute; den die nement nit von den schulern" (1459)30. Staute (Stat) ist die notwendige Ausstattung und der Unterhalt, den einer zum standesgemäßen Leben braucht. Das Wort Stat löst sich nicht leicht von der Ausgangsbedeutung der standesgemäßen Lebensführung. Ein Prinz, ein Oberst, ein Proviantmeister, die einen „erlichen stat" halten, haben nicht unbedingt etwas Üppiges, Prächtiges, sondern eine geziemende, dem Ansehen ihres jeweiligen Amtes oder Ranges Rechnung tragende Ausstattung und Unterhaltung 3 1 . Allerdings kann ein Bischof sagen: „Ich muß einen stot halten/ man hielt sunst nit von m i r " (1517) 31a . So kommt es, daß i m 16. Jh. Stat oft a b s t r a k t gebraucht wird. Etwa wenn der Herzog von Burgund seine Sendboten „ i n grotem stade" zum Papst schickt 32 , oder wenn ein König „ m i t groser stat, Sein tochter zur ehe" gibt (1559)33 oder wenn der Leichnam eines Obristen nach Köln überführt wird, „Alda man j n m i t t großem stadh Costlich zur Erden bestatet hat" (1559)34. Hier werden „costlich" und „ m i t t großem stadh" Synonyma. Stat ist einfach etwas Kostspieliges und Aufwendiges: Pracht, Pomp, Luxus. Die konkrete und eingeschränkte, auf Kleidung bezogene Bedeutung des Wortes, wie w i r sie heute noch in „Sonntagsstaat" haben 35 , ist zum erstenmal faßlich in dem Bericht einer Chronik von 1476 über eine „köstliche" Prozession: „und sind dieselben prelaten von wichbischöfen und abten alle in irem stat, habit und wesen umbgangen mit infein, bischofsteben" 36 . 28 Lübeckische Chronik Bd. 2, 186 (zit. S chilier/Lübben ebd.). 29 Geschichtsquellen des Erzstiftes . . . Bremen, 110. 3 « Basler Chroniken Bd. 5, 467. si Fischer, Schwäbisches Wb., Bd. 5, 1647 f. (Stat Nr. 7); Schwäbische Kreisverfassung von 1563, Kriegsverfassung fol. 1 (Expl. U B Köln, GB V I 163 d); Schw. I d i o t i k o n Bd. 11, 1668 (1 b). 3ia G. von Keisersperg, Predig (1517) fol. 214r. 3 2 Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 9, 343. 33 Hogenbergs HÜstoriepreten (Expl. B.St.B., 4 Mapp 54) 1. 34 Ebd. 218. 35 Fast alle Wb. u n d M u n d a r t - L e x i k a geben dafür Belege. 36 Schw. I d i o t i k o n Bd. 11, 1672; dort weitere obd. Belege.
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(d) Amt, Stelle „Stat" i.S.v. Rang und Ordnung, in die einer „gesetzt" ist, bzw. Leben und Wesen, das einer „führt", enthält bereits den Gedanken des „Amts". Das w i r d unterstrichen durch Ausdrücke wie „Stat und Würde", „Stat und Werdekeit", die in der heutigen Redewendung „ A m t und Würden" nachleben. Aus der allgemeinen 37 sondert sich i m Lauf des 15. Jahrhunderts die bestimmtere Bedeutung ab: (Ehren-) Amt, Anstellung, Stelle. Die jüngere Bedeutungsentwicklung reflektiert die Herausbildung des höfischen Dienst- und Ämterwesens. Frühe Belege zeigen, daß das A m t Ehre bei sich führt und Gehorsam verlangt 3 8 . Die Gemeinde von Stade gelobt nach Bürgerunruhen, „dat w y unzen rad wyllen eren vnde holden i n erentrikeme state, en horzam vnde vnderdanich to wezende" (1419)39. Und bei einem Vergleich zwischen rivalisierenden Ratskollegien werden vom jüngeren Rat Zugeständnisse gemacht, „umme de ynnemynghe (Funktionen) der heren des olden rades, umme eren stad unde gudere" (1416)40. Die pleonastische Wortverbindung Stat und A m t begegnet seit der Mitte des Jahrhunderts: etwa i n der Anrede des Königsberger an den Lübischen Rat, die sich richtet an „heren u n d e . . . mannen, welcherley statums ader richterlicher ampte sie tragende sint" 4 1 . Gebucht w i r d Stat als A m t bei J. Maaler (1561)42. Besonders Verlust eines serezeß von l a t e n . . . dat
im Zusammenhang von A n t r i t t und Vertretung oder Stat (Standes) 43 ist vom „ A m t " die Rede. I n einem Han1487 heißt es: „Darup de stede... hebben äffseggen de sake dartho nicht nogaftich ( = genügend) sy, Hans
37 Der lat. Wendung „provecti ad dignitates altiores" entspricht „verhoghet i n state unde werdicheit" (um 1430, Städtechroniken Bd. 28, 100), u n d „sperans promotionem aliquam" w i r d übersetzt durch „höpede, dat de cardinal eme vorthelpen wolde tho groteme state" (um 1430, ebd. 391). Vgl. auch „abgestossen von bäpstlichem staut" (1439, Basler Chroniken, Bd. 5, 478). 38 König Sigmund von Ungarn verspricht dem Papst und seinem Anhang, er werde sie „ v o n iren staten wesen u n d derselben geharsam nicht dringen noch k e i n macht oder betrank darumb an sie . . . legen" (Dte. Reichstagsakten, Bd. 7, 24). Die Mehrzahlform (vgl. Anm. 16 des 1. Kapitels i n Teil I I ) könnte auch von state (f.) her gedeutet werden; setzt man jedoch schwach flektiertes stat (m.) an, so bedeutet es „ Ä m t e r " .
s» Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 6, 165. 40 Hanse Rezesse I, Bd. 6, 201. 41 Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 11, 457. 42 Maaler 382: „Staat/ ampt/ stand u n n d wäsen. status, conditio." 43
„ist einer ein magister, m a n vertrauet ime . . . ein . . . schulamt, ist einer ein doctor i m rechten, man vertrauet i m . . . ein justicienstand, ein canzlei aber ein ander amt" (1555); M. von Osse, Politisches Testament, (in Schriften der sächs. Kommission f. Geschichte, Bd. 26) 426.
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STAT I I
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Kullen uth syneme state unde werdicheit to settende; alse denne de kopman to Lunden e n e . . . i n (synen) staet vor olderman gesettet hebben" 4 4 . Amtsmißbrauch, der hier vermutet worden war, führt zur Erwägung der Amtsenthebung; doch statt dessen w i r d der Beschuldigte gerechtfertigt und „ i n ( s y n e n ) staet" gesetzt, d. h. i m vormaligen A m t bestätigt. Und nach einer Instruktion Maximilians II. für seine Hofkammerräte soll „ein jeder des andern stat i m fall der not, weil dis unser camerwesen kain feir („Ferien") erleiden kan, vertreten" (1568)45. „Stat" bedeutet hier Amtsbereich, Verwaltungsaufgabe. Das Wort kann sich nach verschiedenen Seiten h i n „konkretisieren". I m Französischen ist Testat, im Englischen (e)state soviel wie magistratus, nobilitas, auch i m personalen Sinn 4 6 . I m Deutschen gibt es dafür kaum Belege 47 . U m so kräftiger entwickelt sich das Wort nach der Seite der Amts Verfassung: Stat ist der mit einem A m t gegebene Rang, seine Befehlsgewalt, seine Instruktion, die Instruktions-Urkunde oder der Bestallungsbrief, die Ausstattung eines Amtes mit seinen Erfordernissen und die Besoldungsurkunde 48 , öfters überdecken sich diese Bedeutungen von der Sacher her, d. h. sie sind nur verschiedene Hinsichten auf die gleiche Sache: Das A m t eines fürstlichen Dieners ist durch die Bestallungsurkunde ausgewiesen, in der — neben den „bevelhen" — zugleich die nötigen Exigensen und die Pension festgesetzt sind. Die Verzweigung und Spezialisierung der Varianten von Stat i.S.v. A m t hat als Hintergrund den Hof bzw. den Hofstat. Von ihm her läßt sich insbesondere die finanzielle Bedeutung des Wortes erklären (vgl. STAT III). 44 Hanse Rezesse I I I , Bd. 2, 169. 43 Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 324. 40 Belege bei R. Mohl, The three estates, 15 ff. 47 Vgl. jedoch Geiler von Keisersperg, Das Irrige Schafe, Straßburg 1514, fol. 15 r . Die Strafen, die der ewige Richter dermaleinst den Sündern anmißt, sind genau so gewiß w i e die ihnen i m Diesseits verhängten Strafen, „ w e n n sie zuckent n i t den schuldigen v n d e r w ü r f f gegen dem herren v n d stot noch gegen dem nesten". 48 Die Hofordnung des Markgrafen P h i l i p p I I . v o n Baden spricht von „Unsern hofofficiren . . . ire Stäät, darinnen i r jetweders anbevolhen und obligende A m p t s und Dienstsverriechtung begriffen" (1504; Kern, Hof »Ordnungen, Bd. 2, B e r l i n 1907, 115). Von 1550 datiert die Einsetzungsurkunde über das oberste württembergische Ratskollegium: „ V o n Gottes Gnaden unsers Ulrichs Hertzogen zu Wirtemberg . . . Staad, Ordnung u n d bevelch was unsere Statthalter u n d reth N . N u n d N. bei unser Cantzlei zu Stutgarten handien u n d ausrichten." (Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation, Bd. 1, Stuttgart 1904, 129). G. E. Löhneyß gibt eine „Vngefährliche Verzeichnis/ was auff der hohen Empter Stadt oder Monatliche Besoldung gehet". Als Beispiel: „ A u f f deß Obersten Leutenandt Stadt Monatlich 500 gfl.", ders., Aulico Politica, Remlingen 1622, 629.
Drittes
Kapitel
STAT I I I : Hofstaat Die behördengeschichtliche Forschung hat sich schon früh den Hofordnungen zugewandt; in ihnen fand man Zeichen einer „Neuorganisation der Verwaltung i n den deutschen Territorien des 16. Jahrhunderts" (G. v. Below). Dabei hat mit Recht die „Organisation der Zentralverwaltung unter Kaiser Maximilian I." (S. Adler) besondere Aufmerksamkeit gefunden 1 . Denn es ist „unzweifelhaft, daß Österreich von den Tagen Maximilians I. an bis ins 17. Jh. für die Errichtung der territorialen Behörden vielfach maßgebend gewesen ist" 2 . Die oberste Verwaltungsbehörde, der Geheime Rat, war zuerst ein Teil des sog. Hofstaats. Seit wann gibt es das Wort Hofstaat und was bedeutet es ursprünglich? (a) Curtis colonia I n ahd. Glossen findet man unter lat. curtile, curale, curtis colonia, das Wort „hofstat", „hovestat" 3 . Es bedeutet den Ort oder die Stelle, wo ein „Hof" steht. I n der nhd. Form „die Hofstatt" oder „Hofstadt" lebt das alte Femininum weiter. Der Wortsinn hat sich aber gewandelt, wenn Seckendorff 1656 i m Teutschen Fürsten-Stat sagt, es würden „unter der Hoff s t a t . . . Collegia . . . vnd alle darinn bediente m i t begrieffen" 4 . „Stat" (f) ist hier nicht lokal zu verstehen, sondern institutionell; es hat einen Inhalt in sich aufgenommen, der sich zwischenzeitlich in einem ganz anderen Wort entwickelt hat. (b) Curia principis Neben den Begriffen Familie, Gefolge, Hof oder Haus eines Fürsten kommt zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Anlehnung ans Lateinische 5 1 Vgl. Th. Mayer, Die Verwaltungsorganisation Maximilians I., i h r U r sprung u n d ihre Bedeutung, Innsbruck 1920; F. Härtung, Z u r Frage nach den burgundischen Einflüssen auf die Behördenorganisation i n Österreich, in: H Z 124 (1921) u n d 167 (1943). 2 F. Härtung, Dte. Verfassungsgeschichte, Stuttgart 71959, 77. 3 Steinmeyer/Sievers, Die althochdeutschen Glossen, B e r l i n 1895, Bd. 3, 124.67; 352.10; vgl. 117.35 4 Fürsten-Stat 263. 5 Vgl. DuCange Bd. 7, 789 (status: „Apparatus, comitatus, familia"). Das
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3. Kap.: S T A T I I I : Hofstaat
„Stat" des Fürsten i n Gebrauch; es bedeutet zunächst — wie an dem oben gegebenen Beleg „ w a t erlikes states hie helde" zu sehen ist (STAT I l e ) — „Aufwand", den einer zur Darstellung seines (hohen) Standes treibt; dann aber die Institution „Hof". Die Wendung: „beseen des hoves staet" ist bereits vor 1375 bezeugt. Deutlicher aber erscheint der neue Wortinhalt zu Beginn des 15. Jahrhunderts i n einer L ü bischen Chronik: „de paves wolde sinen staat an deme ersten al tho strenge holden, unde m i t groter hasticheit wolde he ene sunderge wisen setten den cardinalen to levende nach ordelicheit" 6 . Die Kardinäle bilden die curia des Papstes, und ihr „Streng-Halten" bedeutet nichts anderes als Kurienreform. Die Worte Hof und Stat werden i n einer Kölner Hofordnung von 1469 als gleichartig nebeneinander gestellt: „Item sullen auch die gem e l t e n . . . reete anslagen na beyleuftigen dingen, was man jerlich van gelde w y n k o r n . . . und anderm vur unser person und den hoeff und staet zo halten haben moisse 7 ". Die beiden „Synonyma" vereinigen sich am Ende des Jahrhunderts am Hof Maximilians zu einem einheitlichen Wort: „hofstat" (m.; 1497)8. Von hier dringt es i n andere Territorien ein — für Württemberg ist es 1581 belegt — und spielt vom 17. Jh. an eine beherrschende Rolle. Ähnliche Fügungen wie Kammer- oder Kriegsstaat werden nach seinem Modell gebildet. Allen diesen Wörtern haftet eine gewisse Vieldeutigkeit an, die i m ursprünglichen Kontext von „hofstat" begründet ist.
(c) Hofhaltung,
-Ordnung,
-Etat
Stat i m Bezirk des Hofs ist „Hofhaltung", die man führt, also das Insgesamt der Dienste und Diener, Aufwendungen und Erfordernisse des Lebens am Hof. Ein Entwurf für eine Hofkammerordnung empfiehlt: „Der Romisch kunig und erzherzog Philips sollen iren hofstat flink und klain halten, damit sy einander i n iren gescheiten außerhalb des regiments mugen raten und helfen." (1497)9 Hofstat ist aber auch die Hofhaltung, die man ordnet, verordnet und verzeichnet, also „Hofordnung" und „Zivilliste". Maximilian schreibt in einem ReformLibell (1518): „Ferner haben w i r u n s . . . entschlossen,... alle unsere Französische kannte „l'estat d u Roy" ursprünglich auch i n dieser Bedeutung, vgl. Dictionnaire Francois-Latin von J. du Puys, Paris 1573, 289. « Städtechroniken Bd. 19, 561. 7 G. Schapper, Die Hofordnung von 1470, Veröffentlichungen des Vereins f. Geschichte der M a r k Brandenburg, Leipzig 1912, 130 A n m . 3. 8 S. Adler, Die Organisation der Centralverwaltung unter Kaiser M a x i m i lian I., Leipzig 1886, 510. 9 S. Adler ebd.
3. Kap.: S T A T I I I : Hofstaat
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officier an unserm hof zu reformiren,... desgleichen auch unsern lieben töchtern, kaiserin und königin hofordnung, hofhaltung und stat zu ordnen und zu mässigen." 10 Schließlich ist der Hofstat die Hofhaltung, die man berechnet und deren Kosten man veranschlagt, also „Hof-Etat". I m gleichen Libell schreibt Maximilian: Silber und Kupferhandel sollen alle „unsere nothdürftige ausgaben inhalt desselben unsers hofstats... unterhalten" 1 1 . Die Bedeutungen „Ordnung", „Liste" und „Etat" gehen oft ineinander über, sie können aber auch selbständig stehen. Dabei spielt die finanzielle Bedeutung des Stat am Hof Maximilians die beherrschende Rolle. Hofstat ist eben eine Sache der Finanzen. I n dem Vertrag mit seinem Finanzier Gossembrot (1502) bezeichnet er die Reichskosten als so ruinös für die Erblande, daß „dardurch der stat und alles wesen unser furgenomen Ordnung und regierung wie w i r die bisher durch unser hof camer gehandelt ferrer nit hat underhalten werden mugen". Es brauche daher neue „Ordnungen zu underhaltung unsers stats und unser geordenten regimenten" 1 2 . Die Wendung: den Stat unterhalten, hat den Sinn von: den Etat des Hofs ausgleichen. (d) Weitere finanzielle
Anwendungen
Die finanzielle Variante von Stat gedieh am Hof Maximilians zu einer der burgundischen ähnlichen Verwendungsvielfalt; nur daß estât bereits am Hof Philipps des Kühnen, also hundert Jahre früher, als Finanzterminus ausgebildet und entfaltet w a r 1 3 . Es muß dahingestellt bleiben, ob Maximilian das Wort Stat i.S.v. estât aus den Niederlanden nach Innsbruck mitbrachte. Das Wort war i m finanziellen Sinn vorher in Tirol unüblich 1 4 , aber nicht völlig unbekannt. Eine Urkunde 10 Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 88. Dazu A. Walther, Die burgundischen Zentralbehörden unter M a x i m i l i a n I. u n d K a r l V., Leipzig 1909, 139: „stat des hofgesinds, so . . . 1519 . . . gemacht worden ist"; S. 147: „ämbter u n d Personen, so inhalt kön. Mt. etc. neuen teutschen hofstats an irer Mt. etc. hof gehalten werden sollen" (1527/28). n Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 90. 12 S. Adler 536, 537. 1 3 Die Kanzleisprache Philipps des Kühnen von Burgund (14./15. Jh.) kennt den Gebrauch von „estat" für herrschaftliches Vermögen (Kassenstand), E i n künfte u n d Belastungen eines Amts, jährliche Rechnungsübersicht u n d die dafür dienende Liste. Vgl. M. Gachard, Inventaires des Archives de l a B e l gique, T. I, Inventaire des Archives des Chambres des Comptes, Bruxelles 1837, 72, 75, 77, 78 u.a. 1 4 Die m i r i m Innsbrucker Landesregierungsarchiv zugänglichen K a m merraitbücher aus der M i t t e des 15. Jh. verwenden Ausdrücke wie „ A u s gebn", „Sold dem hofgesind", „quittung", „ambtRegister", „gescheftbrief", „alles Innemen — alles Ausgeben" — jedoch niemals „Stat" oder „Staten".
6 Weinacht
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3. Kap.: S T A T I I I : Hofstaat
von 1487, i n der das gesamte herzogliche Hof- und Regierungswesen der Finanzkontrolle der Stände unterstellt wird, trägt den Titel: „Herzog Sigmunden geordneter Stat 1 5 ." Der Zusammenhang von Aufstellung der Erfordernisse und Überschlag über die Unkosten ist der von „bevelh" und „bezalung". Die Kammer ist angewiesen, nur die vom Herzog oder seinem Beauftragten genehmigten Unkosten zu übernehmen; zu diesem Zweck w i r d ihr ein „Stat" überantwortet, i n dem sie die angeforderten Summen kontrollieren kann. 1498 erhält der Kammermeister Kasler, der das Viztum-Amt für Tirol besorgt, die Anweisung, er solle „alles gelt a u f . . . unsern stat, so w i r i m uberantwurten,... daselbs austailen" 16 . Der Stat erhält also i n der Kammer eine Rechnungs-Funktion (Zahlungsanweisung, Kontrolle, Quittung 1 7 ), und der Hofstat w i r d i n der Kammer zum Etat. Deutlich geht dies aus der Hofkammerinstruktion Maximilians II. hervor: „ w i r haben auch bei unserm obristen hofmaister Verordnungen gethan, das unser hofstaat järlich ainmal verneuert und desselben verneuerten Staat s ain abschrift auf unser hofcamer gegeben, damit si sich umb der summa willen, wie hoch sich desselben bezalung erstreckt, darinnen ersehen und iren uberschlag darnach manchen mugen" (1568)18. Es gab den jährlichen und zwei jährlichen Stat, der — wofern er von Finanzbeamten zum voraus zu erstellen war, den Sinn von heutigem Etat hatte 1 9 , und der nachträglich der „alte" Stat hieß 20 . Es gab die „staet oder monatregister" 2 1 und i m 17. Jh. den „hofstat", der „quatemberlich einmal verneuert" wurde 2 2 . „Stat" war die Liste über Einnahmen oder (und) Ausgaben, also eine A r t „Rechnungsübersicht". I n solcher Verwendung gelangte das Wort — während der österreichischen Zwischenherrschaft zur Wiederherstellung der Ordnung i n den Finanzen — nach Württemberg. U m is Archiv f. österreichische Geschichte, Bd. 51 (1873), 444. is Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 31. Die Hofkammerräte sollen „zu der bezalung den hofstat f ü r unsern obristen hofmaister u n d hofmarschalch bringen . . . damit jederzeit die bezalung nach solchem hofstat richtig beschehen möge". (Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 168). is Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 330. i» S. Adler 402. so Fellner-Kretschmayr I, Bd. 2, 198. Es besteht keine Veranlassung, diese Wortbedeutung von frz. estât herzuleiten, w i e DWb. X . 2.1, Sp. 278. 21 S.Adler 557. 22 Fellner-Kretschmayr I. 2, 634.
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1520 findet sich neben der Eintragung „Einkhommen des ordinari Cammerguts i n Württemberg": „Stat der Aussgaben des Fürstenthums Württemberg 2 3 ." Die spätere Verwendung des Wortes durch die Landschreibereimeister geht also m i t Sicherheit auf österreichischen Einfluß zurück 24 . Auch i n Jülich-Berg 2 5 und Bayern w i r d das Wort als Finanzterminus gebraucht. I n einer Denkschrift der von Herzog A l brecht V. „über den Staat verordneten Räte" heißt es: „Was denn nachmalen fur uberfluss bei S.F.G. regiment, cantzley, kuchen, kell e r . . . und der anderen hofhaltung, das wirdet der stat verrer noch lengs zuerkennen geben" (1557)26. Der „Stat" ist der defizitäre „Staatshaushalt" des bayrischen Herzogs; er drückt den Überfluß bei Hof und Verwaltung durch zu hohe Zahlen auf der Passiv-Seite aus. I n dem allgemeinen Stat, der entweder Hof, Regiment und Kammer oder nur den Hof oder das Regiment beinhaltet, ist jedem A m t sein „clarer stat" zugewiesen 27 . Der Stat eines Dieners regelt die „uncosten, so er seines ambts halben haben muess" (1512)28. I m Bestallungsbrief für Johann Lucas, der 1514 das „einnemer ambt" erhielt, heißt es: Der Kaiser habe „ i m seinen stat auf dreu pferd gestellt und auf jedes derselben alle monet zehen guldin reinisch fur solt und livergelt" 2 9 . Stat bedeutet also Dienstgelt (Vergütung) für einen Beamten und ist auch die Bezeichnung der darüber ausgestellten Urkunde 3 0 . Zu diesen frühen Verwendungsweisen treten i m Lauf der Zeit immer neue hinzu 3 1 . 23 G. Schapper, Die Hofordnung v o n 1470, 130. 24 Vgl. F. Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation I, 40 und Hausleutner, Schwäbisches Archiv I (1790), 12 ff. 2 5 G. Schapper, Die Hofordnung von 1470, 150 Anm. 1 : „ I t e m daß den Landrentmeistern der Stait des Ausgebens . . . gemacht werde." 2 ® S. Riezler, Z u r Würdigung Herzog Albrechts V. von Bayern ( = A b handlungen der historischen Classe der kön. bayer. Akad. d. Wissenschaften, 1. Abtig., Bd. 21) München 1895, 126. 27 Fellner-Kretschmayr I. 2, 24 A n m . 1. 2 ® Ebd. 56. 2 ® Ebd. 75. so Vgl. Hofkammerinstruktion Ferdinands I., Prag 1537: Der Kaiser verlangt, man solle „ v o n solchen Stätten, darinnen die provision besoldungen u n d dienstgelt begriffen sein, copeien i n unser hand stellen" (FellnerKretschmayr I, 2, 262).. 3i Eine Luzerner Chronik berichtet zum Jahr 1593: „ Z u m dritten zahlt man noch eine andere bestimmte u n d sonderbare Summe über dies alles, das namptent die französischen Ambassadoren den heimlichen Staat" (zit. H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1964, 12). Es gibt — wie den „ h o f - " oder „kammerstaat" — so den „kriegsstaat" i m finanztechnischen Sinn. Die Hofkammerinstruktion Kaiser Mathias' von 1615 bestimmt, eine Veränderung der Truppenstärke dürfe keine finanzielle Mehrbelastung nach sich ziehen: „ u n d i n albeeg ohne staigerung des kriegsstats geschehe." β·
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(e) Trennung von Familie und Rat So wie der Hof (curia regis) ursprünglich zwischen Repräsentationsund Regierungsfunktionen nicht unterscheidet, so bilden alle „am Hof" Lebenden den „Stat" und werden i m Stat verzeichnet und aus dem „Stat" bezahlt. Erst m i t der zunehmenden Differenzierung der kaiserlichen Hofbeamtenschaft werden einzelne Beamtengruppen aus diesem allgemeinen Stat herausgehoben, ζ. B. der Hofrat. Maximilian kündigt i n seinem Reform-Libell von 1518 an, „ N u n zu unserm hofwesen und s t a t . . . hinfüro einen geordneten stäten hofrath . . . aufzurichten und zu halten". Und im gleichen Dokument stellt er „unsern hofstat, hofrath, hofordnung" nebeneinander 32 . Vom Hof unterschieden w i r d auch die Kammer. Sie hat ihren eigenen Staat, d. h. ihr eigenes Amtswesen, ihren eigenen Beamtenstab. I n der Tirolischen Kammerordnung von 1536 ersucht Ferdinand I. die Tiroler Stände „zu erhaltung unserer kinder h o f s . . . auch auf den statt der regierung und camer in unser graffschaft T i r o l . . . i r . . . hilf zuthuen". Auf drei Punkte soll die Finanzhilfe konzentriert werden: „bezahlung... unserer königlichen künder, auch der regierung und camerstatts und . . . hilf des perkwerchs"; „so legen w i r auch gemelten unsern camerräthen hiemit a u f . . . das si auch mit allem fleiss die unordnung und Überfluss des stats bei unser regierung und c a m e r . . . abwenden und zum genahisten einziehen" 33 . Von 1603 stammt die pleonastische Wendung: „Der oberösterreichischen Regierung- und Kammerweesens Staat und Canzleyen etc. Knecht und Jungen" 3 4 . Auch durften besoldete Dienstgrade nicht von der Truppe verliehen w e r den, als welche „ i n unsern ordinari kriegsstat und i n den musterregistern drauf einkumben" (Fellner-Kretschmayr I, 2, 409, 410). Die allgemeine Besoldung w i r d gemäß dem „vorher gemachten . . . zalstat durch die zalungsofficir . . . geraicht" (ebd. 412). I n Württemberg gibt es auch einen „ G ü l t t Staatt"; i h m werden zu verzinsende Hauptgüter von herzoglichen Untertanen einverleibt, die ursprünglich auf der Landschreiberei standen u n d „zu der Landschaft transportât" worden sind (1633). I m Jahr 1642 erscheint erstmalig i n Württemberg die finanztechnische Wendung „Staat machen auf etwas": Die Steuergelder seien so i n die Landschafts-Kasse einzubringen, „daß man deroselben gewiß versichert sein, darauff ein Staat zue machen, v n d sich deren . . . beständig zu uerlassen haben mögen" (WLG 508). 1650 w i l l der Herzog die K a m m e r - I n t r a d e n so bestellen lassen, „damit ein Staat darauf zue machen, das die Außgaben die Einnahm n i t übertreffen" (WLG 551). Die Redensart „Staat machen auf" i.S.v. fest rechnen m i t oder auf etwas hängt zweifellos m i t der finanziellen Variante des Grundwortes zusammen, mag aber als feststehende Redewendung das frz. „faire état de qc." i m i t i e ren. Vgl. zum Jahr 1639: Wegen der Kriegsbeute hätten sich die Squadronen also voneinander getan und getrennt, „daß der Hertzog auff sein meiste Cavallier keinen Staat mehr machen können/ sondern allein m i t der I n fantery . . . stehen geblieben" (Theatrum Europaeum, Contin. I I I , Frankfurt 1639, 885). 32 Fellner-Kretschmayr I, 2, 84 u. 90. 33 Archiv f. österreichische Geschichte, Bd. 69 (1887), S. 293, 303, 313. 34 Tirol. Idiotikon, ed. J. B. Schöpf !A. J. Hofer, Innsbruck 1866, 702.
3. Kap.: S T A T I I I : Hofstaat
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Das 16. Jh. stellt so dem „Hofstaat" i m weiteren Sinn, der in Fragen der Repräsentation seine Geltung behält 3 5 , eine jüngere Bedeutung an die Seite; sie beschränkt sich auf die Familie und jenen Teil des Hofgesindes, der nicht dem „Rat", „Regierungs- und Kammer(wesens) Staat" angehört 36 . Noch Veit L. von Seckendorff vermerkt in der Mitte des 17. Jahrhunderts den doppelten Wortgebrauch: einen populären (älteren) und den „eigentlichsten" (jüngeren): „Es werden zwar i n gemeinem Verstände unter der (!) Hoff stat auch die Geist vnd weltlichen Collegia der Regierung/ Consistorii vnd Cammer/ vnd alle darinn bediente m i t begrieffen/ vnd solche Personen auch für Hoffbediente geachtet... (doch) bleiben w i r ietzo bey der gebräuchlichsten vnd eigentlichsten bedeutung deß Worts Hoffstat/ vnd verstehen damit die gantze bestellung der Aempter vnd Dienste/ auch die Verschaffung dessen/ was an einem Fürstl. Hoff vor den Landsherrn/ dessen Gemahlin/ Kinder vnd die allerseyts dabey unentbehrliche bedienten/ erfodert w i r d 3 7 . " (f) Regimentsverwaltung
und verwaltende
Dienerschaft
Das Wort Stat, das am Ende des 15. Jahrhunderts mit „Hof" i n Verbindung trat, bewahrte neben neu hinzukommenden Bedeutungen die ältere: Diener, Ämter und Aufwand, wie große Herrn sie aus Gründen ihres Standes unterhalten. Von Hause aus bezog man diese Bedeutung auf eine „Person" (Stat des Fürsten, des Papstes usw.); neu war, daß sie auf eine Gesellschaft und Einrichtung („Hof") bezogen wurde. Das Wort Stat erhielt damit einen institutionellen Sinn, der sich leicht auf „Regiment" und „Kammer" übertragen ließ, und das zu ordnende und zu unterhaltende Ämter- und Bediensteten-Wesen dieser Einrichtungen herausstellte. Neben tirolischem „regierung und camerstatt" (1536) und „Regierungs- und Kammerweesens Staat und Canzleyen" (1603) steht „haltung vnsers Stadts vnd Regierung" (1617)38 und in 35 Vgl. etwa N. Mameranus, Kurtze v n d eigentliche verzeychnus der Römischen Kayserlichen Mayestat/ v n n d j h r e r Majestat Gemahels Hofstats/ v n n d aller anwesenden Churfürsten . . . so auff dem Reichßtag zu Augspurg/ i m Jar 1566 . . . gehalten, Augsburg o.J. Der darin wiedergegebene „Catalogum der Rom. May. . . . stats v n n d Hofgesinds" bzw. die Darstellung „Der Römischen Kayserlichen . . . May. etc. Hoffstat" folgt der Ordnung: Oberster Hofmeister, Geheime Räte, Hofrat, Hofkammerrat, Stallmeister, M u n d schenken usw. 3 6 Vgl. Herzog Ludwig an Graf Friedrich von Württemberg, 4. J u l i 1581: „daß I r euch zuuor i n Ewern Hoffstaat u n d Regiment dahin richten, daß I r alle Jahr ein paaren Pfennig . . . hinder sich legen khönnet." I m gleichen Zeugnis schwäbischer Sparleidenschaft steht auch das Wortpaar „hofhaltung und Regiment" (Sattler, 5. Th., Beylagen, 32). 37 Seckendorff, Fürsten-Stat 263. 3 8 G. Obrecht, Politisch Bedencken v n d Diseurs, i n : Fünff Underschiedliche Secreta Politica, Straßburg 1640 (1617), 160.
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3. Kap.: S T A T I I I : Hofstaat
Württemberg — als Synonym für „Regiments Verwaltung" — „Hoffvndt Cantzley-Staat" (1629), „Hoff- vnd Regiments-Staat" (1662), „Hof- und Cammer Staat" (1670)39. Die mehrgliedrigen Ausdrücke können auch bisweilen vom Simplex vertreten werden. I n den württembergischen Landtagsabschieden aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts w i r d als Grenze der herrschaftlichen Ausgabenkürzung der „nachtheil dieses Staats" (1629) bzw. „des Staatts ohnentberlich erforderten Außgaaben" (1633) genannt 4 0 . Eine Paraphrase der ersten Wendung lautet: Abbruch und Nachteil der „Regiments Verwaltung", eine Umschreibung der zweiten: „Staats vnd Regiments Außgaaben" 41 . Aus dem Zusammenhang geht hervor, daß „Staat" — auch als Simplex — das Ämter- und Bediensteten-Wesen i m weiteren Sinn („Regimentsverwaltung") bedeuten kann. Weckherlin rühmt daher die hessische Landgräfin als „Des rahts und stahts Gestirn" (1637)42. Und i n Württemberg w i r d empfohlen — um den Regierungswechsel von 1632 reibungslos zu gestalten — auch unter dem jungen Thronfolger Eberhard den Vormundschaftskanzler „noch umb etwas bey dem Staat zuerhalten" (1632)43. I n dieser Wendung kündigt sich die moderne volkstümliche Rede an, wonach einer, der i n der Verwaltung oder i n einer staatlichen Behörde beschäftigt ist, „beim Staat" sei. Der„behördliche" Sinn von Staat w i r d auch hörbar, wenn dem Administrator nahegelegt wird, er solle den Thronfolger „zue den Regierungs-Geschäfften seiner anerstorbenen Landen kommen lassen und dem Staat selbsten m i t nothwendiger information und christlicher Erinnerung praesentieren und vorstellen" (1632)44. „Der Staat selbst" ist nicht etwa die Landschaft, sondern die herzogliche Beamtenschaft, auf deren treue Dienste und loyale Zusammenarbeit der Thronfolger bei der Verwaltung seines Herzogtums angewiesen ist. 3 » W L G 464, 677, 735. I n den Reformdokumenten des Großen Kurfürsten zu Beginn der 50er Jahre bedeutet das W o r t Kammerstaat soviel w i e „ V e r w a l t u n g der landesherrlichen Einkünfte u n d Einkommensquellen, Domänen u n d Regalien" (vgl. S. Isaacsohn, Die Reform des kurfürstlich brandenburgischen Kammerstaats 1651/52, i n : Zs. f. Preußische Geschichte u n d Landeskunde, B e r l i n 1876, 163). Dahin zielt die Rede von der „direction Unsers gesampten Cammer Stahts aller Unsrer Lande" (1651, ebd. S. 190) oder v o m „praecisen Staht aller Unsrer Lande" (ebd. S. 191). „Kammerstaat" bedeutet aber auch den Besitzstand u n d die Einkommensverhältnisse u n d -quellen des Fürsten; darum w i l l er „alle augenblick den zuestandt Unsers Cammer Stahts wissen" (1651, ebd. S. 193). 40 W L G 457, 485. 41 W L G 463, 618. 42 Weckherlins Gedichte Nr. 304 des 1. Bandes; vgl. Bd. 2, 317 f. 43 Sattler, Geschichte des Herzogthums, 7. Th., Beylagen, 70. 44 Ebd. 69.
Viertes Kapitel
STAT I V : Stat des Fürsten Die absolutistische Variante des Wortes Staat ist anhand brandenburgischer Quellen des 17. Jahrhunderts einigermaßen erschlossen (Stölzel, A. O. Meyer). Völlig i m Dunkeln liegt der fürstlich-ständische Bereich des Stats, d. h. jener Bedeutungskreis des Wortes, der sich i m Zusammenhang (nicht i n Überwindung) der ständischen Verfassungsverhältnisse des Reichs gebildet hat 1 . Man könnte für das 17. Jh. zwei Worte ansetzen, die dann als Homonyme gelten würden: 1. Stat i m absolutistischen Sinn als „Summe der Rechte und Ansprüche des Fürsten" und 2. Stat als Summe der gemeinsamen Belange von Landschaft und Fürst, die ein Landesvater i n der Ordnung seines Landes berücksichtigt und anerkennt. Während nun die absolutistische Variante sich unter Umständen, die noch zu zeigen sein werden (STAT VII), zum „Gemeinwesen" erweitern kann, geschieht es, daß die ältere landesrechtliche Variante sich absolutistisch verengt. Es ist dann i m Einzelfall nicht zu unterscheiden, welches der beiden „Worte" vorliegt: das ursprünglich weitere als verengtes oder das ursprünglich enge als erweitertes. Man w i r d den Unterschied der Worte denn füglich auf einen Unterschied der Bedeutungen reduzieren. Dennoch empfiehlt es sich, diese Bedeutungen getrennt darzustellen. Denn weder handelt es sich um scheinbare, durch Unterschiede der Betrachtung hervorgerufene Bedeutungsunterschiede, noch u m eine fortlaufende Entwicklung, i n der eine jüngere Bedeutung auf einer älteren aufsitzt, beide also auf einer Linie zu zeichnen wären. Vielmehr ist die ältere Bedeutung noch durchaus lebendig, wenn die absolutistische i n rascher Entfaltung sich verselbständigt; der soge1 Vgl. hierzu die Programm-Skizze G. Oestreichs, Ständetum u n d Staatsbildung i n Deutschland, i n : Der Staat 6 (1967), 61 ff. Was hier als zweite Phase beschrieben ist: der „Finanzstaat", ist ein T e i l des als S T A T I V zu erarbeitenden Zusammenhangs; i m engeren Sinn w u r d e der finanzielle Stat unter S T A T I I I d. abgehandelt. Oestreich überschätzt allerdings den Stellenwert dieser Variante, w e n n er schreibt, die Durchsetzung des Wortes Staat sei „vornehmlich i m Zusammenhang m i t der öffentlichen Finanzgebarung" geschehen( ebd. S. 66).
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
nannte „unbestimmte" Wortgebrauch läßt sich — anhand typischer Kontexte — als Assimilierungsprozeß beschreiben, bei dem die jüngere, strenge Variante des Wortes sich der älteren anzupassen sucht und die ältere die Tendenz zeigt, i n die jüngere überzutreten. Das Ziel der kontinuierlichen Betrachtung einer Variante, hier des „Fürstenstats", ist der Nachweis der Vorgeschichte des Seckendorffschen Wortes und seiner Stellung i m Wortgebrauch der Zeit. M i t Seckendorff (1656) hat (Fürsten-)Stat seine größte Dimension erlangt, ohne seinen älteren, ins 14. und 15. Jh. reichenden Charakter ganz abzustreifen. Nach Seckendorff „verdünnt" sich die Bedeutung wieder oder läuft i n neu sich bildenden Varianten mit. Das Kapitel über den Staat als Anstalt (STAT IX) kann als eine solche Fortsetzung des Fürstenstats nach Seckendorff gelten. 1. „consuetudines ac vires principis"
Als frühester deutscher Beleg für „stat" galt bisher ein Vers des Pfarrers zu dem Hechte aus dem Jahr 1355 „ . . . Allexander Macedo quam zcu dem kunge Poro, der kung was i n India. Allexander tet aida ap he ein r i t t i r were. he wold irvorschin mere w i groz were sine macht unde sinis hovis acht. Porus entphinc mit grozen ern disen rittirlichen hern und wente iz were Antigonus genumet ein r i t t i r alsus. he wart en vragin drate nach Allexandri state, nach sines hoves geleginheit, nach kreftin und nach vrumekeit l a ." Man legte dem Wort die Bedeutung von lat. vires unter und verglich es mit dem benachbarten Wort „macht", das bei dem mitteldeutschen Autor für lat. status stehe2. Ein anderer Erklärer der Stelle meint, es handele sich u m die „Grundbedeutung Zustand, Lage" und *a Mitteldeutsches Schachbuch, ed. Sievers, 230. 2 Dowdall 104 f.
in: ZfdA
(NF) Bd. 17 (1874)
1. „consuetudines ac vires principis"
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es bedeute hier „Staat so viel wie ,Art' oder ,Qualitas' " 3 . Daß es sich aber weder um das Spezifikum „Macht" noch um die Allerweltsbedeutung „Zustand", „ A r t " handelt, soll gezeigt werden durch einen Vergleich der Verse des Pfarrers zu dem Hechte und anderer gelehrter Autoren mit ihrer gemeinsamen lat. Prosa-Vorlage, dem Ludus Scaccorum des Johannes a Cessolis. Johannes schreibt: „Allexander Macedo i n forma simplicis militis (scilicet Antigoni), Pori Indorum regis curiam visitavit (per se ut) ipsius statum et militiam (andere Lesart: potentiam) exploraret. Cum igitur Allexander a Poro rege honorifice fuisset susceptus (sive receptus), ab eo (quesitus) de Allexandri viribus ac consuetudinibus "4. Status et militia (potentia) des Porus ist dabei den vires ac consuetudines Alexanders chiastisch gegenübergestellt, so zwar, daß vires und militia (potentia) einerseits, consuetudines und status andererseits sich entsprechen und wechselseitig erklären. Porus fragt nach Alexanders militärischer Kraft und höfischen Gepflogenheiten ( = B), umgekehrt sucht dieser zu erkunden — und deshalb besucht er ja unter Antigonus' Namen die curia Pori regis — das Leben am Hof und die Kriegsmacht des Porus ( = A). Wie verstehen die nd. Interpreten des Ludus Scaccorum diese Stelle? U m 1290 übersetzt Heinrich von Beringen i n seinem Schachbuch A : (erspehen) „ob Porus i r künic sin leben/ küneclichen fuort"; B: „er fragt i n von sins herren leben; sin ritterschaft, sin guot, sin geben" 5 . Das heißt, i m ersten Fall bleibt militia unübersetzt. Dafür w i r d status i m Bereich der curia regis sehr bestimmt als königliches Leben erfaßt; gerade so, als ob dastünde: magnum statum tenere. Entsprechendes gilt für B, wo die Korrespondenz von status/ consuetudines durchschaut ist und das gleiche Wort leben verwendet wird, („geben" läßt den Gedanken der fürstlichen milte anklingen). Vires, als „ritterschaft" und „guot" gehören gleichermaßen zum höfischen Leben wie zur Kriegsmacht. Eine Prosa-Ubersetzung aus dem 1. Viertel des 14. Jahrhunderts schreibt: (A) „ausspehen, wie seine (des Porus) macht wär gegen der seinen" und (B) „fragt i n von den siten vnd gewanheiten des Alexander" 6 . Das heißt: Der Ubersetzer zieht A zu einem Begriff militia (-potentia) zusammen. Status w i r d hier verstanden als 3
A. O. Meyer 231 u n d A n m . 4 Das Schachzabelbuch Kunrats v. Ammenhausen, ed. Vetter, Frauenfeld 1892 ( = Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, ed. J. Baechtold u n d F. Vetter, Ergänzungsband) 262 f. s Η. v. Beringen, Das Schachgedicht, ed. P. Zimmermann, i n : Bibl. d. L i t t . Vereins i n Stuttgart, Bd. 116, 85 f. β Texte des späten Mittelalters, Heft 13 (ed. G. F. Schmidt) Berlin 1961, 55.
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
(Rüstungs-)Stand gegenüber einem andern. Β ist nur partiell übersetzt: vires bleibt unberücksichtigt. Die Korrespondenz der Ausdrücke A und Β ist nicht erkannt. I n seinem Mitteldeutschen Schachbuch7 schreibt der Pfarrer zu dem Hechte (1355) für A : „irvorschin.. J wie groz were sine machtI unde sinis hovis acht"; für B: „He w a r t en vragin drate/ nach Allexandri state! nach sines hoves geleginheitj nach kreftin und nach vrumekeit" 8. Das heißt: A ist i n umgekehrter Reihenfolge übersetzt: macht/ acht, wobei status auf den Respekt gedeutet wird, den man dem ansehnlichen Hofstaat des Porus zollt (lateinisch etwa: quantum statum teneret). Β ist durch eine viergliedrige Gruppe von Begriffen wiedergegeben, deren letzte: krefte und vrumekeit, das lateinische Paar vires ac consuetudines vertreten könnte, allerdings wären die „Sitten" kriegerisch verstanden: Tapferkeit und Schlagkraft der Truppen. Die gelegenheit des Hofes ist seine Beschaffenheit, die Bedingung, unter der er eine königliche Lebensführung gestattet, vielleicht auch seine Voraussetzung für eine gute militia. Bleibt der Ausdruck „ A l lexandri state", der den Reigen eröffnet. Steht er für consuetudines? Die von Antigonus unmittelbar gegebene A n t w o r t scheint darauf hinzudeuten: „virnemt hern Allexandirs sitin/ di he uf sinem hove hat" 9 . Sieht man näher hin, so erweist sich „sitin" als Ausdruck der Beschaffenheit des Hofes und der königlichen A r t u n g des Herrschers (milte). Und stat ist eben dafür das zusammenfassende Wort; es überspannt die Begriffe vires ac consuetudines und bezieht sie gleichermaßen auf den Herrscher und auf seinen Hof. Der Magister Stephan kann daher, ohne die Bedeutung des Wortes zu verändern, sagen: „des hoves staet" 10. Der Niederdeutsche entlehnt allerdings das lateinische status direkt; sein staet gehört nämlich zu A : (ipsius statum et militiam) 1 1 . Der korrespondierende Ausdruck in Β lautet bei ihm: „He vraghede ene ok vor bedacht/ Umme synen sede vnde vmme syne macht/ Wo wyde se ghinge vnd wo v e r e " l l a . Wenn Meister Stephan, wie schon Heinrich von Beringen, militia (potentia) einfach übergeht, dann erscheint ihm status (staet des hoves) wohl als Oberbegriff zu militia, zumindest aber stellt er dem einen Wort (A) den Doppelaus7 Konrad v. Ammenhausen, Schachzabelbuch (1337; vgl. Anm. 4 dieses Kapitels) hat so diffizile Stellen nicht weiter berücksichtigt; er umgeht sie i n freier Übertragung. 8 ZfdA (NF) 5, 230 f. 9 Ebd. 231. 10 Magister Stephans Schachbuch (1357/1375), Norden u. Leipzig 1889, 62. 11 Das ist bei A. O. Meyer 231 A n m . 5 übersehen; er hält die Stellen Β (Pfarrer zu dem Hechte) u n d A (Magister Stephan) f ü r „entsprechend". na Magister Stephans Schachbuch 62.
2. Das geschichtlich sich wandelnde Muster „fürstlicher Stat"
druck sede und macht (B) gegenüber. Für die Bedeutung und stat (1355) ergibt sich somit kein Unterschied.
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von staet
Der Exkurs i n die Einzelinterpretation und Ubersetzungstexte zeigt, daß stat und Macht nicht einfach dasselbe ist, daß vielmehr „stat" Macht auf Gesittung bezieht. Desgleichen dürfte deutlich geworden sein, daß die „Grundbedeutung" des Wortes i m Text eine ganz bestimmte Färbung erhält: „stat" ist die Lage, die einen Herrscher, der an seinem Hof und durch seinen Hof Sitte und Macht hat, auszeichnet und für den Gegner gefährlich macht. I n dieser Eingrenzung des Stats deuten sich bereits bekannte Varianten des Wortes an: der Stand, die Ordnung und das A m t des Regenten; seine standesgemäße Lebensführung, der Aufwand, die Dienerschaft und Ämter am Hof. Aber es handelt sich um etwas Umfassenderes: der Fürsten-Stat ist ein Bedeutungsnetz, das über sehr verschiedene Erscheinungen ausgeworfen werden kann. Mehrere Komponenten vereinigen sich und bilden zusammen ein eigentümliches Muster. 2. Das geschichtlich sich wandelnde Muster „fürstlicher Stat"
(a) Amt Der als Macht und Sitte des Regenten bestimmte Stat gewinnt bereits i n der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts feste Verwendbarkeit. Er ist kein individuelles, sondern ein ans A m t gebundenes Merkmal. Die einzelne Person „kommt" dazu 12 , sie kann davon auch „abgestossen" werden 1 3 und bemüht sich daher, dieses Stats sicher zu genießen 14 . Der Genuß des Stats besteht i n der Wahrnehmung der mit ihm verbundenen Rechte und Nutzungen. I n Meisterlins Chronik (zwischen 1450 und 1480) heißt es, die Burggrafen von Nürnberg sollten, nachdem sie gefürstet, also „zu fürstlichem state kommen" seien, „fursten stat und recht mit muntzen, glayten, zollen und anderen herlicheyten und freyhetten haben und gebrauchen" 15 . Das ein12 Die Mainzer Kollegiatstifter berufen sich bei i h r e m Bischof darauf, daß sie „alzyt eyne sunderliche Zuflucht zu u w e r n gnaden gehabt han, Ee dass i r zu dissem fürstlichem state kommen syt" (1420), Würdtwein, Subsidia diplomatica Bd. 4, Heidelberg 1774, 391 f. 13 Basler Chroniken, Bd. 5, Leipzig 1895, 478. R. Lossen, Staat u n d Kirche i n der Pfalz, (— Vorreformationsgeschichtliche Forschungen Bd. 3) Münster/W. 1907, 201 : E i n Schirmvertrag zwischen dem Speirer Bischof u n d dem Pfalzgrafen sieht vor: „ Z u m ersten soll unser eyner den anderen . . . lassen blyben by siner herschafft, wirdigkeiten, freyheiten, pfantschafften, vogtyen, geriechten, wiltpannen, fischerien, staten, wesen, besessen, zollen u n d geleyten, gewonheyten und herkomen" (1452). Vgl. Anm. 38 des 2. Kapitels i n T e i l I I . is Städtechroniken Bd. 3, 286.
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
geräumte Besitzrecht am Stat soll also verwirklicht, Stat und Recht verwaltet werden. Gewöhnlich w i r d der fürstliche Stat durch A t t r i bute aus dem Amts- und Vollmachtsbereich, den einer kraft Rechts, Macht und Sitte hat und verwaltet, ergänzt. „Stat" kann dabei auch gleichberechtigt neben anderen Amts-Merkmalen stehen. So heißt es i m Jahr 1611 mit Bezug auf die Goldene Bulle: Ein Kurfürst, der ihre Bestimmungen verletzt, „soll auch seiner Wahl/ Stimm/ so w o l anderer Churfürsten Würdigkeit/ Stad vnd Gericht/ mangi en/ noch einiges Lehens/ so er vom H. Reich hette/ fähig oder empfenglich sein" 1 6 . Der geschichtliche Ubergang der Königsrechte auf die Stände des Reichs kann vom König her gedeutet werden als Entzug seines Stats. Nicht nur seine Person, sondern vor allem das von ihm vertretene A m t : das Reich, ist dadurch i n Mitleidenschaft gezogen17. Stat ist aber auch das von Gott gegebene Herrscheramt, hat also einen religiösen Gehalt. I m Jahr 1638 verkündigt Herzog Eberhard I I I . von Württemberg dem „Land", man sei genötigt, „zu erhalttung . . . Vnßer Vnß von Gott verlihener Hoheit, Regenten Ambts vnd Staaths, auch getrewer Landtschafft Privilegien vnd Landts-Compactaten, d i e . . . extraordinari mittel zu ergreif f en" (1638)18. I n vielen andern Wendungen, in denen die Erhaltung oder Vermehrung des fürstlichen Stats ausgesprochen wird, w i r k t die Bedeutungsassoziation Stat/Amt und verhindert, daß der Stat des Fürsten der Idee des gemeinen Nutzens gegenüber isoliert erscheint.
(b) Regiment Stat ist aber nicht nur das zu verwaltende Amt, sondern auch das Walten, die Herrschaft und Obrigkeit. I n diesem Sinn ist Stat synonym mit Regiment. Der erste deutliche Beleg stammt aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, wo neben „regement der koninghe" „stat der koninghe" geschrieben wurde 1 9 . Von hier über die i m Jahr 1501 erwähnte Verordnung von Räten zu „fürstlichem Staat und Regiment" 2 0 bis zu der 1617 belegten „haltung vnsers Stadts vnd Regierung" 2 1 geht Bestendige Ablainung Deß Heidelbergischen . . . Berichts, Laugingen 1611, 89. i? Vgl. Anm. 74 von S T A T V. is W L G 496 f. 1 9 Loccumer Historienbibel, zit. A. O. Meyer, 232. so Vertrag Herzog Johann I I . von Brandenburg m i t den Ständen (8. März 1501), zit. Isaacsohn, Geschichte des Preußischen Beamtenthums Bd. 2, L e i p zig 1878, 20 f. 21 Vgl. Anm. 38 von S T A T I I I .
2. Das geschichtlich sich wandelnde Muster „fürstlicher Stat"
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eine, wenn auch sparsam bezeugte Linie, die seit den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts breiter w i r d 2 2 . 1647 überschreibt Grottnitz das erste Kapitel seines „Teutschen Regimentsrats" mit dem Titel: „Von Form und Befestigung eines Regiments oder Staads; und von desselbigen unterschiedlicher Regierung 23 ". Der Gesichtspunkt, unter dem hier die Worte Regiment und Staad verwendet werden, ist vom zeitgenössischen Fürsten abgenommen, der um Gebrauch, Hoheit und Erhaltung herrscherlicher Macht besorgt zu sein besonderen Grund hatte. Bereits die Vorrede des „Regimentsrats" verspricht Aufschluß darüber, „was zum Gebrauch eines Regiments itziger beschaffenheit nach am bequemsten erfordert w i r d " ; es geht ihr vor allem u m „Grund" und „Vrsach der Hoheit und Erhaltung eines Regiments". Die Frage ist nicht mehr, seinen Stat „zu haben und zu gebrauchen"; denn das A m t allein ist (wie das Beispiel des Kaisers zeigt) keine hinreichende Versicherung der Herrschaft. Was jetzt stärker i n den Blick kommt, das sind die Voraussetzungen fürstlicher Herrschaft. Das „Interesse" am Staat erwacht. (c) Domanium Die politische Richtung, die dem Bedürfnis, das „Interesse" kennenzulernen und zu wahren, Rechnung trägt, ist die Lehre von der Staatsräson. Unter ihrem Einfluß rückt der „Stat", besonders in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, immer enger an die Sicherheitsund Hausmachtspolitik des einzelnen Fürsten heran — äußerlich sichtbar an formelhaften Wortfolgen wie Stat und Interesse, Stat und Sicherheit, Stat und Macht (STAT V I I . 4, 2—4). Der Schein trügt, daß hier ein „neues Wort" aufkomme; vielmehr verliert der ältere Fürstenstat seine ursprüngliche Dimension: Aus dem Vollbegriff der ans A m t gebundenen Rechte und Pflichten, der auf Recht und Sitte verpflichteten Regierung des Fürsten droht jener Teil herauszufallen, der nicht unmittelbar zu den Voraussetzungen sicherer Herrschaft gehört. Eine Verfassungsgeschichte nennt diesen Vorgang nicht zu Unrecht „die Verengerung des Staatsbegriffs" 24 . Zu den Voraussetzungen oder „Gründen" der Herrschaft gehört vornehmlich das fürstliche Hausgut (domanium). A n württembergischen 22 W L G 517: „daß Regiment v n d der Staat dises Hertzogthumbs" (1644); Seckendorff, Fürsten-Stat 56: „Erhaltung des Stats v n d Regiments i m L a n d " ; Chr. Weickhmann, New-erfundenes Grosses Königs-Spiel, U l m 1664, 194: „ewerem Staat u n d Regiment . . . hochschädlich" u.a. 23 C. M. Grottnitz von Grodnow, Teutsch gekleideter Regiments-Rath, Stettin 1647, 1. 24 Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 71959, 92.
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
Briefen und Landtagsakten der 30er Jahre läßt sich diese „verengerte" Bedeutung des Wortes Stat demonstrieren: Es bedeutet hier Domänen und Kammergefälle. Da der herzogliche Vetter, der während der Unmündigkeit des Thronfolgers Eberhard die Vormundschafts-Verwaltung führte, seine privaten Interessen auf Kosten des Hausguts befriedigte, meldet sich die Herzogin Mutter zu Wort aus Sorge um den „Staat" bzw. obliegender „Schuldigkeit gegen disem Staat" (1632)25. Sie beschwört den Administrator einzusehen, daß „der Staat Täglich und augenblicklich dem Verderben zueeylen" würde 2 6 . Auch die übrigen Regenten werden bescholten, suchen sich aber zu rechtfertigen: Die Gefälle ausgesessener Geistlicher seien „dem VormundStaat wegen seines . . . erlittenen Schadens incorporiert . . . (und) guten theils zuer defension des Vormunds-Herzogthums . . . verwendet" worden; überhaupt sei der leitende Gedanke der Regentschaft „dasjenige, was dem Fürstl. Vormunds-Staat einmal wohlbedächtlich incorporiert, möge manuteniert, von der Fürstlichen posteritaet künfftig auch vernommen werden, daß die zuem Fürstl. Vormund Staat hochverpflichte samenthaffte Räth und Diener neben gemeinen Praelaten und Landschafft an ihrer schuldiger T r e w . . . nichts haben erwinden lassen". (1633)27 (d)
DomaniumlHerzogtum
Da nicht das Fürstenamt oder der gemeine Nutz, sondern „Gründe" und Voraussetzungen des fürstlichen Ansehens und da nicht der Rechtsspruch, sondern die jeweiligen Bedingungen seiner V e r w i r k lichung entscheiden, ist der Inhalt des Wortes Stat verschieden groß. Es hängt vom Kontext ab, was unter den Stat fällt und was nicht. „Stat" schließt das Herzogtum ein, sofern die Nutzung des Domaniums an die Würde des regierenden Herzogs geknüpft ist; ferner, soweit das Herzogtum der fürstlichen Gewalt tatsächlich untersteht (in Rechtfindung, Friedewahrung, Policei) und soweit es nach außen das fürstliche Ansehen begründet. I n diesem zuletzt genannten Sinn instruiert der Administrator die württembergischen Gesandten zum Ulmer Konvent: Sie hätten „uns und unserm Vormundsstaat und Hauß W ü r t e m b e r g . . . das directorium nicht auß der acht zu lassen" (1633)28. Schließlich bedeutet „Staat" das Herzogtum, insoweit dieses sich i m Interesse und zum Nutzen des fürstlichen Hauses verwalten 25
Sattler,
Geschichte des Herzogthums Würtenberg, 7. Th., Beylagen, 69.
26 Ebd. 69. 27 Ebd. 87. 28 Sattler,
7. Th., Beylagen, 72.
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läßt. Noch 1693 w i r d daher der erste Geheime Regimentsrat i n Württemberg verpflichtet, „Unseren ganzen fürstl. Staat und dessen Verfassung i n gründlicher Kundschaft (zu) haben . . . sodann... auch geistu. weltlichen Gefällen oder doch zum wenigsten soviel Unserer Landsfürstl. Hoheit und Regalien jeden Orts betrifft sich fleißig und wohl bekannt (zu) machen" 29 . Umgekehrt t r i t t der „Staat" zum Herzogtum oder ganzen Land i n Konkurrenz oder schließt es gar aus seinem Begriff aus, wenn die (vermeintlichen) Interessen des fürstlichen Hauses oder Domaniums durch das (vorgebliche) Wohl des Landes (d. h. die Interessen der Landschaft) beeinträchtigt werden. Dann gedenkt „ein jedlicher landsfürst sein person, interesse, authoritet, regalia, gerechtigkeiten und strittigkeiten zu erhalten" 3 0 — eben seinen „Stat". Aber die Grenzen sind der Natur der Sache nach fließend: I m Jahr 1647 verpflichtet der Große Kurfürst einen Regierungsrat Sorge zu tragen, daß „sowoll in allen fürfallenden Staat alß landsachen unsere vnd des landts n o t t u r f t . . . i n summa alle andern causae publicae in gebührende acht genommen werden" 3 1 . Deutlich sind Staat- und Landsachen i m Begriff der causae publicae verbunden. Daß sie überhaupt unterschieden werden, entspricht der herkömmlichen Einteilung der „Hauptgeschäfte" der Landesregierung. Nach V.L. von Seckendorff betreffen etliche „den Stat oder Erhaltung der Fürstl. Hoheit an sich selbst. Etliche die Vnterthanen des Landes vnd Ihre angelegenheiten" 32 . Diese Unterscheidung bedeutet bei Seckendorff keinen Gegensatz. Weickhmann trennt schon entschiedener, wenn er vom Regenten verlangt, daß er „seinen eigenen Staat und privat-interesse, auf das aller genaueste wisse und verstehe" (1664)33. Ganz entzweit haben sich Staat und Land (Gemeinwesen) beim „statistischen" Regenten, dem Jakob Phil. Spener die „Gewissens-prüfung" vorlegt: „Ob er derselben (Untertanen) freyheit mehr einschräncke... ohne noth oder nutzen des gemeinen wesens selbst, sondern allein zu ergrösserung seines stats oder hauses, und zu anderem fleischlichen zweck?" oder ob er „mehr auf Vermehrung des stats und einkünfften, als die ehre Gottes, des landes bestes und die gerechtigkeit sehen werde" 3 4 ? 29 Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation, Bd. 1, Stuttgart 1904, 132. 30 Dies als eine unter vielen Illustrierungen des status principis (1616), i n : Fellner-Kretschmayr I. 2, 432. 31 Isaacsohn, Geschichte des Preußischen Beamtenthums Bd. 2, Leipzig 1878, 82 Anm. 32 Fürsten-Stat 42. 33 Weickhmann 139. 34 Seckendorff, Christen-Staat, Leipzig 1716, Supplenda S. 957, 959.
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
Der i m letzten Beispiel spürbare moralische Gegensatz zwischen „Staat" und „Land" ist eine Folge des von Ragion di stato geschärften „Betrachtungspunkts". Der Gegensatz erscheint so ausgeprägt, weil die „übel beleumdete" Staatsräson an einigen Fürstenhöfen tatsächlich Politik nur zu „fleischlichem Zweck" war.
(e) Gemeines Wesen Die Wandlung des Stats unter dem Einfluß von Ratio Status hatte da ihre Grenzen, wo die Einrichtungen des Landes, insbesondere das ständische Willigungsrecht, Rücksichten erzwangen. Solche Rücksichten bemerkt man in den Propositionen des württembergischen Landtags, etwa in der — seit den zwanziger Jahren — bezeugten Berufung auf „diesen Staat", der keinen Nachteil erleiden dürfe; das Wort bedeutet zunächst zwar das engere herzogliche Wesen (Hofstaat, Verwaltungsstab, Domanium), aber nicht als die Sache des Herzogs, sondern als gemeines Regiment 35 . Nur wenn das Gemeinschaftliche der Veranstaltung und nicht das „privat interesse" des Herzogs i m Vordergrund steht, kann die Landschaft zu finanzieller Hilfe verpflichtet werden. Das i n solchem Zusammenhang erscheinende Wort Staatspflicht ist darauf ein wichtiger Hinweis 3 6 ; ebenso die i m Jahr 1642 vom Herzog gegebene Versicherung, die verwilligten Steuermittel „zue Conservation Vnsers Staats, deß gantzen Landts, vnd Regiments... auffs nutzlichst vnd rathsambst zue employren vnd anzuewenden" 37 , oder die an die Stände gerichtete herzogliche Ermahnung, man solle erwägen, „welcher gestaltten . . . die Landts-Fürstliche Regierung noch weiter continuiert, der Staat i n Gaist- vnd Welttlichem erhaltten, vnd m i t Einem Wortt, die Allgemaine Landts Wohlfahrt b e f ü r d e r t . . . werden mögen" (1644)38. Das Wort Staat findet sich bald beim Herzog, bald beim Land — es sind die zwei Seiten einer Sache: des „gemeinen Wesens". Die detn Herzog gewährte Steuer dient gleichermaßen „dem gemeinen Weesen, vnd Fürstl. Staats sicherhait zum Bessten" (1659)39. 35 Vgl. den Vertrag von Minsingen, i n dem die beiden Eberharde m i t E i n w i l l i g u n g der Landschaft festlegten u n d beschlossen, „Vnßer baider L a n d t v n n d L e ü t h zusamen I n n A i n Regiment v n n d Wesen (zu) thuen, damit W ü r . . . v n n d die Löblich Herrschafft Württemberg, zu öwigen Zeytten vngethailt" W L G 2.
36 37 38 39
Vgl. S T A T V I I . 4, 8. W L G 506. W L G 519 f. W L G 637.
2. Das geschichtlich sich wandelnde Muster „fürstlicher Stat"
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So kann „Stat" zur Richtgröße werden, an der Fürst und Land sich messen, zum gemeinsamen Dritten, in dem sie beide enthalten sind. Dieser abstrahierenden Vorstellung nähert sich ein Regierungsversprechen Eberhards III., das dieser i m Jahr 1642 vor der Landschaft abgibt: Er wolle Sorge tragen, daß „ I n Summa der gantze Staat, auch die Herrschafft, Vnderthanen vnd daß gantze Landt in sich selbst... conservirt vnd auffrecht erhaltten . . . werden 4 0 ." Der Stat ist hier zwar nicht Gesamtperson, aber „Summe", nämlich die Summe der für die rechtliche, politische, religiöse, ökonomische Situation des Landes erheblichen Faktoren und Beziehungen, die Summe der landesfürstlichen und ständischen Interessen. I m Hinblick auf ihre Wahrnehmung durch den Regenten gebraucht Seckendorff den Namen „Fürsten-Stat". Was bedeutet i h m dieser Name? (f)
„Fürsten-Stat"
Da Ausdrücke wie „fürstlicher Stat" und „Stat des Fürsten" bekannt sind, erläutert Seckendorff seine Prägung „Fürsten-Stat" (Reinking hat „Regenten-Staat" 41 ) nur i n Bezug auf den Bestandteil „Stat" 4 2 . Bei näherem Zusehen zeigt sich, daß der Ausdruck wegen der „Vieldeutigkeit" des Wortes Stat 4 3 eine ganz bestimmte synthetische Funktion auszuüben vermag. Durch das Wort Fürsten-Stat w i r d es möglich, daß der „Stand" der fürstlichen Person, die Verfassung des „Reglements vnd Statwesens", der „jeweilige vnd gute Zustand" des Landes und der „Stat des Römischen Keysers vnd des Reichs" übereinkommen, als Ordnung gedacht werden. „So d i e n e t . . . zu Erhaltung des Stats vnd Reglements i m Lande alles/ was zu Erhaltung/ Ehr/ auff4
0 W L G 505. 41 Biblische Policey, F r a n k f u r t 21663, 234. 42 Vgl. S T A T V I I . 5. 43 M a n k a n n i m Fürsten-Stat Seckendorffs 5 Varianten des Wortes „Stat" unterscheiden: 1. Stat i.S.v. Politic (d. h. Materie des geheimen Rates: Statssachen u n d Stat-Politik i m abschätzigen Sinn): Dedicatio, S. 299, 308, 322; 2. Stat i.S.v. Nutzen, Interesse, Macht u n d Besitz des Fürsten: S. 308, 315 und i.S.v. Rechts- u n d Souveränitätsstellung des Fürsten, Hoheit, Ansehen: 42, 50, 318 (auch die von Kaiser u. Reich: S. 20); 3. Stat i.S.v. Regierung u. fürstlichem Verwaltungswesen: S. 56, 252, 309; 4. Stat i.S.v. Verfassung eines Landes nach Recht, Rang u n d Reichtum: S. 3, 15, 54; 5. Stat i.S.v. Budget, Finanzplan (-Liste): 249, I I I , 4; Der „fürstliche Stat" (in dieser ausdrücklichen Qualifizierung) hat drei hauptsächliche Bedeutungen: 1. Zustand fürstlicher Gerechtsamen sowie politischer u n d religiöser Zustand des Fürstentums insgesamt; 2. die Lehre („Beschreibung") davon; 3. die Zusammenfassung der oben genannten Einzelbedeutungen von „Stat" zur „landesväterlichen Ordnung" i m Bannkreis herrschaftlicher „gerechtsamen u n d Hoheiten" sowie traditioneller verfassungsrechtlicher Bindungen. 7 Weinacht
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
nehmen vnd Ersprießligkeit des Landsherrn Person vnd der Seinigen erfordert w i r d " 4 4 ; oder: Es „ w i r d der Stat des Landes behäuptet in Erhaltung der Regalien" 4 5 ; oder: „ B e y . . . der Erhaltung seines Fürstlichen S t a n d s . . . ist er schuldig zu forderst den Respect, Ehr vnd Hoheit des Teutschen Reichs vnd der Keys. Mayst. vor Augen zu haben 46 ." Diese verschiedenen Beziehungen klar zu sehen, ist die Aufgabe des Geheimen Rats; und das eben heißt, „vnsern gantzen Fürstl. Stat/ in gründlicher außführlicher Kundschafft haben" 4 7 . Das Spiel (Seckendorff sagt „Zustand") der Beziehungen zwischen einigen dieser Elemente — bald sind es mehr, bald weniger, i m besten Fall alle — heißt Fürstlicher Stat, Stat des Fürsten oder, seit Seckendorff: „FürstenStat". Die Bestimmungen, die die Zeitgenossen davon zu geben suchen, sind sehr unterschiedlich; jede ließe sich aus Seckendorff belegen 48 . Allerdings stimmt keine — auch nicht das Seckendorffsche Titel-Wort selbst — mit dem heutigen Sinn des historischen Typenbegriffs „Fürstenstaat" überein 4 9 . 3. Zusammenfassung
Der Gesichtspunkt, unter dem der „Stat des Fürsten" erfaßt wird, war zu Beginn (bei dem Pfarrer zu dem Hechte) die Frage König Porus' nach dem höfisch-gesitteten Leben und der militärischen Kraft Alexanders; dann war es der Auftrag an den Regenten, sein A m t zu haben und zu gebrauchen; dann war es die Sorge des Regenten um Erhaltung seines Regiments, das geschärfte Interesse an den Voraussetzungen und Gründen der Herrschaft, aber auch der Nutzen, den das Land für sich beanspruchen durfte, schließlich die Summe dessen, was Herrschaft und Landschaft gemeinsam betraf. A u f alle diese Gesichts44 Fürsten-Stat 56. 45 Ebd. 54. 40 Ebd. 20. 47 Ebd. 300. 48 Der Übersetzer des Conseiller d'Etat gebraucht das Wort zur Wiedergabe von frz. principauté; zunächst sagt er „Hochfürst. Staat u n d Regierung", dann „Fürsten-Staat" (Staats-Architectur, Leipzig 1687, 5, 26). Der „Spaten" (K. Stieler) erklärt den Neologismus durch „gubernatio, regimen, ductus et ratio principis" (Der Teutschen Sprache Stammbaum, 1691, 2114); Steinbach durch „dignitas principis" (Deutsches Wb., Bd. 2, Breslau 1734, 687); Ludewig — m i t Bezug auf Seckendorff — durch „Jus publicum particulare", also Recht der Reichsstände i n ihren Territorien (Oeconomische A n m e r k u n gen über Seckendorff s Fürsten-Staat, ed. Klotz, Frankfurt/Leipzig 1753, 4). 49 Heute ist dies ein Name f ü r „Länder", deren Geschicke durch die fürstliche V e r w a l t u n g nachhaltig beeindruckt wurde. (Vgl. O. Stolz, Wesen und Zweck des Staates, i n : Festschrift zur Feier des 200jährigen Bestandes des . . . Staatsarchivs, ed. Santif aller, Bd. 2, W i e n 1951, 109.)
3. Zusammenfassung
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punkte kann der Fürstenstat i m 17. Jh. eingerichtet werden 5 0 . Der (kriegsbedingt) vorherrschende Kontext der ersten Jahrhunderthälfte, der sowohl Ratio status wie den älteren, das Recht des Landes i n der Sitte des Regenten bewahrenden Stat-Gedanken umschließt, ist das „Periclitiren": Acht von zehn Prädikaten beziehen sich auf Ruin und Untergang des Stats oder auf Maßnahmen zur Verhinderung und zur vorbeugenden Abwendung von Schaden 51 . Der Stat ist der Gegenstand des Politicus, des Kameralisten, des Publicisten, des Moralisten; füglich stehen jeweils andere Sachbereiche i m Vordergrund: Interesse und Prätention des fürstlichen Hauses, die fiskalische Nutzung und Kammerverwaltung, die Rechtslage und Institutionen des Gemeinwesens, die Moralität der Politik. Das Wort (Fürsten-)Stat erweist sich so — und das macht es für die damalige politische Sprache so wertvoll — als ein Bezugsrahmen, der das vielfältige M i t - und Gegeneinander polizeilicher, hauspolitischer, rechtlicher Faktoren, mit denen ein Reichsstand als Landesfürst zu rechnen hat, auf den Begriff bringt 5 2 . Es bezeichnet das Feld fürstlichen Regiments i m Bannkreis herrschaftlicher „gerechtsamen und Hoheiten" sowie traditioneller Bindungen durch Recht und Sitte. Das Wort reflektiert den Wandel von der älteren Landesherrschaft zum Fürstenstaat des 17. Jahrhunderts, der sich durch seine wachsende „Strengigkeit" 5 3 und die Überhöhung der fürstlichen Reputation 5 4 aus50 Moscherosch läßt einen auftreten, der zum „Fürsten H o f f " geht und „den ganzen Staat erkundiget" (1643), Philander von Sittewald, D N L Bd. 32, 188; Herzog Eberhard I I I . v o n Württemberg sagt v o n sich, er habe „Vnsern Fürstlichen Staat, m i t . . . nuzlicher mesnagierung zu führen" gewußt (1674), W L G 839. A l s gebräuchlichste Verben nach der Seite des „conservare un dominio " finden sich i n den Jahren 1620—1680: (den Stat) unterhalten, erhalten, conserviren, versichern, retten, beschützen, befestigen, fundiren, i n acht nehmen, behaupten, formiren, reguliren, aufrecht erhalten u n d fortsetzen, besorgen, äquilibriren, assecuriren, stabiliren; nach der Seite des „ampliare un dominio " finden sich diese: Praetensiones führen auf, sich bemächtigen, erweitern, ergrößern, i n Wohlstand setzen, aufnehmen, bessern, größer u n d absoluter machen, sich einem Stat impatroniren, einen hohen Stat aufführen, i h n mächtig machen u n d erhöhen u. a. 52 A. L. Reyscher, Die Rechte des Staats . . L e i p z i g 1863, 7 A n m . 7, leitet das W o r t Fürstenstaat direkt v o n status (Stand, Zustand) her u n d erklärt status p r i n c i p u m als Gegenbegriff zu Status imperii. 53 Der Ausdruck steht i n Seckendorff s Christen-Staat, Leipzig 1716, 328. M a n beachte das Mißtrauen der Landleute gegen die Neufeststellung des Fürstenrechts, das sich sprachlich so niederschlägt: „die neuen Wörter; Hoheit, superioritas territorialis, Fürstenrecht u n d dergleichen (erwekken) einen Verdacht", i n : J. P. Ludewigs Discours über . . . Struvens Einleit u n g zur Deutschen Reichshistorie, Frankfurt/Leipzig 1747, 760. Es darf angenommen werden, daß m a n auch dem W o r t Fürsten-Stat m i t wachsendem Mißtrauen begegnete. 54 I m m e r wichtiger w i r d die öffentliche „erwegung . . . der Lands-Fürste . . . was . . . zu führung geziemenden reputirlichen Fürstlichen Staats . . . v o n -
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4. Kap.: S T A T I V : Stat des Fürsten
zeichnet. A b e r noch ist S t a t k e i n eigenmächtiges politisch-moralisches S u b j e k t , noch ist es n i c h t die i m L a n d zusammengeschlossene „ G e s e l l schaft"; die t e r r i t o r i a l e E r s t r e c k u n g u n d die M e n g e der U n t e r t a n e n b l e i b t ohne G e w i c h t 5 5 . D i e l a n d e s v ä t e r l i c h e O r d n u n g , die das W o r t F ü r s t e n - S t a t j e d e n f a l l s i m Geiste Seckendorff s bedeutet, i s t „ a u f d e n Z u s t a n d / der m e i s t e n Teutschen F ü r s t e n t h ü m e r g e r i c h t e t . . . w i e n e m l i c h solche i n i h r e m u n d g u t e n Z u s t a n d beschaffen z u seyn v n d Regieret z u w e r d e n p f l e g e n " 5 6 .
nöthen" (1654), H. Sachse, Mecklenburgische Urkunden u n d Daten, Rostock 1900, 381. Die R a t i o - S t a t u s - K r i t i k t r i f f t w e i t h i n die fürstliche ReputationsSucht: „Ratio status, die Begierde seinen Staat zu erhöhen u n d zu v e r bessern" (Reinking, Biblische Policey 21663, 242). 55 Die territoriale Seite des Fürsten-Staats streift Seckendorff gleich am Anfang bei der Behandlung der materialischen Beschreibung des Landes; er sagt dort aber nicht „ S t a t " ! Erst 1753 w i r d das Seckendorff s che Vermessungsprogramm von einem Staatsgeographus aufgegriffen, der „Länder und Staaten" abzumessen empfiehlt (Der deutsche Staatsgeographus, Frankfurt/ Leipzig 1753, 1). Die Größe bzw. territoriale Enge des Fürsten-Stats wurde i m 17. Jh. n u r i n ökonomischer Hinsicht beachtet: Das W o r t v o n den „Staatchen" u n d der zur Topfkuckerei verführenden „Kleinstaaterei" blieb dem 19. Jh. vorbehalten (vgl. C. Vollgraff, Die teutschen Standesherrn, Glessen 1824, 191 u n d S T A T V I . 6). 56 Fürsten-Stat, Vorrede.
Fünftes
Kapitel
STAT V : Stat des Landes Die Disposition eines Landes heißt i m hohen und späten Mittelalter „status". Diese Disposition umfaßt „Leben, Wesen, Wandel, Policei, Regiment, Sitten und Gebräuche... sowol zu Krieges- als FriedensZeiten" 1 . Daneben hat „status" eine Reihe von Spezialbedeutungen entwickelt, die einzelne Momente aus der allgemeinen Disposition herausgreifen oder i n einem bestimmten Licht zeigen. I n Anwendung auf ein corpus politicum etwa bedeutet status dessen Bestand und Wohlergehen oder dessen Hoheit und Gerechtsame oder, ganz speziell, dessen Regiment und Herrschaftsform. Das deutsche Wort Stat, das i n solchen Zusammenhängen die Nachfolge von lat. status antritt, übernimmt mit dessen Platz auch die meisten seiner Funktionen. Zuerst sollen jene Bedeutungen — als die älteren — verfolgt werden, die bei der „politischen Beschreibung" eines Landes erscheinen (1—4); dann jene, die bei der „materialischen . . . Beschreibung" 2 gebraucht werden (5). Stat ist in solcher Verwendung „innerer Stat" (A.); daneben gibt es einen „äußeren Stat" (B.), auf den zum Schluß eingegangen werden soll (6—7). A . Stat (in politischer Beschreibung / i n materialischer
Beschreibung)
1. Verfassung
Der älteste Beleg für den Ausdruck „stat dis landes" (1382) meint eine Disposition des Landes, die den hansischen Kaufleuten durch den Wegfall der Vertragssicherheit nachteilig ist (vgl. STAT I). I m 15. Jh. 1 Diese typische Aufzählung dessen, w o r i n das „neue Deutschland" verfaßt und gegründet ist, bei: J. Rist, Das Friedewünschende Teutschland (1647), ed. Schletterer, Augsburg 1864, 16. 2 Den Unterschied zwischen „politischer" u n d „materialischer" Beschreibung t r i f f t Seckendorff i n seinem Fürsten-Stat, Additiones von 1664, F r a n k furt 1678, 11, 17; J. T. Geislerus, De Statu politico, Amstelodami 1656, 94, unterscheidet — i m Anschluß an Carpzovius — eine Betrachtung „ex Quantitate" u n d „ex Qualitate"; J. Bornitius, Discursus politicus, Wittebergae 1604, hatte eine „Reipub. inspectio externa" u n d „interna" vorgeschlagen.
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. Kap.: S T A T V : Stat des
n
erweitert und festigt sich der Wortgebrauch. Das Wort Stat, bezogen auf Land, Stadt, Stift oder Reich, hat eine verfassungsrechtliche und politische Bedeutung, die vor dem Hintergrund der älteren societas civilis, der aus „Ständen", nicht Individuen zusammengesetzten Gesellschaft, Kontur erhält. I m Jahre 1408 verspricht der neu gewählte Rat von Lübeck, die kaiserliche Stadt so zu führen und zu regieren, „dat se dem hilgen Romisschen rike vnde an erem stade an older wonliker ere beholden bliue" 3 . Die alte Ehre Lübecks gründet sich auf seine Mitgliedschaft i m Reich (als Reichsstand) und auf politische und wirtschaftliche Macht, der es seinen Vorsitz i m Hansa-Bund verdankt. Beide Rechts- und Einflußbereiche ergänzen sich und bilden den „stad" Lübecks. I h n zu erhalten und damit dem Reich ein wertvolles Glied zu bewahren, erkennt der Rat als seine höchste Aufgabe. Der „Stat" eines Klosters ist seine politische und geistige Verfassung; sie kann durch Übergriffe eines Bischofs oder Herzogs 4 oder auf Betreiben des Abts selbst verändert werden. U m der Reform von 1459 zu entgehen, bittet das Ellwanger Kloster den Papst, daß er „das obgenant gotzhuse, closter und gaistlichen orden und wesen i n ein andern weltlichen stifft und statte wend und transferier". Unter einem „weltlichen statte" verstehen die Ellwanger Benediktiner die Verfassung eines adligen Chorherrenstifts, sie wollen nämlich „ein probst als ein obersten und darzu zwelf corhern die edel sint und sechs vicari . . . als i n eim andern weltlichen stifft" 5 . Pius I I . bezieht sich i n seiner A n t w o r t auf „eorum statui animarumque saluti ac dicti monasterii indemnitati" und stellt es dem Augsburger Kardinal anheim, „ u t monasterii prefati status immutetur" 6 . Schließlich hat man wirklich „einen weltlichen stifft und stat uffgericht" und das benediktinische „wesen i n einen weltlichen stifft gekert"(1460) 7 . Auch die Kirche insgesamt hat ihren „Stat". Entgegen der Absicht der französischen Reformierten wurde — so frohlockt M. Eytzinger — 3 Urkundenbuch der Stadt Lübeck, Bd. 5, 201. 4 Vgl. die Appellation des Klosters Doberan an den Papst, nachdem i n die Synodalrechte seines Abtes eingegriffen w u r d e : „supponens dictos dominos abbatem . . . ac monasterium Doberan . . . necnon bona sua, beneficia sua, iura sua, statum suum . . . protexioni sedis apostolice" (1353), Mecklenburg. Urkundenbücher, Bd. 13, 395. s Württemberg. Geschichtsquellen, Bd. 10, Stuttgart 1910, 10 f. Z u r Änder u n g der Klosterverfassung: „ I t e m der ietzig appt sollt ein gefurster . . . probst werden . . . I t e m das ein probst hab jurisdiccionem u n d gewalt i n allen Sachen". β Ebd. 18 f. 7 Ebd. 29 t
2. Species politiae (Form zu regieren)
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die „widerbringung der alten Catholischen/ Apostolischen/ vnnd Römischen Kirchen i n jhren alten statt vnnd wirde zu Baiona gehandelt" (1586)8. Es ist nicht einfach Stand und Würden der Kirche, die i n Bayonne zur Debatte stehen, sondern die vormalige „katholische, apostolische und römische" Verfassung, i n der die Kirche mit Würde Bestand gehabt hatte; sie — und nicht eine Version nach dem Sinn der Reformierten — soll „wiedergebracht" werden. So wie die Kirche hat das Reich als ganzes seinen „Stat"; von der Mitte des 15. bis ins 19. Jh. hinein ist von i h m die Rede. Die wechselnden Bedeutungen des Reichs-,,Stats" sollen am Ende dieses Kapitels zusammenhängend behandelt werden. Gleich i m ersten Vorkommen ist die politische Bedeutung greifbar. Die Eidgenossen versprechen i m Jahr 1449 über ihr Truppenkontingent mit Rücksicht aufs Reich „geburlichen" zu disponieren, „damit das heilig römisch reich bey seinem stat und herkommen unzerdrennet und unzerlidet beleiben mocht" 9 . Der von militärischer Stärke abhängende „Stat" sind die hergebrachten Gerechtsame des Reichs, die — um nicht in Abgang zu geraten — machtvoll gehandhabt werden müssen. Das Wort Stat, das auf communitates der christlichen (politischen) Gesellschaft bezogen wird, hat also i m 15. Jh. sofort einen politischen Sinn. „Stat" ist „Verfassung", die auf bestimmter Rangstufe eine communitas rechtlich, politisch und geistig ordnet und formiert. Dieser Stat soll in den seltensten Fällen „gewendet" werden; i m allgemeinen gilt es, ihn zu „beholden", bei i h m zu „beleiben" und — wenn er verfällt — ihn „wiederzubringen".
2. Species politiae (Form zu regieren)
Seit dem frühen 16. Jh. kann das Wort i n politischer Verwendung den prägnanten Sinn von „species politiae" annehmen, auch hierin dem Lateinischen folgend 10 . Stat kann dabei durch die Attribute „königlich", „frei" etc. bestimmt werden. Ein deutscher Ubersetzer der „Romische historien T i t i L i u i j " (1518) umschreibt „regnatum" m i t der Wendung: „nam der künigklich stat . . . ein end" 1 1 und übersetzt „libertatis cupidine" durch „natürliche neygung zu freiem statt" 1 2 . Regnatum « M. Eytzinger, Bipartita . . . Historia, K ö l n 1586, 752 f. 9 Städtechroniken, Bd. 2, 384. 10 Vgl. A n m . 39 u. 40 des 3. Kapitels i n T e i l I. 11 Romische historien T i t i L i u i j m i t etlichen newen Translationen, Mainz 1518, fol. 20V ( = A b urbe condita I. 60). la Ebd. fol. 21 r ( = A b urbe condita I I . 1).
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und libertas werden hier 1 3 analytisch wiedergegeben und zugleich interpretiert: Regnare soll nach dem Willen des Ubersetzer von libertas nicht durch das Regieren schlechthin unterschieden sein, sondern durch die „Form zu regieren", den „stat" 1 4 . Sämtliche Neuauflagen dieser Übersetzung bis zu Zacharias Müntzers „Von Ankunfft und Vrsprung deß Römischen Reichs" (1568) bewahren die Form „der Königliche Staht" 1 5 ; „libertas" allerdings w i r d zu „freyem Standt" verändert 1 6 . Seit der Mitte des 17. Jahrhunderts t r i f f t man Stat in der prägnanten Bedeutung „Form zu regieren" häufiger. Zum Jahr 1649 berichtet eine Chronik über England: „Inmittelst ward das ganze Ober-Haus von der Gemeinde cassiret, und m i t Veränderung des Staats i n eine newe Democratische Form . . . der Anfang gemacht" (1656)17. I n einer Übersetzung aus dem Holländischen heißt es, es sei „klar/ daß eine Popular-Regierung eigendlich nur seyn kan ein Staat der jenigen Stadt/ darinnen die Bürger zusammen kommen; dann was die andern unterliegenden Städte und Länder angehet . . . (so würden diese) durch Abgesandte von der Popular-Versammlung regieret". Ferner: Es gab „durch gantz Griechenland kaum eine Aristocratische Regierung die nicht mit dem Popular-Staate . . . gemenget gewesen were" (1669)18. Die Regierungs-Form, die Ludwig X I V . mit der Ausschaltung der Städte durchgesetzt hatte, nannte man „seinen Regierungs-Staat" (1685)19. Thomasius referiert das berühmte Monzambano-Urteil folgendermaßen: Das Reich habe „eine irregulaire Form . . . / die zwischen dem Staat einer Monarchie/ und dem Cörper vieler vereinigter Republiquen gleichsam zwischen inne schwebe"; und dieses sei „ein monströser Staat" (1688)20. Noch 1744 gibt Zedlers Grosses Universal Lexicon unter dem Lemma „Staat" als erste Bedeutung: „heißt insgemein, zu!3 C. Jäger gibt die Stelle i n seiner Augsburger Weber-Chronik w i e folgt: Die Römer haben „die vorig Ordnung des rats m i t der austreibung des königs sampt dem königlichen regiment, nachdem es 244 j a r gewehret hat, verlassen und den freien stand, das ist die gemaine bürgerliche regierung zu halten angenommen" (um 1550; Städtechroniken Bd. 34, 105). 14 Die Römer w ä h l t e n nämlich libertatis cupidine anstelle eines Königs zwei Konsuln; diese „Sölten den obersten gewalt i n Rom tragen/ v n d m i t rat des Senats handien v n d dem gemeinen nutz vor sein" (Romische historien T i t i L i u i j , Mainz 1518, fol. 2lv). is Ausgabe Mainz 1541, fol. 23r.· „der königlich Stadt"; Mainz 1557, fol. 23 r : „der Königklich staht"; Frankfurt 1568, 1. Buch, Kap. 131: „der K ö n i g liche Staht". !6 Ausgabe Mainz 1541 u n d 1557, fol. 2 3 v : „zu freiem standt"; Frankfurt 1568, 2. Buch Kap. 2: „zu freyem Standt". 17 G. Schultz, neu-augirte Chronica, Lübeck 1656, 709. is Consideratien van Staat, Leipzig/Halle 1669, 561, 613. 1 9 Franckreich Uber alles/ w e n n es n u r könte, o.O. 1685, 8. 20 Monatsgespräche I, Halle 1688, 306 f.
3. „Ständestand"
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mahl bey denen Publicisten und Staats-Kundigen nichts anders, als die Regierung, oder die Regiments-Forme und Verfassung zwischen Obrigkeit und Unterthanen eines Landes. I n solchem Sinne sagt man, ein Staat werde Monarchisch oder Aristocratisch etc. regieret 21 ."
3. „Ständestand"
Neben der gelehrten und „schmalen" Bedeutung des Wortes Stat, „Form zu regieren" (unter Bezug auf die aristotelische Trias), erscheint seit Beginn des 17. Jahrhunderts eine breitere, konkretere Bedeutung: Stat hat den Sinn von „Verfassung" einer communitas, jenen Sinn, den es i m 15. Jh. besessen, i m 16. Jh. aber offenbar an „Stand" verloren hatte 2 2 . Neu scheint zu sein, daß „Stat" eine integrierende Funktion ausübt; Stat ist der Inbegriff verschiedener Stände oder Bereiche des „bürgerlichen Lebens": „Ständestand". I n Holland w i r d der Advokat Barneveit zum Tod verurteilt, weil er versucht hatte, „die Verbündtnuß vnd Fundamental gesetze/ auff welche die Regierung der vereinigten Niederlanden gegründ . . . zu brechen vnd vmb zustossen" und damit sowohl den „Stand der Kirchen" wie „den Weltlichen Stand der Regierung . . . perturbieren/ vnd i n Verwirrung . . . bringen" mußte. Ein Kupfer i n der Fama Austriaca des C. Ens zeigt die Vollstreckung des Urteils: „Carnifici praebet iugulum Barnefeldius héros, Qui fulciebat publicam Rem quondam Belgi . . . " Die deutsche Legende lautet: „Johan van Oldenbarnefeldt . . . . . . i n dem Niderlandt Viel große ding außgrichtet hat, Bis er endtlich den gantzen Stat I n den Vnirten Niderlandn zu verendern hat vnterstandn" (1627)23. „Der gantze Stat" ist also das zusammenfassende Wort für die einzelnen res constitutae, i n denen der gemeine Stand als gemeiner Nutz (res publica) verfaßt ist. I n Pommern ist das entsprechende Wort „vnser Landes Staat" (1633)24; es bezeichnet das als Einung deutbare Verhältnis zwischen den Gliedern der politischen Gesellschaft, insbesondere 21 22 23 24
Universal Lexicon, Bd. 39, Halle/Leipzig 1744, 639. Vgl. 2. Kapitel, 5. c i n T e i l I. C. Enß, Fama Austriaca, K ö l n 1627, 349/350 (Kupfer), 346 f. Historische Chronik (Abelinus), Frankfurt 1633, 210.
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ihre durch Herkommen und Vertrag festgestellten Rechte, Hoheiten und Freiheiten 25 . Der pommersche Herzog und die Landsleute stellen sich „zu Conservation jhres Stats vnnd der Statt Stettin i n eine newe Verfassung" (1633)26; d. h. sie bieten neue Truppen auf, um ihre Rechte und Freiheiten gegen äußere Einmischungen wirkungsvoll verteidigen zu können und den Wohl-stand des Landes zu bewahren. Ein solcher politischer Stat ist von zwei Seiten bedroht: von außen durch Einmischung Dritter; von Innen durch willkürliche Auslegung der Vereinbarung. I m allgemeinen gilt jede Veränderung als „Schwächung" oder „Kränkung" der bestehenden Rechtsverhältnisse. Darum versucht man, den Stat so wenig als möglich anzugreifen. Ein Gutachten über eine geplante Reform der Verfassung des sächsischen Kreises kommt zum Schluß: Der Kurfürst wüßte solche nicht zu verbessern, „den S tad drauß zusetzen/ wolte sehr sorgsam seyn . . . jedes Reich hette billich fürnemblich auff seinen Stand vnnd Verfassung . . . zusehen" (1634)27. Nur ein Stat, der bewahrt, nicht „daraus gesetzt" wird, kann die Grundlage gemeinsamen Handelns zwischen den „ M i t interessenten" bilden. Seckendorff verpflichtet daher die fürstlichen Räte, „über ausgemachten und vergliechenen Dingen zu halten/ und haben ihre besondere Meynungen/ dem Herkommen und Stat der Provintz/ i n welcher sie dienen und wohnen/ keines weges vorzuziehen" (1664)28. Wie diese Seckendorff-Stelle bereits vermuten läßt, ist Stat (StatsWesen) nicht nur Verfassung i m engeren politischen Sinn, d.h. Verfassung von Regierung und Kirchen, sondern auch Verfassung i n dem weiten Sinn: Zustand, Ordnung des ganzen bürgerlichen Lebens. So heißt es: Es könne „ein einziges Oberhaupt vor alles und jedes/ so in gemeinen Stats-Wesen/ absonderlich in bürgerlichen Händeln fürgehet/ nicht wohl sorgen" (1687)29. Und eine Notariatkunst ergänzt m i t Blick auf die besonderen deutschen Verhältnisse: Es sei leider eine Tatsache, „daß man die, ohnedem confusen und verwirreten reliquien von denen Römischen und Päbstischen Rechten, i n unsere Lande eingeführet, und, es reime sich auch so übel, als es wolle, auf den heutigen Staat, welcher doch gantz durchgehende vom Römischen unterschieden 25 Ebd.: Der Stat besteht aus „Lands Fürstlicher Hochheit zustehenden Regalien/ Jurisdiction/ Gerechtsamb v n n d Herrlichkeiten/ w i e auch der Pommerischen Landschafft . . . Privilegien v n n d Freyheiten gemeinen Statuten v n n d legibus fundamentalibus". 26 Ebd. 204. 27 N. Bellus, De Statu Imp. Rom. perturbato Caesareo-Sueco, F r a n k f u r t 1640, 298. 28 Fürsten-Staat, Addtiones v o n 1664, F r a n k f u r t 1678, 25. 29 Staats-Architectur, Leipzig 1687, 181.
4. Teile des Ständestands: „ H o f " - , „ K i r c h e n " - , „ M i l i t ä r - S t a t " usw.
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ist, bey den Haaren gleichsam ziehet; Weßwegen die Hechtsgelahrtheit, heut zu Tage, w o l einen gantzen Menschen erfordert" (1744)30. I m allgemeinen gehen der Stat i m weiteren und der Stat i m engeren Sinn ineinander über, jedoch nicht notwendigerweise. Es gibt nämlich „zwischen ihnen" ein Verhältnis des Angemessenen, Gehörigen, das ein Publicist des 18. Jahrhunderts so ausspricht: „heut zu Tages ist . . . das Wort consul und senatus so weit herunter kommen; daß sich auch die Leimerne Städte/ die aus lauter Acker-Leuten bestehen/ und deren ganzter Staat auf Bier-brauen/ Brandeweins Blasen und Schweinskoben beruhet/ nicht entblöden/ sich von consulibus senatuque zu benennen" (1716)31. I n Texten dieser A r t bedeutet das Wort Stat „allgemeine Verfassung des bürgerlichen Lebens" und die dazu-,,gehörige" politische oder Regimentsverfassung. Die politischen, religiösen, rechtlichen, ökonomischen Institutionen und Gewohnheiten des Landes sind „sein Stat". Als beschreibbarer, zu respektierender, zu besorgender und zu regierender heißt dieser Stat auch das „gemeine" oder „Statswesen". Unser heutiges Wort Staatswesen hat noch viel mit dem (inneren) Landesstat gemeinsam. Der Ausdruck erscheint zum erstenmal bei Ph. von Zesen (1656) und Seckendorff (1656)32.
4. Teile des Ständestands: „Hof"-, „Kirchen"-, „Militär-Stat" usw.
Der hier behandelte Stat ist „Ständestand", das heißt, er begreift mehrere Lebensgebiete oder „Stände" i n sich, läßt an sich selbst die Unterscheidung mehrerer „Stände" zu. Die Hauptunterscheidung zwischen Weltlichem und Geistlichem gibt sich sprachlich in vielfältiger Weise kund: von status politicus/ecclesia30 D. G. Beyeri Volckmannus Emendatus, Das ist vollständige und verbesserte Notariat-Kunst, Leipzig 1744, 3. si J. P. Ludewig s vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle, 1. Th., Frankfurt 1716, 84 f. 32 Folgende Ausdrücke sind f ü r „gemeines Wesen" belegt: der „ganze", der „gemeine, der „allgemeine Stat", das „Stahtswesen" (Ph. v. Zesen i n der Vorrede zur Horatzischen Sitten-Lehre, Amsterdam 1656; dann i m T i t e l seines Buches „Beschreibung der Stadt Amsterdam . . . zusamt ihrem Stahtswesen", Amsterdam 1664). Ä l t e r ist „Stat Wesen" (gebucht bei Maaler, 1561), das i n Analogie zu Haus-Wesen gebildet ist; bei Seckendorff findet man sowohl dieses ältere, von Stadt (f.) gebildete, w i e auch das jüngere, v o n Stat (m.) gebildete Kompositum (Fürsten-Stat 252: „gemaines Stattwesen"; S. 309: „Stats- v n d Regimentswesen"). K. Stieler verdeutscht 1773 respublica doppelsinnig durch „gemeines Statwesen" (Teutsche Sekretariatkunst, Nürnberg 1673, 24). Außer der Doppelsinnigkeit Stat (m.)/Stadt (f.) gibt es die andere, daß dem W o r t „Statswesen" die Worte „ K r i e g s " - oder „Religionswesen" gegenübergestellt werden; d . h . es bedeutet sowohl respublica w i e status politicus. Z u m Ganzen auch S T A T V I I . 4 b.
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sticus über „Religion- als Policey wesen" bis zur Gegenüberstellung eines bürgerlichen, politischen, weltlichen oder „Civil-Staats" (1645)33 einerseits und eines Kirchen-, Geistlichen oder „Religions-Staats" (1675)34 andererseits. Eine zweite Unterscheidung betrifft die Teile, i n die der „Religionsals Politische Staat" zerfallen: „Der Kirchen-Staat . . . auf zwo Grundfesten/ nemlich die Aufsicht- und Bestellung der Schulen/ und dann die Ausschreib- und Haltung der Concilien sich steuret und ruhet" (1675)35. Die erste Grundfeste heißt auch „Schulenstaat" (1728)36. Die (weltlichen) Teile des „Reichs- und Fürsten-Staats" 37 gliedern sich — nach der imposanten Aufzählung des Publicisten J. C. Spener — in folgende Rechtsgebiete: die „Verfassung des Regiments- Hofs- KriegsLehens- Cammer- Landes- Gesetz- . . . Staats" (1723)38. Eine dritte Unterscheidung fragt nach den ständischen Rechtskreisen, die eine „Bürgerliche Regiments-Ordnung" oder „Policey" ausmachen. J. E. Keßler erläutert anhand der Anwendungsbereiche des lat. Wortes status(!): Es gehe „ein jeder Staat i n seine gewisse Theil und Ordnung . . . als zum Exempel/ der Kirchenstaat/ der Staat eines sämtlichen Adels/ und des gemeinen Pöbels Staat und Ordnung" (1678)39. Gerade diese Unterscheidung ist wichtig; sie zeigt, daß das Wort Stat (Staat) so wenig auf die „Summierung sämtlicher Hoheitsrechte und Machtansprüche des Fürsten" 4 0 festgelegt ist, daß es genau so gut die Summierung der gestuften Rechts- und Lebensordnungen der Ständegesellschaft bedeuten kann. Die Verbindung des Wortes Stat und der Komposita Kirchenstat, Kammerstat, Adeisstat, Kriegsstat usw. liegt hier auf der Ebene des „Rechts", der „Ordnung". Die Komposita bedeuten Teilordnungen („Stände") i n einer Gesamtordnung („Ständestand"). Das gilt noch in der Mitte des 18. Jahrhunderts: „Staat oder Etat, heisset auch eine besondere Verfassung es sey eines gantzen Regiments, oder eines Stücks i n demselben. I n dem ersten Sinne sagt man: Der 33 J. G. v. Meiern, Acta 1. Th., Hannover 1734, 774. F. C. v. Moser stellt i n Der Herr u n d der Diener, F r a n k f u r t 1759, 323, den „Civil-Staat" eines Fürsten seiner „Kriegs-Macht" gegenüber. 34 Leutholf v. Frankenberg, Schaubühne, Nürnberg 1675, 141. 33 Ebd. 434. 36 J. M . Weinrich, Kirchen- u n d Schulen-Staat Des Fürstenthums Henneberg, Leipzig 1720. 37 T i t e l einer unter J. C. Speners Namen erschienenen Staatsrechts-Lehre, vgl. Speners Teutsches Jus Publicum, Bd. 1, Frankfurt/Leipzig 1723 (Vorrede). 38 T i t e l von Speners Jus Publicum, vgl. vorige A n m . 39 Keßler, Detectus . . . Candor . . . das ist: Reine u n d unverfälschte StaatsRegul/ Christlicher Staats-Fürsten u n d Regenten, Nürnberg 1678, 11 f. 40 A. O. Meyer 237.
5. Potential, Reichtum des Landes
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Staat von Spanien, Franckreich, usw I n dem letzten Sinne nennet man den Hof- Kriegs- Cammer-Staat usw. Die Verfassung des Hofes, des Unterhalts der Kriegs-Völcker, des Cammer-Wesens etc." (1744)41.
5. Potential, Reichtum des Landes
Stat eines Landes ist nicht nur das, was bei einer Betrachtung „ex Qualitate" sichtbar w i r d ; es gibt einen Stat, der auch „ex Quantitate" oder „materialisch" verstanden wird. Die klassischen Anwendungsbereiche von status werden dabei verlassen 42 . Vorstufen dieses Gebrauchs i m Deutschen sind die Varianten „Aufwand", „Hof- und Verwaltungswesen" (Beamtenschaft), überhaupt „Sache", „Wesen", ζ. B. „kriegshändel, kriegsstaat . . . bellica res" (1561)43. Stat ist also nicht nur „Ordnung", sondern auch das geordnete oder „ i m Stand befindliche" Wesen, ja sogar das der Ordnung vorausliegende, ihrer bedürfende Wesen, „vorpolitische Wirklichkeit". Wenn i n Weckherlins Preisgedicht auf den baden-hochbergischen Markgrafen steht: „Es kan kein Fürst den Staht seiner Landschaft... so w o l sehen, wissen, b e k e h r e n . . . wie Er" (1619), so hat das Wort hier einen recht „materialischen" Klang; es bedeutet gute Sitten, aber auch auskömmliche Nahrung, eben jenen Wohlstand, der durch das polizeiliche Wirken eines tüchtigen Regenten gesteigert („bekehrt") w i r d 4 4 . Diese Bedeutung von Stat erscheint seit der Jahrhundert-Mitte in jenen Schriften 45 , i n denen „weitläufiger beschrieben" wird, was es mit den „Land-Gesetzen/ Sitten und Staat anderer Volckereyen" sowie „Macht und Interesse anderer Printzen und Herrschafften" auf sich habe 46 . 4i Zedier, Universal Lexicon Bd. 39, 639. 4a Geislerus, De Statu Politico, Amstelodami 1656, 94: „ N u n q u a m autem i n Quanto Status consistit, si vocabulum rite et recte accipimus. Non enim ipsae Provinciae faciunt Statum, sed Provinciarum Administratio." 43 Maaler (zit. DWb. Bd. 5, 2293). 44 Weckherlins Gedichte, ed. Fischer, Bd. 1, Tübingen 1894, 194; ähnliche Wendungen lauten: E i n jeder K ö n i g hat das „ H e y l v n d Interesse seines Lands/ v n d seiner selbst/ zuergreifen v n d zu vrtheilen/ dann niemand k a n jhnen vorschreiben/ ob sie j h r e n Staat/ v n n d Wohlstand j h r e r Königreich/ mehr durch Friedens-Mittel als durch Continuation deß Kriegs vermehren . . . können" (Philander von 1649, 600f.); oder: „Alsdann steht unsers K ö n i g reichs Staad am allerbesten/ w a n n man der . . . Dreyheit deß einigen Gottes i n öffentlicher Bekandnuß dienet" (Litura Foederis Hyspano-Gallici, 228), vgl. ferner J. J. Becher, Politische Diseurs, F r a n k f u r t 1672, 301 f.; S. Butschky, Pathmos, Leipzig 1776, 40; Chr. Weisens Politischer Redner, Leipzig 1677, 143. 45 Z u r „Gattung" der sog. empirischen Status-Beschreibungen vgl. W.Hennis, P o l i t i k u n d praktische Philosophie, Neuwied/Berlin 1963, 84 ff. 46 Dännemarks Gegenwärtiger Staat, K ö l n 1697, Vorrede.
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Die materialfreudigen und bunten, auch politischen Kannegießern willkommenen „Beschreibungen" erscheinen bis ins 19. Jh. hinein und i n ihren Titeln prangt, wie früher „status" oder „Zustand" 4 7 , so jetzt fast allemal das Wort „Stat": „Der gegenwärtige Staat des Königreichs England" (1670); „Kurtzverfaßte Niederländische Staats-Beschreibung Betreffende Denen Krieges- und Friedens-Sachen" (1672); „Politischer Staat: Oder Eigentliche Beschreibung des Königreichs Polen" (1697); ins Utopische transponiert: „Der wohleingerichtete Staat des . . . Königreichs Ophir" (1699)48. I m 18. Jh. gibt H. L. Gude eine ganze Serie der gutverkäuflichen Stat-Beschreibungen heraus 49 , und G. Achenwall nennt die einzelnen Hauptstücke seiner europäischen Statistik „Staat von Spanien", „Staat von Portugal", „Staat von Frankreich" usw. 4 9 a . A m Ende des Jahrhunderts erscheinen u. a. „Der geistliche und weltliche Staat des Bischthums und Fürstenthums Worms" (1774) und — von 1792—1803 — sieben Bände „Staat von Böhmen". A m Ende einer solchen Beschreibung steht der Satz: „daß des Königs . . . jetziger Staat fest und dauerhafft genug gestellet sey/ und daß es wohl geschehen könne/ daß die Unterthanen ihren Herrn ändern/ unmöglich aber ist es/ daß sich dabei auch ihre Condition und Zustand ändern solle" (1697)50. Hier w i r d bewußt die absolutistische gegen die „beschreibende" Variante des Wortes ausgespielt. Stat (des Landes) ist für den König etwas, über das er verfügen kann, solange er i m A m t ist: allgemeines Substrat, nicht aber Sicherheit seiner persönlichen Herrschaft 51 . Wer ein Verzeichnis jenes Stats besitzt, kennt Macht und K r a f t dessen, dem der Stat zur Verfügung steht. Solche Verzeichnisse waren daher lange Zeit geheim. Noch Schlözer beklagt sich über die Verschlossenheit der preußischen Archive und Kanzleien. Das mag den Reiz der vorhandenen Statbeschreibungen erhöht haben: Sie schienen Geheiminformationen zu enthalten. Von einem „geheimen Stat" w i r d bereits 1643 berichtet; die Stelle beleuchtet zugleich den Rang solcher 4
7 Status Germaniae i m Jahr 1643, o.O. o.J. 48 Der T i t e l lautet vollständiger: „Der wohleingerichtete Staat des bishero von vielen gesuchten, aber nicht gefundenen Königreichs Ophir, Welcher die völlige Kirchen-Verfassung, Einrichtung der hohen u n d niederen Schulen, des Königs Qualitäten . . . vorstellet", Leipzig 1699. 4» Erwähnt sei n u r „ D e r Staat von Gross-Britannien", beigebunden dem „Staat von Frankreich" (B.St.B.). 49a G. Achenwall, Staatsverfassung der heutigen vornehmsten Europäischen Reiche u n d Völker, Göttingen 51768. so Dännemarks Gegenwärtiger Staat, K ö l n 1697, Schlußsatz. si Die Unterscheidung von Stat (i.S.v. Krone) u n d K ö n i g ist bereits bei A. Gryphius als Pointe benutzt. I n der Tragödie „Catharina von Georgien" (1657) sagt der mörderische K ö n i g angesichts der Leichen seiner fürstlichen Gäste: „Doch ob die Printzen fort; der Stat ist dennoch bliben" (Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, Bd. 6, Tübingen 1966, 182).
5. Potential, Reichtum des Landes
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Dokumente: „Der schwedische Legat hatte an paarem Gelt . . . nicht geringes verlohren . . . er hatte aber seine brieffliche Vrkundten/ vnter denen der gantze Zustandt Stallhansischer Armee/ sampt völligem Pomerischen Stats vnnd andern Geheimnussen gewesen/ viel grösser als alles Gelt geachtet" (1643)52. Diese Verwendung des Wortes Stat hat i m „Hofstat", „Stat der Ausgaben", „camerstatt" ihre Vorläufer; es sind alles Begriffe des 16. Jahrhunderts. Das 17. Jh. summiert sie i n den materialischen, inneren „Stat des Landes", hier den „ v ö l l i g e n Pomerischen Stat" 5 3 . Die materialischen Teilbegriffe „Kriegs-" und „Friedensstaat" scheinen noch i m Werk Adam Müllers weiterzuleben, haben dort aber den Bezug zur summativen Stat-Beschreibung verloren. Daher lassen sie sich auch nicht mehr i n einen „völligen Stat" integrieren, sondern sie bedeuten für Müller nur den Widerspruch, der den „meisten Staatslehren" innewohnt: „Der Staat trägt, nach ihnen, zwei ganz widersprechende Staaten i n sich: einen Kriegesstaat und einen Friedensstaat; zwei Schaaren von Beamten, Kriegsbeamte und Friedensbeamte, die m i t einander i n Widerspruch sind, wie ihr beiderseitiges Geschäft" (1809) 53a . A n die Stelle des (inneren) Stats des Landes ist hier der Staat „als Lebenserscheinung oder als Idee" (A.Müller) getreten; unter seiner Einwirkung polarisieren sich die Teilbeschreibungen des summativen Stats und schließen sich wechselseitig aus. Damit ist die ältere Funktion der Wortes erloschen. B. Äußerer Stat 6. Stellung unter den benachbarten Mächten
Die Entdeckung des Außenverhältnisses eines Landes-Stats beginnt dort, wo innere Angelegenheiten durch das Verhalten Dritter, i m Aussa Theatrum Europaeum I V , F r a n k f u r t 1643, 253. 53 Die Universitätsstatistik v o n Conring bis zu Achenwall u n d Schlözer verstand ihren Namen bzw. das Objekt ihres Tuns aus dem hier vorgeführten materialischen Landes-„Stat". Die A b l e i t u n g des Namens von ragione d i stato mag gleichwohl bestehen bleiben; dies zu V. John, Geschichte der Statistik, 1. Teil, Stuttgart 1884, Einleitung. Vgl. ferner A n m . 17 des 6. Kapitels (STAT VI). Z u den statistischen Anfängen i n Landes- u n d Volkskunde vgl. M. Rassem, Die Volkstumswissenschaften u n d der Etatismus, Diss. phil. hist. Basel 1951; f ü r die wissenschaftsgeschichtliche Lage, i n der die Statistik an die Universität gelangt vgl. H. Maier, Die Lehre der P o l i t i k an den deutschen Universitäten, i n : D. Oberndörfer, Wissenschaftliche Politik, Freiburg 1962, 59 ff., 98. 53a A. Müller, Die Elemente der Staatskunst, B e r l i n 1809, 12 f. Vgl. dazu die Formulierung des u m eine Generation älteren Belegs 81 i n S T A T V I I I .
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nahmefall durch deren Einmischung, betroffen werden; es ist dann nicht mehr weit, bis die „Politik" auf jenes Außenverhältnis ausdrücklich Rücksicht nimmt (STAT V I I . 4, 4). Eine solche Disposition „nach außen" konnte i m Reich nicht i n den Blick kommen; die Stände waren Glieder des Reichs und verkehrten miteinander auf der Grundlage des Reichs-Stats, der zum FürstenStat dazugehörte. Wenn sich der brandenburgische Kurfürst i m Jahr 1636 beim designierten schwedischen König beschwert, „ w i e man vns doch anmuthen können/ vnsern gantzen Stat i m Reich/ durch widrige Erklärunge zu hazadiren" 54 , so scheint sich allerdings das Verhältnis eines Reichsstands zum Reich nicht mehr viel von einem möglichen Außenverhältnis zu unterscheiden. I n der Tat war in Brandenburg mit der Einrichtung des Geheimen Rats eine neue Phase der „Politik" angebrochen: „Es ist der Aufstieg von den Niederungen des territorialen Stilllebens, das i n der Hauptsache noch von dem Reichshorizont begrenzt war, zu den höheren Regionen des europäischen Staatslebens" (O. Hintze) 5 5 . Diese „höheren Regionen" waren mit dem Dreißigjährigen Krieg für jedermann zugänglich geworden; nicht umsonst führte eine der großen zeitgenössischen Chroniken den Titel „Theatrum Europaeum". I m Jahr 1627 w i r d berichtet, daß T i l l y den niedersächsischen Kreis militärisch zu verstärken suchte; und zwar aus dem Grunde, weil der Mansfelder, gegen den die „ A r m a t u r " sich richtete, i n den brandgefährlichen Generalstaten einen Verbündeten habe: „ j h r gröster vnnd meister List sey/ ihren Stad m i t Anzündung mit (!) frembder Empörung zubefestigen/ vnnd sonderlich die weit aussehende newe Vnion noch fernem zudilatiren 5 6 ." Der Stat, der auf kosten Dritter befestigt wird, ist nicht der „gantze Stat in Niderlandn", den Oldenbarnevelt verändern wollte, es ist vielmehr die Disposition der Niederlande nach außen, ihre Stellung unter den benachbarten Mächten, die Effizienz ihrer äußeren Politik. Äußerer und innerer Stat stehen i n einer schwedischen Proposition des Jahres 1646 unmittelbar und scheinbar „naiv" nebeneinander: Wegen der Vorgänge i n Deutschland und der dortigen Konfusion „hätten die Nachbarn, die ihres Staats Sicherheit auf des Römischen Reichs unperturbirten Statum . . . fundirten, nicht geringere Ursach gehabt, als die Deutschen selbst, dahin zu arbeiten . . . daß der Status 3, c: Dort ist der beschreibende Charakter des Wortes zwar gestört, aber noch nicht verschwunden. U n d gerade dieser Umstand ermöglicht das raffinierte Wortspiel m i t „Staat i m Staate". 54 Theatrum Europaeum I I I , F r a n k f u r t 1639, 563. 55 H Z 144 (1931), 264. 5® Enß, Fama Austriaca 832.
6. Stellung unter den benachbarten Mächten
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Imperii, welcher auf die Reichs-Constitutiones fundiret gewesen, i n vorigen Stand gebracht werden möchte" 57 . Offenbar ist der Stat der Deutschen auf die eigenen „Reichs-Constitutiones" und der Stat der Schweden auf die Rechts- und Machtverhältnisse Dritter gegründet; folglich handelt es sich gar nicht um die gleiche A r t von „Stat": I m ersten Fall ist es die Form der Vereinigung der Teilhaber an der öffentlichen Gewalt, ihre „Verfassung", i m zweiten Fall ist es die Disposition des Landes nach außen, konkret: die Effizienz der Ansprüche und Interessen Schwedens als Vormacht an der Ostsee. Aber dieser Unterschied ist nur scheinbar ein Unterschied zwischen Recht und Interesse; H. de Rohan erkennt auch die deutsche Freiheit und ihre Wiederbringung als „interest d'Allgemagne": „aujourd'hui son interest est de remettre les choses en leur premier estât" (1641)58. Nach der Jahrhundert-Mitte findet die Vorstellung des äußeren Stats i m Gefolge der Ratio status und Interesse-Lehre Eingang i n die deutschen Politiken. J. E. Keßler unterscheidet ζ. B. den „innerlichen" vom „äusserlichen Staat/ oder . . . Vergrösserung und Zugang anderer Länder" (1678)59, und der Böhmische Statist Flämitzer hält die Erkenntnis von Bedingungen für möglich, „durch welche man fast einem jeden Reich auff die arcana so wohl seines innerlichen/ als außwendigen Staats/ den es nämlich gegen und m i t seinen anbenachbarten potentien i n acht zu halten hat", dringen könne (1689)60. Die Vorstellung des äußeren Stats hat viel dazu beigetragen, daß sich das Wort Stat aus seiner dienenden Stellung zu Land, Reich usw. befreit und verselbständigt hat. I m 18. Jh. unterscheidet man nicht mehr den Stat des Landes als inneren und äußeren, sondern man unterscheidet das „Innerliche des Staats" (1769) von den zwischenstaatlichen Aktionen 6 1 . Aber noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts ist das Gleichgewicht zwischen innerem und äußerem Stat, und d. h. zugleich: die Prävalenz des verselbständigten gegenüber dem dienenden Gebrauch des Wortes, noch nicht voll ins Sprachbewußtsein eingedrungen. Ein zeitgenössischer Beobachter sieht sich daher veranlaßt festzustellen: „Das Wort Staat . .. lässet sich doch keineswegs, wie es manchmal scheinen w i l l , nur auf den inneren Zustand eines Reichs oder Landes i n und an sich selbsten einschränken, sondern es gehört noch das Ver57 j r . G. υ. Meiern, Acta Th. 2, Hannover 1734, 186. 58 De Rohan, De l'Interest des Princes et Estais de la Chrestienté, Paris 1641, 121 f. 59 Staats-Regul 240, 291, auch: 2 f. 60 J. Flämitzer, Ars A r t i u m , Nürnberg 1689, 21. 61 Freyherr v. Kreittmayr, Grundriß des Allgemeinen Deutschen u n d Bayrischen Staatsrechts, l . T h . , München/Leipzig 1769, 2. 8 Weinacht
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. Kap.: S T A T V : Stat des
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hältnis mit anderen dazu. Man kan wohl einen Staat allein, an und für sich betrachten. Nemlich die Verbindung derer Regenten und Unterthanen . . . welche auch den eigentlichen Staat eines Reiches ausmachet. Oefters aber muß derselbe mit und gegen anderen Völkern, Reichen, und Republiquen betrachtet werden, welches das Staats-Interesse ist, das ein Staat eben so gewis und nothwendig ist, als sein StaatsRecht" (1767)62. Noch Hegel gebraucht die Ausdrücke „politischer Staat" (für den inneren) und „äußerer Staat" — letzteren allerdings auch in veränderter Bedeutung. Während der „politische Staat" Objekt des „inneren Staatsrechts" ist, ist der „äußere" Objekt des „äußeren Staatsrechts"; daneben steht er auch für den dem sittlichen Staat vorgelagerten „bloß"-äußeren Staat der bürgerlichen Gesellschaft 63 .
7. „Staatenstat" (Staatensystem)
So wie der innere Stat Ständestand sein konnte, kann es auch der äußere Stat sein; d. h. er summiert die Beziehungen einzelner Länder und Reiche und stellt sie als ein Ganzes dar. Um eine Vermischung mit dem (inneren) Reichs-Stat zu vermeiden, sollen die Belege hauptsächlich „souveräne" Herrschaften berücksichtigen, die zusammen einen „Stat" bilden oder haben. Der Dreißigjährige Krieg bringt m i t der „Liga", der „Union" und ihren Verwandten Gruppierungen, die mit Rücksicht auf ihre gemeinsamen Interessen „Stat" heißen. Bei der Versammlung zu Magdeburg (1634) erhoben sich Klagen wider „die zu dem Evangel. Wesen geworbene vielfaltige starcke Regim. deroselbigen langwürige Einquartierung, Verpflegung"; trotzdem erklären sich die Verwandten dazu bereit, „das jhrige zu Erhaltung gemeines Evangelischen Staats trewlich herbey zutragen" (1639)64. Der sächsische Kurfürst w i r d vom schwedischen Feldmaschall Banern gebeten, daß er „die völlige Errettung deß hochstbedrängten Evangelischen Stats cooperiren . . . helffen/ vnd das geringste/ so dem allgemeinen Wesen/ vnd i n particulari der Cron Schweden/ vnd der Conförderirten schädlich seyn möge/ nicht . . . ratificiren werde" (1643)65. Bereits 1620 t r i t t Stat an die Stelle der Allerweltswörter Zustand, Wesen; offenbar ist die vorrangig politische Anwendung dem Wort im 62 63 273, 64 es
G. D. Hoffmann, Begrif des Worts Staat, Tübingen 1767, 22. Hegel, Philosophie des Rechts, Meiner 41955, 165 (§ 183), 233 (§§ 271— 276). Theatrum Europaeum I I I , Frankfurt 1639, 211. N. Bellus, De Statu Imp. Rom., Frankfurt 1640, 7. Buch, 4.
7. „Staatenstat" (Staatensystem)
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17. Jh. günstig. Uber die unkluge Neutralitätspolitik der Venezianer heißt es: „Dann wie dieselben sahen/ daß so viel Außländer den Stat in Italien beunruhigen/ vnd zu desselben verderb sich zusammen verbinden wolten/ sassen sie . . . still . . . vnd kamen entlichen die Frantzosen/ vnd beraubten sie alles deß jenigen/ so sie zu Lande hatten"
(1620)66.
Diese Vorgänge werden noch am Ende des Jahrhunderts mit den gleichen Worten erfaßt: „diese Französische Macht (hätte leicht) die Spannische Possessiones in dem Welschen Staat überrumpelt und annulirt . . . welches auch endlich selbst der Italienische Staat/ zu seinem ewigen Praejuditz hätte fühlen müssen" (1678)67. I m ersten Fall ist der Stat „materialisch" gedacht, nämlich als Boden, i m zweiten Fall ist er — es gibt ja noch keinen „Staat Italien" — qualitativ gedacht, als das italienische Staatensystem. I n diesem Sinn heißt es über Schottland, England und Frankreich: „Die Neutralität ist unter vielen Benachbarten eben das jenige Gifft/ so ihren gesammten Staat und dessen sonst formidabler . . . Krafft das Hertz abstosst: Dann wann einer hier/ der andere dort/ m i t seinem privat-Fürnehmen hinaus w i l l / ist es um alle gar bald geschehen" (1678)68. Eine Gruppe von benachbarten Reichen also bildet einen „Stat". Das Muster des später so genannten „Staatensystems" ist Europa. Man weiß, „wie besorglich es vor England seye/ der Europaeischen Reiche Waagschale und Gleichgewichtigkeit . . . wegzunehmen"; man achtet aber auf der Insel der Kosten, die „der Europaeische Staat zu selbiger Zeit/ oder auch einige andere Absehen . . . mögen erfordert haben" (1673)69. I n dem Ausdruck „Europäischer Staat" ist auch die Vorstellung „europäische Reiche" enthalten 70 . Zu dieser Linie gehören die B i l dungen „Welt Staat" und der „Welt-Staat Rey" (1678)71. A n die Stelle des älteren Sammelbegriffs Stat i.S.v. Staatenstat treten i m 18. Jh. Ausdrücke wie „Staatssystem", „Staatskörper" (1756)72, „Staatenbund" 6 6 J. W. Newmayr, Von der Neutralitet V n d Assistentz, Erfurt 1620, Kap. 4. e? Keßler, Staats-Regul 380. 68 Ebd. 407. 69 Englands Appellation u n d Beruffung . . . übersetzt von A. Holtersen, o.O. o.J. 70 „durch einmüthige Verordnung der vornehmsten Christlichen Häupter/ des Europäischen Staats/ oder gesamter Christenheit" (Keßler, Staats-Regul 179). 71 Ebd. „Erklärung". 72 Vgl. Achenwall, E n t w u r f der allgemeinen Europäischen Staatshändel, Göttingen 1756, Vorrede. A. H. L. Heeren erklärt i m Handbuch der Geschichte
δ*
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. Kap.: S T A T V : Stat des
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u. a. Aber noch die i m Rheinischen Bund zusammengeschlossenen „souveränen Staaten" heißen zusammen „Staat" 7 3 .
C. „Stat des Reiches" (Zusammenfassung)
Zum Abschluß dieses Kapitels soll die Entwicklung des Wortes Stat vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis an die Schwelle des 19. Jahrhunderts zusammenfassend dargestellt werden, wenigstens soweit sich dies am „Stat des Hl. Rom. Reiches", der dafür den Leitfaden hergeben soll, zeigen läßt. Die zu durchmessende Spanne w i r d vielleicht am deutlichsten, wenn man zwei Aussagen einander gegenüberstellt. Die erste steht unter dem Eindruck der Ohnmacht des Reiches, die ein Thema des Basler Konzils war: „Vnser Herre der Keyser oder König (Sigmund) mögen ihren Stat nicht mehr behalten: der hochwürdig Stat ist abgezogen dem Reich von den Churfürsten vnd daß vnser Reich kranck blöd vnd schwach ist" (1621)74. Die zweite Aussage steht unter dem Eindruck der Ohnmacht des Reichs angesichts der Folgen der Französischen Revolution: „Deutschland ist kein Staat mehr." Der Satz w i r d begründet: „Daß eine Menge einen Staat bilde, dazu ist notwendig, daß sie eine gemeinsame Wehre und Staatsgewalt bilde" (1801/02)75. Die Entwicklung geht also, rein äußerlich betrachtet, vom Reich, das einen Stat hat, zum Reich, das ein Stat zu sein hat. Stat an sich selbst ist zuerst ehrwürdige Gerechtsame und deren machtvolle Handhabung durch den Kaiser und schließlich Organisationsform einer Menge unter den Bedingungen einheitlicher Gewalt nach innen und nach außen. I m ersten Fall w i r d das Reich krank und schwach, weil des Europ. Staatensystems ( = Hist. Werke, 8. Th., Göttingen 1822, S. VI) das Wort „Staatensystem" aus dem Geist und nach Maßgabe Europas: als „einen Verein sich begrenzender, durch Sitten, Religion und Cultur sich ähnlicher, und untereinander durch wechselseitiges Interesse verflochtener Staaten". 73 Vgl. Anm. 59 des 6. Kapitels (STAT VI). 74 J. Sleidanus, Verus et ad nostra tempora usque continuatus, Dedicatio von O. Schadaeus, Straßburg 1621, Dedicatio. Vgl. „status" i n vergleichbarem K o n t e x t bei Nicolaus Cusanus: „Proponat (seil. Sigmund) sua admiranda industria i m p e r i i flebilem et undique diminutissimum statum. Aperiat quid i n Italia, quid i n Langobardia de vigentibus i m p e r i i iuribus repererit . . . Et dum florentissimi quondam et tremendae potentiae imperii miserabilem statum aperuerit, de eo, quod proxime superveniet, nisi remedium apponatur, subjungat." (N. Cusanus, De Concordantia Catholica, Buch I I I , Kap. 27 [1433].) 75 Hegel, Die Verfassung Deutschlands, i n : ders., Politische Schriften (Theorie 1), Frankfurt 1966, S. 23, 32; vgl. dazu H. Maier, Hegels Schrift über die Reichsverfassung, i n : Polit. Vj.schrift, 4 (1963).
C. „Stat des Reiches" (Zusammenfassung)
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sein Stat heruntergekommen ist, i m zweiten hat das Reich oder der Stat zu existieren aufgehört, weil die Voraussetzung für „Staat", nämlich Macht, nicht mehr gegeben ist. Es ist die Gegenüberstellung von Recht und geballter Macht. Der Stat als das machtvolle Recht des Reichs, das Kaiser und Reichsstände bewahren müssen, w i r d i m 17. Jh. als die politische Verfassung, das Regiment und die Form zu regieren verstanden. Ihr Sinn ist Libertät und friedlicher Interessenausgleich unter den Reichsgliedern 76 . Daraus lassen sich bestimmte Attribute und Verwendungsweisen des „Stats" erklären. Stat ist ausschließlich Gegenstand der Reichspublicistik. I n dem Maße als sie das „Innerliche des Staats" erschließt, als „Ruhestand des Reichs" (1673)77, geschichtliches „Fundament" (1678)78, „irreguläre Form" (1688)79, „Grund-Verfassung", i n dem Maß vereinseitigt sich der Inhalt des Wortes. Der Stat (des Reiches) ist nurmehr die innere Ordnung und die Geschichte, kaum mehr der kraftvolle Bestand und die selbstmächtige Würde, schon gar nicht die außenpolitische Effizienz. Das Reich der letzten 150 Jahre hat keinen äußeren Stat. Das mit „Reich" verbundene Wort Stat ist so ein Spiegelbild der politischen und publicistischen Lage. Die offizielle Sprache scheut sich, das Wort i n einem andern als dem hier genannten Sinn zu gebrauchen. Noch um 1730 bemerkt der Publicist Ludewig über das „Wort Staat. . . , daß solches . . . i n Teutschland nicht legal oder Reichs-Gesezmäßig seye, als wessen sich bis nun zu noch kein einziges teutsches Reichs-Grundgesez, auch nicht einmal die neueste Wahl-Capitulationen bedienet" 80 . Wie kommt nun das Reich neben der älteren Qualifikation: es „habe" einen Stat, zu der jüngeren: es „sei" ein Stat? Einmal dadurch, daß man das Reich als „politischen" oder „förmlichen" Stat, der besteht und ist, dachte, nämlich als ein politisches Wesen von der Seite seiner Regimentsordnung 81 oder einen politischen Körper von der Seite der 76 Vgl. Zedlers Universal Lexicon, Bd. 43, Halle/Leipzig 1745, 196 („Teutsche Staats-Raison"); zum Ganzen: E. Wolf, Idee u n d Wirklichkeit des Reiches i m deutschen Rechtsdenken des 17. u n d 18. Jh., i n : Reich und Recht i n der deutschen Philosophie, ed. K . Larenz, I, Stuttgart/Berlin 1943, 33 ff. 77 Wohlmeynende Erinnerung A n die sämtlichen Chur-Fürsten . . . des Reichs (1673; B.St.B.: 4 Eur 64, 1—34). 78 Keßler, Staats-Regul 112. 79 Thomasius, Monatsgespräche I, Halle 1688,, 306. so Ludewig, zit. bei G. D. H off mann, Begrif des Worts Staat, Tübingen 1767, 14 Anm. 81 J. P. Ludewigs vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle, Bd. 2, Frankfurt 1719, Vorrede 75: „Anfangs sind die meisten Sachen auf den teutschen Staat gerichtet (seil, die Erläuterungen, die zu erwarten sind) . . . Nachgehends solten w i r Teutsche w o h l wünschen/ daß die Ausländer absonderlich das unserm Reich gefährliche Franckreich/ niemals viel von der Einrichtung unseres Staats erfahren." Hegel würde bei diesem Eingeständnis der Schwäche triumphieren, vgl. unten A n m . 86, 87.
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. Kap.: S T A T V : Stat des
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Dependenz seiner Glieder 8 2 . I n beiden Fällen handelt es sich um einen „öffentlichen Zustand, als das rechte Subjectum der öffentlichen Rechte" (1723)83. Anders ausgedrückt: Das Reich „ist" Stat, weil es ein Regiment hat: „durch das Regiment richtet sich ein Staat ein, und bekommt seine rechte Form" 8 4 . Ein Kompendium des „Reichsprälatischen Staatsrechts" sagt daher zu Recht: „Das deutsche Reich ist ein Staat; wer kann es widersprechen?" (1782)85. I n einem anderen Sinn als dem hier skizzierten ist der Satz, das Reich „ist" ein Staat, nicht möglich; es sei denn, man übertrüge eine Bedeutung auf den „Stat des Reichs", die sich i n ganz anderen Verhältnissen entwickelt hat. I n dem Satz: „Deutschland ist kein Staat mehr", hat Hegel diese Übertragung vorgenommen. A n die Stelle differenzierter Sprechweise t r i t t polemische Zuspitzung; der Satz hätte nämlich auch lauten können: Der Stat des Reiches verhindert, daß Deutschland heute ein Staat ist. Hegel gibt die ältere Rede bewußt und ausdrücklich preis: „Was nicht mehr begriffen werden kann, ist nicht mehr." Er w i r f t der deutschen Publicistik vor, sie bleibe „ihren Begriffen, dem Rechte und Gesetzen getreu, aber die Begebenheiten pflegen gar nicht damit übereinzustimmen". I m Blick auf die mögliche Bewährung des Gemeinwesens im Krieg („Begebenheiten") verlangt Hegel zum Begriff des Staats einen „Mittelpunkt, der zu der Direktion auch die notwendige Macht hätte". Was eine — neben den anderen — Bedeutungen des Wortes hat bilden helfen, nämlich die Notwendigkeit der kriegerischen Rettung und Sicherung des „Stats", w i r d zum alleinigen K r i t e r i u m des Wortinhalts erklärt; andere mögliche Bedeutungen werden verdächtigt oder verächtlich gemacht: Man solle „sich nicht mit allgemeinen Ausdrücken herumtreiben, sondern den Umfang der Macht in Erwägung ziehen, der dem gelassen ist, was Staat heißen soll" 8 6 . Hegels Arbeit steht repräsentativ für die Machtstaatstheorien des 19. Jahrhunderts 8 7 , die das Wort Staat auf die Macht-Anstalt der 82 J. J. Schmauss, Akademische Reden und Vorlesungen über das deutsche Staats-Recht, Lemgo 1766, 47: „ A l l e Provinzen, die zu Deutschland gehören, sind demselben incorporieret, u n d machen zusammen n u r einen einigen Staat u n d ein einiges corpus aus, das aus Haupt u n d Gliedern besteht u n d durch eine einige . . . Majestät des Kaisers . . . i n dem nexu unius civitatis erhalten und regieret w i r d . " 83 J. C. Spener, Teutsches Jus publicum, 1. Bd., 1723, 2. 84 Ebd. Anm. 89 (Anonymus), 1. Th., Kempten 1782, Vorrede. 80 Die Verfassung Deutschlands 29. 87 Vgl. H. Heller, Hegel u n d der nationale Machtstaatsgedanke i n Deutschland. Ein Beitrag zur politischen Geistesgeschichte, Leipzig/Berlin 1921.
C. „Stat des Reiches" (Zusammenfassung)
119
Nation festlegen (vgl. STAT I X . 1, d.). Sie markiert das Ende jener älteren Vorstellung, daß der „Stat" — ungeachtet territorialer Größe, Menge der Menschen, Konzentration der Macht, einheitlichen politischen Willens — die alten Rechte des Landes, sein politisches Gesicht bedeute. Diese ältere, individualisierende, vorsichtig beschreibende, auf Bewahrung der Libertät ausgerichtete Bedeutung des Wortes hatte sich am Längsten i n Anwendung auf das Reich erhalten 8 8 ; mit dem Niedergang und schließlichen Ende des Reiches war auch ihr Schicksal besiegelt.
88 Über die Spannimg zwischen Staats- und Reichsgedanken: H. Mommsen, Z u r Bedeutung des Reichsgedankens, H Z 174 (1952) 385 ff. u n d H. Plessner, Die verspätete Nation, 1959, 47 ff.
Sechstes
Kapitel
STAT V I (Stat, Staten): Gebiet Was in den neueren staatsrechtlichen Lehrbüchern als eines unter drei „Elementen" des „Staats" aufgeführt wird: sein „Gebiet", ist in diesem Sinn des Wortes nicht älter als die Französische Revolution; dort erst wurde „die Entwicklung zur territorialen, mit scharfen Lineargrenzen gegen den Nachbarstaat abgeschlossenen Staatlichkeit . . . restlos zu Ende geführt" 1 . Gleichwohl ist „der souveräne Staat" seit dem 16. Jh. ein Raumordnungsbegriff, und Carl Schmitt bestimmt seine Funktion dahin, daß er i n dem geschichtlichen Moment, i n dem eine beispiellose planetarische Raumrevolution ihre Auswirkungen zeigte, die neuen Raumvorstellungen bestimmt habe 2 . Die Beziehung dieser „begrifflichen" Entwicklung 3 zur Geschichte des Wortes Stat ist bisher noch wenig aufgehellt. Wann und auf welchen Wegen kommt das deutsche Wort „Stat" zu jener territorialen Bedeutung, die den Worten Reich, Gebiet, Land, Herrschaft, Territorium, Provinz längst innewohnt, dort aber für die Neuzeit nicht i n gleicher Weise „bestimmend" wurde? Vorweg läßt sich eine allgemeine Tendenz formulieren, die bei vielen älteren politischen „Gebiets"-Worten nachweisbar ist, bei Imperium, ducatus, comitatus ebenso wie bei Herrschaft, A m t oder „Gebiet": Die Entwicklung geht von der „Gebots"-Gewalt oder dem Amt, das einer hat, über die Anwendung und den Gebrauch dieser Gewalt i n einem „Gebiete"-Raum, zu diesem Raum selbst, der den Namen der Gewalt übernimmt („Gebiet") 4 . 1 C. Schmitt, Staat als konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff, i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, B e r l i n 1958, 379. 2 Ebd. 380. Vgl. C. Schmitt, Der Nomos der Erde i m Völkerrecht des Jus Publicum Europaeum, K ö l n 1950, passim, besonders 96 ff., 112. 3 Die Anfänge der Lehre, wonach das T e r r i t o r i u m der zentrale Faktor politischer Ordnung darstellt, liegt i m 13. Jh. Dazu: J. A. Mar avail, V o m Lehnswesen zur ständischen Herrschaft, i n : Der Staat 4 (1965) 307 ff. Z u r mittelalterlichen Landesplanung u. Raumordnung vgl. K . Bosl, Raumordnung i m A u f b a u des mittelalterlichen Staates, i n : ders., Frühformen der Gesellschaft i m mittelalterlichen Europa, München/Wien 1964, 359. 4 Diese Bedeutungsentwicklung ist schon den humanistischen Philologen geläufig. F ü r „ t e r r i t o r i u m " gibt der Jurist J. Bornitz zu Beginn des 17. Jh.
121
1. Stato w i r d „Stand"
D i e angegebene Tendenz z u r „ V e r r ä u m l i c h u n g " ist n u r e i n H i n w e i s , wie
es sich v e r h a l t e n h a b e n k a n n ; i m
konkreten
F a l l beweist
sie
n i c h t s 4 a . So v e r m u t e t m a n b i s h e r d e n n auch u n t e r s c h i e d l i c h e A u s g a n g s b e d e u t u n g e n der t e r r i t o r i a l e n V a r i a n t e v o n S t a t : d i e f e u d a l e
(status
i.S.v. b e n e f i c i u m ) 5 die reichsständische (status I m p e r i i ) 6 u n d die absol u t i s t i s c h e (Stat i.S.v. „ S u m m e der f ü r s t l i c h e n M a c h t b e f u g n i s s e " ) 7 .
A . Entlehnung 1. Stato wird „Stand" D i e deutschen T e x t e lassen d i e F r a g e zunächst unentschieden. Noch v o r „ S t a t " g e w i n n t das W o r t „ S t a n d " 8 feste t e r r i t o r i a l e V e r w e n d b a r k e i t , w o b e i eine E n t w i c k l u n g n i c h t ablesbar ist. D i e besten f r ü h e n Belege stehen i n Ü b e r s e t z u n g s t e x t e n nach G u i c c i a r d i n i , B o t e r o , Boccalini u.a.9: I n „Stand" hört man „stato"!
2. Stato wird „Stat" (stati: „Staten") (a) A l s erster dieser Übersetzer v e r w e n d e t der K ö l n e r K u p f e r s t e c h e r M . Q u a d das W o r t S t a t i n e i n e m p r ä g n a n t e n t e r r i t o r i a l e n S i n n . E r l ä ß t i m J a h r 1596 u n t e r d e m T i t e l „ T h e a t r u m oder S c h a w s p i e g e l " 1 0 folgende Etymologie: „ T e r r i t o r i u m a terrendo dictum est"; „Recte ergo T e r r i t o r i u m d i c i JCtus ait a terrendo . . . quod magistratus ejus loci i n t r a eos fines terrendi jus habeat. V e l quo judex u t i t u r i n j u r e dicendo, vel quod maxime teratur", i n : Tractatus Duo. I De Majestate, Leipzig 1610, 40, 43. „ I m p e r i u m " ist bereits i n römischer Zeit Inbegriff der Stadt und der Provinzen. F ü r „ducatus" weist Th. Mayer darauf hin, daß er noch „ i m 11. Jh. die fürstliche Gewalt, aber nicht ein Amtssprengel" ist; „die A u f fassung, wonach der ducatus selbst ein Raumgebilde, eine Gebietsherrschaft darstellte, gehört einer späteren Zeit an" (Fürsten u n d Staat, Weimar 1950, 232). 4a Vgl. etwa die Bedeutung der juristischen Theorie der Gemeinde-Haftung für ein (zeitweiliges) räumliches Verständnis des Wortes „civitas": W. Hamel, Das Wesen des Staatsgebietes, B e r l i n 1933, 44 ff. s Dowdall 108. β Condorelli Bd. 90, 104 f. 7 A. O. Meyer 237. β K a p i t e l 2. 5 i n T e i l I. 9 Vgl. Anm. 95 des 3. Kapitels i n T e i l I ; ferner: Botero, Gründlicher Bericht/ Von Anordnung guter Policeyen und Regiments, Straßburg 1596, 7 r : „Welches mehr v n n d grösser seye: Einen Stand erweitern/ oder denselbigen erhalten"; T. Boccalini , Relationes Auß Parnasso, F r a n k f u r t 1655, 562: „die Venedische Respublica, auch andere ohnbefleckte freie Stände/ i n I t a l i a u n d über Meer gelegen". 10 Botero f Theatrum oder Schawspiegel: D a r i n n alle Fürsten der Welt/ so K r ä f f t e v n d Reichthumb halben namhafft seind/ vorgestellt werden, K ö l n 1596.
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6. Kap.: S T A T V I (Stat, Staten): Gebiet
eine Übersetzung der Relationi universali des G. Botero erscheinen, die bis 1606 mindestens fünf Neuauflagen 11 und damit eine weite Verbreitung erlebt. Von der letzten Ausgabe macht der Londorpius i m Jahr 1629 und 1630 noch eine Epitome 1 2 . Alle diese Ausgaben haben das Wort Stat im genannten Sinn. Während Quad für stato „Stat" schreibt, setzen andere BoteroÜbersetzer „Herrschaft" und „Provintz" 1 3 . Quad übersetzt „lo stato della Chiesa" mit „des Bapst Staat"14, während andere schreiben: „geistlicher Stand" und „deß Pabsts Länder". Er bezeichnet schließlich die „stati dell' Asia", die der katholische König besitzt, als dessen „Staten" und unterscheidet: „die Staaten von Persia sind getheilt in 7. Landschafften", während es sonst heißt: „die Ständ i n Persia (sind) i n siben Provintzen getheilt", oder einfach „die Länder" seien geteilt 1 5 . Der Plural „Staten" geht einmal auf „alle Staaten von Italia", also „souveräne" Herrschaften, sonst auf die der spanischen oder portugiesischen Krone inkorporierten überseeischen Landschaften und Reiche 16 . Das Wort hat demnach kein anderes Bedeutungskriterium als die Verbindung eines geographisch-territorialen m i t einem wie auch immer gearteten politisch-herrschaftlichen Moment. Hinzu kommt: Während zu Beginn des 16. Jahrhunderts der feudale oder herrschaftliche Charakter des stato noch daran kenntlich war, daß er stets auf seinen Besitzer oder Herrn (Regenten oder Bürgerschaft) bezogen wurde, ist bei Botero-Quad eine rein geographische Zuordnung möglich. 11 Noch i m gleichen Jahr 1596 erscheint: „Geographische Landtaffel, deß Gebiets des grossen Türcken . . . U n d . . . deß Großmechtigen Königs zu Hispanien, K ö l n 1596; zu den weiteren Ausgaben vgl. unten B I B L I O G R A P H I E (QUELLEN) unter Botero. la C. Londorpius, Acta publica, Th. 2, F r a n k f u r t 1629/1630, 1243 ff. 13 Theatrum 19: „Der Bapst hat auch den Staat von Avignon i n Franckreich"; Allgemeine Weltbeschreibimg, K ö l n 1596, 2. Th., 4. Buch, 90: „ h a t der Bapst die Herrschafft Avignon i n Franckreich"; Allgemeine Historische Weltbeschreibung Durch A. Albertinum, München 1612, 294: „hat der Papst die Provintz Avinion i n n Franckreich". 14 Theatrum 19: „ I n des Bapst staat/ ist v i e l Volck zum K r i e g tüchtig u n d geschickt/ u n d hat den namen/ daß er damit alle Staaten v o n Italia ubertreffe." Ebd.: „Diesen (!) Staat gibt auch v i e l Liechtes u n d ruhms/ die menge der edlen Geschlechter/ die so w o l i n Friedens als i n Kriegskünsten fürtrefflich sind." Theatrum 61, 34; Allgemeine Weltbeschreibung 58; Allgemeine Historische Weltbeschreibung (Albertinus) 292. Einmal ist „Staten" durch „Heerschafften" ergänzt (Theatrum 56). Die Ausgabe von 1606 ersetzt einmal „Staat" durch das Fremdwort „des Papst Stato" (Macht/ Reichthumb, 21), einmal w i r d „Staten" durch „Stände" ersetzt (ebd. 73) und ein anderes M a l durch „Stände" erläutert: „Diese Staten oder Stende" (ebd. 73).
2. Stato w i r d „Stat" (stati: „Staten")
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Die „gelegenheit" einer Herrschaft rückt, dem Interesse an allgemeiner Weltbeschreibung entsprechend, i n den Vordergrund: stati gehören nun ebenso zu Kontinenten wie zu Kronen. M i t diesem Inhalt, der sowohl die „gelegenheit der vornehmsten Landschafften" als auch „Macht, Reich thumb und Einkommen" ihrer Regenten berücksichtigt, hat M. Quad das Wort Stat ins Deutsche übernommen. I m Unterschied zum „materialisch beschriebenen" Stat ist dieser Stat nicht eine Disposition des Landes, sondern das (disponierte) Land selbst. Die politisch-publicistische Bedeutung bleibt aber auch hier ohne Gewicht und die geographische und statistische Verwendung herrscht vor 1 7 . (b) Die Quadschen Übersetzungen der Relationi universali sind ein bedeutsamer aber allzufrüher Versuch, das Wort Stat i m territorialen Sinn einzubürgern. Außerhalb der Übersetzungen verwendet Quad das Wort einmal i n seinem „Geographischen Handbuch", auch hier in italienischer Manier: „Landschafften jehnseits der Maas gelegen" seien u.a. „Dalem die Graffschafft/ vnd der Staat Valckenburg" (1600)18. Man erinnert sich an den Ausdruck „Staat A v i n i o n " 1 3 ! 1629 teilt der Londorpius seinen deutschen Lesern eine Botschaft der böhmischen Gesandten an die Generalstaaten m i t (das lateinische Original w i r d als „schwer vnd tunckel" bezeichnet). Gabor, so heißt es da, besorge, er müsse zur Erfüllung seiner Bündnispflichten „ i n eygner Person/ mit deß Kriegsvolcks Kern" von seinen Ländern wegziehen und „seinen Stad vnd Vatterland zurück von Kriegsvolck entblößt verlassen" 19 . Französischer Vorlage wohl folgt ein i m Theatrum Europaeum von 1643 abgedruckter Brief Karls von Lothringen; deutlich hat das Wort Stat hier territorialen Sinn: „ I n deme w i r (uns: Herzog Karl) nun17 A u f diesem frühen Staten-Begriff, der i m „Stat des Landes" eine E n t sprechimg hat und der erst i m 19. Jh. vollends „souverän" w i r d , konstituiert sich die deutsche „Statistik". Achenwall begreift sie noch als „Statistik eines Landes u n d Volkes", d . h . als „Inbegriff seiner Staatsmerkwürdigkeiten"; Heeren kritisiert diese Bestimmung als „unbestimmt und schwankend" und berichtigt den Begriff der Statistik i m Geist des 19. Jh. dahin: Sie sei die „ K u n d e des Staats als Staat" (A. H. L. Heeren, Biographische u n d litterarische Denkschriften, Histor. Werke, 6. Th., Göttingen 1823, 508). Noch Campe definiert „Staatenlehre" (Statistik) auf der Grundlage des älteren Staten-Begriffs: Sie sei „die Lehre von den Staaten, d. h. von ihrer Größe, ihrer Macht, u n d andern innern u n d äußern Verhältnissen", Wb. der deutschen Sprache, 4. Th., 1810. s.v. „Staatenlehre". Vgl. auch Anm. 53 des 5. Kapitels i n T e i l I I . 18 K ö l n 1600, 46; zu „Valckenburg": Hübners Staats-Lexikon, Hamburg 1722 658f.: „Das umliegende Gebieth heisset die Herrschafft Falkenberg." 19 Londorpius, Acta publica, Th. 2, F r a n k f u r t 1629, 1238.
124
6. Kap.: S T A T V I (Stat, Staten): Gebiet
mehr i n vnserm Stat vnnd Landen . . . befinden" oder: „so bald w i r in vnsern Stat vnd zu den vnserigen wiederkommen seyn werden 1 9 a ". I n einer Übersetzung der Botschaft spanischer Gesandter an Frankreich heißt es i m Jahr 1645: Es sei kein Friede zu erhoffen, „wann einer des andern Staats sich frey bemächtigen . . . kan". Wenn sich jedoch „ein Fall begibt mit einem Staat/ darauff zween andere gleiche praetensiones führen/ daselbsten ists recht/ daß der eine dessen Possession behalte/ so jhme vor seinem eygenen Recht/ vnd Waffen ist gegeben worden" 2 0 . „Staat" — i n der ersten Hälfte des 17. Jh. i n solcher Verwendung noch ungeläufig — sitzt einfach auf dem romanischen Fremdwort auf. (c) Das gilt auch für die Pluralform dieser territorialen Variante. Sie ist dem Französischen nachgeahmt, das gern den Plural verwendet, um ein Konkretum anzuzeigen: Estât ist nämlich zunächst das Amt, die Würde, die Souveränität des Königs; Estats aber ist das von i h m besessene und regierte Territorium 2 1 . So liest man: „Ein Fürst soll keine neue Religion in seinen Staaten einnistein lassen" (1687)22. Schon 1679 gilt — in Sauters „Wiederlegung derer . . . Ansprüche Des Königs i n Franckreich auf das Kayserthum" — die kaiserliche Majestät i n „so viel Staate und Länder/ die er aus keinem andern Tittel anitzo besitzt/ als weil er sie besitzt" 2 3 . Der „französische" Plural hält sich i n dieser Verwendung bis ins 19. Jh. hinein 2 4 . i9a Theatrum Europaeum, 4. Th., F r a n k f u r t 1643, 554. A n t w o r t Der Königlichen Hispanischen Herren Abgesandten, o.O. 1645, o.S. Vgl. bereits J. W. Newmayr, V o n der Neutralitet, Erfurt 1620, Kap. 2: A m Beispiel des Mailänder Herzogs w i r d das Problem der Assistenz erk l ä r t : „es gereichete seinem Stat zu mehrer Sicherheit/ w a n n es Arragoneser als ( = anstatt) Frantzosen i n Italia hette." „Stat" ist w o h l „Stato d i Milano". Ferner Calderirii, Italiänische Staats-Gründe, F r a n k f u r t 1667, 187. 21 So w i d m e t G. Chappuys seine Botero-Ubersetzung einem Prinzen, „pour y apprendre à gouuerner ses Estats" (Botero , Raison et Gouvernement d'Estat, Paris 1599, Epistre). Die Hauptinstruktion der französischen Unterhändler v o m 30. Sept. 1643 begründet eine Gebietsforderung gegen die Spanier „à cause de l'esloignement de leurs Estatz et des lieux où ilz peuvent prendre des soldats" (Acta pacis Westphalicae I, 1962, S. 42). Die gleiche I n s t r u k t i o n vermutet: „l'Empereur desirera . . . la conservation (du Duché de Wirtemberg) pour u n i r tous les Estatz de l'Archiduc Leopold" ebd. S. 48). M a n spricht gern v o m „droict de la Couronne de France Sur les Estats possédés par le Duc de Lorreyne" (ebd. 137) oder — i n der A u f zeichnung frz. Kronrechte von 1642 — über „l'aliénation d'une notable partie des Estats q u i sont attachéz à une Couronne" (ebd. S. 185). 22 Staats-Architectur (aus dem Frz.), Leipzig 1687, 115. 23 J. L. Sauter , Leipzig 1679, 163. 24 Als „konkreter P l u r a l " w i r d Staten i m Jahr 1780 gebucht: U m das 20
3. Stato, Status, Etat: Fremdworte f ü r „Gebiet"
125
3. Stato, Status, Etat: Fremdworte für „Gebiet" (a) D e r
zunächst
schleppende
Prozeß
der
Territorialisierung
des
W o r t e s S t a t w i r d t e i l s ü b e r s p r u n g e n , teils f o r c i e r t , i n d e m m a n Stato ( „ s t a t u s " ) , später estât als F r e m d w o r t e ü b e r n i m m t . I m J a h r 1606 wechselt Q u a d z u m e r s t e n m a l S t a t gegen das F r e m d w o r t S t a t o aus: „ I n des P a p s t Stato ist v i e l Volcks/ z u m k r i e g t ü c h t i g 2 5 " u n d Aegidius Albertinus, ein jüngerer Botero-Übersetzer, latinisiert: „ i n s t a t u oder L a n d t " (1612) 2 6 . D e r B o t e r o - N a c h d r u c k i m L o n d o r p i u s v o n 1630 h a t d e n B a s t a r d : „ I n des Pabsts S t a a t o 2 7 . " Das i t a l i e n i s c h e W o r t w i r d d u r c h Ü b e r s e t z u n g s l i t e r a t u r , A v i s o oder Z e i t u n g e n 2 8 , C h r o n i k e n 2 9 , I t i n e r a r i e n v o n I t a l i e n r e i s e n d e n u n d geo-
Wort „Fürstlicher Staat" nicht mißzuverstehen, „so braucht m a n lieber die mehrere Zahl, w e n n m a n von L a n d u n d Leuten redet. Z. E. Die Staaten des Königes von Frankreich: Die Preußischen Staaten". S. J. E. Stosch, Versuch i n richtiger Bestimmung einiger gleichbedeutender Wörter der deutschen Sprache, 2. Th., B e r l i n 1780, 103. Vgl. auch Adelung, Versuch eines v o l l ständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen M u n d art, 4. Th., Leipzig 1780, 636). 25 Botero, Macht/ Reichthumb, K ö l n 1606, 21. 26 Botero, (Albertinus), Allgemeine Historische Weltbeschreibung, M ü n chen 1612, 21. 27 Londorpius, Acta publica, Bd. 2, F r a n k f u r t 1630, 1246. 28 Die frühesten „Zeitungen", die i n Deutschland i n U m l a u f kommen, machen das Fremdwort weiteren Kreisen bekannt. So w i r d unter dem 1. M a i 1609 aus Venedig berichtet: der Frater Paulo hätte „inner 24. stunden/ sich aus der Stadt/ u n d inner dreyen tagen gar aus demselben Stado zubegeben" (Aviso, Relation oder Zeitung, Gedruckt i m 1609. Jahr, Nr. 17) und aus Rom: „Diese Wochen ist alles Kriegsvolck i n des Bapsts Stado gemustert/ sollen auch i n kürtz alle Mannspersonen über 20. Jahr/ i m gantzen Stado beschrieben u n d a r m i r t werden" (1609, ebd. Nr. 20). Der gleichen Wortform bedienen sich die „Ordentliche Wöchentliche Zeitungen, 1633" bei ihren Italienmeldungen (abgedruckt i n : Die deutsche Zeitung des siebzehnten Jh. i n Abbildungen, ed. W. Schöne, Leipzig 1940, 58, 105, 110, 169). 29 N. Bellus, M. J. Ph. Abelinus, C. Enß, C. Londorpius, H. Oraeus und andere Chronisten des Dreißigjährigen Krieges berichten seit den frühen zwanziger Jahren immer wieder von Truppenwerbungen, vornehmlich den italienischen: „ I n Franckreich/ Hoch v n d Nider Teutschland/ Engelland/ Schweitz/ Stato von Meyland v n d Neapoli/ den Welschen Provintzen/ Dennemarck/ Venediger Landschafft . . . sind diese zeit . . . die Werbungen a l l breit starck fortgegangen" (N. Bellus östreichischer Lorberkrantz . . . Continuatio oder Ander Theil, Frankfurt 1625, 64 = C. Enß, Fama Austriaca, K ö l n 1627, 799). A m häufigsten unter den Stato-Verbindungen ist „Stado (oder Stato) von Meyland", i n dem das Fremdwort fast als Bestandteil des Namens erscheint. Daneben kommen vor der „Stado Ecclesiastico", „Stato della chiosa" oder „Kirchen Stato", der „Modenensische Stado" und der „Palavicinische Stato" des Markgrafen Palavicino u.a. (N. Bellus, ö s t reichischer Lorberkrantz, Frankfurt 1626, 886, 892 u.a. = C. Enß, Fama Austriaca, K ö l n 1627, 820, 824 u.a.; Theatrum Europaeum, Contin. I I I ,
126
6. Kap.: S T A T V I (Stat, Staten): Gebiet
graphische Landtafeln Italiens i n Deutschland populär. Es hält sich vom Anfang des 17. Jahrhunderts an bis i n die achtziger Jahre 30 . (b) Seit den dreißiger Jahren dringt dann zusammen m i t der französischen Diplomatie und ihrer Sprache „état" stärker vor. Pommern gilt als brandenburgisches Verbindungsstück zum fürstlichen Territorium i n Preußen, also heißt es „linea correspondentiae unseres Estats in Preußen" (1645)31 — auch „linea communicationis Dero Status in Preussen" (1646)32. Eine Flugschrift berichtet von einem italienischen Favoriten „ i n einem Estât, so von Spanien dependirte/ und worüber er auch wegen dieser Crohn zum Gubernatorn gesetzt war" (um 1670)33. Die Fremdworte stato, status, estât für ein Land oder Reich finden nicht nur Gefallen à-la-mode; sie helfen auch, wie A. O. Meyer zutreffend feststellt, ein mögliches MißVerständnis zu vermeiden: denn „Stat" (auch i m territorialen Sinn) ist zunächst die Republik der vereinigten Niederlande. Wer am Ende des Dreißigjährigen Krieges „Stat" hört, denkt an die Niederlande 34 . Der frühe Fremdwortgebrauch der ersten Jahre des 17. Jahrhunderts hat indes eine andere Funktion: Er erfaßt einen Wortsinn, der i m deutschen Wort (noch) kaum entwickelt ist.
B. Entwicklung i n deutschen T e x t e n
Allerdings zeigt auch das deutsche Wort Ansätze zu einer konkreten, territorialen Verwendung: einmal i m Stat des Fürsten, der das Dominium, das Haus- oder Kammergut bedeuten kann, dann i m Stat des Landes, sofern dieser „materialisch" beschrieben w i r d und auf die Grenzen, Gegenden, Population und Reichtum des Landes abstellt (vgl. 5). Zuerst soll die Linie des Fürsten-Stats verfolgt werden. Frankfurt 1639, 545, 369; dass. Contin. I V , Frankfurt 1643, 146, 726; Londorpius, Acta publica I, Frankfurt 1629, 1370). so E. G. Happelii, Mundus mirabilis, U l m 1687, 682: „Es sollen sich . . . i n dem Florentinischen und Pisanischen Stato bey die 800 000. Seelen befinden." 31 A. O. Meyer 235. 32 J. G. v. Meiern, Acta pacis Westphalicae publica, Bd. 2, Hannover 1734, 941. 33 L a France Demasquée . . . Entlarfftes Franckreich, o.O., o.J. 43. 34 A. O. Meyer gibt n u r aus der diplomatischen Sprache einen Beleg. I n der L i t e r a t u r findet sich „der Staat" f ü r die Niederlande i m Philander von 1648, 289; vgl. ferner G. Warmund, Geldmangel i n Teutschlande, Bayreuth 1664, 679 f. und De la Croix (Dicelius), Allgemeine Weltbeschreibung, l . T h . , 212, Anm. 2, w o zum Namen des Niederländischen Staates einiges gesagt ist.
4. Fürsten-Stat
127
4. Fürsten-Stat
Unter der Bedrohung des Dreißigjährigen Krieges sind Aufrechterhaltung und Sicherheit der Herrschaft eines Fürsten nicht mehr nur an sein Domanium, sondern an die Integrität der gesamten Herrschaft gebunden. Der fürstliche Stat und das „Land" hängen also eng zusammen, und bei der Gewinnverteilung am Ende des großen Krieges geht es allein um Besitz oder Verlust eines Territoriums. Das w i r d i m 18. Jh. auf die Formel reduziert: „Wer ein Territorium hat, der hat auch einen Staat 3 5 ." Das Wort Stat kann in Württembergischen Landtagsakten und politischen Briefen der 30er und 40er Jahre des 17. Jahrhunderts den Sinn von Herzogtum annehmen; doch ist eine solche Ausweitung allein Sache des Kontexts 3 6 und während der ganzen Zeit der ständischen Verfassung aus Gründen der Ratio status problematisch (STAT V I I . 4, 9). I m folgenden sollen einige Linien nachgezeichnet werden, i n denen das Wort Stat territorialen Sinn annimmt. (a) Regiment
über
das
Land
Die herzoglichen Schulden lassen befürchten, es werde „diß Herzogthumb . . . zu stuckhen ohnvermeidenlich gerissen", weil das Kammergut „des Staatts ohnentberlich erforderten Außgaaben" nicht mehr zu tragen vermag (1663)37. Die schließlich gewährten ExtraordinariMittel verspricht der Herzog „zue Conservation Vnsers Staats, deß gantzen Landts, vnd Regiments . . . anzuewenden" (1642)38. „Staat" ist die über das ganze Land eingesetzte und dieses bei Wohlstand erhaltende Regimentsverwaltung und — unter Vertauschung des Gesichtspunkts — das durch die Regimentsverwaltung bei Wohlstand erhaltene ganze 33
Land* 9.
Reichsprälatisches Staatsrecht, 1. Th., Kempten 1782, Vorrede (mit Berufung auf J. J. Moser). 36 Vgl. E. Hölzle, Das alte Recht u n d die Revolution, München/Berlin 1931, 34: „Der Staat als Ganzes t r a t i n diesem Fürstentum oft zurück gegenüber dem Domanium" u n d ebd., 37: „die geopolitische Einheit des Staates blieb ungenützt, denn diesem fehlte die innere Einheit u n d die äußere Unabhängigkeit." 37 W L G 485 f. 3 8 W L G 506. 39 Wie eng beide Vorstellungen verbunden sein können, zeigt folgende Stelle: Es sei bereits „under dem Soldaten das ganze Landt außgetheilt" ; wenn für Württemberg erneut Einquartierung zu erwarten sei, so bliebe Ihro Gnaden nur übrig, daß „sie den Staat selbsten endlich verlassen und . . . von L a n d u n d Leuten Verstössen . . . werden müßten" (1641 ; Sattler, Geschichte des Herzogthums Würtenberg, 8. Th., Beylagen, 3 f.).
128
6. Kap.: S T A T V I (Stat, Staten): Gebiet
Der Wechsel der Gesichtspunkte und die damit verbundene gegenseitige Bereicherung der Wortinhalte ist nahegelegt durch die parataktische Fügung „Staat und Land": „der gantze Staat, auch die Herrschafft, Vnderthanen vnd daß gantze Landt" (1642)40, „zu Erhaltung des Staats und Lands" (1642)41, „Verbeßerung dises Staats vnd Landts" (1650)42, Wohlfahrt betreffend „Vnßeren Fürstlichen Staat, Hertzogthumb vnd Lande" (1665)43 u. a. m.
(b) Territorialer
Gesamtbestand
des
Herzogtums
Die Kriegswirren, das Gespenst der Verschuldung und die Gefahr der kaiserlichen Vollstreckung (Extraction) gegen das Herzogtum 4 4 beschwört Zersplitterung und Zerfall der Landesteile herauf; das erscheint i n Wendungen folgender A r t : „zu stuckhen"-Reißen des Landes, Verlust dessen, „was dem Fürstl. Vormunds-Staat einmal wohlbedächtlich incorporiert" wurde, „ybel zerfallenes dismembrirtes Hertzogthumb". I n der Nähe solcher Wendungen begegnet auch das Wort Stat: Etwa daß "Staat, vnd Regiment vor gäntzlicher Zerfallung" ständen oder „der Staat verlohren gehen" könne 4 5 . Herzog Eberhard I I I . nennt es i m Jahr 1645 ein Ziel seines Regiments: daß „bey der hochlaidigen Reichß Vnruehe vnd noch Immerzu grassierenden Kriegß-Flammen vnsere Herzogthumb vnd Landen nicht gar voneinander gerißen, sondern noch i n etwaß vnd bestmüglich, i n einem formirten Staat, vnd Corpore conservirt, das Abgerißene vermittelst so hoch verlangten Fridens, widerumb herbey gebracht . . . werden mögen" 4 6 . „Stat" ist der territoriale Gesamtbestand des Herzogtums, der Inbegriff seiner Länder. I m „Stat", d. h. i m geschlossenen Verband der Landesteile dokumentiert sich die formierte Herrschaft des Herzogs. Stat i n dem hier umrissenen Sinne ist stets an die Herrschermacht und das Herrscherrecht geknüpft. Und wie er sich aus dem Fürstenstat entwickelt hat, so ist er bis ans Ende des Jahrhunderts eher das 40 W L G 505. 41 Sattler, Geschichte des Herzogthums W., 8. Th., Beylagen, 57. 42 A. L. Reyscher, Sammlung der w ü r t t . Gesetze, Bd. 2, Stuttgart und Tübingen 1829, 368. 43 W L G 693. 44 Vgl. W L G 600. 45 M i t eindeutig territorialem Wortverständnis schreibt Keßler, StaatsRegul 4, die Regimentssorgen eines Fürsten wüchsen, „ j e mehr der U m kreiß derer seinem Staat incorporirten Länder u n n d Provinzien i n sich hätt" (1678). 4β W L G 533.
5. Innerer Stat des Landes (in materialischer Beschreibung)
129
Kammergut, eher die Herrschaft über das Land, eher der unversehrte Bestand des Landes als dieses Land schlechthin 47 .
5. Innerer Stat des Landes (in materialischer Beschreibung)
Der i n „Stat des Landes" seit Beginn des 17. Jahrhunderts vorliegende territoriale Ansatz (STAT V. 5) w i r d von den Stat-Beschreibungen weiterentwickelt und verfestigt. Dabei sind insbesondere die politische Geographie (a), die Interesse-Lehre (b) und die Kameralistik (c) von Bedeutung. (a) „Umfang
Lands" (Geographie)
Die politische Geographie trägt i n dem Maße zur Territorialisierung des Wortes „Stat" bei, als sie neben der „Abbildung des Staats" (der Darstellung der politischen Verfassung) auch eine „materialische Beschreibung" 48 bietet. Die ursprüngliche Pluralität der Aspekte zeigt Leutholfs Große Schaubühne, nämlich: „ F ü r s t e n t ü m e r und Freie Staaten/ nach ihrem Uhrsprunge/ Fortwachse/ Erweiterung/ Schmälerung" (1675)49. Vom „Regiment" geht die Betrachtung über zum „Herrschaftsraum" 50 . Deutlich (wenn auch nicht nur) i m Sinn von Territorium w i r d das Wort Stat i n einer „Staatsgeographie" verwendet, wie sie unter diesem Titel erstmalig 1687 erscheint: „Man hat (dem Buch) . . . den T i t u l einer Teutschen Staats-Geographie beygeleget/ aus keiner andern U r sache/ als weil eines jeden Staats i n Europa Gräntzen/ derselben von andern Unterschied deutlich gesetzet/ deren Provintzen/ Oerther/ Regierung/ Angelegenheiten . . . Einkünffte und dergleichen vorge4
7 Das Testament Eberhards III. von 1674 mahnt den Thronfolger, auf die i h m anfallenden „Herzogthumb v n n d Landen" gute Achtung zu geben u n d „die heimbfallende Lehengütter, ohne anderweitige Vergebung, bei dem Staat (zu) behalten"; ferner keinen von den Regimentsräten zu entlassen, „alß denen dieses Vnsers Staats angehöriger Herzogthumben v n n d L a n den beschaffenheit, v n n d gelegenheit am besten bekandt" ( W L G 840, 843). Vom Grafen von Oldenburg w i r d berichtet: „Ja er hatte noch bey seinen Lebszeiten einige Landschafften/ die von solchen Lehen dependirten/ seinem Sohn zum Besitz eingeraumet/ und so zu reden/ seinen Staat zergliedert." (Rechtmässige Vertheidigung Des Königreichs Dännemarck, K ö l n 1696, O.S.) 48
Leutholf von Frankenberg, Schaubühne 648. 49 Ebd. Vorrede. so i n dieser Aspektvielfalt hat das „geographische" Moment noch keine feste Kontur. Vgl. den T i t e l einer i m Jahr 1691 erschienenen „Beschreibung": „Der Pfalz a m Rhein Staat-Land-Stadt- U n d Geschicht-Spiegel. Vorweisend Eine Politisch-Topographisch- U n d Historische Beschreibung Des Chur- und Fürstenthums Pfaltz am Rhein." 9 Weinacht
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6. Kap.: S T A T V I (Stat, Staten): Gebiet
stellet worden sind 5 1 ." Noch bestimmter aufs „Geographische" zugeschnitten ist der Wortgebrauch bei De la Croix-Dicelius: „Diese Abtheilung wollen w i r m i t einer allgemeinen Auslegung der vornehmbsten Theile eines Staats/ nehmlich was ein Königreich/ Provintz/ eine Stadt/ Cité, ein fester Ort . . . und Dörfflein etc. sey/ beschließen. Das Königreich ist ein großer Umfang Lands/ so aus unterschiedenen/ und einem Fürsten unterthänigen Provintzen bestehet" (1697)52. Eine Definition des Wortes lautet demnach: „Und bedeutet Staat ein Gebiet/ oder Weite einer Herrschafft/ wie dann gesagt w i r d der Staat des Tiirckischen Reichs/ der Staat der Republic zu Venedig 53." Die Bestimmung des Stats als „Umfang Lands" oder „Gebiet" ist die konsequente Festlegung des ursprünglich mehr-dimensionalen Wortes auf das Bedürfnis und den Kontext einer geographischen Fachdisziplin, die sich mehr als Raumvermessungskunde, denn als Beschreibung der politischen Disposition eines Landes begreift. Es verwundert nicht, daß Geographen in dieser Absicht das Wort Stat nach italienischer Manier verwenden: „Der Kirchen-Staat oder das Päbstliche Gebiet" (1675)54. „Der gantze Sieneser Staat/ hat sehr viel Städte" (1687)55 oder eben die Exemplifizierung der Bedeutung „Gebiet" am „Staat der Republic zu Venedig! ... Staat des Groß-Hertzogs zu Florentz" (1697)56.
(b) „Landsmacht"
(Interesse-Lehre)
Durch die von Frankreich und Holland her eindringende InteresseLehre der europäischen Reiche erhält das Wort Stat meist über die Vorstellung des „äußeren Stats" einen territorialen Sinn: Ein „Stat" hat aufgrund seiner „Lage" und seiner „Nachbarn" usw. auch raumbedingte Interessen. Bereits 1645 ist die Rede von Versicherung der „benachbarten Staaten und Interessenten" 57 . Sie unterscheiden sich u. a. nach ihrer „Größe" und „Weitläufigkeit". Bei Konflikten zwischen mächtigen Potentaten empfiehlt man, daß „ein kleiner angräntzender Staat die Neutralität observiret", jedoch so, „daß der kleine Staat dem Überwinder nicht zum Raube werde" (1718)38. 1806 heißt der Rheinische 51 Teutsche Staats-Geographie vorgestellet . . . (Durch) C. W., Frankfurt/ Leipzig 1687, Vorrede. 52 Allgemeine Welt-Beschreibung, Leipzig 1697, 1. Th., 226.
53 Ebd. 208. 54
Leutholf von Frankenberg, Schaubühne, Theil 4, 5. ss Happelius, Mundus Mirabilis 680. se De la Croix , 1. Th., 208.
57
J. G. v. Meiern, Acta pacis Westphalicae publica 1. Th., 853. 58 J. B. v. Rohr, Einleitung Zur Staats-Klugheit, Leipzig 1718, 1451.
5. Innerer Stat des Landes (in materialischer Beschreibung)
131
Bund eine Landmacht: „Der Staat ist i m engsten Verstand des Wortes eine Landsmacht, denn nirgendwo berührt derselbe die See 59 ." I n all diesen Fällen 6 0 w i r d der Stat als Raumgebilde verstanden. (c) „Stück Land"
(Kameralistik)
Die für den Fürsten verfaßten Beschreibungen des inneren Stats (des Landes) sind auf einen „präzisen Staht" ausgerichtet. Ihre Absicht ist die Behebung des chronischen Geldmangels der fürstlichen Kasse durch die Ordnung und Kräftigung der Einnahmequellen und eine gute Verwaltung des Landes. Das kameralistische Wort „Stat" trägt der erweiterten Sorge des Regenten um die polizeiliche Ordnung des ganzen Landes Rechnung; es öffnet das fürstliche Finanzwesen zum „Lande" hin. „Statisten" und Cameralisten nennen sich darum zu Recht „Land- und Schatz-Räthe" ! I m Jahr 1664 schreibt ein Kameralist, mancher Regent sehe darauf, „seinen Staat an Land und Leuten zu vergrössern" 61 . Der kameralistische Stat bedeutet zunächst zwar das System und die Ordnung, i n denen das Land nutzbringend verwaltet wird, dann aber auch die natürliche Voraussetzung solcher Ordnung: das zu verwaltende „Land". Die ältere Stat-Beschreibung, die i n gelehrter Weise auch die politische Form des Regiments bestimmte, gerät gegenüber der praktischen Verwaltungslehre ins Hintertreffen. Der Seckendorff-Interpret E. Gerhard z.B. erklärt i n seiner „Einleitung zur Staats-Lehre", die „alten Namen Democratie . . . Oligarchie" schickten sich wenig „auf unsere Staaten" und es sei näherliegend zu erfahren, „ob der Staat/ i n welchem man gelebet/ vier oder sechseckicht gewesen" (1713)62. Während Kameralisten wie Sonnenfels und Justi wegen ihrer Nähe zum Vernunftrecht das Wort „Stat" nur gesellschaftlich verstehen (STAT V I I I ) 6 3 , s» P. Winkopp, Der Rheinische Bund, Frankfurt 1806, 1. Bd., 62. 60 Vgl. K a p i t e l 5. 6 (STAT V) i n T e ü I I . 61 G. Warmund, Geldmangel 553. 62 Vgl. den deutschen Staatsgeographus, der m i t dem Satz beginnt: „Es ist nöthig u n d nützlich, die Länder u n d Staaten i n jedem Reich so genau als nur möglich, abzumessen" (Der deutsche Staatsgeographus . . . nach den Grundsätzen der Kosmographischen Gesellschafft, Frankfurt/Leipzig 1753, 1). F ü r die Richtigkeit des Satzes beruft sich der Verfasser auf V. L. von Seckendorff, aus dessen Fürsten-Stat er ein K a p i t e l abdruckt (Beilage S. 59—92). 63 Justi, Staatswirthschaft I, Leipzig 1758, 34: „Eine Republic oder Statt (!) ist eine Vereinigung einer Menge Menschen"; Sonnenfels, Grundsätze der Polizey, Handlung u n d Finanzwissenschaft, Wien 1770, 55: „ D i e Bürger insgesammt sind der Staat", 16: „ A u c h der Staat ist eine Gesellschaft". Vgl. dazu ferner W. Hamel, Das Wesen des Staatsgebietes, B e r l i n 1933, S. 64. β*
132
6. Kap.: S T A T V I (Stat, Staten): Gebiet
betont ihr Zeitgenosse J. F. Enderlin den territorialen Wortinhalt: „Wenn der Staat ein Stück Land ist, dessen Innwohner mit ihrer Landesherrschaft durch das Band des Schutzes und Gehorsams verbunden sind; so hat jeder Staat zwey natürliche Haupttheile, nehmlich Menschen und Land" (1771)64. Oder: „Land und Leute machen den ganzen Staat aus. Viel Land ohne genügsame Menschen beweiset einen Mangel an Bevölkerung. Hingegen zu viel Menschen in einem zu kleinen Land finden nicht genug zu essen, das beweiset einen armen Staat" 6 5 . Ähnlich benutzt auch Jung-Stilling in seiner „Staats-Gewerbkunde" das Wort 6 6 . Dieser Gebrauch des Wortes verrät die Betrachtung der Sache: „Stat", d.h. das „bevölkerte Stück Lands", ist das Objekt der polizeilichen Fürsorge, das Feld der „beglückenden Gewalt"67. Ein anderer Gesichtspunkt, unter ist der der Organisation: Statistik „die Betrachtung mehrerer Länder d. h. als ein zu politischen Zwecken hat" (1808)68. C. Überblick
dem das Land zum „Staat" wird, gilt als die Wissenschaft, welche oder nur eines Landes als Staat, vereintes Korpus zum Gegenstand
und Zusammenfassung
Von Geographie, Interesse-Lehre und Kameralistik w i r d eine Variante des Wortes Staat ausgebildet und gebraucht, welche — i m Unterschied zur naturrechtlichen Politik und zur Publicistik 6 9 — „Boden" oder „Gebiet" besonders betont. Der Ursprung dieser Variante oder das auslösende Moment der Territorialisierung des Stats war die Begegnung mit dem italienischen Wort stato. Durch Beziehung auf stato 64 Enderlin, Natürliche Cameral-Wissenschaft, Bd. 2 (1771), Basel 1778, 4. es Ebd. 132. 66 „Staat nenne ich einen durch gewisse Grenzen bestimmten bevölkerten Strich Landes" (Jung-Stilling, Versuch einer Grundlehre sämmtlicher Kämeralwissenschaften, L a u t e r n 1779, 177). 67 J. Graf v. Soden, Die Nazional-Oekonomie, Bd. 1, Leipzig 1805, 5. 68 I n : W. Butte, Die Statistik als Wissenschaft, Landshut 1808, 195. e» Vgl. S T A T V I I I . Noch i m 19. Jh. w i r d Staat gesellschaftlich definiert, wobei das Gebiet n u r als Eigentum oder Sitz der Gesellschaftsglieder erfaßt werden kann. Vgl. C. von Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staatswissenschaften, Stuttgart 21840, 65. Auch die Aristoteliker lassen das Gebiet aus ihren Bestimmungen heraus: „Der Staat postulirt ein Gebiet. Dieses soll aber so wenig m i t dem Lande verwechselt werden, als der Einwohner m i t dem Bürger. Wie unerläßlich für die Staatsgesellschaft das Gebiet sey: die Definition des Staats k a n n und soll davon so wenig Notiz nehmen, als die Definition des Menschen von dem räumlichen Schauplatz, den er einnimmt." (W. Butte, Die Statistik als Wissenschaft 114). — Die Publicistik hat einen älteren, nicht-territorialen u n d einen jüngeren, territorialen Staatsbegriff. Der ältere findet sich etwa i m Zedlerschen UniversalLexicon, Bd. 39, 639.
C. Überblick und Zusammenfassung
133
gewinnen „Stand", dann „Stat" zum erstenmal feste territoriale Verwendbarkeit. Die italienische Beeinflussung zeigt sich übrigens nicht nur an der Übernahme von stato lange Zeit vor estât ins Deutsche; sie ist auch i m Sprachbewußtsein des 17. Jahrhunderts lebendig und ausdrücklich bezeugt 70 . Die Aspekte, unter denen das territoriale Element i n den Vordergrund t r i t t und zur Substanz des Begriffs wird, wechseln i m Lauf der Zeit: von Stat i.S.v. Machtbasis über Stat als politisch organisiertes Gebiet bis zum Feld fürstlicher Wohlfahrtssorge. Während Seckendorff seinen Fürsten-Stat noch ohne territoriale Absicht verstehen konnte, entwickeln sich am Ende des 18. Jahrhunderts bereits Empfindlichkeiten gegen eine patrimoniale Vorstellung des Fürstenstaats. Schlözer bemerkt aufgebracht zu dem Ausdruck „Eigentum des Gebiets": „Eigentum, propriété, entweder des Gebiets, oder auch gar der Menschen darauf, wenn von einem ganzen Stat, einem ganzen Volke die Rede ist, — ein ungebührliches, die europäische Menschheit schändendes Wort!" (1790)71. Die vernunftrechtliche Theorie bezieht demgegenüber Boden oder Land auf die Mitglieder der Stats-Gesellschaft, und zwar als deren jeweiliges Eigentum („Landaktie"). Erst die Französische Revolution verleiht den Gütern der Nation (les biens de la nation) die Würde der Souveränität und nimmt sie i n den Anspruch der république une et indisvisible hinein 7 2 ; damit ist der Rechtsgedanke des „Staatsgebiets" gefunden 73 . Zu Beginn des 19. Jahrhunderts nimmt das Wort Staat unter dem Eindruck der europäischen „Staaten und Reiche" sowie der neugeschaffenen Rheinbundstaaten die Vorstellung der „Weitläufigkeit" i n sich auf, wie sie vorher typischerweise dem Wort „Reich" zu eigen war 7 4 . Die Bedeutung des Gebietsumfangs w i r d gerade an den vielen 70 1640 schreibt Zeiller i n einem Italien-Buch: „ V n d solle er (seil. Herzog von Modena) i n seinem Gebiet/ oder/ wie die Italianer sagen/ Stato, auff die 1200. Soldaten auffbringen können." (Itinerarium, F r a n k f u r t 1640, 16). 1678 stellt Keßler ausdrücklich fest, er gebrauche das Wort Stat „nach seinem Italienischen Ursprung für eine Herrschafft/ oder gewisse Territorial-district u n d Gebiet" (Staats-Regul 13). 7 * Schlözer, Stats Anzeigen, X I V , 55, S. 330. 72 Vgl. die wichtige Frage der Enteignung deutscher Fürsten u n d Stände i m Elsaß. Während der badische Minister von Edelsheim die Ansicht vert r i t t : „Les possessions des princes allemands ne peuvent donc jamais être regardées comme faisant partie de la masse des biens de la nation française", erklärt das Feudal-Komitee i n Paris: Die Güter der deutschen Fürsten seien „propriétés privées soumises à la souveraineté française". Geltungsbereich der nationalen Souveränität — das ist das „Staatsgebiet" i m modernen Sinn (Politische Korrespondenz K a r l Friedrichs von Baden, Bd. 1, 389; dazu: A. Sorel, L'Europe et la Révolution Française, Bd. 2, Paris 1887, 95 ff.). 73 W. Hamel 68 f. ™ Vgl. etwa Schlözer, Stats Anzeigen X V I I , 65, S. 13: „Marocko, ein w e i t -
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6. Kap.: STAT V I (Stat, Staten): Gebiet
kleinen Herrschaften, die bis 1806 unter dem Dach des Hl. Reiches ihr Dasein fristeten 75 , offenbar; man zögert jetzt — allein als Gründen der Größenordnung — diese Gebiete Staaten zu nennen. P. Winkopp bemerkt 1807 dazu: „Stehe man also, wie ich erst vor kurzem las, von dem spotten sollenden Ausdruck statt Staaten, Staatchen ab, er erbittert nur: und wer weiß es denn nicht, daß mehrere Länder, die man jetzt Staaten nennt, aus Staatchen — obgleich nicht immer unter der Leitung der Moralität zusammengesetzt worden sind! 7 6 " Die territoriale Variante des Wortes fächert sich um die Wende des 18. zum 19. Jh. am weitesten auf: „Stat" bezeichnet ein Land von beliebiger Größe, besonders aber ein weitläufiges; es bezeichnet jedes politisch-organisierte Land, besonders aber ein selbständiges, also eines, das nicht Provinz oder Kammergut ist. „Staat" ist Sitz einer Staatsgesellschaft, ihr Eigentum, insbesondere das Gebiet der souveränen Nation; es ist aber auch Eigentum (Patrimonium) des Fürsten, das Feld seiner polizeilichen Tätigkeit, seine Machtbasis. Von „Land" unterscheidet es sich durch den politischen oder rechtlichen „Hinblick", aber auch durch den Gefühlston und die politisch-sittliche Wertung 7 7 . „Stat" i.S.v. Territorium ist eine selbständige Variante und gibt für eine Definition die Grundlage ab; es ist auch Begriffs- inhärierendes Element i m Sinn der staatsrechtlichen Trias (Staats-volk, -gewalt, -gebiet); es ist schließlich eine akzidentelle Begleitvorstellung, die unter Umständen verschwinden kann.
läufiges, fruchtbares, volkreiches, u n d i n sich mächtiges Reich". I m Grunde handelt es sich u m Pleonasmen. 73 Das „Reichsprälatische Staatsrecht" (Kempten 1782) bestimmte noch ohne Bedenken: „ E i n jedes deutsches unmittelbares Gebieth ist . . . ein Staat, oder nach der Sprache des gelehrten Herts eine Republik: u n d wer ein T e r r i t o r i u m hat, sagt Moser, der hat auch einen Staat." (Vorrede.) 76 p. Winkopp, Der Rhein. Bund, Bd. 3, Frankfurt 1807, 374 Anm. 77 Vgl. K a p i t e l 2. 1 i n T e i l I und K a p i t e l 7. 3 i n Teil I I .
Siebentes Kapitel
STAT V I I : Ratio status 1. Die neue Politik
I n Frankreich hatte die Bartholomäus-Nacht von 1572 den Ausgleich zwischen den ständisch-parlamentarischen Kräften und den Vertretern des Königtums zunichte gemacht; seither standen sich zwei feindliche Lager gegenüber: das der Monarchomachen und das der „Politiker" 1 . Beide diskutierten über „estat"; jene verstehen darunter die Grundverfassung des Reiches, seine ständische Ordnung, statum populi, den es „contra tyrannos" zu restaurieren gelte 2 , diese die vom König allein zu verwaltenden Rechte und Aufgaben des Reichs oder die souveraineté. I m einen Fall gehört estat in die Zuständigkeit der Stände, i m andern Fall w i r d er ihnen vorenthalten und — i m Begriff der „affaires d'Etat" — dem geheimen Rat des Königs (Conseil d'Etat) überwiesen. Der ältere Name des Conseil d'estat erhält i m Zusammenhang der antiständischen souveraineté einen unverwechselbaren Klang 3 . (a) „Stadssachen",
„Rat von dem Staad"
Dieser Klang w i r d i n Deutschland, wo das Problem i m 16. Jh. noch nicht akut geworden ist, kaum vernommen. Daher kann Daniel Federmann i n seiner Übersetzung von Guicciardinis „Descrittione de t u t t i i Paesi Bassi" den „consiglio d i Stato" als „Staden oder Stenden Raht" auffassen und wiedergeben (1580)4. Das mangelnde Unterscheidungs1 Vgl. M. Göhring, Weg u n d Sieg der modernen Staatsidee i n Frankreich, Tübingen 1946, 85 ff. 2 Stephanus Junius Brutus, Vindiciae contra tyrannos, Edimburg 1579, 208. 3 Chr. Besoldus, Synopsis Politicae Doctrinae, Novimagi 1659, 240: „Sane cuncta Regna, a Teutonicis nationibus fundata . . . absolutam dominationem detestantur; et saltam ratione gubernationis, ad Aristocratiam rationem déclinant: ac ideo Reges ad statuum . . . convocationem . . . adstringunt . . . Aulico-Politici e contra, Consilia privata (les Conseils d'Estat) u t i l i a magis Principi esse, suadere soient." 4 Guicciardini , Niderlands Beschreibung . . . auß dem Italiänischen Original . . . verteutschet Durch Danielen Federmann v o n Memmingen, Basel 1580,
136
. Kap.: S T A T V I I :
tas
bedürfnis von Staats -und Stände-Rat mag dem noch ungeschiedenen fürstenstaatlich-ständischen Denken i n Deutschland entsprechen. Die Agenda des „Staden Rathes" heißen ihm jedoch „Stadsachen", es ist das erste Mal, daß dieses Wort i n deutscher Literatur Verwendung findet — inhaltlich m i t „affaires d'Estat" übereinstimmend. Der Kontext der Stelle betrifft die Kompetenzen-Verschränkung zweier höchster Ratskollegien: Der Secreten Rat, als oberstes Gericht, meldet die wichtigsten Dinge „dem Rhat von den Staden/ welcher gleicher gestalt/ dieweil Gericht/ Recht und Policei des Landts auch darinn vermenget/ alle wichtigste Stadsachen/ dem Secreten Rhat mittheilt/ mit einander zuberhatschlagen" (1580)5. Das Wort Stadsachen bezieht sich auf das ganze Regiment, soweit es nicht dem Finanz- oder dem Secreten-Rat anvertraut ist; es umfaßt also, wenn nichts anderes bestimmt ist, „alle Hendel/ welche den Landsfürsten vnnd den gemeinen Nutzen betreffendt" 6 . I m Jahr 1596 schreibt Quad über die Regierung des großen Cham: „ E r hat zween hohe Räthe: Einen von Kriegssachen/ darin seind 12. weise Männer: Den andern von dem Staad/ darin sind auch 12. Rathsherrn. Dieselben versorgen alles das den Staad betrifft/ und belohnen was wol und/ straffen das ubel gethan ist 7 ." Der „Staad" sind also die gemeinen politischen Sachen (im Unterschied zu den Kriegssachen), die i n die Zuständigkeit der obersten Regierungsbehörde fallen. Dieser enge Bezug von Regierungsbehörde, einer Behörde, die nicht mehr ständischer Natur ist 8 , zum „Stat", erscheint auch i n einem Gutachten über die Reformation der kaiserlichen Hofbehörden von 1611; es nennt als „fürnemstes collegium" den „geheimen rath", „darin nämlich status, stat, regiment und politische Sachen traktirt werden"; zusammenfassend: es seien „die statsachen darin zu traktiren" 9 . Stat und Statsachen sind hier nicht mehr nur alle Händel, die Gemeinwesen und Fürsten betreffen, sondern diese Händel, soweit sie der Geheime Rat traktiert und damit der ständischen M i t 50 f. ( = Guicciardini , Descrittione, Anversa 1567, 33). Die Übersetzung Federmanns lehnt sich w o h l an die niederl. F o r m „Raad van Stat(en)" an, die ihrerseits frz. Conseil d'Estat nachgebildet ist. Vgl. Woordenboek der Nederlandsche Taal, Bd. 15 (1940), 245 f. (Staat Nr. 14). 5 Guicciardini (Federmann) 53. β Ebd. 52. 7 Botero, Theatrum, K ö l n 1596, 22. Die italienische Vorlage hat folgenden Wortlaut: „ H à due consegli; vno di guerra d i dodeci savij; l'altro d i stato d' altretanti. Questi maneggiano t u t t ' i l governo" (Le relationi universali, divise i n sei parti, Venedig 1612, 59); Federmann hat von sich aus, also spontan, „governo" m i t „Staad" wiedergegeben! β F. Härtung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 71959, 74 f. 9 Fellner-Kretschmayr I. 2, S. 371.
1. Die neue Politik
137
sorge entzieht. Ganz deutlich ist dies i n der Grazer Landtags-Proposition von 1639 ausgesprochen; ihr Punkt 11 lautet: „Wegen deß Statt vnd Politischen Wesen/ solle ein löbliche Landschafft sich darüber erfolgenden allergnädigsten Resolution ehist zu getrösten haben 10 ." I m Jahr 1643 w i r d auf eine französische Parallele hingewiesen: Dem Pariser Parlament sei ein Dekret zugegangen, „daß es sich hinfüro der Estat der „Politiker" gelangt. Stat bedeutet königliches oder fürstdisputiren dem gemeinen vnd Kriegswesen hinderlich/ deßwegen einzustellen seye" (1643)11. (b) „Stat"
ist gleich
„Politik"
Durch Beziehung des Stats auf den Geheimen Rat bzw. die „allergnädigsten Resolutionen" w i r d das gemeine zum geheimen Wesen 12 . Schon früh waren als Materie des consilium intimum „gehaim Sachen" angesehen worden; man nannte sie i m Blick auf das Reich auch „gehäime Reichssachen", „Käiserliche oder Fürstliche reservaten vnd Hoheit" (1605) 1 3 . I n diesen Kontext ist das Wort Stat eingetreten und verliert damit den Bezug zum ständischen Wesen, ja w i r d zu dessen Gegenpol. Stat ist „Arcanum Imperii" oder „die geheime des Reichs"
(1601)14.
So ist schon bald nach 1600 das deutsche Wort Stat in die Nähe des Estat der „Politiker" gelangt. Stat bedeutet königliches oder fürstliches „reservat"; was es konkret auch immer beinhalten mag, so ist Stat etwas in der ausschließlichen Verfügung oder zumindest i m alleinigen Anspruch des Fürsten Gelegenes, Hohes, Wichtiges, Geheimes 15 . Stat ist fürstliches Recht und fürstliches Interesse, fürstliche Macht und fürstliche hohe „Politik". io Theatrum Europaeum, Th. 4, Frankfurt 1643, 128. n Ebd. 547. ι 2 Daß „Statsachen" auch von Ständen behandelt werden können, zeigt u.a. das schwedische Beispiel; das Theatrum Europaeum (ebd. 916) berichtet über die V e r w i l l i g u n g der „Teutschen hülffe" : „ V f f welchen puncten sich die Stände . . . w i l l i g l i c h erkläret/ v n d darnach vber deß Königreichs Statsachen/ auch annemlich resolviret haben." 13 A. Clapmarius, De Arcanis Rerumpublicarum L i b r i Sex, Bremae 1605, 9. 14 Waremundus de Eremberg, Meditamenta pro foederibus, Hanoviae 1601, 114 f. 15 M a n hält es für vergeblich, daß einer „taxire und grübele i n die Geheimniß v n d Staat-Sachen vornehmer Fürsten u n d Herren/ dardurch sie dem gemeinen M a n n die Augen verkleistern u n d verschmieren" (Schuppii Schrifften, Hanau 1663, 420). Sigismund Freyberger gibt seiner Continuata Recreatio von 1656 den T i t e l „ V o n höchsten Statts-Sachen" u n d weiß: „Dieweil aber Staadssachen sollen i n geheym u n d verschwiegen bleiben . . . "
138
. Kap.: S T A T V I I :
tas
Daß das i m Kontext des Handelns des Geheimen Rats gebrauchte Wort Stat die Bedeutung von Politik gewinnt, w i r d angesichts der dynamischen, unfesten, interessebedingten Materie, die der Geheime Rat zu traktieren hat, nicht verwundern. Eine schwierige Lage meistern heißt bei Chemnitz: „einen dergleichen verwirreten stat, bey so vielfaltig vorfallenden occurentien/ vnter diesen spitzfündigen Leuten zugouverniren" (1648)16. Als es 1645 darum geht, die „Raths-Geheimnisse" der Münsteraner Friedensverhandlungen zu bewahren und vorgeschlagen wird, die ständischen Gesandten zu vereidigen, antwortet Braunschweig- Lüneburg: Neue Juramenta seien nicht nötig, da doch „ein jeder Stand solche Subjecta anhero geordnet habe, dem der gantze Staat anvertrauet" 1 7 . Der Stat ist die geheime Politik, die den Gesandten i n vollem Umfang anvertraut werden mußte, wollten sie ihre Mission gut erfüllen. Stat i m Sinne von „Politik" kann, wie es das erste Beispiel zeigt, „verwirret" sein, er kann vertraulich sein, er kann aber auch moralisch bedenklich sein. Diese letzte A r t der „Politik" erscheint 1670 unter dem merkwürdigen Namen „Stats-Politie" : „Wahr ist es/ es würde w o l was Gottloses mit untergelauffen seyn/ allein man thut w o l andre Dinge/ die nicht halb so nützlich sind/ und mit der Stats-Politie dennoch hin passiren/ alldieweil sie doch Säulen sind/ auf die sie sich lehnet 1 8 ." Die hier charakterisierte A r t der Politie (Regimentsverwaltung) gründet sich allein auf „Stat", der auf „Nützliches" aus ist, wobei „Gottloses" passieren darf oder i n Kauf genommen wird. Diese „Säule" namens „Stat" ist Politik per ragion di stato. Die Entsprechung von Stat und der Formel ragion di stato ist seit den 40er Jahren geläufig, 1656 ausdrücklich bezeugt: „Regione vel Ragionamento di Stato; ut Gallis Raison d'Estat, ut Germanis, der Stat 1 9 ." Stat w i r d bei dieser Entsprechung negativ bewertet. Moscherosch tadelt z. B., daß ein Bündnis gebrochen wurde: „und solches alles (S. 532). Seckendorff stellt „die direction der Justitz, v n d anderer täglichen gemeinen Sachen" gegen „alle wichtige/ Regiments v n d Statssachen" (Fürsten-Stat 24). ιβ Β. v. Chemnitz, Königlichen Schwedischen I n Teutschland geführten Kriegs Erster Theil, alten Stettin 1648, 457; vgl. Theatrum Europaeum, Th. 4, F r a n k f u r t 1643, 744: „ m a n wüste daß die beyde Königreich Dännemarck v n n d Schweden wegen jhres Estats zu keiner einigkeit kommen kondten/ absonderlich w e i l Dännemarck ein Absehen auff Pommern haben muste." 17 von Meiern, Acta pacis Westphalicae publica I, 585. 18 Das Entlarfte Franck-Reich, o.O. 1670, 25 (B.St.B. 4 Gall. g. 104). 19 Geislerus, De Statu Politico 15.
2. Die Formel Ragion d i stato (Ratio status) i n Deutschland
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wegen deß Staats/ oder ratione Status, es geschehe auch solches mit Recht oder Vnrecht/ wenn es nur einen Schein hette/ vnd der Status erhalten/ oder derselbige gemehret würde" (1646)20. Seckendorff warnt i n seinem Fürsten-Stat, daß abseits „deß Rechten von Gott gezeigten . . . wegs" jene Kunst liege, die „vnter dem Nahmen deß Stats vnd der Politic" einhergeht (1656)21; und eine populäre Schrift von 1672 verspricht verführerisch, ihre Weisheiten nicht aus theologischen Traktaten, „sondern/ auß dem Grund der Politic und Staats" zu ziehen 22 . Stat ist also „Politik", näherhin die höchste geheime Regierungspolitik, dann i m prägnanten Sinne Politik aus Staatsräson 23 .
2. Die Formel Ragion di stato (Ratio status) in Deutschland
Die Verlagerung des „Stats" von der gemeinen Landes- zur geheimen Fürstensache, die i m Geheimen Rat traktiert werden muß, bewirkt eine Erhöhung des Wortranges. Der Stat ist über gewöhnliches Menschenmaß hinaus: „discursus de Statu, cibum esse stomachorum magnorum" (1618)24. Die Erhöhung des „Ranges" w i r d indes erkauft durch einen stets möglichen Verlust moralischer Wertschätzung. Der hohe Stat grenzt an den perfiden Stat. Das Schicksal des Wortes ist i n solcher Betrachtung eng verbunden m i t der Lehre der Ragion di Stato; sie begleitet das werdende absolutistische Regiment, indem sie es zu rechtfertigen und auszubauen sucht, es aber vor Mißdeutung und K r i t i k nicht schützen kann, ja seine moralische Verurteilung geradezu heraufbeschwört. W i l l man den moralischen Doppelsinn des Wortes Stat i m 17. Jh. verstehen, so muß man der Geschichte seiner Verwendung i n der Formel „Raison von Stat" bzw. der Geschichte dieses (bald italienisch, lateinisch oder französisch gefaßten) Leitwortes nachgehen (a). Dabei w i r d nicht nur die Abhängigkeit von den Italienern und Spaniern deutlich, sondern es zeigen sich auch die für Deutschland charakteristischen Bedingungen, unter denen „Stat" neben einem angesehenen (b) zugleich ein ekelhaftes Wort wird, das man besser vermeidet und das man bewußt zur Erzeugung von „Ekel" gebrauchen kann (c). Schließlich muß man der Formel i n die volkstümliche Sprache hinunter 20 Philander von 1646, 340. 21 22
Fürsten-Stat, Dedicatio. Machiavellischer Hocus-Pocus, o.O. o.J., 257.
23 Vgl. F. Leonhard, Die verabgötterte Fontange, Frankfurt 1690, 4: „welche m i t der Zeit von der Regierungs-Klugheit/ oder v o n dem Politischen Estat Profession machen wollen." Dazu die Bestimmimg des Estat beim Tholozanus: „ars bene regendi m u l t i t u d i n e m " (Gregorius Thol, De Republica L i b r i sex et viginti, o.O. 1597, 611). 24 Chr. Besold, Politicorum L i b r i duo, Frankfurt 1618, Lectori salutem.
140
. Kap.: STAT V I I :
tas
folgen, da sie dort einen eigentümlichen, lange Zeit auf das Wort Stat nachwirkenden Gebrauchswert erhielt (3). (a) Früheste Vorkommen
der Formel
Die deutsche gelehrte Politik begegnet der Lehre der Ragion di stato zum erstenmal i n Boteros gleichnamigem Buch; es wurde am Ende des 16. Jahrhunderts als antimachiavellische Schrift i n ganz Europa gelesen und wegen seiner ebenso scharfsinnigen und nützlichen wie billigen und christlichen Ratschläge geschätzt. Das italienische Titelschlagwort bereitete den Übersetzern allerdings einige Mühe. A. Possevinus bibliographiert: „De ratione, ut vocant status, hoc est, De rebus politicis" (1603)25; die französische Ausgabe des Buches setzt: „Raison et gouvernement d'Estat" (1599), wofür i m Text auch „raison et maniement d'Estat" und „Raison de l'Estat 2 6 ." Die deutsche Übersetzung erschien vor allen andern, doch ist ihr Titel der beste Beweis dafür, daß man den Begriff „ragion di stato" damals weder verstand, noch überhaupt als Schlagwort erkannte: „Gründlicher Bericht/ Von Anordnung guter Policeyen und Regiments auch Fürsten und Herrn Stands" (1596)27. Es ist eine interpretierende Wiedergabe der in cap. 1 gegebenen Definition oder vielmehr Erklärung dessen, wovon man annahm, Botero habe davon eine Erklärung gegeben: „Der Bericht und Unterweisung von Herrn Stand und Regiment" ( = ragion d i stato!) 28 . I m Jahr 1604 erscheint aus der Feder des kaiserlichen Rats Jakob Bornitz ein Traktat über die Prudentia politica comparanda 29 . Wie bei Thomas von Aquin ist prudentia ein sittliches Postulat, das ein Hinhören auf die Ordnung des Seins und ein dieser Ordnung ent25 Possevinus, Apparatus sacer, Bd. 1, 1603, 827; vgl. die von ComingLundenius veranstaltete lat. Neuausgabe von Boteros Ragion d i Stato, H e l m stedt 1666, Dedicatio. 26 Botero, Raison et gouvernement d'Estat en d i x livres, Paris 1599. 27 Erschienen: Straßburg 1596. I n Kap. 1 findet sich die groteske Übersetzung „per ragion d i stato" = „ m i t verstand und vernunfft"! 28 Die Vorstellung „ A n o r d n u n g guter Policeyen u n d Regiments" ist i m 16. Jh. an die deutsche Reformbewegung der Rechts- u n d Polizei-Ordnungen gebunden, die der Fürstenstaat als seine säkuläre Aufgabe verstand; „Fürsten u n d Herren Stands" ist demgegenüber der engere Bereich der landesfürstlichen Hoheit. Beides: die Wohlordnung des Gemeinwesens und die Festigung der obrigkeitlichen Gewalt, w i r d i n Boteros T r a k t a t gründlich behandelt — das u n d nichts anderes soll der T i t e l der deutschen Ausgabe besagen. Vgl. jedoch auch H. Maier, die ältere . . . Verwaltungslehre, 96 ff. und 124 f. 29 J. Borniti, Discursus Politicus de Prudentia Politica comparanda Denuo correctius editus a Joh. Bornitio, Witebergae 1604 (ohne pag.).
2. Die Formel Ragion di stato (Ratio status) i n Deutschland
141
sprechendes Handeln fordert 3 0 . Die „vera prudentia" ist darum mit pietas und virtus verschwistert. Als zeitgenössisches Gegenbild zur rechten politischen Klugheit führt Bornitz eine „vorgetäuschte" an, die von den machiavellistischen Politikern vertreten würde: „Prudentia . . . , quam Pseudopolitici et Machiavelli asseclae specioso nomine, Ratione status praetendunt". Diese Abart der prudenta politica w i r d dreifach kritisiert; einmal hinsichtlich ihres mangelnden Vernunftgrundes (es gibt keine Politik außer „ i n recta ratione") 3 1 , einmal hinsichtlich ihres Zielsinnes (die Pseudopolitici haben den „verus societatis civilis finis" nicht verstanden) 32 , zuletzt hinsichtlich ihrer M i t t e l (sie legen sich darin keine Beschränkung auf, sondern arbeiten „mediis quibuscunque malis, an bonis . . . modo Reipubl. prosint"). Der Name dieses korrupten Konzepts hat keinen schlechten Klang, ja er ist „speciosus" und „fucatus". Das Böse verbirgt sich hinter einer prächtigen Fassade, die der wahren und richtigen politischen K l u g heit anstünde. Darum sagt Bornitz: „Ratio status, quae titulo fucato proponitur, falsa est et apparens, vera ilia, quae religione et virtute innititur, quae etiam veris Politicis curae, altera detestanda est." Ein Jahr nach dem Discursus politicus erscheint Arnold Clapmars Werk De Arcanis Rerumpublicarum L i b r i Sex 33 , in dem eine ganze Reihe der in Italien unter dem Stichwort „ragione di stato" behandelten Fragen unter juristischer Perspektive als „arcana" diskutiert werden. Clapmar selbst bestätigt dies, als er bei dem Zentralproblem der Jura Dominationis bzw. Jura Regni bemerkt: „Itali, ragione di dominio: Germani arcana Imperii non efferunt, quod sciam, nisi forte per gehäime Reichssachen34." Und seine Definition der Arcana Rerumpublicarum (rationes. .. Reipublicae status conservandi) 35 nähert sich nicht nur dem Sinn nach, sondern bis in die Wortwahl dem, was i n Italien ragione di stato heißt. Hinzu kommt, daß Clapmar Ammiratos Derogatio-Theorie aufgreift 3 6 . Die Ratio status ist damit hinsichtlich ihres wissenschaftlichen Begriffs erfaßt, nur w i r d sie in klassisch30 C. J. Burckhardt , Das Wort i m politischen Geschehen, in: Die neue Rundschau, 1961, 309. 31 „ I u s t i t i a m autem et virtutes caeteras saeparare, quid aliud est, quam fundamentum prudentiae i n recta ratione si t u m destruere." (Vgl. Anm. 29 dieses Kapitels.) 32 „Iisque, q u i istam (seil. Rationem Status) venditant, verus societatis civilis finis nondum innotuisse videtur." (ebd.) 33 Vgl. Anm. 13 dieses Kapitels. 34 Ebd. I, cap. 4, pag. 9. s* Ebd. I, cap. 5, pag. 9. 36 Vgl. R. de Mattel, I l pensiero politico di Sc. A m m i r a t o con discorsi inediti, Milano 1963, 131.
142
. Kap.: S T A T V I I :
tas
lateinischem Namen repräsentiert. Bis in die Wahl dieses Namens jedoch (arcanum imperii anstelle von ratio status) bleibt Ammirato maßgebend. I n seinen Discorsi sopra C. Tacito, dem Werk, das Clapmar kennt, steht der Satz: „ratio s t a t u s . . . imperii regnive, aut cuiuslibet dominatus ratio erit, quam Tacitus arcana imperi j denominauit 3 7 ." Hier findet Clapmar wie vor ihm schon Waremundus de Eremberg 38 den bekannten taciteischen Begriff als Synonym des italienischen Schlagwortes angezeigt 39 . Es ist also keineswegs so, daß sich i n Deutschland eine eigenwüchsige Lehre von den Arcana imperii gebildet hätte, in die erst später „der Gedanke der ,Ratio status' hineingewachsen" wäre, etwa mit dem Tübinger Publicisten Besold 40 , sondern die deutsche Arcana-Literatur ist von ihrem ersten Anfang an der italienischen Ragion-distato-Lehre verpflichtet.
(b) Positives
Verständnis
der
Formel
Ratio status ist bereits in der ersten Dekade des 17. Jahrhunderts ein publicistischer und ein politisch-moralischer Begriff: jus und prudentia. Beide Begriffe werden zunächst i m positiven Sinn angewendet und entfaltet. Der Publicist Clapmar versteht ragione di dominio als „gehäime Reichssachen" und „Fürstliche reservaten vnd Hoheit"; in ihnen liegt die Ermächtigung des Fürsten, seine das bonum publicum bezwekkende Herrschaft auf Kosten der Rechte und Vorrechte einzelner zu bewahren und zu stärken. 37 Lat. Ausgabe, Helenopoli 1609, 165. 38 Waremundus de Eremberg, Meditamenta pro foederibus, Hanoviae 1601, 115: „ I m p e r i i arcana, hoc est, profundae, intimae, secretae leges, status, v t interpretatur Scip. A m m i r a t u s lib. 12 Diseur. 1. ad Tac. Galli vocant TEstat; Itali, i l stato. Germani, die geheime des Reichs." s» Das W o r t arcanum I m p e r i i hat i n Deutschland die Formel Ratio status, die von Bornitz verwendet w i r d , zunächst an der Verbreitung gehindert; verantwortlich ist insbesondere das Werk Clapmar s (Anm. 13 dieses Kapitels), das einer ganzen Juristen-Generation Thema u n d Terminologie lieferte (vgl. H. Hegels, A r n o l d Clapmarius über die arcana i m p e r i i i m 17. Jh., Diss. Bonn 1918); f ü r den synonymen Gebrauch beider Worte vgl. Besold, Politicorum L i b r i duo, Frankfurt 1618 I I , cap. 5, 706: Unter der Uberschrift „De Arcanis Rerumpublicarum" lautet der T e x t : „ n u l l u m ma jus arcanum . . . quam j u s t i Imperare, et Deum non offendere . . . Nec itaque vera Ratio Status contra religionem est." Übrigens erhält das W o r t arcanum I m p e r i i eine ragion d i stato ähnliche üble Nebenbedeutung. 40 G. Lenz, Z u r Lehre von der Staatsräson, Archiv des öffentl. Rechts, NF, Bd. 9 (1925) 263, 269 f.
2. Die Formel Ragion di stato (Ratio status) i n Deutschland
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Besold bestimmt diese Ermächtigung von ihren Grenzen her: „pro reditu ad terminos meri Naturalis, Gentium juris et liberae rationis, jure positivo neglecto 41 ." Der leitende Gesichtspunkt ist wiederum das bonum publicum: „Potestas autem haec, Jus dominationis, Jus regn i . . . Italis dicitur Ragion di Stato, quasi dicas Jus publici boni 4 2 ." Ratio status ist also das den Fürsten zur Erhaltung und Förderung des gemeinen Nutzens ermächtigende, vom „jus positivum" freistellende „Recht". Ein Rat des Landgrafen von Hessen-Darmstadt spricht im Jahr 1635 von „ratio status boni publici" 4 3 , und der Thesaurus practicus gibt 1641 nebeneinander die Stichworte „Ratio Status, Jus Status" 4 4 . A m schärfsten faßt Hippolythus a Lapide die publicistische Qualität der Ratio status: sie sei kein Spezial-Gesetz, sondern der universale Gesichtspunkt, der eine derogatio oder contraventio gegen ein bestimmtes, einzelnes Gesetz legitimiere; also ein Rechtstitel politischer A r t für das Handeln des Fürsten: „iste majoris et magis universalis Rationis respectus, propter qvam fit e a . . . derogatio, Ratio Status dici meretur" (1640)45. Neben anderen Beziehungen zum Recht ist diejenige der Derogatio für die publicistische Bestimmung der Ratio status die wichtigste geworden; insofern ihre Stoßrichtung gegen die Freiheiten der engeren Verbände gerichtet war, wurde sie eine der Brücken, die vom Landesfürstentum älterer A r t zum modernen Fürsten- und Polizeistaat führten. Ähnliches gilt für die politische Variante der Ratio status, die von Anfang an neben und in der publicistischen einherläuft. Jakob Bornitz etwa bestimmt Ratio status als „summa imperandi et prohibendi ratio" und erläutert: „Imperandi rationem tradit doctrina Politica, quae et ipsa leges cuique reipubl. congruas dextre accommodat, et moderatur" (1604)46. Herrschaft und Gebot richten sich nicht nach dem „ j e w e i l i g e n gemeinen Nutz", sondern — ganz naturrechtlich gedacht — nach dem „verus societatis civilis finis", nach welchem „ e i n e s j e d e n gemeinen Nutzens" Gesetze einzurichten sind. Ratio status vera w i r d bei Bornitz, in polemischer Entgegensetzung gegen Ratio status apparens, 41
Chr. Besoldus, Synopsis Politicae Doctrinae, Novimagi 1659, 257 f. 4a Ebd. 50. 43 A. Wandruszka, Reichspatriotismus . . . von 1635, Graz/Köln 1955, 46. 44 Chr. Besoldus, Thesaurus Practicus, Aug. Vindelicorum 21641, 747. 4 s Hippolithus a Lapide , Dissertatio De Ratione Status i n Imperio nostro Romano-Germanico, o.O. 1640, 6; m i t dieser Bestimmung folgt Hippolithus dem Italiener Ammirato, den er ebd. zustimmend zitiert. 4 ® Bornitius, Discursus Politicus.
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als die in recta ratione verfaßte politische Klugheit verstanden 47 . Auch der diplomatische Gebrauch des Wortes rückt nur langsam aus der unmittelbaren Nähe zur praktischen Philosophie. Wenn der dänische König zur Rechtfertigung seines Verhaltens erklärt, „er aber sey per raggione di stato ampts vnd function" wegen gezwungen, so meint er damit die Verpflichtung des Regenten, „allen besorgenden inconuenientien i n zeiten vor zu kommen" (1625)48. I m großen Krieg ist eine weit ausschauende, stets mißtrauische, nach allen Seiten sich versichernde Politik (Neutralität und Assistenz) notwendig, sollen Land und Leute nicht unter den Einfluß oder i n den Besitz eines mächtigeren Nachbarn geraten. Diese Politik heißt ragion di stato oder Ratio status. So begünstigen beispielsweise Frankreich und Venedig die „Grissoner" bei der Eroberung des Veltlins: was „dahin gemeynt/ daß es auß der Spanier gewalt/ vnd Arglistigen nachstellen/ vnd die Päß in der Herrn Conföderirten gewalt gebracht werden/ weilen der Ragio del Stado also erfordert" (1629)49. Das gegenseitige Mißtrauen verlangt und rechtfertigt eine Politik per ragion di stato. Die Eidgenossenschaft bekennt sich in ihrem A n t wortbrief auf ein habsburgisches Konföderationsangebot ganz offen dazu: Das Reich tue recht, sich gegen den übermächtigen Kaiser zu verteidigen, „welche defension per ragion di Stato, Jure belli ja in aller natürlichen Vernunfft und Billichkeit i n deme bestehet/ dem Gegentheil vberall wo es müglich ist/ alle M i t t e l zuschaden ab(zu)schneiden" (1639)50. I n Oberitalien befindet man, es sei „nun per raggione di Stato rathsamb.../ die Statt Lody i m Milanesischen besser vnd recht befestigen zulassen/ alsdann... man dem Außgang in Piemonte . . . nicht trawen wollen oder dörffen" 5 1 . Auch der kaiserliche Hof sieht sich vor; seine Ratio status mißtraut einer Deputation: „Von diesem Reichs Deputations Tag", so schreibt das Theatrum Europaeum i m Jahr 1643, „haben w i r nun auch oben . . . etwas angerühret/ dessen Fortstellung der Käys. Hoff propter status rationes nicht gerne ge47
Ebd.: „quae etiam veris Politicis curae . . . est".
48
N. Bellus, östreichischer Lorberkrantz, Continuatio . . . Das ist: W a r haff tige Eigentliche Historische Beschreibung, F r a n k f u r t 1625, 124 (auch in: C. Enß, Fama Austriaca, K ö l n 1627, 842). 49 Londorpius, Acta publica, Th. 1, F r a n k f u r t 1629, 1145. Den diplomatischen (positiven) Begriff der Staatsräson findet m a n auch i n den 1623 erschienenen A v i s i Parnassiaci (B.St.B. J.pub.G. 1234/9): Die Hofgesellschaft gab — so heißt es dort — einem K u r i e r sogleich Audienz, w e i l m a n hoffte, er komme „per raggion d i stado . . . v n d von dero Fürsten oder Keyser persönlich" (O.S.).
so Theatrum Europaeum Continuatio I I I , Frankfurt 1639, 95. si Theatrum Europaeum, 4. Th., Frankfurt 1643, 698.
2. Die Formel Ragion d i stato (Ratio status) i n Deutschland
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sehen/ sondern vielmehr einen Reichstag beliebet/ darumben . . . die Advisen dergestalt geloffen/ als wolle Kays. Mayest . . . m i t dero gantzen Hoffstat nach Regenspurg kommen/ wo nicht einen allgemeinen Reichstag daselbsten zuhalten/ doch wenigstens diesem ReichsDeputations-Tag desto nahender zu seyn" 5 2 . Die politische Verwendung des Wortes Ratio status i m Sinne vorsorglicher vorausschauender Sicherheitspolitik steht i m Kontext von „Neutralität und Assistenz", aber auch i m Kontext der Reichsverfassung, wonach Kaiser und Stände ihre Interessen gegeneinander jeweils „per ragione di stato" verteidigen. Schließlich verwendet die (französisch, spanisch und italienisch beeinflußte) Regimentslehre Ratio status in einem ähnlichen, keinesfalls abschätzigen politischen Sinn. Grottnitz spricht 1647 von einer „königliche(n) Wissenschaft/ ins gemein Ratio Status, und auff gut alt Teutsch des Landes und Regiments Richtschnur genennet". „ V n d in Warheit so ist deß Landes Richtschnur/ oder Ratio status nichts anders/ als eine Richtschnur deß Nutzens oder Intereß 5 3 ." Die Hauptschwierigkeit der Verbreitung eines positiven politischen Begriffs von Ratio status i n Deutschland ist ihre einer allgemeinen vertrauensvollen Friedensordnung abholde, das Böse kalkulierende, auf Mißtrauen bauende, Schwächen ausnutzende, den eigenen Vorteil in allem suchende Intention und Wesensart. Nur schwer findet man sich damit ab, daß die politische Welt i n eine solche Landschaft des Mißtrauens geraten sei und sich verirrt habe. Das höchste Lob, das einem Fürsten zuteil werden kann, besteht daher bei allem Respekt vor der Ratio status 54 in der Anerkennung einer Politik, die auf Ratio status verzichtet und gleichwohl erfolgreich ist. Das Zeitalter sieht darin seinen Glauben an den Sieg des bonus princeps christianus, an den „christlich-politischen Printzen" bestätigt: „Dann wo er eines aufrichtigen vnd tapferen gemühts sein wird/ so w i r d bey demselbigen vielmehr die treu vnd ansehen/ vermögen als die Hoffnung seines bößes/ vnd Ratio Status; wie denn ein solches i n der taht bey allen Fürsten des hauses Österreichs erfahren worden" (1655)55. 5a Ebd. 907. 63 C. M . Grottnitz, Regiments-Rath, Vorrede und S. 367. 54 Vgl. Saavedra-Fuxardo, E i n Abriss eines Christlich-Politischen P r i n t zens, Amsterdam 1655, 852: „ I n denen freundtschaften aber/ welche vielmehr eine Ratio Status seindt/ als eine Vereinigung der gemüther/ w ü r d e n Aristoteles w i e auch Cicero den Bräubem nicht so hoch tadlen/ da er sagte/ man sol te nicht änderst lieben/ als w a n m a n einen wieder hassen solte." Auch: Teutschlands K l a g - Straff- u n d Ermahnungs-Rede, o.O. 1673, u. a. 63 Saavedra-Fuxardo, 10 W e i n a c h t
E i n Abriss
861.
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. Kap.: S T A T V I I :
(c) Abwertendes
Verständnis
tas
der Formel
Ratio status ist in Deutschland wie anderswo ein Konzept fürstlicher Machtkunst, das i m Konfliktfall zwischen Nutzen und Moral dem ersten den Vorzug gibt, vorausgesetzt, daß er öffentlicher Natur ist (bonum commune). Ein Dictionarium philosophicum formuliert: „Ratio Status interdum aliquid ex iniquo, si ad rationes privatas referas; non vero, si ad publicas" (1675)56. Aber diese Einschränkung auf rationes publicas allein genügt der deutschen Politik noch nicht: sie versucht von Anfang an, Ratio status auf den Bezirk des zweifelsfrei sittlich Erlaubten zu beschränken und einzugrenzen, zuweilen auch auf den Bezirk des nicht zweifelsfrei sittlich Verbotenen 57 . Eine solche Ratio status ist alsdann „vera, justa, honesta et licita" und „a Lege Dei" sowie „a virtutibus moralibus nunquam recedens" 58 . Je moralischer und rechtlicher aber die papiermäßigen Definitionen einer ratio status vera ausfallen, desto unzulänglicher w i r d diese Theorie für die Erfassung der tatsächlichen geübten Politik, die nurmehr als ratio status apparens beschrieben werden kann. Auf vier großen Fronten w i r d die Fürstenpolitik „per raggion di stato" i m 17. Jh. zu einem negativen Begriff, der zuletzt den Sinn der ganzen Formel verschattet. Die erste Front entsteht gegenüber dem alten Recht. Aus dem Jahr 1611 datiert ein Gutachten eines Reichspublicisten über die Unzulänglichkeit der neuen kurpfälzischen Vormundschaftsordnung: sie verstoße gegen die Bulla Aurea 5 9 . Dabei w i r d die Frage berührt, wie die einschlägigen Bestimmungen dieses Reichsgrundgesetzes auszulegen seien. Der Pfälzer sei von der „communissima et concordantissima opinione" abgewichen, indem er selbstherrlich „verum Bullarum sensum et intellectum" bestimme. Dies aber sei weder recht noch billig: „ D a n n w i e w o l etwann einer oder der ander darfür halten möcht/ daß es an jetzo nicht mehr v m b die zeit/ sonder per ragione d i stato, darnach man sich i n publicis causis vornemblich richten muß/ nöttig/ daß die vorige einhellige v n n d gleichförmige meinung v n n d verstand der güldenen B u l len behalten/ sondern einest ein ander intellectus, der den jetzigen 66 H. Volckmarius, Dictionarium philosophicum, Frankfurt 1675, 570 f. 57 M. Kreps (im Anschluß an Lipsius' „sagesse mêlée"), Teutsche Politick, F r a n k f u r t 1620, Kap. 13 (S. 259 ff.). 58 Reinking, Tractatus de Regimine saeculari et ecclesiastico, Frankfurt 1651, 729. 59 Bestendige A b l a i n u n g Deß Heidelbergischen . . . Berichts, Laugingen 1611.
2. Die Formel Ragion d i stato (Ratio status) i n Deutschland
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läufften recht sein möcht/ versucht v n d gesucht werde/ cum, v t ille ait, n u n quam sapientibus probata sit i n vna sententia perpetua permansio: oder daß man die guidine B u l l nicht f ü r ewig achten/ sondern tempori accomod i r n müß: So w i l l man doch auff diser seiten nicht dafür halten/ daß auch die Gegentheil solche der Teutschen natur v n d qualitet zuwider lauffende resolution jnen sollen beliben lassen/ s o n d e r n . . . dahin inclinirn, daß sie cum Socrate sagen werden/ de Iisdem eadem: welche Temporisationes die alte hochlöbliche Teutsche C h u r - v n n d Fürsten jederzeit extreme detestirt haben."
Ragione di stato erscheint hier als Methode einer dynamisch j u r i stischen Auslegung, die auf die statischen deutschen Rechtsverhältnisse nicht angewendet werden darf. „Temporisation", „interpretation nach der zeit" lassen auf dem Gebiet des Reichsrechts — ungeschadet ihrer Nützlichkeit auf anderen Gebieten — mehr Unheil als Nutzen erwarten: sie führen i m deutschen Wesen zu einem „vertumnum, Chamalaeontem oder auch Proteum" 6 0 . Die kritische Auseinandersetzung des alten Rechts mit Ratio status setzt also da ein, wo diese sich zur Vorkämpferin fürstlicher Sonderrechte gegen das allgemeine Reichsrecht aufschwingt. Es versteht sich, daß die „ M i t t e l zur Zerbrechung alten positiven Rechts" (Meinecke) von den Vertretern der älteren Rechts- und Lebensordnung diskreditiert werden und Ratio status dabei einen negativen Sinn annimmt. Sie verstößt gegen die „allgemein ruh/ eintracht/ glückseligkeit vnd tranquillitet deß gantzen H. Römischen Reichs Teutscher Nation, vnnd aller derselben Glider" 6 1 . I n diesem Sinne w i r d von „iniusta status ratio" gesprochen; sie erscheint an Stellen, die bisher von „Recht und Gericht" sowie „Berechtigungen" besetzt waren und verdrängt die älteren Rechtstitel durch ein sog. „Jus status". Bedenkt man, daß das ganze Mittelalter „das Recht", nicht aber ein gewöhnliches und ein „Staatsrecht" kannte 6 2 , so w i r d vollends deutlich, daß Ratio status i n Konkurrenz mit dem alten Recht nur schwer Anspruch auf Gerechtigkeit erheben konnte: „Nec co Ebd. 168. 61 Ebd. 64. Die bekannteste Rechtfertigung gegen diesen V o r w u r f u n d zugleich die radikalste „Temporisation" der Reichsgrundgesetze stellt der berühmte Chemnitzsche Discursus dar: „De Ratione Status i n Imperio nostro Romano-Germanico" (1640). Er w i r d noch von Zedier (1644) als Beispiel für die heilsame „Teutsche Staats-Raison" zitiert. I n seiner Zeit vermag er aber den Wertverfall des Wortes k a u m zu verhindern, j a es mag bei der kaiserlichen Partei dadurch noch gründlicher i n Mißkredit gekommen sein. Reinking urteilt i m Appendix von 1651 seines Tractatus de Regimine (51651, 729f.): „Haec status Ratio meo judicio non incongrue dici posset Monstrum rationis". Z u r Kontroverse Reinking/Chemnitz vgl. A. Wandruszka, Reichspatriotismus 81 ff. 62 Vgl. F. Kern, Gottesgnadentum u n d Widerstandsrecht i m frühen M i t t e l alter, Münster/Köln 21954. 10*
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vox iste, Jus Status, sine Justitia bene resonat: cum Jus sit objectum Justitiae" (1641)63. Die zweite Frontlinie bildet sich zwischen Ratio status und religio. Wo die Religion zum Ziel der Politik, zum Gegenstand blutiger Auseinandersetzungen wird, muß es ein gläubiges Gemüt befremden, wenn bei den Verantwortlichen andere als religiöse Interessen i m Spiel sind: Diese anderen Interessen aber hießen Ratio status. 1612 liest man von den Gründen des vormaligen Niedergangs der französischen Monarchie; er w i r d damit i n Zusammenhang gebracht, daß eine katholische Macht „perragion di stato die von Genf vnd S e d a n . . . beschützet" 64 . Das gleiche Frankreich fordert 1628 die katholischen Potentaten auf, sie sollten England „ m i t Hörsmacht" entgegentreten, „nicht wegen raggion, de stato, sondern wegen der Ehr Gottes — vnd der Catholischen Kirchen" (1628)65. Die evangelischen Fürsten beweisen mehr Sinn für Realität, wenn sie — gerade umgekehrt — davon ausgehen, daß die „Cr on Franckreich... die Religion hindangesetzt/ ratione status, mit vns halten muß" (um 1636)66. A m Beispiel Frankreichs lernte das 17. Jh. den Glaubenskrieg als „Statsache" verstehen; mochten die deutschen Fürsten immerhin m i t geheimen Nebenabsichten die Sache ihres Glaubens betreiben: Frankreich bewies schlagend, daß Ratio status außerhalb der Welt des Glaubens steht: „ n i h i l opus est arcanis aut status rationibus quibus satan in regno suo delectatur" 6 7 . Eine dritte Frontlinie, mehrfach i n die des Glaubens und des Rechts einlaufend, bildet sich zwischen Ratio status und der Gesittung. Ratio status verstößt gegen alle guten Sitten, verletzt die Gesetze der Moral, ist teuflisch, böse und gemein, heuchlerisch und verlogen, eigennützig und mißgünstig, machtgierig und eitel. Der Lasterkatalog wäre fortzusetzen. Die prägnanteste moralische Qualifikation ist die Bezeichnung von Ratio status als „inversus Decalogus" oder „deß Teuffeis zehen Gebott" 6 8 . Dieses moralische Verdikt richtet sich fast ausschließlich gegen eine „Ideologie", bzw. gegen das, was ihre Gegner aus ihr 63 Chr. Besoldus, Thesaurus Practicus, Aug. Vindelic. 21641, S. 747. 64 A. Albertinus, Allgemeine Historische Weltbeschreibung 216. 65 Bewögliche Erinnerung/ an den K ö n i g i n Engellandt, Ingolstadt 1628 O.S. 66 Vindiciae secundum Libertatem Germaniae contra Pacificationem Pragensem, Stralsundt o.J. S. 171. 67 j . V. Andrea, Christianopolis, zit. bei K. Holl, Die Bedeutung der großen Kriege f ü r das religiöse u n d kirchliche Leben innerhalb des deutschen Protestantismus, Tübingen 1917, 70. 68 Reinking, Biblische Policey, F r a n k f u r t 21663, 257 u n d J. B. Schupp, Salomo, 1663 (Schuppii Schriften 7).
2. Die Formel Ragion d i stato (Ratio status) i n Deutschland
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gemacht haben: „Machiavellische Wayd-Sprüche . . J nemlichen: foedera diutius non durare, quam ut prosint, regnandi causa jus violandum, i n coeteris vero pietatem colendam: item, Principes legibus solutos esse, et ideo ludere cum juramentis, sicut pueros cum astragulis: und was dergleichen verdammliche principia mehr seyn mögen/ etc."
(1688)69.
Die vorsorglich lateinisch angegebenen Laster sind keineswegs neu und haben mit Ratio status nicht besonders viel zu tun. M i t Recht bemerkt bereits der Übersetzer des Antimachiavelli von I. Gentillet: „Dann ob w o l Machiavelli Schrifften i n Teutschlanden nicht v i l bekannt/ so seye doch leider seine Gebott vnd Practicken nicht so gar fremd vnd vnbekannt" (1580)70 und Reinking: „Ratio S t a t u s . . . ist so alt / als der Teuf fei unnd die erste durch j h n verführte Menschen 71 ." Wenn die moralische Verurteilung der Ratio status nicht auf Prediger und Pastoren wie Schupp, Großgebauer, Andreä, Joachim L ü t kemann oder Spener beschränkt ist, sondern fürstliche Räte und Beamte, Ständevertreter und alle Arten bürgerlicher Gelehrter einschließt, wenn ferner der kritisierte Inhalt der Ratio status mit einem allgemeinen menschlichen und politischen Lasterkatalog identisch ist und nichts Spezifisches an sich trägt, muß gefragt werden, ob die Front wirklich zwischen Moral und Ratio status verläuft, oder ob diese Front nicht der zeittypische Ausdruck für einen Gegensatz anderer A r t ist, der sich dahinter verbirgt. Tatsächlich gibt es einen Gegensatz zwischen einheimischen und landfremden Räten des Fürsten, der sich seit je moralisch zu artikulieren pflegte. Und dieser Gegensatz einheimisch/ landfremd wäre denn die vierte Frontlinie, an der der Gebrauchswert der Formel Ratio status sich zersetzt und zum Negativen entscheidet. Es handelt sich um den Versuch der Stände, die absolute Herrschgewalt eines von Landes-unabhängigen Räten umgebenen Fürsten zu perhorreszieren. Bereits in Frankreich rügten die Monarchomachen die Bevorzugung welscher A r t : „Quippe antiquo et gallico more, regnum dissidiis intestinis vacuum . . . Nunc vero v b i peregrino et nouo more regi capimus, antiquis regni legibus oppressis 72 ." I n Deutschland wiederholt sich der Vorgang seit Beginn des 17. Jahrhunderts. A m Begriff des Politischen, d. h. der „Politischen Heuchler", sucht der Tiroler Medicus H. Guarinonius die J. N. Flämizer, Politico-Militarischer Staats-Minister, Nürnberg 1688, 40. 70 I. Gentillet, Regentenkunst . . . durch G. N. ( = Nigrinus) verteutscht, Frankfurt 1580, 1. Vorrede. Reinking, Biblische Policey 241. 72 I. Gentillet, Commentariorum De Regno, Urseiiis 1599, 15.
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Welschen zu entlarven: „wann man diese recht besihet/ so findestu unter der auswendigen heuchlerischen gestalt eytel (mit gebür) Frantzosen/ wust und unflat". Das neuartige politische Wesen bezeichnet er als geistig-moralische Verfallserscheinung: „Die Politische Sucht (ist) die aller grewlichste unter allen Kranckheiten und grewelen deß Gemüts" (1610)73. Und weil sie von außen nach Deutschland hereingekommen ist, ist sie „Unteutsch": „Teutsch heist vertrewlich" ; oder: „daß hochedle Teutsche blut/ (ist) aus angeborner tugent/ keiner Nation spinn feinder/ a l s . . . die der Politischen außwendigen Heuchlerey in worten und sitten ergeben" (1610)74. Man muß das „edle teutsche B l u t " auf die ständischen und einheimischen Ratsherren beziehen, um den politischen Sinn dieser moralisierenden Phrasen zu erfassen. Fast i n den gleichen Worten läßt sich Reinking über die Formel Ratio status aus: „Die Italianer nennen sie Ragion del Stato, die Frantzosen Raison de Estât, auff Teutsch kan man es nicht eigentlich geben/ und scheinet/ daß unsere Vorfahren die alte redliche Teutschen... dem Grewel/ daran sie aus angebohrner Sincerität und Auffrichtigkeit/ einen Eckel gehabt/ keinen Namen gegönnet noch geben können" (1653)75. Die Räte, gegen die sich der Protest richtet, seien es nun landfremde oder solche, die die Statsmode („Estatisterey" 76 ) mitmachen, heißen „Statisten". Butschky meint, es würde „die alt-teutsche Treu und Aufrichtigkeit/ gegenteils/ von den verdammten/ neu-verkehrten Statisten/ m i t Füssen getretten" (1679)77. Genauer zielt schon J. J. Bechers Vorwurf, der bemerkt: „Staatisten/ oder vielmehr Suppenfresser/ geben der Obrigkeit i n allem recht" (1672)78. Eine zeitübliche Synonymenreihe lautet: „ein Politicus/ das ist ein Statist/ das ist ein Machiavellist/ das ist ein Atheus/ das ist kein Christ" (1674)79. I m Wort Statist sammelt sich der auf den Frontlinien zwischen Ratio status und Recht, Religion, Moral, landständischer Politik gestaute Unmut. Er äußert sich z. B. auch i n folgender beiläufigen Steigerung zum Negativen hin: 73 Guarinonius, Die Grewel der Verwüstimg Menschlichen Ingolstadt 1610, 380.
Geschlechts,
74 Ebd. 384. 75 Reinking, Biblische Policey 232 f. 76 Schuppii Schrifften 383. 77 Butschky, Rosen-Thal, Nürnberg 1679, Vorrede. 78 J. J. Becher, Politische Diseurs, F r a n k f u r t 1672, 44. 79
Nagender W u r m b Frantzösischen Gewissens . . . , Roterdam 1674, Kap. 4
3. Gegensätzliches Verhalten der gelehrten Publicistik
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„ein alter Hof mann/ ein alter durchtriebener Politicus, ich hätte bald gesagt ein alter Machiavellischer Statist" (1659)80.
3. Gegensätzliches Verhalten der gelehrten Publicistik und der populären politischen Literatur
Die Formel Ratio status w i r d seit den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts i n Deutschland überwiegend, wenn auch nicht ausschließlich mit einer „Atheistischen Statistenhandlung" 8 1 in Verbindung gebracht. Efferen, der i n seinem „Manuale Politicum de Ratione Status" über „vera et falsa forma gubernandi Rempublicam" schreibt, also neben der bösen eine gute Stats-Raison anerkennt, bemerkt zum Wortgebrauch: „ratio status falsa (hanc enim semper intelligi volo cum absolute ponitur)" (1630)82. Der negative Trägerwert der Formel verleitet — nach Conring — einige gelehrte Schriftsteller dazu, „ u t ab usu istius nominis penitus abhorruerint et si quando de simili aut eadem materia quidpiam consignandum, alio potius quam isto titulo libros suos insignaverint" 8 3 . So wie die Formel insgesamt, so sind auch ihre Bestandteile übel beleumundet, Grund genug, daß „Stat" i m Sinne von „Reich" i n die Aktensprache des Reichs m i t großer Verspätung eindringt und jus publicum erst i m 18. Jh. „Staatsrecht" genannt wird84. Genau i n umgekehrter Weise reagiert die populäre Literatur, die von Staatshändeln und Geheimpolitik, fürstlichen Intrigen und Lastern zu berichten weiß. Gerade w e i l es ein Gemeinplatz geworden ist, daß die Berufung eines Potentaten auf Ratio status ein Taschenspielertrick ist für die Zwecke der Machterweiterung, Vertuschung von Fehlern, Einschüchterung der Untertanen, Legitimierung einer wichtigen Handlung 8 5 , gerade deshalb w i r d das Wort Stat und Stats-Raison immer wieder gebraucht: denn indem es verhüllen und täuschen soll, 80
Salomo, i n : Schuppii Schrifften 4 (Vorrede). Anton Ulrich von Braunschweig-Wolffenbüttel, Aramea I, Nürnberg 1669, Voransprache. ea Efferen, Manuale, Frankfurt 1630, 815. 83 I n der von Conring veranstalteten Übersetzung: J. Boteri, De Ratione Status, Helmstadii 1656. 84 Vgl. J. P. Ludewig, zit. bei G. D. H off mann, Begrif des Worts Staat, Tübingen 1767, 14: „Dieses muß ich doch nothwendig von meinem Wort Staat anmerken, daß solches noch auf den heutigen Tag i n Teutschland nicht legal oder Reichs-Gesezmäßig seye". Hoff mann, ebd. 7: „Vielleicht hat uns Teutsche solches Wort (seil. Staatsrecht) statt des anderen (seil, jus publicum) zu gebrauchen, die so verhaßte ratio status, oder die längst sehr übel berüchtigte (falsche) Staats-klugheit, u n d zwar nicht ganz unbillig, abgehalten." öS Vgl. Efferen, Manuale 5. 81
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enthüllt und offenbart es die geheime Absicht um so deutlicher 86 . Das Wort Stat w i r d zum Index-Wort der Machtgier und Heuchelei, des Atheismus und des Unrechts. Damit stimuliert die volkstümliche, politisch-satirische Literatur einen ebenso reichen wie kurzlebigen Wortschatz; seine Funktion liegt allein i n der Enthüllung der Stat-Politik, d. h. der Indizierung des „Stats" als Praetext und Entlarvung der dahinter vermuteten „wahren" Motive. Es bezeichnet einen Grundzug dieser literarischen Bewegung, wenn eine ihrer Figuren, der „JeanPotagische Tausend-Künstler", sein Spiel bis zu „auffgedeckter (!) Statt und Atheisterey" treibt 8 7 . Das große Muster dieser Enthüllungsliteratur über „Statssachen/ und was eines Fürsten Secretarlo zu wissen obliege" erscheint 1645 als erstes bis drittes Stück des dritten Teils des „Philander von Sittewald". Leitfaden der Darstellung ist die Initiation eines SekretärsKandidaten i n die Geheimnisse seines künftigen Amts. Seine erste, sehr natürliche Reaktion veranlaßt den Fürsten zu der Bemerkung: „Er solte hübsche Händel anrichten/ wann w i r ihn zu unsern Staats Sachen gebrauchten." Und dann führt er i h n i n die „Staats Kammern", u m die Requisiten der Stat-Politik vorzuführen: allen voran „Staats Mäntel", „Staats Larva" — d. h. Praetexte; „Staatspfeife", „Staatstrommel" — d . h. Propaganda, „Staatsbrille" — d. h. politischer Scharfblick usw 8 8 . Samuel von Butschky variiert dieses Thema so: „Die Stats-Cammern/ hangen foller Larven Mäntel und Vorhängen", „das gemeine Beste" sei heutzutage ein „Stats-Deckel", und ein „trügerischer S t a t i s t . . . kan sich m i t seinen approbierten Stats-Pillen/ nicht curiren" (1676)89. Zuweilen gelingen recht treffende Allegorien: Der Machiavellische Hocus-Pocus deutet die Entwicklung des Dreißigjährigen Krieges als „Religions Mantel/ der sich alamodicös muste zu einer Staats-Decke reformiren lassen" 90 ; über die politische Naivität des bürgerlichen Publikums spottet er: „viele/ deren Ratio mit blödem Gesichte durch die Staats-Brill gesehen/ m e i n e t e n . . . Hannibal ante portas, were noch nicht intra eas 91 ." 86 „ein Ratio status, ein schein/ E i n praetext, v n n d f ü r w o r t " , Philander von 1640, 352. 87 Machiavellischer Hocus-Pocus oder Statistisches Taschen-Gauckel- u n d Narren-Spiel, o.O., o.J. (1672). 88 Dieser T e x t w a r ein großer Publikumserfolg: 1647 erscheint i n K ö l n ein gesonderter Nachdruck unter dem T i t e l „Alamodischer Politicus"; 1666 w i r d er i n Hamburg, noch 1697 i n F r a n k f u r t aufgelegt. 1678 k o m m t eine Epitome heraus unter dem T i t e l „ I d o l u m principimi". 89 Butschky, Pathmos, Leipzig 1676, 18 f. 90 Machiavellischer Hocus-Pocus, o.O., o.J. 337. Ebd. 133.
3. Gegensätzliches Verhalten der gelehrten Publicistik
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I n diesem Zusammenhang erscheint 1653 das Wort „Staatsmann"; J. Rist bezeichnet die Allegorie für das A r k a n u m der Politik mit diesem Namen, der zugleich die Natur seines Trägers verrät: Er ist der „leichtfertige verfluchte Staatsmann", welcher „Religion und Freyheit zum Dekkmantel aller geführten Kriege . . . öffentlich mißbrauchet" (1653)92. Das Geschäft der Desillusionierung, die Öffnung der Geheimen Ratsstuben für den Blick der Öffentlichkeit, hält zwei Generationen in Atem. Titel wie „Entlarfftes Franckreich" (1670), „Eröffnete StaatsKammer von Engelland" (1672), „Wiederschall deß frantzösischen Cabinets . . . worin die Anschläge der frantzösischen Cron . . . vernommen werden" (1684), „Der veränderliche Staats-Mantel" (1683) weisen auf die Funktion hin, die diese Literatur zu erfüllen hatte. Sie verschwindet um die Wende zum 18. Jh. und m i t ihr das Arsenal ihrer Kunstausdrücke. Das wenige, was bleibt, w i r d umgedeutet, erhält einen neuen (meist positiven) Sinnbezug: Staatsmann, Staatssache, Staatsglaube, Staatsmantel u. a. Zunächst aber soll festgehalten werden: das Wort Stat ist i n der hier skizzierten literarischen Bewegung moralisch negativ abgestempelt; so w i r d es verbreitet und gewinnt Eingang i n die Sprache des Volkes. Ein sachlich bestimmbarer Inhalt ist kaum wahrzunehmen, der emotionale und moralische Schauer, den es erzeugt, überwiegt: „alle handtgreifliche erfahrungen die seindt doch nit genug/ die eytle eingebildete fantasey vnd hertzenleidt deroselbigen zu benehmen/ welche sonsten Ratio status genandt w i r d t " , heißt es hellsichtig i n einer politischen Schrift des Jahres 165593. Daneben verwendet man die Formel für bürgerliche und private Händel, als ob sie Staatssachen wären; „Stat" ist eben nicht das gemeine Wesen oder der gemeine Nutz, sondern der Vorteil eines Menschen — sei dieser nun Regent oder Bauer. Reinking liefert für diesen vulgären Gebrauch des Wortes in der Biblischen Policey ein weithin sichtbares Beispiel, indem er die Schandtaten der biblischen Figuren „aus Ursach von Staat" erklärt. Bei der Opferszene läßt er K a i n zu sich sprechen: „die Raison deines Estats w i l l es gar nicht zugeben 94 ." Raison de Estat darf hier verstanden werden als private Verhaltensmaxime: Handle so, daß deine Eigen9a Das Friedejauchzende Teutschland, ed. Schletterer, Augsburg 1864, 143. I m selben Jahr (1653) findet sich das W o r t Staats-Mann i.S.v. Statist, der „den Staat für seinen Gott gehalten" bei Reinking, Biblische Policey (2. Aufl.) 273. Während bei Reinking eine Lehnbildung nach frz. homme d'estat vorliegen mag (vgl. S. 273: „Staatist oder M a n n von Staat") darf bei Rist eine ursprüngliche Wortprägung vermutet werden: vgl. „ H o f " - , „Kriegsmann" u. a. 93 Saavedra-Fuxardo, E i n Abriss 782. 94 Reinking, Biblische Policey 244.
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liebe keinen Schaden nimmt. Der Hamburger Prediger Schupp greift diese Verwendung der Formel auf, um seinen Bauern auf dem platten Land zu sagen, sie seien um kein Lot besser als die Leute i n der Stadt oder am Hof: „Kein Stand in der Welt/ in welchem es nicht Statisten gebe." Gesetzt den Fall, der Apostel Paulus käme zu ihnen und predigte ihnen Buße — sie dächten noch, „er handele wider raison ihres Estats" (1659)95. Die Verbreitung der Worte Stats-Raison und Stat ist in der Mitte des Jahrhunderts auf allen Sprachstufen so allgemein, daß der Machiavellische Hocus-Pocus sagen kann: „propter Rationem Status (welche zwey Wörterchen die quint essenz deß Universi seynd)" (1672)96; gleichzeitig aber ist der Inhalt dieser „Wörterchen" bis zur Unkenntlichkeit ins Private und Moralisierende denaturiert. Es bleibt zu fragen: Was trägt Ratio status in Deutschland zur Ausbildung der politischen Bedeutung des Wortes „Staat" bei? Eine Antwort kann nur von der Sprache der hohen Politik erwartet werden, in der sich das politische Konzept der Ratio status seinem italienischen Ursprung nach am reinsten ausprägt. 4. Das Wort Stat im Einflußbereich der Staatsräson
Die oben skizzierte Phase des Fürstenstats, in der ein Regent um die Erhaltung seines Stats besorgt zu sein besondere Ursache hatte, stand i m Zeichen der Ratio status (STAT I I I . 2, b); damit haben w i r bereits einen Teil der Leistung, die der Stats-Raison bei der Ausbildung des politischen Wortinhalts zufällt, berücksichtigt: Sie bezieht den Stat auf die Voraussetzungen und Bedingungen fürstlicher Machtausübung, insbesondere auf Sicherheit und Conservation der Herrschaft (STAT II. 2, c; 3). Nun sollen weitere Komponenten i n statu nascendi gesichtet und solche Linien verfolgt werden, die über das Muster „Fürstenstat" hinausführen. (a) Die Staatsräson i n Beziehung auf den ,Stat des Fürsten' Nach der bekannten Definition von Botero, ist Ragion di stato die Kunde jener Mittel, die geignet und notwendig sind, ein Dominio zu gründen, zu erhalten und zu erweitern 9 7 . Dem Italiener heißt eine beständige und sichere Herrschaft über Menschen (dominio sopra popoli) „Stato". 93
Salomo, i n : Schuppii Schrifften 7. Machiavellischer Hocus-Pocus, 287. G. Botero Benese, Della Ragion d i Stato L i b r i Dieci, Venedig 1589, cap. 1 : „Ragione d i stato si e notitia de mezi atti a fondare, conservare ed ampliare u n Dominio." 96
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4. Das Wort Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
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(1) Stat i.S.v. Informationsgrundlage und Bedingung politischen Handelns Das Wort Stat („status") i m Deutschen setzt diese prägnante Bedeutung noch nicht voraus. Stat i m Kontext des Handelns nach ragion di stato ist zunächst nur das, was erwogen und bedacht sein will, wenn man „rational" Politik treibt, insbesondere die Chancen einer Herrschaftserweiterung überschlägt. 1627 schreibt der Londorpius: „Es ist w a h r . . . daß ein weiser König soll sich eines dings nicht vndernehmen/ er habe dann zuvor selbst seinen Statum w o l bedacht/ vnnd ich halt vor rathsam/ daß ein König sich zuvor w o l informire/ ehe er einer Resolution sich geschwindt erkläre 9 8 ." Woraus dieser Stat oder Status besteht: aus den fürstlichen Finanzen, seiner Kriegsmacht, dem Wirtschaftspotential des Landes, der Stärke seiner Gegner, der Kraft der Gesetze, die ihn binden, ist von Fall zu Fall verschieden; feststehend ist allein die Funktion des Stats: Er ist die rational aufzuklärende, zu berechnende und abzuschätzende Bedingung erfolgreichen politischen Handelns. Auch Seckendorff kennt diesen Stat, doch verknüpft er ihn fest mit dem (alten) Recht 99 .
(2) Stat i. S. v. Interesse des Fürsten Als erfahrbare Bedingung erfolgreichen politischen Handelns ist der Stat dem Fürsten „angelegen": Er ist Absicht und Maß seiner Politik, seine „Gründe und Maximen", sein „Nutzen". Seit der Interessenlehre des Duc de Rohan nennt man ihn auch „das Interesse": „ L a connaissance de cet intérest, est d'autant plus releuée par dessus celle des actions des Princes, qu'eux-mesmes le sont par dessus les peuples 100 ." 98 99
Londorpius ,
Acta publica I, 1141.
Es gehört sich, „daß ein Regent oder dessen Bediente den Staat recht erkennen/ u n d nicht eben dafür halten mögen/ daß ein Fürst alles i m Lande für eigen besitzen/ u n d etwa (bloß) . . . seines Cammer-Guts oder dominii gedencken müsse/ sondern daß auch glückselige u n d gute Regimenter seyn können/ wo ein H e r r tapfere u n d reiche/ doch dabey gehorsame/ und dem Vaterlande getreue Stände hat." (Seckendorff, Fürsten-Stat, A d d i t i o nes von 1664, Frankfurt 1678, 25.) Eine gute Kenntnis und Beobachtung des Landes-Stats läge also i m wohlverstandenen Interesse selbst des Fürsten; „tyrannische" Regenten werden „ihren Staat u n d interesse schwerlich m i t Bestand behaupten u n d ausführen: aufer impietatem de v u l t u Regis et f i r m a b i t u r justitia thronus ejus. Prov. 25" (ebd. 138). 100 De Rohan, De l'Intérêt des Princes et Estats de la Chrestienté, 1641, 103. I n dem aus dem Holländischen übersetzten Buch: „Anweisung der Heilsamen Politischen Grunde v n d M a x i m e n der Republicquen Holland v n d West-Friesland", Rotterdam 1674, macht der Übersetzer zum T i t e l die Anmerkung: „dieweil meisten theils alle Völcker i n Europa/ als Spanier/
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Die alte Vorstellung, wonach der Fürst besonders auf jene Dinge achte, welche „vnsern Eygenen Staat/ dessen Wolfahrt/ v n d der vnser e r . . . Völcker" berühren (1633) 101 , gewinnt i n solcher Beleuchtung einen neuen Sinn. So warnen etwa die von kaiserlichen Kontributionen allzurasch und widerrechtlich belasteten deutschen Stände: „Die außwertigen Potentaten schlagen auff diese Pressuren ein sonderbares Aug/ v n n d dörffen dahero auch w o l jhres eygenen Stats halber allerhandt Anlaß darbey nemen/ v n d endlich i n die Sach sich m i t einmischen" (1633) 102 . Der eigene Stat der fremden Fürsten ist deren besonderes Interesse, die günstigen Bedingungen, die sie für i h r Handeln zu wahren oder neu zu erwerben trachten. Die Bedeutungsgleichheit der Worte Stat und Interesse erkennt man sehr schön i n einem Schreiben des Herzogs von Lothringen an den französischen König: Jener verpflichtet sich gegen Frankreich, „so lang als der Lauff deß Kriegs/ wie auch der Frieden an den Interessen dieser Cron vnverbrüchlich hangen/ keine Intelligentz m i t denen vom Hauß Oesterreich/ oder andern deß Stats der Cron Feinden . . . zuhaben" (1643) 102a . „Interessen dieser Cron" w i r d durch „Stat der Cron" aufgenommen; der Allianzvertrag des Lothringers m i t Frankreich hat eben Stat und Interessen der französischen Krone zu respektieren. Der Doppelausdruck „Stat und Interesse", der die Konsequenz dieser Bedeutungsangleichung ist, w i r d seit der M i t t e der 40er Jahre geläufig. So führte etwa Schweden i m deutschen K r i e g die Waffen „zur Versicherung Dero eigenen Staats und Interesse" (1645) 103 . Der Ausdruck erscheint i n den Bestallungsformularen der adeligen Oberräte i n W ü r t temberg von 1660 bis 1717, und noch das Dekret über die Einrichtung des Generalkommissariats v o m 10. A p r i l 1719 spricht von „denjenigen Sachen, welche den Fürstlichen Staat und Interesse concerniren" 1 0 4 . Das W o r t Stat hat i n solcher Verwendung einen guten Klang; auch V.L. von Seckendorff fragt i n den Additiones zu seinem T. FürstenStat, „ w a s . . . bey gegenwärtigem Stande eines Teutschen Fürsten interesse und Stat ins gemein sey/ und w i e er sich conserviren könne" Italiäner und Frantzosen/ diese Sache m i t dem Wort Interesse ausdrucken/ so werde ich dasselbe/ kurtze halber/ i n solchem Verstand allhier offt . . . gebrauchen" (S. 1). ιοί Historische Chronik (Abelinus), Frankfurt 1633, 224. loa Ebd. 275. 102a Theatrum Europaeum, 4. Th., Frankfurt 1643, 552. 103 V On Meiern, Acta pacis Westphalicae publica, I 865; vgl. zwei Belege für Brandenburg (1651, 1660) bei A. O. Meyer 237. 104 Wintterlin, Geschichte der Behördenorganisation, I, Stuttgart 1904, 159, 154 f.
4. Das W o r t Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
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(1664) 105 . Allerdings ragt die Interesse-Lehre so tief ins Reich des Utile, daß das Honestum leicht verlorengeht. Vom Großen Kurfürsten urteilt man i n Frankreich: „ce Prince n'a d'autre foy que l'interest", zu deutsch: „Chur-Brandenburg der kein anderen Gauben hat/ alß das Interesse seines Hausses und Staats" (um 1670) 106 . Von daher gerät der Doppelausdruck Stat und Interesse ins Zwielicht; „interessiert" w i r d durch „staat-süchtig" wiedergegeben, „Interesse" durch „Staatsucht", herrschsüchtiges Zepter", „Landsüchtige Monarchie" 1 0 7 . „Ich w i l l sie fahren lassen", schreibt der Verfasser einer pro-habsburgischen Flugschrift i m Jahr 1673, „die entweder aus Antrieb ihres Geitzes und Staatsucht/ oder durch Haß und Eifersucht gegen das Haus Oesterreich/ i n dieser Sündfluth . . . große Hoffnung schöpfen" 108 . Durch die Nähe zu „Interesse" bricht der „Stat" aus den übergeordneten Bindungen eines i n der Reichs-Ideologie noch lebendigen „christlichen Europa" aus, konzentriert sich i n sich selbst. Stat und Interesse werden so das Signum des einzelstaatlichen „Egoismus": Man erwägt zur Zeit der Türkenkriege den Gedanken einer christlichen Allianz, wobei „ohngeachtet die Macht der Europäischen Potentaten... zu solchen Vornehmen zulänglich seyn möchte/ dennoch aber das offt beklagte widerwärtige Staats-Interesse solches verhindere" (1684) 109 .
(3) Stat i.S.v. Prestige Stat und Interesse, die den Fürsten verpflichten, verlocken oder aufstacheln, zeigen sich i n Bewahrung oder Erringung von „Paeeminentz und Hoheit", modern gesprochen: i m Prestige 110 . So bedeutet das Wort Stat oft nichts anderes als die Geltung, die ein Fürst bei seinen Untertanen, i m Reich 1 1 1 oder bei den Nachbarn genießt und den Einfluß, den er dadurch hat. Die Historische Chronik von 1633 berichtet, daß der Herzog von Orléans sich gegen den Vorwurf zu wehren hatte, die Re*os Seckendorff, Fürsten-Staat, Additiones von 1664, F r a n k f u r t 1678, 132; vgl. die neutral-wohlwollende Übersetzung von respectus politicus („Staatsinteresse") durch „Statsabsehen" bei K. Stieler, Sekretariatkunst I (1673), 55. L a France Démasquée . . . Entlarfftes Franckreich, o.O. o.J. 32 (B.St.B. 4 Eur 64/ 1—34); Franckreich/ Die neuen C o n j u n c t u r e s Leipzig 1685, 62 f. 107 Das erste Cabinet der Frantzösischen u n d Niederländischen Gesandten . . . durch Salicetum, o.O. 1673 (B.St.B. 4 Eur 64/ 1—34) O.S. ios Das erste Cabinet O.S. io» Das regiersüchtige Franckreich, o.O. 1684, 54 (B.St.B. ebd.). no Vgl. c. J. Burckhardt, Das W o r t i m politischen Geschehen, i n : Die neue Rundschau 1961, 311: „Der eitle und selbstische Begriff des Prestiges, dieses mißverständlichen Lehnwortes, hat nichts mehr m i t honor zu t u n " . m Vgl. den Brief des Brandenburgischen Kurfürsten an Schweden v o m März 1636: Anm. 54 des 5. Kapitels i n Teil I I .
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putation des französischen Königs durch eigenmächtiges Handeln gekränkt zu haben; er habe „zu Nachtheil Ihres Königlichen Stats" gehandelt und muß geloben, „daß w i r vns i n allen Dingen d e n . . . Vorschlägen deß Königs bequemen wollen/ bevorab was zu Erhaltung der Hochheit seines Staats gereichen mag" (1633) 112 . Die Schweden machen ihre Forderungen bei den Friedensverhandlungen i n Osnabrück m i t folgenden Worten zu einer Prestigefrage: Von ihren Bedingungen hingen ab „der Cron Schweden ganzer Staat, Sicherheit, respect, Ehr und guetter Namen" (1641) 113 . Eine Maxime statistischer Weisheit ist es daher: „man müsse bey dieser Welt nur den Staat consideriren, vnd/ wie es sich mit einem Schein... zu Gratificierung der Königen vnd Potentaten/ damit ihr Staat vnd Hochheit erhalten/ vnd ihr Reich vermehret werde/ practiciren liesse/ rathen" (1646) 114 . I m Wort „Schein" klingt der neue Begriff des Prestiges (prestigiae: Blendwerk) bereits an. (4) Stat i.S.v. Sicherheit
der Herrschaft
Stat und Interesse zeigen sich auch in der Sicherheit einer Herrschaft nach innen und außen, wobei Sicherheit auf die Vorstellungen der Bedrohung, des Gefahrlaufens (periclitiren), des Untergangs (ruin) antwortet: Der Stat eines Fürsten bezieht sich sowohl auf den festen Bestand 1 1 5 als auf das nie beruhigte Sicherungsbedürfnis seiner Herrschaft: den sicheren Besitz eines Territoriums, die sichere Verfügbarkeit über sein Potential, die sichere Befehlsgewalt über die Untertanen und die sichere Position neben auswärtigen Mächten. Alle diese Beziehungen geben dem „Stat" sein Gepräge. A m 8. März 1636 schreibt der Kurfürst von Brandenburg an Schweden: Die Neutralität Preußens habe bei der Krone Polen großen Argwohn ausgelöst, „daß w i r fast an vnsern gantzen Stat darüber periclitiret, vnnd ob w i r zwar anjetzo . . . wieder zu sichern besitze vnsers Hertzogthumbs... gelanget... so ist es doch mit solchem schlechten Zustandt deß Landes geschehen 116 ." Stat ist also noch nicht einfach Herzogtum, sondern dessen „sicherer Besitz". 112 Historische Chronik (Abelinus), F r a n k f u r t 1633, 575, 581. U3 Sattler, Geschichte des Herzogthums Würtenberg, 8. Th., Beylagen, 8. 114 Philander von 1646, 344. il® I n dieser Bedeutung ist Stat k e i n W o r t der Staatsräson, sondern v i e l älter. „Status et firmitas imperii" sind bereits von Papst Leo u n d Kaiser Martian i m Jahr 450 n. Chr. als politisches Ziel des geplanten Konzils genannt, vgl. P L 54, 899, 903. ne Theatrum Europaeum, Contin. I I I , F r a n k f u r t 1639, 560; schon 1636 abgedruckt i n „Gegründete Ablehnung/ Etlicher . . . dubiorum", o.O., 180.
4. Das W o r t Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
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Schweden trat — wie bei den Verhandlungen zum Prager Frieden immer wieder betont w i r d — zu Versicherung seines Stats i n den Krieg ein 1 1 7 , es macht „Staat, Sicherheit" auch zu Friedensbedingungen und schließlich zum Gegenstand der Klage wegen Friedensbruch: Österreich wolle „dem Staad vnnd der Sicherheit nach der Gurgel stossen" (1657) 118 . Vergebens klagen die Stände des Reichs, daß die ausländischen Kronen und Potentaten „diesen Deutschen für ihren eigenen Krieg halten, dabey auch ein jeder, daß darauf sein gantzer Staat und Sicherheit beruhe, anziehen thut" (1645) 119 . Stat ist hier nicht soviel wie „Reich", sondern die Ausgeglichenheit der äußeren Verhältnisse eines Reichs, seine günstige Position i m Konzert der Mächte. E negativo w i r d das am Beispiel Hollands deutlich, das gegen Ende des Krieges die Frage stellt, ob es nicht ratsam sei, vorzeitig aus der Allianz m i t Frankreich auszuscheiden: „Diesen mächtigen Nachbarn/ das ist/ einen solchen vnsichern Stat/ sollen w i r bekommen/ wenn w i r i m Krieg bleiben" (1648)1*0. (5) Stat i.S.v. Souveränität und absolutem Regiment als Inbegriff fürstlichen Stats nach innen
des
Die Sicherheit der Befehlsgewalt, das was Botero dominio fermo sopra popoli nennt, wurde von den Schweden i m Jahre 1633 auf dem Wege einer Formula juramenti fidelitatis erstrebt; sie drängten die katholische Geistlichkeit von Augsburg zur Anerkennung der Eidesformel „zu dem ende/ daß s i e . . . solch Jurament Ihr. Königl. Mayestät der Cron Schweden/ vnd dem Rath zu Augsp. leisten vnd ablegen solten/ allein zu Versicherung Ihr. Mayest. Stats ohne einige Abbruch jhrer Religion/ vnd deroselben Vbung". Der Chronist bemerkt, die Geistlichen seien standhaft geblieben, obwohl „das Jurament einig vnnd allein das politische Wesen betreffe/ vnd jhnen außtrücklich/ der Religion/ Gewissens/ vnd Geistlichen P r i v i l e g i e n . . . hochverbündlich cavirt" (1639) 121 . Der Stat, dem die Geistlichen die Anerkennung versagen, ist des schwedischen Königs Dominât, Hoheit i n politischen Dingen, „Souveränität". H7 Vgl. Vindiciae Secundum Libertatem Germaniae Contra Pacificationem Pragensem, Stralsund, o.J. (1636), 77: Schweden führe den K r i e g wegen „Versicherung dieses Estats". ne Historico-Politica Deductio, o.O. 1658, 728. us von Meiern, Acta I, 851; Scopus Tractatum sei „die Versicherung der Cronen eigenen Staats", ebd. 852. 120 Philander von 1648, 322. 121 Theatrum Europaeum, Contin. I I I , 61.
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Als der Kriegskommissar des Großen Kurfürsten bei seiner i n höchstem Auftrag durchgeführten Enquête durch die zu vermessenden Amtsräte und Stände i n Bedrängnis geriet, erhielt er vom Kurfürsten folgendes Protectorium: „Ist derowegen an Jedermänniglich, wes Stands . . . derselbe sein möge, Unseres Staats Erheischung nach, gehöriges Ersuchen, Gesinnen und Begehren,... ermelten Joh. Paul Ludwigen für Unsern . . . Commissarium zu erkennen" (1647) 122 . Der ständischen Einrede setzt der Kurfürst die Berufung auf seinen Stat entgegen: Es ist der „erheischende", oberbotmäßige Stat oder die souveräne Gewalt; mit ihr bestärkt er sein „Begehren", setzt es absolut. Das Problem der Fronde in Frankreich ist das der ständischen Reaktion gegen den allzuhohen und zu strengen „Stat" des Königs; es sind — nach zeitgenössischen Wendungen — „Verbündnuß vnd Verrätherey wider den König vnd seine Statt vnd Stat" oder „gegen seine Person/ Stat vnd Statt 1 2 3 ." Verbrechen „gegen den Stat" sind das bevorzugte politische Delikt des 17. Jahrhunderts und haben sprichwörtlichen Rang. So fragt etwa der Philander von 1648, indem er sich darüber verwundert, daß die Maranen aus Spanien vertrieben werden: „haben sie etwan die Brunnen vergifft/ oder sich wider den Stad uff gelehnt 1 2 4 ?" I n der eifersüchtigen Sorge um Stat und souveraineté äußert sich der Drang der europäischen Fürsten zum absoluten Regiment; 1649 spricht der Philander nicht von ungefähr vom „absoluten Staat": Man erfahre bei den Statisten, „was doch Ratio Status vor ein seltzames Thier wäre/ vnd wie man zu einem absoluten Staat gelangen/ vnd eine rechte Monarchiam anrichten könne 1 2 5 ". So gelangt das Wort Stat unter dem Einfluß von Ratio status zur Funktion des alle Interessen, Ansprüche, Rechte des Regenten zusammenfassenden und steigernden und seine Stellung gegenüber der ständischen Gesellschaft auszeichnenden Begriffs. Wie kritisch man diesen Prozeß von Deutschland aus beobachtete, geht aus den Kommentaren zu den Ereignissen i n England hervor. Man erkennt, welche Griffe Cromwell gebraucht hat, um seine Macht 122 Zit. S. Isaacsohn, Geschichte des Preußischen Beamtenthums, Bd. 2, Leipzig 1878, 145 A n m . 123 vgl. Theatrum Europaeum Contin. I I I , 354. E i n Baron wurde verurteilt, da er angeklagt u n d für schuldig befunden war, „ v o r der Conspiration/ dem Anschlag/ dessen Fortstellung . . . Verbündnuß v n d Tractaten/ von j h m gemachet m i t dem Feind/ v n d gegen dem Feind/ v n d gegen den Stat" (Theatrum Europaeum, 4 Th., F r a n k f u r t 1643, 825). 124 Philander von 1648, 550. 125 Philander v o n 1649, 450.
4. Das Wort Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
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schrankenlos zu machen 126 , und man wartet auf den Augenblick, wo der aufgeschichtete Stat zerfallen wird: „Das Wachs muß endlich schmeltzen und zerrinnen: und der hohe Staat durch Gewalt und List aufgeführt/ kan i n die Länge nicht bleiben; und w i r d selten (gleichwie die erschundenen Güter der Geitzhälse und Wucherer) auf den andren/ geschweige dritten Erben verstammet. Denn wo ist jetzt ein Fußstapffen solcher Cromwelischen Pracht/ Macht/ und Herrlichkeit mehr übrig?" (1669) 127 . Ratio status neigt dazu, den Stat des Fürsten gegenüber der Gesellschaft des Landes durch Absolut-Setzen zu isolieren; Stat ist Souveränität, Interesse, Macht, Sicherheit, Herrlichkeit des fürstlichen Regiments i m engsten Sinne. I n dieser Bedeutung ist „Stat" keineswegs nur i n politischen Urkunden gebräuchlich, wie die Belege aus den Chroniken, Flugschriften und den Philander-Romanen beweisen. Auch A. Gryphius verwendet es so seit 1646 — i m Anschluß an den Holländer Joost van Vondel — i n seinen Tragödien 1 2 8 und trägt nicht wenig dazu bei, daß das Wort i n den späteren „Haupt- und Staatsaktionen" ein fester Begriff wird. „Stat" hat dabei keinen anderen Sinn als den hier gewiesenen.
(6) Stat i.S.v. äußerer Macht eines Fürsten und seines Landes sowie Fürst oder Land als „Macht" Neben der inneren Souveränität des Fürsten w i r d auch seine bzw. des Landes Souveränität oder „Macht" nach außen als Stat erfaßt, den es zu beobachten, zu befestigen und vor Verfall zu schützen gilt; dieser Wortinhalt w i r d vorbereitet vom „äußeren Stat des Landes" (STAT V. 6) und spielt bei den Ratio-status-Varianten „Hoheit", „Interesse", „Sicherheit" mit. Er kann sich soweit verselbständigen, daß — wenn 126 Vgl. Der K r ö n Franckreich Rechtmässige Praetensiones . . . von S. Stürmen, Emden 1663, 32: „ W i e Cromwel seine Protectur u n d Stadt i n England befästigen wollen/ hat er solches auff keinen sichern Weg t h u n können als da er . . . unter dem A d e l eine Gleichheit . . . einführete." 127 E. Franciscus, Die lustige Schau-Bühne, Nürnberg 1669, 862. 128 I n den Vondelschen „gebroeders", die Gryphius 1643 unter dem T i t e l „Die Sieben Brüder/ Oder Die Gibeoniter" ins Deutsche übersetzt, w i r d die Übertragung der Krone von den Gibeonitern auf Saul erläutert: „Doch Gott/ der Ober-Herr/ vor dem w i r alle gleich gleich/ Gibt n u r den Staat zu lehn/ und setzt uns Ziel und Gräntzen/ Die Sonne steigt u n d fällt . . . so sucht die Majestät Jetzt diß itzt jenes Haus . . . D r u m beugt euch unter den dem Cron u n d Staat befohlen." (Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, Bd. 6, Tübingen 1966, 96.) Weitere Belege für Stat i.S.v. Macht, Souveränität, Thron, Krone: „Leo Armenius" (1646), ebd. Bd. 5, S. 32; „Carolus Stuardus" (1649/1650) Bd. 4, S. 5, 19, 20, 27 f., 39; „Aemilius Paulus" (1659) ebd. S. 167, 214 f.; Catharina von Georgien" (1657), Bd. 6, S. 180, 182, 208.
11 Weinaeht
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von einem Fürstentum oder Reich die Rede ist — nurmehr dem „Stat" Beachtung geschenkt wird. Der Westfälische Friede besiegelt die gewachsene Geltung einiger Souveränitäten: „Daß nun der Hochmuth der S p a n i e r . . . ein merckliches abgenommen/ vnd hingegen der Frantzosen vnd der Staaden Macht vnnd Staat sichtbarlich gewachsen vnd zugenommen/ w i r d der Frantzos beständiglich bejahen" (1649) 129 . Der wachstümliche Zusammenhang von Interesse, Macht und Souveränität erhellt aus folgender Stelle: Es sei bewiesen, „daß Holland/ i n dem es sein eigen Interesse wohl i n acht nimmt/ hier i n Europa/ einen Staat für sich selbsten/ ohne an jemands anderen zu dependiren oder von einigem außheimischen Gewalt können überwältiget zu werden/ wurde machen können" (1665) 130 . So gelten die Niederlande auch als „der considerabelste/ mächtigste und reicheste Staat der gantzen W e l t " 1 3 1 . „Stat", einmal verselbständigt, löst sich aus der Gleichrangigkeit m i t „Interesse" oder „Macht" und erhält sie als Attribute: Es wurde „niemalen einige A l liantz wider das Interesse dieses Staats absolutim consideriret" oder: Es sei „die Schiffs-Macht dieses S t a a t s . . . redoutabel" 1 3 2 . Den Schweden w i r d gesagt: „daß es mit dem Interesse ihres Staats durchaus nicht übereinstimme/ wafern Franckreichs Macht so überaus groß würde" (1672) 133 . Stat ist i n solcher Verwendung Synonym mit „Reich", „Republik", „Land" — aber nur insofern, als diese unter dem Gesichtspunkt ihrer Macht, Unabhängigkeit, Geltung, Souveränität gesehen werden. „Stat" und „Land" können auch getrennt vorgestellt werden. Der Philander von 1649 beschreibt das Mißtrauen Frankreichs und Schwedens gegenüber den Niederlanden und läßt jene reflektieren: „ob sie unsere Länder nicht gleich bekriegen würden/ so würden sie doch allerhand Practicken suchen/ vns so w o l an unserm Staat/ als Commercien ein mercklichen Abbruch zuthun" (1649) 134 . Der verselbständigte Stat der äußeren Souveränität t r i t t als persona agens i n das politische Spiel ein. Die älteste Belegstelle datiert von 1611 („ausländische Staaten und kommunen") 1 3 5 , eine andere Rede129 Philander 1649, 603. " ο Interesse Hollands, o.O. 1665, 269. 131 Ebd. 176. 132 Ebd. 238, 193. 133 Copia eines Briefes/ Geschrieben aus Rotterdam an N.N., 1672, O.S. 134 Philander 1649, 590. 135 E i n Gutachten über die Reformation der kaiserlichen Hofbehörden f ü h r t aus: „Es sollen sich auch die geheimen r ä t h bemühen, alle die einträg, die dem heil, reich, auch dessen ständen u n d unterthanen von ausländischen
4. Das W o r t Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
163
weise ist die von „Staaten und Interessenten" 136 . Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges diskutiert man die Allianz-Politik Hollands und fragt sich etwa, ob „ein solcher Stat als Souverain an solche b e z ü g liche Contract gebunden" (1648) 137 , man spricht von einer ,Erklärung des Staats' (der Niederlande), daß etwas „ohn dessen Wissen" bzw. „nicht allein m i t Vorbewust/ sondern auch m i t Ordre des Staats selber geschehen" sei (1672) 137a , oder man stellt den „Stahtsatz" auf: „daß ein Staht/ der aus sich selbsten . . . nicht bestehen k a n n / . . . neue einwohner . . . zu sich ziehen . . . mus" (1677) 138 . Gewöhnlich aber läßt man den Stat durch den Regenten und Staten durch Potentaten handeln 1 3 9 . (7) Stat Ì.S.V. Gebiet und hoheitlicher
Einflußsphäre
Ratio status bezieht das Wort Stat auch auf das Territorium (vgl. STAT VI), das entweder Besitz oder Machtgrundlage oder Herrschaftsgebiet oder souveräner Hoheitsbereich ist und derart bald das Domanium oder Krongut, das Fürstentum oder Reich, Teile oder Provinzen davon oder die hoheitliche Einflußspäre überhaupt bedeutet. „ A m pliare un dominio" ist daher ein Doppeltes: Erweiterung der hoheitlichen Befugnisse und Erweiterung des Gebietes 140 . (b) Die Staatsräson i n Beziehung auf den „inneren Stat des Landes" Die bisher beobachteten, von Ratio status geprägten Varianten des Wortes bleiben i n der Sphäre der Fürstenmacht; entweder beziehen Staaten oder kommunen, als Spanien, Frankreich, Venedig oder den Staaten i n Holland und Seeland zugefügt werden, i n fleissige berathschlagung zu ziehen" (Fellner-Kretschmayr , I. 2, 378). Die „ausländischen Staaten" könnten auch die Regierungen, K r o n e n oder Potentaten dieser Länder sein; dann wäre die Pluralform unter dem Einfluß der i m gleichen Satz erwähnten General-„staaten" zustande gekommen. !36 1646 ist die Rede von „Securität der Cronen u n d anderer benachbarter Staaten u n d Interessenten" (von Meiern, Acta I, 853). 137 Philander 1648, 298. i37a Fernerer u n d Außführlicher Bericht, o.O. 1672, O.S.; vgl. ebd.: „Der Staat selber/ der nicht wolte vertheidigen einige Rebellen . . . / hat damahls gerne geschützet die Sache eines verfluchten Königs-Mörders/ u n d geschlossen den allerschändlichsten Vertrag . . . u n d sich zwingen lassen . . . " !38 von Zesen, Niederländischer Leue, Nürnberg 1677, 239. 139 Seit 1656 erscheint die klingende Formel „Staaten u n d Potentaten", die auch durch „Herren oder Staaten" ersetzbar ist (Anweisung der H e i l samen Politischen Grunde, Rotterdam 1671, 2). Die dem W o r t Stat(en) beigefügte Personenbezeichnung ermöglicht oder unterstreicht die F u n k t i o n des Wortes als agens, vgl. Kap. 2. 5 e i n T e i l I. 140 vgl. „ampliare" i n der Frage der geistlichen Güter: „ v i e l Fürsten . . . deren Staat auß solchen Gütern insonderheit w a r zusammengewachsen . . . (beschlossen) die Widereinraumung der Bistummer v n d Clöster zuverhindern." (Philander 1649, 653 f.); oder i m Falle der Stadt Lucca i n Italien: Die Florentiner waren entschlossen, „auffs ehestes dieselbe Stadt unter ihren 11 ·
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sie sich auf einzelne ihrer Stützen oder Erscheinungsweisen oder sie erfassen das ganze Land, jedoch unter dem Gesichtspunkt von Souveränität und Macht, also als Voraussetzung und Ziel der äußeren Polit i k des Fürsten. Ein wichtiger Teil der politischen Wirklichkeit des Fürstenstats ist dabei noch gar nicht i n den Blick gekommen: der innere Stat des Landes. Wie w i r k t Ratio status auf ihn?
(8) Stat
i.S.v.
gemeinem
Wesen
(formal)
Zum inneren Stat eines Landes gehört das Regiment des Fürsten, bei dem die Stände zu Rat und Hilfe aufgerufen sind. Ihre Hilfe, d. h. die Zustimmung zu Extraordinari-Steuern, w i r d vom Fürsten proponiert für den „Staat vndt zue deßelben fortsetzung vndt erhaltung" (1629)141 bzw. „zur vnterhalt deß Status in diesen Landen" (1639) 142 . Was hier Stat bedeutet, geht aus einer Stelle des Philander hervor: Er lobt die Venezianer wegen der Verwendung der Steuern; sie w ü r den ausgeben „zu conservirung vnd Besserung der Landen/ als nemblich zu bestellung der Empter/ Bezahlung der Soldaten/ Befestigung der Stätte/ Verfestigung der Zeughäusser" usw. Eine Marginalie faßt zusammen: Die Steuern würden „ordentlich zu Erhaltung deß Staats außgetheilet" (1649) 143 . Die Frage der Steuerbewilligung veranlaßt die Ratio status des Fürsten, den Stat, den es zu erhalten, zu unterhalten, aufzurichten, vor dem Ruin zu bewahren gilt, als gemeinsamen auszuweisen: Der w ü r t tembergische Herzog erklärt sein Vorhaben 1659 als „dem gemeinen Weesen, vnd Fürstl. Staats sicherhait zum Bessten" 144 . I n solchem Zusammenhang ist „der Stat" oder der „fürstliche Stat" der „ganze" oder „gemeine Stat" 1 4 5 . Das Wort spannt sich über die gegenläufigen Interessen von Land und Herrschaft und bezeichnet die Ebene ihrer Gemeinsamkeit. Daher kann Reinking sagen: Ratio status, begleitet durch Gewalt zu bringen und ihren Staat zu erweitern" (Italiänische StaatsGründe/ oder . . . Diseurs J. Calderini, Frankfurt 1667, 3). 141 W L G 458. 142 Theatrum Europaeum Contin. I I I , F r a n k f u r t 1639, 213. 143 Philander 1649, 280 f. 144 W L G 637. 145 Vgl. auch S T A T V. 3; der Kameralist J. J. Becher stellt die kritische Diagnose: „grosser Herren Cameralisten vermeinen anjetzo/ w a n n n u r die Cammer-Güter w o h l stehen/ und die Contributiones richtig einkommen/ so sey es alles gut/' die Unterthanen vermeinen hingegen/ w a n n nur ihre Nahrung w o h l gehe/ Gott gebe der gemeine Staat sey w o h l oder übel" (Politische Diseurs, Frankfurt 21672, 38 f.).
165
4. Das Wort Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
Recht, ist eine „kluge und vernünfftige Erweg- unnd Beobachtung eines jeden Regenten-Staats oder gemeinen Wesens" (1653) 146 . Der Kontext der Landtagsproposition erzeugt auch das recht modern anmutende Wort „Staatspflichten". Herzog Eberhard spricht es i m Jahr 1645 seinen Ständen gegenüber zum erstenmal aus: Der Herzog erwartet die Verwilligung der Extraordinari-Steuern in „Trew vnd Devotion gegen Vnß, Allß dem LandtsFürsten, vnd dem hochgekränckhten Vatterlandt, zue deßen weiterer Conservation, Auß angebohrner Liebe gegen demselben vnd obhabenden StaatsPflichten" (1645) 147 . Die Wortbildung setzt voraus, daß der Stat nicht die Summe der fürstlichen Hoheitsrechte, aber auch nicht die Landesverfassung oder das gute alte Recht der Stände ist, sondern ein gemeinsames Drittes, in das die Rechte und Verbindlichkeiten beider eingehen: das gemeine Wesen.
(9) Stat
i.S.v.
Reich,
Herzogtum,
Land
(substantiell)
Ratio status trägt dazu bei, daß sich der innere Stat des Landes zum gemeinen Wesen erhebt; sie läßt ihn i n einem weiteren Schritt substantiell und selbständig werden als ein körperhaft vorstellbares Wesen, das regiert wird, ein Haupt hat, Kräfte und Interessen besitzt, i n Form und Substanz erhalten wird. Diese voluminöse Bedeutung von „Stat" erscheint vereinzelt bereits in den zwanziger Jahren, w i r d in den dreißiger Jahren häufiger und ist in den späten vierziger Jahren bereits anerkanntes Synonym älterer politischer Wörter wie corpus politicum, respublica, regnum. Die Kontexte, in denen diese Bedeutung erscheint und sich bildet, sind mannigfaltig, sehr oft neigen sie der Stats-Raison zu. 1620 schreibt J. W. Neumayr i n einem Ratio-status-Traktat: „Innerliche Kriege" würden gewöhnlich „den gemeinsamen Nutz turbiren vnd vmbkehren"; und wenn man Parteiungen nicht i m Ansatz ersticke, „so kommen sie nimmermehr zum End/ es geschehe dann mit Außtilgung des einen Theils/ oder vntergang des Stats". „Darumb/ wann i n einer Republic sich dergleichen Trennung b e g i b t / . . . So soll man der Neutralisten Natur vnd Zustand fleissig i n acht nehmen 1 4 8 ". Der Bürgerkrieg reißt mit dem „Stat" nicht nur die öffentliche Ordne Reinking, Biblische Policey, Frankfurt 21663, 234. 147 W L G 534. 148 Newmayr, V o n der Neutralitet V n d Assistentz, E r f u r t (O.S.); die italienische Vorlage hat: „ l a ruina dello stato."
1620, cap. 12
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nung nieder, sondern auch die Einrichtungen der Regierung, Wohlstand der Bürgerschaft, ja die ganze Gemeinde und die Stadt. Als i m März 1633 die württembergische Administration beendet werden soll, formuliert der landschaftliche Ausschuß: „Was zum andern das Regiment und wie diser so hochlaidiger Beschaffenheit dises Staats . . . ein gewisses beständiges Haupt vorzustellen seyn möchte, belangen t h u e t . . . 1 4 9 ." Zwar ist nicht sicher auszumachen, ob Stat hier auf das herzogliche Wesen i m engeren Sinn (Hausgüter und Regiment) bezogen wird, oder ob es i m weiteren Sinn Regiment und „Herzogtum" meint, doch spricht vieles dafür, daß ganz Württemberg mit verstanden werden soll: beide (politische) Körper haben ja dasselbe Haupt 1 5 0 . Die substantielle Vorstellung prägt sich noch deutlicher aus: 1645 anerkennt der Herzog, daß durch der Landschaft „beyhülff vnd Assistenz, diser vor Allen Andern i m gantzen Römischen Reich, von Allen Enden vnd orthen her so hoch angefochtener S t a a t . . . so weit i n Gaist- vnd Weltlichem i n seiner Form vnd Substantz erhalten worden, daß nunmehr deßen volkhommene Redintegration vermittelst wohlangefangener Vniversal Fridens tractaten zue Münster vnd Oßnabrückh, von dem lieben Gott i n Kürtze zue hoffen" 1 5 1 . Stat t r i t t dabei aus der Gleichrangigkeit m i t Begriffen wie Interesse, Macht heraus und ordnet sie sich ein und unter. Er ist nicht mehr, sondern hat ein Interesse. So spricht man von Schriften, die dienlich wären „zu Erklärung eines und deß andern Staats seines habenden Interesse und Angelegenheiten" 1 5 2 ; oder man sagt, daß „dieses Fürstlichen Staats vires, interesse, Vermögen, vnd Vnvermögen n i c h t . . . bekandhe" werden dürften (1659) 153 . Auch das Verhältnis von Stat und Regiment artikultiert sich: 1648 erscheint das Wort „Stats Regierung" 1 5 4 . Eine Postzeitung berichtet 1661 aus Paris: „Weil deß Herrn Cardinais Schwachheit je lenger je mehr zunimbt/ als haben I h r Eminentz einen uffsatz gemacht/ wie der allgemeine Staat zu regieren 1 5 5 ." Seckendorff spricht 1664 von M i n i stern als Personen, auf deren Dienst „des gantzen Stats Regierung be149 Sattler, Geschichte des Herzogthums W., Th. 7, Beylagen, 87. 150 So zu verstehen wären auch Wendungen w i e „aus . . . obligender Schuldigkeit gegen disem Staat" (1632) oder „die zuem Fürstl. V o r m u n d Staat hochverpflichte samenthaffte Räth u n d Diener" (1633; Sattler, Geschichte des Herzogthums, ebd. 69, 87). ist W L G 534. Isa M. Meyeri Silesii Londorpius Suppletus, F r a n k f u r t 1666, Widmung. 153 W L G 637. 154 Philander 1648, 337. iss Die deutsche Zeitung des siebzehnten Jh. i n Abbildungen, ed. W. Schöne, Leipzig 1940, 230,
4. Das W o r t Stat i m Einflußbereich der Staatsräson
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stünde", er preist zugleich den Regenten, der „seinen Stat w o l conserviret und regieret sehen k a n " 1 5 6 . Schließlich kann Stat i n Fortführung der hier beobachteten Bedeutung „politisches Gemeinwesen" zusammen m i t oder anstelle von traditionellen politischen Begriffen verwendet werden. I n seiner Schwedischen Historie schreibt von Chemnitz i m Jahr 1648: Gustav Adolf sei i n den deutschen Krieg eingetreten „durch eigne/ seinem stat vnd Königreich androhende/ Gefahr"; den Verbündeten macht er zur Bedingung, „daß I h m und seinem stat von Jhnen vnd aus ihren Landen weder Gefahr/ noch Last zustehen solte" 1 5 7 . Während Chemnitz mit diesem Gebrauch des Wortes i m Jahr 1648 noch sparsam umgeht, ist er 1653, i m zweiten Teil seiner Historie, schon häufiger: I n der Widmung steht die Reflexion: „befinden Wir/ das der A l l Waltende Gott/ so offt Er einigen Stat/ Land oder Königreich vor andern zuerheben vnd hervorzuziehen willens/ solchem Stat, Lande/ oder Königreiche . . . Heroische Obrigkeit . . . vorzusetzen . . . pfleget". Oder: „die grundfeste/ vnd das Haubtfundament eines Reichs oder Stats ist die höchste Obrigkeit selbst: Worauff der gantze baw vornehmlich beruhet" (1653) 158 . I m gleichen Jahr 1653 gibt Reinking dazu ausdrücklich den Kontext von Ratio status: Üble Stats-Raison sei es, „sein Reich oder Staat perfas vel nef as zu vermehren/ und grösser zu machen"; gute und vom Recht begleitete Stats-Raison hingegen sei eine „kluge und vernünfftige Erweg- unnd Beobachtung eines jeden Regenten-Staats oder gemeinen Wesens" 159 . M i t Ratio status ist dieser Wortgebrauch auch in die literarische Sprache eingedrungen. 1649 schreibt der Philander: Ein König dürfe, ja müsse nach bestem Vermögen „sein Königreich vnnd Staat durch Waffen vnnd Bündnussen... beschützen"; bei den Franzosen w i r d bemerkt, daß sie „Ratione Status vnd regnandi cupidine wenig Freundschafft bey den benachbarten suchen/ sondern zu Erweiterung jhres Reichs vnd Staats, auch w o l der nechsten Blutsverwandten nicht verschonen" (1649) 160 . Das Wort Stat nimmt diese Stellung i m Satzzusammenhang i m Laufe der Zeit immer häufiger ein. Als Wort „ohne" Pluralform ist es ΐ5β Seckendorff, Fürsten-Staat, Additiones v o n 1664, F r a n k f u r t 1678, 109, 143. 157 B. Ph. von Chemnitz, Königlichen Schwedischen I n Teutschland geführten Kriegs Erster Theil, alten Stettin 1648, 14, 124. iss Ders., Königlichen Schwedischen I n Teutschland geführten Kriegs Ander Theil, Stockholm 1653, Widmung, iss Reinking, Biblische Policey 232, 234. 160 Philander 1649, 718, 545.
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in der Regel sogar auf einen pluralbildenden Begleiter der genannten A r t angewiesen 161 . Aber es setzt sich gegenüber den andern Varianten von Stat nicht durch: Alle bleiben gleichberechtigt. Das Wort kann bald i n selbständiger substantieller, bald in nicht-selbständiger und formeller Weise gebraucht werden, als partielle, teilintegrierte und ganzheitliche Vorstellung, mehr von der Seite fürstlicher Souveränität und mehr von der Seite ständischer Kooperation, ja sogar von der Seite privater Rangansprüche, und es kann insbesondere einen moralisch abwertenden Beiklang annehmen, der das Wort zum Skandalon macht. Aus dieser Situation heraus strebte die gelehrte politische Theorie nach einer Eingrenzung und Festlegung des Wortinhalts. Die frühesten Reflexionen auf Sinn und Bedeutung entspringen der Multivalenz und insbesondere der moralischen Verschattung des Wortes. 5. Reflektierter Wort gebrauch: Stat als Oberbegriff für Regierende und Regierte und als Oberbegriff für verschiedene Arten von politischen Gemeinwesen
Seit 1640 w i r d der Gegenstandsbereich von raison d'estat auch in deutschen Texten e r k l ä r t 1 6 2 ; i m Jahr 1647 bestimmt C. M. Grottnitz erstmalig auf deutsch das Wort „Staad": "Was man eigentlich und warhafftig ein Regiment oder einen Staad heisset/ ist nichts anders als eine Ordnung/ durch welcher Behuff unterschiedliche Stände und Gemeinschafften regieret werden/ dessen Absehen allein zu derer allgemeinen Wollfahrt gerichtet ist. Alle unter einer ebenmässigen Regierung gesamiete Ständ und Gemeinen können eigentlich auch ein Regiment genennet werden 1 6 3 ." I n der zuerst reflektierten Bedeutung erkennt man unschwer den „inneren Stat des Landes" wieder, der i m Kontext von Ratio status als der „gemeine" Stat ausgegeben w i r d (STAT V I I . 4, 8). Die zweite Bedeutung jedoch überrascht: Stat bzw. Regiment wäre hier soviel wie societas civilis; mag diese Bedeutung i m Wort Stat auch zuweilen mitklingen (STAT V I I . 4,9), so ist eine prägnant gesellschaftliche Verwendung des Wortes in dieser frühen Periode kaum zu belegen. Bei der vorliegenden Definition handelt es sich denn auch um einen Übersetzungstext aus dem Französischen, der mehr über das Wort „estat" als über zeitgenössisches „Stat" („Staad") aussagt 164 . Die Beteuerungsformel allerdings: „Was man eigentlich und warhaff tig . . . einen Staad heisset", ist nicht philologisch, sondern poliiei Vgl. „die Regimenter und Staat", Königreich" (J. E. Keßler, Staats-Regul 162 philander 1640, 576: „Reichs v n d 163 Grottnitz, Regiments-Rath 2. 164 Vgl. Le Conseiller d'Estat, Paris
„Staat und Länder", „die Staat und 306, 503, 506). Lands N o t t h u r f f t " . 1632 (andere Ausgabe: Paris 1642).
5. Reflektierter Wortgebrauch: Stat als Oberbegriff für Regierende
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tisch gemeint und richtet sich nicht nur in Frankreich, sondern auch i n Deutschland gegen die üble Staatsräson. Bereits in der Vorrede seines Buchs wehrt Grottnitz die landläufigen Mißverständnisse von der „Pol i t i k " ab: Sie sei „ihrer Würdigkeit halber eine Königliche Wissenschafft/ ins gemein Ratio status, und auff gut alt Teutsch des Landes und Regiments Richtschnur genennet" 1 6 5 . Das Wort „Stat" oder „Staad" w i r d i m Kontext der Ratio status zum erstenmal und lange Zeit ausschließlich reflektiert. Der Grund dafür ist eine erwünschte Unterscheidung des anrüchigen Politikbegriffs von dem „eigentlichen", den man — nach dem Vorbild der italienischen Ragion-di-stato - L i t e r a t u r 1 6 6 — durch Herausstellung und Eingrenzung des Bezugsobjekts der Ratio status zu finden sucht. Reinking betont als erster die fremde Herkunft und den üblen Gebrauchswert des Wortes Stat. Nachdem er der welschen Raison de Estat gegenüber seinen „Ekkel" geäußert hat, fährt er fort: „imgleichen (ist) das Wort Staad ursprünglich nicht Teutsch/ sondern Lateinisch"; das aber ist wiederum keine rein philologische Aussage, denn sie bedeutet für das Wort StatsRaison: „und weiß es auch nicht eigentlich auff gut Teutsch zu geben/ weil res ipsa auch nicht gut Teutsch ist" (1653) 167 . Wenn das Wort durch den Hinweis auf seine fremde Herkunft diskreditiert werden kann 1 6 8 , so kann es auch durch Berufung auf seinen lateinischen oder italienischen Ursprung i m „eigentlichen" Sinne erklärt und ausgewiesen werden 1 6 9 . Inhaltlich unterscheiden sich diese Stoltenberg k o m m t i n seiner Geschichte der deutschen Gruppwissenschaft, Leipzig 1937 (S. 65 ff.), zu einigen sehr abwegigen Urteilen, da er die frz. Quelle Grottnitz' nicht kennt — dieser übersetzt wörtlich! — und inhaltliche Parallelen zur „deutschen Gruppenwissenschaft" sucht! iss Grottnitz, Regiments-Rath, Vorrede (O.S.). !66 Botero definiert i n der zweiten Ausgabe seines Traktats Deila Ragion d i Stato, Kap. 1, das W o r t stato, u n d zwar unter Berücksichtigung der Bestimmung Machiavellis i n I I Principe, Kap. 1 („imperio sopra g l i uomini" w i r d bei Botero zu „dominio fermo sopra popoli"). Nach Botero definieren alle Theoretiker der ragione d i stato, was sie unter „stato" verstanden wissen wollen — bald i n Übereinstimmung m i t dem allgemeinen Sprachgebrauch, bald gegen die übliche Bedeutung des Wortes. Vgl. S. Ammirato , Discorsi sopra C. Tacito, Venetia 1594 ( X I I . 1); G. A. Palazzo , Del Governo, Napoli 1604, 12; G. Frachetta, I l Prencipe, Venetia 1599, 14; 5. Chiaramonti , Della Ragione d i Stato, 1635 u.a. 167 Reinking, Biblische Policey 233. les Vgl. Seckendorff, Fürsten-Stat, Vorrede und Christen-Stat (1685; zit. nach Lp. 1716, Vorrede): „Es eckelt mich das nicht gar reine oder hochteutsche wort, Stat, selbsten". Α. B. Rautner, A n f ü h r u n g zur Teutschen Stats-Kunst, Nürnberg 1672, Vorrede I I I : „ U n d muß ich zwar gestehen daß dieser N a h m (seil. StatsKunst) . . . aus andern Sprachen . . . i n unsre Mutter-Sprache m i t eingeschoben worden ist: W i r w o l l e n aber i n diesem Strom n u r m i t fortschwimmen"; vgl. J. E. Keßler, Staats-Regul 13.
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B e s t i m m u n g e n des Stats als L e h n w o r t v o n d e n gleichfalls belegten B e s t i m m u n g e n des Stats als deutschem „ S t a m m w o r t " w e n i g : beide E r k l ä r u n g s w e i s e n w e n d e n sich gegen das, „ w a s d a r u n t e r h e u t e z u Tage öffters b e g r i e f f e n " , als da s i n d „ V n t r e w / S c h a n d t h a t v n d L e i c h t f e r t i g k e i t " 1 7 0 , d. h. gegen d i e sogenannte „ S t a t i s t e r e y e n " 1 7 1 . „ S t a t " als das rechte O b j e k t der rechten Staatsraison h i n g e g e n bedeute „ S t a n d " , n u r n i c h t i m S i n n e einer „ p e r s ö n l i c h e n B e s c h a f f e n h e i t " (Seckendorff) 1 7 2 , es bedeute „ r e s p u b l i c a " (1663, S c h o t t e l ) 1 7 3 oder „ e i n R e g i m e n t / oder das gemeine Wesen/ welches m a n auch a u f teutsch h a t a n f a n g e n d e n S t a t z u n e n n e n " (1672, R a u t n e r ) 1 7 4 oder es bedeute — entsprechend seiner H e r k u n f t aus d e r W u r z e l „ s t e h " : „ e i n e Stadt . . . / als welche d u r c h die b ü r g e r l i c h e Gesellschaft u n d V e r b i n d u n g befestiget w i r d / daß sie bestehen k a n " ; d e m n a c h seien „Statsgeschäfte" nichts anderes als „ d i e S t a d t / oder das gemeine Wesen b e t r e f f e n d " (1673, K . S t i e l e r ) 1 7 5 . i™ Seckendorff, Fürsten-Stat, Vorrede. 171 Α. Β. Rautner, Stats-Kunst, Vorrede I I I . 172 Fürsten-Stat: „denn obwol Stand v n d Stat einerley Bedeutung haben solten/ so w i r d d o d i jenes mehr von einer Persönlichen Beschaffenheit/ oder ie i n gemeinem Verstand auff genommen" Vorrede). 173 Schottel, Haubt Sprache, Braunschweig 1663, S. 1420: „Staat m. status, respublica. estât". 174 Rautners Bestimmung des Wortes Stat steht i n der Vorrede zu seiner Stats-Kunst: Die P o l i t i k gibt den Anlaß, den „Stat" — als ihren Gegenstand bzw. ihren Hinblick — näher zu bestimmen u n d das dafür gebräuchlich gewordene Wort zu erklären. Rautner stellt seine Stats-Kunst einerseits der weitläufigen Lehre gegenüber, „so von den A l t e n Politica genannt w i r d " , andererseits der „ins gemein so genannten Statistereyen", die einen Stat (nach der üblen Ratio status) i n äußerlichem Wohlstand zu erhalten lehrt. Was aber steckt hinter dem Namen Stat, den die Neulinge so geschickt u n d modisch gebrauchen? Rautner antwortet: „weist d u dich w o l zu erinnern/ daß auß dem Lateinischen W o r t Status, die Welschen das W o r t Stato, die Frantzosen/ das W o r t estât, die Niederländer/ den Nahmen Staat gemachet/ welche letztre Nahmen so viel sind als ein Regiment/ oder das gemeine Wesen/ welches m a n auch auf teutsch hat anfangen den Stat zu nennen: darauß kanst d u schlüssen/ daß diese K u n s t von nichts anders handele als v o n Sachen die das gemeine Wesen angehen." (Anführung zur Teutschen Stats-Kunst, Nürnberg 1672, Vorrede, III.) Die Rautnerschen Auslassungen werden v o n v. Butschky vier Jahre später i n dem Spicileg „Pathmos" abgedruckt (S. 39 f.) ; da Butschky seine Quelle verschweigt und Rautners Stats-Kunst weniger bekannt w a r oder bald vergessen wurde, galt bisher Butschky als derjenige, der „den K e r n der Frage t r i f f t " (A. O. Meyer, 235 u n d DWb. X . 2,1, S. 280 (Staat Nr. 5) berufen sich n u r auf Butschky.) — E i n neues, fremdstämmiges Wort, das einen altbekannten Sachverhalt bezeichnet — so erklärt Rautner das W o r t „Stat" i m Deutschen. Der altbekannte Sachverhalt ist das die Gesellschaft ordnende Regiment: nicht als fürstliches Privatinteresse, sondern als „gemeines Wesen". 17® K. Stieler (Spaten), Teutsche Sekretariat-Kunst, Nürnberg 1673, 48: „Stat ist ein gutes teutsches Wort/ u n d kommet nicht v o n dem lateinischen Status her/ w i e die jenige/ so ihre Muttersprach lieber von andern Völkern erbetteln/ als i h r eigen Reichtum u n d Schätze erkennen wollen/ treumen: Sondern v o m stehen! daher der Stand! welches fast so v i e l heist als stat/
5. Reflektierter Wortgebrauch: Stat als Oberbegriff f ü r Regierende
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Das Wort Stat w i r d so auf seine „innere" Integrationsfähigkeit hin reflektiert: Es ist das beständige öffentliche und gemeine Wesen, das für die fürstliche Politik maßgeblich ist und dessen Wohlfahrt i m Interesse von Fürst und Gemeinde liegt: respublica. Eine zweite Funktion des Wortes Stat w i r d bewußt gemacht durch Rückgriff auf das italienische Vorbild. Keßler entscheidet 1678 die offene Frage, ob Stat — i n Bezug auf ragion di stato — „Staatsform und Policey" oder „ein Reich/ Regimentsherrschaft und Gebiet" bedeute, folgendermaßen: Das Wort Stat werde „nach seinem Italienischen Ursprung für eine Herrschafft/ oder gewissen Territorial-district und Gebiet genommen" 1 7 6 . Diese territoriale Variante („Gebiet") w i r d aber sogleich politisch angereichert: „Solchem nach als Ratio status auch insgemein die Administration und Regierung dessen von selbsten leicht inferiren könte 1 7 7 ." Das Territorium, über das sich eine Regierung erstreckt, das ist bewußt und ausdrücklich „Staat". Keßler verwendet das Wort als Oberbegriff für Flächenstaaten unterschiedlicher Größe und Regierungsform: „Gott selber hat einem jeden Lande seine Gräntzen und dem Meer sein Ziel gesetzt: Also hat er auch die Regimenter und Staat/ i n Königreich/ Fürstenthumen/ Herrschafften und Republiquen unterschieden 1 7 8 ." Das Ergebnis dieser frühen Bewußtmachung des politischen Wortinhalts von Stat ist dieses: „Stat" gewinnt als unvermeidliches, aber mißverständliches Wort der Politik seit der Mitte des 17. Jahrhunderts abgeteilet w i r d ; die rechte W u r z e l ist steh! das die alten Teutschen stah geredt u n d geschrieben/ daher entspringen noch m e h r andere W ö r t e r . . . u n d w e r w i l l leugnen/ daß Civitas, eine Stadt/ nicht darvon herkomme/ als welche durch die bürgerliche Gesellschaft u n d V e r b i n d u n g befestiget w i r d / daß sie bestehen kan? W e i l demnach die Statsgeschäfte anders nichts seyn/ als negotia politica oder Civilia, nemlich die Stadt/ oder das gemeine Wesen betreffend/ so sehen w i r nicht/ w i e solches anders verteutschet w e r d e n könne. Gestalt denn auch H e r r Seckendörfer/ sein Buch v o n dem Fürstenregiment/ Fürstenstat/ auf gut Teutsch genennet/ u n d dannenhero sich deshalben i n der Vorrede z u entschuldigen nicht n ö t h i g gehabt hätte." W e n n Seckendorff — w i e Stieler M i t g l i e d der Fruchtbringenden Gesellschaft — i m J a h r 1685 diese Schützenhilfe barsch zurückweist u n d erneut e r k l ä r t : „Es eckelt m i c h das nicht gar reine oder hochteutsche w o r t , Stat, selbsten" (Christen-Staat, Leipzig 1716, Vorrede, O.S.), d a n n sieht man, w i e hart die Fronten i n der Sprachwissenschaft damals aneinanderstoßen. Der Streitp u n k t selbst leidet darunter, daß den G r a m m a t i k e r n des 17. Jh. der Gedanke einer ursprünglichen (indo-)europäischen Sprachgemeinschaft unbek a n n t u n d die Vorstellung des Bedeutungswandels w e n i g faßlich w a r ; der Topos der „translatio s t u d i i " beherrschte auch das Denken über sprachliche Abhängigkeiten: „ P r i m a i g i t u r origo Status, n o n tarnen secundum Rem, sed Nomen, a Graecis p r o m a n a v i t ad Latinos, et alios." Geislerus, De Statu Politico, A m s t e l o d a m i 1656, 13 ff.) ΐ7β Keßler, Staats-Regul 11, 18, 13. n? Ebd. 18. ne Ebd. 19.
172
. Kap.: STAT V I I :
tas
immer mehr an Interesse und w i r d zunächst auf einen inneren, dann äußeren Einheitsbegriff hin reflektiert. Dieser Begriff w i r d durch den unreflektierten Wortgebrauch seit dem Ende des 16. Jahrhunderts vorbereitet, die Reflexion pflückt also die in der Sprachpraxis gereifte Frucht. Andererseits bleibt eine ganze Reihe von Verwendungsweisen des Wortes unbeachtet. Alles aber, was beachtet und bewußt gemacht wird, steht i m Kontext der Stat-Politik oder Ratio status: I n ihr und auf sie hin (Statsachen, Statskunst, Staats-Regul usw.) w i r d das Wort ins Bewußtsein gehoben, von einer falschen (privaten oder üblen) Anwendung unterschieden und als gereinigter politischer Terminus demonstriert: als Oberbegriff für Regierende und Regierte (politisches Gemeinwesen) und als Oberbegriff für verschiedene Arten (species) von politischen Gemeinwesen.
Achtes
Kapitel
STAT V I I I : Societas civilis Vor der Mitte des 17. Jahrhunderts steht das Wort Stat zwar für das Gemeinwesen i m formellen Sinn von „Ordnung", die die gemeinsamen Belange von Fürst und Ständen einschließt (STAT V I I . 4, 8) oder i m substantiellen Sinn von Land und Leuten, Macht und Reichtum, über die einer verfügt und die er regiert (STAT VII. 4, 9) — aber es steht nicht für „ A l l e unter einer ebenmässigen Regierung gesamelte Ständ und Gemeinen" (Grottnitz), d. h. für die politische Gesellschaft. Dies bedeutet: „Stat" gehört nicht i n die Synonymenreihe respublica aut civitas (sive societas civilis) 1 . I m folgenden soll nun dargestellt werden, wie das Wort i n den genannten Zusammenhang einrückt bzw. wie seine gesellschaftliche Variante sich entwickelt und ausbreitet.
1. Frühe gesellschaftliche Bedeutungen des Wortes
Die gesellschaftliche Variante, die am Ende des 17. Jahrhunderts allgemeiner in Erscheinung tritt, w i r d seit dem 15. und 16. Jh. präludiert durch „Stat" i.S.v. Haus, Stand, „Policey", Truppenkontingent. (a) Hof und
Stat
Der für „Hof und Stat" besorgte Fürst ist Hausvater; die Wendung „den Stat führen" bedeutet auch: sein Haus nach den Regeln der Ökonomik verwalten, wobei diese Lehre vom Oikos die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen und Tätigkeiten i m Hause umfaßt 2 . Wenn so der (Hof-)Stat des Fürsten seine „Familie" ist (STAT I I I . b), so setzt sich dessen Gemeinschaftscharakter doch nicht recht durch; 1 Vgl. etwa Ph. Scherbius. Discursus politici i n Aristotelis de Republica Libros, Frankfurt 1610, 42: „Quoniam consilium atque i n s t i t u t u m nostrum est, de societate c i u i l i considerare"; S.43: „Civitatis enim aut reip. administrandae ratio, quam Graeci nominant, societas quaedam est." 2 Vgl. O. Brunner, Das ,ganze Haus' und die alteuropäische ,Ökonomik', in: Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, S. 35.
174
8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
denn er ist meist auch die herrschaftliche und wirtschaftliche Ordnung, die „ausgehalten" und „redressiert" wird. Dann ist er „Kammerstaat", „Ämterstaat", „Etat", hinter deren gliedernden, hierarchischen, bilanzierenden Funktionen das personale Moment der Diener und Beamten i n der Tat verblaßt. Gleichwohl gewinnt Stat i n Anwendung auf die curia regis („la maison du roi") schon i m 15. Jh. so etwas wie „gesellschaftlichen" Sinn, der sich — vergleichbar dem (Mitarbeiter-)„Stab" eines „Chefs" — bis heute i m „Staat" eines Fürsten (Gefolge) erhalten hat. (b) Stand Eine andere „soziale" Bedeutunglinie geht auf die Synonyme Stand/ Stat zurück, wofern sie nicht Ordnung von Rang und Beruf und Lebensform, sondern die i n solcher Ordnung stehenden Menschen meinen. Diese Kollektivbedeutung erscheint vereinzelt seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts. Geiler von Keisersperg etwa spricht 1514 von der Sünde des „belümbdens" i n Beziehung auf „ein gemeind oder einen gantzen stat" 3 . 1643 ist vom „Bischoffliehen Staat" die Rede, und zwar geht es u m die von den Ketzern gewünschte „Verdammung der Bischoffen vnd des Bischofflichen Staats" bzw. der „Bischofflichen Hierarchie vnd Staats". M i t dieser Wendung ist das lat. „Episcoporum et Episcopalis hierarchiae damnatio" übersetzt. Die Katholiken antworten auf diese Forderung: „wann das Reich deß Bischoffl. Staats ermangeln solte/ so würde der gantze Leib eines vornehmen Gliedts vnd Reichs-Standts beraubt seyn"; die lateinische Fassung dieses Gedankens lautet: „si Episcopis Regni corpus careret . . A " Man spürt deutlich das Hin- und Her des Wortes Staat zwischen abstrakter und konkreter Bedeutung; i m letzteren Sinne bezieht es sich auf das Insgesamt einer ständisch homogenen Gruppe von Menschen. (c) Stände des Landes I n der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kommt — unter dem Einfluß des Niederländischen 5 — der Plural „Staten" hinzu. So heißt es 1584: Die niederländischen Stände hätten „auch andern Ständen/ vnd 3 Geiler von Keisersperg, Das Irrige Schaf, Straßburg 1515, darin: Der Dreieckecht Spiegel, fol. 57v. 4 Theatrum Europaeum, 4. Th., F r a n k f u r t 1643, 191. 5 „Staten" — seit dem Ausgang des 14. Jh. f ü r die proceres i n den südlichen Niederlanden gebräuchlich werdend — w i r d seit der 2. Hälfte des 16. Jh. auch von den Deutschen aufgegriffen u n d als Bezeichnung zunächst
1. Frühe gesellschaftliche Bedeutungen des Wortes
175
sonderlich den Statten der Augspürgischen Confession verwant", die Gründe für ihren Aufstand mitgeteilt. Oder: König Philipp mußte erkennen, „das i n seinem abwesen/ jhme die Staten nit so trew gewesen/ denen er sein Niderlandt zuuerwaren/ vnd . . . zuregieren an beuolhen/ als er w o l verhofft hette" 6 . Staten bedeutet hier Landschaft. Wenn der Plural Staten auch i n der Regel nomen proprium für die „Häupter der vereinigten Provinzen" 7 wird, lateinisch „Stadenses hollandici" (1640)8, so findet man doch vereinzelte Belege für den synonymen Gebrauch von Staten und Ständen (Landschaft) bis ins 18. Jh. hinein 9 . (d) Truppenkontingent I m Anschluß an die zuerst angeführte Entwicklung (Hof und Stat) bildet auch die seit dem 16. Jh. belegte militärische Wendung „Stat und Regiment" (1559)10 eine gesellschaftliche Komponente aus. Wenn 1619 Ludwig Camerarius i n einem Schreiben an Fürst Christian v. Anhalt bittet, Fürstliche Gnaden „wolle . . . dero Stad/ den sie i n Franckreich i m Feldt gehabt/ communicirn" 1 1 , so ist zwar noch das gesamte Militär- und Kriegswesen gemeint, insbesondere aber A r t und Anzahl der unterhaltenen Truppen. So bestimmt i m Hinblick auf das eigene Kriegsvolk auch die Union: „daß vnsers Volcks der dritte Theil in den Reichs Stätten zur Guarnison seyn soll . . . inmassen dann w o l bewust/ wie viel der Käyser. Obristen- vnd Regiments Stat i n den Reichs Stätten liegen/ da w i r hingegen i n allem nicht mehr/ als zween dergleichen Regiments Stat/ also bey weitem nicht den . . . halben Theil darinnen haben" (1639)12. Immer wieder spricht man von Reformation, Musterung des „Stats" oder „Gränitz Kriegsstaads" 13 der „Herren Staten" geläufig; vgl. Hogenbergs Historieprenten (B.St.B. 4 Mapp 54), Legende zu Serie c 2, 13 u n d andere, hauptsächlich i m K ö l n e r Gebiet verbreitete Briefe, Zeitungen, Flugschriften. β M. Eyzinger, Rerum Vaticanijs accomodata Historia, K ö l n 1584, 251, 147. 7 Frisch, Teutsch-Lat. Wb., 1741, s.v. ,Staat': „Staaten i m P l u r a l w i r d besonders von den Häuptern der vereinigten Provinzen gesagt: Die Herren General Staaten." β J. Ph. a Vorburg, Encyclopaedia Juris Publici, F r a n k f u r t 1640, 630. 9 A x i o m a t a Politica Gallicana (Übersetzung eines Traktats v o n Aubery), o.O., o.J. (um 1670), 7: I n Frankreich setzte sich jene M u n d a r t durch, „welche der K ö n i g selbst m i t seinen H o f f - u n d Reichs-Staaten gebraucht". Ferner J. Bayer, Lexicon Germanico-Latinum, Moguntiae 1724, 566: „Staaten/ die Staaten einer Provintz, Provinciae ordines." 10 G. Lauterbeck, Regentenbuch, Leipzig 1559, fol. 124r. 11 C. Londorpius, Acta Publica I, F r a n k f u r t 1627, 540. 12 Theatrum Europaeum Cont. I I I , F r a n k f u r t 1639, 384. 13 Ebd. 351 („Reformation des Raaber Stats"), 128 („den Windischen Gränitz Kriegsstaad/ wie er jüngstlich gemustert worden . . . vbernehmen").
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
und meint damit bestimmte Abteilungen oder Kontingente von Soldaten. Stat ist also auch i m Militärischen ein konkreter Kollektivbegriff. 2. Überleitung zur politischen Bedeutung „societas civilis"
Außer den hier genannten Anwendungen auf einzelne geschlossene Sozialkreise hat das Wort Stat vor der Mitte des 17. Jahrhunderts keine gesellschaftliche Bedeutung. Gewiß sind auch „Leute" eingeschlossen, wenn ein Fürst Sicherheit und Erhaltung seines „Stats" besorgt: aber der Gesichtspunkt, unter dem sie erfaßt sind, ist der verfügbarer Macht (ζ. B. Potential an Truppen). Die societas civilis im älteren Sinn w i r d durch Ausdrücke wie „bürgerliche Gemeinde", „Policey", „Stände", „Stadt" (f.) u. a. wiedergegeben, nicht durch „Stat". (a) Mitlaufende Gründe des Bedeutungswandels Die späte Ausbildung und Verselbständigung der (politischen) Kollektivbedeutung von „Stat" hat eine Parallele in der Bedeutungsentwicklung der anderen europäischen Derivate von status 14 . Als das deutsche Wort, von verschiedenen Seiten bestärkt, i n der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schließlich die Gesellschaft oder „Ständeschaft" bedeutet, sind bei diesem Prozeß englischer und niederländischer Einfluß nicht zu übersehen.
(1) Engl,
state , niederl.
staat werden
„Stat"
Frühe Belege finden sich i n Ubersetzungen. Ein Mitglied des Parlaments unterscheidet „zwischen getrewen Vnderthanen vnnd Verrähtern in einem Staat/ oder Königreich" (1643)15; gemeint ist offenbar: in einer Gesellschaft oder Untertanenschaft gibt es solche und solche. Das Wort Stat t r i t t hier dem Regenten gegenüber. Ganz deutlich w i r d dies in einem Bericht über die Heimkehr des siegreichen Lordprotektors ins Parlament: „Woselbst der Orator, in einer GlückwünschungsRede/ die Obligation deß Staats/ für dero unermüdete Sorgfalt und Fleiß/ bey ihnen abgelegt" (1663)16. Der Sprecher dankt Cromwell im 14 A m frühesten k o m m t engl, state zur Bedeutung „politische Gesellschaft" ; 1538 zum erstenmal belegt, w i r d sie seit der M i t t e des 16. Jh. häufiger, vgl. Dowdall 120 ff., OED Bd. 10 (1933), 852. 15 Theatrum Europaeum 4. Th., 750. 16 Politicus sine Exemplo, Nürnberg 1663, 303.
2. Überleitungen zur politischen Bedeutung „societas civilis"
177
Namen des Parlaments oder — was dasselbe ist — der politischen Gesellschaft des Landes. Neben Ubersetzungen, auch aus dem Niederländischen (STAT V I I I . 2, 3), gibt es freiere Entlehnungen, die ihre Herkunft nicht verleugnen. Wie viele andere protestantische Schlesier war A. Gryphius Anfang der vierziger Jahre nach Ley den gegangen; dort erhielt er auch die A n regung zu seiner Tragödie Leo Armenius, i n der er 1646 folgende Wendungen gebraucht: „Des Fürsten grimmer Sinn/ die zwytracht i n dem Stat/ die zäncksucht i n der Kirch'/ vnd vntrew in dem Rath/ Bestreitten meine Seel/ vnd zwingen mich zu melden Was nicht zu schweigen ist!" Und am Ende des Dramas, als das Werk der Verschwörer vollbracht ist: „ W i r eylen nach der Kirch' entdeckt dem gantzen statt Den fall der Tyranney; beruf ft den grossen Rath 1 7 " I m ersten Fall ist „Stat" sowohl durch die Parallelen „Kirch" und „Rath" wie auch durch die Bestimmung „zwytracht", die auf BürgerParteien hindeutet, als politische Gesellschaft ausgewiesen. I m zweiten Fall bedeutet „statt" das Publicum oder das Volk, das vor den Türen des Palastes wartet oder in der Stadt seiner Nahrung nachgeht. Der Zusammenhang von Stat und „entdecken" ist überraschend; Ratio status kennt nur die transitive Beziehung: „den Stat entdecken"; „Stat" ist ihr eben nicht der Adressat des Eröffnens, das Publicum, sondern das (nicht) zu Eröffnende: die Arkan-Politik des Fürsten. Gryphius verwendet das Wort Stat auch i n seiner Dramatisierung der englischen Ereignisse von 1649: „Er hat der Länder Recht auff festen Fuß gesetzt. Er hat den schwachen Statt/ der tödtlich fast verletzt Durch königlichen Sig'/ aus letzter Angst gerissen 18 ." Der gesellschaftliche Sinn des Wortes zeigt sich nicht auf den ersten Blick. Die „letzte Angst" weist zwar in jene Richtung, aber das „verletzt" deutet mehr auf die königliche Souveränität. Erst der Zusammenhang der Stelle: die Rettung des König vor dem Vorwurf der Tyrannei, 17 A. Gryphius, Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, Bd. 5, T ü bingen 1965, 7, 92. 18 Carolus Stuardus B, Gesamtausgabe Bd. 4, 64.
12 W e i n a c h t
178
8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
gibt den Ausschlag, daß „der schwache Statt" die zerrüttete Gesellschaft bedeutet. Es wäre überhaupt zu fragen, ob zweifelhafte Fälle nicht einen typischen Übergang der Bedeutung anzeigen, an dem man die „Vergesellschaftung" einer älteren Variante ablesen kann. Wenn dem so ist, müßten auch i n deutschen Kontexten Übergänge zur societas civilis erkennbar sein. (2) Publicistische
und
kameralistische
corpus-V
or Stellung
Tatsächlich gibt es i n Bezug auf den politischen Stat eines Landes und das Regiment des Fürsten eine Redeweise, die den Gedanken des corpus politicum nahelegt, jene römisch-klassische und mittelalterliche Metapher des politischen Verbandes 19 . Etwa wen es heißt: Josue habe die Gabaoniten „wider den Gewalt der Cananter beschützt . . . weil sie die schwächste Glieder seines Staads gewesen" (um 1650)20. „Staad" ist hier das Regiment, aber auch das unter dem Regiment stehende Volk („govern'd nation") 2 0 a . Seit den 70er Jahren kommen die Wörter „Stats-Cörper", „Staats-Corpora" hinzu 2 1 ; man bezieht sie auf die Verbindung von Herrn und Ständen, bald abstrakt, bald konkretkollektiv. So w i r d die korporative Ausdrucksweise gern von der Reichspublicistik gebraucht 22 ; allerdings w i l l sich bis zuletzt die Doppeldeutigkeit „Regierungssystem"/„Gesellschaft der Regierenden und Regierten" nicht auflösen. Ein Satz wie der Schlözers: „wo ist ein glücklicherer und blühenderer Stat, als GroßBritannien; und dieses darum, w e i l auch die Mitglieder des Stats, nicht blos das Haupt, i n den Stats-Sachen mitzusprechen haben" (1790)23, ist von andern Voraussetzungen her zu verstehen (STAT V I I I . 2, b). 19 W. Suerbaum, V o m antiken . . . Staatsbegriff 196; zum theologischen Aspekt der corpus-Lehre: E. Kantorowicz, The Kings t w o bodies, Princeton 1957, 267 ff. so L i t u r a Foederis Hyspano-Gallici 303. 2oa Shakespeare, Heinrich I V , V. 2, Vers 136: „ O u r state may go i n equal rank w i t h the best govern'd nation". 21 Keßler, Staat-Regul 302, 394. 22 J. U. Cramer, Protectoratsrede, i n : Gotting. Zeitung von gelehrten Sachen 1739 (19. Stück), 166f. betreffend die „Dependenz der Reichsglieder": Es sei „keine Vergleichung geschickter, als die, nach welcher das Rom. Reich wie ein menschlicher Körper angesehen w i r d " ; Α. B. Rautner, Stats-Kunst 231: „ D a m i t ich . . . zu der versprochenen Beschreibung deß Teutschen Staats/ an sich selber komme/ so muß ich zuerst von diesem Reich insgemein reden/ hernach aber w i l l ich von dessen Gliedern insonderheit . . . handeln." 23 Schlözer, Stats-Anzeigen X I V , 54, S. 181.
2. Überleitungen zur politischen Bedeutung „societas civilis"
179
Ein anderer Wissenschaftszweig, der über die Vorstellung des corpus den „Stat" gesellschaftlich denkt, ist die „vorakademische Polizeiwissenschaft" (H. Maier). Die Ordnung und das geordnete Wesen heißen ihr zunächst zwar nicht „Stat", sondern „Policey" 2 4 ; indem aber die Policey das fürstliche Regiment (den Stat) und die Nahrung bzw. Steuerkraft der Untertanen i n eine feste Beziehung setzt, verlängert sie den Stat des Fürsten i n die ständische Gesellschaft hinein. „Stat" ist dann nicht mehr nur das fiskalische System, sondern die dieses System tragenden Handwerke, Berufe, Menschen. J. J. Becher z.B. betont immer wieder, wie nützlich Bauern und Bürger für die Gesellschaft seien: Es seien „diese Ständ sehr nötig i n societate civili"; und — ganz parallel: der Regent solle darauf sehen, „wie man diesen zweyen Ständen als principal Säulen des Staats/ eine rechte Nahrung zu wegen bringe" (1673)25. „Staat" ist hier synonym mit „societas civilis", und zwar i n der neuen Bedeutung eines politisch- wirtschaftlichen Mischsystems 26 . Sehr deutlich w i r d diese gemischte Ordnung i n einer Flugschrift „aus dem Englischen" von 1673: Der „politische Stats-Cörper", so heißt es, könne einem natürlichen Menschenleib verglichen werden: „Der König ist das Haupt; die Edelsten Gliedmassen sind die Printzen und Stats-Männer... Die Beine und Füße sind die K a u f f l e u t e . . . also pflegt und trägt die Kauffmannschafft oder Commertz die gantze Machinam des Stats". Die Negotia seien von einer Regierung besonders i n acht zu nehmen, „als die da sind das Fundament und die Säulen so wol des Stats und aller dessen Wolfahrt und Nahrung" 2 7 . Die Stelle ist in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Sie stellt den frühesten Beleg für die „Maschine Staat" dar. Man sieht aber leicht, daß hier der Ausdruck in ganz anderem Sinn gebraucht ist als am Ende des 18. Jahrhunderts vor dem Hintergrund des organologischen Denkens. Maschine ist hier soviel wie corpus: Der Vergleichspunkt ist die Zweckmäßigkeit der Gliederung und die Ubereinstimmung der Teile zum Ganzen. „Machina" bezieht sich also nicht auf die seelenlose „Anstalt" des Staats, sondern auf den zweckmäßigen Aufbau der Gesellschaft. So versteht man auch die auffälligen Attribute: des Stats „Wolfahrt und Nahrung". Es ist die Prosperität der societas civilis und, zugleich mit ihr, die des Fürsten 2 8 . 24 Vgl. H. Maier, Die ältere . . . Verwaltungslehre 130 ff. 25 Becher, Politische Diseurs (1673) 319, 317; vgl. 105, 107. 26 Z u r Ambivalenz des ständischen Gedankens bei Becher vgl. auch O. Brunner, Das ,ganze Haus' u n d die alteuropäische »Ökonomik 4 52 f. 27 Engelands Appellation u n d Beruffung . . . übersetzet von A. Boltersen, o.O. o.J. (B.St.B.) O.S. 28 W. v. Schröder bevorzugt die frz. Wortform: „verflucht sey der, welcher vorsetzlich das interesse eines Fürsten v o m interesse der unterthanen 12*
180
8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
Damit unterscheidet sich der kameralistische „Stat" vom publicistischen, der allein auf die Form zu regieren abstellt und keine Rücksichten auf die Negotia nimmt. Der juristische Stat ist daher auch in viel geringerem Maß „sozial" geworden und bedeutet weniger die Gesellschaft als ihre politische Gliederung und Ordnung: Systema status publici 2 9 . (b) Hauptsächliche Gründe des Bedeutungswandels: Der vernunftrechtlich gedeutete status politicus (status civilis) und die Aristotelische Tradition Der bei weitem wichtigste Zusammenhang, i n dem das Wort Stat gesellschaftlichen Sinn annimmt, ist die aus ständischem Denken genährte, naturrechtliche Lehre vom Gesellschafts- und Herrschaftsvertrag und die in sie hineinwirkende Aristoteles-Tradition. Der status politicus, für welchen der Satz gilt: homo homini Deus, ist die Geselligkeit unter einem Regiment. I h m gegenüber steht der status naturalis, wo — folgt man der Hobbesschen Radikalisierung — die Menschen sich wie Wölfe begegnen: der Zustand der Vertraglosigkeit, der Ungeselligkeit. Indem das deutsche Wort Stat in diesen Zusammenhang des naturrechtlichen Vertragsdenkens einrückt, setzt es die Linie jener ältesten Belege fort, die den Vertragszustand der Hansischen Kaufleute bezeugen (STAT I). Allerdings steht es jetzt in einem reicheren Kontext: „Stat" ist der ein unsicheres Commercium festigende Haupt- und Grundvertrag, in dem jeder sich eines Teils seiner natürlichen Rechte begibt, sie auf die Gemeinschaft bzw. deren Haupt überträgt, Sicherheit des Lebens und des Eigentums gewinnt und so allererst in die Lage versetzt wird, ein gutes bürgerliches Leben 2 9 a zu führen. Ein Übersetzer des Lipsius führt das Wort am Ende des 16. Jahrhunderts scheidet . . . u n d müssen diejenige, welche die kette, w o m i t ein Estât i n seinen gliedern an einander verknüpft ist, recht examiniren, gesunder Vernunft nach . . . bekräftigen: Daß die Wohlfahrt u n d Wohlstand der unterthanen das fundament seye, worauf alle glückseligkeit eines Fürsten als Regenten solcher unterthanen gegründet sey". (1686; Fürstliche Schatz- u n d Rent:Cammer, Leipzig 1721, Vorrede.) 29 Vgl. A r t i k e l „Staats-Cörper" i n Zedlers Universal-Lexicon, Bd. 39; auch die Gesellschaft des Fürstenstaats kann, v o m Juristen beschrieben, aufs Regiment eingeschränkt sein; „ D a n n der Staat ist ein Leib/ dessen Haupt der Fürst/ die Glieder die Beamte/ die übrige geringere Glieder aber die andere Zugewandte sind/ so jenen dienen/ u n d sie i n Ehren halten sollen". (Ertel, Schau-Bühne Von dem Fürsten-Recht [1702] 91.) 29a vgl. J.Ritter, Das bürgerliche Leben. Z u r aristotelischen Theorie des Glücks, i n : Vjs.f.wiss. Pädagogik 23 (1956).
2. Uberleitungen zur politischen Bedeutung „societas civilis"
181
wieder i n diesem Zusammenhang ein. Es geht dabei um die ursprüngliche Gemeinschaft des Handels und Wandels unter den Menschen i n den nachmaligen Niederlanden. „Diese Gemeinschafft aber hat gleichsam eine Form und Gestalt eines newen stats oder zustands gemacht/ Welche w i r den Gemeinen Nutz/ unnd eigentlich das Vatterland nennen." Dann aber schreckt der Übersetzer vor dem Fremdwort zurück: Unser Vaterland ist, „Wie ich gesagt habe/ etwa ein standt oder ein gemein Schiff/ darinn w i r entweder unter einem Herrn/ oder unter einerley Recht wohnen und leben" (1599)30. „Stat" meint offenbar noch nicht die Masse der Gesellschaft, sondern den vertraglichen Zustand, in dem die Gesellschaft „unter einerley Recht" lebt.
(3) „geordende rechtsgemeenschap" Das weithin sichtbare Modell eines solchen naturrechtlich deutbaren Stats bilden i n der Tat die Vereinigten Niederlande; nicht umsonst gewinnt das Wort nach dem Freiheitskampf i m Holländischen den Sinn von „geordende rechtsgemeenschap" 31 . Es gelangt in dieser Bedeutung durch Übersetzungsschriften ins Deutsche, wo es die eben entstehende gesellschaftliche Variante mitbeeinflußt. I m Jahr 1669 erscheint eine Schrift, die das oben skizzierte naturrechtliche Schema Zug für Zug auf die Republik der Vereinigten Niederlande überträgt bzw. i n ihr sichtbar zu machen versucht. I h r Titel lautet: „Consideratien van Staat Oder Politische Wag Schale." Das 4. Kapitel stellt die Frage: „Was eigentlich Politia oder ein Politischer Staat sey" und antwortet: „daß das Wesen eines Politischen Staats bestehe i n einem Verbündnüß sich untereinander wider alle inner- und äusserliche Gewalt zu beschirmen 32 ." Und: „ W a n n . . . 30. biß 40 000. Mann i n ein Verbündnüß treten . . . so kan solche Versandung gar w o l ein Politischer Staat genennet werden 3 3 ." Die dem absoluten Regiment entgegenstehende Spitze liegt darin, daß ein solcher „Politischer Staat", eben w e i l er „aus erwachsenen 30 J. Lipsius, Von der Bestendigkeit . . . ins Teutsche bracht/ Durch A. Viritium, Leipzig o.J. (1599) fol. 30 r , 32v. Die Stellen i m lat. Original (De constantia l i b r i duo, Novibergae 1594, 33, 35) lauten: „consortio ista velut formam, et faciem quandam expressit novi status, quam Remp. et eandem proprie Patriam appellamus" und: „unus aliquis status, u t dixi, et communis navis, sub uno rege aut sub una lege." 31 Woerdenboeck der Nederlandsche Taal, 1940, Bd. 15, 249 f. 32 Consideratien van Staat Oder Politische Wag Schale, Leipzig/Halle 1669, 21. 33 Ebd. 22.
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
Männern bestehet, die von Natur gleiche Leidenschafften... haben" 3 4 , zunächst weder Regenten braucht, noch Regenten hervorbringt 3 5 . Erst äußere Gefahren lassen die „gantze Macht und Kraft des Staats" 3 6 in eine Hand gelangen. Die Herrschaftsübertragung an einen einzelnen ist allerdings eine zweischneidige Sache: Es steht nämlich zu befürchten, der Alleinherrscher denke zumeist auf den eigenen Nutzen und tue „solches zum grossen Nachteil aller andern Staats-Glieder" 37 . I n solchem Denken muß die Stellung des Regenten viel schärfer als in Frankreich oder Deutschland 38 von der Seite der gesellschaftlichen (d. h. vertraglichen) Pflichten her gesehen werden. Sprach Herzog Eberhard I I I von den „Stats Pflichten" der Stände, so nennen die niederländischen „Consideratien" selbst den Kaiser einen „Diener des Staats" 39; es ist ein aus dem Geist der societas civilis stammender Vorläufer von Friedrichs berühmtem „premier serviteur de l'Etat" (vgl. Stat I X . 1, c). Eine andere holländische Schrift stellt die vertragliche Wechselbindung von Herrscher und Untertanen einmal mehr i m B i l d des Körpers dar: „die vorgesetzte weltliche Regenten/ so nebens den Unterthanen ins gesambt einen Politischen Leib/ den w i r Staat nennen/ machen" (1671)40. I m Unterschied zum Stats-Körper der Reichspublicisten w i r d hier nicht bloß ein politisches Verfassungsmodell, sondern ein B i l d der politisch-wirtschaftlichen societas civilis entworfen: Die weltlichen Regenten, so heißt es nämlich, werden „solche Inwohner/ die dem Staat und gemeiner Wolfahrt mehr oder weniger n u t z l i c h . . . seyn/ auch mehr oder weniger begünstigen... müssen". Es folge daraus, „daß solche Inwohner/ die durch ihre ausländische Gewinste allhier die meiste Einwohner/ und einfolgentlich den Staat unterhalten/ auch am allermeisten begünstiget werden sollen" (1671)41. „Staat", das ist die Lebensgemeinschaft aller i m „Politischen Leib" Vereinigten; die darin ausgesprochene politische Hierarchie ist durch wirtschaftliche Dienste und Leistungen legitimiert. Das abstrakte B i l d des „Verbündnüsses" von Gleichen w i r d also differenziert nach dem Prinzip wirtschaftlicher Leistungen einzelner für die Gesellschaft oder den „Stat". 34 Ebd. 523. 35 Ebd. 32 f. 36 Ebd. 29. 37 Ebd. 114. 38 Vgl. H. Maier, Z u r Genesis des Obrigkeitsstaates i n Deutschland, i n : Stimmen der Zeit 174 (1963/64) 18 ff. u n d Die ältere . . . Verwaltungslehre 194 f. (Anm. 267). 39 Consideratien 293. 40 Anweisung der Heilsamen Politischen Grunde, Rotterdam 1671, 96. 41 Ebd. 97.
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berleitungen zur politischen Bedeutung „societas civilis"
(4) Stat im Einflußbereich
des Naturrechts Tradition
183
und der Aristotelischen
Das holländische Wort Staat ist i n den genannten Beispielen ganz aus dem naturrechtlichen Vertragsdenken zu verstehen. I n Deutschland laufen jüngeres Naturrecht und aristotelische Ethik bis ins 19. Jh. nebeneinander her und ineinander über. „Stat" (status politicus) steht daher bald dem status naturalis, bald dem Hausstand oder „Haus" oder einer anderen nicht-selbständigen Gesellschaft gegenüber; wie denn das Wort bald das Bündnis, bald die Verbundenen bzw. die politisch-gesellschaftliche Form und die politisch-geformte Gesellschaft bedeuten kann. Das jüngere Naturrecht hat einen allgemeinen, einheitlichen Gesellschaftsbegriff, der dann — auf nur vertraglicher Basis — als mit dem Staat identisch gesetzt w i r d 4 2 ; Aristoteles dagegen meint mit bürgerlicher Gesellschaft nur den Kreis der Vollbürger, die in ihrer Gesamtheit „der Staat" sind. I n der wechselseitigen Beeinflussung beider Konzeptionen gewinnt das Wort Stat i m Deutschen seine gesellschaftliche Dimension. Die gelehrte Auslegung des Wortes Stat mag dies bezeugen. 1695 gibt der Publicist J. P. Ludewig zu dem Pufendorf sehen Satz: „Daß nicht also bald Staaten gewesen" folgende Erläuterung: „Dann von Natur sind w i r einander alle gleich . . . Aristoteles lib. I Pol. c. 3. redet: Die Natur weiß von dem Unterscheid/ zwischen Herren und Knecht/ schlechter dinges nichts" 4 3 . Eine andere Anmerkung lautet: „Daß sich/ gleich nach der Flucht Cains/ zweyerley Leute/ und also auch/ daß ich so rede/ zweyerley Staat in der Welt befunden. Dann die Kinder Gottes wären bey dem natürlichen Hauß-Regiment ihrer Eltern geblieben . . . Aber Cain hätte . . . die Souverainität und Oberherrschaf ft gesuchet 44 ." Stat bedeutet hier gut aristotelisch „herrschaftliche Gesellungsform". Schärfer bestimmt ein anderer Erläuterer Pufendorfs, Christian Thomasius, die gesellschaftliche Qualität des „Stats", und zwar dort, wo er das weltliche und das geistliche Regiment zueinander in Beziehung setzt: „ W i r verstehen aber unter dem Wort Staat eine Vereinigung mehrerer Menschen, welche eine menschliche eigene freye Herrschaft begreift", oder: „ W i r nehmen hier das Wort Staat (lat.: vocabulum status) i n gemeinem Verstände als eine Gesellschaft, die ausser sich keinem Menschen unterworfen ist, und durch Obrigkeit 42 M. Riedel, Z u r Topologie des klassisch-politischen u n d des modernnaturrechtlichen Gesellschaftsbegriffs, i n : ARSP 1965, LI/2/3, S. 308. 43 j . p. Ludewigs Erleuterung Über S. T. H e r r n S. von Pufendorf, Leipzig/ Halle 1695, 1 f. 44 Ebd. 3 f.
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
zusammen hängt und regieret w i r d " (lat.: summo imperio continetur et regitur; 1738)45. Diese Redeweise reicht bis ans Ende des 17. Jahrhunderts zurück; dabei kann allerdings das Merkmal der „Souveränität" vernachlässigt werden: „Die kleinen Staaten/ oder die geringzähligen Societäten/ erwählten anfänglich tapffere und weise Leute/ welche ihre Führer oder Richter waren", oder: „ I n R u ß l a n d . . . haben die Priester gar viel beygetragen/ die Staate unter die Sclaverey zubringen/ und dabey zu erhalten" (1697)46. Es scheint, als könne der Stat unabhängig vom Regenten gedacht werden; jedenfalls ist so viel richtig, daß nicht der Regent einen Stat, sondern dieser einen Regenten hat. 1702 schreibt A. W. Ertel „Von dem Fürsten-Recht": „Wann nun aber der Staat nicht so wohl deß Fürsten/ als der Fürst deß Staats eigen ist/ so ist dieser so w o l verpflichtet/ alles angehörige zu erhalten/ als der Staat zur Ehrerbietung gegen ihme verbunden ist 4 7 ." Die Entgegensetzung von Fürst und Stat hat zwar in der älteren Unterscheidung von „principe" und „stato" einen Vorläufer, sie gewinnt aber durch das naturrechtliche Vertragsdenken („Herrschaftsvertrag" — „Gesellschaftsvertrag") einen völlig neuen Sinn. So räsonniert Chr. Wolff in seinen „Vernünfftigen Gedancken von dem Gesellschafftlichen Leben": „Die Majestät bestehet in der Macht und Gewalt eines Staates, sie mag entweder bey dem Staate allein verbleiben, oder der Obrigkeit gantz, oder zum Theil übergeben werden" (1740)48. Eine typische Wendung, die die gesellschaftliche Natur des Stats erhellt, ist die vom Zusammentreten oder Eintreten i n den Stat: Der Mensch tut „sich mit andern Familien zusammen, und macht einen gewissen Staat"; oder man spricht von „Zusammentretung in einen gewissen Staat" (1740)49. Die meisten expliziten Bestimmungen des Stats i m 18. Jh. werden auf der Grundlage des Vertragsdenkens gemacht und zielen daher auf die Gesellschaftsnatur des Stats ab: Stat ist societas, sowohl für die Fachwissenschaften, für die Philosophie wie für die populären Erklärer. Der Freiburger Polizeiwissenschaftler Bob definiert: „Der 45 Chr. Thomasius, Vollständige Erläuterung Der Kirchen-Rechts-Gelahrtheit, 1. Th., Frankfurt/Leipzig 1738, 103, 218. 46 Dännemarks Gegenwärtiger Staat, K ö l n 1697, Vorrede. 47 Ertel, Schau-Bühne V o n dem Fürsten-Recht 82 f. 48 Wolff, Leipzig 1740 § 461, S. 493. 49 J. A. Hoffmann, Politische Anmerkungen, H a m b u r g 21740, Einleitung 62, 345.
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Staat i s t . . . eine Versammlung freyer Menschen (1779) 50 ", Kant sagt: „die Vereinigung einer Menge Menschen unter Rechtsgesetzen 51 ", und das Nachschlagewerk „für die gebildeten Stände", der Brockhaus, erklärt noch 1827: „Staat (res publica, civitas, societas civilis, bürgerliche Gesellschaft)... Einen Verein, die gemeinsamen Zwecke der Menschheit durch vereinte Kräfte zu befördern... nennt man einen Staat 5 2 ." Das Wort Stat hat i m naturrechtlichen Denken des 18. Jahrhunderts einen Mittelplatz zwischen der allgemeinen Menschheitsgesellschaft und den partiellen Gesellschaften innerhalb des gemeinen Wesens; i m Jahr 1754 schreibt Wieland: Durch weise Männer lernten die Jünglinge, „was die menschliche Gesellschaft, was der Staat in dem w i r leben, was alle übrigen Verhältnisse für Pflichten von uns fordern", oder: „Als vernünftige Geschöpfe stehen w i r i n Verhältniß mit Gott; als Menschen mit der ganzen menschlichen Gesellschaft, als Glieder gewisser Particular-Gesellschaften oder Staaten, m i t denselben" 53 . Das Wort Stat kann aber auch auf die gesamte Menschheit bezogen werden als „die grosse Gesellschaft" oder „der grosse Staat", jene — wie Iselin es nennt — Stiftung Gottes und der Natur, „durch welche die menschliche Glückseligkeit erhöhet, und das menschliche Geschlecht zu der Vollkommenheit gebracht werden k a n n " 5 4 ; ferner läßt sich das Wort in freiem Gebrauch auf jede beliebige kleinere Gruppe anwenden. „Stat" und „Gesellschaft" sind keine politischen Begriffe mehr und auf jeder Stufe auswechselbar. Der Bruch dieses Denkens — denn hinter der terminologischen Frage steht eine neue Betrachtungsweise 55 — mit der Aristotelischen Tradition des Vollbürger-Staats ist offenkundig. Aber noch i m 19. Jh. erhebt sich hie und da die Stimme eines „Altgläubigen"; so hält der Landshuter Statistiker W. Butte streng an der Unterscheidung eines organisch-naturhaften und eines politisch-herrschaftlichen Begriffsfeldes fest: Jenes beginnt beim „Menschen" und endet bei der „Menschheit", dieses beginnt beim „Vollbürtigen" und endet beim so F. J. Bob, Von dem System der Policeywissenschaft, Freiburg i.Br. 1779, 10. si Kant, Metaphysik der Sitten § 45 (Werke, ed. Hartenstein, Bd. 7, 131). 52 Brockhaus, Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie f ü r die gebildeten Stände . . . i n 12 Bänden, Bd. 10 (1827) s.v. »Staat4; allerdings variiert der L e x i k o n a r t i k e l die Perspektive, w e n n er zuletzt angibt: „Staat, den festen Zustand der Menschen, w o r i n sie als Menschen allein bestehen können." 53 Wieland, Ges. Werke, Bd. 4, B e r l i n 1916, 185, 190. 54 Iselin, Versuch über die gesellige Ordnung, Zürich 1772, 9, 13, 71, 121 f. 55 Vgl. O. v. Gierke, Genossenschaftsrecht, Bd. 4, 447: „Die allgemeine Gesellschaftslehre des Naturrechts gipfelt i n einer natürlichen Staatslehre, innerhalb welcher die Theorie des natürlichen Staatsrechts unter dem Namen des ,Jus publicum universale' mehr u n d mehr gegen die .Politik' verselbständigt wurde."
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
„Staat" 5 6 : „ I n keinem Fall kann die Königinn unter den Gesellschaften, oder der Staat, der Selbstständigkeit zum Zweck hat, mit den Unbürtigen in einem andern als mittelbaren Zusammenhange stehen." Der späte Aristoteliker weiß genau: „ A m meisten dürfte . . . die Beschränkung des Staats auf die Vollbürtigen auffallen, besonders denen . . . Freunden des Vielregierens" (1808)57. Der Stat als Gesamtgesellschaft eines Landes oder „Einwohner-Stat" ist Glied der Menschheit und Gegenstand des Naturrechts; er ist zugleich Objekt des vielregierenden Fürsten und seiner allmächtigen Wohlfahrtspolizei. Der Stat der Vollbürtigen und Vollbürger weist demgegenüber auf den älteren Begriff der societas civilis hin und versucht, den Bürger als politisches Wesen (coon politikon) zu erhalten. Beiden Konzeptionen, der vernunftrechtlichen wie der aristotelischen, ist der Gesellschaftscharakter des Stats, und das heißt: sein Worumwillen, vorrangig; nicht das bewohnte Land, nicht die Regimentsform, nicht die Herrschaftsgewalt als solche, sondern die „Gesellschaft" und der „Staatszweck" werden reflektiert 5 8 . Indem „Stat" i n die Synonymenreihe respublica — civitas — societas civilis einrückt, w i r d die Selbständigkeit der gesellschaftlichen gegenüber der territorialen Variante des Wortes offenbar. (5) Aufklärung:
Stat i.S.v. Zivilisation
I m Kontext des aufklärerischen Fortschrittsglaubens, der Zivilisations- und Tugendgläubigkeit, gewinnt das Wort Stat einen charakteristischen Inhalt: Es w i r d synonym zu Kultur, Zivilisation, Gesittung. Das Zeitalter weiß sich geborgen i m „Stat" 5 9 , vergleicht sich kritisch mit den Wilden i m Naturstand, erhofft allen Fortschritt von einer weiteren Versittlichung der Regenten und der Bürger, Verbesserung der Einrichtungen, Vervollkommnung von Wissenschaft und Künsten. Die Gesellschaft, als Zustand und Bedingung geistiger und materieller Kultur, ist „Stat". Seit der Jahrhundert-Mitte, wo Rousseau die Ideen der Zeit radikal i n Frage stellt 6 0 , w i r d diese Bedeutung, insbesondere von den Phi56 W. Butte, Die Statistik als Wissenschaft, Landshut 1808, 113. 57 Ebd. 111, 115. 58 Anm. 69 des 6. Kapitels i n T e i l I I . 59 Vgl. F. Meinecke, Die Idee der Staatsräson, München 1957, 332 f.: „der miles perpetuus stand aufmarschiert da . . . A u f diesen Voraussetzungen einer eisenfesten staatlichen Ordnung . . . beruhte ganz wesentlich der charakteristische Optimismus der Aufklärung". 60 Iselin w i r f t Rousseau vor: „Die grösten Fähigkeiten der Seele sind nach diesem Lehrgebäude n u r Werkzeuge des menschlichen Elendes" (Geschichte der Menschheit, Bd. 1, 1664, S. 141).
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berleitungen zur politischen Bedeutung „societas civilis"
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lanthropisten, bewußt in den Vordergrund geschoben. Über den Naturzustand urteilt der Schweizer Iselin: Vielleicht lebe es sich in diesem Stande angenehmer „als i n den niedrigsten Graden der bürgerlichen Gesellschaft. Es ist indessen höchstens der angenehme Zustand eines Betrunkenen" 6 1 . Demgegenüber sei die bürgerliche Gesellschaft „die Vereinigung aller M i t t e l und aller Anstalten, durch welche die menschliche Glückseeligkeit erhöhet, und das menschliche Geschlecht zu der Vollkommenheit gebracht werden kann". Das Ziel dieses Aufklärungswerkes ist erreicht, „wenn die Gefühle der Menschlichkeit und der Tugend durch die ganze Masse des Staates sich werden ausgebreitet und das Ubergewicht über die rohen Triebe erhalten haben" (1772)62. Hier ist der Stat noch nicht der Endzustand menschlicher Kultur, sondern ihre notwendige Bedingung. I n seinem „Plan zu einer Akademie" von 1754 erklärt Wieland: „Ich betrachte hier alle Kinder als ein Eigenthum der Societät oder des Staats; diesem ist daran gelegen, daß sie gesunde und brauchbare Glieder werden 6 3 ." Ähnlich Iselin: „Der Staat ist der allgemeine Vater seiner Bürger. Die größte, die erhabenste, die wichtigste Sorge der Regierung ist, ihre zahlreiche Familie nach denselben Grundsätzen zu erziehen, die einen weisen Hausvater leiten sollen" (1770)64. Ähnlich auch Herder: „Der Staat ist die Mutter aller Kinder; sie soll für die Gesamtheit, Stärke und Unschuld aller sorgen" (1779)65. Immer wieder w i r d der kulturelle und sittliche Charakter des Stats betont. Basedow zeigt die Kehrseite: „Ein Volk, welches keinen Staat, oder keinen Theil desselben ausmacht, lebt mehr oder weniger in einem wilden Zustande, ohne gemeinschaftliche Gesetze" (1777)66. Isel i n würde ergänzen, daß erst „durch die Zusammentretung in bürgerliche Gesellschaften die einzelnen Menschen und die Familien der offenbaren Barbarey gegeneinander entsagt haben" 6 7 . Der Herder der Humanitätsbriefe schreibt: „Ist der Staat das, was er seyn soll, das Auge der allgemeinen Vernunft, das Ohr und Herz der allgemeinen Billigkeit und Güte: so w i r d er . . . die Thätigkeit der Menschen nach ihren verschiednen Neigungen, Empfindbarkeiten, Schwächen und Bedürfnissen aufwecken und ermuntern 6 8 ." ei Ebd. 305. 6a Iselin, Versuch über die gesellige Ordnung 121 f. 63 Wieland, Ges. Werke, Bd. 4, B e r l i n 1916, 190. 64 Iselin, Uber die Erziehungsanstalten, i n : Bibliothek pädagog. Klassiker X X I , Langensalza 1882, 124. 65 Herder, Werke ed. Suphan, Bd. 9, 401. 66 Basedow, Practische Philosophie für alle Stände, Dessau 21777, 146. 67 Iselin, Geschichte der Menschheit, Bd. 2, 1768, 402. 68 Herder, Werke, ed. Suphan, Bd. 17, 122.
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
Natürlich kann der Stat diese seine Aufgabe versäumen und die Entwicklung der Menschheit hemmen und stören. Aber er ist eben dann (noch) keine „wahre bürgerliche Gesellschaft" 69 , kein „wahrer Staat" 7 0 . Wenn so der Stat in sich selbst (weniger nach Maßgabe der politischen als der moralischen Verfassung 71 ) verbesserungsfähig und »bedürftig ist, so w i r d sein tiefstes Wesen immer dann erkannt, wenn man ihn dem Stat-losen Zustand der Wildheit oder der Natur gegenüberstellt. I n diesem Kontext naturrechtlichen Vertragsdenkens verdichtet sich der Inhalt des Wortes Stat zur Vorstellung jenes „guten bürgerlichen Lebens", das das philosophische Jahrhundert in Wissenschaft, Zivilisation und Tugend erblickt. Schlözer merkt zur AmerikaSehnsucht freiheitsdurstiger Zeitgenossen an: Es sei gewiß „jenseits Kanada (im Naturstande)" jeder sein eigener Gesetzgeber. „Weil aber am Superior-Lake einige Wesen sind, die von dort herumziehenden Souverains (den Wilden) keine Gesetze annehmen, wie Bären, Kälte, Hunger etc: so hat kein gescheuter Europäer Lust, sich dort einen Thron zu bauen, sondern er bleibt lieber i m State als i m Walde, wärmt sich am Feuer und verträgt den Rauch — " (1776)72. 3. Überleitung zur souveränen Staatsgesellschaft anhand der Geschichte der Formel „Staat im Staate"
Stat i.S.v. societas civilis bedeutet sowohl die politische Gemeinde wie die Gesamtgesellschaft eines Landes; das politische Moment ist indes so wenig zwingend, daß Stat auch den „polizierten Stand", die Zivilisation, bedeuten kann. Das moderne Merkmal der Staatsgesellschaft, ihre Souveränität, d.h. ihr Zuhöchstsein und ihre Undurchdringlichkeit 7 2 a , soll an der 69
Iselin, Versuch über die gesellige Ordnung 5. Ders., Geschichte der Menschheit, Bd. 2, 118. Die Aufklärer haben eine unbezweifelte Hoffnung: „ W e n n jemals i n den übrigen despotischen Staaten Licht und Wissenschaften sich ausbreiten; w e n n jemals die Vernunft . . . die Herrschaft erhalten sollte, die i h r gebühret; so müßte der Despotismus verschwinden; er müßte sich i n eine Monarchie verwandeln; seine Ungerechtigkeit müßte aufhören." (Iselin, Geschichte der Menschheit, Bd. 2, 110). 71 Iselin ebd. 81: „Es ist keinem Menschen, es ist keinem Staate vergönnet, eine Glückseligkeit zu geniessen, welche größer sey als seine Tugend". 72 Schlözer, Briefwechsel meist historisch-politischen Inhalts, 1.6, Nr. 64 (1776), 383 A n m . Vgl. noch A. Müller, Die Elemente der Staatskunst, 1. Th., B e r l i n 1809, 79: „die . . . Allianz der menschlichen Individuen unter einander gegen die Erde nennen w i r Staat." 72a Vgl. Basedow, Practische Philosophie X I I , 4 § 1 (S. 154): „ E i n Staat ist eine große eigenmächtige oder souveräne . . . Gesellschaft, welcher, als ihrem Oberherrn, ein jedes M i t g l i e d u n d eine jede kleine Gesellschaft derselben Mitglieder, i n mancherley T h u n u n d Lassen unterworfen ist" (1777). 70
. Überleitung zur souveränen
Staatsgesellschaft189
Geschichte der Formel „Staat i m Staate" („Stat i m State") dargestellt werden. (a) Absolutistischer
Ausgangssinn
der Formel
Der souveräne Stat hat sich i m Kontext der Ratio status durchgesetzt. Stat ist dort Sicherheit der Befehlsgewalt, Hoheit und Macht des Regiments, auch Fürstentum oder Königreich — aber nicht societas civilis. Das heißt: der souveräne Stat ist zunächst Sache des Regenten; er erwirbt sie auf Kosten der Gesellschaft. I m Jahr 1663 berichtet man: „Wie Cromwel seine Protectur und Stadt (!) in Engeland befästigen wollen/ hat er solches auff keinen sichern Weg thun können als da er . . . unter dem Adel eine Gleichheit . . . einführete" (1663)73. Zehn Jahre später heißt es von L u d w i g XIV., „er lässet keinen i m Reich an Authorität zu groß werden/ damit verhindert er nach dem Exempel des Crombels statum in statu" (1673)74. Die Formel, die seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zunächst i n lateinischer Sprache gebräuchlich w i r d (auch als „imperium i n imperio" 7 5 ), zielt also auf den Ausschluß konkurrierender Gewalten oder Autoritäten innerhalb des vom Fürsten beanspruchten Gewaltbereichs. Sie steht für ein absolutistisches Konzept. (b) Staat im Staate: soziale Gemengelage und verfassungswidriger Zustand Pufendorf und sein Erläuterer Thomasius wenden die Formel zum erstenmal auf Gesellschaften an: Weil die Kirche nicht durch Herrschaftsvertrag entstanden ist, ist kein „Regimen" i n ihr; sie ist nurgesellschaftlicher Verein (societas) innerhalb des politisch-gesellschaftlichen Vereins (status politicus) 76 . Daher sei es höchst überflüssig, „einen Staat m i t i m Staat zu errichten" (lat.: „nulla velut materia supererat extruendo i n mediis civitatibus statui") 7 7 . Die durch „Staat 73 Der K r ö n Franckreich Rechtmässige Praetensiones, Embden 1663, 32. 74 Wohlmeynende Erinnerung A n die sämptliche Chur-Fürsten . . . des Reichs, o.O. 1673, 52. 75 Vgl. W. Feldmann, Über einige geflügelte Worte, i n : Zs.f.dte. W o r t forschung I X (1907), 296. 76 Chr. Thomasius, Vollständige Erläuterung Der Kirchen-Rechts-Gelahrtheit/ Oder Gründliche Abhandlung V o m Verhältniß der Religion gegen den Staat, 1. Th., Frankfurt/Leipzig 1738, 11: „Daß k e i n Regimen i n Ecclesia sey, u n d daß die Kirche kein Status sey, sondern eine Societas i n Statu Politico, nicht aber der Status Politicus i n Ecclesia sey." 77 Ebd. 233.
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
i m S t a a t " c h a r a k t e r i s i e r t e n V e r h ä l t n i s s e s i n d sehr verschiedener N a t u r : b a l d i n e i n a n d e r verwachsene u n d k o e x i s t i e r e n d e Gesellschaften m i t je eigener Z i e l s e t z u n g u n d unterschiedlicher V e r f a s s u n g (Kirche, S i p p e n v e r b a n d , Berufsstand, P a t r i z i a t u n d „gemeines Wesen"), b a l d i n e i n a n d e r verflochtene, k o n k u r r i e r e n d e , gegensätzliche Interessen v e r f o l g e n d e oder e i n a n d e r „ausschließende" Gesellschaften oder Gew a l t e n (Geheimbünde, r e v o l u t i o n ä r e P a r t e i e n u n d „gemeines Wesen"). Entsprechend d e n a n g e r ü h r t e n V e r h ä l t n i s s e n u n d d e n A t t r i b u t e n des „ S t a t s " h a t die F o r m e l eine beschreibende u n d analytische oder eine w e r t e n d e u n d k r i t i s c h e F u n k t i o n : Sie m a r k i e r t z u w e i l e n eine h a r m lose soziale Gemengelage, meistens aber e i n e n v e r f a s s u n g s w i d r i g e n Z u s t a n d 7 8 . So w i r d sie auch i m Josephinischen Österreich gebraucht. „ S t a a t i m S t a a t " h a t i m M u n d e der k a i s e r l i c h e n P a r t e i eine u n e r h ö r t e A u s s a g e k r a f t : I n A n w e n d u n g a u f das V e r h ä l t n i s der k a t h o l i s c h e n K i r c h e z u m österreichischen S t a a t w i r d es e i n e r d e r w i r k u n g s v o l l s t e n 78 Status i n Statu oder ,Stat i m State' w i r d zum Erkennungszeichen eines Staatsfehlers, j a zum Signal des Staatsnotstandes, wobei die lokale Bestimmung ,im State' auf die souveräne politische Gesellschaft geht, deren A n spruch auf Zuhöchstsein u n d Undurchdringlichkeit bzw. Geschlossenheit durch eine Partikular-Gesellschaft bedroht ist. So heißt es u m 1780: „Die Freyheit eines Volkes ist auch (in) einem Parlamente, welches i h m (dem König) Gesaeze vorschreiben kan, nicht zu suchen, und aus einer solchen Verfassung k o m m t nichts als ein fehlerhafter Status i n statu heraus. I n Pohlen ist mehr Unordnung, als Freyheit" (Teutsche Gedanken, o.O., o.J. (1776/80), S. 44 (UB Köln). E i n anderes M a l w i r d davor gewarnt, den Geistlichen ein Privileg zu gewähren: „sonst wäre der verderbliche status i n statu schon fertig" (Fontes rerum Austriacarum, I I , Bd. 73, Wien 1956, 269, 297). Wieland gebraucht die Formel gern i n Beziehung auf Geheimgesellschaften oder staatsgefährdende Faktionen: I m „Geheimnis des Kosmopolitenordens" spricht er von einer „ZusammenVerschwörung", die „einen Staat i m Staat hervorbringt, der dem letztern auf vielerley A r t gefährlich und nachtheilig werden k a n n " (Ges. Werke, Bd. 15 [1930], 211); bezüglich der Ereignisse des Jahres 1792 i n Frankreich wünscht Wieland eine Erklärung aller guten Bürger, „daß sie diesen Staat i m Staat . . . , diese zu Frankreichs Untergang verschworene Jakobinische Rotte nicht länger dulden wollen" (Französische Korrespondenz 1792 i n : Ges. Werke, Bd. 15 [1930], 507; vgl. auch Werke ed. Gruber, Bd. 35 [1825], 279 f.). Der gesellschaftliche Charakter des Stats und sein Anspruch auf Souveränität w i r d durch die Vertaiuschung der Bedeutung der Formel Wörter besonders auffällig: Den geheimen Gesellschaften w i r d vorgeworfen, daß sie „ m i t ihren ,Chefen einen Staat i m Staate, oder vielmehr einen Staat über den souveränen Staaten' bilden" (1784, zit. bei R. Kosellek, K r i t i k u n d Krise, 106 f.). Zugrunde liegt der maurerische Glaube an die moralische Notwendigkeit u n d politische Möglichkeit einer überstaatlichen Souveränität: der souveräne Überstaat wäre die Gesellschaft der Freimaurer. So fragt etwa der „ I l l u m i n a t u s dirigens": „wäre es nicht möglich, daß durch diese Gesellschaft die Staaten selbst ein Status i n Statu würden?" (Frankfurt 1794, 132). Auch die Kirche i m alten römischen Reich erscheint i n solcher Perspektive (vgl. Wieland, Agathodämon, Werke ed. Gruber, Bd. 35 (1825), 375). Die katholische K a m p f l i t e r a t u r gegen den Josephinismus kehrt den Vorwurf, die Kirche sei Stat i m Stat, geradezu u m : Es sei „das katholische Deutschland ein Bestand theil des katholisch-geistlichen Staats, dessen Oberhaupt i n der Hauptstadt dieses Staats, zu Rom nämlich, residirt." (Nachtrag zu der Frage: Was ist der Staat? Wien 1783.)
. Überleitung zur souveränen
Staatsgesellschaft191
Kampfbegriffe und Schlagworte des Absolutismus. Die Reaktion der Gegenseite mag dies belegen. (c) Zuspitzung
des Formelsinnes
im Josephinischen
Kirchenkampf
Die Vertreter der Kirche wenden sich gegen die absolutistische Zuspitzung des Formel-Sinnes; sie stemmen sich gegen die Bestimmung des Staats als höchster, undurchdringlicher Gesellschaft; sie bekämpfen die Abschließung nach außen und die monistische innere Form. Eine die Kirchengesetzgebung Josefs II. begleitende literarische Auseinandersetzung läuft unter der kennzeichnenden Frage: „Was ist der Staat?" (1783)79. Ein anonymer „Rechtsgelehrter und Publicist" eröffnet die Diskussion wie folgt: „Bey den neumodischen Publicisten werde ich wohl schlechte Ehre einlegen, daß ich den Pabst neben dem Kaiser auch das höchste Oberhaupt des heil. röm. Reichs nenne, m i t hin einen Staat i m Staate zu bilden scheine, welches wider alle Staatsverfassung anstoße. Aber, meine Herren! erlauben sie m i r zu fragen: Ist denn nicht das heil. röm. Reich ein aus lauter Staaten zusammengesetzter Staat?" Wenn diese sich zwar i n gegenseitiger Abhängigkeit halten, „beweiset dieses Gleichniß doch so viel, daß der Satz: Es giebt keinen Staat i m Staat: nicht so allgemein anzunehmen sey" 8 0 . Das neumodische Verständnis vom Stat i m State, so argumentiert er, sei eine „machiavellische Maxime": Ein Fürst oder König könne „alles wagen, es sey über rechtlich, ausserrechtlich, oder widerrechtlich . . . Des Königs Willen sey das einzige Gesetz". Dem sei die naturrechtliche Vertragstheorie entgegenzuhalten, durch welche „der Mißbrauch der Souveränität" offenbar werde. Dies führt zu folgender Definition: „Das Wort Staat k a n n . . . nicht besser bestimmt werden, als wenn man sagt: ,Der Staat ist eine entweder unter uneingeschränkter, oder gemäßigter geistlich- und weltlicher Regierung stehende bürgerliche Gesellschaft.'" Auf das Verhältnis der katholischen Kirche zum Reich angewandt heißt das: Es „stellet der Papst mit den Layen den weltlichen Staat vor"; dennoch machten „die geistlichen und weltlichen Stände, und Unterthanen des heil. röm. Reichs nur einen Staat aus; just so, wie der Civil- und Militairstaat i n Ansehung der Civil- und Kriegsgesetze . . . mit ihren Untergeordneten zween besondere Staaten zu seyn scheinen, beede zusammen genommen aber . . . machen i m wesentlichen nur einen Staat aus" 8 1 . 79 Mehrere Flugschriften unter diesem oder einem ähnlichen T i t e l sind i m Jahr 1883 erschienen; die Stadtbibliothek Augsburg hat sie i n zwei Bänden gesammelt. Einige Exemplare sind auch i n der U B Heidelberg. 80 Was ist der Staat? Von einem Rechtsgelehrten und Publicisten i m deutschen Reiche beantwortet, 1783, § 23 (UB Heidelberg). ei Ebd. §§ 7, 14, 16, 24 (StadtBibl. Augsburg).
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
Dem Verteidiger der kirchlichen Rechte kommt alles darauf an, die Rede vom „Stat i m State" zu entzaubern, die faktische Vereinbarkeit von Staten i m Stat zu demonstrieren; dann die Lehre vom doppelten Regiment: Papst und Kaiser als Oberhäuptern des Reichs, festzuhalten und schließlich dieses doppelte Regiment als verträglich, ja als Bedingung eines „vollkommenen Staats" i m Naturrechtssinn auszuweisen. I n dieser Gedankenfolge w i r d das Wort Stat als societas civilis („cum imperio") und als rechtlich verfaßter Lebenskreis (Stand bzw. Stände-Stand: STAT V, 3) verwendet. Wenn die wahre Natur der Gesellschaft i n ihrer Eigenschaft als „Stände-Stand" liegt, so ist i n der Tat nicht einzusehen, warum die Formel status in statu etwas Übles oder Falsches ausdrückt. Der Stat, der die Kirche ist, und der Stat, der das politische Gemeinwesen ist (nämlich die Summe des Militär-, Civil-, Hof-, Kammer- usw. Stats) sind nichts Disparates, sondern konvergierende Teilordnungen der rechtlichen und gesellschaftlich Gesamtordnung „Stat" 8 2 . Die „neumodischen Publicisten" halten dagegen, daß ein „Staat" nur dort existiere, wo Macht und Regiment ganz und gar i n der Hand des Fürsten vereinigt sind. Folglich hat die Kirche außerhalb des „Staats" ihren Platz: jenseits der Grenzen (ultra-montan) oder jenseits der Macht (in societate civili sine imperio). Die von Hartberg verfaßte Entgegnung („Das zweitemal: Was ist der Staat?") bemüht sich darzutun, daß „Jeder Staat nur aus einer für sich bestehenden einzigen und zwar der weltlichen Macht bestehe, und daß der geistliche Stand weit entfernt, nur den geringsten Anspruch auf Regentenmacht machen zu können, ein bloß einzelner vom Staat abhängiger, und dem Regenten i n allen Fällen untergeordneter Staat der Gesellschaft sey" 8 3 . Auch Hartberg verwendet also das Wort Staat in Bezug auf die Kirche — aber nur um desto besser zu unterscheiden: Die „römische Macht" ist „ein wahrer Staat i m Staate"; die Geistlichkeit an sich aber dürfte nur „ein Staat der Gesellschaft" sein, wie diese ohne Recht auf Macht und Regiment. Das Ziel der Reformer um Josef II. war es denn, die Kirche, die ein „Stat i m State" war, zu einem Stat „ i n der Gesellschaft" zu machen: sie sollte als unpolitischer Stand i n den Untertanenverband eingewalzt werden 8 4 . 82 A. Müller hat einmal geäußert, daß der moderne Staat sich selbst zerstört und zertrümmert habe, als er i n seiner M i t t e „keine Innungen, keine Zünfte, keine Eigentümlichkeit der Provinzial- oder Städteverfassung, kurz keine Staaten i m Staate" mehr dulden wollte (zit. bei O. Weinberger, A. Müller, i n : Zs.f.d.ges. Staatswiss. 77 (1922/23) 109). es L. A. Hartberg, Das zweitemal: Was ist der Staat?, Wien 1783, § 66 (S. 84). 84 Vgl. den aufschlußreichen „Nachtrag zu der Frage: Was ist der Staat?", Wien 1783, wo der anonyme Rechtsgelehrte das politische Eigenrecht der
4. Überleitung zur souveränen u n d nationalen Staatsgesellschaft
(d) Ursprung
193
des Wortes Staatsbürger
Die Verschärfung des Wortinhalts, wonach ein Stat „aus einer für sich bestehenden einzigen, und zwar weltlichen Macht bestehe", bedeutet, daß alle andern Verbindungen (auch die Kirche) „vom Staat abhängig" und „dem Regenten i n allen Fällen untergeordnet sind" 8 5 . Diese Abhängigkeit, die den Mitgliedern der verschiedenen gesellschaftlichen Verbindungen i m Stat gemeinsam ist: die Unterordnung unter die allgemeinen Gesetze, aber auch der gleichmäßige Anspruch auf Schutz und Sicherheit, ist das statsbürgerliche Prinzip. Das aus der Redeweise „Bürger des Stats" entstandene, 1770 erstmalig belegte Wort „Staatsbürger" 8 6 gewinnt i n den 80er Jahren, und zwar bei den nämlichen Auseinandersetzungen um die Josephinische Kirchengesetzgebung, feste Verwendung i m Deutschen 87 . Was auf höherer Stufe das Verhältnis von „Kirche und Stat", ist auf der Stufe der Individuen das Verhältnis von Mönch und Bürger: I m „Staatsbürger" spiegelt sich die am Ende des 18. Jahrhunderts auf breiter Front erreichte Qualifizierung der bürgerlichen Gesellschaft als einheitlicher Staatsgesellschaft. 1809 kann daraus das Fazit für die Souveränität der Rheinbundstaaten gezogen werden: „Der Staat als höchste Regel der Einheit und Rotundität duldet keinen coordinirten Staat i n sich selber, und schon sein Begriff selber schließt jeden von i h m unabhängigen Verband der Glieder, jeden fremden Zweck, jede Unmittelbarkeit aus 88 ."
4. Uberleitung zur souveränen und nationalen Staatsgesellschaft und Zerfall der kumulativen Bedeutung
A m Ende des 18. Jahrhunderts ist die gesellschaftliche Variante des Stats i n der Regel u m das Merkmal der „Souveränität" bereichert; sie bezieht sich dann sowohl auf die Gesamtgesellschaft, die einem Kirche i n apologetischer Absicht überzeichnet: A n m . 78 dieses Kapitels, Schluß. 85 L. A. Hartberg, Das zweitemal § 66 (S. 84). 86 H. Braun, Plan der neuen Schuleinrichtung i n Baiern 1770, ed. A. Bock ( = Pädagogische Quellenschriften, 1. Heft, ed. A. Bock), München 1916, 13. 87 Nachweislich hat Wieland, dem der Neologismus zugeschrieben w i r d , das Wort aus den anonymen „Neugierden eines Weltbürgers. Oder Zweifel u n d Anfragen eines Menschenfreundes", o.O. 1782; Wieland druckt diese Schrift und beantwortet sie i m Teutschen M e r k u r von 1783, auch Schlözer druckt sie i n den Stats-Anzeigen desselben Jahres nach. Vgl. zur B i b l i o graphie Kurrelmeyer, i n : Wieland, Ges. Schriften, 1. Abt., Werke Bd. 14, Berlin 1928, 194 A. Z u Geschichte u n d K r i t i k des Wortes Staatsbürger werde ich demnächst einen Aufsatz vorlegen, der die Entwicklung von 1770 bis heute umfaßt. 88 Fragmente über die Idee des Staates, i n : P. Winkopp, Der Rheinische Bund, Bd. 12, Frankfurt 1809, 155. 13 Weinacht
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8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
(souveränen) Fürsten untersteht, wie auf die souveräne Gesellschaft der Vollbürger i m aristotelischen Sinn. Dieser Merkmalsbestand w i r d i m Gefolge der großen Revolution durch das „nationale" Element angereichert, ganz unmerklich i n Frankreich, weil hier die Terminologie nur i n Bezug auf die „Verfassung" verändert zu werden braucht, umstürzend in Deutschland, wo Staat und Nation in zweifachen Gegensatz treten und sich dem politischen sowohl wie dem „volksthümlichen" Prinzip nach in Frage stellen. Die folgenden Abschnitte sollen das sprachliche Vorfeld des i m 19. Jh. voll entbrannten Kampfes 89 umreißen.
(a) Abstraktes
Verhältnis
von „Stat" und
„Nation"
Der politische Bedeutungswandel des Wortes Nation 9 0 , seine feste Beziehung zum „Staat" sind durch die Aufklärer längst vorbereitet; die Revolutionsereignisse bringen nur die Anwendung der „theoretischen" Bedeutungen auf die „Praxis". 1792 definiert Wieland: „Eine Nazion, in dem Sinne, worin meines Wissens dieses Wort immer genommen worden ist und werden muß, ist eine große Masse von Menschen, die durch einen gesellschaftlichen Vertrag zur gemeinschaftlichen Sicherheit ihrer Personen und Güter verbunden sind, und sich zu diesem Endzweck allgemeinen Gesetzen unterworfen haben" 9 1 . Es ist die gleiche Sprache, die w i r bisher am Beispiel des Stats „oder" der bürgerlichen Gesellschaft untersucht haben. Allerdings eilt sie den politischen Zuständen der Zeit voraus. Denn faktisch ist die Nation nur als Ständegesellschaft mit dem Stat identisch. So kann J. Moser sagen, „daß der Disput zwischen dem Kayser und den Fürsten der lächerlichste von der Welt sey, indem sie sich über Rechte zanken, die ihnen beyde nicht, sondern lediglich den Edlen und Gemeinen als dem wahren Staat der Nation zustehen" (1763)92. Noch 1783 findet man die politische Gesellschaft des deutschen Reiches in 89 Vgl. überhaupt: F. Meinecke, Weltbürgertum und Nationalstaat, Berlin 1908 (und später); ferner die noch ungedruckte Dissertation von K . F. Kindler, Die Entstehung des neudeutschen Nationalismus i n den Befreiungskriegen. Phil. Diss. Freiburg i . B r . 1952. 90 Die L i t e r a t u r zu Wort und Begriff der Nation ist uferlos; statt vieler n u r : Schulz/Basler, Deutsches Fremdwb., B e r l i n 1942, Bd. 2, 177 (Literatur!). Trotz allem sind die semasiologischen Beziehungen zwischen den Wörtern Stat und Nation noch keineswegs hinreichend dargestellt. Sendschreiben an Ehlers, Anmerkungen, Ges. Werke, Bd. 15 (1930), 458 f.; vgl. Ephemeriden der Menschheit I X (1784) 387. 92 Moser, Briefe, ed. Beins u. Pleister, Hannover 1939, 424f.; vgl. Werke ed. Abeken, Bd. 6, 40.
4. Überleitung zur souveränen u n d nationalen Staatsgesellschaft
195
„der ganzen auf dem Reichstage zu Regensburg versammelten Staatsgesellschaft" 93 . Und Schlözer bemerkt, ein Volk könne äußere Selbständigkeit mit innerer Sklaverei verbinden, „wenn bei weitem sein allergrößter Teil (also, nach der Regel, a potiori . . . die Nation) vom State ausgeschlossen . . . und der grausamen W i l l k ü r eines kleinen Häufleins seiner Mitbürger . . . unterworfen ist" (1792)94. Durch die Französische Revolution w i r d dieser beschränkte Begriff des „Stats" de facto auf die Gesamtnation ausgedehnt. Eine sehr anschauliche Bemerkung zu diesem Vorgang lautet: „Die Nazion, sagte damahls ein Pariser Blatt, ist ein Riese, der alle Tage um hundert Ellen wächst: der Hof ein Zwerg, der so lange abnehmen wird, bis er gar nichts mehr ist: dann bleibt nichts übrig als der König und die Nazion; und mehr ist auch nicht nöthig" (1789)95. I n der Sprache der Revolutionäre kann daher das Wort Nation die Stelle des weniger beliebten Synonyms „Stat" einnehmen.
(b) Konkretes
Verhältnis
von „Stat"
und
„Nation"
Diese von den französischen Ereignissen diktierte Festlegung der politischen Bedeutungen w i r d i m Denken der deutschen Klassiker (Herder, Schiller u. a.) durch sprachlich-kulturelle, philosophische, konkret-geschichtliche Bezüge teils ergänzt, teils ersetzt 96 . Herder unterstützt F. C. Mosers Plan einer literarischen Würdigung großer deutscher Staatsmänner m i t folgender Erwägung: „Es sei das Geschäft- und Gedankenreich verdienter, sachkundiger Männer einer Nation gleichsam der Stamm, ohne welche sie kaum eine Nation, geschweige ein durchdachter, durchempfundener Staatskörper genannt zu werden verdienet. Die geographischen Gränzen allein machen das Ganze einer Nation nicht aus; ein Reichstag der Fürsten, eine gemeinschaftliche Sprache der Völker bewirken es auch nicht allein" (1794)97. Hier w i r d die Nation bzw. der (nationale) Stat als Frucht des Geschichtsbewußtseins begriffen 98 . Der tote Mechanismus des Fürstenregiments über eine willenlose Gesellschaft, i n der jeder „als ein gedankenloses Glied mitzudienen" 93 Nachtrag zu der Frage: Was ist der Staat?, Wien 1783, 143. 94 Schlözer, Stats-Anzeigen, X V I I . 65, S. 131. 93 Wieland, Ges. Werke, Bd. 15 (1930) 313 (T. Merkur, 1789). 96 Z u den Wurzeln des unpolitischen Nation-Begriffs vgl. G. Kaiser, Pietismus und Patriotismus i m literarischen Deutschland, Wiesbaden 1961. 97 Herder, Werke ed. Suphan, Bd. 17, 257. 98 Ebd. 258: „Raisonnirte Geschichte"! 13'
196
8. Kap.: S T A T V I I I : Societas civilis
verurteilt i s t " , wäre — nach Herder — abzulösen von einer Ordnung der Dinge, wo man sagen kann: „Des Bürgers Glück blüht mit dem Staat, Und Staaten blühn durch Patrioten" (1793) 100 . Dies wiederum setzt „Eine gemeinschaftliche Seele" i m Stat voraus 1 0 1 . Nichts wäre unnatürlicher, meint Herder, „als wilde Vermischung der Menschengattungen und Nationen unter einem Zepter. Zusammengeleimt werden sie eine brechliche Maschine, die man Staatsmaschine nennt . . . ohne Nationalcharakter ist kein Leben in ihnen" 1 0 2 . I n solchen immer wiederholten Gedanken verbindet sich mit dem „abstrakten" Wort Stat die Vorstellung des Volkscharakters, des nationalen Kulturlebens oder — mit Jahn zu reden — der „Volkstümlichkeit" (1810) 103 . Man w i r d jedoch nicht verkennen, daß die Verschmelzung von Stat und Nation nur eine Seite i m Denken und i m Reden jener Zeit ausmacht; die andere spricht in Schillers berühmten Sätzen: „Deutsches Reich und deutsche Nation sind zweierlei Dinge. Die Majestät des Deutschen . . . ist eine sittliche Größe, sie wohnt i n der K u l t u r und i m Charakter der Nation, der von ihren politischen Schicksalen unabhängig ist" (um 1797) 104 . Nebeneinander stehen denn eine Stat-lose Nation und ein aus der Nation lebender Stat: Beide Vorstellungen sind den deutschen Klassikern geläufig. (c) „Staat" als äußerlich souveräner, innerlich volkstümlich geschlossener (National-)Staat, der keine „bürgerliche Gesellschaft" mehr ist Aus der Unentschiedenheit eines bald politischen, bald unpolitischen Nationbegriffs führt über Fichtes Klage über der deutschen Staten „abgesondertes Daseyn" (1808) 105 die fortschreitende Linie zum Gedanken der deutschen „Staatseinheit" (1815) 106 ; er w i r d im nationalen 99 Werke ed. Suphan Bd. 13, 340. 100 Werke Bd. 17, 22 f. ιοί w e r k e Bd. 16, 601: Der Staat sollte „dem höchsten Vorbilde einer belebten Maschiene, dem menschlichen Körper selbst nacheifern, i n dessen sämmtlichen Gliedern n u r Eine gemeinschaftliche Seele lebet" (1788). 102 Werke Bd. 13, 384. μ» F. L. Jahn, Das Deutsche Volksthum, Lübeck 1810, 8. 104 Schiller, Ausgewählte Werke, Bd. 5, Stuttgart 1950, 362. los G. Fichte, Reden an die deutsche Nation, B e r l i n 1808, 416. i°6 Ε. M. Arndt, Ausgew. Werke, Bd. 13 (Kleine Schriften I) Leipzig o.J., 307: „ w e n n ich m i r die ganze Menge der deutschen Völkerschaften als eine Staatseinheit denke, was ich doch muß" (1815); vgl. Jahn, Deutsches Volkst h u m 17: „Staat und Volk i n Eins, geben erst ein Reich" (1810), siehe Anm. 112!
4. Überleitung zur souveränen und nationalen Staatsgesellschaft
197
Befreiungskampf gegen Napoleon gedacht und ausgesprochen. Die Vorstellungen von Stat und einheitlichem nationalem Substrat („Volkst ü m l i c h k e i t " ) durchdringen sich. Görres sagt daher von Preußen, es sei „ein gemischter slavisch-teutscher Staat, ohne inneren Naturverband" (1814) 107 , und Napoleons europäisches Imperium gilt als „völkerverschlingender Staat" (1815) 108 . Die dieser Bedeutungsentwicklung innewohnende „Zielvorstellung" w i r d 1815 so ausgesprochen: „Damit aber ein jedes Volk sein ihm eigentümliches Leben frey entwickle, damit sein ihm eigener Geist auch i n einem, ihm eigenen Körper wirke, damit die Volkspersönlichkeit sich durch diesen Körper i n K r a f t und Handlung offenbaren möge; so gehört, wie jeder Seele ihr Leib, so jedem besonderen Volke auch sein besonderer Staat. Daher ist die höchstmögliche Grenze der Ausdehnung eines Staates bestimmt durch die Grenze der V o l k s t ü m l i c h k e i t , bezeichnet durch die gemeinsame Sprache. Darum ist Selbstständigkeit der Völker, souveraine Freiheit der Staaten, i n welchen sie leben, als erste Bedingung alles eigenthümlichen Seyns, das heiligste Palladium der Menschenwürde und der Persönlichkeit eines jeden Volkes, welches m i t der höchsten Aufopferung nicht zu theuer erkauft werden k a n n " 1 0 9 . Die bei Herder beginnende Anreicherung des gesellschaftlichen und souverän vorgestellten Stats um eine nationale Komponente drängt so zum Begriff 1 1 0 des Nationalstaats: Während der Befreiungskriege überspielt das Wort stammesmäßige Differenzierungen („eine Staatseinheit"), gliedert die allgemeine Menschheit i n Völker (daher: „völkerverschlingender Staat") und w i r d für Nationalitäten empfindlich („gemischter Staat"). Aber auf dem Weg zu diesem neuen Begriff bricht das überanstrengte Wort auseinander: Es verliert seine gesellschaftliche Bedeutung („Volk") und wandelt seine politische Bedeutung (machtvolle „Anstalt"). Der Bürger steht zwischen „ V o l k " und „Staat" mittendrin. Die Identifikation, die Jahn fordert, setzt diese Trennung eher voraus, als daß sie sie aufhöbe: „ M i t dem Staate, durch ihn, für ihn, und i n i h m w i r d der Bürger fühlen, denken und handeln; er w i r d m i t ihm und dem Volke Eins sein i m Leben, Leiden und io? J. Görres, Romantische Schriften, i n : Die Herdflamme, Bd. 8, Jena 1924, 432. 108 Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit, o.O. 1814, 22. 109 I n : A. Feuerbach, Ueber die Unterdrückung . . . Europens, Deutschland o.J., 16 (UB Freiburg). 110 Das Wort Nationalstaat scheint dagegen eine junge Prägung zu sein; Schulz-Basler, Deutsches Fremdwörterbuch Bd. 2, S. 177 gibt als frühesten Beleg Du Bois- Reymond 1871!
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8. Kap.: STAT V I I I : Societas civilis
Lieben" (1810) 111 . Jahns angestrengte Versuche, Staat und Volk „ i n Eins" zu denken, können sich denn auch nicht i m „Staat" beruhigen und drängen zur übergreifenden Idee und Vokabel des Reichs 112. — So rinnt die gesellschaftliche Substanz des Wortes Staat mehr und mehr aus. Und während unter dem Druck der sozialpolitischen Wandlungen Staat und Gesellschaft immer weiter auseinanderrücken, denkt sich die „Nation", das „ V o l k " , den deutschen Staat, der es selbst weder ist noch werden kann, nurmehr als ein „Grundgestell" oder „die stehende äußere Befriedigung vom Volksthum" (1810) 113 .
m Jahn, Deutsches V o l k s t h u m 254. 112 Ebd. S. 17: „Nichts ist ein Staat ohne ein Volk, ein seelenloses K u n s t w e r k ; nichts ist ein V o l k ohne einen Staat, ein leibloser luftiger Schemen, wie die flüchtigen Zigeuner u n d Juden. Staat u n d V o l k i n Eins, geben erst ein Reich, u n d dessen Erhaltungsgewalt bleibt das Volksthum." Vgl. zum Verhältnis Staat / Reich auch das Hegel-Zitat 36 i n S T A T X , die Belegstelle 32 i m 11. K a p i t e l sowie den Exkurs S T A T V. C. us Ebd. S. 23.
Neuntes Kapitel
STAT I X : Anstalt Der Stat des Fürsten war bis zu Seckendorffs Begriff des „Fürstenstats" ein politisch-rechtlicher Ordnungsrahmen, dessen Umfang sich ausdehnen oder zusammenziehen konnte; bald umfaßte er nur Kammer und Kanzlei bzw. Hof und Domanium des Fürsten, bald das ganze Land oder das gemeine Wesen. I n dem zuerst genannten Fall deckt er sich mit dem Begriff „Hof-Stat", der i n den Wortgruppen Hof-, Kammer-, Kanzlei-Stat institutionelle Varianten entwickelt und auf den Verwaltungsapparat (und das Verwaltungspersonal) des Fürsten bezogen ist (STAT I I I . f). I n diesem „Stat", der eine verwaltungstechnische und ökonomische Einheit ist, liegt ein Charakteristikum des werdenden Territorialstaats 1 . Diese „anstaltliche" Variante des Wortes soll nun in die jüngere Zeit hinauf ver folgt werden.
1. Bedeutungsfolge vom 17. ins 19. Jahrhundert
(a) Fürstliches Regimentswesen
oder Verwaltungsapparat
Wie G. Obrecht 2 bemühen sich auch i n der 2. Hälfte des Jahrhunderts die Kameralisten, den „Stat" des Fürsten, das fürstliche Regimentswesen, durch geschickte Haushaltungs-Kunst zu „erhalten", d. h. ökonomisch und effizient zu machen. 1664 gibt ein Finanzkundiger (G. Warmund) Ratschläge, wie dem „Geldmangel in Teutschlande" abzuhelfen sei; über das Edelmetall heißt es: „ . . . w i r d wie es soll genützet: der Staat voll Segen ist" und: „Wann . . . die Münz ist recht erkiest . . . der Staat voll Segen ist" 3 . 1 H. Maier, Die ältere . . . Verwaltungslehre 161. 2 Vgl. dazu H. Maier ebd. 150 ff. 3 Warmund, Geldmangel i n Teutschlande, Beyreuth 1664, E r k l ä r u n g des Kupfers.
200
9. Kap.: S T A T I X : Anstalt
Der gleiche Autor schreibt: „ I n gemeinen Verrichtungen muß ein wolbestalter Regiments-Staat einen Geld-Vorrath haben"; „Denn wenn die stärkeste Grundfesten eines Regiments-Staats/ welchen die hohe Obrigkeit/ zu des gemeinen bestens Erhaltung/ i n Obacht zu nehmen/ betrachten w i l l / so scheinet unter dennselben die sorgliche Aufsicht/ daß i n einem Lande gut Geld im schwänge gehe . . . nützlich" (1664)4. „Staat" und „Regiments-Staat" sind die Einrichtungen des Regiments: der Verwaltungsapparat, den einer „anstellt", „verführt", „ i n Obacht nimmt". Die Größe des Apparats als einer ökonomischen 4a und verwaltungstechnischen Einheit ist von der Menge der Verwaltungsaufgaben, tatsächlich des öfteren vom Ehrbedürfnis des Fürsten abhängig. Seckendorff bemerkt 1664: Ein Regent möge ruhig Diener entlassen „als da es der Stat der Cammer änderst nicht erfordert" 5 . Eine andere Einschränkung w i r d durch die Nutzungsgrenze der Kammergüter und das Steueraufkommen des Landes nahegelegt. Becher rät dem bayerischen Kurfürsten darauf zu sehen, „daß dero Cammer-Gut also beschaffen seye/ daß es dero Staat ertragen könne/ falls die Unterthanen mit der Steuer nicht fort könten" (1664)6. A n anderer Stelle nennt er dies „die proportional-Regul", daß kein Fürst „seinen Statt (!) höher führet/ als es sein Land ertragen mag/ und kan" 7 . Dieser nach der „proportional-Regul" geführte, nach seinen Aufgaben Diener erfordernde, Geld und nochmals Geld benötigende „Stat" ist das fürstliche Regimentswesen oder der Verwaltungsapparat, der i n einen zivilen und einen militärischen Bereich zerfällt 8 und m i t einem Doppelausdruck „Hof- und militair-Staat" (1718)9 heißt. (b) Organisation
der Herrschaft
im Territorium
(„Maschine")
Die Ausweitung der Policey i m Land, die Vermehrung und Verstärkung der Verwaltung erweitert den „Begriff" des Stats. Aus einem auf 4 Ebd. S. 649, 697; vgl. Seckendorff, Fürsten-Staat, Additiones von 1664, Frankfurt 1678: Es „stehet manches Regiment w o l . . . welches . . . daher kommet/ daß gleichwol der Regent das Haupt-Wesen und Staat seiner Regierung nothwendig i n acht nimmet". 4 a Die statistischen Listen und das Testament des hessischen Landgrafen Wilhelms IV., durch L. Zimmermanns Buch als „ökonomischer Staat" bekannt geworden, erhalten diese Bezeichnung erst i m 18. Jh. Vgl. L. Zimmermann, der ökonomische Staat Landgraf Wilh. IV., B a n d 2, M a r b u r g 1933, X I I . s Seckendorff, Fürsten-Staat, Additiones von 1664, F r a n k f u r t 1678, 197. β Brief v o m 20. Oktober 1664, i n : Becher, Politische Diseurs, Frankfurt 21673, 302. 7 Ebd. 35. 8 Fürstliche Diener: „dem K r i e g oder Staat beygethan" oder: „Kriegsu n d Staats-Officier" (1645), i n : von Meiern A c t a I, 441; vgl. Becher, Polit. Diseurs 324. « J. Β. von Rohr, Einleitung zur Staatsklugheit, Leipzig 1718, 1027.
1. Bedeutungsfolge v o m 17. ins 19. Jahrhundert
201
die Hofwirtschaft und das Kammergut ausgerichteten Stat w i r d eine das gesamte Territorium und die Civilsozietät umspannende Wohlfahrt, Sicherheit und Recht besorgende sowie Geld eintreibende Anstalt des Fürsten. Die Kameralisten beschreiben sie gern von der fiskalischen Seite: als Wirtschaftssystem. Geld nennt Wilhelm von Schröder „das pendulum des estats". „ I n einem wohl regulirten estât ist einem Fürsten kein ziel noch maß, auch keine zeit gesetzt, wie viel und offt er geld von seinem lande erheben solle" (1686)10. Die das gesamte Territorium politisch darstellende, verwaltende und besteuernde Anstalt ist der „Fürsten-Stat". Der preußische Kameralist S. P. Gasser sagt, es gebe „zwey Grund-Säulen des FürstenStaats, nämlich Revenüen aus dem Lande, und bemittelte Unterthanen i m Lande, sonderlich i n den Städten" (1729)11. Das Wort Fürsten-Stat ist — i m Unterschied zu Seckendorff — nicht nur eine lose Rahmen-Formel für verschiedene Verhältnisse des Territorial-Staats, sondern bedeutet konkret die fürstliche Verwaltung als politisch-ökonomische Anstalt („Landes w i r tschaft"). Insofern der Verwaltungsapparat sich vom Zentrum der fürstlichen Gewalt her nach allen Seiten vorschiebt, insbesondere auch i n die Pflege der Negotia, erscheint das Land als Organisation der Herrschaft: „Der Rath eines Fürsten ist der Geist und Seele eines Staats/ welcher allen andern Theilen das Leben/ Bewegung und Wesen giebt" (1706)12. Und noch deutlicher: „Ein wohl eingerichteter Staat muß vollkommen einer Maschine ähnlich seyn, wo alle Räder und Triebwerke auf das genauste ineinanderpassen; und der Regent muß der Werkmeister, die erste Triebfeder oder die Seele seyn, wenn man so sagen kann, die alles in Bewegung setzet" (1758)13. (c) Königlich-preußische
Variante:
Majestät
des Staats
Der Stat als Verwaltungsapparat steht vermittelnd zwischen Fürst und Land und scheint neben dem fürstlichen und landschaftlichen ein eigenes staatliches Interesse zu entwickeln. Beispielsweise verweigert 10 von Schröder, Fürstliche Schatz- u n d Rent:Cammer, Leipzig 1721 (!), 33, 42. 11 Gasser, Einleitung Z u den Oeconomischen Politischen u n d Cameralwissenschaften, Halle 1729, I, (Vorbericht) 16; vgl. 22. 12 Fortunander (Chr. Liesner), Der Galante u n d i n dieses Welt-Leben recht sich schickende Mensch, Leipzig 1706, 41 f. 13 J. G. von Justi, Die Chimäre des Gleichgewichts von Europa, Altona 1758, 47 f.
202
9. Kap.: S T A T I X : Anstalt
der württembergische Herzog im Jahr 1680 die Übernahme der Schulden aus der „Administrationsdifferenz" als „Uncosten", welche „weder dem Staat, noch Uns selbsten . . . mit Fug nit zugemuhtet werden können, und es vornehmlich weegen deß Lands und deßen RegierungsAdministration zu thun gewesen"; Ersatz müsse daher „auß der Landschafft Cassa" kommen (1680)14. Obwohl die i m Kontext der Ratio status aufgekommene Redensart um 1708 schon ziemlich außer Gebrauch ist, kann „der Fürst und sein Stat" in Fällen wie dem genannten noch benutzt werden. Stat ist dann Regierungsapparat, Finanzverwaltung (Heer) und steht zwischen Fürst und Volk, aber näher beim Fürsten. „Die Gunst" — so heißt es 1706 in einer Übersetzung aus dem Italienischen — „ist ein guter Wille und eine Gewogenheit der Untert a n e n gegen den Fürsten und seinen Staat". Ihr Gegenteil ist „Haß/ oder die böse und eigensinnige Meinung der U n t e r t a n e n / wider den Fürsten und dessen Staat". Das enge Verhältnis von Fürst und Stat w i r d i n folgender Maxime deutlich: „Daß ein Fürst seinen Staat hoch halte/ ihn liebe/ und ihn/ wie ein Mann vor seine Frau . . . Sorge trage" (1706)15. Bei dem letzten Zitat zögert man, Stat i.S.v. Machtapparat aufzufassen. Es handelt sich hier um eine erweiterte Vorstellung: Stat ist nicht nur dienendes Instrument, sondern die von Regiment (Policey) und Finanzverwaltung charakterisierte herrschaftliche Anstalt, i n die alle Rechte und Ansprüche des Fürsten eingehen können. So spricht man davon, die Immunität von Gesandtschaftsdienern sei erloschen, wenn sie „etwas wider den Fürsten/ an dessen Hof der Legat seiner Freyheit genüst/ oder wider desselben Staat gesundiget hätten" 1 6 . Man kann gegen den Staat sündigen, ihn beleidigen, angreifen, ihm Unrecht tun. Der „Stat" seinerseits schützt sich durch Soldaten: „Durch ihren Degen vertheidiget der Staat seine Rechte, rächet das ihm zugefügte Unrecht, erobert Reiche und Länder" (1718)17. Dieser Stat steht hoch über den Untertanen und über den älteren Verfassungs-Einheiten. Während der König in Preußen, reichsrechtlich gesehen, „zehen und fünfzehenfacher Reichs-Stand" ist, weil von den brandenburgischen Landen jedes seine „besondere Verfassung" hat, ist Brandenburg-Preußen unter dem Aspekt der herrschaftlichen Anstalt ungeteilt, und J. J. Moser behandelt es folgerichtig — solange es „unter einem Haupte beysammen" bleibt — „für einen Staat" (1739)18. 14 W L G 907. is Fortunander, Der Galante . . . Mensch 63, 74, 281. 16 Flämitzer, A u d i a t u r et altera pars, Würzburg 1688, 27. 17 Rohr, Staatsklugheit, 1405. 18 J. J. Moser, allgemeine Einleitung i n die Lehre des besonderen StaatsRechts, Frankfurt/Leipzig 1739, §8 (S. 4 f.).
1. Bedeutungsfolge v o m 17. ins 19. Jahrhundert
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Friedrichs des Großen berühmte Worte von der Majestät des Staates und vom König als erstem Diener des Staats, beziehen sich auf diese „Anstalt", die mehr ist als Macht-Apparat oder ökonomische Anstalt und deren Majestät die ma j estas principis und ma j estas populi i n einer höheren Einheit zu versöhnen scheint 1 8 3 . (d) Zwangsanstalt Man kann diese Vorstellung die königlich-preußische Variante des Stats nennen; sie ist spätestens in dem Augenblick der Gefahr der Auflösung ausgesetzt, wo sie einer „gesellschaftlichen" Sphäre des Wirtschaftslebens, der Religion, Bildung, u. U. politischen Eigenstrebens konfrontiert w i r d 1 9 . Der Stat erscheint jetzt entweder als moralische oder als Zwangsanstalt für die Gesellschaft, zuweilen als beides zugleich. Während einerseits die „Wirksamkeit des Staates" hinsichtlich der Bestimmung seiner Grenzen bedacht w i r d (Humboldt), w i r d andererseits die „Heiligkeit des Staats" gerade in seinem Charakter als „Zwangsanstalt" (Heydenreich) 20 betont. Beide Ansichten unterscheiden sich nicht i n dem, was der Staat ist, als vielmehr i n dem, was er als solcher für die Gesellschaft sein soll oder nicht sein soll. Das heißt: das von der „Policey" geprägte, gesellschaftliche Regungen kontrollierende und zensierende, u. U. unterdrückende Moment der staatlichen „Anstalt" ist für die Zeitgenossen der Französischen Revolution zu einem repräsentativen Inhalt des Wortes Stat geworden. Bei Heydenreich liest man beispielsweise: „Durch die Vereinigung der bürgerlichen Gesellschaft entsteht Einheit der Willen i n Beziehung auf den Zweck, durch den Staat w i r d die Anwendung der Kräfte der Gesellschaft zur Erzwingung des Zweckes bestimmt 2 1 ." Daher gehöre i8a Prof. C. Schmidt hat mich auf einen Brief Friedrichs des Großen nach der Schlacht bei K o l i n (Sept. 1757) aufmerksam gemacht; Friedrich wollte sich — wie er der Schwester schrieb — nach dieser Niederlage das Leben nehmen, aber er raffte sich wieder auf: „Meine Hingebung f ü r den Staat erwachte . . . So machte ich m i r zur Ehrensache, wieder Ordnung zu schaffen." (Friedrich der Große u n d Wilhelmine von Baireuth, Bd. I I , ed. Volz, übers, von F. v. Opeln-Bronowski, 379.) Vgl. ebd. S. 378: „ W i e kann ein Fürst seinen Staat, den R u h m seines Volkes, seinen eigenen Ruf überleben?" I n diesem letzten Zitat w i r d sehr schön deutlich, wie „ E t a t " Inbegriff für die maiestas populi u n d maiestas principis sein kann. 19
Vgl. dazu E. Angermann, Das ,Auseinandertreten von Staat und Gesellschaft' i n : ZfP, N F 10 (1963), 90 ff. 20 Κ. H. Heydenreich, Versuch über die Heiligkeit des Staats, Leipzig 1794, 38. 21 Ebd. 33.
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9. Kap.: S T A T I X : Anstalt
kein höherer Zweck als Darstellung der „Macht" in den Begriff des Staats. Das „Wohl des Ganzen" ist kein konkurrierender Zweck, sondern „nichts anders als die zureichende Wirksamkeit seiner zweckmäßigen Organisation" 22 . Effektivität w i r d zum staatlichen K r i t e r i u m schlechthin: „der Staat, wenn er nur Staat, d. h. fähig ist, den nächsten Zweck der bürgerlichen Gesellschaft zu realisiren" (1794)23. A u f dieser Linie steht Hegel m i t seiner Verfassungsschrift, wo er dem Reich die „Staats"-Qualität abspricht; steht jener anonyme Göttinger Jurist, der machiavellisch klar folgert: „Besser ist es, wenn der Staat nicht einmahl moralisch seyn will, weil er es ohnehin nicht seyn kann" (1802)24; auf dieser Linie entwickeln sich jene neueren Betrachtungs- und Redeweisen vom Staat als Machtorganisation der Nation 2 5 , als Machtapparat, der von einer Partei erobert werden kann 2 6 oder als Maschine zur Unterdrückung unterworfener Klassen 27 oder als Betrieb, dessen technisch-funktionaler bzw. rational-bürokratischer Charakter den Soziologen fasziniert. 2. Begleitvorstellungen: meist negativ („Racker von Staat")
Das Wort Stat i.S.v. Zwangsanstalt, Machtapparat, Behördenorganisation, hat i n vielen Zusammenhägen einen negativen Klang 2 8 , i n der gelehrten ebenso wie i n der volkstümlichen Sprache. Das achtzehnte Jahrhundert erkennt i m Staat den Gegen-satz zur „politisch-moralisch-bürgerlichen Gesellschaft" (Klinger), und der bür22 Ebd. 37. 23 Ebd. 134; vgl. ganz ähnlich Demokritos, 7. Bd., Stuttgart o.J., 73: „Der Staat bleibt eine Wohltat selbst noch als Maschine, bleibt eine Wohltat, selbst wenn die Menschen darinnen bloße Leibeigene wären i n einem weiten Gefängnisse; bleibt Wohltat, w e n n auch politische A r i t h m e t i k , Finanzund Geldabsicht die Räder der Maschine i n Bewegung setzt." 24 Juristische Fragmente, 1. Th., Göttingen 1802, 36. 25 M. Weber, Der Nationalstaat u n d die Volkswirtschaftspolitik, i n : Gesammelte Politische Schriften, München 1921, 20. 26 A. Hitler, Rede zum 5. Jahrestag der Machtergreifung, i n : Frankfurter Zeitung 82. Jg. Nr. 94 (1938) S. 1 f.: „ W a n n ist jemals ein Staat unter solchen Umständen und m i t einer solchen inneren Sicherheit und Ruhe erobert worden?" 27 Lenin, Über den Staat, Vorlesung an der Swerdlow-Universität. 11. Juni 1919, B e r l i n 1964, 16. 28 Es gibt auch hier Ausnahmen: Heydenreich schreibt über „die Heiligkeit des Staats" bzw. die „moralisch notwendige Anstalt" (S. 125), „daß der Staat unverletzlich ist, u n d daß nur Frevler, welche selbst des Heiligsten nicht schonen, den Gedanken einer tumultuarischen Umwälzung desselben fassen können". Das w i r d abschließend i n die Worte gefaßt: „Daher sagt der Gottgläubige Mensch m i t gutem Grunde, daß aller Staat u n d alle Obrigkeit von Gott ist." (S. 127); i n : Versuch über die Heiligkeit des Staats, Leipzig 1794.
2. Begleitvorstellungen: meist negativ („Racker von Staat")
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gerliche Innenraum (das „moralische Reich") schwingt sich zum Zensor und K r i t i k e r dieses Staats auf 2 9 . Eine der gelehrten kritischen Redeweisen, i n denen sich das ausgehende achtzehnte Jahrhundert gefällt, ist der Vorwurf gegen die „Maschine" oder das „System". J. Paul ζ. B. nennt es eine „bekannte Klage", „daß die neuern Staaten mehr Staatskörper, die alten hingegen Staatsseelen sind, welche mehr m i t dem Geistigen bewegten und verknüpften, durch Beredsamkeit, durch Sitten, durch Musik, nicht durch hölzerne Räderwerke des Formalismus" 3 0 . F. M. Klinger charakterisiert die Unmenschlichkeit eines Kammerpräsidenten durch folgende Rede: „Jeder Staat, sei er groß oder klein, besteht durch ein Ding, an das alles gefesselt ist und gefesselt bleiben muß, das Alles durch feste, unabänderliche Ordnung i n Abhängigkeit von sich hält. Dieses Ding . . . heißt System, und nach ihm muß sich ein Jeder von uns bequemen 31 ." Weniger großartig i m Ausdruck, doch einleutend ist der Bericht H. Leos über den Unterschied des Studentenlebens i n Jena und Breslau zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Dort sei es frei und poetisch gewesen, „während i n Breslau sich der Student überall von dem Herrn Staat umschlossen und gegängelt . . . fühlte". Allerdings sei dieser Unterschied m i t dem Untergang des Reichs verschwunden: „Der Herr Staat ist auch da (seil, in Jena) hinten und vorn, und die Zahmheit des akademischen Lebens würde einem Professor von 1801, wenn er gleich einem Siebenschläfer jetzt plötzlich hineinversetzt würde, sehr absonderlich vorkommen" (1880)32. Die Ausdrucksweise „Herr Staat", die den Gedanken des humorlosen Polizei-Büttels hervorruft, w i r d i n der Rede „Racker von Staat" zum geflügelten Wort. Als Entstehungssituation des Wortes gilt dies: Ein preußischer Bauer stellt ein Gesuch an Friedrich Wilhelm IV.; es w i r d verworfen und der König begründet die Ablehnung unter Berufung auf den Staat und seine Ordnung. Der Bauer antwortet erleichtert: „ich wuszte wohl, dass nicht mein geliebter könig m i r entgegensteht, sondern der racker von staat 3 3 ." Diese Redensart w i r d i n der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sprichwörtlich. Man gebraucht sie, wo natürliche Verhaltensweisen durch staatliche Reglements beschnitten, gesunde Ansichten und Empfindungen verletzt, billige Forderungen abgelehnt werden 3 4 . „Racker von Staat" 29 R. Kosellek, K r i t i k und Krise, Freiburg/München 1959, 51. 30 J. Paul, Werke, ed. Preuß.Akad.d.Wiss. Bd. 14 (1939), 33. 31 Klinger, Geschichte eines Deutschen der neuesten Zeit, ausgew. Werke, 5. Bd., Stuttgart 1879, 241 f. 32 H. Leo, Meine Jugendzeit, Gotha 1880, 136 f. ss DWb. X 2.1, 280; vgl. G. Büchmann, Geflügelte Worte, B e r l i n 1910, 550 f. 34 Vgl. die ironischen Bemerkungen eines Liberalen an die Adresse des Bischofs von Ketteier: Gewöhnlich sei ja „jener bekannte .Racker', welchen
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9. Kap.: S T A T I X : Anstalt
überträgt auf das Wort Staat die Empfindungen, die dem Staatsbürger und Untertan von einer mächtigen, unnachsichtigen, humor- und gefühllos waltenden Bürokratie eingeflößt werden. Auch in der Schweiz ist diese Bedeutung verbreitet. Eine neuere Volkskunde bemerkt: „ I n der Tat löst allein schon das Wort Staat (das der älteren Volkssprache fehlt) in bäuerlichen Kreisen die unangenehmen Vorstellungen von Papier, Formularen, Büros, Polizei, ,Vögten', Reglementen, Steuern aus" (1946)35.
man den ,Staat' nennt", an allem sozialen Elend schuld. (K. Braun, Aus der Mappe eines deutschen Reichsbürgers, 3. Bd., Hannover 1874, 92.) 35 R. Weiss, Volkskunde der Schweiz, Grundriss, Erlenbach-Zürich, 1946, 332 f.
Zehntes
Kapitel
S T A T X : A b s t r a k t u m u n d Wertbegriff Als moderner Staatsbegriff gilt jene abstrakte Vorstellung, die sich auf ein Wesen außerhalb der Person des Regenten und der konkreten politischen Gesellschaft bezieht, das ihnen übergeordnet ist, Subjekt von Forderungen und Gegenstand von Pflichten: der „ewige Staat". Ein solches Wesen w i r d bereits von den kanonistischen Glossatoren konstruiert (populus, universitas) 1 , kann also nicht i m Wort stato oder Staat auf die Welt gekommen sein. Der genannte Begriff dringt noch vor der Mitte des 17. Jahrhunderts in unser Wort ein; er zeigt sich i n dem aus dem inneren Stat des Landes hervorgehenden „Gemeinwesen" (Stat V I I . 4, 8—9), i n der anstaltlichen Variante (Stat IX), insbesondere i n der „königlich-preußischen" Variante des Stats (Stat I X . 1, c). A l l diesen Vorstellungen haftet ein „abstraktes" Moment an, das die Gleichsetzung des Regenten oder der Masse der Bürger oder der Stände mit dem „Staat" verbietet. Das Wort löst sich i m 17. Jh. von der Person des Fürsten und i m 18. Jh., kaum daß es die konkrete Gesellschaft bezeichnet, auch von ihr. Jenes geschieht i m Kontext von Ratio status, dieses i m Kontext der volonté générale. Α. Die abstrakten Bedeutungsvarianten I m folgenden soll die Linie von der abstrakten Variante des 17. Jahrhunderts zu jener des 18. und 19. Jahrhunderts nachgezeichnet werden, wobei insbesondere die etwa entstehenden Nebenbedeutungen und begleitenden Wert- und Unwertvorstellungen ans Licht gehoben werden sollen. 1. Ratio status: Dämon
Das verdächtige Wesen der Ratio status liegt nicht zuletzt in ihrer mangelnden Konkretheit und Faßlichkeit begründet; an ihnen ent1 S. Mochi Honory, Fonti canonistiche dell' Idea Moderna dello Stato, Milano 1951, 260 Anm. 2.
208
10. Kap.: STAT X : Abstraktum und Wertbegriff
zündet sich die populäre Phantasie zu metaphorischer Sprache: I n Bildern, Allegorien, Phantasmagorien w i r d Ratio status beschworen und ans Licht gebracht. Abstrakt bleibt der Gedanke i n folgender Fassung: Es sei zu befürchten, „daß die Religion dem Staat/ die Seele dem Leib/ v n n d die E w i g k e i t dem Zeitlichen weichen müsse (1649) 2 ." Anstatt „Staat" könnte man — i m Anschluß an „Zeitliches" — „ P o l i t i k " oder „neue Staatlichkeit" sagen. Es ist jene neue Macht, die bei Vergehen „gegen den Staat" mimosenhafte Empfindlichkeit beweist u n d zugleich „wegen des Staats" 3 unerbittlich streng ist. Die Strengigkeit des Stats deutet Moscherosch m i t folgenden Worten des „ Teuffeis deß Ratio Status" an: „Was nicht gehen w i l l / daß mach ich lauff en. Was nicht biegen w i l l / daß mach ich brechen" (1640)4. F. W. von Efferen gibt dafür das zugkräftige B i l d : „ I d o l u m principum" (1630). Seither ist Ratio status als „ A b g o t t " der Potentaten (Reinking) dämonisiert. „ K o m m e t n u r her/ alle j h r Regiments v e r s t ä n d i g e / . . . die j h r den Staad alß ein Götzen verehret" (um 1650)5. Der Götze Ratio status ist die Symbolfigur des Stats: „Liebkoser" und „Außflucht" des Fürsten 6 , zugleich aber dessen strenger Zuchtmeister: „der Stat sihet keine Blutfreundschafft/ v i e l weniger andere Freundschafft" an (1648)7, und: „der Staad (hat) weder B l u t noch Religion" (1665)8. So versucht man i n bilderreicher Sprache sich jener abstrakten Sphäre zu bemächtigen, i n der — w i e ein allmächtiger, allgegenwärtiger, unsichtbarer T y r a n n — der „Stat" sein Wesen treibt. 2. Vernunftrecht Außerhalb der Ratio-status-Literatur entsteht unter den Bedingungen der vernunftrechtlichen Gesellschaftslehre ein neuer „abstrakter" Wortgebrauch. E r dient dazu, der konkreten politischen (Mängel-) Ordnung eine Ordnung „von N a t u r " gegenüberzustellen und diese daran zu messen 9 . (a) Stat i.S.v. „moralischem
Körper"
Erst i m 18. Jh. beginnt die Philosophie, den traditionellen lateinischen Wortschatz durch deutsche Ausdrücke zu ersetzen. Chr. Wolff 2 Philander von 1649, 617 f. 3 Philander von 1646, 340: „wegen des Staats/ oder Ratione Status." 4 Philander 1640, 651. 5 L i t u r a Foederis Hyspano-gallici 241. β Philander 1640, 650. 7 Philander 1648, 330. β Interesse Hollands o.O. 1665, 215. » Vgl. dazu H. Ehmke, Staat und Gesellschaft, i n : Staatsverfassung und Kirchenordnung, Festgabe f. R. Smend zum 80. Geburtstag, Tübingen 1962, 34.
2. Vernunftrecht
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zögert, das Traditionswort respublica anders als durch „gemeines Wesen" wiederzugeben 10 . Der Ubersetzer der lateinischen Schriften Wolffs greift jedoch zum Wort Stat, weil es (um 1740) allgemein geworden sei und „ w e i l man das Wort gemeines Wesen, als eine blose Uebersezung des lateinischen Ausdrukes ansiehet" (1740)11. So schreibt er an einer Stelle, wo Wolff „civitas" sagt: „Es w i r d das Wort Staat i n einer bey den Weltweisen gewöhnlichen Bedeutung genommen, welche an seinem Orte i n dem Rechte der Natur erkläret wird, und hieselbst als jedermann bekannt zu Grunde geleget werden kann" (1740)12. Zweifellos denkt man hier an den „Vertragsstat" als das eigentümliche Objekt des Vernunftrechts; insofern ist das „Wort Staat" gar nicht übel gewählt. Diese „abstrakte" Bedeutung w i r d von dem Publicisten Großing kurze Zeit später bewußt hervorgehoben; er bemerkt über das Verhältnis des Regenten zum „Staat": „der Staat ist mehr ein moralischer, als physicalischer Körper, der bloß i n dem gemeinschaftlichen Willen aller Staatsbürger besteht. Der Fürst kann und darf also nicht anders, als nach der Vorschrift, und nach der Beschaffenheit des gemeinschaftlichen Willens handeln" (1784)13. Über der Maschine Stat, als deren Werkmeister und Directeur der Fürst i n „physicalischer" Beziehung tätig ist 1 4 , steht der Gesamtwille aller Staatsgenossen, der Stat als „sittliche", „moralische Person" 15 . I n vielen „philosophischen" Texten des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts läßt sich das Wort Stat im abstrakten Sinn durch „volonté générale" (Inbegriff der Staatszwecke oder des Staatswillens) ersetzen; der allgemeine Wille leitet und verpflichtet den Regenten, bestimmt den Gang der Verwaltung und das Gesetz, w i r k t i m Ganzen des Statskörpers 16 . 10 Chr. Wolff , Vernünfftige Gedancken V o n dem Gesellschafftlichen Leben der Menschen U n d insonderheit Dem gemeinen Wesen, Frankfurt/Leipzig 1740, passim. u Wolff , Gesammelte kleine philosophische Schrifften, 5. Th., Halle 1740, 531. 12 Wolff , Gesammelte . . . Schrifften, 6.Th., Halle 1740, 326ff. 13 E. R. von Großing, Die Kirche und der Staat, B e r l i n 1784, 61 f. 14 Vgl. das Justi-Zitat von 1758: Anm. 13 des 9. Kapitels i n T e i l I I oder Schlözer, Stats-Gelahrtheit, Göttingen 1793, 4, 157. 15 Vgl. J. von Sonnenfels, Grundsätze der Policey, H a n d l u n g u n d Finanzwissenschaft, München 1787 §§ 1 f. Noch das „Allgemeine deutsche encyclopädische Handwörterbuch" unterscheidet einen abstrakten und konkreten Stat und erkennt i n der Verwirklichung der Staatszwecke (als des reinen, objektiven Staatswillens) Symptome eines geistigen Staats: „Das Recht soll . . . als Ideal überall auf der Erde herrschen, wobei sich die Menschheit gewiß w o h l befindet, u n d die Staatswissenschaft lehren, w i e Recht und Wohlfahrt als Symptome des geistigen Staates überall sichtbar sein müssen." (29. Bd., Augsburg 1830, S. 4764 f.). 16 So spricht auch Leopold II. i m Jahr 1790 davon, „daß i n der Vereinigung
14 Weinacht
210
10. Kap.: S T A T X : A b s t r a k t u m und Wertbegriff (b) Stat
als metaphysischer
Begriff
Den konkreten Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens gegenüber kann diese Vorstellung des Stats i n ihrer Abstraktheit vorbildhaft sein: Das nicht-physicalische Statswesen (être moral) w i r d zum sittlichen Stat. Die Mitglieder der Statsgesellschaft verhalten sich zu diesem Stat wie die Abbilder zum Urbild. Schiller drückt das so aus: „Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt der Anlage und Bestimmung nach einen reinen idealischen Menschen i n sich . . . Dieser reine Mensch . . . w i r d repräsentiert durch den Staat, die objektive und gleichsam kanonische Form, i n der sich die Mannigfaltigkeit der Subjekte zu vereinigen trachtet" (1794)17. F. M. Klinger betont den prästabilierten Charakter dieser „Form". Sie gehört bei ihm zur Gattung von Begriffen wie Gott, Geist, Tugend; ihr Kennzeichen ist absolute Idealität und Abstraktheit. I n Klingers „Betrachtungen und Gedanken", die i n den Jahren 1803/04 niedergeschrieben wurden, liest man beispielsweise: „so wie sich die politische Gesellschaft an den Begriff, das Abstraktum: Staat anschließt und darauf i n Sicherheit ruht, obgleich es die Mitglieder derselben ohne Aufhören beleidigen und verletzen, ebenso ruht die moralische Gesellschaft auf diesem erhabenen Begriff der Tugend, mit dem man nicht besser und schonender umgeht." Oder: „Von allen abstrakten Ideen ist wohl die Idee vom Staate diejenige, die am wenigsten in der Welt Glück macht oder praktisch ausgeübt wird." Oder: „Sind nicht Gott, Tugend, Seele, Staat lauter abstrakte, metaphysische Begriffe, wodurch sich das sinnliche Thier zum Menschen, zum geistigen, bis zum selbständigen Wesen ausbildete . . . obgleich Zweifel, Sinnlichkeit diese metaphysischen Begriffe immer zu verdicken und das sich zum Geist ausgebildete Wesen wieder zum Thier zu machen streben 18 ?"
(c) Stat
als „konkrete
Gestalt"
des sittlichen
Lebens
Eine vermittelnde Position nimmt jener Gebrauch des Wortes ein, der ihm seinen abstrakten Charakter mildert, ohne seine Idealität anzutasten: „Staat" erscheint so zunächst als konkrete Gestalt des sittlichen Lebens: „der Staat ist nicht das Abstrakte, das den Bürgern gegenübersteht; sondern sie sind Momente wie i m organischen Leben, des Willens u n d der Kräfte die Wesenheit des Staates bestehe" (Neueste Staatsanzeigen, V. 1, (1798) 5). !7 Schiller, Über die ästhetische Erziehung, 4. Brief, ed. Bong, S. 21. F. M. Klinger, Betrachtungen u n d Gedanken. Ausgew. Werke, Bd. 8, Stuttgart 1880, Nr. 580, 668, 720 (S. 112 f., 161, 184).
2. Vernunftrecht
211
wo kein Glied Zweck, keines M i t t e l ist" (Hegel) 19 . I n diesem Sinne ist der oft mißverstandene Hegel-Satz zu lesen: „Der Staat ist die W i r k lichkeit der sittlichen Idee 2 0 ". Das Wort Staat bedeutet nämlich nicht die „bürgerliche Gesellschaft" oder die Versicherungsanstalt oder den Machtapparat des „Not- und Verstandesstaats"; Staat bedeutet hier vielmehr das „Material" an Gesetzen und Pflichten, in denen die Freiheit allein ausgeführt und verwirklicht werden kann und tatsächlich verwirklicht w i r d 2 1 . „ I m Staat allein hat der Mensch vernünftige Existenz . . . Der subjektive Wille, die Leidenschaft ist das Betätigende, Verwirklichende; die Idee ist das Innere: der Staat ist das vorhandene, wirklich sittliche Leben. Denn er ist die Einheit des allgemeinen, wesentlichen Wollens und des subjektiven, und das ist die Sittlichkeit. Das Individuum, das in dieser Einheit lebt, hat ein sittliches Leben, hat einen Wert, der allein i n dieser Substantialität besteht 22 ." I n der Sprache der Gebildeten am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist der Hegeische Wortgebrauch längst vorbereitet. Novalis — von ganz anderen Grundlagen ausgehend — sagt beispielsweise: „ E i n großer Fehler unserer Staaten ist es, daß man den Staat zu wenig sieht. Überall sollte der Staat sichtbar, jeder Mensch als Bürger charakterisiert sein." Oder: „ N u r wer nicht i m Staate lebt, i n dem Sinne, wie man in seiner Geliebten lebt, w i r d sich über Abgaben beschweren" (1798)23. Das Wort Staat bedeutet hier beinahe soviel wie konkretes sittliches Engagement. Es setzt den patriotischen, moralischen Willen von Bürgern voraus, die weniger i n ihrem Zusammenleben als i m Leben unter dem Gesetz „Staat" erzeugen 24 und dadurch ihre individuelle Moralität substantiell, dauerhaft und gediegen machen 25 . 19 Vgl. auch Hegel, Die Vernunft i n der Geschichte, ed. Hoffmeister, Hamburg 1955, 137: „ D e n n ein organisches Ganzes ist der Staat . . . das sittlicher A r t ist". so Hegel, Philosophie des Rechts, D r i t t e r Abschnitt, Der Staat, § 257. 21 Hegel, Die Vernunft i n der Geschichte 110. 22 Ebd. 111 f. 23 Novalis, Glaube und Liebe, i n : Die Herdflamme, Bd. 8, Jena 1924, 156, 190; vgl. 179. 24 Die Redensart „Staat erzeugen" gibt den Sinn vieler Hegel- oder Novalis-Stellen zutreffend wieder. Sie w i r d insbesondere von dem Philosophen u n d Juristen Κ . H. Heydenreich verwandt. Das artikellose Wort meint einen Intensitätsgrad an Staatlichkeit bzw. Sittlichkeit: Rousseaus Vertragslehre sei nicht „historisch"; sie wolle „bestimmen, w i e unter freyen u n d der Würde ihrer Natur nichts vergebenden Wesen Staat entstehen soll" (S. 44). „Die Pflicht, Staat zu errichten u n d i n den Staat zu treten" (S. 50); „die Verpflichtung des Menschen, Staat zu erhalten" (S. 125; Κ . H. Heydenreich, Versuch über die Heiligkeit des Staats, Leipzig 1794.) Hinzu k o m m t eine Dynamisierung des Staats: „daß der Zustand des Staates nie stehend, sondern progressiv gedacht werden muß. Er i s t nicht, er w i r d . " (Fragment über die Idee des Staates, i n : P. Winkopp, Der Rheinische Bund, Bd. 12, Frankfurt/M, 1809, S. 151.) Vgl. A. Müller, Die Elemente der Staats-
14*
212
10. Kap.: S T A T X : A b s t r a k t u m und Wertbegriff B. Wertbegriff
Die abstrakte Bedeutung ist eng verbunden mit der weltanschaulichen Einordnung oder dem Wert, den das Wort Staat impliziert und der innerhalb der politischen Terminologie seinen Rang bestimmt. Die angedeutete Wertsteigerung des Wortes hat sich nun ausschließlich in der Sprache der Gebildeten ereignet, während die allgemeine Sprache wenig mehr als den Abstraktionsprozeß wahrnahm, in dessen Verlauf Land, Heimat, fürstliches Haus, Fürst durch das Abstraktum „Staat" in den Hintergrund gedrängt wurden 2 6 . kunst, Th. 1, B e r l i n 1809, 50 f.: „ w i r wollen das Seyn des Staates u n d das Werden desselben zugleich betrachten; die Fragen: was ist der Staat? und: wie w i r d der Staat? zugleich beantworten; den Staat i n seiner Bewegung auffassen." 25
Die gegenständliche Kehrseite dieser Vorstellungen, die von den Histor i k e r n ins Bewußtsein gehoben w i r d , ist die Vorgegebenheit des Staats als geistiger Potenz. Das A b s t r a k t u m Staat k a n n personifiziert vorgestellt werden, was — nach Kelsen — Ausdruck einer „ p r i m i t i v anthropomorphen Anschauung" ist (H. Kelsen, Allg. Staatslehre, 1966, S. 62). Eine solche Personifikation w a r ζ. B. für die moralisierende K r i t i k der Staatsräson i m 17. Jh. der „ A b g o t t der Potentaten". Personifizierend u n d individualisierend sprach man auch von den Interessen der Staaten, von ihren Absichten, Handlungen usw., eine Redeweise, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem Historiker Heeren zur Anwendung auf das „Europäische Staatensystem" empfohlen w i r d (A. H. L. Heeren, Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems, Hist. W., 8. Th., Göttingen 41822, S. V I I f.). Gestützt von der politischen u n d publicistischen Theorie, die den Staat als ens morale, corpus politicum, vonlonté générale, personne publique beschreiben, berufen die politisch Handelnden sich gern auf den W i l l e n „des Staats", unter den sie sich beugen und hinter dessen Maske sie sich verstecken. Z u Beginn des 19. Jahrhunderts k o m m t die Vorstellung der Gesamtperson und des Staatsorgans i n Schwang, die auf juristischem Gebiet den abstrakten Staatsbegriff vervollständigt. Die ältere Rede von den „Gliedern" der Staatsgesellschaft bzw. des Staatskörpers w a r begrifflich noch nicht durchgebildet (vgl. O. v. Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, 4. Band, Berlin 1913, S. 296 ff.; bes. 310: „ I m m e r . . . machte alle organische Konstruktion vor der Frage nach dem Subjekte halt. Das organische Wesen des Staats blieb i m Zuständlichen stecken."). So schreibt denn erst Klüber i n seinem L e h r buch: „Der ewige Staat spricht durch jeden Regenten . . . Deßwegen ist jeder Regent verbunden, die Staatshandlungen seiner Vorfahren, das heißt, sow o h l staats- als auch privatrechtliche Handlungen, welche diese i n ihrer Staats- oder Regenteneigenschaft oder von ihrer Staatsseite unternommen hatten, anzuerkennen" (1822). (J. L. Klüber, öffentliches Recht des Teutschen Bundes u n d der Bundesstaaten, 2. Abtig., F r a n k f u r t 1822, S. 403, §189). Doch macht E. R. Huber auf die Leibnizsche Reichstheorie aufmerksam, i n der das Reich als individuelle Staatspersönlichkeit „ M i t einheitlichem Willen, geschlossener Handlungsfähigkeit u n d dauernder Existenz" beschrieben wurde (Reich, Volk und Staat i n der Reichsrechtswissenschaft des 17. und 18. Jahrhunderts, i n : Zs.f.d.ges.Staatswiss., 102 (1942) S. 606. 26 Vgl. Lessing, Ernst u n d Falk (1780): „ A l s ob die N a t u r mehr die Glückseligkeit eines abgezogenen Begriffs — wie Staat, Vaterland und dgl. sind — als die Glückseligkeit jedes wirklichen einzelnen Wesens zur A b sicht gehabt hätte!" Werke, 6. T., ed. von Olshausen (Bong), S. 32.
1. (Negativ): „unbestimmtes Phantom" u n d unpopuläres Wort
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1. (Negativ): „unbestimmtes Phantom" und unpopuläres Wort
Das Unbehagen an diesem Vorgang artikuliert sich i n der K r i t i k an den Kodifikationen Friedrichs und Josefs II. So registrierte Herder in den Humanitätsbriefen, daß der Josephinische Kriminalkodex Verbrechen der beleidigten Majestät durch Verbrechen gegen den Staat ersetzt habe: „Zum Verbrechen gegen den Staat kann aber auch das kleinste Vergehen gegen die Polizei gemacht werden. Denn was wäre nicht gegen den Staat, sobald man statt der sichtbaren, doch nur leibhaften Majestät, dies willkürliche, unbestimmte Phantom auf den Thron erhöbe 27 ?" Zur grundsätzlichen K r i t i k schwingt sich C. L. von Haller auf: „so ward die erste und wichtigste Frage was ein Fürst sey? absichtlich i m dunkeln gelassen und das sollte gleichwohl Aufklärung heissen. Diese Philosophen reden daher nur i n allgemeinen Ausdrüken von Staat oder Staats-Oberhaupt ohne je zu bestimmen, wer der Staat oder warum dieser oder jener das Oberhaupt des Staates sey. Selbst in einigen der neuesten positiven Gesezbücher, an deren Redaction sie Antheil hatten, findet man diesen sach- und gedankenlosen Sprachgebrauch m i t der auffallendsten Affektation beybehalten" (1816)28. Die Sprache des Volks verschließt sich noch i m 19. Jh. vor den abstrakten Formeln, die den Gemütswert der älteren Worte Land, Herrschaft nicht zu ersetzen vermögen. Eine Synonymik des Jahres 1800 schreibt über den Unterschied von „Staat" und „Land": „Der gemeine Mann, der das moralische Wesen, das der gelehrte Staat nennt, nicht fassen kann, nennt (daher) noch immer den Staat, dessen Mitglied er ist, sein Land, den Regenten desselben seinen Landesherrn, seinen Landesvater, nicht das Staatsoberhaupt . . . Das Wort Land ist daher dem gemeinen Manne verständlicher als Staat, und man thut daher wohl in einem Vortrage an eine Bauerngemeinde das Erstere dem Letzteren vorzuziehen 29 ." Dieses Urteil bestätigt für die letzten Jahre des Reichs auch Heinrich Leo: „Außer den großen Fürstent ü m e r n hörte man das Wort Staat nur aus dem Munde der Professoren, und im Leben selbst herrschte statt dieses Abstractums fast überall noch der viel lebensvollere Begriff der Herrschaft 30 ." 27 Herder, Werke, ed. Suphan, Bd. 17, 60. 28 C. L. von Haller, Restauration der Staatswissenschaft, 1. Bd., W i n t e r t h u r 1816, 464. 2» J. E. Eberhardt, Versuch einer allg. deutschen Synonymik, 5. Th., Halle/ Leipzig 1800, 13; vgl. dazu R. Weiss, Volkskunde der Schweiz, Grundriß, Erlenbach/Zürich 1946, Anm. S. 398: „Bezeichnung Land, welche auch heute noch i n charakteristischem Bedeutungs- u n d Wertgegensatz steht zu Staat". 30 Leo, Meine Jugendzeit 135; der schwäbische Jurist A. L. Reyscher bemerkt noch i m Jahr 1863: „ I m Munde des Volkes, dem das Wort ,Staat' weniger geläufig u n d fasslich ist, begegnet man noch heute, auch i n Staaten,
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10. Kap.: S T A T X : A b s t r a k t u m und Wertbegriff 2. (Positiv): „vernünftiger Staat"
Die positive Wertschätzung des Staats erschien i m 18. Jh. bei Gelegenheit der herrschaftlichen („staatlichen") sowie der Sicherheit und Schutz verbürgenden Anstalt, insbesondere des polizierten Staats, der „ K u l t u r " und „Gesittung" (STAT V I I I . 2, 5) bedeutet. Negative Gegenbegriffe sind: W i l l k ü r des Herrschers, Anarchie, Naturstand („Wald"). A m Ende des 18. Jahrhunderts verbinden sich mit dem Wort Staat eindeutige politisch-moralische Qualitäten, zumindest können sie innerhalb seines Begriffs hervortreten. Das Abstraktum Staat w i r d so zum festen Wertbegriff. Da ζ. B. für F. Schlegel nur der „Republikanismus" die Bindung erfüllt, die er an die Politik stellt, nämlich „Gemeinschaft der Menschheit" zu ermöglichen, so zieht er den Schluß: „Der . . . Despotismus . . . würde also eigentlich gar kein wahrer Staat seyn? So ist es auch i n der That, i m strengsten Sinne des Worts." Oder: „Der Staat soll seyn, und soll republikanisch seyn" (1796)31. Bei veränderter Terminologie durchaus ähnlich urteilt der Demokritos: „Republik oder Nichtrepublik, oder da eigentlich jeder Staat res publica ist, besser Polyarchie und Monarchie, ist gleichviel, wenn nur Vernunft, Gleichheit vor dem Gesetz und Gerechtigkeit herrschen; diese drei sind Eins 3 2 ." Für C. Vollgraf wiederum erfüllen nur die antike Polis und die philosophische („ideale") Staatsidee die Bedingungen des „Staats". Die „modern-abendländische Territorial-Verhältnisse" seien dagegen bloße „Zustände" ( = „Staten"). Vollgraff kritisiert, daß man „dem Ideale und der rauhen Wirklichkeit einen und denselben Namen, nemlich Staat, gegeben" habe und w i l l das Wort Staat (mit doppeltem a) „blos für die Verhältnisse und Fälle beibehalten, wo w i r die antike oder philosophische polis oder res publica schlechtweg oder als Gegensatz zum blosen Stat (!) bezeichnen wollen" (1828)33. Der orthographische Vorschlag, „Staat" von „Stat" zu unterscheiden, bildet den formalen Höhepunkt einer Entwicklung, in deren Verlauf die abstrakte Bedeutung des Wortes vom Dämonischen ins Idealische übergewechselt ist und die idealische Bedeutung das Wort zu einem Lieblingswort der Gebildeten gemacht hat. Carl Vollgraff versucht durch eine neue wo das K a m m e r g u t ausdrücklich als Staatsgut erklärt ist, und m i t Bezug auf Bestandteile dieses Kammerguts den Worten: ,dieser W a l d gehört dem König', oder: ,dies Gut gehört dem Herzog' — ,der fürstlichen Herrschaft'. 31 F. Schlegel, Versuch über den Republikanismus, i n : Die Herdflamme, Bd. 8, Jena 1924, 34, 42. 32 Demokritos, 7. Bd., Stuttgart s o.J. (1832/39) S. 79. 33 C. Vollgraff, 450, 448.
die Systeme der practischen Politik, 3. Th., Glessen 1828,
2. (Positiv): „vernünftiger Staat"
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Schreibweise den gedanklich schwer befrachteten „Staat" vor der Verwechslung mit seinem ärmeren Vetter, dem „blosen Stat", zu bewahren. I m gleichen Sinne erklärt er: „Man möchte fast sagen, es habe im 18ten und 19ten Jahrhundert ein Vocal . . . Stürme hervorgerufen 3 4 ." Der (geistige) Höhepunkt der Entwicklung aber w i r d durch das Werk Hegels respräsentiert. Indem er den Weltgeist sich i n „Staaten" entwickeln und darstellen läßt, gibt er diesen den höchsten Rang, den die Metaphysik zu vergeben hat: „daß der weltliche Geist, das heißt der Staat, nur ein endlicher sey, ist eine einseitige Ansicht, denn die Wirklichkeit ist nichts Unvernünftiges. Ein schlechter Stat freilich ist nur weltlich und endlich, aber der vernünftige Staat ist unendlich i n sich 35 ." „Staat" bedeutet für Hegel kein vertragliches M i t t e l zur Erreichung eines Zwecks, sondern er ist ihm Zweck und M i t t e l in einem; der Staat ist sittlich, wirklich, substantiell, gediegen, fest, lebendig und göttlich — und so der „Gegenstand der Weltgeschichte überhaupt". Hegel erweitert dabei den Umfang des Wortes Staat über die politische Seite hinaus: „Hier aber ist Staat in einem umfassenderen Sinne genommen, so wie w i r auch den Ausdruck Reich gebrauchen, wo w i r die Erscheinung des Geistigen meinen 36 ." Der einzigartige Rang, den das Wort Staat jetzt einnimmt, w i r k t auch auf die Formel „Kirche und Staat" zurück. Es heißt an einer Stelle: „So verschwindet der Gegensatz von Kirche und sogenanntem Staat . . . das Geistige ist dem Staate nicht mehr fremd 3 7 ." Hegel hat das richtige Gefühl dafür, daß sein erweitertes Wort „Staat" innerhalb der Formel keinen Sinn hat; dort bedeutet es traditionellerweise „rohe wilde Weltlichkeit" im Unterschied zu einem geistiggeistlichen Reich; eben dieser Unterschied aber ist durch den Gang der Geschichte überwunden worden. I n Hegels „Staat" ist die Geschichte des Geistes dem Prinzip nach zu Ende gekommen 38 .
34 Ebd. 449. 39 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts §270. 36 Hegel, die Vernunft i n der Geschichte 114. 37 Ebd., Anhang S. 256. 38 Dieser überhöhte Rang des Wortes w i r d später von Treitschke als „Vergöttlichung" oder „Vergötterung des Staates" getadelt (Politik, Bd. 1, Leipzig 1897, 32) u n d zugunsten einer „real-politischen", instrumentalen Bedeutung vertauscht. Auch eine katholische Reaktion macht sich dagegen geltend, vgl. den bezeichnenden T i t e l einer Schrift von G. Felix: „ E i n Wort über den Staat-Gott", Regensburg 1871.
Elftes
Kapitel
Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat und die Reflexion auf seine Bedeutung und seinen Ursprung Die bisherige A r t der Darstellung war linear, diachronisch: Sie folgte der Entstehung, dem Wachstum und dem Wandel einzelner Bedeutungsvarianten. Zusammenhänge m i t anderen Bedeutungslinien, die Integration mehrerer Komponenten zu einer umfassenderen Bedeutung wurden zwar gezeigt, erforderten jedoch kein anderes Prinzip der Darstellung. Nun sollen — am Phänomen der Mehrdeutigkeit des Wortes — weitere Querverbindungen zwischen den einzelnen Varianten gelegt und hierfür die synchronische Darstellungsweise verwandt werden. A . Mehrdeutigkeit (Polysemie) 1. Ratio status und die sittliche Wertung (17. Jh.)
Das 17. Jh. kannte bereits die doppelte Redeweise vom Stat, der herrscht und vom Stat, der beherrscht wird. Daneben gab es den Stat als Rechtszustand, als gemeines Wesen und als Finanzsystem (im Sinne der Kameralisten). Es war zuweilen zweifelhaft, ob das Territorium insgesamt oder nur das Domanium oder nur der Hofstaat und die Kanzlei als Stat galten; auch, ob es sich um Rechtsbeziehungen oder personhafte Glieder dessen handelte, was als Ganzes gleichfalls Stat hieß. Ausdrücklich wehrte man MißVerständnisse ab, wenn sittliche Wertungen i m Spiel waren, so i m Kontext der Ratio status. 2. Jüngerer Fürstenstaat, societas civilis (18. Jh.)
Das 18. Jahrhundert setzt dem jüngeren Fürstenstaat die gesellschaftlich-vernunftrechtliche Variante entgegen. Hierdurch entstand eine fortdauernde Quelle von Mißverständnissen 1 . 1 Vgl. Encyclopédie, ou Dictionnaire Raisonné, T. 6, Paris 1756, 19: „ L a définition que Cicéron nous donne de l'état . . . est préférable à celle de Puffendorf, q u i confond le souverain avec l'état." Der Name Cicero steht hier für die gesellschaftliche Variante, Pufendorf für die fürstenstaatliche.
1. Ratio status und die sittliche Wertung (17. Jh.)
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(a) Staat und Kabinett Wenn ζ. B. ein Philosoph seine Wissenschaft als die Kunst bestimmt, „die Verhältnisse des Menschen gegen alles, was er ausser sich denket, anzugeben" und wenn er dazu bemerkt: „Zunächst führe ich auch dadurch den Philosophen in den Staat ein", so hält er es für notwendig, sogleich hinzuzufügen: „— keineswegs i n das Kabinet. Denn es ist etwas anders als Bürger denken, und als Staatsminister rathen" (1762)2. Und 1795 gebraucht ein Wiener Hofdekret, um die engere Wortbedeutung sicher auszuschließen, den damals bereits antiquierten Ausdruck „allgemeiner Staat" 3 . (b) Problem des dominium
eminens: Wer ist der Besitzer?
Ein zwielichtiger Wortgebrauch verwirrt die Frage des dominium eminens: Stat als Obereigentümer aller privaten Vermögen. Justi bemerkt dazu: Wenn man die Ursache dieser Lehre „nicht i n der Schmeicheley suchen muß: so liegt die Schuld vornehmlich an den unbestimmten Bedeutungen der Wörter. Staat und Republik, die zwar eigentlich nur von der obersten Gewalt und den Unterthanen zusammen gebrauchet werden wollten, worunter man aber auch öfters die oberste Gewalt allein versteht, weil sie das Volk zugleich m i t vorstellet" (1758)4. (c) „Sind Finanz und Staat einerlei?" Wieder ein anderer Punkt des Mißverstehens ist die fürstliche Kasse oder Finanzverwaltung, die seit dem 16. Jh. m i t dem gleichen Wort wie später die societas civilis bezeichnet wird. Daher die nie verstummenden Klagen, daß „endlich der Fürst nur seine Kasse nicht für das Wohl des Staates hält" (1776)5. Die das Glückspiel perhorreszierenden „Ephemeriden der Menschheit" bringen i m Jahr 1783 folgende „Anmerkung über die ZahlenLotterien": „Sind Finanz und Staat einerlei? und haben sie gemein2 Briefe die neueste L i t e r a t u r betreffend, 15. Th., 245. Brief, B e r l i n 1763, S. 68 f. » Hofdekret v o m 2.1.95 i n : Neueste Staatsanzeigen V, 2 (1798) Nr. 1. Manches I n d i v i d u u m verstoße gegen Ruhe u n d Sicherheit, sei also „solcher dem allgemeinen Staate u n d seinen M i t b ü r g e r n verderblicher Gesinnungen fähig". 4 Justi, Staatswirthschaft I, Leipzig 21758, S. 385 Anm. 5 J. G. Schlosser ... über die Philanthropinen, i n : Bibl. päd. Klassiker, X X I , Langensalza 1882, 326.
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
schaftliches Interesse? I n den Zeitungen aus Frankreich heißt es nemlich: ,Unsere Zahlen-Lotterie dürfte nun wohl, da es Friede ist, wieder aufgehoben werden, obgleich der Staat über 10 Millionen dabei gewonnen h a t . ' . . . Die Finanz- und Lotto-Kollekteurs gewinnen allein, und diese sind doch wohl, in keiner möglichen Bedeutung des Worts, der Staat? — Es wäre nicht der Mühe werth, etwas gegen einen solchen Zeitungsartikel zu erinnern, wenn nicht die verkehrte Vermengung der Begriffe Staat und Finanz . . . in der Administration der Staaten täglich die nachtheiligsten Folgen hätte 6 ." Julius von Soden, der Schöpfer des Wortes und Begriffs Nationalökonomie, geißelt die Unbestimmtheit des Wortes Staat i m Bereich der Finanz: „Selbst ein freyes, offenes Anerkenntniß des Begriffs, den man mit dem Worte Staat verbindet, ist bey den Regierungen noch vor kurzem selten gewesen; desto weniger kann man über den Mißbrauch dieses Worts und über die bald absichtliche, bald zufällige Verwechslung, oder Dunkelheit der Ideen erstaunen, die der Despotismus vorzüglich in der Finanz-Wissenschaft so gut zu benutzen wußte. Staats-Vermögen und Nazional-Vermögen schmolz in dieser der Macht so willkommenen Dämmerung zusammen (1805)7." 3. Souveräner Staat und Staaten der Fürsten (18./19. Jh.)
Dämmerung herrscht auch in der Frage nach dem Subjekt der souveraineté, bzw. ob mit dem Wort Staat überhaupt ein solches gesetzt sei. I m Jahr 1806 und später ist umstritten, ob die „droits de souveraineté", wie sie die Bundesakte den vertragschließenden Teilen garantiert, „die Unbeschränktheit des Herrschers von Seiten seines eignen Staats" oder „die Unbeschränktheit oder Unabhängigkeit eines Staates von Seiten anderer Staaten" meinen (1806)8. Für den „Begriff" des Staats heißt das, daß einmal das innere Rechts- und Gewaltverhältnis offen bleiben kann und nur das äußere — im Sinne unbedingter Selbständigkeit — festgelegt ist; zum andern nur das innere Verhältnis, und zwar als Monopol der Hoheitsgewalt in der Hand des Fürsten, bestimmt wird. Es gibt auch noch den Fall, wo Staat und Souveränität in gar keinem wahrnehmbaren Verhältnis zueinander stehen: beim patrimonialen Verständnis des Wortes. Das Nebeneinander dieser Möglichkeiten begegnet i m KöniglichPreußischen Manifest vom 9. Oktober 1806: „Man war bei allen polifi Ephemeriden der Menschheit, Bd. V I I , Leipzig 1783, 753. 7 J. von Soden, Die Nazional-Oekonomie, 1. Bd., Leipzig 1805, 8. « Winkopp, Der Rheinische Bund, F r a n k f u r t 1806, Bd. 1, 382.
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: Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
tischen Berechnungen von der Idee ausgegangen, daß die von Frankreich geschaffenen neuen Staaten, i m eigentlichen Sinne Staaten und nicht Französische Provinzen sein würden 9 ." Und: Der Prinz von Oranien sei der erste gewesen, dem man das Eigentum seiner Väter raubte, obwohl ihm von Frankreich noch „Acht Tage z u v o r . . . zu der friedlichen Besitznahme der Staaten seines Hauses Glück gewünscht wurde" 1 0 . 4. „Im State leben" (Überblick und Zusammenfassung)
Überblickt man die Anwendungsmöglichkeiten, die das Wort Staat zu Beginn des 19. Jahrhunderts, nachdem der abstrakte („vernünftige") Staat hinzugekommen ist, hat, so erscheinen vier klar unterscheidbare Bedeutungen. Sie sollen an der Wendung „ i m State leben" demonstriert werden: Seit dem 17. Jh. 1 1 kann sie den Sinn haben von „ i m fürstlichen Stat" leben, also i m Gefolge, am Hof (als Diener oder Beamter), im Territorium des Fürsten leben; seit dem Ende des 17. und insbesondere i m 18. Jh.: „ i m gesellschaftlichen Stat" leben, also in statu civili, bei Menschen und unter Gesetzen, zivilisiert leben; am Ende des 18. Jahrhunderts kommt hinzu: „ i m abstrakten Staat" leben, also für die Allgemeinheit dasein, als Patriot empfinden, ein guter Staatsbürger sein. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, wo die Nation sich darum bemüht, „ i m Staat" zu leben, ist der Nationalstaat gemeint, der Staat, der die ganze Nation und nichts als die Nation enthält. 5. Exkurs: Mehrdeutigkeit des Wortes Staat im späten 19. und 20. Jahrhundert
(a) Dominanter
juristischer
Wortsinn
Die historische Rechtsschule, insbesondere die positivistische Lehre unterlegen dem Wort Staat einen fachsprachlichen Kontext, dessen formale Prägnanz den Siegeszug der juristischen Variante begründet. Bluntschli betont in seiner „Allgemeinen Statslehre", daß gerade die inhaltliche Unbestimmtheit des Terminus ihm unbeschränkte Geltung » Ebd. 335. 10 Ebd. 334. 11 Ä l t e r ist die Bedeutung: „ i n A m t u n d Würden sein"; das w i r d zwar noch u m 1670, aber nicht mehr u m 1800 vernommen. Vgl. Flugschrift von 1672, wo von „Staatsüchtigen" die Rede ist, die i n den französisch gewordenen Provinzen der Niederlande wenig eingebüßt hätten, j a „ i h r e r viel i n dem Staat geblieben/ etliche auch mercklich erhöhet sind", i n : Fernerer A u ß führlicher Bericht Von dem Gegenwärtigen Zustande I n Niederland. I m Julio und Augusto 1672.
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
sichere: „an sich völlig i n d i f f e r e n t . . . ist dieser Ausdruck mit der Zeit zu der allgemeinsten und durch keinerlei Nebenbegriffe beschränkten noch durch schillernden Doppelsinn zweifelhaften Bezeichnung des States geworden 12 ." Der gleiche Gedanke in der Formulierung Jellineks: Es sei wissenschaftlich „kein Terminus so brauchbar wie der des Staates, der schließlich so abgeblaßt ist, daß sich keine Nebenvorstelllung mit ihm mehr verbindet, die eine störende Zweideutigkeit hervorrufen könnte" 1 3 . Es bleibe dahingestellt, ob sich die Juristen nicht von der Eindeutigkeit des Begriffs über die — wie es scheint — notwendige Polysemie des Wortes 14 täuschen lassen; um so mehr, als Jellinek selbst in seiner bekannten „Zwei-Seiten-Lehre" des Staats dem „juristischen" einen „sozialen Staatsbegriff" gegenüberstellt. Die in der K r i t i k Jellineks gewonnene Vollendung des positivistischen Programms reiner Begriffe ist die Leistung Kelsens. Er und seine Schule bieten ein Konzept, nach dem das Wort Staat in Rede und Schrift konsequent verwendet werden kann, ohne den Schatten einer Doppeldeutigkeit hervorzurufen 1 5 . (b) „Wer ist der Staat?" (Fünf
Möglichkeiten)
Doch gerade angesichts der Reinen Rechtslehre w i r d deutlich, wie außerhalb der fachsprachlichen Verengungen, mögen sie auch zur dominanten Bedeutung des Wortes aufgestiegen sein, die alten Polysemien ihr Wesen treiben. 12 J. C. Bluntschli, Allgemeine Statslehre, Stuttgart 1875, S. 24 Anm. 1. i» G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1014, 135. i 4 S. 133 spricht Jellinek v o m „Doppelsinn", der dem Wort anhafte und „dessen Spuren sich bis i n die Gegenwart verfolgen lassen". Später beklagt er, daß die wissenschaftliche Behandlung des Objekts Staat bislang darunter gelitten habe, daß die „juristische N a t u r des Staates und seiner Institutionen . . . fortwährend m i t seiner sozialen Realität vermischt" worden sei (S. 139). is Hans Kelsen hat dem Problem der Multivalenz des Wortes Staat i m ersten K a p i t e l seiner „Allgemeinen Staatslehre" eindringliche Beachtimg geschenkt. Er zog daraus den Schluß, daß eine wissenschaftliche Behandlung des Gegenstands n u r d a n n möglich sei, w e n n die f ü r den historisch gegebenen Problemkomplex der Staatslehre „zweckmäßigste Wortbedeutung zum Begriff erhoben" werde (Allgemeine Staatslehre, Bad Homburg, Berlin, Zürich 1966, S. 5). Kelsen entschied sich — i m Sinne einer reinen Rechtslehre — für die Wortbedeutung „Gesamtrechtsordnung". Er schreibt: „Durch diese Reduktion auf Rechtsrelationen, auf die reinen durch Rechtssatz konstituierten Verhältnisse zwischen Tatbeständen einer möglichen Rechtsordnung w i r d die Fragestellung und Fragebeantwortung von allen Elementen losgelöst, die sich aus dem Bereich der Natur, d. i. der natürlichen Bedingungen der Staats- u n d Rechtsideologie, i n die Darstellung ihrer eigengesetzlichen Sachgehalte einschleicht" (ebd. S. 96). Die Zweckmäßigkeit dieses Vorgehens bleibe dahingestellt; Kelsen selbst erkennt seine Schwierigkeiten und Grenzen (vgl. 270 ff.).
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: Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
So blieb bereits i m 19. Jh. neben der Frage: Was ist der Staat? die Frage: Wer ist der Staat? aktuell. Sie reflektiert die von juristischer Dogmatik nur mühsam überspielte gesellschaftliche Problematik des Bismarckreiches. Durch die Frage: Wer ist der Staat? enthüllte das 17. Jh. den „Eigennutz" des Fürsten, unterstrich das 18. Jh. den vernünftigen Anspruch der Gesellschaft, leuchtet das 19. Jh. hinter die Fassade des Nationalstaats und deutet auf die in ihm wirksamen Mächte. Hierfür zwei Beispiele. Während des Kulturkampfs berief sich die Virchow-Richtung gegen den Ultramontanismus, der sich mit dem „polnischen Reichsfeind" verbünde, gern auf den „Staat". Eine katholische Verteidigungsschrift erklärt daraufhin, es seien die „Genossen Luzifers", die — um die christliche Staatsverfassung abzuändern — in die einflußreichsten Positionen des Staats eingedrungen seien. „So gestellt nannten sie sich sofort den Staat, und als solcher Staat gingen sie nun an die Ausführung ihrer Pläne". Und: „der Staat-Gott ist i n Wirklichkeit nichts anderes, als eine verhältnismäßig höchst geringe Anzahl von Menschen, welche gegen jeden natürlichen Begriff und Gebrauch dieses Wortes sich selbst zum Staate gemacht haben, und den Staat nennen, anstatt unter diesem Worte den ganzen politischen Körper eines Reiches einzubegreifen, allerdings sehr bezeichnend i n Bezug auf ihren Zweck und auf ihr Streben" (1871)16. Das andere Beispiel gehört der Gegenseite: Es steht i m Kontext der Auseinandersetzung der preußischen Behörden m i t den Liberalen und Sozialisten. Zu deren „ebenso schamloser wie geschickter" Agitation bemerkt Graf York von Wartenburg: „Die Sozietät setzt sich an die Stelle des Staats status, verschluckt ihn, so daß Staat in höherem Sinne nur noch in der katholischen Kirche ist" (1890)17. Der tiefere Grund für die Entmachtung des „Staats" durch die „Gesellschaft" liege i n der Preisgabe seines geistigen und kulturellen Anspruchs: „Der Staat aber, der sich darauf beschränkt eine rechtliche und polizeiliche Einheit zu sein, wird, wie ein Schiff, hin- und hergeworfen von den Wogen der elementaren historischen Gewalten. Die Dynamik der Sozietät läßt den status — Staat — nur als vorübergehende Erscheinungsweise — Einzelfall — gelten" (1892)18. Dilthey ergänzt den Gedanken: „die Seelenlosigkeit des Staatslebens ist unerträglich geworden" (1892)19. Hier w i r d die von preußischer Staatstradition gesättigte le G. Felix, Ein Wort über den Staat-Gott, Regensburg 1871, S. 14, 29. 17 Briefwechsel zwischen W. Dilthey und dem Grafen P. York von W artenbürg, 1877—97, Halle 1923, S. 96 f. is Ebd. S, 140 f. is Dilthey , ebd. S. 142.
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
idealistische Variante des Wortes Staat zur Ursache der Doppelsinnigkeit: Der gegenwärtige Staat, das Reich, ist kein Staat mehr in „höherem Sinne"; als solcher kann ehestens die katholische Kirche gelten. Der gegenwärtige Staat ist auch nicht mehr die beharrende Potenz gegenüber der bewegten Sozietät, vielmehr w i r d er von ihr geschoben und verrückt: die Gesellschaft „verschluckt" den Staat! Dieses unter den Bedingungen des Kulturkampfs und der Sozialistengesetze seine Identität verlierende Wort Staat bedarf der Stützung und Verdeutlichung durch lat. status! Stellt man die beiden Beispiele vergleichend nebeneinander, so w i r d die Verwirrung vollkommen: der katholische Text redet die Sprache der traditionellen kirchlichen K r i t i k , wie sie bereits bei der Kontroverse um die Josephinische Kirchengesetzgebung gebraucht wurde: Staat (1) = Deckwort für den (tyrannischen) Machthaber; Staat (2) = Gesamtheit der im Staat einander zugeordneten Glieder (societas perfecta). Der idealistische Text redet die Sprache Hegels und führt sie an den bestehenden Zuständen ad absurdum: Staat (3) = der mit kulturellem Eigenrecht ausgestattete, geschichtswirksame, die flutende Gesellschaft zusammenhaltende status; Staat (4) = der auf Recht und Polizei beschränkte, von der Gesellschaft in Dienst genommene („verschluckte"), „seelenlose", d. h. ohne eigenes Prinzip lebende und daher unbeständige „status"; Staat (5) = die geistige, gegründete, geschichtsmächtige, i n sich gefestigte Hierarchie der Kirche, die zwar nicht die Erscheinungsweise, wohl aber das Wesen des Staats (im höheren Sinne) an sich gezogen hat. Die fünf Worte haben mit einander wenig mehr als die Form gemeinsam.
(c) Historische und juristische
Kritik
des Wortes
Die Multivalenz des Wortes, d. h. seine den dominanten fachsprachlichen Gebrauch „verfehlende" Anwendung, ist auch im 20. Jh. nicht zurückgegangen. I m Gegenteil: Immer neue Probleme tun sich auf. Die Diskussion um Universalität oder Historizität des Begriffs Staat fordert i m einen Fall das Verbot der Anwendung des Wortes auf andere als typisch neuzeitliche Phänomene 20 , i m andern Fall sollen alle Ordnungsformen gesellschaftlichen Zusammenlebens, auch prä20
Vgl. C. Schmidt, Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff (1941), i n : Verfassungsrechtliche Aufsätze, B e r l i n o.J., 375 ff.; vgl. dazu kritisch H. Maier, Z u r Lage der Polit. Wissenschaft i n Deutschland, i n Vj.f.Zg. 10 (I960) S. 225 f. A n m . 48. Dort weitere Literatur. Die Problematik findet sich zum erstenmal — allerdings i n philosophischer A b sicht — bei dem Juristen K . Vollgraf f, vgl. Kapitel 11. 8 c in T e i l I I .
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: Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
historischer A r t 2 1 , d a r u n t e r s u b s u m i e r t w e r d e n . A u f f ä l l i g ist auch d i e K r i t i k des W o r t e s i n n e r h a l b der zeitgenössischen J u r i s p r u d e n z , b e i der sich der E i n d r u c k v e r f e s t i g t z u h a b e n scheint, daß die Epoche, w o das W o r t „ k e i n e störende N e b e n v o r s t e l l u n g " zu e n t h a l t e n schien, v o r b e i ist. M a n b e g i n n t i n der B u n d e s r e p u b i k , die d e m W o r t S t a a t seit d e m 19. J h . e i g e n t ü m l i c h e A b s t o ß u n g der „Gesellschaft" als eine f ü r die demokratische Staatslehre fatale N e b e n b e d e u t u n g zu e r k e n n e n . M a n b e k l a g t , daß die A l l e s - o d e r - N i c h t s - A l t e r n a t i v e des W o r t p a a r e s S t a a t u n d Gesellschaft s i n n v o l l e n u n d d i f f e r e n z i e r t e n L ö s u n g e n staatsrechtlicher F r a g e n 2 2 , insbesondere des Verhältnisses v o n K i r c h e u n d S t a a t 2 3 , i m W e g stehe; sie entspreche n i c h t m e h r der besonderen E i g e n a r t h e u t i g e n Verfassungsdenkens, d i e i n der „ A n n ä h e r u n g u n d gegenseit i g e n D u r c h d r i n g u n g v o n ,Staat' u n d ,Gesellschaft'" zu sehen sei u n d die i n der F o r m e l v o m „sozialen Rechtsstaat" i h r e n p o s i t i v - r e c h t l i c h e n Ausdruck finde 24. Es erscheint daher konsequent, w e n n H . E h m k e e m p f i e h l t , das W o r t Staat beiseite z u lassen u n d die g e n a n n t e n S c h w i e r i g k e i t e n d a d u r c h zu beheben, „ d a ß m a n s t a t t i n d e n K a t e g o r i e n ,Staat' u n d G e s e l l schaft', i n den K a t e g o r i e n p o l i t i s c h e s G e m e i n w e s e n ' u n d , g o v e r n m e n t ' denkt"25. 21 Grundsätzlich f ü r die ältere unhistorische Verwendung des Wortes: W. Koppers, Die ältesten Formen des Staates u n d das Verständlichwerden des hohen Alters der Menschheit i n universalgeschichtlicher (ethnologischer und prähistorischer) Schau, i n : Anthropos, Bd. 56 (1961) S. 1 ff. 22 H. Ehmke, ,Staat' u n d »Gesellschaft' als verfassungstheoretisches Problem, nennt: Das Problem des Pluralismus, der organisierten Interessen oder das Problem von Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung oder der verfassungsrechtlichen Stellung der Parteien. 23 I n seiner Besprechung des Beschlusses des BVerfG v. 17. 2.1965 stellt P. Haberle fest, das Gericht gehe hier „nicht den Weg einer extensiven Interpretation des Begriffs »öffentliche Gewalt', sondern den einer ausdehnenden Auslegung des Begriffs »staatliche Gewalt'. Diese Auslegung sondert einen Begriff staatlicher Gewalt ,im engeren Sinne' von der Betätigung »mittelbar auch staatlicher Gewalt'. Die BedeutungsVerschiebung des Wortes staatlich ist darin zu sehen, daß es i m ersten F a l l i n den Koordinaten von Staat u n d Gesellschaft verortet ist, also nachabsolutistischem Trennungsdenken angehört, i m zweiten F a l l einen Begriff des ,öffentlichen' vertritt, der die integrierende Vorstellung ,politisches Gemeinwesen' voraussetzt" i n : Z.f.ev. Kirchenrecht 11 (1964/65) S. 395, 402; ders. in: Dtes. Verwaltungsblatt M i t Verwaltungsarchiv, 81 (1966) 218 f. 2 4 K . Hesse, Der Rechtsstaat i m Verfassungssystem des Grundgesetzes, in: Staatsverfassung u n d Kirchenordnung, 79. 2 5 Ehmke, ,Staat' u n d »Gesellschaft' als verfassungstheoretisches Problem, 45 f. Neuerdings hat Hesse (Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Karlsruhe 1967, 7 f.) den Versuch gemacht, das Wort Staat für die verfassungsrechtliche Theorie der „Freiburger Schule" zurückzugewinnen, obwohl er anerkennt, daß es i n der demokratischen Ordnung
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
B. Reflexion Wo ein Wort seinen dienenden Charakter i n der Mitteilung verliert und sich gegen die Absicht des Sprechenden mitteilt, da w i r d die Rede ihrer selbst bewußt. Die Einbürgerung eines neuen Wortes, die Erkenntnis seiner Mehrdeutigkeit, das Bemühen, eine Bedeutung als die wirkliche oder ursprüngliche auszumachen, eine schlechte oder mißbräuchliche Anwendung anzuprangern, führt zur Beachtung des Sprachgebrauchs oder der Herkunft des Wortes. Das Wort w i r d „beim Wort genommen". So gehören Multivalenz und reflektierter Wortgebrauch zusammen. 6. Erste Versuche
Die Reflexion auf das Wort Stat beginnt in der Mitte des 17. Jahrhunderts; sie entzündet sich, wie oben gezeigt wurde, am Nebeneinander von Stat-Politik und Fürsten-Stat, die in der populären Enthüllungsliteratur und den Traktaten über bona Ratio status miteinander rivalisieren. Insbesondere die gelehrte Politik hat das Bedürfnis und — dank mannigfaltiger Muster i n italienischer, französischer und lateinischer Sprache — die Möglichkeit, den „wahren" Gegenstand der Ratio status zu definieren. Gelehrte Etymologien treten hinzu und geben dem Wort bald einen lateinischen 26 , bald einen deutschen 27 , bald einen italienischen Ursprung 2 8 . Der Tenor dieser philologisch-politischen Bemühungen ist die Abgrenzung des Wortes von der privaten Willkürsphäre des Fürsten (mala Ratio status) und seine Hinordnung auf das gemeine Wesen, in dem ständisches Recht, Sitte und Religion verwurzelt sind. I n diesem Sinne werden ζ. B. die Worte „Stat-Sachen" (1673)29, „Statskunst" (1672)30, „Staats-Regul", „Staats-Wissenschaft" 31 erläutert. „ k e i n einheitliches Subjekt der Herrschaft" geben kann. F ü r Hesse ist „Gemein-Wesen" der Oberbegriff f ü r Staatliches und Nichtstaatliches; „Staat" aber ist i h m das „Handeln u n d W i r k e n der i m Wege politischer Einheitsbildung konstituierten Gewalten". Während Kelsen das W o r t f ü r die „ V e r fassung" vindiziert, beschränkt Hesse es auf die Bedeutung „Staatsgewalt". Der Unterschied der Begriffsbildung ist der: F ü r Kelsen ist „Staat" Horizont und Grundlage seiner Lehre (Staat = Rechtsordnimg); Hesse begreift Staat als integrierenden Bestandteil („Wirkungszusammenhang") der umfassenderen „politischen Einheit". 26 Reinking, Biblische Policey 233; Seckendorff, Fürsten-Stat, Vorrede. 27 K . Stieler (Spähten), Teutsche Sekretariat Kunst, Nürnberg 1673, 48. 28 Keßler, Staats-Regul 13. 29 K . Stieler, Sekretariat K u n s t 48 f. 30 Rautner, A n f ü h r u n g zur Teutschen Stats-Kunst, Nürnberg 1672, Vorrede. ai Keßler, Staats-Regul 9 f.
7. Die Hoffmann-Nestelsche Dissertation
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Gleichwohl bleibt das Wort hinsichtlich seines Bedeutungsumfangs und sittlichen Ranges zweifelhaft, letzteres mit der Folge, daß — wie der Publicist J. P. Ludewig zu Beginn des 18. Jahrhunderts bemerkt — „solches noch auf den heutigen Tag i n Teutschland nicht legal oder Reichs Gesezmäßig seye . . . Das Wort Reich ist es allemahl, das an seiner Statt gebraucht wird, aber nicht auf alle Staaten paßt" 3 2 .
7. Die Hoffmann-Nestelsche Dissertation über den „wahren Begrif des Worts Staat" (1767)
Das 18. Jh. erlebt m i t dem Vordringen der deutschen Sprache i n Wissenschaft und Universität den Wechsel des Namens einer Disziplin: Jus publicum w i r d „Staatsrecht" (nach „ius status et superioritatis" 3 3 ). Diesem Umstand verdanken w i r eine „academische Lection" über den „wahren Begrif des Worts Staat", m i t der der damalige Rektor der Tübinger Universität, Gottfried Daniel Hoffmann, am 30. Oktober 1767 sein Kolleg über das „teutsche Staatsrecht" eröffnete; sein Schüler F. H. Nestel sollte die ,Lection 4 dann als akademische Streitschrift verteidigen 34 . Da es sich bei der 24seitigen Schrift u m die bisher umfangreichste Untersuchung zum „Begrif des Worts" handelt, soll sie etwas eingehender dargestellt werden.
(a) Darstellung
der Dissertation
Hoffmann geht davon aus, daß die neue Benennung des jus publicum als Staats-Recht, „die noch zu der Zeit, i n welcher ich es lernete, fast ganz und gar unbekandt ware", durch zwei Gründe verzögert worden sei: Einmal habe sich der lateinische Name „gleichsam naturalisiret", so daß man ihn durch das Wort Staats-Recht „nicht allein übersezte, sondern wohl gar definirte" (S. 2); zum andern habe von dem Namenswechsel die „verhaßte ratio status, oder die längst sehr 3a Zit. bei G. D. Hoffmann, Begrif des Worts Staat, Tübingen 1767, S. 14 Anm. 33 I n : Acta pacis Westphalicae I I I . D. 1 (1964) S. 139. Vgl. auch den Doppelausdruck ius p u b l i c u m et status (1645), i n : von Meiern, A c t a pacis Westphalicae publica, Th. 1, 782. Das W o r t Staatsrecht finde ich zum erstenm a l als Wiedergabe v o n frz. droits publiques et privés als „Staats- u n d P r i v a t Rechten" (Die heutige Subtile Staats-Architectur, Leipzig 1687, 585). Das lat. „ius status" entsteht i m Zusammenhang m i t Ratio status: Es ist die juristische Formel f ü r die Derogatio; so bei F. Topio (1607), vgl. dazu R. de Mattei, I I Pensiero, 150. Noch 1786 ist dieser Zusammenhang nicht v ö l l i g vergessen: J. M. Babo erläutert: „Staatsräson (sonst auch Staatsrecht, raison d'état . . . genannt)", zit. bei R. Kosellek, K r i t i k u n d Krise 170. 34 Die Vorlesung w u r d e gedruckt als „academische Streitschrift"; i m N o vember desselben Jahres wurde sie von F. H. Nestel verteidigt. 15 W e i n a c h t
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
übel berüchtigte (falsche) Staatsklugheit, und zwar nicht ganz unbillig, abgehalten" (S. 7). Indes sei man heute durch die Mißverständlichkeit des älteren Wortes berechtigt, dieses fallen zu lassen: Dem Fürstenstaat sei ein jus publicum, dessen republikanischer Ursprung auf populi majestas verweise, nicht mehr angemessen (S. 14 f.) 35 . M i t dieser Weichenstellung ist der Untersuchung des „wahren Begrifs" die Richtung gewiesen. Es dürfte auch kein Zufall sein, daß Hoffmann seine Lection i n Gegenwart des regierenden Herzogs K a r l von Württemberg vortrug 3 6 . Der Staat, dessen Recht an deutschen Landesuniversitäten gelehrt werden sollte, war ja „das gemeine bürgerliche Wesen, doch vornehmlich nur i n Absicht auf den einen und Haupttheil desselben, den Regierenden" (S. 16). Hoffmann, der die etymologische Kontroverse zwischen Seckendorff und K . Stieler („Spathen") kennt, läßt es dahingestellt, ob das Wort seiner Form nach von „statten" herrühre (S. 11 f.), doch betont er, daß „von denenjenigen Bedeutungen, die ihme beygelegt werden, offenbarlich mehrers aus dem lateinischen herrühret, oder doch solches deutlich nachahmet" (S. 13 f.). Als Beleg gelten die klassischen politischen und Rechtsformeln status reipublicae, status urbis, status rei Romanae. Daran schließt er die Folgerung: „Es hat auch würklich diese Ubereinkunft des lateinischen Worts status und des teutschen Worts Staat i n der Verbindung mit dem Staats-Recht, diesen guten Grund vor sich, daß so wenig ein Staat ohne Recht seyn, bestehen oder gedacht werden kan, also auch alles Staats-Recht nothwendiger Dingen einen Staat, das ist eine civitatem jam constitutam supponiret" (S. 15). Die Staatsklugheit bedürfe demgegenüber der civitas constituta nicht. Der gegründete Staat ist das „gemeine Wesen" i n seinen inneren Verhältnissen; diese jedoch „vornehmlich nur i n Absicht a u f . . . den Regierenden. Der andere Theil einer bürgerlichen Gesellschaft, der Gehorchende, die Unterthanen, sind zwar auch m i t i n dem Begrif eines oder des Staats enthalten, so ferne nehmlich ohne sie kein Regente, keine Regierung gedacht werden k a n . . . Alldieweil aber jedannoch die Unterthanen, nur in so ferne sie regiert werden, hierher gehören, so beziehet sich gleichwol die Redensart, der Staat, in denen allermeisten darmit verknüpften Worten auf die Regierung und alles dasjenige, was . . . dahin gehörig" (S. 16 ff.). 39 Hoffmann folgt hierin Ludewig u n d Klotz. Seit der älteren Zeit w a r die Etymologie von publicus umstritten; vgl. Gregor Tholozanus, De Republica L i b r i sex et viginti, o.O. 1597, 7 (vier Ableitungen des Wortes!). 30 Vgl. T i t e l der Schrift!
7. Die Hoffmann-Nestelsche Dissertation
227
Die schrittweise Einengung der Wortbedeutung von civitas constituta auf deren regierenden Teil setzt sich fort i n der dritten Aussage: „Der Staat begreift ferner alles dasjenige i n sich, was i n einer bürgerlichen Gesellschaft und deren L a n d e . . . anzutreffen ist, und leidet keinen anderen i n sich" (S. 19). Es ist der Ausschluß des status in statu. Nach diesen einschränkenden Bestimmungen des Wortes nennt Hoffmann das Feld der Anwendung und die Varianten: „Der Staat mag eine Gestalt und Form haben, welche er w i l l . " „Staat" bedeutet daher „bald eine jede bürgerliche Gesellschaft, bald eine freye, unabhängige oder solche bürgerliche Gesellschaft, die ausser ihrem eigenen Oberhaupt weiter keinem menschlichen Befehl unterworfen ist, bald nur eine R e p u b l i c . . . (Frey-Staat), bald aber überhaupt auch das gantze Regierungs-Wesen eines Reichs oder Republic, als die Staats-Verfassung desselben" (S. 20). M i t anderen Worten: Souveränität und monarchisches Regiment sind mögliche, aber keine notwendigen Bestimmungen des „Begrifs" Staat. Als Variante zu „bürgerliche Gesellschaft" w i r d „Staats-Verfassung" genannt. I n dieser Variante liegt ein deutlicher Schwerpunkt des Wortes: „die Verbindung derer Regenten und Unterthanen... welche auch den eigentlichen Staat eines Reiches ausmachet" (S. 22). Eine weitere Variante w i r d bloß angedeutet: Staat als Gegenstand der äußeren Politik („Staats-Interesse" und äußeres Staatsrecht). Die Grundbedeutung des Wortes, seine Eingrenzung und sein Schwerpunkt werden abschließend bildhaft dargestellt: durch das Doppelmodell eines „Cörpers", dessen Teile vom Haupt regiert und eines „Gewölbes", dessen sämtliche Steine von dem Schlußstein zusammengehalten werden: „auf welches zusammenhalten und regieren, sich das Wort, von dem ich bisher geredt, allemahl nothwendig beziehet (S. 24)."
(b) Kritik
der
Dissertation
Man w i r d den Versuch Hoffmanns, das Telos des zeitgenössischen Fürstenstaats aus dem Wort heraus zu entwickeln, zunächst als Beitrag eines Publicisten zu verstehen haben: der „Begrif" des Wortes ist wichtiger als sein „Gebrauch". Man halte es der Anwesenheit Serenissimi zugute, daß er — ein Württemberger — vom gemeinen Wesen und der bürgerlichen Gesellschaft redet, ohne m i t einer Silbe der „Landschaft" zu gedenken: Es gibt für ihn nur Regierung und Regenten als den „einen und Haupttheil" und dann die Unterthanen. Der Staat ist ganz aus dem Geist des fürstlichen Rechts verstanden; 15
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
für das ständische Recht gibt es keinen Anhaltspunkt als den, daß alles Staatsrecht „einen Staat, das ist eine civitatem iam constitutam supponiret". Aber diese civitas ist kein beharrendes Fundament, sondern die bloße Erstreckung des Regiments, das zuhöchst und als „Schlußstein" dem Ganzen Halt verleihen muß. Die Systematik des Juristen verzeichnet die wirklichen Zustände wohl etwas und beleuchtet sie mit dem Licht, das einem zu absolute^ Regierung neigenden Fürsten, wie K a r l Eugen, angenehm sein mußte. Es ist die Leistung des Philologen Hoffmann, eine beachtliche Reihe von Bedeutungsvarianten des Wortes aufgeführt zu haben. Während die Autoren des 17. Jahrhunderts im Kontext der Ratio status verblieben sind, versucht er, ein größeres Feld möglicher Anwendungen zu überblicken. Folgende Bedeutungen waren zu diesem Zeitpunkt in Wörterbüchern ausgewiesen (gebucht): 1. Regimentsverfassung, -Form: zuerst bei Kramer (1702)37, zuletzt bei Zedier (1744)38; 2. Regiment, Regierung: zuerst Stieler (1691)39, zuletzt Zedier (1744)40; 3. respublica als Oberbegriff für Regierung und Untertanen: zuerst bei Schottel (? 1663)41, sicher bei Kramer (1702)42 und Hübner (1722)43, auf welchen Hoffmann sich ausdrücklich bezieht; 4. respublica als Oberbegriff für verschiedene species von Gemeinwesen: andeutungsweise bei Kramer (1693)44, dann bei Steinbach (1734)45. Hier hat Hoffmann einen weiterführenden Beitrag geleistet, indem er die Verwendbarkeit des Wortes ausdrücklich für alle bürgerliche Gesellschaften feststellte, ungeachtet deren Verfassungsform oder Souveränität. Hoffmann läßt aber auch, bewußt oder unbewußt, einige Varianten des Wortes unter den Tisch fallen: den vernunftrechtlichen Stat, d. h. die den Fürsten legitimierende Gesellschaft; den patrimonialen Stat, d. h. die Güter und Länder i n des Fürsten Besitz; den kameralistischen 37 Zit. DWb. X , 2. 1, Sp. 280. M Zedier, Großes Universal-Lexicon, Bd. 39, 639: „die Regiments-Forme u n d Verfassung zwischen Obrigkeit u n d Unterthanen eines Landes." 39 K . Stieler, Der Teutschen Sprache Stammbaum u n d Fortwachs, Nürnberg 1691, Sp. 2114: „gubernatio, regimen". 40 Zedier, Universal-Lexicon, Bd. 39, 639: „die Regierung". 41 J. G. Schottel, Teutsche Haubt Sprache, Braunschweig 1663, 1420: „Staat m. status, respublica. estat." 4a Zit. i n DWb. X , 2. 1, Sp. 280. 43 J. Hübners Reales Staats-Zeitungs- u n d Conversations-Lexicon, Leipzig 1722, Sp. 1802: „Staat, oder ein gemeines Wesen, ist an sich selbst eine grosse Gesellschafft, darinnen m a n Obrigkeit u n d Unterthanen antrifft." 44 M. Kramer, Neu angefertigtes Italiänisch-Teutsches Sprach- u n d Wörterbuch, Nürnberg 1693, s.v. stato: „Länder u n d Herrschaften grosser Herren." 49 Ch. E. Steinbach, Dt. Wörterbuch, Bd. 2, Breßlau 1734, S. 686: „Staat . . . 3), das gemeine Wesen, Reich, Herrschaft."
8. Etymologien
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Stat, d. h. das System, nach dem ein Land ertragreich gemacht und besteuert w i r d u. a. Ebenso macht er noch nicht auf den „abstrakten Staat" aufmerksam; für ihn darf dieser vom konkreten Staat w o h l ebensowenig getrennt werden wie der Schlußstein vom Gewölbe 45 a . Erst Adelung bucht i m Jahr 1780: „Man braucht es hier theils als ein Abstractum und ohne Plural. Wider den Staat r e d e n . . . Theils aber auch als ein Concretum, e i n e . . . bürgerliche Gesellschaft m i t dem ihr zugehörigen Landesbezirk zu bezeichnen 46 ." 8. Etymologien
Die Reflexion auf die Bedeutung des Wortes war i m 17. Jh. sehr eng verbunden mit seiner Etymologie; an ihr entschied sich die U r sprünglichkeit und damit Echtheit einer umkämpften Bedeutung, zugleich gewann das Wort vom Ursprung her seinen Charakter als „deutsches" oder „ausländisches". Das 18. Jh. verfolgte die Frage nach dem Etymon ohne Polemik und Ressentiment, wobei es ganz natürlich auf den Ergebnissen der älteren Philologen aufbaute. Es gab — bis ins 19. Jh. hinein — i m wesentlichen vier Etymologien für das Wort Staat. (a) „Stand" (consistere) Die erste Grundbedeutung ist „Stand", von stehen, Bestand haben (consistere). Man assoziierte es mit „Stadt . . . als welche durch die bürgerliche Gesellschaft und Verbindung befestiget wird, daß sie b e s t e h e n kan" (1673)47. Diese Wort- und Gedankenverbindung herrscht bis ins 19. Jahrhundert, w o F. L. Jahn ein Kapitel über „Volksverfassung" so einleitet: „Staat kommt von stehen; auf Ständen waren unsere Deutschen Staaten sonst gegründet, und sie bestanden" (1808)48. I n anderer politischer Absicht als Jahn, aber mit der gleichen Etymologie, spricht C. L. von Haller vom „Wort Staat, welches an und für sich nichts anders als etwas selbstständiges, etwas durch sich selbst und für sich selbst bestehendes bedeutet" (1816)49. 45a Vgl. jedoch die Wendung „Begrif eines oder des Staats" (S. 16); i n der K o n k r e t u m u. A b s t r a k t u m unreflektiert nebeneinanderstehen. 46 J. Chr. Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches der hochdeutschen Mundart, 4. Th., Leipzig 1780, Sp. 636. 47 K . Stieler, Sekretariat-Kunst 48. 48 Jahn, Deutsches Volksthum, Lübeck 1810, 259. I m Jahr 1734 sah J. P. Ludewig (Discours, Anhang I I I , Frankfurt/Leipzig 1747, S. 692) die deutschen Stämme als selbständige geschichtliche Einheiten, w e i l sie seit je „ihren besonderen Stand u n d Staat gehalten". 49 C. L. von Haller, Restauration der Staats-Wissenschaft, 1. Bd., 441.
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
(b) „statten" Eine zweite Etymologie nimmt von „statten" ihren Ausgang: Stand als etwas Erstelltes. Der Philologe Wächter unterscheidet 1737 das zweifache Etymon „stan" und „statten" und bezeichnet letzteres als Ursprung des Wortes Staat i m Sinne von res constituta; daß ein Königreich „Staat" genannt werde, geschehe vermittels synecdoche generis, d. h. einer Reduktion des allgemeinen Gattungsbegriffs (Erstelltes) auf einen Artbegriff (erstelltes politisches Gemeinwesen) 50 . Dieser Ableitung folgt Hoffmann i n seiner Lection von 1767.
(c) „Zustand"
(status, conditio)
A m häufigsten w i r d Staat als „Zustand" aufgefaßt oder darauf bezogen, wobei man es meist von lateinisch status herleitet. I m Jahr 1741 schreibt Frisch: „Staat, m. ist vom Lat. status ins Teutsche gekommen . . . hieß ehemals der Zustand eines jeden Beruffs, status, conditio 5 1 ." Für K . Vollgraff ist „Stat" der sprechende Name für die damit bezeichnete Sache: Das Wort ist „die germanische oder teutsche A b k ü r zung von dem lateinischen Worte Status, (weshalb es anfänglich auch Stat geschrieben wurde), wodurch weiter nichts als irgend ein beliebiger Zustand oder Stand der Dinge und Personen bezeichnet w i r d . . . I n der That lässt sich . . . kein passender, vagerer Ausdruck für den vagen subjectiv kittlosen Zustand der modernen Sach- und PersonenVerhältnisse i n den einzelnen Landen etc. finden, als eben das Wort Zustand, Stand oder Stat" 5 2 . (d) „Stadt" Die „eigentliche" Bedeutung des Wortes Staat zu erfassen, bediente man sich auch der Assonanz zu „Stadt"; dies ist die vierte etymologische Variante. Das 16. und 17. Jh. hatten i n der bald männlichen, bald weiblichen Verwendung von „Hofstat" und dem Modell der Stadtrepublik, überhaupt i n der Ubersetzung von civitas durch „Stadt" (f.) der Verschmelzung vorgearbeitet. K . Stieler erklärt deshalb „Statsgeschäfte . . . negotia politica oder Civilia" als „die Stadt/ oder das gemeine Wesen" betreffend, ohne zwischen städtischen und landes50
J. G. Wachteri, Glossarium Germanicum, Leipzig 1737, 1590—92. si Frisch, Teutsch-Lateinisches Wörterbuch, 2. Th., B e r l i n 1741, 313. 52 K. Vollgraff, Die Systeme der practischen Politik, 3. Th., 447 f.
8. Etymologien
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fürstlichen Angelegenheiten unterscheiden zu wollen 5 3 . Das bürgerliche 19. Jahrhundert kann m i t dieser Assonanz nicht nur einen politischen, sondern auch zivilisatorischen Gedanken verbinden: „Die wahre Menschheit beginnt erst mit zusammengedrängten Menschenmassen; zertreute Massen verlieren alle T h ä t i g k e i t . . . Erst die Künste und der Handel concentriren zu Staaten, und Städte machen Staaten, wie schon das Wort lehrt, und so auch das griechische polis (Stadt), woraus Politik und Politur hervorgegangen sind 5 4 ." 9. Historische Reflexion
Das 19. und 20. Jahrhundert brachten einen neuen Typus der Herleitung des Wortes, nachdem lat. status als Ableitungswort philologisch zwar außer Zweifel stand, die historisch-konkreten Umstände aber umstritten waren, i n denen das Wort seinen modernen politischen Inhalt angenommen haben mochte. Es war das Aufsuchen von Prozessen der „Verstaatung" sowie das Wahrscheinlichmachen geographischer Ausgangspunkte („staatliche Kernlandschaften") 55 . Die Ergebnisse dieser historischen Streifzüge waren bis heute mannigfaltig und widersprüchlich (vgl. Einleitung); sie führten aber dazu, das Wort Staat seiner Universalität, die bis zu K . Vollgraff unbestritten war, zu entkleiden und es auf einer höheren Stufe als historisch-bedingt zu erweisen. Die Reflexion des Wortgebrauchs mündet so i n die Reflexion des geschichtlichen Bewußtseins 56 ; nicht mehr allein die Sprache, die Geschichte selbst w i r d beim Wort genommen 57 .
53 K . Stieler, Sekretariat-Kunst 48, vgl. jedoch S. 130, w o von Einkünften gesprochen w i r d „zu F ü h r u n g des Stats und gemeinen Wesens". 54 Demokritos, 7. Bd., 70. 55 Krüger, Allg. Staatslehre 13. 56 Das hier diskutierte Problem ist ein hermeneutisches: die K o m m u n i k a tion zwischen verschiedenen Geschichtsepochen oder Generationen („Tradition"). O. Brunner antwortet darauf m i t der Forderung nach einer „quellengebundenen Begriffssprache"; i h r didaktischer Wert steht außer Zweifel (also das Vermeiden anachronistischer Assoziationen), zur Lösung des hermeneutischen Problems trägt sie indes wenig bei. Vgl. Brunners Bemerkungen zu Begriffen w i e „Staat u n d Gesellschaft", „Verfassung", „Recht u n d Gesetz" vornehmlich i n seinem berühmten Buch L a n d u n d Herrschaft, Wien/ Wiesbaden 41959 passim; dazu H. Maier, Z u r Lage der Politischen Wissenschaft i n Deutschland, i n Vj.f.Zg. 10 (1962), 225 ff. A n m . 48. — C. Schmitt hat w e i t h i n sichtbar dem Begriff des Staates eine geschichtlich-konkrete Physiognomie gegeben; sie deckt das universelle Wesen i.S.v. politela, respublica v ö l l i g zu. Der „Staat" w i r d hier zum Typus territorialer Herrschaftsbildung, w i e sie i m 16. Jh. von Europa ihren Ausgang nahm, vgl. C. Schmitt, Staat als konkreter Begriff, i n Verfassungsrechtl. Aufsätze, 1958, 375 ff. Demgegenüber sei auf die idealtypische Konstruktion dieses Begriffs v e r wiesen: tatsächlich bildete das W o r t eine Reihe weiterer Begriffsmomente aus, darunter die „universale" (Staat i.S.v. respublica). Allerdings gerät
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11. Kap.: Die Mehrdeutigkeit des Wortes Staat
sie heute zunehmend i n den Sog der historisch-konkreten Bedeutungsvarianten u n d muß i n bewußter Abhebung zu diesen a r t i k u l i e r t werden. 57 „Die Geschichte beim W o r t nehmen" — so könnte das Programm überschrieben werden, nach dem heute bestimmte begriffsgeschichtliche Unternehmungen arbeiten. F ü r den philosophischen Bereich sei genannt das von E. Rothacker i m A u f t r a g der Kommission f ü r Philosophie der Akademie der Wissenschaften u n d der L i t e r a t u r zu Mainz herausgegebene „ A r c h i v für Begriffsgeschichte. Bausteine zu einem historischen Wörterbuch der Philosophie", dessen 5. Bd. (Bonn 1960) eine Zusammenstellung wortgeschichtlich einschlägiger T i t e l bringt. F ü r den sozialgeschichtlichen Bereich wäre zu nennen das unter Leitung von W. Corize i n Heidelberg entstehende „ W ö r t e r buch politisch-sozialer Begriffe", zu dem R. Kosellek die methodischen V o r überlegungen schrieb. Als schönes Beispiel einer methodisch reflektierten begriffsgeschichtlichen A r b e i t sei noch genannt: H. Lübbe, Säkularisierung, Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg 1965. — „Die Geschichte beim Wort nehmen" ist aber auch ein theoretisches Programm: die geschichtliche Wandlung zwischen verschiedenen Epochen anhand leitender Begriffe einsichtig machen, zugleich damit die M i t g i f t vergangener (oder noch lebendiger) Epochen an solche Begriffe kennzeichnen! „Begriff" wäre dann w i r k lich Vehikel des Verstehens u n d Bindeglied über den Graben des nicht mehr Heutigen. M i t H. Lübbe zu reden: Absicht der Begriffsgeschichte ist es, „den scheinbaren Hiatus zwischen gegenwärtiger Verbindlichkeit eines Begriffs, seiner normativen »Definition' u n d seiner faktischen Genesis zu schließen" (Säkularisierung 11).
Ergebnisse und Zusammenfassung 1. Das Wort Staat gehört etymologisch zu einer Reihe von politischen und Rechtstermini, die von der indogermanischen Wurzel sta- abgeleitet sind und die Vorstellung des Stehens und Stellens enthalten. Unter dem Druck des vielgebrauchten lateinischen Wortes status (?) bilden oder verändern sich i m 13. und 14. Jh. drei solcher Termini i m Deutschen und gewinnen bald einen großen Einzugsbereich: stat (f.), stand (m.), stat (m.). I m Unterschied zu den beiden ersten ist stat (m.) lautlich und zunächst auch inhaltlich dem Lateinischen entlehnt. 2. Das engere politische Wortfeld, i n das Stat schließlich hineinwandert, w i r d durch Wörter wie Reich, Herrschaft, Land, Stand, Regiment, Republik markiert. „Stat" hängt sich z.T. an sie an und übernimmt so ihre Funktion, z. T. bestimmt es solche Wörter näher, grenzt einen Teil ihrer Bedeutung gegen einen möglichen andern ab, z.T. drängt es solche Wörter aus ihren angestammten Plätzen und weist ihnen neue Bedeutungen zu (wie bei Stand und Republik). Der wichtigste Vorgang i m Bereich der Wortfeldveränderung aber ist der, daß Stat aus der Gleichrangigkeit mit den andern Wörtern ausbricht und sie insoweit nur als Unterfälle (species) der Gattung Staat gelten läßt. 3. Die Bedeutungsentwicklung von Stat folgt bis ins 16. Jh. dem Vorbild des Lateinischen. A m lateinischen Wort waren die Bedeutungen als Reflexe der politischen Situation, z. T. als bewußte Leistungen der Glossatoren erkannt worden. Die Gliederung der Wortentwicklung i n Ausgangsbedeutung, Brücken, Endbedeutung erwies sich dabei als fragwürdig, da die „Endbedeutung" des lateinischen Wortes keineswegs die Normalbedeutung wurde, ja i n einem merkwürdig „unfertigen" Zustand stehen blieb. Es wurde wahrscheinlich gemacht, daß — wie bereits Dowdall vermutete — nicht status, sondern die volkssprachlichen Derivate die Träger der jüngsten Bedeutungsentwicklung waren und daß der „moderne Staatsbegriff" in ihnen früher Fuß faßte. Es ist nicht falsch, i n diesem Zusammenhang auf Machiavelli zu verweisen; aber so wenig er der erste war, der „stato" i.S.v. Herrschaft (dominio sopra popoli) verwendet hat, so wenig hat er den ganzen Umkreis des heutigen Wortes gekannt. Insbesondere die soziale Variante, wie sie i m naturrechtlichen Denken sich entwickelte, ist i h m fremd. Die Gemeinde der Aktivbürger ist für Machiavelli nicht „stato", sondern „città", „republica".
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Ergebnisse u n d Zusammenfassung
4. Die Geschichte des Wortes Staat Hansestädten. Nd. „staet" erscheint seit briefen und bezieht sich hier auf einen besteht oder kriegerisch aufgehoben ist
i m Deutschen beginnt i n den 1338 in Rats- und KaufmannsRechtszustand, der vertraglich (STAT I).
5. Noch i m 14. Jh. dringt das Wort (zunächst i m Niederdeutschen) in die ständische Sphäre ein und nimmt hier — innerhalb der Reihe status, dignitas, praeeminentia, conditio — den Platz von status ein. So bedeutet es bald Rang, bald das geführte Leben, bald Amt, bald Aufwendung oder Ausstattung. Die letzten Bedeutungen werden für die weitere Entwicklung des Wortes besonders wichtig. Der übergreifende Sinnbezug aller Varianten ist der Gradualismus der mittelalterlichen Welt, wo jeder Mensch und jedes Ding ihren (von Gott angewiesenen) Ort haben. Die Verbreitung der genannten Bedeutungen ist groß; sie finden sich in Arengen, Kanzleibriefen, Chroniken und moralischen Lehrschriften (STAT II). 6. I n der Umgebung des Landesherrn gewinnt der Stat, der „standesgemäßer Aufwand" ist, politischen Charakter; am Ende der 15. Jahrhunderts bildet sich dafür ein eigenes Wort: „hofstat". Wichtig sind die institutionelle Wortbedeutung (Stat, der verzeichnet und angeordnet wird) und die finanztechnische Variante (Stat, der auf ein paar Jahre gemacht oder dem Zahlmeister überantwortet wird). Letztere w i r d — von älteren tirolischen Vorbildern gestützt — i m Zusammenhang mit den Verwaltungsreformen Maximilians I. geläufig und kommt vom österreichischen Hof nach Württemberg und Bayern. Eine bayrische Urkunde aus der Mitte des 16. Jahrhunderts spricht von „über den Staat verordneten Räten": Es ist eine Kommission zur Ausgleichung des herzoglichen Budgets. Die ältere institutionelle Variante verbindet sich neben dem „Hof" auch m i t der „Kammer" und dem „Regiment" und bezeichnet so den personellen und sachlichen Aufwand, der i n diesen Amtsbereichen besteht, geordnet, unterhalten und laufend reformiert werden muß. Die herzoglichen Bediensteten oder die (Domanial-) Verwaltung heißen i m 17. Jh. i n Württemberg „der Staat". So findet man das Wort i n Chroniken, in Vereinbarungen m i t den Ständen (Tirol), in Hof- und Schatzkammerordnungen, Bestallungsurkunden, herzoglichen Handschreiben, Landtagspropositionen (Württemberg; STAT III). 7. Einige der unter STAT I I und I I I verfolgten Bedeutungslinien können aus einem einheitlichen Betrachtungspunkt dargestellt werden: Sie erweisen sich dann als Ausfaltungen des status principis bzw. als Vorstufen des von Seckendorff so genannten „Fürsten-Stats".
Ergebnisse u n d Zusammenfassung
Hierbei w i r d ein Doppeltes sichtbar: Der ältere Stat des Fürsten bezieht sich zwar auf Würde, Amt, Hof, Vollmacht und Regiment des Herrschers (vires principis), er bleibt jedoch über das Moment der consuetudines zum Land hin geöffnet; das Landrecht ist ein Teil des fürstlichen Stats! Andererseits verengt sich diese Bedeutung des Wortes unter dem Einfluß der Ragione-di-Stato-Lehre auf das, was für die fürstliche Stellung von unmittelbarem Interesse ist: Der fürstliche Stat löst sich aus den älteren Bindungen und Amtsverpflichtungen und t r i t t zum (ständischen) Gemeinwesen in Gegensatz! Die ältere Linie erhält i n Seckendorff s Wort ihre einprägsame Formel; i n ihr summieren sich die verschiedenen Verhältnisse, i n denen und nach denen ein Stand des Reiches als Landesfürst die Regierung führt (STAT IV). 8. Der Fürstenstat entwickelt i m Kontext des Kameralismus seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine anstaltliche Variante: „Stat" als Verwaltungsapparat des Fürsten. Genauer: Der „Stat" ist das Land unter dem Gesichtspunkt seiner herrschaftlichen und polizeilichen Organisation sowie als fiskalisches System; er steht (schon i m 17. Jh.) zwischen Fürst und Gesellschaft. Er gewinnt so jene Majestät, die es Friedrich dem Großen erlaubt, sich als Diener des Staats zu bezeichnen. Auf der anderen Seite w i r d er zum Ausdruck des maschinenmäßigen Vielregierens, das die aufgeklärte bürgerliche Gesellschaft, insbesondere aber die ästhetisch-philosophische Strömung am Ende des 18. Jahrhunderts als „hölzern", ja als unmenschlich perhorresziert (STAT IX). 9. Das bisher resümierte Ergebnis unserer Arbeit liegt i n der Richtung der Fragen A. O. Meyers. Nun sollen die bisher vernachlässigten Partien des Wortinhalts und seiner Entwicklung, soweit sie geklärt werden konnten, zusammengefaßt werden. Die ältere Gesellschaft bestand nicht aus Individuen, sondern aus ständischen Personengruppen oder Gemeinschaften, deren rechtliches und politisches Kennzeichen ihr „status" oder „Stat" war. Seit dem beginnenden 15. Jh. ist das Wort i n solcher Verwendung bezeugt. Es umgreift die rechtliche, politische, wirtschaftliche, innere und äußere Verfassung, in der ein Stand (einzelner oder communitas) lebt, besonders i m Hinblick auf den Rang, den ein also verfaßter Stand i n der Gesellschaft einnimmt sowie auf die Erhaltung und Bewahrung dieses Ranges. I m Anschluß an lat. status spaltet sich davon zu Beginn des 16. Jahrhunderts die gelehrte Bedeutung „Form zu regieren" ab (STAT V. 1—2). 10. Das Wort i n seinem älteren umfassenden Verständnis verschwindet i m 16. Jh. hinter „Stand"; es w i r d i m ersten Drittel des 17. Jahr-
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Ergebnisse u n d Zusammenfassung
hunderts von den Landschaften gegen den ausgreifenden Anspruch der Fürsten wiederentdeckt: Der Landes-Stat (im qualitativen Sinn) ist die seit alters verbürgte Verfassung, i n der und nach der ein Land lebt und regiert wird. Als Inbegriff der Institutionen und Gewohnheiten des Landes ist er das (politische) „Statswesen" (1656). Innerhalb der Gesamtordnung unterscheidet man seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Teilordnungen: Civil-Stat, Kirchen-Stat usw. Das Wort summiert also nicht nur die „fürstlichen Hoheitsrechte" (Meyer), sondern ebenso die gestuften Rechts- und Lebensordnungen der Ständegesellschaft. I n dieser Bedeutung bleibt Stat bis i n die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts i n Gebrauch (STAT V. 3—4). 11. Dem rechtlichen Landes-Stat entspricht ein statistischer: Er w i r d i n den empirischen Stat-Beschreibungen entwickelt und erscheint i n Buchtiteln der A r t : „Der gegenwärtige Staat von England." Diese Variante entsteht noch i m ersten Drittel des 17. Jahrhunderts und hält sich bis ans Ende des 18. Jahrhunderts (STAT V. 5). 12. Unter den Bedingungen des Dreißigjährigen Krieges entsteht die Vorstellung vom „äußeren Stat" des Landes. Es ist ein Begriff der Diplomatie und gehorcht den Regeln der Interesse-Lehre. Bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden stehen sich der schwedische und der Reichs-Stat als außenpolitischer und verfassungsrechtlicher Terminus scharf gegenüber. Noch Hegel nennt das Objekt des äußeren Staatsrechts den „äußeren Staat". Es gibt auch hier einen summierenden Ausdruck; er vernachlässigt die Souveränitätskriterien zugunsten politischer Gemeinsamkeiten. Diese Verwendung des Wortes reicht vom „Stat i n Italien" (1620) bis zum „Staat" des Rheinischen Bundes (1806). Erst spät treten Ausdrücke wie Staatenbund, Staatensystem, die dem Souveränitätsbegriff Raum geben, an ihre Stelle (STAT V. 6—7). 13. Der typische Fall eines inneren Stats (des Landes) ist der ReichsStat. Er ist die Regimentsverfassung und rechtliche Lebensordnung der Stände i m Reich bzw. der Stände „als" Reich. I m Unterschied zum Fürsten-Stat hat er keine Anstalt gebildet, keine souveräne Spitze i n einem Regenten, keine maschinenmäßige Geschlossenheit seiner Teile. Bis zuletzt blieb das Reich ein „Stat" älterer Ordnung, und Hegel urteilt i n unangemessen neuen, wenn auch verständlichen Vorstellungen, wenn er feststellt, das Reich sei „kein Staat mehr"; richtig müßte es heißen: Es habe noch immer jenen Stat, der verhindert, daß es ein Staat w i r d (STAT V. 8). 14. Der Raumordnungsbegriff „Staat" ist als Lehnwort aus dem Italienischen ins Deutsche gelangt: Seit 1596 w i r d stato in Geographica
Ergebnisse u n d Zusammenfassung
mit „Stat", stati m i t „Staten" wiedergegeben. Bis sich diese Verwendung i m Deutschen auf breiter Front durchsetzt, w i r d die territoriale Funktion meist von den Fremdworten stato (latinisiert status), später état übernommen. Seit den dreißiger Jahren des 17. Jahrhunderts entwickelt das deutsche Wort von mehreren Ansätzen her eine eigene territoriale Bedeutung. Die älteren politischen Wissenschaften haben eine mehr oder weniger deutlich entwickelte Raumvorstellung des Staats. A m frühesten und schärfsten ist diese bei den Geographen, auch bei den Kameralisten („Statistikern") vorhanden, am wenigsten bei der vernunftrechtlichen Gesellschaftslehre, gar nicht bei den Aristotelikern; noch i m 19. Jh. führt Rotteck das Staatsgebiet nachträglich, und zwar über die Vorstellung der „seßhaften" Staatsgesellschaft, i n die Begriffsbestimmung ein. Der Bedeutungsstand der territorialen Variante spiegelt noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts i n seiner Vielfalt die Einflüsse und Entwicklungslinien wider, unter denen das Wort zu seiner raumordnenden Funktion gelangt ist (STAT VI). 15. V ö l l i g unterbelichtet ist bis heute die alte gesellschaftliche Wortbedeutung von Stat. A. O. Meyers Arbeit hat hier nur jene Vorurteile bestärkt, die das Wort als Vehikel der absolutistisch-personalistischen Staatstheorie (Staat = Summe der Hoheitsrechte des Fürsten) i m Gegensatz zur traditionellen Lehre vom Gemeinwesen (societas civilis) abstempeln wollen. I n Wirklichkeit bestimmt das aufgeklärte 18. Jahrhundert und das beginnende 19. Jahrhundert das Wort Staat ganz i m Sinn der älteren Lehre als „Gesellschaft". Diese Bestimmung läßt sich aus der Geschichte des Wortes rechtfertigen. Seit dem 15. und 16. Jh. bildet Stat i n Beziehung auf bestimmte Sozialkreise: Haus, Stand, Truppen, eine konkrete gesellschaftliche Bedeutung aus, zögert jedoch, die ständische Ordnung i m Land (innerer Stat des Landes) als societas civilis zu erfassen. Eina ähnliche Hemmung läßt sich übrigens i n den andern europäischen Sprachen erkennen; engl, state ist indes seit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts i n der Bedeutung „Gesellschaft des Landes" nachweisbar. I m 17. Jh. treten von verschiedenen Ansätzen her (Publicistik, Kameralistik) übergreifende gesellschaftliche Vorstellungen des Stats hervor. A m nachhaltigsten w i r k t die naturrechtliche Vertragslehre auf den Wortinhalt ein: „Stat" w i r d so Ausdruck für die vertraglich geeinte, unter einem Regiment stehende Gesellschaft. Das Wort zielt zuerst auf Zustand und Ordnung einer derartigen Gesellschaft (status politicus), dann — und zwar durch Vermittlung holländischer Schriften — auf die Gesellschaft in ihrer „Menge" selbst. Jüngeres, aus dem Vertragsdenken genährtes Naturrecht und aristotelische, an der Autarkie der Bürgergemeinde festhaltende Tradition machen seit
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Ergebnisse u n d Zusammenfassung
dem ausgehenden 17. Jh. das Wort Staat zum Synonym von ci vitas sive societas civilis. Als solches folgt das Wort dem gleichzeitig stattfindenden Wandel des Gesellschaftsbegriffs und steht bald für die Gesamtgesellschaft eines Landes („Untertanen"), bald für deren politisch relevanten Teil (societas civilis i m älteren Sinne), bald für die menschliche Gesellschaft überhaupt, i n welch letzter Bedeutung es sich der Vorstellung „ K u l t u r , Zivilisation" nähert. I n der Geschichte der Formel „Staat i m Staate" liegt ein Hinweis darauf, daß sich i m 18. Jh. „Staat" i.S.v. „Staatsgesellschaft" auf das Souveränitätsmerkmal zuspitzt (STAT V I I I . 3); i n den Schriften der Romantiker und der Freiheitskämpfer zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhält das Wort eine „nationale" Färbung. Noch bevor der hier intendierte Vollbegriff von „Staat" erreicht ist, bricht das Wort auseinder: Die gesellschaftliche Komponente w i r d von den Ausdrücken Volk, Nation, Gesellschaft aufgesogen, i n „Staat" bleibt fast nurmehr das anstaltliche Moment zurück. Auf der Stufe der aufgeklärten souveränen Staatsgesellschaft, also zu einer Zeit, wo „Staat" noch nicht „volksthümlich" verstanden w u r de, entstand das Wort „Staatsbürger" (1770). Es bezeichnet das M i t glied der vertraglich geeinten, unter einheitlichem höchsten Regiment und Gesetz stehenden bürgerlichen Gesellschaft oder des Staats und ist der bis heute lebendige Sproß der hier verfolgten gesellschaftlichen Variante des Wortes (STAT VIII). 16. Der Hintergrund einer besonders wichtigen Phase des Bedeutungswandels ist die Lehre der Ragion di stato, wie sie i n Deutschland rezipiert worden ist. I n ihrer wissenschaftlichen Fassung als Widerlegung Machiavellis begründet (Botero), vermischt sich Ragion di stato bald mit dem, was „machiavellische Politik" genannt wird, zugleich w i r d sie ihr als „königliche Wissenschaft" gegenübergestellt. Ihre Verbreitung i n Deutschland erfolgt i m Zeichen der „dos raziones de estado" (Ribadeneyra). Der Widerstreit zwischen guter und böser, eigentlicher und uneigentlicher Ratio status beschäftigt die Gelehrten seit den ersten Jahren des 17. Jahrhunderts. Verfolgt man die Geschichte der Formel, so stößt man auf die Bedingungen, unter denen das italienische Konzept und Schlagwort übernommen (äußere Politik, Publicistik), verworfen und verteufelt (ständisches Recht, Religion, Moral) oder i m Sinne der traditionellen philosophia practica gereinigt, dabei aber z.T. u m seinen Sinn gebracht wird. Es erweist sich, daß es eine ursprüngliche deutsche Lehre von der Staatsräson (G. Lenz) ebenso wenig gibt wie eine typisch deutsche Staatsblindheit und allgemeine moralische Verurteilung des „Staats" (A. O. Meyer; STAT V I I . 2).
Ergebnisse u n d Zusammenfassung
17. Die Bedeutung der Ragion-di-stato-Lehre für den modernen Staatsbegriff, aber auch für die Verbreitung des Wortes Staat als seines genuinen Ausdrucks ist immer betont worden. Unklar freilich blieb, worin der eigentliche Beitrag dieser Lehre besteht und wie das Italienische und Französische auf „Stat" einwirkten. M i t Ragion di stato konzentrierte sich der Inhalt des Wortes Stat auf das Interesse derer, die das Regiment führen; Zeugnis für diese engere und schärfere Bedeutung geben die frühen Zusammensetzungen mit „StatsStatsRat, Statsachen, Staatsgedanken usw 1 . 1
Es wurde darauf verzichtet einen alphabetischen Katalog der Komposita von „Staat" (Hoffmann, Begrif des Worts Staat 16 ff. (Anm.) nennt 80 B i l dungen), etwa unterteilt nach G r u n d - u n d Bestimmungswort i n der A r t der Zobelschen Dissertation über „Polizei" zu geben. Die Sichtung dessen was ist liegt unserer Arbeit voraus; die Arbeit selbst versuchte, Bedeutungsvarianten, Wortbildungen u n d Komposita entwicklungsgeschichtlich, d. h. am jeweiligen Ort ihres Entstehens einzureihen. So betrachtet gibt es nicht so sehr „Zusammensetzungen m i t »Staat'" als vielmehr Zusammensetzungen m i t bestimmten Varianten des Wortes. Hier eine typologische Skizze: (1) Die älteste u n d reichste Kompositengruppe entsteht seit dem ausgehenden 16. Jh. i m K o n t e x t der Ratio status; das Bildewort Stat bezieht sich innerhalb des genannten Kontextes auf die Regierung, deren Interessen, hochwichtige Angelegenheiten. Außer „hochwichtig" u n d „geheim" bedeutet Stat auch „verdächtig", „unmoralisch" (in satirisch-volkstüml. Literatur). I n dieser Gruppe stehen die meisten Lehnübersetzungen, ursprünglich kenntlich an der F o r m „ - v o n Stat", also „Rat von Stat" (nach holl. rat v a n Staten) u. a. (Beispiele: „Statssachen", „Statsrat", „Statsstreidi", „Stats-List", ,,-Gedancken", „-arcana", ,,-ursachen", „Staatsbetteley u n d hilpersgriffe" u. a.) (2) Eine andere Gruppe bezieht sich auf die traditionelle politische Lehre; „Stat" bedeutet hier „politicus". I n den 70er u n d 80er Jahren des 17. Jh. gebrauchen Autoren w i e Herzog Anton-Ulrich von Braunschweig-Wolffenbüttel, K. Stieler, Leutholf von Frankenberg, Flämitzer die Ausdrücke: „Staats-Lehrschriften", „Staats- u n d Tugendlehren", „Staats-Lehrstuhl" (1669), „StatsK l u g h e i t " (1672), „Statsbücherey" ( = Bibliographia politica), „Statsvorsicht" ( = prudentia politica), „Statslehre" ( = Politica, doctrina politica), „Statswißenschaften" (1673) u.a. (3) Eine andere Gruppe von Komposita ist v o n Stat i.S.v. Verfassung des Landes oder Regiments abgeleitet. So gibt es „Staatsfehler" u n d „Staatsvollkommenheiten" u.a. Das B i l d e w o r t bedeutet hier nicht — w i e z.T. i n (1) — secretus, sondern publicus; vgl. „ i n Staats u n d Privat-Rechten" (1687). (4) I n Komposita w i e „Respublica oder StatsRegierung" (1648), „Stats u n d das gemeine Wesen belangende Sachen", „Statshäupter", „Statsordnung" ( = status reipublicae) hat Stat den Sinn von „Gemeinwesen" (respublica sive civitas). (5) So wie Landesstat (STAT V. 3) u n d Gemeinwesen (STAT V I I . 4), die den Gruppen (3) u n d (4) zugrunde liegen, bildet auch die territoriale Variante des Wortes (STAT V I ) eine Reihe von Komposita: „Staat- u n d LänderAbtheilungen", „Staats-Corpora" u. a. (6) Der gesellschaftliche Stat (STAT V I I I ) erscheint i n folgenden Zusammensetzungen : „Staatsglied" (1669, nach dem Holl.), „Staatsbürger", „Staatsoder Gesellschaftsgesetze" u.a. Die sich der Vorstellung „Zivilisation" nähernde gesellschaftliche Variante bildet i m 18. Jh. ein so merkwürdiges u n d doch verständliches Kompositum w i e „bürgerliche Staatscultur". — M a n w i r d bemerken, daß einzelne Wortbildungen ihren EntstehungsFällen, w o er am Tag liegt (wie z.B. bei „Staatsstreich", „Staats-List"),
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Ergebnisse u n d Zusammenfassung
Ragion di stato heißt zu deutsch „der Stat". M i t diesem Wort bezeichnet man i m 17. Jh. die neue Politik, die ein Regent und seine höchsten Beamten führen: als Klugheit und als Kunst („Statskunst" und „Statisterey"). Die personale Seite dieses Stats sind noch nicht die (Staats-)Bürger, sondern die i m Besitz der Macht bzw. der „Machtkunst" Stehenden; nicht zufällig heißen die frühesten Ableitungen von Stat „Statist" und „Statsmann" (VII. 1, 3). 18. Sieht man von Stat i.S.v. Stat-Politik, Statist (und Nebenformen) sowie dem Bildewort Stats- (Lehnsuffix: „von Stat") einmal ab, so hat die Lehre oder das Konzept der Ragion di stato kein neues Wort ins Deutsche gebracht. Wohl aber hat sie traditionelle Gebrauchsweisen des Wortes: Stat des Fürsten, Stat des Landes, mit neuem Sinn gefüllt. So wurde z.B. Stat des Fürsten auf die Hausmachtpolitik, Interesse und Sicherheit der Dynastie eingeengt; innerhalb dieser Sphäre entstand seit den 20er und 30er Jahren des 17. Jahrhunderts eine Fülle von Bedeutungsvarianten, unter ihnen die abstrakte Souveränität, gegen die zu verstoßen das schlimmste Verbrechen w i r d (Verbrechen „gegen den Staat"). Gleichzeitig erfaßt Ragion di stato den Stat des Landes, etwa i n Landtagspropositionen, und stellt ihn als gemeinsame Angelegenheit von Fürst und Ständen dar: gemeines Wesen. Der Sorge des Fürsten für das ganze Land, das Reich oder den „Stat" entspricht die Verpflichtung der Stände, für diese als umfassend vorgestellte Sorge Steuern bereitzuhalten („Staats-Pflichten"). So wächst i n den 40er Jahren des 17. Jahrhunderts nach Ausweis Württembergischer Landtagsakten dem Wort Stat die Bedeutung „Gemeinwesen" zu. Gleichzeitig entwickelt sich die Vorstellung des äußeren Stats (des Landes) und trägt dazu bei, Sicherheit und Interessen dieses Stats als diejenigen des „Reichs", „Herzogtums" oder „Landes" verstehen zu lassen (STAT V I I . 4). 19. Ein weiterer Beitrag der Ragion di stato liegt darin, daß sie die Reflexion auf das Wort Stat eröffnet und veranlaßt hat. Solche Reflexionen folgen einerseits italienischem und französischem Vorbild (1647 w i r d zum erstenmal „Staad" nach frz. estât definiert); zum andern entsprechen sie dem Bedürfnis der gelehrten Politik, ihr Wort gegen populäre, mißverständliche, falsche und schlechte Verwendungen, die Zusammenhang deutlicher erkennen lassen als andere. M a n k a n n n u r i n Bedeutungswandel u n d -entwicklung registrieren; sonst w i r d m a n füglich Parallelbildung anzusetzen haben, etwa bei „Staats-Corpora" f ü r Territorien u n d Regierungssysteme, „Staatsgenosse" f ü r den Teilhaber an der Regierungsgewalt u n d den Mitbürger i m Vertrags-Stat. Es wäre lohnend, der Geschichte einzelner Komposita gesondert nachzugehen; soweit sie den Rang v o n „Begriffen" haben, w i e z.B. „Staatsbürger", erfordert ihre Darstellung einen eigenen Zuschnitt. Es wurde i m Rahmen dieser A r b e i t darauf verzichtet.
Ergebnisse u n d Zusammenfassung
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durch ein falsches Verständnis von Ratio status verursacht sind, abzugrenzen. Es kennzeichnet den Gebrauchswert des deutschen Wortes Staat bis ins 18. Jh. hinein, daß es im Kontext der üblen Staatsräson seiner selbst bewußt geworden ist; seine bezweifelbare moralische Qualität, seine polemische Rückführung auf „welschen" Ursprung, seine späte Einbürgerung in der offiziellen Sprache des Reichs, die Abstinenz gegenüber dem Wort „Staatsrecht" u. a. haben darin ihre Ursache. Seit Seckendorff (1656), entschiedener seit K. Stieler (1673) setzen Versuche ein, das „Ekel"-erregende Wort von seinem moralischen Makel zu befreien und als gutes altes Wort zu rechtfertigen. Man w i r d jedoch mehrere Linien zu beobachten haben: einen unreflektierten Gebrauch, der seinen Gefühlswert vom jeweiligen Kontext bezieht (ζ. B. von der populären satirischen Literatur über Stat-Politik [STAT V I I . 3]); einen reflektierten Gebrauch, der auf üble Nebenbedeutungen abstellt und einen, der sie leugnet und dadurch mittelbar anerkennt (STAT V I I . 5). 20. Die positive Bewertung des Wortes ist eine Frucht der Philosophie des 18. und 19. Jahrhunderts. Sie entwickelt jenseits des konkreten Mängelstaats das „abstrakte" Bild des idealen Staats. Geht man der abstrakten Gebrauchsweise des Wortes nach, so führt der Weg aus der Verteufelung der Stat-Politik in die reine L u f t der volonté générale, die i m 18. Jh. den alleinigen Inhalt des Wortes bilden kann. Die Idealität der vernunftrechtlichen, weithin m i t dem Gesellschaftszweck identifizierten Vorstellung „Staat" empfindet man seit der JahrhundertMitte als „abgezogenen Begriff" (Lessing). A m Ende des Jahrhunderts gelingt es Novalis, Hegel u. a., das Gefühl der Abstraktion zu mildern, Staat und Individuum zu versöhnen und dazu beizutragen, daß das Wort einen nie wieder erreichten höchsten Rang einnimmt (Treitschke w i r d später von Hegels Staatsvergottung reden). Allerdings spielt sich diese Wertsteigerung auf der Ebene bürgerlicher Gelehrsamkeit ab; die volkstümliche Sprache bleibt davon unberührt und bewahrt ihre kritische Distanz (STAT X). 21. Es liegt in der Absicht dieser Arbeit, den Bedeutungsreichtum des Wortes, seine vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten vor Augen zu führen und dennoch den Eindruck von „chaos unius verbi" zu vermeiden. Die Tatsache freilich konnte nicht übergangen werden, daß jede Epoche ihr spezifisches Multivalenzproblem hat, das sich i n A n merkungen zum Wort, i n ergänzenden Zusätzen, i n größeren kritischen Auslassungen und immer neuen Versuchen zur Etymologie des Wortes niederschlägt. Die Einführung des Namens „Staatsrecht" in die juristischen Disziplinen veranlaßte 1767 die erste Dissertation über „den Begrif des Worts Staat" (11. Kapitel). 16 Weinacht
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Ergebnisse und Zusammenfassung
22. Seit C. Vollgraff, besonders seit den letzten 30 Jahren, w i r d das Problem diskutiert, ob „Staat" ein Wort von allgemeinstem Zuschnitt sei oder nur auf moderne politische Gebilde angewendet werden dürfe: die Frage also nach „Staat" als Universale oder als konkretem Begriff. Unsere Arbeit hat die quaestio facti beantwortet: Das Wort Staat ist nach Herkunft und Gebrauch an bestimmte Epochen der neueren Geschichte gebunden; Abspaltung und Entwicklung der Bedeutungsvarianten, ja der Aufbau des Bedeutungsgefüges insgesamt spiegeln geschichtliche Vorgänge und Zustände und empfangen von ihnen ihr Gepräge. Insofern ist Staat ein konkreter Begriff. Auf der andern Seite wuchsen dem Wort Funktionen zu, die es m i t den klassischen Universalia (griech. politela, lat. civitas, respublica) gemein hat: Staat war seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Wechselwort der genannten Ausdrücke und blieb es, wenn auch nicht unbestritten, bis heute. Insofern ist Staat ein Universale. Die quaestio juris, die von unserer Arbeit nur anmerkungsweise gestreift wurde, stellt sich, weil das Gleichgewicht zwischen den genannten zwei Funktionen verlorengegangen ist. Der doppelte Gebrauch des Wortes Staat w i r d problematisch, seit die historische Reflexion seine universelle Geltung erschüttert und den konkreten Bedeutungen repräsentativen Wert zumißt. Kurz gefaßt lautet das Problem so: „Staat" ist (z. B.) ein Raumordnungsbegriff des 16. Jahrhunderts — wie kann er zugleich für die societas perfecta stehen? Es soll hier nur die Richtung gewiesen werden, in der eine Antwort liegen könnte: „Staat" ist Universale insoweit, als es dem Sog der historisch-konkreten Bedeutungsvarianten entrissen wird: es gilt zu abstrahieren von bestimmten Varianten, typischen Kontexten, Perspektiven. Das setzt voraus, daß einer zuerst die historische Fracht kennt, mit der das Wort beladen ist. Wer jedoch das Variantengefüge des konkreten Begriffs, seine Entwicklungslinien und Betrachtungsarten und wer die Problematik des Universale, das stets von neuem aus der Umklammerung durch Geschichtlich-Zufälliges befreit sein w i l l , nicht zur Kenntnis nimmt und sich bewußt macht, der wäre — i m Sinne H. Ehmkes und anderer — gut beraten, ein Wort wie „Staat", das sich so schwer handhaben läßt, durch andere Wörter zu ersetzen.
Schaubild
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Versuch eines Bedeutungsgefüges nach A. O. Meyer (Zur Geschichte des Wortes Staat, i n W.a.G. 10 (1950) S. 229 ff. Angegebene Prinzipien: „Grundbedeutung" — „Auseinanderfließen" — „Brücken" — „erreichte Hauptbedeutung") Datierung der frühesten Belege 1355
Zustand, ^ a g e Stellung Rang
öffentlicher Zustand
Amt Hoher Stand, Rang, Würde
Verfassung
Hofstaat 1450
Regiment . Staatshaushalt /
Finanzen
/ Finanzverwaltung 1640/60
oberste Regierungsbehörde
(„STAAT")
1680
+ Staatsgewalt
f
„STAAT"
Staatsgebiet
jSTATIx]
•
1
i
/ /
Î800
/
/
/ / /
/
\ Form zu regieren
Gebiet
HERZOGTUM
„volkstümliche" souveräne Staatsgesellscha f t
societas humana Zivilisation
J~T-GEMEINWESEN
\ \ ^^^ \ souveräne Staatsgesellschaft \
\
societas civilis
| S T A T VÎÏÎ1
"
TATEN
STATEN UND POTEN-
/ / / [ / / [ S T A τ VILI IST A T VI| Verfassung und Disposition „Stadssachen" Gebiet (Stato) des Landes^ ——— „Stat" (-Politik) / ! innereäußereMachtsteilung des Fürsten: / \ gemeiner Stat Machtstellung Souveränität/Interesse ; („Staats^ Pflichten") des iLandes
DÖMÄNIÜM 7
Hof Regiment /^\-Haltung / ; ^--Gesinde ^/Ordnung -Budget
[ S T A T ΙΙΪ1
Ausstattung Aufwand ^^Amt
1ST Α τ III Stand, Rang
stat (f.), state (f.), stand (m.)
„ s t a tus regni" 1st Α τ ι ) IST A T IV j zwischenparteilicher Zustand Is τ Α τ v| „consuetudines ac (Vertrag) Disposition des Landes vires principis" / | / Verfassung ( — )/ / /\
„ s t a t u sTe g i s "
lat.jstatus
idg. sta-
Bedeutungsgefüge des Wortes Staat (Stat)
Anstalt „FÜRSTEN-STATim engeren Sinn (Hof) ^ \ im weiteren Sinn (Gemeinwesen „als Staat") 1700 \ 1750 [s τα τ x| Abstraktum und Wertbegriff
1650
1600
1500 1550
1450
1400
1332
Datum der frühesten Belege 244 Schaubild
Die Tafel kann von oben nach unten (diachronisch) und von links nach redits (synchronisch) gelesen werden. Von oben nach unten ergeben sich folgende Haupteinteilungen: 1. lat. status — „status regis" — „status regni" — : Die lateinischen Begriffe stehen als die Ausgangsbedeutungen des Lehnworts (historisch), zugleich orientieren sie das Gefüge (systematisch). 2. (a) Während STAT I als Repräsentant der „Einheit des Wortes" in der Mitte steht, entwickeln sich im Zeichen von „status regis" die Varianten STAT II, III, IV, VII und im Zeichen von „status regni" die Gruppe STAT V; STAT VI nimmt seinen Ausgang vom Italienischen und Französischen, wird dann jedoch von STAT V her unterstützt, (b) Um die Mitte des 17. Jahrhunderts entsteht quer durch die Varianten von STAT IV, STAT VII und STAT V ein einheitliches Bedeutungsband. 3. Aus dem genannten Bedeutungsband entspringen in neuer Gegensätzlichkeit STAT VIII und STAT IX (und X).
Erläuterungen:
Anhang 245
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