Repräsentation: Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert [1 ed.] 9783428512447, 9783428112449

Die anhaltende positive Resonanz hat den Verlag 5 Jahre nach Erscheinen der dritten Auflage zu einem weiteren Neudruck (

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Repräsentation: Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert [1 ed.]
 9783428512447, 9783428112449

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Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 22

Repräsentation Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert

Von

Hasso Hofmann 4. Auflage mit einer neuen Einleitung

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Hasso Hofmann • Repräsentation

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 22

Repräsentation Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert

Vierte Auflage mit einer neuen Einleitung

Von

Hasso Hofmann

Duncker & Humblot • Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

1. 2. 3. 4.

Auflage 1974 Auflage 1990 Auflage 1998 Auflage 2003

Unveränderter Nachdruck der 1974 erschienenen ersten Auflage Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-11244-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ®

PER SERMONEM NOBIS DATUM A NATURA REPRAESENTATUR CONFERENS ET NOCIVUM ET IUSTUM ET INIUSTUM Aegidius Romanus:

De regimine principum III, 1, 4 INQUIRERS ET INDOLEM ET NATURAM LINQUARUM Joh. Jac. Moser:

De nexu studii critic! cum prudentia iuris publici, 14

Vorwort zur zweiten Auflage Diese zuerst 1974 erschienene Arbeit hat über die Fächer- und Ländergrenzen hinweg ein gewisses anhaltendes Interesse gefunden. Deshalb hält der Verlag eine Neuauflage für angezeigt. Sie erscheint hier als unveränderter Nachdruck der ersten Ausgabe. Eine Überarbeitung des Textes sowie die ihm wünschenswert erscheinen­ de Erweiterung, Vertiefung und Fortführung der in den §§ 18 bis 20 behandelten Fragen waren dem Verfasser aus mancherlei Gründen nicht möglich. Doch möchte er nicht versäumen, bei dieser Gelegenheit wenigstens auf einige Neuerscheinungen hinzuweisen, die ihm in der Perspektive seines Ansatzes für eine Neubearbeitung besonders wichtig gewesen wären. Die heutige politikwissenschaftliche, verfassungstheoretische und staatsphiloso­ phische Diskussion des Repräsentationsproblems rekurriert vorzugsweise noch im­ mer auf die in der deutschen Staatsrechtslehre Ende der zwanziger Jahre durch Carl Schmitt und Gerhard Leibholz fixierte, in ihren semantischen und begriffs­ geschichtlichen Voraussetzungen unhaltbare Antithese von Repräsentation und Identität. Ihrer sachlichen Fragwürdigkeit hat W. Mantl unter dem Titel „Repräsen­ tation und Identität“ schon 1975 eine umfassende, differenzierte und weiterführende Studie gewidmet. Heute sei mit besonderem Nachdruck auf die Arbeiten von E.-W. Böckenförde zum Thema „Mittelbare repräsentative Demokratie als eigentli­ che Form der Demokratie“ (so in der Festschr. f. K. Eichenberger, 1982) hingewiesen. Zuletzt hat Böckenförde seine Auffassung im 2. Band des Isensee-Kirchhof’sehen Handbuchs des Staatsrechts (1987) entwickelt. Noch zu wenig ausgewertet scheint dem Verfasser die gehaltvolle Abhandlung von R. A. Rhinow über „Grundprobleme der schweizerischen Demokratie“ in der Zeitschrift für Schweizerisches Recht, NF 103 II (1984), S. 101 ff. Den Repräsentationsgedanken H. Krügers hat D. Suhr auf­ genommen und fortentwickelt (Bewußtseinsverfassung und Gesellschaftsverfas­ sung, 1975; Repräsentation in Staatslehre und Sozialpsychologie, in: Der Staat 20 [1981], S. 517 ff). Neuerdings bietet G. Duso eine eindringliche Auseinandersetzung nicht nur mit Schmitt und Leibholz, sondern auch mit Max Weber und Eric Voege­ lin: La Rappresentanza: un Problema di Filosofia Politica, Mailand 1988. Dieses Buch ist zugleich ein Beispiel für die derzeit in Italien über das Repräsentationspro­ blem intensiv geführte Diskussion (siehe dazu auch G. Duso, Der Begriff der Reprä­ sentation bei Hegel und das moderne Problem der politischen Einheit, 1990, mit weit. Nachw.).

Die im engeren Sinn wort- und begriffsgeschichtliche Forschung ist durch H. Rausch (Repräsentation und Repräsentativverfassung, 1979) insbesondere für die Antike und die deutsche Reichsstaatslehre des 16. und 17. Jahrhunderts gefördert worden. Namentlich zur Ausbildung des absolutistischen, altständischen und par­ lamentarischen Repräsentationsbegriffs, zum Zeitalter der Amerikanischen und der Französischen Revolution sowie zur Begriffsgeschichte des 19. Jahrhunderts sei auf A. Podlechs Artikel „Repräsentation“ in Bd. 5 der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ (1984) nachdrücklich hingewiesen. Knappe Überblicke über die begriffliche Ent­ wicklung bietet jetzt D. Grimm in der neuen (7.) Aufl. des Staatslexikons der Gör­ res-Gesellschaft (Bd. 4 1988, Sp. 878 ff). Dem Repräsentationsbegriff der Ame­ rikanischen Revolution und Kants politischer Philosophie als einer Theorie der repräsentativen Republik hat B. Haller eine sehr bemerkenswerte Monographie ge­ widmet: Repräsentation - Ihr Bedeutungswandel von der hierarchischen Gesell-

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Vorwort zur ersten Auflage

schäft zum demokratischen Verfassungsstaat, 1987 (vgl. dazu die gedankenreiche Rezensionsabhandlung von H. Dreier: Demokratische Repräsentation und vernünf­ tiger Allgemeinwille, in: AöR 113 [1988], S. 450 ff). Zu § 16 über die Idee der Identi­ tätsrepräsentation in der konziliaren Bewegung wäre jetzt H. G. Walther: Imperiales Königtum, Konziliarismus und Volkssouveränität, 1976, zum Abschnitt § 20 I über Sieyes M. Forsyth:B,eason and Revolution, New York-Leicester 1987, S. 128 ff. zu vergleichen.

Zum Schluß darf der Verfasser noch einige kleinere Arbeiten nennen, in denen er seine Studien zur Begriffsgeschichte der Repräsentation fortgeführt hat. Der Ab­ schnitt über Althusius (§18 VI) diente dem Verfasser als Grundlage einer ausführ­ lichen neueren Darstellung: Repräsentation in der Staatslehre der frühen Neuzeit Zur Frage des Repräsentativprinzips in der „Politik“ des Johannes Althusius, jetzt in: H. Hofmann, Recht - Politik - Verfassung, 1986, S. 1-30. Mit Leibholz hat sich der Verf. ebd. S. 249 ff. („Parlamentarische Repräsentation in der parteienstaatli­ chen Demokratie“) auseinandergesetzt. Eine Weiterführung und Zuspitzung zentra­ ler Thesen dieses Buchs findet sich unter dem Titel „Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche“, in: Der Staat 27 (1988), S. 523 ff. Am Ende darf vielleicht auch noch die Gemeinschaftsarbeit mit H. Dreier für das von H.-P. Schneider und W. Zeh hrsgg. Handbuch des Parlamentsrechts und der Parlamentspraxis von 1989 erwähnt werden: „Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz“. Wissenschaftskolleg zu Berlin, Ostern 1990

Hasso Hofmann

Vorwort zur ersten Auflage Eine frühere Fassung dieser Arbeit hat der Erlanger Juristenfakultät als Habilita­ tionsschrift vorgelegen. Einige Neuerscheinungen zum Thema Staat und Souveräni­ tät, zur Repräsentationslehre des Cusaners, zum universitas-Begriff und zum Termi­ nus Repräsentation im Mittelalter gaben den Anstoß zu einer ziemlich eingehenden Überarbeitung. Um den Umfang nicht weiter anschwellen zu lassen, mußte das nach der Anlage der Arbeit unvermeidlich etwas überdimensionale Quellen- und Litera­ turverzeichnis weggelassen werden. Dafür ist ein Namenregister beigefügt. Dank schuldet der Verf. für vielfältige Förderung Prof. A. Voigt, Herm Senator Ministerialrat a. D. Dr. J. Broermann für die Übernahme des Verlages, der DFG für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses und schließlich - mehr als hier aus­ gesprochen werden kann - seiner Frau, in deren Hände er dieses Buch legt. Uttenreuth, 28. Februar 1974

H. H.

Einleitung zur 4. Auflage i. Der Terminus Repräsentation erlebt seit vielen Jahren eine außerordentliche Konjunktur in der Wissenschaftssprache - genauer: in den Sprachen verschiedener Wissenschaften und folglich mit vielen Varianten seiner begrifflichen Bedeutung. Ein herausragendes Symptom ist die Gründung einer Zeitschrift mit dem Titel Representations durch eine Gruppe von Historikern, Philosophen und Literaturwissenschaftlem der Universität Berkeley im Jahre 1983. Seit 1993 geben deutsche und französische Sozialpsychologen die Zeitschrift Papers on Social Representation heraus. Als charakteristisch mag ferner vermerkt werden, dass die Mitte der 1960er Jahre begonnenen Vorarbeiten zu diesem Buch ursprünglich dem Artikel Repräsen­ tation im Historischen Wörterbuch der Philosophie galten, für den eine Spalte vor­ gesehen war. Der dann 1992 im 8. Band des Wörterbuchs erschienene Artikel um­ fasst mehr als 60 Spalten und stammt von fünf verschiedenen Autoren. Aufs Ganze gesehen sind wohl gewisse Theorien des Geistes in der 2. Hälfte des Jahrhunderts als wichtigste Impulse der Entwicklung anzusehen. Sie postulierten zur Erklärung menschlichen Verhaltens und geistiger Vorgänge erneut innergeistige Entitäten mit syntaktischen und semantischen Eigenschaften in einem systematischen Zusam­ menhang. Diese „mentale Repräsentation“ wurde so zum Schlüsselbegriff der sog. Kognitionswissenschaft mit ihren erkenntnistheoretischen, psychologischen, lin­ guistischen und zeichentheoretischen Elementen und Aspekten, einschließlich der Erforschung „künstlicher Intelligenz“. Zündend dürfte die Kontroverse zwischen Elliot Sober (Mental Representations) und Robert Howell (Ordinary Pictures, Men­ tal Representations, and Logical Forms) in der Zeitschrift Synthese 33 (1976), S. 101 ff. bzw. 149 ff., gewirkt haben. Siehe zu diesem Komplex Martin Eimer, Infor­ mationsverarbeitung und mentale Repräsentation, Berlin u. a. O. 1990, aber auch die schneidende Kritik von Andreas Kemmerling an der Theorie mentaler Repräsen­ tationen im Hinblick auf die Möglichkeit von Fehlrepräsentationen und die Erklä­ rung intentionaler Zustände: Mentale Repräsentationen, in: Kognitionswissenschaft 1 (1991), S. 47-57.

Folglich kann man die heutige Kognitionswissenschaft dann „mit einigem Recht als Komplex jener Disziplinen (bestimmen), die sich mit der Erforschung mentaler Repräsentationen befassen“ (Eckart Scheerer, Art. Repräsentation IV, in: Histo­ risches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer, Bd. 8, Basel 1992, Sp. 834-846 [840]). Begriffsgeschichtlich liegt darin ein Rückver­ weis auf mindestens drei Dimensionen der semantischen Entwicklung von repraesentatio. 1. Das Erste, woran die kognitionswissenschaftliche Terminologie der mentalen Repräsentation erinnert, ist die repräsentative Natur der Seele als deren ursprüng­ liche Verfassung, das innerseelische principe representatif in der Philosophie von Leibniz, namentlich in seiner Monadologie. Im Blick auf deren Perspektivität und Dialektik bezeichnet der Exkurs zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Termi­ nologie in § 7 III (S. 92 ff.) den Terminus Repräsentation als „Schlüsselwort“. Diesen Gesichtspunkt hat auch Aron Gurwitsch in den Mittelpunkt seines höchst ein­ drucksvollen Leibniz-Buches gerückt, das in demselben Jahr wie die Erstauflage der vorliegenden Untersuchung erschienen ist: Leibniz - Philosophie des Panlogis-

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Einleitung zur 4. Auflage

mus, Berlin/New York 1974 (s. bes. S. 34 ff., 226 ff., 247 ff.). Er versteht Leibnizens Panlogismus als Ausdruck des Prinzips universeller Harmonie, das er als Repräsen­ tation im Sinne durchgehender Entsprechung und Zuordnung aller Substanzen durch alle bestimmt. Es geht hier m. a. W. um Ontologie, nicht um Psychologie. Eine vergleichbare monographische Untersuchung hat die unten S. 98 f. nur kurz ange­ sprochene Psychologisierung des Repräsentationsbegriffs und die Ersetzung des la­ teinischen Terminus durch das deutsche Wort Vorstellung bei Christian Wolff und in seiner Schule bislang, soweit ich sehe, nicht gefunden. 2. Begriffsgeschichtliche Aufmerksamkeit mag ferner die Feststellung Scheerers wecken (a. a. O. Sp. 844), dass die vielfältigen »Lesarten* von Repräsentation in der Kognitionswissenschaft (s. dazu Barbara Becker [Hg.], Zur Terminologie in der Ko­ gnitionsforschung, Sankt Augustin 1989) allenfalls im Begriff der Stellvertretung auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden könnten. Der scheint allerdings komplex genug und nicht einmal in seiner juristischen Verwendung so eindeutig, wie das Nichtjuristen bisweilen glauben voraussetzen zu können. Die Genese zeigt Hintergründigkeit und Reichweite des Begriffs, macht insbesondere den theologi­ schen Wurzelgrund bewusst - s. dazu das 2. und 4. Kapitel dieses Buches. Provoziert von Kants religionskritischer Bemerkung, dass die Sünde „keine transmissible Ver­ bindlichkeit“, sondern die „allerpersönlichste“ sei, die kein anderer übernehmen und tragen kann (Werke, Ed. Weischedel, Bd. 7, S. 726 f.), hat jüngst Christof Gestrich eine groß angelegte Religionsphilosophie der Stellvertretung entworfen: Christentum und Stellvertretung - Religionsphilosophische Untersuchungen zum Heilsverständnis und zur Grundlegung der Theologie, Tübingen 2001. In der Über­ zeugung, dass „Stellvertretung“ - die Fähigkeit „füreinander einzutreten“ - „ebenso das Herzstück der jüdisch-christlichen Glaubensweisen wie überhaupt des zivili­ sierten menschlichen Lebens (sei)“ (S. V, 253), geht Gestrich dem Zusammenhang zwischen kirchlich-theologisch und kulturell-philosophisch verstandener Stellver­ tretung nach. Sein begriffsgeschichtlich weiterführendes Ergebnis ist, dass sich „die vielen Termini, die in den Sprachen die jeweiligen Vertretungsvorgänge bezeichnen, auf zwei Brennpunkte hin bündeln (lassen): auf Repräsentationsvorgänge und auf Vikariatsvorgänge“. Damit soll gesagt sein: „Der Repräsentant ermöglicht einem machtvollen Wesen, das er vertritt, eine ,Gegen­ wart* auch noch auf einer anderen, entfernteren, fremden oder entfremdeten Stelle. Der Vikar ermöglicht es einem Wesen, dessen Kräfte nicht ausreichen, um auf gewissen eige­ nen Stellen anwesend zu sein und zu wirken, diese eigenen Stellen nicht zu verlieren bzw. deren Bestehen nicht zu gefährden. Der Repräsentant besorgt die Belange eines be­ stimmten Wesens an einer anderen Stelle. Der Vikar besorgt die Belange einer bestimm­ ten Stelle für ein anderes Wesen. Gleichwohl gehören Repräsentation und Vikariat wie zwei Brennpunkte einer Ellipse zusammen, weil ja auch Stelle und Wesen selbst, obwohl sie unterschieden werden müssen, im Letzten eine spannungsvolle Einheit bilden.“ (a. a. O. S. 235 f.) Zuvor hatte Hermann Deuser den Begriff der Inkarnation in einen dreistelligen Begriff der Repräsentation übersetzt: Inkarnation und Repräsentation - wie Gott und Mensch zusammengehören, in: Theologische Literaturzeitung 124 (1999), Sp. 355-370. Strukturell gesehen gleiche die religiöse Repräsentation allen zeichen­ theoretisch gefassten Repräsentationen. Das Spezifische der religiösen Repräsenta­ tion liege allein in der expliziten Thematisierung der Frage nach dem Grund aller Wirklichkeit. Die christologische Repräsentation hingegen lasse mit der Alternative von Abbild und Realpräsenz die Zweistelligkeit des Gott-Mensch-Zusammenhangs der alten Inkamationslehre hinter sich und begründe in der Trinität der Zusammen­ gehörigkeit von Gott und Mensch und der Aneignung dieses Verhältnisses die Wirk­ lichkeit der Einheit von Glaube, Denken und Handeln. Im Gegensatz zu diesen hoch reflexiven theologischen Erörterungen bleibt die begriffsgeschichtliche Einleitung (Sp. 362) mit ihren summarischen Behauptungen über den juristischen und ekkle-

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siologischen Gebrauch des Terminus repraesentatio im Mittelalter ziemlich weit hinter dem Stand der Wissenschaft zurück.

3. Im Zusammenhang mit der Zeichentheorie hat der Terminus Repräsentation eine neue Karriere auch in der Ästhetik und speziell der Bildtheorie gemacht. Wie fließend der Übergang ist, zeigen zwei Vorgänge: So sind die „mentalen Repräsenta­ tionen“ teilweise als „geistige Bilder“ verstanden worden (Scheerer a. a. O. Sp. 842), zum anderen muss es nach ihrer Bezeichnung als „interne Repräsentation“ wohl auch „äußere Repräsentationen“ in Form von Zeichen oder eben Bildern geben. Charakteristisch: Video ergo sum - Repräsentation nach innen und außen zwischen Kunst- und Neurowissenschaften, hg. v. Olaf Breidbach / Karl Clausberg, Hamburg 1999. Eine instruktive Behandlung des Problemkomplexes mit guter Literaturüber­ sicht bietet Oliver R. Scholz: Bild, Darstellung, Zeichen - Philosophische Theorien bildhafter Darstellung, 2. Aufl., Frankfurt/M. 2003. Das Problem von Vorstellung, Darstellung und Verkörperung experimenteller naturwissenschaftlicher Erkenntnis behandelt Hans-Jörg Rheinberger: Experimentalsysteme und epistemische Dinge Eine Geschichte der Proteinsynthese im Reagenzglas, Göttingen 2001, Kap. 6: Räu­ me der Darstellung, darin S. 110 ff.: Bedeutungen der Repräsentation. Für die Ästhetik folgt aus dem zeichentheoretisch-linguistisch-semiotischen An­ satz das Problem, „wie Symbole innerhalb und außerhalb der Künste funktionie­ ren“. Deshalb hat Nelson Goodman an den Anfang seines einflussreichen Buches „Sprache der Kunst - Entwurf einer Symboltheorie“ (Frankfurt a.M. 1997; Originalausg.: Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, Indianapolis, 2. Aufl. 1976) die Frage nach der „Natur der Repräsentation“ gestellt (S. 15). Bild­ theoretisch bezeichnet Horst Bredekamp das Problem als Unterschied von Reprä­ sentation und Bildmagie und begreift es wesentlich als Frage der Kunstform: Reprä­ sentation und Bildmagie der Renaissance als Formproblem, München 1995, S. 7 ff. Ihre mittelalterliche Entsprechung hat diese Differenzierung im Zwiespalt von Bil­ derfurcht und Abwertung der Bilder, wobei Carlo Ginsburg der eucharistischen Re­ präsentation Christi (dazu unten das 2. Kapitel, S. 65 ff.) wohl mit Recht eine zen­ trale Rolle für das mittelalterliche Bildverständnis zuweist: Repräsentation - das Wort, die Vorstellung, der Gegenstand, in: Freibeuter 53 (1992), S. 2-23. Eine all­ gemeine Theorie der Bild-Repräsentation entwirft Gottfried Boehm: Repräsentation - Präsentation - Präsenz. Auf den Spuren des homo pictor, in: Homo Pictor, hg. v. dems., Leipzig 2001, S. 3-13.

Alfred N. Whitehead (Process and Reality, New York/London 1979, dt. 2. Aufl. Frankfurt a.M. 1984), Susanne K. Langer (Mind, Baltimore 1988) und Ernst Cassi­ rers Philosophie der symbolischen Formen verpflichtet hat Oswald Schwemmer den Gedanken der mentalen Repräsentation aus der Tradition der Philosophie des Geis­ tes aufgenommen und kulturphilosophisch vertieft. Als „symbolische Repräsentati­ on“ verliert die Repräsentation den Charakter eines bloß neuronalen, internen, indi­ viduellen, an aktuelle Wahmehmungsprozesse gebundenen Vorgangs und wird zum Schlüsselbegriff der kulturellen Existenz des Menschen: Die kulturelle Existenz des Menschen, Berlin 1997, S. 176 f.: „Durch die Artikulation in Symbolen formt sich unser Bewusstseinsleben zu einer Man­ nigfaltigkeit von Gestalten - von bestimmten Gefühlen, Wahrnehmungen, Vorstellungen und Gedanken -, die alle ihre eigene Identität besitzen und auf die man sich von da ab erinnernd, redend bzw. überhaupt durch symbolische Repräsentationen beziehen kann. Aus dem Bewusstseinsleben ist damit ein geistiges Leben geworden: ein Leben mit iden­ tisch repräsentierbaren Gestalten, die durch ihre symbolische Existenz ein Teil des in­ terindividuellen Austauschs, einer öffentlichen Kultur geworden sind. Dieses geistige Leben existiert zugleich in den kulturellen Symbolismen und in den individuellen Be­ wusstseinswelten. “

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In ähnlicher Weise hat sich die Sozialpsychologie von der Beobachtung der sozialen Bedingungen von Kognition und Informationsverarbeitung zur Unter­ suchung des Wissens als sozialen Wissens entwickelt, d. h. der Erfassung des Wis­ sens in lokalen, sozialen, kulturellen und historischen Kontexten. Diese spezifische Wissensform in sozialen Systemen wird als „soziale Repräsentation“ bezeichnet und unter diesem Stichwort sehr intensiv diskutiert. Uwe Flick (einer der Mitbegründer der eingangs erwähnten sozialpsychologischen Papers) hat diese Debatte in einem Sammelband dokumentiert, dem auch ein sehr reichhaltiges und instruktives Lite­ raturverzeichnis beigegeben ist: Psychologie des Sozialen - Repräsentation in Wis­ sen und Sprache, Reinbek 1995. Zentrale Konnotationen des Repräsentations­ begriffs sind in diesem Zusammenhang „Verankerung“ und „Objektivierung“. Da­ rin werden Querverbindungen zur Kulturphilosophie wie zur Kultursoziologie, zur historischen Sozialwissenschaft und zur Kulturgeschichte sichtbar. Kein Wunder al­ so, dass das Stichwort Repräsentation auch in kulturgeschichtlichen und kulturso­ ziologischen Untersuchungen zu Mittelalter und früher Neuzeit in den Mittelpunkt rücken. Genannt seien: Höfische Repräsentation - Das Zeremoniell und die Zeichen, hg. v. Hedda Ragotzky u. Horst Wenzel, Tübingen 1990; Representation, Pouvoir et Royaute ä la Fin du Moyen Äge, hg. v. Joel Blanchard, Paris 1995; Die Repräsentati­ on der Gruppen. Texte - Bilder - Objekte, hg. v. Otto G. Oexle/Andrea von HülsenEsch, Göttingen 1998. Siehe dazu vom Verf.: Die Repräsentation der Gruppen, im Netz file://U|/hofmann.htm. Siehe auch schon Otto G. Oexle/Werner Paravacini, Nobilitas - Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, Göttingen 1997. Das in dieser Weise aktivierte Stichwort nimmt für die vielen Aspekte der (Selbst-)Darstellung des modernen Staates ein sehr instruktiver kleiner Band über „Staatsrepräsentation“ auf, hg. v. Jörg-Dieter Gauger u. Justin Stagl, Berlin 1992. Bisweilen leidet die Präzision namentlich der einschlägigen Mittelalter-Studien allerdings darunter, dass den Autoren die spezifisch juristischen, korporationstheo­ retischen und ekklesiologischen Terminologien samt den damit verbundenen sachli­ chen Differenzierungsmöglichkeiten nicht immer geläufig sind. Siehe dazu unten die Kapitel 4 und 5 (S. 116 ff. u. 191 ff.).

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Indes ist in der philosophic postmoderne die „Krise der Repräsentation“ ausgeru­ fen worden. (Den Begriff der Postmoderne hat bekanntlich Jean-Francois Lyotard eingeführt: La condition postmoderne, 1979.). Als Muster fungieren Marx und Nietzsche. Hatte doch Marx schon in seiner radikalen Kritik des Hegelschen Staats­ rechts und dessen Begriff der Repräsentativverfassung gegen jede „repräsentative“ Verdoppelung sozialer Tätigkeiten, gegen diese herrschaftsbegründende Differenz von Ganzheit und Partikularität gewettert. Und Nietzsche wollte mit der Verkün­ dung des Todes Gottes das Ende aller Metaphysik, aller „Hinterwelten“ markieren. Dementsprechend wird unter der Chiffre der Repräsentation das generalisierende Rationalitätsprinzip der Moderne in Frage gestellt. Science is ... the tip of the ice­ berg of the modem obsession with technical rationality and reason; the public face of the ideology of representation: Steve Woolgar, The Ideology of Representation and the Role of the Agent, in: Dismantling Truth - Reality in the post-modern World, hg. v. Hilary Lawson and Lisa Appignanesi, London 1989, S. 131 -144 (133). In dem von den Pariser Studentenrevolten 1968 ausgelösten Umbruch waren sog. Strukturalisten wie Michel Foucault und sein Schüler Jacques Derrida von der Be­ schreibung statischer Strukturen zu dem Versuch übergegangen, schöpferische Pro­ duktions- und Strukturierungsprozesse zu erfassen, die den Menschen zu befreien geeignet sind. Denn in den beständigen Repräsentationen scheinbar ebenso elemen­ tarer wie eindeutiger Unterscheidungen wie rational und irrational, normal und pa­

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thologisch, gut und böse sahen sie Rekonstruktionen der Machtstrukturen und die Verhinderung kritischer Diskurse. Eine große Breitenwirkung entfaltete diese „postmoderne“ Philosophie im Gesamtbereich der Ästhetik. Dort ist dann von Post­ oder Dekonstruktivismus die Rede. Eine eingehende und weiterführende Analyse der Foucault’schen Ersetzung des Gedankens der Repräsentation durch die These der Selbstreflexivität der Vorstellung findet sich bei Manfred Frank: Was ist Neo­ strukturalismus, Frankfurt a.M. 1983. Siehe auch Christa Bürger, Moderne als Post­ moderne: Jean-Francois Lyotard, in: Postmoderne, hg. v. ders. u. Peter Bürger, Frankfurt a.M. 1987, S. 122 -143 (129 ff.), und umfassender Gerd Irrlitz, Postmoder­ ne-Philosophie, ein ästhetisches Konzept, in: Postmoderne - globale Differenz, hg. v. Robert Weimann u. a., Frankfurt a.M. 1991, S. 133-165. Insoweit informiert Kerstin Behnke instruktiv über die „Krise der Repräsentation“ durch ihren Artikel Reprä­ sentation V im Historischen Wörterbuch der Philosophie (a. a. O. Sp. 846-853).

Drei Hinweise wären anzufügen. 1. Die Repräsentation der Welt im Spiegel des Bewusstseins steht auch im Mittel­ punkt von Richard Rortys pragmatischer Kritik der neuzeitlichen Erkenntnistheo­ rie, die zugleich eine Selbstkritik der analytischen Philosophie ist und zur Dekonstruktion der erkenntnistheoretischen Spiegel-Metaphorik führt: Philosophy and the Mirror of Nature, Princeton 1979, übers, v. Michael Gebauer: Der Spiegel der Natur: Eine Kritik der Philosophie, Frankfurt a.M. 1987. Man muss sich ver­ gegenwärtigen, dass da, wo in der deutschen Fassung von Darstellung, Vorstellung oder Stellvertretung die Rede ist, im Original representation steht (s. Nachw. des Übers, a. a. O. S. 428).

2. Auch in Niklas Luhmanns Theorie der modernen Gesellschaft dient der Reprä­ sentationsbegriff nur noch als historische Folie. Zwar rekonstruieren in dieser heu­ tigen Version der Monadologie die in sich geschlossenen Teilsysteme der modernen, funktional differenzierten Gesellschaft ihre Stellung in Bezug aufeinander durch Reflexion. Doch könne es keine Reflexion (mehr) geben, die ihre Partikularität zu transzendieren und die Gesellschaft als Ganzes in der Gesellschaft zu repräsentieren vermöge. Es existiere m. a. W. kein übergeordneter, mit dem Privileg der Repräsentation des Ganzen ausgestatteter Teil (Niklas Luhmann, Gesellschafts­ struktur und Semantik, Bd. 3, Frankfurt a.M. 1989, S. 138 ff., 212 ff.). „Eine solche Repräsentation gibt es nun nicht mehr“ (ders., Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt a.M. 1992, S. 479). Die Gesellschaft kann „keine Repräsentation der Ge­ sellschaft in der Gesellschaft vorsehen“, sondern setzt „jede Anmaßung in dieser Richtung der Beobachtung und Kritik“ durch andere Teilsysteme aus (ebd. S. 665). Solche Kritik führt aber niemals zur besseren Repräsentation der Gesellschaft, son­ dern nur zur Erhöhung der Komplexität des je eigenen Teilsystems. Das gilt ins­ besondere auch für das Teilsystem Wissenschaft. „Von Repräsentation kann nur die Rede sein, wenn irgendeine Ärt von struktureller Isomorphie von Außenweltfakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen angenommen wird. Eine solche Isomorphie wäre aber nirgendwo auf eine Weise feststellbar, die den wissenschaftlichen Er­ kenntnissen gerecht würde“ (ebd. S. 316). Und mit der Vorstellung, „dass das Sys­ tem Merkmale seiner Umwelt copiert“, fällt der „Begriff der Repräsentation“ (ebd. S. 317). 3. In diesem Zusammenhang ist schließlich die „Krise der ethnographischen Re­ präsentation“ zu erwähnen. Was geschieht eigentlich in der Vor- und Darstellung des Fremden, bei der Beschreibung der Gespräche der Fremden untereinander und mit dem Forscher, fragt sich das selbstreflexive postmoderne Bewusstsein. Siehe da­ zu Eberhard Berg und Martin Fuchs (Hg.), Kultur, soziale Praxis, Text - Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt/M. 1993, und darin bes. diess., Phänomenologie der Differenz - Reflexionsstufen ethnographischer Re­ präsentation, S. 11 — 108; Paul Rabinow, Repräsentationen sind soziale Tatsachen Moderne und Postmoderne in der Anthropologie, S. 158-199 (im Anschluss an Ror­

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ty); Johannes Ihbian, Präsenz und Repräsentation - Die Anderen und das anthro­ pologische Schreiben, S. 335-364.

ni. Von einer Krise der Repräsentation spricht auch Giuseppe Duso in der Neuauflage seines Buches über den Repräsentationsbegriff (s. vorne S. VII): La rappresentanza politica - Genesi e crisi del concetto, Mailand 2003. Neu ist jedoch nicht nur diese Akzentuierung im Untertitel, sondern auch das zweite Kapitel über Genese und Lo­ gik der neuzeitlichen Repräsentation (S. 55-119). Darin wird die Bildung des Be­ griffs repräsentativer Herrschaft als das politische Epochenmerkmal herausgearbei­ tet und gezeigt, dass und wie es auf einem bestimmten analytischen Sozialmodell beruht und mit ihm zusammenhängt. Insofern diese Form politischer Herrschaft als staatliche Herrschaft erscheint, muss das Modell repräsentativer Herrschaft in die Krise geraten, wenn das zugrundeliegende individualistische Sozialmodell die neuen Erscheinungen innerstaatlicher und überstaatlicher Herrschaftsteilung ideell nicht mehr überzeugend zu tragen vermag (s. dazu auch vom Verf.: Vom Wesen der Verfas­ sung, JöR 2003, S. 1 [14 ff.]). Im Hinblick darauf wäre § 19 dieses Buches („Repräsen­ tation und Herrschaft“, S. 374 ff.) weiter auszuarbeiten.

Ein weiteres neues Werk der Paduaner begriffsgeschichtlichen Schule betrifft Ni­ kolaus von Cues und damit § 17 dieses Buches: Repräsentation und Konsens - Die Stufenlehre des Nikolaus von Cues und dessen Begriff der Vermittlungs-Repräsen­ tation (unten S. 286-321). Es handelt sich um die Studie von Maurizio Merlo: Vin­ culum Concordiae - II problema della rappresentanza nel pensiero di Nicolo Cusano, Mailand 1997. Diese tiefschürfende Untersuchung lässt alle Versuche beiseite, das Werk des Cusaners im Blick auf eine vorausgesetzte Epochenschwelle zu inter­ pretieren. Statt der behaupteten Repräsentationen von Kirche und Reich kraft Macht und rechtlicher Regeln rückt Merlo die Repräsentationsbeziehungen oder Re­ präsentationsverhältnisse (rapporto di rappresentanza) bei Nikolaus von Cues in den Mittelpunkt und entdeckt ihren tragenden Grund in der allgemein mensch­ lichen, keineswegs den Gebildeten vorbehaltenen Fähigkeit schöpferischer Kons­ truktionen und Rekonstruktionen, die nicht an bestimmte Ermächtigungsakte ge­ bunden ist. Das bedeutet eine Vertiefung von messbarem Konsens oder formal fass­ barer Konkordanz im Sinne einer Philosophie des eine Menge bestimmenden Geis­ tes, was mich an Spinoza denken lässt und für die Moderne jedenfalls von großer Tragweite war. Was die Anfänge parlamentarischer Repräsentation und insbesondere die land­ ständische Repräsentation betrifft (unten § 18 IV, S. 342 ff.), so ist auf drei neuere Werke von Gewicht hinzuweisen.

Schon 1982 hatte es Rainer Walz in einer detaillierten, materialreichen Unter­ suchung der Landstände von Jülich-Berg im 16. und 17. Jh. unternommen, „Grund­ fragen der landständischen Verfassung wie Dualismus, Repräsentation und Funk­ tion der Stände bei der Entwicklung des frühmodemen Staates neu anzugehen“: Stände und frühmodemer Staat - Die Landstände von Jülich-Berg im 16. und 17. Jahrhundert, Neustadt/Aisch 1982, S. 1. Deshalb finden sich hier auch längere Ab­ schnitte über Repräsentationstheorien (S. 24 ff., 206 ff.). Walz kommt zu dem Ergeb­ nis, dass schon vor dem Werk des Württembergischen Vize-Kanzlers Myler von 1656 über Fürsten und Stände (dazu unten S. 346), nämlich zu Beginn des 17. Jhs., den Landständen v. a. im Steuerrecht Repräsentationscharakter i. S. genossenschaftlich­ korporationsrechtlicher Vertretung zugesprochen worden sei und dass Johann Jakob Moser in seiner Definition der Landstände als Vormünder bzw. Vorsteher des Lan­ des (dazu unten S. 346) „die beiden Repräsentationsbegriffe, die für die altstän­ dische Verfassung galten, den anstaltlichen und den genossenschaftlichen, (zusam­

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mengefasst habe)“, somit also den Abschluss einer Epoche, nicht einen Neuanfang markiere (a. a. O. S. 218 f., 242 f.).

Barbara Stollberg-Rilinger hat die Ergebnisse ihrer sehr umsichtigen und ein­ dringlichen, in vielen Punkten weiterführenden Untersuchungen (Vormünder des Volkes? - Konzepte landständischer Repräsentation in der Spätphase des Alten Rei­ ches, Berlin 1999) in sieben Punkten zusammengefasst (S. 298 ff.), die hier wenigs­ tens angedeutet seien. (1.) „Einen Anspruch auf politische Partizipation, der über die Wahrung von Einzelrechten hinausging, konnten die Stände ... nur... aufrecht­ erhalten, wenn sie nicht als Einzelne, sondern als geschlossene Korporation und mithin als Repräsentanten des Ganzen ... auftraten.“ Dieser Anspruch sei mit dem Gedanken der Identitätsrepräsentation und der pars-pro-toto-Repräsentation ge­ stützt worden (zur Entwicklung dieser Begriffe s. unten das 5. Kapitel, S. 191 ff.). Diese Fiktion habe also nicht wie heute der Konstituierung und Legitimierung einer Elite gedient, sondern nur den formalen Sinn gehabt, „die einzelnen ohnehin Kon­ sensberechtigten zu einer handlungsfähigen Einheit mit gemeinverbindlicher Ent­ scheidungskompetenz zusammenzuschließen“. - Siehe dazu auch § 14 VII u. VIII (S. 224 ff.) der vorliegenden Arbeit. - (2.) Dieses Prinzip korporativer Repräsentati­ on wurde aus ständischer Perspektive „mit dem Anspruch vormundschaftlicher Fürsorge für alle mittelbaren Untertanen verbunden - auch für die Domänenunter­ tanen des Landesherrn“ - gestützt auf den Begriff der „vormundschaftlichen Vertre­ tungsrepräsentation“. In dem Maße freilich, in dem es dem Landesherrn gelang, die Gestaltungsansprüche einer ,guten Policey‘ zu monopolisieren, mussten sich die Landstände „auf die juristische Wahrung der vertraglich garantierten korporativen Rechte ... beschränken“ - mit der Konsequenz allerdings, dass „Gemeinwohl“ und „Landesfreiheiten“ zunehmend in einen begrifflichen Gegensatz gerieten. (3.) „Das Naturrecht im Gefolge Pufendorfs stellte die Frage nach dem Verhältnis der Land­ stände zur Gesamtheit der Untertanen auf eine neue Grundlage ...“. Durch die Na­ turzustandsfiktion „von allen Anklängen an die historisch-empirischen Herr­ schaftsverträge gereinigt“ konnte die Idee eines GründungsVertrages aller Individu­ en oder Hausväter „die ständisch gestufte Verfassungsrealität begrifflich ... nivel­ lieren und die intermediären Gewalten ... entpolitisieren“. (4.) Darin lag ein Potential kritischer Delegitimation der angeblich stillschweigend Bevollmächtigten. Virulent wurde es infolge der Repräsentationsdebatten in Amerika, England und Frankreich und durch die außerordentlichen Kriegsbelastungen in den 1790er Jah­ ren. Bis 1806 scheiterten alle Reformvorstellungen jedoch an der rechtswahrenden Verfassung des Reichs. (5.) „Der klarste Bruch mit dem traditionellen Repräsentations- und Ständebegriff wurde aus der Perspektive der Reformbürokratie vollzogen, der es nicht um die institutionelle Kontrolle des Monarchen durch ständische Herr­ schaftsteilhabe ging, sondern vielmehr um genaue Information der Zentrale über die Bedürfnisse der Untertanen ...“. Ständische Repräsentation bedeutete danach die Artikulation bestimmter wirtschaftlicher Interessen des Staates. (6.) Um die Re­ formkonzepte als revolutionär zu diskreditieren wie um sie gegen solche Vorwürfe zu schützen, wurden die Grundkonflikte um Partizipationsansprüche einerseits und die Wahrung von Eigentumsrechten andererseits nach der Französischen Revolution „als Streit um die Geschichte der landständischen Verfassung ausgetragen.“ Als vorzügliches Medium der Auseinandersetzung erwies sich Justus Mösers ambivalen­ ter Repräsentationsbegriff auf der Grundlage seiner Konstruktion einer urdemokra­ tischen Wehrgenossenschaft freier Landeigentümer. (7.) Über die teils konservati­ ven, teils fortschrittlichen historischen Konstruktionen der „wahren“ Bedeutung landständischer Repräsentation geriet die ältere reichsrechtliche Verwendung des korporationsrechtlichen Repräsentationsbegriffs als eines formalen Zurechnungs­ prinzips in Vergessenheit.

Die Abschnitte IV und V in § 20 dieser Arbeit über die konstitutionelle Teilung der Repräsentation im 19. Jh. müssen jetzt im Lichte einer überaus gründlichen und klärenden Studie von Martin Kirsch gelesen werden: Monarch und Parlament im 19.

Einleitung zur 4. Auflage

8

Jahrhundert - Der monarchische Konstitutionalismus als europäischer Verfassungs­ typ - Frankreich im Vergleich, Göttingen 1999. Sie bestätigt die Einsicht Hartwig Brandts (s. unten S. 416 Anm. 55), dass die „harte“ Geschichte der Konstitutionen von der „weichen“ der ihnen vorausgehenden politischen Theorie zu unterscheiden und dass der Anteil ständischer Traditionen an der Ausgestaltung politischer Re­ präsentation in den frühkonstitutionellen Verfassungen gering zu bewerten sei. Auch nehme die Bedeutung des ideologisch so hochgezogenen monarchischen Prin­ zips in der Verfassungspraxis kontinuierlich ab (S. 311 ff.). Weit darüber hinaus geht die verfassungstheoretische Einsicht, dass die von Carl Schmitt und seinen Schülern behauptete Notwendigkeit homogener Konfiguration der Begriffe Repräsentation und Legitimation, politischer Entscheidung und Verfassung, die jede Teilung von Repräsentation und Legitimation ausschließe, in der europäischen Verfassungs­ geschichte des 19. Jhs. keine Stütze finde (S. 58 ff.). Zu „Kants Begriff der wahren Republik“ (s. unten § 20 III, S. 411 ff.) wäre jetzt Ulrich Thiele, Repräsentation und Autonomieprinzip - Kants Demokratiekritik und ihre Hintergründe, Berlin 2003, zu vergleichen.

Benedikt Haller hat auf der Grundlage seiner schon früher erwähnten vorzüg­ lichen Studie (vorne S. VII f.) den Art. Repräsentation II (Repräsentation in Politik und Recht) im Historischen Wörterbuch der Philosophie verfasst (a. a. O. Sp. 812-826) und bietet darin insbesondere zur Neuzeit (Sp. 816-826) eine ge­ drängte, gleichwohl aber nuancenreiche, über die in den §§ 19 und 20 dieses Buches behandelten Themen hinaus bis zur Gegenwart reichende Übersicht. Eine Zusam­ menstellung der jüngeren Lehrmeinungen enthält Johannes Kimme: Das Repräsen­ tativsystem, Berlin 1988. Mitten in die aktuelle verfassungspolitische Diskussion führen Simona Rossi (La rappresentanza nello stato costituzionale - La rapprensentazione degli interessi in Germania, Turin 2002) und Peter Häberles Versuch, in sei­ ner „Europäischen Verfassungslehre“ (Baden-Baden 2001/02) „Theorieelemente der spezifisch europäisch gefassten Idee von ,Repräsentation* zu entwerfen“ (S. 315). So soll die europäische Einheitsbildung in der „vertikalen“ Dimension des Repräsentationsbegriös durch eine Synthese idealistischer und realistischer Einheitskon­ zepte erfasst, daneben aber auch das Verständnis von Repräsentation als Herr­ schaftstechnik, Arbeitsteilung und Interessenvermittlung europaweit fruchtbar ge­ macht werden (S. 326 f.). Für das eine setzt Häberle auf europäische Prozesse der WerteVerwirklichung - „von der Kultur bis zum Umweltschutz, von der Menschen­ rechtsverwirklichung bis zur Bildung“ -, für das andere auf je besondere und doch gemeinsame Interessenwahmehmung seitens der Bürger, der repräsentativen natio­ nalen Parlamente (und wohl auch ihrer Parteien?), der EU-Verfassungsorgane und des Europäischen Parlaments kraft der vermittelnden, die Aspekte des euro­ päischen Gemeinwohls herausfilternden europäischen Öffentlichkeit. „Repräsen­ tation“ soll so dank des reichen historischen Bedeutungspotentials „vom alteuropäi­ schen über den nationalen Begriffshorizont zum gemeineuropäischen Prinzip guten Zusammenlebens“ werden (S. 328).

IV.

Die hier entworfene Skizze gegenwärtiger Repräsentationsdiskurse mag das an­ haltende Interesse an einem erneuten Nachdruck dieser offenbar weiterhin nütz­ lichen begriffsgeschichtlichen Untersuchung erklären. Fäst drei Jahrzehnte nach der ersten Veröffentlichung bietet die abermalige Neu­ auflage dem Verfasser die erfreuliche Gelegenheit, seinem Verleger Norbert Simon für die langjährige Betreuung dieses Werks (wie anderer Arbeiten) Dank zu sagen.

Würzburg, im März 2003

Hasso Hofmann

Inhaltsübersicht Einleitung

§ 1. Der Begriff der Repräsentation — ein deutsches Problem? .............. § 2. Zum Stand der Diskussion und zur Aufgabenstellung ......................

15 29

Erster Teil

Zur antiken und mittelalterlichen Wortgeschichte

1. Kapitel Repraesentare und repraesentatio in der römischen Literatur, in der klassischen Jurisprudenz und in der älteren Patristik

§ 3. § 4.

Römische Literatur und Jurisprudenz ..................................................... 38 Tertullian .......................................................................................................... 47 I. Repräsentativcharakter der frühchristlichen Synoden und der römischen Provinziallandtage? ...................................................... 49 II. Die Repräsentation des Herrnleibs .................................................. 58

2. Kapitel Eucharistische Repräsentation

§ 5. Der Berengarsche Abendmahlsstreit .......................................................... 65 § 6. Die eucharistische Repräsentationsformel bei Thomas von Aquin .. 73 § 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie .. 80 I. Die repräsentierende Spezies in der scholastischen Wahrneh­ mungslehre ........................................................................................... 81 II. Erkenntnistheoretische Repräsentation .......................................... 87 III. Der Repräsentationsbegriff bei Leibniz.......................................... 92 IV. Psychologie und Ontologie des Erfassens der Außenwelt .... 98 3. Kapitel

Rechtssprache in der Spätantike und im frühen Mittelalter

§ 8. Die Sprache der kaiserlichen Konstitutionen ...................................... 102 § 9. Die germanischen Volksrechte ................................................................... 110

10

Inhaltsübersicht Zweiter Teil

Der Ausdruck „Repräsentation“ in der juristischen, ekklesiologischen und politischen Terminologie des späten Mittelalters und der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert

4. Kapitel

Repräsentation und Stellvertretung § 10. Vorbemerkung

................................................................................................... 116

§11 . Corpus mysticum und persona repraesentata ................................... 118 I. Das Wort Repräsentation und die Bedeutung der Stellver­ tretung .................................................................................................. 118 II. Repräsentation: Vertretung des corpus mysticum Christi? .. 121 III. Die Lehre von der persona repraesentata .................................. 132 IV. Zusammenfassung .................................................................................. 145

§ 12. Repräsentation und Stellvertretung .......................................................... 148 I. Stellvertretung im römischen Recht .............................................. 148 II. Die Behandlung des Problems im Mittelalter .......................... 152 III. Repräsentation: Fachausdruck der unmittelbaren Stellver­

tretung ............................................................................................... 156 IV. Der sprachgeschichtliche Hintergrund der Meßliturgie .......... 165 § 13. Repräsentation: Verkörperung einer Rolle — Der Terminus Reprä­ sentation im Erbrecht und im Völkerrecht ............................ 167 I. Rollenspiel und Status-Repräsentation .......................................... 167 II. Das ius repraesentationis im Erbrecht .......................................... 170 III. Völkerrechtliche Repräsentation ...................................................... 178

5. Kapitel Repraesentatio identitatis

§ 14. Kollegiale Verkörperung einer Vielheit — Die korporationstheoreti­ sche Gleichsetzung eines Teils mit dem Ganzen............................ 191 I. Der Defensor pads des Marsilius von Padua: Volkssouveräni­ tät und Repräsentativsystem im Mittelalter? .......................... 191 II. Stadt und Staat ....................................................................................... 202 III. Der Begriff der valentior pars .......................................................... 209 IV. Arten der Repräsentation nach Johannes von Segovia .......... 211 V. „Identitätsrepräsentation“ .................................................................. 214 VI. Kollegiale Repräsentation der Stadtkommune und Mehrheits­ prinzip ............................................................................................... 219 VII. Konvergenz im Gedanken der permanenten Beschlußkörper­ schaft .................................................................................................. 224 VIII. Die Lehre vom Kurfürstenkollegium bei Lupoid von Beben­ burg, Wilhelm von Ockham und Konrad von Megenberg .... 225

Inhaltsübersicht

11

§ 15. Wilhelm von Ockhams kirchenpolitische Kritik an Marsilius von Padua — Die Idee der Organschaft............................................................... 236 §16

. Repräsentation der versammelten Gemeinde — Der Gedanke der Identitätsrepräsentation in der konziliaren Bewegung ...................... 248 I. Ockham und der Konziliarismus ...................................................... 248 II. Konziliarismus: Kirchlicher Konstitutionalismus?........................ 252 III. Die innerkirchlichen Ursprünge ...................................................... 256 IV. Der Konzilsgedanke bei Konrad von Gelnhausen und Heinrich von Langenstein: Antwort auf das Schisma........................... 261 V. Korporationstheoretische Voraussetzungen und Konsequenzen 264 VI. Struktur und Funktion der Reformkonzilien .............................. 271 VII. Antik-korporationsrechtliches und orientalisch-hierokratisches Verständnis der Corpus-caput-Metapher: Die antikonziliaristische Restauration des Papsttums ..................................... 281

6. Kapitel

Repräsentation und Herrschaft § 17. Repräsentation und Konsens — Die Stufenlehre des Nikolaus von Cues und dessen Begriff der Vermittlungs-Repräsentation.............. 286 I. Der synthetische Charakter der Reformschrift De concordantia catholica ............................................................................................... 286 II. Der Ausgangspunkt: Supremat des Konzils .............................. 290 III. Das Papsttum in der Concordantia catholica .............................. 294 IV. Die doppelte Repräsentation der Kirche ...................................... 297 V. Repräsentation und Konsens............................................................... 301 VI. Die Stufen der Einheit........................................................................... 306 VII. Des Cusaners kirchenpolitische Schwenkung: Der Papst als Haupt und complicatio der Kirche ......................................... 313 VIII. Kardinalskollegium und Fürstenrat .............................................. 316

§ 18. Über I. II. III. IV. V. VI.

die Anfänge parlamentarischer Repräsentation.......................... 321 Konziliarismus und Parlamentarismus ........................................... 321 Der Locus de synodis in der lutherischen Orthodoxie.............. 328 Die Konzilsauffassung der reformierten Theologie .................. 336 Das englische Modell ........................................................................... 338 Landständische Repräsentation........................................................... 342 Althusius: Die Lehre von der doppelten Repräsentation.......... 358

§ 19. Repräsentation der Staatsperson................................................................... I. Monarchische Repräsentation .......................................................... II. Hugo Grotius ........................................................................................... III. Johann Christoph Beckmann: Repräsentationder Staatsperson IV. Hobbes ....................................................................................................... V. Emer de Vattel ....................................................................................... VI. Staatsrepräsentantschaft und Repräsentativgewalt ..................

374 374 375 377 382 392 393

12

Inhaltsübersicht VII. Verinnerlichung des Begriffs der Staatsrepräsentation in der deutschen Frühromantik............................................................. 397 VIII. Das Repräsentationsrecht des Staatsoberhaupts.......................... 402

§ 20. Um den Repräsentationsbegriff der Französischen Revolution .... 406 I. Sieyes und die französische Verfassung von 1791 ...................... 406 II. Deutsches Echo ....................................................................................... 409 III. Kants Begriff der wahren Republik .............................................. 411 IV. Die konstitutionelle Teilung der Repräsentation zwischen Monarchie und Bürgertum in Frankreich — Revolutionäre Kritik ................................................................................................... 414 V. Repräsentativsystem und monarchisches Prinzip ............... 416 VI. Repräsentation als Organisation der Vernunftherrschaft: Guizot und die Doktrinäre ....................................................................... 440 VII. Karl von Rottecks natürliche Repräsentation derNation .... 446 VIII. Aktuelle und virtuelle Repräsentation: Edmund Burke.......... 454 Namenregister ............................................................................................................... 463

ÄbkürzungB Verzeichnis AcP AfGP AöR APSR ArchKulturgesch. ArchVR ARSP CC Cod. Just.

Cod. Th. CSEL

CUF DA Dig.

DÖV DThA

DVLG Enchiridion

FraS GWU Hist. Jb. HVS HZ MA MFC

MGH MIÖG NA

Archiv für die civilistische Praxis Archiv für Geschichte der Philosophie Archiv des öffentlichen Rechts The American Political Science Review Archiv für Kulturgeschichte Archiv des Völkerrechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Corpus Christianorum, Series Latina, Turnhout 1954 ff. Codex Justinianus recogn. Paulus Krueger, Berolini 1877; in: Corpus iuris civilis, Vol. II Theodosiani libri VI cum constitutionibus Sirmondianis, ed. Theodor Mommsen, Berolini 1905 Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, ed. Aca­ demia litterarum caesarea Vindobonensis, Vindobonae 1866 ff. Collection des Universites de France Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters Digesta recogn. Theodorus Mommsen, Berolini 1872; in: Corpus iuris civilis, Vol. I Die öffentliche Verwaltung Die deutsche Thomas-Ausgabe. Summa theologica (lat. u. deutsch), Salzburg, Heidelberg, München, Graz, Wien, Köln 1933 ff. Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Henricus Denzinger / Adolf us Schönmetzer: Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, Ed. XXXII, Freiburg i. Br. 1963 Franziskanische Studien (Werl/Westf.; Münster/Westf.) Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft Historische Vierteljahrsschrift Historische Zeitschrift Mittelalter Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft, Mainz Monumenta Germaniae Historica Mitteilungen des Instituts für Oesterreichische Geschichts­ forschung Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Ge­ schichtskunde

14 NHJb. ÖArchKR Philos. Jb. PL

Abkürzungsverzeichnis

Neue Heidelberger Jahrbücher, Neue Folge

österreichisches Archiv für Kirchenrecht Philosophisches Jahrbuch der Görresgesellschaft Patrologia cursus completus, series Latina, accurante I. P. Migne, Paris 1844 ff. PVS Politische Vierteljahresschrift Qu. u. St. Quellen und Studien zur Verfassungsgeschichte des Deut­ schen Reiches in Mittelalter und Neuzeit RGG Religion in Geschichte und Gegenwart, hrsg. v. K. Galling, 6 Bde., 3. Aufl., Tübingen 1957 - 62 RLACh. Reallexikon für Antike und Christentum, hrsg. v. Th. Kiauser, Leipzig, dann Stuttgart 1941 ff. RTA Deutsche Reichstagsakten SBAW Sitzungsberichte der Königl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, philos.-philolog. u. hist. Klasse, bzw. der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philos.-hist. Abt. (München) Schmöllers Jb. Schmöllers Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reiche Scholastik Scholastik — Vierteljahresschrift für Theologie und Philo­ sophie, Eupen/Belgien (Eupen) Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissen­ SHAW schaften, philos.-hist. Klasse (Heidelberg) Sitzungsberichte der (Königlichen) Preußischen Akademie SPAW der Wissenschaften, philos.-hist. Klasse (Berlin) Texte u. Unters. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchrist­ lichen Literatur Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsge­ Unters. schichte Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staats­ WDStRL rechtslehrer Wege der Forschung WdF Zeitschrift für Deutsche Geisteswissenschaft ZfDGeistWiss. Zeitschrift für Kirchengeschichte ZfKG Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft ZgStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZgesStrW ZKirchR Zeitschrift für Kirchenrecht ZPolit. Zeitschrift für Politik ZRG Germ. Abt. Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Ger­ manistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, KaZRG Kan. Abt. nonistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Ro­ ZRG Rom. Abt. manistische Abteilung

ZVglRWiss.

Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft

ZVölkR

Zeitschrift für Völkerrecht

Einleitung § 1. Der Begriff der Repräsentation — ein deutsches Problem?

Wo Repräsentation zum Gegenstand phänomenologischer staatstheoretischer Wesensschau gemacht1 und die „Dialektik der Repräsenta­ tion“2 bedacht wird, wo Repräsentation als ein zwischen Autonomie und Autorität vermittelnder Herrschaftsgrundsatz erscheint3 oder als fun­ damentales politisches Formprinzip in theoretischen Gegensatz zur angeblichen demokratischen Identität von Herrschenden und Be­ herrschten tritt4 und Repräsentieren* folglich so viel wie »herrschen* heißen soll5, wo man im Begriff der Repräsentation den Kern des Problems der modernen Verzahnung von Staat und Gesellschaft er­ kennt6 und eine „unentbehrliche Kategorie ... zur Erhellung der gegenwärtigen Verfassungslage“ sieht7, wo die „Unvereinbarkeit von 1 Vgl. Gerhard Leibholz: Das Wesen der Repräsentation und der Gestalt­ wandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 3. Aufl., Berlin 1966 (1. Aufl. 1929), S. 13 ff. 2 Ebd. S. 26. Ebenso schon Carl Schmitt: Verfassungslehre, 3. Aufl., Berlin 1957 (unveränderter Neudr. d. Erstausg. München u. Leipzig 1928), S. 209 f.: „Die Dialektik des Begriffes liegt darin, daß das Unsichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht wird.“ — Schmitt fol­ gend Joseph H. Kaiser: Die Dialektik der Repräsentation, Festschr. f. Carl Schmitt, Berlin 1959, S. 71-80; jetzt auch in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, hrsg. v. Heinz Rausch (Wege der Forschung CLXXXIV), Darmstadt 1968, S. 470 - 481. — Vgl. jetzt auch Hans Pollmann: Repräsentation und Organschaft — Eine Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Stellung des Bundesrates der Bundesrepublik Deutschland (Schriften zum öffentl. Recht 89), Berlin 1969, S. 40 ff. 8 Max Imboden: Politische Systeme, in: Politische Systeme — Staatsfor­ men, Neudr. in einem Bd., Basel u. Stuttgart 1964, S. 3 - 130 (107 ff.). 4 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 204 ff. 5 Vgl. Otto Kimminich, WDStRL 25 (1967) S. 255. Alle Repräsentations­ verhältnisse als HerrschaftsVerhältnisse (im Bereich der Verbandsherrschaft) definiert hat zuerst Max Weber (Wirtschaft und Gesellschaft, neu hrsg. v. Johannes Winckelmann, 4. Aufl., Tübingen 1956, S. 171), indem er die Be­ deutung von Repräsentation in seiner Lehre von den Typen der Herrschaft dahin festlegte, „daß das Handeln bestimmter Verbandszugehöriger (Ver­ treter) den übrigen zugerechnet wird oder von ihnen gegen sich als ,legitim' geschehen und für sie verbindlich gelten gelassen werden soll und tatsächlich wird“. 6 So Rüdiger Altmann: Zur Rechtsstellung der öffentlichen Verbände, ZPolit. NF 2 (1955) S. 211 - 227 (226). 7 J. H. Kaiser, Dialektik der Repräsentation, aaO (N. 2) S. 72.

16

Einleitung

Repräsentation und Souveränität“ behauptet wird8 und die „Idee der Repräsentation“ andererseits als „ein wesentliches, wenn nicht sogar das entscheidende Bildungsgesetz des modernen Staates“ gilt und schlechthin vom „Staat als Repräsentation“ die Rede ist, insofern die Idee der Repräsentation neben dem Modell des Wettbewerbs als „die zweite große Konzeption weltlich-tätiger Gewinnung der Richtigkeit“ gedacht wird9, wo der Name der Repräsentation für „das Zentral­ problem einer Theorie der Politik“ steht10, wo der Satz Rousseaus, dem­ zufolge der Wille unvertretbar ist (La volonte ne se represente pas), als der „größte und folgenschwerste staatstheoretische Irrtum“ gilt, „der je ausgesprochen wurde“, insofern der Begriff der Repräsentation „eine der entscheidenden Grundkategorien alles geistigen und Wert­ verhaltens“11 sei — da steht die Bedeutsamkeit dieser Kategorie außer Frage. Nicht so deren Bedeutung. Im Gegenteil. So ist ein Satz wie der, daß der Terminus »Repräsentation* eine allgemein anerkannte Bedeu­ tung habe (that term has a generally understood meaning)12, insofern er auf jeden Fall eine fundamentale demokratische Relation meine18, überzeugend nur in seinem amerikanischen Kontext. Im Deutschen gibt es einen solchen terminologischen Konsens nicht. Am ehesten noch besteht negative Übereinstimmung darüber, daß jene in der revolutio­ nären Tradition Frankreichs und der Vereinigten Staaten wurzelnde Auffassung — welche Repräsentation in dem ausschließlichen Sinn der repräsentativen Demokratie als Inbegriff wahlweise und auf Zeit anvertrauter und so demokratisch legitimierter wie rechtsstaatlich limitierter Amtsbefugnisse, als moderne revolutionäre Erfindung eines Verfahrens versteht, mit dessen Hilfe eine wirkliche Volksregierung organisiert werden könne, indem auf diese Weise the will of the largest 8 Siegfried Landshut: Der politische Begriff der Repräsentation, Ham­ burger Jahrb. f. Wirtschafts- u. Gesellschaftspolitik 9 (1964) S. 175 - 186 (178); jetzt auch in: Kritik der Soziologie und andere Schriften zur Politik (POLITICA 27), Neuwied a. Rh. u. Berlin 1969, S. 347-360; ferner in dem von Rausch hrsg. Sammelbd. (N. 2) S. 482 - 497. 9 Herbert Krüger: Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1964 (2. Aufl. 1966), S. 232 ff. (236, 238). 10 Eric Voegelin: Die Neue Wissenschaft der Politik, 2. Aufl., München 1965, S. 17. 11 Erich Kaufmann: Zur Problematik des Volkswillens (1931), in: Gesam­ melte Schriften, Bd. III, Göttingen 1960, S. 272 - 284 (275 f.). 12 Charles E. Gilbert: Operative Doctrines of Representation, APSR 57 (1963) S. 604 - 618 (604); dt. u. d. T. „Die Repräsentation in der modernen Lehre“ in dem in N. 2 angeführten Sammelbd. S. 510 - 550. 18 Ebd.: ... the term representation itself surely stands for a basic demo­ cratic relation. Vgl. Alfred de Grazia: Public and Republic — Political Repre­ sentation in America, New York 1951, S. 3: When an American thinks of representation, he generally thinks of his vote. — Siehe auch Herman Finer: Theory and Practice of Modern Government, New York 1949, dt. u. d. T.: Der moderne Staat — Theorie und Praxis (Internationale sozialwiss. Bibliothek 2 - 4). Bd. 2. Stuttgart / Düsseldorf 1958, S. 8 ff.

§ 1. Der Begriff der Repräsentation — ein deutsches Problem?

17

political body may be concentered and its force directed to any object which the public good requires1* —, daß diese Doktrin in ihrer angeb­ lich vordergründigen Technizität die eigentlichen und wesentlichen Dimensionen der Repräsentations-Kategorie verkenne. Darüber hinaus wird dem Wort Repräsentation, wie sich schon andeutete, nicht selten eine ausgesprochen antidemokratische Bedeutung beigelegt. So erklärt Carl Schmitts ungemein weit wirkende Verfassungslehre das „Reprä­ sentative“ für das ausgeprägt „Nichtdemokratische“ an der sogenannten repräsentativen Demokratie15. Weil ,Repräsentation* einer kritikent­ rückten Wesensschau des Staates sich im Gegensatz zur bloß (rechts)geschäftlichen Vertretung ausschließlich als Reproduktion ideeller Werte zeigt, soll der Repräsentant kraft dieses Wertes und daraus emanierender persönlicher Würde allemal Herr, nicht Diener sein, womit die alte Rousseausche, von Max Weber erneuerte herrschafts­ soziologische These über das tatsächliche Verhältnis zwischen Parla­ mentsabgeordneten und ihren Wählern dergestalt zur Norm gemacht wird, daß der Anspruch der Repräsentation, jeder demokratischen Funktionselite entzogen, einer exklusiven bildungsbürgerlichen Wert­ elite vorbehalten bleibt16. Was westlich orientiertem politischen Denken als epochale „Erfindung“ gilt, welche „für die politische Entwicklung des Westens und damit der Weit ebenso entscheidend war wie die technischen Erfindungen des Dampfes, der Elektrizität, des Verbren­ nungsmotors oder der Atomkraft“, insofern sie die Zähmung des Leviathan durch funktionelle Aufspaltung ermöglicht, dieser notwen­ dige Zusammenhang von (demokratisch gedachter) Repräsentation, Volkssouveränität und Gewaltenteilung17 erscheint in der Perspektive

14 The Federalist Papers, Nr. 14 (James Madison), zit. nach der Ausg. der Mentor Books, New York 1961, S. 98 f. — In diesem Sinn Karl Loewenstein: Political Power and the Governmental Process, Chicago 1957; dt. u. d. T.: Verfassungslehre, Tübingen 1959 (2. Aufl. 1969), S. 37 f. Vgl. dazu Dolf Stemberger: Die Erfindung der ,Repräsentativen Demokratie4. Eine Unter­ suchung von Thomas Paines Verfassungs-Ideen, in ders.: Nicht alle Staats­ gewalt geht vom Volke aus — Studien über Repräsentation, Vorschlag und Wahl, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1971, S. 59 - 81 (62, 65). 15 Verfassungslehre, S. 218. Zur Repräsentationslehre C. Schmitts im ein­ zelnen vgl. vom Verf.: Legitimität gegen Legalität — Der Weg der politi­ schen Philosophie Carl Schmitts (POLITICA 19), Neuwied u. Berlin 1964, S. 150 ff. 16 So Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 32 ff. (34), 73; vgl. S. 166. Zu den Begriffen Wert- und Funktionselite Otto Stammer: Das Eliteproblem in der Demokratie, Schmöllers Jb. 71 (1951) S. 513-540; ders.: Zum Eliten­ begriff in der Demokratieforschung, Festschr. f. Joachim Tiburtius, Berlin 1964, S. 67 -80; beide Aufsätze jetzt in ders.: Politische Soziologie und Demokratieforschung — Ausgewählte Reden und Aufsätze zur Soziologie und Politik, Berlin 1965, S. 63 - 90 (70 ff.) bzw. S. 169 - 182 (176 ff.). 17 Loewenstein, Verfassungslehre, S. 35: „Die Konzeption der geteilten Macht ist wesensnotwendig mit der Theorie und der Praxis der Repräsen­ tation und der auf ihr fußenden Regierungstechnik verbunden.“ 2 Hofmann

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Einleitung

bodenständiger Tradition als geschichtlich kontingent18, und diese ganze Betrachtungsweise überhaupt als „unergiebig“, weil von bloß „techni­ schem“ Verständnis19. Entschlossen reklamiert, ja beschwört die deut­ sche „Allgemeine Staatslehre“, wo sie bewußt zwischen politischer So­ ziologie und verfassungsrechtlicher Dogmatik sich zu behaupten sucht20, ,Repräsentation* zumindest als eine „ontologische“, hauptsächlich aber — einen Aspekt verantwortlicher und d. h., von allen förmlichen Kon­ trollmechanismen abgesehen, ja immer auch: durch den Zwang öffent­ licher Darstellung bis zu einem gewissen Grade stilisierter und diszipli­ nierter Herrschaft verabsolutierend und charakteristischerweise ins Innerliche kehrend — als ethische Kategorie, als Idee der Selbstvollen­ dung: ich meine Herbert Krügers etatistische Projektion der patrioti­ schen Gemeinde pietistischer Abkunft, in der er die objektive Sieyessche Apotheose bürgerlicher Arbeits- und Rollenverteilung im Geiste reformatorischer Tradition internalisiert21. Dabei verleugnet jene »On­ tologie*, für die Repräsentation kein geregeltes Verfahren, sondern etwas „Existenzielles** ist, verleugnet die »Ontologie* der Schmittschen Verfassungslehre, wonach „repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar machen und vergegen­ wärtigen“, so daß „in der Repräsentation ... eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung (kommt)“22 — ihre im vollen Wortsinn barocke Herkunft durchaus nicht. Carl Schmitt selbst betont in sehr einleuchtender Weise, gerade der Absolutismus habe diesen Gedanken der Repräsentation „sehr klar und stark erfaßt und erst dadurch die Übertragungen der französischen Revolution und des 19. Jahrhunderts (vom Monarchen auf die gewählte Volksvertretung) ermöglicht**23. Dem­ zufolge macht uns denn auch ein Repräsentationsbegriff wie derjenige 18 Vgl. Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 61 f., 78. 19 So Herb. Krüger, Allg. Staatslehre, S. 236. 20 Da der juristische Lehrbetrieb einen gewissen Kanon von Gegenstän­ den und mehr oder weniger formalen Begriffen dieses Faches tradiert, las­ sen sich „Allgemeine Staatslehren“ natürlich auch heute noch ohne jedes wissenschaftstheoretisches Problembewußtsein herstellen. 21 Vgl. Krüger, Allg. Staatslehre, S. 232 ff. Siehe zu Krügers Lehre auch H. J. Wolffs Begriff der Selbst-Repräsentation (Theorie der Vertretung — unten N. 49 — S. 84 f.). Dabei ist die darin eingeschlossene, schon von Georg Simmel (Soziologie, Leipzig 1908, S. 539) formulierte Erkenntnis durch­ aus anzuerkennen, daß nämlich „sowohl Individuen wie Gruppen erhebliche Kräfte und Forderungen aus Gebilden beziehen, welche sie selbst mit den dazu erforderlichen Energien und Qualitäten ausgerüstet haben“. 22 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 f. 28 Ebd. S. 214. Vgl. auch ders.: Römischer Katholizismus und politische Form, 2. Aufl. (Der katholische Gedanke 13), München/Rom 1925. 1933 hat C. Schmitt dann, da er im ,artgleichen Führertum4 das Identitätsprinzip ab­ solut gesetzt sah, die Repräsentationsidee ausdrücklich als einen „barocken Gedanken“ verworfen: Staat, Bewegung, Volk — Die Dreigliederung der politischen Einheit (Der Deutsche Staat der Gegenwart 1), Hamburg 1933, S. 42.

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des Thomas Hobbes, wonach der Souverän den Staat repräsentiert, insofern er die politische Einheit des Volkes durch seine Verkörperung herstellt, keinerlei Schwierigkeiten, während dem Angelsachsen eine solche Verwendung des Ausdrucks Repräsentation wenigstens aufs erste einigermaßen anstößig scheinen muß24. Niemand bevollmächtigt doch den Hobbesschen Souverän wie ein Wähler seinen Abgeordneten: All do not authorize him to act as a representative in any literal mean­ ing of the term .. ,25. Daß Hobbes den Terminus Repräsentation ver­ wendet, kann demnach nur Taktik sein: ... neither consent nor repre­ sentation is really germane to Hobbes’ thesis and they are included only for their persuasive power2*.

Bei aller Vielfalt im einzelnen fällt innerhalb der jüngeren deutschen staatstheoretischen Behandlung des Repräsentationsbegriffs im Gegen­ satz dazu die negative Übereinstimmung in dem Bestreben auf, den Mandatsgedanken beiseite zu schieben oder ganz zu eliminieren — un­ ter weidlicher Ausnutzung der sprachlichen Alternative von »Vertre­ tung* und »Repräsentation*. Wobei man sich mitunter gar dazu verstie­ gen hat, die französische und die italienische, vor allem aber die angel­ sächsische Literatur des „rechtsirrigen Sprachgebrauchs“ zu bezichtigen, weil die Worte representation, rappresentanza, representation dort ebenso für den Tatbestand geschäftlicher Stellvertretung wie für den Vorgang der Vergegenwärtigung eines ideellen Wertes, also für den besonderen Tatbestand der Repräsentation in jenem »ontologischen* Sinne verwendet werden27. In der Tat ist es ja so, daß nach deutschem Verfassungsrechtsverständnis zwischen Volk und sogenannter Volks­ vertretung, zwischen Volk und Parlament — diesem Muster institutio­ nalisierter Repräsentation — kein Rechtsverhältnis besteht — weder in der Form eines Organschaftsverhältnisses noch über die juristische Konstruktion der Unterscheidung von Rechtsträgerschaft und -ausübung. Rechtlich ist der Wille des Parlaments allein dem Staat (und nur politisch-ideologisch dem Volke) zuzurechnen. In diesem Punkte unterscheidet sich die Verfassungsrechtsdogmatik unter dem Bonner 24 Vgl. dazu Hanna Fenichel Pitkin: Hobbes’s Concept of Representation, APSR 58 (1964) S. 328-340, 902-918. Siehe jetzt diess.: The Concept of Representation, Berkeley and Los Angeles 1967, S. 14 ff. 25 Morton A. Kaplan: How Sovereign Is Hobbes’ Sovereign? The Western Political Quarterly 9 (1956) S. 389 - 405 (395). 28 Ebd. S. 399. Jüngst ist da freilich auch in den Vereinigten Staaten einiges in Bewegung gekommen. Man vgl. bes. die Beiträge von Pennock, Diggs, Pitkin und Mansfield in dem von J. Roland Pennock u. John W. Chapman hrsg. Band: Representation (Nomos X), New York 1968. Harvey C. Mans­ field, Jr. (Modern and Medieval Representation ebd. S. 55 - 82 [80 f.]) spricht dort jetzt von Hobbes’ Modernität. 27 So kein geringerer als Leibholz (Wesen der Repräsentation, S. 32 ff. [34]). 2*

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Grundgesetz28 nicht vom staatsrechtlichen Positivismus des BismarckReiches, der die Rechte und Pflichten der Abgeordneten in gleicher Weise allenfalls auf ein „Mandat der Verfassung“, nicht aber auf ein solches der Wähler zurückführte29. Mit seiner an der westeuropäischen Entwicklung orientierten und damit zugleich mehr traditionellen Defi­ nition der Repräsentation als „Vertretung im staatlichen Sinne“ blieb schon Robert v. Mohl30 „Außenseiter“81. Und G. Jellineks für die deut­ sche Sonderentwicklung82 in zweifacher Hinsicht signifikanter Versuch, mit einer spezifisch „deutschen“, das meint: ,organologischen‘ Theorie der Repräsentation (mit der These nämlich, die Volksvertretung sei „sekundäres Organ“, d. h. Organ eines primären Organs, Organ des als Staatsorgan gedachten Volkes) zwischen den westlichen Vorstellungen von der Rechtsübertragung durch die Wähler auf die Abgeordneten und von der indirekten Gewaltausübung einerseits und der staatsrecht­ lichen Doktrin des Zweiten Reiches auf der anderen Seite zu vermit­ teln33, welche mit der Zurückweisung der „irreführende(n) Bezeichnung Volksvertretung“ für den unmittelbar und allein durch die Verfassung als „Organ des Reiches“ konstituierten Reichstag das Staatsrecht in gefährlicher Weise seiner politischen Dimension zu berauben unter­ nahm34, wurde eine leichte Beute normlogischer Kritik35. 28 Hingewiesen sei nur auf die führende Kommentierung des Art. 38 GG von Peter Badura in der Neubearb. des sog. Bonner Kommentars von 1966 (Rdn. 31 ff.). 29 Karl Rieker: Die rechtliche Natur der modernen StaatsVertretung, Zeitschr. f. Litteratur u. Gesch. d. Staatswissenschaften 2 (1894) S. 14 - 67 (55 N. 4). In ähnlicher Weise wird das freie Mandat anderwärts (Gustav Seidler: Ueber den Gegensatz des imperativen und freien Mandates der Volksvertreter, Grünhuts Zeitschr. f. d. Privat- u. öffentl. Recht 24 [1897] S. 123 -127 [126 f.]) insofern als notwendiger Ausdruck des Repräsentativsystems be­ zeichnet, als Abgeordnete eben überhaupt keine Vertreter, sondern kraft der Verfassung Staatsorgane seien. Mit vollem Recht bezeichnete Georg Jellinek diese Auffassung gegenüber der älteren Mandatstheorie unter Berufung auf Laband, v. Seydel und H. Schulze als die herrschende Meinung seiner Zeit: Allgemeine Staatslehre, 7. Neudr. d. 3. Aufl., Darmstadt 1960, S. 580 f. (1. Aufl. 1900). 30 Robert v. Mohl: Der Gedanke der Repräsentation im Verhältnisse zu der gesammten Staatenweit, in: Staatsrecht, Völkerrecht und Politik, Bd. I, Graz 1962 (Nachdr. d. Ausg. Tübingen 1860), S. 3-32 (8f.): „...diejenige Ein­ richtung ..., vermöge welcher der einem Theile oder der Gesammtheit der Unterthanen zustehende Einfluß auf Staatsgeschäfte durch eine kleinere Anzahl aus der Mitte der Betheiligten, in ihrem Namen und verpflichtend für sie besorgt wird“. 31 Hartwig Brandt: Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz — Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips (POLITICA 31), Neuwied u. Berlin 1968, S. 235, 242 ff. Siehe auch Erich Angermann: Robert von Mohl 1799 - 1875 — Leben und Werk eines altliberalen Staats­ gelehrten (POLITICA 8), Neuwied 1962, S. 388 ff. 32 Vgl. dazu die Hinweise zum Schluß meines Beitrags: Jacob Burckhardt und Friedrich Nietzsche als Kritiker des Bismarckreiches, Der Staat 10 (1971) S. 433 - 453. 33 G. Jellinek, Allg. Staatslehre, S. 566 ff. (577 mit N. 2), 580 ff., 584 ff.

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Freilich reichen die für unser Repräsentationsverständnis maßgeb­ lichen Fixierungen über den staatsrechtlichen Positivismus hinaus und gehen tiefer. Der Umstand, daß der Terminus Repräsentation solcherart schier funktionslos wurde, muß als letzte Konsequenz gewisser alt­ liberaler Vorstellungen und d. h.: im Zusammenhang mit den Verfor­ mungen gesehen werden, welche die Vorstellung parlamentarischer Repräsentation unter der Herrschaft des sog. monarchischen Prinzips mit seiner Perpetuierung der barocken Repräsentationsidee im deut­ schen Konstitutionalismus erfahren hat. Im übrigen geschah die den Vertretungsgedanken in so charakteristischer Weise übersteigende ,on­ tologische4 Befreiung und Wiederbelebung des Repräsentationsgedan­ kens Ende der zwanziger Jahre ja ausdrücklich im Rückgriff auf jene älteren, vorpositivistischen Ideen. Nicht zufällig natürlich und nicht erst seit dem Sieg des staatsrecht­ lichen Positivismus konzentriert sich unsere Repräsentations-Diskus­ sion in dem engeren Begriffsrahmen des Repräsentativsystems in hohem Maße auf das Verhältnis von Legislative und Exekutive und läßt das Feld der Beziehungen und Probleme zwischen Aktivbürger­ schaft und Parlamentsmitgliedern weithin unbeackert: Konsequenz des deutschkonstitutionellen Dualismus, der seinerseits den altständi­ schen konservierte und dessen korporationstheoretische corpus-caputSchematik auch noch die tiefgreifenden Veränderungen durch das parlamentarische Prinzip überdauert hat. Und in der bekannten Lehre von der angeblichen Begriffsnotwendigkeit eines Adressaten jeder Repräsentation beansprucht die konkrete historische Erfahrung parla­ mentarischer Vertretung des Volkes oder seiner Privilegierten gegen­ über dem Landesherrn den Rang einer abstrakten staatstheoretischen Aussage86. Überhaupt sind Behauptung begriffsnotwendiger Konse84 Vgl. Paul Laband: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl., 1. Bd., Tübingen u. Leipzig 1901, S. 272 f. Andererseits macht L. deutlich, zu welcher Art von Repräsentationsvorstellung die Theorie der Organschaft das Kom­ plementärstück abgibt. Er schreibt (S. 273): „Die philosophisch-historischpolitische Betrachtung mag sich daran halten, daß das ,Volksethos*, ,der lebendig wirkende Nationalgeist*, ,das sittliche Bewußtsein des Volkes* durch den Reichstag zum Ausdruck kommen; die juristische Bestimmung des We­ sens des Reichstages darf nicht durch die irreführende Bezeichnung Volks­ vertretung beeinflußt werden, sondern man muß festhalten, daß der Reichs­ tag nur in dem Sinne und nur deshalb eine Volksvertretung heißt, weil jeder einzelne Reichsangehörige, der den Erfordernissen des Wahlgesetzes genügt, an der Bildung dieses Organs des Reiches sich zu betheiligen ver­ mag.** 35 Vgl. Hans Kelsen: Allgemeine Staatslehre, Bad Homburg v. d. Höhe, Berlin, Zürich 1966 (Nachdr. der 1. Aufl. v. 1925), S. 310 ff. 38 Vgl. C. Schmitt, Römischer Katholizismus und politische Form, S. 45, und ihm folgend Emil Gerber: Der staatstheoretische Begriff der Repräsen­ tation in Deutschland zwischen Wiener Kongreß und Märzrevolution, Diss. Bonn 1929, S. 6. Dagegen zu Recht schon Leibholz, Wesen der Repräsenta­ tion, S. 41 ff., und Arnold Köttgen in seiner Auseinandersetzung mit Leib-

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quenzen und weitreichende dogmatische Deduktionen aus einem axio­ matisch aufgestellten Repräsentationsbegriff eine wissenschaftstheore­ tisch wie politisch gleichermaßen interessante Eigentümlichkeit unserer einschlägigen Texte, namentlich derjenigen von Leibholz, Carl Schmitt und dessen Jüngern. So erscheint etwa die rechtliche Unabhängigkeit des Repräsentanten — in gewissen Grenzen eine einfache entschei­ dungstechnische, rechtstechnische Notwendigkeit — als eine begriffs­ mäßige37, und das heißt: als ein begriffsrealistisch den zu begreifenden Realitäten entrücktes politisches Postulat, geeignet, jede offene Partei­ abhängigkeit als repräsentationswidrig zu denunzieren und hintergrün­ dig auch noch den Repräsentativcharakter einer vollkommen parlamen­ tarischen, d. h. einer abhängigen Parteiregierung zu bestreiten. Carl Schmitts auf die Weimarer Republik gemünzter Satz, daß nur wer regiert, teilhat an der Repräsentation88, meint im Klartext sonach, daß nur der repräsentiert, wer autoritär regiert. Auch die Zuordnung von Repräsentation und Öffentlichkeit wird nicht etwa damit begründet, daß die Manifestation eines überprivaten sozialen Wirkungszusammen­ hanges80 schwerlich geheim oder privatim erfolgen kann, sondern gern aus der wesentlichen Werthaftigkeit von Repräsentation begrifflich abgeleitet40. Mangels solcher begriffswesentlicher Werthaftigkeit sollen holz AöR NF 19 (1930) S. 290 - 312 (295). Diese Rez. ist wiederabgedr. in dem N. 2 genannten Sammelbd. S. 74 - 104. — Ferdinand A. Hermens sieht in der fortdauernden Anwendung des Terminus Repräsentation auf die gesetz­ gebenden Körperschaften eine „Tyrannei des Wortes“, da doch die Repräsen­ tation gegenüber dem Monarchen aufgehört habe und damit eine der drei „logischen Voraussetzungen“ des Repräsentationsbegriffs (wozu er ferner das Vorhandensein eines Repräsentanten und eines Repräsentierten rechnet) entfallen sei (Demokratie oder Anarchie? Untersuchungen über die Ver­ hältniswahl [Wiss. Schriften d. Inst, zur Ford. öff. Angelegenheiten in Frankfurt a. M. 8], Frankfurt a. M. 1951 [2. Aufl. Köln u. Opladen 1968], S. 2). 87 Dagegen mit historischen Hinweisen schon Seidler, Ueber den Gegen­ satz des imperativen und freien Mandates, aaO (N. 29) S. 124 f.; auch Köttgen aaO (N. 36) S. 297 f. Vgl. dazu jetzt maßgeblich die profunde Arbeit von Christoph Müller: Das imperative und freie Mandat — Überlegungen zur Lehre von der Repräsentation des Volkes, Leiden 1966. 88 Verfassungslehre, S. 212: „Repräsentiert wird die politische Einheit als Ganzes. In dieser Repräsentation liegt etwas, das über jeden Auftrag und jede Funktion hinausgeht. Daher ist nicht jedes beliebige ,Organ* Repräsen­ tant. Nur wer regiert, hat teil an der Repräsentation. Die Regierung unter­ scheidet sich von der Verwaltung und Geschäftsbesorgung dadurch, daß sie das geistige Prinzip der politischen Existenz darstellt und konkretisiert. ... Daß die Regierung eines geordneten Gemeinwesens etwas anderes ist als die Macht eines Seeräubers, ist mit Vorstellungen von Gerechtigkeit, sozialer Nützlichkeit und anderen Normativitäten nicht zu fassen, denn allen diesen Normativitäten kann auch der Räuber entsprechen. Die Verschiedenheit liegt darin, daß jede echte Regierung die politische Einheit eines Volkes — nicht das Volk in seinem natürlichen Vorhandensein — repräsentiert.'1 89 Dazu Hermann Heller: Staatslehre, Leiden 1934, S. 228 ff. 40 So nach C. Schmitt auch Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 176. Vgl. dazu auch Friedrich Glum: Der deutsche und französische Reichswirt­ schaftsrat — Ein Beitrag zu dem Problem der Repräsentation der Wirt-

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dann auch bloße ökonomische Interessen nicht repräsentationsfähig sein41. Um die einfache Wahrheit Hegels über die notwendige Reprä­ sentation der „großen Interessen“ der bürgerlichen Gesellschaft wieder­ herzustellen, bedurfte es erst eines verhältnismäßig aufwendigen Schat­ tenboxens42.

Über solche Spezialfragen hinaus und im Kern scheint charakteri­ stisch die Fixierung auf den Gedanken der Darstellung politischer Einheit43, eine besondere ideelle Dialektik dieser Darstellung und — damit zusammenhängend — die Festlegung auf die Antithese von Repräsentation und Identität44, politisch gesprochen: von elitärem Re­ präsentativsystem und vulgärdemokratischer Identifikation von Regie­ renden und Regierten45. Diesen Inhalten entspricht die Form: So ist die schäft im Staat (Beitr. z. ausl. öff. Recht u. Völkerrecht 12), Berlin u. Leipzig 1929, S. 28 f. Der Abschnitt „Begriff und Wesen der Repräsentation“ dieser Arbeit (S. 25 - 36) ist wieder abgedr. in dem N. 2 genannten Sammelbd. S. 105 -115 (vgl. dort S. 107). G. unterscheidet mit Recht zwischen dem Bereich des öffentlichen Rechts als der Sphäre (einer bestimmten Art) von Reprä­ sentation und der ganz anderen Frage nach der Öffentlichkeit der Beratun­ gen repräsentativer Kollegialorgane. 41 In diesem Sinne C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 210; E. Gerber, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation, S. 11; Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 32; Ernst Forsthoff: Zur verfassungsrechtlichen Stellung und inneren Ordnung der Parteien, in: ders. / Karl Loewenstein/Werner Matz: Die politischen Parteien im Verfassungsrecht, Tübingen 1950, S. 5 24 (8). Gegen den theoretischen Ausschluß ökonomischer Werte von der Repräsentationsfähigkeit schon Fritz Stier-Somlo: Der Reichstag — All­ gemeine Kennzeichnung, in: Handbuch des Deutschen Staatsrechts (Das öffentl. Recht d. Gegenwart 28), hrsg. v. Gerhard Anschütz u. Richard Thoma, Bd. 1, Tübingen 1930, S. 381 - 386 (384). 42 Vgl. Joseph H. Kaiser: Die Repräsentation organisierter Interessen, Berlin 1956, S. 310 ff. 48 Charakteristischerweise bestritt Rieker (Die rechtl. Natur der mod. Staatsvertretung, aaO — N. 29 — S. 66) der Volksvertretung die Qualität eines Staatsorgans, „weil sie das Volk nicht in seiner politischen Einheit, sondern in seiner sozialen Unterschiedenheit, ja Zerrissenheit repräsen­ tiert“. Vgl. ferner das in N. 38 gegebene Zit. aus C. Schmitts Verfassungs­ lehre. 44 Vgl. C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 204 ff., und dazu meine N. 15 an­ geführte Arbeit. 45 Dem verengten und einseitigen Begriff von Repräsentation entspricht hier — nimmt man ihn genau und ernst — ein auf die Spitze der Absurdität getriebener Demokratiebegriff, der dadurch nicht besser wird, daß man ihn auf Rousseau zurückführt. .Identität von Regierenden und Regierten* — das ist in der politischen Praxis nichts anderes und kann gar nichts anderes sein als eine Reihe von Identifikationen, und das bedeutet nicht Minimalisierung von Herrschaft, sondern Minimalisierung ihrer Verantwortlichkeit. Zur Kri­ tik vgl. Ernst Fraenkels u. d. T. „Deutschland und die westlichen Demokra­ tien“ zusammengefaßten Beiträge, zuerst Stuttgart 1964 (5. Aufl. 1973); ders.: Der Pluralismus als Strukturelement der freiheitlich-rechtsstaatlichen Demo­ kratie (Verh. d. 45. Dt. Juristentages, Bd. II/B), München u. Berlin 1964; Richard Bäumlin: Die Kontrolle des Parlaments über Regierung und Ver­ waltung, Zeitschr. f. Schweizer. Recht NF 85/11 (1966) S. 165 - 319 (207 ff., 220 ff.); Badura aaO (N. 28) Rdn. 24 u. 28.

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Staatstheorie, die hier in Rede und Frage steht, mit ihrer Handhabung des Ausdrucks »Repräsentation* offenkundig der theologisch-sakramen­ talen, philosophisch-erkenntnistheoretischen, ästhetischen, papalistischen und absolutistischen Sprachtradition weit mehr verhaftet als der korporationstheoretisch-genossenschaftsrechtlichen und der kirchenpo­ litischen Sprachkonvention des Konziliarismus oder der nationalen ecclesia repraesentativa calvinistischer Provenienz. Dem Bildgedanken verhaftet suggeriert der Repräsentationsbegriff politisch, das Problem politischer Einheit bestünde wesentlich in der Reproduktion „höheren Seins“, in der Reproduktion von etwas Vorgegebenem also, statt in der Organisation von Verfahren der Willenskonzentration, statt in der Stabilisierung, der Institutionalisierung eines Handlungs- und Wir­ kungszusammenhanges. Ein solcher auf eine reale oder eine hypothe­ tische Einheit statischen Charakters ausgerichteter Repräsentations­ begriff kann darum ebenso leicht in den Dienst konservativ-autoritärer Herrschaftsansprüche gestellt wie im Dienste revolutionärer Herr­ schaftsansprüche ideologiekritisch als bloße Fiktion „entlarvt“ werden, während der Sinn von Repräsentation vielleicht in der Vermittelung von Autorität und Autonomie liegt. Nicht minder zweifelhaft ist die andere politische Spielart des Bildgedankens, welche Repräsentation als Abbildung der gesellschaftlichen Vielfalt von Interessen und Stre­ bungen versteht, politische Entscheidungen nur noch als Kräfteparalle­ logramme denkt (welche man dann am besten durch Meinungsumfra­ gen ermittelt) und die das Proporzsystem dogmatisiert. In der Konse­ quenz des Bildgedankens verstrickt sich die Repräsentationslehre — statt den vermutlich doch wohl realdialektischen Prozeß der Gewin­ nung von Gruppenidentität zu analysieren — in die rein ideelle Urbild-Abbild-Dialektik — so, wenn der Widerspruch des politischen Repräsentationsbegriffs darin liegen soll, „daß das Unsichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht wird“46, und wenn Repräsentation in politische Antithese zur Identität 48 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209 f. Ebenso Leibholz, Wesen der Re­ präsentation, S. 26. Die Urbild-Abbild-Dialektik thematisiert Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode, 2. Aufl., Tübingen 1965, S. 128 ff. Diese Denkfigur, welche Repräsentation auf Reflexion eines einzigen (nämlich des repräsentierenden) Subjekts über die Vergegenwärtigung von etwas durch etwas anderes reduziert und damit die eigene Voraussetzung „personeller Duplizität“ als Essentiale aller Repräsentation desavouiert, verstellt im übrigen die Einsicht, daß in der Repräsentation allenfalls die Repräsentier­ ten, d. h. das personelle Substrat der repräsentierten Einheit als abwesend gedacht werden. Repräsentationsvorstellungen dieser Art sind also dem Vertretungsgedanken sehr viel stärker verhaftet als ihren den Unterschied zwischen Repräsentation und Stellvertretung so sehr betonenden Verfech­ tern bewußt ist. Zu diesem semantischen Zusammenhang von Darstellung, Vorstellung und Vertretung vgl. Wilhelm Traugott Krug: Allgemeines Handwörterbuch der philosophischen Wissenschaften, nebst ihrer Literatur und Geschichte, Bd. 3, Leipzig 1828, S. 466: „Repräsentation ... heißt bald

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gebracht wird, wo die Frage doch die ist, wie Verbandsidentität anders denkbar ist als in der Weise der Repräsentation, der repraesentatio identitatis47. Die bloße Urbild-Abbild-Dialektik ändert auch nichts an dem auffällig statischen Charakter einer am Gedanken des Abbildes orientierten Repräsentationstheorie48. Diese für die RepräsentationsOntologie* kaum mehr des Beleges bedürftige Feststellung gilt selbst noch für die höchst qualitätsvolle sozial-wissenschaftliche Begriffsbil­ dung Hans Julius Wolffs, der mit der Kategorie der Repräsentation alle Phänomene sozialer Zurechnung erfassen will, welche ideengeschicht­ lich und systematisch zwischen magischer und mythischer Identitäts­ setzung und regelhafter gewillkürter Stellvertretung des einen durch einen anderen liegen49. Soll doch trotz aller Dynamik auch nach Wolff

soviel als Vorstellung einer Sache, weil sie dadurch dem Gemüthe verge­ genwärtigt wird, bald die Darstellung einer Sache zur äußeren Wahrneh­ mung, bald aber auch die Vertretung einer Person durch eine andere, weil diese gleichsam jene als eine abwesende vergegenwärtigt, vor- oder dar­ stellt.“ 47 Daß es sich hierbei um einen realdialektischen Prozeß handelt, kommt bei J. H. Kaiser, aaO (N. 2) S. 72, nur andeutungsweise heraus. Besser Herb. Krüger und im Anschluß daran Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 40 ff. 48 Betont wird der statische Charakter der (parlamentarischen) Repräsen­ tation auch bei Rudolf Smend: Verfassung und Verfassungsrecht (1928), jetzt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 118 - 276 (203f.). Gegen eine solche Auffassung schon Hermann Reuß: Zur Geschichte der Repräsentativverfassung in Deutschland, AöR nF 27 (1936) S. 1-27 (18). Wiederabdr. in dem in N. 2 angeführten Sammelband. 49 Hans Julius Wolff: Organschaft und juristische Person — Unter­ suchungen zur Rechtstheorie und zum öffentlichen Recht, 2. Bd.: Theorie der Vertretung (Stellvertretung, Organschaft und Repräsentation als soziale und juristische Vertretungsformen), Aalen 1968 (berichtigter Neudr. d. Ausg. Berlin 1934). Genauer gesagt begreift W. unter Repräsentation als sozio­ logischer Kategorie die nicht durch eine Gruppenordnung festgelegte Ver­ tretung einer Gemeinschaft oder eigentlich: das, was eine solche nicht in­ stitutionalisierte, aber auch nicht mehr bloß auf magischer Identifikation beruhende Gruppenvertretung dergestalt trägt, daß das Verhalten des Re­ präsentanten allein wegen seiner Gruppenzugehörigkeit (also im Unter­ schied zu organschaftlichem Handeln weder kraft der Gruppenverfassung noch — im Unterschied zur Stellvertretung — zufolge ausdrücklicher Be­ rufung oder Bestätigung) dieser Gruppe zugerechnet oder von der Gruppe selbst reklamiert wird. Im einzelnen will W. 3 Erscheinungsformen soldier Repräsentation unterscheiden, nämlich die genuine (worunter er Vergegen­ wärtigung von etwas Unsichtbarem, Verkörperung einer Idee versteht), dann — im Anschluß an M. Scheler — die mediatisierte, soll heißen: durch bewußte Gruppensolidarität vermittelte Repräsentation und schließlich die vulgarisierte oder privatisierte Repräsentation kraft empirisch faßbarer partikulärer Gleichartigkeit bestimmter Eigenschaften, Willensinhalte oder Interessen von Gruppenmitgliedern. Im Rechtssinne bezeichnet Repräsen­ tation nach diesem Ansatz kein einheitliches Rechtsinstitut, sondern nur einen gemeinsamen Nenner, auf den verschiedene Rechtsinstitute gebracht werden können, wie etwa die elterliche Gewalt, Gesamtschuldverhältnisse, Streitgenossenschaft und völkerrechtliche Erfolgshaftung. In der Anwen­ dung auf das, was wir die parlamentarische Repräsentation nennen, ergibt sich nach Wolff, daß nicht der Gewählte Repräsentant, sondern daß jeweils ein (sozialer) Repräsentant gewählt wird.

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jeder Repräsentation „etwas Existenzielles“ eignen, so daß sie „in die Welt des Seins, nicht die des Handelns“ gehöre50. Die angedeuteten Fixierungen wirken sich aus bis hinein in die Er­ örterung des Verhältnisses von Parteienstaat und parlamentarischer Demokratie nach dem Bonner Grundgesetz. Denn es sind jene Eigen­ tümlichkeiten deutscher Repräsentationsvorstellungen, die (im Verein mit der im Blick auf die tatsächlichen Verhältnisse, nämlich auf die trotz gewisser realplebiszitärer Momente unserer Wahlen doch hoch­ gradige Indirektheit des parteienbestimmten Willensbildungsprozesses wie im übrigen zumindest im Hinblick auf den Unterschied zwischen den Parlamentsfraktionen und den Parteien als Massenorganisationen etwas seltsamen, aber eben dem ,Wesensbegriff* von Repräsentation korrespondierenden Auffassung von der Parteiendemokratie als einem Surrogat der unmittelbaren Demokratie) ganz zwangsläufig zur anti­ thetischen Gegenüberstellung von herrschaftlichem deliberativen Par­ lamentarismus und plebiszitärer parteienstaatlicher Massendemokratie führen, und das bedeutet ganz konkret: zu der These, Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG, jene klassische Bestimmung der Rechtsstellung des Abgeordneten als eines an Aufträge und Weisungen nicht gebundenen, nur dem Ge­ wissen unterworfenen Vertreters des ganzen Volkes, und die verfas­ sungsrechtliche Anerkennung der politischen Parteien „als Träger** — wenn auch nicht als die einzigen Träger — „der politischen Willens­ bildung des Volkes“51 in Art. 21 GG schlössen sich gegenseitig aus52. Dasselbe gilt für jene Doktrin, welche in der Tradition des altliberalen Postulats der Auflösung von Souveränität durch Repräsentation Art. 38 GG wegen „Heterogenität“ von Repräsentation und Souveränität auch noch für unvereinbar mit dem Prinzip der Volkssouveränität des 50 Ebd. S. 75. Wobei andererseits durchaus einzuräumen ist, daß Gewin­ nung und Behauptung einer Gruppenidentität nicht einfach eine Frage for­ maler Organisation ist. — Dieser Hinweis soll im übrigen nicht besagen, daß sich diese statische Auffassung von Repräsentation und jene anderen Charakteristika nur in Deutschland fänden. Vgl. etwa (freilich von Wolff beeinflußt), Hans Emanuel Tütsch: Die Repräsentation in der Demokratie, Diss. Zürich 1944, S. 34 ff.; und Georges Burdeau: Traite de Science politique, Bd. IV, Paris 1952, S. 268: ... la representation est un etat, ce ripas un mouvement. 51 BVerfGE 2, 1 ff. (10). 62 So vor allem Gerhard Leibholz: Der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, in: Das Wesen der Repräsentation, S. 211 - 248 (213 ff., 224 ff., 235 ff.); ders.: Verfassungsrecht und VerfassungsWirklichkeit, ebd. S. 249271; ders.: Volk und Partei im neuen deutschen Verfassungsrecht (1950), in: Strukturprobleme der modernen Demokratie, 3. Aufl., Karlsruhe 1967, S. 71 77 (73); ders.: Der Strukturwandel der modernen Demokratie (1952), ebd. S. 78 - 129. — Von einem „Spannungsverhältnis“ im Sinne der Alternative repräsentativ/plebiszitär ist bekanntlich auch in der Rechtsprechung des BVerfG wiederholt schon die Rede gewesen; vgl. BVerfGE 2, Iff. (72ff.); 4, 144 ff. (148 f.); 5, 85 ff. (233). — Natürlich kehren in Leibholzens Lehre be­ züglich der Funktion der Parteien alle diejenigen Wendungen wieder, mit

§ 1. Der Begriff der Repräsentation — ein deutsches Problem?

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Art. 20 Abs. 2 GG erklärt58, wonach indessen alle Staatsgewalt vom Volke in Wahlen ausgehend doch durch je besondere Organe der Ge­ setzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung ausgeübt wird. Über eine bestimmte Repräsentationstheorie, genauer: über die Identifikation der parlamentarischen Demokratie des Bonner Grundgesetzes mit einer historisch höchst relativen, in einer bestimmten Auffassung von Repräsentation zentrierten, partikulären politischen Ideologie bleibt da der elementare verfassungshermeneutische Grundsatz von der auf­ gegebenen Einheit des Textes54 und mit ihm die aktuelle rechtliche Bedeutung sowohl des Art. 38 wie die der Art. 20 und 21 GG auf der Strecke. Dabei sollte die Einsicht in Konsequenzen des Umstandes so ferne nicht liegen, daß der Parlamentarismus mitsamt seinem Kon­ struktionsprinzip des freien Mandats älter ist als das doktrinäre Modell des altliberalen Honoratiorenparlaments und die demokratische Staats­ ordnung jüngeren Datums als ihre vorrevolutionären Entwürfe. Das Bedenkliche an der Betonung des Nicht-Normativen, Nicht-Verfahrensmäßigen, an der Hervorkehrung des Seinsmäßigen, des Existenziellen liegt letztlich darin, daß politische Repräsentation — was immer das im einzelnen bedeuten mag — jedenfalls als ein Geschehen oder Ereignis aus dem Bereich planmäßiger Gestaltung gerückt wird — bis hin zu jener Apotheose der Repräsentationstheorie einer willentlich unmün­ digen Gesellschaft, welche der von gewissen, philosophisch mehr ambi­ tionierten als informierten Juristen hochgeschätzte Nicolai Hartmann in seinem Buch über „Das Problem des geistigen Seins“ von 1933 gelie­ fert hat. Weil ein Gemeinwesen, heißt es da, „»regiert sein (will)“ und diese Funktion nur von einem Bewußtsein erfüllt werden könne, da denen man ehedem das Repräsentativsystem als ein Surrogat direkter Volksherrschaft begreiflich machen wollte. Auf eine Auseinandersetzung mit seinen vielen Kritikern (siehe zuletzt Dolf Stemberger: Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, in: Nicht alle Staatsgewalt geht vom Volke aus — Studien über Repräsentation, Vorschlag und Wahl, Stutt­ gart / Berlin / Köln / Mainz 1971, S. 9-39 [24]; vgl. auch die Zusammen­ stellung der Gegenargumente bei Hartmut Lang: Das repräsentative Prinzip im Parteienstaat, Diss. Würzburg 1970) hat sich Leibholz allerdings nie eingelassen. 58 So Landshut, Der polit. Begriff der Repräsentation, aaO (N. 8) S. 178 f. Ebd. S. 183 f. heißt es: Das „potenzierte und höhere Sein“ der Repräsen­ tation in seiner Würde und Erhabenheit liege „allein in der Möglichkeit von Personen, die sowohl ihrem geistigen Format wie ihrer äußeren Lebens­ lage nach dazu imstande sind, die allgemeine Sache, die ,res publica*, zu ihrer eigenen und damit wirksam, erkennbar und offensichtlich zu machen, was die Sache aller ist. In der Repräsentation wird etwas wirksam, was nicht mit der Person des Repräsentanten identisch ist, was nicht eine Schöpfung, ein Produkt seines eigenen Willens und seiner Vorstellung ist. Was er prä­ sent macht, ist ihm vorgegeben, ist etwas seiner Person und allen Personen, die mit ihm die Gemeinschaft bilden, Jenseitiges.“ 64 Vgl. Konrad Hesse: Grundzüge des Verfassungsrechts der bundesrepublik Deutschland, 5. Aufl., Karlsruhe 1972, S. 12 u. 28 mit weiteren Nach­ weisen.

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des weiteren der an sich hierzu berufene Gemeingeist eines Volkes zwar geschichtliche Individualität habe, aber kein Subjekt, kein Be­ wußtsein sei (von der Menge der einzelnen ganz zu schweigen), so bedürfte es eigentlich eines „leitenden und waltenden Bewußtseins höherer Ordnung“55. Und weil es das nicht gebe, benötige der Staat ersatzweise einzelne Personen „in repräsentativer Erhobenheit über das individuelle Privatmenschentum“56. Der Staat respektive das, was Hartmann den objektiven Geist nennt, jenes überindividuelle ge­ schichtliche „Geistniveau“ erhebe „den Einzelnen als das repräsentie­ rende Individuum an die leere Stelle des leitenden Bewußtseins“57. Es leuchtet ein, daß eine solche Lehre ziemlich gleichgültig gegenüber der bloßen Technik ist, mittels deren „das Individuum in repräsentie­ rende Stellung erhoben wird“, ob durch Erbfolge, Wahl oder Gewalt­ akt: „Auch der Usurpator tritt faktisch in dieselbe Verantwortung.“ Nicht minder offenkundig — Hartmann setzt es indessen ausdrücklich hinzu —, daß ein so regiertes Gemeinwesen schwerlich bestehen kann, ohne den Glauben, daß Gott, wem er ein Amt gibt auch Verstand gibt.

In Anbetracht so spezifischer historischer Belastungen unserer staats­ theoretischen Diskussion — Belastungen, die offenbar noch nicht ganz aufgearbeitet sind — darf man vom politischen Repräsentationsbegriff wohl als von einem besonderen deutschen Problem sprechen. Anderer­ seits ist es freilich so, daß offenbar gerade der Mangel an jenem revolu­ tionären bürgerlichen Selbstgefühl, welches den Mandatsgedanken der parlamentarischen Repräsentation als epochale technische Erfindung feierte, den Blick für institutionengeschichtliche Zusammenhänge58 of­ fengehalten und für diejenigen Vorgänge und Probleme sozialer Zu­ rechnung und Gewinnung oder Aktualisierung von Gruppenidentität geschärft hat, welche mit der juristischen Kategorie der Stellvertre­ tung nicht oder nicht allein zu fassen sind. Unbeschadet ihrer besonde­ ren historischen Fixierungen, ihrer sozialen Funktion und ihrer hand­ festen politischen Motive oder Befangenheiten bewahrt unsere in ihrer Eigenart zu Ende der zwanziger Jahre neu belebte Begriffstradition die Erkenntnis, daß Repräsentation nicht allemal normativ organisiert und nicht unbedingt durch Wahl legitimiert sein und daß Repräsentations­ verhältnisse und Herrschaftsverhältnisse nicht toto caelo geschieden sind. Und es sieht ganz so aus, als könne die neuere Diskussion diese Seite der Tradition außerordentlich fruchtbar machen. 55 Nicolai Hartmann: Das Problem des geistigen Seins, Berlin u. Leipzig 1933, S. 275 f. 58 Ebd. S. 278. 57 Ebd. S. 276. Vgl. auch S. 60. Die nachfolg. Zit. S. 276 u. 279. 58 Wie sie jüngst Sternberger in seiner Kritik des rechtstechnischen Be­ griffs von Repräsentation als einer gleichfalls besonderen Dogmatik skizziert hat: Zur Kritik der dogmatischen Theorie der Repräsentation, aaO (N. 52).

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§ 2. Zum Stand der Diskussion und zur Aufgabenstellung

Grundlage der Erörterungen des Repräsentationsbegriffs sind noch immer die in Opposition zur parteienstaatlichen Demokratie von Wei­ mar erneuerten und entwickelten Repräsentationslehren. Indessen mehren sich die Versuche, überkommene doktrinäre Verfestigungen aufzulösen, die Verkürzung der historischen Perspektive zu überwin­ den und namentlich über Leibholzens Verabsolutierung der Begriffs­ welt des orthodoxen Altliberalismus hinauszukommen. Wiederholt hat Ulrich Scheuner mit aufschlußreichen historischen Rückverweisungen dafür plädiert, den Begriff der Repräsentation aus der Einspannung in die RechtsVorstellungen des 19. Jahrhunderts herauszulösen und ihn wieder mit seiner sehr viel weiter zurückreichenden Geschichte zu verbinden. Das bedeutet, daß die dogmatische Verknüpfung von Reprä­ sentation, Diskussion und Instruktionsfreiheit, aber auch die Gleich­ setzung von Repräsentation und Herrschaft in Frage gestellt und der so hoch geschätzte Unterschied von Repräsentation und bloßer Stell­ vertretung in Zweifel gezogen werden muß1. Statt des Verhältnisses von Volksvertretung und Regierung beanspruchen jetzt die Beziehun­ gen zwischen Parlament und Wahlvclk Aufmerksamkeit2. Andererseits wird die Exklusivität parlamentarischer Repräsentation im Hinblick auf die anderen Staatsorgane fraglich8. Am Ende ist auf diesem Wege dann auch jener polemischen Antithese von landständischer Verfassung und nationalem Repräsentativsystem erneut kritische Aufmerksamkeit zuzuwenden, mit der einst Gentz und Metternich in den Auseinander­ 1 Vgl. Ulrich Scheuner: Das repräsentative Prinzip in der modernen De­ mokratie, Festschr. f. Hans Huber, Bern 1961, S. 226 - 246 (226, 228 ff.), jetzt auch in dem von Rausch hrsg. Sammelbd. (§ 1 N. 2) S. 386-418; ders.: Politische Repräsentation und Interessenvertretung, DÖV 1965, S. 577 - 581 (579 f.). Ähnlich auch schon R. Altmann, Zur Rechtsstellung der öffentlichen Verbände, aaO (§ 1 N. 6). Siehe ferner Wilhelm Hennis: Amtsgedanke und Demokratiebegriff, Festg. f. Smend, Tübingen 1962, S. 51 - 70. 2 Nach einer älteren schweizerischen Arbeit (Jean Cellier: Das Verhältnis des Parlaments zum Volke mit besonderer Berücksichtigung des schweize­ rischen Staatsrechts, Diss. Zürich 1936) bemühen sich um dieses Problem jetzt erneut zwei Dissertationen: Albert Schmid: Das Repräsentativsystem als Verfassungsprinzip, Diss. Regensburg 1971; Kurt Zwyssig: Repräsenta­ tion (Versuch einer neuen Repräsentationstheorie) (Zürcher Beiträge zur Rechtswissenschaft NF 379), Zürich 1971. Die mit großem Anspruch betonte Neuartigkeit der Theorie Z.s besteht darin, daß er Repräsentation als Mehr­ heitsherrschaft durch Organisation einer Verbandsdemokratie verstanden wissen will, welche auf solidarischer Gruppenbindung der Repräsentanten basiert. Diesen Kerngedanken der Arbeit herauszufinden, ist allerdings gar nicht so einfach, weil der Autor seine Probleme der politischen Soziologie mit viel (fremder) philosophischer Anthropologie und Fundamentalontologie verschleiert und verstellt. 8 Vgl. Roman Herzog: Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a.M. 1971, S. 216 ff. Außer der Fragestellung bietet H. allerdings im Vergleich zu Krügers Staatslehre nicht nur quantitativ erstaunlich wenig.

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Setzungen um Art. 13 der Bundesakte die Repräsentativverfassung in Verruf zu bringen trachteten und mit der sie ä la longue doch wohl bloß das altständische System diskreditiert haben. Wobei Ernst Fraen­ kels diesbezüglicher Bemerkung, daß „das Repräsentativsystem seinen historischen Ursprung aus dem Ständewesen niemals restlos zu ver­ leugnen (vermöge)“4, freilich anzufügen bliebe, wie wenig die deutsche Theorie dies unter den gegebenen Verhältnissen je ganz übersehen konnte und wie sehr unsere Verfassungsgeschichtsschreibung seit Waitz im Gegensatz zu gewissen englisch-französischen Rückprojektionen der liberalen Idee einer bürgerlichen Nationalrepräsentation den stände­ staatlichen Ursprung der modernen Volksvertretungen hervorgehoben hat. Daß mit solcher Relativierung des Repräsentationscharakters des modernen Repräsentativsystems gleichzeitig für den ihm verbundenen Demokratiebegriff ein neuer Verständnishorizont sich eröffnet ist nur natürlich. So scheint die parlamentarische Demokratie in dieser Per­ spektive letztlich „nichts anderes zu sein, als eine Fortentwicklung des Ämterstaates, der der politischen Ordnung der feudalen Welt, wie dem alten Europa überhaupt zugrunde lag“5, und es wächst gegenüber solch’ reichlich statischer und das voluntative Moment der modernen Demo­ kratie vernachlässigender Sicht die Frage in neue Dimensionen, wie demokratisch denn der moderne Parlamentarismus sei. In diesen Zusammenhang kritischer Bemühungen gehören ferner — und das ist ein zweiter wesentlicher Punkt — die Versuche, wieder Brücken zur angelsächsischen Demokratietheorie zu schlagen und jene Tradition der unsrigen zu vermitteln. Es mag hier genügen, die Namen Karl Loewenstein, Carl Joachim Friedrich und Ernst Fraenkel zu nennen*. 4 Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: Deutschland u. d. westl. Demokratien, S. 71 -109 (71). — Die Untersuchung dieses Zusammenhanges ist durch die Arbeit der auf dem VII. Internationalen Historikerkongreß in Warschau 1933 gegründe­ ten Commission internationale pour l’histoire des Assemblees d’itats ganz wesentlich gefördert worden. Hingewiesen sei nur auf die stattliche Reihe der von ihr hrsg. historischen Untersuchungen zum vorrevolutionären Ständewesen: Etudes presentees a la Commission internationale pour V histoire des Assemblies d’etats. — Im folg, beziehe ich mich auf die Unter­ scheidung der englisch-französischen conception institutionnelle et parlementaire vom Ursprung der Ständeversammlungen und der conception con­ stitutioneile et corporative des historiens allemands durch Emile Lousse: Parlementarisme ou corporatisme? Les origines des assemblies d’etats, Revue historique de droit francais et itranger, 4e sir., 14 (1935) S. 683-706; ders.: La sociiti d’ancien regime — Organisation et representation corporatives (Universite de Louvain — Recueil de travaux d’histoire et de Philolo­ gie III/16 = Etudes presentees ä la Commission internationale pour l’histoire des Assemblies d’itats VI), Louvain 1943, S. 1 ff. 6 Hennis, Amtsgedanke u. Demokratiebegriff, aaO (N. 1) S. 53 f. 6 Von E. Fraenkel (aaO — N. 4 — S. 71) stammt die vermittelnde Definition: „Repräsentation ist die rechtlich autorisierte Ausübung von Herrschaftsfunktionen durch verfassungsmäßig bestellte, im Namen des

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Schließlich bleiben bei der Würdigung des Standes der Diskussion insbesondere die Ansätze zur Ausbildung einer über die traditionellen Probleme des herkömmlichen Repräsentativsystems hinausgreifenden staats- und politiktheoretischen beziehungsweise einer allgemeinen sozialwissenschaftlichen Repräsentationslehre zu vermerken. Hierbei gilt Repräsentation teils noch mehr statisch als die „Form, durch die eine politische Gesellschaft Existenz für ihr Handeln in der Geschichte gewinnt“7, teils wird sie in dynamischer Weise als besondere Kategorie eines „sozialen Vorgangs“8, als integrierendes Führungshandeln9 oder als realdialektischer gesellschaftlicher Prozeß10, auf jeden Fall aber als eine etwa dem Begriff von Herrschaft vergleichbare Elementarkatego­ rie der Verbandssoziologie und damit zugleich als ein von der moder­ nen, auf Wahl beruhenden Repräsentationstechnik unabhängiger histo­ rischer Grundbegriff von Gruppenexistenz verstanden11. Worum es Volkes, jedoch ohne dessen bindenden Auftrag handelnde Organe eines Staates oder sonstigen Trägers öffentlicher Gewalt, die ihre Autorität mit­ telbar oder unmittelbar vom Volk ableiten und mit dem Anspruch legiti­ mieren, dem Gesamtinteresse des Volkes zu dienen und dergestalt dessen wahren Willen zu vollziehen.“ Ganz ähnlich ders.: Art. Repräsentation, in: Staat und Politik, hrsg. von Ernst Fraenkel u. Karl Dietrich Bracher, Neuausg., Frankfurt a. M. 1964, S. 294 - 297 (294). 7 Voegelin, Die Neue Wissenschaft der Politik, S. 17. Ähnlich Manfred Hättich: Demokratie als Herrschaftsordnung (Ordo Politicus 7), Köln und Opladen 1967, mit seinem Exkurs zur Theorie der Repräsentation S. 176 184. 8 Über die engere juristische Begriffsbildung hinausgreifend hat schon Edgar Tatarin-Tarnheyden (Die Rechtsstellung der Abgeordneten; ihre Pflichten und Rechte, in: Handb. d. Dt. Staatsrechts, hrsg. v. G. Anschütz u. R. Thoma, 1. Bd., S. 413 - 439 [414]) das „Wesen der Repräsentation ... in einem sozialen Vorgang“ gesehen, „kraft dessen ein nicht als soziale Einheit unmittelbar Wahrnehmbares durch ein anderes soziales Substrat als Einheit gegenwärtig gemacht wird.“ 9 Vgl. Richard Bäumlin: Verfassung und Verwaltung in der Schweiz, Festschr. f. Hans Huber, Bern 1961, S. 69 - 93 (79 f.), im Anschluß an Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, aaO (§ 1 N. 48) S. 203 f. 10 Vgl. Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 29 ff., im Anschluß an die Repräsentationslehre Herbert Krügers (§ 1 N. 9), der das Produkt des gesellschaftlichen Strebens nach Selbstverwirklichung und Selbstdar­ stellung freilich zu einseitig in Amt und Gesetz sieht. 11 Voegelin und Hättich (N. 7) folgend unternimmt es Eberhard Schmitt (Repräsentation und Revolution — Eine Untersuchung zur Genesis der kontinentalen Theorie und Praxis parlamentarischer Repräsentation aus der Herrschaftspraxis des Ancien regime in Frankreich (1760- 1789) [Mün­ chener Studien zur Politik 10], München 1969), mit Hilfe der Rollentheorie zwischen den essentiellen und den akzidentiellen Elementen des soziopoli­ tischen Repräsentationsphänomens zu unterscheiden (S. 42 - 62). Der Wert der anschließenden (S. 63 - 284) außerordentlich eindringlichen und unge­ wöhnlich reich dokumentierten Untersuchung zur Entstehung der kontinen­ talen Nationalrepräsentationskonzeption ist von diesem Versuch freilich ziemlich unabhängig. — Nach Anlage und Absicht gehört auch schon N. Hartmanns Begriffsbildung (§ 1 bei N. 55 - 57) in diesen Zusammenhang. Nicht gegen diesen Ansatz also richtete sich meine Kritik, sondern dagegen, daß N. H. jede Herrschaft allein qua Herrschaft als Repräsentationsverhält-

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dabei der Sache nach geht, das ist die Selbstartikulation eines Verban­ des, in der sich dessen Identität verwirklicht und behauptet. Einen ganz entscheidenden Schritt auf dem Wege zu einer umfassenden sozial­ wissenschaftlichen Begriffsbildung markiert dabei Hans Julius Wolffs wohl immer noch nicht ausgeschöpfte „Theorie der Vertretung“, der seinerzeit, als sie erschien, die ihrem Rang gebührende Wirkung ver­ sagt bleiben mußte12. In dieser Situation sucht die vorliegende Arbeit ihre Aufgabe in der Erfüllung gewisser Hilfsdienste für die Erörterung des Problems, näm­ lich in der Klärung einiger Vorfragen, und zwar zunächst der Vorfra­ gen sprachgeschichtlicher Art. Sie nimmt Anstoß daran, in welchem Ausmaß und mit welcher Selbstverständlichkeit heute nicht anders als ehedem weitreichende theoretische Ableitungen auf die bloße Evoka­ tion eines angeblich „eigentlichen“ oder „ursprünglichen“ Wortsinnes von Repräsentation gegründet werden, der bei Licht besehen meist durch wenig mehr denn durch seine gegenwärtige Landläufigkeit aus­ gewiesen ist13. Die nachfolgenden Darlegungen begegnen jenen sachnis interpretiert. Denn selbst wenn M. Webers Definition der Repräsen­ tation als eines Herrschaftsverhältnisses richtig wäre, dürfte deswegen nicht umgekehrt jede beliebige Despotie gleich als Repräsentation qualifiziert und politische Führung wie politische Artikulation eines Gemeinwesens überhaupt nicht einfach als schicksalhafte Ereignisse, als ,Schickungen des Seins* hingestellt werden. 12 Vgl. den Nachw. § 1 N. 49. Anschluß an Wolffs Begriffsbildung suchen Tütsch, Repräsentation in der Demokratie, und Hans-Josef Vonderbeck: Der Bundesrat — ein Teil des Parlaments der Bundesrepublik Deutschland? Zur Bedeutung der parlamentarischen Repräsentation (Schriften zur polit. Wiss. 5), Meisenheim am Glan 1964. Voegelin (§ 1 N. 10) geht auf die Theorie Wolffs nicht ein. Hättich (N. 7) und E. Schmitt (N. 11) scheinen Wolffs Werk nicht zu kennen. — Die Grenzen der Wolffschen Theorie ergeben sich aus der Fixierung auf den Begriff der Zurechnung als Grundkategorie aller Vertretung und der daraus folgenden Einengung der Bestimmung von Re­ präsentation als dem „durch die Vergegenwärtigung ausgezeichneten Zu­ rechnungsgrund“ (S. 87), welcher die Fraglosigkeit von Mythos und Magie nicht mehr und die Rationalität juristischer Konstruktion noch nicht hat. In­ dem W. Repräsentation so als Funktion von Gruppenidentität definiert, setzt er diese Identität als statische Größe voraus. Und indem er mit seiner Unterscheidung von genuiner, mediatisierter und vulgarisierter Repräsen­ tation (§ 1 N. 49) denkbare Ebenen von Repräsentation, nämlich die von Weltanschauung, Politik und täglichem Leben, als historische Stufenfolge zunehmender gesellschaftlicher Differenzierung versteht, schrumpft sein Repräsentationsbegriff für offene, pluralistische Gesellschaften, deren Iden­ tität mehr Problem denn feststehende Größe ist, zur politisch ziemlich be­ deutungslosen Kategorie privaten Verhaltens und seiner Beurteilung. 18 Vgl. die Ansätze bei Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 19 ff.; Gerber, Der staatstheoretische Begriff der Repräsentation, S. 5; Tütsch, Die Repräsentation in der Demokratie, S. 17; Imboden, Politische Systeme, S. 107; Landshut, Der polit. Begriff der Repräsentation, S. 181; Pitkin, The Concept of Representation, S. 1, 7 f.; Vonderbeck, Der Bundesrat, S. 24; Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 31 f.; Herzog, Allg. Staats­ lehre, S. 217; Zwyssig, Repräsentation, S. 33 ff. Wiewohl er die mit diesem Verfahren verbundene Begriffsverengung sieht und am Beispiel von Leib­ holz demonstriert, knüpft auch Hättich (Demokratie als Herrschaftsord-

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liehen Schlußfolgerungen aus einem vermeintlich identischen Ursinn des Sprachsymbols mit dem Nachweis geschichtlicher Abhängigkeiten und Veränderungen, wobei die in der historischen Differenzierung zu Tage tretende Bedeutungsskala zugleich die Unbrauchbarkeit jener vulgäretymologischen Verkürzungen und lexikalischen Vereinfachun­ gen erweist, welche, statt dem Ausdruck Repräsentation irgendein wirkliches Profil zu geben, eher alle Konturen verwischen und so kaum noch die Aussagekraft des ältesten deutschen Fremdwörterbuchs, näm­ lich die von Simon Rots Teutschem Dictionarius aus dem Jahre 1571, erreichen, der für ,Representation* angibt: „Augenscheinliche widerstellung“14. Ein charakteristischer Satz wie der, daß das fragliche Sprachsymbol seit Cicero bedeute, „etwas ,präsent*, das ist ,gegenwär­ tig*, ,wirksam machen*, was an sich nicht ,da* ist**, und daß „die Reprä­ sentation** insofern „unter die allgemeine Kategorie der Stellvertre­ tung, des ,Stehens für* (falle)“16, ist eben so nicht haltbar. Und Erklä­ rungen wie die, wonach etymologically, the literal meaning of represent is to „present again“, and from this it has come to mean to appear in place of another™, vermitteln keine zureichende Vorstellung von dem

antiken Sprachsinn. Insbesondere die landläufige Deutung der Vorsilbe re- trifft ja nur einen kleinen Teilaspekt, der für sich genommen ein nung, S. 176 ff. [179]) über Imboden und Leibholz mittelbar dann doch an der Wortbedeutung an. Bei Leibholz ist dieses Verfahren ja auch besonders ein­ drucksvoll: allein aus dem (vermeintlichen) Wortsinn werden da nachein­ ander die Notwendigkeit personeller Duplizität und einer bestimmten Wert­ sphäre, das Erfordernis der Herrenhaftigkeit des Repräsentanten und die Unmöglichkeit des imperativen Mandats deduziert. Auf eine besonders breite „Explikation des Wortgehalts“ sucht neuerdings auch Zwyssig zu bauen. Bei ihm findet sich (S. 53) z. B. der höchst charakteristische Satz: „Die Explika­ tion des Wortgehalts ergibt zwingend die Unabhängigkeit der Repräsentan­ ten.“ — Ein merkwürdiges Gegenstück zu diesem Ansatz bildet H. J. Wolffs Versuch, eine bestimmte sprachliche Bedeutung des Wortes Repräsentation, nämlich die des standesgemäßen Auftretens, des würdigen und aufwendigen Verhaltens, als Trivialisierung seines Repräsentationsbegriffs, als „Be­ griffs Verflachung“ zu erklären (Theorie der Vertretung, S. 77). 14 Zit. nach Emil Ohmann (Hrsg.;): Simon Roths Fremdwörterbuch, Memoires de la Societe neo-philologique de Helsingfors XI, Helsinki 1936, S. 225 - 370 (347). „Representirn“ wird ebd. verdeutscht mit „Widerumb gegenwärtig zustellen“. — Gestützt v. a. auf Lagarde bietet vergleichsweise noch verhältnismäßig viel Material von der Antike bis Hobbes der Anhang On Etymology bei Pitkin, The Concept of Representation, S. 241 - 252, 293 296. Die Leidener Diss. Historische ontwikkeling en beteekenis van de representatie gedachte in het Staatsrecht (1945) von Hans Robert Nord beginnt zwar mit einem Kapitel über Het woord representatie in het staatsrecht, ist aber nach 2 Seiten über den englischen Sprachgebrauch von 1380 bis Burke bei G. Jellinek. 15 Rolf K. Hocevar: Stände und Repräsentation beim jungen Hegel — Ein Beitrag zu seiner Staats- und Gesellschaftslehre sowie zur Theorie der Repräsentation (Münchener Studien zur Politik 8), München 1968, S. 29 f. 18 John A. Fairlie: The Nature of Political Representation, APSR 34 (1940) S. 236 - 248, 456 - 466 (236). In dt. Übers, bei Rausch (§ 1 N. 2) S. 28 - 73. Wie Fairlie z. B. auch Pollmann, Repräsentation und Organschaft, S. 32. 3 Hofmann

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ganz schiefes Bild gibt. Vergewissert man sich des römischen Sprach­ gebrauchs, verfolgt man die Geschichte des Worts repraesentare samt seinen Ableitungen vom klassischen in das Mittellatein hinein, bedenkt man, daß der Ausdruck in der klassischen Jurisprudenz, in der Periode des Vulgarrechts, in den Germanenrechten und in der Rechtssprache des Frühmittelalters immerhin als juristischer terminus technicus fun­ giert (und zwar schuldrechtlich für Leistung, insbesondere für sofortige Leistung, Vorleistung oder Barzahlung und prozeßrechtlich für Vorfüh­ rung oder Vorlage), ohne irgendwo etwas mit Fragen der Stellvertre­ tung zu tun zu haben, so wird man feststellen müssen, daß von Haus aus weder qua ,Vergegenwärtigung* noch qua ,Wiedervergegenwärti­ gung* von dem allgemeinen Sinn einer Kategorie der Stellvertretung oder des ,Stehens für* die Rede sein kann. Ist es aber an dem, dann fragt sich, auf welche Weise und in welchem Zusammenhänge dem Aus­ druck Repräsentation diese allgemeine Bedeutung zugewachsen ist, und in Sonderheit: woher die Bedeutung des politischen Vikariats rührt. Darüber gibt es natürlich einige Vermutungen — aber eben kaum mehr als Vermutungen, deren Spektrum vom Hinweis auf das alt­ kirchliche Konzilswesen über die Inanspruchnahme der Kanonistik und die Anführung der englischen Rechtssprache17 bis zur Anknüpfung an die Sprache der Diplomatie18 reicht. Besonderes Interesse darf dabei natürlich die These für sich beanspruchen, es hänge die fragliche Ent­ wicklung mit dem Corpus-mysticum-Gedanken und der Persona-repraesentata-Lehre zusammen, also letztlich mit der Ausbildung der Vorstellung dessen, was wir heute juristische Person nennen. Von der Klärung sprachgeschichtlicher Vorfragen aus führt der Weg mithin zwangsläufig zu dem Versuch einer Begriffsgeschichte der Repräsentation in der doppelten Absicht, den politisch-staatsrechtlichen Begriff der Repräsentation auf diese Weise aus der Fixierung auf gewisse gegenrevolutionäre Besonderheiten des deutschen Konstitutionalismus zu lösen und die revolutionäre Prägung wieder mit ihrer älteren, vorrevolutionären Geschichte zu verknüpfen19 wie andererseits durch historische Differenzierung etwas zur Profilierung des Problems der Repräsentation in dem bereits angedeuteten weiteren Sinne beizu­ tragen20. 17 Eine Auswahl referiert (allerdings nicht in allen Punkten zuverlässig, nämlich nicht, was die These McLaughlins anlangt) Krüger, Allg. Staats­ lehre, S. 234. 18 So Walter Hamel: Die Repräsentation des Volkes, Festg. f. Heinrich Herrfahrdt, Marburg 1961, S. 103 - 126 (118 N. 46). 19 Letzteres allein ist — dies gegen Scheuner, Hennis und Sternberger — angesichts gewisser Besonderheiten der deutschen Tradition nicht das Pro­ blem. 20 Methodisch musterhaft in der historischen Profilierung einer bestimm­ ten staatsrechtlich-politischen Frage Peter Pernthaler: Das Staatsoberhaupt in der parlamentarischen Demokratie, WDStRL 25 (1967) S. 95 - 208.

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Vorausgesetzt ist bei einer solchen von Ideen-, Problem- und Institu­ tionengeschichten zu unterscheidenden Begriffsgeschichte also, daß im Anfang das Wort und nicht der Begriff war21, daß Wörter nicht als „beliebig auswechselbare und verpflanzbare Begriffssiegel gleich ver­ standener Inhalte“ angesehen werden können22 und daß der Begriff, nach dem wir fragen, für die begriffsgeschichtliche Forschung folglich allein in der Geschichte des Gebrauchs unseres Begriffsnamens als eines Fachworts greifbar ist28. „Repräsentation“ ist nicht ein durch seinen identischen Gegenstand von jeher feststehender Begriff, „Re­ präsentation“ ist nicht der Name eines Dinges, sondern ein ,synseman­ tischer* oder ,synkategorematischer‘ Ausdruck, mit dem man in ver­ schiedener Weise operieren kann, insofern er innerhalb eines je be­ stimmten Kontextes einen Sinn ergibt. Die Frage ist sohin nicht die nach dem benannten Objekt und dessen Wesen, sondern kann immer nur die nach der Bedeutung in einem bestimmten Zusammenhang sein. Dieser Sinnzusammenhang folgt als ein sprachlicher freilich seinen eigenen Gesetzen. Stiftet das intersubjektive Medium Sprache, ent­ deckend und verstellend zugleich, doch eine eigene geistige Wirklich­ keit, die auch gegenüber ihrer Realisation in den sozialen Handlungs­ zusammenhängen mit ihrem immer schon verjährten Sinn relativ eigengesetzlich bleibt: Wir kennen die Funktion der Sprache, können uns ihrer bedienen und sie analysieren, ohne zu wissen, worauf die Wirkung von Sprache eigentlich beruht. Sozialstrukturen überdauern Verfassungsstrukturen; Sprachstrukturen indessen überdauern so auch noch Sozialstrukturen. Zu dieser relativen Eigenständigkeit der Sprache gehört, daß sprachliche Bedeutungen zwar keineswegs unver­ änderlich, andererseits als überkommene Gegebenheiten nicht beliebig 21 Formulierung nach Karl Siegfried Bader: Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, 2. Teil: Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde, Köln / Graz 1962, S. 1 ff. (5). 22 Helmut Quaritsch: Staat und Souveränität, Bd. 1, Frankfurt (M.) 1970, S. 205. 28 Vgl. dazu Hermann Lübbe: Säkularisierung — Geschichte eines ideen­ politischen Begriffs, Freiburg / München, 1965, S. 12 f.: „Die ,Definition*, die man von der .Bedeutung* eines philosophischen Fachworts geben kann, ist im allgemeinen Fall als das Resultat der Geschichte seines Gebrauchs anzu­ sehen, das sich in den begrenzten Möglichkeiten, es durch Umschreibungen zu ersetzen, d. h. zu definieren, niedergeschlagen hat. Die begriffsgeschicht­ liche Forschung, die der Geschichte jenes Wortgebrauchs, in dem der »Be­ griff* für sie einzig greifbar ist, nachgeht, hat also nicht im mindesten eine Vorwegentscheidung gegen die Möglichkeit verbindlicher Definitionen ge­ troffen. ... In gewissen Fällen erfüllt sie sogar umgekehrt die Funktion, außer Fassung geratene Begriffe zu stabilisieren und einen chaotisch gewor­ denen Fachwort-Gebrauch neu unter Regeln zu zwingen.** — Methodisch weniger entschieden, bleibt Pitkin (The Concept of Representation, S. 2: Questions about what representation is, or is like, are not fully separable from the question of what ,representation' means.) allzusehr auf einen be­ stimmten Sinn politischer Stellvertretung fixiert.

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individuell verfügbar sind. Das besagt, daß sprachliche Sinnzusammen­ hänge als Sprachtraditionen weder unmittelbar und allein aus der gemeinten Realität noch aus der sozialen Funktion ihrer sprachlichen Darstellung erklärbar sind, was im übrigen ja eine zusätzliche sprach­ lose Form des Denkens und der Kommunikation voraussetzen würde. Schließt das Erklärungen aus Sachbezügen und Wirklichkeitszusam­ menhängen natürlich auch nicht aus, so begründet dieser Umstand zumal da, wo die Identität des Gegenstandes zweifelhaft und die Art und Weise, in der man darüber spricht, fragwürdig ist, immerhin doch die Priorität der Interpretation aus sprachlichen Sinnzusammenhängen und das heißt hier: den Vorrang kritischer Untersuchungen der Sprachtradition vor ergänzenden Deutungen aus der sozialen, poli­ tischen und juristischen Funktion ihrer jeweiligen Realsituation. Und gerade wenn es richtig ist, daß eine adäquate Begriffsbestimmung von der Erfahrung, von den Phänomenen ausgehen muß und weder von den Wörtern noch gar von der Annahme essentieller Wortbedeutungen ihren Ausgang nehmen sollte24, könnte in dieser unserer Situation Sprachkritik einen Beitrag leisten auf dem Weg zurück zu den Erschei­ nungen und den wirklichen sachlichen Problemen. Da der Ausdruck ,Repräsentation* nun, wie es scheint, durch je spezi­ fischen Kontext und eine je begrenzte Anzahl von Umschreibungen als Fachwort verschiedener Fachsprachen in Betracht kommt, schien es namentlich im Hinblick auf jene bemerkenswerte Kontinuität einer umfassenden barocken Ausdrucksweise schon zum Zwecke der Sonde­ rung und der Aufdeckung von Anleihen angezeigt, alle fachlichen Verwendungen, alle spezifischen „Konsoziationen“ (Sperber) zu studie­ ren, soweit das auf der Basis gedruckter Quellen, so wie sie vorliegen, und im Horizont subjektiver Erfahrung mit den dadurch bedingten Beschränkungen eben möglich ist. Dabei zeichneten sich dann alsbald drei klar und deutlich voneinander verschiedene und jeweils in einem ganz bestimmten Schwerpunkt zentrierte Sprachgebräuche ab: Da ist einmal die theologische, dann von den Philosophen beerbte Verwen­ dung zu nennen, welche um die Urbild-Abbild-Dialektik kreist. So­ dann zeigt sich, aus der Sprache der Liturgie erwachsen, eine Verwen­ dung im Sinne der Stellvertretung, und zwar in spezifisch juristischem Verstände. Und schließlich kann ein Bereich des Gebrauchs markiert werden, in dem es um das Problem körperschaftlichen Handelns, um die Selbstartikulierung eines Kollektivs geht, wofür ich, einen Termi­ nus des Johannes von Segovia aufnehmend, den Namen „Identitäts­ repräsentation** verwende. Die auf dieser Grundlage durch weitere Differenzierung erarbeitete historische Profilierung der Begriffe ist das Gegenteil einer historischen 24 Carl Joachim Friedrich: Prolegomena der Politik, Berlin 1967, S. 10.

§ 2. Zum Stand der Diskussion und zur Aufgabenstellung

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Schematisierung, welche, auf der alten Unterscheidung von absorptiver, d. h. absolutistischer, und mandatischer oder substitutiver Repräsenta­ tion im Sinne der westlichen Demokratien25 aufbauend, die Repräsen­ tationslehren seit Marsilius von Padua und Lupoid von Bebenburg bis Leibholz und Carl Schmitt kurzerhand unter dem Gesichtspunkt der Volkssouveränitätsdoktrin gruppiert, und zwar so, daß Marsilius, Althusius, Sieyes sowie die englischen und amerikanischen Autoren ein­ heitlich über den Leisten der mandatischen Repräsentation geschlagen werden, während alle anderen Theoretiker danach geordnet sind, ob sie die absolutistische Repräsentation religiös (wie angeblich der Bebenburger), translationistisch (wie die Lehrer des Herrschafts Vertrages und insbesondere Hobbes) oder metaphysisch begründet haben26. Besonders bunt gerät dabei die Liste der Anhänger einer metaphysischen Vorstel­ lung von Repräsentation, welche den kritischen Kant, den in diesem Punkt besonders realistischen Hegel sowie den „ganzen Idealismus“, ferner Leibholz und Carl Schmitt wie schließlich auch noch Nikolaus von Cues und Theodor Maunzens Deutsches Staatsrecht umfaßt27. Der Wert einer solchen, wohl für weniger sensible Leser gedachten Schema­ tisierung muß um so mehr bezweifelt werden, als sie die Repräsenta­ tionstheorie von vornherein auf die Funktion mehr oder weniger frau­ dulöser Herrschaftslegitimation verkürzt. Was schließlich den Punkt betrifft, bis zu dem die vorliegende Unter­ suchung geführt ist, so kam es mir vor allem darauf an zu zeigen, aus welchen Gründen und unter welchen Umständen der Terminus Reprä­ sentation im deutschen Positivismus politisch verdrängt und staats­ rechtlich entbehrlich wurde. Von hier aus wird ausblicksweise dann vielleicht die enorme politische Bedeutung der staatstheoretischen Er­ neuerung der Repräsentationsdiskussion der Weimarer Zeit ebenso sichtbar wie die wissenschaftstheoretische Dimension des Problems einer Neubildung des Repräsentationsbegriffs.

25 Vgl. G. Jellinek, Allg. Staatslehre, S. 569 ff. 26 So Hanns Kurz: Volkssouveränität und Volksrepräsentation (Annales Universitatis Saraviensis — Rechts- u. wirtschaftswiss. Abt. 16), Köln / Ber­ lin / Bonn / München 1965, S. 291 ff. (297). Höchst fragwürdig scheint es mir auch, wenn K. des langen und des breiten von antiken und mittelalterlichen Volkssouveränitätslehren handelt, um den Leser hintenach mit der ja nicht neuen Erkenntnis zu konfrontieren, daß das Souveränitätsproblem ein spe­ zifisch neuzeitliches ist. 27 Ebd. S. 299 mit N. 262.

Erster Teil

Zur antiken und mittelalterlichen Wortgeschichte Repraesentare und repraesentatio in der römischen Literatur, in der klassischen Jurisprudenz und in der älteren Patristik 1. Kapitel § 3. Römische Literatur und Jurisprudenz

Schon vor reichlich 30 Jahren hat L. Schnorr von Carolsfeld nach ebenso umfassender wie eindringlicher Prüfung und Auswertung der Materialien des Münchner Thesaurus Linguae Latinae ein für allemal festgestellt, „daß in den Quellen eine Repräsentationslehre“ im moder­ nen Sinn — was immer darunter im einzelnen und genaueren verstan­ den werden mag —, „falls überhaupt eine solche für das römische Recht angenommen werden kann“, jedenfalls „nicht mit dem Worte reprae­ sentatio gearbeitet hat“1, wie denn für den antiken juristischen Sprach­ gebrauch seinerzeit schon Ritter Hugo versichert hatte: „Niemahls ... kommt repraesentare als juristisches Kunstwort in der Bedeutung vor: jemand vorstellen, die Stelle von jemand vertreten.. .2.“ Mehr noch — oder genauer — weniger noch: Es ist nicht einmal ohne weiteres mög­ lich, in den vielfältigen Variationen des antiken Sprachgebrauchs an­ dererseits positiv eine unverwandt sich durchhaltende Grundbedeutung auszumachen. Das signalisiert schon die Skalenbreite der lexikalisch namhaft gemachten Übersetzungsmöglichkeiten3. Gewiß: Ein Großteil 1 Ludwig Schnorr von Carolsfeld: Repraesentatio und Institutio — Zwei Untersuchungen über den Gebrauch dieser Ausdrücke in der römischen Literatur, Festschr. Paul Koschaker, I. Bd., Weimar 1939, S. 103 - 116 (108). Vgl. dazu von dems. Verf.: Geschichte der Juristischen Person. I. Bd.: Uni­ versitas, corpus, collegium im klassischen römischen Recht, München 1933, S. 315 ff. 2 Gustav Hugo: Vergleichung einiger civilistischer Kunstwörter bey den Alten und bey den Neuern.—Repraesentatio, representation. In: Civilistisches Magazin 5 (Berlin 1825) S. 252 - 256 (254). 8 Karl Emst Georges: Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch, 2. Bd., 7. Aufl., Leipzig 1880, führt Sp. 2082 auf: vergegenwärtigen, vorführen, vor­ stellen, vor Augen stellen, sich zeigen, gegenwärtig sein, sich stellen, er­ scheinen, wiedergeben, wiederholen, darstellen = vorstellen, ausdrücken, nachahmen, etw. auf der Stelle (sogleich) verwirklichen, — gewähren, —

§ 3. Römische Literatur und Jurisprudenz

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der Belegstellen für repraesentare und repraesentatio hat den gemein­ hin assoziierten Sinn des Vergegenwärtigens, der Wieder-Vergegen­ wärtigung oder der Darstellung, wobei — was im Auge zu behalten ist — sowohl der Akt (mit dem man etwas in Erscheinung treten läßt) wie auch das Produkt (die Erscheinung) gemeint sein kann4. Aus der Vielzahl der Belege6 hier nur einige typische Beispiele: Der domitianische Prinzenerzieher Quintilian etwa (8, 3, 61) setzt repraesentatio mit Evidenz gleich und stellt sie über bloße Durchsichtigkeit oder Deut­ lichkeit: plus est evidentia, vel, ut alii dicunt, repraesentatio, quam perspicuitas6. In demselben Sinne der Anschaulichkeit verwendet Aulus Gellius (10, 3, 12), Antiquar des 2. Jahrhunderts, das Wort, um eine gewisse Feinheit des Tempus-Gebrauchs bei Cicero hervorzuheben: Sed enim M. Cicero praeclare cum diutina repraesentatione non ,caesus est‘, sed (7. Verr. 62): caedebatur inquit virgis in medio foro Messanae civis Romanus1, Und wenn es in der Naturalis Historia des älteren Plinius (37, 56, 154) heißt: Crocallis ceras (cerasum?) repraesentat, so

meint das natürlich nicht, daß die Koralle irgend etwas „vertritt“, son­ dern schlicht, daß jene Gemme ein bestimmtes Aussehen zeigt8. Se repraesentare bedeutet folglich: sich zeigen, sich einfinden9, und repraesentari kann demgemäß — wie in der Belegstelle Plin. 8 ep. 6 — das Sich-Darbieten einer Gelegenheit bezeichnen: Cum senatui populoque erfüllen, — leisten, — vollziehen, etw. sofort eintreten lassen, — bewirken, — herbeiführen, — anwenden, etw. beschleunigen, sogleich —, ohne Ver­ zug —, bar bezahlen, — entrichten. 4 Vgl. Schnorr von Carolsfeld, Repraesentatio, aaO (N. 1) S. 104. 5 Vgl. Philip Vicat: Vocabularium Juris utriusque, Ed. II, Tom. IV, Neapoli 1760, S. 171 f.; Egidio Forcellini: Totius Latinitatis Lexicon, Tom. V, Prati 1871, S. 184 ff., und vor allem Schnorr von Carolsfeld, Repraesentatio, aaO (N. 1) S. 104, 108 ff.; ferner Bernhard Kübler (Ed.): Vocabularium Jurisprudentiae Romanae, Tom. V, Berlin 1939, col. 35; Hermann Heumann/ Emil Seckel: Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 10. Aufl., Graz 1958, S. 509 f. • M. Fabius Quintilian: Institutionis oratoriae libri duodecim, hg. v. Carolus Halm, Leipzig 1868, S. 80. Das weiter unten gebrachte Zit. 6, 2, 29 findet sich ebd. S. 308. 7 Aulus Gellius: Die Attischen Nächte (Noctes Atticae), hg. v. Carolus Hosius, Stuttgart 1959, S. 342. Vgl. dazu auch Plin. 9, 5, 1: hoc scire orcas, infestam iis beluam et cuius imago nulla repraesentatione exprimi possit alia quam carnis immensae dentibus truculentae (Plinius: Naturalis His­ toria, ed. H. Rackham [The Loeb Classical Library], London / Cambridge, Mass. 1956, vol. Ill S. 170). 8 aaO vol. X S. 288. • Dig. 48, 5, 16, 3: Quod si quis praesens sit, vice tarnen absentis habetur (ut puta qui in vigilibus vel urbanis castris militat), dicendum est deferri hunc posse: neque enim laborare habet, ut se repraesentet. — Cf. L. lunii Moderati Columellae de re rustica libri XII (curante Jo. Matthia Gesnero, 2 torn., Mannhemii 1781), lib. I c. VIH (I S. 48): Nulla est autem major vel nequissimi hominis custodia, quam operis exactio: ut justa reddantur, ut villicus semper se repraesentet; lib. XI c. 1 (II S. 244): Itaque curabit villicus, ut justa reddantur; istaque non aegre consequetur, si semper se repraesentaverit.

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

Romano liberalitatis gratior repraesentari nulla materia posset, quam si

etc.10. Darüber hinaus begegnet häufig die Bedeutung abbildlicher Vergegenwärtigung, und zwar sowohl im Sinne literarischer, theatra­ lischer oder bildlicher Darstellung wie im Sinne der Imitation und des Ausdrucks. Die Gestalt des Feldherrn Aemilius Paulus bezeichnet Valerius Maximus in seiner rhetorischen Beispielsammlung aus der Zeit des Tiberius (5, 10 n. 2) ob ihres Unglücks mit den Söhnen als augenfälliges und eindrucksvolles Bild und Beispiel mit folgenden Worten: Aemilius Paulus, nunc felicissimi, nunc miserrimi patris clarissima repraesentatio .. .n. Besonders instruktiv ist in diesem Zu­ sammenhang Plinius des Älteren Bericht in seiner Naturgeschichte (34, 19, 88) über einen gewissen, ansonsten wenig bekannten Athener Niceratus, welcher den Alkibiades „repräsentiert“ habe12. Damit ist keineswegs gemeint, daß jener Niceratus den Alkibiades in irgendeiner Angelegenheit vertreten, nicht einfach auch, daß er ihn dargestellt oder nachgeahmt habe, sondern — wie der Kontext lehrt — sehr viel ge­ nauer: daß er eine Statue des Alkibiades hergestellt hat. Ganz im Sinne theatralischer Wieder-Vergegenwärtigung dagegen gebraucht dann später der „letzte Römer“ und „erste Scholastiker“ Boethius das Wort repraesentare im Zusammenhang mit seiner berühmten personaDefinition im 3. Kapitel des Liber de persona et duabus naturis13. Nach­ dem er die Person als naturae rationalis individua substantia (kürzer: als rationabile Individuum) bestimmt und die Übereinstimmung mit dem griechischen Begriff der wtoaraoig bemerkt hat14, fährt er fort: Nomen enim personae videtur aliunde traductum; ex his scilicet personis quae in comoediis tragoediisque eos quorum interest homines repraesentabant. Und bei dem Autor des berühmten „Goldenen Esels“,

dem Afrikaner Apuleius (Florida n. 9)15 begegnet im Sinne von „ein Bild bieten“ die Wendung: effingere et repraesentare virtutes alicuius. Hervorzuheben bleibt, daß das antike Latein ein bloß innerliches 10 Plinius der Jüngere: Briefe, ed. Anne-Marie Guillemin (CUF), Paris 1928, vol. Ill S. 58. 11 Valerius Maximus: Factorum et dictorum memorabilium libri novem, ed. Carolus Kempf, Leipzig 1888, S. 268. 12 aaO (N. 7) vol. IX S. 192: Niceratus ... repraesentavit Alcibiaden lampadumque accensu matrem eius Demaraten sacrificantem. 15 PL 64, 1337 - 1354 (1343 C/D). 14 Die Notwendigkeit einer Definition des Personbegriffs ergab sich aus der Verwendung in der Trinitätslehre nach dem Vorgang Tertullians. Vgl. dazu Siegmund Schlossmann: Persona und neoaconov im Recht und im christlichen Dogma, Kiel 1906, S. 13, 18, 36 f. u. 100ff.; Hans Rheinfelder: Das Wort „Persona“. Geschichte seiner Bedeutungen mit besonderer Be­ rücksichtigung des französischen und italienischen Mittelalters (Beih. z. Zeitschr. f. Roman. Philologie 77), Halle (Saale) 1928, S. 169 f. Die BoethiusDefinition hat namentlich Alanus de Insulis tradiert in seinem Liber in distinctionibus dictionum theologicalium (PL 210, 685 - 1012 [898 f.]). 15 Ed. Paul Valette (CUF), Paris 1960, S. 140.

§ 3. Römische Literatur und Jurisprudenz

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Vorstellen nur mit einem Zusatz auszudrücken vermag, etwa durch animo repraesentare. Quintilian (6, 2, 29) schreibt: Quas qpavTaniag Graeci vocant, nos sane visiones appelemus, per quas imagines rerum absentium ita repraesentantur animo, ut eas cernere oculis ac praesentes habere videamur .. .16.

Was nun aber den angeblichen Bedeutungskern von Vergegenwärti­ gung, besonders von Wieder-Vergegenwärtigung und Darstellung, fragwürdig macht, ist der Umstand, daß es neben dem eben umrissenen Kreis von Belegen zumindest eine weitere umfangreiche Bedeutungs­ gruppe gibt, die offenkundig andere Bezugspunkte hat. Gemeint sind hier beispielsweise all diejenigen Sätze, in denen mit Hilfe des Verbs repraesentare zum Ausdruck gebracht wird, daß etwas sofort getan, auf der Stelle verwirklicht oder — eine etwas andere Nuance — endlich realisiert wird: Als wilde Gerüchte über die unbändige Kampfkraft der Germanen sein Heer beunruhigen, erklärt Caesar (B. G. I 40 ad fin.) im Kriegsrat, er werde, um die Sache zur Entscheidung zu bringen, was erst für später vorgesehen, sofort ins Werk setzen und schon in der nächsten Nacht gegen den Suebenkönig Ariovist aufbrechen: ... se, quod in longiorem diem collaturus fuisset, repraesentaturum et pro­ ximo nocte de quarta vigilia castra moturum .. .17. In klarer Antithese zu differre = aufschieben verwendet Seneca (ep. 95 init.) das fragliche Zeitwort: Petis a me, ut id, quod in diem suum dixeram debere differri, repraesentem .. ,18. Als besonders aufschlußreich erweisen sich hier

Ciceros Reden und Briefe. Auf der einen Seite sentenziöse Stilisierun­ gen: Nicht dürfen wir auf die Heilung durch die Zeit warten, die wir vermöge der Vernunft sofort herbeiführen können (5 Farn. ep. 16 n. 6): ... neque (debemus) exspectare temporis medicinam, quam repraesen­ tare ratione possimus19. Oder 2. Philippica 46: Sein Leben möchte

18 Siehe oben N. 6. Vgl. auch Tertullian: De paenitentia c. 3 (Opera, Pars I = CC I, S. 325) mit dem Ausdruck: animus sibi repraesentat. 17 C. Juli Caesaris commentarii Belli Gallici (ed. Alfredus Klotz, 4. Aufl., Leipzig 1952), lib. I c. 40 ad fin. (S. 27). 18 Lettres ä Lucilius, ed. Francois Prechac (CUF IV), Paris 1962, S. 88. Vgl. dazu Dig. 37, 10, 3, 5, wo im Zusammenhang mit dem Carbonianischen Edikt, wonach ein Statusstreit unter Verleihung des Erbschaftsbesitzes bis zur Mündigkeit hinausgeschoben werden kann, über die prätorische Unter­ suchung gesagt wird: ... utrum differri debeat in tempus pubertatis cognitio an repraesentari etc. Siehe dazu etwa auch Dig. 43, 30, 3, 4. Beachte zu beiden Belegen aber Hans Niedermeyer: Studien zum Edictum Carbonianum, ZRG Rom. Abt. 50 (1930), S. 78- 139 (119 ff., 124). Bezüglich der Zurück­ forderung der dos nach Ehetrennung hat Dig. 24, 3, 2, 4 sprachlich gleich­ sinnig: Quotiens mulieri satisdandum est de solutione dotis post certum tempus, si maritus satisdare non possit, tune deducto commodo temporis condemnatio residui repraesentatur. Vgl. schließlich noch Dig. 40, 5, 37. 19 M. Tullius Cicero: Epistularum ad familiäres libri sedecim, lib. 5 ep. 16, n. 6 = M. Tulli Ciceronis scripta quae manserunt omnia, fase. 31: epistularum ad familiäres libri V - VIII, recog. H. Sjögren, Lipsiae 1924, S. 152.

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

Cicero darangeben, wenn dadurch nach der Alleinherrschaft Caesars und der Anmaßung Marc Antons endlich Freiheit einzöge — Quin etiam corpus lib enter obtulerim, si repraesentari morte mea libertas civitatis potest, ut aliquando dolor populi Romani pariat quod iam diu parturit29. Auf der anderen Seite verwendet Cicero repraesentatio und repraesentare in seinen um seine Vermögensangelegenheiten besorgten

Briefen an Attikus ganz in dem nüchternen Sinn der römischen Geschäfts- und Rechtssprache: sofortige Leistung, Barzahlung, wobei im einzelnen dann auch eine Vorauszahlung oder Vorleistung oder über­ haupt eine Zahlung, eine Leistung gemeint sein kann21. Unter bestimm­ ter Voraussetzung, heißt es da (Att. 12, 31, 2), explicare vel repraesen­ tatione non dubitarem de Silanis, würde ich gleich mit Silius abschlie­ ßen — gegebenenfalls gegen bar22. 20 Cicero: Discours, ed. Andre Boulanger / Pierre Wuilleumier (CUF XIX), Paris 1966, S. 153. 21 Vgl. etwa Dig. 35, 2, 1, 10; 31, 88, 5; 2, 15, 8, 6; ferner Dig. 30, 91, 7; 17, 1, 62, 1 und Inst. 2, 20, 14. Gegen die pauschale Interpolations Vermutung Ger­ hard Beselers (Romanistische Studien, ZRG Rom. Abt. 47 [1927], S. 53 - 74 [70]) mit guten Gründen differenzierend Schnorr von Carolsfeld, Repraesen­ tatio, aaO (N. 1) S. 107 f. Vgl. auch Pseudasconii scholia sangallensia Ciceronis quattuor in Verrem orationum primarum, in div. § 33 (Thomas Stangl, rec.: Ciceronis orationum Scholiastae, Bd. II: Commentarii, Vindobonae/ Lipsiae 1912, S. 181 -264 [196]): Mancipes sunt publicanorum principes ... Hi enim exigenda a sociis suo periculo exigunt et rei publicae repraesentant, providentes etiam in illa redemptione commodis suis. Vgl. dazu Michael Rostowzew: Geschichte der Staatspacht in der römischen Kaiserzeit bis Dio­ kletian, Leipzig 1902, S. 46 ff. — Was übrigens die Wendung »„Darstellung' im kaufmännischen Sinne der Erlegung der Kaufsumme“ besagt, mit der Gadamer (Wahrheit und Methode, S. 134 N. 2) den Sinn von Barzahlung aus der Bedeutung abbildlicher Darstellung abzuleiten unternimmt, ist mir nicht klar geworden. 22 Cicero’s Letters to Atticus, ed. Shackleton Bailey, vol. V, Cambridge 1966, S. 126. Gleich im nächsten Satz heißt es wieder: magno etiam adiumento nobis Hermogenes potest esse in repraesentando. Vgl. ferner Att. 12, 25, 1 (aaO S. 112) und Att. 13, 29, 3 (aaO S. 170). Die Deutung der zuletzt ge­ nannten Stellen ist (noch immer) streitig. So hält Shackleton Bailey in seinem Kommentar (aaO S. 322, 327) daran fest, es sei in allen Fällen to pay cash, making cash payment, paying cash down, also Barzahlung gemeint, wohin­ gegen Helmut Kasten in seiner Ausgabe der Attikus-Briefe (München 1959, S. 776, 791, 833) durchgängig mit „diskontieren“ und „Diskontierung“ über­ setzt. Das ist indessen hinsichtlich der konkret in Frage stehenden Sätze nicht zwingend, da dort weder von einer vorzeitigen Leistung der Schuldner gegen Abschlag vom Nennbetrag der Forderung noch — was Kasten zu unterstellen scheint — von einem Forderungskäufer die Rede ist. Und was die Sache selbst im allgemeinen anlangt, so ist zwar zuzugeben, daß vorzei­ tige Tilgung einer Schuld und Realisierung einer Forderung vor Fälligkeit durch Verkauf wirtschaftlich auf dasselbe hinauskommen, daß es aber einen sachlichen Unterschied macht, ob dabei ein Dritter als Forderungskäufer beteiligt ist oder nicht, und es daher auch sprachlich nicht einerlei ist, ob in der Schuldner- oder in der Gläubigerperspektive gesprochen wird. Es müßte also vorab gerade das spezifisch juristische Material genauer auf seine Aussage-Perspektive hin untersucht werden. Doch mag diese Kontroverse, da für unsere Zwecke nicht weiter belangvoll, hier auf sich beruhen.

§ 3. Römische Literatur und Jurisprudenz

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Schließlich begegnen bei Durchsicht des Materials einige Belege, die sich nicht ins bisherige Schema fügen wollen, dafür aber unseren Sprachsinn am ehesten vertraut anmuten. Es sind diejenigen Stellen, in denen repraesentare offenbar so viel wie gleichstehen oder ersetzen meint. So findet sich in des älteren Plinius Naturgeschichte wiederholt die Wendung: vicem alicuius repraesentare. Butter, so meint er gele­ gentlich (28, 45, 160/1), sei ein brauchbares Mittel gegen Gifte: nam si oleum non sit, vicem eius repraesentat29. Zu denken ist hier natürlich auch und besonders an Dig. 47, 4, 1, 2, einen Ulpian-Text, demzufolge eine bestimmte Schuldform für die rechtliche Beurteilung einer ande­ ren gleichsteht: culpa dolo proxima dolum repraesentat. Freilich sind insoweit Interpolationsvermutungen geäußert worden24, die, wie es zunächst scheint, wenn man die sprachliche Differenz etwa zu den eben gegebenen Plinius-Zitaten bedenkt und den sonstigen klassischen Sprachgebrauch berücksichtigt, nicht von der Hand zu weisen sind. Indessen gibt es eine zweite, ebenfalls juristische, nämlich das Kirchen­ recht betreffende Belegstelle. Im Anschluß an die Frage der „Ketzer­ taufe“ behandelt der juristisch gebildete Kirchenvater Tertullian25 in seiner katechetischen Schrift de baptismo (c. 16) eine mögliche zweite Taufe für den rechtgläubigen Christen, welche dennoch nur eine und dieselbe ist, nämlich das lavacrum sanguinis, die Bluttaufe. Von ihr sagt er: Hic est baptismus qui lavacrum et non acceptum repraesentat et perditum reddit29! Das bedeutet, daß der Märtyrertod hinsichtlich der Gnadenwirkung und Heilskraft dem sacramentum aquae gleich­ gesetzt wird. 23 aaO (N. 7) vol. VIII S. 110/112; vgl. Plin. 18, 36, 134 (aaO vol. V S. 274). Eine ähnliche Wendung bei Tertullian: De praescriptione haereticorum c. 36 (Opera I S. 216), wo von den Kirchen der Apostel die Rede ist, apud quas ipsae authenticae litterae eorum recitantur sonantes vocem et repraesentantes fadem uniuscuiusque. 24 Dazu kritisch Schnorr von Carolsfeld, Repraesentatio, aaO (N. 1) S. 105 N. 12. Vgl. auch noch die unbezweifelt echte Ulpian-Stelle Dig. 46, 8, 20. 26 Bei der Kontroverse über die Juristeneigenschaft Tertullians geht es nicht darum, ob der Kirchenvater in der juristischen Fachsprache bewan­ dert war. Das ist sicher. Fraglich ist nur, ob er ein Rechtsgelehrter, ein Jurisconsultus war, insbesondere, ob er mit dem im Corpus Juris Civilis zitierten Juristen gleichen Namens (Dig. 1, 3, 27; 29, 1, 23 u. 33; 41, 2, 28; 49, 17, 4; Cod. Just. 5, 70, 7, 1 a) identisch ist, oder ob er lediglich ein causidicus, ein Advokat, d. h. ein Rhetor mit forensischen Erfahrungen gewesen ist. Eusebius nennt ihn in seiner Kirchengeschichte II 2, 4 (hrsgg. v. Eduard Schwartz — Kl. Ausg. — Leipzig 1908, S. 44) zorg ‘Pco^atcov TpcQtßcDxcbg, dvrjQ za ze äXXa Evöo^og xal twv ixaXioza etci *Pcbp/qg XapjtQOjv ... Dement­ sprechend herrschte die Ansicht von der Juristenqualität des Apologeten vor bis zu der kritischen Untersuchung von Siegmund Schlossmann: Tertullian im Lichte der Jurisprudenz (ZfKG 27 [1906] S. 251 - 275 und 407 - 430), die zu dem Ergebnis führte, es dürfe „mit Sicherheit geleugnet werden, daß Ter­ tullian in irgendeinem Sinne Jurist gewesen sei“ (S. 428). Für die Identität des Kirchenschriftstellers mit dem Pandektenjuristen nach gründlicher Unter-

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

Eine für uns besonders interessante Wendung bringt schließlich eine Kaiserkonstitution aus spätklassischer Zeit (231), welche den Gerichts­ stand der causa status, des Freiheitsprozesses also27, betrifft. Quae a te, wird hier bestimmt (Cod. Just. 3, 22, 1), cum tibi serviret, refugit et in aliam provinciam se contulit, libertatem sibi vindicans non iniuria eo loco litigare compellenda est, unde quasi fugitiva recessit. Und dann: ideoque remitiere earn in qua serviret praeses provinciae qui eo loco ius repraesentat curae habebit .. .28. Es ist klar, daß der fragliche Rela­

tivsatz die Gerichtsherrnfunktion des Provinzstatthalters umschreibt, wohl bewußt weniger eindeutig erscheint dagegen die Art und Weise dieser Umschreibung. Wodurch „läßt“ der praeses provinciae „das Recht in seinem Zuständigkeitsbereich in Erscheinung treten“? Durch seinen Status, das Amt, die Machtfülle seiner Person? Oder durch seine Tätigkeit, durch Rechtsausübung, Rechtsvollzug, RechtsVerwirklichung?

Kommen wir nach dieser Sondierung des Terrains auf die Frage zurück, ob und — wenn ja — welche kernhafte Grundbedeutung im Wechsel der Ausdruckskombinationen sich durchhalte, so legen die festgestellten Merkmale folgende Antwort nahe: repraesentare und repraesentatio akzentuieren Wirklichkeit, gegenwärtige, anschauliche Wirklichkeit, sichtbare Erscheinung, gegenwärtig sich Ereignendes und augenblickliches Tun — und das naturgemäß immer in einer je be­ stimmten Perspektive, immer in einer gewissen antithetischen Span­ nung. Denn: gegenwärtige Wirklichkeit kann gemeint und bezeichnet sein in der Dimension der Zeit, als Wieder-Vergegenwärtigung zumal, im Rückblick, in der Perspektive der Vergangenheit, aber als sofortiges, suchung des juristischen Gehalts der Werke des Apologeten dann wiederum Alexander Beck: Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian. Eine Studie zur frühen Kirchenrechtsgeschichte (Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft, Geisteswiss. Kl. VII/2), Halle 1930, 13 ff., mit weiteren Nach­ weisen S. 4 f. A. M. mit Rücksicht auf den Zeitfaktor Paolo Vitton: I concetti giuridici nelle opere di Tertulliano, Rom 1924, S. 72 ff. Hugo Koch (Art. „Ter­ tullianus“ in: Pauly/Wissowa: Realencyclopädie d. Class. Altertumswissen­ schaft II/9, Stuttgart 1934, Sp. 822 - 844 [823]) hält die Personengleichheit nicht für sicher, aber doch für sehr wahrscheinlich. Siehe auch Joseph K. Stirnimann: Die praescriptio Tertullians im Lichte des Römischen Rechts und der Theologie (Paradosis — Beiträge z. Gesch. der altchristl. Lit. u. Theo­ logie III), Freiburg i. d. Schweiz 1949, S. 3 f. und passim. 28 Opera, CC I S. 291. Dazu Franz Joseph Dölger: Antike und Christentum. Kultur- und religionsgeschichtliche Studien, Bd. II, Münster i. Westf. 1930, S. 117-141: Tertullian über die Bluttaufe, bes. S. 123 ff., 133 f. Vgl. ferner Wilhelm Hellmanns: Wertschätzung des Martyriums als eines Rechtferti­ gungsmittels in der altchristlichen Kirche bis zum Anfang des vierten Jahr­ hunderts, Diss. Breslau 1912. 27 Vgl. dazu Mathieu Nicolai: Causa Liberalis — Etude historique et comparative du proces de liberte dans les legislations anciennes, Paris 1933. 28 Vgl. die nämliche Wendung in Cod. Just. 8, 23, 1, bei der freilich die Überlieferung zweifelhaft ist.

§ 3. Römische Literatur und Jurisprudenz

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augenblickliches, jetzt schon sich ereignendes Geschehen auch in der Zukunfts-Perspektive, abgesetzt gegen eine bloße Erwartung, die Vor­ stellung eines möglichen Aufschubs, abgehoben gegen einen zukünfti­ gen Zielpunkt. So ist es ein Ausdruck nicht nur leidvoller Erinnerung, sondern zugleich sehnsüchtigster Hoffnung, wenn Cicero von der „Repräsentation“ der Freiheit redet. Daß in dem Präfix re- eine solche Akzentuierung wie „jetzt sogleich und nicht erst später irgendwann“ neben der gemeinhin vermuteten Bedeutung liegen kann, zeigte klar ja schon der juristische Sprachgebrauch; die fragliche Vorsilbe kann eben auch der Verstärkung, der Intensivierung dienen29. Indessen kann der Bedeutungsakzent statt in der Vorstellungsdimension der Zeit auch im Horizont der Anschauungsform des Raumes gesetzt sein, d. h. ein hier Greifbares markieren, Anwesenheit, Gegenwart im Gegensatz zu Abwesenheit bedeuten. In abermals anderer Blickrichtung kommt viel­ fach die Sichtbarkeit und Anschaulichkeit der wirklichen Vergegen­ wärtigung zum Ausdruck oder auch der Akt des Sichtbar-Machens. Und schließlich läßt sich das Wort auch in der Kategorie des Werdens, der Verwirklichung und Erfüllung gebrauchen. Gerade eine Wendung wie repraesentatio temporis, die uns in der ältesten christlichen Biographie, der Lebens- und Leidensgeschichte des mächtigen Karthagischen Mär­ tyrerbischofs Cyprian (f 258) begegnet30, zeigt das und beleuchtet zu­ gleich die Schwierigkeit, von unserem Fremdwort her den Zugang zum antiken Sprachsinn zu gewinnen: Das 12. Kapitel berichtet von einer Traumgestalt, deren vage Gebärden Cyprian als Ankündigung des Martyriums versteht; im nachfolgenden Abschnitt werden wortlose Traumverkündigung und Ereignis durch den Gedanken miteinander verknüpft, daß die sprachliche Fassung einem Geschehen nachzufolgen, nicht aber vorauszugehen pflege. So sei auch hier die Deutlichkeit sprachlicher Artikulation vorbehalten geblieben repraesentationi tem­ poris — der Realisierung durch die Zeit, der Zeit der Erfüllung. In ganz ähnlicher Weise hatte zuvor schon ein anderer großer Afrikaner 29 Frau Dr. Contiades-Tsitsoni, Athen, bin ich für den freundlichen Hin­ weis auf die semantische Parallele zu den Ek-Verbal-Komposita verbunden; vgl. Eleni Tsitsoni: Untersuchungen der EK-Verbal-Komposita bei Sopho­ kles, Diss. München 1963. — Wegen der Bedeutung des Präfixes re- siehe im übrigen August Friedrich Pott: Etymologische Forschungen auf dem Ge­ biet der Indo-Germanischen Sprachen, 2. Aufl., Erster Teil: Präpositionen, Lemgo und Detmold 1859, S. 190 ff.; Guilelmus Schoenwitz: De re praepositionis usu et notione, Diss. Marburg 1912. 30 Pontius diaconus de Vita et Passione S. Cypriani, PL 3, 1552. Der Um­ stand, daß Pontius entgegen Hieronymus’ Bericht möglicherweise nicht Dia­ kon Cyprians, sondern ein etwas jüngerer Rhetor war, ist hier nicht von Interesse, da die vita jedenfalls ein sprachliches Dokument noch des 3. Jahr­ hunderts ist. Die fragliche Stelle lautet: Quod vero nutu potius, et non sermone explanatum est, repraesentationi temporis servabatur sermonis expressio. Solet enim tunc verbis quodcumque proferri, quoties quidquid profertur impletur.

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

der frühen Kirche, Tertullian, imagines in visione und veritates in repraesentatione gegenübergestellt (De cor. mil. 15) und über ein zeichenhaftes Bild (effigies in signum) des Reichs vor dessen Kommen,

vor dessen „Repräsentation“ gesprochen (Adv. Marc. 3, 24)81. Wenn es richtig ist, daß repraesentatio und repraesentare in der an­ gedeuteten Weise die Wirklichkeit eines Geschehens, einer Handlung oder deren Ergebnis hervorheben, dann leuchtet ein, daß zwar in die­ sem Zusammenhang wegen der erwähnten Perspektivität der frag­ lichen Ausdrücke qua Vergegenwärtigung von etwas hinsichtlich des Aussehens, der Wirkung oder der Funktion der Sinn von Gleichsetzung oder Ersetzung zustande kommen kann, daß aber nicht dies das Moment ist, welches das Wortfeld strukturiert82. Des weiteren ist nach alledem zu konstatieren, daß der Sprachgebrauch ungeachtet der da und dort zerlaufenden Konturen seinen deutlichen, einheitlichen Schwerpunkt hat. Demgegenüber könnte man den modernen Sprachgebrauch durch die These der Entkräftung oder Aufspaltung dieses Bedeutungskerns charakterisieren. Gerade zwei in mehrfacher Hinsicht ziemlich weit auseinanderliegende neuzeitliche Zeugnisse mögen verdeutlichen, was gemeint ist: Gewissermaßen nur noch Randphänomene, Schalenstücke verzeichnet Kants Königsberger Nachfolger Wilhelm Traugott Krug in seinem verdienstlichen Allgemeinen Handwörterbuch der philosophi­ schen Wissenschaften33: „Repräsentation ... heißt bald soviel als Vor­ stellung einer Sache, weil sie dadurch dem Gemüthe vergegenwärtigt wird, bald die Darstellung einer Sache zur äußeren Wahrnehmung, bald aber auch die Vertretung einer Person durch eine andere, weil 31 De corona (militis) c. 15 (Opera II S. 1064 f.): Qui, vicerit, inquit, dabo ei coronam vitae. Esto et tu fidelis ad mortem, decerta et tu bonum agonem, cuius coronam et apostolus repositam sibi merito confidit. Accipit et angelus victoriae coronam procedens in candido equo, ut vinceret, et alius iridis ambitu ornatur caelesti prato. Sedent et presbyteri coronis aureis coronati eodemque auro et ipse filius hominis super nubem micat. Si tales imagines in visione, quales veritates in repraesentatione? — Ad versus Marcionem lib. 3 c. 24 (Opera I S. 542): Hane et Ezechiel novit et apostolus Johannes vidit et qui apud fidem nostrum est novae prophetiae sermo testatur, ut etiam effigiem civitatis ante repraesentationem eius conspectui futuram in signum praedicarit. — Vgl. auch De oratione c. 5 (Opera I S. 260): Itaque si ad Dei voluntatem et ad nostram suspensionem pertinet regni dominici repraesentatio, quomodo quidam protractum quendam saeculo postulant, cum regnum Dei, quod ut adveniat oramus, ad consummationem saeculi tendat? 38 Dies im Unterschied zur Ordnung der Bedeutungsgruppen bei Schnorr von Carolsfeld (Repraesentatio, aaO [N. 1] S. 105 - 107), der folgendermaßen gliedert: I. Erscheinung oder Wiedererscheinung, als Vorgang oder als etwas Seiendes. 1/1: Das zu verschiedenen Zeiten Erscheinende ist identisch; 1/2: Bloß ähnliche Erscheinungen werden gleichgesetzt. II. Etwas Wirkliches tritt mit Plötzlichkeit an die Stelle von etwas Gedachtem. Davon abgeleiteter Sonderfall: „Barzahlung“. ” 3. Bd., Leipzig 1828, S. 446.

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diese gleichsam jene als eine abwesende vergegenwärtigt, vor- oder darstellt.“ Und im „Lalande“ ist präzise bemerkt: „On voit que ces sens (sc. de representer) se rattachent ä deux idees fondamentales et, ä cer­ tains egards, opposees: d’une part, celle de presence actuelle et sensible; de l’autre, celle de remplacement d’une personne ou d’une chose par un ,representant‘34.“ Natürlich vermeinen wir, rückschauend sogleich die potentiellen Bruchstellen des einst einheitlichen Sprachgebrauchs zu erkennen, etwa zwischen Ciceros „Repräsentation“ der Freiheit, Quin­ tilians animo repraesentare und Plinius des Älteren Formel vicem alicuius repraesentare. Aber diese Art von Retrospektive verstellt das Verständnis der klassischen Redeweise eher, als daß sie es fördert. § 4. Tertullian I . Repräsentativcharakter der frühchristlichen Synoden und der römi­ schen Provinziallandtage? — II. Die Repräsentation des Herrenleibs

Eine Frage freilich bleibt: Wird nicht die Behauptung einer solchen Bedeutungsdistanz zwischen einst und jetzt, die These, es sei, was uns Vielfältigkeit und Zwiespältigkeit scheinen will, auf ein einheitliches, nur eben nicht mehr klar erinnertes Bedeutungszentrum reduzierbar, durch die Zeugnisse eines Mannes widerlegt, von dem bisher nur bei­ läufig die Rede war, der aber nicht nur ganz allgemein eine ungewöhn­ liche, aufschließende und prägende Ausdruckskraft besaß, sondern im besonderen noch die Worte repraesentare und repraesentatio, wie es scheint, sehr viel häufiger und jedenfalls entschieden bewußter ver­ wendet hat als irgend ein anderer Schriftsteller des Altertums. Gemeint ist der erste lateinische Theologe des beginnenden dritten Jahrhun­ derts, jener vir ardens Tertullian aus Karthago1, „einer der originell­ sten und bis auf Augustin der individuellste aller lateinischen Kirchen­ schriftsteller“, dem zum Beispiel nicht weniger als 982 neue Wortbil­ dungen nachgesagt werden2. Nicht von ungefähr also findet sich der einzige Beleg für das Wort repraesentator gerade bei Tertullian8. 84 Andre Lalande: Vocabulaire technique et critique de la Philosophie, 7. Aufl., Paris 1956, S. 923. 1 Seine Schriften werden hier nach der zweibändigen Ausgabe im Corpus Christianorum, Series Latina (Turnhout 1954) zitiert. Die von der Wiener Akademie im Rahmen des Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum betriebene Edition (Wien 1890, 1906, 1942) ist noch nicht vollständig. Ältere Ausgaben in Mignes Lateinischer Patrologie und von F. Oehler (Leipzig 1853 -1854). 2 Berthold Altaner: Patrologie, 5. Aufl., Freiburg 1958, S. 131. Uber Tertullians eigenwilligen Stil zuletzt Hans Freiherr von Campenhausen: La­ teinische Kirchenväter, 2. Aufl., Stuttgart 1965, S. 14 ff. Campenhausen fußt insoweit vor allem auf Karl Holl: Tertullian als Schriftsteller (1897), in ders.: Gesammelte Aufsätze z. Kirchengesch., Bd. 3, Tübingen 1928, S. 1 -12. Vgl. weiter Otto Bardenhewer: Geschichte der altkirchlichen Literatur, 2. Bd.,

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Im einzelnen geht es hier um zwei Punkte. Zum ersten bedarf jener Satz aus der moralischen montanistischen Streitschrift über das Fasten der Prüfung, welcher mittels des Wortes Repräsentation von altchrist­ lichen Konzilien berichtet und von dem kein Geringerer als Otto Hintze behauptet hat, daß in ihm das Wort „wohl zum ersten Male in der Weltgeschichte in der heute allgemein üblichen Bedeutung vorkomm(e)“4. Und ferner ist da eine Wendung über die eucharistische Repräsentation Christi aus seiner mächtigen, entschieden christlichen Abrechnung mit der Gnosis in der Gestalt des Kirchenstifters Markion, eine Prägung, die später für gewisse der untereinander widerstreiten­ den reformatorischen Ansichten in Anspruch genommen von der Ge­ genreformation nur noch um den Preis des Zugeständnisses einer sprachlichen Zweideutigkeit reklamiert werden konnte.

Freiburg i. Br. 1903, S. 332-394; Eduard Norden: Die antike Kunstprosa, 2 Bde., 3. bzw. 4. Abdruck, Leipzig / Berlin 1915/1923, Bd. 2, S. 606-615; Ernst Bickel: Lehrbuch der Geschichte der römischen Literatur, 2. Aufl., Heidelberg 1961, S. 232 f.; Wilhelm Münscher: Handbuch der christlichen Dogmengeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Marburg 1802, S. 177; Wilhelm Weber: Römische Kaisergeschichte und Kirchengeschichte, Stuttgart 1929, S. 16 ff. — Repraesentare und seine Ableitungen bei Tertullian hat nach den ein­ schlägigen Überlegungen Immanuel Rückerts (Das Abendmahl. Sein Wesen und seine Geschichte in der alten Kirche, Leipzig 1856, S. 318 f.) zuerst Carl L. Leimbach in seinen gründlichen und gediegenen Beiträgen zur Abend­ mahlslehre Tertullians (Gotha 1874) zusammenfassend untersucht. 3 Adversus Praxean c. 24 (Opera II S. 1195): Igitur et manifestam fecit duarum personarum coniunctionem ne Pater seorsum quasi visibilis in conspectu desideraretur et ut Filius repraesentator Patris haberetur. Vgl. dazu ebd. S. 1194: Et ideo suggillatur Patrem videre desiderans quasi visibilem et instruitur visibilem eum in Filio fieri ex virtutibus, non ex personae repraesentatione. — Statt aller hier nur noch ein weiteres bemerkenswertes Beispiel: Wilhelm Weber hat (Röm. Kaisergeschichte, S. 18) darauf hinge­ wiesen, daß Tertullian als erster statt vom status rei publicae vom Romanus status gesprochen hat: De resurrectione mortuorum (carnis) c. 24 (Opera II S. 952). Vgl. dazu Erich Köstermann: ,status' als politischer Terminus in der Antike, Rheinisches Museum für Philologie NF 86 (1937) S. 225-240 (232ff.); Werner Suerbaum: Vom antiken zum frühmittelalterlichen Staatsbegriff — Über Verwendung und Bedeutung von res publica, regnum, imperium und status von Cicero bis Jordanis (Orbis antiquus 16/17), Münster Westf. 1961, S. 122 - 127 (123). — Zur Bedeutung der Tertullianischen Prägungen für die kirchlichen Lehrtraditionen vgl. den (freilich ein bißchen sehr enthusiasmier­ ten) Überblick bei Friedrich Heiler: Altkirchliche Autonomie und päpstlicher Zentralismus, München 1941, S. 4 ff. Eingehend dazu James Morgan: The importance of Tertullian in the development of Christian dogma, London 1928. Vgl. ferner Adolf Harnack: Tertullian in der Litteratur der alten Kirche, SPAW 1895, 2. Halbb., S. 541 -579; auch Jos. Schrijnen: Charakteri­ stik des Altchristlichen Latein (Latinitas Christianorum Primaeva - Studia ad sermonem latinum Christianum pertinentia, Fase. I), Nijmwegen 1932, S. 24 ff. 4 Otto Hintze: Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativ Verfas­ sung (1931), in ders.: Staat und Verfassung — Ges. Abh. z. allg. Verfassungsgesch., 2. Aufl. hg. v. Gerhard Oestreich mit einer Einl. v. Fritz Hartung, Göttingen 1962, S. 140 - 185 (145).

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I. Bei seiner sektiererischen Propaganda für eine verschärfte Fasten­ praxis gegen die sog. „Psychiker“ (das meint die „natürlichen“, gewisse aktuelle Geisterleuchtungen verwerfende Katholiken im Gegensatz zu den „Pneumatikern“, den nach ihrem Selbstverständnis neuerlich un­ mittelbar inspirierten Montanisten)5 sieht sich Tertullian vor allem dem Vorwurf illegitimer (und im übrigen nutzloser) Neuerung gegenüber®. Ihm setzt er seinen spiritualistischen Kirchenbegriff entgegen. Im übri­ gen versucht Tertullian, den Einwand mit allen möglichen Zeugnissen des Alten und Neuen Bundes über das Fasten und insbesondere die Gottgefälligkeit scharfer Disziplin (cap. 4-11) sowie in Sonderheit mit dem Hinweis zu entkräften, daß ja auch die katholische Kirche Fasten­ übungen neu begründet habe (cap. 13). In diesem Zusammenhang hebt er die bisweilen aus besonderem Anlaß getroffenen bischöflichen Fa­ stenanordnungen hervor und verweist des weiteren auf die in Grie­ chenland üblichen Kirchenversammlungen, vor deren Beginn gewisse Fastenübungen beobachtet würden. In diesem Zusammenhang heißt es da: Aguntur ... per Graecias ilia certis in locis concilia ex universis ecclesiis, per quae et altiora quaeque in commune tractantur, et ipsa repraesentatio totius nominis Christiani magna veneratione celebratur7.

Otto Hintzes schon erwähnte diesbezügliche Bemerkung, es begegne hier das in Frage stehende Wort erstmals in dem uns heute geläufigen Sinne, beruht auf der Annahme, daß jene „Konzilien“ Bischofsver­ sammlungen, d. h. Zusammenkünfte der Kirchenhäupter und damit vertretungsweise oder organschaftlich konstituierte und insgleichen fungierende Versammlungen gewesen seien. Diese Prämisse tritt so­ wohl in der gleichzeitigen Aufnahme der alten These von dem sie be­ stimmenden Vorbild der römischen Provinziallandtage (concilia, communia, xorvd) hervor8, insofern diese Einrichtung schon von Marquardt — mit einem unseren Quellen durchaus fremden Ausdruck freilich — als der „erste Versuch einer repraesentativen Versammlung“ gewertet 5 Das Ganze ist eine boshafte Anspielung auf 1. Kor. 2, 14: dv^pconog ov ÖEXEtai rd tou jrvEvpxiTog tov 0eou. Vgl. St. W. J. Teeuwen: Sprach­ licher Bedeutungswandel bei Tertullian. Ein Beitrag zum Studium der christlichen Sondersprache (Stud. z. Gesch. u. Kultur d. Altertums XIV/1), Paderborn 1926, S. 36 f. 8 De ieiunio (ieiuniis) adversus psychicos (Opera II S. 1255 - 1277) c. 1 ad fin., c. 2 pr., c. 4 pr., c. 10 pr., c. 13 pr. (aaO S. 1257 f., 1260, 1267, 1269 f., 1271). Vgl. dazu Karl Bihlmeyer / Hermann Tüchle: Kirchengeschichte, 1. Teil, 17. Aufl., Paderborn 1962, S. 167, auch S. 131 ff.; ferner Johannes Schümmer: Die altchristliche Fastenpraxis mit besonderer Berücksichtigung der Schrif­ ten Tertullians (Liturgiegeschichtl. Quellen u. Forsch. 27), Münster 1933. 7 De ieiunio c. 13 (aaO S. 1272). 8 Hintze, Weltgeschichtliche Bedingungen der Repräsentativverfassung, aaO (N. 4) S. 145. 4 Hofmann

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worden war9, wie in der Bezeichnung von de ieiun. 13 als „ältestes Zeugnis altchristlicher Konzilien“. Denn unter „Konzil“ wird aufgrund der mit der Einberufung der konstantinischen Reichssynoden anheben­ den Konziliengeschichte und in der Folge der territorialen Durchglie­ derung der Kirche verbunden mit der Durchsetzung des monarchischen Episkopats und des päpstlichen Primats ganz selbstverständlich ein „Repräsentativorgan“ für die verschiedenen Bezirke oder Kreise in der gestuften Gebietsordnung der zentralistischen Bischofskirche verstan­ den. Indessen darf die etwa von Philipps, Hefele und Hinschius ent­ wickelte sowie mit gewisser Einschränkung auch von Hatch vertretene Lehre als abgetan gelten, wonach die Kirche der ersten ökumenischen Synoden als eine Art von Konföderation der einzelnen durch ihre Bischöfe vertretenen Bischofskirchen zu begreifen wäre und Tertullian ausweislich des (erstmaligen) Gebrauchs der Bezeichnung „Konzil“ für jene frühen griechischen Versammlungen als Kronzeuge dieses Vorgangs zu gelten hätte10. In glänzender Weise hat demgegenüber seinerzeit Rudolph Sohrn sehr zugespitzt gezeigt, daß und inwiefern die fraglichen Konzilien aus der Gemeindeversammlung hervorgegangen sind11. Natürlich hängt Sohms Einsicht subjektiv innig mit seiner grund­ sätzlichen Auffassung zusammen, daß die unsichtbare Kirche überhaupt nur immer wieder versammlungsweise sichtbar, aber eigentlich nicht rechtlich verfaßt werden kann. Doch ist die Erkenntnis, wonach die Regionalsynoden des 2. und 3. Jahrhunderts nicht bloße BischofsVer­ sammlungen waren12, objektiv vom Sohmschen KirchenVerständnis 9 Joachim Marquardt: Römische Staatsverwaltung, 1. Bd., 3. Aufl., Darm­ stadt 1957, S. 503 ff., dazu ebd. S. 258 ff., 270 f. Noch weitergehende Inter­ pretation als Ansatz zu einem repräsentativ-föderativen Regierungssystem bei Tenney Frank: Representative Government in the Ancient Polities, The Classical Journal 14 (1918/19) S. 533 - 549, und Jakob Aall Ottesen Larsen: Representative Government in Greek and Roman History (Sather Classical Lectures 28), Berkeley and Los Angeles 1955. Kritisch dazu Jürgen Deinin­ ger: Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit (Vestigia 6), München u. Berlin 1965, bes. S. 180 ff. Siehe ferner unten nach N. 30. 10 Carl Joseph Hefele: Conciliengeschichte, 1. Bd., Freiburg i. Br. 1855, S. 15; Georg Philipps: Kirchenrecht, Bd. 2, Regensburg 1846, S. 16 ff., 219 ff. (223, 232 mit N. 44); Paul Hinschius: Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, 3. Bd., Berlin 1883, S. 325 ff. (326 mit N. 1); Edwin Hatch: Die Gesellschaftsverfassung der christlichen Kirchen im Alterthum (Übers, der 2. Aufl. Oxford 1882 v. A. Harnack), Gießen 1883, S. 176 ff. (vgl. aber auch S. 174 f.). In diesem Punkte besonders schematisch Konrad Lübeck: Reichseinteilung und kirchliche Hierarchie des Orients bis zum Ausgange des vierten Jahrhunderts (Kirchengeschichtl. Stud. V/4), Münster i. W. 1901, S. 37 ff. (S. 37 N. 2!). 11 Rudolph Sohrn: Kirchenrecht (Systemat. Hdb. d. Dt. Rechtswiss. VIII/1), 1. Bd., Leipzig 1892, S. 258 ff., 281 ff. 12 Hans Küng: Strukturen der Kirche (Quaestiones Disputatae 17), Frei­ burg / Basel / Wien 1962, S. 78 ff. Siehe dazu auch schon die einleuchtende, weil undogmatische Darstellung von Wilhelm Moeller: Lehrbuch der Kir­ chengeschichte, 1. Bd., Freiburg i. Br. 1889, S. 260 ff.; ferner Karl Johannes

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durchaus unabhängig, so daß ihm schon sein Kontrahent Harnack in diesem Punkte, wenn auch mit kleinem Vorbehalt, zustimmen konnte18. Ursprünglich also „gleicht die Synode einer erweiterten Gemeinde­ versammlung: mit den Gästen tagen die einheimische Gemeinde und ihr Klerus zusammen“14. Daß Tertullian anstelle der seit Dionysius Alexandrinus überlieferten Bezeichnung Synode hier zum ersten Male von concilium, spricht, bedeutet keine sachliche Differenzierung. Diese Ausdrücke werden synonym gebraucht15 und meinen allemal die Kir­ chengemeindeversammlung 16. Besonders klar tritt das zutage, wenn Tertullian in seiner Abhandlung über die Ehrbarkeit von der allge­ meinen Nichtannahme und NichtVerlesung einer bestimmten Schrift (nämlich des Hirten des Hermas) in den christlichen Gemeinden, von der Verwerfung ab omni concilio ecclesiarum spricht17. In der Zeit, da der Karthager schreibt18, oder genauer: zu der voraufliegenden Zeit, von der der montanistische Eiferer handelt, fehlen nahezu noch alle Voraussetzungen für die dann im 4. Jahrhundert sich vollziehende Ab­ schichtung der Synode von der Gemeindeversammlung: nämlich der Alleinepiskopat und die Ausschaltung des Laienelements, eine hinrei­ chend bestimmte territoriale Gliederung als bewußtes Organisations­ element und schließlich die Ausbildung der Vorstellung von einer je Neumann: Der römische Staat und die allgemeine Kirche bis auf Diocletian, 1. Bd., Leipzig 1890, S. 61 und dazu S. 46 ff. Vgl. jetzt auch Karl Stürmer: Konzilien und ökumenische Kirchenversammlungen — Abriß ihrer Ge­ schichte (Kirche u. Konfession 3), Göttingen 1962, S. 18. 13 Adolf Harnack: Kirchenverfassung und Kirchenrecht in den zwei ersten Jahrhunderten, Leipzig 1910, S. 114. Zur Kontroverse Sohrn/Harnack vgl. Fr. Loofs: Die urchristliche Gemeindeverfassung mit spezieller Beziehung auf Loening und Harnack, Theolog. Studien u. Kritiken 63 (1890) S. 619-658; Hans Lietzmann: Zur altchristlichen Verfassungsgeschichte, Zeitschr. f. wiss. Theologie 55 (1914) S. 97 - 153; Günther Holstein: Die Grundlagen des evan­ gelischen Kirchenrechts, Tübingen 1928, S. 33 ff., 51 ff. (53 ff.); Friedrich Gerke: Die Stellung des Ersten Clemensbriefes innerhalb der Entwicklung der altchristlichen Gemeindeverfassung und des Kirchenrechts (Texte u. Unters. 47), Leipzig 1932. 14 Karl Müller: Kirchengeschichte, I. Bd., 1. Halbbd., 3. Aufl. in Gemein­ schaft mit Hans Freiherr von Campenhausen, Tübingen 1941, S. 319. Selbst Bertrandus Kurtscheid OFM (Historia Iuris Canonici — Historia Institutorum, vol. I, Romae 1941, p. 45) muß einräumen, daß an den frühen Konzilien auch Laien beteiligt waren. Vgl. zu de ieiun. 13 auch noch: Gerwin Roethe: Zur Geschichte der römischen Synoden im 3. und 4. Jahrhundert, in: For­ schungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte, 11. Bd., Stuttgart 1937, S. 9. 15 Vgl. Willibald M. Plöchl: Geschichte des Kirchenrechts, Bd. I, 2. Aufl., Wien/München 1960, S. 58; Horst Fuhrmann: Das ökumenische Konzil und seine historischen Grundlagen, GWU 12 (1961) S. 672 - 695 (676). 18 Sohrn, Kirchenrecht I, S. 281 N. 70. 17 De pudicitia c. 10 (Opera II S. 1301). 18 Nämlich um 220, d. h. zu der Zeit, da Kallistus Bischof von Rom war. Zu den schwierigen Datierungsfragen vgl. E. Noeldechen: Die Abfassungszeit der Schriften Tertullians (Texte u. Unters. V 2), Leipzig 1888, hier S. 132 ff., 148 ff. 4*

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besonderen synodalen Entscheidungskompetenz10. Ist es offenkundig, daß die Idee der Kirchenprovinzen — zu gedenken ist hier vor allem der Verfassungsbestimmungen von Nicäa (325)20 — ungeachtet älterer faktischer Ansätze21 zu den Prinzipien erst der Epoche der Reichskirche angehört, so hat Sohrn, was die Bischofsverfassung anlangt, dargetan, daß selbst noch für den Episkopalisten Cyprian (ut ecclesia super episcopos constituatur) die Laienbeteiligung bei der auf der Gemeinde­ versammlung basierenden, vom „Umstand“ der Gemeinde der Gläubi­ gen getragenen Synode selbstverständlich war22. Schließlich besaßen jene frühen Konzilien oder Synoden weder feste örtliche Zuständig­ keiten noch dem Gegenstände nach bestimmte Entscheidungskompe­ tenzen23. Sie handelten und sprachen gemäß der Verheißung Matth. 18, 20 („Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“) mit dem Anspruch der Offenbarung des heiligen Geistes für die eine und ganze Kirche in ihren vielen Erscheinungsformen, in denen sie — nach den Worten des 1. Clemensbriefes — in Rom zu Gast ist, zu Korinth und anderswo. Insofern waren alle Synoden ökumenische Konzilien und allzuständig. Neben der höchst einseitigen und lückenhaften Zusammensetzung gerade auch der ersten anerkannten allgemeinen Synoden und der keineswegs auf Bischöfe beschränkten Teilnahmeberechtigung (Protokollunterschrif­ ten!) ist es denn vor allem die aus der geistlichen Verbindlichkeit der Beschlüsse einerseits und deren juristischer Unverbindlichkeit anderer­ seits resultierende Notwendigkeit der Rezeption der Ergebnisse durch 19 Dazu Sohm, Kirchenrecht I, S. 276 und 295. Vgl. auch Alfred Voigt: Kirchenrecht, Neuwied a. Rh. / Berlin-Spandau 1961, S. 53. Von der Ausbil­ dung des Episkopats handelt Edgar Loening: Die Gemeindeverfassung des Urchristenthums. Eine kirchenrechtliche Untersuchung, Halle 1888. Nach Martin Boye: Die Synoden Deutschlands und Reichsitaliens von 922- 1059 — Eine kirchenverfassungsgeschichtliche Untersuchung, ZRG 49 Kan. Abt. 18 (1929) S. 131 - 284 (138), sind die Bischöfe „seit dem dritten Jahrhundert“ die „Träger der Synode“. Im Hinblick auf die zentrale Frage des Verhältnisses von Amt und Charisma von grundsätzlicher Bedeutung Hans Freiherr v. Campenhausen: Kirchliches Amt und geistliche Vollmacht in den ersten drei Jahrhunderten (Beitr. z. Hist. Theologie 14), Tübingen 1953, bes. S. 323 ff. 20 Vgl. Karl Müller: Beiträge zur Geschichte der Verfassung der alten Kirche (SPAW 1922/23), Berlin 1922, S. 23; Voigt, Kirchenrecht, S. 55. 21 Hans Erich Feine: Kirchliche Rechtsgeschichte — Die Katholische Kirche, 4. Aufl., Köln / Graz 1964, S. 100. Vgl. Lübeck, Reichseinteilung und kirchl. Hierarchie, S. 9 ff. 22 Sohm, Kirchenrecht I, S. 258 ff. Vgl. dazu Hefele, Conciliengeschichte I, S. 16; Otto Ritschl: Cyprian von Karthago und die Verfassung der Kirche, Göttingen 1885, S. 153 ff.; Heiler, Altkirchl. Autonomie, S. 15; v. Campen­ hausen, Kirchliches Amt, S. 292 ff. 23 Zum folg. vgl. v. a. Sohm, Kirchenrecht I, S. 308 ff., auch Johann Frie­ drich Ritter von Schulte: Die Stellung der Concilien, Päpste und Bischöfe vom historischen und canonistischen Standpunkte und die päpstliche Con­ stitution vom 18. Juli 1870. Mit den Quellenbelegen, Prag 1871, S. 45 ff. Siehe ferner Ernst Troeltsch: Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Grup­ pen (Ges. Schriften — 1. Bd.), Tübingen 1919 (Neudr. d. Ausg. v. 1912), S. 83 ff.

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die Gesamtkirche — „das eigentlich Entscheidende“24 —, womit die älteren, auf dem Konföderationsschema beruhenden Darstellungen der Entstehungsgeschichte nicht zu Rande kommen. Freilich scheint Sohrn, nachdem er in dieser Weise gezeigt hat, daß „die Synode ... in ihrer Idee nicht ein repräsentatives Gesamtorgan mehrerer Gemeinden (ist)“25, die in Frage gestellte Deutung unseres Tertullian-Satzes gerade von dem geistigen Totalitätsanspruch jener Konzilien her auf ganz neue Art zu bekräftigen, wenn er über de ieiun. 13 im Hinblick auf die dort erwähnte repraesentatio totius nominis Christiani sagt, Tertul­ lian habe in den in Rede stehenden orientalischen Synoden ganz im Einklang mit der Anschauung der alten Kirche trotz ihres unzweifel­ haft und offenkundig partikulären Charakters „eine Vertretung der ganzen Christenheit“ gesehen26. Aber Sohrn selbst erläutert die alt­ katholische Auffassung sogleich und für die vornicäische Zeit sicher richtig dahin, daß jede Synode kraft des in ihr wirkenden heiligen Geistes und zumal nach dem Herren-Wort Matth. 18, 20 eigentlich weni­ ger eine Vertretung als vielmehr unmittelbar „eine Versammlung der ganzen Kirche“ darstelle27. Und in der Tat ist das der vergleichsweise schlichtere, weniger juristische als geistliche Sinn des Tertullianischen Zeugisses, daß • bei jenen sog. Konzilien in Griechenland zweierlei geschieht: daß nämlich einmal alle wichtigeren Angelegenheiten ge­ meinschaftlich behandelt werden und daß daneben — abgesehen von derartigen konkreten Veranstaltungszwecken — allein schon das wirk­ liche Zusammenkommen, die Vereinigung, das Da- und Zusammensein der Christen (ipsa repraesentatio) würdig gefeiert wird, eine Zusam­ menkunft, an der die ganze Christenheit der Region — d. h. schlicht: jeder Gläubige und vor allem natürlich jeder Amtsträger, dem es ir­ 24 Feine, Kirchl. Rechtsgeschichte, S. 54. Vgl. dazu Alois Grillmeier: Konzil und Rezeption — Methodische Bemerkungen zu einem Thema der ökumeni­ schen Diskussion der Gegenwart, Theologie u. Philosophie 45 (1970) S. 321 352 (332 ff.). 25 Sohrn, Kirchenrecht I, S. 284. 26 Ebd. S. 312 f. 27 Ebd. S. 312 (im Original andere Hervorhebung). Die Kritik von Georg Kretschmar (Die Konzile der Alten Kirche, in: Die ökumenischen Konzile der Christenheit, hg. v. Hans Jochen Margull, Stuttgart 1961, S. 13 - 74 [20]) an der These Sohms vom Ursprung der Konzilien aus der erweiterten Ge­ meindeversammlung ist zwar einleuchtend, führt aber — und das allein ist hier von Bedeutung — nicht zum alten Konföderationsschema zurück: „Ge­ wiß ist auch die Synode nicht in anderer Weise Kirche als die Einzelgemein­ de, auch sie wird konstituiert durch die Gegenwart Christi und den Geist in der Rückbindung an das apostolische Wort, verdankt also ihre Autorität im Prinzip dem Geist und nicht der Zahl der an ihr teilnehmenden Gemeinden oder Bischöfe. Aber sie will eben in den meisten Fällen von vornherein Klärung über den Raum einer Einzelgemeinde hinaus schaffen, für eine ganze Landschaft, für die ganze Christenheit. Deshalb wohnt ihr eben doch von vornherein die Tendenz inne, daß die Größe des Teilnehmerkreises mit­ gewertet werden kann.“

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

gend möglich ist — teilnimmt und die darüber hinaus im Glauben an Jesu Gegenwart kraft des beanspruchten heiligen Geistes im Geiste immer eine solche der ganzen Christenheit ist: totius nominis Christiani. Vollkommen korrekt ist daher die Übersetzung Lebretons: „... et oü l’on celebre avec une grande solennite la presence de toute la chretiente26“

Was am Ende nun noch die schon erwähnte vielfach geäußerte Über­ zeugung von der Vorbildlichkeit der römischen Provinziallandtage oder doch wenigstens von einem gewissen Einfluß dieser profanen Einrich­ tung auf die Ausbildung der Kirchensynoden anlangt29, so ist folgendes zu überlegen80: Die römischen Provinziallandtage — halb Kultkollegien, halb Provinzialorgane — standen primär im Dienste des Universal­ gedankens. War es doch hauptsächlich ihre Aufgabe, die Kaiserreligion zu pflegen und die damit verbundenen Feste und Spiele zu veranstal­ ten. Daneben oblag ihnen — in ziemlich engen Grenzen freilich — die Vertretung der provinzialen Interessen samt der Abwehr von Über­ griffen der römischen Provinzialverwaltung durch Fragen, Bitten und 28 Jules Lebreton: Le developpement des institutions ecclesiastiques a la fin du second siede et au debut du troisieme, Recherches de Science religieuse 24 (1934) S. 129 - 164 (161) — im Original keine Hervorhebungen. Ohnedies selbstverständlich ist dieser Sinn natürlich, wenn man die frag­ liche Passage mit Hilaire Marot (Vornicäische und ökumenische Konzile, in: Bernard Botte u. a.: Das Konzil und die Konzile, Stuttgart 1962 — Originalausg. Paris 1960 — S. 23 - 51 [30 N. 7]) überhaupt auf die ersten montanisti­ schen Versammlungen bezieht. Doch widerspricht das der Logik der Argu­ mentation bei Tertullian. 29 Vgl. neben Marquardt (oben N. 9) Carl Menn: Ueber die Römischen Provinzial-Landtage. Ein Beitrag zur Staats- und Rechtsgeschichte, Köln u. Neuß 1852, S. 8 N. 15 u. S. 14 f. N. 25; Hinschius, Kirchenrecht HI, S. 325 N. 3; Otto Hirschfeld: Zur Geschichte des römischen Kaisercultus, SPAW 1888, S. 833-862 (861 f.); Harnack, Kirchenverfassung, S. HO ff.; Plöchl, Gesch. des Kirchenrechts I, S. 57 f. — Keinerlei Anklang hat dagegen, soviel ich sehe, Heinrich Geizers These gefunden, „daß die Konzilien in ihrer ganzen äuße­ ren Einrichtung und in ihrem Geschäftsgang ein Abbild der Verhandlungen des antiken Senates gewesen seien“ als der „einzige(n) ernsthaft parlamentarische(n) Körperschaft des römischen Reichs“ (Die Konzilien als Reichs­ parlamente, in ders.: Ausgewählte Kleine Schriften, Leipzig 1907, S. 142155). 80 Vgl. zu der in N. 9 und N. 29 bereits genannten Lit. über die römischen Provinziallandtage noch Victor Duruy: Etat du monde romain vers le temps de la fondation de l’Empire, Paris 1853, S. 202 ff.; ders.: Les assem­ blies provinciales au siicle d’Auguste, Seances et Travaux de 1’Academie des Sciences morales et politiques 115 (NS 15), 1881, S. 238-249; Joachim Marquardt: De provinciarum Romanorum conciliis et sacerdotibus, in: Ephemeris Epigraphica — Corporis Inscriptionum Latinarum Supplementum, Vol. I, Romae / Berolini 1872, S. 200-214; P. Guiraud: Les assemblies provinciales dans l’Empire romain, Paris 1887; Ernst Kornemann: Art. Concilium, in: Pauly/Wissowa: Real-Encyclopädie der classischen Alter­ tumswissenschaft, IV 1, 7. Halbbd., Stuttgart 1900, Sp. 801 -830; ders.: Art. Kotv6v, ebd. Supplementbd. IV, Stuttgart 1924, Sp. 914-941; A. Ch. John­ son: Provincial Assemblies, in: F. F. Abbott/A. Ch. Johnson: Municipial Administration in the Roman Empire, Princeton 1926, S. 162 - 176.

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Beschwerden bei der Zentralregierung, zu welchem Zweck die Konzi­ lien Delegationen nach Rom entsandten. Im einzelnen und genaueren kommen für die Tertullian-Interpretation natürlich nur die vordiokletianischen Landtage in Betracht. Anders als die Konzilien aus der Zeit nach der Reichsreform Diokletians, von deren Blüte im 12. Buch des Codex Theodosianus, und zwar charakteristischerweise im Titel: de legatis et decretis legationum, 16 Kaiserkonstitutionen aus den Jahren 355 bis 426 zeugen und bei denen der Kaiserkult gegenüber politischen Problemen, Fragen der Besteuerung insbesondere, zurücktritt, waren die früheren Landtage — wiewohl wegen der hohen Kosten der Mit­ gliedschaft natürlich ebenfalls vom Provinzadel getragen — doch nicht bloß, wie in der nachdiokletianischen Zeit Versammlungen ganz be­ stimmter gesellschaftlicher Schichten, nämlich der honorati und der curiales, also des Reichs- und Munizipaladels. Vielmehr trugen die Konzilien ehedem nach ihrer formalen Struktur in der Tat föderativ„ repräsentativen“ Charakter, insofern sie nach dem Vorgang der xowa, d. h. der kantonalen Bildungen, der Stammbünde und Sympolitien des griechischen Ostens81, Abgeordnete der Städte bzw. der Stämme in einer Provinz vereinigten. Über die Einzelheiten des Aufbaus und der Zusammensetzung geben die Quellen — nämlich zerstreute und un­ sichere literarische Hinweise, Münzen und Inschriften, insbesondere Ehreninschriften für Provinzialpriester als die Vorsitzenden der Land­ tage, für Kaiser und Provinzstatthalter, sowie die in den Digesten überlieferten kaiserlichen Reskripte — freilich wenig her. Die Abge­ ordneten der Stämme respektive der (ohne Rücksicht auf ihren Rechts­ status) vertretenen Städte, von denen jede mehr als einen entsandte, hießen oimÖQOi bzw. legati und waren wohl nur mit allgemein gehal­ tenen Instruktionen versehen — sehr viel mehr wissen wir nicht über sie. Immerhin: Verbieten es kultischer Charakter und mangelnde Ent­ scheidungskompetenz in Fragen der Provinzialverwaltung entgegen einigen Versuchen in dieser Richtung auch, in den von der römischen Provinzialverwaltung personell und institutionell völlig getrennten Provinzialkonzilien Ansätze zu einem föderativen und repräsentativen System der Regierung zu sehen81 a, so haben wir es doch zweifellos mit einer Ausformung dessen zu tun, was wir heute in einem spezifischen Sinne politischer Technik unter Repräsentation verstehen. 31 Vgl. Karl Friedrich Hermann: Lehrbuch der griechischen Staatsalter­ tümer, 6. Aufl., neu bearb. v. Heinrich Swoboda (K. F. Hermann’s Lehrb. der griech. Antiquitäten, neu hg. v. H. Blümner, 1/3), Tübingen 1913, S. 208 ff.; ders.: Die griechischen Bünde und der moderne Bundesstaat, Prager Rekto­ ratsrede v. 1914, in: Die feierliche Inauguration des Rektors der k. k. Deut­ schen Karl-Ferdinands-Universität in Prag für das Studienjahr 1914/15, Prag 1915, S. 29-62; Kornemann, Art. Koivöv, aaO (N. 30); Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit, S. 7 ff. 3,a Vgl. N. 9.

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

Indessen ist natürlich sehr die Frage, ob Tertullian mit seiner Bemer­ kung von der konziliaren Feier der repraesentatio totius nominis Christiani gerade auf diesen technischen Aspekt zielte oder ob er nicht bloß die Analogie des überlokalen Kultfestes im Sinn hatte — sofern er mit seiner Äußerung (und das wäre ja erst noch zu beweisen) überhaupt irgendeine Gemeinsamkeit oder Parallelität von Kirchen­ versammlungen und Provinziallandtagen ausdrücken wollte. Denn die Wendung concilia ex universis ecclesiis stellt diese Beziehung keines­ wegs automatisch her. Technisch bedeutet concilium zunächst, wenn man von dem Gebrauch im Zusammenhang mit den Versammlungen der römischen Bürgerschaft absieht, ja bloß allgemein „die Versamm­ lung der zu einem Bund, vor allem religiöser Natur, daher gewöhnlich um ein gemeinsames Heiligtum vereinigten Völkerschaften, Nationen oder Städte“32. (Auch) in diesem Sinn findet sich concilium neben com­ mune als Übersetzung des griechischen xoivov, etwa bei Livius. Da unser Text von kultischen Veranstaltungen und Versammlungen in Griechenland berichtet, und andererseits keinerlei auf die Provinzial­ landtage hindeutenden Erläuterungen enthält, liegt die Annahme nahe, concilia stehe hier für ra xoiva, und zwar ohne speziellen Bezug auf das römische Staatsrecht. Was aber die griechische politische Terminologie und die Verwendung von tö xoivov darin anlangt, so ist zu bemerken, daß dieses Wort entweder die Bundesorganisation als solche oder — neben ouvoöog — ihr Hauptorgan, nämlich die Bundesversammlung bezeichnet, die im Gegensatz zum Bundesrat ((hjveöqiov, ßouXr|) eine Primärversammlung ist33. Im übrigen weist die Frühgeschichte der christlichen Konzilien, so­ weit sie überhaupt erkennbar ist, „nirgends einen greifbaren Zusam­ menhang mit den Provinziallandtagen auf“34. Wenn es also richtig ist, daß „kein in der Sache selbst liegender Grund, kein aus den kirchlichen Verhältnissen herauswachsendes Bedürfnis vorhanden“ war, daß „eine ganze Provinz und zwar regelmäßig nur sie in gewissen, festgesetzten Zeitabschnitten“ qua Bischofsversammlung „zusammenkam“, so kann daraus korrekterweise nicht darauf geschlossen werden, daß also die ersten christlichen (Provinzial)Synoden durch das Vorbild der Provin­ ziallandtage hervorgerufen worden sein müssen35, sondern nur, daß demnach diese frühen Konzilien keine reinen Bischofsversammlungen gewesen sein und sich auch nicht als Repräsentativorgane festabge­ grenzter Kirchenprovinzen konstituiert haben können. 32 Kornemann, Art. Concilium, aaO (N. 30) Sp. 802. 33 Vgl. Kornemann, Art. Koivov, aaO (N. 30) Sp. 919 u. 923; ferner Swoboda, Die griechischen Bünde, S. 44. 34 Deininger, Die Provinziallandtage der römischen Kaiserzeit, S. 188. 35 So aber Lübeck, Reichseinteilung und kirchliche Hierarchie, S. 35. Vgl. dazu oben bei N. 10.

§4. Tertullian

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Repraesentatio bedeutet in Tertullians Traktat vom Fasten nach alledem — dem Ausdruck se repraesentare = sich einfinden entspre­ chend — nicht mehr als nur „Versammlung“36, ohne daß damit über deren Struktur irgendetwas ausgesagt wäre. Allein eine Zusammen­ kunft oder Vereinigung, nicht aber irgendeine Art von Vertretung kann schließlich Gegenstand einer Feier sein — magna veneratione. Die Wendung repraesentationem celebrare entspricht mit anderen Worten einfach dem Ausdruck concilium oder synodum celebrare, ohne daß dabei der Unterschied zwischen Primär- und Repräsentativversamm­ lungen zur Sprache käme. Ganz auf dieser Linie fährt Tertullian in seiner Fasten-Schrift fort, eben jene Konzilien als ein Sich-Zusammenscharen um Christus (congregari ad Christum) zu preisen. Und zum Schlüsse des Kapitels spricht er von den über die verschiedenen Pro­ vinzen des Römischen Reiches verstreuten Mitgliedern seiner monta­ nistischen Gegenkirche als den in spiritu invicem repraesentati: den im Geiste einander wechselseitig Gegenwärtigen, den im Geiste miteinan­ der Versammelten. Wie denn ebenso noch Cyprian seiner Gemeinde die Absicht, nach dem Osterfest des Jahres 251 aus dem Exil zurückzu­ kehren und die Frage der lapsi, d. h. der unter dem Druck der decianischen Verfolgung Abgefallenen, in einer Gemeindeversammlung unter Beiziehung der Nachbarbischöfe zu entscheiden, mit den Worten ankün­ digt: repraesenter vobis post Paschae diem cwm collegis meis .. .37. 86 So ausdrücklich Leimbach, S. 26. Heinrich Kellner rückte in seiner Übersetzung in Bd. 24 der Bibliothek der Kirchenväter (Kempten u. Mün­ chen 1915, S. 550) hier ganz im Sinne von Hefele und Hinschius einfach „Repräsentation“ ein. Befangen im Sprachgebrauch der reformierten Abend­ mahlslehre, aber gleichwohl etwas näher an der Sache deutete Rückert (Das Abendmahl, S. 318) repräsentativ hier mit „Gegenwärtigsein“ als „Wirkung des Darstellungsactes“. Küngs Übersetzung (Strukturen der Kirche, S. 27), wonach die „Repräsentation der ganzen Christenheit ... dargestellt wird“, ist mir unverständlich geblieben. — Auf eine von 370 stammende vergleich­ bare Stelle bei Optatus, dem Bischof von Mileve, Donatistarum insectator (Hieronymus) und Kenner mindestens eines Teils der Tertullianischen Schriften, aus den 7 Büchern gegen Parmenian, den Nachfolger des schismatischen karthagischen Bischofs Donatus, hat schon Schnorr von Carolsfeld (Repraesentatio, aaO [§ 3 N. 1] S. 105 N. 14 a) hingewiesen. Lib. 2 c. 15 heißt es (wie bei Tertullian anknüpfend an Psalm 133, 1: Siehe, wie fein und lieblich ist’s, daß Brüder einträchtig beieinander wohnen!): ... cum Africanos populos et orientales et ceteros transmarinos pax una coniungeret et ipsa unitas repraesentatis omnibus membris corpus ecclesiae coagularet ... (CSEL XXVI, ed. Carolus Ziwsa, Pragae / Vindobonae / Lipsiae 1893, S. 50). Bei Optatus finden sich ferner noch die (geradezu klassischen — respektive tertullianischen) Wendungen: quod resurrectio repraesentet (V 10, aaO S. 140) und: promissa praemia repraesentare (VII 2, aaO S. 170). 87 Epistula 43 (plebi universae) c. 7 (S. Thasci Caecili Cypriani opera omnia, ed. Wilhelm Hartel, CSEL III/l, Vindobonae 1868, S. 596): persecutionis istius novissima haec est et extrema temptatio, quae et ipsa cito Domino protegente transibit, ut repraesenter vobis post Paschae diem cum collegis meis: quibus praesentibus secundum arbitrium quoque vestrum et omnium nostrum commune consilium, sicut semel placuit, ea quae agenda sunt disponere pariter et limare poterimus.

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1- Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

Diese Deutung jener berühmten Stelle aus der Fasten-Schrift Tertullians steht im Einklang mit den sonstigen Verwendungen des fraglichen Worts bei diesem Schriftsteller88 und fügt sich überdies bruchlos in das vordem skizzierte Bild des antiken Sprachgebrauchs. Ist dem aber so, dann kann keine Rede davon sein, daß schon Tertullian in einer uns geläufigen (politischen) Weise von Repräsentation gesprochen habe. II. Noch wichtiger, weil hier fast allein beweiskräftig, ist Tertullians Umgang mit dem Wort repraesentare und dessen Ableitungen für den zweiten Kontroverspunkt: die Frage also, was der damals noch recht­ gläubige Autor meint, wenn er gegen Markion (I 14) schreibt: Sed Ule quidem (sc. deus melior) usque nunc nec aquam reprobavit creatoris, qua suos abluit, nec oleum, quo suos ungit, nec mellis et lactis societatem, qua suos infantat, nec panem, quo ipsum corpus suum reprae­ sentat, etiam in sacramentis propriis egens mendicitatibus creatoris39.

Der historische Kontext ist in Kürze folgender: Im Kampf mit der markionitischen Leugnung des Zusammenhangs des christlichen Evan­ geliums mit den Offenbarungen des Alten Testaments, gegen den gno­ stischen Dualismus von Gottheit und Materie, von höchstem Gottwesen und minderrangigem Demiurgen und gegen den daraus folgenden sog. Doketismus, welcher die Inkarnation leugnet, indem er Christus einen Scheinleib zuschreibt40, verficht der Apologet aus Karthago die Einheit von Erlösergott und Weltschöpfer. Selbst bei den spezifisch christlichen 88 Vgl. die Belege bei Schnorr von Carolsfeld, Repraesentatio, aaO (§ 3 N. 1) S. 104, 106; Leimbach, Abendmahlslehre Tertullians, S. 26; siehe ferner oben § 3 bei N. 26 und in N. 31 sowie weiter im Text unter II. 89 Adversus Marcionem lib. I c. 14 (Opera I p. 455). Im Original keine Hervorhebung. 40 Vgl. im einzelnen August Bill: Zur Erklärung und Textkritik des 1. Buches Tertullians „Adversus Marcionem“ (Texte u. Unters. 38, 1), Leipzig 1911; Adolf von Harnacks höchst eindrucksvolles Buch: Marcion: Das Evan­ gelium vom fremden Gott (Texte u. Unters. 45), Leipzig 1921 (2. Aufl. 1924); ders.: Lehrbuch der Dogmengeschichte, 1. Bd., Freiburg i. Br. 1886, S. 158 ff., 197 ff. Kritisch zu Harnacks Interpretation Ernesto Buonaiuti: Storia de Cristianesimo I, Milano, dt. u. d. T.: Geschichte des Christentums, 1. Bd., Bern 1948, S. 95 ff. — Vgl. ferner Hans Jonas: Gnosis und spätantiker Geist, I: Die mythologische Gnosis — Mit einer Einleitung zur Geschichte und Methodologie der Forschung, 3. Aufl., Göttingen 1964, S. 173 ff. Siehe auch Voigt, Kirchenrecht, S. 41 ff.; Bihlmeyer / Tüchle, Kirchengeschichte I, S. 147 ff., bes. S. 149 f., 154 ff.; K. Müller, Kirchengeschichte 1/1, S. 156 ff., 169 ff.— Zur Gnosis im allgemeinen und deren Behandlung in der Forschung vgl. neben Jonas aaO S. 1-91 den instruktiven Überblick bei Hans-Joachim Schoeps: Urgemeinde — Judenchristentum — Gnosis, Tübingen 1956, S. 30 ff.; zum Doketismus von demselben Verf.: Vom himmlischen Fleisch Christi — Eine dogmengeschichtliche Untersuchung (Sammlg. gemeinverständl. Vortr. u. Schriften aus d. Gebiet d. Theologie u. Religionsgesch. 195/196), Tübingen 1951, S. 5 ff.

§4. Tertullian

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heiligen Handlungen bedürfe der Erlöser doch der angeblich armseligen Nichtigkeit des Demiurgen (mendicitates creatoris). So verschmähe er bei der Annahme der Seinen weder Wasser und öl noch Milch und Honig41 und auch nicht das Brot, durch das er sogar seinen eigenen Leib „vergegenwärtige“. — Was besagt diese offenkundig auf das Abendmahl zu beziehende Wendung? Was heißt repraesentare in die­ sem Zusammenhang? Eigentlich läßt schon der Satz selbst durch seine Konstruktion keinen Zweifel, daß Tertullian von der wirklichen, leibhaftigen Gegenwart Christi spricht, welche durch das Abendmahlsbrot vermittelt wird. Daß dies und nicht irgendeine symbolische Gegenwart oder gar nur eine Vor- oder Darstellung gemeint ist, wird im übrigen durch den Gebrauch bestätigt, den unser Autor anderwärts von dem fraglichen Ausdruck macht. Erinnern wir uns, mit welcher Entschiedenheit er imago in visione, bloße Einbildung, und Wirklichkeit als veritas in repraesentatione gegeneinandersetzt, wie er mit dem fraglichen Wort von dem die Prophezeiung erfüllenden Kommen des Reiches spricht42. Stellen wir ferner in Rechnung, daß sich „Repräsentation“ bei ihm mehrfach zur Bezeichnung der (ja doch als wirklich geglaubten) Auf­ erstehung des Fleisches wie zur Bezeichnung des Strafvollzugs, der Verwirklichung der Strafdrohung findet43. Hinzu kommt, daß die neben der zur Diskussion stehenden Passage zu verzeichnenden sonstigen einunddreißig Verwendungen des Verbums nach Leimbachs minutiöser Untersuchung44 ganz in den vorhin charakterisierten antiken Sprach­ gebrauch sich einfügen: Stets wird in dem beschriebenen Sinne ein wirkliches Gegenwärtig-Machen bezeichnet, wofern nicht ausdrücklich von theatralischen, abbildlichen oder symbolischen „Repräsentationen“ die Rede ist; bloß vorstellungsweises Vergegenwärtigen wird durch entsprechende Zusätze eigens gekennzeichnet45. 41 Diese der Taufe folgende Salbung (zu der der Taufe vorausgehenden exorzistischen Salbung Franz Joseph Dölger: Der Exorzismus im altchrist­ lichen Taufritual, Paderborn 1909, S. 137 ff.) nimmt das Vorbild alttestamen­ tarischer Königs- und Priestersalbungen auf. Die originellere postbaptismale Verabreichung einer Mischung von Milch und Honig (vgl. De corona c. 3 — Opera II p. 1042 sq.: lactis et mellis concordiam), d. h. von Säuglingsnah­ rung — eine Sitte, welche auch Hippolyt kennt — geht vielleicht auf Ini­ tiationsriten heidnischer Mysterienkulte zurück. Daß 1. Petr. 2, 2 von der Milch frommer Denkungsart und das AT mehrfach vom Land spricht, da Milch und Honig fließen, ist — entgegen Bihlmeyer / Tüchle, Kirchenge­ schichte I, S. 118 f. — vernünftigerweise ja wohl keine „biblische Begrün­ dung“ für diesen Ritus. 42 Vgl. § 3 N. 31. 48 Adversus Marcionem lib. IV c. 16 (Opera I p. 582): Facilius enim vim comprimi sciit repraesentatione talionis quam repromissione ultionis. — Vgl. De pudicitia c. 14 (Opera II p. 1309). 44 Nachweis oben N. 2 a. E. 45 Vgl. Leimbach, Abendmahlslehre Tertullians, S. 12, 14, 17. — Hinsicht­ lich der These, daß Tertullians Sprachgebrauch insoweit keine Besonderheit

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1- Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

All dessen ungeachtet schlug der Althegelianer Marheinecke Tertul­ lians Auffassung vom Abendmahl in erster Linie wegen der uns hier beschäftigenden Passage nach Maßgabe der als selbstverständlich einge­ führten Unterscheidung von praesentia realis und praesentia repraesentativa (= spiritualis, symbolica) absentis der Confessio Ecclesiae reformatae zu46. Auf breiterer Grundlage und sehr viel differenzierter behandelt dann der Kirchenhistoriker August Neander den Gegenstand in seinem bedeutenden und einflußreichen Buch über den „Geist des Tertullian“, aber ebenfalls mit dem Ergebnis, daß Tertullian der Eucharistie ausweislich der Worte figura und repraesentare wenigstens in gewisser Hinsicht symbolische Bedeutung beigemessen und die Ein­ setzungsworte sohin wie später Zwingli erklärt habe; denn schwerlich hätte der Realist Tertullian sonst solcher Worte „von rein geistiger Deutung“ sich bedient47. Mit jugendlicher Heftigkeit widersprach so­ gleich Döllinger, der indessen für seinen recht treffenden Hinweis, repraesentare bedeute bei Tertullian allenthalben praesens exhibere,

ist, bleibt zu bemerken, daß Teeuwen in seiner Untersuchung des sprach­ lichen Bedeutungswandels bei Tertullian in Richtung auf eine christliche Sondersprache (oben N. 5) repraesentare mit Ableitungen nicht erwähnt. Das gilt auch für die älteren einschlägigen Untersuchungen: G. R. Haunschild: Die Grundsätze und Mittel der Wortbildung bei Tertullian, Leipzig 1876 und Frankfurt 1881; Heinrich Hoppe: Syntax und Stil des Tertullian, Leipzig 1903, S. 114 ff. Morgan (The importance of Tertullian) gedenkt in seinem Kapitel V (Tertullian the Inventor of Ecclesiastical Latin) des fraglichen tertullianischen Sprachgebrauchs als eines Punktes späterer Kontroversen (aaO S. 92 f.) und gibt eine Fundstellenübersicht (aaO S. 96 f.), nimmt näherhin aber nicht Stellung. 46 Philipp Marheinecke: Sanctorum patrum de praesentia Christi in coena domini sententia triplex, Heidelberg 1811, S. 12 f., 8. M. folgte hierin Münscher, Handbuch der christlichen Dogmengeschichte, Bd. II, Marburg 1804, S. 393, der allerdings noch gesehen hatte, daß das, was dem Sprachverständnis des ausgehenden 18. Jahrhunderts selbstverständlich war, mitnichten in den historischen Kontext paßte: „Bey den Afrikanischen Schriftstellern sind wir gewohnt, etwas gröbere Begriffe als bey den Griechen anzutreffen. Man sollte also eben das auch bey der Abendmahlslehre erwarten. Allein hier findet einmal das Gegentheil statt; sie halten sich blos an eine symbolische Gegenwart des Leibes Christi im Brode.“ 47 August Neander: Antignostikus, Geist des Tertullianus und Einleitung in dessen Schriften mit archäologischen und dogmenhistorischen Unter­ suchungen, Berlin 1825, II. Excurs über Tertullians Lehre vom Abendmahl, S. 517 - 525 (518 f.). (In der 2. Aufl. von 1849 fehlt dieser Exkurs übrigens.) Neander bezieht sich außer auf Adv. Marc. lib. I c. 14 noch auf die anderen klassischen Streitpunkte Adv. Marc. lib. III c. 19 u. bes. lib. IV c. 40 (Opera I S. 533 f., 655 ff.). Vgl. dazu Leimbach, Abendmahlslehre Tertullians, S. 62 ff., 75 ff. Figura (nämlich: corporis Christi) bedeutet in diesem Zusammenhang weder „Abbild“ noch „Zeichen“, sondern „Erscheinungsform“. Dazu Har­ nack: Dogmengeschichte I, S. 360; Karl Adam: Die Eucharistielehre des hl. Augustin (Forsch, z. Christl. Lit.- u. Dogmengesch. VHI/1), Paderborn 1908, S. 20 ff. Vgl. insgesamt schließlich noch Johann Wilhelm Friedrich Höfling: Die Lehre der ältesten Kirche vom Opfer im Leben und Cultus der Christen, Erlangen 1851, S. 191 ff. Gerhard Rauschen: Eucharistie und Bußsakrament in den ersten sechs Jahrhunderten der Kirche (Freiburg i. Br. 1908) bringt S. 11 f. zu Tertullian — wie auch sonst — keine neuen Gesichtspunkte.

§ 4. Tertullian

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nur zwei weitere Belegstellen anzugeben wußte40, während die Vertre­ ter reformierter Theologie begreiflicherweise auch weiterhin dankbar unterstrichen, das Wort repraesentare bedeute nächstliegend doch wohl nur eine sinnbildliche Darstellung und Tertullian hätte „ohne Zweifel“ nicht den Ausdruck repraesentare gebraucht, wenn er mehr als bloß symbolische Darstellung gemeint hätte49. Bemerkenswerter freilich ist der Umstand, daß selbst die Lutheraner, welche Tertullian für das est des Reformators in Anspruch nehmen, hier mit „darstellen“ über­ setzen50 oder sprachliche Zweideutigkeit einräumen51. Dabei waren sich die Streitbeteiligten natürlich durchaus bewußt, daß sie — auch in die­ sem speziellen Punkt — eine rund drei Jahrhunderte ältere Auseinan­ dersetzung wiederholten. Es hatte nämlich als erster schon Oekolampad, ein hervorragender Patristiker, in seiner reformatorischen Schrift von 1525 über den Sinn der Einsetzungsworte Tertullian für seine zwinglianisch-symbolistische Auslegung in Anspruch genommen, indem er — namentlich unter Berufung auf Adv. Marc. TV — inneres Glaubens­ bekenntnis und äußeres sakramentales Zeichen antithetisch gegenüber­ stellte: Veritas corporis et sanguinis a fidelibus omnibus asseritur, sed in Sacramento repraesentatur et significatur52. Das forderte den nach­ drücklichen, von Melanchthon sekundierten Widerspruch Luthers her­ aus53. Melanchthon bestimmte die Differenz als die zwischen dem Glau­ 48 Nämlich: De orat. c. 5 (§ 3 N. 31) und Adv. Marc. lib. IV c. 22 (Opera I S. 602): Itaque iam repraesentans eum — hic est filius meus — utique subaudit: quem repromisi. Johann Joseph Ignaz Döllinger: Die Lehre von der Eucharistie in den drei ersten Jahrhunderten, Mainz 1826, S. 53. Mit Recht macht Döllinger auf die besondere Bedeutung aufmerksam, welche das ipsum hier hat, insofern es etwas Auffallendes und Außerordentliches 49 So August Ebrard: Das Dogma vom heiligen Abendmahl und seine Geschichte, 1. Bd., Frankfurt a. M. 1845, S. 301; Baur: Tertullian’s Lehre vom Abendmahl und Hr. D. Rudelbach, nebst einer Uebersicht über die Hauptmomente der Geschichte der Lehre vom Abendmahl, Tübinger Zeitschr. f. Theologie, Jg. 1839, 2. Heft, S. 56 - 144 (72). 50 A. G. Rudelbach: Reformation, Luthertum und Union, Leipzig 1839, S. 659; Johann Georg Vitus Engelhardt: Einige Bemerkungen über die Ge­ schichte der Lehre vom Abendmahle in den drei ersten Jahrhunderten, Zeitschr. f. d. hist. Theologie, Jg. 1842, 1. Heft, S. 3 - 20 (12). 51 Karl Friedrich August Kahnis: Die Lehre vom Abendmahle, Leipzig 1851, S. 199. Umgekehrt gesteht der reformierte Autor Rückert (Abendmahl, S. 319) zu, daß das Wort repraesentare an sich die lutherische Auffassung decken könne, behauptet aber, daß es hier nur symbolisch gemeint sei. 52 Johannes Oecolampadius: De genuina verborum Domini, Hoc est corpus meum, iuxta vetustissimos authores, expositione liber, Basel 1525. Vgl. ebd.: ... ea quae praeterita vel futura sunt, recordatione fiunt praesentia et repraesentantur, alioquin omnibus modis impoßibile, ut ea quae non sunt, sint ... und: quid opus praesentia eius, ut eum laudamus, et gratias agamus, annon ut gratias agamus, satis est admonitos symbolo dominico, memoria beneficium amplecti: cuius meditatio etiam absentißimum benefactorem repraesentat. 58 Martin Luther: Daß diese Wort Christi „Das ist mein Leib“ noch fest stehen, wider die Schwärmgeister, 1527, in: D. Martin Luthers Werke — Kritische Gesammtausgabe, 23. Bd. (Weimar 1901), S. 38 - 320 (217 ff.).

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

ben an die vera praesentia und dem corpus absentis Christi repraesentari tanquam in tragoedia5*. Und das Ergebnis der theologischen Kon­ troverse des 19. Jahrhunderts hatte in gewisser Weise schon Bellarmin vorweggenommen, als er in seiner Auseinandersetzung mit der refor­ mierten Lehre über Adv. Marc. 1 14 befand: Verbum repraesentandi ambiguum est: significat enim praesentem rem aliquam facere, sive reipsa, sive in signo aliquo, vel imagine55. Tertullians Werk selbst biete

Beispiele für beide Bedeutungen66. Woraus der Kardinal den Schluß zog: Cum ergo vox ambigua sit, non potest recte ullo modo colligi, Tertullianum loqui de repraesentatione in signo, et non in re ...

Dieses Non liquet in der Frage der Abendmahlslehre des Tertullian ist in Wahrheit freilich nicht eine Folge ursprünglicher sprachlicher Doppeldeutigkeit der maßgeblichen Belegstellen. Denn zumindest was das Wort repraesentare in der Auseinandersetzung mit Markion an­ langt, ist der Sinn, soweit wir ihn jenem bekannten hermeneutischen Zirkel zufolge überhaupt rekonstruieren können, eindeutig, und zwar so, daß die fragliche Wendung vom Brot, durch das Christus ipsum corpus suum repraesentat, den Akt der Darbietung von Christi Leib bezeichnet67. Die große Schwierigkeit liegt demzufolge darin, daß Ter­ tullian — wiewohl er mit seiner antidoketistischen Verknüpfung von Abendmahl und Inkarnation den Ausgangspunkt aller EucharistieDogmatik markiert68 — selber nirgendwo eine zusammenhängende Lehre vom Abendmahl bietet, daß man mit anderen Worten bei ihm Antwort auf Fragen sucht, die er niemals gestellt hat69. Es handelt sich hier also auch nicht um ein Problem der disciplina arcaniw, und es liegt ferner nicht daran, daß sein Werk weithin polemisch ist61. Die 64 Brief Philipp Melanchthons an Oekolampad aus dem Jahre 1529 in: Johannes Oecolampadius: Dialogus, in quo ostenditur, quid de Eucharistia veteres Ecclesiae Doctores, tum Greci, tum Latini senserint etc., Heidelberg 1572, S. 13 -17 (15). Melanchthon behandelt die Abendmahlsfrage dann unter dem Gesichtspunkt der Auferstehung und führt (S. 16) aus: ... significavit enim Christus Apostolis se resurrecturum esse, quia sui corporis xowamav instituit. Necesse enim erat, ut viveret corpus, quod nobis impartiandum erat. Quod si veteres sensissent, absens corpus repraesentari, quomodo inde probarent resurrectionem? Quia etiam si non resurrexisset Christus, tarnen absens corpus et consumptum repraesentari potuit, sicut in fabulis Hector repraesentatur. 55 Roberto Bellarmin: Controversarium de sacramento Eucharistiae lib. II cap. 7 (Opera omnia, ed. Justinus Fevre, tom. IV, Paris 1873, Nachdr. Frank­ furt a. M. 1965, S. 73). 58 Für die erstgenannte Bedeutung führt Bellarmin Adv. Marc. lib. IV c. 22 (oben N. 48) und Adv. Prax. c. 24 (oben N. 3) an, für die andere De paenit. c. 3 (§ 3 N. 16). 57 Vgl. Adam, Eucharistielehre Augustins, S. 15 f. 68 Dazu Adolf Harnack: Lehrbuch der Dogmengeschichte, 2. Bd., 2. Aufl., Freiburg i. Br. 1888, S. 428 ff. 59 Vgl. hierzu Pierre Batiffol: Etudes d’Histoire et de Theologie positive, Deuxidme Serie: L’eucharistie, la presence reelle et la transsubstantiation, 8. ed., Paris 1920, S. 225.

§4. Tertullian

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Geheimhaltung betraf die Kulthandlungen, nicht eine nicht unmittelbar im Kultus bezeugte Dogmatik62. Insoweit war noch nicht so sehr viel zu verbergen — zumal nicht von Seiten eines Mannes, der zwar — wofern ihn nicht christlicher Trotz über Tod und Auferstehung des Gottes­ sohnes sagen ließ: credibile, quia ineptum, certum, quia impossibile™ — alles, was er glaubte, auch vernünftig zu begreifen trachtete und seinen Glauben mit allen Mitteln nicht nur seiner rhetorischen, sondern auch seiner philosophischen Bildung propagierte64, der aber andererseits — ein Lateiner eben und kein Grieche — jedweder philosophischen Spe­ kulation abhold es entrüstet ablehnt, über den Text der heiligen Schriften hinaus sich etwas auszudenken und damit andere in Zweifel zu stürzen: ne qui me tarn perditum existimet ut ultro excogitem libidine stili quae aliis scrupulum incutianW, Hier hat es seinen Grund, daß er — wiewohl selber ein „philosophierender Advokat“ des Chri­ stentums — die Philosophen Erzväter aller Ketzerei heißt66. Scharf hebt er die Gewißheit und zugleich Genügsamkeit christlichen Glaubens ab gegen das ewige Forschen und Fragen der Philosophie und der von ihr bewegten Häretiker: Hoc enim prius credimus non esse quod ultra credere debeamus*7. In der wiederholt schon erwähnten katechetischen Schrift über die Taufe ruft Tertullian Gott allen Ernstes zum Zeugen dafür an, daß die von ihm behandelten Zweifelsfragen ursprünglich von anderen, nicht von ihm aufgeworfen worden seien68. So stellt er sich 80 Vgl. Bihlmeyer / Tüchle, Kirchengeschichte I, S. 125; dazu Othmar Per­ ler: Art. Arkandisziplin, in: Lexikon für Theologie u. Kirche, 1. Bd., Frei­ burg 1957, Sp. 863 f. In der theologischen Diskussion mußte die aus Ter­ tullian gewiß nachweisbare Arkandisziplin nicht selten freilich dazu herhal­ ten, Lücken in der Beweisführung zu schließen. Vgl. etwa Döllinger, Lehre von der Eucharistie, S. 12 ff. 81 Dazu v. Campenhausen, Kirchenväter, S. 16 f. 82 Franz Xaver Funk: Das Alter der Arkandisziplin, in ders.: Kirchen­ geschichtliche Abhandlungen und Untersuchungen, 3. Bd., Paderborn 1907, S. 42 - 57 (54): „Die Arkandisziplin beschränkt sich ihm (sc. Tertullian) zu­ nächst auf die Feier des Kultus.“ Vgl. dazu Adolf Harnack: Die Lehre der zwölf Apostel nebst Untersuchungen zur ältesten Geschichte der Kirchen­ verfassung und des Kirchenrechts (Texte u. Unters. II/l. 2), Leipzig 1886, S. 34 ff. 88 De carne Christi c. 5 (Opera II S. 881): Et mortuus est dei filius; credibile est, quia ineptum est. Et sepultus resurrexit; certum est, quia impossibile. 84 Vgl. Norden, Antike Kunstprosa II, S. 606 ff.; Bardenhewer, Gesch. d. altkirchl. Lit. II, S. 343 f.; Campenhausen, Kirchenväter, S. 22 ff.; Gotthard Rauch: Der Einfluß der stoischen Philosophie auf die Lehrbildung Tertul­ lians, Diss. Halle 1890; Georg Schelowsky: Der Apologet Tertullianus in seinem Verhältnis zu der griechisch-römischen Philosophie, Diss. Leipzig 1901. 66 De baptismo c. 12 (Opera I S. 287). 88 De anima c. 3 (Opera II S. 785): Nihil omnino cum philosophis super anima quoque experiremur, patriarchis, ut ita dixerim, haereticorum, siquidem et ab apostolo iam tune philosophia concussio veritatis providebatur ... Vgl. Holl, Ges. Aufsätze, S. 11 f.

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1. Kap.: Repraesentare und repraesentatio — Der antike Sprachgebrauch

denn beispielsweise sehr eindringlich und folgenreich dem seine Zeit bereits heftig bewegenden Trinitätsproblem (namentlich adversus Praxean)69; er hatte aber keine Veranlassung, mit Markion über das Abendmahl zu rechten. In diesem gewaltigen Streit standen ganz andere Dinge auf dem Spiel. Galt es doch, „die Welt als Schöpfung aus der Negativierung ihres demiurgischen Ursprungs zurückzuholen und ihre antike Kosmos-Dignität in das christliche System hinüberzu­ retten“70. Nein: nicht die Doppeldeutigkeit von „Repräsentation“ ist Ursache einer gewissen dogmatischen Unklarheit, sondern eher umgekehrt ist jene entschiedene Mehrdeutigkeit des Worts eine Folge der über Jahr­ hunderte sich erstreckenden theologischen Aufarbeitung der Eucha­ ristie-Probleme. In diesem Medium, in den frühmittelalterlichen, vor­ scholastischen Abendmahlsstreitigkeiten vollzieht sich für das Wort Repräsentation das, was man eine Bedeutungspolarisierung nennen könnte.

87 De praescriptione haereticorum c. 7 ad fin. (Opera I p. 193); vgl. ebd. noch capp. 8-12. — Über Tertullians Verwerfung der paganen curiositas Hans Blumenberg: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt a. M. 1966, S. 282 ff. 88 De baptismo c. 12 (Opera I p. 287). 88 Vgl. dazu K. Müller, Kirchengeschichte 1/1, S. 228 ff. Über Tertullians Bewältigung des Problems mittels juristischer Analogien: Beck, Röm. Recht bei Tertullian, S. 43 - 49. 7(1 Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 80 ff. (83).

2. Kapitel

Eucharistische Repräsentation § 5. Der Berengarsche Abendmahlsstreit

Als Berengar aus Tours, Leiter der dortigen Domschule und seit 1040 auch Archidiakon zu Angers, auf der römischen Synode von 1059 unter Nikolaus II. seine ihm vornehmlich aus der Beschäftigung mit den Werken des souveränen Neuplatonikers Johannes Scotus Eriugena zugewachsene Erkenntnis, daß das Altarsakrament ein lediglich bildnis- und gleichnishafter Vorgang sei (Eucharistiam neque esse verum corpus Christi, neque verum sanguinem, sed figuram quandam et similitudinem1), verleugnete und die Realpräsenz Christi beschwor in

einer — wie es aufs erste scheinen will — äußerst zugespitzten Formel des Kardinals Humbert, wonach Brot und Wein nach der Konsekration nicht nur heilige Zeichen, sondern wahrer Leib und wahres Blut Christi seien und von den Priestern berührt und den Zähnen der Gläu­ bigen zerbissen würden — nicht nur sakramental, sondern in sinnlich erfahrbarer Wirklichkeit und Wahrheit2 —, da bekräftigte der turonensische Dialektiker aus des Bischofs und Kronjuristen Fulbert Schule in Chartres3 eigentlich nur die alte, durch den spätkarolingischen Augustinismus und dessen gewissermaßen „akademische“ Kontroversen4 kei­ 1 Darin sahen die Zeitgenossen den Kern der Berengarschen Lehre. Vgl. Joseph Schwane: Dogmengeschichte der mittleren Zeit. (787 - 1517 n. Chr.), Freiburg i. Br. 1882, S. 636, und die profunde Arbeit von Joseph Geiselmann: Die Eucharistielehre der Vorscholastik (Forsch, zur Christl. Lit.- u. Dogmengesch. XV/1 - 3), Paderborn 1926, S. 291. 2 ... panem et vinum, quae in altari ponuntur, post consecrationem non solum sacramenturn, sed etiam verum corpus et sanguinem Domini nostri Jesu Christi esse, et sensualiter, non solum Sacramento, sed in veritate, manibus sacerdotum tractari et frangi et fidelium dentibus atteri, iurans ... (Enchiridion, S. 227). Vgl. dazu Joseph Schnitzer: Berengar von Tours, sein Leben und seine Lehre. Ein Beitrag zur Abendmahlslehre des beginnenden Mittelalters, München 1890, S. 234 ff. 8 Schnitzer, Berengar von Tours, S. 1 ff., 246 ff. Zu den methodologischen Hintergründen des Abendmahlsstreits vgl. Martin Grabmann: Die Geschichte der scholastischen Methode, 1. Bd., Nachdr. Berlin 1957, S. 215 ff.; ferner Wilhelm Moeller: Kirchengeschichte, 2. Bd., Freiburg i. Br. 1891, S. 360 ff. 4 Vgl. Hans von Schubert: Geschichte der christlichen Kirche im Früh­ mittelalter, Tübingen 1921, S. 447ff.; Geiselmann, Eucharistielehre der Vor­ scholastik, S. 96 ff.; ferner Josef Bach: Die Dogmengeschichte des Mittelal­ ters vom christologischen Standpunkte oder Die mittelalterliche Christologie vom achten bis sechzehnten Jahrhundert, 1. Teil: Die werdende Scholastik, Wien 1873, S. 156 ff. 5 Hofmann

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

neswegs noch erschütterte vulgärkatholische Auffassung von der leib­ lichen Gegenwart Christi im Meßopfer. Darüber hinaus ging es jetzt freilich bereits auch — wenngleich hier noch nicht begrifflich gefaßt — um die Frage nach dem Hergang dieser realen Vergegenwärtigung. In der Konsequenz dieser Entwicklung wurde Berengar später von Gregor VII. denn auch genötigt, zusätzlich eine „substantielle Konver­ sion“ — es ist dies einer der Vorläufer des Transsubstantiationsbegriffs — anzuerkennen5. Vordem aber nahm der widerspenstige Symbolist aus Tours seinen Antipoden Lanfrank6, den nachmaligen Erzbischof von Canterbury und ersten Minister Wilhelms des Eroberers, neuerlich an und wiederholte, sobald er nur wieder die Alpen zwischen sich und Rom wußte, in der 1770 von Lessing in der Wolfenbütteler Bibliothek aufgefundenen Schrift De sacra coena7 in noch entschiedenerer Weise seine dynamistische Lehre, wonach der sakramentale Symbol-Genuß ohne Substanzveränderungen und ohne Christi Realpräsenz auf mysti­ sche Weise eine Gnadengabe vermittelt8. Berengar setzte damit fort, was reichlich 200 Jahre vor ihm der Corbeienser Mönch Ratramnus in seiner ihm durch Augustin vermittelten platonischen Gedankenwelt begonnen hatte. In der sich anbahnenden Reflexion der Beziehung zwischen dem historischen, d. h. von Maria geborenen, und dem sakra­ mentalen corpus Christi war Ratramnus aus Anlaß einer Anfrage Karls des Kahlen gegen den 844 publizierten epochemachenden Liber de corpore et sanguine Domini des Abtes von Corbie (Somme) Paschasius Radbertus0 wenig später mit einer gleichnamigen Schrift aufgetreten10. Gegen Radberts These der Identität von historischem und sakramenta­ lem corpus und dessen Lehre von der Identität der Opfer und der sakramentalen Vereinigung von Bild und Wirklichkeit (et veritas et 5 ... confiteor, panem et vinum ... per mysterium sacrae orationis et verba nostri Redemptoris substantialiter converti in veram et propriam ac vivificatricem carnem et sanguinem Jesu Christi... (Enchiridion, S. 230). 6 De corpore et sanguine Domini adversus Berengarium Turonensem, PL 150, 407 - 442. 7 Berengarii Turonensis de sacra coena adversus Lanfrancum liber poste­ rior, ed. A. F. et F. Th. Vischer (Berengarii Turonensis quae supersunt tarn edita quam inedita, mod. August Neander, Tom. I), Berolini 1834. Vgl. dazu Gotthold Ephraim Lessing: Berengarius Turonensis: oder Ankündigung eines wichtigen Werkes desselben, wovon in der Herzoglichen Bibliothek zu Wol­ fenbüttel ein Manuscript befindlich, welches bisher völlig unerkannt geblie­ ben, Braunschweig 1770. Zu Lessings theologischer Position vgl. jetzt Karl­ mann Beyschlag: Einführung in Lessings theologisch-philosophische Schrif­ ten, in: Lessings Werke, hg. v. Kurt Wölfel, 3. Bd., Frankfurt a. M. 1967, S. 593 - 617. 8 Vgl. Kahnis, Lehre vom Abendmahle, S. 231 ff.; Geiselmann, Eucharistie­ lehre der Vorscholastik, S. 290 ff. Siehe auch Bach, Dogmengeschichte I, S. 364 ff. 9 PL 120, 1267 - 1350; siehe auch dess. Epistola ad Frudegardum, ibid., coll. 1351 - 1366. Vgl. dazu Geiselmann, Eucharistielehre der Vorscholastik, S. 144 ff.; Schnitzer, Berengar von Tours, S. 133 ff.; Joseph Ernst: Die Lehre

§ 5. Der Berengarsche Abendmahlsstreit

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figura11), d. h. (nur) gegen die nuda manifestatio ipsius veritatis, gegen die unvermittelte Erscheinung der göttlichen Wirklichkeit setzte Ratramnus die augustinische Unterscheidung von sacramentum und res und den Gedanken ideeller Vermittelung durch similitudo12. Sakramen­ taler und historischer Leib verhalten sich danach wie species und veritas, wie Bild und Wirklichkeit18. Durch das sakramentale Gesche­ hen wird im Bewußtsein die Wirklichkeit hergestellt: Exterius igitur quod apparet, non est ipsa res, sed imago rei; mente vero quod sentitur et intelligitur, veritas rei14. Und diesen Akt der Vermittelung bezeichnet

Ratramnus an anderer Stelle seiner Darlegungen als Repräsentation: Trotz der Verschiedenheit des historischen Kreuzopfers und des durch die tägliche Mysterienfeier bewirkten Andenkens daran werde, so meint er, nicht zu Unrecht davon gesprochen, daß Christus in der Feier leide und hingeopfert werde, weil diese celebratio mysteriorum die similitudo von Passion und Tod habe, quarum existunt repraesentationes15. Vor dem Hintergrund ihrer platonischen Abkunft ist diese Rede­ weise von „Darstellungen“ im Sinne des abbildlich vermittelten „InErscheinung-Tretens“ von Geistigem zu nehmen. Jene Wendung faßt nur zusammen, was Ratramnus vorher so umschrieben hat: Exemplum des hl. Paschasius Radbertus von der Eucharistie. Mit besonderer Berück­ sichtigung der Stellung des hl. Rhabanus Maurus und des Ratramnus zu derselben, Freiburg i. Br. 1896 (Diss. Würzburg). — Über Radberts für die Reichseinheit politisch engagierte Geschichtsschreibung jetzt Wolfgang Weh­ len: Geschichtsschreibung und Staatsauffassung im Zeitalter Ludwigs des Frommen (Hist. Studien 418), Lübeck u. Hamburg 1970, S. 105 ff. 10 PL 121, 103 - 170. Vgl. dazu Geiselmann, Eucharistielehre, S. 176 ff.; v. Schubert, Gesch. d. christl. Kirche, S. 460 ff.; Schnitzer, Berengar von Tours, S. 150ff.; auch Emst, Die Lehre des Paschasius Radbertus, S. 99 ff., der freilich ein bißchen zu sehr trachtet, die Differenz herunterzuspielen. 11 aaO (N. 9) c. IV 1 (col. 1278), c. IX 1 (coli. 1293 seq.). 12 Vgl. Geiselmann, Eucharistielehre der Vorscholastik, S. 176 f., sowie — statt vieler — Adams schon in anderem Zusammenhang erwähnte Arbeit über Augustins Eucharistielehre (bes. S. 146 ff.). Siehe dazu ferner die scharfe Hintergrundscharakteristik Harnacks: Dogmengeschichte II, S. 416 ff. — Zur augustinischen Abhebung der similitudo von imago und aequalitas die sehr aufschlußreiche Abhandlung: IMAGO — Ein Beitrag zur Termino­ logie und Theologie der römischen Liturgie (Münchener theolog. Stud. II/5, München 1952, S. 38 f.) von Walter Dürig. Vgl. ferner unten § 6 N. 17. 18 Vgl. die von Geiselmann, Eucharistielehre der Vor Scholastik, S. 192, zusammengestellten Belege. 14 aaO (N. 10) c. LXXVII (col. 160). Ratramnus arbeitet hier mit der augustinischen Sakramentsformel: aliud videtur, aliud intelligitur, die ihrer­ seits das platonische qpaivop-Evov paraphrasiert. Vgl. dazu noch c. LXXXIV (col. 162): Item, quae idem sunt, una definitione comprehenduntur. De vero corpore Christi dicitur quod sit verus Deus et verus homo: Deus, qui ex Deo Patre ante saecula natus; homo, qui in fine saeculi ex Maria virgine genitus. Haec autem dum de corpore Christi quod in Ecclesia per mysterium geritur dici non possunt, secundum quemdam modum corpus Christi esse cognoscitur; et modus iste in figura est et imagine, ut veritas res ipsa sentiatur. 15 aaO (N. 10) c. XL (col. 144); cf. c. XLI (col. 145). 5*

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

(Abbild) ... nobis reliquit quod in mysterio Domini corporis et sangui­ nis quotidie credentibus praesentatur, ut quisquis ad illud accesserit, noverit se passionibus ejus sociari debere, quarum imaginem in sacris

mysteriis praestolatur .. .16. Solchen Zusammenhang artikuliert sehr schön Gadamers Bemerkung, repraesentare heiße eigentlich „Gegenwärtigseinlassen“17. In der Tat geht es hier nicht um ein Gegenwärtig­ machen, sondern um die Erfahrung des im Bilde Gegenwärtigen, sich Darbietenden. Man muß das vormoderne Bildverständnis bedenken, will man recht verstehen, was es bedeutet, wenn Papias in seinem viel­ berühmten Vocabularium aus den sechziger Jahren des 11. Jahrhun­ derts — ich benutze hier aus der Reihe der Venezianer Drucke den von 1491 — repraesentare für synonym erklärt mit assimilare, ef(f)ingere und jigurare™. Die von Berengar, dem Erben des Ratramnus, teils unmittelbar, teils mittelbar durch seine Anhänger provozierte reiche Eucharistie-Litera­ tur zur Verteidigung des Glaubens der Väter bewahrt diesen Sprach­ gebrauch. So meint Theofried von Echternach (f 1110) mit der sakra­ mentalen Repräsentation des gekreuzigten Herrenleibes in Gestalt von Brot und Wein — Dominici corporis et sanguinis mysterium, quod in specie panis et vini quotidie per sacerdotum conficitur ministerium, vere ... repraesentat illud corpus Christi Domini, quod crucifixum — ebenso die reale Vergegenwärtigung wie noch Gerhoh von Polling

(t 1169) mit der Wendung, daß die Gestalt von Brot und Wein die Wirklichkeit des Fleisches und Blutes repräsentiere10. Vorzugsweise wird mit dem fraglichen Ausdruck jetzt indessen auf höherer Stufe der Reflexion im Rahmen der erneuerten, aber etwas vergeistigter gefaßten Lehre von der Realpräsenz Christi die davon abgehobene und gewis­ sermaßen daneben gestellte rein symbolische Beziehung zwischen un­ blutigem Meßopfer und blutigem Kreuzestod bezeichnet. Nicht in der veritas Christi, sondern bloß in dem ähnlichkeitsweise die wirkliche Passion repräsentierenden Opferakt liege der Unterschied, lehrt mit klassischer Klarheit der Kluniazensermönch Alger von Lüttich (t 1131)20. 16 Ibidem c. XXXVIII (coli. 143 seq.). 17 Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 134 N. 2. 18 Vgl. dazu Georgius Goetz: De glossariorum latinorum origine et fatis (Corpus Glossariorum Latinorum I), Lipsiae et Berolini 1923, S. 172 ff. 19 quia species panis et vini non solum repraesentat veritatem carnis et sanguinis absque horrore, sed etiam docet ac monet se participantes ita unum esse sicut ex multis granis unus panis et ex multis acinis unus liquor est factus ... Est autem notandum, quod sacrificium habens panis et vini speciem in manu sacerdotis nullatenus differt a sacrificio quod in suis propriis manibus tenuit ipse Christus verus sacerdos se ipsum ferens manibus. Est enim per omnia idem ipsum. Zit. nach Bach, Dogmengeschichte I, S. 429 N. 14. — Das vorausgehende Theofried-Zitat findet sich in: Florum Epitaphii Sanctorum libri quatuor, PL 157, 297 - 404 (368 A). Siehe hierzu u. z. folg, auch Schnitzer, Berengar von Tours, S. 318 ff.

§ 5. Der Berengarsche Abendmahlsstreit

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Diese Aufspaltung und dieser partielle Symbolismus sind die Konse­ quenzen aus der christologisch (Inkarnation!) nicht preisgebbaren An­ nahme der Einheit und Einmaligkeit von Opferpriester und Opferlamm bei offenkundiger Nichtidentität der Opferhandlungen. Stephan von Autun (f 1136) fand in seinem Traktat de Sacramento altaris eine sehr charakteristische, später bei Alexander von Hales21 in ähnlicher Weise wiederkehrende Formulierung, wonach Christi Schlachtung wiederholt, Christus indessen nicht neuerlich getötet, sondern in seiner Gegenwart seine Passion gegenwärtig gemacht wird: Immolatio iteratur, non Christus occiditur, sed ipso praesente passio ejus repraesentatur22.

Zugleich stabilisiert die intensive Auseinandersetzung mit der Häre­ sie Berengars — das deutete sich schon an — den Sprachzusammenhang von repraesentare samt Ableitungen mit imago und das heißt letztlich: den Sachzusammenhang des Repräsentationsbegriffs mit der UrbildAbbild-Dialektik28. Es ist dies eine Konfiguration, die sich einerseits — älter als jene vorscholastische Abendmahlskontroverse — zurückver­ folgen läßt in die Väterzeit und die andererseits über die jüngeren Zeitgenossen Berengars, über die Bruno von Köln, Theofried von 20 De sacramerjtis corporis et sanguinis Dominici libri tres (PL 180, 727 854), lib. I c. 16 (col. 787 A): Non ergo est in ipsius Christi veritate diversitas, sed in ipsius immolationis actione, quae dum veram Christi passionem et mortem quadam sua similitudine figurando repraesentat, nos ad imitationem ipsius passionis invitet et accendat contra hostem nos roboret et muniat, et a vitiis purgans et virtutibus condecorans, vitae aetemae nos idoneos ac dignos exhibeat. — Unter dem nämlichen Aspekt sind zu sehen Bruno von Köln: Expositiones in omnes Epistolas Pauli (PL 153, 9-568): In epist. I ad Cor. c. 11 (col. 185 B); Ivo von Chartres: De ecclesiasticis sacramentis et officiis ac praecipuis per annum festis sermones (PL 162, 505 - 610), sermo V (col. 554 B). — Vgl. dazu auch Odo Casel OSB: Das Mysteriengedächtnis der Meßliturgie im Lichte der Tradition, Jb. f. Liturgiewiss. 6 (1926) S. 113 204 (191 f.). 21 Vgl. Franz Ser. Renz: Die Geschichte des Messopfer-Begriffs oder Der alte Glaube und die Neuen Theorien über das Wesen des Unblutigen Opfers, 1. Bd., Freising 1901, S. 728 ff. (735). Siehe auch Wilhelm Gotzmann: Das eucharistische Opfer nach der Lehre der älteren Scholastik, Freiburg i. Br. 1901, S. 35 ff., mit weiteren einschlägigen Belegstellen aus Alexander von Hales Summe. 22 PL 172, 1273 - 1308 (1290 A). Vgl. ebd. col. 1280 D: Christus ipse sacrifex et sacrificium, hostia et sacerdos... — Durchaus im gleichen Sinne hatte schon Durandus von Troarn (f 1088) geschrieben: Quis igitur neget id similitudinem jure dici, seu figuram, quod Unigeniti passionem, quae semel praecessit, repraesentat? Sed haec similitudo vel figura plena est admodum veritate et gratia. Veritate quidem, quia carnis ac sanguinis Christi dulcedine, non modo potentialiter, sed naturaliter approbatur redundare. Veritate dico, quia nihil in ea minus est ab illa carne quae clavis suffixa pependit in cruce ... (Liber de corpore et sanguine Domini, PL 149, 1375 - 1424 [1392 B]). Dazu Geiselmann, Eucharistielehre der Vorscholastik, S. 317 ff. Siehe ferner Guitmund von Aversa (f 1095): De corporis et sanguinis Christi veritate in eucharistia libri tres, PL 149, 1427 - 1494 (1455 - 1461). 23 Dazu Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 128 ff. Vgl. ferner W. Dürig, IMAGO, S. 14 ff.; auch Kurt Bauch: Imago, Festschr. f. Wilhelm Szilasi, München 1960, S. 9 - 28.

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

Echternach und Ivo von Chartres hinaus auch in der Sentenzenliteratur der Scholastik sich findet. Im ausgehenden 5. Jahrhundert lehrt der päpstliche Leugner der Transsubstantiation und Inaugurator der fol­ genreichen Zweigewaltenlehre, der eigenwüchsige Afrikaner Gelasius I.24 die Göttlichkeit des sakramentalen Leibes bei Permanenz der Natur des Brotes. Dazwischen sucht er in seiner mitunter etwas wirren Aus­ drucksweise25 irgendwie den Gedanken von Bild und Gleichnis und deren Vermittlungskraft einzuschieben: Et certe imago et similitudo corporis et sanguinis Christi in actione mysteriorum celebrantur ... hoc nobis in ipso Christo domino sentiendum, quod in eius imagine profitemur, celebramus et sumimus ... mysterium principale, cuius nobis efficientiam virtutemque veraciter (sc. panis et vinum) repraesentant.. ,26. Hier wird die „Repräsentation“ bemerkenswerterweise noch allein auf die sakramentale Vermittelung einer virtus bezogen, meint

also — dem spätantiken Sprachverständnis durchaus entsprechend — eine Gabe oder Leistung. Nach Berengar dagegen dienen die Ausdrücke repraesentare und repraesentatio, davon war bereits die Rede, ganz überwiegend der Verknüpfung von Passion und Meßopfer, stehen also im Problemkreis der Frage nach der Einmaligkeit der immolatio Christi, der „Schlachtung“ des Gesalbten in der Vielzahl der Opfer­ feiern. Der Kontext ist mit anderen Worten in der Abkehr von der älteren, augustinischen Auffassung vom Wesen der Opferfeier27 nicht mehr die Eucharistie als Heilsmittel, sondern die Eucharistie als Kult­ akt, nicht mehr das sacramentum, sondern das sacrificium. Auf dieser durch die Gegner und Überwinder Berengars vorgezeichneten Linie bestimmt Petrus Lombardus, der mit seinen Sententiae um 1150 eine ganze Literaturgattung inauguriert, die tagtägliche sakramentale Op­ ferung als memoria et repraesentatio des wirklichen Opfers, was natür­ lich vor dem Hintergrund seiner ausdrücklichen Konversionslehre und eingebettet in seine differenzierte Sakramentsauffassung gesehen wer­ den muß, welche in der aus der Auseinandersetzung mit Berengar ge­ 24 Vgl. Erich Caspar: Geschichte des Papsttums von den Anfängen bis zur Höhe der Weltherrschaft, 2. Bd., Tübingen 1933, S. 33 ff.; Johannes Haller: Das Papsttum — Idee und Wirklichkeit, I: Die Grundlagen, o. O. 1965, S. 170 ff.; Ulrich Gmelin: Auctoritas — Römischer princeps und päpstlicher Primat, Diss. Berlin 1936, S. 135 ff.; Lotte Knabe: Die gelasianische Zwei­ gewaltentheorie bis zum Ende des Investiturstreits, Diss. Berlin 1936, S. 11 ff. 25 Caspar, Gesch. des Papsttums II, S. 46; Haller, Papsttum I, S. 170. Eduard von Wölfflin (Der Papst Gelasius als Latinist, Arch. f. lat. Lexiko­ graphie u. Grammatik 12, Leipzig 1902, S. 1-10 [2]) bescheinigt ihm ein Latein, „welches wir für das Ende des fünften Jahrhunderts ein gutes nen­ nen dürfen.“ 28 Carl Mirbt/Kurt Aland: Quellen zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, 6. Aufl., Bd. 1: Von den Anfängen bis zum Tridentinum, Tübingen 1967, S. 224 (Nr. 465). 27 Vgl. dazu noch Renz, Gesch. d. Messopfer-Begriffs I, S. 662 ff. Zum folg, ebd. S. 693 ff.

§ 5. Der Berengarsche Abendmahlsstreit

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wonnenen Begriffsdreiheit von sacramentum et non res — sacramen­ tum et res — res et non sacramentum den augustinischen Dualismus von Zeichen und Bezeichnetem überwindet28. Dasselbe gilt auch für den Magister Bandinus, der das tägliche sacrificium eine immolatio nennt, aber: non essentia ..sed sacramentali repraesentatione29. Auch Petrus von Poitiers beantwortet die Frage, inwiefern denn das sakramentale Opfer eine Schlachtung genannt, d. h. mit dem Namen der historischen Passion belegt werden könne, mit dem hier freilich nur noch äußerlich genommenen augustinischen Argument bildlicher Repräsentation: Ad quod dicendum quod immolatur Christus in Sacramento, et illa immolatio non ob aliud dicitur immolatio, nisi quia repraesentat veram immolationem quae semel facta est expansis manibus in cruce. Sicut pictura repraesentat id cujus est imago, et sicut imago nomine rei quam significat dicitur, ut imago Achillis dicitur Achilles: ita immolatio illa nomine verae immolationis, quae semel facta est nuncupatur80.

Es liegt auf der Hand, daß eine solche Argumentation, welche das Wort Repräsentation, von der Frage der Realpräsenz abgehoben, nur noch dazu verwendet, die aus alten heidnischen Quellen gespeiste vul­ gäre Anschauung immer neuer sühnender Erlösungsopfer abzuwehren, Gefahr läuft, die sakramentale Repräsentation eines historischen Op­ fers zur nur äußerlichen Darstellung oder bloß innerlichen Vorstellung zu verdünnen. So sieht sich Albertus Magnus veranlaßt zu betonen, daß das Meßopfer nicht bloße (!) repraesentatio des Kreuzestodes (im­ molatio nostra non tantum est repraesentatio), sondern als der kultische Akt der Darbringung (rei immolatae oblatio per manus sacerdotum) des (identischen) Opferlamms wahrer und wirklicher Opferakt (immo28 Sententiarum libri quatuor (PL 192, 519 - 964), lib. IV dist. XII § 7 (col. 866): Post haec quaeritur si quod gerit sacerdos proprie dicatur sacrificium vel immolatio, et si Christus quotidie immoletur, vel semel tantum immolatus sit. Ad hoc breviter dici potest, illud quod offertur et consecratur a sacerdote vocari sacrificium et oblationem, quia memoria est et repraesen­ tatio veri sacrificii et sanctae immolationis factae in ara crucis. Et semel Christus mortuus in cruce est, ibique immolatus est in semetipso; quotidie autem immolatur in sacramento, quia in sacramento recordatio fit illius quod factum est semel. — Vgl. dazu lib. IV dist. VIII § 3 (aaO col. 856): Cum enim haec verba (sc. Hoc est corpus meum etc.) proferuntur, conversio fit panis et vini in substantiam corporis et sanguinis Christi ... Vgl. ferner noch ebd. § 4 (col. 857): Sacramentum et non res, est species visibilis panis et vini; sacramentum et res, caro Christi propria et sanguis; res et non sacramentum, mystica ejus caro. Siehe dazu Ferdinand Holböck: Der eucha­ ristische und der mystische Leib Christi in ihren Beziehungen zueinander nach der Lehre der Frühscholastik, Rom 1941, S. 73, 153, 219 ff.; Ludwig Hödl: Sacramentum et res — Zeichen und Bezeichnetes. Eine begriffsge­ schichtliche Arbeit zum frühscholastischen Eucharistietraktat, Scholastik 38 (1963) S. 161 - 182. 29 Sententiarum libri quatuor (PL 192, 965 - 1112), lib. IV dist. XII (col. 1097). Vgl. lib. IV distt. VIII, X, XI (coli. 1095 sq.). 30 Sententiarum libri quinque (PL 211, 789 - 1280), lib. V c. XIII (col. 1256).

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

latio vera) sei81. Fast wird repraesentatio hier schon in demselben Sinne nur äußerlicher Hindeutung gebraucht wie etwa noch in der Enzyklika Mediator Dei des zwölften Pius vom 20.11.1947, der dort über das liturgische Jahr sagt: ... non frigida atque iners earum rerum reprae­ sentatio est, quae ad praeterita tempora pertinent, vel simplex ac nuda superioris aetatis rerum recordatio32.

In der „Funktion“ — diese Formulierung stammt von Ottfried Koch83 — „das Undenkbare auszusagen, daß nämlich ein zeitlich Gewe­ senes, Einmaliges zugleich jeder Zeit gleichzeitig sein kann, ohne mit der Pluralität seine Singularität zu verlieren“, behauptet der Ausdruck repraesentatio die Mitte zwischen magischer Auflösung des Einmaligen in Allgegenwart und bloß schattenhafter Erinnerung an Vergangenes nicht84. In dem Prozeß eucharistischer Spekulationen wird bei der Verlagerung des Schwerpunkts von der HeiligungsWirkung auf den Kultakt — nun einmal mit der Fragwürdigkeit des Bildbegriffs ver­ knüpft — die Bedeutung von „Repräsentation“ gebrochen, polarisiert. Wo Repräsentation vornehmlich die Nichtidentität mit einem historisch einmaligen Faktum ausdrücken soll, tritt der Bedeutung perspektivisch akzentuierter Wirklichkeit der Sinn geradezu des Nichtwirklichen gegenüber. Gleichzeitig verliert der ursprünglich platonisch-neuplato­ nisch genährte Bildbegriff85 das Bedeutungselement der geistig-dyna­ mischen Ursprungsbeziehung und den darauf beruhenden Sinn spiri­ tueller Äquivalenz. Übrig bleibt insoweit die äußere, die sicht- und 81 Commentarii in IV. Lib. Sententiarum, dist. 13 a. 23 (Opera tom. XVI, Lugduni 1651, S. 209): An Christus immolatur in omni sacrificio? ... Videtur, quod non dicatur Christus quotidie sacrificari et immolari propter repraesentationem praeteritorum: eadem enim ratio est de crucifixone et morte, quae est de sacrificio et immolatione: ergo si dicatur immolari, quia fit repraesen­ tatio immolationis factae, dicetur crucifigi et tradi, quia fit repraesentatio crucifixonis et occisionis factae: quod falsum est. 2. Item, Non sequitur, istius occisio repraesentatur: ergo iste occidit: ergo nec hic sequi videtur, immolatio vel sacrificium repraesentatur: ergo immolatur vel occiditur. 3. Item videtur, quod fieri hoc non debeat: quia hoc quod est occasio haeresis, ab Ecclesia fieri non debet: sed repraesentatio mortis significat mortalem, cum tarnen dicat Apostolus, quia Christus resurrexit a mortuis, iam non moritur: ergo fieri non debet ... Ad aliud dicendum, quod immolatio nostra non tantum est repraesentatio, sed immolatio vera, id est, rei immolatae oblatio per manus sacerdotum: unde duo dicit, scilicet rem occisam, et oblationem: quia immolatio proprie est oblatio occisi ad cultum Dei: et quoad oblationem non est repraesentatio tantum, sed verus actus offerendi. Sic autem non est de occisione et crucifixione. — Vgl. noch a. 25 ad 5 (p. 211): ... actus Dei qui est dolor satisfactivus pro peccatis nostris, non est per veritatem in Sacramento, sed per repraesentationem solum ... 82 Enchiridion, S. 759 - 765 (764). 83 Gegenwart oder Vergegenwärtigung Christi im Abendmahl? Zum Pro­ blem der repraesentatio in der Theologie der Gegenwart, München 1965, S. 7. 84 Vgl. dazu Kurt Plachte: Das Sakrament des Altars, Berlin 1954, S. 189. 35 Dazu Michael Schmaus: Katholische Dogmatik, 1. Halbbd. des 4. Bd., 3. u. 4. Aufl., München 1952, S. 300 f.; W. Dürig, IMAGO, S. 25.

§ 6. Die eucharistische Repräsentationsformel bei Thomas von Aquin

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darstellbare Ähnlichkeitsbeziehung. Dieser Prozeß wiederholt sich dann — wie aus der wichtigen Abhandlung Erwin Wolffs über die Terminologie des mittelalterlichen Dramas zu entnehmen ist88 — auf der Ebene des liturgischen Spiels, insofern dort repraesentatio — „die früheste, charakteristischste, am meisten verbreitete und am längsten verwendete dramatologische Bezeichnung des Mittelalters“87 — ur­ sprünglich das wirkliche: nämlich durch Kleriker verwirklichte Auf­ treten biblischer Figuren, später aber daneben auch die Aufführung eines Spiels bezeichnet. § 6. Die eucharistische Repräsentationsformel bei Thomas von Aquin Den unsicher gewordenen Sprachgebrauch befestigt dann — ohne freilich damit einen theologischen Begriff zu prägen1 — Thomas von Aquin. In den elf dem Sakrament der Eucharistie gewidmeten Quaestionen des dritten Teils seiner in ganz außergewöhnlich fruchtbarem Irrtum auf das Fassungsvermögen theologischer Anfänger berechneten Summa Theologiae2 beantwortet er gleich eingangs die Frage nach der rechten Benennung des Sakraments mit der schon geläufigen Unter­ scheidung: Opfergabe (hostia) heiße es insofern, als es Christus selbst enthalte, sacrificium hingegen, sofern es in Sonderheit das Leiden Christi „repräsentiere“8. Thomas präzisiert den Unterschied zwischen Sakrament (im engeren Sinne) und Opferung später durch die Gesichts­ punkte des Empfangs (der Heilswirkung) und der Darbringung (des Sühneopfers)4, um dann die ratio sacrificii, also die Darbietung, wie­ derum mit dem inquantum repraesentatur passio Christi zu argumen88 Erwin Wolff: Die Terminologie des mittelalterlichen Dramas in be­ deutungsgeschichtlicher Sicht, ANGLIA 78 (1960) S. 1 - 27 (3 - 9). 37 Wolff aaO S. 2. Außerdem waren gebräuchlich: officium, or do, processio, ludus, historia, similitudo, miraculum, misterium. 1 Das zeigt z. B. der Art. „Repräsentation“ von Karl Rahner im Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Aufl., 8. Bd., Freiburg 1963, Sp. 1244 f. RGG hat das Stichwort gar nicht. 2 Vgl. den Prolog (DThA Bd. 1 S. 1). Zur enzyklopädischen, synthetischen und pädagogischen Funktion der Summen-Literatur im 13. Jahrhundert vgl. Maria-Dominique Chenu: Das Werk des hl. Thomas von Aquin (2. Erg.-Bd. zur DThA; Übers, aus dem Französischen), Heidelberg / Graz / Wien / Köln 1960, S. 336 ff.; dazu S. 84 ff. über die Darstellungsverfahren im akademischen Unterricht der Zeit. — Fundstellenverzeichnis für repraesentare samt Ablei­ tungen bei Roy Joseph Deferrari and Sister M. Inviolata Barry: A Complete Index of The Summa Theologica of St. Thomas Aquinas, Baltimore 1956, p. 303. Vgl. ferner diess.: A Lexicon of St. Thomas Aquinas based in The Sum­ ma Theologica and selected passages of his other works, Baltimore 1948 54, S. 965/6. 8 III q. 73 a. 4 ad 3 (DThA Bd. 30 S. 16). 4 III q. 79 a. 5 corp. (aaO S. 206).

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

tieren5. Geradezu formelhaft erscheint diese Wendung immer wieder®, mehrfach auch substantivisch gefaßt als repraesentatio dominicae passionis7. Gelegentlich formuliert der Kirchenlehrer mit einer Adjektiv­ bildung „repräsentativ für das Herrnleiden“: Hoc enim sacramentum est repraesentativum dominicae passionis8. An keiner der angegebenen Fundorte wird die Art und Weise dieser sakramentalen Repräsentation indessen näher erläutert oder umschrieben. Nun eben: Semper loquitur formaliter — das wußte schon Cajetan zu rühmen. Nur die 83. Frage bringt — worauf sogleich noch einmal zurückzukommen sein wird — durch den Ausdruck imago repraesentativa und durch die Gleichsetzung von repraesentatio mit exemplum und figura eine gewisse Verdeut­ lichung. Daß dieser kleine Akzent just in der dem Ritus des Sakraments gewidmeten Untersuchung gesetzt wird, ist natürlich — schon im Blick auf die Vorgeschichte — kein Zufall. Zwar in dieser Form nicht auch in der ungleich populäreren kleinen Arbeit de articulis fidei et Ecclesiae sacramentis enthalten9, kehrt die Formel des Aquinaten von der Repräsentation der Passion des Herrn doch nicht nur — wie bekannt — in den einschlägigen Lehrentschei­ dungen des Tridentinums wieder10, sondern begegnet bereits in der (weitgehend aus jenem opusculum schöpfenden) Florentiner Lehrbe­ stimmung für die Armenier von 1439. Dort wird das Gebot, dem Meß­ wein vor der Konsekration etwas Wasser beizumischen neben anderem im Hinblick auf Joh. 19, 34 („... der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite mit einem Speer, und alsbald ging Blut und Wasser heraus“) damit begründet, daß dies der Vergegenwärtigung des Leidens Christi entspreche: dominicae passionis repraesentationi11. 5 III q. 79 a. 7 corp. (aaO S. 212). Dazu Joseph Kramp S. J.: Die Opferan­ schauungen der römischen Meßliturgie. Liturgie- und dogmengeschichtliche Untersuchung, 2. Aufl., Regensburg 1924, S. 168 - 237 (bes. 224 ff.). 6 III q. 79 a. 1 corp., q. 80 a. 10 ad 2, q. 81 a. 3 ad 1, q. 83 a. 5 obi. 8 (aaO S. 192, 268, 287, 359). 7 III q. 80 a. 12 ad 3, q. 83 a. 2 corp. (aaO S. 276, 328). 8 III q. 83 a. 1 ad 2, q. 83 a. 2 obi. 1, q. 83 a. 3 obi. 1; cf. q. 73 a. 5 corp. (aaO S. 326, 333, 18). 9 Opuscula omnia, ed. Petrus Mandonnet, tom. Ill, Paris 1927, pp. 1 - 18. Repraesentare dient hier (S. 11) stattdessen in konventionellerer (und d. h. in diesem historischen Kontext: mehr augustinischen) Weise zur Kennzeich­ nung dessen, was ein Sakrament überhaupt ausmacht: ... sacramentum novae legis est invisibilis gratiae visibilis forma, ut ejus similitudinem gerat, et causa existat. Sicut ablutio quae fit in aqua baptismatis repraesentat interiorem mundationem, quae fit a peccatis per virtutem baptismi. 10 Sessio XXII, 17.9.1562: Doctrina de ss. Missae sacrificio, Cap. 1: quia tarnen per mortem sacerdotium eius exstinguendum non erat, in Coena novissima ... , ut dilectae sponsae suae Ecclesiae visibile ... relinqueret sacrificium, quo cruentum illud semel in cruce peragendum repraesentaretur ..., corpus et sanguinem suum sub speciebus panis et vini ... obtulit . .. (Enchiridion, S. 408; vgl. ebd. S. 387). Zu dem enormen Einfluß des Thomas

§ 6. Die eucharistische Repräsentationsformel bei Thomas von Aquin

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Die Frage nun, wie diese Formel näherhin zu verstehen sei, wie man sich diese sakramentale Vergegenwärtigung vorzustellen habe, muß dem durch die erwähnte gelegentliche Beisetzung von imago, exemplum und figura gegebenen Fingerzeig folgen: Ein die Passion Christi ver­ gegenwärtigendes Bild nennt Thomas das Sakrament der Eucharistie, um zu betonen, daß Christus in der Messe nicht gekreuzigt, also nicht wirklich geopfert werde12. Und mit der auf die sakramentale Repräsen­ tation bezogenen Rede von exemplum und figura, d. h. vom Bild, welches vor der Wirklichkeit weicht (veniente veritate, cessat figura), antwortet er auf die Frage, warum das Sakrament am Karfreitag nicht gefeiert werde, an dem Tag, an dem des Herrnleidens gedacht wird, wie es wirklich geschah (prout [passio] realiter gesta est)™. Sakra­ mentale Repräsentation ist danach als repraesentatio imaginis abbild­ liche, d. h. sinnlich faßbare, dabei auf Wesentliches reduzierende, stili­ sierende Vermittelung einer Wirklichkeit, die auch auf andere Weise, unmittelbar erfahren, mit der folglich verglichen werden kann und dergegenüber sie von geringerer Bedeutung ist. Im Kontext der Lehre des princeps philosophorum steht die bildliche Repräsentation nun freilich noch in einem anderen Gegensatz, nämlich dem zur bloßen repraesentatio vestigii, der Vergegenwärtigung durch eine Spur, welche nach unseres Autors Worten nicht die causa selbst, sondern nur die causalitas repräsentiert, will sagen: nur den formalen Schluß auf das Daß einer Ursache zuläßt14. Das Bild vermittelt demgegenüber kraft seiner Ähnlichkeitsbeziehung (die indessen keine Entsprechung in der Beschaffenheit ist oder jedenfalls nicht zu sein braucht) die Ursache selber und ganz, ihre species, das meint: ihre Gestalt, ihre wesentlichen Merkmale15. Den Gedanken der Abkunft, des Ursprungs, des Herrührens vom Urbild schließt der Bildbegriff indessen nicht aus, sondern — nach wie vor — ein, wenngleich nun mehr auf aristotelische denn platonische Weise, d. h. als Wirkung und nicht als Erscheinung oder Emanation des Musters16. Die im Bildbegriff hier mitgedachte kausale Ursprungsbeziehung gibt den von „Eindruck“ und „Ausdruck“ reden-

auf das Konzil von Trient (Patrum Concilii oraculum) vgl. Gallus Marie Manser: Das Wesen des Thomismus, 2. Aufl., Freiburg/Schweiz 1935, S. 56 ff. 11 Bulla unionis Armeniorum „Exultate Deo“, 22.11.1439 (Enchiridion, S. 332 - 337 [334]). Der doktrinäre Einfluß des Aquinaten auf das Florentinum war so groß, daß man es schlankweg ein compendium Summae divi Thomae genannt hat. 12 Summa Theologica (STh.) III q. 83 a. 1 corp, und ad 2 (aaO S. 324, 326). 13 STh. III q. 83 a. 2 ad 2, a. 3 corp.; cf. q. 80 a. 10 ad 2 (aaO S. 329, 336, 268). 14 STh. I q. 45 a. 7 corp. (DThA Bd. 4 S. 44). Uber die „mittelalterliche Leitmetaphorik“ der Spur im Gegensatz zu Analogie und statischer Pro­ portion vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 461 ff. 15 STh. I q. 35 a. 1 corp. (DThA Bd. 3 S. 153). 18 Vgl. O. Koch, Gegenwart oder Vergegenwärtigung, S. 33. Von diesem Punkt aus öffnet sich der Blick auf die zentrale Frage nach der geistesge-

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den Wendungen den präzisen Sinn der Prägung. Der Aquinate zitiert Augustin: Ein Ei ist nicht das Bild des anderen, weil es nicht von ihm ausgeprägt ist17. In diesen Zusammenhang gehört sodann vor allem die Stelle, wo Thomas sagt, daß der Repräsentativcharakter der nicht ver­ nunftbegabten Schöpfung (repraesentatio in creatura existens), d. h. die Fähigkeit der Vergegenwärtigung von etwas, ausschließlich aus göttlicher Einprägung (ex impressione divina) resultiere, während der Mensch darüber hinaus Gottesebenbildlichkeit (similitudo imaginis) besitze, insofern er Gott durch eigene Erkenntnis- und Liebestätigkeit erfassen könne18. Allein aus dieser Vorstellung des Vorbilds als kausal prägender Form erklärt sich ein Sprachgebrauch, der Grade der Reprä­ sentation kennt, d. h. eben Grade in Deutlichkeit und Schärfe der Aus­ prägung wie bei einer Münze oder — in re ejusdem naturae — bei der Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn19. So heißt es in dem die Abend­ mahlsgerätschaften behandelnden Artikel: Ecclesia statuit circa hoc sacramentum id quod expressius repraesentat passionem Christi20. Und da nach diesem Bildverständnis konsequenterweise nicht nur vom Bild zu sagen ist, daß es das Urbild oder besser: Ur-Muster21 vergegenwär­ tigt, sondern umgekehrt auch vom Vor-Bild, daß es das Abbild reprä­ sentiert, muß ja insoweit zufolge des Vorrangs des Wirklichkeitsmusters (veniente veritate, cessat figura) von einem höheren Repräsentations­ grad gesprochen werden. Von Gott als dem Inbegriff der die Schöpfung prägenden bild- und gestalthaften Gedanken22 ist demzufolge die höchste Stufe der Repräsentation auszusagen: Quamvis igitur sit mi-

schichtlichen Position des Thomismus zwischen dem lateinischen Averroismus und dem Augustinismus des 13. Jahrhunderts; siehe dazu Manser, Wesen des Thomismus, S. 118 - 204 (bes. 141 ff.). 17 STh. I q. 35 a. 1 corp. (DThA Bd. 3 S. 153): Sed neque ipsa similitudo speciei sufficit vel figurae; sed requiritur ad rationem imaginis origo; quia, ut Augustinus dicit ... , unum ovum non est imago alterius, quia non est de illo expressum. Bei Augustin (De diversis quaestionibus LXXXIII liber unus [PL. 40, 11 - 100]) heißt es (q. 74, coli. 85 seq.): Imago et aequalitas et simili­ tudo distinguenda sunt. Quia ubi imago, continuo similitudo, non continuo aequalitas: ubi aequalitas, continuo similitudo, non continuo imago: ubi similitudo, non continuo imago, non continuo aequalitas. Ubi imago, continuo similitudo, non continuo aequalitas: ut in speculo est imago hominis, quia de illo expressa est; est etiam necessario similitudo, non tarnen aequalitas, quia multa desunt imagini, quae tarnen insunt Uli rei de qua expressa est. Ubi aequalitas, continuo similitudo, non continuo imago: velut in duobus ovis paribus, quia inest aequalitas, inest et similitudo; quaecumque enim adsunt uni, adsunt et alteri; imago tarnen non est, quia neutrum de altero expressum est.

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STh. STh. STh. STh.

III q. 4 a. 1 ad 2 (DThA Bd. 25 S. 115). I q. 35 a. 2 ad 3 (DThA Bd. 3 S. 157). III q. 83 a. 3 ad 7 (DThA Bd. 30 S. 343). I q. 35 a. 1 ad 1 (DThA Bd. 3 S. 154): Illud autem, ad cujus simili-

tudinem aliquid procedit, proprie dicitur ,exemplar'; improprie vero imago.

22 S. Thomae Aquinatis Quaestiones disputatae, Vol. I. De veritate (Taurini/Romae 1964) q. 8 a. 5 corp. (p. 150): ipsa divina essentia est similitudo rerum omnium.

§ 6. Die eucharistische Repräsentationsformel bei Thomas von Aquin

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nima similitudo creaturae ad Deum secundum convenientiam in natura; est tarnen maxima similitudo secundum quod expressissime divina essentia repraesentat creaturam; et ideo intellectus divinus optime rem cognoscit23.

Der Zusammenhang mit dem alten platonischen Wachstafel-Gleichnis aus dem Theaitet24 ist deutlich. Unbeschadet der Möglichkeit produkti­ ver Kombination oder Umbildung von Sinneseindrücken wird unter der ursprünglich auf das Verhältnis von wirklichem Muster und Vor­ stellungsbild gemünzten Metapher vom Siegeleindruck im Wachsblock der Seele nicht nur die Beziehung zwischen Bildwerk und Vorstellung, sondern auch das Verhältnis von Wirklichkeitsmuster und Abbild begriffen. Folglich ist Erkenntnis, die ein vom erkennenden Subjekt ausgehender, nicht notwendig materieller und jedenfalls ein bildhafter Ein- oder Ausprägung gegenläufig-kongruenter Angleichungsvorgang (assimilatio) ist, ebenso mittelbar durch ein repräsentierendes Abbild wie unmittelbar auf das bildhafte Muster hin möglich25. Es liegt auf der Hand, daß in diesem hohen und strengen Sinn von Repräsentation als abbildhafter Vermittelung höherer Wirklichkeit (veritas) nur im Zusammenhang mit der göttlichen Ordnung der Dinge gesprochen werden kann, insofern Subjekt dieser Art von Repräsen­ tation eigentlich immer die aus sich wirkende „Vorlage“, das exemplar ist und letztlich das Urbild aller Urbilder26. „Die Möglichkeit der Repräsentation beruht“ in diesem Horizont „letztlich auf dem durch­ gehenden Seins-, Wirkungs- und Sinnzusammenhang zwischen Gott und dem endlichen Seienden und zwischen diesem untereinander“27. So verstandene Repräsentation ist — in einem metaphysischen Subjekt zentriert — als bildliches Sich-Darbieten der veritas im Grunde immer intransitiv28. So wird im Musterfall der sakramentalen Repräsentation ja ausdrücklich nicht etwa der Priester, sondern Christus selbst als Subjekt begriffen, das Meßopfer als göttliche Abbild-Vermittelung des sich darbringenden Christus verstanden. Wenn aber Repräsentation als sakramentale wesentlich intransitiv ist, so bedarf die transitive 28 De veritate q. 2 a. 3 ad 9 (aaO p. 34). 24 190 e 5-195 b 8. Vgl. Aristoteles: De anima III 4 (430 a 1). Siehe auch Thomas von Aquin: De veritate, q. 7 a. 1 ad 9 (aaO p. 129), wo die aristote­ lische Wendung von der unbeschriebenen Tafel wörtlich aufgenommen wird. 25 Quaest. de veritate q. 8 a. 5 corp. (aaO p. 150); cf. q. 2 a. 3 ad 9 (aaO p. 34). 26 STh. I q. 44 a. 3 corp. (DThA Bd. 4 S. 12 f.): Deus est prima causa exemplaris omnium rerum. ... ipse Deus est primum exemplar omnium. Vgl. N. 22. 27 Rahner aaO (oben N. 1) Sp. 1244. 28 Den Ausdruck „intransitive Repräsentation“ übernehme ich von Flachte, Sakrament des Altars, S. 16. Hierzu Wilhelm Averbeck: Der Opfercharakter des Abendmahls in der neueren evangelischen Theologie, Paderborn 1967, S. 211 - 224.

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

Bedeutung des Vorgangs gesonderter begrifflicher Fassung — neben den Begriff der Repräsentation tritt der Begriff der Partizipation: ... in celebrations hujus mysterii attenditur et repraesentatio domini­ cae passionis, et participatio fructus ejus29. Dasselbe Verständnis von

„Repräsentation“ obwaltet übrigens dort, wo Thomas in seiner politi­ schen Philosophie Erwägungen über die beste Verfassung anstellt — über jene vor-neuzeitliche, also noch diesseits der Legitimitätsproble­ matik liegende Frage, die auch für ihn noch wesentlich ein Organisa­ tionsproblem im Hinblick auf einen vorgegebenen Zweck des Gemein­ wesens bezeichnet. Wären die Menschen nicht so schlecht oder so schwach, wie sie sind, und würde die Monarchie demzufolge nicht allzu leicht in Tyrannei umschlagen, dann, so meint der Aristoteles-Schüler, wäre sie die beste Staatsform30. Warum? Weil die monarchische Regie­ rung am reinsten das metaphysische Prinzip der Lenkung der Vielheit durch das Eine — der Welt durch Gott, des Körpers durch die Seele — anschaulich in Erscheinung treten läßt und insofern Partizipation an der lex aeterna vermittelt, kurz: quia huius modi regimen maxime repraesentat divinum regimen, quo unus Deus mundum gubernat a principio31. (Aber da der Zweck des Gemeinwesens nicht in der Dar­

stellung eines metaphysischen Prinzips, sondern in der Wahrung des Friedens und der Beförderung des Gemeinwohls liegt, empfiehlt sich aus Sicherheitsgründen eine gemischte Verfassung32.) Daß Christus selbst und er allein als Subjekt der eucharistischen Repräsentation anzusehen sei, hat man später explizit gesagt: passio (Christi) per ipsummet repraesentatur33. Der Jesuiten-Professor Gabriel Vasquez (f 1604), welcher in seinem Kommentar zur Summe des Aquinaten gegen einige der üppig blühenden gegenreformatorischen Opfertheorien der mystischen Schlachtung im Anschluß an Thomas den repräsentativen Charakter der sakramentalen Oblation hervorhebt34, 29 STh. III q. 83 a. 2 corp. (DThA Bd. 30 S. 328). 80 STh. I/II q. 105 a. lad 2 (Opera omnia, Editio Leonina tom. VII — Rom 1892 — S. 263). Vgl. dazu Eugen Rolfes: Die beste Staatsform nach Ari­ stoteles und Thomas von Aquin, Divus Thomas 5 (Wien u. Berlin 1918) S. 137 - 157. 31 I/II q. 105 a. 1 obi. 2 (aaO S. 262). 82 I/II q. 105 a. 1 corp. (aaO S. 262 f.). I/II q. 95 a. 4 corp. (aaO S. 178): Est etiam aliquod regimen ... commixtum, quod est optimum ... Vgl. aber auch De regimine principum (De regno) ad regem Cypri lib. I capp. 2-6 (Opuscula omnia, ed. Petrus Mandonnet, tom. I, Paris 1927, S. 312 - 487 [316 325]). 88 Jacobus Laynes S. J. auf der Tridentiner Theologenversammlung vom 8. 9.1551 in Betreff der reformatorischen Artikel zur Eucharistie (Augustinus Theiner: Acta genuina ss. oecumenici concilii Tridentini, Tom. I, Zagrabiae [1874], S. 491). 84 Vgl. Joseph Schwane: Die eucharistische Opferhandlung, Freiburg i. Br. 1889, S. 25 ff.; Franz Ser. Renz: Die Geschichte des Messopfer-Begriffs oder Der alte Glaube und die Neuen Theorien über das Wesen des Unblutigen Opfers, II. Bd., Freising 1902, S. 256 ff.

§ 6. Die eucharistische Repräsentationsformel bei Thomas von Aquin

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lehrt, daß der anwesende Christus selbst mittels der zweifachen prie­ sterlichen Konsekration, insofern diese als Trennung von Leib und Blut verstanden wird und sohin als Todessymbol gelten kann, seinen eigenen blutigen und wirklichen Tod repräsentiert85. Es leuchtet ein, daß die Intransitivität dieses auf einer bestimmten Bildvorstellung beruhenden theologischen Repräsentationsbegriffs umgekehrt eigent­ liche Spontaneität im Prozeß der Erkenntnis-Assimilation ausschließt86. Indessen gebraucht Thomas, der doctor angelicus, das Wort repraesentare keineswegs nur auf dieser Stufe der Reflexion. Es ist da in demselben Kontext des eucharistischen Kultaktes in scheinbar gleicher Weise etwa auch davon die Rede, daß durch die kirchliche Übung, nicht mehr als einmal am Tag zu kommunizieren, die Einmaligkeit des Leidens Christi repräsentiert werden solle (repraesentetur unitas passionis)37, daß das Sakrament passenderweise (convenienter) in einem geweihten Hause gefeiert werde, sowohl um die durch Christi Passion erlangte Heiligung der Kirche zu vergegenwärtigen als auch um die für den Empfang des Sakraments erforderliche Heiligkeit zu bezeichnen88, daß der Weihrauch die Wirkung der Gnade repräsentieren solle (ad repraesentandum effectum gratiae)39, daß die vielen vom Priester geschlagenen Kreuzeszeichen verschiedene Stationen und Momente der Leidensgeschichte vergegenwärtigen, wobei repraesentare synonym mit significare und designare gebraucht wird40. Das Bemerkenswerte 35 Disp. 222 n. 67: Ceterum cum ipsemet Christus sit sub speciebus panis et vini, et circa ilium actio sacerdotis offerentis ipsa ita versetur, ut ipsemet per species panis et vini ex modo peculiari quo a sacerdote consecratur repraesentet cruentam et realem mortem sui ipsius, et ea repraesentatione denotet Deum autorem vitae et mortis, quamvis non dicatur re ipsa et vere, sed in sola figura et similitudine occidi et mori, tarnen vere et re ipsa immolari et in sacrificium offerri dicitur. (Zit. nach Schwane, Opferhand­ lung, S. 30 N. 2.) Gegen Vasquez dann wieder der 1660 gest. Kardinal Jo­ hannes de Lugo S. J. (Disputationes scholasticae et morales de sacramentis in genere, de venerabili eucharistiae sacramento, et de sacrosancto missae sacrificio, Lugduni 1636, Disp. 19 sect. 4 n. 58 — S. 531): ... nec sufficit mera repraesentatio mortis Christi in ipso Christo facta, ut dicatur Christus proprie sacrificari: aliud enim est repraesentari illud prius sacrificium, aliud fieri verum sacrificium. Zum Opfer gehört nach Lugo irgendeine Art von Destruktion; vgl. Disp. 19 sect. 1 n. 7 — S. 521. Uber Lugo: Renz, MessopferBegriff II, S. 282 ff., u. Schwane, Opferhandlung, S. 38 ff. 38 Vgl. dazu Etienne Gilson / Philotheus Böhner: Die Geschichte der christ­ lichen Philosophie von ihren Anfängen bis Nikolaus von Cues, Paderborn/ Wien / Zürich 1937, S. 503 über die „Passivität des Verstandes“ bei Thomas und dessen gerade daraus geschöpfte Erkenntnissicherheit; ferner Gustav Siewerth: Der metaphysische Charakter des Erkennens nach Thomas von Aquin aufgewiesen am Wesen des sinnlichen Aktes, Diss. Freiburg i. Br. 1933, S. 46 ff., vgl. S. 82 ff. 37 STh. III q. 80 a. 10 ad 4 (DThA Bd. 30 S. 269). 38 STh. III q. 83 a. 3 ad 2 (aaO S. 337). 89 STh. III q. 83 a. 5 ad 2 (aaO S. 363). 40 STh. III q. 83 a. 5 ad 3, ad 5 (aaO S. 363 ff.). — Uber die Anfänge dieser befremdlichen, wenig qualitätvollen allegorischen Meßerklärung bei Amelar von Metz im frühen 9. Jahrhundert Adolph Franz: Die Messe im deutschen

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

ist, daß hier, wo weder überhaupt eine Ursprungsbeziehung noch ein­ leuchtenderweise insbesondere eine eingestiftete Bildähnlichkeit be­ hauptet werden kann, hinter dem teilweise ausdrücklich erfolgenden Übergang zu Konjunktiv und Gerundiv, d. h. zu normativer Sprech­ weise, und mit dem Gewinn transitiver Bedeutung ebenso stillschwei­ gend wie notwendig ein Subjektswechsel verbunden ist. Will sagen: Vergangenes und Unsichtbares wird dadurch gegenwärtig gemacht, daß die Kirche, daß ihre Priester sichtbare Zeichen vor Augen stellen, denen ausdrücklich bloß konventionell eine bestimmte Bedeutung bei­ gelegt wird.

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie I. Die repräsentierende Spezies in der scholastischen Wahrnehmungs­ lehre — II. Erkenntnistheoretische Repräsentation — III. Der Repräsen­ tationsbegriff bei Leibniz — IV. Psychologie und Ontologie des Erfassens der Außenwelt

Es war die angedeutete Problemgeschichte, derzufolge der Kardinal Bellarmin — wir sprachen schon davon — gegen Ende des Reforma­ tionsjahrhunderts die Doppeldeutigkeit des Ausdrucks Repräsentation festzustellen Veranlassung fand: significat enim praesentem rem aliquem facere, sive reipsa, sive in signo aliquo, vel imagine1. Seiner Nei­ gung zur neuen französischen Dialektik, zur antischolastischen „natür­ lichen Logik“ des Petrus Ramus folgend2, welche er mit der namentlich von Melanchthon vertretenen aristotelischen Dialektik3 zu versöhnen trachtete, buchte der Marburger Professor Rudolph Göckel (Goclenius) das Ergebnis jenes sprachlichen Polarisations Vorganges in seinem 1613 in Frankfurt erschienenen Lexicon philosophicum, quo tamquam clave philosophiae fores aperiuntur4, in schärferer und entschiedenerer Form. Repraesentare, so heißt es da, bedeute entweder bezeichnen oder etwas gegenwärtig machen: significare oder rem praesentem facere5. Die erst­ genannte Bedeutung erläutert Göckel mit absens modo quodam prae­ sens facere5, also durch die Wendung: etwas Abwesendes in gewisser Mittelalter — Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des religiösen Volks­ lebens, Freiburg i. Br. 1902, S. 351 ff. 1 Oben § 4 bei N. 55 u. 56. 2 Vgl. dazu Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. I, Berlin 1906, S. 129 ff. 8 Dazu Peter Petersen: Geschichte der aristotelischen Philosophie im protestantischen Deutschland, Leipzig 1921, S. 42 ff., 64 ff., 127 ff.; Max Wundt: Die deutsche Schulmetaphysik des 17. Jahrhunderts (Heidelberger Abh. zur Philosophie u. ihrer Gesch. 29), Tübingen 1939, S. 48. 4 Ich zitiere nach dem Nachdruck Hildesheim 1964. Über Göckel und seinen Synkretismus Petersen, Aristotelische Philosophie, S. 135, 286, und M. Wundt, Deutsche Schulmetaphysik, S. 57 ff., 233. 5 aaO S. 981.

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheo Fetischen Terminologie

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Weise vergegenwärtigen, und zwar entweder per rationem similitudinis oder — und damit trägt er einer antithomistischen skotistischen Distinktion Rechnung7 — per rationem proportionalitatis. Für die

davon scharf abgehobene zweite Bedeutung erscheinen der Ausdruck pecuniam repraesentare und — auch das, wie sogleich noch im einzel­ nen zu zeigen, eine aus der Spätantike stammende Prägung — der Satz: Reus se repraesentat, id est, iudicio se sistit. Und da Goclenius nicht nur sogenannter Semi-Ramist, sondern damit eben auch ein Reformier­ ter ist, schlägt er den tertullianischen Satz, wonach Christus seinen Leib durch das Brot repräsentiert, eindeutig und ausschließlich dem Unterfall der mit der Formel absens modo quodam praesens facere interpretierten Bedeutung bloßer Signifikation zu. I.

Repräsentation gleich Vergegenwärtigung von etwas Abwesendem in der Weise des Abbilds oder der Entsprechung: in dieser Ausprägung ist die Formel abgezogen von der gemeinen scholastischen Lehre über die Wahrnehmung räumlich entfernter Dinge durch das Erkenntnis­ vermögen, wonach in Abwandlung der substantiellen EiöcoXa Demo­ krits zu wandernden Qualitäten von den Objekten similitudines oder species (intentionales) aus- und in die wachsgleiche, ungeprägte Er­ kenntnispotenz eingehen. Zwar hatte Johannes Duns Scotus, vom 6 Bloß noch mit diesem absens quodam modo facere praesens erläutert dann Johann Micraelius (Lexicon Philosophicum, Editio Secunda, Stetini 1661, col. 1216) das Wort repraesentare. 7 In seinem 1305/6 vollendeten großen Sentenzenkommentar (lib. I dist. 3 q. 5) setzt sich Johannes Duns Scotus auch mit der Frage auseinander, utrum in omni creatura sit vestigium Trinitatis. Er kritisiert die thomistische Lehre u. a. mit dem Argument, das begriffliche Instrumentarium von reprae­ sentatio similitudinis und repraesentatio vestigii sei unzureichend, und zwar deswegen, weil diese Spur-Repräsentation lediglich eine partikuläre Bild­ ähnlichkeit bedeute. Duns Scotus unterscheidet demgegenüber zwischen repraesentare per rationem (sub ratione) similitudinis und repraesentare per rationem (sub ratione) proportionalitatis: ... assignatur vestigium, sive in illis quae per rationem similitudinis repraesentant aliqua appropriata personis (sc. Dei), sive per rationem proportionalitatis. Dico autem proportionaliter repraesentare, quando ratio illius repraesentantis, non est forma­ liter in Deo, sed aliquid proportionale illi rationi ... Numerus sive species, et pondus sive ordo, exponantur sicut in prima assignatione. Sed mensura, quae est idem quod modus, non repraesentat aliquid sub ratione similitu­ dinis, sed sub ratione proportionabilitatis, quia limitatio producti repraesen­ tat potentiam illimitatam producentis, et sic patet quibus in creatura consistit vestigium, et respectu quorum in divinis, quia respectu appropriatorum personis divinis. (Ioannis Duns Scoti opera omnia, Bd. 9, Paris 1893, S. 214) Vgl. dazu Parthenius Minges OFM: Zur Erkenntnislehre des Duns Scotus, Philos. Jb. 31 (1918) S. 52 - 74 (67 ff.). Siehe auch Reinhold Messner: Schau­ endes und begriffliches Erkennen nach Duns Scotus — Mit kritischer Gegen­ überstellung zur Erkenntnislehre von Kant und Aristoteles (Bücher Augustinischer u. Franziskanischer Geistigkeit II/3), Freiburg i. Br. 1942. 6 Hofmann

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

Augustinismus franziskanischer Überlieferung beeinflußt, gegen die Annahme nur passiver Empfänglichkeit der Seele für die äußeren Eindrücke — zumal bezüglich der die Dingwelt transzendierenden höheren Erkenntnisfunktionen — opponiert und namentlich die aristotelisch-thomistische Deutung von Wahrnehmung und Erkenntnis als eines Assimilationsvorganges bestritten8; prinzipiell in Frage gestellt hat aber auch der doctor subtilis jene „bildhafte“ Erkenntnislehre nicht: nur daß er eben die species nicht allein als Einprägungen, son­ dern eher als Determinanten der durch sie hervorgerufenen „Ausprä­ gungen“ des Intellekts verstand9. Indem die Bildtheorie aristotelischer Provenienz (deren Vorstellung von der Erkenntnisassimilation von Haus aus freilich noch keine Theorie der intermediären Spezies ein­ schließt) auch in den intellektuellen Bemühungen um das Abendmahls­ mysterium — jenes mittelalterliche Bildproblem aller Bildprobleme — über den Dynamismus Augustins triumphierte, eröffnete sie sich ande­ rerseits zugleich kritischen Rückwirkungen aus jenem Prozeß eucha­ ristischer Reflexionen. In augenfälliger Weise geht der neuzeitlichen Subjektivierung der erkenntnistheoretischen ,Repräsentation* eine (neuerliche) Entmaterialisierung und Verinnerlichung dessen voraus, was man sakramental mit ,Repräsentation* bezeichnet. Nicht zuletzt in der Konsequenz der Polarisierung der Abendmahlsanschauungen kann repraesentare im Sinne von absens modo quodam praesens facere zwanglos auf die Erkenntnisproblematik auch unter der Voraussetzung angewandt werden, daß etwa — wie es dann Nicolas Malebranche in der Recherche de la Verite formuliert hat10 — die die Gestirne betrach­ tende Seele nicht „den Körper verläßt und sozusagen im Himmel spa­ zieren geht**11 und andererseits in diesem Falle die Gestirne auch keine körperlichen „Bilder oder Spezies, die ihnen ähnlich sind, aussenden“. Noch einmal freilich nahm insoweit die Meinung der Schule in dif­ ferenzierter Ausarbeitung und modifizierter Form kraftvollen Auf­ schwung. In gegenreformatorischem Gleichklang nennt der mächtige, einflußreiche neuscholastische Metaphysiker Franciscus Suarez12 um die 8 Vgl. Karl Werner: Die Scholastik des späten Mittelalters, Bd. I: Johannes Duns Scotus, Wien 1881, S. 193 f., und Minges, Erkenntnislehre des Duns Scotus, aaO (N. 7) S. 52 ff. 9 Vgl. Werner, Die Scholastik des späten Mittelalters, S. 196 f. 10 Zit. nach der von Alfred Klemmt besorgten dt. Ausg. des dritten Buches der Recherche, Hamburg 1968, S. 36 u. 41. 11 Diese Wendung zielt wohl auf eine gewisse nichtaristotelische Lehre vom Sehen, wie sie etwa Roger Baco vermittelte und vertrat und wonach das Auge nicht nur die Spezies der Objekte empfängt, sondern zugleich ge­ wissermaßen einen Seelenstrahl nach den Gegenständen aussendet. Vgl. Sebastian Vogl: Die Physik Roger Bacos, Diss. Erlangen 1906, S. 48 ff. 12 Die beiden Teile der höchst eindrucksvollen Disputationes metaphysicae des Suarez (zuerst Salamanca 1597) kamen seit 1600 mehrfach auch in Mainz heraus. Gesamtausgaben der Werke in 23 bzw. 26 Bänden wurden 1632 ff. in

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie

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Wende des 16. zum 17. Jahrhundert auf thomistischer Grundlage, aber gerade hier mit sehr entschiedenen augustinisch-scotistischen Akzenten das Meßopfer eine expressa repraesentatio mortis et passionis Christi13 und die von den Objekten ausgehenden intentionalen Spezies formae repraesentantes1*. Malebranche, der „Christliche Platon“, berühmt ob seiner als Okkasionalismus apostrophierten theologischen Lösung der Grundaporie der cartesischen Erkenntnistheorie, referiert hernach die scholastische Lehre im wesentlichen in der Form, die ihr Suarez gege­ ben hat: „Die gewöhnlichste Meinung ist die der Peripatetiker, die behaupten, daß die äußeren Objekte ihnen ähnliche Spezies aussenden, und daß diese Spezies durch die äußeren Sinne bis zum Gemeinsinn hingeführt werden: sie nennen diese Spezies eindrückliche, weil die Objekte sie in die äußeren Sinne eindrücken. Diese eindrücklichen Spezies, die materiell und sinnlich sind, werden intelligibel gemacht durch den wirksamen oder handelnden Intellekt und sind dadurch tauglich zur Aufnahme in den leidenden Intellekt. Diese so vergeistig­ ten Spezies werden ausdrückliche Spezies genannt, weil sie die Ein­ Lyon und Mainz, 1740 ff. in Venedig und 1856 ff. in Paris veranstaltet. Über den Einfluß des Suarez namentlich auch im protestantischen Deutschland, welchen vor allem der „protestantische Suarez“ Christoph Scheibler (1589 1633) vermittelte, vgl. Petersen, Aristotelische Philosophie, S. 288ff.; ferner Martin Grabmann: Die Disputationes metaphysicae des Franz Suarez in ihrer methodischen Eigenart und Fortwirkung, in ders.: Mittelalterliches Geistes­ leben — Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik, München 1926, S. 525 - 560; Karl Eschweiler: Philosophie der spanischen Spätscholastik auf den deutschen Universitäten des siebzehnten Jahrhunderts, in: Ge­ sammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens — Erste Reihe, hg. v. H. Finke (Span. Forsch, d. Görresgesellsch. 1/1), Münster i. W. 1928, S. 251 - 325 (265ff., 298 ff., 302 ff.); Bernhard Jansen S. J.: Die Wesensart der Meta­ physik des Suarez, Scholastik (Eupen) 15 (1940) S. 161 -185. Charakteristische Abweichungen in der deutschen Schulmetaphysik arbeitet M. Wundt heraus (Deutsche Schulmetaphysik, S. 60 ff., 68, 158, 268 ff.). 13 Commentaria ac disputationes in tertiam partem (sc. Summae theologicae) divi Thomae, tom. Ill, Venetiis 1605, Disp. 75 sect. 6 (zu q. 83 a. 1) — S. 932 C. Vgl. ebd. A, wo Suarez von der expressa imago et repraesentatio sacrificii cruenti im Meßopfer spricht und daneben das commemoratio der Einsetzungsworte mit repraesentatio gleichsetzt. 14 De anima, lib. Ill c. 1 n. 4 (Opera omnia, tom. 3, Paris 1856, S. 461 - 816, 614): Unio objecti cogniscibilis cum potentia necessaria est in omni cognitione. Est fere communis omnium theologorum et philosophorum, qui in potentiis cognoscitivis ponunt similitudines quasdam objectorum ut per illas objecta uniantur potentiis, easque vocant species intentionales, species quidem, quia sunt formae repraesentantes: in(ten)tionales vero non, quia entia realia non sint, sed quia notioni deserviunt, quae intentio dici solet. Das Suarez-Kompendium von Noel (Theologiae R. P. Francisci Suarez e Societate Jesu Summa seu Compendium a R. P. Francisco Noel ejusdem Societatis Concinnatum et in Duas Partes Divisum, Coloniae 1732) bringt davon S. 210: In omni cognitione necessaria est unio objecti cognoscibilis cum potentia; Philosophi enim ponunt in potentiis cognoscitivis quasdam objectorum simi­ litudines per quas objecta potentiis uniantur; vocantque species intentiona­ les; species, quia sunt formae repraesentantes; intentionales, quia notioni seu intentioni deserviunt. 6*

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

drücke ausdrücken: und durch sie erkennt der leidende Intellekt alle materiellen Dinge15.“ Schon dieser knappe Abriß deutet in dem Hinweis auf die scharfe Unterscheidung von species impresso, und species expressa die Abweichung von Thomas an16: Im Gegensatz zum Aristoteliker Thomas leugnet Suarez, daß durch die dem Wahrnehmungsver­ mögen eingeprägte species eine repraesentatio formalis, d. h. eine ab­ bildweise Übermittelung geschehe. Species intentionales non repraesentant formaliter objecta, sed effective tantum: nur der Wirkung nach17. Species non sunt ejusdem rationis cum objectis suis. Conclusio est Aristotelis, dicentis sensus recipere speciem sine materia: materiam vocat ipsam naturam realem qualitatis, quod est dicere, visum non recipere ipsum colorem materialiter, sed quandam speciem illius repraesentatricem: significat ergo aperte speciem et colorem differre specifice18. Die species intentionales und impressae sind also weder ma­

terielle Aussendungen noch haben sie Bildähnlichkeit mit ihren Objek­ ten — der Eindruck eines farbigen Gegenstandes ist nicht selber far­ big —, eher kann man das Verhältnis von Objekt und Spezies dem Verhältnis von Frucht und Samenkorn, das von der Frucht herrührt und keimhaft wieder die neue Frucht enthält, vergleichen19. „Die Spezies sind von allen übrigen Qualitäten durch die Eigentümlichkeit 15 Malebranche, Von der Erforschung der Wahrheit, 3. Buch, 2. Kap. des 2. Teils (aaO — N. 10 — S. 40). 18 Thomas, für den Erkenntnis ein Akt und nicht ein Prozeß ist, meint mit species impressa eine „von der Ähnlichkeit des Objekts ... informierte Bewußtseinsbeschaffenheit“, Suarez hingegen, der dies mit species expressa ausdrückt (was bei Thomas ein Produkt der Einbildungskraft bezeichnet), eine vom Objekt ausgesandte Wesenheit: Hermann Schwarz: Die Umwäl­ zung der Wahrnehmungshypothesen durch die mechanische Methode. Nebst einem Beitrag über die Grenzen der physiologischen Psychologie, Leipzig 1895, S. 27 ff. (hier wie im folg, beziehen sich die Seitenang. auf den 1. Teil d. Werks). Vgl. dazu auch Heinrich Rösseler: Die Entstehung der sinnlichen Wahrnehmung und der Verstandeserkenntnis nach Suarez, Philos. Jb. 35 (1922) S. 185 - 198, bes. S. 188 ff., 192 ff. Die Differenz zwischen Thomas und Suarez übertreibt Eschweiler (Philosophie der spanischen Spätscholastik, S. 276 ff.), um die moderne Erkenntnistheorie als Ableger der spanischen Neuscholastik erscheinen lassen zu können. Dagegen mit Recht M. Wundt, Deutsche Schulmetaphysik, S. 269 ff. — Siehe zum folg, auch noch Carl Werner: Franz Suarez und die Scholastik der letzten Jahrhunderte, 2. Bd., New York o. J. (1962. Nachdr. d. neuen Ausg. Regensburg 1889 = Burt Franklin Research and Source Works Series 30), S. 163 ff. 17 De anima III 2, 20 (Opera III S. 620). Noel hat (aaO — N. 14 — S. 210): Species intentionales non repraesentant formaliter objectum; alioquin potentiae semper essent actu cognoscentes; sed effective tantum, seu habent vim efficiendi objecti repraesentationem. 18 De anima III 2, 9 (Opera III S. 618). Noel bringt (aaO — N. 14 — S. 210): Species non sunt ejusdem rationis cum suis objectis; species enim intelligibiles, sunt accidentia spiritualia; et objectum saepe est substantia vel res materialis; item species albedinis, non est albedo; et sic de aliis. Vgl. Rösseler, aaO (N. 16) S. 186. 19 De anima III 2, 22 (Opera III p. 621). Vgl. dazu Schwarz, Wahrnehmungs­ hypothesen, S. 21.

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie

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unterschieden, daß ihr Sein in der repräsentativen Darstellung von etwas Anderem aufgeht20.“ Demzufolge ist auch die species expressa als die im inneren Wahrnehmungsakt nach Information durch die species impressa hervorgebrachte Bestimmtheit und Gerichtetheit des aktiven Wahrnehmungsvermögens nur ein geistiges Abbild des Ob­ jekts. Diese similitudo intentionalis objecti ist ein Hinstreben zum Objekt, aber keine Assimilation, weshalb Suarez sie einschränkend defectuosa et analoga nennt21. Das bedeutet: Die species expressa (respektive das sie artikulierende Wort) ist Medium, durch das hin­ durch das Objekt ergriffen wird, nicht aber Medium, in welchem der Gegenstand erkannt, oder gar Medium, das anstelle des Objekts auf­ gefaßt wird22. Insofern die species expressa Vergegenwärtigung von etwas Entferntem (ja möglicherweise nicht mehr oder überhaupt nicht Existierendem) ist, legt Suarez also großes Gewicht auf die Feststel­ lung, daß diese Repräsentation nicht eine ontische Verdoppelung des Objekts meint — quia res ut cognita, vel ut repraesentata, quando vere cognoscitur et repraesentatur, non habet aliud esse objectivum, praeter illud quod in se habet23 —, sondern einen intentionalen Akt. So sucht er auch terminologisch von der repraesentatio, qualis est in formali imagine, d. h. von der Repräsentation kraft Bildähnlichkeit, die reprae­ sentatio intentionalis abzuheben, qua ... fit ut intellectus per actum, vel judicium ita percipiat rem, sicut in se est24.

Das ist allerdings nicht neu. Im Zusammenhang mit seiner kritischen Auflösung der Spezies-Theorie hatte ehedem schon Wilhelm von Ock­ ham25 abgesetzt gegen jede Abbildähnlichkeit in einem rein instrumen­ talen Sinne von der Repräsentativfunktion der Erkenntnis gesprochen und Repräsentation als das bezeichnet, wodurch Erkenntnis statthat: repraesentare est esse illud, quo aliquid cognoscitur, sicut cognitione aliquid cognoscitur. Der Kontext dieser Verwendung des Wortes Reprä­

sentation als Bezeichnung der Funktion eines Instruments unmittel­ barer Erfahrung einer entfernten oder unsichtbaren Wirklichkeit26 ist 20 Schwarz, Wahrnehmungshypothesen, S. 13; vgl. auch S. 14 f. und 30. 21 De anima III 2, 26 (Opera III p. 622). 22 De anima III 5, 11 (Opera III S. 633). Vgl. ebd. n. 9 (S. 633): videmus enim per speciem non in specie. Denique species ipsa non cognoscitur. 23 Disputationes metaphysicae, Pars I (Opera omnia. Ed. Nova ed. C. Ber­ ton. Tom. XXV, Paris 1866, Nachdr. Hildeshm. 1965) disp. 8 sect. 1 n. 4 (S. 276). 24 Disp. met. I, disp. 8 sect. 1 n. 6 (aaO S. 277). 25 Vgl. dazu Erich Hochstetter: Studien zur Metaphysik und Erkenntnis­ lehre Wilhelms von Ockham, Berlin und Leipzig 1927, S. 35 ff.; Anneliese Maier: Das Problem der „species sensibiles in medio“ und die neue Natur­ philosophie des 14. Jahrhunderts, Freiburger Zeitschr. f. Philosophie u. Theologie 10 (1963) S. 3-32, jetzt in dies.: Ausgehendes Mittelalter — Ges. Aufsätze zur Geistesgeschichte des 14. Jahrhunderts, Bd. II (Storia e Letteratura 105), Roma 1967, S. 419 - 451 (433 ff.). 26 Siehe ebd. S. 105 f. und dazu kritisch Philotheus Boehner: The Realistic Conceptualism of William Ockham (1946), in dess.: Collected Articles on

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

folgender: In den Quodlibeta septem, einem theologischen Werk, das vor den kirchenpolitischen Streitschriften entstanden ist27, stellt Ock­ ham in der Quaestio 3 des 4. Teils die uns von der thomistischen Um­ kehrung des Bildgedankens her verständliche Frage, utrum deus representet creaturam. Seine Antwort bereitet Ockham mit der Bemer­ kung vor, daß von Repräsentation in unterschiedlicher Weise gespro­ chen werden könne. Sodann fügt er eine Dreiteilung der Repräsenta­ tionsarten nach Maßgabe der Verschiedenheit der jeweiligen Repraesentantia an. Dabei rückt er die nicht durch irgendwelche Medien ver­ mittelte, unmittelbare repräsentative Funktion der Erkenntnis an die erste Stelle vor die Abbild-Repräsentation und die Repräsentation durch Objekte, will sagen: Zeichen, die natürlicherweise oder konven­ tionell Schlüsse auf gewisse repraesentata auslösen: Ad istam quaestionem dico, quod repraesentare multipliciter accipitur. Uno modo accipitur pro illo, quo aliquid cognoscitur, et sic repraesentans est cognitio (et repraesentare est esse illud, quo aliquid cognoscitur, sicut cognitione aliquid cognoscitur)28. Dieser instrumentale Repräsentationsbegriff ist

freilich nur scheinbar modern. Er ist im Horizont der Lehre Ockhams von der cognitio intuitive, der unmittelbaren Seinserfahrung29 zu sehen, einer Lehre, die bei allem aus der Möglichkeit göttlicher Ein­ griffe sich ergebenden Zweifel an der Sicherheit der konkreten sinn­ lichen Erfahrung vom Vertrauen in die allgemeine Gewißheit unserer natürlichen Erkenntnis und das bedeutet: vom Vertrauen in die Rezeptivität des Intellekts und die kausale Bestimmtheit menschlicher An­ schauung getragen ist30. Und was, um darauf zurückzukommen, die angebliche Modernität der Erkenntnislehre des Suarez anlangt, so ist festzuhalten, daß dessen Ockham, ed. by Eligius M. Buytaert (Franciscan Institute Publications, Philosophy Series 12), St. Bonaventure, N. Y. I Louvain I Paderborn 1958, S. 156 - 174 (165 ff.). Vgl. auch Jan Pinborg: Bezeichnung in der Logik des XIII. Jahrhunderts, in: Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter, hg. v. Albert Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia 8), Berlin / New York 1971, S. 238 257 (255 f.). 27 Dazu Jürgen Miethke: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, S. 185 ff. 28 Die Fortsetzung lautet: Secundo modo repraesentare est cognoscere aliquid, quo cognito aliquid aliud cognoscitur, sicut ymago repraesentat illud, cuius est (ymago) per actum cognoscendi (recordandi). Tertio modo accipitur repraesentare pro aliquo causante cognitionem, sicut objectum vel intellectus causat cognitionem. — Zit. nach dem Straßburger Druck v. 1491. In Klammern Ergänzungen bzw. Verbesserungen nach der von Hochstetter (N. 25) zit. Pariser Ausg. v. 1487. 29 Zum Unmittelbarkeitsgedanken samt seinen Konsequenzen bei Ockham siehe Martin An ton Schmidt: Kirche und Staat bei Wilhelm von Ockham, Theolog. Zeitschr. 7 (1951) S. 265 -284 (278 ff.); Wilhelm Kölmel: Wilhelm Ockham und seine kirchenpolitischen Schriften, Essen 1962, S. 28; Miethke, Ockhams Weg, S. 163 ff. 30 Vgl. Miethke, Ockhams Weg, S. 186, 193 ff., 227.

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie 87

intentionale Repräsentation sich selbst durchaus noch in Analogie zur repraesentatio imaginis versteht, insofern ja auch diese — recht ver­ standen, d. h. auf den Bedeutungsgehalt des Bildes reduziert — nicht eine Verdoppelung des Objekts sei31. Vor diesem Hintergrund muß es gesehen werden, wenn Suarez die eucharistische Repräsentation der Passion eine expressa repraesentatio nennt. Wie sehr auch in dieser Entmaterialisierung der species repraesen­ tantes die Wendung zur modernen Erkenntnistheorie sich ankündigt, so bleibt Suarez selbst letztlich doch ganz noch im peripatetischen Tra­ ditionszusammenhang82: Entschiedener gar als Thomas leugnet er in Übereinstimmung mit Johannes Duns Scotus jedwede Erkenntnis ver­ möge eingeborener Ideen, welche der Aquinate immerhin als Privileg der Engel noch behandelt hatte83. Gleichwohl liegt am Tage, wie jene Hervorkehrung der Intentionalität und die korrespondierende Akzen­ tuierung der Aktivität des Erkenntnisvermögens den Subjektswechsel der Repräsentation vorbereitet. Ein Zeugnis des Übergangs bietet die Psychologia Anthropologica des von Goclenius abhängigen protestanti­ schen Geistlichen und Stader Rektors Otto Casmann von 159484. Es heißt da: Sentire mihi agere est, si referatur ad suam immediate facultatem, qua sentitur; species vero si quae concurrunt, concurrent ut moventes sua repraesentatione facultatem ad sentiendum, deinde ut objecta, quae rem hanc vel illam ostendunt in se repraesentatam, quam anima ibi cognoscat ubi repraesentat.

II. Diesseits der epochalen Schwelle liegt dann der subjektiv-idealisti­ sche Ansatz der neuen, in der Selbstgewißheit des Denkens sich grün­ denden Erkenntnistheorie, was freilich fürs erste mannigfache Zusam81 Vgl. Suarez, Disp. met. I 8, 1 n. 3, 6, 7 (aaO S. 276 f.). Das zielt gegen eine franziskanische Lehrtradition: Idea, cum sit similitudo rei cognitae mediumque inter cognoscens et cognitum, plurificatur in Deo secundum rationem — so Bonaventura in lib. sent. 1 d. 42 q. 3 1. Siehe dazu auch Gottlieb Söhngen: Sein und Gegenstand. Das scholastische Axiom ens et verum convertuntur als Fundament metaphysischer und theologischer Spe­ kulation (Veröffentl. des Kath. Inst. f. Philosophie. Albertus-Magnus-Akad. zu Köln II/4), Münster/Westf. 1930, S. 57. 32 Dies (mit Jansen, Metaphysik des Suarez, S. 165) gegen Paul Köhler: Der Begriff der Repräsentation bei Leibniz (Neue Berner Abh. zur Philoso­ phie u. ihrer Gesch. III), Bern 1913, S. 16 f., und gegen Eschweiler, Philoso­ phie der spanischen Spätscholastik, S. 276 ff. 88 STh. I q. 55 a. 2 (DThA Bd. 4 S. 202 ff.). 84 Zit. nach der Ausg. Frankfurt 1604 S. 108 f. (c. 4 q. 3). Vgl. dazu Dietrich Mahnke: Rektor Casmann in Stade, ein vergessener Gegner aristotelischer Philosophie und Naturwissenschaft im 16. Jahrhundert, Arch. f. d. Gesch. d. Naturwiss. u. d. Technik 5 (Leipzig 1915) S. 183 - 197, 226 - 240, 352 - 363 (bes. S. 232 ff.). Siehe auch Petersen, Aristotelische Philosophie, S. 133.

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

menhänge mit der kritisierten aristotelischen Scholastik nicht aus­ schließt85, so daß man nicht ganz mit Unrecht gesagt hat, Descartes habe die scholastische Psychologie in die Sprache der Mechanik über­ setzt36. In der darob berühmten XII. Regel seiner wahrscheinlich 1628 niedergeschriebenen Regulae ad Directionem Ingeni37 greift Descartes auf das alte Wachstafelgleichnis zurück88. Doch spaltet er es auf und kehrt es teilweise um. Bezüglich der Affizierung der „äußeren Sinne“ durch Umwelteindrücke will es Descartes ganz wörtlich, d. h. ganz mechanistisch verstanden wissen39. Die von außen kommende Bewe­ gung setze sich in den „Gemeinsinn“ (sensus communis) fort, freilich entgegen der scholastischen Species-Lehre von den transzendierenden Objektsqualitäten absque ullius entis reali transitu ab uno ad aliud40. Sodann müsse man sich — dies aber jetzt ganz entschieden nur noch gleichnisweise — vorstellen, „daß der Gemeinsinn ebenfalls nach Art eines Siegels wirkt, um eben diese Gestalten oder Ideen (figuras vel ideas), die rein und ohne Hilfe des Körpers von den äußeren Sinnen kommen, in der Phantasie oder der sinnlichen Anschauung (in phantasia vel imaginatione) wie im Wachse zu bilden .. .“41. Antischolastisch schreibt dieser „neue Platonismus“ die passivische, imitierende Funk­ tion nicht länger dem Intellekt, sondern in erster Linie wieder den Sinnen zu42. Vollends vollzogen wird die Kehrtwendung mit jener klassischen These der III. Meditation, wonach keineswegs alle Ideen in der beschriebenen Weise aus Sinneseindrücken resultieren: Ex his autem ideis aliae innatae, aliae adventitiae, aliae a me ipso factae mihi videntur43. Ist auch einzuräumen, daß die — keineswegs ganz eindeu35 Vgl. dazu v. a. Alexander Koyre: Descartes und die Scholastik, Bonn 1923. Insbesondere über des Descartes Bindung an den Wirklichkeitsbegriff der Tradition Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 151 ff. 36 Schwarz, Wahmehmungshypothesen, S. 130. 37 Oeuvres de Descartes publiees par Charles Adam et Paul Tannery, vol. X, nouvelle presentation, Paris 1966, S. 349-488. Rene Descartes: Regeln zur Leitung des Geistes, übers, u. hg. v. Artur Buchenau, Leipzig 1948 (Abdr. d. 2. Aufl. v. 1920). 38 Vgl. § 6 bei N. 24 und Schwarz, Wahrnehmungshypothesen, S. 124 f. 39 Vgl. aaO — N. 37 — S. 412 f. bzw. S. 56 f.: „Man muß sich also erstlich klarmachen, daß alle äußeren Sinne, sofern sie Teile des Körpers sind, ob­ gleich wir sie durch eine Tätigkeit, nämlich durch eine Ortsbewegung, auf die Objekte richten, dennoch im eigentlichen Sinne nur in passiver Weise wahrnehmen (sentire), in derselben Weise, wie das Wachs von dem Siegel seine Form erhält. Auch darf man nicht glauben, dies sei nur der Analogie nach gesagt, sondern man muß sich vorstellen, daß genau in derselben Weise wie die Oberfläche des Wachses vom Siegel die äußere Figur des wahrneh­ menden Körpers wirklich durch das Objekt verändert wird.“ 40 Oeuvres X, S. 414. Zu Descartes’ Kritik an der Spezies-Theorie im ein­ zelnen Schwarz, Wahrnehmungshypothesen, S. 124 ff. 41 Regeln zur Leitung des Geistes, S. 58. Vgl. S. 59. 42 Vgl. Ernst Hoffmann: Platonismus und Mittelalter, in: Vorträge der Bibliothek Warburg hg. v. Fritz Saxl, 3: Vortr. 1923 - 1924, Leipzig / Berlin 1926, S. 17 - 82 (70 f., 76).

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie 89

tige — cartesische „Idee“, soweit sie den anschaulichen Inhalt der Be­ wußtseinszustände oder -bestimmungen (modi cogitationis) meint, an den bildhaften immanenten Wahrnehmungsgegenstand der Scholastik erinnert44, so sind jene Ideen doch als Vorstellungsakte auch in dem Bereich sinnlicher Anschauungen wesentlich Akte des Subjekts, „Ope­ rationen des Intellekts“. In den Notae verwahrt Descartes sich aus­ drücklich gegen die Unterstellung, er lehre, daß die Ideen von den Außendingen ins Bewußtsein einwanderten, und betont, es gehe von den Dingen lediglich eine solche Wirkung aus, welche dem Bewußt­ sein die occasio gibt ad ipsas (sc. ideas) per innatam sibi facultatem ... efformandas45. Schärfer formuliert in diesem Punkte dann — gegen Malebranches Ideenlehre46 gerichtet — Antoine Arnauld47. Der durch den jansenistischen Augustinismus zum Anhänger Descartes’ präde­ stinierte Theologe von Port-Royal verwirft die Annahme von etres representatifs distingues des perceptions, von besonderen repräsentie­ renden Entitäten, d. h. Malebranches Versuch, unter dem Namen der neuen Ideenlehre die Doktrin von den zwischen körperlicher Außen­ welt und seelischem Innesein vermittelnden bildhaften Wahrneh­ mungsobjekten panentheistisch (Vision en Dieu) zu erneuern48. Da­ gegen behauptet Arnauld, Perzeptionen oder Ideen seien Bewußtseins­ modifikationen, vermittelnde Entitäten überflüssig, que toutes nos perceptions sont des modalites essentiellement representatives49.

Geradezu die Unmöglichkeit, die Absurdität repräsentierender Spezies im Sinne wandernder Qualitäten betonte Thomas Hobbes50, nachdem er in seinen Anfängen freilich eine Art demokritischer Speziestheorie vertreten hatte, insofern er Wahrnehmung zunächst als Effekt substantieller Spezies, körperhafter Aussendungen der Dinge 43 Meditationes de prima philosophia, Meditatio III n. 7 (Zweisprachige Ausg. v. Lüder Gäbe, Hamburg 1959, S. 66). 44 Vgl. etwa ebd. n. 5 (S. 64). Dazu Ernst von Aster: Geschichte der neueren Erkenntnistheorie (von Descartes bis Hegel), Berlin u. Leipzig 1921, S. 29. Vgl. ferner Alfred Kastil: Studien zur neueren Erkenntnistheorie. I. Des­ cartes, Halle a. S. 1909, S. 37 ff., 68 ff. 45 Notae in Programma quoddam, sub finem Anni 1647 in Belgio editum etc., Oeuvres (Adam / Tannery) VIII/2, Paris 1965, S. 335 - 370 (359). 46 2. Teil des 3. Buches der Recherche de la Verite (aaO — N. 10 — S. 36 ff.). Vgl. zu diesem schwierigen Thema der letzten katholischen Philosophie von Rang Georg Stieler: Nikolaus Malebranche, Stuttgart 1925, S. 75 ff. 47 Vgl. dazu C. Zimmermann: Arnaulds Kritik der Ideenlehre Malebran­ ches, Philos. Jb. 24 (1911) S. 3-47. Ganz unergiebig hingegen: Hermann Schulz: Antoine Arnauld als Philosoph, Diss. Bern 1896, S. 44 ff. 4R Antoine Arnauld: Des vraies et des fausses idees, Oeuvres philosophiques d’Arnauld publiees par C. Jourdain, Paris 1843, S. 347 - 533 (366, 378 ff.). 49 Ebd. S. 366. 50 Human Nature, or the Fundamental Elements of Policy, ch. 2 (The English Works of Thomas Hobbes, ed. William Molesworth, vol. IV, London 1840, S. 4). Vgl. dazu H. Siebeck: Occam’s Erkenntnislehre in ihrer histori­ schen Stellung, AfGP 10 (1897) S. 317-339; Hochstetter, Studien zur Meta­ physik und Erkenntnislehre Wilhelms von Ockham, S. 35 ff., 45, 84.

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begriffen hatte51. Indem Hobbes die cartesianische Argumentation durch die Annahme überholte, daß alle Vermittelung zwischen äußerem Gegenstand und wahrnehmendem Subjekt nur durch Bewegung er­ folge52 und alle Qualitäten ausschließlich subjektive Erscheinungen der mechanisch erregten Einbildungskraft seien, verlor die Welt außer uns endgültig ihren Urbildcharakter: there is nothing without us (real­ ly) which we call an image or colour53. Konsequenter mechanistischer Materialismus denkt sich die Verarbeitung der Sinneseindrücke dem­ gemäß auch nicht mehr nach präexistenten Kategorien, sondern bloß assoziativ54. Natürlich verliert in dieser Reduktion der anschaulichen Welt des Menschen auf gedachte mechanische Bewegungsabläufe55 der Ausdruck bildlicher Repräsentation zwangsläufig seinen Vorrang vor dem zeichenhafter oder auch bloß andenkender Vergegenwärtigung. Für Hobbes ist das Bild nur noch eine der Arten der „Repräsentation eines Dinges durch ein anderes“ (representation of one thing by another)56. Mitunter stellt er Repräsentation im Sinne der (nament­ lichen) Bezeichnung der Bildgestalt gegenüber: an image in the largest 51 Vgl. Schwarz, Wahrnehmungshypothesen, S. 102; Albert H. Abbott: Psychologische und erkenntnistheoretische Probleme bei Hobbes, Diss. Würz­ burg 1904, S. 51; Frithiof Brandt: Thomas Hobbes’ Mechanical Conception of Nature, Copenhagen / London 1928, S. 17, 68 ff.; Hans Hansen: Hobbes’ Wahrnehmungslehre in den Jahren von 1628 bis 1646, Diss. Kiel 1940, S. 14 ff. 52 Vgl. Kurd Lasswitz: Geschichte der Atomistik vom Mittelalter bis New-» ton, 2. Bd., Hamburg u. Leipzig 1890, S. 232 f.; Schwarz, Wahrnehmungshy­ pothesen, S. 103 ff. (109); Max Köhler: Studien zur Naturphilosophie des Th. Hobbes, AfGP 16 (1903) S. 59-96 (63, 69 ff.); Max Frischeisen-Köhler: Zur Erkenntnislehre und Metaphysik des Thomas Hobbes, Festschr. f. Alois Riehl, Halle a. S. 1914, S. 251 - 310 (300 ff.). 58 Human Nature, ch. 2 (English Works IV S. 4): I shall therefore (sc. gegen die scheinbare Selbstverständlichkeit der Spezies-Theorie) endeavour to make plain these points: That the subject wherein colour and image are inherent, is not the object or thing seen. That there is nothing without us (really) which we call an image or colour. That the said image or colour is but an apparition unto us of the motion, agitation, or alteration, which the object worketh in the brain, or spirits, or some internal substance of the head. That as in vision, so also in conceptions that arise from the other senses, the subject of their inherence is not the object, but the sentient. 54 Franz Borkenau: Der Übergang vom feudalen zum bürgerlichen Welt­ bild — Studien zur Geschichte der Philosophie der Manufakturperiode (Schriften d. Inst. f. Sozialforschung 4), Paris 1934 (zit. nach dem Nachdr. Darmstadt 1971) S. 474 ff. Die durchdringende prinzipielle Kritik Henryk Grossmanns (Die gesellschaftlichen Grundlagen der mechanistischen Philo­ sophie und die Manufaktur, Zeitschr. f. Sozialforschung IV [Paris 1935 — Nachdr. München 1970] S. 161 - 231) an Borkenaus Hauptthesen betrifft die­ sen Punkt nicht. 55 F. Brandt resümiert (Hobbes’ Mechanical Conception, S. 379): „He (Hobbes) is the philosopher of motion as Descartes is the philosopher of extension.“ B. meint ebd. weiter, Hobbes müßte eigentlich ,Motionalist‘ statt Materialist genannt werden. 5® Vgl. hierzu auch De homine, c. 4 (Opera philosophica quae latine scripsit omnia, ed. Gulielmus Molesworth, vol. II, Londini 1839, S. 29-39): De Repraesentatione Objecti in Perspectiva.

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie 91 sense, is either the resemblance, or the representation of some thing visible; or both together, as it happenth for the most part57. Des Philo­

sophen von Malmesbury formaler erkenntnistheoretischer Oberbegriff der Repräsentation eines Gegenstandes durch einen anderen kehrt dann bei Locke wie bei Berkeley und darüber hinaus wieder, sei es, um die Relation abstrakter Vorstellungen und konkreter Dinge, sei es, um die Funktion der Einzelvorstellung als Muster einer ganzen Art von Einzelideen auszudrücken. So heißt es in Lockes Essay concerning Human Understanding: ... ideas are general, when they are set up as the representatives of many particular things; ... their general nature being nothing but the capacity they are put into by the understanding, or signifying, or representing many particulars. For the signification they have, is nothing but a relation, that by the mind of man is added to them53. Und Berkeley sagt: I believe we shall acknowledge, that an idea, which considered in it self is particular, becomes general, by being made to represent or stand for all other particular ideas of the same sort59. Indem nun repraesentare wie vordem zur Bezeichnung der Funktion der species jetzt zum Ausdruck der Leistung der Hobbesschen power of knowing or conceiving" respektive der Funktion der

(cartesischen) Ideen dient61, vornehmlich soweit Idee gegen Begriff oder reingeistige Vorstellung für Anschauung oder sinnliche Vorstel­ lung steht, gewinnt das Wort im äußersten sprachlichen Gegensatz zur ursprünglichen tertullianischen Gegenüberstellung von imagines in visione und veritates in repraesentatione52 den spezifisch modernen Sinn subjektiver Vorstellung68 — ein Zusammenhang, den noch die Terminologie der Logischen Untersuchungen Husserls bestätigt64. In57 Leviathan, P. IV ch. 45 (English Works III S. 650). 58 John Locke: An Essay concerning Human Understanding (1960), b. III ch. Ill sect. 11 (The Works of J. L., Vol. I, 4. Ed., London 1740, S. 195). Zu Lockes Begriff der Idee Hermann Schmidt: Seinserkenntnis und Staatsden­ ken — Der Subjekts- und Erkenntnisbegriff von Hobbes, Locke und Rous­ seau als Grundlage des Rechtes und der Geschichte, Tübingen 1965, S. 144 ff. 59 George Berkeley: A Treatise concerning the Principles of Human Know­ ledge (1710), Intr. § 12 (The Works of George Berkeley, Bishop of Cloyne, Vol. II, ed. T. E. Jessop, London etc. 1949, S. 31 f.). Vgl. dazu Geoffrey James Warnock: Berkeley, Melbourne I London I Baltimore 1953, S. 129 ff. 60 Vgl. Human Nature, ch. 1 (English Works IV S. 3). 61 Vgl. Descartes: Meditationes, Praef., Ill nn. 13, 17, 19, 20; cf. II nn. 2, 7, VI n. 2 (aaO — N. 43 — S. 16, 70, 76, 80, 42, 48, 130); Rene Descartes: Principia philosophiae P. I n. 17, Oeuvres (Adam / Tannery) VIII/1, Paris 1964, S. 11; Arnauld aaO (N. 48); ferner La Logique de Port-Royal in: Oeuvres philosophiques d’Arnauld, aaO (N. 48) S. 21 - 346 (63 f.). — Vgl. dazu Schwarz, Wahrnehmungshypothesen, S. 135: „Der Gedanke der Repräsentation wurde in unmittelbarer historischer Kontinuität von den Spezies auf jene Vor­ gänge übertragen, die an ihre Stelle traten, auf die vom Objekt zum Sub­ jekt sich fortpflanzenden Bewegungen.“ 62 Oben § 3 bei N. 31. 83 Vgl. dazu Kastil, Studien zur Erkenntnistheorie, S. 71 ff.

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

dessen ist in der neuen mechanistischen Philosophie der Wahrnehmung noch eine andere Bedeutung von Repräsentation angelegt: die der bloßen Zuordnung, der funktionellen Entsprechung, des Ausdrucks oder der Darstellung, ja der Verdichtung65. Offenkundig rührt unsere Redeweise von repräsentativen Erhebungen, Meinungen oder Quer­ schnitten, will sagen: von Repräsentation in dem ganz allgemeinen Sinne der Stellvertretung nicht von der Fachsprache der Jurisprudenz und Politik, sondern von jener erkenntnistheoretischen Terminologie her.

III.

Bei der Beschäftigung mit dem durch die cartesische Trennung von res cogitans und res extensa gestellten Problem der Wechselbeziehung

von Leib und Seele, sei er, berichtet Leibniz in seinem „Neuen System“ von 1695, da er die zum Wunder göttlicher Vermittelung Zuflucht neh­ menden okkasionalistischen Lösungsversuche wie etwa die Malebran­ ches ablehnte, zu der Auffassung gekommen, „daß Gott die Seele oder jede wirkliche Einheit dieser Art von Anfang an so geschaffen hat, daß ihr durch eine vollkommene Spontaneität in Anbetracht ihrer selbst und doch in vollkommener Übereinstimmung mit den Dingen außer ihr alles aus ihrem eigenen Grunde entstehen muß“66. Die innerseelischen Vorstellungen stammen hiernach aus der repräsentativen Natur der Seele als deren ursprünglicher Verfassung: ... il faut que ces percep­ tions internes dans Vame meme luy arrivent par sa propre constitution originale, c’est ä dire par la nature representative (capable d'exprimer les estres hors d’elle par rapport d ses organes) qui luy a este donnee des sa creation, et qui fait son caractere individuel67. Oder, wie Leibniz

im Streit um die „rationale Verläßlichkeit der Welt“ als den metaphy­ sischen Grund der Leistungsfähigkeit menschlicher Vernunft68 gegen­ über dem Newton-Freund Clarke formuliert: Les ames connoissent les choses, parce que Dieu a mis en eiles un principe representatif de ce qui est hors d’elles". So bestehe unter allen Substanzen eine vollkom-

64 Vgl. Edmund Husserl: Logische Untersuchungen, II. Bd.: Untersuchun­ gen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, 1. Teil, 2. Aufl., Halle a. d. S. 1913, S. 169 ff. 85 Vgl. noch einmal v. Aster, Gesch. d. Erkenntnistheorie, S. 29. 88 System nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l’union qu’il y a entre l’ame et le corps, § 14 = Gottfried Wilhelm Leibniz: Philosophische Schriften, hg. u. übers, v. Hans Heinz Holz, Bd. I, Darmstadt 1965, S. 201 -226 (219). Vgl. dazu Willy Kabitz: Die Philosophie des jungen Leibniz — Untersuchungen der Entwicklungsge­ schichte seines Systems, Heidelberg 1909. 87 System nouveau, aaO S. 218. 88 Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, S. 103 ff. 89 Leibnizens viertes Schreiben an Clarke § 30 = Die philosophischen Schrif­ ten von Gottfried Wilhelm Leibniz, hg. v. C. J. Gerhardt, 7. Bd., Berlin 1890, S. 375.

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnis theoretischen Terminologie

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mene Übereinstimmung, „da jede dieser Substanzen das ganze Univer­ sum auf ihre Weise und gemäß einem bestimmten Gesichtspunkt genau ausdrückt und da die Perzeptionen oder Ausdrücke der Dinge der Seele unter diesem Gesichtspunkt kraft ihrer eigenen Gesetze erschei­ nen wie in einer Welt für sich und“ — hier folgt eine Wendung mysti­ scher Provenienz70 — „als ob nichts außer Gott und ihr selbst existieren würde .. .“71. Es ist jene „vollkommene Übereinstimmung“ (parfait accord) unter allen Substanzen (besser bekannt unter dem Namen der „prästabilierten Harmonie“72) — eine Vorstellung, die den mathemati­ schen Begriff der Funktion metaphysisch ausweitet73 —, welcher Leib­ niz zur Lösung der „cartesianischen Crux“74 nun seinerseits die Wir­ kung zuschreibt, „die man bemerken würde, wenn (die Substanzen) durch eine Übertragung der Spezies oder der Eigenschaften mitein­ ander verkehren würden, wie es sich die Philosophen gewöhnlich vorstellen“75. Den in diesem Gedankenzusammenhang zentralen Begriff des Aus­ drucks76 hatte Leibniz vordem schon in der der Veröffentlichung vor­ hergehenden Zeit mannigfacher Erprobungen und Diskussionen des ,neuen Systems4 gegenüber Arnauld folgendermaßen bestimmt: „Eine Sache drückt ... eine andere aus, wenn zwischen dem, was man von der einen, und dem, was man von der anderen aussagen kann, eine feste und regelmäßige Beziehung besteht. In diesem Sinne drückt eine perspektivische Projektion das in ihr projizierte geometrische Gebilde aus77.“ Es handele sich demnach um einen Gattungsbegriff mit den 70 Vgl. Dietrich Mahnke: Leibnizens Synthese von Universalmathematik und Individualmetaphysik, Jb. f. Philosophie u. phänomenologische For­ schung, 7. Bd., Halle a. d. S. 1925, S. 305 -612 (418); Kurt Huber: Leibniz, München 1951, S. 102 f. 71 Neues System, aaO (N. 66) S. 219. 72 Les principes de la philosophic ou la Monadologie, c. 78 = Philosoph. Schriften (Ed. Holz) I S. 438-483 (475): Die Seele folgt ihren eigenen Ge­ setzen und der Körper ebenso den seinen; und sie treffen sich vermöge der prästabilierten Harmonie zwischen allen Substanzen (Vharmonie pre&tablie entre toutes les substances), weil sie alle Darstellungen desselben Univer­ sums sind (representations d’un meme Univers). 78 Vgl. Ernst Cassirer: Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, 2. Bd., Berlin 1907, S. 100; dazu die Kritik Mahnkes (Leibnizens Synthese, S. 362 ff.) und Hans Heinz Holz: Leibniz, Stuttgart 1958, S. 53 ff. 74 Hans-Georg Gadamer: Metaphysik im Zeitalter der Wissenschaft, in: Akten des internationalen Leibniz-Kongresses Hannover, 14. -19. November 1966, Bd. 1: Metaphysik — Monadenlehre (Studia Leibnitiana Supplementa I), Wiesbaden 1968, S. 1 - 12 (4). 75 Neues System, aaO (N. 66) S. 221. 76 Zum folgenden Huguette Jalabert: La fonction explicative de la notion de „representation“ dans l’ontologie de Leibniz, in: Akten des internationalen Leibniz-Kongresses, aaO (N. 74) S. 123 - 138. 77 Brief v. 9.10.1687 = Die philosophischen Schriften von Gottfried Wil­ helm Leibniz, hg. v. C. J. Gerhardt, 2. Bd., Berlin 1879, S. 111-128 (112).

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

Unterarten der „naturhaften Perzeption“, der „tierischen Empfindung“ und der „verstandesmäßigen Erkenntnis“. „Bei der naturhaften Per­ zeption und bei der Empfindung genügt es, daß das, was teilbar und materiell ist, und was sich in mehrere Dinge zerstreut vorfindet, in einem einzigen unteilbaren Ding oder in der mit wirklicher Einheit begabten Substanz“ — dies eine kurze Definition der Leibnizschen ,Monade*78 — „ausgedrückt oder repräsentiert ist“79. An der Möglichkeit einer solchen Repräsentation mehrerer Gegenstände in einem einzigen Ding (representation de plusieurs choses dans une seule) sei — wie das Beispiel unserer eigenen Seele zeige — nicht zu zweifeln. Auf dieser Grundlage definiert Leibniz dann den „Gedanken“ — abgesetzt gegen die petites perceptions, die unbewußten oder unklaren Empfindungen, mit deren Artikulation Leibniz das Unterbewußtsein zum Begriff brachte80 — als Ausdruck oder Repräsentation mit Bewußtsein81. Gegen das alte Wachstafelgleichnis stellt Leibniz eine neue Metapher: die des konzentrierenden, perspektivischen lebendigen Spiegels. In der Dar­ stellung seines Systems für die Königin Sophie Charlotte von Preußen schreibt er unter dem 8. 5.1704: ... toutes les antes estant essentiellement des representations ou miroirs vivans de l’univers suivant la portee et le point de veue de chacune, et par consequent aussi durables que le monde luy meme ... chaque ame ... est une certaine expression de l’univers, et comme un univers concentre .. .82. Gegen den aristote­

lischen Vergleich der Seele mit einer unbeschriebenen Wachs täfel hatte sich Leibniz, ohne ihm jeden Sinn abzusprechen, schon im Discours de metaphysique von 1686 gegenüber Arnauld dergestalt ausgesprochen, Übers, v. Gerhard Krüger: Leibniz — Die Hauptwerke, Stuttgart 1958, S. 98. — Vgl. dazu P. Köhler, Begriff der Repräsentation, S. 90 ff., 121 f.; E. Cassirer, Erkenntnisproblem II, S. 82 ff. 78 Vgl. Monadologie, cc. 1 ff. (aaO — N. 72 — S. 438 ff.). Dazu Lasswitz, Geschichte der Atomistik II, S. 481 ff.; Holz, Leibniz, S. 29 ff. Über die Her­ kunft des Namens „Monade“ Mahnke, Leibnizens Synthese, S. 380 u. 555 f. (N. 84). 79 Brief an Arnauld v. 9.10.1687 (aaO — N. 77): Dans la perception na­ turelle et dans le sentiment il suffit que ce qui est divisible et materiel, et se trouve disperse en plusieurs estres, soit exprime ou represents dans un seul estre indivisible, ou dans la substance qui est douee d’une veritable unite. 80 Vgl. Richard Herbertz: Die Lehre vom Unbewußten im System des Leibniz, Diss. Bonn 1905; Hans Strahm: Die „petites perceptions“ im System von Leibniz, Diss. Bern 1930. Vgl. auch Mahnke, Leibnizens Syn­ these, S. 399 ff. 81 Brief an Arnauld v. 9.10. 1687 (aaO — N. 77): On ne peut point douter de la possibilite d’une belle representation de plusieurs choses dans une seule, puisque notre ame nous en fournit un exemple. Mais cette represen­ tation est accompagnee de conscience dans l’ame raisonnable, et c’est alors qu’on l’appelle pensee. 82 Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhelm Leibniz, hg. v. C. J. Gerhardt, 3. Bd., Berlin 1887, S. 343 - 348 (347).

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie 95 daß diese Redeweise zur exakten Erfassung der metaphysischen Wahr­ heit unzureichend sei88. Die platonische Wiedererinnerungslehre hin­ gegen hatte Leibniz — wenn man sie vom „Irrtum der Präexistenz“ der Ideen reinige — für prinzipiell richtig erklärt84. Auf derselben Linie liegt es, wenn Leibniz der Ideenlehre Malebranches in gewisser Weise zustimmt85, die Spezies-Theorie indes allezeit entschieden ver­ wirft86. Zu denken, die Seele habe gewissermaßen Türen und Fenster und empfange gleichsam Boten, das ist ihm bloß une mauvaise habitude — eine schlechte Angewohnheit87. Es ist der Gedanke der Fensterlosigkeit der Monade, der Monade, die keine Fenster zur Welt braucht, weil sie Welt ist, d. h. Eins ist und überhaupt ist, insofern sie perzipierend je und je durch die Welt bestimmt wird und repräsentierend perspek­ tivisch je und je die Welt wiedergibt, mit dessen Hilfe er nicht nur die Frage der Erkenntnis beantwortet, sondern allererst die von Descartes in Bewußtsein und Ausdehnung aufgespaltene philosophische Einheit der Welt wiederherstellt88. Ohne Zweifel gibt es für die dialektische Einheit von Vielheit in dem Einen und der Einheit des Mannigfaltigen, von Weltimmanenz, Welthaftigkeit der Monade und unendlicher Perspektivität der Welt kein treffenderes Bild als das der Spiegelung des Universums in unendlich vielen Punkten: „Diese Verknüpfung nun oder diese Anpassung aller erschaffenen Dinge an jedes einzelne von ihnen und jedes einzelnen an alle anderen bewirkt, daß jede einfache Substanz in Beziehungen eingeht, die alle anderen ausdrücken (expriment) und daß sie folglich ein dauernder lebendiger Spiegel des Uni­ versums (un miroir vivant perpetuel de l’univers) ist ... Und wie eine und dieselbe Stadt, die von verschiedenen Seiten betrachtet wird, als eine ganz andere erscheint und gleichsam auf perspektivische Weise vervielfacht ist, so geschieht es in gleicher Weise, daß es durch die unendliche Vielheit der einfachen Substanzen gleichsam ebenso viele verschiedene Universen gibt, die jedoch nur die Perspektiven des einen einzigen gemäß den verschiedenen Gesichtspunkten jeder Monade sind89.“ Bedenkt man Leibnizens Dialektik von Monade und Universum

88 Discours de metaphysique, § 27. Philosoph. Schriften (Ed. Holz) I S. 49 172 (132 ff.). 84 Ebd. § 27 (S. 130 ff.). 85 Ebd. § 28 (S. 134 ff.). Vgl. Meditationes de Cognitione, Veritate et Ideis (1684) = Philosoph. Schriften (Ed. Holz) I S. 25-47 (45); Entretien de Philarete et d’Ariste (um 1695) = Philosoph. Schriften (Ed. Holz) I S. 321 363 (360 ff.). 88 Vgl. oben bei N. 75; ferner Leibnizens fünftes Schreiben an Clarke (1716) § 84: Je ne demeure point d* accord des notions vulgaires, comme si les images des choses etoient transportees (conveyed) par les Organes jusqu’ä l’ame. Die Philosoph. Schriften, hg. v. Gerhardt, 7. Bd., S. 410.

87 Discours de metaphysique, § 26 (aaO — N. 83 — S. 130/1). 88 Vorzüglich Holz, Leibniz, I. - III. Kap. 89 Monadologie, c. 56 u. c. 57 (aaO — N. 72 — S. 464/5).

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

oder, was auf dasselbe hinauskommt, die Perspektivität des Welt­ ganzen, so will es nicht Zufall scheinen, daß gerade ,Repräsentation*, ein Wort, das von Haus aus Wirklichkeit und Anwesenheit in je be­ stimmter Hinsicht akzentuiert, Schlüsselwort dieser Philosophie ist, insofern es ja nicht nur die perspektivische Struktur der Welt, sondern zugleich jeden konkreten Augenblick je besonderer Spiegelung des Universums bezeichnet90. Kehren wir damit zu unseren terminologiegeschichtlichen Überle­ gungen zurück, so ist zu konstatieren, daß der Name ,Repräsentation* bei Leibniz in der Perspektive der cartesianischen Überholung der peripatetischen Wahrnehmungstheorie und der Folgeprobleme dieses Vorgangs erscheint. Dabei ist hier die Frage des stärksten unmittel­ baren Einflusses auf Leibniz, wie sie etwa Eschweiler aus den bekann­ ten Gründen mit der These vom Skotismus des Suarez als Bindeglied in den Vordergrund geschoben hat91, von durchaus untergeordneter Bedeutung. Denn zwar gab es da Kontroversen um Spezies und Ideen und andererseits unter den Cartesianern um die repräsentativen Enti­ täten. Doch stand dabei ja nur die Art und Weise der sogenannten Re­ präsentation durch wandernde Qualitäten oder Vorstellungsbilder, aber nicht die mit Repräsentation bezeichnete Funktion in Frage. Auch Arnauld und Malebranche stritten ja nur um das etre, mitnichten um das representatif. So gesehen ist die älteste terminologische Vorform von representation de l’univers die repraesentatio in creatura existens92 des Thomas von Aquin93. Dies gilt um so mehr, als der Subjektswechsel der Repräsentation von Gott zum Universum respektive zur Monade im Horizont des anselmischen quo maius nihil cogitari potest sich voll­ zieht: Wenn Leibniz sagt: „Man kann auch urteilen, daß diese höchste Substanz, die einzig, universell und notwendig ist, die nichts außer sich hat, was unabhängig von ihr wäre und die eine einfache Form ihres Möglichseins ist, derart beschaffen ist, daß sie keine Schranke haben kann und so viel Realität enthält, wie irgend möglich ist“94 — so 90 Vgl. Jalabert, La fonction explicative de la notion de „representation“, aaO (N. 76) S. 124: ,,L’ »expression* designe peut-etre davantage la structure fondatrice et l’ordre des correspondances, la »perception* traduit plutöt 1’ instantaneite changeante de la vie substantielle; la representation n’en differe pas: eile est cette meme structure et ce meine instant de vie, mais eile joint l’intelligibilite rigoureuse de l’une ä l’instabilite de l’autre, source de son propre dynamisme.“ 91 Philosophie der spanischen Spätscholastik, S. 258 ff. 92 Dies gegen P. Köhler, Begriff der Repräsentation, S. 25 ff. 98 Vgl. oben § 6 bei N. 18. Siehe dazu noch STh. I q. 44 a. 3 ad 1 (DThA Bd. 4 S. 13): dicendum quod, licet creaturae non pertingant ad hoc quod sint similes Deo secundum suam naturam, similitudine speciei, ut homo genitus homini generanti, attingunt tarnen ad ejus similitudinem secundum repraesentationem rationis intellectae a Deo, ut domus quae est in materia, domui quae est in mente artificis. 94 Monadologie, c. 40 (aaO — N. 72 — S. 457).

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoFetischen Terminologie 97

redet er zwar dem Namen nach von Gott, der Sache nach indessen von seinem Universum. Und die Monaden sind ihm ausdrücklich Imitationen Gottes oder comme des petites divinites95. Was daneben die Repräsen­ tation im vorzugsweise mathematisch gemeinten Sinne funktioneller Entsprechung anlangt, so ist zudem an die repraesentatio proportionalitatis des Duns Scotus zu erinnern96. Berücksichtigt man indessen, daß der zentrale Gedanke der perspek­ tivischen Artikulation der Vielheit in dem Einen, kurz Leibnizens Perspektivismus keineswegs nur, ja nicht einmal in erster Linie er­ kenntnistheoretisch, sondern vor allem ontologisch begriffen werden muß97, so wird klar, daß in der Formel von den Monaden als den Re­ präsentationen der Welt noch ein anderer Traditionszusammenhang geronnen ist: Mystik, neupythagoreische Spekulation und das für die Renaissance-Philosophie so charakteristische Motiv einander entspre­ chender Mikro- und Makrowelten98. Nikolaus von Cues, dieser „Leibnizianer vor Leibniz“ (D. Mahnke) ist hier zu nennen — auch wenn Leibniz ihn nur gelegentlich mathematischer Erörterungen zitiert —, Paracelsus, Jakob Böhme, Kepler, der Comenianer Bisterfeld und Leibnizens Jenenser Lehrer Eberhard Weigel99. Der letzte Grund für solche Vorstellungen dürfte in mythologischen Präfigurationen liegen, etwa eines Allgottes, der als Riesenkörper die Vielfalt der Welt in seinen Gliedern eint, oder eines Urriesen, aus dessen zerstückelten Gliedern die Welt gebildet ist. Plato greift das Motiv auf, indem er im Timaios (30 b, 32 a) vom Weltganzen als von einem Lebewesen und vom od)p.a tou xoopiou, vom Leib des Weltganzen 95 Brief an den Berliner Hofprediger Isaac Jaquelot v. 9. 2.1704. Die philo­ sophischen Schriften, Bd. 3, S. 464-466 (465). Über J.: Mahnke, Leibnizens Synthese, S. 592 (N. 239). 98 Vgl. oben bei N. 7. 97 Vgl. Joachim Christian Horn: Über den ontologisch nichtidentischen Identitätssatz der Monade, in: Akten des internationalen Leibniz-Kongres­ ses, aaO (N. 74) S. 139 - 147 (140). 98 Ernst Cassirer, Erkenntnisproblem I, S. 78f.; ders.: Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance (Studien der Bibliothek War­ burg X), Leipzig / Berlin 1927, S. 41 f. u. ö., siehe auch S. 97 f. und 137. Vgl. auch Dietrich Mahnke: Unendliche Sphäre und Allmittelpunkt — Beiträge zur Genealogie der mathematischen Mystik (DVLG Buchreihe 23), Halle/ Saale 1937; ferner George Perrigo Conger: Theories of Macrocosms and Microcosms in the History of Philosophy, Diss. Columbia University, New York 1922, S. 53 ff.; Rudolf Allers: Microcosmus — From Anaximandros to Paracelsus, Traditio II (New York 1944) S. 319-407; Marian Kurdzialek: Der Mensch als Abbild des Kosmos, in: Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter, hg. v. Albert Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia 8), Berlin/ New York 1971, S. 35 -75. Die Diss. von Adolf Meyer: Wesen und Ge­ schichte der Theorie vom Mikro- und Makrokosmos, Bern 1900, ist über­ holt. 99 Vgl. Huber, Leibniz, S. 21 ff., 186; Blumenberg, Die Legitimität der Neu­ zeit, S. 486 f. 7 Hofmann

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

spricht100. Vermittelt und propagiert wird der Gedanke dann vor allem durch die Stoa101. Hierüber ist später in anderen Zusammenhängen noch einiges zu sagen102.

IV. Mit dem Durchbruch der Konsequenzen aus der mechanistischen Wahrnehmungshypothese, erst recht aber mit der metaphysischen Auf­ arbeitung des Problemkreises schrumpft Repräsentation im Sinne ab­ bildlicher Vermittelung einer Urbildwirklichkeit zum spezifisch theolo­ gischen Traditionsgut einerseits und zum vornehmlich psychologischen Ausdruck andererseits. Freilich: Schon Leibniz selbst gebraucht den fraglichen Terminus nicht ausschließlich ontologisch, sondern in leicht erklärlicher psychologischer Wendung gelegentlich auch für „Vorstel­ lung“103. Hier knüpfen Christian Wolff und seine Nachfolger an und bürgern den Ausdruck „Vorstellung“ in der deutschen philosophischen Terminologie ein104. Notio sive idea est rerum in mente repraesentatio — diese Definition entnimmt Friedrich Christian Baumeister ex systemate celeberrimi Wolfii, um dann ein wenig naiv zu erläutern: Sic ideam sive notionem tibi formas libri, quem, absentem licet, tamquam praesentem tibi repraesentas105. Bei Wolff selbst nimmt sich das in der Psychologia empirica von 1732 folgendermaßen aus106: Repraesentatio rei dicitur Idea, quatenus rem quandam refert, seu quatenus objective consideratur. Wolff erläutert sodann: Si objectum aliquod in mente repraesentatur, distingui debet actus mentis, quo fit repraesentatio; repraesentatio ipsa, quatenus objectum quoddam menti exhibet, et denique actus, quo mens repraesentationis istius, consequenter rei, qualis repraesentatur, conscia sibi est. Actus prior, quo fit repraesen­ tatio, est perceptio ...; actus posterior, quo mens sibi conscia est repraesentationis, vocatur apperceptio ..ipsa vero repraesentatio 100 Vgl. dazu Anders Olerud: L’idee de macrocosmos et de microcosmos dans le Timee de Platon — Etude de mythologie comparee, These Uppsala 1951, hier bes. S. 136 ff. Siehe auch Carl Bezold/Franz Boll: Sternglaube und Sterndeutung — Die Geschichte und das Wesen der Astrologie, 3. Aufl. (hg. v. W. Gundel), Leipzig / Berlin 1926, S. 77. 101 Heinrich Schlier: Art. „Corpus Christi“, RLACh. III Sp. 437 - 453 (439 ff.). 102 Unten § 11 II. 108 Vgl. Köhler, Begriff der Repräsentation, S. 125 u. 136. 104 Dazu Carl Knüfer: Grundzüge der Geschichte des Begriffs Vorstellung von Wolff bis Kant — Ein Beitrag zur Geschichte der philosophischen Ter­ minologie, Diss. Berlin 1911. 105 Friedrich Christian Baumeister: Philosophia definitiva hoc est definitiones philosophicae ex systemate celeberr. Wolfii, Vitembergae 1735, S. 11. 108 § 48 (S. 30). Vgl. von dems. Autor: Psychologia rationalis methodo scientifica pertractata etc., Frankfurt u. Leipzig 1734, §§ 66, 67 (S. 45), wo essentia und natura der Seele als vis repraesentativa definiert werden. Siehe dazu noch die §§ 83 ff. (S. 62 ff.).

§ 7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie 99 materialiter sumta aut in relatione ad objectum, quod repraesentatur, dicitur idea. Samuel Christian Hollmann (1696 - 1787), erster Göttinger

Ordinarius für Philosophie und natürliche Theologie, brachte die Funk­ tion des Intellekts auf die kurze, für den Ausdruck der Vorstellung vorbildliche Formel von der inneren Fähigkeit, sibi aliquid repraesen­ tare107.

Das Charakteristische der damit erreichten Entwicklungsphase die­ ser begrifflichen Bedeutung des Wortes Repräsentation liegt darin, daß bei solcher Verwendung nicht nur kein ÄhnlichkeitsVerhältnis, sondern auch keinerlei kausale Beziehung zwischen Repräsentat und Repräsentant mehr mitgedacht wird. An deren Stelle tritt der Gedanke einer rein symbolischen Relation108. So hat dann der althegelingische Pastor Marheinecke — mit vergleichsweise bescheidener Dialektik freilich — in der Abendmahlsfrage (der Kreis schließt sich) ausdrücklich praesentia realis und praesentia repraesentativa im Sinne von praesen­ tia spiritualis oder symbolica gegeneinandergesetzt109. Wie sehr das Wort Repräsentation seither in den durch die moderne Bewußtseins-Philosophie gestifteten Vorstellungs- und Sinnzusammen­ hang gebannt ist, zeigen am deutlichsten Versuche zu deren Überwin­ dung wie die neue Erkenntnismetaphysik des ,kritischen Realisten* Nicolai Hartmann: Die Antinomie zwischen dem „Satz des Bewußt­ seins“, wonach dieses „ewig nur seine eigenen Inhalte, niemals aber ein Außerbewußtes erfassen (kann)“, und dem von dem Erfassen eines Transzendenten sprechenden Erkenntnisphänomen sei — so meint er110 — mit Hilfe eines ontologischen Begriffes des Erfassens aufzulösen, wobei freilich auch hier das Wort Repräsentation zur Bezeichnung der Mittelbarkeit solchen ,Erfassens* des Objekts durch das Subjekt unent­ behrlich scheint: „Der Inhalt kann ihm (sc. dem Bewußtsein) etwas Außerbewußtes repräsentieren. Die Repräsentation ist dann dem Be­ wußtsein immanent, das Repräsentierte aber kann ihm transzendent sein.** Solche „Repräsentation setzt** freilich einen über die Grenzen 107 Samuel Christian Hollmann: Philosophia rationalis quae Logica vulgo dicitur, Göttingen 1746, S. 91 ff. 108 Vgl. etwa Theodor Lipps: Leitfaden der Psychologie, 2. Aufl., Leipzig 1906, S. 11: „Die Beziehung zwischen Inhalt und Gegenstand ist eine sym­ bolische Beziehung oder Relation. Der Inhalt ... .repräsentiert* den Gegen­ stand, beispielsweise die perspektivisch verschobene Vorderansicht eines Hauses repräsentiert mir das Haus. Dies .Repräsentieren* bezeichnet jene symbolische Relation. Diese symbolische Relation ist eine durchaus eigen­ artige, mit keiner sonstigen Relation vergleichbar.“ — Über die verschiedenen Kausalitätsmodelle der scholastischen Speziestheorie A. Maier, Das Problem der „species sensibiles in medio“ und die neue Naturphilosophie des 14. Jahrhunderts, aaO (N. 25) S. 420 ff. 109 Vgl. oben § 4 bei N. 46. 110 Nicolai Hartmann: Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 4. Aufl., Berlin 1949 (1. Ausg. 1921), S. 326 ff. 7*

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2. Kap.: Eucharistische Repräsentation

des Bewußtseins „hinausgreifenden Zusammenhang zwischen dem repräsentierenden und dem repräsentierten Gebilde voraus, ein über­ greifendes Gefüge von Relationen, in denen die Abhängigkeit des letzteren vom ersteren wurzelt“. Und diese Voraussetzung meint Hart­ mann in einem Vermittlungsversuch zwischen antik-mittelalterlicher Metaphysik und der kritischen Philosophie der Moderne mit einer ontologischen Auffassung des Subjekts beweisen zu können, wonach das Subjekt „als Seiendes dem seienden Objekt in einer einheitlichen Seinssphäre gegenübersteht und in ein Gefüge von bestehenden Seinsrelationen eingegliedert ist“, und zwar derart, daß die „funktionale Abhängigkeit des Repräsentierenden vom Repräsentierten“ überhaupt nur als „ein Spezialfall solcher Relation“ erscheint. Wiewohl diese neue Metaphysik die dreigliedrige Relation der subjektiven Erkenntnis von etwas als etwas auf das bloß zweiseitige Subjekt-Objekt-Verhältnis reduziert111 und hierdurch wie mit dem Bilde des ,Erfassens* den alten Ansatz der Lehre von Wahrnehmung und Anschauung wiederholt, kann sie doch weder die aristotelisch-thomistische Assimilationsvor­ stellung erneuern noch irgendeine Spezies-Theorie reproduzieren. Folg­ lich vermag diese Ontologie der Repräsentation nur in der Weise sich zu artikulieren, daß sie Repräsentation im Sinne der modernen idea­ listischen Erkenntnistheorie lediglich formal als Funktion eines be­ haupteten Seinsgefüges etikettiert. Und ein Letztes noch ist in diesem Zusammenhang zu bedenken: Wo immer von Dialektik der Repräsentation die Rede ist — und das heißt namentlich: wo in politicis von der Dialektik der Repräsentation ge­ sprochen wird — da beruht diese Redeweise auf den Präfigurationen der erkenntnistheoretischen Fachsprache. Denn mag vor dem Hinter­ grund der Erinnerung an die Idee der Nationalrepräsentation ein Satz wie der unmittelbar einleuchten, daß Repräsentation „kein normativer Vorgang, kein Verfahren und keine Prozedur, sondern etwas Existen­ zielles“ sei und repräsentieren demzufolge heiße, „ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar (zu) machen und (zu) vergegenwärtigen“112, will sagen: die politische Einheit der Nation in einer institutionalisierten öffentlichen Versammlung darzustellen, zu manifestieren, so wäre doch der unvermittelte Nachsatz von der darin liegenden „Dialektik des Begriffes“ der Repräsentation, „daß das Unsichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht (werde)“113 allein aus dem angedeuteten Kontext absolut un­ verständlich. Wieso sollte etwa eine Nationalversammlung die Einheit 111 Dies die einleuchtende Kritik von Wolfgang Stegmüller: Hauptströmun­ gen der Gegenwartsphilosophie, 2. Aufl., Stuttgart 1960, S. 283. 112 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 209. 113 Ebd. S. 209 f.

§7. Exkurs: Zur Geschichte der erkenntnistheoretischen Terminologie 101

der Nation politisch ,als abwesend voraussetzen*114? Ganz zu schweigen von der unbegründet vorgebrachten (und sachlich unzutreffenden) Behauptung, repräsentieren bedeute „rein sprachlich gesehen ..daß etwas nicht real Präsentes wieder präsent, d. h. existentiell wird, etwas, was nicht gegenwärtig ist, wieder anwesend gemacht wird“, daß „durch die (?) Repräsentation ... somit (?) etwas als abwesend und zugleich doch gegenwärtig gemacht (werde) und daß „in diesem Vorgang (?) ... die spezifische Dialektik (liege)“, die dem — angeblich für Staatsrecht, Völkerrecht und Verfassungstheorie sinnvollerweise allein in dieser Form maßgeblichen Begriff der Repräsentation „eigen (sei)“115. Es war die neuzeitliche Erkenntnistheorie, in der das Wort Repräsentation, als Ausdruck der Vermittelung eingespannt in die Dialektik von Innen und Außen, Einheit und Vielheit, Teil und Ganzem, zum Inbegriff der ideellen Vergegenwärtigung von etwas durch Vergegenwärtigung sei­ ner realen Abwesenheit wurde. Ernst Cassirer, der bedeutendste Histo­ riker der neuzeitlichen Lehre von der Erkenntnis, hat diese Implikatio­ nen, indem er in seiner Philosophie der symbolischen Formen selbst mit dem Schlüsselwort »Repräsentation* arbeitet, in geradezu klassi­ scher Weise entfaltet: Als notwendig mittelbare Darstellung von etwas in etwas anderem und durch etwas anderes, d. h. als Darstellung von etwas, das stets außerhalb der Darstellung bleibt, aber anders als in dieser mittelbaren Weise geistig weder erfaßbar noch überhaupt exi­ stent ist, bedeutet ihm der Terminus Repräsentation den zentralen Punkt menschlicher Geistestätigkeit überhaupt, die niemals »reines Sein* berührt, geschweige denn zu kopieren imstande ist, sondern in der Erzeugung der Realität symbolischer Formen allererst ein Verhält­ nis von Ich und Welt konstituiert116.

114 Mit gutem Grund hat Glum (Der deutsche und der französische Reichs­ wirtschaftsrat, S. 28) jene »Dialektik des Begriffs' für die Sphäre des öffent­ lichen Rechts schlicht einen Widerspruch genannt: „Wenn das Unsichtbare anwesend ist, so kann es nicht zugleich als abwesend vorausgesetzt werden, es ist vielmehr anwesend schlechthin.“ Glum vermutete (ebd.) — nicht ganz abwegig, wie man sieht —, daß C. Schmitt von „einer theologischen Grund­ auffassung“ ausgegangen sei, derzufolge „der Gott gleichzeitig anwesend und abwesend gedacht sein kann“. Gegen solche Dialektik auch H. J. Wolff, Or­ ganschaft und jurist. Person II, S. 24 f.; Hamel, Die Repräsentation des Volkes, aaO (§ 2 N. 18) S. 103. Vgl. auch § 1 N. 46. 115 Leibholz, Wesen der Repräsentation, S. 26. 118 Vgl. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen, 3 Bde., 4. Aufl., Darmstadt 1964, bes. die Einleitung (Bd. 1, S. 3 ff.) und den 2. Teil des 3. Bandes (S. 125 ff.): „Das Problem der Repräsentation und der Aufbau der anschaulichen Welt“.

3. Kapitel

Rechtssprache in der Spätantike und im frühen Mittelalter § 8. Die Sprache der kaiserlichen Konstitutionen

Kehren wir nach diesem theologischen Exkurs und philosophischen Vorgriff zurück zur Rechtssprache der ausgehenden Antike und des Frühmittelalters. Die späte römische Rechtssprache: das ist nicht mehr die Sprache des ius, d. h. der klassischen Juristenliteratur, sondern die Sprache der kaiserlichen leges in der Form der individuellen Reskripte und mehr noch der generellen Konstitutionen. Damit ist nicht nur ein sehr fühlbarer stilistischer Unterschied angedeutet, welcher aus der Verdrängung der Fachjurisprudenz durch Rhetorik resultiert1. Es han­ delt sich hier auch nicht in erster Linie um den mit dem Stichwort „Vulgarisierung“ etikettierten, vornehmlich weströmischen Vorgang stufenweiser rechtskultureller Reduktion und Entdifferenzierung seit der nachseverischen „Militäranarchie“ des 3. Jahrhunderts, jener „Göt­ terdämmerung“2, derzufolge weniger gewisse alteingewurzelte volks­ tümliche Rechtsüberzeugungen als vielmehr allgemein laienhafte Vor­ stellungen im Rechtsleben zur Herrschaft gelangen3. Zuerst und vor allem ist vielmehr daran zu denken, daß die Funktion der Rechts­ sprache sich damit entscheidend geändert hat: statt fachwissenschaft­ liche Erkenntnis vermittelt sie vorzüglich den Machtanspruch eines (jedenfalls theoretisch) absoluten Herrschers. Charakteristischerweise meint zum Beispiel das Wort regula, mit dessen Hilfe einst Cicero den Ausdruck xavcbv seiner Quellen wiedergegeben und mit dem die prak­ tische Jurisprudenz ehedem eine in der Verallgemeinerung eines recht­ lichen Gesichtspunkts sich manifestierende JuristenWeisheit bezeichnet hatte, jetzt eine aus der ausschließlichen Gesetzgebungsgewalt des Kai­ 1 Vgl. Franz Wieacker: Recht und Gesellschaft in der Spätantike, Stuttgart 1964, S. 23, 35, 39 f., 60, 87 f.; Ulrich von Lübtow: Das römische Volk — Sein Staat und sein Recht, Frankfurt a.M. 1955, S. 578 ff.; Artur Steinwenter: Rhetorik und römischer Zivilprozeß, ZRG Rom. Abt. 65 (1947) S. 69 - 120. 2 Michael Rostovtzeff: Gesellschaft und Wirtschaft im römischen Kaiser­ reich (übers, v. Lothar Wickert), 2. Bd., Leipzig o. J. (1931), S. 143 ff.; v. Lübtow, Das röm. Volk, S. 426 ff. Vgl. Ernst Kornemann: Römische Ge­ schichte, 2. Bd., 5. Aufl., bearb. v. Hermann Bengtson, Stuttgart 1963, S. 319 ff.

§ 8. Die Sprache der kaiserlichen Konstitutionen

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sers erfließende, juristischer Kritik entzogene Verordnung4. In dieser Umwälzung verlagert sich natürlich auch der sachliche Schwerpunkt der neuen Rechtssprache. Das Zivilrecht verliert an Bedeutung. In den Vordergrund treten — wie etwa der Codex Theodosianus (438/39) er­ kennen läßt — das Strafrecht, die vielfältigen Probleme öffentlicher Verwaltung, dazu die radikale Umgestaltung der Gerichtsverfassung und des Rechtsganges. Durchgehende Verhandlung vor und Entschei­ dung durch einen staatlichen Justizfunktionär sowie weitgehender Amtsbetrieb lösen die Zweiteilung des klassischen Formularprozesses zwischen Honoratioren-Gerichtsherrschaft und privater Schiedsmann­ tätigkeit mit ihrem Parteibetrieb ab5. Charakteristisch für diesen Vor­ gang ist der Funktionsverlust der Litiskontestation 6. Das den spätrömi­ schen Prozeß des Dominats beherrschende Beamtenrichtertum — iudex, einst Bezeichnung des privaten Schiedsrichters, steht am Ende über­ haupt für den kaiserlichen Oberbeamten7 — bildet sich in hierarchi­ scher Stufung aus, welche dann den Instanzenzug trägt — gleichfalls eine typische Neuerung. Der Rechtsgang der Spätantike ist für uns in­ dessen nicht nur deswegen von besonderem Interesse, weil Organisation und Verfahren naturgemäß rechtsstrukturell aufschlußreicher sind als materielle Rechtssätze8. Hinzu kommt nämlich, daß die wesentlichen Merkmale des spätantiken Beamtenprozesses unmittelbar in die Rechts­ vorstellungen des Frühmittelalters eingegangen sind und — ohne daß die Rezeption der Digesten daran etwas ändern konnte — die Grund­ lage des europäischen Prozeßrechts abgegeben haben. Deswegen — darauf hat Franz Wieacker, einer der hervorragendsten Kenner dieser 5 Vgl. neben den Arbeiten von Ernst Levy (von ZRG Rom. Abt. 49 [1929] S. 230 ff. bis 77 [1960] S. 1 ff.) v. a.: Franz Wieacker: Vulgarismus und Klassizis­ mus im Recht der Spätantike, SHAW 1955, und die Zusammenfassungen in ders.: Vom römischen Recht, 2. Aufl., Stuttgart 1961, S. 222 ff., und in ders., Recht und Gesellschaft, S. 37 ff.; Max Kaser: Das römische Privatrecht, 2. Abschn.: Die nachklassischen Entwicklungen (Handb. d. Al ter turns wiss., X. Abt.: Rechtsgesch. d. Altertums, 3. Teil, 3. Bd., 2. Abschn.), München 1959, S. 13 ff.; ders.: Art. „Vulgarrecht“, in: Pauly-Wissowa: Realencyclopädie d. Class. Altertumswissenschaft 11/18, Stuttgart 1967, Sp. 1283 - 1304. 4 Vgl. vom Verf.: Art. „Norm“ in: Historisches Wörterbuch der Philosophie (hg. v. Joachim Ritter), Bd. IV, Basel / Stuttgart (erscheint demnächst). 5 Wieacker, Recht und Gesellschaft, S. 65 ff., 70 ff. 8 Vgl. dazu Günther Jahr: Litis contestatio. Streitbezeugung und Prozeß­ begründung im Legisaktionen- und im Formularverfahren (Forsch, z. röm. Recht 11), Köln/Graz 1960; Joseph Georg Wolf: Die litis contestatio im römischen Zivilprozeß (Freiburger Rechts- und Staatswiss. Abh. 28), Karls­ ruhe 1968; Rudolf Sohm: Die litis contestatio in ihrer Entwicklung vom frü­ hen Mittelalter bis zur Gegenwart, München u. Leipzig 1914; Max Kaser: Das römische Zivilprozeßrecht (Handb. d. Altertumswiss., X. Abt.: Rechts­ gesch. d. Altertums, 3. Teil, 4. Bd.), München 1966, S. 57 ff., 215 ff., 224 ff., 387 f., 482 ff. 7 Heumann / Seckel, Handlexikon, S. 292 f. 8 Siehe dazu Wieacker, Recht und Gesellschaft, S. 26, 56.

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3. Kap.: Rechtssprache in der Spätantike und im frühen Mittelalter

Zusammenhänge, hingewiesen — „wirkt er auf uns weit vertrauter als das hohe Kunstwerk des klassischen Formularprozesses“9. Es ist erstaunlich, wieviel von den angedeuteten Umformungen selbst noch unter dem engen Blickwinkel der Frage nach dem Gebrauch des Wortes repraesentare nebst Ableitungen sichtbar wird10. Damit sind natürlich nicht diejenigen Belege angesprochen, in denen die früher schon erwähnte abgeschliffene Bedeutung von Leistung begegnet11, sondern Texte, namentlich Kaiserkonstitutionen, wie diese konstantinische lex von 321, welche das Appellations- und Relations- oder Kon­ sultationsverfahren im Rahmen der zentralen kaiserlichen Gerichts­ barkeit betrifft12: Für das Verfahren der Anrufung des Kaisers — sei es im Wege der Relation durch den unschlüssigen Vorderrichter selbst, sei es infolge der Berufung der Parteien — wird der Streitstoff in tat­ sächlicher Hinsicht ein für allemal auf das beschränkt, was vor dem Vorderrichter bereits vorgetragen war. Nach Einleitung des Relationsbzw. Appellationsverfahrens dürfen die Parteien in ihren Stellung­ nahmen (refutationes, refutatorii libelli) also keine neuen Tatsachen mehr vortragen. Der Grund für diese — von der normalen Verfahrens­ gestaltung abweichende — Regelung liegt weniger in der in den Vor­ dergrund geschobenen Befürchtung prozeßtaktischer Manöver als viel­ mehr in dem Bestreben, die Maßgeblichkeit der durch Reskript getrof­ fenen Entscheidung im Interesse der Autorität des Kaisers zu sichern. Daneben handelt es sich darum, die Voraussetzungen für eine bürokra­ tische Erledigung dieser Angelegenheiten zu schaffen. Dementspre­ chend wird auch die Vorlage des gesamten Aktenmaterials ausdrücklich 9 Wieacker, Recht und Gesellschaft, S. 75. 10 Vgl. zum folg, in erster Linie wieder Schnorr von Carolsfeld, Re­ praesentatio, aaO (§ 3 N. 1) S. 110 ff. 11 Vgl. etwa Cod. Just. 4, 64, 7 (a. 294): Emptionem rebus fieri non posse pridem placuit. igitur cum frumenti certam modiationem Callimacho et Acamato te dedisse, ut tibi repraesentent olei designatum pondus adseveres, si placitis citra stipulationis sollemnitatem non exhibeant fidem, quantum dedisti, causa non secuta condicere pro desiderio tuo potes. — Cod. Just. 6, 1, 4 (a. 317): Quicumque fugitivum servum in domum vel in agrum inscio domino eius susceperit, eum cum pari alio vel viginti solidis reddat. Sin vero secundo vel tertio eum susceperit, praeter ipsum duos vel tres alios vel praedictam aestimationem pro unoquoque domino repraesentet. Siehe au­ ßerdem Schnorr von Carolsfeld, Repraesentatio, aaO (§ 3 N. 1) S. 111 f. In diesem Zusammenhang sind ferner Wendungen wie sacrificia repraesentare und gratiam repraesentare zu erwähnen; vgl. die von Julius Valerius stammende Übersetzung des Alexander-Romans aus konstantinischer Zeit: Res gestae Alexandri Macedonis translatae ex Aesopo graeco, rec. Bernhardus Kuebler, Lipsiae 1888, lib. II c. 25 (p. 88), lib. III c. 49 (p. 157); siehe auch (aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts) Hegesippi qui dicitur historiae libri V, rec. Vincentius Ussani (CSEL 66), Vindobonae / Lipsiae 1932, Nachdr. New York/London 1960, lib. I c. 41 n. 3 (S. 95): ... pro hospitii munere gratiam se lucis repraesentare ... 12 Dazu Kaser, Zivilprozeßrecht, S. 501 f., 509 f.; Wieacker, Recht und Gesellschaft, S. 72 f.

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angeordnet. Die Beachtung dieser Vorschriften schärft der Kaiser allen Richtern, insbesondere aber den höchsten unter ihnen ein, den „Hohei­ ten“ (sublimitates), welche ihn im Rechtsgang „repräsentieren“13. Be­ zeichnenderweise verwendet die kaiserliche Kanzlei für die vom Kaiser delegierte Gerichtshoheit der praefecti praetorio und ihrer DiözesanVikare, d. h. der Chefs der Zivilverwaltung in den im Zuge der Diokletianischen Reichsreform eingerichteten 4 Präfekturbezirken nebst ihren für die 12 Reichsdiözesen bestellten Stellvertretern (vicarii)14, die von Hause aus unjuristische, literarische Figur vicem alicuius repraesentare, ohne daß sie indessen zur technischen Bezeichnung für die auf Delega­ tion beruhende Stellvertretung würde. Das zeigt einmal die in demsel­ ben Zusammenhang, nämlich de officio vicarii, aus der Zeit der begin­ nenden germanischen Völkerwanderung begegnende, in ihrer spezi­ fischen Differenz gegenüber der runde 200 Jahre älteren severischen Formel von der „Repräsentation des Rechts“ durch die Provinzstatt­ halter markante Wendung reverentiam iudicationis (imperatorum) re­ praesentare15 sowie ein Gesetz aus dem Jahre 400, in dem hinsichtlich der Amtsgewalt der Provinzgouverneure (vollständige) Subdelegation auf die Legaten als Amtsmißbrauch mit hoher Strafe bedroht wird: Pravam licentiam iudicum his cancellis severitatis includimus, ut, si quis proconsulum vicem propriae potestatis in legatum suum velut ingratus nostro beneficio repraesentaverit, triginta librarum auri inla-

13 Cod. Th. 11, 30, 11 pr. (a. 321): Nemo in refutationem aliquid congerat, quod adserere intentione neglexerit. Quod quidem saepe fit industria, si, quod quis probari posse desperet, in praesenti disceptatione dissimulet, certus se esse revincendum, si commenticia et ficta suggesserit. Propter quod cogi etiam singulos oportebit ad proferenda in iudicio Universa, quae ad substantiam litigii proficere arbitrantur, atque ea ratione urgeri, ut sciant sibi ex auctoritate legis istius non Heere refutatoriis tale aliquid ingerere, quod aput iudicem non ausi fuerint publicare. Nam si plena, ut iubemus, adsertio per litigatorem in iudiciis exeratur et Integra instructio in consulti ordinem conferatur, stabit ratum ac fidele, quod iudicia nostra rescribserint neque ullus querimoniae locus dabitur nec occasio supplicandi, ut convelli labefactarique iubeamus quae ad relationem eius sanximus, qui neque vera neque Universa suggessit. Omnes igitur partium allegationes acta Universa scribturarumque exempla omnium dirigantur. Quod cum universes iudices tum praecipue sublimitatem tuam, qui cognitionibus nostram vicem repraesentas, servare conveniet, 14 J. N. Madvig: Die Verfassung und Verwaltung des römischen Staates, 1. Bd., Leipzig 1881, S. 585 ff.; Marquardt, Staatsverwaltung I, S. 231 ff.; Kaser, Zivilprozeßrecht, S. 427. Vgl. Rostovtzeff, Gesellschaft und Wirtschaft II, S. 219 ff.; v. Lübtow, Das römische Volk, S. 432 ff. 15 Cod. Th. 1, 15, 7 = Cod. Just. 1, 38, 1 (a. 377): In civilibus causis vicarios comitibus militum convenit anteferri, in militaribus negotiis comites vicariis anteponi, quotiensque societas in iudicando contigerit, priore loco vicarius ponder etur, comes adiunctus accedat: si quidem cum praefecturae meritum ceteris dignitatibus antestet, vicaria dignitas ipso nomine eius se trahere indicet portionem et sacrae cognitionis habeat potestatem et iudicationis nostrae soleat repraesentare reverentiam.

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tione multetur eademque condemnations legatus feriatur16. Zwar kommt auch hier wieder das vicem repraesentare vor, aber vicis ist im Gegensatz zu jenem konstantinischen Text hier äußeres Objekt.

Einen kleinen, aber nicht ganz unbedeutenden Schritt über diesen Sprachgebrauch hinaus scheint eine Textstelle zu tun, die sich in dem unter dem Namen „Hegesippus“ (Verbalhornung von losepos) laufen­ den Geschichtswerk findet. Es handelt sich um eine freie lateinische Be­ arbeitung des „Jüdischen Kriegs“ von Josephus Flavius aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, die, unter den Schriften des Ambrosius überliefert17, schon von alten Handschriften diesem Kirchenvater zuge­ schrieben wird18. Die fragliche Passage schildert folgende Situation: Vitellius ist geschlagen, und damit der letzte Mitbewerber um den Principat aus dem Spiel. Rom wartet auf den neuen Princeps Vespa­ sian, der als kaiserlicher Legat für den palästinensischen Krieg im Osten des Reichs im Felde steht. Andererseits ist in diesem Jüdischen Krieg nach langem vorsichtigen, schrittweisen Vorgehen nun nur noch der letzte Schlag gegen Jerusalem zu führen. So bricht Vespasian nach Rom auf, läßt aber seinen Sohn Titus als consors und successor seiner kriegerischen Unternehmungen und Pläne zurück: ut neque Romanis ipse deesset, nec Judaeis Vespasianus, quem filius repraesentaret19.

Ohne Zweifel soll hier im Verhältnis von Vater und Sohn eine Art von Stellvertretung zum Ausdruck gebracht werden. Dazu drängt sich, zumal wenn man die Zuschreibung des fraglichen Textes im Auge behält, die Erinnerung an die Wendung eines anderen Kirchenschrift­ stellers, Tertullians nämlich, auf, der den Gottessohn repraesentator des Vaters genannt hatte20. Zum ersten Mal wird hier, soweit wir wissen, repraesentare ausdrücklich mit dem Begriff der Nachfolge zu­ sammengebracht. Auf der anderen Seite ist nicht nur der ansonsten nicht weiter ungewöhnliche oder neuartige Gebrauch des Wortes re­ praesentare an anderen Stellen unserer Quelle zu bedenken21, sondern auch und vor allem bemerkenswert, daß der Ausdruck der Repräsen­ tation hier — und das im Unterschied zu der erinnerten Wendung bei 18 Cod. Th. 1,12, 8. 17 Siehe PL Bd. 15. 18 Vgl. oben N. 11 a. E.; dazu Bickel, Gesch. der röm. Literatur, S. 369. 19 aaO lib. IV c. 33 n. 2 (p. 292). 20 Siehe § 4 N. 3. 21 Vgl. unten N. 24; ferner lib. I c. 41 n. 8 (S. 98) mit der Wendung iudicium repraesentare; lib. Ill c. 1 n. 1 (S. 182): ... (Nero) qui turparet Oresten canendo et parricidio repraesentaret ...; lib. V c. 16 (S. 323 f.): non in multitudine populi sed in timore dei pater Abraham penetravit Aegyptum et cum abductae coniugis captivam videret pudicitiam, bello tarnen abstinuit, adsumit orationis piae arma, defensorem adhibuit qui dormientem evinceret et expugnato hoste intaminatam sibi coniugem repraesentaret. Lib. V c. 53 n. 1 (S. 409): (anima) instar quoddam divini muneris repraesentans, cum ingreditur vitam infundit, cum excedit corpore mortem operatur.

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Tertullian — dazu dient, die personale Zweiheit zu überspielen. Der Text betont die Fortdauer und Fortwirkung der durch den Sohn un­ selbständig vermittelten vespasianischen Strategie. So fährt der Hegesipp des Ambrosius denn ganz konsequent fort: Executor igitur paterni electus triumphi cum electa manu dirigitur Titus™.

Im übrigen hat „Repräsentation“ in diesem Stadium der Entwick­ lung vornehmlich den Sinn von „Gestellung“. Aliquem oder aliquid repraesentare heißt also jemanden oder etwas zur Stelle schaffen oder stellen — will sagen: aufbringen oder vorführen; medial se repraesen­ tare bedeutet dementsprechend: sich stellen, insbesondere: sich bei oder vor Gericht einfinden, sich dem Gericht stellen. Eines der Privilegien der Kanzleisekretäre und der sonstigen kaiser­ lichen Hofbeamten besteht nach einer Anordnung Konstantins darin, daß sie ihre Dienstpferde nicht selber stellen müssen: Si ex memorialibus vel ex palatinis nostris aliquis ad agendas curas rei publicae vel alterius officii fuerint destinatus, minime ab eo repraesentatio postuletur equorum22. Nur wenig älter ist die diokletianische prozeßrechtliche Regelung, wonach der Kläger einer actio in rem bei Säumnis des Be­

klagten trotz dreimaliger amtlicher Ladung wegen der Verletzung wenn auch nicht einer Einlassungs-, so doch seiner Erscheinungspflicht die Wahl hat zwischen dem Antrag auf einseitige Verhandlung mit anschließendem Versäumnisurteil und dem Antrag auf Einweisung in den Besitz der streitbefangenen Sache. Die zweitgenannte Möglichkeit ist die für das ältere römische Prozeßrecht typische Methode indirek­ ten Zwanges: der säumige Beklagte wird in die Rolle des Klägers ge­ drängt und so genötigt „sich zu repräsentieren“28. ... vocatus ad iudicium, berichtet die schon erwähnte ambrosianische Version des Bellum ludaicum von dem makkabäischen Aristokraten Aristobulos, 22 Cod. Th. 6, 35, 2. Es heißt dort weiter: Qui autem in palatio obsequia non praebuerunt, sed ex alio hominum genere sunt, equos sollemnes pro huiusmodi actu repraesentent. 28 Cod. Just. 7, 43, 8 (a. 290): Consentaneum iuri fuit temporibus ad praesentiam partis adversae praescriptis praesidem provinciae impleta iuris sollemnitate et adversario tuo trinis litteris vel uno pro omnibus peremptorio edicto, ut praesentiam sui faceret, commonefacto, si in eadem contumacia perseveravit, praesentis adlegationes audire. quod vel successor eius facere curabit, a quod ter citatus si contumaciter praesentiam sui facere neglexerit, non abs re erit vel ad cogendum eum, ut se repraesentaret, possessionem bonorum cui incumbit ad te transjerre et adversarium petitorem constituere, vel auditis defensionibus tuis id quod iuris ratio exegerit iudicare. Vgl. Cod. Just. 12, 7, 2, 3: Qui vero per quinquennium integrum se repraesentare cessaverint ... Siehe dazu Artur Steinwenter: Studien zum römischen Versäumnisverfahren, München 1914; Hugo Krüger: Das summa­ tim cognoscere und das klassische Recht, ZRG Rom. Abt. 45 (1925) S. 39 - 86 (75 f.); Leopold Wenger: Institutionen des römischen Zivilprozeßrechts, Mün­ chen 1925, S. 272; Kaser, Zivilprozeßrecht, S. 205 ff., 376 ff., 466.

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sese repraesentavit24. Repraesentatio alicuius ist demnach jemandes Erscheinen vor Gericht: In negotio criminali per rationalem colonos vel conductores rei privatae nostrae, quorum repraesentatio poscitur, exhibendos esse sinceritas tua cognoscat, in civili vero causa defensorem domus nostrae adesse deb er e25. Schließlich zwei Belege für die Wen­ dung aliquem repraesentare: Der eine gibt einen Einblick in den Zu­

stand der Rechtsverwaltung zu Beginn der Völkerwanderungszeit. Die Konstitution aus dem Jahre 399 sucht der Ausplünderung der Domänen zu begegnen. Mit gutem Grund, wie es scheint, werden die zuständigen Verwaltungsbeamten haftbar gemacht für die Verbindlichkeiten Flüch­ tiger, sofern es ihnen nicht gelingt, diese bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zur Stelle zu schaffen, zu „repräsentieren“, wobei den Beam­ ten nicht ohne einen gewissen Sarkasmus der Rückgriffsanspruch gegen die Flüchtigen ausdrücklich vorbehalten wird26. Es handelt sich hier mit anderen Worten um die eigentümliche Einrichtung einer Art von Ge­ stellungsbürgschaft von Amts wegen kraft Gesetzes. Um diese beson­ dere Erscheinungsform von fideiussio27, bei der der Bürge eigentlich weder an Stelle des Schuldners noch für dessen Verbindlichkeit haftet noch eine eigene, subsidiäre Verbindlichkeit übernimmt, sondern dafür einsteht, daß der in Anspruch Genommene sich zu bestimmter Zeit an 24 Hegesipp lib. I c. 15 n. 2 (aaO S. 23); cf. ibid. lib. IV c. 1 n. 5 (S. 241): centurio quoque cum decem aliis Syris rem egregiam fecit ac memorabilem. nam in ipso tumultu cum Romanos urgeri cerneret, in abdita cuiusdam domus sese contulit atque ibi inter cenandum cum Judaei conloquerentur, quae Romanis machinati forent, nocte intempesta omnes eos interfecit et cum militibus Romano sese exercitui repraesentavit. 25 Cod. Th. 10, 4, 3 (um 370). rationalis rei privatae ist der Verwalter des kaiserlichen Krongutes, defensor domus der Justitiar des kaiserlichen Privat­ vermögens. Vgl. dazu Rudolf His: Die Domänen der römischen Kaiserzeit, Leipzig 1896; Otto Hirschfeld: Die kaiserlichen Verwaltungsbeamten bis auf Diocletian (2. Aufl. der Untersuchungen auf dem Gebiete der roemischen Verwaltungsgeschichte), Berlin 1905, S. 35 ff., 46 f., 121 ff. 26 Cod. Th. 10, 1, 16: Omnium praediorum, quae rei nostrae adgregata sunt, in diversis speciebus maxima pars passim ab inprobis direpta est. Et quamvis secundum iuris ordinem ea, quae erepta sunt, in quadruplum oportuerit postulari, clementiae tarnen nostrae moderationem secuti decernimus ex die, ex quo iussio nostra fuerit celebrata, cessantibus frustratoriis defensionibus, quibus in exactorum personam refertur commissa direptio, intra tres menses ea tantum quae constiterit pervasa restitui. Quod si quispiam ingratus nostro beneficio solutionem distulerit, in dupli poena teneatur obnoxius. Qua condicione eos quoque volumus adstringi, qui in fugam versi esse dicuntur, ut, nisi intra constitutum tempus quae sunt direpta reddantur, ut ad modum dupli rei nostrae eorum praedia vindicentur. Officia quoque iudicum diversorum, si non exactor es et conpulsores, quorum direptio arguitur, repraesentaverint tempore superius constitute, eadem poena retinebit, ipsis adversus fugientes actione servata. Iudicum quoque segnitiam in hac parte gravissima multa feriendam esse censemus. 27 Hierzu u. zum folg.: Paul Jörs / Wolfgang Kunkel / Leopold Wenger: Römisches Privatrecht, 3. Aufl., Berlin/Göttingen/Heidelberg 1949, S. 212 ff.; Levy, Weströmisches Vulgarrecht, S. 57; Max Kaser: Römisches Privatrecht, 5. Aufl., München u. Berlin 1966, S. 212 ff.; ders.: Das röm. Privatrecht I, S. 555 ff.; ders.: Das röm. Privatrecht II, S. 330 ff.

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bestimmtem Ort der Rechtsverfolgung stellt, geht es in zwei Konstitu­ tionen Kaiser Justinians von 530 bzw. 53128. Es heißt da: ... si quis pro alio spoponderit, quatenus eum intra certum tempus tradat vel certam quantitatem pecuniarum pro eo inferat, et tempore statute iam effluente non poterit eum repraesentare ... Eine Besonderheit der Be­

handlung der Gestellungsbürgschaft besteht darin, daß für diese Ver­ bürgung ausnahmsweise keine Schriftform verlangt wird. In diesem Zusammenhang ist von den „Bürgen in Betreff der Repräsentation von Personen“ die Rede: ... nisi confessio litteris exposita fuerit a fideiussoribus ex repraesentatione personarum ...

„Repräsentation“ bedeutet in den hier betrachteten Zusammenhän­ gen mithin niemals bloße Vor- und Darstellung noch auch andererseits in irgendeinem Sinne Vertretung, sondern allemal wirkliche, tatsäch­ liche Vergegenwärtigung. Zwar liegt die Differenz zwischen dem medialen Sinn von Tertullians berühmter repraesentatio totius nominis Christiani und dem transitiven der etwas weniger bekannten Justinia­ nischen repraesentatio personarum auf der Hand; gleichwohl bedeuten beide Formulierungen — abgesetzt gegen alle Imaginationen und Fik­ tionen — reale Anwesenheit. Wirkliche und nicht nur vorstellungs- oder vertretungsweise Ver­ gegenwärtigung ist auch in dem folgenden Dokument gemeint, obzwar bemerkenswerterweise von der Bevollmächtigung eines Vertreters die Rede ist: Valde necessarium esse perspeximus, ut sicut decessorum fuit iudicium, ita uni eidemque personae omnia committamus, et ubi nos presentes esse non possumus, nostra per eum, cui precipimus, represen-

tetur auctoritas. So schreibt in einem seiner vielen Briefe der erste Gregor, der große Mönchspapst29. Zu beachten ist: Nicht der Papst soll — vertretungsweise — repräsentiert, sondern seine Autorität zur Gel­ tung gebracht werden. Ungeachtet der verschiedenen Hintergrund­ schattierungen und bei aller Besonderheit des jeweiligen Kontextes hält sich offenbar von der „Repräsentation des Rechts“ durch einen severischen Provinzstatthalter über die „Repräsentation des Anspruchs auf ehrfürchtige Achtung der kaiserlichen Gerichtsgewalt“ durch die Oberbeamten zu Zeiten der beginnenden germanischen Völkerwande­ rung bis hin zur „Repräsentation der Autorität“ des römischen Bischofs durch einen päpstlichen Gesandten an der Wende des 6. zum 7. Jahr­ hundert derselbe Sprachsinn durch. Hier bahnt sich freilich zugleich eine Bedeutungsentwicklung an, die zum Begriff der Repräsentation als Vermittelung führt. 28 Cod. Just. 8, 40, 26 pr. bzw. 8, 40, 27, 1. 29 Der Brief ist in das Deeretum Gratiani aufgenommen (c. 1 D. 94). Vgl. dazu Hieronymus Karl Luxardo: Das päpstliche Vordecretalen-Gesandtschaftsrecht, Innsbruck 1878.

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§ 9. Die germanischen Volksrechte

Die germanischen Volksrechte der fränkischen Zeit bewahren in ihrer Verwendung des Wortes repraesentare die prozeßrechtliche Be­ deutung der Gestellung. Sowohl des Westgotenkönigs Rekeswind (649 - 672) Liber iudiciorum von 654 wie die fränkische Lex Ribuaria verwenden repraesentare mehrfach in verfahrensrechtlichem Zusam­ menhang statt praesentare oder aliquem praesentem facere. Der später Lex Visigothorum (Reccesvindiana) genannte Liber iudiciorum steht in einer ganzen Reihe westgotischer Kodifikationen, die mit dem Gesetz­ buch des Königs Eurich, der ältesten uns (bruchstückhaft) erhaltenen Aufzeichnung germanischen Rechts überhaupt, ihren Anfang genom­ men hatte1. Rekeswinds römisch-rechtlich beeinflußte Kodifikation, welche erstmals einheitliches Reichsrecht für Goten und Römer schafft, folgt mit ihrer Einteilung in Bücher, Titel und Kapitel dem Vorbild der kaiserlichen Konstitutionensammlungen. In den strafprozessualen Bestimmungen des 1. Titels (de accusationibus criminum) des 6. Buches, welches (freilich keineswegs abschließend) iscelera et tormenta behan­ delt, ist (c. 1) die Rede von der Pflicht des Herrn, seinen eines Verbre­ chens beschuldigten Knecht dem Gericht zu stellen: in iudicio presentare2. In demselben Sinn begegnet praesentare etwa auch im 20. Kapitel des 2. Titels im 7. Buch, wo im Zusammenhang mit den Diebstahls­ fällen zusätzlich die Gefangenenbefreiung mit Strafe bedroht wird. Dort erscheint auch repraesentare, und zwar — wie es scheint — ganz wörtlich im Sinn von Rückstellung des Befreiten: Si quis furem captum aut reum alicui excusserit ... C flagella suscipiat et quem excussit representare cogatur3. Doch zeigt eine Reihe von Belegstellen, daß repraesentare und praesentare durchaus gleichbedeutend verwendet werden: In dem eben erwähnten Abschnitt kehrt die Wendung „den Befreiten zurückstellen“ nämlich noch einmal wieder; der Text schließt dann aber an: Quem si non presentaverit .. .4. In dieselbe Richtung deu­ tet eine Passage des 1. Titels des 9. Buches, in dem bei der Behandlung der Personenhehlerei (De fugitivis et occultatoribus fugamque preven1 Vgl. Karl Zeumer: Geschichte der westgothischen Gesetzgebung, NA 23 (1898) S. 419 - 516; 24 (1899) S. 39 - 122, S. 571 - 630; 26 (1901) S. 91 - 149; Wil­ helm Ebel: Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland, Göttingen 1958, S. 30 ff.; Claudius Freiherr von Schwerin / Hans Thieme: Grundzüge der deut­ schen Rechtsgeschichte, Berlin u. München 1950, S. 51 ff.; Hermann Conrad: Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. I, Karlsruhe 1954, S. 179 ff.; Hans Fehr: Deutsche Rechtsgeschichte, 6. Aufl., Berlin 1962, S. 64 ff. 2 Eugen Wohlhaupter (Hg.): Gesetze der Westgoten (Germanenrechte. Texte und Übersetzungen — Schriften d. Ak. f. Dtsch. Recht V/ll), Weimar 1936, S. 152. 3 Ebd. S. 182. Vgl. innerhalb desselben Titels c. 22 (ebd. S. 184) sowie Lex Vis. 9, 1, 17 u. 18 (ebd. S. 262). 4 Ebd. S. 184.

§ 9. Die germanischen Volksrechte

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tibus) des Falles gedacht wird, daß jemand einen Flüchtigen aus Menschlichkeit aufnimmt, und wo bei der diesbezüglichen Anordnung der Rückgabe oder Ersatzleistung repraesentare und reddere gleichge­ setzt werden, reddere aber eindeutig nur „leisten“ oder „geben“ und nicht „zurückgeben“ bedeutet: Et aput quem novissime venit, aut representit qui fugit, aut paris meriti servum domino reddat5. Diese Gleichsetzung von repraesentare und reddere bei abgeschliffener Prä­ fix-Bedeutung ist ja schon seit der späteren Kaiserzeit geläufig. Umge­ kehrt wird dann auch praesentare verwendet, wo „zurückstellen“ ge­ meint ist6. Und schließlich begegnet in einem Gesetz Rekareds (586 - 601) — die bisher erwähnten Texte stammen alle aus der ältesten Schicht des schon bis zu Rekareds Vater Leowigild fixierten, zunächst nur für die Goten geltenden Rechts — die vorhin zitierte Formel in iudicio presentare in der Form in iudicio representare1. In ganz ähnlichem Zu­ sammenhang, nämlich im Rahmen der Bestimmungen über die Verfol­ gung eines des Diebstahls beschuldigten Knechtes, verwendet auch die Lex Salica das Wort repraesentare im Sinne von „vor Gericht stellen“8. Ganz entsprechend heißt es in der Lex Ribuaria — welche wahrschein­ lich nicht das Volksrecht eines besonderen fränkischen Stammes der Ribwaren (Rheinfranken), sondern eine Neuauflage der Lex Salica für Austrasien aus der Zeit Karlmanns (741 - 747) ist9 — se ante rege repraesentare: sich vor dem König (zum Zweikampf) stellen10. Vor allem sind hier indessen die Titel 30 bis 32 der Lex Ribuaria anzufüh­ ren, welche — wiederum wesentlich verfahrensrechtlichen Inhalts — vom Rechtsgang gegen einen Knecht, gegen einen Freien unter Vor­ mundschaft sowie allgemein von der Ladung handeln. In tit. 32 (De manire) begegnet uns unter § 4 wieder die Gestellungsbürgschaft, diesmal in germanischer Einkleidung: Wenn jemand trotz ordnungsgemäßer 5 Lex Vis. 9, 1, 4 (ebd. S. 254). 6 Vgl. Lex Vis. 9, 1, 13 (ebd. S. 260). 7 Lex Vis. 12, 1, 2 (Karl Zeumer, Ed.: Leges Visigothorum — MGH. Legum Sectio I. Legum Nationum Germanicarum Tom. I — Hannoverae et Lipsiae 1902, p. 297): Sed si privatus cum servis fisci nostri habuerit causationem, actor vel procurator commonitus in iudicio rectoris provincie vel iudicis territorii, ubi causa fuerit intromissa, suum representet minorem, ut discusso negotio districtione legali uniuscuiusque emendetur excessus. 8 Tit. 42 §§ 12 u. 14 (Karl August Eckhardt, Hg.: Die Gesetze des Karolin­ gerreiches 714-911, in der Reihe: Germanenrechte. Texte und Übersetzun­ gen — Schriften d. Ak. f. Dtsch. Recht V, 2/1: Salische und ribuarische Fran­ ken, Weimar 1934, S. 62). Siehe dazu auch tit. 61 (ebd. S. 92), wo statt dessen in gleicher Bedeutung presentem facere gesagt wird. 9 Vgl. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, S. 184 mit weiteren Nachweisen und die oben in N. 1 angegebene Literatur. 10 Tit. 59 § 4 (aaO — N. 8 — S. 178). Die Lex Alamannorum hat in tit. 36 § 4 dafür se praesentare (Karl August Eckhardt, Hg.: Die Gesetze des Karo­ lingerreiches etc., Schriften d. Ak. f. Dtsch. Recht V, 2/II: Alemannen und Bayern, Weimar 1934, S. 24).

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3. Kap.: Rechtssprache in der Spätantike und im frühen Mittelalter

Ladung durch den Gegner auch zum 7. Gerichtstermin nicht erschienen ist und sich zudem der Beitreibung der verwirkten Bußgelder wider­ setzt: tune iudex fideiussores ei exigat, ut se ante regem repraesentit, et ibidem cum arma sua contra contrarium suum re studeat defensare11, und in den Titeln 30 und 31 (De servo repraesentando bzw. De homine ingenuo repraesentando) kommt die Wendung aliquem repraesentare

in der Bedeutung von: „jemanden zur Rechtsverfolgung stellen“ gleich mehr als ein halbdutzendmal vor12. Noch um 1100, an der Schwelle zu einer neuen, durch das „Wunder von Bologna“ inaugurierten Epoche der europäischen Rechtsgeschichte, übersetzt man in England ein Gesetz des Angelsachsenkönigs Aethel­ stans (des Schwagers Ottos des Großen), wo es um gerichtliche Gestel­ lung geht, ganz selbstverständlich mit repraesentare13, Repraesentare aliquem juditio ist bei Behandlung der Gestellungsbürgschaft im Zu­ sammenhang der Stipulationslehre die Formel auch im ordo judiciarius eines namentlich nicht bekannten Kanonisten, der zwischen 1170 und 1180 in Paris schreibt14. Für den korrespondierenden Ausdruck „sich repräsentieren“ bietet vor allem die im 13. Jahrhundert reich aufblü­ hende kanonistische Prozeßrechtsliteratur nebst den der Beurkun­ dungskunst gewidmeten Formularbüchern15 eine Anzahl von Belegen16. Per se vel procuratorem legitimum se repraesentare schreibt etwa Gratia Aretinus aus Arezzo im tit. 4 (de citationibus) seiner Summa de iudiciario ordine aus der Zeit Innocenz’ IV. gleichbedeutend mit se coram iudice praesentare11, wobei die — auch anderwärts begegnende — 11 aaO — N. 8 — S. 152. 12 aaO — N. 8 — S. 150. 15 F. Liebermann (Hg.): Die Gesetze der Angelsachsen, Bd. 1, Halle a. S. 1903, S. 155: si quis non hebens terram serviat in alio comitatu et ad cognatos suos quandoque redeat, qui eum in ipso reditu (ipsa visitatione), firmabit, eum ad rectum (ius) publicum represented si ibi forisfaciat, vel emendet pro eo. Vgl. dazu Bd. 3 (1916) S. 308 ff. 14 Carl Gross (Hg.): Incerti auctoris ordo judiciarius, pars summae legum et tractatus de praescriptione, Innsbruck 1870, S. 203. 15 Über diese Literaturgattung Moritz August von Bethmann-Hollweg: Der germanisch-romanische Civilprozeß im Mittelalter, 3. Bd.: Vom zwölften bis fünfzehnten Jahrhundert (Der Civilprozeß des gemeinen Rechts in geschichtl. Entwicklung VI/1), Bonn 1874, S. 159 ff. 18 Natürlich begegnet die fragliche Wendung auch in den Urkunden selbst. Eine Veroneser Urkunde von 1238 bietet ein Beispiel: ... Zalterius notarius pro se et fratribus et suo patre coram dicto d. Sedoerio (sc. potestati Tridenti) se representavit ... Zit. nach Julius Ficker: Urkunden zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens (Forschungen zur Reichs- u. Rechtsgesch. Italiens 4), Innsbruck 1874, S. 388 f. (389). 17 Gratiae Aretini summa de iudiciario ordine, in: Fridericus Bergmann (Ed.): Pillii, Tancredi, Gratiae libri de iudiciorum ordine, Göttingen 1842, S. 317 - 384 (334, 327). Siehe dazu Friedrich Carl von Savigny: Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter, 5. Bd.: Das dreyzehente Jahrhundert, Heidelberg 1829, S. 146 ff., und Bethmann-Hollweg, Civilprozeß im Mittelalter III, S. 131 ff. — Vgl. auch die Summa des Magister Aegidius, ebenfalls

§ 9. Die germanischen Volksrechte

113

Formulierung „sich durch einen Vertreter repräsentieren“ auffällt18. Das Erscheinen der Parteien vor Gericht und das Auftreten ihrer Stellvertreter behandelt er demgemäß in den tit. 6 und 8 unter den StichWorten praesentatio oder repraesentatio partium (actoris, rei) und repraesentatio procuratoris (Syndici). Das alles sind, wie gesagt, stets subjektive und nicht objektive Genitive. Von der repraesentatio rei — einer also ebenfalls ganz und gar intransitiven Repräsentation — spricht auch Aegidius de Fuscarariis, der erste Bologneser Laien­ dekretist, in seinem großen, praxisnahen, einst hoch angesehenen und weit verbreiteten Or do iudiciarius aus den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts: ... repraesentet se reus cor am iudice et de repraesenta­ tione faciat fieri instrumentum .. .19. Daneben ist repraesentatio, im Wechsel mit praesentatio gebraucht, für die öffentlich zu beurkundende Vorlage prozeßwesentlicher Urkunden bei Gericht geläufig. Diese re­ praesentatio literarum spielt vornehmlich, wenn auch nicht ausschließ­ lich, im außerordentlichen Reskriptprozeß vor dem auf Impetration delegierten päpstlichen Richter statt dem Ordinarius bezüglich der kurialen literae eine Rolle. Gratia Aretinus etwa schreibt im tit. de iudice adeundo seiner Summe betreffend die literae apostolicae: His igitur inspectis statim iudex praecipere debet notario, quod de reprae­ sentatione literarum notarius publicum conficiat instrumentum; aut ipsarum praesentatio in acta publica redigatur per duos idoneos viros20.

aus der Zeit Innocenz’ IV., bei Ludwig Wahrmund (Hg.): Quellen zur Ge­ schichte des römisch-kanonischen Prozesses im Mittelalter, 1/1, Innsbruck 1906, S. 4. Siehe ferner Johann von Bologna: Summa notarie de hiis que in foro ecclesiastico coram quibuscumque iudicibus occurrunt notariis conscribenda, in: Ludwig Rockinger (Hg.): Briefsteller und formelbücher des eilften bis vierzehnten jahrhunderts, 2. abth. (Quellen u. Erörterungen z. bayer. u. deutsch. Gesch. IX/2), München 1864, S. 593 - 712 (694). Dieses dem Erzbischof Johann Peckam von Canterbury gewidmete, gegen Ende des 13. Jahrhunderts entstandene Buch enthält u. a. mehrere Appelationsüberweisungsformulare, die zum Schluß die Setzung einer Frist vorsehen, innerhalb deren der Beschwerdeführer per se vel procuratorem ydoneum ad causam ipsam sufficienter instructum ... se conspectui (sc. des Metropoliten oder des Papstes) repraesentet... Vgl. noch ebd. S. 695 f. 18 Gratia Aretinus, Summa de iudiciario ordine, S. 338, 349 f. 19 Ludwig Wahrmund (Hg.): Quellen zur Geschichte des römisch-kanoni­ schen Prozesses im Mittelalter, III/l, Innsbruck 1916, S. 31, S. 18. Wahrmund weist 78 Handschriften nach! 20 aaO (N. 17) S. 326. Vgl. c. 2 im Ordo iudiciarius des Aegidius de Fuscara­ riis (Wahrmund, Quellen III/l, S. 2ff.); siehe ferner die Summe des KurienAdvokaten z. Zt. Innocenz’ IV. Bona guida de Aretio, part. I Tit. 3 (Summa introductoria super officio advocationis in foro ecclesiae, bei Agathon Wunderlich: Anecdota quae processum civilem spectant, Gottingae 1841, S. 121 -345 [164]): Sit cantus advocatus actoris ..., cum litteras generales impetravit a curia Romana, quod ipsas judici vel judicibus, ad quos sunt impetratae, praesentet praesentibus testibus et notario, et de repraesen­ tatione faciat publicum instrumentum, et tenor em ipsarum litterarum et libelli inseri faciat in citatorio edicto. Per hoc est perpetua jurisdictio, ut aliae litterae, non facientes mentionem de his, impetrari non possint super 8 Hofmann

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Kap.: Rechtssprache in der Spätantike und im frühen Mittelalter

Was nun noch einmal den Ausdruck der Selbst-Repräsentation anlangt, so ist er übrigens natürlich nicht auf das Erscheinen der Prozeßbetei­ ligten vor Gericht beschränkt. Er bezeichnet zum Beispiel auch das Sich-Einfinden von Klerikern zu irgendwelchen Amtshandlungen21. Hierzu noch ein weiterer recht charakteristischer Beleg aus vergleichs­ weise später Zeit, nämlich von 1338, aus dem Jahr des Kurvereins von Rense also: In Rense waren — cum non esset diffinitum, quis eorum comes esse debeat vocem habens — nicht weniger als vier Pfalzgrafen zugelassen worden: Rudolph, dessen jüngerer Bruder Rupert sowie zwei Vettern namens Rupert und Stephan. Das Renser Weistum — in veränderter Fassung von Ludwig dem Bayern kurz darauf in Frankfurt als Kaisergesetz Licet juris verkündet — nennt sie representantes comitem palatinum22. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die vier Prätendenten den stimmberechtigten Pfalzgrafen vertreten, sondern daß sie alle zusammen (vorläufig) dessen Platz einnehmen und gemein­ sam dessen Rolle spielen, dessen Funktion erfüllen. Mag hier auch der mittlerweile für „Darstellung“ geläufige Sprachgebrauch Pate gestan­ den haben, so liegt der Akzent sachlich doch darauf, daß infolge tatsäch­ licher Anwesenheit aller Bewerber auch die fragliche Kurstimme unter allen Umständen mitgewirkt hat Bemerkenswert ist immerhin, daß und wie die in Rede stehende Wendung in zwei nur wenig später da­ tierten Koblenzer Notariatsinstrumenten geradezu übersetzt erscheint: Die Einleitungsformeln erwähnen wiederum (cum nondum discussum fuerit, quis eorum vocem in electione ... habere et ea frui deberet vel posset) die Anwesenheit mehrerer, diesmal zweier Prätendenten der pfalzgräflichen Kurwürde. Aber statt comitem palatinum representan­ tes heißen sie in diesen notariellen Urkunden pro comite Palatino Reni se ambos representantes, nicht „Repräsentanten“ des Pfalzgrafen also,

sondern solche, die sich an Stelle des Pfalzgrafen bei Rhein eingefunden haben28. Zu gedenken ist schließlich noch einmal der besprochenen prozessualistischen Verwendung des Wortes Repräsentation, und zwar in einer besonderen Ausprägung, die vielleicht als ältester technischer Wortgebrauch gelten darf. Ich meine die Formel tempus repraesentationis. personis vel rebus jam expressis, extra de rescriptis. — Zum kanonischen Reskriptprozeß Bethmann-Hollweg, Civilprozeß im Mittelalter, S. 75, 125 ff. Vgl. dazu Erwin Jacobi: Der Prozeß im Deeretum Gratiani und bei den ältesten Dekretisten, ZRG 34 Kan. Abt. 3 (1913) S. 223 - 343 (239). 21 Vgl. die Statuten des Stiftkapitels von Longuyon v. 6. 2.1296 sub n. 2 (Edmund E. Stengel: Nova Alamanniae — Urkunden, Briefe und andere Quellen besonders zur deutschen Geschichte des 14. Jahrhunderts, 1. Hälfte, Berlin 1921, S. 12 - 14 [13]). 22 Karl Zeumer: Ludwigs des Bayern Königswahlgesetz ,Licet iuris* vom 6. August 1338. Mit einer Beilage. Das Renser Weisthum vom 16. Juli 1338, NA 30 (1905) S. 85 - 112 (111).

§ 9. Die germanischen Volksrechte

115

Mit ihr hat es folgende Bewandtnis: Im Anschluß an das Dekretale c. 11 X. II, 19, worin unter dem Gesichtspunkt der Schriftlichkeit des Verfahrens und also der Notwendigkeit öffentlicher Beurkundungen alle möglichen Prozeßhandlungen aufgeführt werden, entwarf man ein Schema der Abfolge der verschiedenen Verfahrensabschnitte. Mit tempus ist hier sonach eine je bestimmte Phase des Rechtsganges ge­ meint. Die anonym überlieferte, einem Magister artium namens Arnulphus aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zuzuschreibende populäre Summa minorum zählt auf: Primum est ante citationem. Secundum est tempus citationis. Tertium est repraesentationis partium coram iudice. Quartum proponendarum exceptionum dilatoriarum. Etc. bis: Decimum tempus sententiae diffinitivae24. Der u. a. diese Summa minorum aus­ schreibende Martinus de Fano26 handelt im Ordo iudiciorum um 1260 vom tertium (tempus) repraesentationis folgendermaßen: Circa tempus repraesentationis considerantur duo; aut venit reus et non actor aut uterque .. .28. Und: tertium est tempus repraesentationis, lehrt gegen

die Mitte des 14. Jahrhunderts auch noch der große Bartolus27. In die­ sem Kontext formelhafter Verkürzungen bedeutet Repräsentation den „Auftritt“ der Parteien genau so, wie das Wort anderwärts den Auf­ tritt dramatischer Figuren bezeichnet28. Steht ja auch ordo nicht allein für den Rechtsgang, sondern auch für liturgisches Spiel, für Drama29 wie — das bleibt hinzuzusetzen — für den Meß-Vorgang.

28 Koblenzer Notariatsinstrument über 5 von Kaiser Ludwig verkündete Gesetze betreffs Wirkung der Königs wähl, Heerfolge, Straßenraub, Fehde­ ansage und Schutz von Boten des Reiches vom 5. 9.1338 — Stengel, Nova Alamanniae, S. 370-375 (371 sub n. 1): ... dominus Ludewicus ... una cum reverendis ... Bald (ewino) Trev (erensis) [et] Henr(ico) Mogunt(iensis) ecclesiarum archiepiscopis necnon illustribus et preclaris dominis Rudolpho et Ruperto pro comite Palatino Reni se ambos representantibus, cum nondum discussum fuerit, quis eorum vocem in electione ratione dicti comitatus habere et ea frui deberet vel posset ... Ebenso das gleichzeitige Koblenzer Notariatsinstrument über Ludwigs Erklärung betreffend die Möglichkeit der Aussöhnung mit der römischen Kurie ebd. S. 375 - 378 (375). 24 Ludwig Wahrmund (Hg.): Quellen zur Geschichte des römisch-kanoni­ schen Prozesses im Mittelalter, 1/2, Innsbruck 1905, S. 1. Vgl. S. 8 Rubr. IV: De tempore praesentationis coram iudice. Circa tempus repraesentationis partium coram iudice not emus tria, quia aut venit reus et non actor, aut actor et non reus aut uterque. 25 Vgl. Savigny, Gesch. des röm. Rechts im MA V, S. 487 ff. 26 L. Wahrmund (Hg.): Quellen zur Gesch. des röm.-kan. Prozesses im MA, 1/7, Innsbruck 1906, S. 2, 5. 27 Bartolus de Saxoferrato: Tractatus de ordine judiciorum (ed. Gustav Adolph Martin), Jena 1826, S. 16. 28 Hier ist noch einmal auf die Abhandlung Erwin Wolffs über die Termi­ nologie des mittelalterlichen Dramas (§ 5 N. 36) hinzuweisen. 29 Erwin Wolff ebd. S. 1. 8*

Zweiter Teil

Der Ausdruck ,Repräsentation* in der juristischen, ekklesiologischen und politischen Terminologie des späten Mittelalters und der Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert 4. Kapitel

Repräsentation und Stellvertretung § 10. Vorbemerkung Die Frage nach dem Terminus Repräsentation in der kanonistischen, legistischen und publizistischen Literatur des Mittelalters zielt in erster Linie darauf, diejenigen Zusammenhänge herauszupräparieren, aus denen oder in denen dem Wort repraesentare samt den zugehörigen Ableitungen die Bedeutung der Stellvertretung zugewachsen ist. Mit der Thematisierung dieser Frage ist notwendig eine gewisse Einengung des Blickfeldes verbunden. Selbstredend soll damit aber nicht behaup­ tet werden, unsere Vokabel habe außerhalb des hier ins Licht gerückten Bereichs keine Rolle mehr gespielt oder sei in anderer Bedeutung gar ausgestorben. Es darf an den Kontrapunkt der im ersten Abschnitt des zweiten Kapitels (§ 5) behandelten theologischen Fachsprache erinnert werden, die in dem fraglichen Punkt sogar sehr wirkungsmächtig — wie sich gezeigt hat — die moderne erkenntnistheoretische Terminolo­ gie präformiert hat, indem sie den Gedanken abbildlicher Vergegen­ wärtigung entfaltete. Doch auch der semantische Gegenpol, wie er sich im Gebrauch des Wortes für Leistung, Barzahlung und Gestellung oder Vorführung manifestiert, verschwindet — wenngleich er sehr zurück­ tritt — keineswegs vollständig. Das Göckelsche Lexikon von 1613 etwa — wir sprachen davon1 — erinnert diesen Sprachgebrauch durchaus noch wie auch den typischen Ausdruck se repraesentare, wobei kein Anlaß zu der Annahme besteht, es handele sich hierbei bloß um die Darbietung humanistischer Lesefrüchte, um die neuzeitliche Wieder­ 1 Vgl. oben § 7 eingangs. Siehe dazu ferner Johann Heinrich Zedlers „Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschaften und Künste“, 31. Bd., Leipzig und Halle 1742, Sp. 648 - 650, wo u. a. auch noch die Wendun­ gen repraesentare aliquem in judicio, repraesentare jus und repraesentatio pecuniae („heist in denen Rechten die baare Zahlung oder gerichtliche Vor­ zeigung des Geldes“) aufgeführt sind.

§ 10. Vorbemerkung

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entdeckung antiker Redeweisen. Hat doch die Wendung aliquem re­ praesentare, deren Gebrauch wir von der Spätantike bis hinein in die frühe Kanonistik verfolgt haben, noch in der Kirchenrechtswissenschaft des 13. Jahrhunderts eine gleichsinnige neue technische Verwendung erfahren: Patrono debetur honor, schreibt der berühmte Dekretalist Hostiensis (Henricus a Segusia, Kardinal von Ostia, t 1271) in seiner Aurea Summa super titulis decretalium2, qui consistit in repraesenta­ tione ... ad praebendas3. Und weiter: nullus instituendus est, nisi repraesentetur a patrono, ... sine repraesentatione patroni4. Unter dem Namen der Repräsentation wird hier als Hauptbestandteil der einzel­ nen Patronatsbefugnisse, zu denen das germanische Eigenkirchenrecht mittlerweile zerfallen war6, das Präsentationsrecht des Kirchenpatrons gegenüber den kollationsberechtigten kirchlichen Amtsträgern vorge­ führt6. In dem dem Patronatsrecht gewidmeten Titel des 3. Buches der Dekretalensammlung Gregors IX. von 1234 kommt repraesentare in dieser Funktion übrigens nur ganz vereinzelt vor (c. 3 und c. 10); die große Mehrzahl der Texte hat praesentare und praesentatio. In einer in mehrfacher Hinsicht sehr bemerkenswerten Weise be­ zeugt — bei allen zeitbedingten Nuancierungen — die Kontinuität der fraglichen juristischen Ausdrucksweisen des weiteren gerade das Rechtslexikon des ersten bedeutenden Reformationsjuristen Johann Oldendorp7. Da werden — teilweise mit dem Versuch der Abstützung 2 Ich benutze einen Venezianer Druck von 1605. 8 Lib. III tit. De Jure patronatus n. 3 (Quid competat patrono) — aaO col. 1156. 4 Ebd. — aaO col. 1156 sq. Vgl. ferner nn. 8-12 (coli. 1159- 1162): Illud autem dubium non est, quod per repraesentationem acquiritur ius repraesentato ... Ubi ergo verus patronus laicus repraesentat, nec postea variat, habet repraesentatus hoc ius ... ubi autem variat et secundus admittitur, tunc nullum ius habet primo repraesentatus ... Illud autem omittenda non est, quod nullus seipsum repraesentare potest ...; quia inter repraesentatum et repraesentantem debet esse differentia. 5 Siehe dazu Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, S. 395 ff.; Paul Thomas: Le Droit de Propriete des Laiques sur les Eglises et le Patronage Laique au Moyen Age (Bibliothdque de TEcole des Hautes Etudes — Sciences Religieuses 19), Paris 1906, bes. S. 107 ff.; Ludwig Wahrmund: Das Kirchen­ patronatsrecht und seine Entwicklung in Oesterreich, I. Abt.: Die kirchliche Rechtsentwicklung, Wien 1894, S. 92 ff. 8 Vgl. etwa auch Concilium incerti loci, sed in Hispania post annum 1215 celebratum, in: Edmund Martene / Ursinus Durand: Thesaurus novus anecdotorum, tom. IV, Paris 1717, col. 169: Praecipimus ne quis promoveatur in subdiaconum, diaconum vel presbyterum, nisi hab eat competens ... beneficium ecclesiasticum ... et qui aliter ordinaverit, competenter provideat eidem in necessariis, vel a repraesentatore ipsius, ordinato faciat provideri, donee ei competens beneficium fuerit assignatum. 7 Hermann Figulus: Lexicon Juris seu Epitome definitionum et rerum ex omnibus iis, quae clarissimus D. loannes Oldendorpius in lucem partim edidit, partim aliquot annis publice docuit, diligenter concinnata, Lugdunum 1549, S. 309. Vgl. dazu Erik Wolf: Große Rechtsdenker der deutschen Geistes­ geschichte, 4. Aufl., Tübingen 1963, S. 138 - 176.

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

durch Ulpian-Zitate — drei Bedeutungen, namhaft gemacht: Reprae­ sentare, das heiße exhibere vi quidam iuris praesentiam eius, quod r evera praesens non est. Oldendorp erläutert: Sic filius fratris succedendo cum patruis repraesentat patrem suum. Zum anderen könne repraesentare auch so viel wie statim ostendere heißen. Und schließlich müsse das Wort bisweilen aus seinen beiden Bestandteilen als „widerumb gegenwertig machen“ verstanden werden: ut si quis promiserit aliquem in iudicio repraesentare. Aus dem zweifachen Grunde, daß der Kontext protestantisch und juristisch ist, verwundert es nicht, wenn abbildliche Repräsentation hier nur noch als Fiktion verstanden wird. Eher schon erregt das dafür gegebene Beispiel des erbrechtlichen Ein­ trittsrechts der Söhne vorverstorbener Brüder Interesse. Dieses soge­ nannte jus repraesentationis wird uns noch beschäftigen. Am meisten fällt jedoch auf, daß bei Oldendorp unter diesem Stichwort jeder Hin­ weis auf die Bedeutung der Stellvertretung fehlt — von dem Gedanken des politischen Vikariats ganz zu schweigen. Offenbar sind die Ansätze für diese Bedeutungsentwicklung gänzlich außerhalb des hier festge­ haltenen Bereichs der Rechtssprache zu suchen. § 11. Corpus mysticum und persona repraesentata I. Das Wort Repräsentation und die Bedeutung der Stellvertretung — II. Repräsentation: Vertretung des corpus mysticum Christi? — III. Die Lehre von der persona repraesentata — IV. Zusammenfassung

I. Die Frage also ist, in welchem Kontext und kraft welcher Momente dem Wort repraesentatio der Sinn rechtlicher Stellvertretung zuge­ wachsen ist, eine Bedeutung, die der Antike ersichtlich ziemlich fremd und auch im Frühmittelalter noch nicht nachweisbar ist. Geht es hier ja — wenn auch nur ganz vorläufig gesagt — nicht bloß um irgendeine semantische Beziehung zwischen zwei Größen, sondern darum, daß eine Person für eine andere steht im allgemeinen (insofern Stellvertre­ tung im weitesten und ursprünglichen Verstände Ersetzung ist) und daß im besonderen das Verhalten eines Rechtssubjekts aus bestimmten Gründen unmittelbar einem anderen — dem Vertretenen — zugerech­ net wird, wiewohl die ausgelöste Rechtsfolge in derselben Weise an sich jederzeit auch in der Person des Vertreters eintreten könnte1; und 1 Vgl. dazu Siegmund Schlossmann: Die Lehre von der Stellvertretung, insbesondere bei obligatorischen Verträgen, 1. Teil: Kritik der herrschenden Lehren, Leipzig 1900; 2. Teil: Versuch einer wissenschaftlichen Grundlegung, Leipzig 1902; H. J. Wolff, Organschaft und juristische Person, 2. Bd.: Theorie der Vertretung (Stellvertretung, Organschaft und Repräsentation als soziale und juristische Vertretungsformen); Wolfram Müller-Freienfels: Die Ver­ tretung beim Rechtsgeschäft, Tübingen 1955; Ludwig Enneccerus / Hans Carl

§11. Corpus mysticum und persona repraesentata

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dies deshalb, weil der Vertreter in fremdem Namen handelt und die Verhaltenserwartungen des Gegenübers ausschließlich auf den Vertre­ tenen oder sachlich auf eine bestimmte „Stelle“ bezogen sind. Thema­ tisiert hat diese unsere Frage zuerst wohl Gerhard Kallen in einer seiner zahlreichen höchst verdienstvollen Cusanus-Publikationen2. Bei seiner „Untersuchung nach dem Ursprung der repraesentatio“ im Sinne rechtlicher Stellvertretung stützt er sich — wie könnte es bei einem derartigen Unternehmen anders sein! — im wesentlichen auf „Altmeister Gierke“, d. h. auf den dritten, der Staats- und Korpora­ tionslehre des Altertums und des Mittelalters und deren Rezeption in Deutschland gewidmeten Band von Gierkes noch immer unentbehrli­ chem „Deutschen Genossenschaftsrecht“ von 1881s. Kallens nicht ganz bündige Antwort läuft ungefähr auf folgendes hinaus: Das geglaubte corpus Christi mysticum der paulinischen Theologie hätten die Kanonisten als bloße (Heils)Anstalt göttlicher Stiftung begriffen, ja letztlich hätten sie daraus die schiere Fiktion einer nur vorgestellten, gedanklich konstruierten Person gemacht: eine nominalistische persona repraesen­ tata. Das naturgemäß hieraus resultierende große Problem der Be­ schluß- und Handlungsfähigkeit dieses Gebildes habe man durch die juristische Annahme einer persona 7epraesentans gelöst, d. h. dadurch, daß man die Gesamtheit der Gläubigen respektive deren Funktionäre als »Repräsentanten* der eingestifteten anstaltlichen Einheit begriff4. Mit der Herausbildung repräsentierender (und durch ihre Träger selbst wieder repräsentierter) dignitates — „anstalthafter Einheiten“, wie Kallen im Anschluß an Gierke sagt — hätten schließlich die Repräsen­ tanten gegenüber der persona repraesentata das Übergewicht bekom­ men. Nicht ganz klar wird, wie Kallen von daher in einer an Thesen Carl Schmitts erinnernden Weise folgern zu können glaubt, „Repraesentatus“ und „Repraesentans“ seien demzufolge „zwei Parteien“ ge­ Nipperdey: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 2. Halbbd., Tübingen 1960, S. 1086 ff.; Werner Flume: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., Berlin/Heidelberg/New York 1965, S. 749 ff. 2 Gerhard Kallen: Cusanus-Texte. II. Traktate. 1. De auctoritate presidendi in concilio generali. Lat. u. dtsch. mit Erläuterungen, SHAW 26 (1935) S. 64 73. 3 Nachdr. Graz 1954, bes. S. 238 ff., 302. 4 Ähnlich auch Georges de Lagarde: La naissance de l’esprit laique au declin du moyen äge, I: Bilan du XHIe siede, 3. ed., Louvain/Paris 1956, S. 153; ders.: L’idee de representation dans les oeuvres de Guillaume d’Ock­ ham, Bulletin of the International Committee of Historical Sciences IX, Paris 1937, S. 425-451 (431 ff.). Vgl. ferner noch Otto v. Gierke: Die Genos­ senschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, Berlin 1887, S. 616 mit der mißverständlichen N. 2: „... die schon von den Glossatoren ausgebildete, trotz des Widerspruchs der Kanonisten von der späteren Jurisprudenz fest­ gehaltene und in Deutschland eingebürgerte Theorie, welche auf der durch­ greifenden Unterscheidung der Handlungen der ,Universitas ipsa' und der ,Universitas repraesentata per alios' beruhte ..."

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4. Kap.: Repräsentation und’ Stellvertretung

worden und in dieser kanonistisch-nominalistischen Trennung von Regierung und Regierten sei der Absolutismus jedweder Gestalt grundgelegt. Hier knüpft dann übrigens — unter ausdrücklicher Beru­ fung auf Kallen — Gadamer an, indem er als Charakteristikum des juristischen Repräsentationsbegriffs hervorhebt, „daß die persona repraesentata das nur Vor- und Dargestellte ist und daß dennoch der Repräsentant, der ihre Rechte ausübt, von ihr abhängig ist“5. Auch Gadamer macht für die Bedeutungswendung des Worts zur Stellver­ tretung neben der christlichen Inkarnationsvorstellung den Gedanken des corpus mysticum verantwortlich. Repräsentation könne die Be­ deutung rechtlicher Vertretung „offenbar deshalb annehmen, weil das Abgebildete im Abbild selber anwesend wird“6. Indirekt werden diese auf einen vermuteten theologischen Hintergrund rekurrierenden semasiologischen Hypothesen dadurch unterstrichen, daß Hans Julius Wolff in seiner systematischen Abhandlung des Repräsentationsbegriffs das Inkarnationsmotiv des ,stellvertretenden* Leidens in den Mittel­ punkt rückt. In soziologischer Absicht belegt Wolff mit dem Namen Repräsentation irrationale Vorstellungen, welche, im Übergang von magisch-mythischer Identitätssetzung zur gewillkürten Stellvertretung auf ein Für-Stehen gerichtet (ohne es schon zu reflektieren), Zurech­ nung im Sinne einer Gruppen-Vertretung vermitteln7. Die genuine Art solcher Vorstellungen manifestiere sich vorzüglich im Gedanken der satisfactio vicaria Christi, wie ihn Thomas von Aquin und in Sonderheit Hugo Grotius entfaltet haben, insofern hier vermöge einer geglaubten mystischen Verbindung zwischen Christus und den Gläubigen die Sühnetat des einen allen zugutegehalten, also zugerechnet werde8. Gewiß: Das Sühneopfer Christi erstreckt sich als Handlung des Hauptes auf die Gläubigen als Glieder, weil Christus mit ihnen einen mystischen Leib bildet: caput et membra sunt quasi una persona mystica. Et ideo satisfactio Christi ad omnes fideles pertinet sicut ad sua membra. Aber weder beim Aquinaten9 noch bei Grotius10 begegnet auf die satisfactio vicaria bezogen der Terminus Repräsentation. Er

5 Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 134 N. 2. 6 Ebenda. 7 Vgl. H. J. Wolff, Organschaft u. jurist. Person II, bes. S. 16 ff., 29 ff., 48, 55, 353 und die zusammenfassende Definition S. 303 f. Siehe auch § 1 N. 49. 8 Ebd. S. 26 ff., 36 ff. Ähnlich verwendet Rahner aaO (oben § 6 N. 1) den Terminus Repräsentation, meint damit aber natürlich Realitäten, nicht bloß Vorstellungsinhalte. 9 Thomas v. Aquin, STh. III q. 48 a. 2 ad 1 — DThA Bd. 28 S. 86 f. Vgl. dazu Adolf Hoffmann O. P.: „Christus et ecclesia est una persona mystica“, Angelicum 19 (Rom 1942) S. 213-219; Richard Fränkel: Die Grundsätze der Stellvertretung bei den Scholastikern, ZVglRWiss. 27 (1912) S. 289-391 (389 ff.). 10 Vgl. Hugo Grotius: Defensio fidei catholicae de satisfactione Christi, Leipzig 1730 = Opera theologica, Tom. IV, Basel 1732, S. 297 - 348.

§11. Corpus mysticum und persona repraesentata

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wird — von der gelegentlichen tertullianischen Wendung vom repraesentator patris11 einmal abgesehen — im Umkreis des Inkarnations­ gedankens ursprünglich überhaupt nicht verwendet. Und was die von jenem christologischen Motiv lebende eucharistische »Repräsentation* anlangt, so kann die Bezugnahme auf diese Vorstellung die im Moment der Zurechnung nach dem juristischen Wenn-dann-Schema den Aus­ druck einer bloß semantischen Beziehung überschreitende Bedeutung rechtlicher Stellvertretung nicht erklären, weil sie das Transzendieren der Bildkategorie nicht erklärt. Zudem ist die Anwesenheit des Ur­ bildes im Abbild kein exklusiv christlicher Gedanke. Wie erinnerlich ist denn auch die Terminologie der eucharistischen Repräsentation unmittelbar jedenfalls nicht an die Juristen, sondern an die Erkennt­ nistheoretiker vererbt worden. Zum anderen drängt sich die Frage auf, wie die Vor- oder Darstellung der angeblich nominalistischen Kon­ struktion einer fiktiven persona repraesentata, wie die Vor- oder Dar­ stellung einer bloß gedachten Einheit durch natürliche Personen über den Gedanken abbildlicher Verkörperung oder Personifizierung einer Vielheit sollte hinausgelangt sein. Also ist zunächst der Geschichte der Corpus-mysticum-Lehre im allgemeinen nachzugehen und dann die Tragweite der Persona-repraesentata-Lehre zu ermitteln.

II. Ohne daß der Autor seine Ausdrucksweise irgendeiner Erklärung oder Erläuterung für bedürftig hielte, ist in paulinischen wie auch deuteropaulinischen Briefen wiederholt von den Gläubigen oder der Gemeinde der Gläubigen als dem „Leib Christi“ die Rede12. Soweit 11 Siehe oben § 4 N. 3. 12 Röm. 12, 4ff.: Denn gleicherweise als wir in einem Leibe viele Glieder haben, aber alle Glieder nicht einerlei Geschäft haben, also sind viele ein Leib in Christo, aber untereinander ist einer des anderen Glied, und haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. — 1. Kor. 6, 15: Wisset ihr nicht, daß eure Leiber Christi Glieder sind? 10, 16 f.: Der geseg­ nete Kelch, welchen wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi? Denn ein Brot ist’s, so sind wir viele ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind. 12, 4-30, 27: Ihr seid aber der Leib Christi und Glieder, ein jeglicher nach seinem Teil. — Eph. 1, 22 f.: und hat alle Dinge unter seine Füße getan und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des, der alles in allen erfüllt; 4, 1-16, 3f.: und seid fleißig, zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens: ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid auf einerlei Hoffnung eurer Berufung; 12 f.: daß die Heiligen zugerichtet werden zum Werk des Dienstes, dadurch der Leib Christi erbaut werde, bis daß wir alle hinankommen zu einerlei Glauben und Erkenntnis des Sohnes Gottes und ein vollkommener Mann werden, der da sei im Maße des vollkommene­ ren Alters Christi; 15 f.: Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

damit im Wege des Vergleichs — wie namentlich im 4. Kapitel des 1. Korintherbriefes — lediglich die Verschiedenheiten der charismati­ schen Begabung innerhalb der Gemeinde als notwendig erwiesen und so ,aufgehoben* werden sollen, ist Medium der Verständigung offen­ kundig die populäre Vor- und Darstellung menschlicher Gemeinschaf­ ten als organischer Einheiten, wie sie aufgrund ihrer pantheistischen Seinsanalogien vornehmlich die Stoa moralisierend pflegte13. Man denke nur an die berühmte Fabel des Menenius Agrippa von den Glie­ dern eines Leibes, welche miteinander in Streit geraten, und an deren Nutzanwendung14. Anders verhält es sich offenkundig dort, wo mit dem nämlichen Ausdruck „Leib Christi“ statt dessen gerade die Einheit und Gleichheit der Gläubigen als wirklicher Glieder des pneumatischen Leibes Christi bezeichnet und zugleich Christus außerdem noch geson­ dert als Haupt identifiziert diesem seinem Leib gegenübergestellt wird. Schon von daher leuchtet ein, daß die juristische Korporationslehre des römischen Rechts hierfür nicht Anknüpfungspunkt sein konnte15. Aber da ist nicht nur ein Abstand zur römischen Rechts weit: Es gibt nämlich nach den Feststellungen Heinrich Schliers16 überhaupt „im Umkreis der griechisch-römischen Texte keine formale Analogie zu den Gleichungen: corpus (ecclesia) == Christus, caput = Christus und cor­ pus + caput = Christus. Dieser Unterschied ist nicht nur sachlich von großer Bedeutung (er hebt die Kirche aus der Sphäre menschlicher Gemeinschaften, zu denen sie freilich auch gehört), sondern auch für die“ — begreiflicherweise sehr umstrittene — „historische Frage nach der Herkunft der Vorstellung vom corpus Christi“. Weitgehende Übereinstimmung besteht darüber, daß diese Vorstel­ lung wegen ihrer kosmischen Dimension weder im Vulgärstoizismus ih­ ren Anknüpfungspunkt haben noch rein innerchristlich erklärt und aus der ganze Leib zusammengefügt ist und ein Glied am andern hanget durch alle Gelenke, dadurch eines dem andern Handreichung tut nach dem Werk eines jeglichen Gliedes in seinem Maße und macht, daß der Leib wächst zu seiner selbst Besserung, und das alles in der Liebe. — Kol. 1, 18: Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde. Ebenso 1, 24; 2, 19: und hält sich nicht an dem Haupt, aus welchem der ganze Leib durch Gelenke und Fugen Handreichung empfängt und zusammengehalten wird und also wächst zur göttlichen Größe. 18 Vgl. Heinrich Schlier: Art. „Corpus Christi“, RLACh. Bd. III, Sp. 439 - 444. 14 Nach Wilhelm Nestle (Die Fabel des Menenius Agrippa, Klio 21 [1927] S. 350 - 360) handelt es sich um einen in der Zeit der Sophistik erfundenen, im Hellenismus von der Polis auf die Menschheit und den ganzen Kosmos ausgedehnten, über Plato und Aristoteles auf die mittlere Stoa gekommenen logos. Vgl. jetzt aber Schlier, Art. „Corpus Christi“, aaO (N. 13) Sp. 441. 16 Vgl. dazu Schnorr v. Carolsfeld, Jurist. Person, S. 169 N. 1; Arnold Ehr­ hardt: Das Corpus Christi und die Korporationen im spät-römischen Recht, ZRG Rom. Abt. 70 (1953) S. 299 - 347, 71 (1954) S. 25 - 40 (332 f.). 16 aaO (N. 13) Sp. 444.

§11. Corpus mysticum und persona nepraesentata

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d. h. letztlich: als bloße Metapher verharmlost werden kann17. In der Bultmann-Schule ist — wesentlich aufgrund religionsgeschichtlicher Hypothesen Reitzensteins und Boussets — die Auffassung entwickelt worden, daß der Verfasser des Epheser- und des Kolosserbriefes Welt­ bild und Soteriologie des gnostischen Erlösermythos benutzt habe, um seinen Lesern das Erlösungswerk Christi verständlich zu machen. Nach dieser These hätte die fragliche Vorstellung ihr Vorbild in dem den alten Aion-, Allgott- oder Urriesen-Mythos umprägenden UrmenschErlöser-Mythos vom Seelen- und lichthaften Urwesen, das sich, sich selbst verlierend, in die Materie verströmt hat und durch ein Gottwesen derselben Substanz erlöst wird, indem dieser Erlöser die an die Materie verknechteten Lichtteile als seine Glieder um sich zu seinem wieder himmelwärts strebenden Leibe versammelt18. Dagegen hat man geltend gemacht, daß die Formeln vom Urmensch-Erlöser und vom Erlösten Erlöser moderne Interpretamente, nicht Quellenbefunde seien und daß es sich bei jener Soteriologie um eine spezifisch manichäische — selbst schon wieder vom Christentum beeinflußte — Motivkombination 17 So aber Franz Mußner: Christus, das All und die Kirche — Studien zur Theologie des Epheserbriefes (Trierer theol. Stud. 5), Trier 1955; Joseph Reuss: Die Kirche als „Leib Christi“ and die Herkunft dieser Vorstellung bei dem Apostel Paulus, Biblische Zeitschr. NF 2 (1958) S. 103 - 127. — Die kosmische Dimension zeigt sich in Eph. 1, 22 f. (... und hat ihn gesetzt zum Haupt der Gemeinde über alles, welche da ist sein Leib, nämlich die Fülle des, der alles in allen erfüllt.) und in Kol. 1, 16-18 (... es ist alles durch ihn und zu ihm geschaffen. Und er ist vor allem, und es besteht alles in ihm. Und er ist das Haupt des Leibes, nämlich der Gemeinde ...). Vgl. dazu Carsten Colpe: Zur Leib-Christi-Vorstellung im Epheserbrief, Festschr. f. Joachim Jeremias (Beih. zur Zeitschr. f. d. Neutestamentl. Wiss. 26), Berlin 1960, S. 172- 187 (174, 176 ff.); Harald Hegermann: Zur Ableitung der LeibChristi-Vorstellung, Theolog. Literaturztg. 85 (1960) Sp. 839 - 842 (840 f.); ders.: Die Vorstellung vom Schöpfungsmittler im hellenistischen Judentum und Urchristentum (Texte u. Unters. 82), Berlin 1962, S. 138, 149 ff.; Eduard Schweizer: Die Kirche als Leib Christi in den paulinischen Antilegomena, Theolog. Literaturztg. 86 (1961) Sp. 241 -256 (241 ff., 247 ff.); Petr Pokorny: Der Epheserbrief und die Gnosis — Die Bedeutung des Haupt-GliederGedankens in der entstehenden Kirche, Berlin 1965, S. 14, 64 f., 71. 18 Richard Reitzenstein: Das iranische Erlösungsmysterium — Religions­ geschichtliche Untersuchungen, Bonn 1921, S. 116, 132 ff. Vgl. ferner Richard Reitzenstein und Hans Heinrich Schaeder: Studien zum antiken Synkretis­ mus — Aus Iran und Griechenland (Studien der Bibliothek Warburg VII), Leipzig / Berlin 1926, bes. S. 205 ff. Wilhelm Bousset: Hauptprobleme der Gnosis (Forsch, zur Religion u. Lit. des Alten u. Neuen Testaments 10), Göttingen 1907, S. 215 ff. — Rudolf Bultmann: Theologie des Neuen Testa­ ments, Tübingen 1948, S. 306 f.; Heinrich Schlier: Christus und die Kirche im Epheserbrief (Beitr. z. hist. Theologie 6), Tübingen 1930; Ernst Käsemann: Leib und Leib Christi (Beitr. z. hist. Theologie 9), Tübingen 1933; Walter Schmithals: Die Gnosis in Korinth (Forschungen zur Religion u. Lit. des Alten u. Neuen Testaments NF 48), Göttingen 1956, mit einem Exkurs „Der erlöste Erlöser“ S. 82 -134. Vgl. ferner Alfred Wikenhauser: Die Kirche als der mystische Leib Christi nach dem Apostel Paulus, Münster i. W. 1937, S. 84 ff., 232 ff. Siehe auch schon Traugott Schmidt: Der Leib Christi (Sü^a Xqkjtov) — Eine Untersuchung zum urchristlichen Gemeindegedanken, Leipzig / Erlangen 1913, S. 193 f.

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

handele, die mithin aus chronologischen Gründen als Quelle ausscheide. Daraus folgt dann, daß mangels eines vorchristlichen gnostischen Erlö­ sermythos als Hintergrund und Bezugsrahmen nur eine gemeinsame kosmologische Vorstellungswelt bleibt, von der auch die Gnosis lebt, wobei es eine sekundäre Frage ist, ob diese Kosmologie iranisch-orien­ talischer oder hellenistisch-jüdischer Abkunft ist19. Aber gleichviel, ob die deuteropaulinischen Schriften eine gnostische Weltschau und Soteriologie oder in der „realen Ursprungsbeziehung“ von Christentum und Gnosis20 nur eine gleichermaßen vorchristliche wie prae- oder allenfalls protognostizistische Kosmologie21 heilsge­ schichtlich umdeuten respektive die in Rede und Frage stehende Vor­ stellung in der Auseinandersetzung mit jüdisch-gnostischen Strömun­ gen als ausgesprochenes Gegenbild entwickeln22: allein diese Perspek­ tiven zeigen hinlänglich, daß die Lehre vom mystischen Leib Christi schlechterdings „nichts mit dem organischen Verbandsbegriff zu schaf­ fen (hat)“28. Freilich: das Attribut des Mystischen tritt erst später hinzu. Das Wort vom ,corpus Christi mysticum* haben zuerst wohl Paschasius Radbertus und Ratramnus für die Kirche gebraucht, um diesen Leib Christi vom ,corpus Christi verum* in der Eucharistie zu unterschei­ den24. Aber bis zur Hochscholastik hat diese Formel vom mystischen Leib ihren Ort nicht in der (noch gar nicht ausgebildeten) Ekklesiologie, sondern in der Lehre vom Sakrament der Eucharistie: Sie steht daher 19 Vgl. Carsten Colpe: Die religionsgeschichtliche Schule — Darstellung und Kritik ihres Bildes vom gnostischen Erlösermythus (Forsch, zur Religion u. Lit. des Alten u. Neuen Testaments 78), Göttingen 1961, S. 171 ff., 191; ders.: Zur Leib-Christi-Vorstellung, aaO (N. 17) S. 178 f., 180 ff.; Eduard Schweizer: Die Kirche als Leib Christi in den paulinischen Homologumena, Theolog. Literaturztg. 86 (1961) Sp. 161 - 174 (162 f., 172 f.); Hans-Martin Schenke: Der Gott „Mensch“ in der Gnosis — Ein religionsgeschichtlicher Beitrag zur Diskussion über die paulinische Anschauung von der Kirche als Leib Christi, Göttingen 1962; Hegermann, Zur Ableitung der Leib-ChristiVorstellung, aaO (N. 17) Sp. 841 f.; ders., Die Vorstellung vom Schöpfungs­ mittler, S. 153; Pokorny, Der Epheserbrief und die Gnosis, S. 40 ff., 63 f.; Robert Mc Lachlan Wilson: Gnosis und Neues Testament, Stuttgart / Berlin / Köln/Mainz 1971, S. 31. Vgl. aber auch Geo Widengren: Mani und der Manichäismus, Stuttgart 1961, S. 25 f., 48 ff., 139. 20 Jonas, Gnosis und spätantiker Geist I, S. 81; vgl. S. 5 und S. 278 f. 21 Zum Problem der vorchristlichen Gnosis vgl. Alfred Adam: Die Psalmen des Thomas und das Perlenlied als Zeugnisse vorchristlicher Gnosis (Beih. z. Zeitschr. f. d. neutestamentl. Wiss. 24), Berlin 1959, S. 80 ff.; Colpe, Die religionsgeschichtliche Schule, S. 199 ff.; Ugo Bianchi (Ed.): Le Origini dello Gnosticismo — Colloquio di Messina 1966 (Studies in the History of Religions — Supplements to Numen — XII), Leiden 1967; Wilson, Gnosis und Neues Testament, S. 9 ff., 12 ff., 21 f. 22 So Pokorny, Der Epheserbrief und die Gnosis. 28 Friedrich Merzbacher: Wandlungen des Kirchenbegriffs im Spätmittel­ alter, Grundzüge der Ekklesiologie des ausgehenden 13., des 14. und 15. Jahrhunderts, ZRG 70 Kan. Abt. 39 (1953) S. 274 - 361. 24 Vgl. Paschasius Radbertus, Liber de corpore, c. 7 (PL 120, 1284- 1286); Ratramnus, De corpore, cc. 94 - 98 (PL 121, 168 sq).

§ 11. Corpus mysticum und persona repraesentata

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nur gelegentlich unmittelbar für ecclesia, hauptsächlich jedoch zur Bezeichnung dessen, was die Eucharistie zugleich sakramental bedeutet und als Gnadengabe bewirkt, nämlich die Vereinigung der Gläubigen mit Christus und untereinander25. Die Substanz des Leibes und Blutes Christi, nämlich die vera caro Christi bedeutet und bewirkt zugleich die caro mystica, will sagen: die unitas ecclesiastical. Es liegt auf der Hand, daß Repräsentation im Sinne rechtlicher Stell­ vertretung in diesen Zusammenhängen keinen Ort hat. Weder reprae­ sentare noch irgendeine Ableitung davon findet sich in den hier in Rede stehenden Texten mit einem Anflug dieses Sinnes. Eine nicht unerhebliche Bedeutungswendung bringt dann allerdings die im 13. Jahrhundert sich durchsetzende ekklesiologische Verselbständigung des Corpus-mysticum-Gedankens. In christologischem Zusammenhang be­ merkt Thomas von Aquin — und das ist sehr charakteristisch —, man nenne die Gesamtkirche (tota Ecclesia) wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem natürlichen Leib des Menschen „einen mystischen Leib“: unum corpus mysticum27. Der Aquinate behandelt den Ausdruck lediglich als Analogie und spricht von einem mystischen Leib, nicht von dem corpus mysticum Christi29. Und corpus ist ihm im Gleichnis (similitudinarie) jede „Vielheit, deren verschiedene Tätigkeiten und Aufgaben auf ein Ziel gerichtet sind“29. ,Mystisch* bedeutet hier nur noch so viel wie 25 Vgl. Ferdinand Holböck: Der eucharistische und der mystische Leib Christi in ihren Beziehungen zueinander nach der Lehre der Frühscholastik, Rom 1941; Emile Mersch: Le corps mystique du Christ — Etudes de thdologie historique, Tome II (Museum Lessianum — Section theologique 29), Louvain 1933, bes. S. 132 ff.; hervorragend Henri de Lubac: Corpus mysticum — L’eucharistie et l’eglise au moyen age. Etude historique, 2e ed. (Theologie 3), Paris 1949, bes. S. 89- 135; Emst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies — A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton / New Jersey 1957, S. 193 ff. Siehe ferner: Artur Michael Landgraf: Die Lehre vom geheimnis­ vollen Leib Christi in den frühen Paulinenkommentaren und in der Früh­ scholastik, Divus Thomas 24 (1946) S. 217 - 248, 393 - 428, 25 (1947) S. 365 - 394, 26 (1948) S. 160- 180, 291 -323, 395-434; Michael Schmaus: Katholische Dog­ matik, 3. Bd./l. Halbbd., 3. - 5. Aufl., München 1958, S. 311. 26 Innocentius III (1198-1216): De sacro altaris mysterio (PL 217, 773916), lib. IV c. 36 (col. 879 B - D). 27 STh. III q. 8 a. 1 corp. (DThA Bd. 25 S. 214): sicut tota Ecclesia dicitur unum corpus mysticum per similitudinem ad naturale corpus hominis, secundum quod diversa membra habent diversos actus, ut Apostolus docet, Rom. 12 et 1 Cor. 12; ita Christus dicitur caput Ecclesiae secundum simili­ tudinem humani capitis. 28 Vgl. dazu Lubac, Corpus mysticum, S. 127 ff. Uber den Terminus corpus mysticum bei Thomas im einzelnen und den seitherigen Wandel der Fach­ sprache Albert Mitterer: Geheimnisvoller Leib Christi nach St. Thomas von Aquin und nach Papst Pius XII., Wien 1950, S. 163 ff. 29 STh. III q. 8 a. 4 corp. (DThA Bd. 25 S. 224 f.): Unum autem corpus similitudinarie dicitur una multitude ordinata in unum secundum distinctos actus sive officia. Vgl. III q. 8 a. 1 ad 2 (aaO S. 216), wo unterstrichen wird, daß es sich nur um ein Gleichnis handelt. Darüber, daß »mystischer Leib* so viel wie ,Leib im übertragenen Sinne* bedeutet Karl Binder: Wesen und

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

bildlich* oder ,figurativ* und wird dann einfach Teil eines Titels so wie andererseits das Imperium sich sacrum zubenennt30: Corpus misticum dicitur ecclesia militans.

Was hier im 13. Jahrhundert durchschlägt, ist die Bemühung der Kanonisten, die Gestalt der Kirche korporationsrechtlich zu erfassen81. Mit Blick in erster Linie auf die einzelnen Bischofskirchen und deren kollegiale Einrichtungen nehmen die Kanonisten den Korporations­ begriff der Glossatoren auf. Die bei Azo im Anschluß an Dig. 41, 3, 3032 überlieferte Definition, wonach Universitas est plurium corporum collectio inter se distantium, uno nomine specialiter eis deputato33, wird von dem großen Juristen-Papst Innozenz IV. (1243 - 1254)34, dem schon erwähnten Kardinal Hostiensis35 und dem in Padua und Bologna leh­ renden Johann Andreae (ca. 1270 - 1348)36 — seiner Zeit fons et tuba Eigenschaften der Kirche bei Kardinal Juan de Torquemada O. P., Inns­ bruck / Wien / München 1955, S. 152. 30 Albericus de Rosate (t 1354): Dictionarium Iuris tarn Civilis, quam Canonici. Venetiis 1573, verb, „corpus“. Zum ,Sacrum Imperium* vgl. Fritz Kem: Gottesgnadentum und Widerstandsrecht im frühen Mittelalter — Zur Entwicklungsgeschichte der Monarchie, unveränd. Nachdr. d. 2. Aufl. v. 1954 hg. v. Rudolf Buchner, Darmstadt 1962, S. 115 f.; Kantorowicz, The King’s Two Bodies, S. 197 N. 207; auch Otto Bornhak: Staatskirchliche An­ schauungen und Handlungen am Hofe Kaiser Ludwigs des Bayern (Qu. u. St. VII/1), Weimar 1933, S. 9 ff. 31 Siehe dazu auch Brian Tierney: Foundations of the Conciliar Theory — The Contribution of the Medieval Canonists from Gratian to the Great Schism (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought — New Ser. IV), Cambridge 1955, S. 132 ff. 32 Tria autem genera sunt corporum, unum quod continetur uno spiritu et Graece t)vooji£vov vocatur, ut homo tignum lapis similia: alterum, quod ex contingentibus, hoc est pluribus inter se cohaerentibus constat, quod vocatur, ut aedificium navis armarium: tertium, quod ex distantibus constat, ut corpora plura non soluta, sed uni nomini subiecta, veluti populus legio grex. — Vgl. dazu Alexander Philipsborn: Der Begriff der Juristischen Per­ son im römischen Recht, ZRG Rom. Abt. 71 (1954) S. 41 - 70 (41 ff.). 33 Azo: Summa aurea — Pars altera, Lyon 1596, in Dig. 3, 4 n. 1 (S. 149): Et quidem Universitas est plurium corporum collectio inter se distantium, uno nomine specialiter eis deputato. Collectio plurium ideo dixi, ut notetur differre universitatem ab individuis vel speciebus: ut bove et Socrate, secun­ dum legistas, qui non plura corpora, sed cuiuslibet rei partes colligunt inter se distantium: ideo apponitur, ut discernatur totum integrale, quod non distantia, sed coniuncta plura continet ab universitate: ut est in armario et carruca. Specialiter eis deputato: ideo ponitur, ut per hoc appareat hoc no­ men homo (licet plura corpora significet) non esse universitatem: quia nulli vel nullus specialiter est deputatus. 34 Sinibaldus Fliscus (Innocentius IV): Commentaria super libros quinque Decretalium (Francofurti a. M. 1570): c. 14 X 5, 31 n. 2 (fol. 526 r): Societas est plurium corporum inter se distantium, uno nomine ei deputato collectio. Über Sinibaldus Fliscus und seinen Dekretalen-Apparat Joh. Friedrich von Schulte: Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, 2. Bd., Stuttgart 1877, S. 91 ff. 35 Hostiensis (Henricus de Segusia) ersetzt das Merkmal „inter se distan­ tium) in seiner Summa super titulis decretalium (über dieses Werk Schulte, Quellen u. Literatur des Can. Rechts II, S. 125 ff.) „ad differenciam gregis“ durch „racionabilium“. Zit. nach einem Druck s. 1. 1477 (bei Ludwig Hohenwang).

§11. Corpus mysticum und persona repraesentata

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iuris, von Gierke „einer der ärgsten Plagiatoren aller Zeiten“ geschol­

ten, heute wieder höchst positiv beurteilt87 — jetzt auch auf die Kirche — oder genauer: auf die Kirchen und kirchlichen Einrichtungen ange­ wandt. Wenn die erwähnten Dekretalisten nun neben Universitas im gleichen Sinne auch die Ausdrücke collegium, societas, communitas, congregatio und corpus gebrauchen — sunt quasi idem significantia, wie Johann Andreae sagt38 —, corpus dabei aber bevorzugen, so viel­ leicht entgegen der von Gierke vornehmlich auf die Glosse zu c. 14 X 5, 31 v. „unum corpus“ (episcopus cum capitulo suo facit unum corpus) gestützten Annahme nicht nur, weil dieses Wort „am leichtesten von der genossenschaftlichen Grundlage abzusehen erlaubt“89, insofern es Einheit nicht kraft Solidarität, sondern kraft Unterwerfung unter ein einziges Haupt meint, als wahrscheinlich doch wegen eines weit zurück­ greifenden stärkeren Kirchenbezugs dieses Ausdrucks, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Theologie der paulinischen Leib-Metaphorik, sondern auch in einer mehr juristischen Hinsicht, insofern der Termi­ nus corpus die intensivere Art Einheit aus dem einen Geist und Be­ kenntnis der Glieder zum Ausdruck bringt40. Kirchenrechtliche Ver­ wendung des Corpus-Begriffs belegt schon das Gratianische Dekret. So etwa hieß es in c. 1 D. 8941: Singula ecclesiastici iuris offitia singulis quibusque personis singillatim committi iubemus. Sicut enim in uno corpore multa membra habemus, omnia autem membra non eundem actum habent, ita in ecclesiae corpore secundum ueridicam Pauli sententiam in uno eodemque spirituali corpore conferendum est hoc offitium uni, alii committendum est illud, neque enim quantumlibet exer-

80 loannes Andreae: Novella super sexto decretalium (Pavia 1484): de sententia excommunicationis, c. Romana (c. 5 in VIo 5, 11). 37 Vgl. Friedrich Carl von Savigny: Geschichte des Römischen Redits im Mittelalter, 6. Bd., 2. Ausg., Heidelberg 1850, S. 98 ff. (113); Gierke, Genos­ senschaftsrecht III, S. 247 N. 3; ähnlich, aber zurückhaltender und wägender Schulte, Quellen u. Literatur des Can. Rechts II, S. 205 ff. (229); gegen Schulte — natürlich, denn Joh. Andreae war ein Verfechter päpstlicher Omnipotenz — Franciscus Xav. Wemz S. J.: Jus Decretalium, Tom. I, alt. ed., Romae 1905, S. 407; jetzt Willibald M. Plöchl: Geschichte des Kirchenrechts, Bd. II, 2. Aufl., Wien / München 1962, S. 520 ff. 88 Novella super sexto decretalium, aaO (N. 36): Ista vero nomina Universi­ tas communitas collegium corpus societas sunt quasi idem significantia. — Über die verschiedenen Ausdrücke körperschaftlicher Einheit (wie insbes. Universitas, corpus, societas, collegium, ecclesia, capitulum, conventus, civitas, communitas etc.) jetzt eingehend Pierre Michaud-Quantin: Universitas — Expressions du mouvement communautaire dans le moyen äge latin (L’eglise et l’etat au moyen äge XIII), Paris 1970. 39 Gierke, Genossenschaftsrecht III, S. 248. Vgl. dazu Tierney, Conciliar Theory, S. 138. 40 Paolo Grossi: Unanimitas. Alle origini del concetto di persona giuridica nel diritto canonico, Annali di storia del diritto II (Mailand 1958) S. 229 331 (280 ff., 306 ff.). 41 Aemilius Friedberg (Ed.): Corpus Juris Canonici, P. I, Leipzig 1879, Sp. 311.

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

citatae uni personae uno tempore duarum rerum offitia committenda sunt: quia si totum corpus oculus, ubi auditus*2? Und dieses einem

Rundschreiben Gregors I. entnommene Zitat, wie es eine Biographie des 8. Jahrhunderts überliefert, schlägt die Brücke weit zurück in die Anfänge: Unter dem neuen Namen eines corpus de conscientia religionis et disciplinae divinitate et spei foedere hatte Tertullian in seiner Apologie für die Christengemeinden um die rechtliche Anerkennung geworben48 und unter dem Namen corpus hat sie Konstantin in die Rechtssprache eingeführt44. In diesem juristischen Horizont der Korporationslehre verblaßt die theologische Bedeutung des Attributs ,mystisch1 — und zwar, wie zu sehen war, auch bei den Theologen selber45. In korporationstheoreti­ schem Kontext wird die nähere Bestimmung durch das Wort mystisch jetzt natürlich anders bezogen: Gegenstück zum corpus mysticum ist nicht länger das corpus verum des historischen Christus, sondern das corpus naturale der natürlichen Person. Bischof und Kapitel bilden einen mystischen Leib, sagt der Paduaner Professor und Kardinal Francesco Zabarella (1360 -1417), und zwar gemäß der Ähnlichkeit zu einem corpus natural e46. In der Bedeutung von ,Körper im übertragenen Sinne* bezeichnet der fragliche Terminus die rechtliche Einheit einer 42 Der Kanon bringt in seiner Fortsetzung übrigens eine klassische Ver­ wendung von repraesentare: Sicut enim varietas membrorum per diversa offitia et robur corporis servat, et pulcritudinem representat, ita varietas personarum diversa nichilominus distributa offitia et fortitudinem et venustatem sanctae Dei ecclesiae manifestat. 43 Cap. 39 (Ed. Becker, S. 182): Edam iam nunc ego ipse negotia Christianae factionis, ut, qui mala refutaverim, bona ostendam, corpus sumus de con­ scientia religionis et disciplinae unitate et spei foedere. — Tertullian stellt corpus gegen factio, was so viel wie Umtriebe oder Zusammenrottung be­ deutet. Vgl. auch den Schluß dieses und den Anfang des nächsten Kapitels (aaO S. 188): Haec coitio Christianorum merito sane illicita, si illicitis par, merito damnanda, si quis de ea queritur eo titulo, quo de factionibus querela est. in cuius perniciem aliquando convenimus? hoc sumus congregati, quod et dispersi, hoc universi, quod et singuli: neminem laedentes neminem contristantes. cum probi, cum boni coeunt, cum pii, cum casti congregantur, non est factio dicenda, sed curia. At e contrario Ulis nomen factionis accomodandum est, qui in odium bonorum et proborum conspirant ... Siehe dazu insgesamt Ehrhardt, Das Corpus Christi und die Korporatio­ nen im spät-römischen Recht, aaO (N. 15) S. 301 ff. 44 Vgl. Schnorr v. Carolsfeld, Jurist. Person, S. 165 ff.; Ehrhardt, Das Corpus Christi u. die Korporationen, aaO (N. 15) S. 337; Kaser, Das röm. Privatrecht II, S. 105. 45 Siehe oben bei N. 29. Vgl. dazu Kantorowicz, The King’s Two Bodies, S. 202. 46 Franciscus Zabarella: Super Tertio Decretalium subtilissima Commen­ taria (Venetiis 1602): de his quae fiunt a praelato sine consensu capituli, c. novit (c. 4X3, 10) n. 2 (fol. 73 v): episcopus, et capitulum sunt unum corpus scilicet misticum. ad similitudinem unius corporis naturalis, et ad hoc quotidie allegatur ... Vgl. dazu Lubac, Corpus mysticum, S. 125 ff. — Über den Kanonisten Zabarella, der uns als Konziliarist noch beschäftigen wird, Schulte, Quellen u. Lit. des Can. Rechts II, S. 283 ff.

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Personenvielheit. Wie die in diesen Zusammenhängen immer wieder­ kehrende Berufung auf die lex mortuo^1 zeigt, ist die juristische Funk­ tion die, begreiflich zu machen, daß innerhalb rechtlicher Relationen an die Stelle einer einzelnen Person unter Umständen auch eine Menge von Menschen treten kann (vice personae fungi), daß auch eine Mehr­ heit von Personen einheitlicher juristischer Zurechnungspunkt sein kann, ohne doch aufzuhören, aus einzelnen Menschen zu bestehen. Den Kanonisten geht es dabei maßgeblich um die rechtliche Einheit von Bischof und Kapitel, dann auch um die anderen kirchlichen Kollegien — den Zivilisten um alle weltlichen Gemeinschaften. So definiert Baldus (1327 -1400), dessen Werk die voll ausgebildete mittelalterliche Korporationslehre repräsentiert, Volk (populus) als Zusammenfassung von Menschen zu einem mystischen Leib48. Corpora mystica universitatum nennt der päpstliche Konsistorialadvokat Antonio Roselli (1380 bis 1466) die nach dem 2. Kapitel des 1. Buches der aristotelischen Politik über dem einzelnen sich aufbauenden und ihn umschließenden Gemein­ schaften49. Dementsprechend ist bei einem Zeitgenossen dieses Roselli, dem hervorragenden Humanisten und später so bedeutenden Renais­ sance-Papst Aeneas Silvius Piccolomini (Pius II.) in De ortu et authoritate Imperii Romani (1445) vom princeps als dem Haupt mystici Reipublicae corporis die Rede50. Insbesondere wird der Ausdruck Mysti­ 47 Dig. 46, 1, 22: Mortuo reo promittendi et ante aditam hereditatem fideiussor accipi potest, quia hereditas personae vice fungitur, sicuti munici­ pium et decuria et societas. 48 Baldus Perusinus in sextum — undecimum Codicis libros praelectiones (Lugduni 1561): de executione rei iudicate, 1. etiam (Cod. Just. 7, 53, 5) n. 11 (fol. 280 v). 49 Antonio de Rosellis: Monarchia sive Tractatus de Potestate Imperatoris et Papae (Melchior Goldast: Monarchia S. Romani Imperii, Bd. I, Hanoviae 1612, zit. nach dem photomech. Nachdr. Graz 1960, S. 252-556) P. II cap. 6 (S. 312): Nam sicut est in uno corpore naturali, ita est in pluribus mysticis corporibus. Nam si consideramus domum unam: ipsi domus quidem melius per unum seniorem regitur secundum Philosophum ... Et idem est in aliis misticis corporibus universitatum, quia melius se habent cum per unum reguntur. Sunt enim secundum philosophum quinque communitates. est enim una, quae resultat ex pluribus domibus. Alia, quae constituitur ex pluribus vicis: et ita est communitas civitatis, quae secundum Philosophum est perfecta, quia si civitas est bene ordinata, in ea debet muniri quicquid necessarium pro hominis vita. Tertia est communitas provinciae, quae consurgit ex pluribus civitatibus. Quarta est communitas regni, quae resultat ex pluribus provintiis. Quinta est totius, orbis, quae constat ex omnibus mundi regnis. — Vgl. dazu P. Verrua: Antonio Roselli e l’opera sua »Monarchia sive tractatus de Potestate Imperatoris et Papae*, in: II Giornale Dantesco 29 (1926) S. 313 - 332; und zum monarchischen Gedanken bei Roselli insbesondere Karla Eckermann: Studien zur Geschichte des monarchischen Gedankens im 15. Jahrhundert (Abh. z. Mittl. u. Neueren Gesch. 73), BerlinGrunewald 1933. 50 Cap. 18. Zit. nach dem Abdr. bei Melchior Goldast: Monarchia S. Romani Imperii, Bd. II, Frankfurt 1614 (photomech. Nachdr. Graz 1960), S. 1558 -1566 (1564). 9 Hofmann

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

scher Leib gerne benutzt, um den für das Mittelalter zentralen Gedan­

ken auszudrücken, daß die gesamte Menschheit einen einheitlichen Rechtsverband bildet61.

Ganz in demselben Sinne der einem organischen Körper bildähn­ lichen Einheit begegnet in den Quellen an Stelle des Ausdrucks corpus mysticum der Terminus corpus fictum. Und für diese Wendung wiede­ rum oder neben ihr steht nicht selten auch corpus repraesentatum: Wie Zabaralla vom Bischof und Domkapitel als von einem einheitlichen mystischen Leibe gesprochen hatte46, so nennt sein kanonistisch gleich­ falls hochbedeutender Schüler, der Erzbischof Nicolaus de Tudeschis von Palermo (Panormitanus, 1386 -1445) Prälat und Kapitel im Zu­ sammenhang mit der Konsensbedürftigkeit gewisser Akte des Prälaten einen „fiktiven“ und „repräsentierten“ Körper: non in omnibus habet praelatus solus legitimam administrationem, sed requiritur capituli consensus ... hinc dicimus praelatum et capitulum facere unum cor­ pus ... penes hoc corpus fictum et repraesentatum consistit plena administratio rerum ecclesiae .. .62. Dementsprechend findet sich bei ihm der ,mystische Leib4 der Kirche auch als corpus representatum

apostrophiert68. An anderer Stelle charakterisiert der Panormitanus64 die Einheit von Prälat und Kapitel als die eines in den Mitgliedern des Kollegiums dar- und vorgestellten Leibes: praelatus et canonici sunt unum corpus, et est unum corpus fictum et repraesentatum in singulis de corpore. Natürlich stehen dergleichen Wendungen auch schon bei Zabarella, der keineswegs nur den Terminus corpus mysticum ge­ braucht, sondern ebenso von einem ,fingierten4 Körper redet (Universi­ tas est corpus fictum) und diese Einheit der zusammengenommenen

Einzelnen als einen bildlichen Körper der einzelnen Mitglieder be­ 61 Siehe das Roselli-Zitat N. 49 a. E. und vgl. dazu Anton-Hermann Chroust: The Corporate Idea and the Body Politic in the Middle Ages, The Review of Politics 9 (Notre Dame / Indiana 1947) S. 423 - 452 (429 ff.). Siehe auch Richard Scholz: Marsilius und Dante — Reichs- und Staatsgedanke in Italien um 1300, in: Deutsches Dante-Jahrb. 24, Weimar 1942, S. 159 -174 (164): „Uralt ist diese universalistische Vorstellung (sc. des universalen Menschheitsverbandes unter der monarchischen Leitung Gottes), sie wurzelt in orientalischen Ideen vom Weltherrscher, sie fand Eingang in die grie­ chisch-römische Welt, in die kosmopolitischen Lehren der Stoiker und der Neuplatoniker, sie wurde eine Grundlehre des römischen Reichsgedankens und sie verschmolz mit der universalistischen Idee des Christentums und der katholischen Kirche: ein Hirt und eine Herde.“ 52 Panormitanus: Commentaria, P. III: in Primam Secundi Decretalium Libri Partem (Venetiis 1578): c. 1 de dolo et contumacia X 2, 14 n. 14 (fol. 248 v). Über den Autor Schulte, Quellen u. Lit. des Can. Rechts II, S. 312 ff.*, Knut Wolfgang Nörr: Kirche und Konzil bei Nicolaus de Tudeschis (Panormi­ tanus) (Forsch, z. kirchl. Rechtsgesch. u. z. Kirchenrecht 4), Köln / Graz 1964. 68 Panormitanus: Quaestiones, Lugduni 1551, Qu. I n. 31 (fol. 142 v). 64 Commentaria in Tertium Decretalium Librum (Venetiis 1578): c. 4 de his, quae fiunt a praelato sine consensu capituli X 3, 10 n. 2 (fol. 85 v).

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zeichnet: unum corpus ... repraesentativum singularum66. Die Rechts­ einheit der »mystischen Körper4 wird juristisch also durch »Repräsenta­ tion1 im Sinne bildähnlicher Vorstellung begreiflich gemacht. Wenn auch ein Kollegium aus mehreren besteht, schreibt der Legist Albericus de Rosate (f 1354) in seinem Dictionarium, so ist es doch eine Einheit: est unum repraesentatione69. Nur in einem übertragenen Sinne — per quandam repraesentationem, wie Zabarella formuliert65 — kann eine solche Einheit ein Delikt begehen. Daß »repräsentierter4 oder »fingierter Körper4 hier so viel bedeutet wie eine in ihrer Bildähnlichkeit geglie­ derte kollektive Einheit, zeigt sich besonders klar, wenn der Kanonist Johannes von Anania (t 1457) genau so wie Zabarella46 die Ähnlich­ keitsbeziehung hervorhebt (universitas seu collegium est corpus repraesentatum ad similitudinem veri corporis) und diesen Vergleich mit der Parallele der Körperglieder und der Einzelmenschen als Verbands­ genossen mit Hilfe der geläufigen korporationstheoretischen Unter­ scheidung von singuli oder omnes ut singuli und der omnes ut universi auszieht: Sicut enim ad unum corpus verum constituendum concurrunt membra simul juncta, sic ad constituendum collegium concurrunt singuli homines, non tarnen ut singuli, sed tanquam conjuncti et collecti67.

Dieser Sprachgebrauch, der die universitas ein ,corpus fictum et repraesentatum4 nennt, überschneidet sich nun wiederum mit der Rede­ weise von der universitas als ,persona ficta et repraesentata4. Gleich die eben herangezogene Stelle aus dem Dekretalenkommentar des Johannes von Anania ist ein Beispiel für diese doppelte Bezeichnung der Körperschaft sowohl als »fingierter4 und »repräsentierter4 Körper wie als »fingierte4 und »repräsentierte4 Person. Dasselbe gilt etwa auch für den schon erwähnten Panormitanus68. Und der gleichfalls hier bereits genannte Roselli redet von der Kirche gelegentlich in einem Atemzug als corpus mysticum et persona repraesentata69. Indessen ist dieser Parallelismus keine Spezialität der Juristen des 15. Jahrhun65 Franciscus Zabarella: Super III. et V. Decretalium subtilissima Commen­ taria (Venetiis 1602): de symonia, c. dilectus filius (c. 30 X 5, 3) n. 6 (fol. 51 r). 56 Albericus de Rosate Bergomensis, Dictionarium Iuris, verb, „colle­ gium“: Collegium licet constituatur ex pluribus: est tarnen unum repraesen­ tatione. Ebenso loannes Andreae: Novella super sexto decretalium: de electione, c. sicut (c. 21 in VIo 1, 6). 57 loannes de Anania in c. 30 X de simonia 5, 3 n. 10 (Super quinto Decretalium, Lugduni 1555, fol. 50 v). 58 Vgl. die Nachweise N. 52-54 mit Panormitanus: Commentaria in Quartum et Quintum Decretalium Librum (Venetiis 1578): c. 30 de simonia X 5, 3 n. 11 (fol. 98 v), wo es zunächst heißt: Collegium, seu universitas est quaedam persona ficta et repraesentata; und über Bischof und Kanoniker dann: hoc corpus non est verum, sed fictum et repraesentatum. 69 Monarchia P. II c. 2 (Goldast, Monarchia I, S. 305). 8*

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4. Kap.: Repräsentation und- Stellvertretung

derts. Hatte doch schon der doctor angelicus statt corpus mysticum auch persona mystica gesagt. Bevor wir uns dem technischen Ausdruck persona repraesentata zuwenden, darf festgehalten werden, daß der Kunstausdruck corpus mysticum, seit er in der — nicht zuletzt durch die Auseinandersetzung mit den Franziskaner-Spiritualen provozierten oder doch vorangetrie­ benen60 — Frage nach dem Rechtsbegriff der Kirche mit dem Zurück­ treten der sakramentalen Bezüge juristischen, nämlich korporations­ rechtlichen Sinn gewinnt, in einen älteren juristischen Traditionszusam­ menhang eintaucht, aus dem allein er hinfort seine Bedeutungsvalenz speist. Der Terminus bringt dabei spezifisch theologische, zumal christo­ logische Bedeutungselemente nicht ein61. Daß im christlichen Ver­ ständnis der kirchlichen corpora der Gedanke der Einheit aus Ein­ geistigkeit eine besondere Rolle spielt (wie sich dann etwa in der Frage der Mehrheitsentscheidung so deutlich zeigt62), steht auf einem anderen Blatt.

III. Der Terminus persona ficta sive repraesentata hat — allem Anschein nach — in der Geschichte des Begriffs der juristischen Person einen ungleich bestimmteren Platz als das Wort vom corpus mysticum. Seit Otto v. Gierke gilt Innocenz IV. (1243 -1254) — Hans Julius Wolff hat das wiederholt — als erster Theoretiker der nur ideellen Rechtspersön­ lichkeit, als Begründer der sog. Fiktionstheorie63, derjenigen — vor80 Vgl. Ernst Benz: Ecclesia spiritualis — Kirchenidee und Geschichts­ theologie der franziskanischen Reformation, Stuttgart 1934, S. 404 ff. 81 Dazu steht natürlich nicht in Widerspruch, daß die (deutero)paulinische Redeweise sehr zur Verbreitung und Vertiefung der corpus-Metapher als Inbegriff körperschaftlicher Einheit beigetragen hat: Melchiorre Roberti: II corpus mysticum di S. Paolo nella storia della persona giuridica, Studi di storia et diritto in onore di Enrico Besta, Vol. IV, Milano o. J., S. 35 - 82. — Vgl. zusammenfassend auch Joseph Ratzinger: Art. „Leib Christi“ II, Lexi­ kon für Theologie und Kirche, 6. Bd., Freiburg 1961, Sp. 910 - 912 unter Nr. 2. 82 Grossi, Unanimitas, aaO (N. 40) bes. S. 320 ff. Vgl. dazu unten § 14 bei NN. 126 ff. 88 H. J. Wolff, Organschaft und Juristische Person, 1. Bd., S. 3 N. 3. Noch die Arbeit mit dem vielversprechenden Titel „Die Rechtspersönlichkeit des Staates. I. Teil: Dogmengeschichtliche Darstellung“ von Ulrich Häfelin (Tü­ bingen 1959) begnügt sich insoweit S. 11 mit dem Satz: „Die romanistische und kanonistische Rechtswissenschaft des Mittelalters stellte erstmals eine allgemeine Lehre von den juristischen Personen auf, die in der von Papst Innozenz IV. begründeten Fiktionstheorie ihren prägnanten Ausdruck fand.“ Im gleichen Sinne etwa auch Gottfried Salomon-Delatour: Moderne Staats­ lehren (POLITICA 18), Neuwied a. Rh. u. Berlin 1965, S. 295. Kritisch dazu Pierre Gillet: La personnalite juridique en droit ecclesiastique specialement chez les Decretistes et les Decretalistes et dans le Code de droit canonique (Universitas Catholica Lovanensis — Dissertationes etc. 11/18), Malines 1927, S. 141 ff., 163 ff.; Joseph Lammeyer: Die juristischen Personen der katholi­ schen Kirche historisch und dogmatisch gewürdigt, Paderborn 1929, S. 131 ff.;

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züglich mit dem Namen Savignys verknüpften64 — juristischen Doktrin also, welche die Dogmen von der Subjektivität aller Rechte und der ausschließlichen natürlichen Rechtsfähigkeit der Einzelmenschen85 mit der Rechtswirklichkeit von Zweckvermögen und Verbandsorganisa­ tionen konstruktiv durch das Einschalten zusätzlicher, von den einzelnen Mitgliedern und deren Gesamtheit gänzlich abstrahierter, rein fiktiver Personen vermittelt66. Daß Korporationen als solche nicht der Exkom­ munikation verfallen, daß sie nicht ohne weiteres deliktsfähig sind und nicht so wie natürliche Personen bestraft werden können, daß sie auch nicht als Taufpaten in Frage kommen und dergleichen mehr, begrün­ dete nach Gierkes Darstellung67 zuerst der juristisch hochgelehrte Innocenz IV. (nach Maitland „the greatest lawyer that ever sat upon the chair of St. Peter“) damit, daß die Korporationen als solche nur nornina juris et non personarum, nomina intellectualia und res incor-

Konstantin Hohenlohe: Grundlegende Fragen des Kirchenrechts, Wien 1931, S. 76ff.; I. Th. Eschmann: Studies on the Notion of Society in St. Thomas Aquinas — I. St. Thomas and the Decretal of Innocent IV Romana Ecc­ lesia: Ceterum, Mediaeval Studies VIII (Toronto 1946, Nachdr. The HagUb 1964) S. 1-42 (2$ ff.); Alois Hanig: Innozenz IV., Vater der Fiktionstheorie? ÖArchKR 3 (1952) S. 177 - 213. — Der (kath.) Protest gegen Gierkes These war ursprünglich nicht rechtshistorisch, sondern dogmatisch und kirchen­ politisch motiviert. So schrieb Hohenlohe (aaO S. 76) im Blick auf die Frage, wer die juristische Person fingiert: „Die Fiktionstheorie Savignys enthält im Keime die Verstaatlichung der Kirche und ihrer Institute, gefährdet oder unter Umständen vernichtet das Ordensleben und deshalb lehnen wir es ab, daß diese Theorie im Kirchenrechte niedergelegt oder aus demselben seinen Ursprung ableitet.“ 64 Friedrich Carl von Savigny: System des heutigen Römischen Rechts, 2. Bd., Berlin 1840, S. 236: „Die Rechtsfähigkeit wurde oben dargestellt als zusammenfallend mit dem Begriff des einzelnen Menschen ... Wir betrachten sie jetzt als ausgedehnt auf künstliche, durch bloße Fiction angenommene Subjecte. Ein solches Subject nennen wir eine juristische Person, d. h. eine Person welche blos zu juristischen Zwecken angenommen wird. In ihr finden wir einen Träger von Rechtsverhältnissen noch neben dem einzelnen Men­ schen.“ Nach der Beschränkung auf das Privatrecht und speziell die „Ver­ mögensverhältnisse“ ergibt sich als nähere Bestimmung der juristischen Person: „sie ist ein des Vermögens fähiges künstlich angenommenes Sub­ ject.“ (aaO S. 239). — Vgl. hierzu und zum folgenden Francesco Ruffini: La classificazione delle persone giuridiche in Sinibaldo dei Fieschi (Inno­ cenzo IV) ed in Federico Carlo di Savigny, Scritti in onore di Francesco Schupfer, vol. II, Torino 1898, S. 313 - 393, wieder abgedr. in Ruffinis Scritti giuridici minori, vol. II, Milano 1936, S. 5 - 90. 65 Die Selbstverständlichkeit dieser Voraussetzungen der Lehre von der fiktiven Rechtspersönlichkeit zeigt sich sehr schön bei J. P. Kierulff: Theorie des Gemeinen Civilrechts, 1. Bd., Altona 1839, S. 129, 154 f. Vgl. dazu Ernst Zitelmann: Begriff und Wesen der sogenannten juristischen Personen, Leip­ zig 1873, S. 22 f., 29. 66 Vgl. dazu Alois Brinz: Lehrbuch der Pandekten, 1. Bd., 3. Aufl., Erlan­ gen 1884, S. 222 ff.; ferner mit umfassenden Nachweisen Ludwig Enneccerus/ Hans Carl Nipperdey: Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 1. Halbbd., Tübingen 1959, S. 607 ff. 67 Genossenschaftsrecht III, S. 280 f.

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

porales seien68. Ihre Rechtsträgerschaft beruht, so scheint Innocenz in

der Frage der Handlung eines Kollegiums durch einen einzelnen zu lehren, auf einer ,Fiktion*: cum collegium in causa universitatis fingatur una persona". Doch ist nicht zu übersehen, daß Innocenz sein nomen iuris nicht in erster Linie gegen res setzt, sondern der Be­ zeichnung von Personen, dem Personenbegriff (nomen personarum) gegenüberstellt. In dieser Relation bedeutet nomen iuris nicht: Rechts­ begriff oder: juristischer Begriff, sondern schlicht: Name eines Rechts. Universitas ist hier nicht das, was eine Gruppe ist, sondern das, was sie hat: ein Sonderrecht, ein Privileg70. Solch ein Sonderrecht kann dann natürlich auch als eine res incorporalis und ein nomen intellectuale bezeichnet werden704. Freilich: schon bei den Juristen des 14. Jahrhun­ derts, Kanonisten wie Legisten, liegen die Dinge insofern anders, als sie nun ausdrücklich von fictio iuris, von einer rechtlichen ,Fiktion* sprechen. Eigentlich sei die Körperschaft, lehrt Bartolus (1314 -1357), nichts weiter als die Summe der Mitglieder; aber nach einer Rechtsfik­ tion stelle sie eine einzige, von den einzelnen Mitgliedern abgehobene und von ihnen verschiedene Person dar: si quidem loquamur realiter, vere et proprie ... nihil aliud est Universitas scholarium quam scholares. Sed secundum fictionem iuris ... Universitas representat unam personam, quae est aliud a scholaribus, seu ab hominibus universita­ tis ... Quod apparet, quia recedentibus omnibus istis scholaribus, et aliis redeuntibus, eadem tarnen universitas est. Item mortuis omnibus de populo, et aliis subrogatis idem est populus ... Et sic aliud est universitas quam persone quae faciunt universitatem, secundum iuris fictionem: quia est quedam persona representata11. Nicht anders die

Kanonisten. Auch sie argumentieren, insbesondere im Zusammenhang mit der Frage der Deliktsfähigkeit von Personenverbänden, mit der bloßen Fiktion einer Körperschaftsperson72. Die zwischen dem Tode des 88 Commentaria c. 64 X 5, 39 n. 3 (fol. 564 r): capitulum, quod est nomen intellectuale, et res incorporalis, nihil facere potest, nisi per membra sua. — c. 53 X 5, 39 n. 1 (fol. 557 r): universitas autem non potest excommunicari, quia impossibile est, quod universitas delinquat, quia universitas, sicut est capitulum, populus, gens, et huiusmodi nomina sunt iuris, et non personarum, ideo non cadit in earn excommunicatio. Item in universitate sunt et pueri unius diei. Item eadem est universitas quae est tempore delicti, et quae futuro tempore, quo nullo modo delinquunt excommunicarentur. 60 In c. 57 X 2, 20 n. 5 (fol. 270 v): hodie licitum est omnibus collegiis per alium iurare, et hoc ideo, quia cum collegium in causa univ ersitatis fingatur una persona, dignum est, quod per unum iurent, licet per se iurare possint, si v elint. 70 Hierin folge ich Eschmann, Studies on the Notion of Society, aaO (N. 63) S. 35. 7°a vgl. dazu Michaud-Quantin, Universitas, S. 209 f. 71 Bartolus in Digestum novum (Lugduni 1563) 48, 19, 16, 10: de poenis, 1. Aut facta, § Nonnunquam (fol. 429 v). 72 Zabarella aaO (N. 55): universitas secundum veritatem non est corpus verum ut intelligamus corpus vivificatum anima intellectiva ... et ideo hoc

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Erblassers und dem Erbschaftserwerb „ruhende“ Erbschaft mit der Körperschaft vergleichend sagt — um ein letztes Beispiel zu nennen — der Legist Paul von Castro (f 1441), das Recht ,fingiere4 aus der Zu­ sammenfassung von Gütern oder Menschen eine unsichtbare Person, mit dem Unterschied freilich, daß die Erbschaft die Person eines Toten, die universitas hingegen eine lebende Person „repräsentiere“73. Der Relation von ,natürlichem4 und »mystischem Leib4 entsprechend, werden hier nun, wo es hauptsächlich um die rechtliche Selbständigkeit be­ stimmter Vermögensmassen und um die Deliktsfähigkeit von Personen­ verbänden geht, die wirkliche Person und die »fingierte4 oder »reprä­ sentierte4 Person einander gegenübergestellt74. Johannes Andreae (ca. respectu universitas non est unum corpus, sed tot, quot sunt singuli de universitate: sed universitas secundum fictionem iuris est corpus vivens: quate­ nus consideramus singulos de universitate simul sumptos, ut haec simultanea collectio fictione iuris censeatur unum corpus s. representativum singulorum ... sicut universitas est corpus fictum, et per quandam repraesentationem, ita ficte et improprie delinquit. — Joh. v. Anania aaO (N. 57): secundum veritatem, collegium non est aliud a singulis de coliegio, et hoc tenent philosophi et canoniste ... quod totum non debet differre regulariter a suis partibus ... sed secundum iuris fictionem, aliud est collegium, aliud singuli de collegio ... Ideo dicitur universitas persona ficta, et representata ... Et ideo proprie loquendo, collegium sive universitas non possit proprie delinquere, quia non habet animum vel sensum, sine quo delictum committi non possit ... Sed istud corpus fictum pro vero habetur, quo ad multos iuris effectus ... 78 Paulus Castrensis in Digestum novum (Lugduni 1565): de fideiussoribus, 1. mortuo (Dig. 46, 1, 22) nn. 1 u. 2 (fol. 163): Pro persona ficta non potest quis fideiubere ... quod hereditas et etiam universitas municipii seu collegii obtinent vicem persone ficte. Aliud est enim hereditas, aliud bona here­ ditaria. Item aliud universitas, aliud persone universitatis. ... fingit enim ius quandam personam invisibilem que resultat ex congregatione multorum. differunt tarnen, quia hereditas representat personam mortui sive defuncti ... Sed universitas representat personam viventem ... 74 Hierzu nur einige Hinweise: Petrus de Bella Perthica (tl308): Lectura insignis et fecunda super Prima parte Codicis (einziger Druck: Parisiis 1519): ad Trebellianum (Cod. Just. 6, 49) rubr. (fol. 319 r-recte 325). — lacobus de Bello Visu (Jac. de Belvisio 1270- 1335): Aurea Practica Criminalis (ed. Arnold Baert), Coloniae 1580, lib. III c. 28 n. 15 (p. 663). — Cynus de Pistorio (1270-1336): Lectura super aureo volumine codicis (o. O. - Lyon -1517): ad senatus consul tum Trebellianum et de incertis personis (Cod. Just. 6, 48 u. 49) rubr. (fol. 252 v); de procuratoribus, 1. neque (Cod. Just. 2, 12 [13], 11) n. 7 (fol. 49 v); 1. orphanotrophos (Cod. Just. 1, 3, 32) n. 1 (fol. 11 r). — Bartolus a Saxoferrato: In primam Digesti Novi partem Commentaria (Lugduni 1544): de acquirenda possessione, 1. possessio appellata est, § municipes (Dig. 41, 2, 1, 22) n. 3 (fol. 74 r); In secundam Digesti Novi Partem Commentaria (Lug­ duni 1544): de stipulatione servorum, 1. ususfructus (Dig. 45, 3, 26) nn. 4 u. 5 (fol. 67 v); de fideiussoribus et mandatoribus, 1. mortuo (Dig. 46, 1, 22) n. 1 (fol. 72 v); ad municipales et de incolis, 1. municipem (Dig. 50, 1, 1) n. 12 (fol. 239 r). — Johannes Andreae aaO (N. 75). — Albericus de Rosate (t 1354): Commentariorum iuris utriusque pars Prima super Digesto veteri (Lugduni 1545): de rerum divisione et qualitate, 1. summa (Dig. 1, 8, 1) n. 1 (fol. 67 v); Commentariorum iuris utriusque pars Secunda super Digesto novo (Lugduni 1545): de fideiussoribus, 1. mortuo (Dig. 46, 1, 22) nn. 1 u. 2 (fol. 106 v). — Baldus Perusinus: In sextum — undecimum Codicis Ubros praelectiones: de

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4. Kap.: Repräsentation und' Stellvertretung

1270 - 1348)75 folgend charakterisieren die Juristen die seelenlose per­ sona repraesentata als substantiell verschieden von der wirklichen Person als der unteilbaren Substanz eines vernünftigen Wesens. (Auch) das ist freilich nicht, wie Gierke meinte76, eine Definition des Johannes Andreae, den Gierke selber den „ärgsten Plagiator aller Zeiten“ ge­ nannt hat, sondern eine berühmte Begriffsbestimmung des Boethius77.

Kann diese juristische Denkfigur der persona repraesentata indessen wirklich als nominalistische Fiktionstheorie qualifiziert werden? Be­ steht tatsächlich ein spezifischer Zusammenhang mit dem mittelalter­ lichen Universalienstreit, wie ihn Gierke nachdrücklich behauptete, indem er einen „unter Einfluß der nominalistischen Philosophie ... offen verkündeten unlöslichen Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Recht“ zum Angelpunkt der legistischen Auffassung vom Verhältnis der personifizierten Einheit der Korporation zur Gesamtheit ihrer Glieder erklärte78, und den Satz, wonach die universitas als solche nichts ist als die Summe der Einzelnen ohne eigene reale Existenz, als Konsequenz des Nominalismus hinstellte79? Nun: ohne Zweifel ist die in Frage stehende Lehre, zumindest nach ihrem ursprünglichen Ansatz, so nicht richtig eingeordnet. Wie bei Thomas von Aquin27 steht auch bei den Juristen zunächst einmal der Gedanke bildlicher Ähnlichkeit und der Entsprechung im Vordergrund. Das gilt für die Persona-repraesentata-Lehre nicht weniger als für den Corpus-fictum-Gedanken, wo sich das ja geradezu handgreiflich zeigte80. incertis personis (Cod. Just. 6, 48) n. 1 (fol. 164 r); Commentaria in Digestum vetus (Lugduni 1562): de iustitia et iure, 1. omnes populi (Dig. 1, 1, 9) n. 23 (fol. 14 v). — Petrus de Ancharano (1330 - 1416) super sexto Decretalium (Lugduni 1543): de rescriptis, c. si gratiose (c. 5 in VIo 1, 3) n. 4 (fol. 11 r); de electione et electi potestate, c. sicut cum (c. 21 in VIo 1, 6) n. 2 (fol. 28 r). — Paulus Castrensis in Infortiatum (Lugduni 1564): de acquirenda hereditate, rubr. (Dig. 41, 2) nn. 2 u. 3 (fol. 107 r); de condicionibus, 1. municipibus (Dig. 35, 1, 97) n. 2 (fol. 226 r). — loannes de Anania super primo Decretalium (Lug­ duni 1553): c. 2 de postulatione praelatorum X 1, 5 n. 2 (fol. 21 r); Super secundo et tertio Decretalium (Lugduni 1553): c. 4 de his, quae fiunt a praelato sine consensu capituli X 3, 10 n. 2 (fol. 105 r). — Johannes Bertachinus (1448- 1497): Prima Pars Repertorii (Lugduni 1562), s. v. civitas n. 20 (fol. 172 r); Tertia Pars Repertorii (Lugduni 1562), s. v. persona n. 30 (fol. 231 v). 75 Novella super sexto Decretalium (N. 36), De sententia ex communicationis c. Romana (c. 5 in VIo 5, 11): ... vera persona que est rei rationabilis individua substantia inde collegium dicitur persona non vera sed representata. — De praebendis et dignitatibus c. Quum in illis (c. 16 in VIo 3, 4): ... universitas et sit persona non tarnen vera sed representata ... et sic haec persona cum ilia non est idem in substantia. 76 Genossenschaftsrecht III, S. 282. 77 Vgl. § 3 bei N. 14. Siehe dazu Philipsborn, Begriff der Jurist. Person, aaO (N. 32) S. 44. 78 Genossenschaftsrecht III, S. 365. 79 Ebd. S. 425. 80 Vgl. oben nach N. 56.

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Mit Recht hat man darauf hingewiesen, daß dem fraglichen „finpatur una persona“ bei Innocenz IV. „nicht die metaphorische Bedeutung ,sich einbilden*, sondern der Grundwert »bilden*, »formen* zukommt**81. Und das gilt nicht nur für Innocenz, sondern im Prinzip auch noch für die ihm folgenden Juristen82. Persona repraesentata: das ist von dem angeblichen ,Fiktionstheoretiker* Bartolus88 bis Paulus von Castro und Johannes von Imola (t 1436) eine Gesamtheit, welche eine Person „repräsentiert**, d. h. ab- oder nachbildet, sei es — im Falle der ruhen­ den Erbschaft — diejenige eines Toten, sei es eine im Wechsel ihrer Mitglieder fortlebende — wie bei weltlichen Körperschaften —, oder sei es — im Falle der Kirche — eine Person, „die nicht lebend genannt werden kann, weil sie nicht sterblich ist“84. Wird die Erbschaft ange­ nommen, dann geht, sagt man, jene Repräsentation auf den Erben über, der nun als persona vera den Erblasser repräsentiert85. Höchst bezeich­ nenderweise wird das Handeln für ein Kollegium als persona reprae­ sentata et ficta durch einen Einzigen mit möglichst naturgetreuer Nach­ bildung begründet: ut sic fictio imitetur naturam inquantam potest^. 81 Hanig aaO (N. 63) S. 186. Vgl. auch Josef Esser: Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen — Kritisches zur Technik der Gesetzgebung und zur bis­ herigen Dogmatik des Privatrechts, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1969, S. 21. 82 Dies gegen Eschmann aaO (N. 63) S. 33, der Gierke ja nur vorwirft, daß er die Lehre der Juristen des 14. Jhs. auf Innocenz IV. zurückprojiziert habe, eine Lehre, die indessen offenbar auch Eschmann für eine Fiktionstheorie i. S. Gierkes hält. 88 In Dig. 41, 2, 1, 22 n. 3 (N. 74): universitas ... est persona repraesentata, quia verum est quod representat personam viventis, ideo potest possidere sicut usumfructum habere ... sed hereditas representat personam mortui ... et istud forte voluerunt dicere qui dicunt universitas possidet improprie, quia non est propria persona sed representata ... In Dig. 45, 3, 26 nn. 4 u. 5 (N. 74): ... hereditas representat vicem persone. ... verum in persona vera: secus in persona representata. Nämlich: personam defuncti representat here­ ditas. In Dig. 46, 1, 22n. 1 (N. 74): ... in hoc differt hereditas a curia et societate et collegio in quibus representatur persona vivens. — Vgl. auch schon Petrus Bellapertica in Cod. Just. 1, 3, 24 n. 1, aaO (N. 74) fol. 19 r; in Cod. Just. 1, 2, 1 n. 2, ebd. fol. 3 r: collegium est certa persona: quia collegium representat certam personam. 84 Paulus Castrensis in Dig. 46, 1, 22 nn. 1 u. 2 (N. 73); loannes de Imola super Secunda Digesti novi. Commentariorum pars Secunda super Digesto novo (Lugduni 1547): de fideiussoribus, 1. mortuo (Dig. 46, 1, 22) nn. 1 u. 3 (fol. 103 s.): Si obligatio consistat in persona repraesentata potest accipi fideiussor ... hereditas representat personam defuncti. Et sic differt ab universitate ... licet universitas sit persona repraesentata ut hereditas ...: universitas representat personam viventem hereditas personam mortuam. ... Attende tarnen quia licet universitas representet personam viventem: tarnen non est persona vera sed ficta et representata. Et sic caret anima non potest excommunicari ... 85 Paulus Castrensis in Dig. 41, 2 nn. 2 u. 3 (N. 74): hereditas iacens est quedam persona ficta: representans personam defuncti ... postquam vero adita, ista representatio transfertur in personam veram. qui tunc heres est ilia que representat, ideo cessat fictio seu ficta representatio. 88 Petrus de Ancharano in c. 21 in VIo 1, 6 n. 2 (N. 74): electio debet per unum pronuntiari et esse communis ... ex singularibus consensibus non

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

Wie der alte pontificische Satz in sacris simulata pro veris accipiuntur, welcher die römischrechtlichen ,Fiktionen* gedeihen ließ, nicht irgend­ eine Täuschung beabsichtigte, sondern rituelle und rechtliche Gleich­ setzung meinte87, so kann man auch bei unseren mittelalterlichen Ju­ risten mit ihrem dem Gedanken des Bildes, der Ähnlichkeit, der Nach­ bildung, kurz: der Analogie verhafteten Denken demnach schwerlich von einer der Wirklichkeit bewußt und ausdrücklich widersprechenden Konstruktion reden. Die Fiktion hat in diesem Horizont als figura veritatis sogar einen ausgesprochen positiven Sinn88. Fortwährendes Operieren mit bildhaften Vergleichen macht leicht erklärlich, daß es Kanonisten und Legisten — wie schon Gierke selbst einräumen mußte — niemals gelungen ist, die persona repraesentata als eine Rechts­ abbildung der natürlichen Person streng von der Gesamtheit der jeweiligen Mitglieder zu unterscheiden und nur als gedachtes Subjekt zu begreifen — von der Rechtspraxis ganz zu schweigen89. Nach alledem ist die Bedeutung von repraesentare samt Ableitungen im Zusammen­ hang mit der Corpus-mysticum- und Persona-repraesentata-Lehre also gar nicht so sehr verschieden von dem Sprachgebrauch, den wir in Theologie und Wahrnehmungslehre der Scholastik verfolgt haben. Im übrigen bleibt anzumerken, daß auch der Hinweis auf den Nomina­ lismus den angeblichen Widerspruch von (Rechts)Begriff und Wirklich­ keit nicht wahrscheinlicher macht. Denn ungeachtet der Schwierigkei­ ten, die Situation der Schulen des 13. und 14. Jahrhunderts, welche nicht mehr die Dingindividualität, sondern die Tatsache unserer All­ gemeinbegriffe für erklärungsbedürftig hielten90, jenseits der in den Nominalismus-Begriff aus Empirismus, Agnostizismus und Relativis­ mus eingeflossenen neuzeitlichen Vorstellungen zu rekonstruieren91, resultat consensus collegialis et communis nam collegium est una persona representata et ficta ... ergo eius nomine debet fieri per unum: ut sic fictio imitetur naturam inquantum potest... 87 Vgl. Gustav Demelius: Die Rechtsfiktion in ihrer geschichtlichen und dogmatischen Bedeutung, Weimar 1858, S. 12, 39, 59, 75 f. 88 Das gilt nicht nur für Thomas, auf den H. Kantorowicz (The King’s Two Bodies, S. 306 f.) in diesem Zusammenhang sehr mit Recht hingewiesen hat. 88 Vgl. Gierke, Genossenschaftsrecht III, S. 366 ff., 430 ff. Siehe dazu Gillet, La personnalite juridique en droit ecclesiastique, S. 169 ff.; Lousse, La sociötö d’ancien regime, S. 193 ff. Eine beispielhafte Beleuchtung der (engl.) Rechtspraxis bei H. Ke Chin Wang: The Corporate Entity Concept (or Fiction Theory) in the Year Book Period, The Law Quaterly Review 58 (1942) S. 498 - 511, 59 (1943) S. 72 - 86. 80 Vgl. Philotheus Boehner: Der Stand der Ockham-Forschung (1952) in ders.: Collected Articles on Ockham, ed. by Eligius M. Buytaert (Franciscan Institute Publications, Phüosophy Ser. 12), St. Bonaventura, N. Y. I Louvain I Paderborn 1958, S. 1 - 23 (20). 81 Vgl. Wilhelm Kölmel: Wilhelm Ockham und seine kirchenpolitischen Schriften, Essen 1962, S. 43. Sehr deutlich macht die Schwierigkeiten der Nominalismus-Definition auch Gottfried Martin: Ist Ockhams Relations­ theorie Nominalismus? FraS 32 (1950) S. 31 - 49 (32 - 35).

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wird man doch sagen dürfen, daß auch die nominalistischen oder genauer: konzeptualistischen Universalien keine realitätsfernen oder gar realitätsfeindlichen Denkgebilde waren. Nur der Realitätsbezug ist ein anderer als in der platonischen oder aristotelischen Philosophie. Auch die konzeptualistischen Universalien sind durch Kausalität ver­ bürgte Wirklichkeitsbilder, nur eben nicht der Wirklichkeit universel­ ler Wesenheiten, sondern der Wirklichkeit unter sich übereinstimmen­ der Individuen. Wenn die Wendungen von der persona repraesentata, ficta oder imaginaria sonach ursprünglich nur die Funktion hatten, ganz be­ stimmte, auf natürliche Personen gemünzte Rechtssätze im Wege des Vergleichens auf Zweckvermögen und Personenverbände anzuwenden, insofern Fiktionen eben wesentlich Verweisungen sind92, so kann ande­ rerseits weder jeder problemgeschichtliche Zusammenhang zwischen der Fiktionstheorie des 19. Jahrhunderts und der kanonistischen Idee der fingierten Person bestritten98 noch übersehen werden, daß die Quel­ len eben auch mit der Quiddität der universitas argumentieren und daß insbesondere die geläufige formelhafte Antithetik des aliud uni­ versitas, aliud singuli de universitate94 in ihrer unbedachten Tendenz zur Gegenüberstellung von abstraktem Korporationsbegriff und kon­ kreten Korporationsmitgliedern den Gedanken einer bloß fingierten Einheit zu induzieren geeignet ist. So ist die Analogie der Gattungs­ begriffe mitunter tatsächlich herangezogen worden, um die Unfähigkeit der Körperschaft zu erweisen, als solche faktische Akte vorzunehmen95. 92 Enneccerus / Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., S. 610 N. 2 (unter Nr. 6). Vgl. dazu Hans Kelsen: Zur Theorie der juristischen Fiktionen. Mit besonde­ rer Berücksichtigung von Vaihingers Philosophie des Als Ob, Annalen der Philosophie 1 (1919) S. 630-658; Esser, Wert und Bedeutung der Rechts­ fiktionen, S. 23 ff., aber auch S. 92 ff. 98 Julius Binder: Das Problem der juristischen Persönlichkeit, Leipzig 1907, S. 3 f. 94 Vgl. etwa loannes de Imola in Dig. 41, 2, 1, 22 n. 40 (N. 84): universitas est persona ficta et representata: cum aliud sit universitas aliud singuli de universitate; Panormitanus in c. 30 X 5, 3 n. 11 (N. 58): secundum veritatem collegium non est aliud a singulis de collegia, sed secundum iurisdictionem aliud collegium, aliud singuli ... collegium, seu universitas est quaedam persona ficta et repraesentata. — Bartholomaeus Salicetus (t 1412): Pars Quarta Commentariorum super Codice (Lugduni 1549): de seditiosis, 1. si quis (Cod. Just. 9, 30, 1) n. 3 (fol. 226 r): universitas ... ipse est persona representata et ficta ... Et sic alia a personis eorum qui sunt de universitate. Et pro hoc etiam inducit quod per se subrogationes mortuorum eadem est universitas, licet persone sint diverse ... nam nedum vere sed etiam ficte universitas nil aliud est quam homines universitatis sed aliud est a singulis de universitate. Über Autor und Werk Savigny, Gesch. d. Röm. Rechts im MA VI, S. 259. 95 Dafür, daß „unter offenbarem Einfluß des philosophischen Nominalismus die Analogie der Gattungsbegriffe herangezogen (wurde), um die Ansicht zu erhärten, daß auch die universitas als universitas nichts als eine begriff­ liche Abstraktion ohne jede Realität sei“, machte Gierke (Genossenschafts­

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Zabarella bezeugt, daß die Frage nach dem Wesen der universitas teilweise dahin beantwortet wurde, es sei die Körperschaft identisch mit ihren Mitgliedern, weil die Universalien außerhalb der mensch­ lichen Vorstellung keine Realität besäßen98. Vor allem aber hat Jo­ hann XXII. im Theorienstreit darüber, ob und inwieweit Christus und die Apostel einzeln oder gemeinschaftlich Eigentum gehabt hätten und wie demgemäß die wahre Nachfolge Christi auszusehen habe, den Franziskanern in diesem Sinne die Konsequenz faktischer Handlungs­ unfähigkeit des Ordens als solchen gezogen. Das war insofern bedeut­ sam, als der Streit sich auf die Frage zuspitzte, ob die Minoriten in­ folge des Verzichts auf Einzel- wie Verbandseigentum auch an den Verbrauchs- oder Verzehrgütem (res usu consumptibiles) nurmehr die faktische Nutzungsbefugnis (simplex usus facti) hätten, wie an Liegen­ schaften und den anderen gestifteten Besitztümern, welche schon Innocenz IV. in das Eigentum des päpstlichen Stuhls genommen hatte. Als Johann mit der Dekretale „Quia quorundam“ (1324) endgültig gegen die Minderbrüder Stellung bezog, geschah das hauptsächlich mit dem Argument, daß aus ihrem Gütergebrauch allemal auf ein Eigen­ tumsrecht rückgeschlossen werden müsse, da nur faktischer Gebrauch (also ohne Inanspruchnahme eines Eigentumsrechts, eines vom domi­ nium nicht ablösbaren usus iuris) dem Orden als einer bloßen persona repraesentata, als einer bloßen rechtlichen Abstraktion gar nicht mög­ lich sei97. recht III, S. 281) eine Stelle aus Federicus Petrucius Senensis (gest. nach 1343): Consilia sive Responsa, Questiones, et Placita (Venetiis 1570) nam­ haft, wo es q. 15 n. 1 (fol. 12 v) heißt: universitas non est capax huius actus, vel parentelae, quia universitas ut universitas, prout est nomen iuris, est in abstracto; sicut et homo in communi, non est capax horum actuum. 98 Zabarella in c. 30 X 5, 3 n. 6 (N. 55): Quaero ... , nunquid collegium, vel universitas possit puniri de crimine: haec quaestio, ut pateat, primo videndum est, quid est universitas quidam dicunt, quod non est aliud, quam singuli de universitate ..., quia universalia non sunt aliquid reale extra animam. unde reprobat philosophus Platonem ponentem ideas universalium extra animam ... In contrarium tenent alii dicentes, quod universitas est corpus distinctum a singulis: aliud enim universitas, aliud singuli... 97 Zum Armutsstreit, zur Vorgeschichte und zu „Quis quorundam“ vgl. Constantin Höfler: Aus Avignon, Prag 1868, in: Abh. der königl. böhmi­ schen Gesellschaft der Wissenschaften vom Jahre 1868, 6. Folge. 2. Bd., Prag 1869, S. 31-40, hier bes. 33 f., 37 ff.; Sigmund Riezler: Die Literarischen Widersacher der Päpste zur Zeit Ludwig des Baiers — Ein Beitrag zur Ge­ schichte der Kämpfe zwischen Staat und Kirche, Leipzig 1874, S. 59 ff.; Carl Müller: Der Kampf Ludwigs des Baiern mit der römischen Curie. Ein Beitrag zur kirchlichen Geschichte des 14. Jahrhunderts, 1. Bd.: Ludwig der Baier und Johann XXII., Tübingen 1879, S. 95 ff.; Karl Balthasar: Geschichte des Armutsstreites im Franziskanerorden bis zum Konzil von Vienne (Vorreformationsgeschichtl. Forsch. VI), Münster i. W. 1911; Decima Langworthy Douie: The Nature and Effect of the Heresy of the Fraticelli (Publications of the University of Manchester 220, Hist. Ser. 61), Manchester 1932; Adalbert Hamman: La doctrine de 1’eglise et de 1’etat chez Occam — Etude sur le „Breviloquium“ (Etudes de science religieuse), Paris 1942, S. 115 ff.; La-

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Indessen zeigt gerade das juristische Ergebnis der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit derlei Schlußfolgerungen die Unhaltbarkeit der These von einer die mittelalterliche Korporationslehre beherr­ schenden nominalistischen Fiktionstheorie im Sinne Gierkes. Die frag­ lichen Analogien eines bildhaften Denkens können nur dort als eine der Realität widersprechende „Fiktionstheorie“ erscheinen, wo Rechts­ fähigkeit im Horizont positivistischer Transformationen von Rechts­ sätzen in eine Rechtswelt quasidinglicher Größen maßgeblich vom zentralen Willensdogma her gedacht, wesentlich als Willensfähigkeit bestimmt wird. Gierkes These erweist sich so als bloße Funktion der auf die Frage nach dem „Wesen der menschlichen Verbände“ fixierten organologischen Theorie von der „realen Verbandspersönlichkeit“, insofern die rückprojizierte Auffassung von der bloß gedachten Ver­ bandseinheit als Gegenbild einen atomistischen Gruppenbegriff unter­ stellt98. Mit großer Schärfe attackierte das päpstliche persona-repraesentataArgument ausgerechnet der Mann, der als „der eigentliche Erneuerer des Nominalismus im 14. Jahrhundert“ gilt99: Wilhelm von Ockham. Wie alle derartigen Kollektive sei auch der Orden keine bloß gedachte Person, sondern bestehe in der Realität wirklicher Menschen: ordo non garde, La naissance de l’esprit laique I, S. 68 ff.; Malcolm David Lambert: Franciscan Poverty — The Doctrine of the Absolute Poverty of Christ and the Apostles in the Franciscan Order, 1210-1323, London 1961; Jürgen Miethke: Ockhams Weg zur Sozialphilosophie, Berlin 1969, S. 348-427, 503 f. 88 Vgl. Otto von Gierke: Das Wesen menschlicher Verbände (Berliner Rektoratsrede v. 1902), Darmstadt 1962; dazu die Einleitung zu Gierkes Genossenschaftstheorie. Charakteristisch auch, wie etwa Ernst Zitelmann (Begriff und Wesen der sogenannten juristischen Personen, Leipzig 1873, S. 24) eine der Spielarten der Fiktionstheorie kritisierte: „Gefragt war aber nicht wie das betreffende Vermögen technisch zu behandeln, sondern was es in Wahrheit sei ..." Den kleinen Schritt von der Theorie der realen Verbandspersönlichkeit zur Metaphysik der juristischen Person tat dann ausdrücklich Karl Larenz: Hegels Dialektik des Willens und das Problem der juristischen Persönlichkeit, Logos 20 (1931) S. 196 - 242 (bes. 215 ff.). — Was diese Fragen anlangt, ist das „Problem der juristischen Persönlichkeit“ in der Tat „recht eigentlich ein Problem des vergangenen Jahrhunderts“, wie Binder schon 1907 geschrieben hat (aaO — N. 93 — S. 1). Siehe dazu Esser, Wert und Bedeutung der Rechtsfiktionen, S. 124 ff., 132 ff. Zur heuti­ gen funktionellen Sichtweise vgl. vor allem den ersten Band des großen Werkes von Hans Julius Wolff. Siehe ferner Wolfhart F. Bürge: Wandlun­ gen im Wesen der juristischen Person, Festg. f. Nawiasky, Einsiedeln / Zü­ rich/Köln 1950, S. 245-260 (246, 248 f.); Enneccerus / Nipperdey, Allg. Teil, 1. Halbbd., S. 607 ff.; aber auch schon Gustav Demelius: Ueber fingirte Persönlichkeit, Jherings Jahrbücher 4 (1861) S. 113 - 158 (122 ff.). 99 Bernhard Geyer (Hg.): Die patristische und scholastische Philosophie (Friedrich Ueberwegs Grundriß d. Gesch. d. Philosophie, 2. Teil), 13. Aufl., Darmstadt 1956, S. 571. Vgl. dazu aber auch Wolfgang Stegmüller: Glauben, Wissen und Erkennen — Das Universalienproblem einst und jetzt, 2. Ausg., Darmstadt 1967, S. 69 ff. Zum folg, eingehend Miethke, Ockhams Weg, S. 444 ff., 507 - 516.

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est persona imaginaria et repraesentata, sed ordo est verae personae reales. Andernfalls müßte blasphemischerweise ja auch die Kirche als

bloßes Phantasiegebilde ohne jede Realität und faktische Gewalt ange­ sehen werden100. Tragender Grund dieser Ockhamschen Argumentation ist die Auffassung, daß die Einheit weder Dingrealität habe noch bloße Einbildung sei, sondern in der Wirklichkeit der ohne kittendes Medium einander zugeordneten, geeinten Individuen bestehe101. Wird der nach­ gefragten immanenten Einheit auch in Übereinstimmung mit der bekämpften Auffassung die Dingrealität der einzelnen Bestandteile abgesprochen — was für sich übrigens keine spezifisch nominalistische Position bezeichnet102 —, so besagt das doch keineswegs, daß der in concreto im Zusammenhalt ihrer Ordnung begriffenen Vielheit kon­ tingenter Existenzen als einer konkreten Gesamtheit keine Realität zuerkannt werden könnte. Die Verneinung allgemeiner Wesenheiten impliziert nicht notwendig die Leugnung konkreter Ganzheiten. Daß Ockham die Gruppe mitnichten einfach als Summe von Individuen begreift108, wird anderwärts deutlich, wo er die Einheit eines Volkes als Produkt einer bestimmten Ordnung bezeichnet, welche die Menschen 100 Opus nonaginta dierum c. 62 (Guillelmus de Ockham: Opera politica, vol. II, ed. R. F. Bennet/H. S. Offler, Mancunii 1963, S. 569). Ebd. S. 568 heißt es: si ordo Fratrum Minorum est persona repraesentata et imaginaria, eadem ratione ecclesia et quaelibet communitas esset persona repraesentata et imaginaria: quod est absurdum. Quod enim est tantum repraesentatum et imaginarium est fantasticum, et non est in re extra animam. Sed ecclesia non est quid fantasticum non existens extra animam; ergo non est persona repraesentata et imaginaria. Confirmatur: Quia aut ecclesia est extra ani­ mam, aut in anima tantum, aut aliquid compositum ex ente in anima et ente extra animam. Si est anima tantum, vel aliquid compositum ex ente in anima et ente extra animam, ergo nullum reale nec iurisdictionem realem potest habere: quae dicere de ecclesia est impium et blasphemum. Si autem ecclesia est extra animam, vel ergo est una res, vel plures; et sive sit una sive plures, non est persona repraesentata et imaginaria; quia nec una res est persona imaginaria, nec plures res sunt una persona repraesentata et imaginaria. Ecclesia ergo non est persona repraesentata et imaginaria; et eadem ratione ordo Fratrum Minorum non est persona repraesentata et ima­ ginaria. — Vgl. auch das Compendium errorum Papae, c. 4, in Goldast, Monarchia II, S. 957 - 976 (962). 101 Vgl. Gottfried Martin: Wilhelm von Ockham — Untersuchungen zur Ontologie der Ordnungen, Berlin 1949, S. 228 ff.; Kölmel, Ockham, S. 31 ff., 51 ff., 213 ff.; Miethke, Ockhams Weg, S. 512 f. 102 Vgl. Martin, Ockhams Relationstheorie, aaO (N. 91); Stegmüller, Uni­ versalienproblem, aaO (N. 99) S. 49 ff., 58 ff.; auch Hanig aaO (N. 63) S. 192 ff., und Kantorowicz, The King’s Two Bodies, S. 302 f. 108 So aber Simon Moser: Grundbegriffe der Naturphilosophie bei Wil­ helm von Ockham — Kritischer Vergleich der Summulae in libros physicorum mit der Philosophie eines Aristoteles (Philosophie u. Grenzwiss. IV/2 3), Innsbruck 1932, S. 6 f.; Georges de Lagarde: L’idee de representation dans les oeuvres de Guillaume d’Ockham, Bulletin of the International Committee of Historical Sciences IX (Paris 1937) S. 425 -451 (436 -442); ders.: La naissance de l’esprit laique au döclin du moyen age, V: Guillaume d’Ockham: Defense de 1’empire, Louvain/Paris 1962, S. 182 ff., 212; Leon Baudry: Le philosophe et le politique dans Guillaume d’Ockham, Archives d’histoire

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untereinander haben (multi homines dicuntur unus populus propter determinatum ordinem inter se104), und wo er die Einheit eines solchen Zusammenhanges, einer solchen wechselseitigen Zuordnung für unab­ hängig von der Bildung des entsprechenden Ordnungsbegriffes er­ klärt: ista intentio unitas vel ordo vel conceptus in anima relativa est, sine quo tarnen conceptu nihil minus est unum vel ordinatum™. Frei­ lich schießt der oppositionelle Kirchenpolitiker Ockham mit seiner Polemik gegen den kanonistischen persona-repraesentata-Gedanken insofern über das Ziel hinaus, als er dessen positive juristische Funk­ tion verkennt, die Aufgabe nämlich, die Idee der Rechtssubjektivität, der rechtlichen Zuordnung aus der Ontologie der physischen Person (Boethius) herauszupräparieren. Die Vorstellung der persona repraesentata ist sonach gewiß „keines­ wegs ockhamistisch“106. Man kann sie aber auch kaum als eigentlich nominalistische bezeichnen. Was hier unter dem Namen des Nomina­ lismus läuft, scheint nämlich eher ein bloßer Denkfehler. Es ist ja nicht so, daß der Name der universitas oder irgendein Synonym dafür bezüglich einer je bestimmten Körperschaft Allgemeinbegriff der Kor­ porationsmitglieder wäre. In dieser Hinsicht ist der Begriff ein konkre­ ter und bezeichnet ein Ganzes von Teilen. Denkt man ihn stattdessen als Gattungs- oder Klassenbegriff, so faßt er die konkreten Körper­ schaften in sich als seine Elemente. Mag dieser Inbegriff dann auch eine „Abstraktion ohne jede Realität“ sein: damit ist nicht gesagt, daß das auch für jede konkrete Korporation gilt. Oder anders: Weder sind die je zugehörigen Einzelnen Unterarten der universitas, noch stellen sie die Konkreta zum Abstraktum des Korporationsbegriffs dar. Kurzum: Die hier in Frage stehenden Verbände sind, wie schon Franz von Marchia, ein Mitstreiter Ockhams gesagt hat, communitates collectivae und nicht communitates logicae™. doctrinale et litteraire du moyen äge 12 (Paris 1939) S. 209 - 230 (211 ff., 215 ff.). In der Konsequenz dieser Fehleinschätzung wird die Kirche bei O. von Baudry S. 220 f. als pure societe spirituelle vorgestellt; Ockhams Lehre von der Ecclesia Romana als der geschichtlicher Gestalt der Ecclesia univer­ salis mit ihrer geschichtlich konkreten legitimen Ordnung wird übergangen. Vgl. unten § 15 bei N. 5. 104 Summulae in libros Physicorum, in: Philosophia Naturalis Guilelmi Occham ... a M. F. Bonaventura Theulo Veliterno ... edita, Rom 1637, zit. nach dem photomech. Nachdr. London 1963, S. 2 a/b. 106 Guillelmus de Occam in Sententiarum I d. 30 qu. 1 (Opera plurima III, Lugduni 1495, zit. nach dem Nachdr. London 1962). 106 Maurice de Gandillac: La Philosophie de Nicolas de Cues, Paris 1942, dtsch. u. d. T. Nikolaus von Cues — Studien zu seiner Philosophie und philosophischen Weltanschauung, Düsseldorf 1953, S. 23 N. 39. 107 Improbacio ... contra libellum domini Johannis, qui incipit ,Quia vir reprobus‘: Et prima ista propositio, quod usus facti communitati non convenit eo quod communitas non est vera persona sed ymaginaria et reprae­ sentata, licet sit vera de communitate logica, quae est communitas rationis

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Ohne Widerspruch zu dem auch von ihnen gerne verwandten Gedan­ ken der persona repraesentata haben so hervorragende Kanonisten wie Francesco Zabarella und Nicolaus de Tudeschis die Korporation folglich als die Gesamtheit, die gedachte Versammlung aller ihrer Mitglieder bestimmt. Universitas secundum veritatem ... non est unum corpus, sed tot, quot sunt singuli de universitate: sed universitas secundum fictionem iuris est corpus vivens: quatenus consideramus singulos de universitate simul sumptos, ut haec simultanea collectio fictione iuris censeatur unum corpus ... So Zabarella72. Und der Panor­ mitanus redet in demselben Sinne von der persona repraesentata eines Personenverbandes als tanquam coniuncta persona^. Der Satz, daß

das Volk nichts anderes sei als dessen Menschen, stellt der ,Fiktions­ theoretiker* Baldus klar48, müsse auf deren Zusammenfassung bezogen werden, weil die einzelnen für sich kein Volk bilden (homines separati non faciunt populum); infolgedessen dürfte das Volk eigentlich nicht einfach mit den Menschen gleichgesetzt werden, sondern müßte begrif­ fen werden als hominum collectio in unum corpus mysticum et ab­ stractive sumptum, cuius significatio est inventa intellectu. Diese Ein­ heit wird begreiflich in der gemeinsamen Verfolgung der Körper­ schaftszwecke und den Interaktionen ihrer Mitglieder als quoddam intelligibile mutuo consensu et authoritate: et videtur (communitas)

sociata in suo negotio108. Das Fiktive an den korporationstheoretischen Fiktionen ist nach alledem die perspektivische Gleichsetzung von Kor­ poration und Person, nicht aber die Annahme der Verbandseinheit. „Es ist richtig, daß für bestimmte Akte die universitas als Gesamtheit als eine Person fingiert wird, jedoch liegt hier das Wesen der Fiktion in der angewandten Rechtsfigur, nicht aber ist das Rechtssubjekt eine fingierte Person110.“ abstracta a suis partibus, tarnen de communitate collective, quae est com­ munitas rei vera et non rationis tantum, est falsa evidenter — sicut patet in tractu de facto navis a decem hominibus simul, qui tractus facti navis per se est communitas, seu multitudinis X hominum ipsam trahentium, et non alicuius personae singularis, quia nullus unus per se solum posset earn trahere de facto: et ita homines trahunt ipsam navem simul ut et unus motor seu tractor sufficiens et totalis. Et conflictus hostium in bello campali est communiter de facto totius exercitus et non alicuius personae singularis. Et quod dicit, quod usus facti requirit veram personam et non ymaginariam et repraesentatam: dicendum quod usus facti requirit veram personam vel communitatem collectam ex veris personis, quoniam multi sunt actus humani, ad quos exercendos non sufficit una persona vera, sed necessario requiritur aliqua pluralitas seu communitas collecta ex pluribus personis veris ... Zit. nach Miethke, Ockhams Weg, S. 506 N. 265. Vgl. dazu ebd. S. 78 f. 108 Panormitanus: Commentaria, P. II: in secundam Primi Decretalium Libri Partem (Venetiis 1578): c. 15 de procuratoribus X 1, 38 n. 14 (fol. 191 r). 108 Baldus Perusinus: In Codicis libros praelectiones, Ad legem Falcidiam, 1. in testamento (Cod. Just. 6, 50, 7) / Authentica „Sed cum testator“ n. 5 (fol. 171 r). 110 Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts II, S. 195.

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IV.

Kehren wir zu unserer Ausgangsfrage zurück: Was bedeutet reprae­ sentatio im Zusammenhang mit der corpus-mysticum-Idee und mit der persona-repraesentata-Doktrin? Ergibt sich aus diesem Kontext der Sinn rechtlicher Stellvertretung? Ist es so, daß „Repräsentation“ von Haus aus die Funktion von personae repraesentantes bezeichnet, welche der als solcher willens- und handlungsunfähigen fingierten Person rechtlich zur Aktionsfähigkeit verhelfen? Ist es begriffsgeschichtlich richtig, daß Repräsentant im spezifisch juristischen Verstände ur­ sprünglich derjenige ist, welcher die Rechte einer imaginären Person ausübt? Kann man sagen, daß die Herrschaft der Repräsentanten über die Repräsentierten in dem Anspruch, die fingierte Einheit zu vertre­ ten, hier kanonistisch grundgelegt ist? Die bisherigen Befunde rechtfertigen so weitgehende Schlußfolge­ rungen offensichtlich nicht. Es hat sich gezeigt, daß die verschiedenen Ausdrücke für die vom wechselnden Mitgliederbestand relativ unab­ hängige juristische Einheit von Personenverbänden im Kontext analo­ gischen Denkens noch ganz dem Bildgedanken verhaftet sind. Wobei anzumerken bleibt, daß die Vorstellung, das „Abgebildete (sei) im Abbild selber anwesend“, keineswegs qua corpus mysticum und Inkar­ nation allein spezifisch christliche Wurzeln hat. Wir sprachen schon davon (§ 5). Gerade der vormoderne Bildgedanke ist es, der die reine Abstraktion einer juristischen Person und die scharfe antithetische Gegenüberstellung von gedachter Einheit und tatsächlicher Vielheit, von Realität und juristischer Fiktion im Sinne der Pandektistik und der Germanistik des vorigen Jahrhunderts unmöglich macht. Wie ein Volk oder eine Stadt sei auch der Orden, sagt die Pisaner Appellation der Franziskaner von 1328 so schön, keine Chimäre, kein nomen sine re, sondern „repräsentiere von Rechts wegen in Wahrheit eine Person“111. Einen Körper »repräsentieren4, das heißt hier allemal noch: ähnlich­ keitsweise nach Maßgabe des natürlichen Leibes einen Personenver­ band, eine Personengesamtheit bilden. Der Ausdruck unum corpus repraesentare verfeinert lediglich die ältere Formulierung unum cor­ 111 Appellatio generalis ministri in majori forma, zit. nach Stephan Baluze / Johann Dominicus Mansi: Miscellanea, Tom. Ill, Lucae 1762, S. 246 b - 303 b (290 a): ... imperite dictum est, quod Ordo sit imaginaria persona. Nam illud de jure dicitur imaginarium, quod simulatur esse, & non est ... Et quod imaginariam est juris vinculum non obtinet ... Sicut nec chimera. Unde ... nomen sine re species est dicta chimerae. Ideo quod imaginarium est usum juris habere non potest, quia juris vinculum non obtinet; ordo autem sicut & Collegium unum, populus unus, Civitas una, interpretatione, & statuo juris in veritate repraesentat personam, & fungitur vice personae: unde nisi ordo Fratrum Minorum abdicasset a se ea, quae sunt juris, sibi competerent. — Ein anderes Beispiel für diese charakteristische Wendung „in Wahrheit repräsentieren“ bei Marsilius von Padua: § 14 N. 81. 10 Hofmann

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

pus facere der Glosse (episcopus cum capitulo suo facit unum corpus)112 und das facere collegium bei Innocenz IV.113, und zwar in doppelter

Hinsicht: mit der Betonung der Analogie und ferner dadurch, daß das Produkt einer solchen Repräsentation, einer solchen Formation, eben das corpus fictum und die persona repraesentata wenn schon nicht von ihrem personellen Substrat ganz abgehoben, so doch jedenfalls deut­ licher als im Wechsel der Mitglieder identisch begriffen werden kann. Nur die Dominanz des Analogiegedankens erklärt, daß auch die Kör­ perschaft selbst als Subjekt dieser Art von Repräsentation bezeichnet werden kann: Universitas unum corpus repraesentat111. Insbesondere aber und höchst charakteristischerweise sind diejenigen Sätze, welche in der angezeigten Art von der ,Repräsentation* eines corpus fictum bzw. einer persona repraesentata reden, gegenüber der die Korpora­ tionslehre von Anbeginn durchziehenden zentralen Frage nach dem Handeln des Verbandes per se oder per alium durchaus indifferent.

Wenn Gierke die Panormitanus-Sentenz von der Körperschaft als einem fiktiven Körper, repräsentiert* durch die zur Einheit versammel­ ten einzelnen (collegium ... quoddam corpus fictum, repraesentatum per singulos in unum congregates)115, als typische Konsequenz der kanonistischen Fiktionstheorie voi führt, insofern darin nicht nur die fiktive Person von der Summe der Mitglieder abgehoben werde, son­ dern nicht einmal die Gliedergesamtheit in ihrer verfassungsmäßigen Versammlung den Körper selbst konstituiere, „sondern nur das corpus fictum repräsentiert**116, so ist demgegenüber zusammenfassend folgen­ des festzuhalten: Sicher haben wir es hierbei mit einer für die mittel­ alterliche ,Fiktionstheorie* typischen Wendung zu tun. Zweifellos auch wird hier wie anderwärts die persona ficta von der Summe der Mit­ glieder unterschieden. Doch ist schon ungewiß, inwieweit sie von deren 112 Oben bei N. 39. Vgl. loannes de Anania super secundo et tertio Decretalium (Lugduni 1553): c. 4 de his, quae fiunt a praelato sine consensu capituli X 3, 10 n. 2 (fol. 105 r): prelati, et clerici eiusdem ecclesie faciunt unum corpus, et dicitur una persona ficta, et representata. 113 In c. 14 X 5, 31 n. 10 (N. 34 - fol. 527 r); vgl. n. 1 (fol. 526 r). 114 Albericus a Rosate: Commentariorum de Statutis libri IV, lib. IV q. 10, in: Tractatus illustrium in utraque tum pontificii, tum caesarei iuris facultate Iuris consultorum, Tom. II, Venetiis 1584, foil. 2-85 (67). 115 Panormitanus in c. 55 de electione X 1, 6 n. 7 (Commentaria, P. I: In Primam Primi Decretalium Libri Partem Commentaria, Venetiis 1578, fol. 214 r): ... si res spectat ad collegium, non potest dici, quod collegium disposuerit, nisi fuerit congregatum, et collegialiter decreverit; cum collegium sit quoddam corpus fictum, repraesentatum per singulos in unum congre­ gates ... Cf. c. 48 de electione X 1, 6 n. 4 (aaO fol. 202 v): Nam cum Univer­ sitas sit quoddam corpus fictum repraesentatum per singulos de universitate ..., non potest dici istud corpus universitatis aliquid fecisse, nisi saltern maior pars totius corporis concludat: quia fictione iuris, quod fit a maiori parte istius corporis, attribuitur toti corpori... 116 Gierke, Genossenschaftsrecht III, S. 431.

§11. Corpus mysticum und persona repraesentata

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kollektiver Gesamtheit abgehoben wird. Ohne Frage unzutreffend aber ist der Kern dieser Interpretation. Der historische Kontext erlaubt es einfach nicht, Repräsentation hier einmal in Gegensatz zur Konstitution der Körperschaft (zum corpus facere oder constituere) zu bringen und zum anderen im Sinne der Stellvertretung für eine fiktive Größe auch noch gegen das ,Fingieren* der Einheit abzusetzen. In Wahrheit besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen der Körperschaftsdefinition des Panormitanus aus den Jahren nach 1421 und dem, was schon die Bulle „Unam sanctam“ von 1302 über die Kirche gesagt hatte: quae unum corpus mysticum repraesentat, cuius caput Christus Christi vero Deus117. So wenig von der Kirche als der congregatio fidelium gesagt

wird oder gesagt werden kann, daß sie nicht die Gliedergesamtheit konstituiert, sondern nur deren fiktive Persönlichkeit Repräsentiert*, so wenig ist das der Sinn der fraglichen Bestimmung der universitas: Nicht ist beim Panormitanus das corpus fictum Objekt der Repräsen­ tation, sondern die Repräsentation der zur Einheit formierten Mitglie­ der qualifiziert näher die Weise der Fiktion. Collegium ... quoddam corpus fictum repraesentatum per singulos in unum congregatos —

das meint nicht die durch die verfassungsmäßige Versammlung vertre­ tene fiktive Rechtspersönlichkeit, sondern bedeutet schlicht: einen durch die verfassungsmäßig geeinten Mitglieder ähnlichkeitsweise ge­ bildeten Leib im übertragenen Sinne.

Auf das Ganze der universitas bezogen liegt der spezifische Sinn dieser ähnlichkeitsweisen Repräsentation in der Nachbildung der corpus-caput-Ordnung des natürlichen Leibes, wie sie schon die antike Tradition als Herrschaft des Hauptes über die Glieder, aber auch als wechselseitige Angewiesenheit verstanden hatte. Gerade dadurch, daß ein Personenverband sich organisiert mit dem Vorsteher als Haupt und der Formierung der übrigen als Glieder, und zwar mit je eigenen Rechten von caput und corpus118, stellt er in dieser seiner Verfassung eine gewisse Einheit her und repräsentiert so einen einzigen Leib ... talis congregatio duntaxat corpus constituit ... Ita quod praelatus caput, caeteri vero membra ... Et sic in sui constitutione universitas quandam unitatem constituit, et unum corpus repr esentat119. Demgemäß

„repräsentieren“ die Mitglieder in dem Sinne, daß in ihrem verfas­ sungsmäßigen, gemeinschaftsbezogenen Handeln die von ihnen abstra­ hierte Einheit sinnfällig wird: universitas essentialiter non est in singularibus, sed est quid extractum in se, quod tarnen repraesentatur in facto singularium, prout in forma univ ersitatis operantur. Dieser Satz 117 Mirbt / Aland, Quellen I, S. 458 - 460 (459). 118 Vgl. Gillet, La personnalite juridique en droit ecclesiastique, S. 107. 119 Oldradus de Ponte Laudensis (| 1335): Consilia, seu Responsa, et Quaestiones Aureae, Frankfurt 1576, Consilium 315 (fol. 187 r). io*

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

des Kanonisten Antonius a Butrio (1338 - 1408)120 enthält eine geradezu klassische Formulierung dessen, was Repräsentation korporationstheo­ retisch ursprünglich bedeutet: in forma univ ersitatis operari. Darauf wird zurückzukommen sein. Aber bevor wir die Entwicklung des korporationsrechtlichen Repräsentationsbegriffs weiterverfolgen, soll — da die Bedeutung der Stellvertretung in einem spezifisch juristi­ schen Sinne aus diesem Kontext nicht zu erklären ist — die Frage ein­ mal umgekehrt werden: Wo und wie hat die Rechtslehre von der Stell­ vertretung den Ausdruck Repräsentation aufgenommen?

§ 12. Repräsentation und Stellvertretung I . Stellvertretung im römischen Recht — II. Die Behandlung des Pro­ blems im Mittelalter — III. Repräsentation: Fachausdruck der unmittel­ baren Stellvertretung — IV. Der sprachgeschichtliche Hintergrund der Meßliturgie

I.

Was die Frage der gewillkürten offenen Vertretung, d. h. der unmit­ telbaren Berechtigung und Verpflichtung Dritter durch Rechtsgeschäft und aufgrund rechtsgeschäftlicher Vollmacht anlangt, so blieb es in Rom nach den Worten Kasers „zu allen Zeiten bei dem Grundsatz, daß die unmittelbare (direkte) Stellvertretung im strengen Sinn unbekannt ist, daß also kein Gewaltfreier Rechtshandlungen im Namen eines an­ deren Gewaltfreien so vornehmen kann, daß die Wirkungen daraus ohne weiteres und ausschließlich in dieser anderen Person eintreten“1. Von wenigen Ausnahmen abgesehen — so vermochte Savigny einen solchen Grundsatz nicht anzuerkennen, da er den angeblich prinzipiel­ len Unterschied zwischen Bote und Stellvertreter bestritt und folglich die auf der Vorstellung vom Organ- oder Werkzeugcharakter des Boten beruhenden Sätze der Überlieferung mit allen juristischen Konsequen­ zen auch auf den Stellvertreter bezog2 — von solchen Ausnahmen also 120 Antonius a Butrio: In Librum Primum Decretalium Commentarii (Vene­ tiis 1578): c. 55 X de electione et electi potestate 1, 6 n. 7 (fol. 148 r). Vgl. auch c. 8 X de constitutionibus 1, 2 n. 18 (aaO fol. 16 v) und c. 2 X de postulatione praelatorum 1, 5 n. 20 (aaO fol. 90 v). Siehe noch Cinus, Lec­ tura Codicis (N. 74): de sacrosantis ecclesiis, 1. habeat unusquisque (Cod. Just. 1, 2, 1) n. 10 (fol. 9 v): canonici ..., qui singulariter non repraesentant ecclesiam, sed ut capitulum bene repraesentant, — Vgl. dazu Gillet, La personnalite juridique en droit ecclesiastique, S. 151 ff. 1 Kaser, Das röm. Privatrecht I, 1. Aufl., S. 226. 2 Vgl. Friedrich Carl von Savigny: System des heutigen Römischen Rechts, 3. Bd., Berlin 1840, S. 94 ff. Dazu Karl Friedrich Everding: Die dogmenge­ schichtliche Entwicklung der Stellvertretung im 19. Jahrhundert, Münster 1951; Huberta Bauer: Die Entwicklung des Rechtsinstituts der freien gewill­ kürten Stelllvertretung seit dem Abschluß der Rezeption in Deutschland bis zur Kodifikation des BGB, Diss. Erlangen 1963, S. 97 ff. Vgl. auch H. J. Wolff, Organschaft und juristische Person II, S. 110.

§ 12. Zur Frage der unmittelbaren Vertretung

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abgesehen3, bestand und besteht Einigkeit über jene Negation als ein eigentümliches Prinzip des römischen Privatrechts. Das konstatierte seinerzeit schon Ludwig Mittels4. Freilich kannte auch das römische Recht die unmittelbare Berechtigung und Verpflichtung durch Rechts­ geschäfte und geschäftsähnliche Handlungen anderer, etwa bei der Dotalstipulation, bei Geschäften der Municipalorgane, bei Schenkungen mit einer Auflage zugunsten eines Dritten und insbesondere beim Be­ sitzerwerb und dem durch ihn bedingten Erwerb des Eigentums5. Und über das alte ius civile hinaus eröffnete prätorische Rechtsschöp­ fung die Möglichkeit, unter gewissen Voraussetzungen den Herrn aus Rechtsgeschäften seiner gewaltunterworfenen Haussöhne und Sklaven, den Reeder aus Verträgen seiner Schiffsführer, den Prinzipal aus Geschäften seiner kaufmännischen Angestellten mit den sog. adjektizischen, also zusätzlichen Klagen in Anspruch zu nehmen, welche zwar den Vertrag nicht auf den Geschäftsherrn erstrecken, wohl aber eine Erweiterung der Haftung bewirken6. Indessen gelten alle diese Rechts­ figuren bloß als Ausnahmen oder „Auflockerungen“ jenes negativen Grundsatzes, der hauptsächlich durch den Ausschluß des Rechtserwerbs per liber am personam und durch das namentlich von Ulpian bezeugte Verbot belegt ist, die Stipulation auf einen Dritten zu stellen: alteri stipulari nemo potest.. .7.

Eine eigentümliche Schwierigkeit der in der Romanistik herrschen­ den Lehre liegt darin, daß die Annahme eines solchen das römische Recht bestimmenden Prinzips unvermeidlich nach einer prinzipiellen Begründung dieses Phänomens verlangt, die jedoch in einer befriedi­ genden Weise offenbar nicht gegeben werden kann. Die Erklärungs­ versuche reichen von Puchtas Dogma der angeblichen rechtslogischen Unmöglichkeit unmittelbarer Stellvertretung überhaupt und von der 3 Vgl. auch Friedrich Hellmann: Die Stellvertretung in Rechtsgeschäften, München 1882, S. 43 ff. 4 Ludwig Mittels: Die Lehre von der Stellvertretung nach römischem Recht unter Berücksichtigung des österreichischen Rechtes, Wien 1885, S. 9. 5 Vgl. die Zusammenstellungen bei Hermann Buchka (Die Lehre von der Stellvertretung bei Eingehung von Verträgen, Rostock und Schwerin 1852, S. 1 ff.), Hellmann, L. Mittels und Ulrich Müller: Die Entwicklung der direk­ ten Stellvertretung und des Vertrages zugunsten Dritter — Ein dogmenge­ schichtlicher Beitrag zur Lehre von der unmittelbaren Drittberechtigung und Drittverpflichtung (Beitr. z. Neueren Privatrechtsgesch. 3), Stuttgart/ Berlin / Köln / Mainz 1969, S. 26 f. • Kaser, Das röm. Privatrecht I, § 62 IV; J. Baron: Abhandlungen aus dem Römischen Civilprozess II: Die adjecticischen Klagen, Berlin 1882; Feodor Kleineidam: Die Haftung des Geschäftsherrn mit der actio institoria und exercitoria nach römischem Recht, Diss. Breslau 1895; Hellmann, Die Stell­ vertretung in Rechtsgeschäften, S. 96ff.; Schlossmann, Stellvertretung II, S. 223 ff.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 21 ff. 7 Vgl. etwa Cod. Just. 4, 27, 1 und Dig. 45, 1, 38, 17 sowie im übrigen die Zusammenstellung bei U. Müller, S. 15.

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

Behauptung der Unvereinbarkeit mit der römischen Ethik des souverä­ nen Individuums über die Heranziehung des Phänomens des (letztlich magischen) Rechtsformalismus, des ausgeprägten römischen Konser­ vatismus und über rechtssoziologische Fundierungen bis zu der An­ nahme, es handele sich bei der unmittelbaren Stellvertretung um einen den Römern noch unerreichbaren Grad dogmatischer Subtilität8. Läßt man die für das 19. Jahrhundert typischen rechtshistorischen Verzeich­ nungen beiseite, so entfallen damit gerade die prinzipiellen Erklärun­ gen. Die übrigen, undogmatischen Hypothesen sind nicht schlüssig, so­ fern es darum geht, ein negatives Dogma einsichtig zu machen. Diese Schwierigkeit drückt sich schon in der zitierten Formulierung Kasers aus, insofern er von einem ,Grundsatz* des ,Unbekanntbleibens* der direkten Stellvertretung spricht8a. Das rechtsgenetisch zweifellos sehr wesentliche Formalismus-Argument etwa ist ja viel zu speziell, als daß es den Ausschluß der unmittelbaren Stellvertretung für einen ziemlich weiten, keineswegs durch gewisse gemeinsame besondere Formerfordernisse ausgegrenzten Rechtsbereich inmitten einer reich entwickelten Rechtskultur zu erklären vermöchte. Und der sicherlich zentrale Hinweis darauf, daß Verbandsaufbau der Familie und Skla­ verei direkte Stellvertretung durch Gewaltfreie weithin entbehrlich machten, weil sie mannigfache Möglichkeiten der Handlung durch Ge­ waltunterworfene boten9, macht zwar klar, daß der sozialökonomische Antrieb zur Ausbildung eines allgemeinen Rechtsinstituts der offenen Stellvertretung fehlte, deckt aber keineswegs die Annahme, das rö­ mische Privatrecht habe die an sich abstrakt konzipierte Vorstellung unmittelbarer rechtsgeschäftlicher Vertretung deswegen prinzipiell negiert. Dieser Sprung ist auch dadurch nicht zu überbrücken, daß man die Gründe, welche das mangelnde Bedürfnis für die Rechtsfigur

8 Vgl. Georg Friedrich Puchta: Pandekten, 8. Aufl. (besorgt v. A. Rudorff), Leipzig 1856, § 273 (S. 413); Paul Laband: Die Stellvertretung bei dem Ab­ schluß von Rechtsgeschäften nach dem allgem. Deutsch. Handelsgesetzbuch, in: Zeitschr. f. d. ges. Handelsrecht 10 (1866) S. 183-241 (186); Joseph Unger: Die Verträge zu Gunsten Dritter, Iherings Jahrbücher 10 (1871) S. 1 -109 (S. 12 ff.); L. Mittels, Stellvertretung, S. 10ff.; Schlossmann, Stellvertretung II, S. 153 ff.; H. J. Wolff, Organschaft u. jurist. Person II, S. HO ff.; Fritz Schulz: Prinzipien des römischen Rechts, Berlin 1954, S. 20, 66, 107; Gerhard Wesenberg: Verträge zugunsten Dritter — Rechtsgeschichtliches und Rechts­ vergleichendes (Forsch, z. Römischen Recht I, 2), Weimar 1949, S. 17 ff.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 16 ff.; Axel Claus: Gewillkürte Stellvertretung im Römischen Privatrecht (Berliner Jurist. Abh. 25), Berlin 1973, S. 375. 8a Anders und überzeugender formuliert Kaser jetzt in der 2. Aufl. von 1971 (S. 260 f.). 9 Die Sklaverei hat schon Buchka (Die Lehre von der Stellvertretung bei Eingehung von Verträgen, S. 118) als „Schlüssel zum Verständnis“ bezeichnet. Vgl. dazu Kaser, Das röm. Privatrecht I, § 62 I.

§ 12. Zur Frage der unmittelbaren Vertretung

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der direkten Stellvertretung erkennen lassen, summiert10: von der Ver­ treterfunktion der allemal unmittelbar für den Gewalthaber erwerben­ den Sklaven und Haussöhne über die verschiedenen Formen adjektizischer Klagen und das Surrogationsprinzip bei Erwerb mit Dritt­ mitteln bis zur eidlichen Novation an sich ungültiger Drittstipulationen und bis zu den verschiedenen „Ausnahmen“ von jenem vorausgesetzten negativen „Grundsatz“.

Eher wohl wird der Kern der Sache sichtbar, wenn wir damit anset­ zen, daß das römische Recht ursprünglich, wie Schlossmann formu­ lierte11, „auf allen Gebieten Vertretung mit unmittelbarer Wirkung in weitem Umfang zugelassen“ ..., „in ausgedehnterem Masse ... aber direkte Wirkungen bei Vertretergeschäften im Privatrecht ausgeschlos­ sen (hat)“, wenn wir mit anderen Worten, und vielleicht noch etwas genauer formuliert, davon ausgehen, daß der Grundsatz des alteri stipulari nemo potest zunächst einem Rechtsbereich angehört, den wir dem Besonderen Schuldrecht zurechnen würden, und daß er nichts über Stellvertretung sagt, sondern in allgemeinerer Weise die unmit­ telbare Drittberechtigung durch ein in bestimmter Weise formalisiertes mündliches Schuldversprechen ausschließt. Jene negative Parömie un­ terscheidet ja nicht im Sinne der §§ 164 und 328 BGB zwischen Stell­ vertretung und Vertrag zugunsten Dritter12. Sonach gibt es fürs erste kein Verbot der direkten Stellvertretung, weil es ganz einfach weder Namen noch Begriff dieser offenen Vertretung gibt — so wenig wie einen einheitlichen Begriff des Vertrages. Was es gibt, sind spezielle schuldrechtliche Ausformungen der Vorstellung, daß Rechtshandlung, Anspruchserwerb und Erfüllungsinteresse eine Einheit bilden13 und daß das Privatrechtssubjekt dementsprechend auch nur sich selbst ver­ pflichten kann. Ob das am „Wesen“ der römischen Obligation liegt, als Nachwirkung magischer Rechtsformalität zu verstehen oder, wie 10 Wie das U. Müller (Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 18 ff.) in einer im übrigen sehr instruktiven Weise getan hat. 11 Schlossmann, Stellvertretung II, S. 172. Vgl. dazu auch H. J. Wolff, Organschaft u. jurist. Person II, S. 112. Claus (Gewillkürte Stellvertretung im Röm. Privatrecht, S. 367 ff.) hält alle diese ,Vertretungs Wirkungen' über­ haupt bloß für Konsequenzen des Prinzips notwendiger Entgeltlichkeit, die mit unserer durch den Gedanken der Vertretung im Willen geprägten Vor­ stellung von unmittelbarer Stellvertretung nichts zu tun hätten. 12 Vgl. Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, S. 8 ff.; H. Bauer, Die Ent­ wicklung des Rechtsinstituts der freien gewillkürten Stellvertretung, S. 2 ff.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 11 ff. Siehe dazu auch Leo Rosenberg: Stellvertretung im Prozess. Auf der Grundlage und unter eingehender, vergleichender Darstellung der Stellvertretungslehre des bürgerlichen Rechts nebst einer Geschichte der prozessualischen Stellver­ tretung, Berlin 1908, S. 320. 13 Vgl. Dig. 45, 1, 38, 17 und dazu Buchka, Die Lehre von der Stellver­ tretung, S. 6 mit N. 10; Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, S. 11 ff.; Claus, Gewillkürte Stellvertretung im Röm. Privatrecht, passim.

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4. Kap.: Repräsentation und'Stellvertretung

Schlossmann meinte (ohne damit viel Beifall zu finden), auf die rechts­ politische Absicht, Selbstversklavungen zu verhindern, zurückzuführen ist, das ist die eine Frage. Eine andere Sache mit anderen Interpreta­ tionsproblemen ist es, daß die stipulatio in der spätrömischen Entwick­ lung „im Grundriß des Privatrechtes vom besonderen Teil des Schuld­ rechtes in den allgemeinen Teil des Privatrechtes (wandert)“ und der Satz alteri stipulari nemo potest so einen höheren Stellenwert ge­ winnt14 und gewinnen kann, weil dem dringende Bedürfnisse der Rechtspraxis nicht entgegenstehen. Der angeblich prinzipielle Aus­ schluß direkter Stellvertretung bleibt indessen auch angesichts der späteren römischen Kasuistik möglicher und nicht möglicher unmittel­ barer Drittberechtigungen und Drittverpflichtungen, da unsere system­ bildende Voraussetzung einer Kategorie der Vertretung im Willen fehlt, eine unhistorische Unterstellung. Daß die Juristen Roms keine allgemeine dogmatische Figur der Stellvertretung entwickelt haben, daran ändert sich im übrigen auch in der nachklassischen Zeit trotz einer gewissen Ausdehnung, Verallgemeinerung und Umformung des Mandats-Begriffs, einer Rechtsfigur eigentlich und von Haus aus des Innenverhältnisses, grundsätzlich nichts15. Bleibt bloß noch einmal fest­ zustellen, daß sich in der Terminologie des ganzen Problembereichs — es darf an die bereits wiederholt herangezogene Untersuchung Schnorr von Carolsfelds erinnert werden16 — nirgends das Wort repraesentare oder irgendeine Ableitung davon findet.

n. Als theoretische Hypothese ist die Annahme, das römische Recht habe die unmittelbare Stellvertretung prinzipiell ausgeschlossen und 14 Gerhard Wesenberg: Zur Behandlung des Satzes Alteri stipulari nemo potest durch die Glossatoren, Festschr. Fritz Schulz, 2. Bd., Weimar 1951, S. 259 - 267 (261). 15 Vgl. Emst Levy: Weströmisches Vulgarrecht — Das Obligationenrecht, Weimar 1956, S. 60 ff., 86 f.; Kaser, Das röm. Privatrecht II, S. 66 ff. Zu be­ denken ist in diesem Zusammenhang auch, daß der Stellvertretungsgedanke den germanischen Rechten aus verschiedenen Gründen ziemlich fremd war; vgl. H. J. Wolff, Organschaft u. jurist. Person II, S. 114 f. mit Nachw. 18 Vgl. oben § 3 eingangs. 17 Vgl. etwa Hellmann, Die Stellvertretung in Rechtsgeschäften, S. 43 ff., 66 ff., 103 ff.; Silvio Perozzi: Istituzioni di diritto romano, Bd. 2, 2. Aufl., Roma 1928, S. 215 ff. — Zum folg. Buchka, Die Lehre von der Stellvertretung bei Eingehung von Verträgen, S. 121 ff.; Richard Fränkel: Die Grundsätze der Stellvertretung bei den Scholastikern, ZVglRWiss. 27 (1912) S. 289-391; Wesenberg, Verträge zugunsten Dritter, S. 101 ff.; ders., Zur Behandlung des Satzes Alteri stipulari nemo potest durch die Glossatoren, aaO (N. 14); Hermann Lange: „Alteri stipulari nemo potest“ bei Legisten und Kanonisten, ZRG Rom. Abt. 73 (1956) S. 279 - 306; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 29 ff., 44ff.; Hans Ankum: Die Verträge zugunsten Dritter in den Schriften einiger mittelalterlicher Romanisten und Kanonisten, Festg. f. Ulrich von Lübtow, Berlin 1970, S. 557 - 567.

§ 12. Zur Frage der unmittelbaren Vertretung

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nur in Ausnahmefällen zugelassen, rein logisch natürlich umkehrbar17. Martinus jedenfalls, einer der vier berühmten Bologneser Doktoren, bezog die Parömie alteri stipulari nemo potest nur auf den Erwerb der actio directa; er schloß aus den verschiedenen Sonderfällen unmittel­ barer Drittbegünstigung mit anderen Worten auf ein allgemeines Prin­ zip prätorischer Rechtsentwicklung, wonach der Geschäftsherr aus den Kontrakten seines Prokurators zwar niemals direkt gebunden werde, wohl aber allemal eine actio utilis, d. h. ohne Zession eine zusätzliche, analoge, inhaltsgleiche Klagemöglichkeit erwerbe18. Die herrschende Meinung jedoch folgte Irnerius (Generale est, ex alterius stimulatione alteri actionem non queri) und der Glosse des Accursius, bekannte sich also zu dem Grundsatz, daß ein Dritter aus einem Vertrags Verhältnis nur durch Abtretung ein Recht erlangen könne, und qualifizierte die entgegenstehenden Belege als Ausnahmen. Für die Rechtspraxis war diese Behauptung eines negativen Grundsatzes freilich nicht sehr we­ sentlich. Denn die justinianische Rechtsordnung galt ja nur subsidiär. Und die Statuten der ober- und mittelitalienischen Städte trugen den Bedürfnissen eines dank Geldwirtschaft und blühender Gewerbe ent­ wickelten Verkehrslebens nicht zuletzt eben dadurch Rechnung, daß sie die Wirksamkeit einer auf einen Dritten gestellten Stipulation fast durchweg ausdrücklich anerkannten, und zwar im Sinne einer unmit­ telbaren Drittberechtigung19. Auf die Dauer waren, wie das Beispiel der Stadt Florenz zeigt, spezielle Regelungen auch der unmittelbaren und außerdem nicht mehr bloß akzessorischen Drittverpflichtung über den Bereich der adjektizischen Klagen hinaus wenigstens für die Vertreter­ geschäfte kaufmännischer Hilfskräfte ja unvermeidlich20. Die päpstliche Gesetzgebung gar, von jenen Gewohnheiten und Statuten wohl stark beeinflußt21, thematisierte die Möglichkeit der Handlung durch Dritte in abstrakter Weise. So nahm Bonifaz VIII. in die dem Liber Sextus von 1298 angefügten 88 regulae iuris22 den Satz auf: Qui facit per alium, est perinde, ac si faciat per se ipsum28. Diese Regeln waren freilich nur Leitsätze, deren sachliche Tragweite über die „faktische“ Stellvertre­ tung durch Boten oder Besitzmittler hinaus für den rechtsgeschäftlichen 18 Zum Begriff der actio utilis Max Kaser: Das römische Zivilprozeßrecht (Handb. d. Altertumswiss. X. 3. 4), München 1966, § 47 II 2 (S. 252). 19 Fränkel, Grundsätze der Stellvertretung, aaO (N. 17) S. 296 f.; Lange, „Alteri stipulari nemo potest“, aaO (N. 17) S. 290 ff.; U. Müller, Die Ent­ wicklung der direkten Stellvertretung, S. 55 ff. Siehe dazu auch Rosenberg, Stellvertretung im Prozess, S. 431; Richard Schmidt: Lehrbuch des deutschen Zivilprozessrechts, 2. Aufl., Leipzig 1910, S. 69 ff. 20 Max Weber: Zur Geschichte der Handelsgesellschaften im Mittelalter. Nach südeuropäischen Quellen, Stuttgart 1889, S. 133. 21 Vgl. R. Schmidt, Zivilprozeßrecht, S. 71 f. 22 Dazu Plöchl, Geschichte des Kirchenrechts II, S. 64 f. 23 Reg. 72. Vgl. reg. 68: Potest quis per alium, quod potest facere per se ipsum.

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4. Kap.: Repräsentation und Stellvertretung

Bereich zudem fragwürdig ist24. Doch finden sich im kanonischen Recht auch Sonderregelungen für Fälle gewillkürter direkter Stellvertretung, so für die Eheschließung durch einen Prokurator und die Vornahme der Investitur an einem Stellvertreter25.

Im übrigen trugen Glossatoren und Kommentatoren selbst zur Aus­ höhlung des als Prinzip verstandenen Verbots der Stipulation für einen anderen kräftig bei26, wenn es zur Umwälzung der ganzen Stellvertre­ tungsdogmatik auch erst in der frühneuzeitlichen Rechtslehre und namentlich im Vernunftrecht gekommen ist27. Zunächst erfährt der Katalog von Sonderregelungen und Umgehungskonstruktionen eine extensive Behandlung. Zu den Ausnahmefällen des unmittelbaren Erwerbs einer actio utilis ohne irgendeine Abtretung rechnete man die Vertretung kraft Amtes und die gesetzliche Vertretung (soweit hier nicht der Erwerb eines ius directum anerkannt war) sowie die gewill­ kürte Vertretung im Notfall und bei Stipulationen über Eigentum des Geschäftsherrn aus dem Gesichtspunkt der Surrogation. Hinzu kam die Stellvertretung im Prozeß und aus dem kanonischen Recht die eidliche Novation an sich unwirksamer Drittbegünstigungen. Der Besitzerwerb durch Dritte wird in die Stellvertretungslehre einbezogen, und auf der korrespondierenden Seite der Drittverpflichtung verlagert sich der Schwerpunkt der Behandlung vom Kontrahenten auf den Geschäfts­ herrn. Nicht einmal für die Figur des privaten Prokurators galt der Lehrsatz von der Unwirksamkeit des alteri stipulari uneingeschränkt. Diese Ausnahmen sind deswegen besonders interessant, weil der Pro­ kurator im Gegensatz zu dem als einem bloßen Instrument angesehe­ nen und einem Brief oder einer abgerichteten Elster verglichenen Bo­ ten geradezu als Prototyp der persona media erschien28. Hier vor allem also mußte sich erweisen, ob und inwieweit es zwischen der archetypi24 Vgl. Lange, „Alteri stipulari nemo potest“, aaO (N. 17) S. 286 f.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 62 ff., gegen H. Bauer, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der freien gewillkürten Stellvertretung, S. 37. 25 c. 9 in VIo 1, 19; c. 24X3, 5. 28 Vgl. Buchka, Die Lehre von der Stellvertretung, S. 141 ff.; Fränkel, Grundsätze der Stellvertretung, aaO (N. 17) S. 363 ff.; Wesenberg, Zur Behandlung des Satzes Alteri stipulari nemo potest durch die Glossatoren, aaO (N. 14) S. 264 ff.; Lange, „Alteri stipulari nemo potest“, aaO (N. 17) S. 281 ff., 297 ff.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 30 ff. 27 Dazu H. Bauer, Die Entwicklung des Rechtsinstituts der freien gewill­ kürten Stellvertretung, S. 49 ff.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 98 ff. 28 Vgl. Azo: Summa aurea — Pars prima, Lugduni 1596, in lib. IV Cod., Tit. si quis alteri vel sibi (Cod. Just. 4, 50) n. 1 (S. 581); Baldus Ubaldus Perusinus: Commentaria in Primum, Secundum et Tertium librum Codicis, Venetiis 1599, in lib. IV tit. si quis alteri vel sibi ad leg. VI (4, 50, 6) nn. 10 sqq. (fol. 125), hier n. 23 und n.17.

§ 12. Zur Frage der unmittelbaren Vertretung

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sehen Rechtsfigur des immer nur im fremden Namen redenden Boten einerseits und der mittelbaren Stellvertretung, der bloßen Interessen­ vertretung und dem Treuhandgedanken auf der anderen Seite über­ haupt ein Drittes gäbe, und zwar über die personae publicae, d. h. über die Amtspersonen wie insbesondere die Notare hinaus, die wegen der ihnen im Rahmen ihrer Zuständigkeit obliegenden Mitwirkungspflicht in kühner Anwendung jener Digestenfragmente, welche bei Stipula­ tionen für das Mündel in Ermangelung eines eigenen Sklaven u. U. einen servus publicus eintreten lassen, als solche servi publici gedeutet für jedermann als direkte Stellvertreter fungierten29. Angegangen wurde der Grundsatz der Mittelbarkeit sowohl im Prozeß80 wie im materiellen Recht im wesentlichen mit demselben Kunstgriff, nämlich mit der Differenzierung der conceptio verborum bei der Stipulation. Man unterschied zwischen den das Versprechen und die Verpflichtung betreffenden verba promissiva und obligativa einerseits und den die Frage des Leistungsempfängers entscheidenden verba executiva und ließ zu, daß diese verba executiva auf den Dritten konzipiert wurden, sofern der Stipulant ein eigenes pekuniäres Interesse daran nachweisen konnte. Damit war der Ansatz für die Rechtsfigur des Vertrages zu­ gunsten Dritter gewonnen. Des weiteren wurde für den procurator wie für den negotiorum gestor die selbstbezogene Stipulation nomine alii zugestanden, gleichwohl freilich vorerst am Erfordernis der Zession festgehalten. Und schließlich entwickelte Bartolus aus jener schon er­ wähnten Sonderregelung des römischen Rechts, wonach der Prinzipal in Notfällen, nämlich bei Insolvenz oder längerer Abwesenheit seines Mittelsmannes eine actio utilis erwarb, im Hinblick auf höchstpersön­ liche Rechte das Prinzip, daß der Dritte stets eine solche inhaltsgleiche zusätzliche Klagemöglichkeit habe, wenn der Prokurator nicht in der Lage sei, die actio directa abzutreten. Rechte, die der nomine alii handelnde Prokurator wegen ihres höchstpersönlichen Charakters nicht zedieren kann, erwirbt der Geschäftsherr unmittelbar, wie wenn er einen Boten geschickt hätte. An dieser Stelle nun, wo Bartolus in prin­ zipiell bedeutsamer Weise ausdrücklich die der conceptio verborum nach prokuratorische Mittlertätigkeit mit dem modus acquisitionis des 29 Dazu Wesenberg, Zur Behandlung des Satzes Alteri stipulari nemo potest durch die Glossatoren, aaO (N. 14) S. 265; Lange, „Alteri stipulari nemo potest“, aaO (N. 17) S. 285. Siehe dazu auch Daniel Waley: The Italian City Republics. Dt. u. d. T.: Die italienischen Stadtstaaten, München 1969, S. 30 ff. 80 Vgl. Rosenberg, Stellvertretung im Prozess, S. 417 ff. Uber die prokura­ torische und defensorische Prozeßvertretung im römischen Formularprozeß Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht, § 29 III (S. 156 ff.). Aus der älteren Literatur Max Rümelin: Zur Geschichte der Stellvertretung im römischen Civilprocess, Diss. Tübingen 1885/86 — Freiburg i. B. 1886, S. 93 ff. Zum folg. Buchka, Die Lehre von der Stellvertretung, S. 141 ff.; Fränkel, Grundsätze der Stellvertretung, aaO (N. 17) S. 350 ff.; U. Müller, Die Entwicklung der direkten Stellvertretung, S. 37 ff.

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Boten kombiniert31, da gebraucht er den Ausdruck Repräsentation: in his que adeo sunt personalia, quod ex persona procuratoris non possunt transire in dominum, procurator representat personam domini directo sicut nuncius32. Für die Unmittelbarkeit der VertretungsWir­

kung kraft „Repräsentation“ gibt Bartolus das einleuchtende Beispiel der Eheschließung durch einen Prokurator: Et ideo, si aliquis desponsat uxorem procuratorio nomine meo, non est dubium quod illa non est uxor procuratoris, nec est opus quod per procuratorem cedatur mihi, sed mea directa uxor efficitur33.

Die Wendung personam repraesentare und insbesondere die Prä­ gung personam alicuius repraesentare sind uns bislang — auch bei Bartolus — allenfalls beiläufig begegnet, nämlich dort, wo davon die Rede war, daß die universitas eine lebende, die hereditas hingegen die Person eines Toten repräsentiere. Die zugespitzte Verwendung dieser Kombination im Kontext der Stellvertretungslehre der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts und zwar bei der Behandlung eines Spezial­ problems verdient Aufmerksamkeit und nähere Prüfung. Dabei ist zunächst dem Terminus nachzugehen, mit dem verknüpft repraesentare hier erscheint.

III. Als Grundbedeutung von persona gilt ,Maske434. Die Herkunft des Wortes ist — trotz zahlreicher etymologischer Hypothesen35 — noch immer dunkel. Philologisch unhaltbar ist natürlich die schon bei den Alten beliebte philosophische Interpretation: per se una, welche allzu vordergründig auf die Bedeutung »Individuum4 hinauswill. Aber auch die seit Gellius maßgebliche Ableitung von personare ist nicht sehr wahrscheinlich, und zwar aus sachlichen wie — mit Rücksicht auf die verschiedene o-Quantität und die Wortgestalt — vornehmlich aus phi­ lologischen Gründen36. Sehr bestechend, aber ungesichert ist die Theo81 Vgl. Azos Summa aurea (N. 28) n. 21: Ex tribus ... cognoscitur nuncius. Primo, ex forma mandati, si mandatum est ei ut nuncio. Secundo, ex conceptione verborum, si continetur verba directa in personam domini. Tertio, ex modo acquisitionis, si acquirit domino directa via directam actionem. 88 Bartolus in Digestum novum (Lugduni 1563): de damno infecto, 1. XIII § si alieno (Dig. 39, 2, 13, 13) n. 3 (fol. 34 r). 88 Ebd. Vgl. hierzu bei N. 25. 84 Schlossmann, Persona, S. 11 ff. 85 v. Blumenthal: Art. „Persona“, in Pauly-Wissowa: Real-Encyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, XIX/1, 37. Halbbd., Stuttgart 1937, Sp. 1036 - 1040; Rheinfelder, Das Wort „Persona“, S. 18 ff. 86 Blumenthal aaO Sp. 1036; Adolf Trendelenburg: Zur Geschichte des Wortes Person. Nachgelassene Abhandlung. Eingef. v. Rudolf Eucken, Kantstudien 13 (1908) S. 1-17 (4); Rheinfelder, Das Wort „Persona“, S. 18 ff. A. A. v. a. Max Müller: Biographies of Words and the Home of the Aryas, London 1888, S. 32 - 47.

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rie, wonach es sich — wie bei lacus und lacuna und ähnlichen Diminu­ tiven — um eine Verkleinerungsform zu qersu handelt, zur etruski­ schen Bezeichnung für einen Unterweltsdämon bzw. für dessen Dar­ steller und dann für den vermummten Leiter der Leichenspiele. ,Klei­ ner